Internationales und europäisches Atomrecht: Die militärische und friedliche Nutzung der Atomenergie aus Sicht des Völker- und Europarechts [1 ed.] 9783428542710, 9783428142712

Die Atomreaktorkatastrophe von Fukushima sowie der daraufhin in Deutschland und anderen europäischen Staaten beschlossen

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Internationales und europäisches Atomrecht: Die militärische und friedliche Nutzung der Atomenergie aus Sicht des Völker- und Europarechts [1 ed.]
 9783428542710, 9783428142712

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Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel

Band 185

Internationales und europäisches Atomrecht Die militärische und friedliche Nutzung der Atomenergie aus Sicht des Völker- und Europarechts

Herausgegeben von

Kerstin Odendahl

Duncker & Humblot · Berlin

Kerstin Odendahl (Hrsg.)

Internationales und europäisches Atomrecht

Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel In der Nachfolge von Jost Delbrück herausgegeben von Andreas von Arnauld, Nele Matz-Lück und K e r s t i n O d e n d a h l Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht

185

Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Christine Chinkin London School of Economics

Eibe H. Riedel Universität Mannheim

James Crawford University of Cambridge

Allan Rosas Court of Justice of the European Communities, Luxemburg

Lori F. Damrosch Columbia University, New York Vera Gowlland-Debbas Graduate Institute of International Studies, Geneva Rainer Hofmann Johann Wolfgang GoetheUniversität, Frankfurt a.M. Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis

Bruno Simma Iran United States Claims Tribunal, The Hague Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg

Internationales und europäisches Atomrecht Die militärische und friedliche Nutzung der Atomenergie aus Sicht des Völker- und Europarechts Herausgegeben von

Kerstin Odendahl

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 978-3-428-14271-2 (Print) ISBN 978-3-428-54271-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84271-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Atomreaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 sowie der daraufhin in Deutschland und weiteren europäischen Staaten beschlossene Ausstieg aus der Atomenergie haben die Frage der Beherrschung und Beherrschbarkeit der Atomkraft wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Neben den intensiv diskutierten Gefahren, die mit der friedlichen Nutzung der Atomenergie einhergehen, stellt die militärische Nutzung der Atomkraft aber ein weiteres, bis heute ungelöstes Problem dar. Das Atomrecht steht demnach zwei gewaltigen Herausforderungen gegenüber. Häufig werden Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomenergie aus einer rein nationalstaatlichen Perspektive betrachtet und diskutiert. Dabei hat gerade die Atomkraft grenzüberschreitende Wirkungen, die sich nur mit Hilfe eines europäischen und internationalen Ansatzes vollständig beherrschen lassen. So macht beispielsweise die Einführung hoher Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke in nur einem Staat wenig Sinn, wenn nicht auch die Nachbarstaaten entsprechend handeln. Das gleiche gilt bei der Herstellung, Erprobung oder gar Nutzung von Atomwaffen. Nur ein europa- und völkerrechtlicher Ansatz vermag der Risiken, die von der Atomenergie ausgehen, umfassend Herr zu werden. Angesichts der Bedeutung und der wieder aufgelebten Diskussion um die Nutzung der Atomenergie führte daher das Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Wintersemester 2011/12 und Sommersemester 2012 eine Ringvorlesung mit dem Titel „Die Beherrschung der Atomenergie: völker- und europarechtliche Perspektiven“ durch. Die Veranstaltung bestand aus zwei großen thematischen Blöcken: einem Block zur militärischen und einem Block zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Der vorliegende Sammelband enthält die schriftliche Fassung der meisten Vorträge, die im Laufe der beiden Semester gehalten wurden. Darüber hinaus sind zwei Beiträge aufgenommen worden, die zwar nicht auf Vorträgen beruhen, die aber für das Gesamtverständnis des Rechtsgebiets essentiell sind. Es handelt sich um den Einführungsbeitrag, der einen Überblick über das internationale und europäische Atomrecht gibt (Odendahl), sowie um den Beitrag zum Einsatz von Atomwaffen in bewaffneten Konflikten (Haumer/Schöberl).

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Vorwort

Dem Überblicksbeitrag zu den völker- und europarechtlichen Vorgaben für die friedliche und die militärische Nutzung der Atomenergie schließen sich drei Beiträge zur militärischen Nutzung der Atomenergie an. Sie untersuchen die Zulässigkeit des Einsatzes von Atomwaffen in bewaffneten Konflikten (Haumer/Schöberl), Fragen der atomaren Abrüstung (Bothe) und den Kampf gegen die Verbreitung von Atomwaffen (Beynio). Der friedlichen Nutzung der Atomenergie widmen sich vier Beiträge. Sie befassen sich mit der Zulässigkeit von Atomkraftwerken aus umweltvölker- und nachbarrechtlicher Sicht (Faßbender), der internationalen Zusammenarbeit bei Atomkatastrophen (Pelzer), der Rolle der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA (Tonhauser) sowie dem europäischen Atomrecht (Grunwald). Großer Dank gebührt meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Frau Antje Siering. Sie hat bei der redaktionellen Überarbeitung und Überprüfung der Beiträge wertvolle Hilfe geleistet und die entsprechenden Arbeiten der studentischen Hilfskräfte koordiniert. Dank gilt auch den anderen Mitarbeitern des Instituts, insb. Frau Andrea Neisius, die für Formatierungsarbeiten und die Herstellung der Druckvorlage verantwortlich war. Möge der vorliegende Sammelband mit seinen Beiträgen zu fast allen Facetten des internationalen und europäischen Atomrechts sowie mit seiner Fokussierung sowohl auf der militärischen als auch auf der friedlichen Nutzung der Atomenergie eine bislang in der deutschsprachigen Literatur bestehende Lücke schließen. Vielleicht weckt er auch das wissenschaftliche oder praktische Interesse an der Materie – selbst wenn Deutschland die Atomenergie nicht militärisch nutzt und sich auch von ihrer friedlichen Nutzung losgesagt hat. Kiel, im Oktober 2013

Kerstin Odendahl

Inhaltsverzeichnis Kerstin Odendahl Völker- und europarechtliche Vorgaben für die militärische und die friedliche Nutzung der Atomenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Stefanie Haumer und Katja Schöberl Der Einsatz von Atomwaffen in bewaffneten Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

Michael Bothe Nukleare Abrüstung und Einrichtung atomwaffenfreier Zonen . . . . . . . . . . . . . .

59

Jens Beynio Der Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen – Völkervertragliche Grundlagen und praktische Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

Kurt Faßbender Atomkraftwerke aus umweltvölker- und nachbarrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . 109 Norbert Pelzer Internationale Zusammenarbeit bei Atomkatastrophen: Die Lehren aus Tschernobyl und Fukushima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

Wolfram Tonhauser The International Atomic Energy Agency as the “Watchdog” over the Safe and Peaceful Use of Nuclear Energy? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Jürgen Grunwald Europarechtliche Vorgaben zur friedlichen Nutzung der Atomenergie: Euratomund EU-Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Abkürzungsverzeichnis ABl. EG ABl. EU ABM Abs. ADN AEUV AFDI AIND AJIL AKW/s Anm. Art. Atw. AVR A-Waffen Bd. BDGV Beschl. BGBl. BMU Bq B-Waffen BZÜ bzw. CNS CONF CSC CTBT CTS C-Waffen

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Anti-Ballistic Missile Absatz Accord européen relatif au transport international des marchandises dangereuses par voie de navigation intérieure Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Annuaire Français de Droit International Association International du Droit Nucléaire American Journal of International Law Atomkraftwerk/e Anmerkung Artikel/Article Atomwirtschaft Archiv des Völkerrechts Atomare Waffen Band Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Beschluss Bundesgesetzblatt Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Becquerel Biologische Waffen Brüsseler Zusatzübereinkommen beziehungsweise Convention on Nuclear Safety Conference Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage Comprehencive Nuclear Test Ban Treaty Consolidated Table of Treaties Chemische Waffen

10

Abkürzungsverzeichnis

CZLAN Conferencia de Zonas Libres de Armas Nucleares Denv. J. Int’l L. & Pol’y Denver Journal of International Law and Policy ders. d.h. Doc. DÖV DPRK Dr. DRK DVBl. EAGV ECOSOC ECURIE EG e.g. EGKSV EGV ENCD EPR ERNET et seq. EU EuG EuGH EuR EurActiv Euratom EURDEP EurUP EUV EuZW EWG FAO FAZ f. ff.

derselbe das heißt Document Die Öffentliche Verwaltung Democratic People’s Republic of Korea Doktor Deutsches Rotes Kreuz Deutsches Verwaltungsblatt Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft Economic and Social Council European Community Urgent Radiological Information Exchange Europäische Gemeinschaft exempli gratia Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Eighteen Nation Committee on Disarmament Emergency, Preparedness and Response Emergency Response Network et sequens Europäische Union Gericht der Europäischen Union Gerichtshof der Europäischen Union Europarecht Portal für europäische Nachrichten, Hintergründe und Kommunikation Europäische Atomgemeinschaft European Radiological Data Exchange Platform Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Food and Agriculture Organization Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende fortfolgende

Abkürzungsverzeichnis GA GAOR GC GCD GJIL GOV GP

11

GÜ GYIL Hrsg. HSFK IAEA IAEO ibid. ICAO ICJ ICLQ i.d.F. i.e. IGH

Genfer Abkommen General Assembly Official Records General Conference General and Complete Disarmament Göttingen Journal of International Law Governors Gemeinsames Protokoll über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens Gemeinsames Übereinkommen German Yearbook of International Law Herausgeber Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung International Atomic Energy Agency International Atomenergie-Organisation ibidem (ebenda) International Civil Aviation Organization International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly in der Fassung id est (das heißt) Internationaler Gerichtshof

IKRK ILM ILO IMO INES INF INFCIR INLA INLEX INSAG

Internationales Komittee vom Roten Kreuz International Legal Materials International Labor Organisation International Maritime Organisation International Nuclear and Radiological Event Scale Intermediate Range Nuclear Forces Information Circulars International Nuclear Law Association International Expert Group on Nuclear Liability International Nuclear Safety Group

IRRC

International Review of the Red Cross

ITER i.V.m. JCSL JZ Kap. km KOM

International Thermonuclear Experimental Reactor in Verbindung mit Journal of Conflict and Security Law Juristenzeitung Kapitel Kilometer Europäische Kommission

12 kW lit. MAD MC MTCD m.w.N. MWth NATO NEA Net. NFZ NJW NLB NNWS No. NPT Nr. NUREG NVV NVwZ NWS NZJEnvtlL NZZ OCHA OECD OEEC ÖZöRVR para. paras. PNE Prof. PTBT PÜ RdE RECIEL RES/Res. Rn.

Abkürzungsverzeichnis Kilowatt litera Mutually Assured Destruction main committee(s) Medium Term Conflict Detection mit weiteren Nachweisen Megawatt thermisch North Atlantic Treaty Organization Nuclear Energy Agency Internet (Netzbetreiber und Provider) Nuclear Free Zone Neue Juristische Wochenschrift Nuclear Law Bulletin Non-Nuclear-Weapon-State(s) Number Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons Nummer United States Nuclear Regulatory Commission Regulation Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nuclear Weapon State(s) New Zealand Journal of Environmental Law Neue Zürcher Zeitung Office for the Coordination of Humanitarian Affaires Organisation for Economic Cooperation and Development Organisation for European Economic Cooperation Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht paragraph paragraphs Peaceful nuclear explosion Professor/in Partial Test Ban Treaty Pariser Atomhaftungsübereinkommen Recht der Energiewirtschaft Review of European Community & International Environmental Law Resolution Randnummer

Abkürzungsverzeichnis Rs. S. SALT SDR SIOP SIPRI Slg. sog. SORT SPD START SZR TEPCO u.a. UdSSR UN UN-Charta UNCIO UNDP UNHCR UNO UNODA UNTS Urt. US USA USSR usw. v. v.a. vgl. Vol. VStGB VVDStRL WHO wiss. WMD w.N.

13

Rechtssache Satz Strategic Arms Limitation Talks Special Drawing Rights Single Integrated Operation Plan Stockholm International Peace Research Institute Sammlung sogenannt/e/r/s Strategic Offensive Arms Reduction Treaty Sozialdemokratische Partei Deutschlands Strategic Arms Reduction Treaty Sonderziehungsrechte The Tokyo Electric Company, Incorporated unter anderem Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken United Nations Charta der Vereinten Nationen United Nations Conference on International Organization United Nations Development Programme United Nations High Commissioner for Refugees United Nations Organization United Nations Office on Disarmament Affairs United Nations Treaty Series Urteil United States United States of America Union of Soviet Socialists Republics und so weiter versus/vom vor allem vergleiche Volume Völkerstrafgesetzbuch Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer World Health Organization wissenschaftlicher Weapons of Mass Destruction weitere Nachweise

14 WÜ WVK ZaöRV z.B. ZEuS Ziff. ZÖR ZP I ZP II ZUR

Abkürzungsverzeichnis Wiener Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Nuklearschäden Wiener Vertragsrechtskonvention Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Europarechtliche Studien Ziffer Zeitschrift für Öffentliches Recht Erstes Genfer Zusatzprotokoll Zweites Genfer Zusatzprotokoll Zeitschrift für Umweltrecht

Völker- und europarechtliche Vorgaben für die militärische und die friedliche Nutzung der Atomenergie Von Kerstin Odendahl

A. Einleitung Das Recht folgt der Realität. Es entwickelt sich erst dann, wenn sich die ihm zugrunde liegenden Verhältnisse wesentlich ändern und es daher zu einem Regelungsbedürfnis kommt. Die Entstehung des Atomrechts als Rechtsgebiet des Völkerrechts hängt dementsprechend unmittelbar mit den Ereignissen im Jahr 1945 zusammen. Die ersten Atomtests und Atombombenabwürfe durch die USA1 markierten den Beginn eines neuen Zeitalters der Waffentechnik. Kurz danach setzte der Kalte Krieg und mit ihm ein „Wettrüsten“, auch im atomaren Bereich, ein.2 Die katastrophalen Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen sind bekannt und hinreichend erforscht.3 Die Notwendigkeit neuer Normen im Recht der bewaffneten Konflikte zur Eindämmung und Kontrolle, möglichst gar zur Abschaffung von Atomwaffen, war demnach evident.4 Kurz nach den ersten Atombombeneinsätzen zeigte sich in den 1950er Jahren, dass Atomenergie auch friedlich genutzt werden kann: Sie erwies sich als neue, ausgesprochen effiziente und „umweltfreundliche“ Energiequelle.5 Weitere Ein-

1 Der erste Atomwaffenversuch fand am 16.7.1945 in den USA statt. Die beiden ersten Atombomben wurden am 6.8.1945 über Hiroshima bzw. am 9.8.1945 über Nagasaki abgeworfen. 2 Vgl. dazu den Beitrag von M. Bothe, Nukleare Abrüstung und Einrichtung Atomwaffenfreier Zonen, in diesem Band, 59. 3 Vgl. dazu den Beitrag von S. Haumer/K. Schöberl, Der Einsatz von Atomwaffen in bewaffneten Konflikten, in diesem Band, 37. 4 Vgl. V. P. Nanda, Nuclear Weapons, Human Security, and International Law, Denv. J. Int’l L. & Pol’y 37 (2009), 331, 337 ff. 5 Das erste Atomkraftwerk wurde 1954 ans Netz angeschlossen, vgl. N. L. Char/B. J. Csik, Nuclear power development: History and outlook, IAEA Bulletin, 3/1987, 19, 20.

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Kerstin Odendahl

satzmöglichkeiten, etwa im Bereich der Medizin,6 hatten sich bereits vorher ergeben oder entwickelten sich später. Auch eine friedliche Nutzung der Atomenergie, insbesondere im Rahmen der Energieerzeugung, birgt jedoch Gefahren in sich, die verheerende grenzüberschreitende Wirkungen haben können. Ein Bedürfnis nach völkerrechtlichen Normen zur Regulierung auch der friedlichen Nutzung der Atomkraft zu Energiegewinnungszwecken entstand daher ebenfalls.7 Zum Völkerrecht trat bald das Europarecht hinzu.8 Die Entdeckung der Atomkraft als neue Energiequelle führte zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) im Jahre 1957. Die Mitgliedstaaten übertrugen der Gemeinschaft die Befugnis, Recht für die friedliche Nutzung der Atomenergie zu schaffen. Auch die Europäische Union (EU) spielt im Atomrecht eine Rolle, enthält doch der AEUV Vorschriften über Umwelt, Energie und Katastrophenschutz, die für die Nutzung der Atomkraft als Energiequelle einschlägig sein können. Das Europarecht ergänzt demnach die völkerrechtlichen Vorgaben. Während für die militärische Nutzung der Atomenergie jedoch allein völkerrechtliche Vorgaben zu beachten sind, ist die friedliche Nutzung der Atomenergie in einen völker- und in einen europarechtlichen Rahmen eingebettet.

B. Militärische Nutzung der Atomenergie I. Fakten Die genaue Zahl der Atomwaffensprengköpfe weltweit lässt sich nur schätzen. Eine Studie aus dem Jahr 20139 gelangte zu dem Ergebnis, dass es auf der Erde insgesamt 17.270 Atomwaffensprengköpfe gibt. Über die meisten von ihnen verfügten die USA und Russland. Darüber hinaus seien aber auch Frankreich, Großbritannien, China, Israel, Pakistan und Indien sog. Atommächte. Ob Nordkorea ebenfalls Atomwaffen besitze, ließe sich nicht endgültig klären. Es sei aber zu vermuten. Unklar sei die Lage in Bezug auf den Iran.

6 1895 entdeckt Wilhelm Conrad Röntgen die sog. Röntgenstrahlung (X-rays). Seitdem wird sie zur medizinischen Diagnostik verwendet, vgl. S. R. Cherry/J. A. Sorenson/ M. E. Phelps, Physics in Nuclear Medicine, 4. Aufl. 2012, 2. 7 Einen Überblick über die völkerrechtlichen Regeln zur friedlichen Nutzung der Atomenergie bietet W.-G. Schärf, Europäisches Nuklearrecht, 2008. 8 Zu den europarechtlichen Regeln zur friedlichen Nutzung der Atomenergie vgl. Schärf (Anm. 7) sowie den Beitrag von J. Grunwald, Europarechtliche Vorgaben zur friedlichen Nutzung der Atomenergie, Euratom und EU-Normen, in diesem Band, 185. 9 Vgl. S. H. Kile/H. M. Kristensen, World nuclear forces, SIPRI Yearbook 2013, 283 ff.

Völker- und europarechtliche Vorgaben

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Die Sprengkraft der modernen Atomwaffensprengköpfe ist um ein Vielfaches größer als diejenige der Atombomben, die 1945 über Hiroshima bzw. Nagasaki abgeworfen wurden.10 Die stärkste amerikanische Atomwaffe verfügte 2009 über die 80-fache Sprengkraft des 1945 über Hiroshima gezündeten „Little Boy“; das gesamte Atomwaffenarsenal der USA entsprach im Jahr 1960 insgesamt 1.360.000 Hiroshima-Bomben.11 Es sind diese Zahlen, die zu der Schlussfolgerung führen, dass die Menschheit mittlerweile über das Potential verfügt, sich selbst (mehrfach) zu vernichten bzw. die Erde quasi unbewohnbar zu machen.12 II. Völkerrechtliche Regeln zur militärischen Nutzung der Atomenergie Vertragliche oder gewohnheitsrechtliche Regeln, welche die Herstellung, die Verbreitung und vor allem den Einsatz von Atomwaffen vollständig verbieten, gibt es nicht. Die Staaten sind nicht bereit, auf die potentielle Nutzung von Atomwaffen ganz zu verzichten.13 Zur Frage des Einsatzes von Atomwaffen gibt es dementsprechend bislang keine bzw. nur vereinzelte vertragliche Bestimmungen. Einschlägig ist im Wesentlichen allein ein Gutachten des IGH aus dem Jahre 1996, das allerdings viele Fragen offen lässt (vgl. unten Pkt. 5). Trotz der Unklarheit in Bezug auf die Zulässigkeit des Einsatzes von Atomwaffen haben sich allerdings für Einzelfragen Vertragsregime entwickeln können. Sie betreffen vier Bereiche: die atomare Abrüstung (vgl. unten Pkt. 1), die Schaffung 10

Der über Hiroshima abgeworfene „Little Boy“ war eine Uranbombe mit einer Sprengkraft von 15.000 Tonnen TNT. Über Nagasaki wurde der „Fat Man“ abgeworfen, eine Plutoniumbombe mit 21.000 Tonnen TNT, vgl. R. S. Norris/H. M. Kristensen, U.S. nuclear warheads, 1945–2009, Bulletin of the Atomic Scientists, Vol. 65, No. 4, 2009, 72, 74. 11 Die Zahlen stammen aus Norris/Kristensen (Anm. 10), 72 ff. 12 Die Frage, inwieweit mit dem vorhandenen Atomwaffenarsenal das Leben bzw. die Menschheit gar mehrfach (sog. „overkill“) vernichtet werden könnte, ist umstritten. Die von der australischen Regierung eingesetzte „Canberra Commission“ stellt die These auf, dass Nuklearwaffen alles Leben auf der Erde vernichten könnten, vgl. Canberra Commission on the Elimination of Nuclear Weapons, Report, August 1996, 18. Andere Studien gelangen zu dem Ergebnis, dass die USA 18 Mal und Russland 29 Mal, beide zusammen also 47 Mal, die Menschheit ausrotten könnten, vgl. A. Robock/L. Oman/G. L. Stenchikok, Nuclear winter revisited with a modern climate model and current nuclear arsenals: Still catastrophic consequences, Journal of Geophysical Research, Vol. 112 (2007), 1 ff. Zu den Folgen eines Atomwaffeneinsatzes vgl. auch B. Martin, The global health effects of nuclear war, Current Affairs Bulletin, Vol. 59, No. 7, December 1982, 14 ff.; ders., Nuclear winter: science and politic, Science and Public Policy, Vol. 15, No. 5, October 1988, 321 ff. 13 Vgl. Nanda (Anm. 4), 343 ff.

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atomwaffenfreier Zonen und Räume (vgl. unten Pkt. 2), das Verbot von Atomwaffenversuchen (vgl. unten Pkt. 3) und die Nichtverbreitung von Atomwaffen (vgl. unten Pkt. 4). Den einzelnen Vertragswerken ist bislang ein unterschiedlicher Erfolg beschieden gewesen. 1. Atomare Abrüstung Die ersten vertraglichen Regelungen zur atomaren Abrüstung14 stammen aus den 1970er Jahren. Der sog. ABM-Vertrag von 197215 markiert den Anfang der diesbezüglichen Bemühungen. Sein Ziel war die zahlenmäßige Beschränkung der Raketenabwehrsysteme. Die Begrenzung strategischer Offensivwaffen war Gegenstand des für fünf Jahre abgeschlossenen SALT I-Abkommens, das ebenfalls aus dem Jahr 1972 stammt.16 Sein Nachfolger, das SALT II-Abkommen von 1979,17 trat hingegen nie in Kraft. Immerhin konnte aber im Jahre 1987 ein Vertrag zur Vernichtung von Raketen kurzer und mittlerer Reichweite, der sog. INF-Vertrag,18 geschlossen werden. Danach waren die Bestrebungen um die atomare Abrüstung erst einmal auf Eis gelegt. Erst nach dem Ende des Ost-West-Konflikts kam es wieder zum Abschluss vertraglicher Vereinbarungen zur Reduzierung der Zahl strategischer atomarer Offensivwaffen. Im Jahr 1991 wurde der START I-Vertrag19 für die Dauer von 15 Jahren bzw. bis zum Inkrafttreten eines Nachfolgeabkommens abgeschlossen. Zu einem solchen kam es allerdings zunächst nicht. Der START II-Vertrag von 199320 trat nicht in Kraft. Die Verhandlungen zum START III-Rahmenvertrag 14

Vgl. dazu den Beitrag von Bothe (Anm. 2). Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Limitation of Anti-Ballistic Missile Systems, 26.5.1972, UNTS Vol. 944, 14. 16 Interim Agreement between the United States of America and the Soviet Socialists Republics on Certain Measures with Respect to the Limitation of Strategic Offensive Arms, 26.5.1972, UNTS 994, 3. 17 Treaty between the United States of America and the Soviet Socialists Republics on the Limitation of Strategic Offensive Arms (SALT II), 19.7.1979, ILM Vol. 18, 1138. 18 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Elimination of their Intermediate-Range and Shorter-Range Missiles (INF Treaty), 8.12.1987, ILM Vol. 27, 84. 19 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms, 31.7.1991, ILM Vol. 31, 246. 20 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms, 3.1.1993, SIPRI Yearbook 1993, 576. 15

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scheiterten. Erfolg beschieden war erst wieder dem bis Ende 2012 befristeten SORT-Vertrag aus dem Jahr 2002,21 der vom New START-Vertrag von 201022 abgelöst wurde. Ergänzt werden die lückenhaften vertraglichen Regelungen zur atomaren Abrüstung durch unilaterale Erklärungen einzelner Staaten. Aufsehen erregte die vom amerikanischen Präsidenten Obama 2009 verkündete Initiative für eine atomwaffenfreie Welt.23 Sie führte u.a. 2013 zur Erklärung einer einseitigen Reduzierung des amerikanischen Atomwaffenarsenals.24 Insgesamt haben die Bemühungen um eine atomare Abrüstung zwar einige Erfolge gebracht. Zu einer deutlichen Reduzierung der Atomwaffenarsenale ist es allerdings bis heute nicht gekommen.25 Auffallend ist des weiteren, dass die bisherigen vertraglichen Abrüstungsbemühungen lediglich die USA und Russland, nicht aber die anderen Atommächte binden. 2. Atomwaffenfreie Zonen und Räume Das atomare Wettrüsten sowie die nur begrenzten Abrüstungserfolge verhalfen einem neuartigen Ansatz in mehreren Regionen zum Erfolg: Wenn sich schon die Herstellung von Atomwaffen nicht stoppen lässt, so sollen zumindest die geographischen Räume verkleinert werden, in denen diese stationiert werden können. Darüber hinaus sollen sich möglichst viele Staaten von vornherein dazu verpflichten, keine Atomwaffen anzuschaffen. Den Anfang dieser Bewegung zur Einrichtung atomwaffenfreier Zonen26 machten die lateinamerikanischen Staaten. 21 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on Strategic Offensive Reductions (The Moscow Treaty), 24.5.2002, ILM Vol. 41, 799. 22 Treaty between the United States of America and the Russian Federation on Measures for the Further Reduction of Strategic Offensive Arms (New Strategic Arms Reduction Treaty), 8.4.2010, ILM Vol. 50, 342. 23 President Obama Calls for Nuclear-Weapons-Free World, New Strategic Arms Reduction Treaty, Senate Approval of CTBT, and Strengthened Anti-Proliferation Efforts, AJIL 103 (2009), 600 ff. 24 Vgl. D. E. Sanger, Obama to Renew Drive for Cuts in Nuclear Arms, New York Times 10.2.2013, www.nytimes.com/2013/02/11/us/politics. 25 Im Jahr 2009 wurde die Zahl der Atomwaffensprengköpfe auf 23.360 geschätzt, vgl. R. S. Norris/H. M. Kristensen, Nuclear Notebook: Worldwide deployments of nuclear weapons, 2009, Bulletin of the Atomic Scientists, Vol. 65, No. 6, 2009, 86 ff. Im Jahr 2013 ging man von geschätzten 17.270 Atomwaffensprengköpfen aus, vgl. Kile/Kristensen (Anm. 9). Vgl. auch Norris/Kristensen (Anm. 10), 72 f. 26 Zur Einrichtung atomwaffenfreier Zonen vgl. die Beiträge in D. Pitt/G. Thompson (Hrsg.), Nuclear-Free Zones, 1987, sowie die Beiträge von Bothe (Anm. 2), und J. Beynio,

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Nach der Kuba-Krise im Jahr 196227 hatten diese ein erhebliches Interesse daran, die Stationierung von Atomwaffen in ihrer Region zu verhindern – zu groß war die Gefahr, dass ihre Staatsgebiete ansonsten zum atomaren Kriegsschauplatz werden könnten. Folge war der Abschluss des Vertrages von Tlatelolco im Jahr 1967,28 der Südamerika und die Karibik zur atomwaffenfreien Zone erklärt. Ähnliche Verträge wurden später für andere Regionen geschlossen: der Vertrag von Rarotonga von 1985 für den Südpazifik,29 der Vertrag von Bangkok von 1995 für Südostasien,30 der Vertrag von Pelindaba von 1996 für Afrika31 und der Vertrag von Semipalatinsk/Semei von 2006 für Zentralasien.32 Alle Verträge haben im Wesentlichen denselben Inhalt: Die Vertragsstaaten verzichten auf Atomwaffenversuche, -produktion, -erwerb, -besitz und -stationierung. Insgesamt gehören über 100 Staaten einer der fünf atomwaffenfreien Zonen an. Neben atomwaffenfreien Zonen kam es zur Schaffung atomwaffenfreier Räume.33 Ein entsprechendes spezielles Vertragsregime stellt der Meeresbodenvertrag von 1971 dar,34 der die Anbringung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresboden und im Meeresuntergrund untersagt. Daneben finden sich in allgemeinen Verträgen einzelne Normen, die in den betreffenden Räumen die Verwendung bzw. die Stationierung von Atomwaffen verbieten. Es handelt sich dabei um Art. V Abs. 1 des Antarktisvertrages von 1959,35

Der Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen – Völkervertragliche Grundlagen und praktische Fälle, in diesem Band, 75. 27 Näher zur Kuba-Krise R. F. Kennedy, Thirteen Days. A Memoir of the Cuban Missile Crisis, 1968, Neudruck 1999. 28 Treaty for the Prohibition of Nuclear Weapons in Latin America, 14.2.1967, UNTS Vol. 634, 326. 29 South Pacific Nuclear Free Zone Treaty, 6.8.1985, ILM Vol. 24, 1442. 30 Southeast Asian Nuclear-Weapon-Free Zone Treaty, 15.12.1995, UNTS Vol. 1981, 129. 31 African Nuclear-Weapon-Free Zone Treaty, 11.4.1996, ILM Vol. 35, 698. 32 Treaty on a Nuclear-Weapon-Free Zone in Central Asia, 8.9.2006, http://cns.miis. edu/stories/pdf_support/060905_canwfz.pdf. 33 Zur Einrichtung atomwaffenfreier Räume vgl. die Beiträge in Pitt/Thompson (Anm. 26) sowie den Beitrag von Bothe (Anm. 2). 34 Treaty on the Emplacement of Nuclear Weapons and Other Weapons of Mass Destruction on the Sea-Bed and the Ocean Floor and in the Subsoil thereof, 11.2.1971, UNTS Vol. 955, 115 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1972 II 326). 35 Antarctic Treaty, 1.12.1959, UNTS Vol. 402, 71 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1978 II 1518).

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Art. IV des Weltraumvertrages von 196736 und Art. 3 Abs. 3 des Mondvertrages von 1979.37 Die Einrichtung atomwaffenfreier Zonen und Räume lässt sich als Erfolg einstufen. In zahlreichen Regionen auf der Erde ist es auf diese Weise gelungen, den Einsatz und die Lagerung von Atomwaffen zu verbieten. 3. Verbot von Atomwaffenversuchen Ein weiterer, wenn auch indirekter Weg zur Eindämmung von Atomwaffen ist das Verbot, Atomwaffenversuche durchzuführen.38 Sie sind in der Regel notwendig, um neue Atomwaffenmodelle zu entwickeln und herzustellen. Atomwaffenversuche sind aber auch aus Umweltgründen ausgesprochen bedenklich. Wegen dieser „doppelt“ negativen Folgen von Atomwaffenversuchen konnten relativ weitgehende Regeln in diesem Bereich entwickelt werden. Den Anfang machte im Jahr 1963 der Partielle Teststoppvertrag.39 Er untersagt Atomwaffenversuche in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser. Ergänzt wurde er 1974 durch den Vertrag zur Begrenzung unterirdischer Atomwaffenversuche,40 der die Sprengkraft der Versuche auf 150 Kilotonnen begrenzte. 1976 folgte der Vertrag über Kernsprengungen für friedliche Zwecke,41 der ebenfalls eine Beschränkung der Sprengkraft auf 150 Kilotonnen vorsah. 1996 gelang dann der Abschluss des Umfassenden Teststoppvertrages,42 der Atomwaffenversuche vollständig untersagt. Mangels ausreichender Zahl von Ratifikationen ist er allerdings bis-

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Treaty on Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space, including the Moon and Other Celestial Bodies, 27.1.1967, UNTS Vol. 610, 205 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1969 II 1969). 37 Agreement governing the Activities of States on the Moon and Other Celestial Bodies, 5.12.1979, UNTS Vol. 1363, 3. 38 Zum Verbot von Atomwaffenversuchen vgl. den Beitrag von Bothe (Anm. 2). 39 Treaty Banning Nuclear Weapon Tests in the Atmosphere, Outer Space and Under Water, 5.8.1963, UNTS Vol. 480, 43 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1969 II 907). 40 Treaty on the Limitation of Underground Nuclear Weapon Tests, 3.7.1974, UNTS Vol. 1714, 123. 41 Treaty on Underground Nuclear Explosions for Peaceful Purposes, 28.5.1976, UNTS Vol. 1714, 387. 42 Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, 10.9.1996, authentischer Text und deutsche Übersetzung in: BGBl. 1998 II 1211.

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lang noch nicht in Kraft getreten.43 Stattdessen haben zahlreiche Atommächte im Laufe der Jahre formell Teststopps bzw. -moratorien erklärt.44 Trotzdem werden immer noch vereinzelt Atomwaffenversuche durchgeführt.45 Hinzu kommt, dass es offenbar heutzutage weitgehend möglich ist, die Versuche durch Computersimulationen zu ersetzen.46 Insofern stellt die erfolgreiche Eindämmung von Atomwaffenversuchen zwar aus umweltrechtlicher Sicht einen großen Erfolg dar. Zu einer Reduzierung der Zahl der Atomwaffen vermag sie hingegen nicht wirksam beizutragen. 4. Nichtverbreitung von Atomwaffen Eine zentrale Rolle im Recht der militärischen Nutzung der Atomenergie kommt schließlich dem Atomwaffensperrvertrag von 196847 zu. Er dient der Nichtverbreitung von Atomwaffen. Sein eigentliches Ziel ist allerdings die Aufrechterhaltung des atomaren Gleichgewichts zwischen den etablierten Atommächten. Entsprechend sollen nur die Staaten, die vor dem 1. Januar 1967 Atomwaffen besaßen (sog. Kernwaffenstaaten) das Recht haben, Atomwaffen herzustellen und zu besitzen.48 Es sind dies die fünf Sicherheitsratsmitglieder USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien. Im Rahmen der Pflicht zur Nichtverbreitung ist es den Kernwaffenstaaten untersagt, sowohl Atomwaffen als auch die entsprechende Technologie zu ihrer Herstellung, an Staaten weiterzugeben, die vor dem 1. Januar 1967 keine Atomaffen besaßen (sog. Nichtkernwaffenstaaten).49 Nichtkernwaffenstaaten dürfen keine Atomwaffen herstellen50 und müssen sich einem Kontrollsystem unterwerfen, das in den Händen der Internationalen Atom-

43 Gemäß Art. XIV kann der Vertrag erst in Kraft treten, wenn alle 44 im Annex 2 genannten Staaten ihn ratifiziert haben. Zum Ratifikationsstand vgl. http://www.un.org/ disarmament/WMD/Nuclear/CTBT.shtml. 44 Vgl. die Nachweise bei Bothe (Anm. 2). 45 Vgl. die Beispielsfälle bei Beynio (Anm. 25). 46 Vgl. O. Dahlmann/S. Mykkeltveit/H. Haak, Nuclear Test Ban, Converting Political Visions into Reality, 2009, 11 ff. 47 Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, 1.6.1968, UNTS Vol. 729, 161 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1974 II 786). Zum Atomwaffensperrvertrag vgl. den Beitrag von Beynio (Anm. 25) sowie Bothe (Anm. 2). 48 Vgl. Art. IX Abs. 3 Satz 2 Atomwaffensperrvertrag (Anm. 47). 49 Vgl. Art. I Atomwaffensperrvertrag (Anm. 47). 50 Vgl. Art. II Atomwaffensperrvertrag (Anm. 47).

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energiebehörde (International Atomic Energy Agency – IAEA) liegt.51 Sie haben mit der IAEA entsprechende Übereinkünfte (sog. „safeguard agreements“)52 zu schließen, die es der IAEA u.a. erlauben, Kontrollen vor Ort durchzuführen (sog. Verifikation).53 Im Falle des Verdachts der Nichteinhaltung des Atomwaffensperrvertrages, insbesondere also beim Verdacht der Herstellung oder des Besitzes von Atomwaffen, erstatten die IAEA-Inspekteure einen entsprechenden Bericht an die IAEA, die ggf. den UN-Sicherheitsrat zu informieren hat.54 Dieser kann dann unter Umständen sogar Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta ergreifen. Im Gegenzug haben Nichtkernwaffenstaaten allerdings, genauso wie die Kernwaffenstaaten, das uneingeschränkte Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie.55 Der Atomwaffensperrvertrag stellt sich mit seinen 190 Vertragsstaaten als auf den ersten Blick erfolgreiches Vertragswerk dar. Allerdings ist er durch zwei Umstände in seinem Wirkungsradius eingeschränkt. Zum einen hat er nicht verhindern können, dass weitere Staaten Atomwaffen entwickeln und besitzen. Indien, Pakistan und Israel sind nicht Vertragsstaaten geworden und haben dementsprechend weiterhin das Recht, Atomwaffen herzustellen und zu besitzen. Zum anderen erweist sich in der Praxis die im Atomwaffensperrvertrag vorgesehene Kontrolle der Nichtkernwaffenstaaten durch die IAEA häufig als schwer durchführbar. Die Ereignisse in Nordkorea und Iran belegen dies mit aller Deutlichkeit.56 5. Drohung mit Atomwaffen und Einsatz von Atomwaffen Zur grundsätzlichen Zulässigkeit des Besitzes und des Einsatzes von Atomwaffen gibt es, wie bereits ausgeführt, weder vertragliche noch gewohnheitsrechtliche Regeln. Auch der Internationale Gerichtshof (IGH) hatte noch keine Gelegenheit, sich im Rahmen eines Urteils mit dieser Frage auseinanderzusetzen.57 Allerdings 51 Zur Rolle der IAEA bei der Überwachung des Atomwaffensperrvertrages vgl. den Beitrag von W. Tonhauser, The International Atomic Energy Agency as the „Watchdog“ over the Save and Peaceful Use of Nuclear Energy?, in diesem Band, 167. 52 Vgl. Art. III Abs. 1 Satz 1 Atomwaffensperrvertrag (Anm. 47) i.V.m. Art. III A Nr. 5 Statute of the International Atomic Energy Agency, 23.10.1959, UNTS Vol. 276, 3 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1957 II 1359) (Satzung der IAEA). 53 Vgl. Art. XII A Nr. 6 Satzung der IAEA (Anm. 52). 54 Vgl. Art. XII C Satzung der IAEA (Anm. 52). 55 Vgl. Art. IV und V Atomwaffensperrvertrag (Anm. 47). 56 Näher zu den beiden Fällen Beynio (Anm. 25). 57 Zu den bisherigen Verfahren vor dem IGH und anderen internationalen Gerichten zur Frage der Zulässigkeit des Einsatzes von Atomwaffen vgl. Th. Marauhn/K. Oellers-Frahm, Atomwaffen, Völkerrecht und die internationale Gerichtsbarkeit, EuGRZ 1997, 221 ff.

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erging 1996 sein berühmtes Atomwaffengutachten.58 Die ihm von der UN-Generalversammlung vorgelegte Frage lautete: „Is the threat or use of nuclear weapons in any circumstance permitted under international law?“ Der IGH beantwortete die Frage, indem er internationale Menschenrechte, das Umweltvölkerrecht, das Gewaltverbot und das humanitäre Völkerrecht heranzog. Im Zentrum seiner Prüfung stand das humanitäre Völkerrecht und seine essentiellen Prinzipien: der Grundsatz der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten, das Verbot überflüssiger Verletzungen und unnötiger Leiden, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Pflicht zur Ergreifung von Vorsichtsmaßnahmen vor einem Angriff. Die vom IGH gegebenen Antworten waren teils eindeutig, teils vage. Er stellte fest, dass es weder ein vertragliches noch ein gewohnheitsrechtliches Recht gäbe, mit Atomwaffen zu drohen oder diese einzusetzen.59 Genauso wenig habe sich ein entsprechendes vertragliches oder ein gewohnheitsrechtliches Verbot bislang entwickelt.60 Allerdings gäbe es zahlreiche völkerrechtliche Schranken, die einer Drohung mit Atomwaffen und ihrem Einsatz Grenzen setzten: das Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta und die Voraussetzungen und Bedingungen einer Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta61 sowie die Normen des humanitären Völkerrechts und die vertraglichen Regelungen des Atomrechts.62 Insgesamt gelangte der IGH zum Ergebnis, dass eine Drohung mit Atomwaffen und ihr Einsatz grundsätzlich nicht mit dem Recht des bewaffneten Konfliktes und dem humanitären Völkerrecht in Einklang zu bringen seien. Allerdings sah sich der Gerichtshof nicht in der Lage, definitiv zu entscheiden, ob in einem extremen Fall der Selbstverteidigung, bei dem das Überleben des betreffenden Staates auf dem Spiel stehe, die Drohung mit Atomwaffen und ihr Einsatz rechtmäßig sein könnten oder nicht.63 Insofern bleibt die Grundfrage des Rechts der militärischen Nutzung der Atomenergie bis heute unbeantwortet.

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ICJ, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion of 8 July 1996, ICJ Reports 1996, 226 ff. Zum Gutachten vgl. die zahlreichen Beiträge in L. Boisson de Chazournes/Ph. Sands (Hrsg.), International Law, the International Court of Justice and Nuclear Weapons, Cambridge 1999 sowie den Beitrag von Haumer/Schöberl (Anm. 3). 59 Vgl. Atomwaffengutachten (Anm. 58), Antwort A und Rn. 52. 60 Vgl. Atomwaffengutachten (Anm. 58), Antwort B und Rn. 74. 61 Vgl. Atomwaffengutachten (Anm. 58), Antwort C und Rn. 38. 62 Vgl. Atomwaffengutachten (Anm. 58), Antwort D und Rn. 62, 87. 63 Vgl. Atomwaffengutachten (Anm. 58), Antwort E und Rn. 97.

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C. Friedliche Nutzung der Atomenergie I. Fakten Nachdem 1954 das erste Atomkraftwerk (AKW) in Betrieb genommen worden war, wuchs die Zahl der AKWs kontinuierlich an. 2011 gab es weltweit 435 AKWs in 30 Staaten. Die meisten standen in den USA (104), Frankreich (58), Japan (50) und Russland (38). Mit Hilfe der Atomenergie wurden 2011 weltweit 12,3 % der Elektrizität und 5,1 % der Gesamtenergie erzeugt.64 In den Anfangsjahren der Atomenergienutzung wurde diese euphorisch als neue, effiziente und saubere Form der Energieerzeugung angesehen. Heute gehört sie hingegen zu den umstrittensten Energiequellen. Neben Fragen der Entsorgung abgebrannter Brennelemente sind es vor allem die beiden verheerenden Atomreaktorkatastrophen von Tschernobyl 1986 und von Fukushima 2011, die Anlass zum Umdenken gaben. Deutschland erklärte nach den Ereignissen in Fukushima den Atomausstieg zum Ende des Jahres 2022.65 Auch die Schweiz und Belgien entschlossen sich zu diesem Schritt.66 Österreich hatte den Atomausstieg bereits 1978 beschlossen.67 Italien hatte nach dem Unfall von Tschernobyl entschieden, seine vorhandenen Atomkraftwerke abzuschalten. Der Versuch, 2011 die Atomenergie in Italien wiedereinzuführen, scheiterte in einem entsprechenden Referendum.68 Allerdings ist die Abkehr von der Atomenergie kein allgemeiner Trend. Weltweit befanden sich 2011 insgesamt 62 neue AKWs im Bau.69 Sie werden dabei nicht nur in Staaten gebaut, die bereits über AKWs verfügen. Auch Staaten, die bislang noch nicht die Atomkraft zur Energieerzeugung nutzten, bauen derzeit 64

Alle genannten Zahlen aus dem Jahr 2011 stammen aus IAEA, Board of Governors General Conference, International Status and Prospects for Nuclear Power 2012, Report by the Director General, GOV /INF/2012/12-GC (56)/INF/6, 15.8.2012, 2 f. 65 Vgl. Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011 (BGBl. 2011 I 1704). 66 Vgl. P. L. Joskow/J. E. Parsons, The Future of Nuclear Power After Fukushima, February 2012, CEEPR WP 2012-001, 16 f. 67 Vgl. Bundesgesetz vom 15. Dezember 1978 über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich, Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich 1978, 4044, Nr. 676. 68 J. Bremer, Italien stimmt gegen Atomkraft – und gegen Berlusconi, FAZ, 13.6.2011, abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/referendum-italien-stimmt-gegenatomkraft-und-gegen-berlusconi-1656325.html. 69 Vgl. IAEA, Board of Governors General Conference, International Status and Prospects for Nuclear Power 2012, Report by the Director General, GOV /INF/2012/12-GC (56)/INF/6, 15.8.2012, 2.

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AKWs. Zu ihnen gehören beispielsweise die Vereinigten Arabischen Emirate und Vietnam.70 II. Völkerrechtliche Regeln zur friedlichen Nutzung der Atomenergie Die meisten völkerrechtlichen Regeln zur friedlichen Nutzung der Atomenergie wurden unter Ägide der IAEA erarbeitet. Die 1957 gegründete internationale Organisation71 ist eine autonome Organisation innerhalb der UN-Familie. Ihr Ziel ist die Förderung der friedlichen Nutzung der Atomenergie sowie die Stärkung ihres Beitrags zu weltweitem Frieden, Gesundheit und Wohlstand unter gleichzeitiger Kontrolle und Eindämmung ihrer militärischen Nutzung.72 Die Hauptaufgaben der IAEA73 liegen neben der Förderung der Atomtechnologie und der Verifikation im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages (vgl. oben B. II. 4) in der Verbesserung der Nuklearsicherheit (vgl. unten 2 bis 6). Zusätzlich zur Tätigkeit der IAEA sind die allgemeinen Regen des Umweltvölkerrechts zu beachten. Hinzu tritt das traditionelle völkerrechtliche Nachbarrecht. 1. Errichtung und Betrieb von Atomkraftwerken aus Sicht des völkerrechtlichen Nachbarrechts Das völkerrechtliche Nachbarrecht74 bildet die Grundlage des heutigen Umweltvölkerrechts. Es ist weitestgehend gewohnheitsrechtlicher Natur75 und verfolgt das Ziel, kollidierende Souveränitätsansprüche von Nachbarstaaten miteinander in Einklang zu bringen: souveräne Handlungsfreiheit auf der einen und territoriale Integrität auf der anderen Seite.

70 Vgl. IAEA, Nuclear Power Reactors in the World, Reference Data Series No. 2, 2013 Edition, 10, 27. 71 Zur IAEA vgl. ausführlich den Beitrag von Tonhauser (Anm. 51). 72 Vgl. Art. II Satzung der IAEA (Anm. 52). 73 Vgl. IAEA, Medium Term Strategy 2012–2017, abrufbar unter http://www.iaea.org/ About/mts2012_2017.pdf. 74 Zur Rolle des völkerrechtlichen Nachbarrechts im Atomrecht vgl. den Beitrag von K. Faßbender, Atomkraftwerke aus umweltvölker- und nachbarrechtlicher Sicht, in diesem Band, 109. 75 Ausführlich zum völkerrechtlichen Nachbarrecht K. Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 1998, 114 ff.

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Kernnorm des völkerrechtlichen Nachbarrechts ist das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen. Der Begriff „grenzüberschreitend“ ist dabei weit zu verstehen. Geschützt werden nicht nur die unmittelbar angrenzenden Nachbarstaaten, sondern alle Staaten, die von einer in einem anderen Staaten erzeugten Umweltbelastung betroffen sind. Dass eine Atomreaktorkatastrophe zu einer erheblichen grenzüberschreitenden Umweltbelastung führt und damit einen Verstoß gegen die Grundnorm des Nachbarrechts darstellt, ist unbestritten. Ebenso eindeutig ist, dass die aus dem Nachbarrecht resultierenden Informations- und Konsultationspflichten in einem solchen Fall zur Anwendung gelangen. Fraglich ist aber, ob sich das völkerrechtliche Nachbarrecht auch bereits auf den Bau und den Betrieb eines AKW auswirkt. Konkret gefragt: Folgt aus dem Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen das Verbot besonders gefährlicher Aktivitäten (sog. „ultra-hazardous activities“) in Grenznähe? Dogmatisch lässt sich ein solches Verbot ohne weiteres begründen. Das tatsächliche Verhalten der Staaten zeigt jedoch, dass sich ein solches Verbot noch nicht gewohnheitsrechtlich hat entwickeln können. Auch dem Vorsorgeprinzip, das nach verbreiteter Ansicht zum Bestand des geltenden Völkergewohnheitsrechts gehört, lassen sich keine Vorgaben für AKWs entnehmen. Insofern ist das völkerrechtliche Nachbarrecht für den Bau und den Betrieb von AKWs nicht unmittelbar einschlägig. 2. Errichtung und Betrieb von Atomkraftwerken aus Sicht des Umweltvölkerrechts Da AKWs im Fall einer Atomreaktorkatastrophe erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, ist vor allem das Umweltvölkerrecht für den Bau und den Betrieb von AKWs relevant.76 Zu fragen ist insbesondere, ob sich verbindliche Vorgaben für die Sicherheit der Anlagen entwickelt haben. a) Sicherheitsstandards der IAEA Eine besondere Rolle für die Sicherheitsstandards spielt die IAEA. Sie hat die Befugnis, Sicherheitsstandards aufzustellen oder zu beschließen, um die Gesundheit zu schützen und die Gefahr für Leben und Eigentum auf ein Mindestmaß

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Zur Rolle des Umweltvölkerrechts im Atomrecht vgl. den Beitrag von Faßbender (Anm. 74).

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herabzusetzen“.77 Diese Sicherheitsstandards („safety standards“)78 sind allerdings für die IAEA-Mitglieder grundsätzlich unverbindlich. Die IAEA ist nur befugt, ihre Einhaltung sicherzustellen, wenn es sich um eigene Aktivitäten handelt, oder wenn die Staaten sie darum bitten bzw. dies in einem Vertrag vereinbaren.79 b) Sicherheitsstandards im Völkervertragsrecht Der wichtigste Vertrag zu Sicherheitsstandards von AKWs ist das Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994,80 das unter Ägide der IAEA verhandelt wurde. Es enthält Konsultations- und Informationspflichten gegenüber Nachbarstaaten im Fall des geplanten Baus eines neuen AKW.81 Diese Pflichten sind allerdings recht allgemein und vage gehalten. Das gilt erst recht für die materiellen Pflichten in Bezug auf den Bau und den Betrieb von AKWs. Das Übereinkommen beruht in weiten Teilen auf den „Fundamental Safety Standards“82 der IAEA. Diese enthalten keine detaillierte technischen Regelungen, sondern nur Grundsätze und Verfahrensleitlinien. Dementsprechend beinhalten die Einzelnormen des Sicherheitsübereinkommens zur Standortwahl,83 zur Auslegung und zum Bau84 oder zu den vorhandenen Anlagen85 in erster Linie Verfahrenshinweise, nicht aber materielle Vorgaben. Der nur rudimentäre Inhalt des Übereinkommens lässt sich bereits der Präambel entnehmen. Diese stellt klar, dass die Verantwortung für die nukleare Sicherheit bei dem Staat liegt, dem die Hoheitsgewalt über eine Kernanlage zukommt.86 Die Vertragsstaaten waren also nicht bereit, sich verbindlichen Vorgaben für die Sicherheit ihrer AKWs zu unterwerfen. 77

Vgl. Art. III lit. A Nr. 6 Satz 1 Satzung der IAEA (Anm. 52). Zu den IAEA-Sicherheitsstandards vgl. den Beitrag von Tonhauser (Anm. 51). 79 Vgl. Art. III lit. A Nr. 6 Satz 1 Satzung der IAEA (Anm. 52). 80 Convention on Nuclear Safety, 17.6.1994, UNTS Vol. 1963, 293 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1997 II 131). Zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit vgl. den Beitrag von Faßbender (Anm. 74) sowie den Beitrag von N. Pelzer, Internationale Zusammenarbeit bei Atomkatastrophen: Die Lehren aus Fukushima und Tschernobyl, in diesem Band, 133 und den Beitrag von Tonhauser (Anm. 51). 81 Vgl. Art. 17 Ziffer iv) Übereinkommen über nukleare Sicherheit (Anm. 80). 82 Vgl. IAEA Safety Standards for protecting people and the environment, Fundamental Safety Principles, Safety Fundamentals No. SF-1, abrufbar unter http://www-pub.iaea.org/ MTCD/publications/PDF/Pub1273_web.pdf. 83 Art. 17 Übereinkommen über nukleare Sicherheit (Anm. 80). 84 Art. 18 Ziffer i) und iii) Übereinkommen über nukleare Sicherheit (Anm. 80). 85 Art. 6 Übereinkommen über nukleare Sicherheit (Anm. 80). 86 Absatz iii) der Präambel Übereinkommen über nukleare Sicherheit (Anm. 80). 78

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Das Sicherheitsübereinkommen wird unterschiedlich beurteilt. Manche Autoren äußern deutliche Kritik.87 Andere hingegen betonen den „wegbereitenden“ Charakter des Vertrages.88 3. Physischer Schutz von Nuklearmaterial Neben Vorgaben für den Bau und den Betrieb von AKWs bedarf es auch des Schutzes von (beweglichem) Nuklearmaterial vor Diebstahl und sonstigem Missbrauch.89 Diesem Zweck dient das 1979 abgeschlossene Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial.90 Sein Anwendungsbereich beschränkt sich allerdings auf Nuklearmaterial während einer internationalen Beförderung sowie, unter eingeschränkten Voraussetzungen, auf Nuklearmaterial während der innerstaatlichen Nutzung, Lagerung und Beförderung. 2005 gelang es unter Ägide der IAEA, eine Revision des Übereinkommens auszuhandeln. Das revidierte Übereinkommen mit dem neuen Namen „Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen“91 hat einen größeren Anwendungsbereich, da es neben beweglichem Nuklearmaterial auch die Anlagen selbst erfasst. Darüber hinaus enthält es auch z.T. deutlich weitergehende Verpflichtungen. Allerdings ist es noch nicht in Kraft getreten. 4. Umgang mit nuklearen Abfällen Am Ende der „Nuklearkette“ steht der Umgang mit nuklearen Abfällen. Auch dieser Bereich ist – wenn auch nur rudimentär – völkervertraglich geregelt. 1997 wurde, wiederum unter Ägide der IAEA, das Gemeinsame Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle abgeschlossen.92 Für beide Bereiche 87

Vgl. den Beitrag von Faßbender (Anm. 75). Vgl. den Beitrag von Pelzer (Anm. 80). 89 Zum physischen Schutz von Nuklearmaterial vgl. den Beitrag von Pelzer (Anm. 80) sowie den Beitrag von Tonhauser (Anm. 51). 90 Convention on the Physical Protection of Nuclear Materials, 26.10.1979, UNTS Vol. 1456, 125 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1990 II 327). 91 Amendment to the Convention on the Physical Protection of Nuclear Materials, 8.7.2005 (noch nicht amtlich veröffentlicht, Text auf der IAEO Website, http://www.iaea. org/About/Policy/GC/GC49/Documents/gc49inf-6.pdf) (deutsche Übersetzung in: BGBl. 2008 II 575). 92 Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, 29.9.1997, UNTS Vol. 2153, 303 (deutsche Übersetzung 88

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(abgebrannte Brennelemente einerseits und radioaktive Abfälle andererseits) werden neben allgemeinen Sicherheitsanforderungen Vorgaben für bereits existierende Anlagen, zur Standortwahl geplanter Anlagen, zu Auslegung und Bau von Anlagen, zur Bewertung der Anlagensicherheit und zum Betrieb der Anlagen gemacht. Insgesamt ähnelt das Übereinkommen stark dem für AKWs geltenden Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994: Es enthält, genauso wie jenes, im Wesentlichen nur Verfahrenshinweise und Richtlinien, nicht aber konkrete technische materielle Standards, und es bezieht sich in erster Linie auf die Anlagen und nicht auf die nuklearen Abfälle als solche. Auch bei diesem Vertrag zeigt sich in der Präambel der zurückhaltende Ansatz, der das gesamte Übereinkommen prägt: Die primäre Verantwortung für die Gewährleistung der Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle liegt beim jeweiligen Staat.93 Auch in diesem Bereich waren also die Staaten nicht bereit, sich strengen materiellen Sicherheitsstandards zu unterwerfen. 5. Pflichten bei Atomreaktorkatastrophen Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986 wurden unter Ägide der IAEA zwei Verträge ausgearbeitet, um formelle Pflichten im Falle einer solchen Katastrophe festzulegen: das Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen94 und das Übereinkommen über Hilfeleistungen bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen.95 Zwar ergibt sich bereits aus dem völkerrechtlichen Nachbarrecht eine Reihe von Pflichten, insbesondere diejenige zur frühzeitigen Benachrichtigung betroffener Nachbarstaaten.96 Die Ereignisse von Tschernobyl hatten allerdings gezeigt, dass die UdSSR diesen völkergewohnheitsrechtlichen Pflichten nicht nachgekommen war.97 Insofern war, vor allem angesichts des Schadensausmaßes einer Atomreaktorkatastrophe, eine Klarstellung und Kodifizierung der Pflichten geboten.98 in: BGBl. 1998 II 1753). Zu dem Übereinkommen vgl. den Beitrag von Pelzer (Anm. 80) sowie den Beitrag von Tonhauser (Anm. 51). 93 Vgl. Präambel Abs. vi) des Gemeinsamen Übereinkommens. 94 Convention on Early Notification of a Nuclear Accident, 26.9.1986, UNTS Vol. 1439, 275 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1989 II 435). 95 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, 26.9.1986, UNTS Vol. 1457, 133 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1989 II 441). 96 Vgl. oben C. II. 1. 97 Vgl. dazu die Einzelheiten bei Pelzer (Anm. 80). 98 Zu den beiden Übereinkommen vgl. den Beitrag von Pelzer (Anm. 80) sowie den Beitrag von Tonhauser (Anm. 51).

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Die in den beiden Verträgen vereinbarten Pflichten bleiben allerdings in manchen Punkten immer noch vage. Sie bedürfen der Konkretisierung durch regionale oder bilaterale Verträge. Die Bundesrepublik hat dementsprechend mittlerweile mit fast allen ihren Nachbarstaaten bilaterale Verträge im Bereich des Katastrophenschutzes geschlossen.99 6. Haftung nach Atomreaktorkatastrophen Völkerrechtliche Verträge zur Frage der Haftung nach Atomreaktorkatastrophen entwickelten sich erstaunlicherweise schon vergleichsweise früh.100 Es gibt zwei internationale Haftungsregime: ein regionales, unter Ägide der OECD entstandenes Regime, bestehend aus dem Pariser Atomhaftungsübereinkommen von 1960101 mit dem ergänzenden Brüsseler Zusatzübereinkommen von 1963,102 und ein weltweites, von der IAEA ausgearbeitetes Regime, basierend auf dem Wiener Atomhaftungsübereinkommen von 1963.103 Beide Vertragswerke sind inhaltlich fast identisch. Sie begründen kein System völkerrechtlicher Staatshaftung für Nuklearschäden, sondern schaffen ein zivilrechtliches internationales Haftungsregime: Der Betreiber eines AKW haftet allein und verschuldensunabhängig, allerdings zeitlich sowie der Höhe nach begrenzt. Es gibt einen ausschließlichen und verbindlichen Gerichtsstand, nämlich grundsätz99

Vgl. „Bilaterale Katastrophenhilfeleistungsabkommen Deutschlands. Einführung und Übersicht“ (Stand: 28.10.2008) abrufbar unter: http://dfv.org/fileadmin/dfv/Dateien/ Fachthemen/FB_Katastrophenschutz/Bilaterale_Hilfeleistungsabkommen_-_Nov_08.pdf sowie die „Übersicht über die gegenwärtig gültigen bilateralen Abkommen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes“ (Stand: 30.3.2011), abrufbar unter: http://www.bfs.de/de/bfs/recht/rsh/1D_Bilaterale_ Abkommen_1211.pdf. 100 Zur Haftung bei Atomreaktorkatastrophen vgl. die verschiedenen Beiträge in Denv. J. Int’l L.& Pol’Y 35 (2007) sowie den Beitrag von Pelzer (Anm. 80) sowie den Beitrag von Tonhauser (Anm. 51). 101 Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie i.d.F der Protokolle von 1964 und von 1982, 29.7.1960, UNTS Vol. 956, 251; Vol. 956, 335; Vol. 1519, 325 (authentischer Text in deutscher Sprache: BGBl. 1976 II 310, 311; 1985 II 690). 102 Zusatzübereinkommen vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 i.d.F. der Protokolle von 1964 und 1982, 1963, UNTS Vol. 1041, 358; Vol. 1041, 410; Vol. 1650, 444 (authentischer Text in deutscher Sprache: BGBl. 1976 II 310, 318; 1985 II 690). 103 Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage, 21.5.1963, UNTS Vol. 1063, 266.

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lich den Ort des Eintritts des Reaktorunfalls und damit auch eine Festlegung des anwendbaren Rechts. Alle Geschädigten werden unabhängig von Nationalität, Wohnsitz oder Aufenthalt gleich behandelt. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl wurden die beiden unabhängig nebeneinander bestehenden Haftungsregime mit Hilfe eines Gemeinsamen Protokolls aus dem Jahr 1988104 miteinander verbunden. Auf diese Weise wurden bestehende Regelungslücken geschlossen. Darüber hinaus wurden zahlreiche Verbesserungen des internationalen Atomhaftungsrechts (in Bezug auf den geographischen Anwendungsbereich, den Schadensbegriff und die Höhe der Haftungsbeträge) ausgearbeitet. Dies geschah in Form von Protokollen zum Pariser Atomhaftungsübereinkommen,105 zum ergänzenden Brüsseler Zusatzübereinkommen,106 zum Wiener Atomhaftungsübereinkommen107 sowie in Form eines neuen Übereinkommens über ergänzende Entschädigung für nuklearen Schaden.108 In Kraft getreten ist davon bislang allerdings nur das Protokoll zum Wiener Atomhaftungsübereinkommen.109 III. Europarechtliche Regeln zur friedlichen Nutzung der Atomenergie Im Gefüge des Europarechts stellt der Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft (EAGV)110 die primärrechtliche lex specialis für das Atomrecht dar.111 Die 1957 gegründete Europäische Atomgemeinschaft (EAG) verfügt über 104 Joint Protocol Relating to the Application of the Vienna Convention and the Paris Convention, 21.9.1988, UNTS Vol. 1672, 302 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 2001 II 203). 105 Protokoll zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie i.d.F. des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982, 12.2.2004 (authentischer Text in deutscher Sprache in: BGBl. 2008 II 904). 106 Protokoll vom 12. Februar 2004 zur Änderung des Zusatzübereinkommens vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie i.d.F. des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982 (authentischer Text in deutscher Sprache in: BGBl. 2008 II 920). 107 Protocol to amend the Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage, 29.9.1997, ILM Vol. 36, 1461. 108 Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage (CSC), 29.9.1997, ILM Vol. 36, 1473. 109 Vgl. die Einzelheiten bei Pelzer (Anm. 80). 110 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV), i.d.F. des Vertrags von Lissabon (ABl. EU Nr. C 327 vom 26.10.2012, 1). 111 Vgl. Art. 106 a Abs. 3 EAGV.

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weitreichende Kompetenzen, auf deren Basis sie eine Fülle an sekundärrechtlichen Normen erlassen hat. Diese bilden zusammen mit dem EAGV sowie einzelnen, ebenfalls einschlägigen Bestimmungen des EUV112 wie des AEUV113 und des auf ihrer Grundlage erlassenen Sekundärrechts zusammen das europäische Atomrecht.114 Seine Bedeutung ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass es zum Teil detaillierter und weitergehender ist als die mühsam ausgehandelten Kompromisse, die Eingang in völkerrechtliche Verträge gefunden haben. Gegenstand des europäischen Atomrechts ist jedoch allein die friedliche Nutzung der Atomenergie. Die Kompetenzen der EAG sind auf zehn Kapitel des EAGV verteilt. Sie umfassen die Förderung der Forschung, die Verbreitung der Kenntnisse, den Gesundheitsschutz, Investitionen, die Errichtung Gemeinsamer Unternehmen, die Versorgung mit Erzen und Kernbrennstoffen, die Überwachung der Sicherheit, das Eigentum der EAG an besonderen spaltbaren Stoffen, dem gemeinsamen Markt und die Außenbeziehungen. Alle Bereiche sind eng miteinander verzahnt. So sind etwa Investitionsvorhaben, zu denen auch der Bau neuer AKWs zählt, der Kommission anzuzeigen.115 Diese prüft die Vorhaben unter „allen“ Gesichtspunkten, also auch unter denjenigen des Standortes, der Sicherheit, der Gesundheit und des Objektschutzes.116 Aus dem umfangreichen Bestand an Sekundärrecht, das seitens der EAG erlassen wurde, sind insbesondere die Richtlinie zum Schutz gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen von 1996,117 die Richtlinie über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen von 2009,118 das Sekundärrecht zum grenzüberschreitenden Transport von Kernmaterial und 112

Vertrag über die Europäische Union (EUV), i.d.F. des Vertrags von Lissabon (ABl. EU Nr. C 326 vom 26.10.2012, 13). Gemäß Art. 106 a Abs. 1 EAGV gelten die Vorschriften über die Organe und Finanzvorschriften für die EU auch für die EAG. 113 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) i.d.F. des Vertrages von Lissabon (ABl. EU Nr. C 326 vom 26.12.2012, 47). Die Art. 122 Abs.1, 194 sowie 191 ff. und 196 enthalten Kompetenzen der EU in den Bereichen Energie, Umwelt und Katastrophenschutz. 114 Zum europäischen Atomrecht vgl. den Beitrag von Grunwald (Anm. 8). 115 Vgl. 41 Abs. 1 EAGV. 116 Vgl. Art. 43 EAGV. 117 Richtlinie 96/29/Euratom des Rates vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen (ABl. EU Nr. L 159 vom 29.6.1996, 1). 118 Richtlinie 2009/71/Euratom des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen (ABl. EU Nr. L 172 vom 2.7.2009, 18).

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von nuklearen Abfällen,119 die Verordnung zu Höchstwerten an Radioaktivität im Falle eines nuklearen Unfalls von 1987120 und die Richtlinie zur Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle von 2011121 zu erwähnen. Von Interesse ist, dass es zwischen dem internationalen und dem europäischen Atomrecht eine sowohl formelle als auch materielle Verzahnung gibt. So ist die EAG beispielsweise Vertragspartei des Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994, des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen von 2005 sowie des Gemeinsamen Übereinkommens über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle von 2005. Sie inkorporiert daher völkerrechtliche Vorgaben in das von ihr erlassene Sekundärrecht und kann – umgekehrt – im Rahmen von Vertragsverhandlungen als bedeutender völkerrechtlicher Akteur richtungsweisende Akzente setzen. Aus dem Bereich des EU-Rechts sind vor allem einzelne sekundärrechtliche Normen für das Atomrecht relevant. Dazu gehören etwa die Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung von 2011,122 die auch auf AKWs Anwendung findet, oder die auf EU- und auf EAG-Recht beruhende Entscheidung über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz von 2007.123 Die Bewertung des europäischen Atomrechts fällt gemischt aus. In einigen Bereichen, etwa beim Katastrophenschutz, ist das europäische Sekundärrecht detaillierter und weitergehender als das Völkerrecht. In anderen Bereichen ist das jedoch nicht der Fall. Das gilt insbesondere für die Materien, in denen die EAG Vertragspartei der entsprechenden völkerrechtlichen Verträge geworden ist. Die 119 Verordnung (Euratom) Nr. 1493/93 des Rates vom 8. Juni 1993 über die Verbringung radioaktiver Stoffe zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 148 vom 19.6.1993, 1); Richtlinie 2006/117/Euratom des Rates vom 20. November 2006 über die Überwachung und Kontrolle der Verbringungen radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente (ABl. EU Nr. L 337 vom 5.12.2006, 21). 120 Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 vom 22. Dezember 1987 zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation (ABl. EG Nr. L 371 vom 30.12.1987, 11). 121 Richtlinie 2011/70/Euratom des Rates vom 19. Juli 2011 über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle (ABl. EU Nr. L 199 vom 2.8.2011, 48). 122 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. EU Nr. L 26 vom 28.1.2012, 1). 123 Entscheidung 2007/779/EG/Euratom über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (ABl. EU Nr. L 314 vom 1.12.2007, 9).

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Umsetzung der – zumeist vage gehaltenen – Verträge ist dann auch auf EU-Ebene entsprechend weit. Das gilt etwa für die so wichtige Frage der Sicherheitsstandards für AKWs. Die Richtlinie über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen von 2009 überlässt, genauso wie das Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994, die Materie den Mitgliedstaaten.124 Es gibt demnach derzeit selbst auf europäischer Ebene keine gemeinsamen Sicherheitsstandards oder -kriterien für AKWs.

D. Fazit Der Überblick verdeutlicht, dass sich in den vergangenen rund 60 Jahren ein internationales und ein europäisches Atomrecht entwickelt haben, die sich – zumindest in Bezug auf die friedliche Nutzung der Atomenergie – gegenseitig ergänzen und miteinander verzahnt sind. Trotz zahlreicher Erfolge und Fortschritte zeigen sich jedoch sowohl bei der militärischen als auch bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie erhebliche Regelungslücken und -defizite. Sie zu schließen ist Aufgabe aller Beteiligten: der Staaten, der internationalen Organisationen, der internationalen Rechtsprechung und der Völkerrechtswissenschaft.

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Vgl. die entsprechende Kritik bei Faßbender (Anm. 74).

Der Einsatz von Atomwaffen in bewaffneten Konflikten Von Stefanie Haumer und Katja Schöberl( Der Aufsatz untersucht die Vereinbarkeit eines Einsatzes von Nuklearwaffen mit dem geltenden Völkerrecht. Zwar besteht derzeit kein spezifisches Verbot für den Einsatz dieser Waffen. Gleichwohl fällt es schwer, sich vorzustellen, wie Nuklearwaffen eingesetzt werden könnten, ohne dabei gegen die einschlägigen allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu verstoßen. Nach einer Darstellung der faktischen Auswirkungen eines Atomwaffeneinsatzes untersuchen die Autorinnen die geltende Rechtslage und bieten abschließend einen Überblick über den Stand der gegenwärtigen Diskussion.

A. Faktische Auswirkungen des Einsatzes von Atomwaffen In bewaffneten Konflikten sind Atomwaffen bislang zwei Mal eingesetzt worden: am 6. August 1945 in Hiroshima und drei Tage später, am 9. August 1945, in Nagasaki. Seitdem sind die Auswirkungen dieses Einsatzes bekannt und vielfach untersucht worden.1 Die Erkenntnisse der vorliegenden Studien dienen dabei auch als Grundlage für Berechnungen über die Auswirkungen eines möglichen künftigen Atomwaffeneinsatzes. Darin enthaltene Annahmen einer vergleichbaren Sprengkraft der eingesetzten Waffen (10–20 Kilotonnen), müssen in Anbetracht der Tatsache, dass viele heutige Nuklearwaffen um ein Vielfaches größer sind als die in Hiroshima und Nagasaki eingesetzten Bomben, zumindest als konservativ bezeichnet werden.

( Die Autorinnen arbeiten als Referentinnen im Team Internationales Recht/Internationale Gremien des Generalsekretariats des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Der Aufsatz gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Autorinnen wieder und nicht die des DRK. 1 Vgl. z.B. The Committee for the Compilation of Materials on Damage Caused by the Atomic Bombs in Hiroshima and Nagasaki, Hiroshima and Nagasaki: the Physical, Medical, and Social Effects of the Atomic Bombings, 1981.

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Die Folgen eines Einsatzes von Nuklearwaffen auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt und die Möglichkeit, humanitäre Hilfe zu leisten, sind verheerend.2 Abhängig von der Entfernung einer Person zur Detonation und der zeitlichen Dauer, die ein Mensch deren Folgen ausgesetzt ist, ergeben sich unterschiedlich gravierende Auswirkungen auf die physische Gesundheit.3 Die Erhitzung der Erdoberfläche unterhalb des Epizentrums auf bis zu 7000° C (dem 1,3-fachen der Temperatur der Sonnenoberfläche) hat den unmittelbaren Tod aller sich dort befindlichen Menschen bzw. schwerwiegende Verbrennungen in einem Umkreis von bis zu 3 km Entfernung zur Folge. Der Detonation folgt unmittelbar eine Druckwelle, die sich mit Ultraschallgeschwindigkeit in einem Umkreis von bis zu 6,4 km ausbreitet. Hierdurch werden Menschen durch die Luft geschleudert und von einstürzenden Gebäuden oder durch die Luft fliegenden Trümmerteilen und Gegenständen getötet oder schwer verletzt. Schutzräume halten diesem Druck überwiegend nicht stand und stürzen ein. Brennbare Materialien fangen Feuer, das sich als Feuersturm ausbreitet und den vorhandenen Sauerstoff komplett verbraucht. Kurzfristige Folgen der von einer nuklearen Detonation ausgehenden Strahlung bestehen u.a. in dem Versagen des zentralen Nervensystems, Schäden am Magen-Darm-Trakt sowie unkontrollierbaren Blutungen und Infektionen. Mittelfristig fordert die Strahlenkrankheit in den kommenden Wochen und Monaten zahlreiche weitere Opfer. Hierzu zählen auch Menschen, die sich außerhalb der unmittelbaren Umgebung der Detonation aufgehalten haben und die der Strahlung, abhängig von meteorologischen Verhältnissen, wie Wind und Niederschlag, erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgesetzt werden. Langfristig besteht ein erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen, insbesondere Leukämie und Schilddrüsenkrebs. Die medizinische Versorgung derartig gravierender Verletzungen und Erkrankungen, die intensiver Pflege bedürfen, kann – so sie vor Ort noch besteht – bei einem Massenanfall Verletzter zumindest kurzfristig nicht gewährleistet werden. Neben der kurz-, mittel- und langfristigen medizinischen Versorgung, einschließlich der Verlegung von Patienten in nicht-kontaminierte Gebiete, besteht ein Bedarf an humanitärer Hilfe. Hierzu zählen der Zugang zu Schutzräumen, eine 2

Vgl. diesbezüglich Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), The Effects of Nuclear Weapons on Human Health (Information Note No. 1), 2013; Climate Effects of Nuclear War and Implications for Global Food Production (Information Note No. 2), 2013; Humanitarian Assistance in Response to the Use of Nuclear Weapons (Information Note No. 3), 2013 und Nuclear Weapons and International Humanitarian Law (Information Note No. 4), 2013, alle abrufbar unter http://www.icrc.org/eng/war-and-law/weapons/nuclearweapons/index.jsp. 3 Die Auswirkungen eines Kernwaffeneinsatzes auf die psychische Gesundheit individuell und kollektiv Betroffener bleiben an dieser Stelle unberücksichtigt.

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Versorgung mit nicht-kontaminiertem Wasser, Nahrungs- und Lebensmitteln, die Regelung von Flüchtlingsströmen, sowie die langfristige Umsiedlung der Bevölkerung aus unbewohnbaren Gebieten. Die Hilfe wird erschwert durch die extrem hohe Anzahl hilfsbedürftiger Menschen und durch das Ausmaß der Zerstörung, vor allem von kritischer Infrastruktur wie Telekommunikation und Transportwesen. Auch die Kontaminierung beeinträchtigt die humanitäre Hilfe beim Zugang zu Hilfsbedürftigen in verstrahlten Gebieten, insbesondere mit Blick auf die Sicherheit des eingesetzten Hilfspersonals. Humanitäre Hilfe kann auch langfristig nach einem Atomwaffeneinsatz erforderlich sein. Ein begrenzter Nuklearkrieg, wie etwa der Einsatz von 100 Nuklearwaffen der Größe der in Hiroshima eingesetzten Bomben, hätte aufgrund der zu erwartenden Rußentwicklung ein Absenken der globalen Temperatur um durchschnittlich 1,3° C pro Jahr zur Folge; in der unmittelbaren Umgebung der Detonation möglicherweise um bis zu 30° C, was einer Eiszeit gleichkäme. Sich hieraus ergebende Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion machten es wahrscheinlich, dass über eine Milliarde Menschen weltweit verhungern bzw. auf humanitäre Hilfe angewiesen wären.4 Ferner würde durch eine beträchtliche Steigerung der Lebensmittelund dadurch der Lebenshaltungskosten, also durch eine faktische Geldentwertung, auch die Markt- und Finanzwirtschaft empfindlich getroffen.5 Das Ausbleiben von Investitionen in einer betroffenen Region, Abwanderungen und veränderte Handelswege hätten zudem erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.6 Der sich ergebende Bedarf an humanitärer Hilfe würde sämtliche vorhandenen lokalen, nationalen und internationalen Kapazitäten überfordern.7 4

Dieser Klimawandel würde sich insbesondere auf das Wachstum von Pflanzen auswirken. Eine verkürzte Wachstumsphase und aufgrund der kälteren Temperaturen verringerte Niederschläge würden die Landwirtschaft zumindest stark einschränken. Beispielsweise würde in der ersten Dekade nach Einsatz der Waffen die Reisernte in China aufgrund der klimatischen Auswirkungen um 20 % sinken, vgl. L. Xia/A. Robock, Impacts of a Nuclear War in South Asia on Rice Production in Mainland China, Climatic Change 116 (2013), 357 ff. 5 Panikkäufe und unverhältnismäßige Preissteigerungen machten Lebensmittel für viele Menschen (noch) weniger zugänglich, sodass ein Kampf um Ressourcen ausbrechen könnte. 6 Vgl. N. Buhne, Social and economic impacts: Structural restoration of lives and livelihoods in and around affected areas, Statement, International Conference on the Humanitarian Impact of Nuclear Weapons, Oslo, 4.3.2013, http://www.regjeringen.no/upload/UD/ Vedlegg/Hum/hum_buhne.pdf. 7 Die Vereinten Nationen (UN) haben die Auswirkungen der Detonation einer Kernwaffe bislang von ihren Planungen ausgeschlossen. So blieben sie z.B. bei einer vom UNGeneralsektretär in Auftrag gegebenen Studie unberücksichtigt, da „[t]he consequences of such event would be of such magnitude (and its likelihood so limited) that it is considered

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Probleme, die sich mit Blick auf das Ausmaß der Zerstörung, die zu erwartenden Opferzahlen und die Verstrahlung von gesamten Regionen ergeben, wären nicht zu bewältigen. Dies gilt selbst für den Fall, dass die gegenwärtigen Kapazitäten ausgebaut würden. Zudem stünden die nötigen Investitionen in keinem angemessenen Verhältnis zur humanitären Hilfe, die dann in solch einer Situation realistisch geleistet werden könnte.8

B. Rechtliche Bewertung Der Einsatz von Nuklearwaffen wirft eine große Zahl rechtlicher Fragen auf. Bislang ist er völkerrechtlich nicht ausdrücklich verboten. Allerdings finden die allgemeinen Vorschriften des Völkerrechts auch im Hinblick auf den Einsatz von Nuklearwaffen Anwendung. Der Internationale Gerichtshof (IGH) erstellte im Juli 1996 auf Anfrage der UN-Generalversammlung ein Gutachten zur Frage: „Is the threat or use of nuclear weapons in any circumstance permitted under international law?“9 Im Rahmen der outside the scope of this study“; vgl. Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA), Linking Humanitarian and Nuclear Response Systems, 2012, 12, https://ochanet. unocha.org/p/Documents/Linking%20Humanitarian%20and%20Nuclear%20Response% 20Systems.pdf. Das IKRK hingegen hat in einer Studie festgestellt, dass „[t]o our knowledge, no government, international organization (including the ICRC and other components of the International Red Cross and Red Crescent Movement), non-governmental organization or collaborative body has either realistic plans or the capacity to mount such an international response“, vgl. D. Loye/R. Coupland, Who will assist the victims of use of nuclear, radiological, biological or chemical weapons – and how?, IRRC No. 866 (2007), 329 ff.; 343; R. Coupland/D. Loye, International assistance for victims of use of nuclear, radiological, biological and chemical weapons: time for a reality check?, IRRC No. 874 (2009), 329 ff. Für eine Darstellung der sich aus dieser Feststellung für die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung ergebenden Forderungen hinsichtlich der Abschaffung von Kernwaffen siehe unten im Teil „Gegenwärtige Diskussion und Ausblick“. 8 Vgl. P. Maurer, Opening Statement, International Conference on the Humanitarian Impact of Nuclear Weapons, Oslo, 4.3.2013, http://www.regjeringen.no/upload/UD/Vedlegg/ Hum/hum_maurer.pdf: „It is highly unlikely that the immense investment required to develop such capacity will ever be made. If made, it would likely remain insufficient“. 9 ICJ, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion of 8 July 1996, ICJ Reports 1996, 226 ff. Wenngleich dem Gutachten keine rechtliche Bindungswirkung zukommt, stellt es die bislang einzige Beschäftigung des Gerichtshofs mit der Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Kernwaffen dar. In Anbetracht der Tatsache, dass Staaten im Rahmen der Erstellung des Gutachtens umfangreiche schriftliche und mündliche Stellungnahmen abgaben, verzichtete das IKRK auf eine eigene Untersuchung der im

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Zuständigkeitsprüfung sah der Gerichtshof insbesondere die politische Dimension der Anfrage nicht als Hindernis10 oder Grund für eine mögliche Enthaltung in dieser Sache11 an und erklärte sich für zuständig.12 Um die ihm vorgelegte Frage beantworten zu können, begab sich der IGH auf die Suche nach anwendbaren Normen des Völkerrechts. Er überprüfte die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Atomwaffen in folgenden Teilrechtsgebieten: dem internationalen Menschenrechtsschutz, dem Umweltvölkerrecht, dem ius ad bellum und dem ius in bello. I. Internationaler Menschenrechtsschutz und Umweltvölkerrecht Zunächst stellte der Gerichtshof die grundsätzliche Anwendbarkeit der Vorschriften des internationalen Menschenrechtsschutzes auch in Zeiten bewaffneter Konflikte fest, wie z.B. des in Art. 6 des Internationalen Pakts für bürgerliche und politische Rechte statuierten Rechts auf Leben. Während eines bewaffneten Konflikts könne dieses Recht allerdings durch das humanitäre Völkerrecht als lex specialis eingeschränkt werden.13 Des Weiteren untersuchte der Gerichtshof Normen des Umweltvölkerrechts. Während das Gericht nicht vertieft auf die Frage der Anwendbarkeit umweltrechtlicher Verträge in Zeiten von bewaffneten Konflikten einging, hielt es fest, dass Normen des Umweltschutzes jedenfalls im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen seien.14

humanitären Völkerrecht enthaltenen gewohnheitsrechtlichen Regeln in Bezug auf einen Einsatz von Kernwaffen, vgl. IKRK, Customary International Humanitarian Law, Volume I: Rules, 2005, Regel 26 und Kommentar. 10 „The Court moreover considers that the political nature of the motives which may be said to have inspired the request and the political implications that the opinion given might have are of no relevance in the establishment of its jurisdiction to give such an opinion“. ICJ (Anm. 9), para. 13. 11 ICJ (Anm. 9), para. 17. 12 ICJ (Anm. 9), para. 19. 13 ICJ (Anm. 9), para. 25. Der Internationale Gerichtshof hat sich in der Zwischenzeit mehrfach mit dem Verhältnis von internationalem Menschenrechtsschutz und humanitärem Völkerrecht befasst. Für einen aktuellen Überblick vgl. R. Kolb, Human Rights and Humanitarian Law, in: R. Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, 2008, online edition, www.mpepil.com, Stand: Oktober 2010. 14 ICJ (Anm. 9), para. 33.

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Der IGH kam zu dem Schluss, dass die relevantesten Rechtsgebiete in der zu behandelnden Frage zum einen das ius ad bellum und zum anderen das ius in bello seien.15 II. Ius ad bellum Bezüglich der Rechtmäßigkeit der Anwendung von Gewalt, dem ius ad bellum, stellte der IGH zunächst fest, dass die UN-Charta keinerlei spezielle Regeln zur Anwendung von Kernwaffen oder sonstigen Waffenarten enthält.16 Allerdings sei fraglich, ob bereits im bloßen Besitz von Kernwaffen eine Androhung von Gewalt im Sinne des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta zu sehen sei.17 Mit Blick auf das in der UNCharta festgeschriebene Recht auf Selbstverteidigung sei insbesondere auch zu berücksichtigen, ob ein Einsatz von Kernwaffen im Rahmen der Selbstverteidigung verhältnismäßig sein könne.18 Bezüglich des Einsatzes solcher Waffen stellen sich weitere Fragen, die der IGH im Rahmen des Gutachtens jedoch unbeantwortet ließ: Darf etwa das Recht auf Selbstverteidigung präventiv ausgeübt werden, wenn ein Angriff unmittelbar bevorsteht, oder sogar präemptiv, um einem solchen vorzubeugen?19 Und: Besteht ein Selbstverteidigungsrecht gegen nichtstaatliche Akteure, sollten Nuklearwaffen in die Hände von sogenannten Terroristen geraten, die drohen, diese einzusetzen?20

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ICJ (Anm. 9), para. 34. Vgl. Art. 2 Nr. 4, Art. 51 und Art. 42 Charter of the United Nations, 26.6.1945, UNCIO 15, 335 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1973 II 431). 17 ICJ (Anm. 9), para. 48. 18 ICJ (Anm. 9), para. 43; vgl. diesbezüglich L. Condorelli, Nuclear weapons: a weighty matter for the International Court of Justice, IRRC No. 316 (1997) (alle Artikel dieser IRRC Sonderausgabe zu Kernwaffen unter http://www.icrc.org/eng/resources/internationalreview/review-316-nuclear-weapons/index.jsp) und C. Greenwood, The Advisory Opinion on nuclear weapons and the contribution of the International Court to international humanitarian law, IRRC No. 316 (1997). 19 Diese Frage wird im Völkerrecht an verschiedenen Stellen diskutiert, zuletzt im Bereich des Cyber Warfare. Vgl. hierzu auch M. Schmitt, The Tallinn Manual on the International Law Applicable to Cyber Warfare, 2013, Rule 30, Definition of Cyber Attack, 91 ff. 20 Für eine Untersuchung des Rechts auf Selbstverteidigung gegen nicht-staatliche Akteure, vgl. D. Bethlehem, Principles relevant to the scope of a state’s right of selfdefense against an imminent or actual armed attack by nonstate actors, AJIL 106 (2012), 1. 16

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III. Ius in bello 1. Genfer Konventionen von 1949 und deren Zusatzprotokolle von 1977 Das ius in bello oder humanitäre Völkerrecht unterscheidet zwischen internationalen und nicht-internationalen bewaffneten Konflikten. In internationalen bewaffneten Konflikten finden die vier Genfer Abkommen21 von 1949 (GA) und das Erste Genfer Zusatzprotokoll (ZP I)22 Anwendung, in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten der gemeinsame Art. 3 GA und das Zweite Genfer Zusatzprotokoll (ZP II).23 Der IGH äußerte sich in seinem Gutachten nicht zur rechtlichen Bewertung einer Anwendung von Kernwaffen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. Der Gerichtshof begründete dies damit, dass die Staaten in ihren schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen hierauf nicht eingegangen seien. Gleichwohl könne die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Androhung und des Einsatzes von Kernwaffen innerhalb des eigenen Staatsgebietes durchaus von der Anfrage der UNGeneralversammlung erfasst sein.24 Während die Genfer Abkommen aufgrund ihrer universellen Ratifikation heute weltweit gelten, binden die Zusatzprotokolle allein ihre Vertragsparteien.25 Viele 21 Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded and Sick in Armed Forces in the Field, 12.8.1949, UNTS Vol. 75, 31; Geneva Convention for the Amelioration of the Condition of the Wounded, Sick and Shipwrecked Members of the Armed Forces at Sea, UNTS Vol. 75, 85; Geneva Convention relative to the Treatment of Prisoners of War, 12.8.1949, UNTS Vol. 75, 136; Geneva Convention relative to the Protection of Civilian Persons in Time of War, 18.8.1949, UNTS Vol. 75, 287 (deutsche Übersetzung der vier Konventionen in: BGBl. 1954 II 783). 22 Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and Relating to the Victims of International Armed Conflicts (Protocol I), 8.6.1977, UNTS Vol. 1125, 3 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1990 II 1551). 23 Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and relating to the Protection of Victims of Non-International Armed Conflicts (Protocol II), 8.6.1977, UNTS Vol. 1125, 610 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1990 II 1637). Zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit des ZP II siehe Art. 1 ZP II. 24 ICJ (Anm. 9), para. 50: „The terms of the question put to the Court by the General Assembly in resolution 49/75 could in principle also cover a threat or use of nuclear weapons by a State within its own boundaries. However, this particular aspect has not been dealt with by any of the States which addressed the Court orally or in writing in these proceedings. The Court finds that it is not called upon to deal with an internal use of nuclear weapons“. 25 Für einen aktuellen Überblick über die Vertragsparteien der Zusatzprotokolle siehe http://www.icrc.org/ihl/(SPF)/party_main_treaties/$File/IHL_and_other_related_Treaties.pdf.

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darin enthaltene Regeln gelten allerdings unabhängig von der Ratifikation als Völkergewohnheitsrecht.26 Neben diesen Vorschriften, die großteils auf den Schutz bestimmter Personen und Personengruppen während eines bewaffneten Konfliktes oder unter Besatzung abzielen, bestehen Regelungen, welche die Wahl der Mittel und Methoden der Kriegführung einschränken.27 Allerdings hielt der IGH die bestehenden Verbote zum Einsatz giftiger, erstickender Gase und bestimmter Massenvernichtungswaffen nicht für einschlägig im Hinblick auf den Einsatz von Kernwaffen.28 Auch in bestehenden völkerrechtlichen Verträgen, die sich direkt auf Kernwaffen beziehen, lasse sich ein Verbot des Einsatzes solcher Waffen nicht finden.29 Der umfassende Teststoppvertrag (Comprehensive Test-Ban Treaty, CTBT) etwa verbietet lediglich Atomtests weltweit; er ist allerdings noch nicht in Kraft getreten.30 Der

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Vgl. IKRK (Anm. 9). Z.B. Convention respecting the Laws and Customs of War on Land, 18.10.1907, CTS Vol. 187, 227; Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional Weapons which may be deemed to be Excessively Injurious or to have Indiscriminate Effects (with Protocols I, II and III), 10.10.1980 (UN-Waffenübereinkommen), UNTS Vol. 1342, 137 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1992 II 959, 1993 II 935); Convention on the prohibition of the development, production, stockpiling and use of chemical weapons and on their destruction, 3.9.1992, UNTS Vol. 1974, 45 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1994 II 807); Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and on their Destruction, 10.4.1972, UNTS Vol. 1015, 163 (deutsche Übersetzung in BGBl. 1983 II 133); Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction, 19.9.1997, UNTS Vol. 2056, 211 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1998 II 779); Convention on Cluster Munitions, 30.5.2008, ILM Vol. 48, 354 (deutsche Übersetzung in BGBl. 2009 II 504). 28 ICJ (Anm. 9), paras. 55–57. Kritisch hierzu E. David, The Opinion of the International Court of Justice on the legality of the use of nuclear weapons, IRRC No. 316 (1997), paras. 6–10, 12; L. Doswald-Beck, International humanitarian law and the Advisory Opinion of the International Court of Justice on the legality of the threat or use of nuclear weapons, IRRC No. 316 (1997). Zudem ist der Einsatz von Kernwaffen jedenfalls nicht auf den Zweck beschränkt, erstickende oder giftige Gase zu verbreiten bzw. Gift oder vergiftete Waffen einzusetzen, wie an den eingangs beschriebenen faktischen Auswirkungen deutlich wird. 29 ICJ (Anm. 9), paras. 58, 62; zur Kritik am Umgang des IGH mit diesen Verträgen, insbesondere mit dem NPT vgl. T. McCormack, A non liquet on nuclear weapons – The ICJ avoids the application of general principles of international humanitarian law, IRRC No. 316 (1997). 30 Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, 10.9.1996, noch nicht amtlich veröffentlicht (authentischer Text und deutsche Übersetzung in: BGBl. 1998 II 1211). 27

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Kernwaffensperrvertrag (Non-Proliferation Treaty, NPT)31 zählt 190 Vertragsstaaten, unter ihnen die fünf offiziellen Nuklearmächte und ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien.32 Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea, von denen angenommen wird, dass auch sie Kernwaffen besitzen, sind hingegen nicht Vertragsstaaten.33 Der NPT untersagt den Staaten, die Kernwaffen besitzen, deren Weitergabe sowie die Unterstützung von Nicht-Nuklearmächten in Bestrebungen, derartige Waffen zu entwickeln (Art. I). Die übrigen Vertragsstaaten verpflichten sich, Kernwaffen weder herzustellen, noch anzunehmen oder sonst zu erlangen (Art. II). Der Einsatz von Nuklearwaffen ist im NPT nicht verboten.34 2. Völkergewohnheitsrecht Auch ein generelles völkergewohnheitsrechtliches Verbot des Einsatzes von Kernwaffen vermochte der IGH nicht zu erkennen. Das Gericht begründete dies damit, dass die Herausbildung von Völkergewohnheitsrecht, wonach ein Kernwaffeneinsatz ausdrücklich verboten wäre, durch die diesbezüglich uneinheitliche opinio iuris gehindert würde.35 3. Allgemeine Prinzipien Der IGH hielt jedoch fest, dass zahlreiche allgemeine völkergewohnheitsrechtliche Vorschriften den Einsatz von Kernwaffen betreffen. Hier kämen vor allem die Kerngrundsätze des humanitären Völkerrechts in Betracht: der Unterschei31

Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT), 1.6.1986, UNTS Vol. 729, 161 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1974 II 786). 32 Für die Zwecke des NPT gilt laut Art. IX jeder Staat als Kernwaffenstaat, der vor dem 1.1.1967 eine Kernwaffe oder einen sonstigen Kernsprengkörper hergestellt und gezündet hat. 33 Nordkorea, Indien und Pakistan haben den Besitz von Kernwaffen bestätigt, Israel hingegen nicht. Der Iran bestreitet den Besitz bzw. die Entwicklung von Kernwaffen. 34 Vgl. Q. Michel, Critical Reflections on the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, NLB 2007/2, 21 ff.; A. Biad, Between Shadow and Light: The Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons Forty Years on, NLB 2010/2, 5 ff.; beide unter http://dx.doi.org/10.1787/16097378. 35 ICJ (Anm. 9), para. 73. Das Argument der Abschreckung erfreut sich in diesem Zusammenhang unter den Staaten teilweise auch heute noch großer Beliebtheit, vgl. D. J. Arbess, The International Law of Armed Conflict in Light of Contemporary Deterrence Strategies: Empty Promise or Meaningful Restraint?, McGill Law Journal 30 (1984), 89 ff.

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dungsgrundsatz sowie der Grundsatz, überflüssige Verletzungen und unnötige Leiden zu verhindern.36 Schließlich verwies der IGH in seiner Argumentation auf die Martens’sche Klausel, nach der ein Mensch in den vom geltenden Recht nicht erfassten Fällen unter dem Schutz der Grundsätze der Menschlichkeit und der Forderungen des öffentlichen Gewissens verbleibt.37 Zwar bestehen die Grundsätze des humanitären Völkerrechts, die unabhängig von einer eventuellen Vertragsbindung für alle Staaten gelten, seit weit vor der Entwicklung von Kernwaffen. Letztere wurden auch bei den Diskussionen zu bestimmten völkerrechtlichen Verträgen bewusst außer Betracht gelassen.38 Hieraus lässt sich aber nicht schließen, dass diese allgemeinen Prinzipien auf Kernwaffen keine Anwendung finden.39 Gerade mit Blick auf die im Vergleich mit konventionellen Waffen ungleich horrenderen Auswirkungen,40 müssten die Prinzipien des Rechts bewaffneter Konflikte noch strikter auf Kernwaffen angewandt werden. a) Unterscheidungsgrundsatz Zentraler Grundsatz im humanitären Völkerrecht ist der Unterscheidungsgrundsatz. Danach ist ein direkter Angriff auf Zivilpersonen oder zivile Objekte sowohl im internationalen als auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt verboten.41 Die am Konflikt beteiligten Parteien müssen jederzeit zwischen Zivilpersonen und Kombattanten bzw. zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen unterscheiden.42 Unterschiedslose Angriffe sind verboten. Hierzu zählen unter anderem Angriffe, bei denen Kampfmittel eingesetzt werden, deren Wirkungen 36

Zur Diskussion des diesbezüglichen ICJ-Ergebnisses vgl. Doswald-Beck (Anm. 28). ICJ (Anm. 9), para. 87. 38 Vgl. hierzu insbesondere die Diskussionen um ZP I. 39 So auch ICJ (Anm. 9), para. 86. 40 Zur Möglichkeit der Eingrenzung von Kernwaffeneinsätzen ICJ (Anm. 9), para. 94. Ob der Einsatz von Atomwaffen mit verhältnismäßig geringer Auswirkung gegen die erwähnten Grundsätze verstößt, soll hier nicht vertieft diskutiert werden. Kleine, auch als „taktische“ Atomwaffen bezeichnete Kernwaffen haben eine deutlich geringere Sprengkraft und Wirkradius. Allerdings können auch sie schwerste Zerstörungen anrichten und erhebliche Radioaktivität freisetzen. Auch bei einem Einsatz in abgelegenen Gebieten blieben also die Gefahr der radiologischen Kontaminierung der Umwelt sowie die Gefahr von Auswirkungen der Verstrahlung auf die Kämpfenden. 41 Art. 51 Abs. 2, 52 Abs. 1 ZP I, Art. 13, 14 ZP II, Art. 3 Nr. 1 GA I-IV sowie Völkergewohnheitsrecht; vgl. auch IKRK (Anm. 9), Regeln 1 und 7. 42 Art. 48 ZP I, Art. 3 GA I-IV, Art. 13 Abs. 2, 14 ZP II sowie IKRK (Anm. 9), Regel 71. 37

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nicht entsprechend den Vorschriften des humanitären Völkerrechts begrenzt werden können und die daher militärische Ziele und zivile Objekte bzw. Zivilpersonen unterschiedslos treffen können. Wie eingangs geschildert, werden durch den Einsatz von Kernwaffen Zivilpersonen getötet oder verletzt, und zivile Objekte werden ebenso wie militärische Ziele unterschiedslos beschädigt. Es ist mithin anzunehmen, dass der Unterscheidungsgrundsatz bei einem Einsatz von Kernwaffen nicht eingehalten werden kann. b) Verbot überflüssiger Verletzungen und unnötiger Leiden Des Weiteren ist in allen bewaffneten Konflikten der Einsatz von Mitteln und Methoden der Kriegführung verboten, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen.43 Die beschriebenen Verletzungen, die durch einen Einsatz von Kernwaffen verursacht werden, heilen auch lange nach ihrem Entstehen nicht und teilweise nie. Derartige Verletzungen von Personen, die direkt an Kampfhandlungen beteiligt sind, sind nicht erforderlich, um diese Kämpfenden außer Gefecht zu setzen und sie an der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen zu hindern, sondern erscheinen deutlich übermäßig.44 Das Leiden der Betroffenen unter Verbrennungen, Blindheit oder Taubheit setzt sich noch lange Zeit fort. Es ist – auch aus einer militär-strategischen Perspektive – unnötig, und es fällt schwer sich vorzustellen, dass dieses Leiden nicht in krassem Missverhältnis zum avisierten militärischen Vorteil steht.

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IKRK (Anm. 9), Regel 70. Bei der Beantwortung der Frage, ob Verletzungen überflüssig und das verursachte Leiden unnötig sind, sind die objektiven Auswirkungen auf das Opfer (insbesondere dauerhafte Verletzungen und Beeinträchtigungen) jeweils ins Verhältnis zur militärischen Notwendigkeit zu setzen, also beispielsweise zu dem Ziel, den Gegner außer Gefecht zu setzen. Diese Abwägung findet nicht konsistent statt und in einer Art und Weise, die generell akzeptiert würde. „This concept continues to be the basis on which judgment is formed, but debates have shown its relative and imprecise character“. J. de Preux, Art. 35 Abs. 1 ZP I, in: Yves Sandoz/Christophe Swinarski/Bruno Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, 1987, 409, para. 1439. „A relevant factor in establishing whether a weapon would cause superfluous injury or unnecessary suffering is the inevitability of serious permanent disability. […] A related issue is the use of weapons that render death inevitable“. IKRK (Anm. 9), Regel 70. Siehe auch T. Boutruche, L’interdiction des maux superflus: contribution à l’étude des principes et règles relatifs aux moyens et méthodes de guerre en droit international humanitaire, Institut des hautes études internationales et du développement, Genf 2008. 44

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Der IGH stellte in seinem Gutachten allgemein fest, dass Mittel und Methoden der Kriegführung, die eine Unterscheidung zwischen zivilen Objekten und militärischen Zielen unmöglich machen oder die unnötige Leiden der Kämpfenden verursachen, verboten sind. Mit Blick hierauf stellt der Gerichtshof für den Einsatz von Kernwaffen fest, dass „the use of such weapons in fact seems scarcely reconcilable with respect for such requirements“.45 c) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Hinzu kommt, dass das humanitäre Völkerrecht solche Angriffe verbietet, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursachen, die „in keinem Verhältnis“46 zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen. Dies gilt sowohl im internationalen als auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. Eine Abwägung im Einzelfall ist erforderlich, um zu bestimmen, ob der entstehende Kollateralschaden „excessive“ mit Blick auf den zu erwartenden militärischen Vorteil wäre. Bei einem Einsatz von Kernwaffen müssten hierbei nicht nur die durch die Detonation ausgelösten unmittelbaren Schäden und Verletzungen berücksichtigt werden, sondern auch absehbare Langzeitfolgen, wie etwa das Auftreten bestimmter Krankheiten und Krebsarten. Es fällt somit schwer, sich vorzustellen, welches Ausmaß der erwartete militärische Vorteil bei einem Einsatz von Nuklearwaffen haben müsste, damit der unvermeidlich entstehende – in seinem Ausmaß je nach Einsatzort sowie Größe und Art der Bombe ausfallende – Kollateralschaden nicht übermäßig wäre. d) Schutz der Umwelt Aber nicht nur unbeteiligte Zivilpersonen und zivile Objekte sind in bewaffneten Konflikten zu schonen.47 Auch die natürliche Umwelt darf nach den Regeln des 45

ICJ (Anm. 9), para. 95. Im englischen Originaltext (Art. 51 Abs. 5 lit. b) ZP I): „an attack which may be expected to cause incidental loss of civilian life, injury to civilians, damage to civilian objects, or a combination thereof, which would be excessive in relation to the concrete and direct military advantage anticipated“. 47 Ausführlich zum Schutz der Umwelt in internationalen bewaffneten Konflikten E. Koppe, The Use of Nuclear Weapons and the Protection of the Environment during International Armed Conflict, 2008. 46

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humanitären Völkerrechts nicht angegriffen werden, sofern sie nicht ein militärisches Ziel ist.48 Wenn nicht zwingende militärische Notwendigkeit dies erfordert, ist die Zerstörung eines jeden Teils der natürlichen Umwelt nach dem humanitären Völkerrecht verboten.49 Auch hinsichtlich der Zerstörung der Umwelt gelten der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz50 und der Grundsatz, dass alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen sind.51 Des Weiteren ist völkergewohnheitsrechtlich im internationalen bewaffneten Konflikt die Verwendung von Methoden oder Mitteln der Kriegführung verboten, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen.52 Die Vereinigten Staaten,53 Frankreich und Großbritannien54 erheben allerdings beständig Einwendungen gegen die Anwendbarkeit dieser Regeln auf den Einsatz von Kernwaffen.55 Ob diese Regelungen auch im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt anwendbar sind, wird diskutiert und ist wohl zu bejahen, insbesondere wenn die Auswirkungen des Einsatzes bestimmter Kampfmittel über die Staatsgrenzen hinaus zu spüren sind. Im Völkervertragsrecht statuiert Art. 35 Abs. 3 ZP I ausdrücklich das Verbot, im internationalen bewaffneten Konflikt Methoden oder Mittel der Kriegführung zu verwenden, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass 48

Hinsichtlich der Definition eines „militärischen Ziels“ vgl. Art. 52 Abs. 2 ZP I. Siehe auch Art. 2 Abs. 4 Protokoll III zum UN-Waffenübereinkommen, wonach es verboten ist, Wälder oder andere Arten pflanzlicher Bodenbedeckung zum Ziel eines Angriffs mit Brandwaffen zu machen, es sei denn, dass diese Gegebenheiten der Natur dazu verwendet werden, Kombattanten oder andere militärische Ziele zu decken, zu verbergen oder zu tarnen oder dass sie selbst militärische Ziele sind. 49 IKRK (Anm. 9), Regel 43, anwendbar im internationalen sowie im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt. 50 IKRK (Anm. 9), Regel 43 C. 51 IKRK (Anm. 9), Regel 44. 52 IKRK (Anm. 9), Regel 45. 53 Die Vereinigten Staaten erklärten: „It is the understanding of the United States of America that the rules established by this protocol were not intended to have any effect on and do not regulate or prohibit the use of nuclear weapons“, vgl. bei J. A. Boyd, Contemporary Practice of the United States Relating to International Law, AJIL 72 (1978), 375 (407). Die USA sind nicht Vertragspartei des ZP I. 54 Großbritannien und Frankreich gaben ähnliche Statements ab. Vgl. Official Records of the Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law applicable in Armed Conflicts, 1974–1977, Vol. VII, CDDH/SR. 56, para. 3. Die Erklärungen Frankreichs (11.4.2001) und Großbritanniens (zuletzt 7.1.2013) sind auch über die IKRK Treaty Internetseite abrufbar. 55 Vgl. auch M. Empell, Völkerrecht und Nukleare Abschreckung, 1988, m.w.N.

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sie ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen.56 Der Einsatz einer Waffe ist also dann verboten, wenn von ihr erwartet werden kann – sei dies intendiert oder nicht –, dass sie der natürlichen Umwelt schweren Schaden zufügt.57 Art. 55 Abs. 1 ZP I ergänzt diese Vorschrift und legt einen Schwerpunkt auf das Überleben der Bevölkerung.58 In Anbetracht der oben beschriebenen Auswirkungen scheint schwer vorstellbar, dass die Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen mit diesen Vorschriften vereinbar sein können.59 e) Vorsichtsmaßnahmen Als problematisch im Zusammenhang mit einem Einsatz von Kernwaffen erweist sich ferner das Einhalten der Verpflichtung, Vorsichtsmaßnahmen gegen 56

Zur Auslegung des Umweltkriegsübereinkommens von 1976 (Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques, 10.12.1976, UNTS Vol. 1108, 151, deutsche Übersetzung in: BGBl. 1983 II 126) haben sich die Vertragsstaaten darauf geeinigt, dass „lange andauernd“ im Sinne des Abkommens bedeutet, dass die Auswirkungen einige Monate beziehungsweise ungefähr eine Jahreszeit andauern. „Schwerwiegend“ sind die Auswirkungen, wenn sie eine ernste oder erhebliche Störung oder Schädigung von Menschenleben, natürlichen und wirtschaftlichen Ressourcen oder sonstigen Gütern beinhalten. „Weiträumig“ umfasst ein Gebiet von mehreren hundert Quadratkilometern. Diese Auslegung gilt nur im Bezug auf das Umweltkriegsübereinkommen und ist mit Blick auf ähnliche Vorschriften in Art. 35 Abs. 3 ZP I oder Art. 55 Abs. 1 ZP I nicht zwangsläufig identisch. 57 IKRK (Anm. 43), Art. 35 Abs. 3 ZP I, para. 1440. 58 Der Begriff der natürlichen Umwelt schließt nicht nur diejenigen Objekte ein, die direkt zum Überleben unentbehrlich sind, sondern auch Wälder und Pflanzen sowie biologische und klimatische Elemente. Vgl. IKRK (Anm. 43), Art. 55 Abs.1 ZP I, para. 2126; vgl. diesbezüglich auch Art. 2 Abs. 4 Protokoll III zum UN-Waffenübereinkommen. 59 Ähnlich wie Art. 85 Abs. 3 lit. b ZP I, stellt im internationalen bewaffneten Konflikt das vorsätzliche Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen, auch nach Art. 8 Abs. 2 lit. b (iv) Rom Statut (Rome Statute of the International Criminal Court, 17.07.1998, UNTS Vol. 2187, 3, deutsche Übersetzung in: BGBl. 2000 II 1394) ein Kriegsverbrechen dar. Entsprechend legt auch das deutsche Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), 26.6.2002, BGBl. 2002 I 2254, eine Strafbarkeit in § 11 Abs. 3 ausdrücklich nur für den Fall fest, dass ein Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt besteht. Das VStGB geht im Übrigen bei der Umsetzung des Rom Statuts in nationales Recht über den völkerrechtlichen Vertrag hinaus und nimmt in einigen Bereichen eine Angleichung der Vorschriften für internationale und nicht-internationale bewaffnete Konflikte vor.

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die Wirkungen von Angriffen zu ergreifen. Im bewaffneten Konflikt müssen die beteiligten Parteien nämlich, soweit ihnen dies praktisch möglich ist, Vorsichtsmaßnahmen treffen, um die Zivilbevölkerung und zivile Objekte, die ihrer Kontrolle unterstehen, gegen die Wirkungen von Angriffen zu schützen.60 Dadurch soll vermieden werden, dass militärische Ziele innerhalb oder in der Nähe dicht bevölkerter Gebiete angelegt werden.61 Zivilpersonen und zivile Objekte sollen aus der Umgebung militärischer Ziele entfernt werden können,62 und es soll möglich sein, weitere Vorsichtmaßnahmen zu treffen.63 Mögliche Vorsichtsmaßnahmen wären beispielsweise die Errichtung von Schutzräumen, ein Frühwarnsystem, die Evakuierung von Zivilpersonen in geschützte Gebiete, die Bewachung zivilen Eigentums oder die Mobilisierung des Zivilschutzes.64 Allerdings erscheint die Effektivität der genannten Maßnahmen mit Blick auf die Auswirkungen einer Kernwaffenexplosion durchaus fragwürdig. Die Errichtung von Schutzräumen wäre zumindest in der unmittelbaren Umgebung der Detonation nutzlos, weil diese Räume durch die Druckwelle zum Einsturz gebracht würden. Auch ein Frühwarnsystem und eine Evakuierung erscheinen nicht realistisch, wenn man die Einsatzbereitschaft strategischer Waffen innerhalb von 15 Minuten und ihre mögliche Explosion weitere 15 Minuten später in Betracht zieht.65 Insbesondere bei einem Einsatz von Kernwaffen in Gegenden mit hoher Bevölkerungsdichte wäre eine Evakuierung der Zivilbevölkerung in Gebiete, die – je nach Art, Größe und entsprechender Zerstörungskraft und Reichweite der Nuklearwaffe – außerhalb des direkten Auswirkungsgebietes lägen, praktisch nicht möglich. Des Weiteren ist die angreifende Konfliktpartei verpflichtet, Vorsichtsmaßnahmen beim Angriff zu ergreifen.66 Wer einen Angriff plant oder beschließt, hat dabei von jedem Angriff Abstand zu nehmen, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.67 Grundsätzlich ist ein Angriff endgültig oder vorläufig einzustellen, 60

Vgl. Art. 58 ZP I; Art. 13 ZP II; IKRK (Anm. 9), Regel 22. Art. 58 lit. b ZP I. 62 Art. 58 lit. a ZP I. 63 Art. 58 lit. c ZP I. 64 Vgl. IKRK (Anm. 9), Regel 22. 65 So der Mediziner I. Helfand im Interview vor der Staatenkonferenz in Oslo am 4.3.2013, http://www.masslive.com/news/index.ssf/2013/03/northampton_physician_ira_ helf.html. 66 Art. 57 ZP I. 67 Art. 57 Abs. 2 lit. a (iii) ZP I. 61

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wenn sich erweist, dass ein Angriff unverhältnismäßigen zivilen Schaden verursachen würde.68 Einmal mehr erscheint nur schwer vorstellbar, wie dieser Grundsatz bei einem möglichen Kernwaffeneinsatz eingehalten werden kann. IV. Fazit der rechtlichen Bewertung Der Einsatz von Nuklearwaffen muss sich – wie der jeder anderen Waffenkategorie auch – an den generellen Regeln des (humanitären) Völkerrechts messen lassen.69 Diese Waffenart genießt keinen rechtlichen Sonderstatus, etwa wegen einer möglicherweise abschreckenden Wirkung aufgrund ihrer bloßen Existenz.70 Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass Nuklearwaffen wegen ihrer verheerenden Auswirkungen niemals eingesetzt werden. Zu einem solchen Einsatz kann es entweder vorsätzlich oder auch durch menschliches oder technisches Versagen kommen. Gerade wegen der extremen Auswirkungen dieser Waffen und der humanitären Folgen, muss sich ein Einsatz an allen bestehenden Regeln, die den Schutz von Unbeteiligten in bewaffneten Konflikten sichern sollen, messen lassen. Nach einer Analyse einschlägiger völkerrechtlicher Regeln bleibt festzuhalten, dass der Einsatz von Nuklearwaffen zwar nicht ausdrücklich verboten ist, dass das geltende Recht einen Einsatz jedoch faktisch (nahezu) unmöglich macht. Der IGH befindet ebenfalls, dass „[i]n view of the unique characteristics of nuclear weapons […] the use of such weapons in fact seems scarcely reconcilable with respect for such requirements“. Er führt jedoch fort, dass „[n]evertheless, the Court considers that it does not have sufficient elements to enable it to conclude with certainty that the use of nuclear weapons would necessarily be at variance with the principles and rules of law applicable in armed conflict in any circumstance“.71 Der Gerichtshof legt sich in seinem Gutachten also nicht eindeutig fest. Stattdessen befindet das Gericht: „Accordingly, in view of the present state of international law viewed as a whole, as examined above by the Court, and of the elements of fact at its disposal, the Court is led to observe that it cannot reach a definitive conclusion as 68

Art. 57 Abs. 2 lit. b ZP I. Vgl. hierzu und zu Thesen zum Atomwaffenausschluss Empell (Anm. 55), 11 ff., 15 ff. m.w.N.; K. Ipsen, Deutsches Rotes Kreuz, Schriftenreihe, 30. Tagung der Justitiare und Konventionsbeauftragten des Deutschen Roten Kreuzes, 1986; H. Fischer, Einsatz von Nuklearwaffen nach Artikel 51 des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen von 1949, 1985, 247. 70 Vgl. W. Wilson, The Myth of Nuclear Deterrence, Nonproliferation Review 15 (2008), 421 ff.; K. Berry/P. Lewis/B. Pélopidas/N. Sokov/W. Wilson, Delegitimizing Nuclear Weapons, Monterey Institute of International Studies, 2010. 71 ICJ (Anm. 9), para. 95. 69

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to the legality or illegality of the use of nuclear weapons by a State in an extreme circumstance of self-defence, in which its very survival would be at stake“.72 Indem der IGH das Überleben eines Staates als mögliche Rechtfertigung eines Einsatzes von Atomwaffen anführte, vermischte er Aspekte des ius ad bellum mit denen des ius in bello. Wann genau das Überleben eines Staates bedroht ist, ließ der IGH zudem offen und eröffnete damit einen Interpretationsspielraum, der den engen humanitärvölkerrechtlichen Vorgaben entgegensteht.73 Aus (völker-)strafrechtlicher Sicht bleibt noch zu ergänzen, dass die Frage, ob mit Blick auf die große Anzahl von Toten und Verletzten, die ein Einsatz von Nuklearwaffen verursachen würde, das Verbrechen des Völkermords vorliegt, jeweils im konkreten Einzelfall zu klären ist.74 Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob bei einem Einsatz von Nuklearwaffen grundsätzlich vom Vorliegen der erforderlichen Absicht ausgegangen werden kann.

C. Gegenwärtige Diskussion und Ausblick Die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung hat sich seit dem Einsatz von Nuklearwaffen in Hiroshima und Nagasaki für deren Verbot ausgesprochen.75 Bereits im September 1945 wandte sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) mit einem Schreiben an Nationale Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften, in dem es den Wunsch ausdrückte, Nuklearwaffen zu ächten.76 In der Folge haben sich das IKRK, die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften und Nationale Gesellschaften immer 72 ICJ (Anm. 9), para. 97. Zur Kritik an der Vermischung von Aspekten des ius ad bellum und des ius in bello z.B. David (Anm. 28), para. 15: „In giving the impression that a case of self-defence, however extreme, might justify the use of nuclear weapons, the Court creates dangerous confusion between jus ad bellum and jus in bello; indeed, it suggests that respect for the latter might be subordinate to a rule of the former“. 73 Hierzu Separate Opinion of Judge Fleischhauer, ICJ (Anm. 9), 308 ff.; Condorelli (Anm. 9) „The Court’s reasoning hinges on what it calls ‚the fundamental right of every State to survival‘. That right has never been heard of before, but much will undoubtedly be said of it in the future. Unfortunately the Court neither defines nor indicates the scope of that right in any way whatsoever“. 74 Vgl. hierzu § 6 VStGB bzw. Art. 6 Rom Statut; ICJ (Anm. 9), para. 26. 75 Für einen Überblick über die Position des IKRK vgl. F. Bugnion, The International Committee of the Red Cross and Nuclear Weapons: From Hiroshima to the Dawn of the 21st Century, IRRC 859 (2005), 511 ff. 76 IKRK, „Mankind is faced with a problem of supreme gravity“, Appell, 5.9.1945, http://www.icrc.org/eng/resources/documents/statement/69eezs.htm.

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wieder für die Abschaffung von Nuklearwaffen eingesetzt. Die 17. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds (1948)77 forderte Staaten dazu auf, „to undertake to prohibit absolutely all recourse to such weapons and to the use of atomic energy or any similar force for purposes of warfare“.78 Auch die 18. Internationale Konferenz (1952) appellierte an Staaten „to ensure the prohibition of atomic weapons and the use of atomic energy solely for peaceful purposes“.79 Während die Bewegung auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten auf das Verbot von Nuklearwaffen hinwirkte,80 wurden nukleare abrüstungs- und rüstungskontrollpolitische Anstrengungen aufgrund der sich Mitte der 1950er Jahre verfestigenden Blockbildung zunächst erschwert und schließlich unmöglich. Der mit dem am 26. August 1949 erfolgreich durchgeführten sowjetischen Nuklearwaffentest einsetzende Rüstungswettlauf verhinderte jegliche Bemühungen um ein Verbot von Nuklearwaffen. Die von einer Verbreitung von Nuklearwaffen ausgehende Bedrohung wurde durch das Regime des Atomwaffensperrvertrages von 1968 begrenzt. Die sicherheitspolitischen Doktrinen der NATO- bzw. der Warschauer Pakt-Staaten beruhten jedoch weiterhin auf einem „Gleichgewicht des Schreckens“.81 Wenngleich im Rahmen der Entspannungspolitik Erfolge im 77

Im Rahmen der Internationalen Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds kommen die Komponenten der Bewegung (d.h. IKRK, Internationale Föderation und derzeit 188 Nationale Gesellschaften) mit den Vertragsstaaten der Genfer Abkommen zusammen, um Fragen von gemeinsamem humanitären Interesse zu identifizieren und diesbezüglich Beschlüsse zu fassen (Art. 8 Statuten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, 1986, http://www.drk.de/fileadmin/Ueber_uns/_Dokumente/humanitares_voelker recht/Statuten%20der%20Internationalen%20RKRH-Bewegung.pdf). 78 17. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds (1948), Resolution XXIV, Non-Directed Weapons. 79 18. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds (1952), Resolution XVIII, Atomic Weapons. 80 Auch die Internationalen Konferenzen in den Jahren 1957, 1965, 1969, 1977 und 1981 riefen zu einem Verbot von Massenvernichtungswaffen im Allgemeinen und Kernwaffen im Speziellen auf. Siehe 19. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds (1957), Resolution XVIII, Protection of Populations; 20. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds (1965), Resolution XXVIII, Protection of Civilian Populations against the Dangers of Indiscriminate Warfare; 21. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds (1969), Resolution XIV, Weapons of mass destruction; 23. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds (1977), Resolution XII, Weapons of mass destruction; 24. Internationale Konferenz des Roten Kreuzes und Roten Halbmonds (1981), Resolution XIII, Disarmament, weapons of mass destruction and respect for non-combatants. 81 Dieses ist auch bekannt als das Konzept der „Mutually Assured Destruction“ (MAD) und sieht vor, dass eine Nuklearmacht vom Ersteinsatz von Kernwaffen dadurch abge-

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Bereich der strategischen82 und substrategischen83 Rüstungskontrolle erzielt werden konnten, wurde eine Debatte um eine vollständige nukleare Abrüstung, mit dem Ziel einer kernwaffenfreien Welt, erst wieder mit der Überwindung des Ost-West-Konfliktes möglich.84 Das oben näher betrachtete Gutachten von 1996 stellt die erstmalige Befassung des IGH mit der Völkerrechtsmäßigkeit der Androhung und des Einsatzes von Nuklearwaffen dar. Obwohl dem Gutachten keine abrüstungspolitische Fragestellung zu Grunde lag,85 drückte der Gerichtshof seine Überzeugung aus, die Stabilität der internationalen Gemeinschaft könne langfristig nur mittels einer vollständigen nuklearen Abrüstung gewährleistet werden.86 Auch das IKRK betonte in einer anschließenden Stellungnahme zum IGH-Gutachten vor der UN-Generalversammlung, dass seiner Ansicht nach, mit Blick auf die zerstörerischen Auswirkungen von Kernwaffen, niemand diese Waffen jemals eingesetzt sehen wolle. Das IKRK verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, das Gutachten könne die internationale Gemeinschaft in ihren Bemühungen stärken, sich von dieser Bedrohung zu

halten wird, dass der Angegriffene über die Kapazitäten verfügt, nach einem nuklearen Erstschlag noch vernichtend zurückschlagen zu können. 82 Interim Agreement between the United States of America and the Soviet Socialists Republics on Certain Measures with Respect to the Limitation of Strategic Offensive Arms (SALT I), 26.5.1972, UNTS 994, 3; Treaty between the United States of America and the Soviet Socialists Republics on the Limitation of Strategic Offensive Arms (SALT II), 19.7.1979, ILM Vol. 18, 1138; Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms (START I), 31.7.1991, ILM Vol. 31, 246; Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms, 3.1.1993, SIPRI Yearbook 1993, 576. 83 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Elimination of their Intermediate-Range and Shorter-Range Missiles (INF Treaty), 8.12.1987, ILM Vol. 27, 84. 84 Zur historischen Entwicklung vgl. S. Kadelbach, Nuclear Weapons and Warfare, in: R. Wolfrum (Hrsg.), The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, 2008, online edition www.mpepil.com, Stand: November 2009, Rn. 14 ff., m.w.N. 85 Zur Feststellung des Gerichtshofs im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung siehe oben Anm. 9. 86 Wörtlich stellte das Gericht fest: „In the long run, international law, and with it the stability of the international order which it is intended to govern, are bound to suffer from the continuing difference of views with regard to the legal status of weapons as deadly as nuclear weapons. It is consequently important to put an end to this state of affairs: the longpromised complete nuclear disarmament appears to be the most appropriate means of achieving that result“, ICJ (Anm. 9), para. 98.

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befreien.87 Gleichwohl bestimmten auch in der darauffolgenden Zeit sicherheitspolitische Erwägungen die Diskussion um Kernwaffen. Diesen Waffen wurde weiterhin eine zentrale Bedeutung in verteidigungspolitischen Konzepten zugemessen.88 Allerdings wandelte sich der zwischenstaatliche Diskurs in den vergangenen Jahren erheblich.89 Sowohl der UN-Sicherheitsrat als auch die NPT-Überprüfungskonferenz befürworten inzwischen das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt.90 Die Vereinigten Staaten und Russland, die etwa über 95 % aller bestehenden Nuklearwaffen verfügen, haben sich mit dem New START-Abkommen (Strategic Arms Reduction Treaty) verpflichtet, ihre Bestände an strategischen Waffen bis zum 5. Februar 2018 drastisch zu reduzieren.91 Nicht zuletzt aufgrund des Appells von IKRK-Präsident Jakob Kellenberger im April 201092 werden auch die humanitären Folgen eines Kernwaffeneinsatzes zunehmend berücksichtigt.93 Die 190 NPTVertragsstaaten haben die katastrophalen humanitären Folgen einer nuklearen Explosion erstmals anerkannt. Wörtlich hielten sie fest, dass „[t]he Conference expresses its deep concern at the continued risk for humanity represented by the 87 IKRK, Statement of the ICRC at the United Nations General Assembly, 19.10.1996, http://www.icrc.org/eng/resources/documents/article/other/57jncx.htm. 88 Somit sind im Rahmen der Nuklearen Teilhabe weiterhin auch Kernwaffen auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland stationiert. Für eine aktuelle rechtliche Bewertung siehe Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, 7.5.2013, Aktenzeichen 4 A 1913/11, http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_nrw/j2013/4_A_1913_11_Beschluss_ 20130507.html. 89 Die Ursachen dafür sollen an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben. Ein weit verbreiteter Erklärungsansatz besteht in der seit dem 11.9.2001 deutlich gewordenen Gefahr, die von Kernwaffen ausgeht, sollten sie oder für ihren Bau benötigte Bestandteile in die Hände von nicht-staatlichen bewaffneten Akteuren oder sogenannter Terroristen fallen. Vgl. diesbezüglich auch UN Security Council, Resolution 1540, 28.4.2004 (UN Doc. S/RES/ 1540); Resolution 1673, 27.4.2006 (UN Doc. S/RES/1673); Resolution 1810, 25.4.2008 (UN Doc. S/RES/1810) und Resolution 1977, 20.4.2011 (UN Doc. S/RES 1977). 90 Vgl. UN Security Council, Resolution 1887, 24.9.2009 (UN Doc. S/RES/1887); 2010 Review Conference of the Parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, Final Document, Volume I, 2010 (UN Doc. NPT/CONF.2010/50). 91 Treaty between the United States of America and the Russian Federation on Measures for the Further Reduction of Strategic Offensive Arms (New Strategic Arms Reduction Treaty), 8.4.2010, ILM Vol. 50, 342; in Kraft seit dem 5.2.2011. 92 Vgl. J. Kellenberger, Bringing the Era of Nuclear Weapons to an End, Statement to the Geneva Diplomatic Corps, 20.4.2010, http://www.icrc.org/eng/resources/documents/ statement/nuclear-weapons-statement-200410.htm. 93 Vgl. K. Schöberl, Nukleare Abrüstung, Bofax Nr. 422D, 20.3.2013, http://www.ruhruni-bochum.de/ifhv/documents/bofaxe/bofaxe2013/422d.pdf.

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possibility that these weapons could be used and the catastrophic humanitarian consequences that would result from the use of nuclear weapons“.94 Auch im Ersten Ausschuss der UN-Generalversammlung, dem Ausschuss für Abrüstung und Internationale Sicherheit, gaben im Jahr 2012 34 Staaten eine ähnliche Erklärung ab.95 Des Weiteren fand auf Einladung der norwegischen Regierung in der Zeit vom 4.–5. März 2013 erstmals eine internationale Konferenz zu den humanitären Folgen von Kernwaffen statt. In Oslo berieten etwa 130 Staaten, verschiedene UN-Organisationen, darunter United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), OCHA und United Nations Development Programme (UNDP), Komponenten der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung sowie zivilgesellschaftliche Akteure über die unmittelbaren Auswirkungen einer Explosion auf die menschliche Gesundheit und die Sicherheit, ihre längerfristigen Folgen für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft sowie die Möglichkeiten der humanitären Hilfe. Die während der Konferenz begonnenen Gespräche sollen im Rahmen eines Nachfolgetreffens fortgesetzt werden, zu dem die mexikanische Regierung für Februar 2014 eingeladen hat. Die Einladung der mexikanischen Regierung zur Fortsetzung der in Oslo begonnenen Gespräche wurde bereits von 79 NPT-Staaten begrüßt.96 Auch eine von der UN-Generalversammlung eingesetzte Arbeitsgruppe soll sich noch im Jahr 2013 mit Vorschlägen für multilaterale nukleare Abrüstungsgespräche befassen.97 In Anbetracht der humanitären Folgen eines Kernwaffeneinsatzes fordert die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung alle Staaten dazu auf, ungeachtet ihrer jeweiligen Ansichten über die Völkerrechtsmäßigkeit eines Einsatzes von Kernwaffen, diese Waffen niemals einzusetzen, sondern Verhandlungen über ein Verbot von Nuklearwaffen und ihre vollständige Abrüstung aufzunehmen. So erneuerte IKRK-Präsident Peter Maurer den Aufruf der Bewegung zur Abschaffung von Kernwaffen noch einmal im Oktober 2012 vor der UN-Generalversammlung.98 94

NPT-Conference 2010 (Anm. 90), Rn. 80. UN General Assembly, 22.10.2012 (UN Doc. GA/DIS/3463). 96 Joint statement delivered by Ambassador Abdul Samad Minty, Permanent Representative of South Africa to the United Nations on: „The humanitarian impact of nuclear weapons, at the Second Session of the Preparatory Committee for the 2015 review conference of the Parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons“, Genf, 24.4.2013 unter http://www.info.gov.za/speech/DynamicAction?pageid=461&sid=35998& tid=105378. 97 UN General Assembly, First Committee, 19.10.2012 (UN Doc. A/C.1/67/L.46). 98 Vgl. P. Maurer, Weapons: ICRC statement to the United Nations 2012, General Debate on All Disarmament and International Security Agenda Items, New York, 16.10.2012, 95

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Der Delegiertenrat der Bewegung99 verabschiedete im November 2011 eine Resolution mit gleichem Appell.100 Nach einem ersten Treffen in Wien im November 2012 trafen sich im Mai 2013 Vertreter der Bewegung in Hiroshima, um über die Umsetzung der Resolution des Delegiertenrates zu beraten. Die Möglichkeit, dass Nuklearwaffen eingesetzt werden, besteht, solange derartige Waffen existieren. Den besten Schutz vor den entsetzlichen Folgen eines Einsatzes von Kernwaffen bietet daher nur ihre vollständige Abschaffung.

http://www.icrc.org/eng/resources/documents/statement/2012/united-nations-weaponsstatement-2012-10-16.htm. 99 Alle zwei Jahre kommen Vertreter aller Komponenten der Bewegung auf dem Delegiertenrat zusammen, um aktuelle für die Bewegung relevante Themen zu diskutieren und eine gemeinsame Strategie festzulegen. 100 Council of Delegates 2011: Resolution 1, Working towards the elimination of nuclear weapons, 26.11.2011, http://www.icrc.org/eng/resources/documents/resolution/councildelegates-resolution-1-2011.htm.

Nukleare Abrüstung und Einrichtung atomwaffenfreier Zonen Von Michael Bothe Das Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht hat eine große Tradition der Forschung und der Publikationen zum Recht der Rüstungskontrolle, begründet von Eberhard Menzel, erfolgreich weiter gepflegt von Jost Delbrück. Es ist ehrenvoll, gerade in Kiel über dieses Thema zu sprechen, und ich freue mich, dass ich es nach 19781 zum zweiten Mal tun kann.

A. Einleitung Kaum hatten die USA die Atomwaffe erfunden,2 setzten zwei gegenläufige politisch-militärische Entwicklungen ein: Wegen der militärischen Wirksamkeit suchten andere Staaten, die Waffe auch zu erlangen. Wegen des unsäglichen Leidens, das sie verursacht, suchten gesellschaftliche und politische Kräfte, sie möglichst rasch wieder los zu werden. Solange Letzteres nicht möglich ist, wird versucht, wenigstens die Gefahr des Ausbruchs eines Krieges mit Atomwaffen zu verhindern. Dies geschieht durch bestimmte Rüstungsbeschränkungen oder flankierende Maßnahmen (teilweise Abrüstung und Rüstungskontrolle). „Plus ça change, plus c’est la même chose!“3 Haben sich auch die politischen Konstellationen seit 1945 fundamental geändert, das Grunddilemma ist uns erhalten geblieben. Im Grunde bestimmt das Wettrüsten, vielleicht ein wenig beschränkt durch Rüstungskontrolle und Bemühen um Abrüstung, bis heute die 1 M. Bothe, Zur Dogmatik eines völkerrechtlichen Kriegsverhütungsrechts – Verfahren und Inhalt des Rechts der Rüstungskontrolle und Abrüstung, dargestellt am Beispiel des Verbots der Massenvernichtungsmittel, in: J. Delbrück (Hrsg.), Völkerrecht und Kriegsverhütung. Zur Entwicklung des Völkerrechts als Recht friedenssichernden Wandels, 1979, 213 ff. 2 Erster amerikanischer Atomwaffentest in Alamogordo am 16.7.1945, Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6.8. bzw. 9.8.1945. 3 Der Aphorismus geht zurück auf den französischen Journalisten und Schriftsteller J.-B. A. Karr (1808–1890), veröffentlicht in der Zeitschrift „Les Guêpes“, Januar 1849.

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Atomwaffenpolitik. Deshalb ist eine historische Übersicht geboten, um bewusst zu machen, wo wir heute stehen. Die Entscheidung für atomare Rüstung ist eine militärisch-politische. Ihre Beschränkung durch Rüstungskontrolle oder Abrüstung bedarf gesicherter Verhaltenserwartungen. Das bedeutet: Die Rolle des Rechts ist unverzichtbar. Die wesentliche Regelungstechnik ist dabei der völkerrechtliche Vertrag. Es gibt aber auch wenige Beispiele für andere Formen. Die historische Entwicklung lässt sich in drei Phasen einteilen: – eine Frühphase des Wettrüstens, begleitet von im Grunde irrelevanten Abrüstungsplänen, bis zur Kubakrise, – eine Phase des schrittweisen Ausgleichs zwischen den Supermächten, in der das Schwergewicht auf die Verhinderung des atomaren Schlagabtauschs zwischen diesen beiden (schwerpunktmäßig durch Sicherung des Gleichgewichts der Abschreckung) liegt, – eine Phase der Rüstungskontrolle und Abrüstung in einer multipolaren Welt nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, in der aber das Verhältnis zwischen den beiden Hauptatommächten weiterhin ein Problem darstellt.

B. Die Frühphase: Atomares Wettrüsten bis zur Kubakrise Nachdem die Sowjetunion auch über Atomwaffen verfügte,4 waren die 1950er Jahre geprägt durch atomares Wettrüsten5 einerseits und einen abrüstungspolitischer Schaukampf zwischen den Supermächten andererseits. Dieser Schaukampf war schon damals die eher symbolische Antwort auf eine öffentliche Meinung, welche die atomare Bedrohung als das schwerste Übel für die Menschheit ansah und sie deshalb möglichst rasch beendet sehen wollte (und will). Die Sowjetunion tat sich durch Vorschläge für ein „general and complete disarmament“ hervor, die nicht angenommen wurden,6 ebensowenig wie die Gegenvorschläge des Westens. Das letzte große verbale Bekenntnis zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung in dieser Phase war die Rede Präsident Kennedys vor der UN-Generalversammlung am 25. September 1961.7

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Erster sowjetischer Atomwaffentest am 29.8.1949. Erster britischer Atomwaffentest am 3.10.1953, erster französischer am 13.2.1960. 6 Z.B. der sowjetische Abrüstungsplan vom November 1956 mit Ächtung der Kernwaffen. 7 http://www.jfklibrary.org/Asset-Viewer/DOPIN64xJUGRKgdHJ9NfgQ.aspx. 5

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Der Schock für das Wettrüsten war die Kubakrise 1962.8 Das sowjetische Unterfangen, auf Kuba Raketen zu stationieren, welche die USA in wenigen Minuten erreichen konnten, brachte die Supermächte an den Rand eines Einsatzes von Atomwaffen mit der wahrscheinlichen Folge gegenseitiger Vernichtung. Der Vorfall machte den verantwortlichen Politikern die Gefahren des Wettrüstens hinreichend klar. Die Abmachungen zur Lösung der Kubakrise wurden der Beginn einer neuen Herangehensweise der beiden Supermächte an das Problem der atomaren Rüstung. Sie waren der erste Schritt zu dem, was man später Entspannung nannte. Es war ein rüstungspolitischer Ausgleich durch ein kontrolliertes atomares Patt. Für diesen Ausgleich wurden verschiedene politische wie militärische Instrumente und Verfahren entwickelt, die in unterschiedlicher Weise rechtlich oder auch nur politisch gesteuert waren. Großbritannien wurde dabei weitgehend der amerikanischen Seite zugerechnet. Die Positionen Frankreichs und Chinas waren jeweils besonders, worauf im vorliegenden Zusammenhang aber nicht im Detail eingegangen werden kann.9

C. Das kontrollierte atomare Patt zwischen den Supermächten Die Regelungstechniken zur Kontrolle des atomaren Patts zwischen den Supermächten lassen sich in vier Kategorien einteilen, die bis auf den heutigen Tag eine Rolle spielen: – quantitative und qualitative Beschränkung der Arsenale, – Beschränkung der Arsenale und Vertrauensbildung durch Testbeschränkung, – Kommunikation und Transparenz zwischen den Supermächten, – flankierende Maßnahmen. Diese Regelungstechniken haben sich in unterschiedlicher Weise parallel zueinander entwickelt.

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Cold War: A Brief History, http://atomicarchive.com/History/coldwar/page 13.shtml; vgl. auch die Schilderung von Robert F. Kennedy, Thirteen Days. A Memoir of the Cuban Missile Crisis, 1968, Neudruck 1999. 9 Dazu im Einzelnen M. Bothe, Rechtsfragen der Rüstungskontrolle im Vertragsvölkerrecht der Gegenwart, BDGV 30 (1989), 31, 47 ff.

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I. Quantitative und qualitative Beschränkung der Arsenale Leitmotiv der Rüstungskontrolle im Zeichen des Ost-West-Konflikts war die Sicherung eines Gleichgewichts zwischen beiden Seiten. Ein erstes Element der Beschränkung der Arsenale war der Abbau frontnah installierter Systeme als Ergebnis der Kubakrise. Nicht nur die Sowjetunion verzichtete auf die Stationierung ihrer Raketen auf Kuba. Alsbald zogen auch die Vereinigten Staaten ihre in Grenznähe stationierten Jupiter-Raketen aus der Türkei zurück.10 Seit 1969 gab es dann Verhandlungen zur Beschränkung der strategischen Arsenale. Deren erstes Ergebnis war der sogenannte ABM-Vertrag (Anti Ballistic Missiles-Vertrag) vom 26. Mai 197211 (im Januar 2002 von den USA gekündigt).12 Dieser Vertrag garantierte das Gleichgewicht beider Seiten dadurch, dass er gleiche Verwundbarkeit durch die zahlenmäßige Beschränkung von Raketenabwehrsystemen sicherte.13 Die Verhandlungen, die das Gleichgewicht durch Begrenzung der strategischen Offensiv-Arsenale herstellen sollten, hatten eine schwierige und wechselvolle Geschichte. Mit dem ABM-Vertrag wurde auch ein Interim-Abkommen zur Begrenzung strategischer offensiv-Waffen geschlossen (SALT I), das abgelaufen ist.14 Das SALT II-Abkommen vom 18. Juli 1979 trat nicht in Kraft.15 Das atomare Gleichgewicht zwischen den beiden atomar am höchsten gerüsteten Staaten, nämlich den USA und Russland, blieb auch nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ein rüstungspolitisches Problem. An die Stelle von SALT II trat der am 31. Juli 1991 unterzeichnete und mittlerweile ebenfalls abgelaufene Strategic Arms Reduc-

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Cold War (Anm. 8). Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Limitation of Anti-Ballistic Missile Systems, 26.5.1972, UNTS Vol. 944, 14. 12 Gemäß Art. 15 des ABM-Vertrages. 13 Die Einführung zum Vertrag auf der genannten Webseite des State Department (http:// www.state.gov/t/avc/trty/101888.htm) spricht von einem „unsettling impact on the strategic balance“, den es zu verhindern gelte. Vgl. Bothe (Anm. 1), 220; ders. (Anm. 9), 44. 14 Interim Agreement between the United States of America and the Soviet Socialists Republics on Certain Measures with Respect to the Limitation of Strategic Offensive Arms, 26.5.1972, UNTS 994, 3; gemäß Art. VIII Abs. 2 war der Vertrag für fünf Jahre abgeschlossen. 15 Treaty between the United States of America and the Soviet Socialists Republics on the Limitation of Strategic Offensive Arms (SALT II), 19.7.1979, ILM Vol. 18, 1138. Der Ratifikationsprozess wurde 1980 nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan angehalten. Beide Parteien verpflichteten sich jedoch mittels einseitiger Erklärungen, den Vertrag zu respektieren; zur Verbindlichkeit desselben vgl. Bothe (Anm. 9), 70 ff. 11

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tion Treaty (START I).16 Der ihm folgende START II vom 3. Januar 1993 ist nicht in Kraft getreten.17 Das START III Framework von 1997 wurde nicht verhandelt. Es ging erst weiter am 24. Mai 2002 mit dem Strategic Offensive Arms Reduction Treaty (SORT),18 der am 8. April 2010 durch den New START abgelöst wurde.19 Trotz der Erfahrungen der Kuba-Krise gab es in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ein erneutes Wettrüsten durch die Stationierung von Mittelstrecken-Raketen (Marschflugkörpern) in Grenznähe (sog. forward based systems), was den Gegner wegen der extrem kurzen Flug- und damit Reaktionszeit in höchstem Maße verwundbar machte. Ein wichtiger Schritt der Entspannung war darum das Abkommen zwischen den USA und der UdSSR vom 8. Dezember 1987 zur Vernichtung von Raketen kurzer und mittlerer Reichweite (Intermediate Range Nuclear Forces, INF),20 der zum erneuten Abbau der forward based systems führte. Ein wesentliches Problem dieser Beschränkung der Arsenale war die Verlässlichkeit ihrer Einhaltung. Insofern besteht ein natürliches inneres Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an möglichst verlässlicher Information über den Gegner und dem Schutz eigenen militärischen Knowhows. Die Lösung dieses Problems begann beim ABM/SALT I-Vertrag mit einem Verweis auf „national means of verification“, was eine Umschreibung für die Legalisierung der Satelli-

16 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms, 31.7.1991, ILM Vol. 31, 246. Gemäß Art. XVII war der Vertrag für 15 Jahre oder bis zum Inkrafttreten eines neuen Abkommens abgeschlossen. 17 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms, 3.1.1993, SIPRI Yearbook 1993, 576. Der amerikanische Senat gab seine Zustimmung am 26.1.1996, jedoch wurde der entsprechende Akt der russischen Duma aus Protest gegen die NATOPolitik jahrelang hinausgezögert. Die Duma gab dann im Jahre 2002 ihre Zustimmung unter Bedingungen, die für die USA unannehmbar waren. Das Interesse an dem Vertrag ging aufgrund der neueren Entwicklung verloren. 18 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on Strategic Offensive Reductions (The Moscow Treaty), 24.5.2002, ILM Vol. 41, 799. Der Vertrag war befristet bis zum 31.12.2012; er ersetzte nicht den START-Vertrag. 19 Treaty between the United States of America and the Russian Federation on Measures for the Further Reduction of Strategic Offensive Arms (New Strategic Arms Reduction Treaty), 8.4.2010, ILM Vol. 50, 342, in Kraft seit dem 5.2.2011, gemäß Art. XIV Abs. 2 abgeschlossen für zehn Jahre. Er ersetzt den Moskauer Vertrag (Anm. 18). 20 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Elimination of their Intermediate-Range and Shorter-Range Missiles (INF Treaty), 8.12.1987, ILM Vol. 27, 84; mit Zusatzprotokoll und Understanding http://www. state.gov/t/avc/trty/102360.htm#mou; in Kraft getreten am 1.6.1988.

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tenbeobachtung ist. Der INF-Vertrag sieht demgegenüber ein hoch intrusives System von Kontrollen, bis zu Inspektionen vor Ort, vor.21 II. Beschränkung der Arsenale und Vertrauensbildung durch Testbeschränkung Seit Beginn des Ausgleichs zwischen den Supermächten nach der Kuba-Krise waren die Beschränkungen von Atomwaffentests wichtiger Bestandteil der Rüstungskontrollpolitik. Ob heute die Computer-Simulation die Testexplosion von Waffen abgelöst hat, kann hier nicht erörtert werden. Es begann mit einer eher symbolischen Kooperation, die für den Umweltschutz wohl wichtiger war als für die Rüstungskontrolle, nämlich mit dem Verbot von Atomwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und im Wasser (Partial Test Ban Treaty, PTBT 1963).22 Der Vertrag ist auf universale Mitgliedschaft angelegt. Frankreich und China traten ihm freilich erst nach Beendigung ihrer oberirdischen Tests 1974 bzw. 1980 bei. In den 1970er Jahren kam es zu weiteren Testbeschränkungsabkommen in Detailfragen.23 Das Ende der Tests der etablierten Atommächte erfolgte einseitig (UdSSR 1980, Vereinigtes Königreich 1991, USA 1992, Frankreich und China 1996). Es wurden von verschiedenen Staaten formell Test-Moratorien erklärt.24 Verifikationsvorschriften gibt es für keinen dieser Verträge oder Erklärungen. Es bleibt bei den „national means of verification“. Die Beobachtung oberirdischer Tests ist damit sehr einfach. Für unterirdische Tests spielt seismographische Beobachtung eine zentrale Rolle.

21 Zu diesem Fragenkreis M. Bothe, Verification of Facts, in: R. Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, www.mpepil.com, Stand: Mai 2011, Rn. 18 ff. 22 Treaty Banning Nuclear Weapon Tests in the Atmosphere, Outer Space and Under Water, 5.8.1963, UNTS Vol. 480, 43. 23 Sog. Testschwellen-Verträge 1974 und 1976: Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the limitation of underground nuclear weapon tests, 3.7.1974, UNTS Vol. 1714, 216; Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on underground nuclear explosions for peaceful purposes, 28.5.1976, ILM Vol. 15, 891. 24 UdSSR: 30.7.1985, mehrfach verlängert, 1987 beendet, erneuert 1991; USA 1992 (mit Zustimmung des Senats), 15.3.1994 Verlängerung, 30.1.1995 weitere Verlängerung; China: 8.6.1996 Moratorium erneuert nach letztem Test am 29.7.1996; Frankreich: 29.1.1996, Erklärung nach Durchführung einer Testserie; vgl. J. Medalia, Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty: Background and Current Developments, Congressional Research Service 2013, 54.

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Auf eine gesicherte Basis sollte der Teststopp einschließlich einer Verifikation durch den allgemeinen Teststopp-Vertrag (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, CTBT) vom 10. September 1996 gestellt werden.25 Sein Inkrafttreten ist bislang jedoch am amerikanischen Widerstand gescheitert.26 III. Kommunikation und Transparenz Die Kuba-Krise hatte die Gefahr gezeigt, wie leicht ein Atomkrieg ausbrechen konnte, den eigentlich keiner wollte. Deswegen wurden Techniken, die den versehentlichen Ausbruch eines Atomkrieges verhindern sollen, ein wesentliches Element der Rüstungskontrollpolitik. Ein wesentlicher erster Schritt war das sogenannte Heißer-Draht-Abkommen von 1963.27 Ihm folgten zahlreiche weitere Abkommen mit gleicher Zielsetzung.28 IV. Flankierende Maßnahmen Ein wesentlicher Teil der Rüstungskontrollpolitik der Supermächte bestand schließlich darin, das Gleichgewicht zwischen ihnen durch flankierende Maß25 Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, 10.9.1996, authentischer Text und deutsche Übersetzung in: BGBl. 1998 II 1211. 26 CTBT at 15: Status and Prospects, Conference Report, Vienna Center for Disarmament and Non-Proliferation, 2012, http://armscontrol.org/files/ACA_CTBT_Report_Vienna_ 2012.pdf. 27 Memorandum of Understanding between the USA and the Union of Soviet Socialists Republics regarding the establishment of a direct communication link, 20.6.1963, http:// www.state.gov/t/isn/4787.htm. 28 Agreement between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on measures to improve the USA-USSR direct communication link, 30.9.1971, ILM Vol. 10, 1174; Exchange of Notes on the establishment of a direct facsimile communication link, 17.7.1984, http://dosfan.lib.uic.edu/acda/treaties/hotexpa.html. Hinzu kommen sogenannte Kriegsverhinderungsabkommen über die Behandlung von Zwischenfällen, die zum unbeabsichtigten Ausbruch eines Atomkriegs führen könnten: Agreement on measures to reduce the risk of outbreak of nuclear war between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics, 30.9.1971, ILM Vol. 10, 1173; Agreement between the Government of the United States of America and the Government of the Union of Soviet Socialists Republics on the prevention of incidents on and over the High Seas, 25.5.1972, UNTS Vol. 852, 151; Agreement between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the prevention of nuclear war, 22.6.1973, ILM Vol. 12, 896. Entsprechende Abkommen wurden zwischen der UdSSR auf der einen sowie Großbritannien und Frankreich auf der anderen Seite geschlossen.

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nahmen abzusichern. Diese Maßnahmen betreffen nicht nur das Verhältnis der Supermächte untereinander, sondern auch wesentlich die Interessen dritter Staaten. Es geht notwendigerweise um mehr als die Stabilisierung des Gleichgewichts zwischen den Supermächten. Darum begegnen wir einer komplexen Interessenstruktur, aus der komplexe Regelungen folgen. Diese Interessenstruktur war nicht statisch, so dass auch die Vertragsregime Änderungen unterworfen waren. Drei Kategorien von flankierenden Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang zu nennen: – Sicherung des Gleichgewichts durch Nichtverbreitung von Atomwaffen; – Einrichtung atomwaffenfreier Zonen; – Schaffung atomwaffenfreier Räume: Meeresgrund, Weltraum, Antarktis. 1. Nichtverbreitung von Atomwaffen Die Grundidee des Atomwaffensperrvertrages (Non-Proliferation Treaty, NPT) vom 1. Juli 196829 war es, zu verhindern, dass das atomare Gleichgewicht zwischen den Supermächten dadurch gestört wurde, dass dritte Staaten in den Besitz von Atomwaffen gelangten. Damit war das Vertragsregime notwendigerweise diskriminierend. Es musste unterschieden werden zwischen denjenigen Staaten, die Atomwaffen haben durften, und denjenigen, für die eben dies verboten war. Diese Diskriminierung konnte nur durch ein Entgegenkommen gegenüber den Interessen der diskriminierten Staaten (Nicht-Atomwaffen-Staaten, NNWS) annehmbar gemacht werden. Deshalb weist der NPT einen besonderen Interessenausgleich auf: Die „Gegenleistungen“ für den Verzicht auf Atomwaffen sind eine Garantie des Rechts der friedlichen Nutzungen der Atomenergie sowie die langfristige Verpflichtung der Atommächte zu einer vollständigen nuklearen Abrüstung. Die Kontrolle der Einhaltung dieser Verpflichtungen ist im Vertrag nicht ausführlich geregelt. Er verweist in Art. III Abs. 1 und 4 lediglich auf die Regelungen durch die IAEA, die sogenannten Safeguards. Die Praxis der Safeguards wurde in der Folge ein erhebliches Problem.30

29 Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, 1.6.1986, UNTS Vol. 729, 161 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1974 II 786). Dazu M. Bothe, Weapons of Mass Destruction, Counter-Proliferation, in: R. Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, www.mpepil.com, Stand: April 2011, Rn. 8 ff.; zur Entwicklung L. Tabassi, The Nuclear Test Ban: Lex Lata or de Lege Ferenda?, JCSL 14 (2009), 309, 310 ff. 30 Dazu im einzelnen T. Lohmann, Die rechtliche Struktur der Sicherungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation, 1993.

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Ein ganz wesentliches Interesse der NNWS wird im Vertrag selbst nicht angesprochen: die Sicherheit vor atomaren Angriffen. Diese ist lediglich Gegenstand einseitiger Erklärungen der Nuklearmächte. Zu unterscheiden ist zwischen positiven Sicherheitsgarantien, die eine Beistandspflicht enthalten, und negativen, die auf einen Einsatz von Atomwaffen gegen NNWS verzichten. Die Erklärungen sind im Einzelnen sehr unterschiedlich. Im Zusammenhang mit der Verlängerung des NPT im Jahr 199531 wurden sie in einer Resolution des Sicherheitsrats32 systematisiert. Es handelt sich jedoch nicht um eine Garantie, die der Sicherheitsrat abgibt. Die Resolution nimmt vielmehr die unterschiedlichen Erklärungen der fünf offiziellen Atommächte zustimmend zur Kenntnis. Die USA und Großbritannien, ähnlich die Russische Föderation, verzichten auf den Einsatz von Atomwaffen gegen NNWS außer zur Selbstverteidigung gegen einen Angriff seitens der Mitglieder eines Bündnisses mit einem NWS (Nuklearwaffenstaat, Nuclear-WeaponState). Als positive Garantie gibt es lediglich die Zusicherung von Konsultationen im Sicherheitsrat im Falle des Angriffs gegen einen NNWS. 2. Atomwaffenfreie Zonen Die Kuba-Krise war auch ein Schock für die lateinamerikanischen Nachbarn. Sie waren bestrebt, keine Atomwaffen in der Region zu haben, die andere Atomwaffen anziehen. Zu diesem Zweck wurde noch vor dem NPT der Vertrag von Tlatelolco 1967 über eine atomwaffenfreie Zone in Lateinamerika und der Karibik33 geschlossen. Er soll die Gefährdung durch Nuklearwaffen reduzieren und gleichzeitig den Weg zu einer allgemeinen und vollständigen Abrüstung (General and Complete Disarmament, GCD) erleichtern. Die Vertragsparteien verzichten auf Test, Produktion, Erwerb, Besitz, Lagerung sowie Dislozierung von Atomwaffen. Die Überwachung der Einhaltung der Verpflichtungen erfolgt durch die Safeguards der IAEA.34 Ein wesentliches Problem war das Verhalten der NWS zum Vertrag von Tlatelolco. Dazu gibt es zwei Zusatzprotokolle: eines mit Staaten außerhalb der

31

Zu dieser Entwicklung unten Text zu Anm. 49. UN Security Council, Resolution 984, 11.4.1995 (UN Doc. S/RES/984). 33 Treaty for the Prohibition of Nuclear Weapons in Latin America, 14.2.1967, UNTS Vol. 634, 326. 34 Art. 12–16 des Vertrages von Tlatelolco. 32

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Region, die Gebiete innerhalb der Region besitzen,35 ein anderes, dem die offiziellen NWS beitreten sollen.36 Das bereitete Schwierigkeiten. 3. Atomwaffenfreie Räume Technische Entwicklungen bedingten Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre Verhandlungen über staatsfreie Räume, in die die Frage von Massenvernichtungswaffen einfließen musste. Dies führte zu zwei Vertragsregimen, nämlich dem speziell abrüstungspolitischen Meeresbodenvertrag37 und dem allgemeineren Weltraumvertrag.38 Hinzu kommt das ältere Antarktis-Regime.39 Die Stationierung von Massenvernichtungswaffen in diesen Räumen ist den Vertragsparteien untersagt.

D. Rüstungskontrolle und Abrüstung in einer multipolaren Welt Die Veränderung der politischen Konstellationen durch das Ende des Ost-WestKonflikts hatten notwendigerweise auch rüstungspolitische Folgen. Vereinfacht gesprochen war ein Übergang von der Bipolarität über eine kurze Phase angeblicher Unipolarität zur Multipolarität festzustellen. Spannungen, die zuvor hinter den Ost-West-Konflikt zurücktraten, wurden sichtbarer und wirkmächtiger. Es wurde bereits erwähnt, dass in der Frage der strategischen Waffensysteme das bilaterale Verhältnis zwischen den USA und der Russischen Föderation wesentliches Regelungsproblem blieb.40 Das ist eine Frage, die die Staaten, die weitgehend das Monopol dieser Waffen haben, immer noch unter sich ausmachen. Das gelingt 35

Additional Protocol I, UNTS Vol. 634, 360; das Zusatzprotokoll wurde ratifiziert von Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien und den USA. 36 Additional Protocol II, UNTS Vol. 634, 364; das Zusatzprotokoll II wurde ratifiziert von Großbritannien, den USA, Frankreich und China. Die UdSSR ratifizierte es erst 1979. 37 Treaty on the Emplacement of Nuclear Weapons and Other Weapons of Mass Destruction on the Sea-Bed and the Ocean Floor and in the Subsoil thereof, 11.2.1971, UNTS Vol. 955, 115. 38 Treaty on Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space, including the Moon and Other Celestial Bodies, 27.1.1967, UNTS Vol. 610, 205. Art. IV verbietet die Stationierung von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen in Erdumlaufbahnen, auf dem Mond und anderen Himmelskörpern oder sonst im Weltraum. 39 Antarctic Treaty, 1.12.1959, UNTS Vol. 402, 71. Art. I verbietet jegliche militärische Aktivitäten, Art. V jegliche Atomexplosionen. 40 Siehe oben Anm. 11–20.

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auch bis in die jüngste Zeit, trotz der Kündigung des ABM-Vertrages. Andere rüstungspolitische Themen stellen sich jedoch ganz anders. Vor allem die Problematik der Proliferation ist neu zu sehen. I. Chemiewaffenabrüstung Das Hauptbeispiel für den neuen Typ des wirklich multilateralen Rüstungskontrollregimes ist das Chemiewaffen-Abkommen von 1993.41 Darüber wurde seit Beginn der 1970er Jahre verhandelt. Die Verhandlungen standen stark unter dem Vorzeichen des Ost-West-Konfliktes, verfahrensmäßig und inhaltlich.42 Der Durchbruch nach 1990 brachte dann aber ein wirklich multilaterales Regime hervor. Die Großmächte stehen gleich verpflichtet neben relativ kleinen Staaten als Besitzer dieser Waffen, die zur Vernichtung derselben verpflichtet sind. Ein Markenzeichen des Vertrages ist ein hoch entwickeltes System der Kontrolle der Vertragseinhaltung.43 An diesen Erfolg der Rüstungskontrolle im Bereich der C-Waffen konnte in anderen Bereichen nicht angeschlossen werden, weder im Bereich der hier nicht zu behandelnden B-Waffen44 noch für die Atomwaffen. II. Nichtverbreitung von Atomwaffen Das Regime des NPT entwickelte sich weiter, aber dies krisenhaft. Zunächst konnte eine Quasi-Universalität erreicht werden. Staaten, die ursprünglich nicht Vertragsparteien waren, weil sie sich eine nukleare Option erhalten wollten, gaben diese Option auf und traten dem Vertrag bei: Südafrika, Libyen, Argentinien, Brasilien. Alle Gliedstaaten der ehemaligen Sowjetunion, die Teilstaaten eines offiziellen NWS waren, wurden Vertragsparteien als NNWS. Die Zunahme der Vertragsparteien stellt die positive Seite der Entwicklung dar. 41

Convention on the Prohibition of the Development, Production, Stockpiling and Use of Chemical Weapons and on their Destruction, 13.1.1993, ILM Vol. 32, 800. 42 Zur Geschichte vgl. J. P. Robinson, The negotiations on the Chemical Weapons Convention: a historical overview, in: M. Bothe/N. Ronzitti/A. Rosas (Hrsg.), The New Chemical Weapons Convention – Implementation and Prospects, 1998, 17 ff. 43 Art. VI und IX des Vertrages mit Annexen. Vgl. die Analyse von T. Marauhn, Routine Verification under the Chemical Weapons Convention, in: M. Bothe/N. Ronzitti/ A. Rosas (Hrsg.) (Anm. 42), 219 ff. 44 Convention on the Prohibition of the Development, Production and Stockpiling of Bacteriological (Biological) and Toxin Weapons and their Destruction, 10.4.1972, UNTS Vol. 1015, 163.

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Hinzu traten jedoch negative Entwicklungen: Der Irak verfolgte eine Atomrüstung unter Verletzung des Vertrages. Dies wurde durch das Rüstungskontrollregime, das ihm nach dem zweiten Golfkrieg auferlegt wurde,45 abgestellt. In diesem Fall hatte zwar das Überwachungssystem des Vertrages versagt, die Situation wurde aber auf andere Weise bereinigt – insofern kann man das auch noch als positive Entwicklung verbuchen. Nord-Korea hat sich offenbar Atomwaffen unter Verletzung des Vertrages verschafft, ist aber aus dem Vertrag ausgeschieden und verfolgt sein Atomwaffenprogramm außerhalb des NPT und trotz der deswegen verhängten Sanktionen des Sicherheitsrates.46 Ob sich der Iran unter Verletzung des Vertrages Atomwaffen verschaffen will, ist bekanntlich umstritten. Offenbar ist das Safeguards-System nicht in der Lage, eine von allen Seiten akzeptierte Feststellung über Vertragsverletzung oder Vertragsbeachtung durch den Iran zu erbringen. IAEA und Sicherheitsrat gehen von einer Vertragsverletzung jedenfalls hinsichtlich des Kontrollsystems aus.47 Außerhalb des Vertrages sind Indien und Pakistan Atomwaffen-Staaten geworden. Die indische Atombewaffnung ist von der internationalen Gemeinschaft de facto weitgehend akzeptiert, während die pakistanische Bewaffnung wegen der instabilen politischen Situation in diesem Land weitgehend als Bedrohung wahrgenommen wird. Auch Israel wurde außerhalb des Vertrages Atommacht, gibt dies aber immer noch nicht offiziell zu. Das NPT-Regime ist durchlöchert und damit nicht hinreichend verlässlich. Insgesamt haben diese negativen Entwicklungen dazu geführt, dass der Nutzen des NPT skeptisch beurteilt wird: „Regime kaputt“?48 Obwohl ein Teil dieser negativen Entwicklungen schon bekannt war, wurde der zunächst auf 30 Jahre abgeschlossene NPT auf der Überprüfungskonferenz 1995 durch einen im Konsens gefassten Beschluss auf unbestimmte Zeit verlängert.49 Die Konferenz fordert zugleich, dass alle Staaten dem Vertrag beitreten (universal adherence) und dass ein Vertrag über allgemeine und vollständige Abrüstung ge45

UN Security Council Resolution 687, 3.4.1991 (UN Doc. S/RES/687), Ziff. 8–14; Resolution 1284, 17.12.1999 (UN Doc. S/RES/1284); Resolution 1441, 8.11.2002 (UN Doc. S/RES/1441). 46 Zu der komplexen Entwicklung Nord-Koreas vgl. M. Asada, Arms Control Law in Crisis? A Study of the North Korean Nuclear Issue, JCSL 9 (2004), 331 ff.; zur neueren Entwicklung Tabassi (Anm. 29), 325 ff.; vgl. auch J. Beynio, Der Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen – Völkervertragliche Grundlagen und praktische Fälle, 75. 47 Zur Situation in Nord-Korea vgl. Beynio (Anm. 46). 48 H. Müller, Nichtverbreitungsvertrag: Regime kaputt. Bedingungen für die Stabilität von Vertragsregimen, Internationale Politik 61 (2006), Nr. 8, 16 ff. 49 1995 Review and Extension Conference of the Parties to the Treaty on the NonProliferation of Nuclear Weapons, Final Document, Part I, Organisation and Work of the Conference, 1995 (UN Doc. NPT/CONF.1995/32), Annex, Decision 3.

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schlossen wird (treaty on general and complete disarmament under strict international control). Zu beidem ist es, wie bereits ausgeführt, seitdem nicht gekommen. Eine wesentliche flankierende Maßnahme zum NPT ist allerdings die Errichtung eines Systems der Kontrolle der Proliferation von Massenvernichtungswaffen durch den Sicherheitsrat.50 Ergänzt und erweitert wird dies durch die Exportkontrollen des Nuclear Suppliers Group51 und die Kontrollmaßnahmen der sog. Proliferation Security Initiative.52 Ist also die rüstungsbegrenzende Wirkung des NPT nicht so erfolgreich wie man sich das wünscht, so wurden doch weiter Verhandlungen über begrenztere Einzelfragen geführt, nämlich die vertragliche Absicherung des nuklearen Teststopps (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT) und die Einstellung der Produktion spaltbaren Materials (Cut-off Treaty). 1. Umfassender Nuklearteststopp Das Projekt des CTBT nimmt den alten Ansatz der Beschränkung der Arsenale durch Testbeschränkung auf.53 Der Vertrag würde die bestehenden einseitigen Moratoriumserklärungen, über deren Bindungswirkung man streiten kann, durch eine zweifelsfreie rechtliche Vertragsbindung ersetzen. Der rüstungspolitische Nutzen des Vertrages wäre wohl begrenzt. Befürworter des Vertrages machen geltend, dass man ja Tests gar nicht mehr brauche. Computer-Simulationen reichten zur Modernisierung der Waffensysteme. Wenn das so ist, ist dies ein Argument zweifelhafter Güte für den Vertrag. Der Text des CTBT wurde jedenfalls 1996 von der UN-Generalversammlung angenommen.54 Schon damals erklärten die USA, dass sie ihn nicht ratifizieren würden. An dieser Haltung hat sich bis heute im Ergebnis nichts geändert. Dass Präsident Obama sich für den Vertrag ausgesprochen hat, ist folgenlos geblieben. Großbritannien, Frankreich und die Russische Föderation haben ratifiziert, China nicht, Pakistan und

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UN Security Council, Resolutionen 1540, 28.4.2004 (UN Doc. S/RES/1540) und Resolution 1887, 24.9.2009 (UN Doc. S/RES/1887). 51 Dazu Bothe (Anm. 21), Rn. 29 m.w.N. 52 Dazu Bothe (Anm. 21), Rn. 32 m.w.N.; zu diesen Maßnahmen insgesamt M. Bothe, Proliferation of Weapons of Mass Destruction – a Problem of Exterritoriality, in: G. Handl/ J. Zekoll/P. Zumbansen (Hrsg.), Beyond Territoriality. Transnational Legal Authority in an Age of Globalization, 2012, 489, 500 ff. 53 Siehe oben C. II. 54 UN General Assembly, Resolution 50/245, 10.9.1996 (UN Doc. A/RES/50/245).

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Indien auch nicht. Die Voraussetzungen für das Inkrafttreten sind damit nicht erfüllt.55 Der Vertrag hat ein spezifisches technisches Verifikationssystem. 2. Einstellung der Produktion spaltbaren Materials Der Cut-off Treaty ist noch nicht zu einem unterschriftsreifen Text gediehen. Die Verhandlungen kommen nicht voran.56 Der Vertrag soll die Produktion von spaltbarem Material verhindern. Streitig ist, ob er sich nur auf neue Produktion beziehen oder auch die Kontrolle vorhandener Vorräte einschließen soll. Newcomer wie Pakistan wollen letzteres, da der Vertrag sonst den Vorteil der Staaten, die schon große Bestände an spaltbarem Material besitzen, perpetuieren würde. Der Vertrag wäre bedeutsam für alle offiziellen und inoffiziellen Atommächte. Für alle anderen bewirkt schon das Verbot des NPT Entsprechendes. 3. Ausweitung der atomwaffenfreien Zonen Erfolgreich entwickelt hat sich dagegen das Konzept der atomwaffenfreien Zonen (Nuclear Free Zones, NFZ).57 Nach dem schon erwähnten Vertrag von Tlatelolco gibt es vier weitere, die alle in Kraft sind: Südpazifik 1985,58 Südostasien 1995,59 Afrika 199660 und Zentralasien 2006.61 Die Haltung der offiziellen Nuklearmächte zu den einzelnen atomwaffenfreien Zonen ist unterschiedlich.62 55

Art. XIV Abs. 1 des Vertrages bestimmt, dass das CTBT in Kraft tritt, wenn alle in Annex II gelisteten Staaten die Ratifikationsurkunde beim Depositar hinterlegt haben. Zu der Rechtslage zwischen Unterzeichnung und dem (nicht absehbaren) Inkrafttreten, vgl. Tabassi (Anm. 29), 313 ff. 56 Information: www.armscontrol.org/factsheets/fmct. 57 Vgl. dazu Beynio (Anm. 46). 58 South Pacific Nuclear Free Zone Treaty (Vertrag von Rarotonga), 6.8.1985, ILM Vol. 24, 1442. 59 Southeast Asian Nuclear-Weapon-Free Zone Treaty (Vertrag von Bangkok), 15.12.1995, UNTS Vol. 1981, 129. 60 African Nuclear-Weapon-Free Zone Treaty (Vertrag von Pelindaba), 11.4.1996, ILM Vol. 35, 698. 61 Treaty on a Nuclear-Weapon-Free Zone in Central Asia (Vertrag von Semipalatinsk), 8.9.2006, http://cns.miis.edu/stories/pdf_support/060905_canwfz.pdf. 62 Vor diesem Hintergrund fordert die Erklärung der Konferenz der atomwaffenfreien Zonen aus Anlass der NPT Review Conference 2005 eine Ratifikation der entsprechenden Zusatzprotokolle durch alle NWS, vgl. Conferencia de Zonas Libres de Armas Nucleares, 28.4.2005 (Doc. CZLAN/CONF/5).

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Eine Verstetigung des Konzepts wird angestrebt. Die UN-Abrüstungskonferenz hat dafür „guidelines“ entwickelt.63 Die NFZ haben sich zu einer Konferenz zusammen geschlossen. Sie formulieren ihre Forderungen gegenüber den NWS, insbesondere das Ziel einer allgemeinen atomaren Abrüstung64 und die Notwendigkeit von besseren Sicherheitsgarantien.65 Atomwaffenfreie Zonen werden in Bereichen der Konfrontation als ein wesentliches Instrument der Konfliktlösung gesehen. Die Idee hat eine Geschichte. Sie begann mit dem Rapacki-Plan von 1957 (benannt nach dem damaligen polnischen Außenminister) für Mitteleuropa. Sie spielt auch eine Rolle im Rahmen der Friedenspläne für den Nahen Osten.66 Sie ist konkreter geworden durch einen detaillierten Zeitplan und einen speziellen „Facilitator“, beschlossen von der Review Conference 201067 mit Zwischenkonferenz November 2012 und Ziel 2013. Allerdings ist die für das Jahr 2012 vorgesehene Zwischenkonferenz vertagt worden.68 Die Perspektive ist also fraglich, immerhin ist es konkreter geworden.

E. Perspektive einer atomwaffenfreien Welt? Was ist mit dem Fernziel des „General and Complete Disarmament“? Eine Pflicht zu Verhandlungen mit diesem Ziel ist nicht nur in den zitierten Verträgen, allen voran der NPT, verankert. In seinem Atomwaffen-Gutachten 199669 stellte der IGH fest, dass diese Verhandlungspflicht auch gewohnheitsrechtlich gilt. Es

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UN General Assembly, Establishment of nuclear-weapon-free zones on the basis of arrangements arrived at among the States of the region concerned (UN Doc. A51/182/ Rev. 1), 71–77; Report of the Disarmament Commission, GAOR 54th Session, Supplement No. 42 (UN Doc. A54/42), 7 ff. 64 Vgl. den dritten Punkt der Präambel und Ziff. 9 der Erklärung von 2005 (Anm. 62). 65 Erklärung von 2005 (Anm. 62). 66 Vgl. H. Müller, Eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten: Ein Konzept der kleinen Schritte, HSFK Report 5/2011. 67 2010 Review Conference of the Parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, Final Document, Volume I, 2010 (UN Doc. NPT/CONF.2010/50). 68 Arms Control Association, WMD-Free Middle East Proposal at a Glance, http:// www.armscontrol.org/factsheets/mewmdfz. Zur diesbezüglichen Debatte im ersten Ausschuss der UN- Generalversammlung am 16.10.2012 vgl. die Presseerklärung www.un. org/News/Press/docs/2012/gadis3459.doc.htm. 69 ICJ, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion of 8 July 1996, ICJ Reports 1996, 226 ff.

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handelt sich nicht nur um ein pactum de negotiando, sondern darüber hinaus um ein pactum de contrahendo.70 Dieses Ziel wurde von der internationalen Politik, insbesondere von der UNGeneralversammlung, aber auch vom UN-Sicherheitsrat aufgenommen. Seit 1996 werden regelmäßig Resolutionen beschlossen, die eine Respektierung der Aussage des Gerichts einfordern.71 Diesen Resolutionen leisten die offiziellen Atommächte immer weniger Widerstand. Aber solange CTBT und Cut-off nicht weiter kommen, ist das ehrgeizige Ziel einer vollständigen nuklearen Abrüstung in weiter Ferne. Nach wie vor gibt es Staaten, nicht nur die offiziellen Atommächte, die eine nukleare militärische Option zur Befriedigung ihrer Sicherheitsbedürfnisse für unverzichtbar halten. Die Initiative für eine atomwaffenfreie Welt, die Präsident Obama im April 2009 erklärt hat,72 hat (deshalb) bis jetzt wenig Konkretes erbracht. Sie stößt in den USA selbst auf erheblichen Widerstand. Dennoch hat Präsident Obama diese Initiative zu Beginn seiner zweiten Amtszeit wieder aufgegriffen und eine einseitige Verminderung des amerikanischen Atomwaffenarsenals verkündet.73 Atomares Wettrüsten in unterschiedlichen Formen will aber offenbar nicht aufhören. Eine Einschränkung der Wahrscheinlichkeit des Gebrauchs der nuklearen Option und nukleare Abrüstung haben immer mal wieder kleine Fortschritte gemacht. Sie haben die Kunst der Designer rechtlicher Steuerungsmechanismen immer wieder herausgefordert. Einschränkungen des Gebrauchs von Atomwaffen zu entwickeln, bleibt Aufgabe der Politik. Das Design der Steuerung solcher Einschränkungen ist aber Aufgabe von Völkerrechtlern und damit auch Verantwortung der Völkerrechtswissenschaft.

70 Interpretation von ICJ, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion of 8 July 1996, ICJ Reports 1996, 262, para. 99. 71 Vgl. etwa UN General Assembly, Resolution 65/76, 13.1.2011 (UN Doc. A/RES/ 65/76); UN Security Council, Resolution 1887, 24.9.2009 (UN Doc. S/RES/1887), Ziff. 5. 72 President Obama Calls for Nuclear-Weapons-Free World, New Strategic Arms Reduction Treaty, Senate Approval of CTBT, and Strengthened Anti-Proliferation Efforts, AJIL 103 (2009), 600 ff. 73 D. E. Sanger, Obama to Renew Drive for Cuts in Nuclear Arms, New York Times 10.2.2013, www.nytimes.com/2013/02/11/us/politics.

Der Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen – Völkervertragliche Grundlagen und praktische Fälle Von Jens Beynio

A. Einleitung Bereits unmittelbar nach Erfindung und Einsatz der ersten Kernwaffen im Jahr 1945 hat sich die Staatengemeinschaft mit den Problemen beschäftigt, die durch das Aufkommen dieser Waffen hervorgerufen werden.1 Seitdem haben die Staaten das Regelungsgeflecht zur Verhinderung eines Einsatzes und der Verbreitung von Kernwaffen stetig weiterentwickelt. Zu einer Verbreitung von Kernwaffen ist es dennoch gekommen: Im Jahr 1945 besaßen allein die USA diese Waffen. Heute, im Jahr 2013, sind es mindestens neun Staaten. Die Bemühungen der Staatengemeinschaft sind aber insofern erfolgreich gewesen, als zahlreiche Staaten, die die technologischen und wirtschaftlichen Kapazitäten hierzu hätten, auf eine Aufrüstung mit Kernwaffen verzichtet haben. Dieser Beitrag soll einen Überblick über die vertraglichen Regelungen zur Begrenzung der Verbreitung von Kernwaffen schaffen. Im Anschluss soll die Handhabung vier prominenter historischer Fälle der Aufrüstung mit Kernwaffen untersucht werden. Der Beitrag endet mit einer Darstellung der Erkenntnisse, die sich durch Betrachtung der praktischen Fälle über die völkervertraglichen Grundlagen gewinnen lassen.

1

Vgl. die zu Recht viel zitierte erste Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen, UN General Assembly, Resolution 1(I), 24.1.1946 (UN Doc. A/RES/1(I)), mit der eine Kommission geschaffen wurde, die sich den durch die Entdeckung der Kernenergie auftretenden Problemen widmen sollte.

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B. Vertragliche Beschränkungen der Aufrüstung mit Kernwaffen I. Nichtverbreitungsvertrag Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Nichtverbreitungsvertrag, NVV) vom 1. Juli 19682 ist das zentrale Vertragswerk zur Vermeidung der Aufrüstung mit Kernwaffen und stellt einen Meilenstein in der Geschichte der Rüstungskontrolle für Kernwaffen dar. Der Nichtverbreitungsvertrag ist, mit Ausnahme der sogenannten de-facto-Kernwaffenstaaten, universell. Derzeit sind 190 Staaten Vertragsparteien des Nichtverbreitungsvertrages. Der Nichtverbreitungsvertrag selbst ist ein kompaktes Dokument und besteht aus lediglich elf Artikeln. Der Vertrag steht jedoch in engem Zusammenhang mit weiteren Verträgen, insbesondere mit dem Statut der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA)3 sowie mit den zwischen der IAEA und den Staaten geschlossenen Safeguards Agreements und den dazugehörigen Protokollen über Sicherheitsprüfungen.4 Die IAEA nimmt im Regelungsrahmen des Nichtverbreitungsvertrags einige zentrale Funktionen wahr, insbesondere die Kontrolle der Vertragserfüllung durch die Mitgliedstaaten sowie die Förderung des Technologietransfers nach Art. 4 NVV. 1. Vertragshistorie Eine Kontrolle der Verbreitung von Kernwaffen war bereits Anfang der 1960er Jahre durch die Staatengemeinschaft als ein drängendes Problem erkannt worden. Als Forum zur Verhandlung des künftigen Nichtverbreitungsvertrags kristallisierten sich die Genfer Foren zur Rüstungskontrolle heraus, insbesondere das Ten Nation Committee on Disarmament im Jahre 1960, gefolgt vom Eighteen Nation 2

Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, 1.6.1968, UNTS Vol. 729, 161 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1974 II 785, 786). 3 Statute of the International Atomic Energy Agency, 23.10.1959, UNTS Vol. 276, 3 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1957 II 1357, 1358). 4 Vgl. beispielsweise Agreement Between the Kingdom of Belgium, the Kingdom of Denmark, the Federal Republic of Germany, Ireland, the Italian Republic, the Grand Duchy of Luxembourg, the Kingdom of the Netherlands, the European Atomic Energy Community and the International Atomic Energy Agency in Implementation of Article III (1) and (4) of the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons and the Protocol thereto, 5.4.1973, IAEA Doc. INFCIRC/193-193/Add.8 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1974 II 794, 795).

Der Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen

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Committee on Disarmament (ENCD) in den Jahren 1962 bis 1968. Insbesondere im ENCD wurden die Eckpfeiler des Nichtverbreitungsvertrags diskutiert. Während sich die überwältigende Mehrheit der Teilnehmer darin einig war, dass die Verbreitung von Kernwaffen gestoppt und kontrolliert werden solle, wurden zahlreiche weitere Konfliktpunkte offenbar, die die Durchführung des Vertrages bis heute prägen. Zu diesen gehören insbesondere die Reichweite und der Umfang der Abrüstungsverpflichtung nach Art. VI NVV. Durch die Supermächte UdSSR und USA wurde der Ansatz vertreten, die Abrüstungsverpflichtung unter dem künftigen Nichtverbreitungsvertrag sei Bestandteil einer allgemeinen Abrüstungsverpflichtung, die sich neben Kernwaffen auch auf konventionelle Waffensysteme erstrecken sollte. Andere Verhandlungsteilnehmer, insbesondere von den Delegationen blockfreier Staaten, sprachen sich hingegen für eine eigenständige Abrüstungsverpflichtung für Kernwaffen unabhängig von anderen Abrüstungsbemühungen aus. Ein weiterer Diskussionspunkt war (und ist nach wie vor) die Reichweite der Verpflichtung zur Abrüstung der Kernwaffenarsenale. Während einige Staaten forderten, eine Abrüstungsverpflichtung nach einem festgelegten Zeitplan in das Vertragswerk aufzunehmen, bestanden insbesondere die Supermächte darauf, die Abrüstungsverpflichtung abhängig zu machen von dem Fortgang und dem Erfolg weiterer Verhandlungen. Der letztgenannte Standpunkt setzte sich letztlich durch. Der Nichtverbreitungsvertrag wurde daher von seinem Charakter her lediglich ein Rüstungskontrollvertrag, kein Abrüstungsvertrag, wie dies einige Teilnehmerstaaten des ENCD gefordert hatten.5 Die Verhandlungen im ENCD endeten im Jahre 1968 mit der Unterzeichnung des Vertrags und der Eröffnung der Ratifikation. Nach Eingang der ausreichenden Zahl an Ratifikationsurkunden trat der Vertrag am 5. März 1970 in Kraft. Der Nichtverbreitungsvertrag hat sich als stabiles Vertragswerk erwiesen – ganz im Gegensatz zu ursprünglich geäußerten Bedenken gegen die Langlebigkeit einer Vereinbarung dieser Art. Mit Ausnahme der Demokratischen Volksrepublik Korea gab es bislang keinen Rücktritt vom Vertrag, wenngleich eine solche Möglichkeit in Art. X NVV ausdrücklich vorgesehen ist. Abgesehen von den de-facto-Atommächten Israel, Indien und Pakistan sowie der Demokratischen Volksrepublik Korea haben sämtliche UNO-Mitgliedstaaten den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet und ratifiziert.

5

Zum Gang der Vertragsverhandlungen insgesamt M. I. Shaker, The Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons: A Study based on the Five Principles of UN General Assembly Resolution 2028 (XX), 1976; ders., The Nuclear Non-Proliferation Treaty: Origin and Implementation 1959–1979, 1980; Details und weitere Nachweise bei J. Beynio, Die völkerrechtliche Zulässigkeit der Aufrüstung mit Kernwaffen, 2010, 73 ff.

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Der Nichtverbreitungsvertrag wurde ursprünglich für eine begrenzte Zeit von 25 Jahren geschlossen (Art. X Abs. 2 NVV). Die Überprüfungskonferenz des Jahres 1995 verlängerte die Vertragslaufzeit einstimmig auf unbegrenzte Zeit.6 Der Status des Vertrags wird durch die Vertragsparteien in fünfjährigem Turnus auf Überprüfungskonferenzen beurteilt. Die letzte Überprüfungskonferenz fand im Jahre 2010 statt und endete insoweit erfolgreich, als dass im Gegensatz zur Überprüfungskonferenz des Jahres 2005 ein Abschlussdokument verabschiedet werde konnte.7 2. Regelungsinhalt Der Nichtverbreitungsvertrag basiert auf drei Grundpfeilern, die durch die einzelnen Regelungen des Vertragswerkes konkretisiert werden. Diese drei Grundpfeiler waren bereits in der grundlegenden Resolution der Generalversammlung 2028 (XX)8 enthalten, wurden Gegenstand der Verhandlungen im ENCD und haben sich auch im Laufe der weiteren Vertragsverhandlungen nicht mehr geändert. Die drei Grundpfeiler sind: Verzicht auf eine Kernwaffenaufrüstung durch die Nichtkernwaffenstaaten bei gleichzeitigem Verbot der Weitergabe von Kernwaffen durch die Kernwaffenstaaten, das Recht aller Vertragsparteien zur friedlichen Nutzung der Kernenergie und die Pflicht aller Parteien, insbesondere aber der Kernwaffenstaaten, zur Einleitung von Abrüstungsmaßnahmen.9 Diese drei Grundpfeiler sind zum einen in der Präambel des Nichtverbreitungsvertrags niedergelegt, zum anderen finden sie sich auch in den einzelnen Artikeln des Vertrages selbst wieder. Art. I und II beinhalten den Aufrüstungsverzicht bzw. das Verbot der Weitergabe von Kernwaffen; Art. III dient der Überwachung und Umsetzung der Pflichten aus Art. I und II; Art. IV und V betreffen die friedliche

6

1995 Review and Extension Conference of the Parties to the Treaty on the NonProliferation of Nuclear Weapons, Final Document, Part I, Organisation and Work of the Conference, 1995 (UN Doc. NPT/CONF.1995/32), Decision 3. 7 2010 Review Conference of the Parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, Final Document, Volume I, 2010 (UN Doc. NPT/CONF.2010/50). 8 UN General Assembly, Resolution 2028 (XX), 19.11.1965 (UN Doc. A/RES/2028 (XX)). 9 Die Eckpfeiler des Vertragswerks spiegeln sich auch in der Aufgabenstellung der „main comittees“ (MC) der Überprüfungskonferenzen wider: MC.I behandelt Fragen der Abrüstung, MC.II Nichtverbreitung und Sicherungsmechanismen und MC.III die sichere Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke.

Der Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen

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Nutzung der Kernenergie.10 Art. VI enthält die Abrüstungsverpflichtung der Vertragsparteien. Art. VII bis XI betreffen das Verhältnis zu anderen Vertragswerken,11 das Verfahren zur Änderung und Fortentwicklung des Vertrages,12 Regelungen zu Ratifikation und Inkrafttreten,13 die Rücktrittsklausel14 sowie eine Regelung zur Vertragssprache.15 Weitere Regelungen, die in Zusammenhang mit dem Nichtverbreitungsvertrag stehen, sind im IAEA-Statut niedergelegt. Sie korrespondieren insbesondere mit den Überprüfungspflichten nach Art. III NVV sowie mit dem Recht zur friedlichen Nutzung der Kernenergie nach Art. IV NVV. 3. Durchbrechungen der Bindungswirkung Auf Basis der quasi-universellen Geltung des Aufrüstungsverbots des Nichtverbreitungsvertrags besteht ein fast weltweit wirksames Rechtsinstrument, um einer Verbreitung von Kernwaffen Einhalt zu gebieten.16 Die Vertragsparteien haben allerdings die Möglichkeit, sich der Bindungen des Nichtverbreitungsvertrags zu entledigen, so dass insoweit der „Urzustand“ der Freiheit in Aufrüstungsfragen wiederaufleben würde. Hier kommen zwei Fallkonstellationen in Betracht: zum einen der Rücktritt vom Vertrag auf Basis der Rücktrittsklausel des Art. X Abs. 1 NVV und zum anderen ein Wegfall der Bindungswirkung wegen vertragswidrigen Verhaltens anderer Vertragsparteien. a) Rücktritt vom Nichtverbreitungsvertrag Es besteht die Möglichkeit für Vertragsparteien, in Anwendung der Rücktrittsklausel des Art. X Abs. 1 NVV von dem Vertrag zurückzutreten. Der bislang 10

Diese schließt die Nutzung von Kernsprengköpfen für friedliche Zwecke ein. Sie hat sich jedoch als eher theoretischer Anwendungsfall erwiesen, vgl. Art. V NVV. 11 Art. VII NVV berechtigt die Vertragsstaaten, weiterhin Verträge zur Einrichtung kernwaffenfreier Zonen abzuschließen. 12 Art. VIII NVV; siehe hier insbesondere Art. VIII Absatz 3 Satz 2, der die Regelung zu den fünfjährlichen Überprüfungskonferenzen enthält. 13 Art. IX NVV. 14 Art. X NVV. 15 Art. XI NVV folgt bei der Festlegung der authentischen Sprachen Art. 111 der UNCharta: chinesischer, englischer, französischer, russischer und spanischer Wortlaut sind gleichermaßen verbindlich. 16 Die Staaten, die eine Ratifizierung des Nichtverbreitungsvertrages ausgeschlagen haben, sind gleichzeitig die derzeitigen de-facto-Atommächte: Indien, Israel, Pakistan und die Demokratische Volksrepublik Korea (nach Rücktritt).

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einzige Anwendungsfall ist der Rücktritt der Demokratischen Volksrepublik Korea. Der Rücktritt ist nach dem Wortlaut von Art. X Abs. 1 NVV an die Voraussetzung geknüpft, dass die austretende Vertragspartei „entscheidet, dass durch außergewöhnliche, mit dem Inhalt dieses Vertrags zusammenhängende Ereignisse eine Gefährdung der höchsten Interessen ihres Landes eingetreten ist“. Die Beurteilung der Voraussetzungen eines Vertragsrücktritts liegt nach dem Wortlaut der Bestimmung bei der austretenden Vertragspartei selbst.17 Anlässlich des Rücktritts der Demokratischen Volksrepublik Korea wurde von einigen Staaten die Ansicht vertreten, der von der Demokratischen Volksrepublik vorgebrachte Kündigungsgrund sei nicht ausreichend für eine Kündigung nach Art. X Abs. 1 NVV, und die Kündigung sei daher nicht wirksam.18 Dieser Interpretation des Vertragstextes steht aber zunächst der Wortlaut entgegen. Die Formulierung, dass der austretende Staat „entscheidet“, ob die Voraussetzungen eines Rücktritts vorliegen, ist nur damit zu erklären, dass die Parteien das Rücktrittsrecht gerade nicht an die Bewertung anderer Staaten knüpfen wollten.19 Die Mehrheit der Staaten hat den Rücktritt der Demokratischen Volksrepublik Korea wohl hingenommen. Das Abschlussdokument der letzten Überprüfungskonferenz des Jahres 2010 enthält eine Bekräftigung des Vertragsgrundsatzes, dass jeder Mitgliedstaat in Ausübung seiner souveränen Rechte zum Rücktritt berechtigt sein soll.20 Damit ist festzuhalten, dass keine hohen rechtlichen Hürden für einen Rücktritt vom Nichtverbreitungsvertrag bestehen. Der Rücktrittsgrund ist eher weit gefasst (Gefährdung höchster Interessen aufgrund von Ereignissen in Zusammenhang mit dem Vertrag) und dürfte die denkbaren Situationen abdecken, in denen ein Staat sich zum Rücktritt aus dem Vertrag und zum Erwerb von Kernwaffen entscheiden könnte.

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C. Tomuschat, Die internationale Gemeinschaft, AVR 33 (1995), 1, 10. Die Depositarstaaten und ständigen Sicherheitsratsmitglieder Russland, USA und Großbritannien zweifelten die Berechtigung der Kündigungserklärung Nordkoreas jedenfalls an, vgl. Security Council, Letter dated 1 April 1993 from the Representatives of the Russian Federation, the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, and the United States of America Addressed to the President of the Security Council, 2.4.1993 (UN Doc. S/25515). 19 Die authentische englische Fassung der Klausel „if it decides“ bringt denselben Gedanken zum Ausdruck. 20 NPT-Conference 2010 (Anm. 7), Rn. 118. 18

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b) Nichtbindung bei vertragswidrigem Verhalten anderer Parteien Eine weitere Möglichkeit zur Lösung von den Bindungen des Nichtverbreitungsvertrags ist ein Wegfall der Bindung an die Vertragspflichten wegen Vertragsbruchs anderer Parteien. Die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK)21 bietet in Art. 60 Abs. 2 WVK drei Varianten einer Lösung der Bindung an mehrseitige Vereinbarungen. Dies ist zum einen die Suspendierung oder Beendigung des Vertrags durch alle außer der verletzenden Partei (lit. a)), die Suspendierung der Vertragspflichten zwischen der verletzenden Partei und einer besonders betroffenen anderen Partei (lit. b)) und die Suspendierung von Vertragspflichten durch eine Partei gegenüber allen anderen Parteien (lit. c)). Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung des Nichtverbreitungsvertrags ist die Variante des Art. 60 Abs. 2 lit. c) WVK relevant, denn zum einen erscheint ein Konsens aller Vertragsparteien zur Beendigung des Nichtverbreitungsvertrags unwahrscheinlich (dies entspräche lit. a)), und zum anderen ist der Nichtverbreitungsvertrag als Rüstungskontrollvertrag nicht in Zwei-Parteien-Verhältnisse aufteilbar, so dass die Tatbestandsvariante lit. b) nicht anwendbar ist. Bei Rüstungskontrollverträgen wie dem Nichtverbreitungsvertrag handelt es sich typischerweise um „integrale“ Verträge im Sinne von Art. 60 Abs. 2 lit. c) WVK, deren wesentliche Verletzung durch eine Vertragspartei alle anderen Vertragsparteien zur Suspendierung ihrer Pflichten berechtigen könnte.22 Eine Vertragsverletzung berechtigt nur dann zu einer Suspendierung nach Art. 60 Abs. 2 lit. c) WVK, wenn es sich um eine „erhebliche“ Verletzung handelt. Die WVK selbst enthält in Art. 60 Abs. 3 eine Definition der erheblichen Verletzung. Eine solche Verletzung liegt vor, wenn eine für die Erreichung des Vertragsziels oder des Vertragszwecks wesentliche Bestimmung verletzt wird (Art. 60 Abs. 3 lit. b) WVK). Damit sind die Vertragspflichten, die der Umsetzung der drei Pfeiler des Nichtverbreitungsvertrags (Nichtverbreitung, Abrüstung, friedliche Nutzung der Kernenergie) dienen, nach dieser Definition „wesentliche“ Vertragspflichten und ihre Verletzung „erheblich“ im Sinne von Art. 60 Abs. 2 lit. c) WVK.23

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Vienna Convention on the Law of Treaties, 23.5.1969, UNTS Vol. 1155, 331 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1985 II 926, 927). 22 Report of the International Law Commission on the Work of its Eighteenth Session, Yearbook of the International Law Commission 1966/II, 172, 255; B. Simma, Reflection on Article 60 of the Vienna Convention on the Law of Treaties and Its Background in General International Law, ÖZöRVR 20 (1970), 5, 75. 23 Shaker, 1980 (Anm. 5), 528.

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aa) Verletzung der Pflicht zur Abrüstung Die hinsichtlich ihres Erfüllungsstatus wohl am heftigsten umstrittene Norm des Nichtverbreitungsvertrags ist die Abrüstungsverpflichtung aus Art. VI NVV. Es bestehen gute Gründe, eine Verletzung dieser Bestimmung anzunehmen. Die Vertragsparteien hatten auf der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz des Jahres 1995 einen festen „Fahrplan“ zur Umsetzung einzelner Abrüstungsmaßnahmen vereinbart.24 Die Überprüfungskonferenz im Jahr 2000 ergänzte diese Konkretisierungen um einen weiteren Katalog von dreizehn praktischen Schritten zur Erfüllung der Abrüstungsverpflichtung.25 Teilweise enthalten die Konkretisierungen von Art. VI NVV genau bezeichnete Maßnahmen, deren Erfüllung mit geringem Aufwand überprüft werden kann. Dies betrifft etwa die Pflicht zum Abschluss und zur Ratifikation des umfassenden Teststoppvertrags.26 Die Vertragsparteien haben in den Überprüfungskonferenzen der Jahre 2000 und 2005 die Erfüllung der praktischen Schritte zur Vertragserfüllung ausgesprochen kritisch bewertet. Insbesondere die Rolle der Kernwaffenstaaten bei der Erfüllung bestimmter Pflichten wurde kritisiert.27 Besonders hervorzuheben sind die Pflichten zur Implementierung des umfassenden Teststoppvertrags28 und zur Bewahrung des ABM29-Vertrags,30 die ebenfalls bisher nicht erfüllt wurden.31 Es 24

NPT-Conference 1995 (Anm. 6), Annex, Decision 2 Nr. 4. „Thirteen practical steps“, 2000 Review Conference of the Parties to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, Final Document, Vol. I, Part I, Review of the operation of the Treaty, taking into account the decisions and the resolution adopted by the 1995 Review and Extension Conference, 2000 (UN Doc. NPT/CONF.2000/28), 14 Rn. 15 ff. 26 NPT-Conference 1995 (Anm. 6), Annex, Decision 2 Nr. 4 lit. (a); NPT Conference 2000 (Anm. 25), Rn. 15 ff. Nr. 1; Teststoppvertrag ist eine deutsche Bezeichnung für das Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, 10.9.1996, noch nicht amtlich veröffentlicht (authentischer Text und deutsche Übersetzung in: BGBl. 1998 II 1210, 1211). 27 Ausführliche Auswertung der Staatenäußerungen bei Beynio (Anm. 5), 89 ff. 28 Gefordert in NPT-Conference 1995 (Anm. 6), Annex, Decision 2 Nr. 4 lit. (a); NPTConference 2000 (Anm. 25), 14 Rn. 15 ff. Nr. 1. Bislang haben die Kernwaffenstaaten USA und China den umfassenden Teststoppvertrag nicht ratifiziert. Eine Auswertung der Reaktionen der anderen Vertragsparteien findet sich bei Beynio (Anm. 5), 89 f. (Überprüfungskonferenz 2000) und 93 f. (Überprüfungskonferenz 2005). 29 Treaty between the USA and the Union of Soviet Socialists Republics on the Limitation of Anti-Ballistic Missile Systems, 26.5.1972, UNTS Vol. 944, 14. 30 NPT-Conference 2000 (Anm. 25), 14 Rn. 15 ff. Nr. 7; zu Reaktionen der anderen Vertragsparteien Beynio (Anm. 5), 96. 31 J. Esberg/S. D. Sagan, Negotiating Nonproliferation – Scholarship, Pedagogy, and Nuclear Weapons Policy, Nonproliferation Review Vol. 19 Nr. 1 (2012), 95, 102 weisen auf die unterschiedlichen Interpretationen dieser Bestimmung durch die USA und Russland 25

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besteht damit aufgrund mangelhafter Erfüllung von Art. VI NVV ein Grund zur Suspendierung des Nichtverbreitungsvertrags. Daran hat sich auch nach Abschluss des jüngsten START-Vertrags (New START)32 nichts geändert. Die Kernwaffenstaaten USA und Russland unterzeichneten am 8. April 2010 den New START-Vertrag, der an die Stelle des ausgelaufenen START I33 trat. Beide Parteien haben den Vertrag mittlerweile ratifiziert,34 der Vertrag ist seit dem 5. Februar 2011 in Kraft. Ähnlich wie das Vorgängerabkommen sieht New START Höchstgrenzen für Kernwaffen und für deren Trägersysteme vor, und zwar pro Partei 1550 Kernwaffen und 800 Trägersysteme.35 Der Abschluss der neuen Vereinbarung wurde auf Seiten der Nichtkernwaffenstaaten gelobt.36 Dennoch stehen die Kernwaffenstaaten nach wie vor in der Kritik, ihren Pflichten nach Art. VI NVV nicht ausreichend nachgekommen zu sein – auch New START ist weit von dem Ziel einer umfassenden Reduzierung der nuklearen Waffenarsenale entfernt.37 Kritisiert wurden auf der letzten Überprüfungskonferenz des Jahres 2010 insbesondere die hohe Anzahl der immer noch aktiven Kernwaffenstreitkräfte,38 die Verzögerungen im Inkrafttreten des umfassenden Teststoppvertrags39 und die Rolle von Kernwaffen in den nationalen Verteidigungsdoktrinen.40 hin: „The United States claimed that ‚strengthening‘ the ABM Treaty permitted amending it to allow limited missile defense employments. The Russians claimed that ‚preserving‘ the treaty meant that no such amendments could be made“. Unabhängig von der Beurteilung durch die Vertragsparteien sollte die Kündigung des Vertrags in jedem Fall dem Wortlaut der Festlegung des praktischen Schritts Nr. 7 widersprechen. 32 Treaty between the United States of America and the Russian Federation on Measures for the Further Reduction of Strategic Offensive Arms (New Strategic Arms Reduction Treaty), 8.4.2010, ILM Vol. 50, 340. 33 Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms (Strategic Arms Reduction Treaty), 31.7.1991, ILM Vol. 31, 246; START II, Treaty between the United States of America and the Union of Soviet Socialists Republics on the Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms, 3.1.1993, SIPRI Yearbook 1993, 576, trat nie in Kraft. 34 Die USA am 22.12.2010, Russland am 26.1.2011. 35 Die nach START I vereinbarten Grenzen betrugen demgegenüber 2200 Kernwaffen und 1600 Trägersysteme. 36 NPT-Conference 2010 (Anm. 7), 14 Rn. 89. 37 B. Blair/V. Esin/M. McKinzie/V. Yarinych/V. Zolotarev, Smaller and Safer – A New Plan For Nuclear Postures, Foreign Affairs Vol. 89 Nr. 5 (2010), 9, 9: „The New START agreement did not reduce the amount of ‚overkill‘ in either country’s arsenal“. 38 NPT-Conference 2010 (Anm. 7), 12 Rn. 80. 39 NPT-Conference 2010 (Anm. 7), 13 Rn. 83–85. 40 NPT-Conference 2010 (Anm. 7), 13 Rn. 86.

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Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die USA und Russland zwar die größten Kernwaffenbestände besitzen. Die Abrüstungspflicht nach Art. VI NVV trifft aber genauso die übrigen drei Kernwaffenstaaten China, Frankreich und Großbritannien. Es ist nicht bekannt, dass diese Staaten in irgendeinem Verhandlungsprozess stünden mit dem Ziel, die Zahl ihrer Kernwaffen zu reduzieren und diese Waffen irgendwann vollständig abzuschaffen. Auch dieser Zustand gibt Anlass, eine Vertragsverletzung anzunehmen. bb) Verletzung des Verbots der Kernwaffenaufrüstung Neben den Versäumnissen der Kernwaffenstaaten in Hinblick auf die Abrüstung der bestehenden Kernwaffenarsenale erscheint es auch denkbar, dass Vertragsparteien ihre Suspendierung der Vertragspflichten auf eine vertragswidrige Aufrüstung seitens anderer Parteien stützen könnten. Der prominenteste derzeit diskutierte Fall eines Verstoßes gegen das Verbot einer Aufrüstung mit Kernwaffen betrifft Iran. Iran selbst bestreitet, an der Entwicklung von Kernwaffen zu arbeiten.41 Eine faktische Bewertung ist derzeit nicht möglich. Es ist aber festzuhalten, dass eine Entwicklung von Kernwaffen durch Iran, so sie denn stattfinden sollte, als Verstoß gegen eine wesentliche Vertragspflicht andere Parteien gemäß Art. 60 Abs. 2 lit. c) WVK zur Lösung von ihren Vertragspflichten berechtigen würde. In der Vergangenheit umstritten war auch die NATO-Politik der nuklearen Teilhabe, die nach Ansicht einiger Staaten einen Kernwaffenbesitz durch teilhabende NATO-Staaten bedeutete. Die Diskussion um die nukleare Teilhabe ist aufgrund der gesunkenen Bedeutung nach Ende des Kalten Kriegs ruhiger geworden. Dennoch ließe sich auch auf Basis der nuklearen Teilhabe ein Suspendierungsrecht anderer Vertragsparteien nach Art. 60 Abs. 2 lit. c) WVK begründen, und zwar gleichzeitig ein Verstoß gegen das Aufrüstungsverbot durch den annehmenden Nichtkernwaffenstaat und ein Verstoß gegen das Weitergabeverbot durch den Kernwaffenstaat. cc) Ergebnis zum Wegfall der Bindungswirkung wegen Vertragsbruchs anderer Parteien Es besteht trotz der fortschreitenden Abrüstungsbemühungen einiger Großmächte die Besorgnis, dass sich Vertragsparteien aufgrund von Vertragsverlet41

Siehe etwa die Wortmeldungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad in der UN Generalversammlung, 23.9.2010 (UN Doc. A/65/PV.12), 9.

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zungen einzelner anderer Vertragsparteien auf Basis von Art. 60 Abs. 2 lit. c) WVK von ihren Pflichten befreien könnten. 4. Ergebnis zum Nichtverbreitungsvertrag Der Nichtverbreitungsvertrag ist der Grundpfeiler der internationalen Übereinkünfte zur Verhinderung einer Verbreitung von Kernwaffen. Eine Verbreitung soll nach dem quasi-universellen Vertragswerk auf die bei Vertragsschluss anerkannten Kernwaffenstaaten begrenzt bleiben, wobei diese selbst zur Abrüstung verpflichtet sind. Die Bindungswirkung des Nichtverbreitungsvertrags ist aber zum einen durch die Rücktrittsklausel des Art. X Abs. 1 NVV und zum anderen durch die Möglichkeit einer Suspendierung der Vertragspflichten wegen Vertragsbruchs anderer Parteien eingeschränkt. II. Verträge über die Einrichtung kernwaffenfreier Zonen Neben dem Nichtverbreitungsvertrag existiert seit den 1960er Jahren eine zunehmende Zahl von regionalen Verträgen zur Errichtung kernwaffenfreier Zonen.42 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen Verträge über kernwaffenfreie Zonen für Südamerika und die Karibik (Vertrag von Tlatelolco),43 den Südpazifik (Vertrag von Rarotonga),44 Südostasien (Vertrag von Bangkok),45 Afrika (Vertrag von Pelindaba)46 und Zentralasien (Vertrag von Semipalatinsk/Semei).47 Insgesamt erfassen diese Verträge 115 Staaten, in denen etwa 40 % der Weltbevölkerung leben. Die Bestimmungen der Verträge über die Errichtung kernwaffenfreier Zonen ähneln zentralen Bestimmungen des Nichtverbreitungsvertrags. Dies gilt zum einen für die Verbotsklausel, die den Mitgliedstaaten eine Aufrüstung mit Kernwaffen verbietet, zum anderen aber auch für die Rücktrittsklauseln, die bei den

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Die Möglichkeit zur Errichtung kernwaffenfreier Zonen sieht der NVV in Art. VII ausdrücklich vor. 43 Treaty for the Prohibition of Nuclear Weapons in Latin America, 14.2.1967, UNTS Vol. 634, 326. 44 South Pacific Nuclear Free Zone Treaty, 6.8.1985, ILM Vol. 24, 1442. 45 Southeast Asian Nuclear-Weapon-Free Zone Treaty, 15.12.1995, UNTS Vol. 1981, 129. 46 African Nuclear-Weapon-Free Zone Treaty, 11.4.1996, ILM Vol. 35, 698. 47 Treaty on a Nuclear-Weapon-Free Zone in Central Asia, 8.9.2006, http://cns.miis. edu/stories/pdf_support/060905_canwfz.pdf.

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Verträgen von Tlaltelolco,48 Pelindaba49 und Semipalatinsk/Semei50 im Wesentlichen der Regelung in Art. X Abs. 1 NVV entsprechen.51 Die Verträge von Bangkok52 und Raratonga53 lassen einen Vertragsrücktritt nur unter der Voraussetzung zu, dass eine andere Partei eine wesentliche Vertragspflicht verletzt hat. Diese Regelungen sind in ihren Voraussetzungen der Vertragssuspendierung nach Art. 60 Abs. 2 lit. c) WVK ähnlich. Die Bestimmungen der WVK über die Suspendierung von Vertragspflichten sind auch auf Verträge über die Errichtung kernwaffenfreier Zonen anwendbar. Die Verträge über die Errichtung kernwaffenfreier Zonen eröffnen eine lokale Ebene zur Regelung der nuklearen Nichtverbreitung. Zahlreiche Weltregionen haben sich bereits entschieden, auf diesem Wege ein eigenständiges Regime zur nuklearen Rüstungskontrolle zu schaffen. Naturgemäß fehlen in der Gruppe der Vertragsstaaten die Weltregionen der Atommächte (insbesondere Europa mit drei Kernwaffenstaaten) und der de-facto-Atommächte (hier insbesondere Südasien) sowie der Mittlere Osten. III. Weitere Vertragswerke Es existieren weitere Vertragswerke, die die weitere Verbreitung von Kernwaffen regulieren. Zu nennen sind hier insbesondere Exportkontrollregime54 und die Proliferation Security Initiative.55 Diese Verträge weisen einen wichtigen Unterschied zu den oben genannten Vertragswerken auf: Sie regeln nicht das Recht zur Aufrüstung an und für sich, sondern haben einen engeren Anwendungsbereich. Für die hier untersuchte Fragestellung sind sie daher nicht von Relevanz und sollen in diesem Beitrag nicht weiter behandelt werden.

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Art. 30 Abs. 1 Vertrag von Tlatelolco. Art. 20 Abs. 2 Vertrag von Pelindaba. 50 Art. 16 lit. a Vertrag von Semipalatinsk. 51 Zu den Abweichungen Beynio (Anm. 5), 126 f. 52 Art. 22 Abs. 3 Vertrag von Bangkok. 53 Art. 13 Abs. 2 Vertrag von Rarotonga. 54 Zu erwähnen sind hier insbesondere die Australian Group, das Missile Technology Control Regime, die Nuclear Suppliers Group und das Wassenaar Arrangement on Export Controls for Conventional Arms and Dual-Use Goods and Technologies. Zum Anwendungsbereich und Status der unterschiedlichen Verträge S. Bauer/A. Dunn/I. Micic, Strategic Trade Controls – Countering the Proliferation of Weapons of Mass Destruction, SIPRI Yearbook 2011 – Armaments, Disarmament and International Security, 2011, 431, 432 ff. 55 Bauer/Dunn/Micic (Anm. 54), 431, 434 ff. 49

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IV. UN-Charta Die UN-Charta56 enthält keine ausdrücklichen Regelungen zur Aufrüstung mit Kernwaffen. Es ist aber möglich, einige historische Formen von Aufrüstungen mit Kernwaffen dem Verbot der Androhung von Gewalt zuzuordnen (hierzu unten 1.). Daneben ist die Tätigkeit des Sicherheitsrates zu betrachten, die gerade auch den Bereich der Kernwaffenaufrüstung betrifft (hierzu unten 2.). 1. Verbot der Androhung von Gewalt Art. 2 Nr. 4 UN-Charta verbietet die „Androhung von Gewalt“. Die Norm ist als Verbotstatbestand eher vage. Zu dem Tatbestand „Androhung von Gewalt“ des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta sind bislang keine Urteile des IGH ergangen. Auch die International Law Commission hat noch nicht zur Klärung der Tatbestandsvoraussetzungen beigetragen. a) Auslegung des Begriffs der „Androhung“ Eine Auslegung des Begriffs der „Androhung“ als Rechtsbegriff führt zu erheblichen Schwierigkeiten. Einige Autoren haben versucht, den Begriff normativ einzugrenzen und ihn beispielsweise auf die Abnötigung bestimmter Handlungsweisen zu begrenzen.57 Dies führt im Ergebnis dazu, dass die Wertung, ob es sich um eine rechtmäßige oder um eine rechtswidrige Drohung handelt, auf die Ebene des Tatbestands verlagert wird. Bei einer wörtlichen Auslegung ist der Tatbestand einer „Androhung“ einfach: Er besteht aus einer Drohungshandlung und einer Drohungsabsicht. Drohungen sind damit im internationalen Rechtsverkehr weder unüblich noch für sich genommen verwerflich. b) Rechtswidrigkeit einer Androhung von Gewalt Die Frage, ob eine Androhung von Gewalt nach Art. 2 Abs. 4 UN-Charta verboten ist oder nicht, ist daher am Element der Gewalt zu untersuchen. Auch 56 Charter of the United Nations, 26.6.1945, UNCIO 15, 335 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1973 II 430, 431). 57 B. Asrat, Prohibition of Force under the UN Charter – A Study of Art. 2 (4), 1991, 140; I. Brownlie, International Law and the Use of Force by States, 1963, 164; E. Jimenez de Arechaga, International Law in the Past Third of a Century, Recueil de Cours 159 (1978/I), 1, 88; A. Randelzhofer/O. Dörr, in: B. Simma (Hrsg.), The Charter of the United Nations – A Commentary, 2. Aufl. 2002, Art. 2 (4) Rn. 43.

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hierbei stößt man auf die Erkenntnis, dass Staaten einander ständig mit Gewalt drohen: Jedes Verteidigungsbündnis, ja bereits das Aufstellen von nationalen Streitkräften beinhaltet zumindest die Ankündigung an andere Staaten, im Falle eines Angriffs auf das eigene Staatsgebiet mit Gewalt zu antworten. Solche Handlungen werden ganz allgemein als rechtmäßig angesehen. Die bloße Feststellung, dass eine Androhung „Gewalt“ zum Inhalt hat, kann daher nicht ausreichend sein, um den Verbotstatbestand des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta auszulösen. Der Internationale Gerichtshof hat in seinem Gutachten zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes und der Androhung des Einsatzes von Kernwaffen allerdings klargestellt, dass eine Androhung ebenso wie ein Einsatz von Kernwaffen den rechtlichen Anforderungen insbesondere des humanitären Völkerrechts zu entsprechen hat.58 Diese Anforderung trifft den Kern des Verbots des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta: Nicht die Androhung von Gewalt an und für sich widerspricht der Völkerrechtsordnung, sondern nur die Androhung von unrechtmäßiger Gewalt. c) Einzelfallbetrachtung Die Frage, ob eine Aufrüstung mit Kernwaffen wegen Verstoßes gegen das Verbot der Androhung von Gewalt rechtswidrig ist, muss auf Ebene des konkreten Einzelfalls untersucht werden. Denn die Annahme eines Verbots der Aufrüstung mit Kernwaffen wegen Verstoßes gegen das Androhungsverbot auf genereller Ebene würde voraussetzen, dass (i) jede Aufrüstung mit Kernwaffen eine Androhung beinhaltet und (ii) dass Androhung eines Einsatzes von Kernwaffen rechtswidrig ist. Es lassen sich Fallgruppen definieren, in denen beide Voraussetzungen wohl nicht gegeben wären. So beinhaltet beispielsweise das Verhalten Israels bezüglich des eigenen Kernwaffenarsenals wohl keine Drohungskomponente, da der Besitz der Kernwaffen nicht kommuniziert wird. Es lassen sich auch Fälle bilden, in denen ein Einsatz von Kernwaffen (und damit die Androhung eines solchen Einsatzes) rechtmäßig sein könnte, wie etwa der Einsatz von Kernsprengköpfen mit geringer Sprengkraft gegen Kriegsschiffe auf Hoher See. Es ist also erforderlich, die Rechtmäßigkeit einer Drohung mit dem Einsatz von Kernwaffen im Einzelfall zu untersuchen. In der Vergangenheit wurden durch Kernwaffenbesitzerstaaten unterschiedliche Drohszenarien in Bezug auf ihre

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ICJ, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion of 8 July 1996, ICJ Reports 1996, 226, 266 Nr. 2 D.

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Kernwaffenrüstung entwickelt.59 Anhand dieser Beispiele können Fallgruppen entwickelt werden, die eine wohl unzulässige Androhung von Gewalt darstellen dürften. aa) Androhung des Angriffs ziviler Ziele Die Abschreckungsdoktrinen des Kalten Kriegs sahen teilweise Angriffe auf Städte und Industrieanlagen vor.60 Städte dürfen als zivile Objekte nicht angegriffen werden (Art. 49 und Art. 52 Abs. 1 S. 1 des Ersten Genfer Zusatzprotokolls).61 Eine Drohung mit Angriffen auf Städte (und Industrie- und Infrastrukturanlagen, die ebenfalls in der Regel gemäß Art. 52 Abs. 2 des Ersten Genfer Zusatzprotokolls keine militärischen Ziele sind) würde demnach eine nach Art. 2 Nr. 4 UNCharta rechtswidrige Androhung von Gewalt darstellen. bb) Unverhältnismäßige Schäden an zivilen Zielen Der Einsatz von Kernwaffen gegen militärische Ziele in der Nähe von zivilen Zielen dürfte in vielen Fällen gegen das Verbot unverhältnismäßiger Angriffe verstoßen, das in Art. 51 Abs. 5 lit. b) des Ersten Genfer Zusatzprotokolls niedergelegt ist. Auch für diesen Anwendungsfall bestehen zahlreiche Beispiele aus der Zeit des Kalten Kriegs. Die Möglichkeit, unverhältnismäßige Schäden an zivilen Zielen zu vermeiden, schwindet mit der Explosivkraft der eingesetzten Waffen. Es ist allein aufgrund des immensen Zerstörungsradius großer Fusionsbomben als wahrscheinlich anzusehen, dass bei jedem Einsatz in erheblichem Maße zivile Ziele zerstört würden. Die Möglichkeit zum Einsatz solcher Waffen unter Beachtung der rechtlichen Anforderungen ist gegenüber kleineren Sprengkörpern eingeschränkt.

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Diese historischen Beispiele sind im Fall der Gegenspieler des Kalten Kriegs, den USA und Russland, tatsächlich weitgehend historisch. Die aktuelle Sicherheitsstrategie der USA beispielsweise enthält keine Androhungen umfassender nuklearer Angriffspläne, vgl. V. Pfisterer, Die nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten von Mai 2010 – ein Bericht, ZaöRV 70 (2010), 735, 735 ff. 60 So etwa der erste integrierte Angriffsplan der USA (SIOP-62); vgl. S. D. Sagan, SIOP-62: The Nuclear War Plan Briefing to President Kennedy, International Security, Vol. 12 Nr. 1 (1987), 12 ff. 61 Protocol Additional to the Geneva Conventions of 12 August 1949, and Relating to the Victims of International Armed Conflicts (Protocol I), 8.6.1977, UNTS Vol. 1125, 3 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1990 II 1550, 1551).

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cc) Einsatz ohne Abwägung der Verhältnismäßigkeit Einige Einsatzdoktrinen sehen vor, im Falle einer Zerstörung der eigenen Kommunikationsmittel einen Gegenschlag automatisch auszuführen.62 Im Falle der Ausführung eines solchen automatisierten Gegenschlags ist es nicht möglich, Verhältnismäßigkeitserwägungen anzustellen. Die Ankündigung, ohne die von Art. 51 Abs. 5 lit. b) des Ersten Genfer Zusatzprotokolls geforderte Verhältnismäßigkeitserwägung einen Angriff auszuführen, stellt damit eine Androhung einer im Zweifel unverhältnismäßigen und damit rechtswidrigen Angriffshandlung dar. d) Ergebnis Es lässt sich zusammenfassen, dass zahlreiche mögliche Szenarien bestehen, in denen eine bestimmte Androhung des Einsatzes von Kernwaffen rechtswidrig wäre. Das Verbot des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta erfasst aber wohl nicht alle denkmöglichen Varianten eines Angriffs mit Kernwaffen und stellt damit keinen universellen Verbotstatbestand dar. 2. Tätigwerden des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Neben den Bestimmungen der UN-Charta selbst haben auch die Organe der Vereinten Nationen Maßnahmen gegen die Verbreitung von Kernwaffen ergriffen. Dies trifft insbesondere auf den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu. Der Sicherheitsrat hat sich mit mehreren Fällen einer Verbreitung von Kernwaffen beschäftigt.63 Einzelfälle werden im Rahmen der Fallbeispiele (unten C.) erörtert. Neben der Befassung mit Einzelfällen hat der Sicherheitsrat aber auch das abstrakte Phänomen der Verbreitung von Kernwaffen an und für sich behandelt. Der Sicherheitsrat findet hier deutliche Worte: „Proliferation of nuclear, chemical

62 Siehe hierzu insbesondere die Beschreibung des Gegenschlags durch die „tote Hand“, etwa in D. Keeney, 15 Minutes – General Curtis LeMay and the Countdown to Nuclear Annihilation, 2012, Epilog. 63 UN Security Council, Resolution 1540, 28.4.2004 (UN Doc. S/RES/1540); Resolution 1673, 27.4.2006 (UN Doc. S/RES/1673); Resolution 1810, 25.4.2008 (UN Doc. S/RES/1810); Resolution 1977, 20.4.2011 (UN Doc. S/RES/1977); Resolution 2055, 29.6.2012 (UN Doc. S/RES/2055).

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and biological weapons, as well as their means of delivery, constitutes a threat to international peace and security“.64 Es ließe sich auf dieser Basis argumentieren, der Sicherheitsrat habe im Wege der sekundären Gesetzgebung65 eine Norm geschaffen, die eine Verbreitung von Kernwaffen allgemein verbietet. Rechtlicher Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Zuständigkeit des Sicherheitsrates für die Auslegung des Tatbestandes von Art. 39 UN-Charta und ein daraus abgeleitetes Verbot an die Mitgliedstaaten, den als friedensbedrohend eingestuften Tatbestand zu verwirklichen.66 Gegen die Annahme eines solchen allgemeinen Verbotstatbestands sprechen allerdings zwei gewichtige Argumente. Zum einen ist zweifelhaft, ob der Sicherheitsrat mit seinen oben zitierten Resolutionen tatsächlich die Aufrüstung mit Kernwaffen durch Staaten (und nicht durch nichtstaatliche Akteure) meinte. Zum anderen steht eine Regelung, die allen Nicht-Kernwaffenstaaten den Erwerb solcher Waffen untersagt, in Widerspruch zum Gleichheitsprinzip der Charta. Zum ersten Argument ist anzumerken, dass zahlreiche Staaten – mit und ohne Sitz im Sicherheitsrat zum Zeitpunkt der Abstimmung – in den Beratungen zu Resolution 1540 (2004) ausdrücklich darauf hingewiesen haben, dass die Resolution nur den Erwerb von Massenvernichtungswaffen durch nichtstaatliche Akteure betreffe und die ohne Zweifel weite Formulierung des ersten Erwägungsgrundes nur für eben diesen Anwendungsbereich gelte.67 Eine Erweiterung oder Beschränkung vertraglicher Bestimmungen über die Verbreitung von Kernwaffen, insbesondere unter dem Nichtverbreitungsvertrag, erfolgte durch Res. 1540 (2004) und die Folgeresolutionen nicht.68 Als zweites Argument kann das Gleichheitsprinzip der Charta der Vereinten Nationen gegen ein Verbot des Erwerbs von Kernwaffen angeführt werden. Ein 64

UN Security Council, Resolution 1540, 28.4.2004 (UN Doc. S/RES/1540); Resolution 1695, 15.7.2006 (UN Doc. S/RES/1695); Resolution 1696, 31.7.2006 (UN Doc. S/RES/1696); Resolution 1718, 14.10.2006 (UN Doc. S/RES/1718); Resolution 1810, 25.4.2008 (UN Doc. S/RES/1810); Resolution 1887, 24.9.2009 (UN Doc. S/RES/1887). 65 Zum Begriff der Sekundärgesetzgebung und den ersten Anwendungsfällen vgl. J. D. Aston, Sekundärgesetzgebung Internationaler Organisationen zwischen mitgliedschaftlicher Souveränität und Gemeinschaftsdisziplin, 2005. 66 Zum Verbot der Bedrohung des Friedens A. Schäfer, Der Begriff der „Bedrohung des Friedens“ in Art. 39 der Charta der Vereinten Nationen – Die Praxis des Sicherheitsrats, 2004. 67 So Algerien, UN Security Council, Report, 22.4.2004 (UN Doc. S/PV.4950), 5; Südafrika, ibid., 22; NAM-Staaten, ibid. (Resumption 1), 3 f. 68 Frankreich, UN Security Council, Report, 22.4.2004 (UN Doc. S/PV.4950), 8; Indien, ibid., 24; Australien, ibid. (Resumption 1), 7.

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solches Verbot würde nämlich dazu führen, dass der Besitz von Kernwaffen durch die derzeitigen Besitzer legalisiert würde, während ein rechtmäßiges Hinzutreten neuer Kernwaffenstaaten rechtlich ausgeschlossen würde. Unabhängig von dem politischen Aspekt, dass die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder gleichzeitig die fünf unter dem Nichtverbreitungsvertrag anerkannten Kernwaffenstaaten sind und damit ein Eigeninteresse an einer solchen Beschlussfassung unterstellt werden könnte, setzt die UN-Charta dem Handeln des Sicherheitsrates jedenfalls über die Bindung an die Grundsätze der Organisation gemäß Art. 24 Abs. 2 Satz 1 UN-Charta Grenzen.69 Ein fundamentales Organisationsprinzip der Vereinten Nationen ist die Gleichheit der Staaten aus Art. 2 Nr. 1 UN-Charta. Eine Beschlussfassung des Sicherheitsrates, die dazu führen würde, dass bestimmte Waffenarten, zumal die effektivsten bisher bekannten Waffen, nur bestimmten Staaten vorbehalten wären, stünde in Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz und wäre daher rechtswidrig. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist in einer Vielzahl von Fällen gegen eine Aufrüstung mit Kernwaffen eingeschritten. Ein abstrakt-generelles Verbot einer Aufrüstung mit Kernwaffen steht indes nicht in der rechtlichen Regelungsmacht des Sicherheitsrates. 3. Tätigwerden der Generalversammlung der Vereinten Nationen Neben dem Sicherheitsrat ist auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen immer wieder mit dem Thema der Verbreitung von Kernwaffen befasst gewesen und hat hierzu zahlreiche Resolutionen erlassen.70 Den Resolutionen der

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Tomuschat (Anm. 17), 12 f.; S. Wasum-Rainer/C. Eick, The UN Security Council and International Law in 2011, GYIL 54 (2011), 609, 609. 70 Eine Aufzählung der zahlreichen Resolutionen der Generalversammlung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Allein in der 66. Session der Generalversammlung im Jahr 2011 wurden 15 Resolutionen zu den Themen der Abrüstung von Kernwaffen, der Errichtung und dem Bestand kernwaffenfreier Zonen, eines Verbots des Einsatzes dieser Waffen und anderen Fragen der Nuklearrüstung verabschiedet: UN General Assembly, Resolution 66/23, 13.12.2011 (UN Doc. A/RES/66/23); Resolution 66/25, 13.12.2011 (UN Doc. A/RES/66/25); Resolution 66/26, 12.1.2012 (UN Doc. A/RES/66/26); Resolution 66/28, 12.1.2012 (UN Doc. A/RES/66/28); Resolution 66/33, 12.1.2012 (UN Doc. A/RES/ 66/33); Resolution 66/40, 12.1.2012 (UN Doc. A/RES/66/40); Resolution 66/43, 12.1.2012 (UN Doc. A/RES/66/43); Resolution 66/44, 12.1.2012 (UN Doc. A/RES/66/44); Resolution 66/45, 12.1.2012 (UN Doc. A/RES/66/45); Resolution 66/48, 12.1.2012, (UN Doc. A/ RES/66/48); Resolution 66/51, 12.1.2012 (UN Doc. A/RES/66/51); Resolution 66/57, 13.12.2011 (UN Doc. A/RES/66/57); Resolution 66/61, 13.12.2011 (UN Doc. A/RES/ 66/61) und Resolution 66/64, 13.12.2011 (UN Doc. A/RES/66/64).

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Generalversammlung kommt keine rechtliche Bindungswirkung zu. Auf eine weitere Untersuchung soll an dieser Stelle daher verzichtet werden.

C. Praktische Fälle I. Demokratische Volksrepublik Korea 1. Kernwaffen in der Demokratischen Volksrepublik Korea Die rechtliche Auseinandersetzung mit den Aufrüstungsbestrebungen der Demokratischen Volksrepublik Korea begann im Jahre 1993 mit der Ankündigung, zum Jahresende 1993 vom Nichtverbreitungsvertrag zurückzutreten. Diese Ankündigung wurde nach intensiven Verhandlungen wieder zurückgenommen. Auch in der Folge führte die Zusammenarbeit mit der IAEA jedoch immer wieder zu Konflikten zwischen der Demokratischen Volksrepublik und den Gremien der IAEA.71 Am 10. Januar 2003 erklärte die Demokratische Volksrepublik Korea, den bereits 1993 angekündigten Rücktritt vom Nichtverbreitungsvertrag vollziehen zu wollen. Im Jahr 2006 testete die Demokratische Volksrepublik zunächst Trägerraketen sowie eine erste Kernwaffe. In westlichen Kreisen wurde teilweise berichtet, der Kernwaffenversuch sei nicht erfolgreich gewesen, da die Explosionswirkung hinter der erwarteten Explosivkraft eines erfolgreichen Kernwaffenversuchs zurückgeblieben sei.72 Die Staatengemeinschaft reagierte auf diese Raketen- und Kernwaffentests mit den Sicherheitsratsresolutionen 1695 und 1718.73 Daneben gab der Präsident des Sicherheitsrates am 6. Oktober 2006 eine Erklärung zu dem Thema ab.74 Am 25. Mai 2009 führte die Demokratische Volksrepublik Korea einen zweiten Kernwaffentest durch. Im Gegensatz zu dem Kernwaffenversuch des Jahres 2006 ging die internationale Öffentlichkeit bei diesem Test davon aus, dass er plan71 Vgl. die IAEA General Conference Resolution, September 2002 (IAEA Doc. GC (46)/RES/14), die im Jahr 2002 bestehende Konflikte zwischen IAEO und der Demokratischen Volksrepublik Korea zusammenfasst. 72 H. Dambeck, Experten halten Kims Bömbchen für Fehlschlag, Spiegel Online v. 11.10.2006, http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/nordkoreas-atomtest-expertenhalten-kims-boembchen-fuer-fehlschlag-a-442089.html. 73 UN Security Council, Resolution 1695, 15.7.2006 (UN Doc. S/RES/1695); Resolution 1718, 14.10.2006 (UN Doc. S/RES/1718). 74 UN Security Council, Statement by the President, 6.10.2006 (UN Doc. S/PRST/ 2006/41).

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mäßig verlief.75 Der erneute Kernwaffentest war Gegenstand der Sicherheitsratsresolution 187476 sowie einer Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 13. April 2009.77 Der Start einer Trägerrakete durch die Demokratische Volksrepublik Korea am 13. April 2012 wurde durch den Sicherheitsrat in einer Stellungnahme des Präsidenten als Verstoß gegen die Resolutionen 1718 und 1874 verurteilt.78 Ein erneuter Test einer Trägerrakete am 12. Dezember 2012 war Anlass für die Resolution 2087, in der der erneute Test verurteilt und die Anwendung des bestehenden Sanktionsregimes bekräftigt und weiter detailliert wurde.79 Die Demokratische Volksrepublik Korea führte am 12. Februar 2013 einen weiteren Kernwaffentest durch. Der Sicherheitsrat reagierte am 7. März 2013 mit der Resolution 2094.80 Auf Basis von Sicherheitsratsresolution 1874 setzte der Sicherheitsrat eine Expertenkommission ein, die sich mit dem Aufrüstungsprogramm der Demokratischen Volksrepublik Korea beschäftigt. Das Mandat der Expertenkommission wird seitdem jährlich verlängert.81 2. Schlussfolgerungen Die Aufrüstung der Demokratischen Volksrepublik Korea berührt zwei Problembereiche in der Auseinandersetzung mit der Verbreitung von Kernwaffen, nämlich zum einen das Recht zum Rücktritt vom Vertrag nach Art. X NVV und zum anderen eine Beschränkung des Rechts zur Aufrüstung wegen einer Bedrohung des Friedens.

75 H. Dambeck, Kims Waffenbauer steigern die Sprengkraft, Spiegel Online v. 25.05.2009, http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/forscheranalyse-des-atomtestskims-waffenbauer-steigern-die-sprengkraft-a-626649.html. 76 UN Security Council, Resolution 1874, 12.6.2009 (UN Doc. S/RES/1874). 77 UN Security Council, Statement by the President, 13.4.2009 (UN Doc. S/PRST/ 2009/7). 78 UN Security Council, Statement by the President of the Security Council, 16.4.2012 (UN Doc. S/PRST/2012/13). 79 UN Security Council, Resolution 2087, 22.1.2012 (UN Doc. S/RES/2087). 80 UN Security Council, Resolution 2094, 7.3.2013 (UN Doc. S/RES/2094). 81 UN Security Council, Resolution 1985, 10.6.2011 (UN Doc. S/RES/1985); Resolution 2050, 12.6.2012 (UN Doc. S/RES/2050).

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a) Rücktritt vom Nichtverbreitungsvertrag Es wird teilweise in Zweifel gezogen, ob die Demokratische Volksrepublik Korea berechtigt war, in Anwendung von Art. X Abs. 1 NVV vom Vertrag zurückzutreten, ob also ein „Kündigungsgrund“ bestand.82 Dem ist entgegen zu halten, dass die Formulierung von Art. X NVV die Beurteilung über das Bestehen eines Kündigungsgrundes dem austretenden Vertragsstaat selbst überlässt. Vor diesem Hintergrund hat die Demokratische Volksrepublik es selbst in der Hand, zu entscheiden, ob ein Kündigungsgrund in Gestalt überwiegender staatlicher Interessen besteht oder nicht.83 Die Beschlussfassung der Überprüfungskonferenz 2010 scheint diese Auslegung zu bestätigen. Die Konferenz hielt zu Art. X NVV fest: The Conference reaffirms that each Party shall in excercising its national sovereignty have the right to withdraw from the Treaty if it decides that extraordinary events related to the subject matter of the Treaty have jeopardized its supreme interests.84

Daneben scheint auch die Beschlussfassung durch den Sicherheitsrat davon auszugehen, dass der Rücktritt vom Nichtverbreitungsvertrag für sich genommen nicht sanktionswürdig ist. Der Sicherheitsrat hätte die Möglichkeit gehabt, durch ein Vorgehen gegen die Rücktrittserklärung der Demokratischen Volksrepublik Korea dieser Handlung friedensbedrohenden Charakter zuzumessen. Eine solche Erklärung hat der Sicherheitsrat nicht abgegeben. Der Sicherheitsrat hat sich nicht dazu entschlossen, zu Lasten der Staatensouveränität die vertraglich vorgesehene Möglichkeit zum Rücktritt vom Nichtverbreitungsvertrag als Anlass für Sanktionsmaßnahmen zu nehmen. Auf der anderen Seite hat der Sicherheitsrat wiederholt von der Demokratischen Volksrepublik Korea verlangt, die Erklärung zur Lösung vom Nichtverbreitungs-

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Das United Nations Office for Disarmament Affairs UNODA erklärt zum Status der Demokratischen Volksrepublik: „On 10 January 2003, the Democratic People’s Republic of Korea (DPRK) announced its withdrawal from the Treaty in a public statement. States parties to the Treaty continue to express divergent views regarding the status of the DPRK under the NPT“, NK, http://disarmament.un.org/treaties/a/npt/democraticpeoplesrepublicof korea/acc/moscow, http://disarmament.un.org/treaties/a/npt/democraticpeoplesrepublic ofkorea/acc/moscow. Ähnlich das deutsche Auswärtige Amt: Der Status der Demokratischen Volksrepublik Korea werde „offen gehalten“, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/ Aussenpolitik/Friedenspolitik/Abruestung/Nukleares/NVV_node.html. 83 Siehe hierzu bereits oben unter B. I. 2. a); Tomuschat (Anm. 17); A. V. Kumar/ P. Meyer, The Nuclear Non-Proliferation Treaty Needs a Reform Agenda, Nonproliferation Review Vol. 17 Nr. 1, 2010, 9 (11). 84 NPT Conference 2010 (Anm. 7), 18 Rn. 118.

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vertrag zurückzuziehen.85 Der Sicherheitsrat verurteilte ausdrücklich den Rücktritt vom Nichtverbreitungsvertrag.86 Anscheinend hielt der Sicherheitsrat die Rücktrittserklärung aber wohl für wirksam, denn ansonsten hätte es einer Aufforderung zum Widerruf der Erklärung nicht bedurft. b) Friedensbedrohung durch Aufrüstung Die Staatengemeinschaft, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, hat sich mit allen Phasen der Aufrüstung durch die Demokratische Volksrepublik Korea auseinandergesetzt. Der Sicherheitsrat hat in vier Resolutionen, Resolution 1695 (2006), 1718 (2006), 1874 (2009) und 2094 (2013),87 jeweils eine Friedensbedrohung durch die Situation um das Atomprogramm der Demokratischen Volksrepublik Korea festgestellt. Auch die Erklärungen des Präsidenten des Sicherheitsrates vom 6. Oktober 2006 und vom 13. April 2009 stellten jeweils fest, dass eine Friedensbedrohung vorlag. Die genannten Sicherheitsresolutionen ergingen ausdrücklich auf Basis von Kapitel VII der Charta, was das Vorliegen einer Friedensbedrohung als Tatbestandsvoraussetzung von Art. 39 UN-Charta impliziert. Anknüpfungspunkt für das Tätigwerden des Sicherheitsrates waren Tests von Trägerraketen und/oder Kernwaffen. Die bloße Aufrüstung oder der Vertragsrücktritt der Demokratischen Volksrepublik Korea war nicht Gegenstand der Beschlussfassung des Sicherheitsrates. Auch dies spricht für die oben bereits angeführte Interpretation, dass der Rücktritt der Demokratischen Volksrepublik vom Nichtverbreitungsvertrag für sich genommen kein Bruch des Völkerrechts ist. Regelungsgegenstand der Sicherheitsratsresolutionen 1718, 1874 und 2094 ist, neben dem Appell zur Einstellung von Raketen- und Kernwaffenversuchen und anderen Tätigkeiten, die die Stabilität in der Region bedrohen, ein Wirtschafts85

UN Security Council Resolution 1718, 14.10.2006 (UN Doc. S/RES/1718), Ziff. 3; UN Security Council Resolution 1874, 12.6.2009 (UN Doc. S/RES/1874), Ziff. 5; UN Security Council Resolution 2094, 7.3.2013 (UN Doc. S/RES/2094), Ziff. 3. 86 Die Resolutionen 1718 (UN Security Council Resolution 1718, 14.10.2006 (UN Doc. S/RES/1718)) und 1874 (UN Security Council Resolution 1874, 12.6.2009 (UN Doc. S/RES/1874)) enthalten in ihren Präambeln jeweils als fünften Erwägungsgrund die Formulierung „Deploring the DPRK’s announcement of withdrawal from the NPT […]“. Diese Formulierung fehlt in Resolution 2087 (UN Security Council Resolution 2094, 7.3.2013 (UN Doc. S/RES/2094). Aus dem (kurzen) Sitzungsprotokoll (UN Doc. S/PV.6932) ist kein Grund für das Weglassen des Erwägungsgrunds ersichtlich. 87 UN Security Council, Resolution 1695, 15.7.2006 (UN Doc. S/RES/1695); Resolution 1718, 14.10.2006 (UN Doc. S/RES/1718); Resolution 1874, 12.6.2009 (UN Doc. S/ RES/1874); Resolution 2094, 7.3.2013 (UN Doc. S/RES/2094).

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embargo. Das Embargo aus Resolution 1718 betrifft sensible Technologien sowie Rüstungs- und Luxusgüter.88 Resolution 1874 erweitert das Embargo um einzelne Regelungen unter anderem zu Finanzierungen zu Gunsten der Demokratischen Volksrepublik.89 Mit Resolution 2094 werden diese Sanktionen verschärft und ausgedehnt.90 Daneben verlangen die Resolutionen 1718 und 1874 ausdrücklich, dass die Demokratische Volksrepublik Korea ihre Kernwaffen aufgeben solle;91 in der zuletzt ergangenen Resolution 2094 fehlt eine solche Aufforderung.92 Die Forderung zur Aufgabe erworbener Kernwaffen steht in Widerspruch zur Freiheit der Demokratischen Volksrepublik, nach Entledigung von abweichenden vertraglichen Pflichten durch Rücktritt vom Nichtverbreitungsvertrag Kernwaffen zu entwickeln. Ein Anknüpfungspunkt für das Verbot gegenüber der Demokratischen Volksrepublik könnte die besondere Situation auf der koreanischen Halbinsel sein, auf der auch über 50 Jahre nach Ende des Koreakriegs noch immer kein Frieden eingekehrt ist. Eine ausdrückliche Erklärung enthalten die Resolutionen aber nicht. Ob der Sicherheitsrat mit dem Schweigen der Resolution 2094 zur Aufgabe der Kernwaffen ausdrücken wollte, diese Forderung nicht mehr aufrecht zu erhalten, kann auf Grundlage der vorliegenden Materialien nicht abschließend beurteilt werden.93 II. Iran 1. Kernwaffen im Iran Iran ist Signatarstaat und von Beginn an Vertragspartei des Nichtverbreitungsvertrags.94 Im Jahr 1974 hat Iran mit der IAEA ein Abkommen über die Durchführung von Safeguards-Inspektionen abgeschlossen.95 88 UN Security Council, Resolution 1718, 14.10.2006 (UN Doc. S/RES/1718), Ziff. 8 (a)–(d). 89 UN Security Council, Resolution 1874, 12.6.2009 (UN Doc. S/RES/1874), Ziff. 18 u.a. 90 UN Security Council, Resolution 2094, 7.3.2013 (UN Doc. S/RES/2094), Ziff. 7 ff.; siehe auch die Pressemitteilung des Sicherheitsrats vom selben Tag, UN Doc. SC/10934. 91 UN Security Council, Resolution 1718, 14.10.2006 (UN Doc. S/RES/1718), Ziff. 6, und Resolution 1874, 12.6.2009 (UN Doc. S/RES/1874), Ziff. 8 wortgleich: „Decides that the DPRK shall abandon all nuclear weapons […]“. 92 UN Security Council, Resolution 2094, 7.3.2013 (UN Doc. S/RES/2094). 93 Das (knappe) Sitzungsprotokoll (UN Doc. S/PV.6932) enthält keine Ausführungen zu den Beweggründen des Sicherheitsrats in dieser Frage. 94 UNODA, Treaties Database, http://disarmament.un.org/treaties/t/npt. 95 IAEA, 13.12.1974 (IAEA Doc.INFCIRC/214).

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Seit einiger Zeit wird Iran verdächtigt, unter dem Deckmantel eines zivilen Kernenergieprogramms heimlich Kernwaffen zu entwickeln. Insbesondere die Zusammenarbeit mit der IAEA verlief in der Vergangenheit aus Sicht der IAEA nicht zufriedenstellend. Die Prüfer haben wiederholt moniert, ihre Prüfungen nicht unbehindert und vollständig durchführen zu können und kritisieren die unvollständige Umsetzung vertraglicher Pflichten durch Iran.96 Als Konsequenz hat der Gouverneursrat der IAEA mittlerweile zwölf Resolutionen erlassen, die Iran zur Kooperation und zur Erfüllung der Vertragspflichten anhalten.97 Der Sicherheitsrat hat gegen Iran eine Reihe von Resolutionen erlassen, um Iran zur Kooperation mit der IAEA und zur Verifizierung der friedlichen Natur des iranischen Kernenergieprogramms zu bewegen.98 Die bisher sechs Resolutionen ergingen mit Ausnahme von Resolution 1835 (2008)99 auf Basis von Kapitel VII der UN-Charta. Der Sicherheitsrat ging also davon aus, dass die mögliche militäri-

96 Siehe hierzu die Berichte des IAEA-Gouverneursrats an den Generalsekretär der IAEA und an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, zuletzt IAEA Board of Governors, Report by the Director General, 30.8.2012 (IAEA Doc. GOV/2012/37), S. 11 Rn. 52: „[…] Iran is not providing the necessary cooperation“. Der Gouverneursrat hat bisher insgesamt 14 solcher Berichte oder Resolutionen zur Situation mit Iran erstellt, neben dem bereits zitierten Report by the Director General, 30.8.2012 (IAEA Doc. GOV/2012/37) sind dies noch IAEA Board of Governors, Resolution, 12.9.2003 (IAEA Doc. GOV/2003/69); Resolution, 26.11.2003 (IAEA Doc. GOV/2003/81); Resolution, 13.3.2004 (IAEA Doc. GOV/ 2004/21); Resolution, 18.6. 2004 (IAEA Doc. GOV/2004/49); Resolution,18.9.2004 (IAEA Doc. GOV/2004/79); Resolution, 29.11.2004 (IAEA Doc. GOV/2004/90); Resolution, 11.8.2005 (IAEA Doc. GOV/2005/64); Resolution, 24.9.2005 (IAEA Doc. GOV/2005/77); Resolution, 4.2.2006 (IAEA Doc. GOV/2006/14); Resolution, 27.11.2009 (IAEA Doc. GOV/2009/82); Resolution, 18.11.2011 (IAEA Doc. GOV/2011/69); Report by the Director General, 24.2.2012 (IAEA Doc. GOV/2012/9); Report by the Director General, 25.5.2012 (IAEA Doc. GOV/2012/23). 97 IAEA Board of Governors, Resolution, 12.9.2003 (IAEA Doc. GOV/2003/69), Resolution, 26.11.2003 (IAEA Doc. GOV/2003/81); Resolution, 13.3.2004 (IAEA Doc. GOV/ 2004/21); Resolution, 18.6.2004 (IAEA Doc. GOV/2004/49); Resolution, 18.9.2004 (IAEA Doc.GOV/2004/79); Resolution, 29.11.2004 (IAEA Doc. GOV/2004/90); Resolution, 11.8.2005 (IAEA Doc. GOV/2005/64); Resolution, 24.9.2005 (IAEA Doc. GOV/2005/77); Resolution, 4.2.2006 (IAEA Doc. GOV/2006/14); Resolution, 27.11.2009 (IAEA Doc. GOV/2009/82); Resolution, 18.11.2011 (AEA Doc. GOV/2011/69); Resolution, 13.9.2012 (IAEA Doc. GOV/2012/50). 98 Security Council, Resolution 1696, 31.7.2006 (UN Doc. S/RES/1696); Resolution 1737, 27.12.2006 (UN Doc. S/RES/1737); Resolution 1747, 24.3.2007 (UN Doc. S/RES/ 1747); Resolution 1803, 3.3.2008 (UN Doc. S/RES/1803); Resolution 1835, 27.9.2008 (UN Doc. S/RES/1835); Resolution 1929, 9.6.2010 (UN Doc. S/RES/1929). 99 UN Security Council, Resolution 1835, 27.9.2008 (UN Doc. S/RES/1835).

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sche Dimension des iranischen Kernenergieprogramms und die mangelnde Kooperation mit der IAEA den Frieden und die internationale Sicherheit gefährdeten.100 Der Sicherheitsrat hat gegenüber Iran ein umfangreiches Sanktionsprogramm angeordnet. Neben dem Verbot der Einfuhr militärischer Güter und Technologien101 verbietet der Sicherheitsrat Geschäfte mit Organisationen und Personen, die in Verdacht stehen, das iranische Atomprogramm zu betreiben.102 Hervorzuheben ist das Embargo gegen die iranischen Revolutionsgarden als Organisation.103 Daneben werden die Staaten angehalten, bestimmten Personen die Ein- und Durchreise zu verweigern.104 Hinzu kommen Kontrollpflichten für Güter zur Ausfuhr nach Iran.105 2. Schlussfolgerungen Auf rechtlicher Ebene ist der „Fall Iran“ einfach zu lösen: Iran ist Vertragspartei des Nichtverbreitungsvertrags und darf daher gemäß Art. II NVV keine Kernwaffen erwerben oder herstellen. Die Behandlung des iranischen Kernenergieprogramms zeigt auf, welches Handlungsinstrumentarium der Staatengemeinschaft zur Verfügung steht, um einer vermuteten Aufrüstung einer Vertragspartei des Nichtverbreitungsvertrages entgegen zu treten. Zunächst wurde versucht, die unzureichende Kooperation durch Iran innerhalb der IAEA zu adressieren. Nachdem dieser Versuch nicht zu den erwünschten Ergebnissen geführt hatte, wurde in einem zweiten Schritt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eingeschaltet, dem die IAEA seitdem regelmäßig über den Status der Untersuchungen berichtet. Die Resolutionen des Sicherheitsrates erweiterten die Pflichten, die Iran auferlegt werden, stetig. Das 100

Dieser Einschätzung wird teilweise mit dem Argument widersprochen, ein nuklear bewaffneter Iran würde als Gegengewicht zu Israel den Mittleren Osten politisch stabilisieren, vgl. K. N. Waltz, Why Iran Should Get the Bomb – Nuclear Balancing Would Mean Stability, Foreign Affairs Vol. 91 Nr. 4 (2012), 2, 2 ff. 101 Zuletzt UN Security Council, Resolution 1929, 9.6.2010 (UN Doc. S/RES/1929), Ziff. 7., 8. und 9. 102 Zuletzt UN Security Council, Resolution 1929, 9.6.2010 (UN Doc. S/RES/1929), Ziff. 11. 103 Zuletzt UN Security Council, Resolution 1929, 9.6.2010 (UN Doc. S/RES/1929), Ziff. 12. 104 Zuletzt UN Security Council, Resolution 1929, 9.6.2010 (UN Doc. S/RES/1929), Ziff. 10. 105 Zuletzt UN Security Council, Resolution 1929, 9.6.2010 (UN Doc. S/RES/1929), Ziff. 14–17.

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Sanktionssystem, das in Resolution 1737 (2006) mit einem Verbot des Exports von Kerntechnologie begann,106 wurde in mehreren Schritten weiterentwickelt zu dem umfangreichen Sanktionsregime von Resolution 1929 (2010), das gegenständlich weit über das ursprüngliche Sanktionssystem hinausgeht. Sowohl die IAEA als auch der Sicherheitsrat unterstützen daneben einen multilateralen Verhandlungsprozess mit dem Ziel, Iran eine zivile Nutzung der Kernenergie zu ermöglichen und gleichzeitig die Bedenken der Staatengemeinschaft über die militärische Dimension des iranischen Atomprogramms auszuräumen. Es ist unklar, ob die Staatengemeinschaft und die zuständigen internationalen Organisationen eine nukleare Aufrüstung Irans, so eine solche denn im Gange sein sollte, tatsächlich aufhalten können oder bereits aufgehalten haben.107 Die Befassung mit Iran ist aber insofern als Erfolg zu werten, als dass die Sicherungsmechanismen hier ebenso funktioniert zu haben scheinen wie die Zusammenarbeit verschiedener Organisationen, namentlich zwischen der IAEA und den Vereinten Nationen. III. Indien und Pakistan 1. Kernwaffen in Indien und Pakistan Indien und Pakistan blicken auf eine bewegte gemeinsame Geschichte zurück. Beide Staaten entstanden in ihrer heutigen Form aus der Teilung der Kolonie Britisch-Indien in einen hinduistisch (Indien) und einen muslimisch geprägten Teil (Pakistan).108 Bereits unmittelbar nach Gründung der beiden Staaten kam es zum Konflikt um Kaschmir, das im Grenzgebiet zwischen den beiden Staaten liegt. Indien und Pakistan haben in der Folge mehrere bewaffnete Konflikte ausgefochten.109 Die beiden Staaten gelten trotz ihrer gemeinsamen Vergangenheit als 106

UN Security Council, Resolution 1737, 23.12.2006 (UN Doc. S/RES/1737); zuletzt UN Security Council, Resolution 1929, 9.6.2010 (UN Doc. S/RES/1929), Ziff. 3 und 4. 107 Ende Oktober 2012 verkündete der israelische Verteidigungsminister E. Barak, Iran habe die militärische Komponente seines Atomprogramms ausgesetzt, http://www.spiegel. de/politik/ausland/israelischer-minister-barak-iran-legt-atomwaffen-programm-auf-eis-a864388.html. 108 Pakistan bestand ursprünglich aus den zwei Landesteilen West- und Ostpakistan; Ostpakistan wurde im Jahre 1971 als Bangladesch unabhängig vom größeren Landesteil Westpakistan, dem heutigen Pakistan. 109 Der UN-Sicherheitsrat hat sich mehrfach mit den Konflikten zwischen den beiden Staaten befasst. Zum ersten indisch-pakistanischen Krieg 1947–1948, UN Security Council, Resolution 38, 17.1.1948 (UN Doc. S/RES/38); Resolution 39, 20.1.1948 (UN Doc. S/RES/39); Resolution 51, 3.6.1948 (UN Doc. S/RES/51); zum zweiten indisch-pakista-

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regionale Antipoden. Beide Staaten sind dem Nichtverbreitungsvertrag nicht beigetreten. Insbesondere Indien hat sich in den Verhandlungen um den Nichtverbreitungsvertrag durchaus kritisch zu Wort gemeldet und die inhärente Ungleichbehandlung von Staaten im Regelungsgefüge des Nichtverbreitungsvertrags kritisiert. Indien besitzt bereits seit den 1970er Jahren Kernsprengköpfe und führte 1974 einen ersten Test durch, damals noch unter der euphemistischen Bezeichnung „friedlicher Kernsprengsatz“.110 Am 11. und 13. Mai 1998 testete Indien erstmals offen Kernwaffen, die auch als solche bezeichnet wurden. Pakistan antwortete kurz darauf und testete am 29. Mai 1998 erstmals eine eigene Kernwaffe. Der Sicherheitsrat reagierte auf die beiden Kernwaffentests durch Indien und den Kernwaffentest durch Pakistan zunächst mit zwei Erklärungen des Präsidenten,111 anschließend mit dem Erlass der Resolution 1172.112 Resolution 1172 erging nicht auf Grundlage von Kapitel VII der Charta und enthielt entsprechend auch keine Sanktionsmaßnahmen gegen die beiden „neuen“ Atommächte. 2. Schlussfolgerungen Die Aufrüstung von Indien und Pakistan bildet den eindeutigsten Anwendungsfall einer Aufrüstung mit Kernwaffen außerhalb des Regimes des Nichtverbreitungsvertrags. Indien und Pakistan haben beide den Nichtverbreitungsvertrag von vornherein abgelehnt und sind dem Vertrag nicht beigetreten. Grund hierfür dürfte – neben den wiederholt geäußerten Bedenken gegen die Ausgewogenheit des Vertragswerks – auch der Konflikt zwischen den beiden Staaten und die Befürchtung gewesen sein, die jeweils andere Partei würde sich durch den Erwerb von Kernwaffen einen uneinholbaren Vorteil verschaffen.113 nischen Krieg 1965 UN Security Council, Resolution 209, 4.9.1965 (UN Doc. S/RES/209); Resolution 210, 6.9.1965 (UN Doc. S/RES/210); Resolution 211, 20.9.1965 (UN Doc. S/RES/211); Resolution 214, 27.9.1965 (UN Doc. S/RES/214); Resolution 215, 5.11.1965 (UN Doc. S/RES/215); zum Bangladesch-Krieg und dem indisch-pakistanischen Krieg im Jahr 1971 UN Security Council, Resolution 307, 21.12.1971 (UN Doc. S/RES/307); der Kargil-Krieg 1999 war nicht Gegenstand von Resolutionen des Sicherheitsrates. 110 „Peaceful nuclear explosive“, PNE. 111 UN Security Council, Presidential Statement 1998/12, 14.5.1998 (UN Doc. S/PRST/ 1998/12) zu Indiens, Security Council, Presidential Statement 1998/17, 29.5.1998 (UN Doc. S/PRST/1998/17) zu Pakistans Kernwaffentest. 112 UN Security Council, Resolution 1172 (1998), 6.6.1998 (UN Doc. S/RES/1172). 113 Dies drückt sich auch in der Entwicklung der Einsatzdoktrinen für Kernwaffen aus, die in beiden Staaten an dem jeweiligen Nachbarn ausgerichtet wird, S. D. Sagan, The

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Die Staatengemeinschaft hat dieses Vorgehen akzeptiert.114 Weder Indien noch Pakistan sind durch die Staatengemeinschaft wegen ihrer Kernwaffenaufrüstung sanktioniert worden. Gerade Indien ist mittlerweile sogar als Handelspartner im Bereich der zivilen Kerntechnik anerkannt. Rechtlich lässt sich aus dem Fall Indien und Pakistan folgern, dass die Souveränität der Staaten durch die Staatengemeinschaft gerade in Rüstungsfragen durchaus ernst genommen wird. Die Entscheidung Indiens und Pakistans, außerhalb des Systems des Nichtverbreitungsvertrags zu bleiben, ist akzeptiert worden. Zu dieser Akzeptanz wird sicher auch beigetragen haben, dass die Kernwaffen Indiens und Pakistans wohl primär die Abschreckung des jeweils anderen Nachbarn bezwecken sollen – einige Autoren haben die Schlussfolgerung gezogen, dass die relative Stabilität der indisch-pakistanischen Beziehungen in den letzten 15 Jahren auch der gegenseitigen nuklearen Abschreckung zu verdanken ist.115 IV. Israel 1. Kernwaffen in Israel Israel ist neben Indien und Pakistan der einzige Staat, der dem Nichtverbreitungsvertrag nach wie vor nicht beigetreten ist.116 Israel liegt auch nicht im Geltungsbereich eines Vertrags über die Errichtung einer kernwaffenfreien Zone. Israel wird unterstellt, seit Ende der 1960er Jahre Kernwaffen zu besitzen. Das Land selbst bestätigt solche Vermutungen nicht, dementiert sie aber auch nicht.117 Israel hat bislang auf Demonstrationen der eigenen Kernwaffenrüstung, etwa durch die offene Durchführung eines Kernwaffentests, verzichtet.118 Schätzungen Evolution of Pakistani and Indian Nuclear Doctrine, in: S. D. Sagan (Hrsg.), Inside Nuclear South Asia, 2009, 219, 227 ff. 114 Dies entspricht durchaus dem Grundprinzip der souveränen Staatlichkeit, vgl. Tomuschat (Anm. 17), 10. 115 Etwa Waltz (Anm. 100), 5. 116 Abgesehen vom Rücktritt Nordkoreas, zu dem bereits ausgeführt wurde. 117 Diese Politik wird teilweise als „Politik der Uneindeutigkeit“ bezeichnet, siehe etwa S. N. Kile/V. Fedshenko/B. Gopalaswamy/H. M. Kirstensen, World Nuclear Forces, in: SIPRI Yearbook 2011, 319, 349. Neuerdings wird diskutiert, ob und in welcher Form Israel von einer Offenlegung und „Legalisierung“ seiner Kernwaffen profitieren könnte, A. Cohen/M. Miller, Bringing Israel’s Bomb Out of the Basement – Has Nuclear Ambiguity Outlived its Shelf Life?, Foreign Affairs Vol. 89 Nr. 5 (2010), 30, 38 ff. 118 Es wird allerdings spekuliert, dass israelische Kernwaffen im Geheimen getestet wurden.

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gehen davon aus, dass Israel etwa 80 einsatzfähige Kernwaffen besitzt,119 wobei Spaltmaterial für insgesamt etwa 200 Kernwaffen vorhanden sein soll.120 Die Staatengemeinschaft hat sich oft mit der israelischen Kernwaffenaufrüstung und deren Implikationen für die Sicherheit in der Region beschäftigt. So fordert beispielsweise die Generalversammlung der Vereinten Nationen immer wieder, Verhandlungen über die Einrichtung einer kernwaffenfreie Zone im Mittleren Osten aufzunehmen, was eine nukleare Abrüstung Israels beinhalten würde.121 Dieselbe Forderung wurde im Abschlussdokument der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag im Jahr 2010 erhoben.122 Im Gegensatz zu den bisher untersuchten Fällen nimmt der Fall Israel eine Sonderstellung ein. Als einziger der hier untersuchten Fälle war die israelische Kernwaffenaufrüstung niemals Gegenstand einer Sicherheitsratsresolution, was wohl zumindest teilweise an der politischen Unterstützung Israels durch das permanente Sicherheitsratsmitglied USA liegen dürfte. 2. Schlussfolgerungen Es scheint schwierig, aus dem Verhalten der Staatengemeinschaft gegenüber Israels Kernwaffenprogramm rechtliche Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Diskussion um das israelische Kernwaffenprogramm wird häufig verknüpft mit politisch heiß umstrittenen Themen wie der Besetzung des Westjordanlands, den Konflikten Israels mit Nachbarstaaten oder anderen Konflikten in der Region, so dass eine isolierte Auseinandersetzung „nur“ mit dem Kernwaffenbesitz Israels selten ist. Zusammenfassend lässt sich jedenfalls feststellen, dass Israel aufgrund seiner Kernwaffenrüstung keinen repressiven Maßnahmen, etwa Embargos nach Kap. VII der UN-Charta, unterworfen wurde. Das Kernwaffenprogramm des Landes war auch nicht Gegenstand von Sicherheitsratsresolutionen, die etwa die Aufnahme von Abrüstungsgesprächen vorschreiben könnten. Man würde es sich einfach machen, wenn man die Handhabung des israelischen Kernwaffenprogramms durch die Staatengemeinschaft rein auf die Ebene 119

Kile/Fedshenko/Gopalaswamy/Kirstensen (Anm. 117), 350. Kile/Fedshenko/Gopalaswamy/Kirstensen (Anm. 117), 350. 121 Diese Forderung wird seit dem Jahr 1974 jährlich wiederholt, General Assembly, Resolution 66/25, 13.12.2011 (UN Doc. A/RES/66/25) mit Verweis auf die Vorgängerresolutionen im ersten Erwägungsgrund. 122 NPT Conference 2010 (Anm. 7), 29 Ziff. IV. 5; zur Entstehungsgeschichte der Formulierung Esberg/Sagan (Anm. 31), 103. 120

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der Machtpolitik schieben würde. Macht und Politik sind konstituierende Elemente des Völkerrechts und diesem weder sach- noch wesensfremd. Insofern kann aus der relativen Untätigkeit der Staatengemeinschaft auch der Schluss gezogen werden, dass es kein rechtliches Instrument gibt, mit dem die Staatengemeinschaft einem israelischen Kernwaffenprogramm entgegentreten zu können glaubt. Insbesondere werden zwar immer wieder Aufforderungen an Israel gerichtet, dem Nichtverbreitungsvertrag als Nichtkernwaffenstaat beizutreten; eine Verpflichtung zur Abrüstung oder eine Pflicht zum Beitritt wird Israel hingegen nicht auferlegt. Insofern kann auch gefolgert werden, dass die Staatengemeinschaft das Recht Israels respektiert, in Ausübung seiner nationalen Souveränität dem Nichtverbreitungsvertrag fern zu bleiben. Eine weitere Besonderheit des israelischen Kernwaffenprogramms, der Verzicht auf die offene Kundgabe der eigenen Kernwaffenaufrüstung, lässt sich einer der oben dargestellten völkerrechtlichen Regelungen zuweisen: Durch die Stille Israels zur Kernwaffenfrage erscheint es schwer begründbar, dem Land den Vorwurf einer unrechtmäßigen Androhung von Gewalt gemäß Art. 2 Nr. 4 UN-Charta zu machen.

D. Fazit und Ausblick Die Staatengemeinschaft hat die Verbreitung von Kernwaffen von Beginn an als drängendes Problem erkannt und versucht, Regeln zu entwickeln, die einer weiteren Verbreitung dieser Waffen entgegen wirken sollen. Im Rückblick kann festgestellt werden, dass die Staatengemeinschaft bei diesem gemeinsamen Unterfangen teilweise, aber nicht vollständig erfolgreich war. Fünf Staaten, China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA, haben ihren Status als Kernwaffenstaaten durch den Nichtverbreitungsvertrag legalisiert. Derzeit scheinen diese Staaten, die gleichzeitig die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sind, keine ernsthaften Anstrengungen zu unternehmen, ihre Kernwaffen vollständig und endgültig abzurüsten.123 Daneben haben sich mittlerweile vier weitere Staaten in den Besitz von Kernwaffen gebracht, nämlich die Demokratische Volksrepublik Korea, Indien, Israel und Pakis123 Selbst der New START-Vertrag sieht alleine für die USA und Russland ein Kontingent von mehreren Tausend Sprengköpfen vor. Dies ist gemessen an den Höchstständen zu Zeiten des Rüstungswettlaufs sicher ein erheblicher Fortschritt; von dem Ziel einer Abrüstung auf Null sind die USA und Russland aber dennoch weit entfernt. Von Frankreich, Großbritannien und China ist nicht bekannt, dass sie sich überhaupt in einem Verhandlungsprozess mit dem Ziel befinden, die Zahl ihrer Atomwaffen zu reduzieren.

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tan. Von diesen vier de facto-Atommächten befindet sich nur ein Staat, nämlich die Demokratische Volksrepublik Nordkorea, in einem Verhandlungsprozess, an dessen Ende möglicherweise eine Abrüstung des bestehenden Kernwaffenarsenals stehen könnte. Ob Iran eine weitere de-facto-Atommacht ist, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. I. Rechtliches Regelwerk Die zentralen Vertragswerke zur Verhinderung einer Verbreitung von Kernwaffen sind der Nichtverbreitungsvertrag, der quasi-universell alle Staaten bis auf die de-facto Atommächte umfasst, sowie die regionalen Verträge über die Errichtung kernwaffenfreier Zonen. Damit ist eine weitere Verbreitung von Kernwaffen derzeit auf rechtlicher Ebene nicht möglich. Alle diese Verträge bieten aber Durchbrechungsmöglichkeiten. Zum einen sind sie teilweise einseitig kündbar (wovon die Demokratische Volksrepublik Korea als bisher einziger Staat Gebrauch gemacht hat). Zum anderen besteht eine gute Argumentationsgrundlage, dass jedenfalls im Falle des Nichtverbreitungsvertrags Nichtkernwaffenstaaten wegen vertragsbrüchigen Verhaltens der Kernwaffenstaaten die Erfüllung ihrer Vertragspflichten suspendieren könnten. Auch die UN-Charta bietet rechtliche Regelungen, die einer Verbreitung von Kernwaffen entgegen gehalten werden könnten. Dies sind zum einen das Verbot der Androhung von Gewalt und zum anderen die Tätigkeit des Sicherheitsrates. Beiden Instrumenten ist aber gemeinsam, dass sie nicht jede denkbare Situation einer Aufrüstung mit Kernwaffen erfassen und damit auf die Regelung von Einzelfällen beschränkt bleiben. II. Anwendung der Regeln durch die Staatengemeinschaft Dieser Beitrag hat den Umgang der Staatengemeinschaft mit der Aufrüstung durch die Demokratische Volksrepublik Korea, Iran, Indien und Pakistan und durch Israel näher beleuchtet. Die Untersuchung umfasste also die vier de-facto Atommächte sowie einen Staat, der verdächtigt wird, als Vertragspartei des Nichtverbreitungsvertrags heimlich Kernwaffen zu entwickeln (oder bereits entwickelt zu haben, so dass von fünf de-facto-Atommächten auszugehen wäre). Die Staatengemeinschaft hat eine Aufrüstung durch Staaten, die dem Nichtverbreitungsvertrag nicht beigetreten sind, bisher nicht sanktioniert.124 Hieraus kann 124

Siehe hierzu die Darstellungen zu Indien und Pakistan und zu Israel.

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gefolgert werden, dass die insoweit unbeschränkte Souveränität der Staaten durch die Staatengemeinschaft respektiert wird. Ohne Eingehen entgegenstehender vertraglicher Bindungen ist ein Staat frei, Kernwaffen herzustellen. Die Staatengemeinschaft hat den Rücktritt der Demokratischen Volksrepublik Korea vom Nichtverbreitungsvertrag wohl akzeptiert, auch wenn nach wie vor das Gegenteil geäußert wird. Hieraus kann gefolgert werden, dass der Vertragstext des Nichtverbreitungsvertrags auch hinsichtlich der Rücktrittsklausel ernst zu nehmen ist: Staaten sind frei, vom Nichtverbreitungsvertrag zurückzutreten. Im Fall der Demokratischen Volksrepublik Korea zeigen sich aber auch die Grenzen, die die Staatengemeinschaft einer Verbreitung von Kernwaffen aufzuzeigen scheint. Die mögliche Destabilisierung des nach wie vor schwelenden Korea-Konflikts und die offensive Art, in der die Demokratische Volksrepublik Korea ihre Nuklearwaffen und deren Trägersysteme als Faustpfand für Verhandlungen und für Zwecke des „Säbelrasselns“ benutzt, hat zu kritischen Reaktionen und zu einem Sanktionsprogramm des Sicherheitsrats geführt. Es könnte hier auf rechtlicher Ebene vertreten werden, dass die Handlungen der Demokratischen Volksrepublik nicht nur im Sinne von Art. 39 UN-Charta den Frieden gefährden, sondern auch eine unzulässige Androhung von Gewalt nach Art. 2 Nr. 4 UNCharta darstellen könnten. Der Umgang mit dem Nuklearprogramm Irans zeigt, dass die Staatengemeinschaft eine Aufrüstung von Staaten innerhalb des Nichtverbreitungsvertragsregimes nicht zu dulden bereit ist. Dies ist rechtlich überzeugend: Eine Aufrüstung trotz entgegenstehender vertraglicher Bindungen provoziert geradezu Reaktionen von Nachbarstaaten, was eine Bedrohung des Friedens darstellen kann. Entsprechend hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit breiter Unterstützung ein Sanktionsprogramm aufgelegt, um Iran zu Verhandlungen zu bewegen. Insbesondere arbeiten Sicherheitsrat und IAEA im Fall Iran eng zusammen. III. Ausblick Die Staatengemeinschaft scheint willens zu sein, die Integrität des Nichtverbreitungsvertrags so weit wie möglich zu erhalten. Dies zeigt der Umgang mit der ehemaligen Vertragspartei Demokratische Volksrepublik Korea ebenso wie die harten Maßnahmen gegen den einer verdeckten Aufrüstung verdächtigten Iran. Ob diese Maßnahmen Erfolg haben werden, ist unklar. Auf der anderen Seite scheinen die Kernwaffenstaaten, gleich ob unter dem Nichtverbreitungsvertrag als solche anerkannt oder nicht, auf absehbare Zeit ihr

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nukleares Oligopol aufrechterhalten zu wollen. Eine vollständige Abrüstung seitens eines Kernwaffenstaates ist nicht in Sicht. Der Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen steht in einem direkten Spannungsverhältnis zum Prinzip der souveränen Handlungsfreiheit der Staaten. Letztlich ist der Verzicht auf Kernwaffen eine Frage der Selbstbeschränkung der Staaten, die nicht erzwungen werden kann. Die Staatengemeinschaft hat Regeln und Handlungsweisen entwickelt, die die unerwünschte Verbreitung von Kernwaffen beschränken soll und in der Vergangenheit sicher auch erheblich beschränkt hat. Rechtlich ausgeschlossen ist eine weitere Verbreitung von Kernwaffen damit aber nicht.

Atomkraftwerke aus umweltvölkerund nachbarrechtlicher Sicht Von Kurt Faßbender(

A. Einführung Die am 11. März 2011 durch ein Erdbeben ausgelöste Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima hat in der Welt Entsetzen hervorgerufen und zugleich in einigen Staaten die politische Debatte über die Zukunft der zivilen Nutzung der Atomkraft befeuert. In Deutschland hat diese Debatte schon vier Tage nach der Reaktorkatastrophe zu einem so genannten Moratorium1 und vier Monate später zu einer erneuten Änderung des Atomgesetzes2 geführt, die in der Sache eine Abschaltung der letzten Atomkraftwerke bis zum 31. Dezember 2022 und damit einen erheblich beschleunigten Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie vorsieht.3 Demgegenüber hat beispielsweise im benachbarten Frankreich, soweit ersichtlich, niemand in Regierungskreisen ernsthaft die Forderung erhoben, auch nur eines der 58 Atomkraftwerke (AKWs) abzuschalten. Und selbst im unmittelbar von der Reaktorkatastrophe betroffenen Japan gilt es keineswegs als ausgemacht, dass das Land in ähnlich kurzer Zeit vollständig aus der Nutzung der Kernenergie aussteigt wie Deutschland.4 Der Autor dankt seinem wiss. Mitarbeiter Götz Brückner für wertvolle Unterstützung bei der Vorbereitung dieses Beitrags und weist die Leser darauf hin, dass bei der vorliegenden Fassung die ursprüngliche Vortragsform im Wesentlichen beibehalten wurde. 1 Näher dazu T. Cosack/R. Enders, Atomenergie nach Fukushima, DVBl. 2011, 1446 ff.; W. Ewer/A. Behnsen, Das „Atom-Moratorium“ der Bundesregierung und das geltende Atomrecht, NJW 2011, 1182 ff. 2 13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes, 13.7.2011, BGBl. 2011 I 1704. 3 Vgl. dazu aus verschiedenen Blickwinkeln W. Ewer, Der neuerliche Ausstieg aus der Kernenergie – verfassungskonform und entschädigungsfrei?, NVwZ 2011, 1035 ff.; M. Kloepfer/D. Bruch, Die Laufzeitverlängerung im Atomrecht zwischen Gesetz und Vertrag, JZ 2011, 377 ff.; D. Sellner/F. Fellenberg, Atomausstieg und Energiewende – das Gesetzespaket im Überblick, NVwZ 2011, 1025 ff. 4 Vgl. etwa den Bericht in der FAZ v. 5.12.2011 („Viele Reaktoren vom Netz – und noch mehr Fragen offen“), 6. (

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Angesichts dessen kann und muss man zunächst die Frage stellen, ob hier nicht eine spezifische „German Angst“ am Werke ist, von der Josef Isensee zuletzt auf der Staatsrechtslehrertagung behauptet hat, sie ängstige zwischenzeitlich die halbe Welt.5 Dagegen spricht nicht zuletzt der Umstand, dass beispielsweise auch die Schweiz6 und die neue belgische Regierung7 einen zeitnahen Atomausstieg beschlossen haben und dass in Italien die kurz zuvor gefasste Entscheidung, erstmalig AKWs zu bauen, nach Fukushima wieder verworfen wurde, nachdem sich in einem Referendum 95 % der Teilnehmer gegen den Bau ausgesprochen hatten.8 Für die deutsche Ausstiegsentscheidung spricht, dass der Unfall in Fukushima erstens gezeigt hat, dass es sich bei der Kernenergie mit ihrem zeitlich und räumlich weit ausgreifenden Schädigungspotenzial um eine Technik handelt, die mit der menschlichen Fehlbarkeit auf Dauer unvereinbar ist.9 So ergibt sich beispielsweise aus einem Bericht der Gesellschaft für Reaktorsicherheit aus dem Jahre 2006, dass Kernschmelzen auch in deutschen AKWs möglich sind.10 Und ein ehemaliger Ministerialbeamter aus dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) hat im Mai 2012 auf einer Tagung vorgerechnet, dass selbst bei Zugrundelegung der von der Internationalen Atomenergiebehörde akzeptierten Eintrittswahrscheinlichkeit für solche Risiken statistisch ca. alle 25 Jahre mit einer Kernschmelze weltweit zu rechnen ist.11 Sollte das richtig sein, dann wäre es kein bloßer Zufall, dass das Reaktorunglück von Tschernobyl nunmehr knapp 25 Jahre her ist. Zweitens stellt das Reaktorunglück die ohnehin schon zweifelhafte ökonomische Sinnhaftigkeit der Nutzung der Atomenergie noch stärker in Frage, weil auch die Kosten solcher Unglücksfälle im Wesentlichen von der Allgemeinheit getragen werden.12 Drittens bleibt festzuhalten, dass es (auch) in 5

Vgl. J. Isensee, Im Rahmen der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 2011, Aussprache und Schlussworte zu den Berichten über Rationalitätsanforderungen an die parlamentarische Rechtssetzung im demokratischen Rechtsstaat, VVDStRL, Bd. 71, 2012, 86. 6 Vgl. NZZ v. 6.12.2011 („Nationalrat bekräftigt Ja zum Atomausstieg“), http://www. nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/nationalrat_bekraeftigt_atomausstieg_1.13532807.html. 7 Vgl. EurActiv.de v. 2.11.2011 („Belgien plant Atomausstieg bis 2025“), http://www. euractiv.de/energie-und-klimaschutz/artikel/belgien-plant-atomausstieg-bis-2025-005573. 8 Vgl. FAZ v. 13.06.2011 („Italien stimmt gegen Atomkraft – und gegen Berlusconi“), http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/referendum-italien-stimmt-gegen-atomkraft-undgegen-berlusconi-1656325.html. 9 Vgl. B. W. Wegener, Der japanische Realitätsschock, ZUR 2011, 225 f. 10 Zitiert nach D. Majer, Behördliche Überwachungspflichten bei Kernkraftanlagen, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Hochrisikoanlagen: Notfallschutz bei Kernkraft-, Chemie- und Sondermüllanlagen, 2012, 59, 75. 11 Vgl. Majer (Anm. 10), 77. 12 Näher dazu im hier vertretenen Sinne Wegener (Anm. 9), 226.

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Deutschland in mehr als 40 Jahren nicht gelungen ist, eine befriedigende Antwort auf die Frage zu geben, wie die in den AKWs anfallenden Abfälle dauerhaft sicher entsorgt werden können.13 Doch wie stellt sich die zivile Nutzung der Kernenergie aus der Perspektive des Völkerrechts dar? Hier steht immerhin die wenige Tage nach dem japanischen Reaktorunglück in einem offenen Brief an die Umweltminister aller Staaten vertretene These des ehemaligen Vizepräsidenten des IGH Christopher Gregory Weeramantry im Raum, dass die Weiterführung und Verbreitung von Atomreaktoren unter anderem Prinzipien des Völkerrechts und des Umweltrechts verletze.14 Vor diesem Hintergrund gibt der japanische Reaktorunfall auch Veranlassung, AKWs auf den Prüfstand des Völkerrechts zu stellen. Im Zentrum stehen dabei zwei Fragenkreise. Zum einen soll untersucht werden, welchen Anforderungen die Errichtung und der Betrieb von AKWs nach dem geltenden Völkerrecht unterliegen. Dabei wird es auch um die Frage gehen, ob das geltende Völkerrecht eine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass zumindest die größten Gefahren gebannt werden, die von AKWs ausgehen können, also insbesondere eine Kernschmelze. Zum anderen werde ich mich mit der Frage befassen, ob und in welchem Umfang den Nachbarstaaten Abwehransprüche oder zumindest Ansprüche auf präventive Sicherheitsmaßnahmen gegenüber dem Anlagenstaat zustehen. Diese Frage stellt sich gerade aus deutscher Perspektive, weil wir im benachbarten Ausland von AKWs umringt sind, die teilweise in unmittelbarer Nähe unserer Staatsgrenzen betrieben werden und die nach verbreiteter Ansicht besonders unsicher sind. Dies gilt beispielsweise für das französische AKW Fessenheim.15 Demgegenüber werde ich auf die völkerrechtlichen Regelungen betreffend die Entsorgung nuklearer Abfälle16 und die Haftung für Schäden, die von Kernenergieanlagen ausgehen,17 nicht eingehen. 13

Vgl. etwa den Rückblick bei W. König/M. Hoffmann, Asse II: Der lange Weg vom „Forschungswerk“ zum „Endlager für radioaktive Abfälle“, ZUR 2009, 353, 353 f. 14 Vgl. C. G. Weeramantry, Offener Brief an die Umweltminister aller Staaten vom 14.3.2011, http://ialana.de/files/pdf/rundbriefe/11-04/IALANA_Rundbrief_04_2011.pdf. 15 Vgl. dazu etwa ZEIT ONLINE v. 4.7.2011 („Frankreichs Atomaufsicht gibt Alt-AKW noch zehn Jahre“), http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-07/akw-fessenheimweiterbetrieb. 16 Vgl. v.a. Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, 5.9.1997, UNTS Vol. 2153, 303 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1998 II 1753). 17 Siehe die Nachweise bei W. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. 2004, § 57 Rn. 89; näher dazu K. Faßbender, Umwelthaftung im Kontext der friedlichen Nutzung der Atomkraft nach Fukushima, in: B. Hecker/R. Hendler/A. Proelß/P. Reiff (Hrsg.), Verantwortlichkeit und Haftung für Umweltschäden, 2013, 51 ff.;

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B. Umweltschutzrelevante Regelungen des Völkervertragsrechts Zur Beantwortung des ersten Fragenkreises sollen in einem ersten Schritt die einschlägigen völkervertragsrechtlichen Regelungen in den Blick genommen werden. Dies kann jedoch aufgrund der Vielzahl einzelner bilateraler Verträge18 nur exemplarisch anhand der wichtigsten multilateralen Abkommen geschehen. I. Die Satzung der IAEA Der erste bedeutsame multilaterale Vertrag betreffend die Nutzung der Atomenergie ist die Satzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) aus dem Jahre 1956.19 Nun bin ich mir darüber im Klaren, dass die Aktivitäten der IAEA, die mit dieser Satzung gegründet wurde, bereits in dieser Ringvorlesung behandelt wurden.20 Gleichwohl können ihre Aktivitäten und die zugrunde liegende Satzung auch bei dem von mir zu behandelnden Thema nicht außen vor bleiben. Denn zum einen kann das Faktum, dass dieser völkerrechtliche Vertrag das Ziel fixiert, „in der ganzen Welt den Beitrag der Atomenergie zum Frieden, zur Gesundheit und zum Wohlstand zu steigern“,21 und mittlerweile von 151 Vertragsparteien unterzeichnet wurde, nicht außen vor bleiben, wenn es um die Frage geht, wie AKWs aus der Sicht des völkergewohnheitsrechtlichen Nachbar- und Umweltrechts zu beurteilen sind. Zum anderen möchte ich daran erinnern, dass der Internationalen Atomenergiebehörde nicht nur die bereits in dieser Ringvorlesung thematisierte Aufgabe eines „Wächters“ über die friedliche Nutzung der Atomenergie zukommt, die in der Satzung dahingehend beschrieben wird, „im Rahmen dazu Pelzer, Internationale Zusammenarbeit bei Atomkatastrophen: Die Lehren aus Tschernobyl und Fukushima, in diesem Band. 18 Nach Auskunft der Bundesregierung bestehen mit sieben der neun Nachbarländer Deutschlands bilaterale Abkommen zum grenzüberschreitenden Informationsaustausch nach nuklearer Einrichtungen; vgl. BMU (Hrsg.), Übereinkommen über nukleare Sicherheit – Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die Fünfte Überprüfungstagung im April 2011, Stand 4.8.2010, 149. Zahlreiche weitere bilaterale Verträge finden sich bei G. Handl, Grenzüberschreitendes nukleares Risiko und völkerrechtlicher Schutzanspruch, 1992, 124 ff. 19 Statute of the International Atomic Energy Agency (Satzung der Internationalen Atomenergiebehörde), 23.10.1959, UNTS Vol. 276, 3 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1957 II 1359). 20 Vgl. dazu den Beitrag von W. Tonhauser, The International Atomic Engergy Agency as the „Watchdog“ over the Safe and Peaceful Use of Nuclear Engergy?, 167. 21 Vgl. Art. II S. 1 Satzung der Internationalen Atomenergiebehörde.

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ihrer Möglichkeiten dafür (zu sorgen), dass die von ihr oder auf ihr Ersuchen […] geleistete Hilfe nicht zur Förderung militärischer Zwecke genutzt wird“.22 Sie hat vielmehr seit ihrem Bestehen nicht zuletzt den Auftrag, den Anstoß zur Schaffung von Regelungen zum Schutz der Umwelt vor den Gefahren der friedlichen Nutzung der Atomenergie und damit den Anstoß zur Schaffung von Umweltvölkerrecht zu geben. So bestimmt die Satzung, dass die IAEA befugt ist, „Sicherheitsnormen aufzustellen oder zu beschließen, um die Gesundheit zu schützen und die Gefahr für Leben und Eigentum auf ein Mindestmaß herabzusetzen“.23 Für die tatsächliche Anwendung dieser Sicherheitsnormen kann sie indessen außerhalb ihres eigenen Tätigkeits- und Wirkungsbereichs nur dann sorgen, wenn sie darum ersucht oder wenn dies in einem eigenständigen völkerrechtlichen Vertrag vereinbart wird.24 Solche Vereinbarungen werden jedoch in der Praxis – anders als bei den Sicherheitsmaßnahmen, die eine Nutzung der Atomenergie zu militärischen Zwecken verhindern sollen – nur selten getroffen. Dies hat zur Folge, dass die zahlreichen und mitunter durchaus fortschrittlichen Sicherheitsnormen, die von der Internationalen Atomenergiebehörde schon frühzeitig im Rahmen des „Nuclear Safety Standards Programmes“ erarbeitet wurden,25 keine allgemeine völkerrechtliche Verbindlichkeit beanspruchen können. Die wiederholt unterbreiteten Vorschläge, hier eine grundlegende Änderung herbeizuführen, sind selbst nach der Katastrophe von Tschernobyl am Widerstand einzelner Staaten wie etwa Frankreich gescheitert.26 Etwas anderes gilt im Wesentlichen27 nur für die Abkommen betreffend die Entsorgung nuklearer Abfälle und die Haftung für Nuklearschäden28 sowie für die drei im Folgenden noch näher zu behandelnden Abkommen.

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So Art. II S. 2 Satzung der Internationalen Atomenergiebehörde. Art. III lit. B Nr. 6 Satzung der Internationalen Atomenergiebehörde. 24 Vgl. Art. III lit. A Nr. 6 Satzung der Internationalen Atomenergiebehörde. 25 Ein aktueller Überblick über die derzeit anwendbaren Safety Standards findet sich unter http://www-ns.iaea.org/standards/. 26 Näher zum Ganzen K. Ipsen, Prävention oder Reaktion? Sicherheitsmaßnahmen und Sicherheitsstandards im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation und die Konvention über kerntechnische Unfälle vom 26.9.1986, in: Festschrift für F. Fabricius, 1989, 357, 364 ff. 27 Näher zu den Einzelheiten W. Tonhauser, IAEA Technical Standard Setting (Summary Version), 2009, http://www.iilj.org/GAL/documents/GALch.Tonhauser.pdf. 28 Siehe die Nachweise in Anm. 16 f. 23

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II. Das Übereinkommen über nukleare Sicherheit Das wichtigste Abkommen ist das Übereinkommen über nukleare Sicherheit,29 das in weiten Teilen auf den „Fundamental Safety Standards“30 der Internationalen Atomenergiebehörde beruht. Das Abkommen ist 1996 in Kraft getreten und hat zurzeit 72 Vertragsparteien, darunter etwa die Bundesrepublik Deutschland, sämtliche deutsche Nachbarstaaten und auch Japan. Doch was hat es für die nukleare Sicherheit von AKWs gebracht? 1. Materielle Vorgaben Die Ziele des Übereinkommens sind jedenfalls anspruchsvoll: die Erreichung und Beibehaltung eines weltweit hohen Standards nuklearer Sicherheit, die Schaffung und Beibehaltung wirksamer Abwehrvorkehrungen gegen mögliche radiologische Gefahren, um den Einzelnen, die Gesellschaft und die Umwelt vor schädlichen Auswirkungen ionisierender Strahlung zu schützen, sowie die Verhütung von Unfällen mit radiologischen Folgen und die Milderung solcher Folgen, falls sie eintreten.31 Dabei hat das Übereinkommen ausweislich seiner Präambel durchaus auch grenzüberschreitende Auswirkungen von AKWs im Blick.32 Dem wird auch regelungstechnisch durch die Begründung von Konsultations- und Informationspflichten gegenüber Vertragsparteien in der Nachbarschaft einer vorgesehenen Kernenergieanlage Rechnung getragen.33 Diese Pflichten sind jedoch sehr allgemein gehalten und bleiben somit deutlich hinter dem Standard zurück, den zuvor das Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Raum,34 das so genannte Espoo-Übereinkommen, gesetzt hat. Dieses 29

Convention on Nuclear Safety (Übereinkommen über nukleare Sicherheit), 17.06.1994, UNTS Vol. 1963, 293 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1997 II 131). 30 Diese wurden erstmals 1993 in der IAEA Safety Series No. 110, „The Safety of Nuclear Installations“ veröffentlicht und liegen mittlerweile in der Fassung von 2006 vor, http://www-pub.iaea.org/MTCD/publications/PDF/Pub1273_web.pdf. 31 Art. 1 Übereinkommen über nukleare Sicherheit. 32 Ziffer v) Übereinkommen über nukleare Sicherheit. 33 Vgl. Art. 17 Ziffer iv) Übereinkommen über nukleare Sicherheit. 34 Convention on Environmental Impact Assessment in a Transboundary Context (Espoo-Übereinkommen), 25.2.1991, UNTS Vol. 1989, 309 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 2002 II 1407); näher zum Inhalt dieses Abkommens U. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, 2000, Rn. 453 ff.; Heintschel von Heinegg (Anm. 17), § 57 Rn. 109 ff.; Ph. Kunig, Nachbarrechtliche Staatenverpflichtungen bei Gefährdung und Schädigung der Umwelt, BDGV 32 (1992), 9, 42 ff.

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Übereinkommen wurde bereits im Jahre 1991 unterzeichnet35 und verpflichtet die Vertragsparteien dazu, bei der Planung der im Anhang 1 der Konvention aufgeführten Vorhaben, zu denen auch nukleare Wiederaufbereitungsanlagen und Kernkraftwerke gehören, eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit obligatorischer Beteiligung der betroffenen Nachbarstaaten durchzuführen.36 Ähnlich bescheiden fällt der Befund aus, wenn man sich einmal die materiellrechtlichen Anforderungen anschaut, die das Übereinkommen über nukleare Sicherheit mit Blick auf die Errichtung und den Betrieb von AKWs statuiert. Denn diese bleiben ebenfalls sehr allgemein und vielfach vage. So bestimmt etwa die bereits erwähnte Regelung mit der Überschrift „Standortwahl“, dass die Vertragsparteien sicherstellen, „dass geeignete Verfahren geschaffen und angewendet werden, a) um die Bewertung aller standortbezogenen einschlägigen Faktoren zu ermöglichen, welche die Sicherheit einer Kernenergieanlage während ihrer vorgesehenen Lebensdauer beeinträchtigen könnten; b) um die Bewertung der mutmaßlichen Auswirkungen unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit einer vorgesehenen Kernanlage auf den einzelnen, die Gesellschaft und die Umwelt zu ermöglichen“.37 Es findet sich also kein Wort darüber, dass nur hinreichend sichere Standorte für AKWs ausgewählt werden und daher beispielsweise akut durch Erdbeben gefährdete Gebiete bei der Standortwahl nach Möglichkeit ausscheiden sollten. Dieses Manko wird auch nicht durch entsprechend anspruchsvolle Regelungen betreffend die Auslegung, den Bau und den Betrieb von AKWs in irgendeiner Weise ausgeglichen. Das Übereinkommen bewegt sich vielmehr auch bei diesen Fragen im Ungefähren, wenn es etwa heißt, dass die Auslegung und der Bau einer Kernanlage mehrere zuverlässige Ebenen und Methoden zum Schutz gegen die Freisetzung radioaktiven Materials vorsehen und den zuverlässigen, beständigen und leicht zu handhabenden Betrieb ermöglichen sollen.38 Dieser überaus bescheidene materiell-rechtliche Ertrag hat seinen tieferen Grund darin, dass insbesondere die etablierten Atommächte ihre weiten Entscheidungsspielräume bei der Nutzung der Atomenergie auch nach Tschernobyl

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In Kraft getreten ist es jedoch erst am 10.9.1997. Auch ist zu beachten, dass das Übereinkommen gemäß Art. 16 nur den Mitgliedstaaten und beratenden Mitgliedern der Economic Commission for Europe zum Beitritt offen steht. 36 Vgl. im Einzelnen Art. 2 ff. Espoo-Übereinkommen. 37 Art. 17 Übereinkommen über nukleare Sicherheit. 38 Vgl. Art. 18 Ziffer i) und iii) Übereinkommen über nukleare Sicherheit.

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nicht aus der Hand geben wollten und sich daher a priori nur auf ein Rahmenübereinkommen auf der Grundlage der „Fundamental Safety Standards“ eingelassen haben.39 Diese Ausgangslage bei den Verhandlungen hat sich bereits in der Präambel des Abkommens niedergeschlagen, weil die Vertragsparteien hier eben auch bekräftigen, „dass die Verantwortung für die nukleare Sicherheit bei dem Staat liegt, dem die Hoheitsgewalt über eine Kernanlage zukommt“. Sie hat überdies dazu geführt, dass sich manche Bestimmungen jeglicher materieller Vorgaben enthalten und stattdessen bloße Verfahrenspflichten statuieren.40 Das wohl frappierendste Beispiel ist die Regelung betreffend „vorhandene Kernanlagen“ in Art. 6 des Übereinkommens, dessen gedrechselter Wortlaut lautet: Jede Vertragspartei trifft geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Sicherheit der Kernanlagen, die zu dem Zeitpunkt, zu dem das Übereinkommen für die Vertragspartei in Kraft tritt, vorhanden sind, sobald wie möglich überprüft wird. Sollte es sich im Zusammenhang mit diesem Übereinkommen als notwendig erweisen, stellt die Vertragspartei sicher, dass alle zumutbaren und praktisch möglichen Verbesserungen dringend vorgenommen werden, um die Sicherheit der Kernanlage zu erhöhen. Kann eine solche Verbesserung nicht erreicht werden, sollen Pläne durchgeführt werden, die Kernanlage so bald wie praktisch möglich abzuschalten. Bei der zeitlichen Festlegung der Abschaltung können der ganze energiewirtschaftliche Zusammenhang und mögliche Alternativen sowie die sozialen, umweltbezogenen und wirtschaftlichen Auswirkungen berücksichtigt werden.

2. Durchsetzungsmöglichkeiten Vor diesem Hintergrund kam und kommt es in der Tat darauf an, ob und inwieweit die abstrakt und vage gehaltenen materiellen Vorgaben des Übereinkommens über nukleare Sicherheit verfahrensrechtlich konkretisiert und durchgesetzt werden können.41 In diesem Punkt setzt das Übereinkommen jedoch einzig und allein auf einen rudimentär geregelten Überprüfungsmechanismus. Dessen Grundlage ist ein von den Vertragsstaaten zu erstellender Bericht über die Maßnahmen, die zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Abkommen getroffen wurden.42

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Näher zur Entstehung des Übereinkommens P. Reyners, The Convention on Nuclear Safety of 1994, RECIEL 5 (1996), 231 ff. 40 So auch M. T. Kamminga, The IAEA Convention on Nuclear Safety, ICLQ 44 (1995), 872, 877 f. 41 So bereits Kamminga (Anm. 40), 876 und 879. 42 Vgl. Art. 5 und 20 ff. Übereinkommen über nukleare Sicherheit.

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Dieser Bericht ist nach Maßgabe der einschlägigen Verfahrensregelungen43 zu erstellen und vor jeder so genannten Überprüfungstagung vorzulegen, die alle drei Jahre bei der Internationalen Atomenergiebehörde durchgeführt wird.44 Auf dieser Konferenz werden die Berichte der Vertragsparteien erörtert. Über die dabei diskutierten Fragen und gezogenen Schlussfolgerungen wird schließlich ein zusammenfassender Bericht erstellt.45 Bei alledem ist jedoch erstens zu beachten, dass die Vertragsparteien keineswegs verpflichtet sind, über alle die Sicherheit von AKWs betreffenden Maßnahmen zu berichten. Das Übereinkommen räumt ihnen vielmehr im Gegenteil ausdrücklich das Recht ein, sich auch insoweit auf ihre „Rechtsvorschriften zum Schutz von Informationen vor einer Preisgabe“ zu berufen.46 Zweitens ist der Inhalt der Debatten während der Überprüfung der Berichte auf jeder Tagung von Vertrags wegen vertraulich.47 Deshalb können die Umweltverbände die Überprüfungskonferenzen in der Regel nicht kritisch begleiten, sondern allenfalls den Endbericht kritisch kommentieren. Entsprechend gering ist denn auch das Interesse der breiteren Öffentlichkeit; es tendiert zumeist gegen Null. Drittens sollte man wissen, dass der zusammenfassende Bericht den Konsens der Vertragsparteien finden muss, bevor er das Licht der – aus den genannten Gründen zumeist nur wenig interessierten – Öffentlichkeit erblicken darf.48 Dies alles schlägt naturgemäß sowohl auf den Inhalt der Berichte der Vertragsparteien über deren Umsetzungsmaßnahmen als auch auf den Inhalt der Tagungsberichte durch. Das jüngste Beispiel liefert der zusammenfassende Bericht über die fünfte Überprüfungskonferenz, die vom 4. bis 14. April 2011 und damit drei Wochen nach dem Reaktorunglück in Fukushima abgehalten wurde. In diesem Tagungsbericht wird allgemein festgestellt, dass die Vertragsparteien in ihren Umsetzungsberichten, die freilich noch in 2010 erstellt worden waren, „von einem hohen Maß an Übereinstimmung mit den Vorgaben des Übereinkommens“

43 Die Verfahrensregelungen wurden auf der Grundlage von Art. 22 Übereinkommen über nukleare Sicherheit erlassen. Sie finden sich unter http://www.bfs.de/de/bfs/recht/rsh/ volltext/1E_Multilateral/1E_2_1_CNS.pdf. 44 Vgl. Art. 5 und 21 Abs. 3 S. 2 Übereinkommen über nukleare Sicherheit. Nach der zuletzt genannten Vorschrift sind drei Jahre der maximale Zeitraum, der zwischen den Tagungen liegen darf. Näher und in der Sache zu Recht kritisch zu diesem Aspekt Kamminga (Anm. 40), 879 f. 45 Vgl. Art. 25 Übereinkommen über nukleare Sicherheit. 46 Vgl. Art. 27 Abs. 1 Übereinkommen über nukleare Sicherheit. 47 Vgl. Art. 27 Abs. 3 Übereinkommen über nukleare Sicherheit. 48 Vgl. Art. 25 Übereinkommen über nukleare Sicherheit.

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berichten.49 Der einzige wirklich kritische Punkt, den die Überprüfung – jedenfalls dem Bericht zufolge – insoweit zutage gefördert hat, betrifft die Standortwahl vieler Vertragsparteien, die neue AKWs planen.50 Eine Erklärung für diesen erstaunlichen Befund liefert der Tagungsbericht gleich mit. Die Vertragsparteien weisen nämlich darauf hin, dass der Überprüfungsmechanismus schließlich nicht darauf abzielen sollte, die Sicherheit einzelner AKWs zu überprüfen. Zudem sei man insoweit auf die Genauigkeit und Vollständigkeit in den nationalen Berichten und in den Antworten auf die zuvor gestellten Fragen angewiesen.51 Der Bericht über die fünfte Überprüfungskonferenz enthält aber immerhin eine eigenständige Erklärung zum Unglück in Fukushima.52 Dort findet sich neben Beileids- und Solidaritätsbekundungen zunächst einmal eine allgemeine Bekräftigung der Ziele des Übereinkommens über nukleare Sicherheit. Ferner haben sich die Vertragsparteien darauf verständigt, Lehren aus dem japanischen Unfall zu ziehen und die Sicherheit ihrer bestehenden beziehungsweise geplanten AKWs weiterhin kritisch zu überprüfen. Bereits hier findet sich jedoch ein klarer Hinweis auf die primäre Verantwortung der einzelnen Staaten, der auch im Abschnitt über die Aufgaben der Internationalen Atomenergiebehörde betont wird. Eine Erklärung in Richtung verbindlicher Sicherheitsstandards und/oder verbindlicher Überprüfungsverfahren sucht man vergeblich. Das einzige wirkliche Novum53 ist, dass man sich darauf geeinigt hat, im Jahre 2012 eine außerordentliche Tagung abzuhalten, auf der die Maßnahmen überprüft werden sollen, die von den Vertragsparteien nach Fukushima durchgeführt wurden.54 49 Vgl. Ziffer 22 des Summary Reports of the 5th Meeting of the Contracting Parties to the Convention on Nuclear Safety, 4–14 April 2011, Vienna Austria (CNS/RM/2011/6/ FINAL), http://www-ns.iaea.org/downloads/ni/safety_convention/cns-summaryreport 0411.pdf. 50 Vgl. Ziffer 39 des Summary Reports (Anm. 49). 51 Vgl. Ziffer 20 des Summary Reports (Anm. 49). 52 Vgl. Ziffer 10 des Summary Reports (Anm. 49). 53 Hierbei handelt es sich zwar um die zweite außerordentliche Tagung (vgl. zu den Einzelheiten http://www-ns.iaea.org/conventions/nuclear-safety.asp), es ist aber die erste, die sich nicht nur mit Verfahrensfragen befasst. 54 Vgl. Ziffer 4 und 9 ff. des Summary Reports (Anm. 49). Derartige außerordentliche Tagungen finden ihre Grundlage in Art. 23 Abs. 1 Übereinkommen über nukleare Sicherheit. Das Second Extraordinary Meeting fand wohl vom 27.– 31. August 2012 in Wien statt; Informationen zu den Ergebnissen sind aber auf der Website der IAEA ohne Passwort nicht erhältlich; vgl. http://www-pub.iaea.org/iaeameetings/42501/Second-ExtraordinaryMeeting-and-Sixth-Organizational-Meeting-of-the-Contracting-Parties-to-the-Conventionon-Nuclear-Safety.

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3. Zwischenbilanz und Reformüberlegungen Dies alles zeigt, dass das Übereinkommen die selbst gesteckten Ziele bislang nur begrenzt erreicht hat.55 Es hat zwar die internationale Zusammenarbeit bei der Nutzung der Kernenergie weiter gestärkt und sicherlich auch in jenen Staaten, die sich auf eine entsprechende Kontrolle eingelassen haben, eine Verbesserung der Sicherheit gebracht. Derartige Verbesserungen hängen aber eben vom guten Willen des betreffenden Staates ab, weil es weiterhin an hinreichend konkreten und völkerrechtlich verbindlichen Vorgaben für die Errichtung und den Betrieb von AKWs mangelt. Dies zeigt gerade die Katastrophe in Fukushima. Denn diese ist ausweislich eines Berichts, den eine unabhängige Untersuchungskommission Anfang 2012 vorgelegt hat, auch darauf zurückzuführen, dass die Energieunternehmen und die japanische Regierung Sicherheitsbedenken aus dem Ausland stets ignoriert hätten. Nur deswegen habe es passieren können, dass in Fukushima alle Dieselaggregate für den Notfall an einem Ort zusammen im Untergeschoss des AKWs standen und infolgedessen durch den Tsunami allesamt zerstört wurden. Amerikanische Behörden hätten lange zuvor genau davor gewarnt; die entsprechende Notiz sei aber gleich in den Papierkorb gewandert.56 Vor diesem Hintergrund ist es mit Nachdruck zu begrüßen, dass die Generalkonferenz der Internationalen Atomenergiebehörde im September des Jahres 2011 einstimmig einen Aktionsplan über nukleare Sicherheit beschlossen hat, der unter anderem eine Überarbeitung und vor allem Stärkung der IAEA-Sicherheitsstandards für AKWs sowie eine Verbesserung der Umsetzung der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge einschließlich des Übereinkommens über nukleare Sicherheit fordert.57 Man wird jedoch angesichts der bisherigen Erfahrungen abwarten müssen, ob und gegebenenfalls was aus diesen Plänen am Ende wird. Denn solange in diesen Bereichen keine substantiellen Verbesserungen erzielt werden, bleibt es dabei, dass die bestehenden völkervertraglichen Regelungen nicht geeignet sind, auch nur ein Mindestmaß an nuklearer Sicherheit zu gewährleisten.58

55 Eine ähnliche kritische Bewertung des Übereinkommens findet sich bei Kamminga (Anm. 40), 875 ff., der im Übrigen noch weitere Schwächen des Übereinkommens benennt; deutlich optimistischer hingegen Heintschel von Heinegg (Anm. 17), § 57 Rn. 92: Das Übereinkommen trage zu einer merklichen Verbesserung der Sicherheit von Kernanlagen bei. 56 Vgl. FAZ v. 2.3.2012 („Mangel an Verantwortungsbewusstsein“), 6. 57 Der Bericht ist abrufbar unter http://www.iaea.org/newscenter/focus/actionplan/ reports/actionplanns130911.pdf. 58 Ähnlich C. Hinds, Umweltrechtliche Einschränkungen der Souveränität – Völkerrechtliche Präventionspflichten zur Verhinderung von Umweltschäden, 1997, 359, die ins-

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III. Die Abkommen über die Kooperation bei nuklearen Unfällen Schließlich möchte ich noch kurz die völkervertraglichen Regelungen betreffend die internationale Kooperation bei nuklearen Unfällen erwähnen. Hier kam es zwar bereits im Jahre 1986 als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Rahmen der Internationalen Atomenergiebehörde zum Abschluss zweier völkerrechtlicher Abkommen, die beide im Wesentlichen auf entsprechenden Standards der IAEA beruhen: dem Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen59 sowie dem Übereinkommen über Hilfeleistungen bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen.60 Deren Effektivität wird in der Literatur jedoch zu Recht bezweifelt.61 Denn wenn Sie sich stellvertretend die zentralen Regelungen des Abkommens über die Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen anschauen, werden Sie feststellen, dass sie den Vertragsparteien bei der Erfüllung ihrer Pflichten gewisse Spielräume belassen. Dessen ungeachtet sind die Vorgaben, die sich aus diesen Abkommen ergeben, am Ende klarer und damit verbindlicher als die Pflichten, die aus dem nun zu behandelnden Völkergewohnheitsrecht hergeleitet werden.62

C. Völkergewohnheitsrechtliche Grundsätze und Regelungen Hier fällt zunächst einmal auf, dass das Nachbarrecht und die sonstigen völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätze, die sich in der Zwischenzeit im Bereich des Umweltrechts herausgebildet haben, bei der völkerrechtlichen Beurteilung von, insbesondere grenznahen, AKWs immer noch eine erhebliche, wenn nicht gar die entscheidende Rolle spielen.63

gesamt feststellt, „dass die bestehenden rechtlichen Regelungen den Gefahren, die durch die Nutzung der Kernenergie entstehen, nicht angemessen sind“. 59 Convention on Early Notification of a Nuclear Accident, 26.9.1986, UNTS Vol. 1439, 275 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1989 II 435). 60 Convention on Assistance in Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, 26.9.1986, UNTS Vol. 1457, 133 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1989 II 441). 61 Vgl. etwa Ipsen (Anm. 26), 368 ff. m.w.N. 62 So auch Ipsen (Anm. 26), 372; Pelzer, Internationale Zusammenarbeit bei Atomkatastrophen: Die Lehren aus Tschernobyl und Fukushima, in diesem Band. 63 Vgl. etwa W. Hummer, Temelin: Das Kernkraftwerk an der Grenze, ZÖR 2008, 501 ff., wo das Übereinkommen über nukleare Sicherheit lediglich einmal auf Seite 510 kurz erwähnt wird.

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I. Völkerrechtliches Nachbarrecht Im Vordergrund steht dabei das völkerrechtliche Nachbarrecht, das sich gewohnheitsrechtlich entwickelt hat und als Nukleus des modernen Umweltvölkerrechts angesehen werden kann.64 1. Grundlagen Kennzeichnend für nachbarrechtliche Konflikte ist die Konkurrenz zwischen der territorialen Integrität des einen Staates und der Souveränität des anderen Staates. Dabei konnte sich bekanntlich die Harmon-Doktrin, nach der die Souveränität der Staaten auf ihrem Territorium auch gegenüber anderen Staaten absolut, also unbeschränkt sein soll, nicht durchsetzen.65 So hat ein Schiedsgericht bereits im Jahre 1941 im so genannten Trail-SmelterFall wirkmächtig festgestellt, dass nach den Prinzipien des Völkerrechts kein Staat das Recht habe, sein Gebiet in einer Weise zu nutzen oder eine Nutzung in einer Weise zuzulassen, dass dadurch im oder am Territorium eines anderen Staates schwere Schäden verursacht werden, wenn diese klar und überzeugend nachgewiesen werden können.66 Hierin ist denn auch die zentrale Regel im Bereich des völkerrechtlichen Nachbarrechts zu erblicken: das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen. Diese Regel wurde in der Folgezeit sowohl durch weitere Schiedssprüche und Urteile als auch durch die Staatenpraxis bestätigt.67 Hier ist etwa exemplarisch hinzuweisen auf das Prinzip Nr. 21 der Deklaration von Stockholm68 sowie auf den Grundsatz 2 der Erklärung von Rio.69 Vor diesem Hintergrund wird das Verbot

64 Vgl. etwa A. Proelß, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Aufl. 2010, 5. Abschnitt Rn. 93. 65 Vgl. hierzu und zum Folgenden etwa Proelß (Anm. 64), 5. Abschnitt Rn. 93 f.; Heintschel von Heinegg (Anm. 17), § 58 Rn. 4 ff. 66 Der Schiedsspruch ist u.a. abgedruckt in: AJIL 35 (1941), 684 ff. 67 Vgl. Die zahlreichen Nachweise bei A. Epiney, Das „Verbot grenzüberschreitender erheblicher Umweltbeeinträchtigungen“: Relikt oder konkretisierungsfähige Grundnorm?, AVR 33 (1995), 309, 317 f. 68 Declaration of the United Nations Conference on the Human Environment, 16.06.1972, ILM Vol. 11, 1416 . 69 Rio Declaration on Environment and Development, 14.06.1992, ILM Vol. 31, 874 (deutsche Übersetzung unter: http://www.un.org/Depts/german/conf/agenda21/rio.pdf).

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erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen zu Recht seit langem als fester Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts angesehen.70 Anwendung findet das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen nach vorherrschender Lesart nicht nur auf Nachbarn im engeren Sinne, sondern auf alle Staaten, auf die sich die Umweltbeeinträchtigungen auswirken (können).71 Dies ist insbesondere für AKWs von Bedeutung, weil sich die ionisierende Strahlung – wie das Beispiel Tschernobyl gezeigt hat – im Falle eines Reaktorunfalls auch auf weit entfernt liegende Staaten auswirken kann. Ferner ist ein weiter Umweltbegriff zugrunde zu legen, so dass es nicht darauf ankommt, wer oder was im Einzelfall auf welchem Wege geschädigt wird.72 2. Das Problem der Konkretisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen Während diese Grundlagen des Verbots erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen weitestgehend unbestritten sind, bereitet die Konkretisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen nennenswerte Schwierigkeiten. So ist etwa bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Umweltbeeinträchtigung umstritten, ob auf den jeweils aktuellen technischen Standard der emittierenden Anlage, auf die Grenzwerte des betroffenen Staates, auf Qualität und Quantität der emittierten Stoffe abzustellen ist und ob die Vorbelastung des Gebiets sowie die Sensibilität der betroffenen Ökosysteme zu berücksichtigen sind.73 3. Auswirkungen auf die Rechtsfolgen Diese Unsicherheiten schlagen naturgemäß auf die Beantwortung der Frage durch, welche konkreten Rechtsfolgen sich aus dem Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen im Einzelnen ergeben.

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Vgl. die zahlreichen Nachweise bei K. Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, 1998, 116; ferner Handl (Anm. 18), 15. 71 Vgl. Beyerlin (Anm. 34), Rn. 120; Proelß (Anm. 64), 5. Abschnitt Rn. 95; Kunig (Anm. 34), 12 f.; Epiney (Anm. 67), 333. 72 Vgl. Epiney (Anm. 67), 326 m.w.N. 73 Vgl. die Nachweise bei Odendahl (Anm. 70), 120; Einzelfragen behandeln etwa Kunig (Anm. 34), 19 f.; Epiney (Anm. 67), 336 f.

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a) Unterlassungsansprüche, v.a. gegen „ultra hazardous activities“? So ist nach wie vor lebhaft umstritten, ob sich aus den skizzierten nachbarrechtlichen Grundsätzen ein Verbot des Baus und Betriebs von grenznahen AKWs herleiten lässt. Die ersten, die diese Frage im deutschsprachigen Raum bejaht haben, waren Albrecht Randelzhofer und Bruno Simma, die in einem Rechtsgutachten für die Vorarlberger Landesregierung aus dem Jahre 1973 argumentiert haben, ein solches Kraftwerk sei im Ergebnis verboten, weil es die nicht ausschließbare Gefahr des Eintritts schwerster Schäden auf dem Gebiet des Nachbarstaates beinhalte.74 Diese Ansicht hat auch in der Folgezeit immer wieder Anhänger gefunden, obwohl jedenfalls Bruno Simma seine frühere Position in einem späteren Gutachten ausdrücklich aufgegeben hat.75 Hingewiesen sei hier etwa auf einen Beitrag von Waldemar Hummer, der sich im Jahre 1998 auf den Standpunkt stellte, dass erhebliche, unübliche Schäden, wie sie ausnahmsweise im Normalbetrieb oder sicher im Falle eines Reaktorunfalls auftreten können, völkerrechtswidrig seien und daher völkerrechtliche Unterlassungs- und Schadenersatzpflichten begründeten.76 Zur Begründung weist er vor allem darauf hin, dass die früher verbreitete Annahme, der Eintritt von Reaktorunfällen mit lebensbedrohenden Folgen oder gar einer Kernschmelze sei nicht hinreichend wahrscheinlich,77 durch den GAU von Tschernobyl widerlegt sei. Daher stelle der Betrieb eines grenznahen AKWs ohne Zweifel eine so genannte „ultra hazardous activity“, also ein besonders gefährliches Verhalten dar,78 für das nicht nur eine Verschuldens-, sondern eine Erfolgshaftung bestehe.79 Schließlich möchte ich noch einmal kurz daran erinnern, dass zuletzt auch der ehemalige Vizepräsident des IGH Weeramantry behauptet hat, die Weiterführung und Verbreitung von Atomreaktoren verletze Prinzipien des Völkerrechts.80 Ich habe nach meinem Eingangsstatement gewisse Sympathien für diesen Standpunkt, zumal er rechtsdogmatisch durchaus konsistent ist. Denn er beruht auf 74

Vgl. A. Randelzhofer/B. Simma, Das Kernkraftwerk an der Grenze, in: Festschrift für F. Berber, 1973, 389, 414 f., 422. 75 Vgl. B. Simma/G. Handl, Die völkerrechtliche Beurteilung grenzüberschreitender Auswirkungen von Kernkraftwerken, 1987, 65; B. Simma/G. Handl, Grenzüberschreitende Auswirkungen von Kernkraftanlagen und Völkerrecht, ÖZöRVR 1988, 1 ff. 76 Vgl. Hummer (Anm. 63), 509. 77 So etwa M. Kloepfer/C. Kohler, Kernkraftwerk und Staatsgrenze, 1981, 36. 78 Vgl. Hinds (Anm. 58), 45. 79 Vgl. Hummer (Anm. 63), 509. 80 Vgl. Weeramantry (Anm. 14).

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der logisch anmutenden Grundannahme, dass aus dem Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen konsequenterweise eine Pflicht zur Vermeidung solcher Beeinträchtigungen folgen muss.81 Folgt man dem, dann ist es nur folgerichtig, dass bereits das Vorliegen einer Gefahr eine verbotene Umweltbeeinträchtigung darstellen kann.82 An diesem Punkt stellt sich dann nur noch die Frage, welche Eintrittswahrscheinlichkeit zu fordern ist. Bei deren Beantwortung herrscht weitgehender Konsens, dass die Gefahrenschwelle in Abhängigkeit von dem zu erwartenden Schadensausmaß zu bestimmen ist.83 Überträgt man diese Grundsätze auf den Betrieb von AKWs, dann belegen nicht nur Tschernobyl und Fukushima, sondern auch die eingangs wiedergegebenen stochastischen Berechnungen, dass beim derzeitigen Bestand weltweit alle 25 Jahre mit einem Reaktorunfall mit verheerendem Schadensausmaß zu rechnen ist. Auf diese Weise kann man in der Tat schlüssig begründen, dass der Betrieb und auch die Errichtung von AKWs jedenfalls in einer Kontinentallage mit einer bereits hohen Anzahl an Meilern gegen das Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen verstößt. Dessen ungeachtet ist unmissverständlich festzuhalten, dass das so gefundene Ergebnis nicht vom geltenden Völkergewohnheitsrecht gedeckt ist. Dies wäre nämlich nur dann der Fall, wenn sich insoweit im erforderlichen Umfang eine entsprechende Staatenpraxis und auch eine entsprechende Rechtsüberzeugung, die opinio iuris, nachweisen ließen. Das ist indessen aus einer Reihe von Gründen nicht der Fall. Es ist zwar zu konstatieren, dass Staaten immer wieder gegen die Errichtung grenznaher AKWs protestiert haben. Dieser Protest wurde jedoch in den seltensten Fällen mit der Behauptung untermauert, dass anderenfalls ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Schädigungsverbot im Raum stehe. Stattdessen haben die jeweils involvierten Staaten – einschließlich der Bundesrepublik Deutschland – den Konflikt in den meisten Fällen einvernehmlich durch Konsultationen und aktive Zusammenarbeit gelöst.84 Überdies spricht in diesem Zusammenhang viel für die Deutung, dass die mittlerweile 151 Vertragsparteien der Satzung der Internationalen Atomenergiebehörde das dort niedergelegte Ziel, den Beitrag der Atomenergie zum Wohlstand zu

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Ebenso im Ausgangspunkt Heintschel von Heinegg (Anm. 17), § 58 Rn. 22. Vgl. hier nur Epiney (Anm. 67), 329 m.w.N. 83 Vgl. hier nur Epiney (Anm. 67), 342 f. m.w.N. 84 Näher zum Ganzen Handl (Anm. 18), 23 ff. mit konkreten Beispielen aus der Staatenpraxis und w.N. 82

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steigern,85 zumindest billigen. In ähnlicher Weise kann man schon aus der Existenz der zuvor erwähnten Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung und Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen und – mehr noch – aus dem Umstand, dass beide Übereinkommen mittlerweile über 100 Vertragsparteien haben,86 im Umkehrschluss die Konsequenz ziehen, dass jedenfalls die Hälfte der Völkergemeinschaft sich der Gefahren, die AKWs gerade für Nachbarstatten hervorrufen können, bewusst ist und diese zumindest in Kauf nimmt. Außerdem spricht gegen ein völkerrechtliches Verbot grenznaher AKWs, dass hierdurch die Standortwahl aufgrund der geographischen Lage des Staates erheblich eingeschränkt oder gar die Errichtung von AKWs wegen der geringen Größe des Staatsgebiets ausgeschlossen werden könnte. Schließlich ist mit Blick auf die opinio iuris darauf hinzuweisen, dass selbst die deutschsprachige Völkerrechtslehre überwiegend und im Ergebnis zu Recht davon ausgeht, dass sich aus der Völkerrechtsordnung auch unter dem Gesichtspunkt der so genannten „ultra hazardous activities“ kein generelles Verbot von (grenznahen) AKWs herleiten lässt.87 b) Ansprüche auf Durchführung präventiver Sicherheitsmaßnahmen Angesichts dessen stellt sich umso mehr die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sich aus dem Nachbarrecht nicht wenigstens Ansprüche auf Durchführung präventiver Sicherheitsmaßnahmen ergeben. Insoweit habe ich bereits darauf hingewiesen, dass es auf den ersten Blick durchaus logisch erscheint, aus dem Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen eine Pflicht zur Vermeidung solcher Beeinträchtigungen herzuleiten.88 Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass sich diese beiden Pflichten grundlegend unterscheiden. Während ein Verstoß gegen das Schädigungsverbot zumeist ex post eindeutig feststellbar ist, erfordert die Schadensverhinderungspflicht eine Beurteilung ex ante.89 Dessen ungeachtet bin ich angesichts der Staatenpraxis, wie sie sich vor allem in zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen und Erklärungen niedergeschlagen hat, so wie viele andere auch der Ansicht, dass eine 85

Vgl. Art. II S. 1 Satzung der Internationalen Atomenergiebehörde. Der „latest status“ dieser Abkommen kann auf der Internetseite der IAEA abgerufen werden, http://www.iaea.org/Publications/Documents/Conventions/. 87 Vgl. etwa Odendahl (Anm. 70), 127 ff.; L. Gündling, Verantwortlichkeit der Staaten für grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigungen, ZaöRV 1985, 265, 282; Epiney (Anm. 67), 330 f. 88 Vgl. Heintschel von Heinegg (Anm. 17), § 58 Rn. 22; Hinds (Anm. 58), 347 f. 89 Vgl. Heintschel von Heinegg (Anm. 17), § 58 Rn. 22. 86

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solche Pflicht jedenfalls dem Grunde nach nicht nur regional, sondern universal gewohnheitsrechtlich anerkannt sein dürfte.90 Doch auch hier lautet die Gretchenfrage: Was folgt daraus konkret? Hierzu wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, dass sich aus der Schadensverhinderungspflicht jedenfalls für AKWs eine Pflicht ergebe, die besten verfügbaren Techniken anzuwenden, wie sie insbesondere in den Sicherheitsstandards der Internationalen Atomenergiebehörde zum Ausdruck kommen.91 Zur Begründung dieses Ergebnisses kann man zwar darauf verweisen, dass einige völkerrechtliche Quellen den Begriff der besten verfügbaren Techniken oder ähnliche Begriffe in der Tat verwenden.92 Entscheidend ist jedoch, dass sich daraus in den seltensten Fällen eine völkerrechtliche Pflicht ergibt, diesen Standard auch einzuhalten. Überdies ist zu berücksichtigen, dass selbst das Übereinkommen über nukleare Sicherheit dergleichen nicht fordert und einige Staaten in der Vergangenheit immer wieder bewusst gegen eine Bindungswirkung der IAEA-Sicherheitsstandards votiert haben. Und auch die „Draft Articles on the Prevention of Transboundary Harm from Hazardous Activities“ der International Law Commission93 sehen nur eine Pflicht der Staaten vor, alle angemessenen Maßnahmen zur Vermeidung erheblicher grenzüberschreitender Umweltbelastungen zu ergreifen.94 Daher kann eine solche Pflicht jedenfalls keine universelle Bindung beanspruchen.95 Fraglich ist aber, ob sich nicht wenigstens in den Staaten Westeuropas eine dahingehende, hinreichend gefestigte Praxis entwickelt hat, so dass man zumindest regional eine völkergewohnheitsrechtliche Anerkennung bejahen kann.96 Dafür 90 Ebenso ICJ, Pulp Mills on the River Uruguay (Argentina v. Uruguay), Judgment of 20 April 2010, ICJ Reports 2010, 14, (45 f.); ferner etwa Epiney (Anm. 67), 329; Handl (Anm. 18), 16; Odendahl (Anm. 70), 124 ff.; jeweils m.w.N. auch zur Gegenansicht; G. Winter, Klima-Engineering: last exit oder exitus?, ZUR 2011, 458, 463, meint sogar, das Bestehen einer materiellen Vermeidungspflicht sei „unzweifelhaft“. 91 So etwa Kloepfer/Kohler (Anm. 77), 47 ff. und 189 f.; Handl (Anm. 18), 51 ff. 92 Vgl. die Nachweise bei A. Epiney/M. Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, 1998, 141 f. 93 Diese sind u.a. abgedruckt bei I. Brownlie, Principles of Public International Law, 7. Aufl. (2008), 280 ff. 94 Art. 3 der Draft Articles on the Prevention of Transboundary Harm from Hazardous Activities. 95 Ebenso mit Blick auf eine Pflicht zur Minimierung neuer oder zusätzlicher grenzüberschreitender Umweltbelastungen Heintschel von Heinegg (Anm. 17), § 58 Rn. 22; Odendahl (Anm. 70), 129 ff. 96 Vgl. allgemein zur Möglichkeit der Herausbildung von regionalem Völkergewohnheitsrecht Heintschel von Heinegg (Anm. 17), § 16 Rn. 44 ff.; Ph. Kunig, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Auflage 2010, 2. Abschnitt Rn. 137.

Atomkraftwerke aus umweltvölker- und nachbarrechtlicher Sicht

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konnte man immerhin auf eine entsprechende bilaterale Staatenpraxis97 sowie auf einige grundlegende EU-Richtlinien hinweisen, die, beginnend mit der Richtlinie von 1984 zur Bekämpfung der Luftverunreinigung durch Industrieanlagen,98 die Mitgliedstaaten auf die Einhaltung der besten verfügbaren Techniken verpflichteten beziehungsweise verpflichten.99 Dem stand bis vor Kurzem auch nicht das sekundäre EU-Recht entgegen, das zum Atom- und Strahlenschutzrecht erlassen wurde. Die Richtlinie von 1996 betreffend die Gefahren ionisierender Strahlen100 fordert sogar im Gegenteil, dass die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen schaffen, die zur Gewährleistung des größtmöglichen Schutzes der Bevölkerung erforderlich sind.101 Diese Ausgangssituation hat sich bedauerlicherweise im Jahre 2009 durch den Erlass der Richtlinie über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit102 grundlegend gewandelt. Denn diese Richtlinie betont gebetsmühlenartig die einzelstaatliche Verantwortung der Mitgliedstaaten für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen,103 die auch und gerade für die zentrale materielle Verpflichtung der Richtlinie, nämlich die Annahme innerstaatlicher Anforderungen für die nukleare Sicherheit, uneingeschränkt gelten soll.104 Dabei werden die Mitgliedstaaten selbst mit Blick auf die zuvor erwähnten Fundamental Safety Standards der Internationalen Atomenergiebehörde, nur dazu angehalten, diese „wenn angebracht, … in Betracht [zu] ziehen“.105 Demgegenüber 97

Vgl. D. Rauschning, Allgemeine Völkerrechtsregeln zum Schutz gegen grenzüberschreitende Umweltbelastungen, in: Festschrift für H.-J. Schlochauer, 1981, 557, 567 f. 98 Richtlinie 84/360/EWG des Rates vom 28. Juni 1984 zur Bekämpfung der Luftverunreinigung durch Industrieanlagen (ABl. EG Nr. L 188 vom 16.7.1984, 20). 99 Hier sind ferner zu nennen: Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABl. EG Nr. L 257 vom 10.10.1996, 26); Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, (ABl. EU Nr. L 24 vom 29.1.2008, 8); Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2010 über Industrieemissionen (ABl. EU Nr. L 334 vom 17.12.2010, 17). 100 Richtlinie 96/29/Euratom des Rates vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen (ABl. EG Nr. L 159 vom 29.6.1996, 1). 101 Vgl. Art. 43 der Richtlinie 96/29/Euratom. 102 Richtlinie 2009/71/Euratom des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen (ABl. EU Nr. L 172 vom 5.7.2009, 18). 103 Im 8. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/71/Euratom wird sie sogar als „Grundprinzip“ gekennzeichnet. 104 Vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2009/71/Euratom. 105 Vgl. den 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/71/Euratom.

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werden die zumeist viel konkreteren Safety Requirements und Safety Guides der IAEA nicht einmal erwähnt. Statt dessen werden die Prüfungen durch internationale Experten unter Federführung der IAEA ohne Not in den Erwägungsgründen systematisch kleingeredet, wenn es etwa heißt, diese seien weder eine Inspektion noch ein Audit, sondern ein System des Voneinanderlernens, bei dem eine zuständige Regulierungsbehörde unterschiedliche Ansätze verfolgen kann.106 Die Wirkungen dieser Richtlinie sind nicht nur ernüchternd, sondern gerade vor dem Hintergrund von Fukushima höchst bedenklich. Denn die Richtlinie bringt nicht nur keine nennenswerten Fortschritte für die nukleare Sicherheit in der EU. Sie unterminiert vielmehr im Gegenteil die genannten Bestrebungen der IAEA, eine universelle Aufwertung der Sicherheitsstandards zu erreichen. Schließlich stellt die Richtlinie ernsthaft in Frage, ob man mit Blick auf Westeuropa (noch) von einer hinreichenden Praxis sprechen kann, die darauf schließen lässt, dass diese Staaten eine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht anerkennen, auch beim Betrieb von AKWs die besten verfügbaren Techniken anzuwenden. II. Die (eingeschränkte) Bedeutung des völkerrechtlichen Vorsorgeprinzips Etwas anderes ergibt sich weder auf universaler noch auf regionaler Ebene aus den Prinzipien, die sich im Umweltvölkerrecht herausbilden bzw. herausgebildet haben. Das gilt wohlgemerkt auch für das Vorsorgeprinzip. Denn zum einen erscheint bereits zweifelhaft, ob das Vorsorgeprinzip als Völkergewohnheitsrecht anzuerkennen ist, weil die Inhalte allzu stark variieren und sich schon von daher keine ausreichende einheitliche Staatenpraxis herausgebildet hat.107 Aber selbst wenn man unter Hinweis darauf, dass sich die verschiedenen Ausprägungen des Vorsorgeprinzips immerhin auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen,108 von einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung ausgeht, wird man 106

Vgl. den 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/71/Euratom. Vgl. M. Bothe, Meeresdüngung und Völkerrecht, ZUR 2011, 466, 468; A. Proelß, Das Umweltvölkerrecht vor der Herausforderung des Klimawandels (Ansätze zu einer bereichsüberschreitenden Operationalisierung des Vorsorgeprinzips), JZ 2011, 495, 498; ausführlich Epiney/Scheyli (Anm. 92), 98 ff.; zum Streit in der anglo-amerikanischen Literatur vgl. St. J. Mead, The Precautionary Principle: A Discussion of the Principle’s Meaning and Status, NZJEnvtlL 2004, 137, 162 ff. 108 Wesentliches Element des Vorsorgeprinzips ist dasjenige des Verzichts auf eine völlige wissenschaftliche Gewissheit; vgl. näher Epiney/Scheyli (Anm. 92), 110 ff., unter Verweis auf entsprechende internationale Dokumente; ebenso etwa Bothe (Anm. 107), 468; S. R. Laskowski, Das Menschenrecht auf Wasser, 2010, 98; Proelß (Anm. 107), 497 f. 107

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zum anderen daraus mit Blick auf die Errichtung und den Betrieb von AKWs keine gewohnheitsrechtlich konsentierten Anforderungen der zuvor beschriebenen Art herleiten können. So wird zwar im Schrifttum zu Recht darauf hingewiesen, dass die Pflicht zur Verwendung der besten verfügbaren Techniken ebenso wie die Pflicht zur Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen den Gedanken der Vorsorge bereichsübergreifend aufnimmt und konkretisiert.109 Daraus kann indessen aus den zuvor genannten Gründen (noch) nicht die Konsequenz gezogen werden, dass die Verwendung einer Technologie, die nicht dem Stand der Technik entspricht, als völkerrechtswidrig einzustufen ist, wenn daraus eine erhebliche Gefährdung der Umwelt erwächst.110

D. Fazit und Ausblick Der Beitrag hat erstens gezeigt, dass es durchaus zweifelhaft ist, ob die geltenden völkervertragsrechtlichen Regelungen eine hinreichende Gewähr dafür bieten, auch nur die größten Gefahren zu bannen, die von AKWs ausgehen können. Zweitens hat sich herausgestellt, dass jedenfalls das geltende Völkergewohnheitsrecht hier keine Abhilfe schafft. Letzteres hat seinen tieferen Grund darin, dass sich im Schrifttum immer wieder Beispiele für die These von Wolf Heintschel von Heinegg finden, dass im Umweltvölkerrecht nicht selten – getragen von dem durchaus anerkennenswerten Wunsch, die Staaten zu verstärkten Anstrengungen zum Schutz der Umwelt zu bewegen – bloß regional und partiell anerkannte Standards als Ansatz gewählt werden, um die Existenz einer Vielzahl gewohnheitsrechtlicher Pflichten zu behaupten. Daher mahnt Heintschel von Heinegg zu Recht, Aufgabe der Lehre sei nicht allein die fortschreitende Entwicklung, sondern auch die Feststellung des geltenden Völkerrechts.111 Und das geltende Völkerrecht gibt eben in den hier interessierenden Bereichen nicht mehr her als das, was zuvor ausgeführt wurde. Doch mit diesem ernüchternden Befund soll der Beitrag nicht enden. Auch Bertolt Brecht entlässt sein Publikum in „Der gute Mensch von Sezuan“, anders als weiland Marcel Reich-Ranicki beim „Literarischen Quartett“, gerade nicht mit der immer wieder zitierten Sentenz „Wir stehen selbst und sehen betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“. Nein, Brecht lässt am Ende des Stückes viel-

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Vgl. Epiney/Scheyli (Anm. 92), 94 f. So aber Epiney/Scheyli (Anm. 92), 147. Vgl. Heintschel von Heinegg (Anm. 17), § 58 Rn. 1.

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mehr ausrufen: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! / Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss“.112 Und für einen guten Schluss gibt es auch bei dem hier behandelten Thema genügend Ansätze. Dies gilt zunächst einmal für die zuvor skizzierten Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts, weil diese durchaus einer Weiterentwicklung zugänglich sind. Hierzu wurde im Schrifttum bereits eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die es speziell mit Blick auf die hier behandelten Themen zu diskutieren gilt.113 Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei dem speziell mit Blick auf grenznahe AKWs entwickelten Konzept des schonenden Souveränitätsausgleichs114 und auch den Vorschlägen in Richtung einer Stärkung der Nichtregierungsorganisationen115 geschenkt werden, weil hier gerade bei den Tagungen der IAEA Defizite zu verzeichnen sind. Dessen ungeachtet versprechen auch einige Entwicklungen auf der Ebene dieser Behörde Aussicht auf Besserung. Dies gilt in besonderem Maße für den bereits erwähnten Aktionsplan über nukleare Sicherheit, der immerhin von der Generalkonferenz und damit von den Vertretern sämtlicher Mitglieder verabschiedet wurde und der unter anderem eine Überarbeitung und Stärkung der IAEASicherheitsstandards für AKWs sowie eine Verbesserung der Umsetzung der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge einschließlich des Übereinkommens über nukleare Sicherheit fordert.116 Denn die Erfahrungen, nicht zuletzt in der EU, zeigen, dass substantielle Verbesserungen der Umweltsituation und der Sicherheitslage gerade in Staaten mit unterschiedlicher Rechts- und Verwaltungskultur immer noch am ehesten durch konkrete materielle Standards erreicht werden können. Die Erkenntnis, dass dies in gleicher Weise für die Errichtung und den Betrieb von AKWs gilt, muss sich jedoch aus den genannten Gründen auch auf europäischer Ebene erst einmal politisch und normativ durchsetzen. Dabei ist nach dem grundlegenden Urteil des EuGH vom 27. Oktober 2009 davon auszugehen, dass der EAG-Vertrag der Euratom – entgegen früheren Einschätzungen in der Literatur117 – sehr wohl die notwendigen Befugnisse einräumt, um normativ und administrativ

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B. Brecht, Der gute Mensch von Sezuan, 1964, 144. Vgl. die Darstellung bei Odendahl (Anm. 70), 314 ff. m.w.N. 114 Wegbereitend Kloepfer/Kohler (Anm. 77), 36 ff. 115 Vgl. dazu etwa Beyerlin (Anm. 34), Rn. 65 ff. 116 Vgl. Anm. 57. 117 Vgl. etwa N. Pelzer, in: H. W. Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. II/1, 2. Aufl. 2003, § 57 Rn. 11 und 19. 113

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für eine akzeptable Sicherheit von europäischen AKWs zu sorgen.118 Deutschland sollte im eigenen Interesse darauf hinwirken, dass diese Befugnisse verstärkt genutzt werden. Dabei wäre ein – teilweise mit Nachdruck geforderter119 und nunmehr unstreitig zulässiger120 – Austritt aus der Euratom wenig hilfreich und am Ende sogar kontraproduktiv.

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Vgl. EuGH, EuZW 2010, 26 ff. (v.a. Rn. 100 ff.); in der Tendenz wie hier, aber teilweise immer noch zu eng W. Frenz/C. Ehlenz, Die europäische Atompolitik nach dem Vertrag von Lissabon und aktuelle Fragen des Atommüllexports, RdE 2011, 4, 44 f; ferner zu den Konsequenzen für die Zulässigkeit von europäischen „Stresstests“ D. Winkler, Atomausstieg via Europa? – Rahmenbedingungen des europäischen Rechts für eine neue politische Diskussion, DÖV 2011, 804, 806 ff. 119 Vgl. etwa das dahingehende Gutachten von B. Wegener (Die Kündigung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft), http://www.gruene-bundestag. de/cms/archiv/dokbin/170/170871.reader_euratom_gutachten_im_auftrag_der.pdf. 120 Vgl. Art. 106a Abs. 1 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV), i.d.F. des Vertrags von Lissabon (Abl. EU Nr. C 327 vom 26.10.2012, 1) i.V.m. Art. 50 Vertrag über die Europäische Union (EUV), i.d.F. des Vertrags von Lissabon (ABl. EU Nr. C 326 vom 26.10.2012, 13).

Internationale Zusammenarbeit bei Atomkatastrophen: Die Lehren aus Tschernobyl und Fukushima Von Norbert Pelzer

A. Friedliche Kernenergienutzung im internationalen Rechtssystem I. Internationale Unfälle – Momentum für internationale Rechtssetzung Aus Schaden wird man klug – diese Weisheit lernt jedes Kind: Wenn es sich einmal an Heißem verbrannt hat, wird es in Zukunft Heißes meiden, oder, wenn das Heiße unverzichtbar erscheint, Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Dies gilt auch für den Bereich des Rechts, insbesondere für das Völkerrecht, das keinen allgemeinen Gesetzgeber kennt, der vorsorgende Rechtsregeln bereitstellt. So bedurfte es des Torrey Canyon Unfalls von 1967, um die Staaten von der Notwendigkeit des Abschlusses von völkerrechtlichen Verträgen über die Haftung für Ölverschmutzungsschäden zu überzeugen.1 Selbstverständlich hat die Staatengemeinschaft aus dem Reaktorunfall von Tschernobyl am 26. April 1986 Lehren gezogen, wie in diesem Beitrag dargelegt werden wird. Auch der Fukushima-Daiichi Unfall am 11. März 2011 wird Folgen für die internationale Zusammenarbeit bei Atomkatastrophen haben. Aber dennoch sind diese Unfälle nicht die Ersterfahrung des Kindes mit Heißem. Atomenergienutzung begann mit der Atombombe. Man wusste also von Anbeginn an, dass man es mit einer risikoreichen, mit einer janusköpfigen Energie zu tun hat, die große Vorteile mit großen Risiken verbindet. Die neue Energiequelle 1 Zum Unfallhergang vgl. z.B. G. Hall, Torrey Canyon alerted the world to the dangers that lay ahead, Professional Mariner, Issue 103, April/May 2007, http://www.professional mariner.com/ME2/dirmod.asp?sid=420C4D38DC9C4E3A903315CDDC65AD72&nm= Archives&type=Publishing&mod=Publications%3A%3AArticle&mid=8F3A7027421841. Zum Ölhaftungsrecht vgl. statt vieler R. Herber, Seehandelsrecht, 1999, 188 ff.; R. Altfuldisch, Haftung und Entschädigung nach Tankerunfällen auf See, 2006; L. C. Kappet, Tankerunfälle und der Ersatz ökologischer Schäden, 2006.

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wurde zwar einerseits geradezu mit euphorischer Begeisterung begrüßt. So liest man z.B. im Atomplan der SPD von 1956: „Die kontrollierte Kernspaltung und die auf diesem Wege zu gewinnende Kernenergie leiten den Beginn eines neuen Zeitalters für die Menschheit ein. Die Atomenergie kann zu einem Segen für Hunderte von Millionen Menschen werden, die noch im Schatten leben“.2 Aber man näherte sich gleichwohl der neuen Energie mit Vorsicht. Der sog. Brookhaven Report von 1957 sagte für den Fall eines größeren nuklearen Unfalls zahlenmäßig belegte katastrophale Folgen für Mensch und Umwelt voraus.3 Die Staaten reagierten durchaus auf diese Risikoabschätzungen, und die ab Ende der 1950er Jahre erlassenen nationalen Atomgesetze spiegeln die Risiken in strengen Genehmigungsund Überwachungsvorschriften wider. Alle nationalen Atomgesetze der Welt sind Verbotsgesetze mit Erlaubnisvorbehalt und etablieren ein permanentes Kontrollund Überwachungssystem. Das „permission principle“ und das „permanent control principle“ gehören zu den tragenden Grundsätzen des Atomenergierechts.4 II. Internationalisierung des Atomrechts Die nationalen Gesetzgebungen beruhen inhaltlich vielfach auf internationalem technischen Empfehlungen und Standards, insbesondere solcher der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO). Über die Aktivitäten der IAEO und der Europäischen Gemeinschaften/EU informieren die Beiträge von Tonhauser und Grunwald in diesem Band.5 Insbesondere im Bereich des Strahlenschutzes6 2

Atomplan der SPD 1956, F. Osterroth/D. Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie Bd. 2, 3. Auflage 2005, 157 ff. 3 Theoretical Possibilities and Consequences of Major Accidents in Large Nuclear Power Plants (Brookhaven Report), Washington, D.C. 1957 (WASH-740). Der Bericht wurde ersetzt durch den sog. Rasmussen Report „The Reactor Safety Study“, Washington, D.C. 1975 (WASH-1400) und dann durch den Bericht „Severe Accident Risks: An Assessment for Five U.S. Nuclear Power Plants“, Washington, D.C. 1991 (NUREG-1150). 4 Vgl. C. Stoiber/A. Baer/N. Pelzer/W. Tonhauser, Handbook on Nuclear Law, 2003, 7 f. 5 W. Tonhauser, The International Atomic Energy Agency as a „Watchdog“ over the Safe and Peaceful Uses of Nuclear Energy, 167; J. Grunwald, Europarechtliche Vorgaben zur friedlichen Nutzung der Atomenergie: Euratom- und EU-Normen, 185. 6 Vgl. z.B. schon frühzeitig das Übereinkommen No. 115 der ILO: Convention Concerning the protection of workers against ionising radiations, 22.6.1960, UNTS Vol. 431, 441 (= BGBl. 1973 II 934), sowie die ursprüngliche Fassung der Euratom Grundnormen für den Gesundheitsschutz: Richtlinien zur Festlegung der Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen (ABl. EG Nr. 11 vom 20.2.1959, 211; derzeit gültige Fassung ABl. EG Nr. L 159 vom 29.6.1996, 1).

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und der Beförderung radioaktiver Materialien7 gab es schon früh verbindliche internationale Instrumente. Ziemlich ungewöhnlich für das Völkerrecht ist freilich, dass bereits Ende der 1950er Jahre – also etwa zeitgleich mit dem Beginn der weltweiten Entwicklung ziviler Nuklearprogramme – internationale Überlegungen über den Schadensausgleich bei Eintritt nuklearer Schäden angestellt wurden: Es wurden Verhandlungen über den Abschluss von Konventionen über die zivilrechtliche Haftung für nukleare Schäden geführt. Ihr Ergebnis sind das regionale Pariser Atomhaftungsübereinkommen von 1960 (PÜ 1960) mit dem ergänzenden Brüsseler Zusatzübereinkommen von 1963 (BZÜ 1963)8 und das globale Wiener Atomhaftungsübereinkommen von 1963 (WÜ 1963).9 Das Atomenergierecht ist somit schon frühzeitig eine im erheblichen Umfang internationalisierte Rechtsmaterie, die insbesondere Normen der Schadensverhütung und des Schadensausgleichs bereitstellte. Die Staaten akzeptierten für einen Teilbereich definierte Souveränitätsbeschränkungen. Sie trugen damit dazu bei, das insbesondere von Odendahl beschriebene und entwickelte Prinzip der „Um7

Das Recht der Beförderung radioaktiver Stoffe ist Teil des umfassenden Rechts der Beförderung gefährlicher Stoffe, das seinerseits auf Empfehlungen des ECOSOC beruht: UN Recommendations on the Transport of Dangerous Goods (Orange Book), 1956 (UN Doc. ST/ECA/43-E/CN.2/170). Die IAEO veröffentlichte im Jahre 1961 erstmals Empfehlungen über die Beförderung radioaktiver Stoffe: Regulations for the Safe Transport of Radioactive Material, IAEA Safety Series No. 6, 1961 (aktuell wurden die IAEA Safety Series ersetzt durch die IAEA Safety Standards, die neueste Version der Empfehlungen über die Beförderung radioaktiver Stoffe ist von 2009, IAEA Safety Standard Series No. TS-R-1, 2009). Die IAEO Empfehlungen bilden seither den die radioaktiven Stoffe betreffenden Teil der UN Empfehlungen und haben so Eingang in die internationalen Beförderungsübereinkommen gefunden, wie z.B. das Europäische Übereinkommen über die internationale Beförderung von gefährlichen Gütern auf Binnenwasserstraßen (ADN), 26.5.2000, UNTS Vol. 2499, 3; u.a. 8 Übereinkommen über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie i.d.F. der Protokolle von 1964 und von 1982 (Pariser Übereinkommen – PÜ 1960), 29.7.1960, UNTS Vol. 956, 251; Vol. 956, 335; Vol. 1519, 325 (= BGBl. 1976 II 310, 311; 1985 II 690); Zusatzübereinkommen vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 i.d.F. der Protokolle von 1964 und 1982 (Brüsseler Zusatzübereinkommen – BZÜ 1963), 31.1.1963, UNTS Vol. 1041, 358; Vol. 1041, 410; Vol. 1650, 444 (= BGBl. 1976 II 310, 318; 1985 II 690). Das PÜ hat 16 und das BZÜ hat 12 Vertragsparteien (Stand: Februar 2013). 9 Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage (Wiener Übereinkommen – WÜ 1963), 21.5.1963, INFCIRC/500, UNTS Vol. 1063, 266 (nachrichtlich: BGBl. 2001 II 207). Das WÜ 1963 hat 38 Vertragsparteien (Stand: Februar 2013; IAEA Registration No. 1277).

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weltpflichtigkeit der Souveränität“ zu bekräftigen.10 Als sich am 26. April 1986 der Reaktorunfall von Tschernobyl ereignete, schienen die rechtlichen Instrumente vorhanden zu sein, um die Folgen zu bewältigen. Das erwies sich jedoch schnell als ein Irrtum. Warum das vorhandene Instrumentarium nicht genutzt werden konnte, hatte einen ganz schlichten Grund: Der Unfallstaat, die Sowjetunion, besaß weder eine adäquate nationale Atomgesetzgebung noch war er Vertragsstaat möglicherweise einschlägiger völkerrechtlicher Verträge wie z.B. des Wiener Übereinkommens.11 Die Sowjetunion war auch zunächst nicht kooperationswillig. Sie informierte nicht nur nicht Nachbarstaaten über mögliche Auswirkungen des Unfalls, sondern bestritt sogar, dass der Unfall radioaktive Kontaminationen in anderen Staaten zur Folge gehabt habe. Überlegungen, einen völkerrechtlichen Anspruch gegen die Sowjetunion auf angemessene und unverzügliche Information über den Unfall auf völkergewohnheitsrechtliches Nachbarrecht oder auf das Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung, dessen Vertragspartei die Sowjetunion war,12 zu stützen, erwiesen sich schnell als rechtlich unsicher, jedenfalls aber als müßig, weil die Großmacht Sowjetunion offensichtlich nicht zu reagieren gewillt war. Es wurden auch weder völkerrechtliche noch zivilrechtliche Ersatzansprüche von Staaten oder Einzelpersonen gegen die Sowjetunion oder gegen den Reaktorbetreiber geltend gemacht. Diese erste Lehre aus dem Tschernobyl-Unfall bestätigt, dass das Völkerrecht nur eine unvollkommene Rechtsordnung ist. Weder können Staaten gezwungen werden, neue Verträge abzuschließen oder bestehenden Verträgen beizutreten, noch gibt es im Regelfall wirkungsvolle Zwangsmittel, völkerrechtliche Verpflichtungen, insbesondere gegenüber Großmächten, durchzusetzen. Das „Nicht-Funktionieren“ der bestehenden nationalen und internationalen Regelungen ist jedoch nicht allein auf die unkooperative Haltung der Sowjetunion zurückzuführen, sondern es zeigte sich, dass zumal die internationalen Regelungen substantielle Lücken enthielten. Hier wurde Regelungsbedarf sichtbar.

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K. Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität, Berlin 1998. Einen Überblick über die sowjetische Gesetzgebung und die Folgegesetzgebung nach dem Unfall gibt: M. Zgersky (Moscow State Law Academy), Legal Regime of the Chernobyl Problems in the USSR, Belarus, Russia and the Ukraine, http://www.rri.kyoto-u.ac.jp/ NSRG/reports/kr21/kr21pdf/Zgersky.pdf. 12 Convention on Long-Range Transboundary Air Pollution, 13.11.1979, UNTS Vol. 1302, 217 (= BGBl. 1982 II 374). 11

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B. Reaktionen der Staatengemeinschaft auf den Tschernobyl-Unfall Der Unfall löste ohne Verzögerungen intensive Aktivitäten der Staaten aus. Er war ein Alarmsignal, das verstanden wurde und schließlich zu einer „new era in international nuclear cooperation, involving States which had so far been removed both geographically and technologically from nuclear power“ führte.13 Bereits neun Tage nach dem Ereignis, nämlich am 5. Mai 1986, gaben die sieben führenden Industriestaaten und die EU auf einem Gipfeltreffen in Tokio eine Erklärung zu den Auswirkungen des Tschernobyl-Unfalls ab.14 Sie bekräftigten, dass die Kernenergie, sofern sie ordnungsgemäß gehandhabt wird, weiterhin eine vermehrt genutzte Energiequelle sein werde. Sie bestätigten, dass „for each country the maintenance of safety and security is an international responsibility, and each country engaged in nuclear power generation bears full responsibility for the safety of the design, manufacture, operation and maintenance of its installations. Each country, furthermore, is responsible for prompt provision of detailed and complete information on nuclear emergencies and accidents, in particular those with potential transboundary consequences“.15 Die Staatschefs bestätigten ferner, dass ihre eigenen Staaten diese Verantwortlichkeit akzeptieren, und forderten die Sowjetunion dringend auf, die nötigen Informationen bezüglich des Tschernobyl-Unfalls und des ihn auslösenden Reaktortyps den ersuchenden Staaten zu übermitteln. Die Sowjetunion nahm diesen Appell auf, übermittelte freilich die Informationen nicht unmittelbar an die betroffenen Staaten, sondern entschied, die IAEO „als zentrales Forum zu nutzen, um die Welt zu informieren“.16 Diese Information war ein unverzichtbarer Schritt, denn zu jener Zeit waren

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J. Rautenbach/W.Tonhauser/A. Wetherall, Overview of the International Legal Framework Governing the Safe and Peaceful Uses of Nuclear Energy – Some Practical Steps, in: OECD-NEA/IAEA (Hrsg.), International Nuclear Law in the Post-Chernobyl Period, 2006, 7, 7. 14 IAEA, Statement issued on 5 May 1986 by the heads of state or governments of seven major industrial nations and the representatives of the European Community, 5.5.1986 (IAEA Doc. INFCIRC/333). 15 Ziffer 2 der Erklärung (Anm. 14). 16 F. Niehaus, Internationale Zusammenarbeit bei der Nuklearen Sicherheit, in: D. Schriefer/W. Sandtner/W. Rudischhauser (Hrsg.), 50 Jahre Internationale Atomenergie-Organisation IAEO, 2007, 96, 99. Vgl. ferner zur Rolle der IAEO: N. Pelzer, The impact of the Chernobyl accident on international nuclear energy law, AVR 25 (1987), 294, 298 f.

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außerhalb der Sowjetunion Kenntnisse über Reaktoren des Tschernobyl-Typs praktisch nicht vorhanden.17 Im September 1986 begannen Vertragsverhandlungen, an denen auch die Sowjetunion, bald ersetzt durch die Russische Föderation und weitere GUSStaaten, teilnahm. Sie zogen sich mit unterschiedlichen Verhandlungsgegenständen bis in das Jahr 2005 hin, waren intensiv und schwierig, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Insgesamt wurden zehn multilaterale Verträge ausgehandelt und angenommen. Sie enthalten für die Vertragsparteien verbindliche Regelungen für folgende Bereiche: – „emergency response“, d.h. Maßnahmen in unmittelbarer Reaktion auf einen nuklearen Unfall; – nukleare Sicherheit; – Haftung für nukleare Schäden; – physischer Schutz von Kernmaterial. Zusätzlich zu diesen neuen rechtlichen Instrumenten haben internationale Regierungsorganisationen und unter diesen an erster Stelle die IAEO internationale technische Sicherheitsstandards für alle Bereiche der Kernenergienutzung und des Umgangs mit ionisierenden Strahlen, die den rechtlichen Rang von Empfehlungen haben, fortentwickelt oder neu geschaffen. Diese Standards bilden gewissermaßen das Fleisch an dem Gerippe der internationalen Verträge und auch der nationalen Gesetzgebung. Sie repräsentieren den internationalen Stand von Wissenschaft und Technik im Bereich der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes. Ihre Berücksichtigung ist ein Indiz, dass Kernenergienutzung lege artis erfolgt. Dieser Teil der internationalen Zusammenarbeit in Reaktion auf Tschernobyl wird von Juristen leicht übersehen, weil es sich um Juristen wenig vertraute technische Regelwerke handelt, die rechtlich nicht verbindlich sind. Ihre Bedeutung für die Verbesserung der nuklearen Sicherheit kann aber gleichwohl nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die eindrucksvolle Liste der Sicherheitsstandards allein der IAEO kann auf deren Website ‚www.iaea.org‘ abgerufen werden. Im Folgenden sollen die genannten Bereiche internationaler Aktivitäten näher betrachtet werden.

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Zur Technik des Tschernobyl-Reaktors vgl. z.B. M. V. Malko, The Chernobyl Reactor: Design Features and Reasons for Accident, http://www.rri.kyoto-u.ac.jp/NSRG/reports/ kr79/kr79pdf/Malko1.pdf.

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C. „Emergency Response“ In rekordverdächtiger Zeit von nur vier Wochen wurden zwei internationale Verträge ausgehandelt und am 26. September 1986 – also nur fünf Monate nach Tschernobyl – angenommen, nämlich das – Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen,18 und das – Übereinkommen über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen.19 Die Übereinkommen sind am 27. Oktober 1986 bzw. am 26. Februar 1987 in Kraft getreten und haben 115 bzw. 109 Vertragsstaaten.20 Der schnelle Abschluss der Verträge wurde durch langjährige und gründliche Vorarbeiten der IAEO begünstigt,21 ist aber dennoch schon deshalb erstaunlich, weil die Staaten bis zu dem Tschernobyl-Unfall mit ganz wenigen Ausnahmen22 nicht bereit waren, in 18

Convention on Early Notification of a Nuclear Accident, 26.9.1986, IAEA Doc. INFCIRC/335, UNTS Vol. 1439, 275 (= BGBl. 1989 II 435). 19 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, 26.9.1986, IAEA Doc. INFCIRC/336, UNTS Vol. 1457, 133 (= BGBl. 1989 II 441). 20 Stand: Februar 2013, IAEA Registration Nos. 1532, 1534. 21 Die Entstehungsgeschichte der beiden Übereinkommen ist dokumentiert in: IAEA (Hrsg.), Convention on Early Notification of a Nuclear Accident and Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, IAEA Legal Series No. 14, 1987. Vgl. zu den beiden Übereinkommen ferner: A. O. Adede, The IAEA Notification and Assistance Conventions in Case of a Nuclear Accident, 1987; P. Cameron, The Vienna Conventions on Early Notification and Assistance, in: P. Cameron/L. Hancher/ W. Kühn (Hrsg.), Nuclear Law after Chernobyl, 1988, 19 ff.; B. Moser, The IAEA Conventions on Early Notification of a Nuclear Accident and on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, in: OECD-NEA/IAEA (Hrsg.), International Nuclear Law in the Post-Chernobyl Period, 2006, 119 ff. 22 Die Ausnahmen sind das Nordic Mutual Emergency Assistance Agreement in Connection with Radiation Accidents, 17.10.1963, IAEA Doc. INFCIRC/49, UNTS Vol. 525, 76, dem die nordischen Staaten und die IAEO angehören, sowie die Convention entre la Belgique et la France sur la protection radiologique concernant les installations de la Centrale nucléaire des Ardennes, 23.9.1966, UNTS Vol. 588, 228. Hinzuweisen ist auch auf die OEEC Council Decision (61) 80, Decision on the Establishment of a Supervision and Warning System in Cases of Increase of Environmental Radioactivity, 7.7.1961 (OEEC Doc. C(61)98 (Final) Scale 1). Vgl. zu den Rechtsproblemen auch N. Pelzer, Legal Problems of International Danger Protection and of International Emergency Assistance in the Event of Radiation Accidents, in: UN/IAEA (Hrsg.), Peaceful Uses of Atomic Energy, Proceedings of the Fourth International Conference on the Peaceful Uses of Atomic Energy, Geneva 6–16 September 1971, Vol. 3, 1972 (Proceedings Series), 451 ff.

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diesen Bereichen völkerrechtlich verbindliche Verpflichtungen zu übernehmen. Was regeln die Übereinkommen konkret? Die Übereinkommen legen einen verbindlichen Rahmen für frühzeitige Information über Unfälle und für Hilfeleistung nach Unfällen fest. Das Benachrichtigungsübereinkommen stellt sicher, dass die Vertragsstaaten andere Staaten – also nicht nur andere Vertragsstaaten – über Unfälle in Kernanlagen und beim Umgang mit radioaktiven Stoffen, bei denen radioaktive Stoffe freigesetzt werden oder werden können, die zu grenzüberschreitenden schädlichen Auswirkungen führen oder führen können, unmittelbar oder über die IAEO mit allen erforderlichen Einzelheiten benachrichtigen (Artikel 1–3, 5). Der Tschernobyl-Unfall wäre ein solches meldepflichtiges Ereignis gewesen. Das Übereinkommen ermutigt in seinem Artikel 9 zum Abschluss ergänzender zwei- oder mehrseitiger Verträge. Das Hilfeleistungsübereinkommen begründet in seinem Artikel 1 eine allgemeine Verpflichtung zur Zusammenarbeit „to facilitate prompt assistance in the event of a nuclear accident or radiological emergency to minimize its consequences and to protect life, property and the environment from the effects of radioactive releases“. Um diese Zusammenarbeit zu erleichtern, können die Vertragsstaaten zwei- oder mehrseitige Verträge abschließen. Benötigt ein Vertragsstaat im Falle eines nuklearen Unfalls Hilfe, so kann er jeden anderen Vertragsstaat unmittelbar oder durch die IAEO um diese Hilfe bitten. Der ersuchte Vertragsstaat entscheidet umgehend, ob er in der Lage ist, die erbetene Hilfe zu gewähren (Artikel 2). Betrachtet man die Grundverpflichtungen nach beiden Übereinkommen, so scheint das Ergebnis enttäuschend zu sein. Zwar statuiert das Benachrichtigungsübereinkommen eine Meldepflicht, doch nur solche Ereignisse sind zu melden, die sich auf andere Staaten auswirken oder auswirken können. Ob das der Fall ist, entscheidet der Unfallstaat. Das Hilfsübereinkommen begründet weder eine Pflicht zur Hilfeleistung noch zur Annahme von Hilfe.23 Natürlich wurden diese Mängel sofort erkannt und kritisiert.24 Die Kritik ist zutreffend, geht aber dennoch fehl. Die beiden Übereinkommen legen lediglich einen 23

Vgl. dazu allgemein W. Bischof, Rechtsgrundlagen der internationalen Hilfeleistung bei Katastrophen und Unglücksfällen, unter besonderer Berücksichtigung des Atomrechts, Wirtschaft und Technik im Völkerrecht, Symposium aus Anlass des 50jährigen Jubiläums des Instituts für Völkerrecht der Universität Göttingen, 1982, 227 ff.; Odendahl (Anm. 10), 135 f. 24 Vgl. insbesondere F. Zehetner, Grenzüberschreitende Hilfe bei Stör- und Unfällen, in: N. Pelzer (Hrsg.), Friedliche Kernenergienutzung und Staatsgrenzen in Mitteleuropa, Tagungsbericht der AIDN/INLA Regionaltagung Regensburg 1986, 1987, 118 ff. m.w.N. Allgemein zur Thematik: M. Silagi, Völkerrechtliche Verpflichtungen des Genehmigungsstaates bei Stör- und Unfällen, ebenda, 150 ff.

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weltweiten rechtlichen Rahmen fest, der der Ausfüllung und Ergänzung im regionalen Bereich bedarf. So hat Deutschland z.B. mit allen seinen unmittelbaren Nachbarstaaten und darüber hinausgehend bilaterale Verträge über Katastrophenhilfe abgeschlossen.25 Auch die EU sieht ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz vor.26 In diesen regionalen Instrumenten sind die Einzelheiten geregelt. Weltweit war nicht mehr zu erreichen, und es ist fraglich, ob eine weltweite Detailregelung überhaupt sinnvoll ist. Hingewiesen muss hier allerdings auf die wichtige Rolle, die die IAEO bei der weltweiten praktischen Implementierung der beiden Übereinkommen spielt. Die IAEO hat ein „Emergency Response Network (ERNET)“ eingerichtet,27 welches angemessen ausgerüstet ist, „to respond rapidly and, in principle, on a regional basis, to nuclear or radiological emergencies“.28 Japan ist Vertragspartner beider Übereinkommen, und so wurde Fukushima deren erste praktische Bewährungsprobe. Soweit bekannt, hat Japan seinen Informationspflichten genügt und erbetene und gewährte Hilfe wurde im Rahmen des 25 Siehe die vom Deutschen Feuerwehrverband herausgegebene Zusammenstellung: Bilaterale Katastrophenhilfeleistungsabkommen Deutschlands. Einführung und Übersicht, http://dfv.org/fileadmin/dfv/Dateien/Fachthemen/FB_Katastrophenschutz/Bilaterale_Hilfe leistungsabkommen_-_Nov_08.pdf. Vgl. ferner das vom Bundesamt für Strahlenschutz nach dem Stand vom 30. März 2011 herausgegebene Verzeichnis „Übersicht über die gegenwärtig gültigen bilateralen Abkommen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der kerntechnischen Sicherheit und des Strahlenschutzes“, http://www.bfs.de/de/ bfs/recht/rsh/1D_Bilaterale_Abkommen_1211.pdf. 26 Vgl. Entscheidung 87/600/Euratom des Rates vom 14. Dezember 1987 über Gemeinschaftsvereinbarungen für den beschleunigten Informationsaustausch im Fall einer radiologischen Notstandssituation (ABl. EG Nr. L 371 vom 30.12.1987, 76); Entscheidung 2007/ 779/EG, Euratom des Rates vom 8. November 2007 über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung) (ABl. EU Nr. L 314 vom 1.12.2007, 9). Vgl. ferner: Abkommen zwischen der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) und Nichtmitgliedstaaten der Europäischen Union über die Teilnahme an Vereinbarungen in der Gemeinschaft für den schnellen Austausch von Informationen in einer radiologischen Notstandssituation (Ecurie), 29.1.2003 (ABl. EU Nr. C 102 vom 29.4.2003, 2). 27 Vgl. dazu die Information „Incident and Emergency Centre“, http://www-ns.iaea. org/tech-areas/emergency/incident-emergency-centre.asp sowie die diese IAEO-Aktivität besonders hervorhebende IAEA General Conference, Resolution GC(44)/RES/16, September 2000 (IAEA Doc. GC(44)/RES/16). Vgl. ferner: Preparedness and Response for a Nuclear or Radiological Emergency, Safety Requirements, IAEA Safety Standards Series No. GS-R-2, 2002. 28 IAEA Response and Assistance Network. Incident and Emergency Centre, EPRRANET, 2010, Foreword, http://www-pub.iaea.org/MTCD/publications/PDF/ranet 2010_web.pdf. Hinzuweisen ist auch auf den International Nuclear and Radiological Event Scale – INES, der der Klassifizierung von Unfällen dient; vgl. http://www-ns.iaea.org/techareas/emergency/ines.asp.

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Hilfsübereinkommens abgewickelt. Allerdings gibt es eine fast bizarr zu nennende Ausnahme. Hinsichtlich der von den USA geleisteten Hilfe wurde mit Japan vereinbart, dass diese nicht im Rahmen des Hilfsübereinkommens geleistet wurde. Die USA wollten dadurch verhindern, dass die in Artikel 10 des Übereinkommens enthaltene Schadensersatzregelung als Rechtsgrundlage benutzt wird, um amerikanische Fukushima-Zulieferer vor US Gerichten zu verklagen.29

D. Nukleare Sicherheit Die vielleicht bedeutsamste rechtliche Folge des Tschernobyl-Unfalls waren die Fortschritte, die im Bereich der Internationalisierung der nuklearen Sicherheit gemacht wurden. Dies ist deshalb etwas ausführlicher darzustellen.

I. Nukleare Sicherheit – eine nationale Domäne Während es, wie erwähnt, schon frühzeitig internationale Strahlenschutzvorschriften und internationale Vorschriften über die Beförderung von radioaktivem Material gab, war die nukleare Sicherheit, d.h. die Sicherheit des Brennstoffkreislaufs und insbesondere die Reaktorsicherheit, stets eine dem nationalen Recht vorbehaltene Domäne. Sie wurde sorgfältig gehütet, weil sie nicht nur die nationale Energieerzeugung betraf, sondern weil der Betrieb von Kernanlagen auch technologische Spitzenstellung anzeigte und so Gegenstand des Nationalstolzes war. Zwar gab es längst internationale technische Sicherheitsstandards, aber diese sind unverbindliche Empfehlungen, und über ihre Anwendung befanden die Staaten in souveräner Eigenentscheidung. Internationalen rechtlichen Bindungen im Hinblick auf nukleare Sicherheit unterwarfen sich die Staaten nicht. Erst Tschernobyl schuf das Momentum, diese Lage zu ändern.

29 Mündliche Information an den Verfasser. Auf die sich aus Art. 10 des Hilfsübereinkommens bei Haftpflichtprozessen außerhalb Japans ergebenden Risiken für die US Privatindustrie weist aber auch hin: J. A. Glasgow, Post Fukushima: Key Nuclear Regulatory and Nuclear Liability Actions and Issues, American Bar Association, Annual Meeting, Toronto, 4–9 August 2011, Slides 1, 47 f., j_glasgow_aba_annual_meeting_presentation. authcheckdam (5) = http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:B0IFSfpmDK 0J:www.americanbar.org/content/dam/aba/events/public_utility/j_glasgow.

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II. Die Sicherheitsübereinkommen Nach nur zweijährigen Verhandlungen wurde am 20. September 1994 das Übereinkommen über nukleare Sicherheit zur Unterzeichnung aufgelegt.30 Es trat im Oktober 1996 in Kraft und hat 75 Vertragsstaaten.31 Der Abschluss dieser Konvention wurde als Meilenstein gefeiert, und es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Anstoß zu dem Vertragsschluss 1991 vom damaligen deutschen Umweltminister Klaus Töpfer gegeben wurde.32 Nur drei Jahre nach dem Sicherheitsübereinkommen, nämlich am 5. September 1997, wurde ein weiteres Übereinkommen über nukleare Sicherheit angenommen: das Gemeinsame Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle,33 das 2001 in Kraft trat und 64 Vertragsstaaten zählt.34 Nukleare Sicherheit wurde damit erstmals Gegenstand völkerrechtlicher Vertragsverpflichtungen. Nukleare Sicherheit steht seither für die Vertragsstaaten der Übereinkommen nicht mehr im nationalen Belieben. Die Übereinkommen legen Grundverpflichtungen fest, die sicherstellen sollen, dass der Betrieb von Kernkraftwerken bzw. der Umgang mit abgebrannten Brennelementen und radioaktiven Abfällen keine Gefahren für Mensch und Umwelt verursachen. Es soll ein „weltweit hoher Stand nuklearer Sicherheit durch Verbesserung innerstaatlicher Maßnahmen und internationaler Zusammenarbeit“ erreicht und beibehalten werden. Bereits diese Zweckbestimmung in Artikel 1 beider Konventionen macht deutlich, dass nukleare Sicherheit nicht allein eine nationale 30

Convention on Nuclear Safety, 17.6.1994, IAEA Doc. INFCIRC/449, UNTS Vol. 1963, 293 (= BGBl. 1997 II 131). 31 Stand: Februar 2013, IAEA Registration No. 1676. 32 Zu dem Übereinkommen vgl. z.B. C. Stoiber, The Convention on Nuclear Safety: An Introduction, Nuclear Inter Jura’95, The Biennial Congress of the International Nuclear Law Association AIDN/INLA, Helsinki 1995, Proceedings, 1996, 655 ff.; C. Pinel, La Convention sur la sûreté nucléaire adoptée le 17 juin 1994: Amélioration ou deterioration de la règle de droit? La confiance en question, Nuclear Inter Jura’95, ebenda, 671 ff.; G. Handl, The IAEA Nuclear Safety Conventions: An Example of Successful „Treaty Management“?, NLB No. 72 (December 2003), 7 ff. 33 Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management (Gemeinsames Übereinkommen), 29.9.1997, IAEA Doc. INFCIRC/546, UNTS Vol. 2153, 303 (= BGBl. 1998 II 1753). 34 Stand: Februar 2013, IAEA Registration No. 1729. Zu dem Übereinkommen vgl. z.B. W. Tonhauser/O. Jankowitsch, The Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, in: OECD-NEA/IAEA (Hrsg.), International Nuclear Law in the Post-Chernobyl Period, 2006, 201 ff.; A. de Kageneck/ C. Pinel, The Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, ICLQ 47 (1998), 409 ff.

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Aufgabe, sondern auch eine der gesamten Staatengemeinschaft ist. Nukleare Sicherheit wird sozusagen internationalisiert und der alleinigen nationalen Verfügungsgewalt entzogen, ohne freilich die Einzelstaaten aus ihrer Verantwortung zu entlassen, was in den Präambeln ausdrücklich betont wird. Die einzelnen Vertragsbestimmungen können hier nicht näher betrachtet werden. Sie enthalten keine detaillierten technischen Anweisungen, sondern die Übereinkommen begründen Verpflichtungen, Grundsätzen der Sicherheit [= den sog. Safety Fundamentals] Geltung zu verschaffen; sie statuieren keine konkreten Sicherheitsanforderungen im Einzelnen.35 Darauf wird sogleich zurückzukommen sein. III. Die Sicherheitsübereinkommen – wegbereitende Übereinkommen Interessanter als die Einzelheiten der Regelung ist das Konzept der Übereinkommen. Sie bezeichnen sich in den Präambeln als „incentive Convention“, „Convention incitative“, „Convención con carácter de estímulo“, was vielleicht etwas blass als „wegbereitendes Übereinkommen“ ins Deutsche übersetzt wurde.36 Die Präambeln erklären ferner, dass die Vertragsstaaten den Wunsch haben, eine „wirksame nukleare Sicherheitskultur zu fördern“, „to promote an effective nuclear safety culture“.37 Was bedeutet das? Dem Juristen bereiten solche Formulierungen zunächst Unbehagen, weil sie unscharf sind und zugleich auch ein wenig hochtrabend zu sein scheinen. Es zeigt sich indessen schnell, dass sie trefflich einen völkerrechtlichen Vertragstyp kennzeichnen, der innovativ ist. Es wurde bereits gesagt, dass die Staaten sich lange einer Internationalisierung der nuklearen Sicherheit entzogen und diese als gehütete staatliche Domäne betrachteten. Das zeigte sich auch noch bei den Verhandlungen zu den Sicherheitsübereinkommen. Es wurde darauf geachtet, dass nicht etwa eine internationale 35

Vgl. hierzu die Entstehungsgeschichte: O. Jankowitsch-Prevor, The Convention on Nuclear Safety, in: OECD-NEA/IAEA (Hrsg.), International Nuclear Law in the PostChernobyl Period, 2006, 155, 158 f. 36 Präambelabsatz vii Sicherheitsübereinkommen; Präambelabsatz ix Gemeinsames Übereinkommen. Zu diesem Konzept vgl. insbesondere T. de Wright, The „Incentive“ Concept as Developed in the Nuclear Safety Conventions and its Possible Extension to Other Sectors, NLB No. 80 (2007/2), 29 ff. 37 Präambelabsatz iv Sicherheitsübereinkommen; Präambelabsatz v Gemeinsames Übereinkommen. Der Begriff Sicherheitskultur wird von der IAEO wie folgt definiert: „Safety Culture is that assembly of characteristics and attitudes in organizations and individuals which establishes that, as an overriding priority, nuclear plant safety issues receive the attention warranted by their significance“, Safety Culture. A Report by the International Nuclear Safety Advisory Group, IAEA Safety Series No. 75-INSAG-4, 1991, 4.

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Genehmigungspflicht mit einer internationalen Instanz geschaffen wurde. Auch verhandelten Staaten mit unterschiedlichen rechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen und technischen Standards miteinander, was leicht zu Missverständnissen und Spannungen führte. Zwar war nach Tschernobyl wohl allgemein der Wille vorhanden, für die nukleare Sicherheit international verbindliche Regeln zu schaffen, doch gingen die Vorstellungen über Inhalt und Umfang dieser Regeln weit auseinander. IV. Verpflichtung zur Einhaltung von Sicherheitsgrundsätzen Als ein hilfreiches Element zur Überwindung dieser Schwierigkeiten erwies sich, dass die den Übereinkommenstext vorbereitende Expertengruppe beschloss, die sog. Safety Fundamentals als einzigen inhaltlichen technischen Input zugrundezulegen. Die Safety Fundamentals sind von einer hochrangigen IAEO Expertengruppe – ursprünglich: International Nuclear Safety Advisory Group, heute: International Nuclear Safety Group (INSAG) – beschlossene Empfehlungen.38 Sie enthalten keine Detailregelungen, sondern nur Sicherheitsgrundsätze und sog. „basic requirements“. Zu solchen Grundsätzen gehören: Verpflichtungen zur Schaffung eines rechtlichen Rahmens für Gesetzgebung und Vollzug, über die Einrichtung einer staatlichen Stelle zur Durchführung des rechtlichen Rahmens, über die Verantwortung des Genehmigungsinhabers, über den Vorrang der Sicherheit, über Finanzmittel und Personal, über menschliche Faktoren, über Qualitätssicherung, über Bewertung und Nachprüfung der Sicherheit, über den Strahlenschutz, über Notfallvorsorge, über die Standortwahl, über Auslegung und Bau sowie über den Betrieb von Anlagen.39 Die Beschränkung der technischen Vertragsverpflichtungen auf solche wenigen Grundprinzipien erleichterte es den Staaten, die mit einer völkerrechtlichen Verpflichtung verbundenen Souveränitätseinbußen hinzunehmen, oder anders gewendet, in konkreten Verpflichtungen anzuerkennen, dass Souveränität nicht schrankenlos, sondern Mensch und Umwelt verpflichtet ist.40 Grundprinzipien sind allgemein 38

Grundlegend: Nuclear Safety Infrastructure for a National Nuclear Power Programme Supported by the IAEA Fundamental Safety Principles, INSAG-22, 2008. Siehe ferner: Fundamental Safety Principles – Safety Fundamentals –, IAEA Safety Standards Series No. SF-1, 2006. Vgl. zu den derzeit für Kernkraftwerke vorliegenden Safety Fundamentals die Informationen auf der IAEA website: http://www-ns.iaea.org/standards/documents/ default.asp?s=11&l=90&sub=10. 39 Art. 7–19 Sicherheitsübereinkommen; vergleichbare Bestimmungen enthält das Gemeinsame Übereinkommen. 40 Odendahl (Anm. 10), 377 ff., kennzeichnet die Umweltpflichtigkeit der Souveränität als eine „immanente Schranke“, welche die Handlungsfreiheit der Staaten in Bezug auf die

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formuliert und enthalten Auslegungsspielraum, der auch unterschiedlich genutzt werden kann. Beispiel: Artikel 10 des Sicherheitsübereinkommens statuiert den Grundsatz des Vorrangs der Sicherheit. Er lautet: Jede Vertragspartei trifft die geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass alle Organisationen, die mit Tätigkeiten in unmittelbarem Zusammenhang mit Kernanlagen befasst sind, Leitlinien entwickeln, die der nuklearen Sicherheit den gebotenen Vorrang einräumen.

In dieser Vertragsverpflichtung ist das Ziel eindeutig formuliert: Der nuklearen Sicherheit ist der gebotene Vorrang einzuräumen. Wie dieses Ziel zu erreichen ist, bleibt den Staaten überlassen. Damit wird die Umsetzung einer wesentlichen Voraussetzung des Übereinkommens erleichtert oder sogar ermöglicht, nämlich, dass die Verantwortung für nukleare Sicherheit bei dem Staat liegt, dem die Hoheitsgewalt über die Anlage zukommt. Diese hier genutzte Rechtstechnik findet sich auch bei allen anderen materiellen Verpflichtungen nach den Sicherheitsübereinkommen: Das Ziel wird festgelegt, der Weg liegt im Belieben der Vertragsparteien. V. Nationale Verantwortlichkeit v. „collective responsibility“ Mit dieser Bestätigung der nationalen Verantwortlichkeit ergab sich aber zugleich auch ein Konflikt mit der angestrebten Internationalisierung der nuklearen Sicherheit, die von einer „collective responsibility“41 ausgeht. Es musste somit ein Instrumentarium gefunden werden, das einerseits die Einhaltung der Verpflichtungen der Vertragsparteien, also die Internationalisierung der Sicherheit, gewährleistete und das andererseits die Verantwortung der Anlagenstaaten für die Sicherheit nicht schmälerte. Das Lösungswort heißt „peer group review“. Man verzichtete in den Sicherheitsübereinkommen auf Sanktionen bei Vertragsverletzungen, also z.B. auf Streitbeilegungsmechanismen mit Schiedsgerichten oder ähnlichem. Stattdessen sehen sie sog. Überprüfungstagungen, „review meetings“, vor, die in höchstens dreijährigen Abständen stattfinden und auf denen die Vertragsstaaten Berichte42 vorzulegen von ihr kontrollierte Umwelt von vornherein begrenze und die als Völkergewohnheitsrecht oder auch als allgemeiner Rechtsgrundsatz begründbar sei. Wenn man dem folgt, dann hätten die Verpflichtungen der Sicherheitsübereinkommen wohl nur konkretisierenden Charakter im Rahmen einer Kodifikation. Allerdings würde eine solche Schlussfolgerung einer durchaus möglichen, jedoch noch nicht gesicherten Entwicklung vorgreifen. 41 J. N. Barkenbus/C. Forsberg, Internationalizing Nuclear Safety: The Pursuit of Collective Responsibility, Annual Revue of Energy and the Environment 20 (1995), 179 ff. 42 Zum Inhalt der Berichte vgl. IAEA, Guidelines Regarding National Reports under the Convention on Nuclear Safety, 4.4.2011 (IAEA Doc. INFCIRC/572 Rev. 3); Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste

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haben über die Art und Weise, wie sie die einzelnen Vertragsverpflichtungen erfüllen. Diese Berichte werden auf den Tagungen mit den anderen Vertragsstaaten diskutiert. Es besteht eine Verpflichtung, an den Tagungen teilzunehmen. Die Vereinbarkeit der staatlichen Maßnahmen betreffend die nukleare Sicherheit wird somit von den anderen Vertragsstaaten, den gleichrangigen Peers, überprüft und im Diskurs bewertet. Die Vertragsstaaten müssen sich nicht Gerichtsurteilen oder Schiedssprüchen unterwerfen. Auch sonstige Zwangsmaßnahmen sind nicht vorgesehen: Die „Peers“ diskutieren auf gleicher Ebene untereinander, ob die Umsetzung der Vertragsverpflichtungen jeweils angemessen ist.43 Da die Vertragsverpflichtungen zur nuklearen Sicherheit allgemein gehalten sind, gibt es regelmäßig auch keine Ja- oder Nein-Entscheidungen, sondern es gibt Alternativen. Es wird insbesondere die Möglichkeit eröffnet, Sicherheitsziele Schritt für Schritt zu erreichen. Man war sich nämlich bei den Vertragsverhandlungen bewusst, dass der angestrebte „high level of nuclear safety worldwide“44 nicht gewissermaßen mit dem Inkrafttreten der Übereinkommen gleichsam durch Zauberhand sofort erreicht werden kann. Die Übereinkommen sollten vielmehr einen bindenden Prozess in Gang setzen, der in von Staat zu Staat unterschiedlichen Schritten am Ende zu dem gewünschten Ziel führen soll.

Management – Guidelines Regarding the Form and Structure of National Reports, 19.7.2006 (IAEA Doc. INFCIRC/604 Rev. 1). Die nationalen Berichte werden von den Staaten in das Internet gestellt und können dort eingesehen werden; vgl. z.B. Deutschland Bericht 2011 gemäß dem Sicherheitsübereinkommen, http://www.bfs.de/en/kerntechnik/CNS2011_ ENG.pdf, Tschechische Republik Bericht 2011 gemäß dem Gemeinsamen Übereinkommen, http://www.sujb.cz/fileadmin/sujb/docs/zpravy/NZ_VP_RAO_4_0a.pdf, Kanada Bericht 2010 gemäß dem Sicherheitsübereinkommen, http://nuclearsafety.gc.ca/eng/pdfs/CNS% 205RM%20-%20National%20Report%20(published)%20(PDF)%20-%20English.PDF, Japan Bericht 2010 gemäß dem Sicherheitsübereinkommen, http://www.nisa.meti.go.jp/ oshirase/2010/files/220831-2-2.pdf. 43 Vgl. Art. 20–28 Sicherheitsübereinkommen; Art. 29–37 Gemeinsames Übereinkommen. Diese Bestimmungen werden ergänzt durch „Guidelines“: IAEA, Guidelines Regarding the Review Process under the Convention on Nuclear Safety, 5.4.2012 (IAEA Doc INFCIRC/571/Rev. 5); Rules of Procedure and Financial Rules, 4.4.2011 (IAEA Doc. INFCIRC/573/Rev.4); Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management – Guidelines Regarding the Review Process, 11.11.2009 (IAEA Doc. INFCIRC/603/Rev.4); Rules of Procedure and Financial Rules, 11.11.2009 (IAEA Doc. INFCIRC/602/Rev. 3). Vgl. auch die Nachweise in Anm. 42. 44 Artikel 1 (i) Sicherheitsübereinkommen.

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VI. Überprüfungstagungen Auf den Überprüfungstagungen werden die nationalen Berichte in sog. Ländergruppen im Rahmen eines festgelegten Verfahrens diskutiert.45 Unzulänglichkeiten bei der nationalen Umsetzung der Ziele der Sicherheitskonventionen können aufgedeckt werden, und die Vertragsstaaten erhalten ohne Gesichtsverlust Gelegenheit zur Nachbesserung. Die Charakterisierung der Übereinkommen als „wegbereitend“ oder auch als „ermutigend“, als „incentive“, erweist sich als treffend. Inzwischen liegen Erfahrungen mit den Überprüfungstagungen vor. Im Rahmen des Sicherheitsübereinkommens wurden bisher fünf Überprüfungstagungen abgehalten, zuletzt im April 2011,46 im Rahmen des Abfallübereinkommens waren es vier Tagungen, zuletzt im Mai 2012.47 Es fehlt dem Verfasser die Sachkunde zu beurteilen, welche Verbesserungen der weltweiten nuklearen Sicherheit durch die Tagungen tatsächlich erreicht wurden. Auf den Konferenzen wird aber offenbar sehr offen gesprochen; der Grundsatz „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ gilt nicht. Ein Deutschland betreffendes Beispiel mag hier hilfreich sein: Gemäß Artikel 8 des Sicherheitsübereinkommens haben die Staaten eine staatliche Stelle, ein „regulatory body“, einzurichten. Diese Stelle ist zuständig für die Durchführung des nach Artikel 7 zu schaffenden rechtlichen Rahmens für Gesetzgebung und Vollzug. Sie muss so organisiert sein, dass „eine wirksame Trennung der Aufgaben der staatlichen Stelle von denjenigen anderen Stellen oder Organisationen, die mit der Förderung oder Nutzung von Kernenergie befasst sind“, gewährleistet ist. In Deutschland ist die Genehmigung und Überwachung von Kernanlagen im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung bekanntlich Ländersache und ist den obersten Landesbehörden zugewiesen (§ 24 AtG). Es wurde bereits auf der ersten Überprüfungstagung gerügt, dass der Trennungsgrundsatz bei einigen Bundesländern nicht erfüllt sei, da die Genehmigungszuständigkeit in Ministerien ressortiere, die auch für die Förderung zuständig seien. Das wurde inzwischen geändert. 45

Zu den Ländergruppen vgl. Abschnitte IV–VIII der Guidelines Safety Convention (Anm. 43) und Abschnitte V–VIII der Guidelines Joint Convention (Anm. 43). 46 Vgl. Summary Report of the 5th Review Meeting of the Contracting Parties to the Convention on Nuclear Safety, 4–14 April 2011 (CNS Doc. CNS/RM/2011/6/Final), http:// www.iaea.org/Publications/Documents/Conventions/cns-summaryreport0411.pdf. In response to the Fukushima nuclear accident, the 2nd Extraordinary Meeting of the Contracting Parties to the Convention of Nuclear Safety took place from 27 to 31 August 2012, see Final Summary Report (CNS Doc. CNS/ExM/2012/04/Rev.2), http://www.iaea.org/ Publications/Documents/Conventions/cns-summaryreport310812.pdf. 47 Vgl. Fourth Review Meeting of the Contracting Parties, Final Summary Report, 23.5.2012 (JC Doc. JC/RM4/04/Rev2), http://www-ns.iaea.org/downloads/rw/conventions/ fourth-review-meeting/summary-report-english.pdf.

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VII. Die Sicherheitsübereinkommen – „nur“ soft law Instrumente? Die in den Sicherheitsübereinkommen verwendete Rechtstechnik traf nicht nur auf Zustimmung. Einige Autoren waren eher skeptisch gegenüber dem sanften Instrumentarium, das soft-law ähnlichen Charakter habe, die „matériaux utilisés sont relativement légers“;48 die Konvention sei „prima facie weak“.49 Das ist auf die Rechtstechnik bezogen sicherlich richtig. Die Übereinkommen wurden aber auch ablehnend gekennzeichnet als „art of legal ‚evasion‘“, und es wurde gesagt, die Sicherheitskonvention habe nukleare Sicherheit „caught in the trap of ‚soft law‘ and ‚nebulous law‘“.50 Dieser grundsätzlichen und schwerwiegenden Kritik kann nicht zugestimmt werden. Sie mag allenfalls aus der Sicht eines theoretischen Juristen zutreffen, aber sie geht an der internationalen Realität vorbei. Wer wie der Autor dieses Beitrags an den Verhandlungen teilgenommen hat, weiß sehr wohl, wie ungeheuer schwierig es war und wie viel sogenannte Nachtsitzungen erforderlich waren, Konsens unter mehr als 80 Staaten über verbindliche Regeln über nukleare Sicherheit zu erreichen. Wie bereits erwähnt wurde, waren ähnliche Probleme bereits bei den Verhandlungen zum Informationsübereinkommen und zum Hilfeleistungsübereinkommen zu lösen. Hätte man hier auf strikten Verbindlichkeiten mit Sanktionsmöglichkeiten bestanden, wären die Verhandlungen gescheitert. Zutreffend nennen Strohl das Ergebnis eine „convention du possible“51 und Handl einen „political compromise“.52 Die sanfte Lösung einer wegbereitenden Konvention ist deshalb eine kluge Entscheidung der Vertragsväter. MatzLück53 spricht in einem etwas anderem Zusammenhang von einem „piecemeal approach to legal regulation“. Dieses Bild gefällt, und es gefallen wegen ihrer listenreichen Rechtstechnik auch die nuklearen Sicherheitsübereinkommen. Sie eröffnen in der Tat den Weg zu weltweit vereinheitlichter nuklearer Sicherheit und sind deshalb „wegbereitend“.54 Es wird allerdings zu fragen sein, ob und welche Rolle die Sicherheitsübereinkommen im Falle Fukushima gespielt haben. 48 Vgl. P. Strohl, La Convention de l’A.I.E.A. sur la sûreté nucléaire, ADFI 40 (1994), 804, 811. 49 Handl (Anm. 32), 26. 50 K. Boustany, The Development of Nuclear Law Making or the Art of Legal „Evasion“, NLB No. 61 (June 1998), 39, 29–40. 51 Strohl (Anm. 48), 810. 52 Handl (Anm. 32), 27. 53 N. Matz-Lück, Framework Conventions as Regulatory Tools, GJIL 1 (2009), No. 3, 439 ff, section C II. 54 Vgl. auch N. Pelzer, Learning the Hard Way: Did the Lessons Taught by the Chernobyl Nuclear Accident Contribute to Improving Nuclear Law?, in: OECD-NEA/IAEA (Hrsg.), International Nuclear Law in the Post-Chernobyl Period, 2006, 73, 93 ff.

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E. Haftung für nukleare Schäden I. Verbesserung des bestehenden internationalen Regimes Ein weiterer Schwerpunkt nach Tschernobyl war die Verbesserung des internationalen Regimes der Ersatzleistung für nukleare Schäden. Die Verhandlungen dauerten von 1987 bis 2002. Ihr Ergebnis ist ein gleichsam generalüberholtes und runderneuertes internationales Atomhaftungsregime. Worum ging es? Ziel der durch Tschernobyl angestoßenen Überlegungen war es, die bestehenden haftungsrechtlichen Grundlagen zu verbessern und zugleich ein internationales Haftungsregime bereitzustellen, das global angenommen wurde. Es sollte nicht erneut der Fall eintreten, dass ein Unfallstaat außerhalb bestehender internationaler Regelungen steht. Es wurde bereits dargelegt, dass es zur Zeit des Tschernobyl-Unfalles das im Rahmen der OEEC/OECD abgeschlossene regionale Pariser Atomhaftungsübereinkommen von 1960 (PÜ 1960)55 und das im Rahmen der IAEO abgeschlossene weltweite Wiener Atomhaftungsübereinkommen von 1963 (WÜ 1963)56 gab. Das Pariser Übereinkommen wird ergänzt durch das Brüsseler Zusatzübereinkommen von 1963 (BZÜ 1963),57 das zusätzliche Entschädigungsbeträge über den vom haftpflichtigen Kernanlageninhaber zu erbringenden Betrag aus öffentlichen Mitteln sicherstellt. Das Pariser und das Wiener Übereinkommen sind inhaltlich praktisch identisch. Sie enthalten die Prinzipien, die noch heute das Atomhaftungsrecht auch der Mehrheit der Nicht-Vertragsstaaten der Übereinkommen bestimmen: Haftung ohne Verschulden des Inhabers einer Kernanlage, ausschließliche Haftung des Inhabers (rechtliche Kanalisierung), summenmäßig begrenzte oder summenmäßig unbegrenzte Haftung, begrenzte Deckung bei unbegrenzter Haftung, zeitliche Begrenzung der Haftung, ausschließlicher und verbindlicher Gerichtsstand, Gleichbehandlung aller Geschädigter unabhängig von Nationalität, Wohnsitz oder Aufenthalt. Der entscheidende Vorteil der Übereinkommen ist, dass sie bei grenzüberschreitenden Schäden einen ausschließlichen Gerichtsstand festlegen, nämlich grundsätzlich den des Ortes des Eintritts des nuklearen Ereignisses, und dass sie auch das anwendbare Recht bestimmen. Geschädigte und Haftpflichtige sind damit nicht den Unwägbarkeiten des allgemeinen Internationalen Privatrechts ausgesetzt.

55 56 57

Vgl. Anm. 8. Vgl. Anm. 9. Vgl. Anm. 8.

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Die Verhandlungen nach Tschernobyl haben diese Prinzipien ausdrücklich bestätigt und unangetastet gelassen. Sie haben ferner ausdrücklich bestätigt, dass einem zivilrechtlichen internationalen Haftungsregime der Vorzug gegenüber einem System völkerrechtlicher Staatshaftung für Nuklearschäden zu geben ist.58 Beseitigt wurden jedoch die durch Tschernobyl offenkundig gewordenen Schwachstellen der Verträge.59 II. Das Gemeinsame Protokoll Die erste Schwachstelle betrifft den geographischen Anwendungsbereich des ursprünglichen Pariser und des ursprünglichen Wiener Übereinkommens. Dieser ist jeweils auf die Vertragsstaaten der Verträge begrenzt mit der Folge, dass sie weder auf nukleare Ereignisse außerhalb der jeweiligen Vertragsstaaten noch auf dort erlittenen Schaden anwendbar sind.60 PÜ 1960 und WÜ 1963 stehen unverbunden nebeneinander. Deutschland ist PÜ Staat, Tschechien ist WÜ Staat. Da die Konventionen leges speciales im Verhältnis zu anderen möglichen Haftungsgrundlagen sind und diese verdrängen, bliebe ein nukleares Ereignis in Deutsch58

Die Haftungsübereinkommen schließen jedoch völkerrechtliche Ersatzansprüche außerhalb des zivilrechtlichen Systems nicht aus; vgl. Art. 16bis PÜ 2004 (vgl. das noch nicht in Kraft getretene Protokoll zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie i.d.F. des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982, 12.2.2004, BGBl. 2008 II 904), Art. XVIII WÜ 1997 (vgl. 1997 Protocol to amend the Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage, 29.9.1997, IAEA Doc. INFCIRC/566, ILM Vol. 36, 1461); Art. XV Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage (CSC), 29.9.1997, IAEA Doc. INFCIRC/567, ILM Vol. 36, 1473. Vgl. hierzu auch: The 1997 Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage and the 1997 Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage, Explanatory Texts, IAEA International Law Series, 3, 2007, 24 f. 59 Vgl. hierzu den Überblick bei J. Schwartz, Liability and Compensation for Third Party Damage Resulting from a Nuclear Incident, in: OECD-NEA (Hrsg.), International Nuclear Law: History, Evolution and Outlook. 10th Anniversary of the International School for Nuclear Law, 2010, 307 ff.; N. Pelzer, Main Features of the Revised International Regime Governing Nuclear Liability – Progress and Standstill, ebenda, 355 ff. 60 Art. 2 PÜ 1960. Das WÜ 1963 enthält keine ausdrückliche Bestimmung über seinen geographischen Anwendungsbereich. Jedoch empfahlen die Vertragsstaaten schon frühzeitig, das Übereinkommen so auszulegen, als wenn sein Anwendungsbereich auf die Vertragsstaaten begrenzt sei. Die Staatenpraxis folgte dieser Empfehlung; vgl. IAEA Standing Committee on Civil Liability for Nuclear Damage, 13–17 April 1964 (IAEA Doc. CN-12/SC/9). Vgl. auch OECD-NEA, The Field of Application of the Nuclear Conventions, NLB No. 5 (1970/1), 22, 23.

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land mit Schadensfolgen in Tschechien grundsätzlich ohne Entschädigung und umgekehrt. Diese nicht akzeptable Rechtslage wurde durch das im Jahre 1988 angenommene Gemeinsame Protokoll über die Anwendung des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens (GP)61 abgeändert. Das Protokoll bildet eine Brücke zwischen beiden Übereinkommen.62 Im Beispielsfall würde der tschechische Geschädigte Ansprüche nach dem Pariser Übereinkommen gegen den deutschen Betreiber geltend machen können, während umgekehrt ein deutscher Geschädigter bei einem nuklearen Ereignis in Tschechien Ersatzansprüche auf das Wiener Übereinkommen stützen könnte. Das Gemeinsame Protokoll hebt also die territoriale Abgrenzung im Verhältnis zwischen den beiden Haftungsübereinkommen auf und verbindet beide. Diese Verbindung funktioniert freilich nur so lange zufriedenstellend, wie PÜ und WÜ inhaltlich weitgehend übereinstimmen. Das ist der Fall. III. Revision der Atomhaftungsübereinkommen und Annahme des Übereinkommens über ergänzende Entschädigung Das Gemeinsame Protokoll kann natürlich nicht das Verhältnis zu Nicht-Vertragsstaaten des PÜ oder des WÜ regeln. Wenn ein nukleares Ereignis im PÜStaat Frankreich einen Schaden in Luxemburg, das keinem der Übereinkommen angehört, verursacht, verhindert die territoriale Begrenzung des PÜ 1960 eine Ersatzleistung. Um diese Rechtslage zu ändern, bedurfte es einer Revision der Haftungsübereinkommen. Aufbauend auf den Ergebnissen einer im Frühjahr 1989 einberufenen Expertengruppe begannen im Rahmen der IAEO Verhandlungen über eine umfassende Verbesserung des internationalen Atomhaftungsrechts im Februar 1990. Sie endeten im September 1997 mit der Annahme eines Protokolls zur Änderung des Wiener Übereinkommens (WÜ 1997)63 und eines neuen Übereinkommens, des Übereinkommens über ergänzende Entschädigung für nuklearen Schaden, der

61 Joint Protocol Relating to the Application of the Vienna Convention and the Paris Convention (Gemeinsames Protokoll – GP), 21.9.1988, IAEA Doc. INFCIRC/402, UNTS Vol. 1672, 302 (= BGBl. 2001 II 203). Das GP hat 27 Vertragsstaaten (Stand: Februar 2013, IAEA Registration No. 1623). 62 Vgl. O. von Busekist, A Bridge Between Two Conventions on Civil Liability for Nuclear Damage: The Joint Protocol Relating to the Application of the Vienna Convention and the Paris Convention, in: OECD-NEA/IAEA (Hrsg.), International Nuclear Law in the Post-Chernobyl Period, 2006, 129 ff. 63 Anm. 58.

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Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage (CSC).64 Unmittelbar nach Abschluss dieser Verhandlungen begannen im Rahmen der OECD die Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens mit der Revision des PÜ und die Vertragsstaaten des Brüsseler Zusatzübereinkommens mit der Revision des BZÜ. Sie wurde mit Protokollen zu beiden Konventionen 2002 abgeschlossen, konnten jedoch aus europarechtlichen Gründen erst 2004 zur Unterzeichnung aufgelegt werden (PÜ 2004; BZÜ 2004).65 Von diesen neuen Instrumenten ist bisher leider nur das WÜ 1997 in Kraft getreten, bei den anderen Verträgen ist eine hinreichende Anzahl von Ratifikationen noch nicht gegeben.66 64

Anm. 58. Protokoll PÜ 2004 (Anm. 58); Protokoll vom 12. Februar 2004 zur Änderung des Zusatzübereinkommens vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie i.d.F. des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982 (noch nicht in Kraft getreten), BGBl. 2008 II 920. Das Protokoll 2004 zum PÜ enthält eine Änderung des Art. 13 PÜ über den Gerichtsstand. In diesem Bereich hatte die EU die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. September 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG Nr. L 12 vom 16.1.2001, 1), sog. „Brüssel I“, erlassen. Die PÜ-Vertragsstaaten, die der EU angehören, hatten damit ihre Zuständigkeit verloren, das Protokoll 2004 zu verhandeln, zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die EU erlaubte schließlich, da der Text des Protokolls bereits ausverhandelt war, die Unterzeichnung und Ratifizierung „im Interesse der Gemeinschaft“. Vgl. Beschluss 2003/822/EG des Rates vom 27. November 2003 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des Pariser Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie sind, das Änderungsprotokoll zu diesem Übereinkommen im Interesse der Gemeinschaft zu unterzeichnen (ABl. EU Nr. L 338 vom 23.12.2003, 30); Entscheidung 2004/294/EG des Rates vom 8. März 2004 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des Pariser Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie sind, das Änderungsprotokoll zu diesem Übereinkommen im Interesse der Gemeinschaft zu ratifizieren oder diesem beizutreten (ABl. EU Nr. L 97 vom 1.4.2004, 53). 66 Das WÜ 1997 ist am 4. Oktober 2003 in Kraft getreten und hat 10 Vertragsstaaten (Stand: Februar 2013, IAEA Registration No. 1759). Das PÜ 2004 wurde bisher von Norwegen und der Schweiz und das BZÜ 2004 von Norwegen, Spanien und der Schweiz ratifiziert. Bezüglich des PÜ 2004 sind die Mitgliedstaaten der EU, die das Protokoll gezeichnet haben, verpflichtet, die Ratifikationsurkunden möglichst vor dem 31. Dezember 2006 gemeinsam zu hinterlegen (Art. 2 (1) der EU Ratsentscheidung vom 8. März 2004 (Anm. 65)). Dieser Termin konnte nicht eingehalten werden, und es ist noch immer nicht abzusehen, wann alle EU-Paris-Staaten ihr innerstaatliches Ratifizierungsverfahren abgeschlossen haben; für Deutschland vgl. Gesetz zu den Protokollen vom 12. Februar 2004 zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und 65

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IV. Wesentliche Veränderungen Die Revisionen der Haftungsübereinkommen haben in drei Bereichen besonders hervorzuhebende Änderungen erbracht.67 1. Geographischer Geltungsbereich Die Begrenzung des geographischen Geltungsbereichs wird aufgehoben. Die Übereinkommen sind nunmehr in gleicher Weise wie im Verhältnis zu den Vertragsstaaten auch anwendbar auf Vertragsstaaten des Gemeinsamen Protokolls, sofern der betreffende PÜ oder der WÜ Staat ebenfalls dem Protokoll angehört, auf Nicht-Vertragsstaaten, die keine Kernanlage in ihrem Hoheitsgebiet haben, und auf Nicht-Vertragsstaaten mit Kernanlagen, soweit diese Gegenseitigkeit in Bezug auf die Atomhaftung gewähren.68 2. Schadensbegriff Die zweite wesentliche Änderung betrifft die Erweiterung des Begriffs des ersatzfähigen nuklearen Schadens. In den bisherigen Fassungen war Ersatz zu leisten für Körper- und für Vermögensschäden. Tschernobyl hat gezeigt, dass dieser Schadensbegriff zu eng ist. Er erfasste insbesondere nicht Schäden an der Umwelt und die Kosten von Vorsorgemaßnahmen, die den Eintritt eines nuklearen Ereignisses erfolgreich verhindern.

des Protokolls vom 16. November 1982 und zur Änderung des Zusatzübereinkommens vom 31. Januar 1963 zum Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des Protokolls vom 16. November 1982, 29.8.2008 (BGBl. 2008 II 902); Gesetz zur Änderung sonstiger Rechtsvorschriften, 29.8.2008 (BGBl. 2008 I 1793). Die CSC hat 4 Vertragsparteien (Stand: Februar 2013, IAEA Registration No. N/A) und tritt in Kraft, wenn sie mindestens 5 Vertragsparteien mit insgesamt 400.000 MWth Leistung hat (Art. XX CSC). 67 Vgl. zu der Haftungsreform z.B. die Beiträge auf dem Budapest-Symposium 1999: OECD-NEA (Hrsg.), Reform of Civil Nuclear Liability, 2000 sowie R. Dussart Desart, The Reform of the Paris Convention on Third Party Liability in the Field of Nuclear Energy and of the Brussels Supplementary Convention, in: OECD-NEA/IAEA (Hrsg.), International Nuclear Law in the Post-Chernobyl Period, 2006, 215 ff. 68 Art. 2 PÜ 2004, Art. I A WÜ 1997. Die Rechtstechnik der beiden Bestimmungen ist unterschiedlich, kommt aber zu dem gleichen Ergebnis.

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Der neue Schadensbegriff erfasst nunmehr zusätzlich zu Körper- und Vermögensschäden (loss of life or personal injury, loss of or damage to property) „in dem durch das Recht des zuständigen Gerichts festgelegten Ausmaß“, folgende weitere Schäden:69 – wirtschaftlichen Verlust, soweit er nicht bereits durch Körper- oder Vermögensschäden erfasst wird; – Kosten für die Wiederherstellung nicht unbeträchtlicher Umweltschäden; – Einkommensverlust aus einem unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse an der Nutzung oder dem Genuss der Umwelt, soweit die Umweltschädigung nicht unbeträchtlich ist; – Kosten von Vorsorgemaßnahmen und Folgeschäden. 3. Haftungsbeträge Die dritte wesentliche Änderung betrifft die Haftungssummen. Hier war der Handlungsbedarf besonders dringend. Das unrevidierte Pariser Übereinkommen sah eine verbindliche Begrenzung der Haftung auf 15 Millionen Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds (SZR) vor, was etwa 18 Millionen Euro entsprach. Diesen Betrag hat die Mehrheit der Vertragsstaaten zwar 1990 auf 150 Millionen SZR auf Grund einer Entscheidung des Direktionsausschusses der OECD Kernenergie-Agentur angehoben,70 aber die Begrenzung war natürlich noch immer vollkommen unangemessen. Das Wiener Übereinkommen von 1963 sieht keine summenmäßige Haftungsbegrenzung vor, erlaubt aber dem nationalen Gesetzgeber eine Absenkung der Haftungsgrenze auf mindestens 5 Millionen US-Gold-Dollar.71 Es bestand Einigkeit, dass diese Beträge erhöht werden mussten, aber sich auf einen Betrag zu einigen, war eine der schwersten Aufgaben der Verhandlungen. Die Entscheidung wurde immer wieder aufgeschoben und erst am Ende, als alle anderen Fragen ausverhandelt waren, getroffen. Für das weltweite Wiener Übereinkommen einigte man sich auf 300 Millionen SZR = ca. 350 Millionen Euro.72 Die

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Art. 1 (a)(vii) PÜ 2004, Art. I (1)(k) WÜ 1997; Art. I (f) CSC. OECD, Decision of the Steering Committee for Nuclear Energy of 20 April 1990, 20.4.1990 (OECD Doc. NE/M(90)1). 71 Art. V (1) und (3) WÜ 1963. 72 Art. V WÜ 1997. Es besteht weiterhin die Möglichkeit, in Fällen geringen Risikos den Haftungsbetrag bis auf 5 Millionen SZR abzusenken. 70

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Pariser Vertragsstaaten verständigten sich auf 700 Millionen Euro.73 Das ist ein Fortschritt, aber keiner, der befriedigt. Allerdings sind diese Beträge keine Höchstsummen mehr, sondern Mindestsummen. Sie können also durch den nationalen Gesetzgeber bis hin zur summenmäßig unbegrenzten Haftung erhöht werde. Bisher sahen in Europa diese Option lediglich Deutschland und die Schweiz vor. Mit Inkrafttreten des Protokolls zum PÜ wird auch in Dänemark, Finnland und Schweden die Begrenzung der Haftung des Inhabers einer Kernanlage aufgehoben werden. Auch das dem Pariser Übereinkommen akzessorische Brüsseler Zusatzübereinkommen wurde revidiert. Sein System blieb unverändert, doch die Entschädigungssummen wurden angehoben. Das Übereinkommen sieht drei Entschädigungstranchen vor:74 – Tranche 1: Ersatzleistung durch den Inhaber der Kernanlage nach dem PÜ, also mindestens 700 Millionen Euro; – Tranche 2: ergänzende Ersatzleistung durch den Anlagenstaat bis zu 1.200 Millionen Euro abzüglich der 1. Tranche; – Tranche 3: weitere ergänzende Entschädigung gemeinsam durch alle Vertragsstaaten des BZÜ in Höhe von 300 Millionen Euro. Das Brüsseler Zusatzübereinkommen garantiert nach Inkrafttreten der Revision Entschädigung in Höhe von mindestens 1,5 Milliarden Euro. Wenn man berücksichtigt, dass die Spannbreite der nationalen Entschädigungssummen der Vertragsparteien zwischen den zulässigen Mindestsummen und unbegrenzter Haftung schwankt, ist der neue Betrag des BZÜ bemerkenswert hoch und ein Verhandlungserfolg. Sieht man ihn freilich im Lichte von Tschernobyl und Fukushima, dann ist er natürlich unzureichend. Allerdings ist dann auch zu fragen, ob es wirklich Aufgabe des zivilen Schadensersatzrechts ist, Katastrophenschäden vollständig auszugleichen. Bei nationalen Katastrophen ist neben dem Verursacher auch der Staat in der Pflicht.75 73

Art. 7 PÜ 2004. Für Anlagen geringen Risikos und für Beförderungen kann die Summe auf nicht weniger als 70 bzw. 80 Millionen Euro vermindert werden. 74 Art. 3 BZÜ 2004. Sofern Vertragsstaaten Entschädigungsbeträge vorsehen, die höher sind als die Summe der Tranchen 1 und 2, wird die 3. Tranche fällig, wenn 1.200 Millionen Euro verbraucht sind; danach kann auf verbleibende weitere Mittel zurückgegriffen werden (Art. 9 (c) BZÜ 2004). Die drei Tranchen des unrevidierten BZÜ beliefen sich auf 5–175 (abzüglich 1. Tranche) – 125 Millionen SZR, also insgesamt 300 Millionen SZR. 75 Vgl. dazu N. Pelzer, Compensation for Large-scale and Catastrophic Nuclear Damage, in: T. Nótári/G.Török (Hrsg.), Prudentia Iuris Gentium Potestate, Ünnepi tanulmányok Lamm Vanda tiszteletére, 2010, 341 ff.; N. Pelzer, Überlegungen zu Haftungsgrundlagen und Schadenszurechnung im Atomhaftungsrecht, in: N. Pelzer (Hrsg.), Europäisches

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F. Physischer Schutz von Kernmaterial I. Übereinkommen von 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial In fast noch stärkerem Maß als die nukleare Sicherheit war der physische Schutz von Kernmaterial gegen Diebstahl und sonstigen Missbrauch ein Gegenstand ausschließlich nationaler Maßnahmen. Zwar wurde bereits 1979 ein multilaterales Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial abgeschlossen, das die Vertragsstaaten verpflichtete, Kernmaterial in einem festgelegten Umfang zu schützen und bestimmte Handlungen strafrechtlich zu verfolgen.76 Diesem Übereinkommen gehören heute 148 Staaten an.77 Aber sein Anwendungsbereich ist eng und beschränkt sich auf Kernmaterial während einer internationalen Beförderung und – mit bestimmten Einschränkungen – auf Kernmaterial in der innerstaatlichen Nutzung, Lagerung und Beförderung. Kernanlagen werden nicht erfasst. Angemessener physischer Schutz von Kernmaterial unterstützt als eine Nebenfolge auch die nukleare Sicherheit. Der bald nach Tschernobyl einsetzende Zerfall der Sowjetunion lockerte in diesem großen Nuklearstaat die staatlichen Kontrollen über Kernmaterial. Die Staaten erkannten die Notwendigkeit, das bestehende internationale Regime des physischen Schutzes zu stärken und zu verbessern. II. Änderung des Übereinkommens von 1979 Diskussionen zur Revision des Übereinkommens von 1979 begannen 1999 in einer IAEO Arbeitsgruppe. 2001 begannen Revisionsverhandlungen, die 2003 mit der Vorlage eines Änderungsentwurfs, der allerdings noch offene Punkte enthielt, endeten. Die Verhandlungen wurden 2004 auf Grund einer Initiative Österreichs wieder aufgenommen, und am 8. Juli 2005 wurde eine Änderung des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial angenommen. Das revidierte Übereinkommen heißt nunmehr „Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen“.78 Der Geltungsbereich erstreckt sich Atomhaftungsrecht im Umbruch, Tagungsbericht der AIDN/INLA Regionaltagung Berlin 2009, 2010, 13, 16 ff. 76 Convention on the Physical Protection of Nuclear Materials (1979 Übereinkommen), 26.10.1979, IAEA Doc. INFCIRC/247/Rev.1, UNTS Vol. 1456, 125 (= BGBl. 1990 II 327). 77 Stand: Februar 2013, IAEA Registration No. 1533. 78 Nr. 1 2005 Amendment to the Convention on the Physical Protection of Nuclear Materials, 8.7.2005 (noch nicht amtlich veröffentlicht, Text auf der IAEO Website, http://

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jetzt nicht mehr allein auf den internationalen Transport, sondern es werden auch Anlagen erfasst. Die Ziele des neugefassten Übereinkommens „sind die Erreichung und Aufrechterhaltung eines weltweiten wirksamen physischen Schutzes von für friedliche Zwecke genutztem Kernmaterial und für friedliche Zwecke genutzten Kernanlagen, die weltweite Verhütung und Bekämpfung von Straftaten im Zusammenhang mit solchem Material und solchen Anlagen sowie die Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten zu diesen Zwecken“ (Artikel 1 A). Ebenso wie die nukleare Sicherheit ist auch der physische Schutz, die „nuclear security“, zu einer internationalen Aufgabe gemacht worden. Technische Basis der Kernverpflichtungen der Staaten sind die sog. „Fundamental Principles of Physical Protection of Nuclear Material and Nuclear Facilities“, die wörtlich in Artikel 2 A des Übereinkommens übernommen wurden.79 Die Fundamentals sind jedoch nicht in Gesetzessprache geschrieben und sind ein Fremdkörper in einem rechtlich verbindlichen Text. Nicht alle Grundsätze lassen sich ohne weiteres umsetzen, wie z.B. der Grundsatz, dass der „Sicherungskultur“, „security culture“, der gebührende Vorrang einzuräumen sei.80 Die Lösung dieser Frage gehörte zu den schwierigsten der Verhandlungen. Man einigte sich auf einen „qualifier“, einen Weichmacher, der lautet: Die Vertragsstaaten wenden diese Grundsätze an, „soweit dies sinnvoll und durchführbar ist“, „apply insofar as reasonable and practicable the following Fundamental Principles of Physical

ola.iaea.org/OLA/treaties/FullText.pdf) (= BGBl. 2008 II 575). Vgl zur Entstehungsgeschichte: Amendment to the Convention on the Physical Protection of Nuclear Material, IAEA International Law Series, 2, 2006. Einen Überblick über das Übereinkommen gibt M. de L. Vez Carmona, The International Regime on the Physical Protection of Nuclear Material and the Amendment to the Convention on the Physical Protection of Nuclear Material, NLB No. 76 (2005/2), 29 ff. 79 IAEA General Conference, Measures to improve the security of nuclear materials and other radioactive materials, 14.9.2001 (IAEA Doc. GC(45)/INF/14), Attachment No. 3, 2–4, http://www.iaea.org/About/Policy/GC/GC45/Documents/gc45inf-14.pdf. Vgl. ferner IAEA, Nuclear Security Recommendations on the Physical Protection of Nuclear Material and Nuclear Facilities, 2011 (IAEA Doc. INFCIRC/225 Rev. 5). 80 „Fundamental Principle F: Security Culture. All organizations involved in implementing physical protection should give due priority to the security culture, to its development and maintenance necessary to ensure its effective implementation in the entire organization“ (siehe auch Anm. 79). Sicherungskultur wird in einer Anmerkung wie folgt definiert: „Security culture includes characteristics and attitudes in organizations and of individuals which establish that physical protection issues receive the attention warranted by their significance“.

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Protection“.81 Damit wird freilich der Charakter des Übereinkommens gegenüber der unrevidierten Fassung verändert: Der Zusatz führt ein soft-law Element ein, und es bleibt abzuwarten, ob dieses wie bei den Sicherheitsübereinkommen „wegbereitend“, „incentive“ sein wird oder ob es nicht das Übereinkommen schwächt. Eine formalisierte Peer Review gibt es hier nämlich nicht.82 Das geänderte Übereinkommen hatte im März 2013 66 Vertragsparteien.83 Es benötigt zum Inkrafttreten jedoch der Annahme durch Zweidrittel der Vertragsstaaten des ursprünglichen Übereinkommens, also 98 Staaten. 84

G. Fukushima und die Folgen I. Das rechtliche Umfeld des Unfalls Die beschriebene Erneuerung des internationalen rechtlichen Regimes der friedlichen Kernenergienutzung setzt die Schlussfolgerungen um, die die Staatengemeinschaft aus den Lehren des Tschernobyl-Unfalls gezogen hat. Bestehende Lücken in den internationalen Regelungen wurden geschlossen, und neue Elemente wurden dem System hinzugefügt. Erfasst werden von diesen Reformen nicht nur die rechtlichen Instrumentarien, sondern insbesondere wurden auch die technischen Regeln und Standards im Lichte der Tschernobyl-Erfahrungen fortentwickelt. Ohne diese technische Seite der Reformen wäre die Arbeit der Juristen wertlos. Das Gesamtergebnis ist eindrucksvoll und beweist, dass die Staatengemeinschaft angemessen auf den Unfall reagiert hat. Es gibt nun ein grundsätzlich umfassendes internationales Nuklearrechtsregime. Dieses ist gewiss nicht in jeder Hinsicht perfekt, aber es bezeugt den Einigungswillen der Staaten in schwierigen, die nationale Souveränität einschränkenden Bereichen. Hervorzuheben ist, dass nunmehr die nukleare Sicherheit nicht mehr eine ausschließlich nationale Angelegenheit ist. Die Staaten unterwarfen sich internationalen Regeln. Die „Vorherrschaft des nationalen Rechts“ wurde insoweit, wenn nicht gebrochen, so doch erheblich geschwächt. Man mag das als einen Sieg des Völkerrechts bezeichnen. Dieser Sieg wäre freilich noch eindrucksvoller, wenn mehr Staaten, als es bis jetzt der Fall ist, auch Vertragspartner der Übereinkommen geworden wären. 81

Vgl. Art. 2 A (3) Amendment to the Convention on the Physical Protection of Nuclear Materials (Anm. 78). 82 Vgl. Nr. 13 Amendment to the Convention on the Physical Protection of Nuclear Materials (Anm. 78). 83 Stand: März 2013, IAEA Registration No. N/A. 84 Art. 20 (2) Übereinkommen 1979 (Anm. 76).

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Am 11. März 2011 ereignete sich der Reaktorunfall in Fukushima-Daiichi. Ist das internationale Regime noch immer unzureichend? Oder hat vielleicht Japan die Regeln verletzt? Diese Fragen lassen sich heute wohl noch nicht abschließend beantworten. Welche Lehren aber hat die Staatengemeinschaft bisher aus dem Fukushima-Unfall gezogen? Während Tschernobyl ohne zeitliche Verzögerung die Staatengemeinschaft veranlasste, ein System internationaler Verträge zu errichten, sind vergleichbare Aktivitäten zwei Jahre nach Fukushima nicht zu bemerken. Das hat sicherlich damit zu tun, dass dieser Unfall keine beträchtlichen schädlichen Auswirkungen auf andere Staaten hatte. Es ist aber auch eine Bestätigung, dass das geltende internationale Regime offensichtlich keine sofort erkennbaren Mängel aufweist, deren Nichtvorhandensein den Unfall verhindert hätte. Es besteht kein sofortiges internationales Regelungsbedürfnis. Diese Situation gibt Zeit zur gründlichen Ursachenforschung, und es ist offen, ob am Ende eine internationale Rechtssetzung erforderlich erscheint oder nicht. II. Schlussfolgerungen Der Deputy Director General der IAEO Denis Flory hat auf dem „International Forum on the Peaceful Use of Nuclear Energy“ am 8. Dezember 2011 in Tokio eine erste Bilanz gezogen.85 Er weist zunächst darauf hin, dass unmittelbar nach dem Unfall sowohl durch IAEO-Experten als auch durch japanische Experten Erhebliches zur Sachverhalts- und Ursachenermittlung getan wurde, die ja eine Voraussetzung für weitere Schlussfolgerungen ist.86 Man identifizierte offenbar „some weaknesses at the origin of the accident concerning the natural hazards design basis“. Bestimmte seismische Risiken wurden wohl unterschätzt, und es gab auch organisatorische Probleme.87 Deutlicher wird der im Auftrag des japanischen Parlaments im Juli 2012 vorgelegte Untersuchungsbericht, in dem fest-

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D. Flory, Strengthening Nuclear Safety Worldwide: Lessons Learned from the Fukushima Daiishi Accident, http://www.jaea.go.jp/04/np/activity/2011-12-08/2011-12-08-24.pdf. 86 Flory (Anm. 85) verweist auf einen Bericht der IAEA International Fact Finding Expert Mission vom 24. Mai bis 2. Juni 2011 (160 Seiten) und auf zwei Berichte der japanischen Regierung vom Juni 2011 und vom September 2011 (400 und 700 Seiten). Zum Status der Anlage vgl. den Bericht der IAEA „Fukushima Daiichi Status Report“; Status: 28 December 2012, http://www.iaea.org/newscenter/focus/fukushima/statusreport 281212.pdf. Vgl. ferner den IAEA Fukushima Nuclear Accident Update Log (Status 2 June 2012), http://www.iaea.org/newscenter/news/tsunamiupdate01.html. 87 Flory (Anm. 85) Blatt 2 des unpaginierten Textes.

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gestellt wird, dass es sich um ein „manmade disaster“ handele. Der Bericht urteilt:88 The TEPCO Fukushima Nuclear Power Plant accident was the result of collusion between the government, the regulators and TEPCO, and the lack of governance by said parties. They effectively betrayed the nation’s right to be safe from nuclear accidents. Therefore, we conclude that the accident was clearly „manmade“. We believe that the root causes were the organizational and regulatory systems that supported faulty rationales for decisions and actions, rather than issues relating to the competency of any specific individual.

Diese Feststellung ist eine vernichtende Kritik an dem japanischen Sicherheitsregime, aber sie erlaubt nicht die Annahme, dass auch die völkerrechtlichen Regeln grundsätzlich unzulänglich sind. Es deutet jedoch einiges darauf hin, dass internationale Sicherheitsstandards von Japan nicht hinreichend beachtet wurden. Zu denken wäre etwa an Mängel bei der Umsetzung der Artikel 17 „Standortwahl“ und 18 „Auslegung und Bau“ des Sicherheitsübereinkommens. Ursächlich für den Unfall sind daher wohl eher nationale Implementierungsmängel, nicht aber grundsätzliche Mängel des internationalen rechtlichen und technischen Regimes. Japan hat nach dem Unfall im Einklang mit seinen vertraglichen Verpflichtungen aus dem Benachrichtigungsübereinkommen über den Unfall informiert. Es hat auch Hilfe erbeten und angenommen. Ein Bericht des IAEO Board of Governors vom 3. Juni 2011 beschreibt die sofortigen Hilfsmaßnahmen allein der IAEO.89 Auf der Grundlage der erhaltenen Informationen hat der IAEO Generaldirektor bereits am 30. März 2011 mit breiter Zustimmung der Mitgliedstaaten zu einer Ministerkonferenz über nukleare Sicherheit eingeladen, die vom 20. bis 24. Juni 2011 in Wien stattfand.90 Die Konferenz unterstrich die Notwendigkeit, weiterhin die nukleare Sicherheit auf nationaler und internationaler Ebene zu überprüfen und zu verbessern. Sie forderte in einer Deklaration91 den Generaldirektor der IAEO auf, einen „Action Plan on Nuclear Safety“ auszuarbeiten, der im September 2011 vorgelegt wurde.92 88

The National Diet of Japan (Hrsg.), The Official Report of the Fukushima Nuclear Accident Independent Investigation Commission. Executive Summary, 2012, 16, http:// www.nirs.org/fukushima/naiic_report.pdf. 89 IAEA Board of Governors, Report by the Director General, Activities in Response to the Fukushima Accident, 3.6.2011 (IAEA Doc. GOV/INF/2011/8), http://www.iaea.org/ Publications/Documents/Board/2011/govinf2011-8.pdf. 90 IAEA Ministerial Conference on Nuclear Safety, Vienna 20–24 June 2011, http:// www-pub.iaea.org/iaeameetings/42466/IAEA-Ministerial-Conference-on-Nuclear-Safety. 91 IAEA, Declaration by the IAEA Ministerial Conference on Nuclear Safety in Vienna on 20 June 2011, 20.6.2011 (IAEA Doc. INFCIRC/821). 92 IAEA Board of Governors/General Conference, Report by the Director General, Draft Action Plan on Nuclear Safety, 8.9.2011 (IAEA.Doc. GOV/2011/59-GC(55)/14),

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III. Der „IAEA Action Plan on Nuclear Safety“ Der „Action Plan on Nuclear Safety“ bildet nunmehr den Fahrplan der Aktivitäten der IAEO. Er umfasst zwölf zu untersuchende Schwerpunktbereiche, darunter z.B. Überprüfung von möglichen Schwachstellen von Kernanlagen im Lichte des Unfalls, Überprüfung der IAEO Sicherheitsstandards, Bewertung der nationalen Organisation und Gesetzgebung, „capacity building“, d.h. Überprüfung der nationalen Fähigkeiten im Bereich der nationalen Sicherheit. Für den rechtlichen Bereich sind unter der Überschrift „Improve the effectiveness of the international legal framework“ drei Schwerpunkte genannt:93 – „State parties to explore mechanisms to enhance the effective implementation of the Convention on Nuclear Safety, the Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, the Convention on Early Notification of a Nuclear Accident and the Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency94 and to consider proposals made to amend the Convention on Nuclear Safety and the Convention on the Early Notification of a Nuclear Accident“; – „Member States to be encouraged to join and effectively implement these Conventions“; – „Member States to work towards establishing a global nuclear liability regime that addresses the concerns of all States that might be affected by a nuclear accident with a view to providing appropriate compensation for nuclear damage“. Dazu soll die IAEA Expertengruppe für Nuklearhaftung (INLEX)

http://www.iaea.org/About/Policy/GC/GC55/Documents/gc55-14.pdf. Über die Fortschritte bei der Umsetzung des Action Plan unterrichten die Dokumente IAEA Board of Governors, Report by the Director General, Initial Progress in the Implementation of the IAEA Action Plan on Nuclear Safety, 10.11.2011 (IAEA Doc. GOV/INF/2011/15); IAEA Board of Govenors, Report by the Director General, Progress in the Implementation of the IAEA Action Plan on Nuclear Safety, 17.2.2012 und 11.5.2012 (IAEA Doc. GOV/INF/2012/2 und IAEA Doc. GOV/INF/2012/10); Progress in Implementing of the IAEA Action Plan on Nuclear Safety – Supplementary Information (IAEA Doc. GOV/INF/2012/11-GC(56)/ INF/5, 5. 8. 2012). 93 Action Plan (Anm. 92), 4. 94 Diese Übereinkommen bilden zusammen mit dem Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial die sog. „Family of Nuclear Safety Conventions“.

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Vorschläge unterbreiten, wie ein solches globales Haftungsregime erreicht werden kann.95 Es stehen somit die internationalen Bestimmungen über die nukleare Sicherheit und die Haftungsregeln auf dem Prüfstand. Derzeit ist noch die Phase der Konferenzen und Beratungen. Beispiele: 19.–22. März 2012 Experten Konferenz zur nuklearen Sicherheit im Lichte Fukushimas in Wien; 15–17 Dezember 2012 Fukushima Ministerial Conference on Nuclear Safety in Fukushima.96 IV. Revision des internationalen rechtlichen Regimes der friedlichen Kernenergienutzung? Es ist schwierig abzuschätzen, ob die Ergebnisse dieser Aktivitäten tatsächlich zu Änderungen des bestehenden internationalen Rechtsregimes der friedlichen Kernenergienutzung führen werden. Nach dem derzeitigen Wissensstand ist eine dringende Notwendigkeit zur Änderung der internationalen rechtlichen Regelungen wohl nicht erkennbar. Das schließt freilich ihre kritische Überprüfung nicht aus. Ehe man sich jedoch entschließt, internationale Übereinkommen zu ändern oder neue abzuschließen, sollte man sich des Erfolges einer solchen Initiative sicher sein. Ein Scheitern ist dem derzeitigen bereits hoch entwickelten internationalen Regime abträglicher als die Beibehaltung des status quo, auch wenn dieser Mängel aufweisen sollte.97 Jetzt sollte es in erster Linie darauf ankommen, möglichst alle Staaten zum Beitritt zu den bestehenden internationalen Verträgen zu bewegen. Noch immer gibt es zahlreiche große Nuklearstaaten, die z.B. den Haftungsübereinkommen nicht angehören, nämlich China, Indien, Iran, Japan, Kanada, Südafrika, Südkorea. Hier ist die Politik in der Pflicht, eine Änderung herbeizuführen.

95

Die INLEX Gruppe hat in Sitzungen vom 14. bis 16. Dezember 2011 und vom 30. Mai bis 1. Juni 2012 entsprechende Empfehlungen ausgearbeitet und beschlossen, diese über den Generaldirektor den „IAEA Policymaking Bodies“ vorzulegen: „Recommendations on how to facilitate achievement of a global nuclear liability regime, as requested by the IAEA Action Plan on Nuclear Safety by the International Expert Group on Nuclear Liability (INLEX)“, http://ola.iaea.org/ola/documents/ActionPlan.pdf. 96 Weitere Konferenzen sind angezeigt auf http://www-pub.iaea.org/iaeameetings/2012. 97 Vgl. dazu auch N. Pelzer, Does the Fukushima Nuclear Incident Require a Revision of the International Legal Regime on Nuclear Safety? Presentation at the IAEA Ministerial Conference on Nuclear Safety from 20 to 24 June 2011 (Working Session 3: Possible Ways for Strengthening the Global Nuclear Safety Framework) (Anm. 89), http://www-pub.iaea. org/mtcd/meetings/pdfplus/2011/cn200/workingsessions/w_d4_n.pelzer.pdf.

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Nun ist einzuräumen, dass der Fukushima-Unfall gerade im Bereich der zivilrechtlichen Haftung kaum Momentum erzeugt hat, den Haftungsübereinkommen beizutreten. Wohl wegen der Insellage Japans hat der Unfall, soweit bekannt, keine zu Ersatzansprüchen führende Schäden in anderen Staatsgebieten verursacht.98 Die Vorteile, die die Haftungsübereinkommen insbesondere bei grenzüberschreitender Schadensverursachung für die Vertragsstaaten bieten, müssen also vermutlich nicht abgerufen werden. Die IAEO strebt ein globales Haftungsregime an, dem möglichst alle Staaten angehören.99 Auf nationaler Ebene hat es bei der Mehrheit der Staaten bisher ebenfalls keine Auswirkungen auf die Gesetzgebungen gegeben. Jedoch ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Vermutlich werden auch nationale Atomgesetze an die Lehren aus Fukushima angepasst werden. Deutschland hat die Kernenergienutzung zur Elektrizitätserzeugung durch eine Änderung des Atomgesetzes abrupt beendet.100 Offenbar folgen die Schweiz und Belgien diesem Beispiel. Vergleich98

Allerdings ist es zu radioaktiven Belastungen der Meeresumwelt gekommen; vgl. WHO/FAO, Impact on seafood safety of the nuclear accident in Japan, http://www.iaea. org/newscenter/focus/fukushima/seafoodsafety0511.pdf. Neuestens wurde radioaktiv kontaminierter Thunfisch vor den Küsten Kaliforniens entdeckt; vgl. Tuna fish carried radiation from Fukushima to the United States, http://www.thejournal.ie/tuna-fish-carriedradiation-from-fukushima-to-the-united-states-466994-May2012/; ferner: E. H. Buck/H. F. Upton, Effects of Radiation from Fukushima Dai-ichi on the U. S. Marine Environment, Congressional Research Service (CRS) Report for Congress, April 2, 2012, http://www.fas. org/sgp/crs/misc/R41751.pdf. 99 Ob ein globales Nuklearhaftungsregime ein realistisches Ziel ist, mag bezweifelt werden. Es gibt zu viele konkurrierende Atomhaftungsübereinkommen. Während die USA sich ausschließlich auf die CSC als Basis eines solchen Regimes versteifen, sehen insbesondere die europäischen Staaten die CSC eher kritisch. Vgl. z.B. B. McRae, The Compensation Convention: Path to a Global Regime for Dealing with Legal Liability and Compensation for Nuclear Damage, in: OECD-NEA/IAEA (Hrsg.), International Nuclear Law in the Post-Chernobyl Period, 2006, 187 ff.; B. McRae, Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage (CSC) and Harmonisation of Nuclear Liability Law within the European Union, NLB No. 87 (2011/1), 73 ff.; F. Touïtou-Durand, The Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage: A Solution for Europe?, in: N. Pelzer (Hrsg.), Europäisches Atomhaftungsrecht im Umbruch, Tagungsbericht der AIDN/INLA Regionaltagung Berlin 2009, 2010, 257 ff.; N. Pelzer, Das Übereinkommen vom 12. September 1997 über ergänzende Entschädigung für nuklearen Schaden, atw – Internationale Zeitschrift für Kernenergie 53 (2008), 328 ff.; N. Pelzer, On Global Treaty Relations – Hurdles on the Way towards a Universal Civil Nuclear Liability Regime, EurUP 6 (2008), 268 ff.; N. Pelzer, On a Global Nuclear Liability Regime. Nuclear Inter Jura Congress, 8–11 October 2012, Manchester, UK, Panel Discussion: Perspective of a Global Nuclear Liability Regime, http://www.burges-salmon.com/INLA_2012/10234.pdf. 100 Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes, 31.7.2011 (BGBl. 2011 I 1704).

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bare Reaktionen sind aus anderen Staaten nicht bekannt geworden. Die vor Fukushima in Gang gekommene sog. Renaissance der Kernenergie, „nuclear new build“, wurde durch den Unfall wohl verlangsamt, ist aber nicht zum Stillstand gekommen.101

101

Vgl. dazu die Übersicht der World Nuclear Association „Policy Responses to the Fukushima Accident“, 24.2.2012, http://world-nuclear.org/briefings/policy_responses_ fukushima_accident.html sowie die Untersuchung von P. L. Joskow/J. E. Parsons, The Future of Nuclear Power After Fukushima, February 2012, http://www.law.upenn.edu/ academics/institutes/regulation/papers/JoskowParsonsNuclearPower.pdf.

The International Atomic Energy Agency as the “Watchdog” over the Safe and Peaceful Use of Nuclear Energy? By Wolfram Tonhauser(

A. Introduction This article concerns the International Atomic Energy Agency (IAEA), its origin, mandate, membership and functions. Furthermore, it gives an overview over the so-called “nuclear law” in order to analyse, at the end, whether the IAEA may be considered as a “watchdog” over the safe and peaceful use of nuclear energy.

B. Origin and Mandate The IAEA is an independent international organisation within the United Nations common system of organisations, established in 1957.1 It is not, as is often presumed, a UN specialised agency.2 Its relationship with the UN is governed by a special agreement.3 Under its Statute4 the IAEA reports annually to the UN General Assembly and, when appropriate, to the UN Security Council regarding non-compliance by States with regard to their safeguards obligations as well as on matters relating to international peace and security.5 ( The Author would like to thank Mr. Zoltan Turbek, Legal Officer, for editing the final version of the manuscript. 1 D. Fischer, History of the International Atomic Energy Agency – The First Forty Years, 1997, 57 et seq. 2 S. K. Sharma, The IAEA and the UN family: Networks of Nuclear Co-operation, IAEA Bulletin Vol. 37, No. 3, 10–15. 3 Agreement Governing the Relationship between the United Nations and the International Atomic Energy Agency (IAEA Doc. INFCIRC/11, I. A, 30 October 1959). 4 Statute of the International Atomic Energy Agency, 26.10.1956, UNTS Vol. 276, No. 3988 (German Translation in: BGBl. 1957 II 1359). 5 Art. III. B. 4 of the Statute of the IAEA.

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According to its Statute, the IAEA’s objective is to accelerate and enlarge the contribution of atomic energy to peace, health and prosperity throughout the world, and to ensure, as far as it is able, that assistance provided by it or at its request or under its supervision or control is not used in such a way as to further any military purpose.6 The Statute also provides for the IAEA’s financing, its privileges and immunities, including those of representatives of Member States, the IAEA staff, and the Director General, and establishes the two policy-making organs of the IAEA – the General Conference and the Board of Governors – as well as the Secretariat.7 The IAEA’s Statute has been amended in 1963, 1973 and 1989 respectively.8 Amendments adopted in 1999 regarding the Statute’s provisions on the size and composition of the IAEA Board of Governors and the biennial submission of the budget estimates of the IAEA,9 however, have not entered into force yet.10

C. Membership As of today, the IAEA has 159 Member States.11 In recommending and approving a State for membership, the Board of Governors and the General Conference shall determine that the State is able and willing to carry out the obligations of membership in the IAEA, giving due consideration to its ability and willingness to act in accordance with the purposes and principles of the Charter of the United Nations.12 In contrary to the UN and many of its specialised agencies, for a long time only countries with significant nuclear programmes were actually interested in IAEA membership. This has changed over the past years with the expansion of the Agency’s programme to better meet the needs of developing countries. As a consequence, membership has increased. 6

Art. II of the Statute of the IAEA. Art. V, VI, VII, XIV and XV of the Statute of the IAEA. 8 http://www.iaea.org/About/about_statute.html. 9 IAEA General Conference resolutions GC(43)/RES/19 of October 1999; GC(43)/ RES/19/Corr.1 of 29 December 1999; and GC(43)/RES/8 of October 1999. 10 Corresponding to Art. XVIII. C. (ii) of the Statute of the IAEA, two-thirds of the Member States have to accept the amendment. Today the IAEA has 159 Member States. Until now only 55 members have accepted the amendment of IAEA General Conference resolutions GC(43)/RES/19 of October 1999 and GC(43)/RES/19/Corr.1 of 29 December 1999 and 52 the one of IAEA General Conference resolution GC(43)/RES/8 of October 1999. See also http://www.iaea.org/About/statute_amendments.html. 11 The Members of the Agency (IAEA Doc. INFCIRC/2/Rev.75, 27 February 2013). 12 Art. IV. B of the Statute of the IAEA. 7

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D. Policy Making Organs I. General Conference The General Conference is one of the two policy-making organs of the IAEA.13 It is composed of representatives from all Member States which, pursuant to the Statute and the Rules of Procedure of the General Conference, meet in regular annual sessions and in those special sessions that are convened by the Director General, at the request of the Board of Governors or a majority of Member States. Similar to the UN General Assembly, the General Conference is the forum in which all Member States conduct a general debate on relevant current issues and the IAEA’s policies and programmes. It is also the mechanism whereby Member States can pass resolutions regarding the priorities of the IAEA’s work. At the same time, however, Article VI.F of the IAEA Statute emphasises that it is “the Board of Governors [which] shall have the authority to carry out the functions of the Agency in accordance with the Statute, [albeit] subject to its responsibilities to the General Conference as provided in this Statute”. Therefore, unlike in other international organisations which follow the principle that the assembly organ is the highest executive authority, the contrary appears to be the case at the IAEA. In fact there are relatively few specific powers in the IAEA’s Statute that the General Conference may exercise independently of the Board.14 II. Board of Governors The IAEA Board of Governors is of a limited composition but as the executive organ of the IAEA, it has both policy-making and administrative functions. It is currently composed of 35 Member States which are represented by one Governor each. The composition of the Board follows a complicated procedure set out in the Statute, whereby thirteen of the 35 members, which represent those most advanced in atomic energy technology, are permanent members and 22 members, following a stipulated geographic distribution of seats, are elected by the General Conference for a two year term.15 Normally, the Board meets five times per year – for one to five days – usually in March, June, twice in September (before and after the General Conference) and in November. When required, however, the Board shall

13 14 15

Art. V of the Statute of the IAEA. Art. V. F of the Statute of the IAEA. Art. VI. A of the Statute of the IAEA.

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also meet at the request of any Member State, the Chairman of the Board or the Director General.16 Voting in the Board is rare as it strives for consensus decisions. Where voting does take place however, a two-thirds majority of the Board members present and voting is required on decisions relating to the amount of the IAEA’s Budget, the appointment of the Director General and certain procedural questions. Otherwise, a simple majority is sufficient.17 An amendment to the Statute which was approved by the General Conference in 1999 would enlarge the Board to 43 members and consequently also change the geographical distribution of seats.18 However, this enlargement has not entered into force yet. In fact, of the IAEA’s 159 Member States only 55 of the required two-thirds majority of 106 Member States have ratified the Amendment.19 III. Secretariat and Director General The third principal organ of the IAEA is its Secretariat headed by the Director General who is also the chief administrative officer.20 The Secretariat presently comprises approximately 2,200 professional and support staff from more than 90 countries. The current Director General is Mr. Yukiya Amano, who was elected in 2009 following the twelve-year tenure of the former Director General Mohamed ElBaradei. According to the Statute, the Director General is under the authority of and subject to the control of the Board of Governors and is responsible for the enforcement of actions passed by the Board and the General Conference.21 Duties are performed in accordance with regulations adopted by the Board, such as the Staff and the Financial Regulations.22 The majority of the current 2,200 staff members are based at the IAEA’s Headquarters in the Vienna International Centre in Austria. The IAEA’s other staff are based at regional offices in Toronto and Tokyo, its United Nations liaison office in New York, its liaison office to the Geneva based intergovernmental organisations; the IAEA’s Seibersdorf Laboratories in Austria, and its Marine Environment Laboratory in Monaco. 16

Rule 11 of the Provisional Rules of Procedure of the Board of Governors, as amended up to 23 February 1989 (IAEA Doc. GOV/INF/500/Rev.1). 17 Rules 36 and 37 of the Provisional Rules of Procedure of the Board of Governors. 18 IAEA General Conference resolution GC(43)/RES/19 of October 1999. 19 Acceptance of Amendment to Article VI of the IAEA Statute (as informed by the depositary Government), http://www.iaea.org/About/articleVI.pdf. 20 Art. VII. A of the Statute of the IAEA. 21 Art. VII. B of the Statute of the IAEA. 22 Art. VII. B of the Statute of the IAEA.

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In addition to the Director General, the management team of the Secretariat is composed of six Deputy Directors General appointed, subject to the approval of the Board of Governors, by the Director General. The Deputy Directors General each head one of the Secretariat’s major departments: the Department of Nuclear Sciences and Applications, the Department of Nuclear Energy, the Department of Nuclear Safety and Security, the Department of Technical Cooperation, the Department of Safeguards, and the Department of Management. In addition, the Office of Legal Affairs, the Secretariat of the Policy-Making Organs, and the Office of Internal Oversight Services report directly to the Director General.

E. Activities – Three Pillars According to the IAEA’s Medium Term Strategy,23 the basis of the IAEA’s work is centred on the three pillars of nuclear technology, safety, and verification. Under the first pillar, the IAEA assists its Member States in planning for and using nuclear technology for various peaceful purposes concerning both nuclear power and nonpower programmes such as in medicine, industry and agriculture. Under the second pillar, the IAEA develops nuclear safety standards and promotes the achievement and maintenance of high levels of safety in applications of nuclear energy, as well as in the protection of human health and the environment against ionising radiation. Under the third pillar, the IAEA verifies through its inspection system that States are complying with their nuclear non-proliferation commitments under their safeguards agreements concluded with the IAEA pursuant to the Treaty on the NonProliferation of Nuclear Weapons24 or at the request of the particular State.

F. Nuclear Law Furthermore, the Agency sets or facilitates the setting of norms. This way, it creates a unique body of law known as nuclear law. Accordingly, a number of multilateral treaties have been adopted under IAEA auspices, notably in the areas of Nuclear Safety, Nuclear Security, Civil Liability for Nuclear Damage as well as Safeguards and Non-Proliferation. The IAEA is not a party to any of these instruments although some of them do assign, in addition to the regular depositary functions conferred upon the Director General, other functions to it. 23

IAEA, Medium Term Strategy 2012–2017 (http://www.iaea.org/About/mts2012_ 2017.pdf). 24 Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, 1.6.1968, UNTS Vol. 729, No. 10485 (German Translation in: BGBl. 1974 II 786).

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I. Nuclear Safety The international legal instruments in the area of nuclear safety cover in particular radiation protection, the safety of nuclear power plants, research reactors and radioactive sources, the safe transport of radioactive material, the safe management of spent fuel and radioactive waste as well as emergency preparedness and response in the event of a nuclear accident or radiological emergency. The regime consists of both binding and non-binding international legal instruments adopted under the auspices of the IAEA. The first two instruments that shall be described in the nuclear safety area are the Convention on Early Notification of a Nuclear Accident25 and the Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency26 both adopted in 1986. They are known as the “post-Chernobyl conventions” as they were triggered by the Chernobyl incident. Both have more than 100 parties to date.27 Together they form the basis for the present international framework to facilitate the exchange of information and the prompt provision of assistance in the event of a nuclear accident or radiological emergency, with the aim of minimising their consequences. They are supplemented by a number of bilateral or regional agreements between neighbouring States and a number of safety standards and practical arrangement and mechanism. Following these two instruments and also as a consequence of the Chernobyl accident, the Convention on Nuclear Safety28 was adopted in 1994 and entered into force in 1996. This Convention applies to the safety of land-based civil nuclear power plants. As a particular feature, the Convention provides for the convening of peer review meetings at which Contracting Parties report at regular intervals on how they implement each of the obligations under the Convention. They then review these reports in specific groups and ask questions about them.29 At the same time, however, the Convention does not foresee penalties or sanctions but is rather based on the concept of peer pressure. The Convention has at present 75 25 Convention on Early Notification of a Nuclear Accident, 26.9.1986, UNTS Vol. 1439, No. 24404 (German Translation in: BGBl. 1989 II 435). 26 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, 26.9.1986, UNTS Vol. 1457, No. 24643 (German Translation in: BGBl. 1989 II 441). 27 IAEA Registration Nos. 1532 (http://www.iaea.org/Publications/Documents/ Conventions/cenna_status.pdf) and 1534. 28 http://www.iaea.org/Publications/Documents/Conventions/cacnare_status.pdf. Convention on Nuclear Safety, 17.6.1994, UNTS Vol. 1963, No. 33545 (German Translation in: BGBl. 1997 II 131). 29 Art. 20 of the Convention on Nuclear Safety.

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Contracting Parties. All countries operating nuclear power plants are party to it (Iran being a special case).30 The most recent legally binding instrument in the area of nuclear safety is the Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management31 which was adopted in 1997 and entered into force in 2001. Whereas the Convention on Nuclear Safety deals with what is known as the “front-end” of the nuclear fuel cycle, i.e. the safety of nuclear power generation, the Joint Convention covers the “back-end” of the nuclear fuel cycle and applies to the safety of spent fuel management and to the safety of radioactive waste management. Like the Convention on Nuclear Safety, the Joint Convention also provides for a peer review mechanism, whereby Contracting Parties report at regular intervals on how they are implementing each of the obligations under the Convention, as described above (the peer pressure principle).32 As mentioned above, the international nuclear safety regime also comprises non-binding international legal instruments. Accordingly, two non-binding codes of conduct have been negotiated under the auspices of the IAEA. These are the “Code of Conduct on the Safety and Security of Radioactive Sources”33 which was adopted in 2003 and which applies to all radioactive sources that could pose a significant risk to individuals, society and the environment, and the “Code of conduct of the Safety of Research Reactors”,34 which was adopted in 2004 and applies to the safety of research reactors at all stages of their lives from siting to decommissioning. These codes of conduct are legal instruments of a non-binding nature, prepared at the international level, to offer guidance to States for the development and harmonisation of policies, laws and regulations. With respect to both codes, States have agreed to hold voluntary periodic meetings to exchange information on national implementation similar to the peer review mechanism that had been described in respect of the Convention on Nuclear Safety and the Joint Convention before.

30 IAEA Registration No. 1676 (http://www.iaea.org/Publications/Documents/ Conventions/nuclearsafety_status.pdf). 31 Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, 29.9.1997, UNTS Vol. 2153, No. 37605 (German Translation in: BGBl. 1998 II 1753). 32 Art. 30 of the Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management. 33 IAEA, Code of Conduct on the Safety and Security of Radioactive Sources, http:// www-pub.iaea.org/MTCD/publications/PDF/code-2004_web.pdf. 34 IAEA, Code of Conduct on the Safety or Research Reactors, http://www-pub.iaea. org/MTCD/publications/PDF/CODEOC-RR_web.pdf.

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All of these international legal instruments in the area of nuclear safety are supplemented by a comprehensive array of non-binding safety standards which the IAEA under Article III.A.6 of its Statute is authorised to adopt. After the Fukushima Daiichi accident the IAEA’s nuclear safety regime is under particular scrutiny. II. Nuclear Security Nuclear security has traditionally been considered as an issue in the national domain. It is almost exclusively governed by national law and, as such, was originally not included in the IAEA’s main areas of work. There is, therefore, no explicit reference to nuclear security in the IAEA’s Statute. Rather it is an implied mandate conferred on the Agency by its policy-making organs. In recent years and in particular following the terrorist attacks of 11th September 2001, however, it has evolved into a greater priority for the IAEA and its Member States. In the meantime, a general international consensus has developed on the need to strengthen the security of nuclear and other radioactive materials in use, storage and transport, and to protect them and associated installations and facilities against terrorist and malicious acts. The main legal instrument of nuclear security developed under the auspices of the IAEA is the Convention on the Physical Protection of Nuclear Material.35 It was adopted in 1979 and entered into force in 1987. It provides for the physical protection of nuclear material used for peaceful purposes while in international transport, the criminalisation of offences regarding such material and in relation to such material in domestic use, storage and transport, as well as international cooperation and exchange of information. A 2005 amendment to the Convention36 obliges States Parties to protect nuclear facilities and material in peaceful domestic use, storage and transport. It also provides for expanded cooperation between and among States regarding rapid measures to locate and recover stolen or smuggled nuclear material, mitigate any radiological consequences of sabotage, and prevent and combat related offences.37 Again, as for nuclear safety, the legal framework for nuclear security comprises binding and non-binding international legal instruments adopted under the auspices 35

Convention on the Physical Protection of Nuclear Materials, 26.10.1979, UNTS Vol. 1456, No. 24631 (German Translation in: BGBl. 1990 II 327). 36 2005 Amendment to the Convention on the Physical Protection of Nuclear Materials, 8.7.2005, not yet officially published, http://ola.iaea.org/ola/treaties/documents/FullText. pdf (German Translation in: BGBl. 2008 II 575). 37 Article 5 et seq. of the Convention on the Physical Protection of Nuclear Materials.

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of the IAEA and other organisations, including the United Nations, IMO and ICAO.38 The nuclear security legal framework is supplemented by a number of international initiatives by States, most notably the IAEA Nuclear Security Plan39 but also, for example, the Nuclear Threat Initiative,40 the EU Strategy against the Spread of Weapons of Mass Destruction,41 and the UN Global Counter Terrorism Strategy.42 III. Civil Liability for Nuclear Damage The Chernobyl disaster brought into sharp focus not only the inadequacies of the nuclear safety framework prevailing at the time, but also the inadequacy of the regime to provide for compensation in case of nuclear damage. It resulted in the revision of existing provisions and the adoption of new international instruments (and safety standards), not only concerning safety before but also liability for nuclear damage. However, concerns still remain with regard to the nuclear liability regime regarding the adequacy of the compensation amounts available under the regime. Concerns are also raised by States neighbouring countries that operate nuclear power plants and from those that are close to the paths of ships transporting radioactive or nuclear material – the “Coastal States”. In a nutshell, the current international regime on civil liability for nuclear damage consists of two parallel tracks. At the regional level, there is the Paris regime which consists of the 1960 Paris Convention,43 in principle only open to Member States of the Organization for Economic Cooperation and Development (OECD).44 The 1960 Paris Convention is supplemented by the 1963 Brussels Supplementary Convention45 which, however, merely raises the level of monetary 38

E.g. Convention on Third Party Liability in the Field of Nuclear Energy of 29th July 1960, as amended by the Additional Protocol of 28th January 1964 and by the Protocol of 16th November 1982, UNTS Vol. 956, No. 13706 and Vol. 1519, No. 13706 (German version ibid.). 39 IAEA, Nuclear Security Plan 2010–2013 (IAEA Doc. GOV/2009/54-GC(53)/18, 17 August 2009). 40 For more information see: http://www.nti.org. 41 Council of the European Union, EU Strategy Against Proliferation of Weapons of Mass Destruction, Brussels, 10 December 2003 (Doc. LIMITE 15708/03). 42 The United Nations Global Counter-Terrorism Strategy (UN General Assembly resolution A/RES/60/288 of 20 September 2006). 43 Convention on Third Party Liability in the Field of Nuclear Energy. 44 Art. 21 of the Convention on Third Party Liability in the Field of Nuclear Energy. 45 Convention of 31st January 1963 Supplementary to the Paris Convention on Third Party Liability in the Field of Nuclear Energy of 29th July 1960, as amended by the additional Protocol of 28th January 1964 and by the Protocol of 16th November 1982

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compensation for nuclear damage on the basis of national and international public funds. Both the Paris Convention and the Brussels Convention have been amended more than once since their adoption. Both will be further amended by Protocols adopted in 2004, which, however, are not in force yet.46 At the international level, there is the Vienna regime, i.e. the regime adopted under IAEA auspices which consists of the 1963 Vienna Convention,47 which is open to all States, and the Protocol to amend the Vienna Convention adopted in 1997.48 In order to create a treaty link between the Parties to the Paris and the Vienna regimes and thus establish a truly global nuclear liability regime, two treaty instruments have been adopted. The first one is the 1988 Joint Protocol Relating to the Application of the Vienna Convention and the Paris Convention,49 and the second one is the Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage.50 All of these instruments create a special regime of compensation in case of a nuclear accident distinct from regular tort law and aim at harmonising private law in this regard in countries party to the regime. Accordingly, the basic principles reflected in all the conventions in the field of nuclear liability are the same. In the following only three of these basic principles (which have caused reason for debate in the past) will be explained.

(“Brussels Supplementary Convention”), UNTS Vol. 1041, No. 13706 and Vol. 1650, No. 13706 (German version ibid.). 46 Protocol to Amend the Convention on Third Party Liability in the Field of Nuclear Energy of 29th July 1960, as amended by the Additional Protocol of 28th January 1964 and by the Protocol of 16th November 1982, 12.2.2004, not yet officially published (German Translation in: BGBl. 2008 II 904); Protocol to Amend the Convention of 31 January 1963 Supplementary to the Paris Convention of 29 July 1960 on Third Party Liability in the Field of Nuclear Energy, as amended by the Additional Protocol of 28th January 1964 and by the Protocol of 16th November 1982, 12.2.2004, not yet officially published (German Translation in: BGBl. 2008 II 920). 47 Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage, 21.5.1963, UNTS Vol. 1063, No. 16197 (reported: BGBl. 2001 II 207). 48 1997 Protocol to Amend the Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage, 12.9.1997, UNTS Vol. 2241, No. 16197. 49 Joint Protocol Relating to the Application of the Vienna Convention and the Paris Convention, 21.9.1988, UNTS Vol. 1672, No. 28907 (German Translation in: BGBl. 2001 II 203). 50 Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage, 12.9.1997, ILM Vol. 36, 1473 and IAEA Doc. INFCIRC/567, 22 July 1998.

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First, all of the conventions channel the liability to the operator of the nuclear installation,51 which means that no other person can be held liable for nuclear damage. This includes any person who might otherwise be liable under the general rules of civil liability, such as the supplier or the manufacturer of the nuclear installation. Second, the conventions ensure only a minimum amount of liability (5 million US $ under the gold standard, or 300 million Special Drawing Rights (SDRs) depending on the applicable convention).52 However, the State where the liable operator’s installation is situated (the “Installation State”) is free to impose a higher amount or even unlimited liability. Indeed, a number of States (such as Germany, Switzerland or Japan) have introduced the concept of unlimited liability in their national law.53 Third, all liability conventions provide for uniform rules on jurisdiction in order to ensure that the courts of only one Contracting Party have exclusive jurisdiction in the event of a particular incident.54 It is these principles especially that have been seen in the past as more protecting the nuclear industry rather than the potential victims of a nuclear incident. Just to put the aforementioned nuclear liability regime into perspective: As a result of the Fukushima accident, so far 2 billion US $ have been paid out in compensation. The overall cost, however, is estimated by the insurance industry at 40 billion US $. IV. Safeguards and Non-Proliferation The fourth element of nuclear law is addressed in Article III.A.5 of the IAEA’s Statute. The IAEA is inter alia authorised to establish and administer safeguards, firstly to ensure that special fissionable and other materials, services, equipment, facilities, and information made available by the IAEA or at its request or under its supervision or control is not used in such a way as to further any military purpose. Secondly, the safeguards are to be applied at the request of the parties to any 51

Art. 3 (a) of the Convention on Third Party Liability; Art. 3 of the Brussels Supplementary Convention; Art. II. 1 of the Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage; Art. II. 2 of the Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage; Art. II of the Joint Protocol Relating to the Application of the Vienna Convention and the Paris Convention. 52 E.g. Art. 3 (a) of the Brussels Supplementary Convention; Art. V. 1 of the Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage. 53 E.g. § 31 I Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz), Federal Republic of Germany, 15.07.1985 (BGBl.1985 I 1566). 54 Art. 13 of the Convention on Third Party Liability; Art. XI of the Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage; Art. XIII of the Convention on Supplementary Compensation for Nuclear Damage.

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bilateral or multilateral arrangement. Thirdly, they are to be applied at the request of a State to any of that State’s activities in the field of atomic energy. In this regard, the IAEA has concluded several different safeguards agreements with States. It is not a pre-requisite that the respective State is a Member of the IAEA for a safeguards agreement to be concluded with it. There are three types of safeguard agreements: Firstly, there are Item-specific/Limited Scope Safeguards Agreements. This is the oldest form of agreements concluded by the IAEA. The agreements specify the specific nuclear material, equipment or facilities covered by the agreement and placed under IAEA safeguards, with the purpose of ensuring that it is not used to further any military purpose. Safeguards agreements may be concluded with the Agency on a bilateral or a multilateral basis.55 Secondly, there are Comprehensive Safeguard Agreements. The Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT) provides in its Article III that each non-nuclear-weapon State party thereto shall conclude an agreement with the IAEA for the application of safeguards on all source or special fissionable material within the territory of such State, under its jurisdiction or under its control anywhere. Such safeguards shall be also implemented to prevent the diversion of nuclear energy from peaceful purposes to nuclear weapons or other nuclear explosive devices. Thirdly, there are Voluntary Offer Agreements, which have been concluded with the five nuclear-weapon States parties to the NPT (i.e. China, France, the Russian Federation, the United Kingdom and the United States).56 Under the NPT, these States are not obliged to conclude a safeguards agreement with the IAEA.57 In order to build confidence, nonetheless, all of them have concluded Voluntary Offer Agreements with the IAEA that follow the structure of comprehensive safeguards agreements, but differ in scope in that they offer a list of civilian nuclear facilities from which the IAEA may select to apply safeguards. 55

E.g. Agreement Between the Kingdom of Belgium, the Kingdom of Denmark, the Federal Republic of Germany, Ireland, the Italian Republic, the Grand Duchy of Luxembourg, the Kingdom of the Netherlands, the European Atomic Energy Community and the International Atomic Energy Agency in Implementation of Article III, (1) and (4) of the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons and the Protocol thereto, 5.4.1973, IAEA Doc. INFCIRC/193, 14 September 1973 and INFCIRC/193/Add.8, 12 January 2005 (German Translation in: BGBl. 1974 II 795). 56 IAEA, Status List, Conclusion of safeguards agreements, additional protocols and small quantities protocols as of 15 July 2013, http://www.iaea.org/safeguards/documents/ sir_table.pdf. 57 Art. III, para. 1 of the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, which addresses only Non-nuclear-weapon State Parties.

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Given the need for such a comprehensive safeguards regime, the IAEA developed a specific model for safeguards agreements to be concluded by non-nuclearweapon States in connection with the NPT. The structure and contents of these agreements were approved by the IAEA’s Board of Governors in 1972 and now provide the basis for negotiating safeguards agreements between the IAEA and such States.58 Safeguards under these agreements are based on the requirement of States providing the IAEA with information on their nuclear activities and on the IAEA conducting inspections aimed at confirming the correctness and completeness of a State’s declarations. Although the Agency has both the right and obligation to confirm the completeness and correctness of information provided by a State under Comprehensive Safeguards Agreements, these agreements provided limited tools for the IAEA to do so effectively on a routine basis. Following the discovery of a clandestine nuclear weapons programme in Iraq and continued difficulties with verifying compliance by the Democratic People’s Republic of Korea (DPRK) with its safeguards agreement, the IAEA’s Board of Governors initiated a programme to strengthen IAEA safeguards in 1993. As a result, a number of enhancements to the IAEA’s safeguards system were developed. In 1997, the IAEA’s Board of Governors approved the Model Additional Protocol,59 which is now the key to a strengthened safeguards regime and serves as the model for all Additional Protocols concluded by the IAEA with States. The Additional Protocol does not expand the IAEA’s verification mandate but provides it with additional tools to accomplish it. In particular, under the Additional Protocol, a State is required to provide the IAEA with a much broader spectrum of information covering all aspects of its nuclear fuel cycle-related activities, including research and development, uranium mining, manufacturing of listed components as well as the import and export of listed equipment and non-nuclear material.60 States must also grant the IAEA broader access to all aspects of their nuclear fuel cycle and allow, for example, short-notice inspections by the IAEA.61 While safeguards under an Additional Protocol are also based on the IAEA conducting inspections aimed at providing credible assurances on the completeness 58 IAEA, Board of Governors, The Structure and Content of Agreements between the Agency and States required in Connection with the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, June 1972, IAEA Doc. INFCIRC/153 (Corrected). 59 IAEA, Board of Governors, Model Protocol Additional to the Agreement(s) between State(s) and the International Atomic Energy Agency for the Application of Safeguards, September 1997, INFCIRC/540 (Corrected). 60 Art. 2 and 3 of the Model Protocol Additional to the Agreement(s) between State(s) and the International Atomic Energy Agency for the Application of Safeguards. 61 Art. 4 et seq. of the Model Protocol Additional to the Agreement(s) between State(s) and the International Atomic Energy Agency for the Application of Safeguards.

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and correctness of a State’s declarations to the IAEA, the new tools provided to the IAEA by the Additional Protocol enhance the IAEA’s ability to draw a conclusion regarding the absence of undeclared nuclear material and activities in a nonnuclear-weapon State. Such a conclusion is drawn on the basis of an evaluation of all the safeguards-relevant information available to it, which includes information declared by the State, information obtained during inspections, and open-source information available to the IAEA.

G. The IAEA as the “Watchdog” over the Safe and Peaceful Use of Nuclear Energy? The question arises whether the aforementioned legal framework justifies the Agency being called the “watchdog” over the safe and peaceful use of nuclear energy. The title, or better, nickname, “watchdog” was given to the IAEA by journalists at the height of the Iraq conflict in 2003 and until now it is often used by the media.62 But can the IAEA really be called a watchdog that can bark and bite? Binding obligations under public international law as established by international treaties are restrictions of the sovereignty of the Contracting Parties. States are, therefore, normally rather reluctant to agree to such. Looking at the question more closely and only analysing the legal framework as described above and not taking into account the many diplomatic means that are available and applied, one will see that the functions and mandates of the IAEA are indeed limited. In the area of civil liability for nuclear damage, the Agency’s role is really only that of depositary of some of the relevant international treaty instruments. Therefore it would be futile to talk about an Agency’s “watchdog” role in this area. On the other hand, the Agency’s role in the other areas of nuclear law, namely nuclear safety, security and safeguards, is worth exploring in more detail for the purpose of this chapter. I. Nuclear Safety and Security In the area of nuclear safety, there are a number of international legal instruments which were adopted under IAEA auspices and which cover the whole 62

E.g. BBC, Profile: IAEA, the nuclear watchdog, 21.02.2012, http://www.bbc.co. uk/news/world-europe-17117069; BBC, Iran nuclear: UN watchdog IAEA rebukes Tehran, 13.09.2012, http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-19591175; J. Borger, Nuclear watchdog chief accused of pro-western bias over Iran, The Guardian, 22.3.2012, http:// www.guardian.co.uk/world/2012/mar/22/nuclear-watchdog-iran-iaea.

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nuclear fuel cycle from the safety of nuclear power plants to radioactive waste management, radioactive sources and research reactors. But what is the role of the IAEA under these instruments? It is limited essentially to depositary and administrative functions. These international instruments are supplemented by a whole range of safety standards which the IAEA is authorised to establish under Article III.A.6 of the Statute. The provision, however, makes it clear that the IAEA is authorised to apply these safety standards only to its own operations as well as to operations making use of materials, services, equipment, facilities and information made available by the Agency, but not to operations conducted by Member States alone. This is in fact the reason why the numerous nuclear safety advisory missions which are available at the IAEA are only advisory and voluntary in nature. This concept was made clear even after the Fukushima Daiichi accident where calls were made by some Member States for an expanded mandate of the IAEA to be able to exercise more authority in this regard. Yet, the calls were soon rebutted by Member States.63 In the area of nuclear security, the role of the IAEA is even weaker. There is no explicit reference to nuclear security in the IAEA’s Statute but it is rather an implied mandate conferred on the Agency by its policy-making organs. In addition, similar to the nuclear safety instruments, the nuclear security instruments limit the functions of the IAEA to mere depositary work or one of collecting and disseminating information to States Parties to these instruments. Peer review meetings are not foreseen at all and again advisory missions to Member States are strictly voluntary in nature. Furthermore, given that nuclear security has traditionally been considered as an issue in the national domain, the IAEA is not only not authorised to promulgate nuclear security standards. Even a different term is used for them, namely “nuclear security guidance documents”. Finally, as distinct from the nuclear safety area,

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E.g. non-paper submitted by Australia (http://www-pub.iaea.org/MTCD/Meetings/ PDFplus/2011/cn200/cn200_Australian_Non-Paper.pdf); working paper submitted by Switzerland (http://www-pub.iaea.org/MTCD/Meetings/PDFplus/2011/cn200/cn200_ Swiss_Working_Paper.pdf); and non-paper submitted by Austria (http://www-pub.iaea.org/ MTCD/Meetings/PDFplus/2011/cn200/documentation/austria_non-paper.pdf). In contrast to what has been suggested in the listed documents, neither the ‘Declaration by the IAEA Ministerial Conference on Nuclear Safety in Vienna on 20 June 2011’ (INFCIRC/821, 20 June 2011), nor the ‘IAEA Action Plan on Nuclear Safety’ (IAEA Doc. GOV/2011/59GC(55)/14, 5 September 2011) calls for an expansion of the mandate of the IAEA with respect to this matter.

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nuclear security and counter-terrorism measures are not centred at the IAEA but have been spread around among other international organisations and bodies. In short, there is not much of “watchdog” role of the IAEA in the areas of nuclear safety and security. While it can bark, it cannot bite. II. Safeguards and Non-Proliferation In the area of safeguards and non-proliferation, the mandate of the IAEA is specifically defined in the Statute and the various types of agreements concluded between the IAEA and the Member State. Since a safeguards agreement is a treaty between the IAEA and the State concerned, the responsibility to fulfil the obligations of the agreement rests with the Government of the State that is party to the agreement. For example, if the operator of a privately owned facility subject to safeguards refused to allow IAEA inspectors to conduct a properly scheduled inspection, the IAEA would request the Government of the State concerned to take whatever steps were necessary to ensure that Agency inspectors had adequate access to the facility. If the Government did not or could not facilitate adequate access for the inspectors, then the State, not the operator, would be in breach of the agreement. It is the State’s responsibility to ensure that persons under its jurisdiction or control act in accordance with the treaty obligations assumed by that State. However, the nature of non-compliance by a State with its safeguards obligations may vary. Non-compliance could derive, for example, from the unaccounted-for presence or absence of nuclear material, from misleading and/or falsified records or reports, from the denial of access to Agency inspectors, or from the tampering with Agency containment or surveillance devices. There is no formal definition of the term ‘non-compliance’ in the safeguards agreements concluded by the Agency. The information that a safeguards inspector is likely to uncover, however, is such that, rather than demonstrating a clear violation of the agreement, it would give rise to concerns as to whether the State were fulfilling its obligations under the agreement. Regardless of the type of agreement, the IAEA has the right and the duty to try to resolve these concerns through the examination of available safeguards-relevant information and by obtaining from the State further clarifications and additional information and/or access to additional locations. Under a Comprehensive Safeguards Agreement, if such doubts cannot be resolved to the satisfaction of the Agency, the Director General may, under Article 18 of that Agreement, report to the Board of Governors that an action by the State is essential and urgent to ensure

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the verification of non-diversion of nuclear material subject to the Agreement. Any actions considered by the Board of Governors to be “essential and urgent” are required to be implemented by the State without delay. The Director General could also report to the Board the Agency’s inability to verify that nuclear material required to be safeguarded has not been diverted. If the Board, upon examination of relevant information reported to it by the Director General, concludes that the IAEA cannot fulfil its obligation under an agreement to verify that there has been no diversion of nuclear material required to be safeguarded under the Agreement, Article 19 of the Agreement provides that the Board may make the reports provided for in Article XII. C of the Statute, and may also take, where applicable, the other measures provided for in that provision. This means failure by a State to take fully corrective action within a reasonable time with respect to non-compliance could subject the State to curtailment or suspension of assistance provided by the Agency or by a Member State, the recall of material and equipment, and/or the suspension of the privileges and rights of Agency membership. However, Article XII.C of the Statute also provides for the reporting of noncompliance to the Security Council and to the General Assembly of the United Nations, which may trigger measures by the Security Council within the framework of the United Nations Charter. Since the inception of safeguards, the Board of Governors, through the Director General, has reported to the Security Council cases of States’ non-compliance under six agreements, all involving comprehensive safeguards agreements in Iraq, Romania, the Democratic People’s Republic of Korea (DPRK), Libya, Iran, and Syria (in the cases of Romania and Libya, the reporting was for information purposes only).64 As for INFCIRC/66-type agreements,65 while

64 E.g. Iraq: IAEA Doc. GOV/2532 (18 July 1991); Romania: IAEA Doc. GOV/ DECISIONS 1991–1992, 91–92/39; DPRK: IAEA Doc. GOV/2645, 1 April 1993; Iran: IAEA Doc. GOV/2006/14 (4 February 2006); Syria: IAEA Doc. GOV/2011/41 (9 June 2011); Libya: IAEA Doc. GOV/2004/18 (10 March 2004). 65 IAEA, The Agency’s Safeguard System (IAEA Doc. INFCIRC/66, 3 December 1965). INFCIRC/66, which is an earlier safeguards document, is a guideline for the negotiation of safeguards agreements that cover only specified items, such as certain facilities, equipment, nuclear material and non-nuclear material. The revised version of this document (IAEA Doc. INFCIRC/66/Rev.2, 16 September 1968) contains two annexes, which extended its coverage to reprocessing plants (Annex I, 1966) and conversion and fuel fabrication plants (Annex II, 1968). However, the application of safeguards under most INFCIRC/66 type agreements has been suspended (except India, Israel and Pakistan), as most non-nuclear-weapon States have concluded comprehensive safeguards agreements

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the wording varies from agreement to agreement, as a general rule, they provide that, if the Board of Governors determines that there has been non-compliance with the agreement, it shall call upon the Government concerned to remedy the noncompliance forthwith, and make such reports as it deems appropriate. The provisions relating to non-compliance in a Comprehensive Safeguards Agreement are also applicable with respect to Model Additional Protocol. Finally, the assistance programme of the IAEA’s Office of Legal Affairs should be mentioned. Within the framework of this assistance programme, the IAEA assists its Member States not only in adhering to but, more importantly, also implementing all of the international legal instruments that have been mentioned above and to transform these into national nuclear laws.66 Over the past years assistance in drafting such laws has been provided to more than 100 Member States, entailing quite an open and frank dialogue with the States concerned. Although this may be not as spectacular or visible as being an IAEA watchdog, if as a result of the discussions States have these national legal frameworks in place, this may be an equally if not more effective way of ensuring the safe and peaceful uses of nuclear energy. As described above, it is not a surprise that the IAEA’s work in the area of safeguards and non-proliferation has earned the organization the moniker “nuclear watchdog” that can not only bark, but also bite, especially by reporting non-compliance to the Security Council and the General Assembly of the United Nations. Having said that, it also needs to be pointed out that the current Director General Yukiya Amano has been “trying to change the widespread perception of the Agency as simply the world’s ‘nuclear watchdog’”67 by calling attention also to the contributions the IAEA makes e.g. “to tackling fundamental global problems such as food security, water and energy shortages and climate change, as well as in the area of human health”.68 that provide for such suspension as long as the comprehensive safeguards agreement remains in force. C. Stoiber/A. Baer/N. Pelzer/W. Tonhauser, Handbook on Nuclear Law, IAEA, 2003. 66 C. Stoiber/A. Cherf/W. Tonhauser/M. de Lourdes Vez Carmona, Handbook on Nuclear Law: Implementing Legislation, IAEA, Vienna 2010; IAEA Office of Legal Affairs: Legislative Assistance, http://ola.iaea.org/ola/legislative-assistance.html. 67 ‘Statement to the Sixty-Fifth Regular Session of the United Nations General Assembly’ by Yukiya Amano, 8 November 2010, New Tork, USA, http://www.iaea.org/newscenter/ statements/2010/amsp2010n021.html. 68 ‘Statement on Future Prospects for Nuclear Energy’ by Yukiya Amano, 17 October 2012, London, UK, Royal Institute of International Affairs at Chatham House, http://www. iaea.org/newscenter/statements/2012/amsp2012n017.html.

Europarechtliche Vorgaben zur friedlichen Nutzung der Atomenergie: Euratom- und EU-Normen Von Jürgen Grunwald Eine Ringvorlesung zum Thema „Die Beherrschung der Atomenergie: Völkerund europarechtliche Perspektiven“ gibt schon in ihrem Titel drei wichtige Hinweise zur Sache: Die Frage nach der Beherrschung der Atomenergie, gestellt nach Tschernobyl1 und Fukushima,2 lenkt den Blick auf die Gefahren der Kernenergie. Die Frage nach dem einschlägigen Völker- und Europarecht verweist auf den internationalen „Überbau“ nationalen Nuklearrechts, wobei nach Fukushima die leise Hoffnung mitzuschwingen scheint, diese höhere Normenebene könne einzelstaatliche Regelungs- und Kontrolldefizite ausgleichen. Und der in die Zukunft gerichtete Begriff der Perspektiven schließlich impliziert weiteren Regelungsbedarf über die bestehenden Vorschriften hinaus. Aus diesen drei übergreifenden Hinweisen ergibt sich die Struktur der Beantwortung der hier zu behandelnden Frage nach den europarechtlichen Vorgaben zur friedlichen Nutzung der Atomenergie: In einem ersten Schritt ist darzustellen, welche Kompetenzen das Europarecht zur Beherrschung der Gefahren der Kernkraft vorsieht.3 In einem zweiten Schritt gilt es, einen kurzen Blick auf das Gebot der Friedlichkeit der Nutzung der Kernenergie zu richten, das die Frage gleichsam als Postulat vor die Klammer jedweder Nutzung der Kernkraft in Europa zieht. In einem dritten Schritt ist sodann zu untersuchen, welche Tätigkeiten des Nuklearsektors konkret welchen Regelungen der Gefahrenabwehr unterliegen. Hierbei ist von einem weiten Begriff der Nutzung der Atomenergie auszugehen, der sämtliche Tätigkeiten des nuklearen Brennstoffkreislaufs, einschließlich seiner vor- und nachgelagerten Phasen umfasst. Soweit hierbei zusätzlicher Regelungsbedarf 1

Vgl. J. Grunwald, Tschernobyl und das Gemeinschaftsrecht, EuR 1986, 315 ff. Ausgelöst durch ein Erdbeben und einen gewaltigen Tsunami ereignete sich im japanischen Kernkraftwerkkomplex Fukushima Daiichi am 11.3.2011 eine der schwersten Katastrophen in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernenergie. 3 Angesichts der Beschränkung des Themas auf die Gefahrenabwehr bei der Nutzung der Kernenergie müssen weitergehende Fragen der Förderung der Kernenergie, der Versorgungspolitik, des Wettbewerbs auf dem Kerngebiet, der europäischen Energiepolitik sowie der nuklearen Außenbeziehungen von Euratom und EU vorliegend ausgeklammert bleiben. 2

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auszumachen ist, wird in einem vierten und letzten Schritt zu prüfen sein, welche weiteren Perspektiven das Europarecht auf dem Kernsektor eröffnet.

A. Die europarechtlichen Kompetenzen zur Beherrschung der Gefahren der Kernkraft Nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 20094 sind die europarechtlichen Kompetenzen im Europa der 28 Mitgliedstaaten auf drei Verträge verteilt: den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV),5 den Vertrag über die Europäische Union (EUV)6 und den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).7 Diese drei Verträge bilden den Kern des europäischen Primärrechts, wobei der EAGV auf dem Gebiet der Kernkraft als lex specialis Vorrang genießt. Art. 106a Abs. 3 EAGV bestimmt: „Die Vorschriften des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union beeinträchtigen nicht die Vorschriften dieses Vertrags“. Diesem Verhältnis der Verträge untereinander entsprechend, liegt der Schwerpunkt der nachfolgenden Darstellung bei den Regeln des EAGV und seines Sekundärrechts.8 Dies schließt Seitenblicke auf die beiden EU-Verträge nicht aus, deren Vorschriften über die Organe und Finanzvorschriften kraft Generalverweisung in Art. 106a Abs. 1 EAGV auch für den EAGV gelten. Auch sind gelegentliche Interferenzen zwischen den Verträgen möglich, zumal der AEUV in seinen Art. 122 4 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 13.12.2007 (ABl. EU Nr. C 306 vom 17.12.2007). 5 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV), i.d.F. des Vertrags von Lissabon (ABl. EU Nr. C 327 vom 26.10.2012, 1). 6 Vertrag über die Europäische Union (EUV), i.d.F. des Vertrags von Lissabon (ABl. EU Nr. C 326 vom 26.10.2012, 13). 7 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) i.d.F. des Vertrages von Lissabon (ABl. EU Nr. C 326 vom 26.12.2012, 47). 8 Hierzu umfassend J. Grunwald, Das Energierecht der Europäischen Gemeinschaften, EGKS-EURATOM-EG. Grundlagen – Geschichte – Geltende Regelungen, 2003; ders., Neuere Entwicklungen des Euratom-Rechts, ZEuS 2010, 407 ff., sowie demnächst ders., Europäische Atomgemeinschaft, in: A. Hatje/P. C. Müller-Graff (Hrsg.), Enzyklopädie des Europarechts, Bd. 1 § 15. Siehe weiterhin W. Kilb, The European Atomic Energy Community and its Primary and Secondary Law, in: Nuclear Energy Agency, OECD (Hrsg.), International Nuclear Law: History, Evolution and Outlook, 2010, 43 ff.; W. G. Schärf, Europäisches Nuklearrecht, 2008.

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Abs.1, 194, 191 ff. und 196 ebenfalls Vorschriften über „Energie“,9 „Umwelt“ und „Katastrophenschutz“ enthält.10 Der EAGV hat um die Gefahren der Nutzung der Kernenergie von Anfang an gewusst, denn die Europäische Atomgemeinschaft wurde gegründet in dem Bestreben, die „Sicherheiten zu schaffen, die erforderlich sind, um alle Gefahren für das Leben und die Gesundheit ihrer Völker auszuschließen“.11 Zur Gewährleistung dieser Sicherheiten hat die Gemeinschaft nach Maßgabe des Vertrages gemäß Art. 2 lit. b und e EAGV – „einheitliche Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte aufzustellen und für ihre Anwendung zu sorgen“ sowie – „durch geeignete Überwachung zu gewährleisten, dass die Kernstoffe nicht anderen als den vorgesehenen Zwecken zugeführt werden“. Dem Gesundheitsschutz, d.h. dem Strahlenschutz, ist das Kap. 3 des zweiten Titels (Art. 30 bis 39 EAGV) gewidmet, und die Kernmaterialüberwachung ist im Kap. 7 desselben Titels (Art. 77 bis 85 EAGV) geregelt. Beide Kapitel sind mit den anderen acht Kapiteln des zweiten Titels in Sachen Gefahrenabwehr eng verzahnt. Unter dem Gesichtspunkt der Beherrschung und der Abwehr nuklearer Risiken sehen die zehn Kapitel des zweiten Titels des Vertrages umfangreiche Kompetenzen vor: Kap. 1 („Förderung der Forschung“) weist für die „Unterstützung der nationalen Kernforschung“ (Art. 5 und 6 EAGV) und die Durchführung der „Gemeinschaftsforschung“ (Art. 7 bis 11 EAGV) zahlreiche sicherheitsrelevante Forschungsgebiete aus. Nach Art. 4 Abs. 2 EAGV i.V.m. Anhang I sind dies insbesondere die – Berechnungen über den Strahlenschutz bei der Berechnung der Reaktoren (Anhang I Ziff. II.3. lit. f), – Konzentrierung und Aufbewahrung der unbrauchbaren radioaktiven Abfälle (Anhang I Ziff. IV.5.),

9 Zur energiepolitischen Orientierung der EU zuletzt die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Energiefahrplan 2050, 15.12.2011, KOM (2011) 885 endgültig. 10 Nach Art. 4 Abs. 2 lit. e und i AEUV handelt es sich bei Umwelt und Energie um eine Zuständigkeit, welche die Union mit den Mitgliedstaaten teilt, und nach Art. 6 lit. f AEUV stellt der Katastrophenschutz einen Bereich dar, bei dem die Union die Maßnahmen der Mitgliedstaaten „mit europäischer Zielsetzung“ unterstützt, koordiniert oder ergänzt. 11 Vierte Erwägung der Präambel des EAGV.

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– Untersuchung der schädlichen Auswirkungen der Strahlungen auf Lebewesen (Anhang I Ziff. VI.) sowie – Strahlenmessgeräte zur Verwendung beim Gesundheitsschutz (Anhang I Ziff. VII. 2.lit. a). Seit Anbeginn der Gemeinschaft ist die Forschung auf dem Gebiet der Sicherheit der Kernspaltung ein fester Bestandteil der Euratom-Forschungs- und Ausbildungsprogramme (Art. 7 EAGV), wobei der Vertrag ein besonderes Augenmerk auf „die Ausbildung von Fachkräften“ legt (Art. 9 EAGV). Kap. 2 („Verbreitung der Kenntnisse“) gilt der Schaffung einer „Europäischen Wissens- und Verwertungsgemeinschaft“ auf dem Gebiet der nuklearen Kenntnisse. Bedeutsam sind hier die Bestimmungen über die Geheimhaltung (Art. 24 ff. EAGV) sowie die Kompetenz der Kommission zum Abschluss von völkerrechtlichen Abkommen und Verträgen über den Austausch von wissenschaftlichen oder gewerblichen Kenntnissen auf dem Kerngebiet (Art. 29 EAGV). Kap. 3 („Der Gesundheitsschutz“) als sedes materiae des Strahlenschutzrechts überträgt der Gemeinschaft die Rechtsetzungskompetenz auf dem Gebiet der „Grundnormen“ (Art. 30 und 31 EAGV)12 und der sie „ergänzenden Normen“ (Art. 32 EAGV)13 sowie bedeutende „Kontrollrechte“ gegenüber den Mitgliedstaaten, die die Einhaltung der legislativen Vorgaben sicherstellen sollen.14 Als erstes Umwelt- und Nachbarschutzrecht der Gemeinschaften überhaupt werden die Befugnisse der Kommission in Bezug auf die Kontrolle besonders gefährlicher Versuche (Art. 34 EAGV), die Überwachung des Gehalts der Luft, des Wassers und des Bodens an Radioaktivität (Art. 35 und 36 EAGV) sowie die Prüfung von Plänen zur Ableitung radioaktiver Stoffe in die Umwelt (Art. 37 EAGV) geregelt. 12 Art. 30 EAGV bestimmt: „In der Gemeinschaft werden Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen festgesetzt. Unter Grundnormen sind zu verstehen: a) die zulässigen Höchstdosen, die ausreichende Sicherheit gewähren, b) die Höchstgrenze für die Aussetzung gegenüber schädlichen Einflüssen und für schädlichen Befall, c) die Grundsätze für die ärztliche Überwachung der Arbeitskräfte“. 13 Art. 32 EAGV bestimmt: „Die Grundnormen können auf Antrag der Kommission oder eines Mitgliedstaats nach dem Verfahren des Artikels 31 überprüft oder ergänzt werden. Die Kommission hat jeden von einem Mitgliedstaat gestellten Antrag zu prüfen“. 14 Zum Schutzumfang der Art. 30 ff. EAGV stellte der Gerichtshof fest, „dass die angeführten Artikel darauf abzielen, einen lückenlosen und wirksamen Gesundheitsschutz der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen sicherzustellen, ungeachtet der Strahlungsquelle und unabhängig davon, welche Personengruppe diesen Strahlungen ausgesetzt ist“, EuGH, Rs. C-70/88, Parlament v. Rat, Urt. v. 4.10.1991, Slg. 1991, I-4529, Rn. 14.

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Neben dem Auftrag zum Erlass von Empfehlungen (Art. 33 Abs. 2 bis 4 und 38 Abs. 1 EAGV) sehen Art. 38 Abs. 2 und 3 EAGV als stärkste Waffe der Kommission ein Weisungsrecht gegenüber den Mitgliedstaaten vor, das von ihr oder betroffenen Mitgliedstaaten gerichtlich durchgesetzt werden kann: In dringenden Fällen erlässt die Kommission eine Richtlinie, mit der sie dem betreffenden Mitgliedstaat aufgibt, innerhalb einer von ihr festgesetzten Frist alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um eine Überschreitung der Grundnormen zu vermeiden und die Beachtung dieser Vorschriften zu gewährleisten. Kommt der Staat innerhalb der festgesetzten Frist der Richtlinie der Kommission nicht nach, so kann diese oder jeder beteiligte Mitgliedstaat in Abweichung von den Artikeln 258 und 259 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union unmittelbar den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen.

Die derzeit geltenden Grundnormen nach Art. 30 und 31 EAGV ergingen in Gestalt der Richtlinie 96/29/Euratom des Rates vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen.15 Auf die sie ergänzenden Normen nach Art. 32 EAGV wird unten an jeweils zuständiger Stelle Bezug genommen. Kap. 4 („Investitionen“) sieht in Art. 41 ff. EAGV die Anzeige von Investitionsvorhaben an die Kommission vor, der eine Erörterung dieser Vorhaben zwischen Kommission und Unternehmen folgt. Soweit in diesem Rahmen sicherheitsrelevante Bedenken auftreten, kann die Kommission sie äußern und an den betreffenden Mitgliedstaat weitergeben (Art. 43 EAGV). Kap. 5 („Gemeinsame Unternehmen“) erlaubt die Errichtung von „Unternehmen, die für die Entwicklung der Kernindustrie in der Gemeinschaft von ausschlaggebender Bedeutung sind“, als gemeinsame Unternehmen (Art. 45 EAGV). Diese besitzen Rechtspersönlichkeit (Art. 49 Abs. 2 EAGV), und ihnen können besondere Vergünstigungen gewährt werden (Art. 48 i.V.m. Anhang III EAGV). Zwar ist die Rechtsform des gemeinsamen Unternehmens als solche sicherheitsneutral, doch könnten auf der Grundlage des Kap. 5 gemeinschaftsweit operierende gemeinsame Unternehmen zur Gewährleistung der nuklearen Sicherheit gegründet werden, wie z.B. auf dem Gebiet der Zertifizierung nuklearer Anlagen und der zentralen Entsorgung nuklearer Abfälle, bis hin zur Einrichtung und zum Betrieb eines zentralen Endlagers für hochradioaktive Abfälle.16

15

Richtlinie 96/29/Euratom des Rates vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen (ABl. EU Nr. L 159 vom 29.6.1996, 1). 16 Hierzu später unten D. III.

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Kap. 6 („Versorgung“) gilt der regelmäßigen und gerechten Versorgung aller Benutzer der Gemeinschaft mit Erzen und Kernbrennstoffen.17 Zuständig für die Versorgung ist die Euratom-Versorgungsagentur (Art. 54 EAGV), die berechtigt und verpflichtet ist, Aufträge dann nicht auszuführen, wenn ihnen rechtliche oder sachliche Hindernisse entgegenstehen (Art. 61 Abs. 1 und 65 Abs. 1 EAGV).18 Zwar wird das strenge Versorgungsmonopol der Agentur in der Praxis durch das sog. vereinfachte Verfahren auf der Ebene von Vertragsanbahnung und -abschluss gelockert,19 jedoch wird die Agentur hierdurch ihrer rechtlichen Kontrollfunktionen nicht beraubt.20 Das gleiche gilt für die von der Kommission ausgeübte Exportkontrolle (Art. 59 lit. b EAGV). Kap. 7 („Überwachung der Sicherheit“) setzt die Kommission als Kontrollbehörde auf dem Gebiet der Kernmaterialüberwachung („safeguards“) ein.21 Die Unternehmen unterliegen Anzeige- und Buchführungspflichten über die Erzeugung, Verwendung und Verbringung von Kernmaterial (Art. 79 EAGV) sowie physischen Kontrollen des Materialbestandes in den Anlagen durch Inspektoren der Kommission (Art. 81 EAGV). Im Falle von Rechtsverstößen kann die Kommission Zwangsmaßnahmen verhängen,22 die bis zum Entzug des Kernmaterials reichen können (Art. 83 EAGV). Die einzelnen Pflichten der Unternehmen sind Gegenstand der

17

Vgl. die Definitionen der einzelnen Kernstoffe in Art. 197 EAGV. Vgl. hierzu EuG, verbundene Rs. T-149/94 und T-181/94, Kernkraftwerk Lippe-Ems v. Kommission, Urt. v. 25.2.1997, Slg. 1997, II-161, bestätigt durch EuGH, Rs. C-161/97, Kernkraftwerk Lippe-Ems v. Kommission, Urt. v. 22.4.1999, Slg. 1999, I-2057. 19 Art. 5bis der Vollzugsordnung der Versorgungsagentur der Europäischen Atomgemeinschaft vom 5. Mai 1960 über das Verfahren betreffend die Gegenüberstellung von Angeboten und Nachfragen bei Erzen, Ausgangsstoffen und besonderen spaltbaren Stoffen (ABl. EG Nr. 32 vom 11.5.1960, 777); geändert durch Verordnung der Euratom-Versorgungsagentur zur Änderung der Vollzugsordnung der Versorgungsagentur vom 5. Mai 1960 über das Verfahren betreffend die Gegenüberstellung von Angeboten und Nachfragen bei Erzen, Ausgangsstoffen und besonderen spaltbaren Stoffen (ABl. EG Nr. L 193 vom 25.7.1975, 37). Siehe auch EuG, verbundene Rs. T-458/93 und T-523/93, ENU v. Kommission, Urt. v. 15.9.1995, Slg. 1995, II-2459, bestätigt durch EuGH, Rs. C-357/95, ENU v. Kommission, Urt. v. 11.3.1997, Slg. 1997, I-1329. 20 EuGH, Rs. C-7/71, Kommission v. Frankreich, Urt. v. 14.12.1971, Slg. 1971, 1003. 21 Das Euratom-Safeguards-System ist mit jenem der IAEA in Wien eng verzahnt. Dazu L. Rockwood, The IAEA Safeguards System, in: Nuclear Energy Agency, OECD (Hrsg.), International Nuclear Law: History, Evolution and Outlook, 2010, 243 ff. 22 EuGH, Rs. C-308/90, Advanced Nuclear Fuels v. Kommission, Urt. v. 21.1.1993, Slg. 1993, I-349. 18

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Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 der Kommission vom 8. Februar 2005 über die Anwendung der Euratom-Sicherungsmaßnahmen.23 Kap. 8 („Das Eigentum“) begründet das Eigentum der Gemeinschaft an den besonderen spaltbaren Stoffen (Art. 86 EAGV), während an allen anderen Kernstoffen die Agentur nach Art. 57 Abs. 1 lit. b EAGV das Eigentum erwerben kann.24 Hinsichtlich der Rechte der tatsächlichen Besitzer der Stoffe, d.h. insbesondere der Erzeuger, Verbraucher und Verarbeiter, bestimmt Art. 87 EAGV: Die Mitgliedstaaten, Personen oder Unternehmen haben an den besonderen spaltbaren Stoffen, die ordnungsgemäß in ihren Besitz gelangt sind, das unbeschränkte Nutzungsund Verbrauchsrecht, soweit nicht für sie Verpflichtungen aus diesem Vertrag, insbesondere bezüglich der Sicherheitsüberwachung, des Bezugsrechts der Agentur und des Gesundheitsschutzes, entgegenstehen.

Kap. 9 („Der gemeinsame Markt auf dem Kerngebiet“) ist heute im Wesentlichen im Binnenmarkt der EU25 aufgegangen.26 Allein Art. 98 EAGV widmet sich ausdrücklich den „Gefahren auf dem Kerngebiet“ indem er der Gemeinschaft die Kompetenz zur Regelung aller Maßnahmen verleiht, „die erforderlich sind, um den Abschluss von Versicherungsverträgen zur Deckung der Gefahren auf dem Kerngebiet zu erleichtern“. Kap. 10 („Außenbeziehungen“) ermächtigt die Gemeinschaft, „im Rahmen ihrer Zuständigkeit“ Abkommen und Vereinbarungen mit Drittstaaten, zwischenstaatlichen Einrichtungen und Angehörigen eines dritten Staates abzuschließen (Art. 101 EAGV). Auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes, der nuklearen Sicherheit, der Versorgung und der Kernmaterialkontrolle hat die Gemeinschaft von dieser Kompetenz vielfältigen Gebrauch gemacht. Im Hinblick auf die Entwürfe von Abkommen der Mitgliedstaaten, die den Anwendungsbereich des EAGVs berühren, besitzt die Kommission ex ante ein Auskunfts- und Prüfungsrecht (Art. 103 EAGV). Ein entsprechendes Recht ex post besteht in Bezug auf Abkommen von Unternehmen (Art. 104 EAGV). Enthält im erstgenannten Falle der Entwurf Bestimmungen, welche die Anwendung des EAGVs beeinträchtigen, so hat der 23

Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 der Kommission vom 8. Februar 2005 über die Anwendung der Euratom-Sicherungsmaßnahmen (ABl. EU Nr. L 54 vom 28.2.2005, 1). Siehe dazu auch Empfehlung der Kommission 2006/40/Euratom vom 15. Dezember 2005 zu Leitlinien für die Anwendung der Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 der Kommission über die Anwendung der Euratom-Sicherungsmaßnahmen (ABl. EU Nr. L 28 vom 1.2.2006, 1), sowie Empfehlung 2009/120/Euratom der Kommission vom 11. Februar 2009 über die Umsetzung eines Kernmaterialbuchführungs- und -kontrollsystems durch Betreiber kerntechnischer Anlagen (ABl. EU Nr. L 41 vom 12.2.2009, 17). 24 Definition der Kernstoffe vgl. Art. 197 EAGV. 25 Art. 26 Abs. 2 AEUV. 26 Vgl. Art. 93 EAGV und Art. 30, 34 und 35 AEUV.

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betreffende Mitgliedstaat die Bedenken der Kommission auszuräumen oder eine Entscheidung des Gerichtshofes herbeizuführen.27 Im Falle der Abkommen der Unternehmen entscheidet der Gerichtshof auf Antrag der Kommission über die Vereinbarkeit der Abkommen mit den Bestimmungen des Vertrages.28 Nach dieser Übersicht über die Euratom-Kompetenzen gilt es nun, einen kurzen Blick auf das Gebot der Friedlichkeit im Sinne des EAGV zu werfen, um sodann die Ausübung der Kompetenzen zum Zwecke der Gefahrenabwehr und Kontrolle der einzelnen Tätigkeiten des Nuklearsektors näher zu betrachten.

B. Zum Gebot der Friedlichkeit Weder die EU-Verträge, noch der EAGV enthalten ein ausdrückliches Verbot der militärischen Nutzung der Kernkraft. Sowohl das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als auch die Französische Republik sind als Kernwaffenstaaten Vertragsparteien des Atomwaffensperrvertrages29 und Mitgliedstaaten von EU und Euratom. Während der EUV in seinen Art. 42 bis 46 ausdrückliche „Bestimmungen über die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ enthält und die Art. 346 bis 348 AEUV Sonderregelungen für den Fall der Berührung wesentlicher staatlicher Sicherheitsinteressen vorsehen, nimmt der EAGV zwar die militärische Verwendbarkeit der Kernkraft zur Kenntnis, grenzt die nukleare Verteidigungspolitik aber im Wesentlichen von seinen eigenen Politiken ab, die auf eine friedliche Nutzung der Kernenergie gerichtet sind. Schon die erste und die fünfte Erwägung der Präambel zum EAGV bestimmen diesen als Rechtsrahmen für den „friedlichen Fortschritt“ im Sinne einer „friedlichen Entwicklung der Kernenergie“. Der Auftrag zur internationalen Kooperation auf dem Gebiet der Kernenergie nach Art. 2 lit. h EAGV steht gleichfalls unter dem Gebot der Friedlichkeit.30 Von der Gemeinschaft in Durchführung ihres Forschungsprogramms31 erworbene Kenntnisse,32 „deren Preisgabe den Verteidigungsinteressen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten schaden kann“, sind nach 27

EuGH, 1/78, Délibération, Beschluss v. 14.11.1978, Slg. 1978, 2151. Ein derartiges Verfahren hat es bislang nicht gegeben. 29 Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, 1.7.1968, UNTS Vol. 729, 161 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1974 II 786). 30 Danach hat die Union zur Erfüllung ihrer Aufgabe „zu den anderen Ländern und den zwischenstaatlichen Einrichtungen alle Verbindungen herzustellen, die geeignet sind, den Fortschritt bei der friedlichen Verwendung der Kernenergie zu fördern“. 31 Art. 7 EAGV. 32 Art. 12 und 13 EAGV. 28

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Maßgabe der Art. 24 bis 27 EAGV unter Geheimschutz zu stellen,33 wobei Verstöße gegen die Geheimhaltungsvorschriften gemäß Art. 194 EAGV nach nationalem Strafrecht zu ahnden sind.34 Eine ausdrückliche Abgrenzung gegenüber dem Verteidigungssektor sieht Art. 84 Abs. 3 EAGV vor, wonach „Stoffe, die für die Zwecke der Verteidigung bestimmt sind“, nach einem dort näher bestimmten Zeitpunkt nicht (mehr) der Euratom-Sicherheitsüberwachung unterliegen.35 Ob aus diesen wenigen Bestimmungen des EAGVs schon der allgemeine Schluss zu ziehen ist, „dass die Tätigkeiten des militärischen Bereichs nicht in den Anwendungsbereich dieses Vertrages fallen“,36 kann insbesondere im Hinblick auf den Strahlenschutz mit guten Gründen bezweifelt werden,37 mag aber im vorliegenden Zusammenhang letztlich auf sich beruhen.38 Entscheidend ist vorliegend viel mehr, dass sich der EAGV „selbst“ – wie vor ihm schon der EGKS-Vertrag39 – als Friedenswerk versteht, das nach den Schrecken des zweiten Weltkrieges den europäischen Völkern die Perspektive einer friedlichen Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Rechtsrahmen eröffnen will.40 Es ist vornehmlich „dieser“ Friedensbegriff und nicht jener der Antinomie zwischen Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten, wie sie den Atomwaffensperrvertrag beherrscht,41 der dem EAGV zugrunde liegt und dessen erklärtes Ziel – wie es im Französischen pathetischer als im Deutschen heißt – „le progrès des œuvres de paix“42 ist.

33 Verordnung Nr. 3 zur Anwendung des Artikels 24 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. EG Nr. P 17 vom 6.10.1958, 406). 34 Hierbei sind die „Rechtsvorschriften über die Verletzung der Staatssicherheit oder die Preisgabe von Berufsgeheimnissen“ anzuwenden. 35 Art. 84 Abs. 3 EAGV bestimmt hierzu: „Die Überwachung erstreckt sich nicht auf Stoffe, die für die Zwecke der Verteidigung bestimmt sind, soweit sie sich im Vorgang der Einfügung in Sondergeräte für diese Zwecke befinden oder soweit sie nach Abschluss dieser Einfügung gemäß einem Operationsplan in eine militärische Anlage eingesetzt oder dort gelagert werden“. 36 EuGH, Rs. C-61/03, Kommission v. Vereinigtes Königreich, Urt. v. 12.4.2005, Slg. 2005, I-2477, Rn. 36; Rs. C-65/04, Kommission v. Vereinigtes Königreich, Urt. v. 9.3.2006, Slg. 2006, I-2239, Rn. 2. 37 Grunwald, 2010 (Anm. 8), 423 f. 38 Vgl. B. Andres-Ordax, Radiological Protection and Military Activities: Recent European Case-law, Nuclear Inter Jura 2007, Proceedings, 2008, 537 ff. 39 Grunwald, 2003 (Anm. 8), 101 f. 40 Zur Entwicklung der EG-Energiepolitik unter dem EGKS-, Euratom- und EWGVertrag Grunwald, 2003 (Anm. 8), 37 ff. 41 Der Atomwaffensperrvertrag wurde erst zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des Euratom-Vertrages abgeschlossen. 42 Erste Erwägung der Präambel des Vertrages in der französischen Fassung.

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Die Akteure, die an diesem Friedenswerk mitwirken, sind in erster Linie die Personen und Unternehmen aus Forschung,43 Wissenschaft44 und Nuklearwirtschaft45 im Sinne des Art. 196EAGV,46 sodann die Mitgliedstaaten, die ihre spezifischen und allgemeinen Mitwirkungs- und Kontrollverpflichtungen zu erfüllen haben,47 die Euratom-Versorgungsagentur im Sinne der Art. 53 bis 56 EAGV48 sowie die Organe der Gemeinschaft, für die Art. 106 a Abs. 1 EAGV auf die einschlägigen Artikel des EUV und AEUV verweist.49 Hierbei geht der Umfang der nuklearen Tätigkeiten, die Gegenstand des Gebotes der Friedlichkeit im Sinne des Vertrages sind, über die Energieerzeugung weit hinaus.50 Erfasst werden ebenfalls die Nuklearforschung im weitesten Sinne, die Nuklearmedizin,51 sowie der Einsatz von Radioelementen als Bestrahlungs- und

43

Kap. 1 und 2 EAGV. Vgl. den Ausschuss für Wissenschaft und Technik nach Art. 134 EAGV sowie die wissenschaftlichen Sachverständigen nach Art. 31 EAGV. 45 Im Kap. 6 EAGV werden die Beteiligten auch als „Erzeuger“ und „Verbraucher“ von Kernmaterial bezeichnet. 46 Es ist ein Charakteristikum der sektoriellen Verträge (Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 18.4.1951, BGBl. 1952 II 447 (EGKSV) und EAGV), dass sie ihre Rechtsadressaten zu benennen haben (vgl. auch Art. 80 EGKSV). Zur Anwendbarkeit der Begriffsbestimmungen des Art. 196 EAGV auf Drittlandsunternehmen EuGH, verbundene Rs. C-123/04 und C-124/04, Industrias Nucleares do Brazil und Siemens AG, Urt. v. 12.9.2006, Slg. 2006, I-7861. 47 Art. 192 EAGV. 48 Beschluss (2008/114/EG, Euratom) des Rates vom 12. Februar 2008 über die Satzung der Euratom-Versorgungsagentur (ABl. EU Nr. L 41 vom 15.2.2008, 15). Siehe zur Agentur auch I. Alehno, The Euratom Supply Agency: Past, present and future, in: Nuclear Inter Jura 2007, Proceedings, 2008, 1085 ff. 49 Die sich hieraus ergebenden Inkohärenzen können im Rahmen der vorliegenden Darstellung nicht erörtert werden. Siehe als Beispiel insoweit nur unten Anm. 154. 50 Dies zeigt sich insbesondere an der Breite der Forschungsgebiete im Sinne des Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Anhang I EAGV. 51 Ziff. V lit. b und VI des Anhangs I. Vgl. auch Richtlinie 97/43/Euratom des Rates vom 30. Juni 1997 über den Gesundheitsschutz von Personen gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen bei medizinischer Exposition und zur Aufhebung der Richtlinie 84/ 466/Euratom (ABl. EG Nr. L 180 vom 9.7.1997, 22). Vgl. weiterhin die für die Nuklearmedizin und die Materialprüfung bedeutsame Richtlinie 2003/122/Euratom des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Kontrolle hoch radioaktiver umschlossener Strahlenquellen und herrenloser Strahlenquellen (ABl. EU Nr. L 346 vom 31.12.2003, 57). Die Richtlinie unterwirft den Besitz hoch radioaktiver Strahlenquellen einer Genehmigungspflicht, wobei schon die Hersteller oder Importeure derartiger Quellen diese mit unverwechselbaren Identifizierungsnummern zu versehen haben, die ein Tracking der Quellen ermöglichen. 44

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Spürelementen in Industrie und Wissenschaft, Therapie, Biologie und Landwirtschaft.52

C. Die Tätigkeiten des Nuklearsektors als Regelungsgegenstand der Gefahrenabwehr Von Sebastian Haffner stammt die Erkenntnis, dass jeder Fehler in der Welt der Dinge als Denkfehler in der Welt der Köpfe beginne.53 Der EAGV hat dies von Anfang an gewusst und sein besonderes Augenmerk auf die Forschung und Ausbildung der Fachkräfte des Nuklearsektors gelegt. Zu beginnen ist daher mit der „software“ des Wissens, die die „hardware“ des Nuklearsektors nicht nur gestaltet, sondern auch seine Gefahren potenziert, wenn sie fehlerhaft ist. I. Forschung und Ausbildung Als erste Aufgabe der Gemeinschaft sieht Art. 2 lit. a EAGV vor, „die Forschung zu entwickeln und die Verbreitung der technischen Kenntnisse sicherzustellen“. Das System der Forschungsförderung und Verbreitung des Wissens der Kap. 1 und 2 EAGV beruht hierbei auf der Errichtung eines gemeinsamen Forschungs- und Wissensraumes, in dem alle „Kenntnisse, die für die Erreichung der Ziele der Gemeinschaft nützlich sind“ (Art. 14 EAGV), an die Personen und Unternehmen gelangen, die diese Kenntnisse „wirksam zu nutzen vermögen“ (Art. 12 Abs. 1 EAGV).54 Der Kommission kommt hierbei die Rolle eines Wissensmaklers und Clearing Houses zu, eine Rolle, in der sie sich insbesondere durch die

52 53

Ziff. V des Anhangs I. S. Haffner, Die sieben Todsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg, 2001,

14. 54

Auf Seiten der EU hat erst der Vertrag von Lissabon (Anm.4) das Konzept eines „Europäischen Raums der Forschung“ in das Primärrecht eingeführt, „in dem Freizügigkeit der Forscher herrscht und wissenschaftliche Erkenntnisse und Technologien frei ausgetauscht werden“ (Art. 179 Abs. 1 und 182 Abs. 5 AEUV); Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Eine verstärkte Partnerschaft im Europäischen Forschungsraum im Zeichen von Exzellenz und Wachstum, 17.7.2012, KOM(2012)392 final. Vgl. zum Europäischen Forschungsraum auch J. Grunwald, Neuere Entwicklungen des EU-Forschungsrechts, ZEuS 2011, 607 (637 ff.).

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Gewinnung und Verbreitung sicherheitsrelevanter Kenntnisse und solcher auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr zu bewähren hat.55 Auf gleicher Stufe mit der Forschung steht die Ausbildung. Beide Aufgaben werden in programmatischer Hinsicht im Begriff der „Forschungs- und Ausbildungsprogramme“ in Art. 7 EAGV zusammengeführt. Traditionell nehmen die nukleare Sicherheit und der Strahlenschutz in diesen Programmen nächst der Kernfusion den größten Raum ein,56 wobei nach dem derzeit geltenden Programm dem Rat Anfang 2013 ein „spezifischer Überwachungsbericht“ vorzulegen ist, „der sich mit der Durchführung der die nukleare Sicherheit und die Gefahrenabwehr betreffenden Tätigkeiten des Rahmenprogramms befasst“.57 Zusätzlich weist Art. 9 EAGV der Gemeinschaft eine „Ausbildungsverantwortung“ durch den Auftrag zur Gründung von „Fachschulen“ und insbesondere

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Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Pflichten der Kommission nach Art. 5 Abs. 4 EAGV (regelmäßige Veröffentlichung von Listen noch unzureichend bearbeiteter Kernforschungsgebiete), Art. 11 EAGV (Veröffentlichung von Berichten über den Stand und Fortgang von Forschungsarbeiten) und Art. 39 EAGV (Errichtung einer Studien- und Dokumentationsabteilung für Fragen des Gesundheitsschutzes); Verordnung (Euratom) Nr. 139/2012 des Rates vom 19. Dezember 2011 über die Regeln für die Beteiligung von Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen an indirekten Maßnahmen des Rahmenprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft sowie für die Verbreitung der Forschungsergebnisse (2012–2013) (ABl. EU Nr. L 47 vom 18.2.2012, 1). 56 Beschluss des Rates (2012/93/Euratom) vom 19. Dezember 2011 über das Rahmenprogramm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich (2012–2013), (ABl. EU Nr. L 47 vom 18.2.2012, 25), sowie dazu Beschluss des Rates (2012/94/Euratom) vom 19. Dezember 2011 über das innerhalb des Rahmenprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich (2012–2013) durch indirekte Maßnahmen durchzuführende spezifische Programm (ABl. EU Nr. L 47 vom 18.2.2012, 33) und Beschluss des Rates (2012/95/Euratom) vom 19. Dezember 2011 über das innerhalb des Rahmenprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich (2012–2013) von der Gemeinsamen Forschungsstelle durch direkte Maßnahmen durchzuführende spezifische Programm (ABl. EU Nr. L 47 vom 18.2.2012, 40). Für die folgende Programmperiode 2014 bis 2018 vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm der Europäischen Atomgemeinschaft für Forschung und Ausbildung (2014–2018) in Ergänzung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation „Horizont 2020“, 30.11.2011, KOM(2011)812 endgültig. 57 Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses 2012/93/Euratom (Anm. 56). Nach Art. 2 lit. c des Beschlusses 2012/95/Euratom (Anm. 56) umfasst die „Gefahrenabwehr im Nuklearbereich“ auch „Sicherungsmaßnahmen, Nichtverbreitung von Kernwaffen, Bekämpfung von illegalem Handel und Nuklearforensik“.

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der Errichtung einer „europäischen Universität“ für den Kernsektor zu.58 Nach Art. 9 EAGV hat die Ausbildung „insbesondere auf den Gebieten (…) der Bautechnik für Atomanlagen [und] des Gesundheitsschutzes“ zu erfolgen, d.h. auf Gebieten, die für die Sicherheit von Kernanlagen und die Abwehr der Gefahren ionisierender Strahlungen von besonderer Bedeutung sind. Als „Daueraufgabe“ ist dieser Ausbildungsauftrag jeweils nach dem neuesten Stand der Technik zu erfüllen und hat alle Tätigkeiten des Nuklearsektors zu umfassen, die nunmehr näher zu betrachten sind. II. Investitionsentscheidung und Standortwahl Nach Art. 41 Abs. 1 EAGV haben Personen und Unternehmen, die zu den in Anhang II des Vertrages genannten Industriezweigen des Nuklearsektors gehören,59 der Kommission Investitionsvorhaben für neue Anlagen sowie für Ersatzanlagen oder Umstellungen nach Maßgabe einer vom Rat zu erlassenden Verordnung60 anzuzeigen.61 Der spätestmögliche Zeitpunkt dieser Anzeige wird in Art. 42 EAGV näher bestimmt.62 Verstöße gegen die Anzeigepflicht können nach Art. 145 EAGV mit Sanktionen belegt werden.63 58 Zur Gründung einer derartigen Universität ist es bis heute nicht gekommen (dazu später D. I.). 59 Für den Energiesektor allgemein die Verordnung (EU, Euratom) Nr. 617/2010 des Rates vom 24. Juni 2010 über die Mitteilung von Investitionsvorhaben für Energieinfrastruktur in der Europäischen Union an die Kommission und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 736/96 (ABl. EU Nr. L 180 vom 15.7.2010, 7); Verordnung (EU, Euratom) Nr. 833/2010 der Kommission vom 21. September 2010 zur Durchführung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 617/2010 des Rates über die Mitteilung von Investitionsvorhaben für Energieinfrastruktur in der Europäischen Union an die Kommission (ABl. EU Nr. L 248 vom 22.9.2010, 36). 60 Verordnung (Euratom) Nr. 2587/1999 des Rates vom 2.12.1999 zur Bestimmung der Investitionsvorhaben, die der Kommission gemäß Artikel 41 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft anzuzeigen sind (ABl. EG Nr. L 315 vom 9.12.1999, 1); Verordnung (EG) Nr. 1209/2000 der Kommission vom 8.6.2000 über die Durchführungsbestimmungen für die in Artikel 41 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vorgeschriebenen Anzeigen (ABl. EG Nr. L 138 vom 9.6.2000, 12). 61 Nach Musterformblatt der Kommission gemäß Verordnung Nr. 1209/2000 (Anm. 60). 62 Spätestens drei Monate vor Abschluss der ersten Lieferverträge bzw. vor Beginn der Arbeiten. 63 Art. 145 EAGV bestimmt: „Ist die Kommission der Auffassung, dass eine Person oder ein Unternehmen eine Verletzung dieses Vertrages begangen hat, auf welche Artikel 83 keine Anwendung findet, so fordert sie den für diese Person oder dieses Unternehmen zuständigen Mitgliedstaat auf, wegen dieser Verletzung Zwangsmaßnahmen nach seinen

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Nach Prüfung der Anzeige erörtert die Kommission nach Art. 43 EAGV „mit den Personen oder Unternehmen „alle“ Gesichtspunkte der Investitionsvorhaben, die mit den Zielen dieses Vertrags in Zusammenhang stehen“ und „teilt ihre Auffassung dem betreffenden Mitgliedstaat mit“. Als „Gesichtspunkte, die mit den Zielen dieses Vertrags in Zusammenhang stehen“, gelten hierbei nicht nur die energiepolitischen „Ziele für die Erzeugung von Kernenergie“ im Sinne des Art. 40 EAGV, sondern auch die Ziele „Gesundheitsschutz“ des Kap. 3 EAGV und „Überwachung der Sicherheit“ des Kap. 7 EAGV. Prinzipiell eröffnen die Art. 41 bis 44 EAGV damit eine umfassende Vorabprüfung künftiger Nuklearvorhaben schon im Planungsstadium, einschließlich der Erörterung von Standort-, Sicherheitsund Objektschutzfragen. Anzumerken ist jedoch, dass die Vorschriften des Kap. 4 keine Rechtsfolgen für den Fall negativer Prüfungsbefunde vorsehen. Derartige Rechtsfolgen könnten jedoch eingreifen, wenn die spätere Realisierung der Investitionsvorhaben spezifische Verbotsnormen des Euratom-Rechts verletzen sollte. EU-rechtlich sind die Vorgaben der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten64 zu beachten.65 Ziel der Richtlinie ist die Sicherstellung von Transparenz und Bürgerbeteiligung vor der Erteilung einer Genehmigung bzw. ihrer Versagung bei bestimmten umweltrelevanten Projekten, einschließlich von Projekten, die „erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt eines anderen Mitgliedstaats haben könnte(n)“ (Art. 7 innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu verhängen. Kommt der betreffende Staat innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist der Aufforderung nicht nach, so kann die Kommission den Gerichtshof zur Feststellung der Verletzung anrufen, die der betreffenden Person oder dem betreffenden Unternehmen zur Last gelegt wird“. 64 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. EU Nr. L 26 vom 28.1.2012, 1). 65 Als von der Richtlinie 2011/92/EU (Anm. 64) erfasste Projekte sind zu nennen: der Tagebau und Untertagebau von Erzen (Anhang II Ziff. 2 lit. a und b sowie nach Anhang I Ziff. 2 lit. b und Ziffer 3); Kernkraftwerke und andere Kernreaktoren einschließlich der Demontage oder Stilllegung solcher Kraftwerke oder Reaktoren (mit Ausnahme von Forschungseinrichtungen zur Erzeugung und Bearbeitung von spaltbaren und brutstoffhaltigen Stoffen, deren Höchstleistung 1 KW thermische Dauerleistung nicht übersteigt); Anlagen zur Wiederaufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe; Anlagen: i) mit dem Zweck der Erzeugung oder Anreicherung von Kernbrennstoffen, ii) mit dem Zweck der Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe oder hochradioaktiver Abfälle, iii) mit dem Zweck der endgültigen Beseitigung bestrahlter Kernbrennstoffe, iv) mit dem ausschließlichen Zweck der endgültigen Beseitigung radioaktiver Abfälle, v) mit dem ausschließlichen Zweck der (für mehr als 10 Jahre geplanten) Lagerung bestrahlter Kernbrennstoffe oder radioaktiver Abfälle an einem anderen Ort als dem Produktionsort.

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Abs. 1). Nach Art. 8 der Richtlinie sind die Ergebnisse der Anhörungen und der eingeholten Angaben „beim Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen“. Im Verhältnis zu Drittländern sind außerdem die Bestimmungen des Protokolls über die strategische Umweltprüfung zum Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen66 zu beachten.67 III. Betrieb von Uranbergwerken Die in der Gemeinschaft benutzten Kernstoffe im Sinne des Art. 197 EAGV werden entweder im Anwendungsbereich des Vertrages (Art. 198 EAGV) erzeugt oder aus Drittländern in die Gemeinschaft eingeführt. Am Anfang der Erzeugung steht der Uranbergbau, der in Bezug auf den Strahlenschutz den Bestimmungen der Richtlinie 96/29/Euratom des Rates vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen68 unterliegt. Nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 lit. a der Richtlinie gelten für „den Betrieb und die Stilllegung von Uranbergwerken“ eine strahlenschutzrechtliche Anmelde- und Genehmigungspflicht. In versorgungsrechtlicher Hinsicht sind die Betreiber von Uranbergwerken als Erzeuger nach Maßgabe des Art. 57 EAGV verpflichtet, der Agentur die von ihnen erzeugten Erze und Ausgangsstoffe69 vor ihrer Verwendung, Übertragung oder Lagerung anzubieten. Erstreckt sich die Tätigkeit des Erzeugers auf mehrere Produktionsstufen, beginnend mit der Gewinnung des Erzes bis zur Herstellung des Metalls, so ist er nach Art. 58 EAGV nur verpflichtet, der Agentur das Erzeugnis in der von ihm gewählten Produktionsstufe anzubieten. In der Praxis ist die Angebotspflicht des Erzeugers jedoch durch das sog. vereinfachte Verfahren70 ersetzt worden, das dem Erzeuger ermöglicht, unter Aufsicht und Mitzeichnung der Agentur direkt mit Abnehmern Lieferverträge abzuschließen.71

66

Protokoll über die strategische Umweltprüfung zum Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (ABl. EU Nr. L 308 vom 19.11.2008, 35). 67 Anhang I Ziff. 2, 3 und 14 sowie Anhang II Ziff. 7, 16, 17 und 18 Richtlinie 2011/92/ EU (Anm. 64). 68 Anm. 15. 69 Zur Definition der Begriffe „Erze“ und „Ausgangsstoffe“ vgl. Art. 197 Ziff. 3 und 4 EAGV. 70 Vgl. Anm. 19. 71 Zur Gegenüberstellung von Angebot und Nachfrage vgl. Art. 60 EAGV.

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Unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitsüberwachung, d.h. der Kernmaterialkontrolle (safeguards), haben Betreiber von Anlagen zur Erzeugung von Ausgangsstoffen nach Art. 78 EAGV „der Kommission die grundlegenden technischen Merkmale der Anlage anzugeben“, soweit dies für die Überwachung der Sicherheit erforderlich ist. Nach Maßgabe des Art. 79 EAGV sind von den Betreibern Aufstellungen über Betriebsvorgänge zu führen und der Kommission vorzulegen, um die Buchführung über erzeugte Erze zu ermöglichen. Die Einzelheiten hierzu sind insbesondere in Art. 24 („Erzerzeuger“) und 25 („Berichte über den Versand oder die Ausfuhr von Erzen“) der Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 der Kommission vom 8. Februar 2005 über die Anwendung der Euratom-Sicherungsmaßnahmen72 geregelt. Auf dem Gebiet des Objektschutzes sind die Vorgaben des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen73 zu beachten, dem die EAG mit Beschluss der Kommission vom 19. Dezember 2007 beigetreten ist.74 Dieses Abkommen gilt allerdings nur insoweit, als das Uran über die Produktionsstufe „Erz“ hinaus verarbeitet wird.75 IV. Einfuhr von Kernstoffen Als radioaktive Stoffe unterliegen Kernstoffe im Sinne des Art. 197 EAGV bei der Einfuhr in die Gemeinschaft den Regelungen der Richtlinie 96/29/Euratom.76 Nach Maßgabe der Art. 2 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 3 dieser Richtlinie unterwirft jeder Mitgliedstaat die Einfuhr von Kernstoffen einer strahlenschutzrechtlichen Anmeldepflicht. Für Kernstoffe „aus dem Aufkommen außerhalb der Gemeinschaft“77 gilt nach den Vorschriften über die Versorgung im Grundsatz das Einfuhrmonopol der Agentur, das von dieser in der Praxis aber wiederum im Rahmen des sog. vereinfachten Verfahrens ausgeübt wird. Nach Art. 52 Abs. 2 lit. b und Art. 64 EAGV verfügt die Agentur über das ausschließliche Recht, Verträge, Abkommen oder 72

Anm. 23. Convention on the physical protection of nuclear material, 26.10.1979, UNTS Vol. 1456, 124 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1990 II 327). 74 Beschluss der Kommission vom 19. Dezember 2007 über den Beitritt der Europäischen Atomgemeinschaft zu dem Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen (ABl. EU Nr. L 34 vom 8.2.2008, 3). 75 Definition des Begriffes „Kernmaterial“ in Art. 1 lit. a des Übereinkommens. 76 Anm. 15. 77 Vgl. zu dieser Bezeichnung auch die Überschrift des Abschnitts 3 des Kap. 6 EAGV. 73

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Übereinkünfte über die Lieferung von Erzen, Ausgangsstoffen oder besonderen spaltbaren Stoffen aus Ländern außerhalb der Gemeinschaft abzuschließen.78 Dieses Monopol gilt jedoch nach Art. 75 Abs. 1 lit. c EAGV nicht in Fällen, in denen Kernstoffe aus Drittländern eingeführt werden, um in der Gemeinschaft „aufbereitet, umgewandelt oder geformt“79 und danach wieder in Drittländer ausgeführt zu werden. In derartigen Fällen müssen die beteiligten Personen oder Unternehmen der Agentur lediglich „das Bestehen derartiger Verpflichtungen und sofort nach Unterzeichnung der Verträge die Mengen der Stoffe anzeigen, die Gegenstand dieser Umsätze sind“ (Art. 75 Abs. 2 EAGV). Entsprechendes gilt in Fällen der Wiedereinfuhr von Stoffen aus der Gemeinschaft, die zum Zwecke der Aufbereitung, Umwandlung oder Umformung in Drittländer verbracht wurden (Art. 75 Abs. 1 lit. b EAGV).80 Weitere Ausnahmevorschriften sind für die Einfuhr kleiner Mengen für Forschungszwecke vorgesehen (Art. 74 EAGV).81 Zum Zwecke der Überwachung der Sicherheit ist die Einfuhr von Ausgangsmaterial und besonderem spaltbaren Material der Kommission nach Art. 21 der Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 so früh wie möglich vor dem erwarteten Eintreffen des Materials zu melden, spätestens aber am Tage des Eingangs.82 V. Ausfuhr von Kernstoffen Das für die Einfuhr von Kernstoffen Gesagte gilt in Bezug auf den Strahlenschutz mutatis mutandis auch für ihre Ausfuhr aus der Gemeinschaft. Nach den Regeln über die Versorgung unterliegt die Ausfuhr von Kernmaterial aus der Gemeinschaft einer strengen Exportkontrolle durch die Kommission. Erzeuger, die ihre Erzeugnisse außerhalb der Gemeinschaft absetzen wollen, bedürfen hierzu nach Art. 59 lit. b EAGV einer Ermächtigung durch Beschluss der

78

Vgl. hierzu als zeitlich begrenzte Ausnahme Art. 66 EAGV. Die Aufbereitung, Umwandlung und Formung umfasst auch die Anreicherung von Uran, EuGH, verbundene Rs. C-123/04 und C-124/04, Industrias Nucleares do Brasil und Siemens AG, Urt. v. 12.9.2006, Slg. 2006, I-7861. 80 Nach Art. 75 Abs. 2 Satz 2 EAGV besitzt die Kommission in den Fällen des Art. 75 Abs. 1 lit. b ein Widerspruchsrecht. 81 Verordnung (Euratom) Nr. 66/2006 der Kommission vom 16. Januar 2006 betreffend die Ausnahme kleiner Mengen von Erzen, Ausgangsstoffen und besonderen spaltbaren Stoffen von den Vorschriften des Kapitels über die Versorgung (ABl. EU Nr. L 11 vom 17.1.2006, 6). 82 Zu den Einzelheiten der Vorausmeldung von Kernmaterialeinfuhren/-eingängen vgl. Anhang VII der Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 (Anm. 23). 79

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Kommission. Diese „kann die Ermächtigung nicht erteilen, wenn die Empfänger dieser Lieferungen nicht alle Garantien dafür bieten, dass die allgemeinen Interessen der Gemeinschaft gewahrt werden, oder wenn die Klauseln und Bedingungen dieser Verträge den Zielen dieses Vertrags zuwiderlaufen“ (Art. 59 in fine EAGV). Letzteres ist zum Beispiel der Fall, wenn die Vertragsbedingungen im Falle des Exports günstiger sind als bei einem Absatz innerhalb der Gemeinschaft,83 der Ausfuhr vertragliche Verpflichtungen gegenüber Drittländern, insbesondere Lieferländern, entgegenstehen84 oder Maßnahmen der Union auf dem Gebiet des auswärtigen Handelns und insbesondere der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik85 eine Ausfuhr verbieten. Besondere spaltbare Stoffe im Sinne des Art. 197 Ziff. 1 EAGV können jedoch nur durch die Agentur ausgeführt werden, die hierzu nach Art. 62 Abs. 1 lit. c EAGV einer Genehmigung durch die Kommission bedarf. Wie die Einfuhr von Ausgangsmaterial und besonderem spaltbaren Material, so ist auch seine Ausfuhr nach Maßgabe der Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 der Kommission zu melden (Art. 20).86 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Verzahnung der Vorschriften über die Versorgung des Kap. 6 mit denen über die Sicherheitsüberwachung des Kap. 7: Nach Art. 77 EAGV hat sich die Kommission nämlich nicht nur zu vergewissern, dass kein Kernmaterial für nicht-deklarierte Zwecke abgezweigt wird (Art. 77 lit. a), sondern auch, dass „die Vorschriften über die Versorgung und alle besonderen Kontrollverpflichtungen geachtet werden, welche die Gemeinschaft in einem Abkommen mit einem dritten Staat oder einer zwischenstaatlichen Einrichtung übernommen hat“ (Art. 77 lit. b). Soweit beispielsweise derartige Abkommen für von Drittländern geliefertes Kernmaterial Wiederausfuhrverbote oder besondere Wiederausfuhrbedingungen vorsehen, hat die Kommission diese im Rahmen des Ausfuhrgenehmigungsverfahrens nach Art. 59 lit. b EAGV zu beachten.

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Art. 59 Abs. 2 lit. b EAGV. Art. 77 lit. b EAGV. Siehe zu den Bedingungen für Retransfers zum Beispiel Art. VI Abs. 6 und VII Abs. 5 und 6 des Abkommens zwischen der Regierung Australiens und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie (ABl. EU Nr. L 29 vom 1.2.2012, 4). 85 Art. 21 f. und 23 ff. EUV. 86 Zu den Einzelheiten der Vorausmeldung der Ausfuhr/des Versands von Kernmaterial vgl. Anhang VI der Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 (Anm. 23). 84

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VI. Verbringung und Beförderung von Kernstoffen Sowohl die Einfuhr wie die Ausfuhr von Kernstoffen als auch ihre Verbringungen innerhalb der Gemeinschaft erfolgen durch Transportvorgänge, die ihrerseits als solche den Regelungen des Euratom-Rechts unterliegen.87 Für innergemeinschaftliche grenzüberschreitende Nukleartransporte sind hierbei im Gemeinsamen Markt auf dem Kerngebiet die Vorgaben des Art. 93 EAGV zu beachten, der wie die Vorschriften zum EU-Binnenmarkt88 das Prinzip der Warenverkehrsfreiheit begründet.89 Nach Art. 2 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 3 der Richtlinie 96/29/Euratom stellt die Beförderung von radioaktiven Stoffen eine Tätigkeit dar, die der Anmeldepflicht und den weiteren Vorgaben der Richtlinie unterliegt.90 Ergänzt werden diese Regelungen durch die Verordnung (Euratom) Nr. 1493/93 des Rates vom 8. Juni 1993 über die Verbringung radioaktiver Stoffe zwischen den Mitgliedstaaten,91 durch die die Gemeinschaft der Abschaffung der Grenzkontrollen im Binnenmarkt Rechnung trug, sowie durch die Richtlinie 2006/117/Euratom des Rates vom 20. November 2006 über die Überwachung und Kontrolle der Verbringungen radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente,92 die auch Verbringungen in Drittländer erfasst.93 87 Zu den EU-rechtlichen Regelungen vgl. Richtlinie 2008/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über die Beförderung gefährlicher Güter im Binnenland (ABl. EU Nr. L 260 vom 30.9.2008, 13). 88 Art. 26, 34 und 35 AEUV. 89 EuGH, 1/78, Délibération, Beschluss v. 14.11.1978, Rn. 15, Slg. 1978, 2151, 2173: „Wie der EWG-Vertrag so ist auch der EAG-Vertrag darauf gerichtet, in seinem materiellen Anwendungsbereich einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu schaffen …“. 90 Hierzu ergänzend den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates zur Festlegung eines Gemeinschaftssystems zur Registrierung von Beförderern radioaktiven Materials, 30.8.2011, KOM(2011) 518 endgültig sowie dazu die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses (ABl. EU Nr. C 143 vom 22.5.2012, 110). 91 Verordnung (Euratom) Nr. 1493/93 des Rates vom 8. Juni 1993 über die Verbringung radioaktiver Stoffe zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 148 vom 19.6.1993, 1). In Anwendung dieser Verordnung veröffentlichte die Kommission 2009 die Liste der zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten nebst allen relevanten Kontaktinformationen, Mitteilung der Kommission zur Verordnung (Euratom) Nr. 1493/93 des Rates über die Verbringung radioaktiver Stoffe zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. EU Nr. C 41 vom 19.2.2009, 2). 92 Richtlinie 2006/117/Euratom des Rates vom 20. November 2006 über die Überwachung und Kontrolle der Verbringungen radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente(ABl. EU Nr. L 337 vom 5.12.2006, 21). Hierzu die Entscheidung 2008/312/ Euratom der Kommission vom 5. März 2008 zur Einführung des in der Richtlinie 2006/117/ Euratom des Rates genannten einheitlichen Begleitscheins für die Überwachung und Kontrolle der Verbringungen radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente (ABl.

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Auf dem Gebiet der Kernmaterialkontrolle gilt für die Beförderung von Ausgangsstoffen und besonderen spaltbaren Stoffen die Regelung des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 EAGV. Die Art. 26 und 27 der Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 sehen für Beförderer und zeitweilige Besitzer von Kernmaterial ein lückenloses System von Empfangsbestätigungen vor. Für internationale Nukleartransporte gelten die Bestimmungen des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen,94 das als gemischtes Abkommen nach Art. 102 EAGV als Gemeinschaftsrecht95 für Euratom und alle Mitgliedstaaten verbindlich ist.96 Nach Art. 4 dieses Übereinkommens unterliegen die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kernmaterial seinen Schutzregelungen und Grundsätzen. VII. Betrieb von Kernanlagen Art. 1 lit. d des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen definiert den Begriff Kernanlage als „eine Anlage (einschließlich dazugehöriger Gebäude und Ausrüstung), in der die Herstellung, Verarbeitung, Verwendung, Handhabung. Lagerung oder die endgültige Entsorgung von Kernmaterial EU Nr. L 107 vom 17.4.2008, 32; berichtigt im ABl. EU Nr. L 343 vom 23.12.2011, 149); Empfehlung 2009/527/Euratom der Kommission vom 7. Juli 2009 für ein sicheres und effizientes System zur Übermittlung von Unterlagen und Informationen im Zusammenhang mit der Richtlinie 2006/117/Euratom des Rates (ABl. EU Nr. L 177 vom 8.7.2009, 5). 93 Art. 15 („Ausfuhren aus der Gemeinschaft“) und 16 („Ausfuhrverbot“) der Richtlinie 2006/117/Euratom. Gestützt auf Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie erließ die Kommission eine Empfehlung über die Kriterien für die Ausfuhr radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente in Drittländer, Empfehlung (2008/956/Euratom) der Kommission vom 4. Dezember 2008 über Kriterien für die Ausfuhr radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente in Drittländer (ABl. EU Nr. L 338 vom 17.12.2008, 69). 94 Anm. 73. 95 Im Gegensatz zu den EU-Verträgen enthält der Euratom-Vertrag eine ausdrückliche Regelung zu gemischten Abkommen. Art. 102 EAGV bestimmt: „Falls außer der Gemeinschaft ein oder mehrere Mitgliedstaaten an den Abkommen und Vereinbarungen mit einem dritten Staat, einer zwischenstaatlichen Einrichtung oder einem Angehörigen eines dritten Staates beteiligt sind, so können diese Abkommen und Vereinbarungen erst in Kraft treten, wenn alle beteiligten Mitgliedstaaten der Kommission mitgeteilt haben, dass sie nach den Vorschriften ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung anwendbar geworden sind“. 96 Zweiter Erwägungsgrund des Beschlusses 2008/99/EG, Euratom der Kommission vom 19. Dezember 2007 über den Beitritt der Europäischen Atomgemeinschaft zu dem Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen (ABl. EU Nr. L 34 vom 8.2.2008, 3).

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stattfindet, wenn eine Beschädigung der Anlage oder Einwirkungen auf die Anlage zu einer erheblichen Strahlenbelastung oder zur Freisetzung erheblicher Mengen radioaktiver Stoffe führen könnten“. Der nicht anlagen- sondern tätigkeitsbezogen definierte Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 96/29/Euratom erfasst für die Zwecke des Strahlenschutzes – weitgehend inhaltsgleich – „die Herstellung, Bearbeitung, Handhabung, Verwendung, den Besitz, die Lagerung (…) und die Beseitigung radioaktiver Stoffe“, worunter sämtliche Tätigkeiten des atomaren Brennstoffkreislaufs fallen. Demgemäß unterliegen diese Tätigkeiten einer Anmeldepflicht nach Art. 3 Abs. 1. Außerdem haben die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 lit. a für „den Betrieb und die Stilllegung jeder Anlage des nuklearen Brennstoffkreislaufs“ eine vorherige Genehmigung vorzuschreiben. Neben den materiellen Sicherheitsnormen der Richtlinie 96/29/Euratom zum Schutz der strahlenexponierten Arbeitskräfte97 und der Bevölkerung insgesamt98 gelten für Leiharbeitnehmer die Bestimmungen der Richtlinie 90/641/Euratom des Rates vom 4. Dezember 1990 über den Schutz externer Arbeitskräfte, die einer Gefährdung durch ionisierende Strahlungen beim Einsatz im Kontrollbereich von Nuklearanlagen ausgesetzt sind.99 Zwei potentiell für die Gesundheit gefahrenträchtige Situationen werden im Vertrag selbst geregelt. Formal legen sie zwar den Mitgliedstaaten Verpflichtungen im Sinne eines Nachbarschutzes anderer Mitgliedstaaten auf, in der Sache haben ihnen aber ebenso die Betreiber der Kernanlagen Rechnung zu tragen. Es handelt sich um die Art. 34100 und 37 EAGV,101 die der Vorsorge bei besonders gefährlichen Versuchen102

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Titel VI der Richtlinie 96/29/Euratom (Anm. 15). Art. 13 und 14 der Richtlinie 96/29/Euratom (Anm. 15). 99 Richtlinie 90/641/Euratom des Rates vom 4. Dezember 1990 über den Schutz externer Arbeitskräfte, die einer Gefährdung durch ionisierende Strahlungen beim Einsatz im Kontrollbereich von Nuklearanlagen ausgesetzt sind (ABl. EG Nr. L 349 vom 13.12.1990, 21). 100 Diese Vorschrift macht die Durchführung besonders gefährlicher Versuche, die Auswirkungen auf die Hoheitsgebiete anderer Mitgliedstaaten haben können, von der Zustimmung der Kommission abhängig. Zu den europäischen und außereuropäischen Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten vgl. Art. 198 EAGV. 101 Empfehlung 2010/635/Euratom der Kommission vom 11. Oktober 2010 über die Anwendung des Artikels 37 des Euratom-Vertrags (ABl. EU Nr. L 279 vom 23.10.2010, 36; Berichtigung im ABl. EU Nr. L 220 vom 26.8.2011, 24); EuGH, Rs. 187/79, Cattenom, Urt. v. 22.9.1988, Slg. 1988, 5013. 102 Bei besonders gefährlichen Versuchen haben die Mitgliedstaaten „zusätzliche Vorkehrungen für den Gesundheitsschutz zu treffen“. 98

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und der Ableitung radioaktiver Stoffe in die Umwelt103 gelten. In beiden Fällen werden der Kommission ex-ante Kontrollaufgaben übertragen. Zur Erhöhung der nuklearen Sicherheit von Kernanlagen unter dem Gesichtspunkt eines verbesserten Strahlenschutzes sind in den letzten Jahren das Übereinkommen über nukleare Sicherheit104 und die Richtlinie 2009/71/Euratom des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen105 hinzugetreten. Beide Rechtsakte stellen Anforderungen an Organisation und Standards staatlicher Sicherheitsüberwachung für den Nuklearsektor auf, enthalten jedoch keine konkreten materiellrechtlichen Vorgaben für die Betreiber von Nuklearanlagen.106

103 Vgl. beispielsweise die Stellungnahme der Kommission vom 11. Juni 2012 zum Plan für die Ableitung radioaktiver Stoffe aus der ITER-Anlage (International Thermonuclear Experimental Reactor) in Cadarache, Frankreich, gemäß Art. 37 Euratom-Vertrag (ABl. EU Nr. C 166 vom 12.6.2012, 1). 104 Convention on Nuclear Safety, 17.6.1994, UNTS Vol. 1963, 293 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1997 II 131). Der Umfang der Kompetenzen der Gemeinschaft unter diesem Übereinkommen wurde Gegenstand des Rechtsstreits: EuGH, Rs. C-29/99, Kommission v. Rat, Urt. v. 10.12.2002, Slg. 2002, I-11221. Besonders relevant für die Begründung einer Kompetenz der Gemeinschaft auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit ist die folgende Feststellung des Gerichtshofs in Rn. 89: „Auch wenn es zutrifft, dass der Gemeinschaft durch den EAG-Vertrag nicht die Zuständigkeit verliehen wird, den Bau oder Betrieb von Kernanlagen zu genehmigen, so verfügt sie nach den Artikeln 30 bis 32 EAG-Vertrag doch über eine Regelungszuständigkeit, im Hinblick auf den Gesundheitsschutz ein Genehmigungssystem zu schaffen, das von den Mitgliedstaaten anzuwenden ist. Ein solcher Rechtsetzungsakt stellt nämlich eine Maßnahme zur Ergänzung der in Artikel 30 EAGVertrag genannten Grundnormen dar“. Auf der Grundlage dieses Urteils gab die Gemeinschaft mit Beschluss 2004/491/Euratom der Kommission vom 29. April 2005 eine geänderte und erweiterte Erklärung über ihre Zuständigkeit im Rahmen des Übereinkommens über nukleare Sicherheit ab, Beschluss 2004/491/Euratom der Kommission vom 29. April 2004 zur Änderung des Beschlusses 1999/819/Euratom über den Beitritt der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994 in Bezug auf die dem Beschluss als Anhang beigefügte Erklärung (ABl. EU Nr. L 172 vom 6.5.2004, 7). 105 Richtlinie 2009/71/Euratom des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen (ABl. EU Nr. L 172 vom 2.7.2009, 18). 106 Etwa hinsichtlich des Standorts, der Auslegung und der baulichen Sicherheitsanforderungen, der Redundanz sicherheitsrelevanter Systeme, der Resistenz gegenüber spe-

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Das Euratom-Recht auf dem Gebiet der Versorgung unterscheidet nicht nach den einzelnen Anlagen des Brennstoffkreislaufs, wie Konversionsanlagen, Isotopentrennanlagen, Fabrikationsanlagen, Kernkraftwerken und Wiederaufbereitungsanlagen, sondern kennt nur „Erzeuger“ und „Verbraucher“ von Kernmaterial sowie die „Agentur“. Das Angebot der Erzeuger und die Nachfrage der Verbraucher ist von der Agentur nach dem Verfahren des Art. 60 EAGV in Ausgleich zu bringen, wobei in der Praxis wiederum das vereinfachte Verfahren Anwendung findet, ohne die Agentur ihrer Prärogativen zu berauben. Wiederum anlagenbezogen ist das Recht der Überwachung der Sicherheit der Art. 77 ff. EAGV. Art. 78 EAGV bestimmt: Wer eine Anlage zur Erzeugung, Trennung oder sonstigen Verwendung von Ausgangsstoffen und besonderen spaltbaren Stoffen oder zur Aufbereitung bestrahlter Kernbrennstoffe errichtet oder betreibt, hat der Kommission die grundlegenden technischen Merkmale der Anlage anzugeben, soweit deren Kenntnis für die Zwecke des Artikels 77 erforderlich ist. Die Verfahren für die chemische Aufbereitung bestrahlter Stoffe bedürfen insoweit der Genehmigung der Kommission, als dies für die Zwecke des Artikels 77 erforderlich ist.

Art. 3 der Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 knüpft fast wortgleich an die Pflicht zur Meldung der grundlegenden technischen Merkmale nach Art. 78 EAGV an107 und legt in neun Musterformblättern die jeweils anlagentypischen Meldeanforderungen fest.108 Die Regelungen des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen zielen ihrerseits auf einen „weltweiten wirksamen physischen Schutz von für friedliche Zwecke genutztem Kernmaterial und für friedliche Zwecke genutzten Kernanlagen, die weltweite Verhütung und Bekämpfung von Straftaten im Zusammenhang mit solchem Material und solchen Anlagen sowie die Erleichterung der Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten für diese Zwecke“ ab (Art. 1 A). Gleichfalls dem Anlagenschutz dient als autonomer interner Rechtsakt die auf Art. 308 EGV109 gestützte Richtlinie 2008/114/EG des Rates vom 8. Dezember 2008 über die Ermittlung und Ausweisung europäischer kritischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern.110 Gemäß ihrem zifischen Risiken wie Erdbeben, Überschwemmungen, Flugzeugabstürzen oder terroristischen Angriffen, etc.; hierzu auch unten D. II. 107 Art. 3 ff. der Verordnung 302/2005 (Anm. 23). 108 Musterformblätter für die Mitteilung der grundlegenden technischen Merkmale in Anhang I (I-A bis I-J) der Verordnung 302/2005 (Anm. 23). 109 Nunmehr Art. 352 AEUV. 110 Richtlinie 2008/114/EG des Rates vom 8. Dezember 2008 über die Ermittlung und Ausweisung europäischer kritischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern (ABl. EU Nr. L 345 vom 23.12.2008, 75).

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Anhang I erfasst die Richtlinie unter anderem „Infrastrukturen und Anlagen zur Stromerzeugung und -übertragung in Bezug auf die Stromversorgung“. VIII. Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle Wenn zuweilen behauptet wird, der EAGV interessiere sich nicht für die sog. „back-end problems“ des Nuklearsektors, so ist dem entgegen zu halten, dass ein Vertrag, der „die Voraussetzung für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie“111 schaffen will und auf unbegrenzte Zeit gilt (Art. 208 EAGV), auch auf die Lösung des Abfallproblems vorbereitet ist. Schon rein begrifflich sind Entwicklung und Abwicklung eng miteinander verbunden. Der Vertrag selbst benennt in Art. 4 i.V.m. Anhang I Ziffer IV. 5. die „Konzentrierung und Aufbewahrung der unbrauchbaren radioaktiven Abfälle“ als Forschungsgebiet, und Art. 41 i.V.m. Anhang II Ziffer 12 führt „Anlagen für die industrielle Aufbereitung radioaktiver Abfälle“ als Industriezweig auf, auf den in Art. 41 EAGV Bezug genommen wird. Die Endlagerung bzw. Beseitigung radioaktiver Abfälle112 ist in Anhang II zwar nicht als eigenständiger Industriezweig im Sinne des Art. 41 EAGV enthalten, könnte aber nach dem Verfahren dieses Artikels in die Liste dieses Anhangs aufgenommen werden. Nach gegenwärtiger Rechtslage ist die „Schaffung von Anlagen zur Entsorgung abgebrannter Brennstoffe oder radioaktiver Abfälle einschließlich Behandlung, Zwischen- und Endlagerung und/ oder Beseitigung“ nach Art. 1 Abs. 1 lit. f der Verordnung (Euratom) Nr. 2587/ 1999113 nur von den Personen und Unternehmen anzuzeigen, die schon „zu den in Anhang II des Vertrages aufgezählten Industriezweigen gehören“ (Art. 1 Abs. 1). Im Bereich des Strahlenschutzes unterscheidet Art. 2 Abs. 1 lit. a Richtlinie 96/ 29/Euratom zwischen der „Lagerung“ und der „Beseitigung radioaktiver Stoffe“. Beide Tätigkeiten sind nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie anzumelden, und der Betrieb der entsprechenden Anlagen ist nach Art. 4 Abs. 1 lit. a als Betrieb einer „Anlage des nuklearen Brennstoffkreislaufs“114 zu genehmigen. Nach Maßgabe der Richtlinie 2003/122/Euratom des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Kontrolle hoch radioaktiver umschlossener Strahlenquellen und herrenlo111

So die dritte Erwägung der Präambel des EAGVs. Zum Begriff der radioaktiven Abfälle vgl. die Empfehlung 1999/669/EG, Euratom der Kommission vom 15. September 1999 für ein Klassifizierungssystem für feste radioaktive Abfälle (ABl. EG Nr. L 265 vom 13.10.1999, 37). 113 Anm. 60. 114 So der dritte Erwägungsgrund der Verordnung (Euratom) Nr. 2587/1999 (Anm. 60). 112

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ser Strahlenquellen115 sind die besonders gefahrenträchtigen herrenlosen Strahlenquellen Gegenstand weitergehender Regeln zu ihrer Entdeckung und Sicherstellung, insbesondere auf Schrottplätzen, Anlagen für die Altmetallverwertung und Transitknotenpunkten wie Zollstellen.116 Nach ihrem Beitritt zum gemeinsamen Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle im Jahre 2005117 hat die Gemeinschaft im Sommer 2011 auf der Grundlage der Art. 31 und 32 EAGV die Richtlinie 2011/70/Euratom des Rates vom 19. Juli 2011 über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle,118 die vor dem 23. August 2013 in nationales Recht umzusetzen ist.119 Nach dieser Richtlinie hat „jeder Mitgliedstaat die abschließende Verantwortung für die Entsorgung“ (Art. 4 Abs. 1) und seine eigenen radioaktiven Abfälle auf seinem eigenen Gebiet endzulagern (Art. 4 Abs. 4). Die Richtlinie stellt für die nationale Politik der Entsorgung allgemeine Grundsätze auf und verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Schaffung eines „nationalen Gesetzes-, Vollzugs- und Organisationsrahmens“ (Art. 5 Abs. 1) sowie zur Aufstellung nationaler Entsorgungsprogramme (Art. 11 ff.), die der Kommission bis spätestens zum 23. August 2015 zu notifizieren sind (Art. 15 Abs. 4). Die Behandlung von konditioniertem Abfall nach dem System der EuratomKernmaterialkontrolle bestimmt sich nach den Vorschriften der Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005.120 Bei konditioniertem Abfall handelt es sich nach der Definition dieser Verordnung um gemessene Kernmaterialmengen, die so konditioniert worden sind (zum Beispiel in Glas, Zement, Beton oder Bitumen), dass sie zur weiteren nuklearen Verwendung nicht geeignet sind.121 115

Richtlinie 2003/122/Euratom (Anm. 51). Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2003/122/Euratom (Anm. 51). 117 Entscheidung 2005/510/Euratom der Kommission vom 14.6.2005 über den Beitritt der Europäischen Atomgemeinschaft zum „Gemeinsamen Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle“ (ABl. EU Nr. L 185 vom 16.7.2005, 33). Zum Übereinkommen siehe: Joint Convention on the Safety of Spent Fuel Management and on the Safety of Radioactive Waste Management, 29.9.1997, UNTS Vol. 2153, 303 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1998 II 1753). 118 Richtlinie 2011/70/Euratom des Rates vom 19. Juli 2011 über einen Gemeinschaftsrahmen für die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle (ABl. EU Nr. L 199 vom 2.8.2011, 48). 119 Art. 15 der Richtlinie 2011/70/Euratom (Anm. 118). 120 Anm. 23. 121 Anhang III und IV der Verordnung (Euratom) Nr. 302/2005 unter Code TC. 116

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Nach den Bestimmungen des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen unterfallen dem Begriff der Kernanlage auch Anlagen, in denen „die endgültige Entsorgung von Kernmaterial stattfindet, wenn eine Beschädigung der Anlage oder Einwirkungen auf die Anlage zu einer erheblichen Strahlenbelastung oder zur Freisetzung erheblicher Mengen radioaktiver Stoffe führen könnten“.122 Ob und inwieweit letzteres der Fall ist, dürfte vom Standort, den geologischen Gegebenheiten und der baulichen Auslegung der jeweiligen Anlage abhängen. Da es weder in der Gemeinschaft noch weltweit bisher ein Endlager für hochradioaktive Abfälle gibt, mögen an dieser Stelle die vorstehenden Hinweise genügen.123 IX. Nukleare Notfallregime Ihre Verpflichtung, „einheitliche Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte aufzustellen und für ihre Anwendung zu sorgen“ (Art. 2 lit. b EAGV), um „alle Gefahren für das Leben und die Gesundheit ihrer Völker auszuschließen“ (Präambel), hat die Gemeinschaft seit Anbeginn veranlasst, im Rahmen der Grundnormen nach Art. 30 legislative Regelungen für Interventionen im Fall radiologischer Notstandssituationen zu treffen. Ergänzend tritt die situative Notfallkompetenz der Kommission hinzu, die „in dringenden Fällen“ nach Art. 38 Abs. 2 EAGV Richtlinien erlassen kann, „um eine Überschreitung der Grundnormen zu vermeiden“.124 Art. 1 der Richtlinie 96/29/Euratom definiert die radiologische Notstandssituation als „eine Situation, die Dringlichkeitsmaßnahmen zum Schutze von Arbeitskräften, Einzelpersonen der Bevölkerung, Teilen der Bevölkerung oder der gesamten Bevölkerung erfordert“. Für den Fall derartiger Situationen haben die Mitgliedstaaten angemessene Interventionsschwellen festzulegen und geeignete Interventionspläne auf gesamtstaatlicher und örtlicher Ebene aufzustellen und regelmäßig zu testen (Art. 50 Abs. 2). Außerdem sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass besondere Teams für technische, medizinische und gesundheitliche Interventionen gebildet und in geeigneter Weise geschult werden (Art. 50 Abs. 3). Soweit für derartige Einsatzkräfte bei der Rettung von Menschenleben die Gefahr einer Überexposition besteht, dürfen nur Freiwillige eingesetzt werden, die über die entsprechenden 122

Art. 1 lit. d des Übereinkommens. Als Vorstufe der Ausweisung eines derartigen Endlagers trat in Deutschland im Juli 2013 das sogenannte Standortauswahlgesetz in Kraft (Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze, 23.7.2013, BGBl. 2013 I 2553). 124 Vgl. oben Seite 4 f. 123

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Risiken unterrichtet worden sind (Art. 52 Abs. 1). Von entscheidender Bedeutung bei Nuklearunfällen125 ist die Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten und Drittstaaten (Art. 50 Abs. 4), insbesondere was deren rechtzeitige Information und gegenseitige Hilfeleistung anbelangt. Mit der Entscheidung 87/600/Euratom des Rates vom 14. Dezember 1987 über Gemeinschaftsvereinbarungen für den beschleunigten Informationsaustausch im Falle einer radiologischen Notstandssituation126 zog die Gemeinschaft die Konsequenzen aus der mangelhaften Informationspolitik nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. Darüber hinaus sind sämtliche Mitgliedstaaten Vertragsparteien der beiden IAEA-Übereinkommen vom 26. September 1986 über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen127 und über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen,128 denen auch die Gemeinschaft beigetreten ist.129 Zur Durchführung der Entscheidung 87/600/Euratom richtete die Kommission das sog. ECURIE-System (European Community Urgent Radiological Information Exchange) ein, an dem außer den Mitgliedstaaten auch die Schweiz und die Türkei beteiligt sind.130

125

P. Ludwig, EURATOM und der Notfallschutz bei Atomunfällen, 1995. Entscheidung 87/600/Euratom des Rates vom 14. Dezember 1987 über Gemeinschaftsvereinbarungen für den beschleunigten Informationsaustausch im Falle einer radiologischen Notstandssituation (ABl. EU Nr. L 371 vom 30.12.1987, 76). 127 Convention on Early Notification of a Nuclear Accident, 26.9.1986, UNTS Vol. 1439, 275 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1989 II 435). 128 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, 26.9.1986, UNTS Vol. 1457, 133 (deutsche Übersetzung in: BGBl. 1989 II 441). 129 Beschluss 2005/844/Euratom der Kommission vom 25. November 2005 über den Beitritt der Europäischen Atomgemeinschaft zum Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen (ABl. EU Nr. L 314 vom 30.11.2005, 21) und Beschluss 2005/845/Euratom der Kommission vom 25. November 2005 über den Beitritt der Europäischen Atomgemeinschaft zum Übereinkommen über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen (ABl. EU Nr. L 314 vom 30.11.2005, 27). 130 Abkommen zwischen der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) und Nichtmitgliedstaaten der Europäischen Union über die Teilnahme an Vereinbarungen in der Gemeinschaft für den schnellen Austausch von Informationen in einer radiologischen Notstandssituation (Ecurie), 29.1.2003 (ABl. EU Nr. C 102 vom 29.4.2003, 2). Zum schnellen Datenaustausch vgl. auch den Beschluss 2010/398/Euratom vom 15. Juli 2010 über den Abschluss einer Absichtserklärung zwischen ihr und der IAEO zur EURDEP-Plattform (European Radiological Data Exchange Platform) (ABl. EU Nr. L 182 vom 16.7.2010, 15). Der Zweck dieser Absichtserklärung besteht in der Zusammenarbeit der Parteien beim Austausch von Echtzeitstrahlungsdaten bei der Überwachung der Umweltradioaktivität und bei Notfallsituationen. 126

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Ebenfalls als Lehre aus dem Nuklearunfall von Tschernobyl erließ der Rat die Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 vom 22. Dezember 1987 zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation.131 Kernstück der Verordnung sind die Höchstwerte für Nahrungsmittel und Futtermittel (in Bq/kg bzw. Bq/l), bei deren Überschreiten eine Vermarktung der betreffenden Erzeugnisse verboten ist. Als weiteren Rechtsakt, mit dem die Gemeinschaft eine Konsequenz aus Tschernobyl zog und die Grundnormen-Richtlinie ergänzte, erließ der Rat am 27. November 1989 die Richtlinie 89/618/Euratom über die Unterrichtung der Bevölkerung über die bei einer radiologischen Notstandssituation geltenden Verhaltensmaßregeln und zu ergreifenden Gesundheitsschutzmaßnahmen.132 Die Richtlinie unterscheidet zwischen einer vorherigen Unterrichtung, die die Bevölkerung routinemäßig über die geltenden Gesundheitsschutz-maßnahmen und Verhaltensmaßregeln im Notfalle informiert (Art. 5 i.V.m. Anhang I), und einer Unterrichtung im Ernstfall, die die betroffene Bevölkerung über die Einzelheiten der Notstandssituation informiert und ihr genaue Hinweise für die jeweils zu ergreifenden Gesundheitsschutzmaßnahmen gibt (Art. 8 i.V.m. Anhang II). Außerdem sieht die Richtlinie eine besondere Unterrichtung solcher Personen vor, die im Falle einer radiologischen Notstandssituation bei Rettungsmaßnahmen eingesetzt werden können (Art. 7). Im weiteren Sinne dem Euratom-Strahlenschutzrecht zuzurechnen sind weiterhin die horizontalen Maßnahmen auf dem Gebiet des Katastrophenschutzes, die gemeinsam auf der Grundlage des EU-Rechts133 und des EAGV erlassen werden, wie zuletzt die Entscheidung 2007/779/EG/Euratom über ein Gemeinschafts-

131

Verordnung (Euratom) Nr. 3954/87 vom 22. Dezember 1987 zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation (ABl. EG Nr. L 371 vom 30.12.1987, 11). Vorschlag der Kommission für eine Verordnung (Euratom) des Rates zur Festlegung von Höchstwerten an Radioaktivität in Nahrungsmitteln und Futtermitteln im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation, 27.4.2010, KOM(2010) 184 endgültig sowie dazu die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses (ABl. EU Nr. C 48 vom 15.2.2011, 160). 132 Richtlinie 89/618/Euratom des Rates vom 27. November 1989 über die Unterrichtung der Bevölkerung über die bei einer radiologischen Notstandssituation geltenden Verhaltensmaßregeln und zu ergreifenden Gesundheitsschutzmaßnahmen (ABl. EG Nr. L 357 vom 7.12.1989, 31). 133 Art. 6 lit. f und Art. 196 AEUV.

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verfahren für den Katastrophenschutz,134 mit der der Gemeinschaftsrahmen zur Förderung einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten neu gefasst wurde. Art. 1 Abs. 2 der Entscheidung umreißt den Anwendungsbereich: „Der durch das Verfahren gewährleistete Schutz betrifft vor allem die Menschen, aber auch die Umwelt und Sachwerte einschließlich Kulturgütern bei Natur- und von Menschen verursachten Katastrophen, Terroranschlägen und Technologiekatastrophen, Strahlen- und Umweltunfällen (…).“ Gleichsam als drastischste Notfallmaßnahme präventiver Natur hat Deutschland nach Fukushima in einem zweiten Anlauf den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen,135 das heißt – um im Thema zu bleiben – die Beherrschung der Kernenergie durch ihre Abschaffung. Ob und inwieweit hierbei Euratom-rechtliche Vorgaben zu beachten sind, ist eine der Fragen, die nunmehr bei einem kurzen Blick auf die Zukunftsperspektiven des europäischen Nuklearrechts zu betrachten sind.

D. Zukunftsperspektiven des europäischen Nuklearrechts Nach seinem Art. 208 gilt der EAGV auf unbegrenzte Zeit. Wie seine Vergangenheit zeigt, ist die Uneinigkeit der Mitgliedstaaten über die Rolle der Kernkraft Garant seiner Stabilität, denn um ihn aufzuheben oder substantiell zu ändern, müssten sich die Mitgliedstaaten einig sein.136 Da auch der Blick nach vorn, wenn nicht alles täuscht, eine solche Einigkeit nicht erwarten lässt, ist die Zukunft des Vertrages also noch lang.137 Dies gibt 134

Entscheidung 2007/779/EG/Euratom über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (ABl. EU Nr. L 314 vom 1.12.2007, 9); Beschluss 2010/481/EU der Kommission vom 29. Juli 2010 zur Änderung der Entscheidung 2004/277/EG, Euratom in Bezug auf die Durchführungsvorschriften der Entscheidung 2007/779/EG, Euratom des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (ABl. EU Nr. L 236 vom 7.9.2010, 5). Des Weiteren legte die Kommission 2009 ein „Gemeinschaftskonzept zur Verhütung von Naturkatastrophen und von Menschen verursachten Katastrophen“ vor, vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Ein Gemeinschaftskonzept zur Verhütung von Naturkatastrophen und von Menschen verursachten Katastrophen, 23.2.2009, KOM(2009) 82 endgültig. 135 13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 13.7.2011, BGBl. 2011 I 1704. 136 Derzeit nutzen 13 Mitgliedstaaten die Kernenergie zur Stromerzeugung und 14 nutzen sie nicht. 137 Zur Zulässigkeit und den Bedingungen eines Austritts aus der Europäischen Atomgemeinschaft nach Art. 106a EAGV i.V.m. Art. 50 EUV vgl. Grunwald, 2010 (Anm. 8), 448; zuletzt ders. in der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen zu EURATOM des

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Anlass, auf die Herausforderungen der Zukunft zu blicken und den Vertrag auf sein Potential zur Lösung noch unerledigter Probleme zu befragen. Hierbei drängen sich aus aktueller Sicht insbesondere die folgenden drei Fragen auf: (1) Welche Rolle kommt Euratom beim Ausstieg aus der/Einstieg in die Kernenergie zu? (2) Welchen Beitrag kann Euratom auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit leisten? (3) Wie kann Euratom zur Lösung des Problems der Endlagerung nuklearer Abfälle beitragen? I. Euratom und der Ausstieg aus der/Einstieg in die Kernenergie Nach Art. 1 des Vertrages ist es die „Aufgabe der Atomgemeinschaft“ durch ihre Politiken zur Entwicklung von Kernindustrien „beizutragen“. Hierbei wird der Wille der Mitgliedstaaten zu einer solchen Entwicklung unterstellt, aber nicht zur Rechtspflicht erhoben. Wenn somit die Entscheidung für oder gegen die Kernenergie nach dem EAGV – wie nunmehr auch nach Art. 194 Abs. 2 AEUV – grundsätzlich im Ermessen der Mitgliedstaaten steht, so gilt dies nicht für die Gemeinschaft selbst, die unabhängig vom diesbezüglichen Willen der Mitgliedstaaten bestimmte Voraussetzungen zu schaffen hat, die nach dem Willen des Vertrages nicht verhandelbar sind.138 Sowohl Einstieg wie Ausstieg139 erfordern auf allen Ebenen der Beteiligten, bei den Unternehmen, den technischen Prüforganisationen, den nationalen Genehmigungs- und Überwachungsbehörden und auch bei der Kommission höchste Sachkenntnisse auf den unterschiedlichsten Wissensgebieten. Wissen aber wird durch Ausbildung vermittelt, und in ihr sieht der Vertrag eine seiner zentralen Aufgaben. Hierbei zieht sich die Ausbildungsverantwortung der Gemeinschaft wie ein roter Faden durch den Vertrag: Art. 4 und 7 EAGV sehen „Forschungs- und Ausbildungsprogramme der Gemeinschaft“ vor, Art. 9 Abs. 1 EAGV spricht von der Gründung von „Schulen für die Ausbildung von Fachkräften“, Art. 9 Abs. 2 EAGV fordert kategorisch: „Es wird eine Anstalt im Range einer Universität gegründet“, Kap. 2 sucht mit 18 Artikeln eine Wissensgemeinschaft auf dem Kerngebiet zu verwirklichen, Art. 33 Abs. 1 EAGV verpflichtet die MitgliedstaaBundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union am 21.3.2012, Ausschussdrucksache 17(21)0988. 138 Zu den verfassungsrechtlichen Aspekten einer Euratom-Gegnerschaft im Europäischen Parlament als Organ von Euratom J. Grunwald, Der Mensch im Gemeinschaftsrecht, in: Europa der Bürger, Band 7 der Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Europarecht der Karl-Franzens-Universität Graz, 1994, 15, 73 ff. 139 Zum Thema „Der Euratom-Vertrag und der Ausstieg aus der Kernenergie“ vgl. Grunwald, 2003 (Anm. 8), 305 ff.

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ten zum Erlass der „für den Unterricht, die Erziehung und Berufsausbildung erforderlichen Maßnahmen“, die durch Empfehlungen der Kommission „miteinander in Einklang zu bringen“ sind, Art. 39 EAGV verlangt die Gründung einer „Studien- und Dokumentationsabteilung für Fragen des Gesundheitsschutzes“, usw. Zu Recht hat der Wirtschafts- und Sozialausschuss 2009 festgestellt:140 Der Ausschuss misst der Frage des Erwerbs, der Wahrung und der Weiterentwicklung von kerntechnischer Kompetenz in den Mitgliedstaaten, insbesondere in denjenigen, die über keine oder nur wenig Erfahrung mit der Kernenergie verfügen, große Bedeutung bei. Die betreffenden Mitgliedstaaten müssen dieses Problem unverzüglich lösen, namentlich durch geeignete Bildungsmaßnahmen. Der Ausschuss schlägt außerdem vor, die Einführung einer europäischen Zertifizierung der Kompetenz für den Betrieb von kerntechnischen Anlagen ins Auge zu fassen und sowohl das technische als auch das gesundheitliche Folgenmanagement bei nuklearen Unfällen in die Ausbildung aufzunehmen.

Der Ausschuss hat Recht, nur handelt es sich hierbei nicht nur um Anforderungen an die Mitgliedstaaten, sondern um „zentrale Aufgaben der Gemeinschaft selbst“. Die von Art. 9 Abs. 2 des Vertrages geforderte Euratom-Universität ist bis heute nicht gegründet worden. Ein weiterer Aspekt des Ausstiegs/Einstiegs betrifft Art. 40 EAGV, der die Kommission verpflichtet, „in regelmäßigen Abständen hinweisende Programme, insbesondere hinsichtlich der Ziele für die Erzeugung von Kernenergie“ zu veröffentlichen. Es ist offensichtlich, dass die Kommission dieser Aufgabe auf gesicherter Faktenbasis nur dann gerecht werden kann, wenn sie die entsprechenden politischen Orientierungen der Mitgliedstaaten rechtzeitig kennt. Vor diesem Hintergrund können in einer Investitions- und Versorgungsgemeinschaft insbesondere nicht abgestimmte abrupte Ausstiegsszenarien vor dem Hintergrund des Art. 192 EAGV problematisch sein.141 II. Euratom und nukleare Sicherheit Nach Fukushima steht die Frage der nuklearen Sicherheit erneut auf der politischen Tagesordnung. Seit Anbeginn hat dieses Thema die Gemeinschaft beschäftigt,142 angefangen bei den Grundnormen-Richtlinien, über den Beitritt zum 140

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie (Euratom) des Rates über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit“ (ABl. EU Nr. C 306 vom 16.12.2009, 56), Ziffer 1.7. 141 Nach Art. 192 EAGV erleichtern die Mitgliedstaaten die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft und „unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrages gefährden könnten“. 142 Zu den Anfängen vgl. Grunwald, 2003 (Anm. 8), 288 ff. m.w.N.

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Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994,143 bis hin zur Richtlinie 2009/ 71/Euratom des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen.144 Als neueste Initiativen wurden nach Fukushima sogenannte Stresstests durchgeführt,145 deren Endergebnisse und Schlussfolgerungen zwischenzeitlich vorgelegt wurden.146 Derzeit gibt es in der Gemeinschaft keine gemeinsamen Sicherheitsstandards oder -kriterien für Kernanlagen.147 Auch der Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit schafft keine gemeinsamen technischen Regeln, sondern überlässt die Materie den Mitgliedstaaten und ihren Behörden. Sollte sich allerdings die Einsicht durchsetzen, dass in einem „einheitlichen Strahlenschutz- und Sicherheitsraum“ auch einheitliche technische Mindestanforderungen in den Bereichen Standortwahl, Auslegung, Bau und Betrieb von Kernanlagen gelten sollten, dann sähe der EAGV zum Erlass eines solchen Regelwerks zwei Wege vor: den der ergänzenden Rechtsetzung nach Art. 32 EAGV oder den der Kommissionsempfehlung nach Art. 33 Abs. 2 EAGV. Ein Vorgehen auf der Grundlage der Art. 32 und 31 EAGV würde zunächst voraussetzen, dass die Sachverständigengruppe des Art. 31, die traditionell eher medizinisch-radiologisch ausgerichtet ist,148 um bau- und sicherheitstechnischen Sachverstand verstärkt wird.149 Empfehlungen nach Art. 33 Abs. 2 EAGV wären 143

Beschluss (1999/819/Euratom) der Kommission vom 16. November 1999 über den Beitritt der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) zum Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994 (ABl. EG 1999 Nr. L 318 vom 11.12.1999, 20). 144 Richtlinie 2009/71/Euratom des Rates vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen (ABl. EU Nr. L 172 vom 2.7.2009, 18). 145 Dokument der Kommission „Launching of Risk and Safety Assessment of European Nuclear Plants“, SEC(2011) 696 vom 27. Mai 2011 sowie die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Zwischenbericht über die umfassenden Risiko- und Sicherheitsbewertungen („Stresstests“) von Kernkraftwerken in der Europäischen Union, 24.11.2011, KOM(2011) 784 endgültig, sowie dazu das Arbeitspapier SEC (2011) 1395 final vom 24.11.2011. 146 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über umfassende Risiko- und Sicherheitsbewertungen („Stresstests“) von Kernkraftwerken in der Europäischen Union und damit verbundene Tätigkeiten, 4.10.2012, KOM(2012) 571 endgültig. 147 Mitteilung der Kommission, KOM(2011) 784 endgültig, Ziff. 3.2.1., 10. 148 Nach Art. 31 EAGV besteht die Sachverständigengruppe „insbesondere aus Sachverständigen für Volksgesundheit“. 149 Nach Art. 9 Abs. 1 EAGV weist der Vertrag der Gemeinschaft eine Ausbildungsverantwortung insbesondere auf dem Gebiet „Bautechnik für Atomanlagen“ zu.

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zwar rechtlich nicht bindend,150 dafür aber gerichtlich unangreifbar.151 Zudem können sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes als Auslegungshilfe dienen.152 Den erforderlichen Sachverstand könnte die Kommission auf der Grundlage des Art. 135 EAGV versammeln.153 In beiden Fällen würde die Annahme gemeinsamer Sicherheitsstandards der Kommission ihren Überwachungsauftrag erleichtern, da mit gemeinsamen Prüfkriterien auch eine einheitliche Prüfmethodologie entwickelt werden könnte. Sodann bedürfte es eines umfassenden „Zugangs- und Auskunftsrechts“ der Kommission gegenüber den Betreibern der Anlagen, d.h. Rechten, die bislang nur in Bezug auf Überwachungseinrichtungen nach Art. 35 EAGV und im Safeguardsbereich nach Art. 81 EAGV bestehen. Nur durch eine genaue Kenntnis der Umstände vor Ort wird die Kommission in Gefahrensituationen in der Lage sein, anlagenbezogene sicherheitsspezifische Richtlinien nach Art. 38 Abs. 2 EAGV zu erlassen. Beide Rechte, das Nachprüfungsrecht vor Ort und das Auskunftsrecht, könnte der Rat nach Art. 187 EAGV mit einfacher Mehrheit beschließen.154 Gegenüber Unternehmen, die ihre Mitwirkung verweigern, könnten nach Art. 145 EAGV Zwangsmaßnahmen verhängt werden.

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Art. 106a Abs. 1 EAGV i.V.m. Art. 288 Abs. 5 AEUV. Art. 106a Abs. 1 EAGV i.V.m. Art. 263 Abs. 1 AEUV. 152 EuGH, Rs. C-322/88, Grimaldi v. Fonds des maladies professionnelles, Urt. v. 13.12.1989, Slg. 1989, 4416. 153 Nach Art. 135 EAGV kann die Kommission „zur Erfüllung ihrer Aufgabe jederzeit Gutachten einholen und Studienausschüsse einsetzen“. Auf der Grundlage dieser Bestimmung fasste die Kommission den Beschluss 2007/530/Euratom vom 17. Juli 2007 zur Einsetzung der Europäischen hochrangigen Gruppe für nukleare Sicherheit und Abfallentsorgung (ABl. EU Nr. L 195 vom 27.7.2007, 44). 154 Bis zum Vertrag von Lissabon waren Art. 187 EAGV und seine EG-Parallelbestimmung Art. 284 EGV textidentisch und sahen beide eine Beschlussfassung durch einfache Mehrheit vor: Art. 118 Abs. 1 EAGV und Art. 205 Abs. 1 EGV bestimmten textgleich: „Soweit in diesem Vertrag nichts anderes bestimmt ist, beschließt der Rat mit der Mehrheit seiner Mitglieder“. Mit dem Vertrag von Lissabon änderte sich diese Grundregel, denn Art. 16 Abs. 3 EUV bestimmt nunmehr: „Soweit in den Verträgen nichts anderes festgelegt ist, beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit“. Um für die Nachfolgeregelung des Art. 284 EGV, den Art. 337 AEUV, die traditionelle Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit zu erhalten, erfolgte in den Text des letztgenannten Artikels der Einschub: „der mit einfacher Mehrheit beschließt“. Dieser Einschub aber wurde in Art. 187 EAGV vergessen, mit der Folge, dass nunmehr für diese Bestimmung wegen Art. 106a Abs. 1 EAGV i.V.m. Art. 16 Abs. 3 EUV die qualifizierte Mehrheit gilt. Hierbei kann es sich jedoch nur um ein offensichtliches Redaktionsversehen handeln, so dass auch für Art. 187 EAGV weiterhin von einer Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit auszugehen ist. 151

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III. Euratom und die Endlagerung nuklearer Abfälle Umfragen zeigen, dass neben der Frage der Anlagensicherheit das ungelöste Problem der Endlagerung nuklearer Abfälle155 die Einstellung der Menschen zur Kernkraft am stärksten und nachhaltigsten belastet. Wäre dieses Problem zufriedenstellend gelöst, so die Umfragen, würde sich die Akzeptanz der Kernenergie erheblich erhöhen. Da dies auch kategorischen Kernkraftgegnern bekannt ist, wird die ungelöste Frage der Endlagerung nicht nur als Versagen der Politik kritisiert, sondern auch bewusst als Kampfmittel eingesetzt, mit dem Ziel, diese Wunde möglichst lange offen zu halten. Vordergründig mag die Regelung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/70/ Euratom, nach der der Mitgliedstaat für seine eigenen nuklearen Abfälle verantwortlich ist und im Rahmen nationaler Programme selbst für die Endlagerung zu sorgen hat,156 diese Regelung durchaus dem umweltrechtlichen Verursacherprinzip im Sinne des Art. 191 Abs. 2 AEUV entsprechen. Auch in sachenrechtlicher Hinsicht unterliegt sie keinen Bedenken, denn an endlagerfähigen Abfällen besitzt Euratom kein Eigentum (mehr). Anders liegen die Dinge allerdings in Bezug auf den Strahlenschutz, denn der Auftrag des Kap. 3 gilt zeitlich ebenso unbegrenzt wie der Vertrag selbst. Das gleiche trifft für die Permanenz des Forschungsthemas „Aufbewahrung der unbrauchbaren radioaktiven Abfälle“ (Anhang I Ziffer IV.5.) zu. Dies zeigt, dass mit der Konditionierung zu endlagerfähigem nuklearem Abfall die Kernstoffe keineswegs aus dem Verantwortungsbereich der Gemeinschaft entlassen sind. Zwar trifft der Vertrag aus seiner spezifischen Aufbausicht heraus keine ausdrücklichen Regelungen zu den sog. back-end Problemen der Kernindustrie. Jedoch ergibt sich aus seiner zeitlich unbegrenzten Geltung, dass er implizit auch für diese Probleme Lösungen bereit hält, soweit sie in seinen Schutz- und Verantwortungsbereich fallen.157 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein Vertrag, der auf der Überzeugung aufbaut, „dass nur ein ‚gemeinsames Vorgehen‘, ohne Verzug unternommen, Aussicht (auf die Verwirklichung der Ziele) bietet“ (2. Erwägung der Präambel), der „von überflüssiger Doppelarbeit“ abrät (Art. 5 Abs. 3), der eine „abgestimmte Entwicklung“ will und hinweisende Programme zu „erforderlichen 155

Zu nuklearen Abfällen ausführlich Grunwald, 2003 (Anm. 8), 291 ff. sowie U. BlohmHieber, Lessons learnt from Decommissioning Funding in the European Union, Nuclear Inter Jura 2007, 715 ff; J. Haffner, Translating future waste into present costs: Intergenerational Issues in Nuclear Waste Economies, Nuclear Inter Jura 2007, 729 ff. 156 Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/70/Euratom: „Radioaktive Abfälle werden in dem Mitgliedstaat endgelagert, in dem sie entstanden sind (…)“. 157 Siehe oben C. VIII.

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Investitionen ‚aller Art‘“ (Art. 40 Abs. 1) vorschreibt, der Unternehmen fördern will, die für die „Kernindustrie in der Gemeinschaft von ausschlaggebender Bedeutung sind“ (Art. 45), der eine „gemeinsame Versorgungspolitik“ vorschreibt (Art. 52 Abs. 1), ausgerechnet in der hochwichtigen Frage der Entsorgung und Endlagerung einen jeden Mitgliedstaat sich selbst überlassen will, mit der Folge, dass es im Extremfall mindestens ebenso viele nationale Endlager gibt wie Mitgliedstaaten? Die Frage stellen heißt, sie beantworten. Gerade weil das Problem der Endlagerung technisch wie politisch hochkomplex ist und die weitere Entwicklung der Kernenergie von seiner Lösung abhängt, kann die Gemeinschaft es nicht ignorieren und im Ergebnis auf die Mitgliedstaaten zurückverweisen, zumindest solange nicht, bis nicht alle Instrumente für eine „gemeinsame“ Lösung geprüft, verworfen oder gescheitert sind. Aus rechtlicher Sicht wäre das geeignetste gemeinsame Instrument ein von der Gemeinschaft zu gründendes gemeinsames Unternehmen,158 das ein oder mehrere geeignete Endlager in der Gemeinschaft einrichten und betreiben könnte, wobei sich die Standortsuche auf das gesamte Anwendungsgebiet des Vertrages im Sinne des Art. 198 EAGV erstrecken könnte.159 Betrachtet man die europäischen und außereuropäischen Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht nur als gemeinsames Versorgungsgebiet im Sinne des Kap. 6, sondern auch als „gemeinsames Entsorgungsgebiet“ unter Kap. 3, so würde dies nicht nur die geologische Suche nach geeigneten Wirtsgesteinen über die jeweils nationalen Grenzen hinaus erweitern, sondern auch die Vorteile bieten, die ein gesamteuropäisches Entsorgungsmanagement, gesamteuropäische „economies of scale“ sowie die Vergünstigungen im Sinne des Vertrages mit sich bringen.160 Auch die technischen Schwierigkeiten einer Rückholbarkeit der Abfälle wären gesamteuropäisch leichter zu bewältigen als n-mal national.161 Weitere Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft ließen sich hinzufügen.162 Ihnen allen ist gemeinsam, dass ihnen im europäischen Rahmen besser und sicherer zu begegnen ist, als gleichsam „atomisiert“ von jedem Mitgliedstaat 158

Art. 45 bis 51 EAGV. Auf EU-Seite Art. 52 EUV und Art. 355 AEUV. 160 Art. 48 i.V.m. Anhang III EAGV. 161 Dies gilt auch und insbesondere für den Objektschutz, zumal Art. 1 lit. d und Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens über den physischen Schutz von Kernmaterial und Kernanlagen auch Anlagen, in denen die „Lagerung oder die endgültige Entsorgung von Kernmaterial stattfindet“, erfassen. 162 Beispielsweise die Fragen der Nukleartransporte, der Nuklearhaftung und -versicherung, des verstärkten Nachbarschutzes und der Rolle der Kernkraft bei der Reduzierung des weltweiten CO2-Ausstoßes. 159

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allein.163 Fukushima hat gelehrt, dass nicht nur die Technik und die Menschen versagen können, sondern auch die „Staaten“. Der EAGV hat dies von Anfang an gewusst, indem er die Mitgliedstaaten zum Schutz der Bevölkerung und der Nachbarstaaten der Disziplin und Kontrolle gemeinsamer Sicherheitssysteme unterwirft. Die Herstellung dieser Sicherheit in einem vergrößerten Europa aber ist und bleibt eine „Daueraufgabe“, so dass nach aller Voraussicht die Europäische Atomgemeinschaft ihre Aufgabe noch auf lange Zeit zu erfüllen haben wird.

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Paradoxerweise wird die Abschaffung des Euratom-Vertrages gerade im Namen jener Interessen gefordert, die er schützt. Die Nutzung der Kernkraft findet mit oder ohne Euratom-Vertrag statt, aber ohne den Vertrag gäbe es keinen gemeinsamen Gesundheitsund Nachbarschutz, keine zusätzliche Kontrollebene, keine Handlungserzwingungsverfahren, keine Vertragsverstoßverfahren und keine sonstigen gemeinsamen Regeln unter einem gemeinsamen Rechtschutzsystem. Fiele der Vertrag und damit die Sperrwirkung des Art. 106a Abs. 3 EAGV, würde die Regelungsmaterie beim jetzigen Stand dem EU-Recht und damit den Unwägbarkeiten des Subsidiaritätsprinzips überantwortet.

Autorenverzeichnis Dr. Jens Beynio ist Rechtsanwalt bei Clifford Chance in Frankfurt. Prof. Dr. Michael Bothe ist Professor emeritus für Öffentliches Recht, insbesondere Völker- und Europarecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Prof. Dr. Kurt Faßbender ist Inhaber der Professur für Öffentliches Recht, insbesondere Umwelt- und Planungsrecht sowie Geschäftsführender Direktor des Instituts für Umwelt- und Planungsrecht an der Universität Leipzig. Prof. Dr. Jürgen Grunwald ist Honorarprofessor der Universität des Saarlandes sowie Direktor a.D. im Juristischen Dienst der Europäischen Kommission in Brüssel. Dr. Stefanie Haumer und Katja Schöberl sind Referentinnen im Team Internationales Recht/Internationale Gremien des Generalsekretariats des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Berlin. Prof. Dr. Kerstin Odendahl ist Inhaberin der Professur für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Völkerrecht, Europarecht und Allgemeine Staatslehre sowie Geschäftsführende Direktorin des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel. Dr. Norbert Pelzer, Akademischer Rat a.D., ehemals Institut für Völkerrecht der Universität Göttingen, ist Lehrbeauftragter an der Universität Dundee, Dozent an der International School for Nuclear Law der Universität Montpellier und Ehrenpräsident der International Nuclear Law Association. Dr. Wolfram Tonhauser ist Leiter der Abteilung für Nuklear- und Vertragsrecht des Office of Legal Affairs in der International Atomic Energy Agency (IAEA).