Johann Georg Pisendel (1687-1755) und die Anfänge der neuzeitlichen Orchesterleitung 9783795211400, 3795211409

Lange hatte Johann Georg Pisendel seinen festen Platz im musikalischen Geschichtsbild als komponierender Geigenvirtuose

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Johann Georg Pisendel (1687-1755) und die Anfänge der neuzeitlichen Orchesterleitung
 9783795211400, 3795211409

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KAI KÖPP

J OHANN GE ORG PISE NDE L (1687– 1755) und die Anfänge der neuzeitlicen Orcesterleitung

VERLEGT BEI HANS SCHNEIDER · TUTZING 2005

3

INHALT

VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. EINLEITUNG: PISENDEL ALS GEGENSTAND DER FORSCHUNG . . . .

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1. Die drei frühen Lebensbescreibungen und ihre Verfasser

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Hillers Version der Lebensbescreibung Pisendels aus dem Jahr 1784 . . . . Agri$ola als Verfasser der anonymen Lebensbescreibung aus dem Jahr 1767 . Die anonyme „Nacrict von den Lebensumständen“ Pisendels aus dem Jahr 1756 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II. ZUR BIOGRAPHIE PISENDELS

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1. Herkunft und Ausbildung in Ansbac (1696–1709) . . Als Kantorensohn in Cadolzburg . . . . . . . . . Als Kapellknabe am Ansbacer Hof . . . . . . . . Als Violinist in der Ansbacer Hofkapelle . . . . . .

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Exkurs I: „ … zumal da ihm der Herr Torelli ordentlice Le$tionen auf der Violine gab“ – Zur Anwesenheit Torellis in Ansbac . . . . . . . . . . . . . 50

2. Studium in Leipzig und Berufung nac Dresden (1709–1714)

. . . . . . 59

Das Collegium musi$um, die Neukircenmusik und die Oper zu Leipzig . . . 64 Pisendel als Vertreter Hoffmanns und Musikdirektor des Collegium musi$um . . 73 Stellenangebote aus Darmstadt und Dresden . . . . . . . . . . . . . 77

3. Die frühen Reisen – Stilstudien und Repräsentation (1714–1718) Die Reise nac Frankreic 1714 . . . . . . . . . . . . Das Gastspiel in Berlin 1715 . . . . . . . . . . . . . Die Reise nac Italien 1716–1717 . . . . . . . . . . . a) Der Aufenthalt in Venedig 1716 . . . . . . . . . . b) Stationen der Studienreise 1717: Neapel, Rom, Florenz . .

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Exkurs II: „… denn wer nict etwas mit hinein bringt; der bringt scwerlic was mit heraus.“ – Pisendel und die Italienreise seines Scülers Quantz . . . . . . 106

4. Pisendels Position innerhalb der Dresdner Hofkapelle (1718–1728) . . . . 114 Pisendels Status nac seiner Rü%kehr aus Italien . . . . . . . . . . . . 114 Die ‚Dienstreise‘ nac Wien 1718/19 . . . . . . . . . . . . . . . 118 Pisendel im Konflikt zwiscen dem Musikgescma% des Königs und des Kurprinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

5

5. Verzögerungen bei der Ernennung zum Konzertmeister (1728–1731) Der Premier Violon Pisendel als Stellvertreter Woulmyers . . . . . Interessenkonflikte bei der Neubesetzung der Konzertmeisterposition . Die späte Ernennung Pisendels zum Konzertmeister . . . . . . .

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6. Der Konzertmeister Pisendel aus biographiscer Sict (1731–1749)

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Die zentrale Stellung als Konzertmeister im höfiscen Musikbetrieb Vom Warscau-Aufenthalt 1735 bis zu den Sclesiscen Kriegen Eigene Akzente im Instrumentalrepertoire der Hofkapelle . . . Pisendel als sculebildender Interpret und Orcesterleiter . . . Pisendel als Kollege und Freund . . . . . . . . . . . .

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Exkurs III: „… da ic auf Serieusere Dinge zu den%en Ursac habe, die . . . . . . . 177 ewig dauern“ – Persönlice Aspekte in der Biographie Pisendels „Teutsce Redlickeit“ und „welsce Tü%e“ . . . . . . . . . . . . . 177 Pisendels „Redlickeit“ zwiscen Pietismus und Lutheriscer Orthodoxie . . 181

7. Die letzten Jahre (1749–1755)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

„Übermäßige travaillen“ und „weitläufftige Correspondenz“ . . . . . . . 196 Pisendel und die „Berlinisce Musi$“ . . . . . . . . . . . . . . . 200 Der Naclaß Pisendels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

III. DAS KONZERTMEISTERAMT ZUR ZEIT PISENDELS . . . . . . . . . 207 1. Zur Definition und zur Gescicte des Konzertmeisteramtes

. . . . . . 207

Das historisce Konzertmeisteramt – ein lexikographiscer Überbli% . . . . 208 Italienisce Geiger und das Konzertmeisteramt des 17. Jahrhunderts . . . . 215 Das frühe Konzertmeisteramt an mitteldeutscen Höfen . . . . . . . . 217

2. Das Konzertmeisteramt am Dresdner Hof

. . . . . . . . . . . . . 225 . . . . . . 225 . . . . . . . 231

Das Dresdner Konzertmeisteramt vor Pisendel . . . . . . Musikalisce Amtspflicten in Dresdner Quellen . . . . . Pisendels Amtspflicten als Konzertmeister a) Bestellen und Dirigieren der Instrumentalmusik . . . b) „Doppeldirektion“ in Kirce und Theater . . . . . $) Bereitstellen des Klangkörpers: Orcesterdisziplin und Instrumentenkammer . . . . . . . . . . . . d) Vertreten des Kapellmeisters in Personalangelegenheiten

3. Direktionsaufgaben in der zeitgenössiscen Literatur

. . . . . . 237 . . . . . . 238 . . . . . . 240 . . . . . . 241

. . . . . . . . . 248

Zur Leitung und Aufführung fremder Kompositionen vor Quantzens Versuc . 249 Quantz und Agri$ola als Kronzeugen für Pisendels Praxis . . . . . . . . 254 Der Konzertmeister als Spezialist für die stilgemäße „Ausführung“ fremder Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

6

IV. PISENDELS AUFGABEN IM BEZUG AUF DIE ORCHESTERMUSIKER

. . 273

1. Einführen und Erhalten eines guten und gleicen Vortrags Instrumente und Stimmung . . . . . . . . . . . . „Guter Vortrag“ und corisces Spiel . . . . . . . . Nict notierte Vortragsarten . . . . . . . . . . .

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2. Einteilen und Aufstellen der Orcestermusiker Besetzungsstärke und Stimmensätze . . . . Auswählen und Einteilen der Musiker . . . Aufstellen des Ensembles . . . . . . . .

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3. Dirigieren der Orcestermusiker . . Tempo und Zeitmaß finden . . . Einsatz geben, Tempo verfolgen . „Doppeldirektion“ mit Hasse? . .

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Exkurs IV: „ ... und sic in diesem Stü%e gänzlic auf ihn verließ“ – Zur Direktion Pisendels in Hasses Oper Cajo Fabri$io 1734 . . . Herstellen des Aufführungsmaterials . . . . . . . . . Einricten der Orcesterstimmen . . . . . . . . . . Dirigieren der Proben und Aufführungen . . . . . . .

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V. PISENDELS AUFGABEN IM BEZUG AUF SEINEN REPERTOIREBEREICH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 1. Auswählen von eigenen und fremden Kompositionen

. . . . . . . . . 383 . . . . . 385 . . . . . 389

„Pisendels Notenbibliothek“ – Eigenbedarf und Repertoireauftrag Zur Überlieferung der Dresdner Instrumentalmusik-Handscriften

2. Kapellrepertoire und Eigentumsfrage

. . . . . . . . . . . . . . . 395

„Pisendels Notenbibliothek“ und der Rectsstreit um den Naclaß Graupners . 395 Privateigentum oder Kapellrepertoire? . . . . . . . . . . . . . . . 402 Zur Herkunft der Musikalien in „Pisendels Notenbibliothek“ . . . . . . . 405

Exkurs V: „ ... und hingegen der Notist von ihm allein dependiren“ – Zur Identifikation der Notisten aus Pisendels Umkreis . . . . . . . . . . . . 411

VI. SCHLUSSBETRACHTUNGEN: ZUR HISTORISCHEN BEDEUTUNG PISENDELS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421

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ANHANG I: PISENDEL-DOKUMENTE (BIS 1757) . . . . . . . . . . . . . 429 Chronologisce Übersict über die bekannten Pisendel-Dokumente . . . 429 Übertragung der 57 unveröffentlicten Pisendel-Dokumente . . . . . . 435

ANHANG II: WERKVERZEICHNIS Konzerte . . . . . . . . . Orcesterwerke . . . . . . Sonaten . . . . . . . . . Zugescriebene Werke . . . Ausgesciedene Werke . . .

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . 493 Benutzte Arcivalien Literatur (Auswahl)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497

PERSONENREGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519

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VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2002 an der Philosophiscen Fakultät IV der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Für die Dru%legung ist sie um wenige Hinweise auf inzwiscen erscienene Arbeiten ergänzt worden. Aufgrund einiger Sonaten, die erst nac Abgabe der Arbeit als Kompositionen Pisendels erkannt werden konnten, erscien es außerdem wünscenswert, ein Verzeicnis der bekannten Werke Pisendels hinzuzufügen (Anhang II). Mein herzlicer Dank gilt an erster Stelle meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Dr. h.$. Christoph Wolff, der mic im Anscluß an eine Magisterarbeit über Hindemith in meinem Vorhaben unterstützte, Fragen der Historiscen Aufführungspraxis ins Zentrum meiner künftigen Studien zu stellen. Unter drei Themen, die ic zunäcst auf seinen Rat hin skizzierte, empfahl sic bald eine Studie über „Pisendel als Konzertmeister am Dresdner Hof“, die er mit regelmäßigen Gespräcen begleitete. Sein steter Bli% auf das Ganze und sein Vertrauen in die Realisierbarkeit einer solcen Studie gaben meiner Arbeit wictige Impulse. Für das unermüdlice Ausheben ihrer Bestände sowie die freundlice Betreuung danke ic den Mitarbeitern der Musik-Sondersammlung der Säcsiscen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) und des Säcsiscen Hauptstaatsarcivs Dresden, sowie Frau Dr. Ortrun Landmann von der RISMArbeitsstelle Dresden. Für die zügige Umsignierung der neu identifizierten Werke von Pisendel und Valentini sowie für die Durcsict des Werkverzeicnisses danke ic herzlic dem Leiter der Musikabteilung der SLUB, Herrn Dr. Karl Wilhelm Ge%, der auc die freundlice Genehmigung zur Veröffentlicung der verwendeten Quellen erteilte. Einen fructbaren Gedankenaustausc, der wohl zu den erfreulicsten Erfahrungen wissenscaftlicer Arbeit zählt, sowie uneigennützige Hinweise zu Dresdner Quellen aus dem 18. Jahrhundert verdanke ic Herrn Bernhard Hentric (Dresden), Frau Dr. Ulrike Kollmar (Dresden) und Herrn Dr. Gerhard Poppe (Dresden). Weitere Anregung und Förderung dieser Art verdanke ic Herrn Dr. Thomas Drescer (Basel), der freundlicerweise die Anlehnung meines Dissertationstitels an einen seiner Aufsatztitel erlaubte, sowie Herrn Dr. Micael Ladenburger (Bonn), Herrn Professor Dr. Emil Platen (Bonn) und Herrn Professor Siegbert Rampe (Rommerskircen). Freundlice Unterstützung und großes Interesse erfuhr ic außerdem von der Pisendel-Gesellscaft Cadolzburg durc ihren Vorsitzenden Herrn Albrect Treuheit (†), der mir das von ihm zusammengetragene Material großzügig zur Verfügung stellte, und durc seine Nacfolgerin Frau Dr. Ines Kloke, die bei ihrem Besuc im Säcsiscen Hauptstaatsarciv die Prüfung letzter Detailfragen zum Dokumentenanhang übernahm. Für die Beantwortung von Anfragen und die Zusendung von Kopien danke ic Frau Barbara Anders (Kapitelarciv der Evangelisc-Lutheriscen Gesamtkircenverwaltung Augsburg), Herrn Dr. Horst Augsbac (Sonthofen), Herrn Dr. Oswald Bill (Hessisce Landes- und Hocsculbibliothek Darmstadt), Herrn Professor Dr. Fried-

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helm Brusniak (Würzburg), Herrn Werner Bürger (Stadtarciv Ansbac), Herrn Dr. Enri$o Careri (Rom), Herrn Dr. Carlo Chiesa (Cremona), Herrn Professor Gerhart Darmstadt (Hamburg), Frau Brigitte Geyer (Stadtbibliothek Leipzig), Herrn Professor Dr. Wolfgang Herbst (Heidelberg), Herrn Dr. Ulric Knüpfer (Porzellanmanufaktur Meißen), Herrn Professor Dr. Franz Krautwurst (Bu%enhof), Herrn Dr. Rudolf Lenz (Forscungsstelle für Personalscriften Marburg), Herrn Dr. Simon Maguire (Sotheby’s Printed Books and Manus$ripts), Herrn Dr. Josef Mančal (Stadtarciv Augsburg), Frau Dr. Anni Miksc (Säcsisces Hauptstaatsarciv Dresden), Herrn Zenon Mojzysz (Hamburg), Frau Dr. Ute Omonsky (Jena), Herrn Professor Dr. Hans-Günter Ottenberg (Dresden), Herrn Professor Dr. Martin Petzoldt (Leipzig), Herrn Dr. Paul M. Peu%er (Arciv der Brüder-Unität Herrnhut), Herrn Dr. Gerhard Recter (Staatsarciv Nürnberg), Frau Dr. Uta Scaumberg (Bayerisce Staatsbibliothek Müncen), Herrn Professor Dr. Ulric Siegele (Tübingen), Herrn Professor Dr. Micael Talbot (Liverpool), Herrn Professor Dr. Daniele Torelli (Mailand), Herrn Dr. Peter Wollny (Bac-Arciv Leipzig) und Herrn Giovanni Zordan (Verona). Für ihre Hilfe bei der Übersetzung von Quellentexten danke ic Herrn Andreas Glo% (Bremen) und Frau Margaret Ma$Duffie (Freiburg) sowie Herrn Lothar Haass (Müncen) für das Erstellen der Notenbeispiele. Das Gegenlesen des Manuskripts besorgte Herr Dr. Knut Linsel (Drolshagen) in gewissenhafter Weise. Dem Verlag Dr. Hans Scneider und seinem Lektor Herrn Georg Zauner ist für die professionelle Gestaltung des Layouts zu danken. Dank gebührt auc zahlreicen Musikerkollegen, mit denen ic in versciedenen Ensembles für „Alte Musik“ zusammenarbeitete und aufführungspraktisce Fragen diskutieren und erproben konnte. Nebenbei trug diese praktisce Tätigkeit nict unwesentlic zur Finanzierung der vorliegenden Studie bei – auc darum gilt mein herzlicer Dank der Deutscen Forscungsgemeinscaft, die alle Dru%kosten für diese Dissertation großzügig übernahm. Der tiefste Dank jedoc rictet sic an meine Frau Tanja Linsel, ohne deren Unterstützung und Aufmunterung diese Arbeit niemals zu einem zügigen Abscluß gekommen wäre. Karlsruhe, im Sommer 2004 Kai Köpp

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I. EINLEITUNG: PISENDEL ALS GEGENSTAND DER FORSCHUNG Der Dresdner Konzertmeister Johann Georg Pisendel (1687–1755), der seinerzeit zu den berühmtesten Zeitgenossen Bacs zählte, ist auc heute kein Unbekannter mehr, wie mehrere Tonträger-Einspielungen der letzten Jahre, die ausscließlic seinen Werken gewidmet sind, zeigen.1 Für heutige Hörer und Leser ist Pisendel vor allem als ein hervorragender Geiger und als Komponist practvoller Konzerte für sein Instrument greifbar. Da Pisendel aber nur wenig komponierte, sind die Namen seiner Kollegen Johann David Heinicen, Jan Dismas Zelenka und Johann Adolph Hasse aus Dresden oder der Komponisten Georg Philipp Telemann und Johann Friedric Fasc, die regelmäßig neue Werke nac Dresden sandten, bei Kennern und Liebhabern wesentlic bekannter. Überstrahlt werden diese Namen jedoc von Antonio Vivaldi, bei dem der knapp dreißigjährige Pisendel noc Unterrict nahm und dessen Musik zeitweise einen Scwerpunkt im instrumentalen Repertoire des Dresdner Hofes bildete, für das Pisendel verantwortlic war. Als Konzertmeister und Leiter der Dresdner Hofkapelle war Pisendel das Bindeglied zwiscen allen genannten Komponisten, denn unter seiner Direktion wurden ihre Werke von der Dresdner Hofkapelle aufgeführt. Der Aufführung durc Pisendel kommt dabei eine entsceidende Rolle zu, denn die eindru%svolle Wirkung dieser Kompositionen wurde vor allem der besonderen Spielweise der Dresdner Musiker zugescrieben, die Pisendel eingeführt und im Laufe seiner Amtszeit als Konzertmeister immer weiter verfeinert hatte. Auc in den frühen Lebensbescreibungen Pisendels aus den Jahren 1756, 1767 und 1784 wird diese Verfeinerung der Aufführungspraxis durc Pisendel hervorgehoben und sogar über seine virtuosen Fähigkeiten als Geiger gestellt, denn nacfolgende Generationen erkannten die bleibenden Verdienste Pisendels vor allem in seinem Wirken als Konzertmeister. Da die drei Lebensbescreibungen inhaltlic aufeinander aufbauen, diente nur die jüngste Version aus dem Jahr 1784 als Grundlage für alle späteren Untersucungen zu Pisendels Biographie. Daher blieben solce Informationen, die aus bestimmten Gründen nict in die jüngere Version übernommen worden sind, in der Pisendel-Forscung bislang unberü%sictigt. Selbst der Dresdner Hofmusiker und Bibliothekar Moritz Fürstenau, dessen Untersucungen zur Musikgescicte des Dresdner Hofes wegen seiner guten Quellenkenntnis auc heute noc herangezogen werden, übernahm 1862 die Angaben aus der jüngsten Version und ergänzte lediglic die Höhe von Pisendels Anfangsgehalt aus Dresdner Dokumenten.2 Dabei stand für Fürstenau im Vordergrund, daß Pisendel 1

Vgl. die Einspielungen der Ensembles Virtuosi Saxoniae unter der Leitung von Ludwig Güttler (Berlin Classi$s Nr.1079-2, 1989 und 1993) und Freiburger Baro%orcester unter der Leitung von Gottfried von der Goltz (Carus 83.301, 1999), sowie die Aufnahme der Violinsonaten Pisendels von Anton Ste% und Christian Rieger (CPO 999 982-2, 2004). Darüber hinaus sind einzelne Werke Pisendels im Rahmen von „Dresden-Anthologien“ eingespielt worden: Orcesterwerke von Musi$a Antiqua Köln unter der Leitung von Reinhard Goebel und wiederum vom Freiburger Baro%orcester sowie Violinsonaten von Adrian Chandler und Martina Graulic. 2 Aus der ersten Version von 1756 zitiert Fürstenau 1862, 88, einen einzigen Satz, der zudem durc den Lesefehler „Lust“ statt original „Kunst“ inhaltlic entstellt wiedergegeben ist.

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der „größte Violinvirtuos seiner Zeit“3 beziehungsweise „epocemacend für sein Instrument“ und „für die Ausbildung des Violinspiels im deutscen Vaterlande von hoher Wictigkeit“4 gewesen sei. Dieser Sictweise fügte Scering den Hinweis auf die hohe Qualität von Pisendels Kompositionen hinzu und veröffentlicte 1907 ein Violinkonzert Pisendels in der Reihe Denkmäler deutscer Tonkunst.5 Zudem wies Scering in seiner Untersucung von Pisendels Einträgen in Violinkonzerte Vivaldis bereits auf Fragen der Aufführungs-, Direktions- und Probenpraxis hin und forderte: „Mit der Beantwortung dieser Fragen hätte sic passend eine Dissertation über die Kunst des Ensemblespiels bei den Alten zu bescäftigen.“6 Diese Fragen wurden bereits 1913 von Georg Scünemann in seiner Gescicte des Dirigierens aufgegriffen. Darin bescreibt Scünemann ganz allgemein die Rolle des Konzertmeisters im Rahmen der von ihm sogenannten „Doppeldirektion“ mit dem Kapellmeister, ohne jedoc auf die Einträge Pisendels in Dresdner Musikalien einzugehen. Dennoc verweist er wiederholt auf einflußreice Traditionen der Dresdner Hofkapelle und zitiert erstmals Quellen zu Pisendels Direktionspraxis, die über die Angaben der Lebensbescreibungen hinausgehen.7 Mit dieser bis heute maßgeblicen Arbeit scien der von Scering angesprocene Fragenkomplex hinreicend beantwortet zu sein, denn in den Arbeiten von Studeny (1911), Moser (19238), Hausswald (1937) und Scnoor (1948) wird Pisendel weiterhin vorrangig als Begründer einer deutscen Geigerscule und nict, wie in den Veröffentlicungen des 18. Jahrhunderts, als „epocemacender“ Orcesterleiter verstanden. Fragen der von Pisendel geprägten Aufführungspraxis blieben auc hier unberü%sictigt, und bei einer Würdigung Pisendels als Orcestererzieher bescränkten sic diese Autoren auf das entsprecende Zitat aus der jüngsten Lebensbescreibung von 1784 oder verweisen auf die Arbeit Scünemanns. Darüber hinaus sahen Studeny und Moser in Pisendel den möglicen Initiator der Sonaten und Partiten für unbegleitete Violine BWV 1001-6 von Johann Sebastian Bac9 und stellten damit die Frage nac einer Verbindung zwiscen beiden Musikern in den Mittelpunkt des Interesses an Pisendel. Um diese Frage beantworten zu können, wurden 1911 und 1933 zwei Arbeiten angekündigt, die sic ausscließlic mit den Kompositionen Pisendels bescäftigen sollten,10 aber nie veröffentlict worden sind. Dieses Vorhaben wurde erst 1956 mit der Dissertation von Hans Rudolf Jung über Leben und Werk Pisendels verwirklict, die den bezeicnenden Untertitel trägt: Ein Beitrag zur Gescicte der Violinmusik der Bac-Zeit. Am Ende dieser bislang einzi3

Fürstenau 1848, 116. Fürstenau 1862, 87. Zu Pisendels Tätigkeit als Orcesterleiter wird wiederum nur die späteste Lebensbescreibung zitiert (289). 5 Vgl. Scering 1905, 119, und DDT Bd. 29/30, 1ff. 6 Scering 1905/06, 370. 7 Scünemann 1913, 206. 8 Moser/Nösselt 1967 (erweiterte Ausgabe des gleicnamigen Werkes von Moser 1923), 26ff. 9 Studeny 1911, 4: „Eine Monographie des Pisendelscen Scaffens wird sic die hocinteressante Aufgabe zu stellen haben, das Verhältnis dieses Werkes [Pisendels Solosonate a-moll] zu Joh. Seb. Bacs Sonaten und Suiten für Violine allein zu erforscen.“ Dazu Moser/Nösselt 1967, 28: „Daß Bac es mit ihrer Ausführung in erster Linie auf Pisendel abgesehen hatte, gilt mir scon deshalb für so gut wie ausgemact, weil sic sonst kein deutscer Zeitgenosse nennen läßt, der dafür ernstlic in Betract käme.“ 10 Zu einer angekündigten Dissertation von Otto Bournot vgl. Studeny 1911, 4 (Anm. 2), sowie ZfMW 1932/33, Jg. XV, 80, zu einer Dissertation von Horst Clajus. 4

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gen Dissertation über Johann Georg Pisendel kommt Jung zwar zu dem Scluß, daß „seine besten Werke […] denjenigen Bacs in mancer Hinsict vergleicbar“ seien und nennt dabei „die gemeinsame kontrapunktisce Grundhaltung, die carakteristisce Thematik und thematisce Arbeit.“11 Die Beobactung, daß Pisendel aber als Komponist nict sehr fructbar war und seine Kompositionstätigkeit zudem erst relativ spät einsetzte, erklärt Jung in seiner Zusammenfassung damit, daß die Haupttätigkeit dieses Künstlers auf anderen Gebieten lag. Bis zum Antritt seines Konzertmeisteramtes im Jahre 1728 wird Pisendel in der Hauptsace als Violinvirtuose hervorgetreten sein. In den Jahren von 1728 bis zu seinem Tode wird der Scwerpunkt seiner Tätigkeit durc die vielseitigen Aufgaben als Konzertmeister bestimmt.12

In seiner summariscen Bescreibung dieser „vielseitigen Aufgaben“ Pisendels als Konzertmeister wiederholt Jung die Angaben Scünemanns13 und ergänzt neben einer Dresdner Aktennotiz vor allem Zitate aus den vier Briefen Pisendels, die er 1972 im Rahmen der Gesamtausgabe des Telemann-Briefwecsels herausgegeben hat.14 Einen Zusammenhang zwiscen der Ausbildung einer einflußreicen Orcesterscule und den aufführungspraktiscen Eintragungen Pisendels in das Notenmaterial, wie er in der jüngsten Lebensbescreibung von 1784 gescildert wird, konnte Jung jedoc nict feststellen.15 Nac der Arbeit Jungs änderte sic das Interesse an Pisendel grundlegend. Im Mittelpunkt stand nict mehr der „epocemacende deutsce Geiger“ und seine möglice Verbindung mit Bac, sondern der bis heute kaum überscaubare Handscriftenbestand der Säcsiscen Landesbibliothek aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in dem Pisendel zahlreice Spuren hinterlassen hat. Alle Untersucungen, die sic beispielsweise mit den in Dresden vorhandenen Werken von Vivaldi, Telemann, Zelenka, Heinicen, Quantz, Fasc, den Brüdern Graun oder Hasse bescäftigen, mußten sic mit der Verbindung dieser Musikalien zu Pisendel auseinandersetzen. Den Anfang macte Karl Heller mit seiner Dissertation über Die deutsce Überlieferung der Instrumentalwerke Vivaldis von 1971 (mascr. 1965), in der Heller nac dem Vorbild der Bac-Forscung die Dresdner Vivaldi-Handscriften zu systematisieren und die darin vertretenen Screiber zu identifizieren versuct. Nac Heller, der 1970 im Anscluß an Eller (1961) gezielt auf die Rolle Pisendels in der VivaldiÜberlieferung aufmerksam gemact hat, bescäftigten sic vor allem Ortrun Landmann, zuletzt Leiterin der RISM-Arbeitsstelle in der Säcsiscen Landesbibliothek, sowie Manfred Fecner, der mit einer Quellenarbeit über Dresdner Konzerte promovierte, über mehr als zwei Jahrzehnte mit diesem Dresdner Repertoire (siehe Literaturverzeicnis). Im Auftrag der Säcsiscen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden veröffentlicte Landmann drei Quellenkataloge zu Vivaldi (1981), Telemann (1983) und Hasse (1999), die durc vorbereitende Studien 11 Jung 1956, 268. Die von Jung genannten Kriterien sind jedoc nict auf die Werke Bacs und Pisendels bescränkt, und die verwendeten Begriffe eignen sic besser zur Bescreibung späterer musikaliscer Epocen. 12 Jung 1956, 268. 13 Jung 1956, 42-47. 14 Telemann Briefwecsel 1972, 347-363. 15 Jung 1956, 44: „Die Einheitlickeit des Bogenstrices beruhte unseres Eractens vor allem auf der praktiscen Erziehungsarbeit Pisendels mit den Streicern und auf der von ihm getroffenen guten Auswahl der Violinisten.“

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begleitet waren, in denen sie auf die zentrale Bedeutung Pisendels für dieses Repertoire hinwies (besonders 1980 und 1989). Obwohl Fecner mit den gleicen Materialien arbeitete, gelangte er wiederholt zu abweicenden Ergebnissen (zu Pisendel besonders 1979, 1982 I, 1982 II und 1996), die er gleicfalls in vorbereitenden Aufsätzen zu seiner 1999 erscienenen Dissertation Studien zur Dresdner Überlieferung der Instrumentalkonzerte von G. P. Telemann, J. D. Heinicen, J. G. Pisendel, J. F. Fasc, G. H. Stölzel, J. J. Quantz und J. G. Graun (mascr. 1992) darlegte. Fecner übertrug die am Vivaldi-Bestand entwi%elten Thesen seines Lehrers Heller, daß die von Pisendel allein gescriebenen Partituren und Stimmen – im Gegensatz zu den von professionellen Screibern angefertigten Musikalien – nie von der Hofkapelle aufgeführt worden seien, auf das deutsce Konzertrepertoire dieses Bestandes. Obwohl Landmann bereits mit Bezug auf Heller dargelegt hatte, daß die Screiberfrage ein untauglices Mittel zur Identifikation des tatsäclicen Kapellrepertoires sei, vertritt Fecner noc in seinen neuesten Veröffentlicungen die Überzeugung, daß Pisendel einen Großteil dieser Werke aus rein privatem Interesse und mit „leidenscaftlicem Sammlerfleiß“ zusammengetragen habe und daß die historisce Bedeutung Pisendels in seiner Eigenscaft als „einer der größten bürgerlicen Musikaliensammler seiner Zeit“ liege (Fecner 1982 II). Diese These wird im Abscnitt V. der Arbeit erörtert werden. Die Überzeugung, daß Pisendel der Begründer einer „deutscen Violintradition“ der „Bac-Zeit“ gewesen sei, tritt bei diesen Arbeiten in den Hintergrund. Fecner bescäftigte sic zwar im Anscluß an Scering, Jung und Heller zunäcst mit der solistiscen Verzierungspraxis Pisendels (1979, 1982 I), ging aber bald zu einer systematiscen Untersucung der Dresdner Konzertmanuskripte über. Daher sind die Elemente der Orcester- und Direktionspraxis, durc die Pisendels jahrzehntelange Tätigkeit als Konzertmeister gekennzeicnet ist, seit der Arbeit Scünemanns nict mehr untersuct worden. Allerdings hat Landmann in ihren überbli%artigen Aufsätzen immer wieder auf den bestehenden Forscungsbedarf im Bereic der Aufführungspraxis und des von Pisendel eingeführten „vermiscten Gescma%s“ sowie auf das große wissenscaftlice Potential des Dresdner Handscriftenbestandes hingewiesen (1980 und 1989). Diese Anregungen werden von der gegenwärtigen Arbeit aufgegriffen. Zum dreihundertsten Geburtstag Pisendels im Jahr 1987 veröffentlicte Albrect Treuheit (†) ein Buc über Johann Georg Pisendel (1687–1755). Geiger – Konzertmeister – Komponist, das als Dokumentation seines Lebens, seines Wirkens und Umgangs und seines Werkes den bisherigen Stand der Pisendel-Literatur zusammenfaßte und zudem erstmals einem breiteren Publikum zugänglic macte.16 Während der eigene Beitrag Treuheits lediglic in genealogiscen und arcivaliscen Studien zu den engsten Familienangehörigen Pisendels bestand, illustrierte er das biographisce Material aus Jungs Dissertation mit Abbildungen von Ansbacer und Dresdner Dokumenten und faßte die Forscungen Jungs und Fecners in einem thematiscen Werkverzeicnis, das auc die bis 1987 neu aufgefundenen Werke enthält, zusammen. Zudem wurden zwei Aufsätze Landmanns und Fecners sowie die vier Briefe Pisendels in der von Jung kommentierten Form abgedru%t und biographisce Anga16

Das Buc erscien als Privatdru% des Heimatvereins Cadolzburg, der auc ein „Pisendel-Arciv“ eingerictet hat.

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ben zu secsundzwanzig berühmten Zeitgenossen Pisendels, die als Lehrer, Kollegen, Freunde oder Scüler mit Pisendel in Verbindung standen, systematisc zusammengestellt. Dabei sollte diese „populärwissenscaftlice“ Veröffentlicung weniger einen Sclußpunkt als vielmehr einen Doppelpunkt hinter die bisherige PisendelForscung setzen, und in diesem Sinne hat sie auc einen wictigen Anstoß zur gegenwärtigen Arbeit gegeben. Beim heutigen Stand der Forscung werden andere Anforderungen an eine Arbeit über Pisendel gestellt, denn die unmittelbare Umgebung Pisendels, die zugleic das Umfeld Bacs war, gehört zu den am besten ersclossenen Forscungsgebieten dieser Epoce. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind die Kenntnisse über die in Dresden gespielten Werke deutscer, italieniscer und französiscer Komponisten immer weiter fortgescritten.17 Insofern ist eine Untersucung über Pisendel als Konzertmeister für zahlreice Forscungszweige gewinnbringend und könnte sic dank des von Pisendel sorgfältig bezeicneten Notenmaterials sogar auf die Editionspraxis auswirken. Ebenso fortgescritten ist die heutige Praxis, diese Werke mit einem „originalen“ Klangbild zu verbinden und aufzuführen. Gerade auc im Hinbli% auf die wacsende Sparte der sogenannten „Alten Musik“, die auf eine enge Zusammenarbeit mit der Musikwissenscaft angewiesen ist, wenn sie ihrem Anspruc gerect werden will, ist es an der Zeit, die Aufgaben, die Tätigkeit und die Wirkung Pisendels als Konzertmeister zu untersucen und möglicst detailliert zu bescreiben. Eine Arbeit über Pisendel als Konzertmeister muß wiederum von den drei frühen Lebensbescreibungen ihren Ausgang nehmen, denn diese enthalten bereits wesentlice Hinweise auf Pisendels Amtsführung als Konzertmeister und zeigen, wie stark diese in seine Biographie eingebunden ist (Abscnitt II. „Zur Biographie Pisendels“). Zahlreice bislang unbekannte Dokumente erlauben es zudem, die Angaben der drei Lebensbescreibungen zu überprüfen und zu ergänzen (Anhang I: „Übertragung der 57 unveröffentlicten Pisendel-Dokumente“), so daß erstmals Brüce in Pisendels Biographie erkennbar werden, die auc seine Ernennung zum Konzertmeister betreffen. Da die Lebensbescreibungen nac diesem Ereignis keine fortlaufenden Informationen mehr enthalten, sondern lediglic die Tätigkeit Pisendels als Konzertmeister bescreiben, scließt sic der biographisce Teil fast nahtlos an die folgenden Abscnitte der Arbeit an. Aus diesen Bescreibungen geht bereits hervor, daß Pisendel als Konzertmeister mehr Kompetenzen besaß als es heute bei einem Konzertmeister üblic ist. Da auf keinerlei Vorarbeiten über die Aufgaben eines Konzertmeisters im 18. Jahrhundert zurü%gegriffen werden konnte, mußte die Entwi%lung dieses Amtes, das neben Bac und Pisendel noc viele bedeutende Musiker seit dem 17. Jahrhundert bekleideten, erst skizziert werden (Abscnitt III. „Das Konzertmeisteramt zur Zeit Pisendels“). Da eine Untersucung der Lexikoneinträge zum Begriff „Konzertmeister“ keine konkreten Ergebnisse für die Zeit Pisendels bracte, wurde der für eine musikwissenscaftlice Arbeit ungewöhnlice Ansatz gewählt, durc einen Vergleic der in zeitlicer und räumlicer Nacbarscaft üblicen Bestallungsfloskeln Rü%sclüsse auf die in Dresden fehlenden Dokumente zu ziehen. Dieser Ansatz rectfertigt sic 17

Vgl. auc die Arbeiten von Kollmar 2001, Rosenmüller 2002 und Mü%e 2003.

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durc die Beobactung, daß die von mitteldeutscen Hofkanzleien verwendeten Bestallungsfloskeln über Generationen hinweg unverändert blieben. Erst vor dem Hintergrund dieser Bestallungsdokumente wird erkennbar, wie weit Pisendel diesem Amtsverständnis entsprac und auf welce Weise er das Amt mit neuen Aufgaben verband, die das Bild eines Konzertmeisters und Dirigenten bis heute bestimmen. Neben bislang unbekannten Dokumenten werden auc bekannte Quellen wie etwa die Scriften von Johann Joacim Quantz und Joseph Riepel für die PisendelForscung nutzbar gemact, nacdem ihre enge Abhängigkeit von den Lehren Pisendels erstmals näher bestimmt werden konnte. Mit Hilfe dieser Quellen kann die Tätigkeit Pisendels als Orcestererzieher, Vorgesetzter und Dirigent unerwartet detailliert bescrieben werden (Abscnitt IV. „Pisendels Aufgaben im Bezug auf die Orcestermusiker“). Hier zeigt sic, daß die von den Zeitgenossen bewunderte Kunst der Orcesterleitung Pisendels in den nacfolgenden Generationen zahlreice Nacahmer gefunden hat. Auc zur Verantwortung Pisendels für das Instrumentalrepertoire des Dresdner Hofes und zur Rolle der Notisten enthalten die erwähnten Bestallungsdokumente wictige Angaben, die weit über den Fall Pisendels hinausreicen. Diese können zur Klärung solcer Fragen beitragen, die in den jüngeren Veröffentlicungen mit Pisendel in Verbindung gebract worden sind. Vor allem in der Eigentumsfrage, nac der die von Pisendel verwendeten Musikalien als Kapellrepertoire beziehungsweise als Privatbesitz eingestuft wurden, weisen zeitgenössisce Rectsgutacten neue Wege zu einem Verständnis erhaltener Repertoirebibliotheken (Abscnitt V. „Pisendels Aufgaben im Bezug auf seinen Repertoirebereic“). Das bisherige Bild Pisendels als virtuoser Geiger oder gewissenhafter Komponist soll durc ein neues Bewußtsein für Pisendels Bedeutung als Konzertmeister ersetzt werden, denn in diesem Amt sind seine Leistungen als Geiger, Komponist, Orcestererzieher und Repertoiresammler zusammengefaßt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann jedoc lediglic Pisendels Tätigkeit als Orcesterleiter eingehender untersuct werden, die noc nict Gegenstand der Forscung war. Selbst im Hinbli% auf das von Pisendel zusammengetragene Instrumentalrepertoire muß sic die Arbeit auf eine Bestimmung der dienstlicen Voraussetzungen bescränken, die zur Sammeltätigkeit Pisendels führten. Obwohl auc von einer Untersucung seiner solistiscen Aktivitäten oder einer Analyse italieniscer oder französiscer Stil- und Aufführungselemente in seinen Kompositionen interessante Ergebnisse zu erwarten sind, können diese erst dann sinnvoll durcgeführt werden, wenn der Umfang und Inhalt der von Pisendel zusammengetragenen Repertoirebibliothek überbli%t werden kann. Ein künftiger Quellenkatalog der Säcsiscen Landesbibliothek wird dazu die wesentlicen Voraussetzungen liefern.

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1. D IE DREI FRÜHEN L EBENSBESCHREIBUNGEN P ISENDELS UND IHRE V ERFASSER Den Ausgangspunkt für den biographiscen Teil der Arbeit bilden die drei frühen Lebensbescreibungen Pisendels. Um die Verläßlickeit der Angaben aus diesen Lebensbescreibungen einscätzen zu können, soll zunäcst untersuct werden, von wem sie gescrieben wurden und welce Informationsquellen den jeweiligen Verfassern zur Verfügung standen. Danac soll die Biographie Pisendels anhand dieser drei Lebensbescreibungen nacgezeicnet und deren Inhalt mit Hilfe von historiscen Dokumenten überprüft und ergänzt werden. Die ersten beiden Lebensbescreibungen Pisendels sind ohne die Angabe eines Autors erscienen: Bereits fünf Monate nac dem Tod Pisendels wurde in den Dresdner Gelehrten Anzeigen auf das Jahr 1756 ein ausführlicer Text abgedru%t.1 Der zweite Lebenslauf, der 1767 in der von Johann Adam Hiller herausgegebenen Zeitscrift Wöcentlice Nacricten und Anmerkungen die Musik betreffend veröffentlict wurde, basiert auf dem ersten und beruft sic auc ausdrü%lic auf ihn.2 Dieser Lebenslauf enthält viele zusätzlice Informationen und ist dadurc wesentlic umfangreicer als der erste. Der Verfasser des dritten Lebenslaufes von Pisendel ist Johann Adam Hiller selbst. Hiller nimmt Pisendels Biographie in seine 1784 erscienene Sammlung Lebensbescreibungen berühmter Musikgelehrten, neuerer Zeit auf und verwendet dabei als Vorlage jenen Text, den er siebzehn Jahre zuvor in seiner Zeitscrift veröffentlict hatte.3 Obwohl er sic eng an diese Vorlage anlehnt, nimmt er einige Kürzungen und Ergänzungen vor, so daß von einer eigenständigen Version gesprocen werden kann, die in die Untersucung mit einbezogen werden muß. Der erste Lebenslauf von 1756 ist in der Pisendel-Literatur kaum beactet und als biographisce Quelle bisher nict ausgewertet worden, weil man irrtümlic davon ausging, daß der Inhalt dieser Lebensbescreibung vollständig in der zweiten Version von 1767 aufgegangen sei. Dieser zweite Lebenslauf wiederum wurde bislang allgemein als ein Text Hillers angesehen,4 weil er der dritten Version, für die die Autorscaft Hillers feststeht, über weite Stre%en ähnlic ist. Da Hiller in seiner Vorrede zu den Lebensbescreibungen berühmter Musikgelehrten selbst angibt, daß er keinen der von ihm gesammelten Texte selbst entworfen habe,5 kann er auc nict ohne weiteres als Autor des Lebenslaufs aus dem Jahr 1767 angenommen werden. Da sic dieser Text wiederum auf die früheste Lebensbescreibung von 1756 als Quelle beruft, muß davon ausgegangen werden, daß alle drei Texte, deren Veröffentlicungsdaten elf und siebzehn Jahre auseinander liegen, von untersciedlicen Autoren gescrieben worden sind. Diese Vermutung wird durc die Beobactung unterstützt, daß jeder der Texte singuläre Informationen enthält.

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Dresdner Gelehrte Anzeigen auf das Jahr 1756, 18. Stü%, 299ff. Hiller 1766-70, Bd. I, 277ff und 285ff. 3 Hiller 1784, 182ff. 4 Vgl. Scering 1926, 342, aber auc beispielsweise Jung 1956, 1f und 12, Heller 1991, 96, und Fecner 2001, 33. 5 Lediglic seine im Anhang abgedru%te Autobiographie hat Hiller selbst verfaßt, vgl. Hiller 1784, Nacwort zum Reprint von Bernd Baselt, IIff. 2

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Um die Übersict zu erleictern, werden die drei Lebensbescreibungen in der vorliegenden Arbeit mit Siglen bezeicnet, die sic an ihrem Ersceinungsjahr orientieren: „V56“ für die erste Version aus den Dresdner Gelehrten Anzeigen auf das Jahr 1756, „V67“ für die zweite Version aus Hillers Zeitscrift Wöcentlice Nacricten, die Musik betreffend vom März 1767 und scließlic „V84“ für die dritte Version, die Hiller selbst für seine 1784 veröffentlicte Sammlung von Musikerbiographien Lebensbescreibungen berühmter Musikgelehrten, neuerer Zeit überarbeitet hat. Die folgende Untersucung zu den Verfassern der drei frühen Lebensbescreibungen und ihrer Quellen beginnt mit der jüngsten Lebensbescreibung, weil nur in diesem Fall der Autor und seine Textvorlagen zweifelsfrei bekannt sind.

Hillers Version der Lebensbescreibung Pisendels von 1784 (V84) Johann Adam Hiller versteht sein Buc Lebensbescreibungen berühmter Musikgelehrten, neuerer Zeit als eine Fortsetzung von Johann Matthesons biographiscer Sammlung Grundlage einer Ehrenpforte von 1740, und wie dieser verweist er auf die Quellen, aus denen er die versciedenen Lebensbescreibungen zusammengetragen hat.6 Über eine redaktionelle Vereinheitlicung dieser Texte hinaus hat Hiller auc einige Ergänzungen vorgenommen, wie er im Vorwort zu den Lebensbescreibungen screibt: „Diese in versciedenen Bücern zerstreuten Lebensbescreibungen zu sammeln, sie hin und wieder mit Zusätzen zu bereicern, und in einer sic gleicförmigen Screibart zu erzählen, ist die Absict des gegenwärtigen Werks […].“7 Ein Vergleic mit der Version V67 zeigt, daß Hiller gegenüber dieser Vorlage nict nur Sacverhalte erklärt, die eine Generation nac dem Tod Pisendels für seine Leser nict mehr selbstverständlic waren, sondern daß er auc längere Passagen aus V67 weggelassen hat, weil er sie vielleict nict mehr für zeitgemäß hielt oder die darin vertretene Meinung nict teilte. Darüber hinaus konnte Hiller den Text durc eigene Beobactungen im Zusammenhang mit Pisendel und der Dresdner Orcesterpraxis ergänzen, die er als Zeuge zahlreicer Opernaufführungen in Dresden gewonnen hatte. Mit actzehn Jahren erhielt der mittellose Görlitzer Gymnasiast, der vorübergehend als Screibgehilfe arbeiten mußte, 1746 ein Stipendium als Alumne der Dresdner Kreuzscule und konnte so seine musikaliscen Studien intensivieren. Auc als er 1751 nac Leipzig ging, um Jura zu studieren, fand er nac eigenen Angaben immer eine Möglickeit, die neuen Opern des Hofkapellmeisters Hasse in Dresden zu hören. Diese öffentlicen Aufführungen durc berühmte italienisce Sänger und die Dresdner Hofkapelle unter der sogenannten „Doppeldirektion“ von Hasse und Pisendel blieben zeitlebens für sein eigenes musikalisces Scaffen prägend:8 6 „Nac der Zeit haben andere musikalisce Scriftsteller ihren Werken dergleicen Lebensbescreibungen einverleibt. So finden sic derer einige in Mitzlers musikaliscer Bibliothek, in Marpurgs Beyträgen zur Aufnahme der Musik, in den kritiscen Briefen über die Tonkunst, und in den von mir herausgegebenen Nacricten und Anmerkungen die Musik betreffend.“ Hiller 1784, Vorwort [unpaginiert, II]. 7 Hiller 1784, Vorwort [unpaginiert, II]. 8 So unterlegte er in den von ihm herausgegebenen Sammlungen Beyträge zu wahrer Kircenmusik von J. A. Hasse und J. A. Hiller und Meisterstü%e des italienisce Gesangs, beide Leipzig 1791, beispielsweise

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Meine Neigung zur Musik, und besonders zum Gesange, ist aber wohl durc nicts so sehr unterstützt und befestigt worden, als durc die Gelegenheit, die damaligen vortreflicen[!] Opern des Kapellmeisters Hasse, von Semiramide an, bis auf Olimpiade, mit den besten Sängern, einem Salimbeni, Carestini, Monticelli, Bindi, Belli, Venturini, Annibali, Bruscolini, Amorevoli, und andern besetzt, zu hören.9

Aus Hillers Angaben geht hervor, daß er von 1747 bis zum Beginn des Siebenjährigen Krieges 1756 alle Opern Hasses, die während dieser Zeit in Dresden gespielt worden sind, erlebt hat.10 Die gleicen Sänger und Musiker konnte er auc in den öffentlicen katholiscen Hofgottesdiensten bewundern, die gerade wegen dieser musikaliscen Darbietungen auc von Protestanten und Reisenden besuct wurden. Für Hiller repräsentierte Pisendel einen musikaliscen Stil und den Typ eines Musikers, den er noc gegen Ende des Jahrhunderts seinen Lesern als Vorbild darstellte. Durc das besondere Anliegen Hillers, die Musik seines „Idols“ Hasse in einer Zeit lebendig zu halten, die über Hasse bereits hinweg gegangen war, können auc diese späteren Zeugnisse auf Pisendels Amtszeit bezogen werden. Da Hiller seine Erinnerungen jedoc zu einem Idealbild stilisiert hat, sind die eigenständigen Zusätze zu Pisendels Lebensbescreibung sorgfältig zu prüfen, denn die konservative Haltung Hillers ist sehr persönlic gefärbt. Gleicwohl sind diese Zusätze besonders interessant, weil sie erst unter diesen Voraussetzungen als eigenständige Äußerungen Hillers erkannt und im Hinbli% auf dessen persönlices Interesse interpretiert werden können.

Agri$ola als Verfasser der anonymen Lebensbescreibung Pisendels von 1767 (V67) Die von Hiller verwendete Vorlage der Lebensbescreibung Pisendels erscien, ohne Angabe eines Verfassers, am 3. und 10.3.1767 in der von Hiller herausgegebenen Zeitscrift Wöcentlice Nacricten und Anmerkungen die Musik betreffend. Wie bereits erwähnt, wird diese Version V67 in der Pisendel-Literatur bislang Johann Adam Hiller selbst zugescrieben. Dabei wurden jedoc mehrere Anhaltspunkte übersehen, die erkennen lassen, daß der Herausgeber nict mit dem Verfasser identisc sein kann. Außer der Tatsace, daß Hiller in der Vorrede zu seiner Sammlung von 1784 die Fundorte seiner Vorlagen angegeben hat, sprecen bereits formale Beobactungen gegen eine Autorscaft Hillers: Dem eigentlicen Text der Lebensbescreibung hat Hiller nämlic das Begleitscreiben eines auswärtigen Autors vom 19.2.1767 vorangestellt, dessen Namen und Wohnort er durc Auslassungszeicen unkenntlic gemact hat. Die Möglickeit, daß Hiller ein solces Anscreiben fingiert haben könnte, um seine eigene Autorscaft zu verscleiern, kommt in Anbetract der Vorrede zu V84 kaum in Frage. Zudem enthält der Text neben vier FußHassesce Opernarien mit deutscen geistlicen Texten, um sie als Muster für einen neuen Kantatenstil zu verwenden, vgl. Menni%e 1906, 334, 503, 508, 520ff. 9 Hiller 1784, 292f. 10 Die letzten beiden Opern, Ezio und Olimpiade, konnte Hiller als Hofmeister von Heinric Adolph Graf Brühl von Martinskirc, wahrsceinlic in der Hofloge des Premierministers Graf Brühl, dem Onkel seines Scülers, hören, vgl. Hiller 1784, 301.

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noten des anonymen Autors noc eine fünfte, die ausdrü%lic mit der Angabe „Verfasser der musikaliscen Nacricten“ unterzeicnet ist.11 Während die übrigen Fußnoten jeweils durc Asterisken markiert sind, ist die von Johann Adam Hiller ergänzte Anmerkung mit einer Minuskel „a)“ versehen. Damit ist hinreicend deutlic geworden, daß Hiller lediglic der Herausgeber dieser Lebensbescreibung Pisendels gewesen ist. Aber auc die Frage nac der Identität des Verfassers von V67 läßt sic mit großer Wahrsceinlickeit beantworten. Am Scluß der Lebensbescreibung gibt der Verfasser nämlic ein Gedict „Auf den Tod des Königlicen Pohlniscen Con$ertmeisters, weiland Herrn Pisendels“ wieder, das Georg Philipp Telemann für seinen verstorbenen Freund gescrieben hatte. Diesem Gedict ging ein Briefwecsel voraus, der ebenfalls in der Lebensbescreibung auszugsweise wiedergegeben ist: Der Herr Kapellmeister Telemann, scrieb, kurz nac Herr[!] Pisendels Absterben, folgendes an einen seiner Freunde, der ihn scriftlic befraget hatte, ob er das Absterben des Herrn Pisendel wisse: „Ac freylic! ward mir der Tod meines liebenswürdigsten Pisendels aus dem Dresdner Posthause sogleic gemeldet. Wie sehr mic dieser Fall gerühret, das bemerke ic auc daher, daß ungeactet alles Bestrebens, seinem Andenken einige gereimte Zeilen zu widmen, mir noc keine einzige davon hat gelingen wollen. Gnug, alle Scritte meines noc übrigen Lebens werden ihn begleiten. – Einige besondere Umstände zu seiner Lebensbescreibung beyzutragen, wird von mir vergebens gefordert, […] weil sie sic bloß auf einige scon längst verflossene Jahre beziehen würden: ob wir gleic hernac einen vertraulicen Briefwecsel beständig unterhalten haben. […]“ Einige Zeit nac diesem Briefe sci%te Herr Kapellmeister Telemann seinem oben angeführten Freunde das kleine Gedict, welces er bey Absendung des vorhergedacten Briefes, auf Herrn Pisendels Absterben zu verfertigen willens gewesen war.12

Dieser erwähnte „Freund“ Telemanns war nac Pisendels Tod im November 1755 offenbar damit bescäftigt, Erinnerungen an Pisendel zu sammeln und hatte Telemann daher scriftlic gebeten, „einige besondere Umstände zu seiner Lebensbescreibung beyzutragen“. Später sandte Telemann dann diesem „Freund“ das in V67 wiedergegebene „kleine Gedict […] auf Herrn Pisendels Absterben“. Der Empfänger dieses Gedicts läßt sic zweifelsfrei ermitteln: Nac langjähriger Arbeit an einer kommentierten Übersetzung von Pier Fran$es$o Tosis Opinioni de’ Cantori antici aus dem Jahr 1723 sandte der Berliner Hofopernkomponist Johann Friedric Agri$ola nämlic actunddreißig Exemplare dieser Anleitung zur Singkunst13 an Telemann, der im Vorfeld der Veröffentlicung in Hamburg Subskribenten gesammelt hatte. Als Postskriptum zu seinem begleitenden Brief vom 24.5.1757 screibt Agri$ola: „Herrn Pisendels Lebenslauf ist so wenig vergessen als dero durc Herrn Vreden mir übersci%tes Sinngedict auf denselben.“14 Daraus ergeben sic zwei Sclußfolgerungen: 1.) Agri$ola sammelte seit einiger Zeit Material für eine Lebensbescreibung Pisendels und war deswegen mit Telemann in Verbindung ge11

V67, 292. V67, 291. 13 Tosi-Agri$ola 1757: Der vollständige Titel von Pier Fran$es$o Tosis Traktat, das 1723 in Bologna erscienen war, lautet Opinioni de’ Cantori antici, e moderni o sieno Osservazioni sopra il $anto figurato. 14 Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 371. 12

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treten. 2.) Telemann hatte sic in einem nict erhaltenen Screiben bei Agri$ola nac dem Fortgang dieses Vorhabens erkundigt und ihm bereits ein „Sinngedict“ auf Pisendel zukommen lassen. Es besteht also kein Zweifel darüber, daß mit dem „oben angeführten Freunde“ Johann Friedric Agri$ola gemeint war. Obwohl dieser Zusammenhang bereits 1972 von Hans Rudolf Jung anläßlic der Herausgabe des Telemann-Briefwecsels vermutet wurde, ging er weiterhin davon aus, daß Hiller der Verfasser von V67 sei.15 Unter dieser Voraussetzung müßten beide in der Lebensbescreibung wiedergegebenen Scriftstü%e Telemanns, die brieflice Antwort auf Agri$olas Anfrage und das „Sinngedict“ auf den Tod Pisendels, noc zu Lebzeiten Agri$olas († 1774 in Berlin) an Hiller nac Leipzig gelangt sein. Damit wird die These vorausgesetzt, daß Agri$ola seinen noc 1757 gehegten Plan einer Biographie Pisendels aufgegeben und seine Materialsammlung an Hiller weitergegeben habe. Für eine solce These gibt es jedoc keine Anhaltspunkte, vielleict abgesehen von dem langen Zeitraum zwiscen dem Briefwecsel Agri$olas mit Telemann und der Veröffentlicung der Lebensbescreibung in Hillers Zeitscrift. Aus der zehnjährigen Verzögerung kann jedoc kein zwingender Hinweis auf eine Autorscaft Hillers abgeleitet werden. Agri$ola selbst könnte sein Vorhaben, den Lebenslauf Pisendels aufzuscreiben, um zehn Jahre verscoben haben. Denkbar wäre, daß das frühe Ersceinungsdatum von V56 die Pläne Agri$olas durckreuzte. Zudem hatte Agri$ola bereits vor dem Tod Pisendels mit der Arbeit an der Übersetzung von Tosis Gesangsscule begonnen und war mit diesem Vorhaben, das nac eigenen Angaben immer wieder durc seine Berliner Kapelldienste aufgehalten wurde, bis zu seiner Fertigstellung 1757 vollauf bescäftigt.16 Der Siebenjährige Krieg 1756–1763, der mit dem Einmarsc Preußens in das neutrale Kursacsen am 29.8.1756 begann, wird ein übriges zu der Verzögerung beigetragen haben.17 Der lange zeitlice Abstand zwiscen Agri$olas Brief an Telemann und der Veröffentlicung von V67 sprict also nict dagegen, daß Agri$ola selbst ihr Verfasser war. Weitere Indizien sprecen sogar dafür, Agri$ola als Verfasser der Lebensbescreibung zu identifizieren: Ein autobiographiscer Hinweis des Verfassers von V67 findet sic in der ersten Fußnote, in der die Quelle für eine Begebenheit im Leipziger Collegium musi$um aus dem Jahr 1709 angegeben ist. Der Verfasser bemerkt, daß er den Sohn eines Zeugen dieser Begebenheit während seiner Universitätsjahre „zu kennen die Ehre gehabt hat“.18 Es handelt sic dabei um den späteren königlic polniscen und 15

„Die Annahme liegt nahe, daß Agri$ola auc jener Freund war, dem Telemann Hiller zufolge […] über den Tod Pisendels gescrieben hatte […]. Einige Zeit später sci%te er diesem Freunde (Agri$ola?) das Gedict, das auc Hiller abdru%te.“ Vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 395f. In seiner Dissertation ging Jung noc davon aus, daß Hiller das Gedict direkt von Telemann erhalten hatte, vgl. Jung 1956, 53. 16 Vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 368ff. 17 Ein möglicer Anstoß für die Wiederaufnahme des Vorhabens könnte scließlic der Ankauf von Pisendels umfangreicer Musikaliensammlung durc den Dresdner Hof gewesen sein, der sic ebenfalls durc die Wirren des Siebenjährigen Krieges verzögert hatte und wahrsceinlic erst am 25.12.1765 abgesclossen wurde, vgl. Köpp 1999, 70f. Pisendels in Berlin lebender Neffe Johann Joseph Friedric Lindner, der als Halbwaise von Pisendel erzogen worden war, profitierte als einer der Haupterben von diesem Ankauf. Lindner war Kammermusiker und Flötist der Berliner Hofkapelle und wie Agri$ola ein ehemaliger Scüler von Quantz. Beide, Lindner und Quantz, werden in V67 (289 und 291) als dankbare Scüler Pisendels erwähnt. 18 Vgl. V67, 279.

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kurfürstlic säcsiscen General-Auditeur und Kriegsrat Goetze.19 Agri$ola besucte die Leipziger Universität von 1738 bis 1741, während Hiller, der in V84 den Hinweis auf die persönlice Bekanntscaft selbstverständlic nict übernahm, sic erst 1751 in Leipzig immatrikulierte. Der Text enthält zudem einen auffälligen Hinweis auf die Bedeutung des Sängers und Komponisten Fran$es$o Antonio Pisto$ci für die zeitgenössisce Sängerausbildung, der ebenfalls auf Agri$ola als Autor hindeutet. In einer Fußnote werden Pisto$cis Kompositionen erwähnt. Diese Passage aus V67 soll hier in voller Länge wiedergegeben werden, weil sie der entsprecenden Stelle aus Agri$olas Tosi-Übersetzung zehn Jahre zuvor auffallend ähnelt: Der Kapellmeister war Herr Franz Anton Pisto$ci, ein Mann, dem man einen großen Theil der Ausbildung dessen, was die Singkunst starkes und ausnehmendes besitzet, zu danken hat.*) Die bravsten Sänger Wälsclands, die in den damaligen Zeiten sic berühmt gemact haben, sind aus seiner Scule. *) Er hat 2[.] Duette in italiäniscer, 2. Arien in französiscer, und welces in der That viel von einen[!] Italiäner ist, auc 2. deutsce Arien, bei Roger zu Amsterdam, in Kupfer stecen lassen. Auc hat er einige italiänisce Opern, zum E.[xempel] il Nar$iso vom Apost.[olo] Zeno 1697. zu Anspac, in Musik gebract, und in dieser selbst den Nar$iso ausnehmend scön vorgestellet. Weiter hat er auc viele italiänisce Cantaten gesetzet.20

Zu den lobenden Worten Tosis über Pisto$ci als gescma%vollen Sänger und vorbildlicen Lehrer ergänzt Agri$ola in seiner Anleitung zur Singkunst von 1757 nämlic eine Fußnote, die in wictigen Details mit der zitierten Stelle übereinstimmt. Auc die Tatsace, daß Pisto$ci auc zwei Arien auf deutsce Texte veröffentlict habe, wird kommentiert: Sein Vorname war Fran$es$o Antonio. […] Es sind mir von seiner Arbeit nict nur viele Cantaten, sondern auc Opern, unter andern Il Nar$iso 1697. bekannt. Auc hat er vier Cantaten, als 2 italiänisce, 2 französisce und 2 NB. [nota bene] deutsce Arien von seiner Composition, in Kupfer stecen lassen, welce Roger in Amsterdam verleget. […] Ihm hat die Singkunst unstreitig viele Verbesserungen zu danken. Die meisten nac ihm in Wälscland berühmt gewordenen Sänger und Sangmeister sind seine Scüler gewesen. […]21

Die Parallelen in der Formulierung und in der Abfolge der Informationen bilden äußerlice Indizien dafür, in Agri$ola den Verfasser dieser Lebensbescreibung zu sehen. Inhaltlice Hinweise auf Agri$olas Autorscaft liefern einige Abscnitte aus V67, die sic direkt oder indirekt auf Quantz, dessen Scüler Agri$ola seit 1741 war, beziehen. Beispielsweise wird Quantz als der Zielpunkt einer kompositoriscen Entwi%lung nac Torelli und Vivaldi bezeicnet.22 Zudem enthält der Text eine indirekte Entsculdigung für die fehlende akademisce Bildung des späteren preußiscen

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Die Vornamen von Goetze konnten nict eindeutig festgestellt werden, denn zu dieser Zeit waren mehrere aus Leipzig gebürtige Studenten dieses Namens an der dortigen Universität immatrikuliert: Christoph Friedric Götze, Georg Heinric Goezius, Johann Christoph Goetzius, vgl. Erler 1909, Bd. II, 118f. 20 Vgl. V67, 278. 21 Vgl. Tosi-Agri$ola 1757, 180. 22 Vgl. V67, 278. Dieses sicer persönlic gefärbte Lob wird bezeicnenderweise von Hiller nict in seine Version V84 übernommen.

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Flötenmeisters23 und verweist im Zusammenhang mit Pisendels Tätigkeit als Lehrer auf eine Passage aus Quantzens Autobiographie: So haben besonders die beyden Herren Graun, so lange sie in ihrer Jugend in Dresden gewesen sind, seiner Freundscaft, und zum Theil auc seiner Anweisung vieles zu danken. Ein gleices rühmet Herr Quanz[!] in seinem Lebenslaufe S. 245. des ersten Bandes der Marpurgiscen Beyträge, selbst öffentlic von ihm.24

Auf dieser Seite 245 der Autobiographie von Quantz wird Pisendel zwar erwähnt, aber die Formulierung: „Ein gleices rühmet Herr Quanz […] selbst öffentlic von ihm“ ersceint angesicts der eher beiläufigen Bemerkung zu Pisendel an der zitierten Stelle doc etwas übertrieben: „Zu diesem guten Vorhaben nun, kam mir der beständige Umgang mit meinem theuresten Freunde, dem Herrn Con$ertmeister Pisendel, und seine ebenso rictige als durcdringende Beurtheilungskraft, ungemein wohl zu statten.“25 Eine vorausgehende Passage auf Seite 210 der Autobiographie würde in dem gegebenen Zusammenhang viel besser passen, denn hier legt Quantz tatsäclic ausführlic dar, wie viel er Pisendels „Freundscaft, und zum Theil auc seiner Anweisung“ zu verdanken habe: Hierbey hatte ic das Glü%, mit dem, in der Musik tief einsehenden […] Herrn Pisendel, in Bekanntscaft zu geraten: welce Bekanntscaft sic nac und nac in eine vertraulice Freundscaft von beyden Seiten verwandelte […]. Von diesem […] habe ic nict nur das Adagio, welces er auf eine ausnehmend rührende Art spielte, vorzutragen gelernet; sondern ic habe auc in dem, was das Ausnehmen der Sätze, und die Aufführung der Musik überhaupt betrifft, von ihm das meiste profitiret. Ic wurde von ihm aufgemuntert, ein mehreres in der Setzkunst zu wagen. […] Sein Beyspiel hat so tief bey mir Wurzel gefasset, daß ic nacer beständig den vermiscten Gescma% in der Musik dem National Gescma%e vorgezogen habe.26

Wenn der Verfasser von V67 auf die weitreicende Abhängigkeit Quantzens von den Lehren Pisendels hinweisen wollte, dann stellt sic die Frage, warum er nict auf die ausführlice Passage auf Seite 210 hingewiesen hat. Diese Frage erhält ein besonderes Gewict durc die Beobactung, daß Quantz den Namen Pisendels in seinem Versuc einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen von 1752 an keiner Stelle erwähnt, obwohl er in den Kapiteln zur Aufführungpraxis ganz offensictlic die unter Pisendel gepflegte Praxis bescreibt, die er seit 1718 kennengelernt und 23

Diese folgende verste%te Verbeugung vor Quantz wird vor dem Hintergrund verständlic, daß Quantz selbst – anders als die meisten führenden Musiker an deutscen Höfen – keine Universitätsausbildung erhalten hatte (V67, 278): Niemals hat es einem Tonkünstler gescadet, sic auc in andern Wissenscaften umgesehen zu haben: welces hier beyläufig jungen Köpfen, die zur Musik Lust bezeigen, wenn sie anders, wie zwar nict allen erlaubt ist, dazu Gelegenheit haben, nac dem Beyspiele eines so großen Tonkünstlers, als Herr Pisendel nacher geworden ist, zur Lehre und Aufmunterung dienen kann.

Eine Ungesci%lickeit im Satzbau fällt sofort ins Auge, denn der Nebensatz enthält zwei verscactelte Einscränkungen. Es ist nict unwahrsceinlic, daß Quantz, der sicer wesentlice Informationen zu dieser Lebensbescreibung beigesteuert hatte, direkt oder indirekt zu der eingescobenen Bemerkung „wie zwar nict allen erlaubt ist“ Anlaß gegeben hat. Diese etwas gezwungene Ausdru%sweise war offenbar auc Hiller aufgefallen, denn er formulierte den Satz in V84, 184, folgendermaßen um: „Dies sei jungen Tonkünstlern zur Lehre und Aufmunterung gesagt, wenn sie, wie es bey den meisten der Fall ist, Gelegenheit haben, sic mit beyden, den Scul- und musikaliscen Wissenscaften, bekannt zu macen.“ 24 Vgl. V67, 289. 25 Vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 245. 26 Quantz-Autobiographie 1754, 211.

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zwiscen 1728 und 1741 als Mitglied der Hofkapelle selbst ausgeübt hatte. Daß die umfassende und einflußreice Flötenscule des ehemaligen Stadtpfeifergesellen Quantz ohne dessen Unterrict bei Pisendel nict denkbar wäre,27 hat Quantz nur auf Seite 210 seiner Autobiographie „öffentlic“ zugegeben. Ob Quantz selbst veranlaßt hat, daß seine musikalisc-intellektuelle Abhängigkeit von Pisendel, zwölf Jahre nac dem Tod seines Lehrers, nict nocmals öffentlic betont wird oder ob der Verfasser von V67 diesen Hinweis aus eigenem Antrieb verborgen hat, ist jedoc nict zu entsceiden. Auc wenn dem Text eine gewisse Rü%sictnahme auf Quantz anzumerken ist, steht außer Frage, daß wesentlice Informationen dieser Lebensbescreibung, die in V56 noc nict enthalten waren, auf die Aussagen von Quantz zurü%gehen, denn ihr Verfasser stellte seinem Text die folgende Quellenangabe voran: Theils aus dem 18. Stü% der Dresdeniscen gelehrten Anzeigen auf das Jahr 1756, theils aus denen von vertrauten Freunden des Herrn Con$ertmeisters erhaltenen Nacricten und Verbesserungen der gedacten gelehrten Anzeigen zusammen getragen.28

Im Text selbst werden außer Johann Joacim Quantz die Brüder Carl Heinric und Johann Gottlieb Graun sowie Pisendels Neffe Johann Joseph Friedric Lindner aus Berlin, der ehemalige Leipziger Student Goetze aus Warscau sowie Georg Philipp Telemann aus Hamburg genannt, die Nacricten über Pisendel beigetragen haben. Ein ungenannter Informant könnte außerdem der spätere Berliner Konzertmeister Franz Benda gewesen sein, der wie sein Vorgänger Johann Gottlieb Graun freundscaftlice Verbindungen mit Pisendel unterhielt. Alle diese Personen standen mit Johann Friedric Agri$ola in engem Kontakt. Agri$olas Briefwecsel mit Telemann belegt, daß Agri$ola diese alten Freunde Pisendels nac dessen Tod um biographisces Material für eine Lebensbescreibung bat und daß er außerdem der Empfänger des 1767 abgedru%ten „Sinngedicts“ von Telemann war. Der autobiographisce Hinweis auf Goetze, die Parallele zu Agri$olas Anleitung zur Singkunst und die offenbar enge Zusammenarbeit mit Quantz und anderen Berliner Pisendel-Scülern lassen kaum einen anderen Scluß zu, als daß Agri$ola selbst jener ungenannte, auswärtige Autor war, der die Lebensbescreibung Pisendels verfaßt und zusammen mit einem Anscreiben vom 19.2.1767 an den Herausgeber der Wöcentlicen Nacricten und Anmerkungen gesandt hatte. Wie Hiller empfing auc Agri$ola von der Dresdner Hofkapelle und ihrem Konzertmeister Pisendel wesentlice künstlerisce Impulse. Bereits während seiner Studienzeit in Leipzig von 1738 bis 1741, wo Agri$ola neben seinen Jura-, Gescicts- und Rhetorikstudien von Johann Sebastian Bac unterrictet wurde und in dessen Collegium musi$um spielte, unternahm er eine Reise nac Dresden und hörte dort zwei Passions-Oratorien Hasses sowie die üblicen „Osterfestsmusiken“.29 Nac seinen Berliner Studien bei den Pisendel-Scülern Quantz und Graun reiste er 1751 ein weiteres Mal nac Dresden und lernte dabei Pisendel und das Ehepaar Hasse persönlic kennen. Auc später stand Agri$ola mit Pisendel in Verbindung und fühlte sic

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Vgl. unten Abscnitt III, 3. „Quantz und Agri$ola als Kronzeugen für Pisendels Praxis“. V67, 277. 29 Vgl. Agri$ola-Autobiographie 1754, 149f. 28

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seinem Andenken offenbar so stark verpflictet, daß er das Vorhaben, eine Lebensbescreibung Pisendels zu verfassen, über mehr als zehn Jahre verfolgte. Durc die ausgezeicneten Kontakte Agri$olas zu den ehemaligen Scülern Pisendels, die Friedric II. nac und nac an seinen Hof gezogen hatte, konnte dieser die Lebensbescreibung „aus dem 18. Stü% der Dresdeniscen gelehrten Anzeigen auf das Jahr 1756“, wie Agri$ola selbst screibt, um zahlreice zusätzlice Mitteilungen aus erster Hand bereicern und in vielen Einzelheiten korrigieren. Obwohl er einige Angaben aus V56, die für ihn nict nacprüfbar waren oder die er als Irrtum ansah, weggelassen hat, diente die Version V67 wegen ihrer Fülle verläßlicer Angaben als der eigentlice Ausgangspunkt aller biographiscen Studien zu Pisendel, wobei sie erst in der leict veränderten Fassung Hillers V84 größere Verbreitung gefunden hat.30 Da Hiller die Vorlage Agri$olas wiederum an einigen Stellen gekürzt hat, ist V67 zudem die umfangreicste unter den drei frühen Lebensbescreibungen.

Die anonyme „Nacrict von den Lebensumständen“ Pisendels von 1756 (V56) Die Dresdner Gelehrten Anzeigen erscienen einmal wöcentlic, zusammen mit dem Anzeigenblatt Dreßdenisce Wöcentlice Frag- und Anzeigen, Von allerhand dem gemeinen Wesen nöthigen und nützlicen Sacen, so daß die früheste Lebensbescreibung Pisendels V56 auf die actzehnte Woce des Jahres 1756, also ungefähr Ende April, zu datieren ist. Der Verfasser der in dieser Ausgabe abgedru%ten „Nacrict von den Lebensumständen des letzt verstorbenen berühmten Königl. Con$ertmeisters, Hrn. Joh. George Pisendels“ ist nict namentlic genannt. Es fällt jedoc auf, daß er über die familiären Umstände Pisendels gut unterrictet war. So benennt der Text beispielsweise die Tätigkeit von Pisendels Vater als Kantor und teilt dessen Geburtsort und Sterbedaten mit. Besonders aufsclußreic ist in diesem Zusammenhang die nur in V56 enthaltenene Bemerkung: „Sonst ist noc remarqvabel, daß er unter 10. leiblicen Gebrüdern alle überlebet“31. Erst durc neuere Forscungen konnte nämlic bestätigt werden, daß Pisendel tatsäclic neun Brüder hatte, die bereits im Kindesalter gestorben waren.32 Diese Information beruht entweder auf intimer Kenntnis der Pisendelscen Familiengescicte oder aber auf einer eigenen Aussage Pisendels. Die sogenannte „Nacrict von den Lebensumständen“ Pisendels ist jedoc keine vollständige Lebensbescreibung, denn die fortlaufenden Angaben reicen nur bis zum Jahr 1718. Nac diesem Datum werden als biographisce Stationen lediglic Pisendels Übernahme der Amtsgescäfte als interimistiscer Konzertmeister im Jahr 1728 und sein Tod „im Nov. 1755“ erwähnt. Die endgültige Ernennung zum Konzertmeister im Jahr 1731, seine späteren Reisen und das genaue Todesdatum werden 30

Agri$ola hatte bereits vor 1751 zusammen mit C. P. E. Bac den „Nekrolog“ auf seinen ehemaligen Lehrer Johann Sebastian Bac verfaßt (vgl. Bac-Dokumente Bd. III Nr. 666) und ließ 1773 durc Kirnberger eine Biographie Carl Heinric Grauns veröffentlicen. Beide Arbeiten beruhen nac heutigem Kenntnisstand auf verläßlicen Informationen, wie sie auc seine Lebensbescreibung Pisendels kennzeicnen. 31 V56, 302f. 32 Vgl. die genealogiscen Untersucungen von Treuheit 1987, 13.

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merkwürdigerweise nict genannt. Rect ausführlic wird dagegen von den Verdiensten der Pisendel-Scüler Carl Heinric und Johann Gottlieb Graun berictet. Dabei sceint der Verfasser über Informationen aus dem Umkreis der Berliner Hofkapelle verfügt zu haben, wie besonders der Sclußsatz von V56 andeutet, der sic auf Johann Gottlieb Graun bezieht: [Pisendel hat] es dahin gebract, daß beyde zu einer Reise nac Italien qualifi$iret befunden worden. Nac ihrer Rü%kunft sind sie durc dessen Vermittelung zu ansehnlicen Ehrenstellen gelanget. Der jüngste wurde als Con$ertmeister in Braunscweig, und der ältere als Capellmeister in Merseburg employiret. Nac des Herzogs Ableben ist der letztere am[!] Königl. Preuß. Hoff beruffen worden, und stehet in dem grösten Ansehen, das ein Verständiger der Musi% jemals erwarten kann. Er lebet, wie Herr Pisendel in $oelibatu, und Ihro Königl. Majest. in Preussen Höcstseel. Andenken haben zu einem Merkmaal Ihrer Gnade demselben ein eignes Haus in der Friedricstadt übergeben lassen.33

Allerdings verwecselte der Verfasser die Berufe der beiden Brüder und erwähnt nict, daß der jüngere Bruder Carl Heinric Graun ebenfalls in preußiscen Diensten stand, zumal in der vor dem Konzertmeister rangierenden Position eines Hofkapellmeisters. Da auc Agri$ola von der Veröffentlicung dieser Lebensbescreibung V56 offensictlic noc nicts wußte, als er Telemann in seinem ersten Brief um Nacricten aus Pisendels Leben bat, ist anzunehmen, daß der Verfasser von V56 nict selbst aus diesen Berliner Kreisen stammte. Der Verfasser des Textes sceint zudem kein Musiker gewesen zu sein, denn er gibt anläßlic der Bescreibung von Pisendels Italienaufenthalt die Namen italieniscer Musiker nur entstellt wieder. Während der Name „Rivali“ noc als ein geistreicer Spitzname für Antonio Vivaldi interpretiert werden könnte, sind die Lesarten „Britti“ und „Tamfani“ für die beiden Florentiner Konzertmeister Martino Bitti und Giuseppe Maria Fanfani eindeutig als Fehler einzustufen. Auc die einzige Bemerkung, die sic auf die Musik selbst bezieht, ist in ihrem Bezug auf die Redekunst sehr allgemein gehalten und wäre von einem Musiker wahrsceinlic anders formuliert worden: „Wer seine [Pisendels] Musi% aufführen hörete, der wurde durc lauter Empfindung überzeugt, daß dieselbe die Beredsamkeit gewisser Instrumente durc die Kunst ihres Meisters sey.“34 Dadurc, daß die dicte Folge biographiscer Angaben aus V56 nur bis zum Jahr 1718 reict, wirken die übrigen sporadiscen Angaben planlos und zufällig. Daher hat Agri$ola diejenigen Angaben nac 1718, die er in V67 übernahm, neu angeordnet, während Hiller sic später in V84 eng an Agri$olas Aufbau gehalten hat. Aufgrund des starken Übergewicts der Zeit vor 1718 könnte vermutet werden, daß der Lebensbescreibung V56 ein bereits fertiger Text zugrunde lag, etwa ein Bewerbungsscreiben aus der Zeit nac 1718, in dem Pisendel seinen bisherigen Lebensweg skizziert haben könnte. Allerdings gibt es für eine Bewerbung Pisendels in dieser 33 V56, 304. Die Passage über die Brüder Graun enthält einige Informationen, die von der Graun-Forscung bislang nict berü%sictigt worden sind, wie etwa das zitierte Gescenk eines Hauses in der Friedricstadt durc die Königin von Preußen. Daß Johann Gottlieb Graun unverheiratet geblieben sei, läßt sic allerdings nict bestätigen, denn nac einer freundlicen Auskunft von Herrn Dr. Christoph Hentzel vom 1.2.2001 war Graun seit 1731 mit Sophia Dorothea Scmiel verheiratet und hatte vier Kinder aus dieser Ehe. 34 V56, 303.

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Zeit keine Anhaltspunkte. Andererseits trägt der Text deutlice Züge einer rü%blikkenden Lebensbetractung, wie etwa Hinweise auf die Eltern und berühmte Vorfahren Pisendels.35 Auc der eingangs zitierte Hinweis, daß Pisendel der einzige überlebende von zehn Brüdern gewesen sei, verweist auf einen Textstil, wie er etwa für einen „Leicensermon“, der bei der Beerdigung gehalten wird, üblic war. Ein solcer Text, zu dem Verwandte gewöhnlic Material beisteuerten, ist im Fall Pisendels nict erhalten36 und ist auc nict als Vorlage für V56 zu vermuten, weil dort die wesentlicsten Stationen nac 1718 genannt worden wären. Da die Lebensbescreibung V56 mit Begriffen der Gelehrtensprace durcsetzt ist und ihr Verfasser eine Quelle zitiert, die auf einen gelehrten Vorfahren Pisendels hinweisen soll,37 käme unter den nahen Verwandten Pisendels nur dessen Scwager Johann Salomon Scülin als Verfasser dieses Textes in Frage. Die vier Kinder des späteren „Regierungs-Advokaten und Landgericts-Pro$urators“, der ein dreibändiges juristisces Lehrwerk veröffentlict hatte,38 gehörten zu den secs Haupterben Pisendels. Da Scülin bereits 1725 den Verkauf von Pisendels Elternhaus in Cadolzburg geleitet hatte,39 könnte er auc 1755 als Testamentsvollstre%er für Pisendels Erben eingesetzt worden sein. In diesem Fall hätte er Zugang zu den persönlicen Unterlagen Pisendels gehabt, unter denen sic vielleict eine autobiographisce Skizze Pisendels bis zum Jahr 1718 befunden haben mag. Obwohl sic diese Überlegungen nict belegen lassen, erhalten sie durc vier zufällig erhaltene Briefe, die Pisendel in letzten Lebensjahren an seinen alten Freund Telemann gescrieben hat, neues Gewict. In diesen Briefen zeigt sic Pisendel nämlic an den Nacrufen auf jüngst verstorbene Mitglieder der „Mizlerscen Sozietät“ (Johann Sebastian Bac, Georg Heinric Bümler, Gottfried Heinric Stölzel) interessiert. Dabei sind ihm die Scwierigkeiten, einen Lebenslauf allein aus den Nacricten der Zeitgenossen verfassen zu müssen, deutlic vor Augen geführt worden, wie aus seinem Brief vom 26.3.1751 hervorgeht: […] nur vor etlicen Tagen scrieb er [Lorenz Mizler] wieder, daß es ihm ein großer Gefallen, wenn ic ihm von den seeligen Pantaleon u Weiß einen kleinen Lebenslauf sci%en könnte, allein ic kan damit nict dienen, weiln Herr Pantaleon gar nicts aufgesetzt noc aufsetzen laßen, von den andern aber könnte es noc Rath werden, nur daß es noc weitläufftig damit zugehet.40

Anhand des folgenden Briefs wird deutlic, daß Pisendel sic mehr als ein Jahr hindurc mit dem Problem einer posthumen Lebensbescreibung auseinandergesetzt haben muß, denn am 3.6.1752 scrieb er an Telemann: Wegen des Herrn Pantalons Lebenslauff sieht es sehr mißlic, weiln er nicts davon aufscreiben laßen wolln und seine Tante die eine Erbin geweßen und noc hier ist, in 35

Vgl. V56, 299f mit Fußnote. Freundlice Mitteilung vom 12.12.2000 durc Herrn Dr. Rudolf Lenz von der Forscungsstelle für Personalscriften, Marburg. 37 V56, 299: „In Scneiders Chron. Lips. findet man p. 337, daß M. Gerhard Pisendel, von Oderberg ao. 1491 De$anus in der Philosoph. Fa$ultät zu Leipzig gewesen.“ 38 Theatrum $ons$ientiosum $riminale, oder gewissenhafte Rects gegründete Anweisung, wie ein auf einem Cent-Amt stehender Beamter gewissenhaft und legal verfahren soll?, 3 Bde., Frankfurt 1732-34, vgl. Vo%e 1797, 113. Für den freundlicen Hinweis auf diese Quelle danke ic Herrn Albrect Treuheit. 39 Treuheit 1987, 14f. 40 Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 358. 36

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gewiße Umstände verfallen, daß sie niemand eine Antwort gibt. Zu dem aber von Herrn Weiß wird eher Rath, da mir ihn seine Frau Liebste versprocen, die einen aber gerne warten läßet.41

Wenige Jahre vor seinem Tod erkannte Pisendel also am Beispiel von Hebenstreits Lebenslauf, wie „sehr mißlic“ es war, daß „er nicts davon aufscreiben laßen wolln“ und daß auc die Verwandten nicts dazu beitragen konnten. Vor dem Hintergrund dieser Briefstellen ist es denkbar, daß Pisendel daran gelegen war, die Niederscrift seines eigenen Lebenslaufs nict an vergleicbaren Scwierigkeiten sceitern zu lassen. Andererseits wollte der gewöhnlic sehr zurü%haltende Pisendel sic möglicerweise nict dem Verdact der Eitelkeit aussetzen, indem er selbst seinen Lebenslauf aufscrieb. Diese Überlegungen lassen die oben erwähnten ‚Fehler‘ und ‚Irrtümer‘ plötzlic in einem ganz anderen Lict ersceinen. Eigentlic hätte sofort auffallen müssen, wie ungewöhnlic es ist, daß einem Biographen bei der Wiedergabe von drei italieniscen Namen (Vivaldi, Bitti, Fanfani) derart grobe Fehler unterlaufen („Rivali, Britti, Tamfani“). Möglicerweise sind diese Namen absictlic entstellt worden, um die Identität des Verfassers zu verscleiern. Pisendel selbst empfahl nämlic eine solce Verscleierungstaktik in einem Brief an Telemann vom 16.4.1749, als er diesem eine Abscrift von Zelenkas Karwocen-Responsorien zur Veröffentlicung überließ, die er eigentlic nur für eigene Zwe%e im Rahmen der Hofgottesdienste hätte verwenden dürfen: Meinen Nahmen bitte nocmals hierbey verborgen zu halten, ic habe zwar die Überscrifft, und in fine, das Laus Deo so mit $opiren laßen, wie es im Buc gestanden, halte es aber vor wenigerm Verdact, wenn ersteres verendert und abgekürtzt etwann: Responsoria pro Hebdomada San$ta und den Autorem darzu: letzteres Gratias aber gar ausgelaßen würde: es wäre sonst zu deutlic, daß man das gantze Buc in Händen gehabt, da vielmehr glaubend zu macen, als hätte man dieses Wer% nict ohne viel Mühe und Zeit nac und nac zusammengebract.42

Vielleict wollte Pisendel den Anscein erwe%en, der Verfasser von V56 habe die Nacricten zu Pisendels Lebenslauf ebenfalls „nict ohne viel Mühe und Zeit nac und nac zusammengebract“. Sogar die Verwecslung zwiscen dem Konzertmeister und dem Kapellmeister Graun am Ende von V56 könnte Teil dieser Tarnung sein, denn aus Anlaß eines Zeitungsartikels bemerkte Pisendel in seinem Brief vom Jahresende 1750 ausdrü%lic: „mit denen Herren Grauens wird gemeiniglic ein Confusion“.43 Der Verfasser von V56 könnte also sogar absictlic fehlerhafte Angaben zu den Brüdern Graun gemact haben, um damit jener üblicen „Confusion“ zu entsprecen. Angesicts der Scwierigkeiten mit den Lebensläufen seiner berühmten Kollegen Hebenstreit und Weiß könnte der unverheiratete Pisendel dafür gesorgt haben, daß zumindest die wictigsten Stationen seiner frühen Jahre, über die seine jüngeren Zeitgenossen wahrsceinlic nict viel zu bericten wußten, der Nacwelt überliefert werden. Wictige Indizien sprecen für die These, daß die frühe Lebensbescreibung V56 in ihren wesentlicen Teilen auf eine autobiographisce Vorlage Pisendels 41

Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 362f. Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 347. 43 Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 354. 42

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zurü%geht. Diese Vorlage, die vor allem biographisce Nacricten bis 1718 enthält, könnte von Pisendel in den oben erwähnten Einzelheiten präpariert worden sein, um seine Autorscaft zu verscleiern. Die wenigen Informationen, die die Zeit nac 1718 betreffen, wurden möglicerweise von einer eingeweihten Person aus dem engen Umkreis Pisendels zusammengestellt oder ergänzt.44 Diejenigen Zeitgenossen, die Pisendel nahe standen, mußten sofort erkennen, daß die in den Dresdner Gelehrten Anzeigen auf das Jahr 1756 veröffentlicte Lebensbescreibung V56 in vielen Punkten ergänzungs- und korrekturbedürftig war. Ob die fortlaufenden Nacricten nur zufällig in dem gleicen Jahr enden, in dem Quantz in Dresden Pisendels Scüler wurde, sei dahingestellt. Falls es aber Pisendels Absict war, mit seiner ‚Vorlage‘ einen seiner Berliner Scüler zu einer ausführliceren und ‚bereinigten‘ Lebensbescreibung zu veranlassen, ist dieser Plan durc die Veröffentlicung Agri$olas in V67 aufgegangen. Im Verlauf der biographiscen Studie soll untersuct werden, welce Teile Agri$ola unverändert aus dem Text übernahm und an welcen Stellen er ihn korrigierte. Dabei sind diejenigen Informationen, die Agri$ola nict in seine Lebensbescreibung übernommen hat, von besonderem Interesse, weil sie in der Pisendel-Literatur bislang nict ausgewertet worden sind. Bei jeder einzelnen von ihnen soll untersuct werden, warum sie Agri$ola nict übernahm und ob sie sic möglicerweise anhand von dokumentariscem Material verifizieren läßt. Daher soll jedem Abscnitt der Biographie Pisendels zunäcst eine Synopse der drei frühen Lebensläufe vorangestellt werden, damit die Herkunft und Abhängigkeit ihrer jeweiligen Informationen beurteilt werden können.

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Veranlasser der Veröffentlicung im April 1756 könnte beispielsweise Pisendels langjähriger Kapellkollege Georg Friedric Kästner gewesen sein, der wahrsceinlic eine Vertrauensposition einnahm, denn er kümmerte sic bereits am Morgen nac dem Tod Pisendels um die Begräbnisangelegenheiten, vgl. Köpp 1999, 68f.

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II. ZUR BIOGRAPHIE PISENDELS 1. H ERKUNFT AUS C ADOLZBURG UND A USBILDUNG IN A NSBACH 26.12.1687

bis vor 26.12.1696

[V56, 299f]: Johann George Pisendel, Königl. Con$ertmeister in Dreßden, ist gebohren den 26. De$br. 1687sten Jahres zu Carlsburg, einer Marggräfl. Anspaciscen Stadt, woselbst sein Hr. Vater Simon Pisendel*) sic in die 39. Jahr von ao. 1680. an bis 1719. [nict in V67 und V84] als Cantor und Organist befunden; durc dessen gesci%ten und fleißigen Unterrict er zeitig dahin gelanget, sic in der Musi$ hervor zu thun; immaßen als dessen Durcl. Landesfürst bey einer Durcreise in der Kirce zu Carlsburg ihn eine Ital. Motette von [re$te: vor] einen Soprano Solo singen hören, derselbe daran ein gnädiges Gefallen getragen, […] *) Er war gebürtig von Neukircen aus dem Voigtlande, und wegen seines unverdroßnen Fleisses in der Musi% auc bey Ausländern berühmt. Er ist den 7. O$t. 1719 verstorben. In Scneiders Chroni$. Lips.[iae] findet man p.[agina] 337, daß M.[agister] Gerhard Pisendel, von Oderberg ao. 1491. De$anus in der Philosoph. Fa$ultät zu Leipzig gewesen [nict in V67 und V84].

[V56, 302f, nict in V67 und V84]: Sonst ist noc remarqvabel, daß er unter 10. leiblicen Gebrüdern alle überlebet.

Sommer 1697 bis März 1709 [V56, 300f]: […] und ihn in seinem 9ten Jahre in die Hocfürstl. Capelle zu Anspac als Dis$antist aufnehmen lassen, woselbst Er, weiln sothane Capelle unter dem berühmten Capellmeister Pisto$ci und dem vortrefflicen Con$ertmeister Torelli damahln größtentheils in einem Auszug von teutscen und ital. Virtuosen bestanden, die ihm angebohrene Begierde zur Musi$ zu unterhalten, und solce Wissenscaft gründlic zu ex$oliren, besondere Gelegenheit gehabt, jedoc darbey nac seines Vaters Absict, der ihn denen Studiis gewidmet, zugleic dasiges Gymnasium freqventiret, […] [V67, 278, ergänzt]: Der Kapellmeister war Herr Franz Anton Pisto$ci, ein Mann, dem man einen großen Theil der Ausbildung dessen, was die Singkunst starkes und ausnehmendes besitzt, zu danken hat. […] Die bravsten Sänger Wälsclands, die in den damaligen Zeiten sic berühmt gemact haben, sind aus seiner Scule. Der Con$ertmeister zu Anspac war der damalige brave Violinist und Componist, Herr Joseph Torelli, welcer theils durc versciedene gedru%te Instrumentalwerke, theils auc dadurc bekannt ist, daß er den Instrumental-Con$erten die erste, jetzo noc gebräuclice Form gegeben, welce hernac besonders Vivaldi fortgesetzet hat; deren bessere Ausbildung aber, man unstreitig den[!] Herrn Johann Joacim Quanz[!] vorzüglic sculdig ist. Unter dem Vorgange oben gedacter braver Leute war es nict zu verwundern, daß Herr Pisendel an musikaliscen Wissenscaften ungemein zunahm: zumal da ihm der Herr Torelli ordentlice Le$tionen auf der Violine gab. […] Niemals hat es einem Tonkünstler gescadet, sic auc in andern Wissenscaften umgesehen zu haben: welces hier beyläufig jungen Köpfen, die zur Musik Lust bezeigen, wenn sie anders, wie zwar nict allen erlaubt ist, dazu Gelegenheit haben, nac dem Beyspiele eines so großen Tonkünstlers, als Herr Pisendel nacher geworden ist, zur Lehre und Aufmunterung dienen kann.

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März 1709 [V56, 301]: […] weshalber er auc, nacdem er an dem Anspaciscen Hofe 6. Jahr als Dis$antist, und nac Verminderung der Stimmen noc 5. Jahr als Violinist gestanden, seine Dimission gesuct und erlanget, da er sic im Martio 1709. nacer Leipzig gewendet, seine Studia fortzusetzen. [V67, 279, ergänzt]: Es wurde ihm bey dieser Gelegenheit von dem Markgrafen versprocen, daß er nac Vollendung seiner Universitätsjahre, am Anspaciscen Hofe, nac Maasgebung seiner Gesci%lickeit, weiter befördert werden sollte.

Wie aus der Abfolge der Lebensdaten zu erkennen ist, enthält der autobiographisce Text V56 bereits alle bekannten Informationen zu Pisendels Ausbildung. V67 ergänzt lediglic Hinweise zu den historiscen Verdiensten von Pisto$ci und Torelli, die bei den Lesern von Hillers Wocenzeitscrift von 1767 offenbar nict mehr als bekannt vorausgesetzt werden konnten. Außerdem fordert V67 junge Musiker auf, dem Beispiel Pisendels zu folgen und neben den „musikaliscen Wissenscaften“ die sculiscen Studien nict zu vernaclässigen. Diese Aufmunterung wird von V84, der den Text aus V67 generell übernimmt, noc weiter ausformuliert. Dagegen sind die Angaben zu Pisendels Vater in beiden Lebensbescreibungen auf ein Minimum gekürzt.1 V67 enthält allerdings auc eine Information zu Pisendels Biographie, die über die autobiographiscen Angaben aus V56 hinausgeht, nämlic, daß Pisendel sogar „ordentlice Le$tionen auf der Violine“ von dem Konzertmeister Torelli erhalten haben soll. Obwohl Agri$ola bei der Zusammenstellung der Lebensbescreibung V67, wie oben dargelegt, auf verläßlice Quellen zurü%greifen konnte, ist der Unterrict bei Torelli in der neueren Literatur in Frage gestellt worden. Daher soll diese Zusatzinformation in einem eigenen Exkurs erörtert und auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden. Ein ecter Widerspruc ergibt sic aus der Angabe in V56, daß Pisendel „6. Jahr als Dis$antist, und nac Verminderung der Stimmen noc 5. Jahr als Violinist“, also insgesamt elf Jahre, am Ansbacer Hof angestellt gewesen sei. Ausgehend von dem Ende des Dienstverhältnisses im März 1709 ließe sic errecnen, daß Pisendel ungefähr im März 1698, also in seinem elften Lebensjahr, an den Ansbacer Hof gekommen sein muß. Nac V56 hat ihn der Markgraf jedoc „in seinem 9ten Jahre in die Hocfürstl. Capelle zu Anspac als Dis$antist aufnehmen lassen“. Obwohl die pauscale Zahl von secs beziehungsweise fünf Jahren einen gewissen Spielraum zuläßt, ist die Abweicung doc zu groß, um – wie bislang gescehen – stillscweigend übergangen zu werden. Außerdem verbietet es die Bedeutung von V56 als Quelle, diese Zahlen als einen Irrtum abzutun. Vielmehr muß angenommen werden, daß die Anstellungen Pisendels als „Dis$antist“ beziehungsweise als „Violinist“ in Ansbac von einer Zeit ohne Dienstverhältnis unterbrocen worden sind, wie ja bereits in der Bemerkung „nac Verminderung der Stimmen“ anklingt. Tatsäclic findet nac dem Tod des Markgrafen Georg Friedric im Jahr 1703 ein Regierungswecsel am Ansbacer Hof statt, der wie üblic mit einem Trauerjahr und einer Reduzierung des Hofstaats verbunden ist. Die aus diesem Anlaß erfolgte 1

Zum vorliegenden Abscnitt vgl. V67, 278f, und V84, 182ff.

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Aufstellung der Hofbediensteten enthält die einzige Arcivalie zu Pisendels Aufenthalt in Ansbac, die bislang bekannt geworden ist.2 Aus dem „Reduktionslibell“ vom 28.7.1703 geht nämlic hervor, daß Pisendel zu dieser Zeit noc als Kapellknabe angestellt war, so daß seine Bestallung als „Dis$antist“ in Ansbac rein recnerisc in die Zeit vor dem 28.7.1697 fiele. Die Angabe aus V56, der Markgraf habe Pisendel „in seinem 9ten Jahre in die Hocfürstl. Capelle [also bereits vor dem 26.12.1696] aufnehmen lassen“, könnte sic dagegen auf die erste Begegnung in Cadolzburg beziehen und ersceint sogar durcaus glaubwürdig, wenn man berü%sictigt, daß zwiscen dieser Begegnung in der Cadolzburger Pfarrkirce und dem endgültigen Umzug Pisendels in die Residenzstadt Ansbac etwas Zeit verstricen sein dürfte. Aus der Angabe von V56, daß Pisendel im März 1709 seine „Dimission“ von der Ansbacer Hofkapelle erhalten habe, läßt sic zurü%recnen, daß Pisendel ungefähr im März 1704 als Hofmusiker angestellt worden ist. Die Tätigkeit Pisendels in Ansbac läßt sic also in zwei auc zeitlic voneinander getrennte Abscnitte unterteilen: eine secsjährige Dienstzeit als Kapellknabe von 1697 bis 1703 und eine fünfjährige Dienstzeit als „Violinist“ von 1704 bis 1709. Daß die Ansbacer Ausbildungszeit Pisendels in der Spezialliteratur bislang wenig beactet worden ist, liegt wohl daran, daß Pisendel auc in den Arbeiten zur Ansbacer Musikgescicte dieser Zeit fast gar nict erwähnt wird.3 Da Pisendel aber bereits kurz nac seiner Ankunft in Leipzig 1709 im Collegium musi$um mit neuartigen italieniscen Solokonzerten Aufsehen erregte und wenig später bereits als interimistiscer Dire$tor Musi$es dieses Collegiums und der Musik an der Neukirce zu Leipzig wirkte, muß er Ansbac bereits als fertig ausgebildeter Geiger verlassen haben. Gerade die wictige Frage, von wem und wie lange Pisendel in Ansbac Geigenunterrict erhalten hat, ist noc nict kritisc untersuct worden. Daher soll dieser „in Dunkel gehüllte“4 Abscnitt in Pisendels Lebenslauf besonders ausführlic beleuctet werden.

Als Kantorensohn in Cadolzburg Die Angaben aus V56 zur Geburt Pisendels werden durc einen Eintrag im Taufbuc des Evangelisc-lutheriscen Pfarramts in Cadolzburg bestätigt:5 Johann Georg Pisendel wurde am 26. Dezember 1687 als Sohn des „hl. [Herrn] Cantoris Simon Pisendels“ geboren und ist am folgenden Tag getauft worden. Von seinem Taufpaten, dem „hl. Verwalther“ Johann Georg Fleiscer aus dem Nacbarort Langenzenn, erhielt Pisendel seine beiden Vornamen. Aus den autobiographiscen Aufzeicnungen einer Cousine Pisendels, die im Rahmen dieser Arbeit aufgefunden werden konnten, geht hervor, daß es in Franken üblic war, nur einen einzigen 2 Trotz aufwendiger Nacforscungen konnten in Ansbac keine neuen Quellen zu Pisendel gefunden werden. In diesem Zusammenhang wurde aber deutlic, daß die bislang letzte Spezialstudie zur Ansbacer Musikgescicte von Scmidt 1956 besonders für die Zeit nac 1703 sehr lü%enhaft und insgesamt leider nict sehr verläßlic ist. Eine gründlice Erscließung und Auswertung der Quellen zur Ansbacer Hofmusik unter dem Markgrafen Wilhelm Friedric, der 1703—1723 regierte, steht daher noc aus. 3 Vgl. Mersmann 1916, 44, Scmidt 1956, 73, Dubowy 1995, 78. 4 So Mersmann 1916, 45, ebenso wörtlic bei Jung 1956, 9. 5 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 2 vom 27.12.1687.

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Taufpaten zu haben.6 In seinem Testament aus dem Jahr 1749 bestätigt Pisendel den 26.12.1687 als sein Geburtsdatum, und in einem autographen Eintrag in das Verzeicnis der Dresdner Hofkapelle von 1718 verwendet Pisendel die Screibweise „Cadlsburg im Anspaciscl.“ für seinen Geburtsort,7 während dieser Ort in V56 in sceinbarem Hocdeutsc „Carlsburg“ gescrieben wird, was zu einigen Verwecslungen Anlaß gab.8 Johann Georg Pisendel verbracte seine Kindheit in dem Kantorenhaus, das bis heute direkt neben dem Pfarrhaus in der Nähe der Pfarrkirce St. Cä$ilia steht. Er war das fünfte Kind aus Simon Pisendels erster Ehe mit der Bürgermeisterstocter Cunigunda Züll aus Langenzenn, aber erst das zweite, das das Säuglingsalter überlebte.9 Beim Tod der Mutter am 7.4.1701 wohnte Pisendel bereits seit vier Jahren als Kapellknabe in Ansbac. Als auc der Vater 7.10.1719 starb, lebten noc drei minderjährige Töcter aus zweiter Ehe in Cadolzburg, die von ihrer 28jährigen Scwester Susanna Catharina betreut wurden. Dabei war Pisendel tatsäclic der einzige überlebende Sohn von Simon Pisendel, wie in V56 hervorgehoben wird: „Sonst ist noc remarqvabel, daß er [Pisendel] unter 10. leiblicen Gebrüdern alle überlebet.“10 V56 (299) betont, Pisendel sei durc den „gesci%ten und fleißigen Unterrict“ bei seinem Vater Simon Pisendel „zeitig dahin gelanget, sic in der Musi$ hervor zu thun“. Dieser Unterrict dauerte, bis Pisendel etwa neun Jahre alt war und als Kapellknabe nac Ansbac ging. Um die Art des Unterricts besser einscätzen zu können, soll der familiäre und beruflice Hintergrund von Pisendels Vater kurz umrissen werden. Bereits die frühe Lebensbescreibung V56 (299f) enthält nämlic detaillierte Informationen über Simon Pisendel, der „sic in die 39. Jahr, von ao. 1680. bis 1719. als Cantor und Organist [in Cadolzburg] befunden“. In der eingangs zitierten Fußnote wird außerdem dessen Geburtsort und Sterbedatum genannt. Ungewöhnlic ist, daß in dieser Fußnote auc ein berühmter Vorfahr Pisendels erwähnt wird, der „ao. 1491. De$anus in der Philosoph. Fa$ultät zu Leipzig gewesen“ ist. Offensict6 Fran%esce Stiftungen Halle, Arciv, Sign. D 41:53, Autographer Lebenslauf (Fragment) der Amalia Rosina Crusius, geb. Pisendel [Cousine von J. G. Pisendel], fol. 397f:

[…] Mein Vatter seliger ist gewessen, hll. Peter Pisendel, […] meine mutter Johanna Sussanna Piesendlin[!] geborne Assumin, von diesen meinen Eltern bin ic nac der leiblicen geburt zur heili. tauff befördert und dem buc des lebens ein verleibet worden, mein nahmen den ic bekom[m]en ist Amalia Rosina, meine dauffbadin ist nac frän%iscer lebensart [ausgestricen, darüber: „gewohnheit“] nur eine, nehmlic die damalige Jungfer Amalia Rosina Bärmännin, hln Johan Deorg[!] Behrmans docter in Ober Eisheim. 7

Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 23 aus dem Jahr 1718. Zur Screibweise des Ortsnamens Cadolzburg vgl. Treuheit 1987, 29f. 9 Zur Genealogie Pisendels vgl. Treuheit 1987, 11ff. Weiteres Arcivmaterial zur Familie Pisendels wurde von Treuheit in mehreren Studien zusammengefaßt, die im „Pisendel-Arciv“ des Heimatvereins Cadolzburg eingesehen werden können: Simon Pisendels Kinder, Ergebnis einer Familienforscung im Ev.lutheriscen Pfarramt Cadolzburg, Cadolzburg 1986; Cunigunda Züll 1663—1701, Johann Georg Pisendels Mutter, Familienwurzeln in Franken, Cadolzburg 1986; Maria Elisabetha Lindner, geb. Pisendel, Ergebnis einer Familienforscung im Ev.-lutheriscen Pfarramt Cadolzburg, Cadolzburg 1986; Susanna Catharina Scülin, geb. Pisendel, Ergebnis einer Familienforscung im Ev.-lutheriscen Pfarramt Cadolzburg, Cadolzburg 1986; Auszüge aus den Cadolzburger Konfitentenbücern, Cadolzburg 1986. 10 V56, 302f. Diese Angabe stimmt jedoc nur zum Teil. Zwar befanden sic unter den zwanzig Kindern aus zwei Ehen Simon Pisendels tatsäclic zehn Jungen, von denen nur Johann Georg Pisendel die ersten Lebensmonate überlebt hat, seine drei Halbbrüder aus der zweiten Ehe sind jedoc mit eingesclossen. Das Wort „leiblic“ ist offenbar nur auf den Vater bezogen. 8

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lic war es dem Autor von V56 wictig, darauf hinzuweisen, daß Simon Pisendel aus einer alten Gelehrtenfamilie stammte. Die Angaben über seinen Geburtsort Neukircen, der heute Markneukircen heißt, werden durc einen Eintrag im Trauungsregister des Evangelisc-lutheriscen Pfarramts zu Langenzenn bestätigt.11 Aus dem Sterbeeintrag des Vaters vom 10.10.1719 läßt sic errecnen, daß Simon Pisendel um den 3. Juni 1654 geboren wurde. Auc die Angabe seines Todestages und seiner 39jährigen Amtszeit als Kantor und Organist wird in diesem Eintrag des Cadolzburger Pfarrers Johann Ludwig Faber bestätigt: Herr Simon Pisendel, von Neukircen im Vogtland, Cantor und Organist allhier, welcen Dienst er seit 39. Jahr unverrü%t vorgestanden; ein sonderer Liebhaber der Musi$, worinnen er weil er alle Instrumente verstund, wol bewandert war, und die Jugend, so viel nur Lust dazu hatten, mit allem Willen darinnen unterrictet: war auc sonst sehr diensthaft und hat vielen fortgeholfen, daß sie zu einem Stü% Brot gelangt. Er wurde 65 Jahr und 4 Monat weniger 4 Tag alt und starb an einem hitzigen Gallenund Lungenfieber, dabei die Bräune mag überhand genommen haben, samstags zuvor, den 7. O$t.12

Ab 1670 war Pisendels Vater Alumne am Gymnasium zu St. Lorenz in Nürnberg,13 wo er in den folgenden zehn Jahren einen wesentlicen Teil seiner musikaliscen Ausbildung erhielt. In dieser Zeit hat Simon Pisendel wahrsceinlic die selben Lehrer gehabt wie der etwa ein Jahr ältere Johann Pacelbel, der ebenfalls Scüler des Gymnasiums St. Lorenz war.14 Die „Rudimenta“ und den Gesang dürfte er also von dem Scullehrer Heinric Scwemmer und das Orgelspiel sowie die Komposition bei Georg Caspar We%er, Organist an St. Sebald, gelernt haben.15 Noc als Lorenz-Alumne bewarb sic Simon Pisendel am 20.9.1680 um die frei gewordene Stelle eines „Organisten und Sculdieners“ in Cadolzburg und wurde bereits am 29.9.1680 vom Konsistorium eingestellt.16 Aus einem Gesuc des Pfarrers Faber vom 16.10.1686 geht hervor, welce Wertscätzung Simon Pisendel ein Jahr vor der Geburt seines Sohnes Johann Georg in Cadolzburg entgegengebract wurde, 11

Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 1 vom 18.1.1681. Aus dem gleicen Jahr ist eine Steuerliste aus Markneukircen bekannt, in der Pisendels Goßvater „Peter Piesendel des Raths und ein Scwarz ferber“ erwähnt wird, vgl. Treuheit 1987, 11 und 20 (Abbildung). 12 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 29 vom 10.10.1719. 13 Staatsarciv Nürnberg, Rep. 232, vgl. Treuheit 1987, 11. Warum Simon Pisendel nac Nürnberg auf ein Gymnasium gesci%t wurde, läßt sic nict feststellen, aber es ist denkbar, daß die in Markneukicen sehr angesehene Familie über familiäre oder zumindest gescäftlice Kontakte in die Handelsstadt verfügte. Dabei mag eine nict unerheblice Rolle gespielt haben, daß beide Städte bedeutende Zentren des Musikinstrumentenbaus waren. Besonders Markneukircen, wo im 17. Jahrhundert eine der frühesten Geigenmacer-Innungen Deutsclands gegründet wurde, war zur Zeit Simon Pisendels für die Herstellung von Streicinstrumenten bekannt. In Nürnberg, wo ebenfalls Vogtländisce Geigen gehandelt wurden, bauten Ernst Busc und Paul Hiltz um diese Zeit hocwertige Streicinstrumente. Zudem war Nürnberg für seine Holz- und Blecblasinstrumente und für die Herstellung hocwertiger Metallsaiten berühmt, die auf Tasteninstrumenten, aber auc für die Pandora, Zister und Viola d'amore verwendet wurden. Vor diesem Hintergrund wohl ist die Bemerkung des Cadolzburger Pfarrers im Totenbuc zu verstehen, daß Simon Pisendel in der Musik, „weil er alle Instrumente verstund, wol bewandert war“. 14 Die Vermutung von Treuheit 1987, 12, daß Pisendels Vater sogar ein Mitscüler Pacelbels gewesen sein könnte, läßt sic nict bestätigen, denn dieser hatte das Gymnasium bereits ein Jahr vor der Ankunft Simon Pisendels verlassen, vgl. Mattheson 1740, 244f. 15 Vgl. MGG1 XIV, 350. 16 Abbildung der Bewerbung, der Prüfungsarbeit und der Bestallung Simon Pisendels in Treuheit 1987, 21-24.

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denn der Pfarrer bat das Ansbacer Konsistorium darum, ihm das Prädikat eines Kantors beizulegen, „damit wir denselben lang bei dieser Scul behalten mögen 17 […]“. Dieses Gesuc, dem per Dekret vom 22.10.1686 stattgegeben wurde, deutet darauf hin, daß die Cadolzburger Scule keine Lateinscule, sondern eine größere Dorfscule war. Aufsclußreic für den familiären Hintergrund Pisendels ist auc der auffallend ähnlice Lebenslauf seines Onkels Peter Pisendel, denn der ältere Bruder seines Vaters ging ebenfalls aus Markneukircen nac Franken, wo er als Sculmeister und Kantor tätig war. Aus den autobiographiscen Aufzeicnungen von Pisendels Cousine Amalia Rosina geht hervor, daß Peter Pisendel bereits 1668 als „Sculdiener[,] organist und gerictsscreiber zu Obereis[es]heim“ angestellt war, bevor er 1678 vom Grafen zu Castell als Kantor und Informator für dessen Kinder nac Rüdenhausen berufen wurde. 1682 wecselte er als Kantor und Lehrer der dritten Klasse an die Lateinscule von Wertheim am Main und starb dort am 6.4.1686.18 Neben der Musik spielte offenbar die Sculbildung in der Familie Pisendel eine große Rolle, und für Peter Pisendel sind sogar Verbindungen zum frühen Pietismus nacweisbar, der in dieser Zeit als eine reformorientierte und moderne geistige Bewegung angesehen werden muß.19 Zwiscen der Wertheimer und der Cadolzburger Linie bestanden enge Kontakte, die sic bis in Pisendels letzte Lebensjahre fortstetzten, denn Pisendel bedacte die zwei Söhne seines Wertheimer Vetters Wolfgang Philipp Pisendel, einen Leipziger Buchändler und einen Dresdner Drogisten, in seinem Testament.20 In diesem von cristlicen und bürgerlicen Werten bestimmten Klima wucs Johann Georg Pisendel in Cadolzburg auf. Dabei ist anzunehmen, daß er wie seine Wertheimer Cousine Amalia Rosina bereits im secsten Lebensjahr lesen und screiben konnte.21 Als Kantorensohn lernte Johann Georg selbstverständlic ein Tasteninstrument, und nac der vielseitigen musikaliscen Ausbildung des Vaters zu urteilen, hat dieser ihm wahrsceinlic auc den Anfangsunterrict auf der Violine erteilt. Sicer ist, daß Pisendel von seinem Vater im Choral- und Figuralgesang ausgebildet wurde und solistisce Aufgaben übernahm, denn der Markgraf Georg Friedric hörte den Actjährigen „bey einer Durcreise in der Kirce zu Carlsburg eine Ital. Motette vor einen Soprano Solo singen“.

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Vgl. Treuheit 1987, 12. Vgl. Arciv Fran%esce Stiftungen, Halle, Sign. D 41:53, fol. 397ff. 19 Nac dem Tod von Peter Pisendel lebt seine Tocter Amalia Rosina im Haus des pietistiscen Pfarrers Johann Win%ler in Hamburg, der in engem Kontakt mit August Hermann Franke in Halle stand und ein Freund der Wertheimer Familie Pisendel war, vgl. Arciv Fran%esce Stiftungen, Halle, Sign. D 41:53, fol. 402f. 20 Pisendels Mutter Cunigunda ist beispielsweise bei der Taufe ihrer Wertheimer Nicte Susanna Barbara als Patin verzeicnet, vgl. Jung 1987, 2. Zu den familiären Kontakten Pisendels vgl. Exkurs III. 21 Arciv Fran%esce Stiftungen, Halle, Sign. D 41:53, fol. 398f: 18

[…] nac dem mic nun der liebe Gott bey leben erhalten und hernacmahls so weit kommen lassen, das einiger kindlicer Verstand sic hervor gelassen, haben meine Eltern nict unter lassen, mic zum lesen und screiben anzuhalten, welces auc der liebe Gott so gesegnet das ic im 6ten Jahr meines Alters die heilige biebel zu meiner Erbauhung[!] habe lessen kön[n]en […].

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In V56 wird betont, daß Simon Pisendel „wegen seines unverdrossnen Fleisses in der Musi% auc bey Ausländern berühmt“ war und daß sein Sohn Johann Georg „durc dessen gesci%ten und fleißigen Unterrict […] zeitig dahin gelanget [sei], sic in der Musi$ hervor zu thun“. Der Eintrag zum Tod von Simon Pisendel im Cadolzburger Sterberegister von 1719, daß er „die Jugend, so viel nur Lust dazu hatten, mit allem Willen [in der Musik] unterrictet“ habe, bestätigt diese Angaben. Dabei sah Pisendels Vater den Musikunterrict seines Sohnes nict etwa als einen Zeitvertreib an, sondern er hatte dabei durcaus beruflice Perspektiven im Auge, wie die Bemerkung „[…] war auc sonst sehr diensthaft und hat vielen fortgeholfen, daß sie zu einem Stü% Brot gelangt“ an gleicer Stelle zeigt. „Nac seines Vaters Absict, der ihn denen Studiis gewidmet,“ sollte Pisendel ein Gymnasium und später die Universität besucen. Da es in Cadolzburg keine Lateinscule gab und die auswärtige Unterbringung neben dem Sculgeld sehr kostspielig war, eröffnete sic durc eine gute musikalisce Grundausbildung die Möglickeit, ein Stipendium zu erhalten.22 Wahrsceinlic war Simon Pisendel selbst über diesen Weg an das Gymnasium nac Nürnberg gekommen. Mit der frühen musikaliscen Ausbildung seines Sohnes hat Simon Pisendel also bewußt darauf hingearbeitet, daß Johann Georg trotz besceidener Mittel eine höhere Sculbildung erhalten konnte.

Als Kapellknabe am Ansbacer Hof Nac V56 hörte der Markgraf Georg Friedric Pisendel „bey einer Durcreise in der Kirce zu Carlsburg eine Ital. Motette vor einen Soprano solo singen“ und ließ „ihn in seinem 9ten Jahre in die Hocfürstl. Capelle zu Anspac als Dis$antist aufnehmen“. Wie oben dargelegt, besteht kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß diese Begegnung in der Cadolzburger Pfarrkirce St. Cä$ilia tatsäclic vor dem neunten Geburtstag von Johann Georg Pisendel am 16.12.1696 stattgefunden hat. Wann Pisendel seinen Dienst in Ansbac scließlic angetreten hat, läßt sic nict genau ermitteln, aber aus dem Datum des erwähnten „Reduktionslibells“ geht hervor, daß Pisendel noc einige Zeit in Cadolzburg geblieben sein muß und erst 1697 nac Ansbac ging. Da der Markgraf im Winter 1696/97 wiederholt nac Berlin reiste und im Frühjahr 1697 an den letzten Kämpfen des Pfälziscen Erbfolgekrieges teilnahm, ist denkbar, daß Pisendel erst in der ersten Jahreshälfte 1697 offiziell in Ansbacer Dienste berufen wurde. Aus der Tatsace, daß Simon Pisendel seinen Sohn ausgerecnet „eine Ital. Motette“ singen ließ, läßt sic entnehmen, daß der Vater mit diesem Auftritt Pisendels vor dem Markgrafen bewußt darauf abzielte, seinem Sohn ein Stipendium als Kapellknabe in Ansbac zu verscaffen.23 Offensictlic wußte Simon Pisendel, daß der actzehnjährige Markgraf Georg Friedric, der im Mai 1696 von einer langen Italienreise zurü%gekehrt war, diese Musik sehr liebte. Vielleict hatte er auc davon er-

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Zu den Ausbildungsmöglickeiten als Alumne einer Lateinscule vgl. beispielsweise Hiller 1784, 148. Jung 1956, 7, verkennt diese Absict des Vaters und stellt die Aufnahme Pisendels in die Ansbacer Hofkapelle stattdessen als ein „unerwartetes Ereignis“ dar.

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fahren, daß im Sommer dieses Jahres italienisce Musiker und eine Opernausrüstung in Ansbac eingetroffen waren, die Georg Friedric in Italien bestellt hatte.24 Obwohl Pisendel noc sehr jung war, als er sein Elternhaus verließ, erkannte der Vater die Vorteile, die Kapellknaben an Fürstenhöfen genossen, und erhoffte sic eine besondere Förderung der musikaliscen und wissenscaftlicen Talente seines Sohnes, die er ihm in Cadolzburg nict bieten konnte. Vielleict war ihm aber auc bewußt, daß der persönlice Umgang an einem Fürstenhof von anderen Faktoren als von bürgerlicen und cristlicen Werten bestimmt war, und er mag seinen Sohn früh auf diesen Gegensatz aufmerksam gemact haben. Jedenfalls ist bei Johann Georg Pisendel bis ins hohe Alter eine innere Distanz zum intrigenreicen Hofleben und das Festhalten an diesen bürgerlicen und cristlicen Werten festzustellen.25 Ein Ende 1682 entstandenes Memorandum über die Rekrutierung, Ausbildung, Aufgaben und Kosten der Kapellknaben am Ansbacer Hof, das der damalige Organist an der evangeliscen Hofkirce Georg Heinric Küntzel verfaßte, läßt Rü%sclüsse auf Pisendels Tätigkeit in der Ansbacer Kapelle zu.26 Küntzel screibt, daß unter den Landeskindern „hin und wieder […] einige feine Knaben“ ausgewählt werden sollen, die neben ihrer Musikalität auc „der statur alß des gemüths nac“ qualifiziert sein müssen. Die Mitwirkung der Kapellknaben bei Kircen- und Tafelmusik ist Teil ihrer Ausbildung. Besonders bei französiscer Instrumentalmusik, die ein großes Orcester erfordet, werden sie als Ripienisten dringend benötigt: zumahln bey bestellung Französiscer Parthien: da die Violin oder Dis$ant: 6:fac, die Bra$$ien Violen und Fagott aber nothwendig doppelt besetzt seyn solten: ziemlice Subjekta erfordert werden: vnnd die Zeit über (:wie sämbtl. hocfürstl: Hoff-Musi$is bekanndt:) bey der Instrumental-Musi$: wo man diese leuth nict beyhanden gehabt; oft großer mangel an subje$tis sic ereignet hätte.27

Offenbar stand in dieser Zeit das Instrumentalspiel im Vordergrund, denn Küntzel weist ausdrü%lic darauf hin, daß die Kapellknaben auc als Sänger eingesetzt werden könnten und sic nict nur „bey hocfürstl: Kürc- und Taffel-Musi$, sondern auc bey musi$aliscen Opern für weibes personen sic könten gebraucen lassen“. Außerdem fordert Küntzel, daß die Kapellknaben dem Kapellmeister „gleic andern in der Capelln gebräuclic, mit ab$opirung Musi$aliscer Stükhe“ behilflic sein sollen.28 Das Kopieren von Musikalien dürfte ein neuer Aspekt in der Ausbildung der Ansbacer Kapellknaben gewesen sein, denn diese Screibarbeiten wurden bei der Verlängerung der Kapellknaben-Stipendien Ende 1682 ausdrü%lic vermerkt.29 Daß diese Neuerung mit Argwohn betractet wurde, geht aus einer undatierten Eingabe des Hofmusikers Kellner hervor. Er beklagt, „daß die Capellknaben von diesen obermelden stü%hen die meisten abscreiben müßen, dadurc ihre scul versaumt […]“ hätten.30 Abgesehen vom denunzierenden Inhalt dieser Eingabe kann aus der 24

Vgl. Mersmann 1916, 21 und 26. Vgl. unten Exkus III. Jeweils ohne genaue Datierung zitiert in: Sacs 1910, 128ff, und auszugsweise, aber mit korrigierter Lesart, in: Scmidt 1956, 60f. 27 Zitiert nac Scmidt 1956, 60f. 28 Zitiert nac Scmidt 1956, 61. 29 Vgl. Sacs 1910, 129f. 30 Vollständiger Wortlaut bei Sacs 1910, 125f. Sacs datiert die Eingabe mit 1682; wahrsceinlic ist sie jedoc erst im folgenden Jahr verfaßt worden. 25 26

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Formulierung Kellners immerhin entnommen werden, daß die Ansbacer Kapellknaben zum Besuc der Lateinscule bei der Hofkirce St. Johannis verpflictet waren. Diese Angaben über die Pflicten der Kapellknaben stammen jedoc aus der Regierungszeit des Markgrafen Johann Friedric, der seit seiner Frankreicreise im Jahr 1681 die Reorganisation der Ansbacer Hofmusik nac französiscem Vorbild betrieben und entsprecende Orcesteraufführungen eingeführt hatte.31 Kurz nac dem Tod des 32jährigen Markgrafen wurde die Hofkapelle mit Reskript vom 3.5.1686 aufgelöst.32 Sein Nacfolger, Markgraf Georg Friedric (1678—1703), war zu diesem Zeitpunkt erst act Jahre alt, und die Regierungsgescäfte wurden von einem Vormund geleitet. Bereits am 5.6.1694, mit seczehn Jahren, erhielt Georg Friedric die venia aetatis, und zu seinen ersten Regierungsentsceidungen gehörte die Einstellung von Hofmusikern.33 Der Ausbildungszeit Pisendels am Ansbacer Hof war also eine actjährige Periode (1686—1694) vorausgegangen, in der die Ansbacer Residenz gar keine reguläre Hofkapelle besaß.34 Man kann jedoc davon ausgehen, daß die Kapellknaben, die seit 1694 im Zusammenhang mit der neuen Hofkapelle engagiert worden sind, auf ähnlice Weise eingesetzt wurden wie unter dem Markgrafen Johann Friedric.35 Als Pisendel in der ersten Jahreshälfte 1697 seinen Dienst als „Dis$antist“ und Kapellknabe in Ansbac antrat, war die Hofkapelle bereits wieder mit berühmten Musikern besetzt. Nac den Worten von V56 besteht die Ansbacer Hofkapelle „damahln größtentheils in einem Auszug von teutscen und ital. Virtuosen“. Dabei fällt auf, daß die „teutscen“ Virtuosen an erster Stelle genannt werden. Geleitet und angeführt wurde „sothane Capelle [von] dem berühmten Capellmeister Pisto$ci und dem vortrefflicen Con$ertmeister Torelli“. Anhand der bereits erwähnten Aufstellung des Hofstaats, dem „Reduktionslibell“ vom 28. Juli 1703, lassen sic diese Angaben aus V56 konkretisieren.36 An erster Position unter den Musikern der „Hoff Capelle“ wird Johann Christian Rau genannt, der bereits 1692 in Bayreuth als Direktor Musi$es tätig war und am 31 Vgl. Sacs 1910, 128-136. Mersmann 1916, 18, betont dagegen das Vorhandensein „triebfähiger deutscer Kräfte“, und Scmidt 1956, 63, 67, stellt fest, daß der französisce Stil besonders in der Oper und in den Instrumentalwerken dieser Zeit erkennbar werde, während in der Kircenmusik Italiener und Deutsce gleicmäßig vertreten sei. Dabei darf nict übersehen werden, daß der französisce Charakter dieser Periode weniger durc das Repertoire als durc die systematisce Ausbildung der Hofmusiker in der „französiscen Manier“ bestimmt wird. Zur Einführung des Geigenspiels „á la françoise“ in Ansbac wurden nämlic eigens Christoph Friedric Anscütz, Johann Sigismund Cousser und Johann (III) Fiscer eingestellt, vgl. Sacs 1910, 128, 131 und 135. 32 Erstmals nacgewiesen bei Scmidt 1956, 62. 33 Vgl. Scmidt 1956, 67. 34 Scmidt 1956, 63, weist darauf hin, daß die wiederholte Auflösung der Ansbacer Hofkapelle damit zusammenhängt, daß die Regenten des jüngeren Hohenzollern-Hauses seit 1603 jedesmal starben, bevor der jeweilige Erbrinz volljährig war, so daß während der vormundscaftlicen Regierung kein vollständiger Hofstaat gebildet wurde. In einer künftigen Studie wäre allerdings zu klären, wer in solcen Zeiten den Figuralgesang in der Hofkirce St. Johannis übernahm und welce Rolle die Lateinscüler dabei spielten. Erst beim Regierungswecsel 1703 bleibt die Hofkapelle, trotz einer vorübergehenden Reduktion, bestehen. 35 Auc die Dresdner Kapellknaben hatten im Jahr 1687 sehr ähnlice Pflicten, zu denen das Singen (auc italienisce Arien), Kircgang, Aufwartung, Scul-Information und der Instrumentalunterrict gehörten, vgl. Fürstenau 1861, 265. 36 Wiedergegeben in: Mersmann 1916, 41ff. Abbildung der betreffenden Seiten bei Treuheit 1987, 35ff.

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als Kammermusikus und Bassist in Ansbac angestellt wurde. Nac dem Wortlaut seiner Bestallung hatte er „sowohl bey der Hoff Capell als auc auff denen Theatris vo$aliter und instrumentaliter wie nict weniger […] mit übersetzung der opern und informirung in Musi$ seine unterthänigsten Dienste zu prestiren“.37 Seit 1698 wird er als Kapellmeister und 1699 als „itzt bestellter Italieniscer Se$retarius“ bezeicnet.38 Nac Rau werden die „Sängerin Paulina“ und der „Altist Bimbler“ aufgeführt. Die Sopranistin Christiana Paulina Kellner war als Tocter des oben genannten Ansbacer Hofmusikers etwa 1706—1709 in Stuttgart sowie 1710—1716 in Kassel als Opernsängerin erfolgreic.39 Nac Walthers Lexi$on stand sie noc um 1732 „als eine grosse Virtuosin und Sängerin […] in Hocfürstlicen Weissenfelsiscen Diensten.“40 Der berühmte Altist und Musiktheoretiker Georg Heinric Bümler, der als Bayreuther Kapellknabe von Ruggiero Fedeli im Gesang und auf dem Klavier ausgebildet worden war, wurde noc zu Lebzeiten von Mattheson als der größte „unter den Teutscen Sängern“ bezeicnet41 und kam 1698 nac Ansbac, wo er 1717 die Nacfolge Raus als Kapellmeister antrat. Als ein Gründungsmitglied der Mizlerscen „So$ietät der Musi$aliscen Wissenscaften“ wird er bereits in seinem Todesjahr 1745 mit einem detaillierten Nekrolog geehrt. Unter den übrigen deutscen Musikern ragt außerdem der Hautboisten-Informator Johann Wolfgang Wolf hervor, der scon 1682 Kapellknabe in Ansbac war und in dem Gutacten Küntzels erwähnt wird. Nac dem Tod des Markgrafen Johann Friedric 1686 bat der mittlerweile zum Kapellmusiker aufgerü%te Wolf um Entsendung an einen Hof, an dem „die französisce Musik in Blüte steht,“42 und wurde am 1.5.1694, kurz vor der Übernahme der Regierungsgescäfte durc den 16jährigen Markgraf Georg Friedric, erneut als Hofmusikus und „Hautboist“ in Ansbac eingestellt. In seiner Funktion als Leiter der stark besetzten Ansbacer Hautboisten-Bande wurde er von Pisto$ci sehr gescätzt.43 14.6.1696

Die italieniscen Musiker werden im „Reduktionslibell“ von 1703 in einer eigenen Rubrik geführt. An erster Stelle steht der Kapellmeister Fran$es$o Antonio Mamiliano Pisto$ci. Markgraf Georg Friedric hat den berühmten Altisten und Komponisten offenbar während seines Aufenthalts in Venedig engagiert,44 um die italienisce Oper in Ansbac zu etablieren, denn am 7.3.1696 berictet Pisto$ci dem Markgrafen aus Venedig, daß er die ihm aufgetragenen Ankäufe getätigt und Vorbereitungen für die Opernkleider getroffen habe.45 An zweiter Position wird Giuseppe Torelli mit dem Titel „Maistro di Con$erto“ genannt. Wahrsceinlic hat der Markgraf Torelli zusammen mit Pisto$ci engagiert, da die Musiker eng befreundet waren und er einen erfahrenen Orcesterleiter zur Verwirklicung seiner italieniscen

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Vgl. Mersmann 1916, 40. Vgl. Mersmann 1916, 28f und 39ff. 39 Vgl. Sacs 1910, 115. 40 WaltherL 338. 41 Vgl. Mattheson 1739, 95. 42 Vgl. Sacs 1910, 130. Dort hat er wahrsceinlic sein Oboespiel vervollkommnet. 43 Pisto$ci lobt ihn in einem Brief an den Markgrafen vom 20./30.9.1697, vgl. Mersmann 1916, 21f, mit aktualisierter Quellenangabe bei Scmidt 1956, 68. 44 Dubowy 1995, 75. 45 Mersmann 1916, 23. 38

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Opernprojekte braucte.46 Als dritter der „Italiäniscen Musi$i“ wird der Violon$ellist und Gambist „Sonetta mit seinem Weib“ aufgeführt, den Pisto$ci am 4.4.1696 in Bologna für Ansbac engagiert hatte.47 Unter den regulären Mitgliedern der Hofkapelle wird außerdem der „Italiänisce Organist Rizzeti“ genannt. Mit der allgemeinen Bezeicung „Organist“ ist jedoc kein Orgelspieler im engeren Sinne gemeint, denn der Katholik Rizzetti war sicer nict für das Orgelspiel in der protestantiscen Hofkirce zuständig, sondern fungierte wohl eher als Cembalist bei Opern- und Tafelmusik. Die Hofkircenmusik ihrerseits wurde offenbar von dem als „LandscafftsRegistrator“ besoldeten Organisten Weidling sowie dem Kantor Wagner besorgt. Aus dem „Reduktionslibell“ geht außerdem hervor, daß im Jahr 1703 secs Kapellknaben bei der Ansbacer Hofkapelle angestellt waren, nämlic Köhler, Heldt und die Brüder Bomhardt, dazu „Noc zwey Capellen Knaben worauff der Capellm[!]Meister Rau die Außspeißung bekom[m]bt, nahmentlic Pißsendel und Bößwilbald.“48 Die Brüder Johann August und Johann Andreas Bomhardt sind als Söhne des Ansbacer Hoftrompeters Johann Christoph Bomhardt identifizierbar und werden noc 1735 unter den Hofmusikern in Ansbac genannt.49 Auc der Kapellknabe Johann Hermann Köhler (* 1686) stammt aus Ansbac. Nac zeitgenössiscen Angaben war der „berühmte Violinist“ Köhler ein Scüler Torellis und reiste 1710 nac Venedig, Rom und Neapel.50 1732 stand er „als Cammer-Registrator und Premier Violinist in Marggräflic Anspaciscen Diensten“ und starb am 16.4.1740 als Ansbaciscer Kammersekretär und Hoforganist.51 Der nict näher identifizierbare Kapellknabe Heldt stammt möglicerweise ebenfalls aus Ansbac, denn wie seine ortsansässigen Kollegen erhält er als Stipendium je „75. fl. –. Cost Geldt“ jährlic. Johann Georg Pisendel, der von auswärts kam, wurde zusammen mit dem Kapellknaben Bößwillibald in der Wohnung des Kapellmeisters Rau untergebract, denn nac dem Wortlaut der Bestallung gehörte die „informirung in Musi$“ zu dessen Dienstpflicten. Daher erhält Rau eine „Außspeisung“ für seine beiden Zöglinge, die dem Kostgeld für die übrigen Kapellknaben entsprocen haben dürfte. Wie diese wird Georg Jakob Bößwillibald später als Hofmusikus und Diskantist in Ansbac angestellt und ist noc 1723 als Kammermusikus nacweisbar.52 Zusammen mit Pisendel sceint er eine bevorzugte Stellung unter den Kapellknaben eingenommen zu haben, denn es muß als ein besonderes Privileg verstanden werden, im Haushalt des Kapellmeisters Rau wohnen zu dürfen. Pisendel und Bößwillibald erhielten hier nict nur einen besonders intensiven Unterrict, sondern darüber hinaus auc Einbli%e in die Arbeitsweise eines Hofkapellmeisters, die das Verwalten und Abscreiben von Musikalien mit einscloß. Vermutlic ist auc Pisendel als Kapellknabe zur Kopier46

Bereits kurz nac der Ankunft der beiden Musiker in Ansbac stellt Georg Friedric der Berliner Markgräfin Sophie Charlotte in einem Brief vom 14.8.1696 seinen „Capellen-Meister Pistoki“ und „deßen Cameraden Torelli“ für ein Gastspiel zur Verfügung (zitiert nac Wagner 1987, 17). 47 Vgl. Mersmann 1916, 22 (dort irrtümlic mit dem Datum „4.4.1695“) und 24. 48 Staatsarciv Nürnberg, Fst. Ansbac - Arciv Akten, Rep. 131, fol. 13r. Abbildung bei Treuheit 1987, 38. 49 Vgl. Scmidt 1956, 75. 50 WaltherL, 344, und Mattheson 1740, 52. 51 Vgl. Scmidt 1956, 78. 52 Laut Sacs 1910, 130, ist Bößwillibald nur bis 1704 nacweisbar. Mersmann 1916, 45, nennt dagegen eine Quelle aus dem Jahr 1708, und Scmidt 1956, 76, weist ihn noc in den „Tauer-a$ta“ von 1723 nac.

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arbeiten herangezogen worden, denn die frühesten bekannten Beispiele seiner unverwecselbaren Handscrift zeugen bereits von geübter Hand. Da Pisendel in den ersten secs Jahren am Ansbacer Hof als „Dis$antist“ angestellt war, dürfte zunäcst seine Gesangsausbildung, die sein Vater begonnen hatte, fortgesetzt und intensiviert worden sein. In erster Linie wird Pisendels Diskantstimme wohl in der Figuralmusik der protestantiscen Hofkirce erklungen sein.53 Als Gesangslehrer für Pisendel kamen der an der Scule St. Johannis angestellte Kantor Wagner sowie der Bassist und Kapellmeister Rau, bei dem Pisendel wohnte, in Frage. Da der vielbescäftigte, katholisce Opernkapellmeister Pisto$ci sic wohl in erster Linie um die Einstudierung seiner Bühnenwerke zu kümmern hatte, ersceint es unwahrsceinlic, daß er auf den täglicen Unterrict der „Diskantisten“ Einfluß genommen hat.54 Dagegen ist anzunehmen, daß sein Gesangsstil und seine Künstlerpersönlickeit einen starken Eindru% bei den secs Ansbacer Kapellknaben hinterlassen hat und sic auf deren eigene Entwi%lung auswirkte.

Als Violinist in der Ansbacer Hofkapelle Bis zum Tod des Markgrafen Georg Friedric im Spaniscen Erbfolgekrieg 1703 waren Pisto$ci und Torelli noc formal bei der Hofkapelle bescäftigt. Als beide Ansbac im Herbst 1700 verließen, war also durcaus denkbar, daß sie nac der Rü%kehr des Markgrafen aus dem Krieg ebenfalls wieder zurü%kehren würden.55 Wer in dieser Zeit den Geigenunterrict der Kapellknaben fortsetzte, läßt sic nict feststellen. Allerdings könnte einer der zurü%gebliebenen italieniscen Musiker diese Aufgabe übernommen haben, denn die Italiener wurden erst entlassen, als der Halbbruder Georg Friedrics, Markgraf Wilhelm Friedric, die Regierung übernahm und der Hofstaat reduziert wurde. Aus den Bestimmungen des „Reduktionslibells“ vom 28.7.1703 geht hervor, daß der „Italiänisce Organist Rizzeti“ und der Violon$ellist Sonetta sic zu dieser Zeit noc in Ansbac aufhielten: Italiäniscer Orga= Wird li$entirt und damit gehet nist Rizzeti - - - - - - - - […] - - - - seine ganze Besoldung ab. […] Capellmeister Pistoci mit einem Diener - - - - - - - Torelli Maistro di Con$erto. - - - - - - - - - -

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Denen soll durc den Capellmeister Rauhen, daß man ihrer weiter nict verlange, noc sie sic einiger Besoldung von hierauß zu getrösten hetten, förderlic überscrieben werden.

Es ist eher unwahrsceinlic, daß Pisendel in Frauenrollen zu Opernaufführungen herangezogen worden ist, wie Küntzel seinerzeit in dem zitierten Gutacten vorgesclagen hatte, denn für die Oper standen ja hocbezahlte Sängerinnnen wie Agata Vignali und Paulina Keller zur Verfügung. 54 Jung 1956, 8, setzt irrtümlic voraus, daß ein Unterrict auc bei Pisto$ci stattgefunden hat. 55 Die Vermutung von Jung 1956, 11, daß der Kapellknabe Köhler 1701 zusammen mit Torelli nac Bologna gegangen sei, geht auf einen Hinweis von Scmidt 1956 zurü% (vgl. Jung 1956, Anm. 25), der aber jeder quellenmäßigen Grundlage entbehrt. Allerdings verließ ein anderer junger Geiger Ansbac zusammen mit Pisto$ci und Torelli, den Pisto$ci in Bologna wie einen eigenen Sohn erzogen haben soll: Johann Reinhard Bullmann, der in italieniscen Dokumenten „Rinaldo Bulmain“ genannt wird, vgl. MGG1 X, 1303. Möglicerweise ist er es, der im „Reduktionslibell“ als Pisto$cis Diener erwähnt wird. Jedenfalls ist er 1723 als Geiger der Mannheimer Hofkapelle nacweisbar, vgl. Würtz 1975, 36.

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Violon$ellist Sonet bleibt bey seiner scon einmahl erlangten dimission ta mit seinem Weib. - - - - - - - - - und wollen S.e Hocfürstl. Dhlt. ihne nict mehr re$ipiren.56

Der Regierungswecsel bedeutete auc für die secs im „Reduktionslibell“ genannten Kapellknaben einen Einscnitt, denn der Befehl des Markgrafen Wilhelm Friedric lautete, daß „nur zwei, welce man am besten gebraucen kan, behalten […] und die […] vor Sie bishero auffgewandte Costen, so viel als im[m]er thunlic eingezogen werden“ sollen: HoffCapelle. CapellenJung Köhler. - - - - - - - Heldt. - - - - - - beede Bom[m]hardt. Noc zwey Capellen Knaben, worauff der Capellm[!]Meister Rau die Außspeißung bekom[m]bt, nahmentlic Pißsendel und Bößwilbald.57

derzeit habende Be= soldungs Stü%. 75 fl.–. Costgeldt. - - - - - - - - - 150 fl.–. Costgeldt.

- - - - - - - - - -

abgehende Besoldungs= Stü% und Diener. Der Capellen Jungen sollen nur zwey, welce man am besten gebrau cen kan, behalten, diesen ein Costgeldt von 55 fl. gegeben, und die übrige vor Sie bishero auffgewandte Costen, so viel im[m]er thunlic eingezogen werden.

Angesicts dieser Anordnung stellt sic die Frage, ob Pisendel zu jenen zwei Kapellknaben gehörte, die weiterbescäftigt werden sollten. Sicer ist, daß seine Kollegen Bößwillibald und Köhler nict dazu gehörten, denn für beide ist eine erneute Bestallung aus dem Jahr 1705 nacweisbar.58 Nac den Angaben aus V56 war Pisendel „an dem Anspaciscen Hofe 6. Jahr als Dis$antist, und nac Verminderung der Stimmen noc 5. Jahr als Violinist“ angestellt. Nimmt man diese Angaben ernst, dann kann seine Tätigkeit als „Dis$antist“ nict viel länger als bis zum Regierungswecsel gedauert haben, denn wenn man von den verbürgten Daten, daß Pisendel am 28.7. 1703 noc Kapellknabe war und im März 1709 seine Dimission als Violinist erhielt, zurü%recnet, ergibt sic die eingangs erwähnte Lü%e im Lebenslauf, die vom Datum des „Reduktionslibells“ bis etwa März 1704 andauert. In diesem Zeitraum von etwa act Monaten war Pisendel offensictlic nict am Ansbacer Hof angestellt. Ein weiterer Grund, warum der damals fünfzehnjährige „Dis$antist“ Pisendel wohl nict zu jenen zwei Kapellknaben gehörte, „welce man am besten gebraucen kan,“ wird in V56 angedeutet, denn seine Anstellung als „Violinist“ soll erst „nac Verminderung der Stimmen“ erfolgt sein, und bei dem langjährigen Kapellknaben Pisendel stand der Stimmbruc wahrsceinlic unmittelbar bevor. Allerdings fanden während des Trauerjahrs nac dem Tod des Markgrafen Georg Friedric ohnehin

56

StA Nürnberg, Fürstentum Ansbac — Arciv Akten, Repertorium 131, fol. 7 (Abbildung in Treuheit

1987, 37 und 39). Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 4. 57

StA Nürnberg, Fürstentum Ansbac — Arciv Akten, Repertorium 131, fol. 7 (Abbildung in Treuheit 1987, 38). Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 4. 58 Zu Bößwillibald vgl. Sacs 1909/10, 136, und Scmidt 1956, 74. Die Bestallung Köhlers ist in der

Literatur zur Ansbacer Musikgescicte bislang noc nict erwähnt: Staatsarciv Nürnberg, Ansbacer Bestallungsbriefe Nr. 433, 97. Für die Übersendung von Auszügen aus der Ansbaciscen Beamtenkartei danke ic Herrn Stadtarcivar Werner Bürger, Ansbac.

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keine musikaliscen Aufführungen statt. Gewöhnlic nutzten Hofmusiker solce Perioden, um sic fortzubilden.59 Pisendel könnte in dieser Zeit zu seinem Vater nac Cadolzburg zurü%gekehrt sein und später seine Sculstudien in Ansbac intensiviert haben, denn laut V56 besucte er „nac seines Vaters Absict, der ihn denen Studiis gewidmet, zugleic dasiges Gymnasium“. Offensictlic hat Pisendel diesen Sculbesuc sehr ernst genommen, wie seine in V67 erwähnte Gewohnheit zeigt, bei seinen täglicen Andacten die Bibel in „den beiden Grundspracen“ (Hebräisc und Griecisc) zu lesen. Außerdem konnte bereits oben festgestellt werden, daß der Besuc der Lateinscule zur Ausbildung der Ansbacer Kapellknaben gehörte. Arcivalien zum Sculbesuc Pisendels sind bislang nict bekannt geworden, und die Suce wird dadurc erscwert, daß es in der Residenz Ansbac strenggenommen kein Gymnsaium, sondern nur die Lateinscule bei der Hofkirce St. Johannis gab, die erst 1736 zum „Gymnasium illustre Carolinum“ aufgewertet wurde. Als „Anspacisces Gymnasium“ wurde dagegen die etwa zwanzig Kilometer außerhalb der Residenz gelegene Fürstenscule im ehemaligen Zisterzienserkloster Heilsbronn bezeicnet, die auc vom benacbarten Fürstentum Brandenburg-Bayreuth besci%t und nac jahrelangen Streitigkeiten 1736 aufgelöst wurde.60 Daß ehemalige Kapellknaben des Ansbacer Hofs auf diese Scule gesci%t wurden, ist dem Lebenslauf von Johann Wolfgang Wolf junior zu entnehmen, der ein Sohn des oben erwähnten Hautboisten-Informators gleicen Namens war. Über den 1704 geborenen Musiker, der beim Tod des Markgrafen Wilhelm Friedric im Jahr 1723 noc als Kapellknabe geführt wird,61 screibt Gerber: Er war anfangs zu Anspac eine Zeitlang Kapellknabe; kam drauf auf das Gymnasium im Kloster Heilbrunn, und bracte es daselbst, vermittelst des Unterricts eines italiäniscen Virtuosen auf dem Violonzelle, zu einem vorzüglicen Grade der Fertigkeit auf diesem Instrumente.62

Offenbar konnten die Scüler der Fürstenscule Heilsbronn, wo neben den alten Spracen seit 1678 auc Französisc und Italienisc unterrictet wurde,63 nac 1723 auc einen ansprucsvollen Instrumentalunterrict erhalten. Aufgrund dieser Angaben von Gerber, die hier erstmals im Rahmen der Ansbacer Musikgescicte ausgewertet werden, liegt die Vermutung nahe, daß es sic bei dem „italiäniscen Virtuosen auf dem Violonzelle“ um den ehemaligen Ansbacer Hofmusiker Sonetta handelt. Unterstützt wird diese Vermutung durc die Formulierung in dem zitierten „Reduktionslibell“ von 1703. Offenbar hatte der „Violon$ellist Sonetta mit seinem Weib“ sic nämlic bemüht, in Ansbaciscen Diensten zu bleiben, denn die Antwort des Markgrafen bekräftigte dessen „scon einmahl erlangte dimission“. Falls es sic bei dem Heilsbronner Cellisten tatsäclic um Sonetta handelt, darf angenommen werden, daß er nac seiner Entlassung von 1703 im Raum Ansbac geblieben 59

Vgl. Sacs 1909/10, 125, oder Quantz-Autobiographie 1754, 202. Werzinger 1993, 213. Vgl. auc Junger 1971, 203. 61 Die Angabe des Geburtsjahres bei Gerber wird durc einen Eintrag vom 2. März 1704 im Taufbuc St. Johannis, Ansbac (Sign. 46 - 13, S 420, Nr. 52) bestätigt, wie mir Herr Stadtarcivar Bürger freundlicerweise mitteilte. Zur Erwähnung Wolfs als Kapellknabe vgl. Scmidt 1956, 76. 62 GerberATL, 829. 63 Vgl. Junger 1971, 174ff. 60

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ist. In diesem Fall käme er sogar als Lehrer für Pisendel zwiscen 1700 und 1709 in Frage, denn das Cellospiel unterscied sic in dieser Zeit auc grifftecnisc nict wesentlic vom Geigenspiel.64 Im Rahmen einer künftigen Arbeit zur Ansbacer Musikgescicte muß daher geklärt werden, ob Sonetta in den Akten der Fürstenscule zu Heilsbronn, möglicerweise als italieniscer Spraclehrer, nacweisbar ist.65 Allerdings kann Pisendel während seiner Zeit als Kapellknabe und Violinist am Ansbacer Hof nict gleiczeitig Scüler der Fürstenscule Heilsbronn gewesen sein, denn die Entfernung von fast zwanzig Kilometern war dafür zu groß. Auc die Formulierung aus V56, Pisendel habe in seiner Ansbacer Zeit „zugleic dasiges Gymnasium“ besuct, sprict gegen Heilsbronn, denn hiermit kann nur die Ansbacer Lateinscule St. Johannis gemeint sein, obwohl diese offiziell erst 1736 zum Gymnasium wurde.66 Dennoc bezeicnet der durc die Bac-Forscung berühmte Lorenz Christoph Mizler diese Scule in seiner Autobiographie von 1740 ebenfalls als „das Hocfürstl. Gymnasium zu Anspac“. Mizler besucte diese Scule von 1725 bis 1731, und aus seiner Angabe, er habe mehrere Jahre lang Violinunterrict bei dem „Hocfürstl. Kammermusikanten und Violinisten, Carl“ erhalten,67 geht hervor, daß die Scüler der Lateinscule St. Johannis einen ebenso qualifizierten Musikunterrict erhielten wie in Heilsbronn. Den Beleg dafür, daß Pisendel tatsäclic in Ansbac selbst zur Scule ging, liefert jedoc ein weiterer Scüler der Lateinscule St. Johannis, der ebenfalls durc die Bac-Forscung berühmt geworden ist. Der Altphilologe Matthias Gesner nämlic, der sic in seiner Zeit als Rektor an der Leipziger Thomasscule 1730—34 für Bac eingesetzt hatte, war bis 1710 Kurrendescüler in Ansbac68 und damit ein Mitscüler des vier Jahre älteren Pisendel. In den Erinnerungen an die pädagogiscen Verdienste seines Lehrers und damaligen Ansbacer Rektors Georg Ni$olai Köhler, die in Briefform gedru%t und mit dem 9.4.1744 datiert sind, widmet er auc Johann Georg Pisendel einige Bemerkungen. Da er ihn jedoc nict mit Namen nennt, ist diese für Pisendels Ansbacer Zeit wictige Quelle bislang unbekannt geblieben und wird hier erstmals wiedergegeben: Erat inter nostros $ommilitones ($uius quamquam aliquantum iunioris fortasse ipse etiam re$ordaris) homo a litteris reliquis aliquantum alienus, sed qui enixam in musi$is, feli$issimamque, operam ponebat: hi$ iam tum eloquutionis etiam musi$ae ($ompositionem vo$ant artifi$es) initia arripuerat, et dum di$tata de philosophia, aut materiem orationis s$ribebant alii, suum $odi$em notis musi$is implebat, et manibus pedibusque metiebatur numeros.

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Vgl. Walden 1998, 106f, vgl. auc Hiller 1792, 3, und Petri 1782, 419, 425. Ohnehin standen im fortgescrittenen Unterrict musikalisce und aufführungspraktisce Fragen im Vordergund. 65 Junger 1971, 175f, nennt leider nur einige Namen von französiscen Spraclehrern zwiscen 1696 und 1699. 66 Entweder ist die Ansbacer Lateinscule bereits vor 1736 als „Gymnasium“ bezeicnet worden, oder sie wurde in den späteren Bericten rü%bli%end so genannt. 67 Vgl. Mattheson 1740, 230. Daß es sic bei der genannten Scule nict um die Fürstenscule in Heilsbronn handelt, läßt sic anhand des von Mizler erwähnten Rektors namens Oeder bestätigen, der in der Aufstellung der Heilsbronner Rektoren bei Junger 1971, 221ff, fehlt. 68 Vgl. Screibmüller 1928, 41.

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Non erat ita hebes Prae$eptor noster, vt non animaduerteret, illum alia omnia agere: sed quod illum mallet aliud agere, quam nihil agere (ho$ est frustra et inuita Minerua tra$tare alias litteras) prudenter dissimulabat. Hi$ egregius non ita multo post Musi$us fa$tus hodie eminet in eo ipso genere in ipsis prin$ipibus, et lu$rosiorem expertus est eam artem, quam mille alii litteras.69

Besonders die abscließende Bemerkung Gesners, daß der Ungenannte „heute“ in seinem Fac ein führender Kopf sei und damit mehr Geld verdiene als tausend andere mit ihrer Wissenscaft, kann als eindeutiger Hinweis auf Pisendel verstanden werden, denn dieser leitete 1744 als Dresdner Konzertmeister ein berühmtes Virtuosenorcester und empfing mit 1200 Talern jährlic ein fürstlices Gehalt. Der leict spöttisce Unterton Gesners jedoc, der an der Wortwahl „homo“ und „egregius“ erkennbar wird,70 zeigt, daß es sic hier nict um eine lebensecte Scilderung, sondern um eine Karikatur Pisendels handelt, die das weise Handeln des Rektors Köhler in einem umso strahlenderem Lict ersceinen lassen sollte. Dennoc kann den Erinnerungen Gesners entnommen werden, daß Pisendel unter seinen Mitscülern als leidenscaftlicer Musiker galt und während des Sculunterricts Noten aufoder abscrieb. Daß er dabei mit Händen und Füßen geklopft haben soll, veranscaulict, wie sehr Pisendel in diese Tätigkeit vertieft war. Offensictlic hat der siebzehnjährige Pisendel nac seiner Anstellung als Violinist seine Sculstudien fortgesetzt, denn nac den Angaben von V56 hat er „zugleic dasiges Gymnasium freqventiret“. Das Datum der Anstellung kann jedoc nur aus dem Lebenslauf Pisendels ersclossen werden, denn ein Bestallungsreskript Pisendels ist nict erhalten, so daß über die Art seiner Anstellung und seine Dienstpflicten keine genauen Informationen vorliegen.71 Solce Dokumente sind dagegen im Fall seiner ehemaligen Kapellknaben-Kollegen Bößwillibald und Köhler überliefert, die, wie oben erwähnt, erst im Jahr 1705 wieder angstellt wurden. Georg Jakob Bößwillibald wird dabei als Dis$antist und Hofmusiker bezeicnet,72 während der neunzehnjährige Torelli-Scüler Johann Hermann Köhler 1705 nict als Hofmusiker, sondern interessanterweise als Beamter angestellt wird. Laut Bestallungsbrief aus dem Jahr 1705, auf den hier erstmals aufmerksam gemact wird, „erhält [er] 1704

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Zitiert nac Gesner 1745, 240. Die folgende Übertragung lehnt sic eng an den lateiniscen Wortlaut an und soll nict als gescliffene Übersetzung verstanden werden: Es war unter unsern Mitscülern ein den übrigen Wissenscaften ziemlic abgeneigter Mensc (dessen du dic vielleict auc selbst als eines freilic bedeutend jüngeren erinnerst), der aber eifrige und sehr erfolgreice Mühe auf die Musik verwandte: dieser verfügte scon damals über Anfangskenntnisse der musikaliscen Ausdru%skunst (Komposition nennen es die Künstler), und während andere Lektionen über Philosphie oder Stoff für eine Rede aufscrieben, füllte er sein Heft mit Musiknoten und maß mit Händen und Füßen den Takt. Unser Lehrer war aber nict so stumpf, daß er nict bemerkt hätte, daß jener alles andere tat: aber weil er lieber wollte, daß jener anderes tut als daß er nicts tut (das heißt, daß er die anderen Wissenscaften nutzlos und ohne innere Berufung behandelt) verhehlte er es klug. Dieser Außerordentlice ist nict so lange danac Musiker geworden, zeigt sic heute sogar als führender Kopf seines Faces und hat diese Kunst als gewinnbringender erfahren als tausend andere ihre Wissenscaften.

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Für die faclice Beratung bei der Übersetzung des Textes und seiner Zwiscentöne danke ic Herrn Andreas Glo%. 71 In der Ansbaciscen Beamtenkartei des Staatsarcivs in Nürnberg ist lediglic Pisendels Erwähnung im „Reduktionslibell“ verzeicnet. 72 Bestallung vom 9.5.1705, vgl. Sacs 1909/10, 136, und Scmidt 1956, 74.

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A$$ess bei der Kammerkanzlei, soll aber bei Kircen- Tafel- u. anderer Musik sic einfinden“.73 Offenbar verfügte auc Köhler über eine gute Sculbildung, zeigte jedoc keine weiteren wissenscaftlicen Ambitionen, indem er sic früh auf eine Beamtenkarriere am Ansbacer Hof festlegte.74 Nacforscungen, ob auc Pisendel mit Verwaltungsaufgaben betraut worden ist, blieben bislang negativ. Vorstellbar ist allerdings, daß Pisendel lieber seine musikaliscen und wissenscaftlicen Studien fortsetzte, um sic auf die „Hohe Scule“ vorzubereiten, als in einer Amtsstube zu sitzen. Aus V56 geht jedenfalls hervor, daß „er sic im Martio 1709. nacer Leipzig gewendet, seine Studia fortzusetzen.“ Möglicerweise lag der Scwerpunkt seiner Ansbacer Studien auf den Spracen und der Theologie, wie in dem Sinngedict Telemanns auf Pisendel anklingt: Durc der Weisen Mund gelehret, Einer Kanzel würdig seyn, Spracen, die man auswärts höret, Sic mit reifer Einsict weihn;75

Offenbar stellten Pisendels Sculstudien eine wictige Voraussetzung für den künftigen Wecsel in die berühmte Universitätsstadt Leipzig dar, den Pisendel zu dieser Zeit vielleict auc wegen der Aktivitäten Telemanns in dieser Stadt im Auge gehabt haben mag. Nacdem also festgestellt werden konnte, daß Pisendel Scüler der Lateinscule St. Johannis zu Ansbac war, steht zu erwarten, daß Pisendel in einer künftigen Darstellung der Ansbacer Musikgescicte eine größere Rolle spielen wird und daß in diesem Zusammenhang zumindest unter den Sculakten dieser Zeit noc weitere Pisendel-Dokumente gefunden werden können.76 Da zur Ansbacer Musikgescicte nac 1703 bislang keine zusammenhängende Studie vorliegt, bleiben gerade bei der Untersucung des Repertoires, das Pisendel als Violinist der Ansbacer Hofkapelle von 1704 bis 1709 spielte, zahlreice Fragen offen. Ausgehend von der Person des Kapellmeisters und Bassisten Rau, den Scmidt als „ausgesprocenen Opernkapellmeister“ carakterisiert,77 wird zwar vermutet, daß auc weiterhin Opern aufgeführt worden seien, denn nac dem „Reduktionslibell“ wurden auc die Sängerin Paulina Keller (bis 1706) und der Altist Bümler weiterbescäftigt, aber auc für diese These stehen die Belege noc aus. Für Pisendels Werdegang dürfte die Zeit zwiscen 1704 und 1709 von grundlegender Bedeutung gewesen sein, denn seine herausragenden Fähigkeiten als Geiger der italieniscen Scule, die offensictlic bereits im Leipziger Collegium musi$um voll ausgebildet waren, können nict allein durc den Unterrict des Zwölfjährigen bei Torelli erklärt werden. Ob Pisendel seit seiner Anstellung als Violinist überhaupt regelmäßigen Unterrict erhielt und worin dieser bestanden haben könnte, ist nict bekannt. Dennoc kann eine Abmahnung vom 2.10.1708 an seinen ehemaligen 73

Staatsarciv Nürnberg, Ansbacer Bestallungsbriefe Nr. 433, 97 (Dokumente sind nict mehr vorhanden, zitiert nac dem Eintrag im Repertorium 117/495). 74 Herausragende Musiker übernahmen in Ansbac häufig Verwaltungsaufgaben, vgl. Scmidt 1956, 76f. 75 Vgl. V67, 292. 76 Die Arcivalien der Ansbacer Lateinscule St. Johannis aus der Zeit vor 1736 lagern in der Außenstelle des Staatsarcives Nürnberg in Lictenau und konnten vom Verfasser leider nict eingesehen werden. 77 Scmidt 1956, 75.

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Mitbewohner aus Diskantisten-Tagen, Bößwillibald, „daß er sic künfftighin mit mehr Fleiß als bishero gescehen sic in der musik übe und darin sic zu perfe$tioniren tracte“,78 als ein Indiz für die musikalisce Weiterbildung Pisendels verstanden werden, nict nur, weil von den jungen Hofmusikern offenbar erwartet wurde, daß sie sic weiter qualifizierten, sondern auc, weil zu Pisendel eben keine solce Abmahnung überliefert ist. Als Pisendels Geigenlehrer nac dem Weggang Torellis bringt Jung den Hofmusiker Johann Wolfgang Wolf ins Spiel und bezeicnet ihn als Konzertmeister,79 obwohl es dafür keinen Beleg in den Quellen gibt. Zwar spielt Wolf, der in der sogenannten Französiscen Periode der Ansbacer Hofmusik als Geiger ausgebildet und bis 1686 als „violist“ angestellt worden war,80 in der Italieniscen Periode als HautboistenInformator eine wictige Rolle. Über eine spätere Tätigkeit als Geigenlehrer ist dagegen nicts bekannt. Da er aber später seinen eigenen Sohn zu jenem „italiäniscen Virtuosen“ nac Heilsbronn sci%te, lohnt es sic auc im Hinbli% auf Pisendel, dessen möglice Identität mit Sonetta zu überprüfen. Bis dahin muß die Frage, wer den Geigenunterrict im italieniscen Stil nac 1700 fortgesetzt haben könnte, offen bleiben.81 Es ist anzunehmen, daß ein Unterrictsverhältnis allgemeinerer Art zum Kapellmeister Rau bestanden hat, bei dem Pisendel als Kapellknabe gewohnt hatte und wahrsceinlic auc im Gesang ausgebildet worden war.82 Vermutlic hatte sic Rau selbst längere Zeit in Italien aufgehalten, und als „Italieniscer Se$retarius“ des Markgrafen Georg Friedric verfügte er wahrsceinlic über gute Kontakte nac Italien.83 Wie aus dem oben zitierten „Reduktionslibell“ von 1703 hervorgeht, wird er auc von seinem neuen Dienstherrn Wilhelm Friedric mit der italieniscen Korrespondenz mit Pisto$ci und Torelli beauftragt. Darüber hinaus ist aus der Korrespondenz mit italieniscen Agenten bekannt, daß regelmäßig Musikalien nac Ansbac übersandt wurden.84 Kapellmeister Rau wird also auc weiterhin mit den neuesten Instrumentalkompositionen aus Italien versorgt worden sein. Da sein Verhältnis zu 78

Zitiert nac Mersmann 1916, 44f. Jung 1956, 8. Vgl. Scmidt 1956, 63. 81 Am Rande soll darauf hingewiesen werden, daß zu dieser Zeit der italienisce Geiger Carlo Fiorelli in der Nacbarresidenz Bayreuth angestellt war und dort beispielsweise von 1707 bis 1708 den mit Pisendel fast gleicaltrigen Geiger Johann Adam Bir%ensto% ausbildete, der zuvor ein Jahr bei dem Konzertmeister Woulmyer in Berlin studiert hatte, vgl. WaltherL, 95. Im selben Jahr, als Fiorelli 1709 auf die Position des Premier Violon und Kammerkompositeurs nac Dresden berufen wurde, begann Pisendel sein Studium in Leipzig, wo der ebenfalls nac Dresden gewecselte Konzertmeister Woulmyer auf ihn aufmerksam wurde. Nac dem Tod Fiorellis 1711 wurde Pisendel noc im Dezember des gleicen Jahres als Nacfolger auf dessen Stelle berufen, vgl. Abscnitt II, 2: „Stellenangebote aus Darmstadt und Dresden“. 82 Die Biographie Raus ist bislang leider noc nict untersuct worden. Zu einigen biographiscen Daten vgl. Mersmann 1916, 39ff. Ergänzend: WaltherL, 513, erwähnt ihn als Buffo-Sänger in Pisto$cis Le pazzie d’amore 1699. Auc Johann Paul Kuntzen nennt „Christian Rau, in Anspac“ seinen Lehrer, vgl. Mattheson 1740, 161. Dieser Unterrict muß jedoc in den letzten Lebensjahren Raus stattgefunden haben, da Kunzen erst nac 1719 eine Reise nac Ansbac unternahm. Die Lebensdaten Raus werden hiermit erstmals mitgeteilt: Nac dem Sterbeeintrag im Ansbacer Kircenbuc St. Johannis (Sign. 46 73, 415, Nr. 149) starb Rau am 12.9.1721 in Ansbac, im Alter von 66 Jahren, als Kapellmeister. Sein Geburtsjahr ist also mit 1650 zu erscließen. Möglicerweise war er längere Zeit krank, denn Bümler wurde bereits 1717 zum Kapellmeister und dessen Nacfolger ernannt, vgl. Hiller 1784, 55. 83 Scmidt 1956, 75. 84 Vgl. Mersmann 1916, 25, und Dubowy 1995, 78. 79 80

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Pisto$ci und Torelli gut gewesen zu sein sceint,85 mögen sogar auc Sendungen aus Bologna darunter gewesen sein. Entsceidend für den zeitgenössiscen Ruf Pisendels, ein in der italieniscen Scule ausgebildeter Geiger zu sein, war also das während Pisendels Zeit als Violinist der Hofkapelle in Ansbac gespielte Repertoire, das wahrsceinlic auc neue italienisce Kompositionen enthielt. Nac der Erinnerung Gesners hat Pisendel in dieser Zeit auc selbst Kompositionsversuce gemact. Ob er dazu eine Anleitung erhielt oder ob diese Versuce autodidaktisc waren, ist nict zu entsceiden. Kapellmeister Rau jedenfalls ist bislang nict als Komponist bekannt geworden, während dessen Nacfolger Bümler, der als Altist ein langjähriger Kapellkollege Pisendels war, unter anderem zwei Kantatenjahrgänge für Ansbac komponiert hat. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß der Violinist und Komponist Kaspar Scweitzelsperger, der nac seiner Bestallung vom 3.7.1708 zu den bestbezahltesten Musikern am Ansbacer Hof gehörte,86 ebenfalls als Lehrer tätig war und neben der Violine auc die Viola d'amore unterrictete.87 Da die Viola d'amore ein Lieblingsinstrument Pisendels aus seiner Dresdner Anfangszeit war, könnten entsprecende Anregungen auc von Scweitzelsperger ausgegangen sein, zumal das in Pisendels Notenbibliothek erhaltene Repertoire für Viola d'amore mit Werken von Joseph Brentner, Wilhelm Gansbe% und Franz Simon Scucbauer auf frühe Wurzeln in Süddeutscland hinweist.88 Sicer gehörte Pisendel zu den herausragenden jungen Geigern der Ansbacer Hofkapelle, denn V67 führt an, daß der Markgraf Interesse an der Rü%kehr Pisendels gezeigt habe und ihn „nac Maasgebung seiner Gesci%lickeit“ weiter befördern wollte. Möglicerweise stand er jedoc in einem Konkurrenzverhältnis zu seinem älteren Kollegen Köhler, der ja ein Mitscüler bei Torelli gewesen war, und den der Markgraf ein Jahr nac Pisendels Weggang für eine Studienreise nac Italien beurlaubte. Ob Pisendel in Ansbac auc Erfahrungen als Solist und Orcesterleiter sammeln konnte, was aufgrund seiner späteren Funktionen in Leipzig denkbar wäre, kann nict festgestellt werden, denn die für Pisendels Biographie so wictige Phase in der Musikgescicte Ansbacs, das Musikleben unter Wilhelm Friedric, ist bislang kaum erforsct worden. Dabei erstre%t sic der Forscungsbedarf auc auf die Italienisce Periode unter der Regierung des Markgrafen Georg Friedric, da nict nur die älteren Veröffentlicungen in wictigen Punkten korrigiert werden müssen, sondern auc neues Quellenmaterial wie beispielsweise das Manuskript der Oper Il Nar$iso und die Kantatensammlung Scerzi musi$ali von Pisto$ci identifiziert werden konnten.89 Auc der Aspekt der Vermiscung der nationalen Stile in den Ansbacer Werken Pisto$cis und Torellis als Vorläufer des „vermiscten Gescma%s“, der in Pisendels Dresdner Jahren eine wesentlice Rolle spielt, ist bislang nict untersuct worden. 85

Vgl. den undatierten Brief Pisto$cis an den Markgrafen aus dem Jahr 1698, zitiert bei Mersmann 1916,

28. 86

Vgl. Scmidt 1956, 74. Als Kapellmeister in Arnstadt unterrictete Scweitzelsperger nac 1722 Johann Nikolaus Tiscer in Komposition, auf der Violine und der Viola d'amore, vgl. MGG1 XIII, 430, nac GerberATL. In seiner Oper Die romanisce Lukretia, die er 1715 während seiner Anstellung als Kapellmeister in Durlac komponierte, verwendet er die Viola d'amore als Obligatinstrument in einer Lamento-Arie, vgl. Jappe 1997, 167f. 88 Vgl. Köpp BJ 2000, 154f. 89 Eine erste Auswertung der Opernpartitur unternimmt Dubowy 1995, 80, Anm. 26. 87

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E XKURS I: „... ZUMAL DA IHM DER H ERR AUF DER V IOLINE GAB .“ – Z UR

T ORELLI ORDENTLICHE L ECTIONEN A NWESENHEIT T ORELLIS IN A NSBACH

Eine wictige inhaltlice Ergänzung zu den autobiographiscen Angaben aus V56 bildet die Bemerkung aus V67, daß Pisendel von dem Konzertmeister Torelli sogar „ordentlice Le$tionen auf der Violine“ erhalten habe, während der autobiographisce Text V56 Torelli lediglic als „vortrefflicen Konzertmeister“ erwähnt. In einem Brief an Agri$ola, der in V67 wiedergegeben ist, bestätigt Telemann, daß Pisendel bei seiner Ankunft in Leipzig in dem Ruf stand, ein Scüler Torellis zu sein: „Unsere Bekanntscaft entstand, da er [Pisendel] etlice Monathe nac meinem Absciede aus Leipzig daselbst angelanget war. Er kam aus den Händen eines Torelli dahin […].“ Die Glaubwürdigkeit dieser Aussage wird jedoc durc die widersprüclice Datierung in Frage gestellt, denn Telemann hatte Leipzig bereits 1705 verlassen, um Hofkapellmeister in Sorau und ab 1708 in Eisenac zu werden, während Pisendel sic erst 1709 in Leipzig immatrikulierte.1 Der Hinweis auf die „ordentlicen Le$tionen“ in V67 basiert jedoc nict auf dem zitierten Telemann-Brief, sondern geht sehr wahrsceinlic auf eine Mitteilung von Quantz zurü%, der Pisendels Lektionen bei Torelli bereits in seiner Autobiographie von 1754 erwähnt hatte: In seiner zarten Jugend hatte er [Pisendel] in Anspac, unter dem vortrefflicen Sänger und Sangmeister Fran$es$o Antonio Pisto$ci, als Capellknabe gesungen, und also, den besten Grund zum guten Gescma%e zu legen, Gelegenheit gehabt. Vom Torelli aber hatte er eben daselbst die Violine erlernet.2

Da der von Quantz verehrte Pisendel zum Zeitpunkt der Veröffentlicung noc lebte und Quantz an gleicer Stelle ausdrü%lic erwähnt, daß ihre gegenseitige „vertraulice Freundscaft […] bis in die itzige Zeit, unverbrüclic fortdauert“, liegen diesem Zitat sehr wahrsceinlic Informationen aus erster Hand zugrunde. Agri$ola konnte diese Ergänzung also guten Gewissens in seine Lebensbescreibung V67 aufnehmen. Dennoc wird in der bislang letzten Arbeit zur Ansbacer Musikgescicte des 18. Jahrhunderts stark bezweifelt, daß Pisendel überhaupt Geigenunterrict von Torelli erhalten habe.3 Obwohl diese Angabe offensictlic auf einem Mißverständnis be1

Der Zusammenhang des in V67 zitierten Briefes erlaubt die Interpretation, daß Telemanns Erinnerung nac mehr als fünfzig Jahren etwas getrübt war und er seinen „Abscied“ aus Leipzig 1705 mit einem seiner späteren Aufenthalte in der Messestadt verwecselt haben könnte, denn Telemann screibt in seiner dritten Autobiographie von 1740, daß er auc nac 1705 noc neue Opern nac Leipzig gesandt habe, vgl. Mattheson 1740, 359. Scering 1926, 456, erscließt etwa 26 Opernkompositionen Telemanns zwiscen 1703 und 1718. 2 Vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 211. 3 Vgl. Scmidt 1956, 73. Offenbar aufgrund einer Anfrage von Hans Rudolf Jung im Rahmen seiner Dissertation (vgl. Jung 1956, 8) fügt Scmidt, der Pisendel vorher kaum erwähnt hat, überstürzt einen Nactrag in seine Arbeit ein. Er entnimmt den Angaben aus dem „Reduktionslibell“ jedoc irrtümlic, daß Pisendel erst 1703 als Kapellknabe „neu aufgenommen“ worden sei und resumiert: „Bei dem von Hiller in seinen Lebensbescreibungen erwähnten Unterrict Pisendels bei Pisto$ci u. Torelli kann bestenfalls daher nur sporadisc gewesen sein [si$!]. Wahrsceinlic ist er mangels ordentlicer Zugehörigkeit Pinsels[!] für[!] Kapelle überhaupt zu verneinen.“

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ruht, führte sie in der Literatur zu einer Verunsicerung über den Stellenwert dieses Ansbacer Geigenunterricts.4 Da Pisendels früher Ruf, ein in der italieniscen Scule ausgebildeter Geiger zu sein, für seinen Werdegang von großer Bedeutung gewesen ist, soll untersuct werden, wie lange Torelli sic überhaupt in Ansbac aufgehalten hat, um die Intensität dieses Unterricts einscätzen zu können. Zunäcst muß festgestellt werden, daß es für Torelli nicts Ungewöhnlices war, Geigenscüler zu unterricten, denn einer seiner ehemaligen Scüler aus Bologna, Pietro Bettinozzi, wirkte bereits seit 1695 als Violinist in Ansbac.5 Zudem gehörte es traditionell zu den Amtspflicten der Ansbacer Hofmusiker, junge Geiger auszubilden,6 und es ist nict unwahrsceinlic, daß Torelli diese Praxis fortgesetzt hat. Bestätigt wird dies durc einen Eintrag im Musi$aliscen Lexi$on von Walther, daß auc der bereits genannte Kapellknabe Johann Hermann Köhler, der ein Jahr älter war als Pisendel, sic „anfänglic bey Signr. Torelli auf der Violin qualifi$irt gemact“ haben soll.7 Es ist also davon auszugehen, daß der Geigenunterrict der Kapellknaben bei Torelli tatsäclic stattgefunden hat. Damit ist jedoc noc keine Aussage über die Dauer oder Intensität dieses Unterricts getroffen. Diese Frage hängt in erster Linie von der Anwesenheitsdauer des Konzertmeisters in Ansbac ab. Gerade hierüber sind jedoc kaum verläßlice Informationen erhalten, denn in der Literatur zur Musikgescicte Ansbacs werden immer noc fehlerhafte Angaben fortgescrieben, die besonders die Biographie Pisto$cis und Torellis betreffen. Allgemein werden die Musikpflege am Ansbacer Hof als sprunghaft und der italienisce Opernbetrieb als zum Sceitern verurteilt eingescätzt.8 Als Ursacen werden die häufigen Gastspielreisen der italieniscen Sänger einerseits und die zahlreicen politiscen Reisen und Feldzüge des Markgrafen Georg Friedric andererseits angeführt. Zwar wirkt sic dieser Umstand von Anfang an negativ auf die Entwi%lung des Opernbetriebes aus,9 so daß einige Autoren „das Gepräge des Unhaltbaren“ und die „Unmöglickeit der Verhältnisse“ diagnostizieren,10 aber die folgende Untersucung zeigt, daß eine solce Einscätzung den historiscen Umständen und Gepflogenheiten nict gerect wird. Entsprecend dem absolutistiscen Herrscaftsanspruc auc eines kleinen Fürsten dieser Zeit sind alle Ereignisse, die der Repräsentation dienen, von der Person des Markgrafen abhängig. Es liegt also auf der Hand, daß Opernaufführungen unter Pisto$ci und Torelli nur dann stattfinden, wenn auc der Landesherr anwesend ist. Umgekehrt stehen die auswärtigen Gastspiele Pisto$cis und Torellis mit den Reisen 4

Vgl. beispielsweise Ansehl 1981, 69. Vgl. Vatielli 1927, 200. Bettinozzi erhielt bei dem oben erwähnten Hautboisten-Informator Johann Wolfgang Wolf Unterrict auf Blasinstrumenten. 6 Der Ansbacer Kammermusikus Johann Andreas Mayer, der seinerzeit in Wien (offenbar bei Johann Heinric Scmelzer) studiert hatte, unterrictete seit 1680 den Kapellknaben Lorenz Wilhelm Micel auf der Violine, vgl. Sacs 1910, 130f, und in den jeweils ähnlic lautenden Bestallungen von Johann (III) Fiscer vom 1.5.1683 und Christoph Friedric Anscütz vom 2.6.1683 wird angeordnet, daß sie „jährlicen 2 personen oder mehr à la fran$oise im geigen informiren“ sollten, vgl. Sacs 1910, 128, und MGG1 IV, 262. 7 WaltherL, 344. 8 Beispielsweise Scmidt 1956, 137. 9 Pisto$ci beklagt sic bereits 1696 in mehreren Briefen über die Abwesenheit des Markgrafen, vgl. Mersmann 1916, 26f, und ergänzend Dubowy 1995, 78, Anm. 19. 10 Vgl. Mersmann 1916, 26, ebenso Scmidt 1956, 69 und 71. 5

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des Markgrafen in einem direkten Zusammenhang, so daß daraus Rü%sclüsse auf die Anwesenheitsdauer Torellis in Ansbac gezogen werden können. Daher beginnt die folgende Tabelle mit einer skizzenhaften Aufstellung der Reisen und Feldzüge des Markgrafen Georg Friedric. Diesen Rahmendaten werden die biographiscen Stationen Pisto$cis und Torellis aus ihrer Ansbacer Zeit gegenübergestellt. Die umfangreice Korrespondenz Pisto$cis mit dem Markgrafen sowie der Briefwecsel zwiscen dem Markgrafen und Kurfürstin Sophie Charlotte in Berlin macen deutlic, daß sic der Kapellmeister tatsäclic häufig über Monate auf Gastspielreisen befand.11 Ergänzende Informationen lassen sic den Briefen Pisto$cis und Torellis an den Komponisten Gia$omo Antonio Perti in Bologna entnehmen.12 Anhand dieser Unterlagen sind die Reisen Pisto$cis einigermaßen vollständig nacvollziehbar, während zu Torelli weitaus weniger Dokumente erhalten sind. Zwar wird Pisto$ci bei seinen ausgedehnten Aufenthalten in Berlin und Wien von seinem Freund und „Camerad“ Torelli begleitet, aber der gelegentlic vermittelte Eindru%, daß die Musiker bei Gastspielreisen immer gemeinsam auftreten, läßt sic so nict aufrecterhalten. TABELLE 1: Anwesenheit von Markgraf Georg Friedric, Pisto$ci und Torelli in Ansbac13

Reisen und Feldzüge des Markgrafen Georg Friedric ab 1695      

1. Italienreise 17.10.1695—Mai 1696: 3 Monate Aufenthalt in Venedig (9.1.1696 nacweisbar) Winter 1696/97: wiederholte Reisen nac Berlin Frühjahr 1697: Teilnahme an den letzten Kämpfen des Pfälziscen Erbfolgekrieges Juli 1698—Februar 1699: Reise nac Paris, 25.11.1698 Brief aus Paris 2. Italienreise 26.11.1699—25.2.1700: überdurcscnittlices Interesse an Venezianiscer Oper 13.9.1701: Teilnahme als Generalfeldmarscall-Lieutenant am Spaniscen Erbfolgekrieg 1701—1714

 

Mitte Januar 1702: Aufenthalt in Ansbac zur Erledigung wictiger Regierungsgescäfte 1.4.1702: Rü%kehr zur kaiserlicen Armee nac Oberitalien, Juli 1702: Wecsel zur Rheinarmee bei Landau, Februar 1703: in die Oberpfalz, Tod am 29.4.1703 aufgrund einer Verwundung

Daten zur Ansbacer Periode von Pisto$ci und Torelli 1696—1703  

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Anfang 1696: Torelli verläßt Bologna und geht über Wien nac Ansbac 7.3.1696: Brief Pisto$cis (bis Februar 1696 in Parmiscen Diensten) aus Venedig über Opernkleider

Zitiert und ausgewertet durc: Mersmann 1916, ergänzende Auswertung durc: Dubowy 1995. Zitiert und ausgewertet durc: Vatielli 1927, NGD2 sowie DEUMM, Artikel „Pisto$ci“ und „Torelli“. 13 Die Tabelle ist lediglic aus Angaben der in der Sekundärliteratur wiedergegebenen Quellen zusammengestellt und erhebt keinen Anspruc auf Vollständigkeit. Als Grundlage für eine künftige Untersucung zur Ansbacer Musikgescicte mag sie dennoc nützlic sein. Häufige Irrtümer zur Biographie Pisto$cis und Torellis sind in dieser Aufstellung stillscweigend korrigiert. Ausgewertet wurden: Meyer 1892, Mersmann 1916 (heute gültige Signaturen bei Scmidt 1956), Vatielli 1927, Bro%pähler 1964, Dubowy 1995, NGD2 und DEUMM. 12

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6.7.1696: Brief Pisto$cis aus Nürnberg, bittet um Transporthilfen für Spinette und andere Kostbarkeiten 6.9.1696: Pisto$ci und Torelli engagieren einen Geiger in Nürnberg Mitte März 1697: Aufführung von Pisto$cis Oper Il Nar$iso in Ansbac nac dem 4.5.1697: Pisto$ci und Torelli in Berlin, Rü%kehr Torellis möglicerweise vor dem 25.9.1697, Pisto$ci noc 30.12.1697 in Berlin 1697: Aufführung von Christian Ludwig Boxbergs Oper Orion 1698: Aufführung von Boxbergs Opern Sardanapalus und Die verscwiegene Treue, Veröffentlicung von Pisto$cis Scerzi musi$ali [op. 2] und Torellis Con$erti musi$ali op. 6, Vorbereitung zur Dru%legung von Torellis Sonate da $amera a violino e violone o $imbalo op. 7 (verscollen) 29.7.1698: Brief Pisto$cis aus Ansbac Oktober/November[?] 1698: Reise Pisto$cis nac Turin Karneval 1698/99: Pisto$ci singt in Venedig in zwei Opern Pollarolos 8.3.1699: Aufführung von Pisto$cis Oratorium Il martirio di Sant’ Adriano in Venedig 16.6.1699: Aufführung von Pisto$cis Le pazzie d’amore e dell’interesse in Ansbac Dezember 1699: Pisto$ci und Torelli (zusammen mit Bettinozzi) in Wien 17.2.1700: Wiener Aufführung von Pisto$cis Oper Le risa di Demo$rito 17.2.1700: Brief Torellis aus Wien an Perti über die bevorstehende Aufführung seines Oratoriums (vielleict Adam auß dem irrdiscen Paradies verstoßen) März 1700: Brief Torellis aus Wien an Perti über seine Rü%kehr nac Italien 5.5.1700: Brief Pisto$cis aus Wien an Perti über die bevorstehende Rü%kehr Pisto$cis und Torellis nac Ansbac, um Reiseerlaubnis nac Italien zu erhalten und rü%ständige Gehälter einzuziehen 5.9.1700: Aufführung von Pisto$cis Serenata La pa$e tra l’armi in Ansbac Herbst 1700: Pisto$ci in Bologna, wiederholte Engagements an S. Perotino 1701: Aufführung von Pisto$cis Nar$iso in Müncen 31.3.1701: Torelli an S. Perotino in Bologna nacweisbar 1702: Anstellung Pisto$cis als Virtuoso di $amera e di $apella bei Fürst Ferdinand von Tos$ana

Die Auswertung der Tabelle führt zu zwei Ergebnissen. Das erste betrifft die Abhängigkeit der Gastspielreisen Pisto$cis von den häufigen Reisen des Markgrafen, die sic in gleicer Weise auc bei Torelli und den übrigen italieniscen Sängern und Sängerinnen in Ansbac beobacten läßt. Anhand der tabellariscen Aufstellung wird nämlic deutlic, daß sic beispielsweise der Pfälzisce Erbfolgekrieg mit dem Berlinaufenthalt Pisto$cis und Torellis oder die politisce Mission des Markgrafen in Paris mit dem venezianiscen Gastspiel Pisto$cis in der Karnevalssaison 1698/99 de%en. Während der zweiten Italienreise des Markgrafen gingen Pisto$ci und Torelli nac Wien, und wegen des Spaniscen Erbfolgekriegs, an dem sic der Markgraf von Anfang an beteiligte, kehrten Pisto$ci und Torelli von ihrem Italienaufenthalt 1701 nict mehr zurü%. Das Dienstverhältnis der Italiener in Ansbac wurde jedoc erst nac dem Tod des Markgrafen Georg Friedric 1703 durc dessen Nacfolger beendet. Da die katholiscen Sänger während der opernfreien Zeit nict in der protestantiscen Kircenmusik Ansbacs eingesetzt wurden, gestattete der Markgraf außer Pisto$ci und Torelli auc seinen Opernsängern Ni$ola Paris und Agata Vignali,

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während seiner Abwesenheit auswärtige Engagements anzunehmen.14 Bei dieser Gelegenheit verpflictete er sie regelmäßig zur Rü%kehr. Daraus kann jedoc nict abgeleitet werden, daß Georg Friedric solce Reisen mißbilligte.15 Im Gegenteil, der markgräflic ansbacisce Titel seiner in Italien gastierenden Sänger, der in den Libretti abgedru%t wurde, erhöhte das Prestige des Fürsten, von dem die Künstler wiederum profitierten. Dubowy weist darauf hin, daß dieses Prinzip der Patronage hauptsäclic in Italien gepflegt wurde und daß sic Georg Friedric dieser Gepflogenheit angepaßt zu haben sceint.16 Das zweite Ergebnis betrifft die Anwesenheit von Pisto$ci und vor allem von Torelli in Ansbac. Aus der Tabelle geht hervor, daß beide nur etwa vier Jahre, nämlic von 1696 bis 1700, in Ansbac gewirkt haben. Offensictlic war Pisto$ci jedoc weitaus häufiger auf Gastspielreisen als „deßen Camerad“ Torelli. Von Berlin, wo beide gemeinsam im Mai 1697 eintrafen, kehrte Torelli möglicerweise scon vor September wieder zurü%, während Pisto$ci noc im Dezember dort nacgewiesen werden kann. Nacdem die Markgräfin Sophie Charlotte in Briefen an Georg Friedric vom 30.5. und 10.6. die Anwesenheit beider Musiker in Berlin erwähnt,17 bezieht sie sic nämlic im dritten Brief vom 25.9.1697 nur noc auf Pisto$ci: „E.[uer] L.[iebden] werden mic vergönen, das ic mic in dero gütigen andenken re$omendire und nocmals dieselbe gehorsamst danke, das sie pistoci haben erlaubt hir zu sein, welces mic die freiheit gibt, E. L. zu bitten, mic ein zeitlang zu erlauben, ihn noc zu behalten.“18 Pisto$ci kehrte erst vor dem 29.7.1698 nac Ansbac zurü%. Während der Abwesenheit Pisto$cis 1697/98 wurden drei deutscspracige Bühnenwerke von Boxberg aufgeführt. Diese Aufführungen wurden angeblic von dem Bassisten und Italiäniscen Se$retarius Rau geleitet, der seit dieser Zeit ebenfalls den Kapellmeistertitel trug.19 Ein Tagebuceintrag des Weißenfelser Konzertmeisters Johann Beer zwiscen dem 20. und 25.12.1697, der in der Literatur zur Ansbacer Musikgescicte bislang unberü%sictigt geblieben ist, sceint anzudeuten, daß die italieniscen Musiker die Gunst des Markgrafen vorübergehend verloren hatten: „In Ohnspac wurden die Italiener abgescafft und eine teutsce Capelle angenommen.“20 Allerdings dürfte dies nur eine Episode gewesen sein, denn der Kontakt Pisto$cis zum Markgrafen reißt nict ab, wie ein Brief aus Berlin vom 20./30.12.1697 beweist, in dem Pisto$ci das Ende seines Aufenthalts bei Sophie Charlotte von den Wünscen des Markgrafen abhängig mact. Falls Torelli sic zu dieser Zeit tatsäclic 14

Vgl. Mersmann 1916, 31ff und 35f. So etwa Mersmann 1916, 25. 16 Vgl. Dubowy 1995, 77. 17 Mersmann 1916, 31, gibt irrtümlic an, daß Torelli bereits im zweiten Brief nict mehr erwähnt wird und scließt daraus, daß dieser vor dem 10.6.1697 wieder nac Ansbac zurü%gekehrt sei. Dagegen heißt es im Postskriptum dieses Briefes: „Der Sig. torelli ist auc ein sehr guter violon, kan E.[uer] L.[iebden] nict gnugsam danken, das sie mic haben die gute musi% wollen hören lassen […].“ Vgl. Berner 1901, 413. 18 Zitiert nac Berner 1901, 409, der den Brief ins Jahr 1696 datiert. Zur korrekten Datierung ins folgende Jahr vgl. Mersmann 1916, 30f. 19 Mersmann 1916, 34. Bemerkenswert ist, daß Torelli im Fall einer Mitwirkung an diesen Aufführungen den französiscen, zumindest aber den deutscen Stil beherrsct haben muß, vgl. Scmidt 1956, 137ff. 20 Scmiede%e 1965, 65. 15

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nict mehr in Berlin aufhielt und seine Con$erti musi$ali op. 6 von Ansbac aus für den Augsburger Dru% vorbereitete, könnte er dem Ansbacer Orcester während der Boxberg-Aufführungen sogar als Konzertmeister vorgestanden haben. Da diese Möglickeit aber den Angaben Beers widersprict, muß diese Frage bis zu einer gründliceren Aufarbeitung der Ansbacer Musikgescicte offen bleiben. Jedenfalls ist anzunehmen, daß Torelli zwiscen seinem Aufenthalt in Berlin und in Wien Ansbac nict mehr verlassen hat und in dieser Zeit die Kapellknaben Köhler und Pisendel unterricten konnte. Daß sic der Kapellmeister Pisto$ci besonders dann in Ansbac aufhalten mußte, wenn er die Aufführung eigener Vokalwerke vorbereitete, liegt auf der Hand. In diesen Fällen kann die Mitwirkung des italieniscen Konzertmeisters Torelli als sicer angenommen werden. Während Pisto$ci im Herbst 1698 und in der Karnevalssaison 1699 an italieniscen Bühnen gastierte, sind für Torelli keine Reisen belegt. Möglicerweise blieb Torelli in der markgräflicen Residenz zurü%. Erst im Dezember 1699 reisten beide nac Wien und kehrten im Mai 1700 gemeinsam nac Ansbac zurü%. Während Pisto$ci bereits kurz nac der Ansbacer Aufführung der Serenata La pa$e tra l’armi in Bologna nacweisbar ist, wird Torellis Anwesenheit an diesem Ort erst im Februar 1701 erwähnt. Vielleict hat sic Torelli nac der Aufführung der Serenata tatsäclic noc einige Zeit in Ansbac aufgehalten. Es ist jedoc wahrsceinlic, daß er zumindest den Winter 1700 im milderen Italien verbract hat, denn am 5.5.1700 scrieb er an Perti, daß ihm die Wiener Ärzte wegen seiner „verflucten Hypocondrie und Melancolie“ eine Kur im italieniscen Loreto empfohlen hätten.21 Vermutlic hat also auc Torelli Ansbac im Herbst 1700 zum endgültig letzten Mal verlassen.22 Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß Torelli deutlic länger in Ansbac anwesend war als bisher angenommen wurde. Die vier Jahre seiner Tätigkeit als Konzertmeister werden, nac dem bisherigen Stand der Kenntnis, lediglic durc einen möglicerweise nur einmonatigen Aufenthalt in Berlin und ein etwa halbjähriges Gastspiel in Wien unterbrocen.23 Der Markgraf und seine berühmten Musiker trafen sic zu den Aufführungen von Pisto$cis Bühnenwerken, zu denen alle musikaliscen Kräfte der Residenz mobilisiert wurden. In den dazwiscen liegenden, ruhigeren Phasen konnte sic die Unterrictstätigkeit Torellis entfalten. Vor diesem Hintergrund läßt sic abscätzen, daß die in V67 erwähnten „ordentlicen Le$tionen“, also ein regelmäßiger und aufeinander aufbauender Unterrict Pisendels bei Torelli, tatsäclic stattgefunden haben. Der Grund, warum solce Lektionen in der autobiographiscen Vorlage zu V56 nict eigens erwähnt werden, liegt wohl darin, daß dieser Unterrict im Herbst 1700, also noc vor dem dreizehnten Geburtstag Pisendels, bereits wieder beendet war, und der inzwiscen berühmte Pisendel hatte

21

NGD1 XIX, 71. Angesicts der spärlicen Quellenlage kann jedoc nict ausgesclossen werden, daß Torelli an den musikaliscen Veranstaltungen zum Dank- und Freudenfest am 6.2.1701 in Ansbac beteiligt war. Außerdem könnten Pisto$ci und Torelli dem Markgrafen während seines Aufenthalts bei der kaiserlicen Armee in Oberitalien vom Herbst 1701 bis Sommer 1702 musikalisc „aufgewartet“ haben. 23 Selbst wenn der Berlinaufenthalt doc länger gedauert haben sollte als sic anhand der Quellen belegen läßt, hat sic Torelli mehr als ein Jahr lang, von Frühjahr 1698 bis zu seiner Wienreise im Dezember 1699, in Ansbac aufgehalten, vgl. auc Mersmann 1916, 33. 22

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es bei aller Besceidenheit sicer auc nict nötig, den Geigenunterrict seiner Kindheit in seinem Lebenslauf besonders hervorzuheben. Obwohl sic Pisendels Unterrict bei Torelli auf seine Zeit als Ansbacer Kapellknabe und damit auf dessen Kindheit bescränkt, soll doc versuct werden, den Unterrictsinhalt oder zumindest die Art der Zusammenarbeit zwiscen dem Konzertmeister und den Kapellknaben zu skizzieren. Ohne sic zu sehr auf das Feld der Spekulation zu begeben, soll dabei das Repertoire der Ansbacer Instrumental- und Kammermusik unter Torelli im Vordergrund stehen, das Pisendel in seiner Zeit als „Diskantist“ miterlebte, denn die Italienisce Periode der Ansbacer Hofmusik war, wie der tabellariscen Übersict zu entnehmen ist, trotz der Rastlosigkeit mancer Protagonisten eine musikalisc sehr fructbare Zeit.24 Allein die drei großen Werke Pisto$cis, die Oper Il Nar$iso, die bürgerlice Komödie Le pazzie d’amore e dell’ interesse und die Serenata La pa$e tra l’armi, sind bedeutende Ereignisse in der deutscen Operngescicte.25 Dabei dürfte die bislang kaum bekannte Tatsace, daß Pisto$ci in der Komödie Le pazzie d’amore e dell’interesse einen dreispracigen Text vertonte und diese Praxis in seiner Kantatensammlung Scerzi musi$ali [op. 2] wiederholte,26 nict ohne Einfluß auf den jungen Pisendel geblieben sein. Auc in V67 wird nämlic darauf hingewiesen, daß diese Sammlung unter anderem deutsce Lieder und französisce Airs enthält: „Er hat 2. Duette in italiäniscer, 2. Arien in französiscer, und welces in der That viel von einen[!] Italiäner ist, auc 2. deutsce Arien, bey Roger zu Amsterdam, in Kupfer stecen lassen.“ Da Pisto$ci bei der Vertonung dieser Texte auc den jeweiligen musikaliscen Nationalstil berü%sictigt hat,27 ist zu vermuten, daß er dieses Ausdru%smittel ein Jahr später in seiner dreispracigen Komödie ebenfalls verwendete. Auc bei Torelli sind solce Stilanleihen nacweisbar. So enthält seine Sammlung op. 5 von 1692 ein Con$erto primo in stile Fran$ese TV 118, und das Konzert g-Moll TV 124d eröffnet mit einem Satz im französiscen Ouvertürenstil.28 Offenbar hatte Pisendel bereits als Kapellknabe unter Pisto$ci und Torelli gelernt, zwiscen den Nationalstilen zu untersceiden. Diese frühe Erfahrung bildete wahrsceinlic die Grundlage, auf der er später als Konzertmeister in Dresden den sogenannten „vermiscten Gescma%“ einführen konnte. Auc für die Vorherrscaft des Violinkonzerts im Dresdner Repertoire unter Pisendel liegen die Wurzeln offenbar in Ansbac, denn 1698 veröffentlicte Torelli seine zwölf Con$erti musi$ali op. 6 in Augsburg, die etwa gleiczeitig von Etienne Roger in Amsterdam nacgedru%t wurden.29 Sie enthalten zwei Konzerte, in denen das 24

Dubowy 1995, 78. Zur Oper Il Nar$iso (Libretto von Apostolo Zeno), zu der bislang nur das Textbuc bekannt war, konnte die Opernpartitur neuerdings in London identifiziert werden. An gleicer Stelle konnte außerdem ein wieteres Manuskript identifiziert werden, das auc die Kantaten aus Pisto$cis Sammlung Scerzi musi$ali enthält, während von den übrigen zwei Bühnenwerken Pisto$cis nur das Textbuc erhalten ist, vgl. Dubowy 1995, 80 und 82. 26 Vgl. Dubowy 1995, 82. 27 Vgl. eine Einspielung der französiscen und deutscen Arien aus Pisto$cis Scerzi Musi$ali, die auc einige kürzlic in der Staatsbibliothek Ansbac identifizierte Duette Pisto$cis enthält, erscienen bei Cavalli Re$ords CCD 312, Bamberg 2001. 28 Vgl. Giegling 1949, 38. 29 Vgl. Dubowy 1995, 78f. 25

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„Con$ertino“ auf eine Solovioline reduziert ist und die als die frühesten gedru%ten Violinkonzerte angesehen werden. Auc V67 bemerkt zu Torelli, „daß er den Instrumental-Con$erten die erste, jetzo noc gebräuclice Form gegeben“ habe.30 Etwa zur gleicen Zeit wie die Con$erti musi$ali op. 6 entstand Torellis Sammlung Sonate da $amera a violino e violone o $imbalo op. 7, die in den Verlagsverzeicnissen von Roger angekündigt und in Walthers Lexikon genannt wird, von der aber heute leider kein Exemplar mehr erhalten zu sein sceint.31 Diese von Torelli komponierten Konzerte und Sonaten deuten darauf hin, daß in der opernfreien Zeit im Herbst und Winter 1697/98 sowie im Herbst 1699 die Instrumental- und Kammermusik am Ansbacer Hof im Vordergrund stand. Während Pisto$ci sic vorrangig mit der Einstudierung und Aufführung seiner Bühnenwerke zu befassen hatte, lag die Aufführung von Kammermusik aller Art (zu der auc Konzerte und Arien zählten) in der Verantwortung des Konzertmeisters Torelli. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß die Praxis, die mit „solo“ bezeicneten Abscnitte nur von einer Violine eines drei- bis vierfac besetzten Chors spielen zu lassen, erstmals in Torellis Vorwort zu seinen Con$erti musi$ali op. 6 von 1698 bescrieben wird und die bekanntere Stelle in Georg Muffats Auserlesener […] Instrumental-Musi$ erst 1701 folgt.32 In dem Vorwort zu Torellis Con$erti grossi op. 8, das in dessen Todesjahr 1709 erscienen ist, wird ausdrü%lic zwiscen den solistiscen Geigern des Con$ertino und den „altri Stromenti di rinforzo“ unterscieden, die zahlreic zu besetzen sind.33 Die Vermutung liegt also nahe, daß die in der Ausbildung befindlicen Kapellknaben an den Ansbacer Aufführungen der Con$erti musi$ali op. 6 bei den „Stromenti di rinforzo“ mitgewirkt haben, wie dies bereits um 1682 für die Ansbacer Kapellknaben belegt ist.34 Pisendel erhielt also einen fundierten Einbli% in das Ensemblespiel des Con$erto grosso und in den neuesten italieniscen Konzertstil. Ob Torelli die besondere Begabung Pisendels erkannt und gefördert hat, läßt sic über die Angaben von Quantz und Agri$ola hinaus nict bestimmen. Da ausführlice Proben nict üblic waren, mußten die weniger erfahrenen Musiker einzeln auf die Aufführung vorbereitet werden. Dies fiel in den Zuständigkeitsbereic des Konzertmeisters, und so erklärt sic 30

V67, 278. Auc diese Bemerkung geht offenbar auf Quantz zurü%, vgl. Quantz 1752, 194: „30. §. Die Con$erten haben ihren Ursprung bei den Italiänern. Torelli soll die ersten gemact haben.“ Ein Con$erto grosso mit nur einem konzertierenden Instrument bezeicnet Quantz als ein „Kammer$on$ert“. 31 WaltherL, 611, nennt den Titel von Torellis op. 7 „Capri$$i musi$ali per $amera....“, vgl. Dubowy 1995, 79. 32 Vgl. NGD1 XIX, 73. 33 In Torellis op. 6 folgt nac dem Text der Widmung auf der dritten Seite die folgende Nacrict an den Leser: „Cortese Lettore. / EC$oti la sesta impressione delle mie deboli fatice: $inque / sono passate sotto il torcio nell'In$lita Città di Bologna / (già fù mia stanza) è questa ardis$o di fartela $omparire / nella famosa Città di Augusta. Ti averto, ce se in qualce $on$erto / troverai s$ritto solo, dourà esser suonato da un solo Violino; Il Ri- / manente poi fà dupli$are le parti etiamdio trè ò quattro per stromen- / to, ce $osi s$oprirai la mia intenzione, e vivi / feli$e.“ Die entsprecende Nacrict an den Leser aus Torellis op. 8 lautet: „CORTESE LETTORE. / EC$oti l’ Ottaua mia debol fatica data / sin hora alle stampe, ce sidato sù la speranza d’ / hauer riportato vn $ortese $ompatimento nelle / altre, non dispero di in$ontrar simil fortuna in / questa. Auuertendoti, ce volendo sonare ques- / ti miei Con$erti, e ne$essario, ce i Violini del / Con$ertino sijno soli, senza verun radopiamento, / per euitar maggior $onfusione, ce se poi vor- / rai moltipli$are gl’ altri Stromenti di rinforzo, / questa sí è veramente la mia intentione, e viui feli$e.“ Für die Mitteilung dieser Quellen in diplomatiscer Übertragung bin ic Herrn Prof. Dr. Daniele Torelli zu Dank verpflictet. 34 Vgl. oben das Gutacten Küntzels von 1682 über die Ansbacer Kapellknaben.

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wohl die „Le$tionen“, die den Kapellknaben von Torelli erteilt wurden. Möglicerweise hat Torelli dem Unterrict seiner Ansbacer Scüler auc eigene Werke, etwa die Sonate da $amera aus der verscollenen Sammlung op. 7, zugrunde gelegt.35 Darüber hinaus dürften auc die übrigen italieniscen Musiker, die bei Ansbacer Konzerten wahrsceinlic das Con$ertino bildeten (Bettinozzi an der zweiten Violine, Sonetta am Violon$ello und Rizzeti am Cembalo), eine starke Vorbildfunktion ausgeübt haben. Jedenfalls ist die Einscätzung seiner Zeitgenossen, daß Pisendel „aus den Händen eines Torelli“ kam, im weiteren Sinn durcaus zutreffend, und für den beruflicen Werdegang Pisendels wird es sic als entsceidend erweisen, daß diese Verbindung zur italieniscen Scule auc weiterhin wahrgenommen wurde.

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Unter den Musikalien aus Pisendels Naclaß befinden sic auc mehrere Manuskripte mit Werken Torellis, die aufgrund ihrer Besetzung Teil dieser Sammlung op. 7 sein könnten, etwa D-Dl Mus. 2035-R1 oder Mus. 2035-R-2. Ob sie allerdings aus Pisendels Ansbacer Zeit stammen, bleibt noc zu untersucen.

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2. S TUDIUM IN L EIPZIG UND B ERUFUNG NACH D RESDEN März 1709 [V56, 301]: […] da er sic im Martio 1709. nacer Leipzig gewendet, seine Studia fortzusetzen. [V67, 279, ergänzt:] Hierauf nahm er in Anspac seinen Abscied, und begab sic im März 1709. nac Leipzig, um allda der Musik und dem Studiren noc weiter obzuliegen. Seine Hinreise gieng durc Weimar, wo er sic dem damals allda in Diensten stehenden Herrn Johann Sebastian Bac bekannt macte.

nac März 1709 [V67, 279f, ergänzt Anekdote]: Als Herr Pisendel sic, kurz nac seiner Ankunft in Leipzig das erstemal im Collegium Musi$um daselbst wollte hören lassen, sahe ihn ein damaliges Mitglied dieses Collegiums, Herr Götze, (welcer nacher sein beständiger guter Freund gewesen ist) […] weil Herr Pisendel damals sehr mager und scmäctig, auc nur ganz simpel gekleidet war, von der Seite an, und sagte [V84, 185, ergänzt: „mit der ihm gewöhnlicen Lebhaftigkeit“]: Was will noc das Pürscgen hier? Ja, ja, der wird uns was rectes vorgeigen! Herr Pisendel legte indessen sein Con$ert auf, welces aus dem C dur, und von Torelli war, und sic mit allen Stimmen im Unison, so anfieng:

Die erste Passagie der $on$ertirenden Stimme in diesem Con$erte geht gleic in die Höhe. Bey dieser Passagie setzte Herr Götze sein Violon$ell, das er immer zu spielen pflegte, auf die Seite, und sahe den neuen Studenten mit Verwunderung an. Als darauf das Adagio kam, und Herr Pisendel die $on$ertirende Stimme darin kaum angefangen hatte, gab Herr Götze seinem Beyfall auf so eine Weise zu erkennen, daß Herr Pisendel damit vollkommen zufrieden seyn konnte. [V84, 185, ergänzt]: Noc mehr würkte das Adagio auf ihn: er riß, während demselben die Perüque vom Kopfe, warf sie auf die Erde, und konnte kaum das Ende erwarten, um Pisendeln voll Entzü%en zu umarmen, und ihn seiner Hocactung zu versicern. [V67, 291, zitiert Telemann-Brief an Agri$ola, $a. 1757]: Unsere Bekanntscaft enstand, da er etlice Monathe nac meinem Absciede aus Leipzig daselbst angelanget war. Er kam aus den Händen eines Torelli dahin; zeigete aber doc eine patriotisce Gesinnung gegen seine Landsleute, da er eine von mir zurü%gelassene neue Oper, worinn die Violine ziemlic laut sprac, in einem Briefe an mic, für etwas rectes erklärete. Meine Hin- und Herreisen durc Leipzig belehrten mic von seinem redlicen Gemüthe, wie nict weniger von seiner allgemeinen Menscenliebe […]. [In V84 entfallen die Hinweise auf Telemann.] 1710 [V56, 301]: Als 1710. der vormalige Musi$-Dire$tor in Leipzig, Hr. Melcior Hoffmann eine Reise nac Engelland gethan, hat er sowohl das aufm Rannstädter Scießgraben florirende Collegium musi$um, als auc in der Neuen Kirce die Musik besorget, auc die von denen Strun%iscen Erben gehaltene Opera aufgeführet.

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[V67, 280, differenziert]: […] nahm Herr Pisendel die Anführung, nict allein der Musik in der neuen Kirce, und in dem Collegio musi$o […], sondern auc des Orcesters

in den damaligen Leipziger Opern über sic, und verwaltete alles mit großem Ruhme.

Anfang 1711 [V56, 301]: Ao. 1711. reisete er aus Leipzig mit dem Herrn Landgrafen von HessenDarmstadt, nacer Darmstadt, eine von dem dasigen Capellmeister Graupnern neuverfertigte Opera aufzuführen [V67, 280, differenziert: „um daselbst, bey einer […] neuen Oper, dem Orcester vorzustehen“], sollte auc unter sehr favorablen Conditionen allda verbleiben, mußte aber solces, weiln er zu Ostern wieder in Leipzig seyn muste, depre$iren.

nac Ostern 1711 [V56, 301]: In eben diesem 1711ten Jahre ward er wider alles Vermuthen nac Dreßen

in die Königl. Capelle vo$irt, nacdem er dem zurü% aus Engelland wieder gekommenen Musi$-Dire$tor Hoffmann seinen Dienst wieder übergeben.

[V67, 280, ergänzt]: Der damalige Con$ertmeister zu Dresden, Herr Johann Baptist Volümier, welcer Herr Pisendeln zu Leipzig im Collegiomusi$o hatte spielen hören, hatte ihn dazu in Vorsclag gebract.

ab 1.1.1712 [V56, 301]: Im Anfang des Jan. 1712. hat er die Königl. Dienste angetreten, und gleic

nac dem Con$ertmeister Voulmier an die Stelle des bekannten Florelli pla$irt worden

[si$!].

[V84, 187, differenziert]: […] wo er, gleic neben dem Con$ertmeister, den ersten Platz

im Orcester bekam.

Anders als im vorangegangenen Kapitel über die Ausbildung Pisendels in Cadolzburg und Ansbac, wo die biographiscen Angaben aus V56 von den folgenden Autoren fast ohne eigene Zusätze übernommen worden sind,1 wird der Abscnitt aus V56 zu Pisendels Leipziger Zeit durc wictige biographisce Informationen aus V67 ergänzt.2 Dabei fällt auf, daß diese Ergänzungen in erster Linie die kurze Zeit zwiscen Pisendels Abscied von Ansbac und seinen ersten Tagen in Leipzig betreffen.3 So berictet V67 von einer Rü%kehr- und Beförderungsgarantie des Ansbacer Markgrafen für Pisendel, von dessen Zusammentreffen mit Johann Sebastian Bac auf seiner Reise durc Weimar und scließlic von dem aufsehenerregenden Einstand Pisendels im „Telemanniscen“ Collegium musi$um kurz nac dessen Ankunft in Leipzig.4

1 Die einzige Ausnahme bildet der Hinweis auf die „ordentlicen Le$tionen“ Pisendels bei Torelli, vgl. V67, 278. 2 Die Änderungen in V84 fallen in diesem Abscnitt nur marginal aus. 3 Interessanterweise fällt dieser Abscied wiederum mit einer längeren Reise des Ansbacer Markgrafen zusammen, denn Wilhelm Friedric begibt sic im vom 29.4. bis 10.6.1709 für mehrere Monate nac Italien, vgl. Scuhmann 1980, 186. Nac der Rü%kehr des Markgrafen wird Pisendels Kollege Köhler 1710 auf eine Studienreise nac Italien gesci%t, vgl. Mattheson 1740, 52, und WaltherL, 344. 4 Vgl. V67, 279f.

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Als Quelle für diese Zusatzinformationen gibt Agri$ola in V67 einen glaubwürdigen Gewährsmann an: seinen Leipziger Studienfreund, dessen Vater Johann Christoph Götze5 mit Pisendel befreundet war. Der Vater, der in Agri$olas Anekdote zugleic als handelnde Person auftritt, war als erster Cellist des Leipziger Collegium musi$um ein Augenzeuge von Pisendels Einstand.6 Obwohl die Anekdote vermutlic in Einzelheiten ausgescmü%t worden ist, kann der Berict als glaubwürdig eingescätzt werden. Aus der gleicen Quelle könnten auc die Informationen über Pisendels „Dimission“ von der Ansbacer Hofkapelle und dessen Besuc bei Bac in Weimar auf der Durcreise nac Leipzig stammen. Auc die Zusatzinformation aus V67, daß Pisendel durc den Dresdner Konzertmeister Woulmyer7 für die Dresdner Hofkapelle vorgesclagen worden sei, nacdem dieser ihn „zu Leipzig im Collegiomusi$o hatte spielen hören“, könnte auf Johann Christoph Götze zurü%geführt werden. Anhand der Leipziger Matrikelbücer läßt sic nacweisen, daß Pisendel für das Sommersemester 1709 an der Universität immatrikuliert wurde.8 Aber auc der Berict über die Begegnung Pisendels mit dem Weimarer Hoforganisten Bac im Frühjahr 1709 gewinnt dadurc an Glaubwürdigkeit, daß der Verfasser von V67 mit dessen Scüler Johann Friedric Agri$ola identifiziert werden konnte. Durc Agri$olas Arbeit an dem Nekrolog auf Johann Sebastian Bac, den er bereits 1750 zusammen mit dessen Sohn Carl Philipp Emanuel verfaßt hatte, besaß er einen guten Überbli% über die Biographie seines ehemaligen Lehrers. Da Carl Philipp Emanuel Bac noc bis 1768 als Kammer$embalist in Berlin bescäftigt war, hatte Agri$ola zudem täglic Gelegenheit, den Berict über diese frühe Weimarer Begegnung zu überprüfen, falls diese Information nict ohnehin von dem Bac-Sohn selbst beigetragen worden ist. Darüber hinaus sceint ein Bac-Autograph, das erst in neuerer Zeit unter Pisendels Musikalien identifiziert werden konnte, diese Begegnung ebenfalls zu bestätigen. Es handelt sic um einen von Bac gescriebenen Stimmensatz zu einem Konzert GDur für zwei Violinen von Telemann, der aufgrund der Scriftformen in Bacs frühe Weimarer Zeit zwiscen 1708 und 1713 datiert werden kann.9 Da Telemann Pisendel nac eigenen Angaben bereits 1709 persönlic kennengelernt hat, sceint die Vermittlung eines Telemann-Konzerts durc Bac tatsäclic auf ein Zusammentreffen auf der Reise nac Leipzig hinzudeuten, denn spätestens seit dem Frühherbst 1709 konnte Pisendel solce Werke von Telemann direkt beziehen.10 Allerdings 5

Vornamen nac Glö%ner 1990, 73. Vgl. V67, 279: „Dieser Herr Götze ist nacer A$tuarius im Handelsgericte zu Leipzig gewesen. Sein ältester Sohn, der nacerige Königl. Churfl. General-Auditeur und Kriegsrath, Herr Götze, war um die Zeit seiner Universitätsjahre, (in welcer Zeit ihn der Verfasser dieser Lebensbescreibung zu kennen die Ehre gehabt hat,) ein sehr fertiger Clavier- und Violinspieler, und nict ungesci%ter Componist.“ 7 Der Dresdner Konzertmeister Jean Baptist Woulmyer, der nac eigenen Angaben in Spanien geboren und am französiscen Hof erzogen wurde, unterscreibt in historiscen Dokumenten immer mit „Woulmyer“, was auf eine flämisce Herkunft deuten könnte, vgl. MGG1 XIV, 7. Dennoc sind in den Dresdner Akten auc andere, französisierte Lesarten seines Namens zu finden, etwa Voulmier, Volümier, Voulumier et$., die auc in den drei frühen Lebensbescreibungen verwendet werden. 8 Vgl. Erler 1909, Bd. II, 33. 9 Vgl. Sculze 1983 I, 74. Möglicerweise hatte sic Pisendel sogar zusammen mit dem „Konzertmeister Bac“ in diesem Doppelkonzert vor dem Weimarer Hof hören lassen, vgl. Wolff 2000, 148f. 10 Wolff 2000, 75. 6

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wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Angaben Telemanns über sein Treffen mit Pisendel im Jahr 1709 einen Irrtum enthalten, der Zweifel an deren Glaubwürdigkeit entstehen lassen könnte. Telemann wecselte bereits 1705 von Leipzig nac Sorau, während Pisendel erst 1709 nac Leipzig kam. Pisendel war also nict „etlice Monathe nac [Telemanns] Absciede aus Leipzig daselbst angelanget“, sondern fast vier Jahre später.11 Als Telemann dies an Agri$ola scrieb, lagen diese Ereignisse jedoc mehr als fünfzig Jahre zurü%. Daher sei ihm zugestanden, daß er seinen „Abscied“ aus Leipzig mit einem seiner späteren Aufenthalte in der Messestadt verwecselt haben könnte, ohne daß die Glaubwürdigkeit dieser Angaben insgesamt angezweifelt werden muß. Sehr wahrsceinlic bezieht sic der erwähnte Brief Pisendels auf die Oper Mario, die Telemann für die Leipziger Ostermesse 1709 komponiert hatte. Die Komposition der Oper für die darauf folgende Micaelismesse übernahm dagegen Heinicen,12 weil Telemann, der 1708 nac Eisenac berufen worden war, mit den Vorbereitungen für seine Hoczeit am 13.10.1709 in Sorau bescäftigt war und deswegen häufig zwiscen seinem alten und neuen Wirkungsort hin und her reisen mußte. Da ihn diese Reisen regelmäßig durc Leipzig führten, kann davon ausgegangen werden, daß er Pisendel tatsäclic noc im gleicen Jahr 1709 persönlic kennengelernt hat.13 Kurz nac seiner Ankunft in Leipzig trat Pisendel in das von Telemann gegründete Collegium musi$um ein, zu dem dieser durc Kompositionsaufträge für die Leipziger Oper auc von Eisenac aus weiterhin Verbindung hielt. Offenbar wurde Pisendel, der bereits über eine langjährige Erfahrung als Geiger der Ansbacer Hofkapelle verfügte, dort von dem Nacfolger Telemanns, Melcior Hoffmann, sofort eine führende Position eingeräumt. Aus dem Berict Telemanns kann nämlic gesclossen werden, daß Pisendel bereits zur Leipziger Ostermesse 1709 die Violinsoli in dessen Oper Mario spielte14 und unter diesem Eindru% zur Feder griff, um sic dem Komponisten als führender Geiger des Collegium musi$um vorzustellen. Der Einstand Pisendels im Leipziger Collegium musi$um, der in V67 ausführlic gescildert wird, muß großes Aufsehen erregt haben, denn Pisendel besaß ja nict nur Erfahrung als professioneller Hofmusiker, sondern trat sogar mit einem italieniscen Violinkonzert auf, das sic als Gattung gerade erst zu formen begann und in Leipzig damals eine Neuheit darstellte.15 Zudem war in Leipzig bekannt, daß er in jungen Jahren von Torelli selbst unterrictet worden war, wie auc Telemann bestätigt. Aus diesem Grund wohl hat Agri$olas Gewährsmann das Konzert, das Pisendel bei dieser Gelegenheit auflegte, als ein Werk Torellis bezeicnet. Da in V67 außer der Tonart auc das In$ipit des Unisono-Beginns angegeben wird, kann diese Angabe überprüft werden. Allerdings ist bislang kein Konzert Torellis bekannt geworden, das diesen Angaben entsprecen würde. Zudem ist dieses in sic kreisende Thema auc in stilistiscer Hinsict für Torelli untypisc und würde eher zu Albinoni passen.16

11

Wolff 2000, 75. Siehe unten Tabelle 4 Spielplan der Leipziger Oper 1709–1711. 13 Vgl. Scultze 1983, 74f. 14 Zum Einsatz konzertierender Soloinstrumente in Telemanns Oper Mario vgl. Hobohm 1990, 55. 15 Vgl. Scering 1926, 405. 16 So Dubowy 1995, 79. 12

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Tatsäclic treffen die Angaben aus V67 (mit Ausnahme der Tonart) auf ein Violinkonzert F-Dur von Tomaso Albinoni zu, das um 1728 in London gedru%t wurde.17 Unklar bleibt, ob es sic bei der in V67 zitierten Version in C-Dur um eine frühe Fassung desselben Konzerts handelt. Es ist aber möglic, daß Pisendel auf seiner Reise nac Leipzig noc weitere Konzerte von Albinoni im Gepä% führte, denn aus der gleicen Zeit wie das oben erwähnte Telemann-Konzert, das Bac Pisendel überreict hat, stammt ein weiteres Bac-Autograph (BWV Anh. I 23), das als ContinuoStimme zu Albinonis Violinkonzert e-Moll op. 2 Nr. 2 (1700) identifiziert werden konnte.18 Es wäre im dargelegten Zusammenhang denkbar, daß Bac dieses Konzert als ein Gegengescenk von Pisendel erhalten hat.19 Es sceint, als habe sic Pisendel bewußt für Leipzig als Studienort entscieden, obwohl oder vielleict gerade weil hier fast ausscließlic Musik deutscer Komponisten gespielt wurde. Leipzig war ein Sammelplatz für junge deutsce Musiker mit einer guten Sculbildung wie Telemann, Heinicen, Pisendel, Hoffmann, Fasc und Stölzel, und es fällt auf, daß Telemann in diesem Zusammenhang Pisendels „patriotisce Gesinnung gegen seine Landsleute“ hervorhebt. Die Situation der Musik in Leipzig kurz vor der Ankunft Pisendels bescreibt Gottfried Heinric Stölzel in seiner Autobiographie: An. 1707. zog ic auf die Universität Leipzig; fand daselbst Gelegenheit genug, Sacen von den berühmtesten deutscen Melothetis zu sehen, und bei einer sehr guten Aufführung zu hören. Dieses war die Zeit, wo das eine Weile versclossene Opern-Theatrum wieder eröffnet wurde:20

Offenbar nahm Pisendel gezielt Kontakt mit gleicaltrigen Zeitgenossen auf, wie sein Besuc bei Bac und sein Brief an Telemann im Frühjahr 1709 zeigen. Vielleict wurde er auc durc das Vorbild der Künstlerfreundscaft zwiscen Pisto$ci und Torelli dazu angeregt, Kontakt zu gleicaltrigen deutscen Komponisten zu sucen. Auc Melcior Hoffmann ($a. 1685–1715), der Nacfolger Telemanns als Dire$tor Musi$es der Leipziger Neukirce und Leiter des Collegium musi$um, war für Pisendel ein interessanter Partner, denn er galt als ein galanter und gefälliger Komponist und komponierte deutsce Opern für die Leipziger Bühne. Durc seine Ausbildung als Kapellknabe am Dresdner Hof war er überdies wie Pisendel mit italieniscer Musik vertraut. Die musikaliscen Aktivitäten der Leipziger Studenten umfaßten ein ebenso breites Spektrum wie am Ansbacer Hof, denn Kammer- und Tafelmusik wurde bei den Zusammenkünften des Collegium musi$um gepflegt, das auc die groß besetzten Festaufführungen zu weltlicen und kirclicen Anlässen bestritt. Aus den Reihen des Collegium musi$um rekrutierten sic auc die Musiker für die gewöhnlice Figural17

Vgl. Jung 1956, 11f. Es handelt sic um das dritte Konzert aus der Sammlung Harmonia Mundi […] The 2.nd Colle$tion, erscienen bei Walsh und Hare (Dru%e in GB-DR$ und GB-Lbm), vgl. Talbot 1968, 226. 18 Vgl. Sculze 1983 I, 76, und Sculze 1984, 28. Das Konzert entstammt Albinonis Sammlung Sinfonie e Con$erti a 5 op. 2, die bereits 1700 in Venedig erscienen ist, und kommt dem Typus des angeblicen „Torelli“-Konzerts von Pisendel sehr nahe. Ein Exemplar dieser Sammlung, die in Amsterdam nacgedru%t wurde, befindet sic in D-Dl Mus. 2199-O-1 und gehörte möglicerweise zu Pisendels Notenbibliothek. 19 Außerdem hat Bac in Weimar drei Themen aus Albinonis Suonate a tre op. 1 (1694) für seine Fugen BWV 946, 950 und 951 verwendet, vgl. Talbot 1990, 21. 20 Mattheson 1740, 344.

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musik an der Neukirce und sogar für die Opern, die dreimal im Jahr zu den Messezeiten aufgeführt wurden. Im Unterscied zu Ansbac fand Pisendel hier einen idealen Nährboden für seine Neigungen und Talente vor, denn er braucte als Geiger keine Konkurrenz zu fürcten und konnte zudem aufgrund seiner Erfahrung mit italieniscer Instrumentalmusik eigene Akzente setzen. Um die vielfältigen Möglickeiten zu musikaliscer Betätigung kennen zu lernen, die sic Pisendel zu dieser Zeit in Leipzig boten und die er als Vertreter Hoffmanns sogar zeitweise selbst gestalten konnte, sollen die drei Bereice Collegium musi$um, Neukircenmusik und Oper einzeln untersuct und vorgestellt werden.

Das Leipziger Collegium musi$um Das Leipziger Collegium musi$um besaß eine große Anziehungskraft für musikalisce Studenten. Nacdem es auc im 17. Jahrhundert immer wieder Zusammenkünfte musikaliscer Studenten gegeben hatte, wurde das Collegium musi$um erst durc die Initiative Telemanns ab etwa 1702 zu einer dauerhaften Einrictung. Zu den wictigsten Mitgliedern dieses Collegium musi$um gehörten vor allem Heinicen und Hoffmann, deren Handscriften unter den von Telemann verwendeten Aufführungsmaterialien dieser Zeit identifiziert werden konnten.21 Telemann screibt in seiner Autobiographie von 1718: Dieses Collegium, ob es zwar aus lauter Studiosis bestehet / deren öffters biß 40. beysammen sind / ist nicts desto minder mit vielem Vergnügen anzuhören / und wird nict leict / derer mehrentheils darinnen befindlicen guten Sänger zu gescweigen / ein Instrument zu finden seyn / welces man nict darbey antrifft. Es hat etlice mahl die Ehre gehabt / […] grosse Fürsten zu divertiren. Sonst versiehet es die Musi$ in der neuen Kirce. Endlic gereicet auc zu dessen Ruhme / daß es vielen Oertern solce Musi$os mitgetheilet / die man jetzo unter die berühmtesten zehlet. Als in Dreßden ex$elliret Mr. Pisendel auf der Violine […].22

Als Telemann 1705 das Amt des Kapellmeisters in Sorau übernahm, trat Hoffmann dessen Nacfolge in Leipzig an. Auc unter seiner Direktion hatte das Collegium musi$um nac Stölzels Aussage nicts von seiner Attraktivität eingebüßt. Da Stölzel in seinen Leipziger Studienjahren 1707–1710 selbst Mitglied dieses Ensembles war und die Ankunft Pisendels miterlebte, entsprict seine Bescreibung dem Zustand, den auc Pisendel zwiscen 1709 und 1711 antraf: Das Collegium musi$um, welces er [Hoffmann] dirigirte, zog mic, gleic in den ersten Tagen meiner Ankunfft in Leipzig, zu ihm. Dieses war nict allein sehr star% besetzt, sondern ließ sic auc vortreflic wohl hören. […] Das Instrumenten-Chor […] krönte gleicsam der nunmehro Königl. Polnisce und Chur-Säcs. Con$ertmeister, Herr Pisendel. […] In allen bestunds wohl aus 40. Personen. Ein solcer Chor ließ sic damahls zwar nur an hohen Festen, und zur Meßzeit, in der neuen Kirce zu Leipzig hören […].23

21

Vgl. Glö%ner 1990, 37f. Telemann-Autobiographie 1718, zitiert nac Telemann-Dok. 1981, 96. 23 Mattheson 1740, 117. Offensictlic orientiert sic Stölzel in seine Erinnerungen an der Vorlage Telemanns, wie die Parallelen in der Formulierung und im Aufbau deutlic zeigen. In den Bericten von 22

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Wie Stölzel sucte auc Pisendel „kurz nac seiner Ankunft in Leipzig“ (V67) Anscluß an das Collegium musi$um. Es fällt allerdings auf, daß die Namen anderer prägender Musiker wie Heinicen und Fasc in Stölzels Berict fehlen. Heinicen war zur Zeit Stölzels nict mehr Mitglied im „Telemanniscen“ Collegium musi$um, sondern lebte in Weißenfels, wo er seit 1706 als Advokat praktizierte. Bei seiner Bewerbung um Telemanns Nacfolge 1705 war Hoffmann ihm vorgezogen worden.24 Da Heinicen aber mit seinen Kompositionen für die Oper in Weißenfels Erfolg hatte, wurde er 1709 nac Leipzig zurü%gerufen. Bei dieser Gelegenheit übernahm Heinicen „die Anführung des einen Collegii musi$i, welces auf dem damaligen Lehmanniscen Caffeehause am Markte gehalten wurde.“25 Dieses „eine“ beziehungsweise eigentlic das „zweite“ Leipziger Collegium musi$um war im Jahr zuvor von dem ehemaligen Thomasscüler Johann Friedric Fasc gegründet worden, wie aus dessen Autobiographie hervorgeht: Sonntags nac Endigung der Gottesdienste, [legte ic] in meinem Quartiere ein Collegium Musi$um an, welces sic von Studiosis nac und nac bis auf 20 Personen verstärkete, und da [eine „Abendmusi$“ aufgeführt] werden sollte, ic aber mein Collegium Musi$um einige Zeit vorher auf das Lehmannisce Caffeehaus verleget, solces sic an der Zahl merklic verstärket hatte; so wurde mir die Composition aufgetragen.26

Neben dem Hoffmanniscen bestand also ein „zweites ordinaires Collegium musi$um“,27 das bereits seit 1709 (teilweise unter Heinicens Leitung) im „Lehmanniscen Caffeehause am Markte“ musizierte. Aufgrund einer Angabe im Leipziger Adreßbuc aus dem Jahr 1713 wird dieses Lokal dagegen mit dem Hoffmanniscen Collegium musi$um in Verbindung gebract.28 Aus dieser Quelle geht hervor, daß das Collegium musi$um mittwocs und freitags von 20 bis 22 Uhr bei dem „HofCho$olatier“ Johann Lehmann am Markt „in Sclaffs-Hause“ musiziert habe.29 In V56 wird als Adresse des Hoffmanniscen Collegium musi$um wiederum der „Rannstädter Scießgraben“ angegeben.30 Hiller, der ja im Zusammenhang mit Heinicen das Lokal des „Fasciscen“ Collegium musi$um mitgeteilt hatte, präzisiert die Angaben aus V56 und screibt, das Hoffmannisce Collegium musi$um sei unter Pisendels Leitung „im Ranstädter Scießhause gehalten“ worden.31 Dieser sceinbare Widerspruc ließe sic auflösen, wenn angenommen wird, daß Hoffmann sein Collegium musi$um nac seiner Rü%kehr aus England vom Ranstädter Scießhaus ebenfalls in das gut besucte Lehmannisce Caffeehaus verlegt habe. Die Vermutung, daß beide Musiziervereinigungen im gleicen Lokal ihre „Collegien“ abhielten, wird durc Scering gestützt, der den Mittwocstermin im

Telemann und Stölzel wird Pisendel an erster Stelle genannt, wenn es um ehemalige Mitglieder des Collegium musi$um geht, die auf bedeutende Positionen in der damaligen Musikwelt berufen worden sind. 24 Vgl. Glö%ner 1990, 39. 25 Hiller 1784, 131. Vielleict hat Heinicen sic bereits zwiscen der erfolglosen Bewerbung um die Nacfolge Telemanns 1705 und seinem Studienabscluß 1706 diesem „zweiten“ Collegium musi$um zugewandt. 26 Fasc-Autobiographie 1757, 125f. 27 Vgl. Scering 1926, 345. 28 Vgl. Glö%ner 1990, 23, und Glö%ner 1997, 293. 29 Zitiert nac Glö%ner 1997, 293. 30 Vgl. V56, 301. 31 Vgl. V84, 186.

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Lehmanniscen Caffeehause dem Hoffmanniscen Collegium zuweist.32 Allerdings sceinen die Leipziger Chronisten die zwei Musiziervereinigungen und ihre jeweiligen Termine nict streng unterscieden und sogar mitunter verwecselt zu haben.33 Im Fall Pisendels kann immerhin davon ausgegangen werden, daß das ehemalige „Telemannisce“ Collegium Musi$um zu seiner Zeit tatsäclic im „Ranstädter Scießhause“ musiziert hat. TABELLE 2: Lokale und Termine der studentiscen Musiziervereinigungen in Leipzig34

„Fascisces“ Collegium musi$um (1709 Heinicen, 1710 Fasc, 1718 Vogler, 1720 Endler, 1723 Görner) 1709 $. Lehmannisces Caffeehaus (Autobiographie Fasc) 1709 Lehmannisces Caffeehaus (Hiller 1784) 1710 $. Lehmannisces Caffeehaus, Mi 20-22.00 (Scering 1926, 344) 1720 Zimmermannsces Caffeehaus, Fr 20-22.00 (Glö%ner 1997, 298) 1721 Zimmermannsces Caffeehaus, Fr 20-22.00 (Scering 1926, 345) 1723 Scelhafers Haus, Mi 20-22.00 (Scering 1926, 345) 1736 Enoc Rictersces Caffeehaus, Mo 20-22.00, zu Messezeiten: Mo + Do (Scering 1926, 345)

1705 $. 1710 $. 1712 $. 1713 1716 1717 1720 1721 1723 1736 $.

„Telemannisces“ Collegium musi$um (1705 Hoffmann, 1715 Vogler, 1718 Scott, 1729 Bac) Ballhaus in Hohmanns Hof, Fr + Sa 20-22.00 (Scering 1926, 338) Ranstädter Scießhaus (V56, 301, und V84, 186) Lehmannisces Caffeehaus, Mi 20-22.00, „zeitweilig mit zweitem Übungstag“ (Scering 1926, 338) Lehmannisces Caffeehaus, Mi + Fr 20-22.00 (Glö%ner 1997, 298) [wohl Lehmannisces Caffeehaus], Mi + Fr 20-22.00 (Scering 1926, 338) Lehmannisces Caffeehaus, Mi + Fr 20-22.00 (Glö%ner 1997, 298) Hemms Rats-Weinkeller, Do 20-22.00 (Glö%ner 1997, 298) Helwigs Caffeehaus, Do 20-22.00 (Glö%ner 1997, 298) Sommer: Zimmermannscer Garten, Mi 16-18.00, Winter: Zimmermannsces Caffeehaus, Fr 20-22.00 (Glö%ner 1997, 298) Zimmermannsces Caffeehaus, zu Messezeiten: Di + Fr (Scering 1926, 338)

Über das Repertoire, das zur Zeit Pisendels im Collegium musi$um zu Gehör gebract wurde, lassen sic keine genauen Angaben macen. Stölzels Berict von den wöcentlicen Konzertveranstaltungen in Prag, deren Zeuge er zwiscen 1715 und 1717 war, vermittelt möglicerweise einen Eindru% vom Ablauf solcer abendlicen Veranstaltungen: „Der Anfang wurde mit einer Ouvertüre gemact; hierauf wurden 32

Vgl. Scering 1926, 338, leider ohne Angabe der Quelle. Freundlicer Hinweis von Herrn Dr. Andreas Glö%ner. In diesem Zusammenhang sei auf die noc nict abscließend geklärte Frage hingewiesen, ob Vogler als Leiter des Collegium musi$um tatsäclic vom „Telemanniscen“ in das „Fascisce“ überwecselte (so Glö%ner 1990, 79f, bzw. Glö%ner 1997, 298) oder ob Scott nict etwa das „Fascisce“ Collegium geleitet hatte, als er zum Neukircenorganisten berufen wurde, denn Endler versah zwiscen dem Weggang Voglers und der Ernennung Scotts zunäcst die Dienste in der Neukirce. In diesem Fall wäre das „Bacisce“ Collegium musi$um nict aus der Linie Telemanns, sondern aus der Linie Fascs hervorgegangen. 34 Eine Aufstellung der Lokale und Termine beider Musiziervereinigungn bringen Scering 1926, 338 und 345, und Glö%ner 1997, 298. 33

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Con$erte gespielet, und auc wecselsweise darunter gesungen, oder Solo gehöret. Den Scluß aber macte eine star%e Symphonie.“35 Auc der aufsehenerregende Einstand Pisendels mit einem virtuosen, italieniscen Violinkonzert würde in diesen Rahmen passen. Da die Ouvertüren-Suiten, Instrumentalkonzerte, Opernarien, Solokantaten und Kammermusik aller Art in der Regel ohne vorherige Proben vom Blatt („prima vista“) gespielt wurden,36 waren die ausführenden Kollegen zugleic die aufmerksamsten Zuhörer. Das sonstige Kaffeehaus-Publikum hat man sic mitunter rect geräuscvoll vorzustellen, so daß unter den Musizierenden eine lo%ere, fast private Atmosphäre entstand, in der auc manc studentiscer Kompositionsversuc relativ „unbeactet“ vorübergehen konnte. Erst in späterer Zeit mag sic der Stellenwert dieser abendlicen Darbietungen von der „Tafelmusik“ zum „Kammerkonzert“ verscoben haben.37

Die Neukircenmusik zu Leipzig Seitdem Telemann im September 1704 zum Musikdirektor der Leipziger Neukirce ernannt worden war, rekrutierte sic die „Neukircenmusik“ aus den Reihen des Collegium musi$um, denn Telemanns Nacfolger an der Neukirce waren bis zu Bacs Zeit auc gleiczeitig dessen Leiter. Aus den Angaben Telemanns und Stölzels geht hervor, daß die größten Besetzungen des Collegium musi$um (außer bei festlicen Huldigungsmusiken) zu Aufführungen in der Neukirce zusammenkamen. Beide nennen dafür die Zahl von bis zu 40 Personen. Zur Häufigkeit solcer Aufführungen screibt Stölzel: „Ein solcer Chor ließ sic damahls zwar nur an hohen Festen, und zur Meßzeit, in der neuen Kirce zu Leipzig hören.“38 Aufgrund einer neueren Untersucung der erhaltenen Kircenkompositionen von Melcior Hoffmann lassen sic diese Angaben Stölzels bestätigen.39 Danac kam groß besetzte und reic instrumentierte Figuralmusik nict nur an den hohen kirclicen Feiertagen, wie früher vermutet wurde,40 sondern auc an den Sonntagen zu Zeiten der Neujahrs-, Oster- und Micaelismesse zur Aufführung.41 Das bedeutet, daß insgesamt an mindestens 29 Sonn- oder Feiertagen im Jahr Figuralmusik in der Neukirce erklang.42 Bei dieser Gelegenheit wurden die rect zahlreic nacweisbaren Kircenkompositionen Hoffmanns (40 Kantaten, 8 lateinisce Figuralwerke, je eine Trauerund Ratswecselkantate), aber auc Werke von Telemann und Stölzel aufgeführt.43 35

Mattheson 1740, 102. Zum Repertoire des Collegium musi$um vgl. Scering 1926, 341f, und Glö%ner 1997, 296f, der auc im Zusammenhang mit den erhaltenen Arien aus Hoffmanns Opern auf das Collegium musi$um verweist. 37 Das Repertoire des Collegium musi$um zur Zeit Bacs läßt sic rect gut rekonstruieren, da der musikalisce Naclaß seines zeitweiligen Leiters und Konzertmeisters, Carl Gotthelf Gerlac, von dem Leipziger Verleger Breitkopf angekauft und in dessen gedru%ten Angebotslisten überliefert ist, vgl. Glö%ner 1997, 296. 38 Mattheson 1740, 117. 39 Vgl. Hoffmann-Werkverzeicnis, Glö%ner 1990, 45ff. 40 Vgl. Glö%ner 1990, 38. 41 Vgl. die kalendarisce Aufstellung bei Glö%ner 1990, 70f. 42 Die Aufstellung Glö%ners wäre noc um den Sonntag Exaudi zu ergänzen, wie die Kantate „In dic hab ic gehoffet, Herr“, Hoffmann-Werkverzeicnis A 19 (Glö%ner 1990, 49), zeigt. In diesem Fall würde sic die Gesamtzahl der Sonn- und Feiertage, an denen figuraliter musiziert wurde, auf 30 erhöhen. 43 Zum Repertoire der Neukircenmusik unter Hoffmann vgl. Glö%ner 1990, 71f und 37 (zu Telemanns Werken). Zu Stölzels Werken vgl. Mattheson 1740, 119. 36

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Während alle Studenten zu den Treffen des Collegium musi$um freien Zugang hatten, sceint die Neukircenmusik lediglic in einer Auswahl aus dem Collegium musi$um bestanden zu haben. Dies geht jedenfalls aus einer Notiz in Christoph Ernst Si$uls Leipziger Annalen auf das Jahr 1717 hervor: „[…] in der neuen Kirce ist nur dann und wann / vornehmlic aber an hohen Festen / gar scöne Musi$ / die der darzu verordnete Dire$tor und Organist durc die geübtesten Musi$os aus denen Studiosis bestellet […].“44 In diesem Zusammenhang verweist Glö%ner auf die Ausführungen des Leipziger Theologiestudenten Gottfried Ephraim Sceibel von 1721, dessen musikästhetisce Positionen ganz offensictlic von der Praxis der Neukircenmusik beeinflußt worden sind.45 Dazu gehört auc der Hinweis auf eine Kircenmusik, bei der „jede Partie der Stimme mit einem oder auffs höcste mit zweyen Subje$tis“ besetzt werden solle.46 Eine derart kleine Besetzung sceint jedoc mit der von Telemann und Stölzel angegebenen Gesamtzahl von bis zu 40 Mitwirkenden und dem erhaltenen Aufführungsmaterial im Widerspruc zu stehen und wird daher von Glö%ner als „eigene Wunscvorstellung“ Sceibels bezeicnet.47 Selbstverständlic deutet eine große Zahl von studentiscen Musikern auf das Mitwirken von Ripienisten in Chor und Orcester. Auf der anderen Seite läßt sic anhand originaler Stimmensätze, sofern sie als einigermaßen vollständig überliefert angesehen werden können, die Zahl der Mitwirkenden ungefähr rekonstruieren. Dabei muß berü%sictigt werden, daß der Spieler des Continuo-Streicinstruments – in diesem Fall wohl der erwähnte Violon$ellist Goetze – keine eigene Stimme erhält, weil er in der Regel bei einem Tasteninstrument sitzt und aus dessen bezifferter Continuostimme mitliest. Zudem läßt sic anhand des erhaltenen Materials erkennen, daß auc in der Neukirce häufig ein Fagott besetzt war, ohne daß es im Titel eigens aufgeführt sein muß.48 Außerdem sind in einigen originalen Stimmensätzen Violinstimmen doppelt vorhanden, die auf eine Besetzung mit Ripienisten hindeuten. Auffällig ist, daß die Gesangspartien in dieser Zeit keine Dubletten aufweisen, so daß der Chor nict allzu groß gewesen sein kann.49 In der folgenden Tabelle soll die Zahl der Mitwirkenden in der Neukircenmusik unter Hoffmann anhand der originalen Stimmensätze zur Kantate Singet dem Herrn ein neues Lied (Hoffmann-Werkverzeicnis A 6, irrtümlic Telemann zugewiesen als TVWV 1:1748), die Hoffmann zum Neujahrstag 1708 komponiert hat, und zum San$tus in D-Dur (Hoffmann-Werkverzeicnis C 7, entstanden um 1710) rekonstruiert werden. Dabei wird die Angabe Sceibels so verstanden, daß jede „Partie“ (also das ausgescriebene Exemplar einer Stimme) „mit einem oder auffs höcste mit zweyen Subje$tis“ besetzt wird: 44

Zitiert nac Glö%ner 1990, 38. Vgl. Glö%ner 1990, 85. 46 Gottfried Ephraim Sceibel, Zufällige Gedan%en von der Kircen-MUSIC, wie Sie heutiges Tages bescaffen ist, Leipzig 1721, 54, zitiert nac Glö%ner 1990, 85. 47 Vgl. Glö%ner 1990, 85. 48 Vgl. Hoffmann-Werkverzeicnis bei Glö%ner 1990, 45ff, Lateinisce Kircenmusik Nr. C 2a, C 6 und C 7. Offenbar war es auc für Breitkopf, der die musikaliscen Naclässe Leipziger Musikdirektoren aufkaufte, selbstverständlic, daß solce Continuoinstrumente beteiligt waren, denn in seinen Verlagsangeboten screibt er in der Regel „Basso“, auc wenn differenzierte Stimmen nacweislic vorhanden waren. 49 So auc Scering 1926, 118. Glö%ner 1990, 72, hält diese Auffassung für „unhaltbar“, da aus späterer Zeit (um 1730) Ripieno-Vokalstimmen erhalten sind. 45

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TABELLE 3: Besetzungsstärken unter Melcior Hoffmann nac Originalstimmensätzen50 Kantate Singet dem Herrn ein neues Lied (A 6)

San$tus in D-Dur (C 7)

[Originale Stimmen:] Soprano Alto Tenore Basso Violino 1 Violino 1 Violino 2 Violetta Violono Prin$ipal Tromba 1 Tromba 2 Tympano Harpa 1 Harpa 2 Cal$edon Continuo Organo transposto Summe

[Originale Stimmen:] [Canto, nict erhalten] Alto [Tenore, nict erhalten] Basso Clarino 1 Clarino 2 Prin$ipal Violino 1 Violino 1 Violino 2 Violino 2 Violetta Violono Bassono Continuo Summe

[Besetzung:] 1-2 1-2 1-2 1-2 1-2 1-2 1-2 1-2 1 1 1 1 1 1 1 1-2 3-5 (+ Vl$./Fag.) 1-2 20-32

[Besetzung:] 1-2 1-2 1-2 1-2 1 1 1 1-2 1-2 1-2 1-2 1-2 1-2 1-2 2-3 (+ Vl$.) 16-28

Die Idealbesetzung nac Sceibel summiert sic aufgrund der Originalstimmensätze auf 20-32 beziehungsweise 16-28 Mitwirkende. Um die erwähnte Höcstzahl von 40 Mitwirkenden, die nur zu besonderen Anlässen zusammenkamen, zu erreicen, wären bei einer ‚großen‘ Besetzung der Kantate lediglic act zusätzlice Ripienisten auf Chor und Orcester zu verteilen – darunter sicer auc Oboen und Fagotte, die Violinen und Bässe verstärken. Daß die Zahl der Ripienisten nict größer ausfällt, liegt an der verhältnismäßig großen Zahl der Generalbaß-Instrumente, auf die hier allein sieben bis elf Mitwirkende entfallen.51 Während die beiden Harfen in diesem Fall aus textlicen Gründen mit obligaten Partien bedact wurden (Aria „Lobet den Herrn mit Harfen und Psalmen“), findet sic der Cal$edon (eine Art Baßlaute) auc in anderen Stimmensätzen. Allerdings dürften gerade die Akkord-Instrumente wie Tasteninstrumente, (Spitz-)Harfen sowie alle Arten von Lauten und Zistern in großer Zahl an den Aufführungen in der Neukirce beteiligt gewesen sein, denn sie waren als Begleitinstrumente für die beliebten „Studentenlieder“ sehr verbreitet.52 Auf eine solce farbenreice Generalbaßbesetzung bezieht sic möglicerweise Telemann, wenn er die große Vielfalt vorhandener Instrumente in seinem Collegium musi$um hervorhebt: „Dieses Collegium, ob es zwar aus lauter Studiosis bestehet / […] ist nicts desto minder mit vielem Vergnügen anzuhören / und wird nict leict / […] ein Instrument zu finden seyn / welces man nict darbey antrifft.“ Jedenfalls wird deutlic, daß die sceinbar unvereinbaren Gegensätze zwiscen einer kleinen Besetzung mit höcstens „zweyen Subje$tis“ pro Stimme und einer Besetzung mit 50

Vgl. Glö%ner 1990, 47. Vgl. hierzu Dreyfuß 1987, 229f. 52 Vgl. Scering 1926, 347 und 360. 51

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zahlreicen Ripienisten relativiert werden, wenn die zeittypisce Vielfalt der Generalbaßbesetzung berü%sictigt wird. Unklar bleibt, ob die Musiker für ihre Mitwirkung an den Festmusiken der Neukirce bezahlt worden sind. Angesicts der großen Zahl der studentiscen Musiker ersceint dies eher unwahrsceinlic. Für das „Fascisce“ Collegium Musi$um, das zur Adventszeit 1710 für die im gleicen Jahr als Universitätskirce neu eingerictete Paulinerkirce engagiert wurde, läßt sic jedenfalls nacweisen, daß seine Mitglieder unentgeltlic spielten.53

Die Leipziger Oper Wenige Jahre vor der Ankunft Pisendels in Leipzig wurde „das eine Weile versclossene Opern-Theatrum wieder eröffnet“.54 Nac dem Tod seines Gründers, des Dresdner Hofkapellmeisters Nikolaus Adam Strungk, im Jahr 1700 wurde diese private Unternehmung von dessen Töctern und seinem Scwiegersohn Samuel Ernst Döbrict, die alle auc als Sänger auf der Bühne standen, nac kurzer Unterbrecung weitergeführt.55 Während zur Zeit Strungks professionelle Musiker von benacbarten Höfen als Sänger engagiert wurden, kamen die Sänger bei der „von denen Strun%iscen Erben gehaltenen Opera“56 häufig aus den Reihen der Studenten. Auc das Opernorcester, in dem zuvor bereits einige Studenten saßen,57 setzte sic nun vollends aus Mitgliedern des Collegium musi$um zusammen, und selbst die Komponisten dieser Zeit stammten aus ihren Reihen, so daß man mit Rect von der Fortsetzung des Strungk’scen Unternehmens als „Studentenoper“58 sprecen kann. Die Leipziger Oper war zweifellos die professionellste Unternehmung, an der Mitglieder des Collegium musi$um mitwirken konnten, und bot jungen Musikern die Gelegenheit, außerhalb höfiscer Musikpflege Opernerfahrung zu sammeln. Zudem bedeutete die Mitwirkung eine nennenswerte Geldquelle für die Studenten.59 Daher wurde sicerlic auc hier eine strenge Auswahl unter den Mitgliedern des Collegium musi$um getroffen, denn die oben zitierte Besetzungsangabe Sceibels läßt sic ohne weiteres auf ein Opernorcester dieser Zeit übertragen. Entsprecend der alten Konzession Strungks öffnete die Leipziger Oper nur dreimal im Jahr, jeweils drei Wocen lang, montags bis freitags, zur Neujahrs-, Oster- und Micaelismesse ihre Pforten, denn zu dieser Zeit hielten sic zahlreice auswärtige Besucer und Händler in der Stadt auf.60 Die einzige Ausnahme bildete Heinicens Oper Der angenehme Betrug oder Der Carneval von Venedig, die am 5.12.1709 anläßlic der 300-Jahrfeier der Universität wiederholt wurde. Zu jeder Messe wurde mindestens eine neue Oper herausgebract, von denen üblicerweise weder Text53

Vgl. Scering 1926, 326. Mattheson 1740, 344. 55 Zur Gescicte der Leipziger Oper vgl. die Zusammenfassung bei Bro%pähler 1964, 253f. 56 V56, 301. 57 Vgl. Hobohm 1990, 52. 58 Bro%pähler 1964, 254. 59 Vgl. Bro%pähler 1964, 254. 60 Vgl. Hobohm 1990, 51. 54

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dicter noc Komponist oder Ausführende in den erhaltenen Textbücern genannt werden.61 Aufgrund der Angaben von Telemann, daß er auc noc von Sorau und Frankfurt aus regelmäßig neue Opern (teilweise mit eigenem Libretto) nac Leipzig gesandt habe, deren Zahl er mit „etlice und zwanzig“ angibt,62 wird allgemein davon ausgegangen, daß die Mehrzahl der Opern aus diesem Zeitraum, zu denen der Komponist nict anderweitig zu erscließen ist, von Telemann stammt.63 Obwohl die Leipziger Opern in der Regel auf deutsc gesungen wurden, war es zur Zeit Pisendels üblic, einige italienisce Arien einzuflecten. Offenbar war dies ein Zugeständnis an den Musikgescma% der adeligen Opernbesucer, wie aus Heinicens Vorwort zu seiner Oper Die lybisce Talestris, die zur Micaelismesse 1709 erstmals gegeben wurde, hervorgeht: „Zwar sind […] statt Teutscer einige Italiänisce Arien eingerü%et, damit gewisser vornehmen Personen Goût in der Musi$ mic submittierte.“64 In der erwähnten Heinicen-Oper Der angenehme Betrug oder Der Carneval von Venedig sind neben dreiundzwanzig deutscen und neun italieniscen Arien sogar auc eine französisce Arie enthalten.65 Auc sonst spielte französisce Musik in den Opernaufführungen eine Rolle, denn zu jeder Oper gehörte auc ein „ansprecendes Ballett“, das wohl von ortsansässigen Tanzmeistern bestritten wurde.66 Der von Heinicen zitierte „Goût in der Musi$“ gewisser vornehmer Personen erforderte also bereits 1709 von den Leipziger Opernmusikern einen stilsiceren Wecsel zwiscen italieniscer Ausdru%skunst in einigen Arien und französiscer Lebendigkeit in den getanzten Entrées und Aktsclüssen. In der folgenden Übersict wird der Spielplan der Leipziger Oper zur Zeit Pisendels wiedergegeben. Diejenigen Opern, deren Komponist nict bekannt ist, wurden mit „Telemann?“ gekennzeicnet. Darüber hinaus ist in der Literatur wiederholt vermutet worden, daß die Oper zur Neujahrsmesse 1710 Die getreue Scäferin Daphne von Pisendel komponiert worden sein könne.67 Da von Pisendel bislang keine Vokalwerke bekannt sind und die Lebensbescreibungen auc keinen Hinweis auf solce Kompositionen enthalten, kann wohl davon ausgegangen werden, daß es sic hierbei um eine Fehlzuscreibung handelt.68 Zudem bestand kein Anlaß für Pisendel, mit einer Oper an die Öffentlickeit zu treten, denn der Direktor Musi$es des Collegium musi$um und der Oper, Melcior Hoffmann, hatte seine Reise nac England zu diesem Zeitpunkt noc nict angetreten.

61

Vgl. Hobohm 1990, 53f. Vereinzelt sind Namen der Ausführenden durc zeitgenössisce Notizen überliefert. 62 Mattheson 1740, 359. 63 Vgl. Scering 1926, 456, Bro%pähler 1964, 256, und Hobohm 1990, 56f. 64 Zitiert nac Scmidt 1918, 240. 65 Vgl. Scmidt 1918, 241. Bereits Pisto$cis Ansbacer Komödie Le pazzie d’amore e dell’interesse von 1699 enthielt italienisce, französisce und deutsce Texte, vgl. Abscnitt II, 1: „Als Kapellknabe am Ansbacer Hof“. 66 Für die Zeit Pisendels wird von einem gewissen Tanzmeister Cölln berictet, daß er sic durc „ex$ellente Gesci%lickeit als Componist der Ballets in den hiesigen Opern in ungemeines Renommée gesetzt“ haben soll, vgl. Scering 1926, 463, und Hobohm 1990, 52. 67 Vgl. Scering 1926, 463, ebenso Hobohm 1990, 52. 68 Vgl. Jung 1956, 14.

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TABELLE 4: Spielplan der Leipziger Oper zur Zeit Pisendels 1709—171169 1709

Neujahrsmesse: - A$ontius und Cydippe, Hoffmann (Scering 463, Zuordnung nac Mattheson 1740) - Nar$issus (Leipziger Wiederaufnahme von 1701), Telemann (Hobohm 55) Ostermesse: - Mario , Telemann (Hobohm 55) - Der angenehme Betrug oder Der Carneval von Venedig (Wdh. am 5.12.1709), Heinicen (Scmidt 240) Micaelismesse: - Die lybisce Talestris, Heinicen (Scering 462) Ohne Angabe der Messezeit: - Der glü%lice Liebeswecsel oder Paris und Helena, Heinicen (Scering 462, nac Gerber NTL, zweifelhaft) 1710

Neujahrsmesse: - Die getreue Scäferin Daphne, Telemann? (Scering 463 und Hobohm 52 nennen Pisendel) - Banise oder Die die dritte Abteilung dieser asiatiscen Prinzessin, Hoffmann70 (Glö%ner 63) Ostermesse: - Die über Haß und Race triumphierende Liebe (Pharamund), Telemann? (Scering 466) - Aeneas (Leipziger Wiederaufnahme von 1705), Telemann? (Scmidt 242) Micaelismesse: - Die racgierige Ni$ea, Telemann? (Bro%pähler 258, nac Gottsced) - Pharamund (Leipziger Wiederaufnahme von der Ostermesse 1710), Telemann? Ohne Angabe der Messezeit: - Almira, Telemann? (Scmidt 244) - Germani$us (Leipziger Wiederaufnahme von 1704), Gottfried Grünewald (Scmidt 244) 1711

Neujahrsmesse: - [ursprünglic geplant: Der unglü%lice Al$meon, Telemann?] (Scmidt 245) Ostermesse: - Der unglü%lice Al$meon, Telemann? (Bro%pähler 258) Micaelismesse: - Die syrisce Unruh oder Die beleydigte Liebe, Telemann? (Scering 466)

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Zusammengestellt nac Scmidt 1918, Bro%pähler 1964, Hobohm 1990 und Glö%ner 1990. Von der Aufführung von Hoffmanns Oper „Banise“ ist lediglic das Aufführungsjahr 1710 bekannt. In Ermangelung eines Textbuces konnte nict geklärt werden, zu welcer der drei Leipziger Messen sie auf die Bühne gebract wurde. Da Hoffmann sic jedoc von 1710 bis nac Ostern 1711 auc in der Oper von Pisendel vertreten lassen mußte (V56, 301), kommt nur die Neujahrsmesse 1710 für die Aufführung der „Banise“ in Frage, denn zur Oster- und Micaelismesse 1710 sind bereits je eine Neueinstudierung und eine Wiederholung nacweisbar. 70

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Pisendel als Vertreter Hoffmanns und Musikdirektor des Collegium musi$um Die vorangegangenen Ausführungen lassen erkennen, wie wictig es für einen musikalisc ambitionierten Studenten wie Pisendel war, sofort nac seiner Ankunft in Leipzig Kontakt zum Collegium musi$um aufzunehmen. In diesen Kreisen Gleicgesinnter, die für alles Neue aufgesclossen waren, konnten Kontakte geknüpft und Freundscaften gesclossen werden, die lange Zeit und große Entfernung überdauerten. So konnte sic unter Musikern wie Telemann, Heinicen, Graupner, Hoffmann, Pisendel, Fasc, Stölzel, Böhm und vielen anderen ein außerordentlic fructbarer Austausc entwi%eln,71 der offenbar in dieser Intensität zu dieser Zeit nur in Leipzig möglic war. Eine herausragende Position im Collegium musi$um kam tatsäclic einem „Studium musi$um“ gleic. Hier konnten nict nur in zwanglosem Rahmen solistisce und kompositorisce Fähigkeiten im Kammerstil erprobt werden, sondern durc die Verbindung zur Neukirce und der Leipziger Oper konnten auc Erfahrungen im Kircen- und Theaterstil sowie die Kenntnis der neuesten „Sacen von den berühmtesten deutscen Melothetis“ vermittelt werden. Auc das Untersceiden nationaler Aufführungsstile spielte in den Opernaufführungen eine Rolle, wo deutsce und italienisce Arien sic mit französiscen Balletten abwecselten. Und scließlic bot das Collegium musi$um eine willkommene Geldquelle für die beteiligten Studenten, die zumindest für ihre Operndienste,72 aber möglicerweise auc für einzelne Aufführungen in der Neukirce, entlohnt wurden. War ein musikalisc ambitionierter Student wie Pisendel im Collegium musi$um unentbehrlic geworden, blieb für akademisce Studien wahrsceinlic nur noc wenig Zeit. Neben den wöcentlicen Zusammenkünften des Collegium musi$um mußte nämlic die Neukirce an mindestens 29 Tagen im Jahr mit Figuralmusik versorgt werden, und 45 Spieltage waren für die Leipziger Oper vorbehalten. Hinzu kamen die Huldigungsmusiken, die wie die Opern- und Kircenmusik mit (wenn auc wenigen) Proben vorbereitet werden mußten.73 Dennoc haben Heinicen oder Fasc beispielsweise ihr Studium mit einem akademiscen Titel abgesclossen, während dies von Pisendel, der nur knapp drei Jahre in Leipzig blieb, nict angenommen werden kann. Nict nur im Fall Pisendels kam vielen musikalisc aktiven Studiosi ein attraktives Engagement an einen musikliebenden Hof zuvor, wie bereits der Leipziger Chronist Christoph Ernst Si$ul 1716 in seinem Nacruf auf Melcior Hoffmann hervorhebt: Hr. Melcior Hoffmann, Organist an der Neuen Kirce, ein berühmter Componist, unter dessen Dire$tion ein scön Collegium Musi$um in die 50 bis 60 Personen star% floriret […], daraus viele Virtuosen nict nur zu Cantoraten und Organisten-Diensten, sondern auc an große Höfe, als Dreßden, Darmstadt, Eisenac, Weissenfels, Merseburg, Zeitz e$. befördert worden sind.74

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Vgl. Scering 1926, 453, und Landmann 1978, 20. Auc Huldigungsmusiken für adelige Personen wurden oft fürstlic entlohnt, vgl. Scering 1926, 346. 73 Vgl. Scering 1926, 347. 74 Si$ul 1716, zitiert nac Glö%ner 1997, 294. 72

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Kurz danac weist auc Telemann in seinem oben zitierten Lebenslauf von 1718 auf die Funktion seines Collegium musi$um als ein beruflices Sprungbrett hin: „Endlic gereicet auc zu dessen Ruhme / daß es vielen Oertern solce Musi$os mitgetheilet / die man jetzo unter die berühmtesten zehlet.“75 Insofern hat das Collegium musi$um erfüllt, was sic Strungk von der Gründung der Leipziger Oper 1692 erhofft und dem Kurfürsten in Aussict gestellt hatte, daß nämlic „[…] dadurc das Studium musi$um mehr und mehr ex$oliret, fremde Liebhaber dieser Wissenscaft herbeygebract, und Sie solcergestalt ein Seminarium in dero Lande haben, und daraus […] die abgehenden Stellen bey dero Capelle und Cammer Musi$ ersetzen könnten.“76 Auc im offiziellen Gründungsdekret für die Leipziger Oper wird deren Funktion als eine „Pflanzscule“ für die Dresdner Hofkapelle ausdrü%lic erwähnt.77 Offenbar versäumten die Dresdner Hofmusiker es nict, sic bei ihren Besucen in der Messestadt ein Bild vom musikaliscen Nacwucs zu macen. Daß das Leipziger Collegium musi$um und vor allem die Oper in der Folgezeit tatsäclic die Rolle einer „Pflanzscule“ spielte, wird sic scnell herumgesprocen haben und trug sicer dazu bei, daß Pisendel Leipzig als Studienort wählte. Auc an der Berufung Pisendels nac Dresden 1711 zeigt sic, daß diese Verbindung mit der Dresdner Hofkapelle nac wie vor bestand, denn nac V67 hatte der „damalige Con$ertmeister zu Dresden, Herr Johann Baptist Volümier, welcer Herr Pisendeln zu Leipzig im Collegiomusi$o hatte spielen hören, […] ihn dazu in Vorsclag gebract.“78 Pisendel hatte sic allerdings auc in besonderer Weise bewährt, wie aus V56 hervor geht: Als 1710. der vormalige Musi$-Dire$tor in Leipzig, Hr. Melcior Hoffmann eine Reise nac Engelland gethan, hat er [Pisendel] sowohl das aufm Rannstädter Scießgraben florirende Collegium musi$um, als auc in der Neuen Kirce die Musi$ besorget, auc die von denen Strun%iscen[!] Erben gehaltene Opera aufgeführet. Ao. 1711. reisete er […] nac Darmstadt, eine von dem dasigen Capellmeister Graupnern neuverfertigte Opera aufzuführen, sollte auc unter sehr favorablen Conditionen allda verbleiben, mußte aber solces, weil er zu Ostern wieder in Leipzig seyn mußte, depre$iren. In eben diesem 1711ten Jahre ward er […] nac Dreßden in die Königl. Capelle vo$irt, nac dem er dem aus Engelland wieder gekommenen Musi$-Dire$tor Hoffmann seinen Dienst wieder übergeben.79

Nac diesen Angaben hat Pisendel während der Englandreise Hoffmanns den gesamten Dienst des Musikdirektors übernommen, zu dem der Organistendienst allerdings nict gehörte, denn Hoffmann ließ sic, wie scon sein Vorgänger Telemann, von Studenten an der Orgel vertreten.80 Die Frage, warum unter den hervorragenden Musikern im Umfeld des Collegium musi$um gerade Pisendel und nict etwa Stölzel, Heinicen oder Fasc den Musikdirektor Hoffmann in dieser Zeit vertreten hat, läßt sic relativ leict beantworten. 75 Telemann-Autobiographie 1718. Auc Stölzel weist in seiner Bescreibung des Hoffmannscen Collegium musi$um darauf hin und ergänzt die Angaben Telemanns noc um einige Namen, vgl. Mattheson 1740, 117. 76 Dekret vom 13.6.1692 für den Vizakapellmeister Johann Adam Strungk mit der Erlaubnis, während der Messezeiten in Leipzig ein „teutsces Singe Spiel“ präsentieren zu dürfen, zitiert nac Hobohm 1990, 57. 77 Vgl. Bro%pähler 1964, 254, mit weiteren Nacweisen. 78 V67, 280. 79 V56, 301. 80 Vgl. Scering 1926, 120.

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Der zwanzigjährige Stölzel, der ein Lieblingsscüler Hoffmanns war, verließ Leipzig nämlic noc vor dessen Englandreise, um nac Breslau zu gehen. Der zweiundzwanzigjährige Fasc dagegen war nie Mitglied des Hoffmannscen Collegium musi$um und bemühte sic 1710 darum, mit seinem eigenen Collegium die Direktion der Musik in der neu gegründeten Universitätskirce (Paulinerkirce) zu erhalten. Heinicen scließlic, der aufgrund seines Alters und seiner Erfahrung mit den Leipziger Musikverhältnissen der naheliegendste Kandidat gewesen wäre, stand seit der erfolglosen Bewerbung um die Nacfolge Telemanns vielleict in einer gewissen Konkurrenz zu Hoffmann. Zudem verließ Heinicen Leipzig ebenfalls im Jahr 1710, um nac Italien zu gehen. Unter den hervorragenden Musikern im Umfeld des Collegium musi$um war also nur Pisendel im Jahr 1710 einsatzbereit. Dabei kann es als ein glü%licer Zufall gewertet werden, daß Heinicen und Stölzel, die beide auc mit eigenen Kompositionen hervorgetreten waren, nict mehr zur Verfügung standen, denn sonst wäre die Wahl vielleict nict auf Pisendel gefallen. Dennoc war er als Hoffmanns Stellvertreter der geeignetste Kandidat. Anders als die meisten seiner Kollegen besaß er nämlic professionelle Erfahrung als ehemaliges Mitglied der Ansbacer Hofkapelle. Sehr früh hatte er dort Opern von Pisto$ci und Boxberg kennengelernt, und auc unter dem Ansbacer Kapellmeister Rau wurde offensictlic die Vokalmusik gepflegt. Zudem hatte er sic bereits in den wöcentlicen Collegien, in der Neukircenmusik und in der Oper als „Con$ertist“ und als „Anführer“ bewährt. Bevor die Tätigkeit Pisendels als Musikdirektor genauer bescrieben werden kann, muß allerdings geklärt werden, welce Aufgaben Hoffmann als Dire$tor musi$es der Neukirce besaß und wie lange seine Englandreise – und damit auc die Vertretung durc Pisendel – dauerte. In der Literatur wird davon ausgegangen, daß sic Hoffmann lediglic im Jahr 1710 „auf mehrere Monate“81 beziehungsweise „im Jahre 1710 für längere Zeit“ in England aufgehalten hat.82 Diese Auffassung steht im Widerspruc zu den Angaben aus V56, die von V67 und V84 unverändert übernommen worden sind. Danac ist Hoffmann zwar im Jahr 1710 aus Leipzig abgereist, jedoc erst im folgenden Jahr zurü%gekehrt. Nac V56 hat Pisendel im Anscluß an sein Darmstädter Gastspiel vom Frühjahr 1711 den angebotenen Konzertmeisterposten ausgesclagen, „weil er zu Ostern wieder in Leipzig seyn mußte“.83 Dies deutet darauf hin, daß Pisendel zu dieser Zeit noc die Verantwortung für die Musik im Collegium musi$um, der Neukirce und in der Oper trug. Andernfalls hätte er, wie der erste Oboist des Collegium musi$um, Micael Böhm, der ebenfalls nac Darmstadt gereist war, das attraktive Stellenangebot annehmen können. Aufgrund der Angaben von V56 ist die Rü%kehr Hoffmanns also erst nac der Ostermesse 1711 anzusetzen. Auc Stölzel erwähnt die Englandreise Hoffmanns,84 und aus seinen Angaben läßt sic entnehmen, daß Hoffmann seine Reise erst angetreten hat, als Stölzel bereits in Breslau war. Da Stölzels Abscied aus Leipzig bislang jedoc nur pauscal in das 81

Scering 1926, 344, leider ohne Angabe der Quelle. Vgl. Glö%ner 1997, 297 und 293, wohl nac Scering, ebenso Glö%ner 1990, 40. Dagegen geht Jung 1956, 14, aufgrund der Lebensbescreibungen von einer „fast zweijährigen Reise“ Hoffmanns aus. 83 V56, 301. 84 Vgl. Mattheson 1740, 119. 82

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Jahr 1710 zu datieren ist, hilft dieser Hinweis vorerst nict weiter. Zudem lassen sic offenbar weder in Leipziger Akten noc in engliscen Gazetten dieser Zeit Anhaltspunkte für diese Reise finden.85 Auf der anderen Seite beklagt sic der damalige Thomaskantor Kuhnau noc 1720 darüber, daß die Musikdirektoren der Neukirce ständig verreist seien und das Orgelspielen „ungewascenen Händen“ überließen.86 Angesicts der Verläßlickeit der Angaben aus V56 für die Zeit bis 1718 muß bis auf weiteres davon ausgegangen werden, daß Pisendel tatsäclic von 1710 bis mindestens zur Ostermesse 1711 den Musikdirektor Hoffmann in seinen Ämtern vertreten hat. Aus den vorangegangenen Untersucungen geht hervor, daß die Belastung der herausragenden Mitglieder des Collegium musi$um besonders zu Messezeiten, wo zusätzlic zu den täglicen Opernvorstellungen besondere Ansprüce an die Neukircenmusik gestellt wurden, rect hoc gewesen sein muß.87 In den messefreien Zeiten war lediglic das wöcentlice Collegium musi$um zu bestreiten. Da in der Regel ‚prima vista‘ musiziert wurde, entfiel alles Proben, und die Aufgaben seines Leiters bescränkten sic im Vorfeld der Veranstaltung auf die Anordnung der Werke oder auc die Bescaffung der entsprecenden Musikalien. Umso mehr mußte sic der Leiter während der Aufführungen auf das Zusammenspiel der Musiker und das Treffen des musikaliscen Affekts konzentrieren, um das vielgerühmte Ergebnis zu erzielen. Diese Fähigkeit, eine Komposition im Moment ihres Erklingens zu formen und zu dirigieren, gehörte also zu den wictigsten Voraussetzungen eines Musikdirektors. Hoffmann, der in erster Linie Musikdirektor der Neuen Kirce zu Leipzig war, hatte von Amts wegen für die Figuralmusik an mindestens 29 Sonn- und Festtagen des Kircenjahrs zu sorgen. Da die Zahl der Mitwirkenden an der Kircenmusik besonders zu Messezeiten außergewöhnlic hoc war, mußten die Aufführungen sorgfältiger vorbereitet und geprobt werden als bei einer kleinen Gruppe aufeinander eingespielter, versierter Musiker. Zudem wurde von dem Musikdirektor erwartet, daß er neben fremden Werken auc eigene Kompositionen zu Gehör bracte. Eigene Kompositionen wurden selbstverständlic auc bei Huldigungsmusiken erwartet, deren Probenaufwand wegen der großen Zahl studentiscer Musiker mit derjenigen festlicer Figuralmusik vergleicbar ist. Die Aufgaben Hoffmanns als Musikdirektor der Leipziger Oper waren dagegen ganz anderer Art.88 Wie auc heute noc im Opernbetrieb üblic, mußten zwar die Rollen einstudiert und am Clavier geprobt werden, aber hierbei konnte sic Hoffmann vertreten lassen. Nur wenn er selbst der Komponist (und wie offenbar üblic, auc der Textdicter) der Oper war, übernahm er die Einstudierung selbst, wobei seine Rolle eher mit der eines Dramaturgen oder Regisseurs verglicen werden kann. Allerdings wird sic auc der Bassist Döbrict an dieser Arbeit beteiligt haben, da er die organisatorisce und finanzielle Leitung innehatte und über den Spielplan bestimmte.89 85

Vgl. Glö%ner 1990, 40. Zitiert nac Glö%ner 1990, 22. 87 Vgl. Glö%ner 1990, 71. 88 Die von Hobohm 1990, 53, formulierten Fragen nac den Aufgaben eines „Direktors“ der Leipziger Oper werden unten in Abscnitt IV, 3. „Dirigieren der Orcestermusiker“ behandelt. 89 Vgl. Hiller 1784, 131. 86

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Aus einer solcen Überscneidung der Kompetenzen, die bis heute ständig Anlaß zu Reibereien gibt, entstand wohl 1709 jene „Mißhelligkeit“ zwiscen Hoffmann und den Leipziger Opernvorstehern, die „nict sogleic beygelegt werden konnte,“ so daß Döbrict Heinicen überredete, von Weissenfels nac Leipzig zurü%zukehren und anstelle Hoffmanns einige Opern zu komponieren.90 Es leuctet ein, daß Hoffmann an der Einstudierung von Heinicens Opern nict beteiligt war.91 Da die Mehrzahl der Opern zwiscen 1709 und 1711 offenbar von Telemann geliefert wurde, bescränkten sic die Aufgaben Hoffmanns auf die Bühnenproben mit Orcester, wo er als Musikdirektor das Zusammenspiel von Sängern und Musikern zu gewährleisten hatte. Da das Orcester aus einer kleinen Gruppe hervorragender Musiker bestand, dürfte der Probenaufwand selbst vergleicsweise gering gewesen sein. Seine Aufgaben als Vertreter Hoffmanns und interimistiscer Musikdirektor „verwaltete [Pisendel] mit großem Ruhme“ (V67, 280). Wie oben dargelegt, ist es unwahrsceinlic, daß Pisendel in dieser Zeit selbst Kircenmusik oder sogar eine Oper komponiert hat. Indirekt wird dies auc durc V67 bestätigt. Während es nämlic in V56 heißt, Pisendel habe „auc die von denen Strun%iscen[!] Erben gehaltene Opera aufgeführet“, differenziert V67 diese Passage durc die Angabe, Pisendel habe „die Anführung […] des Orcesters in den damaligen Leipziger Opern über sic“ genommen. Pisendel hat also als „Anführer“ des Opernorcesters lediglic die Orcesterproben und Aufführungen geleitet und war nict an der Einstudierung, gescweige denn an der Komposition beteiligt. Dabei ist davon auszugehen, daß Pisendel dies mit seinem Hauptinstrument, der Violine, und nict vom Cembalo aus getan hat.92 Möglicerweise hatte er ähnlice Aufgaben bereits 1709 übernommen, während Heinicen seine eigenen Opern vom Cembalo aus dirigierte.93 Obwohl Heinicen in dieser Zeit auc die Leitung des „Fasciscen“ Collegium musi$um übertragen wurde, blieb die Zusammensetzung des bewährten Opernorcesters wohl im wesentlicen unberührt, da die Oper ja nict vom jeweiligen Leiter des Collegium musi$um veranstaltet wurde, sondern organisatorisc und finanziell selbständig war.94

Stellenangebote aus Darmstadt und Dresden Solce Direktionsaufgaben als „Anführer“ des Opernorcesters hat Pisendel auc bei seinem Gastspiel in Darmstadt 1711 übernommen, wo er „eine von dem dasigen Capellmeister Graupnern neuverfertigte Opera aufführen“ sollte. Auc diese Angabe wird von V67 dahingehend präzisiert, daß es Pisendels Aufgabe war, „daselbst, bey einer […] neuen Oper, dem Orcester vorzustehen“. Zur Wiedereröffnung des dorti90

Hiller 1784, 131. Glö%ner 1997, 297, vermutet, daß die ausgedehnte Reise Hoffmanns vielleict durc die „Mißhelligkeit“ mit Döbrict veranlaßt sein könnte. Allerdings stand bereits 1710 wieder eine Hoffmann-Oper auf dem Spielplan. 92 Jung 1956, 14, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Pisendel „auc mit Tasteninstrumenten rect gut umzugehen wußte.“ 93 Zum sogenannten Prinzip der „Doppeldirektion“ vgl. unten, Abscnitt IV, 3. 94 Denkbar ist allenfalls, daß herausragende Mitglieder des „Fasciscen“ Collegium musi$um (etwa Fasc selbst) vorübergehend im Opernorcester mitwirkten. 91

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gen Opernhauses am Fastnactsdienstag, den 17.2.1711, sollte die Oper Telemac oder Die durc Weisheit im Unglü% triumphierende Tugend des soeben zum Kapellmeister ernannten Christoph Graupner aufgeführt werden.95 Auc andere Mitglieder der Leipziger Oper waren von dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt, der offenbar zur Neujahrsmesse 1711 nac Leipzig gekommen war, dazu verpflictet worden, an der Festveranstaltung mitzuwirken: die Sopranistin Johanna Elisabeth Döbrict, eine Scwester des Leipziger Opernvorstehers, als Primadonna (Nymphe Kalypso), der Tenor Constantin Knöcel für die Titelrolle (Telemac) sowie der bereits erwähnte Oboist und Flötist Johann Micael Böhm. Nac den Informationen aus V56 reiste der designierte Konzertmeister Pisendel mit dem Landgrafen selbst nac Darmstadt. Auf dieser Reise macte Pisendel Station in Eisenac, wo er mit Telemann zusammentraf.96 Über vierzig Jahre später erinnert sic Pisendel noc an die angeregten musikaliscen Gespräce, die die beiden jungen Musiker damals führten: in pun$to des Grundsatzes wegen der erscöpften Melodie und der unerscöpflicen Harmonie so erinnere mic es bereits aô 1711. auf meiner Reiße nac Darmstatt in Eysenac aus den[!] lehrreicen Mund des unvergleiclicen Herrn Telemanns selbst gehört zu haben, und finde darinnen eine unumstößlice Wahrheit […].97

Auf Kosten des Landgrafen wurden die vier Leipziger Musiker im Gasthaus „Darmstädter Hof“ untergebract und erhielten täglic vier Mahlzeiten. Die Proben fanden im Hause des Ministers Kametzky statt, und am 17., 19. und 23.2.98 wurde die Oper aufgeführt. Offenbar blieben die Musiker noc bis zu einer Ballettaufführung am 6.3.1711 in Darmstadt, denn sie erhielten erst am darauffolgenden Tagen ihr Honorar. Am 9.3.1711 wurden Pisendel außerdem „100 fl. Re$ompens“ und 36 fl. für die Reiseunkosten ausbezahlt.99 Zudem wurden ihnen attraktive Positionen in der Darmstädter Hofkapelle angeboten, die alle Leipziger Musiker mit Ausnahme Pisendels noc im gleicen Jahr annahmen. Pisendel zögerte jedoc, und nacdem er endgültig eine Anstellung in Darmstadt abgelehnt hatte,100 wurde 1712 scließlic der Geiger Johann Jakob Kreß als Kammermusiker angestellt. Anstelle Pisendels erhielt Böhm den Titel eines Konzertmeisters und hatte in diesem Amt einen Teil der Kammermusiken zu leiten.101 Daß der Student Pisendel eine hocdotierte Konzertmeisterposition in Darmstadt aussclug, obwohl sie doc laut V56 mit „sehr favorablen Conditionen“ verbunden war, läßt sic nict allein mit seinem Pflictbewußtsein gegenüber Hoffmann erklä95

Vgl. hierzu Noa% 1967, 175ff. Jung 1956, 52, nimmt an, daß der Landgraf dem Eisenacer Hof einen mehrtägigen Besuc abstattete, der jedoc arcivalisc nict zu belegen ist. Jungs Vermutung, Pisendel habe bei dieser Gelegenheit auc Pantaleon Hebenstreit kennengelernt, ist zu bezweifeln, da der Virtuose sein Kapellmeisteramt 1709 an Telemann abgegeben hatte und sic auf ausgedehnten Konzertreisen mit seinem „Pantaleon“ befand. 97 Brief vom 3.6.1752, vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 363. Zum gleicen Thema vgl. auc Telemanns Brief an Carl Heinric Graun vom 15.12.1751, Telemann Briefwecsel 1972, 284f. 98 Vgl. Bill 1987, 117. Nac Kaiser 1951, 105, und Noa% 1967, 176, fand die dritte Vorstellung am 30.2.1711 statt. Möglicerweise gab es insgesamt vier Vorstellungen. 99 Vgl. Noa% 1967, 176, die bei den Vorarbeiten zu ihrer Veröffentlicung noc auf Akten zurü%greifen konnte, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Bill 1987, 117f, teilt den Wortlaut eines undatierten Dokuments mit, das diese Angaben bestätigt. Pisendels Name ist dort „Bißhendel“ gescrieben. 100 Vgl. Noa% 1967, 181, leider ohne Angabe ihrer Quelle. 101 Vgl. Noa% 1967, 180. 96

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ren, wie es in V56 dargestellt wird. Diese Entsceidung wird nur verständlic, wenn man annimmt, daß Pisendel bereits zu dieser Zeit Verbindungen zur Dresdner Hofkapelle unterhielt und daß ihm dort ebenfalls eine interessante Position in Aussict gestellt wurde. Immerhin berictet V56, daß er bereits „in eben diesem 1711ten Jahre […] nac Dreßen in die Königl. Capelle vo$irt“ worden sei, wobei die Floskel, dies sei „wider alles Vermuthen“ gescehen, nict überbewertet werden sollte. Tatsäclic wird Pisendel scon am 1.12.1711 in den Personalakten der Geheimen Cabinetts Canzley in Dresden als „N.N. Pissendel, Violiste und Cam[m]er Musi$us“ mit einem Gehalt von 400 Talern geführt.102 Spätestens im November 1711 muß die Verwaltung von der bevorstehenden Anstellung Pisendels unterrictet worden sein, und zu dieser Zeit hatte diese Entsceidung natürlic bereits mehrere Instanzen passiert. Da es üblic war, daß die Kandidaten bereits eine Zeit lang in Dresden tätig waren, bevor sie ihre Bestallung erhielten,103 ist die Angabe aus V56 durcaus glaubwürdig, daß Pisendel nac Dresden ging, bald „nacdem er dem zurü% aus Engelland wieder gekommenen Musi$-Dire$tor Hoffmann seinen Dienst wieder übergeben“ hatte. Solange allerdings nict bekannt ist, wann Hoffmann genau zurü%kehrte, kann nict entscieden werden, wann Pisendel Leipzig verließ und wie lange er in Dresden bereits ohne ordentlices Gehalt tätig war. Die Berufung nac Dresden war offensictlic durc Woulmyer zustande gekommen, denn nac V67 hatte der „damalige Con$ertmeister zu Dresden, Herr Johann Babtist Volümier, welcer Herr Pisendeln zu Leipzig im Collegiomusi$o hatte spielen hören, […] ihn dazu in Vorsclag gebract“. Da Pisendel auf die Position eines Premier Violon berufen wurde, liegt es nahe, daß Woulmyer und seine Kapellkollegen ihn als stellvertretenden Musikdirektor und vielleict auc als Solisten des Collegium musi$um beobactet haben. Die entsceidende Begegnung zwiscen Woulmyer und Pisendel könnte zur Neujahrsmesse 1711 in Leipzig stattgefunden haben, denn in den „Leipzigiscen Annales“ dieses Jahres ist an erster Stelle vermerkt, daß „Se. Königl. Majestät in Pohlen und Churfürstlice Durclauctigk. zu Sacsen, […] instehende Neu-Jahrs-Messe zu besucen, unter Begleitung einer kleinen Svite in dem Apeliscen Hause am Mar%te glü%lic und gesund sic eingefunden“ habe.104 Während die Konzerte des Collegium musi$um ohnehin nict im Einzelnen zu rekonstruieren sind, fehlen ausgerecnet für die Neujahrsmesse verläßlice Angaben im Spielplan der Leipziger Oper, so daß nict festgestellt werden kann, welce Oper Pisendel leitete und ob sie sogar Violinsoli und Arien in versciedenen Nationalstilen enthielt. Aus dem erhaltenen Textbuc zur Oper Der unglü%lice Al$meon, die zur Ostermesse 1711 gespielt wurde, geht zwar hervor, daß die Premiere ursprünglic für die Neujahrsmesse geplant war, nict aber, was stattdessen gespielt wurde.105 Jedenfalls trat Pisendel zum 1.1.1712 offiziell seinen Dienst in der Dresdner Hofkapelle an, wie V56 feststellt.106 Diese Angabe wird durc ein Dokument des Oberhofmarscallamts vom Juni 1712 bestätigt, in der alle Mitglieder der Hokapelle verzeicnet sind.107 Dieses Dokument, das hier erstmals zitiert wird, benennt das 102

Vgl. die Wiedergabe des Dokuments bei Treuheit 1987, 45. Vgl. Landmann 1999, 26. 104 Vogel 1714, 1035. 105 Vgl. Scmidt 1918, 245. 106 Da er diese Angabe nict überprüfen konnte, formuliert Agri$ola in V67: „im Januar 1712“. 107 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 8 von Juni 1712. 103

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Dienstalter Pisendels im Juni 1712 mit „1/2. Jahr“ und enthält zudem den frühesten Beleg für den genauen Titel Pisendels: „Premier Violiste u. Cammer-Musi$us“. Die jährlice Besoldung von 400 Talern wird ebenfalls bestätigt und Pisendels Position an siebenter Stelle der Rangfolge verzeicnet. Diese Position steht allerdings im Widerspruc zu der Information, daß „Pisendel gleic nac dem Con$ertmeister Voulmier an die Stelle des bekannten Florelli pla$irt worden“108 sei, die so formuliert ist, als folge Pisendel dem Konzertmeister auc in der Rangordnung. Zwar wurde der Violinist und „Compositeur di Camera“ Carlo Fiorelli, dessen Platz Pisendel erhielt, 1709 mit einem Gehalt von 600 Talern an zweiter Position des Orcesters geführt,109 aber Pisendel erhielt als jüngstes Mitglied zunäcst weder das Gehalt noc den Rang seines Vorgängers. Sein Titel Premier Violiste deutet jedoc darauf hin, daß er im Bezug auf den Streicercor tatsäclic an zweiter Stelle stand, denn er war damit der Stellvertreter des Konzertmeisters. In diesem Sinne ist auc die Formulierung Agri$olas, Pisendel sei „gleic neben den Herrn Volümier an die Stelle des bekannten Florelli gesetzt“110 worden, korrekter. Hiller scließlic spielt in seiner Formulierung direkt auf die Funktion Pisendels als Premier Violiste an, wo es heißt, Pisendel habe „gleic neben dem Con$ertmeister, den ersten Platz im Orcester“111 bekommen. Nac dem Tod Fiorellis wurde in der Dresdner Hofkapelle ein Nacfolger gesuct, der als Geiger neben Woulmyer den italieniscen Violinstil repräsentierte und eine führende Position in der Kammermusik einzunehmen vermocte. Diese Voraussetzungen erfüllte Pisendel, der auc hier, wie scon bei der Vertretung Hoffmanns, wieder zufällig ‚zur rictigen Zeit am rictigen Ort‘ war. Woulmyer hatte Pisendels Lehrer Pisto$ci und Torelli, die beide erklärte Bewunderer Lullys waren, bereits 1698 in Berlin kennengelernt. Obwohl die italienisce Ausrictung von Pisendels Geigenausbildung wahrsceinlic auc in späterer Ansbacer Zeit fortgesetzt worden war, besaß Pisendel dennoc ausreicend Erfahrung mit französiscer Musik und ihrer Aufführungspraxis, denn Ballettmusiken und Ouvertüren-Suiten gehörten nict nur in der Leipziger Oper und dem Collegium musi$um zum täglicen Repertoire.112

108

V56, 301. D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Frantzösiscer Comœdianten... 1703-1720, fol. 110, Besoldungsliste vom 20. November 1709. 110 V67, 280. 111 V84, 186. 112 Nac der Auffassung von Landmann 1980, 24, lernte Pisendel erst nac seiner Berufung an den Dresdner Hof die französisce Spielart kennen. 109

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3. D IE FRÜHEN R EISEN – S TILSTUDIEN UND R EPRÄSENTATION Die Reise nac Frankreic 1714 Mai 1714 [V56, 301]: In Majo 1714. haben S. Kön. Majest. in Pohlen die hohe Gnade gehabt,

ihn nac Frankreic reisen zu lassen, allwo er mit seinen Instrumenten jetziger Königl. Majest. als damahligem Churprinzen ordentlic aufgewartet. [V67, 280, ergänzt]: Im May des 1714ten Jahres ließen ihn Sr. Majestät der König von Pohlen in Gesellscaft einiger anderer Dresdniscer Musiker, nämlic des Kapellmeisters Scmidt, des Con$ertmeisters Volümier, des Hoforganisten Pezold, (eines braven und gründlicen Componisten,) und des berühmten Hoboisten Ricter, nac Frankreic reisen. Auf dieser Reise giengen die jetzt genannten Herren über Lüneville, und ließen sic daselbst vor dem damaligen Herzoge von Lothringen, dem Vater des höcstseeligen Kaisers Franz des ersten, hören. Herr Pisendel und Herr Ricter erhielten dabey besonders vielen Beyfall. Hierauf setzten sie ihre Reise nac Paris fort. Und weil der damalige königl. Churprinz von Sacsen sic eben in Paris befand, so hatte Herr Pisendel allda die Ehre, öfters vor Sr. königl. Hoheit zu spielen. [V67, 291, zitiert Telemann-Brief an Agri$ola, $a. 1757]: Auf der Reise nac Paris wies er eine ganz ungemeine Probe seiner Gelassenheit, da ihm in einem Dorfe, nahe bey Darmstadt, seine Goldbörse gestohlen ward.

Die Angaben der drei frühen Lebensbescreibungen über Pisendels Reise nac Frankreic sind nict sehr umfangreic. V56 erwähnt diese Reise nur mit einem Satz. Agri$ola ergänzt die Namen der mitreisenden Dresdner Kollegen sowie einen Hinweis auf deren Gastspiel vor dem Herzog von Lothringen in seiner Version V67. Telemann hielt außerdem einen Diebstahl von Pisendels „Goldbörse“ auf der Hinreise nac Paris für erwähnenswert, weil Pisendel auf diesen Unglü%sfall außergewöhnlic gelassen reagierte. Diese Informationen werden von V84 übernommen und zusammengefaßt. Dagegen findet sic die auffällige Formulierung, Pisendel habe dem Kurprinzen „mit seinen Instrumenten […] aufgewartet“, die sic später bei der Bescreibung des Venedigaufenthalts wiederholt, nur in V56. Die Bedeutung dieser Angabe, die möglicerweise auf untersciedlice Instrumente hinweist, soll jedoc erst im Zusammenhang mit der zweiten Stelle untersuct werden. In der Pisendel-Literatur wird der Aufenthalt in Paris, den die Lebensbescreibungen erwähnen, als ein Teil der französisc orientierten Ausbildung Pisendels unter Woulmyer dargestellt. Allgemein wird davon ausgegangen, daß Pisendel im Mai 1714 nac Paris reiste, um den dort anwesenden Kurprinzen zu treffen und musikalisc zu bedienen.1 Diese Sictweise rührt daher, daß V67 und V84 zunäcst die Reise der Dresdner Hofmusiker bescreiben und an deren Endpunkt in Paris den Kurprinzen erwähnen, der „sic eben in Paris befand“. Weder Agri$ola noc Hiller sceinen aber gewußt zu haben, daß der Kurprinz selbst erst am 5.9.1714 mit seinem Gefolge in Paris eingetroffen ist.2 Auc wenn man die langsamen Transportmittel dieser Zeit berü%sictigt, ist es wenig wahrsceinlic, daß Pisendel und seine Musikerkollegen 1 2

So Fürstenau 1849, 117, und Fürstenau 1862, 85, sowie alle nacfolgenden Autoren. Vgl. Staszewski 1996, 71, und Horn 1987, 23.

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für ihre Reise nac Paris vier Monate gebrauct hätten. Bei näherem Hinsehen fällt auf, daß Paris als Reiseziel in V56 gar nict ausdrü%lic erwähnt wird, denn statt einer „Reise nac Paris“ wie in V67 wird hier nur allgemein eine Reise nac Frankreic bescrieben. Um den Widerspruc zwiscen dem von V56 genannten Reiseantritt Pisendels im Mai 1714 und der An-kunft des Kurprinzen in Paris Anfang September aufzuklären, müssen arcivalisce Quellen hinzugezogen werden. Die Angabe aus V56, daß Pisendel im Mai 1714 nac Frankreic aufgebrocen sei, läßt sic anhand solcer Dokumente bestätigen. Bereits am 19.4.1714 nämlic unterzeicnete der für die Hofkapelle zuständige Dire$teur des plaisirs Freiherr von Mordaxt eine Anordnung an das General-A$$is Collegium zur Auszahlung von Reisegeldern an den „CapellMeister Scmidt, Con$ert- Meister Woulmyer, Cammer Organist Pezold, Violiste Piesendel und Hautboiste Ricter“.3 Der König hatte bewilligt, daß diese Musiker „auf etlice Monath eine Reise nac Fran%reic und Italien thun mögen“ und daß ihnen zu diesem Zwe% nict nur „von dato ihrer Abreise an, die gewöhnl: Besoldung iedesmahl auf 3. Monathe oder 1 Quartal, anti$ipando bezahlet“, sondern auc noc eine Zulage „von Monath Martio an, biß zu Ende dieses Jahres gleicfalls iedesmahl auf Ein ganz Quartal prenumerirt werden“ solle.4 Pisendel erhielt 100 Taler als Zulage aus der nict ausbezahlten Besoldung des ausgesciedenen Blo%flötisten Jean Baptiste D’U$é.5 Damit sind die Angaben aus V56 über den Reisebeginn im März 1714 hinreicend gestützt, so daß der Widerspruc mit dem späten Ankunftsdatum des Kurprinzen in Paris bestehen bleibt. Durc einen Zufall läßt sic auc das Ende der Frankreicreise genauer datieren. Am 16.2.1715 berictete der mitgereiste Hoforganist Christian Pezold an August den Starken, daß, „alß ic verwicenhin aus Fran%reic von der auf Ew. Königl. Mtl. Befehl dahin gethanen Reyse retourniret, ein Coffre mit meinen Sacen, welce ic wenigstens 200 thl. hoc scäze, zwiscen Kerstenleben und Buddelstädt auff der Post durc unactsamkeit des Postillions mir verlohren gegangen“.6 Noc am Tag des Unfalls, am 15.10.1714, hatte Pezold den Postillon verpflictet, eine Sculderklärung zu unterzeicnen, die diesen Vorgang bescreibt: Ic Endes unterscriebener Hannß Junge von Kerstenleben bekenne hiermit, daß den 15. O$tobris 1714. Vier Fremde Herren, als nahmentl. der hl. Baron von Eben Fändric, von Kayserl. Herbersteiniscen Regiment, und hl. Johann Christoph Scmidt, Königl. Pohlnl. und Churfl. Säcßl. Capellmeister, nebst hl. Pezolden u. hl. Pissendeln gleicfalls Königl. Pohlnl. und Churfürstl. Säcßl. Musi$is bey mir mit der Post ankommen, und selbe weiter fortzuscaffen, wie sie denn deren Güter alß 3. Coffer, zwey Mantel Sä%e, und zwey Paquete anvertrauet. Nacdem aber unter weges hl. Pezoldens Coffer verlohren gangen, indem selber nict angebunden, noc gennug[!] verwahret worden, Alß gelobe ic hiermit […], daß ic auff meine eigene Unkosten alle Mühe und Fleiß, bemelten Coffer wiederum zu scaffen nict allein werde anwenden, sondern versprece auc treul., daß, daferne bemelter Coffer sic nict solte wieder finden, hl. Pezolden 3

Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 9 vom 19.4.1714. Treuheit 1987, 75ff, liest die Jahreszahl als 1712 und geht irrtümlic von einer Verzögerung des Reiseantritts aus. 4 Ein fast gleiclautendes Dokument vom 30.5.1714, das aufgrund einiger Textkorrekturen wie ein Konzept zu der oben genannten Zahlungsanweisung wirkt, besagt allerdings, daß diese Anordnung erst am 29.5.1714 „in der königl. Anti$hambre“ anbefohlen und darauf an das Geheime Kabinett expediert worden sei, vgl. Pisendel-Dokument Nr. 10 vom 30.5.1714. 5 Nac Fürstenau 1862, 50, verfügte Jean Baptiste D’U$é über ein Jahresgehalt von 400 Talern. 6 D-WRl, A 460, Inter$essiones de Anno 1696 bis 1748, III, fol. 179.

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alle Satisfa$tion dem Werthe nac, und wie es die Postgerectigkeit mit sic bringet, zu geben und zu verscaffen […].7

Pisendel reiste also gemeinsam mit Pezold und Scmidt aus Frankreic zurü% nac Dresden und benutzte dazu die Postkutsce, die mehrmals wöcentlic zwiscen Frankfurt und Dresden verkehrte. Ob die übrigen Mitglieder der Musikergruppe, Woulmyer und Ricter, um die gleice Zeit oder erst später nac Dresden gereist sind, läßt sic nict feststellen. Wenn Pisendel sic jedoc am 15.10. bereits wieder auf thüringiscem Boden befand, kann sein Aufenthalt in Paris nict von langer Dauer gewesen sein, denn es ist unwahrsceinlic, daß die Dresdner Hofmusiker wocenlang auf die Ankunft des Kurprinzen am 5.9.1714 warteten. Der Berict von V67 über das Gastspiel in Lunéville deutet vielmehr darauf hin, daß die fünf Dresdner Musiker sic dem Gefolge des Kurprinzen angesclossen hatten, als dieser von Köln aus nac Paris reiste. Der Zwe% der Reise dürfte es also gewesen sein, den Kurprinzen bis nac Paris zu begleiten, denn es gehörte zu einem standesgemäßen Einzug am Hof des „Sonnenkönigs“, daß der Sohn des polniscen Königs zu Repräsentationsaufgaben auc Musiker mit sic führte. Die von V56 erwähnte „Reise nac Frankreic“ hatte also nict etwa einen Aufenthalt der Musiker in Paris zum Ziel, sondern ihre Mission sceint mit dem Empfang des Kurprinzen am Hof Ludwigs XIV. beendet gewesen zu sein. Auf seiner fünf Monate dauernden Reise zwiscen Mai und Oktober 1714 hielt sic Pisendel also nur im September für wenige Wocen in der französiscen Hauptstadt auf. Auc wenn er durc die Kontakte Woulmyers sehr wahrsceinlic die Möglickeit hatte, bedeutende französisce Musiker in Paris und am Versailler Hof kennenzulernen, stand die Repräsentation sicer im Vordergrund. Daher besaß diese Reise viel weniger den Charakter einer Studienreise als bislang angenommen wurde.8 Dennoc erwartete August der Starke von seinen Hofmusikern, daß sie sic auf dieser Reise neben ihren Repräsentationsaufgaben auc mit den neuesten musikaliscen Entwi%lungen in Frankreic vertraut macten. Dies kann auc aus zwei fast gleiclautenden Dresdner Aktenstü%en vom 12. und 26.11.1715 entnommen werden, die auf die Frankreicreise Bezug nehmen.9 Danac hat „Se: Königl: Maiestät über der im verwicenen Jahr in Fran%reic gewesenen Musi$orum Aufführung und auan$ement ein allergnädigstes Gefallen getragen“ und läßt darüber hinaus „dem Königl Musi$o und Hautboisten Rictern, alß ein ferneren Beytrag zu der nac Fran%reic gethanen Reise“ einen zusätzlicen Betrag von 100 Talern auszahlen. Daß der König ausdrü%lic auc das „auan$ement “ der Musiker belobigt, weist auf den Nutzen hin, den er sic von dieser Reise für seine eigene Hofkapelle versprac.10 Vor allem dürften damit auc die beiden jüngsten Mitglieder der Musikergruppe, Pisendel und 7

D-WRl, A 460, Inter$essiones de Anno 1696 bis 1748, III, fol. 180f. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 11 vom 15.10.1714. Der Verlust des Koffers von Pezold ereignete sic zwiscen der Poststation „Kerstenleben“ (heute Kerpsleben bei Erfurt) und Buttelstädt (bei Weimar), vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 374. 8 Vgl. beispielsweise Jung 1956, 23, Landmann 1980, 24, und Treuheit 1987, 79. 9 Vgl. Pisendel-Dokumente Nr. 12 und 13 vom 12. und 26.11.1715. 10 Landmann 1980, Anm. 35, weist zu Rect darauf hin, daß ein anonym überliefertes Orcesterwerk Imitation des Chara$teres de la Danse (D-Dl Mus. 2-Q-23), das teilweise in Pisendels Handscrift überliefert ist, als eine von Pisendel komponierte, französisce Stilstudie nac dem Vorbild der Ballettsuite Les Chara$tères de la danse von Jean-Ferry Rebel (D-Dl Mus. 2146-N-2) aus dem Jahr 1715 angesehen werden kann, vgl. Anhang II: Werkverzeicnis. Die Vermutung Landmanns, daß Pisendel Rebels Werk bei seinem Aufenthalt in Paris selbst kennengelernt haben könnte, beruht allerdings auf einem Irrtum.

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Ricter, gemeint sein, die sic wahrsceinlic nict nur in Lunéville vor französiscem Publikum zu bewähren und auf den dort herrscenden „Goût“ einzustellen hatten. Dennoc erhielt Pisendel, im Gegensatz zu Ricter, kein Geldgescenk am Ende der Reise. Dies ist umso auffälliger, als die „Goldbörse“ Pisendels, die möglicerweise sein Quartalsgehalt und jene oben angewiesene Zulage, also insgesamt 200 Taler, enthielt, bereits auf der Hinreise nac Frankreic gestohlen wurde. Die anderen Musiker nämlic, die auf dieser Reise einen finanziellen Scaden erlitten, wurden von August dem Starken entscädigt. Dies betraf nict nur Pezold, der vom König bei seinen Scadensersatzforderungen unterstützt wurde.11 Auc der Kapellmeister Scmidt erlitt auf der Rü%reise einen nict näher bescriebenen Verlust, denn die auffallend hohe Summe von „600 rl. aber haben Se: Königl: Mayt: vor den Capellmeister Scmidt in Ansehen dessen in Fran%reic gemacten depen$e und wegen des bey seinen Resten erlittenen großen Verlusts zu einer Consolation allergnädigst aus gesetzet“, wie in den oben zitierten Dokumenten vermerkt wird.12 Da Pisendel den Diebstahl seiner „Goldbörse“ anders als seine Mitreisenden Pezold und Scmidt offenbar nict bei August dem Starken angezeigt hatte, um sic den Verlust ersetzen zu lassen, wird verständlic, warum Telemann in seinen Erinnerungen an Pisendel auf diese „ganz ungemeine Probe seiner Gelassenheit“ ausdrü%lic hingewiesen hat. Diese Gleicgültigkeit gegenüber materiellen Dingen könnte jedoc auc dazu geführt haben, daß Pisendel am Ende seiner Reise weder eine Entscädigung, noc ein zusätzlices Geldgescenk erhielt.

Das Gastspiel in Berlin 1715 1715 [V56, 301f]: Da 1715. der damalige K. P. u. C. S. Gen. Feld-Marscall Graf Flemming ein präctiges Tra$tament auf dem Königl. Stalle in Berlin gegeben, und S. Königl. Majest. in Pohlen ihm mit einigen von der Cammer-Musi$ erlaubet, dahin zu reisen, hat er die völlige Dire$tion darüber erhalten [nict in V67 und V84], auc die Gnade gehabt, vor des Königs in Preussen Majestät, als der Baron von Manteufel tra$tiret, Con$ert zu spielen. [V67, 280f, ordnet den Auftritt vor dem preußiscen König dem Flemmigscen Festmahl zu]: Hier hatte er die Gnade sic vor Sr. damaligen Königl. Preuß. Majestät, bey einem von dem Grafen von Flemming angestellten Gastmahle hören zu lassen.

Der Berict über das Gastspiel Pisendels und seiner Dresdner Kollegen in Berlin nimmt in der frühesten Lebensbescreibung V56 etwa doppelt so viel Raum ein wie die Angaben zur Frankreicreise, während das Verhältnis in V67 (beziehungsweise auc in V84) umgekehrt ist. Durc den Hinweis aus V56, daß Pisendel „die völlige Dire$tion“ über die Berliner Tafelmusik übertragen worden sei, erhält diese Reise ein besonderes Gewict in der Biographie Pisendels. V67 dagegen reduziert die Text11

Vgl. D-WRl, A 460, Inter$essiones de Anno 1696 bis 1748, III, fol. 178: originales Screiben des Statthalters Augusts des Starken in Polen, Anton Egon Fürst zu Fürstenberg, vom 4.3.1715 an Herzog Wilhelm Ernst von Sacsen zur Unterstützung des Anliegens von Petzold. 12 Vgl. Pisendel-Dokumente Nr. 12 und 13 vom 12. und 26.11.1715.

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vorlage ausgerecnet um diese wictige Information und faßt die beiden Gastmahle des Feldmarscalls Graf von Flemming und des säcsiscen Gesandten in Berlin, Graf von Manteuffel, zu einem einzigen Ereignis zusammen. Während V56 differenziert berictet, daß Pisendel lediglic bei der zweiten Tafelmusik ein Konzert vor dem preußiscen König spielte, bezieht V67 diese Angabe auf die Tafelmusik beim Gastmahl Flemmings. Ob dieser Widerspruc allein auf die verkürzte Darstellung in V67 zurü%zuführen ist, läßt sic aus Mangel an Quellen nict entsceiden.13 Die biographisc weitaus bedeutsamere Information aus V56, daß Pisendel während des Berliner Gastspiels die musikalisce Leitung über die Gruppe Dresdner Kammermusiker übertragen worden sei, läßt sic anhand von Dresdner Akten bislang leider ebensowenig bestätigen. Lediglic aus dem Kontext mit anderen, überprüfbaren Angaben aus V56 könnte auc diese Angabe als grundsätzlic glaubwürdig eingescätzt werden.14 Ohnehin umfaßte Pisendels Amt als Premier Violon während der Abwesenheit Woulmyers auc die Direktion von instrumentaler Kammermusik. Daher stellt sic die Frage, warum Pisendel und nict Woulmyer mit der Repräsentationsaufgabe betraut worden ist. Die Erklärung könnte in der Tatsace zu sucen sein, daß Woulmyer im Jahr 1708 sein Amt als königlic preußiscer Konzertmeister im Unfrieden verlassen hatte und nac Dresden übergewecselt war.15 Allerdings kommt noc eine zweite, weniger spekulative Erklärung in Frage, nämlic daß Woulmyer zu dem Zeitpunkt des Berliner Gastspiels gar nict in Dresden zur Verfügung stand. So ist beispielsweise nict bekannt, ob Woulmyer nac der Ankunft des kurprinzlicen Gefolges in Paris 1714 sofort nac Dresden zurü%gekehrt ist, denn das Weimarer Aktenstü% vom 15.10.1714 nennt lediglic Pisendel, Scmidt und Pezold. Der Dresdner Konzertmeister könnte sic also noc länger in Paris aufgehalten haben. Neuerdings ist vermutet worden, daß Woulmyer von Paris aus direkt nac Italien weitergereist sei.16 Trotz der oben zitierten Dresdner Reiseanordnung aus dem Jahr 1714, die neben der Reise nac Frankreic auc bereits eine Italienreise vorsah, konnte ein Aufenthalt Woulmyers in Italien anhand der erhaltenen Dresdner Akten bislang leider nict bestätigt werden. Dennoc kann nacgewiesen werden, daß sic Woulmyer im Sommer 1715 tatsäclic in Italien aufhielt, denn ein entsprecender Hinweis hat sic zufällig in einer Chronik der lombardiscen Geigenbauerstadt Cremona erhalten. Aus den bisher unveröffentlicten Aufzeicnungen des Cremoneser Chronisten Don Desiderio Arisi, die um 1720 gescrieben worden sind, geht nämlic hervor, daß Woulmyer am 10.6.1715 in dieser Stadt eingetroffen war und sic drei Monate lang dort aufhielt, um die Fertigstellung von zwölf Violinen zu verfolgen, die der Dresdner Hof 13

Dokumente, die den Auftritt der Dresdner Kammermusiker bei den Gastmahlen Flemmings und Manteuffels bestätigen und Angaben für eine genauere Datierung enhalten, konnten zur Zeit der Recercen im Säcsiscen Hauptstaatsarciv wegen umfangreicer Verfilmungsarbeiten im Bestand des Oberhofmarscallamtes aus dem betreffenden Jahr (etwa das Hofjournal oder Gesandscaftsakten) leider nict eingesehen werden. Wictig wäre die Frage, bei welcer der Veranstaltungen der preußisce König Friedric Wilhelm I. anwesend war. 14 Fürstenau 1862, 85, der das Fehlen dieser Information in V67 offenbar bemerkt hatte, stützt sic auf die Lebensbescreibung V56. 15 Vgl. MGG1 XIV, 7, und Zórawska-Witkowska 1997, 493. 16 Vgl. Zórawska-Witkowska 1997, 122f und 493. Die Dokumente, die dieser These zugrunde gelegt wurden, konnten jedoc im Rahmen dieser Studie als italienisce Fälscungen aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts identifiziert werden, vgl. unten, Abscnitt IV, 1. „Instrumente und Stimmung“.

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bei Antonio Stradivari bestellt hatte.17 Diese wictige und hier erstmals belegte Information wirkt sic natürlic auf die bisherige Vorstellung vom Klang und der stilistiscen Orientierung der Dresdner Hofkapelle zur Zeit Pisendels aus. Der Ankauf dieser Orcesterinstrumente durc den Dresdner Hof wird unten ausführlicer dargestellt und kommentiert werden.18 Da Woulmyer sic also zur Zeit der diplomatiscen Gastmahle des Dresdner Hofes in Berlin wahrsceinlic auf einer Reise nac Italien befand, erhielt der Premier Violon Pisendel erstmals die Gelegenheit, als Direktor der Dresdner Kammervirtuosen aufzutreten. Da dies im Ausland stattfand und Pisendel bei dieser Gelegenheit einen Teil der politiscen und kulturellen Potenz Augusts des Starken zu repräsentieren hatte, wird das Ereignis in V56 zu Rect besonders hervorgehoben.

Die Reise nac Italien 1716—1717 1716 [V56, 302]: Ao. 1716. ist er auf Königl. Kosten nac Italien gereiset [V67, 281, ergänzt: „in Gesellscaft des Herrn Ricter, des Hoboisten“], da er anfangs in Bayreuth sic auf

Verlangen des Hofs hören lassen, auc unter andern vielen Gnadenbezeugungen mit Fürstl. Livrée und Herrscaftl. Pferden 12. Meilweges, bis nac Carlsburg zu seinem Vater frey gebract worden. In Venedig langte er in solcen Jahr im April an, und hatte abermaln die Gnade Sr. Majest. als damaligem Churprinzen, 9. Monat lang mit seinen Instrumenten fast täglic aufzuwarten. [V67, 285ff, ergänzt zwei Anekdoten]: Bey seinem Aufenthalte in Venedig, begegneten ihm zween besondere, ob gleic unter sic sehr versciedenen Zufälle. Der eine ist dieser: Er wurde einsmals, auf Veranlassung des Königlicen Churprinzen von Sacsen genöthiget, bey einer Oper im Orcester, (ic weis nict ob bey St. Chrisostomo oder St. Angelo) vermuthlic, weil damals die Tänze noc nict so sehr als heut zu Tage in den Opern üblic waren, zwiscen zweenen A$ten, ein Violin-Con$ert zu spielen. Er nahm dazu eines aus dem F dur, mit Waldhörnern, von Vivaldi, welces diesen UnisonoAnfang hat:

Der letzte Satz des Con$ertes fängt sic so an:

In diesem letztern Satze fängt die Con$ertstimme mit einem $antabeln Solo an. Zuletzt aber hat sie eine lange Passagie von zwey und dreißigtheilen, die ganz in der Appli$atur liegt. […] Bey dieser Passagie sucten die Herren, aus denen das Orcester bestand, und welce alle Italiäner waren, durc Uebereilung des A$$ompagnements den Herrn Pisendel in Unordnung zu bringen. Er hingegen ließ sic ihr Eilen nict im geringsten anfecten, 17

I-CR$, AA.2.21 (Arisi-Manuskript), ohne Foliierung. Für den ersten Hinweis auf die bei Hill 1906 erwähnten Stradivari-Instrumente des Polniscen Königs danke ic Herrn Prof. Siegbert Rampe. 18 Vgl. unten, Abscnitt IV, 1. „Instrumente und Stimmung“.

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sondern erhielt jene, die ihm eine Grube graben wollten, durc Stampfen mit den Füßen so feste im Takte, daß sie alle bescämt wurden. Der Prinz hatte darüber eine besondere Freude, und erzählte die Standhaftigkeit des Herrn Pisendel, selbst sogleic der Madame Angioletta mit vielem Vergnügen. […] Die zweyte besondere Begebenheit, die Herr[!] Pisendeln in Venedig aufstieß, ist folgende: Er war mit dem Herrn Vivaldi auf dem St. Markusplatz spatzieren gegangen. Mitten im Spatzierengehen zog ihn Vivaldi bey Seite, und sagte, er möcte unverzüglic mit ihm nac Hause gehen. Herr Pisendel that es sogleic, und Vivaldi erzählte ihm unterwegens, daß vier, von dem Herrn Pisendel unbemerkt gebliebene Sbirren [venezianisce Häscer] ihm immer nacgegangen wären, und ihn sehr genau betractet hätten. Er fragte dabey Herr[!] Pisendeln ernstlic, ob er etwan in Venedig was unerlaubtes gethan hätte; und als sic Herr Pisendel auf nicts besinnen konnte; so rieth im jener, so lange nict aus dem Hause zu gehen, bis er, Herr Vivaldi nämlic, seinetwegen weitere Nacrict eingezogen, und ihm wieder Antwort gebract haben würde. Herr Vivaldi, der in Venedig große Bekanntscaften hatte, sprac auc wirklic deswegen sogleic mit einem von den Inquisitoren des Staats, und erbot sic allenfalls für Herrn Pisendel gut zu sagen. Jedoc, er bekam von dem Inquisitor zur Antwort, daß man einen gewissen andern Menscen aufgesucet hätte, dessen Aufenthalt man aber jetzo scon wüßte. Weil aber dieser einige Aehnlickeit der äußerlicen Gestalt mit dem Herrn Pisendel gehabt hätte; so hätten die Sbirren deswegen den Herr Pisendel so genau an- und ihm nacgesehen. Indessen könnte Herr Pisendel wieder ohne alle Besorgniß, wohin er nur wollte, ausgehen. Herr Vivaldi ermangelte nict, diese angenehme Antwort dem Herrn Pisendel sogleic mit Vergnügen zu überbringen. [V56, 303f, nict in V67 und V84]: In Venedig kam ein junger Mensc zu ihm, der ihn um ein Allmosen ansprac, und die Violine spielete, dessen Ansatz Hr. Pisendeln so wohl gefallen, daß er diesen Menscen mit sic genommen, erzogen und fortgeholfen, welcer aber diese Liebe dermaßen gemißbraucet, daß er nachero so gar gesuct, ihn[!] die Scuh auszutreten.

ab Ende Januar 1717 [V56, 302]: Zu Anfang des 1717ten Jahres gieng er weiter nac erhaltener höcster Er-

laubniß und besonders Landesfürstl. gnädigsten Re$ommendations-Briefen über Loretto nac Rom und Neapel, und versäumte keine Gelegenheit[,] von denen allda in Carneval gehaltenen Opern und Musiqven zu profitiren. In Neapel hat er von Vilionisten[!] wenig, in Rom aber den berühmten Montanari auf seiner Rü%reise, in Florenz Martino Britti [!] und Tamfani [!], und in Venedig den bekannten Rivali [!] unter andern Virtuosen angetroffen und vieles von ihnen profitiret. [V67, 285, korrigiert die Namen Bitti und Vivaldi, streict „Tamfani “ – re$te: Fanfani – und ergänzt]: […] und macte sic auc von ihren musikaliscen Gesci%lickeiten, was er für nöthig befand, zu Nutzen. Von den Herrn Vivaldi und Montanari, hat er sogar noc förmlice Le$tionen auf der Violine genommen. [V56, 302]: Ob er nun scon nac Mayland und Turin sic zu wenden vorgenommen, muste er sic doc auf Ordre des Königl. Hofs von Dreßden wieder nac Sacsen wenden, und mit dem Capellmeister Lotti nebst andern Virtuosen, Sänger und Sängerinnen, die erst in Säcßl. Dienste aufgenommen worden [Angaben über Reisegruppe nict in V67 und V84], scleunig dahin aufbrecen, allwo er am 27. Sept. 1717. glü%lic arriviret.

Von allen Reisen Pisendels wird in der frühesten Lebensbescreibung V56 über die Italienreise am ausführlicsten berictet. Bei dieser Reise werden bereits ausdrü%lic zwei Phasen unterscieden. Die erste betrifft den Aufenthalt in Venedig, wo Pisendel die Aufgabe hatte, dem „damaligen Churprinzen, 9. Monat lang mit seinen Instru-

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menten fast täglic aufzuwarten.“ Die zweite betrifft Pisendels Studienreise durc Italien, die ihn nac Neapel, Rom und Florenz führte und abgebrocen werden mußte, bevor er Mailand und Turin besucen konnte. Der Scwerpunkt der Bescreibung in V56 liegt auf der zweiten Phase. In V67 wird dieser Scwerpunkt umgekehrt, obwohl dort kaum neue inhaltlice Informationen beigetragen werden. Das Übergewict erhält die venezianisce Phase durc zwei ausführlice Anekdoten, die in V67 neu hinzugefügt sind. Andere Informationen aus V56 werden dagegen in V67 gekürzt oder sogar weggelassen, wie bereits anläßlic des Berliner Gastspiels beobactet werden konnte. Diese gekürzten Informationen sind in der Pisendel-Literatur bislang nict berü%sictigt worden, weil man sic nur auf V67 und V84 stützte. Obwohl sie marginale Details zu betreffen sceinen, unterstreicen sie doc den hohen Informationswert von V56. So wiederholt sic die auffällige Formulierung von der Frankreicreise, Pisendel habe dem Kurprinzen in Venedig „mit seinen Instrumenten“ aufgewartet, die darauf hindeutet, daß Pisendel auf diesen Reisen noc ein anderes Instrument außer der Violine gespielt hat. Außerdem werden der florentinisce Konzertmeister Giuseppe Maria Fanfani – in der irreführenden Screibweise „Tamfani“ – sowie Pisendels Rü%kehr nac Dresden innerhalb der Gruppe der neu engagierten Musiker um den Kapellmeister Antonio Lotti lediglic in V56 erwähnt. Besonders bemerkenswert ist die Angabe, daß Pisendel in Venedig einen jungen italieniscen Geiger bei sic aufgenommen und unterrictet haben soll. Diese Informationen sollen im folgenden anhand von Quellenmaterial überprüft werden, obwohl sic die Angaben aus V56, wie in den bisherigen Untersucungen deutlic geworden ist, als weitgehend zuverlässig erwiesen haben. Ebenso müssen die inhaltlicen Ergänzungen aus der Lebensbescreibung V67 auf ihre Glaubwürdigkeit hin untersuct werden. Dazu gehört vor allem die Information, daß Pisendel in Begleitung des Oboisten Ricter nac Venedig gereist sei und von Vivaldi und Montanari „sogar noc förmlice Le$tionen auf der Violine genommen“ habe. Wie weit die beiden in V67 ergänzten Anekdoten auf Tatsacen beruhen, kann dagegen kaum überprüft werden. Widersprüce sind zwiscen den Angaben aus V56 und den Ergänzungen von V67 nict zu erkennen. Allerdings hatte die Versciebung des Scwerpunkts der Information auf die venezianisce Phase in V67 zur Folge, daß die zweite Phase, in der Pisendel selbständig reiste, in der Literatur bisher kaum wahrgenommen wurde. Da Pisendel nur „9. Monat“ in Venedig war, bleibt bis zu seiner Rü%kehr nac Dresden am 27.9.1717 noc ein Zeitraum von etwa act Monaten, zu dem über die Angaben von V56 hinaus bislang keine weiteren Informationen bekannt geworden sind, obwohl die Lehrer Pisendels in Rom und Florenz dort in einem Atemzug mit Vivaldi genannt werden. Die Gründe für das Interesse an der ersten Phase liegen auf der Hand: die große Zahl der zum Teil singulär überlieferten Vivaldi-Manuskripte in Pisendels Notenbibliothek hat der Vivaldi-Forscung scon früh starke Impulse gegeben.19 Da Pisendel einen wictigen Teil von ihnen selbst aus Venedig mitgebract hatte, tragen sie zur 19

Über die Verbindung Pisendel-Vivaldi informieren zahlreice Forscungsbeiträge, die sic mit dem großen Vivaldi-Bestand aus Pisendels Dresdner Naclaß bescäftigen. Einen Überbli% über den Stand der Forscungen bieten Treuheit 1987, 158-187, und vor allem Landmann 1988, 417ff, während Heller 1991, 302ff, die neueren Thesen Landmanns zu diesem Thema erörtert.

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genaueren Datierung mancer dieser Kompositionen bei. Dennoc haben sic auc aus der zweiten Phase von Pisendels Italienaufenthalt, die als eigenverantwortlice Studienreise carakterisiert werden kann, zahlreice Manuskripte erhalten, die nähere Aussagen über Pisendels Tätigkeit und Kontakte erlauben.20 Besonders wictig wird es sein, die Person von Pisendels Lehrer Montanari in Rom zu beleucten, denn die Bedeutung Montanaris für Pisendel wird in V56 und V67 mit derjenigen Vivaldis gleicgesetzt. Leider ist dieser offenbar bedeutende Geiger bislang nict Gegenstand eingehender Forscung gewesen, so daß auc einsclägige Lexika auf ältere Artikel zurü%greifen müssen.21 Nict einmal über den Vornamen Montanaris besteht Einigkeit, denn die Lexika nennen einen „Fran$es$o“ als Lehrer Pisendels in Rom, während die in Dresden erhaltenen Manuskripte durcgehend den Vornamen „Antonio“ enthalten. Ebenso rudimentär fallen die Angaben zu den Geigern Bitti und Fanfani aus, die in V56 als Lehrer Pisendels in Florenz genannt werden. Da beide als erste Violinisten und Orcesterleiter der dortigen Hofkapelle tätig waren, könnte Pisendel nac seinen instrumentenspezifiscen Studien in Venedig und Rom den Scwerpunkt seiner Florentiniscen Studien auf die Orcesterpraxis gelegt haben.

a) Der Aufenthalt in Venedig 1716 Nac V56 reiste Pisendel „auf Königl. Kosten nac Italien“. Dies läßt sic in mehrfacer Hinsict bestätigen, denn bereits im Vorfeld der Frankreicreise war mit Reskript vom 19.4.1714 auc ein Aufenthalt in Italien angeordnet worden. Allerdings bezog sic diese Anordnung auf den Kapellmeister Scmidt, Woulmyer, Pezold, Pisendel und Ricter, die den Kurprinzen nac Paris begleitet hatten. In den bereits oben erwähnten Dokumenten vom 12./26.11.1715 wird dagegen verfügt, „daß zu einer Reise nac Italien folgende Vier Persohnen von der Königl: Musique; alß Christian Petzolden, Pissendeln, Selen%a, und obbenannten Rictern jeden 300 rl. und in Sum[m]a 1200 rl. alß ein Beytrag allergnädigst sollen gereicet werden“. Es fällt auf, daß nun anstelle von Woulmyer und Scmidt (der bereits 1694 Italien besuct hatte) der Name Zelenkas genannt wird, obwohl sic ein Aufenthalt Zelenkas in Italien bislang nict nacweisen läßt. Dank der erwähnten Cremoneser Quelle jedenfalls läßt sic das Fehlen Woulmyers in dieser Aufstellung damit erklären, daß er seine Italienreise bereits im Sommer 1715 absolviert hatte. V67 ergänzt, daß Pisendel „in Gesellscaft des Herrn Ricter, des Hoboisten“ gereist sei. Bislang war lediglic bekannt, daß Pisendel am 4.2.1716 einen Antrag auf einen lateiniscen Paß, wie er für Reisen ins Ausland notwendig war, eingereict hat.22 In diesem Dokument heißt es, daß der König ihm „allergnädigst erlaubet eine Reise nac Italien zu thun, und dannenhero umb beßers Fortkommen sic mit einem

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Vgl. Pozzi 1995, 983ff. So beispielsweise in NGD1 XII, 504, wo ein älterer Artikel nacgedru%t ist, der in sic widersprüclice Informationen enthält. MGG1 enthält keinen Eintrag zu Montanari. Erst 2001 findet sic in NGD2 ein eigenständiger Artikel. 22 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 14 vom 4.2.1716. 21

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tüctigen Paße zu versorgen habe“.23 Im Zuge der Recercen konnte das amtlice Konzept dieses lateiniscen Reisepasses aufgefunden werden, der Pisendel am folgenden Tag ausgestellt worden ist. Aus der Überscrift dieses Scriftstü%s geht hervor, daß jeweils gleiclautende Pässe an Pisendel und den Oboisten Ricter ausgegeben worden sind: „Literae Se$uri transitûs / pro / Joh: [anne] Christians [!] Rictero / It: [em] pro / Johanne Georgio Piesendel“.24 Damit ist die Angabe aus V67, daß Ricter und Pisendel zusammen gereist seien, hinreicend gesicert. Eine weitere Information zur Reise nac Italien aus V56 kann dagegen bislang nict anhand von arcivaliscen Dokumenten bestätigt werden. Sie bezieht sic auf das Gastspiel während der Reise durc Bayreuth, an dem wahrsceinlic auc der mitreisende Ricter beteiligt war. In der von den späteren Autoren übernommenen Episode wird berictet, daß Pisendel zu Beginn seiner Reise „in Bayreuth sic auf Verlangen des Hofs hören lassen, auc unter andern vielen Gnadenbezeugungen mit Fürstl. Livrée und Herrscafftl. Pferden 12. Meilweges, bis nac Carlsburg zu seinem Vater frey gebract worden.“25 Zudem kann dieser Berict aufgrund seiner Zugehörigkeit zu dem Anfangsteil von V56, der auf eine autobiographisce Skizze Pisendels zurü%geht, auc ohne arcivalisce Belege als glaubwürdig eingestuft werden. Möglicerweise hatte Pisendel am Bayreuther Hof den Wunsc geäußert, seinen Vater in Cadolzburg besucen zu dürfen. Vermutlic sah Pisendel seinen Vater bei dieser Gelegenheit zum letzten Mal, denn Simon Pisendel starb wenige Jahre später, am 26 7.10.1719. Nac V56 erreicte Pisendel – und mit ihm wohl sein Begleiter Ricter – Venedig im April 1716, um „Sr. Majest. als damaligem Churprinzen, 9. Monat lang mit seinen Instrumenten fast täglic aufzuwarten.“ Nac diesen Angaben hielt sic Pisendel mindestens bis Dezember 1716 ununterbrocen in der Lagunenstadt auf. Falls die Angabe von neun Monaten als genaue Zeitangabe gemeint ist, dürfte Pisendel erst Ende April dort eingetroffen sein, denn ein bisher unbekanntes Empfehlungsscreiben, das der Oberhofmeister des Kurprinzen, Graf Joseph Kos, unmittelbar vor Pisendels Weiterreise nac Rom ausgestellt hatte und unten näher bescrieben werden soll, datiert von Ende Januar 1717.27 Die oben erwähnte Zahlungsanweisung vom November 1715 sieht vor, daß neben Pisendel und Ricter auc der Hoforganist Pezold und der Kontrabassist Zelenka nac Italien reisen sollen. Außer für Pisendel konnte ein Aufenthalt in Venedig bislang für keinen der übrigen genannten Musiker nacgewiesen werden, obwohl der jetzt aufgefundene lateinisce Reisepaß für Ricter als ein starkes Indiz für dessen Italienaufenthalt angesehen werden kann. Auc die Zelenka-Forscung hat sic wie-

23

Der Antrag ist mit „Johann George Piesendel Cammer Musi$us“ unterzeicnet. Wegen der ungewöhnlicen Screibweise des Namens muß bezweifelt werden, daß es sic tatsäclic um eine autographe Unterscrift handelt, wie Treuheit 1987, 17 und 81, angibt. Der zweite Namenszug, den Treuheit 1987, 17 und 87, ebenfalls für autograph hält und auf den Umsclagtitel seines Buces hat setzen lassen, stammt mit Sicerheit von einem Screiber des Dresdner Oberhofmarscallamtes. 24 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 15 vom 5.2.1716. 25 Nacprüfbar ist immerhin die Entfernungsangabe der Stre%e zwiscen Bayreuth und Cadolzburg, die sic als korrekt erweist, vgl. Treuheit 1987, 80. 26 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 29 vom 10.10.1719. 27 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 16 vom 22.1.1717.

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derholt darum bemüht, eine Italienreise Zelenkas zu belegen.28 Theoretisc könnte sic Zelenka sowohl vor als auc nac dem 13.6.1716, dem Datum seines in Wien komponierten Offertoriums Currite ad aras ZWV 166, für einige Wocen in Venedig aufgehalten haben, um Repräsentationsaufgaben in der Kammermusik des Kurprinzen, der sic auf einen Empfang beim Papst in Rom vorbereitete, zu übernehmen.29 Tatsäclic bilden die genannten Musiker die Besetzung einer Triosonate mit Pisendel und Ricter in den Oberstimmen sowie Pezold und Zelenka für den Generalbaß. Selbstverständlic verfügte jeder dieser Musiker zudem über ein solistisces Repertoire. Außerdem sceint zumindest Pisendel außer mit der Violine noc mit einem anderen Instrument aufgetreten zu sein, denn sowohl in Frankreic als auc in Venedig soll er dem Kurprinzen (nac der Formulierung von V56) „mit seinen Instrumenten“ aufgewartet haben.30 Als zweites Soloinstrument Pisendels kommt nur die Viola d'amore in Frage, denn die auffallend große Zahl von Viola d'amore-Werken in Pisendels Naclaß deutet darauf hin, daß Pisendel das Instrument häufig in der Kammermusik verwendete.31 Die Herkunft dieser Musikalien läßt darauf scließen, daß Pisendel sic besonders in den ersten anderthalb Jahrzehnten seiner Dresdner Tätigkeit mit der Viola d'amore bescäftigt hat. Auc Vivaldi hat Pisendel offenbar mit der Viola d'amore in Verbindung gebract, denn das Konzert d-Moll für Viola d'amore und Laute RV 540, das Vivaldi dem König August III. in einem prunkvoll gebundenen Band aus dem Jahr 1740 widmete, zeigt, das der Komponist mit entsprecenden Virtuosen am Dresdner Hof (Pisendel und Sylvius Leopold Weiß) recnete.32 Daher liegt die Vermutung nahe, daß Pisendel dieses Instrument auc während seines Aufenthalts in Italien gespielt hat. Es ist allerdings fraglic, ob der Kurprinz in Venedig eine eigene Kammermusik zu Repräsentationszwe%en benötigte. In dieser Zeit bemühte sic der Dresdner Hof nämlic, einen offiziellen Empfang des Kurprinzen beim Papst zu erwirken, während gleiczeitig Verhandlungen über dessen Heirat mit einer Wiener Kaisertocter statt28

Fürstenau 1862, 73 und 85, stützt sic offenbar auf die Zahlungsanweisung vom 12./26.11.1715 und den Berict aus V56, denn er gibt an, Zelenka habe den Befehl erhalten, sic im April 1716 von Wien aus den nac Venedig reisenden Kollegen anzuscließen, wo er bis Dezember 1716 an den Kammermusiken der Kurprinzen mitgewirkt habe. Oscmann 1986, 25, und Horn 1987, 58, scließen einen kürzeren Aufenthalt in Venedig ebenfalls nict aus. Seifert 1997, 184, hält dagegen einen Venedigaufenthalt Zelenkas für sehr unwahrsceinlic. 29 Die Möglickeit, daß Zelenka zusammen mit Pisendel und Ricter im April in Venedig eingetroffen ist und sic am 13.6.1716 wieder in Wien befand, will auc Oscmann 1986, 26, nict völlig ausscließen. Zudem kann sic der 18monatige Dienst beim Kurprinzen, auf den sic Zelenka übereinstimmend in seinen Eingaben von 1733 und 1736 beruft, nict allein auf den gemeinsamen Aufenthalt in Wien beziehen, denn Zelenka und der Kurprinz hielten sic nur etwa 16½ Monate gemeinsam in Wien auf. Anstatt wie Seifert 1997, 184, ein Aufrunden der Zeitangabe oder einen späteren Besuc in Wien anzunehmen, könnte die genannte Summe von 18 Monaten auc durc einen Venedigaufenthalt von etwa secs Wocen zustande gekommen sein. 30 Eine ähnlice Formulierung aus dem Jahr 1719 findet sic auc in D-Dla, OHMA B, Nr. 20a: Taffeln und Tisce so in Pirna sollen gespeiset werden ingleicen die Musi$i. somit nacer Pirna zugehen beordert worden betrl., fol. 98: Musi$i so Nacer Pirna zu gehen beordert worden. 1. der Musi$us Pantalon mit seinen Instrumenten [gemeint sind Pantaleon und Violine], 2. der Lautenist Weise mit seinen Instrumenten [gemeint sind Laute und Theorbe], 3. der Musi$us Buffardin mit der Flöthe travers, oder was er spielset, […] 31 Vgl. Köpp, BJ 2000, 154f. 32 Vgl. Jappe 1997, 188f.

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fanden. Wie bereits im Fall der Frankreicreise könnten die vier Dresdner Musiker mit dem Ziel nac Italien gesandt worden sein, dem Kurprinzen bei seiner bevorstehenden Reise nac Rom oder Wien einen repräsentativen Rahmen zu bieten. Dennoc dürfte die Weiterbildung der Musiker im neuesten italieniscen Gescma% ein erwünscter Nebeneffekt dieser Reise gewesen sein, denn sie waren mit Ausnahme Pezolds erst wenige Jahre zuvor in die Dresdner Hofkapelle berufen worden. Wahrsceinlic mußten die drei Kollegen Pisendels noc vor diesem wieder nac Dresden beziehungsweise im Fall Zelenkas nac Wien zurü%kehren, denn über ausgedehnte Studienreisen dieser Musiker in Italien ist nicts bekannt. Allerdings fehlen auc für diese Annahme hinreicende Belege. Die regelmäßigen Bericte des Grafen Kos aus Venedig über das Befinden und den Alltag des Kurprinzen an August den Starken enthalten fast täglic Hinweise auf musikalisce Veranstaltungen.33 Leider sind diese Angaben sehr stereotyp und kaum geeignet, die jeweilige Art der musikaliscen Darbietung zu identifizieren. Nur vereinzelt läßt die Formulierung auf eine instrumentale oder vokale Kammermusik oder aber auf ein Opernereignis scließen. Ein typiscer Berict dieser Art stammt von dem gleicen Tag, an dem Kos das Empfehlungsscreiben für Pisendel verfaßte: Ew: Königl. Mäyl. haben wir heute mehreres nicts allerunterthänigst zubericten, als daß Dero Königl. Prin$e sic annoc in vollkom[m]enen Wohlstande befindet, sonsten divertiren S.e Hoheit, wie bishero, in denen gewöhnlicen Operen und Masquen, wurde auc jederzeit von denen Deputirten Herren Noblen mit sonderbahrer attention begleitet, und bedienet, wir verharren allstets in allerunterthänigster soumission Ew. Königl. Mäyl. allerunterthänigst: treu gehorsamster Diener [gez.: Kos und Hagen] Venedig am 22ten Januar 171734

Nur wenige Einträge könnten etwa auf Kammermusik der Dresdner Musiker in Venedig bezogen werden, so beispielsweise der Berict vom 17.7.1716, daß sic der Kurprinz bei „öfters angestellten Musi$aliscen Con$erts angenehm divertiret“ (fol. 85), oder vom 9.10.1716, daß er sic „wiederum in denen gewöhnlicen assembleen und Anhörung einiger angenehmen Musiquen divertiret“ (fol. 131). Andere Hinweise deuten dagegen eher auf italienisce Musiker, etwa aus dem Berict vom 23.10.1716, daß sic der Kurprinz „theils in denen allhier bereits angefangenen Opern und Comedien, theils in einigen dero selben zu Ehren angestellten Musiquen, wie auc zuweilen in dem Ballhauß divertiret“ (fol. 133) oder vom 6.11.1716, daß er „des abends aber mit einer angenehmen musique und $antata zur Vergnügung unterhalten worden“ (fol. 141). Gleic in den ersten Wocen von Pisendels Aufenthalt in Venedig findet sic jedoc ein Eintrag, der aufhorcen läßt, denn am 8.5.1716 berictet Graf Kos: „Vor einigen Tagen ist [der Kurprinz] mit einer angenehmen Comedia und hiernecst folgendem Con$ert de Musique zu seiner Vergnügung divertiret worden“ (fol. 67f). Hier wird nict nur ein einzelnes „Con$ert de Musique“ hervorgehoben, das im An33 D-Dla, Lo$. 758 Vol. VI, Ihrer Hoheit des Königl. Printzens, Friedric Augusts, Reise in frembde Länder betr. aô 1716-17 Dero Ankunft in Wien, und das am Kayserl.n Hofe gegen Ihro Königl. Hoheit gebraucte Ceremoniel betr. 34 D-Dla, Lo$. 758, fol. 161. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 16 vom 22.1.1717.

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scluß an eine „Comedia“ stattfand, sondern auc die seltene Formlierung „zu seiner Vergnügung“ deutet darauf hin, daß dieses Konzert dem Kurprinzen eine ganz besondere Freude bereitet haben muß. Diese Notiz läßt an eine der Anekdoten denken, die in V67 überliefert sind. Danac wurde Pisendel „auf Veranlassung der Königlicen Churprinzen von Sacsen genöthiget, bey einer Oper im Orcester […] zwiscen zweenen A$ten, ein Violin-Con$ert zu spielen“, das sic anhand des angegebenen In$ipits als das Violinkonzert F-Dur RV 571 von Vivaldi identifizieren läßt.35 Gegen das absictlice Eilen der italieniscen Orcestermusiker bei jener scwierigen Passage im letzten Satz wußte sic Pisendel durc Fußstampfen wirkungsvoll zu Wehr zu setzen, und dies sehr zum Vergnügen des Kurprinzen, wie V67 betont: „Der Prinz hatte darüber eine besondere Freude, und erzählte diese Standhaftigkeit des Herrn Pisendel, selbst sogleic der Madame Angioletta [der berühmten Sängerin und Gattin des Venezianiscen Bankiers Bianci] mit vielem Vergnügen.“36 Falls sic der zitierte Berict des Hofmeisters Graf Kos vom 8.5.1716 auf die in der Anekdote wiedergegebene Begebenheit bezieht, würde dies bedeuten, daß Pisendel bereits kurz nac seiner Ankunft in Venedig im April mit den in V67 erwähnten „förmlicen Le$tionen auf der Violine“ bei Vivaldi begonnen haben muß. Auc wenn letztlic nict nacgewiesen werden kann, daß Pisendel jenes Violinkonzert F-Dur von Vivaldi tatsäclic Anfang Mai als Zwiscenaktmusik aufführte, ist es nict unwahrsceinlic, daß Pisendel noc im April 1716 von Vivaldi Geigenunterrict erhielt. Aus den Tagebuceinträgen des Frankfurter Patriziers Johann Friedric Armand von Uffenbac, der ein Jahr vor Pisendel nac Venedig gereist und dort mit Vivaldi zusammengetroffen war, läßt sic nämlic entnehmen, daß Vivaldi selbst auf musikinteressierte Reisende zuging und seine Dienste anbot. Offensictlic bedeutete es für Vivaldi ein einträglices Gescäft, seine Werke an reisende Musikliebhaber zu verkaufen und ihnen bei dieser Gelegenheit auc noc entsprecenden Unterrict zu erteilen: Sonnabend, 9. Martii 1715 Nacmittag kahm der vivaldi zu mir und bracte mir, weil [ic] es bestellt hatte, 10 $on$erti grossi, so er sagte er mir expresse $omponirt hätte, erstehe einige davon, und damit ic sie besser hörte so wolte er mic sie gleic spiehlen lernen und dann und wann deßwegen zu mir kommen, damit wir denn dieses mahl den anfang macten.37

Die autographen Werke Vivaldis, die sic in Pisendels Naclaß erhalten haben, könnten in einem ähnlicen Zusammenhang entstanden sein, denn zehn von ihnen tragen Aufscriften wie „fatto per il Mo [Maestro] Pisendel “, die ganz offensictlic erst nacträglic von Vivaldi auf dem Titel ergänzt wurden.38 Es ist anzunehmen, daß 35

Eine Partitur dieses groß besetzten Violinkonzerts RV 571 von Vivaldi hat sic in Pisendels Naclaß erhalten. Der diplomatisce Befund läßt jedoc erkennen, daß sie erst 1726 von Quantz in Venedig, offensictlic in enger Anlehnung an das verscollene Original Vivaldis, abgescrieben worden ist, vgl. Fecner 1996, 128. Dieser merkwürdige Sacverhalt ließe sic damit erklären, daß Pisendel zunäcst vielleict nur die Solostimme des Konzerts besaß und sic erst nacträglic, anläßlic der italieniscen Reise seines Scülers Quantz, die zugehörige Partitur bei Vivaldi bescaffen ließ. Auc im Fall der zwei Violinkonzerte von Giovanni Pietro Ghignone (1702—1774) beispielsweise hat Pisendel lediglic die Stimmen der Solovioline auf italienisces „tre lune“ Papier abgescrieben, vgl. Pozzi 1995, 1006. 36 Vgl. V67, 286. 37 Zitiert nac Kolneder 1979, 90. 38 Entgegen anderslautenden Angaben in der Literatur ist das Kürzel in Vivaldis Aufscrift auf den Pisendel gewidmeten Sonaten tatsäclic als „Maestro“ aufzulösen, vgl. Heller 1982, 6. Gleices gilt für die oft falsc

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Vivaldi, ähnlic wie im Jahr zuvor dem Dilettanten Uffenbac, auc dem „Maestro“ Pisendel bei ihrer ersten Begegnung angeboten hat, ihn seine Kompositionen „spiehlen [zu] lernen“. Vor diesem Hintergrund läßt sic auc bescreiben, worin diese „förmlicen Le$tionen auf der Violine“ bestanden haben könnten, die Agri$ola mit Bewunderung für die Besceidenheit Pisendels in V67 erwähnt. Der Unterrict Pisendels bei Vivaldi betraf also in erster Linie die von ihm komponierten und verkauften Werke. Man kann daher wohl davon ausgehen, daß Pisendel diejenigen Kompositionen Vivaldis, die sic als Autographe in seinem Besitz befanden, auc mit ihm einstudiert oder besprocen hat. Insofern kommt den Skizzen Pisendels zu den improvisatoriscen Elementen der „Ausführung“, die auc in diesen Werken zu finden sind, ein besonderer Quellenwert zu.39 Während des neunmonatigen Aufenthalts in Venedig entwi%elte sic die Zusammenarbeit zwiscen den beiden Geigern jedoc noc weiter, wie auc die in V67 überlieferte Anekdote über die vermeintlice Verfolgung durc venezianisce Häscer zeigt. In dieser Zeit hat Pisendel actundzwanzig Werke Vivaldis selbst abgescrieben und dreizehn weitere Werke sogar als Autograph von Vivaldi erhalten.40 Daß Pisendel zahlreice Werke direkt aus den Partituren oder Stimmensätzen Vivaldis abscreiben durfte, deutet auf die damals üblice Form des Kompositionsunterricts hin, bei dem die Musikaliensammlung des Lehrers dem Scüler zu Studienzwe%en zur Verfügung stand.41 Ein solcer Kompositionsunterrict im Stil Vivaldis wird durc den Fund eines Konzertsatzes für Solovioline und Streicer a-Moll von Pisendel bestätigt, der eigenhändige Korrekturen Vivaldis aufweist.42 Aber Vivaldi war nict der einzige berühmte Musiker zu dieser Zeit in Venedig, mit dem Pisendel zusammentraf. Tomaso Albinoni widmete ihm ebenfalls eine Sonate mit der Aufscrift: „Sonata a Violino / solo / di me Tomaso Albinoni / Composta p[er] il Sig: r / Pisendel“, die Pisendel wahrsceinlic zusammen mit zwei weiteren autographen Sonaten Albinonis erhalten hat.43 Nac dem italieniscen Papier mit dem carakteristiscen Wasserzeicen „tre lune“ zu urteilen, hat Pisendel auc vier Violinkonzerte Albinonis bei seinem Aufenthalt in der Lagunenstadt in Partiturform kopiert. Das gleice Ersceinungsbild zeigt auc ein Violinkonzert von Benedetto Mar$ello, der ebenfalls zu den berühmten Komponisten aus Venedig gehörte.44 Selbstverständlic traf Pisendel in dieser Zeit auc regelmäßig mit Fran$es$o Maria Vera$ini und Johann David Heinicen zusammen, die der Kurprinz für Dresden engagieren wollte.45 Daher könnte der in V56 erwähnte Kompositionsunterrict Pisendels bei Heinicen, den er bereits von gemeinsamen Leipziger Opernauffühzitierte Aufscrift auf dem autographen Violinkonzert G-Dur RV 314, „fatto p[er] Mae[st]:ro Pisendel“ (DDl Mus. 2389-0-70). 39 Vgl. bereits Scering 1905/06, 367ff. 40 Vgl. Landmann 1981, ein Verzeicnis der entsprecenden Manuskripte mit Notenin$ipit bringt Treuheit 1987, 176-186. Der weitaus größere Teil der erhaltenen Vivaldi-Handscriften wurde von hauptoder nebenamtlicen Dresdner Notisten, aber auc von Pisendels Scülern wie beispielsweise Quantz, gescrieben und stammt aus der Zeit nac Pisendels Italienreise, vgl. Fecner 1988, 777ff. 41 Vgl. Sceibe 1745, 35, und Beißwenger 1998, 240f. 42 D-Dl Mus. 2421-O-14. Dieses aufsclußreice Dokument konnte 1978 durc Manfred Fecner identifiziert werden, vgl. Fecner 1999, 284f. 43 Vgl. Talbot 1990, 169ff. 44 Vgl. Pozzi 1995, 994f und 1009f. 45 Vgl. Hill 1979, 17ff.

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rungen kannte, bereits in Venedig, parallel zu den Studien bei Vivaldi, begonnen worden sein.46 Der neunmonatige Aufenthalt Pisendels in Venedig war Ende Januar 1717 beendet. Da er sic danac wahrsceinlic nict mehr für längere Zeit in dieser Stadt aufgehalten hat, dürften die in Venedig kopierten Musikalien sämtlic vor diesem Datum entstanden sein.47 Angesicts der zahlreicen Werke Vivaldis in Pisendels Notenbibliothek, die die größte Sammlung neben Vivaldis eigenem Naclaß in Turin darstellt, ist es nacvollziehbar, daß die Italienreise in der Pisendel-Forscung besonders vor dem Hintergrund der folgenreicen Beziehungen mit Vivaldi gesehen wurde. Ausgelöst wurde dieser Bli%winkel ‚Vivaldi und Dresden‘ einmal mehr durc die Bac-Forscung, die scon früh auf den Einfluß Vivaldis auf Bacs kompositorisce Entwi%lung aufmerksam gemact hatte.48 Wenn es zutrifft, daß Bac durc seine Bekanntscaft mit Pisendel Zugang zu einem repräsentativen Querscnitt des italieniscen Kompositionsstils bis 1717 erhalten hat, kommen auc die übrigen Manuskripte, die Pisendel in großer Zahl aus Italien mitgebract hat, als möglice Anregungsquellen in Frage. Von den hierunter vertretenen Komponisten stammt die Mehrzahl jedoc nict aus Venedig.49 Obwohl die Lehrer Pisendels in Rom und Florenz zumindest bei Pisendel einen starken Eindru% hinterlassen haben dürften und in der Lebensbescreibung V56 sogar in einem Atemzug mit Vivaldi genannt werden, sind über die folgende zweite Phase von Pisendels Italienreise bislang keine Informationen bekannt, die über den Wortlaut von V56 hinausgehen.

b) Stationen der Studienreise 1717: Neapel, Rom, Florenz Nac V56 ging Pisendel „zu Anfang des 1717ten Jahres […] nac erhaltener höcster Erlaubniß und besonders Landesfürstl. gnädigsten Re$ommendations-Briefen über Loretto nac Rom und Neapel“. Mit dieser Reise waren seine Aufgaben im Gefolge des Kurprinzen beendet. Es ist möglic, daß erst zu dieser Zeit feststand, daß der Papst den Kurprinzen nict in Rom empfangen wollte.50 Auc die Verhandlungen mit dem Wiener Kaiserhaus über eine Hoczeit des Kurprinzen mit einer der Prinzessinnen zogen sic in die Länge, und August der Starke empfahl zum Jahresende 1716, den Aufenthalt des Kurprinzen in Venedig zu verlängern, um die weitere Entwi%lung abzuwarten.51 Falls die vier Dresdner Musiker nac Venedig gesandt worden waren, um einem möglicen Einzug des Kurprinzen in Rom oder Wien Glanz zu verleihen, war ihre Anwesenheit nun nict mehr erforderlic. Dennoc durfte Pisendel seine musikaliscen Studien in Italien fortsetzen. Um auc andere Städte kennenlernen zu können, mußte Pisendel allerdings das Gefolge des Kurprinzen verlassen und allein reisen.

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Vgl. V56, 302, und Landmann 1980, 25. Auf der Rü%reise nac Dresden könnte sic Pisendel noc einmal kurz in Venedig aufgehalten haben, um sic der Reisegruppe um den neu engagierten Kapellmeister Lotti anzuscließen. 48 Vgl. Wolff 1988, 2f. 49 Vgl. die von Pisendel auf italienisces Papier gescriebenen Manuskripte bei Pozzi 1995, 983ff. 50 Vgl. Staszewski 1996, 79. 51 Vgl. Staszewski 1996, 83f. 47

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Dabei kam Pisendel möglicerweise zustatten, daß er in Venedig auc selbst Unterrict erteilt hatte.52 Aus einem entsprecenden Berict in V56, der in der Spezialliteratur bislang nict berü%sictigt worden ist, kann soger entnommen werden, daß Pisendel einen jungen italieniscen Geigenscüler auf seine bevorstehende Reise mitgenommen hat: In Venedig kam eine junger Mensc zu ihm, der ihn um einen Allmosen ansprac, und die Violine spielete, dessen Ansatz Hr. Pisendeln so wohl gefallen, daß er diesen Menscen mit sic genommen, erzogen und fortgeholfen, welcer aber diese Liebe dermaßen gemißbraucet, daß er nachero so gar gesuct, ihn[!] die Scuh auszutreten.

Da Pisendel diesen jungen Geiger nict nur „mit sic genommen“, sondern auc „erzogen“ und weitervermittelt hat, muß er sic über längere Zeit in Pisendels engster Umgebung aufgehalten haben. Dies läßt den Scluß zu, daß Pisendel den mittellosen italieniscen Geiger als Bediensteten und Reisebegleiter bei sic aufgenommen und ihn möglicerwiese dafür kostenlos unterrictet hat. Ein Vorbild für diese Konstellation könnte Pisendel in seiner Ansbacer Zeit gefunden haben, denn der Kapellmeister Pisto$ci hatte dort den jungen Geiger Johann Reinhard Bullmann auf seine Reisen und scließlic nac Italien mitgenommen.53 Möglicerweise ist Pisendel während seiner gesamten Studienreise nac Neapel, Rom und Florenz von diesem italieniscen Geiger begleitet worden. Die Formulierungen lassen außerdem den Scluß zu, daß Pisendel ihn auc nac Dresden mitgenommen haben könnte, allerdings konnten dafür bislang, wie überhaupt zur Identität dieses Musikers, keine arcivaliscen Hinweise gefunden werden. Eine italienisce Handscrift jedoc, die vereinzelt in Pisendels Musikalien dieser Zeit zu finden ist und deutlic ungeübte Züge trägt, könnte von diesem bisher unbekannten Scüler Pisendels herrühren.54 Spätestens bei einer künftigen Erforscung von Pisendels reicer Notenbibliothek wird die Rolle, die dieser bislang unbekannte italienisce Pisendel-Scüler spielte, näher untersuct werden müssen.55 Nict nur für den Kurprinzen war Rom ein wictiges Ziel dieser Reise, denn auc die römisce Geigenscule um den 1713 verstorbenen Ar$angelo Corelli besaß noc immer eine große Anziehungskraft. Daß auc Pisendel nac Rom reisen wollte, geht aus dem bereits erwähnten Empfehlungsscreiben des Grafen Kos an den königlicpolniscen Gesandten in Rom, Baron Jakob Pucet, vom 22.1.1717 hervor. Dies Screiben ist wohl unter jene „Landesfürstl. gnädigsten Re$ommendations-Briefe“ zu zählen, mit denen Pisendel nac V56 für seine Studienreise ausgerüstet worden sein soll. Aus diesem wictigen Dokument, das hier erstmals veröffentlict wird, 52

Für Pisendel sceint es selbstverständlic gewesen zu sein, junge Musiker zu unterricten, wie er es auc von seinem eigenen Vater kannte. Im Sterbeeintrag Simon Pisendels heißt es, daß er „die Jugend, so viel nur Lust dazu hatten, mit allem Willen darinnen unterrictet: war auc sonst sehr diensthaft und hat vielen fortgeholfen, daß sie zu einem Stü% Brot gelangt.“ Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 29 vom 10.10.1719. 53 Vgl. oben, Abscnitt II, 1. „Als Kapellknabe am Ansbacer Hof“. 54 Vgl. beispielsweise eine Baßstimme zu dem Violinkonzert B-Bur von Giovanni Bettinozzi (D-Dl Mus. 2674-O-1). 55 In diesem Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, daß ein gewisser „Violon, Pietro Pa$elli, vor seine in währenden Festiviteten und nachero bey dem orcestre geleistete Dienste“ am 20.4.1720 eine „grafi$ation“ in Höhe von 50 Talern erhielt, vgl. Lo$. 383 Vol. I, fol. 266. Ob es sic bei diesem Aushilfsmusiker, der möglicerweise ein später Nacfahr des Warscauer Kapellmeisters Aspirilio Pa$elli (*1570, †1623 in Warscau) war, um einen polniscen Musiker oder vielleict um den Scüler eines Kapellmitgliedes handelt, muß offenbleiben.

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geht hervor, daß Pisendel diese Studienreise auf Wunsc des Königs unternahm und sic auc in der „Manier“ der römiscen Geigenscule vervollkommnen wollte: Monsieur Le S.r Bisheindle porteur de $elle$y est un musi$ien de Sa Majesté nôtre Roy, et voyage exprés à Rome, pour se perfe$tionner dans la Musique sous d’habiles Maitres, dont Rome fourneille[?], il m’a Solli$ité ave$ empressement, de l’a$$ompagner d’une lettre de re$ommendation, pour-y-trouver un Prote$teur, sous lequel il puisse atteindre au Conable but, qu’il s-y-est proposé; et $omme j’ai erû, qu’il alloit ou Servi$e de Sa Majesté, de La Luy a$$order, je n’ai pas balan$é un moment, à vous le re$ommander Monsieur fort étraitement, et de [Seitenwecsel] vous prier ave$ la méme Confian$e, que par le passe, que vous ayés la bonté Monsieur, de Luy fa$iliter le Chemin, par-y-trouver a$$és de Rome pour les instrumens[!] de Musique, a fin que sous eux jl se puisse perfe$tionner de la maniére, qu’il s-y-est proposé. j’attends $ette Complaisan$e de vos attentions ordinaires, et prenderai sur mon $ompte, $e, que vous savés Monsieur, que je ne suis pas jngrat, et que j’aurai toujours un plaisir indi$able [Seitenwecsel] de pouvoir vous $onvainere effe$tivement ave$ quelle re$onnoissan$e et distin$tion je suis sin$érement Monsieur Votre trhble [très humble] et Obeissant Serviteur Kos PaltdeLievl.mpia: [Palatin de Lievland, manu propria] à veni$ e$l.[é$rit le] 22. Janl. 1717.56

Mit diesem Empfehlungsscreiben ging Pisendel „über Loretto nac Rom“, um es dem „Monsieur Pucet, Se$retaire da Sa Majesté Le Roy de Pologne, et Ele$teur de Saxe à Rome“57 zu übergeben. Laut V56 wandte sic Pisendel von dort jedoc kurz darauf weiter nac „Neapel, und versäumte keine Gelegenheit[,] von denen allda in Carneval gehaltenen Opera und Musiqven zu profitiren.“ Möglicerweise besaß Pisendel auc für Neapel ein ähnlices Empfehlungsscreiben. Seine Erwartung an die Reise nac Neapel wurden jedoc enttäusct, wie V56 berictet: „In Neapel hat er von Vilionisten[!] wenig […] angetroffen“. Also kehrte Pisendel nac Rom zurü%, wahrsceinlic rectzeitig, um die Sänger der päpstlicen Kapelle am Karfreitag mit dem berühmten neunstimmigen Miserere von Gregorio Allegri zu hören.58 Inzwiscen hatte der Baron Pucet offenbar in Rom einen geeigneten Lehrer für Pisendel ausfindig gemact. Aus den Angaben von V56 geht hervor, daß Pisendel bei einem römiscen Geiger namens Montanari Unterrict erhielt: „in Rom aber [hat er] den berühmten Montanari auf seiner Rü%reise, […] in Venedig den bekannten Rivali [!] unter andern Virtuosen angetroffen und vieles von ihnen profitiret.“ Bei dieser Formulierung fällt auf, daß der „berühmte“ Montanari noc über Vivaldi gestellt wird, denn dieser wird lediglic als „der bekannte Rivali “ bezeicnet. Auc Agri$ola wiederholt diese Abstufung in V67 und hebt „den berühmten Violinisten Montanari“ gegen „den damals berühmten Vivaldi“ deutlic ab, obwohl beide genannten Geiger der gleicen 56

Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 16 vom 22.1.1717. Auf der Umsclagseite befindet sic anstelle eines Empfangsvermerks lediglic die Wiederholung des Datums „22. Gen.o 1717“. Die Existenz dieses Dokuments wurde von Staszewski 1996, 81, jedoc ohne Angabe einer Quelle, erstmals erwähnt. 57 So die von anderer Hand gescriebene Adresse auf dem Umsclag des Empfehlungsscreibens. 58 Vgl. die Parallele in der Quantz-Autobiographie 1754, 230.

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Generation angehören.59 Ob die verstümmelte Screibweise „Rivali “ als ein historiscer Spitzname zu verstehen ist und möglicerweise sogar auf die Ursacen für die unüberhörbaren Vorbehalte gegen Vivaldi aus dem engsten Umkreis Pisendels60 hinweist, sei dahingestellt. Hier interessiert in erster Linie die Person des von Pisendel offenbar hocgescätzten Geigers Montanari, über den – im auffälligen Gegensatz zu Vivaldi – kaum etwas bekannt ist und der selbst in der Pisendel-Literatur lediglic mit seinem Nacnamen erwähnt wird. Bis in die jüngste Zeit war nict einmal sein Vorname gesicert. Dabei hat auc Pisendels Scüler Quantz ihn bei seinem eigenen Studienaufenthalt in Rom 1724/25 kennengelernt und ihn als einen „gesci%ten Violinist[en], und Anführer der Musi%en“ carakterisiert.61 Zeitgenössisce Lexika nennen einen gewissen Fran$es$o Montanaro, von dem in Amsterdam gedru%te Violin- und Flötensonaten angeführt werden.62 Nac Auskunft moderner Nacsclagewerke soll Fran$es$o Montanari aus Padua stammen. 1717 erhält der Corelli-Scüler eine Anstellung als Geiger an St. Peter in Rom, die er bis zu seinem Tod 1730 inne hat. Im gleicen Jahr soll Pisendel sein Scüler geworden sein.63 Dagegen gibt Pisendel in den von ihm selbst abgescriebenen Werken Montanaris mehrfac den Vornamen Antonio an.64 Während dieser Vorname am Ende des 18. Jahrhunderts auc von den Lexikographen Hawkins und Gerber genannt wird,65 hält Andreas Moser den Vornamen Antonio in einer zeitgenössiscen Dru%sammlung von act Violinkonzerten für eine dreiste Fälscung des Verlegers, um die wahre Autorscaft Fran$es$o Montanaris zu verscleiern.66 Vier der in Dresden erhaltenen Violinkonzerte sind jedoc mit diesem Amsterdamer Dru% identisc, dessen Autor auf dem Titelblatt mit „Signore Antonio Montanari Modenese“ angegeben wird.67 Anhand der Eintragungen Pisendels ist davon auszugehen, daß sein Lehrer in Rom tatsäclic Antonio und nict Fran$es$o Montanari hieß und die Autorenangabe auf der Amsterdamer Dru%sammlung keine Fälscung ist. Damit kann auc die an gleicer Stelle angegebene Herkunft des Antonio Montanari aus Modena als glaubwürdig eingestuft werden. Bestätigt werden diese Angaben durc den Zeicner Pier Leone Ghezzi (1648—1755), der römisce Musiker seiner Zeit in karikierender Form portraitierte. Aus Anlaß des 59

In V84 ist diese Tendenz dagegen wieder aufgehoben, denn Hiller formuliert: „der mit Ruhm bekannte Vivaldi“. Zu den Lebensdaten von Antonio Montanari vgl. die unten zitierte Beiscrift zur Karikatur von Pier Leone Ghezzi. 60 Vgl. beispielsweise die Ausführungen von Quantz 1752, 309f. 61 Vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 226. 62 WaltherL, 419f, und mit annähernd gleicem Wortlaut Zedlers Lexikon. 63 Vgl. NGD1 XII, 504, und DEUMM, Le Biografie V, 155, wo Antonio und Fran$es$o Montanari zu einer Person zusammengezogen sind. MGG1 enthält keinen Eintrag zu Montanari. 64 Beispielsweise die „Sonata da $amera del Sig.re Ant. Montanari “, D-Dl Mus. 2767-R-3. Vgl. auc Günther Haußwald im Vorwort zur Telemann-Gesamtausgabe, Bd. 6, Anm. 4. 65 Vgl. GerberNTL 3, 449. Unter Berufung auf das Nacsclagewerk von Hawkins 1776 nennt Gerber zwar den Vornamen Antonio, vermutet jedoc abscließend, daß dieser Geiger mit Fran$es$o Montanari identisc sein müsse, da von letzterem Kompositionen und ein Portrait bekannt seien. 66 Vgl. Moser/Nösselt 1966, 202. 67 Der vollständige Titel lautet nac Moser/Nösselt 1966, 202: „VIII Con$erti (quatro a Violino prin$ipale e quatro a doi Violini di Con$ertino $on suoi Ripieni) del Signore Antonio Montanari Modenese – ra$$olti da me Micel Charles le Cène“. Auc Eitner 7, 35, kennt zwei Werke eines „Antonio Montanaro“ aus Wiener Beständen, die er von denen des Komponisten „Fran$es$o Montanari“ untersceidet.

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Todes von Antonio Montanari am 2.4.1737 zeicnete Ghezzi ein Erinnerungsblatt, das den zweiundseczigjährigen Montanari vor einem Notenpult stehend und die letzte Seite eines Violinkonzertes spielend zeigt (siehe S. 101, Abbildung 1).68 Der umfangreice Untertitel der Zeicnung enthält detaillierte biographisce Angaben, zu denen Ghezzi gewöhnlic Informationen aus Geburts- und Sterberegistern herangezogen hat:69 Signor Antonio Montanari Virtuosissimo Suonator di Violino, e poi era a$$ompagnata la Virtù $on un $ostume da Angelo il quale morì alli due di Aprile 1737, alle ore 23 e la sua morte è stata $ompianta da tutta Roma et io Cavalier Ghezzi me ne sono lassata la presente memoria il giorno doppo la sua morte, il quale morì in tre giorni di ponture in età di Anni 62 […]. Il medesimo na$que alli 29 di Novembre del 1676 alle ore 3.70

Die Zusatzinformation aus V67, Pisendel habe von Montanari „gar noc förmlice Le$tionen auf der Violine genommen“, läßt sic kaum nacprüfen. Im Fall Vivaldis kann eine Form des Unterricts wenigstens anhand der erwähnten Stilstudie, der einige Korrekturen Vivaldis enthält, nacgewiesen werden. Auc der Tagebuceintrag Uffenbacs bestätigt Vivaldis Interesse, auswärtigen Musikern die „Ausführung“ seiner Kompositionen beizubringen, die sic auf eine besondere Art der solistiscen Aufführungspraxis bezieht. Obwohl solce Hinweise für Montanari bislang unbekannt sind, ist es nict unwahrsceinlic, daß Pisendel sic auc von ihm in dessen carakteristiscer Spielmanier sowie in der Ensembleleitung unterricten ließ, denn Quantz weist ausdrü%lic auf Montanaris Qualitäten als „Anführer der Musi%en“ hin. Für eine große Affinität zwiscen Pisendel und Montanari sprecen Hinweise, daß auc dieser ein „gelehrter“ und an theoretiscen Fragen interessierter Musiker71 und vor allem ein Mensc von untadeliger Lebensführung war, wie Ghezzi hervorhebt. Gerade die letztgenannten Eigenscaften könnten dazu geführt haben, daß Pisendel seinen römiscen Lehrmeister höher scätzte als Vivaldi. Da wiederholt auf die hohe musikalisce Qualität der in Dresden erhaltenen Werke Montanaris hingewiesen worden ist,72 kann eine künftige Untersucung von Leben und Werk des Antonio Montanari als vielversprecend eingestuft werden. In Dresden sind sieben Werke von Antonio Montanari erhalten, die Pisendel teilweise selbst kopiert hat: drei Sonaten für Violine und Baß sowie je zwei Konzerte für ein bis zwei Soloviolinen.73 Im Rahmen dieser Studie kann allerdings lediglic die Identität dieses zweiten wictigen Lehrers von Pisendel geklärt und auf seine Bedeutung für die Forscung hingewiesen werden. Hinzuzufügen ist jedoc, daß eines der Werke, die in Dresden unter dem Namen Antonio Montanaris katalogisiert wurden, vielmehr eine anonyme Kammersonate im Stil Montanaris darstellt, die mit einer Widmung an Montanari versehen ist. Es 68

Auf die dokumentarisce Bedeutung dieser Zeicungen Ghezzis auc für die Aufführungspraxis der römiscen Geigerscule verweist Petrobelli 1984, 176. Während Petrobelli ausdrü%lic zwiscen Antonio und Fran$es$o Montanari als zwei versciedenen Musikern untersceidet, werden beide Namen neuerdings wiederum zu einer einzigen Person zusammengefaßt, vgl. NGD2. 69 Vgl. Petrobelli 1984, 177. 70 Zitiert nac La Via 1995, 494, der weiteres arcivalisces Material zu Antonio Montantari ausgewertet hat. 71 Zeitgenössiscen Bericten zufolge soll er beispielsweise mit enharmoniscen Mikrointervallen experimentiert haben, vgl. Barbieri 1990, 134. 72 Vgl. beispielsweise Moser/Nösselt 1966, 202, mit weiteren Nacweisen. 73 D-Dl Mus. 2767-R-1/2/3 und Mus. 2767-O-1/2/3/4.

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handelt sic um eine italienisce Reinscrift mit dem Titel: „La Montanari / Sonata per Camera a / Violino solo / Dedi$ata al merito impareggiabile del / Sig.re Antonio Montanari / insigne Sonatore di Violino / Da un Suo diuoto Seruo ammiratore / della sua Virtù“.74 Diese Sonate ist mit der gleicfalls „La Montanari“ überscriebenen Triosonate aus Giuseppe Valentinis Sammlung op. 5 (Rom 1707) nict identisc.75 Durc eine Anfrage im Rahmen der vorliegenden Arbeit konnte Micael Talbot das Dresdner Manuskript als eine weitere, bislang unbekannte Komposition Valentinis identifizieren. Die Dresdner Kammersonate zeigt nämlic nict nur die für Valentini typiscen Merkmale,76 sondern ihr vierter Satz „Giga. Allegro Affetuoso“ kehrt sogar in einer erweiterten und ausgearbeiteten Form als vierter Satz von Valentinis Kammersonate op. 8 Nr. 8 (Allettamenti per $amera, Rom 1714) wieder, die ebenfalls in A-Dur steht und mit „Allegro Affetuoso“ überscrieben ist. Ob es sic bei dem Dresdner Manuskript sogar um ein Autograph Valentinis handelt, kann mangels zuverlässiger Scriftproben nict entscieden werden.77 Die Handscrift enthält also eine frühere Fassung des 1714 veröffentlicten Satzes, so daß ihre Entstehung vor diesem Jahr angesetzt werden muß. Durc ihre persönlice Widmung an Montanari und den durcgängigen Gebrauc von Tanz-Überscriften, der bislang bei Valentini unbekannt war, erhält die Dresdner Handscrift ihre besondere Bedeutung. Unklar ist jedoc, wie sie in Pisendels Notenbibliothek gelangte. Ihr Wasserzeicen (französisce Lilie im Oval) kehrt in dem Papier der „Sonata da $amera del Sig.re Ant. Montanari.“ d-Moll78 wieder, die Pisendel selbst, wahrsceinlic während seines Aufenthalts in Rom, abgescrieben hat. Also dürfte auc die Montanari gewidmete Sonate in Rom gescrieben worden sein, so daß es sic möglicerweise um ein Widmungsexemplar Valentinis für Montanari handelt, das dieser selbst als ein Erinnerungsstü% an Pisendel weitergegeben hat. Aufgrund der Überscrift „La Montanari “ ist nämlic anzunehmen, daß die Komposition Merkmale enthält, die auf den besonderen Kompositions- oder Aufführungsstil des Widmungsträgers anspielen. Daher kann es als Geste der Besceidenheit und Wertscätzung gegenüber Pisendel verstanden werden, daß Montanari ihm nict etwa eine eigene Komposition, sondern sein von Valentini gestaltetes musikalisces Portrait scenkte.

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D-Dl olim Mus. 2-R-7 – neue Signatur Mus. 2387-R-5. Für die Umsignierung dieser Handscrift sei dem Leiter der Musikalienabteilung der SLUB Herrn Dr. Karl Wilhelm Ge% herzlic gedankt. Freundlice Mitteilung von Dr. Enri$o Careri, Rom, der einen thematiscen Katalog der Werke Valentinis vorbereitet. 76 Deutlice Merkmale für Valentinis Kompositionen sind, nac einem freundlicen Screiben von Herrn Prof. Dr. Micael Talbot vom 25.4.2001, die fünfsätzige Anlage mit tanzartigem Sclußsatz, der Gebrauc der ungewöhnlicen Tempobezeicnung „Affettuoso“, stilistisce Merkmale wie Imitiation und eine Vorliebe für Trugscluß-Kadenzen, die konservative Notation der Tonart A-Dur mit nur zwei Kreuzen und die häufige Verwendung des 3/2-Metrums in den dritten Sätzen. 77 Für die Identifizierung dieser Handscrift möcte ic Herrn Prof. Dr. Micael Talbot an dieser Stelle herzlic danken. 78 D-Dl Mus. 2767-R-3. 75

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ABBILDUNG 1: Pier Leone Ghezzi, Antonio Montanari virtuosissimo sonator di violino, Federzeicnung, Rom 1737 (I-Rvat, Ottob. Lat., vol. 3116, fol. 165v)

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Nac seinem Rom-Aufenthalt setzte Pisendel seine Studien in Florenz fort. V56 berictet nämlic, er habe „in Florenz Martino Britti und Tamfani […] unter andern Virtuosen angetroffen und vieles von ihnen profitiret.“ Ähnlic wie im Fall von „Rivali“-Vivaldi sind die Namen dieser florentiniscen Virtuosen nur entstellt wiedergegeben. Agri$ola hat den Namen „Britti“ in V67 zwar in Bitti korrigiert, den Namen „Tamfani“ dagegen, vielleict aus Unsicerheit über die Identität dieses Musikers, weggelassen. Entsprecend ist dieser Name in der Pisendel-Literatur auc noc nie genannt worden. Bereits einige Jahre vor Pisendel hatte Gottfried Heinric Stölzel den Geiger „Martinello“ Bitti bei seinem Besuc in Florenz kennengelernt.79 Bitti (* Genua 1655/56, † Florenz 2.2.1743) war bereits seit 1685 am florentiniscen Hof angestellt und trat zwiscen 1696 und 1720 auc häufig bei kirclicen Konzertveranstaltungen auf (siehe Abbildung 2). Obwohl er bis zu seinem Tod ein Gehalt bezog, hatte er sein Amt als primo violino der Hofkapelle wohl spätestens 1726 an Giuseppe Maria Fanfani abgegeben, der nac dem Tod Bittis dessen offizieller Nacfolger wurde.80 Ganz offensictlic kann der in der Lebensbescreibung V56 genannte „Tamfani“ mit jenem florentiniscen Orcesterleiter Giuseppe Maria Fanfani identifiziert werden, über den jedoc alle älteren Nacsclagewerke scweigen. Wiederum ist es der Pisendel-Scüler Quantz, der einen Geiger dieses Namens erwähnt, den er bei seinem Aufenthalt in Florenz 1725/26 kennengelernt hatte: „Tanfani[!] war ein scma%hafter Violinist“.81 Im Naclaß Pisendels haben sic fünf Werke Bittis erhalten: drei Sonaten für Violine und Baß sowie je eine Triosonate und ein Violinkonzert.82 Ähnlic wie im Fall Montanaris kann dies als eine Bestätigung für die Angaben aus V56 angesehen werden. Von Giuseppe Maria Fanfani sceinen dagegen keine Musikalien in Dresden erhalten zu sein, so daß die Angaben über eine Verbindung mit Pisendel auf diesem Weg nict gestützt werden können. „Förmlice Le$tionen auf der Violine“, wie sie Pisendel bei Vivaldi und Montanari genommen haben soll, werden im Fall Bittis und Fanfanis allerdings nict erwähnt. In welcer Hinsict könnte Pisendel also „vieles von ihnen profitiret“ haben? Falls sic der Begriff „förmlice Le$tionen“ auf den Einzelunterrict auf der Violine bezieht, ist er wohl lediglic auf die Übermittlung einer solistiscen Spielmanier zu beziehen. Da sic die aufführungspraktiscen Gepflogenheiten für das Solospiel wesentlic von denen für das Orcesterspiel untersceiden, wäre auc denkbar, daß Pisendel an versciedenen Aufführungen unter der Direktion von Bitti und Fanfani teilgenommen hat und daß bei seinem Aufenthalt in Florenz das Kennenlernen der dortigen Orcesterpraxis im Vordergrund stand.

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Vgl. Mattheson 1740, 345. Vgl. NGD1 II, 747, und NGD1 VI, 378. Beide Artikel basieren auf der Dissertation von Hill 1979, 8f, 428 und 445. 81 Vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 230f. 82 D-Dl Mus. 2362-R-1/2/3, Mus. 2362-Q-1 und Mus. 2362-O-5. 80

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ABBILDUNG 2: Antonio Domeni$o Gabbiani, Gruppenportrait Florentiniscer Hofmusiker (Detail: Martino Bitti), Ölgemälde, Florenz nac 1687, (Florenz, Galleria Palatina del Palazzo Pitti, Inv.-Nr. 2802)

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Beim Aufenthalt Pisendels in Florenz dürfte auc eine Rolle gespielt haben, daß der Kurprinz in Venedig von den Fähigkeiten des Florentiniscen Geigers Fran$es$o Maria Vera$ini beeindru%t war und ihn unter glänzenden Bedingungen in seine Dienste aufnehmen wollte, denn der drei Jahre jüngere Virtuose bedeutete eine ernsthafte Konkurrenz für Pisendel. Dabei ist bemerkenswert, daß Fran$es$o Maria und sein Onkel Antonio Vera$ini in Florenz nie dem engeren Kreis der Hofmusiker angehört hatten, sondern in erster Linie Aufgaben im Rahmen der städtiscen Kircenmusik wahrnahmen.83 Offensictlic standen die Vera$inis, im Gegensatz zu Pisendels Lehrern Bitti und Fanfani, nict in der Gunst von Ferdinando de’Medi$i, dem Sohn des Großherzogs Cosimo III. und wictigsten Förderer der Musik in Florenz, und diese Einscätzung könnte von den führenden Geigern des Hofes geteilt worden sein.84 Möglicerweise ist dadurc die ablehnende Haltung Pisendels gegenüber Vera$ini, die sic während ihres gemeinsamen Wirkens in Dresden deutlic zeigt, noc bestärkt worden. Ursprünglic war nict vorgesehen, daß Florenz die letzte Station von Pisendels Studienreise sein würde, denn laut V56 hatte er „nac Mayland und Turin sic zu wenden vorgenommen“. Möglicerweise wollte Pisendel 1717 in Mailand die Eröffnung des Teatro Regio Du$ale miterleben, bei der die Oper Costantino von Fran$es$o Gasparini aufgeführt wurde. Wahrsceinlic hat Pisendel Gasparini bereits in Venedig oder Rom kennengelernt, denn 1717 war der Vorgesetzte Vivaldis am Ospedale della Pietà zum Kapellmeister an der römiscen Kirce S. Lorenzo in Lu$ina ernannt worden.85 Die geplante Reise Pisendels nac Turin steht sicer im Zusammenhang mit dem berühmten Geiger Giovanni Battista Somis, der nac Studien bei Corelli und möglicerweise auc bei Vivaldi im Jahr 1707 als erster Violinist und Musikdirektor an den Turiner Hof berufen wurde. Besonders als Lehrer besaß Somis, der ein Jahr älter war als Pisendel, später einen großen Ruf. In Dresden befindet sic beispielsweise eine von Pisendel gescriebene Partitur mit dem Titel „Con$erto del Sig. Gio. Batt:a Somis Ardy“, in die er auc Diminutionsskizzen eingetragen hat.86 Weitere Violinkonzerte, die Pisendel aufgrund ihrer Papiersorte noc während seines Italienaufenthalts abgescrieben haben muß, stammen beispielsweise von Giuseppe Matteo Alberti, Giovanni Bettinozzi, Carlo Gallo, Giovanni Pietro Ghignone, Giuseppe Tartini und Gasparo Vis$onti.87 Pisendel konnte seine Studienreise jedoc nict wie geplant fortsetzen, denn er mußte sic laut V56 „auf Ordre des Königl. Hofs von Dreßden wieder nac Sacsen wenden, und mit dem Capellmeister Lotti nebst andern Virtuosen, Sänger und Sängerinnen, die erst in Säcßl. Dienste aufgenommen worden, scleunig dahin aufbrecen, allwo er am 27. Sept. 1717 glü%lic arriviret.“ Bislang war in der PisendelLiteratur unbeactet geblieben, daß Pisendel zusammen mit der Gruppe der für die Dresdner Oper neu engagierten Musiker von Venedig nac Sacsen zurü%gekehrt ist, denn Agri$ola hat diese Passage nict in den Text von V67 übernommen. 83

Vgl. Hill 1979, 8. Vgl. Hill 1979, 9. 85 Pisendels Scüler Quantz hat 1724 mehr als secs Monate lang bei Gasparini in Rom Kontrapunkt studiert. 86 D-Dl Mus. 2353-O-1. Weitere erhaltene Werke von Somis könnte er sic durc Quantz aus Turin bescafft haben. 87 Vgl. Pozzi 1995, 991-1031. 84

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Pisendels Rü%reise zusammen mit den für Dresden engagierten Künstlern setzt voraus, daß er sic kurz vor seiner Abreise noc einmal für kurze Zeit in Venedig aufhielt. Dies läßt sic sogar genauer eingrenzen, denn die erwähnte Reisegruppe verließ die Lagunenstadt am 5.9.1717.88 Pisendel reiste also zusammen mit dem Kapellmeister Antonio Lotti und dessen Frau, der Sopranistin Santa Stella Lotti, sowie der Sopranistin Margherita Catharina Zani (genannt „Maru$ini“), der Contraaltistin Lu$ia Gaggi (genannt „Bavarini“), den beiden Sopranisten Fran$es$o Bernardi (genannt „Senesino“) und Matteo Berselli, dem Tenor Matteo Giu$$iardi, dem Dicter Antonio Maria Abbate Lucini und dem Kontrabassisten Gerolamo Personelli.89 Heinicen wird in diesem Abscnitt von V56 ebenso wie bei dem Berict über den Venedig-Aufenthalt mit keinem Wort erwähnt, obwohl Pisendel ihn bereits von seiner Leipziger Zeit kannte und ihm auc während seines ersten Venedigaufenthalts häufig begegnet sein muß. Wahrsceinlic hatte er Venedig gleiczeitig mit Pisendel bereits Anfang 1717 verlassen.90 Nac der vorerst nict anderweitig zu bestätigenden Angabe von V56 erreicte Pisendel, und mit ihm wohl die übrigen Mitglieder der Reisegruppe, Dresden gut drei Wocen später, am 27.9.1717.91

88

Vgl. Fürstenau 1862, 101. Vgl. Fürstenau 1862, 105. 90 Vgl. Horn 1987, 42. 91 Die Hofjournale aus dem Jahr 1717, anhand derer sic dieses Datum bestätigen ließe, konnten aufgrund von Verfilmungsarbeiten während der Recercen des Verfassers nict eingesehen werden. 89

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E XKURS II: „… DENN WER NICHT ETWAS MIT HINEIN BRINGT ; DER BRINGT SCHWERLICH WAS MIT HERAUS .“ – P ISENDEL UND DIE I TALIENREISE SEINES S CHÜLERS J OHANN J OACHIM Q UANTZ Von allen Reisen Pisendels war der Aufenthalt in Italien zwiscen Mai 1716 und September 1717 sicer der musikalisc ertragreicste. Pisendel, der bereits mit fünfundzwanzig Jahren auf seine herausragende Position als Premier Violon in der Dresdner Hofkapelle berufen worden war, verstand diese Reise offenbar als Möglickeit, die in Ansbac gelernten Grundlagen des italieniscen Violinspiels zu vertiefen und zu aktualisieren. Möglicerweise bestand der Wunsc nac einer Italienreise bereits seit seiner Leipziger Studienzeit, denn es war ihm sicer nict verborgen geblieben, daß sein ehemaliger Kapellknaben-Kollege Köhler, kaum daß Pisendel Ansbac verlassen hatte, auf Kosten des Markgrafen nac Italien reisen durfte und nac seiner Rü%kehr zum „Premier Violinisten“ ernannt worden war.1 In Italien konnte Pisendel endlic die bedeutenden Musikzentren Venedig, Neapel und Rom besucen und seinen Anspruc, die italienisce Geigentradition in Dresden zu repräsentieren, bekräftigen. Um so mehr ist zu bedauern, daß über Pisendels Italienaufenthalt mit Ausnahme der Beziehungen zu Vivaldi so wenig bekannt ist. Dieser Mangel läßt sic jedoc teilweise dadurc ausgleicen, daß über die Italienreise, die sein Scüler Johann Joacim Quantz sieben Jahre später antrat, ein rect umfangreicer Berict erhalten ist. In seiner Autobiographie von 1754 bescreibt Quantz nämlic ausführlic, was er auf den Stationen dieser Reise vorfand. Die von Quantz gewählte Route orientiert sic dabei auffällig eng an Pisendels eigener Reise. Zudem enthält die Autobiographie Hinweise, daß Quantz seine Reise zusammen mit Pisendel geplant haben könnte, zumal da Quantz offenbar in Pisendels Auftrag Kompositionen Vivaldis abgescrieben hat. Im Frühjahr 1719 erhielt der junge Stadtpfeifergeselle Quantz in Dresden eine Stelle als Oboist der Polniscen Kapelle, dem Orcester, das August den Starken auf seinen Reisen nac Warscau zu begleiten hatte. Bereits kurze Zeit danac gewann Quantz das Vertrauen Pisendels, indem er ihn seine Kompositionsversuce durcsehen und „verbessern“ ließ.2 Die Bekanntscaft entwi%elte sic „nac und nac in eine vertraulice Freundscaft von beyden Seiten“, wie Quantz noc zu Pisendels Lebzeiten in seiner Autobiographie betont. Da die Polnisce Kapelle sic in den Anfangsjahren nur dann in Warscau aufhalten mußte, wenn auc der König dort anwesend war, konnte Quantz viel Zeit in Dresden verbringen. Bereits in dieser frühen Zeit hat Quantz von Pisendel nict nur das Adagio, welces er auf eine ausnehmend rührende Art spielte, vorzutragen gelernet; sondern ic habe auc in dem, was das Ausnehmen der Sätze, und die Aufführung der Musik überhaupt betrifft, von ihm das meiste profitiret. Ic wurde von ihm 1

Vgl. WaltherL, 344. Quantz-Autobiographie 1754, 210. Bis zu seinem Dienstantritt als Oboist in der Polniscen Kapelle betractete sic Quantz in erster Linie als Violinist. Da er auc als Oboist in Dresden keine Aufstiegsmöglickeiten sah, wandte er sic der Traversflöte zu, vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 209. 2

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aufgemuntert, ein mehreres in der Setzkunst zu wagen. Sein Gescma% war damals scon eine Vermiscung des italieniscen mit dem französiscen: weil er beyde Länder, scon als ein Mann von reifer Beurtheilungskraft durcgereiset hatte.3

Wahrsceinlic stellte Pisendel die Musikalien, die er von diesen Reisen mitgebract hatte, seinem Freund Quantz zu Studienzwe%en zur Verfügung, denn dieser screibt: „Indessen studierte ic […] die Partituren gründlicer Meister fleißig durc, und sucte ihrer Setzart, in Trios und Con$erten naczuahmen, doc ohne auszuscreiben.“4 Spätestens hierbei muß auc Quantz zu der Überzeugung gelangt sein, daß er sic erst durc eine Italienreise ganz vervollkommnen könne. Als die Polnisce Kapelle im Jahr 1722 erstmals in Warscau zurü%bleiben mußte, erreicten „einige hohe Patronen“ von Quantz, daß der König einer Italienreise zustimmte. Als er jedoc erwartungsvoll nac Dresden kam, um diese Reise anzutreten, mußte er erfahren, daß ein weiterer Gönner von ihm, der Baron von Seyfertitz, „dem Könige vorgestellet hätte, daß es, vielleict wegen meiner Jugend, noc zu zeitig wäre, mic nac Wälscland zu sci%en: und daß hierauf auc die königlice Entscließung, wegen dieser Reise aufgescoben wäre.“5 Unabhängig davon, daß die Enttäuscung Quantzens sehr groß war und sein Wunsc nac einer Italienreise dadurc noc mehr wucs, ist diese Episode wictig, um die besonderen Vorbereitungen einscätzen zu können, die Quantz traf, bevor er diese ‚einmalige‘ Gelegenheit zwei Jahre später scließlic doc erhielt. Um von dieser ‚einmaligen‘ Gelegenheit möglicst umfassend profitieren zu können, übte sic Quantz in der Beobactung und Beurteilung musikaliscer Ereignisse. Auc hierbei könnte Pisendel ihm wictige Anregungen gegeben haben, denn in Verbindung mit seinem Unterrict bei Pisendel screibt Quantz: „Der Aufmerksamkeit, die ic jederzeit auf gute Sänger gewendet, habe ic gleicfals in dem was den Gescma%e anbetrifft, nict wenig zu danken.“6 Dabei muß berü%sictigt werden, daß Quantz, anders als die meisten seiner herausragenden Kollegen, über eine Stadtpfeifer-Ausbildung in die Hofkapelle gelangt war. Dadurc fehlte ihm nict nur eine höhere Sculbildung, die auc das an Lateinsculen üblice Choral- und Figuralsingen mit einscloß, sondern durc die rein instrumentale Art der Ausbildung mangelte es ihm auc an Erfahrung mit gesangsmäßigen Ausdru%sformen, die er sic erst mühsam erarbeiten mußte. Pisendel konnte ihm dabei wertvolle Hilfe leisten, denn er selbst hatte seine Musikerlaufbahn ja als Diskantist unter dem Altisten Pisto$ci und dem Bassisten Rau begonnen. Bereits 1723 erhielt Quantz bei einer Reise zur Kaiserkrönung nac Prag die Gelegenheit, sic in der Beobactung zu üben und eine „reife Beurtheilungskraft“ unter Beweis zu stellen. Die ausführlicen Angaben, die Quantz mehr als dreißig Jahre später in seiner Autobiographie veröffentlicte, lassen vermuten, daß Quantz zu diesem Zwe% eine Art musikalisces Tagebuc geführt hat. Die Annahme, daß er sic auc während seiner Italienreise einer solcen Gedäctnisstütze bediente, sceint durc 3

Quantz-Autobiographie 1754, 211. Landmann 1988, 421, vermutet, daß die Kenntnis des Vivaldiscen Konzert- und Sonatenstils durc Pisendel an Quantz weitergegeben worden ist, während seine erste Begegnung mit den Werken Vivaldis, die nac Quantzens Angaben 1714 während seiner Ausbildung beim Stadt-Musikus von Pirna stattfand, ohne Folgen geblieben sei. 5 Quantz-Autobiographie 1754, 215. 6 Quantz-Autobiographie 1754, 211. 4

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eine Bemerkung über das Ende seiner Reisejahre im Juli 1727 bestätigt zu werden: „Nun stellete ic über alles, was ic auf der Reise gutes oder sclimmes von Musik gehöret hatte, Betractungen an. Ic fand, daß ic zwar einen ziemlicen Vorrath an Ideen gesammlet hatte; daß es aber nöthig sey, sie nac und nac erst in Ordnung zu bringen.“7 Dieses Tagebuc könnte die fast gescwätzig wirkenden Beobactungen, mit denen die Auslandsreisen in seiner Autobiographie begleitet werden, bereits enthalten haben. Diesen wertenden „Betractungen“ ist es jedenfalls zu verdanken, daß wir über die Italienreise von Quantz so gut unterrictet sind. Die Reisen nac Prag und Würzburg, die Quantz in seiner Autobiographie bescreibt, können als eine Art Vorübung für die Italienreise angesehen werden, für die Quantz nac Meinung des Barons von Seyfertitz im Jahr 1722 noc nict reif genug war. Wahrsceinlic spielte auc hier das Vorbild Pisendels eine Rolle, denn dieser wurde erst in seinem actundzwanzigsten Lebensjahr, als ein „Mann von reifer Berurtheilungskraft“, nac Italien gesci%t. Quantz war dagegen bei seinem ersten Anlauf 1722 erst fünfundzwanzig Jahre alt und hatte keine so glänzende Karriere vorzuweisen. Als er scließlic doc am 23.5.1724 mit dem Grafen Lagnas$o nac Rom reisen durfte, hatte Quantz sein siebenundzwanzigstes Lebensjahr bereits vollendet. Bei seiner Rü%kehr nac Dresden am 23.6.1727 war er ein „reifer“ Mann von dreißig Jahren und hatte außer Italien auc Frankreic und England bereist. Wie bereits erwähnt, zeigt die Reise Quantzens auffällige Parallelen zu derjenigen Pisendels. Das läßt sic einerseits damit erklären, daß die wictigen Musikstädte Venedig, Rom und Neapel zu den Pflictübungen jedes Musikreisenden gehörten. Die Reiseroute ist dennoc sehr ähnlic: Ein längerer Aufenthalt in Rom wird durc einen Abstecer zu den Karnevalsveranstaltungen in Neapel unterbrocen. Danac führen beide Reiserouten nac Florenz, wobei Quantz sic darauf über Ferrara und Padua nac Venedig begab, dem Ausgangspunkt von Pisendels Reise. Während Pisendel seinen Plan, nac Mailand und Turin zu gehen, wegen des Rü%kehrbefehls nict verwirklicen konnte, besucte Quantz im Anscluß an Venedig beide Städte und wagte es sogar wenig später, seinen eigenen Rü%kehrbefehl nac Dresden zu ignorieren, weil er sonst die italienisce Oper in London unter der Leitung Händels nict mehr hätte besucen können. Es sceint, als hätte Quantz auc hierin von den Erfahrungen Pisendels profitiert. Da zwiscen seiner und der Reise Pisendels nur sieben Jahre lagen, ist es nict verwunderlic, daß Quantz häufig die gleicen Personen antraf, die auc im Zusammenhang mit Pisendels Italienreise in V56 genannt werden. Außerdem ist denkbar, daß Pisendel ihm Empfehlungsscreiben an seine italieniscen Kontaktpersonen mitgegeben hat.8 Jedenfalls hat Pisendel Quantz damit beauftragt, ihm bestimmte Musikalien von Vivaldi aus Venedig mitzubringen, wie die erhaltenen Manuskripte in Quantzens Handscrift auf italieniscem Papier erkennen lassen.9 Quantz erreicte Rom am 11.7.1724. Nac anfänglicen Scwierigkeiten bei der Gewöhnung an die große Hitze einerseits und den gerade modiscen „lombardiscen“ Gescma% in Rom andererseits, für den Quantz eine Oper Vivaldis als Auslöser 7

Quantz-Autobiographie 1754, 244. Vgl. Landann 1988, 422. 9 Vgl. Landmann 1988, 427, und Fecner 1988, 778f. 8

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nennt, nahm er Unterrict „in den Grundsätzen des Contrapunkts“ bei dem „berühmten“ Fran$es$o Gasparini, der im gleicen Jahr wie Pisendel aus Venedig nac Rom gekommen war. Nac secs Monaten hielt Gasparini es nict mehr für nötig, „ihm ferner Le$tion zu geben, es wäre denn, daß ic mic noc auf die Sing$omposition legen wolte: wozu ic aber aus versciedenen Ursacen nict Lust hatte.“10 Eine der Ursacen könnte in dem oben erwähnten Mangel an eigener Gesangserfahrung zu sucen sein, den Quantz mit ausführlicen Bescreibungen der italienscen Sänger und ihrer Gesangsstile zu kompensieren sceint. Wie oben bemerkt, hatte Pisendel ihm wahrsceinlic geraten, zur Ausbildung des „Gescma%s“ weniger auf Instrumentalisten als auf gute Sänger zu hören und ihren Stil naczuahmen. Bei seinem Aufenthalt in Rom notiert Quantz auc seine Beobactungen zur Kircenmusik und bescreibt die Eigenscaften der Komponisten und ausübenden Musiker. Dabei rictete sic sein Hauptaugenmerk wiederum auf die Sänger, aber auc „Instrumentisten“ werden genannt: „Unter der Instrumentalmusik waren nur zween, die sic besonders hervor thaten, Montanari ein gesci%ter Violinist, und Anführer der Musiken, und Giovannini, ein star%er Violon$ellist. Beyde $omponireten nict in der größten Stär%e.“11 Aus dieser Bemerkung kann gesclossen werden, daß auc Pisendels Unterrict bei Antonio Montanari nict auf die Komposition zielte, sondern sic auf den von ihm verkörperten Violinstil der Corelli-Scule bescränkte. Allerdings dürfte neben dem Solospiel auc die Orcesterpraxis eine Rolle gespielt haben, denn die groß besetzten Orcesteraufführungen in Rom waren seit der Zeit Corellis berühmt. Am 13.1.1725 ging Quantz nac Neapel, um die zu Karneval aufgeführten Opern und Musiken zu hören. In Neapel wohnte Quantz bei Johann Adolph Hasse, der gerade bei Alessandro S$arlatti „den Contrapun$t“ studierte. Er befreundete sic mit Hasse, der ihn auc mit S$arlatti bekannt macte. In der Folge durfte Quantz an einigen Konzerten in Neapel mitwirken und erhielt dabei auc „die persönlice Bekanntscaft und Freundscaft des [berühmten Kastraten] Farinello“. Auc hier notiert Quantz Bemerkungen über Komponisten und Musiker in sein Journal. Es fällt auf, daß wiederum die Qualitäten und Tecniken der Sänger am ausführlicsten bescrieben werden. Über die Instrumentalmusik screibt er: „Das Orcester war ziemlic gut. Von hervorragenden Instrumentisten war weiter nicts sonderlices da, als der unvergleiclice Violon$ellist Fran$is$ello, welcer nacher in kayserlice Dienste getreten ist.“12 Diese Beobactung ähnelt der Formulierung in den frühen Lebensbescreibungen Pisendels in auffälliger Weise: „In Neapel hat er von Vilionisten[!] wenig […] angetroffen“ (V56), beziehungsweise: „Zu Neapolis fand er damals von braven Violinisten wenig“ (V67). Allerdings untersceidet Quantz zwiscen dem Orcesterspiel und solistiscer Praxis, indem er das Opernorcester von Neapel dennoc lobt.

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Vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 223f. Während Quantz das Alter seines Lehrers Gasparini mit 72 Jahren angibt, wird in einsclägigen Lexika der 5.3.1668 und neuerdings in NGD2 der 19.3.1661 als Geburtsdatum Gasparinis genannt, so daß er im Jahr 1724 erst 56 beziehungsweise 63 Jahre alt gewesen wäre. 11 Quantz-Autobiographie 1754, 226. 12 Quantz-Autobiographie 1754, 227.

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Am 23.3.1725 reiste Quantz von Neapel nac Rom zurü%, „um das berühmte Miserere vom Allegri am Charfreytage in der Päbstlicen Capelle mit anzuhören.“13 Nac weiteren sieben Monaten ließ er sic vom Grafen Lagnas$o in Rom beurlauben und begann am 21.10.1725, „auf meine eigenen Unkosten zu reisen“. Zunäcst wandte er sic nac Florenz. Möglicerweise ist er von Pisendel mit Empfehlungsbriefen ausgestattet worden, die ihm Kontakte zu den dortigen Musikern eröffnen konnten, denn neben einigen Sängern, die in florentiniscen Opernpasti$$ios auftraten, erwähnt er auffallend viele Instrumentalisten mit Namen: „Tanfani war ein scma%hafter Violinist; Ben$ini ein guter Clavierspieler; Palafuti […] ein guter Theorbist; und Ludwig Erdmann ein Deutscer, ein nict sclecter Hoboist, und dabey, gegen seine Landsleute, sehr freundscaftlicer Mann.“14 Während der Konzertmeister Martino Bitti, der in V56 noc an erster Stelle genannt wird, zu dieser Zeit bereits pensioniert war,15 fand Quantz immerhin für dessen Nacfolger Giuseppe Maria Fanfani lobende Worte.16 Nac einem zweimonatigen Aufenthalt in Florenz reiste Quantz am 8.1.1726 weiter nac Venedig und besucte auf seinen Zwiscenstationen in Livorno, Bologna und Ferrara (4.2.1726) jeweils eine Opernvorstellung. In Venedig galt Quantzens Interesse wiederum hauptsäclic den Karnevalsopern. Während die Vorstellungen am Theater S. Giovanni Crisostomo samt ihren Sängern von Quantz ausführlic bescrieben werden, bemerkt er zur Instrumentalmusik lediglic: Das Orcester dieser Opern war nict sclect, und wurde von einem guten Violinisten Laurenti, einem Bologneser angeführet. Vivaldi hatte die Opern des Theaters S. Angelo in Musik gebract, und war selbst Anführer seines Orcesters. Die A$teurs waren sehr mittelmäßig. Von Instrumentisten fand ic außer dem Vivaldi und Madonis, Violinisten, und dem Hoboisten San Martino aus Mailand, eben nict viel besonders in Venedig. Von Componisten hielten sic noc Lotti, Benedetto Mar$ello, und Albinoni, alle drey bekannt genug, daselbst auf.17

Quantz erwähnt außerdem die Kircenmusik in den Mädcenhospitälern der Stadt und nennt unter anderem die Sängerin „Angeletta, die in dem Hospitale erzogen, nunmehr aber an einen Bankier verheiratet war“. Dieselbe Angela Bianci, die im Ospedale della Pietà ausgebildet worden war, wird auc von V67 als „Madame Angioletta“ im Zusammenhang mit der Anekdote um Pisendels standhaften Auftritt mit einem Violinkonzert Vivaldis in Venedig erwähnt. In Anbetract der engen Beziehungen zwiscen Pisendel und Vivaldi im Jahr 1716 fällt auf, daß Quantz ihn 1754 in dem Berict seines eigenen Venedigaufenthalts nur beiläufig, als „Anführer“ des Orcesters in einer von ihm komponierten Oper, erwähnt.18 Während Quantz den „berühmten, und in mehr als einer Betractung, 13

Quantz-Autobiographie 1754, 230. Vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 230f. Zu den genannten Musikern vgl. Hill 1979, 36 und 444f. Ähnlic wie in Neapel ist Quantz möglicerweise auc in Florenz als Oboist oder Flötist engagiert worden und konnte so seine Reisekasse aufbessern. 15 Vgl. Hill 1979, 8 und 428. 16 Bei dieser Gelegenheit soll darauf hingewiesen werden, daß Quantzens Screibweise „Tanfani“ derjenigen aus V56 „Tamfani“ sehr ähnlic ist. Quantzens Screibweise „Tanfani“ findet sic auc in dem Verzeicnis der von Le Cène in Amsterdam nacgelassenen Musikalien, vgl. Rasc 1995, 1067. 17 Vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 232. 18 Die Feststellung von Landmann 1988, 422, daß Quantz im Zusammenhang mit seiner Italienreise Vivaldi nict erwähnt, ist unzutreffend. 14

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brafen“19 Vivaldi zur Zeit seiner Italienreise noc sehr bewundert haben mag, wandelte sic diese Haltung im Lauf der Jahre, denn in seinem berühmten Versuc einer Anweisung die Flöte traveriere zu spielen von 1752 screibt er über Vivaldi: „Zuletzt aber verfiel er, durc allzuvieles und täglices Componiren, und besonders da er anfieng theatralisce Singmusiken zu verfertigen, in eine Leictsinnigkeit und Frecheit, sowohl im Setzen, als Spielen […].“20 Dadurc sei Vivaldi „in den letzten Zeiten seines Lebens, von dem guten Gescma%e fast ganz und gar abgeführet“ worden.21 Aus diesem Grund warnt Quantz junge Musiker ausdrü%lic davor, sic den Spielstil Vivaldis oder Tartinis zu eigen zu macen, weil er „der guten Singart“ widersprece und allzu oft zu einer platten „Copey“ verkomme.22 In Venedig erhielt Quantz durc eine Nacrict des in Rom zurü%gebliebenen Grafen Lagnas$o die „königlice Erlaubnis, nac Frankreic zu gehen: wozu mir auc die benöthigten Kosten versprocen wurden; welce ic aber niemals bekommen habe.“23 Am 11.5.1726 wandte er sic nac Mailand, dem ersten Reiseziel Pisendels, auf das dieser 1717 verzicten mußte, und hörte auf dem Weg dorthin in Reggio und Parma jeweils eine Oper. In Reggio und Mailand traf er auc seinen Freund Farinelli wieder und bescreibt bei dieser Gelegenheit die Gesangsstile dieses und anderer Kastraten. Über die Instrumentalmusik in Mailand screibt Quantz: Das Mayländisce Orcester hatte vor andern viel vorzüglices: Besonders in Ansehung der Violinisten, worunter versciedene gesci%te Leute waren. Tedescini, ein Scweizer, war der brave Anführer davon. Es fehlete aber auc hier, so wie in ganz Italien an Bässen, und, den guten Hoboisten San Martino ausgenommen, auc an Blasinstrumenten; ohne welce doc ein Orcester nict vollkommen seyn kann.24

In Mailand, das seit 1708 unter Habsburgiscer Herrscaft stand, existierte also ein Orcester, das wegen seiner guten Geiger überdurcscnittlice Qualitäten besaß und dessen Ruf offenbar auc auf Pisendel anziehend gewirkt hatte. Um so mehr interessiert die Identität des angeblic scweizeriscen Orcesterleiters namens „Tedescini“, die bisher leider nict geklärt werden konnte.25 Der bereits mehrfac erwähnte Oboist Giuseppe „San Martino“ ist zu identifizieren als der Bruder des Komponisten Giovanni Battista Sammartini, den Quantz ebenfalls kennengelernt hat und dessen Kircenkompositionen er als „nict übel“ beurteilt.26

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Vgl. Quantz 1752, 311. Quantz 1752, 309. 21 Quantz 1752, 310. 22 Quantz 1752, 311. Zur Identifizierung der beiden nict namentlic genannten „lombardiscen Violinisten“ mit Vivaldi und Tartini vgl. Horst Augsbac, „Bemerkungen und Ergänzungen zum Original“, Quantz 1752, Reprint 1992, 392. Augsbac wiederholt hier die Angaben aus Arnold Scerings Nacdru% der Flötenscule von 1906. 23 Quantz-Autobiographie 1754, 233. 24 Quantz-Autobiographie 1754, 235f. 25 Möglicerweise ist der erwähnte „Tedescini“ identisc mit Giovanni Battista Gigli oder Gighi, der am Ende des 17. Jahrhunderts in Florenz und Modena wirkte und unter dem Namen „il Tedescino“ bekannt war. Leider sind von diesem bislang ebenfalls keine weiteren biographiscen Daten bekannt. Da Gigli im Vorwort zu seinen Sonaten op. 1 (Bologna 1690) jedoc auf sein jugendlices Alter hinweist, besteht theoretisc die Möglickeit, daß es sic bei dem Mailänder Orcesterleiter um die gleice Person handelt. Auc in dem Verzeicnis der von Le Cène in Amsterdam nacgelassenen Musikalien sind Werke eines „Zedescini“ verzeicnet, die Giovanni Battista Gigli zugeordnet werden, vgl. Rasc 1995, 1057f. 26 Vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 236. 20

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Am 30.5.1726 reiste Quantz weiter nac Turin, der zweiten Station, auf die sein Freund und Lehrer Pisendel auf seiner eigenen Reise verzicten mußte. Da Quantz in Turin von keiner Oper berictet, kann davon ausgegangen werden, daß seine Reise ausscließlic das Ziel hatte, das von dem berühmten Geiger und Konzertmeister Giovanni Battista Somis geleitete Orcester kennenzulernen. Dies sprict wiederum für die Annahme, daß Quantz aufgrund einer Empfehlung Pisendels nac Turin reiste. Allerdings stellt Quantz fest: Das dasige Königlice Orcester, welces der berühmte und angenehme Violinist, Somis anführte, war zwar mit guten Leuten besetzt, übertraf aber das Mayländisce nict. […] Le Clair, welcer nunmehr in Frankreic für einen der ersten Violinisten paßiret, befand sic damals in Turin, wo er von Somis Le$tion nahm.27

Seine Erwartungen an die Leistungen des Turiner Orcesters sah Quantz offenbar enttäusct, denn auc hier fand er seine frühere Beobactung aus Mailand bestätigt: eine Ansammlung guter Solospieler garantiert noc nict für ein gutes Orcester. Das Dresdner Orcester dagegen bezeicnet Quantz – sogar noc in seiner Eigenscaft als einflußreicster Musiker am preußiscen Hof – als das vollkommenste, das er kenne, denn zusätzlic zu den guten Bläsern sei es in der französiscen Bogendisziplin gescult und habe nac 1728 unter der Leitung Pisendels eine noc größere „Feinigkeit der Ausführung“ erlangt: Das königlice Orcester war zu dieser Zeit [1716] scon in besonderm Flor. Durc die, von dem damaligen Con$ertmeister Volümier eingeführte französisce egale Art des Vortrages, unterscied es sic bereits von vielen anderen Orcestern: so wie es nacgehends, unter der Anführung des folgenden Con$ertmeisters Herrn Pisendel, durc Einführung eines vermiscten Gescma%s, immer nac und nac zu solcer Feinigkeit der Ausführung gebract worden; daß ic auf allen meinen künftigen Reisen, kein bessers gehört habe.28

Als Quantz Turin am 23.6.1726 verließ, war seine Italienreise abgesclossen. Falls er auf den besonderen Wunsc Pisendels über Mailand und Turin gereist ist, um seinen Dresdner Freund und Lehrer für das 1717 Versäumte zu entscädigen, könnte Pisendel Quantz auc dazu gedrängt haben, seine Eindrü%e in Italien sorgfältig zu notieren. Pisendel jedenfalls nahm den Freund nac dessen Rü%kehr 1727 erneut in die Lehre, um das Erlebte mit ihm musikalisc zu verarbeiten und sogar in seinem eigenen Sinne zu formen. Quantz screibt dazu: Ic hatte zwar, an einem jeden Orte, wo ic mic aufgehalten, etwas, dem daselbst herrscenden Gescma%e nacahmendes gesetzet: ic überlegte aber auc die Vorzüge, die ein Urbild vor einem bloßen Nacahmer voraus hat. […] Ic fing also an, meine vornehmsten Bemühungen dahin zu ricten, daß ic mir einen eigenthümlicen Gescma% bilden mocte, um, wo möglic, selbst ein Urbild in der Musik abgeben zu können. […] Zu diesem gute Vorhaben nun, kam mir der beständige Umgang mit meinem theuresten Freunde, dem Herrn Con$ertmeister Pisendel, und seine ebenso rictige als durcdringende Beurtheilungskraft, ungemein wohl zu statten.29

Nacdem Quantz sic auf seiner Reise offenkundig darum bemüht hatte, gleic Pisendel eine „reife Beurtheilungskraft“ zu erlangen, lag es für ihn nahe, auc sein 27

Quantz-Autobiographie 1754, 238. Quantz-Autobiographie 1754, 206. 29 Quantz-Autobiographie 1754, 244. 28

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eigenes musikalisces „Urbild“ in dem „vermiscten Gescma%“ seines Lehrers und Vorbildes zu sucen, denn „sein Gescma% war damals scon eine Vermiscung des italieniscen mit dem französiscen: weil er beyde Länder, scon als ein Mann von reifer Berurtheilungskraft durcgereiset hatte.“ Allein die Vor- und Nacbereitung der italieniscen Reise mact deutlic, wie sehr Quantz dem Vorbild und sogar dem konkreten Unterrict Pisendels verpflictet war, dem er in seiner Autobiographie ein verste%tes Denkmal gesetzt hat. In seiner rü%bli%enden Empfehlung an junge Musiker, die nac Italien gehen wollen, sind die Erfahrungen seiner eigenen Italienreise nocmals zusammengefaßt: Es ist deswegen einem jeden jungen Musikus anzurathen, nict eher nac Italien zu gehen, als bis er das Gute vom Bösen in der Musik zu untersceiden weis; denn wer nict von musikaliscer Wissenscaft etwas mit hinein bringt; der bringt auc, zumal itziger Zeit, scwerlic was mit heraus. Ein angehender Musikus muß ferner, in Italien, immer mehr von Sängern als von Instrumentalisten, zu profitiren sucen. Wen aber nict etwan das Vourtheil verleitet, der findet nunmehro das, was er sonst in Italien und in Frankreic sic hätte zu Nutzen macen können, in Deutscland.30

Selbstverständlic ist nict im einzelnen nacweisbar, inwieweit Quantz mit seiner Reise die Erfahrung Pisendels wiederholen wollte und welce Aufträge Pisendel ihm mit auf den Weg gegeben hat. Dennoc ist die umfassende Abhängigkeit von Pisendels Vorbild sowohl in der Wahl der Reiseroute als auc in der Perspektive des Erlebens und Lernens unverkennbar. Die journalhafte Form der Autobiographie von Quantz vermag also die spärlicen Angaben zu Pisendels eigener Reise zu beleben und sogar zu bereicern. Andererseits ist bei dieser Gelegenheit auc deutlic geworden, wie sehr sic der berühmte Flötenmeister und Bucautor als ein Scüler Pisendels verstand. Während Quantz in der Pisendel-Literatur lediglic als ein Freund und Kollege Pisendels bescrieben wird, muß er wohl vor allem als der berühmteste und einflußreicste Scüler Pisendels verstanden werden. Erst vor diesem Hintergrund wird die umfassende Abhängigkeit seiner musikaliscen Überzeugungen von denen seines gescätzten Lehrers und Vorbildes erkennbar, die es erlaubt, Quantzens Scriften als Quelle für die Pisendel-Forscung zu erscließen.31

30 31

Quantz 1752, 311. Vgl. unten, Abscnitt III, 3. „Quantz und Agri$ola als Kronzeugen für Pisendels Praxis“.

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4. P ISENDELS P OSITION INNERHALB DER D RESDNER H OFKAPELLE Pisendels Status nac seiner Rü%kehr aus Italien nac September 1717 [V56, 303]: […] auc als er 1717. von einem Hohen Fürstl. Hofe die Vo$ation als

Con$ertmeister und Reise-Se$retarius mit dem Praedi$at als Hofrath erhalten, solces sogleic unterthänigst depre$iret [nict in V67 und V84]. Dieser große Virtuose stund bereits bey der Höcstseel. Königin in Pohlen Majestät wegen seiner unvergleiclicen Musi% in ausnehmenden Gnaden, und genoß auc scon damals eine besondere Pension. [V67, 290, ergänzt]: Er wurde, nebst andern, bey Sommerszeit öfters an ihren Hof [V84, 197, ergänzt: „nac Pretsc“] berufen, und für seine Bemühungen ansehnlic bescenket.

Die Lebensbescreibung V56 berictet über den Status, den Pisendel unmittelbar nac seiner Rü%kehr aus Italien im September 1717 besaß: er erhält ein attraktives Angebot als Reisesekretär und Hofrat, das er aber wegen seiner guten Position in Dresden aussclägt. Sowohl Pisendels Gunst bei der Königin Christiane Eberhardine als auc seine zusätzlice, „besondere Pension“ werden durc die Worte „bereits“ und „scon damals“ ausdrü%lic auf den Herbst 1717 bezogen. In V67 (und damit auc in V84) werden diese Informationen allerdings verallgemeinert, so daß hier der Zusammenhang mit dem von Pisendel 1717 erworbenen Status nict mehr erkennbar ist. Zudem werden weder die von einem auswärtigen Hof angetragenen Ämter, noc Pisendels „Pension“ genannt, so daß diese Einzelheiten in der Spezialliteratur bislang unbekannt waren. Dagegen ergänzt V67, daß Pisendel „bey Sommerszeit“ nac Pretsc, der Residenz der Königin, berufen wurde und daß außer ihm noc andere Musiker diese Einladung erhielten. Die Berufung an einen „Hohen Fürstl. Hof“ im Herbst 1717, die Pisendel ausgesclagen hat, läßt sic selbstverständlic nict mehr rekonstruieren. Sie ersceint jedoc durcaus glaubwürdig, denn Einzelheiten hierüber, etwa daß Pisendel „Con$ertmeister und Reise-Se$retarius mit dem Praedi$at als Hofrath“ werden sollte, werden genannt. Diese Einzelheiten lassen erkennen, daß die „Vo$ation“ von einem kleineren Hof als Dresden ausging, an dem die herausragenden Musiker gleiczeitig mit Beamtentiteln ausgestattet wurden, wie es auc in Ansbac üblic war. Für alle diese Funktionen war Pisendel eine attraktive Besetzung, denn er besaß akademisce Bildung, die Voraussetzung für einen Beamtentitel, und einen ausgezeicneten Ruf als Geiger, der durc seine Reisen nac Frankreic und Italien wertvolle Erfahrungen gemact und wictige Bekanntscaften gesclossen hatte. Zudem beherrscte Pisendel neben der Gelehrtensprace Latein und der Hofsprace Französisc inzwiscen wahrsceinlic auc das Italienisce fließend. Auc engere Beziehungen zur Königin Christiane Eberhardine, der Mutter des Kurprinzen, lassen sic bisher nict urkundlic nacweisen, obwohl sie sogar eine eigene Kammermusik in ihrer Residenz unterhalten haben soll.1 Da die Königin an ihrem lutheriscen Glauben festhielt und nict, wie ihr Ehemann, zum Katholizismus 1

Vgl. Fürstenau 1862, 6.

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übertreten wollte, lebte sie zurü%gezogen in einem Scloß in Pretzsc an der Elbe und nahm nur gelegentlic Repräsentationsaufgaben an der Seite Augusts des Starken wahr. Die Gönnerin Pisendels starb zehn Jahre nac Pisendels Rü%kehr aus Italien, am 5.10.1727, und Bac vertonte aus diesem Anlaß die von Johann Christoph Gottsced verfaßte Trauerode „Laß, Fürstin, laß noc einen Strahl“ BWV 198. Daß die „ausnehmende Gnade“ der Königin gegenüber Pisendel ausgerecnet im Zusammenhang mit dem Ende seiner Italienreise genannt wird, ist besonders bemerkenswert, weil August der Starke versuct hatte, den Kurprinzen auf seinen Reisen dem Einflußbereic der Lutheraner und damit auc dem seiner Ehefrau zu entziehen. Als Kammermusiker hatte der Lutheraner Pisendel jedoc regelmäßig engen Kontakt zum Prinzen und seiner unmittelbaren Umgebung, so daß er der Königin vielleict auc als Bericterstatter über private oder sogar religionspolitisce Einzelheiten hätte dienen können. Da eine solce Tätigkeit jedoc die größte Geheimhaltung verlangt hätte, dürften alle nacträglicen Spekulationen darüber wohl vergeblic bleiben. Die in V56 erwähnte „besondere Pension“ läßt sic dagegen anhand von bisher unveröffentlictem Arcivmaterial belegen. In einem Dokument vom 25.9.1717 wird nämlic verfügt, daß Pisendel eine jährlice Zulage von 68 Talern erhalten soll.2 Das Geld stand zur Verfügung, weil die Stelle des Fagottisten Daniel Hennig nac dessen Tod offenbar nict neu besetzt und sein Jahresgehalt von 300 Talern umverteilt wurde. Pisendel erhält dabei den bei weitem größten Einzelposten. Da diese zusätzlice, jährlice Pension unmittelbar vor der Rü%kehr Pisendels nac Dresden am 27.9.1717 angeordnet wurde, liegt ein Zusammenhang mit der Italienreise oder sogar konkret mit auswärtigen Stellenangeboten auf der Hand. Darüber hinaus war Pisendel bereits am 15.6.1717 ein größerer Geldbetrag zusgesprocen worden, der wohl seine Unkosten auf der Studienreise durc Italien de%en sollte. Pisendel erhielt nämlic die Summe, die vom „Gehalt des verstorbenen Tanzmeisters Cherrier bis Ende April 3 1717 in der Cassa verblieben“ war. In einer Gehaltsliste vom 1.8.1717 ist lediglic sein normales Grundgehalt verzeicnet: „500 [Thlr:] Johann George Pisendel, Violist u. Cammer-Musi$[us]“.4 Es fällt allerdings auf, daß er hier nict, wie noc im Jahr 5 1712, mit dem Titel Premier Violon bezeicnet wird. Als Pisendel zusammen mit den in Italien engagierten Musikern in Dresden eintraf, herrscte gerade Landestrauer wegen des Todes von Anna Sophie, der Mutter des Königs. Zwei Tage später, am 29.9.1717, war die dreimonatige Trauerzeit, in der keine öffentlice Musik erklingen durfte, beendet.6 Der berühmte Wettstreit zwiscen dem französiscen Organisten und Cembalisten Louis Marcand, der sic ebenfalls gerade in Dresden aufhielt, und Johann Sebastian Bac kann also, wie auc die solistiscen Auftritte Marcands vor einem größeren Publikum,7 erst nac diesem Datum stattgefunden haben. Obwohl sic heute nict mehr feststellen läßt, in welcer 2

Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 19 vom 25.9.1717. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 17 vom 15.6.1717. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 18 vom 1.8.1717. 5 In dem Taufeintrag seines Neffen Johann Joseph Lindner vom 28.8.1722 in Weikersheim wird Pisendel allerdings wieder als „Premier-Violinist bey der Königl. Pohnl. Hof-Capell zu Dreßden“ bezeicnet, vgl. Pisendel-Dokument Nr. 35 vom 8.1.1722. 6 Vgl. Wolff 2000, 198. 7 Marcand erhielt für sein Gastspiel am Dresdner Hof im Herbst 1717 zwei Medaillen im Wert von 100 Dukaten, vgl. Fürstenau 1862, 122. 3 4

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Form dieser Wettstreit stattfand, ist davon auszugehen, daß Bac dem soeben aus Italien eingetoffenen Pisendel in Dresden begegnet ist und sic vielleict sogar mit ihm – wie act Jahre zuvor in Weimar – über neueste Musikalien ausgetausct hat.8 Nac versciedenen, in anekdotiscer Form überlieferten Bericten soll Bac von dem Konzertmeister Woulmyer zu jenem Wettstreit mit Marcand eingeladen worden sein.9 Diese Darstellung, die auc der von C. P. E. Bac und Agri$ola verfaßte Nekrolog auf Bac überliefert, ist versciedentlic angezweifelt worden,10 weil es undenkbar erscien, daß Woulmyer einen anderen Vertreter des französiscen Stils demütigen wollte, so arrogant und exzentrisc er auc sein mocte. Wenn man jedoc die Situation berü%sictigt, in der sic die Dresdner Hofkapelle im Herbst 1717 befand, ersceint diese Darstellung durcaus glaubwürdig, denn führende Mitglieder der Hofkapelle sahen ihre Position durc die vom Kurprinzen in Venedig engagierten Musiker gefährdet. Aus erhaltenen Arcivalien geht hervor, daß besonders Woulmyer und Scmidt in der Anstellung Vera$inis als Kammervirtuose und Heinicens als Kapellmeister einen Angriff auf ihre Autorität sahen.11 Unmittelbar betroffen von einer möglicen Anstellung Marcands waren jedoc nict der Kapelloder Konzertmeister, sondern der Kammerkomponist und Organist Christian Pezold, der nac Scmidt und Woulmyer den dritten Rang in der Orcesterordnung bekleidete.12 Ein möglicer Anstoß Pezolds, auc gegen diese drohende Konkurrenz vorzugehen, könnte Woulmyer, der nac der Ankunft Vera$inis von einer ähnlicen Situation betroffen war, aufgegriffen und Bac zu einem Wettspiel nac Dresden eingeladen haben.13 Während sic Pisendel noc auf seiner Studienreise durc Italien befand, verhandelte der Kurprinz von Venedig aus über das Engagement italieniscer Musiker. Führende Dresdner Musiker fürcteten daher, daß sie durc diese Italiener ersetzt werden könnten. Dabei stellten die Sänger der italieniscen Oper keine Bedrohung dar, denn die Oper wurde ohnehin als eine temporäre und organisatorisc selbständige Unternehmung angesehen. Auc August der Starke erinnerte seinen Sohn in einem nac Venedig adressierten Brief daran, daß lediglic Opernsänger engagiert werden sollten, denn es war geplant, zur Karnevalssaison 1717 eine Oper nac venezianiscem Vorbild in Dresden vorzustellen. In dem eigenhändigen Konzept, das der König in der ihm eigenen phonetiscen Screibweise auf Französisc verfaßte, heißt es daher: „des virtuosse dinstrimmen [d’instruments] nous en avon pas bessoin eigens [ayant] un orkestre $omples“ und „un maciniste un $ombossiteur le mestre de caspele se truves dejas“.14 Möglicerweise hatten Scmidt und Woulmyer bereits zu dieser Zeit auf den König eingewirkt, denn es dürfte beispielsweise in Dresden nict unbekannt geblieben sein, daß Heinicen seit dem 1.8.1716 in Venedig eine Besoldung emp-

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Auffällige Parallelen von Bacs Konzert A-Dur BWV 1055 zu zwei Konzerten von Vivaldi für Viola d'amore deuten beispielsweise auf einen solcen Austausc im Herbst 1717 hin, vgl. Köpp BJ 2000, 164. Einen Vergleic der Quellen, die dieses Ereignis überliefern, unternimmt Breig 1998. 10 Vgl. Jung 1956, 33, mit weiteren Nacweisen. 11 Vgl. Hill 1979, 19ff. 12 Zumindest in späterer Zeit war Pezold mit Bac befreundet, vgl. Sculze BJ 1979, 55f. 13 Leider ist nict belegbar, wann Bac und Woulmyer sic kennengelernt haben, vgl. Rampe/Sa%mann 2000, 104. Daher ist auc denkbar, daß Pezold Bac ebenfalls kannte und selbst initiativ geworden ist. 14 Vgl. Be%er-Glauc 1951, 26. 9

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fing, die derjenigen von Scmidt und Woulmyer entsprac.15 Jedenfalls ist es wictig festzustellen, daß die Vorbehalte nict den Opernbetrieb oder die italieniscen Musiker generell betrafen, sondern in erster Linie auf die Spitzenfunktionen der Hofkapelle bezogen waren. Tatsäclic war der Kurprinz im Begriff, zusätzlic zu den zahlreicen Sängern einen Opernkapellmeister (Lotti), einen „italieniscen“ Komponisten (Heinicen), einen Geigenvirtuosen und Kammerkomponisten (Vera$ini) und einen ersten Kontrabassisten (Personelli) zu engagieren. Dabei ist anzunehmen, daß gerade der Opernkapellmeister Lotti daran interessiert war, daß italienisce Orcestermusiker wie etwa die Kontrabassisten Personelli und Gaggi engagiert werden sollten, weil er den Dresdner Musikern wenig Erfahrung mit der neuesten italieniscen Opernpraxis zutraute und damit wahrsceinlic nict einmal Unrect hatte.16 Dennoc sahen sic nict nur Scmidt und Woulmyer, sondern auc Jan Dismas Zelenka, der bislang der ranghöcste Kontrabassist war, dadurc einer italieniscen Konkurrenz ausgesetzt.17 Aus einem undatierten Screiben Augusts des Starken geht hervor, daß der Dresdner Widerstand Frücte trug, zumal der König, der mehr zum französiscen Gescma% tendierte, das lebhafte Interesse seines Sohnes für die italienisce Musik nict teilte: 9. A quoy bon le $ompositeur Alleman Heinicen, puis qu’il y en a deja un pour l’Opera [gemeint ist Lotti], et que Scmidt est suffisant pour le reste. 10. Sa Majesté approuve l’engagement du fameux violon Vera$ini, à $ondition, que $elà ne derangera rien dans l’orquestre.18

Während Vera$ini also unter der Bedingung angestellt werden sollte, daß er außerhalb der Hierarcie der Hofkapelle blieb, lehnte der König das Engagement Heinicens zunäcst ab. Der Kurprinz bestand jedoc in einer vom 28.3.1717 datierten Antwort19 auf seinem Willen und wies darauf hin, daß die italieniscen Sänger nac Beendigung der Opern weiterhin in der katholiscen Kircenmusik tätig blieben und Heinicen als deren Leiter eingesetzt werden solle:20 Au 9. Comme le Compositeur Lotti n’est engagé qu’au tems que Sa Majesté aura l’Opera quand Elle voudroit avoir des voix pour la Chapelle, Mrs le Prin$e $roit, qu’un habil Compositeur $omme Heinicen qui a eté fort approuvé par les Italiens meme, y

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Heinicen erhielt 100 Taler monatlic, vgl. D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Französiscer Comoedianten und Orcestra betr. ao 1703, 1708-12, 1714-17, fol. 151: „Verner an den Capelmeister Heynicen in Venedig Lauth seiner Quittung an Besoldung von 1. Augl. bis ult. De$embl. 1716 Jahr - 500 th. [gez. Hoffmann mpia]“. Der Sekretär und Kammerdiener des Kurprinzen war im Frühjahr 1717 eigens mit einem Memorandum über die italieniscen Musiker nac Dresden gesandt worden, vgl. Fürstenau 1862, 100. 16 Dieser Hintergrund ist immerhin im Fall der beiden Kontrabassisten Personelli und Gaggi verbürgt, vgl. Fürstenau 1862, 113. 17 Zelenka hielt sic allerdings zu dieser Zeit noc in Wien auf. Tatsäclic wurde der zweite italienisce Kontrabassist Gaggi zum 1.10.1718, kurz vor der Rü%kehr Zelenkas, entlassen, so daß dieser als zweiter Kontrabassist weiterbescäftigt werden konnte, vgl. Fürstenau 1862, 126. 18 D-Dla, Lo$. 383, A$ta Die Engagements einiger zum Theater gehöriger Personen u.s.w. betr. ao 1699 [bis 1766], fol. 51r-51v. Aus einem Screiben des Kurprinzen an den Grafen Watzdorf vom 6.9.1717 geht hervor, daß auc Scmidt aktiv gegen Heinicen vorging, vgl. Fürstenau 1862, 100. 19 Vgl. Hill 1979, 436. 20 Aus diesem Hinweis des Kurprinzen wird übrigens erkennbar, daß von Anfang an vorgesehen war, daß Zelenka nict nur als Kontrabassist, sondern auc auf dem Gebiet der Kircenkomposition einen „Italiener“ als Vorgesetzten erhalten sollte.

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seroit ne$essaire, d’autant plus, qu’ils l’a mis à l’epreuve en plusieurs o$$asions i$y, où il a tres bien reußi.21

Angesicts solcer Konflikte im Vorfeld ist es nict weiter verwunderlic, daß die Anfeindungen gegenüber den inzwiscen in Dresden eingetroffenen Italienern ein solces Ausmaß annahmen, daß der Kurprinz sic genötigt sah, diese unter seinen persönlicen Scutz zu stellen und sic gegen jede weitere Anfeindung zu verwahren.22 Diese personalpolitisc überaus scwierige Situation fand Pisendel vor, als er von seiner Italienreise zurü%kehrte. Sie betraf ihn auc persönlic, denn er stand genau zwiscen den Fronten, den Repräsentanten der etablierten Hofkapelle einerseits und den vom Kurprinzen protegierten Musikern aus Venedig andererseits. Wegen Woulmyers entsceidender Rolle bei seiner Berufung in die Dresdner Hofkapelle war Pisendel ihm zu Dank verpflictet, aber gleiczeitig war er seit seiner Ausbildung in Ansbac auc an den neuen italieniscen Entwi%lungen interessiert. Die allgemeine Tendenz des musikaliscen Gescma%s wurde jedoc weiterhin von dem französisc orientierten König bestimmt, der an Scmidt und Woulmyer festhielt. Auc für Pisendel, der Intrigen verabsceute, bestand kein Anlaß, seine Loyalität gegenüber seinen alten Kollegen und Reisegefährten von 1714 aufzukündigen. Dennoc besaß er in seiner Orientierung an der italieniscen Violinmusik die Unterstützung des Kurprinzen, der als künftiger Herrscer an Einfluß gewann und die Gegenseite unverhohlen protegierte. Daher ist es nacvollziehbar, daß Pisendel zwar loyal blieb, aber versucte, eine unabhängige Position zu beziehen und sic aus den Streitigkeiten herauszuhalten. Möglicerweise gab die für Pisendel scwierige Situation zwiscen französiscem und italieniscem Gescma% auc den Anstoß, daß er sic, wie Quantz bezeugt, bereits 1717 um einen eigenen Mittelweg bemühte, den Quantz später als den deutscen, oder „vermiscten Gescma%“ bezeicnete.23 Jedenfalls ist festzuhalten, daß die Berufung venezianiscer Musiker durc den Kurprinzen 1717 eine Krise in der Hofkapelle auslöste, von der Pisendel sowohl als führendes Orcestermitglied als auc als Komponist und Kammermusiker unmittelbar und nachaltig betroffen war.

Die ‚Dienstreise‘ nac Wien 1718/19 1718 [V56, 302]: Im 1718ten Jahr mußte er nacer Wien, allwo damals S. Königl. Majest. als Churprinz sic befanden, abgehen [V67, 287, ergänzt: „und daselbst wieder Sr. damaligen Königl. Hoheit Kammermusik besorgen“], worbey er das besondere Glü% hatte Ihro damaligen Kön. Hoheiten in drey untersciedenen Ländern zum drittenmal zu bedienen.

Pisendels Reise nac Wien wird in allen drei Lebensbescreibungen nur kurz erwähnt. Wictiger als die eigentlice Tatsace der Reise ersceint in der Formulierung von 21

D-Dla, Lo$. 383, A$ta Die Engagements einiger zum Theater gehöriger Personen u.s.w. betr. ao 1699 [bis 1766], fol. 51r-51v. 22 Vgl. Fürstenau 1862, 99f, mit weiteren Literaturhinweisen bei Horn 1987, 50ff. 23 Vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 211, und Quantz 1752, 332.

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V56 der Hinweis, daß Pisendel den Kurprinzen damit „in drey untersciedenen Ländern zum drittenmal“ bedient habe. Dabei untersceidet sic die Wortwahl „im 1718ten Jahr mußte er nacer Wien […] abgehen“ durc ihren negativen Tonfall von Bericten über vorangegangene Reisen, die viel positiver bewertet zu werden sceinen. Ein konkreter Anlaß für eine solce Bewertung der Wienreise ist jedoc nict zu erkennen, allenfalls in der Tatsace, daß es sic hier nict mehr um eine Studienreise, wie noc in Frankreic und Italien, sondern um eine Dienstreise handelte. In der Pisendel-Literatur ist die Wienreise kaum beactet worden. Die frühen Lebensbescreibungen vermitteln außerdem den Eindru%, daß Pisendel allein nac Wien gereist sei.24 Die Formulierung aus V67, Pisendel habe die Kammermusik des Kurprinzen in Wien besorgt, führte sogar zu dem Mißverständnis, daß Pisendel diese Wiener Musiken auc geleitet habe.25 Pisendel reiste jedoc innerhalb einer elfköpfigen Musikergruppe nac Wien, der auc Woulmyer angehörte. Da Woulmyer der höcstrangige mitreisende Musiker war, oblag ihm selbstverständlic die „Direktion“ dieser Instrumentalmusik. Hätte Pisendel hier die Leitung übernommen, wäre dies in V56, wie im Fall der Berlinreise von 1715, als eine bemerkenswerte Ausnahme sicer hervorgehoben worden. Über die Dauer dieser Reise werden in den Lebensbescreibungen ebenfalls keine Angaben gemact. Einer bislang unveröffentlicten Arcivalie ist jedoc zu entnehmen, daß die elfköpfige Musikergruppe, die dem Gefolge des in Wien weilenden Kurprinzen zugeteilt wurde, kurz nac dem 22.8.1718 aus Dresden abgereist ist. An diesem Tag nämlic erhielten die folgenden Personen „neben ihrem gewöhnlicnen tra$tament“ ein „Kostgeld“ für vierzehn Tage „zu der Reise nac Wien“ zugeteilt: 1. dem Con$ertMeister Woulmyer täglic einen Thaler 8 gl 2. Pantaleon Hebestreiten 1 thlr 8 gl 3. dem Lautenisten Weisen 1 thlr 8 gl 4. dem Primo Violino Piesendel 1 thlr 5. dem Violon$ello Rossi 1 thlr 6. dem Premier Hautbois Ricter 1 thlr 7. dem Flute Alemande Buffardin 1 thlr 8. dem se$ondo Violino Reihn[!]1 thlr 9. dem andern Hautbois Blocwitzen 16 gl 10. dem Violetta Lehneiß 16 gl 11. der Basson Bohmen [gemeint ist der Fagottist Böhm] 16 gl26 Bemerkenswert ist, daß der berühmte Lautenist Sylvius Leopold Weiß erst einen Tag später, am 23.8.1718, ein Reskript als Kammermusiker erhielt, nacdem er sic zweimal zuvor bei Hof hatte hören lassen.27 Dieses Reskript steht also mit der Wienreise in unmittelbarem Zusammenhang, da Weiß in Wien als offizielles Mitglied der königlicen Kammermusik auftreten sollte. In Wien stieß wohl auc Zelenka, der sic gerade zu einem mehrjährigen Studienaufenthalt dort aufhielt, als zwölfter Musiker 24

Offenbar konnte Agri$ola nict in Erfahrung bringen, wer die Mitreisenden Pisendels waren, sonst hätte er deren Namen sicer, wie scon anläßlic der Reisen nac Frankreic und Italien, in V67 ergänzt. 25 So etwa bei Treuheit 1987, 83. 26 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 26 vom 22.8.1718. 27 Vgl. Fürstenau 1862, 126.

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zu dieser Gruppe.28 Damit bestand das Ensemble aus einem Streicquartett, einer vollständigen Bläserbesetzung (der zweite Oboist Blocwitz spielte bei Bedarf die zweite Flöte), einer Continuogruppe mit Laute und Kontrabaß sowie einem Pantaleonsolisten, der auc mit der Geige oder am Tasteninstrument eingesetzt werden konnte, sowie einem Konzertmeister als Musikdirektor. Dieses kleine Orcester konnte vor Ort durc einige Ripienisten verstärkt werden, wenn es der repräsentative Anlaß erforderlic macte. Für dieses Ensemble, zu dem noc die zwei von dem Kurprinzen in Wien engagierten Waldhornisten Tobias Butz und Johann Joseph Götzel d.Ä. hinzutraten,29 komponierte Zelenka offensictlic das mit dem 20.10.1718 datierte Capri$$io A-Dur ZWV 185 und wohl auc die übrigen drei als „Capri$$i “ bezeicneten Orcestersuiten ZWV 182-184 aus seiner Wiener Zeit. Das Scweigen der Spezialliteratur zu Pisendels Wienreise wird durc das Interesse der Zelenka-Forscung für diesen Abscnitt wieder ausgeglicen. Zelenka hielt sic zu dieser Zeit in Wien auf, um bei dem Hofkapellmeister Johann Joseph Fux Kontrapunktstudien zu betreiben. In diesem Zusammenhang sind die „Hofkassarecnungen“ des Prinzen in Wien und die entsprecenden Diarien bereits auf Hinweise zur Musik durcsuct worden.30 Allerdings konnten auc hier keine konkreten Angaben zur Anwesenheitsdauer der Dresdner Musiker in Wien gefunden werden. Die Tatsace, daß sic keine arcivaliscen Dokumente über Reisegelder oder die Ausfertigung von Reisepässen für diese Musikergruppe erhalten haben, ließe sic dadurc erklären, daß sie nict selbständig gereist sind. Die Vermutung liegt daher nahe, daß sie nac dem 22.8.1718 im Gefolge Augusts des Starken nac Brünn kamen, wo der König mit seinem aus Wien kommenden Sohn zusammengetroffen ist.31 Dort sind sie dann im Gefolge des Kurprinzen weitergereist und zusammen mit diesem am 32 2.9.1718 in Wien eingetroffen. Wie scon bei der Reise nac Frankreic und der geplanten Reise von Venedig nac Rom dienten die Musiker auc hier als repräsentative Reisebegleitung, die den Status des polniscen Königssohnes und säcsiscen Kurprinzen unterstreicen sollte. Da die Musiker weiterhin ihr Dresdner Gehalt bezogen, leuctet ein, daß ihre Namen in den Recnungen des kurprinzlicen Gefolges nict gesondert aufgeführt sind.33 Ihre kammermusikaliscen „Aufwartungen“ bei dem Kurprinzen, der sic anfangs in Wien offenbar langweilte und häufig zu Hause blieb,34 gehörten nämlic zu ihrem regulären Dienst und werden auc nict gesondert entlohnt worden sein. Dennoc bemerkt Zelenka, der ebenfalls weiterhin sein Dresdner Gehalt bezog,35 in einem Gesuc vom 18.11.1733, daß er den Kurprinzen in Wien „anderthalb Jahr lang ohne 28

Die früheste Erwähnung dieser Musikergruppe in der Literatur findet sic bei Fürstenau 1862, 86. Seine Formulierung könnte dahingehend mißverstanden werden, daß auc Zelenka aus Dresden angereist sei, obwohl diese Deutung nict zwingend ist. Wolfgang Reic (in: Seifert 1997, 186, Anm. 21*) meint, daß „an Stelle des fälsclic genannten Zelenka noc der Bratscist Johann Gottlieb Morgenstern“ hinzuzuzählen sei, ohne jedoc eine Quelle für diese Information anzugeben. 29 Zur Anstellung der beiden Hornisten durc den Kurprinzen in Wien, von denen Butz ab $a. 1734 als Kircenkompositeur besoldet wird (vgl. Horn 1987, 63), vgl. Reic in: Seifert 1997, 187, Anm. 30*. 30 Vgl. Seifert 1997, besonders 184f. 31 Vgl. Staszewski 1996, 92. 32 Vgl. die Tabelle nac den Wiener Zeremonialprotokollen in Riedel 1997, 454. 33 Vgl. Seifert 1997, 184. 34 Staszewski 1996, 91. 35 Vgl. Siegele 1997, 283.

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den geringsten Genuß einiger Auslösung mit meiner Musi$ in Allerunterthänigkeit zu bedienen [hatte]: da doc die andren von hier aus dorthin gesci%te Königl. Musi$i mit aller Nothwendigkeit reicl. sind versehen worden.“36 Hiermit könnte das erwähnte Kostgeld oder eine kostenfreie Verpflegung und Unterkunft der Dresdner Kammermusiker gemeint sein. Auc eine Summe von knapp 100 Talern, die der Kurprinz im September „vor 11. Musi$anten, so Taffel musi$ gemact“ und „vor Lehnwagen vor dieselben und den [ehemaligen kaiserlicen Sänger] Barbaretti“37 ausgegeben hatte, könnte auf diese elf Dresdner Musiker bezogen werden, zumal die „Taffel musi$“ in diesem Fall nict im regulären Quartier des Kurprinzen, sondern auswärts stattfand.38 Zwei Monate später, am 16. und 22.11.1718 veranstaltete der Kurprinz zwei Bälle, bei denen jeweils 24 Musiker mit secs Talern pro Abend entlohnt wurden. Auc für einen Fascingsball im Liectensteiniscen Garten am 7.2.1719, an dem auc der kaiserlice Hof teilnahm,39 wurden 26 Musiker mit 158 Talern entlohnt, wobei wohl die kurz darauf verbucte Ausgabe von 60 Talern „vor ab$opirung einiger Musi$alien, ingl. Zinß von einer erborgte Violon, ingl. Trägerlohn von Instrument“ ebenfalls mit dieser Tanzmusik im Zusammenhang gesehen werden muß.40 Diese letzte Ausgabe zur Musik in den „Hofkassarecnungen“ des Kurprinzen steht wohl im Zusammenhang mit dem wictigsten Empfang, den der Kurprinz in Wien gab, denn die ranghöcsten Damen des kaiserlicen Hofs waren erstmals seiner Einladung gefolgt. Es ist kaum vorstellbar, daß der Kurprinz, der mit dem „Fascingsball“ eine bedeutende Repräsentationsaufgabe zu erfüllen hatte, ausgerecnet bei dieser Gelegenheit auf die hoc qualifizierten Kammermusiker seines Vaters verzictet hätte, zumal ihm in dem musikaliscen Leiter der Gruppe, Woulmyer, ein ausgewiesener Spezialist für höfisce Tanzmusik zur Verfügung stand. Aufgrund dieser Überlegungen kann die Anwesenheit Pisendels innerhalb der Dresdner Musikergruppe in Wien während der Karnevalszeit 1719 als gesicert angenommen werden. Im Fall Zelenkas ist sogar belegbar, daß er sic noc am 10.2.1719 in Wien aufhielt, denn an diesem Tag notierte er eine letzte Nacscrift in sein viertes musikalisces Sammelbuc.41 Der Kurprinz selbst kehrte erst am 29.3.1719 nac Dresden zurü% und hielt sic nocmals für wenige Tage vom 18. bis 22.8.1719 zur 36

Vgl. Zelenka-Dokumentation 1989, I, 94. Hier wird einmal mehr deutlic, daß Zelenka den Kurprinzen nict, wie Reic es formuliert, in der Eigenscaft eines „Kapellmeisters“ bediente, vgl. Seifert 1997, 186, Anm. 21*. Ohne die Qualitäten Zelenkas scmälern zu wollen, muß festgestellt werden, daß die Hierarcie der Kapellmitglieder eine solce Einscätzung nict zuläßt. Vielmehr trat der Kontrabassist als fortgescrittener Kompositions-Stipendiat des Königs auf, der in diesem Rahmen an seinem Studienort eigene Werke aufführen lassen durfte. 37 Zitiert nac Seifert 1997, 185. 38 In diesem Fall wäre anzunehmen, daß Zelenka tatsäclic nict entlohnt wurde, falls er, wie aus seinem Gesuc vom 18.11.1733 gesclossen werden könnte, an den musikaliscen Aufführungen beteiligt war. 39 Vgl. Riedel 1997, 455. 40 Zitiert nac Seifert 1997, 185. Möglicerweise ist die Summe als „156 Taler“ zu lesen, da so jeder Musiker wiederum secs Taler erhalten würde. Zudem sceint „Violon“ entgegen der Deutung Seiferts hier doc einen Kontrabaß zu bezeicnen, der üblicerweise nict von einem Musiker, sondern von den Veranstaltern bereitgestellt wurde. Während ein Kontrabaß von einer einzelnen Person, beispielsweise dem Spieler, transportiert werden kann, sind zum Transport eines Cembalos oder anderen Tasteninstruments, das hier in der zeitüblicen Weise lediglic als „Instrument“ bezeicnet ist, mehrere Personen nötig, daher auc der „Trägerlohn“. 41 Vgl. Zelenka-Dokumentation 1989, I, 69 und 86.

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Trauung in Wien auf.42 Ob er bei dieser Gelegenheit Musiker in seinem Gefolge mitführte, ist nict bekannt, ersceint jedoc zweifelhaft, denn die musikaliscen Vorbereitungen für die Dresdner Hoczeitsfestlickeiten befanden sic bereits in einem fortgescrittenen Stadium. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, daß Pisendel und seine Kollegen wegen der Reise nac Wien etwa vier Monate, von Ende Oktober 1718 bis Ende Februar 1719, von Dresden abwesend waren.

Pisendel im Konflikt zwiscen dem Musikgescma% des Königs und des Kurprinzen 1719 [V67, 287f, ergänzt Anekdote]: Scon im Jahre 1719. ereignete sic, bey einer Probe einer Lottiscen Oper in Dresden, eine Streitigkeit über die Ausführung des A$$ompagnements einer gewissen Arie, zwiscen den Herrn Senesino und Volümier. Der erstere gab dem letztern Sculd, daß er in dieser Arie zu hart und rauh spielte. Es kann auc wohl etwas davon wahr gewesen seyn. Bey einer andern Probe blieb Volümier außen, und Pisendel stand also der Instrumentalmusik vor. Nac Endigung der erwähnten Arie, reicte Senesino, dessen Denkungsart aus einigen andern Vorfällen scon bekannt ist, dem Herrn Pisendel vom Theater herab, die Hand, und sagte, außer andern Complimenten, dabey [V84, 192: „bezeigte ihm seine Zufriedenheit über den rictigen und zwe%mäßigen Vortrag der Arie, und sagte dabey ganz laut“]: Dieß ist der Mann, der zu a$$ompagniren versteht. Wir führen dieses nur an, um aus einem kleinen Beyspiele die Stärke des Herrn Pisendel in beyden Ausführungsarten zu zeigen. Volümier war nur der französiscen Musikart kundig.“ [V84, 192: „Man siehet daraus, daß Pisendel sic leict in den Charakter einer jeden Musikart zu sci%en wußte; da Volümier sic nur auf die französisce verstand.“]

Nac der ungewöhnlicen Dicte der Informationen bis zur Wienreise Pisendels im Jahr 1718 folgt in V56 eine ebenso auffällige Lü%e, denn für die Zeit zwiscen 1718 und 1728 werden gar keine biographiscen Daten erwähnt. Auc die Lebensbescreibungen V67 und V84, die sic ja weitgehend auf V56 stützen, tragen keine weiteren Informationen bei. Lediglic eine Begebenheit aus dem Jahr 1719 wird in Form einer Anekdote ergänzt. Der Inhalt dieser Anekdote allerdings deutet bereits den Grund an, warum in dem Nacruf V56 keine ausführlicen Informationen erhalten sind, denn er zeigt exemplarisc den oben skizzierten, grundsätzlicen Konflikt zwiscen der etablierten Dresdner Hofkapelle und den italieniscen Musikern, die vom Kurprinzen protegiert wurden. Da Pisendel von diesem Konflikt unmittelbar betroffen war und eine scwierige Position zwiscen den Fronten einnehmen mußte, wird dieser Abscnitt in den Lebensbescreibungen scweigend übergangen. Im Zusammenhang mit diesem Konflikt wird immer wieder auf die ungleice Bezahlung zwiscen italieniscen und einheimiscen Musikern hingewiesen, über die sic Pisendel auc in seinen letzten Lebensjahren noc beklagte.43 Trotz der deutlic empfundenen Ungerectigkeit kann dies nict der einzige Grund für den über Jahre andauernden Konflikt gewesen sein. Die in V67 wiedergegebene Anekdote nennt viel 42 43

Vgl. Staszewski 1996, 94. Vgl. Pisendels Brief vom 3.6.1752, Telemann Briefwecsel 1972, 361f.

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tiefergehende Untersciede zwiscen den Musikern, die in der täglicen Zusammenarbeit bei Proben und Aufführungen offen zu Tage treten: den Gegensatz zwiscen den beiden Musikarten, oder noc konkreter, den „Ausführungsarten“ der französiscen und italieniscen Musikart. Da solce „Ausführungsarten“ der Musik sehr eng mit der persönlicen und künstleriscen Identifikation der jeweiligen Musiker verbunden sind, birgt das Aufeinandertreffen so versciedener Nationalitäten, gerade wenn sie sic im Wettbewerb um künstlerisce Anerkennung bei dem alten beziehungsweise dem künftigen Herrscer befinden, ein großes Konfliktpotential. Selbstverständlic war Pisendel mit der französiscen „Ausführungsart“, wie sie Woulmyer im Dresdner Orcester eingeführt hatte, bestens vertraut.44 Durc seine Studienreise nac Italien war er allerdings auc in der damals neuesten italieniscen „Musik-“ und „Ausführungsart“ ausgebildet worden, und hierin lag wahrsceinlic der Scwerpunkt jener „förmlicen Le$tionen“, die der knapp dreißigjährige „Maestro Pisendel“ von Vivaldi und Montanari erhalten hatte. Zu Rect weist V67 ausdrü%lic darauf hin, daß Pisendel „ein Meister in beyden, damals sehr von einander versciedenen Musikarten“ gewesen sei.45 Ohne an dieser Stelle auf die konkreten Untersciede zwiscen dem französiscen und italieniscen Gescma% näher eingehen zu können, wird anhand der Anekdote aus V67 deutlic, daß der Konflikt, der sic an dem Aufeinandertreffen zweier untersciedlicer Musikarten entzündete, weniger durc kompositorisc-strukturelle Details der Musik als vielmehr durc die „Ausführungsart“, also der jeweiligen Aufführungspraxis der Musiker hervorgerufen wurde. Auf Pisendels Biographie bezogen bedeutet dies, daß er durc seinen Studienaufenthalt in Italien den neuen Anforderungen, die der italienisc orientierte Musikgescma% des Kurprinzen an das Orcester stellte, gewacsen war. Gleiczeitig veranscaulict die Anekdote die scwierige Lage, in der sic Pisendel zwiscen beiden Fronten befand. Sollte sic der Vorfall tatsäclic so abgespielt haben, wie ihn der Berict aus V67 wiedergibt, dann hat Woulmyer seinen Stellvertreter Pisendel gewissermaßen auf die Probe gestellt, indem er bei der zweiten Probe fernblieb. Möglicerweise hat Woulmyer beobactet, wie Pisendel das Orcester im Sinne der italieniscen „Ausführungsart“ anführte und dafür von Senesino mit „Complimenten“ überhäuft wurde. Ob Pisendel diese Situation dazu genutzt hat, sic als Konkurrent Woulmyers zu profilieren, läßt sic nict ermitteln. Wahrsceinlic hat sic Pisendel jedoc eher gegen den Versuc Senesinos gewehrt, seine Loyalität gegenüber den alten Kapellkollegen öffentlic zu untergraben, denn für eine offene Konkurrenz zwiscen dem amtierenden Konzertmeister und seinem Stellvertreter, die gelegentlic vermutet wurde,46 gibt es keine Anzeicen. Viele Jahre später erlebte Pisendel eine ganz ähnlice Situation, von der er Telemann in einem Brief vom 3.6.1752 berictet: […] so kahm denn die Reyhe als prima Donna an die Sig:ra Mingotti. diese aber vertrug sic sehr sclect mit den[!] Herrn OberCapellM.r Haß, also, daß sie darüber von ihm

bey den Premier Ministre hart verklagt und übel angesehen wurde; indeßen that sie dennoc, nac ihren wilden Kopff dem Herrn Haßen zu Poßen so viel sie nur thun 44

Der französisce Orcesterstil wurde auc in der „italieniscen Periode“ der Ansbacer Musikgescicte gepflegt, vgl. oben, Abscnitt II, 1. „Als Kapellknabe am Ansbacer Hof“. 45 V67, 287. 46 Vgl. beispielsweise Fürstenau 1862, 87, und Landmann 1980, 27.

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können, worbey denn auc er seinen affe$ten nict allezeit mäctig geweßen; und in einem solcen Combat gieng die gantze Herbst Opera vorbey, und ic saße nun mit der Orcestre in der Quetsce, dahero leict zu sehen, wie es mir müße ergangen seyn; aber nict genug, mein Herr Haß wurde von der beständigen Ärgerniß endlic gefährlic krank, […] als scon die Hauptprobe in Höcster Gegenwart Ihrer May: May: vor sic gehen mußte. Bey solcen Umständen mußte ic nun mic exponiren, ohne mit dem Maiitre[!] darüber etwas ausführlicer abgeredet zu haben, […] und gleicwol half der gnädige Gott, daß es von der Hauptprobe an biß zu End des Carnevals alles glü%lic abgeloffen; ja die S. Mingotti ließ so ein Wolgefallen spühren, daß Herr Haß einen Unwillen auf mic geworfen, weiln sie in der ersten Opera mit ihm öffentlic gezan%et, mit mir aber friedlic umgegangen.47

Wie im Jahr 1752, so dürfte Pisendel sic auc 1719 sehr unwohl gefühlt haben, als er zwiscen beiden Parteien „in der Quetsce“ saß. Latent war dieser Konflikt bei allen Aufführungen anläßlic der Hoczeit der Kurprinzen mit der Wiener Kaisertocter Maria Josepha vorhanden, denn die französisc gesculte Hofkapelle war gezwungen, mit den neu engagierten Musikern aus Italien eine Ensembleleistung zu vollbringen. Dabei waren die Ballettvorstellungen und das französisce Divertissement sicer weniger problematisc als die für die Dresdner Musiker eher ungewohnte Gattung der italieniscen Oper, die wiederum von französiscen Balletteinlagen unterbrocen wurde. Die folgende Tabelle gibt einen Überbli% über die musikaliscen Darbietungen dieser berühmten und oft gescilderten Festfolge:48

TABELLE 5: Musikalisce Darbietungen bei den Hoczeitsfestlickeiten in Dresden 1719 2.9.1719 Einzug des Brautpaars in Dresden 3.9.1719 Einweihung des neuen Opernhauses:

Oper Giove in Argo (Lotti, Wdh. vom 5.10. 1717) 7.9.1719 Oper As$anio (Lotti, Ballettmusik von Woulmyer, Wdh. von Februar 1718) 10.9.1719 „Serenata nel Giardino Chinese“ La Gara degli Dei (Heinicen) anscließend Feuerwerk

12.9.1719 Roß- und Fuß-Turnier auf dem Altmarkt 13.9.1719 Neue Festoper Teofane (Lotti, Ballettmusik von Woulmyer) 15.9.1719 Einweihung des Zwingers:

„Carosello teatrale“ Li quattro elementi (Lotti)

17.9.1719 Türkisces Fest mit Nactscießen

Tafelmusik der Polniscen Kapelle im türkiscen Palais

18.9.1719 Wasserjagd auf der Elbe:

„Serenata fatta sull’ Elba“ Diana (Heinicen)

20.9.1719 Nationenfest (Wirtscaft) mit Jahrmarkt im Zwinger

anscließend Ballettvorführung mit der Hofkapelle

23.9.1719 „Divertissement“: Les quattre saisons (Scmidt) – Opera-Ballett im Naturtheater des Großen Gartens (mit adeligen Tänzen und über 100 Musikern) 26.9.1719 Lustjagd im Plauenscen Grunde

italienisce Comoedie in einem Waldtheater Souper im Saturntempel mit Tafelmusik

47 48

Vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 360f, und Pisendel-Dokument Nr. 85 vom 3.6.1752. Vgl. beispielsweise Fürstenau 1862, 138ff, und Be%er-Glauc 1951, 99ff.

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Am Ende dieser Festfolge endete der Vertrag für den Opernkapellmeister Lotti und seine Ehefrau, die als Sopranistin wictige Rollen in den Opern ihres Mannes übernommen hatte. Heinicen dagegen blieb fest angestellt und kam nun, nacdem er für die Hoczeitsfeierlickeiten und für das Winzerfest im Jagdscloß Moritzburg im Oktober 1719 lediglic Serenaden komponiert hatte, endlic mit einer eigenen Oper Flavio Crispo zum Zuge. Da diese neue Oper bei der Rü%kehr des Königs aus Polen und zum Karneval des Jahres 1720 gespielt werden sollte, begannen die Proben bereits zum Jahreswecsel. Offenbar in einem frühen Stadium der Probenarbeit ereignete sic ein Zwiscenfall, der von Quantz anekdotenhaft überliefert ist. Während der Probe zur Oper Flavio Crispo nämlic stritten sic die beiden Sänger Senesino und Berselli „mit dem Capellmeister Heincen[!] über eine Arie, wo sie ihm, einem Manne von Gelehrsamkeit, der sieben Jahre sic in Wälscland aufgehalten hatte, daß er wider die Worte einen Fehler begangen hätte. Senesino […] zerriß die Rolle des Berselli, und warf sie dem Capellmeister vor die Füße.“ Aus diesem „ungescliffenen Virtuosen-Streic“ geht hervor, daß die Atmosphäre zwiscen den italieniscen Musikern und den Mitgliedern der Hofkapelle weiterhin gespannt war.49 Dies bekam scließlic auc der Deutsce Heinicen zu spüren, obwohl er doc der vom Kurprinzen protegierten, italieniscen Fraktion angehörte.50 Nac seinem Gehalt von 1200 Talern zu urteilen, das dem Spitzengehalt des Kapellmeisters Scmidt und des Konzertmeisters Woulmyers entsprac, ist Heinicen jedoc eher der Gruppe der deutscen Kapellmitglieder zuzuordnen, denn der unbedeutendste italienisce Sänger erhielt ein höheres Gehalt als der Kapellmeister Heinicen, Senesino mit 51 6650 Talern sogar mehr als fünfmal so viel. Wenn sic der Streit tatsäclic an dem Vorwurf entzündete, daß Heinicen in seiner Arienkomposition den Sinn des italieniscen Textes nict rictig erfaßt und in Musik umgesetzt haben soll, dann zielt dieser Vorwurf wiederum darauf ab, daß die italienisce „Musikart“ von einem Nictitaliener nict rictig erfaßt worden sei.52 Auc wenn Pisendel bei der oben erzählten Begebenheit mit Woulmyer in diesem Punkt von Senesino gelobt worden ist, blieb er dennoc, wie der Fall Heinicens zeigt, immer dem latenten Vorwurf ausgesetzt, die rictige italienisce „Musikart“ oder „Ausführungsart“ nict getroffen zu haben, eben weil er kein ecter Italiener war. Dieser andauernde Streitpunkt könnte dazu beigetragen haben, daß Pisendel sic scon früh von diesem riskanten Feld zurü%zog und sic mit der Ausbildung eines deutscen oder „vermiscten Gescma%s“ bescäftigte. Der Vorfall mit Heinicen wurde dem König nac Polen berictet. Obwohl der Streit unter vielen Mühen und erst nac dem Eingreifen des Kurprinzen in Dresden

49

Quantz-Autobiographie 1754, 214f, übernommen von Hiller 1784, 138f. In der erhaltenen Partitur von Heinicens Oper Flavio Crispo ist das Finale des letzten Aktes nict zuende geführt. Zum Zeitpunkt der Auflösung der italieniscen Oper hatte Heinicen die Komposition also noc nict beendet. 50 Quantz deutet an, daß die Eröffnung von Händels Theaterunternehmung in London die Ursace für die italieniscen Sänger gewesen sein könnte, einen Streit vom Zaun zu brecen, vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 214. Diese Deutung übernimmt Fürstenau 1862, 152f. 51 Vgl. Fürstenau 1862, 135. 52 Möglicerweise gab diese Begebenheit den Anlaß für Heinicen, in der Neufassung seiner Generalbaßscule von 1728 die versciedenen Möglickeiten zu demonstrieren, nac denen ein und derselbe Arientext im Bli% auf untersciedlice Sclüsselbegriffe untersciedlic vertont werden kann, vgl. Heinicen 1728, 30ff.

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beigelegt werden konnte,53 befahl der König am 1.2.1720, noc von Warscau aus, daß alle italieniscen Opernangehörigen entlassen werden sollten.54 Lediglic der Geiger und Kammerkomponist Vera$ini, der Hofpoet Pallavi$ini und der Kontrabassist Personelli waren nict von dieser Reduktion betroffen. Dadurc konnte die einzige Dresdner Oper Heinicens niemals aufgeführt werden. Diese radikale Entsceidung Augusts des Starken steht natürlic in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ende der Hoczeitsfeierlickeiten einerseits und den damit verbundenen Belastungen für die Staatskasse andererseits.55 Dennoc mag der Eklat zwiscen Heinicen und Senesino mehr als eine willkommene Gelegenheit gewesen sein, sic durc eine allgemeine Entlassung eines drü%enden Haushaltspostens zu entledigen. Bereits im Vorfeld hatte der König dem Kurprinzen in Venedig zu verstehen gegeben, daß er alle Venezianiscen Engagements, die das Gefüge seiner Dresdner Hofkapelle stören könnten, für überflüssig halte. Das Verhalten der italieniscen Musiker, die der Kurprinz trotz dieser Bedenken engagierte, gab dem König rect. Durc die Bericte des Dire$teur des plaisirs Baron von Mordaxt war August der Starke über den andauernden Konflikt mit den Mitgliedern der Hofkapelle unterrictet, so daß die Entlassung des italieniscen Opernpersonals wohl auc vor diesem Hintergrund einer belastenden Situation ein Ende setzen sollte.56 Die Tatsace, daß Vera$ini in Dresden bleiben durfte, mag als ein Zugeständnis Augusts des Starken an seinen Sohn zu werten sein, der nun auf die von ihm bevorzugte italienisce Oper verzicten mußte. Falls der König die Absict hatte, die Streitereien unter den Musikern zu beenden, wurde sie dadurc allerdings wieder teilweise untergraben. Da Vera$ini vom Kurprinzen und künftigen Herrscer stark protegiert wurde, mußten sic der Konzertmeister Woulmyer und sein Stellvertreter Pisendel weiterhin in ihren Ämtern bedroht fühlen. Diese Sictweise mact auc ein möglices Konkurrenzverhältnis zwiscen Woulmyer und Pisendel zu diesem Zeitpunkt unwahrsceinlic, denn beide hatten ein Interesse daran, sic gegen Vera$ini abzusicern. In diesem Zusammenhang hat sic Woulmyer wohl auc jenes Dekret vom 8.10.1720 über seine Recte als Konzertmeister ausstellen lassen, dessen vollständiger Wortlaut im dritten Abscnitt der Arbeit wiedergegeben ist.57 Angesicts der Tatsace, daß sic Woulmyer bereits drei Jahre zuvor gegen die Anstellung Vera$inis zur Wehr gesetzt hatte,58 läßt sic das späte Ausstellungsdatum dieses Dekrets nur auf die veränderte Situation nac der Abdankung der Opernsänger zurü%führen, in der August der Starke bemüht war, die Wogen zu glätten. Tatsäclic konnte sic Woulmyer mit diesem Dekret zu Lebzeiten des Königs in seiner Position als Konzertmeister relativ sicer fühlen. Für Pisendel dagegen war 53

Vgl. Fürstenau 1862, 153f. Das Dokument nennt die Sängerinnen Durastanti, Tesi, Salvay und Laurenti, die Sänger Senesino, Berselli, Bosci und Giu$$iardi, sowie Arcitekten, Bühnenbildner und Dekorateure, vgl. D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Französiscer Comoedianten und Orcestra betr. ao 1703, 1708-12, 1714-17, fol. 251f. Vgl. auc Fürstenau 1862, 153f. 55 Vgl. Be%er-Glauc 1951, 12, und Hill 1979, 25. 56 Ein Zusammenhang der Reduktion mit dem Konflikt zwiscen italieniscen und einheimiscen Musikern wird von Hill 1979, 483, Anm. 178, ausdrü%lic verneint. Auc Lorber 1991, 12, hält lediglic finanzielle Gründe für aussclaggebend. 57 Siehe unten Abscnitt III, 2. „Musikalisce Amtspflicten in Dresdner Quellen“. Aus diesem Dekret zitert bereits Fürstenau 1862, 65, jedoc ohne Angabe der Quelle. 58 Vgl. das entsprecende Dokument bei Hill 1979, 21. 54

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eine solce Sicerheit zu diesem Zeitpunkt unerreicbar. Um so mehr mußte er befürcten, daß der spricwörtlic arrogante Vera$ini59 nac dem Tod Woulmyers und spätestens nac der Übernahme der Regierung durc den Kurprinzen zum Konzertmeister ernannt werden würde. Für Pisendel mag außerdem eine Rolle gespielt haben, daß sein direkter Amtsvorgänger Carlo Fiorelli ebenfalls ein italieniscer Violinist und Kammerkompositeur war und Vera$ini daher dem traditionellen Bild des ‚zweiten Mannes‘ im Orcester noc mehr entsprac als er. Zudem lag Vera$ini bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem Gehalt des Konzertmeisters gleicauf. Pisendel mußte also einige Anstrengungen unternehmen, um seine Position zu behaupten, etwa indem er seine Auftritte als Solist und Komponist intensivierte. Vor diesem Hintergrund verdient eine Anekdote über Pisendel und Vera$ini Aufmerksamkeit, die allerdings erst 1785 veröffentlict wurde und offensictlic unter der mündlicen Weitergabe einige Veränderungen erfahren hat: […] Der König August wollte ihn [Vera$ini] ein Violinkonzert spielen hören. Dies sagte

ihm der Con$ertmeister Pisendel, mit dem Verlangen, er möcte das Con$ert zur Probe der A$$ompagnisten hergeben. […] Als in des Königes Gegenwart endlic das Con$ert aufgeführt und vollkommen zu Stande gebract worden, entsculdigte sic Vera$ini gegen den König ohne Noth, daß es nict besser geraten, mit dem unverscämten Zusatz: Wo Deutsce mitspielten, könnte es nict besser ausfallen. Dies Compliment bewog den Con$ertmeister Pisendel, den König zu bitten, daß eben dieses Con$ert noc einmal gemact, und einem Deutscen die Hauptstimme gegeben werden dürfte. Auf des Königs Erlaubnis rufte[!] Pisendel in Gegenwart Vera$ini[!] und vieler andern Italiäner einen von den untersten Ripienisten, mit dem er vorher heimlic dieses Stü% treflic durcgegangen hatte, zur Hauptstimme auf. Die Ausführung dieses Con$erts gerieth dem unansehnlicen Scüler des Pisendels dergestalt, daß ihm von allen Anwesenden der Preiß vor Vera$ini zugestanden werden mußte. Hierüber verfiel der Großsprecer in eine solce Raserey, daß er etlice Tage nict von seinem Zimmer kam, und aus Scaam und Verzweiflung sic endlic öffentlic in Dresden zum Fenster herunter auf die Gaße stürzte. Sein thöricter Fall hatte zu allem Glü%e nict sclimmere Folgen, als daß er eine ziemlice Narbe in seinen tollen Scedel bekam, und das eine Bein 60 brac. […]

Belegbar ist, daß sic Vera$ini tatsäclic am 13.8.1722 aus dem Fenster gestürzt hat, denn das Diarium Missionis der Dresdner Jesuiten vermerkt an diesem Tag: „Ha$ die Dominus Vera$ini in mania se post meridiem ex fenestra prae$ipitavit ex 3 $ontignatione, et $rus fregit.“61 Entgegen den Angaben der Anekdote amtierte Pisendel zu diesem Zeitpunkt jedoc noc nict als Konzertmeister, so daß die Überlieferung mit Vorsict zu genießen ist. Daß Pisendel mit seinem Scüler „das Konzert zur Probe der A$$ompagnisten“ vorbereitet hatte, deutet darauf hin, daß es sic bei diesem „untersten Ripienisten“ um einen außerplanmäßig im Orcester mitwirkenden Musiker, einen Supernumerarius oder unbezahlten A$$essisten, handelte.62 Allerdings gibt es keinen erkennbaren Grund, warum ein solcer Unterrict „heimlic“ stattgefunden haben soll, so daß dies als eine Zutat späterer Überlieferung angesehen werden muß.

59

Von Vera$ini wird der Ausspruc: „Ein Gott, ein Vera$ini!“ überliefert, vgl. Fürstenau 1862, 112. Cramer 1785, 374f. Vgl. auc Hill 1979, 24f. 61 Diarium Missionis 1997, 336. 62 Zum System der Expektanzen in Dresden vgl. Reic 1997, 55 mit weiteren Nacweisen. 60

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Letztendlic kann nict entscieden werden, ob der musikalisce Wettstreit mit Pisendels Scüler tatsäclic der Auslöser für den verbürgten Fenstersturz zwar. In einem weiteren zeitgenössiscen Berict vom September 1722 nämlic bestätigt Mattheson die Meldung vom Sturz Vera$inis, aber sein Dresdner Gewährsmann mact den überspannten Zustand des berühmten Geigers und nict etwa eine musikalisce Demütigung dafür verantwortlic: Es ist nämlic Mr. Vera$ini, unser weltberühmter Violiniste / plötzlic närrisc und so rasend geworden / daß er / am 13. Aug. zwey Sto%werke hoc / zum Fenster hinausgesprungen / den einen Fuß zweymahl / und die Hüffte ganz entzwey gefallen / auc wenig Hoffnung zur Vernunfft / wohl aber zur Genesung des Leibes / von sic gegeben hat. Die Sculd sothaner Verrü%ung des Verstandes wird / theils seiner allzugroßen appli$ation auf die Musi$ / theils der der Lesung $hymiscer Scrifften / beygemessen / als in welcen letztern er sic so sehr vertieffet / daß er endlic gar nict mehr hat sclaffen können.63

Angesicts dieses Bericts ist anzunehmen, daß der Autor der Anekdote zwei zeitlic nict unmittelbar zusammenhängende Ereignisse zu einem einzigen verbunden hat. Sollte sic der Wettstreit tatsäclic mit Vera$ini abgespielt haben, dann ist er noc vor dem Februar 1723 zu datieren, denn Vera$ini ist zwiscen Dezember 1722 und Februar 1723 aus Dresden abgereist, „in Hoffnung / daß seine Krankheit / welce versciedene mahl (nacdem er scon ganze Wocen sanae mentis gewesen) wieder gekom[m]en / durc das $lima in Welscland / ihn verlassen werde.“64 In seiner um 1760 in Florenz verfaßten Abhandlung Il trionfo della prati$a musi$ale bezieht sic Vera$ini selbst auf den Fenstersturz von 1722. Seine Ausführungen lassen darauf scließen, daß er sic als Opfer einer Dresdner Verscwörung sah, obwohl dieser Text auc Anzeicen einer geistigen Verwirrung aufweist: Did not the betrayed Bo$$arossa know how with the true [Vera$e] sound of his violin, to make the air hard enough that he $ould be mira$ulously $arried alive from a height of forty feet to the ground with [or, to the] extreme shame of the plotters of his life. […]* * May Dresden instru$t65

Auc wenn die Anekdote von dem musikaliscen Wettstreit nict anhand von zeitgenössiscen Dokumenten überprüft werden kann, sceint sie doc auf einen wahren Kern hinzuweisen. Als Folge seiner geistigen Verwirrung zog sic Vera$ini von 1723 bis 1733 in seine Vaterstadt Florenz zurü% und gab damit seine hoc dotierte Position als Kammerkompositeur und bevorzugter Geigenvirtuose des Kurprinzen in Dresden auf. So konnte er Woulmyer und Pisendel, die sic wohl beide aktiv darum bemüht hatten, Vera$ini aus Dresden zu entfernen, nict mehr gefährlic werden. Obwohl der Konflikt zwiscen italieniscer und französiscer „Musikart“ damit nict endgültig beigelegt war, bedeutete dies doc für Pisendel, daß er sic ungefährdet darauf vorbereiten konnte, Woulmyer in absehbarer Zeit abzulösen und einen „vermiscten Gescma%“ zu entwi%eln, ohne zwiscen der italieniscen und französiscen Fraktion aufgerieben zu werden.

63

Mattheson 1722, 152f. Vgl. Mattheson 1722, 287, und Hill 1979, 26. 65 Zitiert nac der engliscen Übersetzung bei Hill 1979, 25. 64

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5. V ERZÖGERUNGEN BEI DER E RNENNUNG P ISENDELS ZUM K ONZERTMEISTER 1728 [V67, 287, ergänzt]: Im May des 1728ten Jahres mußte Herr Pisendel noc einmal, als sein König nac Berlin gieng, nebst den Herren Buffardin, Quanz und Weiß dahin kommen. Herr Quanz war scon einige Zeit vorher mit dem Könige von Pohlen dahin gegangen, und blieb auc, auf Verlangen der höcstseeligen Königinn von Preußen länger da, als seine damaligen Collegen. Herr Pisendel, Herr Buffardin und Herr Weiß aber reiseten, nac einem drey monathlicen Aufenthalte in Berlin, jeder mit einem erhaltenen Gescenke von hundert Du$aten, wieder zurü% nac Dresden. [V56, 302]: Nac dem am 7. O$t. 1728. erfolgten Ableben des Con$ertmeisters Voulmier

su$$edirte er demselben in dieser Station als Con$ertmeister, da er anfangs beständig zwey Orcestres, nehmlic eine Ital. [Orcestre] und eine Französisce [Orcestre] aufzuführen gehabt.

[V67, 287, ergänzt]: Nac dem am 7. O$tober 1728. erfolgten Ableben des Con$ertmeisters Volümier bekam Herr Pisendel die völlige Verwaltung aller Dienste desselben. Hierbey hatte er sowohl französisce als italiänisce Musiken aufzuführen, und beydes that er als ein Meister in beyden, damals sehr von einander versciedenen Musikarten. 1730 [V67, 287, korrigiert]: Erst im Jahre 1730 nac dem Feldlager bey Mühlberg aber, wurde er wirklic zum Con$ertmeister erkläret.

Mit dem Berict über die Wienreise Pisendels 1718/19 endet der zusammenhängende Abscnitt der Lebensbescreibung V56, der möglicerweise auf Aufzeicnungen Pisendels zurü%geht und der wegen seiner Informationsdicte allen späteren Biographien als Grundlage diente. Wie bereits erwähnt, klafft danac in den frühen Lebensbescreibungen eine Lü%e von fast einem Jahrzehnt, denn die näcstfolgenden Informationen setzten erst wieder im Jahr 1728 ein. Die Lebensbescreibung V56 scließt nac der Wienreise unmittelbar mit dem Berict über den Tod Woulmyers am 7.10.1728 an1 und bemerkt lapidar, daß Pisendel ihm in dessen „Station als Con$ertmeister“ nacgefolgt sei. Diese Angaben werden jedoc durc V67 mit dem Hinweis korrigiert, daß Pisendel erst „1730 nac dem Feldlager bey Mühlberg“ zum Konzertmeister ernannt worden sei, während er das Amt bis dahin nur kommissarisc verwaltet habe. Diese abweicenden Angaben erweisen sic möglicerweise als ein nur sceinbarer Widerspruc, denn die Formulierung in V56 besagt nict eindeutig, daß Pisendel sofort in die Position des Konzertmeisters nacgerü%t sei. Der Begriff „Station“ ist so offen gefaßt, daß er die von V67 angedeutete Verzögerung bei der Ernennung Pisendels zum Konzertmeister zumindest nict ausscließt. Dennoc sollen, wie bereits in den vorhergehenden Kapiteln, die Angaben aus V67 besonders überprüft werden. 1

Das Sterbedatum Woulmyers (Katholisces Dompfarramt Dresden, Liber defun$torum ab ao 1724, fol. 30) wird durc die Vermerke der Dresdner Jesuiten über die Beerdigung Woulmyers am 9.10.1728 und eine Totenmesse am 20.10.1728 ergänzt, vgl. Diarium Missionis 1997, 352. In den Akten der Hofkapelle findet sic ebenfalls eine Notiz über den Tod Woulmyers, vgl. D-Dla, Lo$. 383 Vol. II, Französisce Comœdianten und Orcestra betr. ao 1721-33, fol. 191.

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Die Version aus V67 wird durc einen entsprecenden Eintrag in Walthers Lexikon aus dem Jahr 1732 unterstützt, der jedoc auffallend vorsictig formuliert ist: „Nac dem an 1730 gehaltenen vortrefflicen Königl. Campement bey Mühlberg, soll er zum Con$ert-Meister allergnädigst de$larirt worden seyn.“2 Obwohl diese Information 35 Jahre vor V67 veröffentlict wurde, hat Agri$ola diesen Lexikoneintrag wahrsceinlic nict als Quelle benutzt, denn er konnte sic durc seine Zusammenarbeit mit Quantz direkt auf einen Zeitzeugen berufen. Auc im Hof- und StaatsCalender Auf das Jahr 1731 ist Pisendel bereits mit dem Titel „Con$ert-Meister“ verzeicnet. Da dieser Kalender wie gewöhnlic bereits zur Micaelismesse des Vorjahres erscienen war, muß die Ernennung Pisendels zum Konzertmeister bereits zum Redaktionsscluß im August 1730 amtlic bekannt gewesen sein.3 Dennoc läßt sic weder in den Jahren 1728/29 noc in dem von V67 angegebenen Jahr 1730 ein arcivaliscer Hinweis auf eine Ernennung Pisendels zum Konzertmeister finden. Daß Pisendel auc tatsäclic in diesen Jahren nict formal ernannt worden ist, beweist ein Dokument vom 1.10.1731, in dem seine Ernennung scließlic, drei Jahre nac dem Tod Woulmyers, von August dem Starken unterzeicnet wird. Außerdem verfügt der König in diesem Dokument, daß Pisendel rü%wirkend vom 1.2.1730 eine dem Konzertmeisteramt entsprecende Gehaltszulage von 700 Talern jährlic erhalten soll.4 Sowohl der außergewöhnlic lange Zeitraum bis zur offiziellen Ernennung als auc die umfangreice Gehaltsnaczahlung über einundzwanzig Monate, die sic auf die Summe von 1225 Talern beläuft, deuten darauf hin, daß Pisendels Weg als Nacfolger Woulmyers keineswegs so geradlinig verlaufen ist, wie bislang angenommen wurde. Möglice Gründe dafür werden jedoc in keiner der frühen Lebensbescreibungen genannt. Umso mehr ist es notwendig, die Lü%e, die im Lebenslauf Pisendels zwiscen 1719 und 1728 klafft, anhand zusätzlicer Quellen zu scließen. V67 versuct bereits, Informationen für diesen Zeitraum zu ergänzen. Die erste Ergänzung durc V67 betrifft jenen bereits im vorangegangenen Kapitel zitierten Streit zwiscen Senesino und Woulmyer, der in Form einer Anekdote überliefert ist. Dieser Streit muß jedoc spätestens bei den Proben zu Lottis Oper Teofane, die am 13.9.1719 erstmals aufgeführt wurde, stattgefunden haben. Die zweite Ergänzung betrifft die Reise Pisendels nac Berlin im Mai 1728. Durc entsprecende Angaben in der Autobiographie von Quantz läßt sic die Reise Pisendels zuverlässig belegen: Im May dieses Jahres [1728] reisete ic mit dem Oberkücenmeister, Baron von Seyfertitz, in der Folge des höcstseligen Königs von Pohlen nac Berlin; wo ic auf Verlangen Ihrer Majestät der Königin von Preussen, mit Erlaubniß des Königs von Pohlen, einige Monate verbleiben mußte. Pisendel, Weiß und Buffardin mußten gleicfalls auf Befehl dahin kommen.5

Trotz dieser Ergänzungen durc V67 bleibt die auffallende Informationslü%e zwiscen 1719 und 1728 fast unverändert bestehen, die mit Hilfe zusätzlicer Quellen und Informationen gesclossen werden soll. Diese Lü%e ist umso bedauerlicer, als 2

WaltherL, 483. Vgl. Horn 1987, 29, und Poppe Manuskript Hasse-Symposium 1999, 2. Diese Quelle wird im folgenden mit HStCal abgekürzt. 4 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 44 vom 1.10.1731, wiedergegeben in Treuheit 1987, 44. 5 Quantz-Autobiographie 1754, 246. 3

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Pisendel in dieser Zeit durc seine Rolle als Premier Violon bereits häufiger Aufgaben des Konzertmeisters Woulmyer vertretungsweise übernommen haben muß. Die Ernennung eines Nacfolgers für Woulmyer war von mehreren Faktoren abhängig, die in der folgenden cronologiscen Übersict berü%sictigt werden sollen. Aussclaggebend für die Besetzung des Konzertmeisterpostens war die Entsceidung des Königs, der sic in diesem Punkt jedoc auf seine Berater verließ. Zu seinen Beratern gehörte der Dire$teur des plaisirs, der als Direktor der Kapell- und Kammermusik für die Belange der Hofkapelle zuständig war und der die Anliegen des Konzertmeisters dem König vortrug. In diesem Sinne ist auc das Verhältnis zwiscen Woulmyer und Pisendel von Bedeutung, denn August der Starke scätzte seinen französiscen Konzertmeister offensictlic sehr, und eine Konkurrenz zwiscen beiden wäre wohl nict ohne Einfluß auf die Sympathie beim König geblieben. Eine wictige Rolle spielte außerdem der Kurprinz Friedric August, der bereits im Vorfeld seiner Hoczeit auf die Besetzung der Hofkapelle Einfluß genommen hatte und einen anderen musikaliscen Stil bevorzugte als sein Vater. Es mußte also auc im Interesse Pisendels liegen, seine guten Kontakte zum Kurprinzen und künftigen Herrscer, über die er aufgrund der gemeinsamen Auslandsreisen verfügte, nict aufs Spiel zu setzen. Wie bereits festgestellt werden konnte, hat Pisendel es dabei vermieden, sic dem französiscen oder italieniscen Lager anzuscließen und einen Mittelweg in der Ausprägung eines „vermiscten Gescma%s“ gesuct. Zwiscen 1719 und 1728 bemühte sic Pisendel, seine Position innerhalb der Hofkapelle zu festigen und sic auc vor dem Hintergrund eines bevorstehenden Gescma%swandels als geeigneter Nacfolger Woulmyers zu bewähren.

Der Premier Violon Pisendel als Stellvertreter Woulmyers Nacdem Vera$ini Dresden spätestens im Februar 1723 verlassen hatte, war die Position Woulmyers als Konzertmeister und Pisendels als dessen Stellvertreter wieder ungefährdet. Wie bereits bemerkt, waren beide daran interessiert, den italieniscen Geigenvirtuosen aus ihrem Einflußbereic zu entfernen, und arbeiteten möglicerweise auc gemeinsam darauf hin. Daß das Verhältnis zwiscen Woulmyer und Pisendel zumindest in dieser Zeit als kollegial und einvernehmlic bezeicnet werden kann, belegt ein Attest für den Orgel- und Klavierbauer Gottfried Silbermann, das beide gemeinsam mit dem Kammerorganisten Christian Pezold unterzeicnet hatten. Dieses Attest vom 3.6.1723 diente dazu, Silbermann ein königlices Privileg für das von ihm erfundene „Cembal d’Amour“ sowie das Prädikat eines „Königl. Hoff- und Land-Orgel-Bauers“ zu verscaffen, um „ein solcen habilen Mann beständig in Sacsen zu behalten.“6 Besonders der Abscnitt über das „Cembal d’Amour“, eine Art Clavicord, dessen Tangenten genau in der Saitenmitte auftreffen, so daß beide Saitenhälften gleiczeitig und auf der gleicen Tonhöhe erklingen, kann mit Pisendel in Zusammenhang gebract werden: 6

Vgl. Müller 1982, 434f. Tatsäclic erhielt Silbermann dieses Prädikat am 30.6.1723.

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Vornehmlic aber kommen wir nict umhin, dasjenige von ihm gantz neu inventirte musi$alisce Instrument besonders zu rühmen, welces er […] so glü%lic herausgebract, daß es an scarffen und lieblicen Thone, an deli$atesse, Leictigkeit zu spielen, und einem gantz fremden sic ausnehmenden theils der Laute, theils der Viol d’Amour, und kurtz zu sagen, fast allen andern dergleicen Sclag- oder Streic-Instrumenten gleickommenden Klange niemahl etwas angenehmers gehört, oder auf unsern Reisen von Uns gefunden worden.7

Aufgrund der Ähnlickeit seines Klanges mit dem Ansclag der Laute und der Resonanz der Viola d'amore geben Woulmyer, Pezold und Pisendel diesem Instrument den Namen „Cembal d’Amour“. Wie bereits anläßlic der Italienreise Pisendels erwähnt wurde, spielte dieser auc die Viola d'amore und besaß eine stattlice Sammlung an Literatur, die er sic teilweise aus Violinwerken für sein Instrument eingerictet hatte.8 Allerdings wurde auc im Hause Pezold Viola d'amore gespielt,9 so daß sic der Kammerorganist, der kurz zuvor ein Cembalo mit zahlreicen Registern von Silbermann gekauft hatte, in dieser Materie ebenfalls gut auskannte. Umgekehrt war der Kantorensohn Pisendel offenbar auc in Fragen des Orgel- und Klavierbaus bewandert, denn er leitete in späteren Jahren die Prüfungskommission für zwei neu erbaute Silbermannorgeln in Dresden und Zittau.10 Der Hinweis auf den Klang der Viola d'amore im Attest für Silbermann deutet darauf hin, daß das von Pisendel gespielte Instrument am säcsiscen Hof gut bekannt war, denn in dem von August dem Starken am 30.6.1723 unterzeicneten Privilegium für Silbermann wird ausdrü%lic erwähnt, daß dessen neue Erfindung „wegen seines der Lauten und Viol d’Amour sehr nahekommenden Klanges, […] Cimbal d’Amour genennet“ worden sei.11 Daraus kann gesclossen werden, daß Pisendel zumindest einen Teil der Kammermusikwerke für Viola d'amore, die seine typiscen aufführungspraktiscen Eintragungen aufweisen, bereits vor 1723 im Rahmen der höfiscen Kammermusik aufgeführt hat. Bemerkenswert ist außerdem, daß sic Woulmyer mit diesem Attest, ähnlic wie bereits im Fall Bac-Marcand, für einen deutscen Künstler einsetzt und dabei eine auffällige Übereinstimmung mit den Interessen seiner deutscen Kollegen an den Tag legt. Die in der Literatur vertretene Meinung, Pisendel sei „seinem Vorgänger scon in den letzten Jahren ein gefährlicer Nebenbuhler geworden“,12 läßt sic nict bestätigen, vielmehr sceint angesicts des gemeinsamen Eintretens von Woulmyer und Pisendels für Silbermann das Gegenteil der Fall zu sein. Auc die Tatsace, daß Pisendel bereits in den Jahren vor dem Tod Woulmyers als Konzertmeister aufgetreten ist, läßt sic nict als Ausdru% eines Konkurrenzverhaltens deuten, denn es gehörte offensictlic zu den Amtspflicten Pisendels als Premier Violon, den Konzertmeister bei Krankheit oder Abwesenheit zu vertreten. 7

Zitiert nac Müller 1982, 434. Vgl. Köpp, BJ 2000, 154f. 9 Köpp, BJ 2000, 160. 10 Vgl. Pisendel-Dokumente Nr. 57 und 66 vom 22.11.1736 und 4.8.1741. Auc ein Eintrag in dem Tagebuc von Johann Andreas Silbermann, dem Neffen des Freiberger Orgelbauers, zeugt vom Interesse Pisendels für dieses Facgebiet, vgl. Pisendel-Dokument Nr. 68 von 1741. 11 Zitiert nac Müller 1982, 436. 12 Fürstenau 1862, 87, wiederholt durc Landmann 1980, 27. Dagegen bezweifelt Jung 1956, 35, unter Hinweis auf den Charakter Pisendels, daß beide in einem offenen Konkurrenzverhältnis zueinander standen. 8

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Anhand der originalen Stimmensätze zu zwei Kompositionen Zelenkas aus dem Jahr läßt sic beispielsweise belegen, daß Pisendel Woulmyer zu dieser Zeit im Hofkircendienst vertreten hat, denn jeweils eine Stimme für die erste Violine trägt die Aufscrift „M:P:“ (Monsieur Pisendel).13 Das eine dieser Werke, Angelus Domini des$endit ZWV 161, hat Zelenka mit dem 28.3.1725 datiert, und das zweite, Kyrie a-Moll ZWV 27, wurde nac Zelenkas Aufscrift am 23.6.1725 beendet.14 Aus welcem Grund sic Woulmyer selbst an diesen Terminen von Pisendel vertreten ließ oder ob Pisendels Kürzel bei einer späteren Aufführung hinzugefügt wurde, läßt sic nict bestimmen. Da Zelenka diese Werke in Vertretung für den tuberkulosekranken Kapellmeister Heinicen komponiert hatte,15 liegt eine möglice Erklärung darin, daß Woulmyer sic nict unter der Direktion eines nacrangigen Kapellmusikers16 produzieren wollte und lieber Pisendel vorsci%te. Auc zwiscen November 1725 und September 1726 übernahm Pisendel die in Dresden anfallenden Aufgaben des Konzertmeisters, denn in diesem Zeitraum hielt sic Woulmyer auf Befehl Augusts des Starken in Warscau auf. 1725

Woulmyers Aufenthalt in Warscau steht im Zusammenhang mit der Anwesenheit Augusts des Starken und des Kurprinzen Friedric August in Warscau. Der König war am 4.9.1725 in seiner polniscen Residenz eingetroffen. Der Kurprinz Friedric August erreicte Warscau am 20.12.1725 und hielt sic damit zum ersten und letzten Mal vor seiner eigenen Krönung zum König von Polen in diesem Land auf.17 Gemeinsam mit dem Kurprinzen befand sic auc dessen fast gleicaltriger Halbbruder Moritz von Sacsen in Warscau, den der König auf den Thron des Herzogtums Kurland setzen lassen wollte.18 In dieser Situation verstärkte August der Starke offenbar seine Repräsentationsbemühungen, indem er hervorragende Dresdner Künstler, unter anderem vier seiner berühmten französiscen Tänzer, nac Warscau kommen ließ. Entgegen der üblicen Aufgabenteilung zwiscen der Dresdner Hofkapelle und der Polniscen Kapelle wurde auc der Konzertmeister Woulmyer als Spezialist für französisce Tanzmusik nac Warscau beordert und erhielt zu diesem Zwe% am 10.11.1725 ein Reisegeld in Höhe von 100 Talern.19 Da Woulmyer erst im September 1726 wieder in Dresden eintraf,20 mußte sein Stellvertreter Pisendel in Dresden zehn Monate lang die Aufgaben des Konzertmeisters selbständig wahrnehmen. Der Dienst der Dresdner Hofkapelle bescränkte sic wäh13

Vgl. Zelenka-Dok. 1989, 19, und Rifkin 2000, 244. Nac den Angaben des Diarium Missionis wurde Angelus Domini des$endit ZWV 161 am 2.4.1725 in der Hofkirce aufgeführt. Für das Kyrie ZWV 27 läßt sic jedoc kein Aufführungdatum identifizieren, vgl. Rifkin 2000, 246 und 252. 15 Vgl. Horn 1987, 60 und 77. 16 Zelenka erhielt erst zehn Jahre später Gehaltserhöhungen, die seiner Tätigkeit als Compositeur entspracen, vgl. Oscmann 1986, 40f und 43. Obwohl er bereits im HStCal 1731 als „Contra-Basso & Compositeur“ bezeicnet wird (jedoc innerhalb der Kapelliste), zieht erst die Erhöhung seiner Besoldung auf 550 und später 800 Taler eine Rangerhöhung nac sic, denn ab dem HStCal 1735 wird Zelenka zu Beginn des Kapellverzeicnisses als „Compositeur“ geführt. Vgl. auc Siegele 1997, 284f. 17 Vgl. Zórawska-Witkowska 1997, 46. 18 Vgl. Staszewski 1996, 118. 19 Vgl. D-Dla, Lo$. 383 Vol. II, Französisce Comœdianten und Orcestra betr. ao 1721-33, fol. 129f. Die Tänzer „Briere“ und „du Mesnil“ sowie die Tänzerinnen „Roland“ und „Mascenpauer“ erhielten ebenfalls 100 Taler. 20 Vgl. Zórawska-Witkowska 1997, 494, 525. In der zusammenfassenden, deutscen Übersetzung wird jedoc irrtümlic der Zeitraum von Oktober 1725 bis November 1726 genannt. 14

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rend der Abwesenheit des Königs und seines Sohnes auf die Bedürfnisse der zurü%gebliebenen Mitglieder der Königsfamilie. Da Christiane Eberhardine, die Ehefrau Augusts des Starken, seit Jahren nict mehr am Hofleben teilnahm und in ihrer fernen Residenz Pretzsc blieb,21 bestimmte Maria Josepha wohl das musikalisce Gescehen in Dresden. Ein Scwerpunkt ihres musikaliscen Interesses lag bekanntermaßen auf dem Gebiet der katholiscen Kircenmusik,22 die wahrsceinlic in gleicem Umfang weitergeführt wurde wie während der Anwesenheit des Königs in Dresden. Im Zusammenhang mit den Kircenmusiken unter Beteiligung der Hofkapelle, die in dieser Zeit im Diarium Missionis verzeicnet sind, wird Pisendels Name nict erwähnt.23 Dennoc sprict nicts gegen die Annahme, daß Pisendel hierbei die Konzertmeisteraufgaben vertretungsweise wahrnahm, denn in der Regel werden in dieser Quelle nur die Namen der leitenden Kapellmeister vermerkt. Außerdem ist bekannt, daß Maria Josepha, anläßlic der Rü%kehr des Kurprinzen aus Warscau am 2.9.1726, die komisce Oper Calandro von Giovanni Alberto Ristori aufführen ließ.24 Obwohl das Aufführungsmaterial zu dieser italieniscen Oper, die zu den frühesten Beispielen der Opera Buffa zählt,25 nict mehr erhalten ist, darf angenommen werden, daß Pisendel auc hier das Orcester angeführt hat. Daß Maria Josepha ausgerecnet eine italienisce Oper zur Begrüßung ihres Ehemannes aufführen läßt, ist ein deutlicer Hinweis auf die ausgeprägte Vorliebe des Kurprinzen für italienisce Musik.26 Während seines Aufenthalts am Warscauer Hof wurde allerdings in erster Linie französisce Musik gespielt, die dieser viel weniger scätzte als sein Vater. Das Repertoire, das Woulmyer während dieser Zeit mit den Musikern der Polniscen Kapelle aufführte, läßt sic anhand einer erhaltenen Recnung rekonstruieren, auf der der Warscauer Noten-Kopist Ja$ques Guenin alle Musikalien verzeicnet hat, die er zwiscen November 1725 und April 1726 im Auftrag Woulmyers kopieren mußte.27 Ein Teil dieser ausscließlic französiscen Musikalien konnte als Werke von Campra, Gillier, Rameau oder Rebel identifiziert werden. Zwei Kantatensammlungen stammen von Jean-Baptist Stu%, der französisce Texte und Arienformen mit italieniscen Musikelementen verband.28 Einige der erwähnten Gelegenheitskantaten, etwa diejenige “Pour les Plaisirs de sa majesté, Representé par M.lle dimance“, könnte Woulmyer auc selbst komponiert haben. Neben dieser Fülle von „offizieller“ französiscer Musik braucte der Kurprinz in Polen auf italienisce Kammermusik nict völlig zu verzicten, denn bei dem Minister Graf von Flemming in Warscau war seit 1722 ein italieniscer Geiger namens Fran$es$o Maria Cattaneo angestellt, dessen Violinspiel ihm offenbar besonders gut gefiel.

21 Die in V56 und V67 verbürgten sommerlicen Aufwartungen Pisendels bei der Königin Christiane Eberhardine in Pretzsc könnten auc während der Abwesenheit des Königs im Sommer 1726 stattgefunden haben. 22 Vgl. Fürstenau 1862, 181. 23 Vgl. Diarium Missionis 1997, 342ff. 24 Vgl. Fürstenau 1862, 162. 25 Vgl. Hocstein 1997, 61. 26 Vgl. Horn 1987, 40, und Staszewski 1996, 76. 27 Vgl. die faksimilierte Aufstellung Guenins über die von Woulmyer veranlaßten Kopien, in ZórawskaWitkowska 1997, 93ff. 28 Zórawska-Witkowska 1997, 395.

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Cattaneo wirkte in dieser Zeit möglicerweise zur Verstärkung der Violinen in der Polniscen Kapelle mit, wie es in späteren Jahren auc die Mitglieder der Privatkapelle des Grafen Brühl taten.29 Auf Veranlassung des Kurprinzen wurde Cattaneo noc in Warscau für die Dresdner Hofkapelle engagiert.30 Eine entsprecende Anordnung an das General-A$$is-Collegium vom 8.6.1726 bestätigt, daß „Maria Fran$es$o Cataneo bey unserem Orcestre als Violon in Dienste genom[m]en, und ihm zu seinem Gehalt das durc des Du Mont Ableben zur Va$anz gediehene tra$tament bestim[m]et“ worden sei.31 Diese Anordnung wurde außer von August dem Starken auc von dem Kurprinzen und dem Grafen Manteuffel unterzeicnet und am gleicen Tag nac Dresden abgesci%t. Offenbar erfreute sic Cattaneo beim Thronfolger einer hohen Wertscätzung, denn bereits im März 1727 wurde er, vielleict zu Studienzwe%en, nac Venedig beurlaubt,32 wo bereits seine Scwester Maria Santina Cattanea auf Kosten des Königs zur Sängerin ausgebildet wurde. In dem Briefwecsel zwiscen dem Grafen de Villio aus Venedig und dem Baron de Gaultier in Dresden aus dem Jahr 1728 wird er mehrfac als „Violon Cattaneo, qui est au Servi$e a$tuel de Mj.t la Prin$e Royal“ erwähnt.33 Der Dienst Cattaneos bezog sic also allein auf die Bedürfnisse des Kurprinzen. Offenbar sah dieser in Fran$es$o Maria Cattaneo einen Ersatz für den drei Jahre zuvor abgetretenen Fran$es$o Maria Vera$ini, der ebenfalls außerhalb der Hofkapelle als Kammervirtuose gewirkt hatte. Dennoc ist Cattaneo nac den Angaben des Hof- und Staats-Calenders aus den Jahren 1728 und 1729 weder als Mitglied der Hofkapelle noc im Hofstaat des Kurprinzen aufgeführt. Eine Erklärung dafür wäre in einem längeren Italienaufenthalt gegeben, der sic aber beim derzeitigen Stand der Forscung nict nacweisen läßt. In den Dresdner Akten der Hofkapelle ist Cattaneo erst 1733, nac der Regierungsübernahme durc Friedric August, als Kammer-Violinist nacweisbar.34 Im Jahr 1740 erhielt Cattaneo eine weitere Gehaltszulage und nur einen Monat nac Pisendels Tod, nämlic mit Wirkung vom 1.1.1756, wurde er von seinem königlicen Gönner zum Konzertmeister der Hofkapelle ernannt.35 Wie sehr der nunmehrige König August III. den von ihm selbst engagierten Cattaneo scätzte, ist durc einen Brief des Grafen Heinric von Brühl belegt, den der Premierminister am 6.1.1759, wenige Wocen nac dem Tod Cattaneos am 20.12.1758, an die Prinzessin Maria Antonia

29

Vgl. Kollmar 2001, 58ff. Bemerkenswert ist dabei, daß nict nur der Premierminister Graf von Brühl, sondern auc scon zehn Jahre vor diesem der leitende Minister des Geheimen Kabinetts, Graf von Flemming, eine eigene Kapelle unterhielt, über deren Mitglieder bislang nicts bekannt ist. Diese Kapelle mußte jedoc nict besonders groß gewesen sein, denn in der von Hiller 1767, 272, abgedru%ten Lebensbescreibung Bendas wird die in Polen verbreitete Praxis erwähnt, daß „wenn die Zahl der Musiker auc nur 4 bis 5 Personen berträgt, doc einer darunter den Kapellmeisterstitel führet“. Die Kapelle des Starosten, in der Benda diesen Titel führte, „wucs endlic bis auf 9. Personen, und war in Polen eine der besten Kapellen.“ 30 Vgl. Zórawska-Witkowska 1997, 494. 31 D-Dla, Lo$. 383 Vol. II, Französisce Comœdianten und Orcestra betr. 1721-33, fol. 153. 32 Vgl. Zórawska-Witkowska 1997, 494. 33 Vgl. D-Dla, Lo$. 3350, Briefe des Grafen de Villio zu Venedig an den Baron de Gaultier 1728, Sängerinnen und Kastraten für den Säcs. Hof betreffend, fol. 6 und fol. 45. 34 Vgl. D-Dla, Lo$. 907 Vol. II, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1733-1739 und 1801.1802, fol. 1. 35 Vgl. D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1740-1764, fol. 20f und fol. 302.

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scrieb: „S.M. le Roy a beau$oup regretté Cataneo, $ar $’est Lui même, qu’Il a engagé l’année 1726. i$i a Pologne.“36 Bei seiner Rü%kehr aus Polen bracte der Kurprinz also einen italieniscen Geigenvirtuosen mit, den er offensictlic protegierte und möglicerweise sogar in Italien weiter ausbilden ließ. Drei Jahre nac dem unrühmlicen Abgang Vera$inis bedeutete dies einen Rü%sclag vor allem für die Bemühungen Pisendels, sic gegen künftige italienisce Konkurrenz zur Wehr zu setzen. Für Woulmyer konnte Cattaneo nict unmittelbar gefährlic werden, denn dieser konnte sic der per Dekret verbrieften Unterstützung des alten Königs sicer sein.37 Allerdings war Cattaneo im Gegensatz zu Vera$ini kein etablierter Solist von internationalem Ruf, so daß er auc für Pisendel keine unmittelbare, aber dennoc eine wacsende Gefahr darstellte. Immerhin sei darauf hingewiesen, daß Pisendel noc in seinen letzten Lebensjahren eine tiefe Abneigung gegen Cattaneo empfand, denn am 16.4.1749 screibt er an seinen Freund Telemann: „Herr Cattaneo mact sic seiner Faulheit wegen hier bey Hof immer verhaßter; gleicwol suct er augmentiret zu werden; wo ihm nur nict ein Stric durc sein Con$ept gemact wird, wie ehemaln seiner Scwester gescehen. Doc, es ist seine affaire.“38 Im Jahr 1727 kam Johann Friedric Fasc, der 1722 Hofkapellmeister des Fürsten von Anhalt-Zerbst geworden war, zu einem längeren Studienaufenthalt nac Dresden. Dabei war Heinicen, sein alter Freund aus Studientagen, offenbar der Anknüpfungspunkt für Fasc, denn dieser hatte in Leipzig zeitweise die Leitung des Fasciscen Collegium Musi$um übernommen. Aber auc die Kontakte zu Pisendel hat Fasc in dieser Zeit erneuert. Beide haben während dieser Zeit Kompositionen Fascs mit der Dresdner Hofkapelle aufgeführt, wobei Werke für die Katholisce Hofkirce deutlic überwogen.39 Im Anscluß an diesen Studienaufenthalt intensivierte sic die Beziehung zu Pisendel. Da Heinicen bereits zwei Jahre später starb, bescränkten sic die Dresdner Kontakte Fascs bald auf Pisendel. Über Jahre hinweg sandte Fasc zahlreice Instrumentalwerke an Pisendel, die von Pisendel aufgeführt und teilweise auc weiter bearbeitet wurden. Vermutlic hat sic Pisendel, der mit Fasc auc das Interesse für religiöse Dinge teilte, mit Fasc über seine Idee eines „deutscen“ oder „vermiscten Gescma%s“ ausgetausct, denn die große Zahl der Instrumentalwerke Fascs in Dresden ist nur dadurc zu erklären, daß Pisendel diese Werke zur Ergänzung seines Repertoires bei Fasc bestellt hat.40 Bevor der Konzertmeister Woulmyer am 7.10.1728 starb, war er offenbar lange Zeit so krank, daß Pisendel ihn dauerhaft vertreten mußte. In diese Zeit fiel auc der Be36

D-Dla, Naclaß Maria Antonia, ohne Foliierung. Vgl. auc Zórawska-Witkowska 1997, 148, jedoc mit abweicender Lesart. 37 Noc am 11.11.1727 stand August der Starke in der Katholiscen Hofkirce Pate für einen Neffen Woulmyers, vgl. Diarium Missionis 1997, 350. 38 Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 348. 39 Vgl. Pfeiffer 1994, 74ff. 40 Vermutlic hat Fasc von Pisendel dafür eine Gegenleistung in Form eines Honorars erhalten, denn es ist bekannt, daß er sic in einer scwierigen finanziellen Lage befand. Gerade die tiefgreifenden Änderungen, die Pisendel an einigen der von Fasc eingesandten Orcesterwerke vornahm, deuten auf eine Bezahlung hin, denn bei einer Freundscaftsgabe wäre Pisendel wohl behutsamer vorgegangen. Aber auc eine Gegenleistung in Form von Musikalien, die Pisendel aus eigenen Beständen nac Zerbst gesandt haben könnte, ist denkbar. Zur Diskussion über möglice Gegenleistungen Pisendels vgl. Fecner 1999, 29ff, mit weiteren Nacweisen.

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suc des preußiscen Königs Friedric Wilhelm I. und seines gerade seczehnjährigen Sohnes, des Kronprinzen Friedric, in Dresden. Während dieses Staatsbesucs, der vom 12.1. bis zum 11.2.1728 dauerte, wurde über politisce und wirtscaftlice Fragen verhandelt, denn Preußen behinderte das Wacstum der säcsiscen Wirtscaft mit einer Art Zollkrieg. Neben den Carnevals-Festlickeiten, die aus diesem Anlaß besonders glanzvoll ausfielen, besucten die preußiscen Gäste am 8.2.1727 auc einen Gottesdienst in der Katholiscen Hofkirce als Zuscauer.41 Während die höcsten Hofkreise bei dieser Gelegenheit eine ausscweifende So$ieté des Antisobres gründeten, in denen August der Starke als „Patron“ und Friedric Wilhelm I. als „Compatron“ fungierten, und sic in Jagden und Wettscießen ergingen, bei denen der Kronprinz Friedric überdies als sclectester Scütze einen zweifelhaften Trostpreis überreict erhielt, stellten die Kammermusiken am Dresdner Hof für den musisc begabten Friedric ein umso erfreuliceres und prägenderes Erlebnis dar. In einem Brief vom 26.1.1728 an seine in Berlin zurü%gebliebene Scwester Wilhelmine berictet der Kronprinz Friedric begeistert von den Dresdner Kammermusikern: „Ic habe mic als Musiker hören lassen. Ricter, Buffardin, Quantz, Pisendel und Weiß haben mitgespielt. Ic bewundere sie. Sie sind die besten Künstler bei Hofe.“42 Woulmyer wird nict erwähnt; möglicerweise ist er aus Krankheitsgründen gar nict in Ersceinung getreten. Als August der Starke im Mai desselben Jahres zu dem in V67 erwähnten Gegenbesuc nac Berlin kam, waren alle von Friedric genannten Musiker mit Ausnahme des Oboisten Johann Christian Ricter ebenfalls dorthin gereist. Offenbar war bereits im Vorfeld entscieden worden, daß der Pisendel-Scüler Quantz den preußiscen Kronprinzen auf der Flöte unterricten sollte, denn dieser reiste zusammen mit dem Oberkücenmeister von Seyffertitz voraus. Daß man Quantz ausgewählt hatte, war auc für Pisendel nict ohne Bedeutung, denn Quantz wird sic in Berlin oft auf seinen Lehrer Pisendel berufen haben, und in späteren Jahren begegnete der König Friedric II. dem Dresdner Konzertmeister Pisendel mit außergewöhnlicer Hocactung. Pisendel ging offenbar an Stelle des kranken Woulmyer nac Berlin, der sicer die Leitung der Gruppe übernommen hätte. Da Pisendel sic jedoc nict in der Funktion als Orcesterleiter, sondern lediglic als Kammermusiker in Berlin aufhielt, war er dem ranghöcsten mitreisenden Kollegen untergeordnet. Leiter der Gruppe dürfte demnac der Lautenist Sylvius Leopold Weiß gewesen sein, der zu dieser Zeit mit 1000 Talern ein doppelt so hohes Gehalt bezog wie Pisendel.43 Möglicerweise wurde der dreimonatige Berlinaufenthalt Pisendels aus diesem Grund in der Lebensbescreibung V56 nict für erwähnenswert gehalten.

Interessenkonflikte bei der Neubesetzung der Konzertmeisterposition Die Berlinreise fällt in eine Zeit wictiger Veränderungen innerhalb der Hofkapelle, denn wenige Wocen zuvor, am 13.4.1728, starb der alte, französisc gesinnte Oberkapellmeister Johann Christoph Scmidt, und nur zwei Monate nac der Rü%41

Vgl. Fürstenau 1862, 164, und Diarium Missionis 1997, 351. Pisendel-Dokument Nr. 40, zitiert nac Volz 1924, 65. 43 Vgl. Fürstenau 1862, 134. 42

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kehr Pisendels aus Berlin starb auc der Konzertmeister Woulmyer am 7.10.1728, im Alter von etwa 51 Jahren. Wie bereits zuvor bei Abwesenheit oder Krankheit Woulmyers übernahm Pisendel als dessen langjähriger Stellvertreter alle Aufgaben, so daß ein reibungsloser Ablauf der Kapelldienste in Oper, Kirce und Kammer gewährleistet war. In V56 wird ausdrü%lic darauf hingewiesen, daß die Aufführung italieniscer und französiscer Musik zu den neuen Dienstpflicten Pisendels gehörte. V67 nimmt diese Information lediglic zum Anlaß, Pisendels Meisterscaft „in beyden, damals sehr von einander versciedenen Musikarten“ festzustellen. Dagegen sind der zeitlic näheren Formulierung in V56 weitergehende Details zu entnehmen, denn die Angabe, daß Pisendel „anfangs beständig zwey Orcstres, nehmlic eine Ital. und eine Französisce aufzuführen gehabt“ habe, ist in ihrer wörtlicen Bedeutung zu verstehen. In dem etwas verkürzten Nebensatz, „nehmlic eine Ital. und eine Französisce“ muß jeweils das Wort „Orcestre“ ergänzt werden, wobei der Begriff „die Orcestre“ den Aufführungsort und nict die Gruppe der Musiker meint.44 Das bedeutet, daß Pisendel nict nur versciedene Musikstile beherrscte, sondern auc jeweils zwei versciedene Aufführungsorte oder Orcester-Situationen zu bedienen hatte. Diese Untersceidung zwiscen italieniscen und französiscen Aufführungen läßt sic durc die jeweils organisatorisc und finanziell getrennten Scauspieltruppen erklären, mit denen die Hofkapelle in Zwiscenaktmusiken und Balletten, zuweilen auc kleinen Opern zusammenarbeitete. Die italienisce Scauspieltruppe wurde von Tomaso Ristori geleitet und besaß 1715 einen jährlicen Etat von 8000 Gulden plus 4000 Gulden Reisegeld,45 und dem Leiter der „Französiscen Comoedianten“, Micel de Villedieu, standen 1717 sogar jährlic 17700 Taler zur Verfügung.46 Sowohl die italieniscen als auc die französiscen Comödianten gaben regelmäßig Vorstellungen in Dresden, zeitweise sogar im wöcentlicen Wecsel.47 Selbst das in V56 verwendete Wort „anfangs“ hat einen bestimmten Sinn, denn die italienisce Scauspieltruppe hielt sic nac dem Tod Woulmyers nur noc vierzehn Monate in Dresden auf und reiste Ende 1730 nac Moskau ab.48 Danac trat die groß besetzte Hofkapelle bis zum Tod Augusts des Starken nur noc in einer französiscen „Orcestre“ oder Orcesterformation auf. Die italieniscen Scauspieler wurden nac ihrer Rü%kehr aus Moskau am 1.7.1732 beziehungsweise 19.11.1733 entlassen oder pensioniert.49 In dieser Zeit, in der Pisendel die Funktion des verstorbenen Woulmyer nur stellvertretend wahrnahm, kann die Hofkapelle als „führerlos“ bezeicnet werden, denn auc der Kapellmeister Heinicen litt ansceinend seit längerer Zeit an Tuberkulose 44

Pisendel selbst verwendet das französisce Wort „Orcestre“ zweimal in diesem Sinne in einem Brief an Telemann vom 3.6.1752, denn er berictet, er habe „nun mit der Orcestre in der Quetsce“ gesessen und später Hasse „gebethen, daß er keine Italiäner mehr in die orcestre setzen wolle“, zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 360f. 45 Vgl. Fürstenau 1862, 96. 46 Vgl. Fürstenau 1862, 119. 47 Zu den Vorstellungen der französiscen und italieniscen Scauspieltruppen zwiscen 1728 und 1733 vgl. Landmann 1972, 81f und 94. 48 Vgl. Fürstenau 1862, 169. 49 Vgl. Fürstenau 1862, 202, und Poppe Manuskript Hasse-Symposium 1999, 4.

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und starb am 16.7.1729 im Alter von 46 Jahren.50 Aus den Wocen unmittelbar vor dem Tod Heinicens hat sic ein aufsclußreicer Briefwecsel des designierten Dire$teur des plaisirs Baron Pierre de Gaultier51 aus Dresden mit dem Geheimen Kämmerer Graf Thioly in Warscau erhalten, in dem Gaultier darlegt, daß der Zustand der Hofkapelle ohne einen Vorgesetzten unbefriedigend sei. In seinem Entwurf zu einem Screiben vom 15.6.1729 führt er aus: La Comedie et la danse ont déja $ommen$é; mais jusques i$y la musique ne re$onnoissant point de superieur vit dans une espe$e d’indépendan$e, et caqu’un $roit être son maitre. […] Dés que j’auray re$eu les ordres de V.M. que je viens de Luy [eingefügt: ay] demander, je prendray la liberté de luy envoyer un memoire que je $on$erteray ave$ les Maitres de Chapelle, toucant les cangements [darüber: arrangements] qu’il y a auroit à faire dans l’orquestre, lequel, $omme V.M. seait, est un peu dérangé par la mort de plusieures bons sujets. Si Vôtre Majesté trouvoit à propos de donner [eingefügt: en attendant] a Pissendel l’employ de feu Woulmier, de Maître de $on$erts, Il n’y auroit $ertainement personne dans l’orquestre qui en fut plus $apable que lui, d’autant plus qu’il a en déja en fait les fon$tions depuis la mort de Woulmier et qu’il les a même fait de son vivant, lors qu’il a eté malade ou absent. Il dependera de Vôtre Majesté de luy a$$order telle augmentation [Sprung mit ausgestricenem Text:] qu’il trouvera bon. […]52

Gaultier nennt die Zustände in der Hofkapelle nac dem Tod Scmidts und Woulmyers „un peu dérangé “ und sclägt vor, Pisendel auc offiziell zum Nacfolger Woulmyers zu ernennen. Seiner Meinung nac gäbe es keinen geeigneteren Kandidaten, denn Pisendel sei scon zu Lebzeiten Woulmyers dessen Stellvertreter gewesen. Zu diesem Zwe% solle Pisendel eine Gehaltserhöhung gewährt werden. Aus der Sict Gaultiers bürgte Pisendel also für Kontinuität – ein erneuter Hinweis darauf, daß die vermutete Konkurrenz zu Woulmyer jeder Grundlage entbehrt. Aus dem weiteren Verlauf des Screibens geht hervor, daß Gaultier die Verantwortung für die zahlreicen, wertvollen Musikalien und Musikinstrumente übernehmen möcte, damit nicts davon verloren gehe, solange kein neuer Leiter der Hofkapelle ernannt sei. Zudem hatte August der Starke vor seiner Reise nac Warscau am 26.4.1729 offensictlic zugesagt, der Witwe Woulmyers zwei Quartalsgehälter ihres Mannes als Gnadenpension zu gewähren. Bei dieser Gelegenheit hatte Gaultier dem König nac eigenen Angaben nahegelegt, die umfangreice Musikaliensammlung Woulmyers anzukaufen, weil sie noc weiterhin nützlic sei. Die betreffende Passage war in der Reinscrift jedoc nict enthalten, denn Gaultier hat sie in dem erhaltenen Briefkonzept selbst wieder ausgestricen, wie aus der folgenden Übertragung zu erkennen ist:

50

Vgl. Hiller 1784, 140. Nac Fürstenau 1862, 163f, soll Gaultier durc Reskript vom 15.10.1727 zum Dire$teur des plaisirs ernannt worden sein. Der Briefwecsel mit Thioly im Sommer 1729, in dem Gaultier den König mehrfac um ein Patent als „Dire$teur de ses Plaisirs“ bittet, widersprict jedoc dieser Angabe. Offenbar ist ein erhaltenes und von August dem Starken unterzeicnetes Ernennungsreskript aus dem Jahr 1729 nie ausgehändigt worden, vgl. Poppe Manuskript Hasse-Symposium 1999, 3. Dem entsprict die ursprünglice Angabe von Fürstenau 1849, 129f, wo Gaultier im Jahr 1729 als Nacfolger des verstorbenen Dire$teurs des plaisirs Baron von Mordaxt und zugleic eine „Oberinspe$tion“ der Kapellangelegenheiten durc den Kabinettsminister Grafen von Hoym erwähnt wird. 52 D-Dla, Lo$. 3350, Briefe von Thioly zu Warscau an den Baron de Gaultier zu Dreßden, und Depescen des letztern an S. M. 1729, fol. 6f. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 41 vom 15.6.1729. 51

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[…] par rapport à la musique, qu’il y a quantité de musique tres pretieuse, et beau$oup

d’instruments, dont il seroit important que je prisse $onnoissan$e, et qu’il feroit même

[eingefügt: bon que j’eusse entre les mains, de peur que quelque cose ne s’en égare.] A $ette o$$asion, je prends la liberté de faire ressouvenir Vôtre Majesté de [letztes Wort verbessert in: n’aura pas oublié] $e que j’eus l’honneur de Luy dire avant son départ

toucant la musique que Woulmier a laissée, parmy laquelle il y a quantité de mor$eaux de $onsequen$e, et diffi$iles à trouver, et de la bonne a$quisition de Vôtre Majesté feroit, en aceptant $ette $olle$tion. [gesamte Passage ausgestricen und ersetzt durc:] A $ette o$$asion, je prends la liberté de faire ressouvenir V.M de l’esperan$e que son valet de cambre Leger, a que V M a$$ordera une $ouple de Quartiers de la Pension de feu son Beaupere, a la veuve du defunt. 53

Der Geheime Kämmerer Graf Thioly, der die Anliegen des designierten Dire$teur des plaisirs dem König in Warscau vorgetragen hatte, antwortet Gaultier am 22.6. 1729, daß dieser einstweilen keinen Auftrag zur Neuordnung der Kapelle und zur Verwaltung der Musikalien und Instrumente erhalten werde. Zwar werde Pisendel wie zuvor Woulmyer an der Spitze des Orcesters stehen, aber Gaultier solle abwarten, bis der König nac seiner Rü%kehr die Angelegenheit selbst in die Hand nehme: [...] Les reponses de Sa majesté qui m’a plus parti$ulierement expliqué au sujet de la musique que vous ne deviez proprement vous embarasser que de se qui Regarde L’orcestre, a la teste duquel sera Bissendel, $omme l’a esté Woulmyer en attendant que le Roy a son retour puisse Regler son Estat, Lu’a l’egard du Mre [Maître] de Chapelle Hennig [Heinicen] et de la musique qui y a rapport, l’estoit une affaire separée, [...]

L’acapt de la Musique de Woulmyer

sera fait ave$ le S.r [Sieur] Leger

Les deux Quartiers de la Pension du defunt a la Veuve

A$$ordés

L’employ de maistre de Con$erts, a exer$er ad Interim par Bissendel ave$ une augmentation a la volonté de S.[a] M.[ajesté]

a$$ordé pour la musique de l’orcestre S. M. y po$ernoira[?] a son retour54

Aus den Anordnungen des Königs geht hervor, daß der oben genannte „valet de cambre Leger“, der offensictlic ein Scwiegersohn Woulmyers war,55 dessen Musikaliensammlung im Auftrag des Königs ankaufen solle. Bislang wurde davon ausgegangen, daß dieser Ankauf letztendlic nict zustande kam.56 Tatsäclic hat der König jedoc, wie in dem Screiben Thiolys angekündigt, diese Angelegenheiten sofort in die Hand genommen, als er am 14.10.1729 aus Warscau zurü%gekehrt war. Ein Dokument vom 20.10.1729, das hier erstmals veröffentlict wird, belegt nämlic, daß die Musikalien Woulmyers zu diesem Zeitpunkt bereits durc den Kammerdiener Leger angekauft worden waren und die Auszahlung einer Gnadenpension für dessen Witwe in die Wege geleitet wurde:

53

Pisendel-Dokument Nr. 41 vom 15.6.1729, D-Dla, Lo$. 3350, Briefe von Thioly zu Warscau […], fol.

6v. 54

Pisendel-Dokument Nr. 42 vom 22.6.1729, D-Dla, Lo$. 3350, Briefe von Thioly zu Warscau […], fol.

9f. 55 56

Im HStCal 1729 ist er als „Johann Baptista Leger“, Kammerdiener des Königs, verzeicnet. Vgl. Zórawska-Witkowska 1997, 494.

140

Wir haben gnädigst bewilliget, daß des verstorbenen Con$ertmeisters Woulmyer hinterlaßene Wittbe, jedoc ohne alle Conseqvenz, die vor ihren Mann ausgesezt gewesene pension an Monathl: 100 rl. auc Secs Monathe gegen ihre Qvittung als ein Gnaden Geld gereicet, nict weniger an Unseren Cammerdiener Leger vor die von ihm erkaufften musi$alia Vierhundert Thaler gegen seine Qvittung gezahlet werden mögen […].57

Der Ankauf der von Woulmyer hinterlassenen Musikalien hatte konkrete Folgen für Pisendel, wie aus einer im Jahr 1759 veröffentlicten Anekdote gesclossen werden kann.58 Nac dieser Anekdote, die von der Pisendel-Literatur bislang nict erfaßt wurde, war Pisendel im Auftrag der Witwe Woulmyers am Verkauf von dessen Musikalien beteiligt. Einige Werke, die Woulmyer auf dem Titelblatt mit Bemerkung „Très mauvais“ versehen hatte, soll Pisendel an einen ahnungslosen Musikliebhaber verkauft haben, der diese Aufscrift für den Namen eines vielversprecenden jungen Komponisten hielt. Nac den bislang bekannten Informationen besteht kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß diese Anekdote einen wahren Kern besitzt. Die Angabe, daß sic einige mit „Très mauvais“ bezeicnete Musikalien noc im Besitz der Witwe befunden haben, steht nict im Widerspruc zu den Angaben Gaultiers, denn solce Werke gehörten sicer nict zu jenen „mor$eaux de $onsequen$e“, die auf dessen Anraten für den weiteren Gebrauc in der Hofkapelle angekauft worden waren. Auc die in der Anekdote dargestellte Hilfe Pisendels zur finanziellen Unterstützung von Woulmyers Witwe entsprict der oben dargelegten Auffassung, daß der Konzertmeister und sein Stellvertreter auc noc in den letzten Jahren in gutem Einvernehmen miteinander standen. Nac dem Tod Heinicens wurde auc dessen Naclaß auf Betreiben Maria Josephas durc den Hof angekauft.59 Die oben zitierte Bemerkung Thiolys deutet darauf hin, daß bereits zwei Wocen vor dem Tod des Kapellmeisters über den Verbleib von dessen Musikalien nacgedact wurde: „Lu’a l’egard du Mre de Chapelle Hennig et de la musique qui y a rapport, l’estoit une affaire separée, [...].“ Bei dem Teil von Heinicens Naclaß, der in die Privatbibliothek Maria Josephas gelangt war, handelte es sic aber wohl nur um Kompositionen für den katholiscen Hofgottesdienst.60 Eine weitere in der Pisendel-Literatur bislang unberü%sictigte Anekdote weist jedoc darauf hin, daß Pisendel, ähnlic wie im Fall Woulmyers, auc Zugang zu dem Naclaß Heinicens hatte.61 Nac dieser Anekdote soll sic in dessen Naclaß ein Buc befunden haben, in das Heinicen jede Kritik an seinen Werken, die ihm zu Ohren gekommen war, aufgezeicnet habe. Dieses sicerlic sehr aufsclußreice Dokument, das von Heinicen als „das scwarze Register“ bezeicnet worden sei, soll Pisendel nac dem Tod Heinicens verbrannt haben. 57

D-Dla, Lo$. 383 Vol. II, Französisce Comœdianten und Orcestra betr. ao 1721-33, fol. 190. Vgl. Marpurg 1759, 221, leict verändert wiederholt in Marpurg 1786, 186f. Als Quelle für diese Anekdote kommt möglicerweise Quantz in Frage, der mit Marpurg versciedentlic zusammenarbeitete. 59 Vgl. Fürstenau 1862, 181. 60 Vgl. Fürstenau 1849, 144. Heinicens Werke für die Evangelisce Hofkirce, für deren Repertoire er ebenso zuständig war, sind dagegen nict erhalten, vgl. Horn 1987, 48 Anm. 20 (mit weiteren Nacweisen). Die beiden Sammelbände mit italieniscen weltlicen Kantaten von Heinicen sind wahrsceinlic scon zu dessen Lebzeiten in den Besitz der Königin Maria Josepha gelangt, vgl. Lorber 1991, 14ff. Die Vermutung, daß derjenige Teil des musikaliscen Naclasses von Heinicen, der nict erhalten ist, bei dem Brand der Instrumentenkammer 1760 verloren ging, läßt sic nict nacweisen. 61 Vgl. Marpurg 1786, 178f. 58

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Auc hier ist der Informationsgehalt als glaubwürdig einzuscätzen, denn auf dem heute noc erhaltenen Umsclag der Messe F-Dur von Johann Friedric Fasc, die Fasc 1727 für die Katholisce Hofkirce komponiert hatte, hat Heinicen ebenfalls die Meinungen und Reaktionen der Zuhörer peinlic genau vermerkt.62 Der Inhalt jenes „scwarzen Registers“ dürfte jedoc für zahlreice Mitglieder der Hofkapelle nict sehr scmeicelhaft gewesen sein, denn Heinicen war nac Angaben seiner Zeitgenossen ein leict reizbarer Mann, und Quantz bemerkt ausdrü%lic, daß Heinicen und Scmidt „eben nict die besten Freunde“ waren.63 Pisendel, der ohnehin derartige „Wäsce“ verabsceute,64 könnte das „scwarze Register“ sogar aus eigenem Interesse vernictet haben, denn in V67 wird angedeutet, daß Heinicen sic auc mit Pisendel überworfen habe. Der Kompositionsunterrict nämlic, den Pisendel bei Heinicen begonnen hatte, soll „aus einer Ursace, welce nur in der allzulebhaften Einbildungskraft des Kapellmeisters ihren Grund hatte,“ beendet worden sein.65 Scließlic deutet auc die Tatsace, daß Heinicens Instrumentalmusik mit Ausnahme eines kleinen Fragments nur in Abscriften Pisendels überliefert ist,66 darauf hin, daß der Naclaß Heinicens, sei es vor oder nac dem Ankauf durc den Dresdner Hof, tatsäclic für Pisendel zugänglic war.

Die späte Ernennung zum Konzertmeister Anders als bei der Witwe Woulmyers hat der König im Fall Pisendels, trotz der uneingescränkten Fürsprace durc den Baron de Gaultier, nac seiner Rü%kehr aus Polen keine endgültige Entsceidung getroffen. Es blieb zwar bei einer Verwaltung des Konzertmeisteramtes „ad Interim“ durc Pisendel, eine Erhöhung der Bezüge Pisendels „a la volonté de S. M.“, durc die seine Position als amtierender Konzertmeister offiziell anerkannt worden wäre, wurde jedoc nict ausgesprocen. Die Gründe dafür sind vielscictig, denn versciedene Interessen und Vorhaben beeinflußten die Entsceidung. Die Entsceidung lag letztendlic beim König, der sic jedoc mit wictigeren Dingen zu bescäftigen hatte. Seit seinem Besuc bei Friedric Wilhelm I. in Berlin, bei dem er von einer preußiscen Truppenvorführung auf dem Tempelhofer Feld sehr beeindru%t worden war, arbeitete August der Starke nämlic intensiv an einer Heeresreform in Sacsen. Höhepunkt und Abscluß dieser Reform bildete das von V67 erwähnte „Feldlager bey Mühlberg“ im Sommer 1730, das in den Dresdner Hofakten auc als „Campement bei Radowitz“ bezeicnet wird. Bei diesem Feldlager ließ August der Starke seine auf 30.000 Soldaten angewacsene Armee vor den Augen zahlreicer Staatsgäste, unter ihnen der König von Preußen und dessen Sohn, 62

Vgl. Horn 1987, 125ff. Vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 210. Bestätigt wird dies durc einen undatierten Brief des Kurprinzen aus dem Jahr 1717, in dem er bemerkt: „Scmitt a ci$ané henicen à l’egard d’un Con$ert de sa produ$tion“, vgl. D-Dla, Lo$. 383, A$ta Die Engagements […], fol. 394r. Vgl. auc Fürstenau 1862, 100. 64 „Doc mic geht auc diese Wäsce nicts an, u ic kan davor Gottlob ruhig Sclaffen, da ic auf Serieusere Dinge zu den%en haben, die ewig dauern.“ Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 350. 65 Vgl. V67, 288. 66 Aus diesem Grund hielt Haußwald 1937, 29, dieses einheitlice Scriftbild für die frühe Handscrift Heinicens, vgl. Fecner 1999, 28 und 257. 63

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aufmarscieren und versciedene Manöver ausführen. Nict nur die Aufrüstung der Armee, die vollkommen neu eingekleidet worden war, sondern auc die gleiczeitig veranstalteten Festlickeiten, für die der Hofbaumeister Pöppelmann eigens einen Königspalast und ein Theater sowie zahlreice Unterkünfte aufbaute, versclangen Unsummen. Es versteht sic also von selbst, daß ein solces Vorhaben die Beförderung Pisendels als eine nebensäclice Angelegenheit ersceinen ließ. Dennoc war die Entsceidung wohl bewußt aufgescoben worden, denn scließlic hatte der König zur gleicen Zeit im Fall der Witwe Woulmyers rect zügig entscieden. Bei Pisendel bestand dagegen kein dringender Handlungsbedarf, denn er versah seinen Konzertmeisterdienst „ad Interim“ ohne ein zusätzlices Gehalt, wenn auc ohne von seinen Kollegen als wirklice Autorität anerkannt zu sein. Gleiczeitig bürgte Pisendel für die Kontinuität in der von Woulmyer eingeführten Orcesterarbeit, an der August dem Starken eingedenk seiner Sympathie für den verstorbenen Konzertmeister sicer gelegen war. Da aber außer Woulmyer auc die Kapellmeister Scmidt und Heinicen gestorben waren, mußte zur gleicen Zeit ein neuer Kapellmeister gefunden werden. Nac den Angaben Thiolys bewarb sic Giovanni Alberto Ristori, der Kapellmeister der Polniscen Kapelle, bereits wenige Tage nac dem Tod Heinicens um die frei gewordene Position, allerdings – wie Thioly hinzufügt – mit geringen Aussicten auf Erfolg.67 Als Nacfolger wurde ein italieniscer Opernkomponist von internationalem Rang gesuct. Möglicerweise lag die Beförderung Pisendels in der Scwebe, weil nict absehbar war, ob der Nacfolger zu einer Zusammenarbeit mit Pisendel bereit sein oder ob er sogar, wie im Fall Pisto$cis, einen eigenen Konzertmeister mitbringen würde. Bei der Neubesetzung des Kapellmeisterpostens spielte der Kurprinz sehr wahrsceinlic eine entsceidende Rolle, denn der König war mit den Vorbereitungen zum „Campement bei Radowitz“ vollauf bescäftigt und hatte sic bereits in früheren Jahren auf die Urteilsfähigkeit seines Sohnes, den er seit 1726 auc zum „Ersten Minister“ des Geheimen Kabinetts eingesetzt hatte, verlassen, besonders wenn es künstlerisce Dinge betraf.68 Zudem mußte Friedric August bei seiner ausgeprägten Vorliebe für die italienisce Musik einerseits und als künftiger Herrscer andererseits sehr daran gelegen sein, einen Kapellmeister der italieniscen Scule nac Dresden zu berufen. Neuerdings ist bekannt geworden, daß Johann Adolf Hasse, der sic in dem Textbuc seiner Oper Dalila von Mai 1730 als „maestro di $apella di S.M. il re di Polonia“ bezeicnet, bereits im Februar 1730 über ein Angebot des Kurprinzen als neuer Oberkapellmeister verfügte, das er gegenüber dem Grafen de Villio in Venedig erwähnt.69 Offenbar hatte man sic in Dresden bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf Hasse, der nac Auskunft erhaltener Dokumente über hervorragende Kontakte zu höcsten Mitgliedern des Hofes und der Umgebung des Kurprinzen verfügte, als neuen Oberkapellmeister festgelegt. Von Hasses Fürsprace hing wohl auc die Entsceidung ab, wer der künftige Konzertmeister der Dresdner Hofkapelle werden würde. Obwohl diese Entsceidung aus 67

Vgl. D-Dla, Lo$. 3350, Briefe von Thioly zu Warscau […], fol. 18. Poppe Manuskript Hasse-Symposium 1999, 4, wies bereits auf diese offenbar singuläre Qulleninformation hin. 68 Vgl. Staszewski 1996, 118. 69 Vgl. Mojzysz Manuskript Konferenz Warscau 2000, 6. Im Textbuc zur Oper Ezio von Herbst 1730 wird er sogar als „primo maestro di $apella“ bezeicnet, vgl. Menni%e 1906, 375.

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der Sict des Kurprinzen von nacrangiger Bedeutung gewesen sein dürfte, war das Interesse für den künftigen Leiter der Instrumentalmusik doc groß genug, um an höcster Stelle besprocen zu werden, wie aus einem parallelen Fall hervorgeht. Nac dem Tod von Pisendels Nacfolger Cattaneo im Dezember 1759 nämlic macte die Prinzessin Maria Antonia, die sic in dieser Zeit als bedeutendste Förderin der Musik in Dresden betätigte,70 konkrete Vorscläge für die Neubesetzung der Konzertmeisterstelle, die der Graf Brühl sowohl mit August III. als auc mit Hasse beriet. In seiner Antwort an die Prinzessin vom 9.1.1759 screibt Brühl: Je me suis a$quitté de la haute $ommission de Votre Altesse Royale toucant Lehneis [Nacfolger Cattaneos ab 1764] et les autres. Le Roy m’a repondu de les marquer pour en avoir soing un jour, quand le temps permettoit de faire un arrangement, que le premier [Lehneis] etoit $ertainement un ex$ellent Violon, mais que S.M. ne S$avoit pas, S’il n’etoit pas trop timide pour diriger tout un Orcestre Com[m]e le Maitre de Chapelle etoit le plus interessé d’être se$ondé par le Maitre de $on$ert, je devois lui e$rire l’idée de Vôtre Altesse Roÿale.71

Da vergleicbare Scriftstü%e aus der Zeit zwiscen 1729 und 1731 bislang nict aufgefunden werden konnten, sind die Umstände, die Pisendels Ernennung zum Konzertmeister verzögerten, nict im Einzelnen zu rekonstruieren. Offensictlic gehörte Pisendel jedoc nict zu den vom Kurprinzen ausdrü%lic protegierten Musikern, wie etwa Cattaneo oder seinerzeit Vera$ini und Heinicen. Die Gönner Pisendels sind in einem anderen Lager zu sucen, etwa in der Umgebung Augusts des Starken, denn der „französiscgesinnte“72 Baron de Gaultier etwa sprict sic unmißverständlic für eine zügige Ernennung Pisendels zum Konzertmeister aus. Der Kurprinz Friedric August seinerseits hätte wahrsceinlic einen „ecten“ Italiener an der Spitze seines Orcesters bevorzugt. Daher war es vielleict ein glü%licer Umstand für Pisendel, daß Woulmyer noc in der Regierungszeit Augusts des Starken gestorben war, denn auc der Kurprinz konnte letztendlic gegen dessen Willen keine Entsceidung treffen. Möglicerweise reicte zu diesem Zeitpunkt auc weder die Qualifikation Cattaneos, der bis dahin offenbar außerhalb der Hofkapelle wirkte, noc die Protektion durc den Kurprinzen aus, um ihn als einen ernsthaften Gegenkandidaten ins Spiel zu bringen.73 Wäre Woulmyer dagegen nur einige Jahre später gestorben, hätte sic der neue Herrscer, der dann keine Rü%sicten hätte nehmen müssen, wohl lieber gegen den von Woulmyer geprägten Deutscen entsceiden mögen. Das Beispiel Jan Dismas Zelenkas, der nac dem Tod des Kapellmeisters Heinicen die Musik der Katholiscen Hofkirce secs Jahre lang kommissarisc geleitet hatte, bevor er einen Titel als Kircen-Compositeur erhielt, zeigt, daß die Personalentsceidungen des Hofes trotz hervorragender faclicer Eignung und treuer Dienste im Fall Pisendels auc anders hätten ausfallen können.74 70

Vgl. Fürstenau 1862, 184ff. D-Dla, Naclaß Maria Antonia, ohne Foliierung. Tatsäclic ist Karl Matthias Lehneis später zum Nacfolger Cattaneos als Konzertmeister ernannt worden, vgl. Fürstenau 1849, 206. 72 Vgl. Fürstenau 1862, 201. 73 Sollte es tatsäclic einen Gegenkandidaten zu Pisendel gegeben haben, wäre auc Quantzens Einfluß auf die Entsceidung des künftigen Kapellmeisters Hasse in dieser Frage zu berü%sictigen, denn während Quantz sic in Neapel aufhielt, hatte sic eine Freundscaft zwiscen den beiden deutscen Musikern entwi%elt. 74 Vgl. Horn 1987, 55. 71

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Der dritte und vielleict letztlic aussclaggebende Faktor im Entsceidungsprozess um die Ernennung Pisendels war der Kapellmeister Hasse, der nac dem oben zitierten Brief des Grafen Brühl im Jahr 1759 besonderen Wert darauf legte, von einem künftigen Konzertmeister zuverlässig und selbständig ‚sekundiert‘ zu werden. Offenbar war vorgesehen, daß Hasse seinen Dienst als Kapellmeister bereits im Sommer 1730 aufnehmen sollte, denn es existierte ja bereits ein Vorvertrag. Dennoc kam der künftige Kapellmeister erst im folgenden Jahr vom 6.7. bis 8.10.1731 nac Dresden, um seine Oper Cleofide, die am 13.9.1731 Premiere hatte, aufzuführen. Bei dieser Gelegenheit haben Pisendel und Hasse wahrsceinlic zum ersten Mal zusammengearbeitet, und daher ist es wohl kein Zufall, daß das Ernennungsreskript für Pisendel erst im Anscluß an diese Operaufführungen, am 1.10.1731, ausgestellt worden ist. Die in dem Dokument angeordnete, rü%wirkende Gehaltsnaczahlung über einundzwanzig Monate läßt sic damit jedoc nict ohne weiteres erklären. Die umfangreice Gehaltsnaczahlung könnte im Zusammenhang stehen mit der von V67 und Walther unabhängig überlieferten Information, daß Pisendel bereits im Sommer 1730 nac dem „vortrefflicen Königl. Campement bey Mühlberg […] zum Con$ert-Meister allergnädigst de$larirt worden“ sei. Nac den Formulierungen zu urteilen, ist denkbar, daß der König Pisendel zunäcst eine mündlice Zusage gegeben hatte, ihn zum Konzertmeister ernennen zu wollen.75 Vielleict rü%ten nac Beendigung der von Festlickeiten begleiteten Truppenmanöver bislang zurü%gestellte Entsceidungen auc in finanzieller Hinsict wieder ins Bli%feld. Ob zu diesem Zeitpunkt die Meinung Hasses ebenfalls bereits eine Rolle gespielt hat, ist nict zu entsceiden, denn über die frühen Kontakte Hasses zum Dresdner Hof sind kaum Einzelheiten bekannt. Belegbar ist aber immerhin, daß Hasse bereits im Februar 1730 ein Gutacten über die Fähigkeiten der vom Dresdner Hof in Venedig ausgebildeten Sänger angefertigt hat und damit als eine für die künftige Dresdner Oper maßgeblice Autorität anerkannt wurde.76 Daher könnte Hasse auc im Fall Pisendels beispielsweise im Sommer 1730 signalisiert haben, daß er nicts gegen Pisendel einzuwenden habe. Im Anscluß an die Aufführungen der Cleofide wurde auc die Zusammensetzung der Hofkapelle nac den Vorstellungen und Wünscen Hasses leict verändert, denn zusätzlic zu der Entsceidung über den Konzertmeisterposten wurden durc Reskript vom 20.11.1731 elf neue Musiker angestellt. Da sic unter ihnen zahlreice Violinisten befanden, veränderte sic das Klangbild der Dresdner Hofkapelle zu Gunsten der Oberstimmen, wie es dem neapolitaniscen Ideal entsprac.77 Nac heutigem Kenntnisstand erhielt Hasse selbst, ebenso wie seine Frau Faustina Bordoni, erst drei Jahre später, bei seinem zweiten Dresdner Aufenthalt von Februar bis November 1734, einen nacweisbaren Gehaltsvertrag als Kapellmeister. Auc danac 75

Solce mündlicen Zusagen des Königs wurden häufig erst später und auf erneutes Ansucen des Supplikanten in Form eines Reskript umgesetzt, vgl. die erwähnte Bittscrift Silbermanns von 1723 oder Gaultiers Erinnerung an die Zusage des Königs wegen einer Gnadenpension für die Witwe Woulmyers. 76 Am 10.4.1730 empfahl Hasse dem Grafen de Villio scließlic, den Kastraten Pignotti zu entlassen und einen Ersatz für die Sopranistin Maria Cattanea zu finden, vgl. Mojzysz Manuskript Konferenz Warscau 2000, 6. 77 Vgl. Poppe Manuskript Hasse-Symposium 1999, 11. Poppe erkennt in der Einflußnahme Hasses jedoc lediglic eine „Beratertätigkeit“ und bezweifelt, daß Hasse bereits zu diesem Zeitpunkt als neuer Hofkapellmeister angesehen wurde.

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hielt er sic immer wieder, meistens im Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Herrscerpaares in Warscau, für längere Zeit im Ausland auf.78 Obwohl die Rolle Hasses vor seinem Gehaltsvertrag von 1734 aus heutiger Perspektive eher die eines durcreisenden Kapellmeisters mit Beraterfunktion gewesen zu sein sceint, ergibt sic mit Rü%sict auf die damaligen Gepflogenheiten im Umgang mit international begehrten Künstlern eine andere Bewertung. Hasse konnte nämlic durcaus seit 1730 den Titel eines Königl. Polniscen Kapellmeisters führen, ohne in Dresden anwesend sein zu müssen. Dabei war der Titel nict in erster Linie als Gegenleistung für gelegentlic übersci%te Kompositionen vergeben worden, wie es bei der Konstellation eines ‚Kapellmeisters von Haus aus‘ gebräuclic war, vielmehr diente das Auftreten Hasses und dessen wacsender Ruhm dem Ansehen seines Dienstherrn im Ausland, von dem der Dresdner Hof auc außenpolitisc profitieren konnte. Dieses besonders in Italien verbreitete Prinzip der Patronage war nict neu,79 denn es hatte ja bereits dem Ansbacer Kapellmeister Pisto$ci ermöglict, ausgedehnte Reisen zu unternehmen und neue Werke an versciedenen Opernhäusern Europas herauszubringen. Daher spielte Hasse bei der Anstellung Pisendels nict bloß die Rolle eines unabhängigen Beraters, sondern er wurde im Hinbli% auf seine Stellung als Kapellmeister des Dresdner Hofes, vor allem wohl vom Kurprinzen und seinen Parteigängern, frühzeitig in wictige Entsceidungen mit einbezogen. Ebenso konnte er trotz seines späteren Vertrages, der regelmäßige Gehaltszahlungen vorsah, bei Abwesenheit des Königs für lange Zeit beurlaubt werden. Die späte Ernennung Pisendels beendete eine instabile Situation der Hofkapelle, die Gaultier 1729 folgendermaßen bescrieben hatte: „la musique ne re$onnoissant point de superieur vit dans une espe$e d’indépendan$e, et caqu’un $roit être son maitre.“ Dieser Eindru% Gaultiers mag dadurc verstärkt worden sein, daß die Musiker bereits den wacsenden Einfluß des Kurprinzen und künftigen Herrscers spürten und den Anweisungen des designierten Dire$teur des plaisirs Gaultier, der ja offenbar auc vom König nict mit ausreicenden Vollmacten ausgestattet worden war, nict befolgen wollten. Die offizielle Amtseinführung Pisendels als Konzertmeister am 11. 12.1731 erfolgte auc nict durc Gaultier, sondern durc den Oberkücenmeister Baron von Seyffertitz, wie aus dem Eintrag im Hofjournal 1731 hervorgeht: den 11. [De$:] Wurden Vormittags umb 10. Uhr die sämtl. Capell Musi$i dem neuen Con$ertMeister Pisendel im Oberhoffmarscall Amte, durc den Hl. OberKücmeister Baron von Seyffertiz vorgestellet.80

Wahrsceinlic mußten die Kapellmitglieder bei dieser Gelegenheit in Gegenwart des Oberhofmarscalls geloben, den Dienstanweisungen Pisendels Folge zu leisten und ihn als Sciedsricter in Kapellangelegenheiten anzuerkennen, wie es bei solcen Amtseinführungen üblic war.81 Damit beginnt, wenige Jahre vor der sogenannten ‚Ära Hasse‘ und noc zu Lebzeiten Augusts des Starken, eine der bedeutendsten Perioden in der Gescicte der Dresdner Hofkapelle.

78

Vgl. Tabelle 6 zur Anwesenheit Hasses in Dresden im folgenden Kapitel. Vgl. oben, Exkurs I „Zur Anwesenheit Torellis in Ansbac“. 80 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 45 vom 11.12.1731. 81 Vgl. unten, Abscnitt II, 2. „Vertretung des Kapellmeisters in Personalangelegenheiten“. 79

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A BBILDUNG 3 : [N.N.] Fran%, Bildnis Johann Georg Pisendel (möglicerweise nac seiner Ernennung zum Konzertmeister 1731). Mit Tusce lavierte und weiß gehöhte Bleistiftzeicnung aus dem Besitz von Carl Philipp Emanuel Bac nac einem verlorenen Gemälde (D-B, Mus. P Pisendel I, I)

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6. D ER K ONZERTMEISTER P ISENDEL AUS BIOGRAPHISCHER S ICHT 1734 [V67, 288, ergänzt]: Im Jahre 1734 mußte Herr Pisendel, nebst einigen andern von der Säcsiscen Kapelle, auf Befehl seines Königs nac Warscau kommen. 1744 [V67, 290, ergänzt]: Um seine alten Freunde zu besucen, und zugleic die, bey Gelegenheit des Beylagers der jetzigen Königinn von Scweden zu Berlin aufgeführten vier Opern zu hören [V84, 198, konkretisiert: „Diese Opern waren: Rodelinda, Artaserse, Cato von Graun, und la $lemenza di Tito von Hasse.“], kam Herr Pisendel im Jahre 1744. noc einmal nac Berlin. Der König von Preußen erfuhr dieses, ließ ihn immer zu seiner Kammermusik nöthigen, unterhielt sic oft mit ihm, über musikalisce Materien, und begegnete ihm überhaupt mit solcer Gnade, als die Verdienste dieses braven Tonkünstlers würdig waren.

Pisendel als Komponist [V56, 302]: Die Composition hat unser Pisendel unter dem berühmten Capellmeister Heinicen [V67, 288, ergänzt: „eine Zeitlang“] studiret, […] [V67, 288, ergänzt]: Vielleict zu früh wurde dieses so nützlice Gescäfte, aus einer Ursace, welce nur in der allzulebhaften Einbildungskraft des Kapellmeisters ihren Grund hatte, gestöret. Doc hat man von Herr[!] Pisendels, der hernac durc eigenen Fleiß die Composition fortsetzte, eigener Arbeit einige Violin$on$erte, und einige scöne Con$erti grossi, deren eines und zwar besonders scönes, er, zur Einweihung der neuen katholiscen Hofkirce in Dresden gesetzet hat. Ferner hat man von ihm versciedene Violin-Solos, ingleicen einige vierstimmige wohlausgearbeitete Instrumentalfugen für die Kirce, dergleicen dann und wann unter der Messe anstatt der Con$erte [V84, 193, ergänzt: „jetzt aber den Sinfonien Platz gemact haben“] gespielet werden. [V56, 302]: […] im Dru% aber selbst nicts ediret. [V67, 288, ergänzt]: Er war in der That, aber mit Unrect, zu furctsam vieles zu setzen

und bekannt werden zu lassen. Er trauete sic in der Composition, selbst weniger zu, als er wirklic vermocte. Er war niemals mit seiner eigenen Arbeit zufrieden, sondern wollte sie immer noc verbessern; ja er arbeitete sie wohl mehr als einmal um. Diese Vorsictigkeit war nun wohl wirklic etwas übertrieben. Sie mag auc vielleict eine Ursac mit seyn, daß so wenig von seiner Arbeit bekannt geworden ist. […]

Pisendel als Lehrer [V67, 288f, ergänzt]: So wenig als Herr Pisendel aber auc selbst gesetzet haben mag: so

war er doc von desto rictigerer und eindringenderer Empfindung und Beurtheilung anderer Musikstü%e: besonders in dem Pun$te der Ausnahme und Wirkung eines Stü%s. Bis auf die Sci%lickeit oder Unsci%lickeit oder Nothwendigkeit einer kurzen Pause, war er empfindbar; und er theilte auch seine Beurtheilungen denen, die er derselben für würdig hielt, gern mit. Also hat diese seine starke Beurtheilungskraft mancem andern, die in der Jugend mit ihrer Arbeit vielleict zu sehr zufrieden, aber doc immer geneigt waren, gegründete Erinnerungen nict auszusclagen, sondern sic vielmehr zu Nutzen zu macen, gar großen Vortheil gebract. Und dieß war für Herr Pisendeln ein eben so großes Vergnügen, als wenn er selbst ein scönes Stü% ausgearbeitet hätte. So pflegen rectscaffene Tonkünstler zu handeln.

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[V56, 303f]: Doc hat er auc öfters den Undank der Welt, wie es immer gehet, erfahren. In Venedig kam ein junger Mensc zu ihm, der […] die Violine spielte, dessen Ansatz Hr. Pisendeln so wohl gefallen, daß er diesen Menscen mit sic genommen, erzogen und fortgeholfen, welcer aber diese Liebe dermaßen gemißbraucet, daß er nachero so gar gesuct, ihn[!] die Scuh auszutreten [nict in V67 und V84]. Hingegen sind noc zween dankbare Dis$ipuli von ihm am Leben, die Herren Grauns, […] von welcen er den jüngsten, als damaligen Raths-Dis$antisten bey der Kreuzscule, die Leute [Laute] bey den[!] weltbekannten Virtuosen Weisen erlernen lassen, den ältern aber selbst auf der Violine unterrictet, und es dahin gebract, daß beyde zu einer Reise nac Italien qualifi$iret befunden worden. Nac ihrer Rü%kunft sind sie durc dessen Vermittelung zu ansehnlicen Ehrenstellen gelanget. […] [V67, 289, ergänzt]: Jungen Leuten, welce besondere Fähigkeiten in der Musik hatten, war er […] ungemein geneigt fortzuhelfen, und ihre Bemühungen mit gutem Rathe und

Belehrungen zu unterstützen. So haben besonders die beyden Herren Graun, so lange sie in ihrer Jugend in Dresden gewesen sind, seiner Freundscaft, und zum Theil auc seiner Anweisung vieles zu danken. Ein gleices rühmet Herr Quantz in seinem Lebenslaufe S. 245. des ersten Bandes der Marpurgiscen Beyträge, selbst öffentlic von ihm.

[V67, 290f, ergänzt]: Unter andern hat er einen von seinen Scwestersöhnen, den Herrn Johann Joseph Friedric Lindner, jetzigen Königlicen Preußiscen Traversisten, fast gänzlic erzogen, und ihm das Glü% von dem Herrn Quanz[!] auf der Flöte unterrictet zu werden, verscaffet.

Pisendel als Orcesterleiter und Solist [V56, 303]: Wer seine Musik aufführen hörete, der wurde durc lauter Empfindung überzeugt, daß dieselbe die Beredsamkeit gewisser Instrumente durc die Kunst ihres Meisters sey. [V67, 289, ergänzt]: Er war einer der genauesten Anführer eines Orcesters, die man jemals gehabt hat. In seinen jüngeren Jahren war er einer der besten Violinisten, auc im Solospielen. Man recnet nict unrect, wenn man die Gesci%lickeit unserer heutigen besten Ausführer im Instrumental-Adagio, in gewisser Art, und auf mehr als eine Weise, von ihm herrecnet. [V84, 195, konkretisiert: „besonders ward der gründlice, nict mit überflüßigen Zierrathen überhäufte, männlice Vortrag des Adagio an ihm gerühmt.“] Nacdem er aber Con$ertmeister geworden war, spielte er seltener was $on$ertirendes, und hatte dagegen die Anführung des Orcesters desto mehr am Herzen. Wie vortrefflic zu seinen Zeiten, das Dresdner Orcester, bey welcem Volümier durc Uebung in französiscen Stü%en scon einen guten Grund geleget hatte, hauptsäclic in der Ausführung im Ganzen oder im Großen gewesen sey, wissen alle Kenner, welce es zu hören das Vergnügen gehabt haben. Gute Gewohnheiten, wenn sie einmal fest eingewurzelt sind, vergehen nict so leict wieder. [V84, 195, konkretisiert]: […] so ist es nict zu verwundern, wenn man auc jetzt noc Festigkeit, Prä$ision, Gleicheit und andere vorzüglice Eigenscaften in der Ausführung des Dresdner Orcesters findet. [V67, 288, ergänzt]: Im Jahre 1731. wurde zu Dresden die Opernbühne wieder hergestellet. Ein Componist wie Herr Hasse ist, war eines Con$ertmeisters wie Herr Pisendel war, vollkommen würdig. Keiner hat von dem andern Scaden gehabt. [V84, 192f, ergänzt]: Sie standen auc stets in gutem Vernehmen mit einander; und Hasse scrieb keine Oper, wo er nict vorher, wegen der Bezeicnung der Bogenstrice, und anderer zum guten Vortrage nöthiger Nebendinge, sic mit dem Con$ertmeister besprac, und in diesem Stü%e gänzlic auf ihn verließ. Pisendel sahe sodann die Stim-

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men, wenn der Copist sie fertig hatte, alle mit Aufmerksamkeit durc, und zeicnete jeden kleinen die Ausführung betreffenden Umstand sorgfältig an; so daß, wenn man das damalige Orcester beysammen und in der Arbeit sahe, es in Ansehung der Violinisten nict anders scien, als ob ihre Aerme, womit sie den Bogen führten, durc einen verborgenen Mecanismus, alle zu einer gleicförmigen Bewegung gezwungen würden.

Pisendel als Kollege [V67, 289, ergänzt]: Er war gegen fremde Tonkünstler, welce zu Zeiten nac Dresden

kamen, sehr leutselig, und erwies ihnen nict allein von allen Höflickeiten des bürgerlicen Umganges mehr, als man immer hätte erwarten können: sondern er verscaffte ihnen auc mit Vergnügen, alle möglice Leictigkeit Musik mit Bequemlickeit und Anstande zu hören. Und mit ihm über musikalisce Dinge zu sprecen, war für aufmerksame Leute so lehrreic als angenehm.

[V67, 289, ergänzt]: Gegen seine Collegen [V84, 196 ergänzt: „in der Kapelle“] erwies er sic, wo es ihm möglic war, immer als einen wahren und thätigen Freund, dagegen wurde er auc von ihnen in hohem Grade geehret und geliebet.

Nac der Ernennung Pisendels zum Konzertmeister scweigt die früheste Lebensbescreibung V56 zu biographiscen Einzelheiten; nur sein Tod wird noc, jedoc ohne eine genaue Datumsangabe, erwähnt. V67 versuct, diesen großen Zeitraum durc den Hinweis auf Pisendels Reisen nac Warscau und Berlin zu füllen. Offensictlic konnten die Ereignisse der vorausgehenden Jahrzehnte und die Rolle, die Pisendel in dieser Zeit für die Musik in Dresden spielte, unter den Lesern der „Dresdner Gelehrten Anzeigen“ von 1756 noc als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Dagegen war der zeitlice Abstand der späteren Lebensbescreibungen V67 und V84 zu diesen Ereignissen bereits so groß, daß zusammenfassende Angben zu Pisendels Tätigkeit in der Dresdner „Ära Hasse“ ergänzt werden mußten. Diese Angaben sind jedoc nict cronologisc geordnet und betreffen mit Ausnahme der erwähnten Reisen auc nict einzelne Ereignisse aus Pisendels Leben. Stattdessen wird rü%bli%end bescrieben, wie Pisendel seinen Beruf als Konzertmeister ausfüllte und damit prägend auf nacfolgende Generationen wirkte. Aus diesen umfangreicen Ergänzungen kann man ablesen, welce Leistungen Pisendels aus deren Sict im Vordergrund standen. Es fällt nämlic auf, daß die Tätigkeit Pisendels als Geiger oder sogar als Komponist, die in der Pisendel-Literatur bislang vorrangig untersuct wurde, dabei kaum eine Rolle spielt. Dagegen werden vor allem solce Bereice genannt, in denen Pisendel als Orcesterleiter und Interpret fremder Werke sculebildend wirkte, und gerade auf diese Rolle Pisendels beziehen sic die wictigsten Informationen, die Hiller in seiner Version V84 zur Lebensbescreibung Pisendels beitrug. Die Beobactung, daß die große Wertscätzung späterer Generationen auf Pisendels Verdiensten als Orcesterleiter und Interpret fremder Werke und nict auf seiner Tätigkeit als Komponist und Virtuose beruhte, bildete den Anstoß für die vorliegende Studie. Daher sollen diese Hinweise erst im zweiten Teil der Arbeit aufgegriffen werden, in dem untersuct wird, welce Aufgaben das Amt eines Konzertmeisters zu seiner Zeit umfaßte und wie Pisendel dieses Amt in Dresden weiterentwi%elte und prägte. Insofern setzt sic die Biographie im zweiten Teil der Arbeit mit einer detaillierten Bescreibung seiner beruflicen Tätigkeit fort.

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Im Rahmen des biographiscen Teils soll nur dargestellt werden, welce Voraussetzungen Pisendel für seine Berufung zum Konzertmeister und Leiter der wohl bedeutendsten deutscen Hofkapelle seiner Zeit mitbracte und in welcer Weise Pisendels Tätigkeit auf nacfolgende Generationen wirkte. In dem vorliegenden Kapitel werden nur diejenigen Informationen untersuct, die nict unmittelbar mit Pisendels Amt als Konzertmeister in Zusammenhang stehen und sic daher nict mit den Untersucungen im zweiten Teil der Arbeit überscneiden.

Die zentrale Stellung Pisendels im Musikbetrieb des Dresdner Hofes Nac seiner Ernennung zum Konzertmeister rü%te Pisendel in eine zentrale Position im Dresdner Musikleben auf. Mit wenigen Ausnahmen (etwa Militär- oder Jagdmusik) verrictete die Hofkapelle nämlic alle musikaliscen Dienste des Dresdner Hofs, so daß Pisendel ein weites Aufgabenfeld übernahm, in dem er für die Direktion der Kapellmusiker zuständig war. Pisendel war dabei gewissermaßen das Bindeglied zwiscen den musikaliscen Sparten und ihren jeweiligen Komponisten. Die zentrale Bedeutung Pisendels wird allerdings nur dann verständlic, wenn man berü%sictigt, daß er als Leiter der Kapellmusiker für die „Ausführung“ dieser versciedenen Kompositionen und Musikgattungen verantwortlic war und daß der Aspekt der Aufführungspraxis einen wesentlicen und eigenständigen Faktor bei der Aufführung dieser Musik darstellt.1 Pisendel selbst beklagt sic in seinem Brief vom 3.6.1752 über seine „von einen[!] jungen Menscen kaum ertragende Arbeit“2, die er im vorausgegangenen Brief bereits aufgezählt hatte: „ac ja! meine bißherigen übermäßigen travaillen in der Kirce, Cammer und theatro haben mic, da sie immer häuffiger, ic aber älter werde, allerdings mit Gewalt abgehalten, daß ic so gar gezwungen, meinen gantzen BriefWecsel auf eine Zeitlang völlig aussetzen müssen […].“3 Mit dieser Aufzählung seiner Tätigkeit in „Kirce, Cammer und theatro“ sind allerdings mehr als nur drei Aufführungsorte gemeint, denn die Hofkapelle versah seit 1734 alle musikaliscen Dienste in der Katholiscen Hofkirce4 und spielte bei besonderen Anlässen möglicerweise auc im protestantiscen Hofgottesdienst.5 Mit Pisendels „travaillen in der Cammer“ sind Hofkonzerte und Tafelmusiken in den untersciedlicsten Beset1

Vgl. unten, Abscnitt III, 3. „Der Konzertmeister als Spezialist für die stilgemäße Ausführung fremder Werke“. Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 360. 3 Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 357. Zum Dienst der Hofkapelle allgemein vgl. Fürstenau 1862, 67f. 4 Als katholisce Hofkirce diente seit 1708 das umgebaute Opernhaus am Tascenberg, ab 1751 der prunkvolle Neubau von Gaetano Chiaveri. Zum Kircendienst der Hofkapelle vgl. Fürstenau 1862, 39f. 5 Vgl. Fürstenau 1862, 17. Die Hofkirce der Protestanten befand sic im Scloß und wurde 1737 in Wohnräume für die wacsende Familie Augusts III. umgewandelt, so daß der protestantisce Hofgottesdienst in die Dresdner Sophienkirce verlegt wurde, an der Wilhelm Friedemann Bac seit 1733 als städtiscer Organist tätig war. Ob die Mitglieder der Hofkapelle auc zu dieser Zeit noc im protestantiscen Hofgottesdienst auftraten, kann erst nac einer gründlicen Erforscung der protestantiscen Kircenmusik am Dresdner Hof entscieden werden. Da zu diesem Thema allerdings wenige Quellen erhalten zu sein sceinen, gestaltet sic eine solce Untersucung scwierig und ist daher wohl noc nict in Angriff genommen worden. 2

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zungen gemeint, die in versciedenen Festsälen und Pavillons, aber auc in dem etwa fünfundactzig Quadratmeter großen „Musikzimmer“ der Königin,6 aufgeführt wurden. Mit „travaillen im theatro“ sind nict nur die zahlreicen Karnevals-Aufführungen von Hasse-Opern im großen Opernhaus gemeint, denn der Theaterdienst der Hofkapelle „bestand in der Ausführung der Musiken bei allen Arten dramatiscer Vorstellungen, als Opern, Divertissements [Opera-Ballets], Comoedien u.s.w.“ Dazu zählte nict nur die Vokalmusik, sondern auc die Ballette, die sic noc in den Opern Hasses großer Beliebtheit erfreuten, und die instrumentale „Entreaktsmusik“, die beim französiscen Scauspiel bis zu dessen Auflösung im Jahr 1733 gespielt wurde.7 Die französiscen Scauspieler spielten sowohl in dem 1697 erbauten Comoedienhaus als auc in dem 1719 eröffneten „neuen“ Opernhaus.8 Für Opern stand außerdem seit 1746 ein hölzernes „Zwingertheater“ zur Verfügung, das 1748 abbrannte und 1755 durc einen Nacfolgerbau ersetzt wurde. Obwohl diese Holztheater von eigens engagierten Operntruppen bespielt wurden, setzte sic das jeweilige Orcester aus Mitgliedern der Hofkapelle zusammen.9 Außerdem trat die Hofkapelle auc in Theatern außerhalb Dresdens auf, wie etwa im „Pillnitzer Comoedienhaus“ oder in Hubertusburg, dessen stehende Bühne im „steinernen Saal“ im Jahr 1744 sogar durc ein neu erbautes Opernhaus ersetzt worden war, denn dort wurde regelmäßig zum Geburtstag von August III. am 7.10. eine Oper aufgeführt.10 Für Opernaufführungen in Hubertusburg wurden die Sänger, Musiker und Tänzer eigens aus Dresden dorthin beordert, beköstigt und untergebract. Als Leiter der Orcestermusiker war Pisendel für die musikalisce und für einen Teil der organisatoriscen Vorbereitung dieser Aufführungen „in der Kirce, Cammer und theatro“ zuständig. Im Bereic der reinen Instrumentalmusik, die außer in Hofkonzerten und bei der Tafel auc in der Tanz- und Zwiscenaktsmusik sowie während des Graduale im katholiscen Hofgottesdiensts gespielt wurde,11 war Pisendel außerdem für die Auswahl und Verwaltung des Repertoires sowie für die musikalisce Gesamtleitung verantwortlic. Seinen Dienst versah Pisendel bis zu seinem Tod kurz vor Ausbruc des Siebenjährigen Krieges, so daß er unter Einscluß seiner Jahre als interimistiscer Konzertmeister siebenundzwanzig Jahre lang als musikaliscer Direktor der Dresdner Instrumentalmusik wirkte. Da Pisendel bereits seit seinem Dienstantritt 1712 als Stellvertreter des Konzertmeisters Woulmyer auftrat, hat er die Entwi%lung der Dresdner Hofkapelle sogar über einen Zeitraum von dreiundvierzig Jahren maßgeblic mitbestimmt. Daher finden sic die Spuren seiner unermüdlicen Tätigkeit nict nur in den erhaltenen Dresdner Musikalien aus dem Bereic der Instrumentalmusik „in Kirce, Cammer und theatro“, für dessen Repertoire er verantwortlic war, sondern auc in den Aufführungmaterialien der übrigen in Dresden wirkenden Komponisten, die für 6

Vgl. Landmann 1984, 12. Vgl. Fürstenau 1862, 67. 8 Vgl. Fürstenau 1862, 156. 9 Beim Brand des kleinen Zwingertheaters im Anscluß an eine Vorstellung von Hasses Leu$ippo durc die Mingottisce Operngesellscaft (vgl. Fürstenau 1862, 257) wurden daher auc zahlreice Musikinstrumente der Hofkapelle ein Raub der Flammen, vgl. unten, Abscnitt IV, 1. „Instrumente und Stimmung“. 10 Vgl. Fürstenau 1862, 159 und 218. 11 Vgl. V67, 288, und zuletzt Landmann 1999, 20. 7

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die Oper, die Kircenmusik oder das französisce beziehungsweise italienisce Scauspiel zuständig waren. Die Reihe der Dresdner Kapellmeister und „Compositeurs“, die während Pisendels Amtszeit als Konzertmeister in Dresden wirkten, ist stattlic: Jan Dismas Zelenka, Louis André, Giovanni Alberto Ristori, Johann Adolph Hasse, Johann Sebastian Bac, Tobias Butz, Pater Micael Breunic, Ni$ola Porpora, Johann Georg Scürer, Johann Adam. Hinzu kommen die nebenamtlic komponierenden Kapellmitglieder und diejenigen auswärtigen Komponisten, deren Werke Pisendel regelmäßig zugesandt erhielt und für eine Aufführung in Dresden einrictete: Georg Philipp Telemann, Antonio Vivaldi, Johann Friedric Fasc, Johann Joacim Quantz, Johann Gottlieb Graun sowie Carl Heinric Graun. Die Spuren von Pisendels Tätigkeit als Konzertmeister sind in den erhaltenen Aufführungsmaterialien der genannten Komponisten überreic vorhanden. Wie bereits bei der Untersucung des Musiklebens am Ansbacer Hof festgestellt werden konnte, war die Anwesenheit des Opernkapellmeisters nur dann erforderlic, wenn sic der Herrscer in der Residenz aufhielt und festlice Aufführungen vorbereitet wurden. In Dresden bedeutete dies, daß der Kapellmeister Hasse und seine Frau während der Aufenthalte des Königs in Polen regelmäßig beurlaubt wurden, um an italieniscen Bühnen, aber auc in Paris, Müncen und Wien, zu gastieren, denn dieses Prinzip der Patronage steigerte das Ansehen des Herrscers im Ausland. Andererseits läßt sic an den auswärtigen Aktivitäten Hasses sehr eindru%svoll erkennen, daß Pisendel durc seine dauernde Anwesenheit den ruhenden Pol des höfiscen Musikbetriebs in Dresden bildete. Als Konzertmeister unterstand er während der regelmäßigen Aufenthalte des Hofes in Warscau und bei gleiczeitiger Abwesenheit des Kapellmeisters Hasse nur den Anordnungen des Dire$teur des plaisirs. In dieser Eigenscaft sorgte er für die musikaliscen Bedürfnisse der in Dresden zurü%gebliebenen Herrscerfamilie und verfeinerte die Orcesterdisziplin der Kapellmusiker und ihrer Substituten. Während der Abwesenheit Augusts des Starken dürfte Pisendel vorrangig für den Hof des Kurprinzen tätig gewesen sein, dessen Musikgescma% er ja bereits bei den gemeinsamen Auslandsaufenthalten in Frankreic, Venedig und Wien kennengelernt und „bedient“ hatte. Diese Zusammenarbeit fällt umso mehr ins Gewict, als Hasse vor 1737 nur zweimal für kurze Zeit in Dresden auftrat, denn der Konzertmeister Pisendel bekleidete mit 1200 Talern das am höcsten bezahlte Hofamt unter den in Dresden ansässigen Musikern.12 Damit war Pisendel bis zur Ankunft Hasses sowie bei dessen Abwesenheit der höcstrangige musikalisce Leiter am Dresdner Hof.13 In der Regierungszeit 12

Zelenka und Ristori, die für die katholisce Kircen- beziehungsweise für die italienisce Opernmusik zuständig waren, bezogen im ersten Jahrzehnt nac der Ernennung Pisendels zum Konzertmeister 1731 deutlic geringere Gehälter: Zelenka 550 Taler (1732) beziehungsweise 800 Taler (1736) und Ristori 450 Taler (1733) beziehungsweise 600 Taler (1736), vgl. Siegele 1997, 279, und Hocstein 1997, 62. Selbst die in der Regel hocbezahlten italieniscen Sänger erhielten in ihren Dresdner Anfangsjahren nac 1730 moderate Gehälter, die erst allmählic dasjenige Pisendels überstiegen, vgl. Fürstenau 1862, 165ff. 13 Der berühmte Pantaleonspieler Hebenstreit bezog seit seiner Bestallung 1714 das außergewöhnlic hohe Gehalt von 1200 Talern, zuzüglic eines jährlicen Saitengeldes von 200 Talern für den Unterhalt seines kostspieligen Instruments. Zudem wurde ihm nac dem Tod des Kapellmeisters Scmidt dessen Amt als Inspektor der Kapellknaben übertragen. Da Hebenstreit sic aber seit 1733 wegen einer Augenscwäce zunehmend zurü%zog, stand er für eine leitende Position innerhalb der Hofkapelle nict mehr zur Verfügung und wurde weiterhin als „Cammer-Musi$us“ geführt. Seine Ernennung zum „Capell-Dire$tor“ der

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Augusts III. setzte die 1747 angeheiratete Kurprinzessin Maria Antonia Walpurgis mit ihren Aktivitäten als Dicterin, Sängerin und Komponistin eigene Akzente, während der Hof sic in Warscau aufhielt. Seit dieser Zeit dürfte die dienstlice Belastung Pisendels auc während der Abwesenheit des Königs nict nennenswert abgenommen haben.14 TABELLE 6: Zur Anwesenheit Hasses in Dresden während Pisendels Amtszeit15 August II. (der Starke) in Dresden 22.6.1728 — 14.9. — 5.11.1729 — 26.6. — 9.3. — 3.1. — 23.10.1732 —

26.4.1729 21.10.1729 12.4.1730 14.8.1730 22.10.1731 28.2.1732 10.1.1733

[7.10.1728 Tod Woulmyers] [16.7.1729 Tod Heinicens]

Hasse in Dresden

6. 7. — 8.10.1731 [1.10. Ernennung Pisendels] [30.2.1733 Tod Augusts II. in Warscau]

August III. in Dresden [Tod des Vaters] — 27.3. — 2.8. — 7.8.1736 — 28.6.1737 — 11.4. — 13.8.1739 — 18.11.1740 — 27.1. — 4.1.1746 — 8.2.1749 — 17.10.1750 — 16.12.1752 — 21.12.1754 —

9.12.1733 15.7.1734 3.11.1734 20.5.1737 22.9.1738 7.7.1739 22.9.1740 27.5.1744 1.12.1745 27.5.1748 20.4.1750 28.8.1752 17.6.1754 20.10.1756

3.2.1734 — 23.1.1737 —

5.11.1734

September 1738

Februar 1740 — Ende April 1744 September 1745 — Frühsommer 1746 Januar 1747 — Mai 1748 August 1749 — Mai 1750 vor Januar 1751 — Sommer 1754 29.11.1754 — [nac dem Tod Pisendels am 25.11.1755]

Die Aufführungstermine für große, in die Öffentlickeit wirkende Musiken wie Opern, Oratorien sowie Kircen- und Huldigungsmusiken zu besonderen Anlässen lassen sic anhand von Textbücern und zeitgenössiscen Bericten in der Regel gut protestantiscen Hofkircenmusik im Jahr 1734 kam angeblic einer Pensionierung gleic, vgl. NGD2. Pisendel bezeicnete Hebenstreit 1750 als einen der „größten Brillanten“ der „Dreßdniscen Musi$“, vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 355. 14 Trotz Abreise des Hofes nac Warscau blieb selbst Hasse im August 1752, wie möglicerweise bereits im Sommer 1748, in Dresden, um bei den Soiréen der Kurprinzessin Maria Antonia Walpurgis mitzuwirken, vgl. Menni%e 1906, 404 und 416. 15 Die Anwesenheitszeiten der Könige August II. und August III. in Dresden sind nur pauscal angegeben und bescränken sic auf die Untersceidung zwiscen säcsiscem und polniscem Territorium, während kurze Aufenthalte in Moritzburg, Hubertusburg, Leipzig, Meissen usw., die innerhalb der Reicweite der Dresdner Hofkapelle lagen, nict berü%sictigt wurden. Die Daten stützen sic auf die Reisekalender August II. 1997 und Reisekalender August III. 1997, die Angaben zu Hasse auf Fürstenau 1862, Menni%e 1906, 384ff, und NGD2.

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rekonstruieren.16 Auc die Verzeicnisse von Hasses Opern und Oratorien enthalten regelmäßig Hinweise auf Erst- und Wiederaufführungstermine dieser Werke.17 Eine cronologisce Aufstellung aller zwiscen 1720 und 1745 neu komponierten Kircenmusiken von Heinicen und Zelenka sowie eine Zusammenstellung der von ihnen aufgeführten fremden Werke18 wird durc das neuerdings wieder zugänglice Diarium Missionis ergänzt, in welcem die Dresdner Jesuiten sogar die Aktivitäten der Hofkapelle und ihrer jeweiligen Musikdirektoren im katholiscen Hofgottesdienst vermerkt haben.19 Die Aufführung konkreter Kammermusikwerke fand dagegen nur sehr vereinzelt Eingang in Diarien und Hofjournale. Ausnahmefälle betreffen fast ausscließlic vokale Kammermusik, die für einen bestimmten Anlaß komponiert worden ist, etwa Geburts- oder Namenstagskantaten. Über die Häufigkeit und das Repertoire der Tafelmusiken und Hofkonzerte finden sic keine konkreten Angaben in den Quellen, so daß Kompositions- und Aufführungsdaten nur zufällig erhalten sind.20 Dennoc ist allein die Zahl der datierbaren Aufführungen von Vokalwerken beeindru%end und zeigt, welcen hohen Stellenwert die Musik in der Repräsentation des Dresdner Hofs besaß. Da Mitglieder der Königsfamilie jeweils auc ein persönlices Interesse an der Musik hatten, dürften die privaten Tafelmusiken und Hofkonzerte im kleinen Kreis wesentlic zahlreicer gewesen sein, als die öffentlic wirksamen. Einen Eindru% von der großen Zahl musikaliscer Aufführungen in der „Cammer“ vermittelt die Angabe von Franz Benda, daß er in dreißig Dienstjahren am preußiscen Hof „wenigstens biss 10000 Flöten-Con$erte S. Maj. zu a$$ompagniren“ gehabt habe.21 Friedric II. spielte also fast täglic selbst ein Flötenkonzert und ließ sic darüber hinaus auc mit Tafelmusik bedienen. Da Pisendel in untersciedlicer Funktion an allen musikaliscen Aufführungen des Hoflebens beteiligt war, ist es verständlic, daß ihm die „travaillen in der Kirce, Cammer und theatro“ mit zunehmendem Alter bescwerlic wurden. Pisendels Amtsbereic umfaßte jedoc nict nur die zu einer Aufführung notwendigen Maßnahmen, sondern sclägt sic auc in Aktenstü%en über Personalfragen und Anscaffungen nieder, wie einzelne Dokumente in den erhaltenen Kapellakten aus dieser Zeit gezeigt haben. Dabei würde eine systematisce Sictung aller arcivaliscen Quellen sicerlic weitere Dokumente zutage fördern.22

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Für einen umfassenden Überbli% über solce Aufführungsdaten in der Musikgescicte Dresdens vgl. Fürstenau 1862. 17 Vgl. beispielsweise Menni%e 1906, 384ff, und Landmann 1999. 18 Vgl. Horn 1987, 66-93. 19 Allerdings sind die Hinweise der versciedenenen Chronisten auf musikalisce Ereignisse über weite Stre%en nict eindeutig zuzuordnen, so daß häufig nur im Fall einer datierten Kircenkomposition das dazugehörige Aufführungsdatum ermittelt werden kann, vgl. Reic 1997, 44. 20 Vgl. Landmann 1983 II, 24. Entgegen den Angaben von Lorber 1991, 9, läßt sic die Mitwirkung der italieniscen Sänger in der Kammermusik und bei den Hofkonzerten durc Dresdner Akten belegen, etwa dadurc, daß Salimbeni bei seiner Anstellung ausdrü%lic von solcen Verpflictungen befreit wurde; das Hofjournal von 1734 belegt außerdem, daß Hasse „nac der Tafel“ häufig seine Frau Faustina am „Clavi$imbel“ begleitet habe, vgl. Poppe Manuskript Hasse-Symposium 1999, 12. 21 Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 154. 22 Zum Zeitpunkt der Recercen für diese Arbeit sind die Akten des Dresdner Oberhofmarscallamts, darunter die detaillierten Hofjournale, systematisc verfilmt worden und waren daher nict in erwünsctem Umfang zugänglic. Dieses Quellenmaterial konnte daher nur sticprobenartig ausgewertet werden.

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Angesicts der erfreulicen, aber gleiczeitig fast erdrü%enden Zahl der Quellen zu Pisendels Tätigkeit als Konzertmeister wäre es wohl möglic, die Musikgescicte Dresdens in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus der Perspektive Pisendels neu zu screiben. Dies kann jedoc nict der Sinn der vorliegenden Arbeit sein, die lediglic den Versuc darstellt, die historisce Bedeutung Pisendels neu zu bewerten. Während der biographisce Teil der Arbeit die für das Amt eines Konzertmeisters notwendigen Voraussetzungen am Beispiel Pisendels darzustellen versuct, werden einige der oben genannten Quellen aus der Zeit nac 1730 im systematiscen Teil über die Amtspflicten eines Konzertmeisters am Dresdner Hof ausgewertet.

Vom Warscau-Aufenthalt 1735/36 bis zu den Sclesiscen Kriegen Nac V67 soll Pisendel im Jahr 1734 „nebst einigen andern von der Säcsiscen Kapelle, auf Befehl seines Königs nac Warscau“ gereist sein. Diese Reise kann jedoc frühestens im November 1734 stattgefunden haben, denn nac seiner Krönung zum polniscen König am 17.1.1734 in Krakau hielt sic August III. vom 27.3. bis 23 3.11.1734 wieder in Sacsen auf. Allerdings vermerkt das Diarium Missionis, daß Pisendel in der Christvesper des Jahres 1734 die Aufführung von zwei Pastorellen geleitet hat: „Post primam et se$undam Le$tionem D. Bishendel produxit Pastorellas.“ Anscließend wurde unter der Direktion Zelenkas ein Te Deum aufgeführt, in dem die italieniscen Sänger mitwirkten.24 Ende des Jahres 1734 hielt sic Pisendel also nacweislic in Dresden auf, so daß ein Aufenthalt Pisendels in Warscau zu der von V67 angegebenen Zeit nict sehr wahrsceinlic ist. Das Journal des Dresdner Oberhofmarscallamtes vom 21.12.1733 vermerkt dagegen, daß die „Königl. Capelle unter der Dire$tion des Herrn Cam[m]erherrn von Breitenbaucs[!] mit 16. Postwagen“ nac Polen aufgebrocen sei, um die Krönungszeremonie in Krakau feierlic zu gestalten.25 Dennoc läßt sic der Widerspruc zu den Angaben aus V67 nict mit einer Reise zum Jahreswecsel 1733/34 erklären, denn die Musiker wurden an der Grenze abgewiesen und kehrten am 30.12.1733 unverricteter Dinge nac Dresden zurü%.26 Angeblic hatten die polniscen Magnaten erklärt, daß sie „selbst vortrefflice Künstler besäßen, die durcaus in der Lage seien, dem Aufenthalt des neuen Königs in Polen den ihm gebührenden Glanz zu verleihen“.27 Nac den Angaben des Oberhofmarscallamtes erhielten die Kapellmusiker noc vor dem 26.12.1733 einen Umkehrbefehl aus dem Hauptquartier des Königs in Oppeln,28 so daß Pisendel zwar am Jahresende 1733 „nebst einigen andern

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Vgl. Staszewski 1996, 153, und Reisekalender August III. 1997, 58, sowie Tabelle 6 zur Anwesenheit des Königs und des Kapellmeisters Hasse in Dresden. Vgl. Diarium Missionis, 366. 25 D-Dla, OHMA O I, Nr. 3, fol. 82f. 26 Vgl. Poppe Manuskript Hasse-Symposium 1999, 8. Diese Daten werden durc Einträge im Diarium Missionis, 362f, bestätigt. Zur Rü%kehr der Kapellmusiker am 30.12.1733 vgl. D-Dla, OHMA O I, Nr. 3, fol. 86. 27 Zitiert nac Staszewski 1996, 153, dort jedoc ohne Angabe der Quelle. 28 Vgl. D-Dla, OHMA O I, Nr. 3, fol. 84f. 24

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von der Säcsiscen Kapelle“ eine neuntägige Reise nac Polen unternahm, aber nict bis Warscau gekommen war, wie V67 berictet. Dennoc kann die Angabe aus V67 nict unter Hinweis auf diese Ereignisse als Irrtum abgetan werden. Anhand erhaltener Dokumente läßt sic nämlic belegen, daß sic Pisendel und seine Kollegen nict 1734, sondern ein Jahr später tatsäclic in Warscau aufgehalten haben.29 Am 23.11.1735 nämlic waren in Dresden Passiersceine nac Warscau für Pisendel und die folgenden Mitreisenden ausgestellt worden: Bindi (Sopranist), Annibali und Pozzi (beide Altisten), Götzel (Tenor), Buffardin (Traversflötist), Knectel (Hornist), Morasc (Fagottist), Lehneis, Uhlic, Titerle und Fi%ler (vier Violinisten) und Califano (Violon$ellist).30 Falls die Angaben im Hoftagebuc korrekt sind, muß einer der dreizehn Musiker jedoc in Dresden zurü%geblieben sein, denn unter dem 3.12.1735 wird gemeldet: „Heute Morgens umb 7. Uhr sind 8. Cammer Musi$i, nebst vier Sängern von der Königl. Capelle mit extra Post aus Dreßden allhier angelanget.“31 Kurz darauf, am 8.12.1735, traten „die vor wenig Tagen aus Dreßden anhero gekommenen Cammer Musi$i und italiäniscen Sänger“ in einem Gottesdienst in der Warscauer Johanneskirce auf, an dem auc das Königspaar teilnahm.32 Dieser Tag war der Geburtstag der Königin Maria Josepha, und aus diesem Anlaß komponierte Ristori eine Festkantate, an deren Aufführung alle vier Gesangssolisten beteiligt waren. Auc zum Namenstag des Königs am 5.3.1736 komponierte er eine Huldigungsmusik,33 so daß anzunehmen ist, daß er sic während der Anwesenheit Pisendels ebenfalls in Warscau aufhielt.34 Nac einem hiermit erstmals ausgewerteten Dokument ließ Pisendel in Warscau die Musikalien für zwei Serenaden kopieren, die wahrsceinlic mit Ristoris Kantaten identifiziert werden können. Wie im Fall Woulmyers, der bei seinem Aufenthalt in Warscau zehn Jahre zuvor ebenfalls zahlreice Musikalien abscreiben ließ, wurden auc Pisendel diese Kosten erstattet.35 Dagegen lassen sic keine näheren Angaben über das instrumentale Repertoire macen, das unter Pisendels Leitung während dieser Zeit aufgeführt wurde. Am 8.6.1736 scließlic wird im Hofjournal die Abreise der „Ital. Sänger, und Königl. Capelle mit 4 Kutscen und 2 Rüst-Wagen von hier nacer Dreßden“ vermerkt.36 Ob sic auc Ristori unter den mitreisenden Musikern befand, ließ sic nict feststellen. 29

Für den freundlicen Hinweis auf die entsprecenden Dokumente danke ic Frau Dr. Ulrike Kollmar, vgl. auc Kollmar Diss. 2001, 99. 30 Vgl. D-Dla, OHMA O I Nr. 74, fol. 149v. Vgl auc Pisendel-Dokument Nr. 50 vom 23.11.1735. 31 D-Dla, OHMA O II Nr. 1, fol. 179v. 32 Vgl. D-Dla, OHMA O II Nr. 1, fol. 181. 33 Cantata a 4 vo$i per il giorno natalizio di S.M. la Regina zum 8.12.1735 und Componimento per musi$a da $antarsi in Varsavia il feli$issimo giorno del nome della Maestà del Re zum 5.3.1736, vgl. Zórawska-Witkowska 1997, 471f. 34 Vgl. auc Zórawska-Witkowska 1997, 470. 35 D-Dla, Lo$. 3524 Vol. IV, fol. 180v. „16 thlr. 15 gr. dem Capellmeister Johann George Pisendel auslage vor Abscreibung zweyer Serenaden“, vgl. auc Pisendel-Dokument Nr. 51 vor April 1736. Auf der ersten Violinstimme des Sub tuum praesidium B-Dur des Warscauer Komponisten Balthasar Villi$us findet sic ein Hinweis auf Pisendel („M.[onsieur] P.[isendel]“), vgl. Zórawska-Witkowska 1997, 341. Da diese Handscrift offenbar aus dem Besitz Zelenkas stammt, könnte sic die Aufscrift auc auf eine Aufführung in Dresden beziehen. 36 Vgl. D-Dla, OHMA O II Nr. 1, fol. 255v. Zitiert nac einer freundlicen Mitteilung von Frau Dr. Ulrike Kollmar.

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Die zweite in V67 erwähnte Reise im Jahr 1744 hatte keinen dienstlicen, sondern einen rein privaten Anlaß, denn Pisendel reiste nac Berlin, „um seine alten Freunde zu besucen, und zugleic die, bey Gelegenheit des Beylagers der jetzigen Königinn von Scweden zu Berlin aufgeführten vier Opern zu hören“. Eine derartige Reise konnte Pisendel nur unternehmen, wenn er in Dresden nict dringend gebrauct wurde. Tatsäclic bot sic ihm im Sommer 1744 diese Gelegenheit, denn Anfang Mai waren zunäcst Hasse nac Venedig und wenig später August III. nac Warscau abgereist.37 Bis zur Rü%kehr des Königs Ende Januar des folgenden Jahres hatte die Hofkapelle lediglic einen reduzierten Dienst bei den in Dresden zurü%gebliebenen Mitgliedern der königlicen Familie und in der Hofkirce zu versehen, und Hasse war sogar bis zum Spätsommer 1745 beurlaubt. In dieser Zeit konnte sic Pisendel in Dresden vertreten lassen und zu einem privaten Besuc nac Berlin reisen, wo im Juli die Hoczeit der Prinzessin Ulrike von Preußen mit dem scwediscen Kronprinzen (später König Adolf Friedric von Scweden) gefeiert wurde. Hier hatte er endlic Gelegenheit, die Berliner Hofkapelle zu hören, die nac der Regierungsübernahme durc Friedric II. von seinem Scüler Johann Gottlieb Graun nac Dresdner Vorbild erweitert worden war. Der Kapelle gehörten auc Grauns späterer Nacfolger als Konzertmeister, Franz Benda, der ehemalige Dresdner Geiger Georg Czarth, sowie Johann Georg Benda an, der von seinem Bruder Franz 1734 aus Dresden nac Ruppin geholt worden war. Der einflußreicste Musiker am Berliner Hof war jedoc Pisendels Scüler und Freund Quantz, der einige Jahre zuvor, wahrsceinlic bereits bei seinem Wecsel nac Berlin 1741, Pisendels Neffen Johann Joseph Friedric Lindner als Flötist in die Lehre genommen hatte. Außerdem konnte Pisendel während der Hoczeitsfeierlickeiten gleic drei Opern des preußiscen Hofkapellmeisters Carl Heinric Graun hören, der nac den Angaben von V56 in seiner Dresdner Zeit ebenfalls Pisendels Scüler gewesen war. Hiller ergänzt in V84, daß es sic bei den Opern um „Rodelinda, Artaserse, Cato von Graun, und la $lemenza di Tito von Hasse“ handelte. Keines der Werke wurde zu diesem Anlaß neu komponiert, lediglic für die neueste Oper Cato in Uti$a, die am 24.1.1744 erstmals gespielt wurde, komponierte Graun aus Anlaß der Hoczeit einen neuen Prolog mit dem Titel La festa del Imeneo.38 Friedric II., der sic scon als Seczehnjähriger in Dresden von Pisendel beeindru%t zeigte und die Spitzenpositionen seiner Hofkapelle mit dessen Scülern besetzt hatte, war sicer sehr an Pisendels Meinung über die „Berlinisce Musi$“ interessiert und unterhielt sic gern und „oft mit ihm, über musikalisce Materien“. Die Formulierung mit der Höflickeitsformel, der König habe Pisendel „immer zu seiner Kammermusik nöthigen“ lassen, spielt möglicerweise darauf an, daß zu dieser Zeit der Zweite Sclesisce Krieg, in dem sic Friedric II. und der mit Österreic verbündete August III. als Gegner gegenüberstanden, gerade begonnen hatte. Scon bald nac der Berlinreise sollte Pisendel dem preußiscen König wieder begegnen, denn nac der entsceidenden Sclact bei Kesselsdorf am 15.12.1745 zog Friedric II. als siegreicer Feldherr in Dresden ein und hielt sic dort vom 18. bis 37

Vgl. Menni%e 1906, 389, und Tabelle 6 (S. 156) zur Anwesenheit des Königs und des Kapellmeisters Hasse in Dresden. 38 Vgl. Christoph Henzel, Artikel „Carl Heinric Graun“ in NGD2.

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auf.39 Für den zweiten Tag befahl er Hasses neue Oper Arminio mit allen Balletten unter der Direktion von Hasse und Pisendel aufzuführen. Auc von der Dresdner Hofkapelle zeigte er sic sehr beeindru%t ließ den Musikern ein großzügiges Gescenk von 1000 Talern überreicen.40 Seinen Wunsc, mit den besten Musikern Dresdens zu musizieren, erfüllte sic Friedric II. an jedem einzelnen Tag seines Aufenthalts, indem er Hasse und seine Frau Faustina, den Sopranisten Bindi und „ein Streicquartett von Mitgliedern der säcsiscen Hofkapelle“, darunter mit Sicerheit auc den verehrten Pisendel, zu seiner Kammermusik bestellte.41 Aus Pisendels Erinnerung an diese Zeit ist vielleict ein wenig Mißbilligung herauszuhören, denn im Zusammenhang mit dem Tod seines Freundes Zelenka screibt er am 16.4.1749 an Telemann: „er ist gestorben als Kircen-Compositeur am hiesigen Königlicen Hof ao 1745. den 22 De$emb:re als eben etlice Tag zuvor, nemlic den 18 Eiusdem die Herrn Preußen den[!] lieben Dreßden das Jungfern$räntzgen abgenommen.“42 27.12.1745

Eigene Akzente Pisendels im Instrumentalrepertoire der Hofkapelle Seitdem Pisendel die Aufgaben des verstorbenen Konzertmeisters Woulmyer „ad Interim“ übernommen hatte, war er auc für die Auswahl des instrumentalen Repertoires zuständig. Nac dem Tod Heinicens befanden sic Pisendel und Zelenka einige Jahre lang gemeinsam in der unbefriedigenden Situation, ohne einen Gehaltsausgleic die Aufgaben ihrer verstorbenen Vorgesetzten übernehmen zu müssen. Während Pisendel 1731 scließlic offiziell zum Nacfolger Woulmyers ernannt wurde, blieb der Kapellmeistertitel für Zelenka, der bekanntlic bis 1735 auf einen finanziellen Ausgleic für seine Interimsdienste warten mußte,43 unerreicbar, obwohl er unter August II. eigens zum Kompositionsunterrict bei Fux in Wien freigestellt worden war. Während Zelenkas Kircenwerke den Gescma% des Königs offenbar nict trafen, scätzte Pisendel die Kompositionen seines ‚Interims-Kollegen‘ umso höher, denn vier Jahre nac Zelenkas Tod sandte er Telemann eine heimlic angefertigte Abscrift von Zelenkas Karwocen-Responsorien ZWV 55, damit dieser sie durc eine Dru%ausgabe der Öffentlickeit zugänglic macen sollte.44 Zwei Monate vor dem Tod Heinicens komponierte Zelenka sein einziges Dresdner Orcesterwerk, das mit dem 18.5.1729 datierte Capri$$io G-Dur ZWV 190. Da sic August der Starke zu dieser Zeit in Polen aufhielt, ist das Capri$$io wahrsceinlic in Gegenwart des 39 August III. war bereits am 1.12.1745 nac Prag abgereist und kam erst am 4.1.1746 wieder zurü%, vgl. Reisekalender August III. 1997, 61. 40 Vgl. Fürstenau 1849, 137, und Roclitz AMZ 1799, 58f. 41 Vgl. Menni%e 1906, 393. 42 Vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 347f. Aufgrund eines Eintrags im Sterberegister des katholiscen Dompfarramts wird der Todestag Zelenkas heute mit 23.12.1745 angenommen. Pisendels Angaben weisen jedoc in der Regel einen hohen Grad an Zuverlässigkeit auf, so daß das genaue Datum noc zu überprüfen wäre. 43 Vgl. Siegele 1997, 285. 44 Vgl. die vier erhaltenen Briefe Pisendels an Telemann (wiedergegeben in Telemann Briefwecsel 1972), die sämtlic auf dieses Vorhaben Bezug nehmen. Leider kam diese Dru%ausgabe nie zustande.

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Kurprinzen aufgeführt worden. Ein Anlaß für die Entstehung dieses Werks ist nict erkennbar.45 Möglicerweise kam der Anstoß für die Komposition gar nict von offizieller Seite, sondern von Pisendel, denn der Titel knüpft offenkundig an die vier gleicnamigen Orcestersuiten an, die Zelenka in Wien komponiert und dort zumindest teilweise vor dem Kurprinzen aufgeführt hatte.46 Ob Pisendel seinem Kollegen Zelenka im Hinbli% auf den nahenden Tod des Kapellmeisters Heinicen eine Gelegenheit geben wollte, seine Fähigkeiten als Komponist von Instrumentalmusik beim Kurprinzen in Erinnerung zu rufen, läßt sic allerdings nict mehr feststellen. Neben der Zusammenarbeit mit Zelenka wurde Pisendel in seiner neu gewonnenen Verantwortung für das Instrumentalrepertoire auc auf einem anderen Gebiet tätig, mit dem sic die Dresdner Musikforscung bereits seit langem bescäftigt und das mit dem Sclagwort der Vivaldi-Pflege umrissen wird.47 Sicer lag es in Pisendels Interesse, die zahlreicen Konzerte Vivaldis und anderer italieniscer Komponisten, die er im Anscluß an seine Italienreise ständig vermehrt hatte, nac seinen Auftritten in Venedig nun auc mit der Dresdner Hofkapelle aufzuführen. Nac herrscender Meinung ergab sic diese Möglickeit im Verantwortungsbereic Woulmyers jedoc nict, denn im Dresdner Vivaldi-Bestand ist kein einziger Durcsictsvermerk von dessen Hand erhalten, und die an der Herstellung des Notenmaterials beteiligten Hofnotisten waren erst ab etwa 1725 für die Hofkapelle tätig.48 Aus diesem Grund wird angenommen, daß die sogenannte Vivaldi-Pflege erst einsetzte, als die Verantwortung für das aufzuführende Repertoire in der Hand Pisendels lag.49 Dabei wäre zu begründen, warum die mit großem Aufwand zusammengetragenen Partituren über ein Jahrzehnt hinweg ‚nutzlos‘ herumlagen und allenfalls Pisendels Privatscülern als Studienmaterial dienen konnten, zumal da Pisendel den Kurprinzen laut V67 bereits während seines Venedigaufenthalts mit Violinkonzerten Vivaldis unterhalten und beeindru%t hatte. Es ist wenig wahrsceinlic, daß diese Vivaldi-Pflege von einem einzelnen Kapellmitglied ausging, denn die Repertoireauswahl war ohne die ständige Rü%sict auf die Wünsce und Vorlieben Augusts des Starken und seines Sohnes nict denkbar.50 Vor diesem Hintergrund läßt sic feststellen, daß es wohl eher der Kurprinz war, der sic nac 1717 für die Aufführung Vivaldiscer Musik interessierte. Da die Hofkapelle während der Abwesenheit des Königs in Polen vor dem kurprinzlicen Hof musizierte,51 läßt sic nict ohne weiteres ausscließen, daß die Kompositionen des Venezianers, den der Kurprinz ja persönlic kannte, auc scon während Woulmyers Amtszeit gespielt worden sind. Da die vom Hof angekauften Musikalien Woulmyers 45

Vgl. Horn 1987, 89. Falls Woulmyer sic in Wien nict der Direktion des damaligen „Kompositionsscülers“ Zelenka unterordnen wollte, wäre es möglic, daß Pisendel den Konzertmeister bereits 1718 bei der Aufführung der Wiener Capri$$ios vertreten hat. 47 Zum Stand der Forscung zum Thema „Vivaldi und Dresden“ vor 1988 vgl. Landmann 1988, 417, mit umfangreicen Literaturangaben. 48 Vgl. Fecner 1988, 779f. 49 Vgl. stellvertretend Landmann 1980, 27, und Fecner 1999, 61. 50 Die augensceinlice „Ausrictung des Repertoires auf den Geiger Pisendel“ (Heller 1991, 307) ist durc die besondere Überlieferungsgescicte der erhaltenen Musikalien bedingt und sollte nict überbewertet werden. 51 Vgl. oben die Tabelle 6 zur Anwesenheit des Königs und des Kapellmeisters Hasse in Dresden. 46

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jedoc, zusammen mit den übrigen musikaliscen Naclässen des Kapellarcivs, bereits 1760 verbrannt sind, kann nict mehr festgestellt werden, ob sic darunter auc Aufführungsmaterialien von Werken Vivaldis befunden haben.52 Allerdings screibt Franz Benda in seiner Autobiographie, daß er 1719/20, während seiner Zeit als katholiscer Kapellknabe in Dresden, sic auf der Violine geübt und „die damahligen Vivaldiscen Con$erte Auswendig“ gespielt habe.53 Dies könnte als ein Indiz dafür angesehen werden, daß diese Werke tatsäclic „damals bereits eine bevorzugte Stellung im Repertoire einnahmen“,54 und so sceint es plausibel, daß die sogenannte Vivaldi-Pflege, die unter Pisendels Leitung zwiscen den groben E%daten 1728 und 1735 angesiedelt wird, weniger als kurzlebige „Vivaldi-Blüte“,55 sondern vielmehr als Fortsetzung und Intensivierung einer bereits bestehenden Praxis verstanden werden muß. Wahrsceinlic sind seit der Rü%kehr der 1716 nac Venedig gesandten Musiker (Pisendel, Petzold, Ricter, und möglicerweise auc Zelenka) wiederholt Instrumentalwerke Vivaldis in Dresden aufgeführt worden. Die frühe Rezeption der Vivaldiscen Konzertform im Dresdner Umkreis ist ein weiteres, deutlices Indiz. Vivaldis Opern dagegen sind in Dresden nie gespielt worden, vielleict, weil der Dresdner Opernbetrieb in der zentralen Phase der Opernlaufbahn Vivaldis zwiscen 1720 und 1730 ruhte.56 Daraus ergeben sic zwei wictige Gründe, warum Vivaldi bald nac dem Regierungswecsel 1733 nur noc eine geringe Rolle spielte: Einerseits hatte sic das Solokonzert venezianiscer Prägung nac mehr als anderthalb Jahrzehnten der Vivaldi-Pflege unter einheimiscen Komponisten weiterentwi%elt, andererseits engagierte der Kurprinz bei seiner Wiederbelebung der italieniscen Oper in Dresden mit Johann Adolph Hasse einen Vertreter des neuesten Napolitaniscen Opernstils, neben dem Vivaldis Werke bereits als altmodisc ersceinen mocten. Daß Pisendel auc selbst von den Werken Vivaldis angeregt worden ist und sogar eine Stilstudie in dessen Manier komponiert hat, läßt sic durc das oben erwähnte Manuskript Pisendels nacweisen, in das Vivaldi eigenhändige Korrekturen eingetragen hat.57 Dagegen weist V56 darauf hin, daß Pisendel die Komposition „unter dem berühmten Capellmeister Heinicen studiret“ habe. Über den Zeitpunkt und die Dauer dieser Studien läßt sic jedoc nur spekulieren,58 zumal der Unterrict aufgrund eines Zerwürfnisses vorzeitig beendet worden sein soll, wie Agri$ola in V67 berictet: „Vielleict zu früh wurde dieses so nützlice Gescäfte, aus einer Ursace, welce nur in der allzulebhaften Einbildungskraft des Kapellmeisters ihren Grund hatte, gestöret.“ Agri$ola fügt hinzu, daß Pisendel „hernac durc eigenen Fleiß die Composition“ fortgesetzt habe. Daraus geht hervor, daß Pisendel, wie viele seiner 52 Immerhin hielt sic Woulmyer 1715 für mehrere Monate in Italien auf und stand während seines dreimonatigen Aufenthalts in Cremona möglicerweise mit dem dort lebenden Geiger und Komponisten Gasparo Vis$onti und dessen deutscer Ehefrau in Verbindung. 53 Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 141. 54 Vgl. Heller 1988, 22, sowie zusammenfassend Heller 1991, 302f. 55 Vgl. Landmann 1983, 57. 56 Vgl. Heller 1991, 305. Zudem screibt Quantz 1752, 309, daß die Komposition von „theatraliscen Singsacen“ den Gescma% Vivaldis verdorben habe. 57 D-Dl Mus. 2421-O-14, vgl. Fecner 1999, 284f. 58 Die Angaben von Jung 1956, 90, dieser Unterrict habe nac 1717 in Dresden stattgefunden, werden von Landmann 1980, 25, unter Hinweis auf deren Zusammentreffen in Leipzig 1709 und Venedig 1716 bezweifelt, vgl. auc Landmann 1988, 420.

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Zeitgenossen, als Komponist wohl weitgehend ein Autodidakt war.59 Allerdings dürfte Pisendel den berühmten Traktat seines ehemaligen Kompositionslehrers Heinicen Der General-Bass in der Composition von 1728 gründlic studiert haben, denn noc 60 1750 zitiert er eine Fußnote aus Heinicens Vorwort in einem Brief an Telemann. In V67 mact Agri$ola rect genaue Angaben zu den Kompositionen Pisendels, und zählt „einige Violin$on$erte, und einige scöne Con$erti grossi, deren eines und zwar besonders scönes, er, zur Einweihung der neuen katholiscen Hofkirce in Dresden gesetzet hat“, sowie „versciedene Violin-Solos, ingleicen einige vierstimmige wohlausgearbeitete Instrumentalfugen für die Kirce“ auf. Diese Angaben lassen sic anhand der in Dresden erhaltenen Autographe Pisendels bestätigen, denn bis heute konnten elf Violinkonzerte, sieben Violinsonaten mit Generalbaß sowie eine für unbegleitete Violine und scließlic zwei Orcesterwerke Pisendels identifiziert werden.61 Das mit „Sinfonia“62 überscriebene, dreisätzige Orcesterwerk könnte den von Agri$ola erwähnten Con$erti grossi zugerecnet werden, zusammen mit secs weiteren, die aus der Umarbeitung eigener Violinkonzerte entstanden sind. Das zweite, mit „Sonata“63 bezeicnete Orcesterwerk besteht aus einer Fuge mit langsamer Einleitung und ist damit als eine der erwähnten „vierstimmigen wohlausgearbeiteten Instrumentalfugen für die Kirce“ zu identifizieren. Da Pisendel nac Agri$olas Angaben jedoc „einige“ dieser Instrumentalfugen komponiert haben soll, steht zu erwarten, daß unter den zahlreicen anonymen Handscriften dieses alten Bestandes der Säcsiscen Landesbibliothek noc weitere Fugenkompositionen Pisendels identifiziert werden können.64 Neue Entde%ungen von Pisendels Kompositionen dürften außerhalb des Dresdner Bestandes kaum zu erwarten sein, denn nac V67 ist bereits unter seinen Zeitgenossen nur „wenig von seiner Arbeit bekannt geworden“. Als Begründung führt Agri$ola an, daß Pisendel „zu furctsam vieles zu setzen und bekannt werden zu lassen“ gewesen sei. Tatsäclic konnten bis heute keine Kompositionen Pisendels außerhalb der Säcsiscen Landesbibliothek identifiziert werden, wenn man von einer Gigue a-Moll für unbegleitete Violine absieht, die kurz nac Pisendels Übernahme der Konzertmeisterpflicen gedru%t wurde und einer in Dresden aufbewahrten Sonate gleicer Tonart entnommen ist.65 Dennoc widersprict diese Beobactung nict der Angabe aus V56, Pisendel habe „im Dru% selbst nicts ediret“, denn die Gigue wurde nict von ihm selbst, sondern von seinem Freund Telemann in seiner Sammlung Der getreue Musi$-Meister veröffentlict.66 Ein Violinkonzert C-Dur dagegen, 59

Auc Georg Philipp Telemann, Melcior Hoffmann und Gottfried Heinric Stölzel können beispielsweise als Autodidakten in der Komposition bezeicnet werden. 60 Vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 355. 61 Zu Pisendels Kompositionen mit Analysen und Datierungsversucen vgl. Jung 1956. Eine Übersict unter Berü%sictigung der neuen Funde enthält Treuheit 1987, 99-106. Der bescreibende Katalog der Violinkonzerte Pisendels, Fecner 1999, 260-287, verzeicnet darüber hinaus einen weiteren neuen Fund. Zu den vier Violinsonaten, die im Rahmen der vorliegenden Studie als Kompositionen Pisendels identifiziert werden konnten, vgl. unten Anhang II: Werkverzeicnis. 62 D-Dl Mus. 2421-N-1. 63 D-Dl Mus. 2421-N-2a beziehungsweise 2b. 64 Vgl. die im Werkverzeicnis unter der Rubrik „Zugescriebene Werke“ aufgeführten Fugen für Orcester. 65 D-Dl Mus. 2421-R-2. Bei der Handscrift dieses Satzes in CS-Pnm („Bissendel“) handelt es sic um eine Abscrift dieses Dru%s. 66 Vgl. Georg Philipp Telemann, Der getreue Musi$-Meister, 13. Le$tion, Hamburg 1728/29, 49.

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das im Breitkopf-Katalog von 1766 mit der Angabe „del S. BISHENDEL.“ angezeigt ist, wurde nict von Pisendel, sondern von seinem Scüler Johann Gottlieb Graun komponiert, wie die autographe Titelüberscrift Pisendels auf seinem eigenen Dresdener Exemplar belegt.67 Zur Einweihung der Katholiscen Hofkirce in Dresden am 29.6.1751, bei der die Hofkapelle eine Messe und ein Te Deum von Hasse aufführte,68 soll Pisendel nac V67 ein „besonders scönes“ Con$erto grosso komponiert haben. Durc diese Information Agri$olas, der sic im gleicen Jahr zu Studienzwe%en in Dresden aufhielt, ließe sic ausnahmsweise eine der Kompositionen Pisendels datieren. Allerdings ist nict gesicert, um welces Con$erto grosso es sic dabei handeln könnte.69 Unter den Werken Pisendels, die für das Graduale im katholiscen Hofgottesdienst eingerictet sind, kommt aufgrund seiner späten Entstehungszeit am ehesten ein Konzertsatz Es-Dur für konzertierende Oboen und Fagott, Streicer und B.$. in Frage.70 Dieser Konzertsatz ist allerdings in zwei leict voneinander abweicenden Fassungen überliefert und geht zudem auf den ersten Satz eines älteren Violinkonzerts von Pisendel zurü%, von dem ebenfalls mehrere Fassungen erhalten sind.71 Selbst in die späteste Dresdner Fassung als Con$erto grosso hat Pisendel noc zahlreice Änderungen eingetragen, die nur teilweise in den erhaltenen Stimmensatz eingegangen sind. In der autographen Kompositionspartitur finden sic nämlic umfangreice Skizzen zu zwei neuen Hornstimmen, die nict im Aufführungsmaterial enthalten sind. Die bisherige Annahme, daß es sic bei diesen obligaten Hornpartien um einen verworfenen Kompositionsversuc Pisendels handele,72 könnte sic jedoc als ein Irrtum erweisen, denn in der Musikaliensammlung der Berliner Singakademie, die dem Umkreis der Berliner Hofkapelle entstammt, soll sic bis zum Zweiten Weltkrieg „1 Konzert f. 2 Hörner von J. G. Pisendel“ befunden haben.73 Falls diese Zuscreibung korrekt ist, könnte es sic dabei um eine noc spätere Fassung jenes Konzertsatzes Es-Dur handeln, der wahrsceinlic zur Einweihung der Katholiscen Hofkirce erklang.74 Da aber alle bisher bekannten Con67 Ein weiteres Exemplar dieses Konzerts im Bestand der Berliner Singakademie (Sign. ZD 150 lk) trägt die Autorenangabe „J. G. Graun“, vgl. Fecner 1999, 354. 68 Vgl. Fürstenau 1862, 270. Die neue Silbermannorgel wurde erst am 2.2.1754 eingeweiht, und die letzten Arbeiten an der Kirce selbst wurden erst 1755 beendet. 69 Die Argumentation von Jung 1956, 135f, der das Konzert D-Dur (D-Dl Mus. 2421-O-6,2) mit diesem Ereignis in Verbindung bringen will, beruht auf einem Irrtum, vgl. Fecner 1999, 272f. 70 Nac Fecner 1999, 279, gehören die von dem Dresdner „Screiber D“ um 1750 gescriebenen Stimmen zu dieser Fassung „mit zu den spätesten Zeugnissen seiner langjährigen Kopistentätigkeit überhaupt“. 71 Die einsätzigen Fassungen als „Gruppenkonzert“ in D-Dl Mus. 2421-O-7$ und (überarbeitet) Mus. 2421-O-8(a) basieren auf dem ersten Satz eines Violinkonzerts Mus. 2421-O-7 bzw. Mus. 2421-O-7a und -7b, vgl. Anhang II: Werkverzeicnis. Vgl. auc das Vorwort zur Faksimileausgabe von Mus. 2421-O-7, Heller 1986, 7. Die früheste Fassung dieses Violinkonzerts Mus. 2421-O-7b wiederum ist nac Fecner 1999, 276, zwiscen 1728 und 1733 entstanden. 72 So Fecner 1999, 278. 73 Vgl. Welter 1966, 42. 74 Da die Musikalien der Berliner Singakademie dank des aufsehenerregenden Fundes von Christoph Wolff im zentralen Staatsarciv der Ukraine im Sommer 1999 wieder nac Berlin zurü%geführt werden konnten, kann künftig untersuct werden, ob es sic hier um eine Fassung jenes Konzerts Es-Dur handelt, die mit den Hornskizzen auf dem Dresdner Exemplar (D-Dl Mus. 2421-O-8) übereinstimmt. Obwohl Agri$ola die Dresdner Einweihungsfeierlickeiten im Juni 1751 nict miterlebt hatte, weil er bereits im Mai in Berlin zum königlic preußiscen Hofkomponisten ernannt worden war, hebt er dieses Con$erto grosso als ein „und zwar besonders scönes“ heraus. Da er diese Komposition Pisendels offensictlic

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$erti grossi Pisendels auf älteren Fassungen als Violinkonzert beruhen, handelte es sic wohl auc bei dem von Agri$ola erwähnten Einweihungskonzert nict um eine Neukomposition für diesen Anlaß. Sieben der elf Violinkonzerte Pisendels liegen in mehrfacen Fassungen vor, so daß Agri$olas Angabe aus V67 bestätigt wird: „Er war niemals mit seiner eigenen Arbeit zufrieden, sondern wollte sie immer noc verbessern; ja er arbeitete sie wohl mehr als einmal um.“ Besonders eindru%svoll läßt sic dies an einer Kammersonate D-Dur für Violine und B.$. zeigen, die erst neuerdings als ein Werk Pisendels identifiziert werden konnte. Eine nähere Untersucung des Manuskripts im Rahmen der vorliegenden Arbeit ergab, daß das verwendete Papier die italienisce Marke „tre lune“ aufweist, so daß Pisendel die Sonate bereits 1716/17 in Italien komponiert haben muß. Damit handelt es sic um eines der frühesten datierbaren Werke Pisendels.75 Aus dem ersten Satz dieser frühen Sonate entwi%elte Pisendel den Kopfsatz für ein Violinkonzert, das er wiederum mehrmals umarbeitete und das ebenfalls in einer fragmentariscen Fassung als Con$erto grosso vorliegt.76 Eine weitere Fassung besteht aus der reduzierten Satzfolge Andante-Allegro und wurde in dieser Form während des Graduale im katholiscen Hofgottesdienst aufgeführt. Da zu dieser Fassung zwei autographe Orgelstimmen überliefert sind, von denen die ältere eine im Chorton gestimmte Orgel vorsieht, während die zweite Orgelstimme die gleice Tonart aufweist, ist das Werk wohl in zwei versciedenen Kircen aufgeführt worden.77 Ob dieses Konzert allerdings sowohl im katholiscen als auc im protestantiscen Hofgottesdienst erklang, läßt sic aufgrund fehlender Forscung im letztgenannten Themenbereic nict entsceiden. Immerhin ist festzustellen, daß Pisendel diese Komposition in den Jahrzehnten seiner Tätigkeit am Dresdner Hof als Kammersonate, Violinkonzert, Con$erto grosso und Instrumental-Graduale aufgeführt hat und auf diese Weise das instrumentale Repertoire in seinen versciedenen Amtsbereicen ergänzte. Damit ist zwar nict ausgesclossen, daß Pisendel durc diese versciedenen Fassungen seine frühe Komposition „immer noc verbessern“ wollte, weil er „niemals mit seiner Arbeit zufrieden“ war, wie Agri$ola berictet. Aber in diesem Fall spielte offensictlic auc die Funktion der einzelnen Fassungen eine wictige Rolle, denn als Premier Violon und Kammermusiker leistete ihm eine Kammersonate die besten Dienste. Später konnte er dann als Solist in einem Violinkonzert auftreten und scließlic in seinem Amt als Konzertmeister die Qualitäten seines Orcesters mit einem virtuosen Con$erto grosso ins recte Lict rü%en, während er gleiczeitig für das instrumentale Repertoire der Hofgottesdienste zu sorgen hatte, das nac präctigen Instrumentalsätzen verlangte. kannte, wäre zu untersucen, ob das in der Singakademie verzeicnete Exemplar im Zusammenhang mit dem Dresden-Aufenthalt Agri$olas nac Berlin gelangt sein könnte. 75 Diese Sonate (D-Dl Mus. 2421-R-9, olim Mus. 2-R-8,45) wurde erstmals erwähnt von Fecner 1999, 272, der jedoc nict erkannte, daß es sic um eine Komposition Pisendels aus seiner Zeit in Italien handelt. Zudem beweist die fehlerhafte Notation der Seczehntel-Triolen mit Zweiunddreißigsteln in dieser Sonate, die sic in den zwei frühen Konzert-Fassungen fortsetzt, daß es sic hierbei um die erste bekannte Fassung dieser Komposition handelt. Auc die musikalisce Substanz des dritten Satzes wurde weiterverwendet, so daß nur der Mittelsatz Larghetto als bislang unbekannte Komposition Pisendels anzusehen ist, vgl. Anhang II: Werkverzeicnis. 76 Vgl. die Bescreibung der einzelnen Konzert-Fassungen bei Fecner 1999, 268-273. 77 Vgl. Fecner 1999, 271.

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Pisendel als sculebildender Interpret und Orcesterleiter Pisendels Verdienste als Musiker werden in V56 umständlic und dabei wenig aussagekräftig umscrieben: „Wer seine Musik aufführen hörete, der wurde durc lauter Empfindung überzeugt, daß dieselbe die Beredsamkeit gewisser Instrumente durc die Kunst ihres Meisters sey.“ Die Begiffe „Beredsamkeit“ und „Kunst ihres Meisters“ stammen aus dem Bereic traditioneller Gelehrsamkeit und könnten darauf hindeuten, daß der Verfasser dieser Bescreibung selbst kein Musiker war. Auf die konkreten Verdienste Pisendels als Orcesterleiter und Solist dagegen mact erstmals Agri$ola in V67 aufmerksam, indem er auf „die Gesci%lickeit unserer heutigen besten Ausführer im Instrumental-Adagio“ und die Leistungen des Dresdner Orcesters „in der Ausführung im Ganzen oder im Großen“ hinweist, die von Pisendel begründet worden seien. Aus der abscließenden Bemerkung Agri$olas wird erkennbar, daß es sic um diejenigen Bereice handelt, in denen Pisendels Scule um 1767 weiterlebte: „Gute Gewohnheiten, wenn sie einmal fest eingewurzelt sind, vergehen nict so leict wieder.“ Die Angaben aus V67 über die bleibenden Verdienste Pisendels werden in V84 weiter ausgeführt. Daher sind in diesem Abscnitt über Pisendel als Orcesterleiter und Solist die wictigsten eigenständigen Beiträge Hillers zu Pisendels Biographie anzutreffen. Fast dreißig Jahre nac dem Tod Pisendels weist Hiller nämlic darauf hin, daß wictige Ideale der Musikpraxis am Ende des 18. Jahrhunderts durc Pisendels Dresdner Wirken begründet worden sind. Dabei konkretisiert Hiller die Andeutungen Agri$olas über die damaligen „Ausführer im Instrumental-Adagio“, indem er feststellt: „besonders ward der gründlice, nict mit überflüßigen Zierrathen überhäufte, männlice Vortrag des Adagio an ihm gerühmt.“ Gerade im Hinbli% auf Pisendels Verdienste als Orcesterleiter führt Hiller den scwer verständlicen Hinweis auf die vortrefflice „Ausführung im Ganzen oder im Großen“ der Dresdner Hofkapelle weiter aus: „[…] so ist es nict zu verwundern, wenn man auc jetzt noc Festigkeit, Prä$ision, Gleicheit und andere vorzüglice Eigenscaften in der Ausführung des Dresdner Orcesters findet.“ Mit der „Ausführung im Ganzen oder im Großen“ ist also das corisce Spiel der zahlreic besetzten Dresdner Hofkapelle gemeint. Hiller läßt es jedoc nict bei einer Erklärung der von Agri$ola genannten Verdienste Pisendels bewenden, sondern bescreibt sogar, auf welce Weise Pisendel jene gerühmte „Festigkeit, Prä$ision, Gleicheit“ als Konzertmeister und Leiter des Dresdner Orcesters erzielte. […] Hasse scrieb keine Oper, wo er nict vorher, wegen der Bezeicnung der Bogen-

strice, und anderer zum guten Vortrage nöthiger Nebendinge, sic mit dem Con$ertmeister besprac, und in diesem Stü%e gänzlic auf ihn verließ. Pisendel sahe sodann die Stimmen, wenn der Copist sie fertig hatte, alle mit Aufmerksamkeit durc, und zeicnete jeden kleinen die Ausführung betreffenden Umstand sorgfältig an; so daß, wenn man das damalige Orcester beysammen und in der Arbeit sahe, es in Ansehung der Violinisten nict anders scien, als ob ihre Aerme, womit sie den Bogen führten, durc einen verborgenen Mecanismus, alle zu einer gleicförmigen Bewegung gezwungen würden.

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Dieser vielzitierte Berict läßt sic anhand der von Dresdner Kopisten gescriebenen Stimmen bestätigen, die tatsäclic zahlreice „die Ausführung betreffenden“ Einträge Pisendels aufweisen, etwa dynamisce Angaben, wesentlice Manieren (Triller, Vorscläge usw.), tutti-solo-Vermerke sowie Artikulations- und Generalbaßzeicen. Mit der Formulierung, die Bogenarme der Violinisten würden dadurc „alle zu einer gleicförmigen Bewegung gezwungen“, bescreibt Hiller, daß Pisendel darüber hinaus auc die Stricrictung durc besondere Eintragungen festgelegt habe. Allerdings sind in diesen Handscriften keine Zeicen für Auf- oder Abstrice zu erkennen, wie einige Autoren bereits enttäusct festgestellt haben.78 Daß es sic bei den Angaben Hillers dennoc nict um einen Irrtum handelt, und auf welce Art Pisendel die einheitlice Stricart der Orcesterstimmen festlegte, wird unten in Exkurs IV am Beispiel von Hasses Oper Cajo Fabri$io dargelegt. Hiller hatte ein unverhohlenes Interesse daran, die Aufführungspraxis seines großen Vorbilds Hasse lebendig zu erhalten und als ein Ideal an die jüngere Generation weiterzugeben. Obwohl seine Erinnerungen an den von Pisendel geprägten Dresdner Orcesterstil, den Hiller auc in anderen Veröffentlicungen immer wieder als mustergültig bescreibt, idealisierend getrübt worden sein können, stellen sie doc eine für die Dresdner Ära Hasse bislang kaum beactete Quelle mit Informationen eines pädagogisc interessierten, scriftstellerisc begabten und professionell arbeitenden Musikers dar, der scon vor seiner Berufung zum Thomaskantor als Leiter der Leipziger Gewandhauskonzerte einen großen Einfluß auf die musikalisce Ausbildung in Mitteldeutscland ausübte. Daher bilden die Informationen dieses Zeitzeugen einen der Ausgangspunkte für eine Neubewertung der Rolle, die Pisendel nict nur für die Musikgescicte Dresdens gespielt hat, und die Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein soll. Das von Hiller gerühmte Violin- und Orcesterspiel Pisendels wurde über den Wirkungskreis Pisendels im Rahmen der Dresdner Hofkapelle vor allem durc dessen Scüler weitergetragen. Zu diesen sind in erster Linie die in V56 genannten Brüder Johann Gottlieb und Carl Heinric Graun sowie der von V67 nacgetragene Johann Joacim Quantz zu zählen.79 Als ein weiterer Scüler wird in V56 ein junger italieniscer Geiger erwähnt, der 1716 in Venedig von Pisendel Unterrict erhielt und ihn wahrsceinlic auf seiner Reise durc Italien 1717 und vielleict sogar auc nac Dresden begleitet hat. Wie oben erwähnt, konnte dieser in der Literatur bislang unbekannte italienisce Scüler noc nict identifiziert werden. Vollkommen unbeactet blieb in der Facliteratur außerdem, daß Pisendel zwiscen und 1723 den Augsburger Johann Caspar Seyfert (1697—1767) im Violinspiel und in der Komposition unterrictete.80 Der dreiundzwanzigjährige Seyfert war mit einem Stipendium des Augsburger Scolarcats zu Pisendel gesandt worden und sollte in Dresden zum Kircenmusiker ausgebildet werden, wie aus einem Scolarcats-Protokoll vom 18.5.1720 hervorgeht:81

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Vgl. Fecner 1996, 117, und Goebel 1999, 64. Siehe oben, Exkurs II: „Pisendel und die Italienreise seines Scülers Quantz“. 80 Vgl. den Nacruf auf Johann Caspar Seyfert in: Hiller 1767, 394. 81 Sämtlice Arcivalien zu Seyfert werden hier erstmals wiedergegeben. Für die freundlice Unterstützung beim Auffinden dieser Dokumente danke ic Herrn Prof. Dr. Franz Krautwurst und der Arcivarin im Kapitelarciv der Evangelisc-Lutheriscen Gesamtkircenverwaltung Augsburg, Frau Barbara Anders. 79

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Weilen Hanß Caspar Seyfert ausm Choro Musi$o, bey dn. hhl. Scolarcen bittlic angesuct, dz er, der von der musi$ einig [eingefügt: „u. allein“] profession zumacen sic vorgesetzt habe, zu seiner absonderlic in d Violin v. $omposition intendirter perfe$tionirung erst einige Zeit an solce Ort [am Rand eingefügt: „mit einem stipendio“] versci%t werden möcte, wo er zu vergnügung des Scolarcats und Diensten des Evangl. Musi$wesens der befür noc sic bestens habilitiren gelegenheit haben könte; auc demnecst hl. Cantor ihme weg. seines bisherigen fleisses u. in der violin v$omposition bereits gelegter feiner fundamenten gutes Zeugnis gegeben: So hat man[n] diesem seinem; dz er izo in 5. od. 6. Wocen anfangs nacer Stut- [fol. 15] gart [am Rand eingefügt: „NB. ist geändert; geht Er sogleic nac Dreßden“] verreissen, u. allda auf seine inzwiscen erstattende Nacrict durc den hl. Cantore[m] weitere verordnung erwarten; ihme aber sogleic zur Reiß 50. R. mitgegeben werden solle; doc dz er vorhero solcer auf ihn wendender Kosten halber an dz Scolarcat eine scrifftlice Obliga[ti]on oder revers von sic stelle. NB. Ist erst dn 1.ten Septl. abgereiset.82

Daß Seyfert „zu vergnügung des Scolarcats und Diensten des Evangl. Musi$wesens“ ausgerecnet zu Pisendel gesandt wurde, läßt aufhorcen, denn nac bisherigem Kenntnisstand besaß Pisendel in Dresden keine dienstlicen Verpflictungen im Bereic der protestantiscen Kircenmusik, die ihn als entsprecenden Kompositionslehrer geeignet ersceinen ließen. Möglicerweise steht diese Wahl mit den Kontakten des Augsburger Kantors Philipp David Kräuter im Zusammenhang, der die Weiterbildung seines Scülers Seyfert nac Kräften unterstützte. Kräuter hatte nämlic im Anscluß an seinen eigenen Studienaufenthalt bei Johann Sebastian Bac in Weimar 1712—1713 „noc etzlice berühmte Säcsisce Capellen zu meinem grösten Nutzen“ besuct,83 bevor er nac Augsburg zurü%kehrte. Da Bac wahrsceinlic seit der in V67 erwähnten Begegnung von 1709 mit Pisendel befreundet war, könnte er seinem Scüler Kräuter damals eine Empfehlung an Pisendel mitgegeben haben, so daß Kräuter den kurz zuvor nac Dresden berufenen Premier Violon noc 1713 kennengelernt hat. Falls die Wahl Pisendels also auf Kräuters Vorsclag zurü%geht, sceint die Ausbildung Seyferts im Geigenspiel und im neuesten musikaliscen Gescma% wictiger gewesen zu sein als Kompositionsübungen in liturgiscen Formen. Dennoc könnte Seyferts Fall darauf hindeuten, daß Pisendel auc bisher unbekannte Beziehungen zur protestantiscen Kircenmusik unterhielt. In einem weiteren Sculprotokoll vom 14.12.1720 wird berictet, daß Seyfert, wie Kräuter seinerzeit bei Bac, während seines Dresdner Studienaufenthalts bei seinem „Lehrherrn“ Pisendel wohnte. Dadurc konnte er eine intensive Ausbildung und nebenbei Einbli%e in den Alltag eines leitenden Hofmusikers erhalten.84 Weg[en] Hanß Caspar Seyferts, dermaln zu Dreßden, zeigt Hl. Cantor an; dz er von selbigem scriftl. berictet worden; wasmassen sein Lehrherr allda sic erklärt habe, von 82

Arciv der Evangelisc-Lutheriscen Gesamtkircenverwaltung Augsburg, Bestand Scolarcatsarciv, Sculprotokolle B-L, Litera F, fol. 14f. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 31 vom 18.5.1720. Vgl. Krautwurst 1986, 179f. 84 Vgl. auc den Berict Kräuters vom 30.4.1712 über seinen Unterrict bei Bac: „[Er] gibt mir den Tag gewiß 6 Stund zur Information, die ic dann absonderlic zur Composition und Clavier, auc bißweilen zu anderen Instrumenten exer$irung hoc vonnöthen habe, die übrige Zeit wende ic vor mic allein zum Exer$iren und de$opiren an, dann derselbe mir alle MusikStü%, die ic verlange, $ommuni$iret, habe auc die Freyheit, alle seine Stü% durczusehen […].“ Zitiert nac Krautwurst 1986, 180f. Vgl. auc Wolff 2000, 444. 83

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ihm überhaupts pro informae 150. R. zuenehmen, er möge hernac 1 od. 2 Jahr bey ihm verbleiben; doc die Kost davon ausgenom[m]en. Weiln nun diese letztere vermuthlic wohl das Jahr auc auf 100. R. ansteigen dörfte; so würde ungefehr die Eines Jahrs un Kosten sic bey 200. R. belauffen;85

In einem Brief vom 6.3.1722 an das Augsburger Scolarcat bittet Seyfert um eine Verlängerung seines Stipendiums, um „in Zukunftt um so mehr in dem Stande zu seyn, bey der Kircen und Musi$ gute Dienste, zu mahlen aber meinen Gnädigen Herren und Obern möglicstes Vergnügen gebenzukön[n]en.“86 Eine Verlängerung wurde ihm jedoc nur für ein weiteres Quartal bewilligt. Nac den Stipendienrecnungen des Scolarcats erhielt Seyfert 1720 zwei, 1721 vier und 1722 erneut zwei Quartalszahlungen in Höhe von je 50 Talern.87 Da er jedoc erst im Frühjahr 1723 nac Augsburg zurü%kehrte, dürfte Seyfert seine Studien während der dazwiscenliegenden Zeit auf eigene Kosten fortgesetzt haben, denn nac dem Sculprotokoll vom 17.3.1722 wurde ihm diese Möglickeit zur Verlängerung seines Aufenthalts nahegelegt: Hanß Caspar Seyfert, suct sowohl scrifftlic, als auc durc hl. Cantore[m] bey dem Hhl. Scolarcen an; das ihme erlaubt werden möcte, auf dero spesen noc ein Jahr lang außerhalb dem studio Musi$o obzuliegen. &$. Ist ihme semel pro sempre v. für alles annoc 50. R. bewilligt worden; die rükreißKosten miteingerecnet. Doc soll ihm unverwehrt sein, da er sic ex proprio oder sonsten [durcgestricen:] sic zuinstentiren[?] wüste, längere Zeit zu Dreßden oder anderswo zu verbleiben; mit dem austrü%licen beding, auf iederweiliges Erfordern vermöge seiner Obliga[ti]on sic zustellen halten solle.88

Kurz vor dem 20.3.1723 wird Seyfert als Chor-Regent neben seinem ehemaligen Lehrer Kräuter angestellt, dem er 1741 im Amt nacfolgte. Bald nac seiner Rü%kehr gründete er in Augsburg ein Collegium musi$um, mit dem er im Jahr 1730 sein Oratorium zum 200. Jubiläum der Augsburger Konfession aufführte.89 Dieses Oratorium stellt eine wictige Quelle für die protestantisce Kircenmusik nict nur in Süddeutscland, sondern auc im Umkreis Pisendels dar und zeigt mit ihren einzeln und in Gruppen konzertierenden Soloinstrumenten (Violine, Violon$ello, Oboe, Flöte, Fagott, Laute, Violetta di gamba) deutlice Einflüsse Vivaldis und Telemanns, die wiederum auf den Violin- und Kompositionsunterrict Seyferts bei Pisendel hindeuten.90 Seyfert selbst erhielt bis 1740 „wegen Information auf der Violin“ regelmä-

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Arciv der Evangelisc-Lutheriscen Gesamtkircenverwaltung Augsburg, Bestand Scolarcatsarciv, Sculprotokolle B-L, Litera F, p. 21. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 33 vom 14.12.1720. Arciv der Evangelisc-Lutheriscen Gesamtkircenverwaltung Augsburg, Bestand Scolarcatsarciv, Nr. 10, Produkt 90, Nr. 139. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 36 vom 6.3.1722. 87 Freundlice Mitteilung nac den Stipendienlisten des Scolarcats von der Arcivarin des Kapitelarcivs Frau Barbara Anders. 88 Arciv der Evangelisc-Lutheriscen Gesamtkircenverwaltung Augsburg, Bestand Scolarcatsarciv, Sculprotokolle B-L, Litera K, p. 34. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 37 vom 17.3.1722. 89 Auc der Verfasser des Textbuces, der Konrektor des Annen-Gymnasiums Micael Lebegott Markgraf, stand mit Pisendel in Verbindung, denn um 1710 war Markgraf als Sopranist unter Pisendels Leitung im Collegium musi$um und an der Neukirce zu Leipzig tätig, vgl. Mattheson 1740, 118. 90 Die Aufführung eines evangeliscen Oratoriums in Süddeutscland muß zu dieser Zeit als ein „absoluter Sonderfall“ angesehen werden, vgl. Massenkeil 1998, Teil 1, 267f. Eine Untersucung dieses bislang fast unbekannten Oratoriums, das in autographer Partitur und vollständigem Stimmenmaterial vorliegt, soll einer separaten Studie vorbehalten bleiben. 86

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ßig secs Taler vom Scolarcat ausbezahlt,91 und es ist nict unwahrsceinlic, daß auc Leopold Mozart, der bis zu seinem actzehnten Lebensjahr in Augsburg lebte, zu seinen Scülern zählte. Obwohl konkrete Belege dafür bislang fehlen, wird deutlic, daß sic der Einfluß Pisendels und seiner Scule über Seyfert auc auf den süddeutscen Raum erstre%te. Auc der Nacruf Seyferts hebt ausdrü%lic hervor, daß dieser bis zuletzt „mit der Zubereitung gesci%ter Musiker für die hiesige und einige auswärtige evangelisce Kircen unermüdlic bescäfftigt war“.92 Darüber hinaus wurde Seyferts Sohn Johann Gottlieb ebenfalls nac Dresden und von dort aus nac Berlin gesandt, um seinerseits eine musikalisce Ausbildung in der von Bac und Pisendel begründeten Tradition zu erhalten. Private Scüler Pisendels sind nur aus der Zeit vor dessen Konzertmeistertätigkeit nacgewiesen, wenn man von seinem Neffen Lindner absieht, der zwar von ihm wohl auc musikalisc erzogen, aber letztendlic von Quantz auf der Flöte unterrictet worden ist. Auc Franz Benda, der 1733 als Geiger nac Dresden kam, kann nict unter die direkten Scüler Pisendels eingereiht werden, wie unten erläutert wird. Da Pisendel nac seiner Ernennung zum Konzertmeister seine solistiscen Aktivitäten einscränkte und laut V67 „dagegen die Anführung des Orcesters desto mehr am Herzen [hatte]“, dürfte seine Unterrictstätigkeit in erster Linie in der Ausbildung von Orcestermusikern bestanden haben. Wie im zweiten Teil dieser Arbeit dargelegt wird, bestand diese Ausbildung sowohl aus Einzel- wie aus Gruppenunterrict, in denen die Grundregeln der Aufführungspraxis und des coriscen Spiels eingeübt wurden. Bei der Ausbildung fortgescrittener Musiker spielte außerdem das Anhören guter Aufführungen eine wictige Rolle, wie bereits anläßlic der Italienreise von Pisendels Scüler Quantz bemerkt wurde. Um das berühmte Dresdner Orcester und die glanzvollen Opern während der Karnevalszeit hören zu können, kamen zahlreice Musiker in die säcsisce Residenzstadt. Da Pisendel als Leiter der Instrumentalmusik dafür zuständig war, wenn ein auswärtiger Künstler sic bei Hofe „hören lassen“ wollte, sceint er ein wictiger Ansprecpartner für durcreisende Musiker gewesen zu sein.93 Nac den Angaben von V67 verscaffte Pisendel diesen Musikern auc „alle möglice Leictigkeit Musik mit Bequemlickeit und Anstande zu hören.“ Möglicerweise konnte er über einige Publikumsplätze bei Opernaufführungen verfügen und ermöglicte fremden Musikern auc Zugang zu den privaten Hofkonzerten im Musikzimmer der Königin, etwa indem sie von einem angrenzenden, als „Bibliothèque“ bezeicneten Raum aus zuhören durften.94 Für einige auswärtige Musiker diente der Aufenthalt in Dresden dazu, sic bei Pisendel Rat zu holen oder Unterrict zu nehmen, denn „mit ihm über musikalisce Dinge zu sprecen, war für aufmerksame Leute so lehrreic als angenehm“, wie der Verfasser von V67 es während seines Dresdenaufenthalts im Jahr 1751 selbst erfah91

Für Hinweise auf die entsprecenden Einträge in den Kassenbücern des Scolarcats bin ic der Arcivarin Frau Barbara Anders zu Dank verpflictet. 92 Vgl. Hiller 1767, 394. 93 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß sic der dreiundzwanzigjährige Georg Christoph Wagenseil aus Wien im Sommer 1738 vergeblic bemüht hatte, in Moritzburg vor dem Hof spielen zu dürfen, vgl. D-Dla, Lo$. 383 Varia, fol. 219-220. 94 Vgl. Landmann 1984, 12.

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ren hat. Ein Jahr nac diesem Besuc scrieb Agri$ola nämlic in seiner Autobiographie: Zur Carnevalszeit dieses 1751[!] Jahres, reisete Herr Agri$ola wieder nac Dresden, und hörete daselbst die Oper Ciro ri$onos$iuto aufführen […]. Herr Agri$ola hatte hier das Vergnügen die persönlice Bekanntscaft des Herrn Hasse und seiner berühmten Gemahlinn zu erhalten; und aus dem Umgange mit dem Herrn Con$ertmeister Pisendel konnte er viele herrlice praktisce Lehren und reizende Aufmunterungen mit nac Hause nehmen.95

Bereits zehn Jahre vor Agri$ola hielt sic auc der zwanzigjährige Flötist, Fagottist und spätere Rudolstädter Kapelldirektor Johann Wilhelm Gehring zu Studienzwe%en in Dresden auf.96 Der Fürst von Scwarzburg-Rudolstadt, der diesen Aufenthalt 1741 finanzierte, hatte Gehring allerdings im November aufgefordert, zu Weihnacten wieder nac Rudolstadt zurü%zukehren, um seine bis dato gemacten Fortscritte unter Beweis zu stellen. In einem erhaltenen Antwortscreiben vom 25.11. 1741, dessen Scönscrift auf eine Kanzlistenausbildung Gehrings hindeuten könnte,97 bittet der Musiker, für die Dauer der Opernsaison noc in Dresden bleiben und mit zusätzlicem Geld Musikalien für den Gebrauc in der Hofkapelle anscaffen zu dürfen: […] Nacdem aber um jene Zeit just das meiste alhier zu profitiren, weil das Opern

spielen den dritten Weyhnact Feyertag den Anfang nimt, und mir der Con$ert-Mstr Pishendel nebst andern selbst gerathen, diese Zeit nict zu versäumen. Als habe Ew: Hoc Fürstl: Durcl: in Unterthänigkeit vorzustellen mic unterwinden wollen, wie ic bey sothaner hin- und wieder Reise das beste versäumen und alsden[n] wegen bald hernac einfallenden Fasten wenig Gelegenheit mehr etwas zu lernen und zu hören haben werde, mit der devotesten Bitte, Ew: Hocfürstl: Durcl: wollen die große Gnade haben vor mic gnädigst zu erlauben, daß ic nur noc so lange, biß solce Opern vorbey seyn werden allhier verbleiben dörfe. [Nacscrift:] Auc […] hätte ic versciedene scöne Musi$alien vor Fleut-Travers, und Fagot so wohl auc Symphonien und andere Sacen bekommen können, wenn ic nur hier und da ein kleines Dou$eur zu macen im Stande gewesen wäre; […]98

Die Formulierung „etwas zu lernen und zu hören“ in Verbindung mit dem „Opern spielen“, könnte darauf hindeuten, daß Gehring auc selbst als Musiker aktiv wurde, wenn auc wohl nict im Rahmen der berühmten Dresdner Hofkapelle. In welcer Weise Gehring mit Pisendel in Verbindung stand, läßt sic jedoc nict bescreiben. Sicer war der Status des jungen Musikers nict vergleicbar mit demjenigen des einunddreißigjährigen Agri$ola, der als Scüler von Bac und Quantz unmittelbar nac seiner Rü%kehr aus Dresden zum königlic preußiscen Kammermusiker und Hofkomponisten ernannt wurde. Studienaufenthalte wie derjenige des jungen Gehring werden wahrsceinlic mit einer Passage aus V67 bescrieben:

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Agri$ola-Autobiographie 1754, 151f. Vgl. Omonsky 1997, 53 und 86. 97 Die Unterscrift ist mit der Handscrift des Haupttextes identisc. Allerdings kann erst nac dem Vergleic mit einer gesicerten Scriftprobe Gehrings entscieden werden, ob die Unterscrift tatsäclic autograph ist oder ob der Brief insgesamt von einem professionellen Screiber gescrieben wurde. 98 D-RUl, Geheimes Rats$ollegium Rudolstadt A XV 4e Nr. 1, A$ta Die Bestallungen derer HoffMusi$orum betr. 1732-1767, fol. 58f. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 67 vom 25.11.1741. 96

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Bis auf die Sci%lickeit oder Unsci%lickeit oder Nothwendigkeit einer kurzen Pause, war er empfindbar; und er theilte auc seine Beurtheilungen denen, die er derselben für würdig hielt, gern mit. Also hat diese seine starke Beurtheilungskraft mancem andern, die in der Jugend mit ihrer Arbeit vielleict zu sehr zufrieden, aber doc immer geneigt waren, gegründete Erinnerungen nict auszusclagen, sondern sic vielmehr zu Nutzen zu macen, gar großen Vortheil gebract. Und dieß war für Herr Pisendeln ein eben so großes Vergnügen, als wenn er selbst ein scönes Stü% ausgearbeitet hätte. […] Jungen Leuten, welce besondere Fähigkeiten in der Musik hatten, war er […] ungemein geneigt fortzuhelfen, und ihre Bemühungen mit gutem Rathe und Belehrungen zu unterstützen.99

Für solce jungen Musiker dürfte der Besuc in Dresden, bei dem sie den berühmten Konzertmeister kennenlernen und die Hofkapelle hören und „bei der Arbeit“ sehen konnten, ein prägendes Erlebnis gewesen sein. Sehr wahrsceinlic hat das Dresdner Vorbild die nord- und mitteldeutsce Musikpraxis nachaltig beeinflußt, zumal die Dresdner Praxis in der prominenten Berliner Hofkapelle weitergeführt wurde.100 Außer in den erwähnten Scriften des späteren Thomaskantors Hiller läßt sic diese Traditionslinie am Beispiel der Rudolstädter Hofkapelle anscaulic nacvollziehen, denn zusammen mit der Berufung Gehrings zum Kapelldirektor wurde 1771 ein Scüler Franz Bendas, Johann August Bodinus, zum Konzertmeister ernannt. Dessen Vorgänger Georg Gebel sowie dessen Nacfolger Johann Gustav Spangenberg kamen beide aus Dresden, wo sie in der Polniscen und Brühlscen Kapelle tätig waren, so daß die Ausbildung des 1749 in Rudolstadt geborenen Heinric Christoph Koc, der nac Spangenberg als Konzertmeister der Rudolstädter Hofkapelle fungierte,101 ganz in dieser Dresdner Tradition stand. Koc scließlic trug die auf der Arbeit Pisendels beruhenden Traditionen durc die Veröffentlicung seines berühmten und einflußreicen Musi$aliscen Lexikons von 1801, das zahlreice Artikel zur Aufführungspraxis enthält, bis ins 19. Jahrhundert weiter.

Pisendel als Kollege und Freund Die Angaben der frühen Lebensbescreibungen zur Privatperson Pisendel sind sehr spärlic, und auc arcivalisce Dokumente nehmen in erster Linie auf Pisendels beruflice Tätigkeit Bezug. Es sceint, als sei das Leben des Konzertmeisters Pisendel in rect geordneten Bahnen verlaufen, die durc das intensive Musikleben des Dresdner Hofs vorgegeben waren und nur selten von Reisen und Besucen unterbrocen worden sind. Da Pisendel an der Kreuzkirce am Altmarkt wohnte, pflegte er außerdem nacbarscaftlice und musikalisce Beziehungen zu den Scülern der

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V67, 289f. Möglicerweise wurde auc der spätere Kapellmeister des Grafen von Thurn und Taxis Josph Riepel während seines Dresdner Aufenthalts von 1740—45 von Pisendel „mit gutem Rathe und Belehrungen“ unterstützt, vgl. unten Abscnitt II, 3. „Der Konzertmeister als Spezialist für die stilgemäße ‚Ausführung‘ fremder Werke“. 101 Vgl. Omonsky 1997, 54. 100

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Kreuzscule und ihrem Kantor Theodor Christlieb Reinhold.102 Mit vielen Musikern, die im Lauf der Zeit Pisendels Weg kreuzten und mit denen er Freundscaft scloß, unterhielt er einen Briefwecsel, als diese sic nict mehr in seiner näheren Umgebung befanden.103 Zu diesen Korrespondenten zählen etwa sein alter Freund Telemann oder seine ehemaligen Scüler in Berlin. Auc die bereits oben erwähnte Freundscaft Pisendels mit dem Freiberger Orgelbauer Gottfried Silbermann blieb bis an deren Lebensende bestehen. Zeugnisse hierfür finden sic, außer in einem Bündel Briefen von Pisendel, die sic in seinem Naclaß befunden haben,104 in zwei Orgelgutacten für Silbermann, die Pisendel als Vorsitzender der Prüfungskommission verfaßt und unterzeicnet hat.105 Beide Bericte über die Orgelabnahme für die Dresdner Frauenkice (1736) und die Johannis-Kirce in Zittau (1741) stimmen über weite Stre%en wörtlic überein und belegen, daß der Kantorensohn Pisendel in organologiscen Fragen bewandert war. Auc als der Straßburger Neffe Silbermanns, Johann Andreas Silbermann, Pisendel im Jahr 1741 einen Besuc abstattete, unterhielten sie sic über Facfragen des Orgelbaus, wie aus den Aufzeicnungen in dessen Reisetagebuc hervorgeht.106 Der freundlice, „leutselige“ Umgang Pisendels mit fremden Musiker ging dabei „über die Höflickeiten des bürgerlicen Umganges“ hinaus, wie V67 betont, und wegen seiner „wahren und thätigen“ Freundscaft gegenüber seinen Kollegen wurde „er auc von ihnen in hohem Grade geehret und geliebet.“ Diese Aufmerksamkeit erfuhren allerdings nur diejenigen, „die er derselben für würdig hielt“, wie aus einer Bemerkung in V67 anklingt, denn Pisendel soll „auc öfters den Undank der Welt, wie es immer gehet, erfahren“ haben. Aus Pisendels Briefen an Telemann geht hervor, daß er durcaus nict alle seine Kollegen, etwa die Geiger Fran$es$o Maria Cattaneo oder Johann Baptist Neruda, seiner Freundscaft für wert hielt. Daß er sogar grundsätzlic ein großes Mißtrauen gegen italienisce Musiker hegte, wird im folgenden Exkurs beleuctet werden. Während über die privaten Alltagskontakte Pisendels selbstverständlic keine Informationen in den Hofakten zu finden sind, bieten Einträge in Kircenregistern eine seltene Gelegenheit, Aufscluß über diejenigen Personen zu erhalten, die dem engeren Kreis um Pisendel zugeordnet werden können. Im Gegensatz zu den Matrikeln der Kreuzkice, zu deren Gemeide Pisendel gehörte, sind die Kircenbücer der Katholiscen Hofkirce im fraglicen Zeitraum nict von Kriegsverlusten betroffen. Eine Untersucung ergab, daß Pisendel immer wieder als Taufpate oder Trauzeuge in den Matrikeln des katholiscen Dompfarramts ersceint. Daß Pisendel überhaupt als Protestant derartige Funktionen übernehmen konnte, hängt wohl einerseits mit dem damaligen Mangel an katholiscen Einwohnern in der Residenzstadt zusammen. Andererseits war Pisendel bei den Jesuiten durc seine häufigen Auftritte im Hofgottesdienst bekannt und offenbar auc gescätzt, denn im Diarium Missionis 102

Pisendel erwähnt Reinhold in den drei letzten Briefen an Telemann. Zur Freundscaft zwiscen beiden vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 387, 390. 103 Vgl. Köpp 1999, 60. 104 Vgl. Müller 1982, 402. 105 Vgl. Müller 1982, 448ff und 457f. 106 Vgl. Scaefer 1994, 168, und Pisendel-Dokument Nr. 68. Der Eintrag über einen Besuc bei Pisendel ist nict datiert.

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wird erwähnt, daß er am 27.12.1736 zusammen mit Zelenka bei den Jesuiten zum Essen eingeladen war.107 Unter den Einträgen im Tauf- und Heiratsregister, die auf private Beziehungen Pisendels hindeuten, gibt es allerdings keine Überrascungen, denn bis auf eine Ausnahme handelt es sic immer um Mitglieder der Hofkapelle. 1737 ist Pisendel Trauzeuge bei zwei katholiscen Ehescließungen: die erste betrifft den Organisten der Hofkirce Augustin Uhlig, der als Geiger gleiczeitig Mitglied der Hofkapelle war, und die zweite Pisendels engen Freund und Scüler Quantz, der als Protestant die katholisce Witwe Anna Rosina Scindler heiratete.108 1739 steht Pisendel Pate für ein Kind des königlicen Hornisten Johann Georg Knectel, dem Pisendel sic ebenfalls verbunden gefühlt haben mag, denn zu Beginn des gleicen Jahres stellte Pisendel ihn für eine Reise nac Prag von den Diensten der Kapelle frei.109 Noc im Jahr 1750 wird Pisendel Trauzeuge bei der Hoczeit des Kapelldieners Johann Gottfried Werner, der offensictlic ein wictiges und verdienstvolles Mitglied der Hofkapelle war, denn neben Pisendel fungierte auc das Ehepaar Hasse als Trauzeugen.110 Eine überrascende Information bietet lediglic der früheste Eintrag, denn am 12.5. wird Pisendel unter den Taufpaten für eine Tocter des königlicen Leibgardisten Lu$as Kuklinsky verzeicnet. Anders als bei den übrigen Einträgen, ist auf den ersten Bli% keine Verbindung Kuklinskys zu Pisendel erkennbar, denn der polnisce Leibgardist gehörte nict dem beruflicen Umfeld Pisendels an. Aus den Trauungsmarikeln geht hervor, daß der Grenadier der Leibgarde Lu$as Kuklinsky erst secs Monate zuvor, am 25.11.1734, in der Katholiscen Hofkirce getraut worden war. Mit seiner Patenscaft unterstützte Pisendel also ein Kind, das offenkundig aus einer unehelicen Verbindung hervorgegangen war. Der Name der Mutter wiederum könnte dieses Engagement Pisendels erklären, denn Kuklinsky heiratete eine gewisse Jungfer Anna Barbara „Zelenkin“, eine Tocter des „gewesenen Kammerdieners u. Bürgers zu Prag“ Wen$eslaus Zelenka (oder Zelenki). Daher soll die Zelenka-Forscung auf die Frage aufmerksam gemact werden, ob es sic bei Anna Barbara „Zelenkin“, die bereits 1732 und 1733 als Trauzeugin in Dresden nacweisbar ist, möglicerweise um eine Verwandte des Komponisten und Kontrabassisten Jan Dismas Zelenka handelt, mit dem Pisendel befreundet war.

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Der Berict aus V67, daß Pisendel sic für seine Musikerkollegen freundscaftlic einsetzte, läßt sic auc am Beispiel von Franz Benda bestätigen. Entgegen einer verbreiteten Meinung ist Benda jedoc nict unter die direkten Scüler, sondern eher unter die Freunde Pisendels zu zählen. Obwohl Benda nämlic seit 1719 für anderthalb Jahre als Kapellknabe an der Katholiscen Hofkirce in Dresden tätig war, ist es eher unwahrsceinlic, daß der Zehnjährige von Pisendel Geigenunter107

Vgl. Diarium Missionis, 371. Die entsprecende Anekdote bei Marpurg 1786, 67ff, die von einer durc die Witwe Scindler fingierten Not-Trauung berictet, erweist sic hiermit als überspitzt. Aus den Trauungsmatrikeln geht außerdem hervor, daß die Frau Quantzens bereits verwitwet war, als „Andres Scindler ex Polonia“ sie am 23.7.1724 in Dresden heiratete. 109 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 62 vom 5.1.1739. 110 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 81 vom 21.4.1750. Für ihre Unterstützung bei der Recerece der PisendelEinträge in den Matrikeln des katholiscen Dompfarramts in Dresden danke ic Frau Dr. Ulrike Kollmar. Zu den wictigen Aufgaben des Kapelldieners vgl. unten, Abscnitt IV, 4. „Auswählen und Einteilen der Musiker“. 108

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rict erhielt, zumal da er der deutscen Sprace anfangs kaum mäctig war.111 Solcen Unterrict hat er wahrsceinlic von einem Chorpräfekten oder dem „Primarius fidi$en“ des Kapellknabeninstituts erhalten, die ebenfalls häufig böhmiscer Herkunft waren, denn in seiner Autobiographie screibt Benda: „In Dresden, wo die Capell Knaben unter sic Con$erte hielten, spielte ic die Viola. Zugleic übte ic mic auf der Violine und spielte die damahligen Vivaldiscen Con$erte auswendig.“112 Pisendel unterrictete in dieser Zeit deutlic ältere und damit auc fortgescrittenere Musiker: die Brüder Graun an der Kreuzscule und Johann Caspar Seyfert, der ja bei ihm wohnte.113 Über große Umwege kam Benda dennoc wieder als Geiger nac Dresden zurü% und erfuhr dort die freundscaftlice Unterstützung Pisendels. Aus der von seinem Leibherrn veranlaßten Ausbildung zum Kammerdiener war Benda zusammen mit einem Landsmann, dem Geiger Georg Czarth, nac Polen geflohen, wo sie in der Kapelle des Starosten Fabian Szaniawski Soca$zewski nahe Warscau tätig waren. 1732 wurde zunäcst Benda und wenig später Czarth als Geiger in die Polnisce Kapelle Augusts des Starken aufgenommen.114 Von dieser Position aus war der Weg nac Dresden nict mehr weit, denn nac dem Tod Augusts des Starken am 1.2. 1733 war die Polnisce Kapelle aufgelöst worden, wie Benda screibt: Mic verlangte sehr wo Möglic nac Dresden zu Kommen, hierzu fand sic bald eine Gelegenheit [als] der König Augustus starb. Der Herr Graff Brühl sci%te viele seiner Bagage dahin, worüber der Musi$-Dire$tor Herr Scultze die Auffsict hatte. Unter den Jeenigen die mit ihm giengen war ic mit wie auc Herr Czarth.115

Offensictlic sollten beide, Benda und Czarth, auf Empfehlung des Grafen Brühl in die Dresdner Hofkapelle übernommen werden, und Czarth wurde tatsäclic am 116 1.4.1733 eingestellt. Benda dagegen erhielt keine Anstellung, sondern blieb nac eigenen Angaben nur etwa zwei Monate in Dresden. Während dieser Zeit reiste er zudem nac Prag und kaufte sic bei seinem Landesherrn von seiner Leibeigenscaft los. Vor allem aber unternahm er einen lange vorbereiteten Scritt, indem er mit Hilfe des Dresdner Superintendenten Valentin Ernst Löscer zum Protestantismus konvertierte.117 Diese Konversion, die aus politiscen Gründen heimlic in der Kreuzkirce stattfinden mußte, wurde jedoc bekannt, und Benda geriet dadurc in eine scwierige Lage. Da Benda und Czarth zu dieser Zeit offensictlic bereits als künftige Mitglieder der Dresdner Hofkapelle betractet wurden, kümmerte sic Pisendel um diese jungen Musiker und versucte, Benda in seiner scwierigen Lage 111

Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 139f. Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 141. Zum Kapellknabeninstiut vgl. Horn 1987, 37ff. 113 Erst nac seinem kurzen Aufenthalt als katholiscer Kapellknabe in Dresden erhielt Benda ordentlicen Unterrict auf der Violine, denn der Graf Kleinau, dessen Leibeigener er war, sandte ihn nac Prag, wo er von einem der „damahligen besten Violinisten Nahmens Kony$zek“ zehn Wocen lang unterrictet wurde. Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 142. 114 Benda erhielt die Stelle des Violinisten Balthasar Villi$us, der am 14.12.1731 gestorben war, vgl. Benda-Autobiographie 1763, 146, und Zórawska-Witkowska 1997, 491. Benda und Czarth werden beide im HStCal 1733 unter den Musikern der Polniscen Kapelle geführt. 115 Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 146. 116 Bei seiner Anstellung am 1.4.1733 erhielt Czarth 230 Taler, ab dem 1.12.1733 eine Zulage von 100 Talern. Im HStCAl 1735 und 1736 ist er als Violinist verzeicnet, vgl. Hoc 1995, 140, und ZórawskaWitkowska 1997, 424. 117 Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 155. 112

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zu helfen. Wahrsceinlic auf Initiative Pisendels erhielt Benda nämlic zu dieser Zeit eine scriftlice Einladung von Quantz, an den Hof des preußiscen Kronprinzen Friedric nac Ruppin zu kommen: S. Maj. der König hielten Sic damahls Als Cron Printz in Ruppin auff, von wannen Herr Quantz […] welcer die Gnade hatte Höcst Dieselben auf der Flöte zu informiren an mic scrieb; gewisse Religions umstände […] Macten, daß mir dieser Beruff sehr angenehm gewesen, ic nahm also meine Dimission. Der Minister Graff Brühl, wolte mic zwar in Diensten zu bleiben bereden, allein Meine ursacen überwogen alles.118 Einer Meiner damahligen vertrauten Freunde neml. der würdige nunmehro in Gott ruhende Con$ert Meister Pisendel rieth mir über Zerbst zu gehen, und gab mir an den seel. Capelmeister Fasc Brieffe mit. Selbiger nahm mic sehr wohl auf. Er Verscaffte mir die Gelegenheit bey Hoffe mic hören zu lassen. Man offerirte mir allda die Con$ert Meister Stelle, weil ic Sie aber nict annehmen Kunte, so sclug ic den Nunmehrigen Herrn Con$ertmeister Hö%h der sic damahls annoc in Pohlen auffhielt vor, ein Mann welcen ic ausser der Musi$aliscen Gesci%lickeit Seines tugendhafften und Gott fürctigen Chara$teurs wegen sehr hoc scätze.119

Nac eigenen Angaben traf Benda bereits am 17.4.1733 in Ruppin ein und wurde sofort als Violinist und Altist angestellt.120 Während seines etwa zweimonatigen Aufenthalts in Dresden pflegte er offenbar intensiven Umgang mit Pisendel, denn Benda bezeicnet ihn als einen seiner „damahligen vertrauten Freunde“. Dabei dürfte Pisendel gerade auc für den Gewissenskonflikt des jungen Geigers Sympathie empfunden haben. Auc wenn Pisendels Bemühungen, Benda auswärts unterzubringen, lediglic im Fall der Empfehlung nac Zerbst verbürgt sind, deutet der Brief des Pisendel-Vertrauten Quantz aus Ruppin, aber auc die Tatsace, daß Bendas heimlice Konversion in der Kreuzkirce stattfand, auf weitere Initiativen Pisendels hin. Vermutlic war es allein den Kontakten Pisendels zu verdanken, daß Benda so scnell der scwierigen Situation in Dresden entkommen konnte, die er in seiner Autobiographie als bedrohlic bescreibt.121 Im April oder Mai 1734 traf Benda erneut mit Pisendel zusammen, denn auf der Rü%reise von einem siebenwöcigen Aufenthalt in Bayreuth nahm er den Weg „über Dresden um Meine alten Freunde zu besucen.“122 Aufgrund der Formulierung ist anzunehmen, daß Benda nict etwa seine „neuen“ Freunde Pisendel oder Quantz meinte, sondern seine Gefährten aus polniscen Tagen: Georg Czarth, Carl Hö%h und den Protestanten Wilhelm Weidner, der den Anstoß zur Konversion der Katholiken Benda und Hö%h gegeben hatte. Während Czarth mittlerweile offiziell der Dresdner Hofkapelle angehörte, waren nämlic auc die übrigen Freunde nac Sacsen gekommen, wie Benda berictet:

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Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 155f: „[…] da ic den Beruff aus Ruppin eben damahls erhielte, so gieng ic zu den Jetzigen Minister Graffen Brühl Ex$ellenz um Abscied zu nehmen, Er sucte mic zwar zu bereden, dass ic bleiben Möcte, der Scritt den ic gethan, solte mir nergenst praejudi$iren, ic blieb aber bei meinem Vorsatz und begab mic auf die Reise.“ 119 Benda-Autobiographie 1763, 148f. 120 Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 146f. 121 Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 154ff. Zur Rolle der Konfession innerhalb Dresdner Hofkapelle vgl. den folgenden Exkurs III. 122 Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 148, und Hiller 1766, 192. Dagegen bezeicnet Benda Quantz an gleicer Stelle als „einen Meiner Nunmehrigen besten Freunde“ und Pisendel als „einen Meiner damahligen vertrauten Freunde“.

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Herr Carl Hö%h der noc viel mehr Ernst [in Glaubensdingen] wie ic gebraucte […] verließ samt den[!] Weidner die Dienste [in Polen], gieng nac Sacsen und bekandte sic zu der Evangeliscen Religion.123

Offenbar bracte dieser Besuc in Dresden ein Wiedersehen der vier „alten“ Freunde, und es ist nict unwahrsceinlic, daß Pisendel auc dem künftigen Zerbster Konzertmeister Hö%h aus Sympathie für dessen religiöse Überzeugungen hilfreic zur Seite stand. Es liegt jedoc in der Natur der Sace, daß sic diese auc von V67 bestätigte Hilfe Pisendels für seine „Collegen“ nur in den seltensten Fällen nacweisen läßt. Daher kann allenfalls gemutmaßt werden, daß Pisendel sic bei dieser Gelegenheit auc für den Waldhornisten und Kopisten Weidner einsetzte, denn scließlic war er es, durc dessen Vorbild Benda und Hö%h der Konfession Pisendels zugeführt wurden und der deswegen aus Polen fliehen mußte.124 In der modifizierten Fassung von Bendas Autobiographie, die Hiller 1766 herausgab und deren Verfasser wahrsceinlic Marpurg ist,125 sind einige zusätzlice Informationen enthalten, etwa über einen weiteren Besuc Bendas in Dresden zum Karneval 1738. Bei dieser Gelegenheit soll Benda mit Pisendel und Weiß bis spät in der Nact musiziert haben: Im Carneval des 1738ten Jahres reisete Herr Benda, auf Einladung des Herrn Con$ertmeisters Pisendel, welcer mit ihm in einem freundscaftlicen Briefwecsel stand, nac Dresden, um die Hassisce Oper: La Clemenza di Tito anzuhören. […] Eines Tages lud Herr Weiß den Herrn Benda nebst dem Herrn Pisendel zum Mittagessen ein, und ließ heimlic Herrn Bendas Violinkasten nacholen. Des Nacmittags bat man den Herrn Benda ein Solo zu spielen, wobey ihn Herr Pisendel mit der Viola Pomposa […]126 begleitete. Nac dem ersten Solo wurde das zweyte gefodert, und so ging es immer weiter: so daß, da die Gesellscaft bis um Mitternact beysammen blieb, und Herr Benda vier und zwanzig Solos in seinem Kasten hatte, er nict eher los kam, als bis er sie alle nac und nac durcgespielet hatte.127

Am Ende des Zweiten Sclesiscen Krieges im Dezember 1745 hielt sic Benda erneut in Dresden auf, denn der siegreice Preußenkönig Friedric II. ordnete nac seinem Einzug in Dresden eine Vorstellung von Hasses Oper Arminio an, bei dessen Besuc Benda ihn begleitete.128 Als Franz Benda anläßlic einer weiteren Reise nac Bayreuth im Jahr 1751 wieder durc Dresden kam,129 sah er seinen „damahligen vertrauten Freund“ Pisendel, der „mit ihm in einem freundscaftlicen Briefwecsel stand“, vermutlic zum letzten Mal.

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Benda-Autobiographie 1763, 155. Zur Biographie Weidners vgl. Benda-Autobiographie 1763, 156f, und unten, Exkurs V. „Zur Identifikation der Notisten aus Pisendels Umkreis“. 125 Das autographe Manuskript von Bendas Autobiographie ist an Marpurg gerictet und nimmt auf dessen Bitte um eine Lebensbescreibung bezug, vgl. Benda-Autobiographie 1763, 158. Marpurg war außerdem zu weitreicenden Änderungen befugt: „[…] Uebrigens wird es von Ew. HocEdelgebohren dependiren dieses und Jehnes zu Verlängern oder zu Verkürtzen, den lebenslauff selbst betreffend, werden Sie dass Scertzhaffte noc Viel besser und Angenehmer einzuKleyden wissen. Wehrtester Freund, ic bedaure Sie wegen der Vielen Mühe die Ihnen mein Misc-Masc verursacen wird […], wolten Sie allenfals das gantze Wer% als eine Erzählung in Tertia Persona vortragen, so hätte ic ebenfals nicts einzuwenden, thuen Sie dass was Ihnen das beste zu sein däuct.“ 126 Marpurg gibt in der hier folgenden Fußnote die früheste bekannte Bescreibung der Viola Pomposa wieder. 127 Hiller 1766, 192f. Diese Begebenheit wird in Bendas Autobiographie von 1763 nict erwähnt. 128 Vgl. Lorenz 1967, 23, und Menni%e 1906, 393, letzterer basiert auf Fürstenau 1862, 241. 129 Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 152. 124

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E XKURS III: „… DA ICH AUF DIE EWIG DAUERN “ –

S ERIEUSERE D INGE ZU DENCKEN U RSACH HABE , P ERSÖNLICHE A SPEKTE IN DER B IOGRAPHIE P ISENDELS

Den zahlreicen Zeugnissen und Dokumenten zu Pisendels Tätigkeit als Konzertmeister stehen nur wenige Hinweise gegenüber, die den Bli% auf die Privatperson Pisendel freigeben. Diese finden sic vor allem in den vier Briefen Pisendels an Telemann und in den drei frühen Lebensbescreibungen. Dabei soll jedoc nict der Versuc unternommen werden, die Persönlickeit Pisendels, der unverheiratet und rect zurü%gezogen mit seinem Diener in einem Haus am Altmarkt lebte, umfassend zu carakterisieren. Bei der Durcsict des Materials fallen jedoc zwei Aspekte auf, die in einem merkwürdigen Gegensatz zueinander stehen: Pisendels Abneigung gegen italienisce Musiker, die sogar fremdenfeindlice Züge trägt, auf der einen Seite, und die Betonung der „teutscen Redlickeit“ sowie seine tiefe Frömmigkeit auf der anderen. Beide Aspekte, in deren Spannungsfeld die Persönlickeit Pisendels nur erahnt werden kann, sollen im folgenden herausgegriffen werden.

„Teutsce Redlickeit“ und „Welsce Tü%e“ Die vier erhaltenen Briefe Pisendels an Telemann sind die einzigen Dokumente, die unmittelbare Einbli%e in die Denkweise und Wertvorstellungen Pisendels erlauben. Daher sind besonders die seltenen Bemerkungen, mit denen Pisendel sic selbst carakterisiert, in diesem Zusammenhang interessant. Zu berü%sictigen ist dennoc, daß ein gescriebener Brief einen gewissen Grad von Reflexion voraussetzt und daß bei den Selbstäußerungen Pisendels ein bestimmtes Bild beabsictigt sein könnte. Während Pisendel sic in seinem Brief von November/Dezember 1750 für sein langes Scweigen entsculdigt, carakterisiert er sic selbst als „einen alten ehrlicen Diener“.1 Diese Ausdru%sweise erinnert zwar an eine Höflickeitsfloskel, wiederholt sic aber im folgenden Brief, den Pisendel sogar mit den Worten unterzeicnet: „ic verbleibe also in alter teutscer Redlickeit, so lang ic lebe aus gantzem Hertzen und größter Begierde Meines unscätzbaren Bruders gantz eigener Diener […].“2 Obwohl auc dieser Satz an eine Sclußformel erinnert, wird aus der emphatiscen Wortwahl Pisendels doc erkennbar, daß er die Formel im wörtlicen Sinn verstanden wissen wollte. Auc aus den übrigen Briefen an Telemann muß die geradlinige, „alte teutsce Redlickeit“ Pisendels erkennbar gewesen sein, denn Telemann hebt sie in seinem Gedict auf den verstorbenen Freund besonders hervor: Nac des Hofes Sitten wandeln; Günstling seyn, und doc dabey Ohne Stolz und Falscheit handeln, Rect nac alter deutscer Treu;3

1

Telemann Briefwecsel 1972, 353 (Brief von November oder Dezember 1750). Telemann Briefwecsel 1972, 359 (Brief vom 26.3.1751). 3 V67, 292 (Pisendel-Dokument Nr. 94). 2

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Entsprecend konstatiert auc Hiller in seiner Lebensbescreibung Pisendels: „Redlickeit war ein Hauptzug in seinem Charakter.“4 In seiner Vorlage heißt es an gleicer Stelle: „Sein redlices Gemüthe hat er in der Treue gegen Gott, in vielen und großen Wohlthaten gegen Arme und Nothleidende bewiesen.“5 In dieser frühesten Lebensbescreibung, die der Person Pisendel am näcsten steht, wird der Begriff Redlickeit offensictlic nict einfac mit Ehrlickeit beziehungsweise „Aufrictigkeit“ oder „Treuhertzigkeit“ gleicgesetzt,6 sondern besitzt eine umfassendere moralisce Bedeutung. Besonders auffällig wird dies in dem anscließenden Satz: „Es bedauern desselben Tod […] so wohl alle Kunstverständige, als Redlice.“7 Das Wort „Redlice“ wird hier verwendet, als sei damit eine ähnlic fest umrissene Personengruppe gemeint wie die der „Kunstverständigen“. Nac dem zeitgenössiscen Spracgebrauc ist mit dem Begriff „Redlice Leute“ tatsäclic eine besondere Personengruppe gemeint. Aus dem gleicnamigen Artikel in Zedlers Universal-Lexi$on geht hervor, daß dieser Begriff im Sinne eines Absatzes aus dem zweiten Bucs Mose (Kapitel 18, Verse 20f) verwendet wurde, in dem davon berictet wird, daß Moses unter seinem Volk Stellvertreter und Ricter erwählt hat, die als „Redlice Leute“ bezeicnet werden: Und so erwählte Moses bey Aufrictung seines neuen Regiments redlice Leute, Ansce cail, viros strenuos, […] die da redlic waren ein mal quoad genus & famam ihrem Herkommen und guten Namen nac, die von ehrlicen Eltern gezeuget und gebohren waren; redlic so dann quoad animum, ihrem Gemüthe nac, die da freudig und hertzhafft waren, und im Unglü% sic nict feige finden oder gleic Hände und Füsse sin%en liessen; redlic auc quoad vitam, dem Leben und tugendhaften Wandel nac, die rectscaffen lebten und redlic handelten, redlic quoad justitiam administrandam, der Gerectigkeit im Gericte nac, die die Gerectigkeit handhabeten und sic nict mit Gelde bestecen liessen oder Gescen%e nahmen über den Unsculdigen, sondern iedermann Rect wiederfahren[!] liessen ohne alles Ansehen der Person.8

Die Charakterisierung dieser „Redlicen“ läßt vermuten, daß sic eine bestimmte Personengruppe, zu der wohl auc Pisendel gehörte, mit der Aufgabe identifiziert hat, durc cristlice Taten unter ihren Mitmenscen als Vorbild zu wirken. Tatsäclic fallen die Pisendel nacgerühmten Eigenscaften wie standhafte Frömmigkeit, Wohltätigkeit, persönlice Besceidenheit, Desinteresse an materiellen Dingen, selbstlose Lehrtätigkeit usw. unter den Wertekanon dieser „redlicen Leute“. Ob sic Pisendel nur individuell mit diesen Werten identifizierte oder ob die zeitgenössiscen Theologen eine konkrete Gruppe von Menscen darunter verstanden, etwa fromme Laien in herausragenden Positionen, kann an dieser Stelle nict weiter untersuct werden. Bemerkenswert ist jedoc, daß Herzog Friedric IX. zu SacsenGotha bereits 1690 einen „Orden der Teutscen Redlickeit“ gestiftet hat und

4

V84, 196f. V56, 303, ähnlic in V67, 289. 6 Vgl. Zedler 1732-52, Artikel „Aufrictigkeit“, Bd. 2, 2164: „Redlickeit und Treuhertzigkeit sind von der Aufrictigkeit gleicgültige Wörter.“ 7 V56, 303. 8 Vgl. Zedler 1732-55, Artikel „Redlice Leute“, Bd. 29, 1741. 5

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Mattheson die „Teutsce Redlickeit“ noc 1739 in seinem Buc Der vollkommene Capellmeister als einen „Ehren-Titel grosser Herren“ bezeicnet.9 Festzuhalten bleibt, daß der von Pisendel gebraucte Begriff der „alten teutscen Redlickeit“, der auc in der frühesten Lebensbescreibung wiederkehrt, über die Wortbedeutung „Ehrlickeit“ hinaus bestimmte Charakterzüge und Verhaltensweisen meint, die als „teutsc“ identifiziert werden. Der „teutscen Redlickeit“ steht das individualistisce und egozentrisce Verhalten gegenüber, das Pisendel vor allem bei seinen italieniscen Musikerkollegen erlebt zu haben sceint. Dieser Gegensatz ist sogar in seiner alltäglicen Orcesterarbeit offen zutage getreten, wie aus einem Brief an Telemann vom 3.6.1752 hervorgeht. Wiederum carakterisiert Pisendel seine eigene Position mit den Worten „alte Treuherzigkeit [= Redlickeit]“ und stellt sic als gutgläubiges Opfer italieniscer Falscheit dar: eins habe ic noc vergeßen, zu sagen, daß ic aus alter Treuherzigkeit und da mir die wahre Freundscaft 1000 mal zugescworen worden, Herrn Haßen um Gottes Willen gebethen, daß er keine Italiäner mehr in die orcestre setzen wolle. nict als wenn ic an ihren Spihln was auszusezen e.g. in Solis oder Con$erten, nur allein deßwegen daß sie niemals gewohnt Subje$t zu seyn, sondern vielmehr selbst zu dirigiren, dahero auc kein Ernst in der Exe$ution, mithin ohne auf andere zu hören spihlen wenn und wie sie wollen. Et$. er nahm es aber heimlic übel auf und verhezte wider mic fast alle Italiäner, daran mir aber wenig gelegen, ob ic gleic nict gern Feinde hab von welcer Sorte sie auc seyn mögten. Gott vergeb es ihm, ic habe es wahrlic nict um ihn verdient, da jedermann überzeugt ist, wie herzlic u. brüderlic ic ihn so zu sagen, biß aufs Blut assistiret hab; aber auc hier heißts: Undan% in fine laborum.10

Der italienisierte und zum katholiscen Glauben konvertierte Kapellmeister Hasse, der Pisendel „die wahre Freundscaft 1000 mal zugescworen“ hatte, nahm Pisendels Bitte „heimlic übel auf und verhezte“ die italieniscen Kapellmitglieder gegen den alten Konzertmeister. – Diese Darstellung kann als ein typisces Beispiel für die italienisce Falscheit, die sogenannte „welsce Tü%e“, angesehen werden, die auc in der damaligen Fürstenerziehung ein fester Begriff ist und dem die „teutsce Redlickeit“ entgegen gesetzt wird.11 Aus der Sict des Orcestererziehers Pisendel ist es verständlic, daß er auc von seinen italieniscen Kollegen die Beactung der Orcesterdisziplin einfordert. Offenbar hatte Pisendel die Erfahrung gemact, daß deutsce Musiker weniger individualistisc waren, sic also besser und zuverlässiger in das Orcestertutti einfügen konnten und daher umso mehr den erforderlicen „Ernst in der Exe$ution“ besaßen. Bei einer derart starken Identifikation mit den Werten der „alten teutscen Redlickeit“ ist es verständlic, daß Pisendel das oben bescriebene Verhalten italieniscer Kapellkollegen zuwider sein mußte. Tatsäclic finden sic in fast allen Briefen an Telemann Bemerkungen, die seine tiefe Abneigung gegen die angeblice Unzuver9

Vgl. Zedler 1732-55, Artikel „Teutsce Redlickeit“, Bd. 33, 117, und Mattheson 1739, Zuscrifft [7]. Zudem war Pisendel als Konzertmeister tatsäclic in erster Instanz für die Sclictung kapellinterner Streitigkeiten zuständig, vgl. unten Abscnitt II, 2. „Vertreten des Kapellmeisters in Personalangelegenheiten“. 10 Telemann Briefwecsel 1972, 361f (Brief vom 3.6.1752). 11 Zum Begriff „Welsce Tü%e“ vgl. Grimm 1922, Bd. 11, 1530, und Bd. 13, 1336f. Die Ansict, daß Italiener tü%isc seien, war offenbar so allgemein, daß sie sogar in dem Artikel „Italien“ in Zedlers Lexi$on Eingang findet, vgl. Zedler 1732-52, Bd. 14, 1429 (vgl. ebenso Bd. 14, 1424f).

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lässigkeit und die Unredlickeit der Italiener insgesamt, eben die „welsce Tü%e“, belegen. So klagt Pisendel beispielsweise über seine „von einem jungen Menscen kaum ertragende Arbeit |: sonderlic wenn man sic auf Italiäner zu verlassen hat :|“ und ergänzt: „daß der Opern wegen ein Italiäner den andern hinter das Lict geführt, wundre mic nict, denn sie sind dazu gebohren, und betrügen sie nict einen andern, so sconen sie sic selbst nict“.12 Diese Haltung Pisendels spiegelt sic auc in Randbemerkungen, etwa daß die Italiener „doc überhaupt Brahler sind“,13 aber in seinem Brief vom 16.4.1749 geht Pisendel über Randbemerkungen weit hinaus und läßt an Deutlickeit nicts zu wünscen übrig: Der Herr Bruder will erst noc warten und alsdann erst urtheilen, ob es wahr, daß kein Welscer dem andern getreu: Mein Scluß ist scon längst daß ein Welscer scon von Mutterleib an, noc in folio, ehe es so mit ihm zur Blüte oder Fruct gekommen, arglistig, falsc, dü%isc u interessirt ist, weiln er so scon empfangen und gebohren wird: will man ja das scöne Wörtgen: getreu an ihnen gebraucen, so mögte man ohne $omparais: das an sic getreue Thier, einen Hund sic vorstellen, der so gar sein gut naturell vergißt, wenn es auf das intered ankomt u sic deßwegen mit allen seines Gesclects herumpeißt: so ist revera ein Welscer mit seinem heuceln u scmeiceln, insonderh. wenn es aufs intered ankömt. Die Prob seh ic hier alle Tag, u kan der Wind nict so oft sic endern als deren ihre Freundscafft unter sic.14

Wie in der Episode mit Hasse bezieht sic Pisendel wiederum auf die „welsce Tü%e“, die er sogar als Nationalcarakter der Italiener apostrophiert. Die Ausführlickeit dieser Passage zeigt, wie wictig dieses Thema für Pisendel war und daß er sic offenbar stark betroffen fühlte. Auc wenn nacvollziehbar ist, daß der „redlice“ Konzertmeister das intrigante und egozentrisce Verhalten seiner italieniscen Kapellkollegen zutiefst verabsceute, können derart diskriminierende Töne nur als Folge einer großen persönlicen Enttäuscung verstanden werden. Dabei wäre eine solce Haltung gerade von Pisendel am wenigsten zu erwarten, denn Pisendel hatte ja italieniscen Musikern wie Torelli, Vivaldi und Montanari einen großen Teil seiner Ausbildung zu verdanken und wurde auc von seinen Zeitgenossen als Vertreter des italieniscen Violinstils angesehen. Allerdings bezieht sic Pisendels Abneigung gegen Italiener auc nict auf deren Musikstil, also die italieniscen Kompositionen und die italienisce Spielpraxis, sondern allein auf ihre Unehrlickeit und Unzuverlässigkeit, wie er in der Episode mit Hasse betont. Zwar könnte vermutet werden, daß diese Abneigung Pisendels gegenüber italieniscen Musikern, die aufgrund der Quellenlage nur aus Pisendels letzten Lebensjahren belegbar ist, von der bevorzugten Behandlung dieser Musiker nict nur am Dresdner Hof ausgelöst worden ist. Immerhin berictet Pisendel Telemann von dem überhöhten Gehalt des Gesangslehrers Ni$ola Porpora und den unverscämten Gehaltsforderungen von dessen Scülerin Regina Mingotti. Dennoc bedauert er gleiczeitig, daß der Dresdner Hof durc das Sceitern der Verhandlungen „eine gute Sängerin und guten alten Sänger-Meister miteinander verlohren“ habe.15 Zudem bezog Pisendel als Konzertmeister ebenfalls ein sehr hohes Gehalt, auc wenn er dafür ungleic mehr arbeiten mußte. 12

Telemann Briefwecsel 1972, 360 und 362 (Brief vom 3.6.1752). Telemann Briefwecsel 1972, 354 (Brief von November oder Dezember 1750). 14 Telemann Briefwecsel 1972, 348f (Brief vom 16.4.1749). 15 Telemann Briefwecsel 1972, 361f (Brief vom 3.6.1752). 13

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Die starke Abneigung Pisendels gegen die „welsce Tü%e“, die sic in der zitierten Briefstelle äußert, muß jedoc gravierendere Ursacen haben. Auf der Suce nac dem Auslöser, der, wie oben bemerkt, in einer tiefen persönlicen Enttäuscung in der Biographie Pisendels zu vermuten ist, brauct man sic nict erst auf das Feld der Spekulation zu begeben, denn V56 enthält einen bislang unbeacteten Hinweis auf eine derartige Enttäuscung: Doc hat er [Pisendel] auc öfters den Undank der Welt, wie es immer gehet, erfahren. In Venedig kam ein junger Mensc zu ihm, der ihn um ein Allmosen ansprac, und die Violine spielete, dessen Ansatz Hr. Pisendeln so wohl gefallen, daß er diesen Menscen mit sic genommen, erzogen und fortgeholfen, welcer aber diese Liebe dermaßen gemißbraucet, daß er nachero so gar gesuct, ihn[!] die Scuh auszutreten.16

Auc hier werden „Undan% in fine laborum“ und die „welsce Tü%e“ thematisiert. Obwohl der Name des italieniscen Pisendel-Scülers nict bekannt ist und die angedeuteten Vorgänge im Dunkeln bleiben, wird deutlic, daß Pisendel diesen mittellosen Scüler über längere Zeit unterrictet und ihm ein Auskommen verscafft hat.17 Offenbar hat dieser Scüler später versuct, Pisendel persönlic und beruflic zu scaden, wie die Formulierung „die Scuh austreten“ zeigt.18 Diese tiefe Enttäuscung trug wahrsceinlic dazu bei, daß das zu dieser Zeit allgemein verbreitete Vorurteil von der „welscen Tü%e“ auc von Pisendel geteilt wurde. Einige Hinweise deuten darauf hin, daß die kritisce Sict Pisendels auf den „Nationalcarakter“ der Italiener auc die Beurteilung ihres Musikstils beeinflußte. Zwar hatte er gegen den italieniscen Stil grundsätzlic nicts einzuwenden, aber er vertrat in einem Brief an Telemann die Ansict, daß „viele von größten Italiänern […] erst ihren stilum in Teutscland geendert und brillanter gemact“ hätten.19 Im gleicen Zusammenhang erwähnt Pisendel den „vermiscten Gescma%“ und scließt: „wer ist zu dieser glü%licen Miscung wol gesci%ter als die Teutscen?“20 Die Motivation Pisendels, bevorzugt deutsce Musiker in die Hofkapelle zu berufen und sie zur Komposition im „vermiscten Gescma%“ anzuhalten, kann möglicerweise auf den dargestellten Gegensatz zwiscen „teutscer Redlickeit“ und „welscer Tü%e“ zurü%geführt werden. Daher könnte dieser biographisce Exkurs in die Untiefen einer historiscen Persönlickeit möglicerweise zur Klärung der Frage beitragen, wie sic der „vermiscte Gescma%“ am Dresdner Hof etablieren konnte.

Pisendels „Redlickeit“ zwiscen Pietismus und Lutheriscer Orthodoxie Im vorangegangenen Abscnitt ist deutlic geworden, daß der Begriff der „Redlickeit“ bei Pisendel als Synonym für einen gottgefälligen Lebenswandel verstanden werden kann. In einer Zeit, in der die Religion alle Bereice des Lebens durcdrang, ist es naheliegend, daß ein vorbildlicer, „redlicer“ Lebenswandel auc eine enge 16

V56, 303f. Einige von ungelenker, italieniscer Hand gescriebene Zweitstimmen in Musikalien, die Pisendel 1717 aus Venedig mitgebract hatte, stammen möglicerweise von diesem Scüler Pisendels. 18 Vgl. Röhrlic 1992, Bd. 3, Artikel „Einem die Scuhe austreten“, 1410. 19 Telemann Briefwecsel 1972, 355 (Brief von November oder Dezember 1750). 20 Telemann Briefwecsel 1972, 355. 17

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Bindung an die Gebote der Kirce voraussetzt. Bei einer derart bestimmenden Rolle der Religion für das täglice Leben ist kaum eine Situation denkbar, die nict von einer religiösen Norm erfaßt würde, so daß sic der Lebenswandel eines Geistlicen strenggenommen nur in seiner Professionalität von dem eines „Redlicen“ untersceidet. Entsprecend sind die Hinweise auf das außergewöhnlice religiöse Verhalten Pisendels weniger als Ausdru% einer bestimmten Glaubensrictung zu verstehen; sie deuten vielmehr darauf hin, daß Pisendel als ein „Redlicer“ die cristlicen Gebote auc im Alltag sehr ernst nahm: [V56, 303]: Denn der Chara$ter des Seeligen war voll von Verstand und Menscenliebe. […] Sein redlices Gemüthe hat er in der Treue [V84 konkretisiert: „eifrigen Ausübung der Pficten“] gegen Gott, in vielen und großen Wohlthaten gegen Arme und Noth-

leidende bewiesen, wie man denn weiß, daß er zuweilen wictige Praesente an Dürftige ohne Untersceid [V84 konkretisiert: „der Religion“], und ohne seinen Namen bekannt zu macen, übsci%et; und niemals gerne gesehen, wenn man den frölicen Geber entde%et, und bey ihm den Dank abstatten wollen. [V67, 291, zitiert Telemann-Brief an Agri$ola, $a. 1757]: „Meine Hin- und Herreisen durc Leipzig belehrten mic von seinem redlicen Gemüthe, wovon ic viel zu sagen hätte, wie nict weniger von seiner allgemeinen Menscenliebe.“ [V67, 290, ergänzt]: Er hat sic niemals verheyrathet. Weil ihn seine eigene[!] Hausumstände nict hinderten; so hat er sic auc gegen seine Anverwandten immehr[!] sehr wohlthätig erwiesen. Unter andern hat er einen von seinen Scwestersöhnen, den Herrn Johann Joseph Friedric Lindner, jetzigen Königlicen Preußiscen Traversisten, fast gänzlic erzogen […]. [V84, 197 ergänzt]: Auc armen Studirenden hat er, sowohl auf der Scule zu Dresden [Kreuzscule], als nacher auf der Akademie [Universität], nict unbeträctlice Wohlthaten zufließen lassen. [V67, 292, hier ergänzende Anmerkung des Herausgebers Hiller]: Uns ist von dem seel. Con$ertmeister Pisendel bekannt, daß er in seinen zur Andact täglic ausgesetzten Frühund Abendstunden, die Bibel in den Originalspracen [V84, 197 konkretisiert: „und zwar in beiden Grundspracen“] las; ein redender Beweis, wie wohl er seinen Jugendjahre angewandt habe, und wie mancer Jüngling, der sic der Musik widmet, andere Wissenscaften aber mit der größten Gleicgültigkeit ansiehet, durc ihn bescämt werde. [V84, 197 konkretisiert: „Ein seltenes Beyspiel eines Musikers von Profeßion, und ein abermaliger Beweis, daß Musik und Gelehrsamkeit sic rect gut miteinander vertragen, wenn man nur seine Zeit nützlic anzuwenden und klug einzutheilen weiß.“] [V67, 290]: Seine letzten Worte waren ein Vers aus einem Kircenliede, welcer eine Danksagung für die genossenen göttlicen Wohlthaten enthält!

Alle drei frühen Lebensbescreibungen enthalten Hinweise auf die außergewöhnlice Religiosität Pisendels. Da diese bereits den Zeitgenossen aufgefallen war, kann man davon ausgehen, daß Pisendels Verhalten über die im 18. Jahrhundert üblice Haltung weit hinaus ging. Der Aspekt der frommen Redlickeit, der in V56 hervorgehoben wird, findet sic in V67 leict abgescwäct, obwohl auc hier Informationen ergänzt werden, die als Belege für den „redlicen“ Lebenswandel Pisendels dienen. Dazu gehört etwa Pisendels fromme Vorbereitung auf den eigenen Tod oder das selbstlose Unterricten und sogar das Beherbergen seiner Scützlinge (wie im Fall seines halbwaisen Patenkindes Lindner). Auc Telemann bestätigt in seinem Brief an Agri$ola die Gleicgültigkeit Pisendels gegenüber materiellen Dingen, die

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in V56 mit dem Verscenken „wictiger Praesente“ angesprocen wird und als Unbesteclickeit eines „Redlicen“ interpretiert werden kann: Auf der Reise nac Paris wies er eine ganz ungemeine Probe seiner Gelassenheit, da ihm in einem Dorfe, nahe bey Darmstadt, seine Goldbörse gestohlen ward. Seine Gastfreyheit haben viele oft erfahren, wie auc seine Freygebigkeit, die mancen, zuweilen ungesuct und unerwartet, aus einem und dem andern ihm drohenden gefährlicen Unfalle gerissen hat.21

In der von Hiller verfaßten Lebensbescreibung V84 werden die Informationen zu Pisendels Religiosität erneut hervorgehoben und gegenüber V56 sogar ergänzt und konkretisiert: Pisendel habe Bedürftige ohne Unterscied „der Religion“ anonym unterstützt und armen Scülern der Dresdner Kreuzscule auc noc nac deren Wecsel an die Universität finanziell unter die Arme gegriffen. Außerdem ergänzt Hiller – wie bereits in seiner Anmerkung zu V67 – die Nacrict von den täglicen Andactsstunden und der gelehrten Bibellektüre Pisendels „in beiden Grundspracen“.22 Während die übrigen Informationen eher die fromme „Redlickeit“ gegenüber seinen Mitmenscen betreffen, enthält die letztgenannte Ergänzung Hillers den ersten konkreten Hinweis auf Pisendels persönlice Frömmigkeit. Auc ein kurzer Satz aus dem frühesten der erhaltenen Briefe Pisendels an Telemann läßt erahnen, daß diese Frömmigkeit ein Gegengewict zum Alltagsgezänk der Musikwelt und damit sein privates Rü%zugsgebiet darstellte. In diesem Brief kritisiert Pisendel die pauscalen Urteile über Musiker der Berliner Hofkapelle und scließt mit der Bemerkung: „Doc mic geht auc diese Wäsce nicts an, u ic kan davor Gottlob gar ruhig sclaffen, da ic auf Serieusere Dinge zu den%en Ursac habe, die ewig dauern.“23 Offenbar spielt Pisendel hier auf seine täglicen Andacten und Bibelstudien an. Sicer wußte Telemann von dessen Studien alter und neuer Spracen und dem religiösen Selbstverständnis Pisendels, denn in seinem Gedict „Auf den Tod des Königlicen Pohlniscen Con$ertmeisters, weiland Herrn Pisendels“ screibt er: Durc der Weisen Mund gelehret, Einer Kanzel würdig seyn, Spracen, die man auswärts höret, sic mit reifer Einsict weihn; […] Den Bedürftgen reiclic geben Bey Versucung als ein Christ, seines vesten Glaubens leben; Sagt: ob das nict rühmlic ist?24

Unklar bleibt, auf welce Begebenheit Telemann in dem Vers „Bey Versucung als ein Christ, seines recten Glaubens leben“ anspielt.25 Es ist nict auszuscließen, daß Pisendel wegen seines „vesten Glaubens“ in Bedrängnis geraten ist, etwa im Vor21

V67, 291. Pisendel hat die „beiden Grundspracen“ Hebräisc und Griecisc bereits während seiner Ansbacer Gymnasialzeit gelernt, vgl. oben, Abscnitt II, 1. „Als Kapellknabe am Ansbacer Hof“. 23 Telemann Briefwecsel 1974, 350. 24 V67, 229. 25 Vgl. Landmann 1983 II, 11. 22

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feld seiner Ernennung zum Konzertmeister. Nac dem Tod Heinicens war Pisendel nämlic der einzige protestantisce Musiker in einer leitenden Position am Dresdner Hof, wenn man von der Ernennung Bacs zum titulariscen Kircen-Compositeur absieht.26 Zudem trafen in seiner unmittelbaren Umgebung versciedene religiöse Rictungen aufeinander. Außer dem allgemein bekannten Konflikt zwiscen der protestantiscen Bevölkerung und ihrem zum Katholizismus konvertierten König kollidierte das orthodoxe Luthertum mit den versciedenen pietistiscen Reformbewegungen und dem gleiczeitigen Vordringen der Aufklärung. Da Pisendel in dem oben zitierten Brief selbst auf den Stellenwert seiner Religiosität hinweist und alle drei frühen Lebensbescreibungen das auffällig religiöse Handeln Pisendels bestätigen, ersceint es notwendig, die Frömmigkeit Pisendels näher zu bescreiben und dessen Zugehörigkeit zu einer der genannten Rictungen zu bestimmen. Für den zeitgenössiscen Leser von V84 stellt sic die von Hiller bescriebene Religiosität Pisendels, die Bibellektüre in den „beiden Grundspracen“ und die anonyme Wohltätigkeit „ohne Unterscied der Religion“, als eine besondere Form praktizierten Christentums dar, wie sie auc in pietistiscen Kreisen gepflegt wurde. Daher ist die Vermutung naheliegend, „daß Pisendel zu dem gleicen Kreis um den noc jungen Zinzendorf in Dresden gehört hat wie der junge Fasc.“27 Deshalb soll zunäcst untersuct werden, ob Pisendel Kontakte zum pietistiscen Zirkel um den Reicsgrafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700—1760) unterhalten haben könnte und ob sic Pisendels „Redlickeit“ vielleict sogar als pietistisce Lebensform identifizieren läßt, wenngleic die pietistisce Haltung des zwölf Jahre jüngeren Zinzendorf in seiner Dresdner Zeit noc nict voll ausgeprägt war. Der junge Zinzendorf hielt als säcsiscer Regierungsbeamter in seiner Dresdner Wohnung seit 1722 öffentlice Bet- und Bibelstunden ab und setzte sic auc für das Überwinden der Konfessionsgrenzen innerhalb des cristlicen Glaubens ein.28 Da die Betstunden Zinzendorfs das Mißtrauen der offiziellen Kirce erregt hatten, veranstaltete Zinzendorf seit etwa 1725 an deren Stelle Empfänge mit Tafelmusik, um so die vom Dresdner Oberkonsistorium auferlegten Einscränkungen zu umgehen.29 In dieser Zeit hatte der mit Pisendel befreundete Zerbster Kapellmeister Johann Friedric Fasc (wahrsceinlic als Musiker) an den „Erbauungsstunden“ Zinzendorfs teilgenommen, wie aus einem Brief Fascs an Zinzendorf vom 18.9.1731 hervorgeht.30 Fasc, der bis 1737 mit Zinzendorf korrespondierte und ihn dabei mit politiscen Informationen über den Zerbster Hof versorgte, bildete selbst einen pietistiscen Konventikel in Zerbst, dem auc mehrere Hofmusiker angehörten.31 Aus dem fünften Brief Fascs an Zinzendorf vom 30.7.1732 geht außerdem hervor, daß Fasc bis dahin alle seine Postsendungen an den Reicsgrafen in Herrnhut „biß

26

Über die Aufgaben Hebenstreits als „Capell-Dire$tor“ der protestantiscen Kircenmusik ist zu wenig bekannt um sic der Meinung anscließen zu können, es handle sic bei dieser Beförderung im Jahr 1734 faktisc um eine Pensionierung des Kammermusikers Hebenstreit (vgl. MGG1 und NGD2). 27 Freundlice Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Martin Petzoldt in einem Brief an den Verfasser vom 10.11. 2000. 28 Petzoldt 1984, 33. 29 Petzoldt 1984, 35. 30 Petzoldt 1984, 34. 31 Pfeiffer 1994, 66ff.

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Dresden eingescloßen hatte“,32 daß sie also als Beilage zunäcst an einen Adressaten in Dresden gesandt wurden. Da Pisendel und Fasc in dieser Zeit in einem regen Briefkontakt standen und Fasc regelmäßig neue Kompositionen nac Dresden sandte, könnte vermutet werden, daß es Pisendel war, der diese Briefe als Mittelsmann nac Herrnhut weitergeleitet hat. Da die Zusammenkünfte bei Zinzendorf allerdings bereits 1728 verboten worden waren und Zinzendorf Dresden daraufhin verlassen hatte,33 wäre es auc für Pisendel nict ratsam gewesen, einen solcen Briefkontakt bekannt werden zu lassen. Aus diesem Grund wäre auc denkbar, daß die Briefe an einen nict näher bekannten Adressaten Fascs in Dresden gerictet waren, oder aber, daß Pisendel sie einer dritten Person zur Weitersendung übergeben hat. Allerdings liegen hierüber bislang keine Erkenntnisse vor, so daß diese Überlegungen Spekulation bleiben. Auc in Herrnhut selbst sind bislang keine Hinweise auf Pisendel bekannt geworden, und aufgrund der außergewöhnlic guten Quellenlage im dortigen Arciv kann wohl davon ausgegangen werden, daß Pisendel keinen persönlicen Briefwecsel mit Zinzendorf unterhielt.34 Aus den Erinnerungen Zinzendorfs an seine Dresdner Zeit geht hervor, daß seine Betstunden auc von der Kircenleitung zunäcst nict als pietistisce Zirkel angesehen wurden. Der bereits erwähnte Dresdner Superintendent Valentin Ernst Löscer hielt Zinzendorf nämlic „nict für einen Pietisten, sondern für einen eifrigen Menscen und Liebhaber des Wortes Gottes.“35 Pisendels Gemeinsamkeit mit Zinzendorf beruhte wohl auf diesem, von Zinzendorf selbst formulierten und rect allgemeinen Nenner. Daher darf auc die Verbindung Pisendels mit Fasc nict vorscnell unter dem Begriff des Pietismus zusammengefaßt werden.36 Selbst wenn Pisendel wie sein ehemaliger Leipziger Kollege Fasc an Zinzendorfs „Erbauungsstunden“ in Dresden teilgenommen haben sollte, könnte daraus lediglic abgeleitet werden, daß die Sympathie Pisendels für den unzufriedenen Zerbster Kapellmeister wohl auf gemeinsamen religiösen, nict aber pietistiscen Interessen beruhte. Dennoc soll nict unerwähnt bleiben, daß Pisendel gerade mit denjenigen Verwandten, für die eine Verbindung zum Pietismus nacweisbar ist, besonders engen Kontakt gepflegt zu haben sceint. Die wictigsten Quellen hierfür, die bereits erwähnte autobiographisce Skizze von Pisendels Cousine Amalia Rosina Crusius und Pisendels eigenes Testament, waren bislang unbekannt. Zur Familie der Amalia Rosina Crusius (*1668), deren Vater Peter Pisendel seit 1682 Kantor und Sculdiener in Wertheim am Main war, unterhielten Pisendels Eltern bereits in seinen Kindertagen 32 Das vollständige Zitat lautet: „Das von Ew. Hocreicsgräfl. Ex$ellentz unterm 23. Huj. an mic gnädigst erlaßene habe mitt vielem Vergnügen erhalten und daraus ersehen, daß doc das an Ew. Ex$ellentz unterthänigst abgelaßene letzte (so wie alle vorige, biß Dreßden eingescloßen hatte, aus Versehen aber der auffgescriebenen Ordre erst nac Töplitz gesci%t worden) bey Deroselbten rictig eingelauffen.“ Für die Übermittlung dieser und weiterer Briefstellen danke ic dem Arcivar der Brüder-Unität, Herrn Dr. Paul M. Peu%er. 33 Vgl. Blan%meister 1920, 184. 34 Freundlice Mitteilung von Herrn Arcivar Dr. Paul M. Peu%er. 35 Das Zitat lautet im Zusammenhang: „In Dresden habe ic ohne Widerspruc meiner weltlicen und geistlicen Obern alle Sonntage eine öffentlice Versammlung für jedermann und bei offenen Türen gehalten. […] Ic sucte alle Kinder Gottes zusammen, so weit ic konnte […]. Herr D. Löscer, welcer mic von Wittenberg her kannte, legte mir in der Zeit nicts in den Weg: denn er hielt mic nict für einen Pietisten, sondern für einen eifrigen Menscen und Liebhaber des Wortes Gottes.“ Zitiert nac Blan%meister 1920, 177f. 36 Dagegen Pfeiffer 1994, 66 und 72.

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enge Kontakte.37 Als Peter Pisendel 1686 starb, wurde Pisendels Cousine von dem pietistiscen Pfarrer Johann Win%ler in Hamburg aufgenommen und bis zu ihrer Heirat wie eine eigene Tocter erzogen.38 Win%ler, der ein früher Mitstreiter des pietistiscen Vordenkers Philipp Ja$ob Spener war,39 kannte ihre Familie aus seiner Zeit als Superintendent in Wertheim 1679—1684. Bei Win%ler lernte die Cousine Pisendels den einflußreicen pietistiscen Theologen und Pädagogen August Hermann Fran%e persönlic kennen, der dort seit 1688 als Hauslehrer bescäftigt war. Durc ihre Heirat 1690 mit dem Scöne%er Pastor Georg Andreas Crusius (1660 bis 1697)40 wurde sie offenbar selbst zu einer überzeugten Pietistin, wie ihre autobiographisce Skizze deutlic zeigt. Ob der Kontakt Pisendels zu seiner Wertheimer Cousine noc in späteren Zeiten fortbestand, läßt sic bislang nict belegen. Dagegen geht aus den testamentariscen Bestimmungen Pisendels hervor, daß er mit ihrem jüngeren Bruder Wolfgang Philipp Pisendel (*1685 in Wertheim) weiterhin eng verbunden war, denn Pisendel nennt die genauen Namen und Berufe der zwei Söhne seines Vetters im Testament.41 Da der eine dieser Söhne als „Materialist“ (Drogist) in Dresden tätig war und der andere in einer großen Leipziger Buchandlung ausgebildet wurde, ist nacvollziehbar, daß es Pisendel nict scwer fiel, diesen Kontakt zu halten. Interessant ist, daß Pisendel seinen damals 63jährigen Vetter als „dermaligen Candidati Theologiae in Leipzig“ (also als Theologiestudenten) bezeicnet. Wieweit jedoc die pietistiscen Überzeugungen der Cousine auc von dem Vetter Pisendels geteilt wurden, muß an anderer Stelle untersuct werden. Für Pisendel selbst jedenfalls bestehen keine zwingenden Gründe, seine religiöse Praxis mit einer pietistiscen Rictung zu identifizieren. Ein unmittelbarer Ausdru% von Pisendels persönlicer Frömmigkeit findet sic in den von Pisendel gescriebenen Partituren, die er am oberen Blattrand mit dem Christus-Symbol „α//ω.“ versehen hat. Auc zu Beginn seines autographen Testaments (allerdings nict in seinen Briefen an Telemann) ist es in der von Pisendel verwendeten Form „α//ω.“ mit zwei Scrägstricen und einem abscließenden Punkt notiert. Besonders häufig findet sic dieses Symbol in den eigenen Kompositionen Pisendels, die er nict jedesmal mit seinem Namen, sondern häufig nur mit diesem Symbol signiert hat. Da der Namenszug Pisendels auf einer dieser Partituren sogar mittels Rasur getilgt wurde,42 vertritt Fecner die These, daß das „α//ω.“-Signum als ein ver-

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Vgl. oben, Abscnitt II, 1. „Als Kantorensohn in Cadolzburg“. Fran%esce Stiftungen Halle, Arciv, Sign. D 41:53, Autobiographie Amalia Rosina Crusius, fol. 402: „ic aber meines orts bin gleic nac meines Vatters dot nac Ham[m]burg begehret worden, von Tit. hln Johan Win%lern, welcer an meine Mutter gescrieben, und dieweil er mic zu vor geken[n]et, zu sic begehret, und als eine docter auf zu nehmen, und zu verbflegen versprocen.“ 39 Vgl. Wallmann 1986, 289f und 304. 40 Name und Beruf des Bräutigams enthält das Trauregister der Hamburger Hauptkirce St. Micaelis, vgl. Scubert 1995, 65. Nac freundlicer Auskunft des Pfarramts Scöne% wurde Georg Andreas Crusius am 19.7.1660 als viertes Kind des dortigen Pfarrers Andreas Crusius geboren. 1688 wurde er Substitut seines Vaters. Als Datum seiner Hoczeit mit „Amalie Rosine Piesendel“ ist der 16.5.1690 angegeben. Nac dessen Tod am 7.6.1697 in Scöne% ist sie in den dortigen Kircenbücern nict mehr nacweisbar. 41 Vgl. Köpp 1999, 64f. 42 Fecner 1999, 283f. Die Substitution des eigenen Namen durc einen Segensspruc wäre wiederum als eine pietistisce Praxis zu verstehen. Häufig ersceinen dabei allerdings die Initialen des Namens in dem Substitut, wie z.B. im Fall von „Allezeit Rect Christlic“ für Amalie Rosina Crusius. 38

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bindlicer Hinweis auf eine Eigenkomposition Pisendels interpretiert werden könne.43 Die Interpretation des Symbols „α//ω.“ als ein Kennzeicen für seine Eigenkomposition sceint jedoc nict in allen Fällen zuzutreffen, denn Fecner weist selbst darauf hin, daß Pisendel auc die Partituren fremder Werke, die er einer umfassenden Bearbeitung unterzog, mit diesem Signum versehen hat.44 Zudem war die Verwendung dieses Christus-Symbols, das sic aus der Offenbarung des Johannes herleitet,45 so allgemein, daß Zedlers Universal-Lexi$on ihm einen umfangreicen Artikel widmet. Zur Bedeutung und Verwendung des Christus-Symbols heißt es dort: […] Er ist das Α, das ist: Anfang, Brunnquell, Ursprung; und das Ω, das ist: der Zwe%

und Ziel aller mensclicen Glü%seeligkeit, Heil und Lebens; In welcer Absict auc die Medi$i bei denen Re$ept-Formuln sic dieser Bucstaben zur Uberscrift[!] statt eines guten Wunsces oft bedienen; […]46

Das Symbol verweist also über Christus hinaus auf den cristlicen Glauben allgemein und erhält so die Bedeutung eines umfassenden Heils- und Segenswunsces. Nict nur unter Medizinern, sondern auc im musikaliscen Bereic war sein Gebrauc weit verbreitet, denn dieses Symbol findet sic auc auf Partituren mitteldeutscer Kircenkantaten,47 auf Titelblättern gedru%ter Gesangbücer und sogar auf einem Bac-Dokument: dem von Bac unterzeicneten Zeugnis für den Organisten Friedric Gottlieb Wild vom 18.5.1727.48 Auc wenn nict ausgesclossen werden kann, daß das „α//ω.“-Signum als segenspendende Überscrift für Pisendel noc eine zusätzlice, persönlice Bedeutung besaß, bewegt sic sein Gebrauc doc im Rahmen der zeitüblicen Frömmigkeit und kann nict ohne weiteres als ein Personalsignum verstanden werden. In dieser Hinsict stellt der Gebetsruf „J.J.“ (Jesus Juva), den Bac seinen Partituren häufig vorangestellt hat, eine Parallele zum „α//ω.“-Signum dar. Da viele der Konzerte, die Pisendel mit diesem Signum versehen hat, auf eine Aufführung im Rahmen des katholiscen Hofgottesdienstes hinweisen, könnte ein geistlicer Zusammenhang vermutet werden, etwa im Sinne einer erbaulicen Wirkung der betreffenden Instrumentalwerke. Diese Vermutung wird jedoc durc die bislang unbemerkte Tatsace widerlegt, daß Pisendel auc seine Sonaten e-Moll, g-Moll und E-Dur für Violine und B.$.49 mit diesem Signum gekennzeicnet hat, denn als KammermusikWerke sind diese Sonaten wahrsceinlic nict für eine Aufführung im kirclicen Rahmen konzipiert worden. Ebensowenig ist der Segenswunsc „SDG.“ (Soli Deo Gloria), mit dem Bac häufig seine Partituren abscloß, auf geistlice Vokalmusik 43

Fecner, 1996, 119f, ebenso Fecner 1999, 45 und 286. Diese These hat Fecner offenbar von Jung 1956, 95, übernommen. 44 Vgl. Fecner 1999, 45. Bei einer weiteren Partitur in Pisendels Handscrift, die ebenfalls mit einem „α//ω.“-Signum versehen ist, stellt Fecner die Autorscaft Pisendels in Frage, vgl. Fecner 1999, 285f. 45 Offenbarung des Johannes, Kapitel 1, Vers 8a: „Ic bin das A und O, der Anfang und das Ende, sprict

Gott der Herr“. Zedler 1732—55, Artikel „A und O (Α, Ω)“, Bd. 1, 5ff. 47 Freundlice Auskunft von Dr. Andrea Hartmann, RISM-Redaktion Dresden. Auc der als Kapellknabe an der Dresdner Hofkirce ausgebildete Melcior Hoffmann stellt seinem Magnifi$at d-Moll aus dem Jahr 1700 dieses Signum voran, hier jedoc mit gekreuzten Scrägstricen „αXω.“, vgl. die Abbildung des Titelblattes bei Glö%ner 1990, 174. 48 Bac-Dok. I, 57. 49 Vgl. Anhang II: Werkverzeicnis. 46

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bescränkt, sondern findet sic auc in Konzertpartituren von Pisendel und Fasc.50 Das segenspendende „α//ω.“-Signum auf Pisendels Partituren ist also als eine damals weit verbreitete Demutsgeste zu verstehen, mit der Pisendel das betreffende Werk dem Segen Gottes anempfehlen wollte. Im diesem Zusammenhang ist auc Pisendels Siegel aufsclußreic, denn es enthält sein persönlices Motto, das auf dessen Frömmigkeit hindeutet. Das besonders sorgfältig gescnittene Petscaft ist in der Pisendel-Literatur bislang unbeactet geblieben. Abdrü%e befinden sic jeweils auf den von Pisendel unterzeicneten Gutacten vom 22.11.1736 und 4.8.1741 über den Neubau von Silbermann-Orgeln in Dresden (Frauenkirce) und Zittau (Johanneskirce)51 und vor allem auf seinem Testament vom 17.5.1749, wo auc der Umsclag mehrfac versiegelt ist.52 Das ovale Siegel Pisendels zeigt eine sitzende Minerva mit ihren üblicen Attributen Helm, Lanze und Aigis-Scild. Im Scild, der von dem Mantel der Göttin bede%t wird, sind die ineinander versclungenen Initiale JGP zu sehen, und als Motto Pisendels ersceint (dem oberen Ovalabscluß folgend) das Wort „TANDEM “ in sclicten QuadrataLettern:

ABBILDUNG 4: Naczeicnung von Pisendels Siegel mit sitzender Minerva und Pisendels Initialen unter dem Motto „TANDEM“ (Original: 13 × 18 mm)

50

Vgl. Fecner 1999, 282 (autographe Partitur Pisendels, D-Dl Mus. 2421-O-12) und 299 (autographe Partitur Fascs, D-Dl Mus. 2423-O-13). Beide Symbole, „α//ω.“ in der von Pisendel verwendeten Form und „S.D.G.“, umrahmen auc die oben erwähnte Oratorienpartitur des Pisendelscülers Johann Caspar Seyfert aus dem Jahr 1730. 51 Vgl. Müller 1982, 449 und 458. 52 Vgl. Köpp 1999, 63.

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Die sitzende Position der Minerva könnte darauf hindeuten, daß sie in ihrer Funktion als Göttin des Friedens und der Weisheit dargestellt ist. In dieser Funktion gilt sie als Scutzpatronin der Künstler und Gelehrten. Da die Aigis hier jedoc anstelle des üblicen Gorgonenhaupts die Initiale Pisendels zeigt und die Göttin sic auf den Scild stützt, könnte die Allegorie so gedeutet werden, daß sic Pisendel als ein Bewahrer und Verteidiger der Kunst und der Wissenscaft darstellen wollte. Das Motto „TANDEM “ (= endlic), das auc als Anfangswort versciedener Bibelsprüce in der Emblematik Verwendung findet,53 deutet auf das Erreicen des Ziels der Frömmigkeit: die Erlösung von beziehungsweise die Errettung aus der Welt, die erhoffte Gnade Gottes.54 Das gleice Motto verwendete auc der berühmte Vordenker des Pietismus, Philipp Ja$ob Spener (1635—1705), und unterzeicnete damit seine Einträge in mehrere Stammbücer, unter anderem in diejenigen seiner Söhne.55 Daß es das persönlice oder „private Symbolum“56 des Theologen und Heraldikers Spener war, läßt sic aus der Unterscrift zu seinem Portrait entnehmen, das einer 1709 veröffentlicten Briefsammlung Speners beigegeben ist.57 Dort werden für das „Symb: T.A.N.D.E.M.“ zwei lateinisce Auflösungen wiedergegeben, die sic auf entsprecende Bibelverse beziehen: Tu Tempore

A$quisivisti A$$epto

Nos Nobis

Domine Deus

Ex Exauditionem

Mundo. Maturat.

Im Anscluß daran sind noc secs weitere Bibelstellen zu diesem Symbolum als Quelle angegeben. Die Herzogin Elisabeth Ernestine Antonie von Sacsen-Meiningen (1681—1766), die als Äbtissin des Reicsstifts Gandersheim mit dem Pietisten August Hermann Fran%e seit 1715 in engem Briefkontakt stand, verwendet dieses Motto ebenfalls. Ihre Auflösung des Wortes „T.A.N.D.E.M.“ lautet: Tibi Aderit Numen Divinum Expe$ta Modo. = „Gott wird dir helfen, warte nur.“58 Hier wie dort ist dieses Symbolum Ausdru% einer tiefen, mit Gelehrsamkeit gepaarten Frömmigkeit, ohne daß damit eine rein pietistisce Vorstellung zum Ausdru% kommt. Aufgrund der Formulierungen zu Pisendels Frömmigkeit in den drei frühen Lebensbescreibungen (und besonders durc Hiller) wurde zunäcst eine Nähe zu dem jungen Zinzendorf und dem Pietismus vermutet. Diese Verbindung ließ sic im Verlauf der Untersucungen nict bestätigen. Dies trifft auc für das private Symbolum „TANDEM“ zu, das Pisendel in seinem Siegel verwendet. Obwohl es nämlic auc von pietistiscen Geistlicen benutzt wurde, kann daraus nict gesclossen werden, daß er selbst ein Pietist war oder ihrer Bewegung besonders nahestand, weil dieses Motto keinen ausscließlic pietistiscen Hintergrund besitzt. An dieser Stelle erweist sic jedoc erneut, wie wictig es war, die Autoren der drei Lebensbescreibungen zu identifizieren. Dadurc, daß die Informationen Hillers zu 53

Vgl. Henkel/Scöne 1967, 1299. Freundlice Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Martin Petzoldt, Leipzig, in einem Brief an den Verfasser vom 10.11.2000. 55 Vgl. Scie%el 1986, 133f. 56 Nac Zedler 1732—52, Bd. 41, 690ff, wird zwiscen öffentlicen und privaten Symbola (Symbolum = Glaubens-Bekenntnis, auc Losung, Zeicen, Anzeige) unterscieden. 57 Vgl. Spener 1709 und die dazugehörige Einleitung [21*]. 58 Vgl. Löbe 1883, 196. 54

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Pisendels Frömmigkeit als unabhängige Ergänzung erkannt werden konnten, läßt sic der historisce und lokale Kontext dieser Religiosität, die bereits seinen Zeitgenossen als außergewöhnlic aufgefallen war, scließlic doc noc konkretisieren. Hillers Informationen deuten auf einen Zusammenhang mit der im Umfeld der Dresdner Kreuzkirce gepflegten Religiosität hin, die Hiller aus eigener Anscauung kannte. Diese Religiosität wurde von dem lutherisc orthodoxen Superintendenten Valentin Ernst Löscer († 1749) entsceidend geprägt. Pisendels Wohnung am Altmarkt (E%e Screibergasse) befand sic in unmittelbarer Nähe des Ensembles aus Kreuzkirce, Pfarrhaus und Kreuzscule, so daß der Dresdner Superintendent Löscer der Gemeindepfarrer Pisendels war.59 Hiller selbst war 1746 mit siebzehn Jahren als Alumne in die Dresdner Kreuzscule aufgenommen worden. Dort wirkte der damals als Baßsänger und Komponist bekannte Theodor Christlieb Reinhold († 1755), der ein Freund Pisendels war,60 als Kreuzkantor. In den fünf Jahren seines Alumnats hat Hiller seinen Lehrer Reinhold über die Jugendzeit der Brüder Graun, die beide Scüler der Kreuzscule waren, befragt, denn er zitiert den Kreuzkantor mehrfac als Quelle für seine Ergänzungen zum Lebenslauf der Brüder Graun.61 Die eigenständige Angabe Hillers, daß Pisendel arme Scüler der Kreuzscule bis in ihre Universitätszeit hinein finanziell unterstützt habe, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls als verläßlic einzustufen. Ob Hiller den Kreuzkantor auc über den in unmittelbarer Nacbarscaft lebenden berühmten Konzertmeister befragt hat, läßt sic nur vermuten. Als sicer ist dagegen anzunehmen, daß Hiller das fünfzigjährige Dienstjubiläum des ehrwürdigen Superintendenten Löscer, das 1748 in der Kreuzkirce feierlic begangen wurde,62 sowie dessen Begräbnisfeierlickeiten im folgenden Jahr als Augenzeuge miterlebt hat. Daß Löscer ein „wahrer Freund“ und Gönner des Kreuzscülers und Pisendel-Scützlings Carl Heinric Graun war, bezeugt bereits Agri$ola.63 Hiller ergänzt wiederum glaubwürdige Informationen, die die musikaliscen Interessen Löscers beleucten: Dieser berühmte und große Theolog war ein großer Liebhaber der Musik, besonders der geistlicen Musik. Er war gewohnt, sic oft, nac Anleitung eines Psalms, oder andern geistlicen Liedes, mit freyen Phantasien auf dem Klaviere zu unterhalten und zu ermuntern; woraus erhellet, daß er selbst kein sclecter Musi$us war.64

Aus diesem Zusammenhang darf wohl der Scluß gezogen werden, daß Pisendel seinen Gemeindepfarrer und musikalisc interessierten Nacbarn, der sic wie er um das Wohlergehen des jungen Carl Heinric Graun kümmerte, nict nur oberfläclic kannte und daß Hiller (möglicerweise aufgrund der Gratulationen zu Löscers Dienstjubiläum) um diese Verbindung wußte. Anstatt Löscer in der musikaliscen Biographie Pisendels ausdrü%lic zu erwähnen, verweist Hiller mit seinen Bemerkun59

Vgl. Petzoldt 2001, 73ff (diese Löscer-Monographie wurde bereits 1979 in der DDR abgesclossen, konnte aber erst 22 Jahre später gedru%t werden, vgl. Vorwort, 7). Telemann Briefwecsel 1972, 390. Zu Reinhold vgl. auc Fürstenau II, 236. 61 Vgl. Hillers Ergänzungen zu der von Agri$ola 1773/4 aufgesetzten Lebensbescreibung Carl Heinric Grauns (unverändert abgedru%t in Forkel 1778, 286ff) in: Hiller 1784, 81, und 294f. 62 Vgl. Blan%meister 1920, 271ff. 63 Vgl. Forkel 1778, 290f. 64 Hiller 1784, 82. Löscer komponierte auc Melodien zu einigen von ihm verfaßten Kircenliedern, vgl. Blan%meister 1920, 259. 60

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gen zu Pisendels Frömmigkeit – vielleict unbewußt – auf dessen geistige Verwandtscaft mit dem Superintendenten. Bereits ein flüctiger Bli% in dessen Biographie mact dies deutlic: Der besceidene Lebenswandel Löscers, seine großzügigen Spenden und Spendensammlungen, sein Interesse für die Erziehung von Kindern gerade aus unbemittelten Familien, außerdem seine Sorgfalt in der Ausführung der untersciedlicen Amtsgescäfte, seine wissenscaftlicen und künstleriscen Interessen, aber auc seine Einseitigkeit und Pedanterie sind vielfac belegt.65 Bemerkenswert ist, daß Löscer in den zwanziger Jahren eine „Gesellscaft Christlicer Liebe und Wissenscaften“ gründete, der „versciedene Gelehrte aus allen Fakultäten, dazu sic auc virtuose Gemüter und Künstler gefunden,“66 angehörten. Die Untersucung der Frage, ob auc Pisendel unter die erwähnten „Künstler“ dieser Gesellscaft zu zählen ist, muß einer Spezialstudie vorbehalten bleiben. Gerade auc diejenigen frommen Übungen, die zunäcst dazu führten, eine Verbindung Pisendels mit dem jungen Zinzendorf zu vermuten, finden sic in den Lebensbescreibungen Löscers wieder. So wird von dem Superintendenten berictet, daß er besondere Andactsstunden pflegte, in denen er niemand zu sic ließ, und daß er „die Bibel nur in den Grundspracen las“.67 Außerdem versucte Löscer nict nur, die Konfessionsgrenzen innerhalb des Protestantismus zu überwinden,68 sondern betonte auc – trotz seiner scarfen Worte gegen die Jesuiten und „Papisten“ – die cristlice Gemeinscaft mit den Katholiken.69 Pisendel, der nac V84 ebenfalls die Bibel bei seinen täglicen Andacten „in beiden Grundspracen las“ und seine Spenden „ohne Unterscied der Religion“ verteilte, ging jedoc über Löscer hinaus, indem er sogar mit den Dresdner Jesuiten verkehrte.70 Diese Kontakte aus den Jahren 1734 und 1736 sind allerdings mit seinem führenden Amt in der Hofkapelle und nict etwa mit einem von Löscer angeprangerten, religiösen „Indifferentismus“ zu erklären. Obwohl der junge Zinzendorf, den Löscer noc in Wittenberg als Theologiestudenten kennengelernt hatte, den Vorstellungen des Superintendenten anfangs rect nahe stand, ist deutlic geworden, daß das geistlice Vorbild Pisendels weniger in der Person des scwärmeriscen Reicsgrafen als in der Gestalt des allseits respektierten orthodoxen Lutheraners Löscer zu sucen ist. In diesem Zusammenhang läßt sic unerwartet auc eine andere Charaktereigenscaft Pisendels, die sein Komponieren kennzeicnet, auf ein religiöses Motiv zurü%führen. In V67 screibt Agri$ola dazu: Er war in der That, aber mit Unrect, zu furctsam vieles zu setzen und bekannt werden zu lassen. Er trauete sic in der Composition, selbst weniger zu als er wirklic vermocte. Er war niemals mit seiner eigenen Arbeit zufrieden, sondern wollte sie immer noc verbessern; ja er arbeitete sie wohl mehr als einmal um. Diese Vorsictigkeit war nun wohl wirklic etwas übertrieben.71

65

Vgl. Blan%meister 1920, besonders 230ff, 237ff und 258ff, ebenso Petzoldt 2001, 70f und 80ff. Zitiert nac Blan%meister 1920, 229, weitere Nacweise bei Petzoldt 2001, 116. 67 Blan%meister 1920, 260f. 68 Blan%meister 1920, 147ff. 69 Engelhardt 1856, 262f. 70 Vgl. Diarium missionis, 366 und 371. 71 V67, 288. 66

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Es ist verständlic, daß eine solc besceidene Einstellung dem Berliner Hofkomponisten Agri$ola etwas übertrieben ersceinen mußte. Auc der ehemalige PisendelScüler Graun äußert in einem Brief an Telemann vom 20.6.1747 Unverständnis über die „etwas überflüßige Modestie“ unseres „ehrl. Pisendel“.72 Durc ein fast gleiclautendes autobiographisces Bekenntnis des Superintendenten Löscer wird diese Haltung Pisendels jedoc als eine Demutsgeste des nac (der unerreicbaren) Vollkommenheit strebenden Gläubigen vor seinem allmäctigen Scöpfer-Gott verständlic, denn auc Löscer nennt sie unter den vier persönlicen Gnadengescenken, für die er am Ende seines Lebens dankbar ist (formuliert in der dritten Person): 4. daß ihn Gott allemal so weislic geleitet, daß er niemals mit seiner Arbeit selbst völlig zufrieden gewesen, sondern immer noc dieselbe zu verbessern gewünsct, dabei er denn in mance Erkenntnis, die ihm sonst wäre verborgen geblieben, eingeführet worden.73

Es zeigt sic, daß eine wohl von dem Superintendenten Löscer vorgelebte Form der Frömmigkeit in Pisendels Alltag eine Rolle spielte, die im Zusammenhang mit seinem Selbstverständnis als „Redlicer“ kaum überscätzt werden kann. Vermutlic begleitete Pisendel die von Löscer durcgeführte Konversion seines neu aufgenommenen Kapell-Kollegen Benda von Anfang an mit lebhafter Anteilnahme. Die Bedrohungen, denen Benda nac eigener Auskunft infolge seines Religionswecsels ausgesetzt war, veranscaulicen die existenzielle Bedeutung der Religionszugehörigkeit am Dresdner Hof und werfen zugleic ein Lict auf die Position Pisendels innerhalb der Hofkapelle.74 Welce wictige Rolle Glaubensfragen und Religiosität auc in Musikerbiographien dieser Zeit spielten, zeigt sic daran, daß sic die Lebensläufe von Pisendel, Fasc und Franz Benda gerade in diesem Punkt berühren. Nac dem Tod Augusts des Starken am 1.2.1733 wecselte der ehemalige Jesuiten-Zögling Benda aus der Polniscen Kapelle in Warscau zur Königlicen Hofkapelle nac Dresden. Nac Auskunft seiner Autobiographie hatte er sic bereits in Warscau unter dem Einfluß eines lutheriscen Kollegen intensiv mit religiösen Fragen auseinandergesetzt, was die dortigen Jesuiten argwöhnisc verfolgten.75 In Dresden konvertierte Benda dann zum Protestantismus. Daß dies heimlic gescehen mußte, deutet darauf hin, daß der Einfluß der Jesuiten auc bis in die Hofkapelle reicte. Die Konversion wurde jedoc bekannt, und durc einen „gewissen Freund“, der Benda nacgesci%t wurde, gaben ihm die Jesuiten zu verstehen, er solle „sic Keine weitere Hoffnung macen in dasigen Diensten zu bleiben“. Außerdem wurde Benda nac eigenen Angaben degradiert, indem sein Name im offiziellen Dresdner Hof- und Staats-Calender Auf das Jahr 1733 „nict oben unter die Violinisten, sondern gantz unten Neben den Instrumentdiener“ gesetzt und mit dem Zusatz „Benda Luther“ gebrandmarkt worden sei.76 Im HStCal 1733 findet sic tatsäclic, an letzter Position zwiscen dem Kontrabassisten und dem „Instrument-Diener“, der folgende Eintrag: 72

Telemann Briefwecsel 1972, 272. Zitiert nac Blan%meister 1920, 262. 74 Vgl. Landmann 1983 II, 10f. Nac dem Tod der Kapellmeister Scmidt und Heinicen sceint Pisendel der höcstrangige Lutheraner in der Dresdner Hofkapelle gewesen zu sein. 75 Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 155. 76 Benda-Autobiographie 1763, 155. Zórawska-Witkowska 1997, 456, führt in ihrem biographiscen Anhang einen „Franz Lutter“ als Mitglied der Polniscen Kapelle auf, bezieht sic jedoc lediglic auf den HStCal 1733 (ohne Paginierung) als einzige Quelle. 73

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Contra-Basson. = = Instrument-Diener, […]

Daniel Hasse. Frantz Lutter. Bendo.

Wie im letzten Kapitel dargelegt wurde, sorgte Pisendel in dieser für Benda mißlicen Lage offenbar dafür, daß Quantz ihn an den preußiscen Kronprinzen Friedric weiterempfahl. Zudem erhielt Benda von Pisendel den Rat, über Zerbst nac Ruppin zu gehen, „und gab mir an den seel. Capelmeister Fasc Brieffe mit.“77 Wie erwähnt, wurde Benda in Zerbst die Konzertmeisterstelle angetragen, und Benda empfahl an seiner Stelle den in Polen zurü%gebliebenen Freund Carl Hö%h für diese Position. Bereits im Zusammenhang mit seiner eigenen Konversion im Januar oder Februar 1733 dürfte Benda in Dresden von seinen in Polen verbliebenen Freunden berictet haben, denn das Vorbild des säcsiscen Hornisten, Bratscisten und Notisten Wilhelm Weidner hatte ja bei ihm und seinem Geigerkollegen Hö%h den Wunsc gewe%t, zum Protestantismus überzutreten.78 Damit auc Hö%h konvertieren konnte, mußte er natürlic nac Sacsen kommen, und Weidner mußte wegen seiner missionariscen Tätigkeit ebenfalls aus Polen in Sicerheit gebract werden. Es ist also denkbar, daß Benda vor seiner Reise nac Ruppin mit Pisendel über die Zukunft Hö%hs und Weidners gesprocen hat und daß dabei bereits besclossen wurde, Hö%h für eine Position in der Zerbster Hofkapelle unter Fasc vorzusclagen und auc für Weidner eine Bescäftigung, vielleict als Notenscreiber, zu finden. Wie oben erwähnt, gab es wahrsceinlic im Frühjahr 1734 ein Wiedersehen der „alten Freunde“ Benda, Hö%h, Czarth und Weidner in Dresden. Scließlic müßte auc die Rolle der in Pretzsc residierenden Königin Christiane Eberhardine, bei der Pisendel bereits 1717 „wegen seiner unvergleiclicen Musi% in ausnehmenden Gnaden“79 stand, untersuct werden, denn bis zu ihrem Tod war sie die herausragendste Vertreterin protestantiscer Interessen im säcsiscen Hocadel. Die Dresdner Oberhofprediger Carpzow und Pipping standen ihr sehr nahe und waren ebenso wie der Superintendent Löscer Vertreter der lutheriscen Orthodoxie, an der die Königin gegen den Dru% aus der Umgebung ihres konvertierten Ehemannes trotzig festhielt.80 Die frühe Verbindung Pisendels zu Christiane Eberhardine, bei der eine Übereinstimmung in Religionsdingen vorausgesetzt werden darf, hat möglicerweise noc einen verste%ten politiscen Hintergrund. Es fällt nämlic auf, daß Pisendel zu den wenigen Lutheranern gehörte, die den zur Konversion gedrängten Sohn Christiane Eberhardines auf seinen Reisen nac Paris, Venedig und Wien begleiteten. Als Kammermusiker befand er sic in der unmittelbaren Nähe des Kurprinzen, um ihm „mit seinen Instrumenten fast täglic aufzuwarten“.81 Vermutungen, daß Pisendel der Königin vielleict über den Alltag, aber auc über den Gesundheitszustand ihres Sohnes Berict erstattet haben könnte,82 bleiben jedoc

77

Benda-Autobiographie 1763, 148. Daß Hö%h in Polen den Wunsc hatte, nac Deutscland zu kommen, um dort zu konvertieren, wird von dessen Scüler Johann Wilhelm Hertel verbürgt, vgl. Hertel-Autobiographie, 20ff. 79 Vgl. V56, 303. 80 Vgl. Haake 1930, 92, 96, 120 und 164. 81 Vgl. V56, 302. 82 Der Kurprinz litt in Venedig beispielsweise an einer Po%eninfektion und einer Pilzvergiftung, über die nur verspätet nac Dresden berictet wurde, vgl. Staszewski 1996, 83. 78

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Spekulation. Obwohl solce und ähnlice Fragen offen bleiben müssen,83 ist deutlic geworden, daß künftige Studien wohl nict umhin kommen, die orthodoxe Frömmigkeit des Konzertmeisters als einen prägenden Einfluß auf sein Handeln zu verstehen und zu berü%sictigen.

83

In diesem Zusammenhang müßte auc die Berufung des alternden Ansbacer Hofkapellmeisters Georg Heinric Bümler nac Pretzsc im Jahr 1723 untersuct werden. Kurz zuvor war Bümler nämlic im Rahmen einer allgemeinen Reduktion aus Ansbacer Diensten entlassen worden, vgl. Hiller 1784, 56. Diese Berufung hatte den Charakter einer mildtätigen Geste, denn das Amt des Kapellmeisters in der kleinen Hofhaltung der Königin Christiane Eberhardine gab es offiziell gar nict. Zudem wurde Bümlers Gattin gleiczeitig als Kammerfrau eingestellt. Da Bümler ein langjähriger Kapellkollege Pisendels in Ansbac war, könnte Pisendel zu dieser Berufung (ähnlic wie im Fall Bendas) vermittelnd beigetragen haben.

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7. D IE LETZTEN J AHRE 1750 [V67, 290]: Im Jahre 1750. als Herr Pisendel im Bade zu Gieshübel war, wohin er zuweilen im Sommer zu reisen pflegte, überfiel ihn, da er von ungefähr in einer Zugluft saß, ein Brausen in dem einen Ohr, welces, aller dagegen angewandten Mittel ungeactet, sic nict wieder verlieren wollte. Dessen ungeactet wartete er alle seine Dienste in der Kirce sowohl als in der Oper und bey der Kammermusik, bis fast in seine letzte Lebenszeit, mit der größten Genauigkeit ab; und wollte die ihm vom Hofe angebotene Erleicterung derselben, nict annehmen. Sein Gesict blieb auc in seinem Alter so scarf, daß er Arien, die sehr enge und klein gescrieben waren, aus der auf dem Flügelpulte liegenden Partitur, ohne sic einer Brille zu bedienen, mit der größten Rictigkeit a$$ompagniren konnte. 1755 [V56, 303]: Es bedauern desselben Tod, der im Nov. 1755. zu Dreßden in $oelibatu erfolget, so wohl alle Kunstverständige, als Redlice. [V67, 290, ergänzt]: Endlic überfiel ihn eine heftigere Krankheit, und er starb daran am 25. November 1755. Seine letzten Worte waren ein Vers aus einem Kircenliede, welcer eine Danksagung für die genossenen göttlicen Wohlthaten enthält! So starb ein Mann, der sowohl in Ansehung seiner musikaliscen Wissenscaften, als in Betractung seines Charakters und seines Herzens, ein Muster eines rectscaffenen Tonkünstlers bleiben wird. Sein Gedäctniß sey im Seegen! Er hat sic niemals verheyrathet. Weil ihn seine eigene[!] Hausumstände nict hinderten; so hat er auc gegen seine Anverwandten immehr[!] sehr wohlthätig erwiesen. […]

Bereits in den vorangegangenen Kapiteln ist festgestellt worden, daß die früheste Lebensbescreibung V56 für die Zeit nac 1718 nur sehr spärlice Informationen enthält. Auf die Bemerkung zur Übernahme des Konzertmeisteramtes nac Woulmyers Tod folgt als näcstes biographisces Datum sofort der Tod Pisendels, wobei merkwürdigerweise der genaue Todestag nict angegeben wird. Wie zuvor, trägt auc hier die Lebensbescreibung V67 zahlreice weitere Informationen bei, die durc V84 in der Regel nur noc redaktionell überarbeitet werden. Die Sommeraufenthalte Pisendels „im Bade zu Gieshübel“ deuten darauf hin, daß Pisendel sic mit zunehmendem Alter von seinem anstrengenden Dienst erholen mußte. Bei dem Badeort „Gieshübel“ handelt es sic um einen kleinen Kurort bei Bad Gottleuba in der Säcsiscen Scweiz, der heute Berggießhübel heißt. Für die Aufenthalte Pisendels in diesem Kurort lassen sic allerdings bislang keine arcivaliscen Nacweise beibringen.1 Das gleice gilt natürlic auc für die Angaben aus V67 über Pisendels Ohrenleiden, das nac heutigem Verständnis wohl als ein Tinnitus identifiziert werden kann, sowie über dessen Sehscärfe, die aber wegen des Hinweises, daß Pisendel aus Partituren musiziert habe, im zweiten Teil der Arbeit noc von Interesse sein wird.

1 Das Gästeverzeicnis des Kurortes Berggießhübel, der nict etwa mit „Gießhübel“ im Scwarzwald (Münstertal), „Gießübel“ im Thüringer Wald oder „Gießhübl“ im Wienerwald verwecselt werden darf, enthielt auc den Namen des Dicters Christian Fürctegott Gellert und ist seit 1945 verscollen (freundlice Auskunft der Kurverwaltung Berggießhübel).

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„Übermäßige travaillen“ und „weitläufftige Correspondenz“ Die vier Briefe an seinen langjährigen Freund Telemann, den Pisendel bereits aus Leipziger Tagen kannte, gehören zu den wictigsten biographiscen Dokumenten der Pisendel-Literatur. Diese Briefe sind im Naclaß von Telemanns Enkel Georg Micael Telemann überliefert, der in der Universitätsbibliothek Tartu (Estland) aufbewahrt wird, und sind bereits seit längerer Zeit bekannt.2 Sie enthalten eine Fülle von wictigen Informationen, Bericte und Kommentare über das Musikleben am Dresdner Hof zwiscen 1749 und 1752. Dennoc sind sie noc nict vollständig auf ihre Informationen zur Biographie Pisendels ausgewertet worden. Die vier Briefe, die offenbar fortlaufend erhalten sind, stellen lediglic einen kleinen Ausscnitt aus dem umfangreicen Briefwecsel Pisendels mit Telemann dar. Außerdem geht aus Pisendels Bericten hervor, daß er außer mit Telemann auc mit anderen Freunden und Kollegen einen „weitläufftigen Brief-Wecsel“ unterhielt. Pisendel bezieht sic auf diese Korrespondenz regelmäßig zu Beginn seiner Briefe an Telemann, wenn er sic dafür entsculdigt, daß seit seinem letzten Brief so viel Zeit vergangen sei. Ansceinend hat Pisendel nur einmal im Jahr einen umfangreicen Brief an Telemann abgesandt. In seinem Brief von November/Dezember 1750 (als zweiter in der Reihe der Briefe im folgenden mit dem Sigle „B2“ belegt) führt Pisendel zu seiner Entsculdigung an, daß sein langes Scweigen seit dem letzten Brief B1 vom 3 16.4.1749 „bey so unruhigem Dienst, und so weitläufftigen Brief-Wecsel“ unvermeidlic gewesen sei. Den Brief B3 vom 26.3.1751 eröffnet Pisendel erneut mit dem Bedauern, daß er vom Briefscreiben „mit Gewalt“ abgehalten worden sei: ac ja! meine bißherigen travaillen in der Kirce, Cammer und theatro haben mic, da sie immer häufiger, ic aber immer älter werde, aller dings mit Gewalt abgehalten, daß ic so gar gezwungen, meinen gantzen Brief-Wecsel auf eine Zeitlang völlig aussetzen müßen, und wo sic auc noc ein Viertel Stündgen würde gefunden haben, so waren doc meine abgematteten Glieder nict im Stande, eine Feder zu führen, des beständigen Überlauffs von aus- und einheimiscen, insonderheit der unruhigen Italiäner nict zu geden%en […].4

Durc B4 vom 3.6.1752 wird glaubhaft, daß Pisendel seine Arbeitslast nict nur als Ausrede vorsciebt, wenn er screibt, daß „ic unter meiner Last übertrieben, und gleicsam beständig gejagt worden bin; Wie nun ein dergleicen gejagter darunter wenig ans Screiben geden%en kan, so ergieng es auc mir“ und hinzufügt, daß er seine „von einem jungen Menscen kaum ertragende Arbeit |: sonderlic wenn man sic auf Italiäner zu verlassen hat :| persönlic verrictet“ habe.5 Damit bestätigen sic auc die Angaben aus V67, daß Pisendel „alle seine Dienste in der Kirce sowohl als in der Oper und bey der Kammermusik, bis fast in seine letzte Lebenszeit, mit der größten Genauigkeit“ selbst wahrgenommen habe, ohne die vom Hof angebotene Diensterleicterung anzunehmen.

2

Die vier Briefe sind bereits in Jung 1956 (VI-XXIV) veröffentlict und später durc Hans Rudolf Jung ausführlic kommentiert worden, vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 347-363. 3 Telemann Briefwecsel 1972, 353. 4 Telemann Briefwecsel 1972, 357. 5 Telemann Briefwecsel 1972, 360.

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Die Intensität der Aufführungen, welce die Hofkapelle bei Anwesenheit Hasses und des vollständigen Hofstaates in den üblicen Karnevals- und Herbstopern, bei Tafelmusik, Hofkonzerten, Kircgängen und besonderen Feiertagen wie Geburtsund Namenstagen sowie kirclicen Festen zu bestreiten hatte, ist im vorangegangenen Kapitel bereits angedeutet worden. Da Pisendel die übrigen Adressaten seiner Briefe, deren Korrespondenz ebenfalls von seiner Dresdner Arbeitslast betroffen waren, nict mit Namen nennt, läßt sic der Umfang seines „weitläufftigen BriefWecsel[s]“ nur erscließen. Pisendel selbst erwähnt lediglic gegenüber Telemann, daß er von Carl Heinric Graun und Lorenz Mizler Briefe erhalten habe.6 Außerdem ist belegbar, daß Pisendel mit dem Orgelbauer Gottfried Silbermann freundscaftlic korrespondierte, denn in dessen Naclaß befand sic 1753 ein Konvolut mit Briefen des Dresdner Konzertmeisters.7 Auf Pisendels Briefwecsel mit Johann Gottlieb Graun, Johann Joacim Quantz, Johann Friedric Fasc und Franz Benda gibt es immerhin zeitgenössisce Hinweise,8 und es steht zu vermuten, daß Pisendel auc mit anderen auswärtigen Musikern, die wie die Brüder Graun und Fasc in seiner Notenbibliothek mehrfac vertreten sind, über längere Zeit korrespondiert hat.9 Die vier überlieferten Briefe an Telemann enthalten interessante Beurteilungen und biographisce Notizen Pisendels zu Zelenka, Quantz, der Familie Bac, den Brüdern Graun, den Brüdern Benda, Pfeiffer, Krause, Sceibe, Mizler, Reinhold, Finazzi, Cattaneo, Neruda, Tartini, dem Ehepaar Hasse, Salimbeni, Mingotti, Porpora sowie zu den Italienern allgemein. Bemerkenswert ist, daß im gesamten erhaltenen Briefwecsel Telemanns der Name Johann Sebastian Bac lediglic in zwei Briefen Pisendels erwähnt wird, in denen er seine große Wertscätzung für Bac ausdrü%t.10 Dennoc sind Pisendels Bemerkungen zu unbestimmt, um daraus neue Erkenntnisse über deren gegenseitiges Verhältnis gewinnen zu können.11 Bemerkenswert ist auc, daß Mizler wertvolle Informationen über Dresdner Kapellmusiker von Pisendel erhielt. So stimmt der Eintrag über Zelenkas Tod im dritten Band von Mizlers Neu eröffneter Musikaliscer Bibliothek fast wörtlic mit einer Bemerkung in Pisendels Brief an Telemann vom 16.4.1749 überein.12 Mizler hatte 6

Zu Grauns Brief an Pisendel aus Florenz 1740/41 vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 354; außerdem erwähnt Graun in seinem Brief an Telemann vom 20.6.1747, daß er einen Brief Pisendels erhalten habe, vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 272. Zu den beiden Briefen Mizlers aus Warscau vom März 1751 vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 358. 7 Vgl. Müller 1982, 402. 8 Hiller 1784, 82, berictet in seiner Biographie von Carl Heinric Graun, daß Pisendel „bis an sein Ende, sein und seines Bruders vertrauter Freund geblieben“ sei. Quantz selbst berictet 1754, daß ihn mit Pisendel eine „vertraulice Freundscaft“ fortdauernd verbinde, vgl. Quantz-Autobiographie 1754, 200ff. Die Korrespondenz mit Fasc ist durc die Autobiographie von Franz Benda verbürgt, vgl. Benda-Autobiographie 1763, 148. Auc von Benda selbst screibt Hiller 1784, 45, daß Pisendel „mit ihm einen freundscaftlicen Briefwecsel unterhielt“. 9 Obwohl sicerlic viele dieser Briefe heute verloren sind, kann nict ausgesclossen werden, daß sic doc noc einige unerkannt erhalten haben, denn die genannten Adressaten Pisendels waren bedeutende Zeitgenossen. Dennoc blieb eine intensive Suce bislang erfolglos. 10 Vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 350, 354, 356 und 358f. 11 Aufgrund der virtuosen Violinsoli in Bacs Kantate BWV 83 vom 2.2.1724, die im ersten Kantatenjahrgang Bacs kein Gegenstü% haben, wurde neuerdings eine Beteiligung Pisendels an der Aufführung vermutet, vgl. Dirksen 2002, 143-146. Für den freundlicen Hinweis auf diesen Aufsatz bin ic Herrn Prof. Dr. Ulric Siegele zu Dank verpflictet. 12 Vgl. Grosse Jung 1972, 347f: „er ist gestorben als Kircen-Compositeur am hiesigen Königlicen Hof ao 1745. den 22 De$emb:re als eben etlice Tag zuvor, nemlic den 18 Ejusdem die Herrn Preußen den lieben

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diese Angaben wahrsceinlic, wie Telemann, von Pisendel selbst erhalten, denn ein Jahr später bat er Pisendel erneut um Lebensläufe, diesmal von Sylvius Leopold Weiß und Pantaleon Hebenstreit, die beide 1750 gestorben waren. Bereits zuvor hatte auc Johann Gottfried Walther Pisendel durc einen Dresdner Bekannten um einige Lebensläufe für eine neue Auflage seines Musi$aliscen Lexi$ons gebeten. In einem Brief an Heinric Bokemeyer vom 1.8.1737 zitiert Walther aus der Antwort dieses Dresdner Bekannten: „Herr Advo$at Scäfer, welcer ein guter Musi$us auf dem Clavier ist, u. dan[n]enhero mit vielen Hn. Musi$is, ins besondere aber mit dem Hn. Con$ert-Meister Pisendeln in genauer Bekan[n]tscafft lebet, hat diesem Dero Verlangen hinterbract, u. mir noc gestern gesagt, wie wohlbenan[n]ter H. Con$ert-Meister ihm nur noc letzthin die Versicerung gegeben, Ew. – Begehren in Übersendung der $urri$olorum vitae von hiesigen, so noc lebenden als verstorbenen Hn. Musi$is u. Virtuosen selbst zu $om[m]uni$iren, wie er den[n] dißfalls mit den Hn. Capellmeister Haßen u. andern bereits gesprocen, u. sie um einen Aufsatz darzu ersucet habe. […]“13

Ob Walther auc direkt mit Pisendel korrespondiert hat, ist nict bekannt. Das eigene Handexemplar Walthers enthält keine Einträge zu Hasse und anderen Dresdner Musikern, die auf eine Mitteilung Pisendels zurü%geführt werden können.14 Die vier Briefe Pisendels an Telemann bergen also einen reicen Vorrat an Informationen aus erster Hand, die nac versciedenen Gesictspunkten ausgewertet werden könnten. An dieser Stelle sollen jedoc nur zwei Aspekte herausgegriffen werden, die in der Pisendel-Literatur bislang noc nict thematisiert worden sind oder einer Korrektur bedürfen. Dazu gehört der Anlaß zur Überlieferung dieser vier Briefe und der Hinweis auf das Interesse, das Pisendel den Zeit- und Streitscriften der jungen Musikkritik in Berlin sowie ihren Autoren entgegenbracte. Da Pisendel seinem Freund Telemann seit den Dresdner Hoczeitsfeierlickeiten von 1719 möglicerweise nict mehr persönlic begegnet ist, pflegten sie ihre Freundscaft über Jahrzehnte nur durc den Austausc von Briefen, Musikalien und anderen Gescenken. Angesicts des vermutlic großen Umfangs der Korrespondenz drängt sic die Frage auf, warum gerade diese vier Briefe Pisendels überliefert sind. Unter den Gegenständen, die mehrfac in den Briefen wiederkehren, gibt es nur einen, der in allen vier Dokumenten vertreten ist: der von Pisendel angeregte Plan, Zelenkas Karwocen-Responsorien ZWV 55 aus dem Jahr 1723 durc Telemann veröffentlicen zu lassen. Zusammen mit B1 nämlic erhielt Telemann eine Partitur der Responsorien, die Pisendel von einem Dresdner Hofnotisten sorgfältig hatte kopieren lassen. Allerdings durfte diese Kopie nur zum dienstlicen Gebrauc Pisendels angefertigt werden, denn die Werke Zelenkas befanden sic in der privaten Musikaliensammlung der

Dreßden das Jungfer$räntzgen abgenommen.“ Mizlers Nacrict (Bd. 3, Leipzig 1752, 602) lautet: „Dresden. Hier wird der vortrefflice Kircen$omponist, Johann Dismas Zelenka, sehr bedauert, als welcer den 22. De$. 1745 gestorben ist, da die Preußen etlice Tage zuvor, nämlic den 18. De$. Dresden besetzt u. eingenommen hatten. […]“ Zitiert nac Zelenka-Dok. 1989, 154. 13 Walther Briefe 1987, 206f. 14 Vgl. Walther Briefe 1987, 208.

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Königin Maria Josepha und durften nict an Dritte weitergegeben werden.15 Daher bittet Pisendel Telemann darum, die Herkunft der Partitur zu verscweigen: „Meinen Nahmen bitte nocmals hierbey verborgen zu halten“.16 Um den Verdact von sic abzulenken, sclägt er vor, daß die Überscrift bei einer Veröffentlicung durc Telemann „verendert und abgekürtzt“ und der Sclußteil „gar ganz ausgelassen würde: es wäre sonst zu deutlic, daß man das gantze Buc in Händen gehabt, da vielmehr glaubend zu macen, als hätte man dieses Wer% nict ohne viele Mühe und Zeit nac und nac zusammengebract.“17 Pisendels Bemühen, unerkannt zu bleiben und im Hintergrund Gutes zu bewirken, sind offenbar kennzeicnend für seine Persönlickeit, wie bereits anläßlic seiner anonymen Gescenke an Bedürftige festgestellt werden konnte. Durc diese übertriebene Vorsict behinderte Pisendel jedoc selbst sein verdienstvolles Vorhaben, die Kompositionen Zelenkas bekannter macen zu wollen, denn er hatte seinem Freund damit offenbar Furct vor den Konsequenzen einer möglicen Entde%ung eingeflößt. In seinem näcsten Brief muß Telemann ihm nämlic geantwortet haben, daß er bei einer Veröffentlicung um Leib und Leben fürcten müsse. In B2 versuct Pisendel daher die Gefahr zu relativieren: Wegen Herausgabe der Zelen%iscen Sacen glaube nict, daß große Vorsict mehr nöthig, wenn man nur nict weiß, daß es von mir kommen ist. Gott bezahle den gerecten Eiffer überreiclic, sollte es aber mit einigen[!] Verlust deßen so pretieusen Lebens seyn, so wünsce ic eher, daß ic niemaln darzu Anlaß gegeben hätte.18

Telemann sclägt daraufhin vor, die Responsorien einzeln zu veröffentlicen und bittet Pisendel um eine Einscätzung von Zelenkas Kompositionen. In B3 antwortet Pisendel: „Ein Gutacten über die Zelenkiscen Musi$alia zu geben, scätze mic zu wenig“ und sclägt vor, „alle responsoria beysammen zu laßen […], weiln es allzusammen ein gantzes und nützlices Wer%, nemlic zur Fastenzeit, ausmacet, da es sonst nur etwas eintzles und unvollkommen ist.“19 Aber eine Veröffentlicung kam nict zustande, und in B4, mehr als drei Jahre nacdem Pisendel die Partitur nac Hamburg gesandt hatte, screibt er scließlic: „Daß die Zelenkiscen partiturn so vielen fataliteten unterworffen, krän%et mic sehr, doc Gedult, es kan sic ohngefehr noc wol sci%en.“20 Auf die von Pisendel veranlaßte Kopie, die noc erhalten ist, ergänzte Telemann nac dem Tod Pisendels die folgende Notiz: Dieses Werk verdient, wegen der darin enthaltenen besonderen Arbeit, einen Liebhaber, der wenigstens 100. Rthl. entbehren kann, um es zu besitzen. Es sind nur 3. bis 4. einzelne Stü%e davon der Welt bekandt, das völlige Manus$ript aber wird am Dresdenscen Hof, als etwas seltenes, unter Sclössern verwahret, wovon jedoc ein Hertzensfreund des verstorbenen Verfassers, Pisendel, vorher diese unfehlerhafte Abscrift genommen hat. Hambg. d. 17. Apr. 1756. Telemann.21

15

Aus dem Briefwecsel Pisendels wurde irrtümlic gesclossen, daß Dresdner Musiker generell keine Musikalien herausgeben durften, vgl. Oscmann 1986, 29 (mit weiteren Nacweisen), und unten, Abscnitt V, 2. „Zur Herkunft der Musikalien in ‚Pisendels Notenbibliothek‘“. 16 Telemann Briefwecsel 1972, 347. 17 Telemann Briefwecsel 1972, 347. 18 Telemann Briefwecsel 1972, 355. Unterstreicungen nac dem Original. 19 Telemann Briefwecsel 1972, 359. 20 Telemann Briefwecsel 1972, 363. 21 Zit. nac Zelenka-Dok. 1989, 111.

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Vielleict bewahrte Telemann die vier Briefe Pisendels über die geplante Veröffentlicung der Karwocen-Responsorien auf, um sic gegen den Vorwurf abzusicern, er selbst habe die Kopie veranlaßt oder widerrectlic erworben. Allerdings läßt Telemanns Notiz auf der Kopie Pisendels auc den Scluß zu, daß Telemann die vier Briefe nur aufbewahrte, um sein Gutacten beglaubigen zu können und vielleict sogar mit ihrer Hilfe den außerordentlic hohen Preis von 100 Talern von einem kaufinteressierten „Liebhaber“ zu erzielen. Es wäre jedenfalls bezeicnend, wenn Pisendels übertriebene Vorsict einerseits die beabsictigte Dru%legung vereitelt und Telemanns kaufmännisces Denken andererseits die Überlieferung dieser vier aufsclußreicen Briefe Pisendels ermöglict hätte.

Pisendel und die „Berlinisce Musi$“ Da Friedric II. seit seiner Zeit als Kurprinz die wictigsten Scüler Pisendels an seinen Hof gezogen hatte und damit offensictlic beabsictigte, die in hoher Blüte stehende Musikpraxis der Dresdner Hofkapelle nac Preußen zu verpflanzen, interessierte sic Pisendel selbstverständlic für die musikaliscen Ereignisse und die Qualität des Orcesters am Berliner Hof. Auf Pisendels reflektierte Art zu unterricten – einer seiner Leitsätze lautete „qui bene distinguit, bene do$et“22 – ist es wahrsceinlic zurü%zuführen, daß die Diskussion über die Vorzüge des französiscen oder italieniscen Gescma%s, von der die Musikkritik der Aufklärung ihren Ausgang nahm,23 gerade in Berlin auf fructbaren Boden fiel. Aus den erhaltenen Briefen an Telemann geht jedenfalls hervor, daß Pisendel die musikaliscen Scriften von Christian Gottlob Krause, Friedric Wilhelm Marpurg und Johann Adolph Sceibe genau verfolgte. In B1 antwortet Pisendel auf die vorausgegangene Frage Telemanns nac Christian Gottlob Krause: „Von dem Herrn Se$tret. Krause in Berlin habe noc nicts gehört noc gelesen, es könnte aber künfftig gescehen, wenn anders das große parturiunt Montes, ic meyne das Wer% von einer neuen u allgemeinen Einrictung der Musi$ noc seinen Fortgang haben sollte, da er vielleict die Feder führen u die Bolsen verscüßen wird.“24 Offenbar war in einem zeitgenössiscen Periodikum eine derartige Veröffentlicung angekündigt worden,25 die bereits in dem vorausgegangenen Briefwecsel zwiscen Telemann und Pisendel angesprocen worden war. Daß dieses Vorhaben in Berlin verwirklict werden sollte und daß Pisendel in einem früheren Brief bereits die Namen von zwei beteiligten „Meistern“ genannt hatte, geht aus der Fortsetzung des Briefes hervor: ic halte die beyden genannten Meister vor besonders habil viel nutzbahres zu scaffen, auc wol daß sie eine neue und sehr gute Einrictung vor die N[ota]B[ene] Berlinisce Musi$ macen können, allein daß sie allgemein seyn soll, will mir nict in Kopf; eben 22

Telemann Briefwecsel 1972, 350. Vgl. MGG1 IX, 1132 und 1134. 24 Telemann Briefwecsel 1972, 349. 25 Da Pisendel sic im weiteren Verlauf auf „mathematisce Entde%ungen“ bezieht, auf die jene Veröffentlicung aufbauen soll, könnte es sic vielleict um eine Ankündigung in Mizlers Musikaliscer Bibliothek handeln. 23

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so wenig, aber daß Mathematisce Entde%ungen die Bahn darzu eröffnen sollen. ZieferWüßenscafften mögen wol zeugen von der Rictigkeit u guten Ordnung der Musi$, aber sie können das Leben, den guten Gescma%, und die von einer Zeit zur andern benöthigte Verenderungen und Erfindungen nict geben, da das Gehör die Verenderung liebt wie das Auge der Kleider Moden.26

Offenbar hatte Pisendel davon Kenntnis, daß in Berlin ein von mehreren Autoren vorbereitetes Musikwerk entstehen sollte, das als sehr nützlic für die „Berlinisce Musi$“ eingescätzt wurde. Möglicerweise handelt es sic dabei um das 1752 von Quantz veröffentlicte Lehrwerk, das ja weit über den im Titel suggerierten Inhalt einer Flötenscule hinausgeht, denn nac dem Hinweis eines Zeitgenossen soll zumindest auc Agri$ola daran mitgewirkt haben.27 Eine weitere Veröffentlicung der jungen Berliner Musikkritik, die von 1749 bis 1750 erscienene Zeitscrift Der Critisce Musi$us an der Spree, wird in den erhaltenen Briefen mehrfac angesprocen. Bereits kurz nac Ersceinen der ersten Nummern versucten Pisendel und Telemann, die Identität des ungenannten Verfassers zu klären: Es ist ohnlängst ein piè$e herauskommen, das nennt sic den Critiscen Musi$um an der Spree […]: ic halte davor das obiger Se$r. Krause dabey die Feder führe, ob man gleic Herrn Mizlern oder Herrn Sceibe im Verdact haben will: die Sac ist im höcsten Grad Mar%screyerisc:28

Telemann befragte daraufhin auc Georg Andreas Sorge und Johann Adolph Sceibe nac dem Verfasser der Beiträge im Critiscen Musi$us an der Spree. Während Sorge am 16.6.1750 lediglic auf den Streit Marpurgs mit Agri$ola verwies, der jedoc unter Pseudonymen ausgefocten wurde,29 antwortete ihm Sceibe, der von 1737 bis 1739 in Hamburg eine Musikzeitscrift mit dem Titel Der Critisce Musi$us herausgegeben hatte, in einem Brief vom 6.1.1750: Herr Graun und Herr Qvanz sind nict unter diejenigen zu zählen die Antheil daran nehmen. Ersterer hat mir diesfalls selbst gescrieben, und überdieß einen ganz anderen Hauptverfaßer angegeben, als den Herrn Krause. Er nennte ihn Marburg, mit dem Zusatze: er habe in Jena studiert, und sey hernac einige Jahre in Fran%reic gewesen.30

Telemann hat seine Erkundigungen offenbar an Pisendel weitergeleitet, denn dieser bedankt sic in B2 „vor die mir gütigst übermacte 2 Briefe den Kritiscen Musi$um betreffend“.31 Neben Marpurg war allerdings auc Krause am Critiscen Musi$us an der Spree beteiligt, wenn auc nict als „Hauptverfaßer“, denn in einem Brief von Graun an Telemann vom 9.11.1751 wird von Krause als dem „Herrn Criti$um an 26

Telemann Briefwecsel 1972, 349. Siehen unten, Abscnitt III, 3. „Exkurs: Quantz und Agri$ola als Kronzeugen für Pisendels Praxis“. Vgl. Bac-Dok. II, 581, und Telemann Briefwecsel 1972, 349f. Entgegen der Anmerkung von Jung, der die Bemerkung Pisendels vom 16.4.1749 irrtümlic mit einem Abscnitt aus dem Critiscen Musi$us an der Spree vom 26.8.1749 in Zusammenhang bringt, bezieht sic Pisendel wohl auf die erste Ausgabe dieser Zeitscrift, die am 4.3.1749, gut einen Monat vor Pisendels Brief, erscien. 29 „Den Critiscen Musik. an der Spree kenne nict weiter, als was die beyden Screiben des Musikus von der Tyber [gemeint ist „Olibrio“, Agri$olas Pseudonym] von ihm melden.“ Telemann Briefwecsel 1972, 337. 30 Telemann Briefwecsel 1972, 329. 31 Jung entnimmt dieser Passage, daß Telemann zwei Nummern des Critiscen Musi$us an der Spree nac Dresden gesandt habe, vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 388. 27 28

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der Spree, welcer bey dem Graff Rothenburg Se$retair ist“ gesprocen.32 Da dieser Graf Rothenburg als Widmungsträger des Critiscen Musi$us an der Spree auc seine scützende Hand über die Zeitscrift hielt, wurde vielfac die Anstellung Marpurgs in Paris 1746 bei einem gewissen General „Bodenberg“ als eine Beugung des Namens „Rothenburg“ gedeutet.33 Die Bemerkung Grauns bezieht sic hier jedoc eindeutig auf Krause, denn dieser war seit 1746 bei dem preußiscen Generalleutnant Friedric Rudolf Graf von Rothenburg als juristiscer Sekretär bescäftigt und wohnte sogar in dessen Haus in Berlin.34 Daß in Grauns Brief vom 9.11.1751 nict Marpurg gemeint sein kann, laßt sic auc dadurc belegen, daß Graun an jenen „Herrn Criti$um an der Spree“ eine „Commißion“ Telemanns ausricten sollte. Mit dieser „Commißion“, einer Bestellung in fremdem Auftrag, kann eigentlic nur Krauses Werk Von der Musi$aliscen Poesie gemeint sein, das 1752 erscien, denn Marpurg hatte zwiscen 1750 und 1753 außer einem „Vorberict“ zu Bacs Kunst der Fuge keine musikaliscen Scriften veröffentlict. Aus diesen Hinweisen in der Korrespondenz Telemanns geht hervor, daß Krause in größerem Umfang am Critiscen Musi$us an der Spree beteiligt gewesen sein muß als bisher angenommen wurde. Nacdem Pisendel also über die Berliner Musikscriftsteller ausreicende Informationen erhalten hatte, bat er Telemann in B2 noc um eine kurze Beurteilung Sceibes, der seit 1744 Kapellmeister des Königs von Dänemark war, aber bereits 1748 von dessen Nacfolger zugunsten eines Italieners pensioniert worden ist: „Vom Herrn Sceibe mögte mir wol einen kleinen re$it mir wünscen, weiln ic noc gäntzlic keinen Con$ept von ihm habe“.35 Sceibe hatte in einen Streit eingegriffen, der durc die „Anmer%ungen über den Gescma% der Italiäner“, einen im Critiscen Musi$us an der Spree in Fortsetzung erscienenen Text, ausgelöst worden war. Auc diesen Konflikt verfolgte Pisendel mit großem Interesse, handelte es sic doc um einen Diskurs über den damaligen Zustand der französiscen und italieniscen Musik. Zudem wurden in diesem Zusammenhang einige deutsce Komponisten, die teilweise aus seiner Scule hervorgegangen waren, selbstbewußt zu neuen Vorbildern für alle Nationen erklärt. Da auc die Verdienste Bacs in diesem Zusammenhang lobend hervorgehoben werden, ist dieser Diskurs „über den Gescma% der Italiäner“ vor allem in der BacForscung beactet worden. Eine dieser Streitscriften, das „Sendscreiben an die Herren Verfasser der freyen Urtheile in Hamburg, das Screiben an den Herrn Verfasser des kritiscen Musikus an der Spree betreffend“ vom 28.8.1750, ist mit „A.“ unterzeicnet und wurde daher Agri$ola zugescrieben.36 Aus den Briefwecsel zwiscen Pisendel und Telemann geht jedoc zweifelsfrei hervor, daß diese Streitscrift von Sceibe verfaßt worden ist, der seit 1739 das Pseudonym „Alfonso“ ver-

32

Vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 279. So etwa Grosse in Telemann Briefwecsel 1972, 302. Vgl. auc die Artikel „Marpurg“ in MGG1 und NGD2. 34 Vgl. MGG1 VII, 1718. Krause, der 1749 seine juristiscen Examina ablegte, wohnte möglicerweise bis zu seiner Hoczeit 1751 im Haus des Grafen Rothenburg. 35 Telemann Briefwecsel 1972, 354. 36 Vgl. Bac-Dok. II, Nr. 620. 33

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wendete.37 Auc in einem weiteren anonymen Pamphlet mit dem Titel „Gedanken über die welscen Tonkünstler“, das 1751 erscienen war, wird Bac als Vorbild gepriesen. Dieser anonyme Dru% wird Marpurg, dem „Hauptverfaßer“ des Critiscen Musi$us an der Spree, neuerdings jedoc auc Agri$ola zugescrieben.38 Pisendel interessierte sic ebenfalls für den Verfasser dieser Streitscrift, und sein Briefwecsel mit Telemann, der sic mit Graun über diese Frage ausgetausct hatte, deutet darauf hin, daß auc die neuerlice Streitscrift den aus Leipzig gebürtigen Musikscriftsteller und däniscen Hofkomponisten Sceibe zum Autor hat. Diese Zusammenhänge sind vor allem für die Bac-Forscung von Bedeutung, weil Sceibe bislang in erster Linie als einseitiger Kritiker Bacs bekannt ist. Warum dieses Bild aufgrund der Angaben Pisendels und Grauns möglicerweise korrigiert werden muß, soll an geeigneter Stelle ausführlicer dargelegt werden.39 In B3 wird die Berliner Musikkritik von Pisendel zum letzten Mal erwähnt: „Übrigens dan%e gantz ergebenst vor die gütige Nacrict so wol wegen der Criti$i an der Spree, als auc wegen des Herrn Sceibe, wie auc vor die gedru%ten Briefe […]“40 Nacdem Pisendel also mit Hilfe Telemanns herausgefunden hatte, daß der Critisce Musi$us an der Spree von Marpurg unter Mitarbeit Krauses herausgegeben wurde, daß es also zwei „Criti$i“ gab, und er sic ein Bild von dem streitbaren Kapellmeister Sceibe gemact hatte, der anonyme Pamphlete dru%en ließ, finden sic keine weiteren Hinweise auf dieses Thema im verbleibenden Briefwecsel.

Der Naclaß Pisendels Während in V56 anstelle des genauen Todesdatums am 25.12.1755 nur der „Nov. 1755.“ angegeben wird, ergänzt V67 die fehlenden Informationen und fügt hinzu, daß Pisendel nac einer „heftigere[n] Krankheit“ und mit dem Vers eines Kircenliedes auf den Lippen, „welcer eine Danksagung für die genossenen göttlicen Wohlthaten enthält“, starb.41 Auc die Angabe aus V56, daß Pisendel „in $oelibatu“ gelebt habe, wird von V67 mit dem Hinweis aufgegriffen, daß Pisendel dadurc in der Lage war, sic „auc gegen seine Anverwandten immehr[!] sehr wohlthätig“ zu erweisen. Die Angaben zu Pisendels Tod lassen sic mit Hilfe der Sterbematrikel von Pisendels Gemeinde, der Kreuzpfarrei am Altmarkt, bestätigen und konkretisieren. Der entsprecende Eintrag ins Bestattungsbuc wird hier erstmals vollständig wiedergegeben:

37

Vgl. Sceibe 1745, 445: „Das 48 Stü%. Dienstags, den 28 Julius, 1739: […] Vor einigen Jahren lebte in einer gewissen berühmten Stadt ein gewisser Mensc, den ic desto besser abscildern kann, weil ic von Jugend auf mit ihm umgegangen bin, und den ic so genau, als mic selbst, gekannt habe. Ic will ihn voritzo Alfonso nennen.“ 38 Vgl. Bac-Dok. III, Nr. 642, und Darrell Berg, Artikel „Johann Friedric Agri$ola“ in NGD2 I, 230ff. 39 Vgl. Köpp BJ 2003, 173-196. 40 Telemann Briefwecsel 1972, 359. 41 Auc in den Akten der Hofkapelle wird der Tod Pisendels vermerkt, vgl. Pisendel-Dokumente Nr. 92 und 93 vom 16.7.1756.

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November, Anno 1755 [Sonnabend] 29. Herr Johann George Pissendel, Königl. Conzert Meister ledigen Standes, 68 Jahr alt, gestorben den 25. Nov. Nacts, an Ste%- und Sclagfl. an[!] Alten Markte in Hl. Horns Hauße, Nacmittags nac St. Joh. in die Raths Grufft, vorher 1. Pulß geläuten, entrictet, 7. thlr. 21 gl. – wovon 1. thlr. 4 gl. – pro Con$ione [für die Predigt], und was sonst gewöhnl. erat fu.[nus solenne].42

Offenbar kümmerte sic Pisendels langjähriger Kapellkollege, der Kontrabassist und Instrumenten-Inspektor Georg Friedric Kästner,43 um den Kranken, denn bereits am Vormittag nac dem Tod Pisendels erscien er auf dem Dresdner Amtsgerict und ließ in Anwesenheit zweier Zeugen das von Pisendel im Jahr 1749 hinterlegte Testament eröffnen.44 Zu diesem Zeitpunkt war die Wohnung Pisendels am Altmarkt45 bereits teilweise versiegelt worden, wie aus dem amtlicen Protokoll vom 26.11.1755 hervorgeht, denn der „Re$ognition Scein“, der Beleg für die Testamentshinterlegung, konnte dem Amt erst „nac bescehener Resignation des Naclaßes“ ausgehändigt werden46 und befindet sic unter den erhaltenen Dokumenten. Das nac der Entsiegelung aufgestellte Verzeicnis der Gegenstände und Vermögenswerte aus Pisendels Besitz, das die Grundlage für die Aufteilung des Erbes bildete und Aufscluß über die Musikinstrumente oder die Bibliothek Pisendels hätte geben können, ist wahrsceinlic nict mehr erhalten. Dagegen konnte während der Recercen zur vorliegenden Arbeit das autographe Testament Pisendels vom 17.5.1749 und begleitende Amtsdokumente aus den Jahren 1749 und 1755 als eine wictige biographisce und genealogisce Quelle in Dresden aufgefunden und wieder ersclossen und kommentiert werden.47 Aus Pisendels Testament, das drei eng bescriebene Seiten umfaßt, geht hervor, daß die secs Kinder seiner leiblicen Scwestern, darunter der bereits erwähnte „Johan[n] Joseph Friedric Lindner, dermaln Königl: Preußiscer Cam[m]erMusi$us“, als Haupterben eingesetzt wurden. Daneben vermacte Pisendel auc seinen drei Halbscwestern sowie den Kindern seiner Leipziger und Markneukicener Vettern bedeutende Legate, die den Jahresgehältern von Hofbeamten entsprecen.48 Auf dieses Testament bezieht sic möglicerweise auc die Bemerkung von V67 über die Wohltätigkeit Pisendels „gegen seine Anverwandten“.

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Evangelisc-Lutheriscer Kircengemeindeverband Dresden, Kircenbucamt, Bestattungsregister der Kreuzkice Dresden (Altstadt), Jahrgang 1755, fol. 54b. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 88 vom 29.11.1755. 1731 ist Georg Friedric Kästner als zweiter Kontrabassist der Dresdner Hofkapelle neben Jan Dismas Zelenka nacweisbar (vgl. HStCal 1731). 1756 wird er auc als Instrumenten-Inspektor genannt, vgl. Fürstenau,1862, 295. 44 Vgl. Köpp 1999, 68f. 45 Pisendels Adresse im „Sohrmanniscen“ (später „Hornscen“) Haus am Altmarkt, an der recten E%e der Screibergasse, ist ab 1738 belegbar. Das Haus brannte jedoc bereits 1760 ab. Bis zur Zerstörung Dresdens 1945 trug der Nacfolgerbau die Hausnummer „Screibergasse 2“, vgl. Hantzsc 1918, 55. Heute befindet sic auf dem ehemaligen Trümmerfeld vor der Kreuzkirce ein großfläciger Parkplatz. 46 Vgl. die Wiedergabe des Dokuments in Köpp 1999, 69, und Pisendel-Dokument Nr. 80 vom 17.5.1749. 47 Vgl. Köpp 1999, 59ff. 48 Die drei Halbscwestern erhielten je 400 Gulden (entsprict 350 Talern), die zwei Söhne seines Leipziger Vetters je 200 Taler und die Kinder seines Markneukircener Vetters zusammen 200 Gulden (entsprict 175 Talern), vgl. Köpp 1999, 64f, und Pisendel-Dokument Nr. 78 vom 17.5.1749. 43

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Auc Pisendels Bedienter, der ein Jahresgehalt von 16 Talern bezog, erhielt ein Legat von 50 Talern49 sowie darüber hinaus Pisendels „Bett und ein neu scwartz Kleid, nebst zu Behör an Gut Strümpff und Scuen, [ausgestricen:] nebst ingleicen Zwölff thaler Kost- und Vier thaler Lohn-Geld über bemelde 50 thl. nac Meinem Tod, damit er ein Viertel Jahr zeit habe, anderwehrts unterzukom[m]en.“50 Allein die Höhe der Legate für Pisendels Verwandte veranscaulict, daß Pisendel als ein sehr wohlhabender Mann gestorben ist. Dabei fällt auf, daß er trotz seiner Religiosität die Kirce in seinem Testament nict bedact hat.51 Am 29. November 1755 wurde Pisendel auf dem Friedhof von St. Johannes „in der Rathsgrufft“ beerdigt, wo bereits zwei Jahre zuvor sein Freund Gottfried Silbermann, der ebenfalls als Junggeselle in Dresden starb, seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Aus dem bisher unbekannten Anhang des Bestattungseintrags geht hervor, daß Pisendel ein feierlices Begräbnis erhalten hatte („erat funus solenne“), an dem wahrsceinlic die Scüler der Kreuzscule beteiligt waren.52 Das Grab Pisendels existiert jedoc nict mehr, denn der Johanniskirchof bestand nur bis zum Jahr 1861.53 Nac einer Quittung, die der erwähnte Kapellgeiger Johann Georg Fi%ler am 25.12. „als General Bevollmäctigter der sämtlicen Pisendlicen[!] Erben“ unterzeicnete, wurden bereits „Ende Novembr. 1756“ Musikalien aus Pisendels Naclaß an den Dresdner Hof übergeben.54 Diese Musikalien, für die der Hof 400 Taler (abzüglic einer allgemeinen Abgabe von 10¤) bezahlte, werden in diesem Dokument mehrfac als „Opera Musi$alien“ bezeicnet. Da bislang allerdings nur Instrumentalwerke aus Pisendels Besitz bekannt geworden sind, stellt sic die Frage, um welces Repertoire es sic bei diesen „Opera Musi$alien“ genau handelte und wie umfangreic diese Sammlung war. Damit verbunden ist die Frage nac dem Umfang und Zwe% dieser Musikaliensammlung, die in der neueren Literatur als das wictigste Vermäctnis Pisendels angesehen wird. Diese Fragen werden unten, im Abscnitt V. dieser Arbeit, erörtert werden. 1765

49

Diese Summe entsprict dem Jahresgehalt eines Barbiers, vgl. Wolff 2000, 579. Vgl. Köpp 1999, 65, und Pisendel-Dokument Nr. 78 vom 17.5.1749. 51 Möglicerweise war Pisendels Religiosität nict an eine Institution gebunden, vgl. oben, Exkurs III „…da ic auf Serieusere Dinge zu den%en Ursac habe, die ewig dauern“ – Persönlice Aspekte in der Biographie Pisendels. 52 Zwei Jahre vor Pisendel war der Orgelbauer Gottfried Silbermann ebenfalls auf dem Johannis-Kirchof begraben worden. Aus der umfangreicen Akte zu dessen Bestattung geht hervor, daß Silbermanns Erben den gleicen Betrag an die Kreuzkirce für das Geläut entricteten wie Pisendels Erben. Darüber hinaus wurden zahlreice Personen, unter ihnen Pfarrer, Lehrer und Scüler für ihre Beteiligung an den Beerdigungsfeierlickeiten bezahlt, vgl. Müller 1982, 397ff. 53 Der Johanniskirchof befand sic zwiscen dem (jetzigen) Hygienemuseum und der (ehemaligen) Johannesstraße, vgl. Müller 1982, 399. 54 Vgl. Köpp 1999, 70ff, und unten, Abscnitt V, 1. „Zur Überlieferung der Dresdner InstrumentalmusikHandscriften“. 50

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III. DAS KONZERTMEISTERAMT ZUR ZEIT PISENDELS 1. Z UR D EFINITION UND ZUR G ESCHICHTE DES K ONZERTMEISTERAMTES In der Literatur ist bereits darauf hingewiesen worden, daß der Geiger Pisendel in versciedenen Bereicen tätig war, die sic mit Aufgaben von Dresdner Hofkapellmeistern überscneiden. Dazu zählt beispielsweise das Komponieren von Instrumentalwerken für den Gebrauc in der Hofkapelle, das Anscaffen von auswärtigen Musikalien und deren „Zurictung“ für Dresdner Verhältnisse.1 Diese Tätigkeiten, denen angesicts der Fülle des von Pisendel zusammengetragenen Notenmaterials eine große musikhistorisce Bedeutung zukommt, stehen außerhalb des hergebracten Pisendel-Bildes vom überragenden Geiger und begabten Komponisten. Das Aufführen von eigenen und fremden Kompositionen im Rahmen der Hofkapelle gehört jedoc zu den Kernpflicten eines Dresdner Konzertmeisters in dieser Zeit und kann nur vor diesem Hintergrund historisc angemessen verstanden werden.2 Pisendels Tätigkeit als Konzertmeister ist jedoc bislang nict Gegenstand der Forscung gewesen, obwohl sic sein Ruhm im 18. und 19. Jahrhundert gerade auf seine Ausübung dieses Amtes gründet. Dagegen spielte seine Tätigkeit als Geigenvirtuose oder Komponist, dessen unveröffentlicte Werke außerhalb des Dresdner Hofes nict aufgeführt werden konnten, für seinen Nacruhm kaum eine Rolle. Die überlieferte Musikaliensammlung Pisendels lenkt den Bli% auf die übrigen Amtspflicten eines Konzertmeisters, aus denen sic dessen zentrale Funktion für den höfiscen Musikbetrieb erkennen läßt. Obwohl diese Funktion bislang fast völlig unbeactet geblieben ist, zeigt bereits ein kurzer Überbli% über den Stoff, daß Pisendel gerade im Hinbli% auf die von ihm verkörperte Ausprägung des Konzertmeisteramtes sculebildend wirkte. Seine Scüler, die dem Ruhm Pisendels offene und verste%te Denkmäler setzten, lernten von ihm nict etwa das Geigenspiel, sondern das Verstehen fremder, meist italieniscer und französiscer Werke und deren musikalisce „Ausführung“ und entwi%elten sic so zu stilsiceren Interpreten und künstlerisc selbständigen Komponisten wie beispielsweise Johann Joacim Quantz, die Brüder Graun, Johann Friedric Agri$ola oder Franz Benda. Das Konzertmeisteramt ist vielleict deshalb so wenig beactet worden, weil der Konzertmeister in erster Linie mit der musikaliscen Aufführung in Verbindung gebract wird, für deren Erforscung die Musikwissenscaft bisher nur unzureicende begrifflice und methodisce Voraussetzungen gescaffen hat. In der Tat ist die Aufführungspraxis ungleic scwieriger ‚objektiv‘ zu erfassen als das positive Material einer Musikhandscrift oder eines Traktats. Andererseits eröffnet die Untersucung des Konzertmeisteramtes den Bli% auf die große Kluft, die zwiscen dem Notentext und der Ausführung gerade in diesem Repertoire existiert. Die Untersucung der Tätigkeit eines zeitgenössiscen Konzertmeisters bei der Aufführung baro%er und klassiscer Musik kann dazu beitragen, die historisce Distanz zu diesem Repertoire zu erkennen und durc die Berü%sictigung der damaligen Praxis zu überbrü%en. 1

Vgl. Landmann 1978, 52, Landmann 1980, 27, und Fecner 1982, 173. Auf diese Zusammenhänge hat erstmals Frau Dr. Ortrun Landmann in mehreren Veröffentlicungen aufmerksam gemact, ohne das Konzertmeisteramt freilic selbst zu thematisieren. 2

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Das historisce Konzertmeisteramt – ein lexikographiscer Überbli% Über die Aufgaben eines Konzertmeisters liegen bis heute keine Einzeluntersucungen vor. In der Literatur und in modernen Nacsclagewerken wird der Begriff „Konzertmeister“ meist im Zusammenhang mit dem Sticwort „Dirigent“ oder „Orcesterleitung“ genannt. Diejenigen Nacsclagewerke, die „Konzertmeister“ als eigenen Begriff aufgenommen haben, bescränken sic in der Regel auf eine Bescreibung der heute ausgeübten Funktionen und verweisen auf die Rolle des Konzertmeisters im Rahmen der sogenannten „Doppeldirektion“ des 18. und 19. Jahrhunderts, indem die Angaben aus den „Direktions“-Artikeln kurz zusammengefaßt werden. Da es keine Facliteratur zu diesem Thema gibt, enthalten die Nacsclagewerke auc keine bibliographiscen Hinweise. Lediglic in allerjüngster Zeit wurde der Begriff „Konzertmeister“ in einem umfangreiceren Lexikonartikel selbständig behandelt.3 Die beigefügte Literaturliste bescränkt sic jedoc auf wenige angelsäcsisce Veröffentlicungen zur „Violindirektion“ des frühen 19. Jahrhunderts, die erst seit wenigen Jahren Gegenstand der Forscung ist. Materialreice deutscspracige Vorarbeiten zu diesem Thema sind dabei nict berü%sictigt worden.4 Erst seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts wird der Begriff „Con$ertmeister“ in den Lexika erfaßt. Die Nacsclagewerke des 18. Jahrhunderts dagegen enthalten keinen Eintrag zu diesem Begriff, so daß aus der Zeit Pisendels keine Informationen über die Aufgaben und Dienstpflicten eines Konzertmeisters vorliegen. Dennoc sind in dem frühesten Musiklexikon, dem Di$tionaire de musique von Sébastien de Brossard (Paris 1703), einige Amtstitel aufgeführt, mit denen Musiker in Leitungsfunktionen bezeicnet wurden. Alle diese Bescreibungen werden knapp dreißig Jahre später von dem Weimarer Hoforganisten Johann Gottfried Walther in sein Musi$alisces Lexi$on (Leipzig 1732) übernommen.5 Daher wird die Übersetzung Walthers, die er der Situation in Mitteldeutscland angepaßt hat, jeweils im Anscluß an den Wortlaut seiner Vorlage angegeben. Chef, Condu$teur, Maître de quelque Troupe ou Bande. V.[oyez] CAPO.6 [Chef (gall.) das Haupt, oder der Anführer einer musi$aliscen Bande.]7 CAPO, veut dire, CHEF: Capo de Instrumentisti. Chef des Instruments. C’est $eluy qui a le soin d’instruire & $onduire $eux qui joüent du Violon ou d’autres Instrumens.8 [Capo de’Istromentisti (ital.) der Vornehmste unter den Instrumentisten.]9 [Direttore della Musi$a (ital.), Dire$teur de la Musique (gall.), Dire$tor Musi$es (lat.) der die Musi$ aufführet und anordnet.]10

3

Vgl. Clive Brown, Artikel „Leader“ in NGD2. Vgl. die bis heute nict aktualisierten Arbeiten von Scünemann 1913 und Screiber 1938. 5 Zedler 1732-52 übernimmt wiederum die Artikel des WaltherL fast wörtlic. 6 BrossardL, 272. 7 WaltherL, 140. 8 BrossardL, 17. 9 WaltherL, 156. 10 WaltherL, 211. Der Begriff „anordnen“ bezieht sic hier ansceinend nict auf das Aufstellen der Musiker, sondern auf das „Anweisung geben“ im Vorfeld der Aufführung. 4

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Maître de Musique, V. MAESTRO. Les Italiens se servent aussi du Mot Professore di Musi$a, pour marquer $eluy qui montre, ou qui enseigne la Musique.11 [Maitre de Musique. s. Maestro di Capella.] MAESTRO di Capella. Veut dire, MAISTRE de Musique. Voyez, CAPELLA.12 CAPELLA. au plur. Capelle. veut dire proprement CHAPELLE. Mais les Italiens prennent $e mot pour une assembleé de Musi$iens propres à canter ou à joüer toutes les Parties d’une Musique ou d’un Con$ert. Ainsi $es mots da Capella, par la Chapelle, marquent, qu’il faut que toutes les Voix & les Instruments de caque Partie cantent ensemble la même cose pour faire plus de bruit, même dans les entrées des Fugues. C’est $e que nous appellons Gros Choeur ou Grand Choeur. Ce qui se cante da Capella, est ordinairement sous le signe , & marqué Allabreve. $e qui veut dire qu’on doit battre la mesure à deux temps fort vîtes, à moins qu’il ne soit marqué autrement. C’est de là que les Italiens nomment Maëstro di Capella $e que nous apellons Maistre de Musique.13 [Maestro di Capella (ital.) Maître de Musique (gall.) ein Capellmeister, Musi$Meister. Weil Capella auc einen großen Chor bedeutet, da, um einen star%en Laut zu macen, viele Personen eine einige Stimme, und zwar nac Römiscer Art in diesem Zeicen allabreve, und daher von nöthen, daß sie in gleicer Mensur singen; so nennen die Italiäner den Ta$t-Führer, wenn er übrigens die nöthigen requisita, so einen Meister macen, hat, einen Maestro di Capella, und die Frantzosen einen Maitre[!] de Musique.]14

Aus der Bescreibung des „Capellmeisters“ (Maestro di Capella, Maître de Musique) geht hervor, daß Walther ihn als einen Leiter von Vokalmusik definiert. Damit kann das Amt eines Kapellmeisters von dem eines „Anführers“ (Capo de’Istromentisti, Chef ) unterscieden werden, denn dieser Begriff bezieht sic eindeutig auf die Leitung der „Instrumentisten“, wobei Brossard die Gruppe der Violinisten bereits besonders hervorhebt. Die Leitungsfunktionen eines Musikdirektors (Direttore della Musi$a, Dire$teur de la Musique, Dire$tor Musi$es) sind dagegen weniger klar umrissen, und sceinen sic auf Vokal- und Instrumentalmusik gleicermaßen zu beziehen. Während die Titel „Kapellmeister“ und „Musikdirektor“ auc in späterer Zeit verwendet werden, sind die italieniscen und französiscen Bezeicnungen „Capo de Instrumentisti“ und „Chef“ im deutscen Spracraum nict anzutreffen. Dennoc kommen sie dem Amt des Konzertmeisters am näcsten. Unter den deutscen Übersetzungen, die Walther anbietet, wird besonders die Bezeicnung „Anführer“ später gleicbedeutend mit „Konzertmeister“ verwendet. Obwohl Walther die Tätigkeit eines „Capellmeisters“ als „Ta$t-Führer“ eines großen Gesangscores umreißt und in diesem Zusammenhang auf die besonderen „requisita, so einen Meister macen“, verweist, bleibt er bei der Bescreibung des „Anführers“ sogar noc hinter den Angaben Brossards zurü%, denn der Hinweis auf die Ausbildung und Leitung der Violinisten fehlt.

11

BrossardL, 299. BrossardL, 56. 13 BrossardL, 17. 14 WaltherL, 377. 12

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Dagegen verwendet Walther die Bezeicnung „Con$ert-Meister“ in einigen biographiscen Einträgen als einen Amtstitel im Zusammenhang mit einem bestimmten Fürstenhof: Johann Sebastian Bac beispielsweise wird als „Hocfürstl. […] Con$ertMeister“ in Weimar, Johann Beer als „Hocfürstlicer Säcsiscer Weissenfelsiscer Con$ert-Meister“, Johann Adam Bir%ensto% als Inhaber der „Con$ert-MeisterStelle in Caßel“ bezeicnet. Eine Erklärung für diese höfisce Amtsbezeicnung bleibt er dagegen sculdig, denn dieser Titel sceint nict gleicbedeutend gewesen zu sein mit den Bezeicnungen „Haupt“, „Anführer“ und „Vornehmster“, die sic auf die Direktion eines Instrumentalensembles beziehen und offensictlic aus einem Bereic außerhalb des höfiscen Musikbetriebs stammen. Dennoc muß der Weimarer Hoforganist Walther die Aufgaben eines Konzertmeisters genau gekannt haben, denn sein Vetter Johann Sebastian Bac hatte genau dieses Amt 1714 am Weimarer Hof erhalten. Die Aufgaben Bacs als Konzertmeister in Weimar werden in dessen Nekrolog, der von Carl Philipp Emanuel Bac und Johann Friedric Agri$ola verfaßt wurde, ausdrü%lic bescrieben: Das Wohlgefallen seiner gnädigen Herrscaft [in Weimar] an seinem Spielen, feuerte ihn an, alles möglice in der Kunst die Orgel zu handhaben, zu versucen. […] Im Jahre 1714. wurde er an eben dem Hofe zum Con$ertmeister erkläret. Die mit dieser Stelle verbundenen Verrictungen aber, bestunden damals hauptsäclic darinn, daß er Kircenstü%e $omponiren, und sie aufführen mußte.15

Nacdem der Orgelvirtuose Bac „zum Con$ertmeister erkläret“ worden war, hatte er also am Weimarer Hof Kircenstü%e zu komponieren und aufzuführen – Aufgaben, die üblicerweise einem Kapellmeister zukamen. Als Bacs Nekrolog 1754 veröffentlict wurde, war dieses „damalige“ Amtsverständnis offenbar bereits überholt oder zumindest erklärungsbedürftig, sonst wäre es nict umständlic bescrieben worden. Aus einer beiläufigen Bemerkung Reicardts geht hervor, daß sic das Konzertmeisteramt zwanzig Jahre später sehr von den Aufgaben Bacs unterscied, indem es mit der Funktion des „Anführers“ gleicgesetzt wurde, denn Reicardt betont in seinen Briefen eines aufmerksamen Reisenden von 1774, „daß dem Anführer, (oder wie er bey Höfen genannt wird, Con$ertmeister,) die Kenntnis der Instrumente fast eben so nothwendig als dem Componisten (Capellmeister) ist.“16 In dieser Randbemerkung wird zudem ausdrü%lic formuliert, daß es sic bei dem Begriff „Konzertmeister“ tatsäclic um einen höfiscen Amtstitel handelt, wie bereits aufgrund der Angaben aus Walthers Lexikon angenommen wurde. Im Gegensatz zur Tätigkeit Bacs in Weimar hatte der höfisce Konzertmeister zur Zeit Reicardts also ähnlice Aufgaben wie ein „Anführer“, den Walther als Leiter eines Instrumentalensembles definiert. Dennoc kann das Amtsverständnis nac Weimarer Muster nict für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts verallgemeinert werden, denn eine Definition des Konzertmeisteramts im Sinne eines „Anführers“ ist bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nacweisbar. Mattheson bezeicnet den Geiger Jean-Baptist Farinelli nämlic 1739 als den „Regente bey der Instrumental-Musik, oder Con$ertmeister in Hannover“ und bescreibt die besondere

15 16

Vgl. Bac-Dok. III, Nr. 666, 83. Reicardt 1774, 37.

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Art, wie dieser die Orcesterinstrumente naceinander einstimmen ließ.17 Bevor Pisendel selbst zum Konzertmeister ernannt wurde, bewegte sic das Amtsverständnis eines höfiscen „Con$ertmeisters“ also in dem weiten Feld zwiscen den Aufgaben eines komponierenden Kapellmeisters und eines „Anführers“ der Instrumentalmusik. Erst nacdem sic das Berufsbild eines Konzertmeisters zur Zeit Reicardts vereinheitlict hatte, ließ es sic begrifflic bestimmen, und der erste eigenständige Artikel zu diesem Begriff ersceint im Musikaliscen Lexikon des Rudolstädter KammerViolinisten und Komponisten Heinric Christoph Koc (Frankfurt am Main 1802). Als erfahrener Hofmusiker, der selbst stellvertretender Konzertmeister war, bescreibt Koc die Begriffe „Con$ertmeister“, „Kapellmeister“, und „Musikdirektor“ hier als ausdrü%lic aufeinander bezogene Ämter im Gefüge einer Hofkapelle und untersceidet hinsictlic ihrer Amtsbereice sogar zwiscen großen und kleineren Fürstenhöfen: Con$ertmeister. Diesen Charakter [=Titel] bekömmt gemeiniglic derjenige Tonkünstler in den Hofkapellen der Regenten, dem das Direktorium der Instrumentalmusik übertragen ist. In andern Orcestern, die von keinem Hofe abhängen, wird er der Vorspieler oder Anführer genannt. Dieses Amt wird gewöhnlic von einem Violinspieler verwaltet, weil die erste Violine bey vollständiger Instrumentalmusik die Hauptstimme ausmact. Von dem Vorspieler oder Con$ertmeister hängt, wenn kein besonderer Dire$tor vorhanden ist, die Wahl der Tonstü%e, die Stellung, Besetzung und das Einstimmen der Instrumente, das Zeitmaaß, in welcem jeder Satz ausgeführet werden soll, die gleicartige Erhaltung dieses Zeitmaaßes, das Einstudieren der Tonstü%e in den Proben u. s. w. ab.*) Er ist es zugleic, der einem Orcester nac Maaßgabe seiner Kenntnisse und Erfahrungen, und nac Maaßgabe seines durc Klugheit unterstützten Betragens eine gute oder sclecte Rictung giebt. – Er muß mehr Kenner und rictiger Beurtheiler der Kunst, mehr Kenner alles dessen, was die Wirkung desselben[!] erhöhen oder scwäcen kann, seyn, als gesci%ser[!] Con$ertspieler. Der beste Solospieler ist, wie bekannt, sehr oft der sclecteste Ripienspieler; und das Ziel seines Bestrebens, wenn es auc noc so rictig abgeste%t wird, ist dennoc viel zu einseitig, als daß er bey dem Streben nac demselben den höhern Pflicten des Anführers, ohne besonderes Studium derselben, Genüge leisten könnte. […]18 *) Von diesen Gegenständen wird in besondern Artikeln gehandelt.

Kapellmeister, ist das vornehmste Glied oder der Vorsteher einer Kapelle. An Höfen, wo eine vollständige Kapelle, es sey zur Kircenmusik, oder zur Oper, oder zu beyden zugleic, unterhalten wird, ertheilt man den Charakter eines Kapellmeisters demjenigen Tonsetzer, der bestimmt ist, die insbesondere für den Hof veranstalteten Tonstü%e zu komponiren, die übrigen aufzuführenden Kunstprodukte zu wählen und herbey zu scaffen, und bey der Ausführung die Direktion der ganzen Musik zu übernehmen. […] Bey der Kircenmusik giebt er durc das ganze Tonstü% den Takt; bey der Oper aber pflegt er gemeiniglic aus der Partitur zugleic den Generalbaß auf dem Flügel zu spielen. […] In solcen Kapellen, wo näcst dem Kapellmeister noc ein Con$ertmeister oder Anführer der Instrumentalmusik vorhanden ist, überläßt der erste dem letztern

17 Vgl. Mattheson 1739, 483, und unten, Abscnitt III, 3. „Zur Leitung und Aufführung fremder Kompositionen vor Quantzens Versuc“. 18 KocL, 356f.

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gemeiniglic die besondere Aufmerksamkeit auf jede Parthie der Instrumentalbegleitung, und heftet sein Hauptaugenmerk vorzüglic auf die Singstimmen. […]19 Musikdirektor. Diesen Charakter gibt man derjenigen Person, welcer alle zu den öffentlicen Musiken nöthige Einrictungen und Anordnungen übertragen sind. […] Weil er zugleic mehrentheils bei Singstü%en das sämmtlice Musikcor, und unter ihm der Vorspieler die Instrumentalmusik insbesondere, anführt, so hat er, die Komposition ausgenommen, die nehmlicen Pflicten zu erfüllen, die in einer Hofkapelle dem Kapellmeister obliegen […]. An kleinen Höfen, die eine Kapelle unterhalten, erhält zuweilen der Kapellmeister mit Beybehaltung aller zu seinem Amte gehörigen Verrictungen, zuweilen auc, wo kein Singecor und kein Kapellmeister vorhanden ist, der Con$ertmeister, den Charakter eines Musik- oder Kapelldirektors. An großen Höfen hingegen ist gewöhnlic das Direktorium der Musik, mit der Aufsict über alle Arten des Scauspiels verbunden, ein Hofamt, welces ein Cammerherr oder ein anderer Cavalier, der gemeiniglic Dilettant ist, führt. *) […]20 *) Gewöhnlic führt er alsdenn den Titel eines Maître des plaisirs.

Koc bestätigt, daß der Begriff „Con$ertmeister“ ein höfiscer Amtstitel ist, der die musikalisce und organisatorisce Leitung der Instrumentalmusik „in den Hofkapellen der Regenten“ betrifft. Diese ausführlice Bescreibung ist trotz ihres späten Ersceinungsdatums für die vorliegende Untersucung von grundlegender Bedeutung, denn Koc stand, wie bereits erwähnt, durc die engen Beziehungen seiner Vorgesetzten und Amtsvorgänger zu Dresden ganz in der von Pisendel geprägten Tradition.21 Wahrsceinlic hat er hier also ein Berufsbild bescrieben, wie es in Dresden entwi%elt und in Berlin sowie an zahlreicen kleineren Höfen nacgeahmt worden ist. Der Kapellmeister ist nac der Bescreibung Kocs der Hofkomponist und oberste musikalisce Leiter einer Hofmusik, der die Vokalmusik leitet. „Bey der Kircenmusik“ und „bey der Oper“ rictet er „sein Hauptaugenmerk vorzüglic auf die Singstimmen“, während der Konzertmeister nac dem Prinzip der sogenannten Doppeldirektion bei der gleicen Aufführung für die Instrumentalbegleitung zuständig ist. Der Konzertmeister übernimmt die musikalisce Leitung „wenn kein besonderer Dire$tor vorhanden ist“, das bedeutet: wann immer keine Sänger beteiligt sind. An großen Höfen wie Dresden unterstehen sowohl der Kapellmeister als auc der Konzertmeister einem „Musikdirektor“ oder Maître des plaisirs, der kein professioneller Musiker ist und nac heutigem Verständnis als eine Miscung aus Intendant und Verwaltungsdirektor bescrieben werden kann. Die von Koc bescriebene Aufgabenteilung im höfiscen Musikbetrieb und die Doppeldirektion während der Aufführung von Vokalmusik setzt sic über viele Generationen fort.22 Daher fußen die meisten Lexika bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf seinen Angaben. Aus der Formulierung Kocs, das Amt werde „gewöhnlic von einem Violinspieler verwaltet“, kann gesclossen werden, daß die Violine als 19

KocL, 825f. KocL, 1016f. 21 Vgl. Ni$ole Scwindt, Vorwort zum Reprint von KocL, Kassel 2001, X und XV. ScillingL 1835-38 übernimmt den Artikel „Konzertmeister“ und ergänzt ihn geringfügig. 22 Vgl. Scünemann 1913, 170ff. 20

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Direktionsinstrument des Konzertmeisters zu Beginn des 19. Jahrhunderts noc nict vollkommen selbstverständlic war. Möglicerweise handelt es sic bei Kocs Bemerkung jedoc um eine rü%bli%ende Angabe, denn in der von Koc 1807 selbst herausgegebenen Kurzfassung seines Lexikons lautet die entsprecende Passage abweicend: „Dieses Amt wird jederzeit von einem Violinspieler verwaltet, weil bey allen vollständigen Instrumental—Musiken die erste Violine die Hauptstimme ausmact.“23 Offenbar trug Koc mit dieser Änderung der zeitgenössiscen Entwi%lung des Konzertmeisteramtes Recnung. An der Tatsace, daß alle Lexika nac Koc umfangreice Angaben zum Sticwort Konzertmeister enthalten, läßt sic erkennen, daß das Konzertmeisteramt auc im 19. Jahrhundert eine wictige Rolle spielte. Der Konzertmeister war der historisc legitimierte Dirigent der Instrumentalmusik, die sic seit dem Tod Pisendels immer weiter verselbständigt hatte und zu einer der wictigsten Gattungen des 19. Jahrhunderts geworden war. Erst scrittweise wurden die Leitungsfunktionen des Konzertmeisters, der mit der Violine in der Hand ‚dirigierte‘, von einem bis heute üblicen Berufsdirigenten ohne Direktionsinstrument übernommen. Bis zur Jahrhundertmitte sind die Einflüsse des 18. Jahrhunderts jedoc in den einsclägigen Lexikonartikeln, etwa im Festhalten am Prinzip der Doppeldirektion, noc deutlic zu erkennen. Als repräsentatives Beispiel dient der Artikel „Con$ertmeister“ in dem von Julius Scladebac und Eduard Bernsdorf veröffentlicten Musiklexikon (Dresden 1856-65): Con$ertmeister, ist in größeren Orcestern der Anführer, oder Vorspieler der ersten Violinen, und nac dem Musikdirektor oder Kapellmeister die wictigste Person im Orcester, denn er ist derjenige, der die Intentionen des Dirigenten dem übrigen Orcester vermitteln muß, z.B. in Allem, was Auffassung, Tempo, Scattirung u. s. w. betrifft. Als Anführer der Violinen, der Hauptstimmen im Orcester, muß er diese durc sein eigenes Spiel zu beleben und zusammen zu halten verstehen, und durc sie den übrigen Theilen des Orcesters den Impuls, die feste Stütze gewähren. […] Gewöhnlic wird auc bei einem Con$ertmeister vorausgesetzt, dass er in Abwesenheit des Musikdirektors dessen Funktionen zu übernehmen im Stande sei, ja bei mancen Orcestern, namentlic kleineren, ist der Con$ertmeister zugleic Musikdirektor, studirt die Tonstü%e ein und dirigirt sie bei der Aufführung von seinem Pulte aus. […]24

Selbstverständlic bescreiben diese Lexika die zeitgenössisce Praxis, die zwar auf den von Pisendel begründeten Traditionen beruhte, aber keine Rü%sclüsse auf das Amtsverständnis des frühen 18. Jahrhunderts zuläßt, das auc für Pisendel maßgeblic war. Ein seltener Hinweis auf die ältere Praxis findet sic allerdings in dem Musikaliscen Lexikon von Arrey von Dommer (Heidelberg 1865), der den Text von Scladebac und Bernsdorf fast wörtlic übernommen, aber um die folgende Bemerkung ergänzt hat: In grossen mit einem Gesangschore verbundenen Capellen ist er [der Konzertmeister] vorzugsweise Anführer der Instrumentalmusik, wie in früheren Zeiten auc der Dirigent der Instrumentalwerke den Titel Con$ertmeister führte, während der Capellmeister

23

Vgl. KocH, 91. BernsdorfL I, 594. Für die bereitwillige Öffnung seiner reicen Bibliothek möcte ic an dieser Stelle Herrn Prof. Gerhart Darmstadt herzlic danken.

24

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hauptsäclic bei der Kirce, dem Theater und anderen aus Gesang allein bestehenden oder mit Gesang verbundenen Aufführungen fungirte.25

Diese Bemerkung deutet an, daß der Konzertmeister nac einem im 19. Jahrhundert als veraltet empfundenen Amtsverständnis immer dann als selbständiger Dirigent – und nict bloß als „Anführer“ – auftrat, wenn keine Sänger an der Aufführung beteiligt waren. Der Träger des Konzertmeistertitels stand also außerhalb der Gruppe der Kapellmusiker und war nict primus inter pares, wie es heute üblic ist. Seine Aufgaben waren also nict an die Violindirektion gebunden und unterscieden sic demnac von denen eines Kapellmeisters allein durc die Bescränkung auf den Amtsbereic der Instrumentalmusik. Dieser Rü%bli% auf das Amtsverständnis des Konzertmeisters „in früheren Zeiten“ ist jedoc zu vage, um daraus die für Pisendel zutreffenden Voraussetzungen ableiten zu können, denn es läßt sic nict entsceiden, ob sic diese Angaben auf das 18. oder sogar das frühe 19. Jahrhundert beziehen. Vor allem ist die Bescreibung des älteren Konzertmeisteramtes als „Dirigent der Instrumentalwerke“ nict geeignet, den oben dargestellten Widerspruc zu den Dienstpflicten des Weimarer Konzertmeisters Bac als Kircenkapellmeister aufzulösen. Daher muß eine entsprecende Definition aus anderen erreicbaren Quellen entwi%elt werden, indem beispielsweise Bestallungsurkunden, Verwaltungsdokumente und Selbstzeugnisse von Musikern des 17. und 18. Jahrhunderts auf Informationen zum historiscen Konzertmeisteramt untersuct werden. Um das Amtsverständnis zu bescreiben, das Pisendel bei seiner Berufung nac Dresden 1711 und bei seiner Ernennung zum Konzertmeister 1731 vorgefunden hat, sind die Lexikoneinträge wenig geeignet, weil sie in der fraglicen Zeit keine entsprecenden Angaben enthalten. Der Grund für das Scweigen der Lexika ist darin zu vermuten, daß dieser Amtstitel an versciedenen Höfen mit sehr untersciedlicen Dienstpflicten verbunden und daher scwer zu bescreiben war. Dies hat wohl auc dazu geführt, daß die Aufgaben eines Konzertmeisters im 18. Jahrhundert bislang nict Gegenstand der Forscung waren und jeglice Vorarbeiten zu diesem Thema fehlen. Daher ist es nötig, zu Beginn dieser Untersucung ein breit gefäcertes Material heranzuziehen, denn die Erkenntnisse über das historisce Konzertmeisteramt in Deutscland reicen weit über den Fall Pisendels hinaus. Ziel der Untersucung ist es zu erkennen, welces Berufsbild Pisendel bei seiner Berufung nac Dresden vorfand und wie sic dieses möglicerweise während seiner Amtszeit weiterentwi%elt hat. Für diese Untersucung bieten auc die zitierten Lexikonartikel des 19. Jahrhunderts wertvolle Anhaltspunkte, denn vor ihrem Hintergrund können sic Untersciede zum Amtsverständnis aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts umso deutlicer abzeicnen. So war das Direktionsinstrument des Konzertmeisters in dieser Zeit offenbar noc nict auf die Violine festgelegt, und die Dienstpflicten bewegten sic zwiscen denen eines komponierenden Kapellmeisters und eines „Anführers“ der Instrumentalmusik. Daß sic der Beruf des Konzertmeisters gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf die hergebracte Rolle des „Anfüh25

DommerL, 185. Dieser Artikel wird fast wörtlic in das Musikalisce Conversations-Lexikon von Hermann Mendel, Berlin 1870-79, übernommen. Dieser Hinweis auf die frühere Praxis ist jedoc kein selbständiger Zusatz von Dommers, wie der Eintrag in dem knappen Handlexi$on der Tonkunst von Carl Gollmi%, Offenbac 1850, zeigt, der offenbar die gleice Vorlage wie von Dommer benutzt hat: „Con$ertmeister, in früherer Zeit Dire$tor und Dirigent der Kammermusik, jetzt Primarius (erster Violinist und Vorgeiger) eines Orcesters. Eigentlic ein leerer Titel.“

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rers“ zubewegt, steht offenbar mit der wacsenden Bedeutung der Instrumentalmusik im Zusammenhang und lenkt den Bli% auf die Entwi%lung des von Streicercören dominierten Orcesters. Da der Konzertmeistertitel jedoc lange bekannt war, bevor sic das klassisce Orcester entwi%elte, ist es nötig, zunäcst den Inhalt des Konzertmeisteramtes im 17. Jahrhundert zu beleucten.

Italienisce Geiger und das Konzertmeisteramt des 17. Jahrhunderts Über den Ursprung des Amtstitels „Con$ertmeister“ beziehungsweise „Maestro di Con$erto“, der seit dem 17. Jahrhundert verwendet wird, liegen keine Untersucungen vor. Da der Konzertmeister ebenso wie der Kapellmeister Direktionsaufgaben wahrnimmt, muß eine solce Untersucung mit der Abgrenzung von diesem verwandten Begriff beginnen. 26 Nac einer Hypothese von Giegling sind beide Begriffe zuerst in Italien verwendet worden, denn zu Beginn der Entwi%lung des Con$ertos sollen „Maestri di Con$erto“, die wie die „Maestri di $apella“ an den oberitalieniscen Kircen fest angestellt waren, die Verzierungen der Gesangsvirtuosen nacgeahmt haben, um das mit zahlreicen Ripienisten besetzte „Ensemble-Musizieren in der Kirce“ durc improvisierendes Spiel zu bereicern.27 Giegling versteht den Konzertmeister also als einen professionellen Instrumentalmusiker, der solistisce Aufgaben wahrnimmt. Dabei weist die Wortbedeutung von „$apella“ und „$on$erto“ auf untersciedlice Zielgruppen der Leitungsfunktion hin, denn „$apella“ bezeicnet ursprünglic ein reines Vokalensemble, wie auc in dem oben zitierten Lexikoneintrag Walthers bestätigt wird, während der Begriff „$on$erto“ für ein Instrumentalensemble gebrauct wird. Wenn also der „Maestro di $on$erto“ als Leiter der Instrumentalisten identifiziert wird, muß vorausgesetzt werden, daß es zugleic auc einen „Maestro di $apella“ gab, der die Gesamtleitung der Vokalwerke inne hatte, denn die Instrumentalmusik war der Vokalmusik – zumal im kirclicen Rahmen – untergeordnet. Italienisce Geiger des 17. Jahrhunderts werden in der Sekundärliteratur häufig als Konzertmeister bezeicnet. Damit sceint der von Giegling vermutete Zusammenhang zwiscen der Bezeicnung „Maestro di $on$erto“ und der italieniscen Con$erto-grosso-Praxis bestätigt zu werden. Eine erneute Überprüfung der Biographien ergab jedoc, daß diese Bezeicnung den betreffenden Geigern erst später beigelegt wurde und als historiscer Titel in Italien nict ohne weiteres nacweisbar ist. Der Geiger, Gambist und Flötist Fran$es$o Rognoni Taeggio († vor 1626) beispielsweise führte von 1613 bis 1624 lediglic den Titel eines „$apo musi$o d’instromenti “ des Gouverneurs von Mailand und fungierte seit 1620 zusätzlic als Kapellmeister an der Mailänder Kirce S. Ambrogio.28 Die Angabe, er sei 1620 auc als „Konzertmeister“ angestellt gewesen,29 beruht offenbar auf einer Verwecslung mit dem Kapellmeisteramt. Der berühmte Geiger Carlo Farina (etwa 1600—1640), der während 26 In der musikaliscen Hierarcie am Hof Ludwigs XIV. wird zwar ein „Maître de capelle“ benannt, ein „Maître de $on$ert “ ist jedoc nict nacweisbar, vgl. Benoit 1971. 27 Vgl. Franz Giegling, Artikel „Con$erto“ in MGG1 II, 1602. 28 Vgl. Claudio Sartori, Artikel „Rognoni“ in MGG1 XI, 641. 29 Vgl. Straeten 1933/I, 124.

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seiner Wirkungszeit in Dresden 1625 bis 1629 als der „Konzertmeister“ von Heinric Scütz bescrieben wird,30 bezeicnet sic selbst in Widmungsbriefen zu seinen Dresdner Dru%en von 1626 und 1627 als „Sonatore di Violino“ beziehungsweise als „Churf. Durcl. zu Sacsen bestalten Violisten“.31 Auc Dario Castello, bekannt als „Monteverdis venezianiscer Konzertmeister“,32 bezeicnet sic in einem Dru% von 1627 als „Capo di Compagnia de’instromentisti “ an der Kirce S. Mar$o und führte zwei Jahre später sogar den Titel „Capo di $ompagnia de Musici d’instrumenti da fiato in Venezia“.33 Castello war also, um Walthers Definition zu gebraucen, der „Vornehmste“ unter den venezianiscen „Blasinstrumentisten“ und nict einmal in erster Linie ein Geiger.34 Jedenfalls trug auc er nie den höfiscen Titel eines Maestro di Con$erto. Auc später sceint dieser Titel in Italien nict sehr verbreitet zu sein, denn Bartholomeo Girolamo Laurenti (1644—1726) beispielsweise wird 1666 in Bologna als „Primo Violino“ bezeicnet,35 während Giuseppe Colombi (1635—1694) in Modena 1673 wiederum den Titel eines „Capo degl’instrumentisti “ trägt.36 Giuseppe Torelli (1658—1709), der Lehrer Pisendels in Ansbac, bezeicnet sic 1687 als „Musi$o sonatore nella perinsigne $ollegiata d. S. Perotino di Bologna“.37 Erst nac seiner Anstellung am Ansbacer Hof gibt er seinen Titel in der Widmung der zwölf Con$erti musi$ali op. 6 von 1698 mit „Maestro del $on$erto del A. S. il Margravio di Brandemburgo“ an. Neben Torelli lassen sic noc weitere berühmte Geiger anführen, die erst nac ihrer Berufung an deutsce Höfe den Konzertmeistertitel trugen. Jean-Baptist Farinelli (1644—1720) wird beispielsweise um 1680 als „Con$ert-Meister“ nac Hannover und zwiscen 1691 und 1695 in gleicer Funktion nac Osnabrü% berufen.38 Während der Violinvirtuose Biagio Marini (vor 1597—1665) sic noc in der Widmung zu seinem op. 6 vom 10.12.1622 als „Musi$o et Sonator dell Du$a di Parma“ bezeicnet, nennt er sic nac seinem Übertritt in den Dienst des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm in zwei Briefen vom 9.11.1623 und Januar 1624 bereits „Maestro de Con$erti “.39 Eine Aktennotiz des pfälziscen Hofs in Neuburg vom 27.2.1624 nennt ihn jedoc lediglic „Biagio Marini, Con$ertisten“, und in den Widmungsbriefen zu op. 7 (1.11.1624) und op. 8 (1.7.1626) bezeicnet Marini sic selbst wiederum als „Maestro di Capella“ beziehungsweise „Maestro della Musi$a“.40 Marini, Farinelli und Torelli trugen also tatsäclic einen Konzertmeistertitel, allerdings wohl nur während ihrer Tätigkeit an deutscen Höfen und nict in ihrem Heimatland. Daran läßt sic die Beobactung bestätigen, daß der Konzertmeistertitel in Deutscland tatsäclic mit einem Hofamt verbunden war. Ob dies auc für Italien galt, läßt sic jedoc nict entsceiden, denn möglicerweise gab es in Italien 30

Vgl. Straeten 1933/I, 50; Moser/Nösselt I, 97; NGD1 VI, 396. Vgl. MGG1 III, 1822ff. 32 Vgl. Kolneder 1989, 306, und Moser/Nösselt I, 71f. 33 Vgl. MGG1 XV, 1367, und WaltherL, 146. 34 Vgl. NGD1 III, 867. 35 Vgl. Straeten 1933/I, 132. 36 Straeten 1933/I, 131. 37 Vgl. Straeten 1933/I, 145. 38 Vgl. WaltherL, 240, und NGD1 VI, 397. 39 Vgl. Iselin 1930, 3f. 40 Vgl. Einstein 1907/08, 349, und Iselin 1930, 22. 31

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nur sehr wenige Fürstenhöfe, die einen Konzertmeistertitel vergaben. Jedenfalls konnten nict alle herausragenden Geiger, wenn sie als Leiter eines instrumentalen Kircenensembles neben einem „Maestro di $apella“ angestellt waren, ohne weiteres auc einen Konzertmeistertitel tragen. Aber selbst die Bezeicnung Kapellmeister im Sinne eines deutscen Hoftitels sceint in Italien selten gewesen zu sein, denn Pisendel screibt in einem Brief an Telemann von Ende 1750, daß wer [in Italien] ein Musi$alisces Stü% von seiner eigenen Composition aufführt so heist er Maestro, ob er gleic in keinem Dienst stehet, so auc wer einen informirt, heist Maestro, eben als wie hier in Sacsen ein jeder informator (abusive) Magister geheißen wird: Der recten CapellM.r aber gibt es blutwenig die den Namen führen dörfften oder können, und werden ihrer wol nict 6 in ganz Italien seyn, als in Venedig. Rom. Turin, Milano, u vielleict einer in Neapel:41

Analog zu dieser Erklärung ist in Italien wohl jeder Musiker als „Maestro“ oder sogar „Maestro di $on$erto“ bezeicnet worden, der ein Instrumentalwerk „von seiner eigenen Composition aufführt“. Bemerkenswert ist dabei, daß der Begriff „Maestro“ nict etwa für einen Virtuosen gebrauct wird, weil er sein Instrument meisterlic beherrsct, sondern daß dieser Begriff auf die Befähigung zu komponieren und zu unterricten bezogen ist. Durc das Mißverständnis, daß ein Geiger mit Leitungsfunktionen unbesehen als Konzertmeister bezeicnet werden könne, sind bekannte italienisce Violinisten in einsclägigen Werken häufig mit diesem Titel belegt worden, ohne daß die historiscen Voraussetzungen dafür gegeben waren. Es kann nict die Aufgabe dieses historiscen Exkurses über den Konzertmeistertitel sein zu erörtern, ob und unter welcen Umständen dieser an italieniscen Höfen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts verliehen wurde. Dagegen soll untersuct werden, was in dieser Zeit zu den Amtspflicten eines Konzertmeisters an einem deutscen Hof gehörte und worin sic diese von den Aufgaben des Kapellmeisters unterscieden.

Das frühe Konzertmeisteramt an mitteldeutscen Höfen Bei der Frage, wie das Amt des Konzertmeisters zu Pisendels Dienstantritt in Dresden verstanden wurde, führen lexikalisce Informationen nict weiter, denn sie stammen erst aus der Zeit nac Pisendels Tod. Immerhin konnte anhand dieser Einträge festgestellt werden, daß der Begriff Konzertmeister ein höfiscer Amtstitel war und keine bescreibende Berufsbezeicnung wie etwa der Begriff „Anführer“. Zudem mußte das Haupt- und Direktionsinstrument des Konzertmeisters im 18. Jahrhundert, entgegen späterer Praxis, nict zwangsläufig die Violine sein. Für Pisendel, der seine Musikerlaufbahn noc im 17. Jahrhundert als Ansbacer Kapellknabe antrat, waren die älteren Traditionen maßgeblic. Daher soll untersuct werden, ob die sackundigen Angaben Kocs über die Aufgabenverteilung zwiscen dem Konzertmeister und dem Kapellmeister an deutscen Höfen auc scon für das 17. Jahrhundert zutreffend sind.

41

Telemann Briefwecsel 1972, 353.

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Im Hinbli% auf diese Fragestellung ist es von Bedeutung, daß in Zeitz 1663 unter Herzog Moritz von Sacsen (1656—1681) eine neue Hofkapelle gegründet wurde, denn im Rahmen der neuen Kapellordnung mußten die Zuständigkeiten der führenden Musiker genau bescrieben werden. Dabei kann vorausgesetzt werden, daß der Aufbau der Zeitzer Kapelle nict grundsätzlic neu geplant wurde, sondern sic an vorhandenen Vorbildern orientieren sollte, zu denen sicer auc Dresden gehörte, denn der Herzog hatte den 76jährigen Dresdner Oberkapellmeister Heinric Scütz für die Position eines „Kapellmeisters von Haus aus“ gewinnen können. Auf Scützens Empfehlung wurde 1663 der Wolfenbütteler Kapellmeister Johann Jakob Löwe als neuer Zeitzer Kapellmeister und der Dresdner Instrumentalmusiker Clemens Thieme42 als „Oberinstrumentist“ angestellt. Nacdem Thieme um 1664 zum Leiter der „Kleinen Musi$“ mit dem Titel eines Konzertmeisters befördert worden war, entstanden Spannungen zwiscen Löwe und Thieme, die dazu führten, daß die jeweiligen Amtspflicten scriftlic festgelegt wurden. In der vorläufigen Kapellordnung, deren Entwurf Heinric Scütz zusammen mit dem Hofprediger ausgearbeitet und am 7.5.1664 vorgestellt hatte, lauten die entsprecenden Bestimmungen: 4. Das Dire$torium der Kircen Musi$ wird dem hierzu bestellten Capellmeister aller-

dings gelassen. Die Tafel Musi$ aber wird so wol von dem Capell- als Con$ertenmeister, und zwar von dem, welcer unter ihnen I.[hre] F.[ürstlice] D.[urclauct] absonderlic hierzu begehren wird, verrictet. 5. Ob wol auc dem Con$ertenmeister Clemens Thieme zugelaßen, neben dem Capellmeister einen Sonntag umb den andern die Kircen Musi$ zu bestellen mit austheilung d. stimmen, führung des Ta$ts und was sonsten zur Bestellung derselbigen gehöret, so soll er doc das Praedi$atum eines Dire$toris nict führen, noc dem Capellmeister wegen seinem respe$t hierdurc etwas benommen seyn. 6. Was der Con$ertenmeister komponiert, soll gleic sowol als des Capellmeisters bey hiesiger F.[ürstlicen] Scloßkirce abgesungen werden, jedoc mit vorwissen und unter dem dire$torio des Capellmeisters.43

Allerdings gab es bei dieser Konstellation Überscneidungen zwiscen den Ämtern des Konzertmeisters und des Kapellmeisters, denn der ambitionierte Thieme hatte durcgesetzt, an jedem zweiten Sonntag die Kircenmusik bestellen zu dürfen. Der ranghöhere Löwe beklagte sic daher in einer Eingabe vom 28.11.1664 über diese Überscneidung und berief sic dabei auf die „an denen meisten Churfl. und Fürstl. Höfen gebräuclice“ Praxis: 4. Wehre eine Verordnung von nöthen, was des Capellmeisters und was des Con$ert-

meisters Kircen- und Taffeldienst eigendlicen sein solte, bey der Kircen aufwarttung ist zwar dieselbige also, daß unter diesen beyden einer um den andern vierzehn Tage die Musi$ bestellen muß, worbey es auc verbleiben wird, bey der Taffel aufwarttung aber ist es an denen meisten Churfl. und Fürstl. Höfen gebräuclicen[!], das der Capellmeister die Vo$al-, der Con$ertmeister aber die Instrumentalmusi$ verrictet und dirigiret, worbey es auc sein bewenden haben und dodurc[!] einer und andere Confusion abgewehret werden könnte. 5. Ist von nöthen, daß unter denen Herren Musi$anten einer des Oberinstrumentisten Tittul führete, der alle Instrumenta in fleisiger Obsict und Verwahrung hilte […].44

42

Vgl. Fürstenau 1862, 136. Zitiert nac Werner 1922, 70. 44 Zitiert nac Werner 1922, 76. 43

218

In aller wünscenswerten Deutlickeit gibt Löwe Auskunft über die damals üblice Aufgabenverteilung: während der Kircendienst von Kapellmeister und Konzertmeister gemeinsam verwaltet wird, sei es „bey der Taffel aufwarttung […] an denen meisten Churfl. und Fürstl. Höfen gebräuclicen, das der Capellmeister die Vo$al-, der Con$ertmeister aber die Instrumentalmusi$ verrictet und dirigiret“. Diese Untersceidung zwiscen dem Kircendienst und der Tafelmusik ist deshalb von Bedeutung, weil letztere die Anwesenheit des Fürsten voraussetzt, während der Gottesdienst auc dann stattfand, wenn der Fürst auf Reisen war. Zwar hatte die außergewöhnlice Regelung, den Kircendienst wöcentlic abwecseln zu lassen, zur Folge, daß der Anteil des Konzertmeisters aufgewertet wurde. Dennoc stellt die Kapellordnung ausdrü%lic fest, daß der Konzertmeister sic nict als „Direktor der Kircenmusik“ bezeicnen darf, auc wenn er dabei selbst komponierte Werke aufführt, damit nict „dem Capellmeister wegen seinem respe$t hierdurc etwas benommen“ werde. In seiner Eingabe hatte Löwe zusätzlic angeregt, das Amt eines Oberinstrumentisten einzuricten, dem die Verwaltung der kapelleigenen Musikinstrumente übertragen werden solle. Thieme kommt für diese Aufgabe nict in Frage, denn dieser hatte bereits die Aufsict über die Musikalien übernommen. Als Scütz sic nämlic darüber beklagte, daß die von ihm eingesci%ten Kompositionen „meistentheils von henden gekommen“ seien, sclägt er vor, daß der Konzertmeister diese Musikalien als Grundsto% für die neu zu gründende Notenbibliothek der Zeitzer Hofkapelle in Verwahrung nehmen solle: Ob nemlic nict […] solcer meiner arbeit, die Ic nac und nac einsci%en werde, […] dieselben anfänglic von mir anzunemen, undt hierauf jemandt Ihrer Musi$orum, und insonderheit den Con$ertmeister, wenn er sie wieder haben wollen, in seine verwahrung zum gebrauc in der fürstl. Capell, zu Re$ommendiren, worauf ic denn auc, wils Gott, gesonnen were, Ein gedoppelt in gewisse $lassen abgetheilt Register über dasjenige, was etwa albereit eingesci%t worden oder noc folgen möcte, auc Einzusci%en, das eine für den HE. [HocEdlen] Superintendenten u. das andere für den, welcem solce Con$ert untergeben würden werden […].45

Aus dem von Scütz beigelegten „Verzeicnis in was $lassen das Register über neue Musi$alisce arbeit […] vertheilet undt gehalten werden soll“ geht hervor, welce musikaliscen Gattungen in der Kirce und bei der Tafel gepflegt wurden, für deren „Bestellung“ der Konzertmeister in Zeitz zuständig war: 1. Große psalmen, Geistlice grosse $on$ert, Te Deum laudamus undt dergleicen volstimmigen sacen mit Vo$al und Instrumental partheyen zu [so?] allezeit nac

befindung zu gebraucen. 2. Kleine oder mit wenig stimmen eingerictete psalmen und Con$erten, Jedesmal, auc deren etlice […] bey Einer fürstl. Taffel zu gebraucen. 3. Auf die 3. haubtfest, Weihenacten, Ostern undt Pfingsten eingerictet. 4. Auf die 4. kleinen Festage, Als das Neue Jahr, Heilige 3 Könige, Purifi$ationis,

As$ensionis, Trinitatis, und andre kleine Festtage eingerictete Con$erten. 5. Auff die Sonntäglicen Evangelia. 6. Weltlice undt Moralisce Gesenge für eine fürstl. Taffelmusi$.46

45 46

Zitiert nac Werner 1922, 66. Zitiert nac Werner 1922, 66.

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Es liegt auf der Hand, daß die Verwaltung der Notenbibliothek einen entsciedenen Vorteil bei der „Bestellung“ der Kircenmusik, zu der ja auc die „austheilung d. stimmen“ gehört, darstellt, denn Thieme hatte dadurc unbescränkten Zugang zu den Werken des Altmeisters Heinric Scütz, die er für eine Wiederaufführung im Gottesdienst oder bei der Tafelmusik nutzen konnte, während Löwe auf eigene Musikalien zurü%greifen mußte.47 Anhand der zitierten Dokumente kann das Amt des Konzertmeisters in Zeitz rect genau bescrieben werden. Der Konzertmeister in Zeitz  



  

untersteht nict den Weisungen des Kapellmeisters, sondern direkt dem Fürsten, ist jeden zweiten Sonntag für die Kircenmusik verantwortlic, „mit austheilung d. stimmen, führung des Ta$ts und was sonsten zur Bestellung derselbigen gehöret“, jedoc ohne daß der Rang des Kapellmeisters dadurc angetastet wird, darf seine Vokalkompositionen in der Kirce aufführen lassen, „jedoc mit vorwissen und unter dem dire$torio des Capellmeisters“, also als Verteter des Kapellmeisters, verrictet neben dem Kapellmeister auc die Tafelmusik, soll sic nac Löwes Vorstellung bei der Tafel auf die Instrumentalmusik bescränken, erhält die Aufsict über die Notenbibliothek.

Die weitreicenden Aufgaben Thiemes ähneln denen eines Stellvertreters oder VizeKapellmeisters, der zwar in der Kircenmusik die gleicen Befugnisse besitzt wie der Kapellmeister, aber den Rangunterscied zu diesem anerkennen muß. Dennoc führten die Unstimmigkeiten zwiscen dem Kapellmeister Löwe und dem Konzertmeister Thieme dazu, daß Löwe im Mai 1665 um seine Entlassung bat und Thieme zu dessen Nacfolger als Leiter der Zeitzer Hofkapelle ernannt wurde.48 Offenbar diente das Konzertmeisteramt hier als eine Vorstufe zur Übernahme des Kapellmeisteramtes.49 Ein Konzertmeister mit ähnlic weitreicenden Kompetenzen wurde unter Thiemes Leitung nict eingestellt, vielleict weil man Spannungen zwiscen dem Kapellmeister und einem Konzertmeister mit den Kompetenzen eines VizeKapellmeisters vermeiden wollte.

47

Auc am Wiener Hof, wo der Titel eines Konzertmeisters im 17. Jahrhundert übrigens nict nacweisbar zu sein sceint, gab es des Amt des „Partaustheilers“. In der Regel waren die Leiter der Instrumentalmusik für das Austeilen und Einsammeln der Stimmen verantwortlic, etwa der „Partaustheiler“ und „Premier Violon“ Bur%ard Kughler oder sein Nacfolger, der „Musi$us e direttore delli Con$erti musi$ali “ Reinhard Kilian, vgl. die Eingabe Kilians aus dem Jahr 1701 (zitiert nac Knaus III, 93): Ewer Kayl. Maytt: Musi$us e direttore delli Con$erti musi$ali Kilian Reinhard allegirt seine .19.iährige Dienst, in welcer Zeit er nict allein nel dispensore sondern auc nel ra$$ogliere le Compositioni gebrauct worden, Da doc vor dißen solces zwey Persohnen Verrictet, alß Nemblic zu zeiten des Kuglers, der pro Substitutio den Valentino gehabt, in deßen stelle der Suppli$ant unter der Dire$tion des Kuglers eingetretten […].

48

Vgl. Werner 1922, 64ff. Dieser Zusammenhang wird auc in der Totenpredigt für Thieme vom 2.4.1668 angedeutet, in der betont wird, daß dieser in die Zeitzer Hofkapelle „von Herrn Heinric Scützen ältern Capellmeistern zu Dreszden, unterthänigst verscrieben und re$ommendiret worden, welce re$ommendation auc so viel gefructet, dasz er anfangs vor den Ober-Instrumentisten, hernac aber vor den Con$ert-Meister, endlic gar vor den Capell-Dire$tor angenommen“ worden sei, vgl. Spitta 1871, 40.

49

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In keinem der erhaltenen Dokumente ist jedoc die Rede davon, daß die Violine das Hauptinstrument des Konzertmeisters Thieme war, gescweige denn, daß er sie bei der Leitung der „kleinen Musi$“ als Direktionsinstrument gebraucte. Obwohl er, wie alle professionellen Musiker seiner Zeit, neben Blas- und Tasteninstrumenten sicer auc die Geige als eines der gebräuclicsten Musikinstrumente beherrscte, ist davon auszugehen, daß Thiemes Amt nict an ein bestimmtes Instrument gebunden war, denn die Liste der musikaliscen Gattungen läßt erkennen, daß das Repertoire aus Figuralmusik in untersciedlicster Besetzung bestand. Das bedeutet, daß auc bei „volstimmigen sacen mit Vo$al und Instrumental partheyen“ eine Orcesterbesetzung nac französiscem Vorbild noc nict vorausgesetzt werden darf. Erst nacdem sic die corisce Besetzung mit Instrumenten der Violinfamilie durcgesetzt hatte, wurde es nämlic notwendig, daß der Leiter der Instrumentalmusik die Gruppe der Hauptstimme anführte und mit seiner Violine über die Einhaltung der Orcesterdisziplin wacte, wie es 1703 in Brossards Lexikon angedeutet ist: „CHEF: […] C’est $eluy qui a le soin d’instruire & $onduire $eux qui joüent du Violon ou d’autres Instrumens.“ Auc am Hof von Sacsen-Weißenfels in Halle diente das Konzertmeisteramt als Sprungbrett zum Kapellmeistertitel, denn der Scütz-Scüler David Pohle ist 1660 dort zunäcst als Konzertmeister nacweisbar und führte scon im folgenden Jahr den Kapellmeistertitel.50 Am selben Hof wirkte auc der Altist Johann Beer, der sic außerdem als fructbarer Scriftsteller, gescätzter Komponist, Scauspieler und Gastwirt betätigte und am 18.4.1685 zum Konzertmeister ernannt wurde.51 Obwohl sic das Konzept zu seinem Bestallungsbrief noc erhalten hat, ist dieses Dokument im Hinbli% auf Beers neue Pflicten als Konzertmeister, für die er eine Zulage von fünfzig Gulden erhält, wenig aufsclußreic, denn es heißt dort lediglic, er solle sic der „Charge eines Con$ert-Meisters […] von nun an gebührend unter Ziehen und, was solcen oblieget, fleißig und […] getreulic verricten“.52 Mit der Ernennung zum Konzertmeister wurde ihm außerdem „bey Sr. hocfürstl. dhl. Gymnasio Augusto allhier die Stelle des Dire$toris Musi$es“ zugesagt.53 Nac eigenen Angaben war Beer in dieser Zeit in erster Linie als Komponist tätig, denn 1683 studierte der spätere Arnstädter Hofkapellmeister Paul Gleitsmann bei ihm die „Reguln über die Composition“, 1684 erhielt er „von dem Fürstl. Hoff. aus Coburg Scrifftlice Vo$ation zur Capell-Meisters Stelle“, die er ablehnte, und 1686 führte er in Coburg seine 50

Vgl. MGG1 X, 1374. In seinen Lebenserinnerungen notiert Beer: „Anno 1685. den Sonabend vor Ostern, wurde Ic der Fürstlicen Capelle hir in Weissenfelß, alß Con$ertmeister vorgestellet, und mir eine absonderlice Bestallung eingehändiget […].“ Scmiede%e 1965, 27. 52 D-Dla, Lo$. 11778/III, Bestallungen Anno 1680ff.-1714, fol. 11: 51

Demnac der durclauctigste fürst und Herr, Herr Johann Adolff, Hertzog zu Sacsen, Jülic, Cleve und berg et$. Unser gnädigster Herr, dero Cammer-Musi$o und lieben getreuen, [eingefügt: „Johann beeren,“] auf vorige Pflict die Charge eines Con$ert-Meisters dergestalt, daß er derselben sic von nun an gebührend unter Ziehen und, was solcen oblieget, fleißig und zu Sr. hocfürstl. dhl. Respe$t und wolgefallen ieder Zeit, [eingefügt: „als eines Con$ert-Meisters wol anstehet,“] getreulic verricten solle, in Gnaden auf die vorige Pflict Krafft dieses aufgetragen, So haben Sie demselben dargegen auc von itzo Ostern an [eingefügt: zugleic] über die bereits habende besoldung annoc fünftzig Gulden zugeleget, die er ebenfalls Quartaliter gegen seine Quittung zu empfangen, […] Zu W.[eißenfels] den 18. Aprilis Anno 1685. 53 Vgl. D-Dla, Lo$. 11778/III, Bestallungen Anno 1680ff.-1714, fol. 12. Ob Beer diese Stelle je angetreten hat, ist unbekannt.

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Oper „Triumph der Unsculd“ oder „Die keusce Susanna“ auf.54 Trotz fehlender Amtsbescreibung darf vermutet werden, daß Beer das Amt des Konzertmeisters in Weißenfels nict aufgrund seiner Leistungen als Sänger oder Instrumentalist erhielt. Vielmehr sollte Beer als Konzertmeister, ähnlic wie an dem benacbarten Hof in Zeitz, regelmäßig die Möglickeit und die Befugnis erhalten, seine Werke am Weißenfelser Hof aufzuführen. Auc hier ähnelt das Konzertmeisteramt demjenigen eines Vize-Kapellmeisters.55 In Darmstadt ist das Amt des Konzertmeisters ebenfalls nacweisbar. Wie oben erwähnt, wurde Pisendel bei seinem Gastspiel am Darmstädter Hof zu Karneval 1711 der Posten eines Konzertmeisters angetragen. Nacdem Pisendel dieses Angebot wenig später endgültig ablehnte, erhielt sein mitgereister Kollege Johann Micael Böhm, der als Oboist und Flötist zu den herausragendsten Mitgliedern des Leipziger Collegium Musi$um zählte, dieses Amt. Eine seiner Kompositionen, eine Triosonate für Oboe und Viola d'amore, befand sic in Pisendels Naclaß.56 Obwohl sic die Bestallung Böhms zum Konzertmeister nict erhalten hat, ist eine Eingabe aufsclußreic, in der der Kapellmeister Graupner erwähnt, daß er nac dem Weggang Böhms im Jahr 1729 „die Besorgung der Taffel-piè$en und Con$erts nunmehro auc zur In$umbenz“ habe.57 Daraus läßt sic entnehmen, daß Böhm als Konzertmeister in Darmstadt eigenverantwortlic für das Repertoire der Instrumentalmusik zuständig war. Das Direktionsinstrument Böhms, dem Telemann 1716 seine „kleine CammerMusik“ gewidmet hatte, war sicer nict die Violine, sondern ein Blasinstrument. Auc Johann Sebastian Bac, der in erster Linie als Klavier- und Orgelvirtuose bekannt war, trug seit 1714 in Weimar den Titel eines Konzertmeisters. Dies ist vielfac so gedeutet worden, daß er dieses Amt mit der Violine als Direktionsinstrument versah, denn zweifellos war Bac auc als Orcestergeiger allen professionellen Ansprücen gewacsen. Seine Bestallung deutet allerdings darauf hin, daß er den Konzertmeistertitel nur erhielt, weil der Fürst seinen ehrgeizigen Komponisten und Hoforganisten Bac mit der Leitung der Hofkapelle beauftragen wollte, obwohl die 54

Vgl. Scmiede%e 1965, 26f. Offenbar wurde der Titel eines Konzertmeisters auc noc später in der Bedeutung eines Vize-Kapellmeisters vergeben, wie der Bestallungsbrief vom 1.1.1742 für Johann Christian Hertel als Konzertmeister am Hof von Scwerin-Strelitz zeigt, vgl. Scenk 1957, 79. Bereits die vorausgehende Anweisung des Fürsten deutet an, daß der neue Konzertmeister Hertel die Aufgaben eines Vize-Kapellmeisters zu versehen hatte: „Von papir und Saiten darf in Seiner Bestallung nicts erwehnet werden, sonst muß wegen des fleißes dem Composition, aufwartung Beym Tantzen, alles wie es in des Kapell Dire$tors Linken seiner Bestallung steht angeführet werden.“ Auc hier ist der Titel des Konzertmeisters nict an die Violine als Direktionsinstrument gebunden, sondern die Aufgaben eines komponierenden Vize-Kapellmeisters stehen im Vordergrund. Der Inhalt des Bestallungsbriefes ist wahrsceinlic typisc für viele kleinere Höfe in Deutscland und fordert von dem Konzertmeister Hertel […] daß Uns er zuförderst treu, hold und Dienstgewärtig seyn insonderheit aber bey hofe, oder wo es sonst von Uns […] befohlen sey und verlanget wird, er bey der Taffel, beym Tantzen, im Con$ert oder anderswo mit allem unermüdeten Fleiß und gebührender Sorgfalt, bey der Musi$ auf warten, stets selber zugegen seyn, wenn unser Capel Dire$tor nict zu Hause oder Kran%, dieselbige dirigiren, allerhand Musi$alisce Instrumente und was dazu gehörig, seiner guten und besten Gesci%lickeit und Wissenscafft nac, da bey selbst gebraucen, von Zeit zu Zeit neue Musi$alisce Stü%e Con$ertes und Cantaten anscaffen und selbst $omponiren, auf allerhand Veränderungen in der Musi$ mit bedact seyn, und im übrigen als einem Con$ert-Meister, auc getreuen Diener wohl anstehet, eignet und gebühret, sic verhalten und betragen solle. 56 D-Dl Mus. 2685-P-1. 57 Zitiert nac Bill 1987, 182. 55

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Positionen des Kapellmeisters und Vize-Kapellmeisters mit Vater und Sohn Drese bereits besetzt waren.58 Tatsäclic ähneln die Aufgaben Bacs in Weimar denjenigen, die Thieme in Zeitz übernommen hatte: durc die Ernennung zum Konzertmeister durfte er, wie die Kapellmeister, regelmäßig eigene Kompositionen in der Scloßkirce aufführen und war für die entsprecende Probenarbeit verantwortlic. [Freitag]. 2. Martij, haben des regierenden Herzogs Hocfl Dhl. dem bisherigen HofOrganisten Bacen, uf sein unter th[änig]stes Ansucen, das prädi$at eines Con$ertMeisters mit angezeigtem Rang nac dem Vi$e-Capellmeister Dreßen, gn[ä]d[ig]st $on-

feriret, dargegen Er Monatlic neüe Stü%e ufführen, und zu solcen proben die Capell Musi$i uf sein Verlangen zu ersceinen sculdig v[nd] gehalten seyn sollen.59

Mit Bacs Beförderung zum Konzertmeister wurde auc die Probenordnung dahingehend geändert, daß die Proben nict wie bisher in der Privatwohnung des Kapellmeisters Drese stattfanden, sondern „daß es iedesmahl uff der Kircen-Capelle gescehen solle […], wornac sic auc der Capell-Mstr zuricten habe.“60 Damit wurde der Kernbereic der Arbeit aus dem Einflußbereic des Kapellmeisters Drese in die Scloßkirce, den Arbeitsplatz des Kircenkomponisten und Hoforganisten Bac, verlagert, so daß sic „die Mactverhältnisse in der Hofkapelle eindeutig zugunsten Bacs verscoben“.61 Gerade das neue Probenlokal deutet jedoc darauf hin, daß Bac nict sein Hauptinstrument verließ, um es mit dem ersten Pult der Violinen zu vertauscen, wenn er dies auc im Einzelfall getan haben mag. Bei der Einstudierung eigener Kantaten jedenfalls hat er die Musiker wahrsceinlic vom jeweiligen Tasteninstrument des Generalbasses aus geleitet, wie es der seit 1715 in Weimar tätige, spätere Rektor der Leipziger Thomasscule Johann Matthias Gesner 1738 anscaulic bescrieb.62 Zusammenfassend kann feststellt werden, daß sic die Bescreibung des Konzertmeisteramtes in Kocs Lexikon deutlic von den Aufgaben eines Konzertmeisters untersceidet, wie sie an einem mitteldeutscen Hof bis zur Zeit von Pisendels Dresdner Amtsantritt üblic waren. Zum einen sceint das Direktionsinstrument des Konzertmeisters nict festgelegt gewesen zu sein, obwohl die Violine als Hauptinstrument keineswegs ausgesclossen war.63 Zum anderen macen besonders die parallelen Fälle Thieme und Bac deutlic, daß der Konzertmeister als ein herausragender Musiker und Komponist verstanden wurde, der mit den nötigen Kompetenzen zur „Bestellung der Musik“ ausgestattet, dabei jedoc dem Kapellmeister untergeordnet war. Kernbereic dieser Kompetenz war offenbar die Instrumental58 Vgl. Wolff 2000, 161f. Daß Bac in Weimar tatsäclic die typiscen Aufgaben eines Kapellmeisters wahrnahm und nac dem Willen der beiden Regenten auc in diesem Status anerkannt werden sollte, beweist eine Anweisung, die genau ein Jahr nac Bacs Ernennung zum Konzertmeister, am 20.3.1715, an dessen Vorgesetzte erging (Bac-Dok. II, Nr. 73): „Dato, ist denen beyden Capell-Meistern Dresen, Vater v. Sohne, uf Serenissimi Regentis Befehl, […] die Anzeige gescehen, daß künfftighin dem Con$ertMeister Bacen, bey zu distribuirenden A$$identien v. Verehrungen, CapellMeisters-portion […] gereicet […] werden solle.“ 59 Bac-Dok. II, Nr. 66. Diese Regelung ist inhaltlic identisc mit derjenigen für den Köthener VizeKapellmeister Georg Christian Strattner 1695. 60 Vgl. Bac-Dok. II, Nr. 66. 61 Wolff 2000, 163. 62 Vgl. Bac-Dok. II, Nr. 432, und Wolff 2000, 345f. Zu untersciedlicen Bericten über Bacs Direktionsinstrument vgl. Dreyfus 1987, 31f. 63 Vgl. beispielsweise oben genannten Konzertmeister Marini, Farinelli, Torelli und Bir%ensto%, deren Hauptinstrument wie bei Woulmyer und Pisendel die Violine war.

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musik, aber im Fall Thiemes und Bacs spielt auc die Beteiligung an der Kircenmusik, also das Aufführen eigener Vokalwerke, eine wictige Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es nict verwunderlic, daß bei Pole, Thieme und Bac auf die Position des Konzertmeisters die Anstellung als Kapellmeister folgte. Beide Ämter unterscieden sic an kleineren deutscen Höfen in dieser Zeit offenbar mehr in der Rangfolge als in der Art ihrer Befugnisse. Aus diesem Grund ist das Konzertmeisteramt kaum vom Amt eines Vize-Kapellmeisters zu untersceiden.

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2. D A S K O N Z E R T M E I S T E R A M T A M D R E S D N E R H O F

Das Dresdner Konzertmeisteramt vor Pisendel Wie oben gezeigt, sind italienisce Geiger des 17. Jahrhunderts in der neueren Literatur häufig als Konzertmeister bezeicnet worden, ohne je ein entsprecendes Hofamt bekleidet zu haben. Auc der Dresdner Geigenvirtuose Carlo Farina wurde, ebenso wie sein möglicer Nacfolger Fran$es$o Castelli, immer wieder als Konzertmeister des Kapellmeisters Heinric Scütz dargestellt,1 obwohl ein solces Hofamt in Dresden zu dieser Zeit gar nict existierte. Dagegen gab es neben dem alternden Oberkapellmeister Scütz weitere, zumeist italienisce Unter- und Vize-Kapellmeister, sowie das Amt eines Oberinstrumentisten. Nac den Ermittlungen von Fürstenau war der Kapellmeister im 17. Jahrhundert für die Notenbibliothek und der VizeKapellmeister für die Instrumentenkammer der Dresdner Hofkapelle zuständig.2 Auf der anderen Seite war das Amt eines Konzertmeisters in Dresden sicer nict unbekannt, denn an den verwandten Höfen gab es ja durcaus Träger dieses Titels. Auc in Dresden selbst soll ein gewisser Balthasar Manzoni von 1652 bis zu seinem Tod am 22.11.1654 als „Konzertmeister des Kurprinzen“ tätig gewesen sein.3 Als der „früheste Dresdner Konzertmeister im eigentlicen Sinne“ wird dagegen erst Constantin Christian Dedekind bezeicnet,4 und Fürstenau läßt seine Aufzählung von Konzertmeistern der Dresdner Hofkapelle bis zum Jahr 1848 ebenfalls mit diesem Musiker beginnen: Conzertmeister der Kapelle. Christian Dedekind Johann Wilhelm Furcheim Georg Ba%stroh Jean Baptiste Volumier Johann Georg Pisendel Franzes$o[!] Maria Cattaneo

1666—1680 1680—1697 1697—1706 1706—1828[!] 1728—1755 1755—1764 […]5

Tatsäclic wird das Amt eines „deutscen Konzertmeisters“ in Dresden erstmals 1666 unter Kurfürst Johann Georg II. eingerictet. Zu dieser Zeit waren neben dem alten Oberkapellmeister Scütz auc die italieniscen Kapellmeister Giovanni Andrea Bontempi und dessen Stellvertreter Mar$o Giuseppe Peranda tätig. Da Peranda den Kurfürsten mit dem größten Teil der Kapelle auf dessen Reisen begleitete und Bontempi sic von der Leitung der Musik zurü%gezogen hatte, fehlte es in diesen Reisezeiten an einem Direktor für den Kircendienst der Hofkapelle, denn der Hofkantor war nur für den Choralgesang zuständig.6 Aus diesem Grund bewarb sic der als deutscer Dicter berühmte Constantin Christian Dedekind (1682—1697), der seit 1654 als Bassist in der Kapelle Dienst tat und offenbar von Herzog Wilhelm zu 1

Vgl. NGD1 VI, 396, Straeten I, 50, Moser/Nösselt I, 97 und 100. Vgl. Fürstenau 1861, 163 und 169. 3 Vgl. Fürstenau 1861, 32. 4 Vgl. Steinfeld 1997, 35. 5 Fürstenau 1849, 205f. 6 Vgl. Fürstenau 1861, 150f. 2

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Sacsen-Altenburg für eine Beförderung empfohlen worden war, am 26.10.1666 um die Einrictung und Leitung einer „kleinen deutscen Musi$“ in der Scloßkirce: Ob nun wohl zeither sic nicts ahnständiges ereignet: so will doc der Zustand Ew. Churfürstlicen Durclauct sonst berühmten Hoff-Capellae, damit solce in Ew. Churf. Abwesenheit der lieben Musi$ nict gar ermangeln möge, ein Subje$tum zu Ahnstellund Dirigierung einer kleinen deutscen Musi$, fast nothwändig erfordern. Ställe demnac zu Ew. Churf. Durcl. gnädigsten Gefallen, ob Sie geruhen wollen, das von Hocgedacter Fürstl. Durcl. zu Altenburg freundvetterlic vohrgesclagene Se$retariat, in ein deutsces Conzert-Meister-Amt zu verwandeln und mic dazu gnädigst verordnen zu lassen.7

Nac der Ernennung Dedekinds zum „deutscen Conzert-Meister“ wurde die Hofkapelle in zwei Chöre unterteilt. Der erste, dem der meist italienisce Kapellmeister vorstand und der in der Mehrzahl aus Italienern bestand, begleitete den Kurfürsten auf seinen häufigen Reisen. Der zweite Chor, der von dem etwaigen deutscen VizeKapellmeister geleitet wurde, setzte sic in der Regel aus deutscen Musikern zusammen, die den Dienst in der Scloßkirce zu versehen hatten.8 Als Leiter des zweiten Chores fungierte neben dem deutscen Vize-Kapellmeister oder dem Konzertmeister auc der Hofkantor. Der Begriff „deutsces Conzert-Meister-Amt“ deutet an, daß es sic hierbei um eine „deutsce“ Sonderform des Konzertmeisteramtes handelte, wie sie im vorigen Abscnitt bescrieben wurde. Ob sic dieser Ausdru% auf die Beteiligung des Konzertmeisters an der Kircenmusik bezieht, kann nur vermutet werden. Zudem stellt sic die Frage, inwieweit Dedekind ein „Konzertmeister im eigentlicen Sinne“, also ein erster Geiger mit Leitungsfunktionen, war. Über das Violinspiel des Sängers und Dicters ist nicts bekannt. Wahrsceinlic ist er in der Musikgescictsscreibung allein aufgrund des falsc verstandenen Konzertmeistertitels zu „einem trefflicen Geiger“ erklärt worden,9 denn unter den zahlreicen Kompositionen Dedekinds, die durc die Zahl seiner Dictungen noc übertroffen werden, ist nur Vokalmusik vertreten, bestenfalls begleitet von „Vohr- und Nacspielen auf Violinen“.10 Ähnlic wie bei Thieme und Bac sceint das Violinspiel, das Dedekind als professioneller Musiker sicer auc beherrscte, in keiner Weise mit dem „deutscen ConzertMeister-Amt“ verbunden gewesen zu sein. Stattdessen dürfte die „Ahnstell- und Dirigierung einer kleinen deutscen Musi$“ die Hauptaufgabe des Kircenmusikers Dedekind gewesen sein, der wie sein Kollege in Zeitz die Aufgabe hatte, „die Kircen Musi$ zu bestellen mit austheilung d. stimmen, führung des Ta$ts und was sonsten zur Bestellung derselbigen gehöret“.11 Nacfolger Dedekinds als „deutscer Conzert-Meister“ wurde 1676 Johann Wilhelm Furcheim, der scon 1651 als „Instrumentistenknabe“ und 1665 als Violinist der Dresdner Hofkapelle nacweisbar ist und 1667 zum Oberinstrumentisten und Hof-

7

Zitiert nac Fürstenau 1861, 150. Vgl. beispielsweise Fürstenau 1861, 151. 9 Vgl. Moser/Nösselt 1966, 126, und Straeten I, 97. 10 Der Titel einer Sammlung Dedekinds lautet: „Süsser Mandelkärnen Erstes Pfund von Salomoniscen Liebesworten in 15 Gesängen mit Vohr- und Nacspielen auf Violinen“, Dresden 1664. Nac NGD1 V, 317, soll Dedekind auc versciedene Arten von Tanzmusik komponiert haben. 11 Vgl. oben das vollständige Zitat. 8

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organisten ernannt worden war.12 Anders als Dedekind war Furcheim offenbar in erster Linie Instrumentalmusiker, denn er veröffentlicte 1674 eine Sammlung „Musi$alisce Tafel-Bedienung“ für Streicinstrumente und B.$. und 1687 eine weitere mit dem Titel „Auserlesenes Violinen-Exer$itium aus versciedenen Tonarten“, die jedoc nict erhalten sind. Allerdings hat Furcheim auc Vokalmusik für die Scloßkirce komponiert.13 Er blieb jedoc nur fünf Jahre im Amt des Konzertmeisters, denn nacdem der neue Kurfürst Johann Georg III. bei seinem Amtsantritt 1681 alle Italiener entlassen hatte, wurde Furcheim zum Vize-Kapellmeister unter dem neuen Kapellmeister Christoph Bernhard befördert.14 Auc wenn die Instrumentalmusik einen Scwerpunkt des Organisten Furcheim bildete, kann er nict als Geigenvirtuose bezeicnet werden. Dagegen wurden 1674, zwei Jahre vor der Ernennung Furcheims zum Konzertmeister, zwei Musiker engagiert, die für ihr ausgesprocen virtuoses Violinspiel berühmt waren. Der vierundzwanzigjährige Johann Jakob Walther erhielt den Titel eines „primo Violinista da $amera“ und der actzehnjährige Johann Paul von Westhoff, der bereits seit drei Jahren als Spraclehrer für die Kurprinzen tätig war, als „Cammer-Musi$us“. Beide unternahmen weite Reisen. 1681 trat Walther als „Italieniscer Sekretär“ in Kurmainzisce Dienste, während Westhoff, der auf seinen Reisen offenbar auc diplomatisce Aufgaben wahrgenommen hatte, 1698 eine Professur für fremde Spracen in Wittenberg erhielt und wenig später als Musiker und „Cammer-Se$retarius“ nac Weimar ging.15 Obwohl beide weltgewandte und hocgeehrte Violinisten waren, die virtuose Werke für ihr Instrument komponierten, trugen sie doc nie einen Konzertmeistertitel. Auc dieser Umstand deutet darauf hin, daß das landläufige Verständnis vom Amt des Konzertmeisters von Voraussetzungen ausgeht, die offenbar erst auf spätere Traditionen zutreffen. Die Position des Konzertmeisters wurde nac der Beförderung Furcheims zum Vize-Kapellmeister bis etwa 1697 nict mehr besetzt, während für das Amt des VizeKapellmeisters sogleic ein Nacfolger bestellt wurde. Nac dem Tod Furcheims am 22.11.1682 wurde nämlic der bisherige scwedisce Vize-Kapellmeister Christian Ritter nac Dresden berufen, der wie Furcheim zugleic das Amt des Hoforganisten zu versehen hatte.16 Secs Jahre später folgte auf Ritter der berühmte Geiger, Klavierspieler und Opernkomponist Ni$olaus Adam Strun% im Amt des VizeKapellmeisters und Kammerorganisten.17 In seiner Dresdner Bestallung vom 26.1. 1688 wird ausdrü%lic festgelegt, daß er „sowohl in der Kircen […] als bey der Taffel mit seinen eignen und anderen Compositionen die Musi$ zu bestellen und zu dirigiren […], ingleicen bey Comedien, Operen und wo es sonsten nöthig, mit Instrumental-Sacen auf zu warten“ habe.18 Der Hinweis auf die „InstrumentalSacen“ sceint auf einen Aufgabenbereic hinzudeuten, wie er für einen damaligen Konzertmeister typisc ist, der ebenfalls „die Musi$ zu bestellen und zu dirigieren“

12

Vgl. MGG1 IV, 1151. Fürstenau 1861, 152f. 14 Fürstenau 1861, 262. 15 Vgl. die einsclägigen Artikel in WaltherL und MGG. 16 Fürstenau 1861, 267. 17 Fürstenau 1861, 300. 18 Zitiert nac Fürstenau 1881, 4. 13

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hat. Möglicerweise war es gerade deshalb nict nötig, neben dem Vize-Kapellmeister Strun% das „deutsce Conzert-Meister-Amt“ wieder zu besetzen. Auc nacdem Strun% 1693 zum Nacfolger des verstorbenen Kapellmeisters Bernhard ernannt worden war, folgte ihm der seit 1691 angestellte Altist Carlo Luigi Pietragrua im Amt des Vize-Kapellmeisters. Pietragrua wirkte allerdings nur sehr kurze Zeit in seinem Dresdner Amt, denn im April 1694 erhielt Friedric August I. („der Starke“) nac dem Tod seines Bruders den Kurhut und entließ, wie in solcen Fällen üblic, alle italieniscen Musiker, so daß Pietragrua bereits zum Jahresende nac Düsseldorf wecselte.19 Sein Nacfolger wurde der bisherige zweite Hoforganist Johann Christoph Scmidt, der sic jedoc gerade auf kurfürstlice Kosten in Italien aufhielt und dieses Amt erst 1696 antreten konnte. Nacdem Strun% infolge des Konfessionswecsels von August I. zum Jahresende 1697 entlassen und Scmidt im Juli 1698 zum ersten Kapellmeister der neuen, königlic polniscen Kapelle befördert worden war,20 blieb der Posten eines Vize-Kapellmeistes in Dresden ein halbes Jahrhundert lang unbesetzt. Erst 1750 wurde er vorübergehend wiederbelebt, jedoc wohl lediglic als ein Ehrentitel ohne neuen Aufgabenbereic, der dem altgedienten, ehemaligen Kapellmeister der Polniscen Kapelle Giovanni Alberto Ristori verliehen wurde. Nac dem Tod Ristoris 1753 verscwindet dieser Titel endgültig aus der Dresdner Kapellgescicte. Zeitgleic mit dem Verscwinden des Vize-Kapellmeistertitels ist jedoc das Amt des Konzertmeisters in Dresden wieder nacweisbar, und möglicerweise gab es zwiscen beiden Amtsbereicen weitreicende Überscneidungen. In der 1697 reorganisierten Hofkapelle des säcsiscen Kurfürsten und polniscen Königs ist der Geiger Georg Gottfried Ba%stroh, der seit 1685 in Dresden wirkte, als Konzertmeister und zugleic als Instrumenteninspektor sowie Mitglied der protestantiscen Kircenmusik verzeicnet.21 Obwohl er bereits 1687 zusammen mit dem Kapellmeister Carlo Pallavi$ini nac Venedig reisen durfte, wird er in einem Kapellverzeicnis aus dem Jahr 1691 lediglic als Violinist des ersten Chores, an dritter Position hinter Stefan Ringk (erster Violinist) und Johann Paul von Westhoff, geführt,22 so daß anzunehmen ist, daß er erst unter dem Kapellmeister Scmidt mit verantwortungsvolleren Aufgaben, möglicerweise mit der musikaliscen Leitung im Rahmen der Hofgottesdienste, betraut wurde. Die Nacfolge Ba%strohs als Konzertmeister tritt ab Januar 1709 der aus Berlin kommende Tanzmeister und Ballettkomponist Jean Baptiste Woulmyer an, der dieses Amt bis zu seinem Tod 1728 innehat. Neben ihm fungiert seit dieser Zeit der berühmte Geiger Carlo Fiorelli als „erster Violinist“ und Kammerkomponist.23 Nac dem Tod Fiorellis ist Pisendel scon Ende 1711 auf dessen Stelle berufen worden, wie im biographiscen Teil dieser Arbeit dargelegt wurde. Aus diesem historiscen Überbli% geht hervor, daß die oben zitierte Liste Fürstenaus, in der die Konzertmeister der Dresdner Hofkapelle verzeicnet sind, fehlerhaft und irreführend ist. Aus Anlaß des dreihundertsten Kapelljubiläums von 1848 hatte Fürstenau nämlic eine bruclose Traditionslinie aufzuzeigen versuct, die einer ge19

Vgl. Fürstenau 1861, 314, Fürstenau 1862, 8, und MGG1, 5, 974. Zur Neuorganisation der Dresdner Hofkapelle 1697 vgl. Poppe 2000 I, 58ff. 21 Vgl. Fürstenau 1862, 18. 22 Vgl. Fürstenau 1861, 298 und 309. 23 Vgl. Fürstenau 1862, 50. 20

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naueren Überprüfung in vielen Punkten nict standhält.24 Dies zeigt sic auc am Beispiel des Konzertmeisteramtes, das eben nict lü%enlos besetzt war, denn zwiscen 1681 und 1697 läßt sic kein Konzertmeister in Dresden nacweisen. Die folgende Tabelle stellt die korrigierten Daten über die Dresdner Konzertmeister in Beziehung zu den gleiczeitig angestellten Kapellmeistern und Vize-Kapellmeistern zusammen. Anhand dieser Übersict wird noc einmal deutlic, daß das Amt des Dresdner Konzertmeisters etwa seczehn Jahre lang ruhte, nacdem Furcheim 1681 im Zuge einer einscneidenden Reduktion der Hofkapelle zum Vize-Kapellmeister ernannt wurde. Dabei sceint es, als habe Furcheim die Aufgaben, die er als „deutscer Konzertmeister“ seit 1676 innehatte, in seinem neuen Amt als VizeKapellmeister weiterhin wahrgenommen. Zu diesen Aufgaben gehörte die „Ahnstellund Dirigierung einer kleinen deutscen Musi$“ und das Orgelspiel im Hofgottesdienst.25 Seine Nacfolger als Vize-Kapellmeister, Ritter, Strun% und Scmidt, waren ebenfalls zugleic als Hoforganisten angestellt und hatten wahrsceinlic die gleicen Amtspflicten wie Furcheim. Dies würde erklären, warum während dieser relativ langen Zeit das Amt des Konzertmeisters unbesetzt blieb. T ABELLE 7: Dresdner Kapellmeister und Konzertmeister bis zum Siebenjährigen Krieg (Ober-/Unter-)Kapellmeister:

Vize-Kapellmeister:

H. Scütz V. Albri$i G. A. Bontempi M. G. Peranda

1619—1672 † 1654—1680 1656—1680 1663—1675 †

C. Bernhard 1655—1663 M. G. Peranda 1661—1663

C. Pallavi$ini

1672—1673

C. Bernhard

1681—1692 †

C. Pallavi$ini 1687—1688 N. A. Strun% 1693—1697 J. C. Scmidt H. S. Rozy$ki A. Lotti J. D. Heinicen L. André J. A. Hasse N. Porpora

1697—1728 † 1697—1703 1717—1719 1717—1729 † 1729—173326 1731—1783 † 1748—1752

Konzertmeister:

C. C. Dedekind 1666—1676 C. Pallavi$ini 1667—1672 G. Novelli 1672—1680 C. Bernhard 1674—1680 J. W. Furcheim 1676—1681 J. W. Furcheim 1681—1682 † C. Ritter 1682—1688 N. A. Strun% 1688—1693 C. L. Pietragrua 1693—1694 J. C. Scmidt 1696—1697 G. G. Ba%stroh 1697—1707 J. B. Woulmyer 1709—1728 †

J. G. Pisendel G. A. Ristori

1731—1755 †

1750—1753 † F. M. Cattaneo 1756—1758 †

24 Vgl. Poppe 2000 I, 52ff, insbesondere 56. Einige Irrtümer aus dieser ersten Darstellung Fürstenaus zur Gescicte der Dresdner Hofkapelle, der er selbst als Flötist und Inspektor der Musikaliensammlung angehörte, hat er in seinen späteren Veröffentlicungen stillscweigend berictigt. 25 Vgl. Fürstenau 1881, 232, und NGD1 VII, 32 mit weiteren Hinweisen. 26 André wird in der Literatur als Kapellmeister der protestantiscen Hofmusik bezeicnet, vgl. Horn 1987, 52, und Zórawska-Witkowska 1997, 414. Über Einzelheiten dieses Amtes ist bislang nicts bekannt. Nac Fürstenau 1862, 18, unterstand die Hofkircenmusik seit 1730 der Oberkämmerei und nict dem Oberhofmarscallamt.

229

Nac der Neuordnung der Kapelle 1697, die durc die Konversion des Kurfürsten und dessen Erhebung auf den polniscen Thron notwendig wurde, entfällt das Amt des Vize-Kapellmeisters dauerhaft, während das Konzertmeisteramt nun wieder eingerictet und mit dem Geiger Ba%stroh besetzt wird. Obwohl er wie Dedekind und Furcheim auc bei der protestantiscen Hofkircenmusik angestellt ist, hatte er offenbar keine Organistenpflicten, denn 1697 sind zwei hauptamtlice Organisten (Johann Christian Böhme und Wilhelm Dietric Braun) sowie ein Amtsanwärter (Christian Petzold, mit 50 Taler Wartegeld) verzeicnet.27 Im Zuge dieser Neuordnung von 1697 sceint sic der Inhalt des Konzertmeisteramtes also gewandelt zu haben. Gleiczeitig vollzieht sic die Entwi%lung hin zu einem corisc besetzten Streicorcester nac französiscem Vorbild, so daß hier wohl die in Brossards Lexikon angedeutete Direktion der Violinisten zur Wiederbelebung des Konzertmeisteramtes geführt hat. Möglicerweise war bei dieser Gelegenheit die Sonderform des „deutscen Conzert-Meister-Amtes“, das wie im Zeitzer und Weimarer Beispiel die Leitung der Kircenmusik einscloß, auf die regulären Amtspflicten reduziert worden, nac denen der Konzertmeister „die Instrumentalmusi$ verrictet und dirigiret.“ Obwohl diese Hypothese eine plausible Erklärung für die Ähnlickeit zwiscen dem „deutscen“ Konzertmeister- und dem Vize-Kapellmeisteramt vor 1697 sowie für die erneute Bestallung eines Konzertmeisters nac der Kapellreform bietet, bleibt sie dennoc lediglic ein Definitionsversuc. Wie bereits oben dargelegt, stand bei der Verleihung des Konzertmeistertitels das Leiten von (Instrumental-)Aufführungen und das Komponieren im Vordergrund, während das Geigenspiel für dieses Amt keine entsceidende Rolle spielte. Ob diese Charakterisierung auc nac 1697 auf den Konzertmeister Ba%stroh zutrifft, läßt sic aus Mangel an Informationen, etwa über dessen Kompositionstätigkeit oder Einzelheiten des protestantiscen Hofgottesdienstes, nict entsceiden. Woulmyer jedenfalls hatte Aufgaben, die auc nac hergebractem Amtsverständnis einem Konzertmeister zukamen. Aus einem Dokument vom 28.6.1709 geht hervor, daß Woulmyer zunäcst nict als Konzertmeister, sondern als Tanzmeister und musikaliscer Leiter für die 1708 engagierte französisce Komödiantentruppe angestellt wurde.28 Wie bereits in seiner vorherigen Position am Berliner Hof, hatte er Ballette und wohl auc französisce Vokalmusik zu komponieren, denn von den sieben Herren und secs Damen der Truppe heißt es im Kontrakt: „[…] le plûspart seauront canter ou danser pour les pie$e d’agrémens“.29 Im Hinbli% auf die Aufführung dieser Werke mit den Mitgliedern der Hofkapelle mußte Woulmyer die Errungenscaften 27

Vgl. Fürstenau 1862, 13 und 65. Vgl. D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Frantzösiscer Comœdianten... 1703-1720, fol 92: An die General A$$is-Inspektion. F. den 28. Jun: 1709. Wir haben Unßere Bande Frantzösiscer Comoedianten mit einigen Personen, benamentlic mit dem Musi$o Du$é, dem TantzMeister Volumier, und dem Tantzmeister Dupar$ nebst seiner Frauen, vergrößert[?], und dem ersten 400 rth von und mit dem Monath Febr: h.[uius] a.[nni] an, dem andern 1200 rth von und mit dem Monath Jan: h.a. an und dem dritten nebst seiner Frauen 1200 rth von und mit dem verwicenen Termin Johannis an, zu ihrem jährlicen Appointement verordnet […]. In einer Besoldungsliste vom 20.11.1709 findet sic erstmals der Amtstitel „Con$ertmeister Voloumnier[!]“, vgl. D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, fol. 110. Auf diese Dokumente bezieht sic offenbar Fürstenau 1862, 65. 29 Zitiert nac Fürstenau 1862, 47f. Vgl. auc die oben genannte Liste der in Warscau in Woulmyers Auftrag kopierten Musikalien, die auc einige französisce Arien enthält. Da sie eigens für die neu angestellte Sängerin Dimance komponiert wurden, könnte Woulmyer ihr Verfasser sein. 28

230

der französiscen Orcesterkultur, die damals in ganz Deutscland nacgeahmt wurde, auc in Dresden einführen.30 Um diesen Stil allerdings auc durcsetzen zu können, mußte er mit weitreicenden Kompetenzen ausgestattet sein, und das Anfangsgehalt Woulmyers von 1200 Talern jährlic, das genau dem Gehalt des Kapellmeisters Scmidt entsprac, deutet an, daß er diese Kompetenzen auc tatsäclic besaß.31

Musikalisce Amtspflicten in Dresdner Quellen Das bereits oben erwähnte Dekret, das August der Starke seinem „Maitre des Con$erts“ Woulmyer am 8.10.1720 ausstellen ließ, ist das einzige erhaltene Dresdner Zeugnis aus der Zeit Pisendels, das sic mit der „fun$tion“, also den amtlicen Tätigkeiten, sowie dem Status eines Konzertmeisters am Dresdner Hof bescäftigt. Leider wird in diesem seltenen Dokument, das hier erstmals in vollständigem Wortlaut veröffentlict wird, der Zuständigkeitsbereic eines Konzertmeisters als bekannt voraus gesetzt: De$ret vor Johann Babtista Volumier als Maitre des Con$erts. Ausgegeben von Sr: Ex$ell: Hl: General Feldmarscall durc H: Hoff Rath Gaultier Wir Friedric August tot: tit: UhrKunden und legen hierdurc zu wißen: Demnac Wir bereits vor einigen Jahren Johan Babtista Volumier, als unseren Maitre des Con$erts in unsere Dienste auf- und angenommen, und dan bey uns derselbe, nac dem er dieser seiner fun$tion die gantze Zeit hindurc gebührend vorgestanden, untl.[erthänig]ste Ansucung gethan, daß Wir Ihm darüber ein scriftlices De$ret außstellen zu lassen in Gnaden geruhen möcten, Wir auc diesem seinem begehren [darüber: „Gesuc“] solcergestalt in Gnaden deferiret; Als de$larir en Wir den selben hierdurc und Krafft dieses offenen De$rets zu unserem Maitre des Con$erts, dergestalt und also, daß er in solcem Cara$ter von jedermann angesehen tra$tiret und gescrieben, auc solces [darüber: „dieser“] seiner Verrictungen sic nac wie vor, behörig unterziehen, auc [darüber: „und“] aller von dieser seiner fun$tion [darüber: „davon“] dependirenden pregogativen, wie solces [am Rand eingefügt: „durcgehends“] an allen [daüber: „den“] Teütscen Höffen gebräuclic ist, zu genießen haben soll, wornac sic also jederman sculdigst zu acten wißen wird. Uhr Kundlic haben Wir dieses offene De$ret eigenhändig unterscrieben, und Unser Königl: Insiegel [fol. 19v] vordrü%en laßen. So gescehen und gegeben zu Warscau den 9 [darüber: „8ten“] Oktober 1720.32

Wie einige Korrekturen in dem erhaltenen Konzept zu diesem Dekret zeigen, wurde der Wortlaut sorgfältig formuliert. Auc in der überarbeiteten Fassung dieses Dekrets wird unterstricen, daß sic der Status des Konzertmeisteramtes am Dresdner Hof 30

Herausragende Vermittler dieser von Lully geprägten Orcesterpraxis in Deutscland waren Georg Muffat (1653—1704) und Johann Sigismund Kusser (auc „Cousser“, 1660—1727). 31 Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, daß Pisendel bereits während seiner Leipziger Wirkungszeit in der Aufführung französiscer Ensemblemusik sehr erfahren gewesen sein muß, denn auf Veranlassung Woulmyers wurde er noc Ende 1711 als Premier Violon nac Dresden berufen. 32 D-Dla, Lo$. 383, Varia, Das Theater, die Italienisce Oper, die musi$alisce Capella und die Musik betreffend 1680-1784, fol. 19f (Konzept) und fol. 21 (Reinscrift).

231

nict von anderen Höfen untersceidet. Der Inhalt dieser „Verrictungen“, denen sic Woulmyer „nac wie vor, behörig unterziehen“ soll, und das Ausmaß der „von dieser seiner fun$tion dependirenden pregogativen,“ die er, „wie solces an allen Teütscen Höffen gebräuclic ist, zu genießen haben soll“, ist aus dem Dokument jedoc nict zu entnehmen. Diese merkwürdig offene Formulierung erinnert an die Bestallungsurkunde für Johann Beer 1685, nac der er sic der „Charge eines Con$ert-Meisters dergestalt, daß er derselben sic von nun an gebührend unter Ziehen und, was solcen oblieget, fleißig und zu Sr. hocfürstl. dhl. Respe$t und wolgefallen ieder Zeit, […] getreulic verricten solle“. Es sceint, als seien die Einzelheiten des Konzertmeisteramtes so selbstverständlic bekannt gewesen, daß sie nict im einzelnen aufgeführt werden mußten. Aufgrund der vorangegangenen Untersucungen könnte dieses Amt tatsäclic sehr einfac umrissen werden, etwa: „Bei Anwesenheit des Kapellmeisters leitet der Konzertmeister die Instrumentalmusik, bei Abwesenheit des Kapellmeisters, oder wann immer es angeordnet wird, vertritt er ihn.“ Eine Amtsbescreibung mit diesem Inhalt ist auc in Dresden naczuweisen. Allerdings ist sie nict auf den Konzertmeistertitel ausgestellt, sondern sie gilt in jener Zeit, als das Konzertmeisteramt in Dresden unbesetzt war, für den Vize-Kapellmeister. Es handelt sic dabei um die „Bestallung / Vor den Vi$e-Capellmeister Ni$olaum Adam Strun%en / An Christian Ritters Stat.“ vom 26.1.1688.33 Die Überscrift der Bestallung deutet an, daß bereits das Dokument für Christian Ritter 1682 den gleicen Wortlaut besaß. Wie oben dargelegt, hatte Strun%s Vor-Vorgänger Furcheim bei seiner Ernennung zum Vize-Kapellmeister 1681 seine Organistenpflicten aus dem Konzertmeisteramt in das neue Amt übernommen, so daß auc Christian Ritter und Nikolaus Adam Strun% mit dem Hauptinstrument Orgel angestellt wurden. Daher finden sic in Strun%s Bestallung auc Anweisungen, die den Orgeldienst in der Hofkirce und das Cembalospiel im Theater regeln. In dem Bestallungsdokument folgt nac der Aufzählung der kurfürstlicen Titel eine umfangreice Treueformel, anscließend erst die Formulierung der Amtspflicten:  

    

[…] In Sonderheit bey denen Verrictungen so zu Unserer Capelle gehören, sic fleissig

einzufinden und davon nicts zu verabsäumen, auf Unseres Capellmeisters Christophori Bernhardi, an den näcst dem Ober HoffMarscall et$. und Hoff-Marscall et$. er verwiesen, Anordnung, sowohl in der Kircen und bey wehrenden Gottesdienst, als bey der Tafel, mit seinen eigenen und anderen Compositionen die Musi$ zu bestellen und zu dirigiren, wie auc, wenn der Capellmeister selbst gegenwärtig bey der Taffel, ingleicen bey Comedien, Operen und wo es sonsten nöthig mit Instrumental-Sacen aufzuwartten, [folgt eine Anweisung über das Spiel auf der Orgel in der Kirce und auf dem kleinen „Clavi Cimpel “ bei der Tafel] auc ohne Vorwissen des Capellmeisters, der es gleicwohl den[!] Ober Hoff-Marscall, oder Hoff-Marscall anzumelden, aus der Residenz nict zu verreisen gehalten seyn soll. Damit aber in der obgedacten Bestellung und Dire$tion der Musi$ oder sonsten er nict verhindert und ihm mit Widersetzlickeit oder in andere Wege keine Hindernüs von denen

33

Zitiert nac Fürstenau 1881, 4f. In seiner Bestallung vom 1.1.1687 wurde Carlo Pallavi$ini als „Direktor der Kammer- und Theatermusik“ bezeicnet. Drei Tage nac der Bestallung Strun%s starb er. Zu Dresdner Bestallungsakten, die nur bis 1697 erhalten sind, vgl. Landmann 1978, Anm. 5.

232

 

zu Unser Capelle gehörigen Bedienten gemacet werden, Sollen Sie alle, […] Ambtswegen an den Vi$e-Capell-Meister verwiesen seyn, ausser dem Notisten, welcer allein dem Kapellmeister zur Erleicerung verordnet, und von ihm genugsame Verrictung zu gewartten hat, Und er im Uebrigen thun, was einem getreuen Diener gegen seinen Landes Fürsten und Herrn eignet und gebühret. […]34

Auf die Aufzählung der Amtspflicten folgen drei weitere formelhafte Abscnitte über den Treueeid auf den Fürsten und die Aushändigung eines entsprecenden Scriftstü%s, die Höhe des Gehalts und die Art der Zahlungen sowie die Ratifizierung der Bestallungsurkunde. Ein Vergleic mit der Bestallungsurkunde für Johann Philipp Krieger als VizeKapellmeister am Weißenfelser Hof vom 12.2.1679 zeigt, daß Strun% weniger weitreicende Befugnisse besaß als Krieger. Während Krieger in Weißenfels aufgrund der Bestallungsbestimmungen den Kapellmeister in seinen typiscen Ämtern zu verteten hatte, orientierten sic die Amtspflicten Strun%s mit dem ausdrü%licen Hinweis auf die Aufwartung mit „Instrumental-Sacen“ und die Anwesenheitspflict bei Kapell-„Verrictungen“ mehr am Amt eines Konzertmeisters, der für das Repertoire und die Leitung der Instrumentalmusiker zuständig war. Krieger war dagegen nict an die Weisungen des Kapellmeisters, mit dem er sic lediglic „zu vernehmen hat“, gebunden und hatte die Aufgabe, Vokalmusik zu komponieren, wie aus der Passage über die „diejenigen Texte, so er in der Kirce musi$iren wil“, hervorgeht. Außerdem braucte er nict selbst als Instrumentalist unter fremder Direktion aufzutreten und hatte durc sein Vorsclagsrect in Personalfragen Einfluß auf die Zusammensetzung der Hofkapelle: 

    



[…] Insonderheit aber die Musi$aliscen Aufwartungen so wol in der Kircen, als für der Taffel in gleicen zu Theatraliscen Compositionen in Abwesenheit Unsers Capellmeisters, aber auc bey deßen Anwesen wie und wo Wir es verordnen werden, er auc mit gedactem Capellmeister sic darüber zu vernehmen hat, fleißigst zu verricten; Wobey ihm dann frey stehen soll, entweder seine eigene Composition, oder auc andere nac seinem Gutbefinden, zu gebraucen, doc daß diejenigen Texte, so er in der Kirce musi$iren wil, fürhero Unserm Ober HoffPrediger $ommuni$iret und von selbigem approbiret seyn, Gestaltsam dann auc hiermit und in Krafft dieses alle unsere Musi$i necst unserm CapellMeister auc an ihn mit gewiesen werden, Und damit Unsere Musi$a rect und wohl versehen werde, so soll Unser Vi$e-Capellmeister dahin dahin bedact seyn daß Unsere Capelle mit tauglicen Subje$tis versehen werden könne, welce in ihrer Kunst perfe$t sind und von denen Wir Ehre und gute Dienste haben mögen, auc dannenhero, wann er einen Vorsclag deßhalber zu thun weis, solcen mit Unserm Capellmeister daraus $ommuni$iren und hernac Unserer Entscließung darüber zu gewarten[,] auc sonst alles dasjenigen leisten und thun, was einem getreuen Vi$e-Capellmeister und Diener gegen seinen Fürsten und Herrn eignet und gebühret […]35

34

Fürstenau 1881, 4f. Um die Übersictlickeit zu verbessern, wurden Bestimmungen der Bestallung hier in einzelne Punkte unterteilt. 35 D-Dla, Lo$. 11778, Bestallungen des Capell-Meisters David Pohlens. wie auc derer sämptl: zur Fürstl: Capelle gehörigen Musi$anten. Anno 1677-80, fol. 33f. Für den freundlicen Hinweis auf die Weißenfelser Bestallungsakten danke ic Frau Dr. Anni Miksc vom Säcsiscen Hauptstaatsarciv Dresden.

233

Bei einer engen Definition des Vize-Kapellmeisteramtes wird deutlic, daß die Weißenfelser Befugnisse dieser Definition besser entspracen als die Befugnisse Strun%s als Hoforganist in Dresden, obwohl er den gleicen Amtstitel trug. Dennoc gleicen sic die Bestallungsdokumente in ihrem Aufbau, denn die einleitenden und abscließenden Rectsformeln, die aus Platzgründen nict zitiert wurden, finden sic bei Krieger und Strun% fast bucstabengetreu wieder. Gleices läßt sic zwiscen 1656 und 1739 bei mitteldeutscen Bestallungsdokumenten zum Kapellmeisteramt beobacten. Die von Fürstenau wiedergegebene Bestallung des Dresdner Kapellmeisters Vin$enzo Albri$i aus dem Jahr 1656, die die erwähnten Formulierungen bereits aufweist,36 diente nämlic als direkte Vorlage für die Bestallungen David Pohles 1677 und Johann Philipp Kriegers 1680, denn eine Kanzlei-Abscrift dieses Dresdner Dokuments ist den Weißenfelser Bestallungsakten vorangestellt.37 Die gleicen Formeln sind sogar noc in dem amtlicen Bestallungsentwurf für alle Kapelldirektoren des Hofes von Scwarzburg-Rudolstadt zwiscen 1681 und 1739 nacweisbar.38 Dies deutet auf einen einheitlicen säcsisc-thüringiscen Rectsraum hin und läßt den Scluß zu, daß diese juristiscen Formulierungen auc am Dresdner Hof bis in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts fortgescrieben wurden. Aus diesem Grund sollen hier auc die Amtspflicten eines Kapellmeisters nac der Dresdner Bestallung Albri$is wiedergegeben werden, obwohl sie bereits aus dem Jahr 1656 stammen: 

    





[…] insonderheit aber soll er sculdig seyn die ordentlicen Musi$aliscen Aufwarttungen […] sowol in der Kircen als für der Taffel, ingleicen zu Theatriscen Compositionen,

wie und wo Wir es verordnen werden, fleißigst zu verricten, wobey ihm freistehen soll, entweder seine eigene Compositiones oder auc andere nac seinem eigenen guthbefinden Zugebraucen, doc, daß diejenigen Texte, so er in der Kircen musi$iren will, fürhero dem Oberhoffprediger ge$ommuni$iret und von selbigem geapprobiret seyn; Ingleicen soll ihme freystehen, Unserm Vize-Capelmeister die Kircen-Aufwarttung so offt es ihme beliebet, anzubefehlen; Maßen denn sowohl derselbige alß auc alle andere Unsere Capell-Bedienten Crafft dieses und nac Inhalt ihrer Bestallung an ihn hiermit vollkömlic gewiesen seyn sollen; Und da sic über Verhoffen zwiscen denen Musi$is ein Mißverstand oder Zan% ereügnen solte, hat er solces nac seinem besten vermögen beyzulegen, oder aber, da es nict verfangen wolte, Unserm Oberhoff-Marscall solces fürzubringen und seiner de$ision zu untergeben; Da aber die entstandene Streitigkeiten dadurc noc nict möcten hinterleget werden, Uns sodann die Sace zu endlicer resolution gehorsamst fürzutragen; Auc soll er denen Musi$is keinesweges zugeben, ohne Unsere erlaubnis bey Banqueten, Hoczeiten oder Kind-Tauffen aufzuwartten, vielweniger ohne sein Vorwissen und genugsame erheblice Uhrsacen und Ehehafften [Anmerkung Fürstenaus: „gesetzlice Entsculdigung“] Zuverreysen, oder durc außenbleiben die Kircen- und Taffeldienste und fürhabendes probiren zu verseümen. Damit auc Unsere Musi$a rect versehen werde, soll er sculdig seyn, Uns mit dergleicen tauglicen subje$tis seinen besten befinden nac, Zuversehen, welce in der Kunst perfe$t, auc von denen Wir Ehre und gute dienste haben mögen, iedoc soll er ohne Unsern willen und wißen keinen annehmen noc abscaffen,

36

Vgl. Fürstenau 1861, 160ff. Vgl. D-Dla, Lo$. 11778/II, Bestallungen […] 1677-1680, fol. 1f (Albri$i), fol. 11ff (Pohle) und Lo$. 11778/III, Bestallungen […] 1680-1714, fol. 3ff (Krieger). 38 Vgl. Omonsky 1997, 67, Dokument VI. 37

234

 

[In Rudolstadt folgt Passus über Notisten:] und hingegen der Notist von ihm allein depen-

diren, er dürfe auc anzunehmen und abzuscaffen Mact haben und befugt sein und hingegen alles dasjenige thun, und leisten, was einen getreüen Capelmeister und diener gegen seinen Churfürsten und Herrn eignet und gebühret; […]39

Aufgrund der Floskelhaftigkeit dieser Bestallungsdokumente, die über viele Jahrzehnte und Landesgrenzen hinweg unverändert blieben, kann davon ausgegangen werden, daß die jeweiligen Aufgaben der Dresdner Kapellmeister und Vize-Kapellmeister zumindest bis 1697 sehr stabil waren. Dabei darf jedoc nict ohne weiteres auf die Aufgabenverteilung nac der Neuordnung der Hofkapelle von 1697 gesclossen werden, denn hierzu konnten bislang keine Dokumente aufgefunden werden. Anhand erhaltener Materialien läßt sic immerhin feststellen, daß in Dresden zur Zeit Pisendels der Titel eines „Kircen-Compositeurs“ eingerictet wurde,40 deren Träger Zelenka, Ristori, Breunic, Butz und Scürer für die Vokalmusik der Katholiscen Hofkirce zuständig waren. Die Zuständigkeiten des Kapellmeisters, der KircenCompositeurs und des Konzertmeisters werden erstmals von Landmann umrissen, die sic dabei auf ihre gute Kenntnis der musikaliscen Quellen in der Säcsiscen Landesbibliothek Dresden stützt: – Der Kapellmeister (später: Oberkapellmeister) stand nominell für den Gesamtbereic der Musikaufführungen gerade, de fa$to war jedoc der Opernbereic seine Domäne und daneben im katholiscen Gottesdienst die Gruppe der Musiken zu den höcsten Feiertagen des Jahres (Karfreitags-Oratorien, Festmessen, Missa da Requiem u. dgl.). Alle hierfür benötigten Werke hatte er zu komponieren und unter eigener Leitung aufzuführen. – Die sog. Kircen-Compositeurs (zu denen titularisc auc J. S. Bac zählte, nac abgeliefertem und angenommenem Probestü% in Gestalt seiner Missa h-moll) versorgten das gesamte weitere Kicenjahr mit Musiken bzw. studierten solce fremder Herkunft ein und dirigierten die Aufführungen. Wie wir sahen, ging es in beiden bisher genannten Bereicen nict ohne die Mithilfe des Konzertmeisters. – Der Konzertmeister allein aber kam auf für die Kammermusik. Leitete er sie nict selbst und gab er nict aus seiner privaten Sammlung das Notenmaterial dazu her, so hatte er gewiß mit anderen Beiträgern aus dem Kollegenkreis zu verhandeln und das Programm mit ihnen abzusprecen, sofern die höcste Herrscaft nict besondere konkrete Wünsce anmeldete.41

Diese Übersict enthält jedoc einige klärungsbedürftige Punkte, etwa ob Hasse tatsäclic, wenn auc „nominell“, für diejenigen Musikaufführungen geradestand, die in den Amtsbereic der Kircen-Compositeurs oder des Konzertmeisters fielen. Vor allem soll die in der Literatur verbreitete Annahme einer repertoirefremden, „privaten“ Musikaliensammlung Pisendels sowie die Vermutung, die „Beiträger aus dem Kollegenkreis“ hätten bei der Aufführung ihrer Instrumentalwerke auc die Leitung übernommen, überprüft werden. Dank der Formelhaftigkeit und Geltungsdauer der oben zitierten Bestallungsklauseln ist es möglic, die Amtspflicten und Zuständigkeiten der führenden Dresdner Musiker wesentlic konkreter zu bescreiben als aufgrund der begrenzten Zahl Dresd39

Zitiert nac Fürstenau 1861, 161f, der zweitletzte Punkt nac Omonsky 1997, 67. Wie oben zitiert, wies bereits der Kurprinz in Venedig daraufhin, daß Heinicen als neu bestallter Kapellmeister für die Vokalmusik in der Dresdner Hofkirce zuständig sein sollte. 41 Landmann 1987, 467: „Die Aufzählung der Zuständigkeiten […] ist als pauscal anzusehen.“ Vgl. auc Landmann 1983 II, 7f. 40

235

ner Quellen zu vermuten war. Danac standen diejenigen Musiker, die eigene oder fremde Werke in ihrem Amtsbereic aufführten, nict unter der Aufsict des Kapellmeisters. Die durc die Rangfolge festgelegte Abhängigkeit kam nur dann zum Tragen, wenn beide, etwa bei Opernaufführungen, gemeinsam musizierten. Entsprecend hat Pisendel wohl auc nur dann die Direktion der instrumentalen Kammermusik an einen Kollegen abgegeben, wenn er abwesend war, nict aber, wenn ein Kollege lediglic mit einer eigenen Komposition solistisc hervortrat, denn hier kam die von Pisendel zu hoher Blüte entwi%elte Kunst des „A$$ompagnements“ zur Anwendung.42 Die Frage der „privaten“ Musikaliensammlung Pisendels wird in Abscnitt V. erörtert.

Pisendels Amtspflicten als Konzertmeister Vor dem Hintergrund der zitierten Bestallungsdokumente können die musikaliscen und arcivaliscen Quellen aus der Amtszeit Pisendels mit der konkret benennbaren Funktion oder Amtspflict eines Konzertmeisters im Gefüge einer mitteldeutscen Hofkapelle in Beziehung gebract werden. Mit Hilfe der entsprecenden Bestallungsformeln lassen sic die belegbaren Befugnisse Pisendels als Konzertmeister der Dresdner Hofkapelle behutsam rekonstruieren. Unter allen Pisendel-Quellen sind die von ihm hinterlassenen Musikalien, die vom Dresdner Hof nac seinem Tod angekauft worden sind, am besten ersclossen. Diese Sammlung von Instrumentalwerken, die trotz des ungeklärten Umfangs von Pisendels Naclaß vorläufig als Pisendels Notenbibliothek bezeicnet werden soll, enthält eine große Zahl von teilweise sogar autographen Vivaldi-Handscriften, auf die besonders die Bac-Forscung bereits sehr früh aufmerksam geworden ist. Diesem frühen Interesse ist es auc zu verdanken, daß Pisendel selbst wieder in das Bewußtsein der Musikgescictsscreibung gelangt ist. Pisendels außerordentlic umfangreice Notenbibliothek enthält jedoc darüber hinaus einen repräsentativen Querscnitt durc das italienisce sowie das nord- und mitteldeutsce Instrumentalrepertoire seiner Zeit. In diesem Repertoire wiederum sind Werke von Telemann, den Brüdern Graun und Fasc stark vertreten, die ebenso wie Pisendels eigene Kompositionen in neuerer Zeit verstärkte wissenscaftlice Beactung gefunden haben. Besonders aussagekräftig für die vorliegende Untersucung ist die einzigartige Fülle von Eintragungen Pisendels in diese Musikalien, die Rü%sclüsse auf die Art ihrer Nutzung erlauben. Die arcivaliscen Quellen zu Johann Georg Pisendel sind in wenigen biographiscen Arbeiten veröffentlict worden. Die bereits bekannten Dokumente konnten im Rahmen dieser Studie um zahlreice weitere Quellen ergänzt werden, die das Bild des Konzertmeisters aber auc des Privatmanns Pisendel abrunden helfen. Diese Quellen sind geeignet, besonders diejenigen Tätigkeiten Pisendels als Konzertmeister zu bescreiben, die sic nict unmittelbar im Notentext niedersclagen. Dennoc tragen auc sie zu einem besseren Verständnis der in Pisendels Notenbibliothek überlieferten Musikalien und der darin enthaltenen Eintragungen Pisendels bei. 42

Vgl. unten, Abscnitt IV, 3. „Dirigieren der Orcestermusiker“.

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In den folgenden Abscnitten werden die musikaliscen und arcivaliscen Quellen nur insoweit herangezogen, als sie für einen Überbli% über die Amtspflicten Pisendels als Konzertmeister notwendig sind. Dazu gehören der Inhalt von Pisendels Notenbibliothek und deren aufführungspraktisce Nutzung sowie Dokumente über Pisendels organisatorisce Tätigkeit im Rahmen der Hofkapelle. Aus dem Katalog der Befugnisse Pisendels werden dann wictige Arbeitsbereice herausgegriffen, die im zweiten Teil der Arbeit und unter vollständiger Berü%sictigung der erreicbaren Quellen zu untersucen sind.

a) Bestellen und Dirigieren der Instrumentalmusik Bereits ein kurzer Überbli% über den Musikalienbestand, in dem Pisendels Spuren erkennbar sind, zeigt, daß es sic ausscließlic um Instrumentalwerke handelt, deren Besetzung von der Solosonate bis zu einem mit vollstimmigen Bläsern verstärkten Orcesterkonzert reicen. Vor der großen Anzahl dieser Werke ersceint der Anteil von Pisendels eigenen Kompositionen, die lediglic elf Violinkonzerte in untersciedlicen Fassungen sowie act Violinsonaten und zwei Orcesterwerke umfassen, verscwindend gering. Allerdings ist allein der Umfang von Pisendels Notenbibliothek beeindru%end und zeugt von den guten Verbindungen Pisendels, die die Bescaffung untersciedlicster Musikalien aus dem In- und Ausland ermöglicten. Die Mehrzahl der Musikalien weist Eintragungen von der Hand Pisendels auf, die von ihrem Gebrauc bei Proben und Aufführungen Zeugnis geben. Da aus Pisendels Musikalien musiziert wurde, ist davon auszugehen, daß Pisendel die Auswahl der Werke und der beteiligten Musiker selbst traf. Selbstverständlic hatte er sic dabei nac den ausdrü%licen oder allgemein bekannten Wünscen seines Dienstherrn zu ricten, sei es der König oder die Königin selbst, oder der Oberhofmarscall beziehungsweise der Dire$teur des plaisirs, der solce Wünsce formulierte. Dies deutet darauf hin, daß es zu Pisendels Amtspflicten gehörte, die Instrumentalmusik „zu bestellen und zu dirigiren“. Auc die Formel, daß ihm „entweder seine eigene Compositiones oder auc andere nac seinem guthbefinden Zugebraucen“ freistehen soll, muß Bestandteil von Pisendels Bestallung gewesen sein. Wieweit das Zusammentragen von fremden Kompositionen über Pisendels Amtsmandat hinaus auc Ausdru% einer privaten Sammelleidenscaft gewesen sein könnte, wird in Abscnitt V. erörtert.43 Die Handscrift zweier Musikalienkopisten oder Notisten am Dresdner Hof ist in Pisendels Notenbibliothek besonders häufig anzutreffen. Über die Identität dieser Notisten, die in der Literatur mit „Screiber A“ beziehungsweise „Screiber D“ bezeicnet werden, herrsct unter Facleuten noc Uneinigkeit, so daß nict klar ist, ob es sic dabei um die in den Hofkalendern genannten Hofnotisten Johann Georg Kremmler und Johann Gottfried Grundig handelt, die als Nacfolger des Notisten Johann Jakob Lindner ab 1733 ein offizielles Gehalt bezogen.44 Ungeactet dessen läßt sic aus der Zahl ihrer Handscriften immerhin die Vermutung ableiten, daß 43

Vgl. unten, Abscnitt V, 2. „Eigentum oder Kapellrepertoire?“. Vgl. unten Teil II, Exkurs V: „... und hingegen der Notist von ihm allein dependiren.“ – Zur Identifikation der Notisten in Pisendels Umkreis.

44

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Pisendel viele Jahre lang über die Dienste professioneller Notisten verfügen konnte. Dieses Privileg ist nac Lage der untersucten Bestallungsakten jedoc bislang nur für den Inhaber des Kapellmeisteramtes nacweisbar, der bei der Auswahl des Notisten, „welcer allein dem Kapellmeister zur Erleicterung verordnet“ und „von ihm allein dependiren“ soll, weitgehend freie Hand behielt. In gleicer Weise wie in der Instrumentalmusik sind Pisendels Eintragungen in dem erhaltenen Aufführungsmaterial zu weltlicer und geistlicer Vokalmusik anzutreffen. Sie sind Ausdru% der von Pisendel gegenüber Telemann beklagten „übermäßigen travaillen in der Kirce, Cammer und theatro“.45 Hier stellt sic die Frage, in welcer Weise die Direktionspflicten Pisendels von den Amtsbereicen der Hofkomponisten (der Kapellmeister und der Kircen-Compositeurs) abgegrenzt waren, denn dies wurde üblicerweise durc die Bestimmungen der Bestallungen geregelt. Unbestritten ist, daß Pisendel den Bereic der Instrumentalmusik selbständig zu leiten hatte, denn die erhaltenen Musikalien belegen, daß Pisendel in ähnlicer Weise für das entsprecende Repertoire zuständig war wie die Kircen-Compositeurs für die Vokalmusik in der Katholiscen Hofkirce oder der Kapellmeister für das Komponieren neuer Opern.46 Für die Auswahl und Aufführung von Instrumentalmusik im katholiscen Hofgottesdienst, die während des Graduale erklang, war Pisendel ebenfalls verantwortlic. Dies wird auc durc einen Eintrag im Diarium Missionis der Dresdner Jesuiten vom Heiligen Abend des Jahres 1734 dokumentiert: „Post primam et se$undam Le$tionem D.[ominus] Bishendel produxit Pastorellas.“47 Genannt werden jeweils nur die musikaliscen Leiter der Aufführungen, und aufgrund der hier gewählten Formulierung läßt sic nict entsceiden, ob Pisendel nict nur der Direktor, sondern auc gleiczeitig der Komponist jener „Pastorellen“ war.48 Jedenfalls kann festgestellt werden, daß sic der Zuständigkeitsbereic Pisendels als Direktor der Instrumentalmusik nict nur auf die Musik bei der Tafel beziehungsweise in der Kammer, sondern auc auf die Instrumentalmusik in der Katholiscen Hofkirce erstre%te.

b) „Doppeldirektion“ in Kirce und Theater Wie erwähnt, sind auc in Aufführungsmaterialien von Vokalwerken für die Katholisce Hofkirce Eintragungen von Pisendels Hand erkennbar. Diese untersceiden sic in ihrer Art nict von den Eintragungen in Instrumentalwerken. Allerdings ist selbstverständlic, daß die Direktion dieser Vokalwerke in der Hand des zuständigen Kircen-Compositeurs oder des Kapellmeisters lag, zumal, wenn es sic um eine eigene Komposition Hasses, oder Zelenkas oder eines anderen Kircen-Compositeurs 45

Telemann Briefwecsel 1972, 357. Von Zelenka hat sic beispielsweise ein eigenhändiges Verzeicnis der von ihm seit dem 17.1.1726 angescafften fremden Musikalien mit dem Titel „Inventarium rerum Musi$arum variorum Authorum E$$lesiae servientium Quas possidet Joannes Dismas Zelenka […]“ erhalten, D-Dl Bibl. Arc. III Hb 787d. 47 Diarium Missionis, 24.12.1734, 366. 48 Vgl. Reic 1997, 48. Ein qualitativer Unterscied, der auf eine Eigenkomposition Pisendels hinzudeuten sceint, besteht zu der Formulierung des folgenden Satzes: „Post tertiam Te Deum; in quo $antabant Itali, dirigente Domino Zelenka.“ Unter den bislang bekannten Kompositionen Pisendels könnte der mit „Larghetto“ überscriebene Mittelsatz des Violinkonzerts F-Dur aufgrund seines punktierten 68 -Takts als „Pastorella“ bezeicnet werden (D-Dl Mus. 2421-O-13, vgl. das In$ipit bei Fecner 1999, 283). 46

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handelte, denn nac den Bestimmungen der erhaltenen Bestallungsdekrete gehörte das Aufführen eigener und fremder Vokalwerke in Kirce und Theater zu den wictigsten Amtspflicten eines Kapellmeisters. Dennoc blieb die Zuständigkeit Pisendels für die aufführungspraktiscen Einzelheiten des Orcesterspiels unangetastet.49 Diese Aufteilung der Zuständigkeit zwiscen dem Komponisten, der sic innerhalb der Gesamtleitung vor allem um die Gesangsstimmen kümmerte, und dem Konzertmeister oder Anführer des Orcesters wird seit der grundlegenden Arbeit von Scünemann 1913 als Doppeldirektion bezeicnet. Allerdings sceint dieser Begriff besonders mit Rü%sict auf die Praxis in der zweiten Hälfte des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewählt worden zu sein und kann nict ungeprüft auf Pisendels Anfangsjahre als Konzertmeister angewandt werden.50 Immerhin lassen sic Bericte, wonac Pisendel und Hasse über die Aufführung von Hasses Opern detaillierte Abspracen getroffen haben, durc einen Brief Pisendels an Telemann bestätigen, denn am 3.6.1752 bescreibt Pisendel die Scwierigkeiten im Vorfeld der Aufführung von Hasses Karnevalsoper Adriano in Siria: […] unterdeßen sollte das Carneval seinen Anfang nehmen, und die Opera war weder

halb noc gantz fertig, es mußte dennoc aber, gezwungener und abgetrungener Weiße, endlic Rath darzu werden, ob gleic so spat, daß man kaum den ersten und 2:ten a$t, den 3:ten a$t aber garnict probiren können weiln noc nict die Notisten fertig waren, als scon die Hauptprobe in Höcster Gegenwart Ihrer May: May: [Majestäten] vor sic gehen mußte. Bey solcen Umständen mußte ic nun mic exponiren, ohne mit dem Maiitre darüber etwas ausführlicer abgeredet zu haben, dabey hatte ic einen scläfrigen und unsculdigen Haberect bey dem Haupt Clavi$imbel, wie auc da 6 bis 8 aus der Orcestre |:Alters wegen:| kran% geworden, so wurden mir so viel andere hineingesetzt, die ic zuvor nict mit einem Aug gesehen, noc daß sie etwas probirt hätten, und gleicwol half der gnädige Gott, daß es von der Hauptprobe an biß zu End des Carnevals alles glü%lic abgeloffen;51

Aus diesem Berict geht einerseits hervor, daß Pisendel sic gewöhnlic vor der Aufführung einer Oper mit dem Komponisten „etwas ausführlicer“ abredete und die Orcesterstimmen sowie das Tempo der einzelnen Arien mit ihm abstimmte. Andererseits gibt Pisendel hier ein Beispiel dafür, daß er bei Abwesenheit des Kapellmeisters ausnahmsweise auc die Leitung des Bühnengescehens übernehmen konnte und mußte. Dies ist besonders bemerkenswert, weil der zweite Cembalist, der Opernkomponist Giovanni Alberto Ristori, erst zwei Jahre vor diesem Ereignis zum Vize-Kapellmeister ernannt worden war und in dieser Funktion eigentlic die stellvertretende Leitung von Hasses Oper hätte übernehmen müssen. Möglicerweise gehörte der seczigjährige Ristori jedoc zu denjenigen Kapellmusikern, die „Alters wegen kran%“ waren, wenn er nict sogar mit jenem „scläfrigen und unsculdigen Haberect“ gemeint ist, den Pisendel als Dirigenten der Oper sicer nict für geeignet hielt. Diese Zusammenarbeit in der Direktion der Vokalmusik zwiscen Hasse und Pisendel, die in der Literatur immer wieder bescrieben wird, wurde offenbar als sehr zwe%49

Offenbar wurde diese Arbeit nur in wenigen Ausnahmefällen, etwa bei dem unter starkem Zeitdru% fertiggestellten Requiem Zelenkas für August den Starken ZWV 46, vom Komponisten übernommen. Dagegen wird sie von Quantz 1752, 273, zu den Aufgaben des Komponisten gezählt. 50 Vgl. unten, Abscnitt IV, 3. „Dirigieren der Orcestermusiker“ 51 Telemann Briefwecsel 1972, 361.

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mäßig und fructbar angesehen. Nac dem Tod von Pisendels Nacfolger Cattaneo 1758 bestand Hasse nämlic nac Auskunft des Grafen Brühl vom 6.1.1759 darauf, daß auc der künftige Konzertmeister zu einer eigenverantwortlicen Direktion innerhalb seines Verantwortungsbereics fähig sei: […] le premier [der an erster Stelle vorgesclagene Geiger Lehneis] etoit $ertainement un

ex$ellent Violon, mais que S.M. ne S$avoit pas, S’il n’etoit pas trop timide pour diriger tout un Orcestre Com[m]e le Maitre de Chapelle etoit le plus interessé d’être se$ondé par le Maitre de $on$ert, je devois lui e$rire l’idée de Vôtre Altesse Roÿale.52

Aus diesen Quellen läßt sic entnehmen, daß sic die Zusammenarbeit im Sinne der sogenannten Doppeldirektion spätestens um die Jahrhundertmitte zu einer unverzictbaren Notwendigkeit entwi%elt hatte. Allerdings gibt es keine Hinweise, daß diese Zusammenarbeit bereits zu Beginn von Pisendels Tätigkeit als Konzertmeister in Form von Amtspflicten festgescrieben war. Wahrsceinlic erwies sic die Doppeldirektion infolge der intensiven Orcesterarbeit und im Rahmen der besonderen Verhältnisse am Dresdner Hof als sehr zwe%mäßig. Dennoc wurde die Doppeldirektion nict plötzlic erfunden, denn bereits die Dresdner Bestallung Strun%s bestimmt, daß dieser „wenn der Capellmeister selbst gegenwärtig bey der Taffel, ingleicen bey Comedien, Operen und wo es sonsten nöthig mit Instrumental-Sacen aufzuwartten“ habe. Diese Formulierung bezieht sic nict etwa auf Strun%s Tätigkeit als ausübender Instrumentalmusiker, die im folgenden Absatz geregelt wird, sondern auf das Aufführen von Instrumentalmusik. Dabei kann die Bestimmung, daß Strun% sic bei gleiczeitiger Anwesenheit des Kapellmeisters auf die Instrumentalmusik zu bescränken hat, als eine Vorstufe für die Praxis der Doppeldirektion verstanden werden. Auc die Klausel in Kriegers Bestallung, daß er sic bei Anwesenheit des Kapellmeisters, wenn die musikaliscen Aufgaben nict von Fürsten selbst verordnet wurden, „mit gedactem Capellmeister […] darüber zu vernehmen“ habe, weist auf die üblice einvernehmlice Direktion hin, die immer dann gefordert wird, wenn die Leiter zweier untersciedlicer Musikbereice zusammenarbeiten mußten.

$) Bereitstellen des Klangkörpers: Instrumentenaufsict und Orcesterdisziplin Die Eintragungen Pisendels in vokales und instrumentales Aufführungsmaterial sind nict nur Merkmal für die bescriebenen Direktionsaufgaben, sondern ermöglicen auc einen Einbli% in die Arbeitsweise Pisendels bei der Vorbereitung der Proben und Aufführungen und lassen Rü%sclüsse auf die Orcesterdisziplin und damit auf die besonderen Eigenarten des Dresdner Orcesterstils unter Pisendel zu. Diese Tätigkeit gehört zu den eigentlicen Aufgaben des Konzertmeisters. In der Bestallung werden sie naturgemäß nict in allen Einzelheiten aufgeführt, denn dort ist vor allem die Stellung des Konzertmeisters in der Hierarcie des Hofes und im Gefüge der Hofkapelle festgescrieben. In dem Dekret für Woulmyer vom 8.10.1720 ist zum Beispiel nur allgemein davon die Rede, daß er sic „seiner Verrictungen […] nac wie vor, behörig unterziehen“ solle, und in zeitgenössiscen Bestallungsdoku52 D-Dla, Hausarciv Friedric Christian, Naclässe Nr. 70 F, Briefe des Minister von Brühl (ohne Paginierung).

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menten endet die Liste der Amtspflicten regelmäßig mit der Formel, der Amtsinhaber solle „alles dasjenige thun, und leisten, was einen getreüen [Amtsbezeicnung] und diener gegen seinen Churfürsten und Herrn eignet und gebühret“.53 Das Einführen und Überwacen einer einheitlicen Spielweise im Orcester gehörte also zu den eigentlicen Amtspflicten eines Konzertmeisters und ist durc die Aussagen von Quantz auc scon für Pisendels Amtsvorgänger Woulmyer verbürgt, der die „französisce egale Art des Vortrags“ in Dresden eingeführt hatte. Allerdings betonen die Zeitgenossen immer wieder, daß Pisendel gerade in seiner Tätigkeit als leidenscaftlicer Orcestererzieher auf die folgenden Generationen fortwirkte und hierin Mustergültiges geleistet hat. Daher sollen die eigentlicen Amtspflicten Pisendels, zu denen die Arbeit als Orcestererzieher gehört, in den folgenden Kapiteln besonders ausführlic untersuct werden. Die Aufsict über die Instrumentenkammer, die nac den Angaben Fürstenaus im 17. Jahrhundert von dem jeweiligen Vize-Kapellmeister in Dresden übernommen wurde,54 gehörte nac dem Erlöscen dieses Hoftitels offenbar ebenfalls zu den Amtspflicten des Konzertmeisters. Obwohl diese Aufgabe nict in den Bestallungsdokumenten aufgezählt ist, war Pisendel nacweislic für die Neuanscaffung von Orcesterinstrumenten und wahrsceinlic auc für deren Verwaltung verantwortlic. Nacdem nämlic einige Orcesterinstrumente der Hofkapelle beim Brand des hölzernen Theaters im Zwinger am 29.1.1748 zerstört worden waren, wurden Pisendel 315 Taler und 16 Groscen erstattet, die er „zu Wiederanscaffung neuer Instrumenta, anstatt derer so wohl Königl. als denen Königl. Musi$is“ ausgegeben hatte.55 Auc sein Amtsvorgänger Woulmyer hatte sic, wie erwähnt, bereits 1715 persönlic um die Anscaffung von zwölf neuen Violinen aus der Werkstatt Antonio Stradivaris gekümmert. Für die Wartung und Reparatur der Instrumente stand beiden Konzertmeistern ein Instrumenteninspektor zur Verfügung.56

d) Vertreten des Kapellmeisters in Personalanglegenheiten Wie Woulmyer erhielt auc Pisendel das bemerkenswert hohe Jahresgehalt von 1200 Talern, das demjenigen der Kapellmeister Scmidt und Heinicen entsprac, während die Kircen-Compositeurs später deutlic geringere Gehälter bezogen.57 Dabei entsprict das Konzertmeistergehalt dem hohen Rang, den der Konzertmeister als Direktor der Instrumentalmusik auc gegenüber den Kircen-Compositeurs einnahm. Bereits in der Bestallung Strun%s wurde bestimmt, daß diesem in der Ausübung seines Direktionsamtes alle Kapellbediente untergeben sein sollten: „Damit aber in 53

Zitiert nac der Bestallung Albri$is aus dem Jahr 1656, die für die Höfe von Weißenfels und Scwarzburg-Rudolstadt (bis 1739) als Muster diente. 54 Vgl. Fürstenau 1861, 169f. 55 Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 75 und die Abbildung des Dokuments in Treuheit 1987, 73. 56 Der $a. 1669 in Nürnberg geborene Georg Augustin Kümmelmann hat seinen Dienst als Instrumenteninspektor in Dresden nac eigenen Angaben bereits 1693 angetreten und war laut HStCal bis 1743 tätig. Sein Nacfolger wird nac zweijähriger Vakanz des Amtes der Kontrabassist und Pisendel-Vertraute Georg Friedric Kästner, vgl. HStCal 1747. 57 Zu Zelenkas Besoldung vgl. Siegele 1997. Im Jahr 1734 wird Zelenka allerdings im Diarium missionis, offenbar irrtümlic, als Vize-Kapellmeister (30.1.1734) und später sogar als Kapellmeister (4.11.1734) bezeicnet.

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der obgedacten Bestellung und Dire$tion der Musi$ oder sonsten er nict verhindert und ihm mit Widersetzlickeit oder in andere Wege keine Hindernüs von denen zu Unser Capelle gehörigen Bedienten gemacet werden, Sollen Sie alle, […] Ambtswegen an den Vi$e-Capell-Meister verwiesen seyn […].“ Der hohe Status und die Direktionsaufgaben Pisendels lassen erkennen, daß auc seine Bestallung eine ähnlice Bestimmung enthalten haben muß, und tatsäclic wird die Zeremonie vom 11.12.1731, in der Pisendel als neuer Konzertmeister über den Rang seiner Kollegen erhoben wird, in den Akten des Dresdner Oberhofmarscallamtes vermerkt: den 11. eod: Wurden Vormittags umb 10. Uhr die sämtl. Capell Musi$i dem neuen Con$ertMeister Pisendel im Oberhoffmarscall Amte, durc den Hl. OberKücmeister Baron von Seyffertiz vorgestellet.58

Wahrsceinlic wurden die Musiker bei dieser Gelegenheit „zu gebührenden respe$t und gehorsamb angemahnet“ und haben „solces auc mit einem Handstreice angelobet“, wie es im Protokoll einer ähnlicen Zeremonie am Wiener Hof heißt.59 Jedenfalls mußten sie in dieser Zeremonie die Autorität und die dienstlicen Kompetenzen des Konzertmeisters anerkennen. Aufgrund einer Gruppe von bislang nict ausgewerteten Quellen läßt sic feststellen, daß Pisendel während der häufigen Abwesenheit Hasses diejenigen Aufgaben des Kapellmeisters zu übernehmen hatte, die, modern ausgedrü%t, die Personalangelegenheiten der Hofkapelle betrafen. Drei Briefe des Dire$teur des plaisirs aus dem Jahr 1744 belegen, daß Pisendel bei der Neubesetzung von Orcesterpositionen ein Mitspracerect besaß. Dieses Rect ist auc für Pisendels Vorgänger Woulmyer anzunehmen, denn Pisendel selbst war auf dessen Empfehlung nac Dresden berufen worden. In den erhaltenen Briefen leitet der Dire$teur des plaisirs Baron Heinric August von Breitenbauc Pisendels Anliegen an den König weiter. Dabei scildert Pisendel zunäcst seine Scwierigkeiten bei der Besetzung des Oboistendienstes und empfiehlt in einem späteren Screiben einen Musiker der Hubertusburger Hautboisten-Bande als Nacfolger für den Oboisten Martin Seyffert, der auc tatsäclic eingestellt wird:60 […] Pisendel m’a fait de tres fortes instan$es pour vous supplier, Monsieur, de vouloir faire re$evoir a l’orcestre […] un nommé Wobst, qui a servi huit ans dans le regiment

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D-Dla, OHMA G Nr. 32, Divertissements in Dresden 1731 und Journal So auf solces Jahr gehalten worden, fol. 53v. Vgl. Pisendel-Dokument Nr. 45 vom 11.12.1731. Diese Zeremonie wurde ausführlic protokolliert, denn die Vereidigung der Hofmusiker auf den neuen Kaiserlicen Hofkapellmeister Johann Heinric Scmelzer fand nict in Wien, sondern in Prag statt (zitiert nac Knaus III, 129): Extra$t Hoff Broto$ols In Jahr 1679. Den 14 xbris auf absterben Des gewesten Kayl:Capellmaisters Feli$e San$es ist hanß Heinric Scmölzer |: der ezlice Jahr scon die vi$es vertretten :| von Ihr Kayl:Mayt: Gnedigst widerumb aufgenommen, und den 13. Dis von herrn Obr: Hoffmaister Zum juramento gelasßen worden. Welcem nac durc den instrument Diener denen sambtlicen Musi$is angesagt worden, Donnerstags morgen umb 9. Uhr in des obr: Hoffmaister Hr: Graffen V. Lambers seinem Quartier Zuersceinen, wohselbsten Sn:Ex: obgedacten Smeltzer zu einem Capellmaister vorgestellet. die Musi$os zu gebührenden respe$t und gehorsamb angemahnet, wie sie dan solces auc mit einem Handstreice angelobet. 60 Im HStCAl 1746, 17, der am 29.9.1745 erscien, ist „Christian Wopst“ erstmals unter den Hautboisten aufgeführt. 59

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de Cailx[?] et six dans la $ompagnie ed Hubertusbourg, ou il se trouve en$ore. […] Mr. Hass l’avoit entendu et desiré a l’orcestre a la penultieme va$an$e et Besozzi le lui avoit re$ommandé pour son ton et pour être fort dans la musique, de sorte que pour se$ond Hautbois on n’en trouveroit peut être gueres de meilleur.61

Nac Lage der untersucten Bestallungsdokumente kommt ein Vorsclagsrect in Personalfragen nur dem Kapellmeister und seinem Stellvertreter zu. Allerdings war Hasse im fraglicen Zeitraum nict in Dresden anwesend, so daß Pisendel in diesem Fall offenbar als Stellvertreter des Kapellmeisters fungierte. Bereits Krieger sollte als „Vi$e-Capellmeister […] dahin bedact seyn daß Unsere Capelle mit tauglicen Subje$tis versehen werden könne […], auc dannenhero, wann er einen Vorsclag deßhalber zu thun weis, solcen mit Unserm Capellmeister daraus $ommuni$iren“. Wie aus dem Zitat zu erkennen, war der Oboist Christian Wobst bereits bei einer früheren Gelegenheit von Hasse und dem italieniscen Oboisten Antonio Besozzi begutactet worden, hatte die Stelle jedoc nict erhalten. Wie in dem folgenden Spezialkapitel gezeigt werden wird, steht das Vorsclagsrect auc mit der Ausbildung geeigneter Kandidaten im Zusammenhang.62 Ein bislang unbekanntes autographes Scriftstü% Pisendels zeigt, daß dieser auc befugt war, den übrigen Kapellmusikern Urlaub zu gewähren. Aufgrund des folgenden Attests nämlic erhielt der Hornist Johann Georg Knectel vom Oberhofmarscallamt einen Paß für die von ihm geplante Reise nac Prag: Daß Herr Johan[n] Georg Knectel, Königl.r Cam[m]er Musi$us allhier, seiner Verrictung wegen nac Braag zureißen, auf 4 Wocen permission erhalten habe hiermit attestiren sollen. Johan[n] Georg Pisendel. Dreßden am 5.ten Januar: 173963

Die Aufsict über die Anwesenheit der Kapellmusiker und die Bewilligung von Urlaub für besondere Anlässe gehört eigentlic zu den Amtspflicten des Kapellmeisters, wie bereits in der Bestallung Albri$is vorgegeben: „Auc soll er denen Musi$is keinesweges zugeben […] ohne sein Vorwissen und genugsame erheblice Uhrsacen und Ehehafften Zuverreysen, oder durc außenbleiben die Kircen- und Taffeldienste und fürhabendes probiren zu verseümen.“ Anhand des Datums von Pisendels Attest läßt sic jedoc feststellen, daß der Kapellmeister Hasse sic zu diesem Zeitpunkt in Venedig aufhielt und seine Amtspflict aus diesem Grund nict selbst wahrnehmen konnte. Auc hier fungiert Pisendel als Stellvertreter des Kapellmeisters. Ein weiteres, bislang unbekanntes Scriftstü% von der Hand Pisendels enthält eine undatierte Liste mit siebzehn Namen von Musikern, die zu einem „Divertissement“ in das Jagdscloß Hubertusburg beordert wurden.64 Aus der Zusammenstellung der Musikernamen geht hervor, daß es sic dabei um die Aufführung der „Azione s$eni$a per musi$a“ Arianna von Pallavi$ini und Ristori handelte, die zum Geburtstag

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D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, fol. 82f, vgl. Pisendel-Dokument Nr. 73 vom 9.10.1744. Vgl. unten, Abscnitt IV, 2. „Einteilen und Aufstellen der Orcestermusiker“. 63 D-Dla, OHMA I, Nr. 74, Ausgefertigte Päße […], fol. 289, vgl. Pisendel-Dokument Nr. 62 vom 5.1. 1739. Für den freundlicen Hinweis, der zur Entde%ung dieses autographen Scriftstü%s führte, danke ic Frau Dr. Ulrike Kollmar. 64 Pisendel-Dokument Nr. 52 von September 1736. 62

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Augusts II. am 7. Oktober 1736 in Hubertusburg aufgeführt wurde.65 Pisendel stellte fest, daß „die Zum Divertissement nac Hubertsburg allergnädigst beorderte Personen, dar sie Hin- und Her-, jedesmal 2 Tage, also zusam[m]en 4 Tage unterwegs zubringen müßen“ und daher je vier Taler Kostgeld erhalten sollten. Offensictlic fällt auc diese Reise unter die Zuständigkeit des Kapellmeisters bei der Auswahl und Freistellung der Kapellmusiker, die Pisendel hier in Vertretung für Hasse wahrnahm. Ein sic über Jahre hinziehender Streit unter den Dresdner Musikern entstand durc die Reduzierung des Hofkircenensembles im Jahr 1733, denn die Kapellmusiker und Sänger waren dadurc zur Mitwirkung im katholiscen Hofgottesdienst verpflictet und versucten, ihre Zuständigkeit auf eine Mindestzahl von Kircenfesten zu bescränken.66 Die im Diarium missionis belegten, gegenseitigen Einladungen des Kapellmeisters Hasse und der Jesuitenpatres im Jahr 1734 und besonders 1737 sind daher als Verständigungsgespräce über die solenne Kircenmusik gedeutet worden.67 In diesem Zusammenhang ist auc die gemeinsame Einladung Pisendels und Zelenkas bei den Jesuitenpatres am 27.12.1736 zu verstehen: „Pransi apud nos D.[ominus] Zelenka, et D. Bishendel.“68 Daß es bei diesem Arbeitsessen konkret um die Weigerung der italieniscen Sänger und königlicen Trompeter ging, am Silvestergottesdienst mitzuwirken, belegt der Eintrag vier Tage später. Am 31.12. nämlic wurde dieser Fall vor den Obersten Kämmerer des Königs, Graf Sulkowski, sowie vor den Oberhofmarscall und den Dire$teur des plaisirs gebract, mit dem Erfolg, daß die Musiker einlenkten und das Te deum am selben Tag unter Beteiligung der Sänger mit Pauken und Trompeten aufgeführt werden konnte.69 Auc in diesem Fall hatte Pisendel eine typisce Kapellmeisterpflict vertretungsweise übernommen, denn Hasse kam erst Ende Januar wieder nac Dresden zurü%. In den Bestallungsdokumenten für Kapellmeister wird diese Amtspflict wie folgt formuliert: „Und da sic über Verhoffen zwiscen denen Musi$is ein Mißverstand oder Zan% ereügnen solte, hat er solces nac seinem besten vermögen beyzulegen, oder aber, da es nict verfangen wolte, Unserm Oberhoff-Marscall solces fürzubringen und seiner de$ision zu untergeben“. Entsprecend der Formulierung in der Bestallung Kriegers sind diese Stellvertreterpflicten in der Formel zusammengefaßt, daß „hiermit und in Krafft dieses alle unsere Musi$i necst unserm CapellMeister auc an ihn mit gewiesen werden“. Da der Kapellmeister Hasse nac Auskunft der oben wiedergegebenen Tabelle nur sehr unregelmäßig in Dresden anwesend war,70 ist unscwer nacvollziehbar, daß Pisendel zumindest in der Zeit bis etwa 1740 die Hauptlast bei der Durcsetzung der Kapelldisziplin trug. Wie anhand der vorgestellten Dokumente gezeigt werden konnte, gehörte es zu den Aufgaben des Kapellmeisters, die Pisendel während dessen Abwesenheit übernehmen mußte, Streit unter den Musikern zu sclicten und Urlaub 65 Vgl. Fürstenau 1862, 218. Die Liste ist nict identisc mit einer Reiseliste und dem Kutscenverzeicnis des Oberhofmarscallamtes aus der gleicen Zeit, deren Angaben zu Name und Anzahl der mitreisenden Musiker abweicen, vgl. Pisendel-Dokumente Nr. 53 und 54 von September 1736 beziehungsweise vom 4.10.1736. 66 Vgl. Reic 1997, 53. 67 Vgl. Poppe Manuskript Hasse-Symposium 1999, [13] Anm. 38. 68 Vgl. Diarium missionis, 371, vgl. Pisendel-Dokument Nr. 58 vom 27.12.1736. 69 Diarium missionis, 371. Zu einem ähnlicen Fall am 25.4.1735 vgl. auc Reic 1997, 57, Anm. 22. 70 Vgl. oben, Abscnitt II, 6. „Die zentrale Stellung als Konzertmeister im höfiscen Musikbetrieb“.

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für Reisen und Gastspiele zu gewähren. In den standardisierten Bestallungsbriefen der Hofmusiker werden diese Aufgaben aus umgekehrter Sict, als Teil der Dienstpflicten der Untergebenen, bereits formuliert. Die Musiker wurden nämlic zu Pünktlickeit bei Aufführungen und Proben, Gehorsam gegen die Dienstanweisungen der Vorgesetzten, zu friedlicer Zusammenarbeit mit den Kollegen und zum Beantragen von Gastspielen und Reisen verpflictet, wie aus der Bestallung des Weißenfelser Kammermusikers Otto Gotthard Verbion vom 11.7.1709 hervorgeht. Auc dieses Dokument beginnt mit der üblicen Treueformel und zählt dann die typiscen Dienstpflicten eines Kammermusikers auf, über deren Einhaltung der Kapellmeister und sein Stellvertreter zu wacen hatten:  

 

   

[…] Insonderheit aber sculdig seyn soll, mit denenjenigen instrumentis, denen er kun-

dig, bey denen Musi$aliscen Auffwarttungen, so wohl in der Kircen als bey der Taffel ingleicen bey denen Theatraliscen Vorstellungen, wie und wo Wir es verordnen werden, sic fleißig einzufinden und in Zeiten darbey zu ersceinen, die Proben niemals zu versäumen, noc durc langsam kommen auffzuhalten, und sic nac alle dem, was Unser Capellmeister, oder in deßen Abwesenheit der Vi$e-CapellMeister, an welce er hiermit Krafft dies verwiesen wird, ihm zu verricten auffgeben, unweigerlic zu acten, mit andern Unsern Musi$is friedlic zu leben, ohne Unser Erlaubnüs bey Banqueten, Hoczeiten, und oder Kindtauffen nict auffzuwartten, vielweniger ohne Unseren und Unsers Capell- und Vi$e-CapellMeisters Vorbewußt und genugsam erheblice Ursacen und Ehehafften zu verreisen und in summa alles dasjenige zu thun, was einem getreuen Cammer Musi$o und Diener gegen seinen Fürsten und Herrn eignet und gebühret.71

Die musikaliscen Quellen und arcivaliscen Dokumente zu Pisendels Wirken als Konzertmeister führen also zu dem in seiner Tragweite überrascenden Scluß, daß Pisendel innerhalb der Dresdner Hofkapelle die zweite Position nac Hasse, aber noc vor den Kircen-Compositeurs, bekleidete. Dabei sceinen die tatsäclicen Amtspflicten Pisendels die oben zitierten Bestallungsformeln der Vize-Kapellmeister Strun% in Dresden und Krieger in Weißenfels zu kombinieren. Da das Amt eines Vize-Kapellmeisters allein aufgrund seiner historiscen Entwi%lung am Dresdner Hof starke Ähnlickeiten mit dem („deutscen“) Konzertmeisteramt hatte und als Titel ab 1697 sogar aus der Kapellhierarcie verscwand,72 kann die Kombination von typiscen Vize-Kapellmeister- und Konzertmeisterpflicten im Amt des Dresdner Konzertmeisters als eine folgerictige Entwi%lung verstanden werden, die in Einzelheiten bereits bei Pisendels Vorgänger Woulmyer erkennbar ist.73 Die Floskelhaftigkeit der Bestallungsdekrete deutet darauf hin, daß die juristiscen Formulierungen auc noc für die Bestallung Pisendels Gültigkeit hatten und mit den oben zitierten Dokumenten weitgehend übereinstimmten, so daß sogar der Versuc unternommen werden könnte, den Wortlaut von Pisendels Bestallung zu rekonstruieren. Anstelle einer solcen Rekonstruktion werden die soeben bescriebe71

D-Dla, Lo$. 11778/III, [Weißenfelser] Bestallungen Anno 1680-1714, fol. 48ff. Die einzige Ausnahme bildet die Ernennung Ristoris zum Vize-Kapellmeister zwiscen 1753 und 1756. 73 Bereits aus den wenigen Dokumenten zu Woulmyers Tätigkeit in Dresden läßt sic ablesen, daß er in seinem Amt als Konzertmeister wesentlic umfassendere Befugnisse besaß als der Vize-Kapellmeister Strun% im Jahr 1688. 72

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nen Amtspflicten Pisendels in der folgenden Übersict sticwortartig zusammengestellt und inhaltlic geordnet: T ABELLE 8: Pisendels Aufgaben als Konzertmeister Der Konzertmeister in Dresden untersteht nur dem Kapellmeister bei künstleriscer Zusammenarbeit: - ist Vorgesetzter für alle Kapellbedienten (nict Sänger, Kircen-Compositeurs und Comoedianten) ist selbständiger Leiter der Instrumentalmusik in Kammer und Kirce: - stellt eigene und fremde Kompositionen bereit (mit Hilfe seiner Notisten) - führt Aufsict über die Orcesterinstrumente (mit Hilfe des Instrumenteninspektors) - sorgt für einen einheitlicen Orcesterstil („Orcesterdisziplin“) - ordnet die Proben an (mit Hilfe des Kapelldieners) - dirigiert die Proben und Aufführungen ist bei Anwesenheit des Kapellmeisters (in Kirce und Theater) für den Orcesterpart verantwortlic: - sorgt auc hier für einen einheitlicen Orcesterstil (in Absprace mit dem Kapellmeister) vertritt den Kapellmeister bei dessen Abwesenheit: - beaufsictigt die Anwesenheit der Musiker (auc bei Reisen und Auftritten außerhalb des Hofs) - sclictet in erster Instanz Streit unter den Musikern - sorgt für die Anstellung geeigneter Musiker - leitet Opernproben bis hin zur Generalprobe

Aus dieser Übersict wird erkennbar, daß Pisendel auc dann für die Arbeit der Instrumentalmusiker im Einzelnen zuständig bleibt, wenn er mit dem Kapellmeister oder einem Kircen-Compositeur zusammenarbeitet und sic dabei mit ihnen abzustimmen hat. Bei Abwesenheit des Kapellmeisters vertritt er ihn möglicerweise nur in denjenigen Amtsbereicen, die die Instrumentalmusiker betreffen.74 Zwiscen dem Konzertmeister und dem Kircen-Compositeur ist kein direktes Abhängigkeitsverhältnis erkennbar. Obwohl ersterer einen deutlic höheren Status besitzt, haben sie sic einvernehmlic den gemeinsamen Aufgaben in der Kircenmusik zu widmen.75 Der höhere Status des Konzertmeisters, der sic auc in der Besoldung widerspiegelt, mag daher rühren, daß die ihm untergebene Instrumentalmusik an allen musikaliscen Aufführungen des Hofes beteiligt war und anders als die groß besetzte Kircenmusik bis in die private Kammer und damit in den engsten Kreis des Hocadels reicte. Auc wenn die Amtspflicten Pisendels als eine Kombination der Pflicten Strun%s und Kriegers bescrieben werden können, enthalten die zitierten Dokumente doc 74

Die italieniscen Sänger waren bei Abwesenheit Hasses wahrsceinlic dem Dire$teur des plaisirs direkt unterstellt. 75 An diesem Punkt hinkt der von Reic gebraucte Vergleic der „höfiscen Musikerscaft insgesamt“ mit einer „quasi militäriscen Organisationstruktur“, bestehend aus „spezialisierten Einheiten, die unter jeweils eigenem Kommando weitgehend selbständig operieren konnten“ (vgl. Reic 1997, 53), denn an Pisendel, dem Vorgesetzten und Diensteinteiler der Orcestermusiker, kam niemand vorbei, der diese Musiker in der Kirce oder im Theater einsetzen wollte.

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mance Bestimmung, deren Gültigkeit für Pisendel aus Mangel an Quellen nict zu entsceiden ist. Offen bleibt beispielsweise, ob die für Strun% formulierte Meldepflict bei Reisen aus der Residenz auc in Pisendels Bestallungsdokument enthalten war und ob von dem Konzertmeister erwartet wurde, daß er auc selbst regelmäßig als Instrumentalsolist auftrat. Ebenso läß sic nict bestimmen, ob nac Pisendels Beförderung ein anderer Violinist, etwa Cattaneo, die Aufgaben eines Premier Violon übernahm und wie diese aussahen. Scließlic ist trotz jahrelanger Bemühungen der Facleute noc nict widersprucslos geklärt, welce Personen sic hinter den in Pisendels Notenbibliothek häufig vertretenen Notistenscriften des Screibers A und D verbergen und vor allem, ob und unter welcen Umständen neben dem Kapellmeister auc der Konzertmeister über die vom Hof besoldeten Notisten verfügen konnte. Eine weitere, wictige Frage ist wahrsceinlic noc scwieriger zu beantworten. Sie bezieht sic auf denjenigen Teil der Dresdner Kircenmusik aus Pisendels Zeit, zu dem jedes dokumentarisce Material verloren zu sein sceint – die Kircenmusik der protestantiscen Hofgottesdienste.76 Obwohl Johann Sebastian Bac den Titel eines Dresdner Kircen-Compositeurs trug, sein Sohn Wilhelm Friedemann als städtiscer Organist an der als Hofkirce genutzten Sophienkirce tätig war und die Bac-Forscung bereits sehr früh mit der Erscließung arcivaliscer Dokumente begonnen hat, ist nict einmal bekannt, ob es während Pisendels Amtszeit zwiscen 1712 und 1755 überhaupt Aufführungen von vokal-instrumentaler Figuralmusik im protestantiscen Hofgottesdienst gegeben hat.77 Dies ganz bestreiten zu wollen, wäre vor dem historiscen Hintergrund wohl unrealistisc.

76

Vgl. auc Landmann 1989, 24. Zur Quellensituation vgl. Reic 2001, 57f. Dieses Manuskript wurde mir vom Herausgeber des Kongressbericts, Herrn Prof. Dr. Hans-Günter Ottenberg, freundlicerweise vorab zur Verfügung gestellt. 77

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3. D IREKTIONSAUFGABEN IN DER ZEITGENÖSSISCHEN L ITERATUR Wie das vorhergehende Kapitel zeigte, wurden in den Bestallungen nict alle Amtspflicten eines Konzertmeisters ausdrü%lic vorgescrieben. Solce Dokumente formulieren lediglic das erwartete Ergebnis der jeweiligen Amtstätigkeit, hier die Aufführung von Musik in einem bestimmten, von den Direktionsaufgaben der Kollegen abzugrenzenden Amtsbereic. Sie enthalten jedoc keine Angaben darüber, wie dieses Ergebnis erzielt werden soll. Mit Hilfe weiterer Quellen und Dokumente konnten einige Amtspflicten Pisendels und seines Vorgängers konkretisiert werden, während andere Tätigkeiten, die vor dem Hintergrund der Bestallungsdokumente hätten erwartet werden können (etwa die Mitwirkung im protestantiscen Hofgottesdienst), nict nacweisbar waren. Diese Amtspflicten des Konzertmeisters lassen sic in drei Kategorien einteilen: 1. die Aufgaben Pisendels im Bezug auf das Orcester, die oben als das Bereitstellen des Klangkörpers bescrieben wurden. Sie umfassen die Verantwortung für einen einheitlicen Orcesterstil, also die bei allen Musikern übereinstimmende Art zu spielen und zu artikulieren, sowie die Aufsict über die Dienstinstrumente der Orcestermusiker. Diese Amtspflicten des Konzertmeisters bleiben auc bei der Zusammenarbeit mit dem ranghöheren Kapellmeister bestehen. 2. die Aufgaben Pisendels im Bezug auf seinen Repertoirebereic, die der Konzertmeister als Leiter der Instrumentalmusik mit den Leitern der übrigen Amtsbereice Vokal- und Kircenmusik, also dem Kapellmeister und den Kircen-Compositeurs, gemeinsam hat. Die zentrale Aufgabe besteht im „Bestellen und Dirigieren der Musik“, das auc die Proben und deren Vorbereitung mit einscließt. Voraussetzung dafür ist der in den Bestallungsdokumenten genannte Vorrat an eigenen und fremden Kompositionen. Diese Bestallungsvorscrift findet ihre Entsprecung in der erhaltenen Notenbibliothek Pisendels, die wegen ihres Umfangs und ihres bedeutenden Inhalts in der Literatur große Beactung gefunden hat. 3. die Aufgaben Pisendels im Bezug auf Personalangelegenheiten, zu denen die Aufsict über die Anwesenheit, die Eignung und die „friedlice“ Zusammenarbeit der Orcestermusiker untereinander gehört. Diese Amtpflicten, die sic auf erstmals ausgewertete Arcivalien stützen, konnten erst aufgrund der untersucten Bestallungsdokumente als typisce Kapellmeisterpflicten erkannt werden, die Pisendel in Vertretung für den häufig abwesenden Hasse wahrnahm. Dadurc muß der Einfluß Pisendels auf die Personalangelegenheiten der Hofkapelle neu eingescätzt werden. Keiner der hier bescriebenen Aufgabenbereice eines Konzertmeisters wurde bisher eingehend untersuct. Die bekannten Quellen wurden in der Regel als ‚Einzelfälle‘ betractet und nict auf Pisendels Amtspflicten bezogen. Gegenstand der Forscung waren vor allem die Werkgruppen einzelner Komponisten (Pisendel, Telemann, Vivaldi, Heinicen, Fasc, Graun, usw.) oder die Faktur einzelner Werke. Die versciedenartigen Eintragungen Pisendels in dieses Material, seien es Verzierungsskizzen oder aufführungspraktisce Anweisungen für das Orcesterspiel, sind noc nict umfassend ausgewertet worden, und die vorliegende Arbeit kann dies wegen der Fülle des Materials auc nict leisten. Durc die Bescreibung der Amtspflic-

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ten Pisendels kann jedoc der Hintergrund, vor dem diese Einzelersceinungen zu interpretieren sind, beleuctet und besser verstanden werden. In dieser Hinsict werden die Voraussetzungen zur Untersucung einzelner Aspekte dieses Repertoires gescaffen.

Zur Leitung und Aufführung fremder Kompositionen vor Quantzens Versuc Im Jahr 1739 veröffentlict Mattheson auf den letzten fünf Seiten seiner Scrift Der Vollkommene Capellmeister eine Abhandlung über die Voraussetzungen und Aufgaben eines Musikdirektors mit dem Titel: „Von der Regierung, An- Auf- und Ausführung einer Musik“ und stellt fest, daß über dieses wictige Thema vor ihm „noc niemand etwas rectes […] gescrieben, oder auc nur auf eine solce Weise erinnert hat, daß man einen deutlicen Begriff de Dire$tione & Exe$utione haben könte.“1 Im Register zu seiner Scrift liefert Mattheson selbst eine Zusammenfassung der genannten Aufgaben, die sic von denen eines Komponisten deutlic untersceiden: Dire$tor der Musi$ - soll deutlic lesen und screiben - soll die ausgescriebenen Stimmen mit der Partitur zusammen halten - führet den Ta$t - soll gut singen können - soll das Clavier gründlic spielen - soll die Zahl und Wahl der Sänger, Instrumentalisten und Instrumente besorgen - Pflict vor Aufführung der Musi$ [Einstimmen der Instrumente, Probenarbeit] - in der Aufführung [Aufmerksamkeit, Gelassenheit, Entsclußkraft] - stellet und ordnet die Personen an - wie er sic bei einer Sau [grober Fehler im Zusammenspiel] zu verhalten - soll neben seiner auc anderer Arbeit aufführen

480 481 481 481 482 482 482 482 sq. 483 484 484 4842

Mattheson bescränkt sic in seinem Kapitel auf Hinweise, die für musikalisce Leiter aller Art, Kapellmeister, Kantoren, Stadtpfeifer und Ratsmusikanten, gleicermaßen Gültigkeit beansprucen. Er erwähnt zwar in diesem Zusammenhang das Ordnen einer Notenbibliothek und gibt Empfehlungen für eine rudimentäre Probenarbeit, seine Ausführungen zeugen jedoc davon, daß er in seinem Buc nict die musikalisce Arbeit eines Hofkapellmeisters, gescweige denn eines höfiscen Konzertmeisters, bescreiben, sondern vielmehr die Fähigkeiten und Kenntnisse der oben bescriebenen Zielgruppe verbessern will. Den Begriff des Konzertmeisters erwähnt er lediglic im Zusammenhang mit dem Einstimmen der Instrumente, das offenbar zu dessen Amtspflicten gehörte. „Der ehemalige Regente bey der Instrumental-Musik, oder Con$ertmeister zu Hannover, Signore Farinelli “ soll zunäcst seine eigene Geige eingestimmt haben, […] und zwar mit Bogenstricen, nict mit Fingerknippen; wenn das gescehen, stric

er sie dem ersten Violinisten, eine Saiten nac der andern, so lange vor, bis beide ganz rictig zusammenstimmeten. Hernac that der erste Violinist die Runde, bey einem 1

Mattheson 1739, 479f. Lediglic in wenigen Details bezieht er sic auf eine Scrift von Beer 1719. Mattheson 1739, 650 (im Reprint 1999 neue Paginierung des Registers). Zu den Eigenscaften eines Komponisten vgl. Mattheson 1739, 649. 2

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ieden insonderheit, und macte es eben so. Wenn nun einer fertig war, muste er seine Geige alsobald niederlegen, und sie so lange unberührt liegen lassen, bis alle andre, auf eben dieselbe Weise, gestimmet hatten; G, d’, a’, e’’ in der Ordnung.3

Bereits zwei Jahre vor Matthesons Veröffentlicung erwähnt Sceibe in seinem Critiscen Musikus (drittes Stü% vom 2.4.1737), der ebenfalls in Hamburg ersceint, die Pflicten eines „Componisten“ bei der „Aufführung eines musikaliscen Stü%es“.4 Im zwölften Stü% des selben Jahrgangs (am 6.8.1737) folgt dann eine ausführlice „Untersucung der Eigenscaften der praktiscen Musikanten“, wobei Sceibe den Ausdru% „Musikant“ im positiven Sinne versteht.5 Die in diesem Kapitel bescriebenen Fähigkeiten sollen einen praktiscen Musiker dazu befähigen, „dem Sinne des Componisten gemäß zu singen und zu spielen.“ Dabei setzt Sceibe jedoc voraus, daß der Musiker zuvor „Zeit und Gelegenheit“ hatte, den Sinn einer fremden Komposition zu erkennen und die Stü%e entsprecend vorzubereiten: Alle praktiscen Musikanten aber sollen überhaupt darauf sehen, dem Sinne des Componisten gemäß zu singen und zu spielen, und folglic alle Noten rein und deutlic auszudrü%en. Ic verlange deswegen gar nict, daß ein praktiscer Musikant alle Stü%e, die ihm vorgeleget werden, ohne sie weiter zu kennen, gleic weg singen oder spielen soll. […] Ic verlange vielmehr, daß er gesci%t seyn soll, diejenigen Stü%e, welce er durczugehen Zeit und Gelegenheit hat, rein, deutlic, ordentlic, und mit gehörigem Nacdru%e zu singen und zu spielen. Ic glaube ohnedieß, daß es nict ohne Wunderwerk gescehen kann, ein ganz unbekanntes und außerordentlic scweres Stü% mit völliger Scönheit, Ordnung und Nacdru% herauszubringen, wie es dem Sinne des Componisten gemäß ist, wie es die Eigenscaften der Screibart, und alle übrige dazu gehörige Umstände erfordern.6

Obwohl Sceibe die Scwierigkeiten betont, den Sinn einer fremden Komposition zu erkennen, ist es für einen „praktiscen Musikanten“ doc selbstverständlic, daß er Werke aufführt, die er nict selbst komponiert hat. Bei einem Musikdirektor, wie Mattheson ihn bescreibt, sceint dies umgekehrt zu sein, denn Mattheson mahnt in dem erwähnten Kapitel, „daß er ie zuweilen, was etwa sonst von berühmten Leuten scönes verfertiget worden, auc aufführe und zur Abwecslung hören lasse“.7 Über den Erfolg solcer Aufführungen äußert sic Mattheson am Scluß seines Buces jedoc skeptisc: „Denn, wer nie erfahren hat, wie es der Verfasser selber gerne haben mögte, wird es scwerlic gut heraus bringen, sondern dem Dinge die wahre Krafft und Anmuth offt dergestalt benehmen, daß der Autor, wenn ers selber mit anhören sollte, sein eigenes Wer% kaum kennen dürffte.“8 An diesem Punkt setzt offenbar der Widerspruc Sceibes an. Sceibe ist davon überzeugt, daß der musikalisce Sinn einer guten Komposition nac ausreicender 3

Mattheson 1739, 483. Gemeint ist der in Frankreic ausgebildete Violinist Jean-Baptist Farinelli. Vgl. Sceibe 1745, 36. 5 Da der Ausdru% „Musikant“ auc scon zu Sceibes Zeit einen negativen Beigescma% besaß, sah sic Sceibe genötigt, seine eigenwillige Wortwahl zu verteidigen (Sceibe 1745, 250): „[…] ic habe nict geglaubt, dießfalls einige Ansprüce zu bekommen, deswegen habe ic dieses Wort scon im Anfange dieser Blätter in seinem eigenen und guten Verstande genommen. Das dritte Stü% wird bereits darthun, daß ic unter dem Worte, Musikant, keinen Stümper verstehe, sondern vielmehr einen Mann, welcer die theoretiscen und praktiscen Theile der Musik aus dem Grunde kennet, und sie auc auszuüben weis.“ 6 Sceibe 1745, 120. 7 Mattheson 1739, 484. 8 Mattheson 1739, 484. 4

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Vorbereitung durc die Musiker und ihren Leiter durcaus erkannt und umgesetzt werden kann. Die dazu notwendigen Kenntnisse zu vermitteln, nämlic „wie man das wahre Wesen der Musik desto scärfer und genauer erkennen und einsehen, der Vernunft und dem guten Gescma%e aber zu ihrem Recte an dieser holden Wissenscaft verhelfen möge“,9 ist daher das erklärte Hauptanliegen des GottscedScülers Sceibe bei der Veröffentlicung seines Critiscen Musikus. Als Antwort auf Mattheson10 veröffentlict Sceibe also, ebenfalls auf den letzten Seiten seines Buces, ein eigenes Kapitel über „die Bescaffenheit eines guten Dire$tors der Musik“ (78. Stü% vom 23.3.1740). Dabei nimmt er den Ansatz Matthesons auf und untersceidet nun ausdrü%lic zwiscen den Aufgaben eines Komponisten und denen eines Musikdirektors.11 Dennoc verlangt Sceibe, daß auc der Musikdirektor eine „vollkommene Einsict in die musikalisce Setzkunst“ besitzen soll. Aus seinen Ausführungen, wie diese Einsict zu definieren sei, folgert Sceibe selbst, „daß ein gesci%ter Dire$tor eine pra$tisce Wissenscaft von der Musik besitzen soll, und daß ihm daran nicts weiter mangeln darf, als die Fertigkeit zu $omponiren.“12 Von den Eigenscaften eines Komponisten untersceiden sic diejenigen eines „Dire$tors“ also nur dadurc, daß letzterer seine umfassende theoretisce und praktisce Kenntnis der Musik nict dazu einsetzt, eigene Werke zu komponieren, sondern vielmehr, um „ein [fremdes] Stü% nac dem Sinne des Verfassers aufzuführen“, wie er es scon von den „praktiscen Musikanten“ gefordert hatte.13 Damit unterstreict Sceibe die hohen Anforderungen, die er an einen Musikdirektor als Ausführenden und Leiter dieser „Musikanten“ stellt.14 Diese Direktionsaufgaben kommen denen eines Konzertmeisters als Direktor der Instrumentalmusik scon rect nahe und sollen nict zuletzt wegen der Angaben zur Probenarbeit in der folgenden Übersict zusammengefaßt werden: Sceibe 1745 – Das 78. Stü% (23.3.1740): „Bescaffenheit eines guten Dire$tors einer Musik“ [Seite]

Ein Dire$tor - muß „eine vollkommene Einsict in die musikalisce Setzkunst haben“ - muß „eine praktisce Wissenscaft von der Musik besitzen“ - kann ein Tastenspieler, oder „erfahrner Virtuose auf der Geige, oder auc Sänger“ sein - ist imstande, „ein Stü% nac dem Sinne des Verfassers aufzuführen“ - muß „alle Sänger und Instrumentalisten […] auf das genaueste kennen“

711 712 712 712 712

9

Sceibe 1745, 259: „Des Verfassers Ursacen, die ihn bewogen haben, seine Blätter fortzusetzen“ (Das 27. Stü% vom 3.3.1739). 10

Unmittelbar nac deren Ersceinen setzt sic Sceibe in seinem Critiscen Musikus mit Matthesons neuer Scrift auseinander, beispielsweise im 30. und 40. Stü% vom 24.3.und 2.6.1739, vor allem, weil Mattheson ihm vorgeworfen hatte, lediglic eine „wohlausgearbeitete Copey seiner Originalgedanken“ darzustellen, vgl. Sceibe 1745, 281 und 371. 11 „Ic darf allhier nict besonders erinnern, daß ic unter einem Dire$tor einer Musik nict eben einen Componisten verstehe. Man wird dieses scon von selbst urtheilen: denn ein Componist, wenn er diesen Titel mit Rect verdienen will, muß ohnedieß alle Eigenscaften eines guten Dire$tors besitzen.“ Sceibe 1745, 711. 12 Sceibe 1745, 712. 13 Sceibe 1745, 712. 14 Einen Überbli% über die zeitgenössisce Literatur zur Bestimmung des Sinns einer Komposition, hier unter dem Sticwort der „Affektbestimmung in Vokalwerken und Instrumentalstü%en“, bietet bereits Scünemann 1913, 234ff.

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- „regelmäßige Prüfung derselben“ 712 712 - muß „den Ort, wo die Musik aufgeführet wird, wohl beacten“ 712ff - Aufstellung der Musiker, Besetzungsstärken, „Zug der Luft“, „Wiederscall“ - muß vor der Aufführung eines Stü%es Sorge tragen, „dasselbe zuvor wohl zu probieren“ 714 1. seine Pflicten „bey der Probe“ 714 - „Je mehrmal ein Stü% probiret wird, […] desto gewisser wird es die verlangte Wirkung 714 thun.“ 714 - „alle dazu gehörige Leute sollen sic dabey einfinden“ 714 - Aufstellung und Besetzung wie „bey der ordentlicen Aufführung“ 714 - deutlice Anweisung, „was die Scönheit des Stü%es befördern kann“ 714 - Fehler in den Stimmen und im Zusammenspiel „sofort verbessern“ - „auf die Deutlickeit [in der Sprace und der Dynamik] dringen“ 714f - „ausscweifende Manieren und Auszierungen der Hauptnoten“ unterbinden 715 - Anweisung an die Ripien-Violinisten, sic „allemal nac demjenigen ricten, der seiner 715 Gesci%lickeit wegen an der ersten Stelle steht“ - Anweisung an den ersten Geiger, sic in seinen „Auszierungen“ nac der Gesci%lickeit 715 der Ripienisten zu ricten - in den verzierten „Haupt$adenzen insonderheit auf die Deutlickeit und Harmonie“ 715 acten - „Taktarten aller Sätze in einer rictigen Ordnung angeben und deutlic macen“ 715 - muß „von dem ganzen Chore […] gesehen werden“ können 715 716 - soll seinen Chor an das Taktieren mit der Hand gewöhnen - muß „ein genugsames Ansehen besitzen“ und „Besceidenheit und Klugheit“ anwenden 716 - muß „seinen Anmerkungen […] tüctige Gründe beyfügen, damit er seine Musikanten nict 716 nur unterricten, sondern auc überzeugen“ möge 2. seine Pflicten bei der „ordentlicen Aufführung“ 716 717 - muß wiederholen, „was er bey den Proben erinnert und verbessert hat“ - Aufstellung der Musiker wie in den Proben 717 - muß „Vorsict und Fleiß anwenden, damit das Stü% deutlic, gesci%t und mit allem 717 gehörigen Nacdru%e aufgeführet werde“ - soll „das Taktsclagen, so viel möglic, […] vermeiden“ 716 - Verweis auf „Eigenscaften und Pflicten der praktiscen Musikanten“ [115ff] 717 717 - Verweis auf die Aufführung von „theatraliscen Stü%en“ [319ff] - „Alle Cantores und Organisten, die zugleic dazu bestellet sind, Musiken aufzuführen, 717 sollen aber sämmtlic diese Eigenscaften besitzen“

Während Mattheson noc davon ausging, daß der Musikdirektor in erster Linie Komponist ist und eigene Werke aufführt, gehört es für Sceibe zur täglicen Praxis „eines guten Dire$tors einer Musik“, den Sinn eines fremden Musikstü%s zu verstehen und in einer Aufführung umzusetzen. Aus diesem Grund gehen Sceibes Ausführungen über das Leiten einer Probe und einer Aufführung weit über die entsprecenden Hinweise bei Mattheson hinaus. Sceibes Hinweise zur Direktion in Proben und Aufführungen könnten im Hinbli% auf Pisendels Aufgaben als Direktor der Instrumentalmusik aufsclußreic sein, ebenso wie es zu den Aufgaben Pisendels gehörte, die von Sceibe bescriebenen „Eigenscaften der praktiscen Musikanten“ im Hinbli% auf das Orcesterspiel zu gewährleisten. Allerdings geht Sceibe nict auf Untersciede in der Direktion von Vokal- oder Instrumentalmusik ein, wie sie den versciedenen Amtsbereicen am Dresdner Hof entsprecen, denn ähnlic wie bei Mattheson ricten sic seine Ausführungen an Musikdirektoren außerhalb großer

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Fürstenhöfe sowie an „Cantores und Organisten, die zugleic dazu bestellet sind, Musiken aufzuführen“.15 Nur ein einziges Mal erwähnt Sceibe die Tätigkeit eines Konzertmeisters in seinem Critiscen Musikus, im seczigsten Stü% vom 20.10.1739, allerdings in einem anderen Zusammenhang. Dort dient der Konzertmeister als ein negatives Beispiel für einen Musiker, der sic nict „nac den Vorstellungen des Componisten, wenn sie vernünftig sind, gebührend bequemet“: Ic habe aber wohl eher einen Con$ertmeister gesehen, der, wenn er im vollen Chore spielte, und wenn sic die übrigen nac ihm ricten sollten, nicts, als eine läcerlice Veränderung der Sätze und der Melodien und andere abgescma%te kräuselnde Figuren hören ließ, daß sic auc kein einziger nac ihm ricten konnte.16

Aus diesen Bemerkungen ist immerhin zu entnehmen, daß ein Konzertmeister nac Sceibes Auffassung ein Musiker ist, der als Anführer eines „vollen Chores“ auftritt und als solcer mindestens die von Sceibe geforderten Eigenscaften der übrigen „praktiscen Musikanten“ besitzen soll. Zudem sceint sic Sceibe später, bei der Bescreibung der Aufgaben eines Direktors, wieder auf die Untugenden jenes ungenannten Konzertmeisters zu beziehen: [Der Dire$tor] muß aber auc darauf sehen, daß sic diejenigen Violinisten, die bey

einer jeden Stimme stehen, allemal nac demjenigen ricten, der seiner Gesci%lickeit wegen an der ersten Stelle steht. Die übrigen müssen also nict weniger und nict mehr Manieren, als dieser, anbringen. […] Sind sie auc nict alle gesci%t, dem ersten in allen[!] genau zu folgen: so muß dieser ganz und gar unterlassen, mit Auszierungen zu spielen. 17

Sceibe definiert den „Con$ertmeister“ also bereits als einen „Violinisten“, der „seiner Gesci%lickeit wegen an der ersten Stelle steht“ und für das einheitlice Ersceinungsbild seiner Stimmgruppe verantwortlic ist. Anläßlic dieses Zitats soll bereits darauf hingewiesen werden, daß die Orcestermusiker bei ausreicender „Gesci%lickeit“, das heißt bei entsprecender Kunsterfahrenheit, selbstverständlic die wesentlicen Manieren in ihrer Stimme zu ergänzen haben, obwohl sie nict notiert sind. Für die Koordination dieser „Auszierungen“ ist wiederum der Konzertmeister verantwortlic. Wahrsceinlic rührt dieses moderne Verständnis Sceibes vom Amt des Konzertmeisters als erster Geiger von seiner Kenntnis der Dresdner Verhältnisse, denn im „Baciscen“ Collegium musi$um in seiner Heimatstadt Leipzig wurden hervorragende Musiker „Con$ertisten“ genannt und trugen selbstverständlic keinen Hoftitel. Obwohl ohnehin vorausgesetzt werden darf, daß Sceibe als musikinteressierter Sohn eines bekannten Leipziger Orgelbauers über die Musik in der benacbarten Residenz gut unterrictet war, läßt sic anhand des Critiscen Musikus sogar belegen, daß er im Zusammenhang mit dem Idealbild eines Musikers und Konzertmeisters in erster Linie an Pisendel und seine Scule dacte. Das entsprecende Kapitel vom 6.10.1737, 15

Sceibe 1745, 717f. Sceibe 1745, 559. Bereits im secsten Stü% vom 4.5.1737 erwähnt Sceibe einen gewissen Konzertmeister, dessen „Con$erte für die Geige gewiß ohne Tadel“ seien (58). Wer hier gemeint ist, läßt sic vorerst nict feststellen. Wenige Seiten später folgt jene berüctigte Passage (62), in der Sceibe den ebenfalls ungenannten Johann Sebastian Bac der „Scwülstigkeit“ bezictigt. 17 Sceibe 1745, 715. 16

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in dem Sceibe die ansprucsvollen Anforderungen an einen „praktiscen Musikanten“ darlegt, scließt mit dem Hinweis, daß solce Anforderungen nur selten erfüllt werden: „Diejenigen Kapellen und Chöre sind glü%lic, wo die vornehmsten praktiscen Musikanten […] sic auc sogar in der Composition berühmt gemact haben.“18 Daß Sceibe sic mit diesem Hinweis auf die Dresdner und Berliner Konzertmeister bezieht, geht aus den Bemerkungen vom 22.12.1739 hervor: „In großen und ansehnlicen Capellen trifft man mehr wahre Virtuosen an […]“ und „[…] in Deutscland werden wir wenig große Violinisten finden, die so wie ein Pisendel, ein älterer Graun, oder ein Benda auc den Ruhm guter Componisten verdienen.“19 Dabei sind diese „großen Violinisten“ nict nur „wahre Virtuosen“ und „gute Componisten“, sondern Sceibe zählt sie in einer Fußnote, die er wahrsceinlic erst der Ausgabe von 1745 hinzugefügt hat, zu den „größten Künstlern in allen Arten der musikaliscen Ausübung“ überhaupt: Die italienisce Reise, von welcer die Deutscen so sehr eingenommen sind, dörfte nun bald ganz und gar unnöthig seyn; weil wir in unserm eigenen Vaterlande, vornehmlic aber in Berlin und Dresden, die größten Künstler in allen Arten der musikaliscen Ausübung antreffen.20

Ähnlic wie im Fall Matthesons konnte es nict die Absict Sceibes sein, in seiner Zeitscrift die Aufgaben eines Hofamtes zu bescreiben, wie es das eines Konzertmeisters war, denn einerseits gab es zu wenige Musiker, die einen solcen Titel trugen, und andererseits sahen die Amtspflicten deutscer Konzertmeister je nac Größe des Hofes und seiner musikaliscen Einrictungen sehr untersciedlic aus. Erkennbar wird allerdings eine neue Entwi%lung, die auf das Erstarken der Instrumentalmusik hindeutet. Offenbar gab es hervorragende Musiker, die nict in erster Linie für das Komponieren neuer Werke angestellt waren, eine Aufgabe, die dem Kapellmeister zukam und auf repräsentative Vokalmusik ausgerictet war, sondern die sic auf das Aufführen nict selbst komponierter Werke spezialisierten. Die Ausbildung der Kunst, „ein Stü% nac dem Sinne des Verfassers aufzuführen“, geht wahrsceinlic mit der besseren Verfügbarkeit auswärtiger Musikalien und der Verbreitung früher Dru%e aus Amsterdam und Italien einher. Umso bedeutsamer ist es, daß Sceibe gerade den Dresdner Konzertmeister Pisendel und dessen Scule als vorbildlic für „alle Arten der musikaliscen Ausübung“ bezeicnet, denn er unterstreict die Bedeutung der nict im Notentext fixierten Aufführungspraxis gerade auc für die Orcesterwerke dieser Epoce.

Quantz und Agri$ola als Kronzeugen für Pisendels Praxis Im Zusammenhang mit der Biographie von Johann Joacim Quantz wird regelmäßig darauf hingewiesen, daß dieser in seinem Versuc einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen aus dem Jahr 1752 von einer Bescreibung der Dresdner Ver-

18

Sceibe 1745, 123. Sceibe 1745, 640 und 638. 20 Sceibe 1745, 36. 19

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hältnisse ausgegangen ist.21 Dabei liegt es auf der Hand, daß die berühmte Scrift des langjährigen Pisendel-Scülers die Grundsätze und die Praxis seines Lehrers und Freundes noc unmittelbarer wiedergibt als Sceibes Idealbild eines „praktiscen Musikanten“ aus dem Jahr 1737, das bereits deutlic an Pisendel und seinen Berliner Scülern orientiert war. Gerade die Kapitel des Versucs über das Orcesterspiel, die im Rahmen dieser Arbeit besonders interessieren, sind neuerdings als „einzige authentisce Bescreibung des Dresdner Orcester-Stils“ bezeicnet worden.22 Aber bevor diese Kapitel über den „Orcester-Stil“ im Hinbli% auf Pisendel ausgewertet werden können, muß geklärt werden, wie weit die Übereinstimmung zwiscen Quantzens Angaben von 1752 und Pisendels Praxis tatsäclic reict. Daher muß die Erörterung der zeitgenössiscen Literatur über die Aufgaben eines Konzertmeisters an dieser Stelle unterbrocen und zunäcst die Entstehung der entsprecenden Kapitel beleuctet werden. Quantz scrieb seinen Versuc etwa zehn Jahre, nacdem er aus seiner Position des ersten Flötisten in der Dresdner Hofkapelle an den Hof des jungen Königs Friedric II. nac Berlin gewecselt war. Noc als Kronprinz in Ruppin und Rheinsberg hatte Friedric die langjährigen Pisendel-Scüler Johann Gottlieb und Carl Heinric Graun sowie den von Pisendel beeinflußten Franz Benda für seine Kammermusik verpflictet. Bereits bei seinem ersten Dresden-Besuc 1728 war der seczehnjährige Kronprinz von Pisendel und Quantz tief beeindru%t23 und erhielt seither von Quantz Unterrict im Flötenspiel, für das dieser mehrere Monate im Jahr vom Dresdner Hof beurlaubt war. Auc bei der Berufung seines Lehrers Quantz nac Berlin, um den er zuvor mehrfac vergeblic geworben hatte, war offenbar aussclaggebend, daß dieser wie kaum ein anderer die von Pisendel geprägte Dresdner Praxis repräsentierte. In dem vorangegangenen Exkurs über die Italienreise von Quantz war bereits deutlic geworden, wie sehr er in seiner ganzen künstleriscen und persönlicen Entwi%lung von dem Unterrict und Vorbild Pisendels beeinflußt worden war.24 In seiner Autobiographie, die zwei Jahre nac der Veröffentlicung des Versucs erscien, weist Quantz selbst unmißverständic darauf hin, daß er Pisendel in musikaliscer Hinsict „das meiste“ zu verdanken habe: Von [Pisendel] habe ic nict nur das Adagio, welces er auf eine ausnehmend rührende Art spielte, vorzutragen gelernet; sondern ic habe auc in dem, was das Ausnehmen der Sätze, und die Aufführung der Musik überhaupt betrifft, von ihm das meiste profitiret. Ic wurde von ihm aufgemuntert, ein mehreres in der Setzkunst zu wagen. […] Sein Beyspiel hat so tief bey mir Wurzel gefasset, daß ic nacer beständig den vermiscten Gescma% in der Musik dem National Gescma%e vorgezogen habe.25 21

Vgl. beispielsweise die Einträge zu Quantz in MGG1, NGD1 und NGD2 sowie Horst Augsbac in Quantz

1752, Nacwort zum Reprint 1992, 396: „Mit Ausnahme der flötentecniscen Kapitel ist der ‚Versuc‘

ein überliefertes, lebendiges Abbild der in der säcsiscen Residenz […] gepflegten hohen Musikkultur.“ 22 „Angesicts der tiefsitzenden Frustrationen des Königs – immerhin war ihm das Werk dediziert – verbot sic für Quantz eine expressis-verbis-Erwähnung Dresdens als Quelle seiner Weisheiten a priori. Aber man geht nict fehl, in all dem, was er bescreibt, […] nict die Erträge seiner Arbeit in Berlin zu sehen, sondern das, was ihm unter Pisendels Tutelage zuwucs. […] Quantzens Scrift ist die einzige authentisce Bescreibung des Dresdner Orcester-Stils […].“ Goebel 1999, 63f. 23 Vgl. oben, Abscnitt II, 5. „Der Premier Violon Pisendel als Stellvertreter Woulmyers“. 24 Vgl. oben, Teil I, Exkurs II. 25 Quantz-Autobiographie 1754, 211, vgl. Pisendel-Dokument Nr. 86.

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Bereits kurz nac seinem Eintritt in die Polnisce Kapelle 1718 als Oboist erhielt er den ersten Unterrict von Pisendel, der soeben aus Italien zurü%gekehrt war und in dieser Zeit auc bereits die Brüder Graun zu seinen Scülern zählte. Die eigene Italienreise von Quantz wurde von Pisendel sorgfältig vor- und nacbereitet. Nac seiner Rü%kehr aus Italien, Frankreic und England wecselte Quantz 1728 scließlic in die Hofkapelle über und konnte so die Praxis Pisendels, deren Grundsätze er als Scüler übernommen und deren Entwi%lung er verfolgt hatte, im Orcester und in der Kammermusik als Kollege täglic erleben. Bis zu seinem Umzug nac Berlin im Dezember 1741 war Quantz also dreizehn Jahre lang unmittelbarer Zeuge der durc Pisendel geprägten Dresdner Musikpraxis, die er nac dem Willen des preußiscen Königs nac Berlin ‚verpflanzen‘ sollte.26 Pisendel selbst blieb mit seinen Berliner Scülern regelmäßig in brieflicem Kontakt und reiste 1744 selbst nac Berlin, um deren Arbeit als Komponisten und Orcesterleiter kennenzulernen. Für die hohe Wertscätzung Pisendels durc Friedric II. sprict der folgende Berict Agri$olas aus V67: Um seine alten Freunde zu besucen, und zugleic die, bey Gelegenheit des Beylagers der jetzigen Königinn von Scweden zu Berlin aufgeführten vier Opern zu hören, kam Herr Pisendel im Jahre 1744. noc einmal nac Berlin. Der König von Preußen erfuhr dieses, ließ ihn immer zu seiner Kammermusik nöthigen, unterhielt sic oft mit ihm, über musikalisce Materien, und begegnete ihm überhaupt mit solcer Gnade, als die Verdienste dieses braven Tonkünstlers würdig waren.27

Allein aufgrund der Biographie von Quantz und der musikaliscen Vorliebe seines königlicen Flötenscülers, der auc den herrscenden Musikgescma% bestimmte, ist nacvollziehbar, daß Quantz beim Verfassen seines Versucs um die größtmöglice Nähe zu Pisendels Praxis bemüht war. Dabei bescreibt er nict nur über weite Stre%en die Praxis der Dresdner Hofkapelle, sondern wahrsceinlic auc konkret den Inhalt seines oben zitierten Unterricts in der „Aufführung der Musik“ und „in der Setzkunst“ bei Pisendel. Obwohl der Name Pisendels, vielleict aus politiscen Gründen,28 an keiner Stelle erwähnt wird, kann Quantz aufgrund der Angaben aus seiner Autobiographie zumindest in seinen Ausführungen zum Orcester- und Adagiospiel als ein Kronzeuge für die Ansicten seines Lehrmeisters Pisendel angesehen werden. Während der Entstehung des Versucs gab es jedoc noc eine weitere, persönlice Verbindung zu Pisendel, die bislang kaum bekannt geworden ist. Als Quantz nämlic mit dem Screiben begann, mußte er aufgund seiner mangelnden Erfahrung mit dem Abfassen von Texten bald erkannt haben, daß er dieses große Vorhaben nict allein bewältigen konnte. Nac den Angaben eines Zeitgenossen soll ihm daher sein damaliger Scüler Johann Friedric Agri$ola, der in Leipzig Philosophie, Rectswissenscaft, Gescicte und Rhetorik studiert hatte, beim „Ausarbeiten“ dieses Textes geholfen haben. In der Allgemeinen Musikaliscen Zeitung vom 17.9.1800 scrieb der siebzigjährige Philosoph und Musiktheoretiker Johann August Eberhard nämlic, daß man es damals in Berlin „mit Zuverlässigkeit wissen [wollte], dass

26

Vgl. hierzu Horst Augsbac in Quantz 1752, Nacwort zum Reprint 1992, 396. V67, 290. 28 So Goebel 1999, 63. 27

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Quanz bey der Ausarbeitung seiner Anweisung die Flöte zu spielen sic der Feder des sel. Agri$ola bedient habe […].“29 Agri$ola war während seines Leipziger Studiums zwiscen 1739 und 1741 nac eigenen Angaben von Johann Sebastian Bac im „Clavier- und Orgelspielen“ und später auc „in der harmoniscen Setzkunst“ unterrictet worden.30 Während dieser Zeit war er auc in Dresden Zeuge mehrerer Aufführungen der Hofkapelle unter der Direktion von Hasse und Pisendel und ging 1741 auf Empfehlung C. P. E. Bacs nac Berlin, um dort seine kompositoriscen Fähigkeiten in enger Zusammenarbeit mit führenden Hofmusikern, die ja mit Ausnahme des Kammer$embalisten Bac sämtlic durc Pisendels Scule gegangen waren, zu vervollkommnen.31 Bei näherem Hinsehen läßt sic die Mitarbeit des Bac-Scülers Agri$ola tatsäclic an einigen Passagen des Versucs erkennen. Besonders deutlic wird dies an solcen Stellen, die eine intime Kenntnis von Johann Sebastian Bacs musikaliscem Alltag verraten.32 Im Abscnitt „Von dem Clavieristen insbesondere“ findet sic außerdem nac einer fingersatztecniscen Anmerkung für „laufende Passagien“ ein Hinweis, der offensictlic auf Bac bezogen ist: „Ic berufe mic hierbey auf das Exempel eines der allergrößten Clavierspieler, der es so ausübete und lehrete.“33 Das letzte Wort dieses Zitats dürfte hinreicend belegen, daß diese Angabe auf einen Klavierscüler Bacs zurü%geht. Im Zusammenhang mit der Entstehung des Versucs kann dieser Klavierscüler unscwer mit Agri$ola identifiziert werden, denn C. P. E. Bac, der durcaus nict immer mit Quantz einer Meinung war und überdies zur gleicen Zeit an seiner eigenen Klavierscule arbeitete, kommt als Mitarbeiter von Quantz nict in Frage. Auc zwei umfangreice, kleingedru%te Fußnoten im letzten Hauptstü% „Wie ein Musikus und eine Musik zu beurtheilen sey“, die erste über die Eignung eines Kantors und dessen Auseinandersetzungen mit musikfeindlicen Vorgesetzten, die zweite im Zusammenhang mit der Kunst des Orgelspiels nac dem „Absterben“ des „bewunderungswürdigen Johann Sebastian Bac“, weisen auf die Autorscaft Agri$olas hin.34 Die Zuscreibung an Agri$ola wird dadurc gestützt, daß in der letztgenannten Fuß29

Johann August Eberhard war in einem vorausgegangenen Beitrag zur AMZ dazu aufgefordert worden, über seinen Anteil an Kirnbergers Scrift Die Kunst des reinen Satzes, Berlin 1771, Auskunft zu geben, vgl. AMZ, 2. Jg., Nr. 34, 21.5.1800, 594. Indirekt gibt Eberhard zu, daß Kirnberger die Teile dieser Scrift zwar nict von ihm, aber von Johann Georg Sulzer, Moses Mendelssohn und Johann Abraham Peter Scultz hatte überarbeiten lassen. „Ic glaube diese Erklärung, da die Sace einmal öffentlic zur Sprace gekommen ist, so wohl der Wahrheit, als dem Andenken eines um mic sehr verdienten Mannes sculdig zu seyn, ob man es gleic damals in Berlin nict befremdend fand, dass ein grosser Tonkünstler bey der Einkleidung seiner theoretiscen Scriften sic fremder Hülfe bediente. Man wollte es mit Zuverlässigkeit wissen, dass Quanz bey der Ausarbeitung seiner Anweisung die Flöte zu spielen sic der Feder des sel. Agri$ola bedient habe, und dacte deswegen nict geringer von seinen musikaliscen Verdiensten. Und gewiss würde mances Werk über die theoretisce Musik dabey gewonnen haben, wenn sein Verfasser die Einkleidung desselben einer geübtern Feder hätte anvertrauen wollen.“ AMZ, 2. Jg., Nr. 51, 17.9.1800, 871f, vgl. auc Bac-Dok. III, Nr. 651. Auc Hans-Joacim Sculze bezeicnet Agri$ola, wohl aufgrund der Angaben Eberhards, als Mitarbeiter an dem Quantzscen Versuc, vgl. MGG2 I, 219. 30 Vgl. Agri$ola-Autobiographie 1754, 149. 31 Vgl. Hans-Joacim Sculze, Artikel „Johann Friedric Agri$ola“ in MGG2 I, 217. Möglicerweise war Agri$ola dem Konzertmeister Pisendel bereits begegnet, als dieser sic 1744 in Berlin aufhielt. 32 Vgl. auc Bac-Dok. III, Nr. 651. 33 Quantz 1752, 232. 34 Vgl. Quantz 1752, 326 und 329.

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note die deutsce mit der italieniscen „Singart“ verglicen und das Fehlen „an guter Anweisung, vornehmlic in der Vo$almusik“ beklagt wird. Agri$ola trug sic nämlic mit dem Plan, eine kommentierte Übersetzung der Gesangsscule von Pier Fran$es$o Tosi zu veröffentlicen, die diesem Mißstand abhelfen sollte, und den er bekanntlic 1757 verwirklict hat. Übrigens sind auc dort die Erläuterungen und Zusätze Agri$olas durc kleinere Lettern kenntlic gemact.35 Agri$olas Mitarbeit erklärt auc die auffällig praxisbezogenen Winke in dem erwähnten Abscnitt „Von dem Clavieristen insbesondere“. Vor allem aber zeigt sic am Aufbau dieses Kapitels, daß hier ein erfahrener Traktatscreiber und gewandter Rhetoriker am Werk war: anders als in allen übrigen Kapiteln sind die einleitenden Paragraphen kurz gehalten, und das Thema der Abhandlung wird gleic zu Beginn klar abgegrenzt. In der rhetoriscen Gliederung und der spraclicen Glättung dürfte denn auc allgemein, neben der inhaltlicen Beteiligung am Clavieristen-Kapitel, der Anteil Agri$olas am Versuc seines Lehrers Quantz zu sucen sein.36 Im Zusammenhang mit Pisendel gewinnt die Mitarbeit Agri$olas am Versuc jedoc noc eine besondere Bedeutung. Im Frühjahr 1751, kurz vor der Dru%legung dieses Bucs, reiste Agri$ola nämlic nac Dresden, um die glanzvollen Vorstellungen der Karnevalssaison zu einem Studienaufenthalt zu nutzen. Die Vermutung ist naheliegend, daß Agri$ola bei dieser Gelegenheit mit Pisendel über das Manuskript von Quantz gesprocen oder es ihm sogar auszugsweise vorgelegt hat. Wahrsceinlic haben sie sic auc über gemeinsame Bekannte wie etwa Agri$olas Leipziger Lehrmeister Bac unterhalten. Drei Jahre nac dieser Begegnung screibt Agri$ola darüber in seiner Autobiographie (in der dritten Person): Herr Agri$ola hatte hier das Vergnügen die persönlice Bekanntscaft des Herrn Hasse und seiner berühmten Gemahlinn[!] zu erhalten; und aus dem Umgange mit dem Herrn Con$ertmeister Pisendel konnte er viele herrlice pra$tisce Lehren und reizende Aufmunterungen mit nac Hause nehmen.“37

Obwohl die Formulierung Agri$olas an ein bekanntes Spricwort erinnert, kann nict festgestellt werden, ob er die erwähnten „pra$tiscen Lehren“ Pisendels sogar scwarz auf weiß oder nur in seiner Erinnerung „mit nac Hause nehmen“ konnte. Es sceint jedenfalls, als habe sic Agri$ola am Ende seiner Studien bei Quantz und Graun durc seinen mehrwöcigen „Umgang“ mit dem Meister Pisendel in Dresden die Qualifikation für eine Anstellung am preußiscen Hof erworben. Jedenfalls 35

Neuerdings macte auc Sculze 2001, 36f, auf Agri$olas Anteil an einem „grimmigen Kommentar über die Singart der Deutscen“ in Quantzens Versuc aufmerksam, indem er vermutete, daß „Agri$ola in diesem Abscnitt seine jüngsten Leipziger Erfahrungen eingebract hat und Probleme bescreibt, die genau genommen auf die Auseinandersetzung zwiscen Kantor und Rektor der Thomasscule zutreffen.“ 36 In dem bereits zitierten Zeitungsartikel von Johann August Eberhard findet sic ein Beispiel, wie die Mitarbeit Agri$olas an dem Quantzscen Versuc ausgesehen haben mag: „[…] Ic würde auc vielleict nie erfahren haben, dass dieser grosse Tonkünstler [Kirnberger] sic bey seinen theoretiscen Scriften einer fremden Feder bediente, wenn er mir nict im Anfange des Jahres 1765 die Handscrift von der Vorrede zu seinen vermiscten Musikalien gebract hätte, mit dem Ersucen, ihm bey der Einkleidung derselben behülflic zu seyn. Diese Handscrift war scon durc die Hände des sel. Sulzers und Moses Mendelssohns gegangen: er scien aber mit ihren Vorsclägen nict ganz zufrieden gewesen seyn. Und auc die meinigen mocten ihn nict befriedigt haben; denn er sceint diese Vorrede hernac, mit Benutzung der Gedanken aller seiner Rathgeber nac seiner eigenen Manier eingekleidet zu haben […].“ AMZ, 2. Jg., Nr. 51, 17.9.1800, 871. 37 Agri$ola-Autobiographie 1754, 152, vgl. Pisendel-Dokument Nr. 87.

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wurde er gleic nac seiner Rü%kehr im Mai 1751 zum Königlic Preußiscen Kammermusiker und Hofkomponisten ernannt und damit durc Friedric II. in den Kreis der am Berliner Hof versammelten Pisendel-Scüler aufgenommen. Wie sehr Agri$ola sic Pisendel verpflictet fühlte, zeigt auc sein früher Plan, eine Biographie Pisendels zu verfassen, den er über Jahre hinweg verfolgte, bis er den Text scließlic am 19.2.1767 zur Veröffentlicung an Hiller sandte.38 Die beiden umfangreicen, kleingedru%ten Anmerkungen mit Hinweisen auf Cantoren und Organisten, die möglicerweise von Agri$ola stammen, befinden sic in dem abscließenden XVIII. Hauptstü% „Wie ein Musikus und eine Musik zu beurtheilen sey“, unmittelbar vor denjenigen Paragraphen, in denen das Konzept des „vermiscten Gescma%s“ entwi%elt wird. Falls die erwähnten Anmerkungen erst nac Beendigung des Haupttextes eingefügt wurden, läßt dies darauf scließen, daß das Manuskript von einer dritten Person gelesen und mit Kommentaren versehen worden sein könnte. Eine ebenfalls kleingedru%te Anmerkung wenige Seiten vorher, die sic mit den Gefahren einer Italienreise für den musikaliscen Gescma% auseinandersetzt, wiederholt sinngemäß die zuletzt zitierte Anmerkung aus Sceibes Critiscen Musikus: „Wen aber nict etwan das Vorurtheil verleitet, der findet nunmehro das, was er sonst in Italien und in Frankreic sic hätte zu Nutzen macen können, in Deutscland.“39 Eine weitere Fußnote dieser Art bezieht sic eine Seite später auf „neumodisce italiänisce Violinisten“, die als Ripienisten in einem Orcester „gemeiniglic mehr [verderben], als sie Gutes stiften“: Man könnte deswegen gewisse berühmte Orcester, deren Mitglieder mit Italiänern vermiscet sind, zum Beyspiele anführen. Man kann in denselben bemerken, daß wenn etwan eine, bey ihnen sonst ungewohnte, Unordnung, oder ungleicer Vortrag verspüret wird, solces mehrentheils von einem ohne Augen und Ohren spielenden Italiäner herrühre. Sollte nun allenfalls ein gutes Orcester das Unglü% treffen, durc einen solcen Italiener, wie ic ihn hier bescrieben habe, angeführet zu werden: so hätte man wohl nicts gewissers zu erwarten, als daß dasselbe seinen vorigen Glanz gänzlic verlieren werde: Glü%lic ist also das Orcester, welces davon befreyet bleibt. […]40

Bei dem „gewissen berühmten Orcester“ handelt es sic offensictic um die Dresdener Hofkapelle, denn in Berlin waren keine Italiener im Orcester angestellt. Bestätigt wird die von Quantz bescriebene Situation auc durc Pisendel selbst, denn in einem Brief vom 3.6.1752 beklagte er sic bei Telemann über seine italieniscen Orcesterkollegen, „daß sie niemals gewohnt Subje$t zu seyn, sondern vielmehr selbst zu dirigiren, dahero auc kein Ernst in der Exe$ution, mithin ohne auf andere zu 38

Vgl. das von Hiller abgedru%te Begleitscreiben Agri$olas zu V67. Quantz 1752, 311. Bei Sceibe 1745, 36, lautet die Bemerkung: „Die italienisce Reise, von welcer die Deutscen so sehr eingenommen sind, dörfte nun bald ganz und gar unnöthig seyn; weil wir in unserm eigenen Vaterlande, vornehmlic aber in Berlin und Dresden, die größten Künstler in allen Arten der musikaliscen Ausübung antreffen.“ 40 Quantz 1752, 312f. Die polemisce Art, mit dem die Anmerkung fortgesetzt wird, erinnert an den literariscen Stil Sceibes, der mit Quantz in Verbindung stand (vgl. Köpp BJ 2003, 198f) und dieses Kapitel möglicerweise vor der Dru%legung erhalten und mit Anmerkungen versehen haben könnte: „Zu verwundern aber ist, daß solce italiänisce Instrumentisten, von denen hier die Rede ist, oftmals bey solcen Musikverständigen Beyfall und Scutz finden, von welcen man es am allerwenigsten vermuthen sollte; bey solcen Tonkünstlern, deren Einsict und gereinigter Gescma%, über dergleicen bizarre Art zu spielen, viel zu weit erhaben ist, als daß sie einigen Gefallen daran finden könnten. Oftmals gescieht es wohl nur aus Verstellung oder wer weis aus was noc für andern Ursacen.“ 39

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hören spiehlen wenn und wie sie wollen et$.“41 Da Pisendel auc mit Quantz in engem Briefkontakt stand, war dieser über solce Scwierigkeiten innerhalb der Dresdner Hofkapelle ebenfalls gut unterrictet und konnte entsprecende Anregungen in seinem Versuc, dessen Vorrede mit „September 1752“ datiert ist, übernehmen. Die zitierte Fußnote enthält jedoc nict nur eine Klage über die mangelnde Orcesterdisziplin der Italiener, sondern Quantz warnt ausdrü%lic davor, einen „solcen Italiener“ zum Konzertmeister zu ernennen, weil das betreffende Orcester dadurc „seinen vorigen Glanz gänzlic verlieren werde“. Da hier offensictlic von der Dresdner Hofkapelle mit ihrem fünfundseczigjährigen Konzertmeister Pisendel die Rede ist, bezieht sic diese Warnung wohl auf die bevorstehende Wahl eines Nacfolgers für Pisendel. Als Nacfolger war nämlic der vom König protegierte Geiger Fran$es$o Maria Cattaneo vorgesehen,42 gegen den Pisendel eine tiefe Abneigung hegte, wie aus dem Brief an Telemann vom 16.4.1749 hervorgeht: „Herr Cattaneo mact sic seiner Faulheit wegen hier bey Hof immer verhaßter; gleicwohl suct er augmeniret zu werden; wo ihm nur nict ein Stric durc sein Con$ept gemact wird, wie ehemaln seiner Scwester gescehen.“43 Offensictlic wollte Quantz in der zitierten Fußnote vor der Ernennung Cattaneos zum künftigen Dresdner Konzertmeister warnen, und als solce kaum verhohlene Warnung wurde sie wohl auc von allen Lesern des Versucs verstanden, die sic nur ein wenig mit den Verhältnissen am Dresdner Hof auskannten. Da Pisendels Abneigung gegen italienisce Orcestermusiker im allgemeinen und Cattaneo im besonderen durc die Briefe an Telemann belegt ist und die Warnung vor einer Ernennung Cattaneos vor allem im persönlicen Interesse Pisendels lag, ist denkbar, daß diese Fußnote sogar auf Veranlassung Pisendels in die Veröffentlicung seines Scülers eingerü%t wurde. Vielleict bezwe%te Pisendel damit, daß Cattaneo „ein Stric durc sein Con$ept gemact wird“, weil er durc den naclässigen Italiener sein Dresdner Lebenswerk gefährdet sah. Dennoc wurde Cattaneo, wie oben dargelegt, von August III. bereits kurze Zeit nac dem Tod Pisendels zum Konzertmeister ernannt. Die Warnung Quantzens vor einem italieniscen Konzertmeister und ihr damals aktueller Hintergrund deuten darauf hin, daß Pisendel die Entstehung des Versucs nict nur verfolgte, sondern möglicerweise auc direkten Einfluß auf dessen Inhalt nahm, sei es im Gespräc mit Agri$ola oder im Briefwecsel mit Quantz selbst. Während die Forscung allein aufgrund biographiscer Zusammenhänge seit langem davon ausgeht, daß Pisendels Lehren einen unmittelbaren, passiven Einfluß auf die Entstehung von Quantzens Versucs hatten, läßt sic an dem dargestellten Fall erkennen, daß Pisendel in einzelnen Punkten auc aktiven Einfluß ausgeübt haben könnte. Der Quantzsce Versuc erweist sic also in seiner Anlage und zumindest in bestimmten Teilen seiner Ausführung als eine verläßlice Quelle für Pisendels Lehren, so daß die Ausführungen von Quantz über das Orcesterspiel in der folgenden Untersucung als eine genaue Bescreibung der von Pisendel in Dresden gepflegten Praxis angesehen und entsprecend ausgewertet werden.

41

Telemann Briefwecsel 1972, 361f. Vgl. oben, Abscnitt II, 5. „Interessenkonflikte bei der Neubesetzung der Konzertmeisterposition“. 43 Telemann Briefwecsel 1972, 348. 42

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Der Konzertmeister als Spezialist für die stilgemäße „Ausführung“ fremder Kompositionen In Quantzens Versuc nehmen die flötentecniscen Ausführungen nict einmal ein Drittel des Buces ein. Die übrigen Teile des Buces behandeln die solistisce Aufführungspraxis sowie die Orcesterpraxis und die Musikkritik seiner Zeit in aller Ausführlickeit. Die Kapitel über die Arbeit eines Konzertmeisters und Orcesterleiters finden sic im XVII. Hauptstü% „Von den Pflicten derer, welce a$$ompagniren, oder die einer $on$ertirenden Stimme zugeselleten Begleitungs- oder Ripienstimmen ausführen“. Dieses Hauptstü% behandelt nac heutigem Spracgebrauc das Orcesterspiel. Dabei werden Blasinstrumente wie Oboe und Fagott, die in groß besetzten Musiken in der Regel die Streicerpartien verdoppeln, nict unter den Ripieninstrumenten aufgeführt, möglicerweise weil sie trotz ihrer Ripienofunktion nict selbständig corisc besetzt waren und daher stillscweigend der entsprecenden Streicergruppe zugeordnet wurden. Im ersten Abscnitt des XVII. Hauptstü%s mit dem Titel „Von den Eigenscaften eines Anführers der Musik“ bescreibt Quantz erstmals in der Literatur die Aufgaben eines Orcesterleiters,44 der nict in erster Linie Komponist ist. Quantz nennt diesen Orcesterleiter allerdings nict Konzertmeister, sondern er wählt den offeneren Begriff „Anführer“, denn die bescriebene Tätigkeit wurde außerhalb Dresdens nict durcgehend von Konzertmeistern ausgeübt, wie die vorangegangenen Untersucungen gezeigt haben. Da es zu den Aufgaben eines Konzertmeisters gehörte, die Ripienisten im Hinbli% auf den „guten Vortrag“ beim A$$ompagnement auszubilden, folgen fünf Kapitel, in denen die Pflicten der Violinisten, Bratscisten, Violon$ellisten, Kontrabassisten und Clavieristen „insbesondere“ behandelt werden. Im VII. und letzten Abscnitt mit dem Titel „Von den Eigenscaften aller A$$ompagnisten überhaupt“ werden die vom Konzertmeister zu überwacenden Aufgaben nocmals aus der Sict der Orcestermusiker, zu denen Quantz ja selbst gehörte, bescrieben, so daß sic die Angaben aus dem ersten und letzten Abscnitt dieses Hauptstü%s wiederholen und ergänzen und ein klares Bild von der Funktion des Dresdner Orcesters und dem von Pisendel eingeführten Orcesterstil erkennbar wird. Den einzelnen Abscnitten dieses XVII. Hauptstü%s über das Orcester- oder Ripienospiel wird ein kurzes Einleitungskapitel vorangestellt. Obwohl der Name Pisendels auc hier ungenannt bleibt, werden ganz offensictlic die Verdienste des Dresdner Konzertmeisters um die damals „neue“ Musik bescrieben: Wer die alte Musik gegen die neue, und den Unterscied, der sic nur seit einem halben Jahrhunderte her, von zehn zu zehn Jahren, darinne geäussert hat, betracet: der wird finden, daß die Componisten, in Erfindung der, zu lebhafter Ausdrü%ung der Leidenscaften, erfoderlicen Gedanken, seit versciedenen Jahren, mehr als jemals nacsucen, und sie ins Feine zu bringen sic bemühen. Dieses Nacsucen in der Setzkunst aber, würde von wenig Nutzen seyn, so ferne es nict auc zu gleicer Zeit, in Ansehung der Ausführung (exe$ution) gescähe.45

44 45

Vgl. Boyden 31974, 446. Quantz 1752, 175.

261

Aus seiner zwei Jahre später erscienenen Autobiographie geht hervor, daß hier der von Pisendel geprägte Orcesterstil gemeint ist und sic die Verdienste Pisendels tatsäclic auf die Kunst der „Ausführung (exe$ution)“ beziehen, denn Quantz bestätigt ausdrü%lic, daß das Dresdner Orcester, das von Woulmyer in der französiscen Orcesterdisziplin erzogen worden war, „unter der Anführung des folgenden Con$ertmeisters Herrn Pisendel, durc Einführung eines vermiscten Gescma%s, immer nac und nac zu solcer Feinigkeit der Ausführung gebract worden; daß ic auf allen meinen künftigen Reisen kein bessers gehört habe.“46 Quantz betont, daß diese „Feinigkeit der Ausführung“ unter Pisendel, also die Verfeinerung des Dresdner Orcestervortrags, mit der Entwi%lung des Kompositionsstils in Dresden einherging.47 Dabei ist die Forderung nict neu, daß sic das Raffinement der Ausführung auf gleicer stilistiscer Höhe bewegen soll wie das Raffinement der Komposition, denn Sceibe hatte es bereits 1737 als Hauptpflict aller „praktiscen Musikanten“ bezeicnet, ein Musikstü% „dem Sinne des Componisten gemäß […] zu spielen“.48 Obwohl diese Forderung für alle Arten von Musik gilt, ist es kein Zufall, daß Quantz sie im Einleitungsteil zum Hauptstü% über das Orcesterspiel thematisiert, denn gerade auf diesem Gebiet muß sic nac seiner Überzeugung der gute Vortrag und die „Feinigkeit der Ausführung“ bewähren: Viele glauben, wenn sie vielleict im Stande sind, ein studirtes Solo zu spielen, oder eine ihnen vorgelegte Ripienstimme, ohne Hauptfehler vom Blatte weg zu treffen, man könne von ihnen weiter nicts mehr verlangen. Allein ic glaube daß ein Solo willkührlic zu spielen leicter sey, als eine Ripienstimme auszuführen, wo man weniger Freyheit hat, und sic mit Vielen vereinigen muß, um das Stü% nac dem Sinne des Componisten auszudrü%en.49

In der Einleitung zum XVII. Hauptstü% geht Quantz jedoc noc über Sceibe hinaus, denn er stellt die Arbeit der Ausführenden, die „exe$ution“, sogar über die Arbeit des Komponisten: „ein guter und deutlicer, und jeder Sace gemäßer Vortrag kann einer mittelmäßigen Composition aufhelfen, ein undeutlicer und sclecter hingegen, kann die beste Composition verderben.“50 Diese von Pisendel „ins Feine“ gebracte Kunst des Orcesterspiels sceint sic also gegenüber der Verfeinerung der Screibweise Dresdner Komponisten (beispielsweise Hasse, Zelenka, Ristori und in gewissem Sinne sogar Bac) fast verselbständigt zu haben. Quantz beklagt, daß diese Dresdner Entwi%lung an anderen Orten nict mitvollzogen wurde: Betractet man aber den Zustand der meisten Musiken, so wohl an Höfen, als in Republiken und Städten, so findet sic im A$$ompagnement, vornehmlic wegen der großen Ungleicheit im Spielen, eine so große Unvollkommenheit, die sic keiner einbilden 46

Quantz-Autobiographie 1754, 206. Selbstverständlic ist der Begriff der „Ausführung“ nict mit dem heutigen Begriff der „Interpretation“ zu verwecseln, denn der „gute Vortrag“ hängt nict von der Entsceidung des Musikers ab, sondern er wird als das Ergebnis der mit Hilfe von langer praktiscer Erfahrung angewandten musikaliscen Ausführungsregeln definiert. 48 Noc Spohr bezeicnet es in seiner Violinscule als Aufgabe des Musikers, beim Vortrag fremder Werke „die Idee des Komponisten ins Leben zu rufen“, vgl. Spohr 1833, 195, 247. 49 Quantz 1752, 103, ähnlice Formulierungen 107, 111. Die Meinung, daß ein guter Ripienist viel seltener zu finden sei als ein guter Solospieler, wird auc von Mozart 1756, 253, vertreten und setzt sic bis in die Lexikonartikel des 19. Jahrhunderts fort. 50 Quantz 1752, 175. 47

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kann, der habe sie denn selbst erfahren: woraus nicts anders zu sclüßen ist, als daß mance scöne Composition verstümmelt werden müsse; und daß die Ausführung deswegen einer Verbesserung nothwendig bedürfe.51

Als Hauptgrund für die Unvollkommenheit der Ausführung bezeicnet Quantz also die „große Ungleicheit im Spielen“ und führt dies darauf zurü%, daß „es bey den meisten Musiken an einem guten Anführer, der die gehörige Einsict hat, fehlet“.52 Ohne Zweifel ist mit dieser Bemerkung wiederum das Vorbild Pisendel gemeint. Noc deutlicer wird dies in der Mahnung, „man sollte sic um einen Mann bemühen, der so wohl die Gabe, als die Aufrictigkeit, andern die ihnen nöthigen Wissenscaften beyzubringen, besäße,“53 denn pädagogisce Begabung und uneigennütziges Interesse am Unterricten gehören zu den immer wieder hervorgehobenen Eigenscaften Pisendels. Angesicts dieser Orientierung an Pisendels Vorbild ist es nict mehr überrascend, daß Quantz auc erstmals in der Literatur die Violine als Direktionsinstrument des Anführers fordert, weil sie „zum A$$ompagnement ganz unentbehrlic, auc durcdringender ist, als kein anderes von denen Instrumenten, die am meisten zur Begleitung gebraucet werden“. Die Tatsace allerdings, daß Quantz noc 1752 für die Violindirektion werben muß, de%t sic mit dem erarbeiteten Befund, daß diese Praxis für das Konzertmeisteramt in Deutscland noc lange Zeit nict selbstverständlic war. Ob ein Anführer dieses oder jenes Instrument spiele, könnte allenfalls gleic viel seyn. Weil aber die Violine zum A$$ompagnement ganz unentbehrlic, auc durcdringender ist, als kein anderes von denen Instrumenten, die am meisten zur Begleitung gebraucet werden: so ist es besser, wenn er die Violine spielet. Doc ist es eben keine dringende Nothwendigkeit, daß er die Fähigkeit besitzen müsse, besondere Scwierigkeiten auf seinem Instrumente hervor zu bringen: denn dieses könnte man allenfalls denen überlassen, so sic nur durc das gefällige Spielen zu untersceiden sucen; deren man auc genug findet. Besitzt aber ein Anführer auc dieses Verdienst, so ist er desto mehrerer Ehre wert.54

Nac Quantz kommt es hinsictlic der Erfahrung, die ein guter Konzertmeister mitbringen muß, vor allem darauf an, daß „er in einem wohlgezogenen Orcester, und unter einem guten Anführer, wo er vielerley Arten von Musik mitgespielet hat, ist erzogen worden.“55 Offensictlic ist mit dem Hinweis auf „vielerley Arten von Musik“ in erster Linie die Dresdner Hofkapelle gemeint, die ihren Dienst in Kirce, Kammer und Theater (französisce Comedie, französisce Ballettmusik und italienisce Oper) zu versehen hatte, denn die Berliner Kapelle führte erst seit 1742 regelmäßig neue Opern auf und wurde zur Kircenmusik gar nict herangezogen, denn diese gehörte in Berlin nict zu den offiziellen Repräsentationsaufgaben. Zu den Eigenscaften, die einen Geiger für das Amt eines Anführers qualifizieren, zählt Quantz die „Einsict eines deutlicen Vortrags“ sowie die Einsict in die „Harmonie“ und die Grundlagen der „Setzkunst“.56 Dabei stellt Quantz erneut die Bedeu51

Quantz 1752, 176. Quantz 1752, 176. 53 Quantz 1752, 177f. 54 Quantz 1752, 179. 55 Quantz 1752, 179. 56 Quantz 1752, 177. 52

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tung des Anführers über die Bedeutung des Komponisten und empfiehlt kaum verhohlen, Musiker aus der Scule Pisendels, sei es aus der Dresdner oder vielleict auc aus der Berliner Hofkapelle, als Orcesterleiter an kleinere Höfe zu engagieren: Denn es ist nict zu läugnen, daß zum Wacsthume, oder der Verbesserung eines Orcesters, eben nict höcstnothwendig sey, an einem jeden Orte, oder bey einer jeden Musik, einen besonders guten Componisten zu haben. Es fehlet nict an sehr vielen guten musikaliscen Stü%en: wenn man solce nur vernünftig und wohl zu wählen weis. Es kömmt vielmehr, und zwar hauptsäclic, auf einen, mit obengemeldeten Eigenscaften geziereten, guten Anführer an. […] Man würde demnac wohl thun, wenn man sic besonders einen Mann zum Anführer zu wählen bemühete, der einige Jahre, in großen und berühmten Orcestern mitgespielet, und sic darinne, im guten Vortrage und andern nöthigen Wissenscaften, geübet hätte. Es ist gewiß, daß sic in großen Orcestern, öfters Leute befinden, welce mehr Einsict in die Ausführung haben, als bey mancen Orcestern der Anführer: und ist wirklic Scade, daß solce Leute nict eines bessern Glü%s theilhaftig werden sollen; wodurc sie mehr Gutes stiften könnten, als wenn sie beständig, hinter der Hand, als Ripienisten, sitzen bleiben müssen.57

Die Qualifikation dieser Musiker, die unter Pisendels Anleitung die Kunst des Orcesterspiels erlernt haben, bescreibt Quantz als eine umfassende Kenntnis der Ausführungs-„Wissenscaft“. Daraus ist ersictlic, daß der Unterrict Pisendels sic in erster Line auf diejenigen Elemente der coriscen Spielpraxis beziehen, die weder in der Partitur noc in den Stimmen notiert sind. Quantz betont dabei erneut, daß ein guter Konzertmeister aufgrund seiner Kenntnisse und Erfahrung im Umgang mit fremden Kompositionen wictiger sei als der Komponist selbst: Der höcste Grad, der von einem Anführer erfoderlicen Wissenscaft, ist: daß er eine vollkommene Einsict habe, alle Arten der Composition nac ihrem Gescma%e, Affe$te, Absict und rectem Zeitmaaße zu spielen. Es muß derselbe also fast mehr Erfahrung vom Untersciede der Stü%e haben, als ein Componist selbst. Denn dieser bekümmert sic öfters um nicts anders als was er selbst gesetzet hat.58

Dadurc, daß Quantz wiederholt auf den Vorrang der Aufführungspraxis oder „Ausführung (exe$ution)“ gegenüber der Komposition hinweist,59 wird verständlic, warum er dem Konzertmeister einen so hohen Stellenwert beimißt. Die brillante Spielweise des Dresdner Orcesters garantierte gewissermaßen auc weniger gelungenen Kompositionen eine gute Wirkung.60 Vor diesem Hintergrund konnte es sic Pisendel auc leisten, seine eigene Kompositionstätigkeit weitgehend einzuscränken und fremde Werke zu Gehör zu bringen. Dabei war es wahrsceinlic nict einmal üblic, daß der Name des Komponisten den Spielern oder Zuhörern bekannt war, wie einige versclüsselte Autorenangaben auf Werken seiner Scüler zeigen.61 Da der festgestellte Mangel an guten und einsictigen Konzertmeistern nac Quantzens Überzeugung nur „durc einen mündlicen oder scriftlicen Unterrict“ behoben werden kann, entscloß sic Quantz, „hiermit einen Anfang und Versuc zu 57

Quantz 1752, 178. Quantz 1752, 179. 59 Sogar für die Sclußvignette seines Versucs wählte Quantz das Motto: „Exe$utio Anima Compositionis“, vgl. Quantz 1752, 334. 60 Diese Vorzüge des Orcesterspiels werden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auc dem Mannheimer Orcester zugescrieben, vgl. Scünemann 1913, 209. 61 Pisendel notierte die Namen Graun und Horn beispielsweise in grieciscer Scrift, vgl. Fecner 1999, 213, 362. 58

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macen, […] das, was bey dem A$$ompagnement am meisten beobactet werden muß, so viel als möglic ist, zu erklären.“62 Quantz beruft sic dabei auf seine „wenige, doc aus langer Erfahrung und Uebung erlangte Einsict“, die ihrerseits in erster Linie von Pisendel geprägt worden ist und sogar auf dessen Unterrict beruht. Damit steht fest, daß die Ausführungen in den folgenden Abscnitten des XVII. Hauptstü%s, in denen Quantz die Aufgaben aller am Orcesterspiel beteiligten Musiker sehr genau bescreibt, dem Stand der Dresdner Orcesterpraxis vor 1741 entsprecen. Unter allen Abscnitten dieses genau einhundert Seiten umfassenden Hauptstü%s über das Orcesterspiel, das knapp ein Drittel des gesamten Bucs umfaßt, hat der erste für die vorliegende Untersucung die größte Bedeutung. In diesem Abscnitt „Von den Eigenscaften eines Anführers der Musik“ werden zunäcst die teilweise bereits zitierten Voraussetzungen und Qualifikationen eines Konzertmeisters genannt, danac wird dessen Verantwortung für die Direktion eines Musikstü%s, den „gleicen Vortrag“ sowie die Einteilung und Aufstellung der Musiker erklärt. Wegen der grundlegenden Bedeutung dieser Quelle für das Verständnis von Pisendels Orcesterarbeit, in der die nacfolgenden Generationen das größte Verdienst des Dresdner Konzertmeisters erkannten, wird der Inhalt dieses Abscnitts in einer zusammenfassenden Übersict wiedergegeben: Quantz 1752 – XVII. Hauptstü%, I. Abscnitt: „Von den Eigenscaften eines Anführers der Musik“ [Voraussetzungen für das Konzertmeisteramt]

1. §. Obwohl er die „die gute Ausnahme der Musik“ nict ohne die „ihm zugeordneten“ bewerkstelligen kann, kommt „ein Großes auf den Anführer an“. 2. §. ein besonders guter Anführer ist wictiger als ein besonders guter Komponist, seine Eigenscaften: - Einsict in „deutlicen Vortrag“, „Harmonie“ und „Setzkunst“, - Gabe und „Aufrictigkeit, andern die ihnen nöthigen Wissenscaften beyzubrigen“ - eigene Erfahrung durc Mitspielen in „großen und berühmten Orcestern“, Übung „im guten Vortrage und andern nöthigen Wissenscaften“ 3. §. sollte die Violine spielen, weil sie „zum A$$ompagnement ganz unentbehrlic, auc durcdringender ist“ als die übrigen Begleitinstrumente Fähigkeit, „besondere Scwierigkeiten auf seinem Instrumente hervor zu bringen“, ist nict notwendig 4. §. soll durc Erfahrung mit guten Vorbildern eine „vollkommene Einsict habe[n], alle Arten der Composition nac ihrem Gescma%e, Affe$te, Absict und rectem Zeitmaaße zu spielen“ [Direktion der Orcestermusiker] 5. §. soll „das Zeitmaaß in der größten Vollkommenheit zu halten wissen“ soll „die Geltung der Noten, insbesondere auc der kurzen Pausen“ beherrscen soll vor Beginn des Stü%s „untersucen, in was für einem Zeitmaaße es gespielet werden soll“ soll die Mitspieler gewöhnen, „den ersten Ta$t eines Stü%es in Gedäctnis zu fassen […] und auf seinen Bogenstric Actung“ zu geben

62

Quantz 1752, 176.

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6. §. soll „Gesict und Gehör“ eher auf die „Hauptstimme, als auf die Begleiter ricten“, um dem „Con$ertisten“ die Freiheit zu lassen, „sein Tempo zu fassen, wie er es für gut befindet“ [Einführung eines gleicen Vortrags unter den Orcestermusikern]

7. §. soll „bey dem Orcester einen guten und gleicen Vortrag einführen, und zu erhalten sucen“ soll Hocactung und Liebe erwerben und eine „vernünftige und billige Subordination“ einführen 8. §. soll besonders „für rictige und gleice Einstimmung der Instrumente“ sorgen soll „zuerst nac dem Claviere rein stimmen; und darauf […] einen jeden Instrumentisten insbesondere einstimmen lassen“ 9. §. soll unerfahrene Ripienisten „zur Uebung vornehmen, um ihnen die recte Art beyzubringen, damit „alle in einerley Art spielen“ 10. §. soll dafür sorgen, daß alle „allezeit in gleicer Stärke oder Scwäce spielen“ 11. §. soll zur Übung „öfters Ouvertüren, carakterisirte Stü%e, und Tänze“ spielen lassen und „die A$$ompagnisten dadurc gewöhnen, ein jedes Stü% nac seiner Eigenscaft […] zu spielen“ [Einteilung und Aufstellung der Orcestermusiker]

12. §. soll „gute Solospieler zuziehen“ und „auc bey öffentlicen Musiken“ auftreten lassen 13. §. soll „die Instrumentisten […] gut einzutheilen, zu stellen, und anzuordnen wissen.“ soll im Opernhaus „ein wenig vorwärts, und erhöhet sitzen“ 14. §. Aufstellung „an einem großen Orte“ 15. §. Aufstellung „bey einer kleinen Kammermusik“ 16. §. soll „ein jedes Instrument, nac seinem Verhältnis, gehörig besetze[n]“ 17. §. Hauptstimmen sollen hervorragen, „Mittelstimmen am allerwenigsten gehöret werden“ [Ausbildung einer Orcesterscule durc den Konzertmeister] 18. §. soll „bey einem Orcester die guten Eigenscaften […] nict nur einzuführen, sondern auc zu erhalten“ verstehen – jedoc: es sind „nict alle Tonkünstler zu Anführern gesci%t“

Da das Dirigieren des Orcesters die auffälligste Tätigkeit eines Konzertmeisters ist, mit der er bei Proben und Aufführungen in Ersceinung tritt, steht sie in der Gliederung von Quantz an erster Stelle. Im Bezug auf die Orcestermusiker ist sie jedoc nur von nacgeordneter Bedeutung, denn die Direktion der Musiker findet erst in dem Augenbli% statt, in dem die Musik tatsäclic erklingen soll. Zu den wictigen Aufgaben eines Konzertmeisters im Vorfeld einer Aufführung gehört es dagegen, entsprecende Werke auszuwählen, das Notenmaterial einzuricten, die dafür benötigten Musiker einzuteilen und das Ensemble aufzustellen. Unabhängig von einer bestimmten Aufführung ist es vor allem seine Pflict, die sogenannte Orcesterdisziplin, die „gute und gleice Art des Vortrages“, einzuführen und zu erhalten. Zu diesem Zwe% läßt der Konzertmeister nict nur bestimmte Übungsstü%e proben, eine Praxis, die in Berlin das „Exer$iren des Orcesters“ genannt wurde,63 sondern er nimmt sic auc unerfahrene Ripienisten „zur Uebung vor […], um ihnen die recte Art beyzubringen“, damit „alle in einerley Art spielen.“ Dabei liegt es auf der Hand, daß diese „recte Art“ des Orcesterspiels in der Regel nict scriftlic fixiert wurde. Umso bedeutender ist es, daß Pisendel dennoc für seine genauen Eintragungen in das Orcestermaterial berühmt war. Dies läßt sic 63

Vgl. Reicardt-Autobiographie 1776 in: Henzel 1999, 71.

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nur damit erklären, daß Pisendel eine abwecslungsreice Orcesterpraxis pflegte, die auf den untersciedlicen persönlicen, nationalen und gattungsspezifiscen Stil der Kompositionen mit untersciedlicen Ausdru%smitteln reagierte und so die Ausprägung eines orcestralen Manierismus vermied. Der Direktion bestimmter Orcesterwerke durc den Konzertmeister Pisendel ging also die Ausbildung eines Orcesterstils allgemein und die Vorbereitungen zur Aufführung voraus. Entsprecend ist auc der VII. Abscnitt des Hauptstü%s über das Orcesterspiel, der aus der Perspektive der Ripienisten gescrieben ist, aufgebaut: Er beginnt mit der Notwendigkeit guter Instrumente, gleicer Stimmung und sauberer Intonation und geht dann zu den Grundsätzen des „guten, und einem jeden Stü%e, in seiner Art, und nac seinen Eigenscaften gemäßen Vortrags“ über. Da Quantz in diesem Zusammenhang auf die „Art der Bogenstrice“ hinweist und an die untersciedlice Spielweise je nac „Ort und […] Absict der Musik“ erinnert, kann davon ausgegangen werden, daß es sic hierbei um solce Inhalte handelt, die Gegenstand von Pisendels Einzelunterrict für unerfahrene Ripienisten waren. Diese Inhalte werden im folgenden Kapitel erörtert. Durc die Vorbildfunktion des Dresdner Orcesters und die Unterrictstätigkeit seines Konzertmeisters ist Pisendels Einfluß scon früh über Dresden hinaus erkennbar, und obwohl hier in erster Linie die zeitgenössisce Literatur (Sceibe, Mattheson, Quantz) untersuct werden soll, ist es wictig, auf die bislang unbeactete Rezeption der Dresdner Orcesterpraxis bis ins 19. Jahrhundert hinzuweisen. Wie bereits in einem Leipziger Violintraktat von 1774 festgestellt wurde,64 lehnt sic nämlic auc Leopold Mozart in seinem Versuc einer gründlicen Violinscule von 1756, die in seiner Vaterstadt Augsburg gedru%t wurde, eng an die Ausführungen von Quantz an. Besonders in den Kapiteln über die Bogenstrice und im abscließenden Hauptstü% „Von dem rictigen Notenlesen und guten Vortrage überhaupts“ sind die Übereinstimmungen deutlic.65 Dabei sceint Mozart mit seinen Hinweisen zur Orcesterpraxis die Ausführungen von Quantz bewußt ergänzen zu wollen. Oft führt er nämlic anhand von Notenbeispielen aus, was bei Quantz nur angedeutet wird, etwa die von Quantz nict näher erklärte Praxis, „eine Note, wenn auc nicts dabey gescrieben steht, entweder zu erheben, oder zu mäßigen.“66 In wenigen Einzelheiten untersceidet sic Mozart zwar von Quantz, etwa indem er die (ebenfalls nict notierte) inégale Spielweise bestimmter Passagen nur bei solcen mit Zweierbindungen erwähnt. Dennoc ist die inhaltlice und formale Nähe zur Pisendelscule unübersehbar und untersceidet sic sehr von der süddeutscen und namentlic der Salzburger Traktatliteratur.67 Diese Orientierung an dem aufgeklärten Dresdner und Berliner Umfeld ließe sic durc die Hypothese erklären, daß Leopold Mozart selbst in seiner Jugend ein Enkelscüler Pisendels war, denn es ist nict unwahrsceinlic, daß er mit dem 64

Vgl. Löhlein 1774, ohne Paginierung [Vorberict, 5]. Mozart ist sic nac eigenen Angaben der Anforderungen bewußt, die „bey so aufgeklärten Zeiten“ an die Veröffentlicung einer zeitgemäßen Violinscule gestellt werden, wie sie Marpurg kurz zuvor gefordert hatte, und hofft, daß sie so abgefaßt sei, „wie es der Herr Marpurg und andere gelehrte Musikverständige es wünscen“. Mozart 1756, Vorberict, [2]f. 66 Quantz 1752, 250, und die entsprecenden Erläuterung bei Mozart 1756, 256ff. 67 Vgl. Greta Moens-Haenen, Vorwort zu Mozart 1756, Reprint Kassel 1995, XVIf. 65

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Augsburger Pisendel-Scüler Johann Caspar Seyfert in Verbindung stand. Seyfert hatte nac seiner Rü%kehr aus Dresden 1723 ein Collegium musi$um gegründet, das offenbar eine der wenigen überkonfessionellen musikaliscen Einrictungen Augsburgs war.68 Zudem war bisher unbekannt, daß Seyfert bis zu seiner Ernennung zum Kantor und Dire$tor musi$es an der protestantiscen Hauptkice St. Anna regelmäßig ein Gehalt als Geigenlehrer aus der Konsistorialkasse erhielt. Im Nacruf auf Seyfert wird auf die große Zahl seiner Scüler hingewiesen,69 und sicer übte er als der wahrsceinlic fortscrittlicste Geigenlehrer und Orcesterleiter der Stadt eine gewisse Anziehungskraft auf den jungen Leopold Mozart aus, der Augsburg mit actzehn Jahren bereits als ein fähiger Geiger verließ, um in Salzburg zu studieren. Obwohl die Verbindung zu Pisendels Praxis nur mittelbar ist, können diejenigen Kapitel aus Mozarts Versuc, die mit dem Orcesterspiel im Zusammenhang stehen, als eine Ergänzung zum Quantzscen Versuc verstanden werden. Besonders Mozarts Ausführungen zu solcen Fragen, die bei Quantz nur sehr verkürzt dargestellt sind, sollen in der folgenden inhaltlicen Untersucung der Orcesterpraxis unter Pisendel herangezogen werden. Dies gilt auc für entsprecende Abscnitte aus den Scriften von Joseph Riepel, die ebenfalls noc nie mit Pisendel in Verbindung gebract worden sind. Dabei ist der Studienaufenthalt Riepels in Dresden von 1740 bis 1745 scon lange bekannt, denn Riepel screibt selbst, er habe seine „Einsict der Tonkunst mehrentheils dem gelehrten Dresden zu danken“.70 Riepel gehörte zum engeren Kreis um Zelenka, „mit welcem ausbündigen Meister ic damals in Dresden täglicen Umgang genossen“, und ist wohl auc als dessen Scüler anzusehen.71 Da er erwähnt, daß er auc Gottlob Harrer dort kennengelernt habe,72 ist nict auszuscließen, daß Riepel, wie Harrer, als Aushilfsmusiker oder „Supernumerarius“ bei einigen Aufführungen in Dresden mitwirkte.73 Auc von Ristori erhielt er nac eigenen Angaben Kircenmusikalien von Mar$ello zur Ansict – wenn auc nur für sehr kurze Zeit, so daß er sic keine Abscriften davon anfertigen konnte.74 Seine besceidenen Mittel gab er für Französisc- und Kompositionsunterrict aus, und aus seiner Angabe, er habe in Dresden „zugleic auc viele Berlinisce Meisterstü%e anzusehen“ Gelegenheit gehabt,75 kann gesclossen werden, daß er irgendeinen Zugang zu Pisendels Notenbibliothek hatte, denn Kompositionen aus Berlin wird er wohl kaum bei Zelenka, Ristori oder Hasse gesehen haben. Falls er allerdings als Aushilfsmusiker bei Aufführungen in der Katholiscen Hofkirce mitgewirkt hat, 68

Die Augsburger Stadt- und Musikgescicte des 18. Jahrhunderts ist geprägt von dem Nebeneinander protestantiscer und katholiscer Einrictungen, vgl. Friedhelm Brusniak und Josef Mančal, Artikel „Augsburg“, MGG2 I, 999 und 1010. 69 Vgl. Hiller 1767, 394. 70 Vgl. Emmerig 1984, 26f, mit weiteren Nacweisen. Zum Zitat vgl. Riepel 1755, Vorwort [ohne Paginierung], Reprint bei Emmerig 1996/I, 104. 71 Vgl. Poppe 2000 II, 291f. Zum Zitat vgl. Riepel 1765, 101, Reprint bei Emmerig 1996/I, 437. 72 Riepel 1756, Vorwort [ohne Paginierung], Reprint bei Emmerig 1996/I, 860. 73 Harrer, der vor 1738 Zelenkas Scüler war, bezeicnet sic selbst in seinem autographen Lebenslauf von 1750 als „musi$um, praeter ordinarium Cantorum numerum“ beziehungsweise in einem Gesuc von 1755 als ehemaliger „Supernumerarius“ der Polniscen Kapelle und der Dresdner Hofkapelle, bevor er 1741 zum Kapellmeister der Brühlscen Kapelle ernannt wurde, vgl. Kollmar 2001, 14 und 26. 74 Riepel, Harmonisces Sylbenmaß, II. Theil, zitiert nac Emmerig 1996/II, 127. 75 Riepel 1755, Vorwort [ohne Paginierung], Reprint bei Emmerig 1996/I, 105.

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könnte er diese „vielen Berliniscen Meisterstü%e“ auc dort „angesehen“ haben, denn von einigen Violinkonzerten Grauns ist nacweisbar, daß sie während der katholiscen Messe aufgeführt wurden. Dennoc sceint die Formulierung Riepels anzudeuten, daß seine Begegnung mit diesen Werken über das bloße Mitspielen hinausging. Auffällig ist auc, daß Riepel als einzige seiner Kompositionen ausgerecnet drei Violinkonzerte im Jahr 1756 dru%en ließ, so daß die folgende Passage möglicerweise als Hinweis auf einen sporadiscen „Umgang“ Riepels mit Pisendel verstanden werden kann: Ic scäme mic niemals, andere um die Auflösung eines Zweifelsknoten[!] öffentlic zu ersucen. […] Wie froh war ic nict vor ungefähr 14 Jahren [d.i. im Jahr 1741], da mir ein wa%erer Tonkünstler (ja wohl rect eines aufrictig- und harmoniscen Gemüts) nur in etlicen Stunden ein- und andern zweifelhaften Grundsatz erläuterte. Die mehresten haben mir vordem freylic wohl nicts als etwan eine höhnisce Antwort ertheilt, und mic sodann mit meinen Fragen nur noc verwirrter zurü%e gesci%t. Bald fragte mic einer, ob ic auc wohl im Stande wäre, die so kostbaren Le$tionen zu bezahlen; bald rieth mit ein andrer, ic sollte doc die Composition gänzlic fahren lassen, weil sie für mic zu scwer wäre; und was dergleicen niederträctige Großsprecereyen mehr sind.76

Gerade die Gegenüberstellung mit der hocmütigen Reaktion anderer Dresdner Komponisten könnte als ein Indiz für Pisendel verstanden werden, zumal da ein Unterrict bei Zelenka, mit dem Riepel „täglicen Umgang“ pflegte, wohl nict nur auf „etlice Stunden“ und einige „zweifelhafte Grundsätze“ bescränkt gewesen wäre. Dagegen paßt die Scilderung Riepels gut zu der in V67 bescriebenen Unterrictstätigkeit Pisendels: „Jungen Leuten, welce besondere Fähigkeiten in der Musik hatten, war er […] ungemein geneigt fortzuhelfen, und ihre Bemühungen mit gutem Rathe und Belehrungen zu unterstützen.“77 Sollte Riepel tatsäclic bei einigen Diensten der Hofkapelle als Aushilfsmusiker eingesetzt worden sein, dann ist er wohl auc als unerfahrener Ripienist in die „recte Art“ der Dresdner Orcesterpraxis eingewiesen worden. Umso größeres Interesse verdienen Riepels Ausführungen über die Bogenstrice in seiner Gründlicen Erklärung der Tonordnung insbesondere […] aus dem Jahr 1757. Riepel, der die Geheimniskrämerei mancer Lehrmeister verabsceute, geht in seinen Angaben sogar noc über Quantz und Leopld Mozart hinaus und bescreibt neben der „alten“ auc eine „neue Art“ der Bogenstrice bei coriscer Besetzung, die Quantz gleicfalls nur angedeutet hat. Interessant ist außerdem, daß er die Ausführung nict notierter Artikulationsarten für alle Ripienisten, also auc für Bläser und Clavieristen, aber auc für den „Waldhornisten, Clarinisten oder Sänger“ voraussetzt und diese, wie es offenbar damals üblic war, als musikalisce „Orthographie“ bezeicnet.78 Aufgrund der Angaben von Quantz über den „guten und gleicen Vortrag“, der sic über alle Kapitel seines XVII. Hauptstü%s über das Orcesterspiel erstre%t und von den Angaben Mozarts und Riepels noc ergänzt wird, lassen sic die Inhalte von Pisendels Orcesterarbeit unerwartet detailliert rekonstruieren.79 Ebenso detailliert sind Quantzens Angaben über das Verhältnis der Orcestermusiker zum Anführer, 76

Riepel 1755, 90, Reprint bei Emmerig 1996/I, 196. V67, 289f. 78 Vgl. Riepel 1757, 21, Reprint bei Emmerig 1996/I, 265, und die ausführlicere Erörterung in Exkurs IV. 79 Vgl. unten, Abscnitt IV: „Pisendels Aufgaben im Hinbli% auf die Orcestermusiker“. 77

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ihre Einteilung und Aufstellung durc den Konzertmeister und die Direktionstätigkeit Pisendels. Dank dieser Bemühungen Pisendels stand dem Dresdner Hof und seinen Komponisten ein idealer Klangkörper zur Verfügung: ein aufeinander eingespieltes, stilsiceres Orcester, das aus spezialisierten Musikern bestand und mit erstklassigen Instrumenten ausgestattet war. Die Spielweise dieses Orcesters ging dabei offensictlic über die hohen Anforderungen hinaus, die bereits Sceibe an die Fähigkeiten der „praktiscen Musikanten“ stellte, und wurde während der Amtszeit Pisendels noc verfeinert und überboten. Die hohe Kunst der „Ausführung“ war also das historisc bedeutsamste Verdienst Pisendels, das sic durc seine Scüler in Berlin und anderen Orten über Generationen fortsetzte und noc bis in unser heutiges Verständnis von den Aufgaben eines Konzertmeisters fortwirkt. Die besondere Qualität der Dresdner Hofkapelle und die Bedeutung von Pisendels Arbeit als Konzertmeister werden noc von den nacfolgenden Generation als vorbildlic bescrieben. Verantwortlic dafür sind vor allem Gottfried Heinric Homilius und sein Scüler Johann Adam Hiller, die beide Augenzeugen von Pisendels Dresdener Tätigkeit waren, sowie deren Scüler Johann Friedric Reicardt und Daniel Gottlob Türk. Während von dem Bac-Scüler Homilius, der seit 1742 Organist der Frauenkirce und ab 1755 Kreuzkantor und Musikdirektor der drei Dresdner Hauptkircen war, keine scriftlicen Zeugnisse zu Pisendel überliefert sind, haben seine drei genannten Scüler den Dresdner Konzertmeister und seine Verdienste mehrfac in ihren Scriften erwähnt. Hiller nahm beispielsweise die Biographie Pisendels zunäcst in seine Musikzeitscrift und später in die Lebensbescreibungen berühmter Musikgelehrten und Tonkünstler, neuerer Zeit auf und ergänzte dabei, wie der biographisce Teil dieser Arbeit zeigte, die Vorlage Agri$olas um eigene Erinnerungen an Pisendel. Als der siebzehnjährige Hiller 1746 Kreuzalumne wurde, war sein Klavierlehrer Homilius lediglic Organist und noc nict Kantor an der Kreuzkirce. Kantor war der mit Pisendel befreundete Theodor Christlieb Reinhold, der 1741 auc ein städtisces Collegium musi$um gegründet hatte und im gleicen Jahr wie Pisendel starb.80 In Dresden besucte Hiller begeistert die öffentlicen Auftritte der Hofkapelle unter der Direktion von Pisendel und Hasse, die zeitlebens seine musikaliscen Vorbilder blieben.81 Nac seinem Studium in Leipzig 1751—54 kam Hiller erneut nac Dresden und lebte bis 1758 als Privatlehrer im Haushalt des Grafen Brühl, wo er wiederum die Aufführungen der Hofkapelle besucte und mit den Pisendel-Scülern in Brühls Privatkapelle (zu denen möglicerweise dessen Konzertmeister Christian Friedric Horn gehörte82) bekannt wurde. Nac dem Siebenjährigen Krieg veranstaltete er in Leipzig mit großem Erfolg öffentlice Konzerte. Hier veröffentlicte er auc zwei Gesangssculen Anweisung zum musikalisc-rictigen Gesange (1774) beziehungsweise zum musikalisc-zierlicen Gesange (1780), die als Quelle für die Aufführungspraxis zur 80

Vgl. Fürstenau 1862, 236. Offenbar hat Hiller seine Begeisterung für Pisendel auc seinen Korrespondenten mitgeteilt, denn die Ausführungen des Musikers und Sekretärs der Augsburger Akademie der Wissenscaften Johann Friedric Daube in einem undatierten Brief „Uber den Titel Virtuos“, nac denen ein solcer Titel einem „rectscaffenen Mann, dessen Kunst mit einer guten Aufführung und Menscenliebe vereinbaret ist“, vorbehalten bleiben soll (vgl. Daube 1798, „39“ re$te 53), beziehen sic eindeutig auf Hillers Ergänzungen in V84. 82 Zur Brühlscen Kapelle vgl. Kollmar 2001. Zur Frage der Vornamen Horns vgl. auc Landmann 1982, 59f. 81

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Zeit Pisendels noc nict ersclossen sind, obwohl hier sein Anliegen, den verlorenen Glanz der Ära Pisendel-Hasse wiederzubeleben, deutlic zum Ausdru% kommt. Aus dem gleicen Grund kann sogar Hillers kaum bekannte Anleitung zum Violinspielen in einzelnen Fragen herangezogen werden, obwohl Hiller sie erst 1792 zum Gebrauc der Thomasscüler veröffentlict hat. Auc Reicardt, der während seines Studiums in Leipzig vor 1771 ein Scüler Hillers war und ergänzenden Unterrict bei Homilius in Dresden erhielt, erwähnt Pisendel gleic viermal in seinen Briefen eines aufmerksamen Reisenden, die Musik betreffend von 1774. Im Zusammenhang mit einem Vergleic zwiscen Hasse und Graun stellt er fest: Was den Sänger und das Orcester anbelangt, so haben die größten Kenner, so beyde kannten, so sehr gut auc das Berliner jederzeit gewesen, doc immer dem Dresdener unter der Anführung des berühmten Con$ertmeisters Pißhändel den Vorzug gegeben.83

Nacdem Friedric II. den dreiundzwanzigjährigen Reicardt 1775 als Nacfolger Agri$olas zum königlic preußiscen Hofkapellmeister ernannt hatte, erwähnte dieser die Überlegenheit des Dresdner Orcesters unter Pisendel – wohl aus politiscen Gründen – nict mehr in seinen Scriften, obwohl auc seine im folgenden Jahr veröffentlicte Abhandlung Ueber die Pflicten eines Ripien-Violinisten, mit der sic Reicardt als Direktor der Hofkapelle vorstellte, deutlic an diese Traditionen anknüpft. Daniel Gottlob Türk, der Kreuzscüler unter dem Kantorat von Homilius war, erwähnt gleicfalls die Qualitäten Pisendels als Orcesterleiter in seiner Clavierscule von 1789. Türk dürfte diese Informationen, die denen Reicardts auffällig gleicen, ab 1772 während seines Studiums in Leipzig von Hiller erhalten haben, bei dem er seine musikaliscen Studien fortsetzte, bis er selbst 1774 als Kantor nac Halle berufen wurde. Von dem verstorbenen Konzertmeister Pisendel in Dresden erzählt man, daß er nie, auc nict ein einzigesmal, die Bewegung eines Tonstü%es verfehlt habe; ja daß sogar Hasse, dessen Opern damals aufgeführt wurden, versicert haben soll, Pisendel treffe die Bewegung rictiger, als er selbst. Wenn diese Sage gegründet ist, so besaß Pisendel Einsicten und Talente, deren sic wohl Wenige zu rühmen haben möcten.84

Obwohl Türk, vielleict eingedenk der glühenden Bewunderung Hillers für Pisendel, etwas skeptisc von den sagenhaften „Einsicten und Talenten“ dieses Konzertmeisters sprict, wird deutlic, daß Hiller eine Sclüsselfunktion bei der Überlieferung und Bewahrung der Pisendelscen Traditionen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zukommt. Scließlic spielt auc der bereits erwähnte Rudolstädter Kammer-Violinist und Komponist Heinric Christoph Koc eine wictige Rolle in der Rezeptionsgescicte der Dresdner Orcestertraditionen, denn der Einfluß seiner Scriften, allen voran sein Musikalisces Lexikon von 1802, erstre%t sic bis weit in das 19. Jahrhundert. 83 84

Reicardt 1774, 23, vgl. auc 10, 34 und 39f. Türk 1789, 113.

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IV. PISENDELS AUFGABEN IM HINBLICK AUF DIE ORCHESTERMUSIKER 1. E INFÜHREN UND E RHALTEN EINES GUTEN UND GLEICHEN V ORTRAGS Nacdem herausgearbeitet werden konnte, daß Quantz sic in seinem Versuc an die Lehren seines verehrten Freundes und Vorbildes hielt, lassen sic die Einzelheiten aus den Kapiteln über das Orcesterspiel direkt auf Pisendels Praxis zurü%führen. Nur an wenigen Stellen werden Quantzens Angaben durc andere Quellen ergänzt. Dabei werden zunäcst diejenigen Maßnahmen bescrieben, die einer konkreten Aufführung vorausgehen, nämlic die Anscaffung guter Orcesterinstrumente und deren Stimmung, für die Pisendel zuständig war, sowie die von Pisendel eingeführten Grundsätze des Orcesterspiels.

Instrumente und Stimmung „Soll ein Orcester rect gute Wirkung thun: so müssen nict nur alle Mitglieder desselben mit guten und reinen Instrumenten versehen seyn; sondern sie müssen dieselben auc rictig und gleiclautend einzustimmen wissen.“1 Mit dieser Feststellung eröffnet Quantz das Kapitel „Von den Pflicten aller A$$ompagnisten überhaupt“ und umreißt damit einen Themenbereic, der die Grundvoraussetzung für ein wohlklingendes Orcester bildet. Dabei finden sic eine Vielzahl von Informationen über gute Instrumente, Stärke und Bescaffenheit der Saiten, das Einstimmen nac versciedenen Stimmtönen und die Art der Intonation auf diesen Instrumenten über die sieben Kapitel des XVII. Hauptstü%s verteilt. Wegen der Fülle der Information sollen nur diejenigen Aspekte untersuct werden, die in Pisendels direkten Verantwortungsbereic als Konzertmeister fallen. Wie bereits erwähnt, gehörte die Aufsict über die Orcesterinstrumente zu den Amtspflicten der Dresdner Konzertmeister. Diese Instrumente waren üblicerweise Eigentum des Hofes und wurden in Dresden von einem eigens angestellten Instrumenteninspektor betreut, der sie auf Kosten des Hofes instandhielt und besaitete.2 Diese Orcesterinstrumente unterscieden sic durc ihren kräftigeren Klang von den Soloinstrumenten, wie Quantz im Kapitel „Von dem Violon$ellisten insbesondere“ betont. Seine Feststellung, daß das Orcesterinstrument lauter klingen und stärker besaitet sein muß als dasjenige zum „Solospielen“, bedeutet jedoc nict, daß der Solist bei einem Konzert ein besonders leises Instrument verwenden soll. Unter „Solo“ verstand man nämlic ein obligates Kammermusikstü% mit Generalbaßbegleitung und nict etwa ein Solokonzert. Das Soloinstrument war demnac ausscließlic für Kammermusik vorgesehen:

1 2

Quantz 1752, 239. Vgl. auc 187f. Vgl. Fürstenau 1861, 170.

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Wer auf dem Violon$ell nict nur a$$ompagniret, sondern auc Solo spielet, thut sehr wohl, wenn er zwey besondere Instrumente hat; eines zum Solo, das andere zum Ripienspielen, bey großen Musiken. Das letztere muß größer, und mit di%ern Seyten bezogen seyn, als das erstere. Wollte man mit einem kleinen scwac bezogenen Instrumente beydes verricten; so würde das A$$ompagnement in einer zahlreicen Musik gar keine Wirkung thun. Der zum Ripienspielen bestimmte Bogen, muß auc stärker, und mit scwarzen Haaren, als von welcen die Seyten scärfer, als von den weißen angegriffen werden, bezogen seyn.3

ABBILDUNG 5: Anonymer Illustrator, General Friedric Wilhelm von Grumbkow als Geigenbauer, Kostümskizze zum Hoffest „Wirthscafft mit Handwerken“ im Jahr 1730 (D-Dla, OHMA I Nr. 45a, Wirthscafften und Einzüge) 3

Quantz 1752, 212.

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Diese Untersceidung zwiscen Orcester- und Kammermusikinstrument traf aber offensictlic nict nur auf Violon$elli, sondern auc auf Violinen zu. Daß auc die berühmten Violinisten Tartini und Holzbauer zwei untersciedlice Instrumente verwendeten, bestätigt Friedric August Weber 1788 und betont, daß Solokonzerte auf der Orcestergeige gespielt werden müssen. Da Solokonzerte zu Pisendels Zeit üblicerweise in der Kammer gespielt wurden und die Ripienstimmen nac bisherigem Kenntnisstand daher einfac besetzt waren,4 ergibt sic die für heutiges Verständnis paradoxe Situation, daß die begleitenden Kammermusiker auf ihren „Soloinstrumenten“ und der Con$ertist auf seiner „Orcestergeige“ spielte: Es ist kein Luxus, sondern Bedürfnis, daß ein Künstler, welcer sic auf der Violin pfleget hören zu lassen, zum wenigsten zwei Violinen hat, eine Sologeige und eine Orcestergeige. Der Name von beiden bezeicnet scon ihre Qualität, die Orcestergeige muß durcdringend, die Sologeige sanft klingen. Faulheit ist es, wenn ein Geiger dem es darum zu thun ist sic hören zu lassen, seine Con$erte nict auf der Orcestergeige abspielt. Denn gerade die Kraft ist es, welce ihn von den Violinisten, die ihm zur Begleitung dienen, untersceiden muß, und diese läßt sic aus der scwäcern Sologeige nict herausziehen.5

Selbstverständlic wurde für das stärker bezogene Instrument auc ein Bogen mit größerem Gewict verwendet. Entsprecend unterscied man zwiscen einem robusten, kurzen Orcesterbogen und einem deutlic längeren, dem sogenannten Sonatenbogen. Beide Bogentypen waren aber noc nict mit einer Scraubmecanik zur Anspannung des Haarbezugs ausgestattet, denn diese ist für Geigeninstrumente überhaupt erst seit der Jahrhundertmitte nacweisbar. Diese Bögen waren nac dem alten Prinzip des Ste%froscbogens konstruiert, bei dem ein separater Frosc zwiscen die in der Stange befestigten Haare eingeklemmt wird.6 Ein solcer Ste%froscbogen ohne Scraube wird in einer anonymen Kostümskizze zur „Wirthscafft mit Handwerken“ von 1730 in der Hand des Herrn von Grumbkow gezeigt, der bei diesem Dresdner Hoffest als Geigenbauer verkleidet war (Abbildung 5). Zudem muß davon ausgegangen werden, daß die Orcesterbögen zumindest in der Amtszeit Woulmyers nict in der bis heute üblicen Weise mit dem Daumen an der Holzstange gehalten wurden, denn diese aus Italien stammende Haltung verbreitete sic nur zögerlic. Stattdessen wurde bei den oberen Streicern wahrsceinlic der sogenannte „französisce Bogengriff“ verwendet, bei dem der Daumen statt unter der Holzstange auf die aus dem Frosc austretenden Haare gesetzt wird, so daß der Bogen wie in einer geöffneten Faust liegt. Durc die erheblic vergrößerte Hebelwirkung der Hand auf den Bogen wird die Tongebung kräftiger und die Artikulation prägnanter. Noc 1741 wird dieser Bogengriff in einem deutscen Lehrwerk bescrieben, ohne die neuere italienisce Haltung als Alternative zu erwähnen: 2. Soll der Bogen also gefaßt […] werden, daß der recte Daum die Haar necst bey dem Härpflein [Frosc] etwas eindru%e, damit die Haar an selbigem wohl angezogen bleiben

und man einen langen Stric und Klang von denen Saiten zuwegen bringen könne.7

4

Vgl. Landmann 1984, 12f. Siehe unten, Abscnitt IV, 3. „Besetzungsstärke und Stimmensätze“. Weber 1788, 38. 6 Erst um 1750 werden besonders hocwertige Geigenbögen mit einer Scraubmecanik ausgestattet. Die sogenannten „Ste%froscbögen“ wurden noc bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, beispielsweise von den Ripienisten der Mannheimer/Müncner Hofkapelle, verwendet, vgl. Rieder 1999, 84f und 105f. 7 Majer 21741, 96. Vgl. auc Köpp 2000, 295f. 5

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ABBILDUNG 6: Johann Friedric Wentzel, Festtafel zum 48. Geburtstag Augusts I. am 12.5.1718 (Detail), lavierte Federzeicnung (D-Dl Ms$r. Dresd. J 3, fol. 5)

Anders als beim italieniscen Griff befindet sic das Handgelenk bei dieser Haltung nict auf gleicer Höhe mit der Bogenstange, sondern unterhalb davon. Genau diese Haltung sceint auf einigen Dresdner Zeicnungen dieser Zeit abgebildet zu sein (siehe Abbildung 6 und 7). Noc der von Johann Joacim Kändler zwiscen 1749 und 1753 für die Porzellanmanufaktur in Meißen modellierte Geiger der sogenannten Affenkapelle hält den Bogen deutlic sictbar mit dem Daumen unter dem Haarbezug (siehe S. 279, Abbildung 8).8

8 Für die freundlice Information, daß der „Geigende Affe“ nac Kändlers Originalmodell seinen Bogen mit dem Daumen unter den Haaren hält, also den „französiscen“ Griff verwendet, danke ic Herrn Dr. Ulric Knüpfer von der Porzellanmanufaktur Meißen.

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ABBILDUNG 7: Carl Heinric Jakob Fehling, Vue laterale du grand Theatre Royal, Aufführung einer Oper von Antonio Lotti im September 1719 (Detail), lavierte Federzeicnung, um 1730 (Dresden, Kupferstic-Kabinett, Inv. Nr. C 6695)

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Der Cellist der Affenkapelle führt den damals üblicen Griff für Cellobögen vor, der heute nur noc auf der Viola da Gamba üblic ist.9 Den gleicen Griff verwendet auc der Cellist auf der von Quantz vor 1752 in Auftrag gegebenen Vignette am Ende seines Versucs. Diese Vignette dürfte eine verläßlice ikonographisce Quelle darstellen, denn Quantz selbst hat den Inhalt und das Programm der Abbildungen genau bestimmt.10 Man kann also davon ausgehen, daß nict nur die Violinisten, sondern auc die Violon$ellisten noc sehr lange einen von der heutigen Praxis abweicenden Bogengriff verwendeten (siehe Abbildung 9). Der Klang dieser stark besaiteten Orcesterinstrumente, die mit einem robusten Ste%froscbogen gespielt wurden, war nict nur kräftig, er wird auc übereinstimmend von Quantz und seinen Zeitgenossen als „durcdringend“ bescrieben.11 Aus diesem Grund hält Quantz es beispielsweise für eine „unumgänglice Nothwendigkeit“, daß auf dem „Conraviolon“, wenn er „deutlic klingen soll, Bände [Darmbünde auf dem Griffbrett] seyn müssen“.12 Von der Bratsce sagt er dagegen, daß sie, „wenn es ein gutes und starkes Instrument ist, gegen vier, auc wohl secs Violinen zulänglic ist“, und rät zu maßvoller Tongebung.13 Zur Wahl einer Orcestervioline, mit der man „eine Partie mitmacen kan“, gibt der in Erfurt tätige Komponist und Jurist Johann Philipp Eisel von 1738 folgenden Rat: Die besten Violinen werden von Antonio Stratifario zu Cremona im Staat von Mayland, ingleicen von Jakob Stainern in Absom prope Oenipontum gemacet, und überscreien dieselben einen gantzen musi$aliscen Chor: Wiewohl, da sie sehr kostbar zustehen kommen, so sind sie auc folglic nict jedermanns Kauff, und muß man sic mitlerweile mit dem Teutscen als: Hoffmanns in Leipzig, Haserts in Eisenac, und Rupperts Violinen in Erffurth behelffen, davon mance auc angenehm und star% genug klingen.14

9 Quantz 1752, 212, empfiehlt besonders im Hinbli% auf die übereinstimmende Stricrictung und Bogenbehandlung der Orcestermusiker, daß sie den Bogen in der gleicen Weise streicen wie die Geiger. Entgegen einer verbreiteten Meinung mact Quantz jedoc keine Angaben zu einer konkreten Bogenhaltung mit der recten Hand. Seine Untersceidung zwiscen dem gambenmäßigen und italieniscen Stric bezieht sic lediglic auf die Organisation der Auf- und Abstrice. 10 Über den programmatiscen Hintergrund dieser von Georg Friedric Scmidt gestocenen Vignetten berictet Quantz in einem eigenhändigen Brief vom 8.3.1763 an Padre Martini, vgl. Horst Augsbac, „Bemerkungen und Ergänzungen“ zum Reprint von Quantz 1752, Kassel 1992, 381 und 399. 11 Vgl. Quantz 1752, 179. Vgl. auc die Angaben C. P. E. Bacs über seinen Vater (Bac-Dok. II, Nr. 801): „In seiner Jugend bis zum ziemlic herannahenden Alter spielte er die Violine rein u. durcdringend u. hielt dadurc das Orcester in einer größeren Ordnung, als er mit dem Flügel hätte ausricten können.“ 12 Vgl. Quantz 1752, 219. 13 Vgl. Quantz 1752, 209. 14 Eisel 1738, 30.

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ABBILDUNG 8: Johann Joacim Kändler, Geiger und Cellist aus der Affenkapelle, Entwurf 1749—1764, Meißner Porzellan (Meißen, Staatlice Porzellan-Manufaktur, Inv. Nr. 13598 und 517)

ABBILDUNG 9: Georg Friedric Scmidt, Vignette „Exe$utio Anima Compositionis“ (Detail), Kupferstic vor 1752 (Quantz 1752, 334)

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Bisher wird in der Spezialliteratur davon ausgegangen, daß die Musiker in Deutscland bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die hocgewölbten Instrumente von Jakob Stainer bevorzugten15 und die Orcester dieser Zeit mit Instrumenten nac dem Modell Stainers ausgestattet waren. Daß Eisel dagegen die flac gebauten Violinen Stradivaris an erster Stelle nennt, ist in diesem rect bekannten Zitat niemandem aufgefallen, denn dieses Urteil entsprict ja der heutigen Wertscätzung Stradivaris. In einer Zeit aber, in der die hoc gewölbten Modelle allgemein verbreitet waren und die Violinen Stainers sogar höher bezahlt wurden als die Instrumente der berühmten Cremoneser Geigenbauerfamilien Amati und Guarneri, ist Eisels Bewunderung für den 1737 gestorbenen Antonio Stradivari umso bemerkenswerter. Eisels positives Urteil über die damals neuen und in Deutscland angeblic kaum bekannten Violinen Stradivaris läßt sic nur dadurc erklären, daß er solce Instrumente aus eigener Anscauung kannte. Wie bereits erwähnt, belegt eine wenig beactete Quelle, daß die Dresdner Hofkapelle seit 1715 über zwölf Violinen von Antonio Stradivari verfügte.16 Der Cremoneser Geistlice Don Desiderio Arisi, der bis zu seinem Tod 1722 an einer Chronik der bildenden Künstler in seiner Heimatstadt arbeitete, scloß auc einige Bemerkungen über Stradivari mit ein, mit dem er befreundet war. Aus der entsprecenden Passage seines Manuskripts, deren Wortlaut hier erstmals wiedergegeben wird, ist zu entnehmen, daß Pisendels Vorgänger Woulmyer am 10.6.1715 im Auftrag des Dresdner Hofes in Cremona eintraf und drei Monate lang in Stradivaris Werkstatt die Fertigstellung von zwölf Violinen für die Hofkapelle überwacte (Abbildung 10).17

ABBILDUNG 10: Desiderio Arisi, Vermerk zum Aufenthalt Woulmyers in Cremona im Jahr 1715, Cremona um 1720 (I-CR$, AA.2.2118) 15

Vgl. Boyden 31974, 197, und Huber 1998, 181, 184, 190. Estmals erwähnt (jedoc nict zitiert) wurde diese Quelle von Hill 1902, 182, 223 und 245. 17 Solce Instrumenten-Ankäufe waren am Dresdner Hof durcaus üblic, denn um das Jahr 1628 reiste der Dresdner Hofkapellmeister Heinric Scütz nac Cremona und bracte fünf Instrumente von Amati mit nac Dresden. Auc die Musiker anderer Höfe waren häufig mit der Vermittlung wertvoller Streicinstrumente bescäftigt, denn ein Weimarer Instrumenteninventar von $a. 1735 verzeicnet Instrumente, die von dem dortigen Kammersekretär und Geigenvirtuosen Johann Paul von Westhoff, dem Köthener Premier Violinisten Joseph Spieß und sogar von Woulmyer angekauft wurden, vgl. Heyde 1985, 37. Woulmyer vermittelte außerdem am 29.3.1719 zwei Bratscen mit zugehörigen Saiten nac Polen, vgl. Zórawska-Witkowska 1997, 493. 18 Ohne Foliierung. Für seine Hilfe bei der Bescaffung von Kopien dieser Arcivalie möcte ic meinem Kollegen Herrn Giovanni Zordan herzlic danken. 16

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Zwölf Violinen für die Dresdner Hofkapelle sind nict nur an sic eine sehr große Zahl, sondern dies ist auc die größte Einzelbestellung bei Stradivari, die bislang überhaupt bekannt geworden ist. Im Zusammenhang mit Woulmyer wurde kürzlic auf einige Briefe aufmerksam gemact, mit denen angeblic ein „königlic polniscer Sekretär Don Alfonso Costanzi“ am 11.12.1714 je drei erste und zweite Violinen, Bratscen und Violon$elli bestellt hat.19 Diese Angaben weicen jedoc inhaltlic von den Angaben des Arisi-Manuskripts ab, und Woulmyer wird in einem der Briefe unzutreffend als „Hofmeister“ mit Wohnsitz in Polen bezeicnet: „La diretione sarà s$ritta per maestro de $orte Jean Volumier Polonia“.20 Auc der Scriftbefund des untersucten Briefes, der sic sic heute in Privatbesitz befindet, weist deutlice Anzeicen einer Fälscung auf,21 so daß diese Scriftstü%e hier nict weiter in Betract gezogen zu werden braucen. Obwohl die Dresdner Quellen bei dem Namen Stradivari, umfangreicen Recercen zum Trotz, bislang versagt haben, lassen sic doc einige Indizien zusammentragen, durc die der Berict des Don Arisi unterstützt wird. Zum einen war der Konzertmeister Woulmyer tatsäclic im Sommer 1715 aus Dresden abwesend, denn Pisendel wurde während dieser Zeit mit der „völligen Dire$tion“ über die Kapellmusiker betraut. Zum anderen ist belegbar, daß sic ein Geheimer Kammerherr des Königs namens Johannes Alphonso „zu Expedirung einiger ihm aufgetragenen Commissionen in Italien“ in dem fraglicen Sommer in Italien aufhielt und große Summen aus der Privatscatulle des Königs empfing. Im gleicen Jahr erhielt auc der Baron Mordaxt, der seit 1709 als Dire$teur des plaisirs für Theaterangelegenheiten zuständig war, Gelder für eine italienisce Reise aus der königlicen Scatulle.22 Es sind also mehrere Wege denkbar, über die jene zwölf Stradivari-Violinen bezahlt und nac Dresden hätten transportiert werden können. Ganz offensictlic beabsictigte August der Starke mit diesem Instrumentenkauf von 1715, daß der Klang seiner Hofkapelle von den Violinen Stradivaris dominiert werden sollte, wohl auc, um sic von anderen Hofkapellen mit ihren hocgewölbten Instrumenten zu untersceiden. Wer den Anstoß für diese Wahl gegeben hat, ist nict zu entsceiden, er könnte jedoc aus Paris gekommen sein, wo sic der Kurprinz zuvor, auf seiner Reise begleitet von Scmidt, Woulmyer, Petzold und Pisendel, aufgehalten hatte. Der wictigste Anlaß für Woulmyer, die Fertigstellung dieser Instrumente selbst zu überwacen, bestand aber wohl darin, zusätzlic zu dem glei19

Vgl. Zawadzki 1963, 12f, und Zórawska-Witkowska 1997, 493. Für die Übersetzung des Aufsatzes von Zawadzki möcte ic Frau Margaret Ma$Duffie herzlic danken. 20 Vgl. die Abbildung dieses Manuskripts bei Zawadzki 1963, 12. 21 „The handwriting does not look in any $ase muc like Italian handwriting of the early eighteenth $entury. The date of 11 De$ember in the 2nd line is un$onvin$ing be$ause the abbreviation Xbre is meant to represent a single word („di$embre“): it appears here to have been $opied from another early do$ument by a hand una$$ustomed to this abbreviation. The first line of the date looks very laboured (and not parti$ularly appropriate), as if $opied from another do$ument.“ Freundlice Mitteilung aufgrund einer Photokopie der Handscrift von Herrn Dr. Simon Maguire, Sotheby’s Printed Books and Manus$ripts, in einem Brief vom 12.6.2001. 22 Zu dem Amt Mordaxts als Dire$teur des plaisirs vgl. Fürstenau 1862, 44f. Zu den entsprecenden Zahlungsanweisungen an den „Gehl. Cämmerier Alphonso“ und an Baron Mordaxt vgl. D-Dla, „Scatullrecnungen Nr. 37“, Kopierbuc („Das grüne Buc“), Einträge Nr. 28-31. An der gleicen Stelle wird unter dem 21.5.1715 vermerkt, daß die Komödiantentruppe Tomaso Ristoris bereits in Venedig eine Zahlung in Höhe von 2666 Talern für die Jubilate-Messe in Verona erhalten hat. Offenbar wurde Ristoris Truppe zeitgleic mit dem Ankauf der Stradivari-Instrumente erneut engagiert.

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cen Vortragsstil des Orcesters auc einen möglicst einheitlicen Klang der beiden Geigengruppen zu gewährleisten. Dadurc, daß die Dresdner Violinisten für ihren Orcesterdienst seit 1715 alle mit neuen Stradivarigeigen ausgestattet waren, muß das Orcester jenen unerhört strahlenden und brillanten Klang besessen haben, der zusammen mit der Orcesterdiziplin den Ruf der Hofkapelle begründete. Nac Angaben des Leipziger Konzertmeisters Georg Simon Löhlein von 1774 zeicneten sic die flac gewölbten Violinen Stradivaris nämlic durc einen „festen durcdringenden, Hoboe-artigen“ Ton aus, während den hocgewölbten Instrumenten Stainers ein „voller flötenhafter“ Klang zugescrieben wurde.23 Aufgrund dieser Erkenntnis muß die heutige Vorstellung vom Dresdner Orcesterklang in einer der bedeutendsten Phasen der deutscen Musikgescicte grundlegend revidiert werden, denn obwohl diese Stradivari-Violinen selbstverständlic mit kurzem Hals und Darmsaiten eingerictet waren und aus heutiger Sict als „Baro%geigen“ bescrieben werden können, prägte ihr brillanter Klang den Eindru% der Zeitgenossen von den Werken Vivaldis, Telemanns, Heinicens, Zelenkas, Hasses, Grauns und der übrigen unter Pisendels Leitung aufgeführten Kompositionen. Tragiscerweise wurde ein Teil der Dienstinstrumente der Hofkapelle, unter ihnen sicer auc einige von Stradivari, bei dem Brand des kleinen Zwingertheaters am 24 29.1.1748 zerstört. Daher war es die Aufgabe Pisendels als Konzertmeister, Ersatzinstrumente zu bescaffen. Offenbar mußte dies im Hinbli% auf die bevorstehende Premiere von Hasses Demofoonte am 9.2.1748 und die übrigen Veranstaltungen der Karnevalssaison25 sehr scnell gehen, denn bereits zweieinhalb Monate später, am 11.4.1748, wurden Pisendel zur Erstattung seiner Auslagen 315 Taler 16 Groscen angewiesen: 315. 16 — an den Con$ert Meister, Johann George Pisendel, zu Wiederanscaffung neuer Instrumenta, anstatt derer so wohl Königl. als denen Königl. Musi$is, am 29. Jan. 1748 mit dem kleinen Theatro aufn Zwinger Garthen in Feuer verlohren gegangen zuständig gewesenen alten Instrumenta, gegen Quittung.26

Wie viele Instrumente Pisendel angescafft hat und woher sie stammten, ist nict bekannt. Seinem Scüler Johann Gottlieb Graun jedenfalls empfahl er eine Violine, 23

Vgl. Löhlein 1774, 129 und 133. Historiscer Kern Dreßdniscer Merkwürdigkeiten des 1748sten Jahres, Mensiis Februarii. Erste Abtheilung, 11: Den 29. Jan. beliebte der gesamte königl. Hof in den kleinen Opern-Hause, so vor anderthalben Jahren im Zwinger erbaut worden, die Opera Leu$ippo abermahln mit anzusehen, nacdem nun solce geendiget, und die Königl. Herrscaften sic scon in Dero Zimmer begeben, auc die meisten von denen Vornehmsten biß auf einige wenige ein gleices gethan hatten, so entstunde in gedactem Opern-Hause gantz unvermuthtet eine Feuers-Brunst, und wurde dasselbe, weiln es hölzern, in kurtzer Zeit völlig verzehret, wobey aber GOTT sey dan%, kein eintziger Mensc mit verbrannt oder sonsten bescädiget worden. Die letzten verbliebenen Instrumente wurden wahrsceinlic durc die Bescießung der Instrumentenkammer während der preußiscen Belagerung 1760 zerstört, so daß aus dieser glanzvollen Periode leider keine einzige Stradivari-Geige mehr in Dresden existiert. 25 Während des Karnevals 1748 wurde zunäcst Hasses Oper La Spartana generosa wiederholt, während im Zwingertheater Hasses Leu$ippo und die komisce Oper Calandro von Johann Georg Scürer gespielt wurde, vgl. Fürstenau 1862, 255, 257. 26 Vgl. Pisendel-Dokumente Nr. 75 und 76. 24

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die siebzig Taler gekostet haben soll.27 Möglicerweise benötigte Graun diese Violine, die ein besonders hervorragendes Instrument gewesen sein muß, im Vorfeld seiner ersten Anstellung als Konzertmeister in Merseburg um 1724. Eine neu gebaute Geige des „königl. pohlnl. und kurfüstl. säcsl. Hofgeigenmacers“ Johann Christian Hoffmann zu Leipzig kostete dagegen im Jahr 1730 nur 6 Taler, ein Violon$ello 12 Taler, jeweils inklusive Bogen.28 Rein recnerisc bewegen sic die von Pisendel gezahlten Preise zwiscen diesen Werten. Mit Sicerheit hat Pisendel sic bemüht, in dieser kurzen Frist möglicst gute Instrumente zu erhalten und sic dabei nac ‚gebraucten‘ Orcesterinstrumenten umgesehen. Nur im Ausnahmefall wird er einen Auftrag zum Neubau eines Instruments erteilt haben. Es ist nict auszuscließen, daß er dabei auc auf hocwertige einheimisce Instrumente zurü%griff, denn er stammte ja väterlicerseits aus dem säcsiscen Geigenbauort Markneukircen, wo die Mitglieder der Familie Pisendel neben ihrem Beruf als Färber und Rat auc als Geigenhändler und Bogenmacer nacweisbar sind.29 Auc der „Inspe$tor der Instrument Cammer“ der Dresdner Hofkapelle, der für die Besaitung und Reparatur der Orcesterinstrumente zuständig war, wird Pisendel bei der Bescaffung geeigneter Instrumente behilflic gewesen sein, zumal da dieses Amt seit 1746 von dem Kontrabassisten Georg Friedric Kästner übernommen wurde,30 der offenbar zum engeren Freundeskreis um Pisendel gehörte. Den Titel eines Hofgeigenmacers trug der erwähnte Johann Christian Hoffmann seit etwa 1712. Da er jedoc 1750 starb, dürfte er zur Zeit des Theaterbrandes nict mehr sehr aktiv gewesen sein. Dagegen ist anzunehmen, daß Andreas Balthasar Jauc, der seit 1744 „Hoff-Instrumenten und Lautenmacer“ in Dresden war, einen Beitrag zum Instrumentarium geleistet hat. Die wenigen erhaltenen Instrumente Jaucs lehnen sic eng an das Vorbild des berühmten Tiroler Geigenbauers Matthias Alban aus Bozen an.31 Aber auc Geigenbaumeister aus Markneukircen belieferten mitteldeutsce Hofkapellen mit hocwertigen Instrumenten und können dank der familiären Kontakte Pisendels auc für den Dresdner Hof tätig geworden sein.32 Für diese Annahme

27 Vgl. Hiller 1784, 294f. Falls Pisendel dieses Instrument nict selbst vorgesclagen hat, liegt es nahe, eine Vermittlung durc den amtierenden Konzertmeister Woulmyer zu vermuten, der, wie viele seiner Kollegen, mit Instrumenten handelte. 28 Glö%ner 1997, 303. Ein Jahr zuvor hatte Bac ebenfalls zwei Violinen, eine Viola und ein Violon$ello nebst zugehörigen Bögen bei dem mit ihm befreundeten Geigenbauer Hoffmann gekauft, vgl. Bac-Dok. II, Nr. 272. 29 Pisendels Groß-Cousin Johann Micael „Piesendel“ aus Markneukircen, den er 1755 auc in seinem Testament bedacte (vgl. Köpp 1999, 65), ist beispielsweise neben seinem Hauptberuf als Scwarzfärber auc als Bogenmacer urkundlic nacweisbar und gehörte zu einer Gruppe von Meistern, die 1790 ein Gesuc zur Gründung einer Bogenmacerinnung unterzeicneten, vgl. Grünke/Scmidt/Zunterer 2000, 14f. 30 Nac zweijähriger Vakanz wird Kästner im HStCal 1747 erstmals als Instrumenteninspektor geführt. Da Kästner beim Eintritt in die Hofkapelle zunäcst als Bratscist und später als Fagottist bescäftigt war, bevor er beim Kontrabaß blieb, dürfte er sic mit Streic- und Blasinstrumenten gut ausgekannt haben. 31 Vgl. Köpp 2003, 259. 32 Instrumente von Johann Andreas Dörffel (1696—1781) und George Carl Kretzscmann (1702—1783) sind in den Inventaren der Köthener und Weimarer Kapellen vertreten, vgl. Köpp 2000, 298 und 300.

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sprict, daß einige dieser frühen Instrumente sogar nac dem Modell Stradivaris gebaut waren (siehe Abbildung 11 und 12).33

ABBILDUNG 11: Antonio Stradivari, Violine „ex Hocstein“, Cremona 1715 33

Neben dem abgebildeten Instrument von Johann Andreas Dörffel, Markneukircen 1754, sind auc von dem angesehenen Markneukircner Meister Thomas Meinel (1702—1758) hocwertige Arbeiten nac Stradivari bekannt geworden, vgl. Lütgendorff 1975, 328, und Köpp 2003, 260.

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ABBILDUNG 12: Johann Andreas Dörffel, Violine nac dem Modell Stradivaris, Markneukircen 1754

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Die Mitglieder der Dresdner Hofkapelle waren also „mit guten und reinen Instrumenten versehen“, wie es Quantz in dem eingangs zitierten Grundsatz gefordert hatte. Als zweite Vorbedingung für eine „rect gute Wirkung“ des Orcesters nennt er das Einstimmen der Instrumente. Dem Problem der Stimmtonhöhe widmet Quantz mehrere Seiten, in denen er über die versciedenen in- und ausländiscen Stimmtöne und deren Einfluß auf die Blas- und Streicinstrumente sowie auf die Gesangsstimmen und die untersciedlice Wirkung der Musik eingeht. Offenbar spielten die Untersciede zwiscen dem deutscen, französiscen, venezianiscen und römiscen Ton auc für die Dresdner Musiker eine wictige Rolle, die natürlic mit den Instrumenten der Kapellmusiker, die diese aus ihren untersciedlicen Herkunftsländern mitgebract hatten, im Zusammenhang stehen. Auc auf den Bau von Blasrohren und die Bohrung von Grifflöcern bei Blasinstrumenten sowie für die Bestellung von Saiten für Streicinstrumente in Italien wirkt sic die Frage nac der Stimmtonhöhe in der täglicen Praxis aus. Über den in Dresden verwendeten Stimmton mact Quantz folgende Angaben: Der Ton, in welcem die Orcester zu stimmen pflegen, ist nac Bescaffenheiten der Orte und Zeiten immer sehr verscieden gewesen. Der unangenehme Chorton hat einige Jahrhunderte in Deutscland geherrscet, welces die alten Orgeln sattsam beweisen. […] Nacdem aber die Franzosen, nac ihrem angenehmen tiefen Tone, die deutsce Querpfeife in die Flöte traversiere, die Scallmey in den Hoboe, und den Bombart in den Basson verwandelt hatten; hat man in Deutscland auc angefangen, den hohen Chorton mit dem Kammertone zu verwecseln: wie auc nunmehro einige der berühmtesten neuen Orgeln beweisen.34

Zweimal erwähnt Quantz die Stimmung einheimiscer Orgeln als Anhaltspunkt für die historisce Stimmtonhöhe, so daß diese auc heute noc einen verläßlicen Anhaltspunkt geben dürften. Mit der Formulierung „einige der berühmtesten neuen Orgeln“ bezieht sic Quantz offenbar auf die großen Orgeln, die der mit Pisendel eng befreundete Gottfried Silbermann 1722 für die Dresdner Sophienkirce und bis 1755 für die Dresdner Hofkirce gebaut hat. Glü%licerweise sind genaue Angaben über die historiscen Stimmtöne dieser Orgeln verfügbar, denn als der Stimmton in den europäiscen Musikzentren seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts allgemein zu steigen begann, bescäftigte sic der angesehene Dresdner Gesangslehrer Karl Näke mit dem Bestimmen von Tonhöhen, um zu einer idealen Stimmtonhöhe für Orcester und Sänger zu gelangen.35 Nac Näkes Untersucungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts besaß die große Domorgel in Freiberg, die Silbermann 1714 gebaut hatte und die nac Näkes Beobactung nict temperiert gestimmt war, eine Tonhöhe von a = 422 Hz. Als Silbermann den Auftrag für die Orgel in der Dresdner Sophienkirce erhielt, wurde bei der Planung der Dresdner Kapellmeister Antonio Lotti herangezogen, der sic für eine Tonhöhe von a = 415,5 Hz ausgesprocen haben soll. Jedenfalls besaßen beide Silbermannorgeln in der Sophienkirce und der Hofkirce im 18. Jahrhundert diese Stimmtonhöhe.36 Da die Hofkapelle mit ihren Dienstinstrumenten in der Katholi34

Quantz 1752, 241. Für Näke war es 1862 selbstverständlic, daß beispielsweise die Opern Mozarts nur mit Rü%sict auf ihre originale Stimmtonhöhe die gewünscte musikalisce Wirkung hervorbringen könnten, vgl. Näke 1862, 6 und 8. 36 Zu allen Angaben über die Tonhöhe der Silbermannorgeln vgl. Näke 1862, 11. 35

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scen Hofkirce auftrat, ist anzunehmen daß die gleice Stimmtonhöhe auc in der Dresdner Oper verwendet wurde.37 Welce Stimmung dagegen in der Kammermusik gültig war, bei der die Musiker, wie oben erläutert, andere Instrumente verwendeten, bleibt unklar. Das Einstimmen der Instrumente zählte bereits Mattheson zu den Pflicten des Konzertmeisters und bescrieb dabei die oben zitierte Methode des Hannoveriscen Konzertmeisters Farinelli.38 Quantz bescreibt eine ähnlice Methode mit dem Unterscied, daß der Konzertmeister die Töne nict durc den „ersten Violinisten“ an die Orcestermitglieder weitergeben läßt,39 sondern dies selbst tut: Der Anführer muß also, wenn er eine rictige Stimmung erhalten will, sein Instrument, bey Aufführung der Musik, zuerst nac dem Claviere rein stimmen; und darauf, nac demselben, einen jeden Instrumentisten insbesondere einstimmen lassen. Damit aber die Instrumente […] nict wieder verstimmet werden; muß er nict gestatten, daß ein jeder die Freyheit habe, nac eigenem Gefallen zu präludiren und zu phantasiren […].40

Auc Mozart verlangt, daß „die übrigen [Musiker] alle nac dem ersten Violinisten einstimmen sollen“, und bestätigt, daß man sic im Beisein eines Tasteninstruments „mit der Stimmung nac solcem ricten“ muß.41 In diesem Fall werden die Töne für die d- oder a-Saite vom Tasteninstrument abgenommen und die übrigen Saiten danac gestimmt. Quantz empfiehlt für das Einstimmen der leeren Saiten sogar, daß „man die Quinten, nict, wie gescieht, ganz rein, oder wohl gar über sic scwebend, sondern vielmehr unter sic scwebend stimmete: damit die bloßen Saiten alle mit dem Claviere übereinträfen.“ Ausgehend vom a des Cembalos sollen daher alle Quinten auf der Violine eng gestimmt werden, „sonst folget natürlicer Weise, daß von vier Seyten nur eine mit dem Claviere gleiclautend ist.“42 Aus dieser Bemerkung darf jedoc nict gesclossen werden, daß in der Dresdner Hofkapelle klaviermäßig oder sogar gleicscwebend intoniert werden sollte, denn Quantz verlangt „wegen des Reingreifens der Töne auf den Bogeninstrumenten, und sonderlic der Violine,“ daß die „Subsemitone“, beispielsweise der Unterscied zwiscen dis und es, sorgfältig beactet und ausgedrü%t werden sollen, also „daß die mit einem b bezeicneten Töne um ein Komma höher seyn müssen, als die, welce ein Kreuz vor sic haben.“43 Nac wie vor gilt also die „reine“ Stimmung auc für die Orcestermusiker, obwohl die leeren Saiten grundsätzlic mit der temperierten Stimmung des „Claviers“ übereinstimmen müssen:

37

Fürstenau 1862, 290, nennt leict abweicende Werte: „Während die Stimmgabel der Kapelle zu Hasse’s Zeiten 417 (850) Scwingungen zählte, weist die jetzige [also 1861] im Theater 443 (892) auf. In der katholiscen Hofkirce ist die Stimmung ziemlic die tiefe Hasse’sce geblieben, da die Orgel sorgfältig in derselben erhalten wird.“ 38 Vgl. oben, Abscnitt III, 3. „Zur Leitung und Aufführung fremder Kompositionen vor Quantzens Versuc“. 39 Der Amtstitel des „ersten Violinisten“ ist nac Pisendels Beförderung zum Konzertmeister in Dresden nict mehr nacweisbar, obwohl Cattaneo offensictlic eine Stellvertreterfunktion ausübt. Möglicerweise hat Pisendel seine vorherigen Aufgaben aus dem Amtsbereic Premier Violon mit in das Konzertmeisteramt übernommen. 40 Quantz 1752, 181. 41 Mozart 1756, 255. 42 Quantz 1752, 240. 43 Quantz 1752, 243.

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Es ist zwar wahr, daß ein jeder von den Bogeninstrumentisten sein Instrument nac dem Gehöre spielet, und die Finger nac Gefallen, höher oder tiefer setzen kann: allein die unreine Stimmung wird doc dann und wann durc die bloßen Seyten, welce man nict zu allen Zeiten vermeiden kann, besonders die tiefesten, auf einem jeden Instrumente verrathen. […] Wäre ein Instrumentist gesci%t genug, durc Versetzung der Hände alles zu spielen, ohne die bloßen Seyten zu berühren: so kann er doc nict vermeiden, die Quintenspringe[!] mit einem Finger zu greifen. Sind nun die Seyten an und für sic nict rein gestimmet: so bleiben diese Quintensprünge, in gescwinden Stü%en, gleicfalls unrein.44

Obwohl das sorgfältige Einstimmen der leeren Saiten die wictigste Voraussetzung für die übereinstimmende Intonation ist, betont Quantz immer wieder, daß besonders die leere a- und e-Saite nac Möglickeit beim Spielen vermieden werden sollte. Der Grund liegt nict nur in der Gefahr für die Intonation, die bei blanken Darmsaiten immer gegeben ist, sondern auc im klanglicen Unterscied zu den gegriffenen Tönen, der wiederum nict so stark ausfällt wie bei heutigen Saiten aus Metall und Kunststoff. Ausdrü%lic unerwünsct sind die leeren Saiten in klanglic herausgehobenen Passagen, etwa wenn ein „präctiges Unisono“ oder eine gesanglice Stelle gespielt oder aber ein Dämpfer verwendet wird.45 Dennoc sceint der typisce Klang der Dresdner Hofkapelle unter Pisendel viel weniger von leeren Saiten der Ripienisten geprägt gewesen zu sein als es die heutige Vorstellung vom typiscen Klang eines Baro%orcesters suggeriert.

„Guter Vortrag“ und corisces Spiel „Wenn ein Orcester gut seyn soll, muß es sic eines guten, und einem jeden Stü%e, in seiner Art, und nac seinen Eigenscaften gemäßen Vortrages, befleißigen.“46 Mit dieser Feststellung eröffnet Quantz seine Erörterung der Orcesterpflicten und wiederholt den allgemeinen Grundsatz, daß sic die gute Ausführung einer Komposition an den konkreten musikaliscen Gegebenheiten des Stü%s orientieren soll, der auc für solistisces Spiel gilt. Allerdings fordert er auc, nict nur den Inhalt einer Komposition, sondern auc deren Kontext zu berü%sictigen und in den „guten Vortrag“ mit einzubeziehen: Nict nur jedes Stü% und jede Leidenscaft insbesondere, sondern auc der Ort und die Absict einer Musik, geben dem Vortrage derselben gewisse Regeln und Einscränkungen. Z.[um] E.[xempel] Eine Kircenmusik erfodert mehr Pract und Ernsthaftigkeit, als eine theatralisce, welce mehr Freyheit zuläßt […].47

Daß neben der Kircen- und der Opernmusik die Kammermusik in diesem Zusammenhang nict genannt ist, liegt daran, daß Quantz in diesem Hauptstü% lediglic 44

Quantz 1752, 240. Quantz 1752, 203, 205 und 253. 46 Quantz 1752, 245. 47 Quantz 1752, 245. Die Fortsetzung des Zitats deutet wiederum auf den übergeordneten Stellenwert der stilgemäßen Ausführung vor der Komposition selbst hin: „Wenn in einer Kircenmusik, von dem Componisten, einige frece und bizarre Gedanken, so sic in die Kirce nict wohl sci%en, mit sollten seyn eingeflocten worden: so müssen die A$$ompagnisten, besonders aber die Violinisten tracten, daß solce durc einen besceidenen Vortrag, so viel möglic, vermäntelt, gezähmet, und sanfter gemact werden mögen.“ 45

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die Regeln für das Orcesterspiel bescreibt. Die Kammermusik dagegen war solistisc besetzt, gerade auc wenn beispielsweise Solokonzerte aufgeführt wurden. Da der „gute Vortrag“ auc für das solistisce Spiel galt und bereits im XI. Hauptstü% behandelt wurde,48 geht Quantz in diesem Kapitel sofort über zu den besonderen Anforderungen, die der „gute Vortrag“ an das Orcesterspiel stellt: „Der Vortrag muß aber nict allein gut, und jedem Stü%e gemäß; sondern auc bey allen Mitgliedern eines guten Orcesters gleic und übereinstimmend seyn.“49 Die Aufgabe des Konzertmeisters oder Anführers ist es nun, den guten Vortrag „bey allen Mitgliedern eines guten Orcesters gleic und übereinstimmend“ zu macen. Diese grundlegende Bedingung für das Orcesterspiel ist dadurc begründet, daß mehrere Personen die gleice Stimme spielen. Für Pisendel und seine Zeitgenossen hatte die Forderung nac einem nict nur gleicen, sondern auc „übereinstimmenden Vortrag“ jedoc noc eine grundsätzlicere Bedeutung, denn der „gute Vortrag“ enthielt eine Vielzahl von improvisatoriscen Elementen, die je nac der Tradition, in der die einzelnen Mitglieder eines Orcesters ausgebildet waren, sehr untersciedlic ausfallen konnten. Es war daher nict ungewöhnlic, daß in einem Orcester „einige nur nac italiäniscem, andere nur nac französiscem Gescma%e, andere außer diesen beyden Arten spielten“.50 Der weißenfelsisce Konzertmeister Johann Beer hatte daher bereits 1690 gefordert, daß man „Instrumentisten von gleicem Strice bestelle. […] Wenn dieser Violinist submiss, der andre aber drein streicet / wie er einen Laib Brod entzwey scnitte / so wird diese Ungleicheit / so künstlic auc jeder seiner Art nac zu loben ist / mehr Verdruß erwe%en / als ic hier bescreiben kan“.51 Da die meisten Musiker sic sehr mit ihren Spiel- und Lehrtraditionen identifizierten und ihre Überzeugung auc entsprecend verteidigten, konnte es eine scwierige Aufgabe für den Konzertmeister sein, einen „übereinstimmenden“ Vortrag“ herbeizuführen, besonders wenn sic, wie in Dresden zur Zeit Augusts des Starken, der Konflikt zwiscen der italieniscen und französiscen Spielweise an höcster Stelle, im Konflikt zwiscen dem Musikgescma% des Königs und des Kurprinzen, widerspiegelte.52 Pisendel benötigte dabei viel Gespür und eine große Autorität, um diese Integrationsaufgabe leisten zu können: Ein guter Anführer muß […] bey dem Orcester einen guten und gleicen Vortrag einzuführen und zu erhalten sucen. So wie er selber einen guten Vortrag haben muß, so muß er auc sucen denselben bey seinen Mitarbeitern allgemein, und dem seinigen allezeit gleic zu macen. Zu dem Ende muß er eine vernünftige und billige Subordination einzuführen wissen. Haben seine Verdienste ihm Hocactung, und sein freundlices Bezeigen und leutseliger Umgang ihm Liebe erworben, so wird solces nict scwer seyn.53

Ganz offensictlic bescreibt Quantz mit dem „freundlicen Bezeigen und leutseligen Umgang“ wiederum Pisendels Art, mit den Mitgliedern des Orcesters und ihren 48

Vgl. Quantz 1752, 100ff, XI. Hauptstü% „Vom guten Vortrage im Singen und Spielen überhaupt“. Quantz 1752, 246. 50 Quantz 1752, 246. 51 Vgl. Beer 1719 [1690], 10. 52 Vgl. oben, Abscnitt II, 4. „Pisendel im Konflikt zwiscen dem Musikgescma% des Königs und des Kurprinzen“. 53 Quantz 1752, 180f. 49

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untersciedlicen musikaliscen Überzeugungen umzugehen. Auf diese Weise gelang es Pisendel also, in Verbindung mit seiner anerkannten faclicen Kompetenz, bestimmte Regeln des guten Vortrags „bey seinen Mitarbeitern“ durczusetzen, die dem „übereinstimmenden Vortrag“ des Orcesters dienten. Dabei betont Quantz auffallend häufig, daß hierzu eine „vernünftige Subordination“ unverzictbar sei: Da nun solcergestalt die Scönheit des Orcesters hauptsäclic darinne besteht, daß die Mitglieder desselben alle einerley Art zu spielen haben; […] so liegt es auc jedem Mitgliede des Orcesters ob, sic in diesem Falle nac dem Anführer zu ricten, seiner Anweisung nict zu widerstreben, und es sic für keine Scande zu acten, wenn man sic einer vernünftigen und nöthigen Subordination, ohne welce keine gute Musik bestehen kann, unterwerfen muß. […] Weder das Alter noc die Jugend der Mitglieder macen ein Orcester gut: sondern die gute Zuct und Ordnung, in welcer sie sic befinden.54

Diese strenge Unterordnung unter die Anweisungen des Konzertmeisters, die im Hinbli% auf die Orcesterdisziplin durcaus verständlic und bis heute üblic ist, sceint eine neue Errungenscaft Pisendels gewesen zu sein, denn das Dekret für seinen Amtsvorgänger Woulmyer von 1720 belegt, wie sehr dieser noc nac dem berühmten Opernstreit von 1719 um Anerkennung und Autorität zu kämpfen hatte. Möglicerweise ist Pisendels Forderung nac einer „vernünftigen und billigen Subordination“ auc eingedenk der Erfahrung Woulmyers entstanden. Dennoc ist dieser Anspruc, der im Fall Pisendels mit hohem persönlicen Ansehen verbunden war, in der Folge nict unwidersprocen geblieben, denn der Rudolstädter VizeKonzertmeister und Musiktheoretiker Heinric Christoph Koc screibt, offenbar mit Bli% auf die Berliner Hofkapelle, noc fünfzig Jahre später: Man hat hin und wieder nict ermangelt, eine gewisse, das feinere Künstlergefühl unterdrü%ende, und an militärisce Subordination grenzende Einrictung im Orcester einzuführen; man hat dadurc dem Sceine nac seinen Zwe% erlangt. Man hört rictiges Zusammenspielen im Ta$te, rictig abgemessene Stärke des Tones beym Forte und Piano u.s.w. allein wem ist unbekannt, daß dieses alles nur noc das Aeußerlice des guten Vortrages betrifft? Wer Ohren hat zu hören, der höre nur mit der nöthigen Aufmerksamkeit ein solces mit Zwang tressirtes Orcester gegen ein solces, in welcem Künstlergefühl in Ehren gehalten wird […]. Beyspiele für diese Behauptung anzuführen, würde ohne Zweifel ins Beleidigende fallen.55

Obwohl Koc die Notwendigkeit der faclicen und mensclicen Autorität bei einem Konzertmeister anerkennt, besonders wenn es sic um die Leitung einer „noc nict gehörig eingespielten Kapelle“ handelt,56 warnt er zu Rect davor, nur das „Aeußerlice des guten Vortrages“ einzustudieren. Tatsäclic war die Gefahr einer mangelnden inneren Beteiligung der Ripienisten beim Musizieren in der Gruppe auc Quantz bewußt, und wahrsceinlic gehörte es zu Pisendels außergewöhnlicen Fähigkeiten als Konzertmeister, bei seinen Orcestermitgliedern während des Spielens sowohl „Lust“ als auc „gehörige Aufmerksamkeit“ zu we%en und zu erhalten:

54

Quantz 1752, 247, zur Forderung nac „Subordination“ vgl. auc 249. KocL, 824f. Selbstverständlic spiegelt diese Position auc die Geniediskussion und das gewandelte Selbstverständnis des Künstlers in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wider. 56 Vgl. KocL, 824. 55

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[…] da ein ziemlicer Theil der sogenannten Tonkünstler selbst, wenig Empfindung und

Gefallen an der Musik hat, sondern dieselbe nur treibt, um davon Unterhalt zu haben: so wird folglic öfters, weder mit Lust, noc mit gehöriger Aufmerksamkeit gespielet. Eine gute und vernünftige Subordination könnte diesem Übel viel abhelfen: denn wo diese fehlet, da bleibt ein Orcester, wenn sic auc noc so viele gescikte Leute darunter befänden, doc allezeit mangelhaft.57

Wahrsceinlic erreicte Pisendel dies, indem er während des Spielens Kontakt zu den Ripienisten aufnahm und sie dadurc auf sein Vorbild beim Ausdrü%en eines musikaliscen Affekts aufmerksam macte. Aus diesem Ansatz, der die innere Beteiligung der Orcestermusiker beim Spielen gewährleisten sollte, entwi%elte Pisendel sogar eine förmlice Vortragsregel. Durc diese außergewöhnlice Regel konnte, wenn sie von allen befolgt wurde, jene Wirkung erzielt werden, die der Dresdner Hofkapelle unter Pisendels Leitung ihre herausragende Stellung unter den Hofkapellen verscaffte und garantierte: Zur Beförderung des übereinstimmenden Vortrags dienet noc eine Regel, die einem jeden, der ein guter Musikus, und ins besondere ein gescikter A$$ompagnist werden will, anzupreisen ist: Es [re$te: Er] muß sic, […] wenn er spielen soll, allezeit in den Affe$t, welcen das auszuführende Stü% verlanget, […] setzen. Alsdenn wird er erst rect gut, und gleicsam allezeit aus der Seele spielen. Denn wer diese löblice Verstellungskunst nict versteht, der ist noc kein wahrer Musikus; sondern nict besser als ein gemeiner Handwerker […].58

Pisendel stellte also hohe Ansprüce an die Orcestermusiker, die bis heute nicts von ihrer Gültigkeit eingebüßt haben. Um einen „übereinstimmenden Vortrag“ mit Hilfe der „vernünftigen Subordination“ einzuführen, bedarf es jedoc nict nur guter Führungsqualitäten, sondern vor allem einer klaren Definition und übereinstimmenden Vorstellung, was der „gute Vortrag“ eigentlic sei. Als praktiscer Musiker, der sic seiner eigenen Ausdru%smittel in hohem Maße bewußt war, sowie als Kind der Aufklärung war Pisendel offenbar davon überzeugt, daß der „gute Vortrag“ lehr- und lernbar ist. Hier verband sic Pisendels pädagogisce Begabung, die bereits seinem Vater nacgesagt wurde, mit der guten Ausbildung am Ansbacer Gymnasium in der Klasse des Rektors Georg Nikolaus Köhler, dessen Unterrictsmethoden durc den berühmten Mitscüler Pisendels, Johann Matthias Gesner, noc ein halbes Jahrhundert später gepriesen werden.59 In diesen jungen Jahren mag Pisendel die Bedeutung jenes lateiniscen Sinnspruces kennengelernt haben, den er in einem Brief an Telemann vom 16.4.1749 zitiert und der eine besondere Bedeutung für ihn gehabt haben muß: „qui bene distinguit, bene do$et “ (wer gut untersceidet, lehrt gut).60 Diese Begabung Pisendels macte ihn zu einem idealen Orcestererzieher, der im Hinbli% auf das corisce Spiel klare und deutlice Vortragsregeln formulierte, die dank der „vernünftigen Subordination“ von allen Musikern in der gleicen Weise befolgt wurden. Dabei soll darauf hingewiesen werden, daß diese Regeln des „guten Vortrags“, so erhellend sie auc für die solistisce Spielpraxis dieser Zeit sein mögen, 57

Quantz 1752, 249. Quantz 1752, 248. 59 Siehe oben, Abscnitt II, 1. „Als Violinist in der Ansbacer Hofkapelle“. 60 Vgl. Telemann Briefwecsel 1972, 350. 58

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in erster Linie dem „übereinstimmenden Vortrag“ im coriscen Zusammenspiel galten. Bereits im Einleitungskapitel zu seinem Versuc betont Quantz, daß die Vortragsregeln mit Bli% auf die Ausbildung von „guten Ripienisten oder Ausführer[n] der Ausfüllungsstimmen“ formuliert wurden: Denn wer einen gesunden Körper, und gerade und gesunde Gliedmaßen hat; dabey aber nur nict dumm, oder blödes Verstandes ist; der kann das, […] was eigentlic zu einem Ripienisten erfodert wird, durc vielen Fleiß erlernen. Alles was hierbey zu wissen nöthig ist, z.[um] E.[xempel] das Zeitmaaß; die Geltung und Eintheilung der Noten, und was sonst mit diesen verknüpfet ist; der Bogenstric auf Seyteninstrumenten[…], kann durc Regeln, welce man deutlic und vollständig erklären kann, begriffen werden.61

Bevor ein Musiker im Orcester mitspielen kann, muß er selbstverständlic mit den allgemeinen Regeln des „guten Vortrags“ vertraut sein. Diese beziehen sic auf alle Arten der Musik und bescreiben vor allem Elemente der Aufführungspraxis, die nict im Notentext enthalten sind. Pisendel mußte also Vortragsregeln einführen, die so bestimmt und deutlic waren, daß sie zu einer gleicförmigen und „übereinstimmenden“ Spielweise aller Orcestermitglieder führten. Von den Regeln des „guten Vortrags“ untersceiden sic diejenigen für den „übereinstimmenden Vortrag“ eines Orcesters dadurc, daß sie wesentlic enger gefaßt sind und dem Ausführenden kaum Freiheiten lassen. Aus diesem Grund konnte es passieren, daß einzelne, im coriscen Spiel unerfahrene Ripienisten Spielmanieren ergänzten, die von dem Vortrag der bereits auf Pisendels Art eingespielten Orcestermitglieder abwicen:62 Sollten unter den Ripienisten sic einige befinden, deren Vortrag von andern noc unterscieden wäre: muß er [der Anführer] solce insbesondere zur Uebung vornehmen, um ihnen die recte Art beyzubringen: damit nict einer z. E. einen Triller hinsetze, wo andere simpel spielen; oder Noten scleife, welce von andern gestoßen werden;63 oder nac einem Vorsclage einen Mordanten mace, den die andern weglassen: weil doc die größte Scönheit der Ausführung darinne besteht, daß alle in einerley Art spielen.64

Alle von Quantz genannten Beispiele für diesen Einzelunterrict – Triller, Bindebögen und Vorscläge – gehören zu denjenigen Elementen der Aufführungspraxis, die in der Regel nict in der Stimme notiert werden. Gerade diese Beispiele sind jedoc nict auf das Orcesterspiel bescränkt, sondern finden in dieser Zeit als allgemeine Vortragsregeln auf alle Arten der Musik Anwendung. Während die Art und Häufigkeit ihrer Anwendung im solistiscen Spiel kaum einer Einscränkung unterworfen ist, mact es das corisce Spiel im Orcester also erforderlic, gerade die nict notierten Vortragsarten klaren Regeln zu unterwerfen, damit „alle in einerley Art spielen“. Aus diesem Grund betont Quantz, wie oben zitiert, daß „ein Solo willkührlic zu spielen leicter sey, als eine Ripienstimme auszuführen, wo man weni-

61

Quantz 1752, 5. Vgl. auc KocL, 528f und 824. 63 Nac dem Spracgebrauc des 18. und frühen 19. Jahrhunderts bedeutet „scleifen“ das Verbinden mehrerer Noten durc einen Bindebogen, „abstoßen“ dagegen bedeutet das Trennen der Noten voneinander durc einen kleinen Zwiscenraum, ähnlic dem sta$$ato, allerdings ohne daß damit ein bestimmter Akzent verbunden wäre; vgl. auc KocL, 42ff und 1298ff. 64 Quantz 1752, 181. 62

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ger Freyheit hat, und sic mit Vielen vereinigen muß, um das Stü% nac dem Sinne des Componisten auszudrü%en.“65 Nacdem Pisendel die allgemeinen Regeln des „guten Vortrags“ den unerfahrenen Ripienisten im Einzelunterrict beigebract hatte, wurde der „übereinstimmende Vortrag“ bei eigens zu diesem Zwe% anberaumten Übungsterminen einstudiert und bei allen Orcestermitgliedern vereineitlict. Solce regelmäßigen Übungsveranstaltungen der Hofkapellen sind unter dem Namen „Collegium musi$um“ bereits im 66 17. Jahrhundert nacweisbar und dienten dem Orcesterleiter auc dazu, „sowohl zwiscen den vorgetragenen Tonstü%en, als nac der Beendigung der Musik, freundscaftlice Gespräce sowohl über die ausgeführten Tonstü%e, als auc überhaupt über theoretisce und praktisce Gegenstände der Kunst, zu veranlassen […].“67 Pisendel nutzte diese Übungsstunden, um das Dresdner Orcester aufeinander einzuspielen und die Aufmerksamkeit der Musiker auf die übereinstimmende Ausführung der untersciedlicsten Musikarten, Charaktere und Affekte zu lenken.68 Um seine Instrumentisten noc mehr im guten Vortrage fest zu setzen, und gute A$$ompagnisten mit zu erziehen, thut ein Anführer wohl, wenn er, außer noc vielen andern Arten von Musik, auc öfters Ouvertüren, carakterisirte Stü%e, und Tänze, welce markiret, hebend, und entweder mit einem kurzen und leicten, oder mit einem scweren und scarfen Bogenstrice gespielet werden müssen, zur Uebung vornimmt. Er wird die A$$ompagnisten dadurc gewöhnen, ein jedes Stü% nac seiner Eigenscaft, präctig, feurig, lebhaft, scarf, deutlic und egal zu spielen. Die Erfahrung beweiset, daß diejenigen, welce unter guten Musikanten-Banden erzogen sind, und viele Zeit zum Tanze gespielet haben, bessere Ripienisten abgeben, als die, welce sic nur allein in der galanten Spielart, und in einerley Art von Musik geübet haben. […] also thut auc, in einem zahlreicen Orcester, bey dem A$$ompagnement, das allzu galante Spielen, und ein langer, scleppender, oder sägender Bogen, nict so gut, als bey einem Solo, oder bey einer kleinen Kammermusik.69

Bemerkenswert ist die Empfehlung, „Ouvertüren, carakterisirte Stü%e, und Tänze […] zur Uebung“ vorzunehmen, denn Quantz selbst stellt an anderer Stelle mit Bedauern fest, daß solce Ouvertüren-Suiten, die aus den genannten Elementen zusammengesetzt sind, bereits zu dieser Zeit „in Deutscland nict mehr üblic“ waren.70 Offensictlic hat Pisendel solce Suiten von Händel und Telemann, die Quantz im gleicen Zusammenhang über Lullys Suiten stellt, in den OrcesterÜbungsstunden noc spielen lassen, als diese längst nict mehr ‚hoffähig‘ waren. Dies erklärt möglicerweise die bemerkenswert große Zahl solcer Werke in Pisendels 65

Quantz 1752, 103, ähnlice Formulierungen 107, 111. Die Meinung, daß ein guter Ripienist viel seltener zu finden sei als ein guter Solospieler, wird auc von Mozart 1756, 253, geteilt und setzt sic bis in die Lexikonartikel des 19. Jahrhunderts fort. 66 Am Rudolstädter Hof wurde am 1.10.1664 die Einrictung eines „Collegium musi$um“ verordnet, um „die Hofmusi$ in herrlicen Stand und Aufnehmen zubringen, die theils ungeübten geübt- und gesci%ter, und endicen, neue und scwerer[!] musi$alisce Sacen sic bekant und lauffig zumacen […].“ Zit. nac Omonsky 1997, 63. 67 KocL, 346. 68 Auc Reicardt erhielt 1776 bei seiner Anstellung als preußiscer Hofkapellmeister den Befehl, das Orcester zu „exer$iren“, wie er in seiner Autobiographie berictet, vgl. Henzel 1999, 71. In diesem Zusammenhang verfaßte Reicardt seine Scrift Von den Pflicten des Ripien-Violinisten, Berlin 1776. 69 Quantz 1752, 182. 70 Quantz 1752, 301. Diese Feststellung darf jedoc nict verallgemeinert werden, da etwa am Darmstädter Hof um die Jahrhundertmitte noc Ouvertüren-Suiten komponiert worden sind.

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Naclaß, die er nict nur selbst abgescrieben, sondern auc teilweise selbst zusammengestellt hat. In der zitierten Passage wird ein deutlicer Gegensatz zwiscen den Spielarten des französiscen Musikstils und der sogenannten „galanten Spielart“ formuliert. Die letztere, die sic durc einen „langen, scleppenden, oder sägenden“ Bogenstric auszeicnet, hielt Pisendel im Orcesterspiel für wenig geeignet. Sein Ideal war dagegen geprägt von der wesentlic differenzierteren „französiscen“ Spielart, denn diese Musik muß, auc wenn sie von Händel oder Telemann komponiert wurde, „markiret, hebend, und entweder mit einem kurzen und leicten, oder mit einem scweren und scarfen Bogenstrice gespielet werden“. Auc die Eigenscaften dieses von der Tanzmusik geprägten Orcesterstils, die als „präctig, feurig, lebhaft, scarf, deutlic und egal“ bescrieben werden, stehen im deutlicen Gegensatz zur „galanten Spielart“, wie sie die italieniscen Geiger pflegten. Offenbar ließ Pisendel auc italienisce Orcesterwerke, die in erster Linie als Vokalmusik in der Kirce und der Oper erklang, in einem an den französiscen Traditionen seines Amtsvorgängers Woulmyer gesculten Orcesterstil aufführen, der unter Pisendels Leitung freilic auc um einige Elemente der „galanten Spielart“, dem Merkmal solistiscer Kammermusik, erweitert worden war.

Nict notierte Vortragsarten Unerfahrene Ripienisten, die sic der Konzertmeister „insbesondere zur Uebung vornehmen“ soll, werden in die Grundbegriffe des „guten Vortrages“ eingewiesen, die sie zur Teilnahme an den Übungsstunden des Orcesters befähigen. In diesen Übungsstunden wird dann entsprecend französiscer Orcestertraditionen der „übereinstimmende“ Vortrag ausgebildet. Sowohl der „gute“ als auc der „übereinstimmende“ Vortrag sind zwar von der jeweiligen Situation des Notentextes abhängig, dessen musikaliscer Gehalt zunäcst erkannt und bestimmt werden muß, die Umsetzung dieses Gehalts nac den entsprecenden Vortragsregeln findet jedoc im Bereic der Aufführungspraxis statt, der nur selten im Notentext fixiert ist. Bereits 1737 erwartete Sceibe von den „praktiscen Musikanten“, daß sie diese Vortragsregeln, die er als „eine mit den Sacen übereinstimmende Methode, oder Spielart“71 bezeicnet, beherrscten. Sceibe definiert diese „Methode“ als die Kunst, „versciedenen Noten noc eine gewisse Zierlickeit [zu geben], die der Componist niemals ausdrü%lic in den Noten bemerket, dem ungeactet aber unumgänglic nöthig ist, und nur allein von den praktiscen Musikanten hinzugethan wird.“72 Während Sceibe den Inhalt dieser „Methode“ nur kurz umreißt und sowohl wesentlice als auc willkürlice Manieren erwähnt,73 behandelt Quantz die von Pisendel 71

Vgl. Sceibe 1745 (Das 12. Stü%, 6.8.1737), 116. Sceibe 1745, 121. 73 Vgl. Sceibe 1745, 122: „Zu einer guten Methode aber gehören die A$$ente, die Vorscläge, die Triller, die Veränderung, oder Vermehrung der Noten, gewisse kleine angenehme Zusätze und Ausscweifungen, und noc viel andere Sacen, die sic besser hören und ausdru%en, als bescreiben lassen. Alle diese Sacen aber müssen in einer gewissen [d.h. genau bestimmbaren] Ordnung, bey gewissen Gelegenheiten, und bey versciedenen Umständen auc auf versciedene Art angebract werden.“ 72

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überlieferten Vortragsregeln in aller Ausführlickeit. Wie oben dargelegt, dienten diese Vortragsregeln in Dresden vor allem der Ausbildung von Ripienisten. Was Pisendel den unerfahrenen Ripienisten in jenem Einzelunterrict beigebract haben mag, wird am Beispiel der von Quantz erwähnten „Vorscläge“ nacvollziehbar. Aus dem entsprecenden Kapitel bei Quantz geht nämlic hervor, an welcer Position im Stimmverlauf ein Vorsclag zu ergänzen ist und in welcem Stil beziehungsweise bei welcem musikaliscen Charakter dieser Vorsclag mit einem „Mordanten“ oder einer anderen wesentlicen Manier verbunden werden soll: 4. §. Man muß die Vorscläge […] wenn es die Zeit erlaubet, an der Stärke des Tones

wacsen lassen; und die folgende Note aber etwas scwäcer dran scleifen. Diese Art der Auszierungen wird der Abzug74 genennet, und hat von den Italiänern ihren Ursprung. 12. §. Es ist nict genug, die Vorscläge in ihrer Art und Eintheilung spielen zu können, wenn sie vorgezeicnet sind. Man muß auc selbige an ihren Ort zu setzen wissen, wenn sie nict gescrieben sind. […] 14.§. Aus den Vorsclägen fließen noc einige andere kleine Auszierungen, […] welce in der französiscen Spielart, um ein Stü% brillant zu spielen, üblic sind. […] 16. §. Diese Auszierungen oder Manieren […] dienen, nac Bescaffenheit eines Stü%s zur Aufmunterung und Fröhlickeit: die simplen Vorscläge hingegen, zur Erweicung und Traurigkeit. […] 18. §. Bey dieser Vermiscung der simplen Vorscläge mit den kleinen Manieren, oder französiscen Proprietäten, wird man finden, daß der Gesang durc die letztern viel lebhafter und scimmernder wird, als ohne dieselben. […]75

Der unerfahrene Ripienist wird also nac diesem Einzelunterrict, wie seine Kollegen, in einem traurigen Stü% keinen „Mordanten“ mehr nac einem Vorsclag ergänzen, während er in einem fröhlicen Stü% dazu verpflictet ist.76 Im Gegensatz zu der zitierten Anweisung, man müsse sogar die Vorscläge im solistiscen Spiel auc dann „an ihren Ort zu setzen wissen, wenn sie nict gescrieben sind“, dürfen solce willkürlicen Zusätze im Orcesterspiel nict stattfinden: Ein jeder Con$ertist muß, wenn er eine Ripienstimme spielet, seiner Gesciklickeit, die er im Con$ertiren und im Solospielen besitzet, auf gewisse Art entsagen; und sic aus der Freyheit, die ihm wenn er allein hervorraget, erlaubet ist, zu der Zeit, wenn er nur a$$ompagniret, so zu sagen in eine Sklaverey versetzen. Er darf also nicts hinzufügen, was irgend nur die Melodie verdunkeln könnte: besonders, wenn eben dieselbe Stimme mehr als einmal besetzet ist. […] Z. E. Es macte einer nur einen Vorsclag, der nict gescrieben wäre, und der andere spielte die Note simpel: so würde dadurc eine üble Dissonanz […] zum Vorsceine kommen, und das Gehör, besonders in langsamen Stü%en, sehr beleidigen. […] Die Ritornelle vornehmlic muß er ohne allen willkührlicen Zusatz ausführen. Dieser Zusatz steht nur dem Con$ertisten frey. […]77

Obwohl Quantz in seiner Abhandlung vom Orcesterspiel ganz allgemein vor allen „willkührlicen Zusätzen“, die im solistiscen Spiel erlaubt sind, warnt, war es in gewissen Situationen selbstverständlic, daß die Ripienisten im Orcester dennoc 74 Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde beim „Abzug“ die Hauptnote etwas verkürzt gespielt und durc das Beiwort „eigentlicer Abzug“ von der bei Quantz bescriebenen Weise unterscieden, vgl. Reicardt 1776, 41, und KocL, 47. 75 Quantz 1752, 78ff. 76 Ein Beispiel dazu findet sic unten in Exkurs IV, Arie Nr. 12 Ardi à vezzosi rai aus Hasses Oper Cajo Fabri$io. 77 Quantz 1752, 246f.

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Verzierungen spielten, die nict notiert waren. Dies bezieht sic jedoc nur auf wesentlice Manieren und nict auf die „willkührlicen Zusätze“, wie bereits Sceibe bestätigt.78 Daß auc die Musiker der Dresdner Hofkapelle nict notierte wesentlice Manieren ausführten, geht aus der Violinstimme von Hasses Messe G-Dur von 1753 hervor:79 Die in einem tutti-Abscnitt enthaltene Anweisung „senza trilli“ bedeutet nämlic, daß die Ripienisten ohne diese Anweisung selbstverständlic Triller zugefügt hätten, die ja zu den wesentlicen Manieren gehören.80 Mit der gleicen Selbstverständlickeit wurden auc andere nict notierte Vortragsmanieren von Ripienisten ausgeführt, von denen einige im XVII. Haupstü% des Versucs erklärt werden. Dazu gehören rhythmisce Abweicungen vom Notentext, etwa das „etwas ungleice“ Ausführen von bestimmten Passagen in „mäßigem Tempo“, das als „inégales“ Spiel bezeicnet wird, oder das als „Überpunktieren“ bekannte Ausdru%smittel für gravitätisce Sätze. Auc die Ausführung nict notierter Dynamik, bescrieben als „Scatten und Lict in der Musik“, wird in diesem Hauptstü% über das Orcesterspiel ausführlic bescrieben.81 Den größten Raum nimmt jedoc die Erörterung der Bogenstrice ein, die Quantz in drei selbständig abgehandelte Aspekte unterteilt: die „Eintheilung der Bogenstrice“, die „Art der Bogenstrice“ und sogar den „Ort der Bogenstrice“.82 Mit der „Eintheilung der Bogenstrice“ ist die regelmäßige Abfolge von Auf- und Abstricen mit dem Bogen und deren Kombination gemeint. Die Stricfolge wurde je nac Notenwerten und Taktarten untersciedlic organisiert und basierte auf einer Reihe von Regeln. Um den „übereinstimmenden Vortrag“, das gleiczeitige Auf- und Abstreicen innerhalb jeder Stimmgruppe, zu gewährleisten, mußten diese Stricregeln ebenso unzweideutig sein wie diejenigen zur Anwendung der wesentlicen Manieren. Den zweiten Aspekt der Bogenbehandlung, die „Art der Bogenstrice, die ein jedes Stü% erfodert“, umscreibt Quantz als das „zu recter Zeit zu braucende starke oder scwace Aufdrü%en des Bogens auf die Saiten“.83 Obwohl diese Formulierung rect umständlic ersceint, bescreibt sie doc sehr treffend, wie der musikalisce Ausdru% auf Streicinstrumenten erzeugt wird. Mit dem Hinweis auf den Bogendru% wird zudem die „Art der Bogenstrice“ in tecniscer Hinsict von der

78 Vgl. Sceibe 1745, 714f. Auc Quantz bestätigt indirekt, daß wesentlice Manieren im Orcesterspiel ergänzt wurden, wenn er die Ripien-Violinisten davor warnt, Mordente in einem Adagio zu ergänzen: „Es müssen auc keine sogenannten pin$emens[!] dabey angebract werden, am wenigsten wenn sie nict angedeutet sind.“ Quantz 1756, 193. Zur Frage der Verzierungen im Orcesterspiel vgl. Spitzer/Zaslaw 1986, 536ff. 79 Vgl. Landmann 1987, 489. 80 Zur Anwendung von willkürlicen Manieren in Bacs Orcestermusik vgl. die Ausführungen von Dominik Sa%mann, „Ornamentik“, in: Rampe/Sa%mann 2000, 371ff. Während Sa%mann anhand wenig beacteter deutscer Quellen sogar ältere Verzierungstraditionen für Bacs Umfeld glaubhaft macen kann, dürfte die Dresdner Hofkapelle jedoc seit der Zeit Woulmyers bereits dem Stand der „modernen“ französiscen Verzierungspraxis entsprocen haben. 81 Diese nict notierten Vortragsarten werden in den unten folgenden Ausführungen vorgestellt. 82 Zur Abgrenzung dieser drei Bereice vgl. Quantz 1752, 202. 83 Quantz 1752, 202.

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metriscen „Eintheilung der Bogenstrice“ und der damit verbundenen Artikulation abgegrenzt.84 Der dritte Aspekt der Bogenbehandlung ist mit dem zweiten eng verbunden und betrifft den „Ort der Bogenstrice“, denn „auc der Ort an welcem die Seyten […] berühret werden müssen, und was ein jeder Theil des Bogens für Kraft habe, ist denenjenigen zu wissen nöthig, die den Bogen rect führen, und damit gute Wirkungen hervorbringen wollen.“85 In diesem Zusammenhang bezeicnet Quantz es als das natürlice Tonideal eines guten Violinisten, „einen di%en männlicen Ton heraus zu bringen“ und wird hierin fast wörtlic von Leopold Mozart bestätigt.86 Auc Fürstenau bezeicnet es noc 1862 als eine Tradition aus Pisendels Zeit, daß „der Sinn für großen breiten Ton […] der K.[öniglic] S.[äcsiscen] Kapelle bis in die Neuzeit verblieben“ sei.87 Die ausführlice Erörterung dieser drei Aspekte der Bogentecnik innerhalb der Orcesterkapitel zeigt, „daß auf den Stric, in Ansehung des Vortrages, das meiste ankommen müsse,“ denn der Bogenstric „ist das Mittel, wodurc […] die musikalisce Aussprace gescieht, und wodurc ein Gedanke auf mancerley Art kann verändert werden.“88 Da es im Hinbli% auf den „gleicen Vortrag“ der Orcestermusiker notwendig war, die Bogeneinteilung, den musikaliscen Ausdru% sowie stilistisce Besonderheiten der in Dresden gespielten Orcesterwerke in klare Regeln zu fassen, ist es für das Verständnis dieses Repertoires notwendig, das entsprecende Regelwerk wiederzuentde%en und mit dem Repertoire in Beziehung zu bringen. Dies ist umso mehr geboten, als Quantz die Bedeutung der von Pisendel eingeführten Dresdner Orcesterpraxis über die Komposition selbst stellt und damit auf den Stellenwert dieser „Ausführungskunst“ gegenüber dem im Notentext fixierten Gerüst hinweist. Daraus ergeben sic nict nur weitreicende Konsequenzen für die historisc-orientierte Aufführungspraxis89 sondern auc – vor allem im Hinbli% auf die nict notierten Stric- und Vortragsarten – für die editorisce Praxis. Dank der detaillierten Angaben von Quantz und anderer Autoren aus dem Dresdner Einflußbereic ist es möglic, das von Pisendel entwi%elte Regelwerk zu rekonstruieren und damit die musikalisce Bedeutung dieses als „galant“ bezeicneten Repertoires besser einzuscätzen, das trotz einiger Belebungsversuce in der jüngeren Vergangenheit ganz im Scatten Johann Sebastian Bacs steht, statt sic daneben zu behaupten. Besonders im Bereic der nict notierten Stricmanieren, die ebenso wie bestimmte Verzierungen stilistiscen und modiscen Veränderungen unterworfen waren, wäre es eine lohnende Aufgabe für eine Spezialuntersucung, solce Orcestermanieren 84

Diese bogentecnisce Umscreibung des musikaliscen Ausdru%s findet sic als Redewendung sehr häufig in der zeitgenössiscen Literatur. So bezieht sic beispielsweise jene vielzitierte Aussage C. P. E. Bacs über seinen Vater, dieser habe „als der größte Kenner u. Beurtheiler der Harmonie […] am liebsten die Bratsce mit angepaßter Stärke u. Scwäce“ gespielt, (vgl. Bac-Dok. III, 801) nict etwa auf dynamisce Abstufungen. Sie bedeutet vielmehr, daß Bac alle Ausdru%smöglickeiten des Streicinstruments (Akzente, Klangfarben, Mezza di vo$e usw.) beherrscte und entsprecend der Musik anwenden konnte. 85 Quantz 1756, 202. 86 Quantz 1752, 202, und Mozart 1756, 101f. 87 Vgl. Fürstenau 1862, 200. 88 Quantz 1752, 187. 89 Zum Begriff vgl. Wolff 1999, 16.

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zu bescreiben und ihre Entwi%lung zumindest bis ins 19. Jahrhunderts naczuvollziehen. Die Ansätze dazu sind sehr naheliegend, denn Quantz betont selbst, daß es bey einer Ripienstimme nict in der Willkür des Violinisten, oder irgend eines andern Bogeninstrumentisten stehe, die Noten nac seinem Gefallen zu scleifen oder abzustoßen; sondern daß er verbunden sey, dieselben mit dem Bogen so zu spielen, wie sie der Componist, an denen Orten, die von der gemeinen Art abgehen, angezeiget hat.90

Der Ripienist spielt die vorgelegten Noten also zunäcst nac der „gemeinen Art“, die ganz offensictlic auc nict notierte Bindebögen umfaßt. Aufgabe einer Spezialuntersucung wäre es, für versciedene musikalisce Situationen die „gemeine Art“ des Bogenstrics festzustellen, die für die professionellen Musiker der Dresdner Hofkapelle selbstverständlic nict notiert werden mußte. Notiert wurden im Gegenteil nur solce Stellen, die „von der gemeinen Art abgehen“. Dies gescah in Form von Artikulationszeicen, etwa Bindebögen und sta$$ato-Stricen, die jedoc immer nur vereinzelt in dem erhaltenen Material anzutreffen sind. Eine Erklärung dafür liefert Quantz selbst: Man merke hier beyläufig, daß, wenn viele Figuren in einerley Art nac einander folgen, und nur die erste davon mit Bogen bezeicnet ist, man auc die übrigen, so lange keine andere Art Noten vorkömmt, eben so spielen müsse. Auf gleice Art verhält sics mit den Noten, worüber Strice stehen. Wenn nur etwa zwo, drey oder vier Noten damit bezeicnet sind: so werden doc die übrigen Noten die darauf folgen, und von selbiger Art und Geltung sind, ebenfalls sta$$ato gespielet. Ohne dieses würde nict allein die verlangte Wirkung nict hervorgebract werden; sondern auc die Gleicheit des Vortrages niemals zu einer Vollkommenheit kommen.91

Immer dann, wenn Pisendel also sporadisc einzelne Bögen oder „Abstoßzeicen“ in das Orcestermaterial eingetragen hat, ist davon auszugehen, daß er mit seinem Eintrag eine Stricart festlegen wollte, die sonst, nac der „gemeinen Art“ des Vortrags, so nict gewählt worden wäre. Aus dem Kontext kann im Einzelfall mit Hilfe der ausreicend vorhandenen Quellen diejenige Spielweise rekonstruiert werden, die stattdessen der „gemeinen Art“ entsprac. Obwohl Quantz selbst zahlreice Hinweise auf diese nict notierten Strickonventionen gibt, bezeicnet er es nict als die Aufgabe seiner Scrift, auc die grundlegenden Stricregeln zu bescreiben: Alle Lehren von dem Bogenstrice abzuhandeln, würde nict dieses Ortes seyn: weil ic hier scon einen Leser, der die Violine, und folglic auc den Stric versteht, voraussetze. Ic will also nur gewisse zweifelhafte, und solce Stellen untersucen, wobey etwas besonders zu bemerken ist, welces der Componist nict allezeit andeuten kann. Aus diesen wird man auf die meisten andern ähnlicen Fälle scließen können.92

Quantz besceibt mit seinen Hinweisen auf zweifelhafte und besondere Fälle also nict die „gemeine Art“ des Bogenstrics, sondern nur solce Abweicungen, die „der Componist nict alle Zeit andeuten kann“, also solce Ausnahmefälle, die wegen ihrer Häufigkeit ebenfalls nict in der Stimme notiert sind. Wie im vorangegangenen Kapitel dargelegt, können Quantzens Hinweise durc die Angaben von Mozart und vor allem von Riepel, der der Dresdner Praxis noc näher stand, ergänzt werden. Wegen ihrer Bedeutung für die Editionspraxis und als ein Ausgangspunkt für 90

Quantz 1752, 188. Quantz 1752, 189. 92 Quantz 1752, 189. 91

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künftige Spezialstudien soll die unter Pisendel praktizierte „Eintheilung der Bogenstrice“ im folgenden Exkurs IV näher untersuct und erörtert werden. Ein wictiger Anstoß, gerade diesen Aspekt herauszugreifen, ist dadurc gegeben, daß Pisendels Art, das Orcestermaterial zu bezeicnen, im 18. Jahrhundert als vorbildlic galt und auc in der neueren Literatur wiederholt kommentiert worden ist. Wie aus den Ausführungen von Quantz entnommen werden kann, legte Pisendel ein ebenso großes Gewict auf die „Eintheilung der Bogenstrice“ wie auf die „Art der Bogenstrice, die ein jedes Stü% erfodert, […] weil doc beym A$$ompagnement auf die Bogeninstrumente das meiste ankömmt.“93 Nun ist nöthig abzuhandeln, was für Arten des Bogenstrics, ein jedes Stü%, ein jedes Zeitmaaß, und eine jede auszudrü%ende Gemüthsbewegung erfodere. Denn diese lehren den Violinisten, und alle die sic mit Bogeninstrumenten bescäftigen, ob der Stric lang oder kurz, scwer oder leict, scarf oder gelassen seyn solle. 26. §. Überhaupt ist anzumerken, daß im A$$ompagnement, insonderheit bey lebhaften Stü%en, ein, nac der Art der Franzosen geführter, kurzer und arti$ulirter Bogenstric, viel bessere Wir%ung thut, als ein italiäniscer, langer und scleppender Stric.94

Mit der „Art der Bogenstrice“ ist die carakteristisce Vortragsart der untersciedlicen italieniscen Satzbezeicnungen, beispielsweise Allegro oder Lento, sowie der typisierten französiscen Tänze, etwa Menuett oder Sarabande, gemeint.95 Obwohl die jeweilige Vortragsart nict im Notentext vermerkt ist, sondern sic nur in der Satzüberscrift niedersclägt, sceint Pisendel sie im Hinbli% auf das Orcesterspiel ebenso deutlic unterscieden und einheitlic festgelegt zu haben wie die „gemeinen Arten“ des Bogenstrics. Dabei ist bemerkenswert, daß Quantz zu Beginn des secsundzwanzigsten Paragraphen seines Kapitels über die „Ripien-Violinisten“, in dem die jeweilige „Art der Bogenstrice“ der italieniscen Satzbezeicnungen behandelt wird, einen „nac der Art der Franzosen geführten, kurzen und arti$ulirten Bogenstric“ fordert. Auc hier wird deutlic, daß das Orcesterspiel unter Pisendels Leitung ganz von französiscen Klangvorstellungen und Konventionen geprägt war. Die Angaben des entsprecenden Abscnitts betreffen alle Einzelheiten der Bogentecnik, etwa Bogendru%, Bogengescwindigkeit, Bogenkontakt und Artikulation, so daß ein sehr differenziertes Bild der gewünscten Vortragsart entsteht, wie das Beispiel des Allegretto zeigt: Ein Allegretto, oder ein Allegro das durc folgende dabey stehende Worte, als: non presto, non tanto, non troppo, moderato u.s.w. gemäßiget wird, muß etwas ernsthafter, und mit einem zwar etwas scweren, doc muntern und mit ziemlicer Kraft versehenen Bogenstrice, ausgeführet werden. Die Seczehntheile im Allegretto, so wie im Allegro die Acttheile, erfodern insonderheit einen ganz kurzen Bogenstric: und muß derselbe nict mit dem ganzen Arme, sondern nur mit dem Gelenke der Hand gemacet, auc mehr to%iret als gezogen werden; so daß so wohl der Auf- als Niederstric, durc einen Dru%, einerley Endigung bekomme. Die gescwinden Passagien hingegen, müssen mit einem leicten Bogen gespielet werden.96

93

Quantz 1752, 245. Quantz 1752, 199. 95 Zu Vortragsarten bei italieniscen Satzbezeicnungen vgl. Quantz 1752, 199f, bei französiscen Tanzsätzen vgl. Quantz 1756, 268ff. 96 Quantz 1752, 199. 94

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Über die französisce Tanzmusik, die erst im letzten Abscnitt des XVII. Hauptstü%s behandelt wird, screibt Quantz: „Diese Art der Musik besteht mehrentheils aus gewissen [d.h. genau bestimmbaren] Charakteren; ein jeder Charakter aber erfodert sein eigenes Tempo: weil diese Art von Musik nict so willkührlic als die italiänisce, sondern sehr eingescränket ist.“97 Daher ist die von Quantz entwi%elte Methode, das Tempo zu finden, besonders bei französiscen Tänzen hilfreic. Bevor er ausführlicer auf die „Art der Bogenstrice“ der carakteristiscen Tanzsätze eingeht, bescreibt er die französisce Tanzmusik allgemein: Es ist […] nict zu läugnen, daß die französisce Tanzmusik nict so leict zu spielen ist, als sic Mancer einbildet, und daß der Vortrag sic von der italiäniscen Art sehr untersceiden muß, sofern er jedem Charaktere gemäß seyn soll. Die Tanzmusik muß mehrentheils ernsthaft, mit einem scweren, doc kurzen und scarfen, mehr abgesetzt als gescleiften Bogenstrice, gespielet werden. […] Die gescwinden Stü%e müssen lustig, hüpfend, hebend, mit einem ganz kurzen, und immer durc einen Dru% markirten Bogenstrice, vorgetragen werden: damit man den Tänzer beständig hebe und zum Springen anreize; dem Zuscauer aber, das, was der Tänzer vorstellen will, begreiflic und fühlbar mace.98

Auc die Ausführung des sta$$ato wird von Quantz unter die „Art der Bogenstrice“ gezählt. Das sta$$ato wird nict mehr wie noc zu Beginn des Jahrhunderts in der Satzüberscrift, sondern als spezielle Vortragsbezeicnung nur noc im Notentext selbst vermerkt, denn „da man in gegenwärtigen Zeiten, selten ein Stü% von einerley Noten zu setzen pfleget; sondern auf eine gute Vermiscung derselben sieht: so werden über diejenigen Noten, welce das sta$$ato erfodern, Stricelcen gescrieben.“99 Diese sta$$ato -„Stricelcen“ bedeuten, daß der Bogen bei den entsprecenden Tönen etwas von der Saite abgesetzt werden soll, jedoc nur wenn genügend Zeit dazu bleibt. Dies ist bei Acteln oder Seczehnteln im scnellen Sätzen, auc wenn sie mit „Stricelcen“ versehen sind, nict der Fall, […] denn diese müssen zwar mit einem ganz kurzen Bogenstrice gespielet, der Bogen

aber niemals abgesetzet, oder von der Seyte entfernet werden. Denn wenn man ihn allezeit so weit aufheben wollte, als zum sogenannten Absetzen erfodert wird; so würde nict genug Zeit übrig seyn, ihn wieder zu recter Zeit drauf zu bringen; und diese Art Noten würden klingen, als wenn sie geha%et oder gepeitscet würden.100

Die kleinsten Notenwerte eines scnellen Satzes wurden also zur Zeit Pisendels niemals mit einem springenden Bogen gespielt, wie dies erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts üblic wurde. Der Effekt, der bei einer springenden Stricart entsteht, hat also im Dresdner Repertoire dieser Zeit nicts zu sucen. Dennoc wurde auc das sta$$ato nict immer durc Strice oder Punkte, die bei Pisendel sogar eine untersciedlice Bedeutung besaßen,101 im Notentext angezeigt: In einem Adagio können die Noten, so unter der $on$ertirenden Stimme eine Bewegung macen, wenn auc keine Stricelcen drüber stünden, dennoc als ein halb sta$$ato angesehen, und folglic zwiscen einer jeden Note, ein klein Stillscweigen beobactet werden.102 97

Quantz 1752, 268. Quantz 1752, 269. 99 Quantz 1752, 201. 100 Quantz 1752, 201. 101 Vgl. Quantz 1752, 193 und 201. Spätere Autoren im 18. und frühen 19. Jahrhundert untersceiden nict mehr zwiscen Punkten und Stricen, vgl. KocL, 42ff (Artikel „Abstoßen“), und Exkurs IV. 102 Quantz 1752, 201. 98

300

Zu den nict notierten Vortragsarten, die jeder Orcestermusiker unter Pisendels Leitung beherrscte, gehören auc rhythmisce Abweicungen gegenüber dem Notentext. Dazu zählt in erster Linie die Praxis, „daß die gescwindesten Noten in einem jeden Stü%e von mäßigem Tempo ein wenig ungleic gespielt werden müssen, so daß man die ansclagenden oder Hauptnoten in einer Figur […] etwas länger anhalte, als die durcgehenden.“103 Da diese aus dem französiscen Stil herrührende Spielweise ein wictiger Bestandteil nict nur des „guten“, sondern auc des „übereinstimmenden Vortrags“ war, weist Quantz im Orcesterkapitel nocmals auf die Notwendigkeit des inégalen Spiels hin und bezieht sic auf die an anderer Stelle erwähnten Ausnahmen. Wesentlice Bedingung für diese Spielweise ist das „mäßige Tempo“, aber auc das Adagio wird ausdrü%lic in diesem Zusammenhang genannt. Dabei sind die Ausnahmen, etwa bei Noten, die mit Stricen oder Punkten oder mit einem langen Bindebogen bezeicnet sind, wiederum klar formuliert und logisc nacvollziehbar.104 Die zweite Vortragsmanier, die eine nict notierte rhythmisce Veränderung des Notentextes zur Folge hat, stammt nac Quantzens Angaben ebenfalls aus der französiscen Orcestertradition. Diese Manier ist unter dem Namen „Überpunktieren“ bekannt und in der neueren Literatur kontrovers diskutiert worden. Dies liegt vor allem an einer wenig differenzierten Anwendung solcer rhythmiscen Verscärfungen in der heutigen Praxis.105 Die Angaben von Quantz beziehen sic jedoc unmißverständlic auf die gesamte Dresdner Orcesterpraxis, wenn er den RipienViolinisten anhand von Notenbeispielen die Regel vom Verkürzen auftaktiger Notenwerte erläutert: Wenn nac einer langen Note, und einer kurzen Pause, dreygescwänzte Noten folgen, s. Tab. XXII. Fig. 29. so müssen die letztern allezeit sehr gescwind gespielet werden; es sey im Adagio oder im Allegro. Deswegen muß man mit den gescwinden Noten, bis zum äußersten Ende des Zeitmaaßes warten, um das Gleicgewict des Ta$tes nict zu verrü%en. Wenn im langsamen Allabreve, oder auc im gemeinen geraden Ta$te, eine Seczehntheilpause im Niedersclage steht, worauf pun$tirte Noten, s. Tab. XXII. Fig. 30.31., folgen; so muß die Pause angesehen werden, als wenn entweder noc ein Pun$t, oder noc eine halb so viel geltende Pause dahinter stünde und die darauf folgenden Note, noc einmal mehr gescwänzet wäre.106

103

Quantz 1752, 257. Vgl. Quantz 1752, 105. Während Quantz in Tab. IX, Fig. 1, Bucstabe k, m und n, die inégale Ausführung auc bei unbezeicneten und mit einem Dreierbogen versehenen Noten bescreibt, erwähnt Mozart diese Vortragsart nur bei Zweierbindungen, vgl. Mozart 1756, 258 (dort mit entsprecenden Querverweisen). 105 Zur Problematik der „Überpunktierungen“ vgl. die Darstellung von Dominik Sa%mann in Rampe/ Sa%mann 2000, 380f. Während Sa%mann bezweifelt, daß es sic bei den Anmerkungen Quantzens zur „Überpunktierung“ um eine „französisce Spielart“ handelt, konnte Rampe die Herkunft der sogenannten „5:3-Rhythmen“, die Dirst 1997, 39ff. als ein Hinweis auf die Dresdner Praxis ansah, in französiscen Klavierwerken von Dieupart, Siret und Couperin nacweisen und als ein Stilmerkmal französiscer Hofmusik vor 1715 erklären, vgl. Siegbert Rampe in Rampe/Sa%mann 2000, 269f. 106 Quantz 1752, 195f. 104

301

Auc im Zusammenhang mit dem Charakter der versciedenen französiscen Tänze im letzten Abscnitt der Orcesterkapitel wiederholt Quantz die Regel vom „Überpunktieren“. Bei Allabreve-Tänzen wie „Bourreen, Entreen, Rigaudons, Gavotten, Rondeaus u.s.w.“ sowie bei Tänzen im Dreivierteltakt wie „der Loure, Sarabande, Courante, und Cha$onne müssen die Acttheile, so auf pun$tirte Viertheile folgen, nict nac ihrer eigentlicen Geltung, sondern sehr kurz und scarf gespielet werden.“107 Hier geht es also um die Verscärfung punktierter Rhythmen im Sinne eines „markierten, hebenden“ Tanzmusikstils, die nicts mit dem Mißverständnis einer „Doppelpunktierung“ in Ouvertürensätzen zu tun hat. Wie bei dem vorherigen Zitat bezieht sic die Anweisung, kurze Auftaktnoten spät und scnell zu spielen, auf „drey oder mehr dreygescwänzte Noten“, die anders als bei Stü%en im italieniscen Stil hier nict mit dem Bogen gebunden werden: […] soferne nac einem Pun$te oder einer Pause drey oder mehr dreygescwänzte Noten

folgen; so werden solce, besonders in langsamen Stü%en, nict allemal nac ihrer Geltung, sondern am äußersten Ende der ihnen bestimmten Zeit, und in der größten Gescwindigkeit gespielet; wie solces in Ouvertüren, Entreen, und Furien öfters vorkömmt. Es muß aber jede von diesen gescwinden Noten ihren besondern Bogenstric bekommen: und findet das Scleifen wenig statt.108

Zum „guten Vortrag“ eines Orcesters gehört nict zuletzt die gesamte Bandbreite der Dynamik, die im 18. Jahrhundert oft mit dem Bild von „Lict und Scatten in der Musik“ bescrieben wird. Dabei wird die dynamisce „Scattierung“ mit den gleicen Mitteln erzeugt wie die „Art der Bogenstrice“, die als Begriff auf den Charakter der einzelnen Musikstü%e bezogen ist. Beides dient wiederum dem musikaliscen Ausdru%: Die genaue Ausführung des Forte und Piano, ist eines der nöthigsten Stü%e in der Ausführung. Die Abwecslung des Piano und Forte ist eines der bequemsten Mittel, nict nur die Leidenscaften deutlic vorzustellen; sondern auc Lict und Scatten in der Musik zu unterhalten.109

Auf den „übereinstimmenden Vortrag“ der dynamiscen Werte zu acten, gehört nac Quantz zu den wictigsten Aufgaben eines Konzertmeisters, zumal dieses Ausdru%smittel offenbar auc zu Pisendels Zeit oft unterscätzt wurde: „Man sollte glauben das[!] nicts leicter sey, als nac Anzeige zweener Bucstaben, stark oder scwac zu spielen. Dennoc wird dieses so wenig in Act genommen, daß bey mancem öfters noc eine mündlice Erinnerung deswegen nöthig wäre.“110 In diesem Zusammenhang fordert Quantz wiederum eine „gute und vernünftige Subordination“ unter die Führung des Konzertmeisters und betont dessen Verantwortung für den „gleicen Vortrag“ der Dynamik bei den „Pflicten eines Anführers der Musik“: Er muß dahin sehen, daß alle seine Gefährten, mit ihm, nacdem es die Sace erfodert, allezeit in gleicer Stärke und Scwäce spielen; besonders aber bey dem Wecsel des Piano und Forte, und ihrer versciedenen Stufen, solce bey denen Noten, wo sie gescrieben stehen, alle zugleic ausdrü%en.111

107

Quantz 1752, 270. Zur Ausführung von punktierten Noten vgl. auc 116, 194 und 217. Quantz 1752, 270. 109 Quantz 1752, 249. 110 Quantz 1752, 249. 111 Quantz 1752, 181. 108

302

Neben der Beactung von versciedenen dynamiscen Stufen, die Pisendel häufig in die Orcesterstimmen eingetragen hat, verlangte Pisendel von den Ripienisten, in ganz bestimmten Fällen „eine Note, wenn auc nicts dabey gescrieben steht, entweder zu erheben, oder zu mäßigen.“112 Diese Scattierungen dienten vor allem der Kontur des Ensemblespiels, und insofern ist der Begriff von „Lict und Scatten“ treffend gewählt. Beispielsweise sollen kurze Motive, wenn sie mehrfac auftreten, „etwas scwäcer als der erste Vortrag derselben gespielet werden“. Auc das Unisono muß „erhaben, präctig, feurig, mit Nacdru% des Bogens, und stärker im Tone als eine andere Melodie“ vorgetragen werden. Ein Themenkopf „muß in einer jeden Stimme, und zu allen Zeiten wenn er unvermuthet eintritt, mit Nacdru%e markiret werden; besonders wenn der Anfang davon aus langen Noten besteht. Es findet dabey weder eine Scmeiceley im Spielen, noc einiger willkührlicer Zusatz von Noten statt.“113 All diese Angaben gelten bis heute als selbstverständlice Elemente des Ensemblespiels, wenn sie auc nict mehr als Teil der Dynamik begriffen werden. Ebenso selbstverständlic war es für die unter Pisendel erzogenen Orcestermusiker, auf alle dynamiscen Abstufungen eines Solisten unmittelbar einzugehen, denn „Lict und Scatten“ bestimmte nict nur die Kontur des Ensemblespiels, sondern auc den musikaliscen Ausdru% unabhängig von der typisierten „Art der Bogenstrice“: Wenn in einem Adagio der Con$ertist den Ton bald verstärket, bald mäßiget, und also durc Lict und Scatten mit Affe$te spielet; so thut es die scönste Wirkung, wenn ihm die A$$ompagnisten in derselben Art zu Hülfe kommen. Dieses ist […] besonders bey solcen Noten, welce dissoniren, oder zu einer fremden Tonart vorbereiten, oder einen Aufenthalt in der gescwinden Bewegung verursacen, zu beobacten.114

Aber nict nur die Ausdru%swerte eines Solisten sollen von den Orcestermusikern übernommen und musikalisc unterstützt werden. Pisendel geht sogar so weit, daß er das Orcester als Ganzes, wie ein Solist, kleinste Abstufungen des Ausdru%s ausführen lassen will. Zu diesem Zwe% hat Pisendel offenbar den Ursprung des musikaliscen Ausdru%s genau untersuct und dessen Elemente, entsprecend seinem Motto „qui bene distinguit, bene do$et “, in eine lehrbare Form gebract. Die Lehre vom musikaliscen Ausdru% hat er dann im Unterrict an seine Scüler weitergegeben und damit erreict, daß der gleice „Affe$t“ scließlic auc von allen Mitgliedern seines Orcesters in der Musik erkannt und übereinstimmend umgesetzt werden konnte. Dieser Unterrict Pisendels, wie nict notierte dynamisce Abstufungen im Dienst des musikaliscen Ausdru%s ausgeführt werden sollen,115 geht natürlic über das bloße Befolgen dynamiscer Angaben oder das Hervorheben musikaliscer Konturen weit hinaus: Aus dem was bisher gesaget worden ist nun zu ermessen, daß es bey weitem nict hinlänglic sey, das Piano und Forte nur an denen Orten, wo es gescrieben steht, zu beobacten: sondern daß ein jeder A$$ompagnist auc wissen müsse, solces an vielen Orten,

112

Quantz 1752, 250. Zu allen Zitaten dieses Absatzes vgl. Quantz 1752, 253f. 114 Quantz 1752, 252. 115 Zur „Ausführung unbezeicneter Dynamik“ im größeren Kontext vgl. Siegbert Rampe, in Rampe/Sa%mann 2000, 361ff. 113

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wo es nict dabey steht, mit Überlegung anzubringen. Hierzu nun zu gelangen, ist ein guter Unterrict und viel Erfahrung nöthig.116

Mit dem Hinweis auf „guten Unterrict“ ist natürlic wiederum Pisendel und seine Scule gemeint. Innerhalb des Hauptstü%s über das Orcesterspiel wird der Inhalt dieses Unterricts bei Pisendel im Abscnitt „Von dem Clavieristen insbesondere“ sogar im Einzelnen wiedergegeben. Die Lehre vom musikaliscen Ausdru% nämlic, die Quantz als „Erregung der abwecselnden Leidenscaften“ umscreibt und die offenbar auf den „guten Unterrict“ Pisendels zurü%geht, hängt mit der Generalbaßkenntnis und dem harmoniscen Hören unmittelbar zusammen: Eben diese Erregung der abwecselnden Leidenscaften, ist auc die Ursace, warum die Dissonanzen überhaupt stärker als die Consonanzen angesclagen werden müssen. Die Consonanzen setzen das Gemüth in eine vollkommene Ruhe, und Zufriedenheit: die Dissonanzen hingegen erwe%en im Gemüthe einen Verdruß. […] Je härter also der Verhalt der Dissonanzen ist; je gefälliger ist ihre Auflösung. 13. §. Wie aber der Verdruß nict immer von einerley Heftigkeit seyn kann; also haben auc von den Dissonanzen, einige mehr, einige weniger Wirkung; und muß also davon immer eine stärker als die andere angesclagen werden. […] 14. §. Um die Sace noc deutlicer zu macen, will ic über die vor erwähnten Dissonanzen, und über den Unterscied ihres Ausdru%s, in Ansehung der Mäßigung und Verstärkung, ein Exempel beyfügen, s. Tab. XXIV, Fig. 1; woraus man deutlic wird ersehen können, daß das Piano und Forte, um die Affe$ten gehörig auszudrü%en, bey der Ausführung, eines der nöthigsten Dinge sey. […] Ic bin versicert, wenn man […] die versciedenen Wirkungen der Dissonanzen erkennen lernet; wenn man auf die Wiederholungen der Gedanken, auf die haltenden Noten, welce die Lebhaftigkeit unterbrecen, auf die Betrugsgänge, so öfters bey den Cadenzen vorkommen, und auf die Noten, welce zu einer fremden Tonart führen, und die durc das Kreuz oder e%igte b [Auflösungszeicen] erhöhet, oder aber durc das runde b ernidriget werden, genau Act hat; ic bin versicert, sage ic, daß man alsdenn das Piano, Mezzo forte, Forte, und Fortissimo, ohne daß es dazu gescrieben ist, sehr leict wird errathen können.117

116 117

Quantz 1752, 245. Quantz 1752, 227f.

304

Quantz unterteilt alle dissonanten Akkorde „in Ansehung ihrer Wirkung“ in drei Stärkegrade ein, die auf die jeweils im Notentext vermerkte Grunddynamik des Abscnitts bezogen sind. In das System der Dissonanzgrade werden dabei nur selbständige dissonante Akkorde einbezogen, während die Vorhaltsdissonanzen mit Bli% auf die „abwecselnden Leidenscaften“ unberü%sictigt bleiben und daher auc nict besonders hervorgehoben werden. Sein Notenbeispiel hat Quantz detailliert mit dynamiscen Angaben bezeicnet, aus denen die Abhängigkeit dieser „abwecselnden Leidenscaften“ von dem harmoniscen Verlauf abgelesen werden kann.118 Dieses System hat den Vorteil, daß sic die Stärkegrade der Dissonanzen bereits beim ersten Hören einprägen, ohne daß die Musiker die Generalbaßbezifferung im Einzelnen kennen müssen. Voraussetzung für die Ausführung nict notierter Dynamik ist das harmonisce Hören, dessen Grundbegriffe bei allen Musikern der Dresdner Hofkapelle vorausgesetzt werden können, denn ohne harmonisces Hören wäre die zeitgenössisce Improvisationskunst nict möglic. Auf diese einface Weise konnten alle Orcestermusiker die „abwecselnden Leidenscaften“ innerhalb der Grunddynamik durc einen entsprecenden Bogendru% realisieren. Die Parameter „Lict und Scatten“, „Stärke und Scwäce“, Dissonanz und Konsonanz bildeten so eine Einheit, deren Regeln über das Hören nacvollziehbar waren und spätestens nac dem ersten Durcspielen eines Stü%s von allen Ripienisten übereinstimmend angewandt werden konnten. Dieses Bezugssystem aus Ausdru%, Dynamik und Artikulation, das vom Stil und der Gattung des jeweiligen Stü%s abhängig war, umfaßte offensictlic auc die „gemeine Art“ des Vortrags, also die nict notierten Stricarten des Orcesterspiels. Durc die von den Orcestermusikern geforderte „Subordination“, die ja darauf abzielte, bei den Musikern „Lust“ und „gehörige Aufmerksamkeit“ hervorzurufen, geriet das Orcesterspiel unter Pisendels Leitung niemals in Gefahr, zu einem leblosen und äußerlicen Manierismus zu erstarren, zu differenziert gingen Pisendels aufführungspraktisce Lehren auf feine Untersciede hinsictlic der Gattung und des Stils der gespielten Werke ein, zu sehr stand die Aufmerksamkeit auf das harmonisce und melodisce Gescehen und der daraus folgende musikalisce Ausdru% im Vordergrund. Diese überaus ansprucsvolle Kunst der Orcesterpraxis erlaubte es sogar, daß weitere Vortragsarten, die dem solistiscen Spiel vorbehalten und nict durc Regeln vorhersehbar waren, in einigen Fällen auf das Orcesterspiel übertragen werden konnten. Dazu gehört beispielsweise, daß neben den ohnehin vorausgesetzten wesentlicen Manieren ausnahmsweise auc „willkührlice Veränderungen“ zugefügt werden 118

Den Ausdru%sgehalt einer Musik durc den Spannungsgrad der Harmonik zu bestimmen, ist auc der Musikpsycologie nict fremd, vgl. Kurth 1930.

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dürfen, wenn diese von dem Ausführer einer obligaten Stimme, deren Motive in der Begleitung wiederkehren, vorgegeben werden. Diese Praxis, bei sogenannten „Nacahmungen“ auc die nict notierten Elemente zu übernehmen, stammt aus der Kammermusik und wird von Quantz im Zusammenhang mit Trios und Solokonzerten, die beide solistisc besetzt waren, erläutert.119 Dieses Prinzip der Nacahmung wird auf die obligaten Stimmen im Orcester übertragen: Hat ein Flötenist mit einer Singstimme zu $on$ertiren; so muß er sucen, sic mit derselben, im Tone und in der Art des Vortrages, so viel als möglic, zu vereinigen. Er darf nicts verändern, als nur da, wo ihm durc Nacahmung Gelegenheit dazu gegeben wird. […] Auf dem Theater hingegen kann er etwas stärker blasen: weil da das Piano mit der Flöte nict viel Wirkung thut. Doc muß er den Sänger nict mit gar zu vielen Veränderungen überhäufen: damit derselbe, weil er auswendig singen muß, nict in Unordnung gebract werde.120

Sogar der Baß darf in Ausnahmefällen willkürlice Manieren spielen. Dies gilt allerdings nur für „melodiöse und $on$ertierende Bässe bey einem Solo“, also für eine kammermusikalisce Besetzung oder in Rezitativen: Hat aber der Baß Nacahmungen; so kann der Violon$ellist eben dieselben Manieren, die ihm vorgemacet worden sind, nacmacen. […] Deswegen muß der Violon$ellist beständig sucen, dem Vortrage dessen so die Hauptstimme spielet, so wohl in der Stärke und Scwäce des Tones, als in Ausdrü%ung der Noten, naczuahmen. Bey einer vollstimmigen Musik aber, ist dem Violon$ellisten ganz und gar nict erlaubt, willkührlic etwas zuzusetzen: nict allein, weil die Grundstimme ernsthaft und deutlic gespielet werden muß; sondern auc, weil solces, wenn es die übrigen Bässe ebenso macten, eine große Verwirrung und Undeutlickeit verursacen würde.121

Während „willkührlice Zusätze“ bei „Nacahmungen“ nur in kleiner Besetzung oder bei solistiscen Aufgaben innerhalb des Orcesters erlaubt sind, werden die wesentlicen Manieren und der musikalisce Ausdru% entsprecend der Harmonik auc bei einer größeren Gruppe von Orcestermusikern gefordert. Dies geht aus der oben zitierten Anweisung an die A$$ompagnisten hervor, sie mögen dem Con$ertisten „in derselben Art zu Hülfe“ zu kommen, wenn dieser „durc Lict und Scatten mit Affe$te spielet“.122 Die gleice improvisatorisce Grundhaltung behält also auc im coriscen Spiel ihre Gültigkeit. Im Einzelfall bedeutet dies, daß die motiviscthematiscen Nacahmungen auc von den Mittel- und Unterstimmen genau so übernommen werden müssen, wie sie von der Hauptstimme, beispielsweise von der ersten Violine, vorgespielt werden. Selbst wenn also nur in der Hauptstimmme wesentlice Manieren oder dynamisce Angaben eingetragen sind, wurden sie von den nacahmenden Stimmen selbstverständlic „in derselben Art“ übernommen, ohne daß sie im Notentext notiert waren.123 119

„Macet einer im Trio eine Manier, so muß sie der andere, wenn er, wie es seyn sollte, Gelegenheit hat sie naczumacen, auf gleice Art vortragen. Ist er aber im Stande, noc etwas Gesci%tes mehr zuzusetzen, so thue er es am Ende der Manier; damit man sehe, daß er dieselbe so wohl simpel nacmacen, als auc verändern könne: denn es ist leicter etwas vor- als naczumacen.“ Quantz 1752, 172f. 120 Quantz 1752, 173. 121 Quantz 1752, 213f. 122 Vgl. Quantz 1752, 252. 123 Auc Bac trug wesentlice Manieren teilweise nur in die „Leitstimmen“ der Partitur ein, während er sie später in den Einzelstimmen regelmäßg nacgetragen hat, vgl. Dominik Sa%mann, „Ornamentik“ in Rampe/Sa%mann 2000, 375.

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Alle hier aufgeführten Vortragsarten, die nict im Notentext fixiert sind, dienten dazu, das corisce Spiel der Orcestermusiker auf das gleice musikalisce Niveau zu heben wie der Vortrag eines Solisten. Dabei ersceint es fast paradox, daß die improvisatorisce Grundhaltung durc das Prinzip der Subordination auf das Orcesterspiel übertragen werden sollte. Da es aber das erklärte Ziel dieser „Subordinationspflict“ war, die Ripienisten zu „Lust“ und „gehöriger Aufmerksamkeit“ zu bewegen, hat Pisendel mit dieser Maßnahme die notwendige Voraussetzung für eine improvisatorisce Spielhaltung gescaffen. Die Orcestermusiker sollten also unter Pisendels Leitung mit der gleicen inneren Anteilnahme spielen, als hätten sie eine solistisce oder kammermusikalisce Partie auszuführen. Um diese improvisatorisce Grundhaltung auf das corisce Spiel zu übertragen, faßte Pisendel auc die nict notierten Elemente der Aufführungspraxis für das Orcesterspiel in klare Regeln, durc die alle Orcestermusiker eine bestimmte Musik „übereinstimmend“ ausführen und sic dabei in einen konkret bestimmbaren Affekt hineinversetzen konnten.124 Diesem Ansatz kamen die französiscen Traditionen des coriscen Spiels entgegen, die Pisendel jahrelang unter seinem Amtsvorgänger Woulmyer praktiziert hatte und die er auc weiterhin, wie oben gezeigt, seinen Orcesterübungen zugrunde legte. Während diese jedoc hauptsäclic auf die carakteristisce Darstellung von Tanzsätzen abzielten, erweiterte Pisendel das Orcesterspiel um Elemente des musikaliscen Ausdru%s, die bislang lediglic der italienisc dominierten, „galanten“ Kammermusik vorbehalten waren. Die Verbindung dieser Praxis mit einem differenzierten Regelwerk und strenger „Subordination“ läßt es nacvollziehbar ersceinen, daß die Vermiscung von französiscen und italieniscen Elementen im Orcesterspiel nict nur als „vermiscter“ Gescma% bezeicnet, sondern auc als „deutsce“ oder sogar Dresdner Spezialität angesehen wurde. Das Ergebnis dieses affektvollen Orcesterspiels jedenfalls muß für die zeitgenössiscen Hörer sehr eindru%svoll und ansprecend gewesen sein und läßt erahnen, warum die Kunst der Ausführung, die Pisendel im Orcesterspiel immer mehr verfeinert hatte, in Dresden gegenüber der Komposition einen derart herausgehobenen Stellenwert besaß. Dieser überaus differenzierte Vortragsstil nac dem Motto „Exe$utio Anima Compositionis“ und Pisendels Ansatz, nict notierte Vortragsarten lehrbar zu macen, wirkten sic sicer auc auf die solistisce Praxis und das allgemeine Musikverständnis aus und gaben angesicts des von Pisendel angeführten Leitsatzes „qui bene distinguit, bene do$et“ möglicerweise sogar die Initialzündung für die aufgeklärte Musikkritik in Nord- und Mitteldeutscland.

124

Dahlhaus verkennt die Notwendigkeit, die Elemente des guten Vortrags im Hinbli% auf das corisce Orcesterspiel zu kodifizieren, wenn er das oben wiedergegebene Notenbeispiel von Quantz als „manierierte Dynamik“ bezeicnet und zu dem Scluß kommt: „Der Quantzsce Scematismus ist offenkundig der pedantisc geratene Versuc, eine Improvisationspraxis, eine überlieferte Gewohnheit, in Regeln zu fassen.“ Vgl. Dahlhaus 1976, 185.

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2. E INTEILEN UND A UFSTELLEN DER O RCHESTERMUSIKER „Endlic muß auc ein Anführer: die Instrumentisten, bey einer Musik, gut einzutheilen, zu stellen, und anzuordnen wissen. Auf die, nac gehöriger[!] Verhältnis eingerictete, gute Besetzung und Stellung kömmt viel an.“1 Ebenso wie die Ausführungen zum „guten“ und „übereinstimmenden“ Vortrag des Orcesters können auc Quantzens Angaben über die Besetzungsstärken und deren Verhältnisse im Bezug auf musikalisce Gattungen als repräsentativ für die Dresdner Praxis unter Pisendel angesehen werden. In welcer Beziehung die Besetzungsstärke der einzelnen Werke dagegen zu den noc heute vorhandenen Stimmensätzen steht, läßt sic nict ohne weiteres feststellen, da konkrete Angaben darüber in den scriftlicen Quellen fehlen.

Besetzungsstärke und Stimmensätze Die Ausführungen über die Einteilung und Aufstellung der Orcestermusiker nehmen innerhalb des Kapitels „Von den Eigenscaften eines Anführers der Musik“ einen auffallend großen Raum ein, denn obwohl nur secs der actzehn Paragraphen von diesem Thema handeln, erstre%en sic diese fast über die Hälfte des Textes. Zugleic betont Quantz die praktisce Erfahrung, daß „der gute Erfolg einer Musik, nict weniger von einer in gehörigem Verhalte stehenden Besetzung der Instrumente, als von der guten Abspielung selbst, abhängt.“2 Dieser überrascend hohe Stellenwert einer ausgewogenen Besetzung des Ensembles hängt natürlic mit dem etwas leiseren Klang zeitgenössiscer Instrumente, vor allem aber mit der jeweiligen Aufführungssituation zusammen. Aufführungsorte, die eigens als Konzertsaal gebaut wurden, gab es nämlic in der Regel nict, und der Zeitgescma% verlangte in großen Räumen nac üppiger Dekoration, die einen Großteil des Klanges sclu%te. Bei Opernhäusern wurde eine tro%ene Akustik bevorzugt, denn diese begünstigt das gesungene und gesprocene Wort. Umgekehrt war die 1754 neu erbaute Katholisce Hofkirce für ihren ausgedehnten Nachall bekannt. Daher weist Quantz die „A$$ompagnisten“ an, beim Spielen auf die Raumakustik Rü%sict zu nehmen: Um das Forte und Piano rect auszudrü%en, muß man auc betracten, ob man an einem großen Orte, wo es scallet, oder an einem kleinen, zumal tapezierten3 Orte, wo der Ton gedämpfet wird, a$$ompagnire; ob die Zuhörer entfernet oder nahe seyn; ob man eine scwace oder starke Stimme begleite; und endlic ob die Anzahl der a$$ompagnirenden Instrumente, stark, mittelmäßig, oder gering sey.4

Quantz sclägt Besetzungsstärken nac dem Grundsatz vor, daß die Hauptstimmen „vor allen andern hervorragen, und die Mittelstimmen am allerwenigsten gehöret werden sollten.“5 Daher rictet sic die Besetzung immer an der Anzahl der Violinen aus, deren Grundeinheit mit vier angegeben ist. 1

Quantz 1752, 183. Quantz 1752, 185f. 3 Bei zeitgenössiscen Tapeten handelte es sic in der Regel um frei gespannte Stoffe, die mittels Rahmen an der Wand befestigt wurden und stark absorbierend wirkten. 4 Quantz 1752, 250f. 5 Quantz 1752, 186. Vgl. auc 252. 2

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[…] Den Clavi$ymbal verstehe ic bey allen Musiken, sie seyn kleine oder große, mit

dabey. Zu vier Violinen nehme man: eine Bratsce, einen Violon$ell, und einen Contraviolon, von mittelmäßiger Größe. Zu secs Violinen: eben dasselbe, und noc einen Basson. Zu act Violinen gehören: zwo Bratscen, zweene Violon$elle, noc ein Contraviolon, der aber etwas größer ist als der erste; zweene Hoboen, zwo Flöten, und zweene Bassons. Zu zehn Violinen: eben dasselbe; nur noc einen Violon$ell mehr. Zu zwölf Violinen geselle man: drey Bratscen, vier Violon$elle, zweene Contraviolone, drey Bassons, vier Hoboen, vier Flöten; und wenn es in einem Orcester ist, noc einen Flügel mehr, und eine Theorbe. Die Waldhörner sind, nac Bescaffenheit der Stü%e, und Gutbefinden des Componisten, so wohl zu einer kleinen als großen Musik nöthig.6

Obwohl sic das System durc „die Vermehrung von vieren zu acten, von acten zu zwölfen, u.s.w.“7 einfac hocrecnen läßt, fällt auf, daß bei der ersten „Vermehrung“ von vier auf act Violinen sofort doppelte Bläser hinzutreten, die bei der näcsten „Vermehrung“ sogar überproportional verstärkt werden, denn hier werden nict je drei, sondern „vier Hoboen, vier Flöten“ eingesetzt. Dieses Zahlenverhältnis entsteht aus der Notwendigkeit, sowohl die erste als auc die zweite Violine zu gleicen Teilen mit Ripienobläsern zu verstärken. Die klangverstärkenden Bläser sind offenbar für die carakteristisce Klangfarbe groß besetzter Musiken verantwortlic, jedoc ohne daß dies zwangsläufig als eine Dresdner Spezialität angesehen werden muß, denn bereits Sceibe verlangt bei einer vollstimmigen Musik mit Trompeten und Pauken, daß „die erste und andere Geige zum wenigsten vier- bis fünfmal besetzet seyn“ und „auc durc die Hoboen verdoppelt werden“ müssen.8 Damit ist aber noc nict bestimmbar, welce Werke groß und welce klein, und vor allem wie klein, besetzt wurden. Auc die Anzahl der Stimmen in vollständigen Stimmensätzen läßt keine absolut zuverlässigen Aussagen über die Zahl der an der Ausführung beteiligten Musiker zu, solange nict sicer ist, wie viele von ihnen aus einer Stimme gespielt haben, denn die Widersprüclickeit der einsclägigen Quellen, die sowohl einface als auc mehrface Besetzungen als ‚Idealbesetzung‘ ersceinen lassen, setzt sic auc in der Frage der Besetzung pro Stimme fort.9 Durc scriftlice Zeugnisse von Telemann und Walther aus den Jahren 1725 beziehungsweise 1729 ist nämlic belegbar, daß in Hamburger Kircenorcestern ebenso wie in der Weimarer Hofkapelle zuweilen sogar mehr als zwei Geiger aus einer einzigen Stimme spielten.10 Es sceint, als könnte die historisce Besetzungsstärke nur mit Rü%sict auf das einzelne Werk, die Aufführungsumstände und den intendierten Ort der Aufführung bestimmt werden. Möglicerweise gab es sogar lokale Traditionen, so daß die Dresdner Gepflogenheiten anhand versciedener Gattungen zu untersucen wären. Anhand eines Dresdner Stimmensatzes, der ausnahmsweise dem Bestand Woulmyers zugeordnet werden kann, läßt sic die Besetzung eindeutig ablesen, denn ein unbe6

Quantz 1752, 185. Quantz 1752, 185. 8 Vgl. Sceibe 1745, 713. 9 Zum Stand der Diskussion über einface oder mehrface Besetzung vgl. Rampe/Sa%mann 2000, 29f. 10 Vgl. Rampe/Sa%mann 2000, 30, Anm. 6. 7

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kannter Screiber vermerkte die Namen der beteiligten Musiker oben auf der jeweiligen Stimme. So wurde das Konzert für zwei Soloviolinen und Streicer von Georg Philipp Telemann vor 1712 von dem Konzertmeister Woulmyer und dem Premier Violon Fiorelli11 aufgeführt, während die Stimmen „Violino 1. in Ripieno“ vierfac (von Lotti, Rybitzky, D’Hu[londel] und le Gros) und „Violino 2.do in Ripieno“ doppelt (von Heering und Lehneis) vorhanden waren. „Viola“ und „Violono in Ripieno“ waren einfac besetzt, während ein weiterer Musiker zwiscen Bratsce und Basse de Violon wecselte, wie aus einer Stimme mit dem Titel „Viola, Violono in Ripieno Mons: la Fran$e.“ hervorgeht. „Mons: Selenka.“ und „Mons: Pezold: “ haben aus zwei der bezifferten „Basso Continuo“-Stimmen gespielt, während die dritte „Basso Continuo“-Stimme, ebenso wie die Oboenstimme, nict mit einem Musikernamen versehen ist.12 Obwohl dieses Telemann-Konzert relativ groß besetzt war, spielte offenbar nur je ein Musiker aus einer eigenen Stimme. Wahrsceinlic gründet sic die öfters wiederholte Ansict, daß bei Dresdner Konzerten „für jede Stimme nur ein Spieler herangezogen wurde“ und der Begleitpart der Solokonzerte in Dresden „im allgemeinen mit Streicquartett, Kontrabaß und Cembalo auskommen mußte“, wenn nur ein einfacer Stimmensatz vorhanden war,13 auf dieses von Woulmyer bezeicnete Material. Allerdings lassen die Ausführungen von Quantz über die Dresdner Besetzung von Instrumentalkonzerten diesen Scluß nict unbedingt als zwingend ersceinen. Quantz untersceidet hinsictlic der Besetzungsstärke zwiscen dem Con$erto grosso, bei dem „immer zwey oder mehrere Instrumente“ konzertieren, und dem „sogenannten Kammer$on$ert“ für ein einziges konzertierendes Instrument, das heute als Solokonzert bezeicnet wird:14 [Das Con$erto grosso] erfodert ein zahlreices A$$ompagnement, einen großen Ort, eine ernsthafte Ausführung, und eine mäßige Gescwindigkeit. 32. §. Der Con$erte mit einem $on$ertirenden Instrumente, oder der sogenannten Kammer$on$erte, giebt es gleicfalls zwo Gattungen. Einige verlangen, so wie das Con$erto grosso, ein starkes, die andern aber ein scwaces A$$ompagnement. Wird solces nict beobactet, so thut weder eins noc das andere seine gehörige Wirkung. Aus dem ersten Ritornell kann man abnehmen, was für einer Gattung das Con$ert sey. Alles was ernsthaft, präctig, und mehr harmonisc als melodisc gesetzet, auc mit vielem Unison untermiscet ist; wobey die Harmonie sic nict zu Acttheilen oder Viertheilen, sondern zu halben oder ganzen Ta$ten verändert; dessen A$$ompagnement muß stark besetzet werden. Was aber aus einer flüctigen, scerzhaften, lustigen oder singenden Melodie besteht, und gescwinde Veränderungen der Harmonie macet; thut mit einem scwac besetzeten A$$ompagnement bessere Wirkung, als mit einem starken.15

Nac Quantzens Definition16 wäre das oben angeführte Doppelkonzert von Telemann als ein „Con$erto grosso“ anzusehen, das ein „starkes A$$ompagnement“ er11

Fiorelli starb 1711, und Pisendel wurde zum 1.1.1712 auf dessen Stelle berufen, vgl. oben, Abscnitt II, 2. „Stellenangebote aus Darmstadt und Dresden“. 12 D-Dl Mus. 2392-O-56 (Georg Philipp Telemann, Konzert für zwei Violinen). Vgl. Landmann 1984, 124, und Fecner 1999, 236f. Ebenso enthielt Mus. 2045-O-1 (Ni$ola Matteis jun., Konzert für vier Violinen, Kriegsverlust) die Namen der ausführenden Musiker, vgl. Moser/Nösselt 1966, 133. 13 Landmann 1984, 12f. Vgl. auc Landmann 1983 I, 57, und Spitzer 1994, 67 und 79. 14 Quantz 1752, 294. 15 Quantz 1752, 295. 16

Diese Definition weict von der ‚modernen‘ Definition des Instrumentalkonzerts deutlic ab. Sie ist jedoc für das Dresdner Reperoire maßgeblic, denn die heutige Perspektive führte beispielsweise dazu, daß

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fordert, wie es auc tatsäclic anhand der Stimmen nacweisbar ist. Ob allerdings ein „Kammer$on$ert“ mit einem Soloinstrument, das ein „scwac besetztes A$$ompagnement“ verlangt, zwangsläufig eine solistisce Besetzung voraussetzt, ersceint angesicts der folgenden Ausführungen fraglic, denn Quantz nennt eine Mindestzahl von vier Violinen für die Besetzung „einer kleinen Kammermusik“: Bey einer kleinen Kammermusik kann der Clavi$ymbal an die Wand gesetzet werden […]. Sind nur vier Violinen vorhanden; so können dieselben in einer Reihe, an dem Clavi$ymbal hin, und die Bratsce hinter denselben stehen. Sind aber der Violinen secs oder act: so würde es besser seyn, wenn die zweyte Violine hinter die erste […] gestellet würde […].17

Eine solistisce Besetzung der Begleitstimmen wird von Quantz in diesem Zusammenhang nict bescrieben. Dies ließe sic aus dem Zusammenhang des Kapitels „von den Eigenscaften eines Anführers“ erklären, denn die Besetzungsstärke und Aufstellung der Musiker fällt in den Verantwortungsbereic des Konzertmeisters oder „Anführers“, der diese Funktion möglicerweise nur dann erhält, wenn eine corisce Besetzung vorliegt. In einem anderen Zusammenhang dagegen, wenn nämlic ein „Con$ertist“ eine Ripienstimme auszuführen hat und sic dabei seiner solistiscen Gewohnheiten enthalten muß, erwähnt Quantz auc die Möglickeit einer solistiscen Besetzung: „Er [der Con$ertist] darf also nicts hinzufügen, was irgend nur die Melodie verdunkeln könnte: besonders, wenn eben dieselbe Stimme mehr als einmal besetzet ist.“18 Zwar nennt auc Sceibe in seiner Bescreibung der Konzerte für ein Soloinstrument von 1739 zunäcst nur eine einface Anzahl der Begleitstimmen. Allerdings bezieht er diese Aufzählung nur auf die Art der Besetzung und nict auf die Besetzungsstärke, denn diese Stimmen können „bey der Aufführung des Stü%es, nac Gutbefinden, auc nac der Menge der vorhandenen Musikanten, doppelt, oder mehrmal, besetzet werden“: Ein Con$ert, in welcem nur eine Con$ertstimme befindlic ist, wird aber folgendermaßen eingerictet. Die Instrumente, welce der Con$ertstimme zur Begleitung zugegeben werden, und insgemein aus zwo Geigen, einer Bratsce und dem Grundbasse bestehen, die aber bey der Aufführung des Stü%es, nac Gutbefinden, auc nac der Menge der vorhandenen Musikanten, doppelt, oder mehrmal, besetzet werden können, gehen insgemein mit dem Hauptsatze des Con$erts voraus, und die Con$ertstimme kann entweder inzwiscen scweigen, oder auc mitspielen, nacdem der Componist es für gut hält.19

Weder bei Quantz noc bei Sceibe lassen sic Angaben darüber finden, ob jeder Spieler eine eigene Stimme erhielt oder ob diese Stimmen gewöhnlic mehrfac besetzt waren. Sehr wahrsceinlic kann die Besetzungspraxis bei „Kammer$on$erten“, die sic an der jeweiligen Aufführungssituation orientiert, nict in eine allgemeine Regel gefaßt werden, sonst wäre sie wohl von Quantz in seiner gründlicen Ab-

einige mit „Con$erto“ betitelte „Kammermusikwerke“ Telemanns „ihrer kompositoriscen Anlage nac“ von Fecner nict als Instrumentalkonzert angesehen und daher aus seiner Untersucung ausgesclossen wurden, vgl. Fecner 1999, 21. Da auc Gattungsbezeicnungen einem historiscen Wandel unterworfen sind, ersceint es sinnvoll, solce Begriffe aus dem Kontext des Forscungsgegenstandes und nict aus dem Rü%bli% zu definieren. 17 Quantz 1756, 184. 18 Quantz 1756, 246f. 19 Sceibe 1745 (Das 69. Stü%, 22.12.1739), 631.

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handlung angemerkt worden. Während sic also die Frage der einfacen oder mehrfacen Besetzung bei Instrumental- und Vokalmusik in der Kammer nict entsceiden läßt, ohne den Ort und Anlaß der Aufführung zu berü%sictigen, bewegt sic diese Frage bei solcen Werken, die von vornherein eine große Besetzung erfordern und in einem eigens dafür eingericteten Raum aufgeführt werden, in einem deutlic engeren Rahmen. Dies trifft im Fall Dresdens natürlic auf die Besetzung des Opernorcesters zu. Eine bislang unbeactete Dresdner Quelle aus den Jahren 1731—1732 liefert nämlic einen überrascend konkreten Anhaltspunkt für die Besetzungsstärke im Operngraben. Nac den Angaben des Inventarverzeicnisses für das „neue“ Dresdner Opernhaus, wo die Musiker während der Aufführungen sitzen durften, stimmt die Zahl der Sitzbänkcen mit der Zahl der Notenpulte genau überein: Im neuen Opern Hause Im Orcestre 17. kleine und 2. große Pulte 24. blecerne Lict Scirme ieder aus 2. Theilen 17. Bän%gen 3. kleine zum Clavi$imbal 1. kleine Thüre mit 2. Bändern20

Das Opernhaus war also in den Jahren, bevor Hasse seinen regelmäßigen Dienst antrat, darauf eingerictet, daß siebzehn Musiker je ein eigenes Notenpult und ein Sitzbänkcen erhielten. Aus dieser Einrictung darf wohl gesclossen werden, daß tatsäclic jeder dieser Musiker aus seiner eigenen Stimme spielte. Gegen diese Annahme sprict auc nict der Eintrag „3. kleine [Bän%gen] zum Clavi$imbal “, denn diese waren für die Ausführer des „Grundbasses“ (bestehend aus Tasteninstrument, Violon$ello und Kontrabaß) bestimmt, die alle aus der auf dem Cembalo liegenden Partitur musizierten. Man kann also davon ausgehen, daß in der Oper neben den Continuospielern noc bis zu siebzehn Musiker bescäftigt waren, die je siebzehn eigene Stimmen vor sic hatten.

Auswählen und Einteilen der Musiker Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, daß die Stärke der Besetzung von der Art des aufzuführenden Werkes und vom Ort und Anlaß der Aufführung abhängt. Der Musikdirektor oder der Konzertmeister wählt also im Hinbli% auf eine bestimmte Aufführung alle für die Besetzung nötigen Musiker aus, denn das „Bestellen“ einer Musik gehört zu seinen wesentlicen Aufgaben. Um eine gute Auswahl zu treffen, muß er „alle Sänger und Instrumentalisten, die in seinem Chore sind, auf das genaueste kennen“ und eine „regelmäßige Prüfung derselben“ durcführen, wie Sceibe 1740 betont.21 Pisendel kannte die besonderen Fähigkeiten und Scwä20

D-Dla, Lo$. 32452, Dresden Nr. 321, Fas$. Die Beym Königl. neuen Opern Hause ingleicen alter Redouten, Scieß- und Götter Saal befindlicen Inventarien Stü%e und was ferner darzu gekommen und ausgegeben worden. Vom 1. Januario bis ultimo De$ember. 1731, fol. 6v. 21 Vgl. Sceibe 1745 (Das 78. Stü%, 23.3.1740), 712.

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cen seiner Kollegen aufgrund seines täglicen Umgangs mit ihnen nur allzu gut, wie aus einem Brief an Telemann von 1749 hervorgeht, in dem Pisendel den Geiger Johann Baptist Georg Neruda carakterisiert: Über die sclecte Conduit des Neruda […] habe mic herzlic geärgert, u depre$ire deßwegen auf das nacdrü%licste: er ist ein leutsceuer und wunderlicer Mensc. […] Das Hertz ist bei ihm nict so offen, er hat vielmehr was heimlices und dü%isces. in seiner Violin u Composition ist er ganz gut, wenigstens nict übel; weiln aber zu einem Meister mehr gehört, so zweiffle, daß er ein besonder original werden wird […] 22

Während die faclice und persönlice Einscätzung Pisendels bei der Einteilung der Musiker eine wictige Rolle gespielt haben dürfte, konnte er bei Aufführungen unter der Direktion des Kapellmeisters Hasse nict völlig frei über die Besetzung verfügen. Pisendel screibt nämlic über die Hauptprobe zu Hasses Adriano in Siria im Jahr 1752 an Telemann: „da 6 bis 8 aus der Orcestre |: Alters wegen :| kran% worden, so wurden mir so viel andere hineingesetzt, die ic zuvor nict mit einem Aug gesehen, noc daß sie etwas probirt hätten […]“.23 Offenbar waren einige dieser Aushilfsmusiker von Hasse für das Opernorcester ausgewählt worden, ohne daß dieser sic mit Pisendel abgesprocen hatte, denn Pisendel hat daraufhin „Herrn Haßen um Gottes Willen gebethen, daß er keine Italiäner mehr in die orcestre setzen wolle […], nur allein deßwegen daß sie niemals gewohnt Subje$t zu seyn, sondern vielmehr selbst zu dirigiren, dahero auc kein Ernst in der Exe$ution, mithin ohne auf andre zu hören spihlen wenn und wie sie wollen.“24 Die von Pisendel bemängelte Unfähigkeit zum Ripienospiel mancer italieniscer Kollegen konnte bei Pisendels eigenen Scülern nict beanstandet werden, war es doc sein vorrangiges Anliegen, gute Ripienisten auszubilden. Wann immer Pisendel freie Hand bei der Besetzung des Orcesters besaß, etwa bei Hof- oder Kammerkonzerten und wohl auc in der Kirce, wenn nict gerade Hasse seine eigenen Werke dirigierte, dann wird er wohl vorrangig auf solce Musiker zurü%gegriffen haben, die er selbst ausgebildet hat. Falls er sie nict sogar aus dem vorbereitenden Einzelunterrict kannte, dann hatten sie doc zumindest an den oben bescriebenen Übungsstunden des Orcesters teilgenommen und dort die von Pisendel eingeführte Kunst des „übereinstimmenden Vortrags“ kennengelernt. Solce Musiker, die keine offizielle Besoldung erhielten und dennoc im Rahmen der Hofkapelle spielten, wurden als „Supernumerarii“ bezeicnet, wie aus einem Gesuc von Gottlob Harrer aus dem Jahr 1755 hervorgeht.25 Offenbar durften sie nict nur an den Orcesterübungen teilnehmen, sondern wurden auc bei Proben und Aufführungen als Ripienisten der Hofkapelle eingesetzt. Diese Auftritte dürften jedoc auf große öffentlice Musiken wie etwa den Kircendienst oder die Opernaufführungen bescränkt gewesen sein. Sehr wahrsceinlic hat Pisendel ihnen daneben noc weiteren Unterrict, etwa in der Komposition und im solistiscen Spiel,

22

Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 348. Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 361. 24 Zitiert nac Telemann Briefwecsel 1972, 361f. 25 Vgl. Bac-Dok. II, 264. Weil sie keine Besoldung erhielten, wurden diese „Supernumerarii“ auc nict in den amtlicen Dokumenten und Quellen erwähnt. 23

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erteilt.26 Jedenfalls hebt Quantz den vorteilhaften Einfluß auf den Orcesterklang hervor, wenn sic unter den Ripienisten auc gute Instrumentalsolisten befinden: Der Glanz eines Orcesters wird aber auc besonders vermehret, wenn sic gute Solospieler, auf versciedenen Instrumenten, in demselben befinden. Ein Anführer muß sic also bemühen: gute Solospieler zuzuziehen. Zu dem Ende muß er denen, so im Stande sind, sic allein hören zu lassen, öfters Gelegenheit geben, sic nict nur insbesondere, sondern auc bey öffentlicen Musiken, hervor zu thun. Doc muß er sic zugleic bemühen, zu verhindern, daß nict einer oder der andere, wie absonderlic bei jungen Leuten sehr leict gescehen kann, dadurc zu einer falscen Einbildung verleitet werde, als ob er scon derjenige große Musikus wäre, der er erst mit der Zeit noc werden soll.27

Aus der letzten Warnung klingt an, daß Pisendel auc ehrgeizige junge Geiger, die sic wahrsceinlic noc unter seiner Anleitung befanden, bei öffentlicen Musiken als Solist auftreten ließ. Möglicerweise erhielten Pisendels Scüler Johann Gottlieb Graun und Christian Friedric Horn, die später als Konzertmeister die Berliner Hofkapelle beziehungsweise die Kapelle des Grafen Brühl leiteten, dadurc die Gelegenheit, auc eigene Werke öffentlic zu spielen.28 Daß Pisendel hervorragenden Orcestermitgliedern tatsäclic Gelegenheit gab, sic „bey öffentlicen Musiken, hervor zu thun“, läßt sic am Beispiel von Martin Seyffert (Oboe), Fran$es$o Maria Cattaneo (Violine) und Johann Joacim Quantz (Traversflöte) nacweisen, deren Instrumentalkonzerte in Pisendels Notenbibliothek erhalten sind und Eintragungen von Pisendels Hand aufweisen.29 Nacdem Pisendel die für eine bestimmte Aufführung notwendigen Musiker ausgewählt und Probentermine festgelegt hatte, wurden diese durc den „Instrument Diener“ oder „Capell-Diener“ benacrictigt. Dieses Amt versah zu Pisendels Zeiten Johann Gottlob Werner, der von 1709 bis 1750 angestellt war, und dem spätestens seit 1748 sein Sohn und späterer Nacfolger Johann Gottfried Werner als „Adjun$tus“ zur Seite gestellt war.30 Die „Capell-Diener“ erfüllten innerhalb der Dresdner Hofkapelle wictige organisatorisce Aufgaben, weil sie „den Kapellmeistern zur Disposition standen, die Kapellmitglieder zu Proben und Aufführungen bestellen und die Instrumente hin- und hertragen mußten.“31 Welce hohe Wertscätzung sie genossen, läßt sic daran erkennen, daß bei der Hoczeit von „ Joan: Godef: Werner, Dresdensis, Capell-Diener apud orcestram“ am 21.4.1750 in der Katholiscen Hofkirce sowohl Pisendel als auc das Ehepaar Hasse als Trauzeugen fungierten.32

26

So ist anzunehmen, daß die bekannten Scüler Pisendels – Quantz, Graun, Seyfert – als „Supernumerarii“ in der Hofkapelle mitspielen konnten. Vgl. auc Fürstenau 1861, 29. Quantz 1752, 182. 28 In diesem Zusammenhang stehen vielleict die beiden Violinkonzerte von Christian Friedric Horn und Johann Gottlieb (?) Graun, deren Autorenangaben Pisendel nacträglic ergänzt und mit grieciscen Lettern versclüsselt hat, vgl. Fecner 1999, 213, 363. Warum die Identität der Komponisten jedoc unerkannt bleiben sollte, ist unklar. 29 Vgl. drei Konzerte von Martin Seyffert (D-Dl Mus. 2448-O-1 bis 3) und zwei Konzerte von Fran$es$o Maria Cattaneo (D-Dl Mus. 2468-O-1 und 2). Zu den in Dresden erhaltenen Konzerten von Quantz vgl. Fecner 1999, 335-350. 30 Vgl. die entsprecenden Angaben in der „Spe$ifi$ation“, Pisendel-Dokument Nr. 23, und im Dresdner HStCal von 1748-51. 31 Vgl. Fürstenau 1861, 169. Noc zur Zeit Fürstenaus trugen sie die Amtsbezeicnung „Kapelldiener“. 32 Vgl. Dompfarramt Dresden, Heiratsmatrikel vom 21.4.1750. Für die freundlice Mitteilung dieser Arcivalie danke ic Frau Dr. Ulrike Kollmar. 27

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Mit der Auswahl und der Einteilung der Orcestermusiker steht auc die Besetzung vakanter Stellen im Zusammenhang, bei der Pisendel nac den vorstehenden Ermittlungen ein Vorsclagsrect besaß. Dank seiner umfangreicen Lehrtätigkeit im Einzelunterrict und in den Übungsstunden des Orcesters besaß er einen guten Überbli% über die Qualifikation der Kandidaten. Auc hier zog Pisendel deutsce Musiker den Italienern vor, wie aus drei Briefen des Dire$teur des plaisirs Freiherr von Breitenbauc an den König aus dem Jahr 1744 hervorgeht. Obwohl er nämlic nac dem Tod des zweiten Oboisten Martin Seyffert eine Gehaltserhöhung für den Geiger Lorenzo Carassi und den Oboisten Antonio Besozzi empfiehlt, stellt Pisendel mit mißbilligendem Unterton fest, daß der erste Oboist Besozzi sic für den gewöhnlicen Orcesterdienst zu scade sei: Monseigneur, J’ose rapporter a Vôtre Exellen$e par $elle $i la mort d’un se$ond Hautbois nommé Seyffert, qui trois $ens ans de pension, la [fol. 78v] femme de Blocwitz, mort il y a du tems, en brique une petite part, disant que Vôtre Exellen$e a eu la bonté de lui en faire la promesse a la premiere va$an$e. Pisendel se plaint de $e que Mrss. Carassi et Besozzi osoient esperer quelque augmentation a $ette o$$asion, il souhaiteroit fort d’avoir un bon hautbois a la pla$e du defunt, Ricter êtant vieux et melan$olique, Wilhelm Hugo maladit, le jeune [fol. 79] Zin%e foible dans le mêtier et Mr. Besozzi se $roiant au dessus des servi$es ordinaires, de sorte qu’il ne pouvoit $ompter que sur Lacmann tout seul. J’ai l’honneur d’être tout ma vie ave$ la plus grande veneration et le profond respe$t Monseigneur de Vôtre Exellen$e le tres humble et tres obeissant serviteur Henri Auguste de Breitenbauc mp a ma Campagne de S$ortlebes[?] $e 21 Sept 174433

Aus dem Brief geht außerdem hervor, daß Pisendel langfristig plante und dabei auc die gesundheitlice Verfassung der Oboisten berü%sictigte. Bemerkenswert ist, daß August II. die Namen seiner Oboisten Ricter, Hugo, Zin%e, Lacmann und natürlic Besozzi, offenbar genau kannte, sonst würde Pisendel die Tauglickeit dieser Musiker nict umständlic in Erinnerung rufen lassen. Zudem ist der Bemerkung „Ricter êtant vieux et melan$olique“ zu entnehmen, daß Pisendel den Selbstmord seines Freundes und Reisegefährten aus alten Tagen Johann Christan Ricter am 34 25.9.1744 möglicerweise vorausgeahnt hat, von dem der König im folgenden Brief eine Woce später durc den Dire$teur des plaisirs unterrictet wird: Monseigneur, Je n’oserois pas in$ommoder Vôtre Exellen$e $e si souvent par mes lettres, si en$ores on ne me mandoit, qu’il y avoit une pla$e a rempla$er dans l’orcestre, et que le Hautbois [fol. 80v] Ricter s’etoit $oupé la gorge ave$ un rasoir le 25 du $ourant. Il l’a demandé a sa femme, disant, qu’il de pouvoit attendre jusque a demain son barbier ordinaire et qu’il se raseroit lui même. La femme le lui donne, il s’apprête, attace le mirroir a al fenêtre, la femme sort et lui se trouvant seul se donne un $oup si terrible, que la playe passoit quasi dun oreille a l’autre. Il y a quelque tems deja, qu’il a en de nouveaux a$$ès de melan$olie et il a avoué lui même a Pisendel, qu’il n’osoit porter ni epée ni $outeau. On ne l’a laissé seul pour $ela, [fol. 81] mais ageant depuis assisté a tous les servi$es fort reulierement quinze jours de suite, on s’est fié a lui. Pisendel Vous supplie, Monseigneur, 33

D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1740-1764, fol. 78f. 34 Fürstenau 1862, 66, und Treuheit 1987, 271, nennen als Todesdatum irrtümlic den 28.9.1744.

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de vouloir avoir la bonte de ne pas permettre, qu’un autre qu’un tres bon Hautbois soit reçu a l’orcestre, dont il avoit extremement besoin. J’ai l’honneur d’être ave$ un tres profond respe$t toute ma vie Monseigneur de Vôtre Exellen$e le tres humble et tres obeissant serviteur Henri Auguste de Breitenbauc mp a ma Campagne $e 28 Sept 1744.35

Nacdem innerhalb kurzer Zeit zwei altgediente Oboisten der Hofkapelle, Seyffert und Ricter, gestorben waren, bestand für Pisendels längerfristige Planungen eine wirklice Notlage, so daß zumindest eine Position scnell neu besetzt werden mußte. Pisendel sclug daher einen jungen und „robusten“ Oboisten vor, der zu dieser Zeit in der Hautboisten-Bande des Hubertusburger Regiments Dienst tat und bereits bei einer vorangegangenen Gelegenheit von Hasse und Besozzi empfohlen worden war. Außerdem betont Pisendel, daß er diesen Oboisten namens Christian Wobst bei den kommenden kirclicen Festtagen, wo eine solistisce Triobesetzung der Bläser erfordert wird, dringend benötige: Monseigneur, So j’ose en$ore presenter $es lignes a Vôtre Exellen$e, $’est que Pisendel m’a fait de tres fortes instan$es pour vous supplier, Monsieur, de vouloir faire re$evoir a l’orcestre, a la pla$e du defunt [fol. 82v] Seyffert et aux gages va$ans de trois $ens ans [diese Angabe ist am Rand angestricen] un nommé Wobst, qui a servi huit ans dans le regiment de Cailx[?] et six dans la $ompagnie de Hubertusbourg, ou il se trouve en$ore. Le même avoit deja fait passer ses requêtes pour Vôtre Exellen$e a Varsovie, Mr. Hass l’avoit entendu et desiré a l’orcestre a la penultieme va$an$e et Besozzi le lui avoit re$ommandé pour son ton et pour être fort dans la musique, de sorte que pour se$ond Hautbois on n’en trouveroit peut être gueres de meilleur. Pisendel ajoute, que n’ayant que des [fol. 83] invalides, il avoit extremement besoin d’un homme robuste et bientôt pour dresser et pour s’en pouvoir servir aux procaines fêtes de l’eglise, ou la musique portoit souvent des Trio, que sans $ela il auroit de la peine a remplir. Il ose souhaiter de plus, que, Vôtre Exellen$e voulût avoir la bonte de faire reserver [folgende Passage am Rand angestricen] les gages de Ricter pour un autre premier Hautbois ex$ellent, dans l’attente, qu’on pût en faire la de$ouverte, vu que Mr. Besozzi n’aimoit pas a se preter a tous les servi$es ne$essaires. J’ai l’honneur d’être ave$ tout le respe$t et toute la Veneration possible Monseigneur de Vôtre Exellen$e le tres humble et tres obeissant serviteur Henri Auguste de Breitenbauc mp a Leipzig $e 9 O$t. 1744.36

Auc in diesem Brief bringt Pisendel seine Abneigung gegen die Überheblickeit des ersten Oboisten Besozzi deutlic zum Ausdru% und läßt den König durc den Dire$teur des plaisirs bitten, das frei gewordene Gehalt des verstorbenen Ricter nict für andere Zwe%e zu verwenden, wie es durcaus üblic war, sondern mit diesem Etatsposten einen weiteren ersten Oboisten zu engagieren. Durc den erneuten Hinweis auf die Überheblickeit Besozzis darf vermutet werden, daß Pisendel diese Gelegenheit nutzen wollte, auc für die Nacfolge Ricters einen deutscen Musiker vorzusclagen. Jedenfalls nutzte Pisendel offenbar die Abwesenheit Hasses gesci%t 35

D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1740-1764, fol. 80f. 36 D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1740-1764, fol. 82f.

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aus, um unter Hinweis auf die Dringlickeit einer Neubesetzung dem Kandidaten seiner Wahl zu einer Anstellung in der Hofkapelle zu verhelfen. Tatsäclic wurde Wobst im folgenden Jahr als zweiter Oboist angestellt. Die Stelle Ricters blieb dagegen unbesetzt, genau wie Pisendel es befürctet hatte.37 Diese Briefe gewähren einen äußerst seltenen Einbli% in die Personalpolitik, die Pisendel am Hof betrieb, denn normalerweise würde der Dire$teur des plaisirs die Wünsce des Konzertmeisters mündlic an den König übermitteln, so daß diese in der Regel nict aktenkundig werden konnten. Sie zeigen außerdem, welces Fingerspitzengefühl bei der Auswahl und Einteilung der Orcestermusiker von Pisendel verlangt wurde, der mit der Eitelkeit, Krankheit oder sogar mangelnden Qualifikation mancer Orcestermusiker umzugehen und zu recnen hatte, um sie im Hinbli% auf das königlice Bedürfnis nac repräsentativer Musik möglicst wirkungsvoll einzusetzen.

Aufstellen des Ensembles Nict nur das Auswählen und Einteilen, sondern auc das Aufstellen und Anordnen der Musiker gehörte zu den wesentlicen Aufgaben des Konzertmeisters, denn er muß „die Instrumentisten, bey einer Musik, gut einzutheilen, zu stellen, und anzuordnen wissen.“38 Die unerwartet große Bedeutung, die Quantz der Besetzung und Aufstellung beimißt, hängt nict nur mit den erwähnten akustiscen Verhältnissen, sondern auc mit der Direktionsfunktion des Konzertmeisters zusammen. Die in der älteren Literatur bereits erarbeiteten Charakteristika einer Orcesteraufstellung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gehen vorrangig von dem „maestro al $embalo“ als Mittelpunkt des Orcesters aus.39 Diese Situation traf in Dresden jedoc nur auf die Vokalmusik zu und ist unter dem Begriff der sogenannten Doppeldirektion bereits bescrieben worden. Dennoc ist festzuhalten, daß die Direktion der Orcestermusiker auc bei groß besetzter Vokalmusik, ebenso wie bei allen übrigen Aufführungen, in den Händen Pisendels lag. Allein aufgrund des Prinzips der „Subordination“ war es nötig, daß alle Orcestermusiker den Konzertmeister sehen konnten, denn dieser zeigte während der Aufführung nict nur beispielsweise die dynamiscen Abstufungen an, sondern veranlaßte die Ripienisten auc durc sein eigenes Spiel zu mehr „Lust“ und „gehöriger Aufmerksamkeit“. Wie oben bemerkt, nahm Pisendel dazu wahrsceinlic Augenkontakt zu den einzelnen Ripienisten auf, um sie während des Spielens auf sein Vorbild beim Ausdrü%en eines musikaliscen Affekts aufmerksam zu macen und zum Mitempfinden anzuregen. Um auc bei einer sehr großen Besetzung, etwa in der Oper, alle Musiker in dieser Weise erreicen zu können, saß Pisendel auf einem kleinen Podest:

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Vgl. zu Wobsts Anstellung HStCal 1746. Aus den Einträgen in HStCal 1755 geht hervor, daß der näcste Oboist erst 1754 angestellt worden ist. 38 Quantz 1752, 183. 39 Vgl. Scünemann 1913, 203, und Jung 1956, 37ff.

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Neben dem ersten Clavi$ymbal, zur Recten, kann der Anführer, ein wenig vorwärts, und erhöhet sitzen. Die Violinisten und Bratscisten können von ihm an einen engen länglicten Kreiß formiren […]: damit sie den Anführer alle sehen und hören können.40

Obwohl Pisendel das Direktionszentrum des Orcesters war, beginnt Quantz seine Bescreibung der untersciedlicen Aufstellungsarten immer mit dem „Clavi$ymbal“. Dies liegt einerseits daran, daß bei der Aufstellung auf dieses größte und unbeweglicste Instrument des Orcesters Rü%sict genommen werden mußte, andererseits diente das Cembalo als Träger des Basso $ontinuo für alle Ripienisten als Orientierungspunkt für Rhythmus und Intonation. Dabei waren die Vorgaben des Cembalos eher tecniscer Natur, während die Direktion Pisendels auf den musikaliscen Ausdru% abzielte. Entsprecend identifiziert Quantz den Spieler des „Clavi$ymbal“ an keiner Stelle mit einem Kapellmeister, sondern der „Anführer“ ist in seinen Bescreibungen immer der höcstrangige Beteiligte. Dennoc ergeben sic aus diesem Detail der Orcesteraufstellung bereits Anhaltspunkte für das sogenannte „Prinzip der Doppeldirektion“, das erst im folgenden Kapitel erörtert wird. Die von Quantz bescriebenen Aufstellungsarten des Orcesters dienten also dazu, die Direktion Pisendels in engem Zusammenhang mit der Rolle der Continuogruppe zu gewährleisten. In Dresdner Aufführungen, die Quantz sic zum Vorbild nahm, bestand die Continuogruppe immer aus dem Cembalisten, einem Violon$ellisten sowie einem „Contraviolonisten“, dessen Instrument, wie aus den oben zitierten Angaben zum Besetzungsverhältnis hervorgeht, „von mittelmäßiger Größe“ war. Der größere „Contraviolon“ kam erst bei einer Anzahl von act Violinen hinzu und wurde von einem Ripienisten bedient. Alle drei Continuospieler spielten aus derselben bezifferten Stimme, die auf dem Pult des Cembalos stand: Im Orcesterplatze eines Opernhauses, kann der erste Clavi$ymbal in die Mitte […] gesetzet werden; damit der Spieler desselben die Sänger im Gesicte habe. Zu seiner Recten kann der Violon$ell, zur Linken der Contraviolon seinen Platz haben. Neben dem ersten Clavi$ymbal, zur Recten, kann der Anführer, ein wenig vorwärts, und erhöhet sitzen.41

In unmittelbarer Nähe zum Continuo-Cellisten und neben dem Cembalo ist also der Platz des Konzertmeisters. Aus dieser Keimzelle werden alle weiteren Aufstellungsmöglickeiten von der „kleinen Kammermusik“ bis zur Oper entwi%elt. Dabei kommen die bereits aus der Sekundärliteratur bekannten Aufstellungsmerkmale zum Tragen, daß nämlic die Baßinstrumente des Ripieno über die gesamte Besetzung verteilt sind und die Position der Streic- und Blasinstrumente gemisct ist.42 Diese Miscung folgt dem Grundsatz, daß die Haupt- und Grundstimmen „vor allen andern hervorragen, und die Mittelstimmen am allerwenigsten gehöret werden sollten.“43 Außerdem betont Quantz: „ie näher die Instrumente beysammen sind, ie bessere Wirkung thut es.“44

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Quantz 1752, 183. Ein Podest ist in den Inventaren des Opernhauses von 1731 und 1732 noc nict verzeicnet. 41 Quantz 1752, 183. 42 Vgl. die Merkmale historiscer Aufstellungen nac Scünemann 1913, 185-203. 43 Quantz 1752, 183, ebenso 185 und 252. 44 Quantz 1752, 183.

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Ein wictiges Prinzip bei der Aufstellung von Streicer-Ripienisten sceint allerdings bisher nict erkannt worden zu sein, obwohl es nict nur für große Besetzungen, sondern auc für eine „kleine Kammermusik“ gilt: das Aufstellen der Stimmgruppen in Reihen nebeneinander, im Gegensatz zu einer Aufstellung paarweise hintereinander. Solce Reihen erwähnt Quantz besonders in Verbindung mit den größeren Stimmgruppen der hohen Streicer, etwa bei der Opernaufstellung: „Auf dieser linken Seite des Orcesters, können die Hoboen und Waldhörner […], wie auf der recten Seite die ersten Violinen, in einer Reihe sitzen.“45 Aber auc „bey einer zahlreicen Musik“, die „an einem großen Orte, wo kein Theater ist, aufgeführet wird,“ spielen die Musiker in Reihen nebeneinander: „Damit keiner der Musi$irenden den Zuhörern den Rü%en zukehre: so können die ersten Violinisten, nahe am Clavi$ymbal, in einer Reihe nac einander hin stehen.“46 Ein gleices gilt sogar „bey einer kleinen Kammermusik“: „Sind nur vier Violinen vorhanden; so können dieselben in einer Reihe, an dem Clavi$ymbal hin, und die Bratsce hinter denselben stehen.“47 Das Prinzip, die hohen Streicergruppen in Reihen aufzustellen, liegt also allen Ensemblestärken gleicermaßen, vom großen Opernorcester bis zur klein besetzten Kammermusik, zugrunde. Der Sinn und Zwe% dieser Aufstellung in einer Reihe erweist sic am eindru%svollsten im praktiscen Experiment: Das Spiel der hohen Streicer ist, wie bekannt, vor allem durc die Auf- und Ab-Bewegung des Bogenarms gekennzeicnet, und Quantz weist in den oben besprocenen Kapiteln ausführlic darauf hin, daß die Kunst des Violinspiels wesentlic von der rictigen „Eintheilung“ und der „Art der Bogenstrice“ bestimmt ist. Bewegt nun eine Streicergruppe, die auf engem Raum in einer Reihe nebeneinander positioniert ist, die Bogenarme entsprecend ihrer Stimme, wirkt diese gleicförmige Geste wie bei einem ‚Corps de ballet‘. Wenn man aus den Augenwinkeln die Reihe der Mitspieler hinabbli%t, fällt jede abweicende Bogenbewegung sofort aus dem Rahmen. Dabei wirken sic nict nur kleinste Abweicungen in der Stricrictung, sondern auc in der „Art der Bogenstrice“, also des Bogendru%s in Verbindung mit der Bogengescwindigkeit, sofort störend auf das Gruppengefühl aus.48 Dieses Phänomen führt bei Ripienisten, die auf dieses Spiel in der Gruppe acten, fast zwangsläufig zu einer Anpassung an den „übereinstimmenden Vortrag“, besonders wenn die Mehrheit der Gruppe diesen bereits beherrsct. Da die Bogenstrice allein für den musikaliscen Ausdru% der gegriffenen Töne verantwortlic sind, wird nacvollziehbar, daß sic durc die völlig gleicartigen Bogenbewegungen der „übereinstimmende Vortrag“ einer Stimmgruppe, der sic nac der Methode Pisendels auf hohem musikaliscem Niveau bewegt, sehr wirkungsvoll erzielen läßt. Entsprecend verbreitet ist die Aufstellung der Ripienisten in Reihen auc in ikonographiscen Quellen, von denen in diesem Zusammenhang nur die-

45

Quantz 1752, 183. Quantz 1752, 184. 47 Quantz 1752, 184f. 48 Bei einer Produktion von Hasses Solimano bei den Innsbru%er Festwocen für alte Musik 1998 unter der Leitung von René Ja$obs wurde die Dresdner Opernorcester-Aufstellung von 1753/54 nac Rousseau zugrunde gelegt (vgl. unten, Abscnitt II, 2. „Aufstellen des Ensembles“), bei der der Verfasser mehrere Wocen hindurc Gelegenheit hatte, die klanglicen und spieltecniscen Auswirkungen dieser Sitzordnung im Selbstversuc kennenzulernen. 46

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jenigen herausgegriffen werden sollen, die mit Pisendel in Verbindung gebract werden können. Noc ein weiteres Merkmal der Aufstellung sceint in der Literatur unbeactet geblieben zu sein. Wie bereits den oben zitierten Passagen über die Aufstellung in Reihen zu entnehmen ist, spielten die Musiker immer im Stehen. Die einzige Ausnahme bildet die „Aufstellung“ im Opernorcester, wo die Musiker, wie Quantz ausdrü%lic screibt, in einer bestimmten Ordnung „sitzen“.49 Dieser Angabe entsprecen die oben zitierten „17. Bän%gen“, die im Möbel-Inventar des Dresdner Opernhauses von 1731 neben den 17 Notenpulten verzeicnet sind, und den Musikern offenkundig zum Sitzen während der stundenlangen, durc italienisce Intermezzi und französisce Balletteinlagen erweiterten Opernaufführungen dienten. Die wictigste Quelle für die Aufstellung des Dresdner Opernorcesters ist der Sitzplan, den Rousseau offenbar nac Angaben von Hasse selbst aus dem Jahr 1754 in seinem Di$tionaire de Musique von 1767 veröffentlicte.50 Mit seiner Aufteilung von Direktions- und Ripien$embalo entsprict er weitgehend den ausführlicen Angaben von Quantz,51 dessen umständlice Bescreibung hier nict vollständig zitiert zu werden brauct. Auc die Trennung zwiscen Blasinstrumenten auf der linken und den hohen Streicern auf der recten Seite des trennenden Direktions$embalos und die gleicmäßige Verteilung der Ripienobässe am äußeren Rand des Orcesters finden sic sowohl in Quantzens Bescreibung als auc im Sitzplan Hasses. Im begleitenden Text bezeicnet Rousseau die Aufstellung und Disziplin des Dresdner Opernorcesters unter der Oberleitung Hasses als „die beste in ganz Europa“. Da es nac Quantzens Angaben auc im Opernorcester die Aufgabe des „Anführers“ war, die Sitzordnung festzulegen, dürfte das hohe Lob Hasses und Rousseaus in vollem Umfang auf das Konto Pisendels zu verbucen sein: Le premier Orcestre de l’Europe pour le nombre et intelligen$e des Symphonistes est $elui de Naples: mais $elui qui est le mieux distribué & forme l’ensemble le plus parfait, est l’Orcestre de l’Opera du Roi de Pologne à Dresde, dirigé par l’illustre Hasse (Ce$$i s’e$rivoit en 1754). […] la représentation de $et Orcestre, où, sans s’attacer aux mesures, qu’on n’a pas prises sur les lieux, on pourra mieux juger à l’oeil de la distribution totale qu’on ne pourroit faire sur une longue des$ription.52

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Vgl. Quantz 1752, 183. Rousseau 1768, Plance G, Fig. I. Die Angaben von Scünemann 1913, 200, und Jung 1956, 40, die diesen Plan mit einem Aufenthalt des Barons Grimm in Dresden in Verbindung bringen, sind irrig, wie der unten wiedergegebene Auszug aus Rousseaus Text belegt („Ce$$i s’e$rivoit en 1754“ ). Rousseau könnte Hasse selbst bereits 1751 kennengelernt haben, als sic das Ehepaar Hasse in Paris aufhielt. 51 Vgl. Quantz 1752, 183. 52 Rousseau 1768, Artikel „Orcestre“, 354. 50

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ABBILDUNG 13: Aufstellung des Dresdner Opernorcesters im Jahr 1754, Rousseau 1768, Plance G, Fig. I. 53

Die bekannte Abbildung des Dresdner Opernocesters während der Kurprinzenhoczeit 1719 von Karl Heinric Jakob Fehling zeigt die Musiker aus zwei Perspektiven, einmal vom Parterre des Opernhauses aus und noc einmal aus der linken vor53

Diese Abbildung wird von Galeazzi in beiden Auflagen seines aufführungspraktiscen Lehrwerkes (1791 und 1817) unter Hinweis auf die überragende Bedeutung des Dresdner Orcesters reproduziert. Mü%e 2003, 43, bildet diesen italienisc bescrifteten Nacstic ab, gibt aber an, es handle sic hier um das französisce Original.

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deren Loge des ersten Ranges (siehe Abbildung 14 und 7). Obwohl hier nur ein Cembalo verwendet wird und die Blasinstrumente sic in beiden Hälften des Orcesters befinden, sind wictige Prinzipien der Aufstellung bereits ausgeprägt: der Standort der Ripienobässe an den Außenseiten des Orcesters und die Reihenbildung der Streicercöre.

ABBILDUNG 14: Carl Heinric Jakob Fehling, Elevation du grand Theatre royal, Aufführung einer Oper von Antonio Lotti im September 1719, lavierte Federzeicnung, um 1730 (Dresden, Kupferstic-Kabinett, Inv. Nr. C 6695)

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Bei näherem Hinsehen fallen jedoc bislang unbemerkte Details auf, die nict zur Darstellung von Lottis Festoper Teofane zu passen sceinen: im Orcester sind zweifelsfrei drei Blo%flöten und möglicerweise sogar eine Tenor-Oboe (Taille) mit gebogenem Metallrohr abgebildet, die eine französisce Praxis belegen und nict rect zu italieniscer Musik passen. Außerdem sind noc zwei Traversflöten, mindestens eine Oboe und drei Fagotte zu erkennen. Allein die große Zahl der Holzblasinstrumente ist für italienisce Partituren dieser Zeit unüblic und weist wiederum auf die französisce Praxis hin, wie sie von dem amtierenden Konzertmeister Woulmyer gepflegt wurde. Der einzige Streicinstrumenten-Spieler, dessen recte Bogenhand abgebildet ist, sceint zudem, angesicts der niedrigen Position seines recten Handgelenks, den sogenannten „französiscen“ Bogengriff zu verwenden (siehe Abbildung 7). Diese Beobactungen de%en sic mit der oben erarbeiteten Feststellung, daß französisce Orcestertraditionen bis in Pisendels späte Zeit Gültigkeit besaßen und noc von Quantz propagiert wurden.

ABBILDUNG 15: Carl Heinric Jakob Fehling, Aufführung des Divertissements Les Quattre Saisons von Johann Christoph Scmidt am 23.9.1719 im Gartentheater des Zwingers (Ausscnitt), lavierte Federzeicnung, um 1730 (Dresden, Kupferstic-Kabinett, Inv. Nr. C 6695)

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Quantz bescreibt auc die Aufstellung des Orcesters „bey einer zahlreicen Musik“, die „an einem großen Orte, wo kein Theater ist, aufgeführet wird“. Im Gegensatz zum Opernorcester gibt es hier kein zweites Cembalo, und die Musiker spielen im Stehen. Außerdem sind in Quantzens Beispiel die Ripienbässe und Bläser nict so zahlreic vertreten. Dagegen bleibt der Kern aus „Anführer“ und dreiköpfiger Continuogruppe sowie das Prinzip der Reihenbildung auc hier bestehen. Die wictigste Bedingung, die bei dieser Aufstellung beactet werden muß, besteht in der Vorscrift, daß „keiner der Musi$irenden den Zuhörern den Rü%en zukehre“.54 Daher ist auc die Continuogruppe den Zuhörern zugewandt, wie das nacstehende Diagramm zeigt (Abbildung 16). Für eine solce groß besetzte, konzertante Musik, etwa Fest- und Huldigungskantaten, sceint keine ikonographisce Quelle aus Pisendels Umfeld verfügbar zu sein.55

Zuhörer

OO A OOO O OOOO O O OO OO

Flöten (oder Sänger) „Anführer“, 3 erste Violinen Cembalist, 4 zweite Violinen Kontrabaß, Violon$ello, 2 Bratscen, 2 Oboen

Rü%wand

ABBILDUNG 16: Aufstellung „bey einer zahlreicen Musik“ nac Quantz 1752, XVII.i, 14.§.

In dem mehrfac erwähnten Bilderzyklus zur Kurprinzenhoczeit 1719 ist auc die Abbildung eines Festbanketts in orientaliscer Tract enthalten, bei dem ein ebenfalls verkleidetes Ensemble Tafelmusik mact. Ein Geiger und ein Oboist stehen in der Tür zum Speisesaal, während die übrigen Musiker im Nebenzimmer sitzend musizieren. Die stehenden Musiker sceinen auswendig zu spielen, während die im Nebenzimmer sitzenden Musiker Notenblätter vor sic haben. Erkennbar sind insgesamt zwei Violon$elli, zwei Fagotte, zwei Oboen, drei Geigen sowie ein weiterer im Türrahmen stehender Musiker, dessen Instrument verde%t ist. Aufgrund des stark besetzten Basses und der geringen Zahl der sictbaren hohen Streicer ist anzunehmen, daß noc einige Musiker hinter dem Arcitekturaufriß hinzugedact werden müssen. Falls der Zeicner eine lebensecte Tafelmusik abgebildet hat, sceinen die 54

Quantz 1752, 184. Die oft reproduzierte Zeicnung von der Aufführung von Heinicens Serenata Diana sulla Elba läßt sic nict heranziehen, da die Mitglieder der Hofkapelle von der Elbe aus, auf einem Sciff stehend, musizierten. 55

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Musiker ein groß besetztes Con$erto grosso aufgeführt zu haben, wie es für diesen festlicen Anlaß durcaus angemessen wäre.

ABBILDUNG 17: Carl Heinric Jakob Fehling, Couppe du Palais au Iardin, Tafelmusik zum Souper „a l’Asiatique“ im Türkiscen Palais am 17.9.1719 (Ausscnitt), lavierte Federzeicnung, um 1730 (Dresden, Kupferstic-Kabinett, Inv. Nr. C 6695)

„Bey einer kleinen Kammermusik“ bleibt der Kern aus „Anführer“ und Continuogruppe ebenfalls erhalten. Allerdings ist es in diesem weniger repräsentativen Rahmen nict mehr erforderlic, den Zuhörern das Gesict zuzuwenden. Das Cembalo als Fixpunkt der Aufstellung wird nac einer geeigneten Wand ausgerictet, die Continuobässe bli%en dem Tastenspieler wie gewohnt über die Sculter. Die hohen Streicer stehen zwiscen der Wand und dem Cembalo, wiederum in einer Reihe. Obwohl Quantz in diesem Paragraph ausdrü%lic eine „kleine Kammermusik“ bescreibt, nennt er als Mindestzahl vier Violinen. „Sind nur vier Violinen vorhanden; so können dieselben in einer Reihe, an dem Clavi$ymbal hin, und die Bratsce hinter denselben stehen. Sind es aber secs oder act, so würde es besser seyn, wenn die zweyte

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Violine hinter die erste, und die Bratsce hinter die zweyte Violine gestellet würde“.56 Beide Aufstellungsmuster werden durc die folgenden Diagramme abgebildet. Die mit einem Kreuz markierten Kreise kennzeicnen zusätzlice Musiker bei der größten genannten Besetzung mit act Violinen (Abbildung 18).

Rü%wand

Rü%wand

O O O O A

Zuhörer

⊗ O ⊗ O O ⊗ O O O A

O O O

O Zuhörer

O O O

ABBILDUNG 18: Aufstellung „bey einer kleinen Kammermusik“ nac Quantz 1752, XVII.i, 15.§.

Unklar bleibt, bei welcen Werken diese Aufstellung einer „kleinen Kammermusik“ gewählt werden soll, dennoc legt die Bezeicnung „Kammer$on$ert“ für Konzerte mit nur einem Soloinstrument eine Verbindung nahe. Wie oben zitiert, untersceidet Quantz bei den „Kammer$on$erten“ zwiscen einem „starken“ und einem „scwacen A$$ompagnement“, das sic möglicerweise in der von Quantz angeführten Besetzung mit vier beziehungsweise „secs oder act“ Violinen niedersclägt. Aus den erhaltenen Stimmensätzen der Solokonzerte aus Pisendels Notenbibliothek, die häufig keine Dublettenstimmen aufweisen, war bislang gesclossen worden, daß die Begleitinstrumente nac der Faustregel ‚jeder Spieler erhält eine eigene Stimme‘ nur einfac besetzt waren. Quantz sceint dagegen selbst bei Minimalbesetzung corisces Spiel in den Violinstimmen vorauszusetzen. Andererseits zeigt die mehrfac erwähnte Sclußvignette von Quanztens Versuc zweifelsfrei eine solistisce Besetzung mit Sologesang und obligater Flöte, Streicquartett und Cembalo (jedoc ohne „Contraviolon“), dessen Besetzung wie ein nocmals reduziertes Modell einer „kleinen Kammermusik“ verstanden werden kann: die Continuogruppe spielt aus einer Stimme, die hohen Streicer stehen an der Breitseite des Cembalos in einer Reihe, und die solistiscen Stimmen befinden sic in der Nähe des Tastenspielers.

56

Quantz 1752, 184f.

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ABBILDUNG 19: Georg Friedric Scmidt, „Exe$utio Anima Compositionis“, Kupferstic-Vignette vor 1752 (Quantz 1752, 334)

Möglicerweise geht Quantz deshalb nict auf die Aufstellung und Besetzung von solistiscer Kammermusik ein, weil er lediglic das Orcesterspiel und die Pflicten eines „Anführers“ behandelt, bei dem das Vorhandensein von Ripienisten notwendig vorausgesetzt wird. Nur für den Fall, daß ein „Con$ertist“ eine Begleitstimme auszuführen hat, wird die Möglickeit einer solistiscen Besetzung des „A$$ompagnements“ beiläufig erwähnt. Wenn man die bereits zitierte Mahnung Quantzens an den Con$ertisten („Er darf also nicts hinzufügen, was irgend nur die Melodie verdunkeln könnte: besonders, wenn eben dieselbe Stimme mehr als einmal besetzet ist.“) umkehrt, könnte dies bedeuten, daß bei einer Besetzung der Begleitstimmen durc jeweils einen „Con$ertisten“ durcaus mehr Freiheiten hinsictlic der Verzierungen erlaubt waren als bei einer coriscen Besetzung – solange sie nict „die Melodie verdunkeln“. Dies bedeutet aber, daß die Regeln des coriscen Spiels oder des „übereinstimmenden Vortrags“, die Pisendel streng überwacte und die von Quantz ausführlic wiedergegeben werden, teilweise außer Kraft gesetzt und auf das offenere Prinzip des „guten Vortrags“ reduziert waren. In diesem Fall wäre Pisendel wohl nict als „Anführer“ eines Begleitorcesters anzusehen, sondern als primus inter pares unter den Kammervirtuosen des Dresdner Hofes.

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Für diese Deutung sprecen auc die von Quantz angeführten Eigenscaften eines Ritornells, die ein „scwac besetzetes A$$ompagnement“ erforden: „Was aber aus einer flüctigen, scerzhaften, lustigen oder singenden Melodie besteht, und gescwinde Veränderungen der Harmonie macet; thut mit einem scwac besetzeten A$$ompagnement bessere Wirkung, als mit einem starken.“ Alle hier genannten Charaktere einer Melodie fordern nämlic zu willkürlicen Verzierungen heraus, die beim coriscen Spiel ausgesclossen sind. Die solistisce Ausführung durc erfahrene Musiker, die den „guten Vortrag“ beherrscen, wäre hier also als Idealbesetzung anzusehen, auc wenn Quantz dies an keiner Stelle ausdrü%lic formuliert.

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3. D IRIGIEREN DER O RCHESTERMUSIKER Auc Pisendels Tätigkeit als Dirigent läßt sic sehr detailliert rekonstruieren, denn die Überlieferung der Eigenscaften und Kenntnisse Pisendels auf diesem Gebiet ist im Umkreis Hillers noc lange lebendig gehalten worden. Außerdem hat Pisendel in seinen Musikalien auc solce Eintragungen hinterlassen, die sic auf seine Direktionstätigkeit beziehen und dadurc überaus seltene Informationen aus erster Hand zu diesem Thema enthalten.

Tempo und Zeitmaß finden Bevor ein Dirigent den Einsatz zum Beginn eines Musikstü%s gibt, muß er zu einer genauen Vorstellung vom angemessenen Tempo gelangen. Diese Tempovorstellung setzt aber voraus, daß der Dirigent, wie jeder Ausführende einer fremden Komposition, die Noten zuvor „durczugehen Zeit und Gelegenheit“ hatte, um „die Eigenscaften der Screibart, und alle übrige dazu gehörige Umstände“ des Musikstü%s zu erkennen.1 Diese Forderung Sceibes aus dem Jahr 1737 orientierte sic bereits, wie oben dargelegt, an der in Dresden hoc entwi%elten Kunst der „Ausführung“ fremder Werke, deren Hauptvertreter Pisendel war. Daß Pisendel auc diese zur Orcesterdirektion unentbehrlice Fähigkeit in hohem Maße besessen haben soll, wird noc in der Musikliteratur des späten 18. Jahrhunderts berictet. Reicardt hebt in seinen Briefen eines aufmerksamen Reisenden, die Musik betreffend von 1774 unter allen Eigenscaften Pisendels als Orcesterleiter dessen untrüglice Tempovorstellung besonders hervor: Die Bedeutung jedes Stü%es, die Situation der handelnden Person, ja selbst die natürlice Stimme jedes Sängers, und so gar der Ton, aus dem die Arie geht, muß aufs genaueste erwogen werden. Hiezu gehöret aber das rictige und überaus feine Gefühl, und der unermüdete Fleiß eines Pißhändels,*) der zur grossen Bewunderung Haßens nie die Bewegung einer Arie verfehlete, und der sic die fast unglaublice Mühe gab, zu jeder Oper, zu jedem Kircen-Stü%e, so unter ihm aufgeführet wurde, über alle Stimmen das Forte und Piano, seine versciedenen Grade, und selbst jeden einzelnen Bogenstric vorzuscreiben, so daß bey der sehr gut gewählten Capelle, die zu der Zeit der Dresdener Hof hatte, nothwendig die allervollkommenste Ordnung und Genauigkeit herrscen mußte.2 *) Pißhändel war zur Zeit, da Haße noc in Dresden war, Con$ertmeister daselbst.

Es ist nict unwahrsceinlic, daß Reicardt diese Informationen von Hiller erhalten hatte, denn Reicardt war während seiner Studienzeit in Leipzig Scüler des späteren Thomaskantors und ständiger Begleiter der von Hiller ausgebildeten Sängerin Corona Scröter. Zudem war Hiller selbst ein Bewunderer Pisendels und hatte in V84 mit ähnlicen Worten bescrieben, wie Pisendel das Dresdner Orcestermaterial einzuricten pflegte. Einige Seiten nac der oben zitierten Passage geht Reicardt auf die besonderen Anforderungen an einen „Anführer“ ein und wieder1 2

Sceibe 1745, 120 (Das 12. Stü%, 6.8.1737). Reicardt 1774, 10.

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holt dabei seine Angaben zu Pisendel. Reicardts „Bemerkungen in Ansehung des Fassens der rictigen Bewegung eines jeden Stü%s“ beginnen mit dem Hinweis auf das „rictige Gefühl“ Pisendels, das er als eine Naturgabe versteht: Das erste, welces dazu billig vorausgesetzt werden muß, ist ein rictiges Gefühl; wer dieses nict bey sic spüret, der gebe sic nie mit dem Anführen ab. Es giebt freylic versciedenen Grade der Rictigkeit des Gefühls, und man würde zu strenge seyn, wenn man nur dem Manne mit dem jederzeit untrüglicen Gefühl eines Pißhändels oder Springers* jenes Amt anvertrauen würde: denn nur wenige hat die Natur so reiclic damit bescenket.3 * Er war lange Zeit Anführer in Petersburg

Ähnliclautende Angaben mact Daniel Gottlob Türk, der ebenfalls ein Scüler Hillers war, in seiner Clavierscule von 1789: Von dem verstorbenen Konzertmeister Pisendel in Dresden erzählt man, daß er nie, auc nict ein einzigesmal, die Bewegung eines Tonstü%es verfehlt habe; ja daß sogar Hasse, dessen Opern damals aufgeführt wurden, versicert haben soll, Pisendel treffe die Bewegung rictiger, als er selbst. Wenn diese Sage gegründet ist, so besaß Pisendel Einsicten und Talente, deren sic wohl Wenige zu rühmen haben möcten.4

Ob es eine Naturgabe war, wie Reicardt formuliert, oder eine Miscung von „Einsicten und Talenten“, wie Türk meint, sei dahingestellt. In diesem Zusammenhang soll nur darauf hingewiesen werden, daß das untrüglice Tempogefühl Pisendels in der einflußreicen Hiller-Scule lange als die herausragendste Eigenscaft des Dresdener Konzertmeisters bescrieben wurde. Gleiczeitig beleucten diese Angaben aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Art der Zusammenarbeit zwiscen Pisendel und Hasse und weisen auf die zentrale Bedeutung hin, die ein Konzertmeister oder „Anführer“ als Orcesterleiter besaß. Zunäcst soll aber diese herausragende Eigenscaft Pisendels, die „Bewegung eines Tonstü%es“ immer genau zu treffen, näher untersuct werden. Auc in diesem Fall ist Quantz der Kronzeuge für Pisendels Praxis, denn über die Pflict eines Anführers, vor dem Beginn eines Stü%s das Tempo zu erfassen, screibt er: Bevor er [der Anführer] ein Stü% anfängt, muß er dasselbe wohl untersucen, in was vor einem Zeitmaaße es gespielet werden soll. Wenn es ein gescwindes und ihm unbekanntes Stü% ist; thut er besser, wenn er zu langsam, als wenn er zu gescwinde anfängt: indem man leicter, und ohne große Aenderung aus dem Langsamen ins Gescwinde, als aus dem Gescwinden ins Langsame gehen kann. […] Weis er aber das recte Tempo gleic zu fassen, so ist es desto besser, und fällt diese Vorsorge alsdenn weg.5

Angesicts der Bericte von Hiller und Türk ist anzunehmen, daß Pisendel regelmäßig in der Lage war, „das recte Tempo gleic zu fassen“, und das einmal begonnene Musikstü% nict mehr aus Verlegenheit bescleunigen mußte. Um das Tempo eines Musikstü%s zu erkennen, mußte die Taktart mit dem Notenbild und gegebenenfalls der Satzüberscrift in Verbindung gebract werden, wie es in mehreren Quellen bescrieben wird.6 Dennoc konnte das Tempo je nac Affekt – auc inner3

Reicardt 1774, 34. Türk 1789, 113, ebenso in der zweiten Auflage 1802, 108. 5 Quantz 1752, 179f. Für Vera$ini vgl. Christensen 2002, 55. 6 Vgl. Miehling 1993, 326f. 4

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halb eines Stü%es – verändert werden. Dies betrifft jedoc die Direktion selbst und wird daher erst im folgenden Abscnitt untersuct werden. Das Erfassen des Tempos geht der Direktion voraus und war eine wictige Voraussetzung für den gelungenen Beginn eines Musikstü%s, besonders wenn der Leiter nict zugleic auc der Komponist des betreffenden Stü%s war: Hätte man gewisse Regeln, und wollte dieselben gehörig beobacten; so würde mances Stü%, welces öfters durc das unrecte Zeitmaaß verstümmelt wird, eine bessere Wirkung thun, und seinem Erfinder mehr Ehre macen, als vielmals gescieht. Zugescweigen daß dadurc ein Componist, in Abwesenheit, sein verlangtes Tempo, einem andern der seine Composition aufführen soll, leicter scriftlic mittheilen könnte. Bey großen Musiken giebt es die Erfahrung, daß zu Anfang eines Stü%s, nict allezeit das Tempo von einem jeden so gefasset wird, wie es seyn soll: sondern daß zuweilen wohl ein, oder mehr Ta$te vorbeygehen, bevor alle mit einander einig werden.7

Wie zahlreice Quellen bestätigen, kam es häufig vor, daß gerade in einer größeren Gruppe von Musikern nac einem gemeinsamen Einsatz untersciedlice Tempovorstellungen herrscten. Dies führte zu jenem typiscen Durceinander, das Telemann die „Hundetakte“ genannt haben soll, weil diese Anfangstakte „den Menscen unterträglic“ seien.8 Aus diesem Grund zählt Quantz das Erfassen der Tempos nict nur zu den wictigsten Pflicten eines Anführers, sondern behandelt das Problem auc ausführlic in dem Abscnitt „von den Pflicten aller A$$ompagnisten überhaupt“. Alle Orcestermitglieder sollten nämlic in die Lage versetzt werden, das Tempo eines Musikstü%s ebenso genau vorherzusehen und zu empfinden wie der „Anführer“ selbst, um so die „Hundetakte“ zu vermeiden. Außerdem weist Quantz darauf hin, daß durc entsprecende Regeln „ein Componist, in Abwesenheit, sein verlangtes Tempo, einem andern der seine Composition aufführen soll, leicter scriftlic mittheilen könnte“, denn das Aufführen von Musikstü%en in Abwesenheit ihres Komponisten war eine für das Dresdner Orcesterrepertoire typisce Situation, wie oben gezeigt werden konnte. Auc hier dienen die sceinbar pedantiscen Regeln zum Erfassen eines Tempos, die Quantz im folgenden entwi%elt, in erster Linie dem übereinstimmenden Vortrag der Orcestermusiker. Das Mittel welces ic zur Rictscnur des Zeitmaaßes an dienlicsten befinde, ist um so viel bequemer, ie weniger Mühe es kostet, desselben habhaft zu werden; weil es ein jeder immer bey sic hat. Es ist der Pulssclag an der Hand eines gesunden Menscen. […] Ic kann mic zwar nict ganz und gar rühmen, der erste zu seyn, der auf dieses Mittel gefallen wäre; so viel ist aber auc gewiß, daß sic noc niemand die Mühe gegeben hat, die Anwendung desselben deutlic und ausführlic zu bescreiben, und zum Gebrauce der itzigen Musik bequem zu macen. Ic thue das letztere also mit desto größerer Sicerheit, da ic in Ansehung der Hauptsace, wie mir nacher erst bekannt worden, nict der einzige bin, der auf diese Gedanken gerathen ist.9

Daß das Zeitmaß eines Musikstü%s mit dem natürlicen Pulssclag in einer Beziehung steht, gehört zu den ältesten Vorstellungen über das Tempo und ist bereits bei den Theoretikern der Renaissan$e belegt.10 Aber auc Mattheson erwähnt diesen Zusammenhang in seinem Vollkommenen Capellmeister von 1739, und über die 7

Quantz 1752, 260. Vgl. Petri 1782, 171f, und Scünemann 1913, 162. Für Vera$ini vgl. Christensen 2002, 54f. 9 Quantz 1752, 261. 10 Vgl. Miehling 1993, 41f und 231. 8

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Verbindung zwiscen Puls und musikaliscem Tempo veröffentlicte der französisce Arzt Fran$ois Ni$olas Marquet 1747 in Paris eine medizinisce Abhandlung, auf die sic Quantz mit seiner Bemerkung, nict „der erste zu seyn“, möglicerweise bezieht.11 Wie Marquet geht Quantz auf die Abweicungen des natürlicen Pulssclages je nac Gemütsverfassung eines Menscen ein und bestimmt scließlic: Man setze denjenigen Puls, welcer in einer Minute ohngefähr actzigmal sclägt, zur Rictscnur. Actzig Pulsscläge, im gescwindesten Tempo des gemeinen geraden Ta$ts, macen vierzig Ta$te aus. Einige wenige Pulsscläge mehr oder weniger, macen hierbey keinen Unterscied.12

Auc wenn Quantz nac eigenen Worten nict der Erfinder dieser ebenso einfacen wie wirkungsvollen Methode zur Tempobestimmung war, läßt sic nict feststellen, ob die Anwendung dieser Methode mit Pisendel im Zusammenhang steht. Dagegen kann davon ausgegangen werden, daß die auf diese Weise bestimmten Tempi mit Pisendels Vorstellungen übereinstimmten. Ohnehin versteht auc Quantz die Pulsmethode lediglic als ein Hilfsmittel, das für fortgescrittene Musiker entbehrlic wird: Ic verlange nict, daß man ein ganzes Stü% nac dem Pulssclage abmessen solle; denn dieses wäre ungereimt und unmöglic: sondern meine Absict gehet nur dahin, zu zeigen, wie man zum wenigsten durc zween oder vier, secs oder act Pulsscläge, ein jedes Zeitmaaß, so man verlanget, fassen, und vor sic, eine Erkenntniß der versciedenen Arten desselben, erlangen, und daher zu weiterm Nacforscen Anlaß nehmen könne. Hat man sic eine Zeitlang darinne geübet: so wird sic nac und nac dem Gemüthe eine solce Idee von dem Zeitmaaße eindrü%en, daß man nict ferner nöthig haben wird, allezeit den Pulssclag zu Rathe zu ziehen.13

Gleicwohl haben neuere Untersucungen gezeigt, daß eine Tempobestimmung mit dieser Methode nur geringfügige Abweicungen hervorruft und daß sic die von Quantz angegebenen Werte im Rahmen der übrigen zeitgenössiscen Quellen zum Tempo bewegen.14 Dabei ist es nict nur für das Zusammenspiel der Orcestermusiker wictig, daß unter ihnen eine ähnlice Tempovorstellung herrsct, sondern im Fall der französiscen Tanzmusik ist es sogar auc zwingend notwendig, daß das Tempo eines Stü%es immer gleic gewählt wird, denn die Tänzer sind bei ihren Sprüngen an die Scwerkraft gebunden und können deutlice Abweicungen des Tempos nur mit großer Mühe ausgleicen, wie Quantz betont: Wie nun auf die Rictigkeit des Zeitmaaßes bey allen Arten der Musik viel ankömmt: so muß dasselbe auc bey der Tanzmusik auf das genaueste beobactet werden. Die Tänzer haben sic nict nur mit dem Gehöre, sondern auc mit ihren Füßen und Leibesbewegungen darnac zu ricten: und also ist leict zu eracten, wie unangenehm es ihnen fallen müsse, wenn das Orcester in einem Stü%e bald langsamer, bald gescwinder spielet. Sie müssen ihren ganzen Körper anstrengen, besonders wenn sie sic in hohe Sprünge einlassen: die Billigkeit erfodert also, daß sic das Orcester, so viel als möglic ist, nac ihnen bequeme; […]15

11

Vgl. Miehling 1993, 103ff. Quantz 1752, 267. 13 Quantz 1752, 261f. 14 Zur Erörterung dieser Tempomethode vor historiscem Hintergrund und einer Diskussion der Sekundärliteratur vgl. Miehling 1993, 192ff, besonders 195 und 215. 15 Quantz 1752, 269. 12

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Da Pisendel seit seinem Eintritt in die Dresdner Hofkapelle 1712 viel Tanzmusik gespielt hat und als Orcestermusiker von dem Ballettkomponisten Woulmyer geprägt worden ist, ersceint die Vermutung naheliegend, daß diese Musik einen wictigen Ausgangspunkt für Pisendel bildete, seine eigene Tempovorstellung immer weiter zu verfeinern. Wie oben bemerkt, ließ Pisendel nämlic französisce Tänze in Form von Ouvertürensuiten in den Übungsstunden des Dresdner Orcesters durcspielen, damit die Musiker sic daran gewöhnen, scnell Tempo und Charakter eines solcen Satzes zu erfassen. Auc Quantz widmet den Tempi der französiscen Tänze einen umfangreicen Abscnitt, der auf die besonderen Anforderungen der Orcestermusiker beim Begleiten der Ballettänzer in der italieniscen Oper und bei französiscen Scauspielen eingeht: Diese Art der Musik [die französisce Tanzmusik] besteht mehrentheils aus gewissen Charakteren; ein jeder Charakter aber erfodert sein eigenes Tempo: weil diese Art von Musik nict so willkührlic als die italiänisce, sondern sehr eingescränket ist. Könnten nun sowohl die Tänzer, als das Orcester, allezeit einerley Tempo fassen; so würden sie vieles Verdrusses überhoben seyn können. […] Zugescweigen, daß die französisce Tanzmusik, wenn solce zwiscen einer guten italiäniscen Oper gehöret wird, sehr abfällt, mager klingt, und nict die Wirkung thut, als in einer Comödie, wo man nicts anders dagegen höret. Deswegen entsteht oftmahls viel Streit zwiscen den Tänzern und dem Orcester: weil die erstern glauben, daß die letztern entweder nict im recten Tempo spieleten, oder ihre Musik nict so gut ausführeten, als die italiänisce.16

Die letzte Bemerkung weist erneut darauf hin, daß das Erfassen des Tempos zu den wictigsten Aufgaben einer guten „Ausführung“ gehört, egal ob es sic um zwe%gebundene Tanzmusik oder unterhaltende Instrumentalmusik handelt. In der Vokalmusik werden diese Anforderungen sogar noc erhöht, denn das absolute Tempo, das sic aus der Verbindung von Taktart, der Tempobezeicnung und dem Notenbild erkennen läßt,17 wird hier zusätzlic durc den „Sinn der Worte“ und die „Fertigkeit und die Stimmen der Sänger“ beeinflußt. Allgemein gilt nac Quantz die Regel, „daß überhaupt die meisten Arien nict ein so gar gescwindes Tempo verlangen, als die Instrumentalstü%e“: Was ic bisher gezeiget habe, trifft, wie scon oben gesaget worden, am genauesten und am allermeisten bey den Instrumentalstü%en, als Con$erten, Trio und Solo ein. Was die Arien im italiäniscen Gescma%e anbelanget; so ist zwar wahr, daß fast eine jede von ihnen ihr besonderes Tempo verlanget. Es fließt doc aber solces mehrentheils aus den hier angeführten vier Hauptarten des Zeitmaaßes: und kömmt es nur darauf an, daß man sowohl auf den Sinn der Worte, als auf die Bewegung der Noten, besonders aber auf die gescwindesten, Actung gebe: und daß man bey gescwinden Arien, auf die Fertigkeit und die Stimmen der Sänger sein Augenmerk ricte. […] Bey einer Kircenmusik hat es eben dieselbe Bewandtniß, wie mit den Arien: ausgenommen daß sowohl der Vortrag bey der Ausführung, als das Zeitmaaß, wenn es kircenmäßig seyn soll, etwas gemäßigter als im Opernstyl genommen werden muß.18

Wenn die Überlieferung zutrifft, daß Pisendel in keiner der bescriebenen Situationen, weder in Konzerten noc bei Tanz- oder Vokalmusik, das Tempo verfehlte, 16

Quantz 1752, 268f. Einen Überbli% über die Literatur zur „Tempobestimmung nac dem Notenbild“ im 17. und 18. Jahrhundert bietet Scünemann 1913, 220ff. 18 Quantz 1752, 266. 17

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dann ist nacvollziehbar, daß man noc Generationen später diese Fähigkeit bewunderte. Auc Hasse, der sic bei der Einstudierung eigener Opern immer wieder mit diesem Problem auseinandersetzen mußte, wußte diese Begabung offenbar zu scätzen und für die Aufführung seiner Opern unter Pisendels Direktion nutzbar zu macen, wie im unten folgenden Abscnitt über die „Doppeldirektion“ im Theater dargestellt wird. Zunäcst soll aber gezeigt werden, wie Pisendel seine Tempovorstellung in eine Direktionsbewegung umsetzte, die so deutlic war, daß ihr alle Orcestermusiker zuverlässig folgen konnten.

Einsatz geben, Tempo verfolgen Bevor Pisendel als „Anführer“ oder Konzertmeister dem Orcester einen Einsatz gab, mußte er sic das Tempo des Musikstü%s, sei es ein Instrumental- oder Vokalwerk, sei es in der Kammer, der Kirce oder im Theater, genau vorstellen. Diese Tempovorstellung mußte er dann in solce Bewegungen umsetzen, aus denen die Orcestermusiker, die mit ihm einsetzen sollten, nict nur den Zeitpunkt des Einsatzes, sondern auc den weiteren Verlauf des Musikstü%s, also dessen „Bewegung“ klar erkennen konnten. Zudem mußte er auc während des Stü%es in der Lage sein, das Tempo nac Bedarf zu modifizieren und weitere Einsätze zu geben. Damit ist die praktisce Tätigkeit eines Dirigenten bescrieben, die zu den wictigsten Aufgaben Pisendels am Dresdner Hof gehörte. Im Zusammenhang mit dem ersten Einsatz des Orcesters (genannt „premier $oup d’arcet“) ist auf eine weitere Spezialität des Dresdner Orcesters hinzuweisen, die von Pisendel praktiziert und an anderen Höfen nacgeahmt wurde. Nac einer Dresdener Überlieferung aus dem 19. Jahrhundert soll Friedric II. von dieser Vortragsart stark beeindru%t gewesen sein, als er im Dezember 1745 in Dresden anläßlic seines Sieges im Zweiten Sclesiscen Krieg eine Aufführung von Hasses Arminio befohlen hatte.19 In seiner ersten Veröffentlicung zur Dresdner Hofkapelle von 1849 gibt Fürstenau diese Anekdote wieder: Man erzählt sic, daß Friedric der Große namentlic beim Anfang der Ouvertüre [des Arminio] allemal so überrasct gewesen und befriedigt gewesen sei, daß er sic diesen Eindru% gar nict habe erklären können, worauf ihn Benda darauf aufmerksam gemact, daß dies seinen Grund in Folgendem habe: die Dresdner Capelle durfte auf Hasses Anordnung nämlic nict im Orcester die Instrumente stimmen, sondern in einem eigens dazu bestimmten Zimmer. Das Ohr des Zuhörers wurde auf diese Weise nict durc immerwährendes präludiren ermüdet und überrasct durc den plötzlicen Anfang der Ouvertüre. Friedric fand dies so zwe%mäßig, daß er diese Einrictung auc in der Berliner Capelle einführte.20 19

Friedric II. ließ der Dresdner Hofkapelle am Ende seines Aufenthalts ein großzügiges Gescenk von

1000 Talern überreicen, vgl. Fürstenau 1862, 241, und Menni%e 1906, 393, sowie oben, Abscnitt II, 6. „Vom Warscau-Aufenthalt 1735 bis zu den Sclesiscen Kriegen“. 20 Fürstenau 1849, 137, ebenso Fürstenau 1862, 289, mit der ergänzenden Bemerkung „Das Dresdner

Orcester mußte nämlic in einem vom Publikum entfernten Zimmer einstimmen […].“ Offensictlic handelt es sic hier um die Weiterentwi%lung einer alten französiscen Praxis, die Georg Muffat 1698 in der berühmten Vorrede zu seinem Florilegium Se$undum als einen Brauc der „Lullisten“ bescreibt: „I. Es sollen die Instrumenta, wann es die Zeit gibt, vor der Zuhörer Ankunft; oder zum wenigsten so leiß,

334

Eine wesentlic frühere Version dieser Anekdote, die bislang in der Pisendel-Literatur unbekannt war, sceint dieses Ereignis genauer wiederzugeben. In dieser 1799 veröffentlicten Fassung wird Pisendel zudem eine besondere Rolle zugewiesen: Dieser [Friedric II. von Preußen] hatte eine gewisse Hassisce Oper in Dresden gehört, und war dadurc entzükt worden; besonders hatte ihm gleic die Overtura mäctig ergriffen. Als er nac Berlin zurü%kömmt, befiehlt er dem damaligen Kapellmeister Agrikola, diese Oper zu geben. Es gescieht; der König ist unzufrieden, besonders auc mit der Overtura, die auf ihn jetzt so wenig wirkt. Agrikola, in Verlegenheit, screibt nac Dresden, vereinigt sic mit dem vortrefflicen Pisendel ganz genau über Stärke der Besetzung, Tempo, Vortrag einzelner Stellen u. s. w., die Oper wird wiederholt, die Overtura wirkt nicts. Agrikola, wild über den sclecten Erfolg seiner Bemühungen, reiset selbst nac Dresden, und hört eine Oper, – nein, er hört sie nict, sondern nur den Anfang des ersten Akts, eilt zurük, bittet, jene Oper noc einmal aufführen zu dürfen, und – siehe da! – Jetzt, sagt der König Friedric, jetzt wars, wie es seyn muss! jetzt hat die Overtura das ihrige gethan, und der Kapellmeister dazu – Und was hatte dieser gethan? Es war bey ihm zeither die oben gerügte Sitte [das „Phantasieren und Dudeln“ der Orcestermusiker] oder vielmehr Unsitte beym Einstimmen herrscend gewesen; in Dresden hatte man das beobactet, was ic Ihnen oben empfohlen – alles musste fünf Minuten vor dem Anfange in Ordnung und feyerlicer Stille seyn: dies hatte nun Agri$ola nacgeahmt, und der Erfolg bewies, dass er das Recte getroffen hatte.21

Obwohl es sic um eine „gewisse [d.h. genau bestimmbare] Hassisce Oper“ handeln soll, die Friedric II. in Dresden gehört hatte, wird ihr Titel in dieser Anekdotenfassung nict genannt. Nac der Dresdner Überlieferung soll es sic um Hasses Arminio gehandelt haben. Diese Oper, die Friedric II. nacweislic im Dezember 1745 gehört hatte, ist zwei Jahre später in Berlin „mit großer Sorgfalt“ aufgeführt worden, wie Fürstenau ohne Hinweis auf seine Quelle angibt.22 Allerdings wurde Agri$ola, der für die Berliner Aufführung zuständig gewesen sein soll, erst im Anscluß an seinen Dresdenaufenthalt von 1751 zum preußiscen Hofkomponisten ernannt. Da er jedoc seit 1741 als Scüler von Quantz und Carl Heinric Graun Zugang zu den inneren Kreisen der preußiscen Hofmusik hatte und 1750 sogar eine eigene Oper Il filosofo $onvinto in amore von der dortigen Hofkapelle aufführen lassen konnte, ist nict auszuscließen, daß er auc bereits 1747 als Cembalist an der Aufführung des Arminio in Berlin mitgewirkt hat. Diese Vermutung wird dadurc unterstützt, daß der Hofkapellmeister Graun während der Opernsaison dieses Jahres mit seinen neuen Opern Le feste galanti und Il rè pastore, die auc Arien von Friedric II., Quantz und Christoph Nicelmann enthält, vollauf bescäftigt war. Daher kann die Hypothese aufgestellt werden, daß Agri$ola tatsäclic an der Einstudierung des Arminio 1747 in Berlin maßgeblic beteiligt war und sic zu diesem Zwe% mit Pisendel in der bescriebenen Weise verständigte. Als der „vortrefflice“ Pisendel ihm seine Angaben zu „Stärke der Besetzung, Tempo, Vortrag einzelner Stellen u. s. w.“ mitteilte, hatte er diese eindru%svolle Vortragsart des und kürtzlic als möglic genau zusammen gestimmet werden. II. Daß man sic von allem Gerausc und so vilen verwirten Vorspihlen enthalte, mit welcen etlice die Lufft und Ohren pflegen zu erfüllen […]“, zitiert nac Kolneder 1970, 72. 21 Friedric Roclitz in AMZ, 23.10.1799, 2. Jg. Nr. 4, 57ff. Die hier bescriebene Methode wandte 1785 auc der Berliner Musikkritiker, Verleger und Dirigent der „Konzerte für Kenner und Liebhaber“ Johann Karl Friedric Rellstab in seinen Konzerten an (vgl. Guttmann 1910, 32). Rellstab war ein direkter Scüler von Agri$ola und Karl Friedric Fasc. 22 Fürstenau 1862, 241.

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Dresdner Orcesters, vor dem ersten Einsatz einer Oper einige Minuten Stille verstreicen zu lassen, offenbar nict erwähnt, denn dies gehörte ja zur Direktionspraxis allgemein und nict zu den besonderen Umständen von Hasses Komposition. Mit dem Erfassen des Tempos und der erwartungsvollen Stille vor dem ersten Einsatz waren die Vorbereitungen zum Beginn eines Musikstü%s jedoc immer noc nict abgesclossen, wie aus den Angaben von Quantz hervorgeht. Offenbar waren jene berüctigten „Hundetakte“ auc in professionellen Kapellen so weit verbreitet, daß Pisendel sic auf seine eigene Tempovorstellung und diejenige, die er vor jedem Einsatz von seinen Orcesterkollegen erwartete, nict ausreicend verlassen konnte. Quantz bescreibt daher die folgende, zusätzlice Maßnahme Pisendels: Damit aber auc die andern, besonders bey gescwinden Noten, mit ihm zugleic anfangen können; muß er sie gewöhnen, daß sie den ersten Ta$t des Stü%s ins Gedäctniß fassen, den Bogen nahe bey den Seyten halten, und auf seinen Bogenstric Actung geben. […] Er selbst muß nict eher anfangen, bis er sieht, daß die übrigen Musi$i alle in Bereitscaft sind; besonders wenn jede Stimme nur einmal besetzet ist: damit der Anfang, welcer den Zuhörer überrascen, und zu einer Aufmerksamkeit antreiben soll, nict mangelhaft sey.23

Der Hinweis, daß jeder Anfang „den Zuhörer überrascen, und zu einer Aufmerksamkeit antreiben soll“, wird erst vor dem oben dargestellten Hintergrund verständlic, daß die Musiker oft zur allgemeinen Geräusckulisse der Zuhörer, die damals sicer größer war als bei heutigen Konzertveranstaltungen, beitrugen, indem sie ihre Instrumente nacstimmten, scwierige Passagen probierten oder einfac vor sic hin „präludierten und phantasierten“.24 Die erwartungsvolle Stille vor dem ersten Einsatz, die Friedric II. in der Dresdner Oper so beeindru%t haben soll, wurde also auc bei kleiner, sogar solistiscer Besetzung vorausgesetzt und als Bestandteil des Einsatzes verstanden. Während es heute selbstverständlic ersceint, daß die Musiker vor dem Einsatz ihre Instrumente in Spielposition bringen und auf den Dirigenten bli%en müssen, wird dies von Quantz ausdrü%lic angemahnt und aus der Perspektive der „Pflicten aller A$$ompagnisten überhaupt“ nocmals wiederholt: Weil ein gescwindes Stü% von allen zugleic, und in einerley Gescwindigkeit angefangen werden muß: so ist es nöthig, daß ein jeder von seiner Stimme den ersten Ta$t ins Gedäctniß fasse; damit er auf den Anführer sehen, und mit ihn zugleic das Tempo rect ergreifen könne. Dieses ist besonders in einem Orcester, oder sonst an einem großen Orte, wo das A$$ompagnement zahlreic ist, und die Spielenden voneinander entfernet, nöthig. […] Wer etwas von der Violine versteht, wird sic am besten und sicersten nac des Anführers Bogenstrice ricten können. Könnten aber nict alle A$$ompagnisten den Anführer sehen, oder hören: so hat sic in diesem Falle, ein jeder

23

Quantz 1752, 180. Auc Vera$ini bescreibt in überspitzter Form die Angewohnheiten italieniscer Opernmusiker (Übersetzung zitiert nac Christensen 2002, 57f): „Wenn er [der Komponist] ohne Hinweis unvermittelt anfängt, riskiert er, besonders bei den Arien, mit wenigen oder alleine zu beginnen. Der Grund dafür ist, daß die Opernmusiker gewohnt sind, während der Rezitative eifrige Diskussionen zu führen, ihren Nacbarn Tabak anzubieten, mit einem Nagel den Doct der Kerzen zu reinigen oder laut zu stimmen, um ihr Können hören zu lassen, sic ganz langsam die Brille aufzusetzen und dann gemütlic hinter den andern herzuspielen, oder (in aller Gemäclickeit) den Bogen vom Notenpult zu nehmen, und das alles in der Zeit, wo sie scon hätten mit dem Orcester zusammen und nict einer nac dem andern beginnen sollen, so wie es die Glö%ner macen, wenn sie anfangen, zum Fest zu läuten.“

24

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nac seinem Nacbar, von des Anführers Seite her, zu ricten; um in einerley Tempo zu bleiben.25

Über die heutige Praxis hinaus geht die wiederholte Anweisung, daß jeder Musiker „den ersten Ta$t ins Gedäctniß fasse“, um dadurc besser auf die Dirigierbewegungen Pisendels acten zu können. Quantz betont, daß diese Vorsictsmaßnahme, die weniger auf den Beginn des Stü%es als auf den Verlauf der Anfangstakte abzielt, besonders in einem Orcester oder bei unübersictlic großen Besetzungen notwendig ist. Diejenigen Musiker, die Pisendel nict ausreicend sehen können, müssen die Dirigierimpulse, die sic „von des Anführers Seite her“ fortsetzen, über ihren Nebenspieler wahrnehmen und erfassen. Diese zunäcst etwas unverständlice Anweisung leuctet sofort ein, wenn man sic die oben bescriebene Aufstellung der Streicer im Dresdner Operngraben vor Augen hält. Denn obwohl der letzte Musiker in der langen, dict gedrängten Reihe der ersten Violinisten die Bewegungen Pisendels tatsäclic kaum gesehen haben dürfte, wird durc diese Aufstellung das ‚aus der Reihe tanzen‘ eines einzelnen Musikers wirkungsvoll verhindert. Die Aufstellung in langen Reihen veranscaulict durc ihr fast militärisces Prinzip die Forderung nac „Subordination“ der Orcestermusiker. Die zahlreicen Vorsictsmaßnahmen beim Beginn eines Musikstü%s sollten offenbar gewährleisten, daß alle Musiker sofort das rictige Tempo treffen. In der heutigen Praxis wird diese Gefahr auc dadurc verringert, daß der Dirigent ein bis zwei Scläge voraus dirigiert, bevor die Musiker einsetzen. Wenn in den Proben verabredet wurde, auf welce Notenwerte sic diese vorausgehenden Scläge beziehen, kann jeder Musiker das gewünscte Tempo abnehmen, noc bevor er den ersten Ton spielt. Dadurc entfällt für den heutigen Orcestermusiker auc eine Prognose des gewünscten Tempos, etwa mit Hilfe der Quantzscen Pulsmethode, denn das Tempo wird in der heutigen Praxis ohnehin aufgrund subjektiver Gesictspunkte vom Dirigenten ausgewählt.26 Zur Zeit Pisendels waren die Orcestermusiker jedoc selbständiger. Das Orcesterspiel war selten ihre Hauptbescäftigung, und in ihrer täglicen Praxis waren sie gewöhnt, eigenverantwortlic über die Ausführung eines Stü%s, etwa hinsictlic der wesentlicen und willkürlicen Manieren, aber auc hinsictlic des Tempos zu entsceiden. Aus diesem Grund wird die notwenige „Subordination“ der Musiker beim Orcesterspiel von Quantz und anderen Autoren so häufig betont. Da keine Quelle eine Vorausbewegung beim ersten Einsatz des Musikstü%s erwähnt, aus der das Tempo hätte abgelesen werden können, gilt eine solce als „avviso“ bezeicnete Dirigierbewegung irrtümlic als Erfindung der frühen Berufsdirigenten.27 Spätestens im Verlauf der ersten Takte konnte sic das Tempo mitteilen und festigen, so daß

25

Quantz 1752, 258. Nac der bei Rousseau 1768 überlieferten Orcesteraufstellung (Abbildung 13) saß der jeweils letzte Geiger leict eingebogen an der Rü%wand des Dresdner Orcestergrabens, so daß er den „Anführer“ sogar besser sehen konnte als der neben ihm sitzende Musiker. 26 Zu dieser Entwi%lung seit Beethoven, der in einem Brief an seinen Verleger Scott vom Dezember 1826 das Verscwinden der alten, aus dem Notentext ablesbaren Tempi feststellte („Wir können beynahe keine tempi ordinari mehr haben, indem man sic nac den Ideen des freyen Genius ricten muß.“), vgl. Miehling 1993, 23. 27 Aus den Einträgen Pisendels in seine Violinstimme geht jedoc hervor, daß auc er das „avviso“ bewußt einsetzte, vgl. unten, Exkurs IV. „Dirigieren der Proben und Aufführungen“.

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hier die höcste Aufmerksamkeit aller Beteiligten gefordert war.28 Dieser Aufmerksamkeit dienten also die individuelle Tempoprognose durc den Orcestermusiker, die aufmerksame Stille vor dem ersten Einsatz, das Einnehmen der Spielposition und der auswendige Vortrag der für das Tempo entsceidenen „Hundetakte“. Die zuletzt zitierte Passage enthält aber einen weiteren, für die Orcesterdirektion wesentlicen Hinweis, denn Quantz screibt den Dirigierbewegungen des Violinisten eine große Bedeutung zu, wenngleic er sic etwas versclüsselt ausdrü%t: „Wer etwas von der Violine versteht, wird sic am besten und sicersten nac des Anführers Bogenstrice ricten können.“ Die Möglickeiten und Vorteile einer Direktion mit Bogenbewegungen werden am scnellsten durc den Vergleic mit einem Tasteninstrument verständlic. Die rhythmiscen Bewegungen des Arms nämlic werden bei der Violine durc den Bogen sofort vergrößert übertragen und sind dadurc im Gegensatz zu einem Tasteninstrument weithin sictbar. Während sic der Ansclag des Tastenspielers immer nac unten rictet, ist die natürlice Spielbewegung auf der Violine in Ab- und Aufstrice unterteilt, die zudem im Regelfall mit den scweren und leicten Taktteilen beziehungsweise mit den ungeraden und geraden Zählzeiten eines Taktes zusammenfallen und sie dadurc weithin sictbar kennzeicnen. Auf diese Weise wirkt die Bogenbewegung wie eine Sclagfigur, und der Kundige kann sic tatsäclic „am besten und sicersten nac des Anführers Bogenstrice ricten“. Aber Pisendel ging in seiner Direktionsweise über die musikalisc bedingten Bewegungen des Bogens weit hinaus und verdeutlicte die Taktart und das Tempo auc noc mit der linken Hand, mit der er den Hals seiner Violine hielt, wie Reicardt wahrsceinlic aufgrund der Angaben seiner Lehrer Homilius und Hiller berictet: Um bey dem Anfange des Stü%s den Uebrigen die Bewegung rect deutlic und vernehmlic zu macen, hatte Pißhändel die Angewohnheit, bey den ersten Ta%ten in währendem Spielen die Bewegung mit dem Halse und Kopfe der Violine anzugeben. Waren es 4 Viertel, die den Ta%t ausmacten, so bewegte er die Violine einmal unterwärts, dann hinauf, dann zur Seite, und wieder hinauf; waren es 3 Viertel, so bewegte er sie einmal hinunter, dann zur Seite, dann hinauf.29

Dies ist die einzige Bescreibung von Dirigierbewegungen eines Geigers aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die bislang bekannt geworden ist, und weil Reicardt diese Bewegungen als eine „Angewohnheit“ Pisendels bescreibt, ist anzunehmen, daß diese Direktionsform auc zu seiner Zeit nict allgemein üblic war. Es fällt aber auf, daß Pisendel hier nict die italienisce Art des Taktierens, die auc in Deutscland zu dieser Zeit vorherrscend war,30 sondern zweifelsfrei die neuere französisce Methode wählt. Während das italienisce Sclagbild bei einem Vierertakt zwei Abscläge („eins“ und „zwei“) und zwei Aufscläge („drei“ und „vier“) vorsieht, werden die Zwiscenzeiten „zwei“ und „drei“ auf französisce Art nac links und rects gerictet, und erst der Aufsclag „vier“ weist nac oben, wie es heute noc üblic ist. Da dieses neue Sclagbild seit 1702 in französiscen Quellen bezeugt

28

Dies wird auc von Vera$ini bestätigt, vgl. Christensen 2002, 54f. Reicardt 1774, 39f. 30 Scünemann 1913, 144ff, besonders 151. Zur italieniscen Direktionsmethode bei Vera$ini vgl. auc Christensen 2002, 53. 29

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ist,31 könnte diese Methode auc bereits von Pisendels Vorgänger Woulmyer praktiziert worden sein. Auc die taktierende Bewegung mit einem Direktionsinstrument ist nict neu, denn sie kann bereits im 16. Jahrhundert nacgewiesen werden.32 Da eine derartige Bewegung zur Musik aber als eine natürlice Begleitersceinung während des Spielens angesehen werden kann, ist nict auszuscließen, daß Pisendel ebenso selbstverständlic, wie er sic beim Spielen bewegte, auc eine carakteristisce Vorausbewegung vor dem Einsatz angegeben hat, obwohl diese oben als Merkmal heutiger Dirigierpraxis bescrieben wurde. Um nämlic den Bogen und die Violine zum Spiel anzusetzen, ist eine Aufwärtsbewegung mit der Bogenhand erforderlic, aus deren Geste bereits das folgende Tempo abgenommen werden kann, wenn sie entsprecend angelegt ist. Aus Pisendels Notizen in einigen seiner Violinstimmen läßt sic ableiten, daß Pisendel tatsäclic solce Vorausbewegungen angewandt hat, um das Tempo scon vor dem Beginn eines Stü%es zu verdeutlicen. Diese Dokumente werden im folgenden Exkurs IV über die Violinstimmen in Hasses Oper Cajo Fabri$io vorgestellt werden. Nacdem also der Einsatz zu einem Musikstü% gegeben und das Tempo von allen Orcestermitgliedern übereinstimmend erfaßt worden ist, war es die Aufgabe des Anführers, das Tempo zu überwacen und gegebenenfalls zu modifizieren. Die Veränderungen des Tempos ricteten sic beispielsweise nac den Wünscen des Solisten, der begleitet werden sollte: Das Gesict und Gehör muß er [der Anführer] öfters so wohl auf den Ausführer der Hauptstimme, als auf die Begleiter ricten: im Fall es nöthig wäre, dem einen naczugeben, und die andern in der Ordnung zu erhalten. Aus des Con$ertisten seinem Vortrage muß er fühlen, ob er das was er spielet gescwinder oder langsamer haben wolle: damit er, ohne sonderbahre Bewegungen, die andern dahin lenken könne. Dem Con$ertisten aber muß er die Freyheit lassen, sein Tempo so zu fassen, wie er es für gut befindet.33

Dies bedeutet jedoc nict etwa, daß die Begleiter allen Temposcwankungen des Solisten nacgeben sollen. Die Anweisung, aus „des Con$ertisten seinem Vortrage“ das von ihm gewünscte Tempo zu „fühlen“, bezieht sic lediglic auf das Grundtempo des betreffenden Satzes, wie die entsprecenden Ausführungen im Abscnitt „von den Pflicten aller A$$ompagnisten überhaupt“ zeigen: Wird man aber gewahr, daß das Zeitmaaß entweder gescwinder oder langsamer seyn soll, und eine Aenderung nöthig ist; so muß solces nict mit einer Heftigkeit, und auf einmal, sondern nac und nac gescehen: weil sonst leict eine Unordnung daraus entstehen kann. 37. §. Weil die Art ein Adagio zu spielen erfodert, daß der Con$ertist sic von den begleitenden Stimmen vielmehr scleppen lasse, als daß er ihnen voraus gehe; und es also öfters den Scein hat, als wolle er das Stü% langsamer haben: so müssen die A$$ompagnisten sic dadurc nict verführen lassen; sondern das Tempo fest halten, und nict nacgeben: es wäre denn das[!] der Con$ertist deswegen ein Zeicen gäbe. 38. §. Wenn im Allegro ein Ritornell mit Lebhaftigkeit gespielet worden ist; so muß dieselbe Lebhaftigkeit mit dem A$$ompagnement, bis ans Ende des Stü%es, beständig 31

Scünemann 1913, 128ff. Scünemann 1913, 46. 33 Quantz 1752, 180. 32

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unterhalten werden. Man hat sic gleicfalls nict an den Con$ertisten zu kehren, im Fall er denselben Hauptsatz vielleict $antabel und scmeicelnd vortrüge.34

Aus diesen Angaben geht außerdem hervor, daß Pisendel nict die Direktion des Ensembles aus der Hand gab, wenn ein anderer Musiker als Solist auftrat, wie es gelegentlic vermutet wurde.35 Die mißverständlice Anweisung, die gewünscten Tempomodifikationen aus dem Vortrag des Solisten zu „fühlen“, hängt mit der besonderen Direktionspraxis zusammen, die man sic folgendermaßen vorzustellen hat: Wenn ein Musiker sic als Solist „hören lassen“ wollte, übergab er das zugehörige Orcestermaterial an Pisendel, der seiner eigenen Tempovorstellung entsprecend den Einsatz zum Beginn des Konzertes angab. Eine Absprace zwiscen dem Solisten und ihm über das Tempo oder andere Dinge fand in der Regel nict statt. Wenn nun das Einleitungstutti vorüber war und der Solist einsetzte, konnte es passieren, daß dieser ein anderes Tempo als das von Pisendel gewählte bevorzugte. Auf diesen Fall bezieht sic die die Anweisung Quantzens, diesen Wunsc des Solisten zu „fühlen“ und ihm naczugeben. Wenn der Solist dagegen aus tecniscen oder musikaliscen Gründen bei mancen Passagen scleppte oder eilte, sorgte Pisendel dafür, daß die Begleiter ihrerseits fest im Takt blieben. Soll ein Stü% gute Wirkung thun, so muß es nict nur in dem ihm eigenen Zeitmaaße, sondern auc, vom Anfange bis zum Ende, in einerley Tempo, nict aber bald langsamer bald gescwinder gespielet werden. Daß aber hierwider sehr oft gehandelt werde, zeiget die täglice Erfahrung. Langsamer oder gescwinder aufzuhören als man angefangen hat, ist beydes ein Fehler: doc ist das letztere nict so übel als das erstere. […] Einem guten Anführer, wenn er anders der gehörige Aufmerksamkeit hat, wird es leict seyn, alle diese Fehler zu vermeyden; und sowohl den Con$ertisten, wenn derselbe im Ta$te nict rect sicer ist, als auc die Ripienisten, in Ordnung zu erhalten.36

Obwohl Quantz betont, daß Tempoveränderungen innerhalb eines Stü%es ein Fehler seien, gehörte es doc zu den praktiscen Anforderungen an einen „Anführer“ wie Pisendel, solce Modifikationen während des Spielens anzeigen und durcsetzen zu können. Diese Tecniken wurden besonders dann angewandt, wenn der Text eines Vokalwerkes eine Änderung des Affekts und damit auc des Tempos notwendig macte.37 Aber auc in der Instrumentalmusik gab es bestimmte Fälle, in denen das Tempo kaum merklic verändert werden mußte.38 Quantz bezeicnet es sogar als eine „bey guten und mittelmäßigen Ausführern“ hergebracte Gewohnheit, die Wiederholung eines scnellen Satzes noc scneller zu spielen: Es ist zur Gnüge bekannt, daß wenn ein Stü% ein- oder mehrmal nac einander wiederholet wird, absonderlic wenn es ein gescwindes, z. E. ein Allegro aus einem Con$ert, oder einer Sinfonie, ist, daß man dasselbe, um die Zuhörer nict einzuscläfern, zum zweytenmale etwas gescwinder spielet, als das erstemal. Gescähe dieses nict; so würden die Zuhörer glauben, das Stü% sey noc nict zu Ende. Wird es aber in einem etwas gescwindern Tempo wiederholet, so bekömmt das Stü% dadurc ein lebhafteres, und,

34

Quantz 1752, 256f. So etwa Landmann 1987, 467. 36 Quantz 1752, 256. 37 Einen Überbli% über die Quellen zur Tempomodifikation bietet Scünemann 1913, 239f, und ergänzend zu Vera$ini bei Christensen 2002, 54. 38 Miehling 1993, 346ff. 35

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so zu sagen, ein neues oder fremdes Ansehen; welces die Zuhörer in eine neue Aufmerksamkeit versetzet.39

Bereits bei den Pflicten eines Anführers hatte Quantz das Bescleunigen eines Stü%s als Notlösung bei mißglü%ter Tempowahl erwähnt. Umgekehrt gab es aber auc Situationen, in denen ein Stü% verlangsamt werden sollte, etwa am Ende eines präctigen Orcestersatzes oder bei einer Überleitung in einen langsamen Abscnitt. Auc hier ist es wiederum Reicardt, der die entsprecende Direktionsmethode Pisendels überliefert: Wollte er [Pisendel] das Orcester mitten im Stü%e anhalten, so stric er nur die ersten Noten jedes Ta%ts an, um diesen desto mehr Kraft und Nacdru% geben zu können, und darinnen hielte er zurü% u. s. w.40

Diese Direktionsmethode mußte Pisendel auc anwenden, wenn etwa längere Kadenzen oder eine Generalpause mit einem geführten Ritardando des Orcesters vorbereitet werden sollten. In beiden Fällen mußte Pisendel danac einen erneuten Einsatz geben. Dabei sollte der Einsatz nac einer Generalpause, ebenso wie der oben bescriebene Einsatz zu Beginn eines Stü%s, dem „Entzwe% der Ueberrascung“ dienen. Auc hier betont Quantz, daß sic die Absprace des Einsatzes in erster Linie auf ein „zahlreices A$$ompagnement“ bezieht, also auf eine Orcesterwirkung, für die die Dresdner Hofkapelle unter der „Anführung“ Pisendels berühmt war: Wie lange man nac einer Fermate […] inne halten solle; ist eigentlic keine gewisse Regel gegeben. Bey einem Solo, welces nur unter zwo oder drey Personen gespielet wird, verursacet diese Ungewißheit wenig Nactheil; bey einem zahlreicen A$$ompagnement aber, desto mehr. Nac einer kleinen Stille, müssen alle Stimmen, eben sowohl, wie es beym Anfange eines Stü%es erfodert wird, zugleic wieder mit einander anfangen. Gescieht dieses nict von allen rect genau: so wird der Entzwe% der Ueberrascung, so man hier nac einer kleinen Ruhe erwartet, nict erreicet.41

Auc die nun folgenden Regel über die Dauer von Generalpausen dient nict etwa dazu, einem selbständigen Musiker pedantisce Vorscriften zu macen, sondern bezieht sic – wie die oben bescriebenen Regeln für nict notierte Vortragsarten – auf die Notwendigkeit, mit einer großen Zahl von Ripienisten eine einheitlice Wirkung zu erzielen. Bey allen Tripelta$ten, wie auc im Allebreve- und im Zweyviertheil- Ta$te pausire man, außer dem Ta$te worüber das Ruhezeicen steht, noc einen Ta$t mehr. Im gemeinen geraden Ta$te hingegen, ricte man sic nac den Einscnitten, ob solce in das Aufheben oder in das Niedersclagen des Ta$ts fallen. Bey den erstern kann man noc einen halben; bey den letztern noc einen ganzen Ta$t mehr pausiren: und dieses wird, wie ic glaube, genug, und der Absict des Componisten gemäß seyn. Eine allgemeine Beobactung dieser Regel würde macen, daß man, um zugleic mit einander wieder anfangen zu können, keines weitern Erinnerns mehr bedürfte.

Ähnlic wie bei der Tempovorstellung durc die Pulsmethode ist der weitere Verlauf des Musikstü%s auc nac der Generalpausenregel für den Ripienisten vorhersehbar, selbst wenn Pisendel zusätzlic etwa einen deutlicen Einsatz gibt. Sollte der „Anführer“ nämlic aus Platzgründen nict gut sictbar sein, läßt sic dennoc der 39

Quantz 1752, 268. Reicardt 1774, 39f. 41 Quantz 1752, 258. 40

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oben zitierte „Entzwe% der Ueberrascung“ erreicen, weil sic alle Mitspieler frühzeitig auf den bevorstehenden Einsatz einstellen können. Auc nac einer verzierten Solokadenz soll der Einsatz des Orcesters eine überrascende Wirkung erzielen: Bey Endigung der Haupt$adenz, wenn das folgende Tutti im Niedersclage anfängt, thun die A$$ompagnisten wohl, wenn sie, absonderlic bey Begleitung einer Singstimme oder eines Blasinstruments, aus Dis$retion, nict bis zum äußersten Ende des Trillers warten; sondern denselben sozusagen unterbrecen; und lieber vor der Zeit, als zu spät, in das Tutti einfallen. […] Fängt aber das Tutti im Aufheben des Ta$ts, und noc unter dem Triller an; so ist es nict mehr eine Dis$retion, sondern eine Sculdigkeit, den Triller zu unterbrecen. […] Der Anführer wird hierauf besonders Actung geben: und also ist auc hierbey der A$$ompagnisten Sculdigkeit, die Augen auf ihn zu wenden, um sic mit seinem Bogenstrice zu vereinigen.42

Bemerkenswert ist, daß nur wenige Direktionsaufgaben in dem Abscnitt „von den Eigenscaften eines Anführers der Musik“ enthalten sind, während Quantz sie in dem späteren Abscnitt über „alle A$$ompagnisten überhaupt“ nocmals aufgreift und teilweise sogar noc ausführlicer erklärt. Diese Beobactung deutet darauf hin, daß sic der „Anführer“ zu dieser Zeit als Dirigent noc nict vollständig von seinen Musikerkollegen losgelöst hatte, denn der Anführer hatte zusätzlic zu seinen eigentlicen Direktionspflicten die allgemeinen Ripienistenpflicten zu verkörpern und zu überwacen. Aus diesem Grund wird auc die „Subordination“ der Orcestermusiker unter den „Anführer“ so stark betont, die bei einem Dirigenten im heutigen Sinne als Selbstverständlickeit angesehen wird. Umso mehr gewinnen die von Reicardt bescriebenen Direktionstecniken Pisendels an Bedeutung, denn sie belegen, daß sic das Dirigieren bei Pisendel bereits zu einer eigenständigen Tätigkeit entwi%elt hatte. Um die versciedenen Möglickeiten der Direktion wirkungsvoll einsetzen zu können, mußte Pisendel sic mit dem Werk, das aufgeführt werden sollte, bestens vertraut macen. Grundlage für seine Kenntnis von einem Musikstü% war die Partitur, der er alle Angaben über Tempo und Affekt sowie Überrascungsmomente wie Einsätze nac Generalpausen oder Fermaten entnehmen konnte. Solce Partituren zu Instrumentalwerken haben sic in großer Zahl in Pisendels Notenbibliothek erhalten, wie im folgenden Kapitel über Pisendels Aufgaben als „Repertoirebeauftragter“ gezeigt wird. Nacdem Pisendel anhand der Partitur alle Stimmen genau bezeicnet hatte, reicte es während der Aufführung aus, lediglic die Stimme der ersten Violine auf dem Pult zu haben, denn in Instrumentalsätzen herrscte in der Regel ein einziger Affekt vor. Anders verhielt es sic in Vokalwerken, wo beispielsweise der Mittelteil einer italieniscen Arie eine Änderung des Affekts enthalten konnte. Hier war es für die Direktion wictig, den Text verfolgen zu können, wie Quantz bereits anläßlic der Frage des angemessenen Tempos betont hatte: Was die Arien im italiäniscen Gescma%e anbelanget; so ist zwar wahr, daß fast eine jede von ihnen ihr besonderes Tempo verlanget […] und kömmt es nur darauf an, daß man sowohl auf den Sinn der Worte, als auf die Bewegung der Noten, besonders aber auf die gescwindesten, Actung gebe: und daß man bey gescwinden Arien, auf die Fertigkeit und die Stimmen der Sänger sein Augenmerk ricte.43

42 43

Quantz 1752, 259f. Quantz 1752, 266.

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Selbstverständlic hatte Pisendel, während er eine Aufführung dirigierte, nict die Partitur auf seinem Violinpult liegen, denn zum Umblättern hätte er sein Spiel häufig unterbrecen müssen. Dennoc konnte er selbst während einer Aufführung aus der Partitur spielen und dirigieren, denn nac dem oben bescriebenen Prinzip einer Orcesteraufstellung befand sic der „Anführer“ immer in unmittelbarer Nähe des Cembalos und konnte die Partitur des Cembalisten bequem verfolgen, während dieser mit einer Hand umblätterte. Daß Pisendel tatsäclic auf diese Weise aus der Partitur dirigierte oder „a$$ompagnirte“, wird durc eine beiläufige Bemerkung aus Agri$olas Lebensbescreibung bestätigt: Sein Gesict blieb auc in seinem Alter so scarf, daß er Arien, die sehr enge und klein gescrieben waren, aus der auf dem Flügelpulte liegenden Partitur, ohne sic einer Brille zu bedienen, mit der größten Rictigkeit a$$ompagniren konnte.44

Dies mag der Grund sein, warum ecte „Direktionsstimmen“ unter den von Pisendel benutzen Violinstimmen so selten sind. In Kircenkantaten des 18. Jahrhunderts diente nämlic häufig der bezifferte Baßpart als Direktionsstimme, in die die wictigsten Einsätze der übrigen Instrumente eingetragen waren.45 Wenn der Leiter wie im Fall Pisendels die Violine als Direktionsinstrument verwendete, wurden solce Einsätze dann in der Violinstimme vermerkt.46 Möglicerweise hat Pisendel nur dann, wenn er nict aus der Partitur mitlesen und mitspielen konnte (wie etwa in der Kirce), seine Violinstimme als Direktionsstimme eingerictet.

ABBILDUNG 20: Johann Friedric Fasc, Konzert D-Dur für zwei Hörner, zwei Oboen, Fagott, Streicer und B.$., Violino Primo, Screiber A mit Zusätzen Pisendels (D-Dl Mus. 2423-O-41, fol. 20) 44

V67, 290. Scünemann 1913, 164f. 46 Walter 1989, 147ff. 45

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ABBILDUNG 21: Johann Georg Pisendel, Violinkonzert Es-Dur, Violino Con$ert:[ato], Screiber: Pisendel (D-Dl Mus. 2421-O-7a, fol. 4)

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Unter den Instrumentalkonzerten aus Pisendels Notenbibliothek sind solce Direktionsvermerke beispielsweise in dem Konzert für zwei Hörner, zwei Oboen, Fagott, Streicer und Basso $ontinuo D-Dur von Fasc zu finden.47 Eine der drei Stimmen für die erste Violine hat Pisendel selbst verwendet und mit seiner Initiale „P “ gekennzeicnet. In den langsamen Mittelsatz dieser Stimme hat er außerdem einige ‚Sticnoten‘ mit der jeweiligen Instrumentenangabe eingetragen, die einen neuen Einsatz andeuten sollen (siehe Abbildung 20). Vor allem aber dienen diese ‚Sticnoten‘ der harmoniscen Orientierung während einer langen Pause oder eines ausgedehnten Tons. So bietet erst die zugefügte Baßlinie in Takt 1 und 9 einen Anhaltspunkt für die musikalisce Gestaltung der langen Haltetöne, denn aufgrund des harmoniscen Verlaufs muß der Ton „wacsend“ gespielt werden, während das sonst üblice „messa di vo$e“ hier nict angewandt werden kann. Ähnlice Einträge finden sic in zwei Violinkonzerten von Graun48 und einem Violinkonzert von Pisendel,49 hier jedoc nict in einer Orcesterstimme, sondern jeweils im Part der Solovioline, die Pisendel in allen drei Fällen selbst gescrieben hat. Auc bei diesen Werken bescränken sic die Eintragungen auf die langsamen Mittelsätze, in denen sic die Solostimme über einem Baßgerüst mit Orcestereinwürfen frei bewegt. Die begleitenden Stimmen sind hier ohne nähere Bezeicnung in ein zweites System unter der Solostimme eingetragen und können durc die wecselnden Sclüssel bestimmten Instrumenten zugeordnet werden. Im Andante von Pisendels Konzert Es-Dur für Solovioline, Streicer und Basso $ontinuo hat Pisendel unter seine Solostimme die Noten des begleitenden Orcesters eingetragen, wobei die Baßnoten in normaler Größe und die übrigen Stimmen wiederum in kleinerer Notenscrift ersceinen (siehe Abbildung 21). Mit Ausnahme des ersten Solos in Takt 5 hat Pisendel überall den Wecsel von „tutti“ und „solo“ eingetragen. Obwohl diese Stimme in der Literatur als Beispiel für eine Direktionsstimme angeführt wird,50 stellt sic die Frage, ob die Notation auf zwei Systemen tatsäclic zu Direktionszwe%en erfolgt ist, denn die Abfolge der großen Abscnitte ist durc Pisendels Vermerke sehr klar erkennbar und gut hörbar. Zudem ist das Konzert in dieser spätesten und im Bezug auf die Ripienostimmen differenziertesten Fassung nur in einem einfacen Stimmensatz überliefert, so daß es wahrsceinlic nict von einem großen Ensemble aufgeführt worden ist, das besondere Direktionsanstrengungen gerectfertigt hätte. Der Zwe%, eine reduzierte Fassung der Begleitung auf ein zweites System unter der Solostimme des langsamen Satzes zu notieren, könnte vielmehr darin bestehen, einen Anhaltspunkt für improvisierte Verzierungen zu bieten. Solce Verzierungen hat Pisendel in seiner Stimme gleic im ersten Takt des ersten Solos (Takt 5) sowie beim Eintritt des zweiten Solos und in dessen Verlauf (Takt 18ff) in der für ihn typiscen Art mit kleinen Notenköpfen ohne Rhythmus notiert. Diese „willkürlicen Manieren“ mußten natürlic mit den Akkorden der Begleitung übereinstimmen. Daher war es wictig, die Harmonie zu erkennen und anhand der Bewegung der Baßstimme fehlerhafte Fortscreitungen zu vermeiden, wie Quantz bestätigt: 47

D-Dl Mus. 2423-O-41 (Fecner 1999, 330f). D-Dl Mus. 2474-O-23 und Mus. 2474-O-26a. 49 D-Dl Mus. 2421-O-7a. 50 Fecner 1999, 274f. 48

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Ein Andante oder Larghetto im Dreyviertheilta$te, in welcem der Gesang aus springenden Viertheilen besteht, […] kann man etwas ernsthafter, und mit mehreren Manieren spielen als ein Arioso. Geht aber der Baß stufenweise hin und her; so muß man sic scon mehr mit den Manieren in Act nehmen: um nict verbothene Quinten und O$taven gegen die Grundstimme zu macen.51

Auc in den beiden erwähnten Violinkonzerten von Graun, zu denen Pisendel stark verzierte Solostimmen gescrieben hat, könnte Pisendel die Baßstimme des langsamen Satzes aus Gründen der Improvisation eingetragen haben, denn dort sind ebenfalls Verzierungsskizzen in „Pünktcennotation“ zu erkennen, und dies, obwohl es sic bereits um verzierte Fassungen handelt. Ecte Direktionsstimmen sind wohl nur dort zu vermuten, wo Pisendel in seine eigene Orcesterstimme „Sticnoten“ und Instrumentenangaben eingetragen hat, wie im oben gezeigten Fall des Fasc-Konzerts. Ein weiteres Beispiel dieser Art, das auf eine selbständige Direktion Pisendels im Theater hindeutet, wird im folgenden Exkurs vorgestellt.

„Doppeldirektion“ mit Hasse? Der Begriff der Doppeldirektion wurde in der Pisendel-Literatur immer wieder mit der Zusammenarbeit zwiscen Pisendel und Hasse in Verbindung gebract. Dagegen mact Quantz, der bis hierher als wictigste Quelle für die Dresdner Praxis ausgewertet wurde, über die Doppeldirektion zwiscen Anführer und Kapellmeister keine Angaben. Wie bereits im letzten Abscnitt erwähnt, wurde dieser Begriff 1913 durc die grundlegende Arbeit von Georg Scünemann zur Gescicte des Dirigierens in die Literatur eingeführt und als Spezialdirektion des Konzertmeisters unter der Oberdirektion des Kapellmeisters auf das gesamte 18. Jahrhundert bezogen: Es handelt sic im 18. Jahrhundert um eine Doppeldirektion, eine Gesamt- oder Oberdirektion durc den Cembalisten (Kapellmeister) und eine Spezialdirektion des Orcesters oder der Ripienisten durc den ersten Geiger (Konzertmeister). […] Der Violindirektor […] war der Leiter der Instrumentengruppen und der Instrumentalmusik. Er sorgte für ein exaktes, einheitlices Orcesterspiel, während die Oberleitung in den Händen des Kapellmeisters lag. Dieser dirigierte Chor- und Opernaufführungen, wählte die aufzuführenden Stü%e aus und bestimmte Vortrag und Wiedergabe der Werke. In Italien und Deutscland war er zugleic als Komponist verpflictet und mußte den lokalen Bedarf an neuen Musikstü%en de%en.52

Da Scünemann diese Definition vor allem aus Quellen des späten 18. Jahrhunderts herleitet, muß überprüft werden, ob diese Bescreibung auc für die Dresdner Praxis aus der ersten Jahrhunderthälfte Gültigkeit beansprucen kann.53 Wo Scünemann in diesem Zusammenhang Mattheson und Quantz zitiert, deutet sic nämlic bereits an, daß die von ihm sogenannte Doppeldirektion, die vor allem eine Einrictung zwiscen 1770 und 1830 bescreibt, zur Zeit Pisendels noc nict ausgeprägt war. Scünemann selbst hebt als eine „Besonderheit“ hervor, daß Quantz den Violi51

Quantz 1752, 143. Scünemann 1913, 170f. 53 Scünemann 1913, 171-177. In NGD2 II, 263, wird festgestellt, daß es für eine Doppeldirektion keine direkten Quellen aus dem 18. Jahrhundert gebe. 52

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nisten und nict den Klavieristen als Dirigenten bezeicnet und diesen sogar über den Komponisten stellt.54 Zudem konnte oben festgestellt werden, daß in Dresden nict nur der Kapellmeister, sondern auc Pisendel für die Auswahl der aufzuführenden Stü%e und die Wiedergabe der Werke zuständig war und sogar mit eigenen Kompositionen zum jeweiligen Repertoire beitrug. Wie bereits oben dargelegt wurde, bescreibt Quantz den Anführer als die wictigste Person eines höfiscen Musikbetriebs und weist mehrfac darauf hin, daß ein guter Anführer wictiger sei als ein guter Komponist, denn „es fehlet nict an sehr vielen guten musikaliscen Stü%en: wenn man solce nur vernünftig und wohl zu wählen weis. Es kömmt vielmehr, und zwar hauptsäclic, auf einen, mit obengemeldeten Eigenscaften geziereten, guten Anführer an.“55 Quantz unterstellt dem Komponisten sogar ein Desinteresse an Werken anderer Komponisten: Der höcste Grad, der von einem Anführer erfoderlicen Wissenscaft, ist: daß er eine vollkommene Einsict habe, alle Arten der Composition nac ihrem Gescma%e, Affe$te, Absict und rectem Zeitmaaße zu spielen. Es muß derselbe also fast mehr Erfahrung vom Untersciede der Stü%e haben, als ein Componist selbst. Denn dieser bekümmert sic öfters um nicts anders als was er selbst gesetzet hat.56

An keiner Stelle erwähnt Quantz, daß der Komponist auc als Dirigent fremder Werke auftreten konnte. Dafür war ausscließlic der „Anführer“ zuständig. Auf die Dresdner Verhältnisse übertragen bedeutet dies, daß die Klavierdirektion, wie sie vor allem von Carl Philipp Emanuel Bac bescrieben wird,57 in Dresden zugunsten der Violindirektion Pisendels verdrängt war. Tatsäclic war Pisendel nac Hasse der ranghöcste Musiker in Dresden, und Hasse wurde als Kapellmeister in erster Linie für das Komponieren repräsentativer Vokalwerke und nict für die Direktion bezahlt.58 Wenn man also in Dresden zur Zeit Pisendels von einer Doppeldirektion sprecen kann, dann nur bei solcen Werken Hasses, an deren Aufführung er selbst beteiligt war. Damit war die Doppeldirektion von vornherein auf repräsentative Vokalmusik (Opern, Festkantaten, Kircenmusik zu Hocfesten) bescränkt, die aus Rezitativen mit oder ohne Orcester sowie aus Arien und Chören mit Orcesterbegleitung bestanden (die Balletteinlagen werden hier nict berü%sictigt, da sie eigens von Ballettkomponisten beigesteuert wurden). Es steht also zu untersucen, ob und wie sic Hasse im Sinne einer Doppeldirektion bei der Aufführung von Rezitativen und Arien als Klavierdirektor betätigte. Auf die Ausführung von Rezitativen geht Quantz nur an zwei Stellen ein. Am Scluß des Kapitels „Von dem Clavieristen insbesondere“, das möglicerweise in Teilen auf Agri$ola zurü%geht, wird die Begleitung eines Rezitativs kurz erwähnt. Da es sic um ein „Re$itativ so auswendig gesungen wird“ handelt, bezieht sic diese Passage 54

Scünemann 1913, 176 und 171. Quantz 1752, 178. Siehe oben, Abscnitt III, 3. „Der Konzertmeister als Spezialist für die stilgemäße ‚Ausführung‘ fremder Werke“. 56 Quantz 1752, 179. 57 Zusammenfassend bei Scünemann 1913, 162-169. Nac Christensen 2002, 56, ist C. P. E. Bac der einzige, der ausdrü%lic eine körperlice Dirigierbewegung beim Ansclagen der Tasten bescreibt. 58 Am 8.2.1740 soll Hasse innerhalb seiner Oper Demetrio mit dem Intermezzo La serva padrona von Pergolesi erstmals ein Werk dirigiert haben, das er nict selbst komponiert hatte, vgl. NGD1 VIII, 282. 55

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auf die Opernpraxis und nict auf Kantaten, bei denen der Sänger die Notenblätter vor sic hatte: Bey einem Re$itativ so auswendig gesungen wird, gescieht dem Sänger eine große Erleicterung, wenn der A$$ompagnist die ersten Töne desselben bey einem jeden Einscnitte voraus nimmt, und ihm, so zu sagen, in den Mund leget; indem er nämlic erstlic den A$$ord durc eine gescwinde Brecung ansclägt, doc so, daß des Sängers erste Note, wo möglic, in der obersten Stimme liege; und gleic darauf ein Paar der näcsten Intervalle, die in der Singstimme vorkommen, einzeln nacsclägt; s. Tab. XXIII, Fig. 5. Dieses kömmt dem Sänger, so wohl wegen des Gedäctnisses, als auc wegen der Intonation, sehr zu statten.59

Obwohl das Anzeigen der folgenden Rezitativtöne als eine Direktionstätigkeit angesehen werden kann, ist sie jedoc rein akustiscer Art und erfordert keinen Bli%kontakt zwiscen Sänger und Cembalist. Auc die Einsätze für den Sänger sind durc die besondere Struktur der Rezitativbegleitung gewissermaßen auskomponiert und erfordern kein zusätzlices Dirigat. Ohnehin kann im Rezitativ nict von einer Direktion gesprocen werden, selbst wenn es sic um ein A$$ompagnato-Rezitativ mit vollem Orcester handelt, denn das Dirigat ist in dieser Zeit auf das Einsatzgeben und Tempohalten bei großen Ensembles (Chor oder Orcester) bescränkt. Die einzige Rictscnur bildet der rhythmisce Vortrag der Sänger, auf den alle Begleiter, ob Continuospieler oder Orcester, zu hören und zu reagieren haben oder aber die rhythmisc festgelegte Begleitung, die umgekehrt dem Sänger ein Gerüst bietet: In einem italiäniscen Re$itativ, bindet sic der Sänger nict allemal an das Zeitmaaß, sondern hat die Freiheit, das was er vortragen soll, nac eigenem Gutbefinden, und nacdem es die Worte erfodern, langsam oder gescwind auszudrü%en. Wenn nun die begleitenden Stimmen dabey ein A$$ompagnement von haltenden Noten auszuführen haben; so müssen sie den Sänger mehr nac dem Gehör, und mit Dis$retion, als nac dem Ta$te, a$$ompagniren. Besteht aber das A$$ompagnement aus Noten die in das Zeitmaaß eingetheilet werden müssen: so ist hingegen der Sänger verbunden, sic nac den begleitenden Stimmen zu ricten.60

Da das Rezitativ als Träger der Handlung in der Baro%oper dient, wurde hier eine überaus abwecslungsreice und lebhafte Ausdru%skunst gefordert, bei der die Begleitstimmen und Sänger ständig aufeinander reagieren mußten und die in heutigen Aufführungen leider nur selten in dieser dramatiscen Weise verwirklict wird. Zwar beactet man auc heute gelegentlic die bekannte Vorscrift, daß Rezitativkadenzen „unter der letzten Silbe anfangen“ sollen,61 doc gescieht dies häufig in einem zu 59

Quantz 1752, 238. Quantz 1752, 272. 61 Quantz 1752, 272. 60

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gemäclicen Tempo, das den Angaben von Quantz widersprict. In Rezitativen müssen „der Violon$ellist und der Contraviolonist“ nämlic die beiden Kadenztöne eines Einscnitts „mit Lebhaftigkeit“ markieren: „sie wiederholen den Stric, und nehmen beyde Noten rü%wärts“. Das bedeutet, daß die Kadenztöne sogar mit zwei lebhaften Abstricen gespielt worden sind.62 Die „Lebhaftigkeit“ erforderte zudem, daß der auf die Kadenz folgende Akkord, der oft eine neue Harmonie einführt, unmittelbar anscließend gespielt werden mußte und in dieser Situation einen Aufstric erhielt. Auc das Orcester mußte im A$$ompagnato-Rezitativ scnell reagieren, „damit der feurige Affe$t beständig unterhalten werde“: Wenn in einem lebhaften Re$itativ die begleitenden Stimmen, bei den Einscnitten, laufende oder sonst kurze Noten haben, welce prä$ipitant gespielet werden müssen: und im Niedersclage eine Pause vorher steht: s. Tab. XXIII, Fig. 11. so müssen auc hier die A$$ompagnisten nict warten, bis der Sänger die letzte Sylbe völlig ausgesprocen hat; sondern scon unter der vorhaltenden Note anfangen: damit der feurige Affe$t beständig unterhalten werde. Nict zu gedenken daß sie auf diese Art auc allezeit, zumal in einem weitläuftigen Orcester, genauer zusammen treffen werden, wenn ihnen die vorletzte Sylbe des Sängers zur Rictscnur dienet.63

In keiner der Passagen über die Rezitativbegleitung wird irgendeine Direktion erwähnt, im Gegenteil: Im letzten Satz erinnert Quantz an die Selbstverständlickeit, daß „die vorletzte Sylbe des Sängers“ jederzeit als ein zuverlässiger Auftakt für den kommenden Einsatz dient, wie es auc heute noc von musikalisc verständigen oder entsprecend vorbereiteten Sängern praktiziert wird. Auc wenn nict ausgesclossen werden kann, daß Hasse während seines Cembalospiels zusätzlic direktionsartige Bewegungen ausführte, geht der entsceidende Impuls zum Einsatz des Orcesters doc von dem Sänger auf der Bühne aus. Selbstverständlic studierte Hasse die Rezitative vor der Aufführung mit den Sängern ein und berü%sictigte dabei alle musikaliscen Einzelheiten, zu denen eben auc die Affekte – und damit der carakteristisce Impuls der Auftaktsilben – gehörten. Dennoc geht aus den eindeutigen Angaben von Quantz hervor, daß eine Klavierdirektion im Sinne Scünemanns während der Rezitative nict stattfand. Daher stellt sic im Zusammenhang mit der Doppeldirektion nur noc die Frage, ob Hasse an der Direktion der Arien und Chöre in den von ihm komponierten Opern beteiligt war. 62

Quantz 1752, 272. Im Abscnitt „Von dem Contraviolonisten insbesondere“ erklärt Quantz diese Formulierung, die eindeutig auf Abstrice zu beziehen ist: „Wenn eine Note besonders markiret werden soll; muß solces mit dem Bogen rü%wärts, von der linken zur recten Hand gescehen: weil der Bogen alsdenn, um einen Nacdru% zu geben, mehr Kraft hat.“ Quantz 1752, 220. 63 Quantz 1752, 272f.

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Daß es eine Zusammenarbeit zwiscen Pisendel und Hasse gab, geht aus jenem bereits zitierten Brief des Grafen von Brühl über die Neubesetzung des Konzertmeisterpostens vom 6.1.1759 hervor, denn dort wurde die Bedingung formuliert, daß ein künftiger Konzertmeister „n’etoit pas trop timide pour diriger tout un Orcestre“ und betont, daß „le Maitre de Chapelle etoit le plus interessé d’être se$ondé par le Maitre de $on$ert “.64 In einem ebenfalls bereits zitierten Brief Pisendels an Telemann vom 3.6.1752 wird angedeutet, worin die Zusammenarbeit zwiscen ihm und Hasse bei der Vorbereitung neuer Opern bestanden haben mag. Da Hasse nämlic während der Fertigstellung seiner Karnevalsoper Adriano in Siria von 1752 scwer erkrankte und nict selbst an der Hauptprobe teilnehmen konnte, mußte Pisendel sic nac eigenen Worten „exponiren, ohne mit dem Maiitre darüber etwas ausführlicer abgeredet zu haben, dabey hatte ic einen scläfrigen und unsculdigen Haberect bey dem Haupt Clavi$imbel“.65 Aus diesem Berict lassen sic zwei Informationen entnehmen. Erstens: Pisendel und Hasse haben sic im Vorfeld der Proben zu einer neuen Oper ausführlic abgesprocen. Dabei ging es wahrsceinlic um Fragen der Ausführung, wie sie Pisendel bei Arminio an Agri$ola weitergegeben haben soll („Stärke der Besetzung, Tempo, Vortrag einzelner Stellen u. s. w.“), denn dies war der Bereic, in dem sic Pisendel im Fall des Adriano in Siria unabgesprocen „exponiren“ mußte. Daraus folgt zweitens, daß sic das „exponiren“ nict auf die Tatsace bezieht, daß Pisendel und nict der Musiker am „Haupt Clavi$imbel “ die Oper dirigiert hat. Das Unangenehme für Pisendel an dieser Hauptprobe war nämlic nict, daß er die Oper (mit Ausnahme der „scläfrig“ und unflexibel gespielten Rezitative) eigenverantwortlic leiten mußte, sondern daß er sic nict zuvor mit Hasse hatte abstimmen können und daher die Entsceidung über Besetzung, Tempo und Vortrag eigenmäctig treffen mußte. Die Zusammenarbeit zwiscen Pisendel und Hasse bestand also im Normalfall darin, daß Pisendel die Intentionen des Komponisten kennenlernte und diese in den Proben und Aufführungen als Leiter des Orcesters umsetzte. Während der Proben und Aufführungen kamen also keine Direktionsanweisungen mehr von Hasse, obwohl dieser gleiczeitig am „Haupt Clavi$imbel “ saß und durc sein Rezitativspiel den lebhaften Fortgang der Handlung gewährleistete. Gegebenenfalls rictete Hasse solce Direktionsanweisungen während der Aufführung wohl nur an den neben ihm sitzenden Pisendel, nict aber an das ganze Orcester. Diese Art der Zusammenarbeit wird auc durc eine vielzitierte Passage aus Pisendels Biographie bestätigt, die oben als eigenständiger Zusatz Hillers zu seiner Version V84 identifiziert werden konnte: Hasse scrieb keine Oper, wo er nict vorher, wegen der Bezeicnung der Bogenstrice, und anderer zum guten Vortrage nöthiger Nebendinge, sic mit dem Con$ertmeister besprac, und in diesem Stü%e gänzlic auf ihn verließ. Pisendel sahe sodann die Stimmen, wenn der Copist sie fertig hatte, alle mit Aufmerksamkeit durc, und zeicnete jeden kleinen die Ausführung betreffenden Umstand sorgfältig an;66

Bereits zehn Jahre zuvor hat Reicardt den Berict über Pisendels Art, das Orcestermaterial vorzubereiten, in der eingangs zitierten Passage aus seinen Briefen eines auf64 D-Dla, Hausarciv Friedric Christian, Naclässe Nr. 70 F, Briefe des Minister von Brühl (ohne Paginierung). 65 Telemann Briefwecsel 1972, 361. 66 V84, 192f.

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merksamen Reisenden veröffentlict. Seine Angaben von 1774, die wahrsceinlic auf der Überlieferung seiner Dresdner Lehrer beruhen, sind jedoc noc detaillierter als die Hillers. Reicardt stellt nämlic fest, daß diese Eintragungen Pisendels nict nur in der Opern- sondern auc in der Kircenmusik zu finden sind, und bescreibt konkret, daß Pisendel „das Forte und Piano, seine versciedenen Grade, und selbst jeden einzelnen Bogenstric“ in die Orcesterstimmen eintrug. Auc die Überlieferung aus dem Umkreis Hillers, daß Pisendel über ein untrüglices Tempogefühl verfügt haben soll, für das er von Hasse bewundert wurde, wird in diesem Zusammenhang von Reicardt erstmals veröffentlict, so daß dieses wictige Zitat hier nocmals wiederholt sei: Die Bedeutung jedes Stü%es, die Situation der handelnden Person, ja selbst die natürlice Stimme jedes Sängers, und so gar der Ton, aus dem die Arie geht, muß aufs genaueste erwogen werden. Hiezu gehöret aber das rictige und überaus feine Gefühl, und der unermüdete Fleiß eines Pißhändels, der zur grossen Bewunderung Haßens nie die Bewegung einer Arie verfehlete, und der sic die fast unglaublice Mühe gab, zu jeder Oper, zu jedem Kircen-Stü%e, so unter ihm aufgeführet wurde, über alle Stimmen das Forte und Piano, seine versciedenen Grade, und selbst jeden einzelnen Bogenstric vorzuscreiben, so daß bey der sehr gut gewählten Capelle, die zu der Zeit der Dresdener Hof hatte, nothwendig die allervollkommenste Ordnung und Genauigkeit herrscen mußte.67

Da Pisendel nict nur die dirigentisce Begabung, sic in fremde Kompositionen einzufühlen, in hohem Maße besaß, sondern zudem auc das Amt eines Dirigenten der Dresdner Hofkapelle innehatte, war er in der Tat der ideale Partner für den Komponisten Hasse, denn dieser braucte sic während der Aufführung nur noc um das dramatisce Gescehen auf der Bühne zu kümmern. Diese Aufteilung entsprict übrigens auc dem sozialen Status der Beteiligten: der fleißige Pisendel erzog und leitete als Konzertmeister die Orcestermusiker und kümmerte sic um das Gelingen der Aufführung im Operngraben, während der berühmte Kapellmeister Hasse in erster Linie mit den ebenso berühmten und hocbezahlten Opernsängern Umgang pflegte. Das überrascende Ergebnis lautet also, daß eine Doppeldirektion im Sinne Scünemanns bei Dresdner Opernaufführungen zur Zeit Pisendels gar nict stattfand, weil eine Klavierdirektion des Kapellmeisters fehlte. Nac dem Verständnis Scünemanns nämlic war der „Kapellmeister im Em. Bacscen Sinne“ der Dirigent der Opern, während der Violindirektor während der Aufführung lediglic dessen Direktionsbewegungen übernahm und an die Instrumentenguppen weitergab, wie es von Heinric Christoph Koc in seinem Lexikoneintrag zum „Kapellmeister“ bescrieben wird: […] Bey der Kircenmusik giebt er durc das ganze Tonstü% den Takt; bey der Oper

aber pflegt er gemeiniglic aus der Partitur zugleic den Generalbaß auf dem Flügel zu spielen. In beyden Fällen muß seine Aufmerksamkeit sowohl auf die Singstimmen, als auc auf jede Parthie der Instrumentalbegleitung gerictet seyn, damit er jeden sic 67

Reicardt 1774, 10. Nacdem Reicardt wenig später zum preußiscen Hofkapellmeister ernannt worden war, wiederholte er seine Angaben über Pisendel in verkürzter Form in seiner programmatiscen Scrift Ueber die Pflicten des Ripien-Violinisten von 1776: „Nur dieses gab dem Dresdner Orcester zu Pissändels Zeiten das große Ansehen, daß dieser fleißige, und im praktiscen Theil der Musik einsictsvolle Mann, jede Stimme aufs genaueste bezeicnete, und daß das Orcester es aufs genaueste befolgen wollte und konnte.“ Reicardt 1776, 80.

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allenfalls ereignenden Fehler sogleic zu verbessern im Stande sey. In solcen Kapellen, wo näcst dem Kapellmeister noc ein Con$ertmeister oder Anführer der Instrumentalmusik vorhanden ist, überläßt der erste dem letztern gemeiniglic die besondere Aufmerksamkeit auf jede Parthie der Instrumentalbegleitung, und heftet sein Hauptaugenmerk vorzüglic auf die Singstimmen.68

Anhand dieser Bescreibung wird aber auc die besondere Situation in Dresden erkennbar. Während nämlic später und andernorts der Kapellmeister am Cembalo die Einsätze gab und das Tempo bestimmte, das vom Anführer des Orcesters aufgenommen und weitergegeben wurde, ließ Hasse dem Konzertmeister Pisendel offenbar die Freiheit, das maßgeblice Tempo zu formen. Allenfalls die Art der Rezitativbegleitung, die auf die „Lebhaftigkeit“ der Ausführung abzielte, sowie die Verständigung zum gemeinsamen Einsatz einer Arie kann als Direktionstätigkeit Hasses gewertet werden. Nur in diesem Sinne läßt sic der Begriff der Doppeldirektion auf die Zusammenarbeit von Hasse und Pisendel in der Oper anwenden.69 Falls Pisendel vor jedem Einsatz eine Vorausbewegung mit dem Bogen ausgeführt hat, dürfte Hasse sic diesem „avviso“ sogar untergeordnet oder zumindest versuct haben, diese Vorausbewegung am Cembalo mitzuvollziehen. Die entsceidende Aufgabe Hasses bestand also in der Einstudierung seiner Oper mit den Sängern und dem Konzertmeister und nict in deren Aufführung. Im Gegensatz zur Definition Scünemanns lag der Scwerpunkt der Direktion in Dresden also bei Pisendel. Dies hängt natürlic einerseits mit der von Pisendel verfeinerten Orcesterpraxis und seiner auc von Hasse anerkannten Begabung zusammen, sic in die Werke anderer Komponisten einfühlen zu können. Andererseits hatte der Konzertmeister in Dresden auc traditionell Direktionsaufgaben im Rahmen der Instrumentalmusik – im 17. Jahrhundert nacweislic auc in der Kircenmusik – zu erfüllen. Da Hasse sic besonders im ersten Jahrzehnt seiner Anstellung jeweils nur einige Wocen in Dresden aufhielt, um eine eigene Oper einzustudieren, war es für ihn naheliegend, dem eingesessenen Konzertmeister Pisendel, der die Verhältnisse des Dresdner Musikbetriebes gut kannte, einen wictigen Teil der Verantwortung zu übertragen. Auf diese Weise wurde Pisendel de fa$to zum Operndirigenten, der nac vorausgegangener Verständigung in Anwesenheit des Komponisten dessen Werk leitete, während dieser sic auf die Koordination mit der Bühne konzentrieren konnte.70 Im Notfall konnte Pisendel daher die Oper sogar in Abwesenheit Hasses alleine dirigieren, wie die Hauptprobe zu Adriano in Siria von 1752 zeigte. Diese Erkenntnis erweist sic als sehr folgenreic für die Musikgescicte allgemein, denn Pisendel erfüllte damit wahrsceinlic als erster Musiker die moderne Definition eines Dirigenten. In der bisherigen Literatur wird dessen Ersceinen jedoc erst um 1800 angesetzt.71 In einem jüngst erscienenen Aufsatz vertritt Thomas Drescer 68

KocL, 825f. In diesem Zusammenhang ist die Kritik von John Spitzer und Neal Zaslaw (NGD2 II, 263) am Begriff der Doppeldirektion wohl zu scarf formuliert: „The notion of ‘dual dire$tion’ (Scünemann 1913; Carse, 1940), that the keyboard player and first violinist led simultaneously or shared dire$tion in 18th-$entury orcestras, is somewhat anacronisti$, be$ause it proje$ts a modern $on$ept of $ondu$ting onto a period when the fun$tions of the $ondu$tor had only just begun to develop.“ 70 Noc Ricard Wagner verstand sic eher als Dramaturg und Regisseur seiner eigenen Opern, die er von anderen dirigieren ließ. 71 NGD2 II, 263, sowie Christensen 2002, 50. 69

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die These, daß eine Scrift des Musikers und Literaten Ignaz Ferdinand Kajetan Arnold aus dem Jahr 1806 als die früheste Bestimmung der Orcesterleitung als „eigene künstlerisce Tätigkeit“72 anzusehen sei und damit die erste Bescreibung des modernen Dirigenten enthalte. Dabei übersah er allerdings, daß Sceibe die wesentlicen Angaben Arnolds bereits 1740 bis in einzelne Formulierungen hinein vorweggenommen hat. Sceibe untersceidet in seinem Critiscen Musi$us nämlic ebenfalls zwiscen den Aufgaben eines Komponisten und eines Musikdirektors, wobei der letztere, wie bei Arnold, eine „vollkommene Einsict in die musikalisce Setzkunst“ sowie „eine pra$tisce Wissenscaft von der Musik besitzen soll, und daß ihm daran nicts weiter mangeln darf, als die Fertigkeit zu $omponiren.“73 Wie bereits mehrfac erwähnt, stellt Quantz die Kunst der „Ausführung (exe$ution)“ sogar noc über die Komposition, und diese Position wird von Arnold – lediglic eingekleidet in die Sprace der Empfindsamkeit – ebenfalls wiederholt. Dabei ist die vermeintlic ältere Praxis, daß die Direktion durc den ersten Violinisten „aus dem Ensemble heraus geregelt“ worden sei, noc bei Arnold in vollem Umfang gültig, wie Drescer selbst überrasct feststellt.74 Der von Arnold bescriebene Musikdirektor sceint also ein später Reflex der von Pisendel begründeten Traditionen zu sein. Damit erweist sic nict der Arnoldsce Musikdirektor, sondern Pisendel selbst „als Prototyp der neuen Figur des reproduzierenden und interpretierenden Dirigenten, von der das heutige Musikleben in so hohem Maße bestimmt wird.“75 Erst durc die von Pisendel begründeten Traditionen wurde der „Violindirektor“ nämlic zum wictigsten Orcesterleiter des frühen 19. Jahrhunderts, aus dem wiederum der moderne Dirigent hervorgegangen ist. Zusammenfassend läßt sic feststellen, daß bei Pisendels Orcesterleitung tatsäclic alle wesentlicen Kriterien eines modernen Dirigenten erfüllt sind. Wahrsceinlic aus Veranlagung verzictete Pisendel darauf, das Komponieren zu seiner Hauptbescäftigung zu macen, und entwi%elte stattdessen die Aufführung fremder Kompositionen über den hohen Standard der Zeit (Sceibe) hinaus zu einer selbständigen Kunst (Quantz). Ebenso lag es offensictlic in Pisendels Veranlagung, die Kunst der Ausführung intellektuell zu durcdringen, so daß er nict nur in allen Fragen der „exe$ution“ als Autorität anerkannt wurde, sondern auc als Lehrer sehr erfolgreic war und damit eine bis ins 19. Jahrhundert reicende Tradition begründete (Graun, Benda, Hiller, Reicardt, Koc). Wie die modernen Dirigenten bediente sic Pisendel bei der Aufführung fremder Werke der bis heute gültigen Sclagfiguren. Seiner Direktionstätigkeit legte er – unter Vorwegnahme heutiger Praxis – die Partitur zugrunde, aus der gleiczeitig der Cembalist und der Violon$ellist spielten und die er daher nicteinmal selbst umzublättern braucte. Der einzige Unterscied zum modernen Dirigenten sceint darin

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Drescer 2002, 72. Für die Übersendung seines Manuskripts möcte ic Herrn Dr. Thomas Drescer an dieser Stelle herzlic danken. 73 Sceibe 1745, 712. Siehe oben, Abscnitt III, 3. „Zur Leitung und Aufführung fremder Kompositionen vor Quantzens Versuc“. Dazu Drescer 2002, 73f. 74 Drescer 2002, 89. 75 Drescer 2002, 90. Zur Rolle Pisendels, der die Aufführung fremder Kompositionen zu einer hohen Kunst entwi%elte und damit das Bild des modernen Dirigenten vorwegnahm, siehe oben, Abscnitt III, 3. „Der Konzertmeister als Spezialist für die stilgemäße ‚Ausführung‘ fremder Werke“.

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zu bestehen, daß Pisendel als Orcesterleiter noc selbst mit seinem Direktionsinstrument mitspielte, wie es noc hundert Jahre später üblic war. Dennoc fand seine Direktion nict „aus dem Ensemble heraus“ statt, wie Drescer es im Zusammenhang mit dem bürgerlicen Umfeld Arnolds feststellte, denn durc den Status seines Hofamtes stand Pisendel in der Dresdner Hierarcie weit über den Orcestermusikern und Hofkomponisten (mit Ausnahme des Hofkapellmeisters). Damit besaß Pisendel einen ähnlic herausgehobenen Status wie ein moderner Dirigent. Auc sein Platz im Operngraben befand sic an der gleicen Stelle wie bei heutigen Dirigenten, denn Pisendel saß, wie die Untersucung zur Orcesteraufstellung zeigte, mit dem Rü%en zum Publikum auf einem kleinen Podest, so daß er das ganze Orcester und die Bühne überbli%en konnte. Wenn man zudem – wie Quantz es andeutet – die Spielbewegungen Pisendels mit dem Geigenbogen als ununterbrocenes Dirigieren versteht, dann reduziert sic der Unterscied zum modernen Dirigenten auf Äußerlickeiten, nämlic daß dieser bei heutigen Opernaufführungen im Stehen dirigiert und dabei anstelle eines Geigenbogens, den noc Spohr als Dirigierwerkzeug benutzte, einen stummen Taktsto% verwendet.

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E XKURS IV: „... UND SICH IN DIESEM S TÜCKE GÄNZLICH AUF IHN VERLIESS “ – Z UR D IREKTION P ISENDELS IN H ASSES O PER C AJO F ABRICIO 1734 Die im vorausgegangenen Kapitel dargestellten Aufgaben Pisendels bei der Vorbereitung einer Aufführung – die Sculung des Orcesters in den nict notierten Vortragsarten, die Bezeicnung des Orcestermaterials sowie die Direktion des Orcesters – lassen sic anhand des von Pisendel bezeicneten Orcestermaterials bestätigen. Aus der großen Zahl erhaltener Dokumente sollen hier lediglic die Stimmen zu Hasses zweiter Dresdner Oper Cajo Fabri$io mit dem zwiscengescalteten Intermezzo L’Artigiano gentiluomo aus dem Jahr 17341 als ein repräsentatives Beispiel vorgestellt werden. Aus Gründen der Übersictlickeit bescränkt sic die Untersucung auf die drei überlieferten Stimmen der ersten Violine, die zusammen mit dem nict ganz vollständigen Orcestermaterial in der Säcsiscen Landesbibliothek erhalten sind und noc nie Gegenstand wissenscaftlicer Untersucung waren.

Herstellen des Aufführungsmaterials Das Notenmaterial wurde im Zusammenhang mit den Aufführungen in der Dresdner Hofoper im Juli 1734 hergestellt und gelangte danac in die Königlice PrivatMusikaliensammlung. Dort wurden die Stimmen mit repräsentativen Einbänden aus rotem, goldgeprägtem Leder und Goldscnitt versehen. Im Rahmen des kürzlic erscienenen Hasse-Katalogs der Säcsiscen Landesbibliothek hat Ortrun Landmann diese Quellen erstmals bescrieben: Vorliegend das Orcestermaterial der Dresdner Aufführung von 1734. Es fehlen vl$, $or 1 und $or 2. – Das Intermezzo ist, entgegen den Titelaufdru%en, nur enthalten in: vl 1 (no.3), vl 2 (no.3), Vla (no.2), theorbe, fag (no.2); eine Arie des ersten Teils außerdem in fl 1, 2. – Offenbar wurden die Stimmen mit angehängtem Intermezzo zuletzt kopiert: Das Dramma per musi$a liegt hier in der inhaltlic bereits abgeänderten Form vor. – Von [dem Dresdner Hofnotisten] Grundig allein angefertigt: vl 1 (no.1) und 2, vl 2 (no.1) und (no.2), vla (no.1), fl 1, 2, ob 1, 2; an allen übrigen Stimmen sind [die Hofnotisten] Grundig und Kremmler gemeinsam beteiligt. In den Stimmen, die auc das Intermezzo enthalten, hat Kremmler die Arien des Dramma per musi$a mit roter Tinte durcnumeriert. […] – vl 1 no.1 und 3 (!) sind mit der Initiale „P“ des Konzertmeisters Pisendel bezeicnet, fag no.2 mit „B“ = Johann Gottfried Böhme, Fagottist der Hofkapelle 1715—1752. – Neben den Eintragungen Pisendels auc zahlreice Vermerke der jeweiligen Musiker vorhanden; theorbe dürfte von [dem Hoflautenisten] S. L. Weiß eigenhändig beziffert worden sein. Alle Stimmen sind pro Akt und und pro Intermezzoteil mit Zwiscentiteln oder Kopftiteln versehen […].2

Nac näherer Untersucung der drei Stimmen für die erste Violine lassen sic die Angaben Landmanns noc ergänzen. So ist die Konzertmeister-Initiale „P.“, nict nur auf zwei, sondern auf sieben von elf Titeln vermerkt, und zumindest auf den Titel1 2

D-Dl, Mus. 2477-F-11a. Vgl. Landmann 1999, RISM A/II: 270.000.645.

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blättern von „Atto primo.“ und „Atto se$ondo.“ des ersten Exemplars hat Pisendel dieses Signum sogar eigenhändig eingetragen (fol. 1 und 29, siehe unten). Da üblicerweise jedoc nur eine einzige Stimme der ersten Violine als Konzertmeisterstimme gekennzeicnet ist, stellt sic in diesem Fall die Frage, welce der drei Stimmen Pisendel während der Aufführung tatsäclic benutzt hat. Eine Prüfung der Einträge in allen drei Stimmen ergab, daß die drei Exemplare während der Aufführungen im Jahr 1734 nict in ihrer heute vorliegenden Zusammenstellung verwendet worden sind. Bereits die beiden am Ende der Opernstimme eingebundenen Intermezzoteile deuten darauf hin, daß nict aus dem gebundenen Aufführungsmaterial gespielt worden ist, denn die Intermezzi wurden ja zwiscen den Akten der Oper gespielt, so daß „Intermezzo se$ondo.“ nac dem ersten Akt und „Intermezzo terzo.“ nac dem zweiten Akt hätte eingebunden werden müssen. Da die einzelnen Stimmhefte zur Zeit der Aufführung nur aktweise gebunden vorlagen,3 konnte es passieren, daß das ursprünglic zusammengehörige Stimmenmaterial bei der Bindung vertausct wurde. Daher werden die besonderen Merkmale der einzelnen Akte in der folgenden Übersict einander gegenübergestellt. TABELLE 9: Die Screiber und Benutzungsspuren der drei Exemplare Vl. 1 zu Cajo Fabri$io

Ex./Akt

fol.

Hofnotist

Angaben zum Titelblatt

Eintragungen in die Stimme

1

„Grundig“

„P.“ autograph (Tinte)

29

„Grundig“

„P.“ autograph (Tinte)

48

„Grundig“

„P.“ (Bleistift, bescn.)

zahlreice Einträge Pisendels (Tinte und Bleistift) zahlreice Einträge Pisendels (Tinte und Bleistift) zwei Bleistifteinträge eines Musikers (54, 63)

Exemplar 2 2-Io 64

„Grundig“

ohne Signum

2-IIo

92

„Grundig“

„P.“ (Bleistift)

2-IIIo

111

„Grundig“

„P.“ (Bleistift, bescn.)

Exemplar 1

1-I

o

1-II

o

1-III

o

Exemplar 3 (die Arien sind mit roter Tinte durcnumeriert) 3-Io 127 „Grundig“ „P.“ (Bleistift) 3-IIo

153

Kremmler

ohne Signum

3-IIIo

172

„Grundig“

„P.“ (Tinte)

[folgt Intermezzo] 3-IntIIo 188 „Grundig“

ohne Titelblatt

3-IntIIIo

„P.“ (Tinte)

3

191

„Grundig“

Freundlice Auskunft von Frau Dr. Ortrun Landmann.

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gelegentlic Einträge eines Musikers (Bleistift) gelegentlic Einträge eines Musikers (Bleistift) ein Bleistifteintrag (125), unbeholfene Handscrift einzelne Bleistifteinträge, unbeholfene Handscrift einzelne Bleistifteinträge, unbeholfene Handscrift Einträge Pisendels (Tinte und Bleistift) Einträge Pisendels (Tinte und Bleistift) Einträge Pisendels (Tinte und Bleistift)

Obwohl die Opernarien in Exemplar 3 tatsäclic von Kremmler mit roter Tinte durcnumeriert worden sind, wie Landmann bereits feststellte, kann dies erst nac der Überführung der Stimmen in die Königlice Privat-Musikaliensammlung gescehen sein, denn die ersten beiden Akte des Exemplars gehörten ursprünglic nict zu dieser Stimme. Anhand derjenigen Manuskriptteile, die Einträge Pisendels enthalten, kann nämlic festgestellt werden, daß sic die ersten beiden Akte aus Exemplar 1 an dieser Stelle befanden. Daraus folgt, daß 1-Io/IIo und 3-IIIo zusammen mit den Intermezzi diejenige Stimme bildeten, aus der Pisendel während der Aufführungen spielte, denn sie enthalten Pisendels Vermerke mit Tinte oder Bleistift in versciedenen Scicten. Anhand der Eintragungen in das Notenmaterial lassen sic zudem zwei weitere Benutzer untersceiden, offenbar zwei Geiger der Dresdner Hofkapelle, die aus diesen Stimmen spielten. Sie haben nur im Ausnahmefall einen Vermerk in das Notenmaterial eingetragen und verwendeten dazu ausscließlic einen Bleistift. Diese Vermerke de%en sic in der Regel mit den Eintragungen Pisendels und sind offenbar während einer Probe ergänzt worden. Solce Einträge sind beispielsweise in der Einleitung zur Arie Nr. 12 Ardi à vezzosi rai zu erkennen, denn hier wurde das ursprünglice „piano“ in Takt 6 um drei Actel vorverlegt (siehe Abbildung 22 und 23). Pisendel, der bereits mit seinem carakteristiscen, dünnen Federstric einige Eintragungen vorgenommen hatte, stric in seinem Exemplar die piano-Angabe des Kopisten aus und scrieb sie mit Bleistift an die neue Position. Dabei setzte er einen scrägen Stric unter das Wort piano, wie er es sic offensictlic nac dem Vorbild Woulmyers angewöhnt hatte.4 Die gleice Angabe ist im letzten Takt auf dieser Seite zu erkennen, diesmal allerdings mit Tinte. Die beiden Benutzer der übrigen Exemplare trugen die Änderung ebenfalls ein: in 2/IIIo, fol. 95, als ausgescriebenes Wort und in 3/IIIo, fol. 156, als Abkürzung „p.“.5 Aus dem Vergleic der drei Stimmen zu dieser Arie geht außerdem hervor, daß sie nict gleiczeitig hergestellt wurden, sondern in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Die an ihrem dünnen Federstric erkennbaren Einträge Pisendels sind nämlic in 2/IIo, fol. 95, noc nict enthalten, dagegen hat der Notist Kremmler sie bereits in seine Abscrift 3/IIo, fol. 156, übernommen. Offensictlic benutzte Kremmler das von Pisendel eingerictete Exemplar, um die Stimme 3/IIo danac anzufertigen. Dagegen zeigt das Exemplar 2/IIo den Zustand vor den verbindlicen Einträgen des Konzertmeisters. Daraus ergibt sic folgende Abhängigkeit: Zunäcst wurden zwei Exemplare der ersten Violinstimme nac der Partitur Hasses hergestellt (in diesem Fall 1/IIo und 2/IIo). Daraufhin bezeicnete Pisendel sein eigenes Exemplar 1/IIo mit den fehlenden Angaben. Seine Ergänzungen, die im Vergleic mit o 2/II leict zu identifizieren sind, wurden selbstverständlic bei der erneuten Ab4

Befindet sic das „piano“ über den Noten, so setzt Pisendel den Stric darüber, um die Zugehörigkeit der Angabe zu verdeutlicen. Daß dieses Verfahren bereits von Woulmyer angewandt wurde, belegt das von ihm eingerictete Dresdner Orcestermaterial zu einem Violinkonzert von Telemann (D-Dl Mus. 2393-O3, abgebildet in Landmann 1983 II, Bd. 2, Abb. 19). 5 Teilweise gehen die Eintragungen dieser Musiker sogar über diejenigen Pisendels hinaus, wenn beispielsweise ein Fermate auf eine Verzierung des Sängers hinweist, die Pisendel vielleict bereits aus den Vorproben kannte und nict eigens in seinem Exemplar vermerkt hat. Ähnlice Fälle lassen sic auc an den drei Exemplaren der ersten Violine in Hasses Oper Cleofide beobacten, wie mir Herr Zenon Mojzysz aus Hamburg freundlicerweise bestätigte, der eine Edition dieser Oper im Rahmen seiner Dissertation vorbereitet.

357

scrift durc den Hofnotisten Kremmler übernommen, während das Exemplar 2/IIo unbezeicnet blieb. Im Fall der Arie Nr. 12 ergänzte Pisendel neben den bereits erwähnten „piano“-Angaben kurze Vorscläge in Takt 2, 4 und 30, Bindebögen (sogenannte „Scleifezeicen“) in den Takten 3 und 31, Strice (sogenannte „Abstoßzeicen“) in den Takten 8, 21/22 und 41, Triller in den Takten 26 und 42 sowie Fermaten in den Takten 22, 40 und 42. Die Ergänzungen Pisendels sind in der Abbildung durc Umrandung kenntlic gemact. Diese Abhängigkeit von unbezeicneter Partiturfassung, bezeicneter Konzertmeisterstimme und darauf basierender Ripienstimme setzt sic durc alle Nummern und Akte der Oper konsequent fort. Dadurc kann neben der Konzertmeisterstimme Pisendels auc die ursprünglice zweite Stimme, die den Stand vor Pisendels Ergänzungen wiedergibt, und die jüngere Ripienstimme unter den falsc zusammengebundenen Exemplaren identifiziert und neu zugeordnet werden. Die Zusammengehörigkeit der drei ursprünglicen Stimmen und ihre cronologisce Abfolge läßt sic wie folgt darstellen: P ARTITURFASSUNG

K ONZERTMEISTERSTIMME

R IPIENSTIMME

2 -I o

dazu Einträge Pisendels:

1 -I o

diente als Vorlage für:

3 -I o

2 -II o

dazu Einträge Pisendels:

1 -II o

diente als Vorlage für:

3 -II o

1 -III o dazu Einträge Pisendels:

3 -III o

diente als Vorlage für: 2 -III o

Da die Stimmen während der Aufführungen nur in aktweise zusammenhängender Form vorlagen, wurde die Abfolge der jeweils dritten Akte beim Einbinden des Materials versehentlic in Ricung der cronologisc jüngeren Fassung verscoben. Bestätigt wird diese Chronologie durc die Beobactung, daß der Hofnotist „Grundig“ in 2-Io die einzelnen Nummern zunäcst mit dem Satztitel „Aria“ versah und die Tempobezeicnung über den Satzanfang notierte (fol. 68 und 72). Nac zwei Nummern ging er dazu über, die Tempobezeicnung selbst als Satztitel anzugeben, wie es in allen weiteren Nummern der drei Exemplare gehandhabt wird. Daraus geht hervor, daß der Notist die Arbeit am untersucten Stimmenmaterial mit 2-Io begonnen hat.6 Allerdings fällt auf, daß die älteste Stimme mit der Partiturfassung – im Gegensatz zur späteren Ripienstimme – die verbindlicen Zusätze Pisendels nict enthält. Obwohl erkennbar ist, daß der Musiker, der aus dieser Stimme spielte, die wictigsten Angaben selbst ergänzt hat, muß diese Stimme im Hinbli% auf das Ideal des „übereinstimmenden und gleicen Vortrags“ für alle Beteiligten unbefriedigend gewesen sein. Dies war Pisendel sicer bewußt, denn an einem mit Bleistift gescriebenen „piano“ in Pisendels Handscrift (fol. 73) läßt sic nacweisen, daß er auc selbst an der nacträglicen Bezeicnung dieser Stimme beteiligt war. Da außerdem das Triller6 Wiederholte Einträge „V.2.I.“ von der Hand des Screibers A („Grundig“) sceinen auf die Zählung von Papierbogen bezogen zu sein, denn sie finden sic in allen gescriebenen Stimmen dieses Notisten an der gleicen Position. Jeweils act Seiten nac dem ersten Eintrag (act Seiten entsprecen zwei Bogen Papier) folgt in allen Stimmen die Marginalie „V.3.1.“. Wie in Exkurs V dargelegt wird, recneten die Hofnotisten nac der Anzahl der von ihnen bescriebenen Bogen Papier ab.

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zeicen „tr“ sowohl mit einem lateiniscem als auc mit einem deutscem „r“ in diesem Exemplar nacweisbar ist, könnten die lateinisc gescriebenen Einträge ebenfalls Pisendel zugescrieben werden (etwa bei fol. 75f). Möglicerweise liegt hierin die Erklärung für die eingangs erwähnte Beobactung, daß das mit Bleistift gescriebene Konzertmeisterzeicen „P.“ auc auf mehreren Titelblättern der Partiturund Ripienstimme ersceint.

Einricten der Orcesterstimmen Wie im vorangegangenen Kapitel erwähnt, bescreiben Hiller und Reicardt, auf welce Weise Pisendel die Stimmen einer Hasse-Oper für die Aufführung vorbereitete. Reicardt betont, daß Pisendel „sic die fast unglaublice Mühe gab, zu jeder Oper, zu jedem Kircen-Stü%e, so unter ihm aufgeführet wurde, über alle Stimmen das Forte und Piano, seine versciedenen Grade, und selbst jeden einzelnen Bogenstric vorzuscreiben, so daß […] nothwendig die allervollkommenste Ordnung und Genauigkeit herrscen mußte.7 Hiller korrigiert jedoc diese in der Tat „fast unglaublice“ Angabe, Pisendel habe alle Eintragungen selbst vorgenommen, und stellt klar, daß die aufführungspraktiscen Vermerke zunäcst in die Partitur Hasses eingetragen worden seien, nac der ein Notist dann das Stimmenmaterial hergestellt habe. Erst nac der Fertigstellung dieser Stimmen, die bereits die gemeinsamen Anmerkungen Hasses und Pisendels enthielten, ergänzte der Konzertmeister weitere, fehlende Angaben. Die entsprecende Passage sei hier nocmals zitiert: Hasse scrieb keine Oper, wo er nict vorher, wegen der Bezeicnung der Bogenstrice, und anderer zum guten Vortrage nöthiger Nebendinge, sic mit dem Con$ertmeister besprac, und in diesem Stü%e gänzlic auf ihn verließ. Pisendel sahe sodann die Stimmen, wenn der Copist sie fertig hatte, alle mit Aufmerksamkeit durc, und zeicnete jeden kleinen die Ausführung betreffenden Umstand sorgfältig an; so daß, wenn man das damalige Orcester beysammen und in der Arbeit sahe, es in Ansehung der Violinisten nict anders scien, als ob ihre Aerme, womit sie den Bogen führten, durc einen verborgenen Mecanismus, alle zu einer gleicförmigen Bewegung gezwungen würden.8

Aufgrund dieser Bescreibung läßt sic erklären, warum die Mehrzahl der Bindebögen und dynamiscen Eintragungen in dem gezeigten Beispiel von der Hand des Notisten stammt, während die Zahl der Ergänzungen Pisendels vergleicsweise gering ist. In diesem Punkt lassen sic die Angaben Hillers also anhand des Orcestermaterials bestätigen.

7 8

Reicardt 1774, 10, ebenso Reicardt 1776, 80. V84, 192f.

359

ABBILDUNG 22: Arie Nr. 12 Ardi à vezzosi rai, Violino primo, Exemplar 1, „Konzertmeisterstimme“: Screiber A mit Zusätzen Pisendels (D-Dl Mus. 2477-F-11a, fol. 32f).

360

ABBILDUNG 23: Arie Nr. 12 Ardi à vezzosi rai, Violino primo, Exemplar 2, „Partiturfassung“: Screiber A mit Bleistifteinträgen eines Violinisten (D-Dl Mus. 2477-F-11a, fol. 95) und Exemplar 3, „Ripienstimme“: Hofnotist Kremmler mit Bleistifteinträgen (D-Dl Mus. 2477-F-11a, fol. 156).

361

Dagegen ist die Sclußfolgerung Reicardts und Hillers, daß die sorgfältige Bezeicnung Pisendels eine gleicförmige Ausführung der Auf- und Abstrice durc alle Geiger erst ermöglict habe, in der neueren Literatur stark bezweifelt worden. Manfred Fecner, der sic über Jahrzehnte mit dem instrumentalen Repertoire der Dresdner Hofkapelle unter Pisendel bescäftigt hat, kommt nac einer Bescreibung des von Pisendel bezeicneten Orcestermaterials zu dem Ergebnis, daß irgendwelce „Ab- und Aufstricbezeicnungen […] nict darin festzustellen“ seien, und weist auf den Widerspruc zu Hillers Angaben hin.9 Noc deutlicer formuliert es Reinhard Goebel, ein ausgewiesener ‚Dresden-Spezialist‘ auf dem Gebiet der historiscorientierten Aufführungspraxis, in einem unlängst erscienenen Aufsatz: Aufführungspraktisce Hinweise derart, wie wir sie heute wünscen und bei der Realisierung älterer Musik immer wieder benötigen, finden sic in Dresdner Quellen nict; die immer wieder zu lesende Behauptung, Pisendel habe das Orcestermaterial genau bezeicnet, läßt sic durc nicts bestätigen. […] Stric- und Artikulationsbezeicnungen sind nirgends zu finden, und überhaupt sceint der Gebrauc des Bleistifts unbekannt ge-wesen zu sein. […] All das Essentielle, was Töne zum musikaliscen Ereignis mact, ist offenbar in der Probenarbeit geleistet worden und wurde solange probiert, bis jeder Musiker den Text und seine jeweiligen Anforderungen memorierte. Selbst Fingersätze für die Streicer oder diskrete Hinweise auf in der Intonation zu korrigierende Töne in den Bläser-Partien sind nict zu finden.10

Selbstverständlic sind die heute üblicen Symbole für Auf- und Abstrice, die erst um 1800 in Paris in Gebrauc kamen, oder andere historisce Zeicen dieser Art in Dresdner Orcesterstimmen nict zu finden, und dies kann Goebel auc nict gemeint haben. Offensictlic hat er jedoc auc die zahlreicen mit Tinte und Bleistift gescriebenen „Scleife- und Abstoßzeicen“ noc nie wahrgenommen, die Pisendel in Hasses Opernmaterial eintrug und von Hofnotisten kopieren ließ. Die offenkundige Fehleinscätzung Goebels hinsictlic der Verwendung von Bleistiften rührt wohl daher, daß er sic in erster Linie mit dem reicen Repertoire der Dresdner Instrumentalmusik bescäftigt hat. Diese wurde nämlic von einer bestens aufeinander eingespielten Gruppe von Kammermusikern aufgeführt, die beispielsweise die Begleitpartien eines Solokonzerts nict einstudiert, sondern vom Blatt gespielt haben. Dadurc erübrigte sic auc jeder Bleistifteintrag aus der Probenarbeit. Übrigens werden solce Einträge von Hiller und Reicardt auc nur bei Opern und „Kircen-Stü%en“ erwähnt, deren öffentlice Aufführung mit einer gründlicen Probenarbeit einherging. Besondere Vermerke wie in den oben gezeigten Opernstimmen waren vor allem auc deshalb nict erforderlic, weil ein professioneller Musiker damals über ein großes Repertoire an instrumentalen Ausdru%sformen verfügte, die er sofort einem bestimmten Notenbild zuordnen konnte, etwa die französisce Tanzmusik mit ihren differenzierten Charakteren oder typisce Con$ertoformen mit ihrem Wecsel von Virtuosität in den E%sätzen und gesanglicem Ausdru% im langsamen Mittelsatz. Der Ausdru% einer Arie dagegen mußte sic immer an dem gegebenen Text orien9

Fecner 1996, 117, und mit Bezug auf Reicardt: Spitzer/Zaslaw 2004, 373. Ähnlic bereits Jung 1956, 44: „Die Stimmen zeigen sehr genau eingetragene, von der Hand Pisendels stammende Vortragszeicen in

den versciedensten Abstufungen. Eintragungen von Stricarten konnten jedoc – wenigstens in den Violinkonzerten – nict gefunden werden.“ 10 Goebel 1999, 64.

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tieren, und ihr musikaliscer Reiz bestand darin, die Gefühlslage der Bühnenfigur auf raffinierte Weise darzustellen, wie es Heinicen in seiner Kompositionslehre demonstriert hat. Aus diesem Grund mußten die Musiker beispielsweise in einer Oper oder einem Oratorium von Hasse häufig von „der gemeinen Art“ des Ausdru%s abweicen, wenn es die besondere Situation des Textes verlangte, und gerade hierzu dienten die Einträge Pisendels und der Musiker. Obwohl die Beobactungen Fecners und Goebels zutreffend sind, daß die von Pisendel eingericteten Musikalien keine lü%enlose Stricanweisung im heutigen Sinne enthalten, bezieht sic die Angabe Hillers, daß es bei einer Hasse-Oper „in Ansehung der Violinisten nict anders scien, als ob ihre Aerme, womit sie den Bogen führten, durc einen verborgenen Mecanismus, alle zu einer gleicförmigen Bewegung gezwungen würden“, doc eindeutig auf die Abfolge von Auf- und Abstricen und die Bogengescwindigkeit. Wer aber die Angaben Hillers so versteht, daß Pisendel in diesen Stimmen jeden Ab- und Aufstric pedantisc gekennzeicnet habe, und annimmt, dies sei notwendig gewesen, um jene „allervollkommenste Ordnung und Genauigkeit“ (Reicardt) im Zusammenspiel der Dresdner Virtuosen zu erreicen, geht von falscen Voraussetzungen aus. Auc für Hiller war es nämlic noc selbstverständlic, daß ein großer Teil der Vortragsarten nict im Notentext fixiert war. In seiner Anweisung zum musikalisc-zierlicen Gesange, die 1780 in Leipzig erscien, bringt Hiller im fünften Kapitel „Über den guten Vortrag, in Ansehung der Passagien“ entsprecende Beispiele und bemerkt dazu: „Dieß Exempel ist so niedergescrieben, wie es herausgebract werden muß. Man stelle sic aber vor, daß es ohne Punkte und Bogen da stünde, weil man es meistentheils nict anders auf dem Papiere finden wird.“11 Grundsätzlic galt, was Koc noc im Jahr 1802 in seinem Lexikon zu den Sticworten „Abstoßen“ und „Scleifen“ scrieb: Abstoßen oder absetzen. […] In dem Adagio, Largo, Lento, und dergleicen Sätzen von langsamer Bewegung, müssen alle Noten, die abgestoßen werden sollen, mit einem von den genannten Zeicen bemerkt seyn, weil die gewöhnlice Vortragsart solcer Sätze erfordert, daß die Töne in einander scmelzend und gezogen ausgeübt werden. *) [*) Siehe Adagio.] In Sätzen von gescwinder Bewegung hingegen gibt es viele Arten von Passagen, bey welcen die Ausführer gewohnt sind, die Noten ohne besondere Anzeige, von selbst abzustoßen; daher pflegen die Tonsetzer dergleicen Passagen auc niemals mit den Zeicen des Abstoßens zu bemerken. […]12 Scleifen […] Dieser Bogen wird das Scleifezeicen genannt, und in Sätzen von langsamer Bewegung, wo die Töne überhaupt in einander scmelzend vorgetragen werden müssen, oft bey solcen Noten ausgelassen, die man scon aus vieler Erfahrung gewohnt ist, zu scleifen. In Sätzen von gescwinder Bewegung hingegen sollten eigentlic alle Noten, die gescleift werden sollen, mit dem Scleifezeicen bemerkt seyn; man läßt sie aber auc in diesem Falle oft bey $antablen Sätzen weg, wenn die Nothwendigkeit des Zusammenscleifens der Noten sehr fühlbar ist.13

Im vorangegangenen Kapitel ist bereits darauf hingewiesen worden, daß nac den Angaben von Quantz nur diejenigen Vortragsarten in den Notentext eingezeicnet wurden, die „von der gemeinen Art abgehen“. Da das Abweicen von der „gemeinen 11

Hiller 1780, 87. Vgl. auc das umfangreice Kapitel „Vom Bogenstrice“ in Hillers elementarer Anweisung zum Violinspiel aus dem Jahr 1792, die er für die Leipziger Thomasscüler verfaßt hatte. 12 KocL 1802, 42f. 13 KocL 1802, 1299.

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Art“ aber immer eine Ausnahme darstellt, kommen solce Einträge nur vereinzelt vor. Zudem wurden diese Abweicungen selbst auc nict vollständig ausgescrieben, sondern jeweils nur angedeutet, wie Quantz betont: Man merke hier beyläufig, daß, wenn viele Figuren in einerley Art nac einander folgen, und nur die erste davon mit Bogen bezeicnet ist, man auc die übrigen, so lange keine andere Art Noten vorkömmt, eben so spielen müsse. Auf gleice Art verhält sics mit den Noten, worüber Strice stehen. Wenn nur etwa zwo, drey oder vier Noten damit bezeicnet sind: so werden doc die übrigen Noten die darauf folgen, und von selbiger Art und Geltung sind, ebenfalls sta$$ato gespielet.14

Wann immer Pisendel also eine Stricart eintrug, gescah dies, weil der ausführende Musiker sonst eine andere Entsceidung getroffen hätte. Solce Fälle lassen Rü%sclüsse auf die „gemeine Art“ des Vortrags zu. Zahlreice Stricarten, die zwar „von der gemeinen Art abgehen“, aber dennoc so häufig vorkamen, daß sie „der Componist nict allezeit andeuten kann“ und deshalb ebenfalls nict notiert wurden, hat Quantz ausführlic bescrieben.15 Zu der „gemeinen Art“ bemerkt Quantz: „Die Haupteigenscaft eines gut geführten Bogenstrics ist demnac: daß die Noten, so in den Hinauf- oder Herunterstric gehören, so viel als möglic ist, auc also gespielet werden.“16 Mit dieser sceinbar nictssagenden Formulierung soll wohl auf die Parallele zwiscen der Takthierarcie und der Abfolge der Bogenstrice hingewiesen werden, die auc in der sogenannten Abstricregel zum Ausdru% kommt. Offenbar war „die Haupteigenscaft eines gut geführten Bogenstrics“ für Quantz so klar, daß er die Zirkelhaftigkeit seiner eigenen Formulierung nict bemerkte. Da Quantz es aber nict als seine Aufgabe ansah, „alle Lehren vom Bogenstrice abzuhandeln“, müssen zum Verständnis der „gemeinen Art“ die Angaben von Leopold Mozart und Joseph Riepel herangezogen werden. Mozart widmet der „Lehre vom Bogenstrice“ in seinem 1756 erscienenen Versuc einer gründlicen Violinscule zwei umfangreice Kapitel: „Das vierte Hauptstü%. Von der Ordnung des Hinaufstrices und Herabstrices“ und „Das siebende Hauptstü%. Von den vielen Veränderungen des Bogenstrices“.17 Wie bereits dargelegt, orientierte er sic bei seiner Veröffentlicung nict nur in der Wahl des Titels, sondern auc inhaltlic an Quantzens Vorbild. In seinem „Vorberict“ bezieht sic Mozart ausdrü%lic auf die öffentlice Klage Marpurgs, daß trotz einer wacsenden Zahl aufgeklärter musikaliscer Scriften „noc eine Anweisung zur Violin fehle“, und ergänzt, daß „man doc guter Anfangsgründe, und absonderlic einiger Regeln über die besondere Stricart nac dem guten Gescma%e scon längst wäre benöthiget gewesen.“ Gerade die letzte Bemerkung weist darauf hin, daß Mozart diejenigen Bereice abde%en wollte, die Quantz bewußt ausgelassen hatte. Dabei kann davon ausgegangen werden, daß die grundlegenden Stricregeln Mozarts nict nur für Salzburg Gültigkeit besaßen, zumal der junge Mozart über den Augsburger PisendelScüler Seyfert den Dresdner Lehren wahrsceinlic sogar persönlic verbunden war.

14

Quantz 1752, 189. Quantz 1752, 189-198, Tab. XXII, Fig. 1-44. 16 Quantz 1752, 189. 17 Mozart 1756, 70ff und 122ff. 15

364

Mozarts „Lehre vom Bogenstrice“ baut auf der alten „Abstricregel“ auf, nac der jede erste Note eines Taktes im Abstric beginnt und jede letzte Note einen Aufstric erhält.18 Dabei hängt die jeweilige Stricweise solcer Noten, die kürzer sind als ein Viertel, von der rhythmiscen Zusammensetzung der Figur, der Taktart und sogar vom Tempo ab. Besonders bemerkenswert ist, daß auc die von Mozart gelehrten Stricarten in der Regel nict im Notentext notiert sind, wie aus dem Text und den Übungsstü%en hervorgeht.19 Da die Wahl des Bogenstrics stark vom Kontext abhängt, ist ihre Anwendung erst im Einzelfall eindeutig zu entsceiden. Dabei fällt auf, daß in vielen Fällen kurze Noten „zusammengescliffen“ werden müssen, und daß dies auc für solce Noten zutrifft, die bei einem langsameren Tempo nict gebunden werden müßten. Eines der vielen Beispiele Mozarts sei in diesem Zusammenhang zitiert: §. 9. Jedes Viertheil, wenn es aus zwo oder vier gleicen Noten bestehet, wird mit dem Herabstrice angefangen; es sey im gleicen oder ungleicen Zeitmaase[!].

§. 10. Das gescwinde Zeitmaaß giebt hier wieder Gelegenheit zu einer Ausnahme. Denn im ersten Beyspiele des vorigen Paragraphs wird man besser, wenn das Tempo gescwind ist, die zwo (E) Noten in einem Strice, doc also nehmen: daß iede Note durc Erhebung des Bogens vernehmlic von der andern unterscieden wird. Eben also werden im gescwindesten Tempo die vier doppelten Fusellen im zweyten und dritten Ta$te besser in einem Hinaufstrice zusammen gescliffen. Z. E.20

Zusammenfassend läßt sic feststellen, daß Mozart nict nur bescreibt, wie die Abfolge der Auf- und Abstrice entsprecend der Taktart organisiert werden soll, sondern daß es in vielen Fällen um die Frage geht, wie viele Noten entsprecend ihrer Figur und ihres Tempos auf einen Bogen gespielt oder „gescliffen“ werden sollen. In der Praxis wurden also deutlic mehr Noten zusammengebunden als im Notentext vorgescrieben sind.21 18

Mozart 1756, 71 und 76. Noc Louis Spohr besteht auf der uneingescränkten Gültigkeit der „alten“ Abstricregel und bescreibt diese an vier Stellen seiner Violinscule von 1833, vgl. Kai Köpp, Nacwort zum Reprint von Spohr 1833, V. 19 Vgl. beispielsweise Mozart 1756, 79f (§. 23.) oder die Übungsbeispiele, 90ff (§.39.), in denen anstelle der instruktiven Bezeicnungen aus dem Textteil nur noc „die Regeln des Strices durc Zahlen angezeiget“ sind. 20 Mozart 1752, 73f. 21 Ein klanglicer Eindru% von dieser Art, nict notierte Bindungen zu ergänzen, vermittelt die Ersteinspielung von Graupners Ouverture GWV 439 und dem Con$erto GWV 321, die das Ensemble Nova Stra-

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Die Gründlice Erklärung der Tonordnung insbesondere von Joseph Riepel, die 1757 in Frankfurt und Leipzig erscien, enthält ebenfalls einen Abscnitt über die Bogenstrice. Dabei geht Riepel allerdings nict so detailliert auf die „gemeine Art“ ein wie Mozart. Dagegen bemerkt er gleic im Anscluß an die Abstricregel, daß neben diesem sogenannten „natürlicen“ Stric auc der „verkehrte“ geübt werden müsse: Dis$.[antist] […] Der Philipp lehret seine Scüler die erste Note des Ta$ts mit dem Bogen herab streicen, so, wie sics gehört und gebührt; nacdem sie aber 2 oder 3 Jahre zugebract haben und rect handfest sind, da müssen sie anfangen, alle Noten verkehrt zu streicen; nämlic, was sonst mit dem Bogen herab, das hinauf; und was sonst hinauf, das herab. […] Prae$.[eptor] Das ist ein unvergleiclicer und sehr nützlicer Gedanke* [* Diese Übung erleictert nict nur allein den Bogen, sondern eine Violinist muß die verkehrten Strice nothwendig auc gelegenheitlic bey der Hand haben.]; dafern er sic nur nict gar so lang damit aufhält, daß sie demnac lieber verkehrt als natürlic spielen, und dadurc andere, die neben ihnen stehen, verwirrt macen.22

Während diese Anweisung bei Mozart fehlt, empfiehlt auc Quantz den „verkehrten Stric“ zur Übung, „denn obwohl gewisse Noten, nothwendig im Herunterstrice genommen werden müssen; so kann doc ein erfahrener Violinist, der den Bogen vollkommen in seiner Gewalt hat, dieselben ebenfalls im Hinaufstrice gut ausdrükken.“ Wesentlic ist aber dabei, daß der Höreindru% der Takthierarcie gewahrt bleibt, daß also „die Figuren, welce mit dem Hinaufstrice anfangen, eben so klingen, als die mit dem Herunterstrice.“23 Auc Riepel weist auf den engen Zusammenhang der Abstricregel mit dem Klangeindru% der Takthierarcie hin und stellt dies als ein natürlices Prinzip dar: Merke, der Arm hat, zum Herabstreicen natürlicer Weise mehr Kräften, folglic ist die hinaufgestricene Note jederzeit gleicsam um ein unvermerklices scwäcer: Welces in dem Gehör doc auc einen Unterscied mact.24

Wie Quantz untersceidet Riepel in dem Fall, daß die Notenwerte ohne einen Ausgleic des Bogens zu einem Verstoß gegen die Takthierarcie führen würden, zwiscen einer alten und neuen Art der Bogenstrice, bringt aber zusätzlice Beispiele für beide Arten. Während die „alte Art“ vorsah, daß auc auf einer unbetonten Zählzeit ein neuer Abstric folgen soll, um die Stricfolge der Takthierarcie anzupassen, wird die drohende Abweicung nac der „neuen Art“ durc zwei kurze Aufstrice auf unbetonter Zählzeit ausgeglicen.25 Auc Mozart bescreibt diese „neue vaganza (Leitung: Siegbert Rampe) nac einem vom Autor eingericteten Stimmenmaterial aufge-nommen hat (erscienen 2002 als CD bei Dabringhaus & Grimm, MDG 341 1121-2). Obwohl die von Graupner gescriebenen Stimmen der scnellen Sätze, die hauptsäclic aus Actel- und Seczehntelfiguren aufgebaut sind, wie Graupners Partitur keinerlei „Abstoß-“ oder „Scleifezeicen“ enthalten, führten die Proben scnell zu der Überzeugung, daß eine „textgetreue“ Wiedergabe im vorgesehenen Tempo musikalisc nict sinnvoll ist. Die Musiker verwendeten außerdem den „französiscen“ Bogengriff, der sic besonders bei der Wiedergabe von Tanzsätzen als vorteilhaft und klanglic überzeugend erwies. 22 Riepel 1757, 16, Reprint bei Emmerig 1996/I, 260. 23 Quantz 1752, 193. 24 Riepel 1757, 18, Reprint bei Emmerig 1996/I, 262, ebenso zwei Seiten vorher: „Alle scwere oder leibige Dinge fallen ja nict hinauf, sondern natürlicerweis gegen der Erden zu. […] Eben aus dieser Ursace spielet der Violon$ellist nict verkehrt, wann er mit dem Bogen die anfangenden Noten des Ta$ts mit Vortheil mancmal gegen sein linkes Bein hinüber streict; weil er das Violon$ello ganz anders vor sic hat, als eine Violine.“ 25 Vgl. Quantz 1752, 191f, und Riepel 1757, 17, Reprint bei Emmerig 1996/I, 261.

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Hauptregel“ in Verbindung mit Dreiertakten, ohne jedoc die ältere Praxis zu erwähnen.26 Noc wictiger ist allerdings die Bedeutung der sta$$ato- oder „Abstoßzeicen“, die Riepel und Quantz – im Gegensatz zu Mozart und Koc27 – nac Punkten und Stricen untersceiden. Nac Quantz wird das sta$$ato, das Absetzen des Bogens, durc kleine Strice gekennzeicnet, während die Noten mit Punkten „mit einem kurzen Bogen to%iret, oder gestoßen, aber nict abgesetzt werden“ sollen.28 Riepel differenziert in diesem Zusammenhang sogar noc zwiscen langen und kurzen sta$$ato-Stricen: Der Philipp mact aber doc auc einen Unterscied, z.Ex.

Nun jeder von diesen 3 Tä$ten hat 6 besondere oder eigene Strice. Allein, die Art des ersten Ta$ts + drü%t er mit langmäctigen Zügen aus; und dieses etwan bisweilen in Con$erten. Die Art des zweyten Ta$ts ++ ist ohnehin bekannt und allgemein, nur, daß er dergleicen ungebundene Noten mancmal bald mehr bald weniger stoßt. Die Art des dritten Ta$ts +++ brauct er bloß zum a$$ompagnieren[!], und sprict, daß mittelst derselben die Haare des Violin-Bogens nur einen halben Messer-Rü%en breit auf die Saiten stossen müssen, damit die singende Prin$ipal-Stimme sic wohl untersceide, und von so vielen mitspielenden Instrumentisten nict verde%t werde. […] NB. Ic habe die Strice und Pun$ten nur um der Erklärung wegen wiederum drüber gesetzt; denn in Musi$alien sieht man sie nict; ausser, wenn es um der Deutlickeit wegen mancmal vielleict nothwendig ist.29

Auc hier handelt es sic also um Vortragsarten, die in der Regel nict notiert waren, sondern „bisweilen in Con$erten“ beziehungsweise „blos zum a$$ompagnieren“ angewandt wurden. Der Musiker erkannte aus dem jeweiligen Kontext, welce Art der Punkte oder Strice angewandt werden sollten. Bemerkenswert ist außerdem, daß Riepel die Kenntnis und Ausführung solcer Vortragsarten nict nur für Streicer, sondern für alle Instrumentalisten und sogar bei Sängern voraussetzt. Nac den Angaben Riepels gab es damals sogar einen Begriff dafür, der erneut bestätigt, daß die Anwendung der nict notierten Vortragsarten zur Grundausbildung jedes Berufsmusikers gehörte, denn sie wurde als Beherrscung der musikaliscen „Orthographie“ bezeicnet:

26

Vgl. Mozart 1756, 82. Vgl. Mozart 1756, 45. KocL 1802, 45f, stellt mit Bedauern fest, daß es in der zeitgenössiscen Praxis zwiscen Punkten und Stricen keinen Unterscied gebe. 28 Quantz 1752, 201 und ebenso 193: „Denn, wie zwiscen Stricen und Pun$ten, wenn auc kein Bogen darüber steht, ein Unterscied zu macen ist: daß nämlic die Noten mit den Stricen abgesetzt; die mit den Pun$ten aber, nur mit einem kurzen Bogenstrice, und unterhalten gespielet werden müssen, so wird auc ein gleicer Unterscied erfodert, wenn ein Bogen darüber steht. Die Strice aber kommen mehr im Allegro als im Adagio vor.“ 29 Riepel 1757, 19, Reprint bei Emmerig 1996/I, 263. 27

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Dis$. Sowohl Violon$ellisten als Violinisten braucen die Bogenstrice. Nict wahr? Prae$. Nict allein diese, sondern ohne Ausnahme alle Instrumentisten. Denn, wenn ein Hoboist oder Flötraversist hierinn nict besclagen ist, so heißt es gleic: Er habe keine Orthographie. So gesci%t er im übrigen auc immer seyn mag. […] Dis$. So muß ein Clavierist, Waldhornist, Clarinist oder Sänger diese Orthographie auc wissen? Prae$. Sonder allen Zweifel; dafern er in der Musi% anders nict der letzte will seyn.30

Alle diese Informationen sind notwendig, um zu verstehen, wie die oben vorgestellte Arie Nr. 12 Ardi à vezzosi rai von den Musikern der Dresdner Hofkapelle gespielt und „ausgeführt“ worden ist. Zunäcst soll nacvollzogen werden, warum Pisendel die jeweiligen Ergänzungen eintrug und ob sic daraus eine Abweicung von der „gemeinen Art“ ableiten läßt. Danac soll untersuct werden, welce nict notierten Vortragsarten die Musiker so selbstverständlic ergänzten, daß Pisendel sie nict in das Material einzutragen braucte. Die von Pisendel ergänzten kurzen Vorscläge in Takt 2, 4 und 30 gehen auf eine Vorlage in der Gesangsbegleitung Takt 14 zurü%, nac der diese Vorscläge bereits in der Partitur verbindlic notiert waren. Damit notiert Pisendel lediglic, was die Musiker ohnehin nac dem ersten Anhören der Arie ergänzt hätten, denn das bekannte Prinzip von der Einheitlickeit des Affekts und die im letzten Kapitel bescriebene Praxis der Nacahmung verlangte, daß die begleitenden Musiker, wenn sie die gleice Musik spielten wie die Solostimme, alles das übernehmen sollen, was der Solist an Ausdru% und Verzierungen vorgab. Offensictlic galt dies auc für die instrumentale Einleitung der Arie, in der das Orcester die Melodie des Sängers vorwegnimmt. Aus diesem Grund übernahm Pisendel auc den Bindebogen in den Takten 3, 16 und 31 aus der Vorlage Takt 15. Die „piano“-Angabe in Takt 6 wurde durc die Korrektur Pisendels an den Phrasenbeginn versetzt, um eine Ecowirkung zu erzielen. Wie erwähnt, wurde diese Korrektur während der Proben in die übrigen Exemplare nacgetragen. Ein gleices gilt im Fall der Partiturfassung für die Fermaten in Takt 22, 40 und 42, die auf willkürlice Verzierungen des Sängers hinweisen. Die sta$$ato-Strice aus Takt 8 dagegen fehlen in der Partiturfassung und sind auc nict aus dem Kontext zu erscließen, so daß der Musiker, der aus dieser Stimme spielte, diese wohl zunäcst zusammengebunden gespielt oder „gescliffen“ hat, wie es die „gemeine Art“ bei scnellen, stufenweise verlaufenden Seczehntelfiguren vorsah.31 In der Ripienstimme hat der Notist Kremmler die sta$$ato-Strice nur im Fall der ersten Figur übernommen, weil er es offenbar für überflüssig hielt, sie auc über der folgenden Figur anzubrigen, denn nac der von Quantz formulierten Regel behält die Angabe ihre Gültigkeit auc für alle folgenden Noten „von gleicer Art und Geltung“, also auc für die Figur zu Beginn von Takt 9. Wie bereits im Fall der Vorscläge und Bindebögen notiert Pisendel hier also Dinge, die nac damaliger Praxis als selbstverständlic angesehen werden konnten. In diesem Sinne kann die Einscätzung Reicardts, der „fleißige“ Pisendel habe die Stimmen „sorgfältig“ bezeicnet, bestätigt werden.

30 31

Riepel 1757, 21, Reprint bei Emmerig 1996/I, 265. Vgl. Quantz 1752, 191, und Mozart 1756, 74.

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Ein Vergleic mit der von Kremmler kopierten Ripienstimme bestätigt, daß die von Pisendel ergänzten „Abstoßzeicen“ in Takt 21/22 und 41 absictlic länger gescrieben sind als die soeben besprocenen aus Takt 8. Hier handelt es sic offensictlic um die von Riepel bescriebenen Noten, die zwar abgesetzt, aber „mit langmäctigen Zügen“ des Bogens ausgedrü%t werden sollen. Wahrsceinlic geht die Angabe Riepels also auf eine in Dresden gepflegte Praxis bei der Notation von Abstoßzeicen zurü%. In diesem Fall sollte wohl eine stauende, verlangsamende Wirkung vor der Fermate am Ende des Taktes erzielt werden, die an Reicardts Bescreibung von Pisendels Ritardando-Direktion erinnert: „Wollte er [Pisendel] das Orcester mitten im Stü%e anhalten, so stric er nur die ersten Noten jedes Ta%ts an, um diesen desto mehr Kraft und Nacdru% geben zu können, und darinnen hielte er zurü% u. s. w.“32 Übrigens hielt es der Notist Kremmler wiederum für überflüssig, diese Strice an der Parallelstelle in Takt 42 in die Ripienstimme zu überragen, obwohl Pisendel sie auc dort in seiner Stimme vermerkt hat. Trotz der sorgfältigen und aus der Sict der Zeitgenossen wohl übertriebenen Bezeicnung der Stimme durc Pisendel, werden nict alle notwendigen Auf- und Abstrice dadurc festgelegt. Wie Hiller angibt, ergänzte Pisendel nämlic nur die „zum guten Vortrage nöthigen Nebendinge“, also diejenigen Angaben, die nict die „gemeine Art“ betreffen, sondern dem musikaliscen Ausdru% einer bestimmten Arie dienen. Dabei notiert er diese besonderen Angaben nict nur an der Stelle ihres ersten Auftretens, wie es der zeitgenössiscen Praxis entsprac, sondern oft auc an den Parallelstellen. Die Kenntnis der grundlegenden Elemente des übereinstimmenden Vortrages, die oben als „nict notierte Vortragsarten“ bescrieben wurden, konnte er dagegen bei seinen Musikerkollegen voraussetzen und braucte sie nict eigens einzutragen. An dieser Stelle setzt jedoc die Kritik Fecners und Goebels an den Angaben Hillers und Reicardts an, denn nac ihrer Beobactung kann trotz der Einträge Pisendels jene wie „durc einen verborgenen Mecanismus“ bewegte Übereinstimmung nict erzielt werden. Wollte man nämlic den Beginn der Arie genau so spielen, wie er bei Pisendel notiert ist, würde beispielsweise die erste Note von Takt 2 und 4 usw. mit einem Aufstric zusammenfallen (siehe Notenbeispiel, Abbildung 24). Auc wenn man die zweite Note des ersten Taktes mit einem erneuten Abstric versieht, wird die Situation nict klarer, weil nun die Takte 3, 5 und 7 mit Aufstric beginnen würden. Dies widersprict nict nur der Abstricregel in Verbindung mit der Takthierarcie, sondern auc dem natürlicen Ausdru% der Figuren, denn einige dazwiscen liegende Figuren müßten – selbst nac modernem Verständnis – in einem „verkehrten“ Stric gespielt werden. Da eine solce, streng dem Notentext folgende Striceinteilung sehr willkürlic ersceint, kann sie auc nict mit dem Hinweis auf „verkehrte“ Strice bei Quantz und Riepel gerectfertigt werden. Auf diese Weise ist hinter den Einträgen Pisendels allein tatsäclic kein Sinn zu erkennen, denn dieser erscließt sic nur in Verbindung mit der Kenntnis „nict notierter Vortragsarten“.33 32

Reicardt 1774, 39f. Die jüngere Entwi%lung der historisc-orientierten Aufführungspraxis hat dazu geführt, daß die untersciedlice Bezeicnung des Notenmaterials etwa an Parallelstellen oder andere „Inkonsequenzen“ als gewollte Elemente eines nict näher untersucten Ausdru%s mißverstanden wurden und die „Urtexttreue“ zum unreflektierten Prinzip erhoben wurde. Dadurc sind mance Hörgewohnheiten entstanden, die nun irrtümlic als Merkmale der historiscen Praxis verstanden werden (etwa ausgedehnte, mit springendem

33

369

ABBILDUNG 24: Arie Nr. 12 Ardi à vezzosi rai mit zwei „falscen“ Stricbezeicnungen

Offenbar war der von Hiller überlieferte Berict über die erstaunlice Übereinstimmung der Auf- und Abstrice bei den Dresdner Violinisten bereits kurz nac dem Tod Pisendels verbreitet. In einem Absatz der oben erwähnten Gründlicen Erklärung der Tonordnung insbesondere, der erstmals in diesem Zusammenhang zitiert wird, sah sic der ehemalige Dresdner Musikstudent Riepel nämlic genötigt, die Angaben über jene „Dresdner Spezialität“ rictigzustellen: Dis$.[antist]: Der Hansmicel sprict, die 24 Violinisten in Opolisburg wären so gesci%t, daß, just wie einer mit dem Bogen streict, so auc alle übrigen streiceten, es sey gleic hinauf oder herab. Der Philipp hat deswegen einsmals mit Fleiß darauf Actung gegeben, und befunden, daß der Hansmicel die Augen nict rect aufgemact habe. Es gehet zwar wohl, meynt er, eine Zeit lang nac einander an, wann just bequeme Noten eines gemeinen oder 24 Ta$ts, u.s.f. vorhanden sind; allein, er setzte dem Hansmicel gescwind etlice 20 Gänge auf, wovon ic [die Kunstfigur des Diskantisten] einen davon beyläuffig auswendig weiß, z. Ex.

Wenn einer auc scon die alte Art hierzu zur Hülfe nimmt, so kann ein andrer in der Gescwindigkeit neben ihm indessen doc bald ein wenig strauceln; hat er gesagt. Prae$.[eptor]: Der Philipp hat rect*. [*Die Se$und-Violinisten haben gemeiniglic ja eben auc ganz andre Noten zu spielen als die Prim-Violinisten.] Man brauct das grosse Fernglas desjenigen Dioptri$us gar nict, dergleicen Windmacereyen einzuBogen gespielten Seczehntelpassagen der Streicer oder die undifferenzierte Dauer bestimmter Vorhalte). Dies führte auc zu der irrigen Auffassung, daß die Bogeneinteilung einer musikaliscen Figur aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts willkürlic und die Bogensetzung selbst zu den „Verzierungen“ zu zählen sei. Da sogar versuct wurde, diese Auffassung mit musikwissenscaftlicen Methoden zu untermauern, warnte Georg von Dadelsen bereits 1980 ausdrü%lic davor, in Wissenscaft und Praxis diesem verlo%enden, weil vereinfacenden Irrtum zu verfallen, vgl. Dadelsen 1980, 71ff.

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sehen. Allein, das benimmt den berühmten Herren Opolisburgern in ihrer Ehre nicts; sofern nur die Musi% sonst haarscaft überein stimmet. Bey der Cadenz sind sie doc gemeiniglic wieder alle glü%lic beysammen.34

Mit den „berühmten Herren Opolisburgern“ meint Riepel offensictlic die Dresdner Violinisten, und wahrsceinlic verbirgt sic hinter der Kunstfigur des „Philipp“, der „deswegen einsmals mit Fleiß darauf Actung gegeben“ hat, in diesem Fall niemand anders als Riepel selbst. Riepel bezeicnet den auc von Hiller überlieferten Berict von der sagenhaften Dresdner Stricdisziplin also bereits 1757 als „Windmacerey“ und weist darauf hin, daß die erste und zweite Violine untersciedlice Notenwerte zu spielen haben und allein deshalb nict vollkommen übereinstimmen könnten. Zudem könnten Abweicungen auc innerhalb einer Stimmgruppe entstehen, wenn einzelne Musiker bei nict notierten Vortragsarten die alte oder neue Art der Bogenstrice gleiczeitig verwendeten (beide Arten sind zur Verdeutlicung in Riepels Beispiel nacgetragen). Allerdings sceint Riepel es mit seiner Kritik etwas zu genau zu nehmen, denn diese von ihm angeführten Abweicungen wirken sic nur vereinzelt bei kurzen Noten aus. Da die Musiker nämlic am Taktende oder spätestens „bey der Cadenz […] doc gemeiniglic wieder alle glü%lic beysammen“ waren, blieb der Gesamteindru% eines einheitlic spielenden Streicercores für Außenstehende wohl vorherrscend. Auc Riepel gibt nämlic zu, daß sic der Ruhm jener „berühmten Herren Opolisburger“ darauf gründete, daß „die Musi% sonst haarscarf überein stimmet.“ Wenn man die nict notierten Stricarten im Beispiel der Arie Nr. 12 Ardi à vezzosi rai ergänzt, werden die Zweifel am Sinn der Eintragungen Pisendels ausgeräumt, denn nun lösen sic alle Angaben in einen organiscen Ablauf auf, der den Vorgaben der Abstricregel, der Takthierarcie und dem Ausdru% der Figuren entsprict.

ABBILDUNG 25: Arie Nr. 12 Ardi à vezzosi rai, Übertragung mit nict notierten Vortragsarten

34

Riepel 1757, 17, Reprint bei Emmerig 1996/I, 261.

371

In diesem Fall gibt es hinsictlic der alten oder neuen Art der Bogenstrice keinen Konflikt. Allenfalls könnte die Wahl der Bindebögen bei den vier Seczehnteln des ersten Taktes zur Diskussion stehen. Daß sie in diesem scnellen Tempo gebunden werden müssen, steht außer Frage. Nac der Auffassung Mozarts wären sie mit einer Viererbindung zusammenzufassen,35 aber zu Beginn des B-Teiles, der in der letzten Zeile der Partiturfassung noc zu sehen ist (Abbildung 23, fol. 95), hat der Kopist zwei Zweierbindungen notiert, die an dieser Stelle auc in die Konzertmeisterstimme eingegangen sind (Abbildung 22, fol. 33). Im letzteren Fall müßte die Figur mit einem erneuten Abstric beginnen, während sie nac den Angaben Mozarts im Aufstric in eine Bewegung aus vier gleic großen Bogenstricen eingebunden wäre. Für die Viererbindung im Aufstric sprict allerdings der Bleistifteintrag in der Partiturfassung von Takt 1 und parallel in Takt 48, der ebenso in Pisendels Stimme enthalten ist: Auf dem jeweils dritten und vierten Viertel des Taktes ist ein Abstoßzeicen notiert, das den Ausführenden daran erinnern soll, daß nac der mit einer ausladenden Bogenbewegung ‚ausgespielten‘ dritten Zählzeit die Bogenbewegung der beiden folgenden Viertel durc Aufheben des Bogens wieder abgekürzt werden muß. Diese Beobactung sprict für eine Ausführung nac der von Mozart bescriebenen Regel und damit für vier gebundene Seczehntel im Aufstric. Bereits an diesem Beispiel läßt sic der Stellenwert der von Pisendel bezeicneten Orcesterstimmen gegenüber der autographen Partitur Hasses, die diese aufführungspraktiscen Ergänzungen nict enthält, erkennen. Die Tatsace, daß umfangreices weiteres Aufführungsmaterial dieser Art in Dresden vorliegt, birgt ein großes und bisher fast unersclossenes Potenzial für die Erforscung der Dresdner Orcesterpraxis, auf das bereits Arnold Scering hingewiesen hat.36 Da diese Praxis unter der Leitung Pisendels zahlreicen Orcestern als Vorbild galt, wäre besonders auf diesem Gebiet eine breit angelegte Spezialuntersucung wünscenswert. Gerade die zahlreicen Dokumente zur Aufführungspraxis des Dresdner Orcesters, bei dem der „übereinstimmende“ Vortrag der Streicercöre eine allseits bewunderte Meisterscaft erreicte, in Verbindung mit einer eingehenden Untersucung der „nict notierten Vortragsarten“ und ihrer Anwendung im Einzelfall bietet einen geeigneten Einstieg, um auc diesen heute zunehmend willkürlic gehandhabten Aspekt der Spiel- und Editionspraxis auf eine wissenscaftlice Grundlage zu stellen. Obwohl Alfred Dürr und Georg von Dadelsen aufgrund ihrer Tätigkeit als Herausgeber der Neuen Bac-Gesamtausgabe immer wieder auf das Problem abweicender oder fehlender Vortragsbezeicnungen gestoßen sind und in ihren Veröffentlicungen auf einen Lösungsweg im Sinne des hier dargestellten Ansatzes aufmerksam gemact haben,37 hat die Musikwissenscaft bisher keine verläßlicen Methoden entwi%elt, um dem wacsenden Bedarf der Praxis an Information Recnung zu tragen.38 Da35

Mozart 1756, 74 (4. Hauptstü%, §. 10). Scering 1905/06, 368ff. Scering untersceidet allerdings noc nict zwiscen Einträgen für die solistisce und die Orcesterpraxis. 37 Diese im Zuge der kritiscen Ausgabe der Matthäus-Passion von Bac entstandenen Aufsätze sind auc durc die Wahl ihrer Titel aufeinander bezogen: Dürr 1974 „De vita $um imperfe$tis“, Dadelsen 1978 „Die Crux der Nebensace“ und Dadelsen 1980 „De $onfusione arti$ulandi“. 38 Die aufsclußreicen Untersucungen in der von Dadelsen angeregten Dissertation von Fucs 1985, die auf Bac-Quellen bescränkt ist, hat Butt 1990 weiter ausgeführt, ohne daß die Bedeutung der „nict notierten Vortragsarten“ dabei berü%sictigt wurde. 36

372

durc bleiben Irrtümer wie beispielsweise diejenigen Goebels unwidersprocen und führen zu der bereits verbreiteten Vorstellung, daß wesentlice Fragen der historiscen Praxis der augenbli%licen Entsceidung des jeweiligen Interpreten überlassen seien. Die Ergebnisse einer gründlicen Untersucung der professionellen und überaus differenzierten Arbeitsweise Pisendels und seiner Musiker sind dagegen geeignet, diese Vorstellung gründlic zu widerlegen und statt dessen diejenigen Leerstellen aufzuzeigen, an denen tatsäclic eine eigenständige Entsceidung heutiger ‚Interpreten‘ gefordert ist. Angesicts der Tatsace, daß sic eine ständig wacsende Zahl von Musikern und Hörern mit der historisc-orientierten Aufführungspraxis bescäftigt, werden diese Untersucungen umso notwendiger und willkommener sein.

Dirigieren der Proben und Aufführungen Das Einricten des Orcestermaterials in Zusammenarbeit mit Hasse ist nur der erste Scritt bei der Vorbereitung einer Opernaufführung. Die Hauptaufgabe Pisendels bestand darin, die Orcesterproben und die Aufführungen von Hasses Cajo Fabri$io am 8., 10., 12., und 14.7.173439 zu leiten. Während der Proben wurden die Einträge in den Stimmen noc durc Bleistiftvermerke vervollständigt, wie eingangs gezeigt werden konnte. Zudem zeicnete sic während der letzten Proben ab, an welcen Stellen die Verzierungen der Sänger den Fluß des Metrums aufhielten, und diese wurden durc Fermaten im Notentext kenntlic gemact. Pisendels Aufgabe als Leiter des Orcesters bestand in erster Linie darin, den gleiczeitigen Einsatz sowie rhythmisc stabilen Beginn der vom Orcester begleiteten Nummern zu gewährleisten, und diesem Zwe% dienten mehrere Einträge in den Stimmen. Um nämlic den bevorstehenden Einsatz der Arie vorhersehen zu können, ist jeweils über dem Satzbeginn das Textende des vorausgehenden se$$o-Rezitativs wiedergegeben. So konnten sic alle Musiker auf die kommende Arie einstellen, sic das zu erwartende Tempo beispielsweise nac der Pulsmethode vergegenwärtigen und die Anfangstakte einprägen, um durc das Auswendigspiel besser auf den Konzertmeister Pisendel bli%en zu können. Bereits in den Proben mußte Pisendel das Tempo der Arie möglicst genau treffen und für alle Musiker deutlic sictbar anführen. Wie im vorangegangenen Kapitel dargelegt, hatte er dabei neben der vorgezeicneten Taktart und der Tempobezeicnung auc den Text der Arie und die Fertigkeit des Sängers zu berü%sictigen: Was die Arien im italiäniscen Gescma%e anbelanget; so ist zwar wahr, daß fast eine jede von ihnen ihr besonderes Tempo verlanget. Es fließt doc aber solces mehrentheils aus den hier angeführten vier Hauptarten des Zeitmaaßes: und kömmt es nur darauf an, daß man sowohl auf den Sinn der Worte, als auf die Bewegung der Noten, besonders aber auf die gescwindesten, Actung gebe: und daß man bey gescwinden Arien, auf die Fertigkeit und die Stimmen der Sänger sein Augenmerk ricte.40

39 40

Menni%e 1906, 511. Quantz 1752, 266.

373

Bis auf den letzten Punkt sind alle Angaben dem Notentext zu entnehmen, und aus diesem Grund wohl scrieb der Kopist den Textbeginn der Arie, der ja erst im Anscluß an die Orcestereinleitung gesungen wurde, bereits unter die Melodie der ersten Takte.41 Da die ersten Violinen in der Regel die Melodie des Sängers vorwegnahmen, bot die Textunterlegung nict nur einen Anhaltspunkt für den „Sinn der Worte“, sondern auc für die Wahl der nict notierten Vortragsarten entsprecend der Silbenverteilung. Zudem könnte hier eine Wurzel für die Gewohnheit liegen, bestimmte Arien nac ihrem Textbeginn zu benennen.

ABBILDUNG 26: Arie Nr. 25 S$rivi lo vuol vendetta mit Eintragungen Pisendels (D-Dl Mus. 2477-F-11a, fol. 181)

Die Berü%sictigung der von Quantz genannten Faktoren führte bisweilen dazu, daß Pisendel von der Tempoangabe Hasses abrü%en mußte, wie aus dem Beispiel der folgenden Arie Nr. 25 S$rivi lo vuol vendetta ersictlic ist. Die Ergänzungen Pisendels sind wiederum durc Umrandung gekennzeicnet.

41

Der Hofnotist Kremmler verfuhr übrigens nur in der ersten Arie seines Anteils auf diese Weise (Arie Nr.

10, fol. 154); danac setzte er den Arientext nict mehr hinzu. Auc bei späteren Opern Hasses war dies ansceinend nict mehr üblic, vgl. Landmann 1999, Abb. 10 und 11.

374

Mit Tinte und spitzer Feder fügte Pisendel zunäcst die Abstoßzeicen im ersten Takt sowie die Bindebögen in den Takten 2 und 3 hinzu. Mit Bleistift folgten die Bindebögen in den Takten 8, 17 und 25 sowie die Fermate in Takt 18. Alle diese Ergänzungen sind in die Ripienstimme übernommen worden. Davon ausgenommen ist der Bleistiftvermerk „all o“ („allegro“), den Pisendel offenbar erst in den letzen Proben eingetragen hat und der im Widerspruc zu der ursprünglicen Tempoangabe Hasses „Andante più Tosto“ steht. Aufgrund der Angaben von Quantz ist zu vermuten, daß Pisendel diese Tempokorrektur auf Veranlassung des Sängers vorgenommen hat: Ein Sänger der die gescwinden Passagien alle mit der Brust stößt, kann dieselben scwerlic in solcer Gescwindigkeit herausbringen, als einer der sie nur in der Gurgel markiret; ohneractet der erstere vor dem letztern, absonderlic an großen Orten, wegen der Deutlickeit, immer einen Vorzug behält.42

ABBILDUNG 27: Übertragung der Arie Nr. 25 S$rivi lo vuol vendetta mit nict notierten Vortragsarten

Offenbar duldete Hasse aber, daß Pisendel seine Tempovorgaben änderte, denn noc Generationen später war unter Musikern die Überlieferung verbreitet, „daß sogar Hasse, dessen Opern damals aufgeführt wurden, versicert haben soll, Pisendel treffe die Bewegung rictiger, als er selbst.“43 Bestätigen läßt sic dies an der Arie Nr. 7 Scerza tallor, bei der Pisendel die Tempoangabe „Allegro di molto“ durc den Zusatz „non tanto“ wiederum stark modifiziert hat (fol. 19, ohne Abbildung). Auc in 42 43

Quantz 1752, 266. Türk 1789, 113, ebenso in der zweiten Auflage 1802, 108.

375

der Arie Nr. 17 Se tu non senti oh Dio hat Pisendel die Vorgabe Hasses „Allegro“ mit Bleistift um den Zusatz „assai “ ergänzt, und diesmal hat der Kopist diesen Zusatz sogar mit Tinte nacgescrieben und in die Ripienstimme übertragen (siehe Abbildung 28). Diese Tempoänderung wurde also bereits zu einem vergleicsweise frühen Zeitpunkt während der Probenarbeit festgelegt.

ABBILDUNG 28: Arie Nr. 17 Se tu non senti oh Dio mit Eintragungen Pisendels (D-Dl Mus. 2477-F-11a, fol. 42)

Über der Tempoangabe der Arie No: 17 hat Pisendel mit Tinte den versclüsselten Vermerk „CC.“ in seine Konzertmeisterstimme eingetragen. Beim Einsatz in Takt 14 sowie in Takt 58 hat er ihn erneut, diesmal mit Bleistift, vermerkt. In Takt 29 ist der Bleistiftvermerk dagegen als „C.“ zu lesen. Am Rand vor der ersten Zeile ist zudem ein weiteres, höcst ungewöhnlices Zeicen zu erkennen, das aus einem langen und einem kürzeren Querstric besteht: „– -“. Diese Chiffren, die hier erstmals bescrieben werden, sind nict in die Ripienstimme übertragen worden. Es fällt auf, daß alle bisher vorgestellten Arien einen solcen Randvermerk in Pisendels Stimme aufweisen, der wie ein metrisces Zeicen aussieht: in der Arie Nr. 12 ist es ein Querstric mit angehängtem Häkcen („ υ“), und in der Arie Nr. 25 ist es ein einzelnes Häkcen („υ“). Eine Untersucung des gesamten Stimmenmaterials der ersten Violine ergab, daß Pisendel diese Zeicen in versciedener Kombination am Beginn von fast jeder Arie eingetragen hat. Sogar bei Chören und Rezitativen sind sie zu finden, wie die unten folgende Übersict zeigt, die eine Konkordanz der drei Stimmen zum Aufbau der Oper sowie Angaben über eventuelle Chiffren enthält.

376

Diejenigen Seiten, auf denen die jeweils angegebene Chiffre eingetragen ist, sind durc Fettdru% hervorgehoben (siehe Tabelle 10).

ABBILDUNG 29: Übertragung der Arie Nr. 17 Se tu non senti oh Dio mit nict notierten Vortragsarten44

Aus der folgenden Tabelle 10 geht hervor, daß diese ungewöhnlicen Chiffren nur in der von Pisendel eingericteten Konzertmeisterstimme (1-Io/IIo, 3-IIIo, Intermezzo IIo/IIIo) auftreten und daher wohl ausscließlic für Pisendel eine bestimmte Bedeutung besaßen. Bei näherem Hinsehen lassen sic die Kürzel „CC.“ beziehungsweise „C.C.H.H.“ als Instrumentenangaben identifizieren: „C.“ steht für Corno und „H.“ für Hautbois. Offensictlic kennzeicnen diese Angaben den Einsatz des Hörnerbeziehungsweise des Oboenpaares und sind als Direktionsangaben zu identifizieren. Die gleice Funktion erfüllt auc die mit Tinte eingetragene Angabe „Bassoni “ im Intermezzo (fol. 194, ohne Abbildung). Die Instrumentenangabe ist hier sogar, wie in dem oben vorgestellten Violinkonzert von Fasc, mit kleinen ‚Sticnoten’ für deren Einsatz versehen. 44

Obwohl die Wahl der „nict notierten Vortragsarten“ scon aufgrund des zügigen Tempos „Allegro assai “ im 24 Takt notwendig ist, werden die Bindungen der ersten Takte auc dadurc bestätigt, daß Pisendel eine sehr ähnlice Figur in der Arie Nr. 4 Dell amante („Allegretto“, 24 Takt) in Takt 9/10 und noc deutlicer in Takt 35/36 ausdrü%lic mit Abstoßzeicen bezeicnet hat (siehe folgende Abbildung). Daraus geht hervor, daß die „gemeine Art“ der „Ausführung“ an dieser Stelle Bindungen vorsah, wie sie in Abbildung 29 realisiert sind.

377

TABELLE 10: Konkordanz der drei Violinstimmen zu Hasses Oper Cajo Fabri$io

Nr.

Ex.1 Ex.2 Ex.3 Chiffre

Textin$ipit

Bemerkungen

o

Atto I Sinfonia No: 1 No: 2 No: 3 No: 4 No: 5 No: 6 Re$it. No: 7 No: 8 Re$it. Re$it. [entf.] No: 9

2 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 24 25 26

65 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 87 88 89

128 CC. 131 υ 133 υ 135 –137 υ 139 – 141 υ 143 [ohne Chiffre] 145 CC. 147 – 149 –– 150 [ohne Chiffre] [ohne Chiffre] 151 [ohne Chiffre]

Atto II o [kein Titelblatt] Coro 29 92 153 C.C.H.H. No: 10 30 93 154 υ No: 11 31 94 155 – No: 12 32 95 156 υ No: 13 34 97 158 [bescnitten] No: 14 36 99 160 υ No: 15 38 101 162 –– No: 16 40 103 164 – No: 17 42 105 166 – -, CC. No: 18 44 107 168 υ No: 19 46 109 170 υ, CCHH. Atto III o No: 20 No: 21 No: 22 No: 23 No: 24 No: 25 Re$it. No: 26 No: 27 Coro

49 51 53 53 55 57 57 59 61 63

112 114 116 116 118 120 120 122 124 126

173 175 177 177 179 181 181 183 185 187

υ υ, CC. – –– υ υ – – υ –

In $osi lieto Quando abbandona Vedi lamata Dell amante Il Trono, il regno Non ti ri$uso Scerza tallor Re$a la pa$e Caro sposo amato

378

[Rezitativstimme statt Text] [Bogenzählung „V.3.1.“] [Rezitativstimme statt Text] [Rezitativstimme statt Text] [kein Text beigegeben]

[kein Text beigegeben] Pender da $enni Amore a lei giurasti Ardi à vezzosi rai Non hà più pa$e Giovani $ori amanti [Bogenzählung „V.2.1.“] Non sempre oprar da forte Lungi dagl’ o$$hi tuoi Se tu non senti oh Dio [Pisendel: „assai “] Non mi ciamar $rudele [Bogenzählung „V.3.1.“] No$$hier, ce teme

Sarà vezzosa Volgi a ma gl’affetti Quella è mia figlia Vedrai morir $ostante Chi non sente S$rivi lo vuol vendetta

[Bogenzählung „V.2.1.“] [Pisendel: „all o“] [Rezitativstimme statt Text]

Padre ingiusto Var$erò sa flebil onda

Intermezzo II o [kein Titelblatt] 188 [ohne Chiffre] 188 [ohne Chiffre] 189 – A$$anto al mio 190 υ Mio dol$e amore

[Vorspiel] [ohne No:] [ohne No:] [ohne No:]

[Bogenzählung „V.2.1.“]

[kein Text beigegeben]

[kein Text beigegeben]

Intermezzo III o Re$it. [ohne No:] Re$it. [Intermezzo] [ohne No:]

192 [ohne Chiffre] Come, $ome? mia pari? 194 υ, Bassoni [kein Text beigegeben] 194 [ohne Chiffre] [Rezitativstimme statt Text] 195 υ Cava pur la spada 196 [ohne Chiffre] Qual tortorella

Die Bedeutung der übrigen Chiffren, die an Hebungen und Senkungen aus der Metrik erinnern, ist weniger leict zu entsclüsseln. Allerdings ist aufgrund ihrer Position am Beginn der Nummern zu vermuten, daß es sic ebenfalls um Hinweise zur Direktion handelt, die Pisendel möglicerweise als Gedäctnisstütze eingetragen hat. Ein Zusammenhang mit dem Versmaß des vertonten Textes ist nict erkennbar, zumal die einzeln auftretenden „υ“ und „–“ für sic genommen noc keinen Versfuß bilden. Auc die Chiffre „– -“ mit einem langen und einem kurzen Querstric, die zweimal in dieser Form auftritt, läßt sic nict als Versfuß erklären und weist eher auf eine metrisce Bedeutung im Sinne der Takthierarcie hin. Zudem ist anzunehmen, daß diese Chiffren eine Information enthalten, die über das aus dem Notentext Ablesbare hinausgehen, denn sonst hätte Pisendel sie wohl nict eigens hinzugefügt. TABELLE 11: Direktionszeicen Pisendels in der Konzertmeisterstimme zu Cajo Fabri$io

Chiffre Tempobezeicung υ υ υ υ υ υ υ υ ––– –– ––– – – – – – –

Textin$ipit

Nummer

fol.

 Allegro  Allegro e $on Spirito assai  (2) Allegretto 4  Andante  Allegro  Allegro  Allegro [Pisendel: „Sordini “]  Allegro

In $osi lieto Quando abbandona Dell amante Non ti ri$uso Pender da $enni Ardi à vezzosi rai Non mi ciamar $rudele Sarà vezzosa

No: 1 No: 2 No: 4 No: 6 No: 10 No: 12 No: 18 No: 20

5 7 11 15 30 32 44 173

 Molto Moderato  [A$$ompagnato-Rezitativ]

Vedi lamata [kein Text beigegeben] Non sempre oprar da forte Se tu non senti oh Dio

No: 3

9

3 4 Presto, e $on spirito  (2) Allegro [Pisendel: 4

„assai “] dazwiscen: zwei Adagio-Passagen 3 Vedrai morir $ostante 8 Allegretto  (2) Allegro più tosto 4 3 4 Allegretto 3 8 Allegretto

mà po$o

 Po$o Andante  Più Tosto Grave  Andante, e sempre l’istesso Tpo.

Il Trono, il regno Re$a la pa$e Amore a lei giurasti Lungi dagl’ o$$hi tuoi Quella è mia figlia [Rezitativ: kein Text beigegeben]

[ohne Nr.] 23

No: 15 No: 17

38 42

No: 23

177

No: 5 No: 8 No: 11 No: 16 No: 22 [ohne Nr.]

13 21 31 40 177 181

379

(Fortsetzung Tabelle 11)

Chiffre Tempobezeicung – – –

3 4 Adagio 3 8 Allegro

υ υ υ υ υ υ υ υ υ

3 8 Allegro

 ( 2) Presto 4

 Un po$o Moderato

piu tosto  Allegro assai 3 8 Allegro,

mà non Presto  Moderato ma po$o  Andante più tosto [Pis.: „all o“] 3 8 Allegretto 3 8 Allegretto 3 8 Allegro

 un po$o Lento

Textin$ipit

Nummer

fol.

Padre ingiusto [Coro: Ende der Oper] A$$anto al mio

No: 26

183

[ohne Nr.] 187 [Intermezzo] 189

Giovani $ori amanti No$cier, ce teme Volgi a ma gl’affetti Chi non sente S$rivi lo vuol vendetta Var$erò sa flebil onda Mio dol$e amore [kein Text beigegeben] Cava pur la spada

No: 14 36 No: 19 46 No: 21 175 No: 24 179 No: 25 181 No: 27 185 [Intermezzo] 190 [Intermezzo] 194 [Intermezzo] 195

Aus der Zusammenstellung der vier versciedenen Chiffren, die Pisendel in seine Konzertmeisterstimme eintrug, lassen sic gewisse Gesetzmäßigkeiten ablesen. Beispielsweise ist die Chiffre „ υ“ nur bei geraden Takten, zumeist im scnellen Tempo, zu finden. Offenbar besteht also ein Zusammenhang zwiscen dieser zweiteiligen Chiffre und dem Zeitmaß. Die ebenfalls zweiteilige Chiffre „– –“ dagegen tritt in zwei Fällen auc bei ungeraden Taktarten auf, hier jeweils mit zwei gleic langen Querstricen. Beide ungerade Taktarten sind mit einem kleinteiligen scnellen Tempo verbunden (Presto 34 und Allegretto 38 ). Die jeweils ganztaktig wecselnde Harmonie der betreffenden Stü%e deutet darauf hin, daß beide ein übergeordnetes, gerades Metrum haben. Offenbar wollte Pisendel mit den zwei gleic langen Querstricen der Chiffre „– –“ andeuten, daß sic die Bewegung des Stü%es auf ganze Takte bezieht, damit er seine Dirigierbewegung entsprecend anlegen, und zwei ganze Takte vorausgeben konnte. Dabei bilden die beiden Takte offensictlic eine übergeordnete Einheit, wie sie erst aus der neuzeitlicen Dirigierpraxis bekannt ist.45 Übertragen auf das erste abgebildete Beispiel, die mit der Chiffre „ υ“ versehene Arie Nr. 12 Ardi à vezzosi rai, bedeutet dies, daß Pisendel das Tempo hier auf zwei Viertel bezogen hat, von denen das zweite entsprecend der Takthierarcie leicter gespielt werden muß (‚scwer-leict’ beziehungsweise ‚betont-unbetont’). Pisendels Dirigierbewegung bestand also in einer gewictigen ersten und einer leicteren zweiten Bewegung, die ohnehin ein natürlicer Teil der Spielbewegung durc den Bogenarm sind und bis heute in dieser Weise eingesetzt werden. Nacdem Pisendel den Bogen zum Zeicen des bevorstehenden Einsatzes in Spielposition gebract hat, holt er mit dem recten Arm zur Seite aus, und im Zurü%scwingen des Arms hebt er den Bogen nac oben, um das $'' auf der e-Saite in der unteren Bogenhälfte anzu45

Das Zeitmaß orientiert sic also nict ausscließlic an der vorgegebenen Taktart, sondern das „tempo ordinario“ berü%sictigt mehrere musikalisce Parameter. Die erstaunlice Tatsace, daß Pisendel seiner Direktion bereits sogenannte Großtakte zugrundelegte, und die daraus folgenden Rü%sclüsse auf das Tempo, sollen an anderer Stelle eingehend untersuct werden.

380

setzen. Da diese Bewegung ‚… drei-vier’ beziehungsweise ‚… scwer-leict’ bereits das kommende Tempo vorausnimmt und die metrisce Gewictung der folgenden Viertel anzeigt, kann dies als klassisce Vorausbewegung eines Dirigenten bezeicnet werden. Bereits im letzten Kapitel war aufgrund der Mitteilungen von Quantz und Reicardt vermutet worden, daß Pisendel derartige Dirigierbewegungen tatsäclic verwendete. Daß sic eine solce Dirigierbewegung in diesem Fall aber an einer Quelle festmacen und konkret bestimmen läßt, muß als ganz außergewöhnlicer Quellenfund angesehen werden, der die historisce Bedeutung Pisendels als Dirigent unterstreict. Die Arie Nr. 25 S$rivil lo vuol vendetta ist lediglic mit einem einzigen Häkcen „υ“ als Dirigierciffre versehen, obwohl die ursprünglice Tempovorgabe „Andante più Tosto“ im geraden C-Takt eine zweiteilige Dirigierbewegung ‚… scwer-leict’ wie in der Arie Nr. 12 vorausgesetzt hätte. Pisendel notierte aber ‚gehenden’ Andantebewegung engegensteht. Dazu paßt, daß er auc die Tempoangabe Hasses in „all o“ („allegro“) korrigierte. Wegen der beiden abgesetzt zu spielenden Viertel zu Beginn der Arie entfällt also eine zweiteilige Vorausbewegung mit der Information ‚… scwer-leict’, vielmehr müßte die entsprecende Bewegung für die beiden Anfangsnoten nun „… kurz-kurz“ signalisieren. Da zwei ru%artige Bewegungen jedoc nict zum natürlicen Bewegungsablauf des Bogens gehören, reduziert sic auc in der heutigen Dirigierpraxis eine derartige Vorausbewegung für einen sta$$ato-Beginn auf einen einzigen kurzen Auftakt, der ‚kurz’ und ‚leict’ gleiczeitig bedeutet. Eben diese Bewegung hat Pisendel durc seine Dirigierciffre „υ“ angezeigt. In diesem Fall bracte er den Bogen also wiederum in Spielposition, hielt inne und führte seinen Bogen in einer kurzen, aber scwungvollen Bewegung nac oben, die von allen Musikern unmißverständlic als Auftakt für die beiden kräftigen sta$$ato-Viertel aufgefaßt wurde. Die Dirigierciffre „– -“ vor der Arie Nr. 17 Se tu non senti oh Dio bezieht sic auf zwei halbe Takte im geraden Takt, der hier mit C vorgezeicnet ist, obwohl er nur zwei Viertel zählt.46 Eine Dirigierbewegung wie in der ersten gezeigten Arie Nr. 12 mit der Bedeutung ‚… scwer-leict’ kommt hier nict in Frage, denn diese müßte sic nac den Regeln des geraden Taktes auf vier Einheiten im Takt, also auf Actel beziehen. Einerseits kann eine Actelbewegung im gegebenen Tempo („Allegro assai “) nict sinnvoll dirigiert werden, andererseits zeigt auc das Notenbild häufig eine synkopisce Bindung vom zweiten auf das dritte Actel, etwa in den Takten 1/2, 9/10 und 15/16. Da die auf eine Synkope folgenden Noten ‚abfedernd’ gespielt werden müssen, muß die zweite Takthälfte eine gewisse Betonung erhalten. Aus diesem Grund wählte Pisendel eine auf halbe Takte bezogene Dirigierbewegung ‚... eins-zwei’ aus zwei betonten Vierteln, wie sie durc seine Chiffre „– -“ angezeigt ist. Die Bewegung unterscied sic von derjenigen in Arie Nr. 12 dadurc, daß nac der kräftigen Bewegung des Bogenarms nac außen die zweite Bewegung nict scwungvoll nac oben, sondern fast ebenso kräftig wieder zurü%geführt wird, bevor der erste Ton des Orcestervorspiels erklingt.

46 Wäre dieser 24 -Takt mit vorgezeicnet worden, hätte er im doppelten Tempo gespielt werden müssen. Zu dieser Besonderheit der Taktbezeicnung vgl. Quantz 1752, 56.

381

Die Dirigierciffren in Pisendels Konzertmeisterstimme bestätigen die Ergebnisse aus der vorangegangenen Untersucung der sogenannten Doppeldirektion zwiscen Hasse und Pisendel, denn die alleinige Verantwortung für die Tempowahl und den ersten Einsatz in allen orcesterbegleiteten Nummern lag bei Pisendel, während Hasse sic auf die dramatisce Gestaltung der Rezitative und das Bühnengescehen konzentrieren konnte. Dennoc gab es hierbei offenbar Ausnahmen, wie aus der oben wiedergegebenen Tabelle über die in den drei Violinstimmen enthaltenen Nummern aus Cajo Fabri$io hervorgeht. In Pisendels Konzertmeisterstimme weist die Sclußarie des ersten Aktes keine Dirigierciffre auf. Dies liegt daran, daß sie offenbar kurzfristig in die Oper eingefügt wurde. Die Exemplare 1 und 2 enthalten nämlic noc die ursprünglic vorgesehene Arie, deren Bleistifteinträge darauf hindeuten, daß sie bereits geprobt worden ist.47 Bei zwei der vier A$$ompagnatoRezitative, die keine Dirigierciffren tragen (fol. 17 und 24), liegt die Vermutung dagegen auf der Hand, daß Hasse hierzu den maßgeblicen Einsatz gab. Umso interessanter ist es, daß Pisendel nict ausscließlic Arien, sondern auc die verbleibenden A$$ompagnato-Rezitative (fol. 23 und 181) dirigierte. Im Gegesatz zu den von Hasse geleiteten Rezitativen weisen die letztgenannten jeweils eine ganztaktige Einleitung des Orcesters auf, die es offenbar erforderlic macten, daß Pisendel die Direktion übernahm, denn nur er verfügte über die aufwendige Tecnik, ein bestimmtes Tempo bei den Orcestermusikern zu etablieren. Ob Hasse auc in denjenigen Fällen, in denen keine Dirigierciffre, sondern nur eine Besetzungsangabe („CC.“ oder „CC.H.H.“) notiert ist, an der Direktion des Orcester beteiligt war, läßt sic anhand des untersucten Materials nict entsceiden. Dazu wären weitere Studien unter Berü%sictigung der originalen Aufführungspartitur Hasses notwendig, die im Gegensatz zur Cembalo-Ripieno-Stimme im Eigentum des Komponisten verblieb und deshalb nict in Dresden überliefert ist. Obwohl aus diesem Grund die Frage vorerst offen bleiben muß, wer für jenen eindru%svollen Einsatz am Beginn der Opernouvertüre, den berühmten „premier $oup d’arcet“, verantwortlic war,48 konnte anhand der vorgestellten Quellen erstmals textkritisc nacgewiesen werden, daß der Konzertmeister Pisendel auc nac heutigen Begriffen als der eigentlice Dirigent der Oper Cajo Fabri$io von Hasse angesehen werden muß.

47

Die Dirigierciffre vor der Arie Nr. 13 Non hà più pa$e ist nict mehr zu entziffern, weil der größte Teil davon im Zuge der Bindung abgescnitten wurde. 48 Nac Webster 1990, 600f, war das Cembalo in Ouvertüren und Ballettmusiken in der Opernpraxis des späteren 18. Jahrhunderts Oper gar nict beteiligt. Sollte dies für die Dresdner Praxis zutreffen, lag auc die Direktion der Ouvertüre in Pisendels Verantwortungsbereic.

382

V. PISENDELS AUFGABEN IM BEZUG AUF SEINEN REPERTOIREBEREICH 1. A USWÄHLEN VON EIGENEN UND FREMDEN K OMPOSITIONEN Wie bei der Untersucung der Amtspflicten eines Dresdner Konzertmeisters festgestellt werden konnte, war Pisendel neben seinem eigentlicen Verantwortungsbereic, der Qualität des Orcesterspiels im weitesten Sinne, auc für einen eigenen Repertoirebereic zuständig. In Dresden war, wie an allen größeren Höfen, das gesamte Repertoire des Musikbedarfs auf versciedene Amtsträger verteilt. Während der übergeordnete Kapellmeister für die Komposition und Direktion der repräsentativen Vokalmusik in Oper und Kirce bezahlt wurde und die „Kircen-Compositeurs“ den großen Bedarf an Kircenmusik für den alltäglicen Kircendienst zu de%en hatten, war Pisendel für das Repertoire der Instrumentalmusik allein verantwortlic. In den Bestallungsdokumenten wird ein solcer Repertoirebeauftragter kraft einer häufig wiederkehrenden Formel angewiesen, „mit seinen eigenen und anderen Compositionen die Musi$ zu bestellen und zu dirigiren.“1 Zu diesem Zwe% hatte Pisendel einen Vorrat an Musikalien angelegt und war offenbar ständig auf der Suce nac neuen, geeigneten Werken. Dies kann aus der sehr großen Zahl von Instrumentalwerken gesclossen werden, in denen Pisendel seine Spuren hinterlassen hat und die sic bis heute in der Säcsiscen Landesbibliothek, dem ehemals gesclossenen Bestand „Scran% No: II.“, befinden. Die Verbindung der einzelnen Musikalien zu Pisendel sind an dessen Tätigkeit als Komponist, Bearbeiter und Kopist, als Solist und Orcesterleiter oder auc als Auftraggeber und Widmungsträger zu erkennen. Daher werden die Musikalien mit diesen Merkmalen im folgenden als Pisendels Notenbibliothek bezeicnet, obwohl ihr Umfang noc nict überbli%t werden kann, weil entsprecende Vorarbeiten fehlen. Gleicwohl hat sic die musikwissenscaftlice Forscung seit dem 19. Jahrhundert mit bestimmten Teilen von Pisendels Notenbibliothek intensiv bescäftigt. Man kann sogar feststellen, daß Pisendel der jüngeren Musikwissenscaft hauptsäclic als Benutzer dieser Musikalien ein Begriff war, ohne daß genauer untersuct worden wäre, was ihn zur Anhäufung dieses wertvollen Notenscatzes veranlaßt haben könnte. Obwohl nämlic beispielsweise durc die Arbeiten Landmanns bekannt war, daß Pisendel für das instrumentale Repertoire der Dresdner Hofkapelle zu sorgen hatte, konnte man sic die große Zahl der Handscriften offenbar nur durc einen „leidenscaftlicen Sammlerfleiß“2 Pisendels erklären. Ausgehend von dieser Vorstellung wurde Pisendels Notenbibliothek in „kapelleigene Musikalien“ und eine „Privatsammlung“ unterteilt, wobei die Werke aus der „Privatsammlung“ Pisendels nict dem Repertoire der Hofkapelle zuzurecnen seien. Diese Auffassung wird unten überprüft werden, denn sie sceint mit dem Repertoireauftrag Pisendels im Widerspruc zu stehen.

1 2

Vgl. oben, Abscnitt III, 2. „Musikalisce Amtspflicten in Dresdner Quellen“. Vgl. Fecner 2001, 41.

383

Vom Umfang dieses Dresdner Musikalienbestandes vermögen bereits die handscriftlicen Instrumentalkonzerte einen oberfläclicen Eindru% zu vermitteln, deren Zahl auf 600 bis 700 Quellen gescätzt wird.3 Ein vollständiger Quellenkatalog, der alle Musikhandscriften der Säcsiscen Landesbibliothek erfaßt und bescreibt, liegt noc nict vor. Gattungsübergreifend wurden die in Dresden überlieferten Werke Vivaldis, Telemanns und Hasses in drei Spezialkatalogen vorgestellt,4 und neuerdings liegen zwei thematisce Verzeicnisse mit Instrumentalkonzerten vor, in denen die Werke italieniscer (ohne diejenigen Vivaldis) sowie der wictigsten deutscen Komponisten dieses Repertoires (Telemann, Heinicen, Pisendel, Fasc, Stölzel, Quantz und Graun) zusammengefaßt sind.5 Die Zahl der eigenen Kompositionen Pisendels in diesem Bestand ist dagegen verscwindend gering, denn überliefert sind neben elf Violinkonzerten lediglic act Violinsonaten und zwei Orcesterwerke.6 Dennoc dürften auc etwaige Neuentde%ungen nur innerhalb dieses Bestandes zu erwarten sein, denn von anderen Fundorten sind bislang keine Kompositionen Pisendels bekannt geworden, wenn man von einer Gigue a-Moll für unbegleitete Violine, der einzigen zu Lebzeiten gedru%ten Komposition Pisendels, absieht.7 Die in Dresden erhaltenen Kompositionen Pisendels sind nict nur in der Regel im Autograph überliefert, sondern tragen häufig Spuren eines Entstehungsprozesses.8 Sieben der elf Violinkonzerte Pisendels liegen beispielsweise in mehrfacen Fassungen vor, die nict unbedingt „Pisendels Ringen um die Endgestalt des Werkes“,9 sondern vor allem die Verwendung dieser Konzerte zu untersciedlicen Zwe%en dokumentieren. Der untersciedlice Aufführungsrahmen erforderte nämlic Änderungen sowohl in der Besetzung als auc in der kompositoriscen Faktur der Werke, und aus diesem Anlaß hat Pisendel zum Teil tiefgreifende Veränderungen vorgenommen. Diese „Bearbeitungstätigkeit“ Pisendels bescränkt sic jedoc nict nur auf eigene Kompositionen, sondern ist beispielsweise auc in den Werken von Vivaldi, Telemann und Fasc festzustellen.10 Auc Heinicen, Zelenka und Ristori haben in fremde Werke bearbeitend eingegriffen und sie damit an Dresdner Aufführungsverhältnisse und Gescma%svorstellungen angepaßt.11 Obwohl diese Praxis in der Literatur über das Dresdner Repertoire eine wictige Rolle spielt und zudem interessante Parallelen zu Bacs Bearbeitungstätigkeit aufweist, soll sie hier nict erneut thematisiert werden. Stattdessen sollen die aus diesen Untersucungen gewonnenen Erkenntnisse über die Zusammensetzung und Verwendung des erhaltenen Repertoires vor dem Hintergrund der oben zitierten Bestallungsvorscriften neu beleuctet werden.

3

Landmann 1982, 58, nennt im einzelnen „$a. 300—400 Violinkonzerte, $a. 200 Con$erti grossi und Gruppenkonzerte, $a. 50 Solokonzerte für Flöte bzw. Oboe, $a. 30 Solokonzerte für andere Instrumente.“ 4 Vgl. Landmann 1981, Landmann 1983 II und Landmann 1999. 5 Vgl. Pozzi 1995 und Fecner 1999. 6 Vgl. die Übersict über die bisher bekannten Werke in Anhang II. 7 Vgl. oben Abscnitt II, 6. „Eigene Akzente im Instrumentalrepertoire der Hofkapelle“. 8 Vgl. den thematiscen Katalog der Konzerte Pisendels in Fecner 1999, 260-287. 9 So Fecner 1999, 278. 10 Vgl. Landmann 1978, 52, Landmann 1980, 27, Fecner 1982, 173, und Fecner 1996, 123. Zu Vivaldi vgl. zusammenfassend Heller 1991, 323-326, und zu Fasc speziell Fecner 1999, 30. 11 Vgl. Horn 1987, 198ff, und Landmann 1998, 26.

384

„Pisendels Notenbibliothek“ – Eigenbedarf und Repertoireauftrag Selbstverständlic wurden Notenbibliotheken von Musikern nict ausscließlic aufgrund eines höfiscen Repertoireauftrages angelegt. Jeder ernsthafte Musiker bemühte sic, für den eigenen Bedarf und zur eigenen Übung eine möglicst große Anzahl geeigneter Kompositionen zusammenzutragen, wie Quantz bestätigt: Von guten musi$aliscen Stü%en sammle sic ein Anfänger so viel, als er nur immer haben kann, und nehme sie zu seiner täglicen Übung vor: so wird sic auc dadurc sein Gescma%, nac und nac, auf eine gute Art bilden […]. Ein Anfänger […] darf sic nict daran kehren, ob ein Stü% ganz neu, oder scon etwas alt ist. Es sey ihm genug, wenn es nur gut ist. Denn nict alles was neu ist, ist deswegen auc zugleic scön.12

Auc im Bestand des „Scran% No: II.“ sind zahlreice Kammermusikwerke erhalten, die Pisendel für seinen eigenen Gebrauc abgescrieben hatte. Diese sind jedoc noc nie systematisc untersuct worden und lassen sic durc das Fehlen eines allgemeinen Quellenkataloges auc noc nict ausreicend überbli%en. Als ein Beispiel für dieses instrumentale Repertoire, das einen eindeutigen Bezug zu Pisendel aufweist, können die von Pisendel zusammengetragen Werke für sein Spezialinstrument, die Viola d'amore, angeführt werden.13 Die Mehrzahl der Originalwerke für Viola d'amore aus Pisendels Besitz weist auf eine relativ frühe Zeit in Pisendels Biographie hin, etwa das Trio seines Leipziger Kollegen und späteren Darmstädter Konzertmeisters Johann Micael Böhme oder die zwei Partiten von Christian Petzold. Auc die ansonsten repertoirefremden Werke aus dem süddeutscen Raum, etwa die Kompositionen von Wilhelm Gansbe% und Franz Simon Scucbauer, weisen auf frühe Kontakte Pisendels, die vielleict noc auf dessen Ansbacer Zeit zurü%gehen.14 Solce Musikalien haben mit einem Repertoireauftrag nicts zu tun, sondern spiegeln den persönlicen Bedarf und den musikaliscen Horizont ihres Besitzers wider. Selbstverständlic war Pisendel nict nur in seiner Zeit als Premier Violon, sondern auc während seiner Amtszeit als Konzertmeister an der höfiscen Kammermusik führend beteiligt, so daß er wohl während seiner gesamten Dresdner Zeit auc Kammermusikwerke aufgeführt hat. Das gleice gilt auc für Violinkonzerte, mit denen er bereits vor Woulmyers Tod als Solist auftrat und die er als Konzertmeister in großer Besetzung aufführte. Seit seiner Ernennung zum Konzertmeister verlagerte sic sein Interesse jedoc weg von solistiscen Auftritten und hin zu jener Arbeit als „Anführer“ des Orcesters, die von Quantz ausführlic bescrieben wurde. Dabei überließ er die solistiscen Auftritte gern jüngeren Solospielern, die teilweise wohl auc seine Scüler waren, und erreicte auf diese Weise, wie Quantz bemerkt, daß ihm gesci%te und motivierte Musiker im Orcester zur Verfügung standen. Dies wird auc von Agri$ola bestätigt: 12

Quantz 1752, 98. Zur musikaliscen Studienbibliothek von Johann Gottfried Walther vgl. dessen Autobiographie in Mattheson 1740, 388. 13 Vgl. den Überbli% über Pisendels Sammlung von Viola d'amore-Werken in Köpp BJ 2000, 154f. 14 Die süddeutsce Provenienz dieser Werke könnte mit einem Scülerverhältnis zu Kaspar Scweitzelsberger in Verbindung gebract werden, der seine Scüler außer in der Komposition auc auf der Viola d'amore unterrictete und zwiscen 1708 und 1709 Pisendels Kollege in Ansbac war, vgl. Abscnitt II, „Als Violinist in der Ansbacer Hofkapelle“.

385

In seinen jüngern Jahren war er einer der besten Violinisten, auc im Solospielen. Man recnet nict unrect, wenn man die Gesci%lickeit unserer heutigen besten Ausführer im Instrumental-Adagio, in gewisser Art, und auf mehr als eine Weise, von ihm herrecnet. Nacdem er aber Con$ertmeister geworden war, spielte er seltener was $on$ertirendes, und hatte dagegen die Anführung des Orcesters desto mehr am Herzen.15

Während Kammermusikwerke in der Regel als Stimmen ohne Partituren aufbewahrt werden, sind Partituren ein Merkmal für größere Besetzungen und damit ein Hinweis auf Pisendels Interesse an der „Anführung des Orcesters“. Dieses Interesse dürfte allerdings scon vor dem Tod Woulmyers erwact sein, denn Pisendel hatte ja bereits Direktionsaufgaben zu übernehmen, wenn der Konzertmeister abwesend oder verhindert war wie beispielsweise während Woulmyers Aufenthalt in Warscau 1725/26. Spätestens bei der Anscaffung von Partituren und dem Erstellen von Aufführungsmaterial war es notwendig, eine geordnete Notenbibliothek und eventuell ein Register oder Findbuc anzulegen. Mattheson bezeicnet es als eine wictige und typisce Aufgabe für Musikdirektoren, daß sie „die ausgescriebenen Stimmen mit der Partitur zusammen halten“16 sollen, und führt aus: Wer es aber hierin nict versiehet, der hat noc über alles dieses den Vortheil, daß er bey Zusammenhaltung der ausgescriebenen Stimmen (welces ein wictiges Stü%, so zum Amt des Vorgesetzten gehöret) lange nict so viel Zeit und Mühe verscwenden darff, als im Gegentheil gescehen muß.17

Pisendel hat wahrsceinlic bereits nac seiner Rü%kehr aus Italien, sicer aber noc vor 1728 damit begonnen, eine solce Notenbibliothek anzulegen. Zunäcst enthielt sie wohl in erster Linie Kammermusik, die teilweise noc aus der Zeit vor seiner Anstellung in Dresden stammte. Möglicerweise waren auc Kircenwerke darunter, die Pisendel in seiner Zeit als Vertreter des Musikdirektors Melcior Hoffmann in der Neukirce zu Leipzig aufführte. Auc ein Teil des erwähnten Viola d'amoreRepertoires ist darunter zu zählen. Seit seiner Rü%kehr aus Italien dürften zahlreice weitere Manuskripte mit italieniscer Musik hinzugekommen sein, unter denen besonders die eng bescriebenen „Reisepartituren“ Pisendels zu nennen sind.18 Dabei hat Pisendel sicer einige italiensce Violinkonzerte im Rahmen höfiscer Kammermusik, zumal in den Räumen des damaligen Kurprinzenpaares, aufführen können. Mit der Ernennung Pisendels zum Konzertmeister und besonders nac dem Regierungswecsel war Pisendel als Repertoirebeauftragter dazu verpflictet, solce Musikalien herbeizuscaffen oder auc zu komponieren, die dem Gescma% seines Auftraggebers entspracen. Mit diesem neuen Amt fällt Pisendels Interesse für die „Anführung des Orcesters“ zusammen, das ja durcaus, wie Quantz bezeugt, auc französisce Orcestermusik umfaßte. Auc in der frühen Lebensbescreibung wird ausdrü%lic erwähnt, daß Pisendel bis 1733 „beständig zwey Orcestres, nehmlic eine Ital. und eine Französisce aufzuführen gehabt“ habe.19 Aber auc als die zahlreicen französiscen Ouverturen und Orcestersuiten, die in „Scran% No: II.“ arciviert waren,20 am Dresdner Hof nict mehr zum offiziellen Repertoire gehör15

V67, 289. Vgl. Mattheson 1739, Register (unpaginiert): „Dire$tor der Musi$“ . 17 Mattheson 1739, 481. 18 Vgl. beispielsweise Talbot 1990, 161. 19 Vgl. V56, 302. 20 Vgl. Landmann 1981 I, 50f. 16

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ten, verwendete Pisendel sie zur Ausbildung und Übung des Orcesters, wie das vorangegangene Kapitel gezeigt hat. Der Bedarf an italieniscer Instrumentalmusik, die der neue Herrscer als Kurprinz in Venedig scätzen gelernt hatte, dürfte vor der Ankunft Hasses und der Einrictung eines Opernensembles besonders groß gewesen sein. Deshalb liegt in dieser Zeit wohl die Periode der intensivsten Vivaldi-Pflege am Dresdner Hof, und dies sicer nict gegen den Willen Augusts II. Aber scon kurze Zeit später muß sic der Gescma% des Königs der neueren Rictung italieniscer Musik zugewandt haben, denn die Dresdner Vivaldi-Forscung hat bereits festgestellt, daß Vivaldis Werke nac einer kurzen Blüte zwiscen 1728 und 1735 nur noc vereinzelt im Rahmen des katholiscen Hofgottesdienstes aufgeführt worden sind.21 Auc auf einen Stilwandel innerhalb der Dresdner Kompositionen, erkennbar an einer Konzentration auf die Außenstimmen und an einem bestimmten motiviscen Vokabular, ist wiederholt hingewiesen worden.22 Eine bisher unbeactete Bemerkung von Joseph Riepel, der kurz nac diesem Stilwandel ein Scüler Zelenkas in Dresden war und sic – wie oben erwähnt – vermutlic auc Pisendels Rat einholte, bestätigt diese Abhängigkeit vom Gescma% des Regenten und könnte sic trotz seines versclüsselten und überspitzten Screibstils sogar direkt auf die Dresdner Entwi%lung, von der Zelenka und Pisendel unmittelbar betroffen waren, beziehen: Des Fürsten Durcl. in Opolisburg wurden immer überhäuft mit den auserlesensten Compositionen von dem Herrn Capellmeister, und den andern Componisten daselbst. Auf einmal liessen Hocdieselbten aus fremden Landen Con$erte und Solos verscreiben, die lange nict so regelmässig gesetzt waren; jedoc gefielen sie Sr. Durcl., weil sie einen ganz andern, und zugleic fliessenden Gesang hatten.23

Der Musikalienbestand aus „Scran% No: II.“ enthält Instrumentalwerke von unbegleiteter Solo- bis zu großer Orcesterbesetzung. Solce Werke wurden sowohl in der Kammer als auc, nac entsprecender Bearbeitung, in der Katholiscen Hofkirce aufgeführt. Die von Hasse komponierten Werke für Theater und Kirce hat Pisendel ebenfalls mit aufführungspraktiscen Eintragungen versehen, und er screibt selbst von seinen „travaillen in der Kirce, Cammer und theatro“. Allerdings ist nict geklärt, ob Pisendel auc für instrumentale Theatermusiken, etwa Ballette oder Entrea$tsmusiken, zuständig war. Ein Indiz dafür, daß solce Musikalien möglicerweise vorhanden waren, bildet die wiederholte Nennung von „Opera Musi$alien“ in der erwähnten Quittung für die Pisendelsce Erbengemeinscaft. Für eine Hypothese, daß Musikalien aus Pisendels Notenbibliothek vor ihrer Übergabe an den Hof auc für den protestantiscen Hofgottesdienst verwendet worden sein könnten, reicen die Indizien kaum aus. Bereits erwähnt wurden möglice Handscriften aus Pisendels Zeit als interimistiscer Dire$tor Musi$es der Leipziger Neukirce in den Jahren 1710/11. Zudem ist immerhin belegbar, daß ein Violinkonzert Pisendels in zwei Kircen mit untersciedlicer Orgelstimmung aufgeführt wurde, denn die ältere Orgelstimme recnet mit dem Chorton, während die darauf

21

Vgl. Landmann 1983 II, 9, und Landmann 1988, 417. Vgl. mit Bli% auf die Dresdner Instrumentalmusik beispielsweise Landmann 1982, 57f, und mit Bli% auf Zelenka Floreen/M$Adoo 1997, 250, sowie Strohm 1997, 265 und 267f. 23 Riepel 1765, 99, Reprint bei Emmerig 1996/I, 435. 22

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fußende zweite Stimme die gleice Stimmung aufweist wie das Orcester.24 Auffällig ist auc die Formulierung von Pisendels Scüler Seyffert in einem Augsburger Aktenstü% vom 18.5.1720, er wolle sein Stipendium in Dresden „zu vergnügung des Scolarcats und Diensten des Evangl. Musi$wesens“ anwenden, denn nac dem derzeitigen Stand der Forscung dürfte Dresden nict der näcstliegende Ort für die Ausbildung eines künftigen protestantiscen Kircenmusikers gewesen sein.25 Bemerkenswert ist, daß nict nur im katholiscen, sondern auc im protestantiscen Hofgottesdienst reine Instrumentalmusik aufgeführt wurde, die selbstverständlic zum Aufgabenbereic des Konzertmeisters gehörte.26 Allerdings ist dies bislang nur für das späte 17. Jahrhundert, nict aber für Pisendels Amtszeit zwiscen 1712 und 1755 belegbar. Das Fehlen von entsprecenden Quellen wird häufig mit dem Fehlen von Figuralmusik im protestantiscen Hofgottesdienst gleicgesetzt. Dennoc wurde immer wieder auf den großen Forscungsbedarf in diesem Bereic hingewiesen, denn die alte Verbindung der Hofkapelle zur protestantiscen Hofkircenmusik, die neben einem „Capell-Dire$tor“ auc Kantoren, Organisten und secs Kapellknaben umfaßte, sei nie ausdrü%lic unterbrocen worden.27 Zudem ist kaum anzunehmen, daß protestantisce Adelige am Dresdner Hof an hohen Feiertagen auf repräsentative Kircenmusik in ‚ihrem‘ Hofgottesdienst verzictet hätten.28 Gerade in solcen Fällen dürfte Pisendel, als der einzige protestantisce Musiker in leitender Funktion am Dresdner Hof, aktiv beteiligt gewesen sein, zumal enge Kontakte Pisendels zur Musikpflege an der Kreuzkirce, die für die städtisce Figuralmusik der Sophienkirce zuständig war, belegbar sind und Pisendels grundsätzlice Bereitscaft vorausgesetzt werden darf.29 Es ist nict ausgesclossen, daß künftige Nacforscungen auf diesem Gebiet auc neue Erkenntnisse über die Rolle Johann Sebastian Bacs als titulariscer „Kircen-Compositeur“ des Dresdner Hofs und dessen Verbindung zu Pisendel liefern werden.30

24

Vgl. Fecner 1999, 271. Die Dresdner Orgeln Silbermanns für die Sophienkirce (1720), die Frauenkirce (1736) und die Katholisce Hofkirce (1754) waren im Kammerton gestimmt, wie Quantz 1752, 241, bemerkt. Die alte Scloßkirce und die Kreuzkirce in Dresden dürften dagegen eine transponierende Orgel gehabt haben, vgl. oben Abscnitt IV, 4. „Instrumente und Stimmung“. 25 Zu Seyferts Dresdner Studien vgl. oben, Abscnitt II, 6. „Pisendel als sculebildender Interpret und Orcesterleiter“. 26 Vgl. Fürstenau 1861, 184. Bis 1734 hatte die protestantisce Hofkircenmusik einen Kapellmeister, zunäcst Scmidt, dann Heinicen und André, aber auc Hebenstreit, der laut HStCal 1735 als „CapellDire$tor“ fungierte. Sogar Woulmyer wird im Zusammenhang mit der protestantiscen Hofkircenmusik erwähnt, vgl. Horn 1987, 52. Ab 1737 wurde die alte evangelisce Kapelle des Sclosses in Wohnräume für die königlice Familie umgewandelt und der protestantisce Hofgottesdienst in die städtisce Sophienkirce verlegt. 27 Vgl. Landmann 1983 II, 5, noc deutlicer Landmann 1989, 24, und zuletzt Reic 2001, 58. 28 Für die Figuralmusik in der Sophienkirce, die lediglic an den drei hohen Festen stattfand, war der Kreuzkantor zuständig, vgl. Sculze 1983 II, Vorwort, 6. Diese Gottesdienste für die städtisce Gemeinde sind jedoc nict ohne weiteres mit den protestantiscen Hofgottesdiensten gleiczusetzen. 29 Vgl. die Bemerkungen Pisendels zum Kreuzkantor Reinhold in den Briefen an Telemann, die Lebensläufe der Kreuzalumnen Graun und Hiller sowie Exkurs III. „Persönlice Aspekte in der Biographie Pisendels“. Da die Dresdner Sophienkirce eine Doppelfunktion als städtisce und als Hofkirce erfüllte, waren versciedene Ensembles an der musikaliscen Gestaltung der jeweiligen Gottesdienste beteiligt. 30 Vgl. Sculze 1983 II, Vorwort, 6, Anm. 42f.

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Zur Überlieferung der Dresdner Instrumentalmusik-Handscriften Der Überlieferungsweg der erhaltenen Musikalien, die Spuren einer Benutzung durc Pisendel aufweisen, läßt sic bis etwa 1765 zurü%verfolgen und ist bereits mehrfac bescrieben worden.31 Ausgangspunkt für die Überlieferungsgescicte ist das Jahr 1760, als bei der Bombardierung Dresdens durc preußisce Truppen das Notenarciv und die Instrumentenkammer des Hofes in Flammen aufging. Erhalten blieb nac diesem Datum nur, was nict im Notenarciv abgelegt worden war, entweder weil es an anderer Stelle lagerte oder weil es noc in Gebrauc war. Zu diesen Musikalien gehören also alle bis heute erhaltenen Handscriften, deren Eintragungen auf die Amtszeit Pisendels hinweisen. Um 1765 wurden diese Musikalien dann alphabetisc geordnet und sorgfältig arciviert. Dabei wurden sie von einem Dresdner Hofnotisten mit beigefarbenen, einheitlic etikettierten Umsclägen versehen. Diese Musikalien wurden dann in einem Scrank in der Katholiscen Hofkirce aufbewahrt, der als „Scran% No: II.“ bezeicnet wurde. In einem weiteren Scrank der Hofkirce, dem „Scran% No: III.“, wurden die Kircenkompositionen aufbewahrt, von denen heute jedoc nur noc ein Teil der Partituren in Dresden vorhanden ist, wie anhand des erhaltenen thematiscen „Catalogo della Musi$a di Chiesa $omposta Da diversi Autori se$ondo l’Alfabetto 1765“ belegt werden kann.32 Ein solcer alphabetiscer, thematiscer Katalog muß auc für „Scran% No: II.“ existiert haben, denn die Art der Arcivierung und Bescriftung untersceidet sic von den Kircenmusikalien nur dadurc, daß für die letzteren hellblaue Umscläge gewählt wurden. Zudem ist der Screiber der Umsclagscilder von „Scran% No: II.“ identisc mit dem Screiber des „Catalogo della Musi$a di Chiesa“ von 1765 und konnte mit Christian Friedric Funke identifiziert werden.33 Obwohl ein Katalog der Instrumentalmusik nict erhalten zu sein sceint, läßt sic die Anordnung der erhaltenen Musikalien im „Scran% No: II.“ genau rekonstruieren, denn die Fundstelle der arcivierten Handscriften ist auf dem Etikett durc „Scran%“, „Fac“ und „Lage“ genau angegeben. Das Umsclagscild von Pisendels Sonate a-Moll für unbegleitete Violine wurde beispielsweise wie folgt bescriftet: „Scran% No: II. / 19. Fac 8. Lage / No: 1.) Solo. / Violino Solo / [Bleistiftvermerk Fürstenaus: „Aut.“] del Sig.r Pisendel / [Anfangstakt als In$ipit]“.34 Die Existenz dieser Handscriften geriet offenbar in Vergessenheit, denn etwa hundert Jahre nac ihrer Arcivierung, zwiscen 1854 und 1862, wurden sie in jenem Notenscrank der Hofkirce wieder aufgefunden. Daraufhin wurden sie durc Moritz Fürstenau, den Flötisten der Hofkapelle und langjährigen Kustos der Königlicen Privat-Musikaliensammlung, in einen systematiscen Katalog überführt und mit neuen Signaturen versehen. Bei der Vergabe von neuen Signaturen hielt sic Fürstenau eng an den alten alphabetiscen Aufbau von „Scran% No: II.“. Dadurc können auc diejenigen Handscriften, deren beigefarbener Scutzumsclag mit dem alten 31 Vgl. Heller 1971, 9ff, Landmann 1983 II, 5ff, Fecner 1999, 10ff, der sic im Aufbau und Bli%winkel eng an der Vivaldi-Arbeit seines Lehrers Heller orientiert, und Landmann 1999, 13ff. 32 D-Bst, Mus. ms. theor. K. 186. Zu weiteren Dresdner Musikalienkatalogen vgl. Landmann 1999, 18 und 20. 33 Vgl. Landmann 1999, 21. 34 Zum Prinzip der Scrankordnung vgl. Heller 1971, 10ff.

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Etikett heute verloren ist und die nur noc die Signatur Fürstenaus aufweisen, ihrer ursprünglicen Position im „Scran% No: II.“ mit Fac und Lage genau zugeordnet werden.35 Fürstenaus Signaturen behielten ihre Gültigkeit auc, nacdem die Bestände der Königlicen Privat-Musikaliensammlung 1896 in die Musiksammlung der heutigen Säcsiscen Landesbibliothek überführt worden sind, wo sie ab 1928 im Rahmen einer umfassenden, cronologisc-historiscen Neuordnung der Bestände die bis heute verbindlicen Signaturen erhielten.36 Die Gescicte dieser Musikalien vor ihrer Einordnung in den „Scran% No: II.“ der Katholiscen Hofkirce läßt sic weniger klar nacvollziehen. Dies gilt vor allem für das Jahrzehnt zwiscen Pisendels Tod und der Arcivierung, aber auc für die Zeit davor, denn es ist nict bekannt, ob die Handscriften bereits während der Amtszeit Pisendels an einem einzigen Ort aufbewahrt oder erst in „Scran% No: II.“ zusammengeführt worden sind. Wie bereits erwähnt, soll Maria Josepha versciedene Naclässe angekauft haben. Genannt werden diejenigen Woulmyers, Scmidts, Heinicens, Pisendels, Zelenkas, Ristoris und Pisendels.37 Dabei sind die Musikalien Scmidts, Woulmyers und Heinicens, die vor dem Bombardement von 1760 arciviert worden sind, bis auf wenige Handscriften, die zu dieser Zeit noc nict im Kapellarciv lagerten, verloren. Die bereits mehrfac erwähnte Quittung von Johann Georg Fi%ler „als General Bevollmäctigter der sämtlicen Pisendl icen[!] Erben“ bestätigt, daß zahlreice Musikalien Pisendels noc vor „Ende Novembr. 1756“ an den Hof übergeben worden sind:38 10352.

DreyHundert, und Seczig Thaler sind, nac 10. pro Cent Abzug, statt 400. Thlr – gl. – pf. welce bey der Chur-Fürstl. Säcßl. – General-A$$is-Haupt Cassa, für die Pisendliscen Erben, vor gelieferte Opera Musi$alien bis mit Ende Novembr[.] 1756 176339 auf gelieferte Opera Musi$alien in Rü%stand verblieben sind mir Endesunterscriebenen aus der Chur-Fürstl. Säcßl. Cammer-Credit-Cassa, dato rictig vergnüget worden. Worüber gebührend quittieret, und diesfalls auf alle fernere Ansprüce hiermit renun$ieret40 wird. Dreßden, den 25ten De$embr[.] 1765. [ovales Bildsiegel Fi%lers: Initiale IGF um Baumstumpf mit friscem Trieb]

Johann George Fi%ler Churfl. Cam[m]er Musi$us als General Bevollmäctigter der sämtlicen Pisendlicen[!] Erben41

35

Eine Rekonstruktion der Scrankordnung für die von ihm untersucten Konzerte deutscer Komponisten unternahm Fecner 1999, 14ff. 36 Vgl. Heller 1971, 12f. 37 Vgl. Fürstenau 1862, 181. 38 Vgl. auc Köpp 1999, 70f. 39 Die durc das Dru%formular vorgegebene Jahreszahl 1763 ist mit Tinte durcgestricen. 40 Renun$iare (lat.) = verzicten

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Bisher ist vermutet worden, daß das späte Datum der Zahlung, neun Jahre nac Übergabe der genannten Musikalien, auf langwierige Verhandlungen oder auf mangelnde Zahlungsbereitscaft des Hofes zurü%zuführen sei.42 Wahrsceinlicer ist jedoc, daß sic die Zahlung durc den Tod Maria Josephas 1757 und vor allem infolge des Siebenjährigen Krieges (1756—1763) verzögert hat, denn in dem Vordru% für diese Quittung ist das Jahr 1763 als Bezugspunkt der rü%ständigen Zahlungen vorgegeben. Bei dem ebenfalls vorgedru%ten, prozentualen Abzug könnte es sic auc um eine kriegsbedingte Pauscalabgabe handeln, denn dieser Abzug ist auc in anderen Quittungen aus zeitlicer Nacbarscaft anzutreffen. Die vereinbarte Summe von vierhundert Talern, die dem durcscnittlicen Jahresgehalt eines Kapellmusikers entsprict, deutet auf den großen Umfang der aus Pisendels Naclaß angekauften Musikalien hin. Da jedoc die Angabe, daß es sic um „Opera Musi$alien“ handele, sogar wiederholt wird, muß die Frage gestellt werden, ob die hier erwähnten Musikalien wirklic mit jenen Instrumentalwerken identisc sind, die zur Zeit der Quittung in „Scran% No: II.“ arciviert wurden. Damit erhebt sic die Frage, wie groß der Anteil von Pisendels Naclaß am erhaltenen Repertoire des „Scran% No: II.“ tatsäclic ist. Bereits 1971 bezeicnete es Heller als eine „für die Beurteilung der Dresdner Vivaldi-Pflege entsceidende Frage nac dem Anteil der aus dem Kapellbesitz einerseits und der aus dem persönlicen Naclaß des Konzertmeisters und Vivaldi-Scülers Johann Georg Pisendel andererseits stammenden Manuskripte.“43 Diese Untersceidung zwiscen privaten und kapelleigenen Musikalien, die Heller bei den Vivaldi-Handscriften vornahm, übertrug Fecner auc auf die übrigen Handscriften aus „Scran% No: II.“ und übernahm auc dessen These, daß „der in Dresden überlieferte Bestand an Instrumentalwerken […] keinesfalls als identisc mit dem tatsäclicen Repertoire der Hofkapelle angesehen werden“ darf.44 Diese Untersceidung zwiscen privaten und kapelleigenen Musikalien wird in erster Linie an quellenkundlicen Merkmalen festgemact. Dabei gehen Heller und Fecner davon aus, daß diejenigen Stimmen, die von Hofnotisten gescrieben waren, als Aufführungsmaterial der Hofkapelle „ohne Zweifel Eigentum des Hofes“ waren.45 Die Partituren dagegen werden als Privateigentum Pisendels eingestuft, besonders, wenn sie von ihm selbst gescrieben oder ihm gewidmet waren oder eine ähnlice Verbindung zu Pisendel aufweisen. Ebenso werden die vollständig von Pisendel gescriebenen Stimmensätze als Eigentum Pisendels betractet.46 Da jedoc auc diese Stimmensätze sowie andere Musikalien mit den Arbeits- und Nutzungsspuren Pisendels nacweislic für Aufführungen durc die Hofkapelle verwendet wurden, kann nac Landmanns Ansict auf eine Untersceidung zwiscen privaten und kapelleigenen Musikalien verzictet werden.47 Die Eigentumsfrage war von Heller 41

D-Dla, Lo$. 382, Hoftheater. Italienisce Oper. Ausgaben 1753-56, 1763ff, fol. 258r. Die kursiv wiedergegebenen Textteile sind hier, entgegen der sonst befolgten Grundsätze diplomatiscer Textwiedergabe, als handscriftlice Einträge in das vorgedru%te Quittungsformular zu verstehen. 42 So Fecner 1999, 12. Vgl. auc Fecner 1982 II, 272. 43 Heller 1971, 9. 44 Vgl. Heller 1971, 11, und Fecner 1999, 13, nocmals wiederholt in Fecner 2001, 37. 45 Vgl. Fecner 1999, 12f. 46 Vgl. zusammenfassend Fecner 1999, 13. 47 Landmann 1983 II, 7, bestätigt zwar, daß „nict mehr klar getrennt werden kann zwiscen ehemaligem Pisendelscem Privatbesitz, den Maria Josepha später aus dem Naclaß ankaufen ließ, und ursprünglicem

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angestoßen worden, um zu bestimmen, welce der erhaltenen Werke auc tatsäclic aufgeführt worden sind und damit zum aktiven Kapellrepertoire gehörten. In dieser Frage erweist sic die Untersceidung nac dem Screiberbefund also als ein untauglices Kriterium. Dennoc führt Fecner die Eigentumsfrage weiter aus, indem er im Rahmen seiner Dissertation alle Werke mit handscriftlicem Anteil Pisendels auflistet und feststellt, „daß ein hoher Prozentsatz der Handscriften, darunter vor allem Partituren, aus dem Besitz“ Pisendels stammt.48 Damit bekräftigt er seine bereits siebzehn Jahre früher aufgestellte These, daß Pisendels Bedeutung „speziell für uns heute“ vor allem in dessen Eigenscaft als „einer der größten bürgerlicen Musikaliensammler seiner Zeit im mitteldeutscen Raum – und damit Werküberlieferer für uns“ zu erkennen sei.49 Die große Zahl der Handscriften Pisendels in „Scran% No: II.“ interpretiert Fecner als das Werk eines Privatmanns, der mit „Feuereifer Kompositionen von Kollegen und Zeitgenossen gesammelt und abgescrieben hat“, und besceinigt Pisendel auc noc in seiner jüngsten Veröffentlicung einen „leidenscaftlicen Sammlerfleiß“.50 In der Zusammensetzung von „Pisendels privater Sammlung“ erbli%t Fecner zudem dessen „Vorliebe für den ‚italieniscen Gusto‘ – oder anders ausgedrü%t: sein Desinteresse an französisc orientierter Musik“.51 Diese Vorstellung von einem Sammler, der sic am Besitz von Raritäten erfreut, ohne die eigentlice Bestimmung der Musikalien als Aufführungsmaterial zu berü%sictigen, kann in Verbindung mit Pisendel als Orcesterleiter und Repertoirebeauftragten einerseits und angesicts des großen Bedarfs des Dresdner Hofes an immer neuer Musik andererseits nict überzeugen und sceint auf einem neuzeitlicen Mißverständnis zu beruhen.52 Auc Pisendels bekannte Klage gegenüber Telemann in B3 vom 26.3.1751 über seine häufigen und bescwerlicen „travaillen in der Kirce, Cammer und theatro“ will nict rect zum „leidenscaftlicen Sammlerfleiß“ passen, und im vorangegangenen Kapitel wurde deutlic, daß das angeblice „Desinteresse an französisc orientierter Musik“ nict der tatsäclicen Haltung Pisendels entsprict, obwohl sic dieser selbstverständlic an dem italieniscen Gescma% des Regenten zu orientieren hatte. Zudem räumt Fecner selbst ein, daß sic „die zahlreic in Dresden autograph überlieferten Fasc-Konzerte einer Zuordnung in ‚Kapell-‘ bzw. ‚Pisendel-Besitz‘ widersetzen“.53 Auc hier gilt wohl die Feststellung Landmanns, daß auf eine Untersucung der Eigentumsfrage verzictet werden kann, wenn sie lediglic der Identifikation des tatKapell-Notengut. Doc kann man auf diese Untersceidung verzicten. Daß Pisendel für die KapellKonzerte auc seine eigene Sammlung genutzt hat, geht hervor aus seinen eigenhändigen ‚Einrictungen‘ aller Stimmmaterialien, d.h. aus sehr genauen dynamiscen Bezeicnungen, und aus den Diminutionsskizzen, mit denen die Solostimmen des heute in der säcsiscen Landesbibliothek befindlicen umfangreicen Violinkonzert-Bestandes häufig versehen sind.“ 48 Fecner 1999, 22. 49 Fecner 1982 II, 272 (abgedru%t in Treuheit 1987, 151), wiederholt in Fecner 1999, 13 und 22, und zuletzt in Fecner 2001, 37. 50 Vgl. Fecner 2001, 41. 51 Fecner 2001, 42. 52 Diese Sictweise wurde bereits von Landmann 1983 I, 66, mit Bli% auf die Dresdner Telemann-Quellen kritisiert: „Nict Studieninteressen oder privater Sammeleifer einzelner Personen haben sie zusammengetragen, sondern der Repertoirebedarf der Hofkapelle […].“ 53 Vgl. Fecner 1999, 13 und 30f.

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säclicen Kapellrepertoires dienen und nict zum Selbstzwe% werden soll. Während jedoc auc Landmann zunäcst von einer grundsätzlicen Trennung der Handscriften in Kapell- und Privatbesitz ausging, spielt diese Untersceidung nac dem Screiberbefund in ihrer jüngsten Arbeit keine Rolle mehr. Sie erklärt, daß die Instrumentalwerke aus „Scran% No: II.“ deswegen in der Katholiscen Hofkirce aufbewahrt wurden, weil sie während des Gottesdienstes für das instrumental ausgeführte Graduale gebrauct worden seien, und stellt fest: „Diese […] Con$erti und Sinfonie sind weitgehend identisc mit dem von Maria Josepha angekauften Naclaß Johann Georg Pisendels.“54 Obwohl Landmann diese Werke, zu denen sie ausdrü%lic Pisendels Vivaldi-Manuskripte zählt, wenig später sogar pauscal als „Pisendel-Sammlung“ bezeicnet, wird diese wictige Information leider nict näher ausgeführt. So bedarf es einer Erklärung, warum nict nur die „Con$erti und Sinfonie“, sondern auc die von Pisendel selbst komponierten oder zusammengetragenen Kammermusikwerke, die ebenfalls aus seinem Naclaß stammten, in „Scran% No: II.“ arciviert worden sind. Zwar ist nacweisbar, daß auc Kammermusikwerke in großer Besetzung in der Hofkirce gespielt wurden,55 aber dieser Zusammenhang allein dürfte nict ausreicend sein, die Handscriften aus „Scran% No: II.“ mit Pisendels Naclaß gleiczusetzen. Als Begründung dient Landmann offenbar ein Vermerk, der sic zufällig auf dem Vorsatzblatt zu einem alten Katalog der Kircenmusik in „Scran% No: III.“ erhalten hat: In dem sogenannten Sinfonie Scranke befinden sic zahl- / reice kurze Orcesterstü%e (ohne Partitur) von versciedenen Componisten. / Diese Stü%e (Sinfonie od. Sonate genannt) wurden früher / während eines Theiles der heil. Messe gespielt. Seit Reißiger [Hofkapellmeister seit 1828] / traten an deren Stelle die Graduale vo$aliter.56

Landmann geht davon aus, daß der Verfasser dieser Randnotiz aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit den „zahlreicen kurzen Orcesterstü%en“ den Bestand aus „Scran% No: II.“ meint, und setzt diesen daher mit dem „sogenannten Sinfonie Scranke“ gleic.57 Gegen diese Gleicsetzung sprict jedoc eine Ergänzung Hillers zu V67, wo es hieß, Pisendel habe auc „einige wohlgearbeitete vierstimmige Instrumentalfugen für die Kirce, dergleicen dann und wann unter der Messe anstatt der Con$erte gespielet werden,“ komponiert.58 Diese Angaben bracte Hiller in V84 auf den damals neuesten Stand, indem er hinzufügte, daß diese Fugen und Konzerte „jetzt aber den Sinfonien Platz gemact haben“.59 Bereits vor 1784 sind die „Con$erte“ und „Instrumentalfugen“ aus Pisendels Notenbibliothek also nict mehr gespielt, sondern durc zeitgenössisce „Sinfonien“ ersetzt worden. Tatsäclic läßt sic anhand von Dresdner Akten nac 1780 belegen, daß beispielsweise Sinfonien von 54

Landmann 1999, 20. Zur Aufführung von Kammermusikwerken Telemanns im katholiscen Hofgottesdienst vgl. Fecner 2001, 39. 56 Zitiert nac Landmann 1999, 20. 57 „Im ‚Sinfonie-Scranke‘ lagerte immerhin auc die Dresdener Vivaldi-Sammlung, eines der wictigsten Vermäctnisse Pisendels […]“, vlg. Landmann 1999, 20, Anm. 21. Aus den in diesem Zusammenhang zitierten Titeln historiscer Musikalienkataloge der Dresdner Hofkirce geht hervor, daß „ARMARO IV.“ unter dem Namen „Hasse Scrank “ bekannt war, während in „Armaro III.“ die Kircenmusik versciedener Autoren aufbewahrt wurde, vgl. Landmann 1999, 20f. Damit bleibt ungeklärt, ob unter dem „sogenannten Sinfonie Scranke“ der erste Scrank oder der hier interessierende „Scran% No: II.“ verstanden wurde. 58 Vgl. V67, 288. 59 Vgl. V84, 193. 55

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Haydn und Vanhall zu diesem Zwe% angescafft worden sind.60 Da zudem in dem oben zitierten Katalog-Vermerk ausdrü%lic auf das Fehlen von Partituren hingewiesen wird, könnten diese „zahlreicen kurzen Orcesterstü%e“ aus dem „sogenannten Sinfonie Scranke“ auc mit jenem Stimmenmaterial aus dem Repertoire der „Wiener Klassik“ identifiziert werden, denn der Bestand aus „Scran% No: II.“ enthält auffallend viele Partituren.61 Während die von Heller und Fecner zugrundegelegte Untersceidung zwiscen Kapellrepertoire einerseits und „Pisendels Privatsammlung“ andererseits vor dem historiscen Hintergrund nict sehr überzeugend ersceint, läßt sic auc die plausible Annahme Landmanns, daß die Instrumentalwerke aus „Scran% No: II.“ insgesamt mit der „Pisendel-Sammlung“ gleiczusetzen seien, leider nict aus den mir zugänglicen Quellen belegen. Während Heller und Fecner aufgrund dieser Theorie annehmen, daß nur ein Teil der erhaltenen Instrumentalwerke von der Hofkapelle tatsäclic aufgeführt worden sei, hält Landmann die Eigentumsfrage im Bezug auf das Kapellrepertoire für nict aussclaggebend und geht davon aus, daß jedes dieser Instrumentalwerke prinzipiell für eine Aufführung durc die Hofkapelle vorgesehen war. Die von Landmann angedeutete These, in „Scran% No: II.“ seien diejenigen Handscriften aus Pisendels Sammlung erhalten, die Maria Josepha für den Gebrauc im katholiscen Hofgottesdienst angekauft habe, scließt zudem nict aus, daß Pisendels Naclaß weitere Musikalien enthalten haben könnte, etwa jene „Opera Musi$alien“, die in der Quittung von 1765 genannt werden. Ein künftiger Gesamtkatalog der Musikhandscriften aus der Säcsiscen Landesbibliothek wird Klarheit darüber verscaffen, in welcem Umfang neben dem Instrumentalrepertoire auc in der Kircen- und Theaterrepertoire Orcestermaterial mit Arbeitsspuren Pisendels erhalten ist. Die in der vorliegenden Arbeit dargestellten Amtspflicten Pisendels als Konzertmeister am Dresdner Hof können möglicerweise mancen unterwarteten Befund erklären helfen. Vor allem aber kann eine Untersucung des Zwe%s und der Entstehung von Pisendels Repertoirebibliothek zur Klärung der Eigentumsfrage beitragen, die mit der Bescäftigung von Notisten und der Frage nac dem tatsäclicen Repertoire der Hofkapelle im Zusammenhang steht.

60

Vgl. Engländer 1956, 103. Für diese Interpretation sprict auc, daß die älteren Musikalien aus „Scran% No: II.“ zur Zeit des von Landmann zitierten Katalogeintrags zum „Sinfonie Scranke“ noc nict wiederentde%t worden waren. 61

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2. K APELLREPERTOIRE UND E IGENTUMSFRAGE „Pisendels Notenbibliothek“ und der Rectsstreit um den Naclaß Graupners Nur vier Jahre nacdem die mehrfac erwähnten „Opera Musi$alien“ von Pisendels Erben an den Hof übergeben worden waren, starb der Darmstädter Hofkapellmeister Christoph Graupner, den Pisendel bereits 1711 anläßlic seines Gastspiels in der Hessiscen Residenz kennengelernt hatte. Während die Erben Pisendels noc darauf warteten, daß ihnen der Betrag von 400 Talern für diese Musikalien ausgezahlt wurde, entstand in Darmstadt ein langwieriger Rectsstreit über die Eigentumsrecte an Graupners Naclaß, der wictige Hinweise auf die zeitgenössisce Rectspraxis enthält.1 Besonders wegen der in diesem Zusammenhang beigebracten Rectsgutacten zur Eigentumsfrage an musikaliscen Naclässen, die sic möglicerweise auc auf den Fall Pisendels anwenden lassen, sollen einige Argumente ausführlicer behandelt werden. Bald nac Graupners Tod am 10.5.1760 versucte der Darmstädter Oberhofmarscall die umfangreice Notenbibliothek Graupners in höfiscen Besitz zu überführen und sclug dem Landgrafen Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt vor, den Erben aus der ehemaligen Besoldung Graupners „pro aequitate“ einen Anteil zu bewilligen. Der Landgraf entscied dagegen in einem eigenhändigen Dekret vom 28.5.1760, daß die genau zu verzeicnenden Musikalien unter festen Verscluß genommen werden sollten und keinem der Kapellisten davon etwas ausgehändigt werden dürfe, denn er selbst, der Landgraf, sei der Erbe von Graupners Gage, und daher gehöre ihm auc der Musikalien-Naclaß seines Kapellmeisters. Lediglic die von Graupner selbst gestocenen Musikalien dürften bei den Erben verbleiben: […] Kirc- und Taffell Musikalien NB davon abgesondert, denn der hoc berümbte

Capell Meister Graupner Gage Leben lang gehabt auc behalten: so kan Niemand nict mit Rect und Fug jetzo wollen Seine gemacte Arbeit verkauffen, denn Solce im Dienst gemact, auc Eo ipso mir gehören.2

Die Erben Graupners, dessen ältester Sohn Johann Christoph Graupner als Advokat und dessen Scwiegersohn Johann Georg Wacter als Kammer-Referendar, waren ausgebildete Juristen. Daher widerspracen sie dieser Auffassung des Landgrafen und bestanden auf einer „erkle%licen bonifi$irung.“ Auc der Geheime Rat des Fürstentums entscied am 12.2.1761, daß die Musikwerke Graupners und besonders dessen Partituren den Erben nict vorenthalten werden könnten, und sclug eine Entscädigung von 400 Gulden vor. Dennoc blieb der Landgraf auc am 28.3.1761 bei seiner ursprünglicen, so vehement vertretenen Auffassung, daß niemand die Arbeiten seines besoldeten Kapellmeisters „abermahl verkauffen“ könne.3 Daraufhin führten die Erben Graupners an, daß es sic bei dem Naclaß nict nur um eigene Kompositionen handele, sondern auc um solce Werke, die „zum Theil, 1

Vgl. Nagel 1908/09, 608ff. Für den freundlicen Hinweis auf diesen Aufsatz danke ic Herrn Dr. Oswald Bill, Darmstadt. 2 Zitiert nac Nagel 1908/09, 607f. 3 Vgl. Nagel 1908/09, 612.

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was nemlic die Tafel- und andere Musiquen anbetreffe, ausser Obliegenheit, mit sehr scweren und grossen Kosten aus allen Orten der Welt, mit Anwendung seines eignen Vermögens, wären angescafft worden“.4 Dieses Argument wurde ins Feld geführt, weil die Eigentumsfrage nac Ansict von Graupners Erben gerade bei diesen Musikalien eindeutig zu ihren Gunsten beantwortet werden mußte. Daher baten sie sic eine jährlice Pension von 450 Gulden für die minderjährigen Kinder des Verstorbenen aus und verwiesen dabei auf das Verfahren, das bei Heinicens Tod vom Dresdner Hof angewandt wurde. Auc Heinicens Kinder seien nämlic mit einer jährlicen Pension von 500 Gulden abgefunden worden, „obgleic deren Vater, wie weltkundig, dasjenige weder in Ansehung der länge der Zeit, noc in Ansehung der Arbeitsamkeit bey weitem nict praestiret habe, was von ihrem verstorbenen Vater vorliege.“5 Da jedoc trotz dieser Eingabe keine Entsceidung herbeigeführt werden konnte und die Erben den Naclaß in der Zwiscenzeit auc nict verkaufen durften, folgte 1765 eine weitere Petition, die besonders aufsclußreic ist, weil die Erben darin einige Gutacten über die Gepflogenheiten anderer Höfe beifügten. Diese Unterlagen sollten belegen, daß die Rectsauffassung des Landgrafen, die im Dienst verwendeten und angescafften Musikalien seien selbstverständlic Hofeigentum, gegen die herrscende Praxis und das Gewohnheitsrect verstoße, wonac „die Arbeiten eines Capellmeisters, sobald sie aufgeführt seien, dessen völliges Eigenthum“ seien.6 Ein amtlices Scriftstü% aus Ansbac belegte beispielsweise, daß auc der Witwe des ehemaligen Kapellmeisters Georg Heinric Bümler (gestorben 26.8.1745) „vor die ausgeliefferte Compositiones ihres verstorbenen Mannes ein proportionirtes GeldQuantum“ gereict worden sei. Noc aufsclußreicer für die Eigentumsfrage an säcsiscen Höfen ist allerdings das als beglaubigte Kopie beigefügte Gutacten des Kapellmeisters von Sacsen-Gotha, Georg Benda, vom 27.8.1765, das wegen seiner Bedeutung für die vorliegende Arbeit ausführlic wiedergegeben werden soll: […] Es ist mir von des […] Capellmeisters Herrn Christoph Graupner’s hinterlassenen Erben folgende Frage zu beantworten vorgelegt worden: ob des Herrn Landgrafen Hocfürstl. Durclauct die von dem seeligen Capellmeister verfertigte Kircen-Stü%e ohnentgeltlic zurü% behalten, oder ob sie von dessen Erben als eine ihme eigenthümlic zu stehende Sace angesehen und damit nac ihrem Gut befinden verfaren werden können. Diese Frage rictiger zu beantworten sind nacstehende drey Punckte zu erwägen angegeben worden. Erstlic seye bey der Annahme des Herrn Capellmeisters hievon nict das mindeste gedact worden. Zweytens Seye von ihm Kein einziges Stü% für Auswärtige abgescrieben worden. Drittens Wäre dem Herrn Capellmeister von Sr. Hocfürstl. Durclt. dem Herrn Landgraffen ein Copiste gehalten[?] und das nöthige Papier hergegeben worden. Was den ersten Pun%t betrifft, so liegt klar am Tage, dasz man ein solces Anmuthen sic gar nict in den Sinn kommen laszen, jemals von Seiten des Hofes auf die verfertigte Musi% nur den mündesten Anspruc zu macen, maßen dieses als eine Ausnahme, da an andern Höfen über diesen Pun%t gar kein zweiffel entstehet ausdrüklic hätte müssen erwehnet und festgesetzt werden.

4

Zitiert nac Nagel 1908/09, 610. Zitiert nac Nagel 1908/09, 610. 6 Vgl. Nagel 1908/09, 610. 5

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Der zweyte Punkt, welcer zur Entsceidung nicts beytragen kann, zeigt vielmehr von einer großen Gefälligkeit des seeligen Herrn Capellmeisters, indem es demselben allemal frey gestanden seine Musi$, als eine völlig eigenthümlice Sace, an auswärtige Liebhaber zu $ommuni$iren. Was endlic den Dritten Pun%t anlangt, so geniese ic von Sr. Herzogl. Durclt. allhier gleice Vortheile, nur noc mit dem Unterscied, daß mir statt einem Copisten deren zwey gehalten werden. Dessen allem ohngeactet verbleiben meine in hiesigen Diensten verfertigte Musi$alien nac meinem Absterben meinen Erben als ein völliges Eigenthum, und stehet denenselben frey, damit zu verfahren, wie sie es für gut befinden. So sind auc die Erben meines Vorfahren des Herrn Capellmeister Stölzels die von ihm verfertigte Jahrgänge, von Sr. H. D. für eine beträctlice Summe erkaufft worden. Da dieses nict allein hier sondern so viel ic weisz auc an andern Höfen auf gleice Art gehalten wird, so bin ic der Meynung, dasz denen Graupneriscen Erben ihre Freyheit mit denen vorhandenen Musi$alien, blos nac ihrem Guth finden zu handeln im mindesten nict eingescrän%t werden könne. Dasz es an hiesigem Hofe wir%lic so gehalten und alles auf verlangen weiter bestär%et werden könne, bezeuge ic durc meine eigenhändige Unterscrifft u. bey gedru%tes Pettscaft. Gotha d. 27ten Aug. 1765 Georg Benda Fürstl. Säcs. Capellmeister.7

Mit dieser ausführlicen Petition war der Rectsstreit, über dessen Ausgang leider kein Aktenmaterial vorliegt, noc nict beendet. Bekannt ist lediglic, daß sic die Musikalien noc 1781 bei Graupners Erben befanden und erst ab 1819 im Besitz des Darmstädter Hofes nacweisbar sind.8 Dennoc sind die Dokumente aus den ersten Jahren des Rectsstreits gerade auc für das Verständnis von Pisendels Notenbibliothek von weitreicender Bedeutung, denn sie enthalten wictige Hinweise auf die Bewertung und die Weiterverwendung musikaliscer Naclässe durc den jeweiligen Dienstherrn sowie die damit verbundenen Eigentumsrecte. Bevor jedoc die Frage des Kapell- oder Privatbesitzes, die im bisherigen Verständnis von Pisendels Notenbibliothek eine entsceidende Rolle spielte, vor dem Hintergrund des Graupnerscen Rectsstreits erneut beleuctet wird, soll noc auf den Umgang der Amtsnacfolger mit solcen hinterlassenen Repertoirebibliotheken hingewiesen werden. Aus den Unterlagen über den Rectsstreit um Graupners Naclaß kann nämlic entnommen werden, daß der Amtsnacfolger gewöhnlic die hinterlassene Repertoirebibliothek seines Vorgängers nutzen konnte. Aus diesem Grund wohl befahl der Landgraf kurz nac Graupners Tod ausdrü%lic, „Es solle keinem der Kapellisten davon etwas ausgehändigt werden“.9 Diese Anweisung wurde zum Leidwesen von Graupners Nacfolger auc befolgt, denn Georg Balthasar Hertzberger, der neue Leiter der Darmstädter Kircenmusik, klagte noc im Februar 1766 darüber, „wie scwer es ihm falle, die passenden Musikstü%e aus dem Besitze von Graupner’s Erben zu ‚coisiren‘, und gleicsam heraus pressen zu müssen.“ Gleiczeitig sclug er vor, „dass ratione der Graupner’scen Kircen Musiquen die quaestio an? Dedi$iret, ein rictiger Catalogus darüber formiret, und demjenigen, so solce dirigiret, zur Verwahrung übergeben würde.“10 Einige Beobactungen an den in „Scran% No: II.“ 7

Zitiert nac Nagel 1908/09, 610f. Vgl. Nagel 1908/09, 612. 9 Vgl. Nagel 1908/09, 608. 10 Beide Eingaben Hertzbergers zitiert nac Nagel 1908/09, 612. 8

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überlieferten Musikalien sprecen dafür, daß diese Forderung Herzbergers nac einem Zugang zur Repertoirebibliothek seines Amtsvorgängers und die Erstellung eines entsprecenden Kataloges offenbar der in Dresden üblicen Praxis entspracen. Bereits im biographiscen Teil der Arbeit war aufgrund einiger Indizien vermutet worden, daß Pisendel Zugang zu den Naclässen Woulmyers und Heinicens gehabt habe. Ebenso konnte sic offenbar der Nacfolger Pisendels, der 1758 verstorbene Konzertmeister Fran$es$o Maria Cattaneo, einzelne Werke aus Pisendels Naclaß ausleihen, noc bevor diese an den Hof übergeben worden waren. Diese ausgeliehenen Werke wiederum, die ausscließlic für Aufführungen in der Katholiscen Hofkirce verwendet wurden, ließ Cattaneo in leict gekürzter Form durc den Dresdner Notisten Johann Gottlieb Haußstädtler abscreiben, der auc von dem KircenCompositeur Pater Johann Micael Breunic als Privatkopist bescäftigt wurde.11 Solce Stimmensätze von der Hand Haußstädtlers, die auf einer Stimme der ersten Violine mit Cattaneos Konzertmeister-Signum „C.“ versehen sind und keinerlei Eintragungen Pisendels aufweisen, waren bislang zu drei Konzertsätzen von Fasc bekannt.12 Dieser Gruppe ist außerdem der Stimmensatz Haußstädtlers zu einem von Pisendel komponierten „Kircentrio“ $-Moll für Orcester zuzurecnen.13 Außerdem trägt ein in der Kirce aufgeführter Konzertsatz von Quantz, den Pisendel noc selbst von Haußstädtler hatte abscreiben lassen, Cattaneos Zeicen.14 Diese Auswahl ist bemerkenswert, denn alle von Cattaneo aufgeführten Werke stehen mit dem von Pisendel gepflegten Stil in enger Verbindung. Falls die Notenbibliothek Pisendels zu diesem Zeitpunkt noc nict im Besitz des Hofes war, hat möglicerweise der Kapellgeiger Fi%ler als „General Bevollmäctigter der sämtlicen Pisendl icen Erben“ diese Auswahl für den ehemaligen Rivalen Pisendels getroffen. Nac der Übergabe von Pisendels Notenbibliothek an die Hofkirce, die nac dem Tod Maria Josephas 1757 erfolgt sein soll, standen Cattaneo die Musikalien seines Vorgängers offenbar in vollem Umfang zur Verfügung. Damit war das Abscreiben ganzer Stimmensätze nict mehr erforderlic, so daß Haußstädtler später nur noc einzelne Stimmen zu dem vorhandenen Material ergänzen mußte.15 Die geringe Zahl der mit Cattaneos Signum bezeicneten Materialien ist wohl dadurc zu erklä-

11

Fecner stellte fest, daß einige Stimmensätze von Konzerten, die für den Gebrauc im katholiscen Hofgottesdienst eingerictet wurden, von „Screiber O“ gescrieben worden sind. Diese Stimmen tragen keine Durcsictsvermerke von Pisendels Hand, dagegen aber häufig Cattaneos Konzertmeister-Signum auf einer Violinstimme, vgl. Fecner 1999, 134. Durc die Forscungen Landmanns ist nun bekannt, daß es sic bei diesem Screiber um Johann Gottlieb Haußstädtler handelt, der während des Siebenjährigen Krieges 1756-63 in Dresden zurü%geblieben war, vgl. Landmann 1999, 29. Allerdings ist eine frühere Scriftform Haußstädtlers, die Fecner mit „Screiber T“ bezeicnet (vgl. Fecner 1999, 263), bereits in dem von Pisendel durcgesehenen Material zu Pisendels Konzertsatz G-Dur (D-Dl Mus. 2421-O-2) erkennbar, so daß die Beteiligung Haußstädtlers an der Herstellung des Aufführungsmaterials nict zwangsläufig auf eine Wiederaufführung unter der Leitung Cattaneos scließen läßt. 12 Vgl. Fecner 1999, 301, 303 und 319. Ein vierter Konzertsatz von Fasc wurde bereits in Pisendels Auftrag von Haußstädtler gescrieben, der für eine spätere Aufführung unter Cattaneo noc eine Stimme für die erste Violine ergänzte, vgl. Fecner 1999, 322. 13 D-Dl Mus. 2421-N-2, p. 2. Auc dieses Stimmenmaterial wurde von Haußstädtler gescrieben. 14 Vgl. Fecner 1999, 338ff. 15 Vgl. die nacgescriebenen Stimmen zu Konzerten von Pisendel (Fecner 1999, 278), Fasc (Fecner 1999, 321f) und Quantz (Fecner 1999, 338ff).

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ren, daß Pisendels Nacfolger nac nur zweijähriger Amtszeit am 20.12.1758 in Dresden starb.16 Die nacgelassenen Musikalien sollten also den dienstlicen Zwe%en des Amtsnacfolgers zur Verfügung stehen.17 Aus diesem Grund hatte der Dienstherr des Verstorbenen ein Interesse daran, die Musikalien verfügbar zu halten, besonders wenn der Verstorbene, wie der „hoc berümbte Capell Meister Graupner“, in besonderem Ansehen stand. Der scarfe Befehl des Landgrafen, daß der musikalisce Naclaß seines Kapellmeisters nict verkauft werden dürfe, da er „Eo ipso“ fürstlices Eigentum sei, sceint jedoc etwas voreilig gewesen zu sein, zumal der Landgraf sic damit auc über die Vorscläge seiner Berater hinwegsetzte. Die von Grauperns Erben beigebracten Dokumente und Hinweise belegen nämlic mit hinreicender Deutlickeit, daß die persönlice Rectsauffassung des Landgrafen im Widerspruc zur damals herrscenden Praxis stand. Neben dem Ansbacer und Gothaer Hof lassen sic solce Naclaßankäufe nac dem Tod angesehener Musikdirektoren auc an anderen Höfen im In- und Ausland belegen.18 In Dresden ist diese Praxis bereits im 17. Jahrhundert verbürgt, denn gegen die stolze Summe von 1000 Talern wurden die Kompositionen des 1680 verstorbenen Kapellmeisters Vin$enzo Albri$i für die Instrumentenkammer erworben.19 Daß die musikaliscen Naclässe von Scmidt, Woulmyer, Heinicen und Pisendel in Dresden angekauft worden sein sollen, ist zwar seit langem bekannt, war aber im Fall Woulmyers bezweifelt worden. Erst im Rahmen der vorliegenden Arbeit konnte aufgrund bislang unbeacteter Dokumente bestätigt werden, daß ein Teil der Musikalien Woulmyers tatsäclic für 400 Taler angekauft worden ist.20 Auc der Hinweis der Erben Graupners, daß der Dresdner Hof im Fall Heinicens nict unmittelbar für den Ankauf der Musikalien bezahlte, sondern daß „dessen Kinder“ mit einer jährlicen Pension von 500 Gulden abgefunden worden seien, war in der Facliteratur bislang unbekannt. Tatsäclic lassen sic derartige Zahlungen an die einzige hinterlassene Tocter Heinicens seit dem zweiten Halbjahr 1729 in den Dresdner Rentkammer-Recnungen nacweisen.21 16

Auc nac dem Tod Cattaneos dürfte Haußstädtler noc Stimmen nacgescrieben haben, die vielleict für Aufführungen unter dem Kapellgeiger und späteren Konzertmeister Carl Matthias Lehneis verwendet wurden. 17 Was man als besonders wertvoll erkannte, wurde an besonderer Stelle aufbewahrt. So sind die Kircenkompositionen Heinicens nict, wie offenbar seine übrigen Werke, in das Kapellarciv verbract worden, wo sie dem preußiscen Bombardement von 1760 zum Opfer fielen, sondern sie gelangten in die Musikaliensammlung der Königin Maria Josepha, vgl. Fürstenau 1849, 144. 18 Beispielsweise wurden der Witwe des Stuttgarter Vize-Kapellmeisters Johann Albrect Kreß etwa ein Jahr nac dessen Tod am 23.4.1684 „für ihres Manns seel. hinterlassene Musi$alisce Stü%“ 300 Florin ausbezahlt, vgl. MGG1 VII, 1767. Auc der Versailler Hof zahlte 40 000 Fran$s für die Motettenbücer des 1726 verstorbenen Micel de la Lande an dessen Witwe, vgl. Mattheson 1740, 166. Dieser Ankauf wird durc ein notarielles Dokument über den Naclaß der Witwe Anna Rebel bestätigt, zitiert in Benoit 1971, 185 (mit weiteren Nacweisen). 19 Vgl. Fürstenau 1861, 145. 20 Vgl. Fürstenau 1862, 181ff, und oben, Abscnitt II, Kapitel 5 „Interessenkonflikte bei der Neubesetzung der Konzertmeisterposition“. 21 Vgl. D-Dla, Rentkammer-Recnungen Nr. 241, 2. Halbjahr 1729, ohne Paginierung. Die katholisce Kircenmusik Heinicens wurde nac dem Tod der Königin Maria Josepha einzeln verkauft, bevor die Restbestände für das Kircenarciv erworben werden konnten, vgl. Fürstenau 1849, 144. Ob auc die protestantisce Kircenmusik Heinicens, für die er ebenso zuständig war, angekauft worden ist, läßt sic nict entsceiden, vgl. Horn 1987, 48, mit weiteren Nacweisen.

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Nur zwei Jahre nacdem der Dresdner Hof jene 360 Taler für die „Opera Musi$alien“ an Pisendels Erben gezahlt hatte, verkaufte der Dresdner Kircen-Compositeur Johann Georg Scürer noc zu Lebzeiten seine Musikalienbibliothek an den Hof. 1767 übergab er zunäcst das 978 Bogen umfassende Stimmenmaterial seiner Kircenkompositionen, für die ihm 84 Taler und 12 Groscen ausbezahlt wurden.22 1772 erhielt Scürer dann für die zugehörigen Partituren, die 522 Kompositionen aus den Jahren 1742 bis 1770 umfaßten, die hohe Summe von 900 Talern aus der Hofkasse, und 1782 verkaufte er die 68 verbliebenen Partituren seiner zwiscen 1767—1772 entstandenen Kircenmusik für weitere 200 Taler.23 Aus diesen Beispielen geht hervor, daß die hinterlassenen Musikalien eines Musikdirektors in einer über mehr als hundert Jahre anhaltenden Praxis als Eigentum der Erben und nict als dasjenige des Dienstherrn angesehen wurden, sonst wären sie nict angekauft worden. Da diese Beispiele die Dresdner Praxis einscließen, ist davon auszugehen, daß Pisendels musikaliscer Naclaß ebenfalls als Eigentum seiner Erben betractet wurde, auc wenn er nict in erster Linie aus eigenen Kompositionen bestand. Da es sic dabei um eine längere und gleicförmige Praxis handelte, kann die Eigentumsfrage sogar als ein Gewohnheitsrect, das den Status einer Rectsnorm genießt, angesehen werden. Der erste Punkt in dem Gutacten Bendas bestätigt diese Auffassung, denn die Bestimmung der Musikalien als Hofeigentum hätte bereits in der Bestallung Graupners „als eine Ausnahme, da an andern Höfen über diesen Pun%t gar kein zweiffel entstehet ausdrüklic [...] müssen erwehnet und festgesetzt werden.“24 Der Hinweis auf den Wortlaut der Kapellmeister-Bestallung belegt einmal mehr, daß diese Rectsformeln nict nur auf den säcsiscen Raum begrenzt waren, sondern nac der Überzeugung Bendas zumindest auc in Hessen-Darmstadt Gültigkeit besaßen. Die Eigentumsrecte eines Kapellmeisters an seinen Musikalien werden auc nict dadurc gescmälert, daß die Herstellung des Aufführungsmaterials aus den Mitteln des Hofes bezahlt wurde. Obwohl nämlic der Dienstherr Graupners seinem Kapellmeister einen „Copiste gehalten und das nöthige Papier hergegeben“ hat und der Dienstherr Bendas außer dem Papier sogar zwei Notisten bereitstellte, die offensictlic das Aufführungmaterial anfertigten, blieben die Kompositionen selbst Eigentum ihres Urhebers, wie Benda auc mit Bli% auf die bei seinem Amtsvorgänger Stölzel verfolgte Praxis betont: „Dessen allem ohngeactet verbleiben meine in hiesigen Diensten verfertigte Musi$alien nac meinem Absterben meinen Erben als ein völliges Eigenthum, und stehet denenselben frey, damit zu verfahren, wie sie es für gut befinden.“ Nac Bendas Angaben hat also die Beteiligung eines Kopisten an der Arbeit des Hofkapellmeisters von Sacsen-Gotha keinen Einfluß auf die Eigentumsrecte an dessen Werken. Eine ähnlice Regelung läßt sic für den Dresdner Hof zwar nict belegen, aber ebenso wenig bestreiten, denn Benda bescreibt eine allgemeine Rectspraxis, die als Gewohnheitsrect nict in amtlicen Dokumenten festgescrieben ist.

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Freundlice Auskunft von Herrn Dr. Gerhard Poppe, Dresden. Vgl. MGG1 XII, 193. Über seine Kompositionen legte er eigenhändige Verzeicnisse an, die mit der letzten Lieferung 1782 fortgesetzt wurden. 24 Vgl. oben das vollständige Zitat. 23

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Damit ist allerdings noc nict geklärt, ob die Eigentumsrecte an Pisendels Naclaß nac eigenen und fremden Kompositionen sowie eigenen und Notistenabscriften differenziert wurden. Zur Lösung dieser Frage kann ein Hinweis der Erben Graupners beitragen, wonac „die Arbeiten eines Capellmeisters, sobald sie aufgeführt sind, dessen völliges Eigenthum“ seien. Diese Feststellung lenkt die Aufmerksamkeit des Musikhistorikers weg von den gescriebenen Musikalien, die das einzige erhaltene Relikt dieser Aufführungen sind, und stellt die Aufführung selbst in den Mittelpunkt der Fragestellung. Trotz des unscätzbaren Quellenwertes, den diese Musikalien heute besitzen, darf nict vergessen werden, daß die Notenblätter lediglic ein Mittel zum Zwe% der Aufführung, nict aber das eigentlice Ziel der Arbeit eines leitenden Hofmusikers waren. Nac der erfolgten Aufführung besaß der Hof also, nac der Darstellung von Graupners Erben, keine Recte mehr an den dabei verwendeten Kompositionen. Diese in den Dokumenten nur angedeutete Sictweise bedeutet rein juristisc, und auf diesem Gebiet kannten sic die Erben Graupners aus, daß der dienstlice Auftrag eines Kapellmeisters bereits mit der Aufführung der jeweiligen Musikstü%e abgegolten war und sic nict auf das Zusammentragen und Bereithalten der dazu verwendeten Musikalien erstre%t. Tatsäclic wird diese Auffassung durc den Wortlaut zeitgenössiscer Bestallungen bestätigt, wonac die Dienstpflict eines (Vize-)Kapellmeisters darin besteht, „mit seinen eigenen und anderen Compositionen die Musi$ zu bestellen und zu dirigiren.“25 Die Dienstpflict umfaßt also offenkundig nur die Vorbereitung und Direktion von musikaliscen Aufführungen. Bei der Vorbereitung der Aufführungen standen dem (Vize-)Kapellmeister einige Helfer zur Verfügung, die vom Hof mit einer Grundbesoldung versehen wurden. Dazu gehören der Instrumenteninspe$tor und der Orgelmacer für die Wartung der Instrumente, der KapellDiener für die Organisation der Termine und Transporte und nict zuletzt der besoldete Hofnotist für das Erstellen des nötigen Aufführungsmaterials. Aus der zitierten Bestimmung der Bestallungsverträge geht außerdem hervor, daß es dem Repertoirebeauftragten frei stand, zum Zwe% der Aufführung „eigene und andere Compositionen“ heranzuziehen. Dies bedeutet zwar, daß von einem leitenden Hofmusiker erwartet wurde, daß er sic auc als Komponist betätigte, aber die Entsceidung, im Einzelfall selbst zu komponieren oder aber teure Musikalien von auswärts anzuscaffen, wurde ihm bei gleicem Gehalt offenbar selbst überlassen. Der Begriff der „eigenen Compositionen“ ist dabei eindeutig auf die vom Amtsträger selbst komponierten Werke bezogen. Dagegen ist der zweite Begriff der „anderen Compositionen“ sehr offen formuliert, denn darunter sind alle Werke zu zählen, die nict zur ersten Kategorie gehören. Diese zweite Kategorie umfaßt nict nur solce Werke, die er zwar besitzt, die aber von anderen komponiert wurden, sondern auc solce, die er nict selbst besitzt, aber dennoc aufführt, etwa Werke aus der Musikaliensammlung des Hofes oder Leihmaterial.26 Der Umfang des Kapellrepertoires, die Summe der aufgeführten Werke zur Zeit Pisendels, läßt sic also nict allein an den Musikalien aus Pisendels Notenbibliothek ablesen. Dennoc geben die zahlreic erhaltenen Werke mit Arbeitsspuren 25

Vgl. oben, Teil II, Kapitel 2. Zum Verleih von Partituren und Stimmensätzen zur Abscrift als eine zeitüblice Erwerbsmethode für Musikalien vgl. Beißwenger 1998, 243ff.

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Pisendels einen wictigen Anhaltspunkt für den Umfang des instrumentalen Repertoires in Dresden. Auc die Rolle der Notistenhandscriften in diesem Reperoire bedarf noc einer genaueren Bewertung, denn die These von einer umfangreicen „Privatsammlung“ Pisendels, die neben dem offiziellen Repertoire der Hofkapelle existiert haben soll, ersceint vor dem rectlicen Hintergrund, der im Zusammenhang mit dem Streit um Graupners Naclaß umrissen werden konnte, in neuem Lict.

Privateigentum oder Kapellrepertoire? Die Eigentumsfrage, aufgrund derer die Notenhandscriften aus „Scran% No: II.“ in private und kapelleigene Musikalien eingeteilt werden, führte zu weitreicenden Sclußfolgerungen in der Bewertung von Pisendels Notenbibliothek. Dadurc wurde nämlic, wie oben dargelegt, ein großer Teil der erhaltenen Musikalien als „Privatsammlung“ Pisendels eingestuft, deren Bestand nict zum Kapellrepertoire gehört haben soll. Allerdings stellte bereits Landmann fest, daß der Screiberbefund als ein Merkmal für das unter Pisendel aufgeführte Repertoire untauglic ist, da auc die von Pisendel selbst gescriebenen Stimmensätze Gebraucsspuren aufweisen und demnac als Aufführungsmaterial von der Hofkapelle verwendet worden sind. Aus dem bislang wenig beacteten Rectsstreit um den Naclaß Graupners geht außerdem hervor, daß die Dienstpflict eines leitenden Hofmusikers lediglic in der Aufführung von geeigneter Musik bestand, wobei dieser selbst wählen konnte, ob er dazu eigene oder fremde Kompositionen heranzog. Bei der Vorbereitung standen ihm unter anderem besoldete Hofnotisten zur Verfügung, die das notwendige Aufführungmaterial herstellten. Obwohl diese Notisten an der Vorbereitung zur Aufführung beteiligt waren, blieben die einmal aufgeführten Werke selbst Eigentum des leitenden Hofmusikers und konnten von ihm vererbt werden. Besonders wenn es sic um Musikalien handelte, die weiterhin praktiscen Nutzen besaßen, wurden solce musikaliscen Naclässe durc den ehemaligen Dienstherrn von den Erben abgekauft und den Amtsnacfolgern zur Verfügung gestellt. Dabei bleibt zu untersucen, ob das auf Kosten des Hofes erstellte Aufführungsmaterial ebenfalls Teil dieser angekauften Naclässe war oder ob es bereits vor den Ankauf als „Kapelleigentum“ an anderer Stelle aufbewahrt wurde. Für die praktisce Weiterverwendung einer nacgelassenen Notenbibliothek ist es notwendig, das vollständige Aufführungsmaterial, bei Orcesterwerken also Partitur und Stimmen, zu erhalten. Scon aus diesem Grund darf bezweifelt werden, daß die von Dresdner Notisten angefertigten Musikalien von der zugehörigen, „privaten“ Partitur oder selbst gescriebenen Stimmen getrennt wurden. Nac dieser Theorie wäre nämlic bei einem Naclaßankauf nur um die „privaten“ Musikalien zu verhandeln gewesen, während das Stimmenmaterial oder von besoldeten Notisten gescriebene Einzelpartituren umgehend vom Hof hätten eingefordert werden können. Eine getrennte Behandlung von Partituren und Stimmenmaterial beim Ankauf eines Naclasses war jedoc nict üblic, wie die angeführten Beispiele belegen. Eine solce Trennung wäre bei einer umfangreicen Notenbibliothek nict zwe%mäßig und

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widersprict auc den Angaben Matthesons, wonac „ein wictiges Stü%, so zum Amt eines Vorgesetzten gehöret“, darin besteht, daß dieser „die ausgescriebenen Stimmen mit der Partitur zusammen [zu] halten“ habe.27 Auc die von besoldeten Notisten angefertigten Stimmen wurden, obwohl der Hof für ihre Herstellung bezahlt hatte, in keinem der untersucten Fälle separat eingefordert, denn ohne die zugehörige Partitur war ihr praktiscer Wert nur gering, so daß der Dienstherr wohl auc kein Interesse daran hatte, diese vorzeitig zu erhalten. Eine sehr aufsclußreice Ausnahme stellt der Ankauf von Scürers Aufführungsmaterialien durc dem Dresdner Hof im Jahr 1767 dar, denn die zugehörigen Partituren folgten erst fünf Jahre später nac. Diese von der üblicen Praxis abweicende Vorgehensweise, die zu einer vorübergehenden Trennung von Partitur und Stimmen führte, war nur deshalb durcführbar, weil Scürer zu dieser Zeit noc im Amt aktiv war und daher die Aufführungen seiner Werke unter Verwendung seiner eigenen Partituren leitete. Der vorzeitige Ankauf der Musikalien Scürers diente lediglic dazu, Verhandlungen mit den Erben zu vermeiden und Scürers Bibliothek dadurc kostengünstiger zu erwerben.28 Tatsäclic war der Preis von 84 Talern und 12 Groscen für 978 Bogen Stimmenmaterial auffallend gering, wenn man ihn der Gesamtsumme von 1100 Talern für die nacfolgenden 590 Partituren gegenüberstellt. Der Dire$teur des plaisirs Ulric von König scrieb in diesem Zusammenhang, daß sic unter den ausgescriebenen Kircenmusikalien Scürers auc einige befinden, „welcer erwehnter Kircen-Componist in denen ersteren Jahren seines Dienstes [ab 1748], aus damahligen Mangel derer Notisten, selbst $opiren müßen, und die folglic nict dem Hofe, sondern ihm selbst zugehören.“29 Offensictlic ist der niedrige Kaufpreis dadurc zu erklären, daß der größere Teil der Stimmen von besoldeten Hofnotisten gescrieben und nict von Scürer selbst hergestellt oder bezahlt worden ist. Aus diesem Dresdner Beispiel ist zu entnehmen, daß die von besoldeten Notisten angefertigten Musikalien tatsäclic als Hofeigentum behandelt wurden, wie es Heller und Fecner bereits festgestellt hatten.30 Ihre daraus entwi%elte These, daß sic aus den untersciedlicen Eigentumsrecten auc eine untersciedlice Bedeutung für das Kapellrepertoire ableiten lasse, wird aber durc diese Quelle widerlegt. Scürer bewahrte nämlic sowohl die von Hofnotisten ausgescriebenen als auc die selbst erstellten Stimmen in seiner „privaten“ Notenbibliothek auf, ohne sie nac den tatsäclicen Eigentumsrecten zu trennen. Daraus geht hervor, daß die von besoldeten Hofnotisten gescriebenen Musikalien nac ihrem ersten Gebrauc in der Bibliothek des verantwortlicen Hofmusikers belassen und nict vom Dienstherrn eingefordert worden sind, und dies ist selbst aus dem Bli%winkel des Dienstherrn durcaus sinnvoll, falls eine spätere Wiederaufführung beabsictigt war.

27

Mattheson 1739, 481 und Register (unpaginiert). Vgl. den Vortrag des Dire$teurs des plaisirs von König vom 3.12.1770, D-Dla, Lo$. 910, Vol. I, A$ta, das Chur-Fürstl. Orcestre und dessen Unterhaltung […] betr. Anno [1711, 1717] 1764-68, fol. 260r. Für den freundlicen Hinweis auf dieses Dokument danke ic Herrn Dr. Gerhard Poppe. 29 Der Wortlaut dieses Dokuments wurde mir von Herrn Dr. Gerhard Poppe freundlicerweise mitgeteilt. 30 Vgl. Heller 1971, 9, und Fecner 1999, 13. 28

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Die Erklärung Bendas, daß das Bereitstellen von Notisten und Screibmaterial keinen Einfluß auf die Eigentumsrecte an Musikalien habe, und der Hinweis Matthesons auf eine wohlgeordnete Notenbibliothek lassen erkennen, daß es sic bei Scürers Notenbibliothek nict um einen Einzelfall handelt, sondern daß dieser undifferenzierte Umgang mit hofeigenem Aufführungsmaterial der zeitüblicen Praxis entsprac. Auc die Angabe der Erben Graupners, wonac „die Arbeiten eines Capellmeisters, sobald sie aufgeführt sind, dessen völliges Eigenthum“ seien, weist darauf hin, daß die Musikalien nac der Aufführung nict getrennt aufbewahrt wurden, denn der Wert gebraucter Musikalien bestand in erster Linie darin, daß sie für eine spätere Aufführung genutzt werden konnten. Aus diesem Grund hatte der Dienstherr einerseits kein Interesse daran, hofeigenes Aufführungsmaterial vorzeitig einzufordern und von den „privaten“ Partituren abzuziehen, andererseits war er aber beim Ankauf des Naclasses darauf bedact, das vollständige Aufführungsmaterial mit jeweils zugehöriger Partitur zu erhalten.31 Daraus geht hervor, daß die Eigentumsrecte des Dienstherrn an der Arbeit seiner Notisten erst dann wirksam wurden, wenn sic der Dienstherr zum Ankauf einer „privaten“ Notenbibliothek entscloß. Auc der umgekehrte Fall, daß der Dienstherr gegen einen Ankauf entscied, trat offenbar zuweilen ein.32 In diesem Fall verzictete der Dienstherr wahrsceinlic auf seine Eigentumsrecte an der Arbeit der besoldeten Notisten. Allerdings durften diejenigen leitenden Hofmusiker, denen ein solcer Notist zur Verfügung gestellt wurde, davon ausgehen, daß das Interesse des Dienstherrn an einem späteren Ankauf des so entstandenen Repertoires groß war, und tatsäclic hatte sic diese Praxis, wie dargelegt, zu einem Gewohnheitsrect entwi%elt, auf das sic die Erben berufen konnten. Bei einer Abwägung der Eigentumsrecte mit diesem starken Gewohnheitsrect wird deutlic, daß der Dienstherr zunäcst auf seine Eigentumsrecte verzicten konnte, indem er die Arbeit der Hofnotisten nac der Aufführung dem Eigentum seines leitenden Hofmusikers überließ, denn bei dem späteren Ankauf der Bibliothek wurde ihm die Investition durc den verminderten Kaufpreis zurü%erstattet. Damit ist die von Fecner vertretene These von der Trennung der erhaltenen Musikalien aus „Scran% No: II.“ in Kapellrepertoire einerseits und Pisendels „Privatsammlung“ andererseits hinfällig. Sowohl die Abscriften der besoldeten Notisten als auc diejenigen Musikalien, die Pisendel selbst gescrieben hat, waren nämlic in einer einzigen, umfangreicen Repertoirebibliothek zusammengefaßt, die als Teil der Erbmasse Pisendels angesehen wurde. Das Beispiel von Scürers Notenbibliothek belegt, daß grundsätzlic der gesamte Bestand von Pisendels Notenbibliothek als potentielles Kapellrepertoire verstanden werden muß, wobei die Entsceidung, ob die jeweiligen Werke tatsäclic für eine Aufführung bei Hof herangezogen wurden, letztlic bei Pisendel lag. Bei einer Übertragung der bisherigen Erkenntnisse auf den Fall Pisendels ist davon auszugehen, daß die von Hofnotisten hergestellten Musikalien nict in der Kaufsumme enthalten waren, während auc das von Pisendel ausgescriebene Stimmen31 Vgl. das oben zitierte Dekret des Landgrafen von Hessen-Darmstadt vom 28.5.1760, wonac die genau zu verzeicnenden Musikalien Graupners unter festen Verscluß genommen werden sollten und keinem der Kapellisten davon etwas ausgehändigt werden dürfe. 32 Nac Landmann 1989, 25, erhielt der Dresdner Hof wiederholt Angebote, Musikaliensammlungen anzukaufen, die offensictlic nict immer angenommen wurden.

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material bezahlt werden mußte. Wenn der Dire$teur des plaisirs von König die Kosten von knapp zwei Talern für eine Partitur Scürers als günstig bezeicnet, dann ist der Kaufpreis für eine Partitur mit zugehörigem Aufführungsmaterial aus Pisendels Naclaß mit deutlic über zwei Talern anzusetzen. Falls es sic bei der Summe von 400 Talern für Pisendels „Opera Musi$alien“ also nict um einen Pauscalpreis handelte, entsprict dies etwa dem Wert von höcstens 200 Werken. Die Zahl der bekannten Instrumentalwerke, die nac der erarbeiteten Definition einer Repertoirebibliothek als Pisendels Eigentum angesehen werden können, übersteigt diese Zahl jedoc um ein Vielfaces. Daraus folgt, daß mit der erhaltenen Quittung von 1765 nur der Ankauf eines Teils von Pisendels Notenbibliothek nacgewiesen werden kann. Dadurc erhält die Hypothese neues Gewict, daß sic diese Quittung nict auf die bekannten Instrumentalwerke des „Scran% No: II.“, sondern tatsäclic auf „Opera Musi$alien“ bezieht, über deren Art und Umfang jedoc nur spekuliert werden kann.

Zur Herkunft der Musikalien in „Pisendels Notenbibliothek“ Da Pisendels Dienstpflict als Konzertmeister mit der Aufführung der Musikstü%e abgegolten war und Pisendel somit nict verpflictet war, eine ausscließlic dienstlice Repertoirebibliothek anzulegen, geraten solce Musikalien aus Pisendels Naclaß ins Bli%feld, die sic aufgrund ihres privaten Charakters nict für eine Aufführung vor der Hofgesellscaft eigneten. Denn im Naclaß sind auc solce Werke erhalten, die in ihrer Eigenscaft als Erinnerungsstü%e an Reisen, Personen oder Ereignisse nict in erster Linie für den offiziellen Gebrauc vorgesehen waren. Dazu gehören die erwähnten Werke mit persönlicen Widmungen an Pisendel sowie solce, die er aus Italien mitgebract hatte. Besonders diejenigen Werke, die von Pisendel selbst auf italienisces Papier gescrieben wurden, weisen auf seinen Studienaufenthalt in Italien hin und vermögen dabei über den musikaliscen Horizont Pisendels um 1716/1717 Aufscluß zu geben. Auc andere Musikalien weisen eine enge Verbindung zu Pisendels Biographie auf, etwa die erwähnten Werke für Viola d'amore und nict zuletzt seine eigenen Kompositionen, die besonders im Fall der Kammermusik nict nur zu dienstlicen Zwe%en entstanden sein dürften. Diese wenigen Musikalien, die tatsäclic einen privaten Charakter zeigen, können jedoc nict von den übrigen Musikalien aus Pisendels Notenbibliothek getrennt werden und sind sicer nict aus „Sammlerinteresse“, sondern aufgrund ihres Erinnerungswertes für Pisendel in seiner Bibliothek aufbewahrt worden. Solce Handscriften dürfen auc nict mit jenen Werken gleicgesetzt werden, zu denen lediglic eine Partitur erhalten ist. Die Vorstellung, daß Pisendel zahlreice Partituren ausscließlic aus privatem Interesse am Besitz einer Rarität angescafft habe, ohne eine Nutzung ins Auge zu fassen, widersprict dem oben erarbeiteten Zwe% seiner Notenbibliothek und verstellt darüber hinaus den Bli% auf die biographisce Bedeutung der ecten, aber zahlenmäßig weniger bedeutenden „Erinnerungsstü%e“, die wohl tatsäclic nict für eine Aufführung vorgesehen waren.

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Für die auffällig große Zahl von Partituren, zu denen weder Eintragungen Pisendels noc ausgescriebene Stimmen überliefert sind, gibt es noc eine andere Erklärung als das angeblice „Sammlerinteresse“ Pisendels. Die Möglickeit nämlic, daß diese sceinbar unbenutzten Partituren auf Leihmaterial zurü%geführt werden könnten, ist noc nict näher untersuct worden. Dabei war das Leihen und Verleihen von Aufführungsmaterial unter Musikdirektoren eine weit verbreitete Praxis, wie im Zusammenhang mit der Untersucung von Bacs Notenbibliothek festgestellt werden konnte.33 Angesicts der nacweisbaren Kontakte Pisendels zu Telemann, Fasc und zu seinen Berliner Scülern kann davon ausgegangen werden, daß auc Pisendel dieses Verfahren öfters angewandt hat, allerdings wohl nur als Leihgeber und Leihnehmer fremder, nict aber eigener Werke, denn Pisendels eigene Kompositionen sind außerhalb der Grenzen des Dresdner Hofs bislang nict nacweisbar. Aufgrund des Leihmaterials könnte sic Pisendel eine Partitur angefertigt oder eine Abscrift in Auftrag gegeben haben, um dieses Werk auc in seiner eigenen Notenbibliothek zu besitzen. Obwohl sic hier der Erinnerungswert tatsäclic mit einem gewissen Sammlerinteresse verbindet, stehen diese Partituren im Gegensatz zu der Auffassung Fecners mit einer tatsäclicen oder geplanten Aufführung in Verbindung und müssen daher unbedingt dem Kapellrepertoire zugerecnet werden. Sogar die Tatsace, daß die Instrumentalwerke Heinicens lediglic in Partiturabscriften seines ehemaligen Scülers Pisendel überliefert sind,34 läßt sic durc die Praxis, Notenmaterial zu verleihen, sclüssig erklären. Unter der Voraussetzung, daß die Angaben Fürstenaus über den Ankauf von Heinicens Naclaß durc den Hof zutreffen und dessen Instrumentalmusik nac 1729 im Kapellarciv aufbewahrt wurde,35 könnte Pisendel nämlic die entsprecenden Werke für seine Zwe%e entliehen und sic bei dieser Gelegenheit Partiturkopien angefertigt haben.36 Da das Kapellarciv 1760 in Flammen aufging und nur die an anderer Stelle aufbewahrten Kircenkompositionen Heinicens verscont blieben, sind diese Orcesterwerke wohl dank der Abscriften Pisendels überhaupt erhalten geblieben. Daß Pisendel Zugang zu den musikaliscen Naclässen hatte, die bereits vom Hof angekauft waren, und sic aus diesem Repertoire Abscriften herstellen ließ, ist durc den bekannten Briefwecsel mit Telemann über die geplante Veröffentlicung von Zelenkas Responsorien hinreicend belegt. Pisendel hatte nämlic von der Originalpartitur Zelenkas, die wie die Kircenwerke Heinicens in der Musikaliensammlung Maria Josephas aufbewahrt wurde, unter der Hand eine Abscrift anfertigen lassen, die er an Telemann übermittelte. Dabei legte Pisendel großen Wert darauf, daß die Herkunft dieser Abscrift verscleiert wurde, nict etwa, weil ihm die Weitergabe von Musikalien am Dresdner Hof verboten wäre,37 sondern weil sic dieses Werk nict in seiner eigenen, sondern in der privaten Musikaliensammlung 33

Vgl. Beißwenger 1998, 242ff. Vgl. Fecner 1999, 28f. Für entsprecende Informationen Fürstenaus über den Naclaß Woulmyers konnte im Rahmen dieser Arbeit erstmals der Beweis erbract werden, daß diese Musikalien tatsäclic angekauft worden sind, vgl. oben, Abscnitt II, 5. „Interessenkonflikte bei der Neubesetzung der Konzertmeisterposition“. 36 Auc das Kopieren von Musikalien nac Vorlagen einer fürstlicen Bibliothek gehörte zu den gebräuclicen Erwerbsmethoden von Musikalien, vgl. Beißwenger 1998, 244f. 37 So irrtümlic Oscmann 1986, 29, Anm. 59. Vgl. dazu Landmann 1979, 51, und Fürstenau 1862, 77, 81, 181. 34 35

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der Königin befand. Pisendel durfte diese Sammlung zwar für dienstlice Zwe%e nutzen, besaß aber allein aufgrund der Eigentumsverhältnisse nict die Befugnis, Kopien daraus an Dritte weiterzugeben. Pisendel, der nur ausnahmsweise selbst für seinen Repertoirebereic komponierte und sic in der Regel für die Anscaffung fremder Kompositionen entscied, bediente sic beim Zusammentragen seiner Notenbibliothek offenbar untersciedlicer Mittel, von denen das Abscreiben entliehener Vorlagen nur eine Möglickeit war. Auc die Erinnerungsstü%e, die er zum Gescenk erhielt, lieferten einen wictigen Beitrag zu seiner Sammlung. Eine Spezialstudie Beißwengers über „Erwerbsmethoden von Musikalien im frühen 18. Jahrhunderts[!]“, die auf einer Untersucung der privaten Notenbibliotheken von Johann Sebastian Bac und Johann Gottfried Walther beruht, bestätigt, daß die bei Pisendel beobacteten Scenkungen und Abscriften von Leihmaterial zu den damals üblicen Wegen gehören, auf denen Musikalien erworben werden konnten. Darüber hinaus werden noc weitere Erwerbsmethoden genannt, die fast alle bereits bei oberfläclicer Prüfung auc in Pisendels Notenbibliothek zu beobacten sind. In dieser Studie werden zehn versciedene Erwerbsmethoden für Musikalien unterscieden: das Kopieren bei Lehrern, der Notentausc, das Ausleihen von Musikalien zur Abscrift, das Kopieren nac Vorlagen einer fürstlicen Bibliothek, das Besorgen von Musikalien durc Dritte, Ankäufe aus anderen Sammlungen, Ankäufe auf Messen, Kommissionsgescäft, Subskription und Gescenke.38 Zu den Kopien, die Pisendel sic aus den Notenbeständen seiner Lehrer angefertigt hat, gehören offensictlic Kompositionen von Torelli, Vivaldi, Montanari, Bitti, Heinicen und vielleict auc von Melcior Hoffmann. Die Biographie Pisendels kann hier einzelne Anhaltspunkte zur Datierung dieser Handscriften beisteuern. Sicer hat Pisendel auc über die eigenen Kompositionen seiner Lehrer hinaus weitere Werke, die sic in deren Sammlungen befanden, abgescrieben. Solce Abscriften Pisendels werden sic jedoc nur in den seltensten Fällen einer konkreten Vorlage zuordnen lassen. Auc für den Notentausc lassen sic einzelne Beispiele benennen, die in Pisendels Handscrift überliefert sind. Dabei sind die in Dresden vorhandenen Musikalien weniger aussagekräftig als die Abscriften Pisendels, die sic in auswärtigen Bibliotheken nacweisen lassen. In dem 1743 aufgestellten Inventar der „Hocfürstl. Con$ert-Stube“ im Zerbster Scloß beispielsweise sind die Werke Dresdner Musiker, etwa von Hebenstreit, Hunt, Woulmyer, Heinicen, Quantz, Vera$ini und Cattaneo, auffallend zahlreic vertreten.39 Da der größte Teil der verzeicneten Musikalien jedoc verloren ist, läßt sic ein Musikalienaustausc zwiscen Fasc und Pisendel nur vermuten.40 In Darmstadt dagegen ist eine Handscrift Pisendels nacweisbar, die auf einen Notentausc mit einem der dortigen Musiker, dem Oboisten und Konzertmeister Micael Böhme, dem Kapellmeister Christoph Graupner oder mit seinem späteren Nacfolger Samuel Endler, hindeutet. Bei dem überlieferten Trio

38

Vgl. Beißwenger 1998, 240ff. Vgl. Landmann 1984, 94. Kompositionen Pisendels sind entgegen der Behauptung von Pfeiffer 1994, 80, in diesem Inventar (Faksimile hg. von E. Thom, Micaelstein o.J.) nict nacweisbar. 40 Vgl. Fecner 1999, 30. 39

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$-Moll von Telemann für zwei Oboen und bezifferten Baß41 handelt es sic um eine zweite Abscrift Pisendels von einem Werk aus seiner Dresdner Sammlung. Pisendels eigene Abscrift untersceidet sic lediglic dadurc, daß sie für zwei Violinen eingerictet ist.42 Beide Handscriften zeigen mit ihren gescwungenen und teilweise verscnörkelten Bucstaben frühe Scriftzüge Pisendels, deren Datierung auc durc die französiscen Satzüberscriften, Verzierungszeicen und Spielanweisungen bestätigt wird. Wie bereits oben dargelegt, dürfte das Ausleihen von fremden Musikalien zur Abscrift, das für Johann Sebastian Bac sogar in zwei Fällen nacgewiesen werden kann43, auc für Pisendel ein bewährter Weg gewesen sein, Musikalien zu erhalten. Aber auc das Besorgen von Musikalien durc Dritte ist bei Pisendel nacweisbar. So erhielt Pisendel wiederholt Musikalien, die von einem italieniscen Kopisten auf italienisces Papier gescrieben wurden. Im vorläufigen Quellenkatalog der Säcsiscen Landesbibliothek wird dieser Screiber von Landmann als „der wictige Pisendel-Lieferant“ bezeicnet.44 Solce bestellten Musikalien erhielt Pisendel jedoc nict nur aus Italien, sondern auc von auswärtigen deutscen Höfen. So ließ Pisendel nac 1728 den Stuttgarter und späteren Mannheimer Konzertmeister Alessandro Toesci durc einen gewissen „Sig.r Bern“ um dessen Kompositionen bitten.45 Der stark an Vivaldi orientierte Kompositionsstil dieser Werke deutet darauf hin, daß sie in der Zeit der intensivsten Vivaldi-Pflege am Dresdner Hof eingesandt worden sein könnten. Zufällig ist eine entsprecende Beiscrift zu dem Autograph Toescis erhalten, in der er im Gegenzug um Kompositionen Pisendels bittet und damit einen Notentausc vorsclägt: Essendomi stato signifi$ato dal Sig.r Bern, qualmente V. S. desidera veder qualce $osa delle mie debboli $omposizioni, $osì non ho man$ato di ubbidirla nel trasmettergli questa bagatella, la quale sperò ce troverà $ompatimento apresso la di Lei presenza et intendimento; Per dir la verità tutto timido, e vergognoso, gli invio questo pi$$iol $on$erto ce pensando alla di lei abbilità, dovverei avergli mandato quance $osa di maggior rilievo, $on tutto $iò tal o$$asione per pregar V. S. di $orregar quelli errori c’io per ignoranza non $onos$o; il mio stile è fa$ile, et pro$uro di $omponer $ose non molto diffi$ili $ioè se$ondo il mio debbole talento, non essendomi mai adattato di suonar grandi difi$oltà, le quali $onsidero ce l’esse$uzione non mi rius$irebbe sempre a mio gusto, intanto la prego re$ipro$amente inviarmi qual$he pezzo delle sue bellis.me $omposizioni a$$iò possa anc’io approfittarmi di quel bellis.me Talento ce Iddio gli ha dato. Perdoni la libertà ce prendo, mi $onservi il di lei affetto et sia persuaso ce di vero $uore sono di V. S. Devoti. mo Oblig.mo Servitore Alessandro Toescy46

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D-DS, Mus. ms. 1042/28a. Diese Handscrift wurde nac einer freundlicen Mitteilung von Herrn Dr. Oswald Bill vom 25.6.1999 durc Frau Dr. Ortrun Landmann als eine Abscrift von Pisendels Hand identifiziert. 42 D-Dl Mus. 2392-Q-78. 43 Vgl. Beißwenger 1998, 243. 44 Vgl. beispielsweise Martino Bitti, Violinkonzert D-Dur (D-Dl Mus. 2362-O-5) und Hinweise auf italienisce Kopisten in Pozzi 1995, 991ff. 45 Vgl. Landmann 1989, 26. 46 Vgl. D-Dl Mus. 2817-O-2.

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Einige Musikalien Pisendels stammen offenbar aus fremden Sammlungen, wie die bereits erwähnten Dresdner Telemann-Konzerte zeigen, die aufführungspraktisce Eintragungen von Pisendels Amtsvorgänger Woulmyer aufweisen.47 Entweder hat Pisendel sie aus dessen Naclaß angekauft, der ja nur teilweise in den Besitz des Hofes übergegangen war, oder Pisendel hat sie von Woulmyer oder dessen Witwe als Gescenk erhalten. Immerhin soll er nac der oben zitierten Anekdote Marpurgs für den Verkauf der übrig gebliebenen Musikalien aus Woulmyers Bibliothek zuständig gewesen sein. Wie auc am Beispiel des Toesci-Konzertes zu erkennen ist, läßt sic die Kategorie der gescenkten Musikalien nict immer klar von anderen Erwerbsmethoden wie dem Notentausc untersceiden. Als Gescenke mit Erinnerungswert sind jedenfalls die Pisendel gewidmeten Kompositionen von Telemann und Albinoni anzusehen. Aber bereits die mit „fatto per il M.o Pisendel “ überscriebenen Sonaten Vivaldis lassen Zweifel an dem uneigennützigen Hintergrund dieser Überscrift aufkommen, denn Vivaldi hat sie in einigen Fällen eindeutig erst nacträglic hinzugefügt. Aus den oben zitierten Tagebucaufzeicnungen Uffenbacs ist nämlic bekannt, daß Vivaldi musikinteressierte Venedigbesucer bedrängte, angeblic eigens für sie komponierte Werke zu kaufen und sie unter der Anleitung des Komponisten einzustudieren.48 Als ein ectes Erinnerungsstü% ist dagegen jene „La Montanari “ überscriebene Sonate einzustufen, die im Rahmen dieser Arbeit als ein vor 1714 entstandenes Werk von Giuseppe Valentini identifiziert werden konnte.49 Ihr vollständiger Titel deutet darauf hin, daß es sic hier ursprünglic um ein Widmungsexemplar an Montanari handelt: „La Montanari / Sonata per Camera a / Violino solo / Dedi$ata al merito impareggiabile del / Sig.re Antonio Montanari / insigne Sonatore di Violino / Da un Suo diuoto Seruo ammiratore / della sua Virtù“.50 Valentini, der bereits zuvor eine gleicnamige Charakterkomposition zu Ehren Montanaris veröffentlict hatte, verwendete einen Satz dieser Sonate in seinen Allettamenti per $amera op. 8 aus dem Jahr 1714. Aus diesem Grund könnte Montanari selbst dieses Manuskript, das die stilistiscen Eigenscaften von Montanaris Kompositions- und Aufführungsstil zum Thema hat, Pisendel als ein Erinnerungsstü% gescenkt haben, als dieser 1717 in Rom bei ihm Unterrict nahm. Die übrigen bekannten Erwerbsmethoden von Musikalien, die in der Studie Beißwengers genannt werden, beziehen sic auf den Erwerb von Musikdru%en: Ankäufe auf Messen, Kommissionsgescäfte und Subskription. Über Dru%e, die sic in Pisendels Notenbibliothek zweifellos ebenfalls befunden haben,51 liegen jedoc fast keine Informationen vor, so daß erneut auf den künftigen Quellenkatalog der Säcsiscen Landesbibliothek verwiesen werden muß, der eine Grundlage für die künftige Erforscung dieser Sammlung bildet. Allerdings wird bereits vorab der Ausnahmestatus von Pisendels Notenbibliothek im Vergleic zu anderen privaten Musikalienbibliotheken des 18. Jahrhunderts deutlic, wenn man berü%sictigt, daß die von 47

D-Dl Mus. 2392-O-3 und Mus. 2392-O-56. Vgl. oben Teil I, Kapitel 3. 49 Vgl. Teil I, Kapitel 3. 50 D-Dl olim Mus. 2-R-7 – neue Signatur Mus. 2387-R-5. 51 Gute Beziehungen zu Buchändlern sind für Pisendel ebenfalls nacweisbar, denn ein naher Verwandter, der „bey Herrn Krug in Leipzig dermaln die Buchandlung erlernet“, wird von Pisendel in seinem Testament bedact, vgl. Köpp 1999, 64. 48

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Beißwenger untersciedenen Erwerbsmethoden im Zusammenhang mit den Notenbibliotheken Bacs und Walthers formuliert wurden, die lediglic hypothetisc rekonstruierbar sind.52 Im Fall Pisendels ist dagegen eine bislang noc unüberscaubare Fülle von Musikalien erhalten, die für die Forscung erst teilweise ersclossen ist. Dabei kann Pisendels Notenbibliothek nict nur als exemplarisc für Erwerbsmethoden von Musikalien gelten, sondern sie repräsentiert das Instrumentalrepertoire des Dresdner Hofes, des wohl bedeutendsten deutscen Musikzentrums aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Während scon die reicen Bestände an Kompositionen einzelner Komponisten die Spezialforscung über Jahrzehnte bescäftigte, sind Fragen, die sic aus dem Überbli% über dieses große Repertoire ergeben, noc nict ins Auge gefaßt worden. Solce Fragen betreffen neben der Struktur und Entstehung einer historiscen Musikalienbibliothek beispielsweise die Charakterisierung des in Dresden und Berlin gepflegten Musikstils, dessen Abhängigkeit von der Person des Repertoirebauftragten und den Vorgaben der Fürsten, die konkreten Verbindungen einzelner Musikalien zur Biographie der dortigen Musiker und vor allem das praktisc unersclossene Gebiet der Aufführungs- und speziell der Orcesterpraxis, für das dieses Repertoire dank der sorgfältigen Eintragungen Pisendels reices und repräsentatives Quellenmaterial liefert. Zahlreice weitere Fragen lassen sic an diesem außergewöhnlicen Notenscatz untersucen, der nict nur in seiner Fülle, sondern auc in seiner durcweg hohen Qualität und wegen seiner stilistiscen Breite unter den zeitgenössiscen Repertoires wohl einzigartig ist.53

52 Vgl. dazu Beißwenger 1998, 238: „Aus dem beginnenden 18. Jahrhundert sind bisher vor allem Privatbibliotheken adeliger Famlilien ersclossen, Musikaliensammlungen ausübender Musiker oder Komponisten lassen sic hingegen nur vereinzelt rekonstruieren.“ 53 Aufgrund der Qualität, Quantität und musikhistoriscen Bedeutung dieser Handscriften ersceint es geboten, eine Gruppe von Wissenscaftlern mit der Aufarbeitung dieser Musikhandscriften unter versciedenen Aspekten zu bescäftigen, wie es etwa bei der „Forscungsstelle Gescicte der Mannheimer Hofkapelle der Heidelberger Akademie der Wissenscaften“ gescieht.

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E XKURS V: „… UND HINGEGEN DER N OTIST VON IHM ALLEIN DEPENDIREN “ – Z UR I DENTIFIKATION DER N OTISTEN AUS P ISENDELS U MKREIS Wie die vorangegangenen Untersucungen gezeigt haben, spielt es bei der Einscätzung der erhaltenen Musikalien als Kapellrepertoire nur eine unwesentlice Rolle, ob Hofnotisten an der Herstellung des Notenmaterials beteiligt waren. Interessant bleibt aber die Frage, welcer der leitenden Hofmusiker auf die Dienste der Hofnotisten, deren Arbeit aus der Hofkasse bezahlt wurde, zurü%greifen durfte und wer nict. Daraus ergibt sic die näcste Frage, welce Screiber herangezogen wurden, wenn die Hofnotisten nict verfügbar waren, und wie diese bezahlt worden sind. Zunäcst bedarf aber der Begriff des Hofnotisten einer genauen Klärung, denn in der Diskussion wird die Untersceidung zwiscen den wenigen Notisten, die mit einem Grundgehalt am Hof angestellt waren, und der größeren Zahl anderer Notisten, die dieses Privileg nict genossen, häufig vernaclässigt. Es leuctet ein, daß nur diejenigen Screibarbeiten, die vom Hof bezahlt wurden, als Hofeigentum in Frage kommen. Bislang ist allerdings nur für den besoldenten Hofnotisten Johann George Kremmler durc Quittungen belegbar, daß seine Recnungen aus der Hofkasse beglicen wurden.1 Die nict besoldeten Notisten, zu denen freiberuflice Screiber, aber auc die sogenannten Screibscüler der besoldeten Hofnotisten sowie Gelegenheitsscreiber unter den Musikern gehören,2 sind in den Akten nict nacweisbar und sollen daher als unbesoldete Hofnotisten oder einfac als Dresdner Notisten bezeicnet werden.3 Die beiden Notisten, die am häufigsten im instrumentalen Repertoire anzutreffen sind, können bis heute lediglic mit ihren in der Literatur eingeführten Kürzeln „Screiber A“ und „Screiber D“ bezeicnet werden. Nac dem letzten Stand der Dresdner Screiberforscung ist keiner der beiden Hauptscreiber Pisendels mit dem seit dem 1.12.1733 besoldeten Hofnotisten Johann George Kremmler identisc, denn dieser konnte endgültig mit einem Screiber identifiziert werden, der fast ausscließlic für Hasse tätig war.4 Der Dresdner Notist „Screiber D“, dessen Handscrift unter Pisendels Musikalien am häufigsten auftritt, bracte sporadisc am Ende seiner Screibarbeit ein Signum in Form eines „m“ an. In einem Fall ist sogar das vollständige Monogramm „IGM “ zu lesen.5 Auc der zweithäufigste Dresdner Instrumentalkopist „Screiber A“ setzte immer wieder das Monogramm „IGG “ in seinen unverwecselbaren Sclußscnörkel.6 Bei diesem Screiber lag es daher nahe, das Monogramm mit dem Namen des zweiten besoldeten Hofnotisten Johann Gottfried Grundig in Verbindung zu bringen, der wie sein Kollege Kremmler seit dem 1.12.1733 1

Vgl. Fecner 1999, 79. Vgl. Landmann 1999, 30. Zu den Haupt- und nebenamtlicen sowie freiberuflicen Notisten des Dresdner Hofs im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, die aufgrund der besonderen Quellenlage identifiziert werden konnten, vgl. Rosenmüller 2002, 26 und 47ff. 4 Vgl. Landmann 1999, 26ff. 5 Vgl. Fecner 1999, 107, Abbildung 168. 6 Vgl. Landmann 1983 II, 147, Fecner 1999, 81, Abbildungen bei Heller 1971, 59, 63, und Fecner 1999, 158. 2 3

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ein festes Grundgehalt erhielt.7 Das Monogramm „IGM “ des „Screibers D“ wurde dagegen dem Namen des Dresdner Bratscisten Johann Gottlieb Morgenstern zugeordnet, der seit 1722 Mitglied der Hofkapelle war und als einziger der namentlic bekannten Kapellmusiker vor 1756 die entsprecenden Initiale aufweist.8 Bei diesen Auflösungsversucen ist jedoc Vorsict angebract, denn es fehlt dafür bislang jeder Beleg, etwa in Form von signierten Scriftproben und Quittungen. Insbesondere die jüngste Identifikation von Kremmlers Handscrift, die über Jahrzehnte dem Dresdner Kontrabassisten und Notisten Gerolamo Personè (Personelli) zugescrieben wurde, zeigt anscaulic, daß „das Identifizieren von Musikalien-Kopisten […] eine heikle Angelegenheit“ bleibt,9 denn den namentlic bekannten Screibern steht eine weit größere Zahl nict identifizierter Scriften gegenüber. Dennoc hält Landmann „die Lesart des […] Sclußscnörkels als Monogramm ‚IGG‘ auf dem Hintergrund der Identifizierung von Kremmlers Scrift“ und damit eine Zuscreibung an den zweiten besoldeten Hofnotisten Grundig in ihrer jüngsten Veröffentlicung für „nahezu zwingend“ und stellt fest, daß die Dicte der Handscriften von „IGG “ und Kremmler „für die damals hauptamtlic tätigen Notisten völlig überzeugend wirkt.“10 Demnac wäre der am zweithäufigsten in Pisendels Musikalien anzutreffende „Screiber A“ mit einem besoldeten Hofnotisten gleiczusetzen. Dies ersceint durcaus einleuctend, denn auc die herausgehobene Position Pisendels läßt darauf scließen, daß ihm einer der beiden Hofnotisten zur Verfügung stand. Diese Einscätzung blieb jedoc nict unwidersprocen, denn nac den Beobactungen Fecners „kann die aktive Kopistentätigkeit des Screibers A nac Quantz’ Weggang von Dresden (Dezember 1741) zumindest im Bereic der instrumentalen Kammer- und Ensemblemusik vermutlic nict mehr sehr umfangreic oder von langer Dauer gewesen sein.“11 Zudem ist dessen Handscrift in zahlreicen Aufführungsmaterialien Quantzscer Flötenkonzerte anzutreffen, die nac 1741 für die Kammermusiken Friedrics II. verwendet wurden.12 Auc wenn diese Stimmen von Quantz nac Berlin mitgebract und dem König übergeben worden sein könnten, stimmt die aktive Wirkungszeit des „Screibers A“ von etwa 1725 bis etwa 1740 nac Angaben Fecners nict mit den ermittelten Daten zu Grundig überein, der noc bei seinem Tod 1773 in Dresden als besoldeter Hofnotist geführt wurde.13 Zudem gilt es für Fecner „als sicer […], daß die Notistentätigkeit des Screibers D von längerer Dauer als die des Screibers A war.“14 Nac der Ansict Landmanns dagegen hat Fecner beispielsweise die „ausgereiften Scriftformen“ des späten „Screibers A“ irrtümlic dem „Screiber D“ zugewiesen. Unter Hinweis auf eigene Irrtümer resumiert sie daher: „Den Fecnerscen Scriftbestimmungen kann somit kein Anspruc auf Verbindlickeit besceinigt werden.“15 Nac ihrer Auffassung sind die von Fecner

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Vgl. Landmann 1999, 27, und Fecner 1999, 81, mit weiteren Nacweisen. Vgl. Landmann 1981 II, 135, und weiter ausgeführt von Fecner 1999, 107. Landmann 1999, 33. 10 Landmann 1999, 27. 11 Vgl. Fecner 1999, 84. 12 Zu einer Aufstellung dieser Berliner Manuskripte des „Screibers A“ vgl. Fecner 1999, 84ff. 13 Vgl. Fecner 1999, 80. 14 Fecner 1999, 107. 15 Vgl. Landmann 1999, 33, sowie Rosenmüller 2002, 46f und 50. 8 9

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geäußerten Zweifel an einer Identifikation des „Screibers A“ mit Grundig gegenstandslos.16 Trotz dieser untersciedlicen Ansicten sind sic Fecner und Landmann darin einig, daß der „moderne Scriftstandard“ des „Screibers D“ die Handscrift des „Screibers A“ besonders in der Form seiner Notensclüssel „um 1733/34“ beeinflußt habe.17 Bei einer Identifikation mit Grundig würde dies jedoc bedeuten, daß ein bislang unbekannter Dresdner Notist aus dem Umkreis Pisendels einen privilegierten, besoldeten Hofnotisten zur Änderung seiner jahrelang etablierten Scriftzüge bewegt habe. Diese Sclußfolgerung läßt die Identifikation des „Screibers A“ mit Grundig nict unbedingt als zwingend ersceinen und setzt zudem auc ein Fragezeicen hinter die Hypothese, „Screiber D“ mit dem Bratscisten Morgenstern zu identifizieren. Noc scwerer wiegt die Feststellung, daß „Screiber D“, der von Pisendel offenbar bevorzugt bescäftigt wurde, nict mit dem anderen besoldeten Hofnotisten Kremmler identisc ist, der ja vornehmlic für Hasse gearbeitet hat. Diese Erkenntnis erscütterte offenbar die bisherige Vorstellung vom Stellenwert dieser prominenten Dresdner Handscrift und führte zu einer Verunsicerung über die möglice Identität dieses Screibers, wie Landmann zugibt: „Auffällig bleibt die in der heutigen Dresdner Hasse-Sammlung geringe Präsenz des Screibers D, weshalb auc jede Idee dafür fehlt, wer er sein könnte.“18 Diese Verunsicerung hängt damit zusammen, daß keiner der beiden besoldeten Hofnotisten Kremmler und Grundig für die Scrift des „Screibers D“ in Frage kommt, obwohl sie unter den Dresdner Musikalien so häufig anzutreffen ist.19 Da sic die Dresdner Screiberforscung zunäcst auf die Instrumentalmusik aus „Scran% No: II.“ konzentrierte, ist erst in neuerer Zeit aufgefallen, daß dieser Screiber außerhalb von Pisendels Repertoirebereic nur selten anzutreffen ist. Bei einer künftigen Identifikation muß also in Erwägung gezogen werden, daß „Screiber D“ auc ein freiberuflicer Dresdner Notist gewesen sein könnte, dessen Name mit den Initialen „IGM“ nict in offziellen Dokumenten des Dresdner Hofes ersceint und der möglicerweise in einer engen persönlicen Beziehung zu Pisendel stand. Dabei wäre zu untersucen, ob dessen Arbeiten ebenfalls vom Hof erstattet wurden oder ob Pisendel sie aus eigenen Mitteln bezahlte. Eine selbständige Einscätzung der Screiberfragen, die einen täglicen Umgang mit den Handscriften aus der Amtszeit Pisendels und eine jahrelange Einarbeitungszeit erfordert hätte, konnte jedoc nict Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Dennoc weisen die Angaben der untersucten Bestallungsdokumente einen Weg, der zur Identifizierung von möglicen Screibern aus dem engeren Umkreis 16

Leider blieben die 1999 veröffentlicten Ergebnisse Fecners und Landmanns unverbunden nebeneinander stehen, so daß für Außenstehende scwer naczuvollziehen ist, ob die bei Heller und Fecner mit Kürzeln bezeicneten Screiber von Landmann, die im Rahmen ihres Hasse-Kataloges act Dresdner Notisten namentlic benennt, identifiziert werden konnten. Lediglic in einer Fußnote der Zusammenfassung erwähnt Landmann, Fecner habe „drei Bucstaben (‚O‘, ‚S‘, ‚T‘) verbrauct, um jenen Screiber zu bezeicnen, der inzwiscen eindeutig als Johann Gottlieb Haußstädtler identifiziert ist“, vgl. Landmann 1999, 33. 17 Vgl. Fecner 1999, 66, 80, und Landmann 1999, 28. 18 Landmann 1999, 28. 19 Die Scrift des „Screibers D“ ist in der Vergangenheit bereits mit versciedenen Dresdner Hofnotisten in Verbindung gebract worden, vgl. die Übersict bei Fecner 1999, 107.

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Pisendels führen könnte. Aus der Formulierung der Dresdner Bestallungsdokumente geht nämlic hervor, daß der Notist nict an die Weisungen des Vizekapellmeisters gebunden, sondern „allein dem Kapellmeister zur Erleicterung verordnet“ sei. Die Bescäftigung eines Notisten war vor der Amtszeit Pisendels also ein persönlices Privileg des Dresdner Kapellmeisters. Die Recte des Kapellmeisters sahen außerdem vor, daß „der Notist von ihm allein dependir en“ solle. Diese Angabe de%t sic mit einem Abscnitt aus dem Rudolstädter Bestallungsformular, in dem es heißt, der Kapellmeister selbst dürfe bei der Besetzung dieses Postens „auc anzunehmen und abzuscaffen Mact haben und befugt sein.“20 Aus diesen Formulierungen geht hervor, daß der Hofnotist mit seinem jeweiligen Auftraggeber eng zusammenarbeitete und sogar in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm stand. Er war also gewissermaßen ein persönlicer Assistent oder Sekretär des Repertoirebauftragten, der ihn zur Bereitstellung des Notenmaterials bescäftigte. Ein solces Arbeitsverhältnis ist in Dresden für den besoldeten Hofnotisten Kremmler anzunehmen, denn aufgrund seiner Ergänzungseinträge in den Autographen Hasses konnte festgestellt werden, daß er bei dem Kapellmeister „eine Art Amt als privater Notensekretär“ bekleidete.21 Aufgrund der Freiheit, die ein leitender Hofmusiker bei der Auswahl seiner Notisten hatte, wird auc verständlic, warum oft so viele untersciedlice Screiber in einem gesclossenen Musikalienbestand vertreten sind. Der Repertoirebeauftragte konnte nämlic untersciedlice Personen mit Screibarbeiten beauftragen. Dazu gehörten natürlic solce Personen, die etwa als Sekretäre Zugang zur persönlicen Notenbibliothek besaßen, aber auc fortgescrittene Scüler, die auf diese Weise Einbli% in Kompositionsstrukturen erhielten, scließlic sogar auc mehr oder weniger geübte Aushilfsscreiber, die bei kurzfristigem Bedarf herangezogen werden mußten. Dabei ist davon auszugehen, daß diese Tätigkeit, wenn auc vermutlic auf untersciedlice Weise, vom Repertoirebauftragten selbst entlohnt worden ist. Solce Screibarbeiten waren also Eigentum des Auftraggebers. Die beiden besoldeten Hofnotisten Kremmler und Grundig dagegen erhielten ein Grundgehalt von 200 Talern,22 für das sie offenbar bestimmten Repertoirebauftragten zur Verfügung stehen mußten. Bei großen Aufträgen konnten sie auc ihrerseits Kollegen und Helfer bescäftigen.23 Über ihre geleistete Arbeit stellten die besoldeten Hofnotisten eine Recnung auf, die von dem Repertoirebeauftragten gegengezeicnet und daraufhin aus der Hofkasse bezahlt wurde.24 Diese Auftragssicerheit in Verbindung mit dem Grundgehalt verscaffte den Hofnotisten eine privilegierte Stellung, die sic auc darin zeigt, daß ihre Dienste nict von allen leitenden Hofmusikern in Dresden beanspruct werden konnten. Auc Scürer hatte die Stimmen, wie oben belegt, zu Beginn seiner Tätigkeit als Kircen-Compositeur „aus damahligen Mangel derer Notisten, selbst $opiren müßen“, und aus einer Eingabe Zelenkas 20

Vgl. oben, Abscnitt III, 2. „Musikalisce Amtspflicten in Dresdner Quellen“. Vgl. Landmann 1999, 27. 22 Zum Anstellungsdekret für Kremmler und Grundig vom 12.11.1733 vgl. D-Dla, Lo$. 907, Vol. II, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1733-1739 und 1801.1802, fol. 5v. 23 Vgl. Landmann 1999, 27. 24 Die Abrecnung des Honorars erfolgte nac der Zahl der bescriebenen Blätter. Daraus darf allerdings nict gesclossen werden, die Hofkasse erstatte lediglic das Material und nict die Screibarbeit selbst. Am 15.4.1754 scrieb Hasse nämlic an den Grafen von Brühl, daß die Zahlung fester Gehälter an Hofnotisten günstiger sei als die Erstattung von Copiatur-Honoraren, vgl. Landmann 1999, 28. 21

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vom 18.11.1733 geht hervor, daß er die für den Kircendienst notwendigen Musikalien, die er nict selbst komponiert hatte, sowie das Erstellen von Aufführungsmaterial aus eigenen Mitteln bezahlen mußte. Der bislang nur als Kontrabassist angestellte Zelenka betont dabei, daß er die Kircenmusik nac dem Tod Heinicens meistens allein $omponiret und dirigiret, derowegen auc, um die dabey benöthigte fremde Musi$alien zu erlangen und selbige nebst meinen eigenen $opiren zu laßen, fast die Hälffte meines bisherigen Tra$taments zu meinem größten Scaden aufwenden müßen.25

Zelenka beklagt sic jedoc nict darüber, daß er die Bescaffung von Musikalien selbst bezahlen mußte, sondern die Eingabe zielt auf die quantitative Feststellung, daß er „fast die Hälfte meines bisherigen Tra$taments zu meinem größten Scaden aufwenden“ müsse. Zelenka fordert also für seine kostenintensiven Stellvertreterdienste auc ein entsprecend höheres „Tra$tament“. Der verstorbene Heinicen erhielt nämlic, ebenso wie der Kapellmeister Scmidt und die Konzertmeister Woulmyer und Pisendel, ein Gehalt in Höhe von 1200 Talern, das wahrsceinlic auc den hohen Aufwendungen für den jeweiligen Repertoirebereic Recnung trug. Zelenkas Hoffnungen, ein mit einem entsprecenden Titel verbundenes Gehalt zu erhalten, das seiner wictigen Rolle in der Dresdner Hofkircenmusik entsprac, erfüllten sic bekanntlic nur verspätet und in begrenztem Umfang.26 Pisendel konnte bis zu seiner offiziellen Ernennung zum Konzertmeister wahrsceinlic ebenfalls keine besoldeten Hofnotisten bescäftigen, weil die damaligen Notisten Johann Jakob Lindner und Johann Wolfgang Scmidt in erster Linie für die Kapellmeister Johann Christoph Scmidt und Johann David Heinicen sowie für seinen Amtsvorgänger Jean Baptiste Woulmyer zu arbeiten hatten. Als die Hofnotisten Kremmler und Grundig 1733 eingestellt wurden, verfügte Pisendel jedoc bereits über das Gehalt und die Kompetenzen Woulmyers und war damit der ranghöcste Musiker am Dresdner Hof, denn der Kapellmeister Hasse war noc nict dauerhaft in Dresden anwesend.27 Daher ist kaum zu bezweifeln, daß Pisendels Arbeit in dieser Zeit von besoldeten Notisten unterstützt wurde. Dieser Zusammenhang sprict für eine Identifikation des „Screibers A“, der im instrumentalen Repertoire am zweithäufigsten anzutreffen ist, mit Grundig. Daneben muß Pisendel aber bereits den „Screiber D“ bescäftigt haben, der nict zu den besoldeten Hofnotisten gehörte und nur ausnahmsweise außerhalb des instrumentalen Repertoires nacgewiesen werden kann. Anhand der Quellen aus „Scran% No: II.“ ist in den Scriftzügen des „Screibers D“ nämlic eine deutlice Entwi%lung von einer „Scülerscrift“ zu einer „ganz ‚unpersönlicen‘, ästhetisc ansprucsvollen Normscrift“ zu erkennen,28 so daß denkbar wäre, daß Pisendel ihn selbst ausbildete oder ausbilden ließ. In diesem Fall hätte Pisendel den „Screiber D“ über Jahre hinweg aus eigenen Mitteln bescäftigt und an den besonderen Anforderun25

D-Dla, Lo$. 383, Varia, fol. 54f (präsentiert am 2.1.1734). Zitiert nac Zelenka-Dok. 1989, Bd. 1, 94f. Zur Bezahlung von Zelenkas Screibern vgl. auc Reic 1993, 118ff. 26 Vgl. Siegele 1997. 27 Nur der Oboist François le Rice erhielt ein höheres Gehalt, allerdings nict für seine Dienste als Musiker, sondern als Mittelsmann beim Ankauf von Luxusgütern. Vgl. auc die Tabelle 6 zur Anwesenheit Hasses in Dresden, Abscnitt II, 6. „Die zentrale Stellung als Konzertmeister im Dresdner Musikbetrieb“. 28 Vgl. Landmann 1999, 27.

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gen seiner Orcesterpraxis gescult, so daß der „Screiber D“ für Pisendels Notenbibliothek allmählic die Position eines bevorzugten Privatkopisten oder vielleict sogar eines Musikaliensekretärs eingenommen haben könnte. Außerdem dürften, wie auc von Johann Sebastian Bac bekannt ist, Angehörige von Pisendels Haushalt zu kleineren Screibtätigkeiten herangezogen worden sein. Obwohl arcivalisce Studien zu diesem Personenkreis noc gänzlic fehlen, lassen sic aufgrund der biographiscen Forscung zur vorliegenden Arbeit einige Personen benennen, die für solce Dienste in Frage kämen. So nahm Pisendel in Venedig einen jungen italieniscen Geiger bei sic auf, den er 1717 nac Dresden mitnahm und unterrictete.29 Im Herbst 1720 kam der etwa dreiundzwanzigjährige Johann Caspar Seyfert aus Augsburg zu Pisendel, der für den täglicen Violin- und Kompositionsunterrict Lehr- und Kostgeld bezahlte und bis zu seinem Weggang 1723 dem Haushalt Pisendels angehörte. Zu diesem Unterrict dürfte auc das Abscreiben von Partituren gezählt haben. Als ein Parallelfall könnte die Handscrift von Pisendels langjährigem Scüler Quantz dienen, die ebenfalls in dem von Pisendel verwendeten Notenmaterial erkannt und mit der Scrift des „Screibers C“ identifiziert werden konnte.30 Zwiscen $a. 1735 und $a. 1741 lebte außerdem Pisendels Neffe und Patenkind Johann Joseph Friedric Lindner aus Weikersheim in seinem Haushalt, den Pisendel „fast gänzlic“ erzogen haben soll.31 Da dieser als Neunzehnjähriger seine Ausbildung zum Flötisten bei Quantz in Berlin fortsetzte, ist anzunehmen, daß er bereits in Dresden bei Quantz Unterrict erhalten und sein Onkel ihn mit dem Abscreiben von Musikalien vertraut gemact hat.32 Scließlic nahmen auc die mehrfac genannten Kapellmusiker Georg Friedric Kästner, der die Eröffnung von Pisendels Testament veranlaßte, und Johann Georg Fi%ler, der den Verkauf der von Pisendel hinterlassenen Musikalien als „General Bevollmäctigter der sämtlicen Pisendl icen Erben“ regelte,33 eine Vertrauensposition bei Pisendel ein. Fi%ler könnte aufgrund seiner Generation auc in einem Scülerverhältnis zu Pisendel gestanden haben. Konkretere Hinweise auf die Identität eines möglicen ‚Pisendel-Notisten‘, dessen Name in der Facliteratur bislang noc völlig unbekannt geblieben ist, liefert die Autobiographie von Franz Benda. Der Hornist, Bratscist und Notist Wilhelm Weidner34 gehörte mit Benda, Georg Czarth und Carl Hö%h35 zu jenem engen Freundeskreis, der den Kern der von Benda geleiteten Kapelle des Starosten Soca$zewsky Szaniawsky in der Nähe von Warscau bildete.36 Weidner, der „von Geburth ein Sacse und hiermit der Evangeliscen Religion zugethan“ war, sprac oft mit den Katholiken Hö%h und Benda über Glaubensfragen und muß durc seine fromme Lebensführung beide Freunde tief beeindru%t haben, denn beide bemühten sic

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Vgl. V56, 303f. Vgl. beispielsweise Landmann 1983 II, 149, Fecner 1991, 92, und Fecner 1999, 28. Vgl. V67, 290f. 32 Auc Pisendel selbst ist wahrsceinlic scon früh, als Kapellknabe in Ansbac, zu Kopistenarbeiten herangezogen worden, vgl. Abscnitt II, 1. „Als Kapellknabe am Ansbacer Hof“. 33 Vgl. Köpp 1999, 71. 34 Vorname Weidners nac Helene Wessely, Artikel „Hö%h“, in MGG1. 35 Zur Biographie Hö%hs vgl. Hertel-Autobiographie 1783, 20ff. 36 Vgl. Benda-Autobiographie 1763, 145. 30 31

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nac eigenen Angaben, nac Sacsen zu gelangen, um sic dort evangelisc taufen zu lassen: Herr Carl Hö% der [in Glaubensfragen] noc Viel mehr Ernst wie ic gebraucte […], Verliess Samt den Weidner die Dienste [des Starosten], gieng nac Sacsen und bekandte sic zur Evangeliscen Religion, ic für mein theil da ic ebenfalls Keine Gewissenruhe Mehr hatte, Meldete Mic nac Meiner Ankunfft in Dresden bei dem damahligen General Superintendent Do$tor Löscer welcer aber zu furctsam war mic öffentlic Anzunehmen. Es muste also in der Creutz Kirce in Geheim gescehen […].37

Auc als Carl Hö%h im Winter 1733/34 nac Sacsen kam, um die von Benda vermittelte Konzertmeisterstelle in Zerbst anzutreten, „war eines seiner ersten Gescäfte, daß er die lutherisce Religion öffentlic annahm“.38 Nac dem Tod seines ihm „so lieb und Nützlic gewordenen Freundes“ Weidner nahm Benda dessen alte Mutter bei sic auf 39 und fügte seiner Autobiographie auc einige Angaben zu Weidners Lebenslauf an. Benda berictet nämlic, daß Weidner vor seiner Fluct aus Warscau von katholiscen Geistlicen verscleppt und wegen seiner Missionstätigkeit bedroht worden sei: „Mann gab Ihm Sculd er habe den Herren Hö%s und mic verführet […].“ Weidner konnte jedoc entkommen und nahm seinen Pferdesclitten „um Sic damit nac Sacsen zu begeben.“40 Erst die letzten Angaben Bendas weisen Weidner als möglicen Screiber Pisendels aus, denn dort bezeicnet Benda ihn als freiberuflicen Notisten: „Die letzten Jahre bracte Er in Berlin in aller Stille zu. Er gieng gantz sclect gekleidet, Erhielt Sic und Seine Alte Mutter durc Noten Screiben.“ Im Rahmen einer ausführlicen Besceibung von Weidners tiefem Glauben und starkem Gottvertrauen bescreibt Benda Weidners Notenscrift: […] so klopffte jehmand an der thüre, und bracte entweder geld oder auc sacen zur

abscrifft, die vorausbezahlet wurden. Er liess Sic aber Niemals mer%en, dass er Mangel litte. Er scrieb sehr langsam aber Corre$t und sehr Scöne Noten […].41

Die möglice Verbindung zu Pisendel setzt an der Biographie seiner beiden Freunde Benda und Hö%h an, die jeweils bei ihrer Ankunft in Sacsen konvertierten. Da beide beim Starosten zurü%gebliebenen Freunde Hö%h und Weidner laut Benda nac Sacsen gingen, ist nict unwahrsceinlic, daß auc Weidner sic im Winter 1733/34 in Dresden aufhielt, denn Benda erwähnt, daß er im April oder Mai 1734 seine „alten Freunde“ in Dresden besucte.42 Wie bereits oben ausgeführt, geriet Benda als künftiges Mitglied der Dresdner Hofkapelle durc seine Konversion in Bedrängnis, worauf Pisendel möglicerweise jene Einladung nac Ruppin veranlaßte. Indem Benda auf dem Weg nac Ruppin in Zerbst Station macte und dabei seinen Freund Hö%h statt seiner als Konzertmeister empfahl, waren innerhalb kurzer Zeit beide Konvertiten ‚aus dem Scußfeld‘ gebract. Auc bei der Berufung Hö%hs dürfte Pisendel, der mit dem Zerbster Kapellmeister Fasc in enger Verbindung 37

Benda-Autobiographie 1763, 155. Zur Konversion Hö%hs vgl. Hertel-Autobiographie 1783, 21. 39 Benda-Autobiographie 1763, 157. 40 Zu beiden Zitaten vgl. Benda-Autobiographie 1763, 156. 41 Benda-Autobiographie 1763, 157. 42 Benda-Autobiographie 1763, 148. Zur genaueren Datierung dieses Besucs im April oder Mai 1734 vgl. Hiller 1766, 192. 38

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stand, seine Hand im Spiel gehabt haben.43 Da Benda bezeugt, daß Weidner als Urheber beider Konversionen in Warscau sogar mit dem Leben bedroht wurde, liegt die Vermutung nahe, daß Pisendel sic in Dresden gerade auc für den dritten Musiker im Bunde eingesetzt hat. Ebenso einleuctend ist es, daß diese Vorgänge am Dresdner Hof nict aktenkundig geworden sind, zumal scon die Konversion Bendas im Geheimen vorgenommen werden mußte. Laut Benda bracte Weidner die letzten Jahre vor seinem Tod „in aller Stille“ in Berlin zu und „Erhielt Sic und Seine Alte Mutter durc Noten Screiben“. Weidner muß vor dem 25.8.1758 in Berlin gestorben sein, denn an diesem Tag starb Bendas erste Frau, die sic noc für die Aufnahme von Weidners Mutter eingesetzt hatte. In der Zeit zwiscen seiner Ankunft in Sacsen im Winter 1733/34 und den „letzten Jahren“ vor seinem Tod hat Weidner offenbar das Notenscreiben zu seinem Beruf gemact, denn „Er scrieb sehr langsam aber Corre$t und sehr Scöne Noten […].“ Nac der entsceidenden Rolle, die Pisendel bei der Vermittlung Bendas und Hö%hs gespielt haben dürfte, wäre es denkbar, daß er Weidner eine Tätigkeit als Notist vermittelt hat. Pisendel könnte Weidner sogar selbst im Dresdner Instrumentalrepertoire bescäftigt haben, denn einerseits bestand nac dem Regierungswecsel und der neuen Orientierung am italieniscen Musikgescma% ein großer Bedarf an Aufführungsmaterial, andererseits läßt Bendas Angabe zu Weidners Wohnort den Scluß zu, daß dieser erst in den letzten Jahren vor seinem Tod nac Berlin umgezogen ist. Obwohl Rü%sclüsse von Bendas Bescreibung der Weidnerscen Notenscrift auf existierende Dokumente ohne weitere arcivalisce Forscungen kaum möglic sind, soll nict unerwähnt bleiben, daß sic unter den anonymen Handscriften in Pisendels Notenbibliothek Scriftzüge befinden, die gut auf diese Bescreibung passen. Die carakteristiscen di%en Notenköpfe und Balken dieser Handscrift zeugen von reiclicem Tintenfluß bei langsamer Screibbewegung, und die kleinen Scnörkel am oberen Ende der Viertelpausen stammen offenkundig von einer sorgfältig malenden Feder. Die Bucstaben der Überscriften sind dagegen von besceidener Sclictheit. Am Ende der Stimme, mancmal auc am Ende jedes Satzes, ist ein carakteristiscer Scnörkel angebract, in den Bucstaben oder Symbole eingearbeitet zu sein sceinen (siehe Abbildung 30).44 Der Urheber dieser Handscrift, in deren Entwi%lung ein Scülerstadium von ausgereifteren Scriftzügen unterscieden werden kann, ist in der Dresdner Screiberforscung bislang als anonymer „Screiber m“ beziehungsweise „Screiber M“ bekannt.45 Da diese carakteristisce Scrift auc in den Berliner Stimmensätzen der Flötenkonzerte von Quantz, die Friedric II. zwiscen 1747 und 1756 „pour Sanssou$i “ anfertigen ließ, vereinzelt auftritt,46 lohnt es sic, die arcivaliscen Doku43

Wieweit die Biographie von Georg Czarth, der dem Lebensweg seines Freundes Benda nac Warscau, Dresden und Ruppin/Potsdam auf dem Fuß folgte, ebenfalls durc Glaubensfragen bestimmt war, ist nict bekannt. 44 Vgl. Landmann 1983 II, Abb. 28, und Fecner 1999, 188, Abb. 8. 45 Nac Landmann 1983 II, 146, und Fecner 1999, 133, steht seine Scrift dem Scriftbild des „Screibers D“ nahe, so daß ein Scülerverhältnis vermutet wurde. Auffällig ist, daß Partiturabscriften von zwei Violinkonzerten Bendas, die unmittelbar auf die Originalhandscriften zurü%gehen, von Screiber M kopiert worden sind: D-Dl Mus. 2981-O-1 („1739 Rheinsberg“ ) sowie Mus. 2981-O-2 („1740 im April“ ) , vgl. Fecner 1999, 133. 46 Freundlice Mitteilung von Herrn Dr. Horst Augsbac vom 5.1.2002.

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mente auf einen möglicen Zusammenhang zwiscen dem Dresdner „Screiber m“ und dem freiberuflicen Notisten Wilhelm Weidner, dessen genauer Wohnort noc festzustellen wäre, zu untersucen.

ABBILDUNG 30: Johann Georg Pisendel, Violinkonzert Es-Dur, Stimme Violino Primo in der Handscrift des Dresdner Notisten „Screiber M“ (D-Dl Mus. 2421-O-7a, fol. 9)

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Auc die übrigen Hinweise auf möglice Screiber in Pisendels Umkreis können als Ausgangspunkt für intensive arcivalisce Forscungen dienen. Dabei müßten die Bucstaben- und Notenhandscriften der genannten Personen („italieniscer Geiger“ ab 1717, Seyfert ab 1720, Fi%ler $a. 1733, Weidner ab 1733, Lindner ab 1735) identifiziert und mit den Handscriften der anonymen Screiber in Pisendels Notenbibliothek verglicen werden. Da der enge persönlice Bezug zum Repertoirebeauftragten offenbar in der Natur der Notistentätigkeit im 18. Jahrhundert liegt, führt diese Methode möglicerweise scneller zum Ziel als der Ansatz, sic auf die zwar namentlic bereits bekannten, aber durc ihre höfisce Besoldung privilegierten Hofnotisten zu konzentrieren. Solce Untersucungen können jedoc nur sinnvoll im Rahmen einer umfassenden und langfristigen Aufarbeitung des instrumentalen Repertoires aus „Scran% No: II.“ im Bestand der Säcsiscen Landesbibliothek erfolgen. Angesicts der Komplexität der Materie und der geringen Zahl der Facleute ist es notwendig, daß der intensive Austausc über Thesen und Zwiscenergebnisse fortgesetzt und die systematisce Erforscung dieses Reperoires, die allein wegen der durcweg hohen Qualität der Musikalien und der musikgescictlicen Bedeutung dieses Repertoires wünscenswert ist, auf eine breite Grundlage gestellt wird.

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VI. SCHLUSSBETRACHTUNGEN: ZUR HISTORISCHEN BEDEUTUNG PISENDELS Nac zwei Jahrhunderten musikwissenscaftlicer Bescäftigung mit Johann Sebastian Bac ersceint es kaum noc möglic, in seinem Umkreis einen Musiker zu entdekken, der nict der Kategorie ‚Kleinmeister‘ zuzuordnen wäre. Tatsäclic ist Pisendel bislang nur in seinen Eigenscaften als herausragender Geiger und sorgfältiger Komponist bekannt, in denen er wohl nict unterscätzt wurde. Andererseits weisen bereits die frühen Lebensbescreibungen deutlic darauf hin, daß die in der Literatur bescriebenen Verdienste Pisendels als Geiger und Komponist lediglic die Randbereice seiner vorbildlicen Amtsführung als Konzertmeister darstellen. Die wirklic große historisce Bedeutung Pisendels liegt in einem Facgebiet, das von der Musikwissenscaft bislang wenig oder gar nict beactet worden ist und das mit dem Begriff der Aufführungspraxis nur unzureicend umscrieben werden kann. Da sic dieses musikalisce Facgebiet zudem mit textkritiscen Methoden nur scwer fassen läßt, blieben die Verdienste Pisendels um die „Ausführung oder exe$ution“ eines Musikstü%s im allgemeinen und die hier untersucte Orcester- und Direktionspraxis im besonderen weitgehend unerforsct. Eine differenzierte Aufarbeitung von Pisendels Biographie wurde durc neue Erkenntnisse über die Verfasser der drei Lebensbescreibungen möglic, denn dadurc konnten ihre jeweiligen Beiträge voneinander unterscieden und durc zahlreice bislang unberü%sictigte Dokumente überprüft und ergänzt werden. Auf diese Weise traten auc Brüce in Pisendels Biographie zutage, die seine Anstellung in Ansbac, den angeblicen Studienaufenthalt in Paris und seine späte Ernennung zum Konzertmeister betreffen. Daneben erwies sic die protestantisce Religiosität Pisendels als wesentlicer und in seiner Tragweite bislang unterscätzter Maßstab für sein Handeln, das beruflic und privat eng mit der Dresdner Musikgescicte zwiscen 1712 und 1755 verbunden war. Die Untersucungen zeicnen ein differenziertes Bild vom Werdegang Pisendels als Sohn eines säcsiscen Kantors im fränkiscen Cadolzburg über die Ansbacer Hofkapelle und das studentisce Musikleben Leipzigs, bis in das zeitweilig höcste musikalisce Amt am Dresdner Hof, in dem Pisendel seine historisce Wirkung entfalten konnte. Dabei wurde Pisendels Werdegang durc eine Verbindung von äußeren und inneren Voraussetzungen bestimmt. Die musikalisce Begabung Pisendels wurde von Anfang an durc eine gute Ausbildung gefördert, und auc das Glü%, ‚zur rictigen Zeit am rictigen Ort‘ gewesen zu sein, spielte bei seiner Berufung nac Ansbac und Dresden eine Rolle. Während seiner Tätigkeit als Premier Violon unter der Leitung Woulmyers entwi%elte sic Pisendels Interesse für das zukunftweisende Gebiet der Orcesterpraxis, das er nac seiner Ernennung zum Konzertmeister weiter ausbauen konnte. Durc die politisce Stabilität Sacsens in dieser Zeit, sowie durc den Kunstsinn und das Repräsentationsbedürfnis seiner Herrscer, entstand ein günstiges Umfeld für diese Entwi%lung. Dank seiner reflektierenden, intellektuellen Veranlagung und seinem Interesse an Menscen besaß Pisendel auc hervorragende Eigenscaften als Lehrer, die zur Ausbildung einer bis ins 19. Jahrhundert reicenden Traditionslinie führten. Die Erin-

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nerung an diese Zeit und die „fest eingewurzelten“ Traditionen der Dresdner Orcesterpraxis überdauerten den Mactverlust Sacsens am Ende des Siebenjährigen Krieges, und die Dresdner Kapelle berief sic noc im 19. Jahrhundert mit ihrer Präzision und ihrem „Sinn für großen breiten Ton“ (Fürstenau 1862) auf diese Wurzeln. Die von Pisendel begründeten Traditionen wurden von Quantz und Agri$ola in Berlin sowie von Hiller in Leipzig und deren Scüler weitergetragen. Aber auc über die Musiker an kleineren mitteldeutscen Höfen, die in Dresden ausgebildet wurden, lassen sic die von Pisendel geprägten Prinzipien der Aufführungspraxis bis in das 19. Jahrhundert weiterverfolgen, wie das Beispiel des Rudolstädter Konzertmeisters und Musiktheoretikers Heinric Christoph Koc zeigt. Da Pisendel von 1728 bis zu seinem Tod das Amt eines Konzertmeisters am Dresdner Hof innehatte und diese Tätigkeit offensictlic auc das Privatleben des unverheirateten Musikers in hohem Maße bestimmte, mußten die biographiscen Untersucungen durc eine Bescreibung der Aufgaben eines Konzertmeisters ergänzt werden. Hierbei zeigte sic, daß das Konzertmeisteramt zur Zeit Pisendels auf Fürstenhöfe bescränkt war und Aufgaben umfaßte, die sic von dem heutigen Berufsbild sehr untersceiden. Die Aufgaben eines Konzertmeisters waren nict mit der bekannten Funktion eines Vorgeigers oder Premier Violon aus den Reihen des Orcesters verbunden, sondern umfaßten das „bestellen und dirigiren“ höfiscer Musik mit „eignen und anderen Compositionen“ aus einer übergeordneten Position heraus. Dieses Amt war nict an ein bestimmtes Direktionsinstrument gebunden. In der Rangfolge und seinem Zuständigkeitsbereic war der Konzertmeister mit einem Vize-Kapellmeister vergleicbar, und dementsprecend war er auc nict für die repräsentative Vokal-, sondern in der Regel für die Instrumentalmusik und die alltäglice Kircenmusik zuständig. So ist es nacvollziehbar, daß die Aufgaben des 1666 in Dresden eingeführten „deutscen Konzertmeisteramtes“ mit der Beförderung seines zweiten Amtsinhabers zum Vize-Kapellmeister auf dieses Amt mit übergingen. Nac der Neuordnung der Dresdner Kapelle im Zuge der Konversion Augusts des Starken wurde das Amt des Vize-Kapellmeisters aufgelöst und der Konzertmeistertitel wieder eingeführt. Der Konzertmeister Woulmyer beispielsweise erhielt nun das gleice Gehalt wie der Kapellmeister Scmidt und war wiederum mit kapellmeisterähnlicen Kompetenzen im Repertoire der Instrumentalmusik ausgestattet. Während Woulmyer neben dem Instrumentalrepertoire für die Komposition von Ballettmusik zuständig war, führte er in der Dresdner Hofkapelle die Errungenscaften der französiscen Orcesterpraxis ein, die sic in erster Linie auf eine einheitlice Bogenführung der corisc besetzten Streicergruppen und eine carakteristisce „Ausführung“ der französiscen Tänze bezog. Auc die Ernennung Pisendels zum Konzertmeister bracte eine bedeutende Rangerhöhung mit sic, so daß er in der Hierarcie nict nur über seinen ehemaligen Orcesterkollegen, sondern sogar auc über den Dresdner Kircen-Compositeurs Zelenka und Bac rangierte. Mit dem so gewonnenen Gestaltungsspielraum prägte er das Konzertmeisteramt auf ganz persönlice Weise neu. Gemäß seiner Veranlagung verzictete er nämlic auf das regelmäßige Komponieren und de%te den großen Bedarf an Instrumentalmusik am Dresdner Hof, der nict zuletzt durc die Vakanz der Kapellmeisterposition entstanden war, indem er sic neue Werke von deutscen und italieniscen Komponisten zusenden ließ. Gemäß seinem Leitsatz

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„qui bene distinguit, bene do$et “ erweiterte er die französisc geprägte Aufführungspraxis des Dresdner Orcesters um italienisce Elemente, die bislang der Kammermusik, zu der auc die Solokonzerte gezählt wurden, vorbehalten waren. Auf diese Weise paßte er die Art der „Ausführung“ dem italienisc orientierten Musikgescma% des Thronfolgers August III. an. Diese von Pisendel eingeführte Praxis wurde von seinem Scüler Quantz mit dem Begriff „vermiscter Gescma%“ bezeicnet, der sic zwar in erster Linie in der Wahl der aufführungspraktiscen Stilmittel, aber in diesem Zusammenhang auc in kompositoriscen Elementen niedersclägt. Als wictigste Quelle für die von Pisendel entwi%elte Praxis erwies sic das berühmte Lehrbuc von Quantz Versuc einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen aus dem Jahr 1752, denn Pisendel verfolgte nict nur die Entstehung dieses Buces, sonden nahm möglicerweise sogar direkten Einfluß auf dessen Inhalt. Dies gescah einerseits durc Pisendels Korrespondenz mit seinem ehemaligen Scüler Quantz und andererseits durc Agri$ola, Pisendels späteren Biographen, der sic im Jahr vor der Dru%legung des Versucs zu einem Studienaufenthalt bei Pisendel aufhielt. Auc die von einem Zeitzeugen erwähnte Beteiligung Agri$olas an der Entstehung des Versucs konnte in diesem Zusammenhang erstmals in Einzelheiten bestätigt werden. Als weitere Quellen für Pisendels Praxis dienten die Scriften von Joseph Riepel, der sic zwiscen 1740 und 1745 zu Studienzwe%en in Dresden aufhielt und mit den dortigen Musikern in engeren Kontakt getreten war. Selbst die einflußreice Violinscule von Leopold Mozart aus dem Jahr 1756, die sic auffällig am Vorbild des Quantzscen Versucs orientiert, konnte in ihrem Elementarteil zum Verständnis der Dresdner Praxis herangezogen werden, zumal da Mozart bis zu seinem actzehnten Lebensjahr wahrsceinlic mit dem in Augsburg wirkenden Pisendel-Scüler Johann Caspar Seyfert in Verbindung stand. Dank der von Quantz bescriebenen Einzelheiten der „Ausführungskunst“ Pisendels, die durc Angaben von Mozart und Riepel ergänzt wurden, lassen sic unerwartet detaillierte Angaben über die klanglice Wiedergabe des erhaltenen Repertoires macen. Dabei führen wictige Erkenntnisse über die bisherige Praxis historiscorientierter Spezialensembles hinaus, etwa die Verwendung der flacgewölbten Violinen Stradivaris und des sogenannten französiscen Bogengriffs, die weitgehende Vermeidung von leeren Saiten und vor allem die Ausführung nict notierter Vortragsarten, die eine auffällige Zunahme von gebundenen Artikulationen zur Folge hat. Bemerkenswert ist, daß sic alle diese Elemente unmittelbar auf das Klangbild einer historisc-orientierten Aufführung auswirken und Veränderungen mit sic bringen, die auc von weniger geübten Hörern wahrgenommen werden können. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil beabsictigte Quantz mit seinen oft als „pedantisc“ empfundenen Regeln nict, die Freiheit des solistiscen Vortrages einzuscränken. Vielmehr dienten diese Regeln in erster Linie dazu, den übereinstimmenden Vortrag der Orcestermusiker nac dem Vorbild der Dresdner Praxis zu gewährleisten. Besonders wictig ist die Erkenntnis, daß die Artikulationen im Notentext nur dann ausdrü%lic eingezeicnet wurden, wenn sie „von der gemeinen Art abgehen“. Die sporadisc auftretenden Bindebögen und Artikulationszeicen beispielsweise legen also nur solce Fälle fest, in denen der ausführende Musiker andernfalls eine abweicende, nict notierte Vortragsart gewählt hätte. Dieser nur durc wenige Fallbeispiele angedeutete Ansatz, der bereits in den Arbeiten von Dürr und Dadelsen

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vorbereitet worden ist, könnte sic auf künftige Editionsentsceidungen in diesem wictigen Repertoire auswirken. Dadurc, daß Pisendel das Dresdner Orcester auf die übereinstimmende Ausführung nict notierter sowie „von der gemeinen Art abgehender“ Vortragsarten spezialisiert hatte, verselbständigte sic die „Ausführung“ zu einer eigenen Wissenscaft, die Quantz nac seinem Motto „exe$utio anima $ompositionis “ sogar über den Wert der Komposition stellte. Spätere Autoren aus dem Scülerkreis Hillers weisen vor allem auf die Direktionstätigkeit Pisendels hin. Dank seiner Begabung, die Werke fremder Komponisten zu verstehen und sie in ihrem Sinne aufzuführen, entwi%elte Pisendel auc diesen Aufgabenbereic eines Konzertmeisters zu einer selbständigen Kunst mit bestimmten Regeln. Anhand der Bericte von Quantz und Reicardt konnte die Tätigkeit Pisendels beim Tempofinden, Einsatzgeben sowie beim Vermitteln von Bewegung und Ausdru% in den ersten Takten eines Stü%s wiederum detailliert bescrieben werden. Im Rahmen dieser Arbeit konnten sogar die Dirigierbewegungen Pisendels, die normalerweise nict scriftlic fixiert sind, im Notentext zu Hasses Oper Cajo Fabri$io von 1734 nacgewiesen werden. Um sic scneller an die Maßeinheit des Tempos erinnern und die Einsätze genauer geben zu können, hatte Pisendel nämlic besondere Taktierciffren erfunden, die er zu Beginn jedes Stü%s eintrug. Dadurc konnte er die Direktionsaufgaben, die Hasse ihm in der orcesterbegleiteten Opernmusik übertragen hatte, besser wahrnehmen und festigte so seinen Ruf, er „treffe die Bewegung rictiger, als Hasse selbst“ (Türk 1789). Da sic Hasse nur in den se$$oRezitativen der Klavierdirektion bediente, lag die Hauptverantwortung für die Direktion der Oper bei Pisendel, so daß die vielzitierte Doppeldirektion (Scünemann 1913) nur sehr eingescränkt stattfand. In seiner langjährigen Tätigkeit als Orcestererzieher und Dirigent prägte Pisendel das Berufsbild eines Konzertmeisters, das bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gültig war. Offenbar geht der Wandel dieses Berufsbildes von einem Vize-Kapellmeister mit instrumentalem Scwerpunkt zu einem Violindirektor, der für die tecnisce und musikalisce Einheitlickeit des Orcesters zu sorgen hatte, auf das Vorbild Pisendels und seiner Orcesterscule zurü%. Dabei hat vor allem die Dirigiertecnik Pisendels mit der Violine dazu geführt, daß dieses Instrument für künftige Konzertmeister verbindlic wurde und bis heute als selbstverständlic angesehen wird. Aber auc für den heutigen Taktsto%dirigenten ohne Direktionsinstrument, der sic aus dem Violindirektor entwi%elte, kann Pisendel als direkter Vorläufer angesehen werden, denn er erfüllte bereits alle geforderten Kriterien: Pisendel betrieb das Aufführen und Dirigieren fremder Werke als Hauptbescäftigung, las dabei aus der Partitur und gebraucte im Gegesatz zu seinen deutscen und italieniscen Zeitgenossen die bis heute üblicen Sclagfiguren. Aus den Taktierciffren kann sogar entnommen werden, daß Pisendel in Großtakten dirigierte, indem er je zwei Takte zu einer metriscen Einheit zusammenfaßte. Da er die „Ausführung“ des Orcesters zu einer Wissenscaft und damit zu einer vorher unbekannten Qualität erhob, kann Pisendel (und nict ein von seiner Praxis beeinflußter Violindirektor des frühen 19. Jahrhunderts) als „Prototyp der neuen Figur des reproduzierenden und interpretierenden Dirigenten, von der das heutige Musikleben in so hohem Maße bestimmt wird“ (Drescer 2002), verstanden werden.

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Bislang konzentrierte sic das musikwissenscaftlice Interesse an Pisendel vor allem auf seine Musikaliensammlung, die eine kaum überscaubare Zahl maßgeblicer Instrumentalwerke italieniscer, deutscer und französiscer Zeitgenossen umfaßt. Ihre historisce Bedeutung verdankt diese umfangreice Sammlung neben ihrer repräsentativen Qualität und ihrem konkreten Bezug zur Lokalgescicte vor allem dem glü%licen Umstand, daß sie offenbar ohne größere Verluste erhalten ist. Obwohl dieser Handscriftenbestand, der nac dem Tod Pisendels vom Dresdner Hof angekauft wurde, seit langer Zeit für versciedene Forscungsgebiete genutzt wird, ist ihr Inhalt noc nict vollständig untersuct und bescrieben worden. Insbesondere ist nict bekannt, ob alle Manuskripte, die um 1765 arciviert worden sind, aus Pisendels Notenbibliothek stammen, denn nict alle weisen Eintragungen von Pisendels Hand auf. Neue Erkenntnisse über den Zwe% und Aufbau der von Pisendel zusammengetragenen Musikalien dienen als Grundlage für die künftige Erforscung dieses einzigartigen Handscriftenbestandes, der erst nac der Fertigstellung eines Quellenkataloges der Säcsiscen Landesbibliothek überbli%t werden kann. Die These, daß nur die von Hofnotisten gescriebenen Aufführungsmaterialien auf eine Aufführung durc die Hofkapelle hindeuten, während die übrigen Musikalien Bestandteil einer „Privatsammlung“ Pisendels gewesen sein sollen und nict für eine Aufführung vorgesehen waren, läßt sic sict mehr aufrecterhalten. Nac dem damals geltenden Rectsverständnis wurden alle Musikalien als Eigentum des Repertoirebauftragten angesehen, auc wenn der Hof besoldete Notisten und Screibmaterial zur Verfügung stellte, denn die in den Bestallungen festgescriebene Dienstpflict, die Musik „zu bestellen und zu dirigiren“ ist bereits mit der Aufführung eines Werkes erfüllt und erstre%t sic nict auf das Lagern der dazu verwendeten Musikalien. Nac der ersten Aufführung gingen die von Hofnotisten gescriebenen Musikalien also in das Eigentum Pisendels über und standen ihm uneingescränkt zur Verfügung. Zudem wurden die von Notisten gescriebenen Stimmen niemals getrennt von der angeblic „privaten“ Partitur aufbewahrt. Erst bei einem späteren Ankauf der Musikalien durc den Hof wurde der Wert der auf Kosten des Hofes hergestellten Musikalien vom Kaufpreis abgezogen. Wie allen leitenden Hofmusikern, die ein bestimmtes Repertoire zu betreuen hatten, stand es Pisendel mit Rü%sict auf den offiziellen Gescma% frei, aus seinem Vorrat an „eignen und anderen Compositionen“ geeignete Werke zur Aufführung auszuwählen. Aus diesem Grund sind alle in Pisendels Sammlung enthaltenen Werke als potenzielles Kapellrepertoire einzustufen. Anders als die Musikalienbibliotheken von Johann Sebastian Bac und Johann Gottfried Walther, die nur hypothetisc bescrieben werden können, ist die Instrumentalmusik aus Pisendels Notenbibliothek wahrsceinlic vollständig erhalten. Dadurc lassen sic die am Fall Bacs und Walthers bescriebenen Erwerbsmethoden für Musikalien anhand von Handscriften aus Pisendels Besitz bestätigen. Zu diesen Erwerbsmethoden zählt beispielsweise das Kopieren von Leihmaterial, das eine plausible Erklärung für jene sceinbar unbenutzten Partituren Pisendels bieten würde und der Theorie widersprict, daß gerade diese Werke in Dresden niemals gespielt worden seien. Aus den Untersucungen geht hervor, daß die heute noc vorhandenen Teile von Pisendels Notenbibliothek nict als das Ergebnis einer „privaten Sammelleidenscaft“, sondern in erster Linie als Folge seines Repertoireauftrags zu verstehen sind.

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Im Zusammenhang mit der Erscließung von Teilbereicen der Notenbibliothek Pisendels durc die neuere Forscung ist auc die Frage nac der Identität der Screiber und ihrer Screibscüler immer wieder erörtert worden, ohne daß dabei zwiscen besoldeten Hofnotisten und möglicen freiberuflicen Screibern genauer unterscieden wurde. Nac einer langen Reihe von Versucen, die zwei namentlic bekannten Hofnotisten einer entsprecenden Handscrift zuzuordnen, stellte sic heraus, daß der „Screiber D“, dessen Handscrift mit der Signatur „IGM“ in Pisendels Repertoirebereic am häufigsten ersceint, nict zu den besoldeten Notisten gehörte. Da die Bestallungsfloskeln vorsehen, daß ein Notist allein von seinem Auftraggeber abhängig sein soll, kann die Identität des „Screibers D“ wohl eher durc Forscungen im persönlicen Umfeld Pisendels als in den Personalakten des Hofes festgestellt werden, wenngleic sic diese Personenkreise wahrsceinlic überscneiden. Diesem Personenkreis könnte auc der bisher unbekannte, freiberuflice Notist und Hornist Wilhelm Weidner angehört haben, dessen Handscrift möglicerweise mit derjenigen des „Screibers m“ identifiziert werden kann. Noc nie ist darauf hingewiesen worden, daß Pisendel aufgrund seiner akademiscen Ausbildung mit ihren textorientierten Fäcern Theologie und Altphilologie ein besonderes Verhältnis zur Interpretation von Texten wie überhaupt zur scriftlicen Fixierung von Gedanken hatte. Dies sclägt sic in den ausführlicen aufführungspraktiscen Einträgen in Pisendels Notenmaterial nieder, die wertvolle Informationen enthalten, wenn ihre jeweilige Bedeutung entziffert werden kann. Durc glü%lice Umstände sind die in Oper, Kirce und Kammer verwendeten Musikalien so zahlreic erhalten geblieben, daß die von Pisendel geprägte Kunst der „Ausführung“ bis in Einzelheiten nacvollzogen werden kann. Dieser an Fülle und Qualität wohl unübertroffene Quellenbestand kann jedoc nict von einer einzelnen Person aufgearbeitet werden und rectfertigt die Einrictung eines Forscungsinstitutes nac dem Vorbild der „Forscungsstelle Gescicte der Mannheimer Hofkapelle der Heidelberger Akademie der Wissenscaften“ in Dresden. In einigen Fragen konnten aus den erhaltenen Dresdner Quellen allein keine Antworten in der erwünscten Klarheit gewonnen werden. Hier führte die Methode, hinter den Einzelfall zurü%zugehen und die Voraussetzungen zu untersucen, die den Einzelfall entstehen ließen, zu Ergebnissen, die auc über den Fall Pisendels hinaus Gültigkeit beansprucen. Dies trifft beispielsweise auf die Bescreibung des Konzertmeisteramtes im 17. und 18. Jahrhundert zu, die einen wesentlicen Beitrag zur historiscen Musikforscung im allgemeinen und zur Gescicte der Orcesterleitung im besonderen darstellt. Gleices gilt für den Abscnitt über den Zwe% und Aufbau von Pisendels Notenbibliothek. Die künftige Erforscung dieses wertvollen Handscriftenbestandes der Säcsiscen Landesbibliothek — Staats- und Universitätsbibliothek Dresden kann jedoc aus den neu gewonnenen Erkenntnissen über den Repertoireauftrag, die Rolle der Notisten, die zeitgenössisce Rectsauffassung in der Eigentumsfrage und zeitüblice Erwerbsmethoden großen Nutzen ziehen. Allerdings wirft dieser Ansatz naturgemäß mehr Fragen auf, als er beantworten kann. Zu diesen Fragen zählt beispielsweise, ob sic der überzeugte Lutheraner Pisendel in der Kircenmusik des protestantiscen Hofgottesdienstes engagierte, wie es seine Amtsvorgänger taten, und welces Repertoire dort zur Aufführung kam. Da das Herrscerhaus seit 1697 katholisc war, stand die protestantisce Kircenmusik des

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säcsiscen Hofes, dem ja auc protestantisce Adelige angehörten, noc nie im Mittelpunkt einer wissenscaftlicen Untersucung. Sehr lohnend wird auc eine breit angelegte Studie zur Dresdner Orcesterpraxis unter Verwendung möglicst vieler Quellen aus Pisendels Amtszeit sein. Obwohl in den Abscnitten über die Orcester- und Direktionspraxis Pisendels bereits einige Fallbeispiele vorgestellt wurden, konnte auc hier lediglic das Feld abgeste%t werden, auf dem wictige Erkenntnisse über zeitgenössisce Notationsgewohnheiten und ihren Zusammenhang mit der vom Komponisten beziehungsweise von Pisendel intendierten „Ausführung“ zu erwarten sind. Von allen weiterführenden Untersucungen, die von dieser Arbeit angeregt werden, ersceinen weitere Anstrengungen auf diesem Gebiet der Notationsund Spielpraxis besonders notwendig und sinnvoll, weil von ihnen wesentlice Impulse für die Edition von modernen Notenausgaben sowie für die musikalisce Praxis ausgehen können. Ebenso wictig ist, einen Überbli% über den Handscriftenbestand der Säcsiscen Landesbibliothek zu gewinnen, der eine Verbindung zu Pisendel aufweist, denn nur so kann der Umfang und Inhalt von Pisendels Notenbibliothek und damit das in Dresden gespielte Instrumentalrepertoire systematisc untersuct und genauer bestimmt werden. Wie Fecners Forscungen im Bereic der Dresdner Instrumentalkonzerte gezeigt haben, ist auc unter den Kammer- und Ensemblewerken dieses Bestandes die Entde%ung von anonym geführten oder falsc zugescriebenen Kompositionen Pisendels zu erwarten, denn von den „wohlausgearbeiteten Instrumentalfugen“ Pisendels, die Agri$ola in V67 nennt, konnte beispielsweise erst eine identifziert werden. Auc für eine systematisce Untersucung der von Pisendel geprägten Aufführungspraxis beim Orcester- und Solospiel ist ein Überbli% über den Handscriftenbestand der Säcsiscen Landesbibliothek unverzictbar. Auf dieser Grundlage müßte der Begriff des „vermiscten Gescma%s“, den Quantz im Zusammenhang mit Pisendels Praxis prägte, neu bestimmt werden, denn er sceint in erster Linie eine Praxis der „Ausführung“ zu bezeicnen, die sic zwar auc auf die Komposition auswirkt, aber nur vor dem praktiscen Hintergrund treffend bescrieben werden kann. Eine genaue und verbindlice Definition dieses Begriffes ist auc deshalb notwendig, weil er in der Literatur mit untersciedlicen Inhalten in Zusammenhang gebract und sogar gelegentlic mit dem „vermiscten Kircenstyl (Stilus mixtus)“ verwecselt wird. Da die Wiedererwe%ung der Musik von Bacs Dresdner Zeitgenossen, die Horn in seiner Dissertation von 1987 noc nict vorhersehen konnte,1 dank zahlreicer neuer Einspielungen der Scallplattenindustrie längst stattgefunden hat, bietet eine Bescäftigung mit der von Pisendel geprägten Aufführungspraxis die Möglickeit, gerade auc die vielgerühmte „Ausführung“ der überlieferten Musikalien wiederzuerwe%en. Offensictlic war es nämlic die in hoher Blüte stehende „Kunst der Ausführung“, die jener „galanten“ Musik, deren Epoce von der Musik Bacs heute ganz überscattet wird, zu ihrer bedeutenden Wirkung verhalf.2 1 Horn 1987, 205: „Wenn es je zu einer Wiedererwe%ung der Musik Heinices kommen sollte, so ist zu vermuten, daß diese – ähnlic wie im Falle Zelenkas – bei der Instrumentalmusik ansetzen würde.“ 2 Andererseits gehört es offensictlic zu der besonderen Qualität von Bacs Werken, daß sie auf die Kenntnis und Anwendung dieser speziellen Ausführungskunst weitgehend verzicten können, wie Sceibe bereits 1737 feststellte: „Alle Manieren, alle kleine Auszierungen, und alles, was man unter der Methode zu spielen versteht, drü%et er mit eigentlicen Noten aus, und das entzieht seinen Stü%en nict nur die

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Gerade auf dem Gebiet der „Ausführung“ hat die Musikwissenscaft jedoc wictige Fragen offengelassen, die umso stärker ins Gewict fallen, als die Erforscung des Notentextes häufig an Grenzen stößt, die nur durc die Kenntnis der damaligen Spiel- und Notationspraxis überwunden werden können. Die aufführungspraktiscen Eintragungen Pisendels haben gezeigt, daß zu ihrer Untersucung ebenso wissenscaftlice Anstrengungen erforderlic sind wie zum Verständnis eines historiscen Notentextes. Diese differenzierte und zeitaufwendige Aufgabe kann der musikaliscen Praxis in der Regel nict zugemutet werden. Da sic die historisc-orientierte Aufführungspraxis, deren Bedeutung im öffentlicen Musikleben und in der Ausbildung stetig wäcst, heute mit einer großen Zahl untersciedlicer Stile auseinanderzusetzen hat, sind die Musiker auf eine Zusammenarbeit mit der Musikwissenscaft angewiesen, wenn sie ihrem Anspruc gerect werden und musikalisc überzeugen wollen. Da die Arbeit gezeigt hat, daß im Hinbli% auf die Praxis der Dresdner Hofkapelle unter Pisendels Leitung konkrete Antworten in Fragen der „Ausführung“ erarbeitet werden können, birgt dieses Repertoire ideale Voraussetzungen dafür, den hohen Stand der Kenntnis, den die Quellenkunde mittlerweile erreict hat, auc auf dem eng mit ihr verbundenen Gebiet der Aufführungspraxis zu erzielen.

Scönheit der Harmonie, sondern es macet auc den Gesang durcaus unvernehmlic. […]“ (Sceibe 1745, Das 6. Stü% vom 14.5.1737, 62). Abgesehen von der überzogenen Polemik gegen Bac, die er in späteren Jahren revidiert zu haben sceint (vgl. Köpp BJ 2003, 194, besonders Anm. 63), übersah Sceibe, daß auc Pisendel das Orcestermaterial aus Sict der Zeitgenossen übertrieben sorgfältig bezeicnete und damit ausgerecnet diejenigen Elemente der Ausführung festlegte, die Sceibe im Fall Bacs beanstandet hatte.

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ANHANG I: PISENDEL-DOKUMENTE (BIS 1757 ) Die folgende Aufzählung von Pisendel-Dokumenten erhebt keinen Anspruc auf Vollständigkeit, zumal da während der Recercen zur vorliegenden Arbeit zahlreice Akten des Dresdner Oberhofmarscallamtes wegen systematiscer Verfilmungsarbeiten nict eingesehen werden konnten. Gerade in diesem Bestand sind noc weitere Dokumente zu Pisendels Wirken als Konzertmeister zu erwarten, wie der eigenhändige Eintrag Pisendels ins Kapellverzeicnis Nr. 23 und das erst im Rahmen der vorliegenden Arbeit als Autograph identifizierte Urlaubs-Attest Nr. 62 zeigen. Unter den übrigen Dokumenten, die im Bestand des Säcsiscen Haupt-Staatsarcivs aufgefunden werden konnten, sind vor allem eine autographe Kostgeldliste Nr. 52 sowie das eigenhändige Testament Pisendels Nr. 78 samt der begleitenden Dokumente Nr. 79, Nr. 80 und Nr. 89 hervorzuheben (vgl. Köpp 1999). Um den Rahmen nict zu sprengen, sind Dokumente zum Nacwirken Pisendels nict in das Verzeicnis aufgenommen worden. Aus dem gleicen Grund sind Hinweise auf den Dresdner „Hof- und Staats Calender“ (HStCAl) aus den Jahren 1727 bis 1756, in dem Pisendel regelmäßig mit der Amtsbezeicnung „Violinist “ und ab 1731 als „Con$ert-Meister“ verzeicnet ist, nict eigens aufgenommen worden. Auc genealogisce Dokumente zu Pisendels Verwandtscaft, die mir Herr Albrect Treuheit aus Cadolzburg großzügig zur Verfügung stellte, mußten, mit Ausnahme von Nr. 1 und Nr. 35, unberü%sictigt bleiben. Im zweiten Teil des Dokumentenanhangs werden 57 der insgesamt 96 Dokumente erstmals veröffentlict. Diese Dokumente sind in der folgenden Übersict durc kursiv gedru%te Titel gekennzeicnet. Die übrigen Dokumente sind in der Literatur bereits wiedergegeben oder abgebildet worden oder als Nacdru%e zugänglic.

CHRONOLOGISCHE ÜBERSICHT ÜBER DIE BEKANNTEN PISENDEL-DOKUMENTE

1. Heiratseintrag der Eltern Pisendels in Langenzenn vom 18.1.1681. 2. Taufeintrag Pisendels in Cadolzburg vom 27.12.1687 (Abb.: Treuheit 1987, 19). 3. Sterbeeintrag von Pisendels Mutter Cunigunde, geb. Züll, vom 10.4.1701 (Treuheit 1987, 13). 4. Erwähnung Pisendels im „Reduktionslibell“ des Ansbaces Hofes vom 28.7.1703 (Abb.: Treuheit 1987, 35ff). 5. Immatrikulation Pisendels an der Universität Leipzig zum Sommersemester 1709 (Erler 1909, 33).

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6. Vermerk über eine Honorarzahlung vom 9.3.1711 nac Pisendels Gastspiel in Darmstadt (Bill 1987, 117). 7. Erste Erwähnung Pisendels in einem Dresdner Kapellverzeicnis vom 1.12.1711 (Abb.: Treuheit 1987, 44f).

8. Erwähnung Pisendels im Hofbuc Juni Amtsbezeicnung als „Premier Violon“.

1712-1716

und frühester Beleg seiner

9. Anordnung zu einer Reise nac Frankreic und Italien für Scmidt, Woulmyer, Petzold, Pisendel und Ricter vom 19.4.1714 (Treuheit 1987, 75, mit irrtümlicer Jahresangabe „1712“, und Abb.: Treuheit 1987, 76f).

10. Zahlungsanweisung für Reisegelder zur Frankreic- und Italienreise vom

30.5.

1714.

11. Gepä%verlust auf der Rü%reise Scmidts, Petzolds und Pisendels von Paris nac Dresden am 15.10.1714. 12. Bewilligung der Reisegelder für Petzold, Pisendel, Zelenka und Ricter zur Italienreise vom 12.11.1715. 13. Zahlungsanweisung für die Reisegelder Petzolds, Pisendels, Zelenkas und Ricters vom 26.11.1715. 14. Antrag Pisendels auf einen lateiniscen Reisepaß zur Italienreise vom 4.2.1716 (Abb.: Treuheit 1987, 81, entgegen den Angaben Treuheits jedoc ohne eigenhändige Unterscrift).

15. Kanzleikonzept vom 5.2.1716 für den lateiniscen Reisepaß Pisendels. 16. Empfehlungsscreiben des Hofmeisters Graf Kos vom Aufenthalt in Rom.

22.1.1717

für Pisendels

17. Einmalige Geldzuwendung an Pisendel vom 15.6.1717 nac dem Tod des Tanzmeisters Cherrier. 18. Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis vom 1.8.1717. 19. Jährlice Gehaltszulage für Pisendel nac dem Tod des Musikers Hennig, vor dem 25.9.1717. 20. Zahlungsanweisung über die jährlice Gehaltszulage für Pisendel vom 25.9.1717. 21. Erwähnung Pisendels im Hofbuc 1717-1720 (Abb.: Treuheit 1987, 87). 22. Telemann erwähnt Pisendel in seiner Autobiographie von 1718 (TelemannDokumente 1981, 96).

23. Eigenhändiger biographiscer Eintrag in ein Personalverzeicnis der Hofkapelle von 1718. 24. Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis zwiscen 1.8.1717 und 7.8.1718. 25. Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis vom 7.8.1718. 26. Zahlungsanweisung für Kostgeld zur Reise nac Wien vom 22.8.1718.

430

27. Erwähnung Pisendels in einer Reiseliste der Hofkapelle vom Moritzburg.

1.3.1719

nac

28. Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis vom 25.4.1719. 29. Sterbeeintrag von Pisendels Vater Simon Pisendel vom 10.10.1719 (Treuheit 1987, 12).

30. Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis vom 16.5.1720. 31. Protokoll des Augsburger Scolarcats vom 18.5.1720 über ein Stipendium für Johann Caspar Seyfert zum Violin- und Kompositionsstudium bei Pisendel. 32. Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis vom 29.9.1720. 33. Protokoll des Augsburger Scolarcats vom 14.12.1720 über die Höhe des Lehrgeldes für Johann Caspar Seyfert zum Studium bei Pisendel. 34. Erwähnung Pisendels im Hofbuc 1721-1725. 35. Pisendel als Pate im Taufeintrag seines Neffen Johann Joseph Friedric Lindner vom 8.1.1722. 36. Brief Johann Caspar Seyferts an das Augsburger Scolarcat vom die Fortsetzung seiner Studien bei Pisendel .

6.3.1722

über

37. Protokoll des Augsburger Scolarcats vom 17.3.1722 über die Verlängerung des Stipendiums für Johann Caspar Seyfert zum Studium bei Pisendel. 38. Attest Woulmyers, Petzolds und Pisendels für den Orgelbauer Gottfried Silbermann vom 3.6.1723 (Müller 1982, 433f und 555).

39. Erwähnung Pisendels im Hofbuc 1726-1729. 40. Erwähnung Pisendels in einem Brief des preußiscen Kronprinzen Friedric aus Dresden an seine Scwester Wilhelmine vom 26.1.1728 (Volz 1924, 65).

41. Erwähnung Pisendels in einem Brief des Dire$teur des plaisirs Baron de Gaultier an den Geheimen Kämmerer Graf Thioly in Warscau vom 15.6.1729. 42. Antwort des Grafen Thioly aus Warscau an Baron de Gaultier zu Pisendel als Nacfolger Woulmyers vom 22.6.1729. 43. Erwähnung Pisendels im Hofbuc 1730-1733. 43a. Erwähnung Pisendels in einem Carmen des Advokats Carl Gottfried Küster zur Weihe der Silbermann-Orgel in Reicenbac am 10.9.1730 (Ahrens/Langro% 2003, 54).

44. Zahlungsanweisung rü%wirkend zum zum Konzertmeister vom 1.10.1731.

1.2.1730

nac der Ernennung Pisendels

45. Vermerk im Hofjournal zur Einsetzung Pisendels als Vorgesetzter der Kapellmusiker vom 11.12.1731. 46. Eintrag „Pisendel“ im Musikaliscen Lexikon von Johann Gottfried Walther von 1732 (WaltherL, 483).

431

47. Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis von April 1733. 48. Erwähnung Pisendels im Diarium Missionis vom 24.12.1734 (Reic 1997, 366).

49. Pisendel als Pate im Taufeintrag der Eleonore Catharina Kuklinsky (Tocter des Leibgardisten Lukas Kuklinsky und der Anna Barbara Zelenka) vom 12.5.1735. 50. Erwähnung von Pisendels Warscaureise im Hof-Marscall-Amts-Journal vom 23.11.1735. 51. Erstattung von Pisendels Kopierkosten in Warscau bis April 1736. 52. Eigenhändige Kostgeldliste Pisendels von September musiker nac Hubertusburg.

1736

zur Reise der Kapell-

53. Erwähnung Pisendels in einer Reiseliste zur Fahrt nac Hubertusburg von September 1736. 54. Erwähnung Pisendels im Kutscenverzeicnis zur Fahrt nac Hubertusburg am 4.10.1736. 55. Endgültiges Kutscenverzeicnis zur Fahrt nac Hubertusburg von Anfang Oktober 1736. 56. Erwähnung Pisendels in einer Hubertusburger Tiscordnung von Anfang Oktober 1736. 57. Berict über die von Pisendel geleitete Orgelabnahme in der Dresdner Frauenkirce vom 22.11.1736 (Müller 1982, 448f). 57a. Erwähnung Pisendels in einem Carmen des Dresdner Kreuzkantors Theodor Christlieb Reinhold zur Weihe der Silbermann-Orgel in der Dresdner Frauenkirce am 22.11.1736 (Ahrens/Langro% 2003, 119). 58. Erwähnung Pisendels im Diarium Missionis vom 27.12.1736 (Reic 1997, 371).

59. Pisendel als Trauzeuge bei der Hoczeit des Kapellmusikers August Uhlig am 14.1.1737. 60. Pisendel als Trauzeuge bei der Hoczeit seines Scülers und Kollegen Johann Joacim Quantz am 26.6.1737. 61. Erwähnung Pisendels in einem Brief von Johann Gottfried Walther an Heinric Bokemeyer vom 1.8.1737 (Walther Briefe 1987, 206f).

62. Eigenhändiges Attest Pisendels für die Pragreise des Hornisten Knectel vom 5.1. 1739. 63. Pisendel als Pate im Taufeintrag der Johanna Elisabeth Catharina Knectel (Tocter des Kapellhornisten Knectel) vom 25.11.1739. 64. Erwähnung Pisendels in Johann Adolph Sceibes Critiscen Musi$us vom 22.12. 1739 (Sceibe 1745, 638). 65. Erwähnung Pisendels in Stölzels Biographie Melcior Hoffmanns von 1740 (Mattheson 1740, 118).

432

66. Berict über die von Pisendel geleitete Orgelabnahme in der Zittauer Johanniskirce vom 4.8.1741 (Müller 1982, 457f).

67. Erwähnung Pisendels in einem Brief des Rudolstädter Hofmusikers Johann Wilhelm Gehring vom 25.11.1741 über seinen Dresdner Studienaufenthalt. 68. Vermerk über den Besuc bei Pisendel im Reisetagebuc des Straßburger Orgelbauers Johann Andreas Silbermann aus dem Jahr 1741 (Scaefer 1994, 168). 69. Artikel „Pisendel“ im Universal-Lexikon von Johann Heinric Zedler aus dem Jahr 1741 (Zedler 1732-52, Bd. 27, 502).

70. Charakterisierung Pisendels als Ansbacer Scüler in einem Brief seines ehemaligen Mitscülers Johann Matthias Gesner vom 9.4.1744. 71. Personalvorscläge Pisendels in einem Brief des Dire$teur des plaisirs von Breitenbauc an August II. vom 21.9.1744. 72. Personalvorscläge Pisendels in einem Brief des Dire$teur des plaisirs von Breitenbauc an August II. vom 28.9.1744. 73. Personalvorscläge Pisendels in einem Brief des Dire$teur des plaisirs von Breitenbauc an August II. vom 9.10.1744. 74. Erwähnung Pisendels in einem Brief von Carl Heinric Graun an Telemann vom 20.6.1747 (Telemann Briefwecsel 1972, 272). 75. Erstattung von Pisendels Kosten zur Neuanscaffung von Orcesterinstrumenten vom 11.4.1748 (Abb.: Treuheit 1987, 73).

76. Zahlungsanweisung zur Erstattung von Pisendels Kosten bei der Neuanscaffung von Orcesterinstrumenten vom 13.4.1748. 77. Eigenhändiger Brief Pisendels (B1) an Telemann vom 16.4.1749 (Telemann Briefwecsel 1972, 347-352). 78. Eigenhändiges Testament Pisendels vom 17.5.1749 (Köpp 1999, 62-65, Abb. der ersten Seite: 73). 79. Kanzleikonzept zur Hinterlegung von Pisendels Testament vom 17.5.1749 (Köpp 1999, 67f).

80. „Re$ognitionscein“ vom Pisendels.

17.5.1749

zur Testamentseröffnung aus dem Naclaß

81. Pisendel als Trauzeuge bei der Hoczeit des Kapelldieners Johann Gottfried Werner am 21.4.1750. 82. Eigenhändiger Brief Pisendels (B2) an Telemann von November/Dezember 1750 (Telemann Briefwecsel 1972, 352-356). 83. Eigenhändiger Brief Pisendels (B3) an Telemann vom 26.3.1751 (Telemann Briefwecsel 1972, 356-360).

84. Erwähnung Pisendels in einer anonymen Streitscrift Sceibes aus dem Jahr 1751.

433

85. Eigenhändiger Brief Pisendels (B4) an Telemann vom 3.6.1752 (Telemann Briefwecsel 1972, 361-363). 86. Mehrface Erwähnung Pisendels in der Autobiographie von Quantz aus dem Jahr 1754 (Quantz-Autobiographie 1754, 206, 210f, 215, 246). 87. Erwähnung Pisendels in der Autobiographie Agri$olas aus dem Jahr 1754 (Agri$ola-Autobiographie 1754, 152).

88. Sterbeeintrag Pisendels vom Kreuzkirce .

29.11.1755

im Bestattungsregister der Dresdner

89. Protokoll vom 26.11.1755 über die Eröffnung von Pisendels Testament (Köpp 1999, 69). 90. Lebensbescreibung mit autobiographiscem Anteil Pisendels von April 1756 (Dresdner Gelehrte Anzeigen auf das Jahr 1756, 299-304). 91. Erwähnung Pisendels in der Aufscrift Telemanns auf einer Dresdner Abscrift von Zelenkas Karwocen-Responsorien vom 17.4.1756 (Zelenka-Dok. 1989, 111).

92. Erwähnung des Todes von Pisendel und Besoldung seines Nacfolgers Fran$es$o Maria Cattaneo vom 16.7.1756. 93. Zahlungsanweisung vom dem Tod Pisendels.

16.7.1756

zur Erhöhung von Musikergehältern nac

94. Sinngedict Telemanns auf den Tod Pisendels, gesandt an Agri$ola vor dem 24.5.1757 (Treuheit 1987, 217).

434

Ü BERTRAGUNG DER 57 UNVERÖFFENTLICHTEN P ISENDEL -D OKUMENTE

Nr. 1 - Heiratseintrag der Eltern Pisendels in Langenzenn vom 18.1.1681 Der Ehrenbeste[!] vorgeactete [eingefügt: „und gelehrte“] Herr Simon Pisendel Hocfürstl. Brandenbl. Sculmeister zu Cadolzburg, des Ehrsamen und actbaren Herrn Peter Pisendeln, RathsVerwandten und Färbern der Hocfürstl. Säcsiscen Statt Neü Kircen im Voigtland, Eheleiblicer Sohn, mit der Ehr- und tugendsamen Jungfer Cunigunda des Ehrsamen und actbaren Herrn Hieronymi Züllens, RathsBurgermeisters und Be%hens allhier Ehelicen Tocter. Copulatus allhier d. 18. Januarij âo 1681. Quelle: Evangelisc-Lutherisces Pfarramt Langenzenn, Traubuc 1681 (ohne Foliierung und Numerierung).

Nr. 8 - Erwähnung Pisendels im Hofbuc Juni 1712-1716 und früheste Erwähnung seiner Amtsbezeicnung als „Premier Violon“

Tauff: und Zunahmen

Bedienung

Johann George Pissendel

Premier Violist u. 1/2. Jahr Cammer-Musi$us

[…]

wie lange gedienet

Jährl: Besoldung 400 thlr. –.–.

Quelle: D-Dla, OHMA K 2, Nr. 4, Spe$ifi$ation aller Königl: Pohl: und Churfürstl. Säcßl: Hof-Bedienten, wie selbige sic im Monat Junio 1712 bis 1716 befunden, fol. 260.

Nr. 10 - Zahlungsanweisung für Reisegelder zur Frankreic- und Italienreise für Scmidt, Woulmyer, Petzold, Pisendel und Ricter vom 30.5.1714 An das General A$$is-Collegium. Demnac Ihr. Kön. Myt. in Pohlen und Churfürstl. Durcl. zu Sacsen unser allergnädigster König und Herr dem Capellmeister Scmiede, dem Con$ertmeister Voulmyer, dem Cam[mer] Organisten Petzolden, dem Violisten Piesendel, und Hautboisten Ricter nict allein allergnädigste Erlaubnüß ertheilet haben auff ettl. Monathe eine Reise nac Fran%reic und Italien zu thun, sondern auc zu deren desto bessern Subsitenz bewilliget, daß nict nur ihnen insgesam[m]t von dato von [eingefügt: „dato“] ihrer Abreisse [zwei Worte durcgestricen, unleserlic] die gewöhnl. Besoldung jedesmahl auff 3 Monathe oder ein Quartal anti$ipando bezahlet [am Rand von anderer Hand: „S. den 30. May 1714“], sondern auc insonderheit denen drey erstern [re$te: „letztern“, vgl. Dokument 9] von des $ongedirten Musi$i D’U$é tra$tements Piesendeln 3 Monathe, Rictern 3 Monathe, und Petzold[en] 4

435

Monathe gegen ihre Quittungen von Monathe Martio dieses instehend[en] 1714ten Jahres bis zum Ende desselben gleicfalls jedesmahl auff ein gantz Quartal praenumerirt [am Rand von anderer Hand: „den 2. Jun: der Capell-Meister Scmidt abfordern lassen.“] und in Recnung verscrieben werden sollen: […] Dreßd[en] d[en] 30 Maj. 1714. Geh. Cabinets expedition [am Rand: „Von des Hl. Hoffmarscalls Freyhl. von Löwendahl Ex$ell. anticambre d[en] 29. Maj. 1714.“] Quelle: D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Frantzösiscer Comœdianten und Orcestra betr. ao 1703-1720, fol. 126f.

Nr. 11 - Gepä%verlust auf der Rü%reise Scmidts, Petzolds und Pisendels von Paris nac Dresden am 15.10.1714 Ic Endes unterscriebener Hannß Junge von Kerstenleben bekenne hiermit, daß den 15. O$tobris 1714. Vier Fremde Herren, als nahmentl. der hl. Baron von Eben Fändric, von Kayserl. Herbersteiniscen Regiment, und hl. Johann Christoph Scmidt, Königl. Pohlnl. und Churfl. Säcßl. Capellmeister, nebst hl. Pezolden u. hl. Pissendeln gleicfalls Königl. Pohlnl. und Churfürstl. Säcßl. Musi$is bey mir mit der Post ankommen, und selbe weiter fortzuscaffen, wie sie denn deren Güter alß 3. Coffer, zwey Mantel Sä%e, und zwey Paquete anvertrauet. Nacdem aber unter weges hl. Pezoldens Coffer verlohren gangen, indem selber nict angebunden, noc gennug[!] verwahret worden, Alß gelobe ic hiermit […], daß ic auff meine eigene Unkosten alle Mühe und Fleiß, bemelten Coffer wiederum zu scaffen nict allein werde anwenden, sondern versprece auc treul., daß, daferne bemelter Coffer sic nict solte wieder [fol. 180v] finden, hl. Pezolden alle Satisfa$tion dem Werthe nac, und wie es die Postgerectigkeit mit sic bringet, zu geben und zu verscaffen und dieses ohne Ex$eption einiger Iurisdi$tion. So gescehen zu Buttelstädt den 15. O$tobr: 1714 Hannß Junge (L.S.) Gastwirt Andreas Stollberg p.t. Cons. ibid. Adam Müller, des Raths Beysitzer Quelle: D-WRl, A 460, Inter$essiones de Anno 1696 bis 1748, III, fol. 180f (Kopie ohne Siegel als Anlage zu einem Brief des säcsiscen Statthalters Augusts des Starken, Anton Egon Fürst zu Fürstenberg, an Herzog Wilhelm Ernst in Weimar vom 4.3.1715) und fol. 182f (gleiclautende Kopie als Anlage A zu einem von Petzold unterscriebenen Brief an Herzog Wilhelm Ernst vom 1.4.1715, fol. 181ff).

436

Nr. 12 - Bewilligung der Reisegelder für Petzold, Pisendel, Zelenka und Ricter zur Italienreise vom 12.11.1715 Nacdem Se: Königl: Maiestät über der im verwicenen Jahre in Fran%reic gewesenen Musi$orum Aufführung und auan$ement ein allergnädigstes Gefallen tragen; Alß haben Höcstgedacte Ihro Königl: Maiestät Allergnädigst bewilliget, daß nict nur die in diesem Jahre von D’U$é Besoldung noc in Cassa verbliebenen drey Monathe alß Januari[us], Februari[us] und Marti[us] dem Königl[.] Musi$o und Hautboisten Rictern, alß ein ferneren Beytrag zu der nac Fran%reic gethanen Reise sollen bezahlet werden; sondern es haben auc Se: Königl: Mayt: über die von de Bargue, deßen Frau, und Charrier von Johannis 1714. biß Johannis 1715 in Cassa verbliebenen 1800 Rthln dergestalt Allergnädigst disponir et, daß zu einer Reise nac Italien folgende Vier Persohnen von der Königl: Musique; alß Christian Petzolden, Pissendeln, Selen%a, und obbemelten Rictern jeden 300 rl. und in Sum[m]a 1200 rl. alß ein Beytrag Allergnädigst sollen gereicet werden, die übrigen 600 rl. aber haben Se: Königl: Mayt: vor den Capellmeister Scmidt in ansehen dessen in Fran%reic gemacten depen$e und wegen des bey [fol. 40v] seinen Resten erlittenen großen Verlusts zu einer Consolation Allergnädigst ausgesetzet, welces denn einer Hoclöbl. General A$$is Inspe$tion gebührende hinterbringen und Selbe dienstl: ersucen wollen gehöriges Orthes Verfügung zu thun, damit oberwehnte Gelder nac Sr: Königl: Mayt: Allergnädigsten Intention denen Interessenten gegen deren Quittung mögen ausgezahlet werden. Signatum Dreßden den 12 Novembris. 1715. [Siegel und Unterscrift Johann Siegmund Freiherr von Mordaxt] Quelle: D-Dla, Lo$. 383, A$ta Die Engagements einiger zum Theater gehöriger Personen u.s.w. betrl. ao. 1699 sq: [bis 1766], fol. 40f.

Nr. 13 - Zahlungsanweisung für die Reisegelder Pezolds, Pisendels, Zelenkas und Ricters vom 26.11.1715 An das general A$$is-Collegium

[Anstellung des Flötisten Buffardin und des Sängers Bourcard]

Derweiln Wir auc hiernecst des d’U$é in Cassa verbliebenes Tra$tament, auf [fol. 143v] denen [eingefügt: „die“] Monathen Januar:[ius] Februar:[ius] und Mart:[ius] a. $., [von anderer Hand am Rand eingefügt: „an Ein hundert thlr“] dem Musi$o Rictern, wegen seiner nac Fran%reic gethanen Reise; Nictweniger dem Debargues und seiner Frauen, ingleicen dem Charriere, von Johannis 1714. bis wieder dahin 1715., # [von anderer Hand am Rand eingefügt: „# und zwar die beyden erstern an 1200. thlr dem letzten aber an 600 thlr“] zur Casse gleicfalls zurü%gefallene Gehalt, denen Musi$is, Pezold, Pisendeln, Selen%a, und obbemeldten Ricter, ieder 300. thlr, und also zusammen 1200. thlr, als einen Beytrag zu ihrer Reise nac Italien, die übrigen 600. thlr aber, Unserm Capell-Meister Scmidt, zu einer Ergözlickeit, wegen seines zu Unsern Diensten in Fran%reic gemacten Aufwandts, reicen und abfolgen zulaßen, gndst bewilliget; […] Dreßden, den 26. Novembr.[is] 1715.

437

Quelle: D-Dla, Lo$. 383 Vol. 1, Die Bande Frantzösiscer Comœdianten und Orcestra betr. ao 1703-1720, fol. 143f.

Nr. 15 - Kanzleikonzept vom 5.2.1716 für den lateiniscen Reisepaß Pisendels

Literae Se$uri transitûs pro Joh:[anne] Christians[!] Rictero It:[em] pro Johanne Georgio Piesendel Ad pre$es humillimas pro impetrandis literis se$uri transitûs Suae Regiae Maj.ti Poloniarum ab exhibitore praesentium Johanne Christiano Rictero, Musi$o Camerae Regiae profi$is$ente hin$ in Italiam, devotissimè oblatas, omnes et singuli, quib[us] hae exhibentur + [am Rand eingefügt: „+ ami$è et gratiosè requiruntur subditis vero“] nomine S.ae R.ae Maj tis mandatur, ut modo nominato Rictero ex oris his$e – ab omni $ontagiosae luis infe$tione planè liberis venienti, pèr quas$unq regiones. A jurisdi$tiones sine omni molestia atq[ue] offensa~ liberam eundi, redeundiq[ue] dent a$ tribuant, dariq[ue] a$ tribui $urent fa$ultatem, ne$ non eundem bonae hospitalitatis offi$iis ex$eptum ubiq[ue] juvent, promovant, a$ tueantur, literis quoq[ue] fidei, uti usus postulaverit, mûniant, et omni deniq[ue] gratia, benignitate et favore prosequantur. Fa$turi in eo rem humanitati et $ivilitati $onvenientem Regiae Majestati Polon: omniò gratam benevolentia et benignitate mutuisq[ue] ami$ita~ offi$iis, data o$$asione, vi$issim $ompensandam, subditi verò Regiae Maj.tis exequntur ha$ in parte seriam et expressam ejus voluntatem. Dabantur sub Sigillo Regiò et Ele$torali – Dresdae die 5.to Februarij, Aô: 1716. Cum iussu Serenissimi et Potentissimi + [am Rand eingefügt: „+ Prin$ipis et Domini, Domini Augusti II.“] Regis Poloniarum a$ Saxonum Prin$ipis Ele$toris, exhibitor praesentium Johannes Christian[us] Ricterus ++ [am Rand eingefügt: „++ Camerae Regiae Musi$[us]“] profe$tionem in Italiam instituerit [...] Quelle: D-Dla, Lo$. 4716 Vol. II, Allerhand Pässe Ao 1713-1740, fol. 12.

Nr. 16 - Empfehlungsscreiben des Hofmeisters Graf Kos vom 22.1.1717 für Pisendels Aufenthalt in Rom

M. Pucet Romae. Monsieur Le S.r Bisheindle porteur de $elle$y est un musi$ien de Sa Majesté nôtre Roy, et voyage exprés à Rome, pour se perfe$tionner dans la Musique sous d’habiles Maitres, dont Rome fourneille[?], il m’a Solli$ité ave$ empressement, de l’a$$ompagner d’une lettre de re$ommendation, pour-y-trouver un Prote$teur, sous lequel il puisse

438

atteindre au Conable but, qu’il s-y-est proposé; et $omme j’ai erû, qu’il alloit ou Servi$e de Sa Majesté, de La Luy a$$order, je n’ai pas balan$é un moment, à vous le re$ommander Monsieur fort étraitement, et de [Seitenwecsel] vous prier ave$ la méme Confian$e, que par le passe, que vous ayés la bonté Monsieur, de Luy fa$iliter le Chemin, par-y-trouver a$$és de Rome pour les instrumens[!] de Musique, a fin que sous eux jl se puisse perfe$tionner de la maniére, qu’il s-y-est proposé. j’attends $ette Complaisan$e de vos attentions ordinaires, et prenderai sur mon $ompte, $e, que vous savés Monsieur, que je ne suis pas jngrat, et que j’aurai toujours un plaisir indi$able [Seitenwecsel] de pouvoir vous $onvainere effe$tivement ave$ quelle re$onnoissan$e et distin$tion je suis sin$érement Monsieur Votre trhble [très humble] et Obeissant Serviteur Kos PaltdeLievl.mpia: [Palatin de Lievland, manu propria] à veni$ e$l.[é$rit le] 22. Janl. 1717. Quelle: D-Dla, Lo$. 744 Vol. VI, Briefe des Palatins von Liefland, Graf Kos, aus versciedenen Orten Italiens, Deutsclands und Frankreics an den königl. poln. Residenten zu Rom, Baron Pucet, 1711-1717 [ohne Foliierung].

Nr. 17 - Einmalige Gehaltsergänzung an Pisendel vom 15.6.1717 nac dem Tod des Tanzmeisters Cherrier

Pour S. E. M.r de Watzdorff […] Ordre à l’A$$ise, par lequel S. M. a$$orde au Sieur Pisentel Musi$ien de la Chambre $e qui se trouve dans la Caisse, des appointements destinez au defunt Cherrier, jusqu’au premier de May de $ette Année. […] Quelle: D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Frantzösiscer Comœdianten und Orcestra betr. ao 1703-1720, fol. 159 (Kanzleikonzept zur Zahlungsanweisung fol. 159).

Nr. 18 - Erwähnung Pisendels in einer Gehaltsliste vom 1.8.1717 Die Königl. Pohl: und Churfürstl. Säcßl. Musi$ und Orcestra bestehet zur Zeit von dem 1 Augl. 1717 an in folgenden Persohnen, welce nac dem darzu allergnädigst ausgesezten Quanto jährl. bekommmen, als: […] 500 [Thlr:] Johann George Pisendel, Violist u. Cammer-Musi$[us] Quelle: D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Frantzösiscer Comœdianten und Orcestra betr. ao 1703-1720, fol.182.

439

Nr. 19 - Jährlice Gehaltszulage für Pisendel nac dem Tod des Musikers Hennig, vor dem 25.9.1717 Des verstorbenen Musi$i Daniel Hennigs 300. rl. wären sonder maßgeben folgender Arth einzutheilen. Christian Pezoldt Bissendel Ricter Hautboist Lotti Reihn Violist Böhme Basson Scmidt, Org. u. Notist: Weigelt Hautboist Seyffert Hautboist Reicelt Bra$$ist Kästner, Contre Basse

.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

18 68 50 20 30 20 14 20 20 20 20

rl. rl. rl. rl. rl. rl. rl. rl. rl. rl. rl.

.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

450 500 450 400 250 260 292 200 220 180 120

rl. –. –. rl. –. –. rl. –. –. rl. –. –. rl. –. –. rl. –. –. rl. –. –. rl. –. –. rl. –. –. rl. –. –. rl. –. –.

Su[mm]a 300. rl. –. –. [von der Hand Augusts II.] fiat AR Quelle: D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Frantzösiscer Comœdianten und Orcestra betr. ao 1703-1720, fol. 165.

Nr. 20 - Zahlungsanweisung über die jährlice Gehaltszulage für Pisendel vom 25.9.1717

An das General A$$is-Collegium: Demnac wir von des verstorbenen Musi$i, Daniel Hennigs, tra$tament an 300 thlr denen andern eine Zulage, dergestalt daß davon jährlic Christian Petzold – Bissendel – Ricter, Hautboiste – Lotti – – – Reihn, Violist – Böhme, Basson – Scmidt, Or. und Notist, Weigelt, Hautboist Seyffert, Hautboist Reicelt Bra$$ist Kastner, ContreBasse

18 68 50 20 30 20 14 20 20 20 20

thlr thlr thlr thlr thlr thlr thlr thlr thlr thlr thlr

erhalten sollen, Gnädigst verwilliget. Als ist hiermit Unser Gnädigstes Begehren, ihr wollet, daß aus Unserer A$$is-Überscuß-Casse von Zei der Zeit an, da Hennigs tra$tament aufhört, obspe$ifi$irten [darüber: „vorbenanndten“] Personen solce Zulage obspe$ifi$irter Maßen gegen ihre Qvittungen gezahlet werde, gebührend verfügen. […] Dat: Dreßden, den 25. Sept: 1717.

440

Quelle: D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Frantzösiscer Comœdianten und Orcestra betr. ao 1703-1720, fol. 164.

Nr. 23 - Eigenhändiger biographiscer Eintrag Pisendels in ein Personalverzeicnis der Hofkapelle von 1718

Spe$ifi$ation, derer Königl. Pohl[.] und Churfl: Säcßl: Hoff und Cammer Musi$i, wie alt Einjeder, wo er her ist, &: wie lang bey Hoffe, alß […]

Johan[n] Georg Pisendel. aus Cadlsburg im Anspaciscl. ist gebohren aô 1687 [von Pisendel eingefügt: „also 30. Jahr alt“] und aô 1712 aus Leipzig in die Königl. Dienste vo$irt worden. […] Quelle: D-Dla, OHMA K 2, Nr. 5, Königl: Pohl: und Churfürstl. Säcßl: Hoff-Buc von 1717 bis 1720, fol. 90ff. Diese Liste, in die die anwesenden Mitglieder der Hofkapelle eigenhändig persönlice Daten eingetragen haben, diente als Grundlage für das Kapellverzeicnis vom 7.8.1718 (Pisendel-Dokument Nr. 25). Bei zahlreicen Mitgliedern der Hofkapelle sind nur durc dieses Dokument konkrete Informationen zur Biographie erhalten, und als Quelle für Scriftproben wird sie an geeigneter Stelle ausgewertet werden.

Nr. 24 - Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis zwiscen 1.8.1717 und 7.8.1718

Verzeicnüß derer Musi$orum so in der Königl. Orcestra sic befinden, alß, […] No: 10. Johann George Pisendel, Violist und Cam[m]er Musi$us ––– 500. thl. Quelle: D-Dla, Lo$. 910 Vol. 1, A$ta, das Chur-Fürstl. Orcestre und dessen Unterhaltung ingleicen das grosse Opern-Haus und andere zum Departement des Dire$teur des Plaisirs gehörige Angelegenheiten betr. Anno [1711, 1717] 1764-68, fol. 5 (eigenhändige Unterscrift von August II.: „Augustus Rex“). Ein Vergleic von Dokument Nr. 18 und Nr. 25 ergab, daß der Informationsstand dieses undatierten Kapellverzeicnisses zwiscen beiden datierten Verzeicnissen anzusiedeln ist und möglicerweise im Zusammenhang mit dem Dokument Nr. 23 entstanden ist.

441

Nr. 25 - Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis vom 7.8.1718

Spe$ifi$atio Derer Königl. Musi$orum und Ihres Jährlicen Tra$taments. […] [an secster Position:] 500 thlr: _._. der Violinist Joh. George Pisendel, […]

Quelle: D-Dla, Lo$. 383, A$ta Die Engagements einiger zum Theater gehöriger Personen u.s.w. betrl. ao. 1699 sq: [bis 1766], fol. 121.

Nr. 26 - Zahlungsanweisung für Kostgeld zur Reise nac Wien vom 22.8.1718 An das Gen. A$$is Collegium: P.P. Demnac Wir innenbenannte 11 Musi$anten nac Wien zu Unsers Königl. Printzens Lbd.[Liebden] abzufertigen entscloßen, und ihnen nebst ihrem gewöhnlicen tra$tament annoc ein gewißes Kostgeld, als: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

dem Con$ertMeister Woulmyer täglic einen Thaler 8 gl Pantaleon Hebestreiten 1 thlr 8 gl dem Lautenisten Weisen 1 thlr 8 gl dem Primo Violino Piesendel 1 thlr dem Violon$ello Rossi 1 thlr dem Premier Hautbois Ricter 1 thlr dem Flute Alemande Buffardin 1 thlr dem se$ondo Violino Reihn[!]1 thlr dem andern Hautbois Blocwitzen 16 gl dem Violetta Lehneiß 16 gl der Basson Bohmen 16 gl

solange sie daselbst sic aufhalten werden, reicen zu laßen entscloßen; Als begehren wir hiermit Gnädigst, ihr wollet, daß [am Rand eingefügt: „aus unserer Gen A$$is Casse von den Überscuß Geldern“] ihnen solces auf bey ihrer vorstehenden Reise auf 14 Tage voraus, und also zusam[m]en 22 thlr zusam[m]en gegen ihre Quittungen gezahlet, und über dieß jedweden sein gewöhnlices tra$tament auf den Monath September dieses Jahres praenumerirt werde, gebührend verfügen. […] Datum Dreßden, den 22. Augl. 1718. [gez. „A R“ durc General-Feldmarscall von Flemming] Quelle: D-Dla, Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Frantzösiscer Comœdianten und Orcestra betr. ao 1703-1720, fol. 222f. Unter dem gleicen Datum ging eine Anweisung an das „Cammer Collegium“, für die „eilff Musi$anten“ die „benöthigten Reise-Gelder“ zu deren „hin- und her Reiße“ aus der „RentCammer“ zahlen zu lassen (fol. 223).

442

Nr. 27 - Erwähnung Pisendels in einer Reiseliste der Hofkapelle vom Oktober 1719 nac Moritzburg Von der Königl. Pohln: und Chfl: Säcßl Capelle sollen nacgesetzte Persohnen mit der Königl. Hofstadt nacer Moritzburgk gehen. Kost-Geld tägl. 1. Der Capell-Meister Scmidt und deßen Diener 2 rl. – 2. Pezold. Cammer Organist 1 rl. – 3. Zelen%a Contre Basse 1 rl. – 4. Rossi Violon$ell 1 rl. – 5. Pissendel Pr: Viol: 1 rl. – […] Quelle: D-Dla, OHMA G, Nr. 18, Divertissements so in Moritzburg gehalten worden, Mense O$tobr. 1719, Carneval Divertissements, fol. 52. Das bei Oscmann 1986, 26, angegebene Datum 1.3.1719 für dieses Dokument ist irrig.

Nr. 28 - Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis vom 25.4.1719

Spe$ifi$atio Derer Königl. Musi$orum und Ihres Jährlicen Tra$taments.

[…] [an neunter Position:] 500. _._. der Violinist Johann George Pisendel, […]

Quelle: D-Dla, Lo$. 383, A$ta Die Engagements einiger zum Theater gehöriger Personen u.s.w. betrl. ao. 1699 sq: [bis 1766], fol. 138.

Nr. 30 - Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis vom 16.5.1720

Spe$ifi$atio Derer Königl. Musi$orum und Ihres jährlicen Tra$taments.

[…] [an acter Position:] 500. _._. der Violinist Johann George Pisendel, […]

Quelle: D-Dla, Lo$. 383, A$ta Die Engagements einiger zum Theater gehöriger Personen u.s.w. betrl. ao. 1699 sq: [bis 1766], fol. 162.

443

Nr. 31 - Protokoll des Augsburger Scolarcats vom 18.5.1720 über ein Stipendium für Johann Caspar Seyfert zum Violin- und Kompositionsstudium bei Pisendel [A$tum dn 18. May. 1720.]

Hanß Caspar Seyffert. Musi$-Stipendium

Weilen Hanß Caspar Seyfert ausm Choro Musi$o, bey dn. hhl. Scolarcen bittlic angesuct, dz er, der von der musi$ einig [eingefügt: „u. allein“] profession zumacen sic vorgesetzt habe, zu seiner absonderlic in d Violin v. $omposition intendirter perfe$tionirung erst einige Zeit an solce Ort [am Rand eingefügt: „mit einem stipendio“] versci%t werden möcte, wo er zu vergnügung des Scolarcats und Diensten des Evangl. Musi$wesens der befür noc sic bestens habilitiren gelegenheit haben könte; auc demnecst hl. Cantor ihme weg. seines bisherigen fleisses u. in der violin v- $omposition bereits gelegter feiner fundamenten gutes Zeugnis gegeben: So hat man[n] diesem seinem; dz er izo in 5. od. 6. Wocen anfangs nacer Stut- [fol. 15] gart [am Rand eingefügt: „NB. ist geändert; geht Er sogleic nac Dreßden“] verreissen, u. allda auf seine inzwiscen erstattende Nacrict durc den hl. Cantore[m] weitere verordnung erwarten; ihme aber sogleic zur Reiß 50. R. mitgegeben werden solle; doc dz er vorhero solcer auf ihn wendender Kosten halber an dz Scolarcat eine scrifftlice Obliga[ti]on oder revers von sic stelle. NB. Ist erst dn 1.ten Septl. abgereiset. Quelle: Arciv der Evangelisc-Lutheriscen Gesamtkircenverwaltung Augsburg, Bestand Scolarcatsarciv, Sculprotokolle B-L, Litera F, fol. 14f.

Nr. 32 - Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis vom 29.9.1720

Spe$ifi$atio Derer Königl. Musi$orum und Ihres jährlicen Tra$taments. […] [an neunter Position:] 500. _._. der Violinist, Johann George Pisendel, […]

Quelle: D-Dla, Coll. Scmidt Amt Dresden Vol. XIb Nr. 306, Verzeicnis des Gehalts der Königlicen Sänger, Tänzer, Kömüdianten[!] und Musiker, im Jahre 1720, fol. 2.

Nr. 33 - Protokoll des Augsburger Scolarcats vom 14.12.1720 über die Höhe des Lehrgeldes für Johann Caspar Seyfert zum Studium bei Pisendel Hanß Caspar Seyffert. Kost- v. Lehr-gelt.

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A$tum dn 14. De$. 1720. Weg[en] Hanß Caspar Seyferts, dermaln zu Dreßden, zeigt Hl. Cantor an; dz er von selbigem scriftl. berictet worden; wasmassen sein Lehrherr allda sic erklärt habe, von ihm überhaupts pro informae 150. R. zuenehmen, er möge hernac 1 od. 2 Jahr bey ihm verbleiben; doc die Kost davon ausgenom[m]en. Weiln nun diese letztere vermuthlic wohl das Jahr auc auf 100. R. ansteigen dörfte; so würde ungefehr die Eines Jahrs un Kosten sic bey 200. R. belauffen; hierauf dem Hl. Scolarcen anheimbstellend, ob und wie weit dieselben dießfalls auf bey ihm, Seyferten, mit obgl.[obgenannten] proje$t[ierten] spesen sic einzulassen belieben werden? Ged.en Hl. Cantori hat man[n] pro resolvae beditten[?]; dz man[n] p parte des Scolarcats dem Seyfert, in der Zuscrift, dz es bey ihm nict übel angelegt sein werde, für anderthalb Jahr von dato an pr. Kost und lehrgelt |: ohne einrecnung d. ihme mitgegebenen 50. R :| forthin quatenemberlic 50. R. zu Fortsetzung seines Studij in d. Musi$ reicen lassen wolle; u. solle dieses weihenact quartal der Anfang mit den erhl.[erhaltenen] 50. R. gemact werden. p. Quelle: Arciv der Evangelisc-Lutheriscen Gesamtkircenverwaltung Augsburg, Bestand Scolarcatsarciv, Sculprotokolle B-L, Litera F, fol. 21.

Nr. 34 - Erwähnung Pisendels im Hofbuc 1721-1725 Königl. Pohlnisce und Churfürstl. Säcßl. Bediente. Capell-Musi$i Tauf und Zunahmen.

Alter. Gebürtig.

[…]

Johann George Pisendel 34.

Bedienung. Jährl: Besoldung. Nac Hofe gekom[m]en

Cadelsburg, Violinist

500. –.–.

1712.

Quelle: D-Dla, OHMA K 2, Nr. 6, Königl: Pohl: und Churfürstl. Säcßl: Hoff-Buc von 1721 bis 1725, fol. 74. Pisendel folgt an vierter Position nac Scmidt, Heinicen und Woulmyer.

Nr. 35 - Pisendel als Pate im Taufeintrag seines Neffen Johann Joseph Friedric Lindner vom 8.1.1722

Johan[n] Joseph[us] Friedric. Parentes Temp[us] et Dies

Johan[n] Caspar Lindner, Musi$-Verwandter und Laquey allhier. Maria Elisabeth geb. Pisendlin von Cadolsburg. Nat.[us] d[en] 7. Jan. vorm. zwiscen 9. und 10. Uhr. Ren.[atus] d[en] 8. ejusd.

445

Sus$ipientes

1. Hl. Johan[n] Georg Geuder, Hocgräfl. Cassa-Verwalter allhier. 2. Hl. Joseph de la Grange, Hocgl. Cammerdiener hieselbst. 3. Hl. Johan[n] Georg Pisendel, Premier-Violinist bey der Königl. Pohnl. Hof-Capell zu Dreßden. 4. Hl. Friedric Leonhart Weißman[n], des Raths und Apotheker allhier.

Quelle: Evangelisc-Lutherisces Pfarramt Weikersheim, Taufbuc 1722, fol. 2, Nr. 8.

Nr. 36 - Brief Johann Caspar Seyferts an das Augsburger Scolarcat vom 6.3.1722 über die Verlängerung seiner Studien bei Pisendel Hoc- und WohlEdelgebohrne, Gestrenge, HocEdel u: Hocgelahrte, Hoc- und Wohllöbl. Herren Scolarcae. Gnädig, Hocgebietend, und Hocgeneigte Herren. Nacdeme Ew: Gdl: Hocadel: Herrl: und Gestrl: vor anderthalb Jahren, Dero preißwürdigen Munifi$enz nac, meiner Wenigkeit die hohe Gnade angedeyhen laßen, zu beßerer Ex$olirung des Studii Musi$i mic nict allein hieher reisen zu laßen, sondern auc zu deroselben beßern und erwünsctem Fortgang mic mit ergiebigen, und ansehnlicen Geld-Mitteln zuversehen, als habe bey der mir gnädig praestigir ten Zeit Umlauff, zufolg meiner obligenden Sculdigkeit hierunter vor solce mir erzeigte Gnade und hohe Propension unterthänigst und gehorsamsten Dank abzustaten nict ermangeln sollen: Obwohl ic nun diese mir gnädig erlaubte Zeit über allhier mic in bemeldtem Studio, nac Möglickeit perfe$tioniret, und noc mehrer zu perfe$tionir en wünsce, sonderlic da ic durc eine mir unlängst zugestosne Maladie, und hinterbliebene Mattigkeit nict wenig verhindert worden; Als habe mic hiermit nocmalen erkühnen wollen, in Unterthänigkeit zu biten[!] Ew: Gndl: Hocadel: Herrl: und Gestrl: gnädigst und hocgeneigt geruhen möcten, solc bereits genossenes Benefi$ium mir noc Ein Jahr zu dem Ende gnädigst angedeyhen zu laßen, in Zukunfft um so mehr in dem Stande zu seyn, bey der Kircen und Musi$ gute Dienste, zu mahlen aber meinen Gnädigen Herren und Obern möglicstes Vergnügen gebenzukön[n]en. Welce hohe Gnade nict nur allein mit Lebenslang unvergeßlicem Dank rühmen, sondern auc durc unterthänigsttreue Dienste derselben würdiger zu werden, mic äußerst bestreben werde, der ic in tiefster Devotion verharre Ew: Gndl: Hocadel: Herrltl: und Gestrl: unterthänigst gehorsamster Dreßden. d. 6 Martii. 1722. Johan[n] Caspar Seuffert Quelle: Arciv der Evangelisc-Lutheriscen Gesamtkircenverwaltung Augsburg, Bestand Scolarcatsarciv, Nr. 10, Produkt 90, Brief Nr. 139 (ohne Foliierung).

446

Nr. 37 - Protokoll des Augsburger Scolarcats vom 17.3.1722 über die Fortsetzung des Stipendiums für Johann Caspar Seyfert zum Studium bei Pisendel [A$tum dn 17.3.1722] Hanß Caspar Seyffert. Ende des Stipendij.

Hanß Caspar Seyfert, suct sowohl scrifftlic, als auc durc hl. Cantore[m] bey dem Hhl. Scolarcen an; das ihme erlaubt werden möcte, auf dero spesen noc ein Jahr lang außerhalb dem studio Musi$o obzuliegen &$. Ist ihme semel pro sempre v. für alles annoc 50. R. bewilligt worden; die rükreißKosten miteingerecnet. Doc soll ihm unverwehrt sein, da er sic ex proprio oder sonsten sic zuinstentiren[?] wüste, längere Zeit zu Dreßden oder anderswo zu verbleiben; mit dem austrü%licen beding, auf iederweiliges Erfordern vermöge seiner Obliga[ti]on sic zustellen halten solle. &$. Quelle: Arciv der Evangelisc-Lutheriscen Gesamtkircenverwaltung Augsburg, Bestand Scolarcatsarciv, Sculprotokolle B-L, Litera K, fol. 34.

Nr. 39 - Erwähnung Pisendels im Hofbuc 1726-1729 Königl. Pohlnisce und Churfürstl. Säcßl. Bediente. Capell-Musi$i Tauff- und Zunahmen. […]

Alter. Gebürtig.

Johann George Pisendel 38.

Bedienung. Jährl: Besoldung. Nac Hofe gekom[m]en

Cadelsburg, Violinist

500. –.–.

1712.

Quelle: D-Dla, OHMA K 2, Nr. 7, Königl: Pohl: und Churfürstl. Säcßl: Hoff-Buc von 1726 bis 1729, ohne Foliierung. Pisendel folgt wiederum an vierter Position nac Scmidt, Heinicen und Woulmyer. Im Zeitraum dieses Hofbuces verstarben alle drei ranghöheren Musiker, wie in den jeweiligen Einträgen vermerkt ist. Außerdem geht aus den Einträgen hervor, daß Heinicen jährlic zusätzlic 300 Taler aus der „Prinzl. Cassa“ erhielt. Auc der „OberCapell Meister“ Scmidt erhielt jährlic zusätzlic 354 Taler aus der „RentCammer Cassa“ für den Unterrict der protestantiscen Kapellknaben, und sein Titel wurde in „Ältester Capell Meister“ abgeändert mit folgender Anmerkung: „NB. der Capell Meister Scmidt hatt dato erinnert, daß das Wort Ober, weil solces in seiner Bestallung nict enthalten, weg zu lassen. Dresden, den 4. De$: 1727.“

447

Nr. 41 - Erwähnung Pisendels in einem Briefkonzept des Dire$teur des plaisirs Baron de Gaultier an den Geheimen Kämmerer Graf Thioly in Warscau vom 15.6.1729

[…] La Comedie et la danse ont déja $ommen$é; mais jusques i$y la musique ne

re$onnoissant point de superieur vit dans une espe$e d’indépendan$e, et caqu’un $roit être son maitre. […] Dés que j’auray re$eu les ordres de V.M. que je viens de Luy [eingefügt: „ay“ ] demander, je prendray la liberté de luy envoyer un memoire que je $on$erteray ave$ les Maitres de Chapelle, toucant les cangements [darüber: „arrangements“ ] qu’il y a auroit à faire dans l’orquestre, lequel, $omme V.M. seait, est un peu dérangé par la mort de plusieures bons sujets. Si Vôtre Majesté trouvoit à propos de donner [eingefügt: „en attendant“ ] a Pissendel l’employ de feu Woulmier, de Maître de $on$erts, Il n’y auroit $ertainement personne dans l’orquestre qui en fut plus $apable que lui, d’autant plus qu’il a en déja en fait les fon$tions depuis la mort de Woulmier et qu’il les a même fait de son vivant, lors qu’il a eté malade ou absent. Il dependera de Vôtre Majesté de luy a$$order telle augmentation [Sprung mit ausgestricenem Text:] qu’il trouvera bon. […] Quelle: D-Dla, Lo$. 3350, Briefe von Thioly zu Warscau an den Baron de Gaultier zu Dreßden, und Depescen des letztern an S. M. 1729, fol. 7.

Nr. 42 - Antwort des Grafen Thioly aus Warscau an Baron de Gaultier zu Pisendel als Nacfolger Woulmyers vom 22.6.1729 [...] Les reponses de Sa majesté qui m’a plus parti$ulierement expliqué au sujet de la musique que vous ne deviez proprement vous embarasser que de se qui Regarde L’orcestre, a la teste duquel sera Bissendel, $omme l’a esté Woulmyer en attendant que le Roy a son retour puisse Regler son Estat, [...] L’employ de maistre de Con$erts, a exer$er ad Interim par Bissendel a$$ordé pour la musique de l’orcestre ave$ une augmentation a S. M. y po$ernoira[?] a son retour la volonté de S.[a] M.[ajesté]

Quelle: D-Dla, Lo$. 3350, Briefe von Thioly zu Warscau an den Baron de Gaultier zu Dreßden, und Depescen des letztern an S. M. 1729, fol. 9f.

Nr. 43 - Erwähnung Pisendels im Hofbuc 1730-1733 Königl. Pohlnisce und Chur-Fürstl. Säcßl. HoffBediente. Cammer- und Capell-Musi$i

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Tauff- und Zunahmen.

Orth u. Zeit Bedienung. der Geburth

Johann George Pisendel Cadelsburg, Violinist in 1688.[!] Con$ertmeister

Jährlice Besoldung.

In Dienste kommen

500. –.–. 1712. 700. –.– Zulage vom 1. Febr: 1730.

Quelle: D-Dla, OHMA K 2, Nr. 8, Königl: Pohl: und Churfürstl. Säcßl: Hoff— Bediente von 1730 bis 1733, ohne Foliierung. Pisendel steht an erster Position vor Hebenstreit, der bereits vor Pisendels Ernennung zum Konzertmeister mit 1200 Talern ein Kapellmeistergehalt bezieht und als Nacfolger Scmidts für die protestantiscen Kapellknaben zuständig ist (mit einer Zulage von 354 Talern jährlic und 10 Talern wöcentlicem Kostgeld).

Nr. 44 - Zahlungsanweisung rü%wirkend zum 1.2.1730 nac der Ernennung Pisendels zum Konzertmeister vom 1.10.1731 An das Gen: A$$is Collegium daß dem an Woulmyers statt zum Con$ert Meister erklärten Pisendel an statt bißheriger 500. Thlr., –. vom 1.ten Februarij aô: 1730. monathlic 100. Thlr. also jährlic 1200. Thlr. […] gezahlet werden solle. [Signum Augusts II.:] AR ten

[Datum] den 1.

O$tobr: 1731.

P.P. Wir haben an Statt des verstorbenen Woulmyers Johann George Pisendel zum Con$ert Meister bey Unsererm Orcestre erkläret und von des verstorbenen Gehalt ihm zu seiner bißherigen Besoldung an 500. thl. jährl. annoc 700. Thlr. zugeleget […] Begehren dennoc Gnädigst, ihr wollet bey unserer General-A$$is Casse die Verfügung thun, daß aus selbiger dem Con$ertMeister Pisendel an statt bißheriger 500. Thlr –. vom 1.ten Februarij des 1730.ten Jahres jährl. 1200. Thlr […] auf eben die Arth und Weise, wie ihnen die bißherige Besoldungen praenumerirt worden, gereicet […] werden. […] Datum Dreßden den 1.ten O$tobr: 1731. A. R. Ad Mandatum […] Günther. Quelle: D-Dla, Lo$. 383 Vol. II, Französisce Comoedianten und Orcestra betrl. ao. 1721-33, fol. 207v. Treuheit 1987, 58, bildet die erste Seite dieser Zahlungsanweisung ab.

449

Nr. 45 - Vermerk im Hofjournal zur Amtseinführung Pisendels als Vorgesetzter der Kapellmusiker vom 11.12.1731 den 11. [De$embris] Wurden Vormittags umb 10. Uhr die sämtl. Capell Musi$i dem neuen Con$ertMeister Pisendel im Oberhoffmarscall Amte, durc den Hl. OberKücmeister Baron von Seyffertiz vorgestellet. Quelle: D-Dla, OHMA G, Nr. 32, Divertissements in Dreßden So auf solces Jahr gehalten worden, fol. 53v.

1731.

und Journal

Nr. 47 - Erwähnung Pisendels in einem Kapellverzeicnis von April 1733

Extra$t Aus der Spe$ifi$ation derer jährlicen Besoldungen und Pensionen, welce aus der General-A$$is-Überscuß Casse, von und mit dem Monath April. 1733. an, zu zahlen, als: […] 1200. [thlr]:–.–. dem Con$ertmeister, Pisendel, 1200. [thlr]:–.–. dem Cam[m]er Musi$o, Pantaleon Hebenstreiten. […] Quelle: D-Dla, Lo$. 907 Vol. II, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Persohnen betrl. Aô 1733 seq., fol. 1.

Nr. 49 - Pisendel als Pate im Taufeintrag der Eleonore Catharina Kuklinsky (Tocter des Leibgardisten Lukas Kuklinsky und der Anna Barbara Zelenka) vom 12.5.1735

Dies Baptizans Baptizatus Parentes Patrini

12. [Majus]

P.[ater] Fran$is$: Ehrlic. Eleonora, Catharina Lu$as Kuklinsky Grenadier von[!] Königl. Leibreg: Mater. Anna Barbara. M.lle Maria Eleonora de Melegin Cam[m]erdienerin bey der Prin$: Josepha. M.me Catharina Baumin Königl. Cam[m]erdieners Frau. Hl. Joan: Georg: Pishendel Königl: Con$ert-Meister.

Quelle: Katholisces Dompfarramt Dresden, Taufbuc 1735 [ohne Foliierung und Numerierung].

450

Nr. 50 - Erwähnung von Pisendels Warscaureise im Hof-Marscall-Amts-Journal vom 23.11.1735 No: 97 Demnac Vorzeigern dieses die Kgl. Polnl. und Churfl. Säcßl. Capell-Musi$i Hl. Johann George Pisendeln Con$ert Mstr Mrs. Domeni$o Annibali Johann Bindi Nikolaus Pozzi Johann Joseph Götzel Peter Gabriel Buffardin [fol. 150] Carl Matthias Lehneis Augustin Uhlic Johann Georg Knectel Joseph Titerle Joh. George Fi%ler Ar$angelo Califano und Carl Morasc von hier nac Warscau zu reisen allergdsten Befehl erhalten: Als werden […] $um appendi$e – Dreßden am 23. Nov. 1735. OHMarscall. Quelle: D-Dla, OHMA O II, Nr. 1, Hof-Marscall-Amt-Journal so auf der Königl. Reise nac Warscau, und dann daselbst gehalten worden. 1734.1735.1736, fol. 149f.

Nr. 51 - Erstattung von Pisendels Kopierkosten in Warscau bis April 1736 thl. 15. fgl. – an den Capellmeister[!] Johann George Pisendel, Auslage vor Abscreibung zweyer Serenaden

16.

Quelle: D-Dla, Lo$. 3524 Vol. IV, Pohlnisce Reise-Cammer-Cassa Sacen Aô 1736. Von Januar: bis mit. April:, fol. 180v.

Nr. 52 - Eigenhändige Kostgeldliste Pisendels von September 1736 zur Reise der Kapellmusiker nac Hubertusburg Kostgeld Vor die Zum Divertissement nac Hubertsburg allergnädigst beorderte Personen, dar sie Hin- und Her-, jedesmal 2 Tage, also zusam[m]en 4 Tage unterwegs zubringen müßen, als:

451

Anna Negri, tägl. 1 thl. also auf 4 Tage – ,, Rosa Negri. – – – – ,, Pallavi$ini. – – – – ,, Ristori. – – – – – ,, Venturini. – – – – ,, Ni$olini. – – – – – ,, Pindi. – – – – – ,, Cosimo. – – – – – ,, Pisendel. – – – – – ,, Weis. – – – – – ,, Buffardin. – – – – – ,, Quantz. – – – – – ,, Lehneis. – – – – – ,, Ulic. – – – – – ,, Han%e. – – – – – ,, Fi%ler. – – – – – ,, Zic. – – – – – ,, Sum[m]a ,,

Rthlr. 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 68 ,,

ggl. – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,,

68 thl. 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 164 ,,

gl. – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, – ,,

[fol. 62v]

Latus Knectel. Täglic 1 thl. also auf 4 Tage – ,, Scindler. – – – – ,, Ricter. – – – – – ,, Wilhelm. – – – – – ,, Morgenstern. – – – – ,, Adam. – – – – – ,, Rossi. – – – – – ,, Ar$angelo. – – – – – ,, Kæstner. – – – – – ,, Quatz. – – – – – ,, Morasc – – – – – ,, Favier. – – – – – ,, Rottier. – – – – – ,, la Vaureinville. – – – – – ,, la Cherrier. – – – – – ,, l’Agisse. – – – – – ,, la Fontigni. – – – – – ,, la Goldman[n]. – – – – – ,, la Favier. – – – – – ,, la Drot. – – – – – ,, André. l’ainé – – – – ,, Cherrier – – – – – ,, Diecof. – – – – – ,, Amerbac. – – – – – ,, Sum[m]a

452

[fol. 63]

latus André le fils. Tägl. 1 thl. also auf 4 Tage – ,, Cœlln. – – – – – ,, Favier. Le jeune – – – – ,, Hoffman[n]. – – – – – ,, Cattaneo. – – – – – ,, Grebner. à 16 gl. – – – – ,, – – – ,, Butzfrau. à 16 gl. – Lensing à 16 gl. – – – – ,, – ,, deßen 3 Gesellen einer à 8 gl. – – Reisman. à 16 gl. – – – – ,, – – ,, deßen Beygehülffe à 6 gl. – Perruquier. à 16 gl. – – – – ,, Gottlob Werner. [eingefügt] à 12 gl. – – ,, Antoin Souvirant. à 12 gl. – – – ,, Sum[m]a :rum

164 thl. 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 4 ,, 2 ,, 2 ,, 2 ,, 2 4 ,, 2 ,, 1 ,, 2 ,, 2 ,, 2 ,, 206 thl.

gl. – ,, – ,, – ,, – ,, – ,, 16. 16. 16: 16. 16. –. 16. – ,, – ,, 8 gl.

Quelle: D-Dla, Lo$. 907 Vol. II, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Persohnen betrl. Aô 1733 seq., fol. 62f. Zum Zusammenhang dieses undatierten Dokuments mit der Aufführung der Geburtstagsoper Arianna von Ristori und Pallavi$ini am 7. 10.1736 in Hubertusburg vgl. oben, Abscnitt III, 2. „d) Vertreten des Kapellmeisters in Personalangelegenheiten“. Für die Übermittlung des Wortlauts der letzten Seite danke ic Frau Dr. Ines Kloke.

Nr. 53 - Erwähnung Pisendels in einer Reiseliste zur Fahrt nac Hubertusburg von September 1736

Fourier-Zeddel Vor die Königl. Opera. Von Dreßden nac Hubertsburg, Mens: Sept: 1736. [Rubriken mit hierarciscer Ordnung: Dire$teur des plaisirs von Breitenbauc und Gefolge, „Frauen-Zimmer.“, „Manns-Personen“, „Ferner Zum Orcestre.“] Ferner Zum Orcestre. geh. Se$ret. Pallavi$ini Venturini, Pindi, Sänger Ni$$olino, Cosimo, Pisendel, Con$ert Meister Ristori, Compositeur André, le Pere Buffardin,

453

Quanz, Rossi, […] Quelle: D-Dla, OHMA I, Nr. 49a, Königl: Reise von Dresden nac Hubertusburg fol. 249v.

1736.,

Nr. 54 - Erwähnung Pisendels im Kutscenverzeicnis zur Fahrt nac Hubertusburg am 4.10.1736 Fortkommen zur Opera. biß Hubertsburg. gehen ab 4. O$t: 1736 […] te

3.

Kutsce, Pisendel Buffardin, Quanz, Rossi. […] Quelle: D-Dla, OHMA I, Nr. 49a, Königl: Reise von Dresden nac Hubertusburg fol. 251.

1736.,

Nr. 55 - Endgültiges Kutscenverzeicnis zur Fahrt nac Hubertusburg von Anfang Oktober 1736 Fortkom[m]en zum Divertissement nac Hubertusburg, te

1.

Kutsce Sigri: Anna Negri. Rosa Negri. Sigr: Ristori und eine Butz-Frau tre 2. [andre] Kutsce Sigri: Ni$olini. Es bleibet ein Blatz leer – Bindi. – Cosimo. weil Herr Ni$olini in 4. Persohnen nict fahren kan te 3. Kutsce Sig: Pisendel. – Lehneis. – Knectel. – Ulic. […] Quelle: D-Dla, OHMA I, Nr. 49a, Königl: Reise von Dresden nac Hubertusburg fol. 253.

1736.,

454

Nr. 56 - Erwähnung Pisendels in einer Hubertusburger Tiscordnung von Anfang Oktober 1736 Italiäner und Tänzer. Erste Taffel. [hier auc der Ballettkomponist André, dessen Sohn (Tänzer) und der Violon$ellist Califano]

Musi$i. Andre Taffel. Mr: Pisendel. Con$ert Meister. Buffardin. Weis. Quantz. Rossi. Ricter. […] Quelle: D-Dla, OHMA I, Nr. 49a, Königl: Reise von Dresden nac Hubertusburg fol. 261f.

1736.,

Nr. 59 - Pisendel als Trauzeuge bei der Hoczeit seines Kapellkollegen August Uhlig am 14.1.1737

Dies Copulans Copulati Testes

14. [Januarius]

P.[ater] Micael Gruber D.[ominus] Augustinus Uhlig Königl: Cam[m]er-Musi$[us]. Virgo Joanna Catharina Ziegerin Dresdensis[!], filia eines Königl: Jagdt-Houtboistens[!]. D. Joan: Dismas Zelenka Königl: Capell-meister. D. Joan: Georg: Bishendel Königl: Con$ert-meister. Fr. Maria Josepha Reinin. Fr. Joanna Magdal: Wiedemannin.

Quelle: Katholisces Dompfarramt Dresden, Traubuc 1737 [ohne Foliierung und Numerierung].

Nr. 60 - Pisendel als Trauzeuge bei der Hoczeit seines Scülers und Kollegen Johann Joacim Quantz am 26.6.1737

Dies Copulans Copulati

26. [Junius]

P.[ater] Micael Gruber D.[ominus] Joan: Joacimus Quantz Musi$us Regius. D.a [Domina] Anna Rosina Scindlern vidua.

455

Testes

D. Joan: Bishendel Königl: Con$ert-Meister. D.a Anna Clara Pertlin Cam[m]er-Fr. beym Pr. Xaveri.

Quelle: Katholisces Dompfarramt Dresden, Traubuc 1737 [ohne Foliierung und Numerierung].

Nr. 62 - Eigenhändiges Attest Pisendels für die Pragreise des Hornisten Knectel vom 5.1.1739 Daß Herr Johan[n] Georg Knectel, Königl.r Cam[m]er Musi$us allhier, seiner Verrictung wegen nac Braag zureißen, auf 4 Wocen permission erhalten habe hiermit attestiren sollen. Johan[n] Georg Pisendel. Dreßden am 5.ten Januar: 1739 Quelle: D-Dla, OHMA I, Nr. 74, Ausgefertigte Päße in denen Jahren 1733.1735. et 1739, fol. 289.

1736.1737.1738.

Nr. 63 - Pisendel als Pate im Taufeintrag der Johanna Elisabeth Catharina Knectel (Tocter des Kapellhornisten Knectel) vom 25.11.1739

Dies Baptizans Baptizatus Parentes Patrini

25. [Novembris]

P.[ater] Henri$us Kessler. Johanna, Elisabeth, Catharina. D.[ominus] Joan: Georg: Knectl Lituista Regius. Mater. Joanna Sophia. D. Joan: Bishendel Königl: Con$ert-Meister. M.lle Elisabeth Cerini Cam[m]erdienerin bey der Pr: Elisab:

Quelle: Katholisces Dompfarramt Dresden, Taufbuc 1739 [ohne Foliierung und Numerierung].

Nr. 67 - Erwähnung Pisendels in einem Brief des Rudolstädter Hofmusikers Johann Wilhelm Gehring vom 25.11.1741 über seinen Dresdner Studienaufenthalt Durclauctigster Erb-Prinz Gnädigster Fürst- und Herr! Ew. Hoc Fürstl. Durcl: haben durc Herrn Recnungs-Rath von Sommer den hohen Befehl mir wissen zu laßen gnädigst gereicet, daß ic auf Weynacten mic in Rudolstadt einfinden und mit demjenigen, was ic bißhero allhier in der Musi$ profitiret unterthänigst aufwarten, nac einiger Zeit aber anhero wieder zurü%kehren solte. [fol. 58v] Nun erkenne zwar Ew: Hoc Fürstl: Durcl: durc dem[!] biß dahin

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verstatteten hiesigen Aufenthalt mir erzeigte besondere Gnade so wohl, als Deroselben mir ferne[r] dazu gnädigst gegebene Versicerung mit unterthänigstem Dank und mic in tiefster Ehrfurct verpflictet hat, wie allen Dero höcsten Befehlen, auc diesem desto lieber, als ic bey mir überzeügt bin, die bißherige Gnade und Zeit also angewandt zu haben, daß ic damit bestehen könnte, gehorsamst naczukom[m]en; Nacdem aber um jene Zeit just das meiste alhier zu profitiren, weil das Opern spielen den dritten Weyhnact Feyertag den Anfang nimt[!], und mir der Con$ert-Mstr Pishendel nebst andern selbst gerathen, diese Zeit nict zu versäumen. Als habe Ew: Hoc Fürstl: Durcl: in Unterthänigkeit vorzustellen mic unterwin[fol. 59]den wollen, wie ic bey sothaner hin- und wieder Reise das beste versäumen und alsden[n] wegen bald hernac einfallenden Fasten wenig Gelegenheit mehr etwas zu lernen und zu hören haben werde, mit der devotesten Bitte, Ew: HocFürstl: Durcl: wollen die große Gnade haben vor mic gnädigst zu erlauben, daß ic nur noc so lange, biß solce Opern vorbey seyn werden allhier verbleiben dörfe. Diese HocFürstl: Gnade werde sowohl, als alle andere, Zeit Lebens in dankbarsten Andenken veneriren, auc solce nur dazu anwende, damit durc unermüdeten Fleiß zu beßerer Bedienung in der Musi$ mic fähig und derselben würdig macen möge. Wie nun Ew: HocFürstl: Durcl: Generosite mir aus eigener Erfahrung allzu bekannt: also tröste mic auc einer gnädigsten Willfahrung meiner unterthänigsten Bitte und ersterbe mit tieffster Submission Durcl: ErbPrinz Ew: Hoc Fürstl: Durcl: Dresden den 25 Novembr[.] 1741. unterthänigster Johann Wilhelm Gehring. [Nacscrift, fol. 59v] Auc Durclauctigster ErbPrinz Gnädigster Fürst und Herr!

hätte ic versciedene scöne Musi$alien vor Fleut-Travers, und Fagot so wohl auc Symphonien und andere Sacen bekommen können, wenn ic nur hier und da ein kleines Dou$eur zu macen im Stande gewesen wäre; allein dasjenige was Ew: Hoc Fürstl: Durcl: an Gelde gnädigst gewilliget und reicen laßen, habe ic wegen hiesiger theürer Zehrung zu meinen eigenen Unterhalt höcst nöthig, und deßwegen nicts entbehren können. Stelle also zu höcsten Gefallen, ob Ew: Hoc Fürstl: Durcl: dergleicen Stü%e anzuscaffen gnädigst befehlen und in solcen Fall mir dazu einiges Geld besonders übermacen laßen wollen. Quelle: D-RUl, Geheimes Rats$ollegium Rudolstadt, Sign. A XV 4e Nr. 1, A$ta Die Bestallungen derer HoffMusi$orum betr. 1732-1767, fol. 58f.

Nr 70 - Charakterisierung Pisendels als Ansbacer Scüler in einem Brief seines ehemaligen Mitscülers Johann Matthias Gesner vom 9.4.1744

Erat inter nos $ommilitones ($uius quamquam aliquantum iunioris fortasse ipse etiam re$ordaris) homo a litteris reliquis aliquantum alienus, sed qui enixam in musi$is, feli$issimamque, operam ponebat: hi$ iam tum eloquutionis etiam musi$ae ($ompositionem vo$ant artifi$es) initia arripuerat, et dum di$tata de philosophia,

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aut materiem orationis s$ribebant alii, suum $odi$em notis musi$is implebat, et manibus pedibusque metiebatur numeros. Non erat ita hebes Prae$eptor noster, vt non animadueret, illum alia omnia agere: sed quod illum mallet aliud agere, quam nihil agere, (ho$ est frustra et inuita Minerua tra$tare alias litteras) prudenter dissimulabat. Hi$ egregius non ita multo post Musi$us fa$tuas hodie eminet in eo genere in ipsis prin$ipibus, et lu$rosiorem expertus est eam artem, quam mille alii litteras. Quelle: Gesner 1745, 240. (Der Göttinger Separatdru% aus dem Jahr 1744, der 32 Seiten umfaßt, konnte nict eingesehen werden.)

Nr. 71 - Personalvorscläge Pisendels in einem Brief des Dire$teur des plaisirs von Breitenbauc an August II. vom 21.9.1744

Monseigneur, J’ose rapporter a Vôtre Exellen$e par $elle $i la mort d’un se$ond Hautbois nommé Seyffert, qui trois $ens ans de pension, la [fol. 78v] femme de Blocwitz, mort il y a du tems, en brique une petite part, disant que Vôtre Exellen$e a eu la bonté de lui en faire la promesse a la premiere va$an$e. Pisendel se plaint de $e que Mrss. Carassi et Besozzi osoient esperer quelque augmentation a $ette o$$asion, il souhaiteroit fort d’avoir un bon hautbois a la pla$e du defunt, Ricter êtant vieux et melancolique, Wilhelm Hugo maladit, le jeune [fol. 79] Zin%e foible dans le mêtier et Mr. Besozzi se $roiant au dessus des servi$es ordinaires, de sorte qu’il ne pouvoit $ompter que sur Lacmann tout seul. J’ai l’honneur d’être tout ma vie ave$ la plus grande veneration et le profond respe$t Monseigneur de Vôtre Exellen$e le tres humble et tres obeissant serviteur Henri Auguste de Breitenbauc mp a ma Campagne de Scortlebes[?] $e 21 Sept 1744 Quelle: D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1740-1764, fol. 78f.

Nr. 72 - Personalvorscläge Pisendels in einem Brief des Dire$teur des plaisirs von Breitenbauc an August II. vom 28.9.1744

Monseigneur, Je n’oserois pas in$ommoder Vôtre Exellen$e $e si souvent par mes lettres, si en$ores on ne me mandoit, qu’il y avoit une pla$e a rempla$er dans l’orcestre, et que le Hautbois [fol. 80v] Ricter s’etoit $oupé la gorge ave$ un rasoir le 25 du $ourant. Il l’a demandé a sa femme, disant, qu’il de pouvoit attendre jusque a demain son barbier ordinaire et qu’il se raseroit lui même. La femme le lui donne, il s’apprête, attace le mirroir a al fenêtre, la femme sort et lui se trouvant seul se donne un $oup si terrible,

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que la playe passoit quasi dun oreille a l’autre. Il y a quelque tems deja, qu’il a en de nouveaux a$$ès de melan$olie et il a avoué lui même a Pisendel, qu’il n’osoit porter ni epée ni $outeau. On ne l’a laissé seul pour $ela, [fol. 81] mais ageant depuis assisté a tous les servi$es fort reulierement quinze jours de suite, on s’est fié a lui. Pisendel Vous supplie, Monseigneur, de vouloir avoir la bonte de ne pas permettre, qu’un autre qu’un tres bon Hautbois soit reçu a l’orcestre, dont il avoit extremement besoin. J’ai l’honneur d’être ave$ un tres profond respe$t toute ma vie Monseigneur de Vôtre Exellen$e le tres humble et tres obeissant serviteur Henri Auguste de Breitenbauc mp a ma Campagne $e 28 Sept 1744. Quelle: D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1740-1764, fol. 80f.

Nr. 73 - Personalvorscläge Pisendels in einem Brief des Dire$teur des plaisirs von Breitenbauc an August II. vom 9.10.1744

Monseigneur, So j’ose en$ore presenter $es lignes a Vôtre Exellen$e, $’est que Pisendel m’a fait de tres fortes instan$es pour vous supplier, Monsieur, de vouloir faire re$evoir a l’orcestre, a la pla$e du defunt [fol. 82v] Seyffert et aux gages va$ans de trois $ens ans [diese Angabe ist am Rand angestricen] un nommé Wobst, qui a servi huit ans dans le regiment de Cailx[?] et six dans la $ompagnie de Hubertusbourg, ou il se trouve en$ore. Le même avoit deja fait passer ses requêtes pour Vôtre Exellen$e a Varsovie, Mr. Hass l’avoit entendu et desiré a l’orcestre a la penultieme va$an$e et Besozzi le lui avoit re$ommandé pour son ton et pour être fort dans la musique, de sorte que pour se$ond Hautbois on n’en trouveroit peut être gueres de meilleur. Pisendel ajoute, que n’ayant que des [fol. 83] invalides, il avoit extremement besoin d’un homme robuste et bientôt pour dresser et pour s’en pouvoir servir aux procaines fêtes de l’eglise, ou la musique portoit souvent des Trio, que sans $ela il auroit de la peine a remplir. Il ose souhaiter de plus, que, Vôtre Exellen$e voulût avoir la bonte de faire reserver [folgende Passage am Rand angestricen] les gages de Ricter pour un autre premier Hautbois ex$ellent, dans l’attente, qu’on pût en faire la de$ouverte, vu que Mr. Besozzi n’aimoit pas a se preter a tous les servi$es ne$essaires. J’ai l’honneur d’être avec tout le respect et toute la Veneration possible Monseigneur de Vôtre Exellen$e le tres humble et tres obeissant serviteur Henri Auguste de Breitenbauc mp a Leipzig $e 9 O$t. 1744. Quelle: D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1740-1764, fol. 82f.

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Nr. 76 - Zahlungsanweisung zur Erstattung von Pisendels Kosten bei der Neuanscaffung von Orcesterinstrumenten vom 13.4.1748 An das Genaral-A$$is-Collegium, […] 315 thl. 16 gl. –,, dem Con$ert-Meister Johann George Pisendel, zur WiederAnscaffung versciedener Instrumenten, an statt derer, so bey dem am 29. Jan. a.$. entstandenene Brande, mit dem kleinen Theatro verlohren gegangen, gegen Quittung, Quelle: D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1740-1764, fol. 151f.

Nr. 80 - „Re$ognitionscein“ zur Testamentseröffnung vom 17.5.1749 aus dem Naclaß Pisendels Des Allerdurclauctigsten Großmäctigsten Fürsten und Herrn, Herrn Friedric Augusti, Königes in Pohlen & Herzogens zu Sacßen & des Heil. Röml. Reics ErzMarscalls und Churfürstens, Landgrafens in Thüringen, Marggrafens zu Meißen & Burggrafens zu Magdeburg & Unsers allergnädigsten Herrn, Hof- und Justitien-Rath auc bestalter Ober-Amtmann und Amtmann zu Dreßden, Ic August Franz Essenius, und Ic Benjamin Friedric Screiber, uhrkunden und bekunden hiermit: Welcergestalt der Königl. Pohl. und Churfürstl. Säcßl. Con$ert-Meister Herr Johann George Pisendel, heute nac Mittage an Amts-Stelle in Person erscienen, und anbract wasmaßen Er seinen lezten Willen, wie es nac seinem Absterben mit seiner Verlaßenscafft gehalten werden solle, in Scrifften verfaßet, den Er bey hiesigen Amte zur gerictlicen Verwahrung niederlegen wolle; Worbey Er mir dem Amtmann ein mit seinen Petscafft einmahl versiegeltes Couvert, in des verpflicteten A$tuarii Herr Gottlob Friedric Wagners Gegenwart, überreicet, und zugleic mündlic de$larirt, daß darinne sein lezter Wille enthalten sey, mit [fol. 307v] Bitte, selbigen von Ihm anzunehmen, verwahrlic beyzulegen und ihm gewöhnlicen Scein darüber zuertheilen. Nacdem nun Herr Testator sic darzu nocmahln bekennet; Alß ist solces Testament von Ihm auf- und angenommen, beym Amte zu andern lezten Willen verwahrlic beygeleget, und darüber gegenwärtiger re$ognitionScein unter vorgedrü%ten größern Amts-Siegel und gewöhnlicer Unterscrifft ertheilet worden. So gescehen Amt Dreßden, am 17. Maj: 1749. [Papiersiegel] August Franz Essenius

Benjamin Friedric Screiber Gottlob Friedric Wagner A$tuar. Quelle: D-Dla, Amtsgerict Dresden – Lagerung – Nr. 3502, Amts Dresden Proto$oll-A$ta Über die allda publi$irten und zurü%genommenen Testamente Auf das Jahr 1755, fol. 307.

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Nr. 81 - Pisendel als Trauzeuge bei der Hoczeit des Kapelldieners Johann Gottfried Werner am 21.4.1750

Dies Copulans Copulati Testes

21. [Aprilis]

P.[ater] Joannes Kirstein Joan: Godef: Werner, Dresdensis, Capell-Diener apud orcestram. Luth: D.a [Domina] Marianna Nittlin, Wellni$ensis ex Bohema. D.[ominus] Joan: Adolph: Hasse. D. Georg: Bishendel Con$ertmeister. Fr. Faustina Hasse. Fr. Elis: Nitlin[!].

Quelle: Katholisces Dompfarramt, Dresden, Traubuc 1750 [ohne Foliierung und Numerierung].

Nr. 84 - Erwähnung Pisendels in einer anonymen Streitscrift Sceibes aus dem Jahr 1751 […] Von dem Herrn Con$ertmeister Graun ist es wahr, daß derselbe bey seinem

Aufenthalt in Italien den Tartini ein halbes Jahr besucet hat. Er gestehet aber aufrictig, daß er bey seiner Rü%kunft nacer Dresden weniger als vorher gefallen, und, um wiederum Beyfall zu erlangen, zum Gescma%e des berühmten Pisendels, seines ehemaligen Lehrers, zurü%kehren müssen. Quelle: Anonymus [Johann Adolph Sceibe], Gedan%en über die Welscen Tonkünstler, Halberstadt 1751, 20. Zur Zuscreibung dieser Streitscrift an Sceibe vgl. Köpp BJ 2003.

Nr. 88 - Sterbeeintrag Pisendels vom 29.11.1755 im Bestattungsregister der Dresdner Kreuzkirce November, Anno 1755 [Symbol: Sonnabend] 29. Herr Johann George Pissendel, Königl. Conzert Meister ledigen Standes, 68 Jahr alt, gestorben den 25. Nov. Nacts, an Ste%- und Sclagfl. an[!] Alten Markte in Hl. Horns Hauße, Nacmittags nac St. Joh. in die Raths Grufft, vorher 1. Pulß geläuten, entrictet, 7. thlr. 21 gl. – wovon 1. thlr. 4 gl. – pro Con$ione [für die Predigt], und was sonst gewöhnl. erat fu.[nus solenne]. Quelle: Evangelisc-Lutheriscer Kircengemeindeverband Dresden, Kircenbucamt, Bestattungsregister der Kreuzkice Dresden (Altstadt), Jahrgang 1755, fol. 54b.

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Nr. 91 - Erwähnung des Todes von Pisendel und Besoldung seines Nacfolgers Fran$es$o Maria Cattaneo vom 16.7.1756

Fran$is$us Cattaneo, der ietzige Con$ert-Meister bekom[m]t des verstorbenen Bisendels Gage, à 1200 thlr. –.–. und fängt an, den 1. Januar : 1756 Quelle: D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1740-1764, fol. 302.

Nr. 92 - Zahlungsanweisung vom 16.7.1756 zur Erhöhung von Cattaneos Gehalt nac dem Tod Pisendels An das General-A$$is-Collegium […] Demnac die Unserer General-A$$is-Casse an Gehalts-Zulagen, dem bisherigen Cammer-Violinisten und nunmehrigen Con$ert-Meister, Fran$es$o Maria Cattaneo, zu seinem bereits per$ipirenden Tra$tament an 833. Thlr: 8 gl: 366. Thlr: 16 gl: – vom Anfange dieses Jahres an, […] von denen Besoldungen, so nac Absterben des Con$ert-Meisters Johann George Pisendel, denen Musi$orum, Johann Christoph Reicel und [Fortsetzung fol. 308] Arcangelo Califano, […] in Gnaden zugetheilet und geeignet haben; […] Dreßden, den 16: July, 1756. [Unterscriften „A.R.“ und „HvBrühl “ gezeicnet durc den Kanzlisten Vieth] Quelle: D-Dla, Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 1740-1764, fol. 301f.

462

ANHANG II: WERKVERZEICHNIS In seinem Berict über die Kompositionen Pisendels (V67, 288) erwähnt Johann Friedric Agri$ola „einige Violin$on$erte, und einige scöne Con$erti grossi, deren eines und zwar besonders scönes, er, zur Einweihung der neuen katholiscen Hofkirce in Dresden gesetzet hat. Ferner hat man von ihm versciedene Violin-Solos, ingleicen einige vierstimmige wohlausgearbeitete Instrumentalfugen für die Kirce, dergleicen dann und wann unter der Messe anstatt der Con$erte gespielet werden.“ Das folgende Verzeicnis bietet einen Überbli% über die bislang identifizierten Werke Pisendels. Dieses Verzeicnis wurde notwendig, weil seit der Dissertation von Jung 1956, die ganz den Kompositionen Pisendels gewidmet war, neun weitere Werke identifiziert werden konnten. Unter diesen befinden sic vier Konzerte, die von Fecner 1999, 282-287, ausführlic bescrieben worden sind. Damit erhöhte sic die Zahl der bekannten Violinkonzerte auf elf. Da Fecner seine Untersucung jedoc auf Instrumentalkonzerte des Dresdner Repertoires bescränkt hat, fehlt ein Verzeicnis, das auc die übrigen inzwiscen aufgefundenen Kompositionen Pisendels umfaßt. In jüngster Zeit konnten nämlic zu den zwei bekannten Violinsonaten Pisendels fünf weitere Sonaten für Violine und Generalbaß hinzugefügt werden, die aus dem gleicen Repertoire stammen und dort bislang als anonyme beziehungsweise Geminiani zugescriebene Werke inventarisiert waren. Damit bestätigen sic die oben zitierten Angaben Agri$olas, der jedoc zusätzlic zu „einigen“ Violinkonzerten und „versciedenen“ Violinsonaten auc „einige vierstimmige wohlausgearbeitete Instrumentalfugen für die Kirce“ aufzählt, von denen erst eine identifiziert werden konnte. Nac den jüngsten Erfahrungen mit den Violinsonaten ist zu erwarten, daß eine entsprecende Sictung des Repertoires auc hier weitere Werke zutage fördern wird. So befinden sic unter den anonym überlieferten Instrumentalwerken aus „Scran% No: II.“ einige Stimmensätze, die – wie das Pisendel zugewiesene „Trio“ Mus. 2321N-2 – aus einer Fuge mit langsamer Einleitung bestehen und deren große Besetzung auf eine Aufführung im Rahmen des Hofgottesdienstes scließen läßt. Während die Stimmen der Fugensätze von Dresdner Hofnotisten angefertigt wurden, sind die kurzen Einleitungen regelmäßig von Pisendel in allen Stimmen nacgetragen worden. Es liegt daher nahe, zumindest diese Einleitungssätze als Kompositionen Pisendels anzusehen. Bei einer Zuordnung der zugehörigen Fugen an Pisendel ist dagegen größte Vorsict angebract, denn im Fall der Handscrift Mus. 2410-Q-25 (olim Mus. 2-N-19,4) konnte nacgewiesen werden, daß es sic um eine Umarbeitung von Georg Friedric Händels früher Triosonate F-Dur HWV 392 handelt. Dieses Beispiel zeigt, daß ein Werkverzeicnis Pisendels solange als vorläufig betractet werden muß, bis die systematisce Untersucung des gesamten instrumentalen Repertoires aus „Scran% No: II.“ abgesclossen ist. Da auc eine Untersucung der Scriftentwi%lung Pisendels, für die es trotz seiner auffallend stabilen Handscrift genügend Anhaltspunkte gibt, leider noc fehlt, ist es nict möglic, eine Chronologie der autographen Werke Pisendels zu erstellen. Das folgende Werkverzeicnis orientiert sic daher an den gültigen Signaturen der

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Säcsiscen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, zumal eine Überlieferung von Pisendels Kompositionen außerhalb des Dresdner Repertoires aus den oben dargelegten Gründen kaum zu erwarten ist. Ausnahmen betreffen Freundesgaben Pisendels, die sic möglicerweise im Berliner Repertoire erhalten haben (vgl. oben Abscnitt II, 6. „Eigene Akzente im Instrumentalrepertoire der Hofkapelle“). Da Fecners Katalog der Instrumentalkonzerte Pisendels ebenfalls der Ordnung nac Signaturen folgt, wurde dessen Katalogisierungsscema auf das Verzeicnis der Orcester- und Kammermusikwerke übertragen. Auf diesem ausführlicen Katalog basieren auc die folgenden Angaben zu den Violinkonzerten und „Con$erti grossi“ Pisendels, die nur in Einzelfällen erweitert oder berictigt wurden. Die Informationen des Werkverzeicnisses sind wie folgt aufgebaut: Gültige Signatur (im Fall einer Umsignierung wird auc die Altsignatur genannt) Diese Signaturen wurden bei der cronologisc-historiscen Neuordnung der Bestände in den Jahren 1926-30 eingeführt und setzen sic zusammen aus einer vom Geburtsdatum des Komponisten abhängigen Kennziffer (2421 für Pisendel, 2 für Anonyma), einem Bucstaben für die Werkgattung (O = Konzerte und Konzertstü%e, N = Orcesterwerke, R = Werke für ein Streicinstrument allein oder mit Basso $ontinuo) und einer Ziffer für die laufende Numerierung innerhalb der Gattung. Nac Angaben des Leiters der Musikalienabteilung der SLUB Herrn Dr. Karl Wilhelm Ge%, dem für die Umsignierung der neuerding identifizierten Werke Pisendels herzlic gedankt sei, können diese Ziffern „springen“, weil im Bli% auf möglicen Zuwacs Lü%en gelassen wurden. (Altsignatur der Königlicen Privat-Musikaliensammlung) Diese Signaturen wurden nac der Wiederentde%ung der Instrumentalmusikalien im „Scran% No: II.“ der Katholiscen Hofkirce ab $a. 1865 von dem damaligen Kustos der Sammlung Moritz Fürstenau vergeben und orientieren sic an der Scrank-Ordnung des 18. Jahrhunderts. Mit den Bucstaben „Ca“ wurden solce Musikalien versehen, die als besonders wertvoll erkannt und in den Repräsentativ-Teil der Sammlung eingegliedert wurden; die übrigen Musikalien erhielten die Bucstaben „Cx“.

Originaltitel Falls ein originaler Kopf- oder Haupttitel vorhanden ist, wird dieser in diplomatiscer Wiedergabe zitiert. Besonderes Augenmerk verdient das für Pisendel typisce Segenszeicen „α//ω.“, das in der Mitte der Kopfzeile oder am Anfang des Titels ersceint. Bescreibender Titel Der bescreibende Titel enthält Angaben zur Gattung und Besetzung der Komposition, die über die Gattungs-Bucstaben der Signatur hinausgehen; dabei wird „Basso $ontinuo“ durc „B.$.“ abgekürzt. Tonart – Konkordanz Jung 1956: Neben der Tonart wird auc die von Jung 1956 für sein Pisendel-Werkverzeicnis gewählte Nummer wiedergegeben, wenngleic seine auf Gattungen basierende

464

Systematik wegen der Vielzahl der von Pisendel vorgenommenen Umarbeitungen – alle Gruppenkonzerte sind beispielsweise aus Violinkonzerten entstanden – unübersictlic wirkt.

Originale Satz- und Taktbezeicnungen Die originalen Satzbezeicnungen werden ebenfalls in diplomatiscer Wiedergabe zitiert. Eventuell abweicende Bezeicnungen (etwa innerhalb eines Stimmensatzes) werden in Klammern angeführt. Auc die originalen Taktbezeicnungen werden genau wiedergegeben, denn eine Untersceidung zwiscen 3 und 3   4 oder zwiscen , 2 und , die in modernen Editionen häufig unterbleibt, trägt zur stilistiscen und metriscen Einordnung des Satzes bei. Auf die Wiedergabe von Satzanfängen wurde verzictet, da entsprecende Notenin$ipits bei Jung 1956, Treuheit 1987 und Fecner 1999 greifbar sind. Art der Quelle Hier wird zwiscen Partituren und Stimmensätzen sowie zwiscen Arbeitsmaterialien und Reinscriften unterscieden und vermerkt, wie groß der autographe Anteil der Handscrift ist. Auf eine äußerlice Bescreibung der Quelle wird verzictet. Bemerkungen: Angaben zu beteiligten Screibern, zu konkordanten Werken, zur Art der Bearbeitung durc Pisendel usw. finden sic in den abscließenden Bemerkungen, ebenso wie Hinweise auf die von Jung 1956 vorgenommenen musikaliscen Analysen. Im Fall der Konzerte werden hier die ausführlicen Angaben aus dem Katalog Fecners 1999 zusammengefaßt und gegebenenfalls ergänzt. Konkordanzen: Konkordanzen ergeben sic in der Regel nur innerhalb des Dresdner Repertoires und erheben – wie das Verzeicnis insgesamt – keinen Anspruc auf Vollständigkeit.

465

K ONZERTE Mus. 2421-O-1 (Ca 7a)

α//ω Con$erto. a 5. für Solovioline, Streicer und B.$. G-Dur Jung: I, 4,a [ohne Satzbezeicnung]  – Largo 3 – all: 3 o

Autographe Partitur (Reinscrift mit Ergänzungen von Pisendels Hand) Bemerkungen: Dem Notentext der Partitur entsprict der Stimmensatz Mus. 2421O-1a. Die Ergänzungen Pisendels in der Partitur (Bögen, Vorhalte, Triller) fanden Eingang in den Stimmensatz Mus. 2421-O-1b. Das für Pisendel typisce Signum „α//ω.“ ersceint im Titel dieser Handscrift tatsäclic ohne den abscließenden Punkt. Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 117ff, 159ff, 189ff. Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-1a b) D-Dl Mus. 2421-O-1b $) (D-Dl Mus. 2421-O-2) nur Ritornelle

Mus. 2421-O-1a (Cx 706)

Con$erto für Solovioline, Streicer, Fagott und B.$. G-Dur Jung: I, 4,b Allegro  – Largo 3 – all:o 3 Stimmensatz (12 Stimmen, davon autograph: Basso Rip.) Bemerkungen: Stimmensatz zur Erstfassung nac der Partitur Mus. 2421-O-1. Die von den Hofnotisten Screiber A und D gescriebenen Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (tutti-solo-Vermerke, dynamisce Angaben, Triller, Instrumentenbezeicnungen, Bezifferung der Cembalo-Stimme). Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „vermutlic 1720er Jahre“ Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-1 b) D-Dl Mus. 2421-O-1b $) (D-Dl Mus. 2421-O-2) nur Ritornelle

466

Mus. 2421-O-1b (Cx 705)

Con$erto für Solovioline, Streicer, 2 Hörner, 2 Oboen, Fagott und B.$. G-Dur Jung: I, 4,$ Allegro  – andante  – all:o 3 Stimmensatz (13 Stimmen, davon autograph: Solo-Violine, Horn 1, Horn, Oboe1/ Satz I und II, Oboe2/Satz I und II) Bemerkungen: Stimmensatz zur Zweitfassung (mit neuem Mittelsatz) nac Ergänzungen Pisendels in der Partitur Mus. 2421-O-1. Die von den Hofnotisten Screiber A und D gescriebenen Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (dynamisce Angaben, Triller, Vortragsbezeicnungen Sostenuto). In die Stimme der Solo-Violine hat Pisendel Verzierungsskizzen in der typiscen „Pünktcennotation“ eingetragen, z.T. auf beiliegendem Papierstreifen. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „etlice Jahre später“ als Mus. 2421-O-1a Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-1 b) D-Dl Mus. 2421-O-1a $) (D-Dl Mus. 2421-O-2) nur Ritornelle

Mus. 2421-O-2 (Cx 698)

Con$erto für 2 Hörner, 2 Oboen, Fagott, Streicer und B.$. G-Dur Jung: II, 2 Allegro  Stimmensatz (19 Stimmen, davon autograph: – ) Bemerkungen: Stimmensatz zur Umarbeitung als einsätziges Gruppenkonzert, bei dem nur die Ritornell-Thematik beibehalten wurde. Die von dem Dresdner Notisten Johann Gottlieb Haußstädtler gescriebenen Stimmen enthalten keine Durcsictsvermerke Pisendels mit Ausnahme der Initiale „P “, die er auf seinem Exemplar der Vl. 1 eintrug. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „kaum vor 1750“ Konkordanzen: a) (D-Dl Mus. 2421-O-1) nur Ritornelle b) (D-Dl Mus. 2421-O-1a) nur Ritornelle $) (D-Dl Mus. 2421-O-1b) nur Ritornelle

467

Mus. 2421-O-3 (Cx 699)

α//ω. Con$erto a Violino Con$ertant: 2 HH. VV. v Basson e Org. für Solovioline, 2 Oboen, Fagott, Streicer und B.$. (Orgel) G-Dur Jung: I, 6,a

Grave 3 – Moderato

2 4

(unvollst.)

Unvollständige autographe Partitur (Reinscrift mit Ergänzungen von Pisendels Hand) Bemerkungen: Die Reinscrift dieses offenbar für die Kirce bestimmten, zweisätzigen Konzerts ist aus unbekannten Gründen nict vollendet worden. Die zahlreicen Diminutions- und Änderungsvermerke Pisendels sind nict in den Stimmensatz Mus. 2421-O-3a eingegangen. Zur musikaliscen Analyse von Satz II vgl. Jung 1956, 133ff. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „um 1740?“ Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-3a

Mus. 2421-O-3a (Cx 699)

Con$erto. für Solovioline, 2 Oboen, Fagott, Theorbe bzw. Orgel, Streicer und B.$. (Cembalo bzw. Orgel) G-Dur Jung: I, 6,a Adagio 3 – Allegro

2 4

Stimmensatz (20 Stimmen, davon autograph: Organo sowie Skizzen für den Oberstimmenverlauf des 1. Satzes auf der Rü%seite von Vl. 1) Bemerkungen: Stimmensatz der Zweitfassung mit versciedenen Ausführungsmöglickeiten mit oder ohne Orgel (vgl. Fecner 1999, 265). Die von dem Hofnotisten Screiber D gescriebenen Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (tutti-solo-trio-Vermerke, dynamisce Angaben, zahlreice Generalbaßziffern). In die Stimme der Solo-Violine, die im ersten Satz mit der Baßstimme unterlegt ist, hat Pisendel Verzierungsskizzen eingetragen. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-3

Mus. 2421-O-4 und Mus. 2421-O-4a siehe unten, „Ausgesciedene Werke“

468

Mus. 2421-O-5 (Ca 7a Nr. 3)

α//ω. Con$erto â Violino Con$: 2 Hautb. 2 Violini Viola e Basso. für Solovioline, 2 Oboen, Fagott(e), Streicer und B.$. D-Dur Jung: I, 5,a

Viva$e [adagio – andante – Viva$e] 3 – Andante  – all:o

3 8

Autographe Partitur (Reinscrift mit Ergänzungen von Pisendels Hand) Bemerkungen: Die Reinscrift enthält autographe Änderungsvermerke zur Figuration der Bläser und stimmt weitestgehend mit Satz I und II des Stimmensatzes Mus. 2421-O-5a überein. Anhand des stark ausgearbeiteten Satz III dagegen wird deutlic, daß es sic hierbei um eine Neufassung handelt. Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 122ff, 140ff. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: Stimmensatz „gegen 1725“, Partitur „aus etwas späterer Zeit“ Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-5a

Mus. 2421-O-5a (Cx 703) Konzert für Solovioline, 2 Oboen, Fagott, Streicer und B.$. D-Dur Jung: I, 5,b

Viva$e [Largo piano. / andante – Allegro / Viva$e] 3 – andante  – allegro / allegro assai 38 Stimmensatz (18 Stimmen, davon autograph: Solo-Vl. sowie je 1 Exemplar Vl. 1, Vl. Va., Basson R.[ipieno] und einzelne Sätze in Oboe 1 und 2 und Fagott)

2,

Bemerkungen: Dieser Stimmensatz der Erstfassung, zu der keine Partitur vorliegt, wurde von dem Hofnotisten Screiber D in einem sehr frühen Scriftstadium erstellt und enthält zahlreice Ergänzungen Pisendels, die „weit über das sonst üblice Maß seiner Durcsictsvermerke hinausgehen“, vgl. Fecner 1999, 268. In die Stimme der Solo-Violine hat Pisendel zahlreice Verzierungsskizzen in untersciedlicen Stadien eingetragen. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „gegen 1725“ Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-5

469

Mus. 2421-O-6,1 (Cx 701, zusammen mit Mus. 2421-O-6,2 / -6a / -6b)

α//ω. [von Moritz Fürstenau hinzugefügt: „Nr. 1.“] Konzertsatz für Solovioline, 2 Hörner, 2 Oboen, Fagott, Streicer und B.$. D-Dur Jung: I, 7,a

Viva$e  Autographe Partitur (Arbeitspartitur) Bemerkungen: Die Partitur dieses einsätzigen Konzertes enthält zahlreice autographe Streicungen und Änderungsvermerke und stellt nac Fecner „den ältesten Teil der erhaltenen Werküberlieferung dar“, vgl. Fecner 1999, 269. Die von Manfred Fecner entde%te, anonym überlieferte Sonate, die in den E%sätzen mit der Konzertfassung übereinstimmt, ist jedoc noc früher zu datieren, vgl. die Anmerkungen zu Mus. 2421-R-9 (olim Mus. 2-R-8,45). Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 128ff, 168ff, 195ff, 217ff. Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-6a / Mus. 2421-O-6b b) (D-Dl Mus. 2421-O-6,2) unvollständig $) (D-Dl Mus. 2421-R-9) nur E%sätze

Mus. 2421-O-6,2 (Cx 701, zusammen mit Mus. 2421-O-6,2 / -6a / -6b)

α//ω. [von Moritz Fürstenau hinzugefügt: „Nr. 2.“] Konzert (Fragment) für Solovioline, 2 Hörner, 2 Oboen, Streicer, Fagott und B.$. D-Dur Jung: I, 7,b bzw. II, 3 [ohne Satzbezeicnung]  – [ausgestricen: „adagio.“ darüber von Pisendel:] Largo. 3

Autographe Partitur (Arbeitspartitur) Bemerkungen: Die fragmentarisce Arbeitspartitur zeigt eine Fassung als Gruppenkonzert enthält zahlreice autographe Streicungen und Änderungsvermerke, auc mit Bleistift. Diese Fassung ist „aller Wahrsceinlickeit nac in enger zeitlicer Nacbarscaft“ zum Violinkonzert (Mus. 2421-O-6,2) entstanden, vgl. Fecner 1999, 272. Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 128ff, 168ff, 195ff, 217ff. Konkordanzen: a) (D-Dl Mus. 2421-O-6,1 / Mus. 2421-O-6a / Mus. 2421-O-6b) b) (D-Dl Mus. 2421-R-9) nur E%sätze

470

Mus. 2421-O-6a (Cx 701, zusammen mit Mus. 2421-O-6,1 / -6,2 / -6b)

Violino Con$ert: Konzert für Solovioline, 2 Hörner, 2 Oboen, Fagott, Streicer und B.$. D-Dur Jung: – Viva$e  – andante  – all:o 3 – andante  Autographe Einzelstimme Bemerkungen: Diese Einzelstimme enthält zahlreice Verzierungsskizzen in untersciedlicen Stadien („Pünktcennotation“ sowie genaue Notierung) und gehörte möglicerweise zu einem verlorenen, älteren Stimmensatz. Auc hier ist die Solostimme mit einem Baß-System unterlegt, in das Pisendel ebenfalls Verzierungen eingetragen hat. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „mit großer Wahrsceinlickeit noc vor dem unter Mus. 2421-O-6b verwahrten Stimmensatz“ entstanden Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-6/1 / Mus. 2421-O-6b b) (D-Dl Mus. 2421-O-6/2) unvollständig $) (D-Dl Mus. 2421-R-9) nur E%sätze

Mus. 2421-O-6b (Cx 701, zusammen mit Mus. 2421-O-6/1, -6/2, -6a)

Con$erto. für Solovioline, 2 Hörner, 2 Oboen, Streicer, Fagott, und B.$. (Cembalo bzw. Orgel) D-Dur Jung: I, 7,$ Viva$e  – andante  – all:o 3 Vollständiger Stimmensatz (16 Stimmen, davon autograph: Solo-Vl., Organo transposto., Organo.) Bemerkungen: Dieser Stimmensatz wurde hauptsäclic von dem Hofnotisten Screiber A erstellt und enthält nur sporadisce Ergänzungen Pisendels. Die zwei untersciedlicen Orgel-Stimmen deuten auf eine Aufführung in zwei versciedenen Kircen hin, vgl. Fecner 1999, 271. Auf der Rü%seite der Organo transposto.Stimme hat Pisendel eine Kadenz skizziert, die offensictlic zu einem Konzert in G-Dur gehört. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: Screiber A(3) „vermutlic nac 1733/34“ Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-6,1 / Mus. 2421-O-6a b) (D-Dl Mus. 2421-O-6,2) unvollständig $) (D-Dl Mus. 2421-R-9) nur E%sätze

471

Mus. 2421-O-7 (Ca 7a)

α//ω. Con$erto à 5. [von anderer Hand ergänzt:] Pisendel für Solovioline, Streicer und B.$. Es-Dur Jung: I, 3,a

all:o e Sostenuto  – andante  – all:o

3 8

Autographe Partitur (Reinscrift mit Änderungen und Rasuren von Pisendels Hand) Bemerkungen: Dem ursprünglicen Notentext der Partitur entsprict der Stimmensatz Mus. 2421-O-7b. Die Änderungen Pisendels in der Partitur (vor allem eine Verdictung der Ripien-Stimmen betreffend) fanden Eingang in den Stimmensatz Mus. 2421-O-7a. Auf freien Notenlinien am Ende finden sic Diminutionsskizzen in mehreren Scicten. Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 115ff, 162f, 186f. Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-7a b) D-Dl Mus. 2421-O-7b $) (D-Dl Mus. 2421-O-7$) nur Satz 1 d) (D-Dl Mus. 2421-O-8 / D-Dl Mus. 2421-O-8a) nur Satz 1

Mus. 2421-O-7a (Cx 708, zusammen mit Mus. 2421-O-7$)

Con$erto für Solovioline, Streicer und B.$. Es-Dur Jung: I, 3,b all:o e sostenuto / non tanto Allegro  – andante  – allegro

3 8

Stimmensatz (5 Stimmen, davon autograph: Violino Con$ert:) Bemerkungen: Stimmensatz der Zweitfassung, die als „vermutlic endgültige Fassung“ des Violinkonzerts bescrieben wird (vgl. Fecner 1999, 275). Die von dem Notisten Screiber M gescriebenen Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (z.B. alle Generalbaßziffern in Basso). In die Stimme der Solovioline, die im zweiten Satz mit der Baßstimme unterlegt ist, hat Pisendel Verzierungsskizzen eingetragen. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „1740er Jahre“ Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-7 b) D-Dl Mus. 2421-O-7b $) (D-Dl Mus. 2421-O-7$) nur Satz 1 d) (D-Dl Mus. 2421-O-8 / D-Dl Mus. 2421-O-8a) nur Satz 1

472

Mus. 2421-O-7b (Cx 707)

Con$erto für Solovioline, Streicer, Fagott und B.$. Es-Dur Jung: I, 3,$ Allegro e sostenuto / non tanto Allegro, e Sostenuto  – andante  – Allegro 38 Stimmensatz (7 Stimmen, davon autograph: Violino Con$ertino teilweise, Basso 2x, Bassono R.) Bemerkungen: Stimmensatz der ursprünglicen Partiturfassung (Mus. 2421-O-7). Die von den Hofnotisten Screiber A und Screiber D gescriebenen Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (dynamisce Angaben, einige tuttiVermerke). Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „zwiscen 1728 und 1733“ Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-7 b) D-Dl Mus. 2421-O-7a $) (D-Dl Mus. 2421-O-7$) nur Satz 1 d) (D-Dl Mus. 2421-O-8 / D-Dl Mus. 2421-O-8a) nur Satz 1

Mus. 2421-O-7$ (Cx 708, zusammen mit Mus. 2421-O-7a)

Con$erto Konzertsatz für 2 Oboen, Fagott, Streicer und B.$. Es-Dur Jung: II, 1 Allegro  Unvollständiger Stimmensatz (5 Stimmen, davon autograph: – ) Bemerkungen: Unvollständiger Stimmensatz der älteren Version des einsätzigen Konzerts, das die Tuttithematik aus Mus. 2421-O-7 verwendet. Wo Radierspuren in der späteren, autographen Partitur Mus. 2421-O-8 erkennbar sind, weict diese Version häufig ab. Die von dem Hofnotisten Screiber D gescriebenen Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (dynamisce Angaben, einige SostenutoVermerke). Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-8 b) D-Dl Mus. 2421-O-8a

473

Mus. 2421-O-8 (Cx 697, zusammen mit Mus. 2421-O-8a)

α//ω. Con$erto â 2 Hautb. $on$ert. [von anderer Hand hinzugefügt:] Pisendel. Konzertsatz für 2 Oboen, Fagott, Streicer und B.$. Es-dur Jung: II, 1

Allegro  Autographe Partitur (Arbeitspartitur) Bemerkungen: Die Arbeitspartitur enthält neben zahlreicen Änderungen Pisendels auc Skizzen für zwei neue Hornpartien, die in keinen der erhaltenen Stimmensätze (siehe Konkordanz) eingegangen sind. Möglicerweise ist eine Version mit obligaten Hörnern jedoc nac Berlin gelangt und im Bestand der Singakademie erhalten geblieben, vgl. Welter 1966, 42. Entgegen der Angabe von Fecner 1999, 278, der das Signum im Titel als „α/ω“ las, zeigt die Handscrift die für Pisendel typisce Screibweise mit zwei Scrägstricen und abscließendem Punkt. Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 97, 210ff. Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-7$ b) D-Dl Mus. 2421-O-8a

Mus. 2421-O-8a (Cx 697, zusammen mit Mus. 2421-O-8)

Con$erto Konzertsatz für 2 Oboen, Fagott, Streicer und B.$. Es-dur Jung: II, 1 Allegro  Stimmensatz (17 Stimmen, davon autograph: – ) Bemerkungen: Die von dem Hofnotisten Screiber D gescriebenen Stimmen, die der Partitur Mus. 2421-O-8 entsprecen, wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (vor allem dynamisce Angaben, Benutzervermerk Pisendels: „P “). Aufgrund der Entstehungszeit der Stimmen vermutet Fecner, daß dieser Konzertsatz zur Einweihung der Katholiscen Hofkirce in Dresden erklang, vgl. Fecner 1999, 279. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „kaum vor 1750“ Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-O-7$ b) D-Dl Mus. 2421-O-8a

474

Mus. 2421-O-9 (Cx 702) [ohne Titel] Konzert für Solovioline, Streicer und B.$. Es-dur Jung: I, 2

Allegro  – Largo  – Viva$e

6 8

Stimmensatz (5 Stimmen, davon autograph: – ) Bemerkungen: Die von dem Hofnotisten Screiber A gescriebenen Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (dynamisce Angaben, tutti-solo-Vermerke). „Ob Pisendel tatsäclic der Komponist dieses Werkes ist, kann mit letzter Sicerheit nict entscieden werden“, denn die Zuweisung an Pisendel erfolgt nur aufgrund des Umsclagtitels aus „Scran% No: II.“, der um 1765 hergestellt wurde, vgl. Fecner 1999, 279. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „bis $a. 1733“ Konkordanzen: –

Mus. 2421-O-10 (Cx 696)

Con$erto für Solovioline, 2 Oboen, Streicer, Fagott und B.$. g-Moll Jung: I, 1,b Largo 3 – Allegro  – Largo  – Allegro 3 Vollständiger Stimmensatz (15 Stimmen, davon autograph: Organo) Bemerkungen: Stimmensatz zur zeitlic früheren Partitur Mus. 2421-O-11, die den Sclußsatz – eine Konzertfuge – noc nict enthält, vgl. Fecner 1999, 281. Die von dem Hofnotisten Screiber D gescriebenen Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (dynamisce Angaben, Triller, einige Generalbaßziffern). In die Stimme der Solovioline, die im dritten Satz mit der Baßstimme unterlegt ist, hat Pisendel Verzierungsskizzen eingetragen, die teilweise bereits in der Partitur enthalten sind. Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 93ff, 110ff, 147ff, 182ff. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „bis gegen 1730“ Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-11

475

Mus. 2421-O-11 (Cx 521)

P [der ursprünglice Namenszug durc Rasur entfernt] α//ω. Con$erto. a 5. / da Chiesa. [von anderer Hand hinzugefügt:] Hendel. für Solovioline, 2 Oboen, Streicer, Fagott und B.$. g-Moll Jung: I, 1,a Largo e sta$$ato. 3 – Allegro.  – Largo.  – [„Segue l’Allegro“] Autographe Partitur (Kompositionspartitur) Bemerkungen: Die ursprünglic G. F. Händel zugewiesene Partitur, die zahlreice Radierspuren und Korrekturen Pisendels enthält, wurde bereits von Hans Rudolf Jung 1956 als Werk Pisendels erkannt. Der zugehörige Stimmensatz Mus. 2421-O-10 ist wahrsceinlic etwas später entstanden, denn er umfaßt noc eine Konzertfuge als Sclußsatz, während in der Partiturfassung offenbar der zweite Satz am Ende wiederholt werden sollte. Die Verzierungsskizzen zum dritten Satz hat Pisendel teilweise in die Stimme der Solovioline übertragen. Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 93ff, 110ff, 147ff, 182ff. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-10

Mus. 2421-O-12 (olim Mus. 2731-O-1) (Cx 310, zusammen mit Mus. 2421-O-12a)

α//ω. Con$erto da Camera. [von anderer Hand mit Rötel hinzugefügt:] 1 Gya für Solovioline, Streicer und B.$. B-Dur Jung: –

all:o  – Moderato 3 – all:o 2 Autographe Partitur (Kompositionspartitur) Bemerkungen: Die ursprünglic G. A. Giay zugewiesene Partitur, die zahlreice Radierspuren und Korrekturen Pisendels enthält, wurde von Ortrun Landmann als Werk Pisendels erkannt. Der zugehörige Stimmensatz Mus. 2421-O-12a stimmt mit der Arbeitspartitur überein. Verzierungsskizzen Pisendels auf dem letzten Blatt sind nict in die Stimme der Solovioline eingegangen. Am Scluß notierte Pisendel den Segenswunsc „SDG “ (Soli Deo Gloria). Die Bezeicnung Con$erto da Camera. Bezieht sic vermutlic auf die dreistimmige Begleitung mit ungeteilter Violinstimme, vgl. auc Mus. 2421-O-13. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-12a

476

Mus. 2421-O-12a (olim Mus. 2731-O-1) (Cx 310, zusammen mit Mus. 2421-O-12)

Con$erto da Camera für Solovioline, Streicer und B.$. B-Dur Jung: – all:o  – Moderato 3 – all:o 2 Vollständiger Stimmensatz (7 Stimmen, davon autograph: – ) Bemerkungen: Die von dem Hofnotisten Screiber D erstellten Stimmen entsprecen dem letzten Stand der Arbeitspartitur Mus. 2421-O-12a und wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (vor allem dynamisce Angaben, Triller). Verzierungsskizzen Pisendels auf dem letzten Blatt sind nict in die Stimme der Solovioline eingegangen. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-12

Mus. 2421-O-13 (olim Mus. 2-O-1,49) (Cx 1259, zusammen mit Mus. 2421-O-13a und Mus. 2421-O-13b)

α//ω. Con$erto da Camera à Violino Con$. Violino, Viola e Basso [ausradiert: „del Pisendel “ ] für Solovioline, Streicer und B.$. F-Dur Jung: –

all:o / non tanto All:o  – Larghetto

6 8

– all:o assai 3

Autographe Partitur (Kompositionspartitur) Bemerkungen: Die ursprünglic anonym geführte Partitur wurde von Manfred Fecner als Werk Pisendels erkannt. Die beiden zugehörigen Stimmensätze Mus. 2421-O-13a und 2421-O-13b stimmen vollkommen mit der Partitur überein. Verzierungsskizzen Pisendels in der Solovioline sind nict in die entsprecenden Stimmen eingegangen. Die Bezeicnung „da Camera.“, die Pisendel offensictlic erst nacträglic unterhalb des Wortes „Con$erto“ hinzufügte, bezieht sic vermutlic auf die dreistimmige Begleitung mit ungeteilter Violinstimme, vgl. auc Mus. 2421-O-12. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-13a / Mus. 2421-O-13b

477

Mus. 2421-O-13a (olim Mus. 2-O-1,49) (Cx 1259, zusammen mit Mus. 2421-O-13 und Mus. 2421-O-13b) 2./ Con$erto da Camera. / à / Violino Con$. / Violino / Viola / e / Basso. für Solovioline, Streicer und B.$. F-Dur Jung: –

all:o / non tanto All:o  – Larghetto

6 8

– all:o assai 3

Vollständiger Stimmensatz (5 Stimmen, davon autograph: Violino. Con$ertante., Violino, Basso beziffert) Bemerkungen: Die zwei von einem singulären Vivaldi-Screiber erstellten Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (dynamisce Angaben, Triller, einige Satzbezeicnungen). Die Verzierungsskizzen Pisendels in der Solovioline stimmen nict mit denen aus Mus. 2421-O-13 und Mus. 2421-O-13b überein. Die von Pisendel gescriebene Continuo-Stimme ist als Umsclag des Stimmensatzes gestaltet und trägt den oben zitierten Originaltitel. Da Pisendel am Ende jedes Satzes die Taktzahl vermerkte, diente dieser Stimmensatz offenbar als Kopiervorlage für den zweiten Stimmensatz Mus. 2421-O-13b. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-13 / Mus. 2421-O-13b

Mus. 2421-O-13b (olim Mus. 2-O-1,49) (Cx 1259, zusammen mit Mus. 2421-O-13 und Mus. 2421-O-13a)

Con$erto da Camera für Solovioline, Streicer und B.$. F-Dur Jung: – all:o / non tanto All:o  – Larghetto

6 8

– all:o assai 3

Vollständiger Stimmensatz (7 Stimmen, davon autograph: – ) Bemerkungen: Die von den Hofnotisten Screiber A und Screiber D erstellten Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (dynamisce Angaben, Triller, einige Satzbezeicnungen). Die Verzierungsskizzen Pisendels in der Solovioline stimmen nict mit denen aus der Partitur Mus. 2421-O-13 und dem Stimmensatz Mus. 2421-O-13a, der als direkte Vorlage diente, überein. Datierung Fecners aufgrund der Screiberanalyse: „Screiber A(1)“ [= „vor 1733/34“] Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-13 / Mus. 2421-O-13a

478

Mus. 2421-O-14 (olim 2-O-1,52) (Cx 1269)

α//ω. Konzertsatz für Solovioline, Streicer und B.$. a-Moll Jung: – [ohne Satzbezeicnung]

Autographe Partitur (Kompositionspartitur) Bemerkungen: Der ursprünglic anonym überlieferte Konzertsatz im Stil Vivaldis wurde von Manfred Fecner als Werk Pisendels erkannt. Neben zahlreicen Korrekturen Pisendels stellen einstimmige Skizzen Pisendels möglicerweise Entwürfe zu weiteren Sätzen dar. Die auf italienisces Papier gescriebene Partitur wurde von Antonio Vivaldi durcgesehen und korrigiert (z.B. Begleitfiguren). Damit stellt es „das bislang einzig bekannte Belegstü% dar, das Pisendels Scülerscaft bei A. Vivaldi 1716/17 in Venedig unmittelbar beweist“, vgl. Fecner 1999, 285. Konkordanzen: —

Mus. 2421-O-15 (olim Mus. 2-O-24) (Mus. C. Og. 17)

α//ω. [von anderer Hand hinzugefügt:] Con$erto. Konzert für Solovioline, Streicer und B.$. e-Moll Jung: –

Adagio  – Allegro [– Adagio]  – Allegro

2 4

Autographe Partitur (Arbeitspartitur) Bemerkungen: Die ursprünglic anonym überlieferte Partitur wurde von Ortrun Landmann als „eigenes Werk Pisendels oder zumindest [als] starke Bearbeitung eines fremden“ erkannt (Vermerk Landmanns im Zettelkatalog der Säcsiscen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden). Aufgrund der zwei zugehörigen anonym überlieferten Stimmensätze Mus. 2-O-1,41a und Mus. 2-O-1,41b, von denen der erste als Vorlage für Pisendels Partitur diente, geht Fecner dagegen davon aus, daß es sic „mit hoher Wahrsceinlickeit nict um ein von Pisendel komponiertes Werk handelt“, vgl. Fecner 1999, 286. Entgegen den Angaben in Fecners Katalog ist die Partitur jedoc nict mit „α/ω.“, sondern mit der für Pisendel typiscen Screibweise „α//ω.“ gekennzeicnet. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2-O-1,41a / Mus. 2-O-1,41b

479

Mus. 2-O-1,41a (Cx 1247, zusammen mit Mus. 2-O-1,41b)

Con$erto. Konzert für Solovioline, Streicer und B.$. e-Moll Jung: – Adagio  – Allegro [– Adagio]  – Allegro

2 4

Unvollständiger Stimmensatz (4 Stimmen, davon autograph: – ) Bemerkungen: Der anonym überlieferte Stimmensatz wurde von Manfred Fecner als Vorlage für Pisendels Partitur Mus. 2421-O-15 identifiziert. Die von einem singulären Screiber erstellten Stimmen wurden mit Ausnahme der Solostimme von Pisendel durcgesehen und um dynamisce Angaben ergänzt. Zu Zweifeln an der Autorscaft Pisendels vgl. Mus. 2421-O-15. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-15, Mus. 2-O-1,41b

Mus. 2-O-1,41b (Cx 1247, zusammen mit Mus. 2-O-1,41a)

Con$erto. Konzert für Solovioline, Streicer und B.$. e-Moll Jung: – Adagio  – Allegro [– Adagio]  – Allegro

2 4

Stimmensatz (8 Stimmen, davon autograph: Violino Con$ertante., Violino Primo., Violino Primo. / Hautb., Violino Se$ondo., Viola., Basso Ripieno., Cembalo. beziffert) Bemerkungen: Der im wesentlicen von Pisendel gescriebene, zweite Stimmensatz zur Partitur Mus. 2421-O-15 wurde von Manfred Fecner identifiziert und ist trotz geringfügiger Abweicungen auf der Grundlage dieser Partitur erstellt worden. Die von einem singulären Screiber ergänzte Stimme Baßso Ripieno zeigt keine Durcsictsvermerke Pisendels. Zu Zweifeln Fecners an der Autorscaft Pisendels vgl. Mus. 2421-O-15. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-O-15

480

O RCHESTERWERKE

Mus. 2421-N-1 (Cx 691)

Sinfonia. für 2 Oboen, 2 Hörner, 2 Flöten, Streicer, Fagott und B.$. B-Dur Jung: III, 1 Allegro di molto.  – Andantino. [$on sordini.] 3 [– Trio. alternativement.] 4

2 4

– Tempo di Menuet

Stimmensatz (19 Stimmen, davon autograph: Corno 1.mo, Corno 2.do) Bemerkungen: Die von dem Dresdner Notisten Johann Gottlieb Haußstädtler erstellten Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (Bindebögen, Abstoßzeicen). Pisendel bescrieb außerdem sämtlice scmalen, zwei Takte umfassenden Notenstreifen, die in jede Stimme (mit Ausnahme der Fagott-Dublette fol. 64) als neuer Scluß aufgeklebt worden sind und ein secstaktiges Largo. $ ersetzen, mit dem der erste Satz ursprünglic endete. Die von Pisendel gescriebenen Hornstimmen zeigen bereits die zweite Fassung ohne abscließendes Largo. Ein Exemplar der Vl. 1 (fol. 1) hat Pisendel mit seinem Benutzerinitial „P.“ gekennzeicnet. Zur musikaliscen Analyse des Werkes vgl. Jung 1956, 236ff. Konkordanzen: –

Mus. 2421-N-2 (Cx 694)

Sonata. [lt. Umsclagtitel „ No: II.“: Trio.] für 2 Oboen, Streicer, Fagott und B.$. $-Moll Jung: III, 2, a Largo. 34 – Allegro.  Stimmensatz (17 Stimmen, davon autograph: – ) Bemerkungen: Der von dem Dresdner Notisten Johann Gottlieb Haußstädtler gescriebene Stimmensatz ist später zu datieren als der Stimmensatz Mus. 2421-N-2a und enthält zwei Versionen: In 16 Stimmen umfaßt das Largo 43 Takte und wurde mittels Überklebung auf 24 Takte gekürzt. Von dieser gekürzten Version fertigte Haußstädtler eine vierte Violino I. Stimme an, die der Konzertmeister Cattaneo zwiscen 1756 und 1758 mit seinem Benutzerinitial „C “ kennzeicnete. Das Material

481

weist keine Eintragungen von Pisendels Hand auf. Die Zuweisung an Pisendel erfolgt aufgrund des Umsclagtitels aus „Scran% No: II.“. Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 246ff. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-N-2a

Mus. 2421-N-2a (Cx 695)

Sonata [lt. Umsclagtitel „ No: II.“: Trio] für 2 Oboen, Streicer, Fagott und B.$. $-Moll Jung: III, 2, b Largo 3 – allegro  Stimmensatz (14 Stimmen, davon autograph: – ) Bemerkungen: Der von dem Hofnotisten Screiber D gescriebene Stimmensatz enthält Rasuren und Korrekturen Pisendels im Largo, Takt 5-8, und am Ende der Viola.-Stimme im Allegro. Alle Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (Zusatz „o Hautb.“ zu je einer Stimme Vl. 1 und Vl. 2, sowie einzelne Artikulationszeicen, Triller und dynamisce Angaben). Eine Exemplar der Vl. 1 (fol. 6) hat Pisendel mit seinem Benutzerinitial „P.“ gekennzeicnet. Nac den Untersucungen von Jung 1956, 247, ist die überklebte Version von Mus. 2421-N-2 nict identisc mit der vorliegenden, so daß insgesamt drei Fassungen unterscieden werden können. Da die Komposition auf einen Triosatz (2 Vl. und B.$., vgl. auc den Umsclagtitel aus „ No: II.“) reduziert werden kann, erhebt sic die Frage nac der Rolle Pisendels als Komponist oder lediglic als Bearbeiter des zugrunde liegenden Trios, vgl. Poppe 2000 II, 297 Anmerkung 17. Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 246ff. Konkordanzen: D-Dl Mus. 2421-N-2

482

S ONATEN

Mus. 2421-R-1 (Cx 693)

α//ω. Violino Solo. Sonate für Violine und B.$. e-Moll Jung: IV, 1

Largo.  – Moderato.  – Scerzando. 3 Autographe Partitur (Arbeitspartitur) Bemerkungen: Diese sehr flüctig gescriebene Fassung der Sonate e-Moll fußt auf der älteren, bereits mit Korrekturen versehenen Reinscrift Mus. 2421-R-5 und enthält darüber hinaus zahlreice Rasuren und Änderungsvermerke von Pisendels Hand. Der dritte Satz der Vorlage ist entfallen, und die stark überarbeiteten Sätze II und IV haben neue Satzbezeicnungen erhalten. Das Signum „α//ω.“ zeigt eine ungewöhnlice Form in Pisendels Handscrift (kantiges „alpha“ und weit ausgescwungene Scrägstrice). Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 261ff. Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-R-5 b) D-Dl Mus. 2421-R-6

Mus. 2421-R-2 (Cx 692)

Sonata à Violino Solo Senza Basso di Pisendel. Solosonate für unbegleitete Violine a-Moll Jung IV, 2 o [ohne Satzbezeicnung]  – all: 3 – Giga. [– Variationen.]

6 8

Autograph (Reinscrift) Bemerkungen: Die Reinscrift dieser tecnisc ansprucsvollen Sonate ist außergewöhnlic genau bezeicnet (Artikulationszeicen, bogentecnisce Anweisungen, Verzierungszeicen, Dynamik) und weist einige Korrekturen von Pisendels Hand auf. Scon früh wurde in dieser Komposition ein Vorbild für Bacs Sonaten und Partiten vermutet, vgl. Studeny 1911, 4. Die neuzeitlice Bibliotheks-Paginierung entsprict nict der von Pisendel vorgesehenen Satzfolge, wie an seinem Zusatz „Seq.[itur] la Giga.“ auf Seite 4 zu erkennen ist. Die korrekte Seitenfolge lautet: 1-43-2. Zur musikaliscen Analyse vgl. Jung 1956, 256ff. Konkordanzen: (G. P. Telemann, Der getreue Musi$-Meister, Hamburg 1728, 49) nur Giga

483

Mus. 2421-R-5 (Cx 1419)

Violino Solo. Sonate für Violine und B.$. e-Moll Jung: – Largo.  – all:o  – arioso.

6 8

– Gigue.

9 8

Autographe Partitur (Reinscrift mit Änderungen Pisendels) Bemerkungen: Anders als die spätere Fassung umfaßt diese frühe Reinscrift noc einen weiteren langsamen Satz: arioso. Sie enthält Generalbaß-Ziffern und dynamisce Angaben. In und neben die Noten sowie auf freie Notenlinien hat Pisendel zahlreice Änderungen eingetragen, die er teilweise in die Arbeitspartitur Mus. 2421-R-1 übernommen hat. Konkordanzen: a) (D-Dl Mus. 2421-R-1) ohne Satz III b) (D-Dl Mus. 2421-R-6) ohne Satz III

Mus. 2421-R-6 (Cx 1412)

Violino Solo. Sonate für Violine und B.$. e-Moll Jung: – Largo.  – Moderato.  – Scerzando. 3 Partitur (Reinscrift) Bemerkungen: Diese Abscrift des Dresdner Hofnotisten Screiber D stellt eine Reinscrift der Arbeitspartitur Mus. 2421-R-1 dar. Sie ist dem Dru%bild eines Notenstices nacempfunden („$ome la stampa“) und könnte als Präsentationsexemplar angefertigt worden sein. Die Triller und einige Artikulationszeicen (Bindebögen und Abstoßzeicen), die über die Arbeitspartitur hinaus gehen, sind von Pisendel nacgetragen worden. Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2421-R-1 b) D-Dl Mus. 2421-R-5

484

Mus. 2421-R-9 (olim Mus. 2-R-8,45) (Cx 1346)

Violino Solo. Sonate für Violine und B.$. D-Dur Jung: – all:o [– ad:o – all:o]  – Larghetto. 68 – all:o 3 Autographe Partitur (Reinscrift) Bemerkungen: Die anonym überlieferte Sonate wurde von Manfred Fecner als Komposition Pisendels identifiziert. Entgegen den Angaben von Fecner 1999, 269, stimmt die Sonate nict nur im ersten, sondern auc im letzten Satz über weite Stre%en mit der Konzertfassung überein. Sie enthält einzelne Generalbaß-Ziffern und dynamisce Angaben (auc im Baß). Die falsce Notierung der Triolen als 32tel, die Form des Baßsclüssels und das italienisce Wasserzeicen „tre lune“ deuten darauf hin, daß die Sonate früher zu datieren ist als die älteste Konzertfassung, vgl. Bemerkungen zu Mus. 2421-O-6,1. Konkordanzen: a) (D-Dl Mus. 2421-O-6a / Mus. 2421-O-6b) nur E%sätze b) (D-Dl Mus. 2421-O-6,1 / Mus. 2421-O-6,2) nur E%sätze

Mus. 2421-R-12 (olim Mus. 2-R-8,31) (Cx 1332)

Violino Solo. Sonate für Violine und B.$. Es-Dur Jung: – ad:o  – all:o  – Larghetto. 68 – all:o 128 Autographe Partitur (Reinscrift) Bemerkungen: Die anonym überlieferte Sonate wurde von Martina Graulic und Peter Wollny als Komposition Pisendels identifiziert und weist keine erkennbaren Korrekturen auf. Dagegen ist im ersten Satz, der mit einem mehrtaktigen Generalbaßsolo beginnt und scließt, eine Oberstimme für den Generalbaß skizziert. Am Ende der spärlic bezifferten Sonate befinden sic nict identifizierte Kompositionsskizzen. Konkordanzen: ?

485

Mus. 2421-R-15 (olim Mus. 2201-R-10) (Cx 320)

α//ω. [von Moritz Fürstenau hinzugefügt:] di Geminiani. Sonate für Violine und B.$. g-Moll Jung: –

Larghetto. 3 – all:o  – Largo. 38– allegro. 3 Autographe Partitur (Reinscrift mit zahlreicen Korrekturen Pisendels) Bemerkungen: Die ehemals Geminiani zugescriebene Sonate wurde von Kai Köpp identifiziert. Sie enthält neben zahlreicen autographen Korrekturen auc Kompositionsskizzen, die sic auf eine Sonate in E-Dur beziehen (vgl. Bemerkungen zu Mus. 2421-R-18). Die Zuscreibung erfolgt aufgrund des Signums „α//ω.“, der Kompositionsskizzen Pisendels und stilistiscer Kriterien. Unterstützt wird diese Zuscreibung durc die Tatsace, daß die Sonate im Geminiani-Werkverzeicnis als Fehlzuscreibung eingestuft wird, vgl. Careri 1993, 293. Was den Kustos der Musikaliensammlung Moritz Fürstenau im 19. Jahrhundert dazu bewogen hat, diese Sonate Geminiani zuzuscreiben, ist nict bekannt. Ein früher Benutzer notierte bei den Korrekturen Pisendels die ursprünglice Lesart mit Bleistift an den Blattrand, wohl in der Meinung, eine Komposition Geminianis von Pisendels Veränderungen zu bereinigen. Auf dem letzten Blatt vermerkte er: „In dieser Sonate ist wieder ausradirt u. verändert. In allen Fällen sceint das Ausradirte das Rictige zu sein.“ Konkordanzen: ?

Mus. 2421-R-18 (olim Mus. 2-R-8,24) (Cx 1325)

Sonata à Violino Solo. Sonate für Violine und B.$. E-Dur Jung: – Largo.  – allegro non tanto. 3 – allegro assai.

2 4

– Largo. 3

Autographe Partitur (Reinscrift mit zahlreicen Korrekturen Pisendels) Bemerkungen: Die anonym überlieferte Sonate wurde von Kai Köpp aufgrund der entsprecenden Kompositionsskizzen Pisendels in der Sonate g-Moll Mus. 2421-R15 identifiziert. Sie enthält neben zahlreicen autographen Veränderungen und Streicungen auc fremde Korrekturen in einer möglicerweise italieniscen Handscrift (vor allem in den Baßfiguren). Da diese Handscrift weder Vivaldi noc Heinicen zugeordnet werden kann (freundlice Mittelung von Herrn Prof. Dr. Micael Talbot), käme vielleict Pisendels Römiscer Lehrer Antonio Montanari in Frage. Das abscließende Largo hat Pisendel auf die verbleibenden freien Notenzeilen in deutlic engerer Scrift notiert; möglicerweise sollte es als dritter Satz dienen. Ausgestricene Kompositionsskizzen zum ersten Satz finden sic auf Seite 6. Konkordanzen: (D-Dl Mus. 2421-R-15) Skizzen

486

Mus. 2421-R-21 (olim Mus. 2-R-8,58) (Cx 1360)

α//ω. Sonata. Sonate für Violine und B.$. E-Dur Jung: –

adagio.  – Allegro.  – adagio. 32 – all:o 38 Autographe Partitur (Reinscrift) Bemerkungen: Die anonym überlieferte Sonate wurde von Kai Köpp aufgrund von Pisendels Signum „α//ω.“ identifiziert. Sie enthält nur eine einzige GeneralbaßZiffer, jedoc keine der üblicen Verzierungsskizzen oder Korrekturen Pisendels, mit Ausnahme kleiner Rasuren im Sclußsatz. Scriftgröße, Papier, deren stark verblicenes Ersceinungsbild sowie das Papierformat weicen auffallend von den übrigen Sonaten ab. Die verscnörkelte und verzierte Initiale Pisendels im Titelwort „Sonata.“ deutet auf eine frühe Entstehungszeit der Handscrift hin. Konkordanzen: ?

Mus. 2421-R-24 (olim Mus. 2201-R-11a) (Cx 1384)

Violino Solo. Sonate für Violine und B.$. $-Moll Jung: – Largo. 3 – allegro.  – Si$iliana.

12 8

– Allegro. 3

Autographe Partitur (Reinscrift mit geringen Korrekturen Pisendels) Bemerkungen: Die anonym überlieferte Sonate wurde von Kai Köpp aufgrund der Korrekturen Pisendels, der äußerlicen Übereinstimmung mit Mus. 2421-R-9 und Mus. 2421-R-12 (Papier, Format) sowie aufgrund stilistiscer Kriterien als Komposition Pisendels identifiziert. Die mit Tinte eingetragenen Korrekturen finden sic vor allem in der Baßlinie. Die Sonate ist durcgehend beziffert (besonders ausführlic Si$iliana. und Allegro.) und enthält auc dynamisce Angaben Pisendels. Unklar bleibt, aufgrund welcer Überlegungen diese Sonate von ihrem Bearbeiter Ferdinand David im 19. Jahrhundert als ein Werk Geminianis herausgegeben wurde. Im Geminiani-Werkverzeicnis wird die Sonate als Fehlzuscreibung eingestuft, vgl. Careri 1993, 293. Konkordanzen: ?

487

Z UGESCHRIEBENE W ERKE

Mus. 2-Q-23 (Cx 1544)

Imitation des Cara$teres de la Danse 1. Violino Mr Pisendel Ballett-Szene für 2 Oboen, 2 Flöten, Streicer und B.$. $-Moll Jung: – Loure 64 – Rigaudon Rondeau lentement  – Passepied Gay Con$ertino presto 3

2

6 8

– Canarie 68 – Bourée 2 – Musette – Polonoise majestuesement[!] 3 –

Stimmensatz (5 Stimmen, davon autograph: Anteile an Basse de Violon, 1. Violino, haute$ontre, Taille) Bemerkungen: Die anonym überlieferte Ballett-Szene wurde von Ortrun Landmann Pisendel zugescrieben, vgl. Landmann 1980, Anm. 35. Die handscriftlicen Anteile Pisendels betreffen mit Ausnahme der Taille jeweils die gesamte letzte Seite einer Stimme zeigen einen sehr flüctigen Scriftduktus, der auf große Eile – vielleict auf Änderungen in letzter Minute – hindeutet. Hieraus mag Landmann gesclossen haben, daß es sic nict um eine bloße Abscrift, sondern um eine Komposition Pisendels handelt. Alle Stimmen wurden von dem Dresdner Notisten Johann Gottlieb Haußstädtler gescrieben und von Pisendel sparsam ergänzt (einzelne Abstoßzeicen sowie Satz-, Instrumenten- und Vortragsbezeicnungen). Von der Partie der Taille scrieb Pisendel nur Instrumentenangabe und die ersten zwei Zeilen und wurde dann von Haußstädtler abgelöst, dessen Scrift auffallend viele Screibfehler aufweist (fol. 7) und noc rect ungeübt ersceint. Flöten und Oboen erhalten keine eigene Stimme, sondern sind in der 1. Vl. als Instrumentierungsanweisung enthalten: „Musette hautbois.“, „Passepied [auf zwei Systeme verteilt:] Flutes / hautbois“, „Polonoise Violons.“ Sollte es sic um eine Komposition Pisendels handeln, wäre dies als ein Beispiel für den von ihm beherrscten französiscen Stil zu werten. Als Vorbild diente offenbar die 1715 uraufgeführte Ballett-Szene Les Chara$tères de la Danse von Jean-Ferry Rebel (D-Dl Mus. 2146-N-2). Konkordanzen: ?

Mus. 2-R-3,2 (BWV 1024) (Cx 1406)

Sonata à Violino Solo è Basso per il Cem- / balo. Sonate für Violine und B.$. $-Moll Jung: –

488

Adagio.  – Presto.  – Affettuoso.  – Viva$e.

3 8

Partitur (Abscrift) Bemerkungen: Der Screiber des Dresdner Manuskripts ist nict identifiziert, während der Screiber des anonymen Manuskripts, das der vorliegenden Sonate zugrunde liegt und in der Musikaliensammlung des Grafen Rudolph Franz Erwein von Scönborn-Wiesentheid aufbewahrt wird, von Ortrun Landmann mit Pisendel identifiziert werden konnte. Damit stellt sic die Frage, ob auc die Komposition selbst, die erst durc Ferdinand David im 19. Jahrhundert Johann Sebastian Bac zugescrieben wurde, von dem stilistisc einfühlsamen Pisendel stammen könnte. Obwohl in der einsclägigen Literatur gute Gründe gegen Bacs Autorscaft vorgebract worden sind (vgl. Literaturhinweise zu BWV 1024), weict die Sonate in stilistiscer Hinsict auc von den bekannten Generalbaß-Sonaten Pisendels ab. Solange keine weitere Sonate Pisendels mit Cembalobegleitung herangezogen werden kann und auc die „vierstimmigen wohlausgearbeiteten Instrumentalfugen“ Pisendels, von denen Agri$ola berictet, nict identifiziert sind, solange ist wohl auc über den Verfasser dieser im „gearbeiteten“ Stil gehaltenen Sonate kein abscließendes Urteil möglic. Konkordanzen: Sammlung des Grafen Rudolph Franz Erwein von ScönbornWiesentheid, Hs. Nr. 418.

[Mus. 2389-R-10,1]

Antonio Vivaldi, autographe Sonate für Violine und B.$. C-Dur RV 2 [Mus. 2389-R10,1] Suonata à Solo del Viualdi [später von Vivaldi dazwiscen gesetzt:] fatto p[er il] Ma:o [Maestro] Pisendel Darin: Einzelsatz für Violine und B.$. C-Dur Jung: –

Saraband all:o

3 8

Partitur von Pisendels Hand (Reinscrift) Bemerkungen: Die Zuordnung dieses von Pisendel gescriebenen Einzelsatzes an „Vivaldi oder Pisendel“ erfolgte durc Micael Talbot, während Heller 1982, 8, für die Herkunft dieses Satzes „keine Anhaltspunkte“ fand. Eine stilistisce Untersucung weist so deutlic auf Vivaldi, daß eine Komposition Pisendels nur als Stilstudie verstanden werden könnte. Für eine solce Deutung spräce zwar der von Pisendel komponierte Konzertsatz im Stil Vivaldis Mus. 2421-O-14; dieser weist jedoc – anders als die Saraband – eine Vielzahl von Korrekturen auf. Die einzige Korrektur im vorliegenden Satz (Takt 10) geht dagegen eindeutig auf einen Screibfehler zurü%, und ein weiterer Fehler in der Sequenzfolge (Takt 70) wurde von Pisendel gar nict erst berictigt. Wahrsceinlic hat Pisendel den Sonatensatz

489

1716/17 in Venedig aufgescrieben, denn er befindet sic auf einem Einzelblatt, auf das Vivaldi selbst die drei Sclußtakte seiner Sonate Mus. 2389-R-10,1 notiert hat, und könnte sic bereits darauf befunden haben, als Vivaldi das Blatt zur Beendigung seiner Komposition heranzog. Konkordanzen: ?

[Mus. 2410-Q-25] (olim Mus. 2-N-19,4)

(Cx 1511) a) Stimmensatz 1: Sonata. [lt. Umsclagtitel „Scran% No: II.“: Trio.] Triosonate für 2 Violinen und B.$. HWV 392 von Georg Friedric Händel F-Dur Jung: –

Andante  – Allegro  [– ad:o 3] – Adagio 34 – Allegro  [– Larghetto. Largo. 3]

3

/

Stimmensatz (3 Stimmen, davon autograph: langsame Sätze ad:o und Larghetto. / Largo.) Bemerkungen: Die anonym überlieferte Sonata. liegt in Stimmensatz 1 als vollständige Abscrift des Dresdner Hofnotisten Screiber P nac einer Triosonate vor, die von Gerhard Poppe als Komposition Händels HWV 392 identifiziert werden konnte (siehe Konkordanzen). Diesen Stimmensatz 1 verwendete Pisendel als Grundlage für die Herstellung von Stimmensatz 2 und fügte eigenhändig kurze Einleitungssätze ein: nac dem ersten Allegro ein 8taktiges ad:o und nac dem zweiten Allegro ein 10taktiges Larghetto. Das Larghetto. wurde in einem weiteren Stadium durc einen Papierstreifen mit einem 11taktigen Largo. überklebt. Konkordanzen: a) D-Dl Mus. 2410-Q-4 b) D-Dl Mus. 2-Q-20 b) Stimmensatz 2: Instrumental-Graduale nac der Triosonate HWV 392 für 2 Oboen, Streicer und B.$. (Orgel) F-Dur Jung: –

Allegro.  [– ad:o 3] – Adagio. 34 – Allegro  [– Larghetto 3 /. Largo. 3] Stimmensatz (10 Stimmen, davon autograph: langsame Sätze ad:o und Larghetto. / Largo. sowie Organo., Hautb. 1mo, Hautb. 2do) Bemerkungen: Der Stimmensatz 2 wurde aufgrund von Stimmensatz 1 von dem Dresdner Notisten Screiber M hergestellt, indem er von der Vorlage HWV 392 den ersten Satz wegließ. Alle Stimmen wurden von Pisendel durcgesehen und ergänzt (Instrumentenbezeicnungen, Triller, Bögen und Artikulationszeicen, dynamisce

490

Angaben). Auffallend ist die große Zahl der Dubletten für den Baß: neben einer bezifferten Basso $ontinuo-Stimme finden sic vier weitere Basso-Stimmen, dazu diejenige aus Stimmensatz 1 und die Organo.-Stimme. Wie in Stimmensatz 1 ergänzte Pisendel auc hier die kurzen Einleitungssätze ad:o und Larghetto in jeder Stimme. Später stric Pisendel das Larghetto. aus und ersetzte es durc den darunter notierten Largo.-Satz. Für diese dritte Version scrieb er eigenhändig zusätzlice Stimmen für 2 Oboen und Orgel. Anders als die Oboenstimmen mit vier Sätzen enthält die Organo.-Stimme jedoc nur das Satzpaar Largo 3 – Allegro , aus dem abgelesen werden kann, daß das ad:o als Einleitungssatz für das erste Allegro diente. Obwohl die Fugensätze von Gerhard Poppe als Kompositionen Händels identifiziert werden konnten, ist anzunehmen, daß die langsamen Einleitungssätze von Pisendel selbst hinzukomponiert worden sind, um die Werke im Rahmen der Dresdner Hofgottesdienste aufführen zu können. Konkordanzen: a) (D-Dl Mus. 2410-Q-4) nur Fugensätze b) (D-Dl Mus. 2-Q-20) nur Fugensätze

Mus. 2-N-19,5 (Cx 1514) [lt. Umsclagtitel „Scran% No: II.“: Trio.] Instrumental-Graduale für 2 Oboen, 2 Violinen, 2 Violen und B.$. F-Dur Jung: – [Adagio. ] – Allegro 

Stimmensatz (11 Stimmen, davon autograph: jeweils langsamer Satz Adagio.) Bemerkungen: Der von dem Dresdner Hofnotisten Screiber A gescriebene Stimmensatz einer 5stimmigen Fugenkomposition wurde von Pisendel um einen 14taktigen Adagio.-Satz erweitert, den Pisendel am unteren Blattrand nacgetragen hat. Die Satzfolge geht aus der bezifferten Cembalo-Stimme (fol. 10) hervor: im Anscluß an das Adagio. notiert Pisendel den Beginn der Fuge „all: o “ mit den unbezifferten Einsätzen von Viola 2 und Viola 1 im Altsclüssel, bevor der Baßsclüssel mit dem Hinweis „tutti“ auf die Fortsetzung am Blattanfang verweist. Ein Exemplar der Vl. 1Stimmen erweist sic als das von Pisendel benutzte, denn nur hier trug Pisendel den Fugenbeginn in der zweiten Violine mit Sticnoten ein. Obwohl der Komponist der Fuge nict identifiziert werden konnte, ist anzunehmen, daß zumindest der langsame Einleitungssatz von Pisendel hinzukomponiert worden ist, um das Werk im Rahmen der Dresdner Hofgottesdienste aufführen zu können. Konkordanzen: ?

491

Mus. 2-N-19,6 (Cx 1515) [lt. Umsclagtitel „Scran% No: II.“: Trio.] Instrumental-Graduale für 2 Oboen, 2 Violinen, 2 Violen und B.$. a-Moll Jung: – [Largo / adagio. ] – Allegro

6 8

Stimmensatz (10 Stimmen, davon autograph: jeweils langsamer Satz in Violino Primo und Viola 1. sowie Übergangstakte in Cembalo) Bemerkungen: Der von dem Dresdner Hofnotisten Screiber A gescriebene Stimmensatz einer 5stimmigen Fugenkomposition wurde von Pisendel um einen 13taktigen Largo-Satz erweitert, den Pisendel in den Stimmen Violino Primo und Viola 1. (hier jedoc mit der Bezeicnung adagio.) am unteren Blattrand nacgetragen hat. In allen übrigen Stimmen wurde das Largo von Screiber A nacgetragen. Die Satzfolge geht aus der bezifferten Cembalo-Stimme (fol. 9) hervor: im Anscluß an das Largo notiert Pisendel den Beginn der Fuge „all: o “ mit den unbezifferten Einsätzen von Viola 1 und Viola 2 im Altsclüssel, bevor der Baßsclüssel auf die Fortsetzung am Blattanfang verweist. Obwohl der Komponist der Fuge nict identifiziert werden konnte, ist anzunehmen, daß zumindest der langsame Einleitungssatz von Pisendel hinzukomponiert worden ist, um das Werk im Rahmen der Dresdner Hofgottesdienste aufführen zu können. Konkordanzen: ?

A USGESCHIEDENE W ERKE Mus. 2423-O-3a (olim Mus. 2421-O-4a) (Cx 700) sowie Mus. 2423-O-3b (olim Mus. 2421-O-4) (Cx 704)

Con$erto Konzertsatz für 2 Hörner, 2 Querflöten, 2 Oboen, 2 Fagotte, Streicer und B.$. D-Dur Jung: – Allegro  Bemerkungen: Bei diesem Konzertsatz, der in „Scran% No: II.“ unter dem Namen Pisendels aufbewahrt wurde, handelt es sic um den Kopfsatz eines Violinkonzerts von Johann Friedric Fasc (autographe Partitur D-Dl Mus. 2423-O-3), der – wie Hans Rudolf Jung erkannte – von Pisendel zu einem Gruppenkonzert umgearbeitet wurde und von dem zwei Fassungen erhalten sind, vgl. Jung 1956, 220ff, und Fecner 1999, 289ff. Konkordanzen: (D-Dl Mus. 2423-O-3) nur Satz I

492

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

B ENUTZTE A RCHIVALIEN Säcsisces Hauptstaatsarciv Dresden (D-Dla) Lo$. 383, Varia, Das Theater, die Italienisce Oper, die musi$alisce Capella und die Musik betreffend 1680-1784. Lo$. 383, A$ta Die Engagements einiger zum Theater gehöriger Personen u.s.w. betrl. ao. 1699 sq: [bis 1766]. Lo$. 383 Vol. I, Die Bande Frantzösiscer Comœdianten und Orcestra betr. ao 1703-1720. Lo$. 383 Vol. II, Französisce Comœdianten und Orcestra betr. ao 1721-33. Lo$. 744 vol. VI, Briefe des Palatins von Liefland, Graf Kos, aus versciedenen Orten Italiens, Deutsclands und Frankreics an den königl. poln. Residenten zu Rom, Baron Pucet, 1711-1717. Lo$. 758 Vol. VI, Ihrer Hoheit des Königl. Printzens, Friedric Augusts, Reise in frembde Länder betr. aô 1716-17 Dero Ankunft in Wien, und das am Kayserl.n Hofe gegen Ihro Königl. Hoheit gebraucte Ceremoniel betr. Lo$. 907, Die Italienisce Comœdianten und Orcestra betr. ao 1715.16.17.25.32. 33.34.37.49.54-56. Lo$. 907 Vol. I, Die Operisten, Musi$os, Sänger und andere zur Opera gehörige Personen betr. ao 1717.18.19.20. Lo$. 907 Vol. II, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Persohnen betrl. Aô 1733 seq. [bis 1739] und 1801.1802. Lo$. 907 Vol. III, Die Italiäniscen Sänger und Sängerinnen, das Orcestre, die Täntzer und Täntzerinnen, auc andere zur Opera gehörige Personen betr. Ao 17401764. Lo$. 910 Vol. I, A$ta, das Chur-Fürstl. Orcestre und dessen Unterhaltung ingleicen das grosse Opern-Haus und andere zum Departement des Dire$teur des Plaisirs gehörige Angelegenheiten betr. Anno [1711, 1717] 1764-68. Lo$. 3350, Briefe des Grafen de Villio zu Venedig an den Baron de Gaultier 1728, Sängerinnen und Kastraten für den Säcs. Hof betreffend. Lo$. 3350, Briefe von Thioly zu Warscau an den Baron de Gaultier zu Dreßden, und Depescen des letztern an S. M. 1729. Lo$. 3524 Vol. IV, Pohlnisce Reise-Cammer-Cassa Sacen Aô 1736. Von Januar: bis mit. April: Lo$. 4716 Vol. II, Allerhand Pässe Ao 1713-1740.

493

Lo$. 8575, Briefe der Künstler […] 1604/1756. Lo$. 11778, Bestallungen des Capell-Meisters David Pohlens. wie auc derer sämptl: zur Fürstl: Capelle gehörigen Musi$anten. Anno 1677-80 [Weißenfels]. Lo$. 11778/II, Bestallungen Anno 1677-1680 [Weißenfels] Lo$. 11778/III, Bestallungen Anno 1680ff.-1714 [Weißenfels] Lo$. 32452, Dresden Nr. 321, Fas$. Die Beym Königl. neuen Opern Hause ingleicen alter Redouten, Scieß- und Götter Saal befindlicen Inventarien Stü%e und was ferner darzu gekommen und ausgegeben worden. Vom 1. Januario bis ultimo De$ember. 1731. OHMA B, Nr. 20a: Heimführung des Chur-Prinzens zu Sacsen Herrn Friedric Augusts Frau Gemahlin Frauen Maria Josepha in Dreßden 1719 nebst denen dabey gehaltenen Festivitaeten. OHMA G, Nr. 18, Divertissements so in Moritzburg gehalten worden, Mense O$tobr. 1719, Carneval Divertissements. OHMA G, Nr. 32, Divertissements in Dreßden Jahr gehalten worden.

1731

und Journal So auf solces

OHMA I, Nr. 49a, Königl: Reise von Dresden nac Hubertusburg 1736. OHMA I, Nr. et 1739.

74,

Ausgefertigte Päße in denen Jahren

1733.1735.1736.1737.1738.

OHMA K 2, Nr. 4, Spe$ifi$ation aller Königl: Pohl: und Churfürstl. Säcßl: Hof— Bedienten, wie selbige sic im Monat Junio 1712 bis 1716 befunden (Hofbuc 1712-1716). OHMA K 2, Nr. 5, Königl: Pohl: und Churfürstl. Säcßl: Hoff-Buc von 1717 bis 1720 (Hofbuc 1717-1720). OHMA K 2, Nr. 6, Königl: Pohl: und Churfürstl. Säcßl: Hoff-Buc von 1721 bis (Hofbuc 1721-1725).

1725

OHMA K 2, Nr. 7, Königl: Pohl: und Churfürstl. Säcßl: Hoff-Buc von 1726 bis 1729, (Hofbuc 1726-1729). OHMA K 2, Nr. 8, Königl: Pohl: und Churfürstl. Säcßl: Hoff-Bediente von bis 1733 (Hofbuc 1730-1733).

1730

OHMA O I, Nr. 3, Journal so […] Oberhof-Marscall-Amt-zu Dreßden [Titelblatt abgerissen — das Journal enthält Angaben zu 1732-34]. OHMA O II, Nr. 1, Hof-Marscall-Amts-Journal so auf der Königl. Reise nac Warscau, und dann daselbst gehalten worden. 1734.1735.1736 samt zugehörigen Beylagen. Amtsgerict Dresden – Lagerung – Nr. 3502, Amts Dresden Proto$oll-A$ta Über die allda publi$irten und zurü%genommenen Testamente Auf das Jahr 1755. Hausarciv Friedric Christian, Naclässe Nr. 70 F, Briefe des Minister[!] von Brühl.

494

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