Jahresbericht des Historischen Vereins Dillingen [8]

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JAHRESBERICHT DES

DILLINGEN.

VIII. JAHRGANG. 1895.

MIT 5 TADELN ABBILDUNGEN UND 2 PLÄNEN.

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DILLINGEN a!D. 189(5. 151;CIJIJULr(‘KEUEl VON A. KOLB.

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Giuellenmässige Beiträge.

Die Privilegien der ehemaligen Universität Dillingen. Yon Dr. Thomas Specht, k. Lycealprofessor.

Die Universitäten des Mittelalters erfreuten sich durch die Gunst der Päpste und Kaiser bedeutender Privilegien und Freiheiten 1). Hierauf beruhte wesentlich der Bestand, die Blüte und der Glanz dieser korporativen Genossenschaften* * Die wichtigsten Privilegien sind folgende: eigene Gerichtsbar­ keit (primlegimn fori), die Befreiung von Steuern und bürger­ lichen Lasten, die Dispens von der Residenzpflicht für Inhaber von Benefizien, die Yerleihung von geistlichen Pfründen an die Professoren2)* Ueber die Aufrechterhaltung der Privi­ legien hatte ein eigener Conservator zu wachen. Nicht selten' mussten die Universitäten ihre Vorrechte verteidigen, nament­ lich gegen die Bürger oder die städtischen Obrigkeiten. Die Verletzung der Privilegien hatte nur zu oft die Schliessung J) Vgl. Denifle, Die Universitäten des Mittelalters bis 1400. Berlin 1885. B. 1 S. 48 If. Der Autor erörtert in einem eigenen Abschnitte (S. 763 ff.J auch das Verhältnis der geistlichen und weltlichen Macht (des Papstes und des Kaisers) zur Gründung der Universitäten* speziell zur Verleihung von Privilegien, wodurch manche der bisherigen An­ schauungen umgestossen oder modificiert worden. *) „Viele Universitäten wären todtgeborene Kinder gewesen, hätten die Päpste nicht durch Inkorporierung von Präbonden lind Pfründen für das Salarium der Professoren gesorgt*“ Denifle S. 793.

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Dr. Th. Specht«

der Vorlesungen, ja selbst die Auswanderung aus der Stadt zur Folge1). Als der thatkräftige Kardinalbischof Otto Truchsess von Augsburg i. J. 1548 in Dillingen eine höhere Lehran­ stalt (collegium S. IJiei onymi) vor allem zur Heranbildung eines tüchtigen Weltklerus errichtet hatte, ging er darauf aus, die­ ser Anstalt die Vorzüge und Vorrechte zu verschaffen, welche den Universitäten, wie er wohl wusste, so hohes Ansehen verliehen. Er wandte sich zu diesem Zwecke an den Papst mit der Bitte, die Lehranstalt in Dillingen zu einer Universität zu erheben und mit den üblichen Privilegien auszustatten. Dieser Bitte entprach Papst Julius HL in einet Bulle vom 0. April 1551. Die neue Universität erhielt alle Privilegien, Indultc, Freiheiten , Immunitäten , Exemtionen u. s. w., wie sie die Universitäten in Italien, Frankreich und Deutschland, besonders Bologna und Paris, hatten. Diese Privilegien be­ zogen sieh auf den Rektor, die Professoren, Schüler, Beamte und Diener der Universität. Dem Bischof verlieh der Papst das Recht, für die Wahl und Aufnahme des Rektors und der Professoren Bestimmungen zu erlassen, den Studierenden Disciplinarstatuten zu geben, über die exemten oder einer fremden Diöcese angehörigen Glieder der Universität die geistliche Jurisdiktion auszuüben, die Graduierten zu „gol­ denen Rittern” (milites seu equites anrati) zu ernennen. End­ lich erteilte der Papst dem Rektor, den Professoreu und Schülern, wenn sie Benefizien hätten, auf 5 Jahre Dispens von der Residenzpflicht d. i. von der Pflicht persönlicher An­ wesenheit am Orte ihrer Benefizien unter Fortbezug ihres • Einkommens, um so den Minderbemittelten den Aufenthalt au der Universität zu ermöglichen. Dazu ist zu bemerken, dass in jener Zeit an den Hochschulen viele studierten, welche bereits geistlich waren und sogar schon ein Amt bekleideten. Die der Universität von Papst Julius III. erteilten Pri­ vilegien wurden von Kaiser Karl V. auf Ansuchen Otto’s l) Ein solches Beispiel erzählt in anschaulicher Weise der Nürn­ berger Christo!; Kress in einem Briefe an seinen Vater aus der Zeit seines Aufenthaltes in Bologna (1559—00). .Mitteilungen des Vereins für Ge­ schichte der Stadt Nürnberg. 11. Heft. Nürnberg 1895. S. 159 f. *

Die Privilegien der ehern. Universität Dillingen.

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am 30. Juni 1553 bestätigt und lezw. aufs neue gewährt und verliehen. Dieselben Privilegien wurden später nochmals be­ stätigt von den Kaisern Ferdinand I. am 3. Juli 1559 und Ferdinand FT. am 20. September 1641, von letzterem un­ ter rühmender Hervorhebung der reichen Früchte, welche dio von der Gesellschaft Jesu geleitete Universität für das Reich und besonders für die katholische Religion schon gebracht habe1). Der zuletzt genannte Kaiser, Ferdinand *HI‘, verlieh ausserdem oder vielmehr bestätigte und erneuerte i. J. 1653 ein von seinen Vorgängern Rudolf II., Matthias und Ferdi­ nand II. gewährtes Privileg, wonach die von den Vätern der Gesellschaft Jesu verfassten und in der akademischen Buch­ druckerei (zu Dillingen) hergestellten Werke mitsamt dem Bilderschmuck anderswo nicht nachgedruckt werden durften. Es kam nämlich häufig vor, dass solche Werke von gewinn­ süchtigen Buchdruckern, wie es in dem betreffenden Doku­ mente heisst, alsbald ganz oder teilweise abgedruckt und ver­ öffentlicht wurden— zum Nachteil der Autoren und des ersten Druckers d. i. der akademischen Buchdruckerei, nicht minder auch zum Schaden der Religion, da die Bücher bisweilen in sehr mangelhafter, sinnentstellender Weise nachgedruckt wur- * *) Sowohl die Erektionsbulle des Papstes Julius III. als auch dio Konfirmationsdiplome der drei Kaiser sind gedruckt in: Institutio Episeöpalis Acaäemiae Dilinganac per Julinm III etc. DUingae 1660. Apnds Ignatium Mager, Pag. Iss. Vgl» 8j t.c m p f 1 e, Die Universität Dillingen in ihrer Gründung und Blüte. S. 13. Das oben erwähnte Lob der Universität Dillingen durch Ferdinand III. wird in folgender Weise begründet: Erudivit mim Academia, postquam praesertim eins cura it gubernatio Patrib is Societütis Jena commendata est, viros in omni scientiarum genere, Theolog'ta inprimis praestantissimos, sacra Coenobia hominibus religiosis ad primaeva instituta formatix implevit, iisdem Coenobiis Autist ites, hi­ nunter ts Ecclcsiis Pasiores, Episcopatibus Pontifices, Beipiiblkae et Curiis Consiliarios, Senatores, Magistratns, Imperio Bomano Principcs, qitorum hodieque plures vivant, saluberrima Institut ione formacit, semptrpae morani ac virtutum disciplinam cum bonarum artium scientiarumque culiura ita coniunxit, nt sapientes re rum aeslimatores haue Academiam Christ ianae iuventuti ad Ecclesiae iuxta ac BeipubUcae ustim.educandae instituendaeque maxime accomodatam ex ist imen t. . , 1*

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Dr. Th, Specht,

den* Diesen Missständen suchte das erwähnte kaiserliche Privileg abzuhelfen *). Bischof Heinrich V. verlieh i. J. 1610 dem Rektor und den Professoren der Theologie das Recht der Approbation religiöser Bücher und Schriften*2). Die der Universität vom Papste verliehenen und von drei Kaisern bestätigten Privilegien und Immunitäten wurden im Laufe der Zeit wiederholt angefochten oder zu beschrän­ ken versucht. Das erste Mal geschah dies von der Stadt Dillingen. Dies kam so. Auf Grund jener Privilegien waren die beiden Kollegien, nämlich das der Gesellschaft Jesu, in welchem die Jesuiten wohnten, und das des hl. Hieronymus oder der Konviktoren (das heutige Priesterseminar) stets von Zöllen und bürgerlichen Lasten frei geblieben. Um das Jahr 1590 verlangte jedoch der Bürgermeister und Rat der Stadt DUlingen, dass für das von den Kollegien bezogene Bier „Umbgelt”, für die Fuhr- und Karrenwerke, welche Weinund andere Lebensmittel in die Kollegien brachten, der Pfla­ sterzoll gezahlt und für die von den Kollegien gekauften oder verkauften Artikel nicht eine eigene Wage, sondern, un­ ter Entrichtung der entsprechenden Gebühr, die Stadt- oder Pronwage benützt werden solle3). Diesem Verlangen gegen­ über berief sich die Universität auf ihre Privilegien, in deren unangefochtenem Besitz sie seit langen Jahren gewesen, so­ wie auf die Privilegien der Universitäten Bologna, Paris und Löwen, nach deren Vorbild die Universität Dillingen einge­ richtet und begünstigt worden war. Die Sache kam schliess­ lich an den Bischof Johann Otto v. Gemmingen. Dieser ge­ riet begreiflicherweise in eine gewisse Verlegenheit, denn die Stadt Dillingen, seine Residenzstadt, stand ihm nicht weniger J) Die Urkunde findet sich in den auf der hiesigen Bibliothek auf­ bewahrten Stempfle’sohen Manuskripten Fasz. II. 11. 2) Decreta synodalla Dioeccsis Augustanae, P, I. c. IV n. VI(Neu­ druck Augsburg 1887 8. 10). 3) Dieselben Objekte führten auch in Ingolstadt zu immer neuen Streitigkeiten zwischen der dortigen Universität und dem Stadt­ magistrat. Vgl, Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität, München 1872, B. 1 S. 298. 395. 522. 580. 655.

Die Privilegien der ehern. Universität Dillingen.

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nahe als die Universität, Allein auf Grund der von Papst und Kaiser gewährten und urkundlich verbrieften Privilegien, auf Grund der bei den Universitäten zu Bologna, Paris, Löwen und Tübingen angestellten Nachforschungen, wonach dort die­ selben Rechte bestanden und endlich auf Grund des bisher in Dillingen bestehenden Herkommens entschied Otto laut Ur­ kunde vom 27. März 1593 zu gunsten der Universität, so dass es bei den bisher genossenen Privilegien verblieb. Die wichtigsten Stellen des fürstbischöflichen Urteils lau­ ten so: „Und haben solchem nach Ihro Fürstl. Gnaden, diese Stritt- und Missverstand, wissentlich und wöl bedächtlich, mit gehabtem zeitlichen Raht zü mehrer dieser Academi allhier Ehren, Wolfahrt und Auffnemmens gnädiglich dahin entschei­ den und wollen, dass hinfürter beyde Collegia das Bier, sovil sie dessen zu Ihrer Nothturfft und eignen gebrauch jederzeit behueffen werden , in den Collegiis, oder ausserhalb, selbst oder durch ihre bestelte Leuth und Diener brewen lassen, oder von allhiesigen oder ausländischen Bierbrewen zu Jhrer gelegenheit erkauffen mögen. Daran auch weder die Collegia, noch die Bierbrewer und Verkäuffer, vor oder nach getroffnem Kauff, einich Umbgelt znerstatten , und zuzahlen verbunden, sondern Krafft obengezogner Ihrer Privilegien, Rechten und Gerechtigkeiten, darvon gäntzlich eximiert, und befreit seyn sollen. Was dann fürs ander die Herren Patres societatis Jesu, oder andere der Academi verwandte Glider, und Personen hinfürter von Yictualien, und allem anderm zu Ihrer Nbthturfft gehörig, allhier auss- oder einführen werden, darvon sollen weder sie, noch die Fuhrleuth einich Zoll, Pflaster­ gelt, oder anders, wie das Namen haben mag, zu Wasser und zu Land, so weit sich deren von Dillingen Zoll-Freyheit er­ streckt, nichts bezahlen, noch Bürgermeister und Rath, oder derselben verordnete, sie darumben anzufächten Macht haben, sondern alles unverhindert Zollfrey, durch- und fürführen lassen. Jedoch dass hierinneu kein Gefahr gebraucht, und jederzeit wem die Wahren zugehörig mit guter Urkund, und beglaubten Warzeichen bescheint werde”. Den dritten Punkt betreffend, nämlich die in den bei-

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Dr. Th. Specht.

den Kollegien gebrauchte Wage, so sollen dieselben „inKrafft Ihrer wothergebrachten Privilegien, Recht und Gerechtigkeit” im Gebrauche ihrer eigenen Wage bleiben dürfen. „Jedoch dass solche der, Collegien Wag, gegen der gemeinen Statt­ oder Fronwag abgccichet, und derselbigen, damit sich ab der Ungleichheit Niemand zu beschweren, allerdings gleich ge­ halten werde” Zu den Freiheiten, deren sich die Universitäten erfreu­ ten, gehört, wie schon eingangs bemerkt, auch das jirivileginm fori, d. h. die Angehörigen der Universität waren in civilund strafre chfliehen Dingen den weltlichen Gerichten entzogen und unterstanden in dieser doppelten Beziehung der Jurisdiktion der Universität. Auch die Hochschule zu Dil­ lingen war kraft päpstlicher und kaiserlicher Gnade im Besitze dieses 'Privilegs. Was aber die Ausübung der Jurisdiktion betrifft, so ist zwischen der Zeit vor der Uebernahme der Universität durch die Gesellschaft Jesu i. J. 1564 und der darauffolgenden Zeit zu unterscheiden. Vorher handhabte ohne Zweifel die Universität selbst die ihr zukommende Ju­ risdiktion. Die Jesuiten jedoch verzichteten gemäss der Ge­ wohnheit ihres Ordens auf die Ausübung der weltlichen Ju­ risdiktion, obwohl sie im übrigen das Recht hatten, das Col­ legium und die Universität, vorbehaltlich der vom Gründer erlassenen Statuten, frei und unabhängig nach den Grund­ sätzen ihres Ordens zu leiten und zu regieren. Die civile wie die kriminelle'Gerichtsbarkeit verblieb hienach beim Bischof, der sie durch einen vom Rektor der Universität zu präsen­ tierenden^ Gubernator ausüben liess. Dem Rektor stand auch das Recht zu, den Gubernator abzusetzen und einen andern zu wählen, natürlich mit Genehmigung des Bischofs. Der Verzicht auf die weltliche Jurisdiktion hatte keinen Einfluss

3) Die Urkunde gedruckt in der schon erwähnten Schrift: Institut io Episcopalis Academiae Dümganae (pag. 20 ss.X Daselbst auch die latei­ nisch geschriebene Relation des Universitätskanzlers Julius Priscianensis über die ganze Angelegenheit (pag. IS s.), sowie die Auszüge aus den ' Prmlögien anderer Umyersitäten (pag. 22 $8.). . ................... ..

i)ie Privilegien der ehern. Universität Dillingcn.

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auf die Disciplinarstrafgewalt, diese wurde von der Gesell­ schaft Jesu und bezw. vom Rektor ausgeübt!). Als Bischof Heinrich Y. i. J. 1606 unter Zustim­ mung des Domkapitels, welches bisher der Gründung Otto’s gegenüber sich ablehnend verhalten hatte, die Universität aufs neue der Gesellschaft Jesu übergab, blieb es bei der früheren Bestimmung, wonach die civile und kriminelle Ge­ richtsbarkeit durch einen vom Rektor ernannten und präsen­ tierten und vom Bischof bestätigten Gubernator ausgeübt werden sollte. Der Gubernator ist aus den Räten des Bi­ schofs zu nehmen und soll ein gesetzter, kluger und im Rechte wohl erfahrener Mann sein. Die Absetzung des Gubernators behält sich der Bischof vor. Bei der Übernahme seines Amtes hat der Gubernator dem Bischof und seinen Nachfol­ gern einen Eid zu schwören, dass er die Privilegien der Uni­ versität nach Kräften schützen und die ihm übertragene Ju­ risdiktion über die Studenten ganz nach jenen Privilegien ausüben will. Dem Rektor soll er jederzeit Ehrfurcht ent­ gegenbringen und die vor sein Tribunal gehörenden Oblie­ genheiten — die rein kriminellen Fälle ausgenommen — nach dem Rate und mitYorwissen des Rektors besorgen2). In einer J) Die Urkunde, laut welcher Kardinalbischof Otto die Universität den Jesuiten übergibt, spricht sich über diese Dinge folgend er massen aus: Dictae societati concedo omnem plenam iurisdictionerd gubernandi, dirigendiy instituendi et regend! collegium sancti Hieronymi atqne totam universitatem Dilinganam st ne imped imento cuiuscnnque. Quantum vero ad iurisdictionem coercivam cieitern vel crhninalem, quae in universitate deesse •non debebit, qnoniam societas praedicta hu'msmodi. iurisd ictionem inseholasticos excrcere non solct, remanebit tlla apud Ordinärium et Rector quidem Crllegii socictatis, qui si mul et Universität is Rector erii, perpetuo im habebit praesentandi Ordinarlo guberuaforem, qui haue dictum iurisdictionem e.rerccat. Qui deinde Ordinarius haue potestatem ctienn aactoritate iuxta privilegia unirersitatis exorcendam in ocilibus et crimiualibus ita conferet, nt libitum sit interim Rector i, eundem gabernaiorem removere et alium praeficere, quoties id expedire iudicobit. Nihitominus retinet so­ cietas ins et consuetudinem snam in corrigcndis scholasiicis et aliis tarn in scholis quam in Collegio sancti Hieronymi delinquentibm et eosdem eiieiendi e scholis et Collegio et universitate. Stern pflo’sche Manuskripte Fasz. III. 15. 2) Die Traditionsurkunde in den S t e m p fl eichen Manuskripten Fasz.

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Dr. Th. Specht.

speziellen Instruktion über den Wirkungskreis des Guberna­ tors wird diesem vom Bischof gestattet, dass er in schwereren oder Gewalt fordernden Fällen die Hilfe des Stadtpräfekten und seiner Leute in Anspruch nehmen kann *), Aus dem Angeführten erhellt, dass der Bischof (und sein jeweiliger Nachfolger) der eigentliche Inhaber der Juris­ diktion über die Angehörigen der Universität war, allein das Yerhältnis des Gubernators zum Rektor und der weitere Um­ stand, dass der Gubernator als Beamter der Universität galt, wie er denn im „Diarium” immer unter den Vorstehern, Pro­ fessoren und anderen Bediensteten aufgezählt wird, lässt er­ sehen, dass die Universität an der Ausübung der Jurisdiktion wesentlich beteiligt war, jedenfalls auf dieselbe einen nicht un­ bedeutenden Einfluss hatte. Die Hauptsache aber ist, dass die Angehörigen der Universität den weltlichen Gerichten in civil- und strafrechtlichen Dingen entrückt waren und nach dieser doppelten Beziehung unter einem eigenen Richter, einem Beamten der Universität, standen. Dadurch war das privilegium fori gewahrt. In der Zeit, in welcher die schon öfter erwähnte Schrift: Institutio Episcopalis Academicie Dilinganae veröffentlicht wurde

(a. 1660), scheinen die Immunitäten der Universitäten , be­ sonders das privilegium fori, gewissen Anfechtungen ausge­ setzt gewesen zu sein*2). Jene Schrift ist in der That nichts anderes als eine Apologie der den Universitäten, speziell je­ ner von Dillingen, zukommenden Privilegien. Die Jurisdiktion der Universitäten in Civilsachen wurde nicht bestritten, wohl aber in Kriminalfällen, wenigstens von einzelnen Rechtsleh-

III. 16. Die Hauptstellon der Urkunde enthält auch die Institutio Episc. Acad. Dil. pag. 48. J) Institutio etc. pag. 49. 2) Eine dauernde Quelle vielen Streitens lag auch für die Univer­ sität Ingolstadt in der Jurisdiktion, über welche sie bald mit dem Landeshorrn oder dessen Statthalter, bald mit dem Magistrate, haupt­ sächlich aber mit dem Diöcesanbischofe (Eichstätt) in Konflikt kam. Vgl.

Prantl B. 1 S, 393. 177. 296. 580.

t)ie Privilegien der ehern, Universität Dillingen,

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rern. Der ungenannte Autor unserer Schrift, der ohne Zwei­ fel im Aufträge der Universität gehandelt hat, wendet sich gegen diese Anschauung und beruft sich für das privilegium fori in beiderlei Hinsicht, d, h. in Kriminalfällen wie inCivilsachen, zunächst auf die Universität Löwen, als deren Toch­ ter die Akademie in Dillingen sich betrachtete, weil der erste Rektor und ein Teil der ersten Professoren von dorther kam, sowie ferner auf die Universitäten von Tübingen, Ingolstadt und Greifswalde, welche sämtlich jenes Privilegium besassen und praktisch geltend machten, Dillingen aber sei nach dem Vorbilde jener Universitäten errichtet und organisiert worden gemäss päpstlichen und kaiserlichen Schreiben. Auch auf die Traditionsurkunde des Bischofs Heinrich beruft sich der Autor, und in der That spricht Heinrich nicht bloss von der Civil-, sondern auch von der Kriminaljurisdiktion. Endlich sucht der Autor die von den Gegnern vorgebrachten Einwendungen zu widerlegen, Es wurde nämlich eingewendet, die Universitäten hätten keine Exekutionsorgane (Iictore*), die Jurisdiktion der Universitäten trete der Majestät der weltlichen Fürsten ent­ gegen , sie werde zu lax gehandhabt und habe darum Straf­ losigkeit und infolge dessen Vermehrung der Vergehen zur Folge, endlich könnten Papst und Kaiser die Unterthanen der Jurisdiktion ihrer Fürsten nicht entziehen. Gegen die erste Einwendung bemerkt der Autor, nicht die Exekution, sondern die Fällung der Strafsentenz sei die Hauptsache; gegen die zweite, gerade Kaiser, Könige und Fürsten hätten im Inter­ esse der Wissenschaft, sowie der Zucht und Ordnung der! Universitäten selbst die Ahndung der Vergehen der ihnen Anvertrauten eingeräumt; gegen die dritte, unter der politi­ schen Obrigkeit grassierten so viele Vergehen und Gesetzes­ übertretungen, dass die Zahl von schwereren Vergehen sei­ tens der Universitätsangehörigen kaum in Betracht kommen; gegen die vierte, das Recht der Päpste, Universitäten zu er­ richten, sei unter Katholiken unbestritten und werde praktisch selbst von Evangelischen (Tübingen) anerkannt, zu den Regalm maiora des Kaisers aber gehöre nach den Rechtslehrern die Bestätigung der Universitäten und die Ausstattung derselben mit Privilegien, so dass diejenigen gegen die Majestät der



Dr. Th. Specht.

Kaiser sich verfehlen, welche ihnen jenes Recht nehmen oder in Zweifel ziehen1). NachdemYorstehendes bereits gedruckt war, stiess ich auf eine Urkunde aus dem Jahre 1645, in welcher Bischof Heinrich V. sieben von dem Bürgermeister und Rat der Stadt Dillingen im Namen der Bürgerschaft „wider die Patres Societatis Jesu und deroselben Collegia und Aeademj allhier9

vorgebrachte „gravamina und beschivarnuss Punkte" schlich­ tet. Mehrere dieser gravamina beziehen sich auf die Privile­ gien der Universität und die daraus abgeleiteten Rechte. Es wird sich wohl noch Gelegenheit bieten, auf dieses nicht un­ interessante Aktenstück eingehender zurückzukommen. *) Es wäre meines Erachtens eine verdienstliche Arbeit, wenn je­ mand das Trivilcgienwcscn an den Universitäten in einer eigenen Schrift vom historischen und rechtlichen Standpunkte aus behandeln würde. Oder existiert vielleicht eine solche SchriftV

Untersuchung gegen Mag. Kaspar Haslach, Prediger in Diliingen, wegen Verdachtes der Häresie (1522). Yon

Dr. A. Schröder, b. Archivar in Augsburg.

Es genügte dem frommen Eifer des späteren Mittelalters nicht, dass das Predigtamt allein von der mit vielerlei Seelsorgearbeit beschäftigten, dazumal auch teilweise nur mangelhaft ge­ bildeten Pfarrgeistlichkeit ausgeübt werde. Allenthalben an grös­ seren Orten entstanden, zumeist durch den Opfersinn einzelner, reich begüterter Bürger und das Entgegenkommen der Gemeinde ins Leben gerufen, eigene Prädikaturbenefeien, deren Inhaber sich ausschliesslich dem Predigtamte widmen und alle Sonn- und Feiertage, in der Advent- und Fastenzeit auch an bestimmten Wochentagen, das Wort Gottes verkündigen sollten'). Derlei Stiftungen bestanden beispielsweise in der Umgebung Dillingens J) Durchaus irrig wäro die Vorstellung, als ob durch die Schaffung eigener Predigersteilen die regelmässige und häufige Ausübung des Prodigtamtes erst ermöglicht und verwirklicht worden wäre; vgl. Janssen, Gesch. des deutschen Volkes l7, 29—32. Es handelte sich vielmehr bei den Prädikaturstiftungen in erster Linie um Gewinnung einer ausschliess­ lich dem Predigtamte sich widmenden Kraft, womit selbstredend meist auch eine Vermehrung der Predigten verbunden war. Dass im Mittelalter auch da, wo Prädikaturbeneficien nicht bestanden, ja selbst an kleinen Filialorten, häufig gepredigt wurde, dafür sprechen nicht blos schriftliche, sondern selbst monumentale Zeugnisse, wie die originelle Steinkanzel zu Pipping, einem nach Aubing, Erzdiöeese München, pfärrigen Weiler, des»dii Kirchlein nebst Kanzel in den Jahren 1478/9 erbaut worden ist

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Br, A« Schröder,

zu Leipheim1), Günzburg (gestiftet 1469), Donauwörth (gestiftet 1423), Hain (gestiftet 1511) 2).3 4 5 Die bischöfliche Stadt Dillingen durfte hinter den Nach­ barstädten um so weniger zurückstehen, als die Bischöfe, da sie oft daselbst Hof hielten, Bedacht darauf nehmen mussten, ihrem Gesinde zu regelmässigem Besuche der Predigt Gelegenheit zu geben. Von der Pfarrgeistlichkeit wurde nämlich in Dillingen nur an Nachmittagsstunden gepredigt. Bischof Heinrich IV. nun (reg. 1505—17) leitete die Stiftung einer Prädikatur ein, indem er zur Begründung von Vormittagspredigten eine Summe von tausend Gulden testamentarisch cerordnete mit der Bestim­ mung, dass der Prediger das an der Pfarrkirche gestiftete St. Magdalenenbenefcium zu gemessen haben solle. Durch Urkunde vom 19. Februar 1522 sodann errichtete Heinrichs Nachfolger Christoph die Prädikatur in kanonischer Weise und vereinigte mit ihr die St. Magdalenenkaplanei*). Der erste Inhaber dev Predig er stelle in Dillingen war Ma­ gister Kaspar Haslach. Ueber seine persönlichen Verhältnisse sind nur äusserst dürftige Nachrichten auf uns gekommen. Er war gebürtig von Kaufb euren*), erwarb den Doktorgrad aus der Theologieb) und versah schon im Jahre 1519 das Amt eines Predigers in Dillingen6). Im Mai und Juni 1522 hielt sich Kaspar Amann, Augustinerprior in Lauingen, bei Haslach auf, *) Stiftungsjahr unbekannt, doch sicher noch in Leipheims katho­ lische Periode fallend, da die Bistumsmatrikel vom J. 1523 das Beneficium als bestehend aufführt, *) In der Naohbardiöcese Eichstätt wurden solche Predigtstiftungen begründet zu Wemding (1480), Berching (1513), Schwabach (1458), Ornbau (um 1480), Neumarkt (1425) u. a. Ygl, Pastoralbl, des Bisth. Eictistätt XXXYII. (1890) 85 f. 3J St ei oh eie, das Bistum Augsburg III, 99, 4) Ein Brief des Humanisten Yeit Bild an K. Haslaoh vom 23. März 1522 nennt den Adressaten: Kaufpeyronanus (Conscriptiones V. Bildii, Handschr. im Ordinariatsarchiv zu Augsburg, II 212'). 5) S. das folgende Constitut, Antwort n. 9. 6) Ebenda, Antwort n. 8; wahrscheinlich wollte man die beabsich­ tigte Stiftung erst einige Zeit hindurch erproben , ehe man sie durch die kanonische Errichtung endgiltig anordnete.

M, Caspar Haslach.

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um ihn hebräisch zu lehren 1). Beide verbindet innige Freundschüft. Wie Amann, so hat auch Haslach lebhaftes Interesse für Luther und die durch ihn auf religiösem Gebiete in Fluss gebrachte Bewegung, wie wir das bei seiner Stellung als Predi­ ger und seiner geistigen Regsamkeit nicht anders erwarten. Er verschaffte sich eifrig die von Luther und seinem Kreise aus­ gehenden Schriften, sowie auch Schriften der Gegner Luthers2).* 4 5 6 Anfänglich bringt er den Meinungen Luthers reichliche Sympa­ thien entgegen*); nach Verkündigung der Bannbulle und des Wormser Ediktes wird er vorsichtiger*), ohne jedoch sich einer ganz unzweideutigen Haltung zu beßcissen oder gegen Ijuther Stellung zu nehmen*). Einige allzu freie Aeusserungen, die noch dazu von Freun­ den und Feinden der neuen Richtung in polemischen Erörterun­ gen mochten übertrieben worden sein, gaben der bischöflichen Curie Veranlassung, Haslach zur Verantwortung zu. ziehen. Am 29. Juni 1522 wurde ihm die Vorladung vor das geistliche Ge­ richt zu Augsburg auf den 8 Juli zugestellt.

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Wir lassen nunmehr das Protokoll über das Verhör fol­ gen G). Dasselbe fand statt in Gegenwart des Generalvikars, eines beigezogenen Notars und anderer Zeugen. Indem sich Haslach beim Verhör bemühte seine kirchlich korrekte Haltung darzu-

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J) Zeitschrift des hist. Yer. f. Schw. u. Nbg. 20 (1893), S. 209, iu 205; nach Dillingen kam Amann am 26. Mai und datiert von dorther Briefe am 31. Mai, am 10«, 15. und 24. Juni, aus Lauingen am 2. Juli 1522 Conscript III, 43 f,). 2) Ygl. Constitut, n. 19, 20; Zeitschr. u. s. w, S. 210 n. 207. s) Ygl. Constitut, n. 8. 4) Ebd, n. 4. 5) Letzteres hätte er zu seiner Rechtfertigung anzuführen sicher nicht unterlassen, wenn er sich auf diesbezügliche Aeusserungen hätte berufen können. In seiner 1522 verfassten Schrift: Der Pfaffen Klage, rechnet der damals schon entschieden lutherisch gesinnte Theologe Joh. Eberlin Kaspar Haslach zu den „chrislichen Predigern”, deren Duldung die Hinneigung des Augsburger Bisehofs Christoph zur neuen Lehre bestä­ tigt, s. M. Radlkofer, Joh. Eberlin von Günzburg, (Hördlingen 1887) S, 67. 6) Eine etwa gleichzeitige Abschrift befindet sich im Ordinariats­ archive zu Augsburg; die im Abdruck eingeklammerten Wörter sind vom Herausgeber ergänzt; an den betreffenden Stellen ist die Handschrift durch Mäusefrass verdorben,

(

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Dr. A, Schröder.

thun x), zeigte er zur Genügei dass er im Grunde nicht gesonnen warf sich von der Kirche zu trennen. Es ivar vorwiegend die Kritik scheinbarer oder wirklicher Missstchule, in ivelcher er mit JjUther gemeinsame Sache machte*2). Die bischöfliche Curie, weit entfernt, Missbräuche in Schutz zu nehmen, fand denn auch kei­ nen Anlass, mit Strafen gegen Haslach vorzugehen. Andrer­ seits. freilich hatte die Rechtfertigung nicht jeden Verdacht zu be­ seitigen vermocht, einzelne Antworten3)4 waren sogar einer der katholischen Lehre zuwiderlaufenden Deutung fähig. Es wurde daher dem Angeklagten der mit zwei Eideshelfern zu leistende Reinigungseid (purgatio canonica) und die Abschwörung der Häresie auferlegt Beides leistete Haslach. Wenige Tage dar­ auf befindet er sich, wie es scheint, wieder in Dillingen in seiner bisherigen Stellung*). Seine io eiteren Schicksale sind nicht bekannt

Articuli procuratoris fisci contra magistrum Casparum Haslach, das er in seinen predigen guet lutterisch und verdächtig seye und wie er derselben opinion revociert habe anno 15225). Anno a nativitate Domini millesimo quingentesimo vigesimo secundo indictione decima die octava iulii fuit ex officio examinatus I). Caspar Haslach praedicator ojyndi in Dillingen dioc. Augustensis, qui medio suo iuramento tactis sacrosanctis eeangeliis iuravit dicere puram veritatem super infraesriptis articidis. Coram vobis reverendi3simi in Christo patris et doniini domini Christofferi Dei et apostolicae sedis gratia cpiscopi Augustensis in spiritualibus vicario generali procurator officii *) Ygl, Constitut, Antwort n. 4, 9. 2) Ebda, Antw. n. 9,, 10, 16. 3) n. 11 und 15. 4) Das lasst sich mit Grund daraus vermuten, dass Amann einen am 8. Juli geschriebenen Brief Veit Bilds (s. Zeitsclir. u. s. w. S. 210, n. 2)0) in Empfang nimmt in domo mag ist ri Caspar is, ecclesiastici in Dil­ lingen, fautoris nostri, wie er am 5. Sept. an Bild schreibt (A. Vcith, Biblioth. August. XII. 136, n. 10.). 5) Diese Ucbersclirift von einer späteren Hand ausgangs des 16. Jahrhunderts.

M. Caspar Haslach.

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fisci eiusdem in iure agendo contra et adversus dominum magistrum Casparem Haslach praedicatorem oppidi Dillingen Augustensis diocesis dat, facit et exhibet articulos infrascriptos, petens eundem magistrum Casparem ad respondendum cisdem singulariter singulis medio suo iuramento compelli, seque ad negatorum probationem admilti, citra tarnen onus superfluae probationis, de quo protestatur expresse et solenniter. 1. Inprimis itaque pon[it et] dicit, quod ipse dominus reus est sacerdos et canonicus [ecclesiae] collegiatae ac praedicator verbi Dei in [Dillingjen Augustensis diocesis. Verum.

2. Item ponit et dicit, quod [ipse] dominus reus ut et tamquam canonicus et piaedicator in Dillingen ad observationein mändat[orum] tarn apostolicorum quam ordinarii loci adstrictus est [et] obligatus. Dicit reus, quod est obligatus et adstrictus mandatis apostolicis et ordinarii loci, ea quae ■ sunt iuris atquc rationis, nequc ea quae sunt contra rnandata dirina.

3. Item ponit et dicit, [quod] de anno etc. vicesimo primo iam proxime eff[lux]o quondam felicis recordationis Leo papa X. p[raedict]o reverendissimo domino episcopo Augustcnsi certas litteras apostolicas contra quendam fratrem Martinum Luther ordinis s. Augustini heremitarum eiusque adhacrentes, complices, fautores et receptatores occasione erroncac atque piarum mentium seductivae doctrinae ac scripturarum eiusdem dicto anno Eomae XYII. kal. iulii emanatas per certum suae sanctitatis nuntium realiter et cum effectu per suam diocesim exequendas et publicandas praesentari fecit. Verum. Reus audicit in Dillingen in parochiali ecclesia ac prae­ sens fuit9 quando cicarius eiusdem ecclesiae publicavit et prohibuit quosdam articulos Lutheranos a scde apostolica coudenmatos9 et quäles articuli fuerint9 ad praesens non recordatur. Et audivit in Dillingen ex fama publica de bulla Smi domini Le.o-

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Dr, A. Schröder,

nis, quam tarnen non vidit neque legit Verum vidit copiam apud dominum Rmüm Augustensem in mensa, licet non legerit.

4. Item ponit et dicit, quod idem Rmus pater dominus episcopus Augustensis tamquam obedientiae filius dictas litteras apostolicas suae paternitati a sede apostolica destinatas cum debitis reverentia et honore acceptavit et per suam diocesim in singulis ecclesiis parochialibus realiter et cum effectu iuxta earundem continentiam et tenorem publicari mandavit, omües et singulos Christifideles fideliter exhortando, ut ab erroribus et doctrina seductiva praefati Luther in eisdem apostolicis litteris designatis eorumque praedicatione, publicatione, assertione, defensione, libellorum et scripturarum editione abstinerent neque libellos, praedicationes, scripturas sivo cedulas erroneam doctrinam ipsius Lutheri [in] se continentes de cetero laudarent, publicarent s[ive] defenderent publice vel occulte, aut eosdem in domibus sive aliis locis tenere seu occulta[re quoquo]’modo praesumerent; quinimo illos post pu[blicationjem tune factam praelatis et decanis capitu[loru]m ruralium etc, ad comburendum sive concremandum [indilate] sub poenis et censuris ecclesiasticis in dictis [litteris] apostolicis expressis assignare curarent, referens [se] ad mandatum desuper emanatum, in cancellis oppidi Dillingen et alibi locorum dioceses Augustensis publicatum *). Yerum. Heus refert se ad dicta sua proxima in tertio articulo. Post prohibitionem ac publicationem, ut in tertio articulo dixit, pluries confessus, ut decet bonum presbyter um, celebradt ac missas dixit Ulterius ipse reus consignavit nonnullos libros Lutheranos et quosdam tractatus post publicationem mandati imperia*) Bischof Christoph befahl seinem Klerus die Publikation der wi­ der Luther gerichteten Bulle durch ein vom 8. Nov. 1520 datiertes Man­ dat, welches wiederholt gedruckt wurde, so bei Sclielhorn, acta hist.eccles. s, XV. et XVI., Theil 1 S. 81 ff.; A. Yoitli, biblioth. Aug., Alphab. IV. p. 56 ff.; G. W. Zapf, Christoph v. Stadion, S. 136 f. Ueber die Bedenken des Bischofs in der Publikationsangelegenheit s. Druffel, über die Aufnahme der Bulle Exurge Domine von seiten einiger süddeut­ schen Bischöfe (Sitzungsber. der k. b. Akad. der Wiss., philos.-philol, und hist. CL 1880, 573).

M. Caspar Haslach.

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lis ad manu* dom Int cancellarii dicti d. R. Augustensis facti contra 'Luikeriahos.

5. Item ponit et dicit, quod ipso dominus rcus praemissis minime attentis, imo temere spretis et contemptis publicus ct manifestus Lutlieranus existit doctrinis seduetivis et erroncis ipsius Lutheri contra prohibitionem in dictis mandatis con* tcnlam publice adhaerendo easque praedicando, laudando et commcndando neenon sanctissimum dominum nostrum papam vilipendendo et eius sanctitati publice in cancellis ccclesiae oppidi Dillingen iniurias proferendo. Verum. Xegut in totnm.

6. Ad ostendenda praemissa ponit ct dicit, quod ipse dominus rcus dominica proxima ante adventum domini anni etc. vicesimi primi proxime elapsi in cancellis ccclesiae parrochialis oppidi Dillingen praefati in haec vel eis in cffectu similia verba prorumpendo dixit vulgo: So du wurdest sehen ainen menschen. dar ab gott ain grausen hat, so liss, das du es verstandest, als Daniel sagt: der wirt sich erheben eher gott; ich teil nettut nt halten geturnt, das ist der antichrisL Ja du mainest der antichrist soll zu Babilotä geporen werden, ist nichts, ietz send eil anticrist, was solt du auss diesem text verstau. Merck: Christa* ist beniegig gewesen ab dem titel: der keglig Crist, Petrus, der keglig Petrus etc, Aber jez muss man sprechen: der aller heiligist, nit beniegig ab ainer krott, mttss dreg haben, das ist ain anticristisclis [wesen], big ob sg nith vber gott seg erheben etc. Verum, Dicit, guod negat artietdum ad suum intentum probandum. Vertttn stibi.unxit, tjuod de tempore articidato ipse dominus reus sab his rerbi* praedicarit vulgo: Paulus da spricht: Wan der

entccrist komen werde, so werd er sich erheben vber alles das do gott sey, vnd hab auch hie mit öffentlich protestiert, nymant ze schmollen, wie den sun der verderbnuss, als dann den enticrist Petrus nent; mechte sich erheben vber alles das gott wer, seytmals doch kain frommer gerechter sich nye het mögen got vergleichen; das muss man also verston, das der anticrist sich selbs mit gueten werken vber gott nith erheben wirt, sonder mit erdichteten Worten vnd werken; dann wir lesen in der wibeln, das sich gott hat lassen nennen sanctus 2

I>r. A. Schröder.

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Israhel vnd der enticrist, wann derselbig honien wirt, wirt er sich nci.nen werden den giosten, den mecl tigsten, den licyligisten vnd der gleichen erdichten Worten etc. reerendo sc ulterius ad rolfecta sua.

7. Item ponit ct dicit, quod ipse dominus rcus per praemissa S^(‘ domino nostro papac maximas iniurias protulit. Verum. Xegat.

8. Item p. et d., quod ipso dominus reus similiter pu­ blice in cancellis ecclesiac parochialis ibidem intcr alia dixit, videlicet: fertur me praodicas^e Luthcrurn; ego fateor ct dico nie antea nunquam legissc adco doctovcm christianissimum, quemadinodum Luthcrus existit, praedicabo illius doctrinam quamdiu superstes fuero etc. Verum. Xegat articulum, tarnen ita respondit vulgo: Es hat sich begeben wol ain iar daruor, ec das die bull publiciert ist worden, do seye imc, prediger, olfenwar worden, wie etlich geystlich personen gewogt haben, er predige den Luther; hab er sollich uff dem predigstul verantwurt: Er werde beschul­ digt, er predige den Luther; vff solichs hab er gcantwurt: l)u zcichst mich, ich predige dir den Luther, du thust mir vnrecht, was ich dir predige, das zaig ich dir an, wo es geschriben stat; das ich aber in nith gelesen hab, das verlaigne ich nith und sag das für mich selbs, das ich vil cristlicher evangelischer vnd göttlicher leer in imc funden hab, als dolling in einem mincli, den ich gelesen hab. 9. Item p. et d., quod ipse dominus rcus quadam alia vice in cancellis inter alia publice proferrc veritus non fuit vidclicet: Papa et alii nobis esum carnium et oYorum inhibent diebus quadragesimalibus, ipsi vero gallinis et gallis gallinaceis vescuntur. Verum. Super nono articulo concionatus fuit, quomodo lJei mandata, sint praejerenda mandatis Iwniuuun, sed quasi iam Oppo­ sition rcpei'uitur} quoniam si qttis seatis feriis cesceretur carrdbus, gravius puniretur, quam si die dominico ßdem matrimonii violaret seu adulterium committereU Alias negat subiungens: Inhibition nobis est esus carnium in qnadragesima et tarnen ipsi liomae vescuntur usque ad medium quadragesimae.

M. Caspar Haslach.



10. Item p. et d., quod ipse dominus rouß circa evangelium Lucac XVI: fodere non valeo etc. inior alia seminando verbum Dei in baec verba dixit, quod aliquis non pessit sua bona opera cum proxirno suo partiri: hinc est quod plures se decipiant in anniversariorum fundationibus, subiungeus: nul­ lius est valoris, et nisi presbyteri, monachi moniales ex cisdem fundationibus consequerentur et haberent utilitatem, dudum procurassent, quod sub cxcommunicationis poena inhibitum fuisset. Xam presbyteri et monachi orationibus suis tibi regnum coelorum ncquaquam conscqui valent. Negat articulum, nt ponitnr, recordatur tarnen se dixisse inter alia: Si qui vellent eorum bona opera ncgligcre et pro semetipsis nihil boni operari, jmtantes se t eile conßdere in aliorurn bona opera, timerem plurimnm, quod scipsos deciperenl et seducerent, cum opera nostra sequantur nos; ea ratione prudentes rirgines noluerunt commiuucare oleum imprudentibus. (Jude plures deeipinntnr annicersaria fundantes et penitus in ea conßdenies, nihil per semetipsos boni operantes.

11. Item p. et d., quod ipso dominus roijs in cancellis publice dixit: cum aliquis operetur opas bonum extra carita­ to m in statu peccati, nullius sit valoris seu momenti, et noquo in mundo neque in futuro sacculo rcccpturus sit remunorationem, quodque iuqtus in omni bono opere peccct. Negat; dicit taifien quod opera extra caritatcm facta non prosunt Jtvmini, ut qmcqtiam boni consequatur ex eisdem, et ea dicta auctoritate Pauli robora it, seribens (!) ad Corinthios: Si distribuero omnem facultatem etcNunc iudicet quivis apud semetipsum, quis fuerit mentitus, an Paulus an alii sornniatores, qui dicunt huiusmodi opera extra caritatern facta ad quiequam prodesse.

12. Item p. et d., quod ipso dominus rcus publice di­ xit in cancellis indulgentias vulgo gnad a Deo dumtaxat provenire, quarc hactenus plures dcccpti fuerint, qui pocunia& pro consequendis indulgentiis obtulerint, cumqiio liiteris lil* dulgentiarum similiter defraudati fucrint, neenon Rmus domi­ nus episcopus Augustcnsis ipsum dominum reurn decepit, nam 0 I. Korinth. 13, 8.

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Dr. A. Schröder.

sibi mnndavorit sub obocdicntia huiusmodi irjandata indulgcntiaruni populö publicaro, subiungcns vulgo: Es wer mir ain

fesslin mit wAn nutzer oder lieber dann die gantz Thon x) mit weiehwasser, auch rmb ain gantzen wagen rol gnadbrief wolt ich dir nit geben ain pfenig, Negat, tarnen aliquando iocose in societat.e in aedibus min rel alias e,rtra ecclesiam sc, di,risse fmeminit/ eulgo: Ich nctnb albig ein mass wein für ain fass mit weichwasser. 13. Item similitcr dixit in cancellis inter alia vulgo :

Wenn die stacioncv körnen mit irem ding, bringst nichts dar von, wenn du ain pfenig geist~), denn das du in nith mer hast. 14. Insuper ponit et dicit, quod ipse dom. rcus sc magi.* atque magis adhaerentem doctrinis Lutheri et suorum sequacium ostendciulo in cancellis ut supra publice dixit vulgo:

Wu das holtz hinfeit (das ist der me rusch)9 es seg gen mittag9 das ist zu der ewigen fveud, oder zu mitter nacht, das ist zu der finster nass, zu der cerdampnus, da heleipt ts; end wie da glaubst, also stirbst du, end wie da stirbst, also ferst du, vrul wie du ferst, also heleibstu, per pracinissa ostendendo purgatorium in rer um natura non fore.

Negat, sed fatetur, quod praedicaccrlt de ligno cadente ad austrum sire aquiloneni, sed per [hoc] neqnaqnam infeile.risse non )(>re purgatorium. 15. Item p. et d., quod ipse dom. reus in cancellis quadam alia vice dixit in hacc verba vulgo: der mensch soll nicht uff

sein gnet roerk bauen, ia da thust ains, wart, du zu dem sacrament gast, hast ein gfrossj pepepern mit deinem maul end will eil .... chten, als so da den gütlichen gnaden nicht ivfurdc 1]st vcAussen, das ist die grest hechleri. IHcit, quod nemo deleat etnjidere in sua bina epera, sed in manum 1)ei, alias negat 16. Item p. et d., quod ipse dom. rcus similiter in cancctlis ibidem publice prorumpendo dixit vidclicet; Ubi sunt 1) ss Donau. 2) » gibst.

M. Caspar Hasfäch.

tl

hii, qui papam hominem peccatorem, noqtiaquam Deum torreslrcm appcllari consuoveruht? Dicit quod, cum alias andivissct a quodam quacstionario negotii s. Valentini in caneellis ecclesiae parochialis Dilligensis publice divisse, nos non alinm Deum haber e . in terris nisi papam ,* super quibns ipse dominus reus dominica sequenti in dictis wncellis inter alia responderit ita videlicet: Audistis nuper a quo­ dam, qui est concionatus, nullum alium fore Deum in terr is prae­ ter papam, quod in veritate dissonat, quoniam Christus Matthei ultimo promiserit se mansurum nobiscum usque ad saevuli consummationem, quem rolimus pro Deo in coelis et in terris, et tarn papa quam imperator tarn etiam episcovus, cum sint homines, sunt peecatores, Johanne testaute: Si direrimus x). Nunc non peecatores sunt., non possunt constitui in Deum. Alias negat per tot um. 17. Item publice iactitando dixit; Dominus meus gratioaus episeopus Augustcnsis non esset contra Lutherum, si alii eum non instigarent. Neg(d. 18. Item p. et d., quod ipse dom. reus nuper, cum in thermis fuifc, post horarum canonicarum complctionem publice dixit vulgo: Yetz hab ich aber den bapst bezalt, aber gott nith. Negat. 19. It. p. et d., quod ipso dom. reus libcllos sou libros Lutheranos ad mandatum S1^ domini nostri pape et li1“/ Augustcnsis vestrae paternitati aut alicui altcri ad hoc depu-' tato minime consignaro curavit. Dicit, quod ante et post publicationem mandati articufati habuerit libros Jjutheranos in sua domo, licet postea nonnullos consignaverit domino cancellario Rmi prefati; tarnen post publi­ cationem mandati imperatoris habeat tantum adliuc aliquos libros Ijutheri, ea tarnen ratione, quia fatetur se personarn publicam, theologum et concionatorem [esse], quem oporteat pro e.rstirpativne malt et citii et ad fidei cathoticae roborationem quoscunque legere haereticos, cum hoc sibi per iuramentinn in promotione theologica sit ininnetum. ) folgt die Stelle I» Joh. 1, 8»

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Ür. A♦ Schröder.

20. It. p. et d., quod licet ipse dom. reus nuper post publicationem mandati domini imperatoris reverendo domino episcopo Augustensi seu eius cancellario aliquos libros scu libellos doctrinlam Lutheri in sc contincntc9 consignavcrit, tarnen verum atque voritas existifc, quod ipse adhuc plures libros Lutheranos in aedibus sui* detineat. liefert se ad proximum artie. 21. It p. et d., quod praemissa domini rci fore facta in maximum vilipendium et contemptum mandatorum apostolicolum et praefati Rev. Augustensis neenon periculum animao rei et scandalum plurimorum tendere noscuntur. Juris est. 22. It. p. et d, quod de praemissis omnibus et singulis est communis publica vox et fama. Verum. Generalis est. Quare roverende pater domine vicarie constito de praemissorum veritate quantum sufficit, petit procurator praedictus nomine quo supra per vestram paternitatem pronunciari, deccrni et dcclarari ipsum dominum reum propter praemissa sententias excommunicationis maioris incidisse ac alias contra lioncstatcm et statum cjcricalem graviter dcliquisse et exccssisso, ipsumque propterea canonico muletandum et muletari punirique et puniendum fore et esse, in hoc paternitatis vestrae officium humiliter implorando.

Urteil des bischöfl. Gerichtes. Visis nriieulis mngistro Caspnri Haslach concionatori Dillingensi per procuratorcm officii fisci obiectis et eiusdem magistri Casparis responsjonibus, pro tribunali sedentes, Christi nomine invocato eumque solum prac oculis habentes, de iurispcritoium consilio eidom magistro Caspari purgationem canonicam iniungimus, ita ut iuret se diffamiac et suspicionis de so exortac, scilicet quod sit LÄhcranus etc., articulorumque obiectorum esse immunem et innocentcm, quod Lutheranae doctrinae et scriptis maxihie a Leone pontificc decimo damnatis nunquam faverit nec adhaeserit nec ea laudaverit neque

M. Caspar flaslach.

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concionatus fuerit nec unquam illa post apostolici mandati publicationem docüerit, quod contra apostolicae scdis dccreta, constitutioncs et auctoritatcm nunquam quicquam in concionc aut publice dixerit, nec de mente eius unquam fuerit suis diciis quicquam vilipcndii ant iniuriae summo pontifici et sanctae Romanao sedi irrogare, quodque scripta et libellos Lutheri post praedictam publicationem non causa complacentiac, sed tantum et praecise in effectum extirpandae Lutheranae hacresis emerit, legerit et retinuerit, et non in contemptum summi pontificis aut ecclesiasticarum censurarum eosdem übellos Rmo domino nostro gratiosissimo episCopo assignare distulerit, et quod duos lionestos sacerdotes habeat compurgatores, qui iurent sese credere ipsum verum iurasse. Praeterea cidcm magistro Caspari iniungimns, ut Lutheranam heresim iuxta formam sibi praescribendam et eligendam abiuret *). Lata in publico consistorio die mercurii nona mcnsis iulii anno etc. vigesimo secundo. Deinde praefatus Caspar abiuravit Lutheranam hacrcsim prout scquitur tactis sacris (!) sanctis evangeliis: *) Diese Erklärung liegt auch in deutscher Übersetzung bei den Akten — vielleicht sollte sie in Dillingcn öffentlich bekannt gegeben wer­ den, sio lautet: ArVio sich der prodiger zu Dillingen nach form rechtens des bezygs, das er lutherisch sey, mit dem ayde entschuldiget und purgiert hat.

Erstlich hat er ain leiplichen ayd in das heilig evangelium gcschworn, das er des geschrays und Verdachts, dass er lutherisch sein solle, auch aller dcihalben fürgehaltener articul frey und unschuldig sey; das iine die lutherisch lero und schrift und fürnemlich die von unserin hayligisten vater bapst Leo verdampt worden ist, nie gefallen habe, der nifc angehnngen, nit gelobet, nit geprediget und nie nach verkündung läpstlichcn lulla gelert; das er auch wider dio büpstlicho Satzung, Ord­ nung und gcwalt niclitzit an der predig oder sunst offentluh gesagt noch sein gemüet ye gewesen, mit sein reden etwas vcrklainung oder Verach­ tung dem bapst oder dem heyligen römischen stul zuzefügen; das er auch des Luthers schrift und bücchlcn nach verkündung der bull nit aus wolgofallen, besonder allain und ganz und gar aus der ursach, das er die lutherische ketzerey ausreytten wölle, kauft , gelesen und behalten habe und dicselbigen Schriften nit aus Verachtung unsera heyligisten vnters des bapsts oder des bnnnes meinem gnedigen lierrn von Augspurg zu überantworten verzogen; das er auch zwen erber priester fürstellen wölle, die uff in schwöm, das sy glauben in recht geschworen habenr

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l)r. A. Schröder.

Ego magister Caspar Haslach, presbyter Auguatensis diocesis, veram catholicain et apostolicam fidcm cognosccns, anathematiso et abiuro omnem et praccipne Lutheranam a summo pontifice Leone decimo damnatam hacrcsim et eius perversam doctrinam, de qua hactcnus infamatus fui. Conseniio et tcneo Johannem Huss a concilio Constanticnsi *ct Martinum Luther cum corum doctrina et adhacrcntibus a sedo apostolica rite, legitime et iuste condemnatos, eorum libros et scripta recte vctitos legi vel teneri ac incendio tradi mandatos. Consentio sanctac Romanae ecclesiae et apostolicae scdi et ore et corde, ut haec eadem apostolica auctoritas docct et tradidit, profiteor. Promitto insuper tibi notario et pro te sancto Petro apostolorum principi atque Christi vicario modcrno clecto pontifici et successoribus eius me nunquam quorumlibct suasionibus vel quocunque alio modo ad aliquod scisma aut heresim praesertiin Lutheranam perventurum, sed mo scmper in Imitate ecclesiae catholicae et communione Ro­ mani pontificis per omnia permansurum et secus senticntcs cum suis dogmatibus aeterno anathemate dignos esse pronuntio. Quodque velim omnia scripta et libellos Lutheri in spatio quindecim dierum Rmo domino nostro gratiosissimo episcopo Auguslensi praesentare et eos diutius sine suae paternitatis aut alterius ad haec consentiri habentis consensu apud mo non rctineri. Quod et si cgo (quod absit) aliquando contra pracdicta aliquid sentire, praedicare vel facere praesumpsero, pcriurii, poenae infamiae et canonum severitati subiaceam *). 1) Auch die Abschwörungsformcl liegt in deutscher Übersetzung bei den Akten: Zum andern hat er die lutherische 1er verschworen und abjuriert wie rachvolgt: Ich Maister Caspar Haslach, priester Augspurger bistumbs, bekenn den waren cristenlichen appostolischcn glauben; verfluch und verschwor all und fürnemlich die lutherische, durch bäpstliclie hayligkait verdampte kctzercy und verkerte lere, in welcher ich bisher beschrayfc gewesen bin, gehi 11 und halt, das Johann IIus durch das conc'lli zu Costentz und Mar­ tin Luther mit ir lere und anlienger durch den bäpstlichen stul ordenlieh, rechtmässig und billich verdampt, ir büclier und sehrift zu lesen und zu behalten billich verpotton und zu verbrennen geschaht seye; ich gehill mit der heyligen römischen kirclien und bäpstlichen stul und bekenn mit mund und herzen, wie dieselbig aus bäpstlichem gewalt lert und fürgibt

M. Caspar Haslach.

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Ita etiam per me lcctum et pronimtiatum est. Ego iuro sic me Deus adiuvet et liace sancta Dci cvangelia. Quo iuramento sie praestito praefatus Caspar petiifc ac obtinuit sibi praefigi terminum ad induccndum duos honestos saeerdotes compurgatores qui similitcr in reut so credero dic­ tum Casparem verum iurasse, liinc ad priinam dicm iuridicam post festum s. Bartholomei*1). Collationatum et auscultatum cum suo originali per mo Schwickerum Schwicker dicti Emi domini mci domini gratiosissimi episcopi sigilliferum et concordat. Darüber verhayss ich dir, notarkn, und durcli dich sannt Peter, dem fürsten der apostel, und dem Verweser und vicurio Christi, dem erwollton bapst und allen seinen nachkommen, das ich nymer ewigklieh durch ainicherley eingebung oder ander wege in khain zerreyttung oder scisma noch ketzerey sonderlich der lutherischen koinen will; besonder will ich allweg in der ainigkait der gemainen cristenlichen kirchcn und gemainsame der bäpstlichen hayligkait in allen dingen beleyben und diejenigen so anderst haltend, sag ich, das sy mit ihrer lere des ewigen fluclis wür­ dig seyend; das ich auch alle lutherische Schrift und büeeher innerhalb XV tagen meinem gnedigen herren von Augspurg überantworten wolle und dieselbigen ohne seiner gnaden oder ains andern, der defs gewalt hat, bcwilligung lenger nit behalten; und ob ich (da got vor sey) wider oberlaut stück und articul etwas fürohin halten, leren, predigen oder zu tlion understuende, das ich alsdann in die penne des mainayds, vcrleymbdung und straff des rechts gefallen sey. 1) Es ist sonach kein Raum für die Erzählung eines durch Kerker­ haft erzwungenen Widerrufes, wie sic Keim und Rohling anzunehmen ge­ neigt sind (E. Rohling, die Reichsstadt Memmingen in der Zeit der evang. Volkbsemegung, München, 1864, 8. 94 unter Berufung auf Keim, Reform d. Reichsstadt Ulm, 8* 41, 42 h

Zur Reformationsgeschichte Augsburgs. (Handschrift Nr. 12 der Dillinger Studienbibliothek.) Von

Johann Fille.

Wie die meisten freien Reichsstädte, so hat auch Augs­ burg an der grossen religiösen Bewegung des 16. Jahrhun­ derts hervorragenden Anteil genommen, ja man kann sagen, in ihr eine besonders wichtige Rolle gespielt wie kaum eine andere. Trotzdem aber jene Zeit für die alte Reichsstadt von der höchsten Bedeutung und dem grössten Einfluss auf die Zukunft derselben war, so haben wir doch bis zur Zeit noch keine einheitliche, zusammenfassende Darstellung der Augs­ burger Reformationsgeschichte. Wohl hat es Dr. Roth unter­ nommen, den Anfang zu einem solchen Werke zu schreiben !), aber seine Bearbeitung reicht blos bis zum Jahre 1528; von den Ereignissen bis zum Jahre 1531 finden sich noch ein­ gehendere Darstellungen in der Schwäbischen Reformations­ geschichte von Karl Theodor Keim2), obwohl sich wahr­ scheinlich auch für diese Zeit noch manches finden Hesse, da Keim von den Augsburger Quellen nur die Chronik des gleich­ zeitigen Benediktiner Clemens Sender und die in den Bibliotheken von Ulm, Stuttgart, Tübingen und Zürich vor­ handenen Reformationsakten und Briefe benutzte, aber nicht die Reformationsakten des Augsburger Stadtarchivs. P. Wittmann*8j *hat Keim vielfach ergänzt und die Darstellung weiter *) Augsburgs Reformationsgeschichte 1517—1527. München 1881. 2J Tübingen 1855. 8) Augsburger „Reformatoren”. Historisch-kritischer Beitrug zur Geschichte der „Reformation”. Stuttgart 1886.

Zur Reforniatiönsgeechichte Augsburgs.

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geführt, aber den Stoff lange nicht erschöpft und ist zudem im Buchhandel überhaupt nicht zu erhalten. Über die Ereig­ nisse und innere Entwicklung nach 1531 vollends fehlt jede Be­ arbeitung; sie harren noch in den Quellen ihrer Erforschung und Zusammenstellung. Nun birgt auch die Dillinger Studien­ bibliothek eine auf jene Zeit sich beziehende Handschrift, deren Inhalt ich als kleinen Beitrag zur Augsburger Refor­ mationsgeschichte im Folgenden mitteilen möchte. Was zunächst das Äussere der Handschrift Nro. 12 der hiesigen kgl. Kreis- und Studienbibliothek anlangt, so umfasst sie 83 beschriebene Blätter in Grossquart (33:24 cm) und ist gebunden in einen weichen, biegsamen Ledereinband von ur­ sprünglich roter Farbe, wie dies an den Innenseiten des Ein­ bands noch zu erkennen ist. Das ganze Manuskript stammt aber nicht von ein und derselben Hand, vielmehr haben, nach den Schriftzügen zu bemessen, drei verschiedene Hände daran gearbeitet, wie auch das Papier nebst den in demselben sich findenden Wasserzeichen von dreierlei Art ist. Die Entstehungszeit ist zwar in der Handschi ift selbst nicht genannt, aber aus dem Umstand, dass der Inhalt zum grössten Teil dem Jahre 1531 angehört, von 1532 nur noch ganz weniges, von später aber gar nichts mehr darin zu fin­ den ist, lässt mit ziemlicher Sicherheit darauf schlicssen, dass sie nicht später als 1532 entstanden ist, sicher aber noch aus der Reformationszeit stammt, da sich Abschriften in derselben vorfinden, die eiuen engeren Yerkehr mit Persönlichkeit ten jener Zeit voraussetzen. Dem Inhalte nach bietet sie uns keineswegs ein Ganzes, sondern wir haben es zu thun mit einer Sammlung oder vielmehr Abschrift von verschiedenen Erklärungen, Widerlegungen, Predigten, Briefen etc. prote­ stantischer Theologen, die sich zum weitaus grösseren Teil auf Augsburg beziehen, was zu dem Schlüsse berechtigt, dass die ungenannten Sammler und Abschreiber Augsburger gewesen seien. Stehen nun aber auch genannte Schriftstücke wenig­ stens äusserlich als unzusammenhängend da, so lässt sich doch zwischen einem grossen Teil derselben ein innerer Zusammen­ hang finden, insofern nämlich dieser Teil speziell mit Augs­ burg und dem dortigen Streit der Lutheraner und Zwinglianer,

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Johann Fiile,

sowie mit dem endlichen Siege der letztem im Jahre 1531 es zu thun hat. Zwar geht auch der andere Teil auf den Zwie­ spalt zwischen Luther und Zwingli, doch steht er weniger in Beziehung zu dem genannten Streite im Jahre 1531, weshalb ich es für angemessen halte, nach diesen beiden Teilen ge­ trennt den Inhalt unserer Handschrift zu betrachten. Bevor wir jedoch unser Manuskript zur Hand nehmen, sei es gestattet, über den ganzen Verlauf des Streites zwi­ schen Lutheranern und Zwinglianern in Augsburg eine kurze Übersicht zu geben. Gleich den übrigen Reichsstädten hatte sich auch Augs­ burg sehr frühe der Reformation angeschlossen und Luthers Worte hatten hier einen fruchtbaren Boden gefunden. Sobald aber Zwingli mit seiner noch weiter gehenden Lehre aufgetre­ ten war, fasste auch diese in Augsburg bald sicheren Fuss und binnen kurzem entspann sich zwischen den beiden ent­ gegengesetzten Elementen ein Streit um die Herrschaft. An­ lass hiezu bot besonders die Sacramentslehre der beiden Neuerer und es wurde denn auch der Abendmalsstreit gerade in Augsburg mit besonderer Heftigkeit geführt, denn treff­ liche Kämpfer standen an der Spitze beider Parteien: Dr. Frosch (Rana) und Dr. Stephan Kasten p a u r (Agricola) auf Seite der Lutherischen, wahrend die Zwinglischen den „listi­ gen, ränkevollen Fanatiker” *) Michael Keller und an seiner Seite J. Schneid und J. Seyfried zu Verfechtern ihrer Sache hatten. Der gelehrteste und berühmteste der Augs­ burger Reformatoren U r b a n u s R h e g i us hingegen schwankte anfangs lange Zeit zwischen beiden Parteien hin und her, war auch wirklich einige Zeit auf Zwingli’s Seite, wandte sich jedoch bald wieder von ihm ab, um von nun an treu an Lu­ thers Lehre festzuhalten und für seine Sache zu streiten* Als nach dreijähriger Dauer dieser Streit im Jahre 1528 einen einstweiligen Abschluss fand, verblieben zwar die lutherischen Prediger noch in Augsburg, aber der grösste Teil der niede­ ren Bevölkerung war auf Seite der Zwinglianer. Nur die Patrizier und der Rat hielten noch an Luther fest, obwohl *) Keim, eohw. Ref. 26Ö,

Zur Reformationsgeschichte Augsburgs.

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auch hier schon manche sich zur Sache Zwingli’s bekannten und sie verfochten, wie Ulrich Rehlinger, „der Freund. Zwinglis” *), der im Jahre 1531 bereits zum sechsten Male als Bürgermeister an der Spitze der Stadt stand, der Stadt­ arzt Gereon Sailer u. a. m. So kam der Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530. Gleich zu Beginn desselben wurde auf einen Yorschlag der Majorität des Friedens halber „allei papistischen und evangelischen Predigern” Stillschweigen auf­ erlegt, während der Kaiser einige unparteiische Prediger auf­ stellen sollte, das reine Gotteswort zu verkünden -). „Der Augs­ burger Rat gehorchte dieser Aufforderung ohne jede Ein­ wendung, ja dem Kaiser zu Gefallen urlaubte er sie sogar und weigerte sich geradezu Urbanus Rhegius, der vom Her­ zog Ernst von Lüneburg einen Ruf erhalten, noch als seinen Prediger anzuerkennen”;i). Die evangelischen Prediger ver­ weilten zwar noch eine Zeit lang in der Stadt, jedoch ohne zu predigen; als aber ein Aufruhr drohte und Schneid sogar verhaftet wurde, da stoben sie anfangs August nach allen Seiten auseinander; die Lutheraner nach Nürnberg, die an­ dern nach Memmingen, Lindau, Constanz und Strassburg. „Bis zum Dezember war die Stadt ohne evangelische Prediger”*4).* 3 Als aber Augsburg nebst einigen anderen Städten der An­ nahme des Reichstagsabschieds seine Weigerung entgegenge­ setzt und der Kaiser missvergnügt am 23. November 1530 die Stadt verlassen hatte, da trat mit Ungestüm der Wunsch nach neugläubigen Predigern hervor. Mit Feinheit wussten es nun die Zwinglianer oder besser die Anhänger der Buzerschen Yersöhnungsforrnel, an ihrer Spitze Ulrich Rehlinger und Anton Pymmel, die beiden Bürgermeister des Jahres 1531, cinzuleiten , dass neben den beiden Lutheranern Frosch und Agricola, deren Zurückberufung nicht verhindert werden konnte, durch Buzcr’s Vermittlung, dessen Bekenntnis selbst die Lutherischen nicht abgeneigt waren, nebst Keller noch *) Keim, schw. lief. 267. >) F. v. ltezold, Gesch. der deutschen Reformation (Berlin 1890) S. 618 f. cf. Keim, schw. lief. 158. 3) Keim, scliw. Ref, 158. 4) Keim, schw, Ref. 158.

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zwei gemässigte Zwinglianer: Wolfgang Mäuslin (Mus­ culus) und Bonifaz Wolfhard (Lykosthenes) berufen wur­ den, wozu später noch Sebastian Mayer kam. Den Lu­ therischen gesellte sich als Dritter noch zu der Frediger von St. Georg, CasparHuberinus. Ein Versuch den Constanzer Zwinglianer Ambrosius Blarer als Prediger für Augsburg zu gewinnen, scheiterte an dessen Widerstand. Doch gar bald zeigte sich, dass auch die Buzer’sche Formel die Gegensätze zwischen Luther und Zwingli nicht auszugleichen vermöge, und von neuem brach der Streit zwischen den zwei Parteien los, um endlich mit der Niederlage der Lutherischen zu en­ digen. Der Kat der Stadt bot zwar alles auf, um den Streit zu schlichten und Frieden herzustellcn, doch alle Mühe war vergebens,1 „Am 14. Februar wurden beide Teile, Agricola und Froscfi auf der einen, Musculus und Wolfhard auf der andern Seite, vor Rat geladen zu einer Auseinandersetzung: zu den zwei Gegenpaaren kam noch Casp. Huberinus hinzu, schon vor dem Reichstag Augsburger Prediger und jetzt als neutraler Mann zurückberufen. Die Verhandlung betraf durch­ aus den Nachtmalsstreit. Musculus trat mit der Vereinigungs­ formel Buzer’s auf, die er verlas; es war ein Büchlein von 8 bis 4 enggeschriebenen Blättern. Die Lutheraner baten um cino Abschrift, um auch anderer Rat zu hören und selbst zu überlegen; das schlug Musculus ab. Die Hauptsätze merkten sich nun die Lutheraner, sic fanden überall verdeckte und listige Worte”1). Am andern Tage verhandelten die Prediger unter sich über die Concordio und endlich kam man nun darin überein, dass ein Teil dem andern seine Ansicht schrift­ lich liefern solle. Mit diesen Bekenntnissen beginnt nun unsere Handschrift. An erster Stelle2) finden wir das Bekenntnis von Dr, Joh. Frosch und Dr. Stephan Kastenpaur (Agricola), freilich ohne Angabe von Datum und Zweck. Dass es aber das nach Keim von den Lutheranern am 25. Febr. 1531 dem Rat vor­ gelegte Bekenntnis ist, stellt ausser Zweifel, wie aus den AuKeim, schw. Ref. 273. 2) Blatt 2: Bekantnus doctor Johann Frosch und d. Stephan Kastenpaar vom nachtmal Christi.

Zur Reformationggesuhirhte Augsburgs.

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gaben Keims über dasselbe deutlich hervorgeht *). An zweiter Stelle folgt dann das Bekanntnus maister Michel Keller, Wolfgang Meislin, Bonifacij Woljhart com nachtmal Christi*2).3 Das­ selbe ist vollständig im Buzer’schen Ton gehalten, je nach der Auslegung lutherisch oder zwinglisch; nur in einem Ar­ tikel, dem siebenten, konnten sich die verkappten Zwinglianer nicht verbergen und offen sprechen sie es hier aus, Christus habe das Nachtmal eingesetzt zum Sakrament und heiligen Geheimnis seines Leibs und Bluts, seip dabei zu gedenken* Über diese beiderseitigen Bekenntnisse entspann sich nun ein längerer, ziemlich heftiger schriftlicher Kampf. Derselbe be­ ginnt mit einer Aufforderung der Lutherischen an Keller, Mäusün und Wolfhard, ihnen eine Erläuterung ihrer Artikel zu übersenden, indem sie zugleich in 26 Artikeln ausführlich ihren lutherischen Standpunkt darlegen8). Dieser Aufforderung kamen die Zwinglianer auch wirklich nach; wir begegnen nämlich nun zwei Schriftstücken, die darauf Bezug haben. Das eine4), betitelt: Erleutterung Bonifacij Wolfhar dj, Wolfgang Meisli, Michels Keller ist eine Widerlegung der gegner­ ischen Artikel und eine Verteidigung ihrer Ansicht, sowie ihrer Übereinstimmung mit der Lehre Luthers, aber nicht di­ rekt an die Lutheraner gerichtet, sondern wahrscheinlich für die Öffentlichkeit bestimmt. Das andere5) (Anthort Bonifacij Wolfhart, W. Meis/, M. Michel Keller auff die 26 artikl I>. Joh. Frosch und I). St. Agricola) ist die eigentliche Ant­

wort auf die Aufforderung. Nacheinander werden die 26 Ar­ tikel hier hergenommen und aufs eingehendste widerlegt, wobei ausdrücklich unterschieden wird zwischen Leib des Herrn und Brot des Herrn. Nicht der Leib und das Blut werden münd­ lich genossen, sondern nur das Brot und der Kelch (Wein) werden zum mündlichen Genüsse dargereicht. Sorgfältig suchen ,) Keim, sch* Ref. 274. *) Bl. 2. 3) Bl. 2'. Mit dissen nachfolgenden artikln haben doktor Johannes Frosch und d. Steffan Kastenpaur begert von den obenanten predikanten irer bekanntnus ain erleuterung. 4) Bl. 4.

5) Bl* 5.

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Johann Fille,

sic aber auch hier ihre Übereinstimmung mit Zwingli zu ver­ bergen und bieten alles mögliche auf, durch die lutherische Lohre ihre Ansicht zu begründen. Auf dieses hin nun erwider­ ten Frosch und Agricola mit zwei Gegenschriften. Die erste ist gerichtet gegen die Antwort der Vorigen*) und mit hef­ tigen Worten begegnen die beiden lutherischen Kämpfer den Aufstellungen ihrer Gegner, indem sie ihnen allen Ernstes die rechte Ansicht und ihre Übereinstimmung mit Luther be­ streiten und zwar mit den nämlichen Citaten aus Luther und Augustinus, die jene für ihre Verteidigung verwendet hatten. In der zweiten Schrift2) bringen sie aus der hl. Schrift die Belege für die wirkliche Gegenwart Christi im Abendmal; eine lange Abhandlung, die sich vorzugsweise um die Worte des hl. Paulus dreht: „Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist das nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi1’3); also um die Bedeutung des Wortes xotveoria. Die folgende Schrift4), mit dem Titel: Antwurt auf die ander ejeejenredt, ist ebenfalls von Agricola und Frosch abgefasst und beantwortet, wie aus dem Schriftstück hervorgeht, eine wei­ tere Entgegnung der zwinglischen Gegner, die darin eine letzte, endgiltige Antwort verlangen5). Fest behaupten auch hier die beiden Lutheraner ihren Standpunkt und erklären ihren Gegnern, dass sie vollständig in falscher Richtung seien, im Widerspruch mit Paulus, Augustinus, den deutschen Kur­ fürsten und Luther. Al it dieser Antwort Agricola’s und Frosch’ findet der Streit über das Abendmal seinen Abschluss. Die beiden Lutheraner wurden vor den Rat beschieden und hier ihnen Stillschweigen über ihre Lehre auferlegt. Doch dazu J) Bl. 7. Antbort doktor Johanns Frosch und d. Stoffans Kastenpaur auff die letzten sehr i/t maister Michels und seines anhangs. 2J Bl. 9. Grundt und ttrsach aus kegliger gütlicher scheifft9 das der war leib und das war plut ihesu ehr ist i heg brodt und wein seg und mundtlich genossen uerdt im nachtmall des herrn anzaigt durch Jüan Frosch und D. Steffan Agricola zu bestetten ir überantbortte bekantnus. S)-I. Cor. 10, 16. 4) Bl. 18'. 5) Es ist uns abermal von eweh ain schrifft überantwurt worden} in welcher ir unser artikell angraifft und vermaint, seg zu verlogen etc.

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Zur Keforniationsgegchichie Augsburgs.

waren sie nicht zu bewegen und da sie von seiten des Rates auf eine Nachgiebigkeit nicht rechnen durften, reichten sie schon am folgenden Tage nach der Vorladung ihre Entlas­ sung ein, die sie damit begründeten, dass ihnen ja Stillschwei­ gen auferlegt sei, so lange sie auf ihrer Lehre bestehen blie­ ben; dass sie aber auf keinen Fall geneigt wären, von dersel­ ben abzulassen 1). Eine Antwort auf diese Eingabe erfolgte aber nicht. Lange zwar warteten Frosch und Agricola auf ihren Urlaub; als aber dieser immer nicht eintreffen wollte, richteten sie von neuem ein Schreiben an den Rat, worin sio die Mitteilung machten, dass sie nie und nimmer unter sol­ chen Umständen in Augsburg verbleiben könnten und sich desshalb von der Stadt fortbegeben wollten2). Diese Schriftstücke gewinnen an Wert dadurch, dass sio Keim bei Darstellung des Streites völlig unbekannt waren. „Erst am 25. Februar wurde von den Lutheranern ihr Be­ kenntnis an den Rat eingegeben. In der Zwischenzeit (14. Febr. bis 25. Febr.) arbeiteten die Parteien emsig gegenein­ ander. Die Strassburger beriefen sich vor dem Volk und sonst auf ihre Übereinstimmung mit Luther, des noch obwal­ tenden Zwiespalts nach Buzers schlauer Vorschrift schweigend, und Hessen eben dadurch ihre Gegner als Widerstrebende gegen Luther und den Kurfürsten von Sachsen, ja als Leute unerhört irriger Meinung erscheinen ... Dagegen setzten auch sie wiederum (nämlich die Lutheraner) die ärgsten Nachreden gegen die Ankömmlinge in Kurs ... Der Rat nahm ihr Bekenntnis an, verschob aber bei der Wichtigkeit der Sache die Ant­ wort bis zum ersten März. In der Zwischenzeit erhielten 1) Bl. 20. Farsichtig, ersam, wein, günstig Herren ! E. f. e. w. ansinnen und begeren, gestern gethan, haben wir cernumen und was in sol­ cher sach zu thun oder zu lassen seg, vleissig ermessen, damit wir weder zur rechten noch znr linken weichen, welchs got der Herr rilmals ernstlich verbeut etc. Unterschrieben von D. Johann liana und Sieffan Agricola.

2) Uff solchs f. e. w. Herren, die weil e. f. w. hierinnen klarlich anzaigt haben rill treffenliche grosse Ursachen, rerhoffen wir zu golt, e. f. iv. werden uns solchs Stillschweigens der zwager punkten halben entlas­ sen und solchs in kagnem weg von uns begern, damit nit gottes zorn er­ grimme etc.

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Johann Fille.

die Lutheraner auch Notiz von den Artikeln ihrer Gegner ,. * Am l.März, abends 4 Uhr, wurden Agricola und Frosch von Bürgermeister Rehlinger auf den „kleinen Seger” vorgeladen, nachdem unmittelbar vorher auch mit den Strassburgern ge­ bandelt worden. Sie trafen eine Ratsvertretung, fünf Kopfe stark, gegenwärtig. Der Beschluss des Rates entsprach den Umständen. Es wurde eröffnet, dass der Rat zwiespältige Prediger nicht dulden könne und nachdem er gefunden, dass der ganze Span allein am mündlichen Genuss und am Genuss der Ungläubigen liege, so begehre er, diese Stücke zur Se­ ligkeit unnot achtend, dass die Prediger hievon Stillschwei­ gen bis zu endlicher Erörterung dieser Sache durch die Ge­ lehrten ... Er versehe sich willfähriger Antwort, ohne jemand wider sein Gewissen drängen zu wollen. Ungern wurde den Predigern Bedenkzeit geschenkt und nur bis zum nächsten Tag. Vor Rat erscheinend erklärten sie da, gleich im ersten Hauptpunkt mit den andern nicht einig zu sein, sofern diese dio wahre Gegenwart dos Leibes im Nachtmal nicht anerken­ nen.... Sie begehrten zu wissen, ob der Rat, sofern er Zwie­ spalt nicht dulden woUe, an ihre Entlassung denke. Die Antwort verzog sich. An eine Entlassung war bei der star­ ken lutherischen Partei nicht zu denken”. So Keim *). Nach diesem Berichte übergaben die beiden Parteien sich nicht gegenseitig ihre Bekenntnisse, sondern brachten diese vor den Rat zur Entscheidung. Erst in der Zeit vom 25. Febr. bis 1. März erhielten die Lutheraner Kenntnis von den Artikeln ihrer Gegner. Unmöglich kann also Keim mit der Bemerkung: „Tn der Zwischenzeit (14. bis 25. Febr.) ar­ beiteten die Parteien emsig gegen einander (S. 274) u. s. w.”, die Streitschriften unserer Handschrift im Auge gehabt haben, denn diese setzen sämtliche die Kenntnis der beiderseitigen Artikel voraus, wie aus dem Titel des dritten Schriftstücks*2), aus dem 22, Artikel dieses nämlichen Schriftstückes3), aus D-Schw, Ref. 274 f. 2) Bl. 2'. -„Mit dissen nachvolgenden artikeln haben Doktor Johanns Frosch und D. Stoftun Kastenpaur begert von den obenanten predikanten irer bekantnus ain erleutterung”. „Wir vernemen auch aus eurem siebenten artickl etc.”

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Zur Reformationsgeachiehte Augsburgs.

dem Anfang der vierten Abschrift1), ferner aus der fünften2) wohl zur Genüge erhellt. Allerdings zeigt der Inhalt unserer vorliegenden Schriften grosse Ähnlichkeit mit diesen Anfüh­ rungen Keims, was uns aber nur die Wahrscheinlickeit be­ weist, dass schon vor der Übergabe der Artikel die Lutheraner und Zwinglianer in ähnlicher Weise sich im Wort bekämpft hatten, wie jetzt in der Schrift8). Eine Frage bleibt es nur, ob diese sämtlichen sechs Schriften in der kurzen Zeit vom 25. Febr. bis 1. März, also innerhalb 5 Tagen ihre Bearbeitung und Beantwortung fanden oder ob sie noch über den bekann­ ten Ratsentscheid hinausreichen. Anhaltspunkt hiezu fehlt uns jeder, obwohl es nicht sehr wahrscheinlich zu sein scheint, dass die Schriften so schnell aufeinander gefolgt sind. Das Urlaubsgesuch der Lutheraner endlich scheint Keim4) auch nur aus einem Briefe Agricola’s an Spengler vom 2. März gekannt zu haben. Keim erzählt dann weiter, dass der Friede nicht mehr herzustellen war und sich alles zu einer gewaltsamen Entfer­ nung der Lutherischen vorbereitete, dass der radikale Cellarius mit Leichtigkeit die Diktatur im Volke wieder eroberte. Für diese zerrissenen Zustände hätten nun dio Bürgermeister und die Freunde schon im Mai wiederholt und dringend dio Gegenwart der gerade damals in Ulm thätigen Häupter der Union, Buzcr und Oecolampad, begehrt. Mehrere Mal schlu­ gen diese den Ruf nach Augsburg ab, liessen sich aber durch erneute, dringende Bitten am 2. Juli endlich bestimmen, von Memmingen aus (wo sie sich bereits auf der Heimreise be­ fanden) einen Abstecher nach Augsburg zu machen. Ihre kurze Anwesenheit (schon am 6. Juli waren beide in Bibcrach zu­ rück) hatte hingereicht, den dortigen Ratshäuptern die mutige *) Bl. 4. „Dos anfängklich ln der bekanntnus gemeldet”. 2) Bl. 8'* „Den unsere bekantnus noch fest und stouff auff gottes wort steet etc.” 3) Für diese Angaben citiert Keim Briefe Agricola’s an Spengler vom Febr., vom 2. März, bei Haussdorff S. 329 ff., vgl. Spengler an Dietrich 20. Febr. S. 327 f., Buzor an Herzog von Lttneb. April 1531 Siml. Samml. Band 28, böi Hess S* 372. 4) cf. 275. 3*

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Entschlossenheit mitzuteilen, den beiden Lutheranern bei ihrer hartnäckigen Weigerung, die Buzer’sche Vermittlung anzuer­ kennen, Stillschweigen aufzulegen, den Strassburgern das Predigtamt ganz zu ^übergeben, worauf jene, ihr Festhalten an der sächsischen Confession beteuernd, ihren Posten und die Stadt verbessern Sie wandten sich nach Nürnberg, wo Frosch Prediger bei St. Sebald wurde, während Agricola nach längerer Benützung der Gastfreundschaft Link’s von Markgraf Georg nach Hof berufen wurde *). Dieser Darstellung wird aber durch unsere Handschrift direkt widersprochen. Wahrscheinlich ist zwar, dass unser Ab­ schiedsschreiben 12)* an den Rat gemeint ist mit den Worten „worauf jene ihr Festhalten an der sächsischen Confession be­ teuernd etc.”, obwohl dieses Schreiben selbst Keim nicht ge­ kannt zu haben seheint. Nicht aber stimmt die Zeit der Ab­ reise der beiden lutherischen Prediger. Nachdem bereits Wolf­ hards Predigt am Himmelfahrtstag 1531 über das Sakrament der Taufe8) von Agricola eine Widerlegung im lutherischen Sinne 4) gefunden hatte, fand auch eine spätere Predigt Wolf­ hards über das gleiche Thema“) wiederum eine scharfe Wi­ derlegung von Seiten Agricola’s unter dem 21. Mai*5),* welche Widerlegung, wie es scheint, noch in Augsburg an Wolfhard übermittelt wurde. Am 29. Mai aber war nun Agricola be­ reits nicht mehr in der Stadt, denn unter diesem Datum rich­ tet Bonifaz Wolfhard als Antwort auf die letzte Widerlegung einen Brief an ihn, \Vorin es heisst, dass er ihm in seiner Abwesenheit auf die Widerlegung selbst nicht schriftlich zu antworten getraue, aus Furcht, es möchte das Schreiben ver­ loren gehen oder in uürechte Hände kommen7). Am 3. des 1) cf. Keim 277 f. 2) Bl. 21. Vgl. oben 8. 33. 3) Bl. 32. Die pnncten, so hernach volgcn, hat Bonifacius Wolfhardt am auffertag zu Augspurg gepredigt 1631. 4) Bl. 32' ff. 5) Bl. 33. °) Bl. 38' ff‘. bis 40. Sie ist direkt an “Wolfhard gerichtet und sch liegst mit der Bitte um Antwort. *) Bl. 22 ff.

Zur Reformationsgeschichte Augsburgs.

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Brachntonats (Juni) sodann wendet sich Agricola von Nürn­ berg aiis mit einem Schreiben an Wolfhard, antwortend auf des letzteren Brief vom 29. Mai und ihn energisch zur Wider­ rufung seines falschen Bekenntnisses in betreff der Taufe auffordernd1). Daraus geht also hervor, dass Agricola schon lange vor der Anwesenheit Buzers und Oecolampads Augsburg ver­ lassen hatte. Freilich wäre die Möglichkeit vorhanden, dass Agricola nur vorübergehend in Nünberg verweilt habe und noch einmal nach Augsburg zurückgekehrt sei. Aber auch diese Annahme dürfte mit unserer Handschrift sich nicht ver­ tragen. Gleich nach dem erwähnten Mahnschreiben an Wolf­ hart schickte nämlich Agricola an den Rat von Augsburg ein langes Schreiben2),3 *worin er die Stadt vor* der verderblichen Lehre Wolfhards warnt und zugleich seine Lehre von der Taufe entwickelt, und diese Schrift spricht deutlich dafür, dass Agricola sich bereits dauernd von Augsburg abgewandt hatte. Wörtlich schreibt er nämlich darin: „Dieweil ich auch vorhin predigen zu Augspurg gewesen bin" und: „bin auch gar und ganz nit genaygt, noch nie genaygt gewesen, ewch meine herren, aynen ersamen, weysen rath und ganze gemain der löblichen stath Augspurg, von der ich rill liebe und framdschaft (der ich billich dankpar) empfangen hab, etwas mit worthen oder tliaten zu cerldaynerung oder nachtayl handlen”. Gewiss Worte, die

auf keine Rückkehr schliessen lassen, die im Gegenteil be­ weisen, dass Agricola seine Predigerstelle in Augsburg bereits vollständig aufgegeben hatte. Zu allem Überfluss findet sich endlich noch ein Brief Agricola’s an den Augsburger Rat, vom 1. Febr. 1532 von Hof a. d. Saale aus geschrieben8), der deutlich leweist, dass er nicht mehr zurückgekehrt ist. Er nimmt darin nämlich Bezug auf seine letzte Zuschrift an den Rat und fordert ihn dringend auf, Wolfhard zum Wider­ ruf seiner Lehre von der Taufe zu zwingen und schreibt: Ersarri fürsichtig weiss günstig undt geliebt herren! ungev erlich cor 8 monat hob ich ewer e. w. geschrifftlich zu cernemen i) Bl. 22. *) Bl. 24'. 3) Bl. 77‘: Geben in der f ürstlichen stath hoff an der Saal, primo februarii 1532.

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Johann t'ille*

geben, wie ich aynem predigen lei ewch Bonifaz Wolfhart ge­ nant auss schuldiger pflicht ain Widerlegung segnen getanen irrigen predigen ordenlieh uberantwurt hab. Aus all’ dem geht doch

sicher hervor, dass Agricola wenigstens sich schon Ende Mai 1531 von Augsburg weggewondet habe, nicht erst nach dem 6. Juli, d. h. nach der Anwesenheit Buzcrs und Oecolampads. Wann sich aber Frosch von Augsburg fortbegeben hat, dar­ über weiss uns unsere Handschrift nichts zu berichten: ob schon mit Agricola oder erst nach* dem fraglichen Zeitpunkt der Anwesenheit Buzers und Oecolampads? — Ausser diesen für den Streit wichtigsten Schriftstücken finden sich noch mehrere in diese Zeit fallende Abschriften in unserm Manuscripte, ohne auf den Streit besonders Be­ zug zu haben: nämlich einmal ein weitschweifiges, 13 Blätter umfassendes Bekenntnis über die Taufe (10. Juni 1531) von dem Augsburger Prediger Caspar Huberinus1), der zwar treuer Lutheraner war, sich in den Streit der Parteien aber nicht hineinmischte, sondern eine mehr neutrale Stellung ein­ nahm. Er verblieb auch nach wie vor in Augsburg. Auch von dem bereits früher erwähnten Prediger Sebastian Mayr, gewöhnlich Dr. Mayr genannt, ist eine Predigt ent­ halten über das Abendmahl, in der er die verdeckte zwinglische Lehre BuzerV entwickelt. Gehalten wurde sie bei St. Jörgen am sunntag nach Joh. Battiste2). Dazu kommt end­ lich noch ein Brief von Frosch. Frosch schreibt von Nürn­ berg aus am 25. Januar 1532 an eine ihm befreundete Pa­ trizierfamilie in Augsburg, sie warnend vor der zwinglischen Lehre*8).* *Diese Familie mag wohl in nahen Beziehungen zur Familie der Welser gestanden haben, denn Frosch gibt in dem Briefe den Auftrag, auch dieWelseriri ihn lesen zu las­ sen. Ferner bestellt er Grüsse an „Remen und Zangmayster”. J) Bl. 60 ff. mit dem Motto ans J^fi. 18: hab ich ybel geret, so beweysst es, das unrecht sey. 2) D. i. den 25. Juni 1531.

Bl. 73'.

8) Bl. 75'. Ausserdem enthält er Mitteilung über Mehrung seiner eigenen Familie: es sei ihm der dritte Sohn geboren worden, das sechste seiner Kinder, von denen aber nur zwei am Leben sind.

Zur Reformationsgeßchichte Augsburgs.

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Als Beigabe zu diesem Briefe schickte Frosch ein Mandat *), das unä einen Einblick in die religiösen Zustände in Nürnberg gestattet. So sehr hatte dort die Verachtung und Gering­ schätzung der Religion und ihrer Diener um sich gegriffen, dass sich der Rat gezwungen sah, am 19. Januar 1532 ein eigenes Mandat zu erlassen, durch das alles öffentliche Schim­ pfen und Disputieren über das Abendmahl und die Prediger verboten und mit strengen Strafen bedroht wurde. Der nun noch übrige letzte Teil der Abschriften gehört fast vollständig früheren Jahren an und umfasst fast nur Pre­ digten und Anreden oder Ritenformeln von Lutheranern. Im­ merhin bietet aber auch er noch manches Interessante. An erster Stelle begegnen wir einer „kurzen ermanung zum Sakra­ ment den leibe* und blnt* Christi*)”, eine Anrede oder Exhortation, wie es scheint. Am Ende derselben steht aller­ dings ein Name: Ber. Glantz; sicherlich ist dies aber nicht der Yeifasser, denn noch mehrere der folgenden Schriften tragen diese Unterschrift, obwohl an der Spitze derselben als Verfasser ein anderer Name angegeben ist. Zu dem ist unter den protestantischen Predigern in Augsburg keiner dieses Namens bekannt. Möglich, dass es einer der Abschreiber war (oder der Übermittler dieser Predigten, weil der Name nur unter solchen sich findet). Der Verfasser selbst ist wahr­ scheinlich Urbanus Rhegius. Weiter folgen nun: Ein vorredt von nachtmal Heginss); Vorred vom lippi Melanchtonis14); 52 3 Jesu Christi I)r% Urb.

unsers heim Jesu Christi von l)r. Urb. nachtmal unsers lierren Jesu Christi PhiVorredt von dem nachtmal unsers lierrn RhegiC). Daran schliessen sich15) vier

weitere Anreden des Rhegius: zwei Anreden vor der hl. Commqnion, ante sacram communioncm, und zwei Hochzeitsan­ sprachen; die eine über die zwei Punkte: Würdigkeit und 1) Bl. 76'. 2) Bl. 41. 3): Bl. 47. 4) Bl. 48. 5) Bl. 49. 6) Bl. 51 u. 51'. Bl. 53 folgt: Oracio in nupem habende (0 D. Vrbani Regii u. f. 54: alia oratio in nupeiis habenda per U, Regium.



Johann Fille.

Nutz und Not des Ehestandes, die andere von den Leiden des Ehestandes, der Weiber und der Männer Kreuz. Weiter1)* 3 finden wir einen Taufritus von Urban Rhegius (forma christiani baptismatis): Auf eine Anrede des Taufenden an die gelleder gottes folgt Ein gehet for dem tanff' und die Taufe selbst in dieser Weise: Nimm das kindt in die handt und frag die gevattcr, wie es soll hagssen, und frag sie erstlieh die stuck des christlichen glaubens: Glaubst du in gott vatter den allmeehtigen etc. und in Jesum Christum segnen snn etc. und in den hügligen Gag st etc. In dissem glaulen N. tanff ich im namen des vatters undt des suns und des hügligen gagsts. Der ganze

Taufakt schliesst mit einem kurzen Gebet. Nach einer noch­ maligen Vorredt vom nachtmal unsers herren I>, Urb. Rcgii ~) treffen wir nun ein Produkt von Luther selbst, nämlich8): Ettlich kurze vermanung so ain chvist zu herren thun mag, an deren Schluss Luther

got

segnem

Bischof zu Wittenberg genannt wird. Es ist dieser Abschnitt eine Reihe von Gebeten für verschiedene Anlässe; zwei darunter mit Be­ ziehung auf die beiden Sakramente der Taufe und des Abend­ mals, weshalb die Überschriften: Vom tanff\ vom aubentmall des lierrn. Zum Schlüsse finden wir endlich noch die Ab­ schrift der berühmten Marburger Einigungsartikel zwischen Luther und Zwingli vom 4. Oktober 15294)5 und mit Bezug auf diese Concordie die Copia ains brieffs, so Ambrosia Blarer, predikant zu Costnitz agnem vertrawten ratzfraind zu Ulm ge­ schrieben hatt*), datiert vom 8. Dezember 1531. Blarer schreibt

diesem seinem Freunde: Luther und Zwingli hätten sich zwar mit einander verglichen, aber eine völlige Einigung sei nicht zu stände gekommen. Vielmehr glaube er, dass nunmehr Lu­ ther alles daran setzen werde, seine Ansicht zur Geltung zu bringen. Mit weiterem Schreiben und Disputieren sei aber zum wenigsten eine Ausgleichung zu erwarten, dieses führe 0 Bl. 65' *) BK 67. 3) Bl. 58 mit der Unterschrift Bl. 59': Doctor Martinas Lutter bischoff zu Wittenberg. *) Bl. 78 ff. 5)

B1. 81 ff.

Zur Reformationsgeschichte Augsburgs.

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vielmehr immer weiter von einander. Gebot zu Gott und Stillschweigen sei das beste Mittel, die Parteien einander näher zu bringen. Ohne weiteres Disputieren und Schreiben sollen beide Teile deshalb in Ruhe ihre Ansicht lehren und verbreiten. Das der Inhalt unserer Handschrift. Manches davon ist aus anderen Quellen bereits bekannt; in der Hauptsache aber dürfte er neues und nicht unwichtiges Material bieten — nicht nur für die Reformationsgeschichte Augsburgs, sondern zur Entwicklungsgeschichte der protestantischen Bekenntnisse überhaupt.

Der Augustiner Kaspar Amman, Yon

Alois Wagner.

Aeusserst interessant sind jene Zeiten, in die der Schluss des Mittelalters und der Anfang der Neuzeit gesetzt zu wer­ den pflegt. Das Studium der schönen Wissenschaften und der Antike hatte den Weg gefunden über die Alpen nach Deutschland und hier einen mächtigen und ungeahnten Auf­ schwung genommen. In der Art und AYeise aber, wie das­ selbe gepflegt wurde, lag schon der Keim zur geistigen Revo­ lution und so kam es, dass die Humanisten der kommenden Reformation vielfach den Boden bereiteten. Als nun diese selbst mit ihren furchtbaren Wirren und erbitterten Geisteskämpfen hereinbrach, da musste das Interesse an den wissen­ schaftlichen Fragen vor dem an den religiösen weichen: Hu­ manismus und Reformation lösteu sich ab. Mit beiden Bewe­ gungen, der wissenschaftlichen sowohl wie der religiösen, ist der Name Ammans verknüpft; zudem war er ein Glied jener Ordensgesellschaft, zu der auch Luther einst sich zählte, und nahm in derselben eine hervorragende Stellung ein. Der deutsche Ordenskreis der Augustinereremiten zerfiel zu jener Zeit in vier Provinzen, nämlich in die kölnische, die bayerische, die sächsisch-thüringische und die schwäbisch-rheinische. In letz­ terer lag Brüderhloster zu Lau in gen, dessen Oberer Amman lange Zeit wTar. Nachfolgende Zeilen wollen Nichts weiter sein, als ein bescheidener Versuch, die in der Litteratur des Humanismus und der Reformation zerstreuten Be­ merkungen über ihn durch Zurückführung auf ihren Ursprung in’s rechte Licht zu stellen und durch neue quellenmässige

t)er Augustiner Kaspar Amman.

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Beiträge ein einheitliches Gesamtbild von seinem Leben und Wirken zu entwerfen. Caspar Amman’s1) Geburtsort ist Hass eit, gelegen in der belgischen Provinz Lüttich, wo er etwa um die Mitte des 15. Jahrhunderts geboren sein wird. Dort brachte er seine Jugendjahre zu, bis sein Vater nach Lauingen zog. Hier wurde letzterer Bürgermeister und starb im hundertsten Jahre seines Lebens den 22. Mai 15232). Der Sohn trat frühe in das Augustinerkloster zu Lauingen und machte dann die vor­ geschriebene Prüfung, auf Grund deren der Aufzunehmende zum Probejahre zugelassen wurde. Wann Amman seine Pro­ fess abgelegt hat, wissen wir nicht; ohne Zweifel, bevor er zu seiner weiteren Ausbildung an eine der höheren Schulen geschickt werden sollte. Denn schon hatte sich Amann in­ zwischen durch hervorragende Talente und grossen Fleiss bemerklich gemacht und wurde daher auf dem Provin­ zialkapitel zu Hagenau vom Jahre 1477 , wo auch die Wahl eines neuen Provinzials in der Person des Michael Mörsinger von Speier stattfand, für eine höhere Ausbildung vorgcschlagen. Auf Grund dessen wurde er unter die Zahl derjenigen aufgenommen, welche die höheren Schulen besu­ chen sollten und nach Italien geschickt3), wo namentlich die Universitäten von Siena, Bologna und Ferrara von den AuguJ) So sein Name nach den Handschriften und den meisten gleich­ zeitigen Druckwerken. Später und neuerdings finden wir vielfach fälsch­ lich geschrieben Amann, Ammon und Amon. Die Familie Ammans exi­ stierte nach Nie. Benning, Protocollum monasterii Laugingani (Hand­ schrift im Städtischen Archiv zu Lauingen) noch 1658 in Lauingen. *) Ein Verwandter, oder der Vater, mag der Heinz Amman sein, wolcber in einem Konzessionsbrief des Hans von Villenbach von 1495 erwähnt ist. Über den Vater Ammans vergl. Bernh. Mayer, Gesch. der Stadt Lauingen (Dillingen 1806) S. 310, Aiim. 8) Ant. Höhn, Chronologiaprov. Rheno-Sucvicae (Wirceburgi, 1744,) pag. 11G. In his actis (nämlich des Provinzialkapitels zu Hagenau) Joannes Hemeler Tigurinus (später Provinzial ^on 1483—94 , sowie 1494—97) optimae indolis et doctr'niae Colon iam ad legendas sententias et gradum magisterii sitscipiendum .andientiamqne iuris canonici, Tülmannus Limperger de Moguntia (Provinzial von 1491 — 94) Londiniun in Angliamf et Casparus Amman de Lavinga in Italiam pro studentibus destinabantur.

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Alois Wagner.

stinern viel besucht waren l). Was den damaligen Studienplan im Augustin er orden betrifft, so hatte gegen Ende des 15. Jahrhunderts ein Generalkapitel zu Rom die zur Erlangung der akademischen Grade erforderliche Zeitdauer genau fest­ gesetzt. Darnach musste der junge Theologe wenigstens zehn Jahre den höheren Studien sich widmen, um zur Doktorpromotion zugelassen zu werden. Die eigentliche Studienzeit be­ gann erst mit dem philosophischen Cursus. Jene, die noch die Grammatik zu lernen hatten, galten als einfache Schüler, nicht als Studenten. Nachdem man vier Jahre Philosophie und Theologie studiert hatte, konnte man den Titel eines Cursors erhalten, nach zwei weiteren Jahren konnte man Lcctor werden, nach zwei anderen Baccalaureus. Wer aber die Doctorwürde erlangen wollte, musste nochmals zwei Jahre dem. Studium sich hingeben 2). Diese Bestimmungen werden auch Amman Richtschnur für seine Studien gewesen sein. Als er den Boden Italiens betrat, hatte er wohl irgend eine der kleineren Schulen des Ordens, auf welchen nur Gramma­ tik und Logik gelehrt wurde (wie sie für die Provinz Rhein­ land-Schwaben gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Heidel­ berg bestand), durcbgemacht oder in dem Lauinger Kloster selbst, falls ein geeigneter Lehrer da war. Unterricht in den elementaren Gegenständen erhalten. Wie dem auch sein mag, seine Studien waren von dem besten Erfolge gekrönt, indem er als doctor sacrae paginae et jwntificiovum eanonwm die Hoch­ schule verlies*. In sein Kloster zurückgekehrt, wurde ihm in verhältnismässig jungen Jahren 1485 die höchste Würde in demselben, die des Priorats, übertragen. Schon im nächsten Jahre 1486 wurde er auf dem Provinzialkapitel zu Landau, wo die Wiederwahl des 1488 zum erstenmale gewählten Jo­ hannes Handeier (oder Ilenseler) als Provinzial erfolgte, in das sogenannte Diffinitorium3) aufgenommen und blieb in demJ) Yergl. Kolde, die deutsche Augustinerkongregation und Joh. v. Staupitz (Gotha 1873) S. 48. 2) Yergl. Nik. Paulus, Der Augustinermanch Joh. Hoffmeister (Freiburg i. Br., 1891) S. 10 f. 8) Dasselbe wurde gebildet von dem abtretenden, dem neu erwähl­ ten Provinzial, und vier ebenfall» vom Capitel zu erwählenden sogenann-

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selben auch auf dem Kapitel zu Mühlhausen 1494, wo dem genannten Johannes Handeier zum drittenmale die Provinzialswürde übertragen ward. Als das Provinzialkapitel 1500 nach Rappoltsweiler einberufen wurde, ernannte der damalige Generalvikar Gratianus von Foligno (Fulginas) den Prior zum Präsidenten desselben, und dieses wiederum stellte ihn an die Spitze der Provinz, die er nun als Provinzial leitete von 1500 — 1503. Nach Ablauf seiner Amtsjahre wurde das Kapitel nach Kolmar berufen, auf dem er abermals als Diffinitor fungierte, während zu seinem Nachfolger Sigfried Calciatoris aus Kirchweiler erwählt wurde. Die Liebe zu den Wissenschaften bewog ihn, nochmals in seinem hohen Alter in die Bänke des Hörsaales zurückzukehren und so treffen wir ihn in der Zeit nach seinem ersten Provinzialat als Schüler des bekannten Hebraisten Johannes Böschenstein aus Esslingen, der seit 1505 als Lehrer der hebräischen Sprache an der Universität Ingolstadt wirkte. Im Jahre 1514 zum z weitenmale zum Oberen der Ordensprovinz berufen, führte er dieses Amt bis 1518, ayo er in Konrad Tr'eger auf dem Ordenskapitel zu Speier einen eifrigen Nachfolger erhielt. Der Provinzial durfte nicht zugleich prior conventualis sein1); wrann er aber dieses erstere Amt nicht inne hatte, bekleidete Amman stets im Lauinger Augustinerkloster letzteres. Sein Gesundheitszustand liess bei zunehmendem Alter viel zu wmnschen ührig und zwang ihn nach Ostern 1522 ein Naturheilbad aufzusuchen. 1524 hielt er sich noch in Ulm auf; im gleichen Jahre starb er. Auf der Wand des oberhalb der Sakristei gelegenen Raumes in der alten Augustinerkirche zu Lauingen, standen, wahrscheinlich aus der Zeit Ammans stammend, die Worte geschrieben: ten Difiinitoren, sowie von dem durch den General ernannten Präsidenten des Capitels. Es war der goschäftsführende Ausschuss der Versammlung und hatte die Prioren der einzclnon Klöster zu ernennen. A. Kolde a. a. O. S. 31. 0 Kolde a. a. 0. S* 31.

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Hebvaei fontem, Graeci rivulos, Latini paludern Bibunt**). In dieser Inschrift ist ausgedrückt, welche Anforder­ ungen die damalige Zeit an einen Humanisten stellte, ist das Ideal des späteren Humanismus, die trium Unguarum peritia, in eine neue Form gekleidet und in der Steigerung der Aus­ drücke ein entsprechendes Bild von der Verbreitung der drei Sprachen unter den damaligen Gelehrten gegeben. Ammans philologische Kenntnisse waren bedeutende und gerade ihnen hatte er sein Ansehen bei den Zeitgenossen zu verdanken. Aber auf das Deutsche blickte er nicht mit der souveränen Verachtung wie jene, welche der Volkssprache im wissen­ schaftlichen Gebrauche das Bürgerrecht vollständig versagt hatten, wenn sich auch hie und da ein Ansatz zum Besseren zeigte. Allerdings hat auch Amman, der Sitte der Zeit fol­ gend, seine Briefe lateinisch geschrieben; dagegen ist seine Vorrede zu dem unten näher beschriebenen Psalter in deut­ scher Sprache verfasst und eben diese Übertragung der Psal­ men in’s Deutsche zeigt, dass er nicht in dem Vorurteile sei­ ner Zeit befangen war. In der lateinischen Sprache, der Umgangssprache der Gelehrten, bereitete sich erst zu des Priors Zeilen ein Fort­ schritt vor, indem dieselbe von den aus allen möglichen Spra­ chen entlehnten, dazu noch korrumpirten Ausdrücken und den mit der Zeit neu gebildeten Wörtern gereinigt und zum klassischen Latein umgebildet wurde. Bei Amman treffen wir noch nicht den zierlichen, dabei aber auch überschwänglichen und lobhudelnden Stil gleichzeitiger oder späterer Humanisten; doch fehlt seiner Ausdrucksweise nicht ein gewisser Fluss und, wo notwendig, Schwung und poetische Sprache. — An das Studium der lateinischen Sprache schliesst sich das . der griechischen erst zu Endo des 15. Jahrhunderts an; auch in dieser ist der Prior wohl bewandert gewesen2). — Das He­ bräische gelangt zu neuem Aufschwung zu Beginn des folJ) Benning p. 0. *) Wie ersichtlich aus Ammans Vorrede zu seinem Psalter und aus den Briefen an Veit Bild vom 18. und 31. Aüg. 1521. (Vergl. Dr. Alfred Schröder Der Humanist Veit Bild} in der „Zeitschrift dos hist.

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genden Säkulums und trium linguarum peritus, „dreisprachig” zu sein, galt als die ehrenvollste Bezeichnung1). Doch war es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wegen Mangel an guten und fasslichen Lehrbüchern noch schwer, sich die Kenntnis der hebräischen Sprache zu verschaffen; andrerseits waren die Juden, in denen sich die „heilige” Sprache fortge­ pflanzt hatte, teils unwissend, teils meinten sie, es sei ein talmudische8 Verbot, Christen zu unterrichten, während die Christen sich vielfach scheuten, mit den während des Mittel­ alters so sehr verachteten Juden in nähere Beziehungen zu treten2). Den Bann, der auf diesem Studium lastete, gebro­ chen und neues Leben in dasselbe gebracht zu haben, ist das Verdienst Reuchlins, der schon 1498 in Heidelberg hebräisch lehrte, seine lludimcMa hebraic.a aber noch nicht herausgege­ ben hatte, als Amman die heilige Sprache zu lernen anfing. Neben Reuchlin verdient einen hervorragenden Platz und den Namen eines zweiten Wiedererweckers der hebräischen Sprache, den ihm die Zeitgenossen gaben, Johann Böschen st ein Yer. f. Schwaben u. Neuburg, Jahrg. 1893), denen zufolge er ein bestell­ tes griechiclies Wörterbuch erhalten hat. *) Yergl. das Widmuugsschreiben Job. Böschonsteins an Rouchlin vom 2. Juni 1514, mit dem er ihm sein Eiern entale introductorium in hehrem litteras etc. widmet, wo er am Schlüsse sagt (2a): Vale trium linguarum peritissime Capnion meque tnum mancipium esse patiare. Ge­ druckt: Auguste ex officina Erhardi Oeglin mense Maio Anno MDXIIII. 3 Bogen ä 4 Bll. in 4°. Dieses sehr seltene Schriftchen (ich habe es auf der Münchener Staatsbibliothek benutzt) wird als das erste in Augsburggedruckte hebräische Buch angeführt. Es enthält aussor der kurzen An­ weisung jüdisch-deutsch zu schreiben, dem ersten von christlicher Seite gemachten Yersuche dieser Art, das eigentliche hebräische Alphabet; Re­ geln über das Schwa und die Punkte; die Zehngebote, das Yatorunser, Ave Maria, Credo, Magnifikat, den Lobgesnng Simeons, Yeni Sancte, Salve Regina und den Gesang Zacharias hebräisch, lateinisch und deutsch in sehr schönem Drucke. Yergl. auch Ludw. Geiger, Studium der hebr. Sprache u. s. u\, Leipzig 1871, S. 50 f. 2) Eudw. Geiger, a. a. 0. S. 16. Yergl. dazu die Worte Böschen­ steins in dem Widmungschreiben an Reuchlin, wo er letzterem Befreiung wünscht von den Unbilden und Nachstellungen seiner Feinde, die seinen Ruhm angegriffen hätten. Auch ihn verfolge das gleiche Schicksal; auch er finde von allen Seiten Anfeindungen — von den Juden, weil er ihre Sprache lehre, von den Christen, weil er mit den Juden verkohrt habe,

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aus Esslingen, der seit 1505 als Lehrer des Hebräischen in Ingolstadt wirkte. Dort sammelte er eine grosse Schülerschaar um sich, die er in dem früher citierten Widmungschreiben an Reuchlin vom 2. Juni 1514 namentlich aufzählt. Dazu gehörten unter an­ deren Johannes Eck1), Sebastian Sprentz2), 3 Johannes Pinician8) und auch Amman. Fünf Jahre lernte dieser bei ihm und zwar von 1505 an, wie er selber uns berichiet in der Vor­ rede zu seinem 1523 erschienenen Psalter: Als nun Du aller• liebster Johann mein erster sehuelmaister biss in das fünfft jar der hebräischen zungen jnn meinem hohen alter gewesst bist / vnd ich geiz gross arbait biss in daz achtzehend jar in dis er Zungen gehabt u. s. w. Fleissiges Studium bei diesem mit der hebräi­

schen Sprache ganz hervorragend vertrauten Manne verschaff­ ten dem Prior jene gründliche Kenntnis derselben, welche ihm einen Platz unter den bedeutendsten4) Kennern derselben ein­ räumt. Sein Ruf als Hebraist brachte ihn in Briefwechsel und Verkehr mit den bekanntesten zeitgenössischen Humanisten. ‘Wolfgang Fabritius Capito, der selbst eine mehrfach auf­ gelegte hebräische Grammatik herausgab, wandte sich an ihn in wissenschaftlichen Fragen und erhielt von ihm Belehrung, bei deren Erwähnung er ihm grosses Lob spendet5). Konrad *) Orator et doctor theologie; derselbe hatte schon während seiner Studien in Freiburg bei dem Cartlniuser Gregor Reisch, nachmals aber bei Reuchlin hehräiscli gelernt, er hatte den getauften Juden Pater Staffelstei­ ner zu Ratlie gezogen, selbst den Unterricht des jüdischen Gelehrten Elias Levita nicht gescheut. Vergl. L. Geiger a. a. 0. S. 30. Koch 1538 am 4. Juli entlehnt Eck 2 hebr. Bücher Ammans aus derLauinger Klosterbibliothek: eino näher bezeichnete Schrift Reuchlins und ein hebr.-lat. Wörterbuch [K. A. Reichsarchiv München unter Lauinger Augustinerkloster, Fase. Kro. 1.) 2) Doctor prepositus Brixinensis; später Bischof von Brixen. 3) Prespiter Augustensis. 4) Wolfgang Fabritius Capito in Hebraicarum institutionuni libri duo (Basileae apud Jos. Frobenium mense Januario anni 1518.) p. H. 26 sagt von ihm, er sei mit der heiligen Sprache ungewöhnlich vertraut ge­ wesen (sanctaequae linguae Jiaud vulgär Her doctus). Theodorus Ebcrtus, in Elogia Ictorunij qui Ebr, linguam promoverant p. 8 rühmt: Reuchlino aeqmlis fere fuit Caspar Ammonius ... patronus harum literarum et cultor. 5) Wolfg. Fahr. Capito, 1. c. p. H2b.

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Gessner, der nicht viel später lebte, nennt Amman den Präzeptor desselben und des Johann Ökolampadius und erwähnt, dass Briefe von beiden der im folgenden näher be­ sprochenen Grammatik des Priors vorausgeschickt seien *). Auch Simler und Münster, beide gründliche Kenner des He­ bräischen, schätzten ihn sehr hoch und letzterer schreibt von ihm, nachdem erReucblin, Pellikan, sich als den dritten und Capito genannt, also: Zu dieser Zeit machten auch noch an­ dere gelehrte Männer in Deutschland und Italien in Begei­ sterung für diese Sprache solche Fortschritte, dass sie durch ihre veröffentlichten Werke nicht geringen Ruhm bei der Nachwelt sich verdient haben, unter welchen hervorragen Jo­ hannes Ökolampadius, Caspar Amman, dessen Werk nicht veröffentlicht wurde, Ulrich, Zwingli, Matthäus Aurogallus u. s. w.*2). Mit Münster3) und Simler verknüpfte ihn ausserdem noch persönliche Freundschaft. Ein ehrenvolles Zeugnis für sein Können wird Amman ferner von seinem Obern ausgestellt, dem Augustinergeneral Agidius von Yiterbo, der selbst ein tüchtiger Kenner des Hebräischen, nachmals bei Elias Levita, obwohl dieser Jude war, 13 Jahre Unter­ richt nahm und denselben sogar in seinem Hause beherbergte. In einem Schreiben datiert: Rom, den 15. Dez. 15134), nennt er auffallender Weise Amman einen Schüler Reuchlins, bittot ihn um ein Verzeichnis aller Bücher, welche dieser Lehrer Appendix Bibliothecae Conradi Gessnerif Tiguri 1555, p. 38. Auch Jak. Brücker Miscellanea historiae phil. lit. crit. Aug. Vind. 1748. P. 302. R. berichtet: Discipulos autem Ammanus habuit viroa praeclaro de literatura Ebraica seculi XVI. meritoa Wolfgangura Capitonem et Joannem Oecolanjpadium. 2) Nach Ludw. Geiger a. a. 0. S. 75 f. aus Münstera Vorrede zu seinem Opus grammut icum consiimmatum, (Basileae, 1556), wo die Stelle lautet: Quo tempore et multi alii docti viri per Germaniam ct Italiam amorc huius linguao excitati brevi adeo profccerunt, ut editia libris laudefti non vulgarem apud posteros meruerint, inter quos praccipui sunt Jo­ hannes Oeeolampadius, Casparus Ammonius, cuiua tarnen labor in pubilr cum non prodiit, Udalriohus Zwinglius, Matthaeus Aurogallus etc. 3) .Tac. Brücker, Mise, historiae phil. lit. crit. (Aug. Vind. 1748) p. 303. 4) Abgedruckt in Henke und Bruns, Annales literarii, Ilelmstadt 1782, p. ,195 ff. ebenso der gleich zu erwähnende vonFelix Pratensis. 4

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habe, und ersucht ihn, genau naöhzusehon, ob derselbe Bücher habe von denen, die er auf der cingeschlossenen Seite bo­ schrieben habe. Er solle keinen Ort bei Seite lassen, wo er hebräische Bücher vermute, und ihm über alle auf das ge­ naueste berichten. Zum Schlüsse fügt er noch bei: „Du wirst uns die grössten Schätze und Reichtümer, Königreiche schen­ ken, wenn Du uns aufgefundene Bücher verschaffen wirst. Wir werden Dir dafüivzu ewigem Danke verbunden sein”1}: eine für den Humanisten charakteristische Wendung. Amman scheint sich afcch Mühe gegeben zu haben, dem Wunsche seines Yorgesetzten nachzukommen. Dies beweist ein Brief des Felix Pratensis oder, wie er sich nennt, Israelita2), des berühmten Herausgebers hebräischer Bücher in Venedig, vom 4. Oktober des nächsten Jahres, welchen Amman, wie aus dem Briefe zu schliessen ist, um eine hebräische Bibel angegangen hatte. Dieser war in der Lage ihm in seinem Antwortschreiben eine solche zu 80 Dukaten versprechen zu können, meldet aber dann in dem vorliegenden Briefe, dass dieselbe von dem Besitzer bereits anderweitig verkauft wor­ den sei. Auf dieses hin habe er mit einem andern Manne, der die ganze Bibel mit Erklärungen ausser den Chetubim **) besass, unterhandelt und ihm 35 Dukaten dafür geboten. Aber auch dieser Handel habe sich zerschlagen. Doch jetzt habe er ihm eine Bibel mit Erklärungen anzubieten, einen vollkommenen fehlerlosen, einzigen Pergamentband und ausserdem zwei näher bezeichnete Bücher, das eine mit, das andere ohne Punktation, ]) Nolis maximos thesauros, diuitias, regna dabis, si Codices nobis efficies. Erimus vero tibi "pro his perpetuo meritorum vinculo dcuincti. Henke und Bruns, 1* c. p. 196. *) Yergl. Über ihn Jac. Lelong et C. T. Boerner, Biblioth, sacra cd. Androa Gottlieb Masch, Hallae, 1778. p. 96 f. Felix Pratensis, vir trium linguarum, hatte seinen Beinamen von seinem Geburtsort, wo er auch vom Judentum zum Katholizismus sich bekehrte. Er trat später in den Augu­ stinerorden, wurdo 1523 Magister Theologiae und starb 1539 zu Born bei­ nahe 100 Jahre alt. 8) Die Juden teilten ihre heiligen Schriften ein in dos Gesetz oder Tora (5 Bücher Moses), in die Propheten oder Nebiim (Jos., Richter, Sam., Kön., Is., Jcr., Fzeeh., kU Proph.) und in die Hagiographa oder Chetu­ bim (Job, Ps., Spr., Fred., Hohes Lied, Da*., Paroli, Esdr., Esth., Ruth.).

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wie auf der Erde kein gleiches gefunden werde, zu 65 Dukaten. Der Ausgang des Briefwechsels ist uns leider nicht bekannt. Noch im Todesjahre Ajnmans lesen wir eine höchst lo­ bende Bemerkung über ihn in dem Briefe des bekannten Exkarmeliten und Reformators Urbanus Regius an den humanistisch gebildeten Ulmer Arzt Wolfgang Rychardus vom 22. Juli 1524, der dem Prior den ersten Rang unter den Hebraisten einräumt *)• Mag nun von den angeführten Lobsprüchen manches auf Rechnung der Yerhimmelung zu setzen sein, wie sie unter Humanisten Gewohnheit war, jeden­ falls zeugt sein grosser Verkehr und seine Bekanntschaft in den Humanistenkreisen von ungewöhnlicher Bedeutung und Gelehrsamkeit Ammans. Mit seinem Lehrer Böschen stein verband Amman die treueste Freundschaft trotz der vielen Anfeindungen, die derselbe von allen Seiten zu erdulden hatte. Ebenso wie Reuchlin, Ökolampadius und andere, stellte er ihm das beste Zeugnis aus und empfahl ihn2), als es sich darum handelte, Böschenstein als Lehrer der hebräischen Sprache an der Universität Heidelberg anzustellen, wobei Ammans Ansehen als Provinzial und bekannter Theologe wohl in die Wagschale fiel. Seinem Lehrer widmete er auch in dankbarer Erinnerung seine Übersetzung des Davidischen Psalters vom Jahre 1523, die erste Frucht seiner Studien. Wir können die Entstehung desselben zurückverfolgen bis auf das Jahr 1514; schon damals trug er sich mit dem Gedanken einer Übersetzung, denn Böschenstein schreibt bei J) Der Brief ist abgedruckt in: Th. Koldo, Analecta Lutherana, (Gotha, 1883) S. 45. Anm. 4. Auch in Lauingen lebto ein solcher huma­ nistisch gebildeter Arzt, der im nämlichen Briofo als der „treueste Freund” des Wolfgang Rychardus erwähnt wird. Er hiess Sebastian Neidhart, Dr. med. An ihn schreibt auch Veit Bild am 3. Juli 1525 (vergl. Alfred Schröder a. a. 0. unter den veröffentlichten Briefauszögen Nro. 271.) und bittet ihn, die (jedenfalls von Neidhart hor&usgegebenon) achcdulac minutiomiM für das folgende Jahr bei Philipp Uhlhart, einem tüchtigen, wenn auch nicht reichen Manne in Druck zu geben, doch zu einem billigeren Preise als bisher, weil die Buchdrucker grossen Schadon gelitten hätten. 1518 stiftete er einen Jahrtag im Augustinerklo&tcr (Hen­ ning. S. 87,} ; . *) Geiger Ludw., a, a. Cb S. 89.

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Nennung seines Namens in dem Widmungsschreiben an Reuchlin: „Mit Recht pflege er sich desselben zu rühmen, denn dieser werde eine sehr korrekte Übersetzung des Psalters der Nachwelt übergeben”. Durch verschiedene Umständo aber scheint die Drucklegung desselben sich bis 1523, dem Jahre vor seinem Tode, verzögert zu haben, wo er erschien mit dem Titel: Psalter des küniglichen prophetten Dauids ge­ tauscht nach xcahrliafftigern te.et der hebräischen zungen. Am Schlüsse steht: Volendet in der kaiserlichen stat Augspurg durch Doctor Sigmund grgmm. Auf der Jetzten Seite ist das Grymmsche 'Wappen, das auf dem Helm und in dem Schilde einen die Keule schwingenden, mit Lorbeer bekränzten Mann zeigt und die Jahreszahl: M. D. XX. III. Die Rückseite des Ti­ telblattes enthält einen sehr schönen Holzschnitt, welcher die Szene (II. Kön. 12, 1—14.) darstellt, wie der Prophet Nathan zu David nach dessen Ehebruch mit des Urias Weib, Betheabee, kommt, ihn mit eindringlichen Worten auf die Sünde aufmerksam macht und ihm die Strafe des Herren verkündet. Yon diesen Worten und seiner Sündenschuld tief ergriffen, ringt David die Hände und blickt schmerzerfüllt zum Himmel. Auf das Titelblatt folgt die Widmung des Psalters an Bö­ schenstein, in welcher Amman erklärt, warum er nach so vielen anderweitigen Versuchen mit einer neuen Übertragung dos Psalters hervortrete, welchen Nutzen die Lesung der Psalmen habe und welche mit der Bitte an Böschenstein schliesst, den Psalter genau durchselien zu wollen. Ich lasse die Wid­ mung, als in jeder Beziehung interessant, hier nacbfolgen: Johanni Boeschenstain von esslingen hebräischer zungen lerer wün­ sche ich Caspar am man der hailigen schrifft doctor Gnad vnd fryd in christo jhesu. Aller liebster Johann / Nach dem vnd ich vil teufcscher translation vnd ausslcgung des psalters gesehen vnd gelesen / darinn an maenigem ort vil misshaellung auch vnverstaendig synne / Vnnd der gcgründten mainung Dauids vnd anderer diss psalters Schreiber gantz wider­ wertig send / Vnd das dye vrsach / so vil abschreibor dvses buochs / der hebräischen vnd gregkischen sprachen onwissent / den sinne des hailigen gaists / als stapulcnsis bezeugt in seinem fünffaltigen psalter vnder getruckt verondert vnnd vcrwaeclisolt haben / So aber Paulu3 sagt zuo den ephesiern / jr solt mit euch selber roeden in den psalmen / Vnnd so dauidt des hailigen gaists gnad erleucht / vil hailigkait der hailigen schrifft inn diesem buoch angezaigt hat als die erkantnus ohristi seiner gebürt / lo *

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bens / leidens / Sterbens / vrstende / auffart / Sendung des hailigon gaists / vnd auch vil ander grosser goetlicher haimlichaiten mit vil schoenon nnruelfungen zuo got habe ich als ain ainfaeltigcr zum letsten mich vnderstanden vnd auch den psalter als ain löblich nützlich buochlin darinn alt vnd nouw gesatz begriffen / in teutsch aus9 hebräischer warhait nach meinem vormügen vnd verstand andern ausslegern oder tulmetschcn oti nachteilig aussgclegt / allen begnadeten frumen menschon zuo guot vnd sonderer andaclit inn den truck geben. Als nun Du aller liebster johann mein ersier schuolmaister biss in das fiinfft jar der hebräischen zungen jnn meinem hohen alter gewesst bist / vnd ich yetz gross arbait biss in daz achtzehend jar in diser zungen gehabt / Dich allweg willig mir erzaigt. Darumm bit ich Dich inn christenlicher liebe / diss meinen geteutschten psalter flcissiglich besehen / helffen rechtvertigen / damit er Jaussgee in gemainen nutz aller Christen menschen / Auch zuo sonderm wolgefallen vnsers aller liebsten patrons Sigismundi grymm*) der artzney doctor. Da­ mit ain yedes menseh dises buechlin geprauchen miige / inn seinen liaenden tragen / sich darinn gegen got erkennen / dann ich achte kain hoehcr contemplierung dem menschen in got als in disem buochlin so man es taeglich in haenden prauchen wiirt. Hie mit soll Dich got bewaren vor allem übel. Geben zu Laugingen anno etc* tausent fiinffhundert vnd im drey vnd zwaintzigsten. —

Das darauf folgende Register der Psalmen füllt 13 Blät­ ter. Ihm schliesst sich auf 206 Blättern die Psalmenüber­ setzung an, teilweise mit schöner Randeinfassung und Initia­ len verziert. Die Übersetzung zeigt überall das Bestreben möglichst wörtlich zu bleiben, selbst wenn darüber der Sinn verloren geht. Zu konstatieren sind auch manche schiefe «

1) Dieser in Humanistenkreisen wohlbekannte und als Gönner der­ selben verehrte Arzt und Buchdrucker hatte Amman vor dem 10. März 1522 besucht, vielleicht wegen des Psalters, und gab ihm Kunde von sei­ nem Bruder, dem Buchhändler Sintpert Grymm (vergl. den Brief dieses Datums an Veit Bild bei Schröder.). Auch ieinem Briefe von Yeit Bild an Amman vom 12. April desselben Jahres wird er der gemeinsame Patron der beiden genannt. “Wie er Böschenstein unterstützte, berichtet dieser selbst in der Vorrede zu: Septem Pwlnii poenitentnlcs ex Hebraeo ad verbum Lat ine Oermantceque a Jpapne bo eschenst ain trandoli, welches Werk er ihm widmet mit dqn Worten: Quum enim raensa tua me saopius dignatus sis / aere etiam npnnunquam iuueris (quod et allj docti d# te praedicantl cui hoS ipsos psalmos iustius dicarem inueni neminem. (Ex Aügusta Vindelicorum quinto nonas Martins Anno salutifero 1520. Titel» blatt, Widmung und 10 Blätter.). Ferner berichtet uns Baumgarten, (Nachrichten von einer Haitischen Bibliothek. Halle, 1748. P. 388) Sigis­ mund Grymm habe die Kosten zum Drucke des Psalters hergegeben.

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Auffassungen und Unrichtigkeiten. Dabei ist dieselbe in dem vielfach harten, schwäbischen Dialekte geschrieben; so konnto es nicht ausbleiben, dass sie durch andere Psalter bald über­ holt wurde und, insbesonders nachdem Luther mit seiner Bi­ belübersetzung, die in der Sprache die Mitte hielt zwischen der Ilärto der südlichen und der Weichheit der nördlichen Dialekte, so grosses Aufsehen erregte, in Vergessenheit ge­ riet. Einigo Proben mögen zur Charakteristik des Amman’schen Psalters dienen: Die vorroed des psalters. Beatus* uir. Selig ist der man das er nit ist gangon im rath der vnmilten / vnnd im wog der siinder nit ist ge­ standen /'vnnd im sessel der spoetter nit ist gesessen. (I. 1.) Warum habent gestürmt die geschlaeeht vnd die voelker werdend rlioeden eytelkhait. Sye werden sieh thon stillen dye khünig des erdtreichs / vnd dye secretarii haben sich berathen mit ain ander 1 wider gott vnnd sein gesalbten. Wir woeilen zerbrechen yre bundtremen / vnd wellen hinworfen von uns yre dicke sailer. (I, 1—3.) Mii meiner stymm wil ich rueffen zue got / vnnd er wirt crhocrcn mich von dem berg seiner hailigkarit stettiglich. Ich bin gelegen vnd liab gcschlaffcn / ich bin erwacht / wann got wirt mich vnderlainen. (III, 5—7.)

Diese Stellen genügen, meine oben aufgestellten Belutuptungon zu beweisen. Die Bedeutung der Übersetzung liegt hauptsächlich darin, dass der Verfasser direkt auf den Urtext zurückgeht und denselben dann in die Volkssprache überträgt, wohl einer der ersten Versuche dieser Art. In die­ ser Beziehung überragt Amman die meisten der vielen, gleich­ zeitigen Psalmenübersetzer. — Mit diesem Psalter erschien zur selben Zeit und dazu gehörig: „Das gebet salomonis am driten buoch der künig geteutscht von wort zuo wort nach dem hebräischen text durch Johann Boesclienstain", das der Verfasser

als Antwort auf Ammans Dedikation folgendermassen einlei­ tet und seinem Schiller seinerseits widmet: Dem würdigen herrn Caspar Amman der heiligen achrifft lerer / wünscht Johann Boesclienstain fryd vnd hail in Christo. Ich hoff erwürdiger herr doctor jr soll ain sonder wo%efal en vnd benuegen haben ewers begerens an mich gethan / des psalteri* halb J den ich der zeit nach / fleyssig besehen / kain arbuit darann gespart habe / hoff es werde den guoten hertzen ain geliebter schätz / vnd ewerpi namen ain löblich gedaechtnüs. Froewe mich gar ser in gott so ir ewer eerlich alter in diser heiligen zungen also geuebt vnnd gepraucht / habt verlassen alle weitliehe kurt zweil / Euch allain in den gesatzen gottes ermaiet / auch ewer

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gemuet damit erquicket / als Dauid am ersten psalm sagt / Saelig ist der so sich tag vnd nacht betrachtet jnn gottes gesatz / vnd sein begirdo darein setzet / darumb habt ir den allerboesten tail orwoelefc / darinn das ewig leben erfunden wiirdt / der almaechtig bestaote das in euch vnd uns allen / das wir vnsor saeligkait suochen jnn den schriffteu der warhnit / das ist die bibel vnd die regel christi / da durch vns verzygen werden sol all vnser missetat vnd siindc, Hie mit beschirm euch got der almaechtig / vnd empfahent dies mein clain gäbe mit hocchstcr miltigkait / Geben zuo Augspurg am XVI. tag Februari Anno etc. 1523.

Die ganze Schrift umfasst 8 Blätter mit einem Holzschnitte, die Gesetzgebung auf Sinai darstellend und ist in meinem Exem­ plare (aus der Staatsbibl.) dem Psalter Ammans beigebunden. Mehr eine Gelegenheitsschrift und • nie im Drucke er­ schienen ist die hebräische Grammatik Ammans. Die­ selbe verdankt ihr Entstehen dem fleissig(|n Briefwechsel, wel­ chen Amman mit dem ebenso dienstfertigen als gebildeten und wissensdurstigen Mönche bei St. Ulrich in Augsburg, Veit Büd seit 1521 unterhielt. Dieser hatte schon früher sich vorübergehend mit dem Hebräischen beschäftigt, dasselbe aber jedenfalls aus Mangel an Lehrbüchern wieder aufgegebon, bis unter dem Einflüsse der damaliger! Strömung, welche wiederum diese Sprache zu exegetischen Zwecken heranzog, und namentlich unter dem der Reformatoren in ihm neuer Eifer erwachte, in der Kenntnis der hl. Sprache sich weiter auszubilden. Amman kam. ihm in seinem Briefe vom 15. De­ zember 1521 bereitwillig entgegen, schickte ihm ein hebräi­ sches Alphabet und bittet um Mitteilung der Bücher, welche im Besitze BildV seien !), Um diesem dann das Studium zu erleichtern, verbessert und vermehrt er das von ihm zuge­ schickte hebräische Elementarbuch (Brief vom 9. Apr, 22) und gibt dazu Erklärungen. Eben um jene Zeit unterrichtete Amman den Siadtprcdigor von Dillingen, Kaspar Haslach aus Kaufbeuren (Brief vom 31. Mai 1522 aus Dillingen), nach­ dem er nach Ostern desselben Jahres wegen körperlicher Ge­ brechlichkeit ein Naturheilbad aufgesucht hatte. Bei diesem 1) Diese sind (Brief Bilds vom 17. Dez. 1521.): Dictionarhis, orthographia, grammatica, psalterium cum eruditione parmla literarum hebr. Capitonis (erschienen 1516, vergl. Geiger a. a. O. 8. 112), elementale Lipsiemium parabolis Solomon i8 annexa.

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blieb er einige Tage, um auch ihm die Anfangsgründe der hebräischen Sprache beizubringen und benützte die Zeit wäh­ rend des Unterrichtes zur Abfassung eines Elementar­ buches der hebräischen Sprache, das er auch Bild zu über­ senden verspricht. Fleissig schreibt er nun an dieser Anlei­ tung (Brief vom 10. Juni 1522.); doch hat er sie bis zum 8. Juli noch nicht dem Augsburger Mönche übermittelt und die­ ser, der gern Ammans Sprachlehre besessen hätte, sich aber nicht genügende Kenntnisse zutraut, sie richtig abzuschreiben, bittet den Prior um Rat. Bald darauf hatte Amman eine Reise nach Nürnberg unternommen, in dem dortigen Augu­ stinerkloster sich aufgehalten und dann wieder nach Dillingen zu „seinem Gönner” (fautor noster), Kaspar Haslach, begeben, um diesen in seinen weiteren Studien zu leiten. Von liier aus schreibt er (am 5. Aug.) an Bild, aus dessen letztem Brief habe er ersehen können, wie sehr dieser nach seinem Epitome Artü grammaticae liebraeae Verlangen trage; er sei ihm so in brüderlicher Liebe verbunden, dass, wenn der zweite Teil den ersten und dritten nicht an Umfang überragen würde, er selbst, trotz seiner Schwäche, den Abschreiber machen'würde, denn in seiner Nähe sei keiner, der dies vermöge, weder ein Geistlicher, noch ein Weltlicher (Brief vom 5. Aüg.); doch werde er sich, wenn dieaHundstage vorüber seien, die Sache noch reiflicher überlegen -und ihm darüber Bescheid 'zuköm^ men lassen. Dieser fiel bejahend aus, denn am 13. Sept. schreibt er, er habe in seine bereits zitternden Hände die Feder ge­ nommen , um das Compendium Grammaticae liebraeae abzu­ schreiben. Am 25. Sept. überschickt Amman bereits dert zweiten und dritten Teil und bittet um Zurücksendung des* ersten und erbietet sich auch'fernerhin über alles Aufschlusi zu geben, was seinem Schüler unklar sei (1. Okt. 1522). Da­ mit endigen die Nachrichten in dein Briefwechsel der beidfenf Humanisten, doch setzen dieselben sich fort in gleichzeitigen" und späteren .Schriftstellern, v Aus ihnen erfahren wir, dass der hebräischkundige Conrad P e i 1 i k a n in Zürich sie besass. Später hatte sie Matth.. Friedrich Beck, ein eifriger Bücher-, Sammler und Kenner der orientalischen Sprache zu Augsburg in seiner Bibliothek (geboren 1649 zu Kaufbeuren, gestorben

l)er Augustiner Caspar Ammann.

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1701.). Aus diesen späteren Quellen kennen wir auch die Einteilung des hebräischen Kompendiums, das in 5 Teile zer­ fallen soll, während Ammaii in seinem Briefwechselj nur von drei spricht. Im ersten Kapitel wird gehandelt von den Buch­ staben, den Silben und der ganzen Punktation. Dann kom­ men die 3 Teile der Rcuchllnischen Rndhnenta hebraica, nämlieh nvmen, verbum und consigni/icativum, im 5. Kapitel ist die Rede von der Prosodie. Im Druck ist die Grammatik nicht erschienen, doch scheint Amman beabsichtigt zu haben l) sie drucken zu lassen. Mit dem Studium des Hebräischen war notwendig in das Gebiet der Theologie hinüber gegriffen2). Ammans Kennt­ nisse hierin waren nicht gewöhnliche und er hatte sich auch in der hl. Schrift den Doktorgrad erworben. Wirklich war sein Hauptinteresse auf die theologischen Studien gerichtet, in deren Dienst er seine philologischen Kenntnisse stellte. Na­ mentlich in jenen Zeiten der Revolution auf dem Gebiete der Religion nahm er lebhaften Anteil an den Fragen und Strei­ tigkeiten, in deren Mittelpunkt sein Ordensbruder Martin Lu­ ther stand. Ziemlich bald scheint er zwischen der Anhänglich­ keit an die alte Kirche und der Begeisterung für die neuen So schreibt Bösehenstein in seinem EU mentale etc. (Blatt Ga) Sed dicta rltima punctorum vel troporum genera / nmsietdia scilicet et accentualia non ad ignaros sed ad peritos Julius artis pertinent. De qmbus obseruantissimi praeceptores mei / Joannes Reiichlin et Caspar Am­ man i prepediem* plura et egregia traditnri sunt, quibus quoque libenter hac in re pahnam tradens / vinci me ingenio fateor. Yergl. ferner d’e Stelle in dem Briefe des Wolfgar»g Richard über Amman: qui egregium qitoddam opus ad hebraeas literas adiscendas sub incudem Basileam calcogra* phis misisse dicitur. 2) Wie hoeh der Nutzen des hebräischen Studiums für die Theolo­ gie angeschlagen wurde, darübor haben wir eine Äusserung des Buch­ druckers Thomas Anshelm, der so ziemlich als erster in Deutschland he­ bräische Typen verfertigen luss, in der Vorrede zu: Rabl Mose Kimhi in introductorio Grammaticae. (llagenoae, ex officina Thomao Anshelmi: Salutis anno 1519. Mense Januario , wo er schreibt: Nunc . . . futuri sint vere theologici, propter sacrorum oraeulorum linguam hebraicam» quam appellant sanctam, qui usque huc aetatis theosophistarum more ne balbutire quidem circa sophismata et corollaria ualuerunt . . .Imino quam maximum ceclesiae christianäe subsidium et foelix adiumentura, quouiani posthac non poterunt nec Judaöi nc pagani aduersura nos hiscere. -!

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Alois Tagner.

Ideen, die von Wittenberg ausgingen, geschwankt zu haben, so dass Eberlin von Günzburg in „der Pfaffen Trost” sa­ gen konnte: Die Bischöfe dürfen, wenn sie auch im Herzen evangelisch seien, es nicht bekennen. „Der tcürdige Herr und Bischof zu Augsburg (Christoph von Stadion) leidet zu Augsburg den christlichen Doktor Spyser und die edlen beiden Brüder Adelmann er, dass sie lehren und lesen heilsame Geschrift; auch in seiner Stadt Dillingen hat er zicei christliche Prediger M. Caspar Haslach und Dr. Caspar Amon Augustiner Ordens einen ehrwürdigen Mann” x). (Dajnals hielt sich Amman eben bei

Haslach auf.) An Veit Bild fand er einen gleichgesinnten Freund, der nicht weniger wie er mit den wärmsten Sympa­ thien den Fortgang der sog. Reformation verfolgte. Dieser musste ihm Schriften Luthers*2)* (apostoli nostri nennt Amman ihn in dem Briefe vom 31. Mai 1522), den er hoch schätzt, ankaufen, ebenso wie die von Zwingli8), Melanchthon4) Ökolampadius5),6 *Eberlin von Günzburg0) und anderen, wobei er hie und da dazu setzt, sie ihm heimlich zu verschaffen oder bedauert, keine sicheren Boten zu haben (vcrgl. 14. Nov. 21; 10. Juli 23.). Als sein Freund und Gesinnungsgenosse Kas­ par Haslach vom Generalvikar zu Augsburg wegen verschie­ dener Lehren, die er als Stadtprediger in Dillingen vorge­ tragen hatte, citiert worden war, da schreibt Amman an Bild die begeisterten Worse: Nun sind jene gefährlichen Zeiten da, welche der hl. Paulus vorausgesagt hat, in denen die LügenO Max Radlkofer, Joh. Eberlin r, Günzburg. Nordiingen, 1887. S. 67. ?) De votis monaßticis (9. Apr. 1522 von A.), Contra Regem Angliae (3; Sept. 1522) und andere. 8) De claritate verbi dei und contra epistolam episcopi ConstantienBis (21. Dez. 1522.) 4) Erklärung zu den Briefen Pauli, zur Genesis, zu Matthäus und Johannes, (21. Dez. 1515.) Apologia contra Determinationcm Parisiensium (28. Sept. 1521.) 8) Erklärung zu der Stelle: Oportet et haeresos esse (10. Juni 1522), Disputatio in collegio Basileensi facta (6. Sspt. 1253.). 6) Von ihm, Hutten und anderen die Flug-'und Brandschriften: dio 15 Bundtgnos, dio Anschauende, Pfrendmarkt der Curthisan, das Wolfgeeang, von dem alten und neuen Gott.

Der Augustiner Caspar Amman,



Apostel das Wiedererwachen der evangelischen. Wahrheit zu unterdrücken suchen und der Richter voll des menschlichen kechtes über einen von der evangelischen Wahrheit erfüllten und standhaften Menschen zu urteilen sich herausnimmt. Die­ ser (nämlich Caspar Haslach) wird zu Dir kommen und Du wirst ihn furchtlos für Christus Trübsal erleiden sehen1). Ein hoher Grad von Begeisterung für die „evangelische Wahr­ heit” verrät sich in diesen Zeilen. Entschiedene Sympathie für Luther zeigt Amman auch in einem Briefe an diesen vom 26. Oktober 1522, zu dem ihm die Lutherische Erklärung der Stellen bei Matth. 16, 18: Ta es Petras et super hane petram aedificabo eedesiam mearn ur.d bei Job. 1, 42: Tu rccabevis Cephas, qaod interpretatar Petrus Veranlassung gab. Luther habe die Worte petrus und ccphas erklärt,ialp ob sie aus dem Syrischen stammten2), während doch Christus mit seinen Aposteln hebräisch gesprochen habe. Erstercs sei uichts anderes als die latinisierte Form für das hebräische poether (d. i. Ausleger, Erkenner), letzteres die für das he­ bräische co cp he. (d. i. Wächter). Dem entsprechend seien die angeführten Stellen zu übersetzen: Vnnd ich sag Dir, dass Du bist der bekenner himmlischer ding vnnd auf diese haimliche Bekanntnass will ich buwen mein kirchen und Du solt genannt werden ain außneger, dass ausgelegt ist ain erkennen. !) Brief vom 2. Juli 1522: Ilaec sunt iam illa tempora periculosa, quae s. Paulus praedixit, in quibus loquenfces mendacium evangelicam veritatem reluccntem opprimere conai.tnr et iudex huraano iure plcnus evangelicae veritatis plenum et constantem iudicare praesumit. Js ud tc veniet, quem intrepidum vidobis pro Christo trlbulationem pati. — Caspar Has­ lach erfüllte nicht, was Amman von ihm gehofft; or leistete den verlang­ ten Widerruf. 2) Bedeutsam ist die Abneigung, die er dem entschiedensten Vor­ kämpfer der katholischen Sache, Thomas Murner gegenüber — verächt­ lich nennt er ihn Ule cordiger — an den Tag legt. Dieser schreibe in der gegen Luther gehaltenen Schrift: De potestate papp: Du bist der feisen und auf diesen feisen will ich buwen mein kirchen und disen sin kan mir nemands verwerfen wann er klarer ist dann die sann” und ,fDu wirst genennt ain heupt, das ausgelegt ist ain föls” und habe dabei die Wörter pethrus und kephas griechisch genommen. Aber bei Murner nehme ihn das nicht Wunder, cum nouerim hominem intus et in carne et in Unguis remotioribus puerum.

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Alois Wagner,

Zur etymologischen Erklärung der bezweifelten Wörter bringt er dann eine Reihe von Bibelstellen bei, die seine Schriftbelesenhcit und Vertrautheit mit dem Hebräischen dokumentie­ ren, nicht aber das Zutreffende seiner Behauptung erweisen. Mit der Bitte für ihn „den altersschwachen und abgelebten Greis” (pro fatno et decrepito *ene) zu beten, beschliesst er diesen Brief. Ohne Zweifel besitzt die hier angewandte Er­ klärung jener Stellen mittels Rückübersetzung ins Hebräische Anspruch auf Originalität, gewiss aber nicht den auf Richtig­ keit. Denn einerseits steht sie "in direktem Widerspruch zur hl. Schrift, wo Petrus und Cephas offenbar identisch gebraucht sind; andererseits geht Amman von einem falschen Prinzipe aus, wenn er behauptet, Christus habe hebräisch gesprochen, während doch damals das Aramäische die vulgäre Sprache der Juden war. Endlich erlaubt er sich eine ganz ungerechtfertigte Punktation bei Cephas, da diese durch da3 bloss griechisch überlieferte Evangelium des hl. Johannes genau fixiert ist. Dieser exegetische Versuch1) aber zeigt, dass Amman sich bereits auf die schiefe Ebene der freien Schriftauslegung, wie sie durch Luther inauguriert worden, begebon hatte. Dabei scheint es denn auch nicht geblieben zu sein. Denn eine Stelle Veit BikTs in dem Briefe an Amman vom 16. Juni 1523 deutet an, dass er auch von der Kanzel herab die „evangeli­ sche Wahrheit” verkündige2). Diese Äusserungen von Zeitgenos­ sen, dann der eifrige Verkehr Ammans mit Anhängern der sog. Re­ formation, sow ie die Abneigung desselben gegen die Vorkämpfer der katholischen Lehre zeigen klar, dass der Augustinerprior sich von der neuen Strömung hat fortreissen lassen. Doch ist auch nicht zu übersehen, was Döllinger sagt3); „Jetzt, nach­ dem der Gegensatz der beiden Religionen, der katholischen *) Der Brief ist al>gcd ruckt in: Kol de, Analecta Luthe ’ana. Gotha, 1883. p. 42 ff. 2) Yellem .. . certior hac in re reddi, spontene coacfus seu evungelicam yeritatem deinceps concionari deprecatus fueris; fama enim quorundam apud me Increbuit, Condolerem enim *si ita esset) multarum saluti animarum. 8) Die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen, Reger,sb., 1846-48. I, 511.

Der Augustiner Caspar. Amman.

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und protestantischen, in voller Schärfe und Konsequenz aus­ gebildet sich darstellt, hat man Mühe zu begreifen, wie da­ mals manche Männer, bei voller Anhänglichkeit an die Kirche, doch noch selbst in den Jahren 1521 bis 1525, ja zum Teil noch länger die Unternehmungen der Reformatoren mit sol­ cher Teilnahme betrachten, ihre Schriften begierig lesen und empfehlen konnten”. Äusserlich hat sich Amman wohl nie vpn der Kirche und vom Kloster getrennt. Ein solches, all­ gemein Aufsehen erregendes Vorgehen wäre von den pro** testantischen Schriftstellern gewiss nicht verschwiegen worden. Zwar hält er sich noch 1524 in Ulm auf und bittet den pro­ testantischen Arzt Wolfgang llychardus um gastfreundschaft­ liche Aufnahme; doch nennt ihn dieser ausdrücklich Augusti­ nermönch und erwähnt nur seine einzige Kenntnis der he­ bräischen Sprache1). Mitten in den Wirren und erbitterten Goisteskämpfen der Zeit starb der Prior in hohem Alter, be­ vor er noch eine entschiedene Wendung nach einer der bei­ den streitenden Konfessionen hin gemacht zu haben scheint und die äussersten Konsequenzen der neuen Lehre, sowie die von den Reformatoren heraufbeschworenen Bauernkriege sah. Spätere Geschichtsschreiber dos Ordens behaupten allerdings, er sei in der Reinheit des Glaubens und im Gehorsam gegen die römische Kirche gestorben2). Es erübrigt uns noch, kurz einen Blick auf die Thätigkeit Ammans als Ordonsmann zu werfen. Frühe war er zur Würde eines Priors erhoben worden und hatte dies sowohl sei­ ner wissenschaftlichen Bildung als seinem JEifer für die Beobach­ tung der Klosterregeln zu verdanken. Denn nicht immer scheinen diese gewissenhaft gehalten worden zu sein, wie die Bemühungen der Reformen erstrebenden Partei im AugustinerOrden, der sog. Observanten deutlich zeigen, welche das i) In dem früher (S. 51) schon erwähnten Briefe. *) Höhn, p. 150: . . . antequam Lutheri secta infeeerat Lavingam, ab humanie miseriis ereptus, ferner p. 134 f. . . . ultra viginti annos Prior Lavinganum Convcntum in sinceritato iidei ct obedientia Romanae Ecclcsiae, ac omnis irreligiosae laxitatis odio manutenuerit. Ossinger, Bibliotheca Augustin. Ingoist. 1776. p. 42: ... anno 1524 piiasirae fine quiovlt/

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Alois Wagner.

Lajiinger Kloster in den Siebziger Jahren des 15. Jahrh. in ihre Gewalt zu bringen suchten. Durch strikte Handhabung der Ordenskoristitution vermied er jeden Anstoss nach aussen hin und prdnete durch musterhafte Regelung des Ordensbe­ standes, gewissenhafte Verwaltung und genaue Buchführung die Verhältnisse des Klosters. Zu diesem Zwecke legte er ein Verzeichnis der zum Mendikantenbezirke des Klosters gehö­ rigen Orte !) an, sowie ein solches über Einnahmen und Aus­ gaben. Pen religiösen Eifer und die Frömmigkeit zu heben, bildete aber seine Hauptsorge und der Klostei chronist bemerkt namentlich, dass unter ihm im Chore feierlich gesungen wurde, wie man ersehen könne aus dem häufigen Einkäufe von Ker­ zen zur IJätutin, aus dem oftmaligen Gebrauche der Orgel zu Votiv- und Seelenmessen, sowie aus der Einrichtung der gesungenen Vigilien und der Weberbruderschaft. Diese letz­ tere wurde gestiftet 1488 „zu lob der einigen Dreifaltigkeit, der Jungfrawen Mariä der Mütter Gottes und zu Ehren dem heiligen Vatter S. Augustin und allem himmlischen hör” nach dem Vor­

bild© der Fraternitäten, wie sie gerade zu Ende des 15. Jahrh. so häufig entstanden. Durch diese ging eine ganze Gilde — die Weberkerze war eine der grössten Zünfte in Lauingen — eine Gebotsverbrüderung mit dem Kloster ein, der zufolge sic Anteil an allen geistlichen Gütern des Ordens erhielt. Ausser­ dem wurde für die verstorbenen Mitglieder in den 4 Quatem­ berwochen Vigilien und Messen gesungen. Verpflichtungen ün das Kloster hatte diese sog. gemischte Gebetsverbrüderung (im Gegensätze zu den rein klösterlichen) keine; nur beim Tode eines Bruders oder einer Schwester sollten von den Verwandten 3 Opferlichter und 3 Brode gebracht werden. Ausserdem übernahm es die Vereinigung, einen bestimmten Altar der Klosterkirche zu schmücken. Während des Trienniums seines ersten Provinzialatcs berief er das Definitorium 1501 zu Beratungen nach StrassDiese waren (nach Benning, S. 65 f.): Aislingen, Altham, Bachha­ gel, Bechingon an der Prentz, Dillingon, Dürrlaugingen, Fristingen, Glott, Gundelfingen, Gundremingen, Hausen, HÖchstett, Laugingen, Lauterbach, Merslingen, Näw, Nathan (?), Offingen, Schabringen, Scheppach, Weissingen, Wittislingen.

Der Augustiner Caspar Amman.

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bürg; aus eben diesem Jahre stammt ein Brief an die Augustinerinnen zu Giengen, deren Kloster sehr ruinös war und von den geringen Einkünften derselben nicht unterhalten wer­ den konnte. Daher gab er ihnen die Erlaubnis für die Bedürf; nissd ihres Hauses zu sammeln, und machte ihre Wohlthäter aller guten Werke, päpstlicher Privilegien und Ablästo der ganzen Provinz teilhaftig. Im folgenden Jahre berief er eine zweite Versammlung nach Speier zur Besprechung von Or­ densangelegenheiten. Seine Pflicht war es auch, die Wahl eines neuen Provinzials anzuberaumen, die auf dem Kapitel zu Colmar stattfand, wobei er als Definitor fungierte. Das Jahr 1514J) brachte seine Wiederwahl zum Leiter der Pro­ vinz, In dieser Eigenschaft berief er 1514 die Täter zu einer Versammlung nach Strassburg, wo Disputatio­ nen und Promotionen von studierenden Ordensmitglie­ dern stattfanden. Das Provinzialkapitel zu Weissenburg., 1515 bestätigte seine Würde für die kommenden drei Jahre, nach deren Ablauf er aber auf sein mühevolles Amt, das ihm zur Aufgabe gemacht hatte, jährlich wenigstens einmal die Klöster zu visitieren, für die Bedürfnisse derselben zu sorgen und sie zu überwachen, zu Speier verzichtete. So hatte er sich gleich tüchtig als Lehrer wie in praktischer Thätigkeit gezeigt und verlebte die übrigen Tage seines Lebens ruhig in seinem Kloster gleich angesehen innerhalb und ausserhalb des­ selben, und ein Ordensschriftsteller*) des nächsten Jahrhun­ derts preist ihn noch in den Versen: Suevia peregrinos mirari terra suevit, Fundere quos solitus Caspar ab ore sonos: Atque ait: aut linguam genius tibi flexit Hebraeus, Aut natura gravi victa hbore fuit. J) So Höhn, p, 149 u. Andere; doch nennt er sich auch in einem Briefe von 1511 an dio Augustinerinnen in Giengen, durch welchen er ihnen wegen der grossen Baufalligkeit ihres Klosters die früher gegebenen Privilegien bestätigte und die Erlaubnis gab, die hl. Sakramente von jedem geeigneten Priester zu empfangen sowio völlige Abgabenfreiheit zusicherte, reclor provincialis (Benning p. 56). Ebenso nennt ihn Ägidius von Yiterbo in seinem Briefe vom 15. Dez. 1513 rector provinciarum Rheni ac Sueviae. *) Gratianus, Anastasia Augustin.

(Antwerp. 1613.) p. 76.

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Alois Wagner.

Nach Ammans Tode brachen schwere Zeiten über die Klöster im allgemeinen Und über das Lauinger Augustiner­ kloster in) besonderen herein. Als Bettelorden waren die Augustiner ja zumeist auf die milden Gaben der Gläubigen angewiesen und gingen natürlich derselben gänzlich verlustig, als nach und nach die Umgebung Lauingens und dieses selbst grpssenteils der neuen Lehre sich anschloss. Der Personal­ stand schmolz ebenfalls gewaltig zusammen und sank zuletzt auf drei Bewohner herunter. DJese Zustände waren unhalt­ bar; daher traten die Augustinqr ihr gesamtes Einkommen gegen Leibgeding 1540 an den Magistrat ab. Zwei Jahre später übergaben Georgias Fromrniiler der zeit prior und mit ihm . . Niclas Rohs auch . . . Simon Fromer, bede Conucntaales St. Augustins Gottshauss zu Lauingen ') dem Bürgermeister und

Rat der ßtadt all’ ihr Hab und Gut, mit landesherrlicher Bewilligung unter der doppelten Bedingung, dass die Stadt für ihren lebenslänglichen Unterhalt und Schutz sorge und eie bei ihrer Religion und ihren Ordensgebräuchen bleiben dürften. J) „Nach dem sich vnser and Unseres Gottshaüss gefcll Und Ein­ kommen, aüs vielfaoltigen vrsachen etltch Jahr her also Und dermassen geschmelcrt haben, das wir Unser vnderhaltüng schwerlich nicht wol mehr dauon gehaben mögen”, bemerkt die Übergabsurkundc, kopiert bei Hen­ ning, S. 98 ff.

Felician Ningoarda in Andechs 1583, Yon

Dr. Joseph Schlecht. Zu den Verdiensten dieses mehr denn zwanzig Jahre in Süddeutschland unermüdlich thätigen Mannesv) gehört, wie ich an anderer Stelle nachgewiesen2), vor Allem die Wiedererweckung des kirchlichen Glaubcnslebens, das durch den Einfluss der reitg lösen Neuerungen und infolge schon vor diesen vorhandener schicerer Schäden schlimm darniederlag®). Unermüdlich war der Eifer, womit dieser fromme Prälat aus dem Dominikanerordenx) an der Besserung der inner kirchlichen Verhältnisse in der Salzburger Kirchenprovinz und den benachbarten Sprepgeln, soweit *) Nach Deutschland kam er als Generalvikar seines Ordens. Er lehrte dann an der Wiener Universität Theologie und wurde 1560 Yon dem Erzbischof von Salzburg Johann Jakob Khuen Belazy als sein Ver­ treter zum Goncil entsendet. 1567 erfolgte seine Ernennung zum Genoral­ visitator sämmtlicher Klöster in Deutschland, Yon da an war die letzte Zeit seines Lebens und seiner Kraft den Visitationen gewidmet. Weihbischef von Salzburg, wie Th. Wiede mann Geschichte der Reformation und Gegenreformation im Lande unter der Enns II (Prag 1880) 188 und An­ dere behaupten, ist er nie gewepen. *) Römische Quartalschrift für Archäologie und Kirchengeschichte. V (Rom 1891) 62 ff. 124 ff. s) S. Sugenheim, Baierns Kirchen- und Volkszustände im 16* Jahrli. (Giessen 1842). A* Knöpfler, die Kelchbewegung in Bayern un­ ter Albrecht Y. (München 1891) 42 ff. 4) Biographisches über ihn s. deshalb beiQuetif-Echard Scriptores ord. praedic. II. (Paris 1721) 313 f. Über sein bischöfliches Wirken L. Tatti, Annali sacri della cittä di Como in der Fortsetzung von Jos. Maria Stampa besonders den Appendice alla terza deca degli annali di Como (Milano 1735), wo S. 62 seine Grabschrift, und die unten S. 70 an­ gegebene Litteratiuv

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Df, Joseph Schlecht.

sie im Zeitlichen dem Herzog von Bayern unterstanden, durch Visitationen und Reformverordnungen arbeitetel), mehrere Jahre regierte er als apostolischer Nuntius und vom hL Stuhle bestell­ ter Administrator die grosseBiöcese Regensburg2), und der Um­ stand, dass durch seine Vermittelung das erste bayerische Kon­ kordat abgeschlossen wurde *), würde ihm allein schon einen Jihrenplatz in der vaterländischen Geschichte sichern*). Her Besuch jedoch, den er dem Benediktinerkloster Andechs machte, ging nicht aus eigener Initiative liei'vor, sondern war, wie Ninguarda selber erzählt*), durch Herzog Wilhelm V veranlasst. Dieser fromme Fürst hatte nämlich an dem grossen Wall­ fahrtsfeste, das alljährlich am Tage Christi Himmelfahrt in An­ dechs gefeiert wurde und noch gefeiert wirdi]), im Jahre 1582 persönlichen Anteil genommen und dabei die Heiligtümer genau besichtiget und zu seinem Erstaunen wahrgenommen, wie nament­ lich eine der drei wunderbaren Hostien durch den Zahn der Zeit zerstört und fast vollständig zerfallen war. Infolge dessen hatte sich ein Meinungsstreit erhoben, ob man diese Heiligtümer noch J) Aus der Praxis dieser langjährigen Reformthätigkeit in echt kirchlichem Geiste erwuchs sein Manuale Visitatorum 2 libris complectens Visitation! subiacentia ac diversos visitandi wodos, Ingolstad ii 1583, und dann noch öfter aufgelegt, B. JRomae 1589; Venetüs apttd Damianum Zenarium 1592 (beide mit einer Widmung an Sixtus V. dd. 1588 Nov. 1. Rom versehen). Auch in der Diöeese Como entwickelte N. eine ausge­ dehnte Visitationsthätigkeit, deren Akten die Societä storica Comense vor kurzem herausgegeben hat: Attidella visitapastorale diocesana (1589—1593) di F. Fel. Nin guarda vescovo di Como (Como 1893), *) Für den Prinzen Philipp Wilhelm von Bayern, Wilhelms Y. sechsjähriges Söhnchen, das 1579 als Bischof vom Kapitel postuliert wor­ den war (geboren 22. Sept. 1576). C. Häutl c Genealogie des Stammhauses Wittelsbach (München 1870) 56. s) Römische Quartalschrift V, 79 ff., IV, 117 ff. 4) Unter den bayrischen Schriftste’lern führt ihn auf Kobolt, Bayerisches Gelehrtenlexikon (Landshut 1795) 397 und Gensdorf Nach­ träge hiezu (Landshut 1825), 217, die auch ein Verzeichnis seiner Werke bieten. Über den auf seine Veranlassung 1583 in München gedruckten Index s. Reu sch, Der Index (Bonn 1883) I, 472 ff. Über ein© von Ninguarda veranlasste Reproduktion eines Bildes aus dem Gebetbuche Karl des Kahlen Monzel, Die Trierer Adahandschrift (Bonn 1889) , S. 98. 5) Siehe das unten unter. Uro. 1 abgedruckte Aktenstück. 6) Ein zweites wird im Herbste (Sonntag vor Michaeli) begangen.

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Felician Ninguarda in Andechs 1583.

ferner zur öffentlichen Anbetung ausstellen dürfe. Die Ansichten der Theologen waren geteilt; die einen erklärten sich dagegen die andern — mit Rücksicht auf die bessere Erhaltung der bei-* den anderen Hostien und aus sonstigen Gründen — für die bisherige Übung. Letztere legten ihre Meinung in einem Gutach­ ten nieder, das dem Herzoge überreicht wurde, uns aber nur im Auszug erhalten ist*). Dagegen gab auch der geistliche Rat in München, eine Behörde, die unter Wilhelms V. Vater Albrecht V.1),2 eine grosse Bedeutung erlangt hatte, seiner gegenteiligen Mei­ nung Ausdruck in einem ausführlichen Schriftstück, das dem Wortlaute nach erhalten ist und das wir mit einigen unwesent­ lichen Kürzungen unten3) wiedergeben. Die Anhänger der alten Praxis antworteten darauf mit einer Widerlegung, doch ist diese nicht mehr vorhanden. j

Nuntius Ninguarda wurde in diesem Stadium mit der Frage noch nicht beschäftigt, er weilte zur Wiederherstellung sei­ ner Gesundheit in einem schwäbischen Bade4). Dem Herzog aber lag viel daran, Klarheit in die Angelegenheit zu bringen, und er legte sie auf dem Augsburger Reichstage noch im selben Herbste dem Nuntius Bonomi vor, der mit dem Kardinallegaten Madruzzo hierüber beriet und schriftlichen Bescheid gab. Aber der geistliche Rat — also wohl dev Herzog selber — konnten sich Ygl. die schone Schilderung Hettingers in Aus Welt und Kirche II* (Freiburg 1888) 251 ff. *) Der oder dio Verfasser sind nicht genannt. Abdruck sieho unten Nro. 2 8. 73. 2) Begründet wurde sie schon unter Albrecht IV. jm Einvernehmen mit Papst Sixtus IV. E. Rosenthal, Geschichte des Gerichtswesens und der Verwaltungsorganisation Bayerns I (Würzburg 1889) 510 ff. ») Unten Nro. 3 S. 77. 4) Vgl. unten S. 71. Auf seine Gesundheitsverhältnisse bezieht sich auch eine Bulle Gregors XIV. vom 21. Febr. 1591, worin er die Er­ laubnis erhält, Kirchen oder Kapellen seiner Diöcese durch Stellvertreter zu reconciliieren: Meritis tuae devot ionis inducimur, ut illa tibi favorabi-

liier annuamus, per quae valetudini tuae consuli possit. Exhibita siquidem nuper pro parte tua petitio continebat, quod cum tu sexagenarius et cor­ pore interdum minus firmus existas, ut tibi ratde sit difficile per tuam dioecesim, prout necessitas occurrit, praesertim ob locorum montanoruik illic existentium asperitatemperagrare etc. (Absehr.' im bigolrüfl. Ar­ chiv zu Como.) 5*

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Dr. Joseph Schlecht,

damit noch nicht beruhigen; der Schriftenwechsel begann aufs neue. # Da wurde Ninguarda, inzwischen zurückgekehrt, durch Wilhelm V. mit der Sache betraut und gebeten, eine Okularin­ spektion in Andechs vorzunehmen. Gerne ging er auf den Ge­ danken ein, dieselbe konnte aber, da der Herzog nach Steiermark und Ninguarda nach Baden i. d. Schweiz reisen mussten, erst am 26. Februar 1583 stattßnden. Eine ansehnliche Kommission*fuhr auf den heiligen Berg; zwei Bischöfe: der Nuntius und der Weihbischof von Regens­ burg Dr. Pichlmair, der damals in München gerade in Geschäf­ ten anwesend war; zwei berühmte Professoren der Ingolstädter Universität: Dr. Albert Hunger und der Jesuit P. Gregor von Valencia; P. 0. Eisenreich, Rektor des Münchener Jesuitenkollegs and Dr. Sebastian Franz, Dekan bei U. L. F. und gt Rat; dazu der erste Sekretär des Nuntius, Joh. Bapt. Ninguarda '), and einige Diener. Dr. Lauther, Propst zu U. Ij. F., konnte aas Gesundheitsrücksichten an der Fahrt nicht teilnehifißn, er versicherte aber, er habe die Heiligtümer schon früher des öfteren untersucht. Abt Joachim Kircher und Prior Balthassar Schelle em­ pfingen die Kommission in Andechs. Noch am selben Tage wurde gemeinsam eine genaue Besichtigung und Untersuchung der drei wundei baren hl. Hostien vorgenommen und dann Tags darauf die Dokumente betreffs deren Alter, Herkunft und Ächtheit geprüft. Der Befund wurde erst nach der Rückkehr nach München in einem Protokoll niedergelegt, das Ninguarda noch am 26. Febr. 1583 aasstellen und von sämmtlichen Teilnehmern, auch von Dr. Lauther, unterzeichnen Hess 2). *j Wohl ein Verwandter des Nuntius; in einer Urkunde vom 3. Mars 1582 führt er die Titel consiliarim pontificim, ducalis Bavar. et episcopalis Ratisbonen. (Bischöfl. Ordinariatsarchiv in Regens­ bürg.) Beziehungen der beiden zu dem Ingolstädter Profcßsor Raphael Ninguarda vermag ich weiter nicht nachzuweisen, als dass des Nuntius Manuale Visitator um i. J. 1583 zu Ingolstadt in Druck erschien und jener Obenfalls aus dem Veltlin stammte. Prantl, Geschichte der Universität München II (München 1872) 493. *) Unten Nro, 4 8* 81.

Eelician Ninguarda in Andechs 1583.

§9

Auf Grund desselben erfolgte am 1. März 1583 die Ent­ scheidung des Nuntius. Sie lautete: Nil esse innovandum! es sei an der bisherigen, durch den Glauben der Jahrhunderte ge­ weihten Übung festzuhalten, und ist. mit einer ausführlichen theo­ logischen Begründung versehen, welche auf die im Laufe der Verhandlungen vorgebrachten Schwierigkeiten eingeht und sie zu­ rückweist *). Das letzte Wort in der Sache hatte aber die oberste kirch­ liche Auktorität zu sprechen.. Deshalb wuiden die Akten an Pajist Gregor XIII. geschickt und, wenn eine archivalische Notiz aus Andechs nicht trügt*2), * 4 so 5 *hat dieser auch durch eine Bulle die letzte Entscheidung gegeben. Ihr Wortlaut ist mir nicht be­ kannt geworden. Aber den Gang der ganzen Angelegenheit und der heute noch in Andechs bestehende Kult bezeugen, dass sie die vom Nuntius getroffene Verordnung im Wesentlichen bestätigte. Die über die Untersuchung aufgesetzten Akten befinden sich abschriftlich in der Sammlung Varia Politicorum Band CII des Vatikanischen Geheimarchivs*). Das höchste Interesse erregen natürlich die dem Nuntius 1583 zur Beglaubigung vorgelegten Dokumente. Auch ihm müssen sie sehr wichtig vorgekommen sein, denn er Kess Abschriften von ihnen nehmen und sandte diese Copien nach Rom. Aber wenn wir hoffen, dass durch sie die Fragö nach der Beglaubigung der HeiligtümerA) um einen Schritt gefördert oder in die sogenahnteu „Andechser Fälschungen,f 5) neues Licht gebracht würde, finden wir uns ent? täuscht. Ninguarda ist vorsichtig zu Werke gegangen und hat J) Abgedruckt S. 87 Nro. 5. Einer Abschrift 8. XVI ex. der Urkk. 3 und 4 ist dort von zwei­ ter Hand beigesobrieben: Potior pars büllae, quae hac facta informatione Roma secuta est, habetur in Thes. de Euchar, ß. Aegidii f. 31, womit wohl eine handschriftliche, jetzt nicht mehr vorhandene Sammlung des Klosters bezeichnet sein dürfte. s) Vgl. meine Angaben Rom. Quartatschritt V, 62 und Bist, Jahrbuch der GörresgeselUchaft XIV (1893) 1 ff. 4) loh teile die Ansicht Hettingers a. a. 0. II8, 380 f., dass den Legenden, welche sich an dieselbe knüpfen, jedenfalls ein geschicht­ licher Kern zu Grunde liegt. Vgl. R. Mi ttermüilo r, Geschichte der Heiligthümer auf Berg Andechs (Münchon 1848) IV. 49 ff. 5) Abgedruckt in den Monumenta Boi ca VIII (Monachii 1767) 681 ff. Vgl. 8. Riezler, Geschichte Baierns [Gotha 1888) iil, 836 f#

fP

Dr. Joseph Schlecht.

jedes nicht ganz einwandfreie Diplom zurückgewiesen, — vorausge­ setzt, dass ihm solche wie das vielberufene Missale clm. 3005 über­ haupt vorgelegt wurden. Er hat allerdings den unechten Brief eines Bischofs Otto von Bambergl) v. J. 1102 auch mit abge­ schrieben , aber in einem Transsumpt vom IS. Dezember 1128, also in äusserlich tadelloser Beglaubigung. Alles Andere sind Papstbriefe des 11. und 15. Jahrhunderts, beginnend mit der Zeit der Auffindung und reichend bis zu Sixtus IV., also Do­ kumente, gegen deren Echtheit ein begründeter Zweifel nicht er­ hoben werden kann*).

Urkunden, 1. Bericht Ninguardas über die Untersuchung der An* decliser hl. Hostien; er übersendet die Akten der Verhandlungen an den hl. Stuhl. S. d. [1583 März München] *). ((öl. 3.) Acta per episcopum Scalensem4) nun-

tium apostolicum in ea Bavariae parte, quae sub dioecosi Augustana est. Ilanc etiam partem Bavariae, quae sub episcopatu Augustano est, nuntius apostolicus peragravit5), diversis utriusque Monumenta Boica VIII, 691. M. Sattler, Chronik von Andechs (Donauwörth 1877) 57 f. s) Eine genauere Prüfung dieser Abschriften (Var. Tolit. CII fol. 22—26\ die mir Infolge anderer pflichtmässiger Arbeiten in Rom nicht möglich war, unter Heranziehung der „Andechser Fälschungen” dürfte Bich immerhin lohnen. 3) AIb Terminus a quo für die Datierung bietet sich die im Bericht erwähnte Untersuchung, welche 1583 Februar 26. zu Andechs stattfand; als Terminus ad quem die Entscheidung des Nuntius im Namen des PapBtes, welche durch den Bericht veranlasst wurde und die Sache endgiltig erledigte. 4) Von Gregor XIII. i. J. 1577 zum Bischof von Scala in Unteritalien ernannt, vertauschtp er 1^583 dieses Bistum mit dem von St. Agatha; 1583 wurde er Bischof von Como, dort ist er am 5. Januar 1595 gestor* ben. Ughelli ltalia sacra V2]:3 320, ArlII2, 355, wo auch sein Wappen abgebildet. C. Cantü, Storia della citta e della diocesi di Como II (Como 1831) 295. 5) Ober die Visitationsthätigkeit Ninguardas in der Diözoso Augs­ burg uud speziell im Chorherrenstifte Wettenhaus«, n S t e i c h e 1 e - S c h r öder, Bisthum Augsburg V (Augsb. 1896) 509 f.

Felioian &U*guarda in Andechs 1583.

TL

sexus monasteriis et ecclesiis per visitationis remedia in communi providit, circa quae nihil singulare occurit, praeterqüam negotium de adoratione triura hostiarum1) in monasterio An­ dechs, montis sancti, ordinis divi Benedicti existentium, qui locus Augusta septem, et Monachio quattuor milliaribus Germanicis distat. Nam ibi est magnus sacrarum reliquiarum thcsaurus, in quo etiam sunt in singulari veneratione tres hostiae, quarum duas a sancto Gregorio et unam a Leone nono consecratas authentica scripta perhibeut, quae certis anni solemnitatibus praesertim in Ascensione Domini ac tota eius octava populo undique confluenti et certatim concurrenti ostenduntur. Anno autem 1582 cum nuntius apostolicus valitudinis causa in Sueviam ad thermas2) abiisset, ipso Ascensionis Domini tempore, quo infinita hominum utriusque sexus multitudo conyenerat ad praedictarum liostiarum adorationem, accidit, ut una praesente ipso Bavariao duce fuerit reperta corrosa a quodam vermiculo et ex parte in nunulissima fragmenta reducta, unde quidam theologi dubitäre coeperunt et persuadere, ne dictae hostiae populo adorandae proponerentur: alii vero contra instare, ut iuxta morern ostenderentur, tum quod in hostia cor­ rosa adhuc aliquae particulae notabiles existeront et baberent adiunctas alias duas, quarum altera integra et altera fere integra esset, tum etiam ad removendum scandalum in multitudine, quae concurrerat, et ne haereticis vicinis3) ansa ad obloquendum praeberetur; atque ita ostensae sunt et adoratae et conclusura, ut deinceps etiam adorareutur, quousque re ma? iure deliberata aliud statuerctur. J) Vgl. darüber im Allgemeinen Mittermüller 9 ff; Sattler 32 ff.; über die Untersuchung durch Ninguarda 272 ff.; E. Hein'dl, Der hl. Berg Andechs in seiner Geschichte f seinen Merkwürdigkeiten und Heiligtümern (München 1895) 26. 51 macht N. zum Weihbischof von Salzburg. 2J Seine Gesundheit hatte in Folge der anstrengenden Visitationen sehr gelitten. Röm. Qu ar talsclirift V, 66. Er war gichtleidend, an einem Arme kontrakt und kaum mehr im Stande die Nuntiatur zu versehen. Vgl. die Berichte vom 21. Juli und. 12. Sept. 1582 an den Cardinalstaatssokretär bei J. Hansen, Nuntiaturberichte aus Deutschland 1572—1585 II (Berlin 1894) 472. 545 und die Gegenschreiben 490. 518. Trotzdem hat er im nächsten Jahre eine umfassende kirchenpolitische Thätigkeit entfaltet (Abschluss des erston bayerischen Concordates). Rom. Quartalschrift V, 79, s) Dio Prädikanten in Augsburg. Vgl. u. S. 74, 8,

'jfg

fir. Jbsepli Schlecht,

Post haec fuit res a theologis qüibusdam dispütata, Va.) Dieselbe ist GO cm unter der Ackerfläche, bO cm tief, 70 cm breit und 12,GO m lang und steht etwas schief und auch nicht ganz bündig — Abstand GO cm nach innen— mit der llausccke. Auch die>c 0 Vgl.-hiezu die beiden Aufnahmen in Tafpi Y nnd VI dieses Jah­ resberichtes.

Ausgrabungöfc bbi1 fälmingen 1895.

J J9

Mauer hat an ihrem Südende keine weitere Verbindung, wie jene mit ihr korrespondierende im Vorjahre aufgefundene an der Westseite des Gebäudes. Beide waren wohl nur die >eitenwände einer nach Süden offenen Halle, eines Vorplatzes, oder vielleicht gar einer Schmiede, worauf die überaus grosse Zahl von Schmiedeschlacken rings um das Gebäude auch schliessen lassen dürfte. Gebäude V stellt sich nun dar wie auf Taf. V, Fig, V1) zu ersehen. — Ad 2. Von Gebäude V ab 15 m gegen Osten vorge­ schoben sind die Fundamente eines weiteren Goäudes, das ich mit VI bezeichnen will. Es war ebenfalls ein Wohnge­ bäude, wie das Vorgefundene Hypokaustum beweist. (Taf. V, Fig. Via.) Der Heizraum ist hier etwas grösser als dort; denn er hatte 10 X 9 Hypokaustpfeilerchen, jener nur 9X7, während die Ziegclchen und die Zwischenräume die gleichen Masse aufwiesen, nämlich 19 cm für erstere und durchschnitt­ lich 35 cm für letztere. Die Umfassungsmauern des eben erwähnten Gebäudes stecken weniger tief im Boden und sind wohl deshalb auch weniger gut erhalten. Sie bilden die Form eines nicht ganz regelmässigen .Rechtecks, da die gegenüberstehenden Seiten nicht völlig gleiches Mass haben, nämlich: Süd 12,25 m; Nord 12,60 m; Ost 16,20 m; West 16,35 m. Der HypokaustRaum (Taf. VI, Fig. Via) wurde ganz aufgedeckt. Dabei fanden wir, dass das Präfurnium an der Nordseite, folglich mitten im Hause wTar. (Taf. VI, Fig. VIb) In der Nähe der Heizöffnung lag zwischen 2 Pfeilerchen eine eiserne Haue, ähnlich wie sie jetzt noch in Gebrauch stehen, aber ohne Pickel und mit länglichrunder Öffnung für den Stiel. Ein diagonal durch den hinter dem Hypokaustum ge­ legenen grossen Raum gezogener Versuchsgraben zeigte nörd*lich vom ersteren in der Tiefe von 1,60 1,80 m Brandschutt und rotgebrannten Lehm, in der Nähe der kleinen Zwischen­ mauern in der Südostecke aber — nachdem in der Mitte des Gebäudes in der gewöhnlichen Tiefe der gewachsene Boden 9 Die Ausmasse habe ich im VII. Jahresberichte Tafel V angege­ ben, soweit das Gebäude damals aufgedeckt war.

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M. Scheller.

erschienen war — wieder eine erhebliche Vertiefung mit lau­ ter Bauschutt angefüllt. (Taf. VI, Fig. VIc.) Es dürfte demnach die Annahme, dass hier die Kellerstiege war, einige Wahrscheinlichkeit für sich haben. Leider lag hier der grosse Schutthaufen von dem aufgeräumten l'Ieizraum, weshalb ohne erhebliche Vermehrung der Kosten die vorhandene Neugier nach dem Inhalte dieses Raumes unbefriedigt bleiben musste. Die Kleinfundc waren ärmlich: ein jn'.lus, ein kurzes, breites Messer und ein kleiner roh gearbeiteter Dolch. Ad 3. In der Weiterführung des ersten und zweiten Versuchsgrabens kamen wir auf ein weiteres Gebäude VlI. (Taf. VI, Fig. VII.) Dasselbe befindet sich nähe der Ackcrgrenzc, 491 2 m von der Südost-Ecke des Hypokaustums V gegen Norden. Von diesem Gebäude konnte nur ein Raum die Heizanlage, festgcstellt werden. Diese war in ihrer süd­ lichen Hälfte besser erhalten als alle bisher aufgefundenen, während der nördliche Teil fast ganz zerstört ist. Versuchs­ gräben an allen vier Seiten und die Blosslegung der Ecken bis auf den Grund zeigten nirgends dön Anschluss weiterer Mauern; und doch ist nicht anzunehmen, dass das Hypokau­ stum so ganz isoliert dagestanden haben sollte. Im östlichen Versuchsgrabeil war bis auf 1,60 m und mehr Tiefe eine grosse Menge von Bauschutt, Dach- und Hypokaustziegeln, Brandschutt und auch Knochenasche. Die Mauern des Hypo­ kaustums ragen — wo gut erhalten — 60 cm über den Estrich empor und reichen darunter noch 40 cm, mit der ge­ wöhnlichen Kiesunterlage 60 crii, in die Tiefe. Sie sind durch­ schnittlich 70 cm breit im Unter- und 60 cm im Oberbau. Der Raum misst 8 m in der Länge, gegen 5 m Breite, was einem Inhalt von ungefähr 11 X 7 Ilypokaustpfeilerchen entspricht. Eine Abweichung von der bisherigen Einrichtung derartiger Heizanlagen ist darin zu erblicken, dass erstens die JJypokaustziegel 20 cm lang und 5 cm dick sind —- sonst 19 bzw. 4V2 cm, — zweitens die Zwdschcnräumo 30—40 cm betragen — sonst durchschnittlich 35 (in — und endlich fallen die schwachen Zwischenmauern bei a auf, die augen­ scheinlich einen besseren Zug in dem verhältnismässig langen Jleizraum vermitteln sollten.

Ausgrabungen bei Faimingen 1895.

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Die Ileizöffnung — 56 cm weit — ist in der Ostwand angebracht. Unmittelbar hinter der Hauptmauer befindet sich quer durch den Kaum ein 33 cm weiter Kanal (Z>), der innenseits durch eine der besagten Zwischenmauern abgegrenzt ist. Der Kanal war noch zu 2/s seiner Länge mit Bodenplatten von 52 cm Seitenlange überdeckt; doch waren diese Blatten sämtlich in der Mitte durchgebrochen und eingesunken, so dass sie von oben gesehen eine Kinne bildeten. Der Kaum unter ihnen war mit feinem Bauschutt-Küttel angefüllt. Eine Öffnung nach dem Heizraum hin war nur in der Mitte der Zwischenmauer (V), während diese mit ihrem west­ lichen Ende an die Hauptmauer anstösst, ohne mit derselben fest verbunden zu sein. Erwähnte Öffnung ist etwa doppelt so Weit wie die Heizöffnung in der Hauptmauer und beider­ seitig flankiert von der rechtwinkeligen Fortsetzung der Zwi­ schenmauer; aber sie hält die Mitte mit der Heizöffnung nicht genau ein. Die hiedurch gebildeten Seitenkanäle sind verschieden an Länge und Weite: der linksseitige ( (mesocephal.) 2) Längen-IIöhen-Index: 70,6 (Orthocephalie.) 3) Profil < : 92° (hyperorthognath.)

4) Augenhöhlen-Index: 97,4 (Tlypsikonchio.) 5) Nasen-Indcx: 50,0 (Mesorrhinie.) 6) Gaumen-Index: 67,1 (leptostaphylin.)!).

Auf den Tafeln II, III und TV bringen wir sodann eine Reihe unserer Fundgegenständc, soweit sie dem Bereiche menschlicher Kunstthätigkeit angehören, zur Kenntniss und Anschauung unserer Leser, nachdem einige andere bereits seitens der Leitung des römisch-germanischen Centralmuseums in Mainz publiciert worden sind*2). In Erfüllung einer Dan­ kespflicht müssen wir vorausschicken, dass die Reinigung, Konservierung, zum Theil auch die Bestimmung der Gegen­ stände durch den verdienten Leiter der genannten Anstalt, Herrn Direktor L. Lindenschmit, in stets freundlich ent­ gegenkommender Weise besorgt worden ist. 3) Ygl. hiezu die früher schon mitgeteilten anthropologischen Un­ tersuchungen in Jahresbericht II, 26 f. u. V, US und Tafel //, sowie K. Lehmann-Nitzsche, Uber die langen Knochen der siidbayrischen Reihengr Überbevölkerung (München 1895) und Prähistorische Blätter von Dr. Naue 1895 Nro. 5. 2) Altertümer unserer heidnischen Vorzeit, herausgegeben vom Römischgermanmhen Centrahnuseum IY. Bd, {Mainz 1895) Tafel 53 und 54.

10*

148

Joseph Schlecht.

Tafel II. Figur 8 u. 9 (Inv. Nr. 56 u. 55) bietet die Abbildung von zwei Speercison, welche sich durch leichte Versilberung der Flächen und obenauf cingeschlagencs Ornament auszeichnen. Der Speer Nro. 56 ist 31 cm lang und stammt aus dem au Waffen jeder Art reichen Kriegergrabo VII1), in welchem auch der prächtige Doppolkamm 2)3gefunden wurde. Die lange kräftige Spitze hat rautenförmigen Durchmesser und ist mit der Feile geschärft und ohne Verzierung, die Breitseiten da­ gegen sind versilbert und zeigen Strichornamente, die geschlos­ sene Tülle ist in derselben Weise dreimal geringelt und hat zwischen den Ringen ein ähnliches Muster wie an der Breite. Die Lanze Nro. 55 ist 42 cm lang und 47a cm breit und hat die Form eines Blattes mit scharf hervorspringender Rippe. Auf dem Blatte ist ein hübsches Bandornament cingeschlagen, das unten an der Tülle durch geradlinige Parallel­ striche abgeschlossen wird. Der Holzschaft steckt noch in der Tülle und war einst durch zwei Bronccnägel mit zierlichen Köpfchen befestiget, deren einer noch erhalten ist. Sie stammt aus dem Grabe XLI. Der schön verzierte weissc Be in kämm Fig. Fi (Inv. Nro. 01) rührt nach dem Museumsinventar aus dem Männer­ grab XXV8) her, ist 2P/a cm lang und 5,7 cm breit uud vorzüglich erhalten. Die Verzierung ist auf der Kehrseite die­ selbe bis zu der Anordnung, dass in die Kreise oben an den Endstücken links 5, rechts aber nur 4 Reifchen eingelassen sind. Gut erhaltene Spor en aus dieser Zeit sind sehr selten4)* * und auch bei dem unserigan (Fig, 10 Inv. Nro. 37) ist der Dorn abgebrochen. Die beiden Enden stehen nur 7 cm von einander ab, das Eisen ist dünn, aber konsistent, Verzierungen hat er *) Vgl. Jahresbericht IV, 12 f. 2) Abgebildet nebst der kunstvollen Scheide bei Linden sch mit, Alterthumer unserer heidnischen Vorzeit IV Taf. 54. 3) Argl. dagegen den Ausgrabungsbericht in diesen Jahresberichten V, 23 ff., der eines solchen nicht erwähnt. Die Inventarisierung ist in diesem Falle nicht verlässig. 4J L. Lindenschmit, Handbuch der deutschen Altertumskunde I (Braunsokweig 1880) 284—287, wo auch die Thateache bemerkt ist, dass eie nioht paarig Vorkommen, sondern einzeln, wie auch in unserem Falle»

Zu den Schretzheimer fanden.

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nicht aufzuweisen. Er wurde im Grabe XVIII1) am linken Fersenbein eines Kriegers aufgefunden. Endlich haben noch auf dieser Tafel zwei Beschläge Platz gefunden, welche dem Schretzhcimer Grabfelde nicht angeboren. Das dreiteilige Eisenbeschläge Fig. 11 (fnventarn. 7) mit erhaben runden Bronceknöpfchcn ist mit feinem Strichund Flcchtornamentc verziert, dass in Sijbertauschierung in die schwarze Masse eingelassen sich effektvoll von dem schwar­ zen Grunde abhebt. Es stammt aus den Gundelfingcr Iteihengräborn. Die noch schwerere Eiscnschnalle ohno Dorn Fig. 12 (Inv. Nro. 5) mit Bcschlägstück ist viel unbeholfener in der Zeichnung, hat aber zur Tauschierung zweifaches Metall (weiss und gelb) verwendet2). Sie wurde in Wi ttisl in gen gefunden.

Tafel III. Leider haben wir wegen der grossen Perlonhalsketto Figur 8 (Inv. Nro. 100) die Gegenstände, worunter eine Auswahl

unserer prächtigen Goldfibcln, stark verkleinern müssen, so sehr, dass die Gemme Nro. 12 nicht mehr £ut kenntlich ge­ blieben wäre; sic ist daher für sich eigens behandelt worden und erscheint in doppelter Vergrösserung, was allerdings den Nachteil hat, dass dadurch das Grössenverhältnis zu den übrigen Gegenständen verrückt ist. Die Pracht kette hat einen Durchmesser von 27 cm und zählt nicht weniger als 60 Perlen von der verschiedensten Grösse, Form, Zeichnung und Färbung und ma£ in der That für ein unbefangenes Naturkind einst ein unvergleichliches Schmuck­ stück gebildet haben3). Sic wurde aus dem Frauengrabe XXII erhoben, in dem ebenfalls ein kunstreicher Doppelkamm samt Scheide gefunden wurde, und bildete mit noch 2 Pcrlschnüren und einer goldenen Fibel den Halsschmuck der sicher reichen und vornehmen Dame. Unter den Perlen sind drei von leuchJ) Vgl. Jahresbericht IV, 20 ff. 2) Bei der photographischen Aufnahme ist eine unliebsame Verwechs­ lung vorgekommen; das Mittelstück 11b gehört zu 12 und das Gegenbe­ schläge 12b zu 11. 3) Vgl. über Zweck u. Technik Lindonschmit Handbuch 389 ff.

150

Joseph Schlecht.

tend rotem Bernstein, andere von gelbem, grünem, ganz lichtem und undurchsichtig schwarzem Glas, wieder andere aus Glas und mit lebhaft buntem Schmelz überzogen, andere aus lasiertem Thon und 2 aus einer harten, weissen, kreideartigen Masse, die ich nicht näher bestimmen kann, so aucli die grössten in Gestalt einer konvexen Linse von 3 cm Durch­ messer. In der Form wechseln Trommel-, Scheiben- und Röhrcngestalt mit Vielecken und kannellierten Wülsten. In der Farbe herrscht Dunkelrot, Gelb, Schwarz und Weiss vor. Ebenso sind die Zeichnungen der Schmelzarbeit von grosser Mannigfaltigkeit *). Sodann bietet die Tafel einige unserer Goldfibeln, unter welchen die Schei benfibcl Fig. 3 (Inv. Nro. 85) nicht nur den ersten Rang einnimmt, sondern überhaupt zu den kunst­ vollsten Werken dieser Art zählt, die bis jetzt gefunden wor­ den sind. Ihr Durchmesser , beträgt 4 cm, ihr Gewicht 32 Gramm. Die Scheibe aus solidem Goldblech ist der Zeich­ nung gemäss ausgeschnitten und auf sie die sehr erhabene Zellenfassung aus gleichem Stoffe aufgesetzt; ein Perlband aus starkem Golddraht, über welches die Scheibe schalenförmig übergreift, umsäumt den Rand. In der Mitte erhebt sich eine bedeutend gehöhte Halbkugel mit kreuzblattartiger Edelstein­ füllung. Um dasselbe winden sich vier phantastische Thicrgcstalten mit langgeschnabelten Vögelköpfen, grossen Augen und Schlangenleibern, durch Zickzacklinien in einzelne Zellen aufgelöst2); diese waren gleichfalls mit Steinen besetzt, jetzt ist nur mehr der Kitt vorhanden — gelber Schwefel, der zu­ gleich die Bestimmung hatte, die Leuchtkraft der Steine zu steigern. Die Zwischenräume zwischen Schnabel und Leib sind frei gelassen und haben in der Vertiefung ein niedriges, ge­ schmackvolles Goldfiligran aus Perlstab, das sich der Fischbla­ senform dieser Teile ansehmiegt. Dadurch tritt die Zeichnung gut hervor und wird eine vorzügliche künstlerische WirM Vgl. dazu (len Ausgrabungsbcriclit im Jahre aber. V, 20 ff. -) Vgl. die ähnliche Technik bei der iSelieibenfibcl aus Witti-dingcn. Ilager u. Mayer Kataloge des Kgl. JJ. Nationalmuseums IV (Mün­ chen 1892) S. 254 f. u. Tafel XX, 1.

Zu den Schretzheimor Funden.

ist

kung erzielt. Rückwärts ist das Charnier aus Gold aufgelö­ tet, der Dorn aus Kupfcrdralit in breiter Spirale eingesetzt und jetzt durch Rost zerstört, die Öse wieder aus Gold, in Form eines zierlichen mit Filigran besetzten Schuhes aufgelötet mul linksseitig offen zur Aufnahme des Dorne«. Dieses präch­ tige Schmuckstück lag auf der Brust der Fraucnleiche in Grab XXIII0. Bei der Fibel Fig. 2 (Inv. Nro. 83) fehlen ebenfalls alle Steine, die Füllmasse in den Zellen erscheint wie schwar­ zer Kohlenstaub. Sie hat die hübsclfb Form eines feurigen Sonnenrades mit 8 Speichen und kreuzförmiger Axe, am Rande Perlstab, die sehr dünne Scheibe hält nach rückwärts über­ geschlagen eine stark oxydierte Silberplatte fest, worauf einst die Verschlussnadel aufgelötet war, die mit einem Teil der Silbcrplatto abgebrochen und nicht mehr vorhanden ist, was um so mehr zu bedauern, weil auf jener einst eine Inschrift ein­ geritzt war, von der noch I M N (?)

erhalten sind. Durchmesser 3,3 cm, Gewicht C Gramm. stammt aus dem Frauengrab XXII12).

Sie

Ähnlich gestaltet ist die besser erhaltene Goldfibel Fig. 1 (Inv. Nro. 8b), die in dem reich ausgestatteten Frauen­ grabe XXVI auf dem Brustkörbe der Lqiclic gefunden wurde, während die gleich zu besprechende Schlangcnfibel Fig. 5 den Hals der Dame schmückte3). Hier bietet sich uns für die Datierung wenigstens der eine Endpunkt nach oben, in­ dem bei der Leiche 2 Goldmünzen Justinians I. (527r— 565) ge­ funden wurden. Die Goldscheibe ist umgebogen und fasst den äusseren rosettenartigen Kreis ohne Vermittelung eines Perlstabes; seine sämmtlichen 7 Zellen sind mit Almandinen besetzt, unter welchen der Grund gitterartig durchschimmert; im innern Kreise sind zwischen drei im Zickzack halbierten und mit Almandinen besetzten Speichen 3 Zwischenräume frei 1) Ygl. Jahresbericht V, 22 f. 2) Ycrgl. Jahresbericht V9 20. 3) Vgl. Jahresbericht Vf 26 ff.

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Joseph Schlecht.

gelassen, auf deren Grund sich Goldfiligran mit je einem sil­ bernen Knöpfchen befindet. Letztere sind die Köpfchen der Nieten, womit die rückwärts befindliche Silberplatte befestigt ist; auf ihr ist Spirale, Nadel und Öse, alles gut erhalten, gleichfalls aus Silber aufgenietet. Der innerste Kreis, ganz mit Steinen ^gpfüllt, bildet ein Kreuz, das an die 4 Ecken eines ausgezackten Quadrates anschliesst, welch letzteres den grössten Stein umschliesst, in welchen ein kleines Ringelchcn eingeschnitten ist. Durchmesser 3,1 cm, Gewicht 18 Gramm. Die Sförmige Fibel Fig. 5 (Inv. Nro. 81) hat eine ge­ diegene Goldscheibe zur Unterlage, die am Rande umgesclilagen und eingekerbt, zugleich die Perfstabfassung herstcllt. Die Zeichnung besteht aus zwei langgeschnabelten, schlangenar­ tigen Thierleibern, die sich gegenseitig verschlingen, in Zellen­ fassung; die Fassung ist Goldblech, die Füllung grosse Alman­ dinen, der Grund feingegittertes Gold, lebhaft durchleuch­ tend. Die beiden Vertiefungen sind mit regellos laufendem Filigranflechtwerk (3facher Perlstab) besetzt, das im unteren Teile von 2 goldenen Nägeln gehalten wird, deren eigent­ liche Bestimmung die Befestigung des grossen auf der Rück­ seite befindlichen goldenen Gehäuses ist, in das der kurze Dorn aus Kupferdraht, der im goldnen Scharniere noch vor­ züglich sich bewegt, eingreift; zwei andere Nägel sind nicht sichtbar, weil sie unter den Steinen liegen. Länge 3,7 cm, Breite 3 cm, Gewicht 18 Gramm. Einem ähnlichen Typus folgt die kleine stark oxydierte Broncefibel Fig. 4 (Inv. Nro. 80) mit zwei runden Alman­ dinen an Stelle der Augen, von denen nur der obere erhal­ ten, und einer sonst sehr verwilderten eingegrabenen Zeich­ nung, welche das ursprüngliche Motiv kaum mehr versteht. Der Dorn und seine Befestigung nicht mehr vorhanden. Höhe 2,5 cm, Breite 1,5, Gewicht 3 Gramm, Gefunden wurde sie in dem Grabe XXXIII bei der Leiche einer älteren Frau, und zwar in der Beckengegend *), während auf der Brust 2 Roscttenfibeln sich befanden. Aus demselben Grabe stammt der schön und regelmässig !) Vgl. Jahresbericht V} 32y wo sie irrig als Goldfibel bezeichnet ist.

Zu den Schreizheimei** Funden.

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geschliffene Bergkrystall Fig. 1\ (Inv. Nro. 58), der bei der Frau in der Nähe des linken Oberschenkels aufgcfuncjen wurde. Es ist somit weniger an eih Schmuckstück, als viel­ mehr an eine Verwendung zu nützlichen Zwecken z. B. als Spinnwirtel zu denken, obwohl das Material hiezu etwas kost­ bar erscheint und nur im Besitz einer Vornehmen hiezu dienen konnte. Höhe bei der Öffnung 1,8 cm, Durchmesser 2,8 cm, Gewicht 25 Gramm. Das Broncebüchsehen Fig. 9 (Inv. Nro. 94) befand sich im Besitze der in Grab XXVI gebetteten vornehmen Frau, die mit den oben erwähnten *) Fibeln und anderem Schmuck ausgestattet war; an dem Gürtel befestigt, hing cs nebst einer Ledertasche und einer Muschel (cypris tygrea) von diesem als Schmuck oder Amulett hernieder und bewegte sich in einem Scharniere, während ein zweites Deckel und Gehäuse verbindet; beide verrichten jetzt noch ihre Dienste. Es enthielt eine kleine, durchlochte, weisso Perle und eine ver­ trocknete Pflanze. Der Durchmesser beträgt 3,3 cm, die Höhe 1,17 cm, das Gewicht 15 Gramm. Der Band ist durch Ein­ kerbung verziert, die beiden runden Flächen sind durch 2 eingcritzte im rechten Winkel sich schneidende Linien in 4 Felder getheilt, welche wieder wirre Zickzackstreifen enthal­ ten, die zwar runenartig aussehen, aber keinen anderen Zweck als den der Verzierung haben. Die beiden Ohrringe aus Bronce Fig. 6 gehören zu unserer ersten Ausbeute, stammen aber, obschon sie nur eine Inventarnummer haben (89) aus zwei verschiedenen Gräbern; der mit der geschmackvoll verzierten Ivugel fand sich mit einem zweiten in dem Fraucngrabc I2), der einfachere mit der glockenartigcn Verzierung in dem Doppelgrabe II gleich­ falls paarig. Durchmesser 3 cm. Das andere Paar Fig. 7 (Inv. Nro. 88) wurde aus dem Frauengrabe LIII erhoben. Das Metall ist elastischer Silberdraht, an den Enden zugespitzt und umgebogen, um einen Verschluss zu bewerkstelligen, an welchem 2 bewegi) Vgl. S. 151. *) Vgl, tJahresbericht III, 26.

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Joseph Schlecht.

liehe mit einem Stäbchen verzierte Hohlkiigelchen laufen'*). Durchmesser 3,3 cm. Das viereckige Beschlägstückchcn aus schwarzem Silber Fig. 10 (Tnv. Nro. 97) mit dem vergoldeten Blattornamenlc und den gleichfalls vergoldeten -ahgeschrägtcn Kanten bildete das Gegenbeschläge zu dem von L i n d c n s chm i t2) veröffentlichten Schnallenstückc; mit silbernen Nägeln, deren Köpfchen auf gekerbten lleifchcn aus Gold aufsitzen, war es an der Biemcnzungo des Gürtels befestiget und gehörte dem Krieger in Grab VII, bei dem wir auch den grossen Doppel­ kamm erhoben3). ■ Endlich haben wir Fig. 12 noch eine römische Arbeit abgebildet, eine in schwarzen Achat geschnittene Gemme, welche bei dem Skelette in Grab CXXV im Derbste 1895 nebst dem einfachen, gleichfalls römischen Lämpchen gefunden wurde. Der Fundbericht4) bezeichnet dieses Grab zwar als Männcrgrab und die bedeutende Länge des Skelettes scheint auch dafür zu sprechen; aber die Pcrlkctte um den Hals, die goldenen Anhängsel, die Ziermuscheln und Gewandnadeln, die Zicrscheibe und Perlen auf der Brust erweisen cs als Frauengrab. Die Gemmo zeigt in vorzüglicher Arbeit das Bild eines stramm marschierenden Legionärs in voller Aus­ rüstung, ihr Durchmesser von oben nach unten beträgt nur 21,75 mm, in der Breite nur 19 mm, der Rand ist abgeschrägt.

Tafel IV. Die Halskette Fig. 1 (Inv. Nro. 100) steht der oben S. 149 beschriebenen an Grösse, Zahl und Glanz der Perlen und buntem Farbenspiel nur wenig nach; wir zählen deren 42 von verschiedener Grösse und Gestalt; ganz durchsichtige und völlig undurchsichtige aus Glas wechseln mit solchen aus J) Sie sind durch Lötliung zweier Halbkugeln hergestellt. Ygl. M. v. C h 1 i n ge ns per g -Ber g, Das Gräberfeld von Beichenhall (Reichenhall 1800) S. 80 Tafel X u. XI, 418. 2) Altertümer unserer heidnischen Vorzeit IV, Tafel 53. 3) L i n d ens eh m i t, Altertümer unserer heidnischen Vorzeit IV, T. 54. Jahresbericht des Hist. Ver. Dillingen IV, 11 ff. S. oben 148. 4) S. oben S. 130 f.

2u den Schretzheimer Funden.

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Thon und aus Glasfluss, der mit; buntem Schmelz überzogen ist; die ganz weisse cylindcrförmigo ist aus weicher Ivalkkreide. Die Form erscheint rund, scheiben-, röhren- und wal­ zenförmig, tropfen- und trommelartig; glatte und ausgebauehto Cylinder und schön abgeccktc Würfel sind vertreten. Ebenso mannigfaltig ist die Zeichnung; in der Farbe herrscht dun­ kelrot, gelb und grün vor. Leider ist aus dem Inventar die Grabnummer nicht zu ersehen; ich vermuthe, dass sie der in XXII begrabenen Frau gehörte, die einen Bfachon derartigen Schmuck trug. Durchmesser 23 cm. Zum Frauenschmucke gehört auch die Haarnadel Fig. 2 (Inv. Nro. 78) aus Bronce, 17,7 cm lang, mit scharfer Spitze und flacher Fahne, in welche phantastische, einander verschlingende Thicro in roher Zeichnung cingcprägt sind. Sie stammt aus dem Frauengrabe L1Y *) und war am Hinter­ haupte von unten nach oben durch die Haarflechten gesteckt. Von unseren Spangenfibeln bieten wir zwei Paare aus Silber mit cingeschlagencn vergoldeten Ornamenten. Bei Fig. 3 a n. b (Inv. Nro. 70) sind die 8 vergoldeten Silberknöpfo in vollständiger Bundung für sich gearbeitet und mittels Stiftchen in die Scheibe eingelassen; der Bügel ist stark erhöht, der Leib oval und endet mit einem phantasti­ schen Raubthierkopfe, dessen tiefliegende geschlitzte Augen sonst wohl auch durch Edelsteine gebildet wurden. Ein am Rande eiotauschiertes schwarzes Band, das aus kleinen Drei­ ecken sich zusammensetzt*2), ist infolge starker Abnützung der Fibel nicht mehr deutlich sichtbar. Der Dorn mit der Spirale sind durch Rost zerstört, die Ose massiv beim Gusse der Form vorgesehen. Das Exemplar b hat um die Öse ein eingraviertes Rautenband, das bei a fehlt. Länge 10 cm, Breite 5,7 cm, Gesammtgewicht 95 Gramm. Sic wurden bei der Frauenlciche Grab XXVI gefunden und zwar in der Ivnie1) Nach dem Inventar käme sic aus Grab LX, womit der Fundbericlit nicht stimmt. Vgl. Jahresbericht VI, 26. Dagegen passen die Masse auf die in Jahresber. VI, 24 erwähnte Nadel. 2) Vgl. Lindenschmit Handbuch 443.

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Joseph Schlecht.

gegend und waren rückseitig mit Stoffresten der Kleidung bedecktl). Das andere Paar Figur 4a und b (Inv. Nro. 71) ist gcringwcrtigcro Arbeit; das Ganze aus einem Stück Silber ge­ gossen einschliesslich der Hülse für den Dorn Und der Knöpfchen, die ganz flach , nicht einmal halbrund gehalten siiu}, das wirre Thierornament cingcstanzt und gleich den Knöpfchcn vergoldet, der Rand wird durch ein tauschiertcs Band von doppelten schwarzen Dreiecken gebildet. Die Scheibe ist klein, dagegen der Thierkopf gross und breit. Rückwärts keine Verzierung. Länge 7,5, Breite 3,9 cm, Gcsainmtgcwicht 50 Gramm. Bezüglich der Provenienz lässt das Inventar im kt che; aber sicher aus Schretzheim 2). Die beiden Riemenzungen Figur 5a und b wurden aus dem Frauengrabo LIII erhoben3) und bildeten das Ende der Schuhbänder, welche um den Fuss hinaufgeschlungcn wurden und frei davon niederhingen, und zwar je ein sol­ ches Schmuckstück an einem Fusse. In unserem Falle sind die Bänder aus mehrfach gelegtem Stoffe, nicht aus Leder, und haben am Ende einen Saum aus Bronce, mit 2 durch­ greifenden Nägelchen festgemacht, der auf beiden Seiten eine Lage dünnen Silbcrblcchos cinschlicsst, in das ein band­ artiges Flechtornament, von einem Perlstab umgeben, einge­ stanzt ist; cs ist auf beiden Seiten dasselbe. Länge 8’/2 cm, Breite 2,7 cm, Gcsammtgewicht 30 Gramm. Aus dem schon mehrerwähnten Frauengrabo XXVI4) wurde auch entnommen die Z ier sc hcibe Figur 6 (Inv. Nro.20) aus Bronce, 9 cm im Durchmesser, ein feuriges Sonnenrad .mit 8 Speichen darstellend, von denen vier in vollem Brande sieh befinden ; bei einer in Grab I gefundenen Zierscheibe sind alle 8 Speichen in diesen Zickzacklinien gearbeitet, bei einem 0 Jahresbericht VI, 27. f. Vgl. dazu oben S. 15t und 153. *) Vgl. die ähnliche Nordendorfer Fibel (im Museum zu Augsburg) und eine aus Rheinbayern bei Lindemchmit, Handbuch Tafel XIX, 1 u. 4.

h Jahresbericht VI, 23. 4) S, oben Anmerk. 1.

Zu den Schretzheimer Funden.

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anderen (aus Grab XXII) nur 4 solche vorhanden. Gewicht 50 Gramm. Endlich gibt Figur 7 (noch ohne Inv. Xro.) eine unserer eisernen Pfeilspitzen; sic hat Widerhaken, schrauben« artig gewundenen Hals und rückwärts offene Tülle zur Auf­ nahme des Bolzens. Länge 9,87, Breite 3,8 cm. Sic wurde 1894 mit noch zwei anderen bei dem Krieger in Grab LXIII gefunden1). Die Zahl der auf der Schretzheimer Gemarkung bis jetzt eröffneten Gräber beläuft sich auf 185 und noch ist kein Endo des Leichcnfeldes zunsehen! Die erhobenen Funde sind von hoher Wichtigkeit für die Bereicherung unserer Kenntnis vom Leben unserer alamanischcn Voreltern und gerade einzelne im letzten Herbste ausgegrabenen Gegenstände2)*beweisen das Hcrcingrcifen römischer Cultur bis in das sechste und siebente Jahrhundert; dazu kommen die anderswo nicht beobachteten Anklänge an longobardische Kunstübung, wie sie in dem Goldblattkrcuz von Wittislingcn8), in der Gürtelschnalle mit dem Ilandmuster von Gundelfingen4) und in der Technik un­ serer Goldfibeln5)* zu * Tage treten. Ich kann diese Ausfüh­ rungen nicht besser schliessen, als indem ich die Worte anführc, welche die Direktion des römisch-germanischen Ccntralmuseums zu Mainz vor wenigen Tagen an die Vorstand­ schaft desVcrcincsschrieb5): DasGräbcrfeld von Schrctzheim kann in der Tliat als eines der reichsten unter den in letzter Zeit aufgedeckten Gräberfel­ dern der fränkisch-alamanischcu Zeit bezeichnet werden. *) Vgl. Jahresbericht VII, 101 f. 2) S. oben 112. 131. 154. 8) Ilnger und Mayer a. a. O. S. 252 f. und Tafel XX. 4) L in d cn sch mi t, Alterthämcr unserer h. V. IV, 53 f. (Text.) t r’) S. oben 150—152. F. lieber, Kunstgesch. des Mitteltalters Leipzig 1888) 209 ff. ft) Brief des Herrn Direktors L. Lindenschmit vom 1. März 1890.

/// lfliseellanea. 1. Die Entstehung des Namens Dillingen erklärt Jo­ hann Herold in seiner Schrift: De Romanorum in Rhetia littorali stationibus ac e.e ii,s* vieornm, municijriurum et villarum, /; 100.

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