Kampf um Anerkennung: Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte
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Aus dem Hegelschen Denkmodell eines »Kampfes um Anerkennung« die Grundlagen einer normativ gehaltvollen Gesellschaftstheorie zu ent­ wickeln - das ist das Ziel dieses Buches, das sich aus den Resultaten ergeben hat, zu denen Honneths Untersuchung über die Kritik der Macht geführt hat: sollen die gesellschaftstheoretischen Errungenschaf­ ten der historischen Schriften Michel Foucaults in einem kommunika­ tionstheoretischen Rahmen integriert werden, so ist ein Begriff des moralisch motivierten Kampfes erforderlich, für den die Jenaer Schriften Hegels mit ihrer Idee eines übergreifenden »Kampfes um Anerken­ nung« noch immer das größte Anregungspotential bieten. Die systematische Rekonstruktion der Hegelschen Argumentationsfi­ gur, die den ersten Teil des Buches ausmacht, führt zu einer Unterschei­ dung von drei Anerkennungsformen, die jeweils in sich das Potential einer Motivierung sozialer Konflikte enthalten. Allerdings macht der Rückblick auf das Theoriemodell des jungen Hegel auch deutlich, daß seine Überlegungen einen Teil ihrer Geltungskraft vernunftidealisti­ schen Voraussetzungen verdanken, die sich unter Bedingungen nachme­ taphysischen Denkens nicht mehr aufrechterhalten lassen. Der zweite Teil der Arbeit nimmt seinen Ausgang daher in dem Unter­ fangen, der Hegelschen Idee mit Rückgriff auf die Sozialpsychologie G.H.Meads eine empirische Wendung zu geben: auf diese Weise ent­ steht ein intersubjektivitätstheoretisches Personenkonzept, innerhalb dessen sich die Möglichkeit einer ungestörten Selbstbeziehung als ab­ hängig von drei Formen der Anerkennung (Liebe, Recht, Wertschät­ zung) erweist. Diesen Grundformen der Anerkennung entsprechen drei Typen der Mißachtung, deren Erfahrung als Motiv sozialer Konflikte gelten kann. Als eine Konsequenz dieser Untersuchung zeichnet sich die Idee einer kritischen Gesellschaftstheorie ab, in der Prozesse des gesellschaftlichen Wandels mit Bezugnahme auf die normativen Ansprüche erklärt werden sollen, die in der Beziehung der wechselseitigen Anerkennung struktu­ rell angelegt sind. Die durch diesen Grundgedanken eröffneten Perspek­ tiven werden im letzten Teil des Buches weiterverfolgt. Axel Honneth, geb. 1949, ist Professor für Philosophie an der Univer­ sität Frankfurt a. M. In der stw erschienene Veröffentlichungen: Kritik der Macht. Reflexionsstufen einer kritischen Gesellschaftstheorie (stw 738); Die zerrissene Welt des Sozialen. Sozialphilosophische Aufsätze (stw 849); Das Andere der Gerechtigkeit. Aufsätze zur praktischen Philosophie (stw 1491).

Axel Honneth Kampf um Anerkennung Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte

Suhrkamp

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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz dieser Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich.

suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 1i29 Erste Auflage 1994 © Suhrkamp Verlag Frankfun am Main 1992 Suhrkamp Taschenbuch Verlag Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Printed in Germany Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt 3 4 5 6 7 8 - 07 06 05 04 03 02

Inhalt

Vorwort

I. Historische Vergegenwärtigung: Hegels ursprüngliche Idee

1. Kampf um Selbsterhaltung: zur Begründung der neuzeitlichen Sozialphilosophie 2. Verbrechen und Sittlichkeit: Hegels intersubjektivitätstheoretischer Neuansatz 3. Kampf um Anerkennung: zur Sozialtheorie der Jenaer Realphilosophie Hegels

II. Systematische Aktualisierung: Die Struktur sozialer Anerkennungsverhältnisse

4. Anerkennung und Vergesellschaftung: Meads naturalistische Transformation der Hegelschen Idee 5. Muster intersubjektiver Anerkennung: Liebe, Recht, Solidarität 6. Persönliche Identität und Mißachtung: Vergewaltigung, Entrechtung, Entwürdigung

III. Sozialphilosophischer Ausblick: Moralund gesellschaftliche Entwicklung 7. Spuren einer sozialphilosophischen Tradition: Marx, Sorel, Sartre 8. Mißachtung und Widerstand: zur moralischen Logik sozialer Konflikte . .

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9. Intersubjektive Bedingungen personaler Integrität: ein formales Konzept der Sittlichkeit Bibliographie Namenregister Sachregister .

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Vorwort

Ich unternehme in dieser auf eine Habilitation zurückgehen­ den Schrift den Versuch, aus dem Hegelschen Denkmodell eines »Kampfes um Anerkennung« die Grundlagen einer normativ gehaltvollen Gesellschaftstheorie zu entwickeln. Die Absicht eines solchen Unternehmens hat sich aus den Resultaten ergeben, zu denen meine Untersuchung über die »Kritik der Macht« geführt hatte: wer die gesellschaftstheo­ retischen Errungenschaften der historischen Schriften Mi­ chel Foucaults in einem kommunikationstheoretischen Rah­ men zu integrieren versucht, ist auf einen Begriff des moralisch motivierten Kampfes angewiesen, für den die Je­ naer Schriften Hegels mit ihrer Idee eines übergreifenden »Kampfes um Anerkennung« noch immer das größte Anre­ gungspotential bieten.1 Die systematische Rekonstruktion der Hegelschen Argumentationsfigur, die den ersten Teil des Buches ausmacht, führt zu einer Unterscheidung von drei Anerkennungsformen, die jeweils in sich das Potential einer Motivierung von Konflikten enthalten. Allerdings macht der Rückblick auf das Theoriemodell des jungen Hegel auch deutlich, daß seine Überlegungen einen Teil ihrer Geltungs­ kraft vernunftidealistischen Voraussetzungen verdanken, die sich unter Bedingungen nachmetaphysischen Denkens nicht mehr aufrechterhalten lassen. Der zweite, systematische Hauptteil der Arbeit nimmt sei­ nen Ausgang daher in dem Unterfangen, der Hegelschen i Vgl. dazu mein Nachwort (1988) in: Axel Honneth, Kritik der Macht. Reflexionsstufen einer kritischen Gesellschaftstheorie, Frankfurt am Main 1988, S. 380fr. In den ersten beiden Kapiteln des vorliegenden Buches finden sich Teile einer Hegel-Rekonstruktion, die ich zuvor schon an an­ derer Stelle veröffentlicht habe: Honneth, Axel, »Moralische Entwicklung und sozialer Kampf. Sozialphilosophische Lehren aus dem Frühwerk He­ gels«, in: A. Honneth/Th. McCarthy/C. Offe,/A. Wellmer (Hg.), Zwi­ schenbetrachtungen. Im Prozeß der Aufklärung^ Frankfurt am Main 1989, S. 549 ff.

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Idee im Rückgriff auf die Sozialpsychologie G. H. Meads eine empirische Wendung zu geben; auf diese Weise entsteht ein intersubjektivitätstheoretisches Personenkonzept, inner­ halb dessen sich die Möglichkeit einer ungestörten Selbstbe­ ziehung als abhängig von drei Formen der Anerkennung (Liebe, Recht, Wertschätzung) erweist. Um der damit umrissenen Hypothese ihren bloß theoriegeschichtlichen Cha­ rakter zu nehmen, versuche ich in den beiden folgenden Kapiteln in Form einer empirisch gestützten Rekonstruktion die Unterscheidung der verschiedenen Anerkennungsver­ hältnisse an den Sachphänomenen zu rechtfertigen: den drei Formen der Anerkennung entsprechen, wie das Ergebnis einer derartigen Überprüfung zeigt, drei Typen der Mißach­ tung, deren Erfahrung jeweils als Handlungsmotiv in die Entstehung sozialer Konflikte einfließen kann? Als eine Konsequenz dieses zweiten Untersuchungsschrittes zeichnet sich damit die Idee einer kritischen Gesellschafts­ theorie ab, in der Prozesse des gesellschaftlichen Wandels mit Bezugnahme auf die normativen Ansprüche erklärt wer­ den sollen, die in der Beziehung der wechselseitigen Aner­ kennung strukturell angelegt sind. Im letzten Teil des Buches verfolge ich die Perspektiven, dië dieser Grundgedanke er­ öffnet, in drei Richtungen ausblickhaft weiter: zunächst wird der theoriegeschichtliche Faden noch einmal aufge­ nommen, um zu überprüfen, bei welchen Autoren nach Hegel sich Ansätze zu einem vergleichbaren Konfliktmodell finden; von hier aus werden Einblicke in die geschichtliche Bedeutung von Mißachtungserfahrungen möglich, die sich so weit verallgemeinern lassen, daß die moralische Logik sozialer Konflikte zutage treten kann; weil sich ein solches Modell nur dann zu einem kritischen Interpretationsrahmen für geschichtliche Entwicklungsprozesse erweitern läßt, wenn sein normativer Bezugspunkt geklärt ist, wird schließ1 Vgl. dazu bereits meine Antrittsvorlesung in Frankfurt am Main: Honneth, Axel, »Integrität und Mißachtung. Grundmotive einer Moral der Aner­ kennung«, in: Merkur 501 (1990), S. 1034ft.

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lieh in einem letzten Schritt ein anerkennungstheoretisches Konzept der Sittlichkeit skizziert, das diese Aufgabe erfüllen soll. Mehr als den Stellenwert einer ersten Veranschauli­ chung der ins Auge gefaßten Konzeption können die ver­ schiedenen Ausblicke freilich nicht beanspruchen; sie sollen die theoretischen Richtungen andeuten, in denen ich weiter arbeiten müßte, wenn sich meine Überlegungen als haltbar erweisen. Obwohl heute feministische Arbeiten zur politischen Philo­ sophie häufig einen Weg einschlagen, der sich mit den Ab­ sichten einer Theorie der Anerkennung kreuzt,3 habe ich auf eine Auseinandersetzung mit dieser Diskussion verzichten müssen; sie hätte nicht nur den von mir gesetzten Argumen­ tationsrahmen gesprengt, sondern auch meinen gegenwärti­ gen Kenntnisstand erheblich überstiegen. Auch habe ich leider nicht mehr die neuesten Arbeiten, die zur Anerken­ nungslehre des jungen Hegel erschienen sind,4 in meinem eigenen Deutungsvorschlag berücksichtigen können; mein Eindruck ist, daß sie sich auf Phänomene konzentrieren, die für mich nur von zweitrangigem Interesse waren. Ohne den beharrlichen Druck und das rege Interesse von Jürgen Habermas wäre die erste Hälfte dieses Buches, die dem Fachbereich Philosophie der Universität Frankfurt als Habilitation vorgelegen hat, nicht in dem notwendigen Zeit­ rahmen zur Fertigstellung gelangt; ihm möchte ich an dieser Stelle für eine sechsjährige Zusammenarbeit danken, deren Bedeutung für meinen eigenen Bildungsprozeß er mit Si3 Vgl. etwa: Benhabib, Seyla, »Der verallgemeinerte und der konkrete Andere. Ansätze zu einer feministischen Moraltheorie«, in: Elisabeth List (Hg.), Denkverhältnisse. Feminismus und Kritik, Frankfurt am Main 1989, S. 454 ff.; Iris Marion Young, Justice and the Politics of Difference, Princeton 1990; Andrea Bambey, Das Geschlcchterverhältnis als Aner­ kennungsstruktur. Zum Problem der Geschlechterdifferenz in feministi­ schen Theorien. Studientexte zur Sozialwissenschaft, Sonderband 5, Frank­ furt am Main 1991. 4 Ich denke u.a. an: Klaus Roth, Die Institutionalisierung der Freiheit in den Jenaer Schriften Hegels, Rheinfelden/Berlin 1991.

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cherheit unterschätzen wird. Mein Freund Hans Joas hat, wie stets, die Entwicklung meiner Überlegungen vom ersten Augenblick an mit größter Aufmerksamkeit mitverfolgt; er wird hoffentlich um den Stellenwert wissen, den seine Rat­ schläge und Einwände seit langem für meine Arbeit besitzen. Für einzelne Teile der Rohfassung habe ich wichtige Hin­ weise von Peter Dews, Alessandro Ferrara, Hinrich FinkEitel, Günter Frankenberg, Christoph Menke, Andreas Wildt und Lutz Wingert erhalten; ihnen allen bin ich sehr zu Dank verpflichtet, auch wenn nicht jede ihrer Anregungen in das Buch Eingang gefunden hat. Großzügige Unterstützung von den verschiedensten Seiten habe ich ferner im Berliner Wissenschaftskolleg vorgefunden, wo ich zehn Monate lang unter idealen Bedingungen an dem Manuskript arbeiten konnte. Schließlich möchte ich Waltraud Pfeiffer und Dirk Mende für die technische Hilfe danken, die sie mir bei der Fertigstellung des Manuskriptes geleistet haben.

Frankfurt am Main, im März 1992

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A.H.

I. Historische Vergegenwärtigung: Hegels ursprüngliche Idee Zeit seines Lebens hat sich Hegel in seiner politischen Phi­ losophie die Aufgabe gestellt, der Kantischen Idee der indi­ viduellen Autonomie den Charakter einer bloßen Sollens­ forderung dadurch zu nehmen, daß sie theoretisch als ein historisch bereits wirksames Element der sozialen Wirklich­ keit dargestellt wird; und stets hat er die Lösung der damit gestellten Probleme als einen Versuch der Vermittlung zwi­ schen der neuzeitlichen Freiheitslehre und dem antiken Politikverständnis, von Moralität und Sittlichkeit, verstan­ den.1 Aber nur in den Jahren, die er als junger Philosophie­ dozent in Jena verbringt, hat er für die Bewältigung dieser Aufgabe ein theoretisches Mittel erarbeitet, dessen inneres Prinzip über den institutionellen Horizont seiner Gegen­ wart hinausweist und sich kritisch gegenüber der etablierten Form politischer Herrschaft verhält. Hegel vertritt in jener Zeit die Überzeugung, daß sich aus einem Kampf der Sub­ jekte um die wechselseitige Anerkennung ihrer Identität ein innergesellschaftlicher Zwang zur praktisch-politischen Durchsetzung von freiheitsverbürgenden Institutionen er­ gibt; es ist der Anspruch der Individuen auf die intersubjek­ tive Anerkennung ihrer Identität, der dem gesellschaftlichen Leben von Anfang an als eine moralische Spannung inne­ wohnt, über das jeweils institutionalisierte Maß an sozialem Fortschritt wieder hinaustreibt und so auf dem negativen Weg eines sich stufenweise wiederholenden Konfliktes all­ mählich zu einem Zustand kommunikativ gelebter Freiheit führt. Zu dieser bis heute nicht wirklich fruchtbar gemachten i Vgl. Ritter, Joachim, »Moralität und Sittlichkeit. Zu Hegels Auseinander­ setzung mit der kantischen Ethik«, in: ders., Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel, Frankfurt am Main 1977, S. 281 ff. Marquard, Odo »Hegel und das Sollen«, in: ders., Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, Frankfurt am Main 1973, S. 37 ff. II

Konzeption konnte der frühe Hegel freilich nur gelangen, weil er dem durch Machiavelli und Hobbes sozialphiloso­ phisch eingeführten Modell des »sozialen Kampfes« eine theoretische Wendung zu geben vermocht hat, durch die jenes praktische Geschehen eines Konfliktes unter den Men­ schen statt auf Selbsterhaltungsmotive auf moralische An­ triebe zurückgeführt werden konnte; allein weil er dem Handlungsgeschehen des Kampfes zuvor die spezifische Be­ deutung einer Störung und Verletzung sozialer Anerken­ nungsbeziehungen gegeben hatte, konnte Hegel in ihm dann auch das zentrale Medium eines sittlichen Bildungsprozesses des menschlichen Geistes erkennen. Nun ist das damit umrissene Programm im Werke Hegels freilich nie über die Schwelle von bloßen Skizzen und Ent­ würfen hinausgelangt; bereits in der »Phänomenologie des Geistes«, mit deren Fertigstellung Hegel seine schriftstelle­ rische Tätigkeit in Jena beschließt, hat das Vorstellungsmo­ dell eines »Kampfes um Anerkennung« seine theorieprä­ gende Bedeutung wieder verloren. Immerhin aber ist es in den Schriften, die uns aus den Jahren vor der Erarbeitung des endgültigen Systems erhalten sind,2 schon so deutlich in sei­ nen theoretischen Grundzügen zu erkennen, daß sich daraus die Prämissen einer eigenständigen Gesellschaftstheorie re­ konstruieren lassen.

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2 Ich beziehe mich dabei vor allem auf das System der Sittlichkeit von 1802/1803 (zitiert nach dem Nachdruck der Lasson-Ausgabe: Georg Wil­ helm Friedrich Hegel, System der Sittlichkeit, Hamburg 1967), das früher als »Jenaer Realphilosophie I« bezeichnete System der spekulativen Philo­ sophie von 1803/1804, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Systeme der spe­ kulativen Philosophie, Hamburg 1986, und schließlich die heute allein so genannte Jenaer Realphilosophie von 1805/1806, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Jenaer Realphilosophie, Hamburg 1969. Ferner ziehe ich den Bd. 2 der Theorie-Werkausgabe der Schriften Hegels mit heran (Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke: in 20 Bänden, hg. von Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, Bd. 2, Jenaer Schriften 1801-07, Frankfurt am Main 1971). Einen werkgeschichtlichen Überblick bietet: Kimmerle, Heinz, »Zur Ent­ wicklung des Hegelschen Denkens in JenaEs ist sehr interessant, in das eigene in­ nerste Bewußtsein zurückzugreifen und das zu suchen, wo­ von die Aufrechterhaltung unserer Selbstachtung abhängt. Natürlich gibt es tiefe und solide Grundlagen. Man hält sein Wort, erfüllt seine Verpflichtungen. Das gibt bereits eine Basis für die Selbstachtung. Doch handelt es sich hier um Eigenschaften, die den meisten Mitgliedern unserer Gemein­ schaft zuzuschreiben sind. Wir alle versagen gelegentlich, aber im großen und ganzen stehen wir zu unserem Wort. Wir gehören zu einer Gemeinschaft, und unsere Selbstachtung hängt davon ab, daß wir uns als selbstbewußte Bürger se­ hen.^1 Bis an diesen Punkt läßt sich Meads Rekonstruktion der praktischen Identitätsbildung noch als eine sozialpsycholo­ gisch präzisierte Fassung der Anerkennungslehre des jungen Hegel verstehen. Zwar fehlt in »Geist, Identität und Gesell­ schaft« jeder Hinweis auf eine solche Stufe der wechselsei­ tigen Anerkennung, wie sie Hegel mit seinem romantischen Begriff der »Liebe« zu charakterisieren versucht hat; das mag auch der Grund dafür sein, daß in den Ausführungen Meads jene ganz elementare Form von Selbstachtung ausgespart bleibt, die mit der Ausbildung eines emotionalen Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten gegeben ist22. Im Hinblick auf das 21 Ebd.,S. 248!. (hier habe ich die deutsche Übersetzung dadurch korrigiert, daß ich den Ausdruck »Selbstrespekt« durch »Selbstachtung« ersetzt habe). 22 Auf dieses Defizit weist auch, wenn ich ihn an der entsprechenden Stelle richtig verstehe, Ernst Tugendhat in seiner Mead-Auseinandersetzung hin: Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung, a.a.O.,

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Anerkennungsverhältnis aber, das Hegel unter dem Ober­ begriff des »Rechts« als eine zweite Stufe in sein Entwick­ lungsmodell eingeführt hat, stellt die Konzeption des »gene­ ralisierten Anderen« nicht nur eine theoretische Ergänzung, sondern eine sachliche Vertiefung dar: sich wechselseitig als Rechtsperson anzuerkennen heißt, daß beide Subjekte in ihr eigenes Handeln kontrollierend jenen gemeinschaftlichen Willen einbeziehen, der in den intersubjektiv anerkannten Normen ihrer Gesellschaft verkörpert ist. Mit der gemein­ samen Übernahme der normativen Perspektive des »genera­ lisierten Anderen« wissen die Interaktionspartner nämlich reziprok, welche Verpflichtungen sie den jeweils Anderen gegenüber einzuhalten haben; dementsprechend können sie sich beide umgekehrt auch als Träger von individuellen An­ sprüchen begreifen, zu deren Erfüllung sich ihr Gegenüber normativ verpflichtet weiß. Die Erfahrung, von den Mitglie­ dern des Gemeinwesens als eine Rechtsperson anerkannt zu werden, bedeutet für das einzelne Subjekt, sich selber gegen­ über eine positive Einstellung einnehmen zu können; denn jene billigen ihm dadurch, daß sie sich zur Respektierung seiner Rechte verpflichtet wissen, umgekehrt die Eigen­ schaften eines moralisch zurechnungsfähigen Aktors zu. Weil das Subjekt die' damit verbundenen Fähigkeiten aber notwendigerweise mit all seinen Mitbürgern teilt, kann es sich als Rechtsperson noch nicht auf diejenigen seiner Ei­ genschaften positiv beziehen, in denen es sich von seinen Interaktionspartnern gerade unterscheidet; dazu bedürfte es einer Form der wechselseitigen Anerkennung, die jedem ein­ zelnen nicht nur als Mitglied seines Gemeinwesens, sondern ebenso als lebensgeschichtlich individuiertes Subjekt Bestä­ tigung verschafft. Mit Hegel stimmt Mead auch darin über­ ein, daß das rechtliche Verhältnis der Anerkennung insofern noch unvollkommen ist, als es nicht die individuellen Diffe­ renzen zwischen den Bürgern eines Gemeinwesens positiv zum Ausdruck bringen kann. Diesen mit Hegel noch geteilten Bezugsrahmen überschreiI29

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tet Mead freilich in dem Augenblick, in dem er in seine Betrachtung der Identitätsbildung das kreative Potential des »Ich« miteinbezieht; die thematische Erweiterung, die er da­ mit vornimmt, läßt sich mit Bezug auf das Hegelsche Pro­ gramm so verstehen, daß der Bewegung der Anerkennung nachträglich die psychische Kraft unterlegt wird, die ihre innere Dynamik erklärbar macht. Mead hat bislang die Ent­ wicklung des praktischen Selbstverhältnisses allein unter dem Gesichtspunkt betrachtet, welche Veränderungen sich im »Mich« des einzelnen Subjekts vollziehen, wenn es im Prozeß des Heranwachsens mit einem stetig wachsenden Kreis sozialer Interaktionspartner in Berührung kommt; das »Ich« hingegen, jene Instanz spontaner Reaktionsbildungen also, die als solche kognitiv nicht zu erfassen ist, hat er vor­ läufig aus dem Rahmen seiner Analyse ausgeschlossen. Zu einer vollständigen Erklärung dessen, was im Bildungspro­ zeß des moralisches Subjekts geschieht, gehört aber neben dem Aspekt der normativen Verhaltenskontrolle auch eine Berücksichtigung der kreativen Abweichungen, mit der wir auf soziale Verpflichtungen in unserem alltäglichen Handeln gewöhnlich reagieren: »Dem >Mich< steht das >Ich< gegen­ über. Der einzelne hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten; er ist nicht nur ein Bürger, ein Mitglied der Ge­ meinschaft, sondern reagiert auch auf diese Gemeinschaft und verändert sie, wie wir bei der Übermittlung von Gesten gesehen haben, durch seine Reaktionen. Das >Ich< ist die Reaktion des einzelnen auf die Haltung der Gemeinschaft, so wie diese in seiner Erfahrung aufscheint. Seine Reaktion auf diese organisierte Haltung ändert wiederum diese«23. Die praktische Spontaneität, von der unser Handeln im Alltag geprägt ist, geht auf die Leistungen eines »Ich« zurück, das dem »Mich« wie im Falle der kognitiven Selbstbeziehung als eine unbewußte Kraft entgegengesetzt ist: während dieses die sozialen Normen beherbergt, durch die ein Subjekt sein Verhalten gemäß den gesellschaftlichen Erwartungen kon23 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, a.a.O., S. 240

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trolliert, ist jenes die Sammelstätte all der inneren Impulse, die in den unwillkürlichen Reaktionen auf soziale Heraus­ forderungen zum Ausdruck gelangen. Ebensowenig wie das »Ich« der Selbsterkenntnis ist aber das »Ich« der praktischen Identitätsbildung eine Instanz, die sich als solche direkt ein­ sehen ließe; denn von dem, was uns in spontanen Hand­ lungsäußerungen umtreibt, können wir nur um den Anteil wissen, der sich als Abweichung von den normativ gefor­ derten Verhaltensmustern zu erkennen gibt. Daher haftet dem Begriff des »Ich«, der in »Geist, Identität und Gesell­ schaft« anzutreffen ist, stets mit guten Gründen etwas Un­ scharfes und Vieldeutiges an; er bezeichnet die plötzliche Erfahrung eines Andrangs innerer Impulse, von denen nicht weiter auszumachen ist, ob sie aus der vorsozialen Triebna­ tur, der schöpferischen Phantasie oder der moralischen Sen­ sibilität des eigenen Selbst entspringen. Mead will mit seinem Konzept, wie er im Anschluß an William James sagt, auf ein Reservoir an psychischen Energien aufmerksam machen, das jedes Subjekt mit einer Vielzahl von unausgeschöpften Iden­ titätsmöglichkeiten ausstattet: »Die Möglichkeiten in unse­ rem Wesen, diese Energien, auf die William James so gerne hinwies, stellen Möglichkeiten der Identität dar, die jenseits unserer eigenen unmittelbaren Präsentation liegen. Wir wis­ sen nicht genau, wie sie beschaffen sind. In gewissem Sinn sind sie die faszinierendsten Inhalte, die wir haben - soweit wir sie erfassen können.«24 Wird dieses kreative Reaktionspotential des »Ich« nun als der psychische Widerpart des »Mich« aufgefaßt, dann stellt sich schnell heraus, daß es mit der bloßen Verinnerlichung der Perspektive des »generalisierten Anderen« in der mora­ lischen Identitätsbildung nicht sein Bewenden haben kann; vielmehr wird das Subjekt in sich stets wieder den Andrang von Forderungen verspüren, die mit den intersubjektiv an­ erkannten Normen seiner gesellschaftlichen Umwelt unver­ einbar sind, so daß es sein eigenes »Mich« in Zweifel ziehen 24 Ebd., S. 248

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muß. Diese innere Reibung zwischen »Ich« und »Mich« stellt für Mead den Grundriß des Konfliktes dar, der die moralische Entwicklung sowohl von Individuen als auch von Gesellschaften erklären können soll: das »Mich« ver­ körpert in Vertretung des jeweiligen Gemeinwesens die konventionellen Normen, die das Subjekt von sich aus stän­ dig zu erweitern versuchen muß, um der Impulsivität und Kreativität seines »Ich« sozial Ausdruck verleihen zu kön­ nen. Mead zieht in das praktische Selbstverhältnis eine Span­ nung zwischen dem internalisierten Gesamtwillen und den Ansprüchen der Individuierung ein, die zu einem morali­ schen Konflikt zwischen dem Subjekt und seiner gesell­ schaftlichen Umwelt führen muß; um nämlich die von innen andrängenden Forderungen praktisch in die Tat umsetzen zu können, bedarf es im Prinzip der Zustimmung aller anderen Gesellschaftsmitglieder, weil deren gemeinsamer Wille ja als verinnerlichte Norm das eigene Handeln kontrolliert. Die Existenz des »Mich« ist es, die das Subjekt zwingt, sich im Interesse seines »Ich« für neue Formen der sozialen Aner­ kennung einzusetzen. Mead erläutert die Struktur solcher moralischen Konflikte zunächst anhand von Beispielen, die sich auf innere Ansprü­ che beziehen, deren Erfüllung eine Erweiterung individuel­ ler Rechte voraussetzen würde. Die Wahl dieses Ausgangs­ punktes stützt sich auf eine implizite Unterscheidung, von der auf den ersten Blick nicht ganz klar ist, ob sie Stufen oder Dimensionen der Identitätsbildung voneinander abheben soll: die Forderungen des »Ich« lassen sich von außen da­ durch unterscheiden, daß sie in Hinblick auf den Weg ihrer Einlösung entweder dem Bereich der individuellen Autono­ mie oder dem der persönlichen Selbstverwirklichung zuge­ ordnet werden können; im ersten Fall handelt es sich um die »Freiheit von Gesetzen«, im zweiten Fall hingegen um die »Verwirklichung der Identität«. Für den Augenblick ist die damit getroffene Unterscheidung noch nicht als solche von Interesse, sondern nur die Tatsache, daß Meads Erläuterung

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von jener ersten Klasse von »Ich«-Ansprüchen ihren Aus­ gang nimmt; ihm stehen also Situationen vor Augen, in denen ein Subjekt in sich Handlungsimpulse verspürt, an deren Realisierung es sich durch die rigiden Normen seiner sozialen Umwelt gehindert sieht. Das Spezifische an Fällen solcher Art erblickt Mead nun darin, daß sie das betreffende Individuum nur durch eine besondere Idealisierungsleistung zu einer aktiven Auflösung seines moralischen Konflikts ge­ langen lassen: es muß, wenn es die Forderungen seines »Ich« realisieren will, ein Gemeinwesen antizipieren können, in dem ihm ein Anspruch auf die Realisierung des entsprechen­ den Wunsches zusteht. Dieser Zwang entsteht, weil mit der Anzweiflung der intersubjektiv geltenden Normen auch der innere Gesprächspartner verlorengeht, vor dem das Subjekt sein Handeln bislang zu rechtfertigen vermochte; an die Stelle des »generalisierten Anderen« des existierenden Ge­ meinwesens hat daher derjenige einer zukünftigen Gesell­ schaft zu treten, in der die individuellen Ansprüche präsumptiv Zustimmung finden werden. Insofern ist bereits die praktische Zielsetzung größerer Handlungsfreiheit an die kontrafaktische Unterstellung einer erweiterten Anerken­ nung von Rechten gebunden: »Die Forderung lautet auf Freiheit von Konventionen, von Gesetzen. Natürlich ist eine solche Situation nur möglich, wo sich der einzelne sozusagen von einer engen und begrenzten Gesellschaft an eine umfas­ sendere wendet, umfassender in dem logischen Sinn, daß es in ihr Rechte gibt, die weniger beschränkt sind. Man wendet sich von starren Konventionen ab, die für eine Gesellschaft, in der die Rechte durch die Öffentlichkeit anerkannt werden sollen, keinen Sinn mehr haben, und appelliert an andere unter der Annahme, daß es eine Gruppe organisierter An­ derer gibt, die auf den eigenen Appell reagieren - sogar wenn dieser an die Nachkommen gerichtet sein sollte«25. Zur »Selbstbehauptung«, wie Mead sagt, also zur Verteidi­ gung der Ansprüche seines »Ich« gegenüber der gesellschaft25 Ebd., S. 243

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r lichen Umwelt, ist das Subjekt nur in der Lage, wenn es sich anstatt in die Perspektive des existierenden Gesamtwillens in diejenige einer erweiterten Rechtsgemeinschaft hineinver­ setzt; das ideale »Mich«, das es damit in sich errichtet, gewährt ihm über den moralischen Bruch mit dem Gemein­ wesen hinweg die intersubjektive Anerkennung, ohne die es eine persönliche Identität nicht aufrechterhalten kann. Weil die Impulsivität des »Ich« aber nicht stillzustellen ist, wan­ dert mit ihr ein Element der normativen Idealisierung in alle gesellschaftliche Praxis ein; die Subjekte können gar nicht anders, als sich in der Verteidigung ihrer spontan erlebten Ansprüche stets wieder der Zustimmung eines kontrafak­ tisch unterstellten Gemeinwesens zu versichern, das ihnen gegenüber dem etablierten Anerkennungsverhältnis ein Mehr an Freiheitsrechten einräumt. Aus der Unmasse dieser moralischen Abweichungen, die den sozialen Lebensprozeß gewissermaßen ständig mit einem Netz von normativen Idealen überziehen, ergibt sich für Mead die Bewegung, die den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß ausmacht: »Das ist die Art und Weise, in der sich die Gesellschaft weiterent­ wickelt, nämlich durch eine wechselseitige Beeinflussung, wie sie sich dort vollzieht, wo eine Person etwas zu Ende denkt. Wir verändern ständig in einigen Aspekten unser ge­ sellschaftliches System, und wir können das intelligent tun, weil wir denken können.«26 Diese These enthält den theoretischen Schlüssel für ein Kon­ zept der gesellschaftlichen Entwicklung, das der Hegelschen Idee eines »Kampfes um Anerkennung« auf überraschende Weise eine sozialpsychologische Basis verschafft. Mead stellt zwischen dem ununterbrochenen Andrang des »Ich« und dem sozialen Lebensprozeß eine systematische Verbindung her, indem er die Vielzahl der moralischen Abweichungen zur Summe einer historischen Kraft zusammenzählt: in jeder geschichtlichen Epoche stocken sich die individuellen Vor­ griffe auf erweiterte Anerkennungsverhältnisse erneut zu 26 Ebd., S. 211

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1 einem System von normativen Ansprüchen auf, deren Ab­ folge die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt zu einer permanenten Anpassung an den Prozeß der fortschreitenden Individuierung zwingt. Weil die Subjekte nämlich auch nach vollzogenen Sozialreformen die Forderungen ihres »Ich« wiederum nur dadurch verteidigen können, daß sie auf ein Gemeinwesen vorausgreifen können, das größere Freiheits­ spielräume gewährt, ergibt sich eine historische Kette von normativen Idealen, die in die Richtung eines Anwachsens von persönlicher Autonomie weist. Unter dem Druck dieses gleichsam kollektiv antizipierten Entwicklungsmusters ist der Prozeß der Zivilisation, wie Mead sagt, einer Tendenz der »Befreiung von Individualität« gefolgt: »Einer der Un­ terschiede zwischen einer primitiven und einer zivilisierten menschlichen Gesellschaft ist der, daß in der primitiven Ge­ sellschaft die einzelne Identität bezüglich ihres Denkens und Verhaltens viel weitgehender vom allgemeinen Muster der organisierten gesellschaftlichen Tätigkeit bestimmt wird, die von der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe abgewickelt wird, als dies in der zivilisierten Gesellschaft der Fall ist. In anderen Worten, die primitive menschliche Gesellschaft bie­ tet viel weniger Raum für Individualität - für originelles, einzigartiges oder schöpferisches Denken und Verhalten sei­ tens der' einzelnen Identität in ihr - als die zivilisierte menschliche Gesellschaft. Tatsächlich verdankt sich die Ent­ wicklung der zivilisierten Gesellschaft aus der primitiven weitgehend der fortschreitenden gesellschaftlichen Befrei­ ung der individuellen Identität und ihres Verhaltens, den Veränderungen und Verfeinerungen des gesellschaftlichen Prozesses, die sich daraus ergaben und die durch diese Be­ freiung ermöglicht wurden.«27 Wie Hegel den Bildungsprozeß des »gemeinsamen Willens«, so begreift Mead die moralische Entwicklung von Gesell­ schaften als einen Vorgang der schrittweisen Erweiterung von Gehalten der rechtlichen Anerkennung; beide Denker 27 Ebd.» S. 265 f.

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sind sich darin einig, daß das Potential der Individualität historisch auf dem Weg einer Zunahme an rechtlich gewähr­ ten Freiheitsspielräumen zur Entbindung gelangt. Wie He­ gel, so sieht auch Mead als den Motor dieser gerichteten Veränderungen einen Kampf an, durch den die Subjekte un­ unterbrochen versuchen, den Umfang der ihnen intersubjek­ tiv verbürgten Rechte zu erweitern und insofern den Grad ihrer persönlichen Autonomie zu erhöhen; die geschichtli­ che Befreiung der Individualität vollzieht sich daher für beide Denker als ein langgezogener Kampf um Anerken­ nung. Im Unterschied zu Hegel kann Mead aber für den damit umschriebenen Entwicklungsprozeß eine Erklärung anbieten, die ihn auf seine motivationalen Grundlagen hin durchschaubar macht: die Kräfte, die die »Bewegung der Anerkennung« immer wieder neu anstoßen, stellen jene un­ kontrollierbaren Schichten des »Ich« dar, die sich nur dann frei und ungezwungen entäußern können, wenn sie die Zu­ stimmung eines »generalisierten Anderen« finden. Weil die Subjekte unter dem Druck ihres »Ich« zu einer kontinuier­ lichen Entschränkung der im »generalisierten Anderen« ver­ körperten Normen gezwungen sind, unterstehen sie in gewisser Weise der psychischen Nötigung, sich für eine Er­ weiterung des rechtlichen Anerkennungsverhältnisses ein­ zusetzen; die gesellschaftliche Praxis, die sich aus der vereinten Anstrengung um eine solche »Bereicherung der Gemeinschaft« ergibt, ist es, was in der Sozialpsychologie Meads »Kampf um Anerkennung« heißen kann. Daß Mead nicht zögert, aus seinem Ansatz selber gesell­ schaftstheoretische Konsequenzen dieser Art abzuleiten, ist an den Stellen in seiner Vorlesung zu erkennen, an denen er auf die sozialen Umbrüche vergangener Zeiten zu sprechen kommt. Seine Beispiele beziehen sich gewöhnlich auf histo­ rische Situationen, in denen normativ erweiterte Begriffe der sozialen Gemeinschaft zum motivationalen Kern von sozia­ len Bewegungen zu werden vermochten: der »Kampf um Anerkennung« nimmt seinen Ausgang von moralischen

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Ideen, in denen charismatisch veranlagte Persönlichkeiten den »generalisierten Anderen« ihrer sozialen Umwelt in ei­ ner Weise zu erweitern wußten, die mit den intuitiven Erwartungen der Zeitgenossen in Übereinstimmung stand; sobald solche intellektuellen Neuerungen Einfluß auf das Bewußtsein von größeren Gruppen finden konnten, mußte daraus ein Kampf um die Anerkennung von erweiterten Rechtsansprüchen hervorgehen, der die institutionalisierte Ordnung in Frage stellen konnte. Mead beruft sich mit be­ sonderem Nachdruck immer wieder auf die sozialrevolutio­ näre Wirkung von Jesus, um seine These historisch zu veranschaulichen: »Große Menschen waren jene, die durch ihre Rolle in der Gemeinschaft diese veränderten. Sie berei­ cherten und erweiterten die Gemeinschaft. Große religiöse Gestalten der Geschichte erweiterten durch ihre Rolle in der Gemeinschaft deren mögliche Ausmaße. Jesus verallgemei­ nerte in seinen Gleichnissen über den Nachbarn den Begriff der Gemeinschaft am Beispiel der Familie. Auch der Mensch außerhalb der Gemeinschaft kann nun ihr gegenüber diese verallgemeinerte Familienhaltung einnehmen. Er macht die so mit ihm verbundenen Individuen zu Mitgliedern seiner Gemeinschaft, der Gemeinschaft der Universalreli­ gion.«28 Dieses Beispiel zeigt allerdings auch, daß Mead zwei sehr unterschiedliche Vorgänge mit der Vorstellung einer sozial erkämpften Erweiterung des rechtlichen Anerkennungsver­ hältnisses verknüpft. Der Begriff erfaßt bei ihm zum einen den Prozeß, in dem jedes Mitglied eines Gemeinwesens da­ durch an persönlicher Autonomie hinzugewinnt, daß die ihm zustehenden Rechte ausgeweitet werden; die Gemein­ schaft »erweitert« sich also in dem sachlichen Sinn, daß in ihr das Ausmaß der individuellen Freiheitsspielräume zunimmt. Zum anderen meint derselbe Begriff aber auch denjenigen Prozeß, in dem die in einem bestimmten Gemeinwesen exi­ stierenden Rechte auf einen immer größeren Kreis von 28 Ebd.» S. 260 f.

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Personen übertragen werden; in diesem, mit dem zitierten Beispiel umrissenen Fall »erweitert« sich die Gemeinschaft in dem sozialen Sinn, daß in sie eine wachsende Anzahl von Subjekten durch die Zuerkennung von Rechtsansprüchen einbezogen werden. Mead unterscheidet nicht hinreichend klar zwischen der Verallgemeinerung von sozialen Normen und der Erweiterung von individuellen Freiheitsrechten; das macht sein Konzept des gesellschaftlichen Rechtsverhältnis­ ses, das er wie Hegel anerkennungstheoretisch einzuführen versucht, nur sehr beschränkt anwendbar. Nun hatte Hegel aber in seinen frühen Schriften nicht nur, im Gegensatz zu Mead, die Liebesbeziehung als eine erste Stufe der Anerkennung dem Rechtsverhältnis vorhergehen lassen, sondern von diesem auch noch einmal ein weiteres Anerkennungsverhältnis abgehoben, in dem die individuelle Besonderheit des einzelnen Subjekts Bestätigung erlangen soll. Für das damit Gemeinte findet sich in der Sozialpsy­ chologie Meads an der Stelle eine theoretische Entsprechung, wo er in den Rahmen seiner Betrachtung jene Klasse von »Ich«-Forderungen miteinbezieht, die er von dem bislang behandelten Typus von Ansprüchen kategorial abzugrenzen versucht; dabei soll es sich, wie wir gesehen haben, um Im­ pulse des »Ich« handeln, deren Erfüllung nicht an die Be­ dingung des Anwachsens von persönlicher Autonomie, sondern an die Voraussetzung von Chancen der individuel­ len Selbstverwirklichung gebunden ist. Mead läßt offen, ob er mit dieser zweiten Klasse von Ansprüchen eine Dimen­ sion oder eine Stufe der praktischen Identitätsbildung be­ zeichnen will; auf jeden Fall aber scheint er davon auszuge­ hen, daß solche Forderungen überhaupt erst dann gesondert auftreten, wenn ein Subjekt sich bereits auf eine elementare Weise als das Mitglied eines Gemeinwesens anerkannt wis­ sen kann: »Doch genügt uns das nicht, da wir uns in unseren Unterschieden gegenüber anderen Personen erkennen wol­ len. Natürlich haben wir einen bestimmten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Status, der uns diese Unterscheidung 138

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ermöglicht... Wir stützen uns auf Sprach- und Modege­ wohnheiten, auf ein großes Erinnerungsvermögen, auf die­ ses und jenes - immer aber auf etwas, durch das wir uns gegenüber anderen Menschen vorteilhaft unterschei­ den.«2’ Mead rechnet mit Impulsen im Menschen, die darauf gerich­ tet sind, sich von allen anderen Interaktionspartnern zu unterscheiden, um zu einem Bewußtsein individueller Ein­ zigartigkeit zu gelangen; weil die Erfüllung derartiger Im­ pulse an andere Voraussetzungen gebunden ist, als sie mit der Erweiterung des rechtlichen Anerkennungsverhältnisses ge­ geben wären, schlägt er sie einer eigenständigen Klasse von »Ich«-Ansprüchen zu. Aber auch der Drang zur Selbstver­ wirklichung ist, wie Mead sofort betont, auf die Bedingung einer besonderen Art von Anerkennung angewiesen: »Da es sich um eine gesellschaftliche Identität handelt, wird sie in ihrer Beziehung zu anderen verwirklicht. Sie muß von an­ deren anerkannt werden, um jene Werte zugeschrieben zu bekommen, die wir ihr gerne zugeschrieben sehen möch­ ten.«30 Unter Selbstverwirklichung versteht Mead den Prozeß, in dem ein Subjekt Fähigkeiten und Eigenschaften entwickelt, über deren einzigartigen Wert für die soziale Umwelt es sich anhand der anerkennenden Reaktionen seiner Interaktions­ partner zu überzeugen vermag. Die Art von Bestätigung, auf die ein solches Subjekt angewiesen ist, kann daher nicht die­ jenige sein, die es als Träger von normativ geregelten Rechten und Pflichten findet; denn die Eigenschaften, die ihm als Rechtsperson zuerkannt werden, teilt es ja gerade mit allen anderen Mitgliedern seines Gemeinwesens. Das »Mich« der Selbstverwirklichung ist nicht jene Instanz der normativen Verhaltenskontrolle, die ein Subjekt erwirbt, indem es die moralischen Erwartungshaltungen eines immer größeren Kreises von Interaktionspartnern zu übernehmen lernt; aus 29 Ebd., S. 249 30 Ebd., S. 248

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der Perspektive, die es mit der Verinnerlichung eines solchen »generalisierten Anderen« gegenüber sich selbst einnimmt, kann es sich nämlich nur als eine Person begreifen, der wie allen anderen Gesellschaftsmitgliedern die Eigenschaften ei­ nes moralisch zurechnungsfähigen Aktors zukommen. Im Gegensatz dazu aber verlangt das »Mich« der individuellen Selbstverwirklichung, sich selber als einzigartige und unver­ tretbare Persönlichkeit verstehen zu können; insofern muß mit dieser neuen Instanz ein Organ der ethischen Selbstver­ gewisserung gemeint sein, das die Wertüberzeugungen eines Gemeinwesens enthält, in deren Licht sich ein Subjekt der sozialen Bedeutung seiner individuellen Fähigkeiten versi­ chern kann. Wenn die individuelle Selbstverwirklichung in diesem Sinn auf die Existenz eines evaluativen »Mich« angewiesen ist, dann wäre es nun an Mead gewesen, im nächsten Schritt seiner Untersuchung dessen Herausbildung im einzelnen Subjekt mit derselben Sorgfalt zu untersuchen, mit der er diejenige des moralischen »Mich« analysiert hat. Auch die Instanz der ethischen Selbstvergewisserung hat ja in dem Maße, in dem der Kreis der sozialen Interaktionspartner sich für den Heranwachsenden erweitert, einen Prozeß der Ver­ allgemeinerung zu durchlaufen: die Wertschätzung, die das Kind zunächst durch die affektive Zuwendung konkreter Anderer direkt erfährt, muß sich zu einer Form von Aner­ kennung verflüchtigen, die dem einzelnen in seinem indivi­ duell gewählten Lebensweg intersubjektiv Bestätigung schenkt. Um zu einem »Mich« gelangen zu können, das eine solche ethische Rückversicherung leisten kann, muß jedes Subjekt die Wertüberzeugungen aller seiner Interaktions­ partner soweit zu generalisieren lernen, daß es eine abstrakte Vorstellung von den kollektiven Zielsetzungen seines Ge­ meinwesens gewinnt; denn nur im Horizont dieser gemein­ sam geteilten Werte vermag es sich als eine Person zu begreifen, die sich von allen anderen dadurch unterscheidet, daß sie einen als einzigartig anerkannten Beitrag zum gesell140

schaftlichen Lebensprozeß erbringt. Wäre Mead den damit vorgezeichneten Forschungsaufgaben tatsächlich gefolgt, dann hätte er schnell auf das sozialphilosophische Problem stoßen müssen, das der frühe Hegel mit seinem Konzept der Sittlichkeit zu beantworten versucht hat: was jener nämlich als ein drittes, sittliches Verhältnis der wechselseitigen An­ erkennung umreißen wollte, läßt sich von Mead aus als eine Antwort auf die Frage verstehen, an welchen kontrafaktisch unterstellten Adressaten ein Subjekt sich zu wenden hätte, wenn es sich in seinen besonderen Fähigkeiten in dem inter­ subjektiv eingespielten Wertesystem seiner Gesellschaft nicht anerkannt fühlt31. Der ethische Begriff des »generali­ sierten Anderen«, zu dem Mead gelangt wäre, wenn er die idealisierenden Vorgriffe des sich ohne Anerkennung wis­ senden Subjekts der Selbstverwirklichung betrachtet hätte, teilt mit Hegels Konzept der Sittlichkeit die gleiche Aufgabe: ein Verhältnis der wechselseitigen Anerkennung zu benen­ nen, in dem jedes Subjekt sich als eine Person bestätigt wissen kann, die sich von allen anderen durch besondere Eigenschaften oder Fähigkeiten unterscheidet. Mead hat jedoch die Fragen, die der Prozeß der individuellen Selbstverwirklichung aufwerfen muß, im Rahmen seiner Vorlesung nicht weiterverfolgt; in dem Paragraphen, der sich mit der entsprechenden Klasse von »Ich«-Impulsen beschäf­ tigt, finden sich nur noch wenige, eher unsystematische Hinweise auf das Erscheinungsbild, das das »Überlegen­ heitsgefühl« im Alltag bietet. Daher hat Mead sich aber auch keine Klarheit darüber verschaffen können, daß die Verwirk­ lichung des »Selbst« den Vorgriff auf ein anderes Ideal der 31 Damit läßt sich m.E. von Mead her ein Argument gegen die heute ver­ breitete Auffassung gewinnen, daß Hegel mit seinem Sittlichkeitskonzept die Aufgaben einer normativen Theorie der Gesellschaft romantisch über­ zogen hat; vgl. in diesem Sinn' etwa: Charles E. Larmore, Patterns of Moral Complexity, Cambridge 1987, S. 93 ff.; die beste Verteidigung des Hegelschen Sittlichkeitskonzeptes stellt heute in meinen Augen die ak­ tualisierende Untersuchung von Charles Taylor, Hegel and Modern Society, Cambridge 1979, (bes. Kap. 2.8) dar.

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»generalisierten Anderen« notwendig macht, als es im Pro­ zeß des Zugewinns an persönlicher Autonomie angelegt ist; welche Form die wechselseitige Anerkennung annehmen muß, sobald es nicht mehr um die intersubjektive Gewäh­ rung von Rechten, sondern um die Bestätigung der indivi­ duellen Besonderheit jedes einzelnen geht, bleibt als Frage aus dem Kreis seiner Überlegungen ausgeschlossen. Nur an einer einzigen Stelle hat Mead diese allgemeine Zurückhal­ tung durchbrochen und den Blick auf das soziale Verhältnis freigegeben, dem er die Möglichkeit zugetraut hat, den In­ dividuen auf eine geglückte Weise in seinen besonderen Fähigkeiten Anerkennung zu verleihen; sein Vorschlag, der im Entwurf eines Modells der funktionalen Arbeitsleistung besteht, ist als eine Antwort auf das umrissene Problem vor allem deswegen von Interesse, weil es die Vielfalt der Schwie­ rigkeiten durchsichtig macht: »Bei einer wirklichen Überle­ genheit handelt es sich um eine solche, die auf der Erfüllung definitiver Funktion beruht. Man ist ein guter Chirurg, ein guter Rechtsanwalt und kann auf diese Überlegenheit, von der man Gebrauch macht, stolz sein. Tut man dies innerhalb der eigenen Gemeinschaft, so verliert sie jenes Element von Egoismus, an das wir denken, wenn wir uns eine Person vergegenwärtigen, die sich geradewegs ihrer Überlegenheit über einen anderen rühmt.«52 Die Lösung, die Mead ins Auge faßt, ist die einer Bindung der Selbstverwirklichung an die Erfahrung sozial nützlicher Arbeit: das Maß an Anerkennung, das einem Subjekt entge­ gengebracht wird, welches im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung die ihm zugewiesene Funktion »gut« erfüllt, reicht aus, um ihm zu einem Bewußtsein seiner individuellen Besonderheit zu verhelfen. Daraus ergibt sich für die Frage nach den Bedingungen der Selbstachtung, daß ein Indivi­ duum sich nur dann in einer vollständigen Weise selber zu achten vermag, wenn es im Rahmen der objektiv vorgege­ benen Funktionsverteilung den positiven Beitrag identifizie32 Mead, Geist, Identität und Gesellschaft, a.a.O., S. 252.

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ren kann, den es für die Reproduktion des Gemeinwesens erbringt. Mead will mit seinem Vorschlag, wie unschwer zu sehen ist, die intersubjektiven Voraussetzungen der Selbst­ verwirklichung von den zufälligen Wertprämissen eines par­ tikularen Gemeinwesens abkoppeln: der »generalisierte An­ dere«, von dessen ethischen Zielsetzungen ich abhängig bin, wenn ich mich der sozialen Anerkennung des von mir ge­ wählten Lebensweges vergewissern will, soll als eine ver­ sachlichte Größe in den Regeln der funktionalen Arbeitstei­ lung aufgehoben sein. Der historischen Tendenz zur Individualisierung, die Mead schon zuvor auf einer anderen Ebene behauptet hat, kommt dieses Lösungsmodell dadurch entgegen, daß es den Einfluß kollektiver Wertsetzungen auf die Wahl der Richtung der Selbstverwirklichung möglichst gering zu halten versucht: die Subjekte sind, weil sie ein Bewußtsein ihrer individuellen Besonderheit bereits mit dem Wissen um eine verläßliche Erfüllung ihrer Berufspflichten besitzen können, von allen standardisierten Mustern der Selbstverwirklichung freigesetzt, wie sie in traditionalen Gesellschaften etwa durch Ehrbegriffe festgelegt werden. Meads Idee stellt mithin, dies zusammengenommen, eine posttraditionale Antwort auf das Hegelsche Problem der Sittlichkeit dar: das Verhältnis der wechselseitigen Anerken­ nung, in dem die Subjekte sich über ihre moralischen Ge­ meinsamkeiten hinaus in ihren besonderen Eigenschaften bestätigt wissen können, soll in einem transparenten System der funktionalen Arbeitsteilung zu finden sein. Daß dieses Modell allerdings die Schwierigkeiten, die es doch gerade gezielt vermeiden soll, an einer anderen Stelle wieder hervortreten läßt, hat Mead sich offenbar nicht weiter klargemacht. Wenn die Gesellschaftsmitglieder sich nämlich der individuellen Einzigartigkeit ihrer Person dadurch ver­ gewissern sollen können, daß sie die ihnen arbeitsteilig zugewiesenen Aufgaben verläßlich und gut erfüllen, dann kann daraus auf eine Unabhängigkeit von den ethischen Ziel­ setzungen des entsprechenden Gemeinwesens nicht ge143

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schlossen werden - denn das gemeinsame Konzept des guten Lebens legt ja die Wertigkeit der einzelnen Arbeitsfunktio­ nen seinerseits erst fest. Nicht nur, wie eine arbeitsteilig definierte Aufgabe »gut« erfüllt wird, sondern bereits, was überhaupt als ein sozial nützlicher Arbeitsbeitrag gilt, wird jeweils durch die intersubjektiv verbindlichen Werte, also die sittlichen Überzeugungen geregelt, die der Lebensform einer Gesellschaft ihren individuellen Charakter geben; daher läßt sich die funktionale Arbeitsteilung nicht als ein wertneutra­ les System betrachten, das die impliziten Regeln umfaßt, nach denen der einzelne seinen besonderen Beitrag zum Ge­ meinwesen gewissermaßen objektiv ermitteln kann. Mead geht mit Recht davon aus, daß ein Subjekt sich als eine einzigartige und unvertretbare Person begreifen kann, so­ bald seine eigene Art der Selbstverwirklichung als ein posi­ tiver Beitrag zum Gemeinwesen von allen Interaktionspart­ nern anerkannt wird. Das praktische Verständnis, das ein solcher Aktor von sich selber hat, sein »Mich« also, wird in diesem Fall so beschaffen sein, daß es ihm nicht nur die moralischen Normen, sondern auch die ethischen Zielset­ zungen mit den anderen Mitgliedern seines Gemeinwesens teilen läßt: kann er sich im Lichte der gemeinsamen Hand­ lungsnormen als eine Person verstehen, die allen anderen gegenüber bestimmte Rechte besitzt, so im Lichte der ge­ meinsamen Wertüberzeugungen als eine Person, die für sie alle von einzigartiger Bedeutung ist. Aber Mead versucht aus Gründen, die gut nachzuvollziehen sind, die ethischen Ziel­ setzungen eines posttraditionalen Gemeinwesens so voll­ ständig mit den sachlichen Erfordernissen der funktionalen Arbeitsteilung gleichzusetzen, daß ihm das eigentlich her­ ausfordernde Problem unversehens aus den Händen gleiten muß: die sittlichen Überzeugungen eines »generalisierten Anderen« zu bestimmen, die einerseits voraussetzungsvoll genug sind, ein jedes Subjekt zu einem Bewußtsein seines besonderen Beitrages zum gesellschaftlichen Lebensprozeß gelangen zu lassen, andererseits aber noch hinreichend for-

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mal sind, um nicht den historisch gewachsenen Freiraum an Möglichkeiten der persönlichen Selbstverwirklichung nach­ träglich wieder einzuschränken. Die moralisch-kulturellen Bedingungen, unter denen sich nachtraditionale, im Sinne Meads höher individualisierte Gesellschaften reproduzieren, müssen auch deren ethischen Werten und Zielsetzungen nor­ mative Grenzen auferlegen: das intersubjektiv verbindliche, gewissermaßen sittlich eingelebte Konzept des guten Lebens darf inhaltlich nur so gefaßt sein, daß es jedem Mitglied des Gemeinwesens die Chance beläßt, seinen Lebensweg im Rahmen der ihm zustehenden Rechte selber zu bestimmen. Mithin besteht die Schwierigkeit, die von Mead zwar ange­ schnitten, aber dann doch wieder verkannt worden ist, in der Aufgabe, den »generalisierten Anderen« mit einem »com­ mon good« auszustatten, das alle Subjekte gleichermaßen ihren eigenen Wert für das Gemeinwesen begreifen läßt, ohne sie dadurch an der autonomen Verwirklichung ihres Selbst zu hindern; erst eine solche, gleichsam demokrati­ sierte Form der Sittlichkeit würde nämlich den kulturellen Horizont eröffnen, in dem die gleichberechtigten Subjekte sich dadurch wechselseitig in ihrer individuellen Besonder­ heit anerkennen könnten, daß jedes von ihnen auf seine eigene Weise zur Reproduktion der Identität des Gemein­ wesens beizutragen vermag. Der Lösungsvorschlag hingegen, den Mead mit seinem Mo­ dell der funktionalen Arbeitsteilung angeboten hat, ist dem Problem der sittlichen Integration moderner Gesellschaften theoretisch nicht gewachsen; die Idee, den einzelnen in der Erfahrung sozial nützlicher Arbeit zur Anerkennung seiner besonderen Eigenschaften gelangen zu lassen, muß schon daran scheitern, daß die Bewertung der arbeitsteilig geregel­ ten Funktionen ihrerseits von den übergreifenden Zielset­ zungen eines Gemeinwesens abhängig ist. Immerhin hat Meads wie auch immer objektivistisch verkürztes Konzept aber den Vorteil, nachträglich die Schwierigkeiten klarer zum Vorschein zu bringen, mit denen auch das im I. Teil 145

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skizzierte Lösungsmodell des jungen Hegel behaftet ist. Es hatte sich ja gezeigt, daß bei Mead wie bei Hegel die Vor­ stellung eines gesellschaftlich wirksamen »Kampfes um An­ erkennung« auf eine höchste Stufe hin angelegt ist, auf der die Subjekte als lebensgeschichtlich individuierte Personen intersubjektiv Bestätigung erhalten sollen; an der Stelle, an der Mead für diese Anerkennungsform das Modell der funk­ tionalen Arbeitsteilung eingesetzt hatte, war im Rahmen des Hegelschen Frühwerks umrißhaft die Idee solidarischer Be­ ziehungen anzutreffen gewesen. »Solidarität« ist allerdings nur ein möglicher Titel für das intersubjektive Verhältnis, das Hegel mit dem Begriff der »wechselseitigen Anschau­ ung« zu bezeichnen versucht hat; von ihm aus stellt es sich als eine Synthese der beiden vorgeordneten Anerkennungs­ weisen dar, weil es mit dem »Recht« den kognitiven Ge­ sichtspunkt der universellen Gleichbehandlung, mit der »Liebe« aber den Aspekt der emotionalen Bindung und Für­ sorge teilt. Hegel versteht unter »Sittlichkeit«, solange er sich noch nicht einer substantialistischen Fassung des Konzepts überlassen hat, die Art von sozialer Beziehung, die entsteht, wenn sich die Liebe unter dem kognitiven Eindruck des Rechts zu einer universellen Solidarität unter den Mitglie­ dern eines Gemeinwesens geläutert hat; weil in dieser Ein­ stellung jedes Subjekt den Anderen in seiner individuellen Besonderheit achten kann, vollzieht sich in ihr die an­ spruchsvollste Form der wechselseitigen Anerkennung. Im Vergleich mit Meads Lösungsvorschlag muß nun aber zutage treten, daß einem solchen formalen Konzept der Sitt­ lichkeit im Prinzip jeder Hinweis darauf fehlte, warum die Individuen wechselseitig füreinander Gefühle der solidari­ schen Achtung empfinden sollen; ohne den Zusatz einer Orientierung an gemeinsamen Zielen und Werten, wie sie Mead in seiner Idee der funktionalen Arbeitsteilung objek­ tivistisch angestrebt hat, entbehrt der Begriff der Solidarität der Grundlage eines motivierenden Erfahrungszusammen­ hanges. Um dem Fremden die Anerkennung einer solidari146

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sehen Anteilnahme an seinem Lebensweg entgegenbringen zu können, bedarf es vorweg des Anstoßes einer Erfahrung, die mich darüber belehrt, daß wir in einem existentiellen Sinn bestimmte Bedrohungen miteinander teilen; welche Risiken solcher Art uns aber tatsächlich untereinander vorgängig verbinden, bemißt sich wiederum an den Vorstellungen, die wir gemeinsam von einem geglückten Leben im Rahmen des Gemeinwesens besitzen. Die Frage, inwieweit die soziale Integration von Gesellschaften normativ auf ein gemeinsa­ mes Konzept des guten Lebens angewiesen ist, macht heute das Thema der Debatte zwischen dem Liberalismus und dem »Kommunitarismus« aus; auf diese Diskussion werden wir am Ende indirekt Bezug nehmen müssen, wenn wir aus den von Hegel und Mead entwickelten Vorstellungen ein forma­ les Konzept von Sittlichkeit herzuleiten versuchen.

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5. Muster intersubjektiver Anerkennung: Liebe, Recht, Solidarität

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Mit den Konstruktionsmitteln der Sozialpsychologie Meads hat sich der Hegelschen Theorie des »Kampfes um Anerken­ nung« eine »materialistische« Wendung geben lassen. Nicht nur die allgemeine Prämisse des frühen Hegel, daß die prak­ tische Identitätsbildung des Menschen die Erfahrung inter­ subjektiver Anerkennung voraussetzt, ist bei Mead in der verwandelten Gestalt einer empirischen Forschungshypo­ these wiedergekehrt; auch für die begriffliche Unterschei­ dung von verschiedenen Anerkennungsstufen, ja selbst für die weitreichende Behauptung eines zwischen diesen Stufen vermittelnden Kampfes waren in seinem Werk die theoreti­ schen Äquivalente einer nachmetaphysischen, naturalistisch ansetzenden Konzeption aufzufinden gewesen. Unter Ein­ beziehung von Meads Sozialpsychologie läßt sich daher die Idee, die der junge Hegel in seinen Jenaer Schriften mit ge­ nialer Primitivität umrissen hat, zum Leitfaden einer norma­ tiv gehaltvollen Gesellschaftstheorie machen; deren Absicht ist es, Prozesse des gesellschaftlichen Wandels mit Bezug­ nahme auf die normativen Ansprüche zu erklären, die in der Beziehung der wechselseitigen Anerkennung strukturell an­ gelegt sind. Den Ausgangspunkt einer solchen Gesellschaftstheorie muß der Grundsatz ausmachen, in dem der Pragmatist Mead mit dem frühen Hegel prinzipiell übereingestimmt hatte: die Re­ produktion des gesellschaftlichen Lebens vollzieht sich un­ ter dem Imperativ einer reziproken Anerkennung, weil die Subjekte zu einem praktischen Selbstverhältnis nur gelangen können, wenn sie sich aus der normativen Perspektive ihrer Interaktionspartner als deren soziale Adressaten zu begrei­ fen lernen. Eine erklärungsrelevante These ergibt sich aus dieser allgemeinen Prämisse freilich erst dadurch, daß in sie ein Element der Dynamik einbezogen wird: jener im sozia148

len Lebensprozeß verankerte Imperativ wirkt als ein norma­ tiver Zwang, der die Individuen zur schrittweisen Entschränkung des Gehaltes der wechselseitigen Anerkennung nötigt, weil sie nur dadurch den stets nachwachsenden An­ sprüchen ihrer Subjektivität gesellschaftlich Ausdruck zu verleihen vermögen. Insofern ist der gattungsgeschichtliche Prozeß der Individuierung an die Voraussetzung einer gleichzeitigen Erweiterung der Verhältnisse wechselseitiger Anerkennung gebunden. Zum Baustein einer Gesellschafts­ theorie kann die damit umrissene Entwicklungshypothese jedoch nur in dem Maße werden, in dem sie auf Vorgänge innerhalb der sozialen Lebenspraxis systematisch zurückbe­ zogen wird: es sind die moralisch motivierten Kämpfe so­ zialer Gruppen, ihr kollektiver Versuch, erweiterten Formen der reziproken Anerkennung institutionell und kulturell zur Durchsetzung zu verhelfen, wodurch die normativ gerich­ tete Veränderung von Gesellschaften praktisch vonstatten geht. Hegel hat diesen Schritt einer Fortentwicklung der An­ erkennungstheorie zu einem Konfliktmodell auf idealisti­ sche Weise, Mead hat ihn auf eine durchaus schon »materi­ alistisch« zu nennende Weise vollzogen; beide Denker haben damit, entgegen der von Machiavelli über Hobbes bis zu Nietzsche reichenden Theorietradition, dem sozialen Kampf eine Deutung gegeben, in der er zu einer strukturbildenden Kraft in der moralischen Entwicklung von Gesellschaft wer­ den konnte. Bevor ich jedoch diesen zentralen Komplex der ins Auge gefaßten Gesellschaftstheorie wenigstens in einigen Grundzügen umreißen kann, müssen zunächst noch zwei Voraussetzungen systematisch geklärt werden, die sich in den Anerkennungstheorien von Hegel und Mead zwar an­ gelegt, aber nicht entfaltet finden. Zum einen bedarf die Dreiteilung, die beide Autoren an den Formen der rezipro­ ken Anerkennung gemeinsam vorzunehmen scheinen, einer über das bislang Gesagte hinausgehenden Rechtfertigung: inwiefern nämlich eine solche Unterscheidung an der Struk­ tur sozialer Lebensverhältnisse tatsächlich etwas trifft, muß M9

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unabhängig von den herangezogenen Texten dadurch gezeigt werden können, daß sie mit den Ergebnissen der empiri­ schen Forschung in ungefähre Übereinstimmung zu bringen ist. Im folgenden soll das in Form einer phänomenologisch angelegten Typologie geschehen, die jene drei Anerken­ nungsmuster so zu beschreiben versucht, daß sie an einzel­ wissenschaftlich dargelegten Sachverhalten empirisch kon­ trollierbar werden; im Mittelpunkt wird dabei der Nachweis stehen, daß sich den unterschiedlichen Formen der rezipro­ ken Anerkennung tatsächlich verschiedene Stufen der prak­ tischen Selbstbeziehung der Menschen in der Weise zuord­ nen lassen, wie es in der Sozialpsychologie Meads in vagen Umrissen angedeutet ist. Auf der Basis dieser Typologie läßt sich dann auch die zweite Aufgabe angehen, die uns Hegel und Mead hinterlassen haben, weil sie eine entscheidende Implikation ihres Theoriekonzeptes nicht hinreichend ge­ klärt haben. Beide Denker waren nämlich gleichermaßen nicht dazu in der Lage, die sozialen Erfahrungen angemes­ sener zu bestimmen, unter deren Druck der behauptete Kampf um Anerkennung im historischen Prozeß jeweils zur Entstehung gelangen soll: weder bei Hegel noch bei Mead findet sich eine systematisierte Berücksichtigung derjenigen Formen von Mißachtung, die als ein negatives Äquivalent der entsprechenden Anerkennungsverhältnisse den gesell­ schaftlichen Akteuren die Tatsache vorenthaltener Anerken­ nung sozial erfahrbar machen können. Im anschließenden Kapitel soll daher der Versuch unternommen werden, diese Erklärungslücke dadurch zu schließen, daß verschiedene Ar­ ten der Erniedrigung und Beleidung von Menschen syste­ matisch voneinander abgehoben werden; der Rückbezug auf die Typologie der Anerkennungsformen wird sich dabei aus der These ergeben, daß Formen der Mißachtung anhand des Kriteriums zu unterscheiden sind, welche Stufe der intersub­ jektiv erworbenen Selbstbeziehung einer Person sie jeweils verletzen oder gar zerstören.1 i Eine erste, Überblickshafte Ausarbeitung dieser These habe ich vorgelegt 150

Wenn sich auch in den Schriften Meads kein angemessener Ersatz für den romantischen Begriff der »Liebe« gefunden hatte, so läuft doch auch seine Theorie wie diejenige Hegels auf die Unterscheidung von drei Formen der wechselseitigen Anerkennung hinaus : von der emotionalen Zuwendung, wie wir sie aus Liebesbeziehungen und Freundschaften ken­ nen, sind die rechtliche Anerkennung und die solidarische Zustimmung als gesonderte Anerkennungsweisen abgeho­ ben. Schon bei Hegel sind diesen drei Mustern von Rezipro­ zität jeweils besondere Personenkonzepte in dem Sinne zugeordnet, daß mit jeder Stufe der wechselseitigen Achtung auch die subjektive Autonomie des Einzelnen wächst; aber erst bei Mead wird der darin angelegten Intuition die syste­ matische Fassung einer empirischen Hypothese gegeben, derzufolge sich in der Abfolge der drei Anerkennungsfor­ men der Grad der positiven Beziehung der Person auf sich selber schrittweise steigert. Beide Denker, der Autor der »Realphilosophie« nicht anders als der amerikanische Prag­ matist, stimmen ferner in dem Versuch überein, die verschie­ denen Anerkennungsweisen jeweils in gesonderten Sphären der gesellschaftlichen Reproduktion zu lokalisieren: Hegel unterscheidet in seiner politischen Philosophie schon bald zwischen Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat, bei Mead ist eine Tendenz auszumachen, von den Primärbezie­ hungen konkreter Anderer die Rechtsverhältnisse und die Arbeitsphäre als zwei verschiedene Realisationsformen des generalisierten Anderen abzuheben. Für die in diesen verschiedenen Dreiteilungen angelegte Sy­ stematik spricht nun zunächst der Umstand, daß sie sich auf verblüffende Weise in den Differenzierungen einer Reihe von anderen Sozialphilosophen spiegelt: so unterscheidet Max Scheier mit »Lebensgemeinschaft«, »Gesellschaft« und der auf Solidarität gegründeten »Personengemeinschaft« drei »Wesensformen sozialer Einheit«, die er nicht anders

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in: Honneth, Axel, »Integrität und Mißachtung. Grundmotive einer Moral der Anerkennung«, in: Merkur, Heft 501 (1990), S. 143 ff.

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als Hegel und Mead mit Entfaltungsstufen des menschli­ chen Personenseins parallelisiert;2 in Plessners »Grenzen der Gemeinschaft« findet sich, allerdings in deutlicher Abhän­ gigkeit von Scheiers Sozialontologie, im Hinblick auf ver­ schiedene Grade des intersubjektiven Vertrauens die Unter­ scheidung in die drei Sphären der Primärbindungen, des gesellschaftlichen Verkehrs und der Sachgemeinschaft? Aber wie umfangreich eine solche Liste von theoriege­ schichtlichen Querverbindungen auch sein könnte, sie ver­ mag kaum mehr zu belegen, als daß einer Unterteilung des gesellschaftlichen Lebens in drei Interaktionssphären große Plausibilität zukommt; es liegt offenbar auf der Hand, For­ men der sozialen Integration danach zu unterscheiden, ob sie auf dem Weg emotionaler Bindungen, der Zuerkennung von Rechten oder der gemeinsamen Orientierung an Werten zustandekommt. Das Spezifische der von Hegel und Mead verfochtenen Theorie besteht hingegen erst darin, jene drei Interaktionsspären auf unterschiedliche Muster der wech­ selseitigen Anerkennung zurückzuführen, denen darüber hinaus ein jeweils besonderes Potential der moralischen Entwicklung und verschiedene Arten der individuellen Selbstbeziehung entsprechen sollen. Um diese w'eitergehenden Ansprüche überprüfen zu können, bietet sich der Ver­ such an, den anschaulich gegebenen Gehalt von Liebe, Recht und Solidarität bis an den Punkt zu rekonstruieren, an dem sich ein produktiver Anschluß an die Ergebnisse einzelwissenschaftlicher Forschungen eröffnet; in der Be­ währung am Material empirischer Untersuchungen wird sich dann zeigen müssen, ob sich die drei Beziehungsmuster tatsächlich als Anerkennungsformen so voneinander unter­ scheiden lassen, daß sie im Hinblick auf das Medium der 2 Vgl. Scheier, Max , Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, in: Gesammelte Werke, Bern 1966, Bd. 2, bes. S. 509 ff. j Vgl. Plessner, Helmuth, -Die Grenzen der Gemeinschaft-, in: Gesammelte Schriften, hg. Günther Dux, Odo Marquard, Elisabeth Ströker, Frankfurt am Main 1981, Bd. V, S. /ff.

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Anerkennung, die Art der ermöglichten Selbstbeziehung und das moralische Entwicklungspotential eigenständige Typen bilden. (1) Um von der »Liebe« nicht nur in dem eingeschränkten Sinn sprechen zu müssen, den der Begriff seit der romanti­ schen Aufwertung der sexuellen Intimbeziehung angenom­ men hat4, empfiehlt sich zunächst eine möglichst neutrale Verwendungsweise: unter Liebesverhältnissen sollen hier alle Primärbeziehungen verstanden werden, soweit sie nach dem Muster von erotischen Zweierbeziehungen, Freund­ schaften und Eltern-Kind-Beziehungen aus starken Ge­ fühlsbindungen zwischen wenigen Personen bestehen. Mit der Begriffsverwendung Hegels deckt sich dieser Vorschlag insofern, als bei ihm die »Liebe« ebenfalls mehr als nur das sexuell erfüllte Verhältnis zwischen Mann und Frau bezeich­ net; zwar sind gerade seine frühen Schriften noch stark von der frühromantischen Auszeichnung der zwischenge­ schlechtlichen Gefühlsbindung geprägt, in unserer Interpre­ tation aber hatte sich gezeigt, daß er den Begriff etwa auch auf das affektive Verhältnis zwischen Eltern und Kindern innerhalb der Familie anwendet. Für Hegel stellt die Liebe deswegen die erste Stufe der reziproken Anerkennung dar, weil sich in ihrem Vollzug die Subjekte wechselseitig in ihrer konkreten Bedürfnisnatur bestätigen und damit als bedürf­ tige Wesen anerkennen: in der reziproken Erfahrung liebe­ voller Zuwendung wissen beide Subjekte sich darin einig, daß sie in ihrer Bedürftigkeit von jeweils anderen abhängig sind. Weil Bedürfnisse und Affekte zudem in gewisser Weise überhaupt nur dadurch »Bestätigung« erhalten können, daß sie direkt befriedigt oder erwidert werden, muß die Aner­ kennung hier selber den Charakter affektiver Zustimmung und Ermutigung besitzen; insofern ist dieses Anerkennungs­ verhältnis auch notwendigerweise an die leibhaftige Existenz 4 Dazu Niklas Luhmann, Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt am Main 1982, Kap. 13.

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konkreter Anderer gebunden, die einander Gefühle beson­ derer Wertschätzung entgegenbringen. Den Schlüssel für die Überführung des Themas in einen einzelwissenschaftlichen Forschungskontext stellt nun jene Formulierung Hegels dar, derzufolge sich die Liebe als ein »Seinselbstsein in einen Fremden«5 begreifen lassen muß; damit ist nämlich von af­ fektiven Primärbeziehungen in derselben Weise gesagt, daß sie auf eine prekäre Balance zwischen Selbständigkeit und Bindung angewiesen sind, in der dies unter dem leitenden Interesse an der Ursachenbestimmung von pathologischen Abweichungen in der psychoanalytischen Objektbezie­ hungstheorie geschieht. Mit der Hinwendung der Psycho­ analyse zum frühkindlichen Interaktionsgeschehen wird die affektive Bindung an andere Personen als ein Prozeß er­ schlossen, dessen Gelingen von der wechselseitigen Auf­ rechterhaltung einer Spannung zwischen symbiotischer Selbstpreisgabe und individueller Selbstbehauptung abhän­ gig ist; daher ist die Forschungstradition der Objektbezie­ hungstheorie in besonderem Maße geeignet, die Liebe als ein Interaktionsverhältnis verständlich zu machen, dem ein be­ sonderes Muster der reziproken Anerkennung zugrunde liegt. In der Theorie der Objektbeziehung werden aus der thera­ peutischen Analyse von Beziehungspathologien Rück­ schlüsse gezogen auf die Bedingungen, die zu einer gelin­ genden Form der affektiven Bindung an andere Personen führen können. Bevor es freilich innerhalb der Psychoana­ lyse zu einer solchen Konzentration auf die interpersonalen Aspekte menschlichen Handelns kommen konnte, bedurfte es einer Reihe von theoretischen Anstößen, die die ortho­ doxe Vorstellung der Entwicklung des kindlichen Trieble­ bens in Frage zu stellen vermochten.6 Für Freud und seine Nachfolger waren die Interaktionspartner des Kindes zu.5 Hegel, System der Sittlichkeit, a.a.O., S. 17. 6 VgL den vorzüglichen Überblick von Morris N. Eagle, Neuere Entwick­ lungen in der Psychoanalyse. Eine kritische Würdigung, München/Wien

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nächst allein in dem Maße von Bedeutung gewesen, in dem sie als Objekte von libidinösen Besetzungen auftraten, die sich aus dem intrapsychischen Konflikt von unbewußten Triebansprüchen und allmählich entstehender Ichkontrolle ergaben; jenseits von dieser nur vermittelten, sekundären Rolle wurde einzig der Mutter als Bezugsperson noch ein unabhängiger Stellenwert eingeräumt, weil ihr drohender Verlust in der Phase der psychischen Hilflosigkeit des Säug­ lings als Ursache aller reiferen Spielarten von Angst galt.7 War damit ein Bild von der psychischen Entwicklung des Kindes etabliert, in dem seine Beziehungen zu anderen Per­ sonen nur als eine bloße Funktion in der Entfaltung der libidinösen Triebe betrachtet wurden, so mußten daran schon die empirischen Untersuchungen von René Spitz die ersten Zweifel wecken; in seinen Beobachtungen hatte sich nämlich gezeigt, daß der Entzug mütterlicher Zuwen­ dung auch dann zu schweren Störungen im Verhalten des Säuglings führt, wenn ansonsten die Befriedigung all seiner körperlichen Bedürfnisse sichergestellt ist.8 Diese ersten Hinweise auf die unabhängige Bedeutung emotionaler Bin­ dungen für die frühkindliche Entwicklung wurden alsbald, wie Morris Eagle in seinem Überblick über »Neuere Ent­ wicklungen in der Psychoanalyse«9 dargestellt hat, durch eine Reihe von weiteren Untersuchungsergebnissen der psy­ chologischen Forschung gestützt und bekräftigt: ethnologi­ schen Experimentalstudien gelang der Nachweis, daß die Bindung von Affenbabys an ihre sogenannten Ersatzmütter nicht aus dem Erlebnis der Triebbefriedigung stammen kann, sondern aus der Erfahrung von »Kontaktbehagen« herrüh-

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1988. Ferner: Jay R. Greenberg/Stephen A. Mitchell, Object Relations in Psychoanalytic Theory, Cambridge, Ma. 1983 7 Freud, Sigmund, »Hemmung, Symptom und Angst«, in: Gesammelte Wer­ ke, Frankfun am Main 1972, Bd. XIV, S. iuff. 8 Réne A. Spitz, Vom Säugling zum Kleinkind, Stuttgart 1976, bes. Kap. 14.

9 Eagle, Neuere Entwicklung in der Psychoanalyse, a.a.O., Kap. 2.

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ren muß;10 die bahnbrechenden Untersuchungen von John Bowlby führten zu dem Ergebnis, daß der menschliche Säugling schon in seinen ersten Lebensmonaten eine aktive Bereitschaft zur Herstellung interpersonaler Nähe entwikkelt, welche die Basis für alle späteren Formen von emotio­ naler Bindung abgibt11; und Daniel Stern konnte, nicht zuletzt unter Anregung der Forschungen von Spitz und Bowlby, überzeugende Beweise dafür erbringen, daß sich die Interaktion zwischen Mutter und Kind als ein hochkom­ plexer Prozeß vollzieht, in dem beide Beteiligten sich wech­ selseitig in die Fähigkeit zum gemeinsamen Erleben von Gefühlen und Empfindungen einüben.12 All das mußte innerhalb einer forschungsoffenen Psycho­ analyse, wie sie in der Nachkriegszeit in England und den USA anzutreffen war, insofern im hohen Maße irritierend wirken, als es im Gegensatz zum Es-Ich-Strukturmodell der Freudschen Theorie auf die nachhaltige Bedeutung von frü­ hesten, vorsprachlichen Interaktionserfahrungen hinzuwei­ sen schien: wenn der Sozialisationsprozeß maßgeblich von Erfahrungen abhängig war, die das Kleinkind im affektiven Umgang mit seinen ersten Beziehungspartnern macht, dann war die orthodoxe Vorstellung nicht länger aufrechtzuerhal­ ten, nach der sich die psychische Entwicklung als eine Abfolge von Organisationsformen des »monologischen« Verhältnisses zwischen libidinösen Trieben und Ichfähigkeit vollzog; der konzeptuelle Rahmen der Psychoanalyse be­ durfte vielmehr einer grundsätzlichen Erweiterung um jene unabhängige Dimension sozialer Interaktionen, innerhalb derer das Kind sich durch die emotionale Beziehung zu an­ deren Personen als ein eigenständiges Subjekt zu begreifen lernt. Dieser theoretischen Schlußfolgerung kam schließlich von therapeutischer Seite noch der Befund entgegen, daß 10 Harlow, H.F., »The Nature of Love«, in: American Psychologist 13 (1958), S. 673ft. 11 John Bowlby, Bindung, München 197 5. 12 Daniel Stern, Mutter und Kind. Die erste Beziehung, Stuttgart 1979.

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eine wachsende Zahl von Patienten an psychischen Erkran­ kungen litt, die nicht mehr auf intrapsychische Konflikte zwischen Ich- und Es-Anteilen, sondern allein auf interper­ sonale Störungen im Prozeß der Loslösung des Kindes zurückzuführen waren; solche Formen von Pathologien, wie sie im Fall von Borderline- und Narzißmussymptomen vorlagen, erzwangen aus sich heraus von den Therapeuten, in verstärktem Maße auf Erklärungsansätze zurückzugrei­ fen, die mit orthodoxen Vorstellungen unvereinbar waren, weil sie den wechselseitigen Bindungen zwischen Kindern und Bezugspersonen eine unabhängige Bedeutung einzuräu­ men versuchten. Im Hinblick auf die verschiedenen Herausforderungen, die mit diesen wenigen Hinweisen umrissen sind, stellt die psy­ choanalytische Theorie der Objektbeziehung nun den ersten Versuch einer konzeptuellen Antwort dar; darin wird der gewachsenen Einsicht in den psychischen Stellenwert früh­ kindlicher Interaktionserfahrungen systematisch Rechnung getragen, indem in Ergänzung zur Organisation der libidinösen Triebe die affektive Beziehung zu anderen Personen als eine zweite Komponente des Reifungsprozesses Berück­ sichtigung findet. Es ist allerdings nicht die intersubjektivi­ tätstheoretische Erweiterung des psychoanalytischen Erklä­ rungsrahmens als solches, was die Theorie der Objektbezie- • hung für die Zwecke einer Phänomenologie von Anerken­ nungsbeziehungen besonders geeignet erscheinen läßt; eine Veranschaulichung der Liebe als einer bestimmten Form der Anerkennung erlaubt sie erst aufgrund der spezifischen Wei­ se, in der in ihr das Gelingen von affektiven Bindungen von der frühkindlich erworbenen Fähigkeit zur Balance zwi­ schen Symbiose und Selbstbehauptung abhängig gemacht wird. Dieser zentralen Einsicht, in der die Intuitionen des jungen Hegel in überraschendem Maße Bestätigung finden, hat der englische Psychoanalytiker Donald W. Winnicott den Weg bereitet; im Anschluß an seine Schriften hat Jessica Benjamin inzwischen einen ersten Versuch unternommen, 157

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die Liebesbeziehung mit psychoanalytischen Mitteln als ei­ nen Prozeß der wechselseitigen Anerkennung zu interpre­ tieren. Winnicott hat seine Arbeiten aus der Perspektive eines psychoanalytisch eingestellten Kinderarztes verfaßt, der im Rahmen der Behandlung von psychischen Verhaltensstörun­ gen Aufschlüsse über die »hinreichend guten« Sozialisa­ tionsbedingungen von Kleinkindern zu gewinnen ver­ sucht.13 Was ihn bereits im Ansatz von der orthodoxen Tradition der Psychoanalyse unterscheidet, ist eine Einsicht, die sich zwangslos in den von Hegel und Mead formulierten Theorierahmen einfügen läßt: das Kleinkind ist in seinen ersten Lebensmonaten so sehr auf die praktische Ergänzung seines Verhaltens durch die Mutterpflege angewiesen, daß es eine irreleitende Abstraktion darstellt, wenn die psychoana­ lytische Forschung es isoliert von jeder Bezugsperson als ein unabhängiges Untersuchungsobjekt betrachtet.14 Die Für­ sorge, mit der die Mutter den Säugling am Leben erhält, tritt nicht als etwas Sekundäres zum kindlichen Verhalten hinzu, sondern ist mit ihm in einer Weise verschmolzen, die es plau­ sibel macht, für den Anfang jedes menschlichen Lebens eine Phase der undifferenzierten Intersubjektivität, der Symbiose also, anzunehmen. Damit ist für Winnicott mehr gemeint als das, was in der Freudschen Theorie mit dem Begriff des »primären Narzißmus« bezeichnet wird: nicht nur soll der Säugling alles mütterliche Pflegeverhalten als einen Ausfluß der eigenen Omnipotenz halluzinieren, sondern auch die Mutter wird umgekehrt alle Reaktionen ihres Kindes als den rj Ich beziehe mich im folgenden auf: Donald W. Winnicott, Reifungspro­ zesse und fördernde Umwelt, Frankfurt am Main 1984; ders., Vom Spiel zur Kreativität, Stuttgart 1989. Einen knappen Überblick über die beson­ dere Rolle Winnicotts innerhalb der Psychoanalyse geben: Greenberg/Mitchell, Object Relations in Psychoanalytic Theory, a.a.O., Kap.

714 Winnicott, Donald W., »Die Theorie von der Beziehung zwischen Mutter und Kind«, in: ders. Reifungsprozesse und fördernde Umwelt, a.a.O.,

S. 47 ff.

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Bestandteil eines einziges Handlungskreislaufes wahr­ nehmen. Diese ursprüngliche, wechselseitig erlebte Verhal­ tenseinheit, für die sich in der empirischen Forschung inzwischen der Begriff der »primären Intersubjektivität« eingebürgert hat15, läßt die Frage entstehen, mit der sich Winnicott zeit seines Lebens vor allem beschäftigt hat: wie ist der Interaktionsprozeß beschaffen, durch den Mutter und Kind sich aus dem Zustand undifferenzierten Einsseins so zu lösen vermögen, daß sie sich am Ende als unabhängige Per­ sonen zu akzeptieren und zu lieben lernen? Schon die Formulierung der Fragestellung zeigt an, daß Winnicott den kindlichen Reifungsprozeß von Anfang an als eine Aufgabe begriffen hat, die nur durch das intersubjektive Zusammenspiel von Mutter und Kind gemeinsam zu lösen ist: weil beide Subjekte zunächst durch aktive Leistungen in den Zustand symbiotischen Einsseins einbezogen sind, müs­ sen sie gewissermaßen vom jeweils anderen lernen, wie sie sich zu selbständigen Wesen auszudifferenzieren haben. Dementsprechend sind die Begriffe, die Winnicott verwen­ det, um die einzelnen Phasen dieses Reifungsprozesses zu charakterisieren, stets auch Bezeichnungen nicht nur des psychischen Zustandes des einen Beteiligten, des Kindes, sondern der jeweiligen Verfassung des Verhältnisses zwi­ schen Mutter und Kind; der Fortschritt, den die kindliche Entwicklung nehmen muß, soll sie zu einer psychisch ge­ sunden Persönlichkeit führen, wird an Veränderungen in der Struktur eines Interaktionsgefüges, nicht an Transformatio­ nen in der Organisation des individuellen Triebpotentials abgelesen. Zur Kennzeichnung der ersten Phase, jenes Ver­ hältnisses symbiotischer Gemeinsamkeit also, das direkt 15 Vgl.etwa: Trevorthen, Couym, »Communication and cooperation in early infancy: a description of primary intersubjectivity«, in: Margret Builowa (Hg.), Before speech. The beginning of interpersonal communi­ cation, Cambridge 1979, S. jaiff.; ders., »The Foundations of Intersub­ jectivity: Development of Interpersonal and Cooperative Understanding of Infants«, in: D. R. Olson (Hg.), The Social Foundations of Language and Thought, New York 1980, S. 316ff.

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nach der Geburt einsetzt, zieht Winnicott vornehmlich die Kategorie der »absoluten Abhängigkeit« heran16; sie soll be­ sagen, daß beide Interaktionspartner hier in der Befriedigung ihrer Bedürfnisse vollkommen aufeinander angewiesen sind, ohne überhaupt zur individuellen Grenzziehung gegenüber dem jeweils anderen in der Lage zu sein. Auf der einen Seite wird die Mutter nämlich die hilflose Bedürftigkeit des Säug­ lings, weil sie sich mit ihm im Laufe der Schwangerschaft projektiv identifiziert hat, als einen Mangel ihrer eigenen Befindlichkeit erleben; daher ist ihre emotionale Aufmerk­ samkeit so vollständig auf das Kind zugeschnitten, daß sie ihre Fürsorge und Pflege wie aus innerem Drang an seine wechselnden, von ihr selber aber gleichsam mitgefühlten Be­ lange anzupassen lernt. Dieser prekären Abhängigkeit der Mutter, von der Winnicott annimmt, daß sie der schützen­ den Anerkennung durch Dritte bedarf17, entspricht auf der anderen Seite die vollständige Hilflosigkeit des Säuglings, der seine physischen und emotionalen Bedürfnisse noch durch kein kommunikatives Mittel zu artikulieren vermag. Zur kognitiven Differenzierung zwischen sich und der Um­ welt nicht imstande, bewegt das Kind sich in den ersten Lebensmonaten in einem Erlebnishorizont, dessen Konti­ nuität allein durch die ergänzende Hilfe eines Interaktions­ partners sichergestellt werden kann. Insofern zu den lebens­ notwendigen Qualitäten einer solchen undifferenzierten Erfahrungswelt nicht nur die Erlösung von Triebspannun­ gen, sondern auch die Gewährung leiblichen Kontaktbeha­ gens gehört, ist der Säugling hilflos darauf angewiesen, daß ihm die Mutter durch bedürfnisgerechte Formen des »Hal­ tens« Liebe entgegenbringt. Nur im physischen Schutzraum des »Gehaltenwerdens« kann der Säugling seine motori16 Winnicott, Donald W., »Von der Abhängigkeit und Unabhängigkeit in der Entwicklung des Individuums«, in: ders., Reifungsprozesse und för­ dernde Umwelt, a.a.O., S. io6ff. (hier: S. 108 ff.). 17 Winnicott, -Die Theorie von der Beziehung zwischen Mutter und Kind-,

a.a.O., S. 63.

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II sehen und sensorischen Erfahrungen auf ein einziges Erleb­ niszentrum hin zu koordinieren lernen und damit zur Entwicklung eines Körperschemas gelangen; weil der Tätig­ keit des »Haltens« für die kindliche Entwicklung daher eine außerordentliche Bedeutung zukommt, hat Winnicott den Zustand des Verschmolzenseins an einigen Stellen auch »Halte-Phase« genannt.18 Da Mutter und Kind in dieser Phase symbiotischer Einheit wechselseitig voneinander abhängig sind, kann sie auch erst dann zu einem Ende gelangen, wenn beide je für sich ein Stück neuer Unabhängigkeit hinzugewinnen. Für die Mutter setzt ein solcher Emanzipationsschub in dem Augenblick ein, in dem sie ihr soziales Aufmerksamkeitsfeld dadurch wieder erweitern kann, daß sich ihre primäre, leibliche Iden­ tifikation mit dem Säugling zu verflüchtigen beginnt; die Rückkehr in den routinisierten Alltag und die erneute Öff­ nung für die vertrauten Bezugspersonen zwingt sie, den noch immer spontan erahnten Bedürfnissen des Kindes die direkte Erfüllung zu versagen, indem sie es zunehmend über längere Zeiträume mit sich allein läßt. Dieser »abgestuften Ent-Anpassung«19 der Mutter entspricht auf Seiten des Säug­ lings eine intellektuelle Entwicklung, die mit der Erweite­ rung bedingter Reflexe auch die Fähigkeit zur kognitiven Differenzierung von eigenem Ich und Umwelt herbeiführt: im durchschnittlichen Alter von 6 Monaten beginnt er, aku­ stische oder optische Signale als Hinweise auf zukünftige Bedürfnisbefriedigungen zu verstehen, so daß er die kurz­ fristige Abwesenheit der Mutter allmählich zu ertragen ver­ mag. Wird ihre Person damit zum ersten Mal als etwas in der Welt erlebt, das nicht der Kontrolle der eigenen Omnipotenz untersteht, so bedeutet das für das Kind zugleich ein keimhaftes Gewahrwerden seiner Abhängigkeit: es tritt aus der Phase der »absoluten Abhängigkeit« heraus, weil die eigene 18 Ebd., S. 5 6 ff. 19 Winnicott, Donald W„ »Von der Abhängigkeit zur Unabhängigkeit in der Entwicklung des Individuums«, a.a. O., S. 112.

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Angewiesenheit auf die Mutter derart in seinen Gesichtskreis tritt, daß es seine persönlichen Impulse nun gezielt auf be­ stimmte Aspekte ihrer Fürsorge zu beziehen lernt. In dieses neue Stadium der Interaktion, dem Winnicott den Begriff der »relativen Abhängigkeit« beilegt20, fallen alle entschei­ denden Schritte in der Entwicklung der kindlichen Bin­ dungsfähigkeit; ihnen hat er daher den größten und überdies instruktivsten Teil seiner Analysen gewidmet. Sie geben zu verstehen, wie sich im Verhältnis zwischen Mutter und Kind jenes »Seinselbstsein in einem fremden« heranzubilden ver­ mag, das als elementares Muster aller reiferen Formen von Liebe zu begreifen ist. Für das Kind ergibt sich aus dem Prozeß der Desillusionie­ rung, der einsetzt, wenn die Mutter ihm aufgrund ihrer wieder angewachsenen Handlungsautonomie nicht mehr ständig zur Verfügung stehen kann, eine große, schwer zu bewältigende Herausforderung: ist die bislang als Teil seiner subjektiven Welt phantasierte Person allmählich seiner om­ nipotenten Kontrolle entglitten, muß es damit beginnen, zu einer »Anerkennung des Objekts als ein Wesen mit eigenem Recht«21 zu gelangen. Diese Aufgabe vermag das Kleinkind in dem Maße zu lösen, in dem ihm seine soziale Umwelt die Anwendung von zwei psychischen Mechanismen erlaubt, die gemeinsam der affektiven Verarbeitung der neuen Erfah­ rung dienen; den ersten der beiden Mechanismen hat Win­ nicott unter dem Stichwort der »Zerstörung« abgehandelt, der zweite wird von ihm im Rahmen seines Konzeptes der »Übergangsphänomene« dargelegt. Auf das schrittweise Gewahrwerden einer verfügungsresi­ stenten Realität hin entwickelt der Säugling bald eine Bereit­ schaft zu aggressiven Akten, die primär auf die nun gleich­ falls als unabhängig wahrgenommene Mutter gerichtet sind; wie um gegen die Erfahrung des Dahinschwindens der Allio Ebd., S. 111 ff. 2i Winnicott, Donald W., >Objektverwendung und Identifizierung«, in: ders., Vom Spiel zur Kreativität, a.a.O., S. ioiff. (hier: S. 105). 162

macht aufzubegehren, versucht er ihren bislang nur• als Lustquelle erlebten Körper zu zerstören, indem er iihm Schläge, Bisse und Stöße versetzt. In den herkömmlichen Deutungsansätzen werden diese kindlichen Aggressionsaus­ brüche zumeist in einen kausalen Zusammenhang mit Fru­ strationen gebracht, die auf die Erfahrung des Verlustes omnipotenter Kontrolle hin eintreten müssen; für Winnicott stellen sie hingegen in sich zweckvolle Aktionen dar, durch die der Säugling unbewußt ertestet, ob das affektiv hochbe­ setzte Objekt tatsächlich einer unbeeinflußbaren und in dem Sinne »objektiven« Wirklichkeit angehört; überlebt die Mutter seine zerstörenden Attacken, ohne sich zu rächen, so hat er sich dadurch gewissermaßen praktisch in eine Welt hineinversetzt, in der neben ihm noch andere Subjekte exi­ stieren.22 Insofern sind die zerstörerischen, verletzenden Akte nicht der Ausdruck einer negativen Verarbeitung von frustrierenden Erfahrungen, sondern bilden die konstrukti­ ven Mittel, mit deren Hilfe das Kind zu einer ambivalenz­ freien Anerkennung der Mutter als »einem Wesen mit eigenem Recht« gelangen kann: hat sie seine destruktiven Versuchshandlungen nämlich als widerstandsfähige Person überstanden, ja, hat sie ihm durch Versagungen sogar Anlaß zu Wutausbrüchen gegeben, dann wird es durch die Integra­ tion seiner aggressiven Impulse fähig, sie ohne narzistische Omnipotenzphantasien zu lieben. In der Bindung, die jetzt entstanden ist, vermag das Kind seine noch symbiotisch ge­ speiste Anhänglichkeit an die Mutter mit der Erfahrung ihrer Selbständigkeit zu versöhnen: »Die Mutter wird während dieser Zeit gebraucht, und sie wird gebraucht wegen ihres Überlebenswertes. Sie ist eine Umwelt-Mutter und zugleich eine Objekt-Mutter, das Objekt erregter Liebe. In der letz22 Vgl. vor allem: ebd., bes. s. S. 104fr.; vgl. zu diesem Komplex auch: Schreiber, Marianne, »Kann der Mensch Verantwortung für seine Aggres­ sivität übernehmen? Aspekte aus der Psychologie D. W. Winnicotts und Melanie Kleins«, in: Alfred Schöpf (Hg.), Aggression und Gewalt, Würz­ burg 1983, S. 15 5 ff.

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teren Rolle wird sie wiederholt zerstört oder beschädigt. Das Kind integriert allmählich diese beiden Aspekte der Mutter, und allmählich wird es fähig, die überlebende Mutter zu­ gleich zärtlich zu lieben«.23 Fassen wir in dieser Weise den ersten Ablösungsprozeß des Kindes als das Ergebnis von aggressiven Verhaltensäußerun­ gen auf, dann erweist sich der Vorschlag von Jessica Benja­ min als gerechtfertigt, den von Hegel beschriebenen »Kampf um Anerkennung« hier als ein instruktives Erklärungsmu­ ster heranzuziehen24: denn erst im Versuch der Zerstörung seiner Mutter, in Form eines Kampfes also, erlebt das Kind ja, daß es auf die liebevolle Zuwendung einer Person ange­ wiesen ist, die unabhängig von ihm als ein Wesen mit eigenen Ansprüchen existiert. Für die Mutter heißt das umgekehrt aber, daß auch sie erst die Unabhängigkeit ihres Gegenübers zu akzeptieren lernen muß, wenn sie seine zerstörerischen Attacken im Rahmen ihres wieder gewachsenen Handlungs­ spielraumes »überleben« will: von ihr verlangt die aggressiv geladene Situation nämlich, die zerstörerischen Wunsch­ phantasien ihres Kindes als etwas zu begreifen, was den eigenen Interessen zuwiderläuft und daher nur ihm allein als eine bereits verselbständigte Person zukommen kann. Ist auf dem damit umrissenen Weg ein erster Schritt der wechsel­ seitigen Grenzziehung gelungen, so können Mutter und Kind sich von der Liebe des jeweils anderen abhängig wissen, ohne miteinander symbiotisch verschmelzen zu müssen. -Winnicott behauptet nun in einem ergänzenden Teil seiner Analysen, daß das Kind zu einer solchen frühen Form der Balance zwischen Selbständigkeit und Symbiose umso eher in der Lage ist, je unverzerrter sich bei ihm ein zweiter Ver­ arbeitungsmechanismus zu entfalten vermag; diesen hat er mit Hilfe eines theoretischen Konzeptes dargelegt, welches 23 Winnicott, Donald W., »Moral und Erziehung«, in: ders., Reifungspro­ zesse und fördernde Umwelt, a.a.O., S. 120 ff. (hier: S. 133). 24 Jessica Benjamin, Die Fesseln der Liehe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht, Basel/Frankfurt am Main 1990, bes. S. 39 ff.

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durch den Begriff des »Übergangsobjekts« gekennzeichnet ist. Das empirische Phänomen, das Winnicott dabei vor Au­ gen hat, besteht in der starken Neigung von Kindern im Alter von wenigen Monaten, zu Gegenständen ihrer mate­ riellen Umwelt eine affektiv hochbesetzte Beziehung aufzu­ nehmen; solche Objekte, ob nun Teile des Spielzeugs, der Zipfel des Kissens oder der eigene Daumen, werden wie ein exklusiver Besitz behandelt, zeitweise zärtlich geliebt, aber auch mit Leidenschaft zerstört. Den Schlüssel für eine Er­ klärung der Funktion dieser Übergangsobjekte erblickt Winnicott in der Tatsache, daß sie auch von den Interak­ tionspartnern des Kindes einem Wirklichkeitsbereich zuge­ ordnet werden, dem gegenüber die Frage nach Fiktion oder Realität unerheblich wird; wie aus stillschweigender Ab­ sprache sind sie in einem »intermediären« Bereich angesie­ delt, von der die Beteiligten nicht weiter ausmachen müssen, ob er einer inneren Welt bloßer Halluzinationen oder der empirischen Welt objektiver Tatbestände angehört: »Hin­ sichtlich des Übergangsobjektes herrscht sozusagen eine Art Übereinkunft zwischen uns und dem Kleinkind, daß wir nie die Frage stellen werden: >Hast Du Dir das ausgedacht, oder ist es von außen an Dich herangebracht worden ?< Wichtig ist, daß eine Entscheidung in dieser Angelegenheit nicht er­ wartet wird. Die Frage taucht gar nicht erst auf«.25 Wird die Entwicklungsphase mitberücksichtigt, in der die Entdeckung von solchen intermediären Bezugsobjekten fällt, dann liegt zunächst die Vermutung nahe, daß sie Er­ satzbildungen für die an die äußere Realität verlorengegan­ gene Mutter darstellen; weil ihnen ontologisch eine Art von Zwitternatur zukommt, kann das Kind sie vor den Augen der Eltern praktisch dazu benutzen, seine ursprünglichen Allmachtphantasien über das Trennungserlebnis hinaus wei­ terleben zu lassen und zugleich kreativ an der Realität zu erproben. An dieser spielerisch-realitätsprüfenden Verwen-

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25 Winnicott, Donald W., »Obergangsobjekte und Übergangsphänomene«, in: ders., Vom Spiel zur Kreativität, a.a.O., S. loff. (hier: S. 23). 165

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dungsweise kommt allerdings auch zum Vorschein, daß sich die Funktion der Übergangsobjekte nicht allein darauf be­ schränken kann, symbiotisch die Rolle der im Verschmel­ zungszustand erlebten Mutter zu übernehmen; das Kind bezieht sich ja nicht nur in symbiotischer Zärtlichkeit auf die von ihm erwählten Gegenstände, sondern setzt sie ebenfalls immer wieder wütenden Attacken und Zerstörungsversu­ chen aus. Daraus glaubt Winnicott folgern zu können, daß es sich bei den Übergangsobjekten gewissermaßen um ontolo­ gische Vermittlungsglieder zwischen dem primären Erlebnis des Verschmolzenseins und der Erfahrung des Getrenntseins handeln muß: im spielerischen Umgang mit den affektiv be­ setzten Gegenständen versucht das Kind, die schmerzhaft erlebte Kluft zwischen innerer und äußerer Realität stets wieder symbolisch zu überbrücken. Der Umstand, daß da­ mit zugleich der Beginn einer intersubjektiv akzeptierten Illusionsbildung verknüpft ist, läßt Winnicott sogar noch einen Schritt weitergehen und zu einer These mit weitrei­ chenden, schwer überblickbaren Konsequenzen gelangen: jene ontologische Vermittlungsphäre ist, weil ihre Heraus­ bildung sich der Lösung einer Aufgabe verdankt, die für den Menschen zeitlebens bestehen bleibt, der psychische Entste­ hungsort all der Interessen, die der Erwachsene den kultu­ rellen Objektivationen entgegenbringen wird. Nicht ohne Sinn für spekulative Zuspitzungen heißt es bei Winnicott: »Wir behaupten nun, daß die Akzeptierung der Realität als Aufgabe nie ganz abgeschlossen wird, daß kein Mensch frei von dem Druck ist, innere und äußere Realität miteinander in Beziehung setzen zu müssen, und daß die Befreiung von diesem Druck durch einen nicht in Frage gestellten interme­ diären Erfahrungsbereich (in Kunst, Religion, usw.) geboten wird (...). Dieser intermediäre Bereich entwickelt sich direkt aus dem Spielbereich kleiner Kinder, die in ihr Spiel »verlo­ ren sind«.26 Dieser letzte Zusatz gibt auch einen Hinweis darauf, warum 16 Ebd., S. 23f.

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das Konzept der »Übergangsobjekte« als eine direkte Erwei­ terung jener anerkennungstheoretischen Deutung der Liebe zu begreifen ist, die sich in den Schriften Winnicotts finden läßt. Ihm zufolge ist nämlich das Kind zu einem »selbstver­ lorenen« Umgang mit dem erwählten Gegenstand nur in der Lage, wenn es auch nach der Trennung von der symbiotisch erlebten Mutter der Kontinuität ihrer Zuwendung so viel Vertrauen entgegenbringen kann, daß es im Schutze einer gefühlten Intersubjektivität sorglos mit sich allein zu sein vermag; die kindliche Kreativität, ja das imaginäre Vermögen des Menschen überhaupt, haftet an der Voraussetzung einer »Fähigkeit zum Alleinsein«, die ihrerseits wiederum nur durch ein elementares Vertrauen in die Zuwendungsbereit­ schaft der geliebten Person zustande kommen kann.27 Von hier aus ergeben sich weitreichende Einblicke in den Zusam­ menhang von Kreativität und Anerkennung, die an dieser Stelle aber für uns nicht weiter von Interesse sind; zentrale Bedeutung für den Versuch, die Liebe als ein besonderes Verhältnis der Anerkennung zu rekonstruieren, kommt hin­ gegen Winnicotts Behauptung zu, daß die Fähigkeit zum Alleinsein vom Vertrauen des Kindes in die Dauerhaftigkeit der mütterlichen Zuwendung abhängig ist. Die damit umrissene These gibt Auskunft über die Art von Selbstverhält­ nis, zu der ein Subjekt gelangen kann, wenn es sich von einer als unabhängig erlebten Person geliebt weiß, der gegenüber es seinerseits ebenfalls emotionale Zuneigung oder Liebe empfindet. Wenn die Mutter den unbewußten Test ihres Kindes zu be­ stehen wußte, indem sie die aggressiven Attacken ohne die Rache des Liebesentzugs erduldet hat, so gehört sie aus sei­ ner Perspektive von nun an einer schmerzvoll akzeptierten 17 Winnicott, Donald W., »Spielen - Schöpferisches Handeln und die Suche nach dem Selbst«, in: ders., Vom Spiel zur Kreativität, a.a.O., S. 65 ff. (bes.: S. 66 f.); vgl. darüber hinaus v.a.: ders., »Die Fähigkeit zum Allein­ sein«, in: ders., Reifungsprozesse und fördernde Umwelt, a.a.O., S. 36 ff.

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Außenwelt an; zum ersten Mal wird es sich jetzt, wie gesagt, seiner Abhängigkeit von ihrer Zuwendung bewußt werden müssen. Ist diese Liebe der Mutter dauerhaft und zuverläs­ sig, so vermag das Kind im Schatten ihrer intersubjektiven Verläßligkeit zugleich auch ein Vertrauen in die soziale Er­ füllung seiner eigenen Bedürfnisansprüche zu entwickeln; auf den psychischen Bahnen, die damit eröffnet sind, gelangt in ihm allmählich eine elementare »Fähigkeit zum Allein­ sein« zur Entfaltung. Winnicott führt die Fähigkeit des Kleinkindes, mit sich selber in dem Sinne allein sein zu kön­ nen, daß es entspannt »sein eigenes personales Leben« zu entdecken beginnt, auf die Erfahrung der »fortwährenden Existenz einer zuverlässigen Mutter« zurück28: nur in dem Maße, in dem »ein gutes Objekt in der psychischen Realität des Individuums vorhanden ist«2’, kann es sich ohne die Angst des Verlassenwerdens auf seine inneren Impulse ein­ lassen und ihnen auf eine erfahrungsoffene, kreative Weise nachzugehen versuchen. Die Konzentrationsverlagerung auf jenen Teil des eigenen Selbst, den Mead »Ich« genannt hatte, setzt daher ein Ver­ trauen darauf voraus, daß die geliebte Person auch dann ihre Zuneigung aufrechterhält, wenn ihr die eigene Aufmerksam­ keit entzogen wird; diese Sicherheit ist ihrerseits aber wie­ derum nur die nach außen gerichtete Seite einer gewachsenen Zuversicht, daß die eigenen Bedürfnisse durch den anderen dauerhaft Erfüllung finden, weil sie für ihn von einzigarti­ gem Wert sind. Insofern ist die »Fähigkeit zum Alleinsein« der praktische Ausdruck einer Form der individuellen Selbstbeziehung, wie sie Erikson unter dem Titel des »Selbstvertrauens« zusammengefaßt hat: das Kleinkind ge­ langt dadurch, daß es sich der mütterlichen Liebe sicher wird, zu einem Vertrauen in sich selber, das es ihm ermög­ licht, sorglos mit sich allein zu sein. In einer eher kryptischen Nebenbemerkung, wie sie für ihn 28 Ebd., S. 42. 29 Ebd., S. 39f.

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1 typisch sind, stellt Winnicott nun die Behauptung auf, daß ein solches kommunikativ geschütztes Alleinseinkönnen der Stoff ist, »aus dem Freundschaft gemacht ist«30; gemeint ist damit wohl, daß jede starke Gefühlsbindung zwischen Men­ schen wechselseitig die Chance eröffnet, sich so situations­ vergessen und entspannt auf sich selber zu beziehen, wie es dem Säugling möglich ist, wenn er sich auf die emotionale Zuwendung der Mutter verlassen kann. Dieser Hinweis läßt sich als eine systematische Aufforderung verstehen, in der geglückten Beziehung zwischen Mutter und Kind das Inter­ aktionsmuster ausfindig zu machen, dessen gereifte Wieder­ holung auf der Stufe des Erwachsenenlebens ein Indikator dafür ist, daß affektive Bindungen an andere Menschen ge­ lungen sind. Wir versetzen uns dadurch methodisch in die Lage, aus Winnicotts Analysen des frühkindlichen Reifungs­ prozesses theoretische Rückschlüsse auf die kommunikative Struktur zu ziehen, die die Liebe zu einem besonderen Ver­ hältnis der wechselseitigen Anerkennung macht. Auszugehen ist dann von der Hypothese, daß alle Liebesbe­ ziehungen von der unbewußten Rückerinnerung an jenes ursprüngliche Verschmelzungserlebnis angetrieben werden, das die ersten Lebensmonate von Mutter und Kind geprägt hatte; der innere Zustand symbiotischen Einsseins formt das Erfahrungsschema vollständigen Zufriedenseins auf so ein­ schneidende Weise, daß er zeitlebens hinter dem Rücken der Subjekte den Wunsch wachhält, mit einer anderen Person verschmolzen zu sein. Zum Gefühl der Liebe wird dieser Verschmelzungswunsch allerdings erst, wenn er durch das unvermeidliche Erlebnis der Trennung soweit enttäuscht worden ist, daß in ihn von nun an die Anerkennung des anderen als eine unabhängige Person konstitutiv miteinbe­ zogen ist; nur die zerbrochene Symbiose läßt zwischen zwei Menschen jene produktive Balance zwischen Abgrenzung und Entgrenzung entstehen, die für Winnicott zur Struktur einer durch wechselseitige Desillusionierung gereiften Lie30 Ebd., S. 42.

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besbeziehung gehört. Darin bildet das Alleinseinkönnen den subjektbezogenen Pol einer intersubjektiven Spannung, de­ ren entgegengesetzter Pol die Fähigkeit zur entgrenzenden Verschmelzung mit dem anderen ist. Der Akt der wechsel­ seitigen Entgrenzung, in dem die Subjekte sich als miteinan­ der versöhnt erfahren, kann dabei je nach Art der Bindung die unterschiedlichsten Gestalten annehmen: in Freund­ schaften mag es das gemeinsame Erlebnis eines selbstverges­ senen Gesprächs oder eines vollkommen ungezwungenen Beisammenseins sein, in erotischen Beziehungen ist es die sexuelle Vereinigung, durch die der eine sich mit dem ande­ ren differenzlos versöhnt weiß. In jedem Fall aber bezieht der Prozeß der Verschmelzung die Bedingung seiner Mög­ lichkeit überhaupt nur aus der entgegengesetzten Erfahrung des sich stets wieder in seinen Grenzen konturierenden An­ deren; allein, weil die geliebte Person durch die Sicherheit der Zuwendung erneut die Kraft gewinnt, im entspannten Rückbezug sich für sich selber öffnen zu können, wird sie zu dem selbständigen Subjekt, mit dem das Einssein als eine wechselseitige Entgrenzung erlebt werden kann. Insofern bezeichnet die Anerkennungsform der Liebe, die Hegel als ein »Seinselbstsein in einem Fremden« beschrieben hatte, nicht einen intersubjektiven Zustand, sondern einen kom­ munikativen Spannungsbogen, der die Erfahrung des Al­ leinseinkönnens kontinuierlich mit der des Verschmolzen­ seins vermittelt; die »Ich-Bezogenheit« und die Symbiose stellen darin sich wechselseitig fordernde Gegengewichte dar, die zusammengenommen erst ein reziprokes Beisichselbstsein im Anderen ermöglichen. Diese Schlußfolgerungen verlieren ein wenig ihren spekula­ tiven Charakter, wenn die psychoanalytischen Überlegun­ gen miteinbezogen werden, in denen Jessica Benjamin pathologische Verformungen der Liebesbeziehung unter­ sucht hat. Auch sie macht sich die Theorie der Objektbezie­ hung zu eigen, um aus den Erkenntnissen über die gelungene Verlaufsform der Trennung von Mutter und Kind Rück17°

Schlüsse auf die Interaktionsstruktur zu ziehen, die zu einer geglückten Bindung zwischen Erwachsenen gehört; dabei ist ihr aber vor allem daran gelegen, die Dynamik jener Verzer­ rungen des Liebesverhältnisses zu verstehen, die mit den klinischen Begriffen des »Masochismus« und des »Sadis­ mus« belegt worden sind.31 Als der Vorteil eines anerken­ nungstheoretischen Konzepts der Liebe, wie es hier im Anschluß an Winnicott entwickelt wurde, erweist sich dann die Möglichkeit, solche Formen des Mißlingens systematisch als Vereinseitigungen in die Richtung von einem der beiden Pole der Anerkennungsbalance zu begreifen: die Reziprozi­ tät des intersubjektiven Spannungsgefüges ist in pathologi­ schen Fällen dadurch gestört, daß eines der beteiligten Subjekte sich entweder aus dem Zustand der ichzentrierten Selbständigkeit oder aus dem der symbiotischen Abhängig­ keit nicht mehr zu lösen vermag. Vereinseitigungen dieser Art unterbrechen, wie Benjamin zeigen kann, den kontinu­ ierlichen Wechsel zwischen Ich-Bezogenheit und Entgren­ zung, indem sie an seine Stelle ein starres Schema der wechselseitigen Ergänzung setzen: die symbiotisch gespeiste Abhängigkeit des einen Partners in der Liebesbeziehung ver­ hält sich dann schließlich komplementär zu den aggressiv getönten Allmachtsphantasien, auf die der andere Partner fixiert ist.32 Für Jessica Benjamin steht es natürlich außer Frage, daß diese Verzerrungen der Anerkennungsb^lance auf psychische Störungen zurückzuführen sind, deren gemein­ same Ursache in einer Fehlentwicklung der Ablösung des Kindes von der Mutter liegt; dabei kann sie sich auf thera­ peutische Befunde stützen, wie sie etwa Otto F. Kernberg in seinen psychoanalytischen Untersuchungen zur »Pathologie des Liebeslebens« vorgelegt hat.33

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31 Jessica Benjamin, Die Fesseln der Liebe, a.a.O., bes. 2. Kapitel

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(S. $3 ff.). 32 Ebd., S. 66ff. 33 Otto F. Kemberg, Objektbeziehxng und Praxis der Psychoanalyse, Stutt­ gart 1985, Kap. 7 und 8.

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Freilich sind hier nicht die Inhalte einer solchen genetischen Herleitung im einzelnen von Interesse, sondern nur der Um­ stand, daß ihr Gegenstand überhaupt Störungen im Bezie­ hungsverhältnis sind, die sich in Kategorien der wechselsei­ tigen Anerkennung messen lassen: wenn nämlich ein Kriteriumdessen, was anaffektiven Bindungenals eine Abweichung gelten muß, aus der Idee einer mißlungenen Reziprozität von Spannungszuständen abzuleiten ist, dann erweist sich daran umgekehrt auch die empirische Triftigkeit eines Begriffs der Liebe, der anerkennungstheoretisch gefaßt ist. Die Möglichkeit, das klinische Material über Beziehungspa­ thologien im Sinne der strukturellen Vereinseitigung einer Anerkennungsbalance zu reinterpretieren, belegt von thera­ peutischer Seite die Vorstellung, daß die Liebesbeziehung idealerweise eine durch Anerkennung gebrochene Symbiose darstellt; jedes auffällige Muster einer instrumentell verein­ seitigten Beziehungskonstellation, auf die Sartre in seiner phänomenologischen Analyse das Liebesverhältnis über­ haupt reduziert hat,34 kann dementsprechend als eine psy­ choanalytisch erklärbare Abweichung von einem Interak­ tionsideal gelten, an dem wir mit guten Gründen festhalten können. Weil dieses Anerkennungsverhältnis zudem einer Art von Selbstbeziehung den Weg bereitet, in der die Sub­ jekte wechselseitig zu einem elementaren Vertrauen in sich selber gelangen, geht es jeder anderen Form der reziproken Anerkennung sowohl logisch als auch genetisch voraus: jene Grundschicht einer emotionalen Sicherheit nicht nur in der Erfahrung, sondern auch in der Äußerung von eigenen Be­ dürfnissen und Empfindungen, zu der die intersubjektive Erfahrung von Liebe verhilft, bildet die psychische Voraus­ setzung für die Entwicklung aller weiteren Einstellungen der Selbstachtung.35 34 Vgl. Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänome­ nologischen Ontologie, Hamburg 1962, III. Teil, 3. Kap. (S. 464 ff.). 35 Zu Selbstvertrauen als psychischem Resultat der Erfahrung von Liebe vgl. u.a.: John Bowlby, Das Glück und die Trauer. Herstellung und Lösung

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(2) Wenn die Liebe eine durch wechselseitige Individuierung gebrochene Symbiose darstellt, dann ist das, was in ihr an der jeweils anderen Person Anerkennung findet, offenbar nur ihre individuelle Unabhängigkeit; es könnte daher das Trug­ bild entstehen, als sei das Liebesverhältnis allein durch eine Art der Anerkennung ausgezeichnet, die den Charakter ei­ ner kognitiven Akzeptierung der Selbständigkeit des Ande­ ren besitzt. Daß dem nicht so sein kann, geht schon daraus hervor, daß jene Freigabe zur Unabhängigkeit von einem affektiven Vertrauen in die Kontinuität der gemeinsamen Zuwendung getragen sein muß; ohne die gefühlsmäßige Si­ cherheit, daß die geliebte Person auch nach der erneuten Verselbständigung ihre Zuneigung aufrechterhält, wäre dem liebenden Subjekt die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit gar nicht möglich. Weil diese Erfahrung im Verhältnis der Liebe wechselseitig sein muß, bezeichnet Anerkennung hier den doppelten Vorgang einer gleichzeitigen Freigabe und emotionalen Bindung der anderen Person; nicht eine kogni­ tive Respektierung, sondern eine durch Zuwendung beglei­ tete, ja unterstützte Bejahung von Selbständigkeit ist also gemeint, wenn von der Anerkennung als einem konstituti­ ven Element der Liebe die Rede ist. Jedes Liebesverhältnis, ob nun das zwischen Eltern und Kind, der Freundschaft oder der Intimbeziehung, ist dadurch an die individuell unverfüg­ bare Voraussetzung von Sympathie und Anziehung gebunaffektiver Bindungen, Stuttgart 1982, Kap. 6; Erik H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, Frankfun am Main 1974, S. 6zff; wenig ergiebig, ob­ wohl im Titel vielversprechend, ist: Nathaniel Branden, The Psychology of Self-Esteem, Los Angeles, 1969. Kapitel XI dieses Bandes trägt die Über­ schrift »Self-Esteem and Romantic Love«, bleibt aber sowohl kategorial als auch in der Phänomenerfassung vollkommen unklar. Einen wichtigen, philosophischen Beitrag zur Analyse von Primärbeziehungen wie Liebe und Freundschaft liefert jetzt hingegen: Paul Gilbert, Human Relation­ ships. A Philosophical Introduction, Oxford 1991 (u.a. Kap. 2 u. 4); eine psychoanalytisch orientierte Darstellung der Liebe als Beziehungsmuster hat jetzt zudem vorgelegt: Martin S. Bergmann, The Anatomy of Loving, New York 1987, bes. Teil II, S. 141 ff.

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den; über den sozialen Kreis von primären Sozialbeziehun­ gen hinaus läßt es sich, weil positive Gefühle gegenüber anderen Menschen unwillkürliche Regungen sind, nicht be­ liebig auf eine größere Zahl von Interaktionspartnern über­ tragen. Obwohl der Liebe deswegen stets ein notwendiges Element des moralischen Partikularismus innewohnen wird, hat Hegel gleichwohl recht daran getan, in ihr den struktu­ rellen Kern aller Sittlichkeit zu vermuten: denn erst jene symbiotisch gespeiste Bindung, die durch wechselseitig ge­ wollte Abgrenzung entsteht, schafft das Maß an individuel­ lem Selbstvertrauen, das für die autonome Teilnahme am öffentlichen Leben die unverzichtbare Basis ist. Von der Anerkennungsform der Liebe, wie wir sie hier mit Hilfe der Theorie der Objektbeziehung dargelegt haben, un­ terscheidet sich nun das Rechtsverhältnis in so gut wie allen entscheidenden Hinsichten; beide Interaktionssphären sind als zwei Typen ein und des gleichen Musters der Vergesell­ schaftung überhaupt nur deswegen zu begreifen, weil sich ihre jeweilige Logik ohne Rückgriff auf denselben Mecha­ nismus der reziproken Anerkennung gar nicht angemessen erklären läßt. Für das Recht haben Hegel und Mead einen solchen Zusammenhang an dem Umstand abgelesen, daß wir zu einem Verständnis unserer selbst als eines Trägers von Rechten nur dann gelangen können, wenn wir umgekehrt ein Wissen darüber besitzen, welche normativen Verpflichtun­ gen wir dem jeweils anderen gegenüber einzuhalten haben: erst aus der normativen Perspektive eines »generalisierten Anderen«, der uns die anderen Mitglieder des Gemeinwe­ sens bereits als Träger von Rechten anzuerkennen lehrt, können wir uns selber auch als Rechtsperson in dem Sinne verstehen, daß wir uns der sozialen Erfüllung bestimmter unserer Ansprüche sicher sein dürfen. Mit wünschenswerter Klarheit hat Hegel diese notwendige Verschränkung, die ihn ebenso wie Mead das Rechtsverhält­ nis als eine Form der wechselseitigen Anerkennung begrei­ fen läßt, in seinen späteren Jahren noch einmal in der 174

Zusammenfassung der »Enzyklopädie« zur Darstellung ge­ bracht: »Im Staat... wird der Mensch als vernünftiges We­ sen, als frei, als Person anerkannt und behandelt; und der Einzelne seinerseits macht sich dieser Anerkennung dadurch würdig, daß er, mit Überwindung der Natürlichkeit seines Selbstbewußtseins, einem Allgemeinen, dem an und für sich seienden Willen, dem Gesetze gehorcht, also gegen andere sich auf eine allgemein gültige Weise benimmt, sie als das anerkennt, wofür er selber gelten will - als frei, als Person. «36 Allerdings macht die Formulierung durch die Verwendung des Prädikats »frei« auch deutlich, daß Hegel mit der Aner­ kennungsform des Rechts stets schon die spezifische Verfas­ sung moderner Rechtsverhältnisse meint, weil nur deren Anspruch sich dem Prinzip nach auf alle Menschen als glei­ che und freie Wesen erstreckt; ihm ist an dem Nachweis gelegen, daß sich die individuelle Autonomie des Einzelnen einem besonderen, im positiven Recht verkörperten Modus der reziproken Anerkennung verdankt, während Mead in seinem Begriff des »generalisierten Anderen« zunächst nur an der Logik der rechtlichen Anerkennung als solcher inter­ essiert war. Diese Differenz, die wir in unserer theoriege­ schichtlichen Rekonstruktion bislang vernachlässigt haben, muß zumindest in groben Umrissen geklärt sein, bevor die Frage beantwortet werden kann, welcher spezifische Typ von Anerkennung und entsprechender Selbstbeziehung im Rechtsverhältnis strukturell angelegt ist; denn an der Unter­ scheidung von traditionsgebundenem und posttraditionalem ‘ Recht wird deutlich, daß sich die besondere Reziprozitäts­ form der rechtlichen Anerkennung, anders als diejenige der Liebe, erst infolge einer historischen Entwicklung hat her­ ausbilden können. An der Sozialpsychologie Meads hatte sich gezeigt, daß mit dem Begriff der »rechtlichen Anerkennung« zunächst nur 36 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, in: Werke: in 20 Bänden, hg. Karl Markus Michel/Eva Moldenhauer, Frankfurt am Main 1970, Bd. io, S. 221 ff.

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jenes Verhältnis bezeichnet wird, in dem Alter und Ego sich deswegen wechselseitig als Rechtssubjekte achten, weil sie gemeinsam um die sozialen Normen wissen, durch die in ihrem Gemeinwesen Rechte und Pflichten legitim verteilt sind. Eine solche Bestimmung enthält aber weder Angaben über die Art der Rechte, die dem einzelnen individuell zu­ stehen, noch über den Begründungsmodus, kraft dessen sie innerhalb der Gesellschaft erzeugt werden; gemeint ist viel­ mehr nur der elementare Tatbestand, daß jedes menschliche Subjekt dann als Träger irgendwelcher Rechte gelten kann, wenn es als Mitglied eines Gemeinwesens gesellschaftlich anerkannt ist: aus der sozial akzeptierten Rolle des Mitglieds eines arbeitsteilig organisierten Sozialverbandes ergeben sich für den einzelnen bestimmte Rechte, deren Einhaltung er im Normalfall durch Anrufung einer mit Autorität ausgestatte­ ten Sanktionsgewalt einklagen kann.37 Dieser äußerst schwa­ che Begriff einer Rechtsordnung ist geeignet, die allgemeinen Eigenschaften kenntlich zu machen, die der rechtlichen An­ erkennung in traditionalen Gesellschaften zukommen: so­ lange die legitimen Ansprüche des Einzelnen noch nicht mit den universalistischen Prinzipien einer postkonventionellen Moral aufgeladen sind, bestehen sie im Prinzip nur aus den Befugnissen, die ihm kraft seines Status als Mitglied eines konkreten Gemeinwesens zufallen. Weil Mead sich in sei­ nem Begriff des generalisierten Anderen erst einmal auf eine solche elementare Ordnung von kooperativen Rechten und Pflichten bezieht, hat er mit guten Gründen der rechtlichen Anerkennung nur einen geringen normativen Gehalt bei­ messen können: das, was am einzelnen Subjekt hier inter­ subjektiv zur Anerkennung gelangt, ist allein seine legitime Mitgliedschaft in einem arbeitsteilig organisierten Sozialver­ band. Auch eine derartige, traditionale Form der rechtlichen Anerkennung räumt, wie wir gesehen haben, dem Subjekt 37 Vgl. Überblickshaft: Leopold Pospisvil, Anthropologie des Rechts. Recht und Gesellschaft in archaischen und modernen Kulturen, München 1982, Kap. Ill, S. 65 ff.

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bereits einen gesellschaftlichen Schutz seiner menschlichen »Würde« ein; aber diese ist noch vollkommen mit der so­ zialen Rolle fusioniert, die ihm im Rahmen einer weitgehend ungleichen Verteilung von Rechten und Lasten zu­ kommt. Die Struktur, an der Hegel seine Bestimmungen der Rechts­ person ablesen kann, nimmt hingegen die Anerkennungs­ form des Rechts erst dann an, wenn sie historisch von den Prämissen universalistischer Moralprinzipien abhängig wird. Mit dem Übergang zur Moderne dringen nämlich die postkonventionellen Grundbegriffe, die schon vorher in der Philosophie und der Staatstheorie entwickelt worden waren, in das geltende Recht ein und unterwerfen es den Begrün­ dungszwängen, die mit der Idee einer rationalen Vereinba­ rung über strittige Normen verknüpft sind; das Rechtssy­ stem muß von nun an als Ausdruck der verallgemeinerbaren Interessen aller Gesellschaftsmitglieder verstanden werden können, so daß es seinem Anspruch nach keine Ausnahmen und Privilegierungen mehr zulassen darf.38 Weil damit eine Bereitschaft zur Befolgung rechtlicher Normen von den In­ teraktionspartnern nur noch dann erwartet werden kann, wenn sie ihnen im Prinzip als freie und gleiche Wesen haben zustimmen können, wandert in das Anerkennungsverhältnis des Rechts eine neue, höchst anspruchsvolle Form der Re­ ziprozität ein: die Rechtssubjekte erkennen sich dadurch, daß sie dem gleichen Gesetz gehorchen, wechselseitig als Personen an, die in individueller Autonomie über moralische Normen vernünftig zu entscheiden vermögen. Anders als die Bestimmungen Meads, treffen daher diejenigen Hegels auf die soziale Rechtsordnung nur in dem Maße zu, in dem diese sich von der selbstverständlichen Autorität sittlicher Tradi­ tionen hat lösen können und auf ein universalistisches Be­ gründungsprinzip umgestellt worden ist. 38 Vgl. Habermas, Jürgen, »Überlegungen zum evolutionären Stellenwert des modernen Rechts«, in: ders., Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfun am Main 1976, S. aéoff.

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Aus dieser Unterscheidung ergeben sich nun zwei Fragen, die beide die Struktureigenschaften betreffen, die die recht­ liche Anerkennung unter den Bedingungen moderner Rechtsverhältnisse angenommen hat. Zum einen bedarf es der Klärung, welchen Charakter eine Form der Anerken­ nung aufweisen muß, die an allen anderen Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft dieselbe Eigenschaft der individuellen Autonomie zur Geltung bringt; schon vom jungen Hegel war zu lernen gewesen, daß ein solcher Typ der universalisti­ schen Achtung nicht mehr als eine emotionsgebundene Ein­ stellung, sondern nur als eine rein kognitive Verstehenslei­ stung zu begreifen ist, die den affektiven Regungen geradezu interne Schranken setzt; insofern wird zu erläutern sein, wie ein Typ von Achtung beschaffen sein kann, der sich zwar einerseits von Gefühlen der Sympathie und Zuneigung gelöst haben soll, andererseits aber doch das individuelle Verhalten steuern können muß. Zum anderen muß die Frage beantwortet werden, was es heißen kann, daß sich die Subjekte unter Bedingungen mo­ derner Rechtsverhältnisse reziprok in ihrer moralischen Zurechnungsfähigkeit anerkennen; mit einer solchen Ei­ genschaft, die alle Subjekte teilen sollen, können nicht menschliche Fähigkeiten gemeint sein, die in ihrem Um­ fang oder ihrem Inhalt ein für allemal festgelegt sind; es wird sich vielmehr zeigen, daß aus der prinzipiellen Unbestimmt­ heit dessen, was den Status einer zurechnungsfähigen Person ausmacht, eine strukturelle Offenheit des modernen Rechts für schrittweise Erweiterungen und Präzisierungen resul­ tiert. Beide Fragen sind nicht auf demselben Weg einer Rückver­ sicherung in einem empirischen Forschungszweig zu klären, der uns bei der Erläuterung der Anerkennungsform der Liebe offengestanden hat; statt dessen muß ich mich hier damit begnügen, die Antworten mit Hilfe einer empirisch gesicherten Begriffsanalyse zu umreißen. Wenn jene knappe Beschreibung zutreffend ist, wonach sich mit dem Übergang

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zur Moderne die individuellen Rechte von konkreten Rol­ lenerwartungen lösen, weil sie von nun an im Prinzip jedem Menschen als freiem Wesen in gleichem Maße zukommen müssen, dann ist damit bereits ein indirekter Hinweis auf den neuen Charakter der rechtlichen Anerkennung gegeben. Für die traditionsgebundenen Rechtsverhältnisse können wir als gesichert annehmen, daß die Anerkennung als Rechtsperson hier in gewisser Weise noch mit der sozialen Wertschätzung verschmolzen ist, die dem einzelnen Gesellschaftsmitglied in seinem gesellschaftlichen Status gilt: die konventionelle Sitt­ lichkeit solcher Gemeinwesen bildet einen normativen Ho­ rizont, in dem die Mannigfaltigkeit individueller Rechte und Pflichten an die unterschiedlich bewerteten Aufgaben inner­ halb des sozialen Kooperationsgefüges gebunden bleibt. Ist die rechtliche Anerkennung daher noch graduell gemäß der jeweiligen Wertschätzung abgestuft, die der Einzelne als Rollenträger genießt, so löst sich dieser Zusammenhang erst in Folge des historischen Prozesses auf, der die Rechtsver­ hältnisse den Forderungen einer postkonventionellen Moral unterwirft; nunmehr spaltet sich die Anerkennung als Rechtsperson, die jedem Subjekt der Idee nach in gleichem Maße gelten muß, von dem Grad der sozialen Wertschät­ zung soweit ab, daß zwei verschiedene Formen der Achtung entstehen, deren Funktionsweisen auch nur gesondert zu analysieren sind. Der damit umrissene Sachverhalt spiegelt sich in den Diskussionen wider, die seit den Tagen Kants und Schillers über die Idee des Respekts oder der Achtung für andere Personen geführt worden sind5’; in deren Verlauf hat sich nämlich die Tendenz herausgeschält, zwischen zwei Bedeutungsaspekten von »Achtung« genau die Trennungsli­ nie zu ziehen, die historisch erst mit der Abkoppelung der rechtlichen Anerkennung von der sozialen Wertschätzung entstanden ist. Im Zusammenhang des »Rechts« haben wir

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.1 39 Vgl. exemplarisch: Aron Gurewitsch, Zur Geschichte des Achtungsbe­ griffs und zur Theorie der sittlichen Gefühle, Würzburg 1897.

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uns dabei zunächst vor allem mit der ersten Verwendungs­ weise des Begriffs zu beschäftigen, während für die Erläu­ terung der Anerkennungsform der »Wertgemeinschaft« gerade der zweite Bedeutungsaspekt von Interesse sein wird. Schon Rudolph von Ihering hat gegen Ende des letzten Jahr­ hunderts am Begriff der »Achtung« eine Unterscheidung vorgenommen, die der historischen Entkoppelung von rechtlicher Anerkennung und sozialer Wertschätzung weit­ gehend entgegenkommt.40 Im zweiten Band seines Buches über den »Zweck im Recht«, das vor allem aus metho­ dologischen Gründen auf die Entwicklung der Rechtswis­ senschaften großen Einfluß nehmen sollte, entfaltet er den kategorialen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Verhaltensformen, die zur »sittlichen« Integration einer Ge­ sellschaft beitragen können; weil sich derartige Handlungs­ muster für ihn vornehmlich aus Bekundungen der wechsel­ seitigen Anerkennung und Ehrerbietung zusammensetzen, muß er in diesem Kontext den Versuch unternehmen, Typen der sozialen Achtung unter systematischen Gesichtspunkten voneinander abzuheben. Die elementare Zweiteilung, zu der Ihering in seiner Begriffsanalyse gelangt, ergibt sich aus den verschiedenen Möglichkeiten der Beantwortung der Frage, was an einem anderen Menschen geachtet werden kann: in der »rechtlichen Anerkennung«, wie es auch in seinem Text schon heißt, kommt zum Ausdruck, daß jedes menschliche Subjekt unterschiedslos als ein »Zweck an sich« gelten muß, wohingegen die »soziale Achtung« den »Wert« eines Indivi­ duums hervorhebt, soweit er sich in Kriterien der gesell­ schaftlichen Relevanz intersubjektiv messen läßt.41 Im ersten Fall haben wir es, so verrät der Gebrauch der kantischen Formel, mit einem universellen Respekt vor der »Willens40 Rudolph von Ihering, Der Zweck im Recht. Zweiter Band, Leipzig 1905.

41 Ebd., S. 389 ff.

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Freiheit der Person« zu tun, im zweiten Fall dagegen mit der Anerkennung von individuellen Leistungen, deren Wert sich an dem Grad bemißt, in dem sie von einer Gesellschaft als bedeutungsvoll erfahren werden. Daher verträgt die rechtli­ che Anerkennung eines Menschen als Person keine weitere Abstufung, während die Wertschätzung seiner Eigen­ schaften und Fähigkeiten zumindest implizit auf einen Maß­ stab verweist, anhand dessen ihr Mehr oder Weniger zu bestimmen sein muß.42 Für Ihering haben diese Unterschei­ dungen nun vor allem die Funktion, eine theoretisch infor­ mierte Analyse der Sitten und Gebräuche zu erlauben, in denen die soziale Wertschätzung historisch hat Gestalt annehmen können; weil seine Betrachtungen den damit ge­ setzten Rahmen aber nicht überschreiten, muß auch die Frage unbeantwortet bleiben, wie die Struktur der recht­ lichen Anerkennung im einzelnen angemessen zu bestim­ men ist. Hier können die Überlegungen weiterhelfen, mit denen heute innerhalb der analytischen Philosophie der Versuch unternommen wird, verschiedene Formen der Achtung zwischen Menschen begrifflich klarer voneinander abzugrenzen. Daß wir einen Menschen als Person anerkennen können, ohne ihn in seinen Leistungen oder seinem Charakter wert­ schätzen zu müssen, bildet das theoretische Argument, das zwischen der Studie Iherings und der gegenwärtigen Diskus­ sion die Brücke schlägt. Auch Stephen L. Darwall läßt sich von der Überzeugung leiten, daß wir zwei Formen der Ach­ tung anhand des Kriteriums unterscheiden müssen, ob sie evaluative Abstufungen voraussetzen oder umgekehrt ge­ rade ausschließen.43 Die Achtung eines Menschen als Person führt er zunächst auf eine Art von »recognition respect« zurück, weil es in ihr primär um die kognitive Anerkennung der Tatsache geht, daß es sich bei dem anderen um ein Wesen 42 Ebd., S. 405 ff. 43 Stephen L. Darwall, »Two Kinds of Respect«, in: Ethics SS (1977/78), S. 36 ff. 181

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mit personalen Eigenschaften handelt; insofern behält diese Form eines universalierten Respekts stets etwas von der Be­ deutung jener empirischen Zurkenntnisnahme bei, die be­ reits semantisch in dem Wort »Anerkennung« steckt.''4 Aber erst, wenn zu der Situationsdeutung ein praktisches Wissen um die Beschränkungen hinzutritt, die ich meinen Handlun­ gen gegenüber einer menschlichen Person auferlegen muß, wird aus der kognitiven Beachtung die moralische Achtung, die seit Kant mit dem Begriff gemeint ist: jeden anderen Menschen als eine Person anzuerkennen muß dann heißen, ihnen allen gegenüber in der Weise zu handeln, zu der uns die Eigenschaften einer Person moralisch verpflichten. Damit ist für unsere Frage zwar noch nicht allzuviel gewonnen, weil nun alles weitere davon abhängt, wie sich die normativ ver­ pflichtenden Eigenschaften einer Person bestimmen lassen, aber immerhin ist die Struktur der rechtlichen Anerkennung schon ein wenig durchsichtiger geworden: in ihr fließen gleichsam zwei Bewußtseinsoperationen zusammen, weil sie einerseits ein moralisches Wissen um die rechtlichen Ver­ pflichtungen voraussetzt, die wir autonomen Personen ge­ genüber einzuhalten haben, während uns aber andererseits erst eine empirische Situationsdeutung darüber informiert, ob es sich bei einem konkreten Gegenüber um ein Wesen mit der Eigenschaft handelt, die jene Verpflichtungen zur An­ wendung kommen lassen. Daher ist in die Struktur der rechtlichen Anerkennung, gerade weil sie unter modernen Bedingungen universalistisch verfaßt ist, die Aufgabe einer situationsspezifischen Anwendung unverbrüchlich eingelas­ sen: stets muß ein allgemeingültiges Recht im Lichte empi­ rischer Zustandsbeschreibungen daraufhin befragt werden, auf welchen Kreis von menschlichen Subjekten es deswegen Anwendung finden soll, weil sie zur Klasse der moralisch 44 Mit Bezug auf Darwalls Unterscheidung vgl. dazu: Andreas Wildt, »Recht und Selbstachtung, im Anschluß an die Anerkennungsichren von Fichte und Hegel«, in: Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis, hg. v. M.Kahlo u. a., Frankfurt 1992, S. 156 ff.

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zurechnungsfähigen Personen gehören. In dieser Zone an­ wendungsbezogener Situationsdeutungen ist, so werden wir sehen, in modernen Rechtsverhältnissen einer der Orte an­ gelegt, an denen ein Kampf um Anerkennung stattzufinden vermag.45 Von der Anerkennung der Person als solcher unterscheidet sich nun die Wertschätzung eines Menschen vor allem da­ durch, daß es in ihr nicht um die empirische Anwendung allgemeiner, intuitiv gewußter Normen geht, sondern um die graduelle Bewertung konkreter Eigenschaften und Fähigkei­ ten; daher setzt sie auch stets, wie Darwall in Übereinstim­ mung mit Ihering behauptet, ein evaluatives Bezugssystem voraus, das über den Wert solcher Persönlichkeitszüge auf einer Skala von Mehr oder Weniger, von Besser oder Schlechter informiert.46 Im Unterschied zu Ihering interes­ siert sich Darwall freilich nur für jene schmale Klasse von Wertschätzungen, die den moralischen Eigenschaften von Subjekten gelten; mit der Frage, welche Rolle diese beson­ dere Form einer moralischen Achtung im Insgesamt der sozialen Wertschätzung eines Menschen spielt, werden wir uns zu beschäftigen haben, sobald wir uns mit der Anerken­ nungsform der Wertgemeinschaft auseinandersetzen. Hier ist im Augenblick nur von Bedeutung, welche Schlußfolge­ rungen sich aus dem Vergleich zwischen der rechtlichen Anerkennung und der sozialen Wertschätzung vorläufig zie­ hen lassen: in beiden Fällen wird ja ein Mensch um bestimm­ ter Eigenschaften willen geachtet, im ersten Fall aber handelt es sich um diejenige allgemeine Eigenschaft, die ihn über­ haupt erst zur Person macht, im zweiten Fall hingegen um die besonderen Eigenschaften, die ihn im Unterschied zu anderen Personen charakterisieren. Daher ist für die recht­ liche Anerkennung die Frage zentral, wie jene konstitutive 45 Zu diesem Zusammenhang vgl. Albrecht Wellmer, Ethik und Dialog, Frankfurt am Main 1986, S. 122 ff. 46 Stephen L. Darwall, »Two Kinds of Respect«, a.a.O., S. 254.

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Eigenschaft von Personen als solchen bestimmt werden kann, während sich für die soziale Wertschätzung die Frage stellt, wie das evaluative Bezugssystem beschaffen ist, inner­ halb dessen sich der »Wert« der charakteristischen Eigen­ schaften einer Person messen läßt. In dieser Formulierung eines ersten Zwischenergebnisses ist das zweite Problem schon mitgenannt, das sich uns im Hin­ blick auf die Struktureigenschaften der rechtlichen Anerken­ nung aufgedrängt hatte: es muß die Fähigkeit bestimmt werden können, in der die Subjekte sich wechselseitig ach­ ten, wenn sie sich als Rechtspersonen anerkennen. Eine Antwort auf die damit gestellte Frage ist deswegen von um so größerem Gewicht, weil sie zugleich den Schlüssel für eine Analyse der Funktion bereithält, die die Zuerkennung von Rechten unter posttraditionalen Bedingungen übernimmt; nach ihrer Ablösung von Statuszuschreibungen muß deren Aufgabe allem Anschein nach nämlich vor allem darauf zu­ geschnitten sein, nicht nur den Besitz, sondern auch die Ausübung jener universalen Fähigkeit zu schützen und zu ermöglichen, die den Menschen überhaupt erst als Person charakterisiert. Welche allgemeine Eigenschaft es aber ist, die an den rechtsfähigen Subjekten geschützt werden soll, wird durch die neue Form der Legitimitation festgelegt, an die das moderne Recht seiner Struktur nach gebunden ist: wenn eine Rechtsordnung nur in dem Maße als gerechtfertigt gelten und mithin auf individuelle Folgebereitschaft rechnen kann, in dem sie sich im Prinzip auf die freie Zustimmung aller in sie einbezogenen Individuen zu berufen vermag, dann muß diesen Rechtssubjekten zumindest die Fähigkeit unter­ stellt werden können, in individueller Autonomie über mo­ ralische Fragen vernünftig zu entscheiden; ohne eine derar­ tige Zuschreibung wäre überhaupt nicht vorstellbar, wie die Subjekte sich jemals wechselseitig auf eine rechtliche Ord­ nung sollen geeinigt haben können. Insofern ist jede mo­ derne Rechtsgemeinschaft, allein weil ihre Legitimität von der Idee einer rationalen Übereinkunft zwischen gleichbe184

rechtigten Individuen abhängig wird, in der Annahme der moralischen Zurechnungsfähigkeit all ihrer Mitglieder ge­ gründet. Nun ist mit einer solchen Zuschreibung aber keine Eigen­ schaft bezeichnet, die in sich so klare Konturen hat, daß sie ein für allemal festgelegt zu werden vermag; was es heißen kann, daß ein Subjekt dazu befähigt ist, autonom aus ver­ nünftiger Einsicht zu handeln, ist vielmehr nur relativ zu einer Bestimmung dessen zu beantworten, was mit einem Verfahren der rationalen Übereinkunft gemeint ist: denn je nach dem, wie jene legitimierende Basisprozedur vorgestellt wird, haben sich auch die Eigenschaften zu ändern, die einer Person zugeschrieben werden müssen, wenn sie an ihr gleichberechtigt soll teilnehmen können. Die Festlegung der Fähigkeiten, die den Menschen konstitutiv als Person aus­ zeichnen, ist daher abhängig von Hintergrundannahmen darüber, welche subjektiven Voraussetzungen zur Teil­ nahme an einer rationalen Willensbildung befähigen: je an­ spruchsvoller ein solches Verfahren gedacht wird, desto umfassender müssen die Eigenschaften sein, die zusammen­ genommen die moralische Zurechnungsfähigkeit eines Sub­ jektes ausmachen. Der damit behauptete Zusammenhang gibt bereits zu erkennen, daß jene Fähigkeiten sich verändern können, in denen die Mitglieder einer Gesellschaft sich wechselseitig anerkennen, wenn sie einander als Rechtsper­ sonen achten; aber erst ein Blick auf die faktische Entwick­ lung, die die Zuerkennung subjektiver Rechte unter posttraditionalen Bedingungen genommen hat, läßt die Richtung transparent werden, der diese Veränderungen gefolgt sind. Die kumulative Erweiterung individueller Rechtsansprüche, mit der wir es in modernen Gesellschaften zu tun haben, läßt sich als ein Prozeß verstehen, in dem der Umfang der allge­ meinen Eigenschaften einer moralisch zurechnungsfähigen Person sich schrittweise vergrößert hat, weil unter dem Druck eines Kampfes um Anerkennung stets neue Voraus­ setzungen zur Teilnahme an der rationalen Willensbildung

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hinzugedacht werden mußten; auf eine ähnlich lautende These waren wir schon gestoßen, als wir der spekulativen Überlegung Hegels begegnet sind, derzufolge der Verbre­ cher die bürgerliche Rechtsordnung zu einer Erweiterung der Rechtsnormen um die Dimension der materiellen Chan­ cengleichheit zwingt. Innerhalb der Rechtswissenschaften ist es inzwischen selbst­ verständlich geworden, eine Unterscheidung der subjektiven Rechte in liberale Freiheitsrechte, politische Teilnahme­ rechte und soziale Wohlfahrtsrechte vorzunehmen; mit der ersten Kategorie sind die negativen Rechte gemeint, die die Person in Hinblick auf ihre Freiheit, ihr Leben und ihr Ei­ gentum vor unbefugten Eingriffen des Staates schützen, mit der zweiten Kategorie die positiven Rechte, die ihr in Hin­ blick auf die Teilnahme an Prozessen der öffentlichen Wil­ lensbildung zustehen, und mit der dritten Kategorie schließ­ lich jene ebenfalls positiven Rechte, die sie in fairer Weise an der Distribution von Grundgütern teilhaben lassen. Der An­ satz zu einer solchen Dreiteilung findet sich bereits bei Georg Jellinek, der in seiner einflußreichen Statustheorie ne­ ben den bloßen Gehorsamspflichten den negativen Status, den positiven Status und den aktiven Status einer Rechtsper­ son voneinander unterschieden hat; heute wird sie von Roben Alexy mit dem Ziel einer systematischen Begrün­ dung individueller Grundrechte weiterverfolgt.47 Für den Kontext unserer Argumentation ist aber erst von Bedeutung, daß dieselbe Unterscheidung auch dem berühmt geworde­ nen Versuch von T. H. Marshall zugrundeliegt, die histori­ sche Einebnung der sozialen Klassenunterschiede als einen gerichteten Prozeß der Erweiterung von individuellen Grundrechten zu rekonstruieren48; diese Analyse hat Talcott Parsons in den Rahmen seiner reifen Gesellschaftstheorie 47 Roben Alexy, Theorie der Grundrechte, Frankfurt am Main 1986, bes. 4. Kapitel;zur Statustheorie von Jellinek vgl. ebd., S. 229ff. 48 Marshall, Thomas H., «Citizenship and Social Class«, in: ders., Sociology at the Crossroads, London 1963, S. 67 ff.

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aufgenommen, indem er sie zum Bezugspunkt einer Darstel­ lung der Entwicklung des modernen Rechts gemacht hat.49 Marshall geht von jener bereits geschilderten Umbruchssi­ tuation aus, an der sich die elementare Unterscheidung zwischen traditionalen und modernen Rechtsverfassungen bemißt: erst mit der Abkoppelung individueller Rechtsan­ sprüche von sozialen Statuszuschreibungen entsteht der all­ gemeine Gleichheitsgrundsatz, der von nun an jede Rechts­ ordnung dem Postulat unterwirft, im Prinzip keine Ausnah­ men und Privilegierungen mehr zuzulassen. Weil diese Forderung sich auf die Rolle bezieht, die der einzelne als Staatsbürger innehat, nimmt mit ihr die Idee der Gleichheit zugleich die Bedeutung der »vollwertigen« Mitgliedschaft in einem politischen Gemeinwesen an: unabhängig von Unter­ schieden im Maß der ökonomischen Verfügungsgewalt ste­ hen jedem Mitglied der Gesellschaft all die Rechte zu, die ihm zur gleichberechtigten Wahrnehmung seiner staatsbür­ gerlichen Belange verhelfen. Das Interesse Marshalls gilt nun dem Entwicklungsdruck, unter den die individuellen Grundrechte geraten mußten, nachdem sie einmal einer der­ artigen Gleichheitsforderung unterworfen worden waren; der sozial erkämpfte Zwang, ihr rechtlich Genüge zu leisten, hat nämlich den Bestand an subjektiven Rechtsansprüchen bis zu einem Grade anwachsen lassen, daß am Ende auch die vorpolitischen, ökonomischen Ungleichheiten nicht voll­

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kommen unangetastet bleiben konnten. Marshall begründet seine These, aus der Aufschlüsse darüber zu gewinnen sind, wie sich der Anerkennungsgehalt des mo­ dernen Rechts schrittweise erweitert hat, in Form einer historischen Rekonstruktion50; in deren Rahmen gelangt jene rechtstheoretische Unterscheidung zur Anwendung,

49 Talcott Parsons, Das System moderner Gesellschaften, München 1982, u.a. Kap. 2 und 5. 50 Vgl. zum folgenden Marshall, »Citizenship and Social Class«, a.a.O., bes. S. 73 ff. .87

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derzufolge sich die Menge aller subjektiven Rechtsansprüche systematisch in drei Klassen aufteilen läßt. Marshall gibt die­ ser Dreiteilung eine historische Wendung, deren gröbste Fassung lautet, daß die Herausbildung der liberalen Frei­ heitsrechte in das achtzehnte, die Etablierung der politischen Teilnahmerechte in das neunzehnte und die Schaffung von sozialen Wohlfahrtsrechten schließlich in das zwanzigste Jahrhundert gefallen sind; wichtig an seiner suggestiven, im folgenden noch verfeinerten Periodisierung ist für unsere Zwecke freilich nur der Nachweis, daß die Durchsetzung jeder neuen Klasse von Grundrechten historisch stets mit Argumenten erzwungen worden ist, die implizit auf die For­ derung nach vollwertiger Mitgliedschaft im politischen Ge­ meinwesen bezogen waren. So entstanden politische Teil­ nahmerechte zunächst nur als ein Sekundärprodukt jener liberalen Freiheitsrechte, die in nicht geringem Umfang be­ reits im achtzehnten Jahrhundert zumindest dem männli­ chen Teil der erwachsenen Bevölkerung zugestanden wor­ den waren: einen positiven Anspruch auf die Teilnahme am politischen Willensbildungsprozeß besaß zu Beginn nur der rechtlich freie Staatsbürger, der ein gewisses Maß an Einkommen oder Besitz aufweisen konnte. Zu einer ge­ sonderten Klasse von allgemeinen Grundrechten wurden die bislang statusgebundenen Teilnahmerechte hingegen erst, als sich mit ihrer partiellen Erweiterung und Aushöh­ lung das rechtspolitische Klima schließlich so gewandelt hatte, daß den Gleichheitsforderungen der ausgeschlosse­ nen Gruppen kein überzeugendes Argument mehr entge­ genzusetzen war; in die ersten Dekaden des zwanzigsten Jahrhunderts fällt der Augenblick, in dem sich endgültig die Überzeugung durchgesetzt hat, daß jedem Mitglied eines politischen Gemeinwesens das gleiche Recht auf Partizi­ pation am demokratischen Willensbildungsprozeß zukom­ men muß. Wie die politischen Teilnahmerechte, so entstehen auch die sozialen Wohlfahrtsrechte infolge einer »von unten« er188

zwungenen Erweiterung der Bedeutung, die mit der Idee der »Vollwertigkeit« einer Mitgliedschaft im politischen Ge­ meinwesen verknüpft ist. Zur Vorgeschichte dieser Katego­ rie von Grundrechten gehört der Kampf, der in einigen Ländern im neunzehnten Jahrhundert um die Einführung der allgemeinen Schulpflicht geführt worden ist; sein Ziel war es, nicht das Kind, sondern den zukünftigen Erwachse­ nen mit dem Maß an kultureller Bildung auszustatten, das zur gleichberechtigten Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte die notwendige Voraussetzung ist. Von hier aus konnte es im Prinzip nicht mehr weit zu der Einsicht sein, daß die politischen Teilnahmerechte solange ein nur formales Zugeständnis an die Masse der Bevölkerung bleiben müssen, wie die Chance zu ihrer aktiven Wahrnehmung nicht durch einen bestimmten Grad an sozialem Lebensstandard und ökonomischer Sicherheit garantiert wird; aus Gleichheits­ forderungen solcher Art ist dann im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts zumindest in den westlichen Ländern, die eine wohlfahrtsstaatliche Entwicklung genommen haben, jene neue Klasse sozialer Wohlfahrtsrechte hervorgegangen, die jedem Staatsbürger die Möglichkeit der Ausübung all seiner übrigen Rechtsansprüche zusichern soll. Diesem knappen Abriß der Analyse Marshalls ist unschwer zu entnehmen, in welcher Weise die sukzessive Erweiterung der individuellen Grundrechte auf jenes normative Prinzip zurückbezogen blieb, das als. Leitidee an ihrem Anfang ge­ standen hat: denn jede Anreicherung der rechtlichen Befug­ nisse des Einzelnen läßt sich als ein weiterer Schritt in der Einlösung der moralischen Vorstellung verstehen, daß alle Gesellschaftsmitglieder aus vernünftiger Einsicht der eta­ blierten Rechtsordnung müssen zugestimmt haben können, wenn von ihnen individuelle Folgebereitschaft erwartet wer­ den soll. Die Institutsionalisierung der bürgerlichen Frei­ heitsrechte hat gleichsam einen permanenten Innovations­ prozeß eröffnet, der mindestens zwei neue Klassen von subjektiven Rechten hervorbringen mußte, weil sich im hi189

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storischen Nachhinein unter dem Druck benachteiligter Gruppen stets wieder gezeigt hat, daß zur gleichberechtigten Teilnahme an einer rationalen Übereinkunft noch nicht allen Beteiligten die angemessenen Voraussetzungen gegeben wa­ ren: um als eine moralisch zurechnungsfähige Person agieren zu können, bedarf der Einzelne nicht nur des rechtlichen Schutzes vor Eingriffen in seine Freiheitssphäre, sondern auch der rechtlich gesicherten Chance zur Partizipation am öffentlichen Willensbildungsprozeß, von der er faktisch aber nur Gebrauch machen kann, wenn ihm zugleich ein gewisses Maß an sozialem Lebensstandard zusteht. Daher hat sich sukzessiv in den letzten Jahrhunderten ineins mit den An­ reicherungen, die der rechtliche Status des einzelnen Staats­ bürgers erfuhr, ebenfalls der Inbegriff all der Fähigkeiten erweitern müssen, die den Menschen konstitutiv als Person auszeichnen: zu den Eigenschaften, die ein Subjekt dazu in die Lage versetzen, autonom aus vernünftiger Einsicht zu handeln, ist inzwischen ein Mindestmaß an kultureller Bil­ dung und an ökonomischer Sicherheit hinzugetreten. Sich wechselseitig als Rechtsperson anzuerkennen, heißt insofern heute mehr, als es noch zu Beginn der modernen Rechtsent­ wicklung bedeuten konnte: nicht nur in der abstrakten Fähigkeit, sich an moralischen Normen orientieren zu kön­ nen, sondern auch in der konkreten Eigenschaft, das dafür nötige Maß an sozialem Lebensstandard zu verdienen, wird ein Subjekt inzwischen geachtet, wenn es rechtlich Anerken­ nung findet. Wie die historische Skizze Marshalls allerdings auch gezeigt hat, ist diese sozial erkämpfte Erweiterung der individuellen Grundrechte nur die eine Seite eines Prozesses, der sich im ganzen in Form einer Verschränkung von zwei systematisch zu unterscheidenden Entwicklungspfaden vollzogen hat; der in das moderne Recht eingelassene Gleichheitsgrundsatz mußte zur Folge haben, daß der Status einer Rechtsperson nicht nur in sachlicher Hinsicht schrittweise erweitert wur­ de, indem er kumulativ mit neuen Befugnissen ausgestattet 190

worden ist, sondern auch in sozialer Hinsicht allmählich ausgedehnt werden konnte, indem er auf eine stets wach­ sende Anzahl von Gesellschaftsmitgliedern übertragen wur­ de. Marshall kann daher das Ergebnis seines geschichtlichen Überblicks in der knappen These zusammenfassen: »The urge forward along the path this plotted is an urge towards a fuller measure of equality, an enrichment of the stuff of which the status is made and an increase in the number of those on whom the status is bestowed«.51 Im ersten Fall gewinnt das Recht, wie wir gesehen haben, an solchen ma­ terialen Gehalten hinzu, durch die zunehmend auch die Unterschiede in den individuellen Chancen zur Realisierung der sozial garantierten Freiheiten rechtlich Berücksichtigung finden; in dem zweiten Fall hingegen wird das Rechtsver­ hältnis in dem Sinn universalisiert, daß einem wachsenden Kreis von bislang ausgeschlossenen oder benachteiligten Gruppen die gleichen Rechte wie allen anderen Mitgliedern der Gesellschaft zuerkannt werden. Weil die modernen Rechtsverhältnisse strukturell diese beiden Entwicklungs­ möglichkeiten enthalten, sind sowohl Hegel als auch Mead von einer Fortsetzung des »Kampfes um Anerkennung« in­ nerhalb der rechtlichen Sphäre überzeugt; die praktischen Auseinandersetzungen, die hier auf die Erfahrung von vor­ enthaltener Anerkennung oder Mißachtung hin erfolgen, stellen also Konflikte um die Erweiterung sowohl des mate­ rialen Gehaltes als auch der sozialen Reichweite des Status einer Rechtsperson dar.52 Um eine Antwort auf die Frage vorzubereiten, wie die Er­ fahrung von Mißachtung beschaffen ist, die diesen sozialen Konflikten zugrundeliegt, bedarf es abschließend einer kur­ zen Erläuterung der Art von positiver Selbstbeziehung, die durch die rechtliche Anerkennung ermöglicht wird. Es liegt auf der Hand, mit Mead als die psychische Begleiterschei­ nung der sozialen Zuerkennung von Rechten eine Steigerung $i Ebd., S. 87. $2 Vgl. oben S. 137ff.

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des Vermögens anzusetzen, sich auf sich selber als eine mo­ ralisch zurechnungsfähige Person zu beziehen; wie im Fall der Liebe das Kind durch die kontinuierliche Erfahrung mütterlicher Zuwendung das Vertrauen erwirbt, seine Be­ dürfnisse ungezwungen kundtun zu können, so gewinnt das erwachsene Subjekt durch die Erfahrung rechtlicher Aner­ kennung die Möglichkeit, sein Handeln als eine von allen anderen geachtete Äußerung der eigenen A utonomie begrei­ fen zu können. Daß Selbstachtung für das Rechtsverhältnis das ist, was für die Liebesbeziehung das Selbstvertrauen war, wird schon durch die Folgerichtigkeit nahegelegt, mit der sich Rechte in derselben Weise als anonymisierte Zeichen einer gesellschaftlichen Achtung begreifen lassen, wie die Liebe als der affektive Ausdruck einer auch über Distanz bewahrten Zuwendung aufzufassen ist: während diese in je­ dem menschlichen Wesen das psychische Fundament dafür schafft, den eigenen Bedürfnisimpulsen vertrauen zu kön­ nen, lassen jene in ihm das Bewußtsein entstehen, sich selber achten zu können, weil es die Achtung aller anderen ver­ dient. Erst mit der Herausbildung allgemeiner Grundrechte freilich kann eine derartige Form der Selbstachtung den Cha­ rakter annehmen, der ihr beigelegt wird, wenn von der moralischen Zurechnungsfähigkeit als dem achtungswürdi­ gen Kern einer Person die Rede ist; denn nur unter Bedin­ gungen, in denen individuelle Rechte nicht mehr disparitär den Angehörigen sozialer Statusgruppen, sondern im Prin­ zip egalitär allen Menschen als freien Wesen zuerkannt werden, wird die einzelne Rechtsperson in ihnen einen ob­ jektivierten Anhaltspunkt dafür erblicken können, daß an ihr die Fähigkeit der autonomen Urteilsbildung Anerken­ nung findet. Auf ein Rechtsverhältnis dieser Art ist das Gedankenexperiment zugeschnitten, das Joel Feinberg ent­ wickelt hat, um den moralischen Stellenwert der Zuerken­ nung von Rechten zu demonstrieren; seine Überlegungen sind geeignet, wenn nicht den empirischen, so doch den kon­ zeptuellen Zusammenhang aufzuzeigen, in dem die rechtli192

ehe Anerkennung mit dem Erwerb von Selbstachtung steht.53 Feinberg entwirft den fiktiven Zustand einer Gesellschaft, in der ein ungewöhnlich hohes Maß an sozialer Wohltätigkeit und wechselseitiger Rücksichtnahme herrscht, obwohl die Institution sozial verbürgter Rechte vollkommen unbekannt geblieben ist; um sich die Aufgabe nicht allzu leicht zu ma­ chen, erweitert er dieses Modell noch in zwei Schritten, indem er sowohl ein Bewußtsein moralischer Verpflichtun­ gen als auch ein System objektiver Rechte in seinen »Nowheresville« genannten Sozialverband einfügt. Von einem derart konstruierten Gemeinwesen kann Feinberg schließ­ lich mit guten Gründen annehmen, daß es das Wohlergehen seiner Bürger auf mindestens so hohem Niveau garantieren würde, wie dies heute in den mit individuellen Grundrechten ausgestatteten Gesellschaften geschieht: alles, was hier durch legalisierte Ansprüche den Menschen an Hilfeleistung und Respekt zugutekommt, wird dort durch altruistische Nei­ gungen und ein Gefühl einseitiger Verpflichtungen gewähr­ leistet. Daß Gesellschaften vom Typ »Nowheresville« gleich­ wohl etwas Entscheidendes fehlt, mit dem wir aufgrund unserer moralischen Institutionen im allgemeinen rechnen, ist nun der Punkt, der Feinberg in seinem Gedankenexperiment interessiert; durch eine Analyse dessen, woran es jenen fik­ tiven Gemeinwesen bei allem Reichtum an moralischen Praktiken ermangelt, will er den Stellenwert erkunden, den individuelle Rechte für den Einzelnen besitzen. Den Schlüs­ sel für eine Lösung des selbstgestellten Problems liefert ihm die Bedeutung, die dem Ausdruck »Rechte« zukommen muß, sobald er im Sinne des Besitzes allgemeiner Grund­ rechte verwendet wird. Wenn wir uns nämlich klarmachen, daß Rechte zu besitzen unter solchen Umständen nichts an­ deres heißt, als Ansprüche erheben zu können, deren soziale 5j Feinberg, Joel, »The Nature and Value of Rights«, in: ders., Rights, Ju­ stice, and the Bounds of Liberty. Essays in Social Philosophy, Princeton N.J. 1980, S. 143 ff.

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Erfüllung als gerechtfertigt gilt, wird auch der entscheidende Mangel deutlich, durch den »Nowheresville« gekennzeich­ net ist. Ohne individuelle Rechte zu leben bedeutet für das einzelne Gesellschaftsmitglied, keine Chance zur Ausbil­ dung von Selbstachtung zu besitzen: »Having rights enables us to >stand up like menhuman dignity< may simply be the recogni­ zable capacity to assert claims«.54 Obwohl dieser Gedankengang nicht frei von Unklarheiten, ja Widersprüchlichkeiten ist55, läßt sich ihm doch ein Argu­ ment entnehmen, das der bereits von Mead geäußerten Vermutung eine bessere Grundlage verschafft: weil indivi­ duelle Rechte zu besitzen bedeutet, sozial akzeptierte An­ sprüche stellen zu können, statten sie das einzelne Subjekt mit der Chance zu einer legitimen Aktivität aus, anhand derer es sich selber vor Augen führen kann, daß es die Ach­ tung aller anderen genießt. Es ist der öffentliche Charakter, den Rechte dadurch besitzen, daß sie ihren Träger zu einem von den Interaktionspartnern wahrnehmbaren Handeln er­ mächtigen, was ihnen die Kraft verleiht, die Ausbildung von Selbstachtung zu ermöglichen; denn mit der fakultativen Aktivität des Einklagens von Rechten ist dem Einzelnen ein symbolisches Ausdrucksmittel an die Hand gegeben, dessen soziale Wirksamkeit ihm stets wieder demonstrieren kann, daß er als moralisch zurechnungsfähige Person allgemeine Anerkennung findet. Beziehen wir in den damit umrissenen Zusammenhang die bislang entwickelten Überlegungen ein, so ist der Schluß zu ziehen, daß ein Subjekt sich in der Er54 Ebd., S. 151. 55 Vgl. dazu Andreas Wildt, »Recht und Selbstachtung«, a.a.O., S. 148 ff.

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fahrung rechtlicher Anerkennung als eine Person zu betrach­ ten vermag, die mit allen anderen Mitgliedern seines Ge­ meinwesen die Eigenschaften teilt, die zur Teilnahme an einer diskursiven Willensbildung befähigen; und die Mög­ lichkeit, sich in derartiger Weise positiv auf sich selber zu beziehen, können wir »Selbstachtung« nennen. Nun ist mit dieser Schlußfolgerung aber vorläufig allein ein begrifflicher Sachverhalt behauptet, für den empirische Be­ lege noch vollkommen ausstehen. Der Ausweis an der phä­ nomenalen Wirklichkeit ist im Fall der Selbstachtung des­ wegen von so großer Schwierigkeit, weil sie gewissermaßen überhaupt nur in Negativgestalt zu einer wahrnehmbaren Größe wird - dann nämlich, wenn die Subjekte unter ihrem Mangel in sichtbarer Weise leiden. Auf die faktische Existenz von Selbstachtung können wir daher stets nur indirekt schlie­ ßen, indem wir empirische Vergleiche mit Personengruppen anstellen, aus deren Gesamtverhalten sich Rückschlüsse auf die symbolischen Repräsentationsformen der Erfahrung von Mißachtung gewinnen lassen. Einen Ausweg aus der damit bezeichneten Schwierigkeit bieten allerdings die wenigen Fäl­ le, in denen betroffene Gruppen selber den Entzug von Grundrechten öffentlich unter dem Gesichtspunkt erörtert haben, daß mit vorenthaltener Anerkennung auch die Chan­ cen zur individuellen Selbstachtung verlorengehen. In sol­ chen historischen Ausnahmesituationen, wie sie etwa die Diskussionen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA der fünfziger und sechzigerjahre dargestellt haben, tritt an die sprachliche Oberfläche, welche psychische Bedeutung die rechtliche Anerkennung für die Selbstachtung ausge­ schlossener Kollektive besitzt: stets ist in den entsprechenden Publikationen davon die Rede, daß die Erduldung rechtlicher Unterprivilegierung zu einem lähmenden Gefühl der sozialen Scham führen muß, von dem nur der aktive Protest und Widerstand befreien könnte.56 56 Vgl. etwa Überblickshaft: Boxbill, Bernard R., »Self-Respect and Protest«, ISS

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(3) Sowohl Hegel als auch Mead haben nun von der Liebe und dem Rechtsverhältnis noch eine weitere Form der wech­ selseitigen Anerkennung abgehoben, für die sie zwar jeweils unterschiedliche Beschreibungen gewählt, in deren Funk­ tionsbestimmung sie aber weitgehend übereingestimmt ha­ ben: um zu einem ungebrochenen Selbstverhältnis gelangen zu können, bedürfen menschliche Subjekte über die Erfah­ rung von affektiver Zuwendung und rechtlicher Anerken­ nung hinaus stets auch noch einer sozialen Wertschätzung, die es ihnen erlaubt, sich auf ihre konkreten Eigenschaften und Fähigkeiten positiv zu beziehen. In den Jenaer Schriften Hegels hatte sich zur Bezeichnung eines solchen Anerken­ nungsverhältnisses der wechselseitigen Wertschätzung der Begriff der »Sittlichkeit« gefunden, bei Mead hingegen war für dieselbe Form der Anerkennung nicht ein rein formales Konzept, sondern nur das institutionell bereits konkreti­ sierte Modell der kooperativen Arbeitsteilung anzutreffen gewesen. Aus dem Vergleich der beiden Beschreibungsan­ sätze hatte sich der Schluß ziehen lassen, daß ein derartiges Muster der Anerkennung überhaupt nur angemessen zu be­ greifen ist, wenn als seine Voraussetzung die Existenz eines intersubjektiv geteilten Werthorizontes hinzugedacht wird; denn Ego und Alter können sich wechselseitig als individuierte Personen nur unter der Bedingung wertschätzen, daß sie die Orientierung an solchen Werten und Zielen teilen, die ihnen reziprok die Bedeutung oder den Beitrag ihrer per­ sönlichen Eigenschaften für das Leben des jeweils anderen signalisieren. Ein erster Hinweis darauf, daß es sich bei die­ sem Ergebnis unserer Interpretation von Hegel und Mead nicht um etwas handelt, dem jede empirische Grundlage fehlt, hatte sich schließlich schon aus der Analyse des mo­ dernen Rechtsverhältnisses ergeben: denn dessen universain: Philosophy and Public Affairs 6 (1976/77), S. 5 8 ff.; er stützt sich auf die Dokumente, die in einem 1966 herausgegebenen Sammelband zusammen­ gestellt sind: Howard Brotz (Hg.), Negro Social and Political Thought, New York 1966.

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listisches Grundprinzip war nur zu rekonstruieren gewesen, indem es als das Resultat einer Abkoppelung der rechtlichen Anerkennung von jenen Formen der sozialen Achtung be­ griffen wurde, in denen Subjekte gemäß dem gesellschaftlich definierten Wert ihrer konkreten Eigenschaften Anerken­ nung finden. In solchen historisch sich wandelnden Mustern der gesellschaftlichen Wertschätzung sind die empirischen Vorformen dessen zu vermuten, was Hegel und Mead vor Augen hatten, als sie unabhängig voneinander ein drittes Verhältnis der wechselseitigen Anerkennung eingeführt ha­ ben; dessen Eigenschaften lassen sich daher im Sinne einer empirisch kontrollierten Phänomenologie am ehesten be­ stimmen, wenn wir den Faden unserer Analyse dort wieder aufnehmen, wo wir ihn im Vergleich zwischen der rechtli­ chen Anerkennung und der sozialen Wertschätzung liegen­ gelassen haben. Dabei wird sich zeigen, daß Hegel mit seinem Begriff der »Sittlichkeit« und Mead mit seiner Idee einer demokratischen Arbeitsteilung nur einen normativ be­ sonders anspruchsvollen Typ jener Wertgemeinschaft auszu­ zeichnen versucht haben, in deren Rahmen jede Form der wertschätzenden Anerkennung notwendigerweise eingelas­ sen sein muß. Im Unterschied zur rechtlichen Anerkennung in ihrer mo­ dernen Gestalt, so haben wir gesehen, gilt die soziale Wert­ schätzung den besonderen Eigenschaften, durch die Men­ schen in ihren persönlichen Unterschieden charakterisiert sind: während das neuzeitliche Recht ein Anerkennungsme­ dium darstellt, das allgemeine Eigenschaften menschlicher Subjekte in differenzierender Weise zum Ausdruck bringt, verlangt jene zweite Anerkennungsform daher ein soziales Medium, das Eigenschaftsdifferenzen zwischen menschli­ chen Subjekten auf allgemeine, nämlich intersubjektiv ver­ bindliche Weise zum Ausdruck bringen können muß. Diese Vermittlungsaufgabe leistet auf gesellschaftlicher Ebene ein symbolisch artikulierter, stets aber offener und poröser Orientierungsrahmen, in dem diejenigen ethischen Werte ’97

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und Ziele formuliert sind, deren Insgesamt das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft ausmacht; als ein Be­ zugssystem für die Bewertung von bestimmten Persönlich­ keitseigenschaften kann ein solcher Orientierungsrahmen dienen, weil sich deren sozialer »Wert« an dem Grad bemißt, in dem sie dazu in der Lage erscheinen, zur Verwirklichung der gesellschaftlichen Zielvorgaben beizutragen.57 Das kul­ turelle Selbstverständnis einer Gesellschaft gibt die Kriterien vor, an denen sich die soziale Wertschätzung von Personen orientiert, weil deren Fähigkeiten und Leistungen intersub­ jektiv danach beurteilt werden, in welchem Maße sie an der Umsetzung der kulturell definierten Werte mitwirken kön­ nen; insofern ist diese Form der wechselseitigen Anerken­ nung auch an die Voraussetzung eines sozialen Lebenszusammenhanges gebunden, dessen Mitglieder durch die Orientierung an gemeinsamen Zielvorstellungen eine Wert­ gemeinschaft bilden. Wenn aber die soziale Wertschätzung jeweils durch die ethischen Zielvorstellungen bestimmt ist, die in einer Gesellschaft vorherrschen, sind die Formen, die sie annehmen kann, nicht weniger eine geschichtlich variable Größe als diejenigen der rechtlichen Anerkennung. Ihre ge­ sellschaftliche Reichweite und das Maß ihrer Symmetrie hängen dann vom Grad der Pluralisierung des sozial defi­ nierten Werthorizonts ebenso ab wie vom Charakter der darin ausgezeichneten Persönlichkeitsideale. Je mehr die ethischen Zielvorstellungen für verschiedene Werte geöffnet sind und ihre hierarchische Anordnung einer horizontalen Konkurrenz gewichen ist, um so stärker wird die soziale Wertschätzung einen individualisierenden Zug annehmen und symmetrische Beziehungen schaffen können. Daher liegt es nahe, die Eigenschaften dieser spezifischen Form von Anerkennung zunächst ebenfalls an dem historischen Struk­ turwandel abzulesen, den sie im Übergang von traditionalen $7 Ich stütze mich im folgenden vor allem auf: Heinz Kluth, Sozialprestige und sozialer Status, Stuttgart 1957; Wilhelm Korff, Ehre, Prestige, Ge­ wissen, Köln 1966.

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zu modernen Gesellschaften erfahren hat: wie das Rechts­ verhältnis, so hat nämlich auch die soziale Wertschätzung die uns heute vertraute Gestalt erst annehmen können, nachdem sie aus den Rahmenbedingungen ständisch gegliederter Ge­ sellschaften herausgewachsen war. Der dadurch in Gang gekommene Strukturwandel wird begriffsgeschichtlich durch die Umstellung von Ehrbegriffen auf Kategorien des sozialen »Ansehens« oder »Prestiges« markiert. Solange die ethischen Zielvorstellungen der Gesellschaft noch substantiell gefaßt und ihre entsprechenden Wertvor­ stellungen hierarchisch gegliedert sind, so daß eine Rang­ skala von mehr oder weniger wertvollen Verhaltensformen zustande kommen kann, wird das Maß des Ansehens einer Person in Begriffen der sozialen Ehre gemessen: die konven­ tionelle Sittlichkeit solcher Gemeinwesen erlaubt es, die gesellschaftlichen Aufgabenfelder gemäß ihrem vermuteten Beitrag zur Verwirklichung der zentralen Werte vertikal so zu schichten, daß ihnen spezifische Arten der Lebensfüh­ rung zugeordnet werden können, deren Einhaltung den einzelnen zu der ihm standesgemäßen »Ehre« gelangen läßt. Insofern ist mit »Ehre« in ständisch gegliederten Gesell­ schaften das relative Maß an sozialem Ansehen bezeichnet, das eine Person zu erwerben vermag, wenn sie die kollekti­ ven Verhaltenserwartungen habituell erfüllen kann, die »ethisch« mit ihrem sozialen Status verknüpft sind: »Inhalt­ lich findet«, so heißt es bei Max Weber, »die ständische Ehre ihren Ausdruck normalerweise in der Zumutung einer spe­ zifisch gearteten Lebensführung an jeden, der dem Kreis angehören will«.58 Die Persönlichkeitseigenschaften, an de­ nen sich unter diesen Voraussetzungen die soziale Bewer­ tung einer Person orientiert, sind daher nicht diejenigen eines lebensgeschichtlich individuierten Subjekts, sondern die einer kulturell typisierten Statusgruppe: es ist deren »Wert«, der sich seinerseits aus dem sozial definierten Maß 5 8 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden So­ ziologie, Tübingen 1976, S. 5J5. 199

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ihres kollektiven Beitrages zur Verwirklichung der gesell­ schaftlichen Zielsetzungen ergibt, wonach sich auch der soziale Wert ihrer jeweiligen Mitglieder bemißt. »Ehrenvol­ les« Verhalten ist mithin nur die zusätzliche Leistung, die jeder einzelne erbringen muß, um tatsächlich das Maß an sozialem Ansehen zu erwerben, das seinem Stand aufgrund der kulturell vorgegebenen Wertordnung als Kollektiv bei­ gemessen wird.59 Ist die soziale Wertschätzung nach diesem ständischem Mu­ ster organisiert, so nehmen die Anerkennungsformen, die mit ihr verknüpft sind, den Charakter von nach innen sym­ metrischen, nach außen aber asymmetrischen Beziehungen zwischen kulturell typisierten Standesmitgliedern an: inner­ halb der Statusgruppen können sich die Subjekte wechsel­ seitig als Personen wertschätzen, die aufgrund der gemein­ samen Soziallage Eigenschaften und Fähigkeiten teilen, denen auf der gesellschaftlichen Werteskala ein bestimmtes Maß an sozialem Ansehen zukommt; zwischen den Status­ gruppen bestehen Beziehungen hierarchisch gestaffelter Wertschätzung, die es den Gesellschaftsmitgliedern unter­ einander erlauben, am jeweils standesfremden Subjekt Ei­ genschaften und Fähigkeiten zu schätzen, die in einem kulturell vorbestimmten Maß zur Verwirklichung gemein­ sam geteilter Werte beitragen. Natürlich schließt auch diese relativ stabile Anerkennungsordnung nicht die Möglichkeit aus, daß soziale Gruppen den Sonderweg einer »countercul­ ture of compensatory respect«60 einschlagen, um eine als ungerechtfertigt empfundene Einschätzung des Wertes ihrer 59 Vgl. Pin-Rivers, Julian, »Honor«, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, hg. David L. Sill, Macmillan Company and Free Press, Bd. 6, S. jojff; empirische Beispiele aus traditional verfaßten Gesellschaften finden sich in: J.G. Peristiany (Hg ), Honour and Shame. The Values of Mediterranean Society, London 1966; zur historischen Illustration vgl. etwa: Richard van Dülmen (Hg.), Armut, Liebe, Ehre. Studien zur histo­ rischen Kidturforschung, Frankfurt am Main 1988. 60 Zu diesem Konzept vgl. Richard Sennett/Jonathan Cobb, The Hidden Injuries of Class, Cambridge 1972. 200

kollektiven Eigenschaften durch demonstrative Stilisierun­ gen zu korrigieren; und als ebenso typisch für ständische Gesellschaften kann die von Max Weber beobachtete Ten­ denz angesehen werden, daß soziale Gruppen ihre eigenen Standesmerkmale gegenüber Nichtangehörigen abzuschlie­ ßen versuchen, um die Chancen auf ein hohes Sozialprestige dauerhaft zu monopolisieren61. Aber alle diese Dimensionen eines alltäglichen Kampfes um Ehre bleiben in dem Rahmen einer ständischen Anerkennungsordnung solange eingebun­ den, wie sie nicht jene substantielle Werthierarchie als solche in Frage stellen, von der das kulturelle Selbstverständnis traditionaler Gesellschaften im ganzen geprägt ist. Ein solcher Prozeß der Entwertung traditionaler Sittlichkeit setzt erst in dem Augenblick ein, in dem das postkonven­ tionelle Gedankengut der Philosophie und der Staatstheorie so sehr an kulturellem Einfluß gewonnen hat, daß es auch den Status der sozialintegrativen Wertüberzeugungen nicht unangetastet lassen kann. Mit dem Übergang zur Moderne löst sich nicht nur das Anerkennungsverhältnis des Rechts, wie wir gesehen, haben, von der hierarchischen Ordnung der sozialen Wertschätzung ab; vielmehr wird diese selbst einem zähen, konflikthaften Prozeß des Strukturwandels unter­ worfen, weil sich im Gefolge der kulturellen Neuerungen auch die Bedingungen für die Geltung der ethischen Zielset­ zungen einer Gesellschaft verändern. Wenn die gesellschaft­ liche Wertordnung bislang als ein evaluatives Bezugssystem dienen konnte, anhand dessen sich die standesspezifischen Muster ehrenvollen Verhaltens gewissermaßen objektiv be­ stimmen ließen, so hing das vor allem mit der Art ihrer kognitiven Gegebenheit zusammen: noch verdankte sie ihre soziale Geltung nämlich der ungebrochenen Überzeugungs­ kraft religiöser oder metaphysischer Überlieferungen und war daher als eine metasoziale Bezugsgröße im kulturellen Selbstverständnis verankert. Sobald diese Erkenntnis61 Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden Soziologie, a.a.O., S. 23 ff., S. 534 ff. 201

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schwelle aber einmal breitenwirksam genommen war, sobald also ethische Verpflichtungen als das Resultat innerweltli­ cher Entscheidungsvorgänge durchschaut waren, mußte sich ebenso wie die Geltungsvoraussetzung des Rechts auch das alltägliche Verständnis vom Charakter der gesellschaftlichen Wertordnung ändern: ihrer transzendenten Evidenzbasis beraubt, ließ sie sich nicht länger als ein objektives Bezugs­ system betrachten, in dem die schichtspezifischen Verhal­ tenszumutungen zugleich unzweideutig Auskunft über das jeweilige Maß der sozialen Ehre geben konnten. Mit der metaphysischen Geltungsgrundlage verliert der gesellschaft­ liche Wertekosmos sowohl seinen Objektivitätscharakter als auch die Fähigkeit, eine Skala sozialen Prestiges ein für al­ lemal verhaltensnormierend festzulegen. Daher ist der Kampf, den das Bürgertum an der Schwelle zur Moderne gegen die feudalen Ehrvorstellungen des Adels zu führen beginnt, nicht nur der kollektive Versuch einer Durchset­ zung von neuen Wertprinzipien, sondern auch die Eröff­ nung einer Auseinandersetzung um den Status solcher Wertprinzipien überhaupt; zum ersten Mal steht jetzt zur Disposition, ob sich das soziale Ansehen einer Person an dem vorweg bestimmten Wert von Eigenschaften bemessen soll, die ganzen Gruppen typisierend zugeschrieben werden. Nunmehr erst tritt das Subjekt als eine lebensgeschichtlich individuierte Größe in das umkämpfte Feld der sozialen Wertschätzung ein. Ein nicht unbeträchtlicher Teil dessen, was bislang dem ein­ zelnen über ständisch gestaffelte Ehrprinzipien an sozialer Wertschätzung zugesichert war, wandert im Zuge der ge­ schilderten Umbrüche in das neuformierte Rechtsverhältnis ein, wo es im Begriff der »menschlichen Würde« zu univer­ seller Geltung gelangt62: in den modernen Grundrechtkata­ logen wird allen Menschen gleichermaßen ein rechtlicher 62 Vgl. Peter Berger/B. Berger/H. Kellner, Das Unbehagen in der Moder­ nität, Frankfun am Main 1987, S. 7$ ff. (»Exkurs: Über den Begriff der

Ehre und seinen Niedergang«). 202

Schutz ihres gesellschaftlichen Ansehens garantiert, auch wenn bis heute unklar geblieben ist, welche praktischen Rechtsfolgen damit tatsächlich verknüpft sein sollen. Aber das Rechtsverhältnis kann schon deswegen nicht alle Dimen­ sionen der sozialen Wertschätzung in sich aufnehmen, weil diese ihrer ganzen Funktion nach ja nur solchen Eigen­ schaften und Fähigkeiten gelten kann, in denen die Gesell­ schaftsmitglieder sich voneinander unterscheiden: als »wert­ voll« vermag eine Person sich nur zu empfinden, wenn sie sich in Leistungen anerkannt weiß, die sie gerade nicht mit anderen unterschiedslos teilt. Waren derartige Eigenschafts­ differenzen bislang kollektivistisch bestimmt, um an der Standeszugehörigkeit des einzelnen das Maß seiner sozialen Ehre festzumachen, so entfällt diese Möglichkeit nun mit der allmählichen Auflösung der traditionellen Werthierarchie. Der Kampf des Bürgertums gegen die standesspezifischen Verhaltenszwänge, die die alte Anerkennungsordnung auf­ erlegt hat, führt zu einer Individualisierung in der Vorstel­ lung darüber, wer zur Verwirklichung gesellschaftlicher Zielsetzungen beiträgt: weil nicht mehr im vorhinein festge­ legt sein soll, welche Formen der Lebensführung als ethisch zulässig gelten, sind es nicht mehr kollektive Eigenschaften, sondern die lebensgeschichtlich entwickelten Fähigkeiten des einzelnen, an denen die soziale Wertschätzung sich zu orientieren beginnt. Mit der Individualisierung der Leistung geht zwangsläufig auch einher, daß die gesellschaftlichen Wertvorstellungen sich für unterschiedliche Weisen der per­ sönlichen Selbstverwirklichung öffnen; fortan ist es ein, nunmehr allerdings klassen- und geschlechtsspezifisch be­ stimmter Wertpluralismus, der den kulturellen Orientie­ rungsrahmen bildet, in dem sich das Maß der Leistung des einzelnen und damit sein sozialer Wert bestimmt. In diesen historischen Zusammenhang fällt der Prozeß, in dem sich der Begriff der sozialen Ehre allmählich zu dem des sozialen Prestiges ausdünnt.65 63 Zum Prozeß der Individualisierung der sozialen Wertschätzung vgl. Spei2OJ

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Die eine Seite dieses begriffsgeschichtlichen Wandlungspro­ zesses besteht darin, daß die Kategorie der »Ehre«, bislang an standcsspezifische Formen der Lebensführung geknüpft, in den Verwendungsrahmen der Privatsphäre abzusinken be­ ginnt; hier bezeichnet sie zukünftig den nur noch subjektiv bestimmbaren Maßstab für die unbedingt verteidigenswer­ ten Aspekte des eigenen Selbstverständnisses. An die Stelle, die der Ehrbegriff hingegen zuvor im öffentlichen Raum der Gesellschaft eingenommen hatte, treten nunmehr schritt­ weise die Kategorien des »Ansehens« oder des »Prestiges«, mit denen erfaßt werden soll, welches Maß an Wertschät­ zung der einzelne für seine individuellen Leistungen und Fähigkeiten sozial genießt. Das neue Organisationsmuster, das diese Anerkennungsform damit annimmt, kann sich jetzt freilich nur noch auf jene schmale Schicht des Wertes einer Person beziehen, welche die beiden Prozesse der rechtlichen Universalisierung der »Ehre« zur »Würde« einerseits, der Privatisierung der »Ehre« zur subjektiv definierten »Integri­ tät« andererseits übriggelassen haben: mit der sozialen Wert­ schätzung sind daher nicht mehr länger irgendwelche recht­ lichen Privilegien verknüpft noch bezieht sie fortan die Auszeichnung von moralischen Persönlichkeitsqualitäten konstitutiv mit ein.64 Vielmehr ist mit »Prestige« oder »An­ sehen« allein noch der Grad an gesellschaftlicher Anerken­ nung gemeint, den der einzelne für seine Form der Selbst­ verwirklichung dadurch verdient, daß er mit ihr zur • praktischen Umsetzung der abstrakt definierten Ziele der Gesellschaft in einem bestimmten Maße beiträgt; alles an der neuen, individualisierten Anerkennungsordnung hängt miter, Hans, »Honor and Social Structure», in: ders., Social Order and the Risks of War, New York 1952, S. 36ff.; grundlegend für die historische These einer allmählichen Individualisierung der »Ehre« ist aber vor allem: Alexis de Tocqueville, Ühcr die Demokratie in Amerika, Zürich 1985, Zweiter Teil, III, 18. Kap., S. 338ff.

64 Vgl. Wilhelm Korff, Ehre, Prestige, Gewissen, a.a.O., 3. Kap., S. 11 iff. 204

1 hin nun davon ab, wie jener allgemeine Werthorizont be­ stimmt ist, der zugleich für verschiedene Arten der Selbst­ verwirklichung offen sein soll, andererseits aber auch noch als ein übergreifendes System der Wertschätzung dienen können muß. Mit diesen auseinanderstrebenden Aufgabenstellungen zieht eine Spannung in die moderne Organisationsform der sozia­ len Wertschätzung ein, durch die sie auf Dauer einem kul­ turellen Konflikt unterworfen wird: denn wie auch immer die gesellschaftlichen Zielsetzungen bestimmt sind, ob in der einen, scheinbar neutralen Idee der »Leistung« zusammen­ gefaßt oder als ein offener Horizont pluraler Werte gedacht, stets bedarf es einer sekundären Deutungspraxis, bevor sie innerhalb der sozialen Lebenswelt als Kriterien der Wert­ schätzung in Kraft treten können. Die abstrakt gewordenen Leitideen geben so wenig schon ein allgemeingültiges Be­ zugssystem ab, in dem der soziale Wert bestimmter Eigen­ schaften und Fähigkeiten zu messen wäre, daß sie erst immer durch kulturelle Zusatzdeutungen konkretisiert werden müssen, um Anwendung in dieser Sphäre der Anerkennung zu finden; daher bemißt sich der Wert, der den verschiede­ nen Formen der Selbstverwirklichung zuerkannt wird, aber auch bereits die Art, wie die entsprechenden Eigenschaften und Fähigkeiten definiert werden, grundsätzlich an den In­ terpretationen, die historisch jeweils von den gesellschaftli­ chen Zielsetzungen vorherrschen. Weil der Gehalt derartiger Interpretationen seinerseits freilich wiederum davon abhän­ gig ist, welcher sozialen Gruppe es gelingt, die eigenen Leistungen und Lebensformen öffentlich als besonders wertvoll auszulegen, ist jene sekundäre Deutungspraxis gar nicht anders denn als kultureller Dauerkonflikt zu verste­ hen: die Verhältnisse der sozialen Wertschätzungen unterlie­ gen in modernen Gesellschaften einem permanenten Kampf, in dem die verschiedenen Gruppen mit den Mitteln symbo­ lischer Gewalt versuchen, unter Bezug auf die allgemeinen Zielsetzungen den Wert der mit ihrer Lebensweise verknüpf205

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ten Fähigkeiten anzuheben65. Allerdings ist es nicht nur die gruppenspezifische Verfügungsmacht über Mittel symboli­ scher Gewalt, sondern auch das schwer beeinflußbare Klima öffentlicher Aufmerksamkeiten, was über den jeweils nur vorübergehend stabilisierten Ausgang solcher Kämpfe mit­ entscheidet: je stärker es sozialen Bewegungen gelingt, die Öffentlichkeit auf die vernachlässigte Bedeutung der von ihnen kollektiv repräsentierten Eigenschaften und Fähigkei­ ten aufmerksam zu machen, desto eher besteht für sie die Chance, den sozialen Wert oder eben das Ansehen ihrer Mit­ glieder in der Gesellschaft anzuheben. Da überdies die Ver­ hältnisse der sozialen Wertschätzung, wie schon Georg Simmel gesehen hat, mit den Verteilungsmustern des Geld­ einkommens auf indirekte Weise verkoppelt sind, gehören auch die ökonomischen Auseinandersetzungen konstitutiv dieser Form eines Kampfes um Anerkennung an. Die soziale Wertschätzung nimmt mit dieser Entwicklung ein Muster an, das den mit ihr verknüpften Anerkennungs­ formen den Charakter von asymmetrischen Beziehungen zwischen lebensgeschichtlich individuierten Subjekten ver­ leiht: zwar sind die kulturellen Interpretationen, die die abstrakten Gesellschaftsziele innerhalb der Lebenswelt je' weils konkretisieren müssen, weiterhin von den Interessen 65 Auf die Analyse dieses Prozesse ist, wenn sie in ihrem Anspruch richtig lokalisiert wird, die soziologische Theorie Pierre Bourdieus zugeschnit­ ten; in der Zusammenführung von Marx, Max Weber und Dürkheim unternimmt er es, den symbolischen Kampf zu untersuchen, in dem die verschiedenen Sozialgruppen das wertbezogene Klassifikationssystem ei­ ner Gesellschaft umzudeuten versuchen, um ihr soziales Prestige und damit ihre Machtposition zu erhöhen (vgl. u.a. Pierre Bourdieu, Die fei­ nen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt am Main 1982); allerdings neigt Bourdieu dazu, so habe ich zu zeigen ver­ sucht, die normative Logik dieses symbolischen Kampfes um soziale Wertschätzung auszublenden, weil er seinen Analysen eine ökonomische Theorie des Handelns zugrundelegt: vgl. Honneth, Axel, »Die zerrissene Welt der symbolischen Formen. Zum kultursoziologischen Werk Pierre Bourdieus«, in: ders., Die zerrissene Welt des Sozialen, Frankfurt am Main 1990, S. ij6ff. 206

bestimmt, die soziale Gruppen an der Aufwertung der von ihnen repräsentierten Fähigkeiten und Eigenschaften besit­ zen; aber innerhalb der auf konflikthaftem Wege zustandegekommenen Wertordnungen bemißt sich das soziale Anse­ hen der Subjekte doch an den individuellen Leistungen, die sie im Rahmen ihrer besonderen Formen der Selbstverwirk­ lichung gesellschaftlich erbringen. Auf ein derartiges Orga­ nisationsmuster der sozialen Wertschätzung sind nun die Vorschläge normativ bezogen, die Hegel mit seinem Kon­ zept der »Sittlichkeit«, Mead mit seiner Idee einer demokra­ tischen Arbeitsteilung unabhängig voneinander unterbreitet haben; denn beide visieren sie in ihren Lösungsmodellen eine soziale Wertordnung an, in der die gesellschaftlichen Ziel­ setzungen eine so komplexe und reiche Auslegung erfahren haben, daß im Grunde genommen jeder einzelne die Chance zur Erlangung sozialen Ansehens erhält. Die theoretischen Sackgassen, in die freilich sowohl Hegel als auch Mead in der Ausarbeitung ihres gemeinsamen Kerngedankens jeweils ge­ raten sind, habe ich bereits darzusteilen versucht; daher soll hier nur noch beantwortet werden, warum sich als Oberbe­ griff für die von beiden vorgeschlagenen Lösungsmodelle die Kategorie der »Solidarität« empfiehlt. Allerdings ist eine Klärung dieser Frage nur möglich, wenn zuvor kurz die Art von individuellem Selbstverhältnis offengelegt wird, die mit der Erfahrung sozialer Wertschätzung einhergeht. Solange die Anerkennungsform der Wertschätzung stän­ disch organisiert ist, kann sich die mit ihr korrespondierende Erfahrung der sozialen Auszeichnung weitgehend nur auf die kollektive Identität der eigenen Gruppe beziehen: noch sind nämlich die Leistungen, für deren gesellschaftlichen Wert der einzelne sich anerkannt finden mag, so wenig von den typisierten Kollektiveigenschaften seines Standes abge­ hoben, daß er auch nicht sich selbst als individuiertes Sub­ jekt, sondern nur die Gruppe in ihrer Gesamtheit als Adressat der Wertschätzung empfinden kann. Die prakti­ sche Selbstbeziehung, zu der eine derartige Erfahrung von 207

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Anerkennung die Individuen gelangen läßt, ist daher ein Ge­ fühl des Gruppenstolzes oder der kollektiven Ehre; darin weiß der einzelne sich als Mitglied einer sozialen Gruppe, die gemeinsam Leistungen zu erbringen in der Lage ist, deren Wert für die Gesellschaft von all ihren übrigen Angehörigen anerkannt wird. Im Binnenverhältnis solcher Gruppen neh­ men die Interaktionsformen im Normalfall, weil jedes Mit­ glied sich von allen anderen im selben Maße geschätzt weiß, den Charakter von solidarischen Beziehungen an; denn un­ ter »Solidarität« läßt sich in einem ersten Vorgriff eine Art von Interaktionsverhältnis verstehen, in dem die Subjekte wechselseitig an ihren unterschiedlichen Lebenswegen An­ teil nehmen, weil sie sich untereinander auf symmetrische Weise wertschätzen.66 Dieser Vorschlag erklärt auch den Umstand, daß der Begriff der »Solidarität« bislang vornehm­ lich auf Gruppenbeziehungen Anwendung findet, die unter der Erfahrung gemeinsamen Widerstandes gegen politische Unterdrückung entstehen; hier ist es nämlich die alles be­ herrschende Übereinstimmung im praktischen Ziel, die schlagartig einen intersubjektiven Werthorizont erzeugt, in dem jeder die Bedeutung der Fähigkeiten und Eigenschaften des anderen gleichermaßen anzuerkennen lernt.67 Auch die Tatsache, daß der Krieg häufig ein kollektives Ereignis dar­ stellt, das spontane Beziehungen der solidarischen Anteil­ nahme über soziale Grenzen hinweg zu stiften vermag, läßt sich mit dem Mechanismus der symmetrischen Wertschät­ zung erklären: wiederum entsteht hier unter der geteilten Erfahrung schwerer Belastungen und Entbehrungen mit einem Mal ein neues Wertgefüge, das es den Subjekten wechselseitig erlaubt, den anderen für Leistungen und Fä66 So auch der Begriffsvorschlag von Julian Pitt-Rivers, »Honor«, a.a.O., S. 507: »The reciprocal demonstrations of favor, which might be called mutual honoring, establish relationships of solidarity«. 67 Darauf ist Sartres berühmte Formel von der fusionierenden Gruppe be­ grifflich zugeschnitten, vgl. Jean-Paul Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, 1. Bd., Reinbek b. Hamburg 1967, S. jéjff. 208

higkeiten wertzuschätzen, die zuvor ohne gesellschaftliche Bedeutung gewesen waren. Nun ist bislang aber nur diejenige Art von praktischer Selbstbeziehung geklärt, zu der die soziale Wertschätzung die Individuen gelangen läßt, solange sie noch nach ständi­ schem Muster organisiert ist. Mit der geschilderten Indivi­ dualisierung dieser Anerkennungsform verändert sich je­ doch auch das praktische Verhältnis, in das sie die Subjekte mit sich selber treten läßt; der einzelne muß jetzt die Ach­ tung, die er für seine Leistungen gemäß kulturellen Stan­ dards sozial genießt, nicht länger einem ganzen Kollektiv zurechnen, sondern kann sie positiv auf sich selber zurück­ beziehen. Insofern geht unter den veränderten Bedingungen mit der Erfahrung sozialer Wertschätzung ein gefühlsmäßi­ ges Vertrauen darin einher, Leistungen zu erbringen oder Fähigkeiten zu besitzen, die von den übrigen Gesellschafts­ mitgliedern als »wertvoll« anerkannt werden; wir können eine solche Art der praktischen Selbstbeziehung, für die um­ gangssprachlich der Ausdruck »Selbstwertgefühl« vor­ herrscht, in kategorialer Parallele zu den bislang verwende­ ten Begriffen des »Selbstvertrauens« und der »Selbstach­ tung« sinnvollerweise »Selbstschätzung« nennen.68 Insoweit nun jedes Mitglied einer Gesellschaft in die Lage versetzt wird, sich selber in dieser Weise wertzuschätzen, läßt sich von einem posttraditionalen Zustand gesellschaftlicher Soli­ darität sprechen (vgl. Schema Seite 211). Solidarität ist unter den Bedingungen moderner Gesellschaf­ ten daher an die Voraussetzung von sozialen Verhältnissen der symmetrischen Wertschätzung zwischen individualisier­ ten (und autonomen) Subjekten gebunden; sich in diesem Sinne symmetrisch wertzuschätzen heißt, sich reziprok im Lichte von Werten zu betrachten, die die Fähigkeiten und 68 Vgl. dazu, mit den bereits erwähnten Vorbehalten, die Untersuchung von Nathaniel Branden, The Psychology of Self-Esteem, a.a.O.; in diesem Zusammenhang auch: Helen M. Lynd, On Shame and the Search for Identity, New York 1958. 209

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Eigenschaften des jeweils anderen als bedeutsam für die ge­ meinsame Praxis erscheinen lassen. Beziehungen solcher Art sind »solidarisch« zu nennen, weil sie nicht nur passive To­ leranz gegenüber, sondern affektive Anteilnahme an dem individuell Besonderen der anderen Person wecken: denn nur in dem Maße, in dem ich aktiv dafür Sorge trage, daß sich ihre mir fremden Eigenschaften zu entfalten vermögen, sind die uns gemeinsamen Ziele zu verwirklichen. Daß »symme­ trisch« hier nicht bedeuten kann, sich wechselseitig im glei­ chen Maße wertzuschätzen, geht schon aus der prinzipiellen Deutungsoffenheit aller gesellschaftlichen Werthorizonte hervor: es ist schlechterdings keine kollektive Zielsetzung vorstellbar, die in sich quantitativ so zu fixieren wäre, daß sie einen exakten Vergleich zwischen dem Wert der einzelnen Beiträge gestatten würde; »symmetrisch« muß vielmehr hei­ ßen, daß jedes Subjekt ohne kollektive Abstufungen die Chance erhält, sich in seinen eigenen Leistungen und Fähig­ keiten als wertvoll für die Gesellschaft zu erfahren. Daher auch können gesellschaftliche Verhältnisse, wie wir sie hier unter dem Begriff der »Solidarität« ins Auge gefaßt haben, überhaupt erst den Horizont eröffnen, in dem die individu­ elle Konkurrenz um soziale Wertschätzung eine schmerz­ freie, nämlich von Erfahrungen der Mißachtung ungetrübte Gestalt annimmt.

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Wert von Einzelnen oder Gruppen bezieht; erst mit solchen, gewissermaßen evaluativen Formen der Mißachtung, der Herabwürdigung von individuellen oder kollektiven Le­ bensweisen, ist eigentlich die Verhaltensform erreicht, die heute umgangssprachlich vor allem mit Begriffen wie »Be­ leidigung« oder »Entwürdigung« bezeichnet wird. Mit der »Ehre«, der »Würde« oder, modern gesprochen, dem »Sta­ tus« einer Person ist, so hatten wir gesehen, das Maß an sozialer Wertschätzung gemeint, das ihrer Art der Selbstver­ wirklichung im kulturellen Überlieferungshorizont einer Gesellschaft zugebilligt wird; ist nun diese gesellschaftliche Werthierarchie so beschaffen, daß sie einzelne Lebensfor­ men und Überzeugungsweisen als minderwertig oder man­ gelhaft herabstuft, dann nimmt sie den davon betroffenen Subjekten jede Möglichkeit, ihren eigenen Fähigkeiten einen sozialen Wert beizumessen. Die evaluative Degradierung von bestimmten Mustern der Selbstverwirklichung hat für deren Träger zur Folge, daß sie sich auf ihren Lebensvollzug nicht als auf etwas beziehen können, dem innerhalb ihres Gemeinwesens eine positive Bedeutung zukommt; für den Einzelnen geht daher mit der Erfahrung einer solchen sozia­ len Entwertung typischerweise auch ein Verlust an persön­ licher Selbstschätzung einher, der Chance also, sich selber als ein in seinen charakteristischen Eigenschaften und Fähigkei­ ten geschätztes Wesen verstehen zu können. Was also hier der Person durch Mißachtung an Anerkennung entzogen wird, ist die soziale Zustimmung zu einer Form von Selbst­ verwirklichung, zu der sie selber erst mit Hilfe der Ermuti­ gung durch Gruppensolidaritäten beschwerlich hat finden müssen. Allerdings kann ein Subjekt solche Arten der kul­ turellen Degradierung überhaupt nur in dem Maße auf sich als Einzelperson beziehen, in dem sich die institutionell ver­ ankerten Muster der sozialen Wertschätzung historisch in­ dividualisiert haben, also statt auf Kollektiveigenschaften auf individuelle Fähigkeiten wertend Bezug nehmen; daher ist auch diese Erfahrung von Mißachtung, wie schon die der 217

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Entrechtung, in einen Prozeß historischer Veränderungen eingespannt. Für die drei Gruppen von Mißachtungserfahrungen, die sich auf diese Weise analytisch voneinander unterscheiden lassen, ist es nun typisch, daß ihre individuellen Konsequenzen stets mit Metaphern beschrieben werden, die sich auf Verfallzu­ stände des menschlichen Körpers beziehen: in den psycho­ logischen Untersuchungen, die den persönlichen Folgelasten des Erlebnisses von Folter oder Vergewaltigung nachgehen, ist häufig vom »psychischen Tod« die Rede; innerhalb des Forschungsbereichs, der sich am Beispiel der Sklaverei mit der kollektiven Verarbeitung von Entrechtung und gesell­ schaftlicher Ausschließung beschäftigt, hat sich der Begriff des »sozialen Todes« inzwischen eingebürgert; und in Hin­ blick auf den Typ von Mißachtung, der sich in der kulturellen Herabwürdigung einer Lebensform findet, ist es die Kate­ gorie der »Kränkung«, die bevorzugt Verwendung findet.4 In solchen metaphorischen Anspielungen auf physisches Leiden und Sterben kommt sprachlich zum Ausdruck, daß den verschiedenen Formen von Mißachtung für die psychi­ sche Integrität der Menschen dieselbe negative Rolle zu­ kommt, die die organischen Erkrankungen im Zusammen­ hang der Reproduktion seines Körpers übernehmen: durch die Erfahrung von sozialer Erniedrigung und Demütigung sind menschliche Wesen in ihrer Identität ebenso gefährdet, wie sie es in ihrem physischen Leben durch das Erleiden von Krankheiten sind. Wenn diese, durch unsere Sprachpraxis nahegelegte Deutung nicht vollkommen unplausibel ist, dann enthält sie zwei implizite Hinweise, die für die von uns 4 In die Richtung einer Kategorie des »psychischen Todes« zielen z.B. die Untersuchungen von Bruno Bettelheim, vgl. etwa: ders., Erziehung zum Überleben. Zur Psychologie der Extremsituation, München 1982, u.a. Teil I; zur Kategorie des »sozialenTodes«, vgl. u.a.: Orlando Patterson, Slavery and Social Death. A Comparative Study, Cambridge/Mass. 1982; Claude Meillassoux, Anthropologie der Sklaverei, Frankfurt am Main 1989, Erster Teil, Kap. V. 218

verfolgten Zwecke beide von Bewandtnis sind. Zum einen regt der Vergleich mit der physischen Erkrankung dazu an, auch für das Erleiden von sozialer Mißachtung die Schicht von Symptomen zu benennen, die das betroffene Subjekt gewissermaßen auf seinen eigenen Zustand aufmerksam ma­ chen; den körperlichen Anzeichen entsprechen hier, so ist zu vermuten, solche negativen Gefühlsreaktionen, wie sie in Empfindungen der sozialen Scham zum Ausdruck gelangen. Zum anderen gibt der angestellte Vergleich aber auch die Chance, aus dem Überblick über die verschiedenen Mißach­ tungsformen Rückschlüsse auf das zu ziehen, was gleichsam zur »psychischen« Gesundheit, zur Integrität menschlicher Wesen beiträgt: der vorsorgenden Vermeidung von Krank­ heiten entspräche, so gesehen, die soziale Garantie von Anerkennungsverhältnissen, welche die Subjekte vor dem Erleiden von Mißachtung weitestgehend zu schützen ver­ mögen. Während dieser zweite Vergleich für uns erst von Interesse sein wird, wenn wir den dargelegten Zusammen­ hang zwischen personaler Integrität und Mißachtung auf seine normativen Konsequenzen hin betrachten (Kap. 9), besitzt jener erste Vergleich Bedeutung schon für die hier zu entwickelnde Argumentation: denn die negativen Gefühls­ reaktionen, die die Erfahrung von Mißachtung psychisch begleiten, können genau die affektive Antriebsbasis darstel­ len, in denen der Kampf um Anerkennung motivational verankert ist. Weder bei Hegel noch bei Mead hatte sich ein Hinweis dar­ auf gefunden, wie die Erfahrung sozialer Mißachtung ein Subjekt dazu motivieren kann, in einen praktischen Kampf oder Konflikt einzutreten; es fehlte gewissermaßen das psy­ chische Zwischenglied, das vom bloßen Erleiden zur aktiven Handlung überleitet, indem es die betroffene Person kogni­ tiv über seine soziale Lage informiert. Ich möchte die These vertreten, daß diese Funktion von negativen Gefühlsreaktio­ nen erfüllt werden kann, wie sie die Scham oder die Wut, die Kränkung oder die Verachtung bilden; aus ihnen setzen sich 2I9

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die psychischen Symptome zusammen, anhand derer ein Subjekt zu erkennen vermag, daß ihm soziale Anerkennung ungerechtfertigerweise vorenthalten wird. Der Grund dafür ist wiederum in der konstitutionellen Abhängigkeit des Menschen von der Erfahrung der Anerkennung zu sehen: um zu einer geglückten Selbstbeziehung zu gelangen, ist er auf die intersubjektive Anerkennung seiner Fähigkeiten und Leistungen angewiesen; bleibt eine solche Form der sozialen Zustimmung auf irgendeiner Stufe seiner Entwicklung aus, so reißt das in seiner Persönlichkeit gleichsam eine psychi­ sche Lücke auf, in die negative Gefühlsreaktionen wie die Scham oder die Wut treten. Daher ist die Erfahrung von Mißachtung stets von affektiven Empfindungen begleitet, die dem Einzelnen prinzipiell offenbaren können, daß ihm bestimmte Formen der Anerkennung sozial vorenthalten werden. Um diese komplexe These wenigstens in Umrissen plausibel machen zu können, empfiehlt sich die Anknüpfung an ein Konzept der menschlichen Gefühle, wie es John De­ wey in seiner pragmatistischen Psychologie entwickelt hat. Dewey hatte sich in einigen frühen Aufsätzen gegen die weit­ verbreitete Auffassung gerichtet, nach der sich Gefühlserre­ gungen beim Menschen als Ausdrucksformen innerer Ge­ mütszustände begreifen lassen müssen; von einer derartigen, auch bei William James noch anzutreffenden Konzeption wollte er zeigen, daß sie die handlungsbezogene Funktion von Gefühlen zwangsläufig verkennen muß, weil das psy­ chische Geschehen stets schon als ein »Inneres« den nach »außen« gerichteten Handlungen vorausgesetzt wird.5 Den Ausgangspunkt der Argumentation Deweys stellt die Beob5 Vgl. John Dewey, The Theory of Emotion, I, in: Psychological Review 1894, S. 553ff.; II, in: Psychological Review 1895, S. ijff.; vgl. zur Ge­ fühlstheorie Deweys das hilfreiche Referat von Eduard Baumgarten, Die geistigen Grundlagen des amerikanischen Gemeinwesens, Bd. II, Der Pragmatismus: R. MX Emerson, W. James,]. Dewey, Frankfurt am Main 1938, S. 247 ff. 220

achtung dar, daß Gefühle im Erlebnishorizont des Menschen überhaupt nur in positiver oder negativer Abhängigkeit von Handlungsvollzügen auftreten: entweder begleiten sie näm­ lich als leibgebundene Erregungszustände die Erfahrung besonders geglückter »Kommunikationen« (mit Dingen oder Personen) oder sie entstehen als die Erlebnisse eines Rückstoßes von gescheiterten, gestörten Handlungsvollzü­ gen. Die Analyse solcher Rückstoßerlebnisse gibt Dewey den Schlüssel an die Hand, der ihn zu einer handlungstheo­ retischen Konzeption menschlicher Gefühle gelangen läßt. Ihr zufolge sind negative Gefühle wie Wut, Empörung und Trauer die affektive Seite jener Aufmerksamkeitsverlagerung auf die eigenen Erwartungshaltungen, die in dem Augen­ blick eintreten muß, in dem für eine vollzogene Handlung der geplante Anschluß nicht gefunden werden kann; mit positiven Gefühlen wie Freude oder Stolz reagiert das Sub­ jekt hingegen dann, wenn es von einem lastenden Erregungs­ zustand schlagartig befreit wird, weil es für ein drängendes Handlungsproblem eine passende, glückende Lösung hat finden können. Insgesamt stellen Gefühle somit für Dewey die affektiven Reaktionen im Rückstoß des Erfolges oder Mißerfolges unserer Handlungsabsichten dar. Von diesem allgemeinen Ausgangspunkt aus läßt sich nun ein Weg zu weiteren Differenzierungen finden, wenn die Arten von »Störungen« genauer unterschieden werden, an denen das habitualisierte Handeln der Menschen prinzipiell scheitern kann. Weil derartige Störungen oder Mißerfolge sich jeweils an den Erwartungshaltungen ermessen, die dem Handlungsvollzug orientierend vorauslaufen, bietet sich eine erste, grobe Unterteilung anhand von zwei unterschied­ lichen Typen von Erwartungen an: auf Hindernisse kann das routinisierte Handeln der Menschen entweder im Bezugs­ rahmen von instrumentalen Erfolgserwartungen oder im Bezugsrahmen von normativen Verhaltenserwartungen sto­ ßen. Scheitern erfolgsorientierte Handlungen an Widerständigkeiten, die ihnen unvorhergesehen in dem zu bewältigen221

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den Aufgabenfeld begegnen, so führt das zu »technischen« Störungen im weitesten Sinn, prallen hingegen normengelei­ tete Handlungen an Situationen ab, weil die als gültig unter­ stellten Normen verletzt werden, so führt das zu »morali­ schen« Konflikten in der sozialen Lebenswelt. Dieser zweite Teil von gestörten Handlungsvollzügen konstituiert den Er­ fahrungshorizont, in dem die moralischen Gefühlsreaktio­ nen des Menschen ihren praktischen Sitz haben; sie lassen sich im Sinne Deweys als die emotionalen Erregungen ver­ stehen, mit denen menschliche Wesen reagieren, wenn sie einen unvorhergesehenen Rückstoß ihres Handelns auf­ grund der Verletzung normativer Verhaltenserwartungen erleben. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Gefühls­ reaktionen bemessen sich ganz elementar daran, ob die handlungsbremsende Verletzung einer Norm durch das tä­ tige Subjekt selber oder durch seine Interaktionspartner verursacht wird: im ersten Fall sind es Schuldgefühle, im zweiten Fall Affekte der moralischen Empörung, mit denen die Person den Rückstoß ihrer Handlungen erlebt. Für beide Fälle aber gilt, was Dewey überhaupt als typisch für solche Situationen des affektiven Erlebnisses in sich zurück­ schlagenden Handelns angesehen hat: daß mit der Auf­ merksamkeitsverlagerung auf die eigenen Erwartungshal­ tungen zugleich deren kognitive Elemente, hier also das moralische Wissen, zu Bewußtsein gelangen, von denen die geplante und nun gebremste Handlung sich hatte leiten las­ sen. Unter den moralischen Gefühlen besitzt nun die Scham, soweit mit ihr nicht nur die anthropologisch offenbar tief verankerte Scheu vor der Bloßstellung des eigenen Körpers gemeint ist, den offensten Charakter; bei ihr ist nicht von vornherein festgelegt, von welcher Interaktionsseite aus die moralische Norm verletzt wird, die dem Subjekt für die routinisierte Fortsetzung seines Handelns gleichsam fehlt. Der Empfindungsgehalt der Scham besteht zunächst, wie psy­ choanalytische und phänomenologische Ansätze überein222

stimmend festhalten, in einer Art von Senkung des eigenen Selbstwertgefühls; das Subjekt, das sich im Erlebnis des Rückschlags seines Handelns seiner selbst schämt, erfährt sich als von geringerem sozialen Wert, als es vorgängig un­ terstellt hatte; psychoanalytisch betrachtet heißt das, daß durch die handlungsbremsende Verletzung einer morali­ schen Norm hier nicht das Über-Ich, sondern die Ichideale eines Subjekts negativ betroffen werden.6 Eine solche Art von Scham, die nur in der Präsenz realer oder imaginierter Interaktionspartner erlebt wird, denen gewissermaßen die Rolle von Zeugen der verletzten Ichideale zufällt, kann auf Selbstverursachung oder Fremdverschulden zurückgehen: im ersten Fall erlebt das Subjekt sich deswegen als minder­ wertig, weil es eine moralische Norm verletzt hat, deren Einhaltung einen Grundsatz seiner eigenen Ichideale ausge­ macht hatte; im zweiten Fall aber wird das Subjekt deswegen von einer Empfindung mangelnden Selbstwertes niederge­ drückt, weil seine Interaktionspartner moralische Normen verletzen, deren Einhaltung es als die Person haben gelten lassen, die es seinen Ichidealen gemäß zu sein wünscht; hier wird die moralische Krise in der Kommunikation also da­ durch ausgelöst, daß normative Erwartungen enttäuscht werden, die das tätige Subjekt an die Achtungsbereitschaft seines Gegenübers glaubte stellen zu können. Insofern re­ präsentiert dieser zweite Typ moralischer Scham die Ge­ fühlserregung, von der ein Subjekt überwältigt wird, wenn es aufgrund der Erfahrung einer Mißachtung seiner Ichansprüche nicht einfachhin weiterzuhandeln vermag; das, was es in einer derartigen Empfindung über sich selber erfährt, ist die 6 Vgl. exemplarisch: Gerhart Piers/Milton B. Singer, Shame and Guilt. A Psychoanalytic and a Cultural Study, New York 1971, bes. S. 23 ff.; Helen M. Lynd, On Shame and the Search for Identity, a.a.O., Kap. 2; auch G. Simmel hat in seinem kurzen Beitrag eine ähnliche Bestimmung vor Augen: Georg Simmel, »Zur Psychologie der Scham« (1901), in: ders., Schriften zur Soziologie, hrsg. von H.-J. Dahme und O. Rammstedt, Frankfurt am Main 1983, S. 140fr. 2^3

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konstitutive Abhängigkeit seiner eigenen Person von der Anerkennung durch Andere.7 In solchen Gefühlsreaktionen der Scham kann die Erfahrung von Mißachtung zum motivationalen Anstoß eines Kampfes um Anerkennung werden. Denn die affektive Spannung, in die das Erleiden von Demütigungen den einzelnen hinein­ zwingt, ist von ihm jeweils nur aufzulösen, indem er wieder zur Möglichkeit des aktiven Handelns zurückfindet; daß diese neueröffnete Praxis aber die Gestalt einer politischen Gegenwehr anzunehmen vermag, ergibt sich aus den Chan­ cen der moralischen Einsicht, die in jenen negativen Emp­ findungen unverbrüchlich als kognitive Gehalte eingelassen sind. Nur weil menschliche Subjekte auf soziale Kränkun­ gen, wie sie die physische Mißhandlung, die Entrechtung und die Entwürdigung darstellen, nicht gefühlsneutral rea­ gieren können, haben die normativen Muster der wechsel­ seitigen Anerkennung innerhalb der sozialen Lebenswelt überhaupt eine gewisse Verwirklichungschance; jede nega­ tive Gefühlsreaktion nämlich, die mit der Erfahrung einer Mißachtung von Anerkennungsansprüchen einhergeht, ent­ hält in sich wieder die Möglichkeit, daß sich dem betroffenen Subjekt das ihm zugefügte Unrecht kognitiv erschließt und zum Motiv des politischen Widerstandes wird. Wie schwach allerdings dieser praktische Halt der Moral innerhalb der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist, zeigt sich daran, daß sich in solchen affektiven Reaktionen das Unrecht der Mißachtung nicht unweigerlich auftun muß, sondern eben nur kann: ob das kognitive Potential, das den Gefühlen der sozialen Scham und des Gekränktseins innewohnt, zu einer politisch-moralischen Überzeugung wird, hängt empi­ risch vor allem davon ab, wie die politisch-kulturelle Um­ welt der betroffenen Subjekte beschaffen ist - nur wenn das Artikulationsmittel einer sozialen Bewegung bereitsteht, 7 Diesen Aspekt unterbewertet die ansonsten vorzügliche Studie von Sighard Neckel, Status und Scham. Zur symbolischen Reproduktion sozialer Un­ gleichheit, Frankfurt am Main 1991. 224

kann die Erfahrung von Mißachtung zu einer Motivations­ quelle von politischen Widerstandshandlungen werden. Über die Logik, der die Entstehung solcher kollektiven Be­ wegungen folgt, unterrichtet freilich erst eine Analyse, die die sozialen Kämpfe aus der Dynamik moralischer Erfah­ rungen heraus zu erklären versucht.

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III. Sozialphilosophischer Ausblick: Moral und gesellschaftliche Entwicklung

Mit den Mitteln einer empirisch kontrollierten Phänomeno­ logie hat sich zeigen lassen, daß die von Hegel und Mead vorgenomme Dreiteilung der Anerkennungsformen an der sozialen Lebenswirklichkeit nicht vollkommen vorbeizielt, ja, daß sie zu einer produktiven Erschließung der morali­ schen Infrastruktur von Interaktionen durchaus in der Lage ist; den theoretischen Vermutungen der beiden Autoren ent­ sprechend, war es daher auch zwanglos möglich, den ver­ schiedenen Mustern der Anerkennung unterschiedliche Ar­ ten der praktischen Selbstbeziehung von Subjekten, also Weisen ihrer positiven Beziehung auf sich selber, zuzuord­ nen. Von hier aus ist es dann nicht mehr schwer gewesen, in einem zweiten Schritt Formen der sozialen Mißachtung da­ nach zu unterscheiden, auf welche Stufe der praktischen Selbstbeziehung von Personen sie verletzend oder gar zer­ störend einzuwirken vermögen. Mit der sehr vorläufigen Unterscheidung von Vergewaltigung, Entrechtung und Ent­ würdigung sind uns die begrifflichen Mittel an die Hand gegeben, die es uns nun erlauben, jene These ein Stück weit zu plausibilisieren, die die eigentliche Herausforderung der von Hegel und Mead geteilten Grundidee ausmacht: daß es nämlich ein Kampf um Anerkennung ist, der als moralische Kraft innerhalb der sozialen Lebenswirklichkeit des Men­ schen für Entwicklungen und Fortschritte sorgt. Um dieser starken, mitunter geschichtsphilosophisch anmutenden Idee eine theoretisch vertretbare Gestalt zu geben, wäre der em­ pirische Nachweis zu führen, daß die Erfahrung von Miß­ achtung die emotionsgebundene Erkenntnisquelle von so­ zialem Widerstand und kollektiven Erhebungen ist; aber auch das kann ich hier nicht auf direkte Weise leisten, son­ dern muß mich mit dem indirekten Weg einer theorie^7

geschichtlichen und illustrativen Annäherung an einen sol­ chen Nachweis begnügen. Dem soll in einem ersten Schritt der Versuch dienen, den Faden der theoriegeschichtlichen Vergegenwärtigung dort wieder aufzunehmen, wo wir ihn mit Hegel und Mead liegengelassen haben: wenn wir die Geschichte des nachhegelschen Denkens daraufhin überprü­ fen, ob sich in ihr Theorien mit einer vergleichbaren Grund­ intention finden, so stoßen wir auf eine Reihe von Ansätzen, in denen die geschichtliche Entwicklung teilweise in Anleh­ nung an Hegel, stets aber ohne Bezug auf Mead, als ein konflikthafter Prozeß des Kampfes um Anerkennung ge­ dacht worden ist. Die systematische Ausdifferenzierung von drei Formen der Anerkennung kann nun helfen, die sachli­ chen Konfusionen transparent zu machen, an denen diese nachhegelschen Konzeptionen bislang stets gescheitert sind: die sozialphilosophischen Theorien von Marx, Sorel und Sartre stellen die bedeutsamsten Beispiele einer Denkströ­ mung dar, in der zwar entgegen Hobbes und Machiavelli soziale Konflikte theoretisch mit Anerkennungsforderun­ gen aufgeladen worden sind, die aber deren moralische Infrastruktur nie wirklich hat durchschauen können (7). Die kritische Fortbildung der damit umrissenen Forschungs­ tradition verlangt aber auch eine Darstellung der histo­ risch-empirischen Indikatoren, die es überhaupt plausibel erscheinen lassen, im Hinblick auf geschichtliche Verän­ derungsprozesse von der Schrittmacherrolle eines »Kamp­ fes um Anerkennung« zu sprechen; daher will ich in einem zweiten Schritt in knapper Form versuchen, die morali­ sche Logik von sozialen Kämpfen so freizulegen, daß es em­ pirisch nicht mehr vollkommen abwegig erscheint, darin die eigentliche Antriebsquelle eines gesellschaftlichen Fort­ schritts zu vermuten (8). Wenn das Hegelsche Konzept des »Kampfes um Anerkennung«, korrigiert durch die Sozial­ psychologie Meads, in diesem Sinn zum Leitfaden einer kritischen Gesellschaftstheorie gemacht werden soll, dann ist damit schließlich die Aufgabe einer philosophischen Be228

gründung ihrer normativ leitenden Perspektive verknüpft; das soll im letzten Kapitel in Form eines formalen Konzepts von Sittlichkeit versucht werden, in dem die intersubjektiven Bedingungen der personalen Integrität als Voraussetzungen interpretiert werden, die zusammengenommen dem Zweck der individuellen Selbstverwirklichung dienen (9).

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7. Spuren einer sozialphilosophischen Tradition: Marx, Sorel, Sartre

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Nie hat das ausdifferenzierte Konfliktmodell der Anerken­ nung, das Hegel sich in seinen Jenaer Jahren erarbeitet hat, einen bedeutenden Einfluß auf die Geschichte des sozialphi­ losophischen Denkens ausüben können; stets ist es im Schat­ ten der methodisch überlegenen, gewiß auch literarisch eindrucksvolleren »Phänomenologie des Geistes« verblie­ ben, in der das Thema des »Kampfes um Anerkennung« auf die eine Frage nach den Entstehungsbedingungen des »Selbstbewußtseins« eingeschränkt worden war. Gleich­ wohl hat die Suggestivkraft des Herr-Knecht-Kapitels aus­ gereicht, um eine Wende in der politischen Theoriebildung herbeizuführen, in deren Folge auch die Zentralmotive der früheren Schriften der Sache nach präsent zu bleiben ver­ mochten: mit seinem Vorschlag, den Konflikt zwischen Herr und Knecht als einen Kampf um die Anerkennung von Identitätsansprüchen zu interpretieren, hat Hegel eine Denkbewegung zu initiieren vermocht, in der die soziale Entzweiung zwischen den Menschen entgegen Machiavelli und Hobbes auf die Erfahrung einer Verletzung moralischer Ansprüche zurückgeführt werden konnte. Der Autor, in dessen Werk diese epochale Neubestimmung des sozialen Kampfes ihre ersten, bis heute einflußreichsten Spuren hin­ terlassen hat, war Karl Marx; in seiner Lehre vom Klassen­ kampf ist die moraltheoretische Intuition, von der der junge Hegel sich hatte leiten lassen, eine spannungsreiche, höchst ambivalente Synthese mit den Strömungen des Utilitarismus eingegangen. Nach Jahrzehnten ökonomistischer Verengun­ gen des Marxismus hat es dann wiederum Georges Sorel unternommen, den Prozeß gesellschaftlicher Veränderungen in die Perspektive eines Kampfes um Anerkennung zu rük230

ken; seine Beiträge zur Überwindung des sozialwissen­ schaftlichen Utilitarismus, von Vico und Bergson stärker beeinflußt als von Hegel, stellen den geradezu gefährlich mißglückten Versuch einer anerkennungstheoretischen In­ terpretation von Geschichte dar. In der jüngsten Vergangen­ heit schließlich war es Jean-Paul Sartre, der wie kein anderer dazu beigetragen hat, die Idee eine »Kampfes um Anerken­ nung« für die Zwecke einer kritisch angelegten Sozialtheorie fruchtbar zu machen; die existentialphilosophische Wen­ dung, die er dem Hegelschen Konzept gegeben hat, stand jedoch von Anfang an mit den anerkennungstheoretischen Motiven seiner politischen Zeitdiagnosen in einem unaufge­ lösten Konflikt. Der entscheidende Grund für das Scheitern dieser durch Marx, Sorel und Sartre repräsentierten Theo­ rieabsicht ist freilich in allen Fällen der gleiche: stets ist der soziale Entwicklungsprozeß jeweils nur unter einem der drei moralischen Aspekte in den Blick genommen worden, die wir im Anschluß an den frühen Hegel an der Bewegung der Anerkennung systematisch unterschieden haben. Immerhin aber stellen die verschiedenen Ansätze die Bruchstücke einer Denktradition dar, deren nachträgliche Erschließung uns mit den Aufgaben konfrontiert, an denen eine anerken­ nungstheoretische Interpretation des moralischen Fon­ schritts sich heute zu bewähren hat. Schon Marx, dem zwar die Phänomenologie des Geistes, aber nicht die Jenenser Realphilosophie zur Verfügung ge­ standen hat, greift in den Pariser Manuskripten die Idee des Kampfes um Anerkennung nur in der verengten Fassung auf, die sie in der Dialektik von Herr und Knecht angenommen hatte; dadurch ist er jedoch bereits zu Beginn seines Schaf­ fens der problematischen Tendenz erlegen, das Spektrum der Anerkennungsforderungen auf die Dimension der Selbstver­ wirklichung in der Arbeit zu reduzieren.1 Allerdings legt 1 Zur Mantschen Rezeption der Hegelschen Dialektik von »Herr und Knecht« vgl. Thomas Meyer, Der Zwiespalt in der Marxschen Emanzipa­ tionstheorie, Kronberg/Ts. 1973, u.a. Kap. A 2, S. 44ff. *31

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Marx seiner ursprünglichen Anthropologie noch einen Be­ griff der Arbeit zugrunde, der normativ so stark aufgeladen ist, daß er den Akt des Produzierens selbst als einen Prozeß der intersubjektiven Anerkennung konstruieren kann: im Vollzug ganzheitlicher Arbeit, die nach dem Modell hand­ werklicher oder künstlerischer Tätigkeiten vorgestellt ist2, verschränkt sich die Erfahrung der Vergegenständlichung ei­ gener Fähigkeiten derart mit der geistigen Vorwegnahme eines möglichen Konsumenten, daß der einzelne durch sie zu einem intersubjektiv vermittelten Selbstwertgefühl gelangt. So spricht Marx in seinem Exzerpt aus James Mills politi­ scher Ökonomie, das zeitgleich mit den Pariser Manu­ skripten entsteht3, von der »doppelten Bejahung«, die ein Subjekt sich selbst und dem anderen gegenüber durch die Arbeit erfährt: im Spiegel des produzierten Gegenstandes kann es sich nämlich nicht nur als ein Individuum erleben, dem bestimmte Fähigkeiten positiv zukommen, sondern auch als eine Person begreifen, die zur Befriedigung der Be­ dürfnisse eines konkreten Interaktionspartners in der Lage ist.4 Den Kapitalismus, also die Verfügungsgewalt einer ein2 Vgl. dazu Honneth, Axel, »Arbeit und instrumentales Handeln«, in: Axel Honneth/Urs Jaeggi (Hg.), Arbeit, Handlung, Normativität, Frankfurt am Main 1980, S. 185fr. 3 Den Hinweis auf diese Schrift verdanke ich Hans Joas, Die Kreativität des Handelns, Frankfurt am Main 1992, S. 138 ff. 4 Die Stelle lautet vollständig: »Gesetzt, wir hätten als Menschen produziert: Jeder von uns hätte in seiner Produktion sich selbst und den anderen dop­ pelt bejaht. Ich hätte 1. in meiner Produktion meine Individualität, ihre Eigentümlichkeit vergegenständlicht und daher sowohl während der Tä­ tigkeit eine individuelle Lebensäußerung genossen, als im Anschauen des Gegenstandes die individuelle Freude, meine Persönlichkeit als gegen­ ständliche, sinnlich anschaubare und darum über allen Zweifel erhabene Macht zu wissen. 2. In deinem Genuß oder deinem Gebrauch meines Pro­ dukts hätte ich unmittelbar den Genuß, sowohl des Bewußtseins, in meiner Arbeit ein menschliches Bedürfnis befriedigt, also das menschliche Wesen vergegenständlicht und daher dem Bedürfnis eines andern menschlichen Wesens seinen entsprechenden Gegenstand verschafft zu haben, 3. für dich der Mittler zwischen dir und der Gattung gewesen zu sein, also von dir

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zigen Klasse über die Mittel der Produktion, versteht Marx aus dieser Perspektive nun als eine Gesellschaftsordnung, die die durch Arbeit vermittelten Anerkennungsbeziehungen zwischen den Menschen zwangsläufig zerstört; denn mit der Trennung von den Produktionsmitteln wird den Arbeiten­ den auch die Möglichkeit der eigenständigen Kontrolle ihrer Tätigkeitsvollzüge entrissen, die doch die soziale Vorausset­ zung dafür ist, daß sie sich wechselseitig als Kooperations­ partner in einem gemeinschaftlichen Lebenszusammenhang anerkennen können. Wenn aber die Folge der kapitalisti­ schen Organisation der Gesellschaft die Zerstörung der arbeitsvermittelten Anerkennungsbeziehungen ist, dann muß der geschichtliche Konflikt, der daraufhin einsetzt, als ein Kampf um Anerkennung begriffen werden; der frühe Marx kann deshalb, an die Herr-Knecht-Dialektik der »Phä­ nomenologie« anknüpfend, die sozialen Auseinanderset­ zungen seiner Zeit noch als einen moralischen Kampf interpretieren, den die unterdrückten Arbeiter um die Wie­ derherstellung der sozialen Möglichkeiten vollständiger An­ erkennung führen. Nicht eine strategische Auseinanderset­ zung um den Erwerb von Gütern oder Machtmitteln stellt der Klassenkampf für ihn zunächst dar, sondern einen mo­ ralischen Konflikt, in dem es um die »Befreiung« der Arbeit als der entscheidenden Bedingung symmetrischer Wert­ schätzung und individuellem Selbstbewußtsein geht. Frei­ lich sind in diesen Interpretationsrahmen eine Reihe von geschichtsphilosophischen Voraussetzungen eingelassen, über deren spekulativen Charakter sich Marx alsbald soweit selbst als eine Ergänzung deines eigenen Wesens und als ein notwendiger Teil deiner selbst gewußt und empfunden zu werden, also sowohl in dem Denken wie in deiner Liebe mich bestätigt zu wissen, 4. in meiner indivi­ duellen Lebensäußerung unmittelbar deine Lebensäußerung geschaffen zu haben, also in meiner individuellen Tätigkeit unmittelbar mein wahres We­ sen, mein menschliches, mein Gemeinwesen bestätigt und verwirklicht zu haben« (Karl Marx, »Auszüge aus James Mills Buch«, in: Marx/Engels Werke, Berlin 1956-68, Ergänzungsband I, S. 443, hier: S. 462).

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Rechenschaft abgelegt hat, daß er sie in der Fortentwicklung seiner wissenschaftlichen Analyse des Kapitalismus nur noch abgeschwächt übernimmt. An das anerkennungstheoretische Konfliktmodell der Hegelschen »Phänomenologie« hat der junge Marx nur an­ schließen können, weil er in seinem anthropologischen Begriff der Arbeit das Element der persönlichen Selbstver­ wirklichung unmittelbar mit dem der intersubjektiven An­ erkennung identifiziert: das menschliche Subjekt, so ist seine Konstruktion zu verstehen, verwirklicht sich im Vollzug des Produzierens nicht nur selber, indem es seine individuellen Fähigkeiten schrittweise vergegenständlicht, sondern voll­ zieht ineins damit auch eine affektive Anerkennung all seiner Interaktionspartner mit, weil es sie als bedürftige Mitsub­ jekte antizipiert. Ist dieser einheitliche Tätigkeitsvollzug durch das kapitalistische Produktionsverhältnis aber einmal zerrissen, so muß jeder Kampf um die Selbstverwirklichung in der Arbeit zugleich auch als ein Beitrag zur Wiederher­ stellung von reziproken Beziehungen der Anerkennung be­ griffen werden; denn mit der Rückgewinnung der Möglich­ keit selbstbestimmter Arbeit wäre mit einem Schlag auch die soziale Bedingung reetabliert, unter der die Subjekte sich wechselseitig als bedürftige Gattungswesen bejahen. Daß in einer solchen Konstruktion auf höchst problematische Weise Traditionsbestände der romantischen Ausdrucksanthropo­ logie, des Feuerbachschen Begriffs der Liebe und der engli­ schen Nationalökonomie zusammenfließen, hat Marx sich wohl aus Gründen mangelnder Distanz als solches nie selber klarmachen können; immerhin aber müssen ihn die unhalt­ baren Prämissen seiner geschichtsphilosophischen Spekula­ tion schon bald so weit durchschaubar geworden sein, daß er von ihnen durch eine theoretische Wende seines Ansatzes Abschied genommen hat: weder läßt sich die Arbeit, selbst wenn sie produktionsästhetisch als handwerkliche oder künstlerische Tätigkeit gedacht wird, ohne weiteres als ein Prozeß der Vergegenständlichung von »inneren« Wesens234

!• kräften vorstellen5, noch darf sie in sich bereits als vollstän­ dige Realisierung von Beziehungen intersubjektiver Aner­ kennung aufgefaßt werden. Durch das Vergegenständlichungsmodell wird der irrtümliche Eindruck erweckt, als seien alle individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten etwas innerpsychisch stets schon vollständig Gegebenes, das dann erst sekundär im Vollzug des Produzierens zum Ausdruck gelangen kann; und die Idee, daß in der gegenstandsbezo­ genen Tätigkeit andere Subjekte als mögliche Konsumenten präsent bleiben müssen, ja als bedürftige Wesen Anerken­ nung finden, läßt zwar eine intersubjektive Schicht an aller kreativen Arbeit hervortreten, vereinseitigt jedoch die mög­ lichen Anerkennungsbeziehungen zwischen Menschen auf die eine Dimension der materiellen Bedürfnisbefriedi­ gung. Marx nimmt, so zeigt sich, in seinen Frühschriften eine produktionsästhetische Verengung des Hegelschen Modells eines »Kampfes um Anerkennung« vor. Dadurch aber schneidet er alle Aspekte der intersubjektiven Anerkennung, die nicht direkt aus dem Prozeß der kooperativen, selbstver­ walteten Arbeit hervorgehen, aus dem moralischen Spek­ trum der sozialen Kämpfe seiner Zeit heraus und legt diese insgeheim auf das Ziel der produktiven Selbstverwirklichung fest. Zwar hat er mit seinem geschichtsphilosophisch aufge­ ladenen Begriff der »entfremdeten Arbeit« in gewollter Zu­ spitzung den Blick auf Phänomene der Entwürdigung gelenkt, die sich aus den Umständen der kapitalistischen Or­ ganisation der Arbeit ergeben6; ja, er hat damit überhaupt zum ersten Mal begrifflich die Möglichkeit eröffnet, die ge­ sellschaftliche Arbeit selber als ein Medium der Anerken5 Dazu kritisch: Ernst Michael Lange, Das Prinzip Arbeit, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1980; den sehr interessanten Versuch einer Verteidigung des Marxschen Entäußerungsmodells stellt die Schrift von Andreas Wildt dar: Die Anthropologie des frühen Marx, Studienbrief der Fern-Universität Hagen 1987. 6 Vgl. Wildt, Die Anthropologie des frühen Marx, a.a.O.

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nung zu begreifen und dementsprechend als ein Feld mög­ licher Mißachtung zu durchschauen. Aber die produktions­ ästhetische Vereinseitigung seines Konfliktmodells hat Marx theoretisch auch daran gehindert, die diagnostizierte Ent­ fremdung der Arbeit angemessen im Beziehungsgewebe in­ tersubjektiver Anerkennung zu verorten, so daß ihr morali­ scher Stellenwert in den sozialen Kämpfen seiner Zeit transparent hätte werden können. Marx vermag sich von diesem produktionsästhetisch ver­ einseitigten Konfliktmodell erst zu lösen, nachdem er den anthropologischen Arbeitsbegriff seines Frühwerks soweit von geschichtsphilosophischen Überhöhungen befreit hat, daß er ihn zum kategorialen Fundament seiner Kritik der politischen Ökonomie machen kann7; nun allerdings wird die moraltheoretische Blickverengung, unter der er die so­ zialen Kämpfe seiner Gegenwart von Beginn an wahrgenom­ men hat, zum Einfallstor für Denkmotive des Utilitarismus8. Marx behält von seinen ursprünglichen Vorstellungen für die Zwecke der Kapitalanalyse zwar die Idee bei, daß die Arbeit nicht nur einen Prozeß der gesellschaftlichen Wertschöp­ fung, sondern auch einen Vorgang der Veräußerung mensch­ licher Wesenskräfte darstellt; denn nur ein Konzept, das die Arbeitstätigkeit des Menschen als Produktionsfaktor und als Ausdrucksgeschehen zugleich begreift, räumt ihm die Mög­ lichkeit ein, in der kapitalistischen Gesellschaft sowohl eine sozioökonomische Formation als auch ein besonderes Ver­ hältnis der menschlichen Selbstverdinglichung zu sehen. 7 Zu dieser Transformation des Arbeitsbegriffes vgl.: Honneth, »Arbeit und instrumentales Handeln*, a.a.O. 8 Jeffrey C. Alexander hat die Utilitarismus-Kritik Parsons in erhellender, wenn auch sehr einseitiger Weise auf Marx übertragen: Theoretical Logic in Sociology, London 1982, Vol. II, Kap. 3 u 6. Vgl. dazu auch: Honneth, Axel/Joas, Hans, »War Marx ein Utilitarist? Für eine Gesellschaftstheorie jenseits des Utilitarismus«, in: Akademie der Wissenschaften der DDR (Hg.), Soziologie und Sozialpolitik. I. Internationales Kolloquium zur Theorie und Geschichte der Soziologie, Berlin 1987, S. 148 ff.

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Aber was Marx auf seinem Weg zur Kapitalanalyse inzwi­ schen preisgegeben hat, ist der Feuerbach entlehnte Gedan­ ke, daß sich jeder Akt unentfremdeter Arbeit zugleich als eine Art von liebevoller Bejahung der Bedürftigkeit aller an­ deren Gattungssubjekte interpretieren lassen muß. Damit gibt Marx jedoch das Mittel aus der Hand, das es ihm bisher erlaubt hat, geschichtsphilosophisch an das Hegelsche Kon­ fliktmodell des Kampfes um Anerkennung anzuschließen: wenn die individuelle Selbstverwirklichung in der Arbeit nicht mehr automatisch die anerkennende Bezugnahme auf andere Subjekte miteinschließt, ist auch der Kampf der Ar­ beiter nicht länger wie selbstverständlich als ein Kampf um die sozialen Bedingungen von Anerkennung zu interpretie­ ren. Aus der Verlegenheit, in die Marx geraten muß, weil er mit dieser Annahme zugleich seinen geschichtsphilosophi­ schen Deutungsschlüssel für den Klassenkampf preisgibt, befreit er sich nun auf dem Weg der Übernahme eines utili­ taristischen Modells des sozialen Konfliktes: in der Kapital­ analyse läßt er das Bewegungsgesetz des Streites zwischen den verschiedenen Klassen, entsprechend seiner neuen Grundbegrifflichkeit, durch den Antagonismus von ökono­ mischen Interessen bestimmt sein. Der Klassenkampf stellt sich für Marx jetzt nicht mehr nach dem Hegelschen Inter­ pretationsschema als ein Kampf um Anerkennung dar, son­ dern wird von ihm nach dem althergebrachten Muster eines Kampfes um (ökonomische) Selbstbehauptung gedacht; an die Stelle eines moralischen Konfliktes, der aus der Zerstö­ rung von Bedingungen der wechselseitigen Anerkennung resultiert, ist unversehens die strukturell bedingte Interes­ senkonkurrenz getreten. Die Adoption dieses neuen Konfliktmodells kann Marx frei­ lich deswegen umso müheloser vornehmen, weil er ihr durch die moraltheoretische Verengung seines ursprünglichen In­ terpretationsansatzes selber schon indirekt den Weg bereitet hatte; denn die Reduzierung der Ziele des Klassenkampfes auf allein solche Forderungen, die unmittelbar mit der Or-

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ganisation der gesellschaftlichen Arbeit Zusammenhängen, erlaubt im nachhinein leicht die Abstraktion von allen poli­ tischen Belangen, die aus der Verletzung von moralischen Ansprüchen als solchen hervorgehen. Im Kern enthält be­ reits das Marxsche Frühwerk die Möglichkeit eines Über­ gangs zu einem utilitaristischen Modell des Kampfes in sich, weil es das Spektrum der Anerkennungsforderungen auf eine Dimension zusammenzieht, aus der sich nach dem Wegfall der anthropologischen Zusatzdeutung unschwer ein bloß noch ökonomisches Interesse hat machen lassen. In der Kri■ tik der politischen Ökonomie hat Marx daher dem sozialen Kampf der Arbeiter, soweit er ihn in der immanenten Ana­ lyse der Verselbständigung des Kapitals überhaupt zur Dar­ stellung bringt, weitgehend nur noch mit Zielsetzungen ausgestattet, die sich aus der »objektiven« Interessenlage des Proletariats ergeben; daß mit der Stellung im Produktions­ prozeß hingegen auch moralische Erfahrungen verknüpft sind, die aus der Enttäuschung von Identitätsansprüchen hervorgehen, kommt in seiner Beschreibung kaum mehr zum Vorschein. Daran ändern auch jene Textpassagen des »Kapital« wenig, in denen auf soziale Auseinandersetzungen Bezug genommen wird, die nach dem Muster eines kollek­ tiven Kampfes um die Erweiterung von Rechtsansprüchen zu verlaufen scheinen’; sein hoch ambivalentes Verhältnis zu den Errungenschaften des modernen Rechtsuniversalismus hat Marx nämlich davon abgehalten, in solchen sozialen Konflikten das ganz unverdächtige Zeugnis eines Kampfes zu erblicken, den die Arbeiterschaft gegen die rechtliche Mißachtung ihrer klassenspezifischen Belange führen muß. Marx war viel zu sehr davon überzeugt, daß die bürgerlichen Ideen von Freiheit und Gleichheit den Eegitimationserfordernissen der kapitalistischen Wirtschaft dienen, als daß er 9 Eine vorzügliche Interpretation dieser Stellen liefert Wildt, Andreas, »Ge­ rechtigkeit in Marx’ Kapital«, in: E. Angehrn/G. Lohmann (Hg.), Ethik und Marx. Moralkritik und normative Grundlagen der Marxschen Theorie., Königstein/Ts. 1986, S. 149 ff-

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sich unzweideutig positiv auf die rechtlichen Seiten des Kampfes um Anerkennung hätte beziehen können10. Eine wirkliche Alternative zu den utilitaristischen Tenden­ zen enthalten allerdings jene Teile des reifen Werkes von Marx, die nicht dem Ziel der ökonomischen Theoriebildung, sondern der Aufgabe der historisch-politischen Analyse ge­ widmet sind; hier läßt er sich von einem Modell des sozialen Konfliktes leiten, das schon insofern im Gegensatz zu dem­ jenigen der kapitaltheoretischen Schriften steht, als es in einem nahezu Herderschen Sinn die kulturell tradierten Le­ bensformen der verschiedenen Sozialgruppen miteinbe­ zieht11. Diese Blickerweiterung ergibt sich für Marx zu­ nächst nur aus der methodischen Absicht, in seinen historischen Studien den tatsächlichen Verlauf jenes ge­ schichtlichen Prozesses narrativ darzustellen, den er in seiner ökonomischen Analyse allein unter der einen, gewisserma­ ßen funktionalistischen Perspektive der Durchsetzung des Kapitalverhältnisses untersucht hatte; daher muß nun in der Darstellung all das an sozialer Wirklichkeit Berücksichti­ gung finden, was im realen Konfliktgeschehen einen Einfluß darauf ausübt, wie die entzweiten Gruppen ihre Situation jeweils erfahren und sich dementsprechend politisch verhal­ ten. Mit der Einbeziehung der schichtsspezifischen Alltags­ kulturen verändert sich für Marx aber zwangsläufig auch das Muster, nach dem das politische Konfliktverhalten selber zu erklären ist: wenn es nämlich kulturell tradierte Lebensstile sind, die die Art der Erfahrung sozialer Umstände und Ent­ behrungen prägen, können nicht mehr pure Interessenabwä­ gungen darüber entscheiden, welche Zielsetzungen die ver­ schiedenen Gruppen in den politischen Auseinandersetzun10 Dazu u.a.: Wellmer, Albrecht, »Naturrecht und praktische Vernunft. Zur aporetischen Entfaltung eines Problems bei Kant, Hegel und Marx«, in: E. Angehrn/G. Lohmann (Hg.), Ethik und Marx, a.a.O., S. 197ft; Georg Lohmann, Indifferenz und Gesellschaft. Eine kritische Auseinanderset­ zung mit Marx, Frankfurt am Main 1991, Kap. VI. 11 Vgl. dazu A. Honneth/H. joas, »War Marx ein Utilitarist?« a.a.O.

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gen verfolgen. Marx hat vielmehr seinen Erklärungsansatz in eine Richtung abzuwandeln, in der das Konfliktverhalten in Abhängigkeit von denjenigen Wertüberzeugungen gesehen wird, die sich jeweils in den kulturell tradierten Lebensfor­ men niedergeschlagen haben: in den sozialen Kämpfen ste­ hen sich Gruppen oder Klassen gegenüber, die ihre identi­ tätsverbürgenden Wertvorstellungen zu verteidigen und durchzusetzen versuchen. Daher ist das Konfliktmodell, das Marx seinen historischen Studien über den »18. Brumaire« und die Klassenkämpfe in Frankreich zugrundelegt12, am ehesten als »expressivistisch« zu bezeichnen. Mit diesem Begriff ist hier nicht nur der Umstand gemeint, daß das Konfliktverhalten der beteiligten Akteure als ein Ausdrucksphänomen verstanden wird; also nach dem Mu­ ster eines expressiven Handelns, durch das Gefühle und Einstellungen zur Darstellung gelangen; natürlich ist das der primäre Grund, der Marx veranlaßt, in seine Studien empi­ rische Informationen über die religiösen Traditionen und alltäglichen Lebensstile der verschiedenen Gruppen einzu­ beziehen, geben solche Daten doch die beste Auskunft darüber, wie jeweils die kollektiven Wertüberzeugungen be­ schaffen sind. »Expressivistisch« soll darüber hinaus aber auch die in jenen Schriften angelegte Tendenz bezeichnen, den Verlauf der sozialen Auseinandersetzungen selber nach dem literarischen Vorbild eines Dramas zu präsentieren, in­ dem die konfligierenden Klassenfraktionen wie die Akteure in einem existenzbedrohenden Streitfall geschildert wer­ den.13 Marx legt in seinen politisch-historischen Studien den Klassenkampf, ganz im Gegensatz zu seinen kapitalismus12 Marx, Kari, »Der Bürgerkrieg in Frankreich«, in: Karl Marx/Friedrich Engels Werke (MEW), Bd. 17, Berlin 1971, S. 313 ff.; ders., »Der acht­ zehnte Brumaire des Louis Bonaparte«, in: MEW, Bd. 8, a.a.O., S. 111 ff. 13 Eine eindrucksvolle, darauf zielende Interpretation der historischen Schriften von Marx liefert John F. Rundell, Origins of Modernity. The Origins of Modem Social Theoryfrom Kant to Hegel to Marx, Cambridge 1987, S. I46ff. 240

theoretischen Schriften, nach dem Muster einer sittlichen Entzweiung aus: in den sozialen Vorgängen, von denen er in dramaturgischer Zuspitzung berichtet, stehen sich kollektive Akteure gegenüber, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Lage an unterschiedlichen Werten orientiert sind. Damit nä­ hert sich Marx zwar wieder, entgegen seinen utilitaristischen Neigungen, dem Hegelschen Konfliktmodell eines »Kamp­ fes um Anerkennung« an; andererseits aber legt er sich keine weitere Rechenschaft darüber ab, inwiefern die geschilderten Kämpfe tatsächlich moralische Forderungen enthalten, die mit der Struktur von Anerkennungsbeziehungen Zusam­ menhängen. Der Begriff »expressivistisch« hat vielmehr in diesem Kontext auch noch die dritte Bedeutung, die in den historischen Schriften von Marx angelegte Tendenz heraus­ zustreichen, den Klassenkampf bloß als eine Auseinander­ setzung um kollektive Formen der Selbstverwirklichung zu begreifen; dann aber würde es sich bei den Konflikten, die geschildert werden, nicht eigentlich um ein moralisches Ge­ schehen handeln, das die Möglichkeit einer sozialen Auflö­ sung zuläßt, sondern um einen historischen Ausschnitt aus jenem ewigen Kampf zwischen prinzipiell unvereinbaren Werten. Zwischen den beiden Konfliktmodellen, die somit in seinem reifen Werk aufeinanderprallen, dem utilitaristischen Ansatz der ökonomietheoretischen Schriften und dem expressivistischen der historischen Studien, hat Marx selber an kei­ ner Stelle mehr eine systematische Verbindung herstellen können: unvermittelt steht der Grundsatz ökonomisch be­ dingter Interessenkonflikte neben der relativistischen Rück­ führung aller Konflikte auf entgegengesetzte Ziele der Selbstverwirklichung. Nie jedoch hat Marx den Kampf der sozialen Klassen, der doch immerhin ein theoretisches Kern­ stück seiner eigenen Theorie gebildet hat, systematisch als eine Form des moralisch motivierten Konflikts verstehen können, an dem sich verschiedene Aspekte der Erweiterung von Anerkennungsverhältnissen analytisch unterscheiden 241

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lassen müssen; daher auch war es ihm zeitlebens nicht wirk­ lich möglich, die normativen Zielsetzungen des eigenen Projektes in demselben sozialen Prozeß zu verankern, den er unter der Kategorie des »Klassenkampfes« doch ständig sel­ ber vor Augen hatte. Gegen die utilitaristischen Tendenzen, die sich in der Tradi­ tion des historischen Materialismus schnell haben breitma­ chen können, weil von Marx selber das Modell interessegeleiteter Akteure bevorzugt worden war, hat Georges Sorel mit all seinen Schriften angekämpft. Sein theoretisches Werk stellt eine der eigenwilligsten, politisch aber auch ambivalentesten Hervorbringungen in der Geschichte des Marxismus dar: dem ganzen Temperament nach schnell begeisterungs­ fähig, scheute Sorel weder vor einem häufigen Wechsel der politischen Fronten zurück noch vor einer, die Grenze zum Ekklektizismus sicherlich überschreitenden Aufnahme der unterschiedlichsten Denkströmungen; auf dem Weg seines praktischen Engagements lag die Parteinahme für die mon­ archistische Rechte nicht weniger als die für die russischen Bolschewisten, seine Arbeit an einer Neufassung des Mar­ xismus hat ihn Anregungen sowohl von Vico als auch von Bergson, von Dürkheim ebenso wie von den amerikanischen Pragmatisten aufnehmen lassen.14 Die theoretische Grund­ überzeugung freilich, die sich wie ein roter Faden durch sein Lebenswerk zieht und die abrupten Übergänge im nachhin­ ein erklärbar macht, besteht von Anbeginn an in der einen Absicht der Überwindung des Utilitarismus als einem Denk­ system, das den Marxismus seine eigenen, ethischen Zielset­ zungen folgenreich verkennen läßt:15 ihm gilt die Vorstel­ lung, daß das menschliche Handeln in der zweckrationalen 14 Zu Sorel vgl. allgemein: Michael Freund, Georges Sorel. Der revolutionäre Konservatismus, Frankfurt am Main 1972; Helmut Berding, Rationalis­ mus und Mythos. Geschichtsauffassung und politische Theorie bei Georges Sorel, Minden/Wien 1969. 15 Das ist die These der faszinierenden Studie von Berlin, Isaiah, »Georges Sorel«, in: ders., Wider das Geläufige. Aufsätze zur Ideengeschichte, Frankfurt am Main 1982, S. 421 ff.

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Verfolgung von Interessen aufgehen soll, als ein grundsätz­ liches Hindernis in der Erkenntnis der moralischen Antrie­ be, von denen die Menschen sich in ihren kreativen Leistun­ gen tatsächlich leiten lassen. Auf dem Weg, der seiner theoretischen Arbeit bei dieser Ausgangsposition vorge­ zeichnet war, mußte Sorel zu einem moralischen Konzept des sozialen Kampfes gelangen, das sich mit dem Konflikt­ modell des jungen Hegel in nicht wenigen Punkten be­ rührt. Die Grundlage der Theorie Sorels bildet ein Begriff des sozialen Handelns, der statt an dem Modell der zweckratio­ nalen Interessenverfolgung an demjenigen der kreativen Hervorbringung von Neuem orientiert ist. Aber schon in seiner Beschäftigung mit dem Werk Vicos, dem er die ersten Einsichten in die gesellschaftliche Rolle der menschlichen Kreativität entnimmt, erhält dieses utilitaristische Ausgangs­ motiv zusätzlich eine moraltheoretische Wendung: die schöpferisch hervorgebrachten Ideenkomplexe, welche je­ weils den kulturellen Horizont einer geschichtlichen Epoche formen, setzen sich vor allem aus solchen Vorstellungen zu­ sammen, in denen festgelegt ist, was als sittlich gut und menschenwürdig gilt. Auch der nächste Schritt, durch den Sorel den damit gewonnenen Denkrahmen weiter zu präzi­ sieren versucht, verdankt sich noch einer Interpretation von Auffassungen Vicos: weil über die Maßstäbe, nach denen sich die Vorstellungen des sittlichen Guten bemessen, zwi­ schen den sozialen Klassen keine Einigkeit besteht, vollzieht sich der historische Prozeß der kreativen Hervorbringung neuer Ideen in Form eines Kampfes der Klassen. Die sozialen Klassen sind ständig darum bemüht, für ihre eigenen Nor­ men und Ehrvorstellungen allgemeinere Formulierungen zu finden, die ihre Eignung zur moralischen Organisation der Gesellschaft im ganzen unter Beweis stellen können; da aber nur das Rechtsmedium ein sozial übergreifendes Ausdrucks­ mittel für partikulare Moralauffassungen darstellt, nimmt der Klassenkampf stets zwangsläufig die Gestalt von recht243

lichen Auseinandersetzungen an: »Die Geschichte vollzieht sich in Gruppenkämpfen. Vico hat aber eingesehen, daß diese Kämpfe nicht alle von gleicher Art sind, was die zeit­ genössischen Marxisten oft vergessen. Es gibt Konflikte, die den Zweck haben, sich der politischen Gewalt zu bemäch­ tigen.... es gibt andere, um Rechte zu erwerben. Diese letzteren Kämpfe dürfen allein in Betracht kommen, wenn man im Marxschen Sinn von Klassenkämpfen spricht. Es wäre, um Mißverständnisse zu vermeiden, vielleicht gut, dies mit dem Ausdruck: Klassenkampf ums Recht zu be­ zeichnen, um zu zeigen, daß sie als Prinzip die Existenz von Konflikten zwischen juridischen Auffassungen ha­ ben«.16 Allerdings gibt auch dieser Grundsatz noch nicht zu erken­ nen, wie das Verhältnis von klassenspezifischer Moral und rechtlichen Normen im einzelnen zu fassen ist, aus deren sozialer Entgegensetzung sich doch die »ethische Qualität des Klassenkampfes«17 ergeben soll; bislang nämlich ist kaum mehr geklärt, als daß die sozialen Gruppen ihre Vor­ stellungen über das sittlich Gute erst immer in Rechtskon­ zepte zu übersetzen haben, bevor sie mit ihnen das Feld der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu betreten ver­ mögen. Den Anstoß zu einer weiteren Aufhellung des Ver­ hältnisses von Moral und Recht erhält Sorel nun in dem Augenblick, in dem ihm mit dem »ethischen Sozialismus« eine Denkströmung begegnet, die sich vor allem mit den moraltheoretischen Grundlagen des Marxismus beschäftigt; den neuen Ansatz, der die Ansprüche der Marxschen Theo­ rie rigoros in der Ethik Kants zu fundieren versucht, über­ nimmt er freilich nicht als solchen, sondern unterwirft ihn 16 Sorel, Georges, »Was man von Vico lernt«, in: Sozialistische Monatshefte 2 (1898), S. 270ff., hier: S. 271 f. 17 Sorel, Georges, »Die Ethik des Sozialismus«, in: Sozialistische Monats­ hefte, 8 (1904), S. 368 ff., S. 372; vgl. dazu Sand, Shlomo »Lutte de classes et conscience juridique dans la pensée de Georges Sorel«, in: J.Julliard/Shlomo Sand (Hg.)> Georges Sorel et son temps, Paris 1985, S. 22jff.

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einer eigenwilligen, gleichsam hegelianisierenden Uminter­ pretation, an deren Ende eine empirische Hypothese über den Charakter unserer alltäglichen Moralvorstellungen steht. Sorel führt jetzt die sittlichen Normen, die die unter­ drückten Klassen immer wieder von unten in die rechtlichen Auseinandersetzungen einbringen, auf die affektiven Erfah­ rungen in jener Sphäre des gesellschaftlichen Lebens zurück, die der junge Hegel unter den Begriff der »natürlichen Sitt­ lichkeit« zusammengefaßt hatte: innerhalb der Familie er­ wirbt jedes menschliche Individuum durch die Praxis der »gegenseitigen Zuneigung und Achtung«18 ein moralisches Sensorium, das den Kern all seiner späteren Vorstellungen über das sittlich Gute ausmacht. Solche gereiften Moralauf­ fassungen stellen daher nichts anderes dar als die sozial verallgemeinerte Fassung von Erfahrungswerten, die der einzelne in seiner Kindheit im Hinblick auf das hat gewinnen können, was zu den Bedingungen eines »ehrenwerten Le­ bens«'9 gehört; aber diese affektiv verankerten Maßstäbe und Normen sind auch dann nicht »zum Aufbau eines neuen rechtlichen Systems« in der Lage, wenn sie zum festen Be­ standteil von kollektiven Moralvorstellungen geworden sind, weil sie prinzipiell nur, wie Sorel knapp sagt, »Nega­ tionen« enthalten.20 Gemeint ist damit, daß es stets nur negative Gefühlsreaktionen sind, worin sich für den Einzel­ nen oder die sozialen Gruppen offenbart, welche Vorstellun­ gen sie jeweils über das sittlich Gute besitzen: die Moral ist für Sorel das Insgesamt all jener Gefühle der Verletzung und Kränkung, mit denen wir jedesmal reagieren, wenn uns et­ was widerfährt, das wir für moralisch unzulässig halten. Insofern bemißt sich der Unterschied von Moral und Recht an der grundsätzlichen Differenz, die zwischen negativen Gefühlsreaktionen und positiven Normsetzungen be­ steht. Das Bild, das Sorel bislang von den rechtlichen Auseinan­ dersetzungen zwischen den Klassen entwickelt hat, erfährt 18 Ebd., S. 371.

19 Ebd., S. 382

20 Ebd., S. 375

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durch diese Überlegungen eine maßgebliche Erweiterung. Als die motivationale Triebkraft, die den moralischen Kampf der unterdrückten Klassen dauerhaft in Bewegung hält, sieht er jetzt die kollektiven Gefühle des erlebten Unrechts und der erlittenen Entwürdigung an: die sittlichen Ansprüche, die die Mitglieder jener sozialen Gruppe durch die Erfah­ rung familialer Zuwendung erworben haben, fließen in Form von sozialen Unrechtsempfindungen stets wieder so in den gesellschaftlichen Lebensprozeß ein, daß sie zu einer Konfrontation mit dem herrschenden, rechtlich verankerten Normensystem führen müssen. Sorel verwendet die begriff­ liche Unterscheidung zwischen »historischem«, nämlich eta­ bliertem, und »menschlichem«, also moralischem Rechts­ grund, um dieser Idee Ausdruck zu verleihen: »Der historische Rechtsgrund, die Basis der ganzen sozialen Or­ ganisation, und der menschliche Rechtsgrund, den uns die Moral lehrt, geraten alsdann miteinander in Conflict. Dieser Gegensatz kann lange Zeit ohne Wirkung bleiben; aber es kommen immer Fälle vor, wo die Klagen des unterdrückten Individuums uns heiliger erscheinen als die Traditionen, auf denen die Gesellschaft beruht«.21 Es ist diesem Gedankèngang allerdings auch zu entnehmen, daß Sorel seinem moraltheoretischen Modell des Klassen­ kampfes einen relativistisch verkürzten Begriff des Rechtes zugrundelegt. Eine gesellschaftliche Rechtsordnung ist für ihn jeweils nur der institutionelle Ausdruck von den positi­ ven Normen, in die eine zu politischer Macht gelangte Klasse ihre eigenen, vormals erlebten Gefühle sozialer Mißachtung zu transformieren vermocht hat; und daher muß auch um­ gekehrt jede unterdrückte Klasse, die wiederum von unten gegen das selektive Rechtssystem der herrschenden Sozial­ ordnung anzukämpfen versucht, ihre zunächst nur negativen Moralvorstellungen kreativ in positive Rechtsnormen ver­ wandelt haben, bevor sie um die politische Macht konkur­ rieren kann. Jede staatliche Rechtsordnung stellt mithin nur 21 Ebd.

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die Verkörperung von den partikularen Unrechtsempfin­ dungen dar, mit denen jene soziale Klasse ausgestattet ist, die aus moralisch kontingenten Gründen jeweils gerade über die politische Macht verfügt. An diesem machttechnisch ver­ kürzten Begriff des »Rechts«, der ihn das universalistische Potential der rechtlichen Anerkennung hoffnungslos ver­ kennen läßt, ändert auch die letzte Wendung nichts mehr, die Sorel seinem theoretischen Grundmodell versetzt. Unter starken Einfluß von Bergson geraten22, entwickelt er aus des­ sen Lebensphilosophie einen Begriff des sozialen Mythos, der den Prozeß der kollektiven Hervorbringung neuer Rechtsideen auf seine kognitive Verfassung hin durchschau­ bar machen soll: weil der Mensch als ein primär affektives Wesen einen intuitiven Zugang eher zu anschaulichen Bil­ dern als zu rationalen Argumentationen besitzt, vermögen am ehesten soziale Mythen, in denen eine in ihrem Verlauf unbestimmte Zukunft bildlich konstruiert ist, das »bren­ nende Empörungsgefühl«23 der unterdrückten Schichten in positive Rechtsprinzipien umzuformen. Die Lehre vom sozialen Mythos besiegelt nur die Tendenz, die in Sorels ambivalentem Versuch einer moraltheore­ tischen Transformation des Marxismus am Ende die Vor­ herrschaft erlangt hat. Obwohl er wie kein anderer den Interpretationsrahmen, den die Idee eines Kampfes um An­ erkennung liefert, mit dem empirischen Stoff moralischer Gefühle ausgestattet hat, lenkt er ihn zugleich doch auf das Gleis der machiavellistischen Tradition zurück: da jeder gruppenspezifische Anspruch auf ein »ehrenwertes Leben« im Prinzip von demselben Interesse an rechtlicher Anerken­ nung gedeckt ist, kann jedes beliebige Rechtssystem, solange es nur von politischer Macht getragen wird, die gleiche Gel­ tung für sich reklamieren. Diese relativistische Konsequenz verdankt sich einer stillschweigenden Entdifferenzierung 22 Zur Bergson-Rez.eption vgl. Michael Freund, Georges Sorel, a.a.O., Kap. 9; Hans Barth, Masse und Mythos, Hamburg 1959, Kap. 3. 23 Georges Sorel, Über die Gewalt, Frankfurt am Main 1981, S. 1J2.

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von den beiden Anerkennungsformen, die sowohl Hegel als auch Mead jeweils säuberlich voneinander unterschieden hatten: wird nämlich das Bedürfnis nach kollektiver Selbst­ achtung, auf das Sorel sich weitgehend konzentriert, unver­ sehens als ein Anspruch aufgefaßt, der in der Anerkennungs­ form des Rechts vollständig Erfüllung finden kann, dann muß deren formaler Universalisierungszwang notgedrungen aus dem Blick geraten. Sorel unterscheidet an den gruppen­ spezifischen Unrechtsempfindungen, auf deren Analyse seine ganze Theorie zugeschnitten ist, nicht hinreichend zwi­ schen der Mißachtung von Wertvorstellungen und der Ver­ letzung von Autonomieerwartungen; daher wird das Recht von ihm nicht als ein Medium angesehen, in dem die universalisierungsfähigen Autonomieansprüche der Subjekte zur Anerkennung gelangen, sondern als ein Ausdrucksmittel für partikularen Bedürfnissen dienenden Vorstellungen eines tugendhaften Lebens aufgefaßt. In der Konsequenz fehlt ihm jedes normative Kriterium, um zwischen moralisch gerecht­ fertigten und ungerechtfertigten Rechtssystemen zu unter­ scheiden, so daß er am Ende dessen innere Verfassung ganz dem politischen Machtkampf zu überlassen hat. Die theore­ tische Entschiedenheit, mit der Sorel den Kampf um Aner­ kennung auf die eine Dimension der Selbstverwirklichung hin verkürzt hat, mußte in seinen politischen Orientierungen fatale Konsequenzen hinterlassen: weil er am bürgerlichen Rechtsstaat nie die moralischen Errungenschaften von deren klassenspezifischen Anwendungsweisen zu unterscheiden gewußt hat, ist er unabhängig von allen weiteren politisch­ normativen Differenzen stets auf der Seite derer gewesen, die sich an dessen radikale Destruktion gemacht hatten.24 Das gilt selbst noch für jene indirekten Schüler Sorels, die sich wie Hendrik de Man von seinen Schriften insofern haben anregen lassen, als sie dem sozialen Widerstand der Arbeiterklasse nicht entlang ökonomischer Interessen, sondern verletzter 24 Dazu H. Berding, Rationalismus und Mythos, a.a.O.

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Ehrgefühle gefolgt sind; auch bei de Man hat die eigentüm­ liche Unfähigkeit, die Sphäre des modernen Rechts in ihrem universalistischen Gehalt wahrzunehmen, zu einer späten Sympathie mit den populistischen Strömungen der politi­ schen Rechten geführt?5 Auf das Werk Sorels hat sich Jean-Paul Sartre schließlich, der dritte Repräsentant der uns hier interessierenden Denkbe­ wegung, stets nur mit der größten Geringschätzung bezo­ gen26; gleichwohl teilt er mit jenem in seinen späteren Schriften die theoretische Auffassung, daß soziale Konflikte und Auseinandersetzungen primär als Folge einer Störung der Anerkennungsbeziehungen zwischen kollektiven Ak­ teuren zu begreifen sind. Dieses Interpretationsmodell, das ein Bestandteil vor allem seiner politischen und zeitdiagno­ stischen Analysen ist, hat Sartre freilich seinen existenzphi­ losophischen Anfängen erst in kontinuierlicher Umarbei­ tung abringen müssen; denn in seinem frühen Hauptwerk, der Untersuchung über »Das Sein und das Nichts«, war er noch so stark von der prinzipiellen Unmöglichkeit einer ge­ lingenden Interaktion unter den Menschen überzeugt gewe­ sen, daß er die Perspektive einer nur bedingten Verzerrung der sozialen Kommunikation überhaupt nicht hätte in Rech­ nung stellen können. Sartres ursprüngliche Theorie der Intersubjektivität, in der sich der »Kampf um Anerkennung« zu einem Existential des menschlichen Daseins verewigt findet, ist das Ergebnis einer Anwendung des ontologischen Dualismus von »Für-sichsein« und »An-sich-sein« auf das transzendental-philoso­ phische Problem der Fremdexistenz: weil jedes menschliche Subjekt als ein für-sich-seiendes Wesen im Zustand einer permanenten Transzendenz seiner eigenen Handlungsent25 Hendrik de Man, Zur Psychologie des Sozialismus, Jena 1927; don zu

Sorel: S. 115. 26 Vgi. etwa Sartre, Jean-Paul, »Die Verdammten dieser Erde< von Frantz Fanon«, in: ders., Wir sind alle Mörder. Der Kolonialismus ist ein System, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 141 ff., hier: S. 146.

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würfe lebt, muß es den Blick des anderen, durch den es überhaupt nur zu Selbstbewußtsein gelangen kann, zugleich als eine vergegenständlichende Festlegung auf nur eine seiner Existenzmöglichkeiten erfahren; der Gefahr einer solchen, durch negative Gefühle signalisierten Vergegenständlichung kann es daher allein durch den Versuch entgehen, die Rich­ tung der Blickbeziehung umzukehren und den Anderen nun seinerseits auf einen einzigen Lebensentwurf hin festzule­ gen; mit dieser Dynamik einer reziproken Verdinglichung wandert ein Element des Konflikts in alle Formen der so­ zialen Interaktion ein, so daß die Aussicht auf einen Zustand zwischenmenschlicher Versöhnung gleichsam ontologisch ausgeschlossen ist.27 Diese negativistische Theorie der Intersubjektivität, deren konzeptuelle Schwächen inzwischen von verschiedenen Sei­ ten beleuchtet worden sind,28 läßt Sartre allerdings schon bald in seinen politisch-philosophischen Schriften unmerk­ lich hinter einen stärker historisierenden Ansatz zurücktre­ ten. In der kleinen Studie über die »Judenfrage«, die deutlich einen Punkt der theoretischen Umorientierung markiert, wird der Antisemitismus als eine Form von sozialer Mißach­ tung betrachtet, deren Entstehungsursachen in der ge­ schichtlichen Dimension der klassenspezifischen Erfahrun­ gen des Kleinbürgertums liegen; und dementsprechend werden auch die sozialen Verhaltensnormen der Juden als Ausdrucksmittel einer verzweifelten Anstrengung unter­ sucht, unter den besonderen Bedingungen verweigerter An­ erkennung eine Art von kollektiver Selbstachtung zu bewah­ ren.29 Mit dem Objektbereich seiner phänomenologischen 27 Vgl. Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts, Reinbek bei Hamburg 1962, Dritter Teil, 1. Kap. 28 Am eindrucksvollsten sind: Michael Theunissen, Der Andere. Studien zur Sozialontologie der Gegenwart, Berlin/New York 1977, VI. Kap.; Taylor, Charles, »Was ist menschliches Handeln?« in: ders.: Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus, Frankfurt am Main 1988, S. 9 ff. 29 Sartre, Jean-Paul, »Betrachtungen zur Judenfrage«, in: ders., Drei Essays,

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Analyse hat sich für Sartre unter der Hand auch die Logik verändert, die die Dynamik der Interaktionsbeziehungen zwischen den Menschen bestimmen soll; weil an die Stelle, die bislang die existentiellen Erfahrungen von Einzelsubjek­ ten einnahmen, die historischen Erfahrungen sozialer Kol­ lektive gerückt sind, tritt an den Kommunikationsverhält­ nissen jetzt ein Moment der prinzipiellen Veränderbarkeit in den Blick. Das damit umrissene Denkmodell zeichnet den Weg vor, den Sartre nun in einer Reihe von weiteren Studien zur politischen Situation seiner Zeit einschlagen wird: der Kampf um Anerkennung stellt nicht mehr ein unhintergeh­ bares Strukturmerkmal der menschlichen Existenzweise dar, sondern wird als die grundsätzlich überwindbare Folgeer­ scheinung einer asymmetrischen Beziehung zwischen sozia­ len Gruppen interpretiert. Es ist dieses historisch relativierte Konfliktmodell, das vor allem jene Essays beherrscht, die Sartre zur antikolonialistischen Bewegung der »Négritude« verfaßt hat.30 Der Kolonialismus wird hier als ein sozia­ ler Zustand verstanden, der die intersubjektiven Beziehun­ gen der wechselseitigen Anerkennung auf eine Weise defor­ miert, daß die beteiligten Gruppen gleichermaßen in ein quasineurotisches Verhaltensschema gepreßt werden: wäh­ rend die Kolonisatoren die Selbstverachtung, die sie gegen­ über sich selber empfinden, weil sie die Eingeborenen systematisch entwürdigen, nur durch Zynismus oder gestei­ gerte Aggression verarbeiten können, vermögen die Kolonialisierten die »täglichen Beleidigungen« allein durch die Spaltung ihres Verhaltens in die beiden Teile einer rituellen Überschreitung und einer habituellen Überanpassung zu er­ tragen.31 Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1979; dazu: Honneth, Axel, »Ohnmäch­ tige Selbstbehauptung. Sartres Weg zu einer intersubjektivistischen Frei­ heitslehre«, in: Babylon. Beiträge zur jüdischen Gegenwart 2 (1987), S. 8 2 ff. 30 Jean-Paul Sartre, Wir sind alle Mörder, a. a. O. 31 ders., »Die Verdammten dieser Erde« von Frantz Fanon, a.a.O., S. i;of. 251

Wenn diese Erwägungen Sartres auch im Vergleich mit so­ zialpsychologischen Untersuchungen reichlich konstruiert, ja krude erscheinen, so ist doch der kommunikationstheore­ tische Deutungsschlüssel, den er ihnen zugrundelegt, für empirische Zwecke durchaus von Interesse: asymmetrische Kommunikationsmuster von der Art, wie sie im Kolonial­ system zwischen Eindringling und Eingeborenem bestehen, stellen für ihn Interaktionsverhältnisse dar, die von beiden Seiten die gleichzeitige Verleugnung und Aufrechterhaltung von Beziehungen der wechselseitigen Anerkennung verlan­ gen; um nämlich untereinander überhaupt zu irgendeiner Form der sozialen Interaktion in der Lage zu sein, muß der Kolonialherr den Eingeborenen ebenso als menschliche Per­ son zugleich anerkennen und mißachten, wie dieser »den Status eines Menschen verlangen und gleichzeitig verleug­ nen« muß.32 Zur Bezeichnung der Art von sozialer Bezie­ hung, die aus einer solchen wechselseitigen Dementierung von gleichwohl erhobenen Anerkennungsansprüchen resul­ tieren muß, zieht Sartre schon jetzt jenen Begriff der »Neu­ rose« heran, für den er erst später in seiner großangelegten Flaubert-Studie die systematischen Grundlagen liefern wird: hier wie dort ist mit »neurotisch« nicht eine individuelle, psychisch bedingte Verhaltensstörung gemeint, sondern eine pathologische Verzerrung von Interaktionsverhältnissen, die sich dadurch ergibt, daß untergründig wirksame Anerken­ nungsbeziehungen zugleich wechselseitig verleugnet wer­ den.33 Freilich machen gerade die Essays zum Kolonialismus auch besonders deutlich, wie stark Sartre sich im unklaren darüber ist, worin der anerkennungswürdige Status des Menschen eigentlich bestehen soll. Einerseits wählt er zum Kriterium dessen, was den Einheimischen innerhalb des Kolonialsy­ stems an Mißachtung zugefügt wird, die gezielte Vorenthal32 Ebd., S. 151. 33 Vgl. etwa ebd., S. 151, S. IJ2.

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tung von »Menschenrechten«; eine solche Bestimmung setzt normativ aber einen Universalismus elementarer Grund­ rechte voraus, von dem er an anderer Stelle gleichzeitig behauptet, daß er »nur eine verlogene Ideologie, die ausge­ klügelte Rechtfertigung der Plünderung« gewesen sei.34 Da­ her findet sich in demselben Zusammenhang andererseits auch die Überlegung, daß der Eingeborene im Kolonialsy­ stem deswegen ohne soziale Anerkennung des »Status eines Menschen« bleibt, weil seine spezifische Lebensweise und Form der Selbstverwirklichung strukturell nicht geduldet wird. Beide Bestimmungen sind in sich sinnvoll, solange sie säuberlich voneinander unterschieden werden; bei Sartre aber werden sie dermaßen in ein und demselben Text mit­ einander konfundiert, daß sie jede für sich ihre normative Bedeutung verlieren. In dieser begrifflichen Unschärfe verrät sich, daß mit der theoretischen Entwicklung der politischen Analysen Sartres seine philosophische Theoriebildung nie ganz hat Schritt halten können; denn für die normativen Voraussetzungen, die in Anspruch genommen werden müssen, wenn soziale Konflikte unter dem moralischen Gesichtspunkt der Rezi­ prozität von Anerkennungsbeziehungen betrachtet werden, hat er bis an sein Lebensende trotz einiger Versuche keine systematische Rechtfertigung mehr geben können.35 In den philosophischen Schriften des späten Sartre findet sich ein normatives Konzept der wechselseitigen Anerkennung zwar immer wieder angedeutet, nie aber bis zu dem Explikations­ niveau hin fortentwickelt, das nötig gewesen wäre, um davon in den zeitdiagnostischen Analysen einen säuberlichen Ge­ brauch machen zu können. Daher ist Sartre in seinen poli34 Ebd., S. 155; vgl. dagegen Sartres Formulierung vom »latenten Universalismus des bürgerlichen Liberalismus«, in: ders., Der Kolonialismus ist

ein System, a.a. O., S. 15 ff. (hier: S. 28). 3 5 Zu dieser These vgl.: Hunyadi, Mark, »Sartres Entwürfe zu einer unmög­ lichen Moral«, in: Traugott König (Hg.), Sartre. Ein Kongreß, Reinbek

1988, S. 84ff.

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tischen Schriften letztlich derselben Begriffsverwirrung er­ legen, von der schon die politische Theorie Sorels so nachhaltig geprägt gewesen war: weil auch Sartre zwischen rechtlichen und rechtsjenseitigen Formen der wechselseiti­ gen Anerkennung analytisch keine klaren Trennungslinien gezogen hat, muß sich ihm genauso wie jenem das Ziel der individuellen oder kollektiven Selbstverwirklichung mit demjenigen der Erweiterung von Freiheitsrechten auf unent­ wirrbare Weise vermischen. Sartre hat daher, ebenso wie Sorel, dem Formalismus des bürgerlichen Rechts nicht den moralischen Stellenwert einräumen können, der in dem Maße zutage tritt, in dem am »Kampf um Anerkennung« mit Hegel und Mead jene drei unterschiedlichen Stufen unter­ schieden werden. Die exemplarisch durch Marx, Sorel und Sartre bezeichnete Denkströmung hat dem Modell eines Kampfes um Anerken­ nung, das Hegel in seinen Jenaer Schriften der neuzeitlichen Sozialphilosophie kühn entgegengesetzt hatte, zwar eine Reihe von neuen Einsichten und Erweiterungen hinzufügen können: Marx ist es, wenn auch geschichtsphilosophisch überhöht, durch die ganze Anlage seiner Grundbegriffe ge­ lungen, die Arbeit als ein zentrales Medium der wechselsei­ tigen Anerkennung durchsichtig zu machen; Sorel hat es vermocht, als die affektive Seite jenes von Hegel in den Blick gerückten Kampfgeschehens solche kollektiven Gefühle der erlittenen Mißachtung offenzulegen, die von den akademi­ schen Theorien nur selten zur Kenntnis genommen worden sind; und Sartre schließlich hat mit seinem Begriff der »ob­ jektiven Neurose« den Weg bereiten können für eine Per­ spektive, in der es möglich scheint, soziale Herrschaftsstruk­ turen im ganzen als eine Pathologie von Anerkennungsver­ hältnissen zu durchschauen. Aber keiner der drei Autoren hat zur systematischen Fortentwicklung des von Hegel be­ gründeten und von Mead sozialpsychologisch vertieften Konzeptes selber beitragen können; stets sind ihnen die nor­ mativen Implikationen des Anerkennungsmodells, von dem

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sie andererseits doch empirisch häufig einen virtuosen Ge­ brauch gemacht haben, zu undurchsichtig, ja fremd geblie­ ben, als daß sie es selber auf eine neue Stufe der Explikation hätten rücken können.

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8. Mißachtung und Widerstand: zur moralischen Logik sozialer Konflikte

Marx nicht weniger als Sorel und Sartre, jene drei Repräsen­ tanten der zuvor freigelegten Theorietradition, haben sich vorwissenschaftlich stets an die Erfahrung halten können, daß das Selbstverständnis der sozialen Bewegungen ihrer Zeit vom semantischen Potential der Anerkennungsbegrifflichkeit stark durchdrungen war: für Marx, der aus nächster Nähe die ersten Organisationsversuche der Arbeiterklasse mitverfolgt hat, stand es außer Frage, daß die übergreifenden Zielsetzungen der entstehenden Bewegung im Begriff der »Würde« zusammenzuziehen sind; Sorel, ein theoretischer Wegbegleiter des französischen Syndikalismus, hat zeit sei­ nes Lebens die konservativ klingende Kategorie der »Ehre« verwendet, um dem moralischen Gehalt der politischen For­ derungen der Arbeiterbewegung Ausdruck zu geben; und dem Sartre der fünfziger Jahre schließlich war in dem be­ rühmten Buch Frantz Fanons sogar eine antikolonialistische Streitschrift begegnet, die die Erfahrungen der unterdrück­ ten Schwarzen Afrikas im direkten Rückgriff auf die Aner­ kennungslehre Hegels auszulegen versuchte.1 Ist es mithin ein wesentliches Element der politischen Alltagswahrneh­ mung jener drei Theoretiker gewesen, daß soziale Konflikte auf die Verletzung von impliziten Regeln der wechselseitigen Anerkennung zurückgehen können, so hat sich eine solche Erfahrung in dem begrifflichen Rahmen der entstehenden Sozialwissenschaften kaum niedergeschlagen: wo die Kate­ gorie des sozialen Kampfes hier überhaupt eine konstitutive Rolle für die Erschließung der gesellschaftlichen Wirklich­ keit gespielt hat, ist sie unter dem Einfluß darwinistischer oder utilitaristischer Denkmodelle schnell auf die Bedeutung i Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt am Main 1966; zu Fanons Hegel-Rezeption vgl. aber auch: ders.» Schwarze Haut, weiße Mas­ ken, Frankfurt am Main 1988, Kap. VII. 2^6

einer Konkurrenz um Lebens-oder Überlebenschancen fest­ gelegt worden. Weder Emile Dürkheim noch Ferdinand Tönnies, die beide an den Aufbau einer empirischen Soziologie mit der Absicht einer kritischen Diagnose der moralischen Krise moderner Gesellschaften gehen, räumen dem Phänomen sozialer Aus­ einandersetzungen eine systematische Rolle in der Entwick­ lung ihrer Grundbegriffe ein; so viele Einsichten in die moralischen Voraussetzungen der gesellschaftlichen Integra­ tion sie auch gewonnen haben mögen, so wenig theoretische Rückschlüsse ziehen sie daraus für eine Kategorie des sozia­ len Konfliktes. Max Weber hingegen, der den Prozeß der Vergesellschaftung geradezu in einem Konflikt sozialer Gruppen um konkurrierende Formen der Lebensführung angelegt sieht, läßt in seiner begrifflichen Bestimmung des »Kampfes« jeden Aspekt einer moralischen Motivierung un­ berücksichtigt; nach den bekannten Formulierungen in der »Soziologischen Kategorienlehre« handelt es sich bei einer sozialen Beziehung um Kampf vor allem dort, wo die »Durchsetzung des eigenen Willens gegen Widerstand des oder der Partner« an der Absicht orientiert ist, die Verfü­ gungsgewalt über Lebenschancen zu erhöhen.2 Bei Georg Simmel schließlich, der ja ein berühmtes Kapitel seiner »So­ ziologie« der vergesellschaftenden Funktion des Streites ge­ widmet hat, findet als Quelle von Konflikten zwar neben dem »Feindseligkeitstrieb« auch eine soziale »Unterschieds­ empfindlichkeit« systematisch Berücksichtigung; aber diese Dimension der persönlichen oder kollektiven Identität wird von ihm so wenig auf intersubjektive Voraussetzungen der Anerkennung zurückgeführt, daß moralische Erfahrungen der Mißachtung erst gar nicht als Anlässe von sozialen Kon­ flikten in den Blick treten können.5 Eine rühmliche Aus2 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden So­ ziologie, Tübingen 1976, S. 2of. 3 Georg Simmel, Soziologie: Untersuchungen über die Formen der Verge­ sellschaftung, Leipzig 1908, Kap. IV : Der Streit (S. 247H).

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nähme bilden auch hier wieder, wie in so vielen anderen Hinsichten/ die soziologischen Arbeiten der vom Pragma­ tismus beeinflußten »Chicago School«: in dem von Robert Park und Ernest Burgess herausgegebenen Lehrbuch, das den Titel »Introduction to the Science of Sociology« trägt, ist unter dem Stichwort »Conflict« immerhin von einem »struggle for recognition« die Rede5, wenn es um den be­ sonderen Fall ethnischer oder nationaler Auseinanderset­ zungen geht; freilich ist über die bloße Erwähnung von »honor, glory, and prestige« hinaus auch in diesem Kontext nicht wesentlich mehr darüber zu erfahren, wie die morali­ sche Logik von sozialen Kämpfen angemessen bestimmt zu werden hat. Innerhalb der akademischen Soziologie ist somit der interne Zusammenhang, der zwischen der Entstehung sozialer Bewegungen und der moralischen Erfahrung von Mißachtung nicht selten besteht, schon in den Anfängen theoretisch weitgehend durchschnitten worden: die Motive für Aufruhr, Protest und Widerstand wurden kategorial in »Interessen« umgewandelt, die sich aus der objektiven Un­ gleichverteilung von materiellen Lebenschancen ergeben sollen, ohne mit dem alltäglichen Netz moralischer Gefühls­ einstellungen noch irgendwie verknüpft zu sein. Gegenüber der Vorherrschaft, die damit das Hobbessche Denkmodell innerhalb der modernen Gesellschaftstheorie hat antreten können, sind die in sich unfertigen, ja irreführenden Ent­ würfe von Marx, Sorel und Sartre stets nur die Bruchstücke einer untergründigen, nie wirklich entwickelten Theorietra­ dition geblieben. Wer an diese durchbrochene Wirkungsge­ schichte des Hegelschen Gegenmodells heute anzuknüpfen 4 Eine überzeugende Aufwertung der »Chicago School« hat Hans Joas vor­ genommen: Joas, Hans, »Symbolischer Interaktionismus. Von der Philo­ sophie des Pragmatismus zu einer soziologischen Forschungstradition«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 40 (1988), S. 417 ff. 5 Roben E. Park/Emest W. Burgess (Hg.), Introduction to the Science of Sociology, Chicago 1969, S. 241.

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versucht, um die Grundlagen für eine normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie zu gewinnen, ist daher vor allem auf einen Begriff des sozialen Kampfes angewiesen, der statt von vorgegebenen Interessenlagen von moralischen Unrechts­ empfindungen seinen Ausgang nimmt. Die Grundzüge eines solchen alternativen, an Hegel und Mead orientierten Para­ digmas will ich im folgenden bis zu der Schwelle rekonstru­ ieren, auf der sich abzuzeichnen beginnt, daß neuere Ten­ denzen innerhalb der Geschichtsschreibung den behaupte­ ten Zusammenhang zwischen moralischer Mißachtung und sozialem Kampf historisch belegen können. Bereits unser Versuch einer empirisch kontrollierten Phäno­ menologie der Anerkennungsformen hat deutlich werden lassen, daß keine der drei Erfahrungsbereiche angemessen darzustellen ist, ohne auf einen intern angelegten Konflikt Bezug zu nehmen: stets war in die Erfahrung einer bestimm­ ten Form von Anerkennung wieder die Möglichkeit einer Eröffnung von neuen Identitätsmöglichkeiten eingelassen, so daß ein Kampf um deren sozialer Anerkennung die not­ wendige Folge sein mußte. Nun enthalten allerdings nicht alle drei Anerkennungssphären in sich überhaupt die Art von moralischer Spannung, die dazu in der Lage sein kann, ge­ sellschaftliche Konflikte oder Auseinandersetzungen in Gang zu setzen: denn ein Kampf ist nur in dem Maße als »sozial« zu charakterisieren, in dem sich seine Ziele über den Horizont von individuellen Absichten hinaus bis zu einem Punkt verallgemeinern lassen, an dem sie zur Basis einer kollektiven Bewegung werden können. Daraus folgt mit Blick auf die vorgenommenen Unterscheidungen zunächst, daß die Liebe als elementarste Form der Anerkennung keine moralischen Erfahrungen enthält, die aus sich heraus zu so­ zialen Konfliktbildungen führen können: zwar ist in jedes Liebesverhältnis eine existentielle Dimension des Kampfes insofern eingelassen, als die intersubjektive Balance zwi­ schen Verschmelzung und Ichabgrenzung nur auf dem Weg einer Überwindung wechselseitiger Widerstände aufrecht-

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zuerhalten ist; die damit verknüpften Ziele und Wünsche aber lassen sich nicht über den Kreis der Primärbeziehung hinaus so verallgemeinern, daß sie jemals zu öffentlichen Belangen werden könnten. Hingegen stellen die Anerken­ nungsformen des Rechts und der sozialen Wertschätzung schon deswegen einen moralischen Rahmen für gesellschaft­ liche Konflikte dar, weil sie ihrer ganzen Funktionsweise nach auf sozial generalisierte Kriterien angewiesen sind; im Lichte derartiger Normen, wie sie das Prinzip der morali­ schen Zurechnungsfähigkeit oder die gesellschaftlichen Wertvorstellungen bilden, lassen sich persönliche Erfahrun­ gen der Mißachtung als etwas interpretieren und darstellen, von dem auch andere Subjekte potentiell betroffen sein kön­ nen. Sind hier also, im Rechtsverhältnis und der Wertge­ meinschaft, individuelle Zielsetzungen für soziale Verallge­ meinerungen prinzipiell offen, so sind sie dort, im Verhältnis der Liebe, notwendigerweise in die engen Grenzen einer Primärbeziehung eingeschlossen. Aus dieser kategorialen Einschränkung ergibt sich bereits ein erster, roher Vorbegriff dessen, was unter einem sozialen Kampf im Kontext unserer Überlegungen verstanden werden muß: es handelt sich dabei um den praktischen Prozeß, in dem individuelle Erfahrun­ gen von Mißachtung in einer Weise als typische Schlüsseler­ lebnisse einer ganzen Gruppe gedeutet werden, daß sie als handlungsleitende Motive in die kollektive Forderung nach erweiterten Anerkennungsbeziehungen einfließen kön­ nen. An dieser vorläufigen Begriffsbestimmung ist zunächst nur der rein negative Sachverhalt auffällig, daß sie sich gegenüber den herkömmlichen Unterscheidungen einer soziologischen Konflikttheorie neutral verhält.6 Wird der soziale Kampf in der genannten Weise von moralischen Erfahrungen her in­ terpretiert, so legt das erstens keine theoretische Vorent­ scheidung zugunsten gewaltloser oder gewaltsamer Formen 6 Vgl. exemplarisch: Lewis A. Coser, Theorie sozialer Konflikte, Neuwied und Berlin 1972. 260

des Widerstandes nahe; vielmehr bleibt es deskriptiv voll­ kommen offen, ob es die praktischen Mittel materieller, symbolischer oder passiver Gewalt sind, durch die soziale Gruppen die als typisch erlebten Mißachtungen und Verlet­ zungen öffentlich zu artikulieren und einzuklagen versu­ chen. Auch gegenüber der traditionellen Unterscheidung von intentionalen und nichtintentionalen Formen des sozia­ len Konfliktes verhält sich der vorgeschlagene Begriff neu­ tral, da er keine Aussage darüber trifft, in welchem Maße sich die Akteure über die moralischen Antriebsmotive ihres ei­ genen Handelns bewußt zu sein haben; hier sind vielmehr auch unschwer solche Fälle vorzustellen, in denen soziale Bewegungen den moralischen Kern ihres Widerstandes ge­ wissermaßen dadurch intersubjektiv verkennen, daß sie ihn von sich aus in der unangemessenen Semantik von bloßen Interessenkategorien auslegen. Schließlich greift auch die Al­ ternative von persönlichen und unpersönlichen Zielsetzun­ gen in bezug auf einen so verstandenen Kampf nicht vollständig, weil er im Prinzip nur von solchen allgemeinen Ideen und Forderungen bestimmt sein kann, in denen die einzelnen Akteure ihre individuellen Erfahrungen von Miß­ achtung positiv aufgehoben sehen; zwischen den unpersön­ lichen Zielsetzungen einer sozialen Bewegung und den privaten Verletzungserfahrungen ihrer Mitglieder muß eine semantische Brücke bestehen, die zumindest so tragfähig ist, daß sie die Ausbildung einer kollektiven Identität er­ laubt. Der deskriptiven Offenheit, durch die der vorgeschlagene Begriff des sozialen Kampfes mithin gekennzeichnet ist, steht auf der anderen Seite freilich der fixe Kern seines explanatorischen Gehaltes gegenüber. Im Unterschied zu allen utilitaristischen Erklärungsmodellen legt er die Auffassung nahe, daß sich die Motive für sozialen Widerstand und Auf­ ruhr im Rahmen von moralischen Erfahrungen bilden, die aus der Verletzung von tiefsitzenden Anerkennungserwar­ tungen hervorgehen. Solche Erwartungen sind innerpsy261

chisch mit den Bedingungen der persönlichen Identitätsbil­ dung in der Weise verknüpft, daß sie die gesellschaftlichen Muster von Anerkennung festhalten, unter denen sich ein Subjekt in seiner soziokulturellen Umwelt als ein zugleich autonomes und individualisiertes Wesen geachtet wissen kann; werden diese normativen Erwartungshaltungen von Seiten der Gesellschaft enttäuscht, so löst das genau die Art von moralischer Erfahrung aus, die in der Empfindung von Mißachtung zum Ausdruck gelangt. Zur motivationalen Ba­ sis von kollektivem Widerstand können derartige Verlet­ zungsgefühle aber nur dann werden, wenn das Subjekt sie in einem intersubjektiven Deutungsrahmen zu artikulieren vermag, der sie als typisch für eine ganze Gruppe ausweist; insofern hängt die Entstehung von sozialen Bewegungen von der Existenz einer kollektiven Semantik ab, die die persön­ lichen Enttäuschungserfahrungen als etwas zu interpretieren erlaubt, wovon nicht nur das individuelle Ich, sondern ein Kreis von vielen anderen Subjekten ebenfalls betroffen ist. Die Voraussetzung von solchen Semantiken erfüllen, wie George H. Mead gesehen hat, moralische Lehren oder Ideen, die unsere Vorstellungen von der sozialen Gemeinschaft normativ zu bereichern vermögen; zugleich mit der Aussicht auf erweiterte Anerkennungsbeziehungen eröffnen sie näm­ lich auch eine Interpretationsperspektive, unter der die so­ zialen Ursachen durchsichtig werden, die für die individu­ ellen Verletzungsgefühle verantwortlich zu machen sind. Sobald Ideen dieser Art also an Einfluß innerhalb einer Ge­ sellschaft gewonnen haben, erzeugen sie einen subkulturel­ len Deutungshorizont, innerhalb dessen aus den bislang abgespaltenen, privat verarbeiteten Mißachtungserfahrun­ gen die moralischen Motive für einen kollektiven »Kampf um Anerkennung« werden können. Wenn wir den Entstehungsprozeß von sozialen Kämpfen in dieser Weise zu erfassen versuchen, dann haben sie allerdings in mehr als nur der genannten Hinsicht mit der Erfahrung von Anerkennung zu tun: der kollektive Widerstand, der aus 262

der sozialkritischen Interpretation von gemeinsam geteilten Mißachtungsgefühlen hervorgeht, ist nicht nur ein prakti­ sches Mittel, um für die Zukunft erweiterte Muster der Anerkennung einzuklagen. Wie neben literarischen und so­ zialgeschichtlichen Quellen auch philosophische Überle­ gungen zeigen können7, hat der Einsatz in den politischen Aktionen für die Betroffenen auch die direkte Funktion, sie aus der lähmenden Situation der passiv erduldeten Erniedri­ gung herauszureißen und ihnen dementsprechend zu einem neuen, positiven Selbstverhältnis zu verhelfen. Der Grund für diese sekundäre Motivierung des Kampfes hängt mit der Struktur der Erfahrung von Mißachtung selber zusammen. Im Gefühl der sozialen Scham haben wir die moralische Empfindung kennengelernt, in der jene Minderung der Selbstachtung zum Ausdruck gelangt, die die passive Erduldung von Erniedrigung und Beleidigung typischerweise be­ gleitet; wird nun ein derartiger Zustand der Handlungshem­ mung durch das Engagement im gemeinsamen Widerstand praktisch überwunden, so eröffnet sich der Einzelne damit eine Äußerungsform, anhand derer er sich indirekt von dem moralischen oder sozialen Wert seiner selbst überzeugen kann: in der antizipierten Anerkennung einer zukünftigen Kommunikationsgemeinschaft für das, was er jetzt an Fä­ higkeiten offenbart, findet er nämlich als die Person soziale Achtung, der unter den herrschenden Bedingungen jede An­ erkennung versagt bleibt. Insofern schenkt der individuelle Einsatz im politischen Kampf, weil er genau die Eigenschaft öffentlich demonstriert, deren Mißachtung als Kränkung er­ fahren wird, dem Einzelnen ein Stück seiner verlorengegan­ genen Selbstachtung zurück. Verstärkend tritt hier natürlich auch noch die Erfahrung von Anerkennung hinzu, die die 7 Ich beschränke mich hier auf die Angabe philosophischer Literatur: Ber­ nard R. Boxbill, Self-Respect and Protest, a.a.O.; vgl. auch Hill, Jr„ Thomas E., »Servility and Sclf-Respect«, in: ders., Autonomy and SelfRespect, Cambridge 1991, S. 4ff.; Andreas Wildt, »Recht und Selbstach­ tung«, a.a.O. 2é3

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Solidarität innerhalb der politischen Gruppe dadurch ver­ schafft, daß sie die Mitglieder untereinander zu einer Art von wechselseitiger Wertschätzung gelangen läßt. Aus dem bislang Gesagten scheint sich nun die Vorstellung zu ergeben, als seien alle sozialen Auseinandersetzungen und Formen des Konfliktes prinzipiell nach demselben Muster eines Kampfes um Anerkennung verfaßt: jeder kollektive Akt von Widerstand und Aufruhr ließe sich dann seiner Ent­ stehung nach auf einen invarianten Rahmen von moralischen Erfahrungen zurückführen, innerhalb dessen die gesell­ schaftliche Wirklichkeit nach einer historisch sich verän­ dernden Grammatik von Anerkennung und Mißachtung interpretiert wird. Eine solche These jedoch würde zu der fatalen Konsequenz führen, von vornherein die Möglichkeit von sozialen Kämpfen bestreiten zu müssen, die einer Logik der mehr oder weniger bewußten Verfolgung von kollekti­ ven Interessen gehorchen; daß dem empirisch nicht so sein kann, daß also nicht alle Formen des Widerstandes auf die Verletzung von moralischen Ansprüchen zurückgehen kön­ nen, zeigen schon die vielen historischen Fälle, in denen es die pure Sicherung des ökonomischen Überlebens war, was zum Motiv für massenhaften Protest und Aufruhr geworden ist. Interessen sind zweckgerichtete Grundorientierungen, die an der ökonomischen und gesellschaftlichen Lage von Individuen schon deswegen haften, weil diese die Bedingun­ gen ihrer Reproduktion mindestens zu erhalten versuchen müssen; zu kollektiven Einstellungen werden solche Inter­ essen in dem Maße, in dem sich verschiedene Subjekte der Gemeinsamkeit ihrer sozialen Lage bewußt werden und sich daher mit derselben Art von Reproduktionsaufgaben kon­ frontiert sehen. Mißachtungsgefühle hingegen bilden den Kern von moralischen Erfahrungen, die in die Struktur der sozialen Interaktionen eingelassen sind, weil menschliche Subjekte sich untereinander mit Anerkennungserwartungen begegnen, an denen die Bedingungen ihrer psychischen In­ tegrität haften; zu kollektiven Handlungen können solche 264

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Unrechtsempfindungen in dem Maße führen, in dem sie von einem ganzen Kreis von Subjekten als typisch für die eigene Soziallage erfahren werden. An den kollektiven Interessen setzen diejenigen Konfliktmodelle an, die die Entstehung und den Verlauf sozialer Kämpfe auf den Versuch gesell­ schaftlicher Gruppen zurückführen, ihre Verfügungsgewalt über bestimmte Reproduktionschancen zu erhalten oder zu vergrößern; auf derselben Linie liegen daher heute auch alle die Ansätze, die das Spektrum solcher interessegeleiteten Kämpfe dadurch erweitern wollen, daß sie in die Bestim­ mung der gruppenspezifischen Reproduktionschancen kul­ turelle und symbolische Güter miteinbeziehen.8 An den kollektiven Unrechtsempfindungen setzt dagegen ein Kon­ fliktmodell an, das die Entstehung und den Verlauf sozialer Kämpfe auf die moralischen Erfahrungen zurückführt, die gesellschaftliche Gruppen angesichts der Vorenthaltung von rechtlicher oder sozialer Anerkennung machen. Don geht es um die Analyse einer Konkurrenz um knappe Güter, hier jedoch um die Analyse eines Kampfes um die intersubjekti­ ven Bedingungen von persönlicher Integrität. Aber dieses zweite, anerkennungstheoretische Konfliktmodell darf jenes erste, utilitaristische Modell eben nicht ersetzen, sondern allein ergänzen wollen: denn es bleibt stets eine empirische Frage, bis zu welchem Grad ein sozialer Konflikt eher der Logik der Interessenverfolgung oder der Logik der morali­ schen Reaktionsbildung folgt. Allerdings hat die sozialtheo­ retische Fixierung auf die Dimension des Interesses unseren Blick für die gesellschaftliche Bedeutung moralischer Ge­ fühle auch so nachhaltig verstellt, daß dem anerkennungs­ theoretischen Konfliktmodell über die Ergänzungsfunktion hinaus heute zugleich die Aufgabe einer möglichen Korrek8 Mit wünschenswerter Klarheit, allerdings in affirmativer Absicht hat das jetzt für die soziologische Theorie Bourdieus Markus Schwingel gezeigt: ders., Analytik der Kämpfe. Die strukturale Soziologie Pierre Bourdieus als Paradigma des sozialen Kampfes und ihr Beitrag zu einer kritischen Analyse von Macht und Herrschaft^ Diss.-Ms., Saarbrücken 1991.

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tur zufällt: auch das, was als kollektives Interesse in einem Konflikt handlungsleitend wird, muß nämlich nichts Letztes und Ursprüngliches darstellen, sondern mag sich bereits vor­ gängig in einem moralischen Erfahrungshorizont konstitu­ iert haben, in dem normative Ansprüche auf Anerkennung und Achtung eingelassen sind - das ist etwa überall dort der Fall, wo die soziale Wertschätzung einer Person oder Gruppe mit dem Maß ihrer Verfügung über bestimmte Gü­ ter so eindeutig korreliert, daß nur deren Erwerb zu der entsprechenden Anerkennung führen kann. In die Richtung einer solchen korrigierenden Interpretation von gesellschaft­ lichen Konflikten weisen heute eine Reihe von historischen Untersuchungen, deren Aufmerksamkeit auf die moralische Alltagskultur der sozialen Unterschichten gerichtet ist; die Ergebnisse dieser Studien können dazu beitragen, das hier entwickelte Konfliktmodell empirisch ein Stück weit zu rechtfertigen und gegenüber naheliegenden Einwände zu verteidigen. Nicht zuletzt wohl unter dem Einfluß utilitaristischer Denk­ motive war auch die historische Erforschung politischer Bewegungen lange Zeit dem Bezugsmodell der kollektiven Interessenverfolgung so stark verhaftet gewesen, daß ihr die moralische Grammatik sozialer Kämpfe verborgen bleiben mußte. Das hat sich erst nachhaltig ändern können, nachdem mit der Verschränkung von sozialanthropologischen und kultursoziologischen Forschungsmethoden vor zwei Jahr­ zehnten eine Form der Geschichtsschreibung entstanden ist, die die normativen Voraussetzungen des Konfliktverhaltens sozialer Unterschichten breiter und angemessener in den Blick zu nehmen vermocht hat. Was dieser Ansatz der kon­ ventionellen Geschichtsschreibung voraus hat, ist die er­ höhte Aufmerksamkeit, mit der der Horizont von morali­ schen Handlungsnormen untersucht wird, die unauffällig in den gesellschaftlichen Alltag eingelassen sind; weil Mittel der anthropologischen Feldforschung der historischen Untersu­ chung zur Seite treten, können die impliziten Regeln des 266

normativen Konsenses zum Vorschein kommen, von dem das politische Reaktionsverhaken der verschiedenen Subkul­ turen geschichtlich jeweils abhängig war. Den Anstoß zu einer derartigen Umorientierung, durch die die utilitaristi­ schen Voraussetzungen der älteren Tradition durch normativistische Prämissen ersetzt werden konnten, hat ohne Zweifel der englische Historiker E.P. Thompson gegeben; mit seinen Untersuchungen zu den alltäglichen Moralvor­ stellungen, die die englischen Unterschichten zum Wider­ stand gegen die Anfänge der kapitalistischen Industrialisie­ rung motivierten, hat er dem ganzen Forschungsansatz den Weg bereitet.’ Thompson ließ sich von der Vorstellung lei­ ten, daß sozialer Aufruhr niemals nur eine direkte Entäuße­ rung von Erfahrungen wirtschaftlicher Not und Entbehrung sein kann; vielmehr bemißt sich das, was als ein unerträgli­ cher Zustand der ökonomischen Versorgung gilt, seinerseits stets an den moralischen Erwartungen, die die Betroffenen konsensuell an die Organisation des Gemeinwesens heran­ tragen. Zu praktischem Protest und Widerstand kommt es daher zumeist erst dann, wenn eine Veränderung der wirt­ schaftlichen Lage als eine normative Verletzung dieses un­ ausgesprochen wirksamen Konsenses erlebt wird; insofern ist die Erforschung sozialer Kämpfe prinzipiell an die Vor­ aussetzung einer Analyse des moralischen Konsenses gebun­ den, der innerhalb eines gesellschaftlichen Kooperationszu­ sammenhangs inoffiziell regelt, wie zwischen Herrschern und Beherrschten Rechte und Pflichten verteilt sind. Freilich konnte dieser Perspektivenwechsel allein noch nicht zu Ergebnissen führen, durch die die These historisch belegt werden würde, daß sich soziale Auseinandersetzungen im Prinzip nach dem moralischen Muster eines Kampfes um Anerkennung begreifen lassen; dazu bedurfte es erst noch des zusätzlichen Nachweises, daß jene Verletzung eines un9 Vgl. Edward P. Thompson, Plebejische Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1990.

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ausgesprochenen Konsenses von den Betroffenen als ein Vorgang erlebt wird, der ihnen soziale Anerkennung ent­ zieht und sie daher im Gefühl ihres Selbstwertes kränkt. Den ersten Ansatz zur Darlegung eines solchen motivationalen Zusammenhanges haben inzwischen historische Untersu­ chungen erbracht, die den durch Thompson eröffneten For­ schungsrahmen um die Dimension der individuellen oder kollektiven Identität erweitert haben; unter Einbeziehung der Komponente des praktischen Selbstverhältnisses hat sich nämlich schnell gezeigt, daß der historisch jeweils existie­ rende Konsens für die Beteiligten den Sinn einer normativen Regelung besitzt, die die Beziehungen der wechselseitigen Anerkennung festlegt. Barrington Moore, der mit seinem Begriff des »impliziten Gesellschaftsvertrages« nicht zufällig an Thompsons Idee einer »moral economy« anschließt, hat auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet; seine vergleichen­ den Untersuchungen zu den revolutionären Erhebungen im Deutschland des Zeitraums von 1848 bis 1920 sind zu dem Ergebnis gelangt, daß sich vor allem jene Teilgruppen der Arbeiterschaft aktiv und militant engagiert haben, die sich durch die sozialpolitischen Veränderungen in ihrem bislang anerkannten Selbstverständnis massiv bedroht fühlen muß­ ten.10 Moore behandelt den impliziten Gesellschaftsvertrag, also den normativen Konsens unter den kooperierenden Gruppen eines Gemeinwesens, als ein locker organisiertes System von Regeln, das die Bedingungen der wechselseitigen Anerkennung bestimmt; sobald durch politisch erzwungene Innovationen ein solcher unausgesprochener Konsens ver- ' letzt wird, muß das daher beinahe zwangsläufig auch zur sozialen Mißachtung der angestammten Identität einzelner io Barrington Moore, Ungerechtigkeit. Die sozialen Ursachen von Unter­ ordnung und Widerstand, Frankfurt am Main 1982, vgl. dazu mein Rezensionsessay: Honneth, Axel, »Moralischer Konsens und Unrechts­ empfindung. Zu Barrington Moores Untersuchung »Ungerechtigkeit«, in: Almanach. Suhrkamp Wissenschaft. Weißes Programm, Frankfurt am Main 1984, S. 108 ff.

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Teilgruppen führen; und erst die dadurch ausgelöste Gefähr­ dung der Möglichkeit kollektiver Selbstachtung ist es, was in den Augen Moores auf breiter Basis politischen Widerstand und soziale Revolten erzeugt. In seiner Auffassung wird Barrington Moore heute durch historische Untersuchungen bekräftigt, die den motivationa­ len Anlaß für politische Erhebungen in der Verletzung grup­ penspezifischer Ehrvorstellungen aufsuchen; auch diese Forschungsarbeiten, für die die Studie von Andreas Grießinger über die Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert ein gutes Beispiel ist," erweitern den Ansatz Thompsons um eine identitätstheoretische Komponente, indem sie zwischen der politischen Enttäuschung moralischer Erwartungen und der Erschütterung traditional verfaßter Anerkennungsverhält­ nisse einen systematischen Zusammenhang herstellen. Aus Untersuchungen dieser Art läßt sich genügend An­ schauungsmaterial beziehen, um zumindest erste empirische Belege für die These zu gewinnen, daß sich soziale Ausein­ andersetzungen nach dem Muster eines Kampfes um Aner­ kennung vollziehen; ein gravierender Nachteil ergibt sich indes aus dem Umstand, daß die genannten Arbeiten dem strukturellen Eigensinn der Anerkennungsbeziehung einen zu geringen Platz einräumen, um zu mehr als einer histori­ schen Erfassung partikularer Lebenswelten in der Lage zu sein. Die dargestellten Ereignisse, seien es spontane Revol­ ten, organisierte Streiks oder passive Formen des Widerstan­ des, behalten stets etwas vom Charakter bloßer Episoden zurück, weil ihr Stellenwert in der moralischen Entwicklung der Gesellschaft als solcher nicht klar wird. Zu schließen ist die Kluft zwischen den einzelnen Vorgängen und dem über­ greifenden Entwicklungsprozeß aber nur, wenn die Logik der Ertweiterung von Anerkennungsbeziehungen selber zum Bezugssystem historischer Darstellungen wird. ii Andreas Grießinger, Das symbolische Kapital der Ehre. Streikbewegun­ gen und kollektives Bewußtsein deutscher Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1981.

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Mit dieser Aufgabenstellung geht die Notwendigkeit einher, das bislang dargelegte Konfliktmodell nicht mehr nur als einen Erklärungsrahmen für die Entstehung sozialer Kämp­ fe, sondern auch als den Interpretationsrahmen für einen moralischen Bildungsprozeß zu begreifen. Allein der Rück­ bezug auf eine allgemeine Logik der Erweiterung von An­ erkennungsbeziehungen erlaubt eine systematische Einord­ nung dessen, was sonst ein unbegriffenes Ereignis bliebe; die historischen, jeweils einzigartigen Kämpfe und Konflikte enthüllen ihre Stellung in der gesellschaftlichen Entwicklung nämlich erst, wenn die Funktion erfaßbar wird, die sie für die Durchsetzung eines moralischen Fortschritts in der Dimen­ sion der Anerkennung spielen. Die radikale Ausweitung der Perspektive, unter der die geschichtlichen Vorgänge betrach­ tet werden sollen, verlangt freilich auch eine Änderung unserer Sicht auf das primäre Forschungsmaterial: die Un­ rechtsempfindungen und Mißachtungserfahrungen, an de­ nen die Erklärung der sozialen Kämpfe ansetzen kann, treten nicht mehr nur als Handlungsmotive in den Blick, sondern werden auf die moralische Rolle hin befragt, die ihnen in der Entfaltung von Anerkennungsverhältnissen jeweils zukom­ men muß. Damit verlieren die moralischen Gefühle, bislang nur der emotionale Rohstoff von sozialen Konflikten, ihre vorgebliche Unschuld und werden zu retardierenden oder beschleunigenden Momenten in einem übergreifenden Ent­ wicklungsprozeß. Diese letzte Formulierung macht aller­ dings auch unmißverständlich deutlich, welche Anforderun­ gen an einen Theorieansatz gestellt sind, der den Kampf um Anerkennung modellhaft als einen geschichtlichen Vorgang des moralischen Fortschritts rekonstruieren können soll: um an den geschichtlichen Kämpfen zwischen vorwärtsweisenden und rückschrittlichen Motiven unterscheiden zu kön­ nen, bedarf es eines normativen Maßstabes, der unter den hypothetischen Vorgriff auf einen ungefähren Endzustand eine Entwicklungsrichtung zu markieren erlaubt. Der allgemeine Interpretationsrahmen, auf den wir mithin

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angewiesen sind, beschreibt den moralischen Bildungspro­ zeß, über den sich entlang einer idealisierten Abfolge von Kämpfen das normative Potential der wechselseitigen Aner­ kennung entfaltet hat. In'den theoretischen Unterscheidun­ gen, die sich aus den Überlegungen Hegels und Meads haben gewinnen lassen, findet eine solche Konstruktion ihren sy­ stematischen Ausgangspunkt. Demzufolge sind es die drei Anerkennungsformen der Liebe, des Rechts und der Wert­ schätzung, die erst zusammengenommen die sozialen Bedin­ gungen schaffen, unter denen menschliche Subjekte zu einer positiven Einstellung gegenüber sich selber gelangen können; denn nur dank des kumulativen Erwerbs von Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung, wie ihn nacheinander die Erfahrung von jenen drei Formen der Anerkennung garantiert, vermag eine Person sich uneinge­ schränkt als ein sowohl autonomes wie auch individuiertes Wesen zu begreifen und mit ihren Zielen und Wünschen zu identifizieren. Nun verdankt sich aber bereits diese Dreitei­ lung einer theoretischen Rückprojektion von Differenzie­ rungen, die sich allein in modernen Gesellschaften haben gewinnen lassen, auf einen hypothetisch angenommenen Ausgangszustand; denn in unserer Analyse haben wir gese­ hen, daß sich das Rechtsverhältnis erst in dem Augenblick aus dem sittlichen Rahmen der sozialen Wertschätzung her­ auszulösen vermocht hat, als es «den Ansprüchen einer post­ konventionellen Moral unterworfen worden ist. Insofern liegt es nahe, für die Ausgangssituation des zu beschreiben­ den Bildungsprozesses eine Form der sozialen Interaktion anzunehmen, in der jene drei Anerkennungsmuster noch ungeschieden ineinander verschränkt waren; dafür mag auch die Existenz einer archaischen Binnenmoral sprechen, in­ nerhalb derer Aspekte der Fürsorge wohl weder von den Rechten des Stammesmitglieds noch von dessen sozialer Wertschätzung vollkommen getrennt gewesen sind.12 Der 12 Vgl. etwa Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik, Frankfurt am Main 1969.

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moralische Lernprozeß, den der anvisierte Interpretations­ rahmen modellhaft darstellen soll, hat daher zwei gänzlich verschiedene Leistungen in einem erbringen müssen: näm­ lich zugleich eine Ausdifferenzierung der verschiedenen An­ erkennungsmuster herbeizuführen als auch innerhalb der damit geschaffenen Interaktionssphären das intern jeweils angelegte Potential freizusetzen. Wenn wir in diesem Sinn zwischen der Durchsetzung neuer Anerkennungsniveaus und der Herausarbeitung ihrer eigensinnigen Strukturen un­ terscheiden, dann ist unschwer zu erkennen, daß nur der zweite Prozeß direkt auf den Anstoß von sozialen Kämpfen zurückzuführen ist. Während die Ausdifferenzierung der Anerkennungsmuster auf soziale Kämpfe zurückgeht, die nur in dem sehr weiten Sinn einer Entschränkung von Subjektivitätspotentialen mit Forderungen nach Anerkennung zu tun haben können, ist mit deren Ergebnis ein soziokulturelles Niveau erreicht, auf der die jeweils eigensinnigen Strukturen wirksam werden können: sobald die Liebe zu Personen von ihrer rechtlichen Anerkennung und ihrer sozialen Wertschätzung zumindest grundsätzlich getrennt ist, sind drei Formen der wechselsei­ tigen Anerkennung entstanden, innerhalb derer mit spezifi­ schen Entwicklungspotentialen auch verschiedene Arten des Kampfes angelegt sind. Erst jetzt sind im Rechtsverhältnis mit den Möglichkeiten der Universalisierung und Materiali­ sierung, in der Wertgemeinschaft mit den Möglichkeiten der Individualisierung und Egalisierung normative Strukturen eingebaut, die über die emotionsgeladene Erfahrung von Mißachtung zugänglich werden können und in daraus resul­ tierenden Kämpfen einzuklagen sind; den Nährboden für solche kollektiven Formen des Widerstandes bereiten sub­ kulturelle Semantiken, in denen für die Unrechtsempfindun­ gen eine gemeinsame Sprache gefunden ist, die wie indirekt auch immer auf die Möglichkeiten einer Erweiterung von Anerkennungsbeziehungen verweist. Den idealisierten Pfad zu beschreiben, auf dem diese Kämpfe das normative Poten-

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tial des modernen Rechts und der Wertschätzung haben entbinden können, ist Aufgabe des anvisierten Interpreta­ tionsrahmens; er läßt einen objektiv-intentionalen Zusam­ menhang entstehen, in dem die geschichtlichen Vorgänge nicht mehr als bloße Ereignisse, sondern als Stufen in einem konflikthaften Bildungsprozeß erscheinen, der zu einer schrittweisen Erweiterung der Anerkennungsbeziehungen führt. Die Bedeutung, die den partikularen Kämpfen darin jeweils zukommt, bemißt sich demnach an dem positiven oder negativen Beitrag, den sie in der Realisierung von un­ verzerrten Formen der Anerkennung haben übernehmen können. Ein solcher Maßstab ist freilich nicht unabhängig von einem hypothetischen Vorgriff auf einen kommunikati­ ven Zustand zu gewinnen, in dem die intersubjektiven Be­ dingungen personaler Integrität als erfüllt erscheinen. So ist am Ende Hegels Lehre eines Kampfes um Anerkennung nur dann unter geminderten Ansprüchen noch einmal zu aktua­ lisieren, wenn auch sein Konzept von Sittlichkeit in verän­ derter, entsubstantialisierter Form erneut zur Geltung ge­ langt.

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9. Intersubjektive Bedingungen personaler Integrität: ein formales Konzept der Sittlichkeit

Wenn die Idee eines »Kampfes um Anerkennung« als ein kritischer Interpretationsrahmen für gesellschaftliche Ent­ wicklungsprozesse zu verstehen ist, dann bedarf es abschlie­ ßend einer theoretischen Rechtfertigung des normativen Gesichtspunktes, von dem sie sich soll leiten lassen können: die Geschichte der sozialen Kämpfe als einen gerichteten Vorgang zu beschreiben verlangt nämlich, hypothetisch auf einen vorläufigen Endzustand vorzugreifen, aus dessen Blickwinkel heraus eine Einordnung und Bewertung der partikularen Ereignisse möglich ist. Bei Hegel ebenso wie bei Mead hatte sich an der damit bezeichneten Stelle der modellhafte Entwurf eines posttraditionalen Anerkennungsver­ hältnisses gefunden, das zumindest rechtliche und sittliche, wenn nicht auch familiale Muster der wechselseitigen Aner­ kennung in einen einzigen Rahmen integriert; denn beide Denker waren, so hatte sich gezeigt, übereinstimmend der Überzeugung gewesen, daß die Subjekte sowohl als auto­ nome wie auch als individualisierte Wesen in einer modernen Gesellschaft Anerkennung finden müssen. Schon dieser knappe Rückverweis gibt einen deutlichen Hinweis darauf, daß der zu skizzierende Endzustand nicht allein in Begriffen zu fassen ist, die einem engen Verständnis der Moral ent­ sprechen. Unter »Moral« wird heute in der Tradition Kants im allgemeinen der Gesichtspunkt begriffen, der es erlaubt, allen Subjekten den gleichen Respekt entgegenzubringen oder ihre jeweiligen Interessen in derselben, fairen Weise zu berücksichtigen; eine solche Formulierung aber ist zu schmal, um all die Aspekte miteinzubeziehen, die das Ziel einer unverzerrten und entschränkten Anerkennung ausma­ chen. Vor jeder inhaltlichen Ausführung ist daher zunächst der methodische Status zu klären, den eine normative Theo^74

rie in Anspruch nehmen kann, die den hypothetischen End­ punkt einer Erweiterung von Anerkennungsbeziehungen beschreiben können soll; mir scheint es richtig, hier von einem formalen Konzept des guten Lebens oder eben: von Sittlichkeit zu sprechen. Erst diese methodische Rechtferti­ gung erlaubt/in einem zweiten Schritt dann, die Intentionen von Hegel und Mead noch einmal aufzunehmen, um die Idee eines posttraditionalen Anerkennungsverhältnisses zu um­ reißen; dessen Begriff hat all die intersubjektiven Vorausset­ zungen zu enthalten, die heute erfüllt sein müssen, damit die Subjekte sich in den Bedingungen ihrer Selbstverwirkli­ chung geschützt wissen können. (i) In der auf Kant zurückgehenden Tradition wird, wie ge­ sagt, unter »Moral« die universalistische Einstellung verstan­ den, in der wir alle Subjekte gleichermaßen als »Zwecke in sich selbst« oder als autonome Personen achten können; mit »Sittlichkeit« ist hingegen das jeweils eingelebte Ethos einer partikularen Lebenswelt gemeint, über das nur insofern nor­ mative Urteile zu fällen sind, als es sich den Anforderungen jener allgemeinen Moralprinzipien mehr oder weniger anzu­ nähern vermag.' Dieser Abwertung der Sittlichkeit steht heute ihre Aufwertung in jenen moralphilosophischen Strö­ mungen gegenüber, die sich erneut auf Hegel oder die antike Ethik zurückzubesinnen versuchen. Hier wird gegenüber der kantischen Tradition der Einwand erhoben, daß sie eine entscheidende Frage unbeantwortet läßt, weil sie den Zweck der Moral im ganzen nicht noch einmal an den konkreten Zielen menschlicher Subjekte auszuweisen vermag; mit dem Vorsatz, genau das zu leisten, soll daher das Verhältnis von Moralität und Sittlichkeit gewissermaßen wieder umgekehrt I Vgl. etwa: Schnädelbach, Herbert, »Was ist Neoaristotelismus?«, in: Wolf­ gang Kuhlmann (Hg.), Moralität und Sittlichkeit. Das Problem Hegels und die Diskursethiky Frankfurt am Main 1986, S. 38 ff.; Habermas, Jürgen, »Moralität und Sittlichkeit. Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu?«, ebd., S. i6ff.; Charles Larmore, Patterns of Moral Complexity, a.a.O.

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werden, indem die Geltung der Moralprinzipien von den historisch sich wandelnden Auffassungen des guten Lebens, den sittlichen Einstellungen also, abhängig gemacht wird.2 Die Argumentation jedoch, der wir in der Rekonstruktion des Anerkennungsmodells bislang gefolgt sind, weist in die Richtung einer Position, die sich keine der beiden Alterna­ tiven eindeutig zu fügen scheint. Von der auf Kant zurück­ gehenden Tradition weicht unser Ansatz deswegen ab, weil es ihm nicht nur um die moralische Autonomie des Men­ schen, sondern um die Bedingungen seiner Selbstverwirkli­ chung im ganzen geht; daher wird die Moral, verstanden als Gesichtspunkt universeller Achtung, zu einer unter mehre­ ren Schutzvorrichtungen, die dem allgemeinen Zweck der Ermöglichung eines guten Lebens dienen. Dieser Begriff des Guten soll nun aber im Gegensatz zu jenen alternativen, von Kant sich absetzenden Strömungen nicht als Ausdruck der substantiellen Wertüberzeugungen aufgefaßt werden, die je­ weils den Ethos einer konkreten Traditionsgemeinschaft bilden; vielmehr geht es um die strukturellen Elemente von Sittlichkeit, die sich unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der kommunikativen Ermöglichung von Selbstverwirkli­ chung von der Vielfalt aller besonderen Lebensformen nor­ mativ abheben lassen. Insofern steht der anerkennungstheo­ retische Ansatz, soweit wir ihn bislang als ein normatives Konzept entwickelt haben, in der Mitte zwischen einer auf Kant zurückgehenden Moraltheorie und den kommunitaristischen/Ethiken: mit jener teilt er das Interesse an möglichst allgemeinen Normen, die als Bedingungen für bestimmte Möglichkeiten aufgefaßt werden, mit diesen aber die Orien­ tierung am Zweck der menschlichen Selbstverwirkli­

chung.3 2 Vgl. u. a. Alasdair MacIntyre, Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Kri­ se der Gegenwart, Frankfurt a. M. 1987; zudem die entsprechenden Beiträ­ ge in: Axel Honneth (Hg.), Kommunitarismus. Eine Debatte über die mo­ ralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1993. 3 Wichtige Anstöße zur Formulierung einer solchen Zwischenposition habe ich erhalten durch: Martin Seel, Das Gute und das Richtige, Ms. 1991.

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Nun ist freilich mit dieser elementaren Positionsbestimmung nur erst wenig gewonnen, weil noch vollkommen ungeklärt bleibt, wie ein solches formales Konzept der Sittlichkeit me­ thodisch soll möglich sein können. Mit dem Begriff der »Sittlichkeit« ist jetzt das Insgesamt an intersubjektiven Be­ dingungen gemeint, von denen sich nachweisen läßt, daß sie der individuellen Selbstverwirklichung als notwendige Vor­ aussetzungen dienen. Wie aber sollen über derartige Ermög­ lichungsbedingungen allgemeine Aussagen getroffen werden können, wenn doch jede Explikation der Struktur von Selbstverwirklichung unverzüglich in die Gefahr gerät, zu einer Auslegung von bestimmten, historisch einzigartigen Lebensidealen zu werden? Die gesuchten Bestimmungen müssen daher so formal oder abstrakt sein, daß sie gerade nicht den Verdacht erwecken, bloß die Ablagerungen von konkreten Interpretationen des guten Lebens darzustellen; andererseits aber müssen sie auch wiederum material oder inhaltlich so gefüllt sein, daß mit ihrer Hilfe mehr über die Bedingungen der Selbstverwirklichung zu erfahren ist, als uns mit dem kantischen Hinweis auf die individuelle Auto­ nomie gegeben ist. Den Schlüssel für eine weitere Klärung gibt hier eine Rückerinnerung an die Ergebnisse in die Hand, die wir in der Rekonstruktion der verschiedenen Anerken­ nungsformen gewonnen haben. Bereits in Meads naturalistischer Transformation der Hegel­ sehen Anerkennungslehre hatte sich abgezeichnet, was un­ sere empirisch orientierte Überprüfung dann im einzelnen zu zeigen vermocht hat: die verschiedenen Muster der An­ erkennung, die bei Hegel voneinander abgehoben worden waren, lassen sich als die intersubjektiven Bedingungen be­ greifen, unter denen menschliche Subjekte zu jeweils neuen Formen der positiven Selbstbeziehung gelangen können. Der Zusammenhang, der zwischen der Erfahrung von An­ erkennung und dem Sichzusichverhalten besteht, ergibt sich aus der intersubjektiven Struktur der persönlichen Identität: die Individuen werden als Personen allein dadurch konsti277

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tuiert, daß sie sich aus der Perspektive zustimmender oder ermutigender Anderer auf sich selbst als Wesen zu beziehen lernen, denen bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten po­ sitiv zukommen. Der Umfang solcher Eigenschaften und damit der Grad der positiven Selbstbeziehung wächst mit jeder neuen Form von Anerkennung, die der einzelne auf sich selbst als Subjekt beziehen kann: so ist in der Erfahrung von Liebe die Chance des Selbstvertrauens, in der Erfahrung von rechtlicher Anerkennung die der Selbstachtung und in der Erfahrung von Solidarität schließlich die der Selbstschät­ zung angelegt. Mit diesen wenigen Rückverweisen ist für die Absichten, die wir im Augenblick verfolgen, allerdings schon mehr er­ bracht, als es auf den ersten Blick hin den Anschein haben [ mag. Denn der Umstand, daß die Möglichkeit der positiven i' Selbstbeziehung allein mit der Erfahrung von Anerkennung j gegeben ist, läßt sich als ein Hinweis auf notwendige Bedin\_gungen der individueller^' Selbstverwirklichung verstehen. Wie in anderen Kontexten auch, so liefert hier der negative Beweisgang eine erste, rohe Form der Begründung: ohne die Unterstellung eines gewissen Maßes an Selbstvertrauen, an rechtlich gewährter Autonomie und an Sicherheit über den Wert der eigenen Fähigkeiten ist ein Gelingen von Selbstver­ wirklichung nicht vorzustellen, wenn darunter ein Prozeß der ungezwungenen Realisierung von selbstgewählten Le­ benszielen verstanden werden soll. »Ungezwungenheit* oder »Freiheit« kann nämlich im Hinblick auf einen solchen Prozeß nicht einfach Abwesenheit von externem Zwang oder Einfluß meinen, sondern muß zugleich auch das Fehlen von inneren Blockierungen, von psychischen Hemmungen und Ängsten bedeuten4; diese zweite Form der Freiheit aber ist, ins Positive gewendet, als eine Art von nach innen ge­ richtetes Vertrauen zu verstehen, das dem Individuum Si4 Vgl. dazu: Taylor, Charles, »Der Irrtum der negativen Freiheit«, in: ders., Negative Freiheit ? Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus, Frankfurt am Main 1988, S. 118 ff.

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cherheit sowohl in der Bedürfnisartikulation als auch in der Anwendung seiner Fähigkeiten schenkt. Von derartigen Si­ cherheiten, also angstfreien Umgangsweisen mit sich selber, hatte sich jedoch zuvor gezeigt, daß sie Dimensionen der positiven Selbstbeziehungen bilden, zu denen nur auf dem Weg der Erfahrung von Anerkennung zu gelangen ist. Inso­ fern hängt die Freiheit der Selbstverwirklichung von Voraus­ setzungen ab, die dem menschlichen Subjekt nicht selber zur Verfügung stehen, weil es sie allein mit Hilfe seiner Interak­ tionspartner zu erwerben vermag. Die verschiedenen Muster der Anerkennung repräsentieren intersubjektive Bedingun­ gen, die wir notwendigerweise hinzudenken müssen, wenn wir die allgemeinen Strukturen eines gelingenden Lebens beschreiben wollen. Es ist nicht schwer zu sehen, daß die damit umrissenen Be­ dingungen den methodologischen Kriterien Genüge leisten, die wir zuvor im Hinblick auf ein formales Konzept der Sittlichkeit festgelegt hatten. Einerseits sind die drei verschie­ denen Anerkennungsmuster, die nunmehr als ebensoviele Voraussetzungen einer gelingenden Selbstverwirklichung gelten sollen, ihrer Bestimmung nach abstrakt oder formal genug, um nicht den Verdacht der Verkörperung bestimmter Lebensideale zu wecken; andererseits ist die Darlegung dieser drei Bedingungen unter inhaltlichen Gesichtspunkten auch wiederum reichhaltig genug, um mehr über die allgemeinen Strukturen eines gelingenden Lebens auszusagen, als in dem bloßen Hinweis auf individuelle Selbstbestimmung enthalten ist. Die Anerkennungsformen der Liebe, des Rechts und der Solidarität bilden intersubjektive Schutzvorrichtungen, die jene Bedingungen äußerer und innerer Freiheit sichern, auf die der Prozeß einer ungezwungenen Artikulation und Realisierung von individuellen Lebenszielen angewiesen ist; weil sie zudem nicht etwa schon bestimmte Institutionsge­ füge, sondern nur allgemeine Verhaltensmuster darstellen, lassen sie sich von der konkreten Totalität aller besonderen Lebensformen als strukturelle Elemente abheben. *79

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Eine weitere Schwierigkeit erwächst der ins Auge gefaßten Konzeption aber nun aus der Tatsache, daß zwei der drei eingeführten Anerkennungsmuster in sich das Potential ei­ ner normativen Fortentwicklung bergen; wie sich gezeigt hat, ist sowohl/das Rechtsverhältnis als auch die Wertge-

1meinschaft für Prozesse einer Umgestaltung in die Richtung einer Zunahme von Universalität oder Egalität offen. Mit diesem internen Entwicklungspotential wandert in die nor­ mativen Bedingungen der Selbstverwirklichung ein histori­ scher Index ein, der unser formales Konzept der Sittlichkeit in seinen Ansprüchen einschränken muß: was als intersub­ jektive Voraussetzung eines gelingenden Lebens gelten kann, wird zu einer geschichtlich variablen Größe, die vom aktu­ ellen Entwicklungsniveau der Anerkennungsmuster be­ stimmt ist. Das formale Konzept verliert seine Zeitlosigkeit, indem es hermeneutisch in die Abhängigkeit einer jeweils unüberschreitbaren Gegenwart gerät. (2) Ein formales Konzept der Sittlichkeit umfaßt die quali­ tativen Bedingungen von Selbstverwirklichung, die sich von der Vielfalt aller besonderen Lebensformen insofern abhe­ ben lassen, als sie allgemeine Voraussetzungen der perso­ nalen Integrität von Subjekten bilden; weil derartige Bedin­ gungen aber ihrerseits für Möglichkeiten einer normativen Höherentwicklung offenstehen, ist ein solches formales Konzept nicht jedem historischen Wandel enthoben, son­ dern umgekehrt an die einzigartige Ausgangslage der eigenen Entstehungszeit gebunden. Für unsere Zielsetzung ergibt sich aus dieser Einschränkung die Auflage, die drei Aner­ kennungsmuster in dem Sinn historisch einzuführen, daß sie nur in ihrem jeweils höchsten Entwicklungsgrad als Ele­ mente von Sittlichkeit gelten können: wie die intersubjekti­ ven Voraussetzungen der Ermöglichung von Selbstverwirk­ lichung beschaffen sein müssen, zeigt sich stets nur unter den historischen Bedingungen einer Gegenwart, die je schon die Aussicht auf eine normative Fonbildung der Anerkennungs­ verhältnisse eröffnet hat. Die Idee einer posttraditionalen, 280

demokratischen Sittlichkeit, wie sie sich als Konsequenz ei­ ner solchen Argumentation abzeichnet, ist zum ersten Mal vom jungen Hegel entfaltet und später von Mead unter nach­ metaphysischen Prämissen weiterentwickelt worden; bei allen Unterschieden hat beiden doch dasselbe Ideal einer Gesellschaft vor Augen gestanden, in der sich die universa­ listischen Errungenschaften der Gleichheit und des Indivi­ dualismus dermaßen in den Interaktionsmustern niederge­ schlagen haben, daß alle Subjekte als zugleich autonome und individuierte, als gleichgestellte und doch besondere Perso­ nen Anerkennung finden. Beide Denker haben sich zudem diese spezifisch modernen Muster der sozialen Interaktion in Form eines Netzwerkes aus unterschiedlichen Anerken­ nungsverhältnissen gedacht, in denen sich die Individuen in jeweils einer der Dimension ihrer Selbstverwirklichung be­ stätigt wissen können. Damit sind sowohl Hegel als auch Mead der normativen Idee, die wir hier mit Hilfe/eines zwar historisch gebundenen, aber doch formalen Konzeptes von Sittlichkeit zu umreißen versuchen, so nah wie irgend mög­ lich gekommen; gleichwohl ist der unvermittelte Rückgriff auf eines ihrer Modelle schon deswegen nicht möglich, weil sich von beiden hat zeigen lassen, daß in sie die historischen Vorurteile der jeweiligen Epoche auf problematische Weise eingeflossen sind. Das offenbart sich im Falle Hegels schon an der Behandlung des Anerkennungsverhältnisses, das als elementare Bedin­ gung von Selbstverwirklichung den intersubjektiven Kem auch einer posttraditionalen Form von Sittlichkeit darzustel­ len hat: in der Erläuterung der »Liebe* hat Hegel sich in seiner »Rechtsphilosophie« so stark von den institutionellen Gegebenheiten seiner Zeit beeinflussen lassen, daß am Ende nur das patriarchalische Beziehungsmuster der bürgerlichen Familie hat herauskommen können.5 Wird diese irreleitende Konkretisierung wieder zurückgenommen, so bleibt eine 5 Instruktiv ist hier: Gabriele Neuhäuser, Familiäre Sittlichkeit und Aner­ kennungsformen bei Hegel, M.A.-Arbeit, Frankfurt am Main 1992. 281

Vorstellung übrig, wie sie hier im exemplarischen Rückgriff auf die Objektbeziehungstheorie der Psychoanalyse entwikkelt worden ist: in der spannungsreichen Balance zwischen Verschmelzung und Ichabgrenzung, deren Austragung zu jeder gelungenen Form von Primärbeziehung gehört, kön­ nen die Subjekte sich wechselseitig in ihrer Individualität soweit als geliebt erfahren, daß sie angstfrei mit sich allein zu sein vermögen. Ein solcher Modus des Selbstvertrauens bil­ det die elementare Voraussetzung jeder Art von Selbstver­ wirklichung insofern, als er den einzelnen überhaupt erst zu derjenigen inneren Freiheit gelangen läßt, die ihm die Arti­ kulation seiner eigenen Bedürfnisse erlaubt; dementspre­ chend repräsentiert die Erfahrung von Liebe, welche insti­ tutionelle Gestalt sie historisch auch immer angenommen haben mag, den innersten Kern aller als »sittlich« zu quali­ fizierenden Lebensformen. Ihrer grundsätzlichen Bestim­ mung nach unverändert geht die Liebe, weil in sie nicht das Potential einer normativen Fortentwicklung eingelassen ist, auch in das intersubjektive Netzwerk einer posttraditionalen Form von Sittlichkeit ein; andererseits aber ist es möglich, daß sich ihre invarianten Grundstrukturen um so unverzerr­ ter und ungezwungener zu entfalten vermögen, je mehr an Rechten die Partner teilen, die sich in einer Freundschafts­ oder Liebesbeziehung gegenüberstehen. Insofern muß ein formales Konzept der posttraditionalen Sittlichkeit so ange­ legt sein, daß es den radikalen Egalitarismus der Liebe gegen externe Zwänge und Einflüsse verteidigen kann; an dieser Stelle berührt sich die Darlegung des Anerkennungsmusters der Liebe mit derjenigen des Rechtsverhältnisses, das als die zweite Bedingung von personaler Integrität gelten muß. Die Anerkennungsmuster des Rechtsverhältnisses haben sich nicht rekonstruieren lassen, ohne auf die normativen Entwicklungen Bezug zu nehmen, denen sie seit der Her­ ausbildung der modernen Gesellschaft unterworfen waren; daran ist deutlich geworden, daß die rechtliche Anerken­ nung in sich ein moralisches Potential birgt, das über soziale 282

Kämpfe in die Richtung einer Steigerung sowohl von Allge­ meinheit als auch/von Kontextsensibilität entfaltet zu wer­ den vermag. Diesem Tatbestand haben weder Hegel noch Mead angemessen Rechnung getragen, als sie in ihre Ent­ /'/•/ würfe einer posttraditionalen Sittlichkeit jeweils das mo­ derne Rechtsverhältnis als eine zentrale Bedingung mitein­ bezogen haben. Nach wie vor überzeugend sind zwar die Gründe, die von beiden Denkern angeführt wurden, um die Bedeutung der individuellen Freiheitsrechte für die Zwecke der menschlichen Selbstverwirklichung zu belegen: nur in dem Maße, in dem mit der Durchsetzung des bürgerlichen Rechts allen Subjekten prinzipiell individuelle Entschei­ dungsfreiheit eingeräumt wird, ist jedes von ihnen in dersel­ ben Weise dazu in der Lage, ohne externen Einfluß die Ziele seines Lebens festzulegen. Selbstverwirklichung ist, kurz ge­ sagt, auf die soziale Voraussetzung rechtlich gewährter Au­ tonomie angewiesen, weil allein mit ihrer Hilfe sich jedes Subjekt als eine Person zu begreifen vermag, die sich selbst gegenüber in ein Verhältnis der abwägenden Prüfung der eigenen Wünsche treten kann. Aber Hegel und Mead haben andererseits das moderne Rechtsverhältnis so sehr auf den bloßen Bestand der liberalen Freiheitsrechte eingeengt, daß sie beide nicht haben gewahr werden können, wie stark de­ ren individuelle Nutzung auch von der rechtlichen Verbes­ serung ihrer Anwendungsbedingungen abzuhängen vermag. Die rechtlichen Voraussetzungen der Selbstverwirklichung stellen eine entwicklungsfähige Größe dar, weil sie in die Richtung einer stärkeren Berücksichtigung der besonderen Lage des Einzelnen verbessert werden können, ohne ihres universalistischen Gehaltes verlustig zu gehen; daher kann das moderne Rechtsverhältnis nur dann, wenn es um solche materialen Bestandteile erweitert gedacht wird, als ein zwei­ tes Element in das intersubjektive Netzwerk einer posttra­ ditionalen Sittlichkeit eingehen. Innerhalb dieses sittlichen Rahmens übt ein so begriffenes Recht nun freilich eine eingrenzende Wirkung sowohl auf 283

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das Verhältnis der Liebe als auch auf die noch ungeklärten Bedingungen der Solidarität aus. In dem Binnenbereich von Primärbeziehungen dringen die Anerkennungsmuster des Rechts deswegen ein, weil der einzelne vor der Gefahr einer physischen Gewalt geschützt werden muß, die in der prekä­ ren Balance jeder emotionalen Bindung strukturell angelegt ist: zu den intersubjektiven Bedingungen, die heute perso­ nale Integrität ermöglichen, gehört nicht nur die Erfahrung von Liebe, sondern auch der rechtliche Schutz vor den Ver­ letzungen, die mit ihr ursächlich verküpft sein können. Auf die Bedingungen der Solidarität aber nimmt das moderne Rechtsverhältnis dadurch Einfluß, daß es normative Be­ schränkungen etabliert, denen die Bildung von gemein­ schaftsstiftenden Werthorizonten generell unterliegen muß; mithin ist die Frage, inwiefern die Solidarität als ein weiteres Element in den Bedingungszusammenhang einer posttraditionalen Sittlichkeit einzugehen hat, nicht ohne jede Bezug­ nahme auf rechtliche Prinzipien zu klären. Wiederum waren es Hegel und Mead, die bereits entschei­ dende Argumente dafür geliefert haben, warum selbst unter den Bedingungen der Moderne die Subjekte noch auf einen übergreifenden Werthorizont angewiesen sind: weil/die In­ dividuen sich auch in ihren besonderen Fähigkeiten und Eigenschaften anerkannt wissen müssen, um zur Selbstver­ wirklichung in der Lage zu sein, bedürfen sie einer sozialen Wertschätzung, wie sie nur auf der Basis gemeinsam geteilter Zielsetzungen erfolgen kann. Allerdings nehmen beide Den­ ker dieses dritte Anerkennungsmuster nicht in der Form auf, in der sie es empirisch jeweils haben vorfinden können, son­ dern geben ihm eine entschiedene Wendung ins Normative; es sollen darunter nur solche ethischen Werthorizonte ver­ standen werden, die so offen und plural sind, daß im Prinzip jedes Gesellschaftsmitglied die Chance erhält, sich in seinen Fähigkeiten sozial wertgeschätzt zu wissen. Mit der norma­ tiven Zuspitzung, die dadurch die Kategorie der Wertge­ meinschaft erfährt, gehen zwei theoretische Vorteile einher, 284

über deren Reichweite sich wohl weder Hegel noch Mead vollständig im klaren gewesen sind: einerseits muß die Ent­ wicklungslinie, die im Anerkennungsverhältnis der sozialen Wertschätzung schon vorgezeichnet ist, weil es die Möglich­ keit einer weiteren Egalisierung und Individualisierung ent­ hält, nur über die Gegenwart hinaus in die Zukunft verlän­ gert werden, um zu der von ihnen umrissenen Vorstellung zu gelangen; andererseits ist diese aber in sich bereits so ange­ legt, daß sie überhaupt nur noch gemeinschaftsstiftende Werte zuläßt, die mit den moralischen Bedingungen des mo­ dernen Rechts, also der individuellen Autonomie jedes ein­ zelnen, strukturell vereinbar sind. Sowohl der junge Hegel als auch Mead haben sich die Zukunft der modernen Gesell­ schaft so vorstellen wollen, daß sie ein neues, offenes Wert­ system hervorbringt, in dessen Horizont sich die Subjekte wechselseitig in ihren freigewählten Lebenszielen wertzu­ schätzen lernen. Damit sind sie beide bis zu der Schwelle vorgedrungen, auf der sich ein Begriff der gesellschaftlichen Solidarität abzuzeichnen beginnt, der auf die Möglichkeit einer symmetrischen Wertschätzung unter rechtlich autono­ men Bürgern zielt. Aber an der Beantwortung der Frage, wie eine solche moderne Idee der Solidarität inhaltlich zu füllen wäre, haben sich nicht nur die Lösungswege der zwei Den­ ker getrennt, sondern sind sie beide auch je auf ihre Weise gescheitert. Unser formales Konzept einer posttraditionalen Sittlichkeit ist nicht abgeschlossen, so wird an dem Dargestellten deut­ lich, wenn es nicht zumindest den Platz anzugeben vermag, an dem materiale Werte zu treten hätten. Denn der Versuch, von den intersubjektiven Bedingungen der personalen Inte­ grität auszugehen, um zu den normativen Universalien eines gelungenen Lebens zu gelangen, muß am Ende auch noch das Anerkennungsmuster einer gesellschaftlichen Solidarität einbeziehen, die nur aus gemeinsam geteilten Zielsetzungen erwachsen kann; daß diese ihrerseits den normativen Be­ schränkungen unterliegen, die mit der rechtlich verbürgten 285

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Autonomie aller Subjekte gesetzt sind, ergibt sich aus ihrer Stellung in einem Beziehungsgeflecht, in dem sie mit den beiden anderen Anerkennungsmustern der Liebe und des Rechts koexistieren müssen. Der junge Hegel hat in seinen Jenaer Schriften an den damit umrissenen'Platz nur noch die als Kommunikationsform verstandene »Solidarität« aller Staatsbürger zu setzen versucht; aber der Vorteil größtmög­ licher Formalität, den ihm sein Vorschlag zweifellos einge­ bracht hatte, war durch den Nachteil erkauft gewesen, über keinen Hinweis auf die Erfahrungen mehr zu verfügen, de­ nen sich die Entstehung solcher solidarischen Gefühle soll verdanken können. George H. Mead hatte demgegenüber, ähnlich wie etwa zur gleichen Zeit Dürkheim, die gesell­ schaftliche Arbeitsteilung als die gemeinschaftliche Zielset­ zung begriffen, von der jene solidarisierende Kraft ausgehen soll, durch die alle Subjekte sich als wertgeschätzt wissen können; sein Vorschlag mußte jedoch daran scheitern, daß die Organisation der sozialen Arbeitsteilung, erst recht aber die Bewertung der verschiedenen Arbeitsleistungen, ihrer­ seits wieder von ethischen Wertvorstellungen abhängig ist, die doch gerade als solche mit Bezug auf technische Erfor­ dernisse neutralisiert werden sollten. Beide, Hegel nicht weniger als Mead, haben das selbstge­ setzte Ziel verfehlt, einen abstrakten Horizont von ethischen Werten zu bestimmen, der für die verschiedensten Lebens­ ziele offen ist, ohne die solidarisierende Kraft der kollektiven Identitätsbildung zu verlieren. Nun haben aber die rund zweihundert Jahre, die uns von Hegels frühen Schriften, und die beinah hundert Jahre, die uns von Meads Spekulationen trennen, die Notwendigkeit einer solchen Form der Integra­ tion nur noch erhöht: mittlerweile sind nämlich durch so­ ziostrukturelle Umbrüche in den entwickelten Gesellschaf­ ten die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung objektiv so sehr erweitert worden, daß die Erfahrung einer individuellen oder kollektiven Differenz zum Anstoß einer ganzen Reihe von politischen Bewegungen geworden ist; deren Forderun286

gen lassen sich langfristig wohl nur erfüllen, wenn es zu kulturellen Wandlungen kommt, die eine radikale Erweite­ rung von Beziehungen der Solidarität mit sich bringen. In dieser neuen Situation kann das hier skizzierte Konzept aus dem Scheitern der Entwürfe von Hegel und Mead nur die Lehre ziehen, sich mit einer unüberwindbaren Spannung zu begnügen: weder kann es darauf verzichten, neben die An­ erkennungsformen der Liebe und eines entwickelten Rechts­ verhältnisses auch noch materiale Werte treten zu lassen, die zur Erzeugung einer posttraditionalen Solidarität in der Lage sein sollen; noch aber kann es aus sich heraus den Platz schon füllen, der damit als Ort des Partikularen im Beziehungsge­ füge einer modernen Form von Sittlichkeit umrissen ist denn ob jene materialen Werte eher in die Richtung eines politischen Republikanismus, eines ökologisch begründeten Asketismus oder eines kollektiven Existentialismus weisen, ob sie Veränderungen in den ökonomisch-sozialen Gege­ benheiten voraussetzen oder mit den Bedingungen einer kapitalistischen Gesellschaft vereinbar bleiben, das ist keine Sache der Theorie mehr, sondern eine der Zukunft von so­ zialen Kämpfen. /

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Bambey, Andrea 9 Barth, Hans 247 Baumgarten, Eduard 220 Benhabib, Seyla 9 Benjamin, Jessica 157, 164, 170, 171

Berding, Helmut 242, 248 Berger, Peter L. 202 Bergmann, H., Martin, S. >73 Bergson, Henri 231, 242, 247 Berlin, Isaiah 242 Bettelheim, Bruno 218 Biasche, Siegfried 67 Bloch, Ernst 18 Bobbio, Norberte 70 Borkenau, Franz 16 Bourdieu, Pierre 206, 265 Bowlby, John 156 Boxbil), Bernard P. 195, 216, 263 Branden, Nathaniel 173, 209 Breakwell, Glyris M. 213 Brotz, Howard 195 Buck, Günther 16, 17 Builowa, Margret 159 Burgess, Ernest 258 Cobb, Jonathan 200 Coser, Lewis A. 260 Darwall, Stephen L. 181, 182, 183 Descartes, René 16 Dewey, John 115,220,221,222

Dews, Peter 10 Dülmen, Richard van 200 Dürkheim, Emile no, 205, 242, 257, 286 Düsing, Edith 48, no Eagle, Morris N.■ >55 Ebeling, Hans 16 i Erikson, Erik H.• 173 Fanon, Frantz 249, 251, 256 Feinberg, Joel 192, 193, 216 Ferrara, Alessandro 10 Feuerbach, Ludwig 108, 234, 236 Fichte, Johann Gottlieb 22, 29, 30, 31, 32, 47, 54, 59, 71 Fink-Eitel, Hinrich 10 Flaubert, Gustave 252 Foucault, Michel 7 Frankenberg, Günter 10 Freud, Sigmund 154, 155, 158 Freund, Michael 242, 247 Freyer, Hans 15 Galilei, Galileo 16 Gehlen, Arnold 118,271 Gilbert, Paul 173 Giusti, Miguel 24, 26 Greenberg, Jay R. 155, 158 Grießinger, Andreas 269 Gurewitsch, Aron 179

Habermas, Jürgen 9,13,16,18, 57. 108, 114, 122, 177, 275 Harlow, H.F. 156 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 7, 8, 11-113, 114, 121, 122, 126, 128, 129, 135, 136, 138, 141, I4S, 146, 147, 148, 149, .150,

797

j

'I

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich

Kersting, Wolfgang

15

151, 152, 153, 154, 157, 158,

Kierkegaard, Soren

108

164, 170, 174, 175, 177, 178,

Kimmerle, Heinz

191, 196, 197, 207, 212, 213, 219, 227, 228, 230, 231, 235,

Kluth, Heinz 198 Kojève, Alexandre

239, 240, 241, 243, 245, 248, 254, 256, 258, 259, 271, 273,

König, Traugott

253

Korff, Wilhelm

198, 204

275, 277, 281, 283, 284, 285,

Kuhlmann, Wolfgang

12, 47

275

286, 287 Henrich, Dieter 20, 36, 99 Herder, Johann Gottfried 118,

Lange, Ernst Michael

*39 Herostrat 89 Hill, Jr., Thomas E.

Levinas, Emmanuel

Larmore, Charles E.

List, Elisabeth

263

12, 16, 17, 18,

Hobbes, Thomas

7b 74» 75» 77» 107» *49» **8, 230, 258

Lynd, Helen M.

Honneth, Axel

20, 23

7, 8, 151, 206,

232, 236, 239, 250, 268, 276 Horstmann, Rolf-Peter 21, 25,

238, 239 153

Luhmann, Niklas

Lukacs, Georg

21 209, 223

MacCarthy, Thomas

7

Machiavelli, Niccolö

12, 13, 14,

15, 16, 18, 20, 31, 100, 149, 228,

230 Macho, Thomas H.

81

36» 48, 99 Hösle, Vittorio

99

Mac Intyre, Alasdair

Hunyadi, Mark

253

Man, Hendrik de Marquard, Odo

Ihering, Rudolf von

i8o, 181,

183

61, 235 Mb *75 81

9

Lohmann, Georg

19, 20, 29, 31, 32, 36, 47, 68, 70,

Hölderlin, Friedrich

II

81

276

248, 249 11

Marshall, Thomas H.

186, 187,

189, 190, 191

Iking, Karl-Heinz

20, 26, 32

Marx, Karl

108, 205, 228, 230,

231, 232-242, 254, 256, 258 ■

Jaeggi, Urs

232

James, William

Mead, George Herbert 131, 220

Jamme, Christoph

Jellinek, Georg

Jesus

23

186

212, 213, 219, 227, 228, 248,

9,114,115,232,236,

254, 259, 262, 271, 275, 277,

281, 283, 284, 285, 286, 287

239. 258

Julliard, J.

152, 158, 168, 174, 175, 176,

>77» >9b 194» 195» 196, 207,

137

Joas, Hans

Meillassoux, Claude

244

Menke, Christoph Kant, Immanuel

11,20,22,71,

Meyer, Thomas

274, 275, 276

Mill, James

Kemberg, Otto F.

171

218 10

Mercier-Josa, Solange

92, 179, 180, 182, 239, 240, 244,

298

8, 110,

113, 114-147, 148, 149, 150, 151,

36

231

232, 233

Mitchell, Stephan A.

155, 158

Moore, Barrington Münkler, Herfried

268, 269

14» »8

224

Neckel, Sighard

Seel, Martin

Negt, Oskar 44 Neuhäuser, Gabriele

281

Nietzsche, Friedrich

149

Offe, Claus

7

Olson, Daniel R.

Schöpf, Alfred 163 Schreiber, Marianne 163 Schwingel, Markus 265

276

Sennett, Richard 200 Siep, Ludwig i9, 30, 32, 39, 49, 70, 109, no Simmel, Georg 223, 257 Singer, Milton 223 Smith, Steven B. 70

159

Sorel, Georges

Park, Robert, E.

258

Parsons, Talcott 187,236 Patterson, Orlando 218

Peirce, Charles S.

115

228,230,231,

242-249, 254, 256, 258 Speier, Hans 203 Spitz, René A. 155, 156 Stern, Daniel 156

200

Perisiany, J.G.

223

Piers, Gerhart

Pitt-Rivers, Julian

200, 208

Taminaux, Jacques 20 Taylor, Charles 141, 250, 278 Theunissen, Michael

99, 2jo

Platon 20, 23, 24 Plessner, Helmuth

152

Thompson, Edward P.

Pospi'svil, Leopold

176

269 Tocqueville, Alexis de

21, 22, 29, 42,

Riedel, Manfred

Rose, Gillian

Roth, Klaus

Tugendhat, Ernst

11

Vico, Giambattista

Rundell, John F.

29

Weber, Max 199, 201, 205, 257 Wellmer, Albrecht 7, 183, 239

172,208,228,

Wildt, Andreas

10, 29, 37, 39,

44. 5°» 58» 59. 63>

231, 249-254, 256, 258

8l> 84. 91»

109, no, 182, 194, 23 j, 238, 263

214

Scheier, Max 151,152 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

231, 242, 243,

244

240

244

Sartre, Jean-Paul

Scarry, Elaine

159 122, 128

44

9

Rousseau, Jean-Jacques

Sand, Shlomo

203

257

Tönnies, Ferdinand

Trevorthen, Couym

67, 70 Ritter, Joachim

267, 268,

Wingert, Lutz 10 Winnicott, Donald W.

157-169

23, 33, 35, 44, 46

Schiller, Friedrich

Young, Iris Marion

179

. Schnädelbach, Herbert

9

275

299

Sachregister

I

j

’ 'i

Achtung 178 ff. Anerkennung 29 ff., 45 f., 49 f., 71 ff., ruf., 121, 126f., 149 f.» 235, 267t. -, liebende (s. auch Liebe) 33 f., 45f., 63f., 146, 151, 153ff., 173h, 259f., 271 f. rechtliche (s. auch Recht) 34f., 45 f., 82ff., I26ff., 146, 151, 174 ff., 238 f., 243 f., 260, 271 f., 278 wertschätzende (s. auch Wert­ schätzung) 139L, 196ff., 260, 271 f. Arbeit 60 f., 85£., 104, I42ff., 231 ff. Bewegungen, soziale 224 f., 256, 262 f.

Ehre

I

: I

1

136!., 206,

40h, 199f., 217

Familie 67, 245, 282 Freiheit 24, 133f., 175f.» 278f. negative 21, 35 ff. Freundschaft 153, 169, 173 f. Gefühle, moralische 219 ff., 246 f., 264 f., 270 Gemeinschaft 23, i36f. Generalisierung 137L, 260, 280

Bl I- i ; H

»Ich« (Mead) ii9f.» I3off.» 136, 168 f. Identität 33 f., 42, 109f., (Anm. 3), 122 ff., 213 Individualisierung 135f., 203, 285 300

Integrität

39 f., 214, 218 f., 264 f.»

280

Kampf - um Anerkennung 31L, 3 5 ff-, 39 ff., 46 f., 68 f., 88ff., 112, I34ff., 149, 164, 182, 185, 200ff., 224 f., 227L, 233, 247!., 249 f., 254, 262 ff. — um Selbsterhaltung 13, ijf., 74f., 237, 257L Kommunitarismus 147, *75 fLiebe, Liebesverhältnis 63 ff., 128, ijjff., 173L, 259L, 271, 278 ff., 282 f.

Mißachtung 38, 88, 112L, 150, 195, 212 ff., 235f., 246fr, 250L, 26off., 264 Moral 122ff., 224, 24$, 274ff.

Prestige

203 ff.

Recht, Rechtsverhältnis 30, 34f., 83 ff., 91 ff., 126ff., 174 ff., 197, 215f., 238£., 243 ff., 271, 283f. Reziprozität 64 f., 171L, 177

Scham, Schamgefühl 214, 219, 222L, 263 Selbst —achtung 127ff., 191 f., 215 ff., 251 f., 263, 271, 278, 283 —bewußtsein 104, 117L, 119 fr. —Schätzung 209, 217L, 271, 278 —vertrauen 66ff., i68f., 21 4U 231 ff., 271, 278, 282

Selbst ---- Verwirklichung 132, xjSff., 203ft., 217t., 275ft. Sittlichkeit 24, 47 t., 55t., 96 ff., 141 ff., 174, 275 ff. Solidarität 44, 103, 146, 2o8ff., 278t., 285f. Tod 218

41, 79ft., 8off., 103,

Utilitarismus 266t.

230t., 236ft., 242t.,

Verbrechen 36 ff., 46t., 87 ff. Vertrag 17t., 32, 71 ff., 86f.

Wertgemeinschaft I4of., 196ft., 260, 284 f. Wertschätzung, soziale 179ft., 183, 196ff., 263, 266, 271, 284t.

3or

ii

Psychoanalyse, Sozialpsychologie und Psychologie im Suhrkamp Verlag Eine Auswahl Didier Anzieu. Das Haut-Ich. Übersetzt von Meinhard Korte und Marie-Hélène Lebourdais-Weiss. 324 Seiten. Gebunden

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Die Sozialphilosophie, die Axel Honneth kon­ zipiert hat, setzt ausgesprochen »tief« an. Sie fragt, welche Bedingungen erfüllt sein müs­ sen, damit die Menschen sowohl äußere als auch innere Freiheit erlangen. Erst diese Freiheit würde es ihnen erlauben, selbstbewußt am demokratischen Leben der Gesellschaft teil­ zunehmen und die ihnen zustehenden Rechte auch wirklich in Anspruch zu nehmen. (Andreas Kuhlmann)

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