Intersektionalität: Zur Analyse sozialer Ungleichheiten [2., unveränderte Auflage 2010] 9783839411490

Das Thema soziale Ungleichheit steht nach wie vor im Zentrum der Soziologie. Die mehrdimensionale Analyse sozialer Ungle

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Intersektionalität: Zur Analyse sozialer Ungleichheiten [2., unveränderte Auflage 2010]
 9783839411490

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1 Einleitung
1.1 Was ist Intersektionalität?
1.2 Welche Kategorien wie verbinden?
1.3 Welche Ebenen wie verbinden?
2 Theorie: Intersektionale Ungleichheitsanalyse
2.1 Strukturelle Herrschaftsverhältnisse
2.1.1 Patriarchat und Kapitalismus
2.1.2 Vier Strukturkategorien
2.2 Symbolische Repräsentationen
2.3 Identitätskonstruktionen
3 Methodologie: Praxeologischer Intersektionalitätsansatz
3.1 Verbindung der Ebenen über soziale Praxen
3.2 Modell von Wechselwirkungen
3.3 Acht methodische Schritte der intersektionalen Analyse
4 Empirie: Mehrebenenanalyse am Beispiel von Erwerbslosigkeit
5 Resümee
6 Literatur

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Gabriele Winker, Nina Degele Intersektionalität

Gabriele Winker (Prof. Dr.) lehrt Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der TU Hamburg-Harburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Arbeits-, Geschlechter- und Internetforschung. Nina Degele (Prof. Dr.) lehrt Soziologie und Gender Studies an der Universität Freiburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschlechterverhältnisse, Körper, Modernisierung und qualitative Methoden.

Gabriele Winker, Nina Degele

Intersektionalität Zur Analyse sozialer Ungleichheiten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Nina Degele, Gabriele Winker Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1149-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT

Vorwort

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1 Einleitung 1.1 Was ist Intersektionalität? 1.2 Welche Kategorien wie verbinden? 1.3 Welche Ebenen wie verbinden?

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2 Theorie: Intersektionale Ungleichheitsanalyse 2.1 Strukturelle Herrschaftsverhältnisse 2.1.1 Patriarchat und Kapitalismus 2.1.2 Vier Strukturkategorien 2.2 Symbolische Repräsentationen 2.3 Identitätskonstruktionen

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3 Methodologie: Praxeologischer Intersektionalitätsansatz 3.1 Verbindung der Ebenen über soziale Praxen 3.2 Modell von Wechselwirkungen 3.3 Acht methodische Schritte der intersektionalen Analyse

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4 Empirie: Mehrebenenanalyse am Beispiel von von Erwerbslosigkeit

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5 Resümee

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6 Literatur

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VORWORT

Die Kluft zwischen arm und reich vertieft sich, Frauen verdienen nach wie vor deutlich weniger als Männer, Nicht-Heterosexuelle werden immer noch als von der Norm Abweichende stigmatisiert, Kinder mit Migrationshintergrund haben selbst in zweiter und dritter Generation deutlich schlechtere Bildungschancen als Einheimische, Alte und Kranke schauen vom gesellschaftlichen Rand in die Mitte, wo Junge und Gesunde sich zu behaupten versuchen. Diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Wie reagieren die Sozialwissenschaften und im Speziellen die Frauen- und Geschlechterforschung auf solche sozialen Ungleichheiten? Als Sozialwissenschaftlerinnen mit Schwerpunkt in Gender und Queer Studies haben wir uns bisher darauf konzentriert, in empirischen Forschungsprojekten einzelne Facetten von Diskriminierungsphänomenen herauszuarbeiten und in theoretischen Auseinandersetzungen mit dem wissenschaftlichen Mainstream auf den Einbezug der Kategorie Geschlecht zu drängen. Dies hat jedoch nur selten zu wissenschaftlichen, geschweige denn politischen Konsequenzen geführt. Auch wenn dies mit der mäßigen Konjunktur sozialer Bewegungen im Allgemeinen und feministischer Initiativen im Besonderen zusammenhängt, hat es sicherlich auch etwas mit der Art und Weise eines vorherrschenden Wissenschaftsverständnisses zu tun. Denn Interdisziplinarität wird oft nur als Schlagwort geführt, und auch innerhalb einer Disziplin gibt es überflüssige Grenzziehungen. Die Zeit ist aber reif, in größeren Zusammenhängen und schubladenübergreifend zu denken, Gräben zu überspringen und Verflechtungen zu verdeutlichen. Dazu ordnen wir die vielfältigen queeren und feministischen Erkenntnisse, die wir im Laufe der Jahre gesammelt haben, neu. 7

INTERSEKTIONALITÄT

Die Debatte um Intersektionalität erscheint uns dafür als geeignetes Terrain, da es dort um Zusammenhänge und Wechselwirkungen sozialer Differenzierungen geht. Auch lassen sich mit einer intersektionalen Analyse gesellschaftlicher Ungleichheiten Ansatzpunkte für politisches Handeln markieren. Aus diesem Anliegen ist in einem gemeinsamen dreijährigen Denkund Schreibprozess dieses Buch entstanden. Zum Gelingen der Arbeit trug nicht zuletzt bei, dass Studierende und Promovierende unsere ersten Ideen in ihren Arbeiten erprobt haben. Dass wir dabei noch nicht am Ende angelangt sind, versteht sich von selbst. Wenn wir aber Anstöße geben können, Analysen sozialer Ungleichheiten breiter und durchaus que(e)rliegender anzulegen, haben wir unser Ziel erreicht. Wir hoffen, dass Sie, liebe LeserInnen, als WissenschaftlerInnen, StudentInnen, PraktikerInnen, PolitikerInnen und Neugierige Überraschendes entdecken und neue Erkenntnisse gewinnen. Wir laden Sie ein, unsere Denkbewegungen mitzugehen, von denen uns vor allem vier Grenzüberschreitungen wichtig sind: Erstens verstehen wir Theorien als Werkzeuge, die uns helfen, gesellschaftliche Zusammenhänge besser zu durchdringen. Deshalb verbinden wir unsere intersektionale Ungleichheitsanalyse mit methodologischen Überlegungen und einem Vorschlag, wie diese in der empirischen Praxis umsetzbar sind. Wir stellen also nicht nur fest, wie etwas gemacht werden müsste, sondern wir tun es. Zweitens überwinden wir das Schulendenken, indem wir mit drei feministischen Perspektiven auf gesellschaftliche Konstruktionsprozesse schauen und damit mehr sehen als lediglich mit einer. Drittens beziehen wir theoretisch und methodologisch vielfältigste Differenzkategorien ein, entlang derer Diskriminierungsprozesse verlaufen, und überwinden damit die Frage nach der Masterkategorie, ohne die Bedeutung der Kategorie Geschlecht zu reduzieren. Und schließlich ist und bleibt das Ziel all dieser Gedanken der queer-feministische Anspruch auf gesellschaftliche Erneuerung, sprich all diejenigen Verhältnisse zu verändern, die Menschen unterdrücken und sie an der Entfaltung ihrer Bedürfnisse und Realisierung ihrer Lebensziele hindern.

Nina Degele, Gabriele Winker Freiburg/Hamburg im April 2009

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1 EINLEITUNG

Dass Hillary Clinton eine Frau ist, wussten die amerikanischen WählerInnen, dass sie es bei Barack Obama mit einem Schwarzen zu tun haben, ebenfalls. „Schwarz gegen Frau“ titelte die tageszeitung (taz) am 18.01.2007, womit der historische Test um die hartnäckigere Form der Unterdrückung eröffnet war. Nun ist das Duell „Rasse versus Geschlecht“ bekanntlich entschieden, und man mag spekulieren, ob sich auch bei diesem Vorwahlkampf Rassismus als politische Todsünde, Sexismus dagegen als Kavaliersdelikt (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.05.2007) inszenieren ließ. Vielleicht gab auch das Alter und damit die Generationszugehörigkeit der KandidatInnen den Ausschlag – bei Clinton wie auch danach bei dem republikanischen Herausforderer John McCain. Der war im Wahljahr nämlich 71 Jahre alt, Jungspund Obama dagegen 46. Aufschlussreich indes war die Rede Obamas zu seinem Wahlsieg, in der er die Einigkeit jenseits sozialer und politischer Gegensätze beschwor: „It’s the answer spoken by young and old, rich and poor, Democrat and Republican, black, white, Hispanic, Asian, Native American, gay, straight, disabled and not disabled – Americans who sent a message to the world that we have never been just a collection of individuals or a collection of red states and blue states: we are, and always will be the United States of America.“1

Erstens nimmt Obama eine nationalstaatliche Differenzierung vor – die Abgrenzung erfolgt entlang der Linie AmerikanerInnen/Nicht-Amerika-

1

Vlg. http://elections.nytimes.com/2008/results/president/speeches/obamavictory-speech.html [04.02.09] 9

INTERSEKTIONALITÄT

nerInnen. Zweitens fehlen in dieser imposanten Aufzählung Frauen und Männer – existiert in dieser Hinsicht kein sozialer Konflikt mehr? Zumindest nicht, wenn man wie DER SPIEGEL in seiner Neujahrsausgabe 2009 (Nr. 2, 05.01.09) Ehefrau Michelle mit „Obamas bester Mann“ würdigt. Eine zweifelhafte Ehrerbietung, denn hier geschieht eine massive Abwertung von Frauen: Ihre Fähigkeiten und ihr Sachverstand müssen vermännlicht werden, um als Kompetenz anerkennenswert zu sein. Die Nicht-Nennung von Geschlecht in der Rede Obamas passt genau in dieses Muster: Frauen sind formal gleichberechtigt, Geschlecht als Kategorie sozialer Ungleichheit hat abgedankt, auch wenn gleichzeitig herrschende Geschlechterstereotype mit weitreichenden Diskriminierungsfolgen wirksam bleiben. Eine solche Konstellation ist nicht nur politisch und massenmedial trendy. Inzwischen gehört es auch zum guten Ton der Gender und Queer Studies, Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse nicht mehr auf die Kategorie Geschlecht zu reduzieren. Eindimensionale Modelle wie das Patriarchat haben zur Beschreibung und Erklärung von Ungleichheiten ausgedient. Geschlecht, Klasse und Rasse2 gelten in der Geschlechter-, Ungleichheits-, und Migrationsforschung als zentrale Kategorien der Unterdrückung. Sexualität findet vor allem über die Queer Studies Berücksichtigung. Seit den 1990er Jahren interessieren allerdings zunehmend die Wechselwirkungen zwischen solchen ungleichheitsgenerierenden Dimensionen. Dafür hat sich der Begriff Intersektionalität durchgesetzt: Statt die Wirkungen von zwei, drei oder mehr Unterdrückungen lediglich zu addieren (was schon schwer genug ist), betonen die ProtagonistInnen des Konzepts, dass die Kategorien in verwobener Weise auftreten und sich wechselseitig verstärken, abschwächen oder auch verändern können. So ist das Konzept der Intersektionalität auf dem besten Weg, zu einem neuen Paradigma in den Gender und Queer Studies zu avancieren. Zwar sind in der Fassung, wie es seit einigen Jahren in die deutschsprachige Diskussion sickert, vor allem Wechselwirkungen zwischen den ungleichheitsgenerierenden Kategorien Geschlecht, Klasse und Rasse 2

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Im deutschsprachigen Kontext erscheint in der gender- und queertheoretischen Literatur der Begriff Rasse mit Rücksicht auf die nationalsozialistische Vergangenheit zumeist in Anführungszeichen oder alternativ wird der englische Begriff race statt Rasse verwendet. Wir wollen mit diesem Begriff Prozesse der Rassisierung, also Prozesse der Rasse erst konstruierenden Ausgrenzung und Diskriminierung sowie ihre gewaltförmige Naturalisierung und Hierarchisierung, deutlich machen. Deshalb verzichten wir hier bewusst auf die Anführungszeichen. Für andere Kontexte mag die Entscheidung für die passende Schreibweise durchaus abweichend ausfallen.

EINLEITUNG

gemeint; Kategorien wie Sexualität, Alter, (Dis-)Ability, Religion oder Nationalität sind aber prinzipiell integrierbar. Ziel ist dabei die umfassende theoretische und vor allem empirische Analyse, welche Bedeutung verschiedene Differenzkategorien bei Phänomenen und Prozessen unterschiedlichster Art haben. Zur Konkretisierung dieses bislang nur rudimentär ausgearbeiteten Theorieansatzes schlagen wir mit unserem Konzept der Intersektionalität als Mehrebenenanalyse Erweiterungen, Differenzierungen und Präzisierungen in verschiedenerlei Hinsicht vor. Dazu werden wir im zweiten Kapitel Ungleichheiten generierende Kategorien auf den Ebenen der Strukturen (Kap. 2.1), der symbolischen Repräsentationen (Kap. 2.2) sowie der Identitäten (Kap. 2.3) theoretisch begründen. Auf dieser Grundlage entwickeln wir im dritten Kapitel eine Methodologie, mit der sich unser Mehrebenenkonzept für die empirische Analyse nutzen lässt. Dabei verbinden wir die Ebenen (im Anschluss an Bourdieu) praxeologisch miteinander (Kap. 3.1), verdeutlichen unser Modell der Wechselwirkungen (Kap. 3.2) und schlagen auf dieser Grundlage methodologisch eingebettete konkrete Schritte für die empirische Umsetzung vor (Kap. 3.3). Wir konkretisieren dies anhand sozialer Praxen von Individuen im Kontext von Erwerbslosigkeit (Kap. 4), um daraufhin Gewinn und Perspektiven einer intersektionalen Argumentation für politisches Handeln zu skizzieren (Kap. 5). Zunächst aber rekonstruieren wir den Forschungsstand zu Intersektionalität entlang einiger historischer Schlaglichter (Kap. 1.1) sowie zweier zentraler Probleme der Intersektionalitätsforschung, nämlich der Frage nach den relevanten Kategorien (Kap. 1.2) und Ebenen (Kap. 1.3).

1.1 Was ist Intersektionalität? Sucht man nach historischen Wurzeln der Intersektionalitätsdebatte, waren es zunächst einmal die Erfahrungen Schwarzer Frauen, die sich im Feminismus westlicher Weißer Mittelschichtsfrauen nicht wieder fanden (Carby 1982; Collins 1993). Deren Rede von Unterdrückung qua Geschlecht musste vor dem Hintergrund rassistischer Ausgrenzung in jedem Fall zu kurz greifen. Entsprechend kritisierten in den 1970er Jahren in den USA Schwarze Feministinnen das zu enge Verständnis von global sisterhood ihrer Weißen Kolleginnen: Das viel zitierte „Ain’t I A Woman?“ aus dem Mund der Schwarzen Sklavin Sojourner Truth im 19. Jahrhundert (vgl. Brah/Phoenix 2004: 75f.; Combahee River Collective 1982) benennt ein zentrales Element und Problem der Intersektionalitätsdebatte: Wer gehört aufgrund welcher Eigenschaften zu unterdrück11

INTERSEKTIONALITÄT

ten sozialen Gruppen? Gesellen sich zum Frausein die Klassenzugehörigkeit und das Schwarzsein als add-on oder ist die Existenz verschiedener Unterdrückungsformen in anderer Weise, nämlich als Herrschaftsverhältnisse, zu fassen? Als Konsequenz führte die Verwobenheit zwischen verschiedenen Formen der Ungleichheit bereits in den 1970er Jahren zur Forderung nach einer erweiterten Analyse von zunächst einmal Rasse, Klasse und Geschlecht. Grundlegend war dabei die Einsicht, dass Frauen nicht nur qua Geschlecht unterdrückt werden, sondern auch als rassistisch markierte Andere sowie aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit. Die isolierte Analyse lediglich einer Ungleichheitsdimension – um die sich dann ebenso isolierte Disziplinen bildeten – erschien vor diesem Hintergrund nicht als vielversprechend, Ziel war vielmehr die Untersuchung der Verwobenheit von Ungleichheitsdimensionen. In den 1990er Jahren tauchte in der englischsprachigen Diskussion dafür der Begriff intersectionality (oder auch intersectional analysis) auf, den die amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw (1989) ins Spiel gebracht hatte. In ihrer Analyse von fünf Gerichtsfällen bezog sie sich dabei auf Diskriminierungspraxen von Firmen, in welchen die gleichzeitige Diskriminierung Schwarzer Frauen in Bezug auf Rasse wie auch Geschlecht wechselweise ausgeblendet wurde „by limiting inquiry to the experiences of otherwise-privileged members of the group. In other words, in race discrimination cases, discrimination tends to be viewed in terms of sex- or class-privileged Blacks; in sex discrimination cases, the focus is on raceand class-privileged women.“ (Ebd.: 140) Um die Verwobenheit solcher Ungleichheiten zunächst einmal zu illustrieren, verwandte Crenshaw (1989: 149) das Bild der Verkehrskreuzung, an der sich Machtwege kreuzen, überlagern und überschneiden: „Consider an analogy to traffic in an intersection, coming and going in all four directions. Discrimination, like traffic through an intersection, may flow in one direction, and it may flow in another. If an accident happens in an intersection, it can be caused by cars traveling from any number of directions and, sometimes, from all of them. Similarly, if a Black woman is harmed because she is in the intersection, her injury could result from sex discrimination or race discrimination.“

Zu Beginn fokussierte das Konzept der Intersektionalität auf Schwarze Frauen, und seine Protagonistinnen diskutierten die Frage, ob es auch auf andere Ungleichheitskategorien ausgeweitet werden sollte oder nicht (Yuval-Davis 2006: 201-203). Diese Debatte, welche Differenzkategorien einbezogen werden sollten, hält an, von einem Konsens lässt sich dabei nicht sprechen (vgl. Kap. 1.2). 12

EINLEITUNG

Ebenfalls ist umstritten, ob der Begriff Intersektionalität auch die angemessenen Assoziationen hervorruft. Fokussiert das Bild der Kreuzung zu sehr auf die je spezifische Zusammensetzung von Gruppen statt auf gesellschaftliche Verhältnisse (Soiland 2008)? Und legt es die Existenz getrennter Ungleichheitsdimensionen nahe, die sich an manchen Punkten treffen, überlagern, verstärken und damit additiv aufgeschichtet werden können? So gehen einige Überlegungen dahin, mit dem Begriff Interdependenz statt Intersektionalität die wechselseitigen und nicht – wie unterstellt – monodirektionalen Abhängigkeiten zu betonen. Dies zielt gegen die ursprüngliche Fassung Crenshaws, die – so die Kritik – mit dem Begriff Intersektionalität „sich auf bestimmte Sektionen oder Schnittmengen konzentriert“ und damit „tendenziell von isolierten Strängen ausgeht“ (Dietze/Hornscheidt/Palm/Walgenbach 2007: 9), statt Beziehungen von Ungleichheiten oder Marginalisierungen in den Vordergrund zu stellen. Der Begriff Gender als interdependente Kategorie dagegen solle nicht wechselseitige Interaktionen zwischen Kategorien, sondern soziale Kategorien selbst als interdependent fassen. Diese Lesart hat freilich einen Haken. Denn die Verlagerung von Wechselwirkungen und Interdependenzen in die Kategorie hinein verschiebt lediglich das Problem, Zusammenhänge adäquat zu denken, löst aber nicht das Problem der Benennung dessen, was als interdependent gedacht wird. Der Begriff Interdependenz verspricht aus diesem Grund keine weiterführenden Perspektiven für empirische Forschung, weshalb wir beim Begriff der Intersektionalität bleiben. An diese Überlegungen schließen sich vielfältige Fragen und Weiterentwicklungen an. Bemerkenswert ist dabei, dass der Begriff Intersektionalität in seiner kurzen Karriere von gerade einmal zwei Jahrzehnten inzwischen zu einem buzzword (Davis 2008a) in der Geschlechterforschung avanciert ist, woran Kathy Davis die These knüpft, dem Konzept sei der gegenwärtige Erfolg vor allem wegen dessen Unklarheit und Vagheit beschieden. Denn unter diesem Dach fänden sich unterschiedliche und sich nicht eben freundlich gesonnene theoretische Strömungen der Geschlechterforschung in friedlicher Koexistenz wieder. Intersektionalität bediene nämlich grundlegende Anliegen der verschiedenen Strömungen, die Geschlecht als zentrale Kategorie angemessen berücksichtigen oder die neuen Schwung in festgefahrene Auseinandersetzungen zwischen politischem Anspruch und postmoderner Dekonstruktion bringen möchten. Gleichzeitig eröffneten intersektionale Konzepte ein Betätigungsfeld sowohl für anwendungsorientierte GeneralistInnen wie auch für theorieinteressierte SpezialistInnen. Und schließlich böten die Ambiguität und Unvollständigkeit intersektionaler Ansätze zahlreiche An-

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INTERSEKTIONALITÄT

schlüsse für Weiterentwicklungen, was für eine geschlossene und widerspruchsfreie Theorie gerade nicht gelte. Dabei ließen sich die älteren US-amerikanischen und die seit den 1990ern zu beobachtenden europäischen Schwerpunktsetzungen der Diskussion unterscheiden (Davis 2008b): Während in den USA der starke politische Hintergrund mit der Forderung nach empowerment für diskriminierte Frauen dominiere, herrsche in Europa die Dezentrierung und Dekonstruktion von Geschlecht und anderen binären Oppositionen der Moderne vor – in den USA komme das eher als esoterisch und unkritisch an. Entsprechend verzichtet die US-Amerikanerin Leslie McCall (2005) nicht auf Kategorien, was sie auch politisch begründet: Identitätspolitik stelle oft eine wichtige Strategie des Widerstands dar – mehr als es die Dekonstruktion von Kategorien je sein könne. Weiteres europäisches Spezifikum: Während in den USA die Trias von race, class, gender unhinterfragt zentral sei, gibt es in Europa heftige Diskussionen zur Auswahl der Kategorien. So kann vor allem aufgrund der deutschen Geschichte race keine Basis für eine progressive Identitätspolitik werden. Zudem wird der Begriff race häufig durch Ethnizität ersetzt – damit sollen kulturelle Differenzen, unterschiedliche religiöse Überzeugungen oder herkunftsbedingte Traditionen besser beschreibbar sein. Was also festzuhalten ist: Intersektionalität hat sich in seiner kurzen Geschichte zu einem Konzept entwickelt, das über ein Strömungen übergreifendes Potenzial verfügt und Perspektiven für konstruktive Weiterentwicklungen und Anwendungen bietet – sowohl in den USA als auch in Europa. Dies gilt theoretisch wie auch disziplinär: Nicht nur konstruktivistische, dekonstruktivistische oder strukturorientierte Verfahren knüpfen an dieses Konzept an, sondern auch so verschiedene Disziplinen wie Soziologie, Politikwissenschaften, Geschichte, Rechtswissenschaften, Philosophie, Literaturwissenschaften, Pädagogik oder Wirtschaftswissenschaften. Im Folgenden gehen wir von einem Verständnis von Intersektionalität als Wechselwirkungen zwischen (und nicht als Addition von) Ungleichheitskategorien aus. Bezeichnet Intersektionalität die „kontextspezifischen Untersuchungen der Überschneidungen und des Zusammenwirkens verschiedener gesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen und -praktiken“ (Räthzel 2004: 253), ist dies noch recht allgemein gehalten. Die britischen Sozialwissenschaftlerinnen Avtar Brah und Anne Phoenix beschreiben Intersektionalität ebenfalls breit als „the complex, irreducible, varied, and variable effects which ensue when multiple axes of differentiation – economic, political, cultural, psychic, subjective and experimental – intersect in historically specific contexts“ (Brah/Phoenix 2004: 76). Diese Definitionen sind nicht falsch, sie adressieren die Mög14

EINLEITUNG

lichkeit einer empirischen Verwendbarkeit aber nur unzureichend. Sollen Intersektionalitätsansätze allerdings – so unser Anspruch – ein handhabbares Werkzeug für die empirische Forschung zur Verfügung stellen, dann ist dafür eine methodologische Begründung erforderlich. Genau darum geht es in diesem Buch: Wir wollen zeigen, wie die Verwobenheit von Ungleichheitskategorien auf verschiedenen Ebenen theoretisch zu fassen und im empirischen Forschungsprozess zu analysieren ist. Wir begreifen Intersektionalität als kontextspezifische, gegenstandsbezogene und an sozialen Praxen ansetzende Wechselwirkungen ungleichheitsgenerierender sozialer Strukturen (d.h. von Herrschaftsverhältnissen), symbolischer Repräsentationen und Identitätskonstruktionen. Um diesen Mehrebenenansatz in Kapitel 2 entwickeln zu können, diskutieren wir zunächst die vorliegenden Vorschläge zur Auswahl der relevanten Kategorien und ihrer Verbindung (Kap. 1.2), dann setzen wir uns mit dem Problem der adäquaten Ebenen und ihrer Verbindung (Kap. 1.3) auseinander.

1.2 Welche Kategorien wie verbinden? Die Berücksichtigung mehrerer Kategorien gehört inzwischen zum common sense in der Diskussion. Aber wie viele und welche Kategorien sollen sinnvollerweise Berücksichtigung finden? Zu Beginn der Intersektionalitätsdebatte in den 1990er Jahren war diese Fragestellung nicht dringlich, da damals soziale Ungleichheiten im wissenschaftlichen Diskurs in den Hintergrund gerieten – zugunsten vielfältiger Differenzen (Knapp 2005: 69-71; Lutz 2001: 222; Michaels 2006): Vielfalt, Diversität, Othering und Multikulti waren plötzlich trendy; im Zuge eines cultural turn (Barrett 1992) haftete einer mit wenigen Kategorien operierenden Sozialstrukturanalyse etwas Starres und Ewiggestriges an. Mit dem wieder zunehmenden Interesse an sozialstrukturellen Untersuchungen auch innerhalb der Debatte zu Intersektionalität stellt sich das Problem der Auswahl relevanter Ungleichheitskategorien wieder neu. Sind es die drei Kategorien Geschlecht, Klasse, Rasse, wie es die klassisch zu nennende Debatte nahelegt (vgl. Anthias 2001; Klinger 2003, 2008; Knapp 2005; McCall 2001, 2005)? Dafür spricht beispielsweise, dass mehr als drei Kategorien zumindest auf der Ebene sozialstruktureller Analysen kaum zu bewältigen sind. Allerdings fehlt eine schlüssige theoretische Begründung, warum gerade Rasse, Klasse und Geschlecht die zentralen Linien der Differenz markieren sollen. Das gilt umso mehr, als der US-amerikanische Zusammenhang, aus dem dieses Konzept stammt, aufgrund seiner historischen Besonderheit keineswegs auf west15

INTERSEKTIONALITÄT

europäische und/oder deutsche Verhältnisse umstandslose zu übertragen ist (vgl. Davis 2008b; Dietze 2001; Rommelspacher 1999). So plädieren andere WissenschaftlerInnen für die Berücksichtigung von zumindest vier Kategorien, weil etwa Sexualität – auch wenn mitunter schwer sicht- und messbar – in der Analyse nicht fehlen dürfe (Verloo 2006; Weber 2001). Was ist dann aber beispielsweise mit Alter, Religion, Attraktivität? Vielleicht sind es auch 13 Linien der Differenz3, wie es Helma Lutz und Norbert Wenning (2001) zur Analyse von Interaktionen in Kleingruppen nahelegen? Oder ist eine systemtheoretische Perspektive funktionaler Differenzierung plausibler, die eine Fokussierung auf Ungleichheitsstrukturen ablehnt und stattdessen von mindestens zwölf ausdifferenzierten Funktionssystemen4 ausgeht (Weinbach 2008: 176)? Wann also sind welche Kategorien in welcher Form bedeutsam? Bereitet die prinzipielle Unabgeschlossenheit möglicher Differenzkategorien enorme Probleme (Butler 1991: 210), macht dieser Disput zumindest eines klar: Die Entscheidung für diese oder jene Kategorien der Ungleichheit hängt vom untersuchten Gegenstand und von der gewählten Untersuchungsebene ab. So stellt sich für eine Sozialstrukturanalyse die Frage nach der Auswahl zu berücksichtigender Kategorien anders als für die Rekonstruktion von Identitätsbildungsprozessen oder für die Untersuchung symbolischer Repräsentationen. An das Problem der Auswahl der richtigen Kategorien knüpft sich die Frage, wie der Zusammenhang von Ungleichheiten mehr als nur additiv zu verstehen sein soll. Zunächst hat es ja den Anschein, als reiche eine Kategorie wie Geschlecht nicht aus, um Diskriminierungen und Herrschaftsverhältnisse ausreichend zu beschreiben und zu erklären. Ergänzend ließen sich dann Klasse oder eben Rasse hinzufügen. Dies liefe dann auf das Modell einer „triple-oppression“ (Yuval-Davis 2006: 195) oder „Mehrfachunterdrückungsthese“ (Lutz 2001: 217f.) hinaus. Dieses Vorgehen ist schon bei zwei Kategorien wie Geschlecht und Klasse schwierig genug, was an der abgeebbten Diskussion zum Zusammenhang von Kapitalismus und Patriarchat nachzuvollziehen ist (Pollert 1996, vgl. Kap. 2.1.1). Eine gesellschaftstheoretische Einbettung von mehreren „Achsen der Ungleich3

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Lutz/Wenning (2001: 20) benennen folgende 13 bipolare, hierarchische Differenzlinien: Geschlecht, Sexualität, „Rasse“/Hautfarbe, Ethnizität, Nation/Staat, Klasse, Kultur, Gesundheit, Alter, Sesshaftigkeit/Herkunft, Besitz, Nord-Süd/Ost-West, gesellschaftlicher Entwicklungsstand. Diese sind – in historisch geordneter Reihenfolge der Entstehung – Recht und Religion, Politik und Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft und Intimbeziehungen, Erziehungs- und Gesundheitssystem, Sport, Tourismus und Massenmedien. Alle diese Kategorien sind nicht per se mit Ungleichheit verbunden – systemtheoretisch ist das eine sowohl empirisch offene wie auch nachgeordnete Frage.

EINLEITUNG

heit“ beziehungsweise „Achsen der Differenz“ (Klinger/Knapp 2005) steht also noch aus, das haben GeschlechterforscherInnen unterschiedlichster Couleur inzwischen unisono als ein zentrales theoretisches Defizit erkannt und benannt. Ähnlich wie in den USA war auch die frühe deutschsprachige Frauenforschung nie eine homogene Einheit und diskutierte in den 1980er und 1990er Jahren Unterschiede zwischen Frauen. So haben Debatten um ‚neue Weiblichkeit‘, ‚neue Mütterlichkeit‘, Subjektivismus und Innerlichkeit, Spiritualismus und lesbischen Separatismus sowie damit verbundene Ausschlüsse und Machtkämpfe unter Frauen auch im deutschsprachigen Feminismus eine Rolle gespielt (Becker-Schmidt/ Knapp 2000: 103f.; Selders 2003: 85). Ebenso erschütterten Frigga Haugs (1981) Aufsatz zur Opfer-Täter-Debatte sowie vor allem Christina Thürmer-Rohrs (1983) Arbeit zur Mittäterschaft von Frauen die Sicht auf Frauen als Opfer nachhaltig. Denn auch Frauen kollaborieren mit dem Patriarchat, auch Frauen wissen sich patriarchale Herrschaftsverhältnisse zunutze zu machen, es gibt mehr und weniger privilegierte Frauen. Die Situation zeichnet sich allerdings durch einige Faktoren als verschieden von den USA aus (Lutz 2001: 222-225): Fehlende staatsbürgerliche Integration von Migrantinnen und deren Unterrepräsentanz in feministischen Bewegungen, Widerstand gegen die Übertragung USamerikanischer Auffassungen von Rassismus auf Deutschland, dann auch Debatten über Nationalsozialismus und den dahinter verdrängten Kolonialismus erschweren den Anschluss an postkoloniale Theorien und den US-amerikanischen Diskussionsstand. Dennoch ähnelt das Zwischenfazit der US-amerikanischen Diskussion: Viele sozialwissenschaftliche Theorien und Analysen rund um Rasse, Klasse, Sexualität und Geschlecht sind reduktionistisch angelegt. Das betrifft nicht nur die Gender und Queer Studies, sondern auch Gesellschaftstheorie, Migrations- und Ungleichheitsforschung. Die wissenschaftlichen Debatten verharren weitgehend in Absichtserklärungen. „Beides, die Definition der Eigentümlichkeit bzw. Eigenständigkeit der jeweiligen Verhältnisse von Race/Ethnicity, Class, Gender und die Bestimmung ihres Zusammenhangs muss zugleich erfolgen.“ (Knapp 2006: 12) Diese Aufgabe stellt nach Knapp (ebd.) methodologisch und gesellschaftstheoretisch ein Novum dar (vgl. auch Klinger/Knapp 2005; Soiland 2008). Ferner verweist die Geschlechterforschung (gleiches gilt für die Gesellschaftstheorie und Ungleichheitssoziologie und andere Bindestrichsoziologien) auf die Kontextabhängigkeit intersektionaler Analysen, ohne allerdings auch dabei über allgemeine Forderungen hinauszukommen. So scheint sich ein Konsensus über eine „both/andstrategy“, wie es Patricia Hill Collins nennt, herauszukristallisieren: „We 17

INTERSEKTIONALITÄT

cannot study gender in isolation from other inequalities, nor can we only study inequalities’ intersection and ignore the historical and contextual specificity that distinguishes the mechanisms that produce inequality by different categorical divisions, whether gender, race, ethnicity, nationality, sexuality, or class.“ (Risman 2004: 443) Als Status quo ist damit bislang dreierlei festzuhalten: erstens gibt es verschiedene Ungleichheitskategorien, zweitens sind sie kontextspezifisch verschieden wirksam und drittens schlägt sich in diesen Beobachtungen ein Denken nieder, das über reduktionistische Ungleichheitsbeschreibungen hinauszukommen versucht.

1.3 Welche Ebenen wie verbinden? Nicht nur der Auswahl der relevanten Kategorien haftet etwas Beliebiges an. Völlig offen ist darüber hinaus, wie die Überschneidung dieser Kategorien zu denken ist. Dass dieses Problem bislang nicht gelöst ist, liegt nicht nur am Zuschnitt, der Bedeutung und dem Geltungsraum der jeweiligen Kategorien. Mindestens ebenso wichtig und unterbelichtet erscheint uns die Unterscheidung verschiedener Untersuchungsebenen. Darüber besteht noch weniger Einigkeit als hinsichtlich der Kategorien. Das liegt daran, dass bislang noch kaum jemand die Bedeutung und die Reichweite des eigenen Ansatzes zu anderen Zugängen in Beziehung setzt und reflektiert sowie andere Untersuchungsebenen berücksichtigt – nicht zuletzt aufgrund disziplinärerer Gebundenheiten, Kompetenzen und Identifikationen.5 Genau auf solche Verbindungen aber kommt es an, und deshalb schlagen wir in Anschluss an wissenschaftstheoretische Überlegungen von Sandra Harding (1991: 53-58) einen Mehrebenenansatz auf der Grundlage folgender Unterscheidungen vor: Wir berücksichtigen sowohl gesellschaftliche Sozialstrukturen inklusive Organisationen und Institutionen (Makro- und Mesoebene) sowie Prozesse der Identitätsbildung (Mikroebene) als auch kulturelle Symbole (Repräsentationsebene).6 Diese drei Ebenen sind keineswegs neu. Vielmehr sind die theoretischen Erkenntnisse der Frauenforschung über die Geschlechterforschung bis hin zu den Queer Studies in den letzten 40 Jahren dort zu verorten, aller5

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So werden sich LiteraturwissenschaftlerInnen kaum für quantitativ orientierte Sozialstrukturanalyse erwärmen können, wie umgekehrt die Bereitschaft sozialwissenschaftlicher EmpirikerInnen begrenzt ist, auf textkritische Diskursanalysen zu fokussieren. Vgl. dazu soziologisch Jackson/Scott (2002: 1); Lengermann/Niebrugge (1996: 336f.); als Überblick Degele (2008: 57-118)

EINLEITUNG

dings meist nur auf jeweils einer Ebene. Wir stellen im Folgenden zunächst die drei Ebenen vor und ordnen diese dann vorliegenden intersektionalen Ansätzen zu. Auf der Makro- und Mesoebene von Sozialstrukturen wird Geschlecht als Strukturkategorie begriffen. Es stellt sich dort die Frage, welche Sozialstrukturen die zu untersuchenden Phänomene und das damit verbundene Handeln einrahmen. So konstatiert die sich in den 1970er und 1980er Jahren konstituierende Frauenforschung gravierende gesellschaftliche Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen etwa auf dem Arbeitsmarkt und in der Familie. Solche sozialstrukturellen Ungleichheiten in Bezug auf Bezahlung, Zugangschancen und Anerkennung haben Methode, sie sind in gesellschaftliche Organisationen strukturell eingeschrieben. Gemeint sind damit all jene institutionellen Regulative, in denen die Verteilung und Organisation der gesamtgesellschaftlich notwendigen Arbeit und des gesellschaftlichen Reichtums erfolgt sowie auch langlebige und veränderungsresistente Entscheidungsstrukturen verankert sind (vgl. López/Scott 2000: 1-42). Eine Konkretisierung dafür liefert das Konzept der doppelten Vergesellschaftung von Regina Becker-Schmidt (1987): Während Männer primär für die bezahlte Lohnarbeit zuständig sind (einfache Vergesellschaftung), obliegt Frauen meist zusätzlich zu einer teils zeitlich reduzierten Erwerbsarbeit die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit (doppelte Vergesellschaftung). Damit ist die Voraussetzung geschaffen, Geschlecht als Strukturkategorie zu begreifen, d.h. als Ursache sozialer Ungleichheit, die sich nicht auf andere Ursachen reduzieren lässt. Eine solche Ungleichheit ist eine Struktur, die mehr oder weniger alle gesellschaftlichen Bereiche (insbesondere Erwerbssystem und Staat, politische Öffentlichkeit und Kultur, Ehe und Familie) und alle sozialen Verhältnisse (beispielsweise den Staatsbürgerstatus, die Erwerbsposition, die privaten Beziehungen der Geschlechter) prägt (Gottschall 2000: 13). Anders gesagt: Geschlecht „erklärt als soziale Strukturkategorie Machtstrukturen auf der Ebene von Geschlechterbeziehungen und ihnen innewohnende Kräfteverhältnisse, die Unterdrückungs- und Ausgrenzungsphänomene sowie Benachteiligungen von Frauen beinhalten“ (Bublitz 1992: 67). Entsprechend zielt die Analyse von Geschlechterverhältnissen „auf die Art und Weise, in der das Verhältnis der Geschlechter als soziale[n] Gruppen in die Reproduktion der Gesamtgesellschaft eingelassen ist“ (Gottschall 2000: 25). Von der anderen Seite kommend, also nicht von der Existenz von Ungleichheitsstrukturen, sondern vom Prozess des Entstehens von Ungleichheiten, beschreiben Candace West und Sarah Fenstermaker (1995), wie AkteurInnen ungleichheitsrelevante Kategorien in Interaktionen erst hervorbringen. Damit sind wir auf der Mikroebene sozial 19

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konstruierter Identitäten: Im Fokus stehen erstens Prozesse des Klassifizierens (und nicht ihre Ergebnisse) und zweitens Interaktionen auf der Mikroebene (und keine gesellschaftlichen Strukturen auf der Makroebene). Dabei ist Geschlecht neben u.a. Rasse, Nation, Religion, Beruf eine Kategorie, über die sich Menschen definieren, an der sie ihre Identität, verstanden als Verhältnis zu sich selbst, festmachen. Im Vergleich zu Religion oder auch Beruf zeichnet sich Geschlecht als Identitätskategorie dadurch aus, dass es wie Rasse als naturgegeben erscheint. Identität ist aber nichts Gegebenes, sondern etwas sozial Gemachtes. Darauf verweisen vor allem seit den späteren 1980ern Arbeiten aus der Geschlechterforschung, die sich mit dem alltäglichen Prozess des Herstellens von Geschlecht auf der Mikroebene auseinandersetzen. Im Gegensatz zur strukturorientierten Gesellschaftskritik geht es dabei weniger um die Analyse von Herrschaftsverhältnissen, sondern sehr viel mehr um die konkreten Prozesse, wie Geschlechter (und damit Identitäten und der gesellschaftliche Tatbestand der Zweigeschlechtlichkeit) gemacht werden – was auch sprachlich geschehen kann. Das kommt im Konzept des doing gender (West/Zimmerman 1987) zum Ausdruck: Geschlecht ist das Ergebnis sozialen Handelns, eine interaktive Leistung der beteiligten AkteurInnen, ein routinisiertes Tun, das ProtagonistInnen wie auch RezipientInnen täglich aufs Neue erbringen müssen (vgl. Hirschauer 1994). Geschlecht als doing gender ist damit ein zirkulärer Prozess zwischen DarstellerIn und BetrachterIn: Wenn Frauen Stöckelschuhe, Röcke oder Kopftücher tragen, werden sie zu ‚weiblichen‘ Objekten, woraufhin die Personen, die sich in dieser Weise kleiden, zu Frauen gemacht werden (Villa 2000: 76). Im Vordergrund der Betrachtung stehen Prozesse der Differenzierung in genau zwei Geschlechter, nicht aber die konkrete inhaltliche Bestimmung der Geschlechterdifferenz selbst. In dieser Perspektive der Konstruktion von Geschlechtern und Identitäten interessiert weniger das ‚was‘ (das ist bekannt: zwei verschiedene Geschlechter, geschlechtlich ungleiche Strukturen in Politik, Ökonomie, Wissenschaft, Kultur, Alltag und wo auch immer) und noch weniger das ‚warum‘ (etwa der Entstehung von Zweigeschlechtlichkeit und der gesellschaftlichen Bevorzugung von Heterosexualität). Vielmehr geht es um das ‚wie‘: Wie stellen AkteurInnen Geschlecht (und entsprechend auch andere Identitäten wie Rasse, Sexualität, Alter etc.) her? Auf der Ebene symbolischer Repräsentationen stellt sich schließlich die Frage, wie untersuchte Phänomene und Prozesse mit Normen und Ideologien verbunden sind. Gesellschaften sind durch gemeinsame Werte, kulturelle Ordnungen und Überzeugungen sinnhaft integriert. Soziale Repräsentationen als „Träger solcher sinnstiftender Strukturen“ (Schützeichel 2007: 451) stellen Integrationsleistungen bereit. Gemeint sind 20

EINLEITUNG

damit „Bilder, Ideen, Gedanken, Vorstellungen oder Wissenselemente, welche Mitglieder in einer Gruppe, Gemeinschaft oder Gesellschaft kollektiv teilen“ (ebd.). Dazu gehört etwa das Alltagswissen zu Geschlecht und Sexualität, die als natürliche Tatsachen erscheinen. In der Geschlechterforschung ist dieser Ansatz untrennbar mit dem Namen Judith Butler verbunden, vor allem mit ihrem 1991 in deutscher Übersetzung erschienenen Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“: Geschlecht ist keine „vordiskursive anatomische Gegebenheit“ (Butler 1991: 26), sondern eine diskursiv erzeugte Materialisierung, die es zu entnaturalisieren, genauer: zu dekonstruieren gilt (ebd.: 218). Butler zufolge ist auch der anatomische Geschlechtsunterschied sozial konstruiert, Zweigeschlechtlichkeit ist ein Produkt von Normierungen und Wahrnehmungsformen und stellt eine symbolische Ordnung dar. Nicht sex liege gender zugrunde, sondern weil heterosexuelles Begehren (desire) als natürliche und ursprüngliche Form der Sexualität erscheint, weil das Gefühl von Frausein etwas mit Gebärfähigkeit und kulturell definierten Geschlechtsmerkmalen zu tun hat, weil ‚männliche‘ Identität an den Besitz eines Penis gebunden ist, kurz: weil unsere Denk- und Wahrnehmungskategorien zweigeschlechtlich funktionieren, nehmen wir auch physiologisch genau zwei Geschlechter wahr. Anders gesagt: Butler dreht die Kausalität um: Gender als kulturelle Form der Erfahrung von und des Wissens über Geschlecht liegt dem Faktum sex als Gemachtes zugrunde. Damit sind auch Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität keine Naturtatsachen, sondern performative Effekte von Wiederholungen: Wer von der ersten Sekunde des eigenen Lebens zu hören bekommt, sie sei ein Mädchen, glaubt es auch und verhält sich irgendwann entsprechend. Diese Wiederholungen finden in einem eng definierten diskursiven Rahmen statt und produzieren genau damit den Anschein von Natürlichkeit. Dahinter steht eine deutlich formulierte Kritik an der (humanistischen) Unterscheidung von Subjekt und Handlung, wonach das Subjekt die Ursache von Handlung sei. Im Gegenteil – so Butler – wird das Subjekt erst über sprachliche Handlung (Anrufung) konstruiert, es ist ein Effekt von Handlungen. Anders ausgedrückt: Geschlechter sind Ergebnisse symbolischer Repräsentationen. Das wiederum heißt, dass ein bestimmtes Wissen darüber, was Männer und Frauen sind (gleichgültig, ob sich dieses Wissen im konkreten Fall als zutreffend erweist oder nicht), den Rahmen dafür schafft, welche Formen von Identität existieren können und dürfen. Viele theoretische Ansätze und empirischen Untersuchungen konzipieren nun die drei Ebenen der Strukturen, Identitäten und Repräsentationen als sich wechselseitig ausschließend und bearbeiten nur eine Ebene. Ähnlich verhält es sich auch mit derzeitigen Intersektionalitätsansät21

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zen, die sich meistens auf eine, maximal auf zwei Untersuchungsebenen konzentrieren. Entsprechend stellen wir zunächst einige intersektionale Ansätze vor, die jeweils auf eine Ebene begrenzt bleiben, danach behandeln wir Versuche, zumindest zwei Ebenen miteinander zu verbinden. Gudrun-Axeli Knapp (2005) und Leslie McCall (2001, 2005) plädieren dafür, das Problem der Intersektionalität auf der strukturellen Makroebene zu präzisieren. Knapp (2005: 75) fragt danach, wie „Geschlechterverhältnisse/heteronormative Sexualität, Klassenverhältnisse und Konfigurationen von Ethnizität und race/racism in der Sozialstruktur und in der institutionellen Verfasstheit einer gegebenen Ökonomie und Gesellschaft, im nationalen wie im transnationalen Kontext verbunden“ sind. Die Begründung für diesen strukturtheoretischen Blick gibt Cornelia Klinger: „Es ist sinnlos, auf die sich überlagernden oder durchkreuzenden Aspekte von Klasse, Rasse und Geschlecht in den individuellen Erfahrungswelten hinzuweisen, ohne angeben zu können, wie und wodurch Klasse, Rasse und Geschlecht als gesellschaftliche Kategorien konstituiert sind.“ (Klinger 2003: 25) Knapp und Klinger fordern mit anderen Worten ein konsequent gesellschaftstheoretisch angelegtes Vorgehen. Entsprechend kritisieren sie dann auch die Konzentration intersektionaler Studien auf die Identitätsebene. Dieser Vorwurf trifft etwa die aus dem doing gender-Paradigma hervorgegangenen Ansätze zu doing difference (West/Fenstermaker 1995; Fenstermaker/West 2001). Diese lassen die Strukturebene weitgehend außer Acht. Denn sie konzentrieren sich explizit auf Interaktionen auf der Mikroebene, wo es um die Erfahrungen von Subjekten und damit verbundene Identitätskonstruktionen geht. Sarah Fenstermaker und Candace West versuchen, die Verknüpfung von Klasse, Geschlecht und Ethnie konsequent aus einer ethnomethodologischen Perspektive zu beschreiben: „Geschlechts-, Klassen- und ethnische Unterschiede werden in Interaktionsprozessen simultan erzeugt und resultieren in westlichen Gesellschaften in vielfältigen Formen sozialer Ungleichheit, Unterdrückung und Herrschaftsverhältnissen.“ (Fenstermaker/West 2001: 236) Poststrukturalistische und diskurstheoretische Ansätze dagegen bewegen sich auf einer dritten Ebene, nämlich der symbolischer Repräsentationen. Sie kritisieren die Eingrenzung auf einzelne Differenzkategorien und bezweifeln, ob es überhaupt möglich ist, mit bestimmbaren (Identitäts-)Kategorien zu arbeiten. So fordert Judith Butler (1990) dazu auf, aus dem Ende aller Aufzählungen mit dem üblichen ‚etc.‘ zu lernen: „Theories of feminist identity that elaborate predicates of colour, sexuality, ethnicity, class and able-bodiedness invariably close with an embarrassed ,etc.‘ at the end of the list. Through this horizontal trajectory of adjectives, 22

EINLEITUNG

these positions strive to encompass a situated subject, but invariably fail to be complete. This failure, however, is instructive: what political impetus is to be derived from such exasperated ‚etc.‘ that so often occurs at the end of such lines?“ (Ebd.: 143)

Betrachtet man diese Ansätze für sich alleine, berücksichtigen sie zwar zentrale Punkte und Anforderungen einer intersektionalen Analyse, lassen aber eine Verbindung der drei Ebenen vermissen. Das verwundert nicht. Denn mit der Wahl einer bestimmten Untersuchungsebene gehen meist auch disziplinäre Gebundenheiten und entsprechende methodische Kompetenzen einher. Dennoch gibt es einige durchaus erfolgreiche Versuche, zumindest zwei Ebenen miteinander zu verbinden. So sind in der Soziologie sozialtheoretische Ansätze populär geworden, die zwischen structure und agency, zwischen Struktur- und Identitätsebene zu vermitteln versuchen. Pierre Bourdieus Habitustheorie (1976) und Anthony Giddens’ Theorie der Strukturierung (1995) sind dafür sicherlich die populärsten Beispiele: Bourdieu verbindet mit seinem Konzept des Habitus7 vermeintlich individuelle Denk-, Wahrnehmungs-, Erfahrungs-, Erlebnis- und Handlungsweisen mit gesellschaftlichen Milieus, Lagen und Strukturen, in die Menschen eingebunden sind. Giddens betrachtet in seiner Strukturierungstheorie structure und agency als rekursiv ineinander verwoben, die sich wechselseitig hervorbringen und erhalten. Damit will er nicht nur den Dualismus von Handlung und Struktur überwinden, sondern auch den von Mikro- und Makrotheorie. Einen intersektionalen Anspruch im Sinn der Analyse von Wechselwirkungen zwischen Ungleichheitskategorien haben diese Ansätze allerdings nicht. Vor allem bei Bourdieu jedoch findet die Kategorie Geschlecht explizit Berücksichtigung, bei Giddens zumindest in Ansätzen. Auch bei intersektionalen Ansätzen fehlen weitgehend Konzepte, wie die drei genannten Ebenen – Strukturen, symbolische Repräsentationen und Identitätskonstruktionen – miteinander in Beziehung zu setzen sind. Entsprechend geschieht das bislang auch kaum. So vernachlässigen Butler (1990) und Bredström (2006) in ihren Forderungen nach einem intersektionalen Vorgehen die Ebene sozialer Strukturen und auch interaktiver Handlungen, die nicht in Sprache aufgehen. Bei den sozialstrukturellen Ansätzen von Leslie McCall (2005), Sylvia Walby (2007) und Joan Acker (2006) dagegen finden Normen und Ideologien nur unzureichend Berücksichtigung. Und Barbara Risman (2004) plädiert zwar 7

Habitus sieht Bourdieu „als Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen und Repräsentationen, die objektiv ‚geregelt‘ und ‚regelmäßig‘ sein können, ohne im geringsten das Resultat einer gehorsamen Erfüllung von Regeln zu sein“ (Bourdieu 1976: 164f.). 23

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vehement für die Integration dreier Ebenen. Neben Identität und Struktur finden allerdings individuelle Geschlechterunterschiede, die aufgrund ihrer individualistischen Verengung nun gerade keinen weiterführenden Erkenntnisgewinn versprechen, Eingang in die Typologie. Die Ebene der symbolischen Repräsentation dagegen fehlt. Zumindest unternimmt Lynn Weber (2001) aus einer genuin geschlechtertheoretischen Perspektive den Versuch, über die Kategorien Rasse, Klasse, Geschlecht und Sexualität Systeme der Unterdrückung auf der Mikro- und Makroebene sowie im Hinblick auf die Dimensionen Ideologie, Politik und Ökonomie zu spezifizieren. Darüber hinaus berücksichtigt sie historische und geografische Kontextualisierungen. Hilfreich sind dabei der ausformulierte empirische Bezug sowie die detaillierten Tipps für konkrete Umsetzungen. Dennoch sind die vier Ungleichheitskategorien theoretisch unzureichend kontextualisiert. Beispielsweise benennt Weber mit Klasse – wie so häufig – die Position in der Ökonomie, dabei sind doch gerade auch Geschlecht und Rasse maßgebliche Differenzierungen zur Bestimmung von ökonomischen Ressourcen. Weiter suggeriert Weber mit der von ihr nicht infragegestellten Unterscheidung von sex und gender neben der Rede von sozialer Konstruiertheit als zentrale Komponente eines konzeptuellen Rahmens (gender) doch wieder nicht-explizierte vorsoziale Essenzen durch biologische und anatomische Charakteristika (sex) (ebd.: 19, 93-105). So gilt auch hier ein ähnliches Fazit wie nach der Diskussion zur Auswahl und Anzahl relevanter Ungleichheitskategorien: Je nach Untersuchungsebene sind unterschiedliche Kategorien relevant, und erschwerend müssen wir dabei auch Wechselwirkungen zwischen solchen Ungleichheitskategorien über unterschiedliche Ebenen hinweg berücksichtigen. So stellt Linda McDowell (2008) fast schon verzweifelt die Frage, ob und wie überhaupt über Fallstudien hinauszukommen und zur Ableitung theoretischer Schlüsse zu kommen sei. Sie plädiert für Techniken des Vergleichs von Einzelfällen wie auch von sozialen Gruppen, ebenso zieht sie eine Kombination quantitativer Analysen von Strukturmustern mit qualitativen Explorationen von Prozessen in Erwägung. Aber auch mit der daran geknüpften Forderung nach „theoretical promiscuity“ (ebd.: 504) bleibt sie in Absichtserklärungen stecken: „Methodologically, I think we have to work harder to acquire and use multiple approaches.“ (Ebd.)

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2 THEORIE: INTERSEKTIONALE UNGLEICHHEITSANALYSE

Eine intersektionale Analyse sollte keine theoretischen und methodologischen Verkürzungen mitführen. Deshalb soll der hier vorgeschlagene Mehrebenenansatz sowohl Wechselwirkungen von Differenzierungskategorien auf einer Ebene als auch über alle drei Ebenen hinweg analysieren können. Um diesem Anspruch gerecht zu werden und vor allem die Verwobenheit von Kategorien auf den drei Ebenen konkretisieren zu können, bedarf es einer theoretischen Klammer. Wir gehen in unseren Überlegungen von einer kapitalistisch strukturierten Gesellschaft mit der grundlegenden Dynamik ökonomischer Profitmaximierung aus. Die kapitalistische Akkumulationslogik hält – trotz aller empirisch zu beobachtenden Widersprüche bis hin zu massiven Krisen – noch immer eine sich selbst reproduzierende und perpetuierende Struktur aufrecht. Dies hat für eine intersektionale Analyse Auswirkungen auf allen drei von uns benannten Ebenen: • Reproduktion der Arbeitskraft (Struktur): Voraussetzung für die Aufrechterhaltung kapitalistisch strukturierter Gesellschaften ist neben der Sicherung der sozio-ökonomischen Produktionsverhältnisse und der Wiederherstellung der Produktionsmittel auch die Reproduktion der Arbeitskräfte (vgl. Althusser 1977: 110). Dies soll möglichst kostengünstig erfolgen, zumal Institutionen wie die Welthandelsorganisation oder der Internationale Währungsfond Handelsbarrieren weitgehend abbauen, damit einen ungehinderten Zugang von Waren und Kapital zu den weltweiten Märkten erzwingen und der Druck auf die Realisierung hoher Profite steigt. Eine solchermaßen „radikalisierte kapitalistische Marktökonomie“ (Kreisky 2001: 38) 25

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erfordert den kurzfristigen Zugriff auf geeignete, passend qualifizierte und flexible Arbeitskräfte zu möglichst geringen Löhnen, ohne dass für deren Reproduktion und Bereitstellung zu hohe Kosten entstehen. Dies gelingt durch einen flexibilisierten Zugang zum Arbeitsmarkt, durch Lohndifferenzierungen und durch kostengünstige Reproduktionsarbeit. Letzteres erfolgt vor allem über die Auslagerung unbezahlter Reproduktionsarbeit an Frauen in Familien – möglichst zusätzlich zur ihrer Erwerbsarbeit – und damit über die Differenzierungskategorie Geschlecht (vgl. Winker 2007, 2008). Aber auch die Kategorien Klasse, Rasse und Körper – darauf gehen wir noch ein – differenzieren und regeln den Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt, die ungleiche Verteilung von Löhnen und Gehältern sowie die Erhaltung und Wiederherstellung der Arbeitskraft. Entlang der vier Strukturkategorien lässt sich also gesellschaftlich notwendige Arbeit sowohl in der Produktions- als auch der Reproduktionssphäre ungleich zuordnen. Symbolische Reproduktion der sozio-ökonomischen Verhältnisse (Repräsentationen): Das kapitalistische Grundprinzip stellt insofern ein „absurdes System“ dar (Boltanski/Chiapello 2003: 42), als die ArbeitnehmerInnen die Eigentums- und Verfügungsrechte an den Produkten ihrer Arbeit an KapitalistInnen und ManagerInnen verlieren. Gegen den Vorwurf der Ungerechtigkeit bedarf es deshalb einer ideologischen Rechtfertigung (ebd.: 54), denn warum sollten Erwerbstätige trotz geringen individuellen Nutzens und nur minimaler Sicherheit bis zum Umfallen arbeiten? Somit erhalten Normen, Ideologien und Repräsentationen den Status hegemonial abgesicherter Begründungen, und diese wiederum beruhen auf naturalisierenden und/oder hierarchisierenden Bewertungen auf der Grundlage vielfältiger Differenzkategorien. Solche Repräsentationen wie auch Strategien ihrer Rechtfertigung gilt es zu identifizieren, auf der Mikroebene an Identitäten und der Makroebene an Strukturen zu binden und in ihrer Verwobenheit sichtbar zu machen. Verunsicherung der sozialen AkteurInnen (Identitäten): Die Reproduktion der Arbeitskräfte ist für die kapitalistische Akkumulation überlebenswichtig; gleichzeitig sichert letztere die Lebensgrundlage aller Einzelnen. In einer kapitalistischen Gesellschaft geschieht dies primär durch den Verkauf der eigenen Arbeitskraft oder aber durch familiäre oder sozialstaatliche Transferzahlungen (vgl. Dobner 2007: 33f.). Alle drei Wege der eigenen Lebensabsicherung sind mit vielfältigen Unsicherheiten verbunden. Hohe Erwerbslosenquoten und prekäre Beschäftigungsverhältnisse sowie Lohnkürzungen und die Reduktion wohlfahrtsstaatlicher Ausgleichzahlungen führen für viele

THEORIE

zu erhöhter Verunsicherung – die mitunter auch neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen kann. Um Verunsicherungen zu bewältigen, grenzen sich Individuen von Anderen ab und schaffen Zugehörigkeiten (Wohlrab-Sahr 1992). Das schlägt sich in „Verortungsarbeit“ nieder, die wir auf der Identitätsebene empirisch rekonstruieren können. Verbunden sind die drei Ebenen allerdings nicht nur durch den kontextuellen Rahmen der kapitalistischen Akkumulation, sondern auch durch soziale Praxen aller Einzelnen, auf die wir im Anschluss an den praxeologischen Ansatz von Pierre Bourdieu in Kapitel 3.1 eingehen. Über soziale Praxen, d.h. soziales Handeln und Sprechen, entwerfen sich Subjekte durch Identitätskonstruktionen in sozialen Kontexten selbst, verstärken oder vermindern den Einfluss bestimmter symbolischer Repräsentationen und stützen gesellschaftliche Strukturen oder stellen sie in Frage. Umgekehrt bilden die drei angesprochenen Ebenen den Rahmen für soziale Praxen. Letztere verbinden nicht nur Differenzkategorien, sondern auch die genannten drei Ebenen miteinander. Deshalb bildet die Analyse beobachtbarer sozialer Praxen den methodologischen Ausgangspunkt unserer intersektionalen Mehrebenenanalyse, die wir im dritten Kapitel vertiefen. Bevor wir jedoch die Verbindung der drei Ebenen über soziale Praxen in kapitalistisch strukturierten Gesellschaften in Kapitel 3 näher erläutern, konkretisieren wir im Folgenden zunächst die Verwobenheit von Differenzkategorien auf jeweils einer Ebene. So begründen wir in Kapitel 2.1 strukturelle Herrschaftsverhältnisse und deren Verschränkungen, diskutieren in Kapitel 2.2 Verzahnungen von Ungleichheitskategorien auf der Ebene symbolischer Repräsentationen und in Kapitel 2.3 die Verwobenheiten unterschiedlichster Differenzkategorien bei Identitätskonstruktionen. In den folgenden Abschnitten nimmt die Beschreibung der Strukturebene einen überproportional großen Raum ein. Dies bedeutet nicht, dass wir implizit diese Ebene theoretisch privilegieren. Vielmehr sehen wir dort den größten Forschungsbedarf: Auf dieser Ebene muss die Frage nach der Anzahl der Kategorien geklärt werden, da es einen wesentlichen Unterschied macht, ungleichheitsgenerierende Differenzierungen in ihrer Verwobenheit auf der Ebene der Sozialstruktur oder aber auf den Ebenen der Identitätskonstruktion oder der symbolischen Repräsentation zu analysieren. Auf der Strukturebene geht es um die Einbindung sozialer Praxen in strukturelle Herrschaftsverhältnisse. Dort ist es schon schwierig genug, die Bedeutung einer Strukturkategorie und das damit verbundene strukturelle Herrschaftsverhältnis zu begreifen, geschweige 27

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denn die Wechselwirkungen mehrerer Herrschaftsverhältnisse. Hier ist es nicht zuletzt um der analytischen Aussagekraft willen sinnvoll, die Zahl der berücksichtigten Ungleichheitskategorien möglichst gering zu halten. Entsprechend sind WissenschaftlerInnen darauf angewiesen, sich aus ihrem Vorwissen heraus für eine forschungspraktisch handhabbare Zahl von Strukturkategorien und damit verbundene Herrschaftsverhältnisse zu entscheiden, sie also deduktiv zu setzen. Schauen wir in unserer Analyse allerdings auf die Identitätskonstruktionen, über die sich Einzelne in ihren sozialen Praxen positionieren, und die damit eng verbundenen symbolischen Repräsentationen, dann ist es sinnvoll, induktiv vorzugehen. Welche und wie viele Ungleichheitskategorien dann eine Rolle spielen, kann und soll erst die Untersuchung selbst zeigen. Entsprechend müssen wir auf der Repräsentations- und Identitätsebene die Kategorienanzahl nicht begrenzen, sondern können sie offen lassen.1 Darüber hinaus fühlen wir uns als Sozialwissenschaftlerinnen aufgerufen, erste Schritte zur Schließung der Forschungslücken gerade auf der Strukturebene zu gehen. Denn eine der Kernthematiken soziologischer Forschung ist die theoretische und empirische Herausarbeitung struktureller Ungleichheiten und Herrschaftsverhältnisse auf Grundlage der big three, nämlich race, class und gender. Dies ist auch nach wie vor ein wichtiges Terrain sozialwissenschaftlicher Auseinandersetzung.

2.1 Strukturelle Herrschaftsverhältnisse Bei der Betrachtung der Strukturebene stoßen wir mit unserem Anliegen einer intersektionalen Mehrebenenanalyse auf einige theoretische Derivate: Mit den bisher vorhandenen theoretischen Konzepten lassen sich Klassen-, Geschlechter-, Rassen- und auch Körperverhältnisse auf der Strukturebene nicht in ihren Wechselwirkungen bestimmen. Das hat auch wissenschaftsimmanente Gründe. Erstens sind Ungleichheits- und Geschlechtersoziologie in unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen verwurzelt (vgl. Gottschall 2000: 13-28). Daraus folgt zweitens, dass Klassen- und Geschlechterverhältnisse nicht einheitlich gefasst sind und sich deshalb nicht einfach in das Vokabular der Nachbardisziplin übersetzen lassen (vgl. Schwinn 2007: 132). Unklar ist wegen des fehlenden gegenseitigen Bezugs drittens, wie die Überschneidungen solcher (und anderer) Herrschaftsverhältnisse zu denken sind – im Rahmen ka1

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Hier entwickeln wir unseren ersten Ansatz in Degele/Winker (2007) weiter, in dem wir aus forschungspragmatischen Gründen noch für eine Verengung der Kategorien auch auf der Repräsentationsebene plädiert haben. Dies hat sich in der empirischen Forschung als nicht notwendig erwiesen.

THEORIE

pitalistischer Verhältnisse. Einen vierten Grund für das Scheitern sehen wir auch darin, alle Kategorien möglichst gleichgewichtig behandeln zu wollen. Hier scheint die unfruchtbare Haupt- und Neben-WiderspruchsDebatte um das Primat von Kapitalismus und Patriarchat aus den 1970er Jahren noch deutliche Spuren hinterlassen zu haben. So lässt sich festhalten, dass es keine integrierte Theorie zu Klassen- und Geschlechterverhältnissen und auch keine geschlechtertheoretisch unterfütterte Kapitalismustheorie gibt – und in nächster Zukunft wohl auch nicht geben wird.2 Die kaum entwickelten theoretischen Verknüpfungen miteinander wechselwirkender struktureller Ungleichheiten stellen allerdings nicht nur für die Verbindung von Klassen- und Geschlechterverhältnissen, sondern auch für die Einbindung rassistischer oder ethnisierter Herrschaftsstrukturen ein Problem dar: „Klassen-, Geschlechter- und ethnische Forschung nehmen sich wechselseitig kaum wahr.“ (Schwinn 2007: 88) Strukturtheoretisch argumentierende intersektionale Ansätze, die von Wechselwirkungen zwischen ungleichheitsgenerierenden Kategorien ausgehen, sind allerdings auf theoretische Verknüpfungen angewiesen, die sich nicht nur auf vielfältige Diskriminierungen beziehen, sondern auch auf strukturelle Herrschaftsverhältnisse. Es ist das Verdienst von Gudrun-Axeli Knapp (2005), mit ihrem paradigmatischen Aufsatz die Theoriedebatte zu Intersektionalität im deutschsprachigen Raum eröffnet und dabei gleichzeitig auf strukturtheoretische Herausforderungen verwiesen zu haben. Nach Knapp kann ein Intersektionalitätsansatz die feministische Theoriebildung nur dann voranbringen, wenn er nicht weiter primär auf mikroanalytischer Ebene Differenzkategorien untersucht, sondern nach langer Abstinenz Herrschaftsverhältnisse und vor allem deren Durchkreuzungen wieder neu in den Blick nimmt. Dabei bleibt allerdings auch bei ihr unklar, wie dies zu geschehen hat. Knapp verzichtet darauf, den Begriff Patriarchat zu verwenden, spricht dagegen von den aus ihrer Sicht strukturtheoretisch wichtigen Differenzkategorien gender, class und race, erwähnt die dazu gehörenden Herrschaftsverhältnisse allerdings nur an einer Stelle – deutlich weniger klar – als „Geschlechterverhältnisse/heteronormative Sexualität, Klassenverhältnisse sowie Konfigurationen von Ethnizität und race/racism“ (ebd.: 75). So ist auch die Geschlechterforschung nach wie vor ein gutes Stück davon entfernt, die Spezifik der einzelnen Herr2

Nicht zuletzt aufgrund dieser strukturtheoretischen Schwierigkeiten begnügt sich die feministische Forschung weitgehend mit mikroanalytischen Studien, die sich mit der Analyse von Identitätskonstruktionen auf empirisch Fassbares beziehen und sich nicht in abstrakten Modellen wie Kapitalismus und Patriarchat verlieren. 29

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schaftssysteme klar benennen und zueinander ins Verhältnis setzen zu können. Bei einer solchermaßen offenen theoretischen Situation ist es sinnvoll, nicht sofort eine Unzahl von Herrschaftsverhältnissen miteinander verbinden zu wollen. Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn es gelänge, zwei Herrschaftssysteme in ihrer Verzahnung auf der Strukturebene theoretisch zu begreifen. Da wir bei der theoretischen Entwicklung unseres Mehrebenenansatzes an die Ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung anknüpfen und diese im intersektionalen Sinne weiterentwickeln möchten, setzen wir uns zunächst mit der Verknüpfung von Geschlechter- und Klassenverhältnissen auseinander. Dazu rekonstruieren wir bisherige Ansätze zur Verknüpfung von Kapitalismus und Patriarchat3 beziehungsweise von Produktions- und Reproduktionssphäre, zeigen, dass diese zu kurz greifen, und verdeutlichen, wie wir uns die Verwobenheiten von Geschlechter- und Klassenverhältnissen auf struktureller Ebene vorstellen (Kap. 2.1.1). Daran anknüpfend berücksichtigen wir darüber hinaus auch Rassen- und Körperverhältnisse und konkretisieren die Strukturkategorien Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper (Kap. 2.1.2).

2.1.1 Patriarchat und Kapitalismus Strittig im materialistisch orientierten feministischen Diskurs bleibt die Frage, wie der Zusammenhang von Geschlechter- und Klassenverhältnissen auf der strukturellen Ebene zu konzipieren ist. Um geschlechtliche Ungleichheiten in eine bis dato weitgehend geschlechtsblinde Gesellschaftsanalyse einzubringen, stellen Frauenforscherinnen in den 1970er und frühen 1980er Jahren patriarchale Strukturen ins Zentrum ihrer theoretischen Überlegungen. Der Begriff Patriarchat – so das Ergebnis dieser Debatte – soll Ungleichheiten, Diskriminierungen und Unterdrückung, die Frauen in den unterschiedlichsten Lebenssphären betreffen, als Teile eines übergreifenden Phänomens erfassen (Cyba 2004: 15). Patriarchat meint also eine Herrschaftsstruktur, die mit der Dominanz von Männern verknüpft ist; geschlechtsspezifische Ungleichheitsstrukturen gelten als Ausdruck von Männerherrschaft.

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Wir beschäftigen uns an dieser Stelle allerdings nicht mit primär klassentheoretischen Ansätzen, in die Frauendiskriminierung bzw. geschlechtsspezifische Ungleichheiten integriert werden sollten (vgl. dazu Cyba 2000: 22-43), da dieses Vorgehen die Frauenfrage immer wieder neu als Nebenwiderspruch reproduziert und der herrschende Sexismus nicht auf Klassenstrukturen zu reduzieren ist.

THEORIE

Die Wortführerinnen der Diskussion in den 1970er und 1980er Jahren sehen die Basis für die Aufrechterhaltung des Patriarchats in unterschiedlichen Institutionen: sei es biologische Reproduktion (vgl. Firestone 1975), Zwangsheterosexualität (vgl. Rich 1980) oder die Kontrolle von Ehemännern über die Arbeit ihrer Frauen (vgl. Delphy 1985). Auch wenn einzelne Autorinnen nur einen Aspekt fokussieren, wird in der Zusammenschau dieser Ansätze die Vielfalt der hierarchischen Organisation der Geschlechterverhältnisse primär in den Bereichen der Arbeitsteilung, Generativität, Sexualität und Politik deutlich. In den 1990er Jahren konkretisiert Sylvia Walby (1990: 20) den Begriff des Patriarchats als „a system of social structures and social practices in which men dominate, oppress and exploit women“. Walby unterscheidet sechs empirisch fassbare Dimensionen, die zwar autonom organisiert seien, allerdings in kausalen Verbindungen miteinander stünden. Sie benennt als Dimensionen die Produktion im Rahmen des privaten Haushaltes, die Benachteiligung bezahlter Berufsarbeit von Frauen, patriarchale Beziehungen im Staat, männliche Gewalt, patriarchale Sexualbeziehungen und patriarchale Formen kultureller Definitionen. Damit zeigt sie in ihrem theoretischen Ansatz die Benachteiligung von Frauen in einer Vielzahl von Lebensbereichen auf. Ferner kann sie benennen, wie es zu Spannungen zwischen kapitalistischen und patriarchalen Strukturen kommt: „This is because the utilization of women’s labour by one system is at the expense of other, if women are working for capitalists they have less time to work for their husbands.“ (1990: 41) Allerdings liegt in dieser Gegenüberstellung genau das Problem ihres Ansatzes. Denn er erlaubt es kaum, die Verzahnungen und Wechselwirkungen dieser beiden Herrschaftssysteme differenziert zu analysieren. Damit bleibt weitgehend unklar, wie soziale Heterogenität von Frauen aufgrund klassenspezifischer oder anderer Diskriminierungen und damit unterschiedliche Phänomene der Frauenbenachteiligung konzipiert werden können. Bereits in den 1970er und frühen 1980er Jahren setzen sich Frauenforscherinnen nicht nur mit patriarchalen Strukturen auseinander, sondern beschäftigen sich mit der wissenschaftlich und politisch offenen Frage, wie die beiden Herrschaftssysteme Kapitalismus und Patriarchat in ihrer Verknüpfung zu verstehen sind. Die als dual system theory bekannt gewordenen Ansätze (u.a. Delphy 1985; Hartmann 1983) gehen davon aus, dass das Patriarchat – als für die soziale Reproduktion zuständig – analog zum Kapitalismus als eine eigenständige Grundstruktur konzipiert werden müsse. Sie sehen Kapitalismus und Patriarchat als getrennte Herrschaftssysteme mit eigenständigen Logiken und versuchen,

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mit dem Zusammenspiel dieser zwei Strukturprinzipien geschlechts- und klassenspezifische Ungleichheiten zu erfassen. Christine Delphy differenziert zwei Produktionsweisen: erstens die industrielle und zweitens die familiale Produktionsweise. Die industrielle sei für die Produktion des Großteils der Waren zuständig, die familiale sorge für die häuslichen Dienstleistungen und die Kinderaufzucht. „Die erste Produktionsweise führt zur kapitalistischen Ausbeutung, die zweite zur familialen Ausbeutung oder, genauer: zur patriarchalischen Ausbeutung.“ (Delphy 1985: 163) Delphy behauptet nun weiter, dass sich alle Frauen, egal welcher Klasse sie innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse angehören, in einem „Leibeigenschaftsverhältnis zu ihrem Ehemann“ wiederfänden. Die logische, aber realitätsferne Folgerung aus dieser Sicht: „Ihr Lebensstandard (der Frau – die Verf.) hängt nicht von den Produktionsverhältnissen ab, die das Klassenverhältnis zwischen Bürgern und Proletariern bestimmen, sondern von den Produktionsverhältnissen, die ein Leibeigenschaftsverhältnis zu ihrem Ehemann bedeuten.“ (Ebd.: 165) Nach Heidi Hartmann (1983) sind auch Frauen gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen; nur sei dies von Männern kontrolliert. Diese Kontrolle manifestiere sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen, angefangen von heterosexuellen Ehen, in denen die Kinderaufzucht und Hausarbeit geleistet werde, über den Staat bis hin zu zahlreichen Institutionen. Die patriarchale Kontrolle erschöpfe sich damit nicht nur in der Beschränkung des Verkaufs der weiblichen Ware Arbeitskraft respektive in der ökonomischen Abhängigkeit der Frauen, sondern schließe das ganze ‚Privatleben‘ mit ein. Sie könnten damit weder frei über ihre Arbeitskraft noch über ihre Sexualität verfügen. Zwischenfazit: Auch wenn diese Ansätze aus dem angelsächsischen Sprachraum neben dem Patriarchat die Klassenherrschaft berücksichtigen, bleibt das eigenlogische System patriarchaler Unterdrückung abgeschottet gegenüber kapitalistischen Ausbeutungsstrukturen. Wechselwirkungen sind darüber kaum zu erfassen. Entsprechend ringen deutschsprachige Theoretikerinnen wie Ursula Beer (1990), Frigga Haug (1996) und Petra Frerichs (2000) mit etwas anders gelagerten Akzenten ebenfalls um die Wechselwirkungen dieser beiden Herrschaftsstrukturen. So betont Ursula Beer die Verschränkung der kapitalistisch-patriarchalischen Wirtschafts- und Bevölkerungsweise, die vor allem über Rechtsverhältnisse abgesichert werde. Kapitalistische Strukturen in der Arbeitswelt und vorkapitalistische Strukturen („Sekundärpatriachalismus“) innerhalb der Familie wirkten bei der Bestimmung der sozialen Position und damit bei der Diskriminierung von Frauen zusammen, die mittels staatlich-rechtlicher Regelungen fixiert werden. Im Primärpatri32

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archalismus des Feudalzeitalters habe der Patriarch oder das Familienoberhaupt die volle Verfügungsgewalt über die Wirtschafts- und Familieneinheit besessen, d.h. über die Familie (dazu gehörte der gesamte Personalbestand, auch die nicht-verwandte Arbeitskraft), als auch über Grund und Boden. Im kapitalistischen Sekundärpatriachalismus sei der Mann auch ohne Gewerbe oder Grundbesitz ehe- und familienfähig geworden. „Die doppelte Benachteiligung von Frauen in beiden gesellschaftlichen Ökonomien (Marktökonomie und Versorgungsökonomie – die Verf.) in ihrer Verschränktheit bilden letztendlich auch die Ursache für weibliche Armut.“ (Beer 2004: 61) Auch Frigga Haug begreift Geschlechterverhältnisse, die sie primär in der Reproduktion des Lebens verortet, als Produktionsverhältnisse und sieht im kapitalistischen Patriarchat eine Produktionsweise, deren Regulationsprinzipien auf Frauenunterdrückung gründeten. Haug (2001) betont, dass Geschlechterverhältnisse und kapitalistische Produktionsverhältnisse eine grundlegende Doppelstruktur darstellten und nicht nur eng miteinander verwoben, sondern auch konstitutiv füreinander seien. Ein Konzept, wie Klassen- und Geschlechterlage zusammengedacht und in ihrer Verwobenheit berücksichtigt werden können, stammt von Petra Frerichs und Margarete Steinrücke (1993, 1995). Die Autorinnen verweisen auf Unterschiede zwischen Frauen in verschiedenen Klassenlagen. So entwickeln sie aus den beiden Hypothesen der Geschlechtsklassen (Geschlecht = konstitutiv für Klasse) und im Anschluss an Pierre Bourdieu des Klassengeschlechts (Klassen bringen ihre eigenen Vorstellungen und Realisierungen von Weiblichkeit und Männlichkeit hervor) das Konzept des „geschlechtsspezifischen Klassenhabitus“. Danach differenziere sich der Klassenhabitus einer jeden Klasse(nfraktion) in einen weiblichen und männlichen, „was sowohl der Klassendifferenz im Geschlecht als zugleich auch der Geschlechterdifferenz in den Klassen Ausdruck verleiht“ (Frerichs 2000: 56). Aber auch dieses Konzept von Klassengeschlecht und Geschlechtsklasse ist immer noch reduktionistisch, indem es das Andere unter die primär gewählte Perspektive subsumiert und dabei auch noch von polaren Geschlechtscharakteren ausgeht. Wie sind diese Versuche zu bilanzieren? Mit dem Blick auf Wechselwirkungen haben diese Theorieentwicklungen grundlegende weiterführende Hinweise geliefert. Allerdings werden auch hier die beiden Herrschaftsverhältnisse Kapitalismus und Patriarchalismus beziehungsweise Geschlechterverhältnisse als gleichwertig nebeneinander stehende, starre und stabil bleibende Systeme betrachtet, die sich gegenseitig bedingen. Dazu kommt, dass die beiden Herrschaftsstrukturen als sich gegenseitig verstärkend konzipiert werden, was weder theoretisch be33

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gründbar ist noch den empirischen Gegebenheiten heutiger kapitalistischer Gesellschaften entspricht. Dieser Weg, zwei theoretisch bestimmte Großsysteme – nämlich Kapitalismus und Patriarchat, auch wenn dieses anders benannt wird – verbinden zu wollen, verspricht über die Erkenntnisse von Beer, Haug, Frerichs und anderen hinaus keinen weiteren Erkenntnisgewinn. Wie sieht es nun mit Versuchen aus, nicht zwei Großsysteme, nämlich Kapitalismus und Patriarchat, miteinander zu verbinden, sondern gesellschaftlich strukturierte Produktions- und Reproduktionsprozesse? Nancy Fraser (1994) und Regina Becker-Schmidt (1991) setzen ihre Vermittlungsversuche an den Begriffen Produktion und Reproduktion an. So betont Fraser (1994) in ihrer Kritik an Habermas die innere Verwobenheit der beiden Sphären System und Lebenswelt. Denn Habermas ordnet in einer durchaus androzentrischen Sichtweise systemisches Handeln der Ökonomie und dem Staat, sozial integriertes Handeln der Familie und der Öffentlichkeit zu und stellt diese dichotomisch gegenüber. Stattdessen gewinnt Fraser mit der alternativen Unterscheidung von sozial integriertem als kommunikativ erzeugtem Handeln einerseits und normativ gesichertem Handeln andererseits einen Maßstab, die moderne Kleinfamilie mit männlichem Vorstand einer kritischen Analyse zu unterziehen. Denn die Ehe sei beispielsweise sehr wohl auch ein Raum ökonomischer Austauschprozesse und repressiver Machtverhältnisse und eben nicht nur der heimelige Ort kommunikativ erzeugter Einigkeit (ebd: 182f.). Becker-Schmidt (1987, 1991) orientiert sich am Modus der doppelten Vergesellschaftung von Frauen. Danach meint einfache Vergesellschaftung die Einbindung von Menschen in die Produktionsbedingungen, thematisiert also den Klassenaspekt. Neben dieser Zurechnung ist aber ein zweiter Vergesellschaftungsmodus von Bedeutung, nämlich der über die Reproduktionsbedingungen. Dieser wird über Geschlecht differenziert. Aufgrund der Frauen zugeordneten Reproduktionsarbeit nehmen Frauen in jeder gesellschaftlichen Hierarchie die untersten Ränge ein, oder bei Becker-Schmidt (1987: 191): „Innerhalb jeder sozialen Klasse gibt es noch einmal eine Unterschicht: die Frauen.“ Klassen- und Geschlechterhierarchie wirken dabei wechselseitig verstärkend ineinander, man kann sie als positiv rückgekoppelt bezeichnen. Vor diesem Hintergrund, den die Frauen- und Geschlechterforschung Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre breit diskutierte, ist auch der Ansatz von Reinhard Kreckel (1992) zu sehen. Kreckel war in der Ungleichheitsforschung einer der ersten, der sich ausgehend von der Auseinandersetzung mit Klassenverhältnissen die Frage nach den unterschiedlichen Formen von Frauendiskriminierung stellte. 34

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Auch er sieht seine Position als Weiterentwicklung des dualistischen Ansatzes. Denn auch er stellt dem Verhältnis von Kapital und Arbeit, also dem Klassenverhältnis, das Verhältnis von Produktion und Reproduktion gegenüber. Allerdings ist für ihn die damit einher gehende Benachteiligung von Frauen historisch bestimmt, nämlich durch die Abwertung von Reproduktionsarbeit. Darüber hinaus bezieht er sich auf den von Ursula Beer konstatierten Sekundärpatriarchalismus, innerhalb dessen sich Männer der Reproduktionsarbeiten entledigen. Allerdings kann nach Kreckel beim Geschlechterkonflikt wie auch beim Klassenkonflikt die Aushandlung zwischen den Parteien durch Gegenwehr der Unterdrückten auch anders aussehen. Wie also Patriarchat und Kapitalismus miteinander verwoben sind, hängt vom historischen Kräfteverhältnis ab. Für unsere Argumentation ist wichtig, dass Kreckel von einer entwickelten kapitalistischen Ökonomie ausgeht, die auf dem Profitprinzip beruht. Eine gewinnbringende Produktion erfordert optimal qualifizierte, hoch motivierte und möglichst umfassend einsetzbare Arbeitskräfte. Für die Reproduktion der Arbeitskräfte sind die Unternehmen allerdings nicht zuständig. Dies ist Aufgabe jeder einzelnen Arbeitskraft selbst, dafür erhalten sie Lohn und Gehalt, mit dem sie die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft begleichen können. Die Reproduktion der Ware Arbeitskraft nun ist nicht ohne Arbeitseinsatz möglich. Da Kinder nicht in Fabriken hergestellt werden und heranwachsen, haben wir es „hier mit einer strukturell bedingten Schwachstelle des kapitalistischen Systems zu tun: Es ist nicht in der Lage, aus eigener Kraft die für seinen Fortbestand erforderlichen Arbeitskräfte zu reproduzieren. […] Die Lösung kann nur marktextern erfolgen.“ (Kreckel 1992: 254f.) Auch wenn kommerzielle DienstleisterInnen oder Haushaltstechnologien einen Teil dieser Arbeit übernehmen, bleibt ein anderer Teil unbezahlt in den Familien. „Für eine solche ‚marktexterne‘ Lösung des Reproduktionsproblems standen nun, als historische Strukturvorgabe, die privaten Familienhaushalte zur Verfügung, und dort insbesondere die Frauen, die immer schon auf Reproduktionsaufgaben spezialisiert gewesen waren“ (ebd.: 255). Daraus folgert Kreckel, dass wir es mit zwei bestehenden Strukturkonflikten, dem zwischen Kapital und Arbeit und dem zwischen Produktion und Reproduktion zu tun haben (ebd.: 268f.). Damit vertritt auch Kreckel in der Analyse eine dualistische Position, geht allerdings gleichzeitig davon aus, dass das Klassenverhältnis und das Geschlechterverhältnis eng miteinander verwoben sind und nicht zwei getrennte Sphären darstellen (ebd.: 270). Die Schlüsse, die Kreckel dann weiter zieht, teilen wir allerdings nicht. Denn er behauptet, das Geschlechterverhältnis sei in der kapitalistischen Gesellschaft in Abhängigkeit zum Klassenverhältnis geraten, da 35

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die Produktionssphäre das Übergewicht über die Reproduktionssphäre gewonnen habe (ebd.). Auch wenn wir letzterem zustimmen (einen ähnlichen Schluss zieht Nancy Fraser in ihrer Habermas-Kritik), ist nicht nachvollziehbar, warum eine sicherlich nicht bestreitbare Über- und Unterordnungsbeziehung zwischen Erwerbsarbeit und Hausarbeit zwangsläufig zu einer Unterordnung der Geschlechterverhältnisse unter die Klassenverhältnisse führen muss. Auch wenn dies empirisch möglich ist, greift es zu kurz, einen Automatismus zwischen einer Dominanz von Erwerbsarbeit und einer Dominanz des Klassenverhältnisses anzunehmen. Mit dieser Argumentation trennt Kreckel die beiden Sphären Produktion und Reproduktion also nicht nur analytisch, sondern grundlegender, indem er sie mit jeweils einem Herrschaftsverhältnis verknüpft. Obwohl er in Weiterentwicklung von Becker-Schmidt mit Recht von der doppelten Vergesellschaftung nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern spricht, ordnet er letztendlich doch wieder die Produktionsebene den Klassenverhältnissen und die Reproduktionsebene den Geschlechterverhältnissen zu. Demgegenüber gehen wir davon aus, dass die Sphären substanziell nicht trennbar sind. Deshalb müssen Ansätze auch immer wieder zu kurz greifen, die zwar von Wechselwirkungen von Produktion und Reproduktion ausgehen, diese Bereiche aber a priori bestimmten Herrschaftsverhältnissen zurechnen. So laufen Konzepte, die Frauen der Reproduktion zuordnen, immer wieder Gefahr, ihre soziale Situation zu homogenisieren. Die Arbeits- und Lebenssituationen von Frauen wie von Männern hängen jedoch von ihrem Zugang zu beiden Sphären ab und werden in beiden Bereichen von vielen anderen Differenzierungskategorien wie Klasse, aber auch Rasse und Körper beeinflusst und strukturiert. Der Ansatz von Anna Pollert (1996: 647), der sowohl vor der DualSystem-Theorie als auch vor der letztlich reduktionistischen Verknüpfung beider Großsysteme als „patriarchaler Kapitalismus“ oder „kapitalistisches Patriarchat“ warnt, führt hier weiter. Sie plädiert für einen Abschied vom Begriff des Patriarchats als Erklärung für Geschlechterverhältnisse, weil er die theoretische Tradition abstrakter semi-autonomer Strukturen perpetuiere, womit die Spannung zwischen Struktur und agency verloren gehe. Dualistische Ansätze seien nicht hilfreich, weil Prozesse der Vergeschlechtlichung innerhalb von Klassenbeziehungen stattfänden. Sie wendet sich deshalb gegen eine isolierte Geschlechtertheorie und plädiert stattdessen dafür, Geschlecht zusammen mit anderen, im Mainstream oftmals verdeckten Differenz- und Ungleichheitskategorien in empirischen Prozessen sichtbar zu machen. Am Anfang der Analyse steht also nicht die abstrakte Trennung von Kategorien, sondern die empirische Verwobenheit. Entsprechend gäbe es keine ungeschlecht36

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lichen Klassenbeziehungen und keine klassenlosen Geschlechterverhältnisse: „Attempts to develop a separate body of theory on gender relations, even for those sympathetic to a view of an open-ended gender system which is closely tied to class relations, end up with semiautonomous systems, and the whole point of an integrated conception of class and gender is lost.“ (Ebd.: 650) Als Konsequenz fordert Pollert eine Theorie, die in eine substanzielle empirische Analyse eingebettet ist. Sie solle nicht auf einem statischen Begriff wie Patriarchat aufbauen, sondern mit Prozessbegriffen wie gender relations operieren. Ausgehend von dieser Erkenntnis gehen wir bei der Suche nach Verwobenheiten auf der Strukturebene dezidiert nicht von zwei oder mehr eigenständigen Megastrukturen aus. Die analytischen Einschränkungen der dualistischen Theorien bei der Untersuchung von Wechselwirkungen sollten diesbezüglich eine Lehre sein. Zwar halten auch wir es für sinnvoll, Produktions- und Reproduktionsbereich analytisch zu trennen. Allerdings zeigen die bisherigen Versuche, dass es nicht weiterführt, Klassenverhältnisse der Produktion und Geschlechterverhältnisse der Reproduktion zuzuordnen. Stattdessen gehen wir von einem kapitalistischen System aus und untersuchen für diese Gesellschaftsformation die unterschiedlichen Herrschaftsverhältnisse und deren Wechselwirkungen in der Produktions- und Reproduktionssphäre.

2.1.2 Vier Strukturkategorien Die Aufgabe in diesem Kapitel besteht darin, innerhalb des inzwischen weltweit dominierenden kapitalistischen Systems konkrete Herrschaftsverhältnisse und deren Verwobenheiten zu analysieren. Dabei wollen wir die strukturellen Herrschaftsverhältnisse tatsächlich als Verhältnisse sichtbar machen, indem wir sie in den Plural setzen. Dies soll auch deutlich machen, dass herrschaftliche Strukturen nicht statisch bleiben, sondern dynamischen Verschiebungen und einem Bedeutungswandel unterliegen. Dazu steht nicht im Widerspruch, dass die kapitalistische Akkumulationslogik nach wie vor und weltweit sogar mehr denn je gilt. Deshalb setzen wir den Kapitalismus ‚vor die Klammer‘. Denn trotz vielfältigster Transformationen sind Lohnabhängige gezwungen, ihre Arbeitskraft als Ware an diejenigen zu verkaufen, die die Verfügungsmacht über die Produktionsmittel und damit die Kontrolle über Produktionsprozesse besitzen. Unter dieser Prämisse gilt es zu untersuchen, wie konkret die kapitalistische Akkumulation immer wieder neu aufrechterhalten beziehungsweise in bestimmten Bereichen auch destabilisiert wird. Dafür gilt es, die Bedeutungen und Funktionen von Differenzkategorien in verschiedenen Kontexten und die damit verbundenen Herrschaftsver37

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hältnisse zu analysieren, die innerhalb kapitalistischer Systeme recht unterschiedlich ausfallen können. Wir unterscheiden (und präzisieren im Folgenden) auf der Strukturebene kapitalistischer Gegenwartsgesellschaften vier Herrschaftsverhältnisse entlang der Kategorien Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper, nämlich Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen. Indem wir die profitorientierte Akkumulationslogik als Grundpfeiler des kapitalistischen Systems in der derzeitigen historischen Situation als gegeben setzen (auch wenn wir nur zu gerne mit unserem Ansatz zur Überwindung oder zumindest Re-Formierung dieses Systems beitragen würden), können wir innerhalb eines konkreten kapitalistisch organisierten Raums – sei es der weltweite oder ein nationaler – die Bedeutungen und Funktionen der Strukturkategorien und der damit verbundenen Herrschaftsverhältnisse auch in ihren Wechselwirkungen untersuchen. Es geht also im Folgenden um die Frage, wie wir die vier Strukturkategorien Geschlecht, Klasse, Rasse und Körper definieren und begründen können und wie innerhalb kapitalistischer Systeme Herrschaftsverhältnisse entlang dieser vier Kategorien miteinander wechselwirken. Damit kapitalistisch strukturierte Gesellschaften existieren können, bedarf es neben der Aufrechterhaltung der sozio-ökonomischen Produktionsverhältnisse und der Wiederherstellung der Produktionsmittel auch der Reproduktion der Arbeitskräfte. Die im Sinne des kapitalistischen Systems effiziente Verwertung der Ware Arbeitskraft gelingt, indem über spezifische Strukturkategorien der Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt differenziert geregelt und eine ungleiche Verteilung von Löhnen und Gehältern durchgesetzt wird. Gleichzeitig kann mit einer kostengünstigen Auslagerung der Reproduktionsarbeit aus dem warenförmigen Austausch der Wert der Ware Arbeitskraft gesenkt werden. Dabei steht die Übernahme dieser Tätigkeiten durch Frauen in den Familien – möglichst zusätzlich zur ihrer Erwerbsarbeit – aus historischen Gründen im Zentrum (vgl. Winker 2007). Aber auch Migrantinnen oder ältere Personen werden herangezogen, um Arbeitskraft günstig zu reproduzieren. Innerhalb der kapitalistischen Akkumulation werden also der differenzierte Zugang zum Arbeitsmarkt, Lohndifferenzierungen und Auslagerung der Reproduktionsarbeit entlang der vier Strukturkategorien Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper realisiert. Damit gehen kapitalistische Systeme mit hierarchischen Klassenverhältnissen oder Klassismen, Geschlechterverhältnissen oder Heteronormativismen, Rassenverhältnissen oder Rassismen und Körperverhältnissen oder Bodyismen einher. Bevor wird diese Herrschaftsverhältnisse näher beschreiben und definieren, stellt sich zunächst die Frage, warum wir gerade diese vier Kategorien für so bedeutend halten. 38

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Für die Wahl der ersten drei Kategorien – Klasse, Geschlecht, Rasse – gibt es in der intersektionalen Literatur bereits gute Argumente, an die wir anschließen können. Floya Anthias (2001: 368) etwa begreift gender, ethnicity/race and class als Strukturkategorien von Unterdrückung, weil sich historisch zeigen lässt, dass entlang dieser drei Differenzlinien ungleiche Ressourcenzuordnungen (und damit Verteilung von Lebenschancen) verlaufen. Sozialstrukturelle Orte der Produktion von Ungleichheiten sind Organisationen, was Joan Acker (2006: 443) ins Zentrum ihrer Überlegungen rückt: Sie definiert solche inequality regimes als „loosely related practices, processes, actions, and meanings that result in and maintain class, gender, and racial inequalities within particular organizations“. Damit kompatibel sieht Cornelia Klinger (2003) die Scheidemarke zwischen Differenzen „in ihrer Bezogenheit auf Arbeit“. Als Ergebnis sind Klasse, Rasse und Geschlecht „nicht bloß Linien von Differenzen zwischen individuellen oder kollektiven Subjekten, sondern bilden das Grundmuster von gesellschaftlich-politisch relevanter Ungleichheit, weil Arbeit und zwar namentlich körperliche Arbeit ihren Existenzgrund und Angelpunkt ausmacht.“ (Ebd.: 26) Auf der strukturellen Ebene beziehen wir uns ebenfalls auf die genannten drei Kategorien, wobei bei uns die Kategorie Geschlecht sowohl Zweigeschlechtlichkeit wie auch Sexualität (im Sinne sexueller Orientierung) umfasst.4 So können wir mit Klinger (2003: 26) als Zwischenergebnis festhalten, dass mit den Strukturkategorien Klasse, Rasse und Geschlecht „ein Ungleichheit begründender und legitimierender Fremdheitseffekt, d.h. eine Ausgrenzung (Externalisierung) erzeugt wird, mit dem Ziel oder mindestens mit dem Resultat, eine Reduzierung des für die geleistete Arbeit zu entrichtenden Preises herbeizuführen.“ Allerdings erweitern wir die in den Sozialwissenschaften gängige Dreierkette von Rasse, Klasse und Geschlecht um die Kategorie Körper. Entscheidend ist dabei folgendes Argument: Rasse und Geschlecht sind Kategorien, die mit dem Rekurs auf eine vermeintliche Naturhaftigkeit begründet und legitimiert werden, bei Klasse ist das schon längst nicht mehr der Fall. Dort hat sich mit dem Kapitalismus der Glaube an Mobilität und die Ideologie des grundsätzlich möglichen Aufstiegs „vom Tellerwäscher zum Millionär“ (sic!) durchgesetzt. Statt Naturalisierung sind dort Verbesserung und Optimierung herrschende Legitimationen – und genau darin trifft sich die inzwischen soziologisierte (d.h. entnaturali4

Indem wir die strukturelle Konstruktion von Geschlecht über heteronormative Geschlechterverhältnisse bestimmen, ist Sexualität auf struktureller Ebene nicht wie etwa bei Weber (2001) und Verloo (2006) eine eigenständige vierte Kategorie (vgl. dazu die folgenden Ausführungen zur Strukturkategorie Geschlecht). 39

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sierte) Kategorie Klasse mit Körper (vgl. Ach/Pollmann 2006; Villa 2008). Körper können ihren Wert steigern – wofür ein mitunter erheblicher Aufwand von Zeit erforderlich ist und für notwendig und legitim erachtet wird. Körper als Gesellschaft strukturierende Kategorie korrespondiert mit dem Verständnis von Neoliberalismus als eine Ideologie, die auf einer ökonomischen Betrachtung „von immer mehr Bereichen des sozialen Lebens fußt. Märkte und Wettbewerbe sind in dieser Ideologie die effektivsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handlungsfelder und Instrumente.“ (Beck/Meine 2007: 9) Entsprechend kennzeichnen wir Neoliberalismus etwas allgemeiner als „ein weitläufiges politisch-ideologisches Projekt zur Reformulierung eines ungehemmt forschen, ja aggressiven Kapitalismus“ (Kreisky 2006: 225), indem ein manageriales Denken (Bröckling 2007) in nahezu allen Lebensbereichen hegemonial geworden ist: Es dominiert das Maximierungspostulat. Dazu gehören mentale Prägungen, kulturelle Standardisierungen und Optimierungen sowie Modifikationen von Körperlichkeiten. Damit geht eine subtile Verinnerlichung erwünschter Körpernormen einher – und die immer weniger tabubrechende Frage nach ‚brauchbaren‘, ‚nützlichen‘ und ‚um/formbaren‘ Körpern. So sind sowohl Alter wie körperliche Verfasstheit, Gesundheit und Attraktivität in den letzten Jahrzehnten in Arbeitszusammenhängen immer bedeutsamer geworden und entscheiden über die Verteilung von Ressourcen. Auch Heinz Bude verweist im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit den „Überflüssigen“ auf die Bedeutung von Körpern: „Das letzte und vielleicht wichtigste Strukturmerkmal von Prozessen sozialer Ausgrenzung ist der Körper.“ (Bude 1998: 376)5 Bei den Kriterien sozialer Teilnahme benennt Bude neben der Arbeitsbereitschaft, die stark mit der Klassenposition zusammenhängt, der legalen Verfügbarkeit, die stark mit rassistischen Ausgrenzungen zu tun hat, und der familialen Sicherheit, die ohne die konkreten familialen Geschlechterpositionierungen nicht zu erfassen ist, als viertes Kriterium die Gesundheitsverfassung, die er wie wir als körperliche Verfasstheit versteht (ebd.: 370).6 Unter der Gesundheitsverfassung sieht Bude in ihrer zugespitzten Form die 5

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Das musste sogar der einer Individuumszentrierung in der Soziologie gänzlich unverdächtige Niklas Luhmann einräumen, als er bei der Diskussion um Inklusion und Exklusion von Personen (also subsystemspezifischen Ausschnitten von AkteurInnen) auf Menschen traf, die in Armutsghettos als „reine Kreatur“ zurückblieben, nämlich als „eine in der Selbstund Fremdwahrnehmung aufs Körperliche reduzierte Existenz, die den nächsten Tag zu erreichen sucht“ (Luhmann 1995: 147). Als fünftes Kriterium nennt Bude noch die kulturelle Affinität, die entlang all der vier von uns benannten Kategorien bestimmt werden kann.

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Sucht als „körperliche Stigmatisierung“ (ebd.: 376), die er als selbst vollzogenen Schließungsmechanismus oder als Loslösung von gesellschaftlichen Anerkennungsmechanismen begreift (ebd.). Schließlich benennt Reinhard Kreckel (1992: 282) bereits Anfang der 1990er Jahre Alter und Gesundheit neben Geschlecht und Nationalität als drittes bedeutendes Kriterium für den Ausschluss vom beziehungsweise den Chancen im Arbeitsmarkt. Beim Dreiklang von Kreckel fehlt allerdings Klasse, da er zwischen illegitimer struktureller Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt und der durch die meritokratische Triade von Bildung, Beruf und Einkommen legitimierten Ungleichheiten unterscheidet (ebd.: 283). Dieser Unterscheidung folgt implizit auch das im Jahre 2006 verabschiedete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) der Bundesrepublik Deutschland, das Diskriminierungen aufgrund von Klassenzugehörigkeit und damit von unterschiedlicher Bildung, Beruf und Einkommen nicht anspricht; sie gelten als weitgehend akzeptiert. Diesen unterschiedlichen Bewertungen von strukturellen Ungleichheiten folgen wir nicht. Denn wir wollen keine normative Setzung vornehmen zwischen legitimen ungleichen Möglichkeiten bei der Reproduktion der Arbeitskraft entlang der Kategorie Klasse und illegitimen entlang der Kategorien Geschlecht, Rasse und Körper. Deshalb entwickeln wir auf der Strukturebene den Vierklang von Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper. Damit können wir sowohl die im AGG nicht erwähnten Kategorien Bildung und Beruf sowie die damit verbundene ungleiche Ressourcenverteilung als Ausformung von Klassismen untersuchen, als auch die vom AGG benannten folgenden acht Benachteiligungen den anderen drei Herrschaftsverhältnissen zuordnen. Diskriminierungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion und der Weltanschauung fallen unter Rassismen, aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität unter Heteronormativismen und aus Gründen einer Behinderung und des Alters unter Bodyismen. Wenn in einem deutschen Bundesgesetz die durch Alter oder Behinderung diskriminierten Personen Rechtsansprüche gegen Arbeitgeber und Private erhalten, verdeutlicht dies, auch wenn sich diese Rechtsansprüche in der Realität kaum durchsetzen lassen, dass die Strukturkategorie Körper notwendig ist, um Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung zu analysieren. Auf der Strukturebene bestimmen wir also mit den vier Kategorien – Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper – die soziale Lage von Gesellschaftsmitgliedern aus ihrer Stellung zum Arbeitsmarkt und ihrer Verantwortung für die Reproduktion der Arbeitskraft. Dies ermöglicht, wie Karin Gottschall (2000: 281) treffend feststellt, „auch die nicht erwerbstätigen erwachsenen Gesellschaftsmitglieder mit eigenständigem Status 41

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in die Ungleichheitsanalyse einzubeziehen.“ Damit kommt neben der Erwerbsarbeit auch die Reproduktionsarbeit in den Blick. Auch können wir damit die Beziehungen innerhalb der Gruppe der Anbieter von Arbeitskraft analysieren, sofern sie um dieselben Ressourcen konkurrieren (ebd.). Im Folgenden präzisieren wir die Funktion und Bedeutung der vier Strukturkategorien und definieren die damit verwobenen Herrschaftsverhältnisse. Dabei werden wir jede Kategorie in aller Kürze (hinsichtlich des Forschungsstands) beschreiben, definieren, von anderen Kategorien abgrenzen, historisch verorten und daraus die entsprechenden strukturellen Herrschaftsverhältnisse ableiten. Strukturkategorie Klasse Der Klassenbegriff steht in der Tradition von Theorien sozialer Ungleichheit, die marxistische Klassentheorien, Schichtungsansätze bis hin zu neueren Theorien über Milieus und Lebensstile umfassen. Mit Karl Marx gehen wir zur Beschreibung der kapitalistischen Akkumulation von der Unterscheidung Produktionsmittelbesitzender und Lohnabhängiger aus. Ohne solche Klassen ist das kapitalistische System nicht denkbar. Konflikte entstehen durch die ungleiche Verfügungsgewalt über knappe und begehrte Ressourcen. Entsprechend ist sozial strukturierte Ungleichheit als eingeschränkte Möglichkeit des Zugangs zu Gütern und/oder Positionen zu begreifen, die mit ungleichen Einflussmöglichkeiten ausgestattet sind. Als Folge werden dadurch die Lebenschancen von Individuen, Gruppen oder Gesellschaften beeinträchtigt beziehungsweise begünstigt (Kreckel 1992). Darüber hinaus differenzieren wir allerdings mit der Kategorie Klasse unterschiedliche Möglichkeiten und Formen der Vermarktung der Arbeitskraft entlang der Kriterien Herkunft, Bildung und Beruf, die entsprechend soziologischer Ungleichheitstheorien die Stellung in der Sozialstruktur maßgeblich bestimmen (vgl. Neckel 2003: 159). Denn abhängig von der sozialen Herkunft, der Bildung und dem Beruf gelingt es Menschen unterschiedlich gut, einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden und sich entsprechend zu verkaufen. Damit gehen wir wie auch Bourdieu (1983, 1987) über einen rein ökonomischen Kapitalbegriff hinaus und fassen mit der Strukturkategorie Klasse drei Ressourcen, die Personen unterschiedlich zur Verfügung stehen: nämlich die über die soziale Herkunft vermittelte ökonomische Ressource Vermögen, Geld und Besitz, die kulturelle Ressource Bildung und Beruf sowie die soziale Ressource Netzwerke und Beziehungen. Diese Ressourcenausstattung ist stark miteinander verwoben, da beispielsweise mit der Herkunft sowohl Besitz und Vermögen vererbt, aber auch über Sozialisationsprozes42

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se Startchancen für Bildung und Beruf beeinflusst sowie soziale Beziehungen weitergegeben werden. Damit haben Menschen bereits durch ihre Geburt in Familien mit verschiedener Ressourcenausstattung unterschiedliche sozio-ökonomische Ausgangsbedingungen. Klasse bezeichnet also eine Gruppe von Menschen, denen ihre Stellung im Produktionsprozess gemeinsam ist. Die Zuordnung von Personen erfolgt entsprechend ihrer ökonomischen Ressourcen wie Vermögen und Einkommen, ihrer kulturellen Ressourcen wie Bildung und Beruf sowie ihrer sozialen Ressourcen wie soziale Beziehungen und Netzwerke. Der Klassenbegriff ist damit ein prozessualer, denn es geht um Distinktionen und soziale Positionierungen. Entsprechend „existieren“ nach Bourdieu „keine sozialen Klassen“, sondern „ein sozialer Raum von Unterschieden, in denen die Klassen gewissermaßen virtuell existieren, unterschwellig, nicht als gegebene, sondern als herzustellende“ (Bourdieu 1998: 26). Die Klassenlage wird durch ein „Ensemble von Positionen“ bestimmt. Der soziale Raum ist nicht nur ein Raum von Unterschieden, sondern auch ein Raum von Beziehungen; die Verknüpfung von Klassenlage und Lebensführung ist Bourdieus zentraler Beitrag zur Klassendiskussion: Die Differenzen in den Positionen müssen in Unterschiede in der Lebensführung transformiert werden – von den AkteurInnen. Entsprechend formuliert Bourdieu als ein Ziel, „in der Struktur der sozialen Klassen das Fundament der Klassifikationssysteme auszumachen, welche die Wahrnehmung der sozialen Welt strukturieren und die Gegenstände des ästhetischen ‚Wohlgefallens‘ bezeichnen.“ (Bourdieu 1987: 14). Darauf gehen wir auf der Identitätsebene näher ein. Die konkreten Ausformungen der Ungleichheiten entlang der Kategorie Klasse haben sich historisch immer wieder verändert. Stand beispielsweise in den 1960er Jahren in der BRD neben den Produktionsmittelbesitzenden bei den Lohnabhängigen die Hierarchie zwischen ArbeiterInnen und Angestellten im Vordergrund, gewinnt heute die Kluft zwischen unbefristet und in Vollzeit arbeitenden so genannten Normalbeschäftigten, prekär Beschäftigten – als working poor, in Teilzeit, befristet oder ungeschützt – sowie Erwerbslosen an Bedeutung (Castel 2005). An alle geht heute verstärkt die Aufforderung, sich selbstbestimmt und eigenverantwortlich um den eigenen Lebensunterhalt zu kümmern. So mutieren immer mehr ArbeitnehmerInnen zu ArbeitskraftunternehmerInnen (Voß/Pongratz 1998) oder ArbeitskraftmanagerInnen (Winker/ Carstensen 2007), bei denen es zu unterschiedlichen Formen der Selbstausbeutung kommt. Gleichzeitig bezieht sich der Begriff Exklusion im Gegensatz zu Begriffen wie Armut oder Unterklasse nicht lediglich auf eine bereits verfestigte Lage in Bezug auf eine einzige Kategorie, sondern auf Prozesse (und den Zustand) der Ausgrenzung in vielerlei Hin43

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sicht. Entsprechend werden Ausgrenzungen inzwischen nicht nur ökonomisch gefasst, sondern auch institutionell (Schutzrechte und Möglichkeit der Interessenvertretung, Versorgung und Statusverlust) und sozial (Isolation durch verringerte soziale Kontakte). Diese Ausgrenzungen gehen auf der symbolischen Ebene mit negativen Etikettierungen und Stigmatisierungen einher und können auf der Identitätsebene zum Verlust von Selbstwertgefühl und Zugehörigkeit führen (Häußermann/Kronauer/Siebel 2004), darauf kommen wir später zurück. Aus unserem Verständnis von Klasse leiten wir Klassismen ab. Darunter verstehen wir Herrschaftsverhältnisse, die auf der Grundlage von sozialer Herkunft, Bildung und Beruf deutliche Einkommens- und Reichtumsunterschiede aufrechterhalten (vgl. Weinbach 2006: 89-101). Klassismen beziehen sich explizit nicht ausschließlich auf Ökonomie und Politik, sondern wirken in allen gesellschaftlichen Feldern, z.B. in den Bereichen Familie, Wohnen, Ehrenamt und selbstverständlich auch Hausarbeit (vgl. auch Walby 2007: 458-461). Obwohl gerade in heutiger Zeit die Kluft zwischen arm und reich immer weiter zunimmt und Bildungserfolge wieder verstärkt von familiären ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen abhängen, werden Diskriminierungen entlang der Kategorie Klasse in Anti-Diskriminierungsmaßnahmen, z.B. dem bundesdeutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ignoriert. Dies hängt auch damit zusammen, dass bei der Legitimation von Klassismen in kapitalistischen Gesellschaften kein Rekurs auf Natur erfolgt, sondern auf persönlich zurechenbare Leistung verwiesen wird. Darauf werden wir bei der Beschreibung der Repräsentationsebene (Kap. 2.2) näher eingehen. Strukturkategorie Geschlecht Geschlecht ist ein sozialstrukturelles Phänomen, das interaktiv produziert wird. Diese Kategorie sortiert Menschen in zwei unterscheidbare Gruppen, „a hierarchical division between women and men embedded in both social institutions and social practices“ (Jackson/Scott 2002: 1). Dabei handelt es sich nicht um biologisch gebundene Zuordnungen (auch wenn Geschlecht eine naturalisierungsanfällige Kategorie ist), sondern um gesellschaftliche Zuschreibungen, in die auch Vorstellungen von Sexualität eingelassen sind. Deshalb umfasst in unserer Definition die Strukturkategorie Geschlecht nicht nur die Zweigeschlechtlichkeit, sondern ebenso die damit eng verwobene sexuelle Orientierung. Geschlecht bezeichnet die binäre Mann-Frau-Unterscheidung sowie die naturalisierte, d.h. unhinterfragte und selbstverständlich gemachte Heterosexualisierung im Geschlechterverhältnis. So sind im Geschlechtersys44

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tem lediglich genau zwei Geschlechter akzeptiert, und das jeweils gesellschaftlich bestimmte Geschlecht wird mit dem biologischem Geschlecht (sex), der Geschlechtsidentität (gender) und sexueller Orientierung (desire) gleichsetzt. Wir stützen uns dabei auf Judith Butler, die das Dreigestirn von sex, gender und desire als keinesfalls in seine Bestandteile auflösbaren, sondern sich wechselseitig stützenden Machtkomplex sieht (Butler 1991: 22-25). Die Strukturkategorie Geschlecht hat also eine heteronormative Grundlage. Gemeint ist damit ein binäres, zweigeschlechtlich und heterosexuell organisiertes und organisierendes Wahrnehmungs-, Handlungs- und Denkschema, das als grundlegende gesellschaftliche Institution durch eine Naturalisierung von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit zur einer einfachen Orientierung in der Welt sowie der Reduktion von Komplexität beiträgt beziehungsweise beitragen soll (Degele 2005). Damit sind zwei Unterstellungen verbunden: Erstens sei Menschsein natürlicherweise zweigeschlechtlich organisiert und zweitens Heterosexualität die ausschließliche und essenzielle Basis. Diese beiden Annahmen stützen sich wechselseitig und zeitigen strukturelle Wirkungen. Als Konsequenz lassen sich Geschlecht und Sexualität eben genau nicht trennen, da es – wie Butler mit der zwangsheterosexuellen Matrix deutlich macht – keinen Sinn macht, diese Verwobenheit zunächst aufzubrechen, um sie im nächsten Schritt wieder intersektional zu verbinden. Mit dieser Definition vertreten wir einen breiten Begriff der Strukturkategorie Geschlecht, indem wir über die Berücksichtung von Zwangsheterosexualität naturalisierte Machtverhältnisse einbeziehen.7 Für die Strukturebene ist das von Bedeutung, weil wir genau dort Herrschaftsverhältnisse analysieren wollen.8

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Man mag einwenden, für ein sowohl Zweigeschlechtlichkeit wie auch sexuelle Orientierung umfassendes Strukturverständnis sei auch ein anderer Überbegriff als Geschlecht erforderlich. Logisch betrachtet trifft das zu. Sachlich jedoch ist dem in der Forschung etablierten Begriff Geschlecht nur schwer eine Alternative entgegenzusetzen – welche sollte das auch sein? Um die Erklärungsbedürftigkeit dieses Zugangs auf der sozialstrukturellen Ebene sehr wohl wissend bleiben wir vor diesem Hintergrund dennoch bei dem Begriff Geschlecht. Gleichzeitig weisen wir darauf hin, dass wir für die Bezeichnung von Herrschaftsverhältnissen auf der Grundlage von Geschlecht den Begriff ‚Heteronormativismen‘ dem engen, nämlich nur auf Geschlechtszuordnung begrenzten Begriff ‚Sexismus‘ vorziehen (s.u.). Auf der Repräsentations- und Identitätsebene macht es durchaus Sinn, Zweigeschlechtlichkeit und sexuelle Orientierung zu trennen. Dies tun wir, um zu verdeutlichen, auf welchen Aspekt Identitätskonstruktionen und symbolische Repräsentationen fokussieren. 45

INTERSEKTIONALITÄT

Die gesellschaftlichen Konstruktionen der Mann-Frau-Unterscheidung und deren heterosexuelle Zuordnung bringen die Kategorie Geschlecht immer wieder neu hervor. Auch wenn sich in westlichen Gesellschaften im Zuge von Modernisierungsprozessen vor allem seit den 1970er Jahren in den Bereichen des Rechts und der Bildung strukturelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern deutlich abgeschwächt haben und man nicht mehr von einer durchgehenden geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung in der Erwerbsarbeit sprechen kann, gibt es nach wie vor männlich und weiblich konnotierte Arbeitsfelder sowie vertikale und horizontale Segregationen weiblicher und männlicher Berufsrealitäten. Mit diesen strukturellen Differenzierungen entlang der Kategorie Geschlecht lassen sich Lohndifferenzierungen und verschiedene Zugangsmöglichkeiten zu beruflichen Tätigkeiten begründen. Dies gilt etwa für die Inszenierung von Heterosexualität in Dienstleistungsberufen (Adkins 1998). Gleichzeitig steht die Kategorie Geschlecht für eine weitgehende Zuordnung von Reproduktionsarbeit an Frauen. Dominierte in den 1960er Jahren in der BRD primär die Trennung zwischen männlicher Erwerbsarbeit und weiblicher Familienarbeit, ist heute die Erwerbstätigkeit aller erwerbsfähigen Personen – unabhängig vom Geschlecht – zum gesellschaftlichen Reproduktionserfordernis schlechthin geworden (vgl. Winker 2009).9 Gleichzeitig führen aber – trotz Diskussionen um Krippenplätze und Beteiligung von Vätern an der Kindererziehung – weiterhin vor allem Frauen die überwiegenden Teile der Reproduktionsarbeiten als unbezahlte Zusatzarbeit aus. Heteronormativismen bezeichnen entsprechend unserer Definition der Kategorie Geschlecht Herrschaftsverhältnisse, die auf hierarchischen Geschlechterbeziehungen sowie der unhinterfragten Annahme natürlicher Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit basieren. Damit gehen wir über die bislang gebräuchliche Verwendung von Sexismus und auch Patriarchat hinaus. Die Besonderheiten von Heteronormativismen bestehen in der Aufrechterhaltung der Zweigeschlechtlichkeit und der unhinterfragten ‚Natürlichkeit‘ und Legitimität heterosexueller Paarbeziehungen (vgl. Jackson 2006: 117), über die ein Großteil notwendiger Reproduktionsarbeit kostengünstig in Familien abgewickelt wird. Der entscheidende Unterschied gegenüber Klassismen liegt in der Legitimationsgrundlage: hier ist es der Rekurs auf Naturhaftigkeit, bei Klassismen auf Leistung.

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Die traditionelle Rollenverteilung mit dem berufstätigen Vater als Familienernährer trifft nur noch auf 36 Prozent der heterosexuellen Paare zu. Bei fünf Prozent der Paare arbeitet nur die Mutter (Statistisches Bundesamt 2008: 18).

THEORIE

Strukturkategorie Rasse Wie auch Geschlechter sind Rassen keine biologischen Tatsachen, sondern soziale Konstruktionen. Diese Sichtweise ist inzwischen im wissenschaftlichen Mainstream angekommen und hat politische Folgen. So veröffentlichte die UN-Kulturorganisation UNESCO 1950 das „statement on race“, wonach es keine wissenschaftliche Basis für die Einteilung der Menschheit in Rassen gibt, denn 99,9% der DNA aller Menschen sei identisch (Räthzel 2004: 249). Im Grundgesetz von 1949 aber heißt es: „Niemand darf wegen [...] seiner Rasse […] benachteiligt oder bevorzugt werden“. Entsprechend formuliert das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz 2006: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründe der Rasse [...] zu verhindern oder zu beseitigen.“ Dagegen hat das deutsche Institut für Menschenrechte jüngst Einspruch erhoben: Es will den gefährlichen Begriff Rasse aus deutschen Rechtsvorschriften/Gesetzen streichen, weil die Formulierung die Existenz von Rassen nahelege. Auch internationale Verträge wie der EU-Vertrag oder zahlreiche UN-Abkommen sollen künftig ohne den Rasse-Begriff auskommen. Denn die Gesetzessprache habe Vorbildfunktion und wirke auf das Bewusstsein der Menschen ein. Die vorgeschlagene Alternativformulierung lautet deshalb: „Ziel des Gesetzes ist es, rassistische Benachteiligungen [...] zu verhindern.“ (Augstein 2008; Rath 2008) Dennoch halten wir es in der Wissenschaft für wichtig, am Begriff Rasse als AnalyseWerkzeug für rassistische Diskriminierung festzuhalten. Der Begriff Rasse ist zwar im Deutschen wegen seiner Konnotation im Zusammenhang mit dem Holocaust tabuisiert. Ersetzt man ihn aber durch weniger verfängliche Konstrukte wie Ethnie oder kulturelle Identität, werden damit rassistische Ausgrenzungen und Diskriminierungen tendenziell verschleiert und auch salonfähig gemacht. Rassen werden durch spezifische, äußerlich wahrnehmbare oder behauptete physiologische Unterschiede sozial konstruiert. „Es ‚gibt‘ sie nicht unabhängig von durch und durch gesellschaftlich, historisch, kulturell bestimmten rassistischen Praxen.“ (Bader 1998: 106) Nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehörige Menschen werden über eine andere Hautfarbe, Körperkonstitutionen, Ethnien, Religionen oder Weltanschauungen rassifiziert und damit zu Anderen gemacht. Rassen sind „durch symbolische Klassifikationen zu ‚Rassen‘ gewordene(n) Menschengruppen“ (Weiß 2001a: 29). Auch wenn sich rassistische Grenzziehungen an sehr unterschiedlichen Merkmalen festmachen, ist diesen gemeinsam, dass sie als Zentrum-Peripherie-Beziehungen und einer damit verbundenen Marginalisierung bestimmter Gruppen und Regionen zu verstehen sind (Schwinn 2007: 92). Dazu gehört auch der Ein- und 47

INTERSEKTIONALITÄT

Ausschluss von Menschengruppen auf der Grundlage von Weltanschauung und Religion. Gleichzeitig umfasst diese Definition „eine Art der Unterscheidung und der hierarchischen Bewertung von Menschen auf der Grundlage ausgewählter verkörperlichter Eigenschaften (seien sie real oder zugeschrieben), die dazu herangezogen werden, um eine Gruppe unterzuordnen, auszuschließen und auszubeuten“ (Wacquant 2001: 72). Galt die Konstruktion von rassistischen Ausgrenzungen früher im fordistischen System zwischen den europäischen Ethnien und Nationalitäten, ist das Außen inzwischen außerhalb der EU vor allem auf die Trikont-Länder verlagert. Das Prinzip bleibt das gleiche. Es werden Hierarchien konstruiert zwischen MigrantInnen mit zumindest befristeter Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis (beispielsweise IT-Fachkräfte) und illegalisierten beziehungsweise ‚geduldeten‘ MigrantInnen ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, die ökonomisch sinnvoll (beispielsweise als Haushaltsarbeiterinnen oder Prostituierte) einzusetzen sind (vgl. Hochschild 2001). Personen, die allerdings als Arbeitskraft nicht gebraucht werden, wird mit restriktiver Einwanderungs- und Einbürgerungspolitik und Remigrationsförderung der Zugang zum Arbeitsmarkt und damit auch in die EU verwehrt (vgl. Bader 1998: 96). In der BRD werden alle ‚geduldeten‘ Personen, die sich nicht selbst ernähren können, nach dem neuen Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge abgeschoben. Sozialleistungen stehen, wenn überhaupt, vor allem deutschen Staatsangehörigen zu. Entsprechend verstehen wir unter Rassismen Herrschaftsverhältnisse, die auf strukturellen Machtasymmetrien „zwischen durch symbolische Klassifikationen zu ‚Rassen‘ gewordenen Menschengruppen“ beruhen (Weiß 2001a: 29). Das entscheidende Merkmal dabei ist eine Bezeichnungs- und Definitionspraxis, die ein spezifisches Wissen über vermeintlich natürliche Unterschiede zwischen ‚uns‘ und ‚den Anderen‘ hervorbringt. Es geht bei Rassismen nicht um Übertreibung, falsche Behandlung oder Instrumentalisierung von Unterschieden zwischen Menschengruppen, sondern darum, dass politische Interessen in den Mantel natürlicher Differenzen gekleidet werden. Die Spezifik dieser Herrschaftsformen besteht darin, dass sie Menschen innerhalb eines sozialen Raums strukturell schlechter stellt, indem sie ihnen den Zugang zu Erwerbsarbeit nur teilweise öffnet und auf ihren möglichen Ausschluss aus diesem Raum verweist (Weiß 2001b: 87). Damit werden Rassismen nicht inhaltlich definiert. Strukturell diskriminiert wegen eines nur begrenzten freien Zugangs zum Arbeitsmarkt oder der permanenten Gefahr der Ausgrenzung werden Menschen beispielsweise aufgrund einer von der Mehrheitsgesellschaft abweichenden Nationalität, Ethnie, Religion 48

THEORIE

oder auch Weltanschauung. Auf all diese unterschiedlichen Kriterien bezieht sich unser Verständnis von Rassismen, das im Kern auf der Unterscheidung von Zentrum und Peripherie beruht. Wie auch Heteronormativismen werden Rassismen mit Rekurs auf Naturhaftigkeit legitimiert. Strukturkategorie Körper Körper sind in dreierlei Hinsicht ein sozialwissenschaftlich neues Thema. Erstens hat die Geschlechterforschung einen zentralen Beitrag zur Würdigung von Körper(lichkeit) als gesellschaftsstrukturierende Größe geleistet. So waren feministische Kritiken an patriarchalen beziehungsweise heteronormativen Geschlechterverhältnissen meist auch mit der Forderung nach Selbstbestimmung und Verfügungsmacht über den eigenen Körper verbunden (Krüger-Fürhoff 2005: 68-72). Zweitens erfährt sich biografisch verändernde und nicht ‚normale‘ Körperlichkeit vor allem in der Auseinandersetzung mit Alter (Krekula 2007) und Behinderung (Raab 2007) inzwischen auch Interesse aus intersektionalitätstheoretischer Perspektive. Drittens brachte vor allem die vermeintliche Entkörperlichung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses im Zuge des Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft Körper als konsumierend, sich inszenierend, sich formend, kurz: als Kulturobjekte und freizeitkonsumierende Zeichenträger ins Gespräch (Shilling 2005: 2f.). Für unsere Analyse ist entscheidend: Körper erscheinen im Zuge mechanischer, genetischer, psychischer und physiologischer Manipulierbarkeit immer weniger als Naturtatsache, sondern als Kulturprodukte (Wehling u.a. 2005: 559). In diesem Zusammenhang interessiert weniger die Arbeit mit ‚dem Körper‘, sondern vielmehr die Arbeit an und die Arbeit der Körper – diese müssen „employable“ sein (Schroer 2005: 16f.; Degele/Schmitz 2009). So diversifiziert die Kategorie Körper die Stellung im Produktionsprozess, vor allem den Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt (Kreckel 1992: 282). Gefragt sind körperlich gesunde Arbeitskräfte. Krankheiten und körperliche Behinderungen wirken sich negativ auf die beruflichen Erfolgschancen aus (Maschke 2007). Gesundheit gilt nicht mehr als göttliche Gabe, sondern als durch individuelle Lebensführung erlangbares Gut. Körper sind unter Optimierungszwänge gefallen, hier schlägt das Leistungsprinzip durch wie sonst nur bei Klasse. ‚Der Körper‘ ist eine Abstraktion; „eine Konstruktion, die außerhalb diskursiver und sozialer Kontexte weder existiert noch wahrgenommen werden kann“ (Krüger-Fürhoff 2005: 66). Etwas konkreter lassen sich Körper als Quelle (source) zur Hervorbringung und kreativen Gestaltung sozialen Lebens begreifen, als Ort (location), in den gesellschaftliche 49

INTERSEKTIONALITÄT

Strukturen einwirken sowie als Mittel (means), durch das Individuen positioniert und soziale Strukturen gebildet werden (Shilling 2005). Bei Körpern als Produkten und Produzenten von Gesellschaft geht es sozialwissenschaftlich also weniger darum, was sie sind, sondern vielmehr, was sie bedeuten, wie (weit) sie formbar sind und welche Eigensinnigkeiten sie gesellschaftlich in Anschlag bringen. Körper sind in diesem Sinn physikalisch, emotional und sensitiv erfahrbare Medien und Erfahrungsdimensionen von AkteurInnen, die für die Zuschreibung sozialer Positionen nutzbar sind. Einem praxeologischen Ansatz (vgl. Kap. 3.1) zufolge sind soziale Praktiken verkörpert und interessieren in Hinblick auf die Erzeugung und Verfestigung gesellschaftlicher Ungleichheiten (Bourdieu 1976; Meuser 2006; Reckwitz 2003). Denn wenn sich Status und Prestige an Körpern ablesen lassen, dient auch dies der raschen und einfachen Sortierung des gesellschaftlichen Personals. Gesellschaftlich relevant sind dabei vor allem Abweichungen von einer wie auch immer konstruierten Norm. Mit solchen „vielfältigen körperlichen, mentalen und psychischen Auffälligkeiten, denen gemeinsam ist, dass sie immer nur mittels des Körpers ausgedrückt und wahrgenommen werden können“ (Waldschmidt 2007: 28), beschäftigt sich das in den letzten beiden Jahrzehnten entstandene Feld der Disability Studies. Behinderung gilt dabei als Abweichung, die zumeist auf die „Normalfelder“ (Link 1997: 51) Gesundheit, Funktionsfähigkeit und Leistungsvermögen bezogen wird. Galten in der Vormoderne Körper als Voraussetzung und Mittel der Arbeit schlechthin, war die Industrialisierung mit einer Disziplinierung von Körpern über die Reorganisation von Raum und Zeit verbunden. Der Post-Fordismus geht mit flexibler Spezialisierung, Individualisierung, Erwerbslosigkeit und Prekarisierung einher. Unsichere und kurzfristige Qualifikationserfordernisse, (zeitliche) Flexibilitätszwänge, unterbezahlte Dienstleistungsarbeit, ein zunehmendes Gewicht von äußerlicher Erscheinung und Körperdisziplinierung haben Effekte auf Körper. Der Wandel vom Fordismus zum Post-Fordismus schlägt sich damit in geänderter Körperarbeit nieder (Shilling 2005: 75-87). Während in Zeiten der Vollbeschäftigung in den 1960er Jahren und bis in die 1970er und auch 1980er Jahre hinein ältere Lohnarbeitende hierarchisch oben angesiedelt waren, hat sich mit den schnellen technologischen Veränderungen und dem demografischen Wandel (vgl. Hondrich 2007; Kaufmann 2005; Buchen/Maier 2008) diese Hierarchie ins Gegenteil verkehrt: ArbeitnehmerInnen müssen beweglich, belastbar, permanent lernbereit und -willig sein. So bescheinigen amerikanische Studien sportlichen und sich fit haltenden Personen eine größere geistige und reaktive Leistungsfähigkeit (Hillman 2002). Zur Bedingung sozialer und das 50

THEORIE

heißt auf dem Arbeitsmarkt gewinnbringend einsetzbarer Wertschätzung gehören Jugendlichkeit, Schönheit, Fitness und Gesundheit (vgl. Degele/ Sobiech 2007; Gimlin 2002). Mit der Argumentation, dass die Macht dazu in den Händen, Beinen und Köpfen eines jeden Individuums liege, wird das Sozialsystem entsprechend umgebaut (Dobner 2007: 110-133): Jede Person ist für ihre Gesundheit, ihre employability und ihre Altersvorsorge zunehmend selbst verantwortlich: „Nur intakte und gesunde Körper vermögen ein attraktives wie marktkonformes Leben zu garantieren. […] Gesundheit ist nicht biologisches Schicksal, sie ist primär individuelle Aufgabe und persönliche Leistung.“ (Kreisky 2006: 226) Ausgangpunkt ist damit der gesunde und leistungsfähige Körper, unberücksichtigt bleibt die „ontologische Unsicherheit“, welche biologische Gebrechlichkeit, soziale Verletzlichkeit und politischen Ausschluss umfasst (Turner 2001: 262). Unter Bodyismen verstehen wir entsprechend der Wichtigkeit der Strukturkategorie Körper Herrschaftsverhältnisse zwischen Menschengruppen aufgrund körperlicher Merkmale wie Alter, Attraktivität, Generativität und körperliche Verfasstheit. Für solche körperbezogenen hierarchischen Verhältnisse gibt es bereits unterschiedliche Begriffe. Ageism10, lookism11, Behindertenfeindlichkeit (Oswald 2007: 134) oder ableism oder able-bodyism12 bezeichnen die Diskriminierung von Menschen aufgrund des Alters, des äußeren Erscheinungsbildes oder aufgrund von Behinderungen. Gemeinsam ist ihnen der Bezug auf Körperlichkeit, weshalb wir den fokussierenden Begriff Bodyismen gewählt haben. Gemeinsamkeiten der vier Strukturkategorien Allen vier Strukturkategorien – Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper – und den damit verbundenen Herrschaftsverhältnissen ist gemeinsam, dass sie in einem kapitalistischen System zur möglichst kostengünstigen Verwertung der Ware Arbeitskraft beitragen. Die Strukturkategorien Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper steuern den Zugang zum Er10 „[A]ny attitude, action, or institutional structure which subordinates a person or group because of age or any assignment of roles in society purely on the basis of age“ (Traxler 1980: 4; vgl. R. Butler 1990). 11 Diskriminierung von Individuen aufgrund deren äußeren Erscheinungsbildes. Der Begriff benennt den Mechanismus der Hierarchisierung von Individuen auf der Basis von Körpermerkmalen, die positiv oder negativ bewertet werden und somit den Wert des Individuums steigern oder mindern, vgl. http://www.lookism.info/definition.html [13.09.08]. 12 „[D]iscrimination in favor of the able-bodied“, vgl. http://www.webstersonline-dictionary.org/ab/able-bodism.html [13.09.08]. 51

INTERSEKTIONALITÄT

werbsarbeitsmarkt, differenzieren die Verteilung gesamtgesellschaftlicher Ressourcen über den Lohn und weisen die Reproduktionsarbeit ungleich zu. Dabei lässt sich eine gesamtgesellschaftliche Verbilligung der Ware Arbeitskraft auf unterschiedliche Art und Weise realisieren, nämlich durch: • flexibilisierten Zugang und entsprechende Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt – über Erwerbslose (Klasse), stille Reserve (Geschlecht), Arbeitserlaubnisse (Rasse) und Altersbegrenzungen (Körper) • Lohndifferenzierung über schlecht bezahlte Erwerbsarbeitsangebote bei hoher Erwerbslosigkeit (Klasse), Abwertung von Frauenarbeit (Geschlecht), schlecht bezahlte Einstiegsjobs für MigrantInnen ohne gesicherte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis (Rasse) sowie Abwertung der Kompetenz älterer Menschen (Körper) • kostenlose Reproduktionsarbeit durch primär Frauen in vorwiegend heterosexuellen Familien (Geschlecht) sowie Eigenverantwortung für die individuelle Gesundheit (Körper), kostengünstige Reproduktionsarbeit über illegalisierte Migrantinnen (Rasse) für Haushalte mit entsprechend hohem Einkommen (Klasse) (vgl. Tab. 1). Tabelle 1: Differenzkategorien auf der Strukturebene und ihre zentralen Bedeutungen

Klasse

Geschlecht

Rasse

Körper

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Flexibilisierter Zugang und Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt Erwerbslose als Ausgleich für Nachfrageschwankungen auf dem Arbeitsmarkt Frauen als stille Reserve

Arbeitserlaubnis als Flexibilisierungspotenzial Alter und Krankheit als Ausgrenzungsmöglichkeit

Lohndifferenzierungen

Kostenlose bzw. kostengünstige Reproduktionsarbeit

Normalbeschäftigte versus Prekariat, Erwerbslose als LohndrückerInnen Differenzierte Arbeitsbewertungsmaßstäbe, Steuern und Sozialabgaben Bad jobs als Einstieg in den Arbeitsmarkt

Inanspruchnahme von Dienstleistungen zur Erziehung, globale Betreuungsketten Zusätzliche und unbezahlte Haus- und Pflegearbeit von Frauen Migrantinnen als günstige ‚Dienstmädchen‘ Individualisierte Krankheitsprävention, Pflicht zur Gesundheits- und Altersvorsorge

Abwertung der Kompetenz von älteren und nicht vollständig fitten Menschen

THEORIE

Damit verbilligen sich im gesellschaftlichen Rahmen nicht nur die Kosten für die Arbeitskraft. Darüber hinaus entsteht über die Diskriminierungsstrukturen entlang der vier Strukturkategorien für die Individuen ein unterschiedliches Einkommensniveau. Dies hat vielfältige Konsequenzen in Bereichen der sozialen Teilhabe, des politischen Einflusses, der Startchancen für die eigenen Kinder. Feministische Analysen weisen immer wieder darauf hin, dass gut bezahlte Arbeitskräfte mit ihrem Einkommen die eigene Reproduktionsarbeit sowie die Haus- und Sorgearbeit für Kinder und pflegebedürftige Personen an Frauen, die maximal Teilzeit erwerbstätig sind, oder bezahlte Haushaltsarbeiterinnen delegieren können. Dieses Abtreten von Reproduktionsarbeiten an Dritte eröffnet ihnen wiederum bessere Möglichkeiten, dem Arbeitsmarkt zeitlich und örtlich höchst flexibel zur Verfügung zu stehen. Was wir hier herausgearbeitet haben, sind strukturelle Dominanzund Herrschaftsverhältnisse, die sich anhand der vier Strukturkategorien Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper bestimmen lassen. Die vier Strukturkategorien beschreiben Prozesse und Verhältnisse innerhalb der kapitalistischen Akkumulation. Diese Strukturkategorien verteilen die verschiedenen Arbeitstätigkeiten – Produktions- und Reproduktionstätigkeiten – ebenso wie die vorhandenen gesellschaftlichen Ressourcen ungleich auf verschiedene Personengruppen. Mit diesen Kategorien lassen sich damit verbundene Ausbeutungs- und Diskriminierungsstrukturen – Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen – aufzeigen und rekonstruieren. Wir setzen kein Herrschaftsverhältnis als dominant voraus, sondern fokussieren auf ihre Verwobenheiten. Ferner gehen wir davon aus, dass die Beziehungen dieser Herrschaftsverhältnisse untereinander einem historischen Wandel unterliegen. Dabei können Verschiebungen von einer Kategorie zu anderen stattfinden. Das bedeutet gleichzeitig, dass diese einzelnen Herrschaftsverhältnisse je nach Kontext unterschiedliche Bedeutung erlangen können und nur in ihrer Relation zueinander zu verstehen sind. Als Konstante bleibt allerdings festzuhalten, dass Ein- und Ausschlüsse entlang dieser vier Strukturkategorien eine ungleiche Ressourcenverteilung aufrechterhalten. Wie diese empirisch ausgestaltet ist, lässt sich nicht theoretisch ableiten, zumal sie von den sozialen Praxen der AkteurInnen abhängt, die ja den Ausgangspunkt unseres empirischen Vorgehens bilden. Abgesichert werden diese Herrschaftsverhältnisse durch handlungsorientierende und strukturbildende Normen und Ideologien, die wir im Folgenden mit der Analyse symbolischer Repräsentationen berücksichtigen.

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INTERSEKTIONALITÄT

2.2 Symbolische Repräsentationen Symbolische Repräsentationen stützen die von uns dargestellten Herrschaftsverhältnisse – Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen – und werden von ihnen gleichzeitig auch mit hervorgebracht. Ferner ermöglichen vorherrschende Normen, Werte und Stereotype Identitätskonstruktionen, und diese individuellen Subjektivierungsprozesse stabilisieren wiederum symbolische Repräsentationen durch performative Wiederholungen. Daher ist es für eine intersektionale Analyse unabdingbar, die in einem Kontext vorherrschenden Normen, Werte und Stereotypen herauszuarbeiten. Wir konzentrieren uns in diesem Kapitel darauf zu verdeutlichen, was wir unter symbolischen Repräsentationen verstehen. Auf deren Verwobenheit mit der Strukturebene und Identitätsebene gehen wir dann in Kapitel 3 näher ein. Judith Butler hat immer wieder auf die Wirkmächtigkeit von Diskursen, insbesondere auf die Kraft von sich ständig wiederholender und zitierender sprachlicher Praxis verwiesen (Butler 1990, 1995: 22). Dabei spielen Differenzierungskategorien eine wichtige Rolle. Uns kommt es hier darauf an, im Unterschied zur Strukturebene eine Vielzahl von Kategorien einzubeziehen. Diese müssen sich nicht einer oder mehreren der vier Strukturkategorien zuordnen lassen, da hier die für die Bestimmung struktureller Herrschaftsverhältnisse notwendige Komplexitätsreduzierung nicht von entscheidender Bedeutung ist. Der Übersichtlichkeit halber ordnen wir unsere Ausführungen jedoch entlang der vier Strukturkategorien in der Reihenfolge Klasse, Rasse, Geschlecht, Körper. Die diskursive Thematisierung und Verbindung der Kategorien auf der symbolischen Repräsentationsebene hat mit theoretischen Problemen zu kämpfen, die je nach Kategorie unterschiedlich gelagert sind. Wie bereits beschrieben haben Kategorien wie Bildung, Beruf, Vermögen oder auch soziale Netzwerke ihre naturalisierten Bedeutungen weitgehend verloren. Diese Kategorien gelten als gesellschaftliche Positionen, die sich relational aufeinander beziehen und die Einzelne beeinflussen können, so die vorherrschende Ideologie. Gerade heutige neoliberale Entwicklungen betonen immer wieder aufs Neue die Eigenverantwortung eines jeden Individuums. Mit der Abkehr von einem zumindest vom Anspruch her sozialorientierten Wohlfahrtsstaat sind alle gefordert, sich permanent zu verändern, lebenslang zu lernen und sich selbst zu ernähren. In seinen Gouvernementalitätsstudien benennt Michel Foucault als zentralen Punkt der neoliberalen Regierungsrationalität das Modell der Selbstführung. Das Subjekt wird dazu aufgerufen, sich im Rahmen der Ökonomisierung des Sozialen als „Unternehmer seiner selbst“ (Foucault 2006: 314) zu entwerfen. Dabei wird in der politischen Ideologie des 54

THEORIE

Neoliberalismus überhaupt nicht in Frage gestellt, dass Märkte und Wettbewerbe die effektivsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handlungsfelder und Instrumente sind (Beck/Meine 2007: 9), selbst wenn die Fakten gegenwärtiger Finanz- und Wirtschaftskrisen eine andere Sprache sprechen. So ist nicht weiter erstaunlich, dass gesellschaftliche Diskurse immer wieder darauf verweisen, dass sich auch Erwerbslose aus eigener Kraft (wieder) in den Arbeitsmarkt integrieren können und auch prekär Beschäftigte Aufstiegschancen in eine so genannte Normalbeschäftigung haben. So ist die Meritokratie, die Herrschaft von Leistung, ein allgemein anerkanntes, performativ wirksames Prinzip und als Norm im Allgemeinwissen verankert.13 Wer wegen mangelnden Leistungswillens keinen Erfolg hat, verdient dieser Diktion zufolge keine gesellschaftliche Unterstützung. Deutlich anders sieht es mit den Kategorien Rasse und Geschlecht aus, deren Relationalität und Unterscheidbarkeit sich auf eine naturalisierte Differenz bezieht. Mit dieser Naturalisierung gewinnen diese beiden Kategorien ihre besondere Bedeutung für die Gesellschaft, da sie nicht hinterfragbar scheinen. Rassistische Argumentationen zielen darauf ab, „dass die Menschen ‚von Natur aus‘ ungleich und ungleichwertig seien, weshalb sie unterschiedliche gesellschaftliche Stellungen einnehmen müssten“ (Oswald 2007: 133). Solche Argumentationen stellen einen ideologischer Zusammenhang zwischen sozialen Ungleichheiten und spezifischen, meist auf körperliche Merkmale bezogene Eigenschaften von Personen her und ‚erklären‘ oder rechtfertigen damit diese Ungleichheiten. Obwohl Rassen nichts Natürliches, sondern etwas Imaginiertes sind, begreifen sich Menschen in hegemonialen Diskursen innerhalb einer ethnischen, nationalen, regionalen, weltanschaulichen oder religiösen Gruppe als ‚naturwüchsige‘ Community. Die zentrale Spaltung ist dabei die zwischen ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘, und daran wiederum hängen andere bewertete Differenzierungen wie etwa modern/vormodern, Zentrum/Peripherie, zivilisiert/unzivilisiert, Weiß/Schwarz, rational/emotional, triebbeherrscht/triebhaft, vernunftgeleitet/instinktgeleitet (Eickelpasch/Rademacher 2004: 84-86). Rassistische Ideologien oder

13 Die meritokratische Triade (bestehend aus Bildung, Beruf und Einkommen) spielt für die Legitimation sozialer Ungleichheiten eine Schlüsselrolle: „Die Qualifikation soll in eine entsprechende berufliche Position konvertierbar sein, die berufliche Position soll mit einem ihr angemessenen Einkommen ausgestattet sein – so will es die Leistungsideologie.“ (Kreckel 1992: 97) Um eine Ideologie handelt es sich, weil sie nicht auf die Förderung sachlicher Leistungsfähigkeit beschränkt bleibt, sondern gleichzeitig die Ungleichheit von Lebenschancen rechtfertigt. 55

INTERSEKTIONALITÄT

Argumentationsstränge nutzen die Zuschreibung von sozial konstruierten Unterschieden entlang von Kategorien wie Ethnie, Religion, Nationalität, Weltanschauung zur Hierarchisierung von Menschen und damit zur Ausgrenzung Einzelner oder ganzer Gruppen (Miles 1991). Die Funktion ist eine Erklärung sozialer Unterschiede trotz herrschender Gleichheitsideologie. Dabei gehen rassistische Argumentationen – seien sie im biologischen Rassismus, Rassismus ohne Rassen, Neorassismus, kulturellen Rassismus oder differenziellen Rassismus verortet – von einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Kulturen aus. Die konstruierte Differenz folgt dem Muster einer asymmetrischen Bezeichnungspraxis, eine als naturgegeben behauptete Differenz stützt den Herrschaftsanspruch.14 Damit lassen sich unter rassistische Ideologien all die Normen und Stereotype, Sprichwörter und Witze, Meinungen und Vorstellungen, künstlerischen und politischen Repräsentationen sowie Weltanschauungen verstehen, in welchen soziale Praxen durch den Hinweis auf die Über-/ Unterlegenheit angeblich natürlicher Rassen und damit auch kulturell und/oder ethnisch markierter Anderer legitimiert werden (vgl. Bader 1998: 108). Politik und Medien schaffen beispielsweise mit Begriffen wie ‚Wirtschaftsflüchtling‘ und Redeweisen wie ‚das Boot ist voll‘ ein Klima, nach dem ein konfliktfreies Zusammenleben nur bei einer verminderten Zahl von MigrantInnen möglich sei. Dazu ist eine Ideologie erforderlich, die erklären kann, dass bestimmte Gruppen nicht länger nach Deutschland einwandern dürfen. Dabei betonen radikale Positionen eines grundlegenden Ausschlusses von ZuwanderInnen die Toleranz des liberalen Mainstreams, der auf moderate rassistische Formen setzt. Rassistisch ist also vor allem die Logik der Argumentation. Während den rassistisch Ausgegrenzten mangelnde Anpassung an die ‚deutsche Leitkultur‘ vorgeworfen wird, können sich alle diejenigen, die sich zur Mehrheitsgesellschaft zugehörig definieren können, in der trügerischen Sicherheit wiegen, selbst durch ihre Zugehörigkeit zur EU vom wohlhabenden Westen zu profitieren.

14 Heute spricht man statt von einer natürlichen Ungleichheit verschiedener Rassen von der Unaufhebbarkeit kultureller Differenzen (Balibar/Wallerstein 1990: 28). Der Effekt ist der gleiche, nämlich die Reduktion des Individuums darauf, eine ausgegrenzte Totalität zu repräsentieren. Eine häufig wiederholte Figur der Argumentation lautet beispielsweise, Personen mit einem nicht-deutschen ethnischen Hintergrund könnten oder wollten sich aufgrund ihrer ‚Abstammung‘ nicht an die ‚deutsche Leitkultur‘ anpassen. 56

THEORIE

Noch weniger hinterfragbar als eine angeblich natürliche Rasse erscheint die Natürlichkeit von Geschlecht, genauer: der Zweigeschlechtlichkeit und daran geknüpft der Heterosexualität (Degele 2005). Bei dieser Annahme handelt es sich vermutlich um den härtesten Stabilitätskern des Alltagswissens. Sie ist „in unserem Kulturkreis definitiv und (fast) unwiderruflich festgelegt“ (Gottschall 2000: 215). So wird verständlich, dass nichts mehr verunsichert, als nicht zu wissen, ob es sich bei dem Gegenüber um einen Mann, eine Frau oder eine Person mit anderer Geschlechtszuordnung handelt. In einer gesellschaftlichen Landschaft zunehmender Verunsicherung, geforderter Flexibilität und Leistungsbereitschaft gewinnen die Inszenierungen ‚des natürlichen Unterschieds‘ wieder an Bedeutung. Die verstärkte Naturalisierung eines Geschlechterunterschieds kommt gerade Recht, scheint es doch wenigstens dort noch Gewissheiten zu geben, auf die sich Individuen verlassen können. Denn wenn sich so vieles wandelt und immer mehr zerbricht, Arbeitsplätze, Renten und Umwelt nicht mehr sicher sind, bleiben mit dem geschlechtlichen Körper doch noch vermeintlich letzte Sicherheiten. Dies erklärt auch die Popularität biologistischer Erklärungsmodelle, die hemmungslos in verstaubten Kisten Mammut jagender Männer und Probleme wälzender Frauen in Steinzeithöhlen wühlen.15 Neben binärer Zweigeschlechtlichkeit und sexueller Orientierung ist auf der Ebene der symbolischen Repräsentationen auf den Aspekt der Generativität zu achten, weil diese Kategorie vor allem auf der Bedeutungsebene als Legitimation zur Konstruktion von Geschlechterdifferenzen Verwendung findet. So gibt es unendliche Stereotype, welche Aufgaben Müttern obliegen. Unabhängig ob sie wie in fordistischen Zeiten sich möglichst umfassend um die Erziehung der Kinder kümmern sowie die Haushaltsarbeit für die gesamte Familien übernehmen oder heute als post-fordistische Alltags-Managerin Beruf, Erziehung der Kinder, Pflege der Alten und vieles mehr zusammenbringen sollen: In beinahe jedem Kontext spielen stereotype Bilder von Müttern beziehungsweise dem Gegenpart der Kinderlosen mit ihrer fehlenden sozialen Verantwortung eine bedeutsame und disziplinierende Rolle. Mit den diskursiven Beschreibungen rund um Körper verhält es sich deutlich anders, obwohl Diskussionen um körperliche Eigenschaften zunächst sehr viel mit den auf Körperlichkeit bezogenen Auseinandersetzungen zu Geschlecht und Rasse gemeinsam haben. Öffentliche Debatten verweisen hier allerdings nicht auf die Naturhaftigkeit der Körper,

15 Ein gutes Beispiel dafür liefert die Gehirnforschung, die mit immer neuen und methodisch nicht haltbaren Geschlechterunterschieden von Gehirnen aufwartet (zur Darstellung und Kritik vgl. Schmitz 2006). 57

INTERSEKTIONALITÄT

wie bei Geschlecht und Rasse, sondern fokussieren – vielleicht primär aus Vermarktungs- oder Einsparungsinteressen – derzeit verstärkt auf die Gestaltbarkeit und Veränderbarkeit von Alter, Leistungsfähigkeit und Aussehen. Prophylaxe, Sport und die Sorge um sich selbst ermöglichen es, so das wiederkehrende Credo, Jungsein bis ins numerisch hohe Alter zu verlängern. In diesem Sinn haben sich Diskurse um Körper von denen um Geschlecht und Rasse gelöst und nähern sich den Leistungsdiskursen meritokratischer Klassenideologien an. Körper dienen als Symbol zur Inszenierung von Status. Nicht nur Schönheitsoperationen (Villa 2008) und Wellness (Duttweiler 2005) sind beliebte Thema für Massenmedien geworden. So bastelt der deutschsprachige STERN aus dem gegenwärtigen Hype um den Körper ganz im Trend der Zeit eine Geschichte mit dem Titel „Stärker, gesünder, klüger. Die heilende Kraft des Sports“ (Carmichael 2007). Dort führt eine 32-jährige Mathematikerin in einem Versicherungskonzern ihre Produktivität und Tüchtigkeit auf ihr regelmäßiges Schwimmtraining zurück: „Ich kann mir im Leben Ziele setzen, Ehrgeiz entwickeln, mich motivieren und systematisch auf einen bestimmten Punkt hin arbeiten.“ (Ebd.: 151) Die Botschaft ist eindeutig: Sportlichkeit ist zu einem gesellschaftlichen Leitwert geworden (vgl. Kaschuba 1989), und alle Einzelnen haben die entsprechende Sorge und Verantwortung zu tragen, sich fit zu halten. Letztendlich, so die neoliberale Botschaft, ist jedes Individuum für sich selbst verantwortlich. Also gilt es die eigenen Körper so zu formen und zu gestalten, dass sie den Anforderungen gerecht werden. Dies schlägt sich auch in Debatten um Doping (Geipel 2008), Neuro-Enhancement (Schaper-Rinkel 2009) und Optimierung (Ach/Pollmann 2006) nieder. Armut aufgrund einer mangelnden Eigenvorsorge und Disziplin gilt als selbst verschuldet. Gefordert ist eine gesunde Lebensführung. Selbstverständlich kommen all die nur exemplarisch aufgeführten Kategorien, die als ideologische Konstrukte dienen, je nach Kontext in verschiedenartigen Zusammensetzungen vor. Beispielsweise steckt in ‚alte Schrulle‘ zweierlei. Die Person wird nicht nur als alt und verschroben gebrandmarkt, sondern ist selbstverständlich auch weiblich. Also sind es Frauen, denen in heteronormativer Zuordnung ein entsprechender Mann fehle. Aufgabe einer intersektionalen Mehrebenenanalyse ist deshalb, die Wechselwirkungen von unterschiedlichsten Kategorien auf der symbolischen Repräsentationsebene herauszuarbeiten. Die Repräsentationsebene ist für die Bildung und Aufrechterhaltung ungleichheitsgenerierender Kategorien keineswegs ein bloßes Addendum. Symbolische Repräsentationen wirken sowohl als Ideologien und Normen der Rechtfertigung für Ungleichheiten wie auch als Sicherheits58

THEORIE

fiktion struktur- wie auch identitätsbildend. Auf letzteres, nämlich die Identitätskonstruktionen mithilfe verschiedenartigster Kategorien, gehen wir im Folgenden näher ein.

2.3 Identitätskonstruktionen Auf die Verwobenheit von Kategorien bei der Konstruktion von Identitäten verweist der doing difference Ansatz, nämlich dass Geschlecht „gleichzeitig mit Ethnie und Klasse entsteht und wirkt. Erst wenn man die Konstruktion von Geschlecht, Klasse und Ethnie als simultane Prozesse begreift, wird es möglich zu erkennen, dass die Relevanz dieser Ordnungsmuster je nach Interaktions-Kontext variieren kann.“ (Fenstermaker/West 2001: 237) Dies muss allerdings auch Prozesse des Irrelevantmachens von Kategorien einschließen, wie es Hirschauer (2001) oder Deutsch (2007) für Prozesse des Undoing Gender aufgezeigt haben. Identitätskategorien, also Kategorien, die ein Verhältnis zu sich selbst bestimmen (vgl. Maihofer 2002: 25), können für Individuen in bestimmten Lebenssituationen also auch keine oder eine nachgeordnete Rolle spielen. Identität unterscheidet zwischen dem Selbst und dem Anderen – ob aufgrund von Sprache, Territorialität, Geschlecht oder anderem. Gemeint ist der „Prozess der Sinnkonstruktion auf der Grundlage eines kulturellen Attributes oder einer entsprechenden Reihe von kulturellen Attributen, denen gegenüber anderen Quellen von Sinn Priorität zugesprochen wird“ (Castells 2003: 8). Aufgrund fortschreitender Individualisierungsprozesse macht es dabei freilich keinen Sinn, die Kategorien auf Geschlecht, Klasse und Ethnizität zu begrenzen.16 Als Konsequenz muss ein Intersektionalitätsansatz die Anzahl der für die Analyse zur Verfügung stehenden und erforderlichen Kategorien auf dieser Untersuchungsebene prinzipiell offen halten. Dabei gehen wir von der Analyse aus, dass in der Spätmoderne und noch zugespitzter unter derzeitigen neoliberalen Vorzeichen fixe Zuordnungen an Stabilität verlieren und unterschiedlichste Brüche und Widersprüche zu beobachten sind. In dieser Situation versuchen Individuen, mit verstärkten Rückgriffen auf traditionelle und/oder neuartige Differenzierungslinien durch Abgrenzung von Anderen Unsicherheiten zu vermindern und eigene Sicherheiten zu erhöhen. 16 Das ist gar nicht mal so neu. Bereits vor einem Jahrhundert wies ein Soziologe der ersten Stunde, nämlich Georg Simmel (1968), darauf hin, dass eine Beschreibung auf der Ebene interaktiv hergestellter Identitäten umso aussagekräftiger wird, je genauer sich ein Individuum im Schnittfeld verschiedener Kategorien positionieren lässt. 59

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So hängt beispielsweise der Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt nicht nur von Formalqualifikationen ab, sondern auch davon, wie es Einzelnen gelingt, sich als gebildet, sozial kompetent, jung und vieles mehr zu präsentieren. Dies hat enorme Auswirkungen auf die Konstruktionen des eigenen Selbst im Alltag. Denn bei einem Kampf aller gegen alle, bei dem die Orientierung auf einen gut dotierten und sicheren Erwerbsarbeitsplatz stabil bleibt, werden diejenigen ausgegrenzt, die sich nicht entsprechend konstruieren können, also ‚Alte‘ oder ‚Berufsunterbrecher‘ oder ‚Mütter‘. Diese und andere (vermeintlich) weniger flexible oder weniger angepasste Identitäten werden als Abgrenzungsfolie für besser passende Identitätskonstruktionen benutzt. Ferner sind Abwertungen von Ausgegrenzten ohne nationalstaatlich abgesicherte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis auf diesem Hintergrund zu interpretieren. Vor allem rassistische Ausgrenzungspraxen entlang den Kategorien nationalstaatliche Zugehörigkeit, Ethnizität und Religion haben an Bedeutung gewonnen: Der Prozess der „Rassifizierung“ basiert auf einer asymmetrischen Bezeichnungspraxis (Singer 1997: 45), bei der die Bezeichnenden sich selbst als Maßstab einbringen. Die beiden Seiten sind aufeinander verwiesen, die Konstitution des Selbst erfolgt über die Abgrenzung von Anderen mit dem Ergebnis, dass Letztere sich selbst als Andere wahrnehmen (Hall 1994: 30). Die Definition von Zugehörigkeit und Konstruktion von Identität ist freilich nicht auf Ausgegrenzte beschränkt. Auch ‚Integrierte‘ bilden durch die Wahrnehmung der Anderen als Andere ihr eigenes Selbst und stellen damit Zugehörigkeit her. Dies vermittelt Integrierten wie auch Ausgegrenzten Sicherheit. Die sich wandelnde Bedeutung von MannFrau-Unterscheidung und sexueller Orientierung demonstriert vielleicht am eindrücklichsten die Notwendigkeit von Sicherheitskonstruktionen und -fiktionen. Denn einerseits sind die Optionen vielfältiger geworden: Geschlechtswechsel wie auch ein Leben zwischen Geschlechtern sind grundsätzlich möglich, wenngleich GeschlechtsmigrantInnen (vgl. Hirschauer 1993: 351) mit erheblichen gesellschaftlichen Sanktionen zu rechnen haben; homosexuelle Lebensformen gehören zumindest in Westeuropa weitgehend zum gesellschaftlich akzeptierten Tatbestand. Gayle Rubins (2003) vor 20 Jahren noch zutreffende Theorie der sexuellen Stratifizierung mit der plakativen Gegenüberstellung ‚guter‘ (= gegengeschlechtlicher) Sexualität unter Verheirateten versus ‚schlechter‘ (= gleichgeschlechtliche) Sexualität (mit oder zwischen Transsexuellen, Transvestiten, FetischistInnen, SM-Praktizierenden, SexarbeiterInnen, und/oder PornodarstellerInnen) stimmt in dieser Schärfe nicht mehr. Dennoch ist es für den Verkauf der Arbeitskraft und die eigene soziale

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Positionierung nach wie vor wichtig, sich eine Identität ‚zuzulegen‘, die in die bipolare, heterosexuelle Geschlechtskonstruktion passt. Gleichzeitig verweist die Kategorie Generativität sowohl auf eine virulente Spaltung zwischen Müttern und Nicht-Müttern wie auch zwischen Müttern und Vätern auf dem Arbeitsmarkt. Gerade wenn Menschen in familiären Zusammenhängen Kinder erziehen, sind geschlechtliche und sexuelle Identitäten in ihren Handlungspraxen durch massive Widersprüche geprägt, wie sie Angelika Wetterer (2003) treffend mit dem Begriff der rhetorischen Modernisierung belegt. Beispielsweise gilt es nicht mehr als politisch korrekt, wenn Frauen den Beruf aufgeben, sobald ein Paar ein Kind erwartet. Aus diesem Grund verkaufen Frauen heute – und das ist Teil der Rhetorik – ihre Entscheidungen als Ergebnis freier Wahl und nicht von Zwang, auch wenn bei der Teilung der Hausarbeit vor allem in den individualisierten Milieus unter dem Strich alles beim Alten bleibt (Koppetsch/Burkhard 1999). Damit ziehen letztlich doch wieder vor allem Frauen die schlechteren Karten. Individuen suchen also einen Gewinn von Sicherheit in unsicheren Zeiten auch und vor allem in vermeintlich Bewährtem (wie der Konstruktion der treusorgenden Ehefrau) und damit in heteronormativen institutionalisierten Beziehungsformen – die hohen Wiederverheiratungsquoten nach Scheidungen sprechen dafür. Auch körperliche Zuschreibungen über Kategorien wie Alter, Leistungsfähigkeit, Gesundheitszustand und Attraktivität gewinnen in neuer Form an Bedeutung. Bei Verunsicherungen auf allen Ebenen wächst der Druck, das wichtigste Mittel, das ein Mensch zur Reproduktion seiner Arbeitskraft und damit zur eigenen Lebensabsicherung einsetzen kann, zu tunen. Es kommt zu ausgeprägter Eigenverantwortung für die umfassende körperliche Leistungsfähigkeit und damit verbunden das Aussehen, das möglichst jung und attraktiv zu sein hat. Deutlich wird dies darin, dass eine wachsende Anzahl von Menschen mit viel Zeit, Energie und Finanzmitteln versucht, ihre Körper fit, gesund und attraktiv zu halten, wie es etwa in der Zunahme von Fitnessangeboten und Schönheitsoperationen sichtbar wird (vgl. Sobiech 2004). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es bei Identitätskonstruktionen entlang verschiedenartiger Differenzkategorien erstens um die Verminderung von Unsicherheiten in der eigenen sozialen Positionierung durch Ab- und Ausgrenzung von Anderen, und zweitens um die Erhöhung von Sicherheit durch Zusammenschlüsse und eine verstärkte Sorge um sich selbst geht – womit Individuen nicht nur selbst nach Absicherung (zu) streben (versuchen), sondern auch ein umfassendes und vielfältiges Differenzierungssystem aufrechterhalten.

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Dabei spielen Naturalisierungen und Hierarchisierungen eine wichtige Rolle. Deutlich wird dies vor allem bei Diskursen rund um Rasse und Geschlecht. Denn auf der Grundlage hierarchisierter Differenzkategorien konstruieren Individuen nicht nur unterschiedlichste Identitäten, sondern reproduzieren gleichzeitig hegemoniale symbolische Repräsentationen und hierarchisierte materialisierte Strukturen. Geschieht dies unter Rückgriff auf Naturalisierungen, dockt dies ebenso an vermeintlich sicheres wissenschaftliches wie auch an Alltagswissen an, verleiht Identitäten, Strukturen und Repräsentationen zusätzliche Glaubwürdigkeit und festigt letztlich die Reproduktion des Gesamtsystems.

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3 METHODOLOGIE: PRAXEOLOGISCHER INTERSEKTIONALITÄTSANSATZ

In diesem Kapitel wollen wir unser methodologisches Vorgehen schrittweise erläutern. Dazu begründen wir zunächst, warum wir die Verbindung der drei Analyseebenen über einen an Pierre Bourdieu angelehnten praxeologischen Ansatz für sinnvoll halten (Kap. 3.1). Dann entwickeln wir ein Modell von Wechselwirkungen und stellen dar, wie wir ein Ineinanderwirken der drei Ebenen analysieren können (Kap. 3.2). Schließlich konkretisieren wir die einzelnen methodischen Schritte einer intersektionalen Analyse (Kap. 3.3). Am Ende des Kapitels soll ein Werkzeugkasten zur Verfügung stehen, um damit ins empirische Feld zu gehen – was wir im darauf folgenden vierten Kapitel tun wollen.

3.1 Verbindung der Ebenen über soziale Praxen Die Verbindung der verschiedenen Ebenen erläutern wir anhand sozialer Praxen von Individuen. Mit Bourdieus Theorie der Praxis gehen wir davon aus, dass der Ausgangspunkt und Gegenstand der Soziologie die sozialen Praxen sein sollten, die einer empirischen Untersuchung zugänglich sind. Bourdieus Überlegungen zu einer Theorie der Praxis eignen sich aus folgenden drei Gründen als methodologische Grundlage einer intersektionalen Gesellschaftsanalyse. Erstens legen sie eine empirisch gesättigte Theoriekonstruktion nahe, die zweitens in die methodischen Postulate der Relationierung und Kontextualisierung mündet und drittens – so unsere Leseweise – Praxen sozialer Positionierung im Schnitt-

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feld von Identitätskonstruktionen, sozialen Strukturen und symbolischen Repräsentationen verortet. Bourdieu wendet sich entschieden gegen Theorien, in denen die Praxis nicht mehr zu erkennen ist: Theorie dürfe niemals um ihrer selbst Willen entwickelt werden, sondern müsse immer Mittel des wissenschaftlichen Umgangs mit Praxis sein – und sie müsse der Logik der untersuchten Praxis folgen. Bourdieu zufolge ist diese im Gegensatz zur Logik der Wissenschaft durch Widersprüche, fehlende Handlungsentlastung und Unumkehrbarkeit gekennzeichnet; Widersprüche sind konstitutiv für das Soziale (vgl. dazu Bourdieu 1987: 742; Bourdieu 1993: 25f., 148; Meier 2004; Schirmer 2005). So fordert Bourdieu eine Theorie der Praxis, die die scharfe Trennung von Empirie und Theorie überwindet (Bourdieu/Wacquant 1996: 116, 172) und damit der Praxis mit ihrer eigensinnigen Logik gerecht werden soll. Eine solche Theorie der Praxis beruht auf Selbstreflexivität, wie sie Bourdieu für den gesamten Forschungsprozess einklagt (Bourdieu 1998: 205-210), auf dem Primat des empirischen Gegenstands (ebd.: 14) und auf dem Anliegen, unterschiedliche Analyseebenen miteinander zu verbinden (Bourdieu 1976: 139202; Bourdieu 1993: 7-33, 147-180). Dahinter steht eine intersektionalitätstheoretisch wichtige Einsicht: Nicht alles ist klassifizierbar, theoretische Kategorien sind nicht unbedingt Kategorien der Empirie. Das wiederum bedeutet, empirische Analysen nicht mit theoretischen Konzepten, sondern mit sozialen Praxen beginnen zu lassen. Konkret heißt das in unserem Fall, dass wir den Zusammenhang von Klassen-, Geschlechter-, Rassen- und Körperverhältnissen sehr wohl im Blick haben, unbeeindruckt davon aber mit der Analyse im Alltag von Menschen beginnen: Um welche Probleme, Themen und Fragen organisieren sie ihr alltägliches Tun? Welche Differenzierungskategorien nutzen sie zur Darstellung und Konstruktion ihres Alltags? Wir setzen also an „Praktiken der Unterscheidung“ (Wacquant 2001: 72) an, mit denen AkteurInnen zunächst sich selbst darstellen und ihre Identitäten konstruieren. Darauf aufbauend analysieren wir Strukturen und Repräsentationen, die diese Praxen fortschreiben und aus ihnen resultieren. Mit einem solchen Vorgehen schließen wir uns gleichzeitig Bourdieus Forderung nach einem strikt relationalen Vorgehen an (Bourdieu/Wacquant 1996: 37, 258-269; Bourdieu 1998: 15). Das bedeutet, dass sich keine soziale Tatsache aus ihrem singulären Sosein erklären lässt, jedes Element wird vielmehr durch die Beziehungen zu anderen Elementen charakterisiert. Je nach spezifischer Logik der untersuchten Felder sind deshalb unterschiedliche Eigenschaften relevant. Erst durch Relationieren, d.h. durch die Spezifizierung der Kontexte, innerhalb derer ein Phänomen zu beobachten ist, lässt sich seine Funktion und Be64

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deutung erschließen. Genau deshalb macht sozialwissenschaftliche Theoriearbeit – und das gilt auch für theoretische Überlegungen zur Intersektionalität – nur mit Bezug auf empirische Fragen Sinn. Relationierend vorzugehen ist nicht leicht. Denn sowohl im Alltag wie auch in der Wissenschaft haben wir gelernt, mehr in Substanzen als in Prozessen und Relationen zu denken. Das hat viel mit unserer Sprache zu tun (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996: 263): ‚Männer‘ und ‚Frauen‘ statt ‚Geschlechterverhältnisse‘, ‚Geschlecht‘ statt ‚vergeschlechtlichen‘ sind Beispiele für Wahrnehmungs- und Denkgewohnheiten, die vor allem in Substanzbegriffen ihren Ausdruck finden. Dabei erfolgt die alltägliche Wahrnehmung insbesondere als Differenzierung – und diese ‚am liebsten‘ in dichotomen Begriffspaaren (Bourdieu 1987: 746f.). Das macht die Sache nicht einfacher, aber auch nicht hoffnungslos, da sich auch dichotome Begriffskonstruktionen kontextualisieren und relationieren lassen. Denn „[s]eine volle Bedeutung gewinnt das einzelne Begriffspaar stets nur in einem spezifischen Verwendungszusammenhang, im Kontext eines immer wieder anderen Gegenstandsbereichs (univers de discours), der zumeist nicht thematisch wird“ (ebd.: 733). Es kommt darauf an, die Klassifizierungen in einem bestimmten Kontext zueinander in Beziehung zu setzen und damit das spezifische Gegensatzpaar1 erst mit Sinn zu versehen. So lässt sich ‚Männlichkeit‘ nur in Abgrenzung zu ‚Weiblichkeit‘ bestimmen, das gleiche gilt umgekehrt (vgl. Bourdieu 2005: 90-96). Solche Abgrenzungen nun sind Mechanismen, genauer Praxen der sozialen Positionierung in konkreten Verwendungszusammenhängen. Was heißt das? Mit sozialer Positionierung ist ursprünglich ein gesprächsrhetorisches Konzept gemeint. Dabei geht es um sprachlich-interaktive Aktivitäten der sozialen Zuordnung im Gespräch, mit denen SprecherInnen ihre Handlungsbedingungen kontrollieren (Wolf 2000: 69f.). Im hier interessierenden erweiterten Sinn geht es bei sozialen Positionierungen um den ‚Kampf‘ beziehungsweise Anspruch auf einen bestimmten sozialen Status, den AkteurInnen interaktiv durchzusetzen versuchen.2 Die soziale Welt wiederum setzt sich „aus sehr konkret benennbaren, einzelnen, dabei aber miteinander verflochtenen Praktiken (im Plural)“ (Reckwitz 2003: 289) zusammen. In Anlehnung an Bourdieus Theorie der Praxis 1

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In der Begriffssprache der Dekonstruktion wäre der entscheidende zweite Teil des Gegensatzpaares das ‚Verworfene‘, ‚Ausgeschlossene‘, das in den Diskurs zurückgeholt wird. Das scheint auch Bourdieu zu meinen, wenn er symbolisches Kapital als Chance konzipiert, soziale Anerkennung und Prestige zu gewinnen und zu erhalten – durchaus in einem existenziellen Sinn (Bourdieu 1998: 108; Bourdieu 2001: 309f.). 65

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verstehen wir unter sozialen Praxen (wir verwenden diesen Begriff gleichbedeutend mit Praktiken) das auf Körper und Wissen basierte Tun von Handelnden – das auch Sprechen einschließt (Bourdieu 1976: 164f.). Die Praxistheorie betont damit die Körperlichkeit von Praxen als routinisierte Bewegungen und Aktivitäten. Dies umfasst die Inkorporiertheit von Wissen wie auch die Performativität des Handelns und geht über explizierbare kognitive Regeln hinaus. Ein solches Verständnis von Praxis ist deshalb nicht auf die routinisierte Ausführung einer bestimmten Handlung zu begrenzen, sondern bezieht sich vor allem auf „die routinierte Auswahl (im nicht-intentionalen Sinne) einer Praktik, jene Entscheidung für eine (Handlungs-)Strategie“ (Meier 2004: 61). Auch finden soziale Praxen nicht in einem luftleeren Raum statt, sondern konstruieren Identitäten, Strukturen und Repräsentationen ebenso wie sie von diesen hervorgebracht werden. An dieser Stelle sind einige erklärende Worte zum Zusammenhang von Praxen als dem von uns gewählten theoretischen Bezugsrahmen und Diskursen als der theoretischen Grundlegung von Theorien zur Repräsentation sinnvoll. Wir beziehen uns dabei auf Andreas Reckwitz (2008), der in einem instruktiven Aufsatz diese beiden sozial- und kulturwissenschaftlichen Welten miteinander ins Gespräch bringt. Reckwitz betrachtet Praxis- und Diskurstheorie als zwei konträre Fundierungsstrategien, in deren beider Vokabular der Leitbegriff der anderen Theorie in der eigenen lediglich als (sekundäres) Phänomen vorkommt. Ein wechselseitiges Missverstehens ist damit programmiert: „Aus praxeologischer Sicht stehen die Diskurstheoretiker unter dem Verdacht, den Intellektualismus zu stützen, aus diskurstheoretischer Perspektive scheinen die Praxeologen latent einer Basis-Überbau-Unterscheidung nachzuhängen“ (ebd.: 194). Gleichzeitig existiert aber eine Interferenz der Methoden (Praxis- und Diskursanalyse), was sich vor allem beim Umgang mit historischem Material zeigen lässt.3 Daraus wiederum leitet Reckwitz

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In der Gegenwart lassen sich Praktiken (etwa über Teilnahme) noch beobachten, in der Vergangenheit aber nicht mehr oder nur noch vermittelt. An ihre Stelle treten dann zeitgenössische schriftliche Praxisbeschreibungen, Egodokumente oder Artefakte (wie etwa Gebäude). Hier liegt der Bezug zur Diskursanalyse auf der Hand, denn diese ist stärker auf historisches Material hin ausgerichtet. Sie minimiert das Problem der Datenerhebung, indem diese mit Datenauswertung nahezu zusammenfällt: Die Daten müssen nicht erst erhoben werden, sondern sind schon da, das Problem besteht eher in der Selektion. Reckwitz vermutet richtig, „daß die Attraktivität der Diskursanalyse in den Kulturwissenschaften auch mit dieser scheinbaren methodischen Problemlosigkeit des Datenzugangs zusammenhängt“ (Reckwitz 2008: 199). Die Konvergenz liegt nun darin, dass die Forschungspraxis der Praxeologie „Züge einer Analyse von histori-

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zwei Anforderungen für Praxis/Diskurs-Formationen jenseits der Praxis/Diskurs-Differenz ab. Erstens geht es um eine dekonstruktivistische Sensibilisierung für Instabilitäten, d.h. Praktiken und Diskurse lassen sich als zwei aneinander gekoppelte Aggregatzustände der materialen Existenz von kulturellen Wissensordnungen begreifen – und nicht als Gegensätze. Zweitens kann man in Diskursen auch Praktiken der Repräsentation sehen, d.h. Praktiken, „in denen Objekte, Subjekte und Zusammenhänge auf eine bestimmte, regulierte Weise dargestellt werden und in dieser Darstellung als spezifische sinnhafte Entitäten erst produziert werden“ (ebd.: 203). Ein Diskurs ist dann „eine spezifische Beobachterkategorie, welche Zeichen verwendende Praktiken unter dem Aspekt ihrer Produktion von Repräsentationen betrachtet“ (ebd.: 203). So lässt sich eine Diskussion zwischen Angestellten am Arbeitsplatz zum einen als face-to-face-Konstellation rekonstruieren, zum anderen aber liefert sie auch ein Bild, wie die Welt auf der Ebene der Propositionen repräsentiert wird und wie diese Repräsentationen strukturiert sind. Quintessenz also: In kombinierten Praktiken- und Diskursanalysen werden in der Verstreutheit der Handlungen und der unterschiedlichen Dokumente schrittweise kulturelle Ordnungen sichtbar – wenn man sie klug aufeinander bezieht. Mit Blick auf die Verwobenheit von Praxen und Diskursen analysieren wir soziale Praxen in Form von Handlungen einschließlich sprachlicher Interaktionen und untersuchen die dort vorfindbaren Differenzierungskategorien vor allem in ihren Wechselwirkungen. Ausgehend vom empirischen Handeln und Sprechen von Personen fragen wir nach den Identitäten, die sie herstellen sowie Strukturen und Normen, auf die sie rekurrieren. Wir beginnen also mit der Perspektive der AkteurInnen. Methodisch heißt das, bei Praxen anzufangen und dann zu relationieren: Auf welche Kategorien beziehen sich die AkteurInnen bei ihren Subjektivierungsprozessen? Welche Normen, Leitbilder und Deutungsmuster sind bei ihnen (unbewusst) wirksam? In welche strukturellen Zusammenhänge ist ihr Handeln eingebettet? Mit solchen Fragen gilt es, die drei Untersuchungsebenen zueinander in Beziehung zu setzen und dabei die Wechselwirkungen verschiedener Differenzkategorien nicht aus den Augen zu verlieren.

schen Dokumenten an[nimmt], die sie in die Nähe der Diskursanalyse – mit all ihren Problemen bringt. Umgekehrt gilt: Jene der Diskurstheorie strebt selber auf die Seite der Analyse sozialer Praktiken, eines ‚Kontextes‘ jenseits des ‚Textes‘ hin.“ (Ebd.: 200) 67

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3.2 Modell von Wechselwirkungen Die Aufgaben zur Analyse von Ungleichheiten und Diskriminierungen auf der Struktur-, Repräsentations- und Identitätsebene sind unterschiedlich, vielleicht sogar diametral gelagert, nämlich Komplexitätsreduktion einerseits (Struktur) versus Komplexitätserhöhung andererseits (Repräsentation und Identität). Deshalb beziehen wir uns auf der Strukturebene auf die vier Kategorien Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper, mit denen wir strukturelle Herrschaftsverhältnisse untersuchen können. Im Gegensatz zur Strukturebene ist es auf der Identitäts- und Repräsentationsebene wenig hilfreich, eine feste und nicht erweiterbare Anzahl von Kategorien vorzugeben. Damit sind zwei Vorteile verbunden: Erstens gelingt auf diese Weise die Verbindung von theoriegeleiteter und explorativer Sozialforschung, zweitens sorgt die Kombination von induktivem und deduktivem Vorgehen für ein kontrolliertes Vorgehen. Um das Ziel einer gleichermaßen theoriegeleiteten wie auch explorativen Sozialforschung zu erreichen, betrachten wir Theorien als „heuristische Werkzeuge, um sich Gegenstandsbereiche zu erschließen und um Beobachtungen in eine theoretische Sprache zu übersetzen“ (Kelle 2008: 313). Dazu einige Erläuterungen: Beim klassischen hypothetikodeduktiven (HD-)Modell müssen oft (wie etwa bei der Rational ChoiceTheorie) Brückenannahmen eingeführt werden, die zu einer sinkenden Konsistenz der Theorie führen. Das hat mit der Logik der Praxis und sozialer Kontingenz zu tun: Kontingent ist ein soziales Phänomen, welches prinzipiell auch anders möglich ist. Zahlreiche soziale Ordnungen sind in diesem Sinn „weder notwendig [...] noch unmöglich“ (Luhmann 1984: 153). Umgekehrt emergieren Theorien aber auch nicht aus Daten – auch für eine explorative Forschung sind theoretische Vorannahmen erforderlich (und ohnehin nicht vermeidbar). Deshalb ist die empirisch begründete Theoriebildung nach wie vor ein methodologisches Desiderat. Entsprechend sollte eine empirische Forschung kontingente, theoretisch nicht vollständig vorhersagbare Prozesse und Strukturen in den Blick nehmen. Mit unserem Modell von Intersektionalität plädieren wir für eine solche Kombination von überraschungsoffener und theoriegeleiteter Forschung. Konkret meinen wir damit eine Verbindung induktiver und deduktiver Verfahren: Die Untersuchung muss offen sein für Überraschungen, d.h. jedwede Kategorie kann relevant sein oder auch nicht – sie muss diese Relevanzen aber auch sehen können. An ein ähnliches Modell scheint Udo Kelle zu denken – er bedauert keineswegs, dass sich aus dem Kern einer Theorie nicht ohne Weiteres empirisch prüfbare Hypothesen deduktiv ableiten lassen: „Empirisch gehaltlose Theoreme 68

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lassen sich nämlich als ein theoretisches Raster verwenden, das sukzessive anhand empirischer Beobachtungen aufgefüllt werden kann, um Theorien kurzer und mittlerer Reichweite, die Phänomene in konkreten Handlungsfeldern erklären, empirisch begründet zu konstruieren.“ (Kelle 2008: 330) Heuristiken müssen und sollen gar keinen hohen empirischen Gehalt haben, wohl aber müssen sie theoretisch begründet sein. Im Fall unserer vier Strukturkategorien haben wir dazu zum einen die bislang in der Forschung thematisierten und elaborierten Ungleichheitsdimensionen aufgearbeitet. Zum anderen haben wir die Strukturkategorie Körper erstens über Gesellschaftstheorien begründet, die Eigenleistung, Selbstdisziplinierung und Autonomie in den Vordergrund stellen, und zweitens über Körpertheorien, die technische, medizinische und biopolitische Machbarkeit betonen. Die Abgrenzung zu den ebenfalls körpergebundenen Kategorien Rasse und Geschlecht schließlich erfolgte über die Strukturähnlichkeiten von Körper und Klasse, die beide sozialstrukturellen Steigerungs- und Optimierungsimperativen unterworfen sind. Die Verbindung zahlenmäßig begrenzter Strukturkategorien mit anzahloffenen Identitäts- und Repräsentationskategorien lässt sich als Wechselspiel deduktiver (theoriegeleiteter) und induktiver (überraschungsoffener) Vorgehensweisen rekonstruieren. Durch theoriegeleitete Vorgaben wird es möglich, unbenannte (weil selbstverständliche und deshalb nicht thematisierte) Positionen, oft die hierarchisch oben positionierte Seite wie männlich, heterosexuell, nicht-behindert oder Weiß, aufzuspüren. Gleichzeitig können auf der Identitäts- und Repräsentationsebene immer auch zusätzliche Differenzkategorien auftauchen, die es bei der Auswertung des empirischen Materials zu berücksichtigen gilt. Dieser methodologische Gewinn könnte sich auch längerfristig bezahlt machen. Denn vielleicht sind es ja gerade auf diesen beiden Ebenen neu entstehende Differenzierungen, die gesamtgesellschaftlich erst mittelfristig auf der Strukturebene relevant werden. Der gewählte Fokus auf Verbindungen (zwischen Theorie und Empirie, zwischen Deduktion und Induktion) ist nicht zuletzt der Prozesshaftigkeit von Sozialität, also der untersuchten Gegenstände geschuldet. Denn Herrschaftsverhältnisse (wie Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen) materialisieren sich in Strukturen, sind aber gleichzeitig von Menschen gemacht. Gesellschaft ist an das Handeln von Menschen gebunden, dieses geschieht unter bestimmten Bedingungen und hat Wirkungen zur Folge. Denn – hier beziehen wir uns auf Bourdieu (1976) und Giddens (1995) – die AkteurInnen sind es, die gesellschaftliche Strukturen beständig herstellen und reproduzieren.

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Giddens zufolge sind menschliche Handlungen rekursiv und das heißt, „daß sie nicht durch die sozialen Akteure hervorgebracht werden, sondern von ihnen mit Hilfe eben jener Mittel fortwährend reproduziert werden, durch die sie sich als Akteure ausdrücken. In und durch ihre Handlungen reproduzieren die Handelnden die Bedingungen, die ihr Handeln ermöglichen.“ (Giddens 1995: 52) Dieses Handeln muss noch nicht einmal bewusst sein. Es ist aber ein praktisches Wissen, das sich auf Regeln („verallgemeinerbare Verfahren [...], die in der Ausführung/ Reproduktion sozialer Praktiken angewendet werden“ (ebd.: 73)) und Ressourcen („Strukturmomente, auf die sich die bewußt handelnden Subjekte in der Produktion ihres Handelns beziehen und diese auch reproduzieren“ (ebd.: 67)) bezieht. Bei Bourdieu ist es der Habitus als inkorporiertes System von Dispositionen (vgl. Kap. 1.3), das die Ausformung sozialer Praxen steuert. Aus einer praxeologischen Perspektive sowohl bei Giddens wie auch bei Bourdieu (re)produzieren Interaktionen der Handelnden und Interpretationen ebensolchen Handelns gesellschaftliche Strukturen. Strukturen sind ebenso gemacht wie sie auch Handeln wiederum einschränken und strukturieren. Struktur ist bei Giddens sowohl ein Medium sozialen Handelns wie auch ein Moment der institutionellen Ordnung. Damit verfügen sowohl Giddens wie auch Bourdieu über ein Konzept, um Strukturen auf Makro- und Mesoebene mit interaktiv hergestellten Identitäten auf der Mikroebene zu verbinden. Diese für die Verbindung von Struktur- und Identitätsebene weiterführenden Überlegungen sagen allerdings noch nichts darüber aus, wie die Repräsentationsebene berücksichtigt werden kann. Hinweise dafür finden sich bei Giddens (1995: 83-85), wenn er analytisch zwischen Signifikation, Herrschaft und Legitimation zunächst als drei strukturelle Dimensionen unterscheidet. Im nächsten Schritt benennt er verschiedene Typen von Institutionen, nämlich symbolische Ordnungen/Diskursformen in der Dimension der Signifikation, politische und ökonomische Institutionen in Bezug auf Herrschaft und rechtliche Institutionen hinsichtlich der Legitimation. Je nach Untersuchungsinteresse und -schwerpunkt steht eine der drei Dimensionen im Vordergrund – oder aber ihre Wechselwirkungen. Mithilfe dieses Schemas nun sollen unterschiedliche Herrschaftsverhältnisse sichtbar werden. Gleichzeitig stehen diesen drei genannten Dimensionen der Strukturebene drei Größen auf der Interaktionsebene gegenüber, nämlich erstens Kommunikation als Interpretationsmuster, die Strukturen der Signifikation repräsentieren, zweitens Macht als Reproduktion von Herrschaftsstrukturen im Sinn allokativer und autoritativer Ressourcen und drittens Sanktion als Ausdruck struktureller Asymmetrien von Herrschaft. Interaktionen nun verbinden die Handlungs- und Strukturebene, indem AkteurInnen Re70

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geln und Ressourcen situationsspezifisch zu Modalitäten ihres Handelns machen. Auf diese Weise kommt Giddens zu einem Strukturmodell, das verschiedenen Aggregationsstufen (Mikro- bis Makroebene) in ihren Wechselwirkungen mit normativ wirksamen Mechanismen zu erfassen beabsichtigt. Ungeachtet der Eleganz dieses Modells bleibt sein forschungspraktischer Wert allerdings unklar: Giddens benennt in seinem Modell zwar die Eckpunkte der Wechselwirkungen, konkretisiert aber nicht die Verbindungen selbst. Das mag damit begründet sein, der Empirie nicht vorgreifen zu wollen. Dennoch bleibt das Modell damit abstrakt und vermag hinsichtlich seines forschungspraktischen Mehrwerts nicht zu überzeugen. Einen von der Intention der Verbindung von Strukturen und Handlungen her ähnlichen Weg geht Bourdieu mit seiner Doppelkonstruktion von Habitus und Feld, das Bündelungen von Relationen beschreibt: Während ein Feld „aus einem Ensemble objektiver historischer Relationen zwischen Positionen“ besteht und diese auf bestimmten Formen von Macht (oder Kapital) beruhen, stellt der Habitus ein Zusammenwirken historischer Relationen dar, „die sich in Gestalt der geistigen und körperlichen Wahrnehmungs-, Bewertungs-, und Handlungsschemata in den individuellen Körpern niedergeschlagen haben“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 36f.). Soziale Praxis (Bourdieu spricht ungern von Gesellschaft) ist also in Feldern objektiviert (und hat damit ein Eigenleben, obwohl sie nur über die Praxis von AkteurInnen zum Ausdruck kommt) und im Habitus verkörpert. Das Feld ist vor allem sozialstrukturell definiert: „Das Feld ist ein Ort von Kräfte- und nicht nur von Sinnverhältnissen und von Kämpfen um die Veränderung dieser Verhältnisse, und folglich ein Ort des permanenten Wandels.“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 134f.) Beispiele sind das ökonomische, wissenschaftliche, künstlerische oder religiöse Feld. Gemeinsam ist ihnen der Kampf zwischen den Herrschenden und Anwärtern auf die Herrschaft sowie die Übereinkunft der Kämpfenden über den Sinn des Spiels an sich (Bourdieu 1993: 107110). Das wird je nach Feld anders ausgestaltet und entsprechend muss man die spezifischen Interessen und Interessensobjekte bestimmen. Weil die Verfügungsgewalt über die feldspezifischen Ressourcen unterschiedlich verteilt ist, gibt die Struktur des Feldes den Stand der Verteilung der spezifischen Kapitalformen wieder. Auf diese Weise stellt Bourdieu einen direkten Bezug zu Herrschaftsverhältnissen her, die feldspezifisch zu untersuchen sind. Das heißt wiederum, dass die Gesellschaft nicht mit einer durchgängigen Logik zu erfassen ist. Deshalb lehnt Bourdieu auch Begriffe ab, die nicht für die systematische empirische Anwendung gebildet werden: „Begriffe wie Habitus, Feld und Kapital lassen sich durchaus definieren, aber eben 71

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nur innerhalb des theoretischen Systems, das sie bilden, und niemals für sich allein.“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 125) Das hat forschungspraktische Konsequenzen: Die Existenz und Grenzen eines Feldes lassen sich nicht a priori, sondern nur empirisch bestimmen – sie liegen innerhalb der Grenzen der Effekte vom Feld und auf das Feld. Entsprechend unterscheidet Bourdieu drei Phasen der Feldanalyse (ebd.: 136): Zunächst geht es darum, die Position des Feldes zur Macht zu analysieren, dann um die Identifikation der objektiven Struktur der Relationen zwischen den Positionen der in diesem Feld miteinander konkurrierenden Handelnden und Institutionen und schließlich um die Analyse des Habitus und der Dispositionssysteme der AkteurInnen. Als Konsequenz ist das Feld mit seinen Relationen und nicht das Individuum Gegenstand soziologischer Analyse. Dies gilt auch, wenn man Informationen meist zunächst an Individuen festmachen muss (ebd.: 138f., 265) – wie wir es in unserem Zugang über Interviews und Gruppendiskussionen tun. Wie bei Giddens geht es auch hier um die Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen sozialen Strukturen und Handlungen und damit zwischen Struktur- und Identitätsebene. Dabei bewegt sich Bourdieu mit seinen Ausführungen an den Grenzen theoretisierbarer Praxis. Denn um letztere zu verstehen, bedarf es theoretischen Vorwissens, zur Erlangung theoretischen Wissens sind Praxiskenntnisse Voraussetzung. So wird bei Bourdieu das Recht auf Eintritt in ein Feld durch den Besitz einer besonderen Konfiguration von Eigenschaften legitimiert. Die Erforschung des Feldes wiederum hat (neben anderem) die Bestimmung dieser aktiven Eigenschaften zum Ziel, also der Formen spezifischen Kapitals: „Damit steht man vor einer Art hermeneutischem Zirkel: Um das Feld zu konstruieren, muß man die Formen des spezifischen Kapitals bestimmen, die in ihm wirksam sind, und um diese Formen des spezifischen Kapitals zu konstruieren, muß man die spezifische Logik des Feldes kennen.“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 139) Übersetzt für unserer intersektionale Fragestellung heißt das: Die Wechselwirkungen von Identitäts- und Strukturebene sind mit dem entsprechenden theoretischen Rüstzeug beschreibbar, aber – so unsere Folgerung – nicht ohne Empirie. Dass Theorien damit nicht zu unter-, aber eben auch nicht zu überschätzende Werkzeuge der Analyse sind und bleiben, wird deutlich, wenn wir – wie von uns intersektionalitätstheoretisch gefordert – neben Struktur und Identität auch noch die dritte Ebene symbolischer Repräsentationen berücksichtigen wollen. Die Repräsentationsebene liegt in Form symbolisch codierter Normen und Ideologien quer zu Identitätskonstruktionen (auf der Mikroebene) und Sozialstrukturen (auf der Makro- und Mesoebene) und taucht in sozialstrukturorientierten Ungleichheitsanalysen selten als eigenständige 72

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Ebene auf. Giddens berücksichtigt sie zwar in Form von Signifikation und Legitimation – nicht klar allerdings ist bei ihm erstens, wie weit diese beiden Dimensionen sich von Sozialstruktur abheben und zweitens, wie sie mit der dritten Dimension der Herrschaft zusammenhängen. Ebenfalls unterbelichtet ist die Verortung der Repräsentationsebene bei Bourdieu. Zwar bekommt er mit dem Habituskonzept die Verklammerung von Sozialstruktur und Identität gut in den Blick: „Die von den sozialen Akteuren im praktischen Erkennen der sozialen Welt eingesetzten kognitiven Strukturen sind inkorporierte soziale Strukturen.“ (Bourdieu 1987: 730) Dazu müssen AkteurInnen über praktisches Wissen und Klassifikationsschemata verfügen, wie sie in Form von symbolischen Ordnungen und sozialen Normen zur Verfügung stehen. Einen eigenen theoretischen Stellenwert haben solche Klassifikationsschemata bei Bourdieu allerdings nicht. Uns erscheint es dagegen wichtig, symbolische Repräsentationen auch unabhängig von ihren sozialen TrägerInnen in ihrer Wirkungsmacht benennen zu können. Denn auch symbolische Repräsentationen ‚machen‘ Strukturen in Form von Anrufungen, wie sie in Werbebotschaften, Gesetzen oder Massenmedien materialisiert sind. Die soziale Ordnung setzt sich dadurch fortschreitend in den Köpfen der Menschen fest, sie wird unbewusst, und damit wird auch die soziale Klassifikation unsichtbar. Identitätskonstruktionen von AkteurInnen und Repräsentationen sind also über Performativität miteinander verknüpft und bringen Strukturen hervor. Die hergestellten Strukturen wiederum werden nur in Form von Vollzug aktiv. Identitäten und Repräsentationen sind damit strukturerhaltende und -bildende Faktoren. Vor diesem Hintergrund unterscheiden wir analytisch sechs mögliche Verbindung zwischen Identität (I), Struktur (S), und Repräsentation (R), je nach betrachteter Richtung: IoR, RoI, SoR, RoS, SoI und IoS (vgl. Abb. 1). Diese sechs Verbindungslinien können von unterschiedlicher Form sein, sie können etwa abschwächende, verstärkende oder auch neutrale Wirkungen zeitigen. Konkretisieren lässt sich dies in Verknüpfungen, wie sie etwa als Persistenz, Rücknahme, Modifikation, Verstärkung, Abschwächung, fehlende Resonanz, Widerstand, Anpassung oder auch Revolution zum Ausdruck kommen. Um den Zusammenhang zu verkomplizieren: Je nach untersuchter Richtung und Ebene können Wechselwirkungen – das steckt auch bereits im Begriff – ein widersprüchliches Bild ergeben. In jedem Fall geht es darum, den Blick auf Prozesse zu richten und nicht auf die Ebenen allein.

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Abbildung 1: Wechselwirkungen der drei Ebenen im Feld sozialer Praxen

Identitätskonstruktionen

Soziale Praxen Sozialstrukturen

Symbolische Repräsentationen

Diese Wechselwirkungen wollen wir anhand einiger Befunde eines intersektionalen Forschungsprojekts zu Sexismus und Homophobie im Fußball veranschaulichen (vgl. Degele 2009): Wenn wir danach fragen, wie X auf Y wirkt, gehen wir von einem Einfluss von X auf Y aus, der Reaktionen hervorruft. Wir können die Frage also konkretisieren, indem wir bei Y prüfen, ob und welche Veränderungen zu beobachten sind, die auf den Einfluss von X zurückzuführen sind beziehungsweise damit in Zusammenhang stehen. x Struktur o Identität: Strukturen bilden ermöglichende und begrenzende Rahmen für die Konstruktion und Inszenierung von Identitäten. Im Anschluss an die Überlegungen Giddens’ und Bourdieus ermöglichen und begrenzen sie diese im Sinn habitualisierten Handelns. So bildet etwa das gesetzlich verbriefte Verbot der Diskriminierung von Frauen und Minderheiten einen klar definierten Rahmen für die Ausbildung und Artikulation von Minderheitenpositionen in der Öffentlichkeit. Der mit über sechs Millionen Mitgliedern größte Verein Deutschlands DFB (Deutscher Fußballbund) etwa beschloss 2001 eine Satzungsänderung, wonach Sport auch „als Kampf gegen jede Diskriminierung“ benutzt werden solle: „Ich möchte den Minderheiten eine Plattform geben, die von sich aus im Fußball nicht so wahrgenommen werden.“ (DFB-Präsident Theo Zwanziger 2009) Minderheiten im Fußball sind – mehr noch als in der Gesellschaft sonst – Frauen und Homosexuelle. Ein Indikator für die Bedeutung 74

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solcher struktureller Entscheidungen sind etwa die wachsende Popularität von Fußball bei Frauen und Mädchen sowie die Entstehung, institutionelle Absicherung und zunehmende Sichtbarkeit zahlreicher schwul-lesbischer oder queerer Bundesliga-Fanclubs als Möglichkeit der sozialen Positionierung und Artikulation von Identitäten (vgl. Degele/Schneickert 2008). x Identität o Struktur: Bei einem Blick auf die umgekehrte Wirkungsrichtung sind es Identitätskonstruktionen, die soziale Strukturen interaktiv ‚machen‘. Das kann durch eine Kongruenz mit herrschenden Strukturen (z.B. durch Befolgung von Gesetzen, Teilnahme an Wahlen als Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten) bis hin zu Widerspruch (z.B. durch aktiven Widerstand, Subversion oder Revolution) geschehen. In diesem Sinn machen, reproduzieren, stören, unterminieren, ignorieren AkteurInnen soziale Strukturen. Im Beispiel Fußball etwa änderte der DFB sein Regelwerk nicht im akteursfreien Raum. Fußballerinnen und queere Bündnisse üb(t)en selbstbewusst wachsenden Druck aus, um ihre Forderung nach Anerkennung durchzusetzen und konnten dabei auf das Grundgesetz und das 2006 verabschiedete Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verweisen. Darüber hinaus konnten sie – und das ist vermutlich entscheidender – mit dem Imageverlust und daran geknüpfte wirtschaftliche Einbußen drohen, falls der DFB vormoderne sexistische, rassistische und homophobe Strukturen durch ein Wegschauen nicht nur toleriert, sondern damit auch gestärkt hätte. x Repräsentation o Identität: Repräsentationen bilden einen normativen Rahmen für Intelligibilität, worunter Butler soziale Sinnhaftigkeit und Anerkennung versteht. Intelligible Handlungen, Praxen und Identitätskonstruktionen entsprechen mit anderen Worten herrschenden Diskursen. Butler knüpft Identitätskonstruktionen an Subjektivation, diese wiederum ist mit Anpassung an die symbolische Ordnung, also Repräsentationen, verbunden. Identitätskonstruktion als Subjektivation ist damit ambivalent und „bezeichnet den Prozess des Unterworfenwerdens durch Macht und zugleich den Prozess der Subjektwerdung“ (Butler 2001: 8). Repräsentationen definieren damit Anerkennung und Ausgrenzung, sie verfügen über ein begrenzendes Potenzial. In Identitätskonstruktionen kann sich das als Verdopplung, Verlängerung, aber auch als Unterlaufen, Abgrenzen oder Subversion niederschlagen. Eine sexistische Berichterstattung und die permanente Konfrontation von Fußballerinnen mit hegemonialen Weiblichkeitsanforderungen etwa produzieren ambivalente Selbstentwürfe als Unvereinbarkeit von Fußballspielen und Frausein (vgl. Degele 2009; Gisler 1995; Scraton u.a. 1999). Auf der anderen Seite findet 75

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in den letzten Jahren verstärkt eine öffentliche Diskussion über homophobe Strukturen im Fußball statt – Zeitungen und Fernsehdokumentationen sprechen das bis dato Unsprechbare aus, dass es nämlich schwule Fußballer auch auf Bundesligaebene gibt (vgl. Blaschke 2008). Wann ein öffentliches Bekenntnis zur eigenen Homosexualität auch im deutschen Profifußball den Kampf gegen die Angst vor öffentlicher Ächtung (Verlust von Intelligibilität) gewinnt, scheint dabei nur noch eine Frage der Zeit zu sein. x Identität o Repräsentation: Identitäten bilden einerseits den ‚Stoff‘ für soziale Repräsentationen (weil sich letztere auf Identitäten beziehen), andererseits positionieren sie sich zu Repräsentationen. Sie können sich diese in unterschiedlicher Form aneignen, indem sie sie legitimieren, verdoppeln, wiederholen, begründen, verfestigen, hinterfragen, dagegen opponieren, sie unterlaufen. Im Sinne Butlers können kollektive Identitätskonstruktionen (verkörpert in sozialen AkteurInnen) symbolische Ordnungen durch eigenwillige Aneignungen (bei Butler sind das Brüche in den Wiederholungen) subversiv unterlaufen und neuen sozialen Sinn konstruieren. Bekannte Beispiele dafür sind die stolze Aneignungen von eigentlich diskriminierenden Anrufungen wie ‚schwul‘, ‚Krüppel‘ oder ‚Nigger‘, die ein offensives Selbstbewusstsein von Minderheitenpositionen öffentlich sichtbar – und im nächsten Schritt eventuell hoffähig machen. Im Fußball sind das etwa queere Fußballturniere, Werbekampagnen gegen homophobe Gewalt (wie etwa eine von der Berliner Regierung unterstützte und populär gewordene Plakataktion) und eine Präsentation der frischgebackenen Fußballweltmeisterinnen auf dem Balkon des Frankfurter Römer 2007 in dunklen Anzügen statt in mädchenhaften Kostümen. Auch dies verändert Wahrnehmungen und Bilder von schwulen und weiblichen Fußballern in der Öffentlichkeit. Repräsentationen bilden Mehrheits- und Minderheitenidentitäten also nicht lediglich ab, Identitäten schaffen auch (eigene) Repräsentationen und modifizieren herrschende. x Struktur o Repräsentation: Repräsentationen sind nicht nur Artikulationsforen von Identitätskonstruktionen, sondern auch von sozialen Strukturen. Letztere drücken sich in Repräsentationen aus, werden dadurch öffentlich, mehr noch: werden dadurch erst konstruiert und damit Wirklichkeit. Ein Antidiskriminierungsgesetz ohne Mitteilung, Verbreitung, Kommunikation und Wissen darüber existierte schlicht nicht. Repräsentationen können soziale Strukturen bestätigen, sich in normativer Kongruenz mit ihnen befinden, sie aber auch kritisieren oder ignorieren. Im Fall der gewonnenen Fußballweltmeisterschaft der Frauen etwa konnten Massenmedien Schwerpunkte der Bericht76

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erstattung auf die nationale Bestätigung (Weltmeisterinnen) oder auf die ‚andere‘, ‚weibliche‘ und damit inferiore Spielweise der Fußballerinnen legen (Weltmeisterinnen), sie konnten die Tatsache der eklatant ungleichen Siegesprämien zwischen Fußballerinnen und Fußballern anprangern, notieren oder ignorieren, sie konnten in ihrer Berichterstattung aber nicht über die ungleichen strukturellen Bedingungen von Frauen- und Männerfußball hinwegschreiben. Am Beispiel von Homosexualität wird darüber hinaus deutlich, dass eine normative Kongruenz mit klassisch homophoben Strukturen im Fußball nur in Form von Ignorieren und Totschweigen möglich ist. Denn mit der Satzungsänderung des DFB 2001 kann es sich kein meinungsbildendes Mehrheitsmassenmedium mehr leisten, für den Ausschluss von Homosexuellen aus dem Fußball Position zu beziehen – vor einigen Jahren wäre dies noch ohne weiteres denkbar gewesen. x Repräsentation o Struktur: Repräsentationen bilden Strukturen nicht einfach ab. Vielmehr stellen sie den normativen Möglichkeitsraum ihrer Legitimität und Legitimation zur Verfügung. Repräsentationen und Strukturen können sich in normativer Kongruenz oder Inkongruenz befinden, Strukturen können herrschende Normen in ihre je eigenen Logiken übersetzen und einbauen, sie ausblenden und indifferent bleiben, sich in Widerspruch dazu positionieren oder sie verlängern. So könnte etwa der DFB die Popularität von Fußball bei Frauen und Mädchen dafür nutzen, die aufgrund des demografischen Wandels sinkenden Mitgliederzahlen von Jungen durch kickende Mädchen zu kompensieren. Ebenfalls könnte er durch eine Aufstockung von Siegesprämien den Frauenfußball für Fernsehen und Massenmedien attraktiver machen. Er könnte die Existenz und öffentliche Sichtbarkeit queerer und schwul-lesbischer Bundesliga-Fanclubs als Bestätigung der Öffnung gegenüber Minderheiten werten und inszenieren – um etwa im nächsten Schritt neue Mitglieder- und KonsumentInnenschichten zu erschließen. Gleichzeitig könnten Prominente wie Klaus Wowereit, Theo Zwanziger oder Steffi Jones ihre Popularität nutzen, um Druck auf herrschende Strukturen auszuüben – was sie durchaus tun. Diese Überlegungen zeigen dreierlei: Erstens müssen wir Wechselwirkungen hinsichtlich der Wirkungsrichtungen und der zueinander in Beziehung gesetzten Ebenen unterscheiden. Zweitens können wir nicht von einer Gleichförmigkeit der Wirkungen ausgehen, sondern müssen Widersprüche und Gegenläufigkeiten berücksichtigen. Drittens müssen wir auch und gerade solche Widersprüche und Gegenläufigkeiten empirisch

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INTERSEKTIONALITÄT

spezifizieren und konkretisieren, um daraus im Idealfall Verallgemeinerungen ableiten zu können. So ist etwa empirisch zu beobachten, dass Ungleichheiten auch und vielleicht gerade deshalb weiter existieren und wirksam sind, weil eine Verschiebung von der Struktur- zur Repräsentationsebene stattgefunden hat: Frauen und Homosexuelle dürfen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung nicht diskriminiert und aus Beschäftigungsverhältnissen ausgeschlossen werden. Solche Diskriminierungen und Ausschlüsse sind nicht mehr politisch korrekt und im offiziellen öffentlichen Diskurs kommunizierbar, finden aber im alltäglichen und halböffentlichen Handeln und Sprechen dennoch weiter statt. Hier ist zu vermuten, dass eine Verschiebung von der (politisch korrekter werdenden) Struktur- auf die (dem gesunden Menschenverstand verpflichtete) Repräsentationsebene stattgefunden hat, dass letztere mit anderen Worten der ersteren hinterher hinkt. Ebenso ist vorstellbar, dass Gleichheitsund Anerkennungsforderungen über Repräsentationen vermittelt auf Strukturen einwirken, wenn etwa die moralische Verurteilung sexueller Belästigung zu ihrer Sanktionierung in Betrieben und Organisationen führt. Solche Heteronormativismen sind empirisch als Widerspruch zwischen Struktur- und Repräsentationsebene festzustellen, bei klassistischen Ungleichheitsverhältnissen dagegen existiert ein solcher Widerspruch nicht: Meritokratische Verhältnisse als finanzielle Ungleichheiten aufgrund unterschiedlicher Bildung und Berufe sind sowohl strukturell verankert wie auch hegemonial legitimiert. Kritisiert werden wie etwa bei Bankern lediglich die exorbitant hohen Gehälter und Bonuszahlungen, nicht die Tatsache der weit überdurchschnittlichen Einkommen an sich. Wir müssen unterschiedliche Herrschaftsverhältnisse also sehr genau daraufhin befragen, auf welcher Ebene Ungleichheiten realisiert und ob und wie sie legitimiert werden. Ebenfalls ist es eine empirische Frage, in welcher Weise auf Identitätskonstruktionen basierende Forderungen nach Anerkennung und nach Überwindung oder Abschaffung von Ungleichheiten auf Strukturen und Repräsentationen einwirken. Gerade Widersprüche zwischen Strukturen und Repräsentationen können sich soziale Bewegungen zunutze machen. Bezogen auf spezifische Austauschprozesse zwischen Ebenen sind diese Erkenntnisse alles andere als neu. So beschreiben die Wechselwirkungen zwischen sozialen Strukturen und Identitätskonstruktionen einen klassischen Topos der soziologischen Sozialtheorie, nämlich den Zusammenhang von Makro- und Mikroebene oder auch die Dualität von Struktur und Handlung, ebenso lassen sie sich auch im Sinne Manuel Castells (2003) als Widerstreit der beiden Logiken von Netzwerkgesell78

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schaft und Ich begreifen und rekonstruieren. Mit dem zweiten Wechselwirkungspaar zwischen Repräsentationen und Identitätskonstruktionen bewegen wir uns auf durchaus poststrukturalistisch dominiertem Terrain, das mit Butler (1990, 2001) gesprochen Intelligibilität verhandelt. Das berührt die Frage der Subjektwerdung durch normativ strukturierte Anrufungen, die ihrerseits durch Identitätskonstruktionen verfestigt werden. Widerstandsformen lassen sich entsprechend in Verschiebungen und Brüchen bei Wiederholungen performativer Akte verorten. Das Verhältnis von Struktur und Repräsentation zeigt ein doppeltes Bild. In einer marxistischen Tradition scheint hier die alte Debatte von Basis und Überbau durch: Die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse bildeten die Basis für kulturelle Wertesysteme wie etwa die Religion, umgekehrt dienten solche Ideologien der Legitimation und dem Fortbestehen kapitalistischer Ausbeutung. Anders stellt sich das Verhältnis aus einer poststrukturalistischen Perspektive dar, die Strukturen und Repräsentationen bis zur Nichtunterscheidbarkeit aneinander koppelt (vgl. Reckwitz 2008). Wie in Kapitel 1.3 ausgeführt halten wir an der Unterscheidung fest, vertreten aber nicht die Auffassung einer Hierarchisierung der beiden Ebenen. Neu ist allerdings der Anspruch, mit einer intersektionalen Mehrebenenanalyse mehr als jeweils nur eine der genannten Perspektiven und prozesshaften Verbindungen in den Blick zu bekommen. Das intersektionale Handwerk besteht nun gerade darin, mit dem oben dargestellten Modell von Wechselwirkungen verschiedene Formen und Verschiebungen von Ein- und Auswirkungen konzeptuell und begrifflich einzufangen und Widersprüche empirisch zu rekonstruieren und zu erklären. Wie wir diesem Anspruch konkret empirisch gerecht werden wollen, erläutern wir im Folgenden mit der Zusammenstellung von acht methodischen Schritten der intersektionalen Analyse.

3.3 Acht methodische Schritte der intersektionalen Analyse Die im Folgenden vorgeschlagenen und erläuterten sowie in Übersicht 1 aufgeführten acht Schritte sollen das Aufbrechen des empirischen Materials erleichtern. Alle diese Schritte sind im Sinn einer intersektionalen Analyse erforderlich. Das heißt aber nicht, dass sie nur in der empfohlenen Reihenfolge durchzuführen wären. Sinnvoll ist vielmehr ein iteratives, das bedeutet ein sich zyklisch wiederholendes Vorgehen, das nach Durchlauf eines, mehrerer oder aller Schritte wieder von vorne beginnt beziehungsweise Schritte zurückgeht, um sie noch einmal zu durchlau79

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fen und dabei die in der Zwischenzeit herausgearbeiteten Erkenntnisse bei einer weitergehenden Analyse einbezieht. Das kann auch bedeuten, dass einzelne Schritte kürzer oder länger ausfallen, dass Struktur- und Repräsentationsanalyse in umgekehrter Reihenfolge vonstatten gehen oder dass zwischendurch wieder Erhebungsphasen für weitere Datenrecherchen einzuschieben sind. Übersicht 1: Acht Schritte einer intersektionalen Mehrebenenanalyse Block I: Auswertung einzelner Interviews 1. Identitätskonstruktionen beschreiben 2. Symbolische Repräsentationen identifizieren 3. Bezüge zu Sozialstrukturen finden 4. Wechselwirkungen zentraler Kategorien auf drei Ebenen benennen Block II: Analyse aller Interviews einer Untersuchung 5. Identitätskonstruktionen vergleichen und clustern 6. Strukturdaten ergänzen und Herrschaftsverhältnisse analysieren 7. Analyse von benannten Repräsentationen vertiefen 8. Wechselwirkungen in der Gesamtschau herausarbeiten

Die von uns vorgeschlagenen acht Schritte einer intersektionalen Mehrebenenanalyse lassen sich zur Übersicht und zum besseren Verständnis in zwei Blöcken gruppieren. In einem ersten Block, der die ersten vier Schritte umfasst, geht es um die direkte Auswertung eines Interviews, eines biografischen Textes, einer Gruppendiskussion oder einer sonstigen sozialen Praxis in verschriftlichter Form. Hier behandeln wir in vier Schritten die Frage, wie eine oder mehrere Personen in sozialen Praxen ihre Identitäten konstruieren, welche Repräsentationen sowie Strukturen sie bei diesen Konstruktionen adressieren, aktivieren und damit festigen oder hinterfragen und welche zentralen Kategorien auf den drei benannten Ebenen miteinander wechselwirken. Im zweiten Block dagegen steht die Analyse aller Interviews oder anderer sozialer Praxen einer Untersuchung in der Zusammenschau im Vordergrund. So geht es im Schritt 5 darum, die Einzelauswertungen der Interviews zusammenzuführen und eventuell, je nach Untersuchungsfrage, zu clustern. Die Analysen beziehen sich hier nach wie vor auf das Interviewmaterial beziehungsweise lassen sich daraus ableiten. Die Rekonstruktion beeinflussender symbolischer Repräsentationen und Sozialstrukturen allein aus dem Interviewmaterial heraus griffe allerdings zu kurz, weshalb wir in den nächsten beiden Schritten zusätzliches (Daten-)Material hinzuziehen. Zu80

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nächst erheben wir in Schritt 6 zu den im Interview benannten Herrschaftsverhältnissen weitere Strukturdaten, beispielsweise Gesetzestexte oder Statistiken. In Schritt 7 arbeiten wir auf der Repräsentationsebene die Bedeutung der im jeweiligen Kontext wichtigen Normen, Werte oder Ideologien durch den Einbezug und die Auswertung weiteren Datenmaterials vertiefend heraus. Im abschließenden achten Schritt erfolgt dann die intersektionale Zusammenschau. Im Folgenden beschreiben wir diese acht Schritte abstrakt. In Kapitel 4 verdeutlichen wir dieses Vorgehen konkret empirisch am Beispiel des Alltags von Erwerbslosen. Schritt 1: Identitätskonstruktionen beschreiben Wenn Menschen über sich sprechen, sich vorstellen, Anderen gegenüber verdeutlichen, wer sie sind, tun sie das mit Hilfe von Differenzierungskategorien. Eine Person kann sich als Deutsche, als Mutter, als Bildungsbürgerin konstituieren und grenzt sich damit, bewusst oder nicht, von einer Nicht-Deutschen, Nicht-Mutter, Nicht-Bildungsbürgerin oder sonstigen Anderen ab. Damit können sich Identitäten letztlich nur auf der Grundlage von Differenz konstruieren und nicht jenseits von ihr: „Dies hat die radikale und beunruhigende Erkenntnis zur Folge, das die ‚positive‘ Bedeutung jeder Bezeichnung – und somit ‚Identität‘ – nur über die Beziehung zum Anderen, in Beziehung zu dem, was sie nicht ist, zu gerade dem, was von ihr ausgelassen ist, konstruiert werden kann; in Beziehung zu dem, was das konstitutive Außen genannt wurde“ (Hall 2004: 171). Identitäten können nur wirksam werden, weil sie mit Hilfe von Differenzierungen Andere ausschließen. Einfach gesagt: Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen, von wem wir uns abgrenzen. Dies gilt auch, wenn das Andere gar nicht erwähnt wird, Abgrenzungen können explizit oder implizit sein. Eine Person, die sich als Deutsche kenntlich macht – und auch dies kann implizit geschehen, grenzt sich von einer nicht-deutschen Person, d.h. beispielsweise von einer Ausländerin oder einer Person mit Migrationshintergrund ab, ob sie darauf hinweist oder nicht. Somit haben Identitätskategorien „niemals nur einen deskriptiven, sondern immer auch einen normativen und damit ausschließenden Charakter“ (Butler 1993: 49). Im ersten Schritt einer intersektionalen Mehrebenenanalyse gilt es also, die Differenzierungskategorien in einem Interview, einem Gespräch, einer sonstigen Aufzeichnung, kurz einer sozialen Praxis zu identifizieren. Am einfachsten gelingt das, wenn zwei Seiten einer Differenzierungskategorie benannt werden. Dies ist oft in Form eines binären Gegensatzpaares zu finden; wenn also eine Person erwähnt, dass sie als Kinderlose ganz andere ökonomische Ressourcen zur Verfügung hat 81

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als Mütter in vergleichbarer sozialer Lage. Das ist aber nicht die einzige Möglichkeit. Es kann auch sein, dass eine Person sich entweder nur als Kinderlose konstruiert ohne auf Mütter zu verweisen oder umgekehrt sich stark von Müttern abgrenzt ohne zu betonen, dass sie kinderlos ist. Auch in diesem Fall gilt es hermeneutisch herausfinden, gegen welches Andere sich beispielsweise eine Mutter abgrenzt. Diese Andere muss ja nicht die Kinderlose sein, es kann auch der Vater oder im Generationenvergleich die Großmutter sein. Besonders schwierig wird die Interpretation, wenn Personen diejenigen Differenzierungskategorien, die für ihre Identitätsbildung wichtig sind, nicht explizieren. Dies kommt vor allem dann vor, wenn die Kategorie zum vorherrschenden Mainstream oder ganz selbstverständlich zum selbstverständlichen Wissen der Mehrheitsgesellschaft gehört. So benennen beispielsweise deutsche Männer, die sich in einem Unternehmen als Führungskraft verstehen, weder ihr Mannsein noch ihr Deutschsein. Während sie die Identitätskonstruktion Führungskraft direkt ansprechen, wird das Konstrukt des deutschen Mannes erst an einer anderen Stelle sichtbar, beispielsweise wenn diese Person Ausführungen zur Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern in Führungspositionen oder zwischen AusländerInnen und Deutschen macht. Frauen oder AusländerInnen in Führungspositionen sprechen dagegen über ihren Sonderstatus häufig offensiv. Daran wird deutlich, dass oft die hierarchisch oben stehende Seite einer Differenzierung nicht benannt wird, da diese als selbstverständlich gilt – Privilegierte thematisieren keine Privilegien. So betonen beispielsweise auch Weiße Feministinnen ihre Diskriminierung als Frau und vergessen häufig, dass sie gleichzeitig als Deutsche oder als Bildungsbürgerinnen von Unterdrückungsstrukturen profitieren. Dieses Phänomen problematisiert die bundesdeutsche Frauenbewegung seit der „Opfer-Täter-Debatte“ ausgehend von einem Aufsatz von Frigga Haug (1981) und der These von der Mittäterschaft von Christina Thürmer-Rohr (1983) immer wieder neu. Wenn wir die Suche nach Identitätskonstruktionen anhand von Differenzierungskategorien beginnen, stoßen wir schnell auf vielfältige Konstruktionen der Unterscheidung. Aufgabe empirischer Sozialforschung ist es, in jeder sozialen Praxis – sei es ein Interview, eine teilnehmende Beobachtung, ein Text – in einem ersten Schritt möglichst alle vorfindbaren Differenzierungskategorien herauszuschreiben. Dabei wird deutlich, dass Identitäten sich aus den unterschiedlichsten, auch widersprüchlichen Positionierungen zusammensetzen. Sie erscheinen „zunehmend fragmentiert und zerstreut, jedoch niemals eindeutig. Identitäten sind konstruiert aus unterschiedlichen, ineinandergreifenden, auch antagonistischen Diskursen, Praktiken und Positionen. Sie sind 82

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Gegenstand einer radikalen Historisierung und beständig im Prozess der Veränderung und Transformation begriffen.“ (Hall 2004: 170) Auch stehen bei Identitätskonstruktionen nicht unbedingt die vier Strukturkategorien im Vordergrund – also eben nicht primär Arbeiter versus Bourgeois, Deutsche versus Ausländerin, Mann versus Frau, jung versus alt. Personen stellen sich vielmehr differenzierter dar, je nach Kontext, in dem sie leben. So sehen sie sich als Leiharbeiterin in Abgrenzung zur Festangestellten, als selbständigen Werkvertragsnehmer in Abgrenzung zum Normalbeschäftigten, als Türkin mit deutschem Pass in Abgrenzung zur türkischen Arbeitsmigrantin oder als Drogensüchtige in Abgrenzung zur Kranken. Deshalb ist es wichtig, in der empirischen Arbeit offen gegenüber neuen, bisher unbekannten Identitätskonstruktionen zu sein. Ganz im Sinne des offenen Kodierparadigmas der Grounded Theory4 heißt das auch, dass auf der Identitätsebene zusätzliche Differenzkategorien auftauchen können, die es bei der Auswertung des Interviewmaterials zu berücksichtigen gilt. Dabei halten wir es für durchaus sinnvoll, die in einem Untersuchungsfeld immer wieder vorfindbaren Differenzierungen als Vergleichsfolie für die Analyse weiterer Interviews einer Untersuchung zu nutzen. Wir können dann mit einem solchen heuristischen Raster, das wir im Fortgang der Analyse erweitern, herausfinden, was in Interviews ausgespart bleibt oder was nur implizit benannt wird. Dieses Vorgehen hilft, unbenannte (weil selbstverständliche und deshalb nicht thematisierte) Positionen wie männlich, heterosexuell oder Weiß aufzuspüren. In diesem ersten Analyseschritt stellen wir bereits fest, dass manche Aussagen nicht genau einer, sondern mehreren Kategorien zuordenbar sind. Daraus ergeben sich bereits erste intersektionale Erkenntnisse, die bei einem Blick auf nur eine Kategorie verloren gegangen wären. Dieser Schritt ist zunächst beendet, wenn alle Differenzierungskategorien herausgearbeitet sind, kann aber und sollte im Sinne eines iterativen Vorgehens mehrmals durchlaufen werden. Dabei ist es sinnvoll, jede dieser Identitätskonstruktionen auch mit den jeweiligen Textpassagen zu verknüpfen, um in dem späteren vierten Schritt die Relevanz der einzelnen Konstruktionen beurteilen und gewichten zu können.

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Gemeint ist damit ein analytisches Betrachten und Erschließen, das eine Textstelle als Indikator für ein Konzept erkennt. Entsprechend kodiert der/die ForscherIn dieses Konzept, d.h. verschlüsselt und übersetzt es in eine Liste von Begriffen und erläuterndem Text (vgl. Strauss/Corbin 1996: 56-74). 83

INTERSEKTIONALITÄT

Schritt 2: Symbolische Repräsentationen identifizieren „Identitäten sind […] innerhalb und nicht außerhalb von Repräsentationen konstituiert.“ (Hall 2004: 171) Diese grundlegende Erkenntnis macht auf der theoretischen Ebene nachvollziehbar, warum es möglich ist, über die Analyse sozialer Praxen nicht nur Identitätskonstruktionen herauszuarbeiten, sondern auch Normen und Werte, die in einer Gesellschaft wirksam sind. Dies können hegemoniale Repräsentationen, aber auch Normen und Werte sein, die Gegenöffentlichkeiten bilden. Uns geht es also im zweiten Schritt darum zu analysieren, auf welche Repräsentationen Personen in ihren sozialen Praxen Bezug nehmen, sei es positiv, negativ, uneindeutig oder indifferent. Da Identitätskonstruktionen eng mit gesellschaftlichen Repräsentationen verwoben sind, ist es nicht immer einfach herauszufinden, welcher Ebene eine bestimmte Aussage zuzuordnen ist. Zwar gibt es bereits im Analyseprozess Hinweise für die Zuordnung bestimmter Aussagen. Ein klares ‚Ich‘ bezieht sich auf die Identitätskonstruktion, das in der deutschen Sprache häufig benutzte ‚man‘ lässt viel Interpretationsspielraum zu. Aussagen wie ‚man ist ja als Mutter nichts wert‘ lassen sich abhängig vom Kontext häufig in die Ich-Form übersetzen und gehören dann zur Identitätsebene. Dagegen benennen Sätze wie ‚das konservative Mutterbild der Christdemokraten ist doch unerträglich‘ eine Auseinandersetzung mit einer konkreten Wertvorstellung. Dennoch bleibt diese Trennung analytisch, da sich Menschen mit der ablehnenden oder zustimmenden Benennung von Diskursen positionieren und Subjektivierungsprozesse vollziehen. Allerdings ist dies nicht gleichbedeutend mit dem deutlich engeren Begriff der Identitätskonstruktion, mit dem wir explizit auf Differenzierungskategorien verweisen. Es macht also Sinn, Äußerungen nicht als Dokumentation (im Sinne eines Abbilds), sondern vielmehr als Inszenierung von Wirklichkeit zu betrachten (Hitzler 1991; Bohnsack 2000: 20-26) und entsprechend nach Verallgemeinerungen in den Aussagen zu suchen, die Werte und Normen zum Ausdruck bringen. Hier gilt wie bei allen anderen Interpretationsleistungen, dass erst ein wiederholtes Durchlaufen und Abgleichen der Analyseschritte wie auch ein Vergleich mit anderen Interviews die Sicherheit bringt, ob Forschende die Interviewperson tatsächlich verstanden haben. Dieser zweite Schritt zielt darauf, alle Werte, Normen, Ideologien explizit zu machen, die die Person erwähnt. Dazu gehören stereotype Bilder zum angeblich natürlichen Unterschied von ‚Mann‘ und ‚Frau‘ ebenso wie die unterschiedlichen Zuordnungen von Verhaltensweisen zu einzelnen Ethnien. Auch direkte ideologische Rechtfertigungen von sozialer Ungleichheit, unabhängig ob sie zustimmend oder ablehnend Er84

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wähnung finden, lassen sich hier herausarbeiten – angefangen von Statements, dass sich Leistung lohnen müsse oder Vorstellungen zur mangelnden Anpassung von AusländerInnen an die deutsche Leitkultur bis zu den unterschiedlichsten Ideen, dass und wie Menschen für ihre Gesundheit selbst verantwortlich seien. Es ist sinnvoll, diese Repräsentationen jeweils mit einem Schlagwort zu versehen und diese Schlagworte mit der jeweiligen Textstelle zu verbinden, um in der späteren Auswertung darauf zurückgreifen zu können. Schritt 3: Bezüge zu Sozialstrukturen finden SoziologInnen gehen davon aus, dass soziale Praxen und damit verbundene Identitätskonstruktionen (also die Mikroebene) sehr stark von gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen (Makro- und Mesoebene) beeinflusst werden. Wir haben in Kapitel 3.2 bei der Verknüpfung von verschiedenen Ebenen entsprechend auf das Habituskonzept von Pierre Bourdieu verwiesen und auf die Wechselwirkungen von structure und agency bei Anthony Giddens. Damit ist theoretisch gut zu begründen, dass Personen in ihren sozialen Praxen nicht nur Identitäten konstruieren. Gleichzeitig verweisen sie auch auf soziale Strukturen, innerhalb derer sie handeln. Damit (re)produzieren sie diese Strukturen. In diesem dritten Schritt geht es also darum, diese Verweise – zustimmend, ablehnend, uneindeutig, indifferent – auf soziale Strukturen, also auf Institutionen, Organisationen oder Gesetze zu identifizieren. Zwar lassen sich gesellschaftliche Strukturen primär über statistisches Datenmaterial, Gesetze, Analysen von Institutionen u.ä. untersuchen, doch verweisen die Interviewpersonen durchaus auf zahlreiche strukturelle Probleme, sprich Unterdrückungs- oder Diskriminierungsverhältnisse, denen sie unterworfen sind. So nehmen Interviewpersonen positiv oder negativ Bezug auf vielerlei Gesetze und Regelungen, zum Beispiel auf das Aufenthalts- oder Asylrecht, auf gesetzlich geregelte Sozialgelder wie Wohnungsgeld, Elterngeld oder Arbeitslosengeld II (ALG II), auf Regelungen zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft oder auf Tarifverträge. Gleichzeitig kritisieren oder würdigen Interviewpersonen einzelne Institutionen oder Organisation beziehungsweise deren AkteurInnen, beispielsweise im Arbeitsamt, in Beratungsstellen oder in Vereinen. In diesem dritten Schritt schreiben wir die von den Interviewpersonen genannten strukturellen Zusammenhänge nieder, unabhängig davon, ob sie unserer Kenntnis vom Inhalt dieser Gesetze, Verordnungen entsprechen oder nicht. Hier erfassen wir, welche Konstruktionen von gesellschaftlichen Strukturen Einfluss auf die alltägli-

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chen Praxen von Identitätskonstruktionen haben und wie sie mit dieser Bezugnahme wiederum gefestigt oder in Frage gestellt werden. An dieser Stelle ordnen wir die gefundenen strukturellen Gegebenheiten, die soziale Praxen im Alltag beeinflussen, den von uns auf der Strukturebene deduktiv vorgegebenen vier Kategorien – Klasse, Geschlecht, Rasse, Körper – zu. Dabei ist wichtig, dass wir diese Strukturkategorien nicht überstülpen. Stattdessen prüfen wir empirisch-induktiv, ob und wie die Interviewpersonen bei der Schilderung ihrer alltäglichen sozialen Praxen auf die vier herausgearbeiteten strukturellen Herrschaftsverhältnisse verweisen – sei es direkt oder indirekt. Gleichzeitig macht an dieser Stelle unser deduktives Vorgehen entlang der vier Kategorien insofern Sinn, dass wir nicht voraussetzungslos Verweise auf Strukturen suchen, sondern dieses Vierer-Raster uns hilft, auch implizit thematisierte Strukturen herauszuarbeiten, die das Handeln der Interviewpersonen beeinflussen. Auch hier gilt es wieder, Textteile mit einem Schlagwort zu versehen, um eine weitergehende Zuspitzung der Auswertung in den folgenden Schritten auch mit wörtlichen Textpassagen begründen zu können. Schritt 4: Wechselwirkungen zentraler Kategorien auf drei Ebenen benennen In diesem vierten Schritt plädieren wir dafür, zunächst auf der Identitätsebene aus der Vielzahl der benannten Differenzierungskategorien die für die Interviewperson wichtigen Kategorien herauszuarbeiten. Merkmale für die Wichtigkeit können sein, dass bestimmte Kategorien oft wiederholt werden oder dass sie in einer metaphorisch verdichteten und/oder emotionalen Phase des Interviews auftauchen – was die dokumentarische Methode als „Fokussierungsmetapher“ rekonstruiert (vgl. Bohnsack 1997: 495; 2000: 46-64). Mit unserem methodischen Herangehen über drei Ebenen erhalten wir zusätzliche Hinweise über den Stellenwert von Identitätskonstruktionen. Wenn Differenzierungskategorien, mit denen Personen Identitäten inszenieren, auch auf der Repräsentations- oder Strukturebene auftauchen, spricht dies dafür, dass diese Selbstkonstruktionen einen hohen Stellenwert haben. Dieser vierte Schritt sollte nicht direkt nach dem ersten folgen, da wir über die vorher abgeschlossene Analyse der anderen Ebenen mitunter durchaus wichtige Anhaltspunkte für eine zusammenfassende Identitätsbeschreibung erhalten. So können mehrfache Hinweise auf die fehlende Anerkennung von Alleinerziehenden auf der Repräsentationsebene den Weg öffnen, die Identitätskonstruktionen von alleinerziehend, Vollzeit erwerbstätig, beruflich erfolgreich und kompetent 86

METHODOLOGIE

in der Vereinbarung aller Lebensbereiche zusammenzufassen und gemeinsam als wichtigen Identitätsbaustein zu begreifen. In diesem vierten Schritt geht es darum, die wichtigsten Identitätskonstruktionen in ihren Wechselwirkungen auch über Ebenen hinweg sichtbar zu machen. Dabei stellen wir nicht nur die Überschneidungen von Kategorien dar, z.B. Ethnie und soziale Anerkennung, sondern benennen deren konkrete Verwobenheit, die sehr unterschiedlich ausfallen kann. So kommen wir bei der Analyse der Überkreuzungen von Kategorien zu recht verschiedenen Identitätskonstruktionen, auch wenn Personen dieselben Differenzierungskategorien heranziehen. In einer solchen Untersuchung kommt beispielsweise eine über 60-jährige, kinderlose Migrantin zum Vorschein, die sich gesellschaftlich ausgegrenzt fühlt, oder aber eine türkische Älteste, die mit Selbstbewusstsein wichtige Aufgaben in ihrer Familie wahrnimmt. Je nach Kontext erfährt Alter also eine unterschiedliche Bewertung. An dieser Stelle arbeiten wir ebenfalls heraus, ob und wie sich die in der Gesellschaft unterschiedlich verorteten Differenzierungskategorien gegenseitig negativ verstärken, so dass die Lebensbewältigung schwierig wird. Dies wird beispielsweise im Interview mit einer in Deutschland geduldeten kurdischen Migrantin deutlich, das das Forschungsteam um Franz Schultheis und Kristina Schulz (2005: 569-574) im Zusammenhang mit Armut, Prekarität und Erwerbslosigkeit in Deutschland geführt hat. Bei Frau B. sind Hilflosigkeit und Einsamkeit zentrale Themen. Sie fühlt sich ausgegrenzt, als Mensch zweiter Klasse behandelt, weil sie nicht arbeiten darf und auf Sozialhilfe angewiesen ist. Auch fühlt sie sich als Asylantragstellerin und Geduldete von deutschen Institutionen nicht gut behandelt. Weiter schlägt und vergewaltigt ihr Mann sie und droht, ihr die drei Kinder wegzunehmen und sie in die Türkei zurückzuschicken. Schließlich fühlt sie sich zu alt, um noch einmal neu anzufangen. Frau B. lebt vor allem für ihre Kinder. Recht schnell wird hier deutlich, dass die Angst vor Ausweisung ebenso an ihrem Geschlecht wie auch an ihrer Ethnizität und der fehlenden Staatsbürgerschaft hängt, die gefühlte Unterlegenheit der Migrantin ist ferner ihrem Alter geschuldet. Es sind also häufig mehrere Differenzkategorien, die bei Phänomenen wie Gewalt, Hilflosigkeit und Ausgrenzung in Wechselwirkung treten. Folge aus Sicht von Frau B.: „Ich hab keine Chance.“ (Ebd.: 569) Differenzierungskategorien, die mit der niedrigen sozialen Positionierung verbunden sind, können in spezifischen Kontexten aber auch den Alltag erleichtern. Im Rahmen der in Kapitel 3.2 erwähnten intersektionalen Analyse zu Sexismus und Homophobie im Fußball (Degele 2009) etwa zeigen erste Beobachtungen, dass es hinsichtlich der Differenzlinien Geschlecht und Sexualität keineswegs zu einer Kumulation 87

INTERSEKTIONALITÄT

von Diskriminierungen kommen muss, da das Outen als Lesbe und Teammitglied auch mit neuen Möglichkeiten verbunden sein kann. So sind die Spielerinnen eines lesbischen Teams nicht auf Matches mit wenigen Frauen- und sonst nur Männerteams angewiesen, sondern nehmen zahlreiche Gelegenheiten wahr, bei queeren Turnieren mitzuspielen, was das Frauenteam nicht tut. Darüber hinaus äußern sie nicht wie die Frauenfußballerinnen Unmut darüber, sich permanent gegen den (öffentlichen) Verdacht wehren zu müssen, als Fußballerinnen seien sie vermutlich lesbisch – schließlich stehen sie genau dazu. Dabei gilt es, auch bei sehr einfachen Überschneidungen vorsichtig und vor allem für unterschiedliche Zusammenhänge offen zu sein. Denn die Betonung der mangelnden Bildung einer jungen Frau auf der Identitätsebene muss nicht, wie vielleicht nahe liegend, auf Unterdrückungsstrukturen im Klassen- oder Geschlechterverhältnis verweisen. Sie kann auch mit einem Migrationshintergrund und rassistischen Ausgrenzungen zu tun haben oder mit einer Behinderung, die aufgrund der vorherrschenden Bodyismen zu Ausschlüssen führt. Wie AkteurInnen ihre sozialen Praxen bewerten und einordnen, lässt sich am besten erkennen, indem wir auf alle drei Ebenen und ihre Wechselwirkungen achten. So ermöglicht die intersektionale Mehrebenenanalyse nicht nur ein iteratives Vorgehen, sondern fordert geradezu dazu auf, erste Ergebnisse immer wieder mit den jeweils anderen Ebenen zu vergleichen und damit die Analyse zu erweitern. Wichtig ist, dass wir gerade am Ende der Analyse eines Interviews noch einmal überprüfen, welche Differenzierungskategorien auf den drei Ebenen Identitätskonstruktionen, symbolische Repräsentationen und Sozialstrukturen für die jeweils untersuchte soziale Praxis tatsächlich von Bedeutung sind. Die Relevanz der Kategorien hängt auch stark vom Untersuchungsgegenstand ab. Deshalb ist es Aufgabe der Forschenden, das eigene Erkenntnisinteresse zu explizieren. Diese Leistung ist nicht nur zu Beginn einer Untersuchung, sondern permanent notwendig, da sich der Fokus und die Fragestellungen im Verlauf einer Analyse verschieben können. Zusammenfassend geht es im vierten Schritt um eine Art Zusammenschau der analysierten sozialen Praxen einer Person oder einer Gruppe. Es gilt, die Wechselwirkungen nicht nur der Kategorien, sondern auch auf den verschiedenen Ebenen miteinander und vor allem die Durchkreuzungen diverser Kategorien auf verschiedenen Ebenen zu untersuchen. Bei diesem Prozess ist es schwierig, ein konkretes methodisches Vorgehen zu verallgemeinern. Es hat sich aber bewährt, Schlagworte, die auf der jeweiligen Ebene von besonderer Bedeutung sind, zueinander in Verbindung zu setzen und daraus Wechselwirkungen und 88

METHODOLOGIE

Überkreuzungen herauszuarbeiten. Eine Möglichkeit besteht weiter darin, in einer Grafik das Zusammenwirken einzelner Kategorien, die auf verschiedenen Ebenen angesprochen sind, durch Ellipsen zu verdeutlichen, Abbildung 2 dient dafür als Beispiel. Es ist der Analyse eines Interviews entnommen, das Philipp Garde im Rahmen einer studentischen Projekts zu sozialen Praxen politisch aktiver Personen in Hamburg ausgewertet hat. Dabei stellen wir Kongruenzen zwischen Ebenen und auch innerhalb einer Ebene mit Ellipsen oder auch Pfeilen mit durchgehenden Linien dar, während wir Widersprüche durch gestrichelte Linien verdeutlichen. Abbildung 2: Wechselwirkungen von Differenzkategorien einer in der Anti-Lookism-Bewegung aktiven Person auf drei Ebenen (die gestrichelten Linien sollen Widersprüche, die durchgehenden Linien Passungen verdeutlichen)5 Strukturebene

Hierarchisches Erwerbssystem nach Bildung und Qualifikation

Kaum Vernetzung unter Dicken, auch nicht international

Verbeamtung mit BMI über 30 schwierig Keine geeigneten Sitze für Dicke im Bus

5

Identitätsebene Qualifizierte Wissenschaftlerin, die sich gegen ungebildete Menschen abgrenzt

Repräsentationsebene

Leistungsideale, Qualität setzt sich durch

Qualität in der Argumentation bzgl. Dicksein in Abgrenzung von Geschwätz

Sieht sich als eine der wenigen Dicken, die international vernetzt ist

Fühlt sich mit Dicksein gut im Gegensatz zum Selbsthass Anderer

Körpernormen Bild der schwachen Dicken, die am Abnehmen scheitern

hält sich nicht für krank, sondern für kerngesund

Dicksein schadet der Gesundheit Pathologisierende Kampagne der Bundesregierung „fit statt fett“

Wir bedanken uns bei Philipp Garde, Student in Hamburg, für seine intersektionale Auswertung eines Interviews mit einer Person, die in der AntiLookism-Bewegung aktiv ist; daraus haben wir das Beispiel deutlich verändert übernommen. 89

INTERSEKTIONALITÄT

Mit diesen vier Schritten ist der erste Block der intersektionalen Mehrebenenanalyse zunächst abgeschlossen, in dem es primär darum geht, bezogen auf eine Interviewperson oder eine Gruppendiskussion direkt aus dem empirischen Material die Vielfalt von Identitätskonstruktionen, symbolischen Repräsentationen und gesellschaftlichen Strukturen und deren Wechselwirkungen herauszuarbeiten. Dieser erste Block kann allerdings im Rahmen der Iteration auch wieder aufgerufen werden. Im folgenden Block setzen wir nun die Analyse durch die Zusammenführung aller Interviews oder aller für eine Untersuchung erhobenen empirischen sozialen Praxen fort. Schritt 5: Identitätskonstruktionen vergleichen und clustern Mit Schritt 5 beginnt nun die Zusammenschau der Auswertung mehrerer Interviews oder Gruppendiskussionen. Im Vergleich der Unterschiedlichkeiten oder Ähnlichkeiten der Identitätskonstruktionen gilt es, neue Erkenntnisse zu gewinnen. In welchem Zusammenhang ist den Interviewpersonen beispielsweise die Kategorie Geschlecht wichtig, auf welcher Ebene wird sie benannt oder kommt sie durchgehend nicht vor? Wir können aber auch danach fragen, mit welchen sozialen Praxen Personen auf bestimmte Herausforderungen reagieren, die ihnen gemeinsam sind. Über den Vergleich mehrerer Interviews oder Gruppendiskussionen lassen sich aufschlussreiche Erkenntnisse über den Bezug auf Differenzierungskategorien gewinnen – wenn etwa die Thematisierung von Kategorien mitunter recht oder sogar völlig verschieden ausfällt. In diesem Stadium der Untersuchung macht es Sinn, den zu untersuchenden Gegenstandsbereich „anhand eines oder mehrerer Merkmale in Gruppen bzw. Typen“ (Kelle/Kluge 1999: 77f.) einzuteilen. Dahinter steckt die Idee, anhand der aus dem Material herausgearbeiteten Vergleichsdimensionen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Identitätskonstruktionen angemessen zu erfassen und in Form unterscheidbarer Typen zu charakterisieren. Die gebildeten Typen ähneln sich hinsichtlich bestimmter Merkmale mehr als andere, ihre Ähnlichkeit untereinander muss durch eine plausible Merkmalsausprägung begründet sein. Die Typen oder Gruppen müssen also zum einen eine möglichst große interne Homogenität aufweisen, zum anderen müssen sie sich im Vergleich untereinander durch eine genügend hohe externe Heterogenität auszeichnen. Als Voraussetzungen dafür nennen Udo Kelle und Susanne Kluge (1999: 80) erstens „eine präzise Definition der Kategorien und Subkategorien bzw. der Merkmale und ihrer Ausprägungen“, zweitens „die Untersuchung jedes Einzelfalls bezogen auf seine konkreten Merkmalsausprägungen“ und drittens die Identifikation und der Ver90

METHODOLOGIE

gleich auch der empirisch vorfindbaren Merkmalskombinationen. In einer intersektionalen Studie ist es sinnvoll, sich an der Bedeutung von Ungleichheitsdimensionen zu orientieren, d.h. an Merkmalsausprägungen vor dem Hintergrund von Differenzkategorien. Nützlich ist dabei die Arbeit mit Gegensatzpaaren (siehe Schritt 1) und/oder darauf aufbauend mit Kreuztabellen, indem etwa zwei Kategorien dimensionalisiert und miteinander kombiniert werden (Beispiele dazu finden sich in Kelle/Kluge 1999: 78f.). Typologien liefern keine statistisch signifikanten Aussagen und geben keine Auskunft über Häufigkeitsverteilungen. Sie sollen vielmehr auf inhaltliche Sinnzusammenhänge verweisen und soziologisch verstehend erklären. Dazu gehört, sowohl den subjektiv gemeinten Sinn wie auch die im Kontext wichtigen gesellschaftlichen Regeln und Strukturen zu erfassen und zueinander in Beziehung zu setzen. Dabei ist wichtig, nicht bereits im Vorfeld Vergleichsdimensionen festzulegen, also gerade nicht a priori Identitätskonstruktionen von Männern von denen von Frauen abzugrenzen. Als Vergleichdimensionen dienen vielmehr Facetten von Identitätskonstruktionen, die in allen Interviews in vielfältiger und gleichzeitig unterschiedlicher Weise vorkommen. Aber auch die Unterschiedlichkeit der untersuchten sozialen Praxen kann für die Typenbildung Verwendung finden. Erst nach dieser Typenbildung lässt sich sinnvollerweise prüfen, ob die nicht als Vergleichsdimensionen herangezogenen Differenzierungskategorien wie Geschlecht oder Ethnie in den unterschiedlichen Typen gehäuft vorkommen. Das bedeutet, erst wenn die Typen feststehen, analysieren wir, inwieweit diese vergeschlechtlicht, ethnisiert etc. sind (vgl. Koch/Winker 2003). In den folgenden beiden Schritten 6 und 7 fragen wir danach, welche Repräsentationen und sozialen Strukturen die einzelnen Typen verstärkt zur Identitätskonstruktion heranziehen und ergänzen die vorhandenen Erkenntnisse zur Struktur- und Repräsentationsebene entsprechend durch Kontextwissen. Schritt 6: Strukturdaten ergänzen und Herrschaftsverhältnisse analysieren Während wir vorschlagen, uns nach Schritt 1 im zweiten Schritt zuerst mit der Repräsentationsebene zu beschäftigen, da sie sehr eng mit der Identitätsebene verknüpft ist, und uns dann im dritten Schritt der Strukturebene zuzuwenden, vertauschen wir bei der Analyse zusätzlichen Datenmaterials, also im Schritt 6 und 7, die Reihenfolge der Ebenen. Uns erscheint es einfacher, zunächst handfeste Strukturen, d.h. in Gesetzen, Verordnungen und Institutionen materialisierte Praxen, zu untersuchen 91

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und uns danach mit der Vielfalt ideologischer Konstruktionen auseinanderzusetzen. Es mag allerdings sicherlich auch gute Argumente für das Vorziehen der Repräsentationsebene geben. Die Wahl der Reihenfolge hängt vom Untersuchungskontext ab, aber auch den wissenschaftlichen Vorlieben der ForscherInnen. Unabhängig von der Reihenfolge ist es notwendig, auf der Strukturebene zusätzliche Datenquellen in die Analyse einzubeziehen. Denn Befragte sprechen zwar sehr oft Rahmenbedingungen an, vertiefen sie dann aber nicht oder stellen sie sachlich falsch dar. Um aber Befürchtungen vor Abschiebung zu verstehen, reichen einige Hinweise im Interview zum menschenunwürdigen deutschen Asylrecht und dessen bürokratischen Auswüchsen nicht aus. In diesem Fall müssen wir uns mit den angesprochenen strukturellen Herrschaftsverhältnissen vertraut machen. Der Vorteil der dargestellten Methode liegt darin, dass nicht alle Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen oder Bodyismen, die eine soziale Praxis möglicherweise betreffen, gleichzeitig im Fokus stehen. Einbezogen werden nur diejenigen Facetten von Herrschaftsverhältnissen, die eine Interviewperson in der konkreten sozialen Praxis benennt oder auf die sie implizit über Beschreibungen ihres Umfelds verweist. Wir können aber auch die Nicht-Benennung von Kategorien einordnen, wenn eine Interviewperson von bestimmten Herrschaftsverhältnissen profitiert. Mit diesem Vorgehen begegnen wir dem berechtigten Vorwurf an Strukturanalysen, dass sie strukturelle Herrschaftsverhältnisse den AkteurInnen überstülpen und letzteren damit nicht gerecht werden. Wir setzen mit unserem Vorgehen nicht voraus, dass in dem genannten Kontext für die jeweilige AkteurInnen bestimmte Aspekte einzelner Herrschaftsverhältnisse wirksam sind, sondern vertiefen in der Analyse nur direkt oder indirekt benannte Dominanz- und Unterdrückungsstrukturen. Schritt 7: Analyse von benannten Repräsentationen vertiefen Eine Reihe von Aussagen in Interviews beziehen sich auf symbolische Repräsentationen, das heißt auf Normen und Werte, mit denen sich AkteurInnen auseinandersetzen. Wir haben diese Repräsentationen bereits in Schritt 2 aufgeführt. Jetzt geht es darum, zum Verständnis dieser in einem bestimmten Kontext vorherrschenden Ideologien zusätzliche Datenquellen hinzuzuziehen. Nur so können wir umfassend verstehen, in welchen gesellschaftlichen Zusammenhängen diese Normen und Werte aufgerufen und immer wieder neu am Leben gehalten werden. So gilt es beispielsweise, Schönheitsideale zu differenzieren und ihre unterschiedlichen Bedeutungen darzustellen (wenn sie in sozialen Praxen eine wich92

METHODOLOGIE

tige Orientierung darstellen), sich auf ihre Genealogie zu besinnen und herauszuarbeiten, wie beispielsweise Massenmedien sie immer wieder neu reproduzieren. Dafür bietet es sich an, Daily Soaps, Werbetexte, Zeitungen mit Millionenauflagen oder populäre Internetforen zu analysieren. Lehnen andere Personen Schönheitsideale explizit ab, propagieren dagegen die Lust am Dicksein oder verteufeln äußere Werte, dann können wir in diesem Fall zusätzliches Material über die Werte und Normen von Anti-Lookism-Kampagnen auswerten, um darüber ein besseres Verständnis der zu untersuchenden sozialen Praxen zu erhalten. Ein Beispiel, an dem deutlich wird, dass Identitätskonstruktionen und dabei die schmale Grenze von Erlaubtem und Ausgegrenztem ohne eine umfassende Analyse gesellschaftlicher Normen und Werte kaum zu verstehen sind, sind Umarmungen zwischen Männern beim Fußball. Ohne den Kontext eines Fußballspiels könnte man hier durchaus an schwule Handlungen denken, der Torjubel auf dem markierten Fußballplatz und in entsprechender Arbeitskleidung dagegen macht daraus eine heterosexuelle Inszenierung. Innige Küsse nach einem Torerfolg würden diese Grenze vermutlich überschreiten, der heterosexuelle Rahmen würde nicht mehr passen. Die Norm ‚Fußballer sind nicht schwul‘ liefert dabei den entsprechenden Interpretations- und Handlungsrahmen, der Ein- und Ausschlüsse schafft. Dies wiederum führt im Sinne permanenter Wiederholung zu einer Bekräftigung und Verfestigung der jeweiligen Identität eines heterosexuellen Fußballers. Je nach Untersuchungsfrage gilt es zu beantworten, wie weitgehend Sekundärmaterial einbezogen und ausgewertet werden soll. Wichtig ist, das zusätzliche Datenmaterial immer in Bezug zu den aus dem Interview gewonnenen Aussagen zu setzen. Wenn die Auswertung und Zuordnung zusätzlicher Quellen auf der Strukturebene im sechsten Schritt und auf der Repräsentationsebene im siebenten Schritt erfolgt ist, können wir mit dem abschließenden achten Schritt beginnen, nämlich der Herausarbeitung vielfältiger Wechselwirkungen über den konkreten Einzelfall hinaus. Schritt 8: Wechselwirkungen in der Gesamtschau herausarbeiten In diesem die Analyse abschließenden Schritt geht es darum, die unterschiedlichen Typen noch einmal im Lichte zusätzlicher Informationen und Daten auf der Struktur- und der Repräsentationsebene zu betrachten. Dabei ist zweierlei gefordert: Zum einen wollen wir die Wechselwirkungen und unterschiedlichen Gewichtungen von Ungleichheitsdimensionen und Herrschaftsverhältnissen in den Blick bekommen. Zum anderen unternehmen wir dies im Hinblick auf ihre Wirkungsweisen auf den 93

INTERSEKTIONALITÄT

drei verschiedenen Ebenen. In diesem Schritt lassen sich Verallgemeinerungen jenseits des einzelnen Falls und auch jenseits des einzelnen Typus herausarbeiten. Denn wir können hier Erkenntnisse über die Bedeutsamkeit einzelner Diskriminierungsformen im untersuchten Kontext gewinnen. Dafür ist es sinnvoll, den in Kapitel 3.2 dargestellten sechs Wechselwirkungen zu folgen und zwar jeweils bezogen auf die unterschiedlich benannten Typen oder Differenzierungskategorien. Dabei ist zu beachten, dass diese Wechselwirkungen keine Kausalitäten im Sinne einer notwendigen Aufeinanderfolge von Ereignissen darstellen, sondern Korrelationen, deren gemeinsames Auftauchen auf Plausibilität hin überprüft wird. Wir beginnen, so unser Vorschlag, bei diesem letzten Schritt mit der Strukturebene, mit der Frage, welche Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen im Feld erkennbar und wie sie untereinander verwoben sind. Dann fragen wir, welche Wirkungen diese von uns herausgearbeiteten strukturellen Herrschaftsverhältnisse auf die Identitätsebene haben. Lassen sich also Identitätskonstruktionen benennen, die auf die Wirksamkeit der erkannten strukturellen Herrschaftsverhältnisse hinweisen? Beispielsweise zeigt sich der meritokratische Klassismus, also ein Herrschaftsverhältnis, das entlang der Triade Bildung – Beruf – Einkommen strukturiert ist, darin, dass viele Interviewpersonen dieses Leistungsprinzip für sich akzeptieren. Aber auch wenn sie sich dagegen emotional und mit viel Energie wehren, wird deutlich, dass diese Form des Klassismus in dem untersuchten Feld wirksam ist. Die Auswirkungen von Akzeptanz oder Widersetzung sind allerdings unterschiedlich. Im nächsten Schritt stellen wir deshalb die Frage, wie herausgearbeitete Identitätskonstruktionen Strukturen stützen oder relativieren. In beiden Untersuchungsschritten wird sichtbar, ob und inwiefern Individuen (oder die herausgearbeiteten Typen) den vier deduktiv vorgegebenen Herrschaftsstrukturen unterliegen und inwieweit sie diese akzeptieren, in ihre Identitätskonstruktionen einbauen oder sich aber zur Wehr setzen. Das ermöglicht Aussagen zur Reichweite, zum Stellenwert und zur Stabilität von Herrschaftsstrukturen in ihren jeweiligen intersektionalen Wechselwirkungen. Ein ähnliches Vorgehen durchlaufen wir, indem wir die kontextualisierten symbolischen Repräsentationen als Ausgangspunkt nehmen. Welche Wirkungen haben diese Normen auf Identitätskonstruktionen in dem von uns untersuchten Kontext? Welche typischen Selbstbilder verweisen auf die Wirksamkeit bestimmter Repräsentationen? So ist zum Beispiel die Aussage von Frauen, dass sie sich als Mütter in der grundlegenden Verantwortung für die Erziehung der Kinder fühlen, ein Indiz für die Wirksamkeit von immer noch wirksamen Mutterstereotypen. 94

METHODOLOGIE

Dies gilt auch dann, wenn sich Interviewpersonen energievoll gegen diese Mutterbilder zur Wehr setzen. Und auch hier stellen wir umgekehrt die Frage, wie Identitätskonstruktionen die gängigen Normen und Werte stabilisieren oder aber in Frage stellen. Dabei wird deutlich, inwieweit Menschen im untersuchten Feld die herausgearbeiteten symbolischen Repräsentationen akzeptieren oder sich gegen diese von ihnen wahrgenommenen Werte und Normen wehren. Abschließend betrachten wir das Verhältnis von im Kontext wirksamen strukturellen Herrschaftssystemen und bedeutsamen symbolischen Repräsentationen. Dabei achten wir auch darauf, ob bestimmte Herrschaftsverhältnisse oder zu erwartende Repräsentationen nicht auftreten, auch daraus lassen sich Schlussfolgerungen ziehen. Die Frage nach dem Wechselverhältnis stellen wir wieder in zwei Richtungen. Zunächst schauen wir von den Strukturen auf die Repräsentationen und fragen, wo strukturelle Gegebenheiten Auswirkungen auf Normen und Ideologien haben und wie sich entsprechend symbolische Repräsentationen darstellen. Deutlich wird dies, wenn sich beispielsweise strukturelle Prozesse der Kosteneinsparung im Gesundheitswesen darin äußern, dass Körpernormen an Bedeutung gewinnen und Werte hegemonial sind, wonach alle für ihre Gesundheit und Fitness selbst verantwortlich seien. Oder auch wenn gesetzliche Einschränkungen im Asylrecht mit Bildern einhergehen, nach denen das Boot Europa voll sei und weitere Wirtschaftsflüchtlinge keinen Platz mehr hätten. Auch hier fragen wir umgekehrt: Haben die benannten Normen und Werte derzeitig Auswirkungen auf die Strukturebene und wie verändern sie strukturelle Herrschaftsverhältnisse? Dies wird deutlich, wenn wir Verschiebungen in den Herrschaftsverhältnissen im Vergleich zu anderen Kontexten oder in zeitlicher Perspektive wahrnehmen. Denn Ideologien müssen nicht direkt zu Gesetzesänderungen führen, sie können ihnen vorausgehen, sie können Gesetze im Nachhinein legitimieren, sie können allerdings auch zu keinen erkennbaren Veränderungen auf strukturellen Herrschaftsverhältnissen führen. Im Idealfall lassen sich hier Aussagen treffen, inwieweit sich Strukturen und Repräsentationen gegenseitig stützen oder sich Verschiebungen von der Struktur- auf die Repräsentationsebene oder andersherum abzeichnen. Zusammenfassend besteht der Gewinn einer solchen praxeologisch orientierten intersektionalen Mehrebenenanalyse erstens darin, dass wir soziale Praxen umfassend in den Blick nehmen und nicht bei der Analyse einer Materialisierungsebene stehen bleiben. Zweitens stellen die drei Ebenen ein wichtiges wechselseitiges Korrektiv dar. Damit können wir beispielsweise hermeneutische Interpretationen, die wir primär auf der Identitätsebene vornehmen, mit der gleichzeitigen Aufarbeitung der 95

INTERSEKTIONALITÄT

Aussagen, die sich auf Repräsentations- und Strukturebene beziehen, abgleichen und weiterentwickeln. Drittens ermöglicht dieser methodologische Ansatz ein systematisches Vorgehen, das ForscherInnen einen in acht Schritten strukturierten Auswertungsleitfaden an die Hand gibt. Und viertens ist innerhalb der vorgeschlagenen Systematik Offenheit und Neugierde sowie ein iteratives Vorgehen gefordert, das nicht bei ersten Erkenntnissen stehen bleibt, sondern die Schritte zyklisch wiederholt. Wir können also festhalten, dass das hier vorgeschlagene Vorgehen soziale Praxen in den Blick nimmt und die dort vorfindbaren Differenzierungskategorien auf der Identitäts-, Repräsentations- und Strukturebene vor allem in ihren Wechselwirkungen untersucht. Genau das soll eine Intersektionalitätsanalyse leisten. In Abbildung 3 verdeutlichen wir dieses Vorgehen noch einmal grafisch.

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METHODOLOGIE

Abbildung 3: Modell der intersektionalen Mehrebenenanalyse

Soziale Praxen

Block I: Auswertung einzelner Interviews Schritt 3: Bezüge zu Sozialstrukturen und den vier deduktiv vorgegebenen Strukturkategorien finden: Klasse Geschlecht Rasse Körper

Schritt 1: Identitätskonstruktionen beschreiben wie: arm ~ reich homo ~ hetero jung ~ alt selbständig ~ angestellt prekär ~ abgesichert deutsch ~ türkisch gesund ~ krank unattraktiv ~ schön

Schritt 2: Symbolische Repräsentationen identifizieren wie: „Leistung muss sich lohnen.“ „Frauen sind kommunikativer als Männer.“ „Türken haben andere Werte als Deutsche.“

Schritt 4: Wechselwirkungen zentraler Kategorien auf drei Ebenen benennen

Block II: Analyse aller Interviews einer Untersuchung

Schritt 6: Strukturelle Herrschaftsverhältnisse analysieren: Klassismen Heteronormativismen Rassismen Bodyismen

Schritt 5: Identitätskonstruktionen vergleichen und clustern unter dem Aspekt unterschiedlicher Strategien zur Bewältigung von Unsicherheiten

Schritt 7: Analyse von benannten Repräsentationen vertiefen als Rechtfertigungen für Ungleichheiten

Schritt 8: Zusammenschau

Intersektionale Wechselwirkungen auf drei Materialisierungsebenen

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4 EMPIRIE: MEHREBENENANALYSE VON ERWERBSLOSIGKEIT

AM

BEISPIEL

Wechselwirkungen beziehungsweise der Zusammenhang von Kategorien und Ebenen stellen sich je nach Untersuchungskontext und Fragestellung sehr unterschiedlich dar. Die Herausforderung besteht darin, empirisch auf soziale Praxen zu schauen und darüber die unterschiedlichen Differenzkategorien auf den drei benannten Ebenen sowie deren Wechselwirkungen und Zusammenhänge in den Blick zu nehmen. Das von uns entwickelte praxeologische Vorgehen mit den in Kapitel 3.3 dargestellten acht methodischen Schritten wollen wir im Folgenden exemplarisch verdeutlichen. Anhand der Alltagsbewältigung erwerbsloser Personen zeigen wir, wie sich mit diesem intersektionalen Vorgehen nicht nur Wechselwirkungen zwischen Kategorien empirisch rekonstruieren lassen, sondern wir damit auch einen Beitrag für eine systematische Verbindung der drei Untersuchungsebenen liefern können. Als Grundlage für eine Demonstration unseres Vorgehens dienen 13 narrative Interviews mit Erwerbslosen, die Studierende und MitarbeiterInnen unserer Intersektionalitätsseminare 2007 durchgeführt haben.1 In dieser Untersuchung geht es um alltägliche Bewältigungsstrategien von erwerbslosen Personen mit unterschiedlichen Hintergründen in Be1

Wir bedanken uns an dieser Stelle bei den zum Zeitpunkt der Untersuchung Studentinnen Susanne Grimm, Lejla Karovic-Kersting, Lalida Rajsrima, Nina Reusch und Alice Rombach aus Freiburg, den Studierenden Janne Bavendamm, Stefanie Bentrup, Kathrin Englert, Marius Henderson, Janina Johannsen, Melani Klariü, Natascha-Maria Meyenberg, Michaela Schilling aus Hamburg, den Hamburger PromovendInnen Stefan Paulus und Kathrin Schrader sowie Dr. Melanie Groß, damals wissenschaftliche Mitarbeiterin in Hamburg. 99

INTERSEKTIONALITÄT

zug auf Alter, soziale Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Verantwortung für Kinder, Nationalität, Ethnie, Berufserfahrung, körperliche Leistungsfähigkeit und vieles mehr. Wir wollten herausfinden, welche Behinderungen und Unterstützungen die Befragten erfahren, welche Formen der Anpassung, des Arrangements oder auch der Abgrenzung und des Widerstands sie entwickeln. Das Hauptaugenmerk bei der Interviewführung lag darauf, den GesprächspartnerInnen bei den Fragen keine Differenzierungskategorien vorzugeben, um damit Reifizierungen zu vermeiden. In der folgenden Darstellung eines Teils der von uns in dieser Untersuchung vollzogenen Auswertungsschritte geht es um eine beispielhafte Verdeutlichung unserer intersektionalen Mehrebenenanalyse. Wir wollen also nicht das vollständige Vorgehen wiedergeben, das würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Ferner geht es uns nicht darum, unsere Ergebnisse in den Forschungsstand und die wissenschaftliche Debatte zur alltäglichen Bewältigung von Erwerbslosigkeit einzubetten, auch wenn in der Darstellung unserer Vorgehensweise für dieses Feld interessante Detailergebnisse sichtbar werden. Das Material dient vielmehr dazu, unser intersektionales Vorgehen mit Hilfe der Acht-Schritte-Methode nachvollziehbar zu machen. Wir wollen verdeutlichen, wie das in den vorherigen Kapiteln dargestellte theoretische und methodologische Herangehen als Werkzeug im Forschungsprozess konkret genutzt werden kann. Dass dies grundsätzlich möglich ist und mit diesem Ansatz interessante empirische Ergebnisse erzielbar sind, zeigen uns Studierende und Promovierende, die auf der Grundlage unserer ersten Veröffentlichungen (Degele/Winker 2007, 2008) als PionierInnen ihre intersektional und empirisch ausgerichteten Qualifikationsarbeiten schreiben oder bereits abgeschlossen haben. Bei ihnen wollen wir uns an dieser Stelle bedanken und gleichzeitig unsere damit verbundenen Lernprozesse mit der Konkretisierung und Veranschaulichung der vorgeschlagenen Methode an Interessierte weitergeben in der Hoffnung, dass in der Zukunft weiteren empirisch und intersektional arbeitenden ForscherInnen mancher Umweg erspart bleibt. Zunächst verdeutlichen wir die ersten vier Schritte des praxeologisch ausgerichteten, intersektionalen Vorgehens anhand eines von uns für diesen Zweck ausgewählten Interviews. In einer umfassenden Untersuchung zur Deutung und Bewältigung von Erwerbslosigkeit müssten selbstverständlich alle geführten Einzelinterviews in vergleichbarer Weise entsprechend der Schritte 1 bis 4 ausgewertet werden. Ohne dies beendet zu haben, kann die Analyse mit den folgenden Schritten gar nicht weitergehen.

100

EMPIRIE

Nach der Darstellung der Schritte 1 bis 4 am Beispiel eines Interviews führen wir die in den Intersektionalitätsseminaren ausgewerteten Einzelinterviews in den Schritten 5 bis 8 zusammen. Hier entfaltet sich dann die eigentliche methodische Stärke der von uns vorgeschlagenen intersektionalen Methodik, da erst in diesen Schritten die Wechselwirkungen von Kategorien und Ebenen über den Einzelfall hinaus zu Erkenntnissen führen. Die weitere Darstellung folgt den acht Schritten, wie wir sie in Kapitel 3.3 begründet haben. Schritt 1: Identitätskonstruktionen beschreiben Die Auswertung jedes Interviews beginnt im ersten methodischen Schritt mit der Analyse, welche Differenzkategorien für die Identitätsbildung der jeweiligen Interviewperson bedeutsam sind. Wie positioniert sich die Interviewperson, wie stellt sie sich dar? Da wir im Schritt 1 noch keine Bewertung des Stellenwerts der einzelnen Identitätskonstruktionen vornehmen, gilt es hier, möglichst viele Differenzierungskategorien darzustellen, auf welche die Interviewperson Bezug nimmt. Um unser Vorgehen zu verdeutlichen, wählen wir für die Exemplifizierung der ersten vier Schritte unserer intersektionalen Methode ein Interview aus, das Alice Rombach, zum damaligen Zeitpunkt Studierende der Soziologie, Politikwissenschaft und Gender Studies an der Universität Freiburg, mit A geführt hat.2 Alice Rombach hatte sich vorgenommen, zur Mittagszeit vor einem Essenstreff für Bedürftige einen oder eine InterviewpartnerIn zu finden. Nachdem sie zunächst mit einigen Männern ins Gespräch gekommen war, die trotz freundlichen Austauschs über Obdachlosigkeit, Schnorren, Freundschaft, Wertesysteme, Krankheit, ihr Verhältnis zu Erwerbstätigkeit und Alkohol nicht bereit waren, ein Interview zu geben, traf sie auf A, eine Frau mittleren Alters, die das Gespräch mit den Männern verfolgt hatte und sich für das Vorhaben von Alice Rombach interessierte. A war bereit, vor Ort, also im Gebäude des Essenstreffs, aus ihren Erfahrungen zu berichten. Nachdem Alice Rombach als Interviewerin A die in unserem Seminar für alle Interviews vorab festgelegte Einstiegsfrage nach einem normalen Tageslauf in ihrem derzeitigen Leben gestellt hatte, übernahm A sofort die Gesprächsführung, indem sie auf diese allgemeine Frage nach dem Alltag meinte: „Vielleicht sollte ich erst mal erzählen, wie ich überhaupt in das Alles rein gekommen bin.“ Lachend, sich selbst ironisierend fängt sie an: „Also, ich hatte immer den verkehrten Mann!“ Mit

2

Wir bedanken uns bei Alice Rombach, dass sie uns dieses von ihr geführte Interview zur Auswertung überlassen hat. 101

INTERSEKTIONALITÄT

diesem Satz zu Beginn macht A deutlich, dass sie heterosexuell ist. Allerdings grenzt sie sich damit nicht von Homosexualität ab. Vielmehr setzt sie den „verkehrten Mann“ in ein Verhältnis zu einem richtigen, das heißt bei ihr: einem „lieben Mann“, wie sie in einer späteren Passage sagt. So stellt sich A zu Beginn des Interviews mit einem Augenzwinkern als eine Frau dar, die in ihrem bisherigen Leben sehr oft mit den verkehrten Männern Kontakt hatte. Daran anschließend benennt A ein weiteres, für sie zentrales Thema, den Alkohol, was in folgender Einstiegspassage deutlich wird: „Und bei uns zuhause wurd’ imma viel getrunge. Weil ich aus ner Weingegend komm. Wurd’ viel Wein getrunge. Und da war das sowieso ganz normal, ach Wochenende – Kaffeeklatsch. Es ging immer darum, Wein, ach lass doch die Kinder mittrinken. Und da bin ich imma in de Küche und hab immer diese ‚Eierlikörgläser‘ immer ausgetrunge als kleines Kind. Und dann in de Schule wollt ich ah net hindedranhänge, da bist auch ins Rauchereck rein gekommen. Na da rauche die Jungs, da rauchste ebbe mit, dass de auch mit drin bist. Und dann war das auch, ach komm hole mer n Kasten Bier oder sonst irgendwas. Und dann hammer unser Taschengeld damit verdient, dass mer für die Männer dann immer Bier holen gegangen sind, für die auf der Arbeitsstelle und so. Und dann dachste hooo, sind ja auch tolle Männer dabei – und dann biste mit dem, mit denen auch eben in die Kiste, eben gegangen. Hast mit denen auch geschlafen und was getrunken, und bist am nächsten Morgen wieder in die Schule. Und dann hab ich eben das Glück gehabt, dass ich eben n ziemlich gutes Elternhaus gehabt habe. Papa war viel auf Geschäftsreise, meine Schwester is früh weggegange, weil sie angefangen hat zu arbeiten und zu studieren. Und mein Papa uns auch viel g’schlagen hat – was eben so war, also mein Papa war Jahrgang 15, die Mutti ist Jahrgang 20, sind beide tot. Dann hab ich eben n Mann kennen gelernt, der is mir eben weggestorben, durch n Asthma, durch Alkohol. Dann hab ich damals noch n Kind gekriegt, das wurd’ mir auch weggenommen durch Alkohol. So kam ich eben auf die schiefe Bahn. Und da ich eben nix gelernt hab, hab ich viel in Küchen gearbeitet, da wurd’ ja au imma viel getrunge und so, ach ja hat dann e’ Kollege Geburtstag, da trinke ma ja e Sekt und sonst irgendwas, gä und da trinkste automatisch mit – also, wie gesagt, der Alkohol ist für mich wie n roter Faden in meinem ganzen Leben.“

In dieser biografischen Erzählfrequenz positioniert sich A gleich zu Beginn des Interviews über eine Reihe von Differenzierungskategorien. Zunächst ist das Trinken von Alkohol für A bedeutsam. Sie kommt aus einer Weingegend, wo normal sei, dass zu vielfältigen Anlässen Alkohol getrunken werde. Nicht nur A, sondern auch alle anderen hätten oft und früh Kontakt mit Alkohol gehabt. Doch der Alkohol bleibt nicht nur Begleiter der Kindheit, sondern der Umgang mit Alkohol ist ein wichtiges 102

EMPIRIE

und – wie im Verlauf des Interviews noch deutlich wird – sogar das wichtigste Thema im Leben von A und damit bestimmend für ihre Identität. Der Alkohol ist für A auch ein wichtiger Grund, warum sie auf die „schiefe Bahn“ gekommen ist. Damit grenzt sie sich implizit von den Anderen ab, die sich ohne fortwährenden Alkoholgebrauch gesellschaftlich integrieren können. Mit dem Alkohol verbunden waren für A das Rauchen und vielfältige sexuelle Kontakte zu Männern schon während der Schulzeit. Einer ihrer Männer sei früh an den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums gestorben. Damit wird deutlich, dass das zu Beginn genannte Thema der verkehrten Männer ebenfalls mit dem Alkoholkonsum verbunden ist. Im Alter von 19 Jahren bringt A ihr erstes Kind auf die Welt, das ihr das Jugendamt wegen ihrer Alkoholabhängigkeit wegnimmt. Das Zusammenleben oder Zusammensein mit ihrem Kind ist für A ein weiteres, ebenfalls eng mit dem Alkohol verwobenes Thema, auf das sie später im Kampf um die Besuchsrechte für ihr zweites Kindes wieder zurückkommt. A spricht in dieser dichten Eingangssequenz nicht nur ihre eigene Generativität an, sondern positioniert sich auch in ihrer Herkunftsfamilie: Sie habe mit einem ziemlich guten Elternhaus Glück gehabt – mit einem Vater auf Geschäftsreisen und einer studierenden Schwester. Gleichzeitig erwähnt A etwas beiläufig, dass „Papa uns auch viel g’schlagen hat“. Diesen Widerspruch problematisiert A nicht, die zwei Seiten ihrer Erfahrungen im Elternhaus stehen unaufgelöst nebeneinander. Die Übergriffigkeit des Vaters, dessen Ausmaß A offen lässt, entschuldigt sie mit dessen hohem Alter. Auch in einer späteren Erzählpassage wird klar, dass sexualisierte Gewalt zu ihrem Leben gehört. Bei der Gewalttätigkeit des Vaters ihres ersten Kindes, die A als „ne ziemlich schmutzige Angelegenheit“ nur kurz erwähnt, verlässt sie die Wohnung mit dem gemeinsamen Kind. Die Deutung eines sexuellen Missbrauchs liegt nahe. Ferner sagt A in ihrem Eingangsstatement, dass sie nichts gelernt hat, und verweist damit auf eine deutliche Differenz zur kurz vorher erwähnten Schwester, die früh gearbeitet und studiert hat. A macht ferner deutlich, wie gerade Jobs für Ungelernte z.B. in Küchen wiederum das Trinken von Alkohol befördern. Später erzählt sie, dass sie während ihrer ersten Schwangerschaft ihre Ausbildung als Kaltmamsell abgebrochen und danach nicht wieder aufgenommen hat. Im weiteren Gespräch bezeichnet sich A als Legasthenikerin. Aus diesem Grunde schätzt sie ihre gesetzliche Betreuerin, die ihr bei finanziellen und rechtlichen Fragen helfe, sehr. A ist es früher ohne Unterstützung häufig misslungen,

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sowohl ihr geerbtes, als auch ihr selbst verdientes Geld vor der Schufa und vor ihrem jeweiligen Lebenspartner in Sicherheit zu bringen. Im weiteren Verlauf des Interviews wird erkennbar, dass die oben gemachte Aussage „der Alkohol zieht sich durch mein gesamtes Leben wie ein roter Faden“ für die Identitätskonstruktion von A der Schlüsselsatz ist. So hatte A einen schweren Verkehrsunfall, in dessen Verlauf sowohl der alkoholisierte Fahrer als auch sie als Beifahrerin beinahe gestorben wären. Auch berichtet A, dass sie immer wieder versucht hat, „vom Alkohol wegzukomme, ging aber au net so einfach“. A spricht von ihren Erfahrungen mit Trockendelirien. Spät, mit 44 Jahren, wird A noch einmal schwanger und trennt sich wieder vom Vater. Der Junge ist zum Zeitpunkt des Interviews 3 Jahre alt und lebt ebenfalls in einer Pflegefamilie. Zu Beginn hat A darum gekämpft, ihr Kind zu behalten. Doch das Jugendamt nimmt A zum zweiten Mal ihr Kind weg, da sie es nicht ausreichend versorgen würde. „Die ham nur’s Kind geschnappt und sind aus der Wohnung raus.“ A ist wütend und trinkt wieder verstärkt. Der Sohn wächst in einer Pflegefamilie auf. A ist stolz darauf, dass sie es durchgesetzt hat, dieses Mal im Gegensatz zum ersten Kind bei der Auswahl der Pflegeeltern mitentscheiden zu dürfen. „Und da wo’s Kind is, is auch gut. Und ich durfte mir diesmal die Pflegeeltern selber aussuchen. Da bin ich natürlich wahnsinnig stolz drauf, kannst dir ja denken. Und es geht ihm wirklich gut.“

A akzeptiert inzwischen die Situation, dass ihr Kind nicht mehr bei ihr, sondern in einer Pflegefamilie lebt. Sie kann damit umgehen, dass sie zwar die Mutter ist, ihr Kind es aber bei den Pflegeeltern auch gut hat. A kann ihren Alkoholkonsum so weit beeinflussen, dass sie vor Besuchen beim Kind nichts trinkt; darauf ist sie stolz. „Ich weiß auch, wenn ich n Termin hab mit meinem Sohn, dass ich mindestens drei Tage vorher nichts trinke. Das halt ich auch aus. Des schaff ich auch. Bin ich auch stolz drauf. Ich hab mein Leben sehr gut im Griff.“

Die Vorstellung, dass der Junge wieder bei ihr leben könnte, bestimmt ihr Denken und Fühlen zurzeit nicht. A hat inzwischen erreicht, dass sie ihren Sohn nicht mehr nur unter Aufsicht besuchen darf. Derzeit sieht sie ihn einmal im Monat für drei Stunden. A kämpft nun für eine Verlängerung der Besuchszeit um eine Stunde oder ein gemeinsames Wochenende, da sie gerne einmal mit ihrem Sohn an einen See fahren würde: 104

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„Jetzt hab ich ihn morge wieder auf drei Stunden. Jetzt mal schauen, kömmer dann ja gucke, das mer ihn, jetzt sind’s drei, dann auch mal über’s Wochenende kriege, dann denk ich, es läuft alles in guten Bahnen. […] Hab mer schon alles angeguckt, hab geguckt, ob der Sand in Ordnung is, ob keine Hunde rummache, hab geguckt, was die andere Mütter mit ihre Kinder alles mache.“

Das Ziel von A ist es, ihrem Sohn eine gute Mutter zu sein. Da sie wenig Zeit mit ihm verbringen kann, schaut sie bei anderen Müttern ab, was diese mit ihren Kindern unternehmen. Dabei fühlt sich A als Mutter alleine zuständig für ihre Kinder, sie verlässt die Erzeuger beide Male kurz nach der Geburt der Kinder. Auch im weiteren Umgang mit den Kindern spielen die Väter keine Rolle. A hat durchgesetzt, dass der leibliche Vater kein Besuchsrecht für den Sohn erhält. Da das Kind aus ihrer Sicht gut untergebracht ist, kümmert sich A zum Zeitpunkt des Interviews verstärkt um Erwerbsarbeit. Allerdings ist auch der Kampf um eine bezahlte Tätigkeit immer wieder mit der Alkoholabhängigkeit von A verwoben. A hat viel in Krankenhäusern gearbeitet, auch auf Station, „wo Alkoholiker eben sind“. Sie hat aber auch ansonsten eine Vielzahl von Erwerbstätigkeiten ausgeführt, u.a. als Leiharbeitnehmerin in einer Kosmetikfirma. A ist überzeugt, dass sie wieder etwas finden wird: „Und des wollt ich jetzt machen, und jetzt will ich eben gucken, dass ich irgendwie wieder als Spülkraft, also ich, ich hab mich in [Großstadt] in den ganzen Bankhäusern hab ich alles gmacht und hab da also auch ganz gut gearbeitet und kann kalte Platten machen, hab auch Buffets gemacht, hab also alles eigentlich schon gemacht. Nur Bardame war ich noch net. Des will ich auch net werden (lachend).“

A sieht ihre unterschiedlichen Berufstätigkeiten positiv, sie hält sich mit ihren breiten Erfahrungen kompetent für vielfältige Aufgaben. Dabei grenzt A ihre bisherigen Tätigkeiten und ihre beruflichen Zukunftswünsche deutlich von einer Bardame ab. Mit dieser aus ihrer Sicht offensichtlich sexualisierten Arbeit will A auch in Zukunft nichts zu tun haben. Gleichzeitig benennt A eine für sie wichtige Einschränkung in Bezug auf Erwerbsarbeit: Sie möchte auf alle Fälle nur halbtags arbeiten, was sie damit begründet, dass sie wegen des Erziehungsurlaubs nach der Geburt ihres zweiten Kindes „zu lange draußen“ war. Eine Rolle spielt dabei wahrscheinlich auch ihre eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit, die mit der Alkoholabhängigkeit zusammenhängt, was sie jedoch nicht explizit benennt. Sie macht immer wieder deutlich, dass die Alkoholabhängigkeit zu ihr gehört und sie dazu auch steht:

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„Selbst meine Betreuerin sagt mir: ‚Frau A, Sie mache doch alles. Dass Sie wieder trinke is ebe so, aber Sie falle net besoffe rum, Sie mache net des, Sie sind net ausfällig net sonst irgendwas. Wenn Sie irgendwo hingehen, ham Sie keine Alkoholfahne.‘ Ja, was wollen die denn eigentlich noch mehr?“

Dennoch sieht sich A als Alkoholabhängige recht widersprüchlich. In einem einzigen Satz blickt A zunächst zufrieden auf ihr reiches Leben zurück, aber stellt gleichzeitig die Forderung an sich selbst, vom Alkohol wegzukommen: „Hatte eigentlich auch n schönes Leben gehabt, n reiches Leben geführt, ja. Und ja, also schön und gut, ich dachte jetzt musst mal wieder von dem ganzen Scheiß wegkommen.“

Das schöne, reiche Leben, das sie hatte, gehört ebenso zu ihrer Identität wie ihre Abhängigkeit vom Alkohol. Zum Problem wird der Alkohol für A primär im Zusammenhang mit dem Wunsch, mehr Zeit mit ihrem Kind zu verbringen. Rückblickend verdeutlicht A, dass sie die psychologische Unterstützung durch eine Therapeutin und die soziale Unterstützung durch eine Familienhelferin in der Zeit, als das Kind noch bei ihr lebte, als Kontrolle und Gängelung empfunden hat: „Ich habe absolut kein Privatleben gehabt. Es waren immer irgendwelche Leute um mich herum, die mir gesagt haben, wie wo wann, was ich mit meinem Sohn zu machen habe.“

Ständig Leute um sich herum zu haben, die ihr auch noch vorschreiben wollen, was sie tun solle, ist für A besonders schwer, da sie sich als Einzelgängerin positioniert. Zwar bewegt sie sich auch „in Gesellschaft, wenn es sein muss“, aber ansonsten geht sie ihren eigenen Weg: „Ich tu mein eigenes Törtchen.“ Darauf ist A stolz. Zwar trinkt A auch gerne mit anderen zusammen, allerdings nicht dann, wenn ein Besuchstermin mit ihrem Kind ansteht. A kann dabei auch laut sein, obschon sie eher ein stiller Mensch ist. Aggressivität gegenüber ihren Kollegen bringe ihrer Meinung nach nichts, wobei sich A gegenüber männlichen Übergriffen selbstverständlich zur Wehr setzt. Freundinnen hat A nicht. Vom gemeinsamen Gespräch unter Frauen hält sie nicht viel, da sie Kaffeeklatsch und das Gespräch der anderen Frauen über ihre Männer nicht mag. A ist der Meinung, dass ihre individuelle Situation andere Frauen nichts angehe. Interessanterweise schätzt sie Angela Merkel, da die Kanzlerin Politik etwas weiblicher mache, obwohl sie sich ansonsten überhaupt nicht für Politik interessiert.

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Ein weiteres für die Identitätskonstruktionen von A wichtiges Thema ist die eigene Offenheit und Ehrlichkeit. A sagt auch BehördenmitarbeiterInnen gegenüber, was sie kann und was nicht. Im Gegenzug erwartet sie einen fairen Umgang. Einen solchen hat A vom Sozial- und Jugendamt im Zusammenhang mit der Unterbringung ihrer Kinder nicht erfahren. Anstatt sich offen mit ihr als Person auseinanderzusetzen und auf Menschen ehrlich einzugehen, hatte sie es dort mit einem jungen Spund zu tun. Der habe nur seine Gutachten im Kopf gehabt und danach gegen ihre Interessen und Bedürfnisse entschieden. Hier wehrt sich A. Sie macht deutlich, dass sie zwar eine schlechte Schul- und Berufsausbildung hat, aber dennoch ihre Rechte kennt und dafür auch einsteht. Auch müsse sie als gestandene Frau sich nicht von einem jungen Mann sagen lassen, was für ihr Kind gut sei. Im Folgenden führen wir die von A erwähnten Identitätskonstruktionen entlang unterschiedlicher Differenzierungskategorien auf. Wir stellen sie in der Reihenfolge ihrer Nennung im Interview und nicht entlang der Ausführungen in den vorhergegangen Absätzen dar:3

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Verkehrte Männer in der Vergangenheit ~ lieber Mann in der Gegenwart Aufgewachsen in einer Weingegend Mit drin sein ~ hinten dran hängen Tolle Männer ~ Frauen, die mit diesen Männern in die Kiste gehen und trinken Ziemlich gutes Elternhaus ~ Vater hat Töchter geschlagen Auf schiefe Bahn kommen durch Alkohol ~ auf gute Bahn kommen mit Besuchsrechten beim Kind Nichts gelernt, Lehre abgebrochen ~ Berufsausbildung oder Studium Alkohol als roter Faden durchs Leben 47 Jahre alt ~ jünger aussehend Schönes, reiches Leben ~ Scheiß mit dem Alkohol Versuche vom Alkohol wegzukommen ~ in schwierigen Lebensphasen wieder angefangen Angst, dass ein Lebenspartner oder die Schufa ihr das Geld wegnehmen ~ Geld in Sicherheit bringen Pflegeeltern selbst ausgesucht ~ Pflegeeltern vom Jugendamt bestimmt Besuchszeit als Mutter ~ Vater ohne Besuchsrechte Besuchszeit einmal im Monat für drei Stunden ~ Wunsch nach einer Stunde mehr oder am Wochenende Mit offenen Karten spielen ~ so tun als ob

Meistens gibt es zu der links stehenden Aussage, mit der A ihre Identität konstruiert, eine Abgrenzung, teilweise wird diese Abgrenzung erst an einer späteren Stelle im Interview deutlich. 107

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Nichts trinken vor Termin mit Sohn ~ mit Kumpels zur Gaudi gemeinsam trinken Ausbildung zur Kaltmamsell ~ Abbruch wegen Schwangerschaft Vielfältige Berufserfahrungen ~ keine Berufsausbildung Spülkraft ~ Bardame Legastheniker ~ gesetzliche Betreuerin für finanzielle und rechtliche Fragen Hauptmieter in der Wohnung mit Partner ~ Untermieter beim Partner Überzeugt Arbeit zu finden ~ nur halbtags arbeiten können Mutter des Sohnes ~ Pflegeeltern des Sohnes Einzelgänger ~ unter Leuten sein, die sagen was zu tun ist, kein Privatleben haben Stocksteifer, kopflastiger und junger Spund im Sozialamt ~ erfahrene Frau, die auf Menschen eingehen kann Besuchszeiten mit Kind allein ~ Besuchsrecht bei Pflegeltern unter Aufsicht Mutter, die vom Sohn geliebt wird ~ alkoholabhängig, braucht ihr Bier Keine Freundin ~ Kaffeeklatsch und Gespräche über Männer Individuelle Situation geht andere nichts an ~ Gespräche mit Frauen Nicht an Politik interessiert ~ Angela Merkel gut finden Laut sein können ~ stiller Mensch Aggressiv sein ~ bringt ja nichts Sich wehren gegen männliche Übergriffe ~ sich von einem Mann schlagen lassen

In der folgenden Übersicht 2 gruppieren wir die genannten Identitätskonstruktionen und führen sie zu zentralen Selbstsichten von A zusammen. A sieht sich als Alkohol abhängige Mutter, die mit einem Mann zusammenlebt. Sie charakterisiert sich als Ungelernte, die über vielfältige Berufserfahrungen verfügt und als Einzelgängerin, die anderen offen begegnet.

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Übersicht 2: Zentrale Identitätskonstruktionen von A Alkoholabhängige x x x x x

Alkohol als roter Faden durchs Leben Schönes, reiches Leben, aber durch Alkohol immer wieder auf schiefe Bahn kommen Versuche vom Alkohol wegzukommen, in schwierigen Lebensphasen wieder angefangen Mit Kumpels zur Gaudi gemeinsam trinken Nichts trinken vor Terminen mit Sohn und Ämtern

Mutter x x x x x

Mutter, die vom Sohn geliebt wird Pflegeeltern selbst ausgesucht Besuchszeiten mit Kind allein Besuchsrecht als Mutter, Vater ohne Besuchsrecht Besuchszeit einmal im Monat für drei Stunden, Wunsch nach zeitlicher Ausdehnung

Frau mit Männerbeziehungen x x x x

Aktuell einen lieben Mann, in der Vergangenheit verkehrte Männer Viele Männer mit unterschiedlicher Bedeutung primär für Prestige in der Peer Group Hauptmieterin in der Wohnung, früher zur Untermiete beim Partner Wehrt sich gegen männliche Übergriffe, lässt sich nicht mehr von einem Mann schlagen

Ungelernte mit vielfältigen Berufserfahrungen x Keine Berufsausbildung, Lehre wegen erster Schwangerschaft abgebrochen x Vielfältige Berufserfahrungen x Möchte wieder erwerbstätig sein, aber nur halbtags

Offene und ehrliche Person x Mit offenen Karten spielen

Einzelgängerin x x x x

Einzelgängerin, die sich nicht von anderen sagen lassen möchte, was zu tun ist Keine FreundInnen, da individuelle Situation andere nichts angeht Keine Freundin, da Gespräche mit Frauen beim Kaffeeklatsch enden Nicht an Politik interessiert, aber Angela Merkel gut finden

Schritt 2: Symbolische Repräsentationen identifizieren In einem zweiten Schritt arbeiten wir die Aussagen der Interviewpersonen heraus, die sich auf die Repräsentationsebene beziehen, also auf Normen, Werte und Ideologien, die in ihrem Leben eine Rolle spielen und die Interviewpersonen explizit oder implizit benennen. Auch wenn soziale Praxen im Zentrum der Interviews stehen und sich das Material primär auf der Identitätsebene auswerten lässt, geben die Interviewpassagen doch auch wichtige Hinweise auf jeweils relevante symbolische Repräsentationen. 109

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Im Interview mit A ist auffällig, dass sie bei ihrer Selbstpositionierung verhältnismäßig wenig explizit auf gesellschaftliche Erwartungen, auf Abwertungen oder komische Blicke von außen verweist. Das begründet A damit, dass sie Einzelgängerin ist. A zieht sich schnell in ihre eigenen vier Wände zurück und gewinnt daraus Kraft, um weiterzukämpfen. Für Politik interessiert sie sich nicht und nimmt sie daher auch kaum wahr. Das ist interessant. Denn genau dieses Handeln entspricht einer Übernahme aktueller gesellschaftlicher Ideologien. Es fällt nämlich auf, dass A keine Anforderungen an den Staat stellt oder andere Hilfe von außen erwartet. Auch wenn A die Unterstützung der gesetzlichen Betreuerin gerne annimmt, ist für sie klar, dass sie sich alleine durchschlagen muss. Im beinahe klassisch neoliberalen Sinne übernimmt A die gesellschaftliche Maxime – jede ist ihres Glückes Schmiedin – auch für sich selbst. Dieses Verhalten lässt sich auch als Schutz verstehen, um nicht als Mensch noch weiter abgewertet zu werden. A zieht sich daher auf sich zurück und besinnt sich auf ihre eigene Kraft. Sie begegnet anderen Menschen offen und ehrlich, spielt nicht mit gezinkten Karten, das erwartet sie von anderen allerdings auch. A möchte als Mensch angemessen behandelt und nicht an Leistungsanforderungen gemessen werden, die sie nicht erfüllen kann. A wehrt sich, sobald sie merkt, dass sie als Alkoholabhängige oder als Frau abgewertet wird, die nicht für ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder aufkommen könne und damit der Gesellschaft als Schmarotzerin auf der Tasche liege. An zwei Stellen im Interview berichtet A über ihre Auseinandersetzung mit Herrn Z, einem Sozialarbeiter im Jugendamt, der sie als Versagerin stigmatisiere. Durch die Bewertung dieser Fachkraft im Jugendamt spürt A die gesellschaftliche Abwertung von Menschen mit Alkoholproblemen. A wehrt sich in der Auseinandersetzung mit Z gegen gesellschaftliche Normen und Regeln, die sie kontrollieren und ihr unberechtigterweise ihr Kind entziehen: „[D]ieser Sozialarbeiter war eben da drauf fixiert, was vor ihm auf dem Papier steht. Ja! Hat nich nach mir gefragt, hat nich nach meinen Gefühlen gefragt, sondern nur nach meinem Gutachten und was vorher alles passiert ist. Danach hat er sich gerichtet. ‚Hat die Frau, hat sie wieder falsch reagiert, sie hat ihn [den Sohn] nicht ausreichend versorgt‘.“

Auch an anderer Stelle kommt sie auf diesen Sozialarbeiter zurück: „Aber dieser liebe Herr Z, den kannste doch in der Pfeife rauchen. Also, der is, wie is der Mann? Der is stocksteif. Der hat nur des im Kopf, was er gelernt hat. Psychologie oder sonst, was, der hat nur des im Kopf, verstehst? Aber der

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geht net auf de Mensch ein, ich mein, des is n junger Spund. Der is vielleicht zweiunddreißig oder sonst irgendwas.“

A spürt über Z die Anforderungen, wie sie als Mensch und als Mutter entsprechend gesellschaftlicher Normen zu funktionieren habe und wie sie mit ihrer Alkoholabhängigkeit abgewertet wird: „Und dann hieß es ja, ich würd ihn nicht ausreichend versorgen. […] Hieß es wieder, er wär wieder unterernährt.“ Dagegen wehrt sich A, unter anderem mit der Benennung ihrer eigenen Stärke: „Ich hab mir des selber aufgebaut. Ich weiß, wann ich meine Termine hab, wann ich sauber zu sein hab.“ A weist den Vorwurf massiv zurück, sie habe ihren Sohn nicht richtig versorgt. Sie akzeptiert für sich keine abstrakten Vorgaben, die sich aus wissenschaftlichen Maximen herleiten. A hat aus ihrer Sicht ihrem Jungen alles gegeben. Dass in dieser Auseinandersetzung mit dem Sozialarbeiter Z auch das geschlechtshierarchische Dominanzverhalten zwischen einem jungen studierten Mann als Vertreter einer Behörde und einer älteren alkoholabhängigen Frau eine Rolle spielt, können wir aus der Tatsache, dass A Herrn Z massiv ablehnt, begründet vermuten. A sieht ihre Erziehungskompetenz als Frau und Mutter in Frage gestellt und empört sich über die schlechte Behandlung. Ingesamt stellt A heteronormative Werte wenig in Frage, sondern baut sie in ihr Leben ein und referiert darauf bei ihren Identitätskonstruktionen. So sind für A Partnerschaften mit einem Mann in ihrem Lebensalltag selbstverständlich. A ist bestrebt, immer wieder Beziehungen zu Männern aufzubauen, die sie trotz ihrer Positionierung als Einzelgängerin und vielfachen Erfahrungen mit „verkehrten Männern“ nicht in Frage stellt: „Und dann dachste hooo, sind ja auch tolle Männer dabei – und dann biste mit dem, mit denen auch eben in die Kiste, eben gegangen.“ Auffällig ist ferner, dass unabhängig von der jeweiligen Beziehungsform und -qualität Männer als Väter und/oder Ernährer ihrer Kinder für A keine Rolle spielen. Für A scheint klar zu sein, dass sie keine Unterstützung bei der Kindererziehung, aber auch der Finanzierung des alltäglichen Lebens mit einem Kind erwarten kann. Dies ist für A nicht weiter problematisch oder zu kritisieren. A übernimmt hier ein konservatives Mutterbild, das eine Alleinzuständigkeit von Müttern für ihre Kinder propagiert. Passend zur Akzeptanz heteronormativer Vorstellungen fühlt sich A ganz selbstverständlich der Gruppe der Frauen zugeordnet, die sie gleichzeitig kritisiert:

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„Mit Kaffeeklatsch und dann, äähm, mit Kuchen und – und dann: ‚Ach und wie geht’s denn deinem Mann?‘ Und: ‚Ach ja, meinem Mann – und hast schon des probiert und des.‘ Hhoooo, nee. Brauch ich net. Will ich net.“

Hier wird deutlich, dass auch die Ablehnung einer identitär zusammengefassten Gruppe diese überhaupt erst herstellt und hervorbringt. Für A ist klar, dass es Frauen- und Männerinteressen gibt. Während sie manche Frauenaktivitäten wie den Kaffeeklatsch klar ablehnt, ist sie bei aller Ablehnung von Politik irgendwie fasziniert von Bundeskanzlerin Merkel. A ist davon überzeugt, dass Merkel der Politik eine weibliche Note gibt. „Zum Beispiel bin ich an der Politik nich, ääh, interessiert, interessiert mich net, des einzige was ich von der Merkel gut finde is, dass sie die Politik weiblicher macht. Verstehste des?“

Auch der Interviewerin gegenüber spricht A so etwas wie Frauensolidarität an: „Mit dir mach ich des, weil ich weiß, des is wieder n Sprungbrett und weil ich find, dass es Frauen gibt irgendwie – die anderen Leuten wieder helfen.“ Während A Stereotype in Bezug auf Frauen übernimmt und nicht in Frage stellt, geht sie gegen die allgemeine gesellschaftliche Vorstellung, dass sie als Ungelernte unwissend und dumm sei, aktiv von sich aus vor. A verweist an mehreren Stellen auf Gesetze (Grundgesetz, Straßenverkehrsordnung, Sorgerecht), um klar zu machen, dass sie sehr wohl ihre Rechte kennt und diese auch verteidigen wird. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass A sich primär gegen Menschen wehrt, die ihr als Alkoholabhängige die Fähigkeit absprechen, angemessen für sich oder ihr Kind zu sorgen. Daraus wird deutlich, wie weit verbreitet die gesellschaftliche Norm ist, dass Alkoholabhängige krank und damit therapiebedürftig sind, dass sie kaum mit ihrem eigenen Leben klar kommen, geschweige denn Verantwortung für andere übernehmen können. A widerspricht diesen Vorstellungen und behauptet von sich selbst, sie sei kompetent und durchaus in der Lage, ihre Kinder selbst zu erziehen. A wehrt sich damit auch gegen das Bild von Alkohol abhängigen Sozialschmarotzern, die der Gesellschaft nur Kosten verursachen und ihren eigenen Reproduktionsanforderungen nicht selbsttätig gerecht werden. Auch wenn A heteronormative Vorstellungen nicht in Frage stellt, wird aus dem Interview dennoch deutlich, wie gerade alkoholabhängige Mütter verstärkte Abwertung erfahren. Denn Mütter – so die hegemoniale Norm – hätten doch eigentlich die Aufgabe, sich um ihre Kinder zu kümmern. Dabei akzeptiert A unhinterfragt die eigene Zu112

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ständigkeit, wehrt sich allerdings gegen den Vorwurf, dass sie die Mutterfunktion unzureichend ausfülle. Aus der Identitätskonstruktion von A, kompetent über die gesetzlichen Rechte Bescheid zu wissen und dies immer wieder zu betonen, lässt sich ferner erkennen, wie Menschen ohne Ausbildung abgewertet werden. A befindet sich in einer Verteidigungshaltung gegenüber der herrschenden Ideologie, dass eine Frau mit einem Hauptschulabschluss ohne Berufsausbildung, dazu noch Legasthenikerin mit Alkoholkrankheit ihre eigene gesellschaftliche Position nicht überschauen kann. Schritt 3: Bezüge zu Sozialstrukturen finden Im dritten Schritt suchen wir in den einzelnen Interviewtexten nach Hinweisen, die sich auf die Strukturebene beziehen. Bei A finden sich Aussagen zu drei der vier von uns deduktiv gesetzten Herrschaftssystemen, nämlich zu Klassismen, Heteronormativismen und Bodyismen. Obwohl A erwerbslos ist, stehen für sie nicht die Klassenverhältnisse im Vordergrund, sondern die herrschenden Körperverhältnisse. Es ist ihre Alkoholabhängigkeit, mit der sich A seit ihrer Jugend nicht nur auf der Identitäts- und Repräsentations-, sondern auch auf der Strukturebene auseinanderzusetzen hat. Ihre verminderte körperliche Leistungsfähigkeit führt A als Klientin auch zu mehreren staatlichen Stellen, die sie sowohl als Unterstützung begreifen kann, gleichzeitig aber auch als Kontrolle erfährt. A ist immer wieder in psychologischer Betreuung, hat also eine Therapeutin. Zusätzlich wurde A, als ihr zweites Kind noch bei ihr lebte, von einer Familienhelferin im Alltag unterstützt. A lehnte diese Familienhelferin ab, da sie mit ihr nichts anfangen konnte und sich von ihr gegängelt fühlte: „Ich kam, bin raus, kaum war ich draußen, war meine Familienhelferin da gewesen, die ich absolut scheiße fand, weil ich mit der absolut nichts anfangen konnt.“

Ferner hat A seit vielen Jahren über das Sozialamt eine gesetzliche Betreuerin, die sie bei rechtlichen und finanziellen Fragen unterstützt, mit der sie sehr zufrieden ist und die sie sehr schätzt. Schon allein an dieser Aufzählung wird unabhängig davon, wie A zu den einzelnen Betreuungspersonen steht, deutlich, dass A als alkoholabhängige Person in spezieller Art und Weise mit staatlichen Institutionen konfrontiert ist. Diese nehmen Kontrollaufgaben wahr und wollen ihr verdeutlichen, wie ein gesellschaftlich akzeptiertes Leben auszusehen hat. Dass es sich dabei nicht nur um einzelne Personen handelt, die ihr 113

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als Beraterinnen zur Seite stehen, sondern um Institutionen, die auf der Grundlage gesetzlicher Regulierungen weit reichende Eingriffsrechte in ihr Handeln haben, wird für A vor allem in der Auseinandersetzung mit dem Jugendamt deutlich. Beim ersten Kind, einem Mädchen, das A mit 19 Jahren auf die Welt gebracht hat, trennt sie sich umgehend von dem gewalttätigen und sexuell übergriffigen Vater und geht zum Jugendamt, um dort Unterstützung zu erhalten. Anstatt A zu helfen, gibt das Jugendamt das Kind in eine Pflegefamilie. Beim zweiten Kind ist A deutlich älter und erfahrener im Umgang mit Behörden und wehrt sich: „Ich hab’s wieder durchgeboxt, dass ich’s Sorgerecht habe. Toi, toi, toi (klopft auf den Tisch). Und er hat’s nicht. Ham’mer n Termin gehabt beim Gericht und im Grundgesetz steht drin, wenn das Kind nicht in einer gemeinsamen Wohnung entsteht, das heißt, er ist nicht bei mir polizeilich gemeldet, hat der Vater des Kindes kein Recht, das Sorgerecht einzuklagen. Da ging es den Bach runter. Ich hab – vielleicht war ich glücklich drüber, gä (lachend).“

In dieser Interviewpassage verweist A explizit auf Gesetze. Allerdings ist es bei solchen Zitaten die Aufgabe der ForscherIn, die entsprechende rechtliche Situation zu rekonstruieren, da Betroffenen sehr oft nicht klar ist, auf welcher Rechtsgrundlage ihnen welche Ansprüche zustehen. Nicht umsonst bedient sich die gut situierte Mittelschicht in solchen Situationen der Unterstützung eines Rechtsbeistandes. Auf der Identitätsebene gilt es, die Aussage von A insofern ernst zu nehmen, dass sie stolz darauf ist, dass sie ihre gesetzlichen Rechte kennt und diese für ihre Interessen nutzen kann. Auf der Strukturebene ist es allerdings darüber hinaus wichtig, durch weiterführende Analysen herauszubekommen, welche Gesetze die Besuchs- und Sorgerechte von leiblichen Eltern bei in Pflegefamilien untergebrachten Kindern regeln. Dies ist sicherlich nicht das Grundgesetz. Auch ist zu vermuten, dass A mit Sorgerecht das ihr alleine zugesprochene Besuchsrecht meint. Bisher hat A nur das Recht, mit dem Kind jeden dritten Donnerstag im Monat drei Stunden zu verbringen. A darf den Jungen nicht mit in ihre Wohnung nehmen. Also geht sie mit ihm in ein Kaufhaus und anschließend auf den Spielplatz, danach muss A ihn bereits wieder zurückbringen. Seit ihr Kind 3 Jahre alt geworden ist, möchte A wie andere Mütter auch wieder berufstätig sein. Sie ist optimistisch, aufgrund ihrer vielfältigen beruflichen Erfahrungen einen Job zu finden, auch wenn sie nur einer Teilzeitarbeit nachgehen möchte. Allerdings weiß A, dass sie auf eine Vermittlung durch die Arbeitsagentur angewiesen ist. Sie hofft, durch ihr offenes Auftreten zu erreichen, dass der zuständiger Sachbear114

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beiter für sie eine ihren Lebensumständen angepasste Arbeitsstelle findet. Mit ihrer finanziellen Situation scheint A im Moment keine Probleme zu haben. Da die gesetzliche Betreuerin verantwortlich für ihre Finanzen ist, spielt es für A keine Rolle, von welcher staatlichen Institution sie Unterstützung erhält. A sieht die Betreuerin als Hilfe, um ihren Alltag zu meistern. A verweist darauf, dass sie früher trotz Erwerbsarbeit finanzielle Probleme hatte, da sie bei der Schufa gemeldet war und damals immer die Gefahr bestand, dass ihr Lohn sofort gepfändet wird. Auch dies ist für die ForscherIn noch einmal ein Hinweis, mit welch vielfältigen Gesetzen und Institutionen sich Menschen auseinandersetzen müssen, die in finanzielle Notlagen geraten. Ohne Hilfe von geschulten BeraterInnen ist ein Entrinnen aus der Schuldenfalle kaum möglich, darauf verweisen auch die vielfältigen Erfahrungen von SchuldenberaterInnen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Ausschluss aus der Erwerbsarbeit und die damit verbundene starke finanzielle Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten für A nicht im Zentrum ihrer alltäglichen Probleme stehen. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass aufgrund einer fehlenden Ausbildung A, seit sie erwachsen ist, in der Hierarchie der Kategorie Klasse immer sehr weit unten angesiedelt ist. Dies fällt durch ihre körperliche Einschränkung aufgrund der Alkoholabhängigkeit noch stärker ins Gewicht. Hier wird deutlich, wie sich Klassismen und Bodyismen gegenseitig verstärken. Auch wenn A als Person den gerade mit diesen beiden Herrschaftsverhältnissen verbundenen neoliberalen Werten Selbstverantwortung und Eigenaktivitäten folgt, hat sie keine Chance, einen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen, mit dem sie sich dauerhaft ernähren und finanziell absichern kann. Damit ist A aus strukturellen Gründen dauerhaft auf fremde, staatliche Hilfe angewiesen. In Bezug auf herrschende Geschlechterverhältnisse unterliegt A vor allem als Mutter der gesellschaftlich üblichen geschlechtshierarchischen Aufgabenteilungen und reproduziert diese wiederum, indem sie sich allein zuständig für ihre Kinder fühlt und auch entsprechend handelt. Auch wenn ihre zwei Kinder bei Pflegefamilien aufwachsen und A damit nicht die alltägliche Versorgungsarbeit zu leisten hat, kämpft sie um ihre Besuchsrechte und ist gleichzeitig froh, dass dem leiblichen Vater des Kindes diese Rechte nicht zustehen. Das Leben von A wird jedoch hauptsächlich von den herrschenden Körperverhältnissen geprägt. Aufgrund ihrer Alkoholabhängigkeit ist es für A schon schwierig genug, sich am Leben zu erhalten. Die Sorge um ein Kind bringt A an den Rand ihrer Kräfte. Das Jugendamt steckt die

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Kinder von A in Pflegefamilien, und A muss aktiv werden, um wenigstens ihr zweites Kind zumindest einmal im Monat sehen zu dürfen. Während also A direkt von diskriminierenden Körper-, Klassen- und Geschlechterverhältnissen in ihrem alltäglichen Leben betroffen ist, gibt es im Interview keine Hinweise auf rassistische Ausschlüsse und Diskriminierungen. A ist als Weiße und als Deutsche in Familienverhältnissen ohne erkennbaren Migrationshintergrund geboren. In dieser Hinsicht gehört A zur Mehrheitsgesellschaft. Schritt 4: Wechselwirkungen zentraler Identitätskategorien auf drei Ebenen benennen Bei diesem Schritt geht es darum, für jedes Interview unter Einbeziehung der Repräsentations- und Strukturebene die wichtigsten Identitätskonstruktionen und deren Wechselwirkungen auf den drei Ebenen herauszuarbeiten. A positioniert sich schon zu Beginn des Interviews mit der Aussage: „Der Alkohol ist für mich wie n roter Faden in meinem ganzen Leben.“ Dabei blickt A, wie sie betont, auf ein schönes, reiches Leben zurück, weiß aber gleichzeitig, wie schnell sie durch den Alkohol immer wieder auf die schiefe Bahn gerät. A hat immer wieder versucht, sich in Entzugsprogrammen von der Droge zu lösen, was aber keine langfristige Wirkung entfaltete. Heute kann A wenigstens tageweise auf Alkohol verzichten, vor allem vor Besuchsterminen bei ihrem dreijährigen Kind. Auf diese Fähigkeit ist A stolz. Sie ermöglicht ihr neue Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung. A hat vor allem bei der Übernahme ihrer beiden Kinder durch das Jugendamt erlebt, dass unkontrollierter Alkoholkonsum dazu führt, dass ihre individuellen Rechte durch gesellschaftliche Ansprüche ersetzt werden, was sie verletzt. Die Konsequenz für A lautet deshalb, so weit wie möglich für sich selbst zu sorgen. A übernimmt damit die Ideologie, dass der Körper entsprechend der gesellschaftlichen Norm zu regulieren sei. Da sie weiß, wie schwer ihr das fällt, nimmt sie die ihr entsprechend gesetzlicher Vorgaben zustehende Unterstützung einer gesetzlichen Betreuerin gerne an, zumal die Betreuerin ihr in den Bereichen hilft, die A wegen ihrer Legasthenie nicht allein bewältigen kann. Mit Blick auf alle drei Ebenen wird damit deutlich, dass A ihre Alkoholabhängigkeit derzeit stabil in ihr Leben integriert. Die strukturelle Unterstützung gibt ihrer Identität als Alkoholikerin Halt und gleichzeitig werden darüber die hegemonialen Vorgaben, ihren Körper zu regulieren, zumindest teilweise für A realisierbar. Gleichzeitig stabilisiert sie mit ihren Bemühungen, die Alkoholabhängigkeit zumindest teilweise zu be116

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einflussen, das strukturelle System der sozialen Unterstützung ebenso wie die hegemonialen Normen der Körperregulierung. Da A die Rolle als verantwortliche Mutter möglichst weitgehend ausfüllen möchte, achtet sie sehr darauf, ihren Alkoholgebrauch vor den Besuchsterminen bei ihrem dreijährigen Sohn zu reduzieren. A kontrolliert ihren Körper, weil sie dem Kind eine gute Mutter sein will – unabhängig von den Pflegeeltern. In den ersten Lebensmonaten des Kindes setzte A all ihre Energie und Kraft daran, ihr Kind möglichst umfassend und ausreichend zu versorgen. Damit wird deutlich, dass die beiden zentralen Identifikationen von A – einerseits als Alkoholikerin, die ihren Konsum reguliert, und andererseits als Mutter, die sich um ihr Kind kümmert – eng miteinander verwoben sind. Da sich A als gute Mutter identifiziert, die dafür enorme körperliche Anstrengungen leistet, wehrt sie sich mit großer Kraftanstrengung gegen den normativ geprägten Vorwurf, dass sie ihre Kinder vernachlässige. Aus ihrer Sicht setzt sie in den unterschiedlichen Phasen ihres Lebens viel in Bewegung, um dem jeweiligen Kind gerecht zu werden. Bei ihrer Tochter, die sie im Alter von 19 Jahren auf die Welt bringt, verlässt sie den sexuell übergriffigen Mann und leiblichen Vater des Kindes und bittet beim Jugendamt um Hilfe. Das Ergebnis ist für A ein persönliches Scheitern; das Jugendamt nimmt ihr das Kind weg und gibt es in eine Pflegefamilie. Über 20 Jahre später verlässt A kurz nach der Geburt des zweiten Kindes abermals den leiblichen Vater, der versucht hatte, sich die Transferzahlungen für das Kind anzueignen. Dieses Mal verbringt A eine längere gemeinsame Zeit mit dem Sohn und versucht, den vielfältigen Anforderungen mit Unterstützung einer Familienhelferin gerecht zu werden. Sie scheitert abermals, ist wütend und wehrt sich im Interview verbal intensiv gegen die aus ihrer Sicht völlig überzogenen Anforderungen des Jugendamts. A hat sich inzwischen mit der Situation abgefunden, dass ihr Sohn bei Pflegeeltern lebt; aber dass sie als inkompetente alkoholabhängige Mutter wahrgenommen wird, kann sie nicht akzeptieren. Gegen diesen gesellschaftlichen Vorwurf, der ihr in Form des stocksteifen, kopflastigen und obendrein noch jungen Sozialarbeiters begegnet, wehrt sie sich in aller Schärfe. A weist die hegemonialen Anschuldigungen zurück, dass sie als alkoholabhängige Frau ihren Mutterpflichten nicht nachkomme. Damit wehrt sie sich implizit auch gegen den Vorwurf der Sozialschmarotzerin, die dem Staat auf der Tasche liege, weil er nicht nur sie als erwerbslose Erwachsene unterstützen, sondern darüber hinaus noch die Kosten für die Versorgung und Erziehung ihrer Kinder übernehmen müsse. A steht in diesem Zusammenhang den staatlichen Stellen kritisch gegenüber, da sie sich trotz ihrer Alkoholabhängigkeit als gute Mutter 117

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sieht. Das Jugendamt ist für sie eine Institution, die ihr ihre Kinder weggenommen hat. Die Familienhelferin, die A in den ersten Monaten des gemeinsamen Lebens mit dem zweiten Kind hatte, lehnt sie als unfähig ab. Die Regeln, nach denen die Gewichtszunahme des Kindes kontrolliert werden musste, hält sie für Schikane. Ihre Identität als Mutter ist für A im Gegensatz zu der Identität als alkoholabhängige Person deutlich schwieriger zu leben, da sie sowohl mit den sozialen Strukturen in Konflikt gerät und gleichzeitig den Vorwurf der schlechten Mutter und der Sozialschmarotzerin, die sich und ihre Kinder nicht selbst versorgt, nicht akzeptiert. Hier greifen Anforderungen an Körperregulierungen im Einklang mit den gesetzlichen Maßnahmen des Jugendamtes A als Person an und erschweren ihren Alltag. Während sich A gegen ihre Abwertung als unfähige Mutter, gegen hegemoniale Normen und auch gegen staatliche Übergriffe wehrt, entspricht sie mit ihren Vorstellungen von Geschlechterdifferenzen und dem hohen Stellenwert einer Partnerschaft zu einem Mann den heteronormativen Idealen der Mehrheitsgesellschaft. Auch wenn ihr Leben schon durch viele „verkehrte Männer“ beeinträchtigt wurde, die sie sexuell belästigt haben und versuchten, sie um ihr weniges Geld zu bringen, ist sie immer wieder davon überzeugt, jetzt den richtigen, den „lieben“ Mann gefunden zu haben. Dabei ist A durchaus klar, dass sie bezüglich ihrer Kinder nicht auf Männer und auch nicht auf Väter bauen kann. Dies bleibt aus ihrer Sicht allein ihre Aufgabe. Mit ihrem Lebensmodell stützt A das heteronormative System primär auf der Repräsentationsebene, indem sie heterosexuelle Normativität ebenso unhinterfragt lebt wie die primäre Zuständigkeit von Müttern für ihre Kinder. Dies gibt ihr gleichzeitig eine Stabilität als Frau mit einem Mann an ihrer Seite, auch wenn sie durchaus um die Gefahr der Demütigung von Seiten ihrer Männer weiß. Hier hat A offensichtlich gelernt, sich nicht mehr so viel gefallen zu lassen wie früher und auf ihre Selbstständigkeit zu achten. So ist sie im Gegensatz zu früher jetzt Hauptmieterin, und der Partner wohnt zur Untermiete bei ihr. Auch außerhalb der Partnerschaft teilt A Menschen sehr klar in Frauen und Männer. Männer sind ihre Kumpels, mit denen sie Gaudi beim Trinken hat, die sie aber mit Ausnahme ihres jeweiligen Lebenspartners nicht an sich heranlässt. Frauen gegenüber sieht A sich noch deutlicher als Einzelgängerin. Sie braucht keine Freundin, zumal Frauen für A nur beim Kaffeeklatsch sitzen und sich über Männer unterhalten. Dieses Verhalten lehnt A ab. Positiv beeindruckt ist A dagegen von Angela Merkel, weil die Kanzlerin die Politik, für die sich A ansonsten nicht interessiert, weiblicher mache. Gerade weil A mit diesem Statement keine inhaltliche Bewertung vornimmt, verdeutlicht die Aussage 118

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noch einmal, dass A von einer grundlegenden Geschlechterdifferenz ausgeht und sich damit im Einklang mit hegemonialen Normen befindet. Ferner wird in den Beschreibungen ihrer sozialen Kontakte deutlich, dass A ihr „eigenes Törtchen“ bäckt. A übernimmt an dieser Stelle die neoliberalen Aufforderungen und versucht das eigene Leben selbstverantwortlich zu gestalten. Selbstbewusstsein entwickelt A bei der Suche nach einem neuen Job. Aufgrund ihrer vielfältigen Berufserfahrungen geht A davon aus, wieder eine neue Erwerbsarbeit zu finden. Aus ihrer Sicht kommt ihr dabei ihre Offenheit zugute, da sie in der Arbeitsagentur darauf verweist, dass sie nur halbtags erwerbstätig sein kann, dies aber auch will. Dennoch weiß A, dass sie als Ungelernte auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen hat. Deshalb verweist sie immer wieder auf ihre gesetzlichen Rechte und vertraut der Arbeitsagentur, dass diese ihr wieder eine Erwerbsarbeit beschafft. Zusammenfassend lässt sich am Beispiel A zeigen, dass bei den wichtigsten Identitätskonstruktionen auch Entsprechungen auf der Struktur- und Repräsentationsebene zu finden sind (vgl. Abb. 4). Als alkoholabhängige Einzelgängerin meistert sie ihr Leben eigenverantwortlich entsprechend den gesellschaftlichen Vorgaben mit Unterstützung ihrer Betreuerin. Auch in ihrer Rolle als Mutter und als Partnerin ihres Mannes erfüllt A die heteronormative Erwartung, an der sie festhält, auch wenn sie im Zusammenleben mit Männern bereits vielfältige negative Erfahrungen gemacht hat. Dagegen widersetzt sich A den hegemonialen Diskursen, die sie wegen der Vernachlässigung ihrer Kinder oder sie wegen ihrer fehlenden beruflichen Ausbildung abwerten. Diese Debatten beeinträchtigen ihr Leben. A kämpft tagtäglich gegen diese Normen an, da sie sich nur so mit ihrer Identitätskonstruktion als alkoholabhängige, für den Sohn sorgende Mutter, die trotz fehlender Berufsausbildung dennoch vielfältige berufliche Kompetenzen hat, behaupten kann. Gleichzeitig positioniert sich A als Person, die ihre Bedürfnisse und Interessen nicht nur gegenüber Menschen, sondern auch gegenüber staatlichen Stellen offen kommuniziert. Auf der Strukturebene ist es vor allem das Jugendamt, aber auch – von ihr weniger kritisch gesehen – die Arbeitsagentur, die sowohl ihre familiale als auch ihre berufliche Situation prägen. A wird von den herrschenden Körper-, Geschlechter- und Klassenverhältnissen vielfältig diskriminiert, die ihr auch auf der Repräsentationsebene in Form hegemonialer Werte und Ideologien gegenüberstehen.

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Abbildung 4: Wechselwirkungen von Differenzkategorien von A auf drei Ebenen (die gestrichelten Linien sollen Widersprüche, die durchgehenden Linien Passungen verdeutlichen)

Strukturebene

Unterstützung durch gesetzliche Betreuerin

Staatliche Regulierung durch Familienhelferin und Pflegefamilien

Identitätsebene

Alkohol durchzieht das Leben: schönes, reiches Leben, aber oft auch auf schiefer Bahn

Mutter, die sich um ihr(e) Kind(er) kümmert

Repräsentationsebene

Eigenverantwortliche Kontrolle des Körpers

Soziale Vernachlässigung der eigenen Kinder, Sozialschmarotzer

Zuständigkeit von Frauen für Kinder Derzeit guter Mann vs. verkehrte Männer früher

Heterosexualität

Frauen als einheitliche Gruppe mit spezifischen Interessen Einzelgängerin, keine Freundinnen wegen Kaffeeklatsch Eigenaktivität und Selbstverantwortung Offenheit anstatt gezinkte Karten

Vermittlung durch Arbeitsagentur

Abhängigkeit von Arbeitsagentur

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Keine Ausbildung, aber vielfältige Berufserfahrungen

Abwertung und Bevormundung Ungelernter

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Schon anhand eines einzigen Interviews lässt sich damit zeigen, wo Ansatzpunkte für politisches Handeln im Interesse von A liegen könnten. Da für A die finanzielle Einschränkung der Erwerbslosigkeit keine bedeutende Rolle spielt, sind wichtige politische Forderungen wie die Aufstockung der Höhe des Arbeitslosengelds II für A nur am Rande von Interesse. Auch ist für A der Zugriff auf eine sozial abgesicherte Vollzeitstelle nicht bedeutsam. Denn A kämpft derzeit primär mit Problemen, die mit ihrer Alkoholabhängigkeit im Zusammenhang stehen. Körper ist hier im Spannungsfeld von Gesundheit und Krankheit die zentrale Kategorie, die sich weder auf Geschlecht reduzieren, noch unter Klasse subsumieren lässt: Aufgrund ihrer Alkoholabhängigkeit ist A nicht in der Lage, einer beruflichen Vollzeitarbeit nachzugehen und sich selbst und ihre Kinder ohne Hilfe von außen zu versorgen. Dabei wird deutlich, dass sich diese körperliche Eingeschränktheit durch ihr Muttersein ebenso wie durch ihre unterprivilegierte Position als Ungelernte verschärft hat. Deshalb wären für A sozialstaatliche Unterstützungsmaßnahmen wichtig, die nicht gleichzeitig Bevormundungen entlang vorgegebener Normen darstellen. Ebenfalls hilfreich wären für A Erwerbsarbeitsplätze für Leistungsgeminderte mit Existenz sicherndem Lohn. Auch Gegenöffentlichkeiten, die den hegemonialen, an umfassender körperlicher Fitness orientierten Debatten, die vielfältigen Lebensmöglichkeiten von Menschen entgegensetzen, würden die Anliegen von A unterstützen. Im jetzt folgenden zweiten Block gehen wir über die Analyse von einzelnen Interviews hinaus und stellen sie in einen Zusammenhang. Diesen gewinnen wir über einen systematischen Vergleich. Grundlage dafür sind die Analysen der Einzelinterviews in Form eines mehrmaligen Durchlaufens der Schritte 1-4 je nach Anzahl der analysierten Interviews. Schritt 5: Identitätskonstruktionen vergleichen und clustern Der fünfte Schritt des Clusterns hat viel mit Typenbildung (vgl. die Ausführungen in Kapitel 3.3) zu tun. Dazu lehnen wir uns an das von Kelle/Kluge (1999: 81-97) formulierte Stufenmodell empirisch begründeter Typen- bzw. Gruppenbildung an und fassen die zentralen Themen der analysierten Interviews zusammen. Da je nach gesellschaftlichem Kontext für die Befragten unterschiedliche Dimensionen von Ungleichheit für ihre Selbstverortung und soziale Positionierung im Vordergrund stehen, identifizieren wir zunächst einmal die zentralen Differenzkategorien in einer Gesamtschau. Die Erwerbslosen benutzen in ihren Berichten über ihren Alltag primär folgende Differenzierungskategorien (die wir an dieser Stelle der Einfachheit halber als Dichotomien darstellen, 121

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tatsächlich sind sie vielfältiger): Arbeit versus Nicht-Arbeit, Einkommen versus Armut, Bildung versus fehlende Abschlüsse bzw. nicht verwertbare Berufe, finanzielle Unterstützung der Familie versus ohne ökonomische Ressourcen, sozialer Rückhalt in der Familie versus auf sich alleine gestellt sein, soziales Netz von FreundInnen versus EinzelkämpferIn, Verantwortung für eigene Kinder versus allein stehend, Männer versus Frauen, deutsch versus andere nationalstaatliche Zugehörigkeit, zugehörig zur Mehrheitsgesellschaft versus andere Kultur/Ethnizität, jung versus alt, gesund versus krank, attraktiv versus körperlich gebrechlich. Im nächsten Schritt sortieren wir die Fälle anhand empirischer Regelmäßigkeiten im Hinblick auf die Bedeutung von Erwerbsarbeit. So fällt etwa auf, dass einige Personen Erwerbsarbeit als zentrale Form der Sinnstiftung, Anerkennung und Teilhabe an Gesellschaft thematisieren, andere dagegen nicht. Deshalb analysieren wir inhaltliche Zusammenhänge der Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Diejenigen, für die Erwerbsarbeit nicht die zentrale Rolle spielt, unterscheiden sich hinsichtlich ihres körperlichen Vermögens, ihrer gefühlten Verantwortung gegenüber den eigenen Kindern und ihrer Bewertung von Erwerbsarbeit als sinnstiftend im Vergleich zu anderen Formen von Arbeit. Mit diesem Vorgehen kommen wir über Fallvergleich und -kontrastierung zu den für unsere Fragstellung entscheidenden Gemeinsamkeiten in den Merkmalsausprägungen. Diese fassen wir zu Typen zusammen und versehen sie mit charakteristischen Kurzbezeichnungen. Ausgehend von der Bedeutung der unterschiedlichen Differenzkategorien für die Identitätsbildung der Erwerbslosen unterscheiden wir in unserem Sample von 13 Interviews vier Gruppen von Personen, denen wir vier deutlich voneinander abgrenzbare zentrale Themen zuordnen. Diese Themen abstrahieren wir zu vier Typen. Der Verständlichkeit halber sprechen wir im Folgenden allerdings von (Personen-)Gruppen und nicht von Typen. 1) Kontrolle über eigene Körper Für die bereits vorgestellte Alkoholabhängige mit Kindern in Pflegefamilien (A) ist Erwerbsarbeit nicht zentral. Gleiches gilt für eine Beschaffungsprostituierte (B) und eine psychiatrieerfahrene Beraterin (C). Diese Gruppe von Personen, die zunächst einmal die Kontrolle über ihren eigenen Körper (wieder)gewinnen müssen, bevor sie sich um die Erhaltung ihrer wirtschaftlichen Existenz kümmern können, ist in genau dieser Hinsicht intern homogen. Denn alle drei kämpfen mit körperlichen Problemen rund um Drogensucht, Alkoholabhängigkeit und psychische Krankheit. Erst deren Bewältigung lässt eine Erwerbstätigkeit 122

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überhaupt in den Bereich des Möglichen geraten. Für diese Personen steht die Erfahrung (und Befürchtung) gesellschaftlicher Kontrolle ihrer Körper und damit Verletzbarkeit ihrer Person im Vordergrund ihrer Auseinandersetzung mit Erwerbslosigkeit. Ohne körperliche Gesundheit und Leistungsfähigkeit können sie sich mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, was die Befragten mit der Vorstellung eines „ganz normalen Lebens“ (A) in Zusammenhang bringen, kaum beschäftigen. Gesundheit und Leistungsfähigkeit sind keine hinreichenden, wohl aber notwendige Voraussetzungen, um im Konkurrenzkampf um Erwerbstätigkeit überhaupt mitspielen zu können. Körper ist hier im Spannungsfeld von Gesundheit und Krankheit die zentrale Kategorie, die sich weder auf Geschlecht oder Rasse reduzieren, noch unter Klasse subsumieren lässt. Sie bündelt vielmehr notwendige Voraussetzungen einer employability, wobei kapitalistisch strukturierte Gesellschaften diese ‚Vorarbeiten‘ immer noch zu weiten Teilen als ‚Reproduktionsarbeit‘ an Frauen auslagern. Bourdieu (1983) theoretisiert dies als kulturelles Kapital, das in dieser Form allerdings zu unspezifisch erscheint. Denn Gesundheit ist mehr als die Inkorporierung eines Klassenhabitus, sondern bündelt Dimensionen von Klasse wie auch Geschlecht und Rasse in einer nicht auf diese Kategorien reduzierbaren Weise: Im Zuge der Aufforderung zur Selbstverantwortung und Eigenvorsorge werden kapitalismuskompatible Körper zu einem eigenständigen Ziel. Schließlich wird in dieser Gruppe Geschlecht zum Thema, nämlich in zwei Fällen expliziter Gewalt gegen Frauen: A etwa erwähnt den Missbrauch durch den eigenen Vater und durch den Vater ihres ersten Kindes („is ne ziemlich schmutzige Angelegenheit, die will ich jetzt net grad erzähle“), und die Beschaffungsprostituierte B prangert die Frauenverachtung von Freiern an („Wir sind der letzte Dreck für jeden“). 2) Verantwortung für Versorgung der Kinder Weitere drei Befragte sehen sich primär in der Verantwortung für ihre Kinder, weshalb sie aus Mangel an Unterstützung und Alternativen auf eine Erwerbstätigkeit verzichten (müssen). Sie sind Migrantinnen und müssen sich im Bürokratie-Dschungel behaupten. Für eine Kurdin mit drei Kindern im Schulalter (D) reicht es aufgrund ihrer fehlenden Qualifikation und des Betreuungsaufwands für die Kinder nur zu Gelegenheitsjobs. Eine Iranerin mit einem an Epilepsie leidenden Kind (E) ist auf staatliche Unterstützung und medizinische Versorgung für ihren Sohn angewiesen; eine Arbeitserlaubnis hat sie nicht. Und eine Türkin mit an ADHS erkranktem Kind (F) kämpft selbst mit gesundheitlichen Problemen, fühlt sich mit 40 Jahren bereits zu alt für den Arbeitsmarkt und darüber hinaus diskriminiert, weil sie ein Kopftuch trägt. Auch diese 123

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Gruppe ist in Bezug auf die Verantwortung für die Versorgung ihrer Kinder und ihren Migrantinnenstatus homogen: Alle drei müssen dafür sorgen, Sozialgeld und andere ihnen zustehende Leistungen auch tatsächlich zu erhalten, um die finanzielle Absicherung ihrer Familien zu gewährleisten. Weiter fällt auf, dass es sich bei allen dreien um alleinerziehende Mütter handelt. Der Zugang zu Erwerbsarbeit ist ihnen aus ganz pragmatischen Gründen verwehrt: „Ich kann nicht wegen meinem Sohn.“ (E) Für die Kinder verantwortliche oder an ihrer Versorgung beteiligte Väter tauchen nicht auf. Die Dimension der Generativität spielt hier also eine wichtige Rolle, freilich nicht hinsichtlich ihrer biologischen, sondern ihrer sozialen Bedeutung: Offensichtlich ist die Unsichtbarkeit verantwortlicher Väter nicht begründungspflichtig; zumindest scheint es für jede der drei Mütter selbstverständlich zu sein, dass sich die Väter nicht um die Kinder kümmern. Faktisch lassen sich diese Frauen durch abwesende Väter und ihre Kinder Grenzen diktieren – wie freiwillig dies geschieht, thematisieren sie nicht. Darüber hinaus müssen sie sich im bürokratischen Dschungel um Bleiberecht, Duldung und der damit verbundenen Versorgung der eigenen Kinder herumschlagen, bevor sie ernsthaft eine Erwerbsarbeit suchen können. Auch hier bildet die Erwerbstätigkeit ein Fernziel, an das sich die drei Gesprächspartnerinnen erst herantasten. In dieser Gruppe stoßen wir auf ein für die empirische Analyse wichtiges Phänomen, nämlich das der Nicht-Thematisierung. Die Befragten benennen Geschlecht nicht. Dass ihre prekäre Situation auf dem Arbeitsmarkt etwas mit dieser Ungleichheitsdimension zu tun haben könnte, sprechen die Befragten nicht an, diesen Zusammenhang muss die Forscherin herausarbeiten. Mit der Auswertung mehrerer Interviews und einem daraus entstehenden Kategorienraster können wir auch diejenigen Differenzkategorien erfassen, die in einem bestimmten Interview nicht benannt werden. Durch einen solchen Wechsel von induktiver und deduktiver Vorgehensweise verhindern wir, auf den ersten Blick Unauffälliges oder Verstecktes zu übersehen, gleichzeitig bleiben wir aber offen für die Relevanzsetzungen der Befragten 3) Erwerbsarbeit als Chance für Integration Diese Gruppe stellt als einzige – das macht ihre Homogenität aus – den Wunsch nach Erwerbsarbeit in das Zentrum ihrer Identitätskonstruktion. Erwerbsarbeit steht hier für die Chance der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration, die ihnen bisher verwehrt ist. Dabei handelt es sich um vier MigrantInnen sowie eine Inländerin, die sich für leistungsstark und fit halten. Für einen afrikanischen Studenten (G) sind Visum, Studium und Arbeitserlaubnis eng miteinander verknüpft, ein Asylbewerber 124

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mit Duldung (H) kämpft gegen bürokratische Hürden einer von ihm als „Pseudo-Demokratie“ empfundenen Bundesrepublik, ein Spätaussiedler (I) sucht einen Praktikumsplatz, um darüber den Einstieg in ein reguläres Arbeitsverhältnis zu finden, eine langzeitarbeitslose Hochqualifizierte (J) hält sich mit ALG II und Minijob über Wasser und eine Migrantin im Berufsorientierungskurs (K) versucht, sich über Weiterqualifikation Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Ferner sieht sich J mit ihren 58 Jahren unter dem Druck, über eine Erwerbstätigkeit einer drohenden Altersarmut und damit sozialer Isolation zu entgehen. Sie alle wollen einen anerkannten Platz in der Gesellschaft erobern, um kulturelle und soziale Rechte in Anspruch nehmen zu können. Dieser freilich ist über Erwerbsarbeit definiert: „Ich gerne arbeiten. Ich gerne selber meine Zukunft …, klarkommt, ne. Ich nich’ denke andere Leute kann gut arbeiten als ich. Ich nich’ denke andere Leute gut Bildung habt oder gut ... gut gearbeitet, gute Spezialist. Ich denke, vielleicht ich bin noch mehr, ich weiß mehr als die andere hundert Leute. Aber die andere hundert Leute darf, ich darf nicht.“ (H)

Diese Befragten fühlen sich ohne Erwerbsarbeit vollständig isoliert und ausgeschlossen. In dieser Gruppe kommt das Leitbild der sich selbst und ihre Familien versorgenden Erwerbstätigen am deutlichsten zum Ausdruck – und wohl nicht zufällig handelt es sich dabei entweder um Männer oder um Frauen ohne zu versorgende Kinder. Auch hier stoßen wir wieder auf das Phänomen der Nicht-Thematisierung von Geschlecht. Aber auch wenn die Befragten ihre Geschlechtszugehörigkeit nicht explizit benennen, ist die Bedeutung dieser Kategorie mitunter schnell erschließbar. So erwähnt I, der mit Ehefrau und Schwiegermutter nach Deutschland gekommen ist, die nach einer Ausbildungsstelle suchende Ehefrau nur beiläufig, positioniert sich damit aber dennoch als heterosexueller Mann. Den Brennpunkt von Unterstützung bildet die moralische und selbstverständliche Hilfe durch die in diesem Fall offensichtlich weibliche Familie („Familie ist immer da“). Ein anderes Beispiel: Für G steht sein deutscher Universitätsabschluss aufgrund seiner problematischen rechtlichen Situation auf wackligen Beinen. Keiner besonderen Hervorhebung bedarf für ihn die Tatsache, dass sich seine Frau in Afrika um die zwei Kinder kümmert, während er im Ausland studiert: „Die Afrikaner, wir haben alle Familie zu Hause.“ Im Gegensatz zu den Befragten der Gruppe 2 ist die Nicht-Thematisierung von Geschlecht hier allerdings nicht mit einer unhinterfragten Übernahme von Verantwortung gegenüber Kindern oder Familienangehörigen verbunden. Im

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Gegenteil ist hier bei G, H und I eine Delegation von Reproduktionsarbeiten an Familienangehörige und besonders an Frauen zu beobachten. 4) Suche nach finanzieller Absicherung Zwei Personen teilen eine nüchterne Sicht auf Erwerbsarbeit – schließlich fühlen sie sich nicht arbeitslos, da sie mit ihren Tätigkeiten sehr zufrieden sind. Die künstlerisch tätige L hat Erwerbsarbeit und Einkommen entkoppelt, indem sie sich auf ein funktionierendes soziales Netz stützen kann. Die in Nichtregierungsorganisationen aktive M stellt ihre freie Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten zur Verfügung; sie hinterfragt darüber hinaus die gesellschaftliche Konzentration auf Erwerbsarbeit. „Ja, also erwerbslos zu sein, finde ich jetzt erst mal an sich nicht tragisch. Also, weil ... Weil ich auch denke, es ist egal, ob ich oder jemand anderes arbeitslos bin. Ich denke, ich kann mit der Situation relativ gut umgehen. Ich langweile mich nie. Mir fällt nie die Decke auf den Kopf, oder werde depressiv, oder, oder, oder alkohol- oder drogenabhängig.“ (M)

Erwerbslos sein heißt für diese beiden Interviewpersonen nicht, sich zu langweilen, nichts zu tun zu haben oder gesellschaftlich nutzlos zu sein. Für diese beiden Personen stehen die Kategorien der sozialen Netzwerke und des Austauschs im Vordergrund – in Begriffen Bourdieus: Das soziale Kapital kompensiert bei ihnen Engpässe, die mit mangelndem ökonomischen Kapital verbunden sind. Was ihnen fehlt, ist nicht Erwerbsarbeit, sondern die Finanzierung ihrer Aktivitäten zum Wohle der Gesellschaft. Schritt 6: Strukturdaten ergänzen und Herrschaftsverhältnisse analysieren In diesem sechsten Schritt geht es darum, die von den Interviewpersonen angesprochenen strukturellen Rahmenbedingungen ihres sozialen Handelns zu vertiefen. In den sozialen Praxen der GesprächspartnerInnen ist deutlich geworden, dass sie sich als Erwerbslose im Klassenverhältnis weit abgeschlagen einordnen. Sie stehen innerhalb der Lohnabhängigen nach den so genannten Normalbeschäftigten und den prekär Beschäftigten an der untersten Position. Sie müssen im wahrsten Sinne des Wortes alle um ihr tagtägliches Überleben kämpfen, da ihnen die finanziellen Mittel fehlen, ihre Lebenskonzepte zu verwirklichen. Dabei lässt sich allerdings feststellen, dass sie mit ihrer Stellung im Klassenverhältnis recht unterschiedlich umgehen, zumal sie auch von unterschiedlichen 126

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staatlichen Transferleistungen leben: Einige erhalten ALG II nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II (das so genannte Hartz IV), die nächsten werden gar nicht als erwerbsfähig eingestuft und erhalten Sozialgeld nach SGB XII, andere leben von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. In unserem Sample sind keine Erwerbslosen, die ALG I erhalten. Im Folgenden werden wir die unterschiedliche Betroffenheit der Interviewpersonen von strukturellen Herrschaftsverhältnissen entlang der gebildeten Typologie konkretisieren. Wir verwenden die Typen pragmatisch als Stichwortgeber, um die Bedeutungen und Wechselwirkungen der jeweiligen Herrschaftsverhältnisse systematisch diskutieren zu können. Wir beginnen mit der vierten Gruppe: Die beiden Befragten leiden primär unter der fehlenden finanziellen Absicherung, fühlen sich aber nicht als Arbeitslose, da sie am gesellschaftlichen Leben auch ohne Erwerbsarbeit aktiv teilnehmen. Umso mehr wehren sie sich allerdings gegen das diskriminierende kapitalistische Prinzip, das gesellschaftliches Tätigsein außerhalb der Warenökonomie finanziell nicht honoriert. Sie möchten auch in Zukunft ihrer sinnvollen Tätigkeit nachgehen und dafür eine finanzielle Absicherung erfahren.4 Sie akzeptieren nicht, dass nur die Unterwerfung unter die Marktlogik und damit der Verkauf der eigenen Arbeitskraft zu einem Auskommen führt und gehen auf kritische Distanz zu diesem Erwerbsimperativ. M etwa riskiert ihre monatliche Hartz IV-Unterstützung, weil sie die Verpflichtung von Erwerbslosen zu Ein-Euro-Jobs ohne Wiedereingliederungsvereinbarung ablehnt und deshalb solche Jobs zurückweist. Damit unterliegen die Personen in dieser Gruppe direkt den herrschenden Klassenverhältnissen, wonach Menschen, die kein Geld- oder Produktivvermögen besitzen, gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Sie fühlen sich durch Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen nicht diskriminiert, sie thematisieren sie auch nicht. Auch bei den Personen der dritten Gruppe, bei denen die Ausgrenzung als Erwerbslose und ihr geringer gesellschaftlicher Status das größte Problem darstellen, stehen Klassenverhältnisse im Fokus. Die Interviewpersonen dieser Gruppe wünschen sich über Erwerbsarbeit umfassende gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten und hoffen, auf der klassistischen Hierarchieleiter eine Sprosse nach oben zu klettern. Das kapitalistische Prinzip des Verkaufs von Arbeitskraft stellen sie dabei im Gegensatz zur Gruppe 4 gerade nicht in Frage. Allerdings gibt es bei

4

Daran schlösse die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen an, was aber keine der Befragten zum Thema macht. 127

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dem Versuch, sich über Erwerbsarbeit in die Gesellschaft zu integrieren, strukturelle Unterschiede innerhalb dieser Personengruppe. Es gibt Personen, die eine Arbeitserlaubnis haben und jetzt die passende Erwerbstätigkeit finden müssen. Andere müssen sich über ein Asylverfahren oder das sechs- beziehungsweise achtjährige Leben als in der BRD geduldete Person diese Arbeitserlaubnis erst erkämpfen. Bei letzteren werden bereits deutliche Überschneidungen der diskriminierenden Klassenverhältnisse mit dem rassistischen System der Ein- und Ausgrenzung von MigrantInnen sichtbar. Bezüge, dass die Interviewpersonen durch Heteronormativismen und Bodyismen diskriminiert werden, finden sich bei dieser Gruppe nicht. Das scheint daran zu liegen, dass die Befragten über ihre Fokussierung auf Erwerbsarbeit als Inklusionschance die dafür erforderlichen Voraussetzungen der Reproduktion und körperlichen Leistungsfähigkeit für sich geschaffen haben. Für die anderen beiden Gruppen ist die Ausgrenzung über ihre Stellung innerhalb der Klassenverhältnisse noch enger mit weiteren Herrschaftsverhältnissen verbunden. Die erste Gruppe leidet als psychisch Kranke oder von Drogen Abhängige unter hierarchischen Körperverhältnissen, die sie ausgrenzen und diskriminieren. Ihre Priorität im alltäglichen Kampf um ein angemessenes Leben ist die Suche nach Anerkennung als Mensch mit den jeweiligen körperlichen Einschränkungen und Abhängigkeiten. Sie erfahren auch im Bereich der Grundsicherung selbst unter den im Namen homogenisierten Erwerbslosen massive Diskriminierungen struktureller Art. Mit der Unterscheidung ALG II nach SGB II und Sozialhilfe nach SGB XII durchkreuzen sich Klassismen und Bodyismen. Während als gesund konstruierte Personen, die mehr als drei Stunden am Tag erwerbstätig sein können, ALG II erhalten, bekommen die anderen Sozialhilfe. Dies geht mit folgenden Ausgrenzungen einher: keine Berufsberatung, keine Qualifizierung und vieles mehr. Damit spielen Körperverhältnisse – vor allem bezüglich Gesundheit und körperlicher Leistungsfähigkeit – eine entscheidende Rolle für die Festlegung der Grundsicherung. Bei der zweiten Gruppe überschneidet sich ihre Diskriminierung als Erwerbslose mit den für MigrantInnen enormen bürokratischen Anforderungen, bis sie das ihnen zustehende Sozialgeld fürs eigene Überleben und das ihrer Kinder erkämpft haben. Als Migrantinnen ohne ausgefeilte Sprachkompetenz, ohne umfassende Kenntnisse des Sozialsystems und ohne deutsche Staatsangehörigkeit fühlen sie sich gedemütigt. Sie verzweifeln angesichts fehlender Arbeitsplätze und bürokratischer Hindernisse. Diese alleinerziehenden Mütter unterziehen sich diesen bürokratischen Zumutungen nicht primär wegen ihrer eigenen Person, sondern wegen ihrer Kinder, für die sie die Verantwortung tragen. Dies hat weit128

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reichende Konsequenzen. So erhält die alleinerziehende Migrantin E in der BRD nur solange eine Duldung, bis die Krankheit ihres Kindes als ausschließlich in Deutschland behandlungsfähig eingestuft bleibt. Die ebenfalls alleinerziehende Migrantin F findet aufgrund der Betreuungsbedürftigkeit ihres an ADHS erkrankten Sohns keine Zeit, sich um eine Erwerbstätigkeit zu kümmern. Ferner sind sie als muslimische Frauen mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert und haben damit strukturell enorme Schwierigkeiten, eine Erwerbsarbeit zu finden. Auch sind sie bei der formalen Abwicklung ihrer finanziellen und sozialen Ansprüche auf unterschiedliche institutionelle Anlaufstellen verwiesen, vom Arbeitsamt über das Sozialamt bis zu unterschiedlichen Ausländerbehörden. NichtMuttersprachlerInnen stehen dabei vor mitunter kaum zu überwindenden bürokratischen Hürden. Hier wird besonders deutlich, dass es immer wieder notwendig ist, über die Informationen aus den Interviews hinaus weiterführende Daten zur Sozialstruktur in die Analyse einzubeziehen. Denn auch wenn die Interviews klar erkennen lassen, welche gesellschaftlichen Strukturen über Gesetze und Ämter jeweils das Leben der Befragten stark beeinflussen, können wir darin meist nicht allzu viel über die konkrete Gesetzeslage sowie Anspruchsberechtigungen erfahren: Die einzelne Person sieht häufig nur den eigenen kleinen Ausschnitt und kennt nur die offiziellen Begründungen der jeweiligen SachbearbeiterIn, warum sie einen bestimmten Geldbetrag erhält, den sie als zu gering und ungerecht empfindet. Aus den Interviews und den Aufarbeitungen gesetzlicher Vorschriften wird in dieser Gruppe besonders deutlich, wie rassistische und klassistische Herrschaftsverhältnisse ineinander wirken: Möglichkeiten des Gelderwerbs sind durch nationalstaatliche Rechtsverhältnisse eingerahmt. Die von uns in dieser Gruppe untersuchten Migrantinnen ohne deutsche Staatsangehörigkeit und mit kleinen Kindern leiden neben den stark rassistischen und klassistischen Strukturen aber auch unter Heteronormativsmen (auch wenn sie diese nicht als Unterdrückungsverhältnis thematisieren), konkret unter einer Doppelbelastung. Sie sind gezwungen, nicht nur sich selbst über Wasser zu halten, sondern darüber hinaus auch noch ihre Kinder. Da Kindern als Regelsatz in der Sozialhilfe durchgehend weniger zusteht als Erwachsenen, kommt es für Eltern zu einer besonders prekären Situation ihrer Lebensabsicherung. Und oft wird gerade für Mütter ihre Zuständigkeit für das Überleben der Familie zum Balanceakt, zumal wenn die Kinder krank oder behindert sind. Damit sind in den Gesetzen zur Grundsicherung auch Geschlechterverhältnisse verwoben. Hier überschneiden sich also Klassen-, Rassen- und Geschlechterverhältnisse. 129

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Wie bereits dargelegt werden die Heteronormativismen in den Interviews nur selten benannt, die Rolle männlicher Partner und/oder die familiäre geschlechtliche Arbeitsteilung finden in den Interviews in dieser Gruppe nur in Ansätzen Erwähnung. So verzichtet eine alleinerziehende Mutter (D) der Kinder wegen auf eine Berufsausbildung und findet sich in der Erwerbslosigkeit wieder. Die beiden Mütter der an ADHS und Epilepsie erkrankten Kinder (F und E) erzählen von Männern gleich gar nichts. Es gibt keine Aussagen, dass sie Unterstützung erfahren haben, aber auch keine Bemerkungen, dass sie alleine für die Kindererziehung zuständig sind. Interessant ist dies, weil die strukturelle Ebene heteronormativer Herrschaftsverhältnisse hier kaum als Strukturverhältnis sichtbar wird, obwohl sie mit der schlechten finanziellen Absicherung von Kindern sogar in Gesetzestexte eingeschrieben sind. Erkennbar wird dies erst durch die Kombination induktiver und deduktiver Auswertungsschritte, wodurch Unbenanntes in den Blick kommt. Die Analyse der vier Typen, die wir in Schritt 5 gebildet haben, zeigt, dass die strukturellen Diskriminierungen Erwerbsloser und ihre in der Klassenhierarchie unten stehende Position auch mit anderen strukturellen Diskriminierungen durchkreuzt sind. Wir können die Verwobenheit der Klassen-, Rassen-, Geschlechter- und Körperverhältnisse in den vier Gruppen verdeutlichen. Damit weist uns das Material sehr deutlich darauf hin, dass Erwerbslose nicht zuletzt aufgrund verschiedener Formen der gesetzlich verankerten Grundsicherung eben nicht, wie oft angenommen, mit denselben Strukturen konfrontiert sind. Schritt 7: Analyse von benannten Repräsentationen vertiefen In allen dreizehn Interviews gibt es Hinweise, wie die einzelne erwerbslose Person mit den gesellschaftlich abwertenden Sichtweisen auf Erwerbslose umgeht. Dabei lassen sich mit Rückgriff auf die Typen einige charakteristische Figuren gesellschaftlicher Wertvorstellungen herauspräparieren. Aus drei Gründen greifen wir aus diesen das Motiv des Schmarotzers heraus. Erstens kreisen viele der Ideologien, mit denen sich die Interviewpersonen auseinandersetzen und gegen die sie sich wehren, genau um dieses Bild, zweitens kulminiert dieses Bild im Imperativ der Selbstverantwortung, einem elementaren Topos der Leistungsideologie von Gegenwartsgesellschaften, und drittens können wir damit unser methodisches Vorgehen recht gut illustrieren. Dabei fällt auf, dass die Interviewpersonen dieses hegemoniale Konzept, wonach nur diejenigen, die auch arbeiten, akzeptiert sind, durchaus unterschiedlich benennen.

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Zunächst finden wir das Bild der Selbstverschuldung. Die Personen, deren Thema die Kontrolle ihrer Körper darstellt, setzen sich immer wieder neu mit dem Vorwurf der selbstverschuldeten Erwerbslosigkeit auseinander. Dahinter steckt der von ihnen wahrgenommene Vorwurf, sie würden ja bewusst ihren Körper und damit ihre Leistungsbereitschaft ruinieren. Ein Beispiel hegemonialer Debatten in diese Richtung liefert die Aussage des Vorsitzenden der Jungen Union Philipp Mißfelder, die Erhöhung von Hartz IV sei „ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie“ (Süddeutsche Zeitung, 23.2.09, S. 5). Auch wenn es ihm mit dieser Äußerung darum gegangen sein soll, „dass darüber diskutiert wird, wie man die Chancen für die Kinder verbessern kann“ (ebd.), liefert sie doch Munition für einen unterstellten Missbrauch staatlicher Leistungen und verweist auf Schmarotzertum wegen selbstverschuldeten Drogengebrauchs und damit bewusster körperlicher Leistungseinschränkung. Solche Debatten sind in dem Sinn rückwärts gerichtet, als sie diese Klientel aufgeben. Dass unter Bodyismen leidende Menschen in das Erwerbsystem wieder integriert werden könnten, taucht in den öffentlichen Diskussionen kaum noch auf. Gleichwohl gibt es im Gegensatz zu diesen Unterstellungen in dieser Gruppe sowohl bei der alkoholabhängigen Mutter A als auch bei der drogengebrauchenden Prostituierten B und der psychiatrieerfahrenen Beraterin C einen großen Wunsch nach einem „normalen Leben“. Dieses Ideal, in dem auch Erwerbsarbeit einen wichtigen Platz einnimmt, hat für sie einen hohen Stellenwert. Aus diesem Grund trifft sie der normative Vorwurf, ihren Aufgaben als BürgerInnen nicht gerecht zu werden und anderen Leuten auf der Tasche zu liegen, sehr. In der Gruppe 2 haben wir Personen zusammengefasst, die ihre Verantwortung für ihre teilweise kranken Kinder nicht mit einer regulären Erwerbstätigkeit verknüpfen können und deshalb in unterschiedlichem Umfang auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Sie stecken ihre eigenen Bedürfnisse nach einer Erwerbstätigkeit zurück, um dem gesellschaftlich offensichtlich immer noch hochwirksamen Leitbild einer traditionellen Mutter zu entsprechen, die die primäre Verantwortung für die Versorgung der Kinder hat. Doch genau dafür werden diese Mütter mit einer besonderen Variante des Schmarotzerbilds konfrontiert. Es ginge nicht an, so die hegemoniale Vorstellung, dass Frauen mit ihren Kindern in die BRD einreisen, um dann vom bundesrepublikanischen Sozialstaat zu profitieren. Auch wenn für Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit noch immer die mehrheitsgesellschaftlich geteilte Wertvorstellung gilt, wonach Frauen Hauptverantwortliche für die Erziehung von Kindern sind und bei der Berufsausübung zurückzustecken haben, wird dies nicht auf Migrantinnen übertragen. Hier heißt die Norm: Wenn Migrantinnen 131

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mit ihren Kindern schon das bundesdeutsche Sozialsystem nutzen, müssen sie zu dessen Aufrechterhaltung auch ihren Beitrag durch Erwerbsarbeit leisten. Über die Unterbringung und Versorgung der Kinder während dieser Zeit indes denkt in diesem stereotypen Bild kaum jemand nach. Das entspricht einer Modernisierung der traditionellen Mutterrolle zugunsten der Finanzierbarkeit des Sozialsystems. In der Gruppe 3 müssen sich die Erwerbslosen immer wieder mit dem Bild auseinandersetzen, dass sie zu wenig tun, sich nicht genug engagieren, um einen Arbeitsplatz zu finden. Sie sollten nicht weiter auf der faulen Haut liegen, sondern müssten sich häufiger bewerben und mehr qualifizieren. Diese Debatte ist im Gegensatz zu stereotypen Verwürfen gegenüber der Gruppe 1 zukunftsorientierter: Die Betroffenen könnten es schaffen, wenn sie sich nur richtig anstrengten. Sie hören immer wieder den Spruch „Wer will, bekommt auch Arbeit“ und verstehen dies als Aufforderung zu noch mehr Eigeninitiative, obwohl sie sich doch schon täglich mit ganzer Kraft bemühen, einen Job zu finden. Die langzeitarbeitslose Hochqualifizierte J etwa fragt sich, was sie „eigentlich noch alles lernen“ solle, obwohl sie diese Norm der permanenten Sorge für die eigene employability bereits dahingehend verinnerlicht hat, dass sie sich weiterbildet, zusätzliche Qualifikationen erwirbt, „damit ich drin bleibe“. Gegenüber den MigrantInnen in dieser Gruppe gibt es noch einen weiteren stereotypen Vorwurf: das Bild der Sozialschmarotzer, die ähnlich wie bei der Gruppe 2 von außen, von einem anderen Land nach Deutschland kommen und dann auch noch Geld beanspruchen. Dies ist eine breit vertretene Norm, der die 27-jährige K durchaus selbstbewusst begegnet, indem sie auf die historische Schuld Deutschlands verweist: „Die anderen Länder, die haben Deutschland aufgebaut. Das ist die Realität. [...] Darf man auch nicht vergessen.“ Der Migrant H brandmarkt das deutsche Selbstverständnis einer Demokratie als Lüge, wenn Ausländer zu Kriminellen gemacht und die beruflichen Qualifikationen anderer Länder nicht anerkannt würden. Wieder andere Interviewpersonen stoßen sich daran, dass ihnen von außen immer wieder fehlender Integrationswille vorgeworfen wird und sie deshalb keinen Anspruch auf finanzielle Hilfe hätten. In der Gruppe 4 richtet sich der Vorwurf des Schmarotzertums direkt gegen die Lebensphilosophie der Interviewpersonen L und M, die gesellschaftlich nützliche Dinge tun und dafür finanziell abgesichert werden wollen. Wer allerdings – so die Ausprägung des Schmarotzervorwurfs gegenüber dieser Gruppe – nicht bereit sei, seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anzubieten, verdiene keine finanzielle Unterstützung. Die Gemeinschaft der SteuerzahlerInnen sei schließlich nicht dafür ver132

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antwortlich, die Selbstverwirklichung von Personen zu finanzieren, die sich – so die Konstruktion – vor einer regulären (und oftmals mühsamen) Erwerbsarbeit drückten. Diese verschiedenen Ausprägungen in unserer Untersuchung machen deutlich, dass wir uns mit der Ideologie des Schmarotzertums weitergehend beschäftigen müssen, um zu verstehen, warum sich gerade dieses Konzept in seinen vielfältigen Facetten so hartnäckig hält und in allen vier Gruppen mit ansonsten recht unterschiedlichen Lebensbedingungen eine wichtige Rolle spielt. Um dieser Frage nachzugehen, könnten wir etwa massenmediale Texte wie Wochenmagazine, Tageszeitungen mit hohen Auflagen oder auch Werbung im Fernsehen oder häufig besuchte Online-Sites, in denen das von den InterviewpartnerInnen in vielfältigen Facetten immer wieder wiederholte Bild der Sozialschmarotzers in unterschiedlichen Facetten zum Vorschein kommt, näher untersuchen. Eine andere Möglichkeit, die in den Interviews benannten Repräsentationen zu vertiefen, besteht in dem Weg, den H.-Dieter Kantel (2008) neuerdings sehr gut beschrieben hat und dabei auch das Beispiel der Grundsicherung heranzieht. Kantel wertet nicht massenmediale Diskurse, sondern die Gesetzestexte selbst mit einem archäologischen Blick aus. Denn, so können wir mit Kantel zeigen, bereits die Gesetzestexte im Sozialgesetzbuch und das gesamte System der Grundsicherung in der BRD bringen Erwerbslose in die Ecke des Schmarotzers. Kantel weist nach, dass nicht nur die Versorgungs- und Versicherungsleistungen, worunter nach SGB III die ALG I-Gelder fallen, sondern auch die Fürsorgeleistungen, worunter die finanzielle Absicherung von ALG IIEmpfängerInnen nach SGB II sowie von „Arbeitsunfähigen“ nach SGB XII zu subsumieren ist, aufgrund ihrer Konstruktion der Leistungsvergabe „intentional nicht darauf ausgerichtet sind, soziale Notlagen zu lindern oder gar zu beseitigen“ (ebd.: 56). Das fördert die Analyse der diskursiven Konstruktion von Arbeitsmarktpolitik zutage, mit der Kantel (ebd.: 57-66) aus dem Gesetzestext der Sozialgesetzgebung von 2007 Rückschlüsse auf die Strukturierung und Verfasstheit der gegenwärtigen Gesellschaft zieht. Bereits im ersten Satz des § 1 SGB III heißt es nämlich: „Die Leistungen der Arbeitsförderung sollen dazu beitragen, dass ein hoher Beschäftigungsstand erreicht und die Beschäftigungsstruktur ständig verbessert wird.“ (Kantel 2008: 58) Die Begriffe Beschäftigungsstand und Beschäftigungsstruktur machen deutlich, dass die Erwerbslosen ausgeblendet bleiben. Sie spielen keine Rolle, denn es geht hier nur und ausschließlich um die Beschäftigten. Maßstab ist die Wertschöpfung der Gesellschaft, und diese ist eine wirtschaftliche, genauer eine betriebs133

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wirtschaftliche, die sich an der Rationalität von ArbeitgeberInnen mit dem Ziel der Kostensenkung und Renditesteigerung orientiert. Folgerichtig ist Sozialpolitik eine abhängige Variable der Wirtschaftspolitik. Deutlich wird dies in der Definition von Hilfebedürftigkeit. Nach § 9 SGB II ist hilfebedürftig, „wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften oder Mitteln [...] sichern kann“ (ebd.: 71). Hilfebedürftigkeit wird hier „als abhängig von den einsetzbaren Kräften und den vorhandenen Mitteln des Einzelnen“ (ebd.: 72) definiert. Damit wird eine Beweislastumkehr und eine Schuldzuweisung an die Erwerbslosen vorgenommen: Sie müssen nun nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht ausreichend sichern können. Sozialpsychologisch hat das Folgen: Die Erwerbslosen gehen in der Gewissheit, dass sie Unterstützung brauchen, zu den Jobcentern. Die Bediensteten dort dagegen müssen sich vergewissern, „dass die Kräfte der Einzelnen tatsächlich und nicht nur vermeintlich nicht ausreichten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern“ (ebd.: 72). Entsprechend fühlen sich Erwerbslose nicht ernst genommen, aus ihrer Perspektive steht hinter den Fragen der Bediensteten immer die Vermutung des Schmarotzers. Letztere dagegen wehren zunächst die Ansprüche der Erwerbslosen ab, verweisen auf die Eigenverantwortung und damit steht die Frage im Raum, ob sie sich denn wirklich genug angestrengt hätten oder nur das schnelle Geld abzocken wollten. Als Ergebnis dieses Schritts halten wir fest, dass sich die in den Interviews benannten vielfältigen Bilder rund um Schmarotzertum auch in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen wiederfinden lassen. Sie stellen eine wahrnehmungs- und handlungsorientierende Ideologie dar, die Ängste wachruft, Verhalten kanalisiert, Aus- und Einschlüsse provoziert und damit die meritokratische Triade festigt. Schritt 8: Wechselwirkungen in der Gesamtschau herausarbeiten In diesem abschließenden Schritt wollen wir die Wechselwirkungen in ihrer Dynamik im untersuchten Kontext des erwerbslosen Alltags verallgemeinert und zugespitzt darstellen. Damit können wir verdeutlichen, welche Durchkreuzungen und Verschiebungen von Dominanzverhältnissen auf den drei Materialisierungsebenen wir mit unserem methodologischen Herangehen erkennen können. Wir verwenden dazu das in Kapitel 3.3 vorgestellte Modell von Wechselwirkungen, indem wir die vier konstruierten Typen, nämlich Kontrolle über eigene Körper (Gruppe 1), Verantwortung für Versorgung der Kinder (Gruppe 2), Erwerbsarbeit als Chance für Integration (Gruppe 3) und Suche nach finanzieller 134

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Absicherung (Gruppe 4), zu den sechs Formen von Wechselwirkungen zwischen den Ebenen in Beziehung setzen; das sind die Wechselwirkungen zwischen Strukturen und Identitäten, Repräsentationen und Identitäten sowie Strukturen und Repräsentationen in jeweils zwei Richtungen. S o I und I o S Bei der ersten Form von Wechselwirkungen (S o I) geht es um die Frage, wie soziale AkteurInnen auf strukturelle Rahmenbedingungen reagieren, was sie damit und daraus machen. Die Befragten der Gruppe 1 erfahren Ämter, Behörden und medizinische Einrichtungen, die auf Körperregulierung drängen, als ambivalent – als notwendig und unterstützend, aber auch als kontrollierend und disziplinierend (vgl. Foucault 1977). Als Konsequenz versuchen sie, von Alkohol, Drogen und psychischen Krankheiten loszukommen, sich also an herrschende Körpernormen anzupassen, was ihnen allerdings nur teilweise gelingt. Ihre Identitätskonstruktionen rund um eingestandene Hilfebedürftigkeit und gleichzeitige Angst vor staatlicher Kontrolle korrespondieren mit gesellschaftlichen Strukturen, die auf Körperregulierung drängen. In der umgekehrten Richtung (I o S) fragen wir danach, wie sich Identitätskonstruktionen in sozialen Strukturen materialisieren, wie sich Sozialstrukturen weiterentwickeln angesichts von Hilfebedürftigkeit und Widersetzung. Staatliche Einrichtungen konfrontieren die Befragten mit dem Entzug des Sorgerechts für die eigenen Kinder, mit Vorladungen, rechtlicher Belehrung und Gängelei bis hin zur Regelung finanzieller Angelegenheit durch einen Vormund. Legitimiert wird das mit physischen und psychischen Abweichungen von gesellschaftlichen Normalitäts- und das heißt hier Körperstandards. Über staatliche, ehrenamtliche und kommunale Einrichtungen fördert und fordert der Sozialstaat von allen Einzelnen Anpassungen an Körpernormen, die mit dem kapitalistischen Erwerbsystem verträglich sind – was inzwischen auch die Rede von kapitalismuskompatiblen Körpern (Degele/Schmitz 2009) rechtfertigt. Die drei Migrantinnen mit Kindern aus der Gruppe 2 kämpfen vor allem mit sprachlichen und bürokratischen Barrieren, bei ihnen steht das Management von Bürokratie im Vordergrund (S o I). Sie geben dennoch nicht auf, sondern beanspruchen vom deutschen Sozialsystem Unterstützung für die gesundheitliche Versorgung ihrer Kinder, versuchen aber nicht, staatliche Entlastung zu finden, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Sie akzeptieren ihre alleinige Sorgeverantwortung für die Kinder beziehungsweise nehmen sie fraglos hin. Diese Positionierung ist wohl auch realistisch: Es gibt klare formale Vorgaben, wofür und unter welchen Bedingungen das staatliche Sozialsystem wofür Un135

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terstützung gewährt – Erleichterungen für die Aufnahme einer Erwerbsarbeit alleinerziehender Migrantinnen fallen nicht darunter. Betrachten wir die umgekehrte Richtung (I o S), begünstigen defensive Verhaltensweisen eine regulierende staatliche Haltung: Unter Rekurs und Verweis auf Sachzwänge lässt sich ein bürokratisches Netz aus formalisierten Bestimmungen und Bedingungen knüpfen, das Art und Umfang von Leistungen einschränkt und nicht zuletzt aufgrund sprachlicher Barrieren nur schwer zugänglich ist. Die Befragten erfahren die institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie sich zurechtfinden müssen, entsprechend als kalte, anonyme und feindliche Übermacht, als – Weberianisch gesprochen – „stahlhartes Gehäuse“. Bei der dritten Gruppe der um Teilhabe kämpfenden Erwerbssuchenden sind die mit der Agenda 2010 und Hartz IV verbundenen Gesetze und Regelungen angekommen. Sie haben die mit den gesellschaftlichen Strukturen verbundenen Maximen des ‚Förderns und Forderns‘ verinnerlicht (S o I). Sie qualifizieren sich weiter, wann immer ihnen dies möglicht ist, sind leistungsbereit und akzeptieren das mit der meritokratischen Triade verbundene Leistungsprinzip. Sie verhalten sich in dem Sinne konform, als sie keinen Zweifel an ihrer Leistungsorientierung aufkommen lassen. Die Befragten dieser Gruppe bilden eine Klientel, die den Vorstellungen und Anforderungen der dem Arbeitsmarkt zugrunde liegenden staatlichen und ökonomischen Strukturen entspricht: allzeit bereit, immer flexibel und ständig auf dem Sprung. Für die Wechselwirkungen I o S heißt das im Fall der Gruppe 3, dass die Mühen und das Engagement der Befragten meritokratische Klassismen mit ihren engen Reglementierungen stützen und stabilisieren. Strukturen und Identitätskonstruktionen kommen hier zu einem Entsprechungsverhältnis (vgl. Schimank 1985). Die Befragten der Gruppe 4 sind nicht im klassischen Erwerbssektor aktiv, sie sind aber auch nicht ohne Arbeit. Ihre Tätigkeiten erstrecken sich auf das künstlerische und politische Feld, in ihren Augen leisten sie damit sehr wohl einen bedeutenden Beitrag für die Gemeinschaft, nur ist dieser eben unbezahlt. L und M entkoppeln Erwerbsarbeit und Einkommen, sie pflegen eine kritische Distanz zu entfremdeter Arbeit und wollen sich nicht in das damit verbundene enge Korsett zwängen lassen (S o I). Die damit verbundenen prekären Existenzbedingungen nehmen sie in Kauf und reagieren darauf mit der Ausbildung sozialen und kulturellen Kapitals. Betrachten wir die Wirkungen dieser Identitätskonstruktionen auf soziale Strukturen in zeitlicher Perspektive (I o S), geht es hier um die hochpolitische und -brisante Frage des bedingungslosen Grundeinkommens, auch wenn es von den Interviewpersonen nicht explizit benannt wird. Oder – und das entspricht der derzeitigen gesellschaftli136

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chen Realität – eine restriktive Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erhöht den Druck zur Anpassung an das herrschende Erwerbsmodell wie etwa über den Zwang, Ein-Euro-Jobs annehmen zu müssen. Dies wiederum erschwert eine breit organisierte Protestwelle und individualisiert die Einzelnen mit ihrem Schicksal. R o I und I o R Im Folgenden geht es um Wechselwirkungen zwischen symbolischen Repräsentation und Identitätskonstruktionen. In ihren Identitätskonstruktionen (R o I) teilen die drei Befragten der Gruppe 1 den Wunsch nach Normalität: A will eine gute Mutter sein, B will vom Drogengebrauch los kommen, C will psychisch wieder arbeitsfähig werden. Den Vorwurf des Schmarotzertums akzeptieren sie für sich nicht, fügen sich aber in eine passive Rolle. Den Werten der Leistungsfähigkeit setzen sie keine Alternativen entgegen, das mag auch und vor allem an einer gefühlten Alternativlosigkeit dieser gesellschaftlichen Normen liegen. Für einen breiteren Widerstand fehlen die AdressatInnen einer möglichen Solidarisierung. Für die symbolischen Repräsentationen (I o R) folgt daraus, dass die Befragten über ihre Identitätskonstruktionen, die mit dem Wunsch nach einem guten Leben an Normalitätsvorstellungen ausgerichtet sind, das herrschende System kapitalismuskompatibler Körpernormen (leistungsfähig, jung, sportlich, gesund, attraktiv) durch Anpassung stützen. Die Mütter mit Migrationshintergrund in der Gruppe 2 übernehmen selbstverständlich die Alleinverantwortung für ihre Kinder (R o I). Einerseits greifen sie damit die Norm der selbstlosen Mutter auf, die alles für ihr Kind tut, andererseits entlassen sie damit Väter und Staat aus der Verantwortung. Sie wehren sich gegen den Vorwurf des Schmarotzertums, greifen zur Verteidigung aber nicht auf ihre prekäre Lage als Alleinverantwortliche zurück, die auch noch mit massiven bürokratischen Hürden zu kämpfen haben. Verfolgt man die umgekehrte Wirkungsrichtung (I o R), stabilisieren die beobachteten Identitätskonstruktionen die Ideologie mütterlicher Alleinverantwortung und damit auch heteronormative Verhältnisse. Da sich die Befragten als Einzelkämpferinnen durch den bürokratischen Dschungel staatlicher Unterstützung für Kinder, Gesundheit und das eigene Leben schlagen, verfestigen sie wider Willen Auffassungen wie ‚das Boot ist voll‘ bei gleichzeitiger Gewährung von Zuwendungen für Einzelfälle – auch dies leistet einer weiteren Singularisierung Vorschub. Die fünf Befragten der Gruppe 3 unternehmen eine Menge, um an gesellschaftlicher Erwerbstätigkeit teilhaben zu können. Ganz explizit gehört für sie Erwerbsarbeit zur gesellschaftlichen Normalitätsausstat137

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tung, für den afrikanischen Studenten G hängt daran gar die Familienehre. Sie akzeptieren das Leistungsprinzip und wehren sich entsprechend gegen das Bild des Schmarotzers im Hinblick auf mangelnde Leistungsbereitschaft (R o I). Vielmehr kritisieren sie die bürokratischen Strukturen, die einer Realisierung ihrer Leistungsfähigkeit im Wege steht – sie wollen mitspielen. Umgekehrt (I o R) befestigt diese Haltung der unhinterfragten Leistungsbereitschaft eine gesellschaftliche Norm wie ‚Leistung lohnt sich‘ oder ‚Wer wirklich will, bekommt auch Arbeit.‘ Ebenso stellt diese Sichtweise, die nur Leistungsbereite einer staatlichen Absicherung für würdig befindet, einen gewichtigen Einwand in der Debatte um das leistungsunabhängige Grundeinkommen dar. Das hat nichts mit etwaigen egoistischen oder unsolidarischen Absichten der Befragten zu tun, sondern beschreibt lediglich den Effekt sozialer Praxen und Identitätskonstruktionen, die gar nicht als kollektiv intendiert sein müssen, sehr wohl aber kollektive Wirkungen zeitigen. Für die beiden Befragten der Gruppe 4 spielt das Motiv des Widerstands gegen eine herrschende Arbeitsethik eine zentrale Rolle (R o I). Ihre Suche nach finanzieller Absicherung ist nicht mit einer Akzeptanz des Leistungsprinzips verbunden, im Gegenteil. Sie kritisieren Erwerbsarbeit als disziplinierende Sicherheitsfiktion (L) und stellen die mit Erwerbslosigkeit verbundene Vereinzelung an den Pranger (M). L und M stellen dieser Ideologie Netze der wechselseitigen Unterstützung, politisches Engagement und ehrenamtliche Tätigkeiten gegenüber – als Teil von Selbstverwirklichung und gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit gleichermaßen. Betrachtet man die Rückwirkungen solcher Identitätskonstruktionen auf symbolische Repräsentationen (I o R), führen diese ins Herz gesellschaftlicher Gerechtigkeitsdebatten: Wer hat unter welchen Bedingungen worauf Anspruch? Soll die Gemeinschaft kulturelle Tätigkeiten und politisches Engagement finanziell absichern? Handelt es sich dabei um Arbeit? Diese Frage erinnert an die in den 1970ern heftig ausgefochtene Debatte um einen damals von zahlreichen FeministInnen geforderten Lohn für Hausarbeit (vgl. Bode/Lenz 2008), als es um die Anerkennung weitgehend unsichtbarer und vermeintlich selbstverständlicher Reproduktionsarbeit ging. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen könnte ähnlichen Zündstoff in sich bergen, wenn sie denn von einer breiten sozialen Bewegung getragen würde – wonach es derzeit allerdings (noch) nicht aussieht. S o R und R o S Die Analyse der Wechselwirkungen symbolischer Repräsentationen und sozialer Strukturen löst sich ein gutes Stück von den bislang involvierten Identitätskonstruktionen. Die sozialen Strukturen zum Umgang mit und 138

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zur Bewältigung und Kontrolle von physischen und psychischen Einschränkungen (Gruppe 1) stützt Normen, nach denen Hilfe nur denjenigen zu gewähren ist, die sich körperkonform verhalten (S o R). Das Nichtgelingen von Körpernormativität ist mit Stigmatisierung, Kriminalisierung und Schuldzuschreibungen verbunden. Auf diesem Weg produzieren gesellschaftliche Strukturen ‚VersagerInnen‘, was sich dann etwa im Bild des gescheiterten Schmarotzers bündelt. Umgekehrt (R o S) stützen körperkonforme Anpassungen und Werte soziale Sicherungssysteme, die ihr Klientel mit Fürsorge und Kontrolle belohnen. Widerstand wird singularisiert und bleibt damit kontrollierbar. Bei der Gruppe 2 der alleinverantwortlichen Mütter produzieren die Strukturen der sozialen Sicherung sowie der Migrationspolitik einen interessanten Widerspruch mit symbolischen Repräsentationen (S o R). Denn die beiden Werte der mütterlichen Verantwortung für die Erziehung und das Wohlergehen der Kinder einerseits und der Pflicht zur Selbsterhaltung durch Erwerbsarbeit sind in den konkreten Fällen der Befragten nicht miteinander in Einklang zu bringen. Strukturell fehlen ausreichende Angebote der Kinderbetreuung und adäquate Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit, da Mütter, zumal Migrantinnen, schnell ausgegrenzt werden. Deren gesetzlich begrenzte Möglichkeit zur Aufnahme von Erwerbsarbeit ist zusätzlich durch rassistische Vorurteile eingeschränkt, die Ausländerinnen vor allem in Putzjobs untergebracht wissen wollen (D) und die Erscheinung (Kopftuch) als wichtiger erachten als die Qualifikation (F). Die Norm der alleinverantwortlichen Mutter wiederum entlastet Sozialsysteme, beispielsweise ausreichend Kindergartenplätze zur Verfügung zu stellen (R o S). Gleichzeitig bekräftigt die Nachfrage nach Arbeitsplätzen durch Migrantinnen eine (str-)engere staatliche Regelung für die Gewährung von Aufenthaltsgenehmigungen und Bleiberecht. Für diese Gruppe stellen wir also fest, dass die beiden Normen der fürsorgenden Mutter und der berufstätigen Frau kollidieren. Genau dies haben die Befragten der Gruppe verinnerlicht: Im Zweifelsfall sind immer sie es, die den Preis für die Kindererziehung und Haushaltsführung zu zahlen haben. Zusammenfassend: Mütter sind nach wie vor die Hauptverantwortlichen für die Versorgung ihre Kinder; der Rechtsanspruch auf die Leistungen der Grundsicherung ist immer an die eingeforderte Bereitschaft geknüpft, dass Erwerbslose ihre Eigenverantwortung aktiv wahrnehmen. Die Kombination dieser beiden Faktoren führt häufig zu einem Ausschluss von Müttern aus dem Erwerbsleben. Hinsichtlich der Gruppe 3 (Erwerbsarbeit als Chance für Integration) der ‚verhinderten Leistungsträger‘ reagieren symbolische Repräsentationen auf eine strukturelle Entsolidarisierung (S o R) mit immer neuen Normen, wonach nur Leistung zählt. Das dazu passende Bild ‚das Boot 139

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ist voll‘ suggeriert, dass diejenigen, die dem Leistungsprinzip nicht entsprechen, legitimerweise keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung hätten. Gleichzeitig – so das Bild – eröffnen sich für Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und sich entsprechend zu qualifizieren, Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe und individueller Anerkennung durch Erwerbsarbeit. Diese Leistungsideologie machen sich soziale Strukturen als Selektionsmechanismus zunutze (R o S). Damit eng verknüpft ist die Gerechtigkeitsfrage: Wer darf Leistungen in Anspruch nehmen und wer nicht? Die meritokratischen Normen verfestigen damit nicht nur die soziale Absicherung und die finanzielle Belohnung von Leistungsbereiten, sondern auch die strukturelle Gängelung, Kontrolle und Disziplinierung von Nicht-Leistungsbereiten. Die strukturelle Forderung nach einer permanenten Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt der beiden Befragten in Gruppe 4 macht den Deal einer kapitalistischen Erwerbsgesellschaft deutlich: Verkauf der Arbeitskraft gegen Existenzsicherung. Entsprechend sind Werte vorherrschend, nach denen nur denjenigen finanzielle Absicherung zusteht, die bereit sind, bei Bedarf auch anstrengende und mühsame Erwerbsarbeit auszuführen (S o R). Ein solches Prinzip wird mehrheitsgesellschaftlich als gerecht empfunden und ermöglicht soziale Anerkennung. Für staatliche Strukturen wiederum heißt das: Eine selektive und eingeschränkte Leistungsbemessung ist konsensuell abgesichert, nur Erwerbsbereite sind legitime AdressatInnen staatlicher Unterstützung (R o S). Solche Wertemuster stützen die Herstellung von Abhängigkeiten, wie es in der Definition von Hilfebedürftigkeit deutlich wird (vgl. Schritt 7). Erwerbslose wie unsere Interviewpersonen wehren sich gegen solche Konstruktionen von Abhängigkeiten. Sie können sie aber nicht von sich fernhalten, da sie tagtäglich nicht nur in den Medien, sondern auch an den Stellen, die Ihnen eigentlich behilflich sein sollen, immer wieder mit dieser Vermutung des Sozialschmarotzers konfrontiert werden. Mit der Diskussion von sechs Formen von Wechselwirkungen, die wir in Bezug auf die vier Typen spezifiziert haben, hat die intersektionale Analyse ihren Zweck für unser Anliegen erfüllt. Das entbindet ForscherInnen angesichts der Fülle des vorliegenden Materials und der analysierten Wechselwirkungen nicht, entsprechend der jeweils konkreten Fragestellung intensiver auf eine Facette der Untersuchung zu fokussieren. Daraus lassen sich dann Beobachtungen, Hypothesen und weiterführende Überlegungen zur Dynamik der Wechselwirkungen in Bezug auf die relevanten Ungleichheitskategorien und ihrer Wirksamkeit auf verschiedenen Ebenen ableiten. Wir werden im abschließenden Kapitel 5 in diesem Sinne einige weiterführende Ergebnisse thesenartig darstellen. 140

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Unsere Argumentation sollte verdeutlicht haben, wie wir mit unserem Ansatz einer praxeologisch orientierten Intersektionalität soziale Ungleichheiten analysieren können. Die dafür notwendigen theoretischen und methodologischen Vorgehensweisen sind in den Kapiteln 2 und 3 konkretisiert und in Kapitel 4 exemplifiziert. Zusammenfassend hier noch einmal die von uns vorgeschlagenen Werkzeuge: x Praxeologischer Ansatz: Intersektionale Forschung sollte bei empirisch erfassbaren sozialen Praxen beginnen. Deshalb analysieren wir das auf Körper und Wissen basierte Tun von Menschen, das selbstverständlich auch das Sprechen beinhaltet (vgl. Kap. 3.1). x Mehrebenenanalyse: Wir blicken theoretisch mit drei Perspektiven auf soziale Praxen. Entsprechend unterschiedlicher feministischer Paradigmen beschäftigen wir uns mit der Struktur-, Repräsentationsund Identitätsebene (vgl. Kap. 1.3). x Induktive Offenhaltung von Kategorien: Wir gehen von einer nach oben offenen Anzahl von Kategorien aus, um verschiedenartige Identitätskonstruktionen und unterschiedliche Normen, Werte und Ideologien in ihrer Vielfalt zu berücksichtigen (vgl. Kap. 2.2 und 2.3). x Deduktive Bestimmung von Strukturkategorien: Wir legen vier Strukturkategorien fest, da uns dies ermöglicht, materialisierte soziale Strukturen mit ihren jeweiligen Herrschaftsprinzipien in die Analyse einzubeziehen (vgl. Kap. 2.1). x Körper als eigenständige Strukturkategorie: Wir erweitern die Triade class, race, gender um Körper, da wir mit dieser Strukturkategorie neben der kulturellen Leistungsfähigkeit (Bildung, Beruf) die körperliche Leistungsfähigkeit als wichtige Grundvoraussetzung für 141

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das individuelle Reproduktionshandeln und den Verkauf der eigenen Arbeitskraft berücksichtigen können (vgl. Kap 2.1.2). Erweiterung der Strukturkategorie Geschlecht: Wir erfassen mit der Kategorie Geschlecht nicht nur die Frau-Mann-Unterscheidung und damit die Zweigeschlechtlichkeit, sondern auch die eng damit verbundene heterosexuelle Zuordnung und Hierarchisierung. Damit integrieren wir die in intersektionalen Zusammenhängen oft vorgeschlagene Kategorie Sexualität und trennen nicht künstlich Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung (vgl. Kap. 2.1.2). Herrschaftsverhältnisse im Plural: Wir setzen Klassenverhältnisse oder Klassismen, Geschlechterverhältnisse oder Heteronormativismen, Rassenverhältnisse oder Rassismen und Körperverhältnisse oder Bodyismen explizit in den Plural, um auf ihre Vielfältigkeit, Prozesshaftigkeit und Veränderbarkeit hinzuweisen (Kap. 2.1). Herrschaftsverhältnisse innerhalb kapitalistischer Systeme: Im Unterschied zur Gegenüberstellung von Großsystemen wie etwa von Kapitalismus und Patriarchat sehen wir Klassen-, Geschlechter-, Rassen- und Körperverhältnisse als Prozesse, die innerhalb kapitalistischer Gesellschaften wechselwirken und deren Bedeutungen sich je nach Kontext verschieben können (vgl. Kap. 2.1.1). Konzeptualisierung von sechs Wechselwirkungen: Methodologisch zeigen wir die Zusammenhänge und Abhängigkeiten der verschiedenen Ebenen auf, indem wir fragen, welche Wirkungen die jeweiligen Kategorisierungen auf einer Ebene auf die jeweils anderen beiden Ebenen haben (vgl. Kap. 3.2). Empirische Analyse mit Acht-Schritte-Methode: Wir entwickeln ein konkretes methodisches Vorgehen in acht Schritten: Damit lässt sich der Anspruch, soziale Praxen intersektional zu untersuchen, im empirischen Forschungsprozess konkret realisieren (vgl. Kap. 3.3).

Der Gewinn unseres Ansatzes liegt im Zugang über Wechselwirkungen von Kategorien und Ebenen, ohne einer Beliebigkeit von Kategorien das Wort zu reden. Denn erstens zwingt die Benennung der jeweils gewählten Untersuchungsebene zur Präzision, die bei einem implizit bleibenden Springen zwischen den Ebenen nicht zu erreichen wäre. Zweitens lassen sich durch das Offenhalten der Kategorien auf der Identitäts- und Repräsentationsebene Reduktionen vermeiden und durch die Festlegung von vier Kategorien auf der Strukturebene dennoch Herrschaftsverhältnisse klar benennen. Wir können im hier vertretenen Ansatz soziale Praxen auf der Identitätsebene in ihrer Vielfalt beobachten und mit von AkteurInnen benannten symbolischen Repräsentationen und Sozialstrukturen verknüpfen. Damit verbinden wir bislang isolierte und verstreute 142

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Wissensbestände und Theorien miteinander. Auch ist es nur so überhaupt möglich, Wechselwirkungen verschiedener Kategorien und Ebenen zu analysieren. Drittens ermöglicht der Vorschlag ein systematisches Vorgehen, das von Identitätskonstruktionen seinen Ausgang nimmt, aber gerade nicht auf dieser Ebene stehen bleibt. Die prinzipielle Offenheit von Kategorien auf der Identitätsebene und ihre Anbindung an gesellschaftliche Strukturen und symbolische Repräsentationen erlaubt, methodologisch konstruktiv mit einem zentralen Problem der Gender und Queer Studies umzugehen, nämlich der Reifizierung. So setzen wir die zu untersuchenden Kategorien wie Geschlecht, Sexualität oder Generativität nicht einfach als relevant voraus, sondern berücksichtigen, ob und wie die Interviewpersonen sie benennen oder eben auch nicht. Mit der Kombination von induktiver und deduktiver Vorgehensweise gelingt es dabei, auch Nicht-Thematisiertes zu erkennen. Üblicherweise profitieren vor allem Personen von Dualismen oder Differenzierungen, die die entsprechenden Kategorien nicht benennen. So thematisieren Weiße, heterosexuelle Männer, Reiche und Gesunde selten ihre Rasse, ihr Geschlecht, ihre Klasse oder ihren Körper. Bei der Kategorie Geschlecht sind es allerdings oft auch Frauen, die diese Kategorie nicht erwähnen. Mit dem Blick auf mehrere Ebenen lässt sich zeigen, dass Schweigen über Geschlecht nicht die gesellschaftliche Bedeutung dieser Kategorie minimiert, sondern die Kategorie – und das ist viel interessanter – oft in Wechselwirkung mit anderen Kategorien wirkt. In der in Kapitel 4 dargestellten empirischen Untersuchung verweben die Interviewpersonen einer Gruppe beispielsweise Geschlecht ohne es anzusprechen mit der Identifikation als Migrantinnen, die ausländerfeindlichen Normen und bürokratischen Hürden unterliegen. Erst auf der Repräsentations- und Strukturebene werden die Heteronormativismen überhaupt sichtbar. Denn die alleinerziehenden Mütter sind sich widersprechenden normativen Anforderungen unterworfen und unterliegen gleichzeitig ausländerrechtlichen Gesetzen, die Kinder und Mütter diskriminieren. Aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive heißt das zusammenfassend und perspektivisch: Geschlecht ist im Kontext „rhetorischer Modernisierung“ (Wetterer 2003), aber auch aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes keine akzeptierte Diskriminierungskategorie mehr, weshalb sie oft nicht benannt wird. Dennoch werden Heteronormativismen im jeweiligen Kontext erkennbar, wenn die angesprochenen unterschiedlichsten Anforderungen an Frauen, Mütter und heterosexuelle Partnerinnen miteinander in Beziehung gesetzt werden. Auch sind die jeweils wirksamen Klassen-, Rassen- und Körperverhältnisse mit Heteronormativismen verwoben, die intersektionale Analysen sichtbar ma143

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chen. Die Untersuchung der Bedeutung von Geschlecht bedarf also einer ‚misstrauischen‘ Perspektive, die vor allem auf Nicht-Thematisierungen und die Verwobenheit mit anderen Kategorien achtet. In Bezug auf die Kategorie Klasse decken intersektionale Analysen auf, wie verblüffend vielfältig das meritokratische Prinzip, wonach die Arbeitswelt und damit auch das Einkommen entlang Bildung und Beruf hierarchisch gestaffelt zu sein hat, auf allen Ebenen angesprochen, verteidigt und angegriffen wird. Selbst Personen, die den damit verbundenen Leistungsanforderungen aufgrund klassistischer, rassistischer, körperlicher oder heteronormativer Diskriminierungen kaum gerecht werden können, wehren sich zwar für ihre jeweils einzelne Person gegen Versagervorwürfe, allerdings nur selten gegen das strukturell abgesicherte meritokratische System. Und auch die Heftigkeit, mit der einige Interviewpersonen auf den deutlich verschärften Druck von Arbeitsagenturen, Politik und Wirtschaft auf Erwerbslose reagieren, erlaubt Rückschlüsse auf die weite Verbreitung und Stabilität der Forderung nach Selbstverantwortung für die eigene employability. So lässt sich der ‚Erfolg‘ von Ideologien wie Boltanski/Chiapellos (2003) projektbasierte Polis und Bröcklings (2007) unternehmerisches Selbst und der damit verbundene Gedanke der permanenten Optimierung intersektional stützen. Damit verwundert auch nicht mehr, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zwar gegen Diskriminierungen entlang acht verschiedener Differenzkategorien vorgeht, nicht aber gegen die klassenbezogenen Kategorien Bildung und Beruf. Nach diesen Kategorien darf, ja soll sogar segregiert werden. Eng verknüpft mit dem hegemonialen Leistungsprinzip und den entsprechenden Hierarchisierungen in der Arbeitswelt entlang der Kategorie Klasse werden – und dies ist die andere Seite der Medaille – all diejenigen massiv abgewertet, die aufgrund nicht angepasster körperlicher Leistungsfähigkeit, aufgrund fehlender Arbeitserlaubnis infolge von Migration oder aufgrund von Reproduktionsaufgaben in den Familien den Leistungsanforderungen nicht entsprechen. Aber auch diese Personen, denen der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt wird und die als Schmarotzer tituliert werden, versuchen dennoch mitzuhalten. Dem Leistungsprinzip zu entsprechen scheint zu einem wichtigen, vielleicht dem wichtigsten Baustein einer kapitalismuskompatiblen Identitätskonstruktion zu gehören – ob die Handlungsweisen der Befragten von Erfolg gekrönt sind oder nicht. In intersektionalen Untersuchungen wird ferner sehr deutlich, wie unterschiedlich Befragte ihre Identitäten konstruieren, wie verschieden sie sich positionieren und von Anderen abgrenzen: der Leiharbeiter vom Praktikanten, die fürsorgliche Mutter von der erwerbstätigen Rabenmut144

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ter, die nicht-integrierte Türkin vom eingesessenen Italiener, die Kranke von der Drogenabhängigen. Sichtbar wird immer wieder, wie weit die Identitätskonstruktionen auseinander liegen und vor allem auf der Ausgrenzung der Anderen beruhen, so dass an Solidarität oft nicht zu denken ist. Genau dies hat Wilhelm Heitmeyer (1997) bereits vor einem Dutzend Jahren als ein grundlegendes Problem der bundesrepublikanischen Gesellschaft benannt: dass gesellschaftliche Integration angesichts zunehmender Differenzierung von Bevölkerungsgruppen bis hin zur Polarisierung zwischen arm und reich immer weniger möglich wird (vgl. auch Heitmeyer 2008). Dennoch verbinden wir das wissenschaftliche und zumal das intersektionale wissenschaftliche Arbeiten mit der Suche nach Möglichkeiten für politisches Handeln. Der Ansatz der Intersektionalität als Mehrebenenanalyse geht vom alltäglichen Handeln verschiedener AkteurInnen aus und verknüpft Identitätskonstruktionen mit symbolischen Deutungsmustern und strukturellen Bedingungen. Dies ermöglicht gleichzeitig – also wieder rückwärts von den Strukturen und Repräsentationen aus – auf der Identitätsebene nach Gestaltungsoptionen und alternativen Handlungsmöglichkeiten zu fragen. Mithilfe unseres intersektionalen Werkzeugkastens können wir die bestehenden Verhältnisse in ihren diskriminierenden und abwertenden Formen beschreiben, dabei aber auch Widersetzungen der Interviewpersonen gegenüber Ungleichheiten auf der Grundlage unterschiedlicher Differenzkategorien und auf unterschiedlichen Ebenen sichtbar machen. So lassen sich – das ist unsere Hoffnung und unser Ziel – mit intersektionalen Ungleichheitsanalysen und einem damit verbundenen besseren Verständnis der Bedeutung von Differenzkategorien theoretisch fundierte Handlungsmöglichkeiten für unterschiedliche AkteurInnen aufzeigen und Hinweise für soziale Bewegungen, insbesondere für queer-feministische Initiativen geben. Beispielsweise lässt sich mit intersektionalem Denken der Stellenwert queer-feministischer Politik verdeutlichen, die die Kategorie Geschlecht nicht relativiert, sondern in ihrer Verwobenheit mit anderen Kategorien hervorhebt. Die queer-feministische Aufgabe besteht dabei immer wieder darin, bei den Wechselwirkungen verschiedener Differenzierungskategorien heteronormative Geschlechterkonstruktionen aufzuzeigen. Gleichzeitig können gerade queer-feministische Bewegungen auf die Problematik hinweisen, dass auch politische Aktivitäten mit dem Wunsch nach Solidarität oft allzu schnell Andere entlang diverser Differenzkategorien konstruieren und ausgrenzen (vgl. Wehr 2007). Wenn es gelingt, geschlechterpolitische Forderungen mit anti-rassistischen, antiklassistischen und anti-körpernormierenden Bewegungen zu verknüpfen, entgehen feministische Politiken der Gefahr, Ungleichheiten zu indivi145

INTERSEKTIONALITÄT

dualisieren oder aber nicht zu bemerken, dass die erreichte Gleichstellung nur hoch qualifizierten, gesunden, Weißen und kinderlosen Frauen zugute kommt. Weiter wird aus intersektionalen Analysen deutlich, dass nicht nur die Durchkreuzungen der Kategorien wichtig sind, sondern auch die unterschiedlichen Angriffsziele auf den drei Materialisierungsebenen. Deshalb sehen wir in der derzeitigen Vielfalt queer-feministischer Praxen eine Stärke, da sie unterschiedlichen Herrschaftskonfigurationen begegnen (vgl. Groß 2008: 217-228). So kritisieren beispielsweise QueerBands auf der Bühne die identitären Zwänge einer heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit und verweisen auf Ausgrenzungsmechanismen, durch die das jeweils Andere verworfen und abgewertet wird. AntiLookism-Gruppen greifen Schönheitsideale und Körpernormen auf der Ebene der Repräsentationen an und wenden sich gegen die Gewalt, die mit dem Zwang zur Jugendlichkeit, Gesundheit, eindeutigen Geschlechtszugehörigkeit und Attraktivität verbunden ist. Der Widerstand von Lohnabhängigen in typischen Frauenarbeitsbereichen ist vor allem auf der Ebene struktureller Klassenverhältnisse verortet. Gleichzeitig wehren sie sich gegen die Geringschätzung und Abwertung typischer Frauentätigkeiten, ohne die sich eine massive Lohndiskriminierung nicht aufrechterhalten ließe. Ebenfalls primär auf der strukturellen Ebene setzen sich feministische Menschenrechtsorganisationen für Betroffene von Gewalt und Diskriminierung ein, die mit der Verschränkung der Kategorien Geschlecht und Nationalität/Ethnie verbunden sind. Damit einher geht auch die Intervention auf der Repräsentationsebene durch das Infragestellen der Reproduktion stereotyper Bilder von Migrantinnen als Opfer (vgl. zu den Beispielen Groß/Winker 2009). Bei all diesen Beispielen wird deutlich, dass die Ebenen und die Differenzkategorien aufs Engste miteinander verwoben sind. Ebenso klar ist, dass einzelne feministische oder queer-feministische Gruppen und AkteurInnen nicht alle Diskriminierungs- und Herrschaftsformen gleichzeitig angreifen können. Es gilt also, wegen der Verzahnung sozialer Ungleichheiten auf verschiedenen Ebenen und entlang unterschiedlicher Kategorien auch die Widerstandsformen zu erweitern. Gegenseitige Wahrnehmung sowie inhaltlicher Austausch, aber auch Abgrenzungen voneinander können zu permanenten Reflexionen und Präzisierungen der eigenen Position führen. Dann ist der Feminismus alles andere als tot. Er kann vielmehr an alte Traditionen anknüpfen, in denen emanzipatorische Bewegungen mit einem Fokus auf die Kategorie Geschlecht die Aufhebung aller Unterdrückungsstrukturen und Marginalisierungsmechanismen zum Ziel haben (vgl. Hennessy 2003).

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RESÜMEE

Der Ansatz der Intersektionalität bleibt allerdings weiterhin ein wissenschaftliches Projekt, eine soziale Bewegung kann und will er nicht ersetzen. Dennoch hat das Konzept Konsequenzen für politisches Handeln. Aus intersektionaler Perspektive wird nämlich klar, dass Schwerpunktsetzungen bezüglich Kategorien und Ebenen notwendig sind, um erfolgreich politisch agieren zu können. Damit verbundene Stoßrichtungen oder Angriffsziele schließen sich nicht aus, sondern können sich gegenseitig ergänzen. So lassen sich auch inhaltlich begründete Allianzen weiterentwickeln. Neue und breitere Bündnisformen, die das Aufbrechen kategorialer Binaritäten unterstützen, sind heutzutage enorm wichtig, da für die Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme wie menschenverachtender Kriege, ökologischer Katastrophen oder zunehmender Ungleichheiten und Armut die Solidarität zwischen sehr unterschiedlichen Menschen erforderlich ist. Zur Realisierung solcher Formen der Verbundenheit, über die wir bislang wenig wissen, können und sollen intersektionale Denkweisen inspirieren.

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Janine Böckelmann, Claas Morgenroth (Hg.) Politik der Gemeinschaft Zur Konstitution des Politischen in der Gegenwart

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Arlena Jung Identität und Differenz Sinnprobleme der differenzlogischen Systemtheorie Januar 2009, 228 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1002-4

Torsten Junge Gouvernementalität der Wissensgesellschaft Politik und Subjektivität unter dem Regime des Wissens 2008, 406 Seiten, kart., 36,80 €, ISBN 978-3-89942-957-2

Patricia Purtschert, Katrin Meyer, Yves Winter (Hg.) Gouvernementalität und Sicherheit Zeitdiagnostische Beiträge im Anschluss an Foucault 2008, 260 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-631-1

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