Jesus und die Ehebrecherin. Untersuchungen zur Text- und Überlieferungsgeschichte von Johannes 7,53–8,11

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Jesus und die Ehebrecherin. Untersuchungen zur Text- und Überlieferungsgeschichte von Johannes 7,53–8,11

Table of contents :
Vorwort
INHALTSVERZEICHNIS
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung: Problem und Aufgabe
Erster Teil: Die Ehebrecherinperikope in kanonischer Evangelienüberlieferung
Zweiter Teil: Die Ehebrecherinperikope in außerkanonischer Überlieferung
Dritter Teil: Ergebnisse
Exkurs I: Syrische und armenische Versionen der Ehebrecherinperikope
Exkurs II: Zitate aus Joh 7 53—8 11 bei Ambrosius und Augustinus
Literaturverzeichnis

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ULRICH B E C K E R J E S U S UND D I E E H E B R E C H E R I N

ULRICH B E C K E R

J E S U S UND DIE EHEBRECHERIN UNTERSUCHUNGEN ZUR TEXT- UND U B E R L I E F E R U N G S G E S C H I C H T E VON JOH. 753—811

1963 VERLAG

ALFRED

TÖPELMANN



BERLIN

BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR D I E N E U T E S T A M E N T L I C H E W I S S E N S C H A F T U N D D I E K U N D E DER ÄLTEREN KIRCHE HERAUSGEGEBEN

VON WALTHER

ELTESTER

B E I H E F T 28

D 29

© 1963 by Alfred Töpelmann, Berlin 30, Genthiner Straße 13 Alle Rechte, einschl. der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, Ton der Verlagshandlung vorbehalten Printed in Germany Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Archiv-Nr. 3825632

Meinen

Eltern

VORWORT Die vorliegende Untersuchung hat die Text- und Überlieferungsgeschichte der Perikope von der Ehebrecherin zum Gegenstand. Sie greift ein engumgrenztes, von der Forschung lange Zeit vernachlässigtes Spezialproblem auf. Wenn ihre Ergebnisse dennoch den Rahmen einer Spezialuntersuchung sprengen, so wird daran deutlich, was eine text- und überlieferungsgeschichtliche Untersuchung zu leisten vermag. Im Februar 1959 wurde diese Arbeit von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen als Inauguraldissertation angenommen (Referent: Professor D. Dr. Stauffer; Korreferent: Professor D. Friedrich). Sie ist für den Druck überarbeitet und an einigen Stellen erweitert worden. Besondere persönliche Umstände haben dazu geführt, daß sich die Drucklegung verzögerte. Aus diesem Grunde konnte auch die im vergangenen Jahr erschienene Literatur nicht mehr verarbeitet werden. Viel freundliche und großzügige Hilfe habe ich erfahren: Dank gebührt dem Universitätsbund in Erlangen und dem Evang.-Luth. Landeskirchenrat in München für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Auch Frau Dr. H. Peters möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal Dank sagen. Ferner danke ich Herrn Professor D. Eltester für die bereitwillige Aufnahme dieser Arbeit in die von ihm betreute Reihe und dem Verlag Töpelmann für viel Geduld mit einem säumigen Autor. Beim Korrekturenlesen half mir unermüdlich Herr cand. theol. Gottfried Rauh. Auch ihm sei an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt. Besonderen Dank schulde ich Herrn Professor D. Dr. Stauffer, der sich in schwierigen Zeiten meiner angenommen, mich großzügig gefördert, schließlich diese Arbeit angeregt und sie mit seinem Rat und mit seiner persönlichen und sachlichen Anteilnahme begleitet hat. Hannover, im Juli 1963

Ulrich Becker

INHALTSVERZEICHNIS Seite

Einleitung: Problem und Aufgabe

1

Erster Teil: Die Ehebrecherinperikope in kanonischer Evangelienüberlieferung I. Der textgeschichtliche Befund 1. Die ältesten und wichtigsten Textzeugen a) Die griechischen Textzeugen b) Die syrischen Textzeugen c) Die armenischen, georgischen und koptischen Textzeugen d) Die lateinischen Textzeugen e) Ergebnis

8 8

. . . .

2. Auswertung der Textzeugen a) Der griechische Sprachbereich b) Der lateinische Sprachbereich c) Ergebnis I I . Der sprachlich-stilistische Befund 1. Negativer Nachweis 2. Positiver Nachweis 3. Ergebnis

8 9 14 19 23 25 26 26 30 37 43 43 44 68

I I I . Die Stellung der Ehebrecherinperikope im Zusammenhang der Kapitel 7 und 8

74

IV. Die Stilform der Ehebrecherinperikope

82

Zweiter Teil: Die Ehebrecherinperikope in außerkanonischer Überlieferung . . I. Das Zeugnis des Papias über die Ehebrecherinperikope II. Die Papiasnotiz in armenischer und arabischer Überlieferung 1. Der armenische »Papiastext« 2. Der arabische »Papiastext« 3. Ergebnis I I I . Spuren der Ehebrecherinperikope im 2. und 3. Jahrhundert

91 92 105 105 113 116 117

1. Die Ehebrecherinperikope im Protevangelium Jakobi

117

2. Die Ehebrecherinperikope bei Origenes

119

IV. Die Ehebrecherinperikope in der Didaskalia V. Die Ehebrecherinperikope im Thomasevangelium

124 145

X

Inhaltsverzeichnis Seite

Dritter Teil: Ergebnisse

150

I . Die Ehebrecherinperikope in judenchristlicher Evangelienüberlieferung I I . Der Übergang in das Tetraevangelium I I I . Jesus und die Ehebrecherin I V . Die Geschichte der Perikope Exkurs I : Syrische und armenische Versionen der Ehebrecherinperikope Exkurs I I : Zitate aus J o h 7 53—8 11 bei Ambrosius und Augustinus Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis

150 160 165 174

. . . 178 181 IX 188

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS I.

Zeitschriften

Angl. Theol. Rev. Harv. Theol. Rev. HUCA JBL JThSt MGWJ NKZ NTSt OC OLZ OTSt Rev. bibl. ThB ThLZ ThR Vig. Christ. WZH ZAW ZfkTh ZKG ZNW ZThK ZwTh II.

Anglican Theological Review Harvard Theological Review Hebrew Union College Annual Journal of Biblical Literature Journal of Theological Studies Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums Neue Kirchliche Zeitschrift New Testament Studies Oriens Christianus Orientalische Literaturzeitung Oudtestamentliche Studien Revue Biblique Theologische Blätter Theologische Literaturzeitung Theologische Rundschau Vigiliae Christianae Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Zeitschrift für katholische Theologie Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche Zeitschrift für Theologie und Kirche Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie

Reihen, Sammelwerke,

ARW ATD Billerbeck BHTh BzZNW CSCO CSEL EKL GCS Hdb. z. NT HKzNT

Lexika

usw.

Archiv für Religionswissenschaft Das Alte Testament Deutsch Kommentar zum NT aus Talmud und Midrasch, Bd. I—IV, 2. Aufl., München 1956 Beiträge zur historischen Theologie Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Corpus scriptorum christianorum orientalium Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum Evangelisches Kirchenlexikon Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte Handbuch zum Neuen Testament Handkommentar zum Neuen Testament

XII JE M. T. NGG NTD PG PL PO PW RAC RGG SBA SBHA ThHK ThWB TU WB

Abkürzungsverzeichnis The Jewish Encyclopedia Masoretischer Text Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, phil.-hist. Klasse Das Neue Testament Deutsch Migne, Patrologia, series graeca Migne, Patrologia, series latina Patrologia Orientalis Pauly-Wissowa, Realencyclopädie Reallexikon für Antike und Christentum Die Religion in Geschichte und Gegenwart Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften, phil.hist. Klasse Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments, hrsg. v. W. Bauer

EINLEITUNG: PROBLEM UND AUFGABE »De historia adulterae iam olim fuit quaestio, et nunc est«, bemerkt Hugo Grotius in seinen Annotationes1 zu Joh 8 l — dabei auf die Auseinandersetzungen der alten Kirche über die Perikope von der Ehebrecherin ( = PE) anspielend, die in der griechischen Kirche noch im 12. Jh. nicht abgeschlossen waren2. Grotius war freilich nicht der erste, der in der Neuzeit die alten Zweifel und Bedenken hinsichtlich der Zugehörigkeit dieser Geschichte zum Johannesevangelium wieder aufnahm. Ein Jahrhundert vor ihm hatte schon Desiderius Erasmus von Rotterdam in seiner Erstausgabe des NT von 1516, dem Novum Instrumentum Omne, in der ihm eigenen, vorsichtigen Art solche Zweifel geäußert3, und einige Jahre danach war es vor allem Theodor Beza 4 , der, durch neue Beobachtungen bestärkt, den Abschnitt entschiedener verdächtigte. Aber was in dem wesentlich dogmatisch bestimmten 16. Jh. in des Wortes wahrer Bedeutung nur am Rande vermerkt wurde und ohne jegliche Konsequenzen blieb, das wurde in den folgenden Jahrhunderten, je weiter historisch-kritische Fragestellungen und Methoden gediehen, zu einem festen Ergebnis: Grotius hatte 1641 nur die Vermutung aussprechen können, die Erzählung gehöre nicht in das vierte Evangelium, sondern stamme aus mündlicher, apostolischer Überlieferung und sei »von Papias oder von anderen Johannesjüngern dem griechischen Johannes« hinzugefügt worden. C. Lachmann konnte knapp 200 Jahre 1

Annotationes ad Novum Testamentum, T. I p. 1026.

Vgl. die Bemerkungen des Euthymius Zigabenus, die er in seinem Evangelien-Kommentar der Kommentierung von Joh 7 53—-8 11 voranstellte: xpf) Se yiyvcibaKElV, ÖTl TCt IVTEÜÖEV ¿fypl TOÜ < TTOcXlV OÜV 6A&At|CTEV CCÜTOlS 6 *1t|CTOÜS AsyCüV 'Eycb etui t ö r|TT|v, cnraAAcrrrcov irctvTas tccútt|s tt¡s áAXoTplas Oírosla;, xai Seikvúj, öti oi»x eis tcov TrpoipTiTcöv Ecrriv, äAAä t o ö KÓapou Asctttótti5, t]ct1u' 'Eyco q>cós stui t o ö kóctuov . . . Man vgl. u. a. auch das oben (S. 11) zitierte Scholion zur Minuskel 1, in dem das Fehlen von Joh 7 53—8 11 bei Chrysostomos ausdrücklich registriert wird. 1 7 Im syrisch überlieferten Johannes-Kommentar (nach der Übersetzung von J . M. Vosté in CSCO 4. Ser. Bd. 3, 1940, S. 117): »Quapropter a servis convertebant in ipsum iram suam dicentes: (v. 52) Numquid et tu ex Galilaea es? Scrutare et vide quia a Galilaea propheta non surgit . . . Sed Nicodemus, aut ex infirmitate aut propter timorem principum, non respondit eis quando volebant, mentione Galilaeae facta, deprimere opera verbaque Christi. Dominus noster, videns hanc quaestionem moveri inter eos, appropinquavit et dixit eis: (v. 12) Ego sum lux mundi . . .« Man vgl. ferner das Scholion zur Minuskel 1 auf S. 11. 1 8 Auch bei Cyrill von Alexandrien ( P G 73, 772f.) folgt auf die Auslegung zu Joh 7 52 unmittelbar Joh 812 und Auslegung; Joh 7 53—811 fehlt. Vgl. u . a . das Scholion auf S. 11. 1 9 Dieses Scholion findet sich in dem Johannes-Kommentar Cod. gr. Vat. 756ff., 261, zitiert nach J . Reuß, a. a. O. S. 177f. E s besteht allerdings eine gewisse Schwierigkeit hinsichtlich der Auswertung der Johannes-Katenen: Die uns vorliegenden Editionen sind nur unvollständig und entsprechen zum größeren Teil nicht wissenschaftlichen Anforderungen (vgl. dazu J . Reuß, a. a. O. S. l f f . ) . Eine vollständige Erfassung und kritische Bearbeitung des Materials, die sich J . Reuß

Der textgeschichtliche Befund

13

wenn sie die Perikope nicht überhaupt ganz übergehen. Nur Papias von Hierapolis (bei Euseb h. e. III, 39,17) und der Verfasser der Didaskalia (II, 24) scheinen in der langen Reihe der griechischen Väter eine Ausnahme zu bilden. Beide kennen unsere Geschichte, aber sie kennen sie, wie wir noch sehen werden20, gerade nicht als einen Bestandteil des vierten Evangeliums oder der Synoptiker, sondern als ein Stück außerkanonischer Evangelienüberlieferung, so daß sie das große Schweigen eher nur verständlich machen. Erst der schon genannte Euthymius Zigabenus (s.o. S. 1) durchbricht es : Er kommentiert im Rahmen seiner Auslegung des Johannes auch die Ehebrecherinperikope, allerdings nicht ohne vorher auf die textkritischen Schwierigkeiten hinzuweisen. Bleibt in unserem Zusammenhang noch das Zeugnis der griechischen L e k t i o n a r e zu überprüfen, deren Bedeutung für die Textgeschichte, und zwar nicht nur für die des Mittelalters, in jüngster Zeit immer stärker erkannt worden ist 2 1 : Etwa die Hälfte aller griechischen Evangelienlektionare (darunter die ältesten Handschriften aus dem 9. Jh. !) enthält die PE, allerdings ausschließlich als Lesung im Menologium, gewöhnlich für den 8. Oktober, den Tag der hl. Pelagia22. In der Lesung des Synaxarions für den Pfingstsonntag vorgenommen hat, steht bis heute noch aus. (Vgl. auch das Vorwort zu der von J. Reuß besorgten Edition der Matthäus-Katenen in TU Bd. 61, Berlin 1957, S. VI). Unsere Feststellungen können sich daher nur auf das bisher bekanntgewordene Material erstrecken ; dazu gehört auch die Beschreibung der noch unveröffentlichten Codices bei J. Reuß a. a. O. 20 Vgl. S. 92ff. und S. 124ff. 21 Studies in the Lectionary Text of the Greek NT ed. by E. C. Colwell und D. W. Riddle, Vol. I, Chicago 1933. H. Greeven, Die Textgestalt der Evangelienlektionare, ThLZ 76, 1951, Sp. 513 ff. 22 Die Perikope findet sich u. a. auch als Lesung zum Tag der hl. Theodora, Eudokia und Maria von Ägypten. Sie erhält in den Lektionaren zuweilen auch den

Zusatz ètri (oder sis) ônoXoyounévouç ôtvSpas re Kai yuvaïKas, auch eïç hetocvooövtocs Kai uàXiCTTCt itti yuvaiKcöv, oder etç ax^na yuvaitcós (vgl. Belege bei A. P. Wikgren, JBL 53, 1934, S. 188f., Westcott-Hort, a. a. O. S. 85). Diese schwankenden Bestimmungen können nur so gedeutet werden, daß die Perikope verhältnismäßig spät in den Lektionaren Eingang fand. Dazu stimmt, daß eine Verehrung der oben genannten Heiligen erst für eine späte Zeit bezeugt ist. Nur ein Fest der hl. Pelagia wird schon von Chrysostomus und Ambrosius für das Ende des 4. Jh. in Antiochia erwähnt (PG Bd. L, Sp. 579ff„ PL Bd. XVI, Sp. 229 bzw. 1093; vgl. H. Delehaye, Les Légendes Hagiographiques, S. 186ff., bes. S. 190; daß der antiochenische Festkalender des 6. Jh. dieses Heiligenfest kannte, hat unabhängig von diesen Nachrichten A. Baumstark wahrscheinlich gemacht, in Jahrbuch f. Liturgiewissenschaften 5, 1925, S. 123ff.), aber bezeichnenderweise wird unsere Perikope in diesem Zusammenhang nicht genannt. Chrysostomus hat sie, das stellten wir an anderer Stelle fest (vgl. S. 12), auch gar nicht gekannt. Sie kann deshalb frühestens im Laufe des 5. Jh. mit einem Fest der hl. Pelagia in Verbindung gebracht worden sein.

14

Die Ehebrecherinperikope in kanonischer Evangelienüberlieferung

Joh 7 37—8 12 aber fehlt die Perikope, und zwar in allen Lektionaren 23 . Es ist m. E. keine Frage, daß dieser Lektionsabschnitt auf einen Text des vierten Evangeliums zurückgeht, in dem unsere Perikope noch nicht enthalten war. Möglich sogar, daß er bis in jene Zeit zurückreicht, als die Perikopenordnungen in den Volltexten eingetragen wurden. So bestätigen also auch die Lektionartexte unseren Befund: Bei den ältesten griechischen Zeugen für den Text des vierten Evangeliums ist die Ehebrecherinperikope unbekannt. Fragen wir weiter: Wie steht es mit der P E in den Übersetzungen des NT, die einen eigenen Zeugenwert beanspruchen können ? b) Die syrischen

Textzeugen

Die alten syrischen Übersetzungen des NT, so sehr sie sich auch sonst voneinander unterscheiden, kennen die Ehebrecherinperikope nicht. Das gilt von den beiden ältesten syrischen Evangelienhandschriften, dem Syrer Sinaiticus (etwa 4. Jh.) und Syrer Curetonianus (5. Jh.) ; das gilt ferner von der Peschitta, der Philoxenianischen und Charklensischen Übersetzung, jeweils in ihrer ältesten Form. Jüngere Formen dieser Übersetzungen haben die P E aufgenommen und zwar, nach J. Gwynn 24 , in folgender Weise (zu den Texten vgl. Exkurs I): 1. Eine Gruppe von Handschriften schreibt die syrische Übersetzung der Perikope einem »Abt Mar Paulus« zu, der sie in alexandrinischen Texten gefunden haben soll. In der ältesten, wohl aus dem 9. Jh. stammenden Handschrift 25 dieser Gruppe findet sich darüber folgendes ausführliche Scholion: 23

Westcott-Hort, a. a. O. S. 84; C. R. Gregory, Textkritik des NX, S. 347; A. P. Wikgren, a. a. O. S. 188ff. 24 J. Gwynn, Remnants of the Later Syriac Versions of the Bibel, I, S. L X X I f., S. 3f., 41—49; 87—92. Vgl. dazu auch die früheren Untersuchungen desselben Vis. : On a Syriac MS. belonging to the Collection of Archbishop Ussher, vor allem S. 20ff. Th. Zahn, Johannes-Kommentar, S. 728f. A. Merx, Die 4 kanon. Evang., Evangelium des Johannes, S. 185ff. a6 London, Brit. Mus., Add. 14470 (Katal. LXIII). Die Perikope findet sich hier von späterer Hand (auf einem losen Blatt ?) zu einer Peschitta-Handschrift aus dem 5. oder 6. Jh., die die Evangelien enthält, nachgetragen. Vgl. J. Gwynn, Remnants of the Later Syriac Versions . . . S. L X X I und S. 3. Von den 7 weiteren Handschriften, die J. Gwynn zu dieser Gruppe zählt, enthält eine (Paris, Bibliothèque Nationale, Suppl. 79, Catal. 5, geschrieben 1675) die PE in einem PeschittaEvangelientext, eine andere (Paris, Bibliothèque Nationale, Anc. Fonds 37 Catal. 59, geschrieben im 12. Jh.) in einem Lektionar mit Peschitta-Text, eine weitere (Oxford, Library of New College, Nr. 334, geschrieben im 12. Jh.) in einem Charklensis-Evangelientext. In allen übrigen Handschriften ist die P E auch durch ihre Stellung (z. B. am Rand oder am Schluß nachgetragen) als sekundär gekennzeichnet.

Der textgeschichtliche Befund

15

»Noch ein anderes Kapitel vom Evangelium des Johannes des Sohnes desZebedäus. Diese Syntaxis findet sich nicht in allen Handschriften; aber der Abt Mar Paulus fand sie in einer von den alexandrinischen Handschriften und übersetzte sie aus dem Griechischen ins Syrische, wie sie hier geschrieben ist; vom Evangelium des Johannes. Kanon 10, Zahl der Abschnitte 96: nach der Übersetzung des Thomas von Charkel«26. Mit wem dieser Abt Mar Paulus zu identifizieren ist, ob mit dem Bischof Paulus von Telia, der zur selben Zeit (etwa 616) wie Thomas v. Charkel und zusammen mit ihm in Alexandria mit bibelkritischen Arbeiten beschäftigt war 2 7 , oder mit einem Abt Paulus, der u. a. als Übersetzer von Werken des Gregor v. Nazianz ins Syrische bekannt wurde 28 , ist chronologisch von keiner Bedeutung, beide Männer gehören in die 1. Hälfte des 7. Jh. 2. Eine zweite Gruppe von Handschriften bietet eine gegenüber der Übersetzung des Abt Mar Paulus leicht veränderte Form der syrischen PE, ohne Scholion o. ä. Sie findet sich allerdings nur in zwei Handschriften, und zwar in einer Pariser Peschitta-Handschrift von 1482 (Bibliothèque Nationale, Ancien Fonds 31, Catal. 60) als Anhang zu den katholischen Briefen und in einer Florentiner Peschitta-Handschrift von 1611 (Bibliot. Medic. Laurent. Catal. I p. 56) zwischen Joh 7 52—8 12. 3. Eine dritte Gruppe von syrischen Handschriften enthält die P E in einer Form, in der sie bis in eine anonyme syrische Weltchronik aus dem Jahre 569 zurückzuverfolgen ist. In dem 8. Buch dieses Geschichtswerkes, das in seinem 3. bis 6. Buch auf die im Original26 Eine willkommene Bestätigung von unerwarteter Seite findet sich für diese Notiz in einer arabischen Evangelienhandschrift (MSS. Bodleian Hund 118 und Brit. Mus. Or. 3282, datiert 1264): Dort bemerkt ein Scholiast zu J o h 7 53 ff. im Rahmen einer längeren Erörterung über die Herkunft dieses Abschnittes: ». . . I found it also in a Gospel in the Syriac writing by Abba Yûnas, archbishop of Damascus, in very small writing with a différent pen from the original; and he has remarked as follows: ,this section is not in the Syriac, but Baulâ (Paul) translated it from the copies of the Alexandriens'«. Arabischer T e x t und englische Übersetzung bei G. Horner, The Coptic Version of the New Testament in the Northern Dialect, Vol. I I , S. 429 ff. Eine deutsche Übersetzung findet sich auch bei A. Merx, a. a. O. S. 183 f.

Vgl. u. a. J . Gwynn, Remnants I I , S. X , Anm. A. Merx, a. a. O. S. 186. A. Baumstark, Geschichte der syrischen Literatur, S. 187. Mit Recht macht J . Gwynn darauf aufmerksam, daß die sklavisch wörtliche Übertragung der P E aus dem Griechischen ins Syrische, wie sie diese Handschriftengruppe bietet (vgl. in 8 5 das Possesivpronomen ] V ' 7 statt des üblichen Suffixes!) sehr an die Übersetzungsweise des Paulus v. Telia und Thomas v. Charkel erinnert (a. a. O. und On a Syriac Ms. S. 22). 27

28

So Th. Zahn, a. a. O. S. 729.

16

Die Ehebrecherinperikope in kanonischer Evangelienüberlieferung

text verlorengegangene griechische Chronik des Zacharias Rhetor (t vor 553 als Bischof von Mytilene) zurückgeht, begegnet die Perikope von der Ehebrecherin in stark erweiterter Form mit folgender Einleitung: »Es befand, sich in dem Evangelium des heiligen Bischof Mara, im 89. Kanon, ein Kapitel, das nur Johannes in seinem Evangelium hat; und in anderen Handschriften findet sich dieser Abschnitt nichts. Von demselben Bischof Mara von Amid wird an anderer Stelle berichtet, daß er »beredt in griechischer Sprache« war 30 , nach einer Flucht nach Alexandrien (etwa 525) dortselbst eine reiche Bibliothek besaß 31 und eine Vorrede in griechischer Sprache zum »Vierevangelium« verfaßte 32 . Man geht darum sicher nicht fehl, wenn man auch die Kenntnis und Übernahme der P E mit den griechischen Sprachkenntnissen des monophysitischen Bischofs in Zusammenhang bringt. Ungewiß bleibt allerdings, ob Bischof Mara selbst oder der anonyme syrische Chronist oder ein dritter eine Übertragung dieses Abschnittes ins Syrische vorgenommen hat. In etwas erweiterter Form hat der Jakobit Dionysius bar Salibi (f 1171) in seinem Evangelienkommentar diese einleitende Bemerkung zur Ehebrecherin-Perikope aus der syrischen Weltchronik wiedergegeben33, auch Gregorius Barhebräus (1226—1286) kennt und verwertet sie in seinem Scholienkommentar 34 . Es kann nach alledem kein Zweifel darüber bestehen, daß der syrischen Übersetzung des NT die Ehebrecherinperikope ursprünglich fremd ist. Erst mit dem 6. Jh. tauchen einzelne syrische Formen dieses Abschnittes auf, offensichtlich aus dem Griechischen übersetzt; Ursprungsort ist Alexandria. Dennoch bleibt die Perikope auch weiterhin innerhalb der Evangelienüberlieferung der syrischen Kirche um29 Syrisch und englisch bei J. Gwynn, Remnants I, S. 47; deutsch bei K. Ahrens und G. Krüger, Die sog. Kirchengeschichte des Zacharias Rhetor, S. 164 (Kap. 8 7). Syrisch und lat. in CSCO, Scriptores Syri, 5 und 6, 1919—1921; 1924. 30 K. Ahrens und G. Krüger, a. a. O., S. 155. 31 a. a. O. S. 155. 32 a. a. O. S. 161 ff. 33 Syrischer Text und englische Übersetzung bei J. Gwynn, Remnants I, S. 46 f. — Dionysius bar Salibi übernahm diese Notiz übrigens in der fälschlichen Annahme, sie gehe auf den griechischen Chronisten Zacharias Rhetor selbst zurück. Vgl. dazu K. Ahrens und G. Krüger, a. a. O. S. XII ff. 34 R. Schwarz, Gregorii Bar Ebhraya in Evangelium Johannis Commentarius, S. 12f., zu Joh 7 52. Neuere Ausgabe mit englischer Übersetzung: Gregory Abu'l Faraj commonly called Bar-Hebraeus commentary on the Gospels from the Horreum Mysteriorum, ed. by W. E. W. Carr; zu Joh 7 53 vgl. S. 146. Eine Kenntnis der anonymen syrischen Weltgeschichte durch Gregorius Barhebräus ist auch sonst festzustellen: vgl. K. Ahrens und G. Krüger, a. a. O. S. XLIV.

17

Der textgeschichtliche Befund

stritten. Das ergibt sich eindeutig aus dem Zeugnis der syrischen Kirchenväter, die entweder zu Joh 7 53—8 n schweigen, so z. B. Ischodad von Merw (etwa 850) 35 , oder die Unsicherheit der Überlieferung bei diesem Abschnitt ausdrücklich feststellen: So z. B. Dionysius bar Salibi, der in seinem Evangelienkommentar u. a. vermerkt, »auch haben wir keinen Kommentator gesehen, der irgendetwas über sie (die Perikope von der Ehebrecherin) gesagt hat« 36 . Das schließt natürlich nicht aus, daß die P E in apokrypher Uberlieferung eine Rolle spielte, wie es jetzt das kürzlich edierte, frühestens im 6. Jh. syrisch verfaßte Evangelium Johannis Apocryphum Arabice zeigt 36a . Daß die s y r i s c h - p a l ä s t i n e n s i s c h e Ubersetzung des NT unsere Perikope kennt — ein syrisch-palästinensisches Lektionar enthält in allen drei uns bekannt gewordenen Handschriften Joh 7 37—8 2 und in einer Handschrift Joh 8 1-11 als Lesung zum Tage der Pelagia37 — widerspricht unserem Ergebnis nicht. Denn abgesehen von der grundsätzlichen Erwägung, daß in der syrisch-palästinensischen Ubersetzung eine eigene, von der der syrischen Nationalkirche im wesentlichen unabhängige Tradition evangelischer Stoffe vorliegt, finden sich auch hier deutliche Spuren späterer Überlieferung. Nach dem Lektionsabschnitt Joh 7 37—8 2 haben die drei Handschriften des Lektionars folgendes Kolophon: A: (+ B cariVT mioa) 01D15K2 inorVn D^ff, C hat anstelle der letzten beiden Worte rroaVx ]15?237a. Die einzig mögliche Erklärung für diesen merkwürdigen Tatbestand hat Rendel Harris gegeben (vgl. Lewis-Gibson a. a. 0 . S. XV); er postulierte eine griechische oder syrische Handschrift, die als Nachtrag zu Joh 21 im Anschluß an das Schlußkolophon noch die Ehebrecherinperikope bot. In einer der Vorlagen für das syrisch-palästinensische Evangelienlektionar war, so glaubt Harris, die Perikope an ihrem heutigen Ort, also zwischen Joh 7 52 und 8 12, 3 5 The Commentaries of Ishodad of Merv, Bishop of Hadatha, in Syriac and English, ed. and translated by M. D. Gibson, zu J o h 7 52 ff. 3 6 Syrischer T e x t und englische Übersetzung bei J . Gwynn, Remnants I, S. 46. 3 6 a Der T e x t ist auf S. 179f. wiedergegeben; zitiert nach J . Galbiati, Johannis Evangelium Apocryphum Arabice, p. 56f., S. 75f. Hier auch ausführliche E r w ä gungen über Abfassungszeit und -ort usw. (S. X V I I f f . ) . Ferner ders. in L'edizione Araba dell' Evangelo apocrifo di San Giovanni, Gutenberg-Jahrbuch 33, 1958, S. 44ff. O. Löfgren, E i n unbeachtetes apokryphes Evangelium, OLZ 46, 1943, S. 153—159. 3 7 A. S. Lewis u. M. D. Gibson, The Palestinian Syriac Lectionary of the Gospels. Danach enthalten die Handschriften A aus dem J a h r e 1030, B von 1104 und C von 1118 J o h 7 3 7 — 8 2 (vgl. S. 5 8 — 6 0 bei Lewis-Gibson), die Handschrift A allein Joh 8 l - l l (vgl. S. 242). 37a A. S. Lewis, a. a. O. S. LV, gibt dieses Kolophon griechisch wie folgt wieder: *ETeA£iGo6r| t ö eüayysAiov 'Ico&vvou £AXt|vi