Internationales Privatrecht zwischen Wertneutralität und Politik [1 ed.] 9783161606748, 9783161606755, 3161606744

Wer nach den Grundideen des IPR fragt, trifft zwangsläufig auf den Begriff der "Wertneutralität": Die Bestimmu

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Internationales Privatrecht zwischen Wertneutralität und Politik [1 ed.]
 9783161606748, 9783161606755, 3161606744

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
A. Einleitung
I. Untersuchungsgegenstand und Ziele der Arbeit
II. Gang der Darstellung
B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe
I. Wertneutralität im IPR nach dem klassischen Verständnis
1. Das Dogma
2. Kegels Interessen und die neutrale Verweisung
II. Wann ist Kollisionsrecht politisch?
1. Politikbegriffe
a) Politik als gemeinschaftliches Streben nach Glück
b) Politik als Herrschaftsinstrument
c) Politik als Sichtbarmachung
d) Politik als pluralistischer Freiheitsdiskurs
2. Folgen für die Untersuchung
III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR
1. Aufwertung des eigenen Rechts
a) Durch Einhegung fremden Rechts: ordre public
b) Durch Ausdehnung inländischen Rechts: Eingriffsnormen
2. Schutz des schwächeren Vertragspartners
3. Gewährung kollisionsrechtlicher Parteiautonomie
4. Qualifikation
C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts im historischen Kontext
I. Rechtskollisionen in der Antike
1. Die hellenische polis
a) Subjektqualität und Herkunft als zentrale Elemente
b) Effizienzsteigerung durch Gastfreundschaft und Verträge
c) Kolonisation als verstärkender Faktor
d) Fazit: Ambivalenz des griechischen Ansatzes
2. Das Römische Reich
a) Fremdenprätor und „Recht der Völker“
b) Annäherung durch hospitium
c) Verständigung auf Grundlage der bona fides
d) Fazit: Rom zwischen Zentralismus und Öffnung
3. Insgesamt: Recht für Kollisionen, aber kein Kollisionsrecht
II. Personale und territoriale Kollisionen im Früh- und Hochmittelalter
1. System der persönlichen Rechte
2. Ausbildung von lokalen Partikularrechten
3. Fazit: Das frühe und hohe Mittelalter als Übergangsphase
III. Die Statutenlehre des späten Mittelalters
1. Stadtrecht(e) und ius commune
2. Legisten und Kanonisten
a) Grundlegende Überlegungen
b) Sinneswandel in den Glossen
c) Lösungsversuche durch die Kommentatoren
3. Die späteren Schulen
a) Frankreich
b) Niederlande
c) Deutschland
4. Fazit: Globale Abgrenzungen durch regionale Motivationen
IV. Modernes IPR seit dem 19. Jahrhundert
1. Ideenstreit im europäischen Rechtsraum
a) Savigny
aa) Der „Sitz“ des Rechtsverhältnisses
bb) Die Säulen von Savignys IPR
cc) Fazit: Eine Formel zwischen Theorie und Praxis
b) Mancini
aa) Das Nationalitätsprinzip
bb) Der Wunsch als Vater des Gedankens
cc) Fazit: Nationalität, aber kein Nationalismus
2. Angloamerikanische Ansätze
a) Story: Comity of Nations, Rechtsprechung, Sachgebiete
b) Cook, Currie und Ehrenzweig: Im Zweifel lex fori
aa) Cook: Local Law Theory
bb) Currie: Governmental Interest Analysis
cc) Ehrenzweig: Lex fori Approach
dd) Fazit: Der Funktionalität verschrieben
c) Beale, Cavers und Leflar: Savigny am Horizont?
aa) Beale: Vested Rights
bb) Cavers: Principles of Preference
cc) Leflar: Choice-influencing Considerations
dd) Fazit: Kollisionsrecht als Kompromiss
3. Die Kodifizierung des IPR in Deutschland
a) Die Arbeiten der Vorkommission
b) Die erste Kommission: IPR als Politikum
aa) Zweifel von „oben“
bb) Gebhards Entwürfe: IPR mit Zukunft
c) Die zweite Kommission: Zwischen hehren Zielen und altem Denken
d) Fazit: Machtkalkül und Gesellschaftspolitik anstelle von unparteiischer Verweisung
4. Die beiden großen EGBGB-Reformen
a) 1986
aa) Statusverhältnisse und das Staatsangehörigkeitsprinzip
bb) Grundton: Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit und Respekt gegenüber dem fremden Recht
cc) Selten: Lex fori-Präferenz und materiellrechtliche Motive
dd) Fazit: In der Moderne angekommen
b) 1999
aa) Kollisionsrecht klarer Strukturen
bb) Gerechtigkeit und Komplexität
cc) Deutsche Rechtsinstitute als Maßstab
dd) Fazit: Bestehendes verschriftlicht, Risiken gescheut
5. Die Europäisierung des IPR
a) Ein IPR des Binnenmarkts
b) Freizügigkeit, Heimwärtsstreben und Aufenthalt
c) Gesellschaftsbilder als rechtliche Herausforderung
d) Vorbehalte im IPR: Ein Wertefundament für Europa?
aa) Ordre public
bb) Eingriffsnormen
e) Schwächerenschutz
f) Diskriminierungsschutz und Fernwirkung der Grundfreiheiten
aa) Verdeckte Mechanismen im Sekundärrecht
bb) Primärrecht statt IPR: Das Anerkennungsprinzip
g) Rechtswahl in Europa: Wirklich „frei“?
h) IPR ohne renvoi?
i) Fazit: Internationales Privatrecht zur Lösung vornehmlich kontinentaler Probleme
V. Zusammenfassung: Das wertneutrale IPR gleichrangiger Rechtsordnungen in der Historie des Rechtsgebiets
D. Beispielhafte Entwicklungen des 21. Jahrhunderts
I. Art. 10 Rom III-VO
1. Rechtsnatur von Art. 10 Var. 2 Rom III-VO
a) Abstrakte Abwehr
b) Spezielle ordre public-Klausel
c) Stellungnahme
2. Art. 10 Rom III-VO im Gefüge des klassischen IPR
II. Art. 13 EGBGB
1. Meinungsstand
a) Abs. 3 – Minderjährigenehen
b) Abs. 4 (Entwurf) – Mehrehen
2. Art. 13 EGBGB im Gefüge des klassischen IPR
III. Menschenrechtsschutz im IPR
1. Hintergrund
a) Tatsächliche Relevanz im IPR
b) Problem: Konkretisierung
aa) Berücksichtigungsfähige Garantien
bb) Schutzdimension versus Haftungsgrund
2. Lösungsvorschläge
a) Ordre public
b) Konzepte aktiver Geltungserstreckung
aa) Menschenrechte als zwingendes Recht: Eingriffsnormen
bb) Opferbezogener Schwächerenschutz: Sonderanknüpfungen
3. Menschenrechtsschutz im Gefüge des klassischen IPR
IV. Zusammenfassung: Abweisung statt Verweisung
E. Bewertung der erlangten Erkenntnisse
Literaturverzeichnis
Sachregister

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 472 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann

Cedric Hornung

Internationales Privatrecht zwischen Wertneutralität und Politik

Mohr Siebeck

Cedric Hornung, geboren 1994; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Münster; 2018 Erstes Juristisches Staatsexamen; seit 2018 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsphilosophie und Internationales Privatrecht der Universität Münster; 2021 Promotion; derzeit Referendariat in Münster. orcid.org/0000-0003-4556-075X

D 6. Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2021. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Studienstiftung ius vivum. ISBN 978-3-16-160674-8 / eISBN 978-3-16-160675-5 DOI 10.1628/978-3-16-160675-5 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werk­ druckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Für meinen Opa Georg und meinen Opa Walter

Vorwort Diese Doktorarbeit wurde im September 2020 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der WWU Münster als Inauguraldissertation angenommen und für die Veröffentlichung bis Ende März 2021 aktualisiert. Daran, dass ihre Entstehung gelungen ist und ich auf diesen Lebensabschnitt nun voller Freude und positiver Erinnerung zurückblicken darf, haben viele Menschen großen Anteil. Ihnen möchte ich im Folgenden meinen Dank ausdrücken. Der erste Dank gebührt selbstverständlich meinem Doktorvater Prof. Dr. Stefan Arnold, LL.M. (Cambridge), der wegweisende Impulse für die Themenwahl gesetzt, für mich als Ansprech- und Diskussionspartner eine wichtige Rolle gespielt und stets eine angenehme Lehrstuhlatmosphäre geschaffen hat. Prof. Dr. Bettina Heiderhoff danke ich herzlich für die Erstellung des Zweitgutachtens und interessante Denkanstöße zu meinem Thema. Für die Ehre, in der Schriftenreihe „Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht“ publizieren zu dürfen, danke ich den Direktoren des Max-Planck-Instituts. Für den großzügigen Druckkostenzuschuss bin ich außerdem der Studienstiftung ius vivum zu Dank verpflichtet. Dass ich mit der Promotionszeit nahezu ausschließlich schöne Momente verbinde, ist in weiten Teilen auf gemeinsame Treffen, Erlebnisse und Gespräche mit meinem großartigen Freundeskreis zurückzuführen. Hervorheben möchte ich an dieser Stelle Markus, Janes, Loni, Jana, Mirja und Alex – ich hoffe, euch alle auch noch in Jahrzehnten an meiner Seite wissen zu dürfen! Julius, Janna, ich freue mich sehr auf weitere Mittagessen mit euch im Referendariat. Steeven, mon frère, j’apprécie énormément notre solidarité mutuelle et l’intérêt que nous portons à nos cultures différentes. Vive l’amitié haitiano-allemande! Freundschaften durfte ich zu meinem großen Glück auch am Lehrstuhl finden – insbesondere meine Mit-WiMis Sarah Graubner, Thorben Eick und Nils Buchholz haben mit ihrer Warmherzigkeit, ihrem Humor und ihrer Loyalität dafür gesorgt, dass ich jeden Tag gerne ins Juridicum gegangen bin.

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Vorwort

Darüber hinaus habe ich das Privileg, mit einer Familie gesegnet zu sein, die mich bedingungslos unterstützt. Hier alle ihre Verdienste aufzuzählen, würde den Rahmen eines Vorworts sprengen, aber dennoch möchte ich den wichtigsten Personen wenigstens für ein paar Dinge im Speziellen danken: Hans-Dieter für viele sportliche Aktivitäten, lange Gespräche bei Kaffee und Kuchen und seine Offenheit für Neues. Bine und Martin für gesellige Grillabende, viel Unterstützung bei unserem Umzug und einen steten Vorrat an Mohnkuchen. Oma Willi und Opa Walter für gemeinsame Abende mit leckerem Essen und gutem Wein, herzliche Nachrichten auf verschiedenen Wegen, die vielfältige Hilfe bei der Einrichtung unserer Wohnung und zahlreiche WBT-Besuche. Oma Monika für die emotionale Unterstützung in allen Lebenslagen, das beste Frühstück überhaupt, das Auffinden von Problemlösern für jegliche Herausforderungen in Alltag und Haushalt sowie die ständige Suche nach kleinen und großen Freuden für die Enkel. Pauline und Jonas für unendlich viele witzige Situationen, unvergessliche Urlaube zusammen, das gegenseitige Interesse an den Plänen der anderen, das Fehlen jeglichen Konkurrenzdenkens (außer bei Dr. Know) und eine Ironieebene, wie sie nur Geschwister haben können. Schließlich meiner Frau Isabel für die gemeinsame Hingabe für unsere Beziehung, die nach mehr als elf Jahren noch viele Highlights bereithält, gleichzeitig aber auch den Alltag ungemein verschönert. Nach so langer Zeit als Paar noch jeden Tag unzählige neue Gründe zum Lachen zu finden, können sicher nicht viele Menschen von sich behaupten. Ich freue mich auf jede weitere liebevolle und teils verrückte Überraschung, jeden Spaziergang zum Markt, jeden Urlaub, jedes zu zweit gekochte Gericht, jede Dobble-Niederlage und jeden Plan für die Zukunft. Ibi, danke dass du die guten Momente in meinem und unserem Leben durch deine Anwesenheit noch viel besser machst und mich in den schlechten manchmal auch einfach aushältst! Ich liebe dich. Der größte Dank gebührt aber meinen Eltern, auf deren Liebe ich in jeder Lebensphase zählen konnte und kann. Mama, Papa, ich danke euch für innige Umarmungen, motivierende Worte, gedrückte Daumen, geteilte Freude, Trost bei schlechter Laune, Anis-Fenchel-Kümmel-Tee gegen Bauchschmerzen, gepellte Apfelsinen, Gute-Nacht-Geschichten, Autofahrten nach Milte, Vor- und Nachmittage in Sporthallen, Sommer in Frankreich, Nachsicht beim Gitarreüben, Gassigänge mit Roxy, singende Geburtstagskarten, Stadion- und Konzertbesuche, Familienabende voller Insider und noch so vieles mehr. Danke, dass ihr mir nie das Gefühl gegeben habt, irgendetwas tun zu müssen, aber mich bei allem unterstützt habt, was ich tun wollte! Leider konnte mein Opa Georg die Anfertigung dieser Arbeit nicht mehr miterleben. Obwohl er mir seit nunmehr fünf Jahren jeden Tag fehlt, hat er jedoch einen erheblichen Einfluss auf meine persönliche Entwicklung gehabt und er

Vorwort

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wird für mich immer ein Vorbild an Humor, Lebensfreude und Hilfsbereitschaft sein. Ihm möchte ich dieses Werk daher ebenso widmen wie meinem Opa Walter, der kurz vor der Veröffentlichung verstorben ist, mir aber bis zuletzt mit unglaublichem Enthusiasmus, wertvollen Anmerkungen und einem rührenden Stolz zur Seite stand. Ihr fehlt mir. Münster, im April 2021

Cedric Hornung

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Untersuchungsgegenstand und Ziele der Arbeit . . . . . . . . . 6 II. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe . . . . . . . 10 I. Wertneutralität im IPR nach dem klassischen Verständnis . . . 10 II. Wann ist Kollisionsrecht politisch? . . . . . . . . . . . . . . . 17 III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR . . . . . . . . . 37 C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts im historischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Rechtskollisionen in der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 II. Personale und territoriale Kollisionen im Frühund Hochmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 III. Die Statutenlehre des späten Mittelalters . . . . . . . . . . . . 99 IV. Modernes IPR seit dem 19.  Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . 120 V. Zusammenfassung: Das wertneutrale IPR gleichrangiger Rechtsordnungen in der Historie des Rechtsgebiets . . . . . . . 249 D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts . . . . . . . . . 251 I. Art.  10 Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 II. Art.  13 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 III. Menschenrechtsschutz im IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 IV. Zusammenfassung: Abweisung statt Verweisung . . . . . . . . 300

XII

Inhaltsübersicht

E. Bewertung der erlangten Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Untersuchungsgegenstand und Ziele der Arbeit . . . . . . . . . 6 II. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe . . . . . . . 10 I.

Wertneutralität im IPR nach dem klassischen Verständnis . . . 10 1. Das Dogma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2. Kegels Interessen und die neutrale Verweisung . . . . . . . 13 II. Wann ist Kollisionsrecht politisch? . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Politikbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 a) Politik als gemeinschaftliches Streben nach Glück . . . 19 b) Politik als Herrschaftsinstrument . . . . . . . . . . . . . 22 c) Politik als Sichtbarmachung . . . . . . . . . . . . . . . 26 d) Politik als pluralistischer Freiheitsdiskurs . . . . . . . . 29 2. Folgen für die Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR . . . . . . . . . 37 1. Aufwertung des eigenen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Durch Einhegung fremden Rechts: ordre public . . . . . 41 b) Durch Ausdehnung inländischen Rechts: Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Schutz des schwächeren Vertragspartners . . . . . . . . . . 51 3. Gewährung kollisionsrechtlicher Parteiautonomie . . . . . 52 4. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

XIV

Inhaltsverzeichnis

C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts im historischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I.

Rechtskollisionen in der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1. Die hellenische polis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 a) Subjektqualität und Herkunft als zentrale Elemente . . . 64 b) Effizienzsteigerung durch Gastfreundschaft und Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 c) Kolonisation als verstärkender Faktor . . . . . . . . . . 71 d) Fazit: Ambivalenz des griechischen Ansatzes . . . . . . 73 2. Das Römische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Fremdenprätor und „Recht der Völker“ . . . . . . . . . 77 b) Annäherung durch hospitium . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Verständigung auf Grundlage der bona fides . . . . . . . 83 d) Fazit: Rom zwischen Zentralismus und Öffnung . . . . . 85 3. Insgesamt: Recht für Kollisionen, aber kein Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Personale und territoriale Kollisionen im Früh- und Hochmittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. System der persönlichen Rechte . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Ausbildung von lokalen Partikularrechten . . . . . . . . . 92 3. Fazit: Das frühe und hohe Mittelalter als Übergangsphase . 95 III. Die Statutenlehre des späten Mittelalters . . . . . . . . . . . . 99 1. Stadtrecht(e) und ius commune . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Legisten und Kanonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Grundlegende Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Sinneswandel in den Glossen . . . . . . . . . . . . . . . 105 c) Lösungsversuche durch die Kommentatoren . . . . . . . 106 3. Die späteren Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4. Fazit: Globale Abgrenzungen durch regionale Motivationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 IV. Modernes IPR seit dem 19.  Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 120 1. Ideenstreit im europäischen Rechtsraum . . . . . . . . . . 121 a) Savigny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Der „Sitz“ des Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . 121 bb) Die Säulen von Savignys IPR . . . . . . . . . . . . 122 cc) Fazit: Eine Formel zwischen Theorie und Praxis . . 127

Inhaltsverzeichnis

XV

b) Mancini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Das Nationalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Der Wunsch als Vater des Gedankens . . . . . . . . 136 cc) Fazit: Nationalität, aber kein Nationalismus . . . . . 137 2. Angloamerikanische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Story: Comity of Nations, Rechtsprechung, Sachgebiete 141 b) Cook, Currie und Ehrenzweig: Im Zweifel lex fori . . . 144 aa) Cook: Local Law Theory . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Currie: Governmental Interest Analysis . . . . . . . 146 cc) Ehrenzweig: Lex fori Approach . . . . . . . . . . . 149 dd) Fazit: Der Funktionalität verschrieben . . . . . . . . 152 c) Beale, Cavers und Leflar: Savigny am Horizont? . . . . 154 aa) Beale: Vested Rights . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 bb) Cavers: Principles of Preference . . . . . . . . . . . 157 cc) Leflar: Choice-influencing Considerations . . . . . 160 dd) Fazit: Kollisionsrecht als Kompromiss . . . . . . . 163 3. Die Kodifizierung des IPR in Deutschland . . . . . . . . . 164 a) Die Arbeiten der Vorkommission . . . . . . . . . . . . . 165 b) Die erste Kommission: IPR als Politikum . . . . . . . . 166 aa) Zweifel von „oben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Gebhards Entwürfe: IPR mit Zukunft . . . . . . . . 168 c) Die zweite Kommission: Zwischen hehren Zielen und altem Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 d) Fazit: Machtkalkül und Gesellschaftspolitik anstelle von unparteiischer Verweisung . . . . . . . . . . . . . . 175 4. Die beiden großen EGBGB-Reformen . . . . . . . . . . . 178 a) 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 aa) Statusverhältnisse und das Staatsangehörigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 bb) Grundton: Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit und Respekt gegenüber dem fremden Recht . . 183 cc) Selten: Lex fori-Präferenz und materiellrechtliche Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 dd) Fazit: In der Moderne angekommen . . . . . . . . . 191 b) 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Kollisionsrecht klarer Strukturen . . . . . . . . . . 194 bb) Gerechtigkeit und Komplexität . . . . . . . . . . . 196 cc) Deutsche Rechtsinstitute als Maßstab . . . . . . . . 199 dd) Fazit: Bestehendes verschriftlicht, Risiken gescheut . 200

XVI

Inhaltsverzeichnis

5. Die Europäisierung des IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Ein IPR des Binnenmarkts . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Freizügigkeit, Heimwärtsstreben und Aufenthalt . . . . 205 c) Gesellschaftsbilder als rechtliche Herausforderung . . . 207 d) Vorbehalte im IPR: Ein Wertefundament für Europa? . . 211 aa) Ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 bb) Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 e) Schwächerenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 f) Diskriminierungsschutz und Fernwirkung der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Verdeckte Mechanismen im Sekundärrecht . . . . . 227 bb) Primärrecht statt IPR: Das Anerkennungsprinzip . . 230 g) Rechtswahl in Europa: Wirklich „frei“? . . . . . . . . . 236 h) IPR ohne renvoi? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 i) Fazit: Internationales Privatrecht zur Lösung vornehmlich kontinentaler Probleme . . . . . . . . . . . 243 V. Zusammenfassung: Das wertneutrale IPR gleichrangiger Rechtsordnungen in der Historie des Rechtsgebiets . . . . . . 249 D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts . . . . . . . . . 251 I.

Art.  10 Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Rechtsnatur von Art.  10 Var.  2 Rom III-VO . . . . . . . . . 252 a) Abstrakte Abwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 b) Spezielle ordre public-Klausel . . . . . . . . . . . . . . 254 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Art.  10 Rom III-VO im Gefüge des klassischen IPR . . . . 257 II. Art.  13 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Abs.  3 – Minderjährigenehen . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Abs.  4 (Entwurf) – Mehrehen . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Art.  13 EGBGB im Gefüge des klassischen IPR . . . . . . 273 III. Menschenrechtsschutz im IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 a) Tatsächliche Relevanz im IPR . . . . . . . . . . . . . . 280 b) Problem: Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 282 aa) Berücksichtigungsfähige Garantien . . . . . . . . . 282 bb) Schutzdimension versus Haftungsgrund . . . . . . . 284 2. Lösungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 a) Ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

Inhaltsverzeichnis

XVII

b) Konzepte aktiver Geltungserstreckung . . . . . . . . . . 288 aa) Menschenrechte als zwingendes Recht: Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 bb) Opferbezogener Schwächerenschutz: Sonderanknüpfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 3. Menschenrechtsschutz im Gefüge des klassischen IPR . . . 296 IV. Zusammenfassung: Abweisung statt Verweisung . . . . . . . . 300 E. Bewertung der erlangten Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. F. ABl.  EG / EU Abs. AcP AEUV AGBG AGG AJCL Annuaire IDI Art. BayJMBl. Bd. BeckRS BGB BGBl. BGH BöhmsZ BR-Drs. BRJ bspw. BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG bzw. C. I. CCZ CEFL CJICL Clunet COL

anderer Ansicht alte Fassung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft / Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AGB-Gesetz Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz The American Journal of Comparative Law Annuaire de l’Institut de Droit international Artikel Bayerisches Justizministerialblatt Band Beck-Rechtsprechung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Zeitschrift für Internationales Privat- und Strafrecht mit besonderer Berücksichtigung der Rechtshülfe, begr. v. Ferdinand Böhm Bundesratsdrucksachen Bonner Rechtsjournal beispielsweise Bundestagsdrucksachen Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise Codex Iustinianus Corporate Compliance Zeitschrift Kommission für Europäisches Familienrecht Cambridge Journal of International and Comparative Law Journal du droit international, begr. v. Édouard Clunet Conflict of Laws / Choice of Law

XX DB ders. / dies. / dems. DIP DNotZ DÖV DRiZ DSGVO ECLI EG EGBGB EGMR EGV Einl. EMRK endg. ERCL EU EuErbVO EuGH EuGüVO EuPartVO EuR EUV EuZA EuZW EVÜ EWG EWiR EWS f. / ff. FamRB FamRBint FamRZ FF Fn. FPR FS FuR GA GG GPR GRCh grds. GS h.M. HistZ

Abkürzungsverzeichnis Der Betrieb derselbe, dieselbe, demselben Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentarische Vorgänge Deutsche Notar-Zeitschrift Die öffentliche Verwaltung Deutsche Richterzeitung Datenschutzgrundverordnung European Case Law Identifier Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention endgültig European Review of Contract Law Europäische Union Europäische Erbrechtsverordnung Europäischer Gerichtshof Europäische Güterrechtsverordnung Verordnung für das Güterrecht eingetragener Partnerschaften Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Schuldvertragsübereinkommen Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende (eine Folgeseite / mehrere Folgeseiten) Der Familien-Rechts-Berater Der Familien-Rechts-Berater international Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Forum Familienrecht Fußnote Familie – Partnerschaft – Recht Festschrift Familie und Recht Generalanwalt Grundgesetz Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Charta der Grundrechte der Europäischen Union grundsätzlich Gedächtnisschrift herrschende Meinung Historische Zeitschrift

Abkürzungsverzeichnis HKÜ Hrsg. Hs. i.A. i.E. i.R.d. i. S.d. i.Ü. i. V. m. IJVO ILO insb. IPR IPRax IPRG IWRZ IZVR JBl. Jh. Jhb. JORF JPIL Jura JuS JZ KJ KOM KRK LA LG lit. LMK m. w. N. MDR MPI n. F. NJOZ NJW NJW-aktuell NJW-RR Nr. NVwZ NZFam NZG

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Haager Kindesentführungsübereinkommen Herausgeber:in, Herausgeber:innen Halbsatz im Allgemeinen im Ergebnis im Rahmen des / der im Sinne des / der im Übrigen in Verbindung mit Jahresheft der Internationalen Juristenvereinigung Osnabrück International Labour Organization insbesondere Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPR-Gesetz Zeitschrift für internationales Wirtschaftsrecht Internationales Zivilverfahrensrecht Juristische Blätter Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (bis 1892: Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts) Journal officiel de la République française Journal of Private International Law Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Justiz Dokumente der Europäischen Kommission Kinderrechtskonvention Liber amicorum Landgericht Buchstabe (littera) Lindenmaier-Möhring – Kommentierte BGHRechtsprechung mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht Max-Planck-Institut neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift (Mantelteil) Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Familienrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

XXII ÖJZ OLG Phil.-hist. Anzeiger PIL RabelsZ Rec. Rev. crit. dr. int. priv. Revue bourguignonne RG RGZ RIDE RIW RL Rn. Rpfleger Rs. RW S. StAG StAZ StudZR-WissOn Tr. Com. fr. dr. int. priv. TRG u. a. Übers. UN UN-Doc. University of Pennsylvania L. Rev. Online v. v. Chr. v. a. Var. vgl. VO Vol. z. B. ZAR ZdR Zeitschrift für Völkerrecht ZErb ZEuP ZfRV

Abkürzungsverzeichnis Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Anzeiger der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Private International Law Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recueil des Cours Revue critique de droit international privé Revue bourguignonne de l’enseignement supérieur Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revue internationale de droit économique Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnummer(n) Der Deutsche Rechtspfleger Rechtssache Rechtswissenschaft Satz (bei Normen), Seite (bei Quellenangaben) Staatsangehörigkeitsgesetz Das Standesamt Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Heidelberg, Wissenschaft Online Travaux du Comité français de droit international privé Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis unter anderem Übersetzer:in, Übersetzer:innen Vereinte Nationen Document of the United Nations University of Pennsylvania Law Review Online von (bei Adelstiteln), vom (bei Gerichtsentscheidungen) vor Christus vor allem Variante vergleiche Verordnung Volume zum Beispiel Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft Zeitschrift für Völkerrecht und Bundesstaatsrecht Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung

Abkürzungsverzeichnis ZGR ZÖR ZRG-G ZRG-R ZRP ZVglRWiss

XXIII

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft

A.

Einleitung „IPR zwischen Tradition und Innovation“ – es genügt, sich intensiver mit diesem bildhaften Titel des Sammelbandes zur 2. IPR-Nachwuchstagung aus dem Jahre 20191 auseinanderzusetzen, um das zentrale Spannungsfeld des Internationalen Privatrechts zu skizzieren: die Abbildung tatsächlicher und rechtlicher Entwicklungen in einem Rechtsgebiet, das wie kaum ein anderes seinen klassischen Leitmotiven verschrieben scheint. Bereits in der Mitte des 19.  Jahrhunderts hat Friedrich Carl von Savigny für die Frage, welche Ideale das Kollisionsrecht (nicht) verfolgen soll, das theoretische Fundament gelegt: Bestimmt werden müsse der „Sitz“ des Rechtsverhältnisses,2 da er eine „Gegenseitigkeit in der Behandlung“3 unter den einzelnen Staaten ermögliche. In der Literatur wird dieser Weg regelmäßig als „wertneutral“ charakterisiert,4 das Verhältnis der Rechtsordnungen zueinander als „gleichrangig“5. Der Umstand, dass staatliche Inte­ 1 

Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation (2019). Savigny, System VIII, §  360 (S.  108). Näher dazu unten, C.IV.1.a) (S.  121 ff.). 3  Savigny, System VIII, §  248 (S.  26 f.). 4  Siehe beispielhaft Szabados in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 149 (150); Schack in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 41 (51); Weller, IPRax 2011, 429 (430 f.); Weller/ Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 (123); Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 89; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  892; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 236; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 51; Trüten, IPR in der EU, 16; Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 308; Neuhaus, Grundbegriffe, 42. 5  Grundlegend dazu etwa Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 51 ff.; Zweigert, RabelsZ Bd.  37 (1973), 435 (437); W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (459 f.); Weller in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 133 (137); Junker, IPR, §  5 Rn.  8 f.; Lüttringhaus, IPR der Antidiskriminierung, 6 f. Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (768) erkennen in dieser Prämisse einen „Ausfluss des für das Privatrecht typischen Interessenausgleichs“. In diese Richtung auch Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 74 f. Vgl. ferner Druschke, Familie im Ausländerrecht, 107; Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 160; Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 41; H. Weber, Theorie der Qualifikation, 221; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 101; Vogeler, Freie Rechtswahl, 8; Nussberger, RabelsZ Bd.  80 (2016), 817 (846); Rühl, Statut und Effizienz, 298; Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 325; Büchler, FS Brudermüller, 61 (62); Werner, ZEuP 2019, 803 (815); 2 

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A. Einleitung

ressen dabei zumindest konzeptionell in den Hintergrund rücken, hat darüber hinaus die oft wiederholte Behauptung hervorgebracht, das klassische IPR verschreibe sich einer apolitischen Methodik6 und betreibe „Entpolitisierung“7. Doch kann es überhaupt gelingen, diesen Anforderungen in der Praxis gerecht zu werden? Hat das IPR nicht zu jeder Zeit mannigfaltige Einfallstore für Einflüsse geboten, die es seinen Maximen entsprechend eigentlich ausklammern sollte? Ist es nicht geradezu dazu angehalten, gesellschaftlichen Wandel und politische Meinungen abzubilden? Diese und ähnliche Fragestellungen drängen sich auf, wenn man sich eingehender mit den Dogmen des Kollisionsrechts beschäftigt. Wesentlich erschwert wird ihre Beantwortung nicht zuletzt durch die eigentümliche Natur des IPR: Als Verweisungs- und Rechtsanwendungsrecht8 steht es zwar in engem Zusammenhang zum materiellen Recht,9 dennoch zeichnet es sich auch durch eine „internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit“10 aus, die dem Verweisungskontext Rechnung trägt.11 Auf der einen Seite eröffnet diese Sonderstellung außerhalb des „klassischen“ Privatrechts freilich die Chance, ungewohnte Perspektiven einzunehmen und im Zuge dessen spezielle Forschungsfelder zu betreten.12 Auf der anderen Seite gilt das IPR jedoch

Grifo, NZFam 2021, 202 (206). Für eine nähere Betrachtung dieser Dogmen siehe B.I. (S.  10 ff.) und B.II. (S.  17 ff.). 6 Zu diesem Aspekt etwa Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 38; Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 7; Rühl, Statut und Effizienz, 184 f.; Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, 22 f.; Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 77 ff.; Rauscher, IPR, Rn.  52; Majer, Das römische internationale Privatrecht, 9. Grundsätzlich kritisch zur dieser Charakterisierung des IPR in der heutigen Zeit Coester-Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (2 ff.) und Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (8 f.). 7  Diese Einordnung trifft Joerges, Funktionswandel, 9 f. 8  Zu diesem Begriffsverständnis MüKoBGB/v. Hein, Einl. IPR, Rn.  1. Einführend ferner Boggiano, LA Siehr, 79 (81 f.). Eine reine Umdeklarierung stellt in diesem Zusammenhang die Behauptung von Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 61 dar, das heutige Kollisionsrecht „schafft für jeden internationalen Sachverhalt neues materielles Recht“. Explizit für eine rechtsfortbildende Funktion indes Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 691. 9  Siehe nur Sonnentag, Renvoi, 156 f. und Nojack, Exklusivnormen im IPR, 12. 10  Zurückgehend auf Kegel, FS Lewald, 259 (270 ff.). Überblicksartig dazu etwa Köhler, IPR, Rn.  8 ff. und Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 43 ff. Näher unten, B.I.2. (S.  13 ff.) und B.II.2. (S.  32 ff.). 11 Nach H. Weber, Theorie der Qualifikation, 235 erwächst aus diesem Umstand der „universale und dynamische Charakter des Kollisionsrechts“, der die Bildung allgemeingültiger Lehrsätze verkompliziere. Ähnlich Neuhaus, Grundbegriffe, 46. 12  Ausführlich dazu Vischer, Rec. 1992 I, 9 (21 ff.). Zur Auseinandersetzung mit methodischen Fragen des IPR gerade in der aktuellen Zeit ermuntert etwa Coester-Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (14). Vgl. auch Mansel/v. Hein/Weller, JZ 2016, 855 (856).

A. Einleitung

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aufgrund seiner einzigartigen Wirkungsweise als „Rechtsmaterie eigener Art“13 mit dem unrühmlichen „Etikett einer okkulten Materie“14. Indem die kollisionsrechtliche Prüfung der Subsumtion unter das Sachrecht vorgelagert wird, weist sie schließlich insbesondere einen höheren Grad der Abstraktion auf.15 Metaphorisch als „Atomphysik der Jurisprudenz“16 bewundert und gefürchtet, muss sich das Internationale Privatrecht daher noch heute die Frage gefallen lassen, ob es nicht „zum Problem selbst geworden“ ist.17 Welchen Standpunkt man in diesem Zusammenhang einnimmt, hängt vordergründig davon ab, wie man die Fragen zu Beginn des vorigen Abschnitts beantwortet. Vor allem die dritte, die den Ausschluss politischer Elemente bei der Suche nach dem anwendbaren Recht beanstandet, hat in der wissenschaftlichen Diskussion starken Widerhall gefunden: Nicht wenige Stimmen forderten und fordern insofern eine generelle Neuorientierung des IPR unter Berücksichtigung sozialer, ökonomischer und politischer Perspektiven, um die Bindung des Rechts an die Realität nicht zu verlieren.18 Dem klassischen Kollisionsrecht wird insofern vorgeworfen, mit seiner annähernd naturrechtlichen19 Herangehensweise hemme es den rechtlichen Fortschritt, indem es dem positiv gesetzten Hartwieg, Renvoi im Vertragsrecht, 41. Bernasconi, Qualifikationsprozess, 6. Vgl. auch Flessner, Interessenjurisprudenz, 141 f. 15  Zu diesem Umstand statt vieler Junker, IPR, §  1 Rn.  6; Kropholler, IPR, §  1 II 2; Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 241 f. 16  Zweigert, FS Raape, 35 (35). Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 157 ff. und Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 250 erkennen insofern hohen Bedarf für richterliche Rechtsfortbildung. Vgl. auch Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (473 f.). 17  Garau Sobrino, ZVglRWiss Bd.  117 (2018), 24 (24). Vgl. Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 891. 18  Dafür u. a. Joerges, RabelsZ Bd.  36 (1972), 421 (423 ff.); ders., Funktionswandel, 151 ff.; Wiethölter, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 7 (1967), 133 (162); Rohe, Zu den Geltungsgründen des Deliktsstatuts, 214; Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (468); Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 49 ff. Dazu in Anlehnung an amerikanische Tendenzen Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 16 und Zweigert, RabelsZ Bd.  37 (1973), 435 (444 ff.). Für eine Politisierung i.E. auch Rehbinder, JZ 1973, 151, der allerdings Probleme in der Umsetzung sieht (159). Ähnlich E. Lorenz, Struktur des IPR, 106. Siehr, RabelsZ Bd.  37 (1973), 466 (474 ff.) fordert insbesondere eine Neubewertung des IPR innerhalb der deutschen Normenhierarchie. Überblicksartig zu den Kernforderungen dieser „politischen Schule“ etwa Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 40 f. und Rühl, Statut und Effizienz, 184 ff. Vgl. auch Paffenholz, Die Ausweichklausel des Art.  46 EGBGB, 83 ff. Tendenzen in diese Richtung begegnet beispielsweise Zweigert, FS Raape, 35 (50 f.) kritisch. 19 Vgl. Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 36 f. und Keller-Kemmerer, Die Mimikry des Völkerrechts, 260. Zu Savignys ablehnender Haltung gegenüber dem Naturrecht siehe dagegen Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (366 f.). Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 232 f., 274 ff. erkennt indes durchaus entsprechende Ansätze. In diese Richtung auch Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 124 f. 13  14 

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A. Einleitung

Recht fälschlicherweise eine Aura der Selbstverständlichkeit zuspreche und so eine reflektierte Auseinandersetzung mit den normativen Klassifizierungen verhindere.20 Und es stimmt: Ein Rechtsgebiet, das lebensferne Leitbilder glorifiziert und darüber die tatsächlichen Bedürfnisse von Recht und Gesellschaft außer Acht lässt, hätte ausgedient.21 Weniger Beachtung wurde indes den ersten beiden Fragen nach der tatsächlich erreichten Wertneutralität entgegengebracht.22 Während die politischen Mecha­ nismen des materiellen Privatrechts bereits den Gegenstand ausführlicher Untersuchungen bilden,23 hat eine solche Betrachtung in Bezug auf das Internationale Privatrecht bisher nicht in vergleichbarer Tiefe stattgefunden.24 Kritiker des klassischen Kollisionsrechts laufen daher Gefahr, eine bloße Theorie zu attackieren.25 Wer sich hingegen der Aufgabe widmet, die Ideale von Wertneutralität und Entpolitisierung in ihrer praktischen Umsetzung zu untersuchen,

20  So z. B. mit Blick auf die Haltung des IPR zu Fragen der Globalisierung Muir Watt in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 1 (2 ff.). 21  Basedow in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 1 (2). Eine ähnliche Perspektive nehmen Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. VII) ein. Kritisch zum vagen Begriff der „Universalität“ insofern Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (179 f.); Ruiz AbouNigm in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 196 (207 f.); Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 271 ff. 22  Sturm in: Coing (Hrsg.), Ius commune VIII, 92 (94) m. w. N. bescheinigt den Vertretern wie Deelen, Joerges und Jessurun d’Oliveira insofern jedoch eine Profilierung auf Grundlage „rein destruktiver und damit im Grunde wertloser Kritik“. In eine ähnliche Richtung Flessner, Interessenjurisprudenz, 61 f., der auf den Mangel politischer Willensäußerungen in Bezug auf Rechtsanwendungsinteressen hinweist. Den Vorwurf der völligen „Blindheit“ weist Coester-­ Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (5) zudem zurück. 23  Monografisch ist hier insbesondere Hellgardt, Regulierung und Privatrecht (2016) hervorzuheben, der das IPR nahezu gänzlich ausspart. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht (2012) widmet dem Kollisionsrecht in ihrem umfassenden Werk nur wenige Seiten (542 ff.) und beschränkt sich auf wirtschaftspolitische Belange. Auch W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (465 ff.) und Arnold in: Bydlinski (Hrsg.), Prävention im Privatrecht, 39 ff. konzentrieren sich auf Fragen der Verhaltenssteuerung im materiellen Privatrecht. Näher zu entsprechenden Motivationen insb. im Vertragsrecht ders., Vertrag und Verteilung, 263 ff. 24  Vgl. zu diesem Befund Hartwieg, Tatsachen- und Normarbeit im Rechtsvergleich, 3 und Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 1. Den Mehrwert einer dahingehenden Untersuchung erkannten deshalb schon Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (111) und Rehbinder, JZ 1973, 151 (153 f.). Jüngst dazu noch Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (67 f., 72). 25  Vgl. zu diesem Eindruck Flessner, Interessenjurisprudenz, 1 und Gebauer in: Gebauer/ Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (69).

A. Einleitung

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darf auf methodische Erkenntnisse jenseits festgefahrener Meinungsstreitigkei­ ten hoffen. Daran anschließend bietet diese Vorgehensweise noch einen weiteren Vorteil: Damit es gelingen kann, das Für und Wider einer grundlegenden Umstrukturierung abzuwägen, ist es in meinen Augen unerlässlich, zu erkennen, in welchen Fällen das Internationale Privatrecht den Pfad der Wertneutralität bereits de facto verlässt. Mein Anliegen ist es dementsprechend, die dargestellten Lücken zu füllen. Folgende Thesen möchte ich dazu aufstellen: 1.  Das Internationale Privatrecht ist zu keinem Zeitpunkt seit seiner Entstehung ohne politische Einflüsse ausgekommen. Vielmehr haben Legislative und Judikative seit jeher auf verschiedene Weise machtpolitische Interessen sowie soziale und wirtschaftliche Belange auch auf der Ebene des Kollisionsrechts verfolgt. Die kritischen Stimmen richten sich somit teilweise gegen eine Auffassung von Wertneutralität, die in der Rechtswirklichkeit keine Entsprech­ ung findet.26 2.  Seit Savigny bleibt es aber in der Regel bei punktellen Verstößen gegen die ihm zugeschriebenen Dogmen, wobei insbesondere die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen nicht substantiell infrage gestellt wird. Eine Ausnahme bilden die Art.  7–31 des EGBGB von 1896, die das IPR um Jahrzehnte zurückwarfen und auf beispiellose Interventionen durch die Exekutive zurückzuführen waren. 3.  Im Zuge der Europäisierung des Kollisionsrechts verschiebt sich die Perspektive hingegen kontinuierlich in Richtung unionaler Interessen, woraus eine Abwehrhaltung gegenüber drittstaatlichem Recht resultiert. 4.  Die traditionellen Korrekturinstrumente des Kollisionsrechts27 bieten ausreichend Spielraum, um gesellschaftliche und politische Entwicklungen bereits auf der Ebene des IPR in angemessenem Maße zu berücksichtigen.28 Es besteht daher keine Notwendigkeit dafür, die Technik der Verweisung in ihrem Kern anzutasten. Im Gegenteil sind Legislative und Judikative gerade im Rahmen der vorgesehenen Abweichungen von der Wertneutralität gehalten, deren Anwendung mit der grenzüberschreitenden Perspektive des IPR in Einklang zu bringen. Aktuelle Beispiele aus der Gesetzgebung und der wissenschaftlichen Diskussion belegen, dass das Internationale Privatrecht einer weitergehenden Instrumentalisierung widerstrebt.

Zu dieser Einschätzung gelangte schon Rehbinder, JZ 1973, 151 (154). Die wesentlichen Mechanismen werden unter B.III. (S.  37 ff.) näher begutachtet. 28 Vgl. Heiderhoff in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Migration und IPR, 9 (15 f.). 26  27 

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A. Einleitung

I. Untersuchungsgegenstand und Ziele der Arbeit Diese Doktorarbeit untersucht, auf welche Art und in welcher Intensität Politik und Zeitgeschehen das Kollisionsrecht beeinflusst haben. Es wird beleuchtet, wann das Verweisungsrecht für staatliche Agenden instrumentalisiert wurde oder mittelbar gesellschaftliche Gegebenheiten reflektiert hat. Anstatt die Daseinsberechtigung einzelner dogmatischer Figuren des IPR zu hinterfragen29 oder dem Rechtsgebiet neuartige Kategorisierungen zuzuordnen30, möchte ich analysieren, inwieweit vergangene oder aktuelle Verweisungstechniken infolge politischer, ökonomischer und sozialer Wertungen entstanden sind.31 Für das Anliegen dieser Arbeit ist ein historischer Zugriff hilfreich, in dem es allerdings ausdrücklich nicht um eine umfassende „Nacherzählung“ der Evolution des IPR geht, sondern darum, die Anschauungen zu Wertneutralität auf der einen und Politik auf der anderen Seite im geschichtlichen Kontext zu begutachten.32 Im Ausgangspunkt stütze ich mich dabei auf gemeinhin anerkannte Epochengliederungen, um mich nicht mit dem „Ballast nur scheinbarer Kontro­versen“ zu belasten.33 Obschon die Wertneutralität als ausformuliertes Idealbild erst in einem vergleichweise späten Stadium der geschichtlichen Entwicklung auftaucht, lassen sich Aussagen dahingehend treffen, ob ähnliche Motive schon zuvor eine Rolle gespielt haben. Sofern sie zur Verfügung stehen, sollen Gesetzesbegründungen Auskunft über konkrete Abwägungen und Intentionen geben;34 wo dies nicht der Fall ist, wird aus den praktischen Konsequenzen der (quasi-)kollisionsrechtlichen Konzepte auf dahinterstehende Beweggründe geschlossen.35 An dieser Stelle möchte ich betonen, dass der Nutzen der Methode sich keineswegs in einem bloßen Vergleich erschöpft; vielmehr verspricht sie auch für die heutige Forschung definitorische Klarheit: Je schwerer es fällt, positiv zu bestimmen, wann bei der Suche nach dem anwendbaren Recht die wertneutrale So etwa die Herangehensweise bei Mäsch, RabelsZ Bd.  61 (1997), 285, der für eine generelle Abschaffung des renvoi plädiert. 30  So bspw. der Ansatz von Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 131 ff., der von einem „Säulenmodell“ ausgeht. Ähnlich Peari, The Foundation of COL, xvii. 31  Einen ähnlichen Ausgangspunkt wählt Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 19 in seiner Untersuchung zur Qualifikation. 32 Vgl. Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 9. 33  Wiethölter, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 7 (1967), 133 (134 f.) mahnt zu Recht: „Gerade der Ballast nur scheinbarer Kontroversen und noch mehr die gelegentlich wie Zauberei anmutende Technik haben bekanntlich das IPR im Urteil vieler Außenstehender diskreditiert“. 34  Insbesondere unter C.IV.3. (S.  164 ff.) und C.IV.4. (S.  178 ff.). 35  Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (155) verneint generell die Existenz von „values“ im vormodernen IPR. 29 

I. Untersuchungsgegenstand und Ziele der Arbeit

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Dimension zulasten einer politischen verlassen wird,36 desto dienlicher kann es sein, zumindest negativ abzugrenzen, wann die Grenzen des klassischen IPR jedenfalls überschritten sind. Zudem sei eine weitere Sache angemerkt: Fritz Schwind hat zu Recht schon zu Beginn seines Lehrbuchs betont, dass „das IPR nur ein Ausschnitt aus dem weit größeren Problemkreis der Koexistenz mehrerer Rechtsordnungen mit potentiellem Geltungsanspruch für die Entscheidung des gleichen Rechtsfalles ist“;37 ein allzu enges Verständnis des Kollisionsrechts verbietet sich somit gerade im Rahmen eines historischen Zugriffs, weshalb auch Vorformen der Verweisung im eigentlichen Sinne in die Untersuchung einbezogen werden. Da ich mir vorgenommen habe, das Kollisionsrecht in seiner funktionalen Gesamtheit zu studieren, wird der Fokus auf Entwicklungslinien gerichtet, die internationalprivatrechtliche Politisierungstendenzen insgesamt vermindert oder intensiviert haben. Einzelfallentscheidungen spielen dabei gegenüber legislativen Vorgaben eine untergeordnete Rolle, bewegen sie sich doch innerhalb eines normativen Handlungsrahmens. Gleichwohl ist Recht immer auch Rechtsanwendung – das gilt für das IPR ebenso wie für das Sachrecht. Wo dies dazu dient, prägende Merkmale einer Epoche beispielhaft zu verdeutlichen oder eigene Thesen zu untermauern, werden deshalb auch Bezüge zur Rechtsprechung hergestellt. Neben diesem Aspekt fordert die Darstellung eine Differenzierung auf der Ebene der Rechtsregime. Dass der römisch-germanische Rechtskreis zu der Frage, in welchem Maße staatliche Interessen die kollisionsrechtliche Verweisung beeinflussen dürfen, eine andere Haltung einnimmt als das Common Law, ist für sich genommen jedoch keine erwähnenswerte Erkenntnis.38 Für eine rechtsvergleichende Gegenüberstellung von Savignys Thesen und Ansätzen aus dem Conflicts Law39 habe ich mich aber insofern entschieden, als daraus Schlüsse für die Bewertungsmaßstäbe der Wertneutralität im kontinentaleuropäischen Rechtskreis gezogen werden können.40 Ziel der Ausarbeitungen ist es, einen Beitrag zur Grundlagenforschung im IPR zu leisten, sie sehen sich also „im Interesse der Selbstvergewisserung des 36 

Vgl. unten, B.I. (S.  10 ff.) und B.II. (S.  17 ff.). Schwind, IPR, Rn.  4. Vgl. auch Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 37 ff. 38  Die historischen Gründe für die Politisierung des Common Law an sich betrachtet etwa Joerges, Funktionswandel, 21 f. 39  Unter C.IV.2. (S.  141 ff.). 40  Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (44 f.) weist treffend darauf hin, dass die Idee der Wertneutralität im kontinentaleuropäischen Rechtskreis nicht zuletzt in Abgrenzung zu Gegenansätzen aus dem amerikanischen IPR geformt wurde. Zu diesem Eindruck auch schon Rehbinder, JZ 1973, 151 (151). 37 

8

A. Einleitung

Faches“41. Ich möchte darlegen, dass eine wertneutrale und apolitische Bestim­ mung des anwendbaren Rechts zu keinem Zeitpunkt der kollisionsrechtlichen Geschichte konsequent umgesetzt wurde. Bevor Savigny seine Idee vom Sitz des Rechtsverhältnisses präsentierte, fehlte es an der Einsicht, die internationalprivatrechtliche von der materiellrechtlichen Gerechtigkeit trennen zu können;42 danach an der unbedingten Bereitschaft, dies zu tun. Im Anschluss an die Lektüre wird die Leserin sich hoffentlich fragen, ob angesichts der zahlreichen Durchbrechungen der Wertneutralität überhaupt von einer Entpolitisierung des IPR gesprochen werden kann. Meines Erachtens muss dies verneint werden.43 Zugleich warne ich davor, daraus automatisch den Schluss zu ziehen, politische Elemente aktiver als bisher in den kollisionsrechtlichen Prozess einbeziehen zu dürfen. Auch wenn er konsequent erscheint, unterschätzt dieser Ansatz meiner Meinung nach sowohl das bestehende Anpassungspotential des klassischen IPR, als auch dessen natürliche Grenzen in dieser Hinsicht: Obschon die Suche nach dem anwendbaren Recht starr und unflexibel wirkt, verfügt sie über nicht zu unterschätzende Mechanismen, die dem Politischen bereits ohne einen funda­ mentalen Wandel in der Methodik Raum geben können.44 An aktuellen Beispielen aus der Gesetzgebung45 und dem wissenschaftlichen Diskurs46 lässt sich demgegenüber ablesen, für welche Zwecke das vorgeschaltete47 Kollisionsrecht sich angesichts seiner Verweisungsfunktion nicht als geeignete Etappe innerhalb der Falllösung erweist. Aufzuzeigen, dass es keines weitergehenden Umbruchs in der Methodik bedarf, ist daher eine weitere zentrale Intention dieser Arbeit.48

II. Gang der Darstellung Nach der Einleitung (A.) werden wesentliche Prinzipien und Grundbegriffe erläutert (B.), zu denen neben der Wertneutralität (I.) insbesondere der Politikbegriff im Kontext des Kollisionsrechts (II.) zu zählen ist. Im Anschluss werden

41  Diese Wortwahl stammt von Wendehorst, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 45 (2012), 33 (33). Vgl. auch Beitzke, FS Smend, 1 (1). 42  Wertneutralität ist daher mit Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (49) ein zutiefst moderner Gedanke des IPR. 43  Vgl. dazu das Fazit unter C.V. (S.  249 f.). 44  Vgl. insbesondere B.III. (S.  37 ff.). 45  Unter D.I. (S.  251 ff.) und D.II. (S.  262 ff.). 46  Unter D.III. (S.  277 ff.). 47  Zu diesem Merkmal des Kollisionsrechts v. Bar/Mankowski, IPR I, 198. 48  Vgl. dazu das Fazit unter D.IV. (S.  300 f.) und die Zusammenfassung unter E. (S.  302 ff.).

II. Gang der Darstellung

9

Instrumente vorgestellt, die bereits als Bestandteile des klassischen IPR mit dem Dogma der Entpolitisierung brechen (III.). Der Schwerpunkt des ersten Hauptteils liegt sodann auf der gesellschaftlichen und politischen Prägung des Internationalen Privatrechts in seiner geschichtlichen Entwicklung49 (C.). Im Zuge dessen untersuche ich, welche Gründe dazu geführt haben, dass das „Prinzip der engsten Verbindung“ nach Savigny50 personale und territoriale Anknüpfungssysteme des vormodernen Kollisionsrechts erst im 19.  Jahrhundert ablösen und sich auch im Nachgang keine vollständige Wertneutralität durchsetzen konnte. Die erlangten Erkenntnisse vertiefe ich in der zweiten Hälfte des Hauptteils (D.) anhand aktueller Beispiele. Zu diesem Zweck wird über Ereignisse der jüngeren unionalen (I.) und nationalen (II.1.a) Gesetzgebung sowie akute Reformvorhaben (II.1.b) und Diskussionen in der Literatur (III.) reflektiert, die in besonderem Maße für eine Politisierung des IPR stehen. Inwiefern moderne Entwicklungen entweder Tendenzen der kollisionsrechtlichen Historie aufnehmen oder gänzlich neue Wege beschreiten, ist als Forschungsfrage insofern von hoher Relevanz: Neuerungen im Internationalen Privatrecht der Gegenwart sollten nicht als isolierte Phänomene verstanden werden; sie sind das vorläufige Resultat einer Auseinandersetzung, die das Verhältnis zwischen der verweisungsrechtlichen Wertneutralität und dynamischen Wertvorstellungen von Staat und Gesellschaft auslotet. Abschließend werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und bewertet (E.). Meine Intention ist, in Anbetracht der ermittelten Einflussfaktoren zu evaluieren, welchen Grad der Wertneutralität das IPR bisher erreicht hat und welche Distanz es zu diesem Dogma einnehmen darf. Ich erhoffe mir davon, dass die Leserinnen anschließend ein größeres Gespür für die Frage zeigen, ob Wertneutralität und „Tradition“ beziehungsweise Politisierung und „Innovation“ zwingend gleichzusetzen sind.

49  Eine übersichtliche Zusammenfassung der geschichtlichen Etappen findet sich etwa bei Rauscher, IPR, Rn.  18 ff. und Siehr, IPR, 411 ff. 50  Obgleich er selbst diese Formulierung nicht nutzte, sondern vom „Sitz des Rechtsverhältnisses“ sprach, stellt sich der Terminus letzten Endes als eine moderne Rezeption von Savignys Lehrsatz dar, siehe dazu Junker, RIW 2000, 241 (243); Weller in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 133 (140); ders., IPRax 2011, 429 (429); Remien in: Leible/ Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 223 (225 f.); Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 107; Rühl, Statut und Effizienz, 182 f. Vgl. ferner Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, 227 Fn.  194; Sonnentag, Renvoi, 150 Fn.  17. Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 17 f. sieht den wesentlichen Unterschied darin, dass das Prinzip der engsten Verbindung letztlich eine größere Differenzierung auf Verweisungsebene ermögliche. Aubart, Dépeçage, 32 spricht von einer „Verfeinerung“. Gamillscheg, RabelsZ Bd.  37 (1973), 808 (810) behauptet indes, diese Methode sei nicht Savignys „Erfindung“.

B.

Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe Ziel der Arbeit ist es, das traditionelle Verständnis1 vom IPR als wertneutrales Verweisungsrecht in tatsächlicher Hinsicht anzuzweifeln und zugleich aufzuzeigen, aus welchen Gründen von dieser Maxime dennoch im Kern nicht abgerückt werden sollte. Dazu muss in einem ersten Schritt analysiert werden, worin dieses traditionelle Verständnis besteht.

I. Wertneutralität im IPR nach dem klassischen Verständnis In der Folge möchte ich daher erläutern, was im IPR nach Savigny, dessen Thesen zu einem späteren Zeitpunkt noch an den vermeintlich eigenen Maßstäben zu messen sein werden2, unter einer wertneutralen Bestimmung des anwendbaren Rechts zu verstehen ist. 1. Das Dogma Wie in der Einleitung bereits angesprochen, soll die Wertneutralität des IPR insbesondere garantieren, dass die Rechtsordnungen, die durch die internationale Dimension eines Falles tangiert werden, eine gleichrangige Position innerhalb 1  Dieses hat sich in methodischer Hinsicht in weiten Teilen der Welt durchgesetzt, siehe nur Weller, IPRax 2011, 429 (429). Dies galt schon wenige Jahrzehnte nach Veröffentlichung von Savignys Thesen, siehe Marcus, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1887, 637 (643). Kreuzer, RW 2010, 143 (146) erkennt gar „eine universale Rechtskultur im IPR“. Seif, RabelsZ Bd.  65 (2001), 492 (511) schreibt insbesondere „Savignys Ideal der Internationalisierung“ fortschreitende Relevanz zu. Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 143 bescheinigt dem klassischen Kollisionsrecht eine hohe „Funktionsfähigkeit“, die den Ansatz auch heute noch vorzugswürdig erscheinen lasse. Einschränkend etwa Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (182 ff.). 2  Unter C.IV.1.a) (S.  121 ff.). Insgesamt kritisch zu der Behauptung, Savigny habe das klassische IPR begründet, unlängst Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (50): „Savigny als Chiffre“.

I. Wertneutralität im IPR nach dem klassischen Verständnis

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der Kollision einnehmen. Die Anknüpfungsentscheidung soll namentlich staatliche Interessen außer Acht lassen, also eine Verweisung abseits politischer Steuerung aussprechen.3 In diesem Sinne verbietet es sich für die nationalen Hoheitsträger, vorrangig das „eigene“ Recht zur Anwendung zu berufen, vielmehr sind sie zu einer Selbstbeschränkung4 verpflichtet: Wann immer in Normsetzung und -anwendung auf das deutsche Recht rekurriert wird, muss dieser Schritt sich als „harmonischer Ausgleich der Rechtsanwendungsinteressen“5 darstellen, denen gegenüber das Kollisionsrecht als „Diener“6 fungiert.7 Der „heimische Imperativ“ darf nicht dazu führen, dass nationale Wertvorstellungen, Wirtschaftsinteressen8 und politische Haltungen auf der Ebene des Verweisungsrechts durch eine Überbetonung der lex fori gefördert werden.9 Es obliegt Legislative und Judikative, ausländische Justiz- und Sozialordnungen gleichberechtigt zu behandeln und diese Prämisse schon in der kollisionsrechtlichen Fragestellung abzubilden – sie lautet, ob Rechtsnormen in einer grenzüberschreitenden Konstellation „herrschen sollen“, nicht, ob sie „herrschen wollen“.10 Behauptungen wie die, hinsichtlich der Qualität der Rechtsordnungen sei die Existenz eines „Nord-Süd-Gefälles“ zu verzeichnen, können in dieser Vorgehensweise keinen Platz finden.11 Für diese Frage ist es aus der Perspektive des klassischen IPR elementar, sich von der sachrechtlichen Günstigkeit des Ergebnisses zu lösen.12 Erst die Überzeugung, dass grundsätzlich jede der potentiell anwendbaren Rechtsordnungen 3 

Vgl. Fn.  4–7 unter A. (S.  1 ff.). Köhler, Eingriffsnormen, 66. H. Hübner, BGB AT, Rn.  57 bezeichnet eine dauerhafte Anknüpfung an die lex fori daher als „Tod des Rechtsverkehrs“. Näher zu dieser Frage Peari, The Foundation of COL, 192 ff. 5 So Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 215, der allerdings bezweifelt, dass es gelingen kann, nationale Egoismen auf diesem Wege zu überwinden. 6  Hartwieg, Renvoi im Vertragsrecht, 42. 7 Nach Köhler, Eingriffsnormen, 6 f. erfordert jede Normanwendung daher eine „kollisionsrechtliche Entscheidung“ für diese nationale Vorschrift. Vgl. auch Flessner, Interessenjurisprudenz, 116 f. 8  Die problematische Abgrenzung der Motive gerade in ökonomischen Fragen zeigt Veelken, Interessenabwägung im Wirtschaftskollisionsrecht, 19 f. auf. Ähnlich Steindorff, Sachnormen, 22. Speziell mit Blick auf Eingriffsnormen auch Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 47 f. und Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 133 ff. 9  In diese Richtung (mit Einschränkungen) aber Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 87. Dass ein Staat überhaupt ein grundlegendes Interesse an einer möglichst umfassenden Anwendung der eingenen Normen hat, bezweifelt Flessner, Interessenjurisprudenz, 9 f. 10  Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (129); siehe auch Hohloch, Deliktsstatut, 249. 11  Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (96 f.). 12 Siehe MüKoBGB/v. Hein, Einl. IPR, Rn.  30; Palandt/Thorn, Einl. v. Art.  3 EGBGB, Rn.  1; Aubart, Dépeçage, 29; Bruinier, Grundfreiheiten, 81 f. Köhler, IPR, Rn.  1 verortet Kollisions- und Sachnorm daher in der Falllösung an gegenüberliegenden Polen. Siehe auch ders., 4 

12

B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

eine gerechte Lösung herbeiführen kann, rechtfertigt ja die Methodik der universalen Verweisung.13 Zugleich orientiert sich das IPR freilich am Sachrecht, indem es zum Beispiel Anknüpfungsgegenstände schafft, die Kategorisierungen aus dem materiellen Normkanon aufnehmen. Infolgedessen sieht es sich der Herausforderung ausgesetzt, adäquat auf Vorgaben aus dem materiellen Recht zu reagieren,14 ohne eine „Entsavignysierung“15 zu betreiben. Da soziale und politische Beweggründe hinter materiellen Regelungen so auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts ausstrahlen können, muss das Kollisionsrecht die Grundbedingungen dieser Interaktion zwangsläufig abstecken.16 Fundierte Aussagen zu den Grenzen der Wertneutralität lassen sich erst dann treffen, wenn die „responsive“17 Natur des Verweisungsrechts in den Blick genommen wird, was in den folgenden Abschnitten geschehen soll. Eine erste Tendenz lässt sich jedoch schon aus der Einsicht ableiten, dass das IPR eigene Gerechtigkeitsvorstellungen verfolgt: Während eine gewisse „Sachrechtsbezo­ genheit“18 auf dieser Basis zulässig erscheint, würde eine strenge „Sachrechtsabhängigkeit“19 die genuinen Abwägungsmaßstäbe des Rechtsgebiets entwerten. Eingriffsnormen, 19. Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 114 f. sieht gerade darin den „rechtsanwendungsrechtlichen Charakter“ des IPR. 13  Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 13. Nach Kreuzer, RW 2010, 143 (145) bescheinigt das IPR den Rechtsordnungen damit „ein Mindestmaß an inhaltlicher Übereinstimmung“. Vgl. auch Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 241. 14 Schon Rehbinder, JZ 1973, 151 (153) erkannte, dass das IPR sich den sozialen und politischen Entwicklungen auf materiellrechtlicher Ebene schwerlich in Gänze entziehen kann. Einführend zu Formen der Wechselwirkung zwischen Sach- und Kollisionsrecht etwa Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 71 ff. Beispiele für diese Methode nennt auch Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 36 ff. Entsprechende Entwicklungen gerade im Wirtschaftskollisionsrecht untersuchen z. B. Joerges, RabelsZ Bd.  43 (1979), 6 (18 ff.) und Kronke in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 757 (758 ff.). Zur ökonomischen Kritik am klassischen IPR siehe Rühl, Statut und Effizienz, 39 ff. 15  Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 209. Vgl. zu der Gratwanderung auch Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 5; Pointner/Wolf, ZEuP 2017, 737 (738); Bernasconi, Qualifikationsprozess, 14. Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (5) lehnt es insgesamt als irreführend ab, heute noch von „Savignys IPR“ zu sprechen. 16  Zu verschiedenen Versuchen der methodischen Einhegung Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 31 ff. Für gängige Methoden der Implementierung materieller Gehalte in das klassische IPR siehe unten, B.III. (S.  37 ff.). 17  Dieses Charakteristikum des IPR unterstreichen etwa Grünberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 81 (98 f.) und Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (149, 174 f.). 18  Mit dieser Wortwahl Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 56. 19  Von dieser spricht Köhler, Eingriffsnormen, 70. Vgl. auch Beitzke, FS Smend, 1 (20).

I. Wertneutralität im IPR nach dem klassischen Verständnis

13

2. Kegels Interessen und die neutrale Verweisung Die Vorstellung, die Zahl der denkbaren Anknüpfungspunkte allein durch eine Betrachtung der grenzüberschreitenden Sachverhaltskonstellation auf die eine „engste Verbindung“ zu reduzieren, mag zwar dem Wunschdenken entsprechen, den realen Anforderungen hält sie dagegen nicht stand.20 Faktisch bleibt das Prinzip der engsten Verbindung „eher Leitgestirn als Wegbeschreibung“21. Auch der Gesetzgeber in einem mutmaßlich neutral konzipierten IPR ist somit auf Abwägungskriterien angewiesen, mithilfe derer er seine Verweisungsentscheidung begründen kann. Um für den kollisionsrechtlichen Kontext eben solche Orientierungspunkte zur Verfügung zu stellen, ordnete Gerhard Kegel vor mehr als einem halben Jahrhundert die Faktoren, die er für berücksichtigungsfähig hielt, zu einem Kanon sogenannter „Interessen“ – sein Ziel: „Der Katalog der Grundsätze ist zu vereinfachen.“22 Wenngleich dieser Ansatz heftig kritisiert worden ist,23 dominiert er die kollisionsrechtliche Lehrliteratur nach wie vor.24 Vor diesem Hintergrund muss die Frage erlaubt sein, ob sich seine Thesen überhaupt mit einem „wertneutralen“ Verweisungsrecht in Einklang bringen lassen, wo doch bereits der Begriff des „Interesses“ dem klassischen IPR Probleme bereitet.25 Auf einer ersten Ebene erkannte Kegel Interessen der Partei, für ihre persönlichen Verhältnisse nach einem Recht beurteilt zu werden, das eine enge Ver-

20 Instruktiv v. Bar/Mankowski, IPR I, 605: „Die engste Verbindung als solche ist eine konkretisierungs- und ausfüllungsbedürftige Leerformel“. Ebenso Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (17), der insofern von einem „Fetisch“ spricht. Kritisch zu dieser Aussage v. Hein, Günstigkeitsprinzip, 24. 21  Remien in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 223 (227). 22  Kegel, FS Lewald, 259 (268). 23  Siehe nur Wiethölter, FS Kegel (1977), 213 (246 ff.); Joerges, Funktionswandel, 17 ff.; Neuhaus, Grundbegriffe, 45 (vgl. aber 160 ff.); Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  59; Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 38 ff.; ders., FS v. Hoffmann, 390 (401); Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 141 ff. Flessner, Interessenjurisprudenz, 45 bescheinigt der von Kegel gewählten Interesseneinteilung einen „Zug zum Abstrakten, Pauschalen, Irrealen, ja Fiktiven“. Zustimmend Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 79. Siehe auch Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 50 ff. 24  Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 49; G. Schulze, LA Jayme, 183 (184). Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 26 bezeichnet die Interessenlehre als „repräsentativ“ für das klassische IPR. Zu Darstellungen in der Lehrbuchliteratur siehe nur Kropholler, IPR, §  5 I; Rauscher, IPR, Rn.  45 ff.; Junker, IPR, §  5 Rn.  23 ff.; v. Hoffmann/Thorn, IPR, §  6 Rn.  28 ff.; Köhler, IPR, Rn.  11 ff. 25  Joerges, Funktionswandel, 153. Vgl. auch Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (167 f.). Für eine Begriffserläuterung siehe Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (178 f.).

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

bindung zum Subjekt aufweise.26 Weiterhin ermittelte er Interessen in Bezug auf den Rechtsverkehr, der erleichtert werde, wenn man auf die Bestandskraft von Rechtspositionen mit eindeutig definierbarem Inhalt vertrauen könne; dem Verweisungsrecht komme die Aufgabe zu, Hürden bei deren Entstehung etwa durch alternative Anknüpfungen zu minimieren und fremde Einwendungen im Sinne der Fortgültigkeit einzudämmen.27 Die dritte Kategorie der Ordnungsinteressen intendiere daneben gleich in doppelter Hinsicht Entscheidungseinklang: Zum einen sei aus „interner“ Perspektive zu vermeiden, dass infolge Normhäufung, -mangels oder -widerspruchs ein inkonsistentes Ergebnis entstehe, sobald Teile des Sachverhalts sich nach unterschiedlichen Rechtsordnungen richteten.28 Zum anderen müsse eine „äußere“ Harmonie angestrebt werden, weil ansonsten das Risiko bestehe, „hinkende“ Rechtsverhältnisse zu erzeugen und den Schutz wohlerworbener Rechte zu konterkarieren.29 Einen hohen Aussagewert besitzen aber vor allem die Aspekte, die Kegel ausdrücklich aus der Abwägung ausnahm: In Abgrenzung zu einigen Vordenkern des kollisionsrechtlichen Gerechtigkeitsgedankens30 widerstrebte es ihm, Folgerungen für die Verweisungsebene aus den Zwecken von Sachnormen zu destillieren. Nur, wenn im materiellen Recht eines der aufgeführten Motive, etwa das Ideal einer funktionierenden internationalen Ordnung, widerscheine, könne es auf die Anknüpfung ausstrahlen.31 Auch der Schutz bestehender Rechtspositionen erfordere eine grenzüberschreitende Sichtweise: Es dürfe nicht darum gehen, die „Durchsetzbarkeit“32 von Rechtsfolgen der lex fori einseitig zu forcieren, stattdessen solle zum Vorteil aller Rechtsordnungen auf ein „Konflikt-

26  Kegel, FS Lewald, 259 (274). Insgesamt rückte er die Interessen der Parteien in weiten Teilen seiner Theorie in den Mittelpunkt, siehe Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 55. 27  Kegel, FS Lewald, 259 (274 ff.). 28  Kegel, FS Lewald, 259 (276 f.). 29  Kegel, FS Lewald, 259 (277). Schinkels, FS v. Hoffmann, 390 (398) kritisiert insofern, es handele sich um ein „Interesse ohne Träger“. Dagegen verteidigt Zweigert, FS Raape, 35 (50) die Entscheidungsharmonie als einziges echtes „Prinzip“ des IPR. Vgl. auch Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (483 ff.). Ausführlich zu diesem Ideal Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 5 ff. und Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 7 ff. 30  Zitiert und kritisiert werden von Kegel, FS Lewald, 259 (266 ff.) ausdrücklich Wengler, Zweigert und Beitzke. Zu den Unterschieden in deren Vorgehensweisen vgl. Otte in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 27 (29). 31  Kegel, FS Lewald, 259 (268 f.). Damit baute er letztlich auf die Erkenntnisse von Franz Kahn auf, siehe Köhler, Eingriffsnormen, 75 f. Dessen Rolle in der Fortentwicklung des IPR nach Savigny hebt Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (9 ff.) in besonderem Maße hervor. 32  Zur Einordnung der „Durchsetzbarkeit“ als Ordnungsinteresse Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 114 ff.

I. Wertneutralität im IPR nach dem klassischen Verständnis

15

minimum“ hingesteuert werden.33 Kegel exkludierte zudem politische Interessen, die er als „Fremdkörper“ im IPR titulierte: Nur im Rahmen des ordre public oder dort, wo nationalen Vorschriften aufgrund ihrer spezifischen – zum Beispiel wirtschaftlichen – Stoßrichtung eine Vorrangstellung gegenüber fremdem Recht eingeräumt werde („Kollisionsnormen des ordre public“), sei auf die „Materiellprivatrechtliche Gerechtigkeit“ und den Faktor „Macht“ Rücksicht zu nehmen.34 Dieser kursorische Überblick über seine Ausführungen zeigt: Kegel war es daran gelegen, mit seiner Interessenanalyse dem Bild eines „wertneutralen“ IPR zu entsprechen. Der „juristische Chauvinismus“ qua Bevorzugung des eigenen Rechts wurde zu diesem Zweck nahezu vollständig aus dem kollisionsrechtlichen Diskurs verbannt und diente lediglich dazu, politische Belange im Ausnahmefall aufzugreifen.35 Indem Kegel auch Einflüsse aus dem materiellen Recht, die nicht zugleich kollisionsrechtliche Bedürfnisse befriedigen, den seltenen Abweichungen zurechnete, vollzog er eine deutliche Trennung der Gerechtigkeitsebenen. Wie diese Trennung zu bewerkstelligen ist, legte er anhand von Beispielen aus dem Handelsrecht dar: Nicht der Zweck der Sachnormen rechtfertige es, inländische Regelungen auf grenzüberschreitende Sachverhalte zu erstrecken oder den Wirkungsbereich fremder Vorschriften zu beschneiden; eine solche Hierarchisierung dürfe nur geschehen, sofern dem internationalen Verkehr auf diese Weise gedient werde.36 Ebenso dürfe der Grundsatz des favor negotii nicht als Stütze materiellrechtlicher Gültigkeitsbedürfnisse des Rechtsgeschäfts missverstanden werden; vielmehr begünstige er zum Vorteil der Verkehrsteilnehme­ rinnen bei komplexen grenzüberschreitenden Interessenkonstellationen die Rechtssicherheit.37 Dass eine ungefilterte Übernahme sachrechtlicher Erwägungen in das Kollisionsrecht den materiellen Zielen sogar entgegenstehen kann, untermauerte Kegel mit Ausführungen zu den Wirkungen eines etwaigen „Patriarchats“: Wo das Sachrecht die Individuen eines Geschlechts begünstige, sichere eine parallele Kegel, FS Lewald, 259 (269). Kegel, FS Lewald, 259 (269 f.). Näher zu dieser langfristigen Entwicklungsfunktion des Instruments Spickhoff, Der ordre public im IPR, 137; Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 134 ff. („Regelbildende Wirkung der Vorbehaltsklausel“); Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 64 f. Vgl. auch unten, B.III.1.a) (S.  41 ff.). 35  Kegel, FS Lewald, 259 (279). Nach G. Schulze, LA Jayme, 183 (185) werden die Interessenträger bei Kegel „universalistisch gedacht“. Zum Begriff des „juristischen Chauvinismus“ als Basis des „Heimwärtsstrebens“ im IPR Neuhaus, Grundbegriffe, 67; Rehbinder, JZ 1973, 151 (156). Ausführlich zur Diskussion, ob dieses in der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit tatsächlich keine Rolle spielen darf, Sonnentag, Renvoi, 141 ff. 36  Kegel, FS Lewald, 259 (268 f.). 37  Kegel, FS Lewald, 259 (271 f., 275). 33  34 

16

B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

Bevorzugung ihres Heimatrechts im IPR diese Privilegierung nicht zwangsläufig ab. Auch das männliche Mitglied einer Rechtsordnung, die weniger einseitig auf seinen Vorteil bedacht ist, müsse sich dann schließlich der inländischen lex causae beugen, obwohl im Rechtsvergleich eine Verweisung auf das fremde Recht seine soziale Vormachtstellung eher absichern würde.38 Die Behauptung, eine internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit existiere aufgrund der Abbildung materieller Zwecke im Kollisionsrecht nicht,39 verkennt insofern einen wesentlichen Punkt: Wenn materiellrechtliche Motive im grenzüberschreitenden Bezug adaptiert werden, handelt es sich nicht um eine ungeprüfte Rezeption – sie können auf die kollisionsrechtliche Ebene „durchschlagen“ und internationale Interessen „implizieren“, sie aber nicht ersetzen.40 Wenngleich in der Interessentheorie politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Einflüssen nicht a priori und umfassend eine Absage erteilt wird, gliedern diese sich in die Suche nach dem Sitz des Rechtsverhältnisses ein41 und beschreiten den Pfad des klassischen IPR.42 In der Intention, „die Savignysche Sitzregel mit Kegel, FS Lewald, 259 (273). Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 450 f., die allerdings immerhin in Fn.  947 auf die verschiedenen „Facetten“ der Gerechtigkeit bei Kegel hinweist. 40  Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (11 f.). Eine überzeugende Darstellung dieser Bezüge bietet Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 85 ff. Zu dieser Wechselbeziehung auch Otte in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 27 (35 f.); Spickhoff, Der ordre public im IPR, 145 f.; Hoffmann, Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts, 337 f.; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 159; Kadner Graziano, Gemeineuropä­ isches IPR, 88. Nojack, Exklusivnormen im IPR, 9 f. nennt Fälle, in denen die Relevanz materieller Interessen insofern überhöht wird. Nach Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 58 ist „zur Wahrung der Unparteilichkeit des IPR […] ein rechtsvergleichendes Studium der Sachrechte geboten“. Hierin erkennt Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 28 ff. eine vermeintliche Inkonsistenz in Kegels Ausführungen. In eine ähnliche Richtung Keßenich, Berücksichtigung statutsfremder Sicherheits- und Verhaltensregeln, 55 f. 41  Das Ziel ist nach Kegel, FS Lewald, 259 (279) „Weiterentwicklung durch Differenzierung“. Zustimmend Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 150. Für eine materiellrechtlich geprägte Abwägung indes z. B. Veelken, Interessenabwägung im Wirtschaftskollisionsrecht, 56 ff. Auch Joerges, RabelsZ Bd.  43 (1979), 6 (13) kritisiert den Ausschluss von „außerjuristischen“ Motiven. Ähnlich Flessner, Interessenjurisprudenz, 84 ff. 42 Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  57; Coester-Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (11); Wendehorst, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 45 (2012), 33 (43); Flessner, Interessenjurisprudenz, 14; Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 138. Nach Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (13) geht die Kritik daher „ins Leere“. Vgl. auch Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 37; Peari, The Foundation of COL, 88 f. Mit seinen Lehren verfestigte und vertiefte Kegel das IPR nach Savigny also, siehe­ G. Kühne, ZVglRWiss Bd.  114 (2015), 355 (360 f.). In diese Richtung auch Joerges, Funktionswandel, 152. Ein substantielles Spannungsverhältnis zwischen der Interessenlehre und dem Prinzip der engsten Verbindung manifestiert dagegen Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 50 f. 38 

39 So

II. Wann ist Kollisionsrecht politisch?

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materiellem Gehalt auszufüllen“43, schaffen Kegels Interessen somit Abwägungsmaßstäbe, die „vorgeordnet“44 der Internationalität der Fallkonstellation Ausdruck verleihen.

II. Wann ist Kollisionsrecht politisch? Wie aufgezeigt bereitet der Versuch, eine trennscharfe Definition für den Begriff der Wertneutralität aufzustellen, erhebliche Schwierigkeiten. Auch in Verbindung mit Kegels Interessen verbleibt es im Wesentlichen bei der Überzeugung, dass die Internationalität des Sachverhalts sich in der Argumentation für die getroffene Anknüpfung wiederfinden sollte.45 Dieser Leitsatz ist freilich weniger gehaltlos und trivial, als er auf den ersten Blick scheinen mag, gibt er doch eine wichtige Weichenstellung vor: Die Aufgabe des IPR besteht nicht primär darin, einer Rechtsordnung die Befugnis zur Falllösung zuzusprechen, sondern darin, zwischen mehreren Rechtsordnungen zu koordinieren.46 Dass durch die Anknüpfung ein bestimmtes nationales Recht berufen wird, ist Resultat der Verweisung, nicht Zweck.47 Die Frage, auf welche Weise die engste Verbindung im Einzelfall bestimmt werden kann, ist damit noch nicht beantwortet; sie wird es vermutlich auch nicht endgültig werden. Denn darin liegt die vielleicht wichtigste Erkenntnis: Auch bei eingehender Beschäftigung mit dem Dogma der Wertneutralität lässt sich keine Anleitung formulieren, die positiv den Weg zur Anknüpfung beschreibt. Legislative und Judikative wird lediglich ein nicht abschließendes „Programm“48 zur Verfügung gestellt, das Abwägungsmaßstäbe vorsieht, zu deren Gewichtung und Ausformung im Einzelfall aber kaum verlässliche Aussagen trifft. 43  So treffend analysiert von Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 110. Vgl. auch Brunier, Grundfreiheiten, 82 f. und Nojack, Exklusivnormen im IPR, 11. Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 37 gesteht allerdings der „oft apodiktischen Identifikation bestimmter Anknüpfungen mit einem dieser Interessen-Typen“ keine große Überzeugungskraft zu. In eine ähnliche Richtung G. Schulze, LA Jayme, 183 (189). 44  So zur kollisionsrechtlichen Gerechtigkeit etwa Köhler, Eingriffsnormen, 69. Diese Unterscheidung treffen auch Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 57 und Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 45 f. 45  Rehbinder, JZ 1973, 151 (155); Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 668 ff. 46  Boggiano, LA Siehr, 79 (83). Vgl. auch Bader, Koordinationsmethoden im IPR, 11; Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (751 f.); G. Schulze, LA Jayme, 183 (195). Kritisch insofern Beitzke, FS Smend, 1 (16) und Flessner, Interessenjurisprudenz, 48 f. 47  Überzeugend Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 90 ff. 48  So in einer Art Selbstreflexion Kegel, FS Lewald, 259 (274, 279). Der Ansatz dient nach Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (11) also als „Richtungsvorgabe“.

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

Für meine Untersuchung folgt aus diesem Eingeständnis eine Akzentverschiebung: Ich werde primär aufzuzeigen versuchen, in welchen Fällen die Wertneutralität der Verweisung zwischen gleichrangigen Rechtsordnungen gerade nicht gewahrt wird. Auch in Ermangelung einer exakten Definition lässt sich darlegen, wann staatlicher Geltungsdrang, ökonomische Interessen oder rein sachrechtliche Motive49 die Verweisung überlagert haben. Eine Begriffsannäherung erfolgt so mithilfe negativer Abgrenzungen – je häufiger Verstöße gegen das Dogma festgestellt werden, desto eher kann es in der Folge gelingen, einen positiven Handlungsrahmen vorzugeben. Daran anschließend habe ich mich nicht umsonst gegen den Titel „Wertneutralität im Internationalen Privatrecht“ und für „Internationales Privatrecht zwischen Wertneutralität und Politik“ entschieden: Die Formulierung ist bewusst gewählt, um das Spannungsverhältnis zu illustrieren, mit dem das Kollisionsrecht stetig umgehen muss. Wo eine eindeutige Definition dazu fehlt, wie das IPR sein soll – „wertneutral“ –, ist von großer Bedeutung, wie es jedenfalls nicht zu sein hat – „politisch“.50 Aus diesem Grund beleuchten die folgenden Abschnitte den Begriff des Politischen im Kontext des Kollisionsrechts. 1. Politikbegriffe Die vergangenen Jahrtausende haben zahlreiche Politikbegriffe hervorgebracht.51 Diese ließen sich auf unterschiedliche Weise kategorisieren, etwa mit einem Fokus auf zentrale Handlungsaufforderungen, präferierte Herrschaftsformen, philosophische Denkfiguren, übergeordnete Großideologien sowie bekannte Repräsentanten oder in Anlehnung an historische Epochen schlicht chronologisch.52 Gemeinsam ist ihnen unabhängig von dieser Einordnung, dass regelmäßig, wenn auch mit divergierender Schwerpunktsetzung, Fragen von „Macht“ und „Gemeinwohl“ in den Mittelpunkt gerückt werden.53 Aus übergeordneter Perspektive umfasst Politik deshalb Handlungen, die unter Zuhilfenahme der zur Verfügung stehenden Instrumente auf eine Ordnung des menschlichen Zusammenlebens abzielen und eine allgemeine Verbindlichkeit bean-

W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (459), der diese Motive als „öffentliche Interessen“ im IPR bezeichnet. 50  Zu dieser Einsicht siehe Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (70). 51  Überblicksartig etwa bei bei T. Meyer, Was ist Politik?, 38; Schaal/Heidenreich, Politische Theorien, 20; v. Alemann/Loss/Vowe, Politik, 12 f. 52  Zu diesen und weiteren Möglichkeiten Pfetsch, Theoretiker der Politik, 20 f. 53  Darin sieht T. Meyer, Was ist Politik?, 39 „verbindende Definitionsmerkmale“. 49 Vgl.

II. Wann ist Kollisionsrecht politisch?

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spruchen.54 In Anlehnung an die englische Fachterminologie hat es sich auch in der deutschen Wissenschaft etabliert, diese verschiedenen Dimensionen als polity für den generellen Ordnungsrahmen, policy für die inhaltliche Ausgestaltung und politics für den Aushandlungsprozess zu bezeichnen.55 Von Interesse für politische Belange im IPR sind vor allem die beiden letztgenannten Formen: Ob eine Verweisung neutral oder politisch agiert, hängt in erster Linie von ihrem inhaltlichen Gehalt ab. Da für ein internationalprivatrechtliches Politikkonzept56 die institutionell-strukturelle Ebene von geringer Bedeutung ist, wird sie nur insofern angesprochen, als soziale Fragen zu Gemeinwesen und Gesellschaftsordnung Änderungen im Verweisungsrecht bedungen haben. Ich habe für die folgende Darstellung Ideen des Politischen gewählt, die sich aufgrund ihrer konzeptuellen Stoßrichtung in besonderem Maße dafür eignen, die Leitmotive des IPR zu präzisieren. Nicht jedes Verständnis des Politischen muss dabei gänzlich oder überhaupt in Widerspruch zur kollisionsrechtlichen Wertneutralität stehen; Entpolitisierung im IPR meint Entpolitisierung in einem speziellen Kontext – der Verweisung. Diese selbst beinhaltet wohlgemerkt eine rechtspolitische, geradezu „diplomatische“57 Grundsatzentschei­ dung:58 fremdem Recht überhaupt einen Geltungsbefehl außerhalb der Landesgrenzen zuzusprechen. a) Politik als gemeinschaftliches Streben nach Glück Mit Aristoteles hat sich einer der wichtigsten Gelehrten der Antike bereits im vierten Jahrhundert v. Chr. eingehend mit dem Wesen der Politik auseinandergesetzt. Deren Hauptmerkmal sah er darin, gemeinschaftlich auf die Potenzierung von Glück hinzuwirken,59 wofür sich das Gesellschaftsmodell des Staates am

diesen Elementen statt aller Bernauer/Jahn/Kuhn/Walter, Einführung in die Politikwissenschaft, 24 ff.; T. Meyer, Was ist Politik?, 37; v. Alemann/Loss/Vowe, Politik, 16. 55  Dazu statt vieler v. Alemann/Loss/Vowe, Politik, 15, 262 und Schwarz/Breier/Nitschke, Grundbegriffe, 151. 56  Ein solch spezifisches Konzept für das IPR wurde so explizit bisher wohl nur bei Mazza-­ Teubner, Wiederkehr der comitas, 20 erörtert. 57  Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 37. 58  Diesen Aspekt besonders betonend v. Hein, Günstigkeitsprinzip, 26; Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 81; Köhler, IPR, Rn.  2. Bernasconi, Qualifikationsprozess, 22 sieht in der Technik der Verweisung das wesentliche „Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen“. Ähnlich Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (175 f.). 59  Aristoteles, Politik, 9 (Buch I). Pointiert ders., Politik, 236 (Buch VII): „Der Staat ist nun eine Gemeinschaft von Ebenbürtigen zum Zwecke eines möglichst guten Lebens“. 54  Zu

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

besten eigne.60 Der Mensch als zoon politikon versuche daher, eine fortschreitende Verbindung aus unterschiedlichen Vorformen wie dem „Haus“ und dem „Dorf“61 zu erreichen, um das Potential zur Gemeinwohlförderung auszuschöpfen.62 Trotz Zunahme sozialer Bindungen dürfe das Augenmerk jedoch nicht auf einer Assimilation der Bürger liegen: Ausgleichende Gerechtigkeit werde vielmehr dadurch erreicht, dass jeder Person ihr persönliches „Gut“ zukomme und die Aussicht auf eine Änderung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse in gewisser Regelmäßigkeit gegeben sei.63 Die Frage, auf welchem Wege und innerhalb welcher Staatsform dies gelingen könne, diskutierte Aristoteles zwar ebenfalls ausschweifend,64 sie ist für den Untersuchungsgegenstand aller­ dings ebenso wenig von Bedeutung wie etwa Fragen der Kindererziehung65. Insgesamt werden in dem achtbändigen Werk zahlreiche Materien erörtert, die nur bei sehr weiter Auslegung noch eine qualifizierte Beziehung zu den zentralen Elementen der Politik im herkömmlichen Sinne aufweisen. Leitlinien für den Umgang mit ausländischen Rechtsordnungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten lassen sich den weitschweifenden Ausführungen aus diesem Grund nur in einer Gesamtschau entnehmen: Fest steht, dass Aristoteles sich dazu entschied, seinen Blick auf das „Innere“ des Staates zu lenken,66 wohingegen sich in seinen politischen Abhandlungen kaum Aussagen zu Außenpolitik und internationalen Beziehungen finden.67 Jedenfalls für das innerstaatliche Leben betonte er aber die Relevanz von Gerechtigkeit und „proportionaler Gleichheit“68; er machte gegenläufiges Staatshandeln sogar für das Scheitern von Verfassungsformen verantwortlich.69 Es würde allerdings zu kurz greifen, versuchte man, diesen Prämissen und dem weitgehenden Schweigen zur Anwendung fremden materiellen Rechts eine diesbezügliche Wertneutralität zu entnehmen. Zwar forderte der 60  Die Glückseligkeit des Individuums bedeute daher auch auf staatlicher Ebene eben dieses positive Gefühl, siehe Aristoteles, Politik, 223 (Buch VII) und 261 (Buch VIII). 61  Aristoteles, Politik, 10 f. (Buch I). 62  Aristoteles, Politik, 12 f. (Buch I). 63  Aristoteles, Politik, 37 ff. (Buch II) und 248 f. (Buch VII). Ein Fehlverständnis dieser Vorgaben monierte ders., Politik, 181 f. (Buch V) und 204 ff. (Buch VI) insbesondere innerhalb von Demokratien. 64  Aristoteles, Politik, 89 ff. (Buch III) sowie 119 ff. (Buch IV). 65 Dazu Aristoteles, Politik, 254 ff. (Buch VII) und 261 ff. (Buch VIII). 66  Dies belegen schon die extensiven Ausführungen zur Frage der Bürgerqualität einzelner Personen oder Gruppen, siehe Aristoteles, Politik, 79 ff. (Buch III), sowie zu den Gründen für innerstaatliche Revolutionen, siehe ders., Politik, 156 ff. (Buch V). 67  Vgl. zu diesem Eindruck nur Pfetsch, Theoretiker der Politik, 76 und Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 20. 68  Aristoteles, Politik, 155 (Buch V). 69  Aristoteles, Politik, 172 (Buch V).

II. Wann ist Kollisionsrecht politisch?

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griechische Philosoph eine Gleichbehandlung der Rechtssubjekte, dabei ging es ihm indes lediglich um Personen, denen gegenüber nach seinem Verständnis nicht bereits naturgemäß ein Über- oder Unterordnungsverhältnis bestand – „Ungleichheit bei Gleichen und Ungleichartigkeit bei Gleichartigen ist gegen die Natur, und nichts, was gegen die Natur ist, ist schön.“70 Was auf den ersten Blick an den aus Art.  3 I GG bekannten Gleichheitssatz erinnert,71 diente bei Aristoteles einer umfassenden Hierarchisierung: Von der These ausgehend, die Gesetzgebung solle sich lediglich auf die „an Herkunft und Fähigkeit Gleichen“ erstrecken,72 zeigte er sich ablehnend gegenüber der Verleihung von Bürgerrechten an „niedere“ Individuen73 ohne territoriale oder personale Bindung zum Staat.74 Dass insbesondere eine Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen seinen poli­ tischen Vorstellungen nicht entsprochen haben dürfte, beweisen zudem die wenigen Stellen, an denen grenzüberschreitende Bezüge doch angesprochen werden: Eine polisübergreifende Organisation abseits bloßer Handels- und Beistandsverträge sah Aristoteles nur solange als sinnvoll an, bis daraus der von ihm skizzierte Staat hervorging.75 Danach entfalle die Notwendigkeit fortschreitender Interaktion: „Der Staat genügt sich selbst“76. Fremde Staaten oder poleis, die nicht innerhalb des künftigen Verfassungsgebildes konzentriert werden sollten, galten überdies bereits zuvor eher als Gefahr für das gemeinschaftliche Wohl.77 Kriegerischen Auseinandersetzungen wurde dennoch eine nur begrenzte Funktion beigemessen: Diese seien nicht anlasslos einzusetzen, um andere Individuen oder Staaten zu unterjochen,78 sondern als zweckge­bun­ 70  Als

Beispiel für eine berechtigterweise prädominierende Stellung führte er die Position des Mannes gegenüber der Frau, des Vaters gegenüber den Kindern und des Herren gegenüber den Sklaven an, siehe Aristoteles, Politik, 228 (Buch VII). 71 Dazu Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 88. 72  Aristoteles, Politik, 105 f. (Buch III). 73  Aristoteles, Politik, 224 (Buch VII) warf gar insgesamt die Frage auf, welches Leben überhaupt wünschenswerter sei – das Leben innerhalb des Staates, oder das des Fremden. 74  Aristoteles, Politik, 65 (Buch II). 75 Siehe Aristoteles, Politik, 95 f. (Buch III). Zur Bedeutung von Sympolitieverträgen als Vorform eines Kollisionsrechts in der griechischen Antike siehe C.I.1.b) (S.  68 ff.). 76  Aristoteles, Politik, 126 (Buch IV). 77  Aristoteles, Politik, 189 (Buch V) sah in der effektiven Verteidigung gegenüber externen Feinden schließlich auch einen entscheidenden Vorteil der Monarchie gegenüber sonstigen Staatsformen in Bezug auf deren Dauerhaftigkeit. Vgl. zudem ders., Politik, 213 f., 218 (Buch VI) hinsichtlich der waffentechnischen Stärke der Staaten und 242 (Buch VII) hinsichtlich der strategisch anzustrebenden Lage des Staates im Gelände. 78  Aristoteles, Politik, 252 (Buch VII). Daher stellte er sich auf den Standpunkt, dass der Staat keine maßlose Ausweitung personaler und territorialer Art anstreben solle, sondern ein angemessenes Verhältnis zu den staatlichen Zielen und Möglichkeiten berücksichtigen müsse, siehe Aristoteles, Politik, 236 ff. (Buch VII).

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

dene Instrumente, mit denen der Glückseligkeit im Staatsgefüge gedient werden könne.79 Aus Sicht des klassischen Kollisionsrechts ermöglicht die Idee der Politik nach Aristoteles wichtige Abgrenzungen: Wenn die Verfolgung staatsinterner Interessen als Wesen des Politischen gekennzeichnet wird, darf sich das IPR diesem Themenfeld im Umkehrschluss gerade nicht unreflektiert widmen. Der Verweisung geht es vorrangig weder darum, das „Glück“ von Angehörigen einer Rechtsordnung einseitig zu fördern, noch darum, den Staat in seinem Bestand zu schützen. Sie verschreibt sich im Gegenteil der Überzeugung, dass der Staat seine eigene Einflusssphäre verringern muss, damit jeder Sachverhalt nach der Rechtsordnung behandelt werden kann, die den konkreten internationalen Kontext am besten abbildet – ein Gedanke, der Aristoteles in seiner Vorstellung des vollkommenen Idealstaates noch fremd war. Im Internationalen Privatrecht herrscht somit ein angepasster Gemeinwohlbegriff vor: Für die Allgemeinheit ist auf dieser Ebene nicht das Recht am nützlichsten, das eine gerechte Verteilung von Gütern schafft oder einen angemessenen Ausgleich von erlittenen Schäden zuspricht. Stattdessen gebührt dem Recht Vorrang, das die grenzüberschreitenden Bezüge des Sachverhalts in sich vereint, indem es die Beziehungen der Rechtssubjekte zueinander ebenso verkörpert wie berechtigte Erwartungen der Umwelt. b) Politik als Herrschaftsinstrument Auch Carl Schmitt legte für seinen Politikbegriff den Fokus auf den Staat als „politische Gemeinschaft“80; in Überspitzung zu Aristoteles strebte er indes einen „totalen“81 Staat an. Diese Totalität nahm dabei nach seinem Verständnis eine doppelte Funktion ein: Zum einen charakterisiert sie die reine Häufigkeit staatlicher Interventionsmöglichkeiten, zum anderen die beabsichtigte „Stärke“ der Machtstrukturen.82 Daher gelangte Schmitt zu dem Schluss, allein durch eine dominante Führerfigur – ähnlich Mussolini in Italien83 –, die in sich die Belange der Gemeinschaft eine und die politische Lage überblicke, sei der Schutz des Aristoteles, Politik, 225 f. (Buch VII). C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 44 ff. verstand diese Gemeinschaft als vorrangig gegenüber sonstigen sozialen Bindungen und lehnte pluralistische Staatsmodelle ohne klare Prävalenz der politischen Ebene daher ab. 81  Grundlegend zu dieser Qualifikation C. Schmitt, Positionen und Begriffe, 146 ff. 82  C. Schmitt, Positionen und Begriffe, 186 f. präferierte daher die „qualitative“ Totalität vor der „quantitativen“, wobei Deutschland als „schwacher“ Staat letztere gewählt habe. Zu den wesentlichen Machtinstrumenten zählte er die Waffen-, Verkehrs- und Nachrichtentechnik, siehe ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, 367 ff. 83 Vgl. C. Schmitt, Positionen und Begriffe, 17 f., 109 ff. 79  80 

II. Wann ist Kollisionsrecht politisch?

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Rechts zu gewährleisten.84 Er erkannte darin einen Entwicklungsschritt gegenüber dem „neutralen“85 Staat, der mit seinen „Entpolitisierungen“86 wiederum eine Reaktion auf den „absoluten Staat des 18.  Jahrhunderts“ darstelle.87 Das Politische dient in seinem Modell der Abgrenzung von „Freund“ und „Feind“ – Antonyme, die er für ebenso unvereinbar hielt wie etwa die Charak­ terisierungen „Gut“ und „Böse“ oder „Schön“ und „Hässlich“.88 Es ging ihm in­sofern ausdrücklich nicht um persönliche Animositäten oder wirtschaftliche Konkurrentensituationen, sondern um eine globalere Perspektive: Mithilfe des Volksbegriffs müsse eine Abgrenzung gegenüber dem „politischen Feind“ erreicht werden,89 damit diesem zur Not mit dem Mittel des Kampfes beigekommen werden könne.90 Folglich lehnte er Ideen einer Völkergemeinschaft mit dem Argument ab, eine solche begründe in ihrer universalen und pazifistischen Stoßrichtung zumindest zum damaligen Zeitpunkt91 eine Utopie, weshalb auch der Völkerbund die Realität nicht angemessen abbilde.92 Trotz, oder gerade wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus93 eignet sich Schmitts Ansatz in besonderer Weise dazu, ihn in Kontrast zu den Prämissen des klassischen Kollisionsrechts zu setzen. So leuchtet unmittelbar ein, dass ein „wertneutrales“ IPR, das die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen als einen seiner Grundpfeiler propagiert, einem politischen Freund-Feind-Denken widerstrebt.94 Freilich beruft auch das Verweisungsrecht ein nationales Recht und Sehr positiv zur Rolle Adolf Hitlers bereits in den Frühzeiten der nationalsozialistischen Diktatur daher C. Schmitt, Positionen und Begriffe, 199 ff. 85  Zum Begriffsverständnis C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 97 ff. 86  Näher ausgeführt in C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 79 ff. 87  C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 24 ff. 88  C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 26 f. 89  C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 28 f. 90  C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 33 ff., 102 ff.; ders., Positionen und Begriffe, 235 ff. [zu der Idee des „totalen Krieges“]. 91  Er selbst betrachtete seinen Staatsbegriff als epochenfixiert und aus historischer Perspektive dynamisch, siehe C. Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 375 ff. 92  C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 54 ff. Kritisch schon im Jahre 1926 ders., Positionen und Begriffe, 43 f. Seine ablehnende Haltung zeigte er auch noch ein knappes halbes Jahrhundert später, wie ein Blick in das Vorwort zur italienischen Ausgabe von 1971 (abgedruckt bei Walter, Synopse, 53) belegt. 93  Für eine inhaltliche und historische Einordnung siehe nur Walter, Synopse, 12 ff. Entlarvend sind insofern die Aussagen von C. Schmitt, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1936, 204 (206 f.) zur Charakterisierung der NS-Rechtsordnung. 94  Theorien wie die von Schmitt tituliert Baldus, FS Winkel, 61 (67) daher auch im Privatrecht als „Bankrotterklärung“. Ähnlich G. Schulze in: Strangas/Chanos/Papacharalambous/ Pyrgakis/Tsapogas (Hrsg.), Kollision, Feindschaft und Recht, 1097 (1097 f.). Vgl. auch Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 11, die im IPR-Kontext auf einer ersten Ebene jedenfalls regulatives Tätigwerden vor dem Hintergrund territorialer Souveränität als „politisch“ bewertet. 84 

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

schließt infolgedessen sonstige Rechtsordnungen aus; dies geschieht allerdings ausschließlich aufgrund der normativ engsten Beziehung zum Sachverhalt. Anders als in einem „totalen“ Staat wird das Verhältnis zwischen dem in- und dem ausländischen Recht nicht als diametral bewertet, eine qualitative Aussage über die sonstigen Rechtsordnungen unterbleibt demnach. Dieser Gegensatz wird in Schmitts eigenen Äußerungen belegt: Ungeachtet seiner ausgesprochenen Bewunderung für Savigny95 teilte er dessen Bezugnahme auf die Gemeinschaft der Nationen im kollisionsrechtlichen Kontext nicht, sondern befürwortete eine dezidiert national ausgerichtete Technik. Seine Behauptung, in den Jahren seit Savignys Ausführungen sei „der Geltungswille des einzelstaatlichen Gesetzes alleiniger Geltungsgrund“ für die internationalprivatrechtliche Methodik geworden,96 zeugt insofern weniger von einem tatsächlichen Umdenken in der Praxis als von seiner Präferenz für eine unilaterale Arbeitsweise.97 Offenbar ging in seinen Vorstellungen ein IPR nationalen Ursprungs denknotwendig mit einer unilateralen Konnotation der Vorschriften einher, was gerade in dieser Allgemeingültigkeit weder dem damaligen normativen, noch dem wissenschaftlichen status quo98 entsprach. Um seine Einstellung zu diesem Rechtsgebiet zu illustrieren, genügt letztlich ein Blick in seine wohl einzige spezifisch kollisionsrechtliche Veröffentlichung: In seiner Begründung für die These, den Nürnberger Gesetzen gebühre gegenüber einem nicht rasseorientierten ausländischen ordre public Vorrang99, ersetzte er schamlos kollisionsrechtliche Dogmatik durch politische Zweckerwägungen und fremdenfeindliche Ressentiments. Beinahe wie ein Pamphlet gegen das klassische Kollisionsrecht wirkt insoweit eine Passage zu seinem „Begriff des Politischen“, in der er die Fremdheit des Feindes als so unüberwindbar und fundamental beschrieb, dass „im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene generelle Normierung, noch durch den Spruch eines ‚unbeteiligten‘ und daher ‚unparteiischen‘ Dritten entschieden werden können“100. Genau eine solche Vermittlerposition wird dem klassischen IPR aber gerade zugeschrieben: Es soll losgelöst von nationalen Erwägungen

C. Schmitt, Die Lage der Europäischen Rechtswissenschaft, 21 ff. C. Schmitt, Die Lage der Europäischen Rechtswissenschaft, 7. 97  Die Frage nach dem Anwendungswillen der Sachnorm prägte vielmehr die damals schon längst überwundene Statutenlehre, siehe unter C.III. (S.  99 ff.). 98  Zu den intensiven Diskussionen um die Ausgestaltung des EGBGB von 1896, das zum Erscheinungszeitpunkt von Schmitts Werken noch in seiner ursprünglichen Form in Kraft war, siehe unter C.IV.3. (S.  164 ff.). 99  C. Schmitt, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1936, 204 (208 ff.). 100  C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 27. 95 Vgl. 96 

II. Wann ist Kollisionsrecht politisch?

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durch eine neutrale Zuordnung zu einer Rechtsordnung Rechtsanwendungskonflikte lösen, ohne echte Konflikte zwischen Staaten entstehen zu lassen.101 Nicht die Erkenntnis, dass auch im materiellen Recht verschiedene und sogar gegensätzliche Ausgestaltungen existieren können, führt also zur Unvereinbarkeit von Schmitts politischem Ansatz mit dem klassischen IPR, sondern seine Folgerungen zum Umgang miteinander. Wie Heterogenität und gegenseitiger Respekt sich in einem antagonistischen Politikbegriff so miteinander vereinbaren lassen, dass dieser in vielerlei Hinsicht den Boden für ein wertneutrales Kollisionsrecht ebnen kann, beweist Chantal Mouffe: In Anlehnung an Schmitt sieht zwar auch sie die Basis des Politischen in Agonismen und Antagonismen.102 Einem liberalen „post-political“-Verständnis gesellschaftlicher Pro­ zesse,103 das – nicht zuletzt in internationalen Fragestellungen104 – die Existenz unterschiedlicher kollektiver Identitäten verneine, dürfe daher nicht gefolgt werden.105 Kosmopolitische Modelle, zu denen sie auch das von Hannah Arendt106 zählte107, behaupteten Konsens und negierten Differenzen,108 obwohl etwa das Aufkommen nationalistischer Tendenzen im vermeintlich geeinten Europa und andere aktuelle Entwicklungen diese Sichtweise widerlegten109. Mouffe fokussiert sich mithin wie Schmitt auf die Unterschiede zwischen politischen Akteuren; ihre Schlussfolgerung weicht jedoch in zwei entscheiden­ den Punkten von seinem Denken ab: Erstens muss die Differenzierung zwischen „we“ und „they“ laut Mouffe nicht zwangsläufig in einer Freund-Feind-Dichotomie münden, von einer absoluten Unvereinbarkeit geht sie somit nicht aus.110 Zweitens spricht sie sich ausdrücklich dafür aus, Pluralismus im sozialen und staatlichen Zusammenleben zuzulassen.111 Werner, ZEuP 2019, 803 (815). In diese Richtung auch Gebauer/Huber in: Gebauer/ Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XVII); Muir Watt, CJICL Vol. 5 (2016), 388 (400); dies., Les méthodes du droit international privé, 219. Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (149) erkennt hierhin das „technische“ Element des IPR. Für eine Diskussion dieses Aspektes in aktuellen Diskussionen um die Rolle des IPR in global governance-Entwicklungen siehe Ruiz Abou-Nigm in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 196 (199 ff.). 102  Mouffe, On the Political, 10 ff. 103  Zu den Grundlagen dieses Ansatzes aus ihrer Sicht siehe Mouffe, On the Political, 35 ff. 104  Mouffe, On the Political, 1 f. 105  Mouffe, On the Political, 28 f. 106  Vgl. unten, B.II.1.d) (S.  29 ff.). 107  Mouffe, On the Political, 9. 108  Mouffe, On the Political, 106. 109  Mouffe, On the Political, 64 ff. 110 Vgl. Mouffe, On the Political, 15 f. 111  Mouffe, On the Political, 19. 101 

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

Die politische Methode, die sie aus diesen Prämissen herleitet, klingt beinahe wie eine Umschreibung des modernen IPR-Verständnisses: Innerhalb einer multipolaren Ordnung müsse ein Multilateralismus angestrebt werden, der ein Gleichgewicht zwischen abgrenzbaren „centres of decision“ wahre.112 Es benötige einvernehmliche Prozesse zwischen den Akteuren, um den „struggle between opposing hegemonic projects“ zu koordinieren.113 In diesem Sinne müsse anerkannt werden, dass die kontinentale Perspektive in wirtschaftlichen und sozialen Fragen nicht die einzige sei, vielmehr gelte es, alternative Lösungswege zu respektieren.114 Mouffe legt ihrer Theorie folglich eine Ebenbürtigkeit verschiedener nationaler Systeme zugrunde, die der internationalprivatrechtlichen Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen ähnelt. Zwar lehnt sie eine „primacy of law over force and the exercise of power“ ab, bringt damit aber insbesondere ihre Skepsis gegenüber transnationalen Institutionen und Vereinheitlichungsbestrebungen zum Ausdruck.115 Nicht zuletzt in der Grenzziehung zum politischen Pluralismus nähert sie sich den IPR-Maximen Savignys an: Da Pluralismus nicht bedeute, fremde Einflüsse ohne jegliche Bewertung zu akzeptieren, bestehe das Recht, Teilnehmer aus der Debatte auszuschließen, sofern sie elementare demokratische Prämissen zu individueller Freiheit und Gleichheit nicht teilten.116 Das setze aber voraus, dass sich ansonsten eine Gefahr für die „permanence of the democratic political association“ oder das „basic liberal democratic framework“ einstelle117 – es scheint fast, als wolle Mouffe die Mechanismen der Eingriffsnormen118 und des ordre public119 erläutern. c) Politik als Sichtbarmachung Zu den wesentlichen Theoretikern, die sich mit Rolle und Inhalt der Politik auseinandergesetzt haben, zählt ferner Jacques Rancière, der mit seinem Werk „La mésentente“ aus dem Jahre 1995 einen gänzlich gegensätzlichen Weg eingeschlagen hat. Seine Abhandlung konzentriert sich auf einen sogenannten „Punkt des Unvernehmens“:120 Bei jeder Kommunikation stelle sich die Frage, ob der Diskussionsgegenstand von allen Gesprächspartnern gleichermaßen wahrgenommen werde, weil dies die situative Voraussetzung für eine Argumen­ Mouffe, On the Political, 115 f. Mouffe, On the Political, 21. 114  Mouffe, On the Political, 123 f. 115 Siehe Mouffe, On the Political, 91 f. 116  Mouffe, On the Political, 120 f. 117  Mouffe, On the Political, 122. 118  Dazu unten, B.III.1.b) (S.  44 ff.). 119  Dazu unten, B.III.1.a) (S.  41 ff.). 120  Rancière, Unvernehmen, 9. 112  113 

II. Wann ist Kollisionsrecht politisch?

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tation bilde.121 Rancière skizziert Situationen, in denen die Auseinan­dersetzung nicht erst an der Nachvollziehbarkeit der vorgebrachten Standpunkte krankt, sondern bereits daran, dass das Fundament für ebendiese Auseinander­setzung nicht von allen Parteien (an)erkannt wird.122 Auf dieser Hierarchisierung basiere das Wirken der „Polizei“ (la police), die unter Ausgrenzung der „Anteillosen“ eine soziale Ordnung etablieren und somit der herrschenden Ungleichheit Vorschub leisten wolle.123 Die Politik (la poli­ tique) verlange demgegenüber in emanzipatorischer Überwindung dieses Zustandes die „Gleichheit zwischen Beliebigen“, denen qua Ebenbürtigkeit eine effektive124 Sprache (logos125) verliehen werde. Erst dort, wo in einem konstitutiven Akt der „Subjektivierung“126 diese beiden Dimensionen aufeinandertreffen und die Möglichkeit entsteht, Gruppen aus dem Griff der „Polizei“ zu lösen und ihnen Gleichheit zuzuerkennen, manifestiert Rancière das „Politische“ (le politique).127 Autoritären Gesellschaftsformen, denen die Unterdrückung ganzer Schichten immanent ist, kommt nach dieser Definition kein politischer Charakter zu.128 Dass in einer hoheitlichen Entscheidung ein Machtverhältnis angesprochen werde, mache sie vor diesem Hintergrund noch nicht „politisch“; vielmehr bedürfe es einer Auslotung des sozialen Status der involvierten Personen,129 wie es etwa bei der Emanzipation von Frauen in westlichen Gesellschaften geschehen sei.130 Als unzureichend geißelt Rancière die im philosophisch-politischen DisRancière, Unvernehmen, 11. Rancière, Unvernehmen, 11 f. grenzt sich insofern ausdrücklich vom Konzept des „Widerstreits“ ab. Die Subjekte geben damit den Inhalt der Politik vor, nicht umgekehrt, vgl. ders., Dissensus, 27 ff. (These 1). 123  Rancière, Unvernehmen, 39 ff.; vgl. auch ders., Dissensus, 36 f. (These 7). 124  Näher zu den Anforderung an das „Vernehmen“ Rancière, Unvernehmen, 55 ff. 125  Diese betrachtet er als die wesentliche Privilegierung des Menschen gegenüber den nur über eine „Stimme“ (phone) verfügenden Tieren, vgl. Rancière, Unvernehmen, 14 f., 33 ff. 126  Rancière, Unvernehmen, 47 ff. 127 Daher Rancière, Unvernehmen, 44: „Nichts ist also an sich politisch. Aber alles kann es werden, wenn es die Begegnung der zwei Logiken stattfinden lässt“. Diese Definition von Politik beschreibt er selbst als „paradox“, siehe ders., Dissensus, 29 f. (These 2). 128 So Rancière, Unvernehmen, 29 zu Systemen, „die von der Ausübung der Majestät, von der Stellvertretung der Gottheit, vom Befehlen der Armeen oder der Verwaltung der Interessen herrühren“. Basis von Politik ist nämlich gerade der „Dissens“, vgl. ders., Dissensus, 35 f. (These 6), 37 ff. (These 8). 129 Pointiert Rancière, Unvernehmen, 52: „Eine politische Subjektivierung ordnet das Erfahrungsfeld neu, das jedem seine Identität mit seinem Anteil gab. Sie löst und stellt die Verhältnisse zwischen den Weisen des Tuns, den Weisen den Seins und den Weisen des Sagens neu zusammen“. 130  Rancière, Unvernehmen, 44 führt als Beispiel den „Haushalt“ an, der erst im Zuge der Diskussion über die Rolle der Frau ein „politischer Ort“ geworden sei. 121  122 

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

kurs regelmäßig vorgebrachten Vorstellungen von Gleichheit, Freiheit und Souveränität, da in ihnen ein bestimmtes Vernehmen der Subjekte bereits mitschwinge,131 wodurch das fundamentale Prozesselement der Politik konterkariert werde.132 Im Gegenteil spricht er sich dafür aus, definitorische „Leerstellen“ als unerlässlich hinzunehmen, um Raum für politische Vorgänge zu lassen – dies zwinge die Gesellschaft dazu, ihre eigene Zusammensetzung neu zu definieren und eine Distanz zu ihren Bestandteilen einzunehmen: „Die Politik hört auf zu sein, wo dieser Abstand keinen Ort mehr hat, wo das Ganze der Gemeinschaft restlos in die Summe seiner Teile aufgeht.“133 Obgleich Rancière anders als zum Beispiel Schmitt keinen staats- oder machtzentrierten Politikbegriff vertritt, müssen auch seine politischen Vorstellungen bei der Suche nach dem anwendbaren Recht ausgeklammert werden – hierarchische Unterschiede in Dialogen aufzubrechen, ist nicht Sache des IPR. Das gilt zunächst in Bezug auf die fremde Rechtsordnung als „Gesprächsteilnehmerin“ im kollisionsrechtlichen Diskurs: Das klassische Kollisionsrecht geht schon a priori von der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen aus, die es in der Verweisung dann zu wahren gehalten ist. Ausländische Normsysteme werden somit als potentielle lex causae wahrgenommen, ohne dass es dafür eines politischen Aktes bedürfe. Im Umkehrschluss wird die Wertneutralität folglich durchbrochen, sobald ein solcher Akt konstitutive Bedeutung für die Anwendung fremden Rechts hat;134 Staatsverträge, die nicht lediglich – wie die EU-Verordnungen – allseitige Anknüpfungen der teilnehmenden Staaten vereinheitlichen, sondern eine generelle Ignoranz gegenüber ausländischem Recht im Einzelfall allein aus Reziprozitätserwägungen aufgeben, fallen in diese Kategorie.135 Da das IPR als Verweisungsrecht ausgestaltet ist und im Prinzip nur die anwendbaren materiellen Normenbestände beruft, verschreibt es sich auch nicht dem Zweck, Personen oder soziale Gruppen dem „Vernehmen“ zuzuführen.136 Stattdessen überlässt es diese Aufgabe den jeweiligen Sachrechtsordnungen, weshalb der zuständige Gesetzgeber erst auf dieser Ebene befugt ist, gemäß Rancière, Unvernehmen, 73 ff.; vgl. auch ders., Dissensus, 40 ff. (These 9). setzt auch die Kritik am Begriff der „konsensuellen Demokratie“ bei Rancière, Unvernehmen, 105 ff. an. Vgl. auch ders., Dissensus, 31 ff. (These 4), 42 ff. (These 10). 133  Rancière, Unvernehmen, 132; vgl. auch ders., Dissensus, 33 ff. (These 5). 134  Ob die „Geltungskraft“ dem ausländischen Recht ipso iure zukommt oder aus dem inländischen Anwendungsbefehl folgt (vgl. Beitzke, FS Smend, 1 [10 ff.] und Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 113 ff.), spielt insofern keine zentrale Rolle, solange die Kollisionsnorm nur die Gleichrangigkeit wahrt. 135  Vgl. schon oben zu Aristoteles, B.II.1.a) (S.  19 ff.). Zu entsprechenden Präferenzen bei der Entstehung des EGBGB von 1896 vgl. unten, C.IV.3.b)aa) (S.  166 ff.). 136  Einführend zu diesem Spannungsfeld Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 308 ff. 131 Ausführlich

132  Daran

II. Wann ist Kollisionsrecht politisch?

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Rancières Theorie „politisch“ zu handeln. Zwar können internationalprivatrechtliche Parteiinteressen137 schon im Zuge der Verweisung dafür streiten, die individuellen Belange einer schutzbedürftigen Person stärker ins Auge zu fassen; dabei reflektieren sie jedoch im Regelfall eine bereits auf materiellrechtlicher Ebene angestoßene Entwicklung.138 In Grenzen eignen sich immerhin Instrumente wie der ordre public und Eingriffsnormen dazu, durch unmittelbare Beeinflussung des Ergebnisses139 auf internationalprivatrechtlichem Wege bis dato „anteillosen“ Rechtssubjekten Gehör zu verleihen: Gewiss stützen sich beide Optionen auf bereits verbindliche Überzeugungen und Rechtsgrundsätze, sodass man an ihrer proaktiven Wirksamkeit zweifeln könnte. Die Wertungen des Ursprungsrechts repräsentieren jedoch ein territorial unter Umständen begrenztes „Vernehmen“; durch ihre Geltung über die nationale Rechtsordnung hinaus können sie daher dazu beitragen, in Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug eine nach Rancières Leitidee „politische“ Funktion in der Rechtspraxis einzunehmen. Dass die angesprochenen Instrumente gerade Ausnahmen in der Verweisungstechnik bilden und sich als solche bewusst vom Dogma der Wertneutralität entfernen, relativiert diesen Eindruck jedoch. Der Rückgriff auf diese Vorbehalte beweist schließlich, wie schwer es dem Rechtsgebiet ansonsten fällt, bestehende Ungleichheiten zwischen Rechtssubjekten zu beseitigen. d) Politik als pluralistischer Freiheitsdiskurs „The raison d’être of politics is freedom, and its field of experience is action“140 – dieser Satz aus einem später als Essay veröffentlichten Vortrag von Hannah Arendt aus dem Jahr 1958 beschreibt zentrale Facetten ihrer Definition von Politik in einem Satz. Als Grundvoraussetzung für politisches Agieren charakterisierte sie die Freiheit, die nicht bereits durch einen persönlichen Akt der Befreiung entstehe, sondern erst durch die Möglichkeit des „Sich-Einbringens“141 in einem öffentlichen142 Raum.143 Die qualitativ höchste Form der vita activa, das „Handeln“, könne sich – anders als die sonstigen Tätigkeiten des

137 

Dazu oben, B.I.2. (S.  13 ff.). Dazu oben, B.III.2. (S.  51 f.). Diesen Umstand bedauert Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 384 f. Fn.  762. 139  Dazu unten, B.III.1. (S.  40 ff.). 140  Arendt, Chicago Review Vol. 14 (1960), 28 (28). 141  In diesem kommunikativen Aspekt weisen ihre Ansätze durchaus Parallelen zu Rancières Betonung der Stimme als notwendige Voraussetzung für politisches Tätigwerden auf, siehe Perica, Achse, 149 ff. 142  Zu den genauen Anforderungen an diesen Arendt, Vita activa, 49 ff. 143  Arendt, Chicago Review Vol. 14 (1960), 28 (29 f.). 138 

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

„Arbeitens“144 und „Herstellens“145, derer auch Tiere bemächtigt seien – erst in der Präsenz von Mitmenschen entfalten.146 Damit widersetzte sie sich damaligen Tendenzen, den Begriff der „Freiheit“ in Abgrenzung zum Totalitarismus zuvorderst als Freisein von Politik zu definieren, im Politischen also gleichsam den Inbegriff von Bevormundung und Macht zu sehen.147 Unter Bezugnahme auf die griechische polis148 wird in ihrer Theorie das aktive Miteinander unter den Bürgern zu einem „space where freedom as virtuosity can appear“149; dem Gemeinwesen kommt mithin eine elementar politische Bedeutung zu. Entgegen dem antiken Vorbild150 lehnte Arendt es aber ab, Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder sonstiger Faktoren zu kategorisieren: Stets müsse das Wollen (I will) vom Können (I can) getrennt werden, weil die Gesellschaft ansonsten Gefahr laufe, die Freiheit zum Handeln an philosophische oder kognitive Elemente zu knüpfen.151 Das „Faktum der Pluralität“ fungiere für die Politik als conditio per quam, deshalb müssten die Menschen in ihrer Vielseitigkeit als gleichberechtigte Individuen und nicht bloß Stellvertreter eines einheitlichen Menschenbildes anerkannt werden.152 Freiheit bedeute ferner Verzicht darauf, andere Individuen oder Gruppen in ihrer Souveränität zu beschneiden, denn die eigene Souveränität beruhe nicht auf der Herabsetzung Dritter.153 Arendt maß der Freiheit als Wesenszug der Politik in besonderer Weise eine Initiativkraft zu154 und qualifizierte die Fähigkeit, gesellschaftliche Prozesse mit dem Potential dauerhafter Veränderung155 in Gang zu setzen, als ihren HauptverArendt, Vita activa, 76 ff., 207 ff. Arendt, Vita activa, 124 ff., 202 ff., 214 ff. 146  Arendt, Vita activa, 27. 147  Arendt, Chicago Review Vol. 14 (1960), 28 (30 ff.). Zu einer von ihr selbst vorgenommenen historischen Betrachtung verschiedener Epochen mit Blick auf das jeweils herrschende Politikverständnis und die Akzentuierung der Elemente des „tätigen Lebens“ siehe dies., Vita activa, 244 ff. Letztlich vollzog sie daher funktional eine Abgrenzung zwischen der „Politik“ und dem „Politischen“, siehe Perica, Achse, 92 ff. 148 Ausführlich zum politischen Leben in diesen Stadt-Staaten Arendt, Vita activa, 29 ff., 189 ff. Vgl. auch unten, C.I.1. (S.  64 ff.). 149  Arendt, Chicago Review Vol. 14 (1960), 28 (34 f.). 150  Detailliert zum römischen und hellenischen Verständnis Arendt, Chicago Review Vol. 14 (1960), 28 (41 ff.). 151  Arendt, Chicago Review Vol. 14 (1960), 28 (36 ff.). 152  Arendt, Vita activa, 14 f., 164 f. 153  Arendt, Chicago Review Vol. 14 (1960), 28 (40 f.) bezog sich in ihrer Kritik explizit auf die oben unter B.II.1.b) (S.  22 ff.) vorgestellten Sichtweisen von Carl Schmitt. 154 Siehe Arendt, Vita activa, 164 ff.: „Enthüllung der Person im Handeln und im Sprechen“. 155  Schaal/Heidenreich, Politische Theorien, 223 bezeichnen diesen Akt der regelmäßigen Neujustierung temporärer sozialer Zustände bei Arendt als „Weltenbildung“. Vgl dazu auch Arendt, Chicago Review Vol. 14 (1960), 28 (45): „For the processes set into motion by action 144 Instruktiv 145 Instruktiv

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dienst.156 Folglich erfuhren statische Modelle, nach denen der Wert der Freiheit sich in der Sicherung der sozialen und ökonomischen Lebenswirklichkeiten erschöpft, harsche Ablehnung.157 Dem „Tauschmarkt“ als Ort des wirtschaftlichen Tätigwerdens sprach sie die politische Natur nach ihrer Klassifizierung ab; ein unverhältnismäßig starker Fokus auf die Produktivitätssicherung für den homo faber müsse von Gesellschaften daher vermieden werden.158 Generell sei es im Interesse der Freiheit untersagt, Politik für Zwecke abseits der pluralistischen Gleichheit zu instrumentalisieren, um etwa machtspezifische Belange zu befriedigen.159 Beschäftigt man sich mit den Grundannahmen von Arendts Politikverständnis und setzt diese in Bezug zur klassischen Theorie des IPR, gelangt man zu einer erstaunlichen Erkenntnis: Das Politische bei ihr weist klare Parallelen zum Dogma der Wertneutralität auf, obgleich die kollisionsrechtliche Methodik ja gerade eine Entpolitisierung der Verweisung intendiert. Vornehmlich die Aussagen der Deutsch-Amerikanerin zur Gleichheit der Menschen und ihr Gebot, der Pluralität nicht mit einer Überbetonung von Souveränitätserwägungen zu begegnen, lassen sich auf die Ebene der Verweisung übertragen: Wo nationale Rechtsordnungen sich durch Unterschiede im materiellen Recht auszeichnen, soll auch das Anknüpfungsergebnis diese Pluralität potentiell abbilden können.160 Aus diesem Grund werden Rechtsordnungen trotz ihrer inhaltlichen Differenzen als gleichwertig angesehen – so, wie es Arendt für die Teilnehmer des politischen Lebens voraussetzt. Ganz im Sinne ihres Freiheitsgedankens basiert das IPR auf der Überzeugung, dass Staaten den Geltungsbereich des inländischen Rechts bereitwillig einschränken, weil daraus positive Effekte für die Rechtssubjekte und die Ordnung des internationalen Verkehrs resultieren.161 Auch der Aus-

also tend to become automatic – which is why no single act and no single event can ever once and for all deliver and save a man, or a nation, or mankind“. 156  Arendt, Chicago Review Vol. 14 (1960), 28 (41 ff.). Näher zu diesem Prozess der „Spontaneität“ Arendt, Vita activa, 225 ff. 157  Arendt, Chicago Review Vol. 14 (1960), 28 (31). Den Schutz eines „privaten Bereichs“, zu dem sie v. a. das Privateigentum zählte, sah sie allerdings als zulässig an, siehe Arendt, Vita activa, 57 ff., 64 ff. 158  Arendt, Vita activa, 145 ff. 159  Arendt, Vita activa, 224 f. 160  Überzeugend zu diesem Aspekt Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 149; G. Schulze, LA Jayme, 183 (206); Flessner, Interessenjurisprudenz, 100; Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 86 f. Vgl. schon Schaeffner, Entwicklung des IPR, §  3 (S.  4). 161  Mills in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 245 (245). Ähnlich Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (174 f.).

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

schluss ökonomischer Motive162 eint Arendts Konzept der Politik und die internationalprivatrechtliche Wertneutralität, die wirtschaftliche Motive freilich als Unterfall politischer Einflüsse ansieht. Schwieriger gestaltet es sich, die Idee vom freien „Handeln“ in Relation zu dem Bild eines wertneutralen Verweisungsrechts zu setzen: Zwar kommt auch das IPR aufgrund seiner dirigierenden Funktion nicht ohne einen Akt der Kommunikation aus, es mangelt ihm jedoch aufgrund seiner Methodik an einer re- oder proaktiven163 Schaffenskraft: Indem das Kollisionsrecht materielle Vorschriften beruft und damit – von Ausnahmen abgesehen164 – lediglich Besteh­ endes zur Anwendung gelangen lässt, entfernt es sich von der Schwelle zum „Handeln“. Diskussionen um die angemessene Anknüpfung müssen diese Dimension der Politik also aussparen; das ist vor dem Hintergrund zu akzeptieren, dass die Distanz zu macht- und marktspezifischen Zielsetzungen im IPR derartige Erwägungen nicht generell verbietet, sondern nur auf eine spätere Ebene verschiebt. In diesem Sinne soll das Kollisionsrecht gesellschaftliche Zustände weder ändern, noch stützen – es soll lediglich ihre rechtliche Behandlung koordinieren, wenn eine internationale Fallkonstellation gegeben ist. Es mag auf den ersten Blick paradox wirken, aber insgesamt bleibt gleichwohl eine starke Überschneidung zwischen den klassischen Dogmen des IPR und dem Politikbegriff nach Arendt zu konstatieren. Dies erklärt sich damit, dass die Gerechtigkeitsvorstellungen der beiden Ansätze in weiten Teilen korrespondieren und nur die Korrelation von Freiheit und Politik verschieden interpretiert wird – wo Arendt von einer „Freiheit durch Politik“ ausgeht, sucht das IPR eine „Freiheit von Politik“. 2. Folgen für die Untersuchung Was lässt sich nun aus den Erörterungen zu den Interessen nach Kegel und den verschiedenen Politikbegriffen für die Untersuchung ableiten? Zunächst muss akzeptiert werden, dass es sich bei der Idee der Wertneutralität nicht um ein starres Konstrukt handelt, durch das einzig eine spezifische Anknüpfung gerechtfertigt werden kann. Bei der Suche nach dem anwendbaren Recht erfolgt vielmehr regelmäßig eine Entscheidung zwischen verschiedenen Anknüpfungsmomenten, die sich jeweils mit dem Konzept der Wertneutralität in 162  Zum daran anknüpfenden Vorwurf, die Trennung des „Öffentlichen“ vom „Privaten“ vernachlässige die „soziale Frage“, siehe nur Perica, Achse, 164 ff. 163  Siehe schon die entsprechenden Erläuterungen bei der Stellungnahme zu Rancières Thesen unter B.II.1.c) (S.  26 ff.). Zur unterschiedlichen Akzentuierung der beiden Ansätze in der Intensität der jeweiligen Einschnitte Perica, Achse, 161 f., 328. 164  Dazu sogleich unter B.III. (S.  37 ff.).

II. Wann ist Kollisionsrecht politisch?

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Einklang bringen lassen165 – nicht umsonst wird für das Personalstatut sowohl eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, als auch eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt166 vertreten. Es bedarf also einer regulativen Entscheidung des Gesetzgebers,167 um aus dem Spektrum der Wertneutralität eine Verweisung zu destillieren. Würde man bereits den Umstand, dass die Legislative ihren Aufgaben innerhalb des Staates nachkommt und ihre Entscheidungen anhand von Gesetzeszwecken begründet,168 als Abkehr vom apolitischen Anspruch des IPR interpretieren, ließe sich ein wertneutrales Verweisungsrecht in einer Demokratie schlechterdings nicht realisieren.169 Das Verweisungsrecht muss also von einem engeren Begriff der Rechtspolitik170 ausgehen, bei dem die gesetzgebende Gewalt die Kollisionsnormen zwar innerhalb des vorgegebenen Verfahrens erlassen kann, sich bei der Anknüpfungsentscheidung aber von bestimmten Motiven zu entfernen hat. Widmen wir uns im Folgenden diesen Motiven: In einem ersten Schritt sollte nicht übersehen werden, wie stark das Dogma der Wertneutralität selbst bereits von bestimmten Motiven geprägt ist; indem es mit der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen einen kosmopolitischen Ansatz wählt, agiert es keineswegs apolitisch oder „wertneutral“.171 Stattdessen basiert es auf einem liberalen Rechts­verständnis, das dem Modell der allseitigen Verweisung als Rechtferti­ gung dient.172 Dieses Rechtsverständnis ist als Element der Wertneutralität hinzuStatt aller Beitzke, FS Smend, 1 (19) und Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 673 f. Siehe ferner Juenger, LA Siehr, 289 (294 f.). 166 Einführend Neuhaus, Grundbegriffe, 202 ff. Vgl. auch unten, C.IV.5.b) (S.  205 ff.). 167  Zu dieser rechtspolitischen Selbstverständlichkeit Köhler, IPR, Rn.  9. Wie stark die in einem Rechtsgebiet vorrangig heranzuziehenden Anknüpfungspunkte jeweils zwischen den nationalen Rechtsordnungen variieren, betonte schon Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (6). 168  In der Wahl des Anknüpfungsmoments besteht nämlich gerade die Hauptaufgabe des Gesetzgebers im IPR, siehe Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 20. Übereinstimmend i.E. Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (425) und Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 110 f. 169  In diese Richtung Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (173). 170  Mankowski, Interessenpolitik, 16. 171  Zu diesem Umstand etwa Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (129) und Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 45 Fn.  234. In der Fragestellung des IPR erkennt auch Neuhaus, Grundbegriffe, 29 „wesentliche rechtspolitische Entscheidungen“. Michaels in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 54 (61): „[…] the idea of a private, apolitical, law, was itself an eminently political one“. Ähnlich Peari, The Foundation of COL, 37 f. und Gebauer in: Gebauer/ Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (46, 70). 172 Nach Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 100 agiert das IPR „aus einer formalen Freiheitsethik“ heraus. Auch Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XVII) und Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 214 f. betonen 165 

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

nehmen, dient es doch als Vorbedingung und Zielvorstellung des IPR. Sich diesen Umstand regelmäßig ins Gedächtnis zu rufen, hilft dabei, den konzeptuellen Wert der Wertneutralität zu schätzen – noch in der Entstehung des EGBGB wurden kosmopolitische Ansätze beispielsweise zugunsten diskriminierender Vorschriften unterdrückt173. In dieser Prämisse liegt schließlich das Wesen des klassischen Kollisionsrechts: Wertneutralität meint insbesondere „Internationalität“ und „Pluralität“.174 Um das „räumlich beste“175 Recht zu ermitteln, muss der Gesetzgeber die grenz­ überschreitende Relevanz der Fallkonstellation wertschätzen, indem er in seiner Abwägung von einer einzelstaatlichen Perspektive in eine Vermittlerposition wechselt.176 Es ist der „Faktor Auslandsbezug“, der dem Kollisionsrecht seine Natur verleiht und deshalb auch in der Verweisung Widerhall finden muss.177 Rechtsordnungen bilden insofern „äquivalente Bewertungssysteme“, als davon ausgegangen wird, dass jede unter ihnen unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung grundsätzlich gleichermaßen in der Lage ist, den Fall einem gerechten Ergebnis zuzuführen.178 diesen Aspekt. Ähnlich Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (150). Vgl. auch die Ausführungen zu Savigny unter C.IV.1.a)cc) (S.  127 ff.). 173  Hartwieg, Tatsachen- und Normarbeit im Rechtsvergleich, 5 ff.; vgl. C.IV.3.b)aa) (S.  166 ff.). 174  Flessner, Interessenjurisprudenz, 49 f. Vgl. auch Steindorff, Sachnormen, 50; Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (73); Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 382 f.; dies., CJICL Vol. 5 (2016), 388 (391 ff.); Michaels in: Ferrari/ Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (160 f.). 175  Zum Begriff etwa v. Bar/Mankowski, IPR I, 546, 707; Nojack, Exklusivnormen im IPR, 9 f.; G. Schulze, LA Jayme, 183 (192 ff.). Zur Kritik an diesem Begriff siehe m. w. N. Baetge, Gewöhnlicher Aufenthalt, 77. Inwieweit dieser Gedanke zu Friktionen zwischen Rechtsordnungen führen kann, zeichnet Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (36 f.) nach. Vor einem allzu lokalen Verständnis in dieser Hinsicht warnt Remien in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 223 (226) mit Blick auf die Staatsangehörigkeitsanknüpfung. 176  Mills in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 245 (246 f.). 177 So Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 130, der die Bedeutung dieser Aussage aber niedriger wertet. Ähnlich Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XVII) und Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (749). Vgl. auch die Ausführungen von Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 133 ff. speziell mit Blick auf die Berücksichtigungsproblematik (Art.  17 Rom II-VO). 178 Nach Rehbinder, JZ 1973, 151 (155) ist der Staat im klassischen IPR „a priori desinteressiert“ an der Geltung der inländischen Normen. In diese Richtung auch Rühl, Statut und Effizienz, 298; Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 177. Mills in: Muir Watt/ Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 245 (246) spricht von „justice pluralism“. Zur Abgrenzung vom „pluralisme politique“ siehe Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 441 ff. Die „Achtung vor dem Fremden“ beschwören

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Von diesem pluralistisch-internationalen Standpunkt lässt sich auch erklären, weshalb einer Materialisierung des IPR im Sinne einer Aufladung mit sachrechtlichen Motiven179 Einhalt geboten werden muss: Sobald ein Gesetzgeber oder ein Spruchkörper im Zuge der Anknüpfung auf Wertungen und Resultate aus dem inländischen Sachrecht rekurriert, betreibt er „Ergebnisselektionismus“180, der einer grenzüberschreitenden Begründbarkeit entbehrt. Aus Sicht des nationalen Rechts erscheint die Verweisung dann folgerichtig, aus einer internationalen Perspektive können allerdings gewichtige Gründe gegen diesen Weg sprechen: Würde ein streng katholischer Staat die Ehe in seinem Sachrecht beispielsweise als „Bindung zweier Personen vor dem Stellvertreter Christi auf Erden“ definieren, läge es aus nationaler Sicht möglicherweise nahe, für die Ehewirkungen im IPR eine Anknüpfung an das Recht am Wirkungsort des Papstes auszusprechen, um den engen Bezug zu seinem Amt abzubilden. Auf diese Weise würde indes ein Recht berufen, zu dem die Ehegatten regelmäßig keine tatsächlichen Bindungen aufweisen. Außerdem liefe die Anknüpfung für Eheformen, die nicht dem religiösen Konzept dieses fiktiven Sachrechts folgen, ins Leere. Dies bedeutet wohlgemerkt nicht, dass das Kollisionsrecht dem Sachrecht gar keine Aufmerksamkeit schenken darf; ganz im Gegenteil decken sich materiellrechtliche und internationalprivatrechtliche Belange häufig.181 Die „objektiv angemessene Lokalisierung“ des anwendbaren Rechts darf nicht als bloßer Formalismus missinterpretiert werden, vielmehr ist die verweisungsrechtlich vorzugswürdige Rechtsordnung jene, die prägenden Elementen wie den gesellschaftlichen Bindungen der involvierten Personen und den wirtschaftlichen Hintergründen eines Geschäfts Beachtung zollt.182 Dennoch entpflichtet dies den IPR-Gesetzgeber nicht von der Aufgabe, zu überwachen, in welchem Maße das Sach- auf das Kollisionsrecht ausstrahlen darf; eine unreflektierte Vermengung von Zielsetzungen in der „Verweisungs-“ und der „Entscheidungskomponente“ verbietet sich.183 Für die Anknüpfung im IPR besteht der entscheidende Schritt darin, sich von konkreten inländischen Wertungen zu lösen und qua Abstraktion Weller, LA Jayme, 53 (58) und Grifo, NZFam 2021, 202 (206). Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 63 fordert ein „großherziges Vertrauen zur ausländischen Gesetzgebung“. 179  Zum Begriffsverständnis Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 5 ff. 180 Vgl. Pointner/Wolf, ZEuP 2017, 737 (738). 181  Kropholler, IPR, §  5 II 1: „Kollisionsrechtliche und materiellrechtliche Werturteile sind zwar nicht identisch, aber sie stehen im allgemeinen im Verhältnis der Analogie oder Parallelität“. Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (46) warnt daher vor einer „Blindheit gegenüber Werten“. Für Beispiele aus dem Deliktsrecht siehe Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 58 f. 182  Rauscher, IPR, Rn.  48 ff.; Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 119 f. 183  En détail zu diesem Gebot v. Bar/Mankowski, IPR I, 196 ff., die auch Kriterien zur Abgrenzung bei doppelfunktionalen Vorschriften an die Hand geben (200 ff.). Zur Umsetzung

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

die internationalen Implikationen der typisierten Fallkonstellation zu ermitteln.184 Daher lautet zum Beispiel die Frage, nach der das Sachenstatut zu bestimmen ist, nicht: „Welche Rechtsordnung muss berufen werden, damit die eigenen Bürgerinnen in bestmöglicher Weise von den Rechten Gebrauch machen können, die ihnen das inländische Recht in Bezug auf Sachen gewährt?“ – sie muss lauten: „Welches Recht verkörpert die wesentliche Beziehung der Person zu der Sache und ist geeignet, im internationalen Verkehr auch den Erwartungen der sonstigen Wirtschaftsteilnehmer gerecht zu werden, ohne dass die Befugnisse des Berechtigten durch den grenzüberschreitenden Bezug wesentlich erschwert werden?“185 Im Einzelfall kann es sich als schwierig erweisen, trennscharf zwischen den unterschiedlichen Einflussfaktoren zu differenzieren, namentlich also festzustellen, ob ein Staat aus sozialen, wirtschaftlichen oder machtpolitischen Motiven auf die Verweisung einwirkt.186 Auf diese Differenzierung kommt es jedoch nicht entscheidend an; solange ein Staat bei der Wahl der Anknüpfungsmomente im IPR eine einseitige Perspektive einnimmt, lässt sich sein Handeln als im internationalprivatrechtlichen Sinne politisch charakterisieren.187 Sein Einfluss kann insofern auf verschiedenen Ebenen hervortreten: Einen substantiellen Bruch mit dem Dogma der Wertneutralität vollzieht eine Kollisionsnorm dann, wenn sie auf eine allseitige Anknüpfung verzichtet und stattdessen für bestimmte Situationen einzig die lex fori beruft oder die Reichweite der Verweisung auf Bürgerinnen eines Staates begrenzt.188 Sofern die Interessenanalyse ergibt, dass die Norm nicht auf „verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken“ beruht, laufen diese „Exklusivnormen“189 dem Pluralitätstopos und damit der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen zuwider. Wird eine Verweisung ausgesprochen, um inländische Rechtsvorstellungen durchzusetzen, agiert das IPR nicht selten als „privatrecht-

dieser Idee in Kegels Interessenlehre schon oben, B.I.2. (S.  13 ff.). Einschränkend dagegen Juenger, LA Siehr, 289 (290 f.). 184  Zu dieser Abgrenzung siehe Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 56 f. Mit Baetge, Gewöhnlicher Aufenthalt, 78 f. geht die Kritik von Flessner, Interessenjurisprudenz, 57 ff. daher ins Leere. 185 Vgl. Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (83). 186  Zu dieser grundlegenden Schwierigkeit auch Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 261. 187 Vgl. Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 2 und Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (376). 188  Zu derartigen Beispielen Neuhaus, Grundbegriffe, 43 f. 189  Sehr treffend dargestellt von Nojack, Exklusivnormen im IPR, 10. Vgl. auch Heiderhoff, Grundstrukturen des Verbrauchervertragsrechts, 355 f.

III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR

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liche Flanke von Außenpolitik“190. Auch Normen, die eine allseitige Verweisung aussprechen und auch ansonsten dem internationalprivatrechtlichen Interessen­ kanon zu entsprechen scheinen, können allerdings in einem Spannungsverhältnis zur Wertneutralität stehen. In diesem Kontext lässt sich die partielle Abkehr von der internationalen Betrachtungsweise darauf zurückführen, dass die Entscheidung für eine Anknüpfung (teilweise) mit einseitigen Vorteilen für das inländische Recht oder die inländische Bevölkerung begründet wird.191 Nicht nur Vertreterinnen der „politischen“ Schule des IPR mögen nun den Kopf schütteln und empört fragen, weshalb eine Verweisung schon deshalb gegen das klassische Kollisionsrecht verstoßen soll, weil im Rahmen der Begründung – nicht aber in der Anknüpfung selbst – unilaterale Motive angeführt werden. Ich bin geneigt, dieser erwartbaren Kritik in Einzelfällen zuzustimmen. Nicht immer verbleibt es aber bei sporadischen Rückfällen in einseitige Erklärungsmuster; vielmehr kann die Idee der Allseitigkeit zunehmend zu einem „autonomistisch-multilateralistischen“192 oder „pseudo-universalistischen“193 Ansatz verkommen, bei dem die liberalen Ideale des wertneutralen Vorgehens über Umwege ausgehebelt oder entwertet werden. Derartige Einschnitte in das klassische Kollisionsrecht sind zweifellos von niedrigerer Intensität als unmittelbare Eingriffe in die Stoßrichtung der Verweisung; aktuelle Entwicklungen im unionalen Rahmen belegen aber, dass solche Akzentverschiebungen den Charakter des IPR durchaus nachhaltig verändern können.194

III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR Obschon das Kollisionsrecht demnach die Pluralität der Normsysteme und die Internationalität der Fallkonstellationen in den Mittelpunkt rücken muss, behauptet es freilich keine Deckungsgleichheit oder Homogenität in Bezug auf die jeweiligen materiellen Regelungen der Rechtsordnungen.195 Dem vielzitierten Mankowski, RIW 2019, 180 (180). Dass es häufig aber an gesetzgeberischen Aussagen in diese Richtung fehlt, betont Flessner, Interessenjurisprudenz, 62 f. 191 Ähnlich Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 82 ff. 192 Dazu Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, 184. 193 Dazu Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 206. 194  Vgl. unten, C.IV.5.i) (S.  243 ff.). Zu diesem Eindruck auch Heymann in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 277 (277). 195  Die Kritik von Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 112 f., Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 142 und Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 149 an einem solchen Begriffsverständnis der „Austauschbarkeit“ trägt daher. Vgl. dagegen Gounalakis/Radke, ZVglRWiss Bd.  98 (1999), 1 (8). 190 

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

„Sprung ins Dunkle“196 durch die Anwendung des ausländischen Rechts, dessen materielle Gehalte grundsätzlich nicht untersucht werden, wohnt somit eine gewisse Gefahr inne. Mit Instrumenten wie dem ordre public, Eingriffsnormen oder Sonderanknüpfungen zum Schwächerenschutz haben sich daher im Laufe der Jahrhunderte Möglichkeiten herausgebildet, um gesellschafts-, wirtschaftsund machtpolitische Intentionen in die Verweisung zu integrieren.197 Es ließe sich anführen, dass diese Mechanismen erst die „Liberalität“ des IPR ermöglichen, indem sie ausnahmsweise eine situative Abkehr von der fremden lex causae aussprechen.198 Ein etwaiges „Gerechtigkeitsdefizit“ wird so durch Kollisions- und Sachrecht, wenngleich auf unterschiedlichen Ebenen, gemein­ sam geschlossen.199 Unabhängig von diesem Hintergrund ist die Frage der Wertneutralität jedenfalls nirgends offenkundiger zu verneinen.200 Zugleich sind die angesprochenen Instrumente als Bestandteile des modernen IPR aber so anerkannt, dass die in ihnen verkörperte Politisierung die Verweisung kaum noch 196  Siehe zu diesem von Raape geprägten Begriff nur Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 60 f.; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 228; Sonnentag, Renvoi, 102; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 148 f. 197  Vgl. nur Junker, IPR, §  4 Rn.  39 ff., §  5 Rn.  36 ff.; Rauscher, IPR, Rn.  66 ff.; Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 33 ff. Weller, LA Jayme, 53 (66) spricht insofern von der „Zwei-Stufen-Theorie des IPR“. Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 132 ff. erkennt eine zweite „Säule“. Ausführlich zu Tendenzen fortschreitender „Materialisierung“ im deutschen Kollisionsrecht schon Siehr, RabelsZ Bd.  37 (1973), 466 (467 ff.). 198  Junker, IPR, §  5 Rn.  39 verneint daher mit Blick auf den ordre public eine Durchbrechung und erklärt diese „Überdruckventile“ (nach v. Bar/Mankowski, IPR I, 714) zur „notwendigen Bedingung“ allseitiger Kollisionsnormen. Laut v. Hein, Günstigkeitsprinzip, 27 fungiert dieses Rechtsinstrument als „Ausdruck dieser Rückkoppelung des Kollisionsrechts an die normativen Grundlagen der Gesamtrechtsordnung“. Ähnlich Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 13; Muir Watt, CJICL Vol. 5 (2016), 388 (400); dies., Les méthodes du droit international privé, 215 ff. Vgl. auch Nojack, Exklusivnormen im IPR, 150 Fn.  742 (zu Eingriffsnormen) und Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 209 f. (zu sozialpolitischen Überlagerungen). 199  Darin sieht Köhler, IPR, Rn.  10 den „inneren Zusammenhang“ zwischen diesen beiden Rechtsgebieten, wobei er als Beispiele die Rechtswahl als Ausdruck der Privatautonomie und Sonderanknüpfungen als Übertragung des Schwächerenschutzes aus dem materiellen Privatrecht anführt. Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 552 spricht von „Systemkonformität“. Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (54 ff.) verdeutlicht diesen Umstand anhand einer begrifflichen Analyse. 200  Zu dem Vorwurf amerikanischer Lehren (näher unten, C.IV.2., S.  141 ff.), diese Instrumente belegten die Korrekturbedürftigkeit des klassischen IPR, siehe Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 39. Vgl. auch Otte in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 27 (27), der einen „ausgeprägten Reparaturbetrieb“ erkennt. Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 21, 206 spricht in Anlehnung an diese Kritik von „Ausweichmöglichkeiten“, Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 70 von einem „Auffanginstrumentarium“.

III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR

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erschüttert.201 Eine umfangreiche Untersuchung dieser Mechanismen verspräche keine wesentlich neuen Erkenntnisse, die sich nicht bereits in den zahlreichen Monografien zu ihnen finden. Ich möchte sie daher im Folgenden nur kurz vorstellen; größere Aufmerksamkeit soll ihnen dort zukommen, wo mit ihrer Hilfe eine zusätzliche Distanz zur Wertneutralität geschaffen wurde. Der Fokus liegt also auf inhaltlichen Ausgestaltungen und methodischen Modifikationen, welche die „politischen“ Instrumente des Kollisionsrechts über ihre traditionellen Maßstäbe hinaus politisiert haben. Gerade Gerichte können in diesem Sinne eine zentrale Rolle einnehmen, verfügen sie doch bei den Korrekturinstrumenten über große Auslegungsspielräume.202 Man könnte in diesem Zusammenhang noch weitere Instrumente anführen, namentlich den renvoi.203 Dabei ist allerdings schon die Frage, ob gerade die Rückverweisung das Prinzip der engsten Verbindung konsequent zu Ende denkt,204 oder vielmehr in unverkennbarer Weise mit diesem bricht,205 nach wie vor höchst umstritten.206 Inwiefern der renvoi angesichts dieser Diskussion überhaupt ein politisches Instrument im IPR bildet, wird deshalb an dieser Stelle Coester-Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (3) bezeichnet diese Mechanismen als die „‚klassischen‘ Einbrüche“. Vgl. auch Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (99); Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 102 ff.; Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 29; Köhler, Eingriffsnormen, 61 f., 205 ff.; Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (19). Wie verbreitet diese Instrumente in nationalen Rechtsordnungen sind, beleuchtet Wilke in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 29 (31 ff.). 202 Schon Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (45) wies auf eine gerichtliche Argumentation auf Basis der Prämisse „Macht geht vor Recht“ hin. 203  So etwa Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 222 f. im Zuge einer Untersuchung anhand ähnlicher Parameter. Einen „élan unilatéraliste“ schreibt ihm jedenfalls in gewissen Ausformungen auch Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 255 ff. zu. 204  Dem liegt der Gedanke zugrunde, materielles Recht und Kollisionsrecht eines Staates formten eine „untrennbare Einheit“, siehe Hartwieg, Renvoi im Vertragsrecht, 47. Vgl. auch M. Stürner, Jahrbuch für Italienisches Recht 26 (2013), 59 (77); Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 681. Kritisch zu dieser Behauptung Flessner, Interessenjurisprudenz, 135. Mit Blick auf die normative Realität fordern v. Hein, Günstigkeitsprinzip, 161 und BeckOK/S. Lorenz, Art.  4 EGBGB, Rn.  12 f., den renvoi trotz der rechtspolitischen Kritik ex lege zu akzeptieren. 205  Dazu dezidiert Mäsch, RabelsZ Bd.  61 (1997), 285 (286 ff.). Nach Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (25) widerspricht die Rückverweisung „der Natur der Gesetzesnormen über internationales Privatrecht“, was sie von der Methode der Qualifikation unterscheide (105). Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 222 erkennt im renvoi vor allem einen Widerspruch zur „Nationalisierung von Savignys Lehre des IPR“. 206  Überblicksartig m. w. N. Beier, Rechte des überlebenden Ehegatten, 159 ff.; Schack in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 41 (46). Zu den Vor- und Nachteilen dieses Instruments i.A. v. Hein in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 341 (344 ff.). Eine vermittelnde Ansicht vertreten etwa Sonnentag, Renvoi, 170 f. und Staudinger/Hausmann, Art.  4 EGBGB, Rn.  107. Instruktiv zur Diskussion um renvoi-freundliche und -feindliche Anknüpfungen Neuhaus, Grundbegriffe, 274 ff.; Bernasconi, Qualifikationsprozess, 240 ff. 201 

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offengelassen.207 Dagegen werde ich auf Fälle, in denen Rück- oder Weiterverweisungen in Kodifikationen aus unilateralen Motiven eingeschränkt oder untersagt wurden, hinweisen.208 1. Aufwertung des eigenen Rechts Den geläufigsten Eingriff in die Verweisungstechnik des IPR – mithin eine Abweichung vom methodischen „Idealfall“209 – bildet die Aufwertung des eigenen Rechts. Zu differenzieren ist dabei hinsichtlich der Stoßrichtung zwischen der negativen und der positiven Seite;210 diese wurden beispielsweise in Art.  30 EGBGB (1896), der von der „Anwendung gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes“211 sprach, noch vermengt212. Bei simultaner Heranziehung dieser Instrumente durch verschiedene Rechtsordnungen in demselben Fall kann es zu Friktionen kommen, wenn die politischen Ansichten einander widersprechen – „Was der islamische ordre public durchsetzt, weist der säkulare negative ordre public zurück“.213 Dass inzwischen nicht nur die Wirkungsweisen, sondern auch die Instrumente getrennt voneinander behandelt werden,214 hat nicht zuletzt mit einer Inkongruenz in der realen Anwendung zu 207 Treffend Kegel, Die Grenze von Qualifikation und Renvoi, 38: „Die Stellungnahme zum Renvoi hängt davon ab, wie man die Interessen bewertet, die hier auftreten“. Näher zu den relevanten Gesichtspunkten insofern Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 56 f. 208  Vgl. unten, C.IV.3.b)bb) (S.  168 ff.); C.IV.4.a)cc) (S.  187 ff.); C.IV.5.h) (S.  241 ff.). 209  Malacka, ZfRV 2019, 61 (62). 210  Dies betont etwa Gamillscheg, RabelsZ Bd.  37 (1973), 808 (810). Zu Begriffsverständnis und theoretischer Begründbarkeit siehe Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 156 ff. Zur Unterscheidung dieser verwandten Stoßrichtungen auch Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (580 f.); Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 510 f.; Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 58 ff.; Thoma, Die Europäisierung des ordre public, 18; Voltz, Menschenrechte und ordre public, 10 f.; Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 48 ff.; Vischer, Rec. 1992 I, 9 (102); Neuhaus, Grundbegriffe, 364 ff.; Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 149 f. Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  957 f. zeigen den Unterschied anhand der „Gran Canaria“-Fälle auf. 211  Veröffentlicht im Deutschen Reichsgesetzblatt Band 1896, Nr.  21, 604 (609). 212 Dazu Schütz, Der internationale ordre public, 71 ff.; Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 18 ff.; Spickhoff, Der ordre public im IPR, 73. 213  So beispielhaft Kreuzer, RW 2010, 143 (165). Vgl. auch Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 57 f.; Schurig, RabelsZ Bd.  54 (1990), 217 (240); Steindorff, Sachnormen, 234. Systematisch ist daher die Trennung dieser Instrumente folgerichtig, siehe nur Schütz, Der internationale ordre public, 53. 214  Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (457 ff.). Noch für eine Behandlung beider Instrumente i.R.d. ordre public dagegen Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (476 f.); Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 116 f.; Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 106. Zur Kritik an den fortlaufenden Versuchen, „die angeblich positive Funktion des ordre public als dogmatische Heimstätte der Eingriffsnormen“ darzustellen, siehe Baumert, Europäischer ordre pub-

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tun: Ausländischen Eingriffsnormen wird traditionell eine größere Akzeptanz entgegengebracht als fremden Erwägungen zum ordre public.215 a) Durch Einhegung fremden Rechts: ordre public Die Aufgabe, ausländisches Recht nicht zu einer unkontrollierten Entfaltung kommen zu lassen, wird insofern dem kassatorisch eingreifenden216 ordre public zuteil. Dieser nimmt bei seiner Korrektur das Ergebnis der Normanwendung in den Blick,217 spricht also kein abstraktes Urteil im Sinne einer Normenkontrolle aus.218 Im Zuge dessen werden elementare Gerechtigkeitsideale des Forumstaates durchgesetzt, dem dadurch die Möglichkeit gegeben wird, die Grundpfeiler seines politischen Systems abzusichern.219 Da der ordre public durch seinen generalklauselartigen Anwendungsbereich von „einer gewissen Amorphie“ geprägt ist,220 gestaltet sich die inhaltliche Grenzziehung komplex.221 Dass der Vorbehalt im Gefüge des Kollisionsrechts

lic, 119 f. In diese Richtung aber Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 241. Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 21 ff. spricht sich jedenfalls für eine „Missbrauchskontrolle“ von Eingriffsnormen durch den EuGH anhand von Bewertungsmaßstäben aus dem ordre public aus. 215  Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 143; Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 51. Auf die Gefahr weist ferner Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 156 hin. Vgl. auch Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (493 f.). Rechtsvergleichend dazu Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 65 ff., 101 ff. 216 Vgl. zur Wirkungsweise nur Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-Verordnung, 14. Nach Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 229 geht es beim ordre public also um ein den Anwendungsbereich der materiellen Norm begrenzendes „Rechtsanwendungsdesinteresse“. 217  Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 68; Schütz, Der internationale ordre public, 49. Oft wird insofern vom „Aposteriorismus“ des ordre public gesprochen, siehe Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 245 f. m. w. N. 218  Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (478). Das ausgesprochene „Unwerturteil“ bezieht sich daher eben nicht auf die Rechtsordnung als solche, siehe Thoma, Die Europäisierung des ordre public, 126. 219  Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 56 ff. Oster, JPIL 2015, 542 (544) bezeichnet den ordre public daher als „ultimate expression of national sovereignty“. Siehr, RabelsZ Bd.  37 (1973), 466 (468) schreibt ihm die Aufgabe zu, „manch kühnen, aber enttäuschenden Sprung ins Dunkel einer unbekannten Rechtsordnung zu korrigieren“. 220  Malacka, ZfRV 2019, 61 (61); vgl. auch Schurig, RabelsZ Bd.  54 (1990), 217 (227). 221  Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (446); Spickhoff, Der ordre public im IPR, 85 ff. Detailliert zur Bestimmung der Reichweite schon Vallindas, RabelsZ Bd.  18 (1953), 1 (5 ff.). Die Einsicht der inhaltlichen Undefinierbarkeit wird von Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 189 als zentrales Problem der Vorbehaltsklausel bewertet, weshalb er dem ordre public nur eine „Durchgangsfunktion“ für eine am materiellen Inhalt orientierte Konkretisierung der Normanwendung zuschreibt.

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

eine eng auszulegende Ausnahme darstellt,222 zeigt schon die Limitierung auf „wesentliche“ (Art.  6 EGBGB) oder „offensichtliche“ (Art.  21 Rom I-VO, 26 Rom II-VO, 12 Rom III-VO) Unvereinbarkeiten.223 Zudem wird eine Inlandsbeziehung des Sachverhalts vorausgesetzt,224 deren Intensität den Bewertungsmaßstab beeinflusst.225 Auf Basis dieser geschriebenen und ungeschriebenen Merkmale soll ein „abqualifizierendes Messen ausländischer Rechtsnormen am inländischen Rechtsgefühl“ vermieden werden, das bei einer Orientierung an den sachrechtlichen Vorgaben von §§  134, 138 BGB zu befürchten stünde.226 Darüber hinaus wird der ordre public naturgemäß vom Wandel der gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen geprägt, weshalb eine zeitliche (oder im Extrem „systembedingte“227) Relativität den Vorbehalt ebenso prägt.228 Um die Einschnitte in den Geltungsanspruch der lex causae möglichst gering zu halten, muss vorrangig im Zweifel das weniger einschneidende Instrument der Anpassung Anwendung finden.229 Generell verschreibt sich der ordre public der Schonung des fremden Rechts,230 er darf seine Funktion als „Notventil“ 222 Zu dieser unstrittigen Notwendigkeit statt aller MüKoBGB/v. Hein, Art.  6 EGBGB, Rn.  13. 223  Zu dieser ersten, inhaltlichen Ebene der Relativität statt aller Spickhoff, Der ordre public im IPR, 96 f. Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  1044 stellen in erster Linie auf einen etwaigen Verfassungsrang der fraglichen Prinzipien ab. Staudinger/ Voltz, Art.  6 EGBGB, Rn.  166 betont, dass diese sachliche Komponente bei Hauptfragen eher bejaht werden könne als etwa bei Vorfragen. 224 Instruktiv Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 201 ff.; Thoma, Die Europäisierung des ordre public, 19; Voltz, Menschenrechte und ordre public, 30 ff.; Spickhoff, Der ordre public im IPR, 97 ff.; Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 262 ff.; Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 128 ff. Einschränkend noch Vallindas, RabelsZ Bd.  18 (1953), 1 (6). 225  Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (479); Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 239 ff.; Schütz, Der internationale ordre public, 64 ff.; Büchler, FS Brudermüller, 61 (63). 226 Staudinger/Voltz, Art.  6 EGBGB, Rn.  133. Zur Abgrenzung siehe Simitis, Gute Sitten und ordre public, 203 ff. Den Schutz „guter Sitten“ durch die Aufstellung von Eingriffsnormen als alternativen Weg beleuchten Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 146 und Schurig, RabelsZ Bd.  54 (1990), 217 (242 ff.). 227  Malacka, ZfRV 2019, 61 (73). In diese Richtung bereits Vallindas, RabelsZ Bd.  18 (1953), 1 (8). Diese gesellschaftliche Komponente betont auch Gökyayla in Böllmann/Hemme/ Korkmaz/Kühn/Sinn (Hrsg.), Menschenrechte und gesamteuropäische Rechtsentwicklung, 233 (239). Ad absurdum geführt wurde diese freilich zu Zeiten des Nationalsozialismus, vgl. etwa C. Schmitt, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1936, 204 (205 ff.). 228  Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 513; Voltz, Menschenrechte und ordre public, 30; Spickhoff, Der ordre public im IPR, 101. Dass die Anforderungen an den Gegenwartsbezug von den sonstigen Relativitätsmaßstäben abhängig sind, betont zu Recht Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 43. 229  Looschelders, FS v. Hoffmann, 266 (267). 230  Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 77 f.; Voltz, Menschenrechte und ordre public,

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daher nicht überstrapazieren.231 Auch für die Lückenfüllung muss zunächst auf alternative Normen des fremden Rechts zurückgegriffen werden,232 was eine „geltungserhaltende Reduktion“ der lex causae bedeutet.233 Die Rechtsprechung hat ihre Prüfung nicht zuletzt auf die Frage auszurichten, ob das fremde Recht auf Umwegen einen adäquaten Ausgleich für die eigentliche ordre public-Widrigkeit des konkreten Ergebnisses gewährt.234 In diesem Sinne bedingt die ergebnisbezogene Anwendung eine Zurückdrängung des ordre public in Rechtsgebieten wie dem Erbrecht, wo verschiedene Rechtsordnungen teils auf äußerst unterschiedlichen Wegen vergleichbare Resultate erzielen.235 Wenngleich er im Ausgangspunkt auf politische Beweggründe rekurriert, verfügt der ordre public folglich über einige Tatbestandsmerkmale, mit deren Hilfe eine unilaterale Instrumentalisierung durch die lex fori vermieden werden soll. Trotz dieser zahlreichen Versuche, den Vorbehalt einzuhegen und zu konkreti­ sieren, kommt man jedoch nicht umhin, ihn ob seiner Deutungsoffenheit als Herausforderung für das Leitbild der Wertneutralität zu qualifizieren.236 So ob­ liegt es in erster Linie der Praxis, das IPR in angemessenem Maße gegenüber ausländischen Rechtsordnungen zu öffnen,237 ohne in „grenzenlosen Rechtsplura­ 21; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  1055. Zur Frage, ob Kritik an der ausländischen Norm durch die dortige Literatur die Anwendung des ordre public daher zusätzlich legitimieren kann, siehe Baumert, Europäischer ordre public, 242. 231  Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (447). Zu weiteren metaphorischen Umschreibungen vgl. überblicksartig Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 244. 232  Vallindas, RabelsZ Bd.  18 (1953), 1 (10); Schütz, Der internationale ordre public, 50; Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (477). Ausführlich zum Vorgehen bei der Lückenfüllung Voltz, Menschenrechte und ordre public, 21 ff. Kritisch zu diesem Aspekt Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 127 f. H. Hübner, BGB AT, Rn.  65 betont, dass normative Lücken im IPR generell unter Rückgriff auf dessen genuine Leitbilder geschlossen werden müssen. Vgl. auch Flessner, Interessenjurisprudenz, 125 ff. 233  Spickhoff, Der ordre public im IPR, 107 ff. Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 293 betont in diesem Kontext die Relevanz einer verantwortungsbewussten Anwendung des Vorbehalts durch die Richter. Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 256 f. beschwört in bestimmten Fällen allerdings die Bildung von „ad hoc-Sachnormen“. 234  Voltz, Menschenrechte und ordre public, 26. Die von Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 252 f. angesprochene „positive“ Funktion des ordre public erschöpft sich insofern in der Lückenfüllung. 235  Looschelders, FS v. Hoffmann, 266 (275). 236  Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (169). Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 434: „[…] le tracé du seuil de la tolérance est nécessairement d’ordre politique“. Joerges, Funktionswandel, 157 spricht insofern von einem „Dilemma“. Nach Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (101) hängt die Grenzziehung insbesondere von der „Einstellung zum internationalen Zusammenleben“ ab. 237  Simitis, Gute Sitten und ordre public, 204. Köhler, Eingriffsnormen, 88 sieht parallel dazu auch Eingriffsnormen als „Problem der Rechtsfortbildung“ an.

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

lismus“238 zu verfallen. Aufgrund der definitorischen Unschärfe kann dabei teilweise kaum unterschieden werden, wann auf der einen Seite das Fundament des Staates geschützt oder auf der anderen Seite aktiv eine politische Agenda verfolgt wird.239 Wie stark der ordre public von einem Misstrauen gegenüber fremdem Recht vereinnahmt werden kann, belegt zum Beispiel die Tatsache, dass sich Gerichte oft schwer damit tun, der ausländischen öffentlichen Ordnung – die im Falle von Rück- oder Weiterverweisungen Relevanz erlangt240 – einen ähnlich hohen Stellenwert einzuräumen wie der inländischen.241 Zwar wird die verweisungsrechtliche Perspektive formal nur ausnahmsweise in Richtung der lex fori verschoben, tatsächlich können sich die Spruchkörper von einer abstrakten Evaluation des ausländischen Normenkanons aber nicht immer frei machen.242 Alles in allem erscheint der ordre public als „zu kollisionsrechtlich für das materielle Recht und zu materiellrechtlich für das Kollisionsrecht“243 – ein Einfallstor für fortschreitende Politisierungen bietet er allemal. Bei der Bewertung des Umgangs mit dem Vorbehalt im historischen Kontext wird vor allem zu untersuchen sein, inwieweit Legislative und Judikative sich in Normgebung und -anwendung an das Regel-Ausnahme-Verhältnis und die strengen Tatbestandsvoraussetzungen des ordre public gehalten haben. Gesetzesbegrün­dun­ gen, Urteile und Stellungnahmen aus der Literatur können Aufschluss darüber geben, wie der Rückgriff auf politische Beweggründe in einer Epoche des IPR verstanden wurde: als begründungsbedürftiger Sonderfall zur Wahrung existen­ tieller Anschauungen des Staates oder als probates Mittel zur unmittelbaren Aufwertung nationaler Interessen. b) Durch Ausdehnung inländischen Rechts: Eingriffsnormen Einen rechtstechnisch abweichenden Weg gehen wie erwähnt Eingriffsnormen, die de lege lata inzwischen außerhalb der Vorbehaltsklausel verortet werden244 und im Gegensatz zum ordre public a priori wirken.245 Es handelt sich um So noch unlängst Rixen, JZ 2019, 628 (628). den Ausschluss von „politischen Kampfmaßnahmen“ aus dem Anwendungsbereich des ordre public daher Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 261 ff. 240  Siehe nur Staudinger/Voltz, Art.  6 EGBGB, Rn.  106 ff. 241 So Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 47 f. nach eingehender Analyse der Rechtsprechung. Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 61 erkennt einen „Kampf“ zwischen inländischem und ausländischem Recht. 242 Vgl. Rühl, Statut und Effizienz, 422 und Simitis, Gute Sitten und ordre public, 205. 243  Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 260. 244  Voltz, Menschenrechte und ordre public, 16 ff.; Lechner, Reichweite des Erbstatuts, 255. 245 Instruktiv (und kritisch) zu dieser Vorstellung Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 154 ff., der die Basis der Eingriffsnormen im „Spezialitätsgrundsatz“ sieht. 238 

239  Gegen

III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR

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zwingende246 Vorschriften, mit denen herausragende Interessen einer Rechtsordnung auch im internationalen Kontext verteidigt werden sollen.247 Sie können je nach Anwendungsfall der lex fori, der lex causae oder auch einem dritten Recht entspringen,248 neigen also formal nicht einer Seite zu. Vereinfacht ausgedrückt beinhalten Eingriffsnormen elementare Wertvorstellungen, die dazu gedacht sind, das ordnungspolitische Fundament des Erlassstaates zu schützen.249 Insgesamt herrscht nach wie vor Uneinigkeit bezüglich der Reichweite durchsetzungsfähiger Rechtssätze:250 Während teilweise vorrangig auf die überindividuelle Natur der jeweiligen Interessen251 oder die hoheitliche Vollstreckbarkeit der fraglichen Norm252 abgestellt wird, möchten andere Stimmen in der Literatur an ihrer „Internationalisierungsfähigkeit“ ansetzen253 oder die Strafbewehrung eines Vergehens als maßgebliches Indiz für den Eingriffsnormcharakter ansehen254. Letztlich konzentriert sich die Diskussion mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung auf den Anwendungswillen der Vorschriften, sodass ein gewisses unilaterales Moment nicht negiert werden kann.255 Um zu untersuchen, welche Vorschrift über einen entsprechenden Anwendungswillen verfügt, können die Gerichte theoretisch auf ihren formalen 246  Dass eine Norm auch „zwingend“ sein kann, ohne notwendigerweise Rechtsfolgen mit Zwang anzuordnen, unterstreicht Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 15. Den begrifflichen Bezug zur Idee des ius cogens beleuchtet Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 46 ff. 247  Einführend bspw. Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  18 f. Zur Abgrenzung von nur „intern“ zwingenden – also im nationalen Recht nicht dispositiven – Regelungen siehe Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 16 f. und Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 8. 248  Zur Unterscheidung dieser Konstellationen Reichelt, ZfRV 1988, 82 (84 f.); Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 12 f.; Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 5; Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 58 f. Peari, The Foundation of COL, 21 betont insofern, dass kein materieller Rechtsvergleich zur eigentlichen lex causae vorgenommen wird. 249  Auf diesen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ konzentriert Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 50 f. die Debatte. Nach Siehr, RabelsZ Bd.  37 (1973), 466 (469) erfahren „Verfassungsvorschriften ihre formale Entsprechung auf der Ebene einfacher Gesetze“ in den lois d’application immédiate. 250  Zu diesem Eindruck bereits Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (3) und jüngst noch Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (21). Überblicksartig zu verschiedenen Meinungen hinsichtlich der Grenzziehung etwa Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 29 ff.; Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 42 ff.; Baumert, Europäischer ordre public, 87 ff. 251  Köhler, Eingriffsnormen, 22 ff. 252  Maultzsch, RabelsZ Bd.  75 (2011), 60 (90 f.). 253  Reichelt, ZfRV 1988, 82 (86 f.). 254  Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 24 f. 255  Statt aller Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, 26.

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

Aussagegehalt – „Bestimmt die Regelung ihre internationale Anwendbarkeit schon im Wortlaut?“ – oder ihre materiellen Belange – „Ist die Anwendung der Norm aufgrund ihres Inhalts auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten unbedingt geboten?“ – Bezug nehmen.256 Möchte man auch innerhalb der politischen Instrumente des IPR die Wertneutralität nicht völlig aufgeben, muss die erste Variante allerdings abgelehnt werden; durch die Idee, „selbstgerechte Sachnormen“257 nur aufgrund ihres eigenen Anwendungswunsches als Eingriffsnormen zu klassifizieren, würde dem Instrument jegliche Objektivität entzogen.258 Aus diesem Grund muss von dem Gedanken abgewichen werden, den „unpolitischen“ oder „politischen“ Charakter einer Norm zum alleinigen Bewertungsmaßstab auszuerkiesen,259 also ausschließlich auf die gesetzgeberische Intention einer grenzüberschreitenden Anwendung abzustellen. Wie aber soll ergründet werden, wann der materielle Gehalt einer Regelung ihr Eingriffsnormqualität verleiht? Ebenso wie der ordre public sind Eingriffsnormen den variablen Vorstellungen von Gesellschaft und Politik unterworfen, wodurch die zwingende Natur einer Vorschrift im Laufe der Zeit verloren gehen oder aber erst entstehen kann.260 Um angemessen auf diese Entwicklungen reagieren zu können, sollte die Abwägung anhand der Motive erfolgen, die schon der allseitigen Verweisungstechnik Leben einhauchen – Kegels Interessen261: Somit ist zu ergründen, ob die macht-, gesellschafts-, oder wirtschaftspolitischen Anliegen der materiellen Norm gerade auch im internationalen Kontext Be­ rücksichtigung finden und durch eine einseitige Anknüpfung aus der Allseitigkeit herausgehoben werden müssen.262 Wenngleich der Fokus insofern auf öffent­

256  Siehe zu dieser Abgrenzung nur Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 3 f. und Köhler, Eingriffsnormen, 9 ff. Einführend zu der Frage schon Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (486 f.). 257  Zu dieser Begrifflichkeit Köhler, Eingriffsnormen, 127. 258  Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 137 (vgl. auch 23 f.). Zustimmend mit Blick auf Art.  9 Rom I-VO W. Roth, FS G. Kühne, 859 (867 f.). Für eine solche Betrachtungsweise aber Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 125. 259  So auch mit expliziter Bezugnahme auf Savigny überzeugend Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 143; Schurig, RabelsZ Bd.  54 (1990), 217 (229 f.); a. A. Schäfer, FS Sandrock, 37 (39) und wohl auch Rühl, Statut und Effizienz, 414. 260  Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 250. Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 35 erkennt darin einen der wesentlichen Gründe für die Schwierigkeit, eine allgemeingültige Definition für den Begriff der Eingriffsnorm zu etablieren. 261  Vgl. oben, B.I.2. (S.  13 ff.). 262 Grundlegend Schurig, RabelsZ Bd.  54 (1990), 217 (237). Zustimmend Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, 40 ff.; Köhler, Eingriffsnormen 100 f.; Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 179 ff.; W. Roth, FS G. Kühne, 859 (864 f.). Ablehnend Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 143. Zu diesem Ansatz auch Steindorff, Sachnormen, 208 ff.

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liche Interessen gerichtet ist,263 dürfen private Interessen bei der Bewertung nicht außer Acht gelassen werden,264 überschneiden sie sich doch häufig – insbesondere im Bereich des Schwächerenschutzes265 – mit Gemeinwohlbelangen266. Auch bei einem solchen Verständnis der Eingriffsnormen müsste aber eine weitere Frage beantwortet werden: Welche Wirkung soll ausländischen Eingriffsnormen gewährt werden? Weil fremde Vorschriften im inländischen Normsystem nicht automatisch Geltung entfalten, muss entweder ihre Anwendung normativ durch die lex fori angeordnet oder ihr faktischer Aussagegehalt in das inländische Normsystem integriert werden.267 Neben einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung268 und sachrechtlichen Ansätzen269 wurde namentlich die so263  Siehe nur Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 32 f. und Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (491). Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 292 führt als Beispiele wirtschaftlich motivierte Exportverbote und Embargos an. Freitag, NJW 2018, 430 (431) betont allerdings, dass sich die Problematik nicht in derartigen Fällen erschöpft. Zu dieser Erkenntnis schon Schäfer, FS Sandrock, 37 (38 f.). Köhler, Eingriffsnormen, 24 f. betont zudem richtigerweise, dass eine auch öffentliche Stoßrichtung für sich genommen nicht für die Klassifizierung als Eingriffsnorm ausreichen kann. Vgl. dazu Hoffmann/Bierlein, ZEuP 2020, 47 (63 f.). Für eine Fallstudie siehe Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 7 ff. 264  Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 11 f. Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 23 hält daher insbesondere die Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht zur Bestimmung von Eingriffsnormen für „nicht internationalisierungsfähig“. Ähnlich i.E. Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 73 ff. und Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 26 f. 265  Thoma, Die Europäisierung des ordre public, 223 f.; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 136 f. Vgl. im historischen Kontext auch Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 181 f. Ferner unten, B.III.2. (S.  51 f.). 266  Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 27. Zu Überschneidungen auch Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 72, 89 ff. Für eine umfassende Interessenanalyse anhand von Beispielen Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 77 ff.; Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 134 ff. 267 Einleitend Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 72 ff.; Schurig, RabelsZ Bd.  54 (1990), 217 (241 f.). Zur jeweiligen Umsetzung in der Praxis siehe Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 118 ff. 268  Dazu ausführlich m. w. N. Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 83 ff.; Schäfer, FS Sandrock, 37 (43 ff.); Freitag, NJW 2018, 430 (431); Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 128 ff.; Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 92 ff.; Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 102 ff.; Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 63 ff.; Köhler, Eingriffsnormen, 190 ff. Mit Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 56 ist nach hier vertretener Ansicht i.Ü. der Standpunkt, bei der Sonderanknüpfungslehre handele es sich um eine Unterform des „positiven“ ordre public, abzulehnen. 269  Zu Ansätzen in dieser Hinsicht überblicksartig Freitag, NJW 2018, 430 (433 f.). Detaillierte Erläuterungen bei Köhler, Eingriffsnormen, 174 ff.; Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 43 ff.; Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 100 ff.; Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 69 ff. Eine Übersicht zu entsprechenden Entscheidungen aus der Praxis bieten Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  998 Fn.  431

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

genannte „Schuldstatutstheorie“270 vertreten, die in besonderem Maße dem Fingerzeig der lex fori folgte, indem sie Eingriffsnormen abseits des berufenen Statuts die Anwendung versagte271. Ein weiterer Beitrag zu der Debatte wäre an dieser Stelle nicht zielführend, vor allem erübrigt er sich aber infolge des zuvor Gesagten: Zwar wird der Pfad der Verweisung durch Eingriffsnormen zugunsten eines „Geltungsparadigmas“ verlassen;272 man mag in der Frage nach dem Anwendungswillen der jeweiligen Norm auch einen zweiten „Pol“ des IPR erblicken.273 Sofern jedoch auf Basis der internationalprivatrechtlichen Interessen ermittelt wird, wann eine Norm einen ausreichenden Anwendungswillen aufweist, fügt sich die Feststellung von Eingriffsnormen in die gängige Verweisungstechnik ein; methodisch handelt es sich dann nicht um einen diametralen Ansatz.274 Vor diesem Hintergrund leuchtet es nicht ein, die „Herkunft der Norm“ zum primären Bewertungsmaßstab für ihre Rechtsfolgen im grenzüberschreitenden Bezug zu erklären.275 Vorzugswürdig ist es daher, Rechtsfolgen grundsätzlich aus dem fremden Recht zu entnehmen; nur dann, wenn die zwingende Norm keine zivilrechtlichen Rechtsfolgen anordnet oder die lex fori die Rechtsfolgen aus übergeordneten Gründen nicht übernehmen kann, hat eine bloße Faktenund Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 18 ff. Zu Anleihen beim Territorialitätsprinzip Schäfer, FS Sandrock, 37 (48 ff.). Allgemein kritisch zu der Annahme, die Verweisung bewirke eine „Aufnahme des fremden Rechts in das unsrige“, Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (27 f.). 270  Auch unter Bezugnahme auf Abwandlungen näher erläutert bei Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 96 ff.; Köhler, Eingriffsnormen, 279 ff.; Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 90 f.; Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 67 ff.; Schäfer, FS Sandrock, 37 (41 ff.). 271  Kritisch daher v. a. Schurig, RabelsZ Bd.  54 (1990), 217 (236, 244). Weitere Nachweise bei Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 236 Fn.  1108. Für einen Vergleich mit den Prämissen von Savigny siehe W. Roth, FS G. Kühne, 859 (863 f.). 272  Wendehorst, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 45 (2012), 33 (49 f.). 273  So etwa Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (98). Reichelt, ZfRV 1988, 82 (84) spricht von einem „Strukturwandel“. In diese Richtung auch Rehbinder, JZ 1973, 151 (155). Zu ähnlichen Begrifflichkeiten vgl. Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 105. Nach Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 28 gründet das den Eingriffsnormen inhärente „Spannungsverhältnis“ genau auf diesem Umstand. 274  Köhler, Eingriffsnormen, 99. Dazu schon Flessner, Interessenjurisprudenz, 54 ff. Insbesondere bilden Eingriffsnormen dann nicht etwa ein „kategorisches Tertium“ neben Kollisionsund Sachrecht, siehe Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 31 f. So zu Ansätzen der faktischen Berücksichtigung auch Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 47 ff. Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 18 bezeichnet Eingriffsnormen „zumindest als nicht von vornherein“ systemfeindlich. Worin insofern der Unterschied zu Inländerschutzklauseln liegt, zeigt Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 112 auf. Für Abgrenzungen zu „fremdenrechtlichen Normen“ siehe Steindorff, Sachnormen, 30 ff. 275  Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 61 ff.

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berücksichtigung über inländische Paragraphen zu erfolgen.276 In seiner Kuwait Airways-Entscheidung ist das OLG Frankfurt am Main diesem Lösungsweg gefolgt und hat einem anti-israelischen Boykottgesetz die Wirkungserstreckung nach Art.  9 III Rom I-VO277 versagt, zugleich aber ein tatsächliches Leistungshindernis gemäß §  275 I BGB angenommen278: Die Richterinnen begründeten die nur faktische Anwendung damit, dass die Vorschrift nicht auf „international-typische Interessen“279 Rücksicht nehme und mit „Grundsätzen der internationalen Rechtsgemeinschaft“ sowie „deutschen Wertentscheidungen und Zielvorstellungen“ breche280. Obschon das Urteil sicherlich nicht dem entspricht, was aus politischer Sicht wünschenswert gewesen wäre, überzeugt es in rechtstechnischer Hinsicht; effektive Mechanismen gegen antisemitisches Recht zu schaffen – etwa durch ein „Blocking Statute“ – obliegt der Legislative.281 Folgt man diesem Ansatz, unterscheiden sich Eingriffsnormen von klassischen Kollisionsnormen in der Art der Anknüpfung, nicht aber in der Abwägung;282 die Behauptung, mit zwingenden Normen werde einem „Marktversagen“ im IPRKontext begegnet,283 trägt folglich nicht. Um einer allzu starken Fragmentierung der Rechtsanwendung entgegenzuwirken, sind Eingriffsnormen dennoch mit der gebotenen Zurückhaltung zu behandeln.284 Da einem Staat durch sie nicht ermöglicht werden soll, eigene Kernvorstellungen willkürlich auszudehnen, muss der Sachverhalt einen Bezug zum Inland aufweisen.285 Indes kann die Überzeugend dargelegt von Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 149 f. Die Nähe dieser Methode zur Datumtheorie unterstreicht Weller, LA Jayme, 53 (56 f., 79 f.). Vgl. auch ders., RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (777 f.) und Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 32 ff. 277  Vgl. zu dieser Norm auch unten, C.IV.5.d)bb) (S.  216 ff.). 278  Die rechtstechnischen Grundlagen beleuchtet Mankowski, RIW 2019, 180 (182 f.). Vgl. schon Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 178 f. 279  Vgl. oben, B.I.2. (S.  13 ff.) und B.II.2. (S.  32 ff.). 280  OLG Frankfurt a. M. v. 25.09.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591 (Rn.  38 f.). 281  Überzeugend daher Mankowski, RIW 2019, 180 (184). 282  Schurig, RabelsZ Bd.  54 (1990), 217 (231); Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 535. Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 41 definiert Eingriffsnormen folgerichtig als „Sachnormen, für die Anknüpfungskriterien der bestehenden Kollisionsnormen ungeeignet sind“. 283  Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 535. 284  So etwa Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 40 f., der Eingriffsnormen in der Anwendung gewisse „Störungseffekte“ zuschreibt (91 ff.). Vgl. auch Basedow in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 1 (12 f.). 285  Siehe statt vieler Köhler, Eingriffsnormen, 107 und Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 109 f. MüKoBGB/v. Hein, Art.  6 EGBGB, Rn.  93 sieht darin eine grundlegende Gemeinsamkeit mit dem ordre public. BeckOGK/Maultzsch, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  81 weist allerdings durchaus zu Recht darauf hin, dass Fälle, in denen trotz Eingriffsnormqualität Zweifel an einem solchen Inlandsbezug bestehen, höchst selten sein dürften. 276 

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Intensität des Inlandsbezugs die sonstigen Anforderungen an die Eingriffsnormqualität weder ersetzen noch abmildern, denn Eingriffsnormen gehen in ihrer positiven Rechtsfolge deutlich über die Rechtswirkungen des ordre public hinaus.286 Auf der einen Seite fungieren Eingriffsnormen somit angesichts der ihnen zugrundeliegenden Einflüsse zweifellos als „politisches Recht“.287 Auf der anderen Seite muss das Instrument jedoch als Versuch verstanden werden, eine umfassende Politisierung des IPR durch amerikanische Denkschulen288 zu vermeiden.289 Dessen ungeachtet beinhalten die Klassifizierung als Eingriffsnorm und die Anwendung einer solchen rechtspolitisches Streitpotential, weil ein Kompromiss zwischen dem Anwendungswillen der Vorschrift und der internationalprivatrechtlichen Regelanknüpfung gefunden werden muss.290 Diese Spannungslage tritt besonders bei der Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Normen mit zwingendem Charakter zutage;291 neben dem Vorwurf einer substantiellen Ungleichbehandlung292 drohen negative Auswirkungen auf den internationalen Entscheidungseinklang293. Insbesondere dann, wenn an die Heranziehung ausländischer Eingriffsnormen abseits des – mit den IPR-Interessen legitimierten – Anwendungswillens zusätzliche Voraus­ setzungen geknüpft werden, die über die Vereinbarkeit mit dem ordre public der lex fori hinausgehen,294 widerspricht diese einseitige Benachteiligung der kollisionsrechtlichen Wertneutralität. Die allseitige Verweisung mit einer sub286 

Dies betont NK-BGB/Doehner, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  26. Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 26; Steindorff, Sachnormen, 206. Maultzsch, RabelsZ Bd.  75 (2011), 60 (82 f.) beobachtet in diesem Zusammenhang eine zunehmende „Materialisierung des Systems der Eingriffsnormen“. 288  Vgl. unten bei C.IV.2. (S.  141 ff.). 289  Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 28 ff. 290  Stellvertretend für diese Gefahr Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XII f.) und Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 57. Rühl, Statut und Effizienz, 412 manifestiert daher eine „Gefahr der Überregulierung“. Ähnlich Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 169 f. Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 54 f. zieht Parallelen zu Curries Ansätzen (vgl. C.IV.2.b)bb), S.  146 ff.). 291  Steindorff, Sachnormen, 226 f. Anhand der Entscheidung in der Rechtssache Kuwait Airways exemplifiziert von Mankowski, RIW 2019, 180 (181 f.). 292  Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 228 moniert insofern, dass das Forum sein eigenes zwingendes Recht „ohne Hemmungen“ anwende, ausländische Rechtsnormen indes anhand „einer überpositiven eigentümlichen Natur des Schuldrechtsverhältnisses“ bewerte. 293 Vgl. Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 45 f., die sich deshalb für eine Gleichbehandlung dieser Unterkategorien ausspricht. Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 206 stellt grundsätzlich die Fähigkeit des klassischen IPR zur Wahrung einer Entscheidungsharmonie mithilfe seiner multilateralen Ausrichtung infrage. 294  Ausführlich dargestellt bei Köhler, Eingriffsnormen, 235 ff. 287 

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sidiären Better-Law-Komponente295 anzureichern, darf nicht Ziel der Eingriffsnormen sein.296 2. Schutz des schwächeren Vertragspartners Als weiterer „Klassiker“297 der verweisungsrechtlichen Korrekturinstrumente darf der Schwächerenschutz gelten, der dort eingreift, wo ein Machtungleichgewicht im Verhältnis der Vertragsparteien zu befürchten steht.298 Die sachrechtliche Tendenz, das Recht weniger auf den „Gewalthaber“ zuzuschneiden und stattdessen dem potentiell „Gewaltunterworfenen“ Unterstützung zukommen zu lassen,299 hat flankierende Änderungen im IPR nach sich gezogen.300 Wie auf materiellrechtlicher Ebene werden für die zahlreichen Sonderanknüpfungen und Ausnahmevorschriften personenbezogene Interessen – etwa von Arbeitnehme­ rinnen und Verbraucherinnen – angeführt;301 dass die unterprivilegierte Stellung einer Partei dabei nicht zwangsläufig einen hinreichenden Grund bildet, um eine verweisungsrechtliche Sonderbehandlung zu rechtfertigen,302 folgt auch hier aus der speziellen Stoßrichtung der kollisionsrechtlichen Interessen303. Der sozialpolitische Hintergrund der Protektionsvorschriften lässt sich nicht zuletzt damit belegen, dass sie sich teils aus Regelungen entwickelt haben, denen lange Zeit Eingriffsnormcharakter zugesprochen worden war.304 Im Gegensatz Zu dieser Tendenz Peari, The Foundation of COL, 22. Vgl. unten, C.IV.2.c)cc) (S.  160 ff.). In diese Richtung aber Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 786 ff. 297  Rühl, FS v. Hoffmann, 364 (364). 298  Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 449. 299  Diese recht martialische Wortwahl trifft Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (113 f.). Näher dazu Heiderhoff, Grundstrukturen des Verbrauchervertragsrechts, 240 ff. und Arnold, Vertrag und Verteilung, 297 ff. 300  Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 145 f. Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 77 f. nennt Art.  29 II EGBGB a. F. und §  12 AGBG a. F. als frühe Formen der kollisionsrechtlichen Überlagerung. Zu deren Schutzgehalt ferner Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 318 f. 301  Statt aller BeckOGK/G. Schulze/Fervers, Art.  3 EGBGB, Rn.  25 und G. Schulze, LA Jayme, 183 (193). 302  Darauf weist zu Recht v. Hein, Günstigkeitsprinzip, 106 hin. Ähnlich kritisch äußert sich Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 24. Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (769) spricht von einer „teleologischen Unilateralisierung“. Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 454 bezeichnet eine Trennung dieser Ebenen allerdings als „inkonsequent“. Auch Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XIV) erkennen Parallelen. Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 156 macht eine „parallele, aber zeitlich verschobene Entwicklung“ aus. 303  Vgl. oben, B.I.2. (S.  13 ff.) und B.II.2. (S.  32 ff.). 304  Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 181 f.; Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 91. Allgemein zur strittigen Einordnung von sozialpolitisch motivierten Normen als Eingriffsnorm Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 29 f.; W. Roth, FS G. Küh295 

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

dazu spielen machtpolitische Anliegen regelmäßig keine Rolle, sodass die „Metawertung“ des IPR in diesen Fällen nicht auf forcierter Unilateralität beruht.305 Wer in diesem Zusammenhang anführt, aus kollisionsrechtlichem Verbraucherschutz könne ein internationaler Wettbewerb über die grenzüber­schreitende Absicherung von Schutzstandards resultieren,306 verkennt, dass in diesem wettbewerbsrechtlichen Aspekt lediglich ein „willkommener Nebeneffekt“ zu sehen ist307. Mithin wird der formal-abstrakte Charakter der Verweisung mithilfe des Schwächeren­ schutzes für eng umgrenzte Tatbestände überwunden, ohne den Grundsatz der engsten Verbindung insgesamt infrage zu stellen.308 3. Gewährung kollisionsrechtlicher Parteiautonomie Als subjektives Pendant zum objektiv ausgerichteten Prinzip der engsten Verbindung ist die Rechtswahl, die sich an der materiellrechtlichen Privatautonomie orientiert309, nahezu allgemein anerkannt.310 Die methodischen Begründungsne, 859 (862 f.); Köhler, Eingriffsnormen, 36. Dazu im europäischen Kontext Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 33 ff.; Heiderhoff, EU-Privatrecht, Rn.  588. 305  Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 29 ff. betont insbesondere, dass aus Parteiinteressen erwachsene Kollektivinteressen nicht mit Souveränitätsaspekten gleichgesetzt werden sollten. Einschränkend dahingehend Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 156 ff., der von „hybriden Normen“ spricht. Dem stellt sich Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  191 entgegen. 306 Siehe Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 25 f. 307  Nojack, Exklusivnormen im IPR, 113. Für eine nähere Untersuchung im unionalen Kontext vgl. unten, C.IV.5.e) (S.  222 ff.). 308  Vgl. Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  62, 191. Die situative Komponente unterstreichen (im Kontext von Rechtswahlbeschränkungen) auch Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 484 f.; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 151; Nehne, Methodik des europäischen IPR, 230 f. Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 201 bezeichnet die Abkehr von den Grundideen des klassischen IPR indes als „deutlich“. So i.E. auch Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 64. Zu der weitreichenderen Idee, eine Klausel zum Schwächerenschutz in den Allgemeinen Teil des EGBGB einzufügen, siehe Wilke in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 29 (46). 309 Einführend Gößling, Kollisionsrecht und Schiedsgerichtsbarkeit, 117 ff.; G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 21. In der Ausgestaltung soll die Partei- daher im Wesentlichen der Privatautonomie folgen, siehe Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 8. Zu unterschiedlich starken Parallelen und Divergenzen zwischen diesen Ebenen in verschiedenen Rechtsgebieten Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 171 ff.; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 12 ff.; Vogeler, Freie Rechtswahl, 9 ff. Nach Weller/Benz/Thomale in: S. Lorenz/Kindler/Dutta (Hrsg.), Institut für Rechtsvergleichung, 143 (146 ff.) existiert zudem eine weitere, objektive Anknüpfungspunkte nutzende Zwischenform („rechtsgeschäftsähnliche Parteiautonomie“). Für weitere Abgrenzungen siehe Köthe, Parteiautonomie im Deliktsrecht, 5 ff. 310  Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 78 ff.; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl,

III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR

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ansätze reichen von einer Gewährung als vorstaatliches Recht bis zu einer rechtsgeschäftlichen Einordnung als Verfügungsvertrag;311 dass in der Realität vor allem wirtschaftliche Motive ihre Genese begünstigt haben, lässt sich unschwer feststellen: Nicht ohne Grund ging ihr Erfolgszug mit dem Aufkommen des Liberalismus im Ausgang des 19.  Jahrhunderts einher,312 als gerade im Bereich des Wirtschaftsrechts der Eindruck entstanden war, das klassische IPR sei den Anforderungen des schrittweise internationalisierten Güter- und Geldverkehrs nicht mehr gewachsen.313 Folgerichtig fand sie zunächst primär im allgemeinen Vertragsrecht Verbreitung,314 wo der Fokus auf dem Warenaustausch lag und zudem der Mangel an gesellschafts- oder machtpolitischem Konfliktpotential ihren Durchbruch erleichterte.315 Aus ökonomischer Perspektive soll die Rechtswahl im Idealfall eine Wohlfahrts- und Effizienzsteigerung bewirken,316 indem sie Debatten um objektive Anknüpfungspunkte verhindert und damit Hemmnisse für die Rechtssicherheit ausräumt.317 34; Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (23). Bereits Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (32 f.) setzte den Grundsatz der Parteiautonomie als integralen Bestandteil des IPR voraus. 311 Siehe Weller/Benz/Thomale in: S. Lorenz/Kindler/Dutta (Hrsg.), Institut für Rechtsvergleichung, 143 (157 ff.); Köthe, Parteiautonomie im Deliktsrecht, 39 ff.; C. Kohler, LA Jayme, 9 (9 ff.); Coester-Waltjen/Coester, LA Schurig, 33 (33 f.); Basedow, RabelsZ Bd.  75 (2011), 32 (50 ff.); Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 71 ff.; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 148 ff.; Flessner, Interessenjurisprudenz, 100 ff.; Freitag/Leible, ZVglRWiss Bd.  99 (2000), 101 (103 ff.). 312 HWB-EuP/Rühl, Rechtswahl (Bd.  II, S.  1271); dies., Statut und Effizienz, 325 f.; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 17; Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 51; Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (760 f.); Muir Watt, ERCL 2010, 250 (254). G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 25 erkennt in diesem Aspekt die „materiellrechtliche“ Rechtfertigung für die Rechtswahl. Kritisch zu dieser Annahme aber Steindorff, Sachnormen, 243. 313  Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 130. Für eine kurze zeitgeschichtliche Analyse der Rechtswahl im 20.  Jahrhundert siehe Muir Watt, RIDE 2010, 103 (107 ff.). 314 Siehe Siehr, RabelsZ Bd.  37 (1973), 466 (471 f.); Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 6; Rühl, Statut und Effizienz, 327. Schon Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (97 f.) beschrieb die Rechtswahl als „herrschende Theorie“ in der Praxis des Reichsgerichts. G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 26 manifestiert zuvorderst „praktische Vorteile gegenüber allen anderen Anknüpfungen“. 315  Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, 168; vgl. auch G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 24. Einschränkend Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 60, der die Einordnung des Vertrages als „geschlossenes System“ insofern ablehnt. 316 HWB-EuP/Rühl, Rechtswahl (Bd.  II, S.  1270); dies., Statut und Effizienz, 293 f.; Köthe, Parteiautonomie im Deliktsrecht, 43 ff.; Maultzsch, RabelsZ Bd.  75 (2011), 60 (63); Muir Watt, ERCL 2010, 250 (256). Für eine ökonomische Analyse siehe Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 126 ff.; Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 9 f. Inwieweit eine Teilrechtswahl die Transaktionskosten negativ beeinflussen kann, beleuchtet Aubart, Dépeçage, 52 f. 317  Rühl, Statut und Effizienz, 348; Steindorff, Sachnormen, 244 f.; Carbone in: Queirolo/

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

Inwieweit die Festlegung des anwendbaren Rechts durch die Parteien sich daneben kollisionsrechtlich rechtfertigen lässt, ist strittig318 – während einerseits der Vorwurf einer „Verlegenheitslösung“319 im Raum steht, wird andererseits entgegengehalten, die Rechtswahl sei mehr als ein „politischer Kompromiss“320. Dass die Rechtswahl geeignet ist, internationalprivatrechtliche Ziele und Interessen zu verfolgen, kann kaum geleugnet werden: Im grenzüberschreitenden Bezug befriedigt diese Methode sowohl Anliegen der Parteien, als auch praktische Ansprüche des Rechtsverkehrs.321 Sieht man darüber hinaus den Willen des Einzelnen generell als Begründung für die Existenz der Rechtsordnung und damit letztlich Vorbedingung des Kollisionsrechts an, bilden die subjektiven Eingriffe in die Verweisung einen folgerichtigen Reflex.322 Wer einer „vorpositiven“ Herleitung der Rechtswahl kritisch gegenübersteht, kann ferner den Standpunkt vertreten, in der parteiautonomen Bestimmung verkörpere sich eine qualifizierte Nähebeziehung, weshalb dieser Vorgang die engste Verbindung gerade realisiere.323 Da die Rechtswahl inzwischen nahezu weltweit Verbreitung gefunden hat und kein Spezifikum einzelner Rechtsordnungen darstellt,324 rückt die Frage nach ihrer methodischen Begründbarkeit indes zunehmend in den Hintergrund. Rechtspolitische Brisanz kommt ihr vor allem wegen ihrer Rechtswirkungen zu: Durch die kollisionsrechtliche Parteiautonomie wird dem Individuum die zusätzliche „Rechtsmacht“ verliehen, die staatliche Souveränität zur Vorgabe des Sachrechts zu begrenzen.325 Gerade die Möglichkeit, neben dispositiven grundsätzlich auch zwingende Regelungen der eigentlichen lex causae durch die gewählte Heiderhoff (Hrsg.), Party autonomy, 15 (16). Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 62 nennt als Beispiel etwa die Diskussion um den Vorrang von Staatsangehörigkeits-, Wohnsitz- oder Aufenthaltsprinzip. Schwierigkeiten bei der Bestimmung dieser Anknüpfungspunkte zeigte bereits Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (70 ff.) auf. 318 Näher G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 26 ff. und Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 41 f. 319  Kegel/Schurig, IPR, 653. 320  G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 69. 321  Dazu m. w. N. etwa G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 78 ff.; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 22; Vogeler, Freie Rechtswahl, 13 f.; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 20 ff.; Flessner, Interessenjurisprudenz, 64 f. Kritisch indes Steindorff, Sachnormen, 247 ff. 322 So Basedow, RabelsZ Bd.  75 (2011), 32 (41 ff., 57 f.). 323  Dafür dezidiert Arnold in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 23 (28). Ähnlich C. Kohler, LA Jayme, 9 (23). Ablehnend etwa Vogeler, Freie Rechtswahl, 8; Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 6 f. Vgl. auch Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  158 f., 162. 324  Zu territorialen Einschränkungen Basedow, RabelsZ Bd.  75 (2011), 32 (34 ff.). 325  Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 48. Näher dazu Muir Watt, RIDE 2010, 103

III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR

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Rechtsordnung zu ersetzen,326 bedroht den hoheitlichen Gestaltungsanspruch. Wo die Freiheit der Parteien in Konflikt mit Gemeinwohlinteressen oder Schutzerwägungen zugunsten schwächerer Parteien gerät, kann der Gesetzgeber etwaigen Missbrauchsrisiken daher mit Schutzinstrumenten begegnen.327 De lege lata unterliegt der verweisungsrechtliche Einfluss der gewählten Rechtsordnung in doppelter Hinsicht einer Kontrolle:328 Erstens329 wird der Kreis der wählbaren Rechte häufig bereits ex ante reduziert, zweitens330 erklärt das IPR regelmäßig die öffentliche Ordnung des Forumstaats und Eingriffsnormen der abgewählten Rechtsordnung für vorrangig. Qua Rechtswahl erfolgt demnach keine umfassende „Entkoppelung“ von dem inländischen oder dem eigentlichen berufenen Recht, vielmehr wird der Interessenausgleich zwischen den Parteien nur teilweise an ausländischen Gerechtigkeitsmaßstäben gemessen.331 (112) und dies., ERCL 2010, 250 (257 f.). Kritisch insofern Rehbinder, JZ 1973, 151 (155), der den „Ordnungs- und Schutzzweck des Privatrechts“ entwertet sieht. 326 HWB-EuP/Rühl, Rechtswahl (Bd.  II, S.  1270); Muir Watt in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 44 (55); Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  158; Vogeler, Freie Rechtswahl, 6; Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 26 f.; Weller, IPRax 2011, 429 (432); Köthe, Parteiautonomie im Deliktsrecht, 5; Schurig, RabelsZ Bd.  54 (1990), 217 (221); Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 19; Heiderhoff, Grundstrukturen des Verbrauchervertragsrechts, 351; Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 35. Näher zu dieser Komponente Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 51 ff. 327 Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  160; HWB-EuP/Rühl, Rechtswahl (Bd.  II, S.  1273): „funktionale Schranken“; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 99: „rechtspolitische Schranken“; Köthe, Parteiautonomie im Deliktsrecht, 66 ff.; Basedow, RabelsZ Bd.  75 (2011), 32 (48 ff.); Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 26 f.; Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 58. Mit Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 201 wird die Rechtswahl durch Vorkehrungen zum Drittschutz einem „Grundprinzip des Kollisionsrechts“ gerecht. Ähnlich Neuhaus, Grundbegriffe, 257 f. Vgl. ferner unlängst Art.  13 im Resolutionsvorschlag (Basedow) des Instituts für internationales Recht, Annuaire IDI Vol. 78 (2017), 215 (220). 328  Statt aller Rauscher, IPR, Rn.  290 und Dominelli in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 49 (55). Näher dazu Weller/Benz/Thomale in: S. Lorenz/Kindler/Dutta (Hrsg.), Institut für Rechtsvergleichung, 143 (166 ff.). 329  Siehe zu dieser Möglichkeit nur Köthe, Parteiautonomie im Deliktsrecht, 76. 330  Basedow, RabelsZ Bd.  75 (2011), 32 (45 f.); Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 293; Carbone in: Queirolo/Heiderhoff (Hrsg.), Party autonomy, 15 (38). Zu dieser Spannungslage auch Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 87 ff.; G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 134 ff.; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 90 f., 188 f.; Köthe, Parteiautonomie im Deliktsrecht, 9 f.; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 24 f. Zum Verhältnis von internationalprivatrechtlicher Parteiautonomie und ius cogens siehe insbesondere Maultzsch, RabelsZ Bd.  75 (2011), 60 (65 ff.). 331 So Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, 171. Basedow, RabelsZ Bd.  75 (2011), 32 (57) sieht folglich eine „Interaktion“ der objektiven und subjektiven Gehalte im IPR. In diese Richtung auch Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 41. Maultzsch, RabelsZ Bd.  75

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

In der Frage, wie die inhaltliche Begrenzung erfolgen soll, besteht für den Gesetzgeber ein weiter Handlungsspielraum – er kann sich für eine offene und flexible Ausgestaltung entscheiden, aber ebenso die Wahloptionen abschließend aufzählen.332 Während der Ausschluss nichtstaatlichen Rechts gängiger Praxis entspricht,333 herrscht zu der Frage, inwieweit zwecks Vermeidung einer frau­ dulösen334 Rechtswahl eine gewisse objektive Beziehung zum berufenen Recht gefordert werden muss, Uneinigkeit335. In vielen Fällen wird diese Diskussion zwar schon deshalb eher theoretischer Natur sein, weil Rechtsordnungen gewählt werden, zu denen bereits objektiv eine Beziehung besteht.336 Dessen ungeachtet bietet sich die Rechtswahl jedenfalls als „willkommene Regulierungsoption“337 an, um im Zuge der inhaltlichen Grenzziehung Anliegen der eigenen Rechtsordnung zu begünstigen. Versuche, einzelne Rechtsordnungen in Rechtswahlklauseln gezielt zu begünstigen oder zu übervorteilen, können somit eine Politisierung des Kollisionsrechts bewirken.338

(2011), 60 (64 f.) spricht von einer „formalen Dichotomie“ dieser Ebenen und Schwierigkeiten einer „Verzahnung“ (88). 332  Näher MüKoBGB/v. Hein, Einl. IPR, Rn.  38. 333 HWB-EuP/Rühl, Rechtswahl (Bd.  II, S.  1272). Näher dazu Gößling, Kollisionsrecht und Schiedsgerichtsbarkeit, 120 ff.; Dethloff, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, Heft 46 (2014), 47 (61 ff.); Vogeler, Freie Rechtswahl, 296 ff.; Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 87 f. Zur parallelen Entscheidung im europäischen IPR Nehne, Methodik des europäischen IPR, 251 f. und Heiderhoff, EU-Privatrecht, Rn.  579. Allgemein kritisch insofern Carbone in: Queirolo/Heiderhoff (Hrsg.), Party autonomy, 15 (29 f.) und Peari, The Foundation of COL, 92. 334 Dazu Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 83 f. Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 34 moniert, dass ein Verweis auf die fraus legis oftmals zu Unrecht angebracht werde, um kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz an sich zu begründen. 335 Dafür Vischer, FS Simonius, 401 (401, 410) und Neuhaus, Grundbegriffe, 258 f. Ähnlich Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 121 f. Dezidiert gegen diese Annahme etwa Schnitzer, Handbuch IPR I, 172 ff. Grds. zu der Problematik auch HWB-EuP/Rühl, Rechtswahl (Bd.  II, S.  1272 f.); G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 98 ff., 151 f.; Makarov, Grundriß des IPR, 123; Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 60 f. Die freie Rechtswahl qualifiziert Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 86 mit Blick auf das positive Recht in Anlehnung an v. Bar als „Proprium des internationalen Vertragsrechtes“. 336  Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 11. 337 So Arnold in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 23 (30), der aber keine hohe Begründungslast an den Gesetzgeber stellt. In diese Richtung auch C. Kohler, LA Jayme, 9 (12). 338  Vgl. etwa unten, C.IV.5.g) (S.  236 ff.).

III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR

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4. Qualifikation Als „Qualifikation“339 wird die Subsumtion rechtserheblicher Sachverhaltselemente unter Rechtsbegriffe bezeichnet, die zur Lösung des Falls herangezogen werden. Die Frage kann auf verschiedenen Ebenen340 auftreten: Ihren Gegenstand können erstens die Tatbestandsmerkmale der Kollisionsnorm, zweitens die Systembegriffe der anwendbaren Rechtsordnung und drittens die Tatbestandsvoraussetzungen der berufenen Sachnormen bilden;341 als Terminus technicus des IPR bezieht sie sich nur auf die erstgenannte Option.342 Den Gegenstand der Qualifikation im kollisionsrechtlichen Kontext bildet eine „materielle“, aus den tatsächlichen Lebensumständen entnommene Rechtsfrage.343 Infolge der Zuordnung zu einem Anknüpfungsgegenstand entstehen dann thematische Bündelungen, die Normen mit vergleichbarer Interessenlage zum Beispiel dem Erbstatut zuweisen.344

339  Zur Begrifflichkeit nur H. Weber, Theorie der Qualifikation, 197 ff. und Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 26 ff., der auch das Verhältnis zu den Methoden der Auslegung und Subsumtion erläutert (29 ff.). 340  Zu der – an dieser Stelle nicht ein weiteres Mal zu diskutierenden – Frage, ob es sich bei der Qualifikation um einen Gesamtprozess oder eine Abfolge von isoliert zu betrachtenden Teilschritten handelt, sei nur auf Bernasconi, Qualifikationsprozess, 26 ff. verwiesen, der den Vorgang zudem schematisch darstellt (64). Eine bildhafte Darstellung findet sich auch bei H. Weber, Theorie der Qualifikation, 205 ff. 341  Sehr erhellend insofern Neuhaus, Grundbegriffe, 113 f. 342  Für diese allgemeine Einsicht statt aller Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  1081 und Lechner, Reichweite des Erbstatuts, 31. H. Weber, Theorie der Qualifikation, 223 f. begründet diese Unterscheidung mit den methodischen Eigenheiten des IPR an sich. 343  Neuhaus, Grundbegriffe, 122; Schacherreiter, JBl.  2014, 487 (488 f.); Kegel, FS Raape, 13 (16 ff.); H. Weber, Theorie der Qualifikation, 228: Qualifikation als „Schnittpunkt zwischen Tatsachen und Recht“ (zu abweichenden Ansichten 14 ff.). Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  1085 spricht daher von einem „doppelten Gegenstand“. In diese Richtung auch Gamillscheg, FS Michaelis, 79 (84). Mit Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (26) bildet ein Rechtsverhältnis „nichts anderes als das subjektive Korrelat zu bestimmten Rechtsregeln im objektiven Sinne“. Der h.M. stellt sich Reuter, Qualifikation des falsus procurator, 26 f. mit Verweis auf die vermeintliche „Doppelfunktion“ der Qualifikation auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite (vgl. v. a. Bernasconi, Qualifikationsprozess, 20 f., 76 ff.) entgegen. Zu abweichenden klassischen und modernen Theorien ders., Qualifikation des falsus procurator, 17 ff.; Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 224 ff.; Zweigert, FS Raape, 35 (44 ff.). 344  Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 133 f. Gemäß einem Vergleich von Bernasconi, Qualifikationsprozess, 313 wirkt die Qualifikation daher „wie ein Magnet, der nur kongruente Normen anzuziehen vermag“. Zu dieser Technik auch Weller, IPRax 2011, 429 (432).

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

In diesem Sinne ist die Qualifikation eigentlich als objektiver Vorgang ge­ dacht,345 zu dem namentlich die politisch konnotierte346 Eingriffsnormenprob­ lematik im Widerspruch steht.347 Selbst wenn eine Entscheidung zwischen mehreren Anknüpfungsalternativen erfolgt, werden die klassischen Dogmen des Kollisionsrechts nicht grundlegend infrage gestellt, sofern die denkbaren Optionen jeweils aus einer wertneutralen Bestimmung resultieren.348 Dennoch entromantisiert alleine die Existenz von potentiell unterschiedlichen Qualifikationsergebnissen die klassische Dogmatik – Joerges behauptete gar: „Mit dieser ‚Entdeckung des Qualifikationsproblems‘ verliert der Universalismus des IPR seine dogmatisch-systematische Grundlage“.349 Anstatt seiner theoretischen Idealvorstellung entsprechend den einen „Sitz“ des Rechtsverhältnisses oder die eine „engste Verbindung“ zu identifizieren,350 stützt es sich auf eine Zuweisung zu künstlichen „Axiombegriffen“351. Neben der Diskussion, ob eine Qualifikation nach der lex fori, der lex causae oder aber im Wege einer rechtsvergleichenden Analyse zu erfolgen hat,352 belegt der vollständige Verzicht auf Qualifikationsvorschriften in vielen nationalen Rechten353, wie deutlich Anspruch und Wirklichkeit in dieser Hinsicht auseinanderfallen. Ähnlich wie die Anknüpfung von Vorfragen354 kann auch die Qualifikation rechtspolitisch ver-

345 Schon Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (53 ff., 116 ff.) versuchte, diesen Konflikt anhand einer Fallgruppenbildung zu erläutern. 346  Dazu näher oben unter B.III.1.b) (S.  44 ff.). 347  Anderegg, Ausländische Eingriffsnormen, 88 f.; Hartwieg, Renvoi im Vertragsrecht, 55. 348 Vgl. Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 221 und Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (160). Dabei können insbesondere die internationalprivatrechtlichen Interessen eine wichtige Rolle spielen, siehe Gamillscheg, FS Michaelis, 79 (83 f.). Dafür auch Reuter, Qualifikation des falsus procurator, 18 f., der diese Methode am Beispiel des Vertreters ohne Vertretungsmacht exemplifiziert (290 ff.). 349  Joerges, RabelsZ Bd.  43 (1979), 6 (16). Dem schließt sich Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 127 ff. an. 350 Dazu Weller, LA Jayme, 53 (60 ff.). 351 So Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (2), der ferner darauf hinwies, dass die Notwendigkeit der Qualifikation das Ideal des Entscheidungseinklangs auf diese Weise relativiere. 352  Siehe dazu überblicksartig Hartwieg, Renvoi im Vertragsrecht, 53 f.; ausführlicher Gamillscheg, FS Michaelis, 79 (79 ff.); Reuter, Qualifikation des falsus procurator, 46 ff.; Bernasconi, Qualifikationsprozess, 89 ff.; Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 189 ff.; Hoffmann, Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts, 168 ff. Für eine exemplarische Anwendung am Fall Schacherreiter, JBl.  2014, 487 (490 f.) und Kegel, Die Grenze von Qualifikation und Renvoi, 30 ff. 353 Rechtsvergleichend Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 155 ff. 354  Siehr, RabelsZ Bd.  37 (1973), 466 (473 f.). Instruktiv zu der rechtspolitischen Funktion der Vorfrage und ihrem Verhältnis zur Qualifikation Wengler, RabelsZ Bd.  8 (1934), 148 (166, 168, 177, 222, 246) und Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 257 ff. Ein-

III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR

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einnahmt werden355 – sie bildet nicht weniger als die „Kardinalfrage“356 der Verweisung. Inzwischen wird mit der weit überwiegenden Meinung auf die lex fori abgestellt, wobei deren Systematik auf Basis funktional-teleologischer Erwägungen im Rechtsvergleich dynamisch aufgebrochen werden kann.357 Eine methodische Anpassung erfolgt überdies dann, wenn qua Gesamtverweisung ausländisches IPR zu untersuchen ist – eine ausschließlich forumorientierte Betrachtung erscheint in diesem Kontext nicht sachgerecht.358 Von einer „strikten“ Ausrichtung an den Vorstellungen der lex fori359 hat man mithin ebenso abgesehen wie von schränkend aber Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  1129 mit dem Hinweis, dass die vertretenen Meinungen oftmals in identischen Ergebnissen münden. 355  Hartwieg, Renvoi im Vertragsrecht, 44 sieht die Spannungslage zwischen der regelmäßig nationalen Natur des IPR und seiner überstaatlichen Ausrichtung als Grund für diesen Umstand an. In diese Richtung auch Steindorff, Sachnormen, 52; Bernasconi, Qualifikationsprozess, 13; R. Meyer, Bona fides und lex mercatoria, 44 ff.; Beitzke, FS Smend, 1 (20). Siehr, RabelsZ Bd.  37 (1973), 466 (472) spricht jedoch von primär „formalen Bekenntnissen“, bei denen die politische Komponente weniger stark sei als behauptet. 356  Zweigert, FS Raape, 35 (40). Nach Bernasconi, Qualifikationsprozess, 6 bildet die Qualifikation in diesem Sinne „vielleicht das Hauptproblem des IPR schlechthin“ (vgl. auch 331: „quaestio damnata“). In diese Richtung ferner Peari, The Foundation of COL, 3. Darin erkennt Juenger, LA Siehr, 289 (295 f.) eine wesentliche Schwäche des Multilateralismus. Zur Koordinationsfunktion der Qualifikation siehe Hoffmann, Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts, 152 ff. 357  Dazu etwa Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 182 f.; Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 445 ff.; Nehne, Methodik des europäischen IPR, 178 f. H. Weber, Theorie der Qualifikation, 245 favorisiert eine Qualifikation nach der lex normae und fordert daher, die „Normenordnung“ der jeweiligen Vorschrift in den Vordergrund der Betrachtung zu rücken. Diesen Ansatz befürwortet auch Reuter, Qualifikation des falsus procurator, 45. Kritisch dagegen Steindorff, Sachnormen, 70 ff. (insb. 89). Grundlegend für eine einzelfallorientierte Prüfung Gamillscheg, FS Michaelis, 79, der allerdings zuvorderst eine Einteilung in Fallgruppen vornimmt (85 ff.). 358  Überzeugend Neuhaus, Grundbegriffe, 123. Dazu auch Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 74 f.; Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  1122; Bernasconi, Qualifikationsprozess, 243 ff. (mit Fallstudie, 317 ff.); Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 200 f. Schematisch dargelegt bei H. Weber, Theorie der Qualifikation, 213 f. Hartwieg, Renvoi im Vertragsrecht, 55 ff. untersucht die Behandlung der Qualifikation im Rahmen des renvoi anhand der unterschiedlichen Ansätze zum generellen Verfahren bei der Qualifikation. Bereits Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (9 ff.) widmete sich dieser Problematik in seinem berühmten Aufsatz zur Qualifikation unter dem Stichwort der „ausdrücklichen Gesetzeskollisionen“ intensiv. 359  Siehe nur Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  1088, 1091. Einer solchen hing indes Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (60 ff.) noch an, der eine rechtsvergleichende Methode ablehnte, weil das „internationale Recht“ bspw. keine Aussagen über die Beweglichkeit von Eigentumspositionen treffe (96 f.). Näher zu solchen Ansätzen Bernasconi, Qualifikationsprozess, 205 ff. Kritisch insofern Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 44 ff.

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

einer alleinigen Relevanz der lex causae,360 sodass sich die heutige Lösung als Kompromiss darstellt.361 Ob diese Perspektivenvielfalt in der Gerichtspraxis Beachtung findet, darf allerdings bezweifelt werden, geht es im Prozess doch häufig primär darum, Meinungsverschiedenheiten zwischen dem forumeigenen und dem berufenen Recht in eine juristische Sprache zu „übersetzen“.362 Generell kommen Legislative und Judikative in der Qualifikationsfrage nicht immer ohne einen Rückgriff auf rechtspolitische Überzeugungen und Wertmuster aus:363 Bei der Debatte, ob das Ehestatut auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften erfasst, wird der Fokus im Zweifel nicht nur auf die sachrechtlichen Parallelvorschriften gerichtet,364 sondern auch für oder gegen eine „weltoffene Qualifikation“ argumentiert.365 Wann ein ausländisches Rechtsinstitut unter eine Kollisionsnorm der lex fori subsumiert werden kann, die andere, aber funktionsäquivalente Instrumente des inländischen Rechts im Sinn hat, lässt nicht minder Raum für politische Wer­ tungen.366 Die Bedeutung der Qualifikation darf in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden: Obwohl die Zuordnung auf einer frühen Stufe der Falllösung erfolgt, hängt das materielle Ergebnis in hohem Maße von der gewählten Verweisungskategorie ab.367 Nicht umsonst preisen Verfechter eines politisch orientierten Kollisionsrechts die Qualifikation als geeignetes Instrument, um eine vermeintlich wirklichkeitsnähere Verweisungsdoktrin zu etablieren.368

360  Für die wesentlichen Gründe für die Abwendung von der lex causae-Anknüpfung siehe Zweigert, FS Raape, 35 (41) und Reuter, Qualifikation des falsus procurator, 57 ff. 361 Einschränkend Bernasconi, Qualifikationsprozess, 7 Fn.  6. 362 So Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 211, der die Qualifikation in verschiedenen Phasen des Prozesses untersucht (217 ff., 244 ff.). H. Weber, Theorie der Qualifikation, 5 vergleicht die Qualifikation insoweit mit einer komplexen Maschine, für deren Handhabung ein reicher Erfahrungsschatz in der Anwendung erforderlich sei. Zweigert, FS Raape, 35 (42) bezweifelt daher, dass sämtliche in der Literatur vorgeschlagenen Abwägungen in der Praxis Widerhall finden. 363  Siehr, RabelsZ Bd.  37 (1973), 466 (472 f.); G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 73. Nach Gamillscheg, FS Michaelis, 79 (81) werden dabei oftmals „die wahren Gründe der Anknüpfung versteckt“. Vgl. Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 156 und Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (57 f.). 364 Vgl. Nojack, Exklusivnormen im IPR, 12: „Sachrechtsbezogenheit“ der Qualifikation. 365  Coester-Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (2). Vgl. auch Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 249. 366 Instruktiv H. Weber, Theorie der Qualifikation, 241 f. 367  Anhand anschaulicher Beispiele Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 11 ff. 368  Detailliert zu diesem Phänomen m. w. N. Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 202 ff., der darin eine bisherige „Lücke in der Qualifikationsdoktrin“ erkennt. Vgl. auch Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 132.

III. Politische Instrumente eines wertneutralen IPR

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Wer im grenzüberschreitenden Bezug für sachliche Klassifizierungen allein auf ein nationales Recht abstellt, riskiert, die Dynamik und Pluralität des Kollisionsrechts einem statischen Normverständis zu opfern.369 Auch dort, wo das IPR gegenüber dem Sachrecht eine hohe terminologische Autonomie aufweist oder schlichte Begriffsverweisungen ausspricht, kann es aber von hoheitlicher Seite politisch vereinnahmt werden370: Wenn ein nationales IPR die Staatsangehörigkeit – wie Art.  22 schweiz. IPRG371 – als Anknüpfungsgegenstand benennt, diese – wie in Art.  116 I GG i. V. m. §  1 StAG – aber naturgemäß nur für Inländer bestimmt, muss diese definitorische Lücke im Zuge der Qualifikation gefüllt werden.372 Gerade die Qualifikation sollte sich demgegenüber der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit verschreiben373 und schon im Tatbestand der Kollisionsnorm als „Brücke“ zwischen gleichrangigen Rechtsordnungen vermitteln.374 Damit dieses Ziel erreicht werden kann, muss die Qualifikation induktiv erfolgen – der Anknüpfungsgegenstand bildet das Resultat, nicht den Ausgangspunkt der Argumentation.375 Unvollkommen-allseitige oder einseitige Anknüpfungen zeugen kollisionsrechtlich von einem Scheitern;376 in ihnen tritt der ordre public 369  H. Weber, Theorie der Qualifikation, 235 f. bewertet diese Technik gerade bei „wachsender sozio-kultureller Vielfalt“ der Privatrechte (dazu 237 ff.) als nicht angemessen. Vgl. auch Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 101 f. 370  Neuhaus, Grundbegriffe, 123 ff. (der außerdem noch die partielle internationale Vereinheitlichung von Qualifikationsergebnissen als Wertungsproblem anführt); vgl. auch Hartwieg, Renvoi im Vertragsrecht, 53 und Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (56 ff.). Diese Problematik zeigt Schacherreiter, JBl.  2014, 487 (493) anschaulich an einem Beispielsfall aus der Rechtsprechung auf. 371 Dieser lautet: „Die Staatsangehörigkeit einer natürlichen Person bestimmt sich nach dem Recht des Staates, zu dem die Staatsangehörigkeit in Frage steht.“ 372  Bernasconi, Qualifikationsprozess, 158 f. Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (57) bezeichnet die Staatsangehörigkeit im zivilrechtlichen Kontext folgerichtig schon vom Grundsatz her als „contradictum in adjecto“. Vgl. auch Kegel, FS Raape, 13 (28 ff.) und Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 94 ff. 373  Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 37 f. In diese Richtung auch Zweigert, FS Raape, 35 (47 f.). Kegel, Die Grenze von Qualifikation und Renvoi, 32 ff. spricht sich insgesamt für eine Qualifikationsmethodik auf Basis der kollisionsrechtlichen Interessen aus. 374  Bernasconi, Qualifikationsprozess, 338. Zu dieser Notwendigkeit schon Schwind, Phil.hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (96 f.). 375 Vgl. Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 187. Um einen Verstoß handelt es sich freilich noch nicht, wenn zur Überwindung von Normmängeln oder -widersprüchen eine Anpassung vorgenommen wird, siehe Gamillscheg, FS Michaelis, 79 (90). Allerdings betont Siehr, RabelsZ Bd.  37 (1973), 466 (473 f.), dass zumindest der Einfluss des Sachrechts auf Fragen des IPR sich anhand der Anpassung belegen lasse. 376  Zweigert, FS Raape, 35 (43) fürchtet das Aufleben einer „nationalen Sterilität“. Nojack, Exklusivnormen im IPR, 2 f. erklärt die Natur dieser „Exklusivnormen“. Beispiele dazu bei

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B. Grundlagen und Erläuterung der wesentlichen Begriffe

„im Gewand der Qualifikation“377 zutage. Im Idealfall verkörpert das Internationale Privatrecht dagegen ein „System faktisch vollzogener Kommunikation“, das aus einer beobachtenden Perspektive Wechselwirkungen zwischen den Rechtssystemen für die Qualifikation nutzbar macht.378 Inwiefern die (Nicht-) Anwendung einer Vorschrift aufgrund des Qualifikationsergebnisses sich aus Sicht der lex fori als Vor- oder Nachteil herausstellt, darf nicht entscheidend sein.379

Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 136. Für eine Übersicht der Kritiker einer allseitigen Verweisung siehe Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 4 ff. 377  H. Weber, Theorie der Qualifikation, 236. Zu dieser Wechselwirkung auch Neuhaus, Grundbegriffe, 115 f. Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 37 ff. zeigt insofern auf, dass in Fällen, in denen dieser Schritt nicht als ausreichend erachtet wird, ein Hang zur Annahme von teleologisch parallel ausgerichteten Eingriffsnormen zu manifestieren ist. 378 Dafür Schacherreiter, JBl.  2014, 487 (494 f.). Vgl. auch Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (61 f.). 379  Vgl. aber unten, C.III.4. (S.  115 ff.) und C.IV.5.f)aa) (S.  227 ff.).

C.

Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts im historischen Kontext Wie im Grunde jedes Rechtsgebiet weist auch das Internationale Privatrecht eine jahrhundertealte Historie auf, im Laufe derer die maßgeblichen Regelungen und Konzepte mehrfach verändert und angepasst wurden. Es ist vor diesem Hintergrund unerlässlich, einen Blick in die Vergangenheit des Kollisionsrechts zu werfen, um ein tieferes Verständnis für seine heutigen Leitbilder zu entwickeln.1 Inwieweit gesellschaftliche Umstände und politische Motive die herrschenden Modelle zum Umgang mit Rechtskollisionen vor allem im kontinentalen Raum geprägt haben, ist deshalb zentrale Frage dieses Kapitels. Ich möchte ergründen, bei welchen Perioden von einer tatsächlichen Wertneutralität gesprochen werden kann, und wann im Gegenzug etwa wirtschaftliche oder machtspezifische Faktoren den Prozess dominiert haben. Obwohl das „moderne“ IPR in der Regel erst seit Savignys Untersuchungen zu diesem Rechtsgebiet als solches betitelt wird,2 sollen an dieser Stelle auch länger zurückliegende Ansätze Berücksichtigung finden, um seine Ansichten nicht als „ewiges Eigenthum der menschlichen Vernunft“, sondern „Resultate eines Prozesses“3 zu begreifen.

I. Rechtskollisionen in der Antike Die meisten Zivilrechtsordnungen der Neuzeit, darunter auch die deutsche, haben sich in vielerlei Hinsicht beim Recht der Antike bedient, weshalb es als 1 Die

große Relevanz der historischen Betrachtung des Kollisionsrechts erkannte schon Gutzwiller, Rec. 1929 IV, 287 (292): „En Droit international privé, l’histoire est tout“. Zustimmend Schwind, IPR, Rn.  1. Vgl. auch Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 11; Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (67 f.); Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 35 ff.; Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (96). 2  Siehe statt aller Kropholler, IPR, §  2 III. 3  So zur Bedeutung der historischen Analyse in der Rechtswissenschaft i.A. Jhering, Geist des römischen Rechts I, 102. Vgl. auch Knütel, ZEuP 1994, 244 (248 f.).

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

Auftakt des modernen Rechtsverständnisses gilt.4 Auch für das Internationale Privatrecht bietet sich daher eine Betrachtung beginnend mit dieser von zwei Großmächten dominierten Epoche an.5 1. Die hellenische polis Die Antike in Griechenland6 war grundlegend vom Aufkommen der polis, einer Vorform des Staates nach heutigem Verständnis, geprägt.7 Sie diente zuvorderst der Absicherung gegenüber potentiellen Feinden „nach außen“, verlangte aber zugleich einen Umgang mit den umliegenden Gemeinschaften auch außer­ halb kriegerischer Auseinandersetzungen8 – also nicht zuletzt in der Frage, wie mit rechtserheblichen Sachverhalten bei grenzüberschreitendem Bezug zu verfahren war. a) Subjektqualität und Herkunft als zentrale Elemente Ausgangspunkt dabei war indes zunächst kein genuin kollisionsrechtlicher Ansatz, sondern die schlichte Spaltung in Angehörige der polis als Rechtssubjekte auf der einen und Fremde auf der anderen Seite.9 Die Anerkennung als Bürger erfüllte keine rein formale Funktion, sondern formte in der Gesamtheit einen „lebendigen Körper aus Regierenden und Regierten und das politische Leben“,10 war also Ausdruck einer als natürlich verstandenen Verbundenheit des Einzelnen 4  Näher dazu Knütel, ZEuP 1994, 244 ff.; Honsell, Römisches Recht, 1 ff.; Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 102 ff. 5  Für eine grobe Einteilung in die wesentlichen Epochen siehe nur Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 4, 64 f. 6  Zur nach wie vor umstrittenen Frage, ob überhaupt von einer griechischen Antike und einem „gemeinen“ Recht gesprochen werden kann, sei nur auf die erhellenden Erörterungen von J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 158 f. und Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 159 ff. verwiesen. Die Debatte soll an dieser Stelle nicht um einen weiteren Beitrag erweitert werden, der Fokus wird vielmehr auf Beispielen liegen, in denen die „gesellschaftlich-kulturellen und rechtlichen Verbindungsgelenke“ Aussagen zur Existenz eines „griechischen Rechtskreises“ erlauben (diesen funktionalen Ansatz wählt ders., Graeca non leguntur?, Band I, 133). 7  Zur Problematik, vor diesem Hintergrund überhaupt schon von „internationalen“ Beziehungen oder Rechtskonstellationen zu sprechen, siehe nur Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 2 f., der das Adjektiv „interpolitisch“ präferiert (99). 8  Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 20 f.; siehe auch Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (36) und Klose, Die völkerrechtliche Ordnung des Hellenismus, 138. 9  H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 47; H. Schmitt/Vogt/H. Schmitt, Wörterbuch Hellenismus, 117 f.; Junker, IPR, §  4 Rn.  1. Zum Begriff des „Fremden“ Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (70 ff.). 10  Ehrenberg, Der Staat der Griechen I, 29.

I. Rechtskollisionen in der Antike

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mit seiner Heimat.11 Entsprechend lag der Fokus des Gemeinwesens darauf, Recht und Politik in größerem Ausmaß als zuvor zu regeln und strukturieren, ohne individuellen Freiheiten eine ähnlich fundamentale Position wie heutzutage zuzusprechen.12 Für die anerkannten Rechtssubjekte galt in aller Regel die lex originis, sodass der Herkunft juristisch eine besondere Bedeutung zukam;13 selbst ohne Verschriftlichung dieser Grundregel kann man daher von einer frühen Form des Personalitätsprinzips sprechen.14 Dieses ist von dem uneinheitlich verwendeten15 Terminus „Personalstatut“ gleich in mehrfacher Hinsicht zu trennen: Versteht man darunter die persönlichen Rechtsverhältnisse eines Individuums, bezeichnet der Begriff eine inhaltliche Konzentration von Anknüpfungsgegenständen („Per­ sonalstatut im materiellen Sinn“16). Während in diesem Kontext mithin ledig­lich bestimmte Sachgebiete kollisionsrechtlich einheitlich behandelt wer­ den, beanspruchte das antike Personalitätsprinzips eine nahezu universelle Reichweite.17 Von der alternativen Bedeutung des Personalstatuts als Anknüpfungsmoment in Gestalt des Wohnsitzes oder der Staatsangehörigkeit wie in Art.  5 EGBGB18 K. Roth, Genealogie des Staates, 78 spricht von einer „Politisierung der Bürgerschaft“. Zur Idee einer „Gemeinschaft des Blutes“ vgl. Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 178. Grundsätzlich zur lex patriae-Anknüpfung Vischer, FS Simonius, 401 (405). 12  Statt aller K. Roth, Genealogie des Staates, 25. Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (374) untersucht vor diesem Hintergrund den Begriff „Bürgerstaat“. Zur elementaren politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der poleis ferner v. Reden, Antike Wirtschaft, 10, 33 f. und (speziell mit Blick auf ihre Rolle in der Außenpolitik) Osmers in: Tischer/Hoeres (Hrsg.), Medien der Außenbeziehungen, 28 (45) sowie Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 79 f. 13  Ziegler in: Temporini (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang I.2, 68 (74); J. Kohler/Wenger/ Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 159; Pringsheim in: Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, 58 (60 f.). Zum Bürgerstatus in der Antike grundlegend schon Aristoteles, Politik, 78 ff. (Buch III). 14  Für diese Einsicht etwa Demandt, Antike Staatsformen, 313; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 93. Ähnlich G. Schulze in: Strangas/Chanos/Papacharalambous/Pyrgakis/Tsapogas (Hrsg.), Kollision, Feindschaft und Recht, 1097 (1100): „interlokales Personalitätsprinzip“; Ehrenberg, Der Staat der Griechen I, 60. Vgl. außerdem Voigt, Das jus der Römer IV, Beilage XVI, 315 f. [im Rahmen eines Vergleiches zur Handhabung im römischen Rechtskreis]; Hugelmann, Stämme und Nation im Mittelalter, 23 [im Zuge einer Gegenüberstellung mit mittelalterlichen Rechtsansichten]; Grotkamp in: Sänger (Hrsg.), Minderheiten und Migration, 141 (149). Ablehnend v. a. H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 76. Instruktiv zum Begriffsverständnis Sturm, Ausgewählte Schriften I, 453 ff. 15 Dazu v. Bar/Mankowski, IPR I, 18 ff. 16  So die treffende Formulierung von Funken, Anerkennungsprinzip, 22. 17  Siehe zur Unterscheidung Neuhaus, Grundbegriffe, §§  26, 42. 18  Näher zum Begriffsverständnis in diesem Kontext MüKoBGB/v. Hein, Art.  5 EGBGB, Rn.  2 ff. Hk-BGB/Dörner, Art.  5 EGBGB Rn.  1 bevorzugt aus Gründen der Klarheit die Bezeichnung „Persönlichkeitsstatut“. 11 

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

(„Personalstatut im formellen Sinn“19) unterscheidet sich das Personalitätsprinzip wiederum dadurch, dass für Personen fremder Herkunft eine Einordnung als „Nichtbürger“ möglich war.20 Ihnen fehlte in diesem Fall eine Regelung der nachbarlichen Verhältnisse zumindest dem Grunde nach gänzlich,21 was de lege lata etwa durch Sonderregelungen zur Staatsangehörigkeitsanknüpfung bei Flüchtlingen oder Staatenlosen vermieden wird.22 Davon abgesehen zielte das antike Personalitätsprinzip lediglich auf den Umgang mit Rechtskonflikten innerhalb eines staatsähnlichen Verbandes oder zwischen verschiedenen poleis in einem Herrschaftsbereich ab, ohne den Reflektions- und Abstraktionsgrad des heutigen Kollisionsrechts zu erreichen.23 Die Perspektive war den damaligen Herrschaftsverhältnissen entsprechend folglich keine im engeren Sinne internationale, jedenfalls aber eine interpersonale oder, je nach Definition, intergentile.24 Politisch und justiziell wurden die Stadtstaaten als allein legitimiert für die Behandlung von Vorkommnissen auf ihrem Gebiet betrachtet, weshalb Gerichte ihre Entscheidungen wie selbstverständlich auf die lex fori stützten und damit auch das Territorialitätsprinzip zur Anwendung brachten.25 Obgleich eigentlich in Kontrast zum statusorientierten Funken, Anerkennungsprinzip, 22. Siehe nur H. Hübner, BGB AT, Rn.  58. Zur Frage, ob darin nicht bereits eine grundlegende kollisionsrechtliche Aussage zu sehen ist, siehe Sturm, Clunet 106 (1979), 259 (264). Dagegen betonen v. Bar/Mankowski, IPR I, 24, dass die rechtliche Nichtanerkennung bestimmter Verhältnisse eher dazu geführt habe, dass ein „Gespür“ für Kollisionen sich gerade nicht entwickeln konnte. 21  Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (377). Zu Ausnahmen unten, C.I.1.b) (S.  68 ff.). Eine Besteuerung von Nichtbürgern hat das freilich nicht verhindert, siehe v. Reden, Antike Wirtschaft, 42 und Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, 316. 22  Vgl. nur Nojack, Exklusivnormen im IPR, 166 ff.; BeckOK/S. Lorenz, Art.  5 EGBGB, Rn.  22 ff.; Mankowski, IPRax 2017, 130 (134 ff.). Zum Problem der „Heimatlosigkeit“ im IPR näher schon Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (67 ff.). 23  Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 347 ff. spricht von innerstaatlichem und intermunizipalem Kollisionsrecht. Vgl. mit Blick auf das römische Recht auch Hamza, Comparative Law and Antiquity, 127. 24  Grundlegend zu dieser Differenzierung Makarov, Grundriß des IPR, 25 f. Vergleichbare Abgrenzungen trifft auch Osmers in: Tischer/Hoeres (Hrsg.), Medien der Außenbeziehungen, 28 (29) in Bezug auf den Begriff der antiken „Außenpolitik“. Vgl. Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 3. Die Schwierigkeit, Begriffe wie „Volk“, „Nation“ und „Staat“ den verschiedenen poleis einerseits und einem (nicht existenten) griechischen Einheitsstaat andererseits zuzuordnen, macht Winterling, FS H. Schmitt, 313 (314 f.) deutlich. 25  Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 349; J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 159; Ehrenberg, Der Staat der Griechen II, 64. H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 27 f. gängelt dieses Verständnis indes als zu sehr vom heutigen Rechtsdenken geprägt. Zu ähnlichen Entwicklungen im römischen Recht vgl. Ziegler in: Temporini (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang I.2, 68 (77). 19  20 

I. Rechtskollisionen in der Antike

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Personalitätsprinzip stehend,26 führte es in Verbindung mit diesem zu folgender Situation: Die Gerichte wandten auf ihrem Territorium im Regelfall das „eigene“ Recht an und betrachteten dabei primär Personen, die diesem qua Geburt unterstanden, als schützenswerte Rechtssubjekte.27 Dadurch, dass trotz ausschließlicher Heranziehung des Forumrechts zusätzliche personale Anforderungen durch die Parteien eines Prozesses erfüllt werden mussten, wurde der Rechtsschutz lokal stark eingeschränkt.28 Heldrich spricht insofern gar von einer „archaischen Verbundenheit von forum und ius“ und stellt den „internationalen“ Aspekt dieser Vorgehensweise insgesamt infrage.29 Gleichwohl lässt sich zum Beispiel aus der Gerichtsrede „Aiginetikos“ des Isokrates, in der die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung zur Diskussion stand,30 zumindest eine rudimentäre Auseinandersetzung mit Rechtsregimen außerhalb der polis und Streitparteien ohne die eigentlich erforderlichen Bürgerrechte ableiten: Zwar hat in dem Prozess eine tatsächliche Reflexion der verweisungsrechtlichen Komponente wohl nicht stattgefunden;31 zur Untermaue­rung seiner These führte der Redner aber immerhin parallel gestaltete Normen aus allen tangierten Rechtskreisen an und qualifizierte die unterschiedliche soziale Stellung der Streitparteien offenbar nicht als Hindernis für ein Urteil.32 Dennoch fehlte es den damaligen Instanzen an der Einsicht, dass für die einheimische Justiz eine Alternative darin bestanden hätte, fremdes Recht anstelle des eigenen anzuPringsheim in: Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, 58 (61) verneint davon ausgehend die Geltung des Territorialitätsprinzips. Vgl. auch (zum römischen Recht) Schönbauer, Phil.-hist. Anzeiger 1960 (Nr.  25), 182 (187 f.). Dass die Prinzipien in der rechtlichen Realität nicht zwansgläufig eine solche Unvereinbarkeit aufweisen wie in der theoretischen Betrachtung, arbeitet etwa Hugelmann, Stämme und Nation im Mittelalter, 60 überzeugend heraus. 27  Sturm, Ausgewählte Schriften II, 638 f. erkennt darin als Grundsätze „Exklusivismus“ und „Personalismus“. Vgl. auch H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 32 f., der allerdings die Geltung dieser beiden Prinzipien verneint (76). Das Zusammenwirken dieser Prinzipien beleuchtet auch Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (373). 28  Sturm, Ausgewählte Schriften II, 454; v. Hoffmann/Thorn, IPR, §  2 Rn.  2. 29  Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1. Kritisch zur Existenz eines forum originis und einer lex originis insoweit Nörr, TRG 1963, 525 (536 ff.). 30  Isokrates, Sämtliche Werke II, 218 ff. (deutsche Übersetzung zur Rede or. XIX). Zur Ausgangslage ausführlich H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 15 ff. 31  Dies liegt nach Kegel/Schurig, IPR, 162 daran, dass sich die zur Verfügung stehenden Rechte in wesentlichen Aspekten ähnelten. 32  So die Deutung von H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 24 ff. Lewald, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968), 419 (422) betont allerdings, dass der Verweis auf die inhaltliche Parallelität verschiedener Rechtsordnungen noch heute nicht selten angeführt werde, um eine im engeren Sinn kollisionsrechtliche Auseinandersetzung gerade zu vermeiden. Eine Nähe dieser Überlegungen zur heutigen Qualifikation und damit eine internationalprivatrechtliche Prägung sieht Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 32 f. 26 

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

wenden und daraus sogar praktische Verbesserungen zu ge­win­nen.33 Stattdessen dienten vergleichende Betrachtungen dem Ziel, das interne Recht durch polis­ übergreifende Entwicklungstendenzen anzureichern oder abzusichern, wo­durch eine tatsächliche Anwendung fremden Rechts redundant erschien.34 b) Effizienzsteigerung durch Gastfreundschaft und Verträge Hätte man es bei der strikten Geltung des Personalitätsprinzips in Reinform belassen – der Weg zu einem frühen Kollisionsrecht wäre versperrt gewesen.35 Gerade aus dem Umstand heraus, dass Rechtskonflikte mit „Fremden“ sich häuften, obwohl diese ursprünglich nicht vorgesehen waren und Regelungen für derartige Situationen fehlten, wurde eine praktische Lösung jedoch unumgänglich.36 Da ansonsten eine Vielzahl von Fällen vor den regionalen Spruchkörpern unbeantwortet geblieben wäre,37 entschied man sich in weiten Teilen des griechischen Einflussgebiets dazu, in Sonderfällen auch Nichtangehörigen der jeweiligen polis die Befugnis zu erteilen, sich bis zu einem gewissen Grad auf die örtlich geltenden Gesetze zu berufen38: Angesichts einer kontinuierlichen Fortentwicklung in Wirtschaft und Verkehr blieb den Staatsverbänden keine andere Wahl, als auf Basis einer speziellen „Gastfreundschaft“39 oder in Ver33  Barta in: Rollinger/Barta/Lang (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Interkulturalität, 31 (84). Über einen „Ausdruck befriedender Toleranz“ (nach Sturm, Ausgewählte Schriften I, 453) ging das Personalitätsprinzip daher regelmäßig nicht hinaus. 34  Lewald, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968), 419 (422 f.) erkennt insofern Ähnlichkeiten zum römischen ius gentium (siehe dazu unter C.I.2.a), S.  77 ff.). In diese Richtung auch Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 15; Kegel/Schurig, IPR, 162; Ehrenberg, Der Staat der Griechen II, 64 (allerdings einschränkend zu einer derartigen Entwicklung im ptolemäischen Ägypten, 66). 35 Zu dieser Einschätzung gelangt Majer, Das römische internationale Privatrecht, 112. Ebenso Sturm, Ausgewählte Schriften I, 453. 36 So H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 1 f. Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (76) betont in diesem Zusammenhang die normative Schaffenskraft der Reziprozität. Als Beleg lässt sich die Anerkennung von Urkunden als Beweismittel auch ohne Anwesenheit von Zeugen beim Vertragsschluss in Griechenland zur Überwindung von Beweisproblemen im Ausland anführen, siehe Pringsheim, FS Simonius, 287 (289 ff.). 37  Auch wenn die griechische Rechtsordnung damals noch nicht als „vollständig“ verstanden wurde und ein „Verbot der Rechtsverweigerung“ (vgl. Kropholler, IPR, §  2 I 1) nicht bestand, sollte dies gewiss nicht den Regelfall darstellen, vgl. H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 37 f., 53 f. 38  Zu dieser allgemeinen Einsicht statt aller Junker, IPR, §  4 Rn.  1 und Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 412. 39  Instruktiv zu diesem Instrument im privatrechtlichen Kontext Hiltbrunner, Gastfreundschaft in der Antike, 50 ff. Dass es sich bei dieser Form der Interaktion um eine noch recht archaische handelte, betonen Osmers in: Tischer/Hoeres (Hrsg.), Medien der Außenbeziehungen, 28 (34) und Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 89 f.

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tragswerken die Realität vor den Gerichten zu ordnen.40 Insbesondere bestand für Fremde die Chance, im Rahmen der Proxenie eine rechtlich geschützte Stellung, ähnlich der eines Honorarkonsuls, außerhalb der eigenen polis zu erlangen.41 Anders als bei der rein privaten Gastfreundschaft42 fußte sie auf der besonderen Beziehung der privilegierten Person zu einem der Bürgerstaaten,43 das Verhältnis hatte also einen nicht unerheblich staatsrechtlichen Charakter.44 Diese Form des Fremdenrechts war in erster Linie dazu gedacht, Beziehungen zwischen den poleis zu stärken, was nicht zuletzt in der förmlichen Verleihung zum Ausdruck kam.45 Mithin entsprang die Zuerkennung einer zumindest partiellen Rechtspersönlichkeit für verdiente Individuen weniger kollisionsrechtlichen Gedanken als dem praktischen Bedürfnis, Bündnispolitik zu betreiben.46 Da somit Reziprozitätserwägungen den Grundstein für diese Form der Verständigung legten,47 etablierte ein Bürgerstaat solche „sozialen Netzwerke“48 nur zu poleis, von denen erfahrungsgemäß keine expansiven Bestrebungen zulasten des eigenen Territoriums ausgingen.49 H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 1. Es ging also um Anforderungen „plurinationaler Transaktionen“, siehe Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 18. Zu diesem Eindruck auch Sturm, Clunet 106 (1979), 259 (261) und v. Hoffmann/Thorn, IPR, §  2 Rn.  3. 41  Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 132. Die verschiedenen Formen werden bei H. Schmitt/Vogt/H. Schmitt, Wörterbuch Hellenismus, 146 erörtert. Sommer, Wirtschaftsgeschichte der Antike, 53 erläutert die konkrete Umsetzung anhand eines Ehrendekrets der polis Athen zugunsten des sidonischen Königs Straton. 42  Zu deren Grundlagen einleitend Hiltbrunner, Gastfreundschaft in der Antike, 34 ff. 43  Detailliert dazu Hiltbrunner, Gastfreundschaft in der Antike, 69 ff. Regelmäßig erhielten adelige Funktionäre diese Ehrung, siehe Wohlan, Das diplomatische Protokoll im Wandel, 37. Den „aristokratischen Kontext“ vieler Formen der Gastfreundschaft betonen auch Sommer, Wirtschaftsgeschichte der Antike, 47 und Ehrenberg, Der Staat der Griechen I, 30. Eine beispielhafte Darstellung und Übersetzung eines solchen Dekrets aus der antiken Stadt Myus findet sich bei Günther, FS H. Schmitt, 87 (89 f.). 44  Wohlan, Das diplomatische Protokoll im Wandel, 33 f.; Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 29 f. Zu weiteren möglichen Formen der Verleihung siehe Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (77). 45  Demandt, Antike Staatsformen, 241. Zur nicht unerheblichen politischen Funktion auch der privaten Gastfreundschaft siehe Hiltbrunner, Gastfreundschaft in der Antike, 55 ff. 46  Ehrenberg, Der Staat der Griechen I, 82; vgl. Osmers in: Tischer/Hoeres (Hrsg.), Medien der Außenbeziehungen, 28 (33 f.); Wohlan, Das diplomatische Protokoll im Wandel, 25; Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 38. Zur Abgrenzung von Fremdenrecht und IPR siehe Gebauer, LA Jayme, 89 (91 ff.). 47  Osmers in: Tischer/Hoeres (Hrsg.), Medien der Außenbeziehungen, 28 (36); Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 346. 48 So v. Reden, Antike Wirtschaft, 28 ff. 49  Klose, Die völkerrechtliche Ordnung des Hellenismus, 86 f. bezieht sich insofern v. a. auf den Umgang der Ptolemäer mit den Antigoniden. 40 

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

Im Ergebnis ließ eine große Anzahl von Proxenieerteilungen zwischen zwei Stadtstaaten vornehmlich auf einen florierenden Wirtschaftsverkehr schließen,50 wohingegen kollisionsrechtliche Ideale keine Beachtung fanden. Wie stark ökonomische Interessen die zwischenstaatliche Diplomatie beeinflussten, belegt die fortlaufende Intensivierung der Beziehungen: So mündete die vermehrte Erteilung von Proxenierechten mittelfristig häufig in den erwähnten Freundschaftsoder Sympolitieverträgen zwischen den Stadtstaaten,51 wobei deren Inhalt sich zunächst wiederum auf die Zusicherung der Rechtsstellung im Handelsverkehr beschränkte.52 Die Behauptung, es habe zu damaligen Zeiten „allenfalls unsichere Ansätze von Abgrenzung des Anwendungsbereichs der eigenen Normen, interlokalem Recht, Fremdenrecht und prozessualem Sonderrecht“53 gegeben, greift jedoch in ihrer Pauschalität zu kurz. Gerade weil in einer fremden polis nicht selten die Rechtlosigkeit drohte, wurden zunehmend detailliertere Staatsverträge verhandelt, welche die rechtlichen Beziehungen zwischen den jeweiligen Bürgern weitgehend oder umfassend bestimmen sollten.54 Mit dieser Intention entstanden beispielsweise zwischen den altgriechischen poleis Milet und Gortyn Absprachen über rechtliche Anforderungen an grenzüberschreitende Geschäfte mit Sklaven oder Gefangenen als Kaufobjekte; Sardinien und Ephesus sicherten die gegenseitige Anerkennung der Bürger ihrer „Partnerstadt“ als Rechtssubjekte zu und vereinbarten explizite Klauseln zu Gerichtsstand und anwendbarem Sachrecht.55 Im Laufe der Zeit wurde in intermunizipalen Fällen sogar die Praxis begründet, bei grenzüberschreitenden Fällen Richter aus der polis, deren Rechtskreis ebenfalls berührt war, in den Prozess einzubinden und ihnen einen Ermessensspielraum zu gewähren; dieser Vorgang begünstigte eine rechtliche Annäherung.56 Beispielen aus Primärquellen Ehrenberg, Der Staat der Griechen I, 79. Zu diesem Eindruck gelangt infolge einer Analyse eines solchen Vertrages zwischen Stymphalos und Demetrias auch Thür, FS H. Schmitt, 267 (269). 51  Ehrenberg, Der Staat der Griechen I, 81. Zu den unterschiedlichen Vertragstypen und deren Inhalt Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 32, 114 ff. 52  Ehrenberg, Der Staat der Griechen I, 79. Näher zu diesen Entwicklungen H. Schmitt/ Vogt/H. Schmitt, Wörterbuch Hellenismus, 569; Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht, 73; v. Reden, Antike Wirtschaft, 68; Klose, Die völkerrechtliche Ordnung des Hellenismus, 142 f. Anhand der polis Myus untersucht bei Günther, FS H. Schmitt, 87 (87 f.). 53  Kropholler, IPR, §  2 I 1. 54 Zu diesem Umstand Chiusi in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht, 3 (22); Hamza, Comparative Law and Antiquity, 151 ff.; Osmers in: Tischer/Hoeres (Hrsg.), Medien der Außenbeziehungen, 28 (37 f.). 55  Zu diesen und weiteren Beispielen Sturm, Clunet 106 (1979), 259 (262 f.). 56 Dazu Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 53. Die Bedeutung dieser Form von Rechtshilfe unterstreichen etwa Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 413; Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 32 f.; Lewald, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968), 419 (426); 50  Mit

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Diskussionswürdig bleibt in dieser Hinsicht die Frage, ob die schlichte Berücksichtigung fremder Rechtsregime durch bilaterale Abkommen ausreicht, um von einem Kollisionsrecht als Sammlung von Rechtsanwendungsregeln zu sprechen.57 Selbst wenn man deren kollisionsrechtlichen Gehalt vor dem Hintergrund anzweifeln mag, dass die ausgesprochenen Befehle nur vereinzelt Aussagen zum anwendbaren Recht trafen,58 lässt sich der dahinterstehende Telos nicht leugnen, Konflikte in der Rechtsanwendung zu vermeiden. Durch diese Verträge wurde demgemäß kein verweisungsorientiertes IPR-System geschaffen, die Überwindung von Unsicherheiten im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr war aber zweifelsohne intendiert.59 c) Kolonisation als verstärkender Faktor Ebenfalls eine große Bedeutung für die antiken Vorläufer eines Kollisionsrechts nahm die Ausdehnung des hellenischen Reiches durch Kolonisation ein,60 im Zuge derer größere poleis dazu übergingen, Rechtsanwendungskonflikten mit oftmals weit entfernten Tochterstädten mittels bilateraler Regelungskataloge zuvorzukommen.61 Primärquellen lassen etwa für Aussiedler aus der Region Lokris, die in größeren Gruppen unter anderem in Teile des heutigen Ägyptens Ehrenberg, Der Staat der Griechen II, 63 f. Ders., Der Staat der Griechen I, 60 betont jedoch, dass neben einer schlichten Überlastung der Gerichte die vermeintlich höhere Neutralität ausländischer Richter diesen Schritt bedingt habe. 57 Siehe G. Schulze in: Strangas/Chanos/Papacharalambous/Pyrgakis/Tsapogas (Hrsg.), Kollision, Feindschaft und Recht, 1097 (1100). 58  In diese Richtung Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 1 f., der sich auf die Ähnlichkeit der stadtstaatlichen Rechte und die einseitige Betonung der lex fori im Falle von vertraglichen Verweisungen stützt. 59  Zu diesem Ergebnis kommt Lewald, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968), 419 (423 ff.). 60  Die im Folgenden erläuterten Aspekte lassen sich in weiten Teilen auf den Umgang des Römischen Reiches mit seinen Kolonien übertragen, da die realen Folgen des Hellenismus durch die Römer, insbesondere nach deren Eroberung des ptolemäischen Ägyptens, oftmals nicht abgeschafft, sondern übernommen und modifiziert wurden. Dazu detailliert Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht, 17 ff.; Sturm, Ausgewählte Schriften II, 645 f.; Pringsheim in: Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, 58 (69 ff.); Kreuter, FS H. Schmitt, 135 ff. (zum Umgang Roms mit der hellenistischen Großmacht Kreta). Zu diesem Eindruck auch Lewald, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968), 615 (620 f.) und Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 102. Auf eine gesonderte Betrachtung der vom römischen Kaiserreich ausgehenden Kolonisation wird daher an späterer Stelle verzichtet, es sei nur verwiesen auf Voigt, Das jus der Römer IV, Beilage XVI, 318 f.; Majer, Das römische internationale Privatrecht, 50 ff.; Schönbauer, Phil.-hist. Anzeiger 1960 (Nr.  25), 182 (190 ff.); Braunert, Politik, Recht und Gesellschaft, 305 ff. (zu lateinischen Rechtstraditionen in den Stadtrechten der hispanischen Munizipien Salpensa und Malaca). 61  Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 366 ff. Dadurch konnten beispielsweise die attischen Seebünde sich ausbilden, siehe Thür, FS H. Schmitt, 267 (269 f.). Näher zu deren Ent-

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

unter ehemals griechischer Herrschaft emigrierten, auf umfangreiche Regelungen im Erbrecht schließen.62 Es bleibt allerdings auch hier bei dem Befund, dass im Wesentlichen Bestimmungen zur Kompetenzverteilung der Gerichte getroffen wurden,63 sodass die Sachrechtsanwendung primär Konsequenz des vorherrschenden lex fori-Grundsatzes und nicht Ergebnis verweisungsrechtlicher Überlegungen war.64 Im Kern standen derartige Kataloge nicht Pate für die Anerkennung fremder Rechtsordnungen, sondern sie dienten dazu, eine enge Bindung an die Mutterstadt zu etablieren,65 damit etwa die Reintegration für Auswanderer aus dem griechischen Mutterland bei Wahrnehmung eines Heimkehrrechts weniger Probleme bereitete.66 Überbleibsel vorgriechischer Rechts­ traditionen hingegen wurden beispielsweise im ägyptischen Raum vor allem in Bereichen akzeptiert, in denen keine negativen Auswirkungen auf die Effektivi-

stehungsgeschichte und Organisation Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 48 ff., 141 ff. und Ehrenberg, Der Staat der Griechen I, 85 ff. 62  Insoweit analysiert durch Tintel, Magna Graecia, 76 ff. und Sturm, FS Biscardi V, 463 ff., weshalb Letzterer auf eine Form „archaischen Kollisionsrechts“ schließt. Vgl. auch ders., Ausgewählte Schriften II, 723 ff. und Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 353 f., 415 ff. Zur Übernahme hellenistischer Rechtstraditionen außerhalb des unmittelbaren griechischen Herrschaftsgebiets speziell im Erbrecht Lewald in: Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, 666 (675). Zu griechisch-römischen Einflüssen im Stadtrecht von Antinoopolis Braunert, Politik, Recht und Gesellschaft, 328 ff. 63  Dazu anhand einer ausführlichen Papyrusstelle Lewald in: Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, 666 (686 ff.). Die These einer speziellen „Fremdenjurisdiktion“ wird durch die Analyse von H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 44 f. gestützt. Zustimmend auch Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 44 ff. 64  Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 2. Ein Beispiel zu Überlegungen hinsichtlich des Forums bei einem griechisch-ägyptischen Prozess analysiert auf Primärquellenbasis Grotkamp in: Sänger (Hrsg.), Minderheiten und Migration, 141 (147 f.). Zum Ablauf derartiger „Fremdenprozesse“ anhand eines überlieferten Rechtsgewährungsvertrages zwischen zwei poleis näher Thür, FS H. Schmitt, 267 (268). 65  Hamza, Comparative Law and Antiquity, 128; Ehrenberg, Der Staat der Griechen I, 80; Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 356; Pringsheim in: Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, 58 (65): „Das griechische Recht wandert mit den Siedlern“. Zur Fixierung der Herkunft in „Heimatsvermerken“ siehe Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (345 ff.). Lewald in: Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, 666 (680) betont insofern die Rückbesinnung auf das Personalitätsprinzip. Das Verhältnis der Tochterstädte zu den griechischen Kolonisatoren untersucht H. Schmitt/Vogt/H. Schmitt, Wörterbuch Hellenismus, 675 ff. Näher zur strategischen Bedeutung der Kolonisation v. Reden, Antike Wirtschaft, 10 ff. und Braunert, Politik, Recht und Gesellschaft, 103 ff., 129 ff. 66 Vgl. Tintel, Magna Graecia, 22 und Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 426. Die Geltung eines ius migrandi untersucht insofern Sturm, Ausgewählte Schriften II, 657 f.

I. Rechtskollisionen in der Antike

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tät handelsbezogener Rechtsgeschäfte zu befürchten standen.67 Wo den koloni­ sierten Völkern eine privatautonome Gestaltung ihrer persönlichen Verhältnisse gewährt wurde,68 lag diesem Ansatz folglich ein sehr einseitiges Verständnis einer rechtlichen „Symbiose“69 zugrunde. d) Fazit: Ambivalenz des griechischen Ansatzes Aus den Untersuchungen zu Vorformen eines internationalen Privatrechts im antiken Griechenland spricht eine gewisse Ambivalenz, die sich in weiten Teilen auf gesellschaftspolitische Entwicklungen zurückführen lässt: Einerseits festigte die Gründung von poleis den Blick „nach innen“ und forcierte eine Abgrenzungshaltung der Bürger und ihrer politischen Instanzen, wie es auch die politische Theorie von Aristoteles vorsieht.70 Das „Kollisionsrecht“ dieser Zeit zog folge­ richtig mit dem Personalitäts- und dem Territorialitätsprinzip zwei Instrumente zurate, die Ausdruck der zentralen Rolle von Stadtstaaten im Gefüge des griechischen Herrschaftsgebiets waren. Solange sie sich auf die einheimischen Personen erstreckten, wurden fremde Rechtsordnungen und -systeme als legitime Entscheidungsgrundlage angesehen; die Achtung, die sie auf diesem Wege erfuhren,71 endete aber an den Grenzen des Herrschaftsgebiets. Andererseits konnten Legislative und Judikative die parallele Zunahme des grenzüberschreitenden Handels-, Wissens- und Personentransfers sowie die Folgefrage nach dem anwendbaren Recht nicht schlichtweg ignorieren.72 Aus diesen Motiven heraus entstanden die oben angesprochenen Formen von Vertragswerken und

Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht, 54 ff.: Recht der Erstgeburt, Stellung der Frauen in der Gesellschaft, eigene Formen der Gütergemeinschaft, Anzahl der Zeugen bei Beurkundungen, gerichtliche Vertretung der Familie durch den ältesten Sohn. Vgl. auch Ehrenberg, Der Staat der Griechen II, 65 f. Die grundlegende Bedeutung des Handels der Griechen mit den „Barbaren“ im Zuge der Kolonisation beleuchtet Tintel, Magna Graecia, 51 ff. 68 Dazu H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 50 f. und Sturm, Ausgewählte Schriften II, 841 ff. Vgl. auch Kegel/Schurig, IPR, 163. 69  Näher untersucht von Hamza, Comparative Law and Antiquity, 206 ff. 70  Vgl. oben unter B.II.1.a) (S.  19 ff.). Im Gegenzug konnte die Aufnahme interpolitischer Beziehungen nicht selten mit Destabilisierungseffekten zulasten der vormals isolierten polis einhergehen, wie etwa Winterling, FS H. Schmitt, 313 (326) hervorhebt. 71  Zu diesem Aspekt Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (74). 72  H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 62 f. Nach Pringsheim in: Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, 58 (71) hat der ständige Vergleich mit fremden Rechtssystemen „anfeuernd“ wirken und Fortschritt beleben können. Diese positiven Effekte betont auch Sommer, Wirtschaftsgeschichte der Antike, 52 f. Vgl. ferner Ehrenberg, Der Staat der Griechen II, 1. 67 

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

Gastfreundschaft, durch die eine Öffnung – wenn auch keine wirkliche Rezep­ tion73 – gegenüber fremden Rechtsordnungen stattfinden musste.74 Bereits an der griechischen Zivilisation der Antike können wir also nachvollziehen, auf welche Weise Vorstellungen von Staat und Volk in Fragen der Rechtsanwendung bei grenzüberschreitenden Fällen Niederschlag gefunden haben: Dass anstelle einer prinzipiellen Gleichstellung von Staaten und ihren Bürgern versucht wurde, internationalen Sachverhalten durch die einseitige Konzession von Rechtspositionen zu begegnen, ist Symptom einer generellen Instrumentali­sierung von Rechtskollisionen. Indem erst Abmachungen zwischen poleis externen Personen eine Rechtspersönlichkeit zusprachen und so ihre Wahrnehmung im juristischen Sinne garantierten, erfüllten sie eine eindeutig politische Funk­tion.75 Ebenbürtigkeit im Recht galt nur dort, wo wirtschaftliche Notwen­dig­keiten es geboten; zu einer pluralistischen Betrachtung der Normenbestände kam es in der Praxis nur in rudimentärer Form. Tiefgreifende und dauerhafte Fortschritte in Richtung eines wertneutralen Verweisungsrechts konnten sich auf dieser Basis kaum einstellen, weil die Ideale der Gleichheit und der Freiheit an personale und territoriale Elemente geknüpft wurden.76 Überdies erschöpften sich die Regelungen grundsätzlich darin, der lex fori einen zusätzlichen Geltungsbereich zuzuschreiben, während ausländischem Recht abseits des eigenen Hoheitsgebiets mit Misstrauen begegnet wurde – von Wertneutralität demnach keine Spur.77

73  In der Frage, inwieweit dieser Zwischenweg schon den Begriff IPR verdient, sieht Grotkamp in: Sänger (Hrsg.), Minderheiten und Migration, 141 (148) den wesentlichen Grund für die Diskussion um den kollisionsrechtlichen Gehalt der antiken Methoden. Zu den unterschiedlichen Ansichten vgl. auf der einen Seite Lewald in: Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, 666 (674) und auf der anderen Seite H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 1, 30. Kritisch zu dessen Ergebnissen auf Basis derselben Quellen Sturm, Ausgewählte Schriften I, 335 ff. 74  Thür, FS H. Schmitt, 267 (271) bezeichnet Proxenie- und Sympolitieverträge daher als „politisches Instrument“, das jedoch auch eine „vernünftige Regelung von privaten Rechtsbeziehungen“ enthalten habe. Zu dieser Wirkung auch H. Schmitt/Vogt/H. Schmitt, Wörterbuch Hellenismus, 120 f. Klose, Die völkerrechtliche Ordnung des Hellenismus, 142 hebt insofern hervor, dass das Fehlen eines derartigen Vertrages zwischen zwei größeren poleis im Laufe der Zeit geradezu als Anomalie wahrgenommen worden sei. 75  Vgl. oben, B.II.1.c) (S.  26 ff.). 76  Vgl. zu diesen Anforderungen oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.). 77  Vgl. oben, B.II.2. (S.  32 ff.).

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2. Das Römische Reich Auch das römische Recht basierte auf dem Gedanken, das ius civile sei nur für die eigenen Bürger geschaffen.78 Nur für Verhältnisse zwischen diesen war daher auch im Ausgangspunkt eine normative „Gleichheit“ in Status und Behandlung anerkannt.79 Zugleich zeichneten sich die römischen Expansionsbestrebungen in der Antike80 allerdings dadurch aus, dass Völkern in den eroberten Gebieten oftmals die Beibehaltung der eigenen Rechtsordnung zugestanden wurde.81 Aufgrund dieser Koexistenz von Rechtsregimen82 gehörten Gesetzeskollisionen zum römischen Alltag,83 der Umgang mit ihnen erschien daher schon aus damaliger Perspektive zwingend.

78  Jhering, Geist des römischen Rechts I, 226 bezeichnet das ius civile daher als „Vereinbarung der römischen Bürger unter sich“. Siehe auch Lewald, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968), 615 (618), der zudem seltene Ausnahmen anführt, in denen das ius civile auf Peregrinen angewandt wurde (624 f.). Dazu auch Majer, Das römische internationale Privatrecht, 116 ff. Die Erlangung subjektiver Rechte durch das römische Recht beleuchten Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 60 ff. und Endemann, Römisches Privatrecht, 54 ff. 79  Honsell, Römisches Recht, 6. Nach Jhering, Geist des römischen Rechts I, 109 war die Anerkennung fremden Rechts damit „auf den engen Kreis der Genossen beschränkt“. 80  Behandelt wird an dieser Stelle das römische Recht in der „Blüte“ des Reiches, insbesondere also in der späten Republik und zur Zeit des Prinzipats. Da die Rechtswissenschaft in der anschließenden absoluten Kaiserzeit an Bedeutung verlor (siehe nur Wieacker, Recht und Gesellschaft in der Spätantike, 46 f.) und sich durch die Constitutio Antoniniana zu Beginn des 3.  Jahrhunderts ferner eine partielle Rechtsvereinheitlichung einstellte (siehe z. B. Meder, Rechtsgeschichte, 99 f.), wird diese Epoche ausgespart. Zu diesem Umstand ferner Kreutz, Recht im Mittelalter, 8; Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 58; Boosfeld, JuS 2017, 490 (490 f., 493 f.). Entwicklungen in vorherigen Epochen beleuchten etwa Endemann, Römisches Privatrecht, 18 ff. und Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 1 ff. Eine überblicksartige Periodisierung der Außenpolitik in Phasen bietet Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 57, 67 f., 164 ff. 81  Dazu nur Chiusi in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht, 3 (23). Zu dem suis legibus uti-Grundsatz auch dies. in: Girardet/Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62 (76); Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (372); ders., Phil.-hist. Anzeiger 1960 (Nr.  25), 182 (204); Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 56; Junker, IPR, §  4 Rn.  2; Kegel/Schurig, IPR, 163; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 93; Schwind, IPR, Rn.  4. Zu dieser Praxis auch J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 155 f. 82  Dass darüber hinaus Kollisionen zwischen den verschiedenen Formen von Recht entstehen und sich daher auch Fragen der Hierarchie stellen mussten, unterstreicht Voigt, Das jus der Römer IV, Beilage XVI, 321 ff. 83  Niederer, FS Fritzsche, 115 (116); Voigt, Das jus der Römer IV, 36 f.; Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 53; Simon in: Dummer/Vielberg (Hrsg.), Der Fremde – Freund oder Feind?, 113 (115 f.).

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Die Anwendung fremden Heimatrechts einer Partei bei grenzüberschreitenden Sachverhalten war insofern zwar nicht per se ausgeschlossen,84 wurde allerdings auch durch keine originär kollisionsrechtliche Bestimmung vorgeschrieben.85 Allenfalls in privaten Lebensbereichen gestattete man den „Peregrinen“86 gelegentlich eine Rückbesinnung auf ihr Heimatrecht, wenn dessen Rechts- und Moralvorstellungen das jeweilige Rechtsverhältnis in besonderer Weise bestimmten.87 Davon abgesehen wurden Merkmale peregrinischer Rechte nur rezipiert, wenn diese sich in der Praxis als vorteilhaft gegenüber dem „strengen Formalismus“ des ius civile erwiesen hatten.88 Bereits diese einleitenden Feststellungen dokumentieren, dass auch die römische Antike ein Verweisungsrecht im engeren Sinne nicht kannte. Dort, wo in Primärquellen Abschluss- oder Erfüllungsorte von Verträgen in den Blick genommen89 und damit potentielle Anknüpfungsmomente zumindest angesprochen wurden, sollte im Regelfall lediglich das Forum festgelegt werden.90 Zu der Frage, welche alternativen Methoden bei Rechtskollisionen zur Verfügung standen, kann leider auf kein allzu umfangreiches Quellenmaterial zurück-

84  Zu tatsächlichen Beispielen von Fremdrechtsanwendung Voigt, Das jus der Römer IV, Beilage XVI, 329 ff.; Majer, Das römische internationale Privatrecht, 120 f.; H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 70 f. Siehe auch Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 6. Diese Praxis galt i.Ü. unabhängig davon, ob es sich um Menschen latinischen Ursprungs handelte oder nicht, siehe Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 266 f. Näher zu den latini, die eine rechtliche „Mittelstellung“ einnahmen, Endemann, Römisches Privatrecht, 41; J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 192; Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 57. Vgl. auch Simon in: Dummer/Vielberg (Hrsg.), Der Fremde – Freund oder Feind?, 113 (114 f.). 85  Kropholler, IPR, §  2 I 1; H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 72: „Aber es gab keine Konfliktslehre“. Majer, Das römische internationale Privatrecht, 122 erkennt aber nach einer umfassenden Analyse von Primärquellen (11 ff.) zumindest einige ungeschriebene Regeln zur Anwendung der lex patriae. Baldus, FS Winkel, 61 (66) untersucht einen Fall, in dem fremdes Recht (in dem Fall als ius hostium bezeichnet) als solches zwar gesehen, aber für das römische Territorium für unerheblich erklärt wurde. 86  Zur Wortherkunft Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (72) und Voigt, Das jus der Römer IV, Beilage XI, 40 ff. 87  Majer, Das römische internationale Privatrecht, 122. 88  Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 131. Ausführlich zu diesem Aspekt des ius strictum etwa Jhering, Geist des römischen Rechts II 2, 504 ff. 89  Zahlreiche Belege bei Voigt, Das jus der Römer IV, Beilage XVI, 294 ff. 90  Sturm, Clunet 106 (1979), 259 (268) betont, dass die Bestimmung dieser Orte in ähnlicher Weise erfolgt sei wie heutzutage, aber anderen Zwecken gedient habe. Voigt, Das jus der Römer IV, Beilage XVI, 305 ff. führt zwar auch mittelbare Bezüge zum anwendbaren Recht an, leitet daraus allerdings ohne ausreichende Begründung eine vermeintlich allgemeingültige Regel ab.

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gegriffen werden.91 Immerhin ist sich die Forschung aber einig, dass es einige Mechanismen mit internationalprivatrechtlicher Färbung gab,92 deren Wirkungsweisen und Hintergründe im Folgenden erläuert werden sollen. a) Fremdenprätor und „Recht der Völker“ Das Bewusstsein des römischen Patriziats für die Sonderstellung von Streitigkeiten zwischen Römern und Fremden oder zwischen Pegegrinen untereinander zeigte sich schon in der Existenz eines dafür zuständigen praetor peregrinus.93 Ihm oblag es, die vorgebrachten Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden; da er auf römische Normen und Gebräuche nicht zurückgreifen durfte, schuf er eigene Rechtssätze.94 Sein Wirken war dem Ziel verschrieben, wirtschaftlichen Hindernissen in grenzüberschreitenden Fallkonstellationen durch effektive Präzedenzrechtsprechung vorzubeugen.95 Der ökonomische Kontext dieses Amtes wird eindrücklich durch den Zeitpunkt seiner Einführung um 242 v. Chr. belegt: Sie erfolgte in der Periode unmittelbar nach Ende des Ersten Punischen Krieges, als Waren- und Rechtsverkehr einen erheblichen Aufschwung erlebten.96 91  Zu diesem Problem Lewald, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968), 615 (622 f.) und Niederer, FS Fritzsche, 115 (120). Ders., Einführung IPR, 19 betont daher, dass „die Kollisionsrechte der Antike noch weitgehend im Dunkel liegen“. Die Bejahung der Existenz von Kollisionsnormen auf Grundlage weniger fragmentarischer Quellen durch Sturm, FS Schwind, 323 (327 f.) erscheint vor diesem Hintergrund mithin zumindest gewagt. 92  Statt aller Voigt, Das jus der Römer IV, 1. Zu Recht weist Hamza, Comparative Law and Antiquity, 147 f. daher darauf hin, dass bezüglich der Qualifizierung als „Kollisionsrecht“ zwar Meinungsverschiedenheiten in der Literatur bestehen, die unbestrittenen soziopolitischen Umstände aber als Indiz für das tatsächliche Auftreten dieser Problematik herangezogen werden können. 93  Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (79); Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 2 f.; Meder, Rechtsgeschichte, 66. Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 56 verweist insofern auf eine Primärquelle, in der für die Notwendigkeit des Amtes auf die zunehmende Präsenz von Fremden auf römischem Territorium abgestellt wird. 94  Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 201 f.; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 443. Dabei wurden nicht selten „Kunstgriffe des Prozeßrechts“ bemüht, siehe H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 69. Zur Frage, ob auch der Grundsatz der bona fides aus der Spruchpraxis der Fremdenprätoren erwachsen ist, Honsell, Römisches Recht, 86. Die generelle Funktion des ius honorarium unterstreichen Wieacker, Recht und Gesellschaft in der Spätantike, 44 f.; Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 53; J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 166 ff.; Boosfeld, JuS 2017, 490 (492). 95  Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 203. 96  Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 438 f.; J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 157; Chiusi in: Girardet/Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62 (74). Zu der zeitlichen Einordnung der Position des Fremdenprätors auch Endemann, Römisches Privatrecht, 19; Majer, Das römische internationale Privatrecht, 115; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 132; Barta, Graeca non

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Ein praktisches Regelungsbedürfnis im Umgang mit externen Völkern und Kulturen bezeugt außerdem das aus der Rechtsfortbildung der Fremdenprätoren erwachsene ius gentium, das auch Peregrinen zustand und von diesen eingeklagt werden konnte.97 Es enthielt Regelungen, die als allen Völkern gemein und folglich für Nichtangehörige des Römischen Reiches ebenso geltend betrachtet wurden.98 Nicht erfasst waren unstrittig Sklaven,99 denen die körperliche Freiheit abgesprochen wurde;100 die Geltung der Sklaverei als Rechtsinstitut wurde wohl sogar als Bestandteil dieser althergebrachten Rechtssätze verstanden.101

leguntur?, Band I, 131; H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 67; Sturm, Clunet 106 (1979), 259 (269); Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 199. Die Anschlussfrage nach dem Zeitpunkt der Entstehung des ius gentium beleuchtet Voigt, Das jus der Römer II, 528 ff. Zu vorherigen Bezugnahmen auf Peregrinen als Teil privatrechtlicher Prozesse in den Zwölftafelgesetzen statt aller Simon in: Dummer/Vielberg (Hrsg.), Der Fremde – Freund oder Feind?, 113 (113 f.). Einschränkend zu deren kollisionsrechtlicher Wirkung Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (379 ff.). 97  Majer, Das römische internationale Privatrecht, 115; Chiusi in: Girardet/Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62 (73); Boosfeld, JuS 2017, 490 (493). Grotkamp in: Sänger (Hrsg.), Minderheiten und Migration, 141 (142) bezeichnet es daher als „universell“. Meder, Rechtsgeschichte, 67 nennt es die „Keimzelle eines transnationalen Völkergemeinrechts“. Dazu auch Hamza, Comparative Law and Antiquity, 125; Schnitzer, Handbuch IPR I, 5. Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (389) betont die Rolle des Fremdenprätors bei der Förderung des ius gentium in der Spruchpraxis. 98  So die antike Erläuterung von Gaius, The Institutes of Gaius, 18 ff. (englische Übersetzung zu Institutiones I, 1). Meder, Rechtsgeschichte, 67 unterstreicht die „Neutralität gegen kulturelle Besonderheiten“. 99  Zur konkreten Stellung der Sklaven näher Voigt, Das jus der Römer IV, 11 ff.; v. Reden, Antike Wirtschaft, 26 f.; Honsell, Römisches Recht, 23 f.; Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 66 ff.; Endemann, Römisches Privatrecht, 30 ff.; Söllner, Römische Rechtsgeschichte, 85 ff.; Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 99 ff.; J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 186 ff. 100 Auch der „Fremde“ musste daher, wenn auch Nichtbürger, zumindest frei sein, siehe Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (71); Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 53; Voigt, Das jus der Römer I, 69. Zur parallelen Behandlung der „Barbaren“ in der griechischen Einflusssphäre Sturm, Ausgewählte Schriften II, 640 ff. Entsprechend nahm auch Aristoteles, Politik, 18 ff. (Buch I) die Unterscheidung zwischen Sklaven und „Freien“ in seinen Ausführungen zur Politik in der Antike (vgl. dazu oben B.II.1.a), S.  19 ff.) in seine Untersuchungen auf. 101  Zum Spannungsverhältnis zwischen ius gentium und ius naturale in diesem Kontext Meder, Rechtsgeschichte, 67 f. und Voigt, Das jus der Römer IV, 4 ff. Die generelle Unterscheidung dieser verwandten Rechtssphären beleuchten ders., Das jus der Römer I, 66 f.; Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 196; Wieacker, Recht und Gesellschaft in der Spätantike, 45 f.; Majer, Das römische internationale Privatrecht, 100 ff. Ders., Das römische internationale Privatrecht, 103 führt die Abwertung von Sklaven auf das ius gentium zurück. Endemann, Römisches Privatrecht, 37 teilt diese Einschätzung und kritisiert zugleich, beim Naturrecht als Rechtsquelle gehe „jeder vernünftige Rechtsbegriff“ verloren (14). Wie

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Zweifellos wurde die Behandlung von grenzüberschreitenden Rechtskollisionen durch das ius gentium insofern um einen Aspekt bereichert, als erstmals ein komplettes Normsystem für Fremde geschaffen wurde.102 Für die Bewertung des ius gentium spielt indes eine wichtige Rolle, dass es – abseits einiger Parallelen zum hellenischen Recht103 – aus Rechtssätzen bestand, die auf einem römischen Normverständnis fußten; sowohl der Umfang als auch die Umsetzung richteten sich nach den Vorgaben der römischen Institutionen.104 Bestimmungen für reichsübergreifende Sachverhalte entsprangen oftmals der unmittelbaren Regelungskompetenz der Kaiser,105 die nur selten auch fremdes Recht rezipier­ ten.106 Von einer Gleichordnung verschiedener Rechte nach heutigem Vorbild kann ebenso wenig gesprochen werden107 wie von einem rechtsvergleichenden108 oder völkerrechtlichen109 Hintergrund. Da es vornehmlich den Waren- und Dienstleistungsaustausch begünstigen sollte, also als „Weltverkehrsrecht“110

umstritten die Einordnung teilweise selbst bei der Analyse von Primärquellen ist, belegen die Untersuchungen von Sturm, Ausgewählte Schriften II, 829 ff. 102  Rauscher, IPR, Rn.  21. 103  Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 132 f. 104  Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 54; Majer, Das römische internationale Privatrecht, 94; Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 4; Majer, Das römische internationale Privatrecht, 94. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 445: „Die Anwendung eines Weltrechts als solchen lag natürlich dem Fremdenprätor ganz fern“. 105  Hamza, Comparative Law and Antiquity, 149 f. Instruktiv zu deren Rechtsetzungs- und Auslegungskompetenz Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 210 ff.; Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 65 ff.; Söllner, Römische Rechtsgeschichte, 102 f.; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  294 ff. 106  Dass dies dennoch in Sonderfällen geschah, belegt Sturm, Ausgewählte Schriften I, 338. Zustimmend Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  50. 107  H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 66 f.; Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (79); Sturm, Ausgewählte Schriften II, 824 f. In diese Richtung aber J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 157, 185. 108  Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (386). 109  Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  275; Meder, Rechtsgeschichte, 67; Honsell, Römisches Recht, 20 f.; Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 60; Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 15. Voigt, Das jus der Römer II, 24 ff. qualifiziert es zwar als das „römisch-antike Völkerrecht“, analysiert in seinen Ausführungen aber sorgsam die tatsächlichen Bezüge zum Völkerrecht nach klassischen Verständnis. Majer, Das römische internationale Privatrecht, 95 erkennt Parallelen zum Völkergewohnheitsrecht. Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 198 differenziert in Anlehnung an eine Definition von Hermogenian zwischen der völkerrechtlichen und der privatrechtlichen Dimension des ius gentium. 110  Endemann, Römisches Privatrecht, 13; vgl. auch Jhering, Geist des römischen Rechts I, 234 („internationales Handelsrecht“).

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einen wirtschaftspolitischen Zweck verfolgte111, wurden ferner Materien ohne handelsspezifischen Fokus wie das Familien- und Erbrecht aus dem Regelungs­ kanon ausgeschlossen.112 In Fällen, in denen das ius gentium ausnahmsweise deutlich über traditionelle Rechtssätze hinausging, indem es etwa die Wirksamkeit formloser Konsensualverträge bejahte,113 lässt sich dieser Schritt in der Rückschau ebenso mit dem Interesse an einem effizienten Warenaustausch begründen – das „starre, alt-bäuerliche“ ius civile konnte diesen Anforderungen häufig nicht gerecht werden.114 Wenngleich das ius gentium nach römischem Verständnis lediglich Resultat einer Rückbesinnung auf die natürliche Vernunft (naturalis ratio) war,115 sind seine Regelungen aus moderner Perspektive eher „personal abgegrenzte Sondernormen“ in Form von „Dauerbefehlen“ an Peregrinen.116 Nichtbürger mussten zumindest nicht fürchten, gänzlich rechtlos gestellt zu werden; sie wurden allerdings keineswegs als vollwertige Rechtssubjekte betrachtet.117 Vor diesem 111  Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 64; Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 57 f.; Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 199. 112  Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 2 f.; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 94; Lewald, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968), 615 (619); Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (274); J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 156. Den primären Fokus des ius gentium auf das Obligationenrecht unterstreicht auch Voigt, Das jus der Römer IV, 24. Zu einzelnen Regelungsgehalten Sturm, Ausgewählte Schriften I, 454 und Majer, Das römische internationale Privatrecht, 93, der auch die wenigen Bezüge zum ius gentium im Personenrecht erörtert (104 ff.). Zu Fällen der ausnahmsweisen Erstreckung des ius civile auf „Barbaren“ im Erbrecht siehe Mathisen in: Sänger (Hrsg.), Minderheiten und Migration, 153 (160 f.). 113  Darauf weist Simon in: Dummer/Vielberg (Hrsg.), Der Fremde – Freund oder Feind?, 113 (122 f.) hin. Zur evolutiven Schaffenskraft des ius gentium im Speziellen Voigt, Das jus der Römer I, 400 ff. 114  Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 130; ähnlich J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 157; Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 55. Voigt, Das jus der Römer IV, 29 betont ein Streben nach „Einfachheit und objektiver Gewissheit“. Auf Vorzüge im Alltagsleben weisen auch Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 59 hin. Vgl. ferner Chiusi in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht, 3 (22 f.) und dies. in: Girardet/Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62 (74 f.). 115  Majer, Das römische internationale Privatrecht, 102; Söllner, Römische Rechtsgeschichte, 120; Lewald, Rev. crit. dr. int. priv. 57 (1968), 615 (619); H. Wolff, Konkurrenz von Rechtsordnungen, 67; Barta, Graeca non leguntur?, Band I, 131. Eingehend zu unterschiedlichen Begründungsweisen des ius gentium und verwandten Rechtsinstrumenten Voigt, Das jus der Römer II, 830 ff. und Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (383 ff.) m. w. N. 116  Eingängig formuliert von Schönbauer, Phil.-hist. Anzeiger 1960 (Nr.  25), 182 (186 f.). Ebenso Mincke in: Krawietz/Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, 201 (202). 117  Erhellend insofern die ausführliche Analyse von Voigt, Das jus der Römer II, 41 ff. Wie

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Hintergrund ist es kaum möglich, allgemeingültige Aussagen über die Bedeutung des Personalitätsprinzips im römischen Recht zu treffen: Weder überzeugt es, die Geltung des Personalitätsprinzips ganz zu verneinen,118 noch kann davon gesprochen werden, dieses sei in keiner Weise angetastet worden119 – vielmehr wurde es „faktisch relativiert“120. Um das römische Recht in seiner Wirkung gegenüber Peregrinen einordnen zu können, muss vor allem die Intention berücksichtigt werden, die das römische Reich mit seiner rechtlichen Behandlung von Staatsfremden verfolgte: Die Römer dachten keineswegs kosmopolitisch, sondern pragmatisch und ökonomisch. Wenn sich positive Entwicklungen für die ursprünglich Rechtlosen einstellten, entsprangen sie letztlich wirtschaftlichen Beweggründen121 – Mitteis nennt diesen Umstand anschaulich „die selbstsüchtige Ökonomie des ius gentium“.122 Aus dem verfügbaren Quellenmaterial lässt sich folgerichtig ablesen, dass der Fremdenprätor in Entscheidungen wiederholt auf die „allgemein beobachteten Grundsätze des Rechtsverkehrs im Mittelmeer“ als Teil des ius gentium rekurrierte, um zwischenstaatlichen Handel nach flexiblen Maßstäben bewerten zu können.123 Letztlich entsprach es dem römischen Selbstbewusstsein, das radikale Personalitätsprinzip124 nur in ausgesuchten Fällen durch universale Regelungen aus dem „Recht der Völker“ zu durchbrechen, um eine Schlechterstellung von Individuen vermeintlich niederer Kategorie zu etablieren.125

soziale Unterschiede den grenzüberschreitenden Handel geprägt haben, untersucht ausführlich v. Reden, Antike Wirtschaft, 73 ff. 118  So aber Majer, Das römische internationale Privatrecht, 114 ff. unter Verweis auf das ius gentium und die Erstreckung des ius civile auf Peregrinen im Ausnahmefall. 119  In diese Richtung aber Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (378 ff.). Zu den wenigen Fällen, in denen Fremde ohne Sklavenstellung völlig rechtlos gestellt wurden, siehe Endemann, Römisches Privatrecht, 40 f. (perduelles, cum quibus bellum esset). Vgl. auch Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 7. 120  Mit dieser zutreffenden Wortwahl Chiusi in: Girardet/Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62 (74). 121 So Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 202 zur häufigen Abkehr von Formvorschriften bei Heranziehung des ius gentium. Vgl. auch Schönbauer, Phil.-hist. Anzeiger 1960 (Nr.  25), 182 (187 f.). 122  Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht, 75. 123  Wieacker, Recht und Gesellschaft in der Spätantike, 45. 124 Von Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (107) als „unbestrittenes Dogma des römischen Rechts aus den ältesten Zeiten“ bezeichnet. 125  Niederer, FS Fritzsche, 115 (130). Eine zunehmende Tendenz in diese Richtung manifestiert auch Hamza, Comparative Law and Antiquity, 126. Sturm, Ausgewählte Schriften II, 647 erkennt allgemein eine unverhohlene Xenophobie.

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b) Annäherung durch hospitium Ähnlich wie im antiken Griechenland126 existierte auch im römischen Recht dieser Zeit mit dem hospitium ein Modell der Gastfreundschaft, das privat oder durch öffentliche Gesandtschaftsämter erreicht werden konnte127 und sich durch weite Teile der Gesellschaft zog.128 Ein wesentlicher Nachteil bestand darin, dass der Nutznießer des Gastrechts stets in einer gewissen Abhängigkeit vom Wohlwollen des Patrons lebte, sei dieser privaten oder staatlichen Ursprungs.129 Obgleich der kurzfristigen Gewährung von Gastfreundschaft grundsätzlich ein außerrechtlicher Charakter bescheinigt wurde und sie nicht erzwungen werden konnte, war sie allerdings selbst in ihrer marginalsten Ausprägung als moralische Pflicht anerkannt.130 Regelmäßig ging man zudem dazu über, die wechselseitigen Verpflichtungen vertraglich festzuhalten, ihnen somit eine obligatorische und dauerhafte Natur zuzuerkennen.131 Mit wachsender „Internationalität“ des römischen Verkehrs nahm die hoheitliche Ausgestaltung in Freundschaftsverträgen zu,132 die selbst gegnerischen Gesandten im Konfliktfall Schutz garantierten.133 So wich die vormals personale Abhängigkeit des Fremden einer verrechtlichten Anerkennung in den behandelten Themengebieten,134 zu denen in aller Regel neben der Befug126 

Dazu oben, C.I.1.b) (S.  68 ff.). Grundlegend dazu Endemann, Römisches Privatrecht, 41; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 131; Sturm, Ausgewählte Schriften II, 642 f. 128  Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 261 erkennt darin metaphorisch ein „Netz nahezu institutionalisierter Loyalitäten“. 129  Jhering, Geist des römischen Rechts I, 232 f.; Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (77 f.); Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 54. Vgl. auch Nybakken, The Classical Journal 41 (1946), 248 (251 f.), der die Frage untersucht, inwieweit Beweiszeichen als Indiz für das Bestehen eines hospitium genutzt wurden. 130  Nybakken, The Classical Journal 41 (1946), 248 (248); vgl. auch Jhering, Geist des römischen Rechts I, 237. Ein solch formloses „Freundschaftsverhältnis“ wurde auf staatlicher Ebene als amicitia bezeichnet, siehe Ziegler in: Temporini (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang I.2, 68 (87). Näher dazu Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 33, 112 f. 131  Ziegler in: Temporini (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang I.2, 68 (85 f.). 132  Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (371); Jhering, Geist des römischen Rechts I, 225, 233; Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 54; J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 157; ausführlich Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 59 ff. 133  Wohlan, Das diplomatische Protokoll im Wandel, 25; Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 30. 134  Zu diesem hospitium publicum näher Nybakken, The Classical Journal 41 (1946), 248 (248 f.); Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 124; Hiltbrunner, Gastfreundschaft in der Antike, 78 ff.; Ziegler in: Temporini (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang I.2, 68 (86); Jörs/ Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 58 f. Die verwandte Form des foedus erläutert Baltrusch, 127 

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nis zur Eheschließung (conubium) – die zusätzlich einen ähnlichen sozialen Status der künftigen Ehegatten voraussetzte135 – jedenfalls das Recht zum Handeltreiben (commercium) zählte.136 c) Verständigung auf Grundlage der bona fides Ein weiteres Instrument, das in der römischen Antike faktisch zur Lösung von Rechtskollisionen beitrug, findet sich in dem Grundsatz bona fides, der als Vorform des heutigen „Treu und Glauben“-Prinzips zur Leistungsbestimmung herangezogen sowie eingeklagt werden konnte.137 Angesichts der unüberschaubaren Vielzahl von Rechtswirkungen erscheint es aus heutiger Perspektive kaum möglich, eine trennscharfe Definition der bona fides zu eruieren.138 Über einige Elemente besteht jedoch Einigkeit: Neben dem Leitsatz „pacta sunt servanda“ forderte das Treuegebot im Wesentlichen, die bei Vertragsschluss vorliegenden Umstände des Einzelfalls und eventuelle Nebenabreden zu beachten, sobald Vertragspflichten zu präzisieren waren.139 In Verbindung mit dem Gleichbe­hand­ Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 117 f. Die Entwicklung vom archaischen Gastrecht zum modernen Völkerrecht für Flüchtlinge zeichnet Hruschka in: v. Däniken/ Kamm (Hrsg.), Gastfreundschaft und Gastrecht, 91 ff. nach. 135  Mathisen in: Sänger (Hrsg.), Minderheiten und Migration, 153 (158). Vgl. zu der Frage auch Sturm, Clunet 106 (1979), 259 (264), der in Ausgewählte Schriften I, 341 ff. zudem einen Fall untersucht, in dem die Ehelichkeit eines von einem römischen Vater abstammenden Kindes offenbar das conubium der peregrinischen Mutter voraussetzte. 136  Söllner, Römische Rechtsgeschichte, 89; Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 58 f.; Ziegler in: Temporini (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang I.2, 68 (73); Jhering, Geist des römischen Rechts I, 233 f.; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 118; Chiusi in: Girardet/ Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62 (69 f.). Sehr detailliert zu diesen Erscheinungsformen Voigt, Das jus der Römer IV, Beilage XII A, 69 ff. Schwind, IPR, Rn.  2 führt richtigerweise an, dass schon die bloße Existenz dieser Sonderrechte eine gewisse Abschirmung belegt. Der Erlangung dieser Privilegien durch den status civitatis widmen sich Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 101 f.; Sturm, Ausgewählte Schriften I, 569 ff.; Demandt, Antike Staatsformen, 393. 137  Die Begrifflichkeit untersucht instruktiv Voigt, Das jus der Römer IV, Beilage XVIII, 377 ff. Zu Inhalt und Geschichte Honsell, Römisches Recht, 85 ff. Beispiele für Anwendungsbereiche finden sich z. B. bei v. Reden, Antike Wirtschaft, 29; Endemann, Römisches Privatrecht, 144 ff.; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 63 f. Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 109 und Chiusi in: Girardet/Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62 (75 f.) stellen eine weitere Bedeutung heraus, nämlich die der fides im außenpolitischen Bereich, insbesondere der Kapitulation. 138  Dénoyez, FS Simonius, 41 (50). 139  Beck, FS Simonius, 9 (15, 18); Chiusi in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht, 3 (13); Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 165 f. Mit der zunehmenden Aufteilung des Vertrages in verschiedene Phasen erlangte die bona fides schließlich weitere Anwendungsfelder, siehe Dénoyez, FS Simonius, 41 (50).

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lungsgebot der aequitas und weiteren sittlichen Maßstäben140 diente der Grundsatz unter anderem der Kontrolle und Auslegung von Vertragsinhalten, der Begründung von Nebenpflichten und der eventuellen Vernichtung von Rechten141 – nicht umsonst wurde er unter hochrangigen Intellektuellen und Juristen als „oberste Kraft“ (summa vis) des Rechts angesehen.142 Relevanz für die vorliegende Untersuchung erlangt die bona fides vor allem dadurch, dass sie im Verkehr mit Fremden ebenso Anwendung fand wie beim Handel unter römischen Bürgern.143 Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Besserstellung des Angehörigen der civitas schaffte sie eine Situation der ausnahmsweisen Ebenbürtigkeit und somit eine „Lebensgemeinschaft“ auch dort, wo eine rechtliche Gemeinschaft im engeren Sinne nicht entstehen konnte.144 Indem der „Gute Glaube“ also keine tatsächlich verweisungsrechtliche, aber doch immerhin eine implizit völkerrechtliche Komponente aufwies, leistete er einen nicht unwichtigen Beitrag zur Handhabung grenzüberschreitender Rechtskonflikte.145 140 Ausführlich zu ihrer Funktion Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 502 ff.; Voigt, Das jus der Römer I, 11 ff., 345 ff. und Das jus der Römer III, 88 ff. Beck, FS Simonius, 9 (10 f.) betont, dass die aequitas die Basis für jede Form der richterlichen Rechtsfortbildung bereitet habe. Ihren Wert für die Auslegung betonen Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  277 und Hamza, Comparative Law and Antiquity, 120, der die absolute Geltung der aequitas auch in den Kolonien hervorhebt (213). 141 MüKoBGB/Schubert, §  242 BGB, Rn.  15. Zur Umsetzung in Verträgen anhand zahlreicher Primärquellen Sturm, Ausgewählte Schriften II, 771 ff. Dénoyez, FS Simonius, 41 ff. untersucht exemplarisch die Rolle der bona fides im Zuge der Ausgestaltung der Ersitzung. Meylan, FS Simonius, 247 (253 ff.) hebt zudem ihre Relevanz beim Übergang vom reinen Barverkauf zur schuldrechtlichen Vertragsbindung hervor. Zur richterlichen Bestimmung einer Pflicht nach aequum et bonum vgl. Söllner, Römische Rechtsgeschichte, 56, 72 und Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 136. 142  Diesen Ausdruck schreibt Cicero, On Duties, 340 f. (englische Übersetzung zu De officiis III, Rn.  70) dem römischen Pontifex Quintus Scaevola zu. Die Idee der fides als Grundlage des Rechts wurde dabei teils sogar unmittelbar auf den Göttervater Zeus zurückgeführt, siehe Nybakken, The Classical Journal 41 (1946), 248 (249). Die dargestellten obersten Prinzipien galten als dem unmittelbaren „Volksgeiste“ entnommen, siehe Voigt, Das jus der Römer IV, 25. 143  Honsell, Römisches Recht, 20; Söllner, Römische Rechtsgeschichte, 89; Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 54; Chiusi in: Neuner (Hrsg.), Grundrechte und Privatrecht, 3 (22). Dazu beispielhaft mit Blick auf Kaufverträge zwischen Bürgern und Peregrinen Meylan, FS Simonius, 247 (256). Siehe ferner BeckOGK/Kähler, §  242 BGB, Rn.  8; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 442 f. 144  Paoli, FS Simonius, 273 (274) erkennt insofern explizit einen kollisionsrechtlichen Kontext. Die bona fides war also auf die „äußere Betätigung im Rechtsleben“ gerichtet, siehe Endemann, Römisches Privatrecht, 142. Vgl. auch v. Bar/Mankowski, IPR I, 26. In diesem Kontext nahm sie neben dem ius gentium eine eigenständige bzw. ergänzende Position ein, so Meylan, FS Simonius, 247 (256 f.). 145  Chiusi in: Girardet/Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62 (75).

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Erneut146 sollte allerdings nicht verkannt werden, dass zum einen die Gehalte der fides nach römischen Vorstellungen gebildet und akzentuiert wurden147 und zum anderen das Ideal eines reibungsloseren Handels im internationalen Kontext als Zielsetzung vorherrschte148. Schon Jhering erkannte die elementare Bedeutung des Handels für die Frage der Rechtsanwendung zwischen den civitates: „Er ist es, der gegenüber der Exclusivität der nationalen Rechtsansicht das kosmopolitische Element im römischen Recht zur Existenz und Ausbildung gebracht hat.“149 Dass das antike Treuegebot als elementare Voraussetzung für die Entwicklung des heutigen Wettbewerbsrechts gilt, ist ein weiteres Indiz dafür, wie stark ökonomische Beweggründe diesen römischen Rechtsgedanken prägten.150 d) Fazit: Rom zwischen Zentralismus und Öffnung Insgesamt vermittelt der Umgang mit Mitgliedern verschiedener Rechtskreise in der Hochphase des römischen Reiches einen zwiespältigen Eindruck: Einerseits bildete Rom das unumstrittene Herrschaftszentrum, dessen kulturelle Vorrangstellung nicht in Abrede gestellt wurde und sich auch auf normativer Ebene manifestierte.151 Andererseits lässt sich jedoch eine gewisse Akzeptanz gegenüber externem Recht nicht leugnen, wurde es doch in seinem „Binnenbereich“ weiterhin zur Anwendung gebracht.152 Eine vollwertige und gleichrangige Position konnten fremde Rechtsordnungen außerhalb des eigenen Territoriums allerdings nicht einnehmen, weil ihr grenzüberschreitender Wirkungsbereich auf vertraglicher Basis beruhte und folglich staatlichem Willen unterworfen war153 – primär freilich dem römischen154. Darin liegt wiederum eine Gemeinsamkeit Vgl. schon die Ausführungen zum ius gentium unter C.I.2.a) (S.  77 ff.). Baltrusch, Außenpolitik, Bünde und Reichsbildung in der Antike, 72. 148  R. Meyer, Bona fides und lex mercatoria, 55 f. Paoli, FS Simonius, 273 (274 ff.) führt insofern einen Bedeutungsgewinn der bona fides mit Erstarken des römischen Imperiums als Beleg an. Jhering, Geist des römischen Rechts II 2, 530 f. und Wieacker, Recht und Gesellschaft in der Spätantike, 45 zeigen auf, dass die bona fides beispielsweise genutzt wurde, um die handelshemmende Formenstrenge des ius civile aufzubrechen. 149  Jhering, Geist des römischen Rechts I, 232. 150  Ausführlich dazu Germann, FS Simonius, 71 ff. 151 Vgl. Voigt, Das jus der Römer IV, 42: „Und je lebhafter nun der schroffe Contrast empfunden ward, der in den naturgegebenen Bedingungen, wie in den politischen und sozialen Verhältnissen zwischen dem römischen Reiche und den dasselbe begrenzenden Ländern hervortrat, umso mehr würdigte man die Herrlichkeit des Reiches“. 152  In diese Richtung Baldus, FS Winkel, 61 (68). 153  Jhering, Geist des römischen Rechts I, 234 f. 154  Sturm, Ausgewählte Schriften II, 827 kritisiert Stimmen in der Literatur, die von einer Gleichordnung ausgehen, daher als „imperialistische Schönfärberei“. 146  147 

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

aller vorgestellten Instrumente: Jedes von ihnen setzte ein Fundament für rechtlichen Umgang miteinander nicht bereits voraus, sondern schuf es selbst.155 Im Gegensatz zum heutigen Kollisionsrecht, das fremde Rechtsordnungen und deren Angehörige allgemein anerkennt und nur im konkreten Fall einem staatlichen Rechtsregime Vorrang gewährt, erklärten erst die antiken Werkzeuge Fremde partiell zu Teilnehmern am Rechtsverkehr. Wie Rancière überzeugend darlegt, bilden solche Akte durch ihre konstitutive Funktion den Gegenstand von Politik156 und damit das Gegenteil von Wertneutralität. Jedenfalls folgte aus der Existenz eines Rechtssystems, das prinzipiell nur für römische Bürger Geltung entfaltete, juristisch aber kein kriegsähnlicher Zustand, schließlich existierte mit dem Verkehrsrecht eine Zwischeninstanz, auf deren Grundlage ein Miteinander teils realisiert wurde.157 Dabei fungierte das ius gentium wie aufgezeigt weder als reines Fremden-, noch als Zuweisungsrecht;158 vielmehr verkörperte es einen inhaltlich stark reduzierten Entwurf frühen Einheitsrechts.159 So ermöglichte es eine praxisorientierte Behandlung von Rechtsfragen mit „Fremden“ als involvierter Partei, berief dazu jedoch keine Rechtsordnungen, sondern stellte unmittelbar die jeweiligen Normbestände zur Verfügung.160 Mit zunehmender Relevanz des ius gentium wurde das Personalitätsprinzips schrittweise ausgehöhlt, womit eine erste Abkehr vom reinen Statusdenken im kollisionsrechtlichen Zusammenhang einherging.161 In Kombination mit den weiteren antiken Methoden des Umgangs mit Fremden im Privatrecht schaffte es juristische Berührungspunkte, bei denen jedoch die Prävalenz162 des römischen 155 Vgl. Chiusi in: Girardet/Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62 (80). 156  Vgl. oben, B.II.1.c) (S.  26 ff.). 157  Zu dieser Einschätzung gelangt Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (74). Auch Hamza, Comparative Law and Antiquity, 150 betont die zumindest teilweise Symbiosewirkung des römischen Vorgehens bei Kollisionen. Voigt, Das jus der Römer IV, 35 f. unterstreicht dagegen das Spannungsverhältnis zwischen dem ius civile (strictum) und dem ius gentium bzw. den gewohnheitsrechtlichen Wertungsmaßstäben. 158  Eine kollisionsrechtliche Komponente verneinen daher Majer, Das römische internationale Privatrecht, 95 f.; Baldus, FS Winkel, 61 (62); Söllner, Römische Rechtsgeschichte, 119; Grotkamp in: Sänger (Hrsg.), Minderheiten und Migration, 141 (145). 159 So R. Meyer, Bona fides und lex mercatoria, 51, der darin eine gewisse Parallele zur lex mercatoria sieht. Dezidiert gegen diese Einordnung aber Majer, Das römische internationale Privatrecht, 99 f. 160  Es stellte also Sachnormen zur Verfügung, siehe Majer, Das römische internationale Privatrecht, 96 ff. 161 Vgl. Nörr, TRG 1963, 525 (593) und J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 157. 162  Zu diesem Eindruck nur Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 59.

I. Rechtskollisionen in der Antike

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Rechts auffällt. Dessen Geltungsbereich wurde faktisch kaum angetastet – insbesondere nicht zugunsten von internationalprivatrechtlichen Idealen. Während es insofern an Verbindungslinien zum klassischen IPR mangelt,163 weist der Ansatz Parallelen zu dem machtfixierten Politikbegriff von Carl Schmitt164 mit seiner Abgrenzung von „Freund“ und „Feind“ auf.165 Nicht umsonst stellte dieser einen engen Bezug zur Antike als Denkvorbild her166 und bediente sich auch in der Wortwahl bei ihr, wenn er etwa vom hostis167 sprach. Die Differenzierung zwischen ius gentium und „Gemeinrecht“ aufnehmend, schätzte er die Idee reiner Fremdenrechte168 und knüpfte so unmittelbar an antike Institute an. In gewisser Weise wurde in der römischen Antike aber zugleich von Schmitts Dogma der radikalen Antagonie abgewichen: Durch die unterschiedlichen Maßnahmen, mit denen grenzüberschreitender Wirtschaftsverkehr ermöglicht wurde, verschob sich die Perspektive gegenüber Fremden von einer politischen auf eine rechtliche Ebene, was eine erste methodische Annäherung bedeutete.169 Dass römisches und fremdes Recht sich dennoch keineswegs auf Augenhöhe begegneten, liegt insbesondere an der ökonomischen Stoßrichtung der Mechanismen: Für gewöhnlich war es der Warenaustausch, der „die Brücke zwischen den isolierten oder verfeindeten Völkern“ schuf.170 Das peregrinische Recht wurde so zwar wahrgenommen, Berücksichtigung fand es jedoch nur, wenn die Effektivität des Handelsverkehrs ein dahingehendes Bedürfnis weckte.171 Die „Romanisierung und die Interessen und Werte Roms“ in den Vordergrund 163  Die Diskussion um die kollisionsrechtliche Qualität der römischen Ansätze hat Majer, Das römische internationale Privatrecht, 3 ff. m. w. N. zusammengefasst. 164  Vgl. oben, B.II.1.b) (S.  22 ff.). 165  Jhering, Geist des römischen Rechts I, 225 f. bezeichnet den Krieg daher als „das von vornherein gegebene völkerrechtliche Verhältniß“ und manifestiert einen Status „völliger Rechtlosigkeit“ für Individuen aus Staaten ohne friedliches Einvernehmen. 166  Siehe nur C. Schmitt, Positionen und Begriffe, 114. Eine ausführliche Analyse von Anleihen bei der Antike in Schmitts politischer Theorie bietet Demandt in: Schuol/Wendt/Wilker (Hrsg.), exempla imitanda, 11 (14 ff.). 167  C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 29. Vgl. Demandt in: Schuol/Wendt/Wilker (Hrsg.), exempla imitanda, 11 (17). Jhering, Geist des römischen Rechts I, 227 hebt insofern allerdings zu Recht hervor, dass der Begriff hostis sprachgeschichtlich sowohl für „Feind“, als auch für „Gast“ stehen kann. 168  C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 114 f. 169  Baldus, FS Winkel, 61 (67 f.) nutzt insofern die Formulierung „Feinde im Rechtssinne“. 170  Jhering, Geist des römischen Rechts I, 232. 171  Das Recht wurde insofern also „einem Bedürfnisse und Erfordernisse des Lebensverkehres“ gerecht, wie Voigt, Das jus der Römer IV, 27 es ausdrückt. Eine „Aufweichung der Formenstrenge“ erkennen v. Bar/Mankowski, IPR I, 28. Vgl. auch Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 54; Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 59; Majer, Das römische internationale Privatrecht, 9 f.; Schwind, IPR, Rn.  3.

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

rückend,172 kam im Grunde weiterhin – „seiner spezifischen römischen Formen entkleidet“173 – das römische Recht zur Anwendung. Es mangelte mithin an einer diskursiven Ebene, auf der ausländischen Rechtordnungen im Interesse der Pluralität zugestanden wird, eigene Vorschriften gleichberechtigt und selbst dann einzubringen, wenn aus ihrer Anwendung nicht unmittelbar ökonomische Vorteile resultieren. Wie in den Ausführungen zu Hannah Arendt aufgezeigt, widerstrebt das klassische IPR derartigen Vorstellungen, nach denen die Koordination von Rechtsordnungen vornehmlich die Funktionalität des inländischen oder internationalen Tauschmarktes aufrechterhalten soll.174 3. Insgesamt: Recht für Kollisionen, aber kein Kollisionsrecht Die Untersuchungen dieses Abschnitts belegen deutlich, dass in der Antike wohl erstmals eine systematischere Auseinandersetzung mit Rechtskollisionen stattgefunden hat, im Zuge dessen aber Methoden gewählt wurden, die man höchstens als frühe Vorformen von Kollisionsrecht bezeichnen kann.175 Durch die Dominanz der beiden großen Reiche erfolgten diesbezügliche Entwicklungen nicht aus einer Position der Gleichstellung heraus, sondern als Resultat unilateraler Erwägungen.176 Diese bestanden zusammengefasst darin, eigene Machtansprüche durch eine einseitig gesteuerte Assimilation fremder Rechtssubjekte zu festigen und Ausnahmen nur zur Förderung handelsbezogener Kontakte zuzulassen.177 Mittelfristig wurde zum Beispiel im römischen Reich der Status der cives romani zunehmend für externe Volksgruppen geöffnet, sodass anstelle einer Emanzipation ausländischer Rechtsordnungen eher eine Einverleibung durch die römische erfolgte.178 172 

(80).

Chiusi in: Girardet/Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62

Pringsheim in: Berneker (Hrsg.), Zur griechischen Rechtsgeschichte, 58 (61 f.). Vgl. oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.). 175  Dass das klassische Verständnis des Kollisionsrechts in diesem Zusammenhang keine Rolle spielte, unterstreicht m. w. N. statt aller Hamza, Comparative Law and Antiquity, 146. 176  Sturm, Clunet 106 (1979), 259 (270) weist daher zu Recht darauf hin, dass etwa das ius gentium ein römisches Problembewusstsein für eine Lösung von Rechtsanwendungskonflikten im kollisionsrechtlichen Sinne letztlich verhindert hat. 177  Zu diesem Eindruck Grziwotz, FS H. Schmitt, 69 (69). 178  Mathisen in: Sänger (Hrsg.), Minderheiten und Migration, 153 (153); Chiusi in: Girardet/Nortmann (Hrsg.), Menschenrechte und europäische Identität, 62 (80); Simon in: Dummer/ Vielberg (Hrsg.), Der Fremde – Freund oder Feind?, 113 (116); J. Kohler/Wenger/Wenger, Orientalisches Recht und Recht der Griechen und Römer, 156; Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Recht, 57 f. Wohlan, Das diplomatische Protokoll im Wandel, 31 nennt beispielhaft die Verleihung eines zeitwiligen Bürgerrechts an griechische Gesandte. Vgl. zu entsprechenden Tendenzen auch im Hellenismus Ehrenberg, Der Staat der Griechen II, 13. 173  174 

II. Personale und territoriale Kollisionen im Früh- und Hochmittelalter

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II. Personale und territoriale Kollisionen im Frühund Hochmittelalter Der Übergang von der Antike zum Frühen und Hohen Mittelalter ist durch eine einzigartige Abfolge geopolitischer Entwicklungen geprägt: Ausgehend von dem weitgehenden Zusammenbruch des römischen Herrschaftssystems infolge der Migrationsbewegungen zur Völkerwanderungszeit setzten dynamische gesellschaftliche Prozesse ein, die im Zuge der Sesshaftwerdung stammesbezogene Herrschaften und Reichsgründungen nach sich zogen.179 Aufgrund dieser heterogenen Phasen180 wird kaum eine Epoche in ihrer Bedeutung für den internationalprivatrechtlichen Fortschritt ähnlich kontrovers diskutiert; während sie auf der einen Seite als „Episode ohne Folgen“ gilt,181 wird sie auf der anderen Seite als absolut elementar für spätere Entwicklungsschritte qualifiziert.182 Umso mehr lohnt es sich mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, gewissenhaft zu ergründen, in welcher Hinsicht sich zu dieser Zeit Änderungen im Umgang mit Rechtskollisionen einstellten und auf welchen Motiven sie beruhten. 1. System der persönlichen Rechte Die Bestimmung des anwendbaren Rechts zeichnete sich durch ein „System der persönlichen Rechte“ aus, wonach die einzelnen Stämme,183 etwa im Frankenreich, ihrem Volksrecht unterworfen blieben.184 Es handelte sich um eine perso­ nale Zuordnung des Rechts zu den Angehörigen des jeweiligen Geschlechts,185 Meder, Rechtsgeschichte, 128 ff. und Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, 429 ff. 180  Zu Problemen der Periodisierung siehe Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 13 ff. 181  Neumeyer, Gemeinrechtliche Entwicklung des IPR II, 1. Kritisch zu solchen Einschätzungen zu den leges barbarorum indes Kreutz, Recht im Mittelalter, 29. 182  Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (161) bezeichnet den Wandel der persönlichen Anknüpfung zu einer territorialen Methodik gar als „eine der durchgreifendsten Umwandlungen im inneren Rechtsleben der europäischen Völker“. 183  Die wesentlichen gentes des frühen Mittelalters stellen Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, 458 ff. und Kreutz, Recht im Mittelalter, 54 f. vor. Wie die Stammeszugehörigkeit in casu bestimmt wurde, erläutert Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (16 ff.). 184 Siehe Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 117; Meder, Rechtsgeschichte, 128 f.; Stobbe, Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Bd.  6 (1863), 21 (23); Schönbauer, ZRG-R Bd.  49 (1929), 345 (368 f.); Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (1 f.); Beckmann, Zeitschrift für Völkerrecht Bd.  1 (1907), 470 (483); Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 6 f.; Niederer, Einführung IPR, 23 ff.; Junker, IPR, §  4 Rn.  2; v. Bar/Mankowski, IPR I, 472 f. 185 Daher überzeugend noch Nehlsen in: Erler/Kaufmann/Werkmüller (Hrsg.), HRG II (1. Aufl.), Sp.  1901 ff. (1911 ff.), der auf Basis eingehender Primärquellenkunde die Geltung 179 Einführend

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

die allein bei dauerhafter Niederlassung eines Stammes eine quasi-territoriale Wirkung entfalten konnte.186 Gerade den Normen eines „siegenden Stammes“ konnte eine solche Beständigkeit zukommen,187 aus der sich im Extremfall eine „Landesherrschaft“ entwickelte.188 Ansonsten galt: „Si la race émigre la loi la suit“.189 Was das Maß der inhaltlichen und lokalen Fortentwicklung angeht, lassen sich jedoch kaum allgemeingültige Aussagen treffen;190 vergleichende Betrachtungen der grundsätzlich isolierten Volksrechte (leges191) offenbaren im Gegenteil eine schier unüberschaubare Varianz unterschiedlicher Rechtssysteme und -auffassungen.192 Die Zugehörigkeit zu dem Abstammungsrecht wurde traditionell durch eine sogenannte professio iuris angezeigt, also ein entsprechendes Bekenntnis im Text einer Urkunde oder zu Beginn eines Prozesses.193 Rechtsfragen wurden des Personalitätsprinzips im Grundsatz bejahte. So auch Kocher, Privatrechtsentwicklung, 42; Kreutz, Recht im Mittelalter, 26; Hugelmann, Stämme und Nation im Mittelalter, 25 ff.; Wenskus in: Patze (Hrsg.), Ausgewählte Aufsätze Wenskus, 96 (133); Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (285); Dilcher, Normen zwischen Oralität und Schriftkultur, 21 f.; Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 70; v. Bethmann-Hollweg, Der Civilprozeß im Mittelalter, 5 f. (aber einschränkend: 155 f.); Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 11. 186  Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 51; Schnitzer, Handbuch IPR I, 4; Kegel/ Schurig, IPR, 164. Beispielhaft zum langobardischen Recht v. Bethmann-Hollweg, Der Civilprozeß im Mittelalter, 321. Entwicklungslinien zu einzelnen Stämmen zeichnet Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 233 ff. nach. 187  Dazu eingehend Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 124 f., 163 ff. In diese Richtung auch Hugelmann, Stämme und Nation im Mittelalter, 4; Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (164 f.); Stobbe, Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Bd.  6 (1863), 21 (34); Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (289); v. Bethmann-Hollweg, Der Civilprozeß im Mittelalter, 449. 188  Kocher, Privatrechtsentwicklung, 42; Willoweit in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 39 (44 ff.); Köbler, ZRG-G Bd.  86 (1969), 1 (2); Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 7 f. 189  Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (2). 190  Zu diesem Problem schon Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 167 und Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (161 f.). 191  Zum Begriff siehe Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 130 ff. Für einen Überblick zu Verbreitung, Inhalt und Überarbeitung der wichtigsten leges siehe Schumann in: Brather (Hrsg.), Recht und Kultur im frühmittelalterlichen Alemannien, 89 (98 ff.). 192 Nach Stobbe, Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Bd.  6 (1863), 21 (37) fällt es daher sogar schwer, einzelne Entwicklungen im Recht überhaupt einem Jahrhundert zuzuordnen. Vgl. auch Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (295). Zur „Rechtsfindung“ dieser Stammesrechte und dem Einfluss des römischen Rechts siehe Kreutz, Recht im Mittelalter, 52 f. 193 Siehe Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 145 ff.; Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (166 f.); v. Bethmann-Hollweg, Der Civilprozeß im Mittelalter, 461 f.; Neuhaus, Grundbegriffe, 91; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 95; Niederer, Einführung IPR, 20. Zu ähnlichen Urkun-

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dann je nach Sachnähe entweder nach dem Recht der einen oder der anderen Partei behandelt:194 Bei Aktionen wie der Eigentumsübertragung setzte sich beispielsweise das Recht des hauptsächlich Handelnden durch,195 das Beweismaß richtete sich nach dem Recht des Beweisführenden.196 Dass diese professiones vor allem in den Gebieten genutzt wurden, in denen die Gesellschaft – wie beispielsweise in Italien197 – eine besonders große ethnische Vielfalt aufwies, belegt, welch grundlegende Bedeutung diesen Schriftstücken im realen Rechtsverkehr zwischen den Angehörigen der zahlreichen Völker zukam. Eine prima facie überraschende Toleranz gegenüber fremden Rechten lässt sich mithin nicht leugnen,198 diese Form der Koordination zwischen mehreren Rechtsordnungen wurde sogar als „Geburtshelfer des IPR“199 apostrophiert. Aus kollisionsrechtlicher Perspektive sticht jedoch zugleich eine auffallend enge Bindung an die Person ins Auge: Rechtsordnungen abseits der eigenen wurden nicht angewandt, weil sie für qualitativ gleichrangig gehalten wurden, sondern primär, weil das Dogma der „Blutrechte“ einen elementaren Bestandteil des Rechtsverständnisses zu dieser Zeit bildete200 und eine trennscharfe Abden noch im 13.  Jahrhundert Stobbe, Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Bd.  6 (1863), 21 (42 ff.), der ihnen allerdings eine zu diesem Zeitpunkt geänderte Funktionen zuschreibt. 194  Schumann in: Brather (Hrsg.), Recht und Kultur im frühmittelalterlichen Alemannien, 89 (120). Zu welchen Problemen diese Rechtsvielfalt etwa im Eherecht führen konnte, zeigt Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  125 anhand eines realen Beispiels auf. 195  Stouff, Revue bourguignonne 1894, 273 (295): „Jamais il n’est dit: j’acquiers suivant ma loi nationale“. 196  Beispiele entnommen aus v. Bethmann-Hollweg, Der Civilprozeß im Mittelalter, 458 f. Zu weiteren Praxisfällen Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 168 f.; Niederer, Einführung IPR, 28 f.; Stobbe, Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Bd.  6 (1863), 21 (24 ff.); Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (309 f.); Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 71. Vgl. auch Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (162 f.) und Stouff, Revue bourguignonne 1894, 273 (301 ff.). An Relevanz verlor diese Frage nur dort, wo eine einheitliche Behandlung sich etabliert hatte, wie etwa im Fall der dreißigjährigen Verjährungsfrist, siehe ders., Revue bourguignonne 1894, 273 (287). Dazu auch Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (324). 197  Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (7); Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (293, 326). 198  Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (262) bezeichnet das System im frühen Mittelalter gar als „truly international“. Einschränkend Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, 41. 199  Siehr, IPR, 413. 200  Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (271): „immemorial tradition of the group“. Hugelmann, Stämme und Nation im Mittelalter, 4 spricht von einer „Wachhaltung des Stammesbewußtseins“. Stouff, Revue bourguignonne 1894, 273 (289): „Ce silence des lois barbares s’explique par leur origine et par leur nature“. Vgl. auch Niederer, Einführung IPR, 28; Meijers, Rec. 1934 III, 543 (552 f.); Wenskus, Stammesbildung und Ver-

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

grenzung201 gewährleistete. Schon Savigny argumentierte, die elementare Bedeutung des Vatergeschlechts zeige sich in unverkennbarer Weise daran, dass in Vorschriften häufig unmittelbar auf die jeweilige „Nation“ rekurriert wurde, anstatt vom persönlichen Recht eines Individuums zu sprechen.202 Dieser Eindruck wird durch die separate Behandlung gänzlich „Stammloser“ unterstrichen: Wessen Stamm etwa mangels Zugehörigkeit zum Frankenreich nicht anerkannt wurde203, dem war es nur qua personaler Vertretung oder königlichem Beistand möglich, Rechtsschutz zu erlangen.204 2. Ausbildung von lokalen Partikularrechten Im Laufe der Zeit relativierte sich diese ursprünglich äußerst strikte Differen­ zierung der einzelnen Regime erheblich: So wurden Regelungen in Gesetzgebung und Praxis sukzessive angeglichen, wobei sich im Wesentlichen eine gegenseitige Rezeption mit römischen Rechtstraditionen vollzog.205 Da es sich fassung, 38 f.; ders. in: Patze (Hrsg.), Ausgewählte Aufsätze Wenskus, 96 (97): „Glaube an die gemeinsame Abstammung“. 201  Wenskus in: Patze (Hrsg.), Ausgewählte Aufsätze Wenskus, 96 (133) ist daher darin zuzustimmen, dass „durch die professio iuris das Bewußtsein des angestammten Stammesrechts heller wachblieb“. 202  Anhand zahlreicher Primärquellen Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 140. Die Beziehung von lex und natio beleuchtet insofern Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (293). Vgl. auch Köbler, ZRG-G Bd.  86 (1969), 1 (30 ff.); Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, 39; Kegel/Schurig, IPR, 164. 203  Dieses wichtige Klassifizierung unterstreichen Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 123 und Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (162). Vgl. auch Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (4 f.) und Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (272). In diesem Zusammenhang rekurriert Wenskus in: Patze (Hrsg.), Ausgewählte Aufsätze Wenskus, 96 (98) auf die „fränkische Völkertafel“. Beckmann, Zeitschrift für Völkerrecht Bd.  1 (1907), 470 (482) betont aber, dass die Völker außerhalb des Frankenreichs dennoch nicht „als die unterworfenen angesehen wurden“. Zu der ähnlichen Behandlung noch im Sachsenspiegel siehe Fehr, ZRG-G Bd.  37 (1916), 131 (202). 204  Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (276); Schönbauer, Phil.-hist. Anzeiger 1960 (Nr.  25), 182 (185); v. Bethmann-Hollweg, Der Civilprozeß im Mittelalter, 100. Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (161) wertet dies als „Akt der Gnade“. Eine umfassende Rechtlosigkeit trat also selten ein, siehe Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 62 f. Die Sonderstellung der „Freigelassenen“ beleuchtet Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 144. Zur Erlangung von Gastrechten siehe Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  129 f. Vgl. auch Niederer, Einführung IPR, 24. 205  An Beispielen erläutert von v. Bethmann-Hollweg, Der Civilprozeß im Mittelalter, 460 f. und Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 126 ff. Dazu ferner Kreutz, Recht im Mittelalter, 107; Niederer, Einführung IPR, 25 f.; Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (278 ff., 322 ff., 331); Demandt, Antike Staatsformen, 611; Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (40): „fusion du droit romain et du droit germanique“.

II. Personale und territoriale Kollisionen im Früh- und Hochmittelalter

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um einen dynamischen Prozess handelte, der sich in den Einzelheiten von Stamm zu Stamm unterschied,206 verbietet es sich jedoch, eine bloße Fortentwicklung römischer Traditionen zu behaupten.207 Die beginnende Homogenisierung gründete nämlich ebenso auf verschiedenen gesellschaftspolitischen Faktoren, zu denen eine „Mischung“ der Stämme,208 die zunehmende Unkenntnis der Stammesrechte209 und eine teilweise Strukturgebung durch übergeordnete, nicht notwendigerweise staatliche Instanzen zu zählen sind.210 Innerhalb der letztgenannten Kategorie stechen die hoheitlichen capitularia heraus,211 mit denen insbesondere karolingische Könige überregionale Vorgaben für Rechtsprechung, -geltung und -auslegung sowie exekutive Maßnahmen proklamierten.212 Als „ermahnende Akte des Herrschers seinen Untertanen gegenüber“213 bewirkten sie – nicht zuletzt auf sprachlicher Ebene214 – eine „Emanzipation“215 gegenüber der vormaligen Isolation, indem sie ein „königsrechtliches Gerechtigkeits- oder Gleichbehandlungsprinzip“216 etablierten. Obschon Kapitularien die leges häufig lediglich ergänzten217 und die graduelle Neustrukturierung überdies oftmals auf Stouff, Revue bourguignonne 1894, 273 (279). Esders in: Schuol/Wendt/Wilker (Hrsg.), exempla imitanda, 29 (34 ff.) stützt diese These. 207  So statt aller Dilcher, Normen zwischen Oralität und Schriftkultur, 23. 208  Dieser zollte dann nicht zuletzt Eike von Repgow im Sachsenspiegel Beachtung, siehe Fehr, ZRG-G Bd.  37 (1916), 131 (202 f.). Vgl. auch Beckmann, Zeitschrift für Völkerrecht Bd.  1 (1907), 470 (483). 209  Die Problematik der praktischen Umsetzung ließ schon Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 118 an einer strikten Realisierung des Personalitätsprinzips zweifeln. Diesen Eindruck bestätigt Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (338). Vgl. auch Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (31 f.), dessen Überlegungen zu Schwierigkeiten im Strafverfahren sich unschwer auf das Privatrecht übertragen lassen. Ders., Revue bourguignonne 1894, 273 (280 f.) macht das Fehlen von Legisten und Körperschaften zur Wahrung des Rechts innerhalb der Stämme für diesen Wissensverlust verantwortlich. 210  Zu den folgenden Aspekten siehe etwa Meijers, Rec. 1934 III, 543 (558 ff.); Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 176 ff.; Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (306). 211  Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 8 verweist insofern v. a. auf die Werke der Karolinger (insb. Fn.  6 m. w. N.). Die Rückbezüge zum römischen Recht in den Kapitularien betont Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 127 f., 172 f. 212  Zu dieser Funktion Biere, Verständlich-Machen, 168 Fn.  40; Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 75; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  458. 213  Kreutz, Recht im Mittelalter, 82. Dass dabei kein „Oktroi der Zentralgewalt“, sondern eine „Zustimmung des Volkes“ angestrebt wurde, betont Biere, Verständlich-Machen, 167. 214  Biere, Verständlich-Machen, 169: „Die Idee der Vereinheitlichung erscheint angesichts volkssprachlicher Vielfalt nur in schriftsprachlicher Latinität realisierbar“. 215  Dilcher, Normen zwischen Oralität und Schriftkultur, 286. 216  Biere, Verständlich-Machen, 169. 217 Dazu Schumann in: Brather (Hrsg.), Recht und Kultur im frühmittelalterlichen Aleman206 Näher

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

gewohnheitsrechtlicher, ungeschriebener Basis geschah218, verloren Stämme und Sippen in der Folge juristisch an Bedeutung.219 Aus diesen Umständen resultierte dann letztlich die Verdrängung des strengen Personalitätsprinzips zugunsten einer territorial ausgerichteten Rechtsanwen­ dung,220 in der ein räumlich Fremder Gastgerichten221 unterstand und sein Recht nicht mit sich führte.222 Auch dieser Ansatz zeugte wiederum nicht von einer progressiven Anerkennung anderer Rechtsordnungen insofern, als dass man sie als ebenbürtige Option in der Falllösung betrachtet hätte: Im Vordergrund stand stattdessen der Grundgedanke, dass im aufkommenden Feudalsystem der Lehnsherr auf seinem Gebiet nur folgerichtig auch das Recht seiner Gefolgsleute bestimmte.223 Die territoriale Behandlung von Rechtskollisionen korrespondierte mit dem wachsenden Machtanspruch des Landherren, dessen soziale Vormachtstellung224 sich auch im Recht manifestierte.225 In Ermangelung einer Zentralgewalt war es ihm nicht zuletzt gestattet, Lücken im Umgang mit juristischen und sozialen Fragen zu schließen.226 Wie stark die personale Dimension der Treuepflicht gegenüber dem Landherren von einer territorialen Sichtweise übernien, 89 (91 f.). Vgl. auch Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (291 f.) und Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (5 f.). 218  Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 73; Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 76. 219  Siehe statt aller Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 75 f. 220  Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 242 f.; Beckmann, Zeitschrift für Völkerrecht Bd.  1 (1907), 470 (483). Dies geschah auf Basis der consuetudines terrae bzw. pagorum, siehe Kocher, Privatrechtsentwicklung, 42 und Stouff, Revue bourguignonne 1894, 273 (310). Einen Fall mit expliziten Bezügen zu den consuetudines der Normandie erläutert Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 84 f. 221  Siehe nur Rauscher, IPR, Rn.  24. Dem Prozessablauf vor diesen widmet sich Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 63 f. Vgl. auch Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (646 f.). 222  Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 159. Eine Ausnahme wurde nur vor dem höchsten Gericht des Königs gewährt, siehe Beckmann, Zeitschrift für Völkerrecht Bd.  1 (1907), 470 (483) und Stobbe, Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Bd.  6 (1863), 21 (57). Die juristische Stellung nicht eingebürgerter Fremder beleuchtet Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 74 f. näher. 223  Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 65. Schwind, IPR, Rn.  6: Feudalismus als „Faktor machtpolitischen Charakters“. Vgl. auch Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 38. 224  Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 180 f. führt die Änderungen im Recht daher v. a. auf gesellschaftlichen Wandel zurück. 225  Kreutz, Recht im Mittelalter, 80 spricht von einer „politischen und letztlich auch rechtlichen Strukturierung“. Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (166) manifestiert ein „Bewußtsein staatlicher Zusammengehörigkeit“. Vgl. auch Kalenský, Trends of PIL, 49 f. 226  Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 73.

II. Personale und territoriale Kollisionen im Früh- und Hochmittelalter

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lagert wurde,227 lässt sich an den Klauseln ablesen, mit denen auf ein Recht rekurriert wurde – man entschied nach den „iure illius terre“228. 3. Fazit: Das frühe und hohe Mittelalter als Übergangsphase Zusammenfassend hat das Mittelalter in seiner Früh- und Hochphase zwar keine grundlegend neuen Konzepte für kollisionsrechtliche Fragestellungen hervorgebracht,229 die Materie wurde aber vermehrt in die juristischen Überlegungen aufgenommen.230 Auch diese Epoche hielt an der Vorstellung vom Recht als einer Person anhaftend jedenfalls solange fest, wie diese Sichtweise noch den Anforderungen der Realpolitik entsprach.231 Zur Überwindung von Rechtskonflikten zwischen Angehörigen verschiedener Stämme wählte man allerdings Wege, die weniger elementar von einem herrschafts- und handelsbezogenen Denken bestimmt waren als in der Antike.232 Aus privatrechtlicher Perspektive wurde ein Angehöriger eines fremden Stammes weder als Feind betrachtet, noch war er auf konstitutive Akte oder gesonderte Normenkataloge angewiesen, um in volksübergreifenden Sachverhalten als Rechtssubjekt wahrgenommen zu werden; politische Gehalte nach dem Verständnis von Schmitt233 bzw. Rancière234 wurden also im mittelalterlichen Umgang mit Rechtskollisionen ausgespart. Dennoch sollte man nicht dem Irrglauben unterliegen, die dargelegte Praxis sei einer weitreichenden „Humanität“ und „Freiheitsliebe“ gegenüber Fremden geschuldet; vielmehr sahen sich die Stämme in einer Zeit schwindender Isolation zu gegenseitigen Zugeständnissen gezwungen.235 Im Zuge steigender Mobilität konnten sie es sich schlechterdings nicht mehr erlauben, Konflikte wie bisher Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  896 ff. Köbler, ZRG-G Bd.  86 (1969), 1 (35). Dazu ferner Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 33; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 95. Vgl. außerdem Stobbe, Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Bd.  6 (1863), 21 (34), der darüber hinaus Ausnahmen nennt, in denen die Personalität des Rechts ihre Bedeutung behielt (35 ff.). 229  Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (2) erkennt insofern im Frühmittelalter eher die Tendenz, der jeweils „einfachsten“ Grundausrichtung zu folgen. Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (277) ist darin zuzustimmen, dass die zunächst personale Ausrichtung des Rechts die Ausbildung eines ausdifferenzierten IPR-Systems zwangsläufig erschweren musste. 230 Vgl. Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 77 ff. 231  Mit dieser Wortwahl Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 70. 232  Zu diesem Eindruck Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, 42 f. Vgl. auch Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (348). 233  Vgl. oben, B.II.1.b) (S.  22 ff.). 234  Vgl. oben, B.II.1.c) (S.  26 ff.). 235  So anschaulich formuliert in einer vielzitierten Passage von Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 118 ff. Ähnlich Meijers, Rec. 1934 III, 543 (550). Einschränkend indes Beckmann, Zeitschrift für Völkerrecht Bd.  1 (1907), 470 (483), der den „christlichen Lehren von der 227 Ausführlich 228 

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

vorrangig durch Gewalt auszutragen, weshalb die Bedeutsamkeit rechtlicher Beziehungen verstärkt zutage trat.236 Dass in einzelnen Volksrechten für bestimmte Materien ausdrücklich eine Gleichstellung von Stammesangehörigen und Fremden durchgesetzt wurde, beweist insofern zweierlei: Einerseits bildete das Personalitätsprinzip nach wie vor den Ausgangspunkt für die Bewertung rechtserheblicher Verhältnisse einer Person, handelte es sich bei den paritätischen Regelungen doch um bereichsspezifische Ausnahmen.237 Andererseits präsentier­ ten sich die leges barbarorum aber offener gegenüber Fremden als noch das antike römische Recht238, indem sie ihnen beispielsweise das ius conubii und commercii grundsätzlich und ohne gesonderte Normierung zuerkannten.239 Indes wurde der Geltungsbereich einer Rechtsordnung durch personalterritoriale Elemente von Vornherein derart prädeterminiert, dass eine universale Verweisung wie im heutigen IPR in keiner Konstellation zur Debatte stand.240 Regelmäßig kamen allein die beteiligten Individuen als Bezugspunkt der Anknüpfung infrage: Heirateten zwei Personen, konnte sich die Eheschließung nach dem Blutrecht des Mannes oder dem der Frau richten; Vorschriften sonstiger Stämme ließ man außer Acht.241 Ob davon abgesehen durch eine relativ willkürliche Bestimmung der eigenen Identität und Herkunft in einer professio iuris bereits damals eine Form der freien Rechtswahl bestand – was als Indiz für eine offene Haltung gegenüber fremden Rechten gedeutet werden könnte –, ist höchst strittig.242 Von einer pluralistischen Gleichheit nach dem Vorbild von Gleichheit der Menschen und dem Gebote der Nächstenliebe“ eine wichtige Rolle im Zuge dieser Entwicklung zuschreibt. 236  Diese Notwendigkeit belegt anhand zahlreicher Beispiele Stouff, Revue bourguignonne 1894, 273 (282 ff.). 237  Schumann in: Brather (Hrsg.), Recht und Kultur im frühmittelalterlichen Alemannien, 89 (121). Vgl. auch Demandt, Antike Staatsformen, 642. 238  Vgl. oben C.I.2.b) (S.  82 f.). 239  Stouff, Revue bourguignonne 1894, 273 (288). Eine vermittelnde Betrachtung präferiert auch Hugelmann, Stämme und Nation im Mittelalter, 42. 240  Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 31. Das Verhältnis von lex fori und lex causae beleuchtet in diesem Kontext Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (646). 241  Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 2. Eine ausführliche Analyse mittelalterlicher Anknüpfungspunkte in unterschiedlichen Rechtsgebieten bietet Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 89 ff. 242  Dafür u. a. Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 8; Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 32; Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 72; Schnitzer, Handbuch IPR I, 6. Meijers, Rec. 1934 III, 543 (558 f.) sieht darin gar einen Grund für die Schwächung und langfristige Ablösung der Stammesrechte. Eine von Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (168 ff.) analysierte Urkunde aus dem späten 12.  Jahrhunderte scheint diese These zu stützen. Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (22 f.) nennt ebenfalls reale Beispiele der Abkehr von der eigentlichen lex originis, führt aber auch Möglichkeiten der Überprüfung an (24 ff.). Dezidiert gegen diese Annahme Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 151 ff.; Niederer, Einführung

II. Personale und territoriale Kollisionen im Früh- und Hochmittelalter

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Arendt243 kann insofern nur eingeschänkt gesprochen werden: Wenngleich aus einer abstrakten Perspektive jede Person mitsamt ihrem Stammesrecht gleichermaßen am Rechtsverkehr teilzunehmen imstande war, wurden im konkreten Fall die meisten Stammesrechte aus dem Diskurs ausgeschlossen. Aus chronologischer Sicht wirken die kollisionsrechtlichen Tendenzen im Mittelalter wie ein Abbild des gesellschaftlichen Wandels244: Da zunächst noch die Stammeslinie das kollektive Bewusstsein dominierte, besann man sich auch im Umgang mit Rechtskollisionen auf die „Beharrungskraft der Verbindung von Recht mit Identität“.245 Vor allem in der Frühphase der Epoche orientierte sich die Suche nach dem anwendbaren Recht an der ethnisch-sozialen Gruppenzugehörigkeit, folgte mithin gesellschaftspolitischen Motiven.246 Schon zu diesem Zeitpunkt bestand jedoch ein wichtiger Fortschritt im juristischen Umgang mit anderen Völkern darin, ihr Recht anzuerkennen und es – wenn auch lediglich für Personen entsprechender Abstammung – zur Anwendung zu berufen.247 Je mehr sich in der Folge die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gebiet verfestigte, desto eher konnte auch der Gedanke wachsen, eine Einheit mit den Nachbarbezirken zu bilden oder diesen zumindest gleichrangig gegenüberzustehen. Parallel wurde die Anknüpfung an die Stammesangehörigkeit langsam248 zugunsten einer territorialen Betrachtung aufgegeben, was einen systematischeren IPR, 31. Indifferent Kropholler, IPR, §  2 I 2; Siehr, IPR, 414; Sturm, Ausgewählte Schriften I, 454. Nach Esders in: Schuol/Wendt/Wilker (Hrsg.), exempla imitanda, 29 (35) vertrat überdies Montesquieu (zu dessen Sichtweisen auch Sturm, Ausgewählte Schriften II, 653) die These, dass eine „Abwahl“ des eigenen Rechts in der Regel jedenfalls nicht erfolgt sei, solange dieses unter den Angehörigen nur als im Fall gerecht gegolten habe. Diese These unterstützt Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (296, 302 ff., 306). 243  Vgl. oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.). 244  Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (155) spricht von einem „shift in values“. 245  Dilcher, Normen zwischen Oralität und Schriftkultur, 21. 246  Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (317). 247  Vgl. insofern Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (348), der das Personalitätsprinzip als „a sound foundation of a just order in human relations“ qualifiziert. 248  So war beispielsweise der Sachsenspiegel von 1220 noch geprägt von einer Unterteilung nach Stammesangehörigkeit, siehe Oestmann in: Jansen/Oestmann (Hrsg.), Gewohnheit, Gebot, Gesetz, 99 (106); Fehr, ZRG-G Bd.  37 (1916), 131 (201 f.); Hugelmann, Stämme und Nation im Mittelalter, 14 ff., 82; Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (163); Dilcher, Normen zwischen Oralität und Schriftkultur, 22. Diese Einordnung teilt Wenskus in: Patze (Hrsg.), Ausgewählte Aufsätze Wenskus, 96 (133), der darin Parallelen zur rechtlichen Behandlung Fremder schon unter Karl dem Großen erkennt (96). Stobbe, Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Bd.  6 (1863), 21 (37) betont dagegen, dass das Territorialitätsprinzip im Sachsenspiegel schon „durchgedrungen“ sei. Vgl. zur Benutzung des Begriffes „landreht“ in dieser Gesetzessammlung Köbler, ZRG-G Bd.  86 (1969), 1 (3 ff.). Für eine detaillierte Untersuchung der internatio-

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

Umgang mit Rechtskollisionen nach sich zog: Die Anwendung der lex fori249 bildete zwar fortwährend den Regelfall,250 man sprach dem ortsansässigen Gericht251 die vorgelagerte Frage der Zuständigkeit aber nicht mehr vollkommen unreflektiert zu.252 Um diese zu begründen, wurde stattdessen auf Elemente wie die „Beziehung der Person zum Wohnsitz“ oder die „Beziehung des Vertragsschließenden zum Handlungsort“ abgestellt, die noch heute im Kollisionsrecht von Relevanz sind.253 Durch den Gang zu einem anderen Gericht konnte sich also bei entsprechendem Sachzusammenhang durchaus ein Wechsel des anwendbaren Rechts ergeben, was einer konkludenten Rechtswahl ähnelt.254 Daneben begünstigte das erstmalige Aufkommen von allseitigen Regelungen wie der lex rei sitae die schleichende Abwendung vom Personalitätsprinzip,255 denn derartige Rechtssätze beriefen auf Grundlage einer lokalen statt personalen Betrachtung auch parteiunabhängige Rechte zur Anwendung.256 Der Hauptgrund für die Abkehr von der rein personalen Methodik bestand jedoch auch in diesem Kontext darin, eine lokal abgegrenzte, hoheitlich organisierbare Rechtsgemeinnalprozess- und -privatrechtlichen Gehalte im Sachsenspiegel sei verwiesen auf Beckmann, Zeitschrift für Völkerrecht Bd.  1 (1907), 394 ff., 470 ff. 249  Zur Bedeutung des Frühmittelalters für das Aufkommen dieser bis heute anerkannten Anknüpfung Lipstein, Principles of the Conflict of Laws, 4. Vgl. auch Beckmann, Zeitschrift für Völkerrecht Bd.  1 (1907), 470 (483); Stobbe, Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Bd.  6 (1863), 21 (56); Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 9; Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 63. 250  Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.04: „[…] a person, by choosing his judge, chose his law […]“. 251  Die Einteilung erfolgte dabei in „Rechtskreise“ oder „Rechtsfamilien“, siehe Oestmann in: Jansen/Oestmann (Hrsg.), Gewohnheit, Gebot, Gesetz, 99 (107); Kocher, Privatrechtsentwicklung, 42 f.; Fehr, ZRG-G Bd.  37 (1916), 131 (177 f.). 252  Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 6 f. 253  Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 2 f. 254 So Lipstein, Principles of the Conflict of Laws, 4 f. Ob diese Vorgehensweise den meisten Untergebenen im Lehnssystem faktisch überhaupt möglich war, darf allerdings bezweifelt werden. 255 Dazu Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 8; Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 63; Wendehorst, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 45 (2012), 33 (35); Gaupp, ZdR Bd.  19 (1859), 161 (172). Zu weiteren Beispielen derartiger Kollisionsnormen Hugelmann, Stämme und Nation im Mittelalter, 41 f. Für eine umfassende Analyse zur Geltung des Personalitätsprinzips in unterschiedlichen Themengebieten des Privatrechts dieser Zeit siehe Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (36 ff.). 256  Vorher wurde noch an das Stammesrecht des Auflassenden angeknüpft, siehe Stobbe, Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Bd.  6 (1863), 21 (30). Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 93 zeigt insofern auf, dass sich das Belegenheitsrecht erst wirklich durchsetzen konnte, nachdem im Feudalsystem personale Bindungen in den Hintergrund gerückt und territoriale Lehnsverhältnisse entstanden waren.

III. Die Statutenlehre des späten Mittelalters

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schaft zu schaffen, in der die öffentliche Sicherheit und Ordnung garantiert werden konnte.257 Auf eine gewisse Art hatte schon Aristoteles die internationalprivatrechtliche Entwicklung im Mittelalter in seiner politischen Theorie prognostiziert: Solange kleine Gruppen die Intention verfolgten, perspektivisch zu größeren Entitäten zu verschmelzen, bejahte er die Bereitschaft, in politischen und rechtlichen Kontakt zu Nachbarvölkern und -kulturen zu treten.258 Obwohl die mittelalterlichen Stämme sich in der Wahl der rechtlichen Mittel als progressiv erwiesen und nicht auf die von Aristoteles präferierte Bündnispolitik auswichen, agierten sie somit aus vergleichbaren Motiven. Gerade in Abgrenzung zu den finalen Ausläufern des spätantiken Römerreiches erwuchs so auch normativ das Gefühl eines „patrimoine commun de tous les peuples“259, das im Spätmittelalter hierzulande in der Gründung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation kulminierte.260

III. Die Statutenlehre des späten Mittelalters Mit der Statutenlehre entwickelte sich zu Beginn des späten Mittelalters schließlich ein Modell, das über ein halbes Jahrtausend das kontinentale Kollisionsrecht prägen sollte. Diese zeitliche Kontinuität und der Umstand, dass Savignys klassischer Ansatz später als „kopernikanische Wende“261 gegenüber der vorherigen Methodik betitelt wurde, sind Grund genug, sich intensiv mit der spätmittelalterlichen Sicht auseinanderzusetzen. 1. Stadtrecht(e) und ius commune Nachdem die Stämme des Früh- und Hochmittelalters ihre Bedeutung spätestens im 14.  Jahrhundert vollständig verloren hatten,262 folgte eine Phase intensiven Rohe, Zu den Geltungsgründen des Deliktsstatuts, 28 f. Grund für die zunehmde Bedeutung des Territorialitätsprinzips war daher v. a. eine „organisatorische Intensivierung der Herrschaft“, siehe Köbler, ZRG-G Bd.  86 (1969), 1 (40). In diese Richtung auch Stouff, Revue bourguignonne 1894, 273 (307) und Meijers, Rec. 1934 III, 543 (564 f.). 258  Vgl. oben, B.II.1.a) (S.  19 ff.). 259  Stouff, Revue bourguignonne 1894, 1 (28); siehe auch Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 70 f. Näher zu den „Einschmelzungen“ der Völker und Stämme in der Folgezeit Wenskus in: Patze (Hrsg.), Ausgewählte Aufsätze Wenskus, 96 (101 ff.). 260 Vgl. Wenskus in: Patze (Hrsg.), Ausgewählte Aufsätze Wenskus, 96 (109); Hugelmann, Stämme und Nation im Mittelalter, 51 ff.; Biere, Verständlich-Machen, 161 ff. 261 Wohl zurückgehend auf Neuhaus, Grundbegriffe, 94. Diese Einordnung bezweifelnd E. Lorenz, Struktur des IPR, 27; Boosfeld, ZRG-G Bd.  136 (2019), 76 (86 Fn.  40); Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (8). 262  Hugelmann, Stämme und Nation im Mittelalter, 41. Ziekow, Über Freizügigkeit und 257 

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Austauschs mit Fremden im Zuge der Städtegründungen, bevor nach deren Konstituierung eine schrittweise Isolation einsetzte263. Lokale Stadtrechte (statuta), in denen primär gewohnheitsrechtliche Vorgaben aus dem Rechts- und Wirtschaftsverkehr gesammelt wurden,264 formten „das juristische Profil der städti­ schen Traditionen“265. Da im Verlauf des Hoch- und Spätmittelalters der wirt­ schaft­ liche Austausch zwischen den mittlerweile entstandenen Stadtstaaten florierte,266 erwies sich eine streng territoriale Gebundenheit der Rechtsverhältnisse aber als aus ökonomischer Sicht hinderlich267 – Rechtsanwendungsmaxi­ men mussten festgelegt werden. Nicht umsonst lassen sich die Wurzeln der neuen Ideen zum Umgang mit Rechtskollisionen im damaligen Italien mit seinen Han­ dels- und Wissenschaftszentren wie Venedig,268 Mailand, Florenz269 und Bolog­ na270 finden,271 an deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit deutsche Städte272

Aufenthalt, 46 erkennt den zentralen Fortschritt in der „Beseitigung der persönlichen Bindungen durch Integration in die Genossenschaft der Bürger“. Mit ähnlichen Formulierungen auch Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 167. 263  Schultze, HistZ Bd.  101 (1908), 473 (502 f.). 264  Zu diesem Umstand nur Zacharias, Entwicklung des internationalen Testamentsformenrechts der Niederlande, 51 und Chittolini in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 7 (10). Nach Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 9 erfolgte ein „Schritt vom Faktischen zum Normativen“. Den Prozess der lokalen Rechtsetzung erläutert Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 95 f. 265  Ascheri in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 113 (154). Zu den verschiedenen Unterformen siehe Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 181. 266  Für eine umfassende Darstellung des innerstädtischen und städteübergreifenden Wirtschaftslebens siehe Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 853 ff. 267  Keller-Kemmerer, Die Mimikry des Völkerrechts, 261; Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (104); Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 12; Rauscher, IPR, Rn.  25; Makarov, Grundriß des IPR, 36; Meder, Rechtsgeschichte, 238 f.; Kegel/Schurig, IPR, 166. 268  Umfassend zu den venezianischen Statuten des Spätmittelalters Varanini in: Chittolini/ Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 195 ff. 269  Umfassend zu den florentinischen Statuten des Spätmittelalters Fasano Guarini in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 53 ff. 270  Das Aufkommen juristischer Kommentare speziell in Bologna als Indiz für die mittelalterliche Bedeutung der Stadt beleuchtet Kästle-Lamparter, Welt der Kommentare, 30 f. 271  Grundlegend zur prädominanten Rolle der Stadt gerade im spätmittelalterlichen Italien Chittolini in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 7 (7 f.). Deren zentrale Bedeutung v. a. für den Handel betonen Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 66 f. und Schnitzer, Handbuch IPR I, 7. 272  Für einen Vergleich mit deutschen Reichsstädten siehe Willoweit in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 39 (43). Ablehnend zur Frage, ob auch die deutschen Stadtrechte im Vergleich zu den italienischen Katalogen die Bezeichnung „Statute“ verdienten, Schmieder in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 217 ff. Im Wesentlichen a. A. Hermann in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 225 ff.

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nicht heranreichten.273 Eine weitere Herausforderung verkörperte die grundsätzliche Rückbesinnung auf das römische Recht,274 das eine teilweise Homogenität gegenüber der sonstigen Rechtszersplitterung275 – die überdies durch die Fortgeltung ungeschriebenen Gewohnheitsrechts befeuert wurde276 – versprach.277 Es waren damit zwei unterschiedliche Fragen zu stellen, die nicht unreflektiert vermengt werden sollten278: Zum einen musste eine Hierarchie innerhalb des vielschichtigen Normen- und Wertekanons gefunden werden; zum anderen verlangte das Aufkommen der Städte mit eigener Rechtsetzungsbefugnis nach Rechtsanwendungsregelungen für Fälle mit Berührungspunkten zu mehreren lokalen Hoheitsgebieten.279 Als aus kollisionsrechtlicher Sicht interessant erweist sich das letztgenannte Themenfeld, dessen Untersuchung daher hier im Mittelpunkt stehen soll. Es wird nur dann durch Erwägungen zur Rangfolge der Rechtsquellen280 ergänzt, wenn sich politische Grundhaltungen auf dieser Ebene zusätzlich dokumentieren lassen. 273  Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 3; Kreuzer, FS Trusen, 543 (545); Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 95. Näher zu dieser Entwicklung Meder, Rechtsgeschichte, 191 ff.; Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 243 ff.; Niederer, Einführung IPR, 32 f.; Pennington in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 17 (17). 274  Knütel, ZEuP 1994, 244 (244); Kocher, Privatrechtsentwicklung, 39; Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 12 f.; E. Lorenz, RabelsZ Bd.  29 (1965), 433 (435 f.). Vgl. auch Kreutz, Recht im Mittelalter, 107 ff.; Pennington in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 17 (38); Ascheri in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 201 (202); Chittolini in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 7 (24 f.); Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 90. 275  Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 63. Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 192 beschreibt die Stadtrechte mit passenden Worten als „in einem ummauerten Bezirk geltendes“ Recht, verneint aber die Existenz von abgrenzbaren Rechtskreisen. 276  Kalenský, Trends of PIL, 51 f.; Boosfeld, ZRG-G Bd.  136 (2019), 76 (78). 277  Savigny, Römisches Recht im Mittelalter I, 184. 278  Vgl. schon v. Wächter, AcP Bd.  24 (1841), 230 (274 Fn.  80). 279  Diese – oftmals in der Literatur nicht sauber vollzogene – Unterscheidung nimmt etwa Kreuzer in: Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der EG, 457 (461 f.) vor. Siehe auch ders., FS Trusen, 543 (547 f.). Angesprochen wird sie ferner von Gebauer, JZ 2011, 213 (213); Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 148 f.; Niederer, Einführung IPR, 36; Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 19. In wissenschaftlicher Tiefe aktuell untersucht von Boosfeld, ZRG-G Bd.  136 (2019), 76 ff. Ungenau in diesem Sinne Gounalakis/Radke, ZVglRWiss Bd.  98 (1999), 1 (9): „Indes handelte es sich bei dieser Statutenlehre noch nicht um IPR im eigentlichen Sinn, da nur Konflikte zwischen Rechtsquellen verschiedener Rangstufen entschärft wurden“. Ähnlich Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (107) und Steindorff, Sachnormen, 40. Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 253 geht in diesem Zusammenhang ebenfalls ohne nähere Erklärung auf die Prävalenz der lokalen Statute gegenüber dem römischen und kanonischen Recht ein. Ähnlich Ascheri in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 113 (153). 280  Zu dieser Ausprägung der Statutenlehre näher Luig in: Stolleis (Hrsg.), Conring. Bei-

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Um der normativen Inkonsistenz infolge städtisch-autonomer Normsetzung – die nicht zuletzt die tägliche Arbeit der lediglich im römischen ius commune ausgebildeten Juristen erschwerte281 – Herr zu werden, gingen Städte vermehrt dazu über, auch Angehörigen fremder Ortschaften ein befristetes Aufenthaltsund Prozessführungsrecht als Gast zuzusprechen.282 Mit diesem offiziellen Schutzanspruch, der die private Beherbergung283 ergänzte, intendierten die Städte in erster Linie eine Förderung des interstädtischen Verkehrs; das Gastrecht stellte in seiner wesentlichen Funktion ein „Handelsrecht“ dar.284 Wie stark dabei das Wohl der eigenen Bürger in den Vordergrund gerückt wurde, belegen Sonderregelungen zahlreicher Städte, die Geschäfte unter Gebietsfremden generell und deren Handel mit Stadtangehörigen bei gemeinschaftlichem Gewinnstreben verboten.285 Im Sinne wirtschaftlicher Kooperation vertiefte man die begonnene Öffnung schrittweise auf Basis bilateraler Verträge, in denen das Gebietsrecht auf Stadtfremde erstreckt, mithin eine Form der Inländerbehandlung286 ausgesprochen wurde.287 Internationalprivatrechtliche Züge weisen nach heutigem Verständnis insbesondere solche Abmachungen auf, die eine Anwendung des Stadtrechts auch gegenüber fremden Beklagten vorsahen: Anstatt bestimmten träge zu Leben und Werk, 355 (360 ff.); Dilcher, Normen zwischen Oralität und Schriftkultur, 175 ff.; Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 20 ff. Vgl. auch Ascheri in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 113 (138 f.). Zur politischen Sprengkraft dieser Fragestellung im Mittelalter siehe K. Roth, Generalogie des Staates, 388 f. 281 Dazu Oestmann in: Jansen/Oestmann (Hrsg.), Gewohnheit, Gebot, Gesetz, 99 (110 f.); Knütel, ZEuP 1994, 244 (244 f.); Gibbs in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 183 (184 f.). Nach Dilcher, Normen zwischen Oralität und Schriftkultur, 176 wurde von den Juristen daher eine „Verbindung von gelehrter Schulung in den Universalien und Beachtung der Lebenswirklichkeit“ gefordert. 282  Ziekow, Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 207. 283  Den Einzelheiten zur Beziehung zwischen Wirt und Gast widmet sich Schultze, HistZ Bd.  101 (1908), 473 (500 f.). 284  Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 158; Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 10. Einzelne Regelungen mit einer dahingehenden Motivation untersucht Schultze, HistZ Bd.  101 (1908), 473 (498 ff.). 285  Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 159 bezieht sich zum Beispiel auf entsprechende Regelungen in Lübeck. Zustimmend Schultze, HistZ Bd.  101 (1908), 473 (499 f.), der indes jedenfalls eine Besserstellung des Gastes gegenüber der Behandlung von Fremden im Frühmittelalter manifestiert (387) (dazu oben, C.II.1., S.  89 ff.). Zu unmittelbaren Einflüssen der Handelsgilden auf die Statuten einer Stadt siehe Ascheri in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 201 (207 f.). 286  So die Einordnung von Hohloch, Deliktsstatut, 16. 287  Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 195, 315. Dazu auch m. w. N. E. Lorenz, RabelsZ Bd.  29 (1965), 433 (435). Wie sich diese Praxis etwa auf den „Repressalienarrest“ als privatrechtliches Mittel der zwangsweisen Rechtsdurchsetzung auswirkte, untersucht Schultze, HistZ Bd.  101 (1908), 473 (513).

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Personen durch einseitigen Beschluss Privilegien zu gewähren, schuf man Rechtsanwendungsvorschriften mit abstraktem Adressatenkreis.288 2. Legisten und Kanonisten In der Folge rückte die Frage nach dem Umgang mit Rechtskollisionen abseits expliziter Übereinkommen erstmals als rechtswissenschaftliches Methodenproblem in den Vordergrund,289 was vor allem der Arbeit von Legisten290 und Kanonisten291 mit dem römischen Recht respektive dem Kirchenrecht zu verdanken war. a) Grundlegende Überlegungen Auf den ersten Blick scheint es, als sei den Lehren von Vertretern wie Accursius und Azo kein ernstzunehmender Fortschritt gegenüber dem vorherigen Umgang mit inter-territorialen Konstellationen zu entnehmen, erklärten sie doch zunächst übereinstimmend die Geltung der lex fori zur Regel.292 Erste Indizien für ein Eingehend beleuchtet von Neumeyer, Gemeinrechtliche Entwicklung des IPR II, 9 ff. Zu alternativen Ausgestaltungen durch Staatsverträge im deliktsrechtlichen Bereich Rohe, Zu den Geltungsgründen des Deliktsstatuts, 35 ff. 289  Daher auch Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 109: „Die Geschichte des IPR als Wissenschaft beginnt mit der Statutenlehre; alles Frühere ist Vorgeschichte“. Vgl. ferner Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 48. 290  Näher zur Arbeitsweise der Legisten Kästle-Lamparter, Welt der Kommentare, 105 f. Vgl. auch Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 146. 291  Deren zentrale Rolle innerhalb der Statutenlehre beleuchten etwa Hohloch, Deliktsstatut, 18 f.; Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (651 ff.); Pennington in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 17 (29 f.). Vgl. auch Endemann, Römisches Privatrecht, 26: „Pionier für die Rezeption des römischen Rechts war die christliche Kirche“. Diese Auffassung teilt Sturm, Ausgewählte Schriften II, 650 f., der jedoch zuvorderst eigennützige Motive erkennt (657). Für einen Vergleich zwischen juristischen Glossen und Bibelglossen siehe Kästle-Lamparter, Welt der Kommentare, 170 ff. (ferner 36 f.). Einzelne Kirchenstaatsstatuten des frühen Spätmittelalters untersucht T. Schmidt in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 109 ff. Gibbs in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 183 (186 f.) belegt anhand von illustrierten Statuten, welchen Einfluss die Kirche auf die Rechtsordnung ausübte. Die Entwicklung des kanonischen Rechts schildert ausführlich Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 254 ff. 292  Grundlegend dazu auf Basis zahlreicher Primärtexte Neumeyer, Gemeinrechtliche Entwicklung des IPR II, 57 ff. Für diese Einschätzung auch m. w. N. Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 49; Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 29; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 7; Hohloch, Deliktsstatut, 17; Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 19. Zur Umsetzung in der Praxis Schultze, HistZ Bd.  101 (1908), 473 (508, 519 ff.). Ascheri in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 113 (150 f.) weist insofern darauf hin, dass die lex fori einer Stadt teilweise – etwa in Siena – auch für mitverwaltete Nachbargemeinden galt. 288 

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Aufweichen veralteter Dogmen lassen sich dennoch finden: So wurde das Forum teils durch objektive Nähebeziehungen wie die Belegenheit des Tatorts begründet, ohne Stammesbindungen oder zwischenstädtische Abkommen in den Vordergrund zu rücken; das Recht folgte in diesen Fällen zwar weiterhin dem Forum, wurde aber mittelbar infolge universaler Anknüpfungspunkte berufen.293 Dass Gerichte sich vermehrt für unzuständig erklärten und durch die Weiterverweisung zu einem anderen Spruchkörper eine abweichende lex fori zur Anwendung brachten, zeugt ferner von der Tendenz, das eigene Forumrecht nicht unreflektiert auf sämtliche Sachverhalte zu übertragen.294 Als monumental für die Entwicklung des IPR ist die Sichtweise des Magisters Aldricus anzusehen, der im Kollisionsfall die jeweiligen Rechtsverhältnisse der Parteien problematisierte und eine Lösung anhand des besseren (potior) und zweckdienlicheren (utilior) Rechts295 befürwortete, die forumeigene Normordnung also nicht für alleine relevant hielt.296 Dass er die Entscheidung dennoch in das Ermessen des Richters stellte, kann unterschiedlich gedeutet werden: Auf der einen Seite erscheint es nicht völlig abwegig, darin einen beinahe modernen Ansatz zu erkennen, da Inhalt und Sachnähe der Rechte nicht ausdrücklich getrennt wurden297 und es insoweit zumindest auch auf eine räumliche Nähe der berufenen Rechtsordnung mit dem Sachverhalt ankommen konnte.298 Auf der anderen Seite nahm schon die Quelle, auf die Aldricus sich bezog, die materielle Gerechtigkeit in den Blick;299 auch er dürfte den Richter daher vor allem aufgefordert haben, das aus seiner Sicht inhaltlich angemessene und nützliche Recht zu berufen.300 Nach hier vertretener Ansicht mag eine Orientierung am räumDazu unter Zugrundelegung von Primärquellen Hohloch, Deliktsstatut, 17 f. Gamillscheg, Dumoulin, 97 f. 295  Zur Problematik der Begriffsbestimmung bzw. -übersetzung siehe Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 14 f. Fn.  21, der in jedem Fall ein Verständnis der Begriffe „im Sinne ihres Jahrhunderts“ anmahnt. Nach Schwind, IPR, Rn.  9 ging es bei der Formulierung jedenfalls insgesamt um einen „Ausdruck der Funktionalität“. In diese Richtung auch Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 17. 296  Zu dessen Bedeutung nur Reuter, RabelsZ Bd.  81 (2017), 661 (663) und Hohloch, Deliktsstatut, 18. Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (647) erkennt folgerichtig einen „first breach in the lex fori“. 297  Diesen Aspekt unterstreicht Kropholler, IPR, §  2 II 1. Nach Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 96 steht also nicht fest, ob Aldricus sich auf räumliche oder sachliche Bezüge stützte. 298  Elementare Fortschritte in der internationalprivatrechtlichen Prägung der Fragestellung betonen daher Neumeyer, Gemeinrechtliche Entwicklung des IPR II, 66 ff. und Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 14 f. 299  Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 29 f. 300  Diese Position nimmt etwa M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 13 f. ein. Kalenský, Trends of PIL, 206 sieht in der Formulierung des Magisters daher eine Aufforderung zur Rechtsvergleichung. Darin erkennen Pointner/Wolf, ZEuP 2017, 737 (738 Fn.  10) und Gamillscheg, Ra293  294 

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lichen Schwerpunkt des Falles bereits im Mittelalter mithin aus dogmatischer Sicht wünschenswert sein, die Suche nach dem „Prinzip der engsten Verbindung“ sollte aber wohl erst viele Jahrhunderte später ihren Anfang nehmen. b) Sinneswandel in den Glossen Ausgehend von dieser Neubetrachtung erfolgte der schrittweise Bruch301 mit dem lex fori-Grundsatz durch die Arbeit in Glossen, die mit dem Ziel angefertigt wurden, den Codex Iustinianus302 mit kurzen Erläuterungen zu versehen.303 Dabei wurde mit Bezug auf die Textstelle Cunctos populos (C. I. 1, 1, 1304) die Prämisse zugrundegelegt, Regeln des Gesetzgebers seien nicht für alle Personen auf dem jeweiligen Territorium bindend, sondern lediglich für die sich dem Ortsrecht freiwillig305 unterwerfenden Untertanen.306 In diese Zeit fällt auch die auf Jacobus Balduini zurückgehende Differenzierung zwischen prozessualen und materiellrechtlichen Regelungen, von denen nur erstere zwingend der lex fori belsZ Bd.  37 (1973), 808 (810) eine Nähe zu amerikanischen IPR-Theorien (dazu unten, C. IV.2., S.  141 ff.). Spickhoff, Der ordre public im IPR, 27 f. betont die Ähnlichkeit zum heutigen Verständnis des ordre public. Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (106) bezeichnet den Ansatz als „außerordentlich modern“. Ähnlich Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 26. Ebenfalls zur Frage der Auslegung der Worte von Aldricus m. w. N. Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (6). 301  Im Falle des Accursius sogar wortwörtlich, denn dieser zeigte sich in seinen Schriften als Verfechter des lex fori-Ansatzes, bis er sich in einem berühmt gewordenen Zusatz zu einer seiner Glossen ausdrücklich davon abwandte, siehe Neumeyer, Gemeinrechtliche Entwicklung des IPR II, 75 f. 302  Einführend zu dieser Kodifikation Endemann, Römisches Privatrecht, 23 ff. Wie stark schon einzelne Stadtstatuten sich an den Formulierungen Justinians orientiert hatten, zeigt Pennington in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 17 (20 ff.) auf. 303  Diese Arbeitstechnik beschrieb noch unlängst in eindrucksvoller Genauigkeit und anhand zahlreicher Abbildungen Kästle-Lamparter, Welt der Kommentare, 108 ff. 304  Dass die Textstelle „Cunctos populos, quos clementiae nostrae regit imperium (temperamentum), in tali religioni volumus versari, quam […]“ als „Konfessionsklausel“ eigentlich dazu diente, die Macht des Kaisers zu begrenzen, betont zu Recht Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 3 Fn.  5. Zustimmend Niederer, Einführung IPR, 39; Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (649); Schwind, IPR, Rn.  9; Nussbaum, Grundzüge des IPR, 10. Im Umgang mit diesem Text erkennt daher Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 249 einen „lack of historical perspective“. 305  Diese Prämisse unterstreicht H. Hübner, BGB AT, Rn.  58. Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (647 f.) macht das Wiederaufleben des römischen Rechts für dieses Umdenken mitverantwortlich. 306  Unter Angabe der wesentlichen Glossen Kalenský, Trends of PIL, 52 f. Siehe ferner Hirse, Ausweichklausel, 143; Rohe, Zu den Geltungsgründen des Deliktsstatuts, 41; Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 30; vgl. auch Lepsius, ZEuP 2015, 313 (329); Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 18 ff.; Kegel/Schurig, IPR, 167.

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unterfallen sollten; die Trennung von Internationalem Prozessrecht und Internationalem Privatrecht im engeren Sinn findet hier bereits Ausdruck.307 Da nach diesem Verständnis die Anwendung von Rechtssätzen im Verkehr zwischen den Stadtstaaten mangels „natürlicher“ Verbundenheit von Zuständig­ keits- und Sachrecht neu ausgelotet werden musste, konzentrierten sich die Glossenschreiber in der Folge auf die Frage nach Inhalt, Geltungsbereich und Rang einzelner statuta.308 Sie sahen sich allerdings der enormen Herausforderung ausgesetzt, grundlegende Neuansätze dort zu finden, wo zuvor zumindest für die inter-statutarische Praxis mit der lex fori ein klares Prinzip gegolten hatte.309 Nachdem Versuche, für Fremde schlicht die Geltung des ius commune festzuschreiben, sich als unzureichend erwiesen hatten, etablierten sich zunächst im Vertragsrecht erste wirkliche Kollisionsnormen wie die des forum contractus.310 Dem Forumrecht wurde in der Praxis allerdings nach wie vor eine unverkennbare Prävalenz zugesprochen – „Wherever the lex fori was willing to operate, it retained its effect“.311 c) Lösungsversuche durch die Kommentatoren Der Versuch einer Strukturgebung gelang aus systematischer Sicht312 erst den Post-Glossatoren313 oder Kommentatoren, deren Erläuterungen zu Vorschriften unterschiedlicher Form und Herkunft314 letztlich eine Dreiteilung hervorbrachten: Im Wesentlichen wurde zwischen personenbezogenen statuta perso­ nalia und sachbezogenen statuta realia differenziert, statuta mixta dienten Meijers, Rec. 1934 III, 543 (595 f.); Neumeyer, Gemeinrechtliche Entwicklung des IPR II, 85 ff.; Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 20 ff.; Gamillscheg, Dumoulin, 22 f.; Kegel/Schurig, IPR, 168; vgl. auch Riezler, Zivilprozessrecht und Fremdenrecht, 66. 308  Zu diesem Umstand nur Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 30. 309  Neumeyer, Gemeinrechtliche Entwicklung des IPR II, 76 ff. untersucht vor diesem Hintergrund die noch recht unbeholfenen frühen Lösungsansätze und stellt Ungenauigkeiten, eine fehlende Stringenz und die dominierende Orientierung am Ergebnis heraus. 310  Neumeyer, Gemeinrechtliche Entwicklung des IPR II, 82 ff. Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 3 erkennt insoweit „mehrere kollisionsrechtliche Einzelgedanken“. Vgl. auch Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 18. Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 15 betont in diesem Kontext die Rolle der institutionalisierten Märkte. 311  Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (648). 312  Diesen Verdienst hebt statt aller Hohloch, Deliktsstatut, 21 hervor. Zu Einzelansätzen ab der Mitte des 13.  Jahrhunderts Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 17 ff. 313  Zur Begrifflichkeit Kästle-Lamparter, Welt der Kommentare, 32. 314  Kästle-Lamparter, Welt der Kommentare, 35 sieht in der Einbeziehung von Quellen außerhalb des Corpus Iuris Civilis einen entscheidenden Grund für partielle Perspektivwechsel in den Kommentierungen gegenüber den eingleisig orientierten Glossen. 307 Dazu

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daneben als Auffangtatbestand.315 Der Person „anhaftende“ Rechte – zu denen das Mobiliareigentum gezählt wurde316 – unterlagen danach dem Herkunftsrecht; territorial geprägte Beziehungen, vor allem also zu Immobilien, wurden anhand des Belegenheitsrechts bemessen; handlungsbezogene Aspekte regelte das Recht am Ort der Vornahme.317 Um zu diesen oder ähnlichen Kategorisie­ rungen zu gelangen, wurden die Normen anhand unterschiedlicher Auslegungsschwerpunkte beleuchtet:318 Während Bartolus de Saxoferrato319 nach der „gestattenden“ oder „verbietenden“ Wirkung der Statute (statuta permissoria bzw. prohibitiva320) fragte und damit darauf abstellte, ob sie eine Genehmigung bestimmter Rechtsakte aussprachen oder zusätzliche (etwa formelle) Wirksamkeitsvoraussetzungen vorsahen, schuf sein Schüler Baldus de Ubaldis differen­ ziertere Fallgruppen, in denen er die statutentheoretische Dreiteilung mit Fragen zu Form, Verfahren und Vollstreckung anreicherte.321 Für den Untersuchungsgegenstand ist die genaue Einteilung indes nicht von elementarer Bedeutung, beruhten die Zuordnungen doch auf einer ähnlichen Methodik322: Als entscheidend für den Anwendungsbereich von Rechtsnormen oder -traditionen wurde bei grenzüberschreitendem Bezug der Inhalt einer Regelung angesehen – die Norm bestimmte selbst, welche Fälle gemäß ihrer 315  Kurzdefinitionen zu den Kategorien finden sich z. B. bei Rauscher, IPR, Rn.  27; Nussbaum, Grundzüge des IPR, 11; Makarov, Grundriß des IPR, 37. Dass diese Einteilung freilich nur einen „Idealtypus“ darstellt und zahlreichen Änderungen unterworfen war, betont Neuhaus, Grundbegriffe (1. Aufl.), 73. In diese Richtung auch Niederer, Einführung IPR, 19. Weller, IPRax 2011, 429 (431) charakterisiert diese Dreiteilung als „schematisch“. Mit dieser Wortwahl ferner Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (6). Ähnlich Juenger, LA Siehr, 289 (292) und Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  1985. Meder, Rechtsgeschichte, 204 erkennt daran anknüpfend im Ergebnis „wenig Spielraum zur kreativen Lösung von Problemen“. 316  Siehe nur H. Hübner, BGB AT, Rn.  58. 317  Dazu statt aller Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 11. 318  Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 24 resümiert insofern: „Die Einordnung zu den Statuten war eine Frage der Interpretation der Statutenkollisionsnormen“. Nach Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 34 reduzierte sich die Statutenlehre damit im Grundsatz auf eine Frage nach der Qualifikation von Anknüpfungsgegenständen. 319  Umfassend zu dessen Werk Lepsius, ZEuP 2015, 313 (320 ff.). 320  Als „Vergleichsmaßstab“ fungierte dabei in der Regel das ius commune, siehe Steindorff, Sachnormen, 39. 321 Siehe Gamillscheg, Dumoulin, 53 ff.; Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 35 ff., 41 ff.; Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 3 ff.; vgl. Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 97; Schnitzer, Handbuch IPR I, 8 f.; Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 39 f. 322  Von einem tatsächlich effizient handhabbaren Prinzip ähnlich des der „engsten Verbindung“ in Anlehnung an Savigny kann indes keine Rede sein, da die Methodik keine Einheitlichkeit aufwies und sich in Details verlor, siehe Hirse, Ausweichklausel, 146 f.

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Zweckrichtung international erfasst werden sollten.323 Die Forschung konzen­ trierte sich auf die Frage, unter welchen Umständen das eigene Recht einer Stadt sich entweder auch auf Fremde innerhalb der Mauern oder auf Bürger außerhalb der Mauern erstrecken könne.324 Rechtstechnisch erfolgte damit keine wertneutrale Verweisung,325 sondern eine Qualifikation von Sachnormen.326 Nicht zufällig erfolgte diese Akzentuierung zunächst im Vertragsrecht, denn gerade auf dieser Ebene pochte die Praxis auf eine ansatzweise Rechtssicherheit in Kolli­ sionsfällen.327 3. Die späteren Schulen Selbstredend endete die Entwicklung dieser revolutionären Lehre, die das Internationale Privatrecht Europas für Jahrhunderte dominieren sollte, nicht mit den Erkenntnissen der Post-Glossatoren im damaligen Italien. Vielmehr wurde ihr Werk von den Juristen der umliegenden Staaten in mannigfaltiger Hinsicht rezipiert und umgestaltet,328 ohne dass eine wirkliche Revision der Ausgangspunkte stattgefunden hätte.329 Ich möchte den Fokus im Folgenden auf die sozialen und politischen Motive lenken, die den unterschiedlichen „Schulen“330 zugrunde lagen.

Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 148; Kalenský, Trends of PIL, 54; Lepsius, ZEuP 2015, 313 (324); Michaels in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 54 (58); Steindorff, Sachnormen, 38 f.; Nussbaum, Grundzüge des IPR, 11. 324  Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 149 ff. zeichnet daher eine Kategorisierung in extensions personnelles und extensions territoriales nach. Vgl. auch Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 4; Gebauer, LA Jayme, 89 (90); Kegel/Schurig, IPR, 171; Steindorff, Sachnormen, 116 f. Zur extraterritorialen Wirkung von Ortsvorschriften beispielhaft Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 49 f. 325  Zum Merkmal der Einseitigkeit siehe oben, B.II.2. (S.  32 ff.). 326 Vgl. H. Weber, Theorie der Qualifikation, 9. In diese Richtung auch Schnitzer, Handbuch IPR I, 7; Kegel, FS Raape, 13 (13); Beitzke, FS Smend, 1 (4 f.); Steindorff, Sachnormen, 89. 327  Neumeyer, Gemeinrechtliche Entwicklung des IPR II, 83 ff. Zu diesem Aspekt auch Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 251. 328 Nach Keller-Kemmerer, Die Mimikry des Völkerrechts, 262 wurde sie „in die jeweiligen politischen Kontexte übersetzt“. 329  Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 49, 52. 330  Der Begriff der „Schule“ meint an dieser Stelle verschiedene Entwicklungsstufen der Statutenlehre, die regelmäßig mit den Staatsangehörigkeiten ihrer wesentlichen Vertreter betitelt werden, siehe Niederer, Einführung IPR, 19. 323 Siehe

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a) Frankreich Als bedeutsamste Vertreter der „französischen“331 Schule gelten Bertrand d’Argentré und Charles Dumoulin, deren Grundprämissen jedoch unterschiedlicher nicht hätten sein können: Während d‘Argentré den hoheitlichen Machtanspruch und die souveräne Territorialgewalt in den Mittelpunkt seiner kollisionsrechtlichen Erörterungen rückte, vertrat Dumoulin eine universalere Position, die methodisch von Bartolus beeinflusst war.332 Relevanz für die Ausgangsfrage erlangt dieser Ideenstreit vor allem deshalb, weil beide Autoren gegenläufige Gesellschaftsmodelle präferierten und diese in ihren verweisungsrechtlichen Theo­ rien abbildeten, was die These einer Politisierung des IPR in dieser Epoche stützt.333 Dem Bedürfnis nach nationaler Rechtsvereinheitlichung und zentraler Königsgewalt folgend, betrachtete Dumoulin die partikularen Rechte Frankreichs nicht als inkompatible Widersacher, sondern als verwandte Bestandteile eines Gesamtsystems.334 Seine Haltung zur Hierarchie der Rechtsquellen belegt diesen Umstand: Da er trotz der bestehenden Rechtsspaltung in seinem Heimatland von einem gemeinsamen Fundament durch überregionale Rechtsgedanken ausging, sprach er sich für eine rechtsvergleichende Methodik aus, um in Abgrenzung zum römischen ius commune ein französisches „gemeines“ Recht zu etablieren.335 Verweisungsrechtlich favorisierte er zur Förderung des Verkehrs ein dynamisches Personalitätsprinzips,336 als dessen Ausprägung er wohl erstmals eine parteiautonom getroffene Rechtswahl in die Debatte einbrachte337. Anstatt im KollisionsDie Thesen weiterer Vertreter finden sich zusammengefasst bei Gamillscheg, Dumoulin, 123 ff. Zur gleichzeitigen Rezeption des römischen Rechts in Frankreich als Frage der Rechtsquellenhierarchie siehe Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 262 ff. 332  Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 97 f.; Neuhaus, Grundbegriffe, 93; Kalenský, Trends of PIL, 64 ff. Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (650) bezeichnet Dumoulin daher als vermeintlich „letzten Vertreter der italienischen Schule“. Zustimmend Gebauer, ZEuP 2016, 928 (945) und Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 69. Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 205 betont indes, dass sich auch d’Argentré stellenweise bei Bartolus Lehren bedient habe. Vgl. auch Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 28. 333  Zu dieser Einsicht statt vieler Schwind, IPR, Rn.  12 und Schnitzer, Handbuch IPR I, 11. Vgl. auch Stolleis/Holthöfer, Juristen, D’Argentré (S.  156). 334  Gebauer, ZEuP 2016, 928 (941 f.); Stolleis/Holthöfer, Juristen, D’Argentré (S.  156). 335  Gamillscheg, Dumoulin, 88 f.; Gebauer, ZEuP 2016, 928 (934, 941). Ausführlich zu der Vorstellung eines gemeinen französischen Rechts und seinem Verhältnis zum römischen ius commune etwa Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 208 ff. 336  Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 6 f. 337  Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 78 f.; dazu ferner Gebauer, JZ 2011, 213 (216 f.); ders., ZEuP 2016, 928 (946 f.); Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 34 f.; Niederer, Einführung IPR, 44; Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.06. Dagegen verneint insb. Ga331 

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fall vornehmlich auf öffentliche Zwecke Bezug zu nehmen, propagierte er mithin eine Disponibilität von Statuten mit personaler Interessenausrichtung.338 Konträr dazu fußte das Rechtsverständnis von d’Argentré auf dem Schutz des Lehnswesen, weshalb auffallend viele Themenbereiche den Realstatuten unterworfen und damit an ein territoriales Gebiet gebunden wurden.339 Nicht umsonst wählte er für seine kollisionsrechtlichen Überlegungen einen provinziellen Ausgangspunkt,340 indem er sie auf Art.  218 der „Coutumes de Bretagne“ stützte.341 In seiner föderalistischen Grundhaltung erschien es d’Argentré alternativlos, auch bei grenzüberschreitenden Fällen eine enge Bindung an die heimatlichen Regionalrechte zu wahren, weil er ansonsten eine Vermengung und Assimilation der Partikularregime fürchtete.342 Ebenso beantwortete er die verwandte Frage nach der Stellung des ius commune zugunsten der lokalen Rechte; anders als Dumoulin unterstrich er jedoch die partikulare Komponente, ging es ihm doch darum, den Einfluss der Feudalherren gegenüber zentralstaatlichen Institutionen zu stärken.343 Mit seiner Präferenz für ortsgebundene Anknüpfungen innerhalb millscheg, Dumoulin, 110 ff. genuin parteiautonome Elemente in Dumoulins Lehren. Zustimmend Makarov, Grundriß des IPR, 38 und Kegel/Schurig, IPR, 173. Nach HWB-EuP/Rühl, Rechtswahl (Bd.  II, S.  1270) war es ihm jedenfalls nicht daran gelegen, die privatautonome Entscheidung für ein Recht als generelles Anknüpfungsprinzip auszugestalten. So auch Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 17 und Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 50. Weitere Nachweise für beide Ansichten bei Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 38 f. Fn.  24, 25. Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 35 f. (m. w. N. in Fn.  64) verneint mit Blick auf frühere Ausprägungen der Statutenlehre jedenfalls parteiautonome Elemente im Vertragsrecht schon zu dieser Zeit. 338  Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 210 ff. Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (109) erkennt hier den Geist der Renaissance. 339  M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 16 f.; Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 219: „primauté de la territorialité et du statut réel“; Gebauer, ZEuP 2016, 928 (942); Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 98; Makarov, Grundriß des IPR, 37 f.; Nussbaum, Grundzüge des IPR, 11 f. Nach Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 25 zeigte sich bei d’Argentré „ein erster Bruch mit der Vorstellung eines universell geltenden Rechts“. Niederer, Einführung IPR, 34 bezeichnet diesen Umstand plakativ als „Ergebnis des Feudalismus“ (vgl. auch 45 ff.). In diese Richtung auch Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (653 f.). 340  Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 90 f.; Gebauer, ZEuP 2016, 928 (942); Stolleis/Holthöfer, Juristen, D’Argentré (S.  156); Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 26; Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 320; Kegel/ Schurig, IPR, 173 f. 341  Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 50 f. 342  Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 28; vgl. auch Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 8 ff. 343  Lipstein, Principles of the Conflict of Laws, 12; Stolleis/Holthöfer, Juristen, D’Argentré (S.  156). Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 220 ff. erkennt daher einen Hang zum Protektionismus (225).

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der althergebrachten Statutendreiteilung entsprach er letztlich dem Autonomiebedürfnis der regionalen Provinzstände, sodass sein Rechtsverständnis sich im kontinentalen Kollisionsrecht behauptete.344 b) Niederlande Klassischerweise wird ferner von einer „niederländischen“345 Schule gesprochen, wobei die dortigen Statutisten zuvorderst Einzelfragen untersuchten, ohne die Kategorisierungen substantiell infrage zu stellen.346 Besondere Aufmerksamkeit verdient indes ein Aspekt, dem bis dato in der kollisionsrechtlichen Entwicklung kaum Beachtung geschenkt worden war: Einige Vertreter richteten den Blick erstmals intensiver auf die Existenzberechtigung des IPR, also auf die so profane wie elementare Frage, wieso inländische Gerichte überhaupt Rechte eines anderen Staates – oder einer mit Staatsgewalt ausgestatteten Stadt – anwenden sollten.347 Aus ihrer Sicht lag die Antwort im Begriff der comitas: Danach respek­ tieren Staaten fremdes Recht infolge eines gegenseitigen Entgegenkommens auf einer gewissermaßen völkerrechtlichen Ebene, ohne diesem Schritt eine norma­ tive Verbindlichkeit beizumessen.348 Dass mit dieser Doktrin, die zunächst konziliant klingt, aus heutiger Perspektive dennoch eine Degradierung ausländischer Rechtsordnungen einherging, hat mit ihrem „Wohlwollens-Charakter“349 zu tun: Während die hoheitlich legitimierte 344  Gebauer, ZEuP 2016, 928 (942); vgl. auch Junker, IPR, §  4 Rn.  11 f.; Schwind, IPR, Rn.  10; Volken, LA Siehr, 815 (817). Die praktische Folge war ein weitgehender Ausschluss der Anwendung fremden Rechts durch ortsansässige Gerichte, siehe Lipstein, Principles of the Conflict of Laws, 13. 345  Die Thesen zentraler Vertreter finden sich zusammengefasst bei Gamillscheg, Dumoulin, 150 ff., 172 ff.; Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 12 ff.; Zacharias, Entwicklung des internationalen Testamentsformenrechts der Niederlande, 54 ff.; Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 121 ff. Zur gleichzeitigen Rezeption des römischen Rechts in den Niederlanden als Frage der Rechtsquellenhierarchie siehe Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 271. 346  Vgl. nur Spickhoff, Der ordre public im IPR, 33 f. 347  Lipstein, Principles of the Conflict of Laws, 13; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 98; Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 41. Die Behauptung von Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 28, damit sei vom „neutralen Bereich der Statutenlehre“ abgewichen und erstmalig ein tatsächlich politisch motiviertes IPR ersonnen worden, stützt sich freilich auf einen sehr engen, souveränitätsbezogenen Politikbegriff. 348  So knapp zusammengefasst bei Mincke in: Krawietz/Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, 201 (202 f.). Vgl. Makarov, Grundriß des IPR, 39; Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 55 f. 349  Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 99. Ähnlich Berger/Scholl, GS Hübner, 569 (570 f.); Kegel/ Schurig, IPR, 175; Basedow in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 1 (3); Keller-Kemmerer, Die Mimikry des Völkerrechts, 268; Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959

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lex fori als Regelfall herangezogen wurde, konnten fremde Vorschriften nur grenzüberschreitende Wirkung entfalten, sofern das zur Entscheidung berufene Recht sie anerkannte.350 Anstelle einer Verweisung bemühte man eine Wir­ kungserstreckung, die an den Schutz „wohlerworbener“ Rechte erinnert351 – die „irrésis­tible pression de la souveraineté“ ließ ein allseitiges Kollisionsrecht nach heutigem Vorbild noch nicht zu.352 Fremdes Recht sollte nach der comitas nur grenzüberschreitende Geltung entfalten, „sofern damit nicht in die Hoheitsgewalt und das Recht des anderen Herrschers und seiner Bürger eingegriffen wird“.353 Wenngleich in dieser Formulierung eine Nähe zum damals noch unbekannten Instrument des ordre public auffällt,354 darf die Akzentverschiebung im Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht ignoriert werden355: Korrigiert der Vorbehalt heutzutage lediglich im konkreten Einzelfall das materiellrechtliche Ergebnis,356 fungierte er im Rahmen der comitas eher als weitreichender Tatbestandsausschluss ex ante; das „etatistische“ Modell wurde somit generell von einer Skepsis gegenüber fremdem Recht überlagert.357 Indem die comitas dieses Ermessenselement in der kollisionsrechtlichen Debatte akzentuierte, distanzierte (Nr.  6), 93 (110). Einschränkend Joerges, Funktionswandel, 23, der Huber „die Verfestigung der unsicheren comitas zu einer rechtlichen Pflicht“ zuspricht. Schnitzer, Handbuch IPR I, 13 ist der Meinung, schon die Urheber der comitas hätten diese nicht als Ausdruck von „Willkür“ verstanden wissen wollen. Auch Niederer, Einführung IPR, 52 spricht die Möglichkeit an, aus der comitas im Sinne einer Verabsolutierung ius entspringen zu lassen. In diese Richtung ferner Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 330 f.; Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 122 f. 350  Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (658); Schwind, IPR, Rn.  13; Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 329. Melchior, Die Grundlagen des deutschen IPR, 3 manifestiert daher eine „Tendenz zur Bevorzugung der Territorialität“. Vgl. (in Abgrenzung zu späteren Forschungen Mancinis zu allseitigen Kollisionsnormen) auch Nishitani, Mancini und Parteiautonomie im IPR, 145 f. 351  Siehe nur Funken, Anerkennungsprinzip, 245. Vgl. unten, C.IV.2.c)aa) (S.  154 ff.). 352  Näher dazu Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 332 ff. 353  So Auszüge aus Hubers drittem Axiom gemäß deutscher Übersetzung in MüKoBGB/v. Hein, Einl. IPR, Rn.  14. Weitere Textfassungen finden sich bei Gamillscheg, Dumoulin, 177; Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 155 ff.; Berger/Scholl, GS Hübner, 569 (570 f.); Volken, LA Siehr, 815 (822). 354  In diesem Sinne M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 17 f. Fn.  19 und Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 30. Ähnlich Vallindas, RabelsZ Bd.  18 (1953), 1 (2); Nussbaum, Grundzüge des IPR, 13; McClean/Ruiz Abou-Nigm, The Conflict of Laws, Rn.  2-003; Malacka, ZfRV 2019, 61 (63); Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 94. Zur Frage, ob die comitas auch zur Berücksichtigung eines ausländischen ordre public verpflichtete, siehe Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 122 ff. 355  Vgl. auch unten, C.III.4. (S.  115 ff.) [zu Bartolus]. 356  Dazu oben, B.III.1.a) (S.  41 ff.). 357 Vgl. R. Meyer, Bona fides und lex mercatoria, 41.

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sie sich von der Idealvorstellung, das anwendbare Recht im Rahmen einer einheitlichen Methodik bestimmen zu können358 – die Statutentheorie wurde dadurch „aus dem Himmel des Überrechts herabgeholt“359. Der gesellschaftspolitische Ursprung dieser Strömung innerhalb der Statutenlehre lässt sich unschwer feststellen: Da ihre Repräsentanten unter dem Eindruck der niederländischen Bemühungen um eine endgültige Unabhängigkeit von spanischen und habsburgischen Herrschaftsansprüchen standen, nahm die staatliche Autonomie auch im internationalprivatrechtlichen Denken eine prominente Stellung ein.360 Im Ausgangspunkt war die Lehre der comitas daher politisch motiviert: Die freiwillige Rücksichtnahme unter souveränen Herrschern legi­ timierte fremdes Recht außerhalb seiner Landesgrenzen, nicht dessen prinzipielle Gleichrangigkeit mit der lex fori.361 In diesem Aspekt gelten die Hauptrepräsentanten Ulricus Huber sowie Paul Voet und sein Sohn Johannes als Wegbereiter späterer angloamerikanischer Modelle362, die ebenfalls nationale Hoheitsrechte besonders hervorheben.363 c) Deutschland Ähnlich wie viele der niederländischen Nachbarn beschäftigten sich auch die deutschen Gelehrten364 im Rahmen der Statutenlehre vornehmlich mit der Einsich die comitas aufgrund ihrer Stoßrichtung nur sehr bedingt zur Lösung von Einzelfällen eignet, monieren Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 123 f. und Beitzke, FS Smend, 1 (15). Auch Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 135 gängelt den Gedanken der comitas als für die Anwendung im Fall allzu „unpräzise“. Nach Niederer, Einführung IPR, 53 wurde er jedenfalls „sehr frei gehandhabt“. 359  So die treffende Formulierung von v. Bar/Mankowski, IPR I, 497. Einschränkend aber Michaels in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 54 (57 f.). 360  Kalenský, Trends of PIL, 70 ff.; Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 321; Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (110); Nussbaum, Grundzüge des IPR, 12; vgl. auch Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.08; Niederer, Einführung IPR, 50; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 99. 361  Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 33; Schwind, IPR, Rn.  13; Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 41. 362  Vgl. dazu unten, C.IV.2.a) (S.  141 ff.). 363 Dazu M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 17 f.; Keller-Kemmerer, Die Mimikry des Völkerrechts, 265 ff.; Joerges, Funktionswandel, 23; Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (656); Volken, LA Siehr, 815 (817). Eine inhaltliche Nähe zur Theorie der wohlerworbenen Rechte erkennt Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 36 f. 364  Einzelheiten zu den wesentlichen Personen und ihrem Wirken finden sich bei Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 177 ff. und Gamillscheg, Dumoulin, 162 ff. Zur gleichzeitigen Rezeption des römischen Rechts in Deutschland als Frage der Rechtsquellenhierarchie siehe Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 265 ff. 358  Dass

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teilung der statuta, ohne methodisch neue Wege zu beschreiten.365 Obschon die hiesige Schule der comitas-Lehre kaum Beachtung schenkte366 und deswegen vereinzelt als „universalistisch“367 beurteilt wird,368 lassen sich auch in ihr Denkmuster nachweisen, die der politischen Zersplitterung des Reichs und dem Geltungsanspruch partikulärer Territorialstaaten Rechnung trugen: Hoheitliche Intentionen fanden zum Beispiel im Deliktsrecht Widerhall, wo die Anknüpfung an das Tatortrecht nahezu ausschließlich mit dem Territorialinteresse, die örtlichen Verkehrsgepflogenheiten zu verteidigen, gerechtfertigt wurde.369 Dass die deutschen Statutentheoretiker in diesem Kontext die straf- und die deliktsrechtliche Dimension in weiten Teilen wie selbstverständlich vermengten,370 zeugt ebenfalls von einer öffentlich-rechtlichen Überlagerung kollisionsrechtlicher Fragestellungen. Auch abseits dieses Rechtsgebiets wurde die Anwendung eines Partikularrechts auf Fremde mit ihrer vermeintlichen Unterwerfung unter den Territorialherrn begründet, was vorrangig „eine Fiktion zur Verkleidung der realen Machtverhältnisse“ darstellte.371 Indem die deutsche Rechtswissenschaft primär danach fragte, wie bei einer Kollision von Statuten der Machtanspruch der involvierten Rechtsordnungen gewährleistet werden könne, unterstrich sie die politische Tragweite der Rechtsanwendungsregelungen.372 Dass eine im Inland begründete Rechtsposition auch im Ausland Wirksamkeit erlangen konnte, wurde dementsprechend nicht mit verweisungsrechtlichen Grundsätzen, sondern mit der souveränen Regelungsbefugnis einer lokalen Gewalt begründet.373 Ob Johan Nikolaus Hert als wichtig­ Zu dieser Einschätzung gelangte schon v. Wächter, AcP Bd.  24 (1841), 230 (278). Ebenso v. Bar/Dopffel, Deutsches IPR im 16. und 17. Jhd. II, 5, die zudem zahlreiche Primärquellen präsentieren und innerhalb der Statutenlehre verorten: 11 ff. (Coler), 54 ff. (Cothmann), 138 ff. (Berlich), 192 ff. (Carpzov), 257 ff. (Lauterbach), 384 ff. (Stryk), 442 ff. (v. Cocceji), 582 ff. (Hert). Vgl. auch Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 99. 366  Vgl. nur Kegel/Schurig, IPR, 177. Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 161 Fn.  817 weist aber z. B. nach, dass Hert Elemente der comitas in seine Lehren implementierte, ohne aktiv Bezug auf sie zu nehmen. 367  Näher zur Abgrenzung des Universalismus vom Autonomismus Wendehorst, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 45 (2012), 33 (37). 368 Vgl. v. Bar/Dopffel, Deutsches IPR im 16. und 17. Jhd. II, 4. 369  Rohe, Zu den Geltungsgründen des Deliktsstatuts, 57 belegt diese Feststellung mit Beispielen aus der Feder von Stryk. 370  Hohloch, Deliktsstatut, 26 ff. Vgl. auch Stoll, RabelsZ Bd.  66 (2002), 796 (797); Rohe, Zu den Geltungsgründen des Deliktsstatuts, 42 ff.; Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 253; Steindorff, Sachnormen, 38. 371 So v. Bar/Dopffel, Deutsches IPR im 16. und 17. Jhd. II, 3. 372  Stoll, RabelsZ Bd.  66 (2002), 796 (799 f.) zeigt auf, dass insofern durchaus eine Nähe zum Gedanken der comitas gesucht und auch das ius gentium angeführt wurde. 373  Stoll, RabelsZ Bd.  66 (2002), 796 (802) erkennt in den Ausführungen von Cocceji Parallelen zur Theorie der wohlerworbenen Rechte. Vgl. unten, C.IV.2.c)aa) (S.  154 ff.). 365 

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ster Vertreter der deutschen Statutenlehre dagegen ursprünglich allseitige Kollisionsnormen im Sinn hatte, seine drei Grundregeln374 aber unglücklich formulierte,375 ist umstritten;376 vom gesetzgeberischen Willen als Bewertungsmaßstab konnte auch er sich jedenfalls nicht vollständig lösen.377 4. Fazit: Globale Abgrenzungen durch regionale Motivationen So wegweisend die Statutenlehre für die Fortentwicklung des IPR war, so eindeutig war sie auch von den komplexen gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten geprägt, die ihre Entstehung und Fortentwicklung begleiteten.378 Das Fehlen von Kollisionsnormen in den Statuten selbst bildete dabei einen zentralen Grund für die kontinentale Ausbreitung der Lehre, denn erst infolge dieser Lücken wurde eine breite Behandlung des Themas im rechtswissenschaftlichen Diskurs ermöglicht.379 Aus heutiger Sicht wird häufig auf die Begriffe380 „Multilateralismus“ und „Unilateralismus“ rekurriert, um eine moderne und weltgewandte Methodik im

In deutscher Übersetzung abgedruckt bei E. Lorenz, Struktur des IPR, 35. Für eine ausführliche Analyse siehe Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 100 ff. 376 So E. Lorenz, Struktur des IPR, 38, der den Versuch erkennt, mithilfe der statutentheoretischen Regeln universale Prämissen des Kollisionsrechts zu extrahieren, die heutzutage dem Allgemeinen Teil zugerechnet würden. Siehe auch ders., RabelsZ Bd.  29 (1965), 433 (437). In eine ähnliche Richtung v. Bar/Dopffel, Deutsches IPR im 16. und 17. Jhd. II, 584. Kritisch zu dieser retrospektiven Umdeutung Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 40 Fn.  169. Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (659) sieht Hert hinsichtlich der hoheitlichen Bezüge in seiner Lehre in einer Reihe mit d’Argentré. Vgl. auch Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 160 f. 377 Vgl. Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 102. 378  Keller-Kemmerer, Die Mimikry des Völkerrechts, 262 sieht insgesamt die „geopolitischen Umstände“ als entscheidend für die Entwicklung der Statutenlehre an. 379  Kreuzer in: Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der EG, 457 (462 f.) sieht daher die vermeintliche „Subsidiarität“ der Statutenlehre als nur scheinbar an. 380  Zu Entstehung und Folgen dieser Differenzierung Vischer, Rec. 1992 I, 9 (32 ff.). Zur rechtstheoretischen Einordnung des IPR in diesem Kontext auch Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 11 ff.; Keßenich, Berücksichtigung statutsfremder Sicherheits- und Verhaltensregeln, 28 ff.; Wendehorst, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 45 (2012), 33 (38 f.); Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 246 ff. Vgl. zudem Pointner/Wolf, ZEuP 2017, 737 (738). Nach Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 131 f. tragen einzig multilateralistische Verständnisse des IPR in ausreichendem Maße den grenzüberschreitenden Fallbezügen Rechnung. Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 58 ordnet dem multilateralistischen Ansatz das Prädikat „international“, dem unilateralistischen das Prädikat „national“ zu. Vor einer künstlichen Dichotomie dieser Modell hinsichtlich ihrer politischen Gehalte warnen Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XVII). 374  375 

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Kollisionsrecht zu bejahen oder zu verneinen: Während im klassischen IPR ausgehend von Sachverhalt und Rechtsverhältnis allseitig verwiesen werde, sei der vom Gesetzgeber vorgegebene Norminhalt alleiniger Abwägungsmaßstab der insofern einseitigen Statutenlehre gewesen.381 Mit Blick auf die politischen Hintergründe der Statutenlehre griffe es aber zu kurz, diese vermeintliche Dichotomie unhinterfragt zu übernehmen: Weder verschloss sich die damalige Kolli­ sions­lehre gänzlich vor der Möglichkeit, für denselben Sachverhalt auf statuta verschiedener Städte abzustellen,382 noch griff sie unmittelbar auf den Willen der Herrschenden zurück.383 Vielmehr entsprach es durchaus dem Selbstverständnis der Kommentatoren, universale Einteilungen vorzunehmen384 und auf diesem Wege einen allgemeingültigen Kanon von Rechtsanwendungsregeln zu schaffen.385 Formal folgte die Klassifizierung der personalen oder lokalen Natur einer Vorschrift, sodass verobjektivierte Normkategorien entstanden.386 Allerdings zeichnete sich die Epoche zugleich dadurch aus, dass Fragestellung, Qualifikation und Kategorisierung in erheblichem Maße variierten.387 Aus diesem Grund kam man bei der Festlegung der Anwendungsgrenzen im Konfliktfall gar nicht umhin, für den Geltungsbereich des jeweiligen Statuts die Intention des Normgebers und damit dessen hoheitliche Interessen als grundlegendes Kriterium einzubeziehen.388 Auch die Glossatoren und ihre Nachfolger Dazu ausführlich Rühl, Statut und Effizienz, 287 ff. sowie HWB-EuP/dies., Unilateralismus (Bd.  II, S.  1551 f.). Vgl. auch Boggiano, LA Siehr, 79 (87). Kritisch zu dieser Einordnung Boosfeld in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 15 (15 f.) und Flessner, Interessenjurisprudenz, 70 ff. Vgl. auch Muir Watt, CJICL Vol. 5 (2016), 388 (399) zum Verhältnis dieser Begriffe zum Pluralismus. 382  So aber Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 111 f. 383  Umfassend zu dieser Frage Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 19 ff. 384  Kreuzer in: Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der EG, 457 (462). Vgl. Juenger, LA Siehr, 289 (293); Volken, LA Siehr, 815 (822); Gebauer, LA Jayme, 89 (90); Boosfeld in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 15 (16). 385  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 111 bezeichnet diese Methode als „eine stillschweigend universalistische Abgrenzung von Macht- und Einflußsphären der verschiedenen Staaten auf dem Gebiet der Rechtssetzung“. 386  Keller-Kemmerer, Die Mimikry des Völkerrechts, 262 f. 387  M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 16; Keßenich, Berücksichtigung statutsfremder Sicherheits- und Verhaltensregeln, 29 f.; v. Wächter, AcP Bd.  24 (1841), 230 (277 ff.). Nicht zuletzt diese methodische Inkonsistenz führte zur Abkehr von der Statutenlehre, vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  1985 ff. Marcus, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1887, 637 (637 f.) wies noch Ende des 19.  Jahrhunderts mit Blick auf das preußische Recht auf das Problem hin, Vorschriften den Statutenarten zuzuordnen. 388 Vgl. Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (107 f.); Wendehorst, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 45 (2012), 33 (36); Keßenich, Berücksichtigung statutsfremder Sicherheits- und Verhaltensregeln, 30 f. 381 

III. Die Statutenlehre des späten Mittelalters

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hielten deshalb am Primat der eigenen Rechtsordnung fest,389 man begnügte sich mit einer „leidenschaftslosen Zuerkennung einer gleichen Daseinsberechti­ gung“390 für das fremde Recht. Aus einer nachgerade logistischen Motivation heraus intendierte der statutentheoretische Ansatz, eine Abgrenzung von Rechtsetzungskompetenzen und Herrschaftssphären zu garantieren.391 Zusätzlich wurde der Entscheidung zwischen mehreren Statuten eine sozialpolitische Bedeutung dadurch zuteil, dass einzelne Stadtrechte zunehmend Überlegungen zur „guten Ordnung“ (policey)392 inkorporierten.393 Die öffentlichrechtlich anmutenden Gehalte sollten nicht zuletzt eine „rechtliche Sonderstellung der Bürger“ aufrechterhalten394, wodurch eine Gleichordnung der Städte und ihrer Angehörigen erschwert wurde. In der Subsumtion von Rechtskon­ stellationen unter die Statute erkennen folglich sogar Kollisionsrechtler, die sich gegen eine Qualifizierung der Statutenlehre als „unilateral“ verwahren, im Ergebnis eine rechtspolitisch motivierte Entscheidung – „der Wertung folgte die Eingruppierung, ein Statut war real, weil das Recht des Territoriums gelten sollte“395. Entsprechend bestätigte auch das Reichskammergericht in seiner Spruchpraxis den territorialen Charakter der meisten Statute, sodass lediglich in Formfragen effektiv auf Vorgaben aus forumfremdem Recht abgestellt werden konnte.396 Dass schließlich mit der comitas ein autonomistischer Begründungsansatz die späte Statutenlehre prägte, dürfte nicht zuletzt auf die methodischen Unzulänglichkeiten des italienischen Modells zurückzuführen sein.397 389  Zu dieser Wertung statt vieler Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 11 und Steindorff, Sachnormen, 39 f. 390  Gamillscheg, Dumoulin, 49. 391  Die Statutenlehre orientierte sich also am „legitimen Herrschaftsanspruch“ des betroffenen Staates, wie Stoll, RabelsZ Bd.  66 (2002), 796 (797) es ausdrückt. 392 Einleitend dazu Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 448 f. und Härter in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 127 (128 f.). Vgl. zur sozial- und machtpolitischen Agenda hinter vielen Statuten auch Ascheri in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 201 (206). 393  Härter in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 127 (131 ff.) untersucht diese Entwicklung anhand von Regelungskatalogen verschiedener Städte und Territorien. 394  Härter in: Drossbach (Hrsg.), Von der Ordnung zur Norm, 127 (135). 395  Mit dieser Wortwahl Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 113 f., der aber lediglich eine „Akzentverschiebung“ sieht. Guterman, University of Miami Law Review Vol. 21 (1966), 259 (346) macht hingegen Parallelen zur Behandlung von Rechtskollisionen im frühen Mittelalter (dazu oben, C.II., S.  89 ff.) aus. 396  Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 35 ff. qualifiziert nach eingehender Analyse der Rechtsprechung daher das Reichskammergericht als treibende Kraft hinter der Rezeption der Statutenlehre in Deutschland. Ähnlich auch v. Wächter, AcP Bd.  24 (1841), 230 (274 ff.) und Melchior, Die Grundlagen des deutschen IPR, 3 f. 397  Zu diesem Schluss gelangen v. Bar/Mankowski, IPR I, 495.

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

Wer die statutentheoretischen Ansätze nicht als Gegensatz, sondern als unausweislichen Zwischenschritt zur klassischen Methodik des IPR einordnet,398 sollte ein substantielles Souveränitätsdenken innerhalb des damaligen Kollisionssystems deshalb nicht ausblenden.399 Niederer weist zu Recht darauf hin, dass die vermeintliche Allseitigkeit ganz nach dem „Geist der städtischen Kultur“ der Epoche auf dem Gedanken beruhte, der Gesetzgeber als höchste Rechtskraft verfüge über die vorrangige Deutungshoheit über den räumlichen Geltungsbereich der Statute.400 Stimmen in der Literatur, die schon bei Bartolus Parallelen zum ordre public-Vorbehalt ausmachen,401 müssen sich in diesem Kontext die da­ hinterstehenden Erwägungen ins Gedächtnis rufen: Während im Kollisionsrecht nach Savigny dieses Instrument explizit als eng zu verstehende Ausnahme fungiert,402 wurde dem IPR im statutentheoretischen Diskurs mit der Abgrenzung von Machtsphären eine vorrangige Funktion zugewiesen.403 Dessen ungeachtet emanzipierte sich das Kollisionsrecht in Zeiten der Statutenlehre allerdings auch in vielerlei Hinsicht von politischen Einflüssen: So wurden konkurrierende Rechtsordnungen endgültig nicht mehr als „Feinde“ betrachtet404, ferner bedurfte es keines gesonderten Aktes405, um ihnen im Kolli­ sionsfall grenzüberschreitende Wirkung zu gewähren. Indem das Statutenkollisionsrecht von einseitigen Dogmen wie dem strikten Personalitätsprinzip oder der lex fori-Doktrin abwich, förderte es die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen: Erstmals in der Evolution des IPR basierte die Anwendung fremden 398 So E. Lorenz, Struktur des IPR, 28 ff.; v. Bar/Mankowski, IPR I, 495. In diese Richtung auch Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 51; Gamillscheg, RabelsZ Bd.  37 (1973), 808 (810); Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 32 f.; Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (6 f.). Einschränkend, aber nicht grundsätzlich ablehnend dazu Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 19 ff. 399  Mousourakis, Roman Law and Civil Law, 252 f. manifestiert einen gewissen Hang zur Rückkoppelung der von den Kommentatoren gezogenen Ideen an Autoritäten. Zustimmend Gutzwiller, Geschichte des Internationalprivatrechts, 37, der Bartolus Entscheidungen „auf dem weiten Felde der politischen und geistigen Strömungen seiner Zeit“ verortet. 400  Niederer, Einführung IPR, 38 f. 401  E. Lorenz, Struktur des IPR, 29 f.; Malacka, ZfRV 2019, 61 (63); Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 35. Ebenso m. w. N. Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 92 und Spickhoff, Der ordre public im IPR, 30 f. Ohne nähere Begründung a. A. Vallindas, RabelsZ Bd.  18 (1953), 1 (2). 402  Dazu oben, B.III.1.a) (S.  41 ff.). 403 Nach Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 155 ff. ging es daher neben der Wahrung der gesetzgeberischen Intentionen zuvorderst um eine Aufteilung normativer Kompetenzen zwischen verschiedenen legislativen Kräften. Zu einer ähnlichen Wertung mit Blick auf die niederländische Statutenlehre siehe oben, C.III.3.b) (S.  111 ff.). 404  Vgl. oben, B.II.1.b) (S.  22 ff.). 405  Vgl. oben, B.II.1.c) (S.  26 ff.).

III. Die Statutenlehre des späten Mittelalters

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Rechts nicht allein auf personalen Zugehörigkeiten oder territorialen Gebietshoheiten.406 Anders als nach dem antiken Verständnis407 wandte man sich von der Aufgabe der Koordination zwischen Rechtsordnungen zudem nicht ab, sobald die städtische oder staatliche Souveränität erlangt worden war; die Statutenlehre gründete ganz im Gegenteil auf territorialer Unabhängigkeit408. Infolgedessen stieß der Ansatz schließlich jedoch auch an seine Grenzen: Da die Souveränität durch die grenzüberschreitende Anwendung von Regelungen in jeder Phase der Statutenlehre – obgleich mit unterschiedlicher Intensität – zugleich realisiert und geschützt werden sollte, konnte eine wirklich allseitige Verweisung sich nicht durchsetzen. Es entsprach zwar dem gesellschaftspolitischen status quo, Pluralität im Kollisionsfall zuzulassen, ein freiheitliches Miteinander der Rechtsordnungen im Sinne Arendts409 scheiterte aber an der Befürchtung, bei Aufgabe der eigenen Regelungskompetenz auch machtpolitisch einzubüßen. Der lex fori eine Vorrangstellung einzuräumen, indem man ergründete, auf welche Fälle sie Anwendung finden wolle, erschien daher folgerichtig. Ein nicht zu vernachlässigender Unterschied zum modernen Kollisionsrecht besteht zudem darin, dass die lokalen Statute in vielen Fällen das ius commune nur modifizierten, sodass das Fundament der aufeinandertreffenden Rechtsregime übereinstimmte.410 Da bei Auslegungszweifeln die Nähe zum römischen Recht gesucht wurde, um Analogien zu partikularen Rechten zu vermeiden, wurde diese partielle Deckungsgleichheit zusätzlich forciert.411 In Deutschland 406  Rühl, Statut und Effizienz, 269 kommt daher zu dem Schluss, erst in der Statutenlehre habe man sich „offen für die Anwendung fremden Rechts“ gezeigt. 407  Vgl. oben, B.II.1.a) (S.  19 ff.). K. Roth, Genealogie des Staates, 554 ff. erkennt indes bei Bartolus und Baldus eine Nähe zu Aristoteles, stützt sie aber v. a. auf die Haltung zum gemeinen Recht. 408  Vgl. insbesondere oben, C.III.3.b) (S.  111 ff.). 409  Vgl. oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.). 410  Meijers, Rec. 1934 III, 543 (592); vgl. auch Ascheri in: Chittolini/Willoweit (Hrsg.), Statuten, Städte und Territorien, 113 (149); Basedow in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 1 (3); Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 13 ff.; Kocher, Privatrechtsentwicklung, 46; K. Roth, Genealogie des Staates, 554 f. Dennoch weist Boosfeld, ZRG-G Bd.  136 (2019), 76 (81) zu Recht darauf hin, dass beispielsweise die wenigen in dieser Hinsicht rechtsvergleichenden Passagen bei Bartolus dessen Intention belegen, die Kollision der Statuten in den Blick zu nehmen und nicht nur das Verhältnis zum gemeinen Recht. Wenn Kreuzer in: Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der EG, 457 (460 f.) dagegen eine „Übernahme oder Fortbildung von Regeln des Römischen oder Kanonischen Rechts“ durch die Statutentheorie verneint, vertritt er ein streng technisches Verständnis von Rezeption. Den historischen Gründen für die Heranziehung des römischen Corpus Iuris Civilis als Gegenstand der Glossen und Kommentare geht Kästle-Lamparter, Welt der Kommentare, 115 ff. nach. Vgl. auch Boockmann, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 87 f. und Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  826 ff. 411  Oestmann in: Jansen/Oestmann (Hrsg.), Gewohnheit, Gebot, Gesetz, 99 (112). Vgl. dazu

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

nahm das Reichskammergericht insofern eine rigorose Position ein: Statute wurden nur innerhalb ihres Wortlauts und ausschließlich dann berücksichtigt, wenn eine Partei den Richtern die städtischen Normen in schriftlicher Form vorlegte.412 Hier mag man nun einwenden, dass auch heutige Rechtsordnungen über gemeinsame rechtshistorische Wurzeln verfügen, die etwa auf europäischer Ebene zu einer teilweisen Rechtsharmonisierung durch unionale Richtlinien und Verordnungen geführt haben.413 Die Besonderheit des heutigen IPR liegt indes gerade in der Maxime, fremde Rechte selbst dann zur Anwendung zu berufen, wenn diese nicht über einen teilidentischen Normenkanon verfügen: Die italienische Richterin kann auch vietnamesisches Erbrecht anwenden müssen.

IV. Modernes IPR seit dem 19.  Jahrhundert Das Ende der Statutenlehre wird gemeinhin der monumentalen Abrechnung Carl Georg von Wächters414 mit ihr zugesprochen, in der er schonungslos die methodischen und praktischen Unzulänglichkeiten dieser Methodik aufdeckte.415 Obwohl er sich im Ansatz dem Rechtsverhältnis als Bewertungsmaßstab zuwandte,416 gelang es ihm jedoch nicht, das Kollisionsrecht umfassend neu zu ordnen.417 Etwa zur selben Zeit veröffentlichte sein Kollege Wilhelm Schaeffner auch Boosfeld, ZRG-G 2017, 76 (79); Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 25 f. Steindorff, Sachnormen, 50 behauptet dagegen, die Statutenlehre habe Sachverhalte gerade deshalb „nach einem ihrer Internationalität angemessenen Maßstab“ beurteilt. Auch Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (47) betont die rechtliche Vielfalt in dieser Epoche. 412  Zu diesem Ergebnis gelangt unter Bezugnahme auf zahlreiche Urteile Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 34 f. Vgl. auch Kocher, Privatrechtsentwicklung, 45. 413  Dies führt indes nicht zwangsläufig dazu, dass das unionale IPR die „Wertneutralität“ in stärkerem Maße wahrt, siehe näher unter C.IV.5. (S.  201 ff.). 414 Grundlegend v. Wächter, AcP Bd.  24 (1841), 230 ff. sowie AcP Bd.  25 (1842), 1 ff., 161 ff., 361 ff. 415  Eine kurze Analyse der wesentlichen Kritikpunkte v. Wächters u. a. an der Vorgehensweise der Statutenlehre im Allgemeinen, der comitas-Doktrin und dem Schutz wohlerworbener Rechte findet sich etwa bei Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 36 ff. 416  Dies wird deutlich bei v. Wächter, AcP Bd.  24 (1841), 230 (236 f.). Diesen Aspekt betonen Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 60 und Gebauer, LA Jayme, 89 (103). Vgl. auch Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 33. 417  Zu dieser Einschätzung statt aller Neuhaus, Grundbegriffe, 93. Vgl. auch Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (659). H. Hübner, BGB AT, Rn.  58 sieht den zentralen Makel von v. Wächters Abhandlungen in der „Ignorierung des Völkerrechts“. Sturm in: Coing (Hrsg.), Ius commune VIII, 92 (97 ff.) und Volken, LA Siehr, 815 (824 ff.) verneinen einen umfassenden Bruch mit der Statutenlehre durch ihn. Zu Anleihen bei Voet siehe Kegel/ Schurig, IPR, 183. Ablehnend Gebauer, LA Jayme, 89 (105).

IV. Modernes IPR seit dem 19.  Jahrhundert

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ein bis heute kaum rezipiertes418 Werk mit ähnlichen Kritikpunkten,419 in dem er den juristischen Entstehungsort eines Rechtsverhältnisses in den Mittelpunkt der Fragestellung rückte, mithin ein allgemeines Prinzip allseitiger Kollisionsnormen schuf.420 1. Ideenstreit im europäischen Rechtsraum Das Meisterstück, aus dem Durcheinander von Ideen und Systematisierungen eine Reform des Internationalen Privatrechts mit langfristigen Wirkungen anzustoßen, war unterdessen anderen vorbehalten. a) Savigny Wie bereits mehrfach erwähnt, wird die Vorreiterrolle für das moderne IPR dem Universalgenie421 Savigny zugeschrieben, weshalb der 1849 erschienene achte Band seines Hauptwerks „System des heutigen Römischen Rechts“ noch heute zur Ausbildung der Studierenden herangezogen und im Zuge von Fachdiskussionen aufgegriffen wird.422 aa) Der „Sitz“ des Rechtsverhältnisses Den nachhaltigen Ruhm verdankt er vor allem seiner prägnanten Kernformel, wonach die Aufgabe des Kollisionsrechts darin bestehen solle, „daß bei jedem Rechtsverhältniß dasjenige Rechtsgebiet aufgesucht werde, welchem dieses Rechtsverhältniß seiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist, (worin dasselbe seinen Sitz hat)“423. Den Unterschied zu vergangenen Ansätzen machte er selbst daran fest, dass diese lediglich als holzschnittartige Leitlinien dienen konnten, eine allgemeingültige Bestimmung der situationsadäquaten Anknüpfung aber nicht ermöglichten.424 Im Gegensatz dazu verfolgte Savigny das Ziel, jedem Rechtsverhältnis dessen grenzüberschreitende Herkunft 418  Zu wesentlichen Kritikpunkten an Schaeffners Theorie siehe nur Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 35 f. 419  Schaeffner, Entwicklung des IPR, insb. §§  22–30 (S.  28 ff.). 420 Grundlegend Schaeffner, Entwicklung des IPR, §  32 (S.  40). Eine Zusammenfassung seiner Thesen und eine Untersuchung der Anknüpfung am „Entstehungsort“ nimmt z. B. Hirse, Ausweichklausel, 153 ff. vor. Dass Schaeffners Ansätze durchaus als revolutionär einzustufen sind, betonen etwa Herrmann, Hert und die dt. Statutenlehre, 170 und Kegel/Schurig, IPR, 184. 421  Zum wissenschaftlichen Erbe Savignys siehe Jochum, NJW 2004, 568 ff. 422  Eine Auseinandersetzung mit seinen Standpunkten im Rahmen aktueller Reformen im Internationalen Privatrecht bieten bspw. Lehmann, FS Spellenberg, 245 ff. und W. Roth, FS G. Kühne, 859 ff. 423  Savigny, System VIII, §  348 (S.  28) und §  360 (S.  108). 424  Savigny, System VIII, §  360 (S.  107 ff.). Zustimmend Kegel, FS Raape, 13 (15 f.).

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

ohne Rücksicht auf das mit der Rechtssache befasste Gericht zuordnen zu können, um eine verallgemeinerbare Kategorisierung425 der Anknüpfungsmomente und -gegenstände426 und damit größtmögliche Rechtssicherheit zu erreichen.427 Wenngleich Savigny die Statutenlehre als „völlig ungenügend“428 geißelte, erkannte er doch an, dass durch die Entscheidung, nunmehr vom Fall und nicht mehr vom Geltungsbereich der positiven Norm auszugehen, in erster Linie methodisch neue Wege beschritten wurden; bei korrekter Anwendung der unterschiedlichen Techniken müsse man zwangsläufig zu deckungsgleichen Ergebnissen gelangen.429 bb) Die Säulen von Savignys IPR Den Nährboden für eine sukzessive Angleichung der kollisionsrechtlichen Methodiken sollten in Savignys Konzept gemeinhin akzeptierte Gepflogenheiten wie die, Ausländern eine Rechtsfähigkeit zuzusprechen, bilden.430 Im Interesse der künftigen Harmonisierung maß er dem Leitbild der Ebenbürtigkeit aller Zivilrechtsordnungen ebenso große Bedeutung zu:431 Nicht umsonst stellte Savigny bereits an den Anfang seiner Ausarbeitung das Ziel einer „völkerrechtlichen Gemeinschaft der mit einander verkehrenden Nationen“ – fremdes Recht sollte nicht „als Ausfluß bloßer Großmuth oder Willkür, die zugleich als zufällig wechselnd und vorübergehend zu denken wäre“ angewendet werden, sondern aus internationalem Interesse infolge einer natürlichen Rechtsentwicklung.432 425  Aufgrund der formellen Komponente dieser Einteilung in Klassen von Rechtsverhältnissen ohne eine unmittelbare Differenzierung am materiellen Sachverhalt kritisieren Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 41 ff. und Hirse, Ausweichklausel, 157 ff. die Einschätzung, Savignys Lehren stellten einen direkten Vorläufer des Prinzips der engsten Verbindung dar. Auch Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 304 stellt diesen Aspekt heraus und sieht darin einen gewichtigen Unterschied zur heute vorherrschenden Betrachtung des konkreten Lebenssachverhalts. Ähnlich Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (7). 426  Vgl. v. a. Savigny, System VIII, §§  361 ff. 427  Savigny, System VIII, §  348 (S.  27). 428  Savigny, System VIII, §  361 (S.  123). 429  Savigny, System VIII, §  344 (S.  3). Eine umfassende Analyse zu den effektiven Unterschieden in der Anwendung bietet Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 122 ff. Vgl. auch Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 63 f. 430  Savigny, System VIII, §  360 (S.  114). Diesen Aspekt hebt Peari, The Foundation of COL, 40 f. als wesentliches Charakteristikum von Savignys Theorie hervor. 431  Flessner, Interessenjurisprudenz, 68 erkennt in diesem Punkt einen fundamentalen Fortschritt gegenüber der Statutenlehre. Ebenso Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 32; Aubart, Dépeçage, 29; H. Weber, Theorie der Qualifikation, 9 f. 432  Savigny, System VIII, §  348 (S.  27 f.). Er verstand die „Gleichheit als allgemeines, formales Moment juristischer Gerechtigkeit“, siehe Grünberger in: Leible/Unberath (Hrsg.),

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Trotz der auffälligen Nähe zum Gedanken der comitas433 ist es an dieser Stelle wichtig, festzuhalten, dass er in dem entscheidenden Aspekt von diesem Ansatz abwich: Savigny erkannte in den Prozessen des Kollisionsrechts keine einseitige Gestattung durch den Forumstaat, stattdessen proklamierte er eine zwingende und systematische Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen.434 Erst die Existenz einer Völkergemeinschaft erlaubte es nach seinem Verständnis, die Suche nach dem anwendbaren Recht als privatrechtliche Problematik abseits öffentlicher Motive zu behandeln.435 Freilich erscheint Savignys Modell auch aus einer machtpolitischen Perspektive nicht völlig abwegig: Ein Staat, der gehalten ist, fremdes Recht zur Anwendung zu bringen, kann sich schließlich immerhin zugleich der universellen Geltung der eigenen inländischen Normen sicher sein, sofern der Sitz des Rechtsverhältnisses dort verortet wird.436 Dem modernen Wunschbild eines internationalen Entscheidungseinklangs folgend,437 sah Savigny den Zweck des allseitigen Entgegenkommens dennoch Rom 0-VO, 81 (97). Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 5 betont allerdings, dass allein dieses Element nicht ausreicht, um die Anwendung allseitiger Kollisionsnormen als einzige Option zu deklarieren. Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (660) kritisiert eine schon bei Savigny auftretende „internationalist illusion“. 433 Siehe Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 48. Dazu oben, C.III.3.b) (S.  111 ff.). E. Lorenz, Struktur des IPR, 41 f. spricht Savignys Lehre in diesem Aspekt daher das „Neue“ ab. Seif, RabelsZ Bd.  65 (2001), 492 (506 f.) beleuchtet Überschneidungspunkte in den Werken von Savigny und Story als Vordenker der comity of nations (dazu unten, C.IV.2.a), S.  141 ff.). 434  Keller-Kemmerer, Die Mimikry des Völkerrechts, 268; Peari, The Foundation of COL, 36, 43 f. Gutzwiller, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie Bd.  16 (1922/23), 468 (471) zufolge hat er eine „eifersüchtige“ Komponente des IPR beseitigt. Anders aber Meijers, Rec 1934 III, 543 (671), der Savignys Worte in diesem Zusammenhang als Fortführung der Thesen von Voet und Huber einstuft. Ähnlich Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 13, der auf den Begriff der „freundlichen Zulassung“ bei Savigny, System VIII, §  348 (S.  28) abstellt, dessen weiterführende Erläuterungen auf derselben Seite jedoch ignoriert. Derart verkürzend auch Krätschmer, Staatsverträge und italienische IPR-Kodifikation, 51 Fn.  9. Für eine vermittelnde Position siehe Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (261 ff.); Boosfeld in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 15 (18 f.); Berger/Scholl, GS Hübner, 569 (573). 435  Seif, RabelsZ Bd.  65 (2001), 492 (508 f.); Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (367 f.); Gutzwiller, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie Bd.  16 (1922/23), 468 (473). Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 121 zufolge tritt der Staat bei Savigny „passiv nur als Vollzieher eines vorgegebenen universellen Normgefüges“ auf. 436  Behrens in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 381 (388) sieht darin einen wichtigen Aspekt des von ihm so betitelten Transaktionskollisionsrechts als Teil eines „globalisierten“ IPR. Dazu auch Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 280. 437 Näher Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 11 f.; Hirse, Ausweichklausel, 161; Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 33; Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 19. Seif, RabelsZ Bd.  65 (2001), 492 (504) betont in diesem Zusam-

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weniger in der Absicherung staatlicher Souveränität als darin, im internationalen Interesse Regelungen zu verhindern, in denen die lex fori gegenüber ausländischem Recht eine nicht gebotene Aufwertung erfährt.438 In diesem Kontext lässt sich seine Bezugnahme auf den zunehmenden „Verkehr unter den jeweiligen Völkern“439 als generelles Argument für die Notwendigkeit kollisionsrechtlicher Überlegungen deuten,440 ohne dass jedoch „Nützlichkeitserwägungen“ entscheidungsleitend sein sollten.441 Ihm war an einer Überwindung von Antagonismen durch Kommunikation gelegen, die auf einem rechtlichen Gleichgewicht innerhalb der Staatengemeinschaft unter systematischer Inklusion Fremder basieren sollte.442 Dieses multilateralistische Element zeugte von der Überzeugung, das Recht nicht als Mittel staatlicher Autorität zu qualifizieren, sondern seinen Keim in der bürgerlichen Gesellschaft zu suchen.443 Durch diese Neuorientierung rückte die Relevanz hoheitlicher Vorstellungen in den Hintergrund,444 die „Enge des Nationalstaats“ konnte verlassen werden.445 Die weltweite Staatenordnung stellte für Savignys IPR zwar eine Vorbedingung dar, völkerrechtliche Belange sollten die Verweisung aber gerade nicht beeinflussen.446 Es ist daher irreführend zu behaupten, Savigny habe ein „zweispuriges

menhang, dass noch immer Uneinigkeit hinsichtlich der Frage herrsche, „ob der Entscheidungseinklang Auslöser oder Konsequenz seiner kollisionsrechtlichen Fragestellung ist“. Dazu auch Steindorff, Sachnormen, 44. 438  Mincke in: Krawietz/Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, 201 (205); Sturm in: Coing (Hrsg.), Ius commune VIII, 92 (106). Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 33 stellt insofern fest: „Somit soll ohne Aufgabe des Nationalen das Internationale erreicht werden“. 439  Savigny, System VIII, §  348 (S.  26). 440  Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 32 stellt mit Blick auf Savigny daher so lapidar wie richtig fest: „Der grenzüberschreitende Verkehr von Menschen schafft Lebenssachverhalte mit Auslandsberührung“. 441 Nach Sturm in: Coing (Hrsg.), Ius commune VIII, 92 (108) fungierte der Gemeinschaftsaspekt bei Savigny daher als hehres Musterbild. W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (460 f.) erkennt dagegen wirtschaftspolitische Motive. 442  Sturm in: Coing (Hrsg.), Ius commune VIII, 92 (106). Zu dieser Funktion des modernen IPR auch G. Schulze in: Strangas/Chanos/Papacharalambous/Pyrgakis/Tsapogas (Hrsg.), Kollision, Feindschaft und Recht, 1097 (1103). Instruktiv zur Abgrenzung der verweisungsrechtlichen Methodik von der abweichenden „Frage der Courtoisie“ Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (65 f.). 443  Diese Analyse trifft Rühl, Statut und Effizienz, 289. Dazu auch Rehbinder, JZ 1973, 151 (153); Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, 6. 444  Joerges, Funktionswandel, 11; Loussouarn, Tr. Com. fr. dr. int. priv. 1980–1981 (tome II), 43 (44). 445  Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 19. 446  Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (372).

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Kollisionsrechtsverständnis“447 etabliert, geht damit doch der fälschliche Eindruck einher, seine Lehre hätte Machtinteressen als gleichberechtigte zweite Säule neben der neutralen Verweisung qualifiziert. Das Gegenteil ist richtig: Er hegte den Aktionsradius politischer Staatsräson bewusst ein und beschränkte ihn auf Normen „streng positiver, zwingender Natur“, die sich nicht für eine Universalisierung eigneten.448 Wo bei ihm eine Abgrenzung „reiner“ Rechtsmaterien von „anomalischen“ stattfand,449 manifestierte sich eine methodische Nähe zu Instrumenten wie dem ordre public und Eingriffsnormen, die im klassischen IPR wie dargelegt zu den traditionellen – wenngleich politischen450 – Durchbrechungen zählen und nur in Ausnahmefällen eingreifen.451 Dass Savigny für die Grenzziehung452 keine ähnlich hohen Hürden aufstellte wie die heutige Doktrin453 und beispielsweise das gesamte Deliktsrecht zu den „positiven“ Gesetzen zählte,454 vermag diese fundamentale Aussage zum Regel-AusnahmeVerhältnis zwischen Multilateralität und Unilateraliät nicht zu erschüttern. 447  So aber Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 211 und W. Roth, FS G. Kühne, 859 (860). Ähnlich Peari, The Foundation of COL, 61 und Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (65). 448  Savigny, System VIII, §  349 (S.  32 ff.). Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (380) weist darauf hin, dass Savigny selbst auf eine kontinuierliche Abnahme des Anwendungsbereichs dieser Ausnahmetatbestände hoffte. Vgl. auch Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 107; Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 237; Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (188). 449  Mit dieser begründet Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, 8 unter Bezugnahme auf Savigny, System VIII, §  349 (S.  38) seine Aussage zur vermeintlichen Zweiteilung des klassischen IPR. In diese Richtung auch Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 17. Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (8) bezweifelt mit Blick auf diese Textstellen die unpolitische Seite von Savignys IPR insgesamt. 450  Dazu oben, B.III.1. (S.  40 ff.). 451  Statt aller Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 95 f. In diesem Punkt sieht Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (171) den entscheidenden Unterschied zu Currie (dazu unten, C.IV.2.b)bb), S.  146 ff.). Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 34 und Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 240 setzen sich anhand der von Savigny angeführten Interessen mit der Rechtsnatur von Eingriffsnormen auseinander. Einen Bezug zum heutigen „Interventionskollisionsrecht“ stellt Behrens in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 381 (391) her. 452  Diese Notwendigkeit betonte schon Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (133 ff.). 453  So zur Eingriffsnormenproblematik Boosfeld in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 15 (18 f.) und zum ordre public-Vorbehalt Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 194. 454  Savigny, System VIII, §  374 (S.  278). Zu diesem Umstand jüngst noch m. w. N. Diehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 44 sowie Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XI) und Peari, The Foundation of COL, 268. Siehe auch W. Roth, FS G. Kühne, 859 (861) und ders., AcP Bd.  220 (2020), 458 (461 f.).

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Folgerichtig diente das (internationale) Privatrecht bei Savigny vorrangig dazu, die Rechtssubjekte bei der Verfolgung ihrer individuellen Ziele zu unterstützen; Staats- und Kollektivinteressen rückten in den Hintergrund.455 Wohlgemerkt beabsichtigte er dennoch nicht, die Entscheidung gänzlich der Parteiautonomie anheim zu stellen.456 Seine Ausführungen zur „freiwilligen Unterwerfung“ der Rechtssubjekte unter eine Normordnung457 schufen eine Fiktion und waren dazu gedacht, die allgemeine458 Anerkennung der von ihm erarbeiteten Formel zu belegen: Wer den Parteien andichtet, die Unterordnung unter eine der vorgesehenen Anknüpfungsoptionen stillschweigend zu respektieren, erleichtert sich selbst die Argumentation.459 Demgegenüber wäre eine subjektiv-freie Wahl des anwendbaren Rechts, die nicht durch normative Vorgaben eingehegt wird,460 der Universalität des „Sitz“-Prinzips nach Savignys Verständnis zuwidergelaufen.461 Man mag die Entscheidung, parteiautonome Elemente weitgehend auszuschließen, als pragmatisch oder taktisch bewerten; der Aussage, die Be455  Rühl, Statut und Effizienz, 180. Nach Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 66 bilden Parteiinteressen bei Savigny daher den „Ausgangspunkt seiner Betrachtungen“. In diese Richtung auch Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (372); Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 38, 72 f.; Peari, The Foundation of COL, 33 f.; Gutzwiller, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie Bd.  16 (1922/23), 468 (470). Einschränkend jedoch Behrens in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 381 (390), der positive Nebeneffekte auf den weltweiten Handel hervorhebt. 456  Savigny, System VIII, §  360 (S.  112). Ungenau daher die Analyse von Peari, The Foundation of COL, 49 f. 457  Savigny, System VIII, §  360 (S.  110 ff.). 458  Zu den wenigen von Savigny anerkannten Ausnahmen von dieser „freiwilligen Unterwerfung“ siehe Paffenholz, Die Ausweichklausel des Art.  46 EGBGB, 32 f. 459 Dass Savigny die „freiwillige Unterwerfung“ heranzog, um eine Vielzahl verschiedener Anknüpfungsvarianten zu begründen, unterstreicht z. B. Gamillscheg, Dumoulin, 255. Peari, The Foundation of COL, 45 erklärt die „freiwillige Unterwerfung“ sogar zu dem zentralen Charakteristikum von Savignys Ansatz. Mit Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (374 f.) verbleibt es bei Savigny im Wesentlichen „bei der mittelbaren und bei der präsumtiven Unterwerfung“. Vgl. auch Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 191. Es ging ihm aber, anders als Joerges, Funktionswandel, 160 anführt, nicht um „die Identifikation des öffentlichen Wohls mit der privaten Willkür“. Zu ähnlichen Gedanken im heutigen IPR siehe Reimann in: Ferrari/ Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (191 f.). 460  Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 276 weist (unter Bezugnahme auf Savigny, System VIII, §  360 [S.  113]: „[…] sich auch hier die Parteien einem (schon bestehenden) Rechte unterwerfen, in diesem Sinne also sich selbst ein Gesetz geben“) darauf hin, dass Savigny seiner Idee einer „Rechtswahl“ durch rechtlich relevante Handlungen an einem bestimmten Ort eine normähnliche Komponente zugesprochen habe. 461  Lehmann, FS Spellenberg, 245 (248). Diesen Aspekt übersieht Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 40. Zur Bedeutung der Rechtswahl in Savignys IPR-Verständnis näher Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 165 f. und Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 5.

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schränkung der Rechtswahl auf die Festlegung des Erfüllungsortes beruhe „zu einem wesentlichen Teil auf der Vorstellung von der territorialen Allmacht des Staates“462, ist insofern aber nicht zuzustimmen. cc) Fazit: Eine Formel zwischen Theorie und Praxis Savigny als „Vater des modernen IPR“463 zu bezeichnen, ist nach dem Gesagten insofern angemessen, als sein System eine Kehrtwende vollzog, was den ideologischen Unterbau und die zentralen Schritte zur Feststellung des heranzuziehenden Rechts anbelangt.464 Die Einschätzung einiger Autoren, Savigny habe das vormoderne IPR praktisch nicht widerlegt, sondern sei schlicht einem abweichenden gedanklichen Ansatz gefolgt,465 wird seiner Theorie nicht gerecht. Allein die Tatsache, dass Überschneidungen mit Resultaten der Statutenlehre zu verzeichnen sind,466 beweist keinen Rückgriff auf parallele Einflussfaktoren; ganze Gedankenmodelle und Rechtskonzepte lassen sich nicht durch Einzelergebnisse charakterisieren, ihr Wesen zeigt sich vielmehr erst in einer Gesamtschau der Erklärungsmuster und Wirkungen.467 Indem Savigny mit dem Rechtsverhältnis einen Bewertungsgegenstand wählte, der sich staatlichen Grenzen – anders als namentlich ein nationales Gesetz468 – im Ausgangspunkt entzieht, Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut, 379. Dieser Gedanke findet sich bei zahlreichen Autoren und wird so wortwörtlich etwa von Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 35 geäußert. 464 Siehe Rauscher, IPR, Rn.  33: „theoretische Kehrtwende“; Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 54: „maßgebliche Evolutionsimpulse in methodischer Sicht“. 465 So Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 45. Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (7) spricht von „zwei Seiten derselben Medaille“. Lipstein, Principles of the Conflict of Laws, 22 f. erkennt primär eine „Transposition“ von Elementen der Statutenlehre. Bernasconi, Qualifikationsprozess, 72 kritisiert die Trennung des Rechtsverhältnisses von der Sachnorm als zirkelschlüssig. Eine gewisse Hinwendung zum Rechtsverhältnis als Anknüpfungsobjekt bereits vor Savigny betont Reuter, RabelsZ Bd.  81 (2017), 661 (666 ff.), der daher die diametrale Sicht einiger Kollegen im Verhältnis zur Statutenlehre nicht teilt. Vgl. auch Boosfeld in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 15 (16 f.). 466 Zu weiteren Anleihen der Statutenlehre bei Savigny siehe Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (370 f.), der allerdings größtenteils Ungenauigkeiten in der Formulierung anführt. Begriffliche Ähnlichkeiten beleuchtet auch Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 14. 467 Siehe v. Bar/Mankowski, IPR I, 513: „[…] doch ist das Ganze, so wie er es formt, mehr als die bloße Summe seiner Einzelteile“. Näher zu den Konsequenzen aus einer Fragestellung „vom Gesetz“ bzw. „vom Sachverhalt“ Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 117 ff.; Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 106 f. Mäsch, RabelsZ Bd.  61 (1997), 285 (289 f.) betont demgegenüber, dass die Deckungsgleichheit in den Ergebnissen nur natürliche Folge eines Abstellens auf „gleichberechtigte Tatbestandselemente der Kollisionsnorm“ (Lebenssachverhalt bzw. Sachrechtsnormbestand) sei. 468 Vgl. Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (481). 462  463 

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verlagerte er das IPR von einer positivistisch-normativen auf eine „kognitive“ Ebene.469 Obschon auch in seiner Lehre die Bestimmung des anwendbaren Rechts durch nationale Normen fixiert wird,470 ist der Findungsprozess durch die „räumliche Verankerung“ der rechtlichen Beziehungen „internationalisiert“ und „entpolitisiert“ worden.471 Insofern entfernte Savigny sich vor allem in der Entscheidung, ökonomische,472 sittliche und hoheitliche Erwägungen den „Ausnahmefällen“473 zuzuordnen, von dem Gedankengebäude seiner Vorgänger.474 Anhand typisierender Betrachtungen zu grenzüberschreitenden Sachverhalten475 bündelte er kollisionsrechtliche Normgruppen, in denen staatliche Anliegen und einzelfallspezifische Vorgaben des nationalen materiellen Rechts ausgeklammert werden sollten.476 Durch die „individualisierende Behandlung“ der Rechtsverhältnisse wurde das statuten469  Für diese Gegenüberstellung siehe Mincke in: Krawietz/Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, 201 (205) und G. Schulze in: Strangas/Chanos/ Papacharalambous/Pyrgakis/Tsapogas (Hrsg.), Kollision, Feindschaft und Recht, 1097 (1103 f.). Auch v. Hoffmann/Thorn, IPR, §  2 Rn.  32 betonen die „psychologische“ Komponente der Neuakzentuierung in der Arbeitsweise durch Savigny. Ähnlich Kegel/Schurig, IPR, 184. Vgl. auch Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 59 ff. 470  Den Umstand, dass es Savigny nicht gelang, sich im Sinne eines supranationalen IPR gänzlich von der staatlichen Legislative zu lösen, betont Joerges, Funktionswandel, 155. 471  Sturm in: Coing (Hrsg.), Ius commune VIII, 92 (106). Diese Einschätzung teilt m. w. N. Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 19. Vgl. auch Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (376 f.); Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (751); Weller/Göbel in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 75 (77). 472  Die Aussage von Kalenský, Trends of PIL, 82, Savigny habe sich einem „free capitalism“ verschrieben und primär wirtschaftliche Interessen der bourgeoisen Oberschicht fördern wollen, lässt sich demgegenüber weder widerlegen noch belegen, wenn man von seiner reinen Zugehörigkeit zur Oberklasse der damaligen Zeit absieht. 473  Savigny, System VIII, §  349 (S.  33 ff.). Die Relevanz dieser Eingrenzung scheint E. Lorenz, Struktur des IPR, 43 f. in seinem Versuch, Savigny methodisch der Statutenlehre anzunähern, zu missachten. 474  Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (370). Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 36 resümiert daher, Savigny habe die nationalpolitischen Elemente des IPR „ausgeblendet“. Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, 8 führt auf der anderen Seite gerade diese Aufteilung in „reines“ und „anomalisches“ Recht als Beleg einer von Savigny teilweise akzeptierten Ordnungsfunktion des IPR an. 475  Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (378 f.) spricht von „konstruktiven Erwägungen“. 476  Am Beispiel des Erbstatuts belegt von G. Kühne, ZVglRWiss Bd.  114 (2015), 355 (360). Der Gedanke der Bündelung findet sich mehr als ein Jahrhundert später vertieft bei Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 89 ff. sowie dems. in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (13 ff.). Für eine Kurzzusammenfassung dieses Modells siehe Köhler, Eingriffsnormen, 84 ff.; Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 79 ff.; Nojack, Exklusivnormen im IPR, 139 ff.; Lechner, Reichweite des Erbstatuts, 121 f.

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theoretische Risiko ausgeräumt, bei „Überschneidungen und Lücken“ im grenzüberschreitenden Geltungswillen verschiedener Normen auf Deutungen des Forumrechts zurückgreifen zu müssen.477 Aus wissenschaftlicher Perspektive verdankt das heutige Kollisionsrecht also jedenfalls die prinzipielle Loslösung vom Sachrecht478 der von Savigny geschaffenen Distanz zwischen dem Staat mit seinen Gesetzgebungsorganen und den aus internationalem Diskurs natürlich „erwachsenen“ Klassen von Rechtsverhältnissen.479 Vorgänge, die nach heutigem Verständnis der Qualifikation unterfallen, bewertete Savigny folgerichtig nicht nur lege fori, sondern unter Bezugnahme auf ausländische und internationale Rechtsvorstellungen.480 Verlässt man allerdings die rein formale Betrachtung seiner Theorie, kommen unweigerlich Zweifel daran auf, inwieweit sich diese Emanzipation in der Praxis abbilden lässt: Obwohl der „Sitz des Rechtsverhältnisses“ als Metapher zweifelsohne taugt,481 erweist er sich zugleich als auslegungs- und ausfüllungsbedürftig,482 erfordert er doch eine Verbindung zwischen dem Sachverhalt und den tangierten 477  Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (371 f.); vgl. auch Beitzke, FS Smend, 1 (5 f.). Reuter, RabelsZ Bd.  81 (2017), 661 (685 f.) betont indes die Relevanz der lex fori und ihrer Motive im Rahmen der Qualifikation. 478 Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  55: „Emanzipation des IPR vom eigenen Sachrecht“. Steindorff, Sachnormen, 46 spricht etwas ungenau von der „Abstraktion des Rechts von den Fakten“. Ob, wie Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, 9 anführt, alleine die Tatsache, dass das IPR sich wie das Sachrecht grds. den Idealen von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit verschrieben hat, gegen diese These spricht, darf bezweifelt werden. 479  Näher dazu v. Bar/Mankowski, IPR I, 516 f. Diesen Aspekt hebt auch Rühl, Statut und Effizienz, 181 hervor. Nach Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (111) hat somit Savigny das IPR „von der Fessel befreit“. 480  Dazu anhand einiger Beispiele Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (378 f.), der auf Savigny, System VIII, §  379 (S.  325) mit der Formulierung „nach den Rechten aller Völker und aller Zeiten“ Bezug nimmt. 481  M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 22 erkennt als wichtiges Element dieser Lehre „[…] die kühle Besonnenheit, die stets das Gegebene von dem ‚Räthlichen‘ sauber zu scheiden weiß, die praktische Brauchbarkeit im einzelnen, die Fernhaltung alles unfruchtbaren Doktrinarismus, die gemessene Ruhe der Darstellung […]“ und sieht darin einen der Kerngründe für die Rezeption auch außerhalb der Landesgrenzen. 482  Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Rn.  1988. Junker, IPR, §  5 Rn.  23 bezeichnet Savignys Formel als „unverbindlich“. Schon Kahn, Jh. Jhb. Bd.  40 (1898), 1 (54) sprach eher sarkastisch von einer „Vogelperspektive“. Auch Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 18 betont, dass die Lösung einzelner Konstellationen sich aus der Sitzformel häufig nur schwerlich destillieren lasse. Ähnlich Hoffmann, Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts, 197 ff.; Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (488 f.); Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.19 f.; Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (70). Kegel, FS Raape, 13 (14 f.) moniert v. a. Probleme bei der Bestimmung des Rechtsverhältnisses. M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 22 merkt allerdings nicht zu Unrecht an, dass es zum Berufsbild des Juristen gehöre, derartige Rechtsbegriffe mit Leben zu füllen. Siehr, IPR, 134 und Banu,

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Rechtsordnungen.483 Da nun Savigny diese nur in äußerst geringem Maße für Einzelfälle vorgenommen hat und sich kaum allgemeingültige Aussagen zur konkreten Bestimmung der jeweiligen Sachnatur von Rechtsverhältnissen bei ihm finden,484 bietet dieser notwendige Schritt innerhalb seines Konzepts Raum für gesellschaftliche oder politische Implikationen.485 Die Aufgabe, den „Sitz“ eines Rechtsverhältnisses festzulegen und durch die Zuordnung von Normen zu einer Anknüpfungsoption einen verweisungsspezifischen „Aggregatzustand“486 zu erzeugen, kann deshalb eine „Rückbindung an die Regelungszwecke“ bewirken.487 In der juristischen Realität vermag die vermeintlich „vorstaatliche“ Entstehung des Rechts aus der Gesellschaft, deren Willen der Gesetzgeber lediglich in Normen umwandelt, mithin nicht restlos zu überzeugen.488 Inhaltlich fügten die von Savigny bevorzugten Anknüpfungen sich in vielerlei Hinsicht in den historischen status quo ein: Dass er zum Beispiel für die persönlichen Beziehungen der Rechtssubjekte das Recht am Domizilort für maßgebend hielt und das Anknüpfungsmoment nicht etwa in der Staatsangehörigkeit suchte,489 reflektierte die Lebensbedingungen in den Zeiten vor der Reichsgründung, als ein einheitliches National- oder Staatsgefühl noch nicht ausreichend ausgeprägt war, um auf das Kollisionsrecht auszustrahlen.490 Ähnlich 19th-Century Perspectives on PIL, 77 f. heben diejenigen Fragen hervor, die zumindest mittelbar einer Beantwortung zugeführt werden. 483  Zu dieser Kritik m. w. N. Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 50; Flessner, Interessenjurisprudenz, 78 f.; Steindorff, Sachnormen, 47 f. Mincke in: Krawietz/Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, 201 (206) spricht davon, dass jede Anknüpfung an ein Merkmal auch eine „Abknüpfung“ bezüglich eines alternativen Merkmals bedeute. Ähnlich Steindorff, Sachnormen, 1 f. sowie Weller, LA Jayme, 53 (54) und ders., RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (771 f.). Diesem zustimmend Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 13. 484  Siehe nur Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (373). 485  Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (50 ff.) warnt deshalb davor, Savigny als „Vollender“ eines wertneutralen IPR zu interpretieren. Zu dieser Problematik auch bspw. Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 178 und Gutzwiller, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie Bd.  16 (1922/23), 468 (471). Joerges, Funktionswandel, 168 betont in diesem Zusammenhang v. a., dass die Bedürfnisse der „völkerrechtlichen Gemeinschaft“ Wandlungen unterliegen können. 486  Mit dieser metaphorischen Wortwahl Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (110). 487  W. Roth, EWS 2011, 314 (322); siehe auch Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 203; Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 229; Beitzke, FS Smend, 1 (7 f.). 488  Kritisch daher Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 35 ff. Ebenfalls in diese Richtung Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 11, der jedoch behauptet, bei Savigny habe eine solche Loslösung des Rechts vom Staat gar nicht stattgefunden. 489  Savigny, System VIII, §  359 (S.  95 ff.). 490 Siehe Junker, IPR, §  4 Rn.  25. Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 98 und Mankowski, IPRax 2017, 130 (130) führen die Entstehung eigenständiger Nationen im europäischen

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verhält es sich mit der Aussage, der Wohnsitz des Ehemannes bestimme bei familienrechtlichen Fragestellungen über das anwendbare Recht: Dessen Rolle als „nach den Rechten aller Völker und aller Zeiten“ anerkannter Familienpatron491 leitete sich in erster Linie aus dem damals herrschenden Geschlechter­ denken ab492 und ist aus heutiger Sicht eben nicht offenkundiges Resultat einer rationalen Suche nach dem Sitz des Rechtsverhältnisses.493 Zudem beruhten seine Beispiele für zwingende Gesetze (Sondererbrecht bei Adelsfamilien, Grundsatz der Einehe, Unfähigkeit zum Erwerb von Grundeigentum durch Juden)494 auf traditionellen, religiösen und auch antisemitischen Motiven,495 die in der Gesellschaft des mittleren 19.  Jahrhunderts hervortraten. Während insbesondere mit Blick auf judenfeindliches Recht inzwischen glücklicherweise ein substantielles Umdenken erfolgt ist,496 nahm noch die IPR-Reform von 1986497 besondere Rücksicht auf inländische Sondererbrechte. Regelungen zur Scheidung wiederum erklärte das Reichsgericht noch gegen Ende des 19.  Jahrhunderts für zwingend,498 bevor die Materie im EGBGB von 1896499 etwas differenzierter behandelt wurde. Wer abgesehen davon geneigt ist, die klassische kollisionsrechtliche Lehre aufgrund ihrer theoretischen Konzeption als unpolitisch zu werten, lässt überdies außer Acht, wie unverkennbar Savigny ein „Kind seiner Zeit“ war: Seine PräRechtsraum daher auch als zentralen Grund für die spätere Hinwendung zur Staatsangehörigkeitsanknüpfung an. Vgl. dazu unten, C.IV.1.b) (S.  134 ff.). Zu gegenläufigen Entwicklungen im EU-IPR siehe unter C.IV.5.b) (S.  205 ff.). 491  Savigny, System VIII, §  379 (S.  325). 492  Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.21 f.; Peari, The Foundation of COL, 57 f. Ähnlich argumentierte Marcus, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1887, 637 (643 ff.), der allerdings das „Domizil“ des Ehemannes bevorzugte. Zum Einfluss traditioneller Familienbilder auch Seif, RabelsZ Bd.  65 (2001), 492 (499). W. Roth, EWS 2011, 314 (322) führt daher das Familienrecht als Beispiel dafür an, wie stark einzelne Rechtsgebiete bei Savigny von Anschauungen religiöser und sittlicher Art durchdrungen waren. Siehe auch ders., FS G. Kühne, 859 (861). 493  Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (111 f.); Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 150; Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (129); Stolleis/Rückert, Juristen, Savigny (S.  559). 494  Savigny, System VIII, §  365 (S.  160 ff.). 495  Dazu näher Sturm in Coing (Hrsg.), Ius commune VIII, 92 (101 ff.). Vgl. auch Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (266). 496 Siehe Peari, The Foundation of COL, 142. Zum gewandelten Umgang mit Elementen jüdischer Identität und Kultur im Kollisionsrecht Weller/Lieberknecht, JZ 2019, 317 (323 f.). 497  Dazu unten, C.IV.4.a)cc) (S.  187 ff.). 498 Kritisch insofern Marcus, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts 1887, 637 (639 ff.) mit Blick auf drei Entscheidungen des Reichsgerichts. 499  Vgl. unten, C.IV.3.c) (S.  173 ff.).

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missen entsprangen in weiten Teilen einer philosophisch-sozialen Grundhaltung500 mit einer „geistig-kulturellen Lebensmacht des Volkes“ im Zentrum.501 Insofern besann er sich nicht weniger auf Gesellschaftsmodelle seiner Zeit, als es in den vormodernen Epochen des IPR geschehen war.502 Um das Verweisungsrecht inhaltlich entpolitisieren zu können, musste somit erst ein gesellschaftliches Fundament existieren, das diese „Selbstentmachtung“ zuließ; in seiner Entstehung war der Wunsch nach einem neutralen Kollisionsrecht politisch.503 Savignys internationalprivatrechtliche Lehre verkörpert alles in allem ein Programm, dessen Methodik zwar von einem „vom Gesetzgeber emanzipierten“ Verständnis des Rechts geprägt ist,504 ohne wertende Elemente in der Rechtsetzung und Praxis jedoch schwerlich auskommt505 – „Savignys Konzeption war so liberal wie möglich und so politisch (staatlich) wie nötig.“506 Der definitorischen Schwächen in seinem System konnte er selbst sich schließlich kaum erwehren:507 Unilateralismus (Bd.  II, S.  1553). Peari, The Foundation of COL, 70 ff. erkennt insbesondere eine Nähe zu Kant. Vgl. auch Stolleis/Rückert, Juristen, Savigny (S.  557 f.). Zum zeitgenössischen Bedürfnis für ein derartiges IPR siehe Trüten, IPR in der EU, 6 und Basedow in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 1 (4). In diese Richtung auch Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 57. 501  Seif, RabelsZ Bd.  65 (2001), 492 (500 f.). Ähnlich E. Lorenz, Struktur des IPR, 22; Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 122; Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (156). Niederer, Einführung IPR, 61 spricht insofern von „deduktiven Anwandlungen“. Kritisch zu dieser Facette Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 35 f. Zur Idee des Volkes in Savignys allgemeiner Rechtslehre und den daraus folgenden Auswirkungen auf seine Anschauungen im IPR ausführlich Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 7 ff. und Joerges, Funktionswandel, 8 ff. 502  Loussouarn, Tr. Com. fr. dr. int. priv. 1980–1981 (tome II), 43 (48); Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 228. Vgl. auch Steindorff, Sachnormen, 42 f. und Gebauer in: Gebauer/ Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (66). 503 Zutreffend Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (129). 504 So Seif, RabelsZ Bd.  65 (2001), 492 (503). Nach Joerges, Funktionswandel, 152 gestalten staatliche Normen im IPR nach Savigny die Privatrechtsordnung also nicht, sondern greifen nur sanktionierend ein. 505  Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (381). Loussouarn, Tr. Com. fr. dr. int. priv. 1980–1981 (tome II), 43 (49) spricht daher davon, dass die Vorgehensweise Savignys letztlich weniger „mechanisch“ sei, als sie wirke, weil „soziale Werte“ stets im Hintergrund wirken würden. 506  E. Lorenz, Struktur des IPR, 49. Für eine ähnliche Deutung siehe Joerges, RabelsZ Bd.  43 (1979), 6 (13 f.); Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (267); Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 280 ff.; Rehbinder, JZ 1973, 151 (153); Melchior, Die Grundlagen des deutschen IPR, 11 f. Zu Savignys Verständnis der Trennung von Staat und Gesellschaft vgl. auch Schütz, Der internationale ordre public, 57 und Seif, RabelsZ Bd.  65 (2001), 492 (502). 507 Vgl. Peari, The Foundation of COL, 62. 500 HWB-EuP/Rühl,

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Namentlich das Vertragsrecht mit seiner Vielzahl potentieller Kollektiv- und Individualbelange sowie Anknüpfungspunkte erfuhr eine eher stiefmütterliche Behandlung, wohingegen Materien wie das internationale Delikts- und Sachenrecht, zu denen bereits ein verbreitetes Gewohnheitsrecht existierte, sich als unkompliziert erwiesen.508 Was die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen anbetrifft, kann Savignys Verdienst dennoch kaum hoch genug eingeschätzt werden: Erst in seinen Ausführungen wurde aus der pluralistischen Gleichheit der Rechtsordnungen509 eine Pflicht zur Kooperation gefolgert, die über eine bloße Koexistenz hinausgeht. Anders als nach dem „System der persönlichen Rechte“ und in der Folgezeit510 hing die Anwendung fremder Rechte nicht von einer starren Bindung an personale oder territoriale Elemente ab, sondern rührte von effektiver Ebenbürtigkeit her. Ausländisches Recht wurde weder als „Feind“511 wahrgenommen, noch war es darauf angewiesen, durch einen gesonderten Akt der „Sichtbarmachung“512 oder einen entsprechenden Geltungswillen der eigenen Norm513 berufen zu werden. Entgegen der antiken Praxis514 oder dem Gedanken der comitas515 unterlag die Annäherung zwischen den Rechtsordnungen auch nicht Kosten-Nutzen-Erwägungen, nach denen vorrangig staatliche Souveränität ermöglicht oder abge­ sichert werden sollte. Von einer unterschwelligen Hierarchisierung fremder Rechts­ ­ordnungen konnte Savigny sich allerdings nicht in Gänze freimachen, schwingt in der Bezugnahme auf die „christliche Gesittung“516 der Nationen doch eine religiös-ethische Komponente mit.517 Zu behaupten, Savignys IPR setze „eine Welt voraus, die aus ziemlichen homogenen Privatrechten besteht“518, geht jedoch zu weit: Wo er „Rechtsinstitute eines fremden Staates, deren Dasein in dem unsrigen 508  Zu diesem Eindruck Wiethölter, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 7 (1967), 133 (156). Aubart, Dépeçage, 29 fasst die Probleme bei der Bestimmung des Vertragsstatuts als „kleine Vertragsspaltung“ zusammen. Ausführlich zu Savignys Problemen bei der Bestimmung des Vertragsstatuts Kalenský, Trends of PIL, 82 ff. 509  Vgl. zu diesem Gleichheitsverständnis oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.). 510  Neuhaus, RabelsZ Bd.  15 (1949/50), 364 (376 f.); vgl. auch C.II. (S.  89 ff.). 511  Vgl. oben, B.II.1.b) (S.  22 ff.). 512  Vgl. oben, B.II.1.c) (S.  26 ff.). 513  Zur Statutenlehre siehe oben, C.III.2.c) (S.  106 ff.). 514  Dazu oben, C.I. (S.  63 ff.). 515  Dazu insbesondere unter C.III.3.b) (S.  111 ff.). 516  Savigny, System VIII, §  348 (S.  27). 517  R. Meyer, Bona fides und lex mercatoria, 30. Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (267) macht diese Einschränkung am „damaligen Zeitgeist“ fest. Vgl. auch Kreuzer, RW 2010, 143 (145). Funken, Anerkennungsprinzip, 33 Fn.  181 bemerkt zu Recht, dass sich heutzutage wohl eher ein Rückgriff auf die universalen Menschenrechte rechtfertigen ließe (vgl. unter D.III.3., S.  296 ff.). 518 So Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (64).

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überhaupt nicht anerkannt ist“ von der Verweisung auszunehmen gedachte, nahm er auf äußerst rückschrittige und singuläre Erscheinungen wie die Sklaverei oder den „bürgerlichen Tod“ Bezug;519 methodisch mag er sich damit einer Technik bedient haben, die über die Wirkungsweise des ordre public hinausgeht, inhaltlich bewegen sich die Beispiele aber durchaus im Rahmen des Vorbehalts.520 b) Mancini Einen nachgerade monokausalen, aber ebenfalls bis heute nachwirkenden Ansatz verfolgte nur zwei Jahre später der Politiker und Wissenschaftler Pasquale Stanislao Mancini, dessen Vortrag „Della nazionalità“ zu den Grundlagen des Völker- und Kollisionsrechts521 das seines Erachtens entscheidende Kriterium für die Bestimmung des anwendbaren Rechts bereits im Namen trug. Zwar erfahren seine internationalprivatrechtlichen Diskurse hierzulande weitaus weniger Rezeption als die Abhandlungen seines deutschen Pendants,522 dennoch verspricht eine nähere Untersuchung vor allem aus zwei Gründen interessante Einblicke in die Funktionsweise des IPR: Erstens erfreut sich das auf ihn zurückgehende Staatsangehörigkeitsprinzips bis heute weltweiter Verbreitung,523 zweitens sind in Mancinis Thesen Kollisionsrecht und Politik untrennbar miteinander verzahnt524. aa) Das Nationalitätsprinzip Der Italiener stellte die „Nationalität“ in den Mittelpunkt seines Kollisionsrechtsmodells, wobei er sie vor allem als ein Zusammengehörigkeitsgefühl auf Basis verbindender Elemente wie Territorium, Sprache, Historie, Religion, Recht, Moral und „Rasse“ definierte.525 Grundlage des Lebens und damit des Savigny, System VIII, §  349 (S.  37 f.). Stürner, Art.  6 EGBGB, Rn.  19. 521  Ein Großteil seiner Ausführungen befasst sich mit dem Völkerrecht, allerdings übertrug er diese Gedanken mal mehr, mal weniger explizit auf die Ebene des Kollisionsrechts, siehe nur Jayme, Ideengeschichte, 116 ff. und Makarov, Grundriß des IPR, 41. Diese Verbindung beider Rechtsgebiete führte nicht zuletzt dazu, dass Mancini in Turin erstmals einen Lehrstuhl für Völkerrecht und IPR bekleiden durfte, siehe Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (249). 522  Zu diesem Umstand etwa Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 223 Fn.  392. 523 Vgl. Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (254 Fn.  43). Zur Umsetzung des Staatsangehörigkeitsprinzips im italienischen IPRG Krätschmer, Staatsverträge und italienische IPR-Kodifikation, 55. 524  Vgl. etwa Jayme, Ideengeschichte, 10 und Schnitzer, Handbuch IPR I, 17 f. 525  Mancini, Della nazionalità, 31, 41. 519 

520 BeckOGK/M.

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Rechts müsse der „Geist“ oder das „Bewusstsein“ der Nationalität sein, weil allein diese dauerhafte und unveränderliche Komponente eine konsistente Behandlung grenzüberschreitender Sachverhalte ermögliche.526 Besonderen Wert maß er insofern der Feststellung bei, dass seine Lehre sich nicht auf das Konstrukt „Staat“ stütze.527 Vielmehr bleibe die Nationalität als Bezugspunkt selbst dann erhalten, wenn Staatsgrenzen sich infolge politischer Instabilität verschöben.528 Durch die Einteilung von rechtlichen Verhältnissen in „notwendige“ und „freiwillige“ Bereiche wurde die Relevanz der Nationalität durch Mancini selbst partiell eingeschränkt: Lediglich unumgängliche Bindungen, zu denen er die persönlichen Beziehungen einer Person zählte, sollten sich demnach konsequent nach dem Nationalitätsgedanken lösen lassen.529 Fragestellungen mit einem intensiveren Bezug zum Willen der involvierten Parteien könnten hingegen freier ausgestaltet und durch individuelle Entscheidungen einer Rechtsordnung unterworfen werden, selbst wenn diese nicht die eigene Nationalität widerspiegele.530 Des Weiteren verlangte Mancini Rücksicht auf Regeln der „öffentlichen Ordnung“, mit deren Hilfe der Forumstaat etwa seine hoheitlichen Gewalten gliedere und verwalte: Da sich in ihnen die Souveränität der Nation verkörpere, komme ihnen eine territoriale Wirkung zu, weshalb nicht auf die Heimatzugehörigkeit abzustellen sei.531 In konsequenter Anwendung seines Konzepts – und konträr zur herrschenden Meinung im damaligen Italien – stufte er ferner Rück-

Mancini, Della nazionalità, 36 ff. (39) geriet in diesem Zusammenhang geradezu ins Schwärmen: „Questi elementi son come inerte materia capace di vivere, ma in cui non fu spirato ancora il soffio della vita. Or questo spirito vitale, questo divino compimento dell’essere di una Nazione, questo principio della sua visibile esistenza, in che mai consiste? Signori, esso è la conscienza della nazionalità“. 527  Zum Begriffsverständnis bei Mancini siehe Kalenský, Trends of PIL, 88 Fn.  32; Jayme in: Jayme/Mansel (Hrsg.), Nation und Staat im IPR, 3 (6). Insofern mangels Differenzierung missverständlich Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, 52 Fn.  122. 528  Mancini, Della nazionalità, 46 f., 50 f.; siehe auch Jayme in: Jayme/Mansel (Hrsg.), Nation und Staat im IPR, 3 (7). 529  Mancini, Clunet 1 (1874), 285 (294). Ausführlich zu dieser Kategorisierung Nishitani, Mancini und Parteiautonomie im IPR, 72 ff.; Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 442 ff.; Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (254 f.). 530  Mancini, Clunet 1 (1874), 285 (295). Zur Relevanz der Rechtswahl bei Mancini siehe etwa Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 7; Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (429); Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 52; Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (276 f.); Kroll-­ Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 164. 531  Mancini, Clunet 1 (1874), 285 (295 f.). 526 

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und Weiterverweisungen als beachtenswert ein, weil auf diese Weise dem nationalen Willen bestmöglich Rechnung getragen werde.532 bb) Der Wunsch als Vater des Gedankens Mancinis Idee eines Kollisionsrechts lässt sich nicht ohne den historischpolitischen Kontext seiner Zeit nachvollziehen:533 Es waren gerade die damalige Teilung Italiens in zahlreiche kleinere Territorien und der im Zuge dessen verstärkt auftretende Wunsch nach einer Einheit, die ihn dazu verleiteten, sein IPRSystem auf die Nationalität als Inbegriff „gefühlter“ Zugehörigkeit zu gründen.534 Seine Ausführungen lassen sich nicht auf die juristische Ebene beschränken,535 stellten sie doch in ihrer politisch-idealistischen Dimension536 eher eine „Absichtserklärung“ als eine Theorie dar.537 In ihnen konkretisierten sich wesentliche Elemente der Risorgimento-Politik, deren Errungenschaften und Leitbilder in Mancinis Denken eine prominente Stellung einnahmen,538 ja sogar in chronologischer Hinsicht Widerhall in seinem Werk fanden.539 Dass seine Idee einer trennscharfen Abgrenzung von Nationen und deren Rechtsordnungen allein in Ansehung der genuinen Verbindungselemente einer Utopie gleichkam und in späteren Jahren mit diplomatischen und rechtspositivistischen Komponenten angereichert wurde, kann kaum verwundern.540

532  Zu diesem Aspekt und den Auswirkungen auf die ersten IPR-Kodifikationen Italiens Jayme, Ideengeschichte, 39 f. 533  Den ideengeschichtlichen Hintergrund Mancinis zeichnet Nishitani, Mancini und Parteiautonomie im IPR, 33 ff. anhand realer Lebensereignisse nach. 534  Kalenský, Trends of PIL, 88. Vgl. auch Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 450 f. und Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 21 f. 535  Geradezu überhöhend in diesem Zusammenhang Melchior, Die Grundlagen des deutschen IPR, 12: „Diese Lehre fand begeisterte Aufnahme […]. Ihr Widerhall ging über alles hinaus, was ein einzelner Jurist je erreicht hat, weil Mancini sich die stärkste Gemeinschaftsempfindung, welche seine Zeit zur Entfaltung gebracht hatte, zunutze machte, das nationale Gefühl“. 536  Diesen „Rückgriff auf philosophische Grundlagen“ sieht Jayme, Ideengeschichte, 113 als einen Grund für den langfristigen Erfolg des Staatsangehörigkeitsprinzips an. Mit Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 98 traf es den „damaligen Zeitgeist“. 537 So Treggiari in: Jayme/Mansel (Hrsg.), Nation und Staat im IPR, 145 (145). Zu diesem politischen Hintergrund auch Stolleis/Torre, Juristen, Mancini (S.  417 f.) und Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 49. 538  Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (651); Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 98; Schnitzer, Handbuch IPR I, 17. 539  Die Parallelität zwischen der italienischen Politik und Mancinis Lehren zeichnet Treggiari in: Jayme/Mansel (Hrsg.), Nation und Staat im IPR, 145 (146 f.) nach. 540 Siehe Treggiari in: Jayme/Mansel (Hrsg.), Nation und Staat im IPR, 145 (151 f., 163).

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Der Neapolitaner maß der Nationalität einen derart hohen Wert bei, dass er sie als bedeutenden Faktor in der Persönlichkeitsbildung eines jeden Menschen einstufte, ohne den eine Anerkennung als Individuum schlechterdings nicht möglich sei.541 Anders als die meisten früheren Theorien zum Kollisionsrecht fußte seine Einschätzung allerdings nicht auf einem Verständnis des Menschen als Untertan mit Verpflichtungen gegenüber dem Staat, sondern vielmehr auf einer naturgegebenen Verbundenheit des Einzelnen mit seiner „Nation“ – ihm schwebte eine Rechtsgemeinschaft in kultureller Verbundenheit vor.542 Liberale Vorstellungen prägten vor allem seinen kollisionsrechtlichen Freiheitsbegriff, der das Verhältnis der hoheitlichen Institutionen zu ihren Bürgern im grenzüberschreitenden Verkehr skizzierte: Zum einen umfasste dieser eine subjektive Komponente in Gestalt der Parteiautonomie, die bei den von Mancini vorgesehenen Fällen eine geradezu menschenrechtliche Dimension erlangte.543 Zum anderen implizierte er eine kollektive Perspektive – wenngleich es den Nationen ermöglicht werden sollte, selbstbestimmt über eigene Angelegenheiten zu entscheiden, wurde ihnen nicht die Legitimation zugesprochen, andere Gemeinschaften zu unterdrücken.544 An diesem Punkt der Doktrin sind Anleihen bei der Philosophie Kants und der Epoche der Aufklärung nicht zu übersehen, denn auch Mancini legte seinem Werk das Bild eines vernunftbegabten Menschen zugrunde, dem ein Aufbegehren gegen den Staat zugestanden wurde.545 cc) Fazit: Nationalität, aber kein Nationalismus Obwohl Mancini mit dem Nationalbegriff eine nahezu impermeable Kategorisierung zugrunde legte, propagierte er eine Gleichbehandlung von In- und

Zu dieser Schwierigkeit auch Mankowski, IPRax 2017, 130 (131). Nach Steindorff, Sachnormen, 267 wird gerade „die Eigenart der Völker durch ihre Rechtsordnung mitbestimmt“. 541  Zu diesem Aspekt M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 23. 542  Jayme in: Jayme/Mansel (Hrsg.), Nation und Staat im IPR, 3 (6); Krätschmer, Staatsverträge und italienische IPR-Kodifikation, 50 f.; Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 48. Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (250 f.) bezeichnet diesen Nationenbegriff als „vorrechtlich“. 543  So die Deutung von Jayme, Ideengeschichte, 118. Zur Umsetzung im italienischen IPRG siehe Krätschmer, Staatsverträge und italienische IPR-Kodifikation, 58 f. 544  Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, 53. Dazu auch Nussbaum, Grundzüge des IPR, 20 f. 545  Nishitani, Mancini und Parteiautonomie im IPR, 42 ff.; Jayme, Ideengeschichte, 159; G. Schulze, IPRax 2010, 290 (293); Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (156). Vgl. auch Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (280) zur Möglichkeit der Aufgabe der Staatsangehörigkeit.

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Ausländern.546 Besonders – und auf den ersten Blick beinahe widersprüchlich – ist dabei, dass qualitative Gleichbehandlung rechtliche Ungleichbehandlung bedeutete: Die gegenseitige Akzeptanz der nationalen Unterschiede trat in seinem Denken dadurch zutage, dass diese Kontraste im grenzüberschreitenden Kontext beibehalten wurden.547 Auf diesem Wege erhoffte er sich die effektive Gewährleistung eines freien Rechtsverkehrs, in dem Divergenzen zwischen den konkur­ rieren­den Rechtsordnungen zwar Platz finden dürfen, alle Personen aber in gleicher Weise von den ihnen zustehenden Rechten Gebrauch machen können.548 A prima vista scheint Mancini sich grundlegend von Savignys kollisionsrechtlichem Gedankengebäude entfernt zu haben, indem er im Regelfall nach dem Ursprung der Person fragte, anstatt den Ursprung des Rechtsverhältnisses zu beleuchten.549 Vor dem Hintergrund der von ihm ersehnten Souveränität550 gestand er den territorialen Mechanismen der „öffentlichen Ordnung“ darüber hinaus einen weitaus größeren Raum als sein Vorgänger zu.551 Dennoch weisen seine Lehren neben der allseitigen Grundausrichtung552 weitere Gemeinsamkeiten hin546 Siehe Nishitani, Mancini und Parteiautonomie im IPR, 61; Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (251); Gebauer, LA Jayme, 89 (111). 547  G. Schulze in: Strangas/Chanos/Papacharalambous/Pyrgakis/Tsapogas (Hrsg.), Kollision, Feindschaft und Recht, 1097 (1104) m. w. N. Zu einem „Recht der Beteiligten auf Ungleichbehandlung“ auch Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (470) und Michaels in: Ferrari/ Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (172). Siehe ferner Gebauer, LA Jayme, 89 (93). Nussbaum, Grundzüge des IPR, 21 sieht darin den wichtigsten Unterschied zu späteren „Rassetheorien“. Zu Bezugnahmen auf Mancini im Nationalsozialismus vgl. aber Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (245 f.). 548 Siehe Nishitani, Mancini und Parteiautonomie im IPR, 65 f. und Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (272). 549 Zu Mancinis Verhältnis zu Savigny en détail Nishitani, Mancini und Parteiautonomie im IPR, 148 ff. und Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (255 ff.). 550  Zu dieser Einschätzung siehe Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 102 und Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 12 f. Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 443 erkennt hier eine Nähe zu den Werken der holländischen Statutisten (dazu oben, C.III.3.b), S.  111 ff.). 551  Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XI); M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 23 f.; Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 59; Makarov, Grundriß des IPR, 41; Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (278, 280). Zur Rolle derartiger Überlegungen bei Savigny siehe C.IV.1.a)bb) (S.  122 ff.). 552 Dazu Kalenský, Trends of PIL, 89; Niederer, Einführung IPR, 65; Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 391; Krätschmer, Staatsverträge und italienische IPR-Kodifikation, 51. Auch H. Weber, Theorie der Qualifikation, 10 betont Mancinis oft unterschätzten Beitrag zur Schaffung eines IPR allseitiger Kollisionsnormen. In diese Richtung ebenso Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (251 f.,

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sichtlich zentraler Prämissen und Motive auf: So beschwören mehrere Stellen in den Abhandlungen des späteren italienischen Außenministers eine friedliche Koexistenz der Völker,553 wie sie auch Savigny propagierte554. Obschon patriotischen Idealen nacheifernd, erdachte auch Mancini das IPR aus einer supranationalen Perspektive555 – seine Theorie bestimmt der „romantische Internationalismus“556. Indem er das Volk als historisch gewachsen und durch das Band der Nationalität verbunden beschrieb, verlagerte er den Fokus zudem wie Savigny557 von einer staatlich-autoritären auf eine gesellschaftlich-soziale Ebene und entschied sich so für einen Bruch mit dem Völkerrechtsverständnis im Sinne des römischen Rechts.558 Auch dort, wo auf hoheitliche Belange abgestellt wurde, galt das Hauptinteresse letztlich den Bürgerinnen: Zwar sprach Mancini Normen eine streng territoriale Wirkung aufgrund ihrer öffentlichen Notwendigkeit zu, teleologisch stand jedoch im Vordergrund, die individuelle Freiheit der Rechtssubjekte zu wahren.559 Wenngleich seine Lehre ohne Zuordnung des Bürgers zur Nation nicht auskommt, verfolgte Mancini keine isolationistische Agenda: Er charakterisierte die Zulassung fremder Rechte entgegen der comitas-Strömung ausdrücklich als Rechtspflicht und zeichnete ebenso wie Savigny das Idealbild von weltweit angeglichenen Kollisionsrechtskatalogen, um internationalen Entscheidungseinklang zu erreichen.560 Der Vorstellung anhaftend, das Kollisionsrecht komme 268 f.); Coester-Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (7); Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 20; Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 12 f. 553  Mancini, Della nazionalità, 59, 62. 554  Vgl. oben, C.IV.1.a)bb) (S.  122 ff.). 555 So v. Bar/Mankowski, IPR I, 517: „In seiner rechtspolitischen Grundhaltung war Mancini Internationalist wie Savigny“. In diese Richtung auch Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (281 f.); R. Meyer, Bona fides und lex mercatoria, 42; Nussbaum, Grundzüge des IPR, 21; Kahn, Jh. Jhb. Bd.  40 (1898), 1 (19). 556  Mit dieser Wortwahl Jayme, Ideengeschichte, 132. Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (112) betitelt Mancini dagegen als „nationalistisch“. 557  Vgl. oben C.IV.1.a)cc) (S.  127 ff.). 558  Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht, 51; Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 279. 559  Jayme, Ideengeschichte, 12. Diesen Aspekt in Mancinis Denken betonen auch Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 149 f. und Gebauer, LA Jayme, 89 (111). Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (252 ff.) widmet sich intensiver diesem „subjektiven“ Element. 560  Mancini, Clunet 1 (1874), 221 (228 ff., 231 f.). Zu diesem Umstand etwa G. Schulze, IPRax 2010, 290 (293); Makarov, Grundriß des IPR, 41; Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (261). Vgl. auch Krätschmer, Staatsverträge und italienische IPR-Kodifikation, 51; Juenger, LA Siehr, 289 (303); Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 18; Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.23, 2.25.

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nicht ohne völkerrechtliches Fundament aus,561 pries er multilaterale Abkommen als vorzugswürdige Werkzeuge, um diese Harmonie zu erreichen.562 Zwischenstaatliche Kataloge sollten nach seiner Vorstellung natürliche Regelungen verschriftlichen und eine Vielzahl von Parteien binden, anstatt auf der untergeordneten bilateralen Ebene lediglich reziproke Zugeständnisse abzusichern.563 Ambivalenz prägt Mancinis Theorie insgesamt – er war „ein italienischer Patriot, aber zugleich ein überzeugter Weltbürger“564. Ähnlich wie Aristoteles wünschte er sich nichts sehnlicher als eine Nation, im Gegensatz zu dem antiken Philosophen565 wollte er auf grenzüberschreitenden Rechtsverkehr jedoch nicht verzichten, sobald dieser Zustand erreicht war. In der Rückbesinnung auf das Heimatrecht erinnert sein Modell ferner an das mittelalterliche „System der persönlichen Rechte“566, durch den weiten Anwendungsbereich der Rechtswahl emanzipierte sich Mancini zugleich aber von dieser Epoche. Dass die lex patriae abgesehen davon den zentralen Anknüpfungspunkt bildete, entsprach seinen gesellschaftspolitischen Grundauffassungen, reflektierte aber keine feindselige Haltung gegenüber fremden Rechtsordnungen à la Schmitt567. Nationale Rechte in ihrer Varietät abzubilden, hielt Mancini ganz im Gegenteil für unerlässlich; folgerichtig begründete er die Rechtsetzungsbefugnis fremder Staaten im grenzüberschreitenden Verkehr auch ohne Rückgriff auf machtpolitische Reziprozitätserwägungen.568 In der Konsequenz waren Staaten nicht auf gesonderte Akte angewiesen, damit ihr Recht verweisungsrechtlich wahrgenommen wurde. Auch dort, wo Staatsverträge geschlossen werden sollten, kam ihnen kein konstitutivpolitischer Charakter zu, wie wir ihn aus Rancières Politikbegriff569 kennen. In diesem Sinne etablierte Mancini durchaus eine Gleichordnung der Rechtssysteme, in der die Pluralität der materiellen Rechte Abbildung fand. Von den Freiheits- und Gleichheitsideen Arendts570 wich er aber insofern ab, als durch die Prävalenz des Nationalitätsprinzips andere Verweisungsoptionen weitgehend ausgestochen wurden. Während sein Verständnis von der Rechtsnatur des IPR also internationalistische Ideen aufnahm, folgte die Suche nach den einzelnen 561  Dieses sollte der „Nationalisierung und Provinzialisierung“ des IPR entgegenwirken, siehe Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 58. 562  Mancini, Clunet 1 (1874), 221 (235). 563  Jayme, Ideengeschichte, 117; siehe ferner Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (269 ff.). 564  Siehr, IPR, 419. 565  Vgl. oben, B.II.1.a) (S.  19 ff.). 566  Näher dazu oben, C.II.1. (S.  89 ff.). 567  Vgl. oben, B.II.1.b) (S.  22 ff.). 568  Krätschmer, Staatsverträge und italienische IPR-Kodifikation, 51. 569  Vgl. oben, B.II.1.c) (S.  26 ff.). 570  Vgl. oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.).

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Anknüpfungen nationalistischen Leitbildern571 – was Mancini versuchte, war „le nationalisme dans l’internationalisme“572. 2. Angloamerikanische Ansätze In Abgrenzung zu den vorgestellten Modellen kamen im 19. und 20.  Jahrhundert insbesondere im angloamerikanischen Raum zahlreiche Gegenpositionen auf, denen regelmäßig eine geradezu umwälzende Wirkung gegenüber dem konti­ nentalen IPR bescheinigt wird.573 Ihr einendes Element574 besteht darin, die „wertneutrale“ Dimension des Kollisionsrechts insgesamt abzulehnen und alternative Anknüpfungsmethoden zu bevorzugen, durch die lediglich einzelne Sachnormen für anwendbar erklärt werden.575 Inwieweit politischen Einflüssen dabei Raum gegeben und die Gleichordnung der konkurrierenden Rechtsordnungen in Abrede gestellt wird, soll in der Folge beleuchtet werden. a) Story: Comity of Nations, Rechtsprechung, Sachgebiete Den Grundstein576 zu dieser Entwicklung legte der Amerikaner Joseph Story, dessen ausführliche Kommentierung zum Kollisionsrecht bereits 1834 erschien und Anleihen bei der niederländischen Statutenlehre577 nahm: Das ideologische Niederer, Einführung IPR, 66. Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 450. 573  Gemeinhin zumindest im 20.  Jahrhundert als „Revolution“ und daran anschließend in Teilen „Konter-Revolution“ des IPR bezeichnet, siehe u. a. Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 296; Mühl, Die Lehre vom besseren und günstigeren Recht, 17; Symeonides, Ohio State Law Journal Vol. 46 (1985), 549; Sammeck, Internationale Produkthaftung, 54; Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 132; Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 138; Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 226. Einschränkend hierzu Joerges, Funktionswandel, 168, der eher eine „Anpassung“ als eine „Revolutionierung“ manifestiert. Siehr, IPR, 425 datiert den Beginn der Revolution erst „nach Verdauen des ‚legal realism‘“. Trüten, IPR in der EU, 6 f. sieht den Grund für die amerikanischen Tendenzen in einer „Methodenkrise“. Zu den Etappen speziell im internationalen Deliktsrecht Jayme, Ideengeschichte, 220 ff. 574  Darauf, dass heutzutage innerhalb der Vereinigten Staaten beileibe keine einheitliche Behandlung des IPR zu verzeichnen ist, weist beispielsweise Aubart, Dépeçage, 42 hin, die zahlreiche Ansätze überblicksartig den verschiedenen Bundesstaaten zuordnet. 575  Siehe z. B. Aubart, Dépeçage, 41; Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 225; Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 86; Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 322; Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.83 f. Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 38 spricht im Anschluss daran von „radikalen Lehren“. Zu weiteren möglichen Anknüpfungsmethoden abseits der kontinentalen und angloamerikanischen Modelle siehe Veelken, Interessenabwägung im Wirtschaftskollisionsrecht, 46 ff. 576  Zu den wenigen vorher existierenden Werken amerikanischer Autoren zum IPR siehe nur Kegel, RabelsZ Bd.  43 (1979), 609 (625 f.). 577  Dazu oben, C.III.3.b) (S.  111 ff.). 571 So 572 

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Fundament seiner Position bildete in Reminiszenz an den Gedanken der comitas die Comity of Nations,578 die das IPR ebenfalls als Resultat gegenseitiger staatlicher Zugeständnisse charakterisierte.579 Jedoch hielt er die Doktrin nach den spätmittelalterlichen Erfahrungen580 für nicht ausreichend, um a priori trennscharfe Regelungen für die Bestimmung des anwendbaren Rechts zu entwickeln.581 Neben der Befürchtung, im ungeregelten grenzüberschreitenden Rechtsverkehr nationale Regelungsbefugnisse einzubüßen, sprachen aus seiner Sicht insbesondere ökonomische Notwendigkeiten dafür, sich mit der Normanwendung im Kollisionsfall auseinanderzusetzen.582 Sein Hauptverdienst583 stellt daher die minutiöse Differenzierung möglicher Fallkonstellationen in Sachgebiete dar,584 denen kollisionsrechtliche Maximen infolge einer Analyse der einschlägigen Rechtsprechung zugeordnet wurden585. Ausgehend von seiner primären Intention, die Praxis zu untersuchen und existente Strukturprinzipien abzubilden,586 verfolgte Story eine gewissermaßen positivistische Herangehensweise auf Basis der Norm- und Entscheidungsrealität.587 In diesem Punkt unterschied er sich deutlich von Savigny, der sich zwar lobend über die Fallsammlungen seines amerikanischen Kollegen äußerte, selbst aber zuvorderst abstrakte Leitlinien schuf.588 578  Story, Commentaries, 35 ff. Einführend statt aller Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 106 und Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 222 f. Zur Rezeption dieser Prämisse in Werken europäischer Rechtswissenschaftler Kegel, AJCL Vol. 37 (1989), 39 (62); Jayme, Ideengeschichte, 291 ff. 579  Story, Commentaries, 22 ff. Seine Lehre war im Ausgangspunkt daher zweifellos territorial, siehe statt aller Sammeck, Internationale Produkthaftung, 53. Bomhoff in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 262 (273) erkennt bei Story ein „local constitutionalist thinking“. Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 35 macht einen „voluntaristischen“ Ansatz aus. 580  Für eine Analyse der mittelalterlichen Klassifizierungen siehe Story, Commentaries, 14 ff. 581 Vgl. Story, Commentaries, 19, 36. 582  Story, Commentaries, 6 f. 583  Kegel, RabelsZ Bd.  43 (1979), 609 (626): „Story schöpft nicht und reformiert nicht. Er zeigt, was ist, und führt vorsichtig weiter“. Zu diesem Eindruck auch Symeonides, American Private International Law, Rn.  108 f. 584  Siehe nur Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 52 und Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 30. 585  Story, Commentaries, Kap. III ff. Näher dazu Kegel, RabelsZ Bd.  43 (1979), 609 (627 f.). Steindorff, Sachnormen, 41 rückt Story insofern in die Nähe Savignys. 586  Story, Commentaries, 19 f. 587  Für diese Einschätzung statt aller Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 53 und Kegel, AJCL Vol. 37 (1989), 39 (52). 588  Näher zum Verhältnis der beiden Wissenschaftler Kegel, RabelsZ Bd.  43 (1979), 609 (628 f.).

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Mit diesem Umdenken in der Methodik war eine wertneutrale – und nach ihrem Selbstverständnis geradezu naturrechtliche – Konzeption des Kollisionsrechts schlechterdings nicht vereinbar, weshalb sich der Supreme CourtRichter589 derartigen Universalideen nicht widmete.590 Da Story eher eine Systematisierung als eine Theoriebildung anstrebte,591 konnte er sich von einem teleologischen Amerika-Zentrismus nicht lösen: So erklärte er, gerade den USA müsse aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verflechtungen und ihres föderalen Gefüges daran gelegen sein, die materiellen Regelungen bei internationalen Sachverhalten zu koordinieren.592 Man täte seinem Werk allerdings Unrecht, qualifizierte man es als reine Auswertung „amerikanischer Verhältnisse“: Auch wenn er die europäische Idee eines natürlichen Regelungsanspruchs nationaler Normen selbst bei grenzüberschreitendem Bezug verwarf,593 setzte er sich intensiv mit alternativen Kollisionsrechtsansätzen und -systemen auseinander594 – einer „Internationalität des Diskurses“595 verschloss er sich mithin nicht. Im Ergebnis ging er folgerichtig nicht von einer effektiven Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen, sondern von „behutsamer, vom Rechtsschutzgedanken geprägter Öffnung in Richtung ausländischen Rechts“596 aus. Weiterhin nahm Story nicht zuletzt auf Parteiinteressen Rücksicht, indem er auf die praktischen Vorteile internationalprivatrechtlicher Konzepte für die Rechtssubjekte verwies.597 In diesem Kontext darf freilich nicht verkannt werden, wie stark der Rückbezug auf individuelle Rechte in vage Öffentlichkeitsinteressen diffundierte; eine klare Trennung der jeweiligen Motivationen lässt

Zu dieser Laufbahn näher Kegel, RabelsZ Bd.  43 (1979), 609 (614 ff.). Story, Commentaries, 10. M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 20 lobt insofern, Story habe „unvoreingenommen durch pseudowissenschaftliche Axiome“ gearbeitet. 591 Siehe Kegel, AJCL Vol. 37 (1989), 39 (44 f.); Hohloch, Deliktsstatut, 79. An einer Abstrahierung der Merkmale der public policy zeigte Story hingegen kein gesteigertes Interesse, siehe Spickhoff, Der ordre public im IPR, 53. 592  Story, Commentaries, 9 f. 593  Story, Commentaries, 8 f. 594  Vgl. zu diesem Anspruch nur Story, Commentaries, 27 f. 595  Zu dieser Einschätzung Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 52 f. 596  Volken, LA Siehr, 815 (827). Mit Richman/Reynolds/Whytock, Understanding Conflict of Laws, 193 bildete die Anwendung fremden Rechts bei Story daher eine „matter of courtesy“. Inwieweit er der comity einen obligatorischen Charakter zusprach, beleuchten auch Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.13. Vgl. ferner Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 329. 597  Story, Commentaries, 6 ff. Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 31 f. unterscheidet unter Bezugnahme auf die vorgenannte Textstelle daher zwischen Storys Thesen zur „justification for the mere possibility of applying foreign law“ und denen über den „regulatory scope“ des IPR. 589  590 

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sich im Rahmen seiner Erörterungen daher kaum leisten.598 Der Conflict of Laws und die Comity of Nations sind bei Story in der Konsequenz gleichermaßen national und international, öffentlich und individuell: Den Ausgangspunkt seiner Betrachtungen bilden zwar die nationalen Interessen des Forums, diese müssen aber mit den unterschiedlichen Zielvorstellungen aller involvierten Staaten abgewogen599 und dazu eingesetzt werden, die individuellen Rechtsverhältnisse einer Person vor despotischer Bevormundung zu schützen.600 Um diese unterschiedlichen Dimensionen zu untermauern, prägte der langjährige HarvardProfessor601 schließlich den Begriff Private International Law, der die – recht missverständlichen602 – Komponenten des „Privaten“ und „Internationalen“ bewusst vermengt.603 b) Cook, Currie und Ehrenzweig: Im Zweifel lex fori In den folgenden Jahrzehnten wurden diverse kollisionsrechtliche Systemvorschläge erarbeitet,604 von denen einigen vor allem eine Prämisse gemein war: die vorrangige Beachtung des forumeigenen Rechts. aa) Cook: Local Law Theory Eine noch vergleichsweise tolerante Position gegenüber fremdem Recht nahm dabei Walter Wheeler Cook ein: Wenngleich ausschließlich das nationale Recht des zuständigen Spruchkörpers zur Anwendung gelangen könne, müsse die Richterin sich der hypothetischen Entscheidung der ausländischen Rechtsordnung weitgehend annähern und deren Rechtssätze auf diesem Wege in die lex fori „inkorporieren“.605 Der zweite Teil der Aussage darf freilich nicht dazu verleiten, sein Streben nach Gleichlauf funktionell mit der klassischen IPR-Methodik Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 33. Story, Commentaries, 34. Symeonides, American Private International Law, Rn.  115 nennt diesen Faktor in Storys Erwägungen „quasi-diplomatisch“ und „kosmopolitisch“. 600  So die treffende Analyse von Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 34 f. 601  Zu seiner Rolle als Professor Kegel, RabelsZ Bd.  43 (1979), 609 (617 ff.). 602  Zu diesem Umstand nur Schwind, Phil.-hist. Anzeiger 1959 (Nr.  6), 93 (94 f.). Darin sieht Muir Watt in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 1 (1 f.) einen wichtigen Grund für die heutigen Diskussionen zur Natur des IPR. 603  Story, Commentaries, 10. Vgl. dazu Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (666). 604  Eine grobe Übersicht bieten etwa v. Bar/Mankowski, IPR I, 533 ff. und Junker, IPR, §  4 Rn.  27 ff. Vgl. auch Sammeck, Internationale Produkthaftung, 53 ff. Neuere kollisionsrechtliche Ansätze in der amerikanischen Gerichtspraxis beleuchten Göthel, ZVglRWiss Bd.  101 (2002), 328 (334 ff.) und Joerges, Funktionswandel, 84 ff. 605  Cook, Yale Law Journal Vol. 33 (1924), 457 (469). 598  599 

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gleichzusetzen und nur in der konkreten Vorgehensweise – Verweisung vs. Einverleibung – einen Unterschied zu erblicken;606 Cook selbst unterstrich diesbezüglich die vorrangige Bedeutung des Forumrechts im Verhältnis von right und law: Ein Gericht arbeite nie darauf hin, fremde Rechte anzuerkennen und durchzusetzen, sondern suche lediglich entsprechende Muster im eigenen Normenkanon.607 Letztlich erforderten grenzüberschreitende Fälle – wie rein nationale Sachverhalte – eine Prognose dazu, wie das zuständige inländische Gericht oder sonstige „officials of society“ die Konstellation in Ansehung der bisherigen Praxis bewerten würden.608 Indem er in Ermessensspielräumen danach fragte, inwieweit Rechtspositionen mit Bezug zu ausländischen Rechtsordnungen aus Zweckmäßigkeitserwägungen (practical expediency) oder strategischen Beweggründen (policy) zu bestätigen oder zu versagen seien,609 maß er der lex fori insofern die Einschätzungsprärogative zu.610 In gewisser Weise entfernte Cook das IPR von staatlichem Kalkül,611 da er die Frage der Rechtsanwendung in Kollisionsfällen ausdrücklich nicht als machtpolitische Problematik verstand und nur ausnahmsweise eine Überlagerung durch übergeordnetes positives Recht zulassen wollte.612 Dass sozialpolitische und ökonomische Erwägungen sowie ethische Wertungen nach seinem Dafürhalten in der richterlichen Entscheidung herangezogen werden sollten, um eine „mechanische“ Anwendung bestehender Prinzipien zu verhindern,613 zeugt dennoch von einer Offenheit für hoheitliche Interessen.614 Generell ging es Cook 606  Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 225 weist zu Recht darauf hin, dass es inkonsistent erscheint, die Anwendung fremden Rechts abzulehnen, eine Inkorporierung aber zuzulassen. Ähnlich Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.37 f. und McClean/Ruiz AbouNigm, The Conflict of Laws, Rn.  2-007. Zur Kritik näher Peari, The Foundation of COL, 64 f. Dagegen führt Steindorff, Sachnormen, 19 „Gründe der Logik“ für diesen Weg an. Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (40) betont, dass es für die Frage der Nähe zum klassischen IPR v. a. darauf ankomme, wie stark ausländische Wertungen tatsächlich in die Abwägung einfließen. Die teilweise Nähe von Cooks Ansätzen zum Modell der Qualifikation im hiesigen IPR hebt Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 117 hervor. Vgl. auch Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (983). 607  Cook, Yale Law Journal Vol. 33 (1924), 457 (475 ff., 484) stützte sich in seiner Argumentation v. a. auf entsprechende Erörterungen von Judge Learned Hand. Diese Methode charakterisiert Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (969 f.) als „deskriptiv“. 608  Cook, Yale Law Journal Vol. 33 (1924), 457 (475 f.). 609  Cook, Yale Law Journal Vol. 33 (1924), 457 (470, 480 f.). 610  Symeonides, American Private International Law, Rn.  168. 611 Dies betonen etwa Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (985) und Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 147 f. Vgl. auch Zaremby, Legal Realism and American Law, 18 f. 612  Cook, Yale Law Journal Vol. 33 (1924), 457 (484 f.). 613  Cook, Yale Law Journal Vol. 33 (1924), 457 (487). 614  Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 102.

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nicht darum, mittels Abstraktion eine kollisionsrechtliche Zuweisungsnorm zu destillieren,615 vielmehr wollte er sich dem fremden Recht lediglich qua Auslegung nähern.616 Daneben widersprach er der Behauptung, die Anwendung fremden Rechts könne durch die stillschweigende Unterwerfung der Streitparteien unter dessen Geltungsbereich gerechtfertigt werden,617 negierte also mit nahezu identischer Wortwahl Savignys Thesen618 zu dieser Frage. Da Cook einer tatsächlichen Geltung fremden Rechts entgegen trat und sich einer universalistischen Konzeption widersetzte, werden seine Thesen gemeinhin als Rückschritt in der IPR-Theorie verstanden.619 bb) Currie: Governmental Interest Analysis Nahezu gänzlich auf die Seite des Forumstaates620 schlug sich Brainerd Currie, dessen schon im Erscheinungszeitpunkt als Meilenstein gefeierte621 Sammlung vorheriger Beiträge die governmental interests622 zum zentralen Maßstab für Rechtskollisionen erklärte: In grenzüberschreitenden Sachverhalten seien Sachnormen entsprechend der staatlichen Motive anzuwenden, die ihnen zugrundeliegen.623 Politischen Absichten fremder Rechtsordnungen dürfe jedoch nur Rechnung getragen werden, wenn die lex fori keine konkurrierenden Intentionen 615  Cook, Yale Law Journal Vol. 33 (1924), 457 (476) verneinte daher schon die objektive „Existenz“ von Rechten, Pflichten und Rechtsbeziehungen. 616 Dazu Joerges, Funktionswandel, 33. Nicht umsonst begann Cook, Yale Law Journal Vol. 33 (1924), 457 (457 ff.) seine Ausarbeitungen mit naturwissenschaftlich anmutenden Ausführungen zur de- bzw. induktiven Untersuchungsmethode und deren jeweiliger Verbreitung in der kontinentalen bzw. amerikanischen IPR-Diskussion. Zu diesem Aspekt auch Zaremby, Legal Realism and American Law, 17 f. 617  Cook, Yale Law Journal Vol. 33 (1924), 457 (483 f.). Zu Cooks Haltung gegenüber einer ausdrücklichen Rechtswahl durch die Parteien sei nur auf Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 71 f. verwiesen. 618  Dazu oben, C.IV.1.a)bb) (S.  122 ff.). 619 Statt aller Symeonides, American Private International Law, Rn.  168. Einschränkend aber Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 148. 620  Zu diesem Eindruck Coester-Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (8) und Michaels in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 54 (61). Nach Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 42 ist Currie daher „der erste und radikalste unter den Radikalen“. Diese Einschätzung teilen etwa Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 120 („der radikalste der amerikanischen Modernisten“), Anton/ Beau­mont/McEleavy, PIL, Rn.  2.40 und Kegel/Schurig, IPR, 199. Reed, Anglo-American Perspectives on PIL, 392 und Juenger, LA Siehr, 289 (300) qualifizieren Curries Methoden als unilateral. 621 Siehe v. Mehren, Journal of Legal Education Vol. 17 (1964), 91 (91 f.). 622  Es geht dabei nicht um Interessen à la Kegel, sondern um „rechtspolitische Wertungen“, siehe Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn.  240. Vgl. auch Vischer, Rec. 1992 I, 9 (49). 623  Currie, Selected Essays, 178 f.

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verfolge.624 Obschon Currie nicht ausschließlich machtspezifische Belange in die Abwägung einbeziehen wollte, es ihm also nicht um Hoheitsinteressen im engeren Sinne ging,625 wertete er den Aussagewert des inländischen Normkanons mit dieser Grundsatzentscheidung unverkennbar auf. Diese einseitige Bevorzugung des Forumrechts forcierte er zusätzlich, indem er die denkbaren Kon­ stellationen je nach Interessenlage als „echte“ oder „unechte“ Rechtskonflikte und indifferente Fälle kategorisierte:626 Zum einen nimmt die lex fori in jeder der drei Kategorien eine Vorrangstellung ein,627 zum anderen greift sie auch dann, wenn zwischen mehreren ausländischen Rechtsordnungen ein unauflöslicher Konflikt besteht – getreu dem Motto „wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“628. Nicht nur wird mit einer solchen Methodik die Reservefunktion von Ausnahmeinstrumenten wie dem ordre public-Vorbehalt zur Regel erhoben,629 sondern auch inhaltlich ein Forum Favouritism630 oder „etatistischer bias“631 lanciert. Die wesentlichen Aussagen finden sich bei Currie, Selected Essays, 183 f. diesem Grund kritisiert Vischer, Rec. 1992 I, 9 (55) den Begriff „Staatsinteressen“ in einigen deutschen Besprechungen von Currie. Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 49 ff. nutzt ihn hingegen bewusst. 626  Currie, Selected Essays, 107 ff. Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (987 ff.) erkennt in Curries Lösung von true conflicts den wahren Grund für dessen lexforism. Ähnlich Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 161 f. Fallbeispiele finden sich bei Joerges, Funktionswandel, 55 ff., 71 ff. und Richman/Reynolds/Whytock, Understanding Conflict of Laws, 254 ff. Der wesentliche Unterschied zu Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (141), der ebenfalls „Fälle ächter Gesetzeskollision“ von sonstigen abzugrenzen versuchte, besteht im Zuge dessen darin, dass dieser sich zu ihrer Lösung der klassischen Methodik des IPR nach Savigny bediente. Vgl. auch Beitzke, FS Smend, 1 (5 f.). 627  Zu diesem Umstand nur Sammeck, Internationale Produkthaftung, 56 f.; Juenger, LA Siehr, 289 (300); Michaels in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 54 (62). 628 So v. Bar/Mankowski, IPR I, 542. Diese Problematik unterstreicht auch Vischer, Rec. 1992 I, 9 (51 f.). St. Leger Kelly, Localising Rules in the Conflict of Laws, 27 vermisst insofern die Bereitschaft zur „reconciliation“. Roosevelt III in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 6 (17) moniert „massive systematic costs“. 629  Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 48; Joerges, Funktionswandel, 69; Peari, The Foundation of COL, 60 f. Für einen Vergleich mit Savigny siehe Michaels in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 54 (61 f.). 630  Zu diesem Begriff statt aller Symeonides, American Private International Law, Rn.  187 f. Vgl. auch Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 227 f.; Lipstein, Principles of the Conflict of Laws, 41; Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn.  240. In diesem Mangel an zwischenstaatlicher Rücksichtnahme sieht v. Mehren, Journal of Legal Education Vol. 17 (1964), 91 (97) die Gefahr einer chaotischen und auf Vergeltung ausgerichteten Praxis des Rechts im internationalen Kontext. Ebenfalls kritisch Dane, Yale Law Journal Vol. 96 (1987), 1191 (1204); McClean/Ruiz Abou-Nigm, The Conflict of Laws, Rn.  2-010. 631  Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 7, 97. 624 

625  Aus

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Durch welche Instanzen die Interessenfeststellung zu erfolgen hat, spezifizierte Currie mit Nachdruck: Er intendierte, den Einfluss der Richterinnen qua legislativer Vorgaben zu typisierten Konstellationen einzudämmen.632 Aber auch abseits klarer Richtlinien über die hoheitlichen Regelungsansprüche kommt den Spruchkörpern in seinem System zuvorderst die Aufgabe zu, mittelbar staatliche Agenden umzusetzen.633 Er betrachtete es als unerlässlich, die verfassungsrechtlich vorgegebene Entscheidung der Gesetzgebungsorgane in der Interessenanalyse abzubilden.634 Das anwendbare Recht zu bestimmen, war nach seinen Vorstellungen mithin kein verobjektivierbarer Prozess, sondern eine genuin rechtspolitische Fragestellung.635 Schon die Idee eines supranationalen ius gentium – das wie aufgezeigt in seiner antiken Ausprägung keineswegs von generellem Kosmopolitismus zeugte636 – stieß bei ihm daher auf harsche Ablehnung.637 Individuen nehmen im Rahmen des Abwägungsprozesses dagegen eine eher passive Rolle ein, wird doch primär nicht nach internationalen Interessen der Parteien, sondern nach einem staatlichen Schutzauftrag ihnen gegenüber gefragt:638 Die Rechtsfolgen einer Regelung sollen ein Rechtssubjekt danach nur dann treffen, wenn der Staat diese Wirkung unterstützt, was regelmäßig bei günstigem Ausgang für die eigenen Bürgerinnen angenommen wird.639 AusCurrie, Selected Essays, 179 ff. Joerges, Funktionswandel, 44 spricht in diesem Kontext von Gerichten als der „policy-vollziehenden Gewalt“. In diese Richtung auch Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 229 f. und Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 100. Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (992) meint dagegen, auch bei Currie eine Trennung zwischen Staats- und Richterinteressen auszumachen. Eher indifferent Sammeck, Internationale Produkthaftung, 55. 634  Currie, Selected Essays, 193 ff. 635  Einführend zu diesem Aspekt St. Leger Kelly, Localising Rules in the Conflict of Laws, 26 f.; Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (157 f.); Richman/Reynolds/Whytock, Understanding Conflict of Laws, 260; Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 323 f.; Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.49. 636  Vgl. oben, C.I.2.a) (S.  77 ff.). 637  Currie, Selected Essays, 443. 638  Veelken, Interessenabwägung im Wirtschaftskollisionsrecht, 17 Fn.  34; Rehbinder, JZ 1973, 151 (157); Vischer, Rec. 1992 I, 9 (55). Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 151 ff. merkt jedoch an, dass Briefwechsel zwischen Currie und Cavers zeigen, dass Ersterer eine gänzliche Verschiebung des Fokus von der Person zum Staat nicht im Sinn gehabt habe. Auch Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 297 betont, dass die Gesamtwürdigung der Umstände private Interessen durchaus nicht gänzlich ignoriert. Ebenfalls in diese Richtung Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (968). Nach Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 13 konzentrierten sich die governmental interests auf die Idee eines „interventionistischen Sozialstaates“ (siehe auch 50). Vgl. ferner Bernasconi, Qualifikationsprozess, 115. 639  Symeonides, American Private International Law, Rn.  180 unter Verweis auf Currie, Selected Essays, 610, 724. Siehe auch Dane, Yale Law Journal Vol. 96 (1987), 1191 (1202); Li632  633 

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ländischen Individuen Schutz angedeihen zu lassen, ließ sich aus seiner Sicht dagegen vor allem mit langfristigen Staatsinteressen im diplomatischen Verkehr rechtfertigen; Currie sprach in diesem Kontext von „wise altruism“.640 Während insofern sogar Parallelen zum Personalitätsprinzip früherer Zeiten erkennbar sind,641 leuchtet es mit Blick auf die Stoßrichtung seiner Governmental Interest Analysis insgesamt ein, Currie als „Neostatutisten“ zu bezeichnen642 – dies jedoch nur mit der Einschränkung, dass er im Gegensatz zu seinen spätmittelalterlichen Kollegen gerade nicht das Ziel vor Augen hatte, mithilfe der legislativ-teleologischen Betrachtungsweise allgemeine Kollisionsnormen zu extrahieren643. Dass sich eine Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen auf diesem Wege kaum etablieren konnte,644 akzeptierte Currie letztlich wohlwollend.645 cc) Ehrenzweig: Lex fori Approach Eine ähnliche Grundeinstellung646 nahm nur wenig später Albert Ehrenzweig ein, wobei sein sogenannter Lex fori Approach647 die Begünstigung des Forumrechts schon im Namen trägt. Ungeachtet der Tatsache, dass er die Prämissen seines Vorgängers Currie in weiten Teilen harsch kritisierte und ihm sogar bescheinigte, den „Krieg“ der Systeme faktisch verloren zu haben,648 existieren elementare pert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 52 f.; Sammeck, Internationale Produkthaftung, 55. Schinkels, FS v. Hoffmann, 390 (400 f.) bescheinigt dem Interessenbegriff von Currie wegen der klaren Zuordnungen immerhin ein „vergleichsweise geringes Irreführungspotential“. 640  Currie, Selected Essays, 446. Näher zu diesem Aspekt Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 79. 641  Joerges, Funktionswandel, 48; vgl. oben, C.I. (S.  63 ff.) und C.II.1. (S.  89 ff.). 642  Mit diesen oder ähnlichen Worten Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 67; Heller, Realität und Interesse im amerik. IPR, 120 f.; Ehrenzweig, PIL I, 65; Lipstein, Principles of the Conflict of Laws, 36; Spickhoff, Der ordre public im IPR, 55; Joerges, Funktionswandel, 154 („Neo-Comitas“). Generell zu dieser Tendenz im angloamerikanischen IPR Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 15 f. Eine Nähe zur klassischen Methodik erkennt hingegen Peari, The Foundation of COL, 4 f. 643 Vgl. Currie, Selected Essays, 180. Kritisch zu dieser Einordnung daher Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 107 f. 644  So z. B. Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 106 f.; Dane, Yale Law Journal Vol. 96 (1987), 1191 (1204); Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 231. 645  So m. w. N. die Einschätzung von Vischer, Rec. 1992 I, 9 (50). Passagen wie Currie, Selected Essays, 191 stützen diese Aussage. Einschränkend zu dieser vermeintlichen Intention Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.67. 646 Siehe zu dieser Einschätzung etwa Mühl, Die Lehre vom besseren und günstigeren Recht, 31 f. und Spickhoff, Der ordre public im IPR, 59. Vgl. auch Heller, Realität und Interesse im amerik. IPR, 123. 647  Eruiert in Ehrenzweig, PIL I, 75 ff. 648  Ehrenzweig, PIL I, 62 ff. (64).

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Berührungspunkte mit dessen Lehren:649 So lehnte auch Ehrenzweig eine allzu theoretische Konzeption des IPR ab650 und legitimierte seinen Ansatz mit der empirischen Feststellung, das Forumrecht sei in der Gerichtspraxis überrepräsentiert651. Im Ausgangspunkt entschied sich der gebürtige Österreicher652 deshalb, grundsätzlich die lex fori zu berufen, anders als Currie653 sah er zur Abkehr allerdings einen begrenzten Kanon „formulierter“ und „nicht formulierter“ rules of choice vor.654 In Ermangelung solcher Regelungen sprach Ehrenzweig der Sachnorm des Gerichtsstaates die Aufgabe zu, unter Bezugnahme auf die in ihr verkörperte policy655 zu entscheiden, ob sie ihre eigene Anwendung als gerechtfertigt ansieht.656 Ein als „Datumtheorie“ bekannt gewordener Zusatz zu seinem kollisionsrechtlichen Modell nimmt lediglich wenige Tatbestandsmerkmale von dieser Methode aus: Während local data aufgrund ihrer engen Beziehung zu einem bestimmten Ort dem dort geltenden Recht unterfallen sollen657, werden moral data als sittliche Leitbilder stets an der lex fori gemessen.658 Problematisch erscheint aus Sicht des kontinentalen IPR mit seiner Idee der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen insbesondere die letztgenannte Kategorie, spricht sie doch 649 Siehe v. Bar/Mankowski, IPR I, 542; Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (76 f.); Funken, Anerkennungsprinzip, 262 f. Diese Einschätzung teilt i.E. auch Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 23 f.: „Zwar bestehen zwischen ihren Auffassungen sehr erhebliche Unterschiede. Beide gehen jedoch von der Maßgeblichkeit der lex fori als Grundregel zur Entscheidung von Rechtssachen mit Auslandsberührung aus“. 650  Dazu m. w. N. Siehr, RabelsZ Bd.  34 (1970), 585 (589, 607 f.) und Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (49 f.). Auf Ehrenzweigs Ablehnung der Qualifikation (siehe Ehrenzweig, FS Yntema, 395 ff.) als „Pseudokonzept“ weisen Bernasconi, Qualifikationsprozess, 331 und Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 130 hin. 651  Ehrenzweig, Rocky Mountain Law Review Vol. 32 (1959), 13 (13 f.). Für eine Analyse der Rechtsprechung siehe Hessel, Albert A. Ehrenzweigs kollisionsrechtliche Lehren, 233 f. 652  Zu seinem durchaus bewegten Lebenslauf Hessel, Albert A. Ehrenzweigs kollisionsrechtliche Lehren, 3 ff. 653 Siehe Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (74), der neben einem unterschiedlichen „quellentheoretischen Ansatz“ bei Currie eine stärkere Fixierung auf den „Schutz inländischer Interessen“ erkennt. Zu ihrem Verhältnis ferner Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 89. 654  Ehrenzweig, PIL I, 85 ff. 655 Zum Begriffsverständnis in diesem Zusammenhang Jayme in: Serick/Niederländer/ Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 19 (26). 656  Ehrenzweig, PIL I, 94 ff. 657  Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 121 bezweifelt allerdings, ob Ehrenzweig bei den local data „nicht stillschweigend eine Kollisionsnorm bildet“. 658  Ehrenzweig, PIL I, 77 ff., 83 ff. sowie ders., Buffalo Law Review Vol. 16 (1966), 55 ff.

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dem inländischen Richter die Fähigkeit ab, für juristische Fragestellungen mit einem ethischen Bezug auf fremde Wertvorstellungen zu rekurrieren.659 Selbst dort, wo Ehrenzweigs IPR-Konzept den generellen Auslegungsprimat der lex fori aufzubrechen scheint,660 manifestiert sich somit „kollisionsrechtlicher Escapis­ mus“661. Die Tatsache, dass er eine eindeutige Abgrenzung der in ihren Wirkungsweisen ja gänzlich gegensätzlichen data-Formen schuldig blieb,662 verwundert daher umso mehr. In Anbetracht dieser Problematik wird in den zahlreichen Versuchen, seine Vorgehensweise methodisch in das europäische Kollisionsrecht zu implementieren,663 die Deutungshoheit des Forumrechts folgerichtig reduziert.664 Ehrenzweig selbst beteuerte in der Spätphase seines internationalprivatrechtlichen Wirkens mehrfach, die Behauptung, das Forumrecht werde gegenüber fremden Rechtsordnungen systematisch privilegiert, tue seiner Theorie Unrecht.665 Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass durch seine komplexen und häufig unscharfen Abstufungen666 den policy-Erwägungen praktisch eine große Bedeutung zukommt, die Abwägung aber wiederum ausschließlich vonseiten des Forumrechts vorgenommen wird;667 jedenfalls eine „Heimwärtstendenz“, vermutlich sogar ein „stay-at-home! trend“ ist die Folge.668 Da die Bestimmung des Forums weltweit uneinheitlich erfolgt, erweist sich die Idee, durch eine ausDiehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 63 f. Weller, LA Jayme, 53 (70) spricht insofern von einem „Abfederungsmechanismus“. 661  Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 166 ff. 662  Dazu statt vieler Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 93 und Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 131 f. Insofern a. A. Weller, LA Jayme, 53 (81 ff.). 663  Überblicksartig Diehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 66 ff. und Siehr in: Serick/ Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (107 ff.). Für wegweisende Urteile in diesem Kontext siehe nur G. Schulze, IPRax 2010, 290 (294 f.). 664  Zu diesem Eindruck etwa Hessel, Albert A. Ehrenzweigs kollisionsrechtliche Lehren, 118 f. 665  Ausführlich m. w. N. Jayme, Ideengeschichte, 192 ff. Vgl. auch Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 26. 666  Umfassend dargestellt bei Siehr, RabelsZ Bd.  34 (1970), 585 (600 ff.). Zu Vorbehalten vonseiten der Rechtsprechung siehe ders. in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (61). 667  Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 64 betont zu Recht, dass dem ordre public in diesem Modell keine eigenständige Funktion mehr zukommen kann. Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (58) mahnt allerdings dazu, die Gründe für die lex fori-Privilegierung zu hinterfragen, anstatt das Resultat zu kritisieren. 668  Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 146. Zustimmend Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 239; Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 67. Vgl. ferner Siehr, RabelsZ Bd.  34 (1970), 585 (596), der allerdings zugleich hervorhebt, dass Ehrenzweigs Lehre „keineswegs generell fremdrechts-feindlich“ sei (siehe aber 623: „rigoroses Bestehen auf der Allmacht der lex fori“). 659  660 

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gewogene Zuteilung der internationalen Zuständigkeit669 mittelbar ein Gleichgewicht zwischen den involvierten Rechtsordnungen zu erreichen, überdies als utopisch.670 Eine Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen, die Ehrenzweig in seiner Kritik am klassischen Kollisionsrecht sowieso als utopisch abtat671, kann sich auf dieser Basis nicht einstellen.672 dd) Fazit: Der Funktionalität verschrieben Trotz aller Unterschiede im Detail eint die Ansätze ihre „forumorientierte Methode“,673 weil sie sich nicht den Idealen einer wertneutralen Verweisung zwischen gleichrangigen Rechtsordnungen hingeben,674 sondern die Entschei­ dung über die Anwendung fremden Rechts im Wesentlichen der lex fori überlassen. Sowohl Cook, als auch Currie und Ehrenzweig stellten insofern politische IPR-Lehren auf, als sie bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zuvorderst nach der Motivation des Gerichtsstaates fragten,675 ohne diese Methodik wie im deutschen Kollisionsrecht an Ausnahmeinstrumente zu koppeln676. In einen Diskurs, bei dem Unterschiede zwischen den jeweiligen nationalen Regelungen zwar wahrgenommen werden, diese aber einer gleichberechtigten Verhandlungs669  Einleitend zur Idee eines „proper forum“ Richman/Reynolds/Whytock, Understanding Conflict of Laws, 276. 670  Näher dazu Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.70. 671 Vgl. Ehrenzweig, PIL I, 47 ff. Zu vermeintlichen Parallelen zwischen Ehrenzweig und v. Wächter siehe insofern nur Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (42 ff.). 672  Siehr, RabelsZ Bd.  34 (1970), 585 (599); zustimmend Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 62; siehe auch Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 128. 673 So Hessel, Albert A. Ehrenzweigs kollisionsrechtliche Lehren, 180 im Zuge einer Untersuchung zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden in Ehrenzweigs und Curries Lehren. Einschränkend Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (970 ff.). Zu Ansätzen in diese Richtung im kontinentalen IPR Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 211 ff. 674 Vgl. v. Bar/Mankowski, IPR I, 535. 675 Nach Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 17 „stellt die amerikanische Frage traditionell das ‚Politische‘ in den Mittelpunkt“. Heller, Realität und Interesse im amerik. IPR, 42 f., 79 f., 116 qualifiziert diesen Umstand als das „realistische“ Element der vorgestellten Positionen, betont aber, dass Currie sich bewusst von der empirischen Untersuchungsweise abgewandt habe. Gerade dies kritisiert Flessner, Interessenjurisprudenz, 8 f. Zu konsequentialistischen bzw. utilitaristischen Anleihen bei vielen Realisten vgl. Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (978 f.). Zaremby, Legal Realism and American Law, Preface (S. XXIII) erkennt eine Nähe zu John Locke. 676  Dass das Common Law z. B. nicht trennscharf zwischen Eingriffsnormen und dem ordre public differenziert, liegt mit Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 34 vor allem an der übergeordneten Betonung der politischen Intentionen. Vgl. auch Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn.  254. Zur Methodik im deutschen IPR oben, B.III.1. (S.  40 ff.).

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position nicht entgegenwirken,677 können die tangierten Rechtsordnungen nach diesem Verständnis nur selten treten. Im Gegenteil sieht jeder der drei Ansätze besondere Schritte vor, mit denen fremdes Recht auf Umwegen sichtbar gemacht wird, sei es qua Inkorporation in die lex fori (Cook), durch die Zuordnung zu einem true conflict (Currie) oder infolge einer rule of choice sowie als local data (Ehrenzweig). Indem das Forumrecht auf diese Weise darüber urteilt, wann ausländisches Recht in der internationalprivatrechtlichen Falllösung potentiell abgebildet werden kann, erlangt es nach Rancières Definition678 politischen Einfluss. Gründe für den Verzicht auf eine dogmatisch geprägte und wertneutrale Suche nach dem geeigneten Sachrecht lassen sich vor allem aus der speziellen Konzeption des Common Law herleiten: Da im angloamerikanischen Rechtskreis regelmäßig auf Präzedenzurteile abgestellt wird, anstatt eine strenge Subsumtion am Gesetz zu betreiben, kommt Richtern traditionell eine in hohem Maße rechtsfortbildende und -schaffende Funktion zu; dass auch im IPR die Rechtsprechung nicht nur als Vollzieherin einer übergeordneten Verweisungsordnung auftritt, erscheint deshalb folgerichtig.679 Dort, wo demgegenüber auf staatsvertragliche oder gewohnheitsrechtliche Kollisionsnormen verwiesen und die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen auf den ersten Blick partiell gefördert wird, steht der traditionelle Mangel derartiger Strukturen im Common Law einer universalen Verweisungslösung entgegen.680 Dass Theorien zum Conflict of Laws oft an einer interlokalen Perspektive zwischen den US-Bundesstaaten ansetzen, erklärt außerdem, wieso sie häufig einen im engeren Sinne internationalen Blickwinkel vermissen lassen.681 Zentrale Weichenstellungen erfolgen mithin auf 677 

Vgl. oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.). Vgl. oben, B.II.1.c) (S.  26 ff.). 679  Diesen und weitere Unterschiede zu kontinentalen Lehre bereits im dogmatischen Ausgangspunkt zeigt Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 52 f. auf. Siehr, RabelsZ Bd.  34 (1970), 585 (623) kommt insofern mit Blick auf Ehrenzweig zu dem Schluss, dass dessen Vorgehensweise an die amerikanischen Verhältnisse angepasst sei. Die generelle Rolle des Richters im legal realism beleuchtet Zaremby, Legal Realism and American Law, 63 ff. 680  So Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  100 mit Bezug zu Ehrenzweig. Die geringe Zahl kollisionsrechtlicher Staatsverträge der USA betont ebenso Göthel, ZVglRWiss Bd.  101 (2002), 328 (331). Zum aktuellen Stand siehe nur Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn.  231 ff. 681 Ausführlich Siehr, RabelsZ Bd.  34 (1970), 585 (587 ff.); Jayme in: Serick/Niederländer/ Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 19 (30 ff.); Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 44 f.; Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 196 ff. Siehe auch Hessel, Albert A. Ehrenzweigs kollisionsrechtliche Lehren, 141; Lipstein, Principles of the Conflict of Laws, 43; St. Leger Kelly, Localising Rules in the Conflict of Laws, 38; Krop­ holler, IPR, §  11 IV 2; Berger/Scholl, GS Hübner, 569 (572); Gutzwiller, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie Bd.  16 (1922/23), 468 (480 f.). Nussbaum, Grundzüge des IPR, 16 betont jedoch, dass diese Ebene über eine rein „interprovinziale“ Behandlung wie im mittelalter678 

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einer grundlegend anderen Ebene als Abwägungen im Rahmen der kollisionsrechtlichen Interessenanalyse des kontinentalen Rechtskreises, weshalb eine Nähe zum unilateralistischen Denken nicht überrascht.682 Gerade in Abgrenzung zu den vorgestellten Ansätzen wird deutlich, dass der „Pluralität“ und der „Internationalität“ im klassischen Dogma der Wertneutralität nicht umsonst eine elementare Bedeutung zukommt – erst diese Bewertungsmaßstäbe ermöglichen eine effektive Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen, die eine Verweisung losgelöst von Vorzügen für den Forumstaat ausspricht.683 c) Beale, Cavers und Leflar: Savigny am Horizont? Obgleich ebenso der Tradition des Common Law verschrieben, behandelten andere Vertreter der angloamerikanischen IPR-Bewegung die Frage nach dem heranziehbaren Recht in einer eher vermittelnden Weise; nicht die Vorteile für die lex fori sollten demnach im Vordergrund stehen, sondern globale Zweckmäßigkeitserwägungen. aa) Beale: Vested Rights Als Ausgangs- und Reibungspunkt diverser amerikanischer Theorien zum Kollisionsrecht gilt Joseph Beale, dessen Vested-Rights-Doktrin zum ersten Mal seit dem Wirken von Story ein rechtliches Gesamtkonzept für grenzüberschreitende Konstellationen darstellte.684 Beale wertete – in den Formulierungen explizit685 bezugnehmend auf die fragmentarischen Vorarbeiten durch Albert Dicey686 – Rechtspositionen aus ausländischem Recht als „Tatsachen“, denen Geltung auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten dem Grunde nach zuzulichen Italien (dazu oben, C.III., S.  99 ff.) hinausgeht. Für eine künftige IPR-Doktrin „Beyond Federalism“ spricht sich Bomhoff in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 262 (271 ff.) aus. 682  Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht, 297 f.; Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 18 f.; Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 140; Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (182 f.). Zu dieser Wertung gelangt i.E. auch Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 39 f., ohne allerdings konkret von Unilateralismus zu sprechen. 683  Vgl. oben, B.II.2. (S.  32 ff.). 684 Siehe Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 139; Symeonides, Ohio State Law Journal Vol. 46 (1985), 549 (567). Zu aktuelleren „rights-based theories“ im amerikanischen Diskurs Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (971 ff.). 685  Beale, Treatise I, 107 f. (§  74). 686 Dazu McClean/Ruiz Abou-Nigm, The Conflict of Laws, Rn.  2-006; Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 39; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 105; Ehrenzweig, Michigan Law Review Vol. 58 (1960), 637 (662 f.); Berger/Scholl, GS Hübner, 569 (574).

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gestehen sei.687 Die Wirkungserstreckung rechtfertigte er mit „allen zivilisierten Nationen gemeinen Idealen von Gerechtigkeit“,688 wodurch er sich deutlich von mehreren dogmatischen Grundideen des legal realism689 distanzierte: Zum einen kehrte er von der Vorstellung ab, ein kollisionsrechtliches Modell müsse vordergründig das wiedergeben, was in der Rechtsprechung seit jeher praktiziert wor­ den sei.690 Zum anderen wandte er sich einer prinzipiellen Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen zu,691 wobei er – wie Savigny692 – auf eine qualitative Einschränkung („zivilisiert“) nicht verzichten konnte693. Freilich erkannte auch er Grenzen der Anerkennung, die gleich in doppelter Hinsicht von der lex fori bestimmt wurden: A priori sprach Beale dem Forumrecht die Befugnis zu, darüber zu urteilen, ob ein fremdes Normsystem überhaupt bestandskräftige Rechte hervorbringen könne; a posteriori sah er eine Überprüfung anhand der internen public policy vor.694 Davon abgesehen ließ er keinen Zweifel daran, dass Staat und Recht in seinem Begriffsverständnis eine Einheit reprä­ sentierten, befasste er sich doch umfassend mit der territorialen Reichweite von Recht unter dem Blickwinkel hoheitlicher Souveränität.695 Personale An­knüp­ Beale, Treatise I, 112 f. (§  78). Beale, Treatise I, 112 (§  78) [Übersetzung des Autors]. 689  Dessen einendes Merkmal besteht darin, sich der Idee eines „formalisierten super-law“ entgegenzustellen, so Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 45. Ähnlich Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (41) und Vischer, Rec. 1992 I, 9 (45 f.). Roosevelt III, University of Pennsylvania L. Rev. Online 2015, 325 (328) sieht darin das „negative“ Element des legal realism. Ausführlich Zaremby, Legal Realism and American Law, 1 ff. 690  Statt aller Zaremby, Legal Realism and American Law, 13. Nach Roosevelt III, University of Pennsylvania L. Rev. Online 2015, 325 (328) besteht das „positive“ Element des legal realism demgegenüber darin, entscheidungsleitende Argumente der Rechtsprechung aufzunehmen, die häufig eine Nähe zu staatlichen policy-Erwägungen aufweisen. In diesem Kontext betont Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (976) eine Verbindung von Recht und Ethik. 691  So insb. die Einschätzung von Symeonides, American Private International Law, Rn.  115. Vgl. zu dessen Sichtweise auch Pointner/Wolf, ZEuP 2017, 737 (737 f.). Joerges, Funktionswandel, 30 sieht Beales Lehre daher als „Fremdkörper“ innerhalb des amerikanischen IPR an. Die daran ansetzende Kritik seitens der Realisten fassen Reed, Anglo-American Perspectives on PIL, 390 f. und Vischer, Rec. 1992 I, 9 (46 f.) zusammen. Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (967 f.) kritisiert generell die Tendenz, legal realism und lexforism als stets parallele Phänomene zu charakterisieren. 692  Dazu unter C.IV.1.a)bb) (S.  122 ff.). 693  Zur grundsätzlichen Problematik der Bezugnahme auf „zivilisierte“ Nationen H. Weber, Theorie der Qualifikation, 237 f. Vgl. auch Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 182 f. und Peari, The Foundation of COL, 128 ff. 694  Beale, Treatise I, 112 f. (§  78). Zu derartigen Abwägungen im Zuge der partiellen Abwendung vom lex loci delicti-Grundsatz Sammeck, Internationale Produkthaftung, 54. 695  Dies zeigt sich bei Beale, Treatise I, 115 ff. (§§  101 ff.) schon in den Zwischenüberschrif687  688 

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fungen, nach denen ein Rechtsverhältnis auch unabhängig von einer rein lokalen Betrachtung dem Heimatrecht einer Person unterfallen kann, stießen bei Beale insgesamt auf Ablehnung.696 Das Hauptelement seiner Lehre bleibt indes das durch eine fremde Rechtsordnung zuerkannte subjektive Recht als „Faktum“.697 „Staatszentrierter“ Natur ist sein Ansatz nur insofern, als die ursprüngliche Wirksamkeit eines Rechts stets an den Vorschriften des Entstehungsortes gemessen wird;698 sobald es sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen aus dem nationalen Recht erfüllt, überdauert es dagegen auch im internationalen Kontext.699 Beale widerstand folglich der Versuchung, eine instrumentelle Überlegenheit der lex fori anzunehmen, und reduzierte ihre Rolle darauf, als Kontrollmaßstab für bereits existente Positionen zu dienen. Was das Verhältnis seiner Lehre zum klassischen Kollisionsrecht angeht, entsteht damit ein ambivalentes Bild: Einerseits weigerte er sich strikt, ausländische Vorschriften – und nicht erst deren Resultate – vor einem inländischen Gericht zu berücksichtigen,700 sodass das IPR in seiner Theorie zu einer „Frage nach der Vollziehbarkeit“701 verkommt. Andererseits begriff Beale die Anerkennung frem­der Rechte als eine rechtliche Pflicht, wodurch er das Ermessen des zuständigen Spruchkörpers deutlich einhegte und ausländischem Recht einen großen Aktionsradius gewährte.702 Letztlich schuf er auf diese Weise ein quasi-verweisungsorientiertes System, das mit dem Entstehungsort allerdings ten („Law as a function of sovereignty“, „The extent of sovereign power“, „Jurisdiction under international law“, „Territorial jurisdiction“, „Extent of territorial power“). Nach Roosevelt III in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 6 (19) fungierte die Territorialität bei Beale daher als eine „metaphysical necessity“. Vgl. auch Volken, LA Siehr, 815 (820 f.). 696  An dieser einseitig territorialen Betrachtungsweise krankte nicht zuletzt das auf Beale zurückgehende First Restatement of Conflict of Laws, siehe nur Symeonides, American Private International Law, Rn.  116 und Göthel, ZVglRWiss Bd.  101 (2002), 328 (332). 697  Dazu nur Wendehorst, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 45 (2012), 33 (40). Diesen Punkt unterstreicht auch Heller, Realität und Interesse im amerik. IPR, 27, der hingegen mit Blick auf die tatsächlichen Übereinstimmungen in der Lösung von Rechtskollisionen Beale als direkten Vordenker des Lex fori Approach sieht. 698  Diesen Aspekt hebt Peari, The Foundation of COL, 238 hervor. In diese Richtung auch Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 140 ff. 699  Vgl. zu diesen unterschiedlichen Facetten von Beales Theorie Green, Yale Law Journal Vol. 104 (1995), 967 (968 f.). 700  Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 81 f. erkennt darin einen Rückschritt gegenüber der comitas-Doktrin (dazu oben, C.III.3.b), S.  111 ff.). 701  Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 64. 702  Zu dieser Einschätzung gelangt etwa Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 34.

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lediglich auf einem einzigen Anknüpfungsmoment basierte.703 Dass für die Frage, welche Rechtsordnung die Entstehung eines Rechts wirksam herbeiführen kann, im Grunde eine vorgelagerte separate Anknüpfungsentscheidung vonnöten ist, belegt die Zirkelschlüssigkeit dieses Ansatzes.704 bb) Cavers: Principles of Preference Vor dem Hintergrund, dass die Vested-Rights-Doktrin von vielen Autoren, unter ihnen David Cavers, harsch kritisiert wurde,705 mag seine Nennung in einer Reihe mit Beale verwundern. In der Tat rechnete Cavers bereits zu Beginn der 1930er-Jahre in einem ausführlichen Artikel mit der „theoretischen“ Schule ab, zu der er auch Beale zählte.706 Entscheidend für die Untersuchung soll indes das Verhältnis der jeweiligen Thesen zu den Idealen des klassischen IPR sein; das verbindende Element zu Beale liegt insofern darin, dass Cavers ebenfalls davon absah, die kollisionsrechtlichen Wertungen nahezu ausschließlich der lex fori zu überlassen707: So erdachte er zur Lösung von „echten“ Konflikten sogenannte Principles of Preference,708 die für mehr oder minder eingrenzbare Konstellationen Leitlinien für die Abwägung zur Verfügung stellen sollten, ohne allerdings ein Gesamtsystem zu bilden. Seine Einstellung gegenüber allseitigen Verweisungs703  Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 34 spricht von „einer überstaatlichen Anknüpfungsregel“. Vgl. Auch Peari, The Foundation of COL, 238 f. 704  Zur Kritik etwa Neuhaus, Grundbegriffe, 171; Richman/Reynolds/Whytock, Understanding Conflict of Laws, 194; Anton/Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.34; Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 33. 705 Siehe Mühl, Die Lehre vom besseren und günstigeren Recht, 15; Reed, Anglo-American Perspectives on PIL, 390 f.; Mills in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 245 (248). Vgl. auch Göthel, ZVglRWiss Bd.  101 (2002), 328 (332). 706  Cavers, Harvard Law Review Vol. 47 (1933), 173 ff. (insb. 176 und 208 Fn.  59). 707  Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 34. Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 225 sieht etwa den entscheidenden Unterschied zu Cook darin, dass Cavers die Anwendung forumfremden Rechts nicht per se ausgeschlossen habe. In Bezug auf die Governmental Interest Analysis kommt Heller, Realität und Interesse im amerik. IPR, 137 zu einem ähnlichen Ergebnis: „Cavers geht also einen weiteren Schritt über Currie hinaus, indem er nicht schlechthin einen Primat der lex fori annimmt, wenn die lex fori Anwendungsinteresse zeige“. Ebenso i.E. Spickhoff, Der ordre public im IPR, 57; Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 43 f.; Reed, Anglo-American Perspectives on PIL, 392. Zu den Gemeinsamkeiten indes St. Leger Kelly, Localising Rules in the Conflict of Laws, 35 Fn.  144. Lipstein, Principles of the Conflict of Laws, 39 bezeichnet den Ansatz von Cavers jedenfalls als gegenüber dem von Currie weniger ambitioniert, da er nur Lückenfüllung betreibe. Joerges, Funktionswandel, 53 zweifelt insofern an der „Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz“ dieser beiden Ansätze. 708  Cavers, The Choice-of-Law Process, 133 ff.

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regelungen nach dem Vorbild von Savigny war dementsprechend ambivalent: Zwar lehnte Cavers die Idee von jurisdiction-selecting-rules, mit denen gesamte Rechtsordnungen für einen Fall berufen werden709, ebenso ab710 wie die primäre Ausrichtung des Choice-of-Law-Prozesses an Systembegriffen wie dem „Domi­ zil“ oder dem situs711. Dennoch hielt er es für zielführend, aus Einzelfallentscheidungen generalisierende Annahmen abzuleiten,712 um die Entscheidung zwischen konfligierenden Sachnormen für die Praxis zu erleichtern.713 Cavers legte daher großen Wert auf die Erkenntnis, dass es eine Verkürzung darstelle, wenn der Aspekt der „Justice in the Individual Case“ als Absage an objektivierbare Leitlinien interpretiert werde.714 Vorschnell in eine „deduktive“ Methodik zu verfallen und die Anknüpfungsoptionen auf Basis nur vermeintlicher Dogmen einzugrenzen, sei allerdings der falsche Weg.715 Darüber hinaus kritisierte er die Annahme, sachrechtliche Belange müssten im kollisionsrechtlichen Prozess außer Acht gelassen werden, vehement.716 Es sei naiv, anzunehmen, die zu einer Entscheidung berufenen Richterinnen könnten den Inhalt des ausländischen Rechts und dessen Auswirkungen auf die Falllösung ignorieren.717 Indessen legte er großen Wert darauf, staatliches Kalkül von den in einer Norm verkörperten teleologischen Erwägungen zu trennen, weshalb er sich von den Begriffen policy und governmental interests ausdrücklich distanzierte.718 Bei einer Gesamtschau seiner Prinzipien fällt folgerichtig auf, dass Cavers zuvorderst nicht nach den Vorzügen einer kollisionsrechtlichen Entscheidung für den Geltungsbereich der involvierten Rechtsordnungen fragte, sondern die beteiligten Rechtssubjekte in den Blick nahm: Im Deliktsrecht strebte er hohe Schutz- und Verhaltensmaßstäbe im grenzüberschreitenden Be­ 709  Zu dieser Begrifflichkeit statt vieler Keßenich, Berücksichtigung statutsfremder Sicherheits- und Verhaltensregeln, 40 ff.; McClean/Ruiz Abou-Nigm, The Conflict of Laws, Rn.  2-008; Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (38). 710  Cavers, The Choice-of-Law Process, 30. 711  Cavers, Harvard Law Review Vol. 47 (1933), 173 (190, 197). 712  Cavers, Oklahoma Law Review Vol. 18 (1965), 357 (360 f.). Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 92 spricht insofern von „Normwahlnormen“ mit allseitiger Wirkung. 713  Cavers, Harvard Law Review Vol. 47 (1933), 173 (193 f.). Zu derartigen Entwicklungen im Anschluss an Cavers etwa St. Leger Kelly, Localising Rules in the Conflict of Laws, 36 f. 714  Cavers, The Choice-of-Law Process, 75 ff. Zustimmend Kegel/Schurig, IPR, 200. 715  Cavers, Harvard Law Review Vol. 47 (1933), 173 (194). 716  Cavers, The Choice-of-Law Process, 9: „Without taking the content of the conflicting laws into account, how could one know what would satisfy the demands of justice or the requirements of policy?“. 717  Cavers, Harvard Law Review Vol. 47 (1933), 173 (180 f., 190 f.). 718  Cavers, The Choice-of-Law Process, 96 ff. Diese Begriffe kritisiert generell Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 151 ff.

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zug an,719 im Vertragsrecht behandelte er Fragen zu Geschäftsfähigkeit und Parteiautonomie720. Von materiellrechtlichen Überlegungen ausgehend, widmete er sich so in vielen Fällen effektiv Parteiinteressen.721 Inbesondere machtpolitische Belange klammerte Cavers aus dem kollisionsrechtlichen Prozess im Wesentlichen aus: Indem er an mehreren Stellen das Gebot betonte, die internationale Natur des streitgegenständlichen Falles in die Abwägung einzubeziehen,722 näherte er sich der Vorstellung einer „internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit“ an.723 Entsprechend ablehnend äußerte Cavers sich über Ehrenzweigs forumorientierten Ansatz724: Entgegen dem Lex fori Approach seien Rechtssätze aus den „choice-of-law preferences“ abzuleiten, nicht aus den „preferences as between different domestic rules“; dass bei Ehrenzweig die lex fori im Mittelpunkt der Betrachtungen stehe („the lex fori keeps butting in“), unterscheide dessen Methode von seinen eigenen Bevorzugungsprinzipien.725 Wer den Ansatz am Sachrecht ernst nehme, müsse sich intensiv mit dem ausländischen Recht auseinandersetzen und die provinzielle „affectation of superiority“ zugunsten des Forums zurückweisen.726 Einer wirklichen Neutralität in der Anknüpfung steht indes der Umstand entgegen, dass dem „interest-weighing“ durch das Gericht in seinem Modell nach wie vor eine zentrale Rolle zukommt, dieser Prozess durch Cavers aber nicht ausreichend spezifiziert wurde.727 Ebenso wenig gelang es ihm, verlässliche AusCavers, The Choice-of-Law Process, 139 ff. Cavers, The Choice-of-Law Process, 181 ff. 721  Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 43 f.; Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 112 f.; Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 96 f. Vischer, Rec. 1992 I, 9 (55) sieht darin einen entscheidenden Unterschied zu Currie. 722  Cavers, The Choice-of-Law Process, 9, 63 f., 72 ff. (zu avoidable conflicts als zusätzliche Kategorie in der kollisionsrechtlichen Praxis). 723  Kegel, FS Lewald, 259 (271) führt daher nicht zu Unrecht an, dass man Cavers auch so verstehen könne, dass er „nur eine Verfeinerung der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit anstrebt“. Diesen Aspekt betonen ferner Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 113; Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 95 f.; Banu, 19th-Century Perspectives on PIL, 251. Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 106 zieht Parallelen zu den Ansichten von Aldricus (dazu siehe oben unter C.III.2.a), S.  103 ff.). Dazu a. A. (wohl auf Basis einer abweichenden Deutung der Lehren des Magisters) Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 95. Zu dieser Frage ferner Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (155). 724  Vgl. oben, C.IV.2.b)cc) (S.  149 ff.). 725  Cavers, Oklahoma Law Review Vol. 18 (1965), 357 (361). 726  Cavers, Harvard Law Review Vol. 47 (1933), 173 (191). 727  Stellvertretend für diese Kritik Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 106; Anton/ Beaumont/McEleavy, PIL, Rn.  2.71; McClean/Ruiz Abou-Nigm, The Conflict of Laws, Rn.  2-009. 719 Vgl. 720 Vgl.

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sagen zu der nicht unwichtigen Frage zu treffen, ob etwaige Präferenzen mittels Rechtsfortbildung oder durch die Legislative zu ermitteln seien.728 Da er den schablonenhaften Territorialismus729 seiner Kollegen730 dennoch unverkennbar aufgab, näherte er sich den kontinentaleuropäischen Idealen im IPR zumindest an.731 cc) Leflar: Choice-influencing Considerations Eine ähnliche Grundausrichtung732 lässt sich den Betrachtungen von Robert Leflar entnehmen, denn während er an der Relevanz von policies für die kollisionsrechtliche Praxis keinen Zweifel ließ,733 arbeitete er mit seinen Choiceinfluencing Considerations734 ebenso auf ansatzweise abstrahierbare Bewer­ tungsmaßstäbe hin. Wenn aus diesen Merkmalen auch keine allseitigen Verweisungsnormen à la Savigny induziert werden, so weisen sie doch teilweise eine inhaltliche Nähe zu Idealen des kontinentalen IPR auf: Auch das hiesige Kollisionsrecht arbeitet schließlich auf eine Vorhersehbarkeit der Ergebnisse, die Wahrung einer zwischenstaatlichen Ordnung und effiziente Vorgaben für die Rechtsprechung in grenzüberschreitenden Sachverhalten hin – und nimmt damit 728  Die geringe Vorhersehbarkeit und Einheitlichkeit seiner Methode erkannte Cavers, Harvard Law Review Vol. 47 (1933), 173 (197 ff.) als Problem durchaus an, sah aber die Vorteile überwiegen. Siehe auch ders., The Choice-of-Law Process, 268 ff. 729  Symeonides, American Private International Law, Rn.  174 spricht von einem „blind and mechanical territorialism of the traditional theory“. 730  Unter C.IV.2.b) (S.  144 ff.). 731  In diese Richtung etwa Richman/Reynolds/Whytock, Understanding Conflict of Laws, 277 f. Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 113 f. ordnet Cavers folgerichtig nicht als „Gefolgsmann“ Curries ein, weil Ersterer keine vergleichbare „Radikalität“ an den Tag gelegt habe. Einschränkend aber in Bezug auf die Relevanz von policies in beiden Ansätzen Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  91 und Siehr in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (72). Insgesamt bescheinigt Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 109 Cavers den Versuch, eine „Quadratur des Kreises“ zu erreichen. Joerges, Funktionswandel, 67 erkennt zumindest ein ähnlich liberales Rechtsverständnis wie bei Savigny. Dass auch Cavers allseitige Kollisionsnormen als – wenn auch fernes – Idealziel betrachtete, betont Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 96. 732  Kropholler, IPR, 540 bezeichnet Leflar demgemäß als „Parteigänger“ von Cavers. In diese Richtung auch Rehbinder, JZ 1973, 151 (152); Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 44; Spickhoff, Der ordre public im IPR, 58. Ähnlich Kegel/Schurig, IPR, 200: „Nur eine Reform erstrebt Robert A. Leflar“. 733  Leflar, American Conflicts Law, 233 f. (§  101), 241 ff. (§  104). 734  Eingeführt in Leflar, American Conflicts Laws, 243 ff. (§  105). Zu dem Einfluss von Cheatham, Reese, Yntema, v. Mehren, Trautmann und weiteren Kollegen auf Leflars Betrachtungen siehe Heller, Realität und Interesse im amerik. IPR, 161 ff.; Mühl, Die Lehre vom besseren und günstigeren Recht, 54 f.; Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 44.

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die ersten drei considerations von Leflar auf.735 Anders scheint es sich hingegen mit dem vierten Punkt, der Förderung staatlicher Forumsinteressen, zu verhalten – Leflars Aussage, der Spruchkörper solle den aus materiellen Normen destillierten Absichten des Gerichtsstaates zum Durchbruch verhelfen,736 wirkt wie eine Anleihe bei Currie und Ehrenzweig737. Im unmittelbaren Nachgang relativierte er die Ausführungen allerdings insofern, als eine Präferenz für das Forum nicht erzwungen werden dürfe: „This does not justify an unreasoning fallback on forum preference as a substitute for choice-of-law thinking. […] Too often the search for governmental interests in a particular case, especially for the purpose of sustaining application of forum law, is artificial.“738 Folgerichtig grenzte Leflar sich sogar ausdrücklich von Currie und Ehrenzweig ab, da er die Anwendung der lex fori zwar in vielen Fällen für angebracht hielt, gleichwohl indes davor warnte, die Bevorzugung des Forums als Selbstzweck anzusehen und damit einer zirkulären Begründung nachzueifern.739 Stattdessen akzentuierte er in seiner fünften Regel die Überlegung, welcher der Better Law Approach seinen Namen verdankt: Gerichte sollten die Norm anwenden, die sie etwa aus gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Gründen für die „bessere“ hielten, wobei den Spruchkörpern zuzutrauen sei, nicht in jeder Situation reflexhaft die Regel der lex fori heranzuziehen.740 Dass Richterinnen stets Subsumtion an einem konkreten Sachverhalt betreiben und vor diesem Hintergrund eine vom Einzelfall gelöste Bewertung in letzter Konsequenz kaum erfolgen kann, gestand Leflar zwar ein.741 Dennoch vertrat er – unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Cavers742 – die Überzeugung, dass die von ihm bevorzugte Entscheidung zwischen Regelungen den extremen Alternativen, also einer bloßen Abwägung zwischen den Konfliktparteien einerseits oder einer um735  Leflar, American Conflicts Law, 245 ff. (§§  106–108). Vgl. zu internationalen Perspektiven in seinem Ansatz auch Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 122. 736  Leflar, American Conflicts Law, 251 (§  109). 737  Dazu oben, C.IV.2.b)bb) (S.  146 ff.) bzw. C.IV.2.b)cc) (S.  149 ff.). 738  Leflar, American Conflicts Law, 251 f. (§  109). Nach Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 109 nimmt der Staat bei Leflar daher in Teilen die Funktion eines Wächters der Gerechtigkeit ein. 739  Leflar, American Conflicts Law, 218 f. (§  95). 740  Leflar, American Conflicts Law, 254 ff. (§  110). 741  So unter Zugrundelegung persönlicher Kommunikation mit Leflar en détail Mühl, Die Lehre vom besseren und günstigeren Recht, 59 ff. Reed, Anglo-American Perspectives on PIL, 404 schreibt Leflars Thesen als Kompromiss den Begriff substantivism zu. Kritisch zur Rolle des Richters in diesem Ansatz Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  96. Auch Richman/ Reynolds/Whytock, Understanding Conflict of Laws, 273 bezweifeln die Bereitschaft des Gerichts, das eigene Forumrecht abzuwerten. 742  Dazu oben, C.IV.2.c)bb) (S.  157 ff.).

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fassenden Wahl zwischen Staaten andererseits, qualitativ vorzuziehen sei.743 Traditionelle Instrumente des europäischen IPR wie die Qualifikation oder den renvoi lehnte er insofern durchaus stringent nicht aufgrund einer generellen Dogmenskepsis ab, sondern wegen der Tendenz, diese „gimmicks“ zielorientiert einzusetzen, um zur gewünschten Anknüpfung zu gelangen.744 Eine Gefahr, die auch aus einer kontinentalen Perspektive nicht von der Hand zu weisen ist.745 Freilich versteht sich diese Auffassung nicht als wertneutrale Herangehensweise,746 jedenfalls orientiert sie sich bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts aber weder allein an den Wertungen der lex fori,747 noch ausschließlich am materiellrechtlichen Ergebnis.748 Indem er die Bestimmung des anwendbaren Rechts in der Überzeugung, individuelle Gerechtigkeit auch abseits isolierter Einzelfallrechtsprechung realisieren zu können, partiell formalisierte, eröffnete Leflar die Chance für eine Objektivierung des Conflict of Laws.749 Aus metho­ discher Perspektive besaß sein Ansatz zudem das Potential, bei ausgewogener Anwendung der verschiedenen considerations einer Internationali­sierung des amerikanischen IPR Vorschub zu leisten.750 Ein empirischer Blick auf die prak­ Leflar, American Conflicts Law, 217 f. (§  94). Leflar, American Conflicts Law, 212 ff. (§  93). Dazu auch Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 128 f.; Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 114; Peari, The Foundation of COL, 9. Vgl. ferner Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (40). 745  Siehe etwa unter B.III.4. (S.  57 ff.), C.IV.3.b)bb) (S.  168 ff.), C.IV.4.a)cc) (S.  187 ff.), C.IV.5.f)aa) (S.  227 ff.) und C.IV.5.h) (S.  241 ff.). 746  Leflar, American Conflicts Law, 219 ff. (§  96) lehnte mit Savignys „Sitz des Rechtsverhältnisses“ vergleichbare Modelle wie den gravity test oder die Suche nach der most significant relationship ausdrücklich ab. 747  Dazu nur Lipert, Historischer Statutismus und Neostatutismus der USA, 82. 748  Dass von seinen considerations praktisch nur die better law-Komponente Eingang in die Spruchpraxis fand, kann Leflar nur bedingt angelastet werden, siehe Symeonides, American Private International Law, Rn.  194 und Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 237. 749  Mazza-Teubner, Wiederkehr der comitas, 65 betont, dass durch vorformulierte Anknüpfungstechniken die „politische Brisanz“ vergleichbarer Ansätze immerhin potentiell verringert werden könne. Vgl. auch Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 118 ff., der allerdings kritisiert, dass Leflar den Richtern keine konsistenten Handlungsanweisungen zur Verfügung gestellt habe. Auch Peari, The Foundation of COL, 10 erkennt: „The actual relation between the five ‚choice-influencing considerations‘ is somewhat vague“. Ebenso Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (162 f.); Richman/Reynolds/Whytock, Understanding Conflict of Laws, 275. Joerges, Funktionswandel, 81 warnt davor, aus Leflars teils ungenauen Formulierungen ein „Programm“ für das IPR schließen zu wollen. 750  In diese Richtung Heller, Realität und Interesse im amerik. IPR, 162. Vgl. auch Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 118 und Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 118. 743  744 

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tische Umsetzung seiner Vorschläge zeigt demgegenüber, dass der Wunsch, einer unangemessenen lex fori-Privilegierung entgegenzuwirken, ungehört geblieben ist751: Trotz der aus europäischer Sicht vergleichsweise hehren Motive leidet die gerichtliche Praxis der (Glied-)Staaten mit einem Kollisionsrecht nach Leflars Vorbild unter systematischen Fehlern (biases), infolge derer das Forumrecht priorisiert wird.752 dd) Fazit: Kollisionsrecht als Kompromiss Angesichts der schieren Menge von Einflussfaktoren und unzureichender Angaben zu deren Gewichtung vonseiten der Autoren753 erscheint es utopisch, auf Basis der verschiedenen Modelle ein wertneutrales Kollisionsrecht zu etablieren. Immerhin belegten die diversen Annäherungen an objektiv-generelle Prinzipien aber eine fortschreitende Sympathie dafür, das IPR methodisch einzuhegen – die „Wiederentdeckung des Werts einer gewissen Regelbildung“754 machte auch vor 751  Mühl, Die Lehre vom besseren und günstigeren Recht, 66 ff. Plakativ Hay, US-Amerikanisches Recht, Rn.  241: „Es überrascht nicht, dass das bessere Recht vorwiegend daheim gefunden wird“. 752  Symeonides, American Private International Law, Rn.  243 ff. führt den Pro-Forum Law Bias, den Pro-Plaintiff bzw. Pro-Recovery Bias sowie den Pro-Forum-Litigant-Bias an. Vgl. auch Reed, Anglo-American Perspectives on PIL, 413 ff.; Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 123; Rühl, Statut und Effizienz, 300; Hirse, Ausweichklausel, 179 f.; Vischer, Rec. 1992 I, 9 (113); Richman/Reynolds/Whytock, Understanding Conflict of Laws, 274. Zu technischen Schwierigkeiten des Ansatzes ferner E. Lorenz, Struktur des IPR, 99 ff. 753  Kritisch daher zu den angloamerikanischen Ideen des Kollisionsrechts im Allgemeinen v. Hoffmann/Thorn, IPR, §  2 Rn.  49. 754  Kropholler, IPR, §  11 IV 6. Zu diesem Fazit gelangen mit Blick auf Beale auch Mazza-­ Teubner, Wiederkehr der comitas, 40 f. und Joerges, Funktionswandel, 162. Überholt ist insofern jedenfalls die noch recht schonungslose Kritik von Kahn, Jh. Jhb. Bd.  40 (1898), 1 (23 f.). Die Frage nach „A Comeback of Rules?“ stellt auch Magold, Parteiautonomie im Vertragsrecht der USA, 170 ff. Umgekehrt erkennt Jayme, Ideengeschichte, 302 ebenso eine Bereicherung des europäischen Diskurses durch das US-IPR. Vgl. auch Schröder, Die Verweisung auf Mehrrechtsstaaten, 252 ff.; Roosevelt III in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 6 (20 f.); Juenger, LA Siehr, 289 (301 f.); Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  105; Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 45 ff.; Kegel/Schurig, IPR, 202 f.; Flessner, Interessenjurisprudenz, 2 m. w. N. HWB-EuP/Rühl, Unilateralismus (Bd.  II, S.  1554) manifestiert Tendenzen von „Materialisierung und Instrumentalisierung“. Schon Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 1 sprach von einem „Umbruch“. Hoffnungen in diese Richtung äußerte auch Siehr, RabelsZ Bd.  34 (1970), 585 (632). Siehe auch ders. in: Serick/Niederländer/Jayme (Hrsg.), Albert A. Ehrenzweig und das IPR, 35 (79 ff.). Nach Aubart, Dépeçage, 221 beruhen aber etwa die unterschiedlichen Positionen zur Teilrechtswahl in den beiden Rechtskreisen noch auf fehlender Übereinstimmung in den Grundprämissen. Zweigert, FS Raape, 35 (51 f.) ordnet die Aufgabe, eine Annäherung zwischen den unterschiedlichen Rechtstraditionen zu schaffen, insbesondere der anwaltlichen Praxis zu.

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dem amerikanischen Conflict of Laws nicht Halt. Diese Entwicklung kam vornehmlich der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen zugute: Obwohl sie sich in Details von Cook, Currie und Ehrenzweig entfernten, tendierten zwar auch Beale, Cavers und Leflar dazu, der lex fori eine dominante Position im internationalprivatrechtlichen Diskurs einzuräumen;755 sie erhoben die Degradierung ausländischer Rechte jedoch nicht zum System. Im Gegenteil sprachen sie dem fremden Recht die Befugnis zu, ein Rechtsverhältnis auch im internationalen Verkehr wirksam hervorzubringen (Beale) oder zumindest substantiell bei der kollisionsrechtlichen Entscheidung mitzuwirken (Cavers, Leflar). Auf verschiedenen Wegen wird so garantiert, dass auch ausländische Normsysteme das Ergebnis der grenzüberschreitenden Rechtskoordination beeinflussen können – die lex fori entscheidet mit ihnen, nicht über sie. Indem die drei Ansätze einer pluralistischen Methodik somit Vorrang gegenüber einer streng unilateralistischen Betrachtung einräumten756 und sich der Ansicht widersetzten, das Gutdünken des Forumrechts entscheide über die Sichtbarkeit757 fremden Rechts, entpolitisierten sie das amerikanische IPR teilweise. Dieser Umstand kann indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Entscheidung zwischen den Rechtsordnungen auf ein Motivbündel zurückgegriffen wird, das durch das Sachrecht und sozio-ökonomische Belange geprägt ist und sich nicht in den Interessenkatalog nach Kegel758 einfügt. 3. Die Kodifizierung des IPR in Deutschland Durch die Zunahme wissenschaftlicher Erörterungen zum Kollisionsrecht zu Savignys Lebzeiten und im Anschluss wurde eine Welle nationaler Gesetzgebungen in dem Rechtsgebiet angestoßen, weshalb die nachfolgende Periode mit Fug und Recht als „Jahrhundert der Kodifikationen im IPR“ gepriesen werden kann.759 Der letztlich nationalen Ausrichtung der legislativen Bemühungen war eine langwierige Auseinandersetzung zwischen Anhängern einer einheitlichen Betrachtung des IPR wie Ludwig v. Bar und Antoine Pillet sowie Positivisten wie Theodor Niemeyer und Albert Dicey vorausgegangen.760 Dass 755  Der von Joerges, Funktionswandel, 39 gewählten „synoptischen Darstellung als Repräsentanten einer einheitlichen Richtung“ ist daher nicht per se ein Vorwurf zu machen. 756  Vgl. zu diesem Erfordernis oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.) und B.II.2. (S.  32 ff.). 757  Zum politischen Charakter des Schritts, eine Partei aus dem „Unvernehmen“ zu lösen, siehe unter B.II.1.c) (S.  26 ff.). 758  Dazu oben, B.I.2. (S.  13 ff.). 759 So Rauscher, IPR, Rn.  36 ff. Zu den verschiedenen Etappen nationaler Gesetzeskataloge siehe Siehr, IPR, 420 ff. 760 Die jeweiligen Grundpositionen stellt Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 59 ff. überblicksartig vor. Siehe auch Kegel/Schurig, IPR, 186 f. und Gebauer in: Gebauer/Hu-

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man von einer supranationalen Lösung absah, war vor allem Rückschlägen in grenzübergreifenden Ansätzen zum Internationalen Privatrecht sowie dem damaligen Zeitgeist geschuldet, der eine entsprechende Kompetenzübertragung aus Souveränitätserwägungen unterband.761 Eine globale Analyse der Wertneutralität in den zahlreichen Gesetzeskatalogen würde den Rahmen dieser Untersuchung augenscheinlich sprengen;762 stattdessen möchte ich politische Tendenzen in der Entstehung des deutschen EGBGB von 1896 aufzeigen, dessen Art.  7–31 Teile des IPR regelten.763 Die Quellenlage erleichtert diese Aufgabe nicht unbedingt, fristete das Kollisionsrecht in der Fülle der damaligen Gesetzgebungsmaterialien doch ein Nischendasein: Motive wurden nicht veröffentlicht, der Entwurf der ersten Kommission schwieg sich zudem gänzlich über die räumliche Geltung der Rechtsnormen aus.764 a) Die Arbeiten der Vorkommission Auch das Gutachten der Vorkommission,765 das Ziele für die Ausarbeitung eines gesamtdeutschen Gesetzeswerkes und Vorschläge zur künftigen Arbeitsweise präsentierte, erwähnte das Kollisionsrecht nicht. Was das Privatrecht im Allgemeinen anbetrifft, so sprach es drei Hauptaufgaben an: erstens die Untersuchung des Gesamtbestands der im Reichsgebiet geltenden Normen des Privatrechts, zweitens eine eventuelle Angleichung der diversen Landesgesetze untereinander und mit dem gemeinen Recht sowie drittens eine übersichtliche ber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (57 ff.). Eine Einteilung einiger dieser Vertreter in „Schulen“ des IPR nimmt Zweigert, FS Raape, 35 (37 ff.) vor. Vgl. zum Stand der Wissenschaft um 1890 ferner H. Weber, Theorie der Qualifikation, 13 ff. und Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 22. 761  Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 72 ff. Zu diesem Umstand auch Basedow in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 1 (5); R. Meyer, Bona fides und lex mercatoria, 38 ff.; Keller-Kemmerer, Die Mimikry des Völkerrechts, 263 f. 762 Auch auf Ausführungen zu territorial begrenzten Bestimmungen kollisionsrechtlicher Natur in Gesetzeswerken wie dem Allgemeinen Preußischen Landrecht, dem bayrischen Codex Maximilianeus und dem vor allem in Baden rezipierten Code civil wird daher an dieser Stelle verzichtet. Näher dazu R. Meyer, Bona fides und lex mercatoria, 42; Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 90 ff.; Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (386); Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 44 ff.; Kostkiewicz, Schweiz. IPR, 100; Zellweger, Form der schuldrechtlichen Verträge im IPR, 57 f.; Melchior, Die Grundlagen des deutschen IPR, 4; Kegel/ Schurig, IPR, 177 f. Diese Gesetzeswerke sieht Schnitzer, Handbuch IPR I, 15 zusammenfassend „auf den alten Bahnen der Statutenlehre“. 763  Ursprünglich war indes geplant, die Vorschriften in das 1. Buch des BGB zu inkorporieren oder ein 6. Buch anzuschließen, siehe Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 34 Fn.  151. 764  Zu diesem Umstand Hartwieg/Korkisch/Hartwieg, Die geheimen Materialien, 23, 32; Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 40. 765  Abgedruckt in Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 170 ff.

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„Formgebung und Anordnung“.766 Man mag geneigt sein, die daraus abgeleitete Gesetzgebungsaufgabe als vermeintlich „vorstaatlich-wertfrei“767 zu titulieren. Schlussendlich handelte es sich aber um bloße, vom Wunsch einer einheitlichen Privatrechtskodifikation getragene Absichtserklärungen, denen eine inhaltliche Aussage – zumal zum ausgesparten Bereich des Kollisionsrechts – schwerlich entnommen werden kann. Ebenso wenig überzeugt es allerdings, aus den Vorschlägen zu Zusammensetzung und Kompetenzen der späteren Kommissionen bereits eine materielle Politisierung zu entnehmen.768 Die Entscheidung, in der Vorkommission neben Politikern auch Praktiker und Wissenschaftler zu Wort kommen zu lassen, belegte vielmehr das Bestreben, durch ein pluralistisches Gremium mit weitreichenden Befähigungen eine breite Akzeptanz für das spätere Gesetzbuch zu erreichen. In diesem Sinne verschrieb sich das Gutachten der Vorkommission in Bezug auf das IPR weder einer wertneutralen Vorstellung, noch stand es stellvertretend für ein an politischen Einflüssen769 orientiertes Kollisionsrecht; es schwieg schlichtweg. b) Die erste Kommission: IPR als Politikum Im nächsten Stadium, den Beratungen der ersten Kommission, wurde die Behandlung des Internationalen Privatrechts wenigstens in der Außendarstellung weitestgehend zurückgestellt.770 aa) Zweifel von „oben“ Die Gründe für diese Entscheidung sagen insofern mehr über die Position der involvierten Personen zum IPR aus, als es die eher gehaltlosen Protokolle der Diskussionen771 könnten: Erwachsen ist dieser Schritt nämlich aus Zweifeln über die methodische Verortung des Rechtsgebiets, da dessen Natur „zu nicht geringem Theile von politischen Erwägungen abhänge“.772 Nicht zuletzt die einflussreiche preußische Regierung teilte diese Bedenken unter Verweis darauf, Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 170 f. So (letztlich einschränkend) Hartwieg, Tatsachen- und Normarbeit im Rechtsvergleich, 6. Zur Vorstaatlichkeit des Privatrechts i.A. Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 95 ff. 768  Derart aber Hartwieg, Tatsachen- und Normarbeit im Rechtsvergleich, 6 f. 769  Zu denen diese Untersuchung wohlweislich nicht das schiere Tätigwerden von Gesetzgebungsorganen zählt, siehe oben unter B.II.2. (S.  32 ff.). 770  Zu diesem Eindruck statt aller Kegel/Schurig, IPR, 204. 771  Der Öffentlichkeit erstmals zugänglich gemacht durch Hartwieg/Korkisch, Die geheimen Materialien, 75 ff. 772  Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 316. Zu dieser Problematik auch Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 40 f. 766 

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dass es an einer Sicherheit des „gleichen Verfahrens vom Auslande“ fehle.773 Wie empfindlich die Angelegenheit durch etliche Gremien und Würdenträger774 behandelt wurde, belegt die Qualifizierung der Korrespondenzen775 als „geheim“ und „vertraulich“.776 In der abschließenden Bitte um Nichtveröffentlichung durch Otto von Bismarck zeigte sich erneut die Überzeugung, das IPR unterfalle dem Völkerrecht: Dem Reichskanzler zufolge eignete es sich primär zur gegenseitigen Gewährung in Staatsverträgen777, wohingegen ein verschriftlichter Normenkanon die Verhandlungsposition nach seinem Verständnis schwächte.778 Von diesem Argwohn geleitet reichten sodann neben dem Bundesrat779 unter anderem die Regierungen von Mecklenburg-Schwerin und Bayern ähnliche Stellungnahmen ein, bevor die mit einem alternativen Entwurf beauftragten Hansestädte schließlich den offenen Bruch mit der – im Folgenden erläuterten – Konzeption Gebhards suchten.780 Inhaltliche Lücken entstanden somit vor dem Hintergrund, „den Wunsch nach außenpolitischer Bewegungsfreiheit mit den von den Kommissionen betonten Bedürfnissen in Einklang zu bringen“;781 zuvorderst ging es um die Sicherung der eigenen Regelungsmacht, nicht um den Respekt vor fremder Souveränität782. In dieser Hinsicht verfielen die Entscheidungsträger trotz der wissenschaftlichen Errungenschaften von Savigny in nachgerade antike Argumentationsmuster, die bereits bei Aristoteles für einen lediglich marginalen rechtlichen Umgang mit fremden Staaten gesorgt hatten.783 Ausländischem Recht wurde dadurch eine allgemeine Sichtbarkeit im Kollisions-

Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 324. Von welchen verschiedenen Seiten Druck auf die Mitglieder der Kommission ausgeübt wurde, fasst Hartwieg/Korkisch/Hartwieg, Die geheimen Materialien, 32 ff. zusammen. 775  Abgedruckt bei Hartwieg/Korkisch, Die geheimen Materialien, 159 ff. 776  Da die Entscheidungsträger diese Verschwiegenheit scheinbar unreflektiert fortführten, prägte sie auch noch die Arbeitsweise der zweiten Kommission, siehe Hartwieg/Korkisch, Die geheimen Materialien, 194 ff. 777  Zu den bis dato geschlossenen Staatsverträgen siehe Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 312 f. 778  Diese Sichtweise Bismarcks wurde den zuständigen Staatssekretären und Räten in einem Schreiben des Auswärtigen Amtes unverblümt mitgeteilt, siehe Hartwieg/Korkisch, Die ge­ heimen Materialien, 160. Zu dessen Position auch Kegel/Schurig, IPR, 204; Sonnenberger, ZVglRWiss Bd.  100 (2001), 107 (108); Nojack, Exklusivnormen im IPR, 5; Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (294); H. Hübner, BGB AT, Rn.  61. 779  Näher zu dessen Rolle Melchior, Die Grundlages des deutschen IPR, 31 ff. 780 Dazu Behn, Einseitige Kollisionsnormen des EGBGB und Gebhard, 33 ff., 36 ff., 77 ff. 781  Hartwieg, RabelsZ Bd.  42 (1978), 431 (440). 782  So aber Boosfeld in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 15 (19). 783  Vgl. oben, B.II.1.a) (S.  19 ff.). 773 

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fall abgesprochen; es sollte darauf angewiesen sein, in einem politischen Akt784 mit dem inländischen Normenkanon gleichgestellt zu werden. bb) Gebhards Entwürfe: IPR mit Zukunft Von enormem Wert für die historische Betrachtung der Art.  7–31 EGBGB sind zudem die „Motive“785 von Albert Gebhard,786 der für die beiden Vorentwürfe verantwortlich zeichnete und mit seinen Erläuterungen heutigen Kollisionsrechtlerinnen die Chance eröffnet, die Evolution des Grundbestands deutscher IPRNormen nachzuvollziehen.787 Schon in der Einleitung seines Erstentwurfs erteilte er einer völkerrechtlichen Konzeption des Internationalen Privatrechts eine Absage, indem er die entsprechenden Regelungen als Teil der Privatrechtsordnung charakterisierte und für eine grundsätzlich allseitige Natur der Kollisionsnormen plädierte.788 Des Weiteren verwahrte er sich wegen der – über bloße Gefälligkeit und eigennützige comitas hinausgehenden789 – „Koexistenz anderer gleichberechtigter Staaten“790 gegen eine forcierte Bevorzugung der lex fori, um die zunehmende Globalisierung des täglichen Lebens auch im Recht abzubilden.791 Dennoch beanspruchte die Ebenbürtigkeit der Rechtsordnungen in seinem Denken keine Allgemeingültigkeit: Während er im Verkehr mit christlichen Staaten für eine Verweisungslösung einstand, sprach er sich dafür aus, die kollisionsrechtlichen Beziehungen zum „nicht innerhalb der Rechtsgemeinschaft“ befindlichen Rest der Welt lediglich auf staatsvertraglicher Ebene zu klären.792 Im Ausgangspunkt setzte sich Gebhard mithin für einen gleichberechtigten und freien Diskurs nach Arendts Vorbild793 ein, in dem Pluralismus allerdings nur in Grenzen akzeptiert wurde.

Vgl. die Ausführungen zu Rancières Thesen unter B.II.1.c) (S.  26 ff.). Zur begrifflichen Abgrenzung von den offiziell veröffentlichten Motiven siehe Hartwieg/Korkisch/Hartwieg, Die geheimen Materialien, 32. 786  Zu seiner Person und einem Werkeverzeichnis vgl. Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 73 f. (Jahnel). 787  Besonders die Vollständigkeit seiner Entwürfe gegenüber der Endfassung fällt dabei unmittelbar ins Auge, siehe v. Bar/Mankowski, IPR I, 528. Sonnenberger, ZVglRWiss Bd.  100 (2001), 107 (108) spricht insoweit von der Endfassung als „Torso“. 788  Im Original abgedruckt bei Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 39 ff. Diese Seite von Gebhards Erörterungen bezeichnen v. Bar/Mankowski, IPR, 529 als „nationalistisch“. 789  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 36. 790  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 23. 791  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 28. 792  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 60 ff. 793  Vgl. oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.). 784  785 

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In Anbetracht dieser vergleichsweise fortschrittlichen Prämissen erscheint es kaum verwunderlich, dass er unter den IPR-Theorien vorheriger Jahrhunderte Savignys Thesen die größte Überzeugungskraft zusprach, wenngleich er den Mangel an eindeutigen Zuordnungskriterien für die Sitzbestimmung nicht verkannte.794 Trotz der praktischen Unzulänglichkeiten stellte der langjährige Badische Ministerialrat sich methodisch auf die Seite des preußischen Gelehrten, indem er die Bestimmung der zu berufenden Rechtsordnung zumindest formal auf eine abstrakt-neutrale Ebene emporhob: „Der Richter soll das Recht anwenden, welches bei objektiver, die Besonderheiten der Verhältnisse und die Regel des Lebens berücksichtigender Würdigung als das vernünftigerweise anwendbare Recht erscheint.“795 Einen Ausschluss fremden Rechts befürwortete er höchstens für einzelne, streng zu begrenzende Normkomplexe und in Konstella­ tionen, in denen dies notwendig erschien, um ein vorhersehbares Ergebnis zu garantieren und hinkende Rechtsverhältnisse zu vermeiden.796 Einzig §  33 aus Gebhards Erstentwurf weicht als historisches Relikt von diesem Grundsatz ab: Vermöge dieser Vorschrift sollte eine ausländische Rechtsordnung nämlich dann insgesamt für unerheblich erklärt werden, wenn sie bestimmten Individuen die Rechtssubjektqualität qua Sklaverei absprach.797 Ungeachtet seiner Grundhaltung lässt sich allerdings eine mal subtile, mal auffällige Überbetonung deutscher Interessen in seinen Normvorschlägen und Begründungen nicht von der Hand weisen: Staatsfremden wollte er eine kollisionsrechtliche Gleichbehandlung etwa in den Erläuterungen zur Vormundschaftsregelung nur zuerkennen, sofern deren Heimatstaat deutschen Reichsangehörigen ähnliche Vorteile gewährte.798 Ferner schuf er mit §  39 des ersten Entwurfs eine allgemeine Reziprozitätsklausel, die unverkennbar politischem Kalkül entsprang.799 Eine Präferenz für das inländische Recht jedenfalls in der Praxis belegt der Entwurf zu §  38, weil darin eine Pflicht des Richters zur gutachterlichen Kenntniserlangung über ausländisches Recht verneint und die Möglichkeit der Revision im Bezug auf ausländisches Recht erheblich eingeschränkt wurde.800 Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 31 f., 41 f. Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 50. 796 Vgl. Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 49 (im Rahmen der Diskussion um die Möglichkeit einer Rechtswahl). 797  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 255 f. Zu entsprechenden Vorgaben bei Savigny schon oben, C.IV.1.a)cc) (S.  127 ff.). 798  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 222 f. 799  Zu den Motiven siehe Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 300: „Die Retorsion ist eine politische Maßregel, ‚nicht ein Glied des Rechtsorganismus, sondern ein Gebot der Politik, ein völkerrechtliches Mittel der Einwirkung auf einen fremden Staat‘“. 800  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 294 ff. 794  795 

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Daneben begründete Gebhard den Entschluss, in §  31801 eine Rückverweisung nur zugunsten des deutschen Rechts zuzulassen, mit unilateralen Beweggründen: Zwar gestand er selbst ein, dass der renvoi die endgültige Bestimmung des anwendbaren Rechts vom Einfluss des nationalen IPR entfernt;802 dies sei aber hinzunehmen, sofern den deutschen Normen so in der Summe „ein weiterer, die Sicherheit des inländischen Rechtsverkehrs fördernder Herrschaftskreis“ – ergo eine weitere Machtsphäre – zugewiesen werde.803 Näherer Betrachtung bedarf noch die Frage, an welchen Idealen er die Kollisionsnormen ansonsten zu messen gedachte: Zum einen führte der Redaktor wertneutrale Aspekte wie die Rücksicht auf den internationalen Verkehr und eine grundlegende Vorhersehbarkeit der jeweiligen Anknüpfungspunkte an, zum anderen national konnotierte Elemente wie die Förderung von Inländerinteressen, die Abwehr von Störungen des einheimischen Verkehrs, die Vermeidung von Eingriffen in bestehende Staatsverträge804 und die Aufrechterhaltung des Nationalbewusstseins im Ausland befindlicher Deutscher805. Während die Motive aus dem ersten Satzteil sich in das Interessenbündel nach Kegel806 eingliedern, lassen die weiteren Maßstäbe eine internationale Perspektive807 vermissen.808 Eine solche Vermengung objektiver Prinzipien mit vordergründig deutschen Sichtweisen findet sich exemplarisch in der Argumentation für die Staatsangehörigkeit im Rahmen des Personalstatuts: So orientiert sich die Aussage, die persönlichen Verhältnisse erforderten „eine dem Wechsel möglichst entrückte Regelung“,809 mit der Vorhersehbarkeit der Anknüpfung an einem Ziel, das auch im klassischen IPR gilt. Demgegenüber dürften die Bezüge zu der „Würde des Deutschen Reiches“ und dem „politischen Interesse“810 an einem 801  Vgl. die Endfassung von Art.  27 EGBGB (1896), veröffentlicht im Deutschen Reichsgesetzblatt Band 1896, Nr.  21, 604 (609). 802  An dieser vermeintlichen Inkonsistenz in der Argumentation setzte auch die Kritik von Kahn, Jh. Jhb. Bd.  36 (1896), 366 (369 ff.) an. 803  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 252. Zu diesem Aspekt auch Sonnentag, Renvoi, 28. Behn, Einseitige Kollisionsnormen des EGBGB und Gebhard, 279 weist allerdings darauf hin, dass Gebhard auf diesem Wege zugleich den internationalen Entscheidungseinklang zu fördern gedacht habe. Vgl. ferner Kegel/Schurig, IPR, 205. 804  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 45 (vgl. auch 304). 805  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 42. 806  Zu dessen Interessenlehre siehe oben unter B.I.2. (S.  13 ff.). 807  Vgl. oben, B.II.2. (S.  32 ff.). 808  Der Einschätzung von Hartwieg, Tatsachen und Normarbeit im Rechtsvergleich, 7 f. zu den politischen Argumentationsmustern bei Gebhard ist daher teilweise, nicht jedoch in ihrer Allgemeingültigkeit zuzustimmen. 809  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 55. 810  Zu diesem Motiv bei Gebhard auch Behn, Einseitige Kollisionsnormen des EGBGB und Gebhard, 7.

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„Gefühl der Zusammengehörigkeit“811 in einer wertneutralen Sitzbestimmung eigentlich keinen Platz finden.812 Von einer nationalen Perspektive zeugen ferner die von Gebhard vorgesehenen Ausnahmen zum Prinzip der Vermögenseinheit813: Zum einen fragte er nicht abstrakt nach der Möglichkeit, inländisches Recht auf außerhalb der Landesgrenzen belegene Vermögens- und Eigentumspositionen auszudehnen, sondern explizit nach der Chance, dem deutschen Recht einen zusätzlichen Geltungsraum zu verschaffen; zum anderen rückte er den Schutz von Privilegien zugunsten adeliger Stamm- oder „Lehn- und Familien­ fideikomißgüter“ aus dem deutschen materiellen Recht in den Vordergrund.814 Nachgerade ein Musterbeispiel dafür, politische Elemente bei der Anknüpfung auszuklammern, gelang Gebhard hingegen in seinen Ausführungen zur Geltung der lex domicilii des Schuldners für vertragliche Ansprüche, bestechen sie doch durch methodische Präzision und eine profunde Analyse der in Literatur und Gesetzeswerken vertretenen Meinungen.815 In seiner Kritik an abweichenden Anknüpfungen816 am Entstehungs-, Erfüllungs- oder Prozessort bezog er sich folgerichtig auf kollisionsrechtlich unbedenkliche Erwägungen,817 aus denen keine Präferenz für eine bestimmte Rechtsordnung sprach. Darüber hinaus definierte Gebhard die Leistung des Schuldners als das „Wesen der Obligation“818 und wählte damit einen schon in der Wortwahl objektiven Ansatz. Indem er betonte, kein Staat dürfe seinen materiellen Vorschriften einen „kosmopolitischen Charakter“ zuschreiben und den Gerichtsstand nutzen, um die eigene Herrschaft über Rechtspositionen auszudehnen,819 argumentierte er nicht zuletzt mit der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen. Entsprechend scharf fiel seine Kritik an denjenigen aus, die stattdessen auf das forum contractus abstellen wollten: Die Maßgeblichkeit des Rechts am Erfüllungsort entspringe einer rein „legislativpolitischen Erwägung“ zur Zweckmäßigkeit im gerichtlichen Verfahren, Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 58 (vgl. auch 307). Vgl. auch Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (762 f.). 813  Zu den Gründen für die Sonderbehandlung Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (46 f.). Dazu näher Thoms, Einzelstatut bricht Gesamtstatut, 25 ff. und Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 29 f. Vgl. ferner Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 549. Für die parallele Behandlung noch in der Reform von 1986 siehe C.IV.4.a)cc) (S.  187 ff.). 814  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 197 f. (vgl. auch 348 f.). 815  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 133 ff. 816  Zur damaligen Verbreitung der verschiedenen Sichtweisen in der Rechtsprechung siehe Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 325 ff. (mit kritischer Würdigung und Verteidigung des Vorentwurfs durch Gebhard). 817 Vgl. Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 141 (Sicherheit des Rechtsverkehrs), 142 (Vermeidung von dépeçage), 143 f. (Vorhersehbarkeit für die Parteien). 818  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 145. 819  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 141, 144, 147. 811 

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ignoriere aber die kollisionsrechtliche Suche nach dem sachnächsten Nor­men­ kanon.820 Dagegen bot der Bereich des Internationalen Familien- und Erbrechts bereits in der Frühphase der Entstehung des EGBGB eine ausgesprochene Projektionsfläche für politische und gesellschaftliche Motive.821 Auffällig ist in diesem Kontext, dass gerade für die güterrechtlichen Fragen internationaler Ehen der Fokus eher auf Rechtssubjekte – namentlich den Staat und den männlichen Ehepartner –, als auf die objektive Natur des Rechtsverhältnisses gelegt wurde: Die Staatsangehörigkeitsanknüpfung fußte bei Gebhard auf dem Urteil, Normen über vermögensrechtliche Beziehungen der Ehegatten zueinander offenbarten nationale Grundannahmen über diese Form des Zusammenlebens, weshalb der Staat die entsprechenden „ethischen, sozialen und politischen Anforderungen“ nicht an sein Territorium, sondern seine Staatsbürger knüpfen wolle.822 In ähnlicher Weise traten in der Ansicht, allein das Personalstatut des Mannes beherrsche die Ehe, gesellschaftspolitische Anschauungen über die vermeintliche Abhängigkeit der Frau von ihrem Gatten823 zutage. Zusätzlich wurde diese auf das Recht übertragene Dominanz des Mannes durch Regelungen wie §  21 des ersten Entwurfs akzentuiert, der für die Frage der „Ehelichkeit“824 des Kindes wie selbstverständlich selbst bei einer Witwenstellung der Frau zum Geburtszeitpunkt das väterliche Heimatrecht zur Anwendung berief.825 Diese starke Rückbesinnung auf die vermeintliche Stellung des Mannes als Familienpatron im IPR ist aus heutiger Sicht insofern erstaunlich, als das Reichsgericht schon im Jahr 1884 fortschrittlichere Wege eingeschlagen hatte: Obwohl auch die Richter den Mann grundsätzlich als „Haupt der Familie“826 qualifizierten, stellten sie für die Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 141. Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 288 erklärt diesen Befund überzeugend mit der „Versorgungsfunktion“ des Familien- und Erbrechts. Vgl. zu diesem Umstand auch Czernich in: Arnold/Laimer (Hrsg.), Güterrechtsverordnungen, 487 (488 f.); Greb, StudZR-Wiss On 2015, 271 (272); W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (494); Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289 (1289); Gruber in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Migration und IPR, 169 (182); Mankowski, FamRZ 2018, 1134 (1134). 822  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 192 (vgl. auch 338). 823  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 174, 183 (der Mann als „Haupt der Ehe“ bzw. „Haupt der Familie“). Eine Wertneutralität verneint insofern statt aller Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 150. Siehe auch Beitzke, FS Smend, 1 (19 f.). Nach Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (478) ging es daneben um eine „Materielle Harmonie der sachlichen Lösungen“. Vgl. ferner oben, C.IV.1.a)cc) (S.  127 ff.). 824  Diese Frage an sich leitete sich gewiss ebenso aus den damals geltenden sozialen Anschauungen ab und spielt im heutigen deutschen Kollisionsrecht keine Rolle mehr, siehe nur Kropholler, IPR, §  48 IV 1 b). 825  Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 206 f. 826  RG v. 07.06.1884 – I 80/84, RGZ 12, 235 (237). 820  821 

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Frage nach dem anwendbaren Scheidungsrecht für jeden Ehegatten separat auf sein personales Recht ab.827 c) Die zweite Kommission: Zwischen hehren Zielen und altem Denken Wer sich näher mit den Protokollen über die Beratungen der zweiten Kommission befasst, mag über das hohe Problembewusstsein überrascht sein, mit dem Natur und Daseinsberechtigung des IPR diskutiert wurden: Mit einem besonderen Gespür für die internationale Dimension des Kollisionsrechts betonten die Entscheidungsträger, dass die Souveränität der tangierten Staaten zur Rechtsetzung gewahrt werden solle und das IPR deshalb Aussagen über das „Ob“ der Anwendung treffen, das „Wie“ aber nicht determinieren dürfe.828 In diesem Kontext schien der Respekt gegenüber fremden Staaten – anders als nach dem comitasGedanken829 – nicht auf einem einseitigen Entgegenkommen zu beruhen,830 sondern auf der „Gleichberechtigung der Kulturstaaten“831. Dass es überhaupt legislativer Vorgaben im IPR bedurfte, wurde ebenfalls mit der grenzüberschreitenden Relevanz der Materie begründet: Da weder aus der „Natur der Sache“ eine Formel herzuleiten sei, noch eine unmittelbare oder „analoge“ Anknüpfung an den materiellen Vorschriften in Anbetracht der zwischenstaatlichen Verhältnisse angemessen erscheine, müsse der Gesetzgeber tätig werden.832 Die Lesungen und Diskussionen waren indes nicht allein durch eine wertneutrale Suche nach dem räumlich besten Recht gekennzeichnet: Von verschiedenen Seiten wurde beispielsweise (im Ergebnis erfolglos833) erwogen, für Ausländer – in Abkehr vom generellen Personalstatut – allein das deutsche Recht für maßgeblich zu erklären, sofern die jeweilige ausländische Rechtsordnung nicht ebenso dem Fremden die Behandlung seiner persönlichen Verhältnisse nach seinem Heimatrecht erlaube.834 Es sei „aus Gründen der allgemeinen Staatspolitik“ unerlässlich, Ausländern rechtliche Vorteile nur bei verbürgter Gegen827 

Eine Besonderheit bestand indes darin, dass in RG v. 07.06.1884 – I 80/84, RGZ 12, 235 (238) eine Entscheidung zwischen religiösen Rechten verschiedener Konfessionen getroffen werden musste, wobei auf kollisionsrechtliche Grundsätze zurückgegriffen wurde. Vgl. auch Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 354 f. 828  Achilles/Spahn/Gebhard, Protokolle VI, 1 f. 829  Dazu näher oben, C.III.3.b) (S.  111 ff.). 830  M. Wolff, Das IPR Deutschlands, 26 sieht darin eine globale Entwicklung, die sich in den frühen Kodifikationen europäischer Staaten widerspiegelt. 831  Achilles/Spahn/Gebhard, Protokolle VI, 2. Der ferner geäußerte Wunsch, „politische Verwickelungen“ zu vermeiden, dürfte daneben eher deklarativer Natur gewesen sein. 832  Achilles/Spahn/Gebhard, Protokolle VI, 3, 5. 833  Vgl. die Endfassung von Art.  7 EGBGB (1896), veröffentlicht im Deutschen Reichsgesetzblatt Band 1896, Nr.  21, 604 (605). 834  Mugdan, Materialien I, 259.

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seitigkeit zuzugestehen, wie es auch in Bereichen des Wirtschaftsrechts gängiger Praxis entspreche.835 Ferner wurde auf die vermeintlichen Nachteile für Inländer hingewiesen, wenn ein als solcher nicht erkennbarer Ausländer sich am wirtschaftlichen und sozialen Leben in Deutschland beteilige, dabei jedoch in persönlichen Beziehungen seinem Heimatrecht unterworfen bleibe.836 Eine eventuelle „Schädigung deutscher Interessen“ erblickten einige Kommissionsmitglieder im Übrigen in ausländischen Vorschriften, die in Erbfragen für Immobilien einen Bruch mit dem fundamentalen lex rei sitae-Grundsatz des Internationalen Sachenrechts zugunsten des eigenen Rechts vollzogen.837 Dass dann mit Art.  31 EGBGB (1896)838 tatsächlich eine allgemeine „Retorsions-Vorschrift“, die als politische Option die Anordnung von Vergeltungsrecht vorsah, den kollisionsrechtlichen Teil der Kodifikation abschloss, zeigt unmissverständlich auf, wie tief verwurzelt der Gedanke von Fremdrechtsanwendung als „Konzession“ war.839 Nicht nur in dieser Norm trat die machtpolitische Auffassung zutage, Kollisionsrecht sei auch dazu gedacht, eine juristische Übervorteilung durch den „Feind“840 zu verhindern. In welchem Maße gesellschaftliche Wertvorstellungen die Bestimmung des anwendbaren Rechts beeinflussten, lässt sich erneut vornehmlich im familienrechtlichen Kontext nachzeichnen: Zur Frage, welches Recht für die Ehemündigkeit oder im Fall von Ehehindernissen eingreifen solle, lehnten einige Stimmen die kumulative Relevanz der Statute beider Verlobten mit dem schon bekannten

Mugdan, Materialien I, 259, 261. Das Prinzip der Gegenseitigkeit in dieser Ausprägung qualifizieren v. Bar/Mankowski, IPR I, 530 als „Gegenstand geistloser Machtpolitik“. Generell ablehnend zu einer derartigen Vorgehensweise Zeppenfeld, Die allseitige Anknüpfung von Eingriffsnormen, 149. 836  Achilles/Spahn/Gebhard, Protokolle VI, 13 f. Nach Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 547 f. charakterisierte die regelmäßig mitschwingende Frage nach den Auswirkungen einer Rechtsmaterie auf das soziale Leben speziell in Deutschland den Umgang mit dem IPR insgesamt. 837  Mugdan, Materialien I, 302. 838  Dieser lautete: „Unter Zustimmung des Bundesraths kann durch Anordnung des Reichskanzlers bestimmt werden, daß gegen einen ausländischen Staat sowie dessen Angehörige und ihre Rechtsnachfolger ein Vergeltungsrecht zur Anwendung gebracht wird.“, vgl. die Veröffentlichung im Deutschen Reichsgesetzblatt Band 1896, Nr.  21, 604 (609). 839  Mit dieser zutreffenden Wortwahl statt aller Jayme, Ideengeschichte, 167. Auch das LG Nürnberg-Fürth v. 24.06.1954 – 4 S 96/53, BayJMBl.  54, 222 wertete die Vorschrift daher als „in erster Linie politische Maßnahme“, die stets einen „äußersten Notbehelf“ darstelle. Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 129 betont in diesem Kontext zu Recht, dass die Norm zwar nie Anwendung gefunden hat, allein ihre Existenz aber bereits zur Beeinflussung fremden Staatshandelns geeignet ist. 840  Vgl. oben, B.II.1.b) (S.  22 ff.). 835 

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Argument ab, die Ehe gehöre allein dem Recht des Mannes.841 Diese Sichtweise wurde in der finalen Fassung842 nicht etwa unter dem Primat der Gleichberechtigung verworfen, sondern mit Verweis auf eventuelle Nachteile für die Abkömmlinge.843 Insbesondere aus den Art.  15, 17 und 18 EGBGB (1896)844 spricht die patriarchalische Grundhaltung der „Väter“845 dieser Kodifikation, wurde dort für das Güter-, das Abstammungs- und das Kindschaftsstatut doch vordergründig auf den Vater und seine deutsche Staatsangehörigkeit rekurriert; leider konnte die rechtliche Diskriminierung der Frauen in der Folge erst durch gesellschaftlichen Wandel abgeschwächt werden. d) Fazit: Machtkalkül und Gesellschaftspolitik anstelle von unparteiischer Verweisung Beschäftigt man sich näher mit dem Werdegang der ersten gesamtdeutschen IPR-Kodifikation, nährt schon die schiere Masse an Änderungen im Inhalt und Reduzierungen im Umfang des finalen Gesetzeswerks gegenüber den frühen Entwürfen die Vermutung, dass die Bestimmung des anwendbaren Rechts nicht ausschließlich methodisch-objektiven Prämissen folgte. Aus den aufgezeigten Beispielen geht deutlich hervor, dass die Art.  7–31 keineswegs frei von politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Beeinflussung entstanden, ja sogar von derartigen Implikationen durchzogen waren. Nicht umsonst regten sich bereits im ausgehenden 19.  Jahrhundert und in den Folgejahren zahlreiche Stimmen mit der Einschätzung, die rudimentäre Form der endgültigen Fassung sei auf politische Erwägungen zurückzuführen.846 Indem die Entscheidungs841  Mugdan, Materialien I, 281. Vgl. schon C.IV.1.a)cc) (S.  127 ff.) und C.IV.3.b)bb) (S.  168 ff.). 842  Vgl. die Endfassung von Art.  13 EGBGB (1896), veröffentlicht im Deutschen Reichsgesetzblatt Band 1896, Nr.  21, 604 (606). 843  Mugdan, Materialien I, 281 f. 844  Vgl. die Endfassung von Art.  15, 17 und 18 EGBGB (1896), veröffentlicht im Deutschen Reichsgesetzblatt Band 1896, Nr.  21, 604 (606 f.). 845  Für Kurzbiografien der – wie der Begriff „Väter“ suggeriert nahezu ausnahmslos männlichen – Mitglieder der verschiedenen Kommissionen siehe Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 69 ff. (Jahnel). 846  So bspw. Edelmann, BöhmsZ VIII (1898), 295 (304): „[…] daß jedenfalls diplomatische Bedenken mitgespielt haben, erscheint kaum zweifelhaft“. In diese Richtung auch Kahn, Jh. Jhb. Bd.  36 (1896), 366 (399), der einen „Einfluß des auswärtigen Amts“ andeutet. Einschränkend Barazetti, BöhmsZ VIII (1898), 118 (118) unter Hinweis auf den damaligen Mangel an Zugang zu den Gesetzgebungs- und Beratungsdokumenten. Zu weiteren zeitgenössischen Quellen siehe Behn, Einseitige Kollisionsnormen des EGBGB und Gebhard, 4 ff. (insb. Fn.  19). Ebenfalls zu dieser Frage Wiethölter, Einseitige Kollisionsnormen, 3; Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 57.

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träger zwar einerseits die Notwendigkeit einer einheitlichen Praxis bejahten, andererseits aber diplomatische Konflikte fürchteten, erschwerten sie eine umfangreichere Lösung.847 Als besonders folgenreich stellte sich die Wende von allseitigen Kollisionsnormen in den Gebhard-Entwürfen848 zu unvollkommen-allseitigen und gänzlich einseitigen im EGBGB dar;849 in der Retrospektive muss dieser Schritt nicht zuletzt als Reaktion auf die vehemente Kritik850 einer allseitigen Methodik durch die Literatur verstanden werden851. Da das neue Gesetzeswerk auf diesem Wege die Geltung fremden Rechts bei Prozessen vor deutschen Gerichten bereits a priori einhegte, konterkarierte es die in den Beratungen noch explizit proklamierte Gleichrangigkeit der – jedenfalls christlich geprägten – Rechtsordnungen.852 Gerade vor dem Hintergrund, dass allseitige Kollisionsnormen einen elementaren Baustein des klassischen IPR nach Savigny bilden,853 mutet der frappierende Irrweg des deutschen Gesetzgebers als ein verzweifelter Versuch an, eine „Ersetzung juristisch-rationaler Überlegungen durch von Machtkalkül bestimmte und auf nationale Unabhängigkeit abzielende Erwägungen“ vorzunehmen.854 847  So die Einschätzung bei Behn, Einseitige Kollisionsnormen des EGBGB und Gebhard, 21 zur Haltung des Auswärtigen Amtes. 848  An diesen orientierte sich etwa das japanische Recht, weshalb die dortigen Horei zum IPR sich durch eine größere Vollständigkeit als das EGBGB von 1896 auszeichneten, siehe Siehr, IPR, 421. Gebhards Verdienst betont Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 46. 849 Eine überblicksartige Kategorisierung der einzelnen Normen bietet Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 546 f. Grundlegend zu diesen verschiedenen Formen Nojack, Exklusivnormen im IPR, 6 ff. und Kegel/Schurig, IPR, 205. Ausführlich zu Abgrenzung und Wirkungsweise auch Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (29 ff.). 850  Exemplarisch sprach sich Edelmann, BöhmsZ VIII (1898), 295 (301) gegen eine generelle Ausdehnung des Staatsangehörigkeitsprinzips auch auf Ausländer, etwa im Rahmen einer Analogie, aus. Dem stellte sich Kahn, Jh. Jhb. Bd.  40 (1898), 1 (50 f.) entgegen. 851  Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (2) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich in den mannigfaltigen Literaturmeinungen sogar noch Ausläufer der Statutenlehre fanden. Zu dieser Epoche vgl. oben, C.III. (S.  99 ff.). 852  Barazetti, BöhmsZ VIII (1898), 118 (120, 127) vertrat angesichts der daraus evtl. folgenden Animositäten anderer Staaten die Auffassung, dass dem Staatsangehörigkeitsprinzip eine multilaterale Dimension zuzusprechen und auch außerhalb der deutschen insgesamt die lex originis anzuwenden sei. 853  Siehe nur Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 55 f.; vgl. auch oben unter B.I.1. (S.  10 ff.) und C.IV.1.a)aa) (S.  121 f.). 854  R. Meyer, Bona fides und lex mercatoria, 39. Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 46 charakterisiert das damalige IPR daher als „politisches Druckmittel“. Jayme, Ideengeschichte, 168 sieht folgerichtig „ein letztes Wetterleuchten völkerrechtlicher Theorien“. Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 546 erkennt daran anschließend eine ideengeschichtliche Nähe zu Mancini. Nach Flessner, Interessenjurisprudenz, 74 lagen der Entscheidung indes primär „praktische Bedenken“ zugrunde.

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Im Gegenzug darf indes nicht missachtet werden, wie sehr der Einfluss politischer Faktoren davon abhing, in welcher Erarbeitungsphase und in welchem Rechtsgebiet eine Anknüpfung diskutiert wurde: Von dem Ideal der Wertneutralität wurde insbesondere dort abgewichen, wo moralische Vorstellungen und soziale Umstände den Diskurs beherrschten. Obschon daneben einige Vorschläge mit einer offenkundigen politischen Agenda keinen Einzug in den verabschiedeten Normtext fanden, zeugt allein der Gang der Debatte von einer Politisierung des Themas. Insbesondere auf den Vorsatz, dem deutschen Recht eine favorisierte Stellung zuzugestehen, wurde in jedem Stadium der Gesetzgebung mehr oder minder deutlich hingewiesen; spätestens, als von höchster Stufe interveniert wurde, konnte sich eine gegenläufige Entwicklung nicht mehr einstellen.855 Exemplarisch soll hier abschließend die Änderungsgeschichte von Art.  12 EGBGB (1896)856 nachgezeichnet werden, der folgendermaßen lautete: „Aus einer im Auslande begangenen unerlaubten Handlung können gegen einen Deutschen nicht weitergehende Ansprüche geltend gemacht werden, als nach den deutschen Gesetzen begründet sind.“

Nachdem die Norm im ersten Entwurf857 von Gebhard den Grundsatz des Tatortrechts noch festgeschrieben und für die Frage der Geltung von Privatstrafen einen Funktionsvergleich mit dem inländischen Recht vorgesehen hatte, schloss schon der zweite Entwurf858 diese Sanktionsform generell aus. Während man diese Sonderbestimmung als Anwendungsfall der ordre public-Vorschrift zwischenzeitlich für entbehrlich hielt,859 wurde in den folgenden Beratungen Einverständnis darüber erzielt, den Geltungsbereich des deutschen Rechts durch positive (Wirkungserstreckung) oder negative (Abwehr exzessiver Schadenspositionen) Mechanismen stärker zu forcieren.860 In Übereinstimmung mit diesem Denken861 erarbeiteten die Städte Lübeck, Bremen und Hamburg in der Folge 855  In diese Richtung auch Hartwieg, RabelsZ Bd.  42 (1978), 431 (441 ff.). Eine große Bedeutung messen v. Bar/Mankowski, IPR I, 531 f. ebenso dem „Ministerienstreit“ zu, wobei vor allem die „hanseatische Vorstellung“ einer Bevorzugung deutscher Interessen sich durchgesetzt habe. Einschränkend Behn, Einseitige Kollisionsnormen des EGBGB und Gebhard, 28 f., der zwar in der Folge eine gewisse Hemmung ausmacht, aber zugleich anmerkt, dass die involvierten Ämter immerhin keine „konkreten Wünsche“ geäußert hätten. 856  Veröffentlicht im Deutschen Reichsgesetzblatt Band 1896, Nr.  21, 604 (606). 857  Siehe §  13 des ersten Entwurfs, abgedruckt bei Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 6. 858  Siehe §  12 des zweiten Entwurfs, abgedruckt bei Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR im BGB, 15. 859  Hartwieg/Korkisch, Die geheimen Materialien, 95. 860  Mugdan, Materialien I, 278 f. 861  Explizite Bezüge zu den vorgenannten Überlegungen finden sich in der Begründung zum Änderungsvorschlag, siehe Hartwieg/Korkisch, Die geheimen Materialien, 272 f.

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einen dem Bundesrat zugeleiteten Hanseatischen Entwurf,862 dessen immerhin noch einseitige Anknüpfung durch das Reichs-Justizamt863 aufgegeben wurde – das restriktive und verweisungsfeindliche privilegium germanicum war geboren.864 Diese Genese kann stellvertretend für den ambivalenten Umgang mit der Wertneutralität im Zuge der Entstehung des Einführungsgesetzes stehen865: Obgleich die involvierten Personen das Dogma in den Debatten immerhin an unterschiedlichen Stellen aufnahmen und vereinzelt wahrten, verwarfen sie es in den allermeisten Fällen; weder Verfechter einer formal-objektiven Sitzbestimmung, noch Kritiker eines (vorgeblich) apolitischen IPR dürften sich deshalb in Gänze bestätigt sehen.866 4. Die beiden großen EGBGB-Reformen In Ermangelung effektiver Vorgaben zur Bestimmung des anwendbaren Rechts in zahlreichen Sachgebieten mussten sich in der Folge Wissenschaft und Praxis der Aufgabe annehmen, allgemeine Lösungsmaximen für internationale Sachverhalte aufzustellen und den Ausbau des deutschen IPR voranzutreiben.867 Der Rechtsprechung kam in diesem Zusammenhang eine Vorreiterrolle zu868: Indem Hartwieg/Korkisch, Die geheimen Materialien, 304 f. Dieses hatte zwischenzeitlich eine Behandlung des IPR als 6. Buch des BGB vorgesehen, weshalb die Vorschrift entgegen der Vorentwürfe als §  2367 BGB verortet wurde, siehe Hartwieg/Korkisch, Die geheimen Materialien, 365 und Kropholler, RabelsZ Bd.  33 (1969), 601 (612 f. Fn.  36). 864 Vgl. Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (389). Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (475) manifestiert in diesem Zusammenhang eine hohe Sachrechtsbezogenheit des IPR. Jayme, Ideengeschichte, 167 spricht dieses Charakteristikum zudem Art.  25 II EGBGB (1896) zu, der deutschen Erben ausländischer Erblasser die Erbschaft auch gewährte, wenn diese ihm nur nach den deutschen Normen zustand. Ausführlich zu den mit derartigen Normen verfolgten Motiven Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 548 f. 865  Stellvertretend für diese Ansicht Hartwieg, Tatsachen- und Normarbeit im Rechtsvergleich, 17 ff.; Kropholler, RabelsZ Bd.  33 (1969), 601 (611 ff.). 866  Diese Wertung vertritt auch Hartwieg, Tatsachen- und Normarbeit im Rechtsvergleich, 9. Siehe zudem ders., RabelsZ Bd.  42 (1978), 431 (433). 867  Kropholler, RabelsZ Bd.  33 (1969), 601 (613 f.). Sonnenberger, ZVglRWiss Bd.  100 (2001), 107 (109) nennt die Tatsache, dass „das Auswärtige Amt seine erfolgreiche Verhinderungsstrategie mit typisch diplomatischer Geheimniskrämerei verdeckt hatte“, bezogen auf die nachfolgenden Korrekturen „Glück im Unglück“. Einschränkend Flessner, Interessenjurisprudenz, 76. Kegel/Schurig, IPR, 205 bescheinigen dem deutschen Kollisionsrecht im unmittelbaren Nachgang der Verabschiedung des EGBGB einen „Leerlauf“. Kritisch insofern auch Kahn, Jh. Jhb. Bd.  40 (1898), 1 (51). 868  Dazu etwa Michaels in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 54 (59); Junker, IPR, §  2 Rn.  35, §  6 Rn.  17; Kegel/Schurig, IPR, 205; Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 550. Diese Entwicklung betrachten z. B. v. Bar/Mankowski, IPR I, 532 positiv: „Vielleicht war das sogar gut so. Denn die deutsche 862  863 

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das Reichsgericht feststellte, dass den unilateralen Formulierungen des EGBGB von 1896 keine „Sonderbestimmung“869 zugunsten des deutschen Rechts entnommen werden könne und fremdes Recht folglich denselben Anknüpfungen unterliegen müsse, schuf es allseitige Kollisionsnormen qua Gewohnheitsrecht.870 So entsprang zum Beispiel die Geltung der lex loci delicti als Grundregel für das internationale Deliktsrecht, die auch frühzeitig im Sinne des Ubiquitätsprinzips nach dem Handlungs- und Erfolgsort differenzierte871, der richterlichen Feder.872 Obwohl wegen der großen Anzahl an inhaltlichen Lücken und trotz der Modifikationen durch die Rechtsprechung kaum von der Hand zu weisen war, dass das EGBGB einer Überarbeitung bedurfte, ließen substantielle Novellierungen873 beinahe ein ganzes Jahrhundert auf sich warten.874 Da sich die dann folgenden Gesetzesvorhaben, von denen an dieser Stelle die beiden wesentlichen analysiert werden sollen, nach dem langen zeitlichen Vorlauf einem hohen Erwartungsdruck ausgesetzt sahen, interessiert die Frage nach den gesellschaftlichen und politischen Einflüssen besonders.

Rechtsprechung befand ein System allseitiger Kollisionsnormen für notwendig und im Kern allgemein praktikabel – also schuf sie es sich selber“. 869  So RG v. 15.02.1906 – Rep. IV 392/05, RGZ 62, 400 (403) zur Ausdehnung der Staatsangehörigkeitsanknüpfung auf Ausländer. Zu weiteren Urteilen in diesem Kontext Nojack, Exklusivnormen im IPR, 6 ff. 870  Eine beispielhafte Auflistung wesentlicher Urteile im IPR zu Beginn des 20.  Jahrhunderts findet sich bei Behn, Einseitige Kollisionsnormen des EGBGB und Gebhard, 195 ff. Zur Rolle des Reichsgerichts auch Nojack, Exklusivnormen im IPR, 1 und Ancel, Éléments d’histoire du droit international privé, 550. Die wenigen Bilateralisierungen vonseiten der Rechtsprechung im angloamerikanischen IPR (vgl. oben, C.IV.2., S.  141 ff.) beleuchtet St. Leger Kelly, Localising Rules in the Conflict of Laws, 24 f. 871  St. Rspr. schon seit RG v. 20.11.1888 – Rep. II 225/88, RGZ 23, 305 (306). Für weitere Urteile sei auf BeckOGK/Fornasier, Art.  40 EGBGB, Rn.  5 Fn.  6 verwiesen. 872  Dazu etwa v. Hein, Günstigkeitsprinzip, 40 f.; Aubart, Dépeçage, 35; Diehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 15. Argumentiert wurde insofern, die Anknüpfung werde in Art.  12 EGBGB a. F. „vorausgesetzt“, siehe Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 61 Fn.  8. 873  Zu den marginalen Anpassungen bereits vor 1986 siehe BT-Drs. 10/504, S.  23. Eine Zusammenfassung bietet ferner Kegel, Rpfleger 1987, 1 (1 ff.). 874  Sieht man einmal von Änderungen zur Zeit des Nationalsozialismus ab, dessen Perversion der juristischen Methodik hier keinen Platz finden soll. Näher dazu etwa mit Blick auf die „Rassegesetzgebung“ Baetge, Gewöhnlicher Aufenthalt, 13 ff. Zur geringen Relevanz des IPR ab 1933 H. Weber, Theorie der Qualifikation, 137 ff. Eine Ausnahme bildete insofern der ordre public, dessen Instrumentalisierung sich etwa bei C. Schmitt, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1936, 204 ff. zeigte.

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a) 1986875 Angesichts der Trägheit der deutschen Gesetzgebungsorgane überrascht es kaum, dass auch die erste umfangreiche Reform im Bereich des IPR als unmittelbare Reaktion auf Impulse aus der Spruchpraxis erging:876 Nachdem das BVerfG bereits in seinem berühmten Spanier-Beschluss877 die grundsätzliche Geltung der Grundrechte auch im Bereich des Kollisionsrechts bejaht hatte,878 ergab sich akuter Änderungsbedarf insbesondere aufgrund von Entscheidungen, in denen Art.  15879 und Art.  17 EGBGB (1896)880 für unvereinbar mit Art.  3 II GG881 erklärt wurden.882 Weiterhin sah sich der Gesetzgeber gezwungen, mit legislativen 875  Durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25. Juli 1986, abgedruckt in BGBl.  1986 I, 1142. 876  Siehe nur Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 12. Zu weiteren – auch außerrechtlichen – Faktoren mit Relevanz für die Reformbestrebungen siehe Basedow, NJW 1986, 2971 (2972 f.); Hohloch, JuS 1989, 81 (82 f.). Eine ausführliche Darstellung des Reformprozesses bietet Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 51 ff. 877  BVerfG v. 04.05.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 58, 31 = NJW 1971, 1509. 878 Instruktiv Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41 (42); Voltz, Menschenrechte und ordre public, 36 ff. Zum vorherigen Diskussionsstand in der Literatur näher Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 53 f. Aubart, Dépeçage, 192 erkennt eine Relevanz der Grundrechte vor allem im Bereich des Internationalen Familienrechts. Zu Forderungen nach einem „verfassungsneutralen Ordnungsrecht“ Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 71. Diese Diskussion greift auch Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 249 ff. auf. 879  Dieser lautete auszugsweise: „Das eheliche Güterrecht wird nach den deutschen Gesetzen beurtheilt, wenn der Ehemann zur Zeit der Eheschließung ein Deutscher war. Erwirbt der Ehemann nach der Eingehung der Ehe die Reichsangehörigkeit oder haben ausländische Ehegatten ihren Wohnsitz im Inlande, so sind für das eheliche Güterrecht die Gesetze des Staates maßgebend, dem der Mann zur Zeit der Eingehung der Ehe angehörte […]“, vgl. die Veröffentlichung im Deutschen Reichsgesetzblatt Band 1896, Nr.  21, 604 (606). Grundsätzlich kritisch zu der Norm E. Lorenz, RabelsZ Bd.  29 (1965), 433 (437), der ihr hinsichtlich ihrer Formulierung eine Nähe zur Statutenlehre bescheinigt. 880  Dieser lautete auszugsweise: „Für die Scheidung der Ehe sind die Gesetze des Staates maßgebend, dem der Ehemann zur Zeit der Erhebung der Klage angehört. […]“, vgl. die Veröffentlichung im Deutschen Reichsgesetzblatt Band 1896, Nr.  21, 604 (607). 881  Einleitend zur Geltung des Gleichheitssatzes im IPR E. Lorenz, Struktur des IPR, 67 ff. und Weller/Thomale/Zimmermann, JZ 2017, 1080 (1082 ff.). Ein ähnliches Schicksal wurde i.Ü. noch im Jahre 2002 der intertemporalen Vorschrift in Art.  220 III 1 Nr.  2 zuteil, siehe BVerfG v. 18.12.2002 – 1 BvR 108/96, FamRZ 2003, 361. Näher dazu Winkler v. Mohrenfels, FS G. Kühne, 945 (948 f.). Deren Verfassungswidrigkeit prognostizierte schon Basedow, NJW 1986, 2971 (2973 f.). Positiv aufgenommen wurde die Norm indes von Hohloch, JuS 1989, 81 (84 f.). Anwendungsbeispiele bot Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (671 ff.). 882  BVerfG v. 22.02.1983 – 1 BvL 17/81, NJW 1983, 1968 bzw. BVerfG v. 08.01.1985 – 1 BvR 830/83, BVerfGE 68, 384 = NJW 1985, 1282. Auf den Druck durch die Rechtsprechung wird zur Begründung der Erforderlichkeit der Reform in den Gesetzgebungsmaterialien mehrfach ausdrücklich Bezug genommen, siehe BT-Drs. 10/504, S.  1, 23 f.

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Mitteln auf gesellschaftlichen und außenpolitischen Wandel zu reagieren: Da die Zahl im Inland lebender Ausländer kontinuierlich anstieg883 und Deutschland vermehrt diplomatische und völkervertragliche Verpflichtungen884 einging, konnte das Kollisionsrecht den realen Anforderungen nicht mehr gerecht werden.885 Ein wichtiger Anstoß für die Kodifizierung insbesondere der vermögensrechtlichen Aspekte886 im IPR wurde ferner durch erste europäische Rechtsakte in dieser Materie gesetzt – bereits im ausgehenden 20.  Jahrhundert warf die Europäisierung des Kollisionsrechts also ihre heutzutage nicht zu übersehenden Schatten voraus.887 Laut den Gesetzesmaterialien sollte bei der Reform die Methodik Savignys im Vordergrund stehen,888 ohne dass die „Kodifizierung des IPR insbesondere durch völkerrechtliche, außenpolitische und nationalstaatliche Erwägungen überlagert“ werden dürfe, wie es 1896 teilweise geschehen sei.889 Einem staatszentristischen Ansatz für die Behandlung grenzüberschreitender Konstellationen, wie ihn etwa die Äußerungen von Aristoteles zum Modell der polis890 nahelegen, erteilte der Gesetzgeber damit eine Absage. In Ansehung der lebhaften Diskussionen um die angloamerikanischen Bestrebungen zu einer Neuorientierung des Conflict of Laws891 überrascht es kaum, dass die Legislative auch diese forumorientierten Ideen erörterte, sie jedoch mit Verweis auf ihre systematischen Unzulänglichkeiten verwarf.892 Zumindest formal wählte der Gesetzgeber also den Weg der Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (3); Flessner, Interessenjurisprudenz, 32 ff. Zu den Reaktionen des Kollisionsrechts auf eine Zunahme von Flüchtenden, Vertriebenen und Kriegsgefangenen bereits im unmittelbaren Nachgang des 2. Weltkrieges Baetge, Gewöhnlicher Aufenthalt, 16. 884  Eine Übersicht der in der Zwischenzeit eingegangenen Staatsverträge bietet BT-Drs. 10/504, S.  24 f. Zur generellen Abbildung der Globalisierung im IPR siehe Wichard, IPRax 2017, 118 (119); Sandrock, ZVglRWiss Bd.  98 (1999), 227 (247 ff.); Trüten, IPR in der EU, 79 ff. 885  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  20 ff. 886 Der Regelung dieser Aspekte wurde keine besondere Dringlichkeit zuteil, weil die Rechtsprechung handhabbare Regelungen geschaffen hatte und abgesehen davon auf dem Gebiet des Schuldrechts die Gefahr von Disharmonien vergleichsweise gering war, siehe W. Lorenz, IPRax 1987, 269 (269). 887  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  29. Dazu ausführlich unten, C.IV.5. (S.  201 ff.). Zu supranationalen Institutionen und Rechtsakten mit Auswirkungen auf die Reform ferner Pirrung, IPRax 2017, 124 (124 ff.). 888  Inwieweit dies gelang, untersucht W. Lorenz, IPRax 1987, 269 (274), der als zweite methodische Säule der Reform neben der Bestimmung des räumlichen Schwerpunktes eine „Interessenabwägung auf objektiver Grundlage“ erkennt. 889  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  22 f. 890  Vgl. oben, B.II.1.a) (S.  19 ff.). 891  Vgl. oben, C.IV.2. (S.  141 ff.). 892  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  25 f. Darin sieht Hohloch, JuS 1989, 81 (83 f.) einen wesentli883 Siehe

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

Wertneutralität nach klassischem Verständnis;893 unter den „Leitgedanken des Entwurfs“ fand sich folgerichtig das Ziel, im Sinne der Rechtssicherheit und in Übereinstimmung mit Traditionen in der Rechtsprechung894 allseitigen Kollisionsnormen den Vorzug zu gewähren, da nur auf diese Weise der Suche nach dem zum Sachverhalt „nächsten“ Recht Rechnung getragen werde.895 Da Vergeltungsvorschriften wie Art.  31 EGBGB (1896) demgegenüber weder eine Bedeutung in der IPR-Dogmatik oder Rechtsprechung, noch eine Kongruenz mit europäischen Leitvorstellungen zugesprochen wurde, entschied man sich dazu, sie ersatzlos zu streichen.896 aa) Statusverhältnisse und das Staatsangehörigkeitsprinzip Dass es der Reformgeber mit der Durchsetzung klassischer Ideale des kontinentaleuropäischen IPR ernst meinte, zeigt sich etwa daran, wie umfassend er die grundsätzliche Beibehaltung des Staatsangehörigkeitsprinzips als Anknüpfungspunkt personenrechtlicher Verhältnisse rechtfertigte897: Sowohl der Verweis auf den internationalen Entscheidungseinklang, als auch die Feststellung, die Staatsangehörigkeit sei leichter zu ermitteln898 und von größerer Stabilität,899 greifen kollisionsrechtlich zulässige900 Erwägungen auf.901 Ebenso verhält es sich mit chen Vorteil des vergleichsweise späten Zeitpunkts der Reform, der einen zu starken Einfluss der bis dato bereits abgeebten „Revolution“ im amerikanischen IPR verhindert habe. Den Eindruck einer nur äußerst geringen Beachtung kollisionsrechtlicher Ideen aus dem angloamerikanischen und generell außereuropäischen Raum teilen auch Pirrung, IPRax 2017, 124 (127); Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 64 f.; Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 139. 893  Zu diesem Eindruck etwa Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 247. 894  Nicht zuletzt auch zurückgehend auf Gebhards Ideen, siehe Hohloch, JuS 1989, 81 (84). 895  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  29. Dazu näher Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 247 f. 896  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  35. Kritisch schon Neuhaus, Grundbegriffe, 341 ff. Auf die Streichung weiterer veralteter Relikte aus den Anfangstagen des EGBGB verweist Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (30 f.). Ähnliche inländische Normen, die eine abgeschwächte Form der Retorsion vorsehen, nennt H. Hübner, BGB AT, Rn.  73. 897  Diesen Aspekt unterstreicht auch Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 101. Vgl. ferner Mankowski, IPRax 2017, 130 (136 f.). Dagegen verneint Flessner, Interessenjurisprudenz, 41 insofern eine Heranziehung kollisionsrechtlicher Interessen. 898  Zur „Vagheit“ des gewöhnlichen Aufenthalts statt aller Baetge, Gewöhnlicher Aufenthalt, 106 f. 899  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  31. 900  Vgl. dazu oben, B.I.2. (S.  13 ff.) und B.II.2. (S.  32 ff.). 901  Lobend deshalb Kegel, Rpfleger 1987, 1 (4 f.). Schnitzer, Handbuch IPR I, 18 f. sieht indes eine Argumentation im Geiste Mancinis. Zu dessen Einfluss insofern Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (291 ff.) und Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 46. Vgl. dagegen zur Behandlung im EU-IPR unten, C.IV.5.b) (S.  205 ff.).

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den Aussagen zur Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen: Indem der Gesetzgeber die von der Literatur gepriesene häufigere Anwendung der deutschen lex fori bei Zugrundlegung des gewöhnlichen Aufenthalts als „internationalprivatrechtlich nicht allgemein zu rechtfertigen“ geißelte, vertrat er die vorbildliche Position, dass ein solcher „rechtspolitischer Gedanke“ im Kollisionsrecht nicht tragen könne.902 Anschließende Bemerkungen zur „Heimatverbundenheit“ dürfen insofern nicht als Rückgriff auf nationalromantische Erklärungsmuster gedeutet werden, wurden sie doch durch empirische Erkenntnisse zum Rückkehrwunsch von in Deutschland lebenden Ausländern ergänzt, mit denen die engere Bindung an das Heimatland gegenüber dem Staat des gewöhnlichen Aufenthalts faktenbasiert belegt werden sollte.903 Hervorzuheben ist vor allem, dass die Entscheidung nicht aus einseitigen Motiven zu einer regulatorischen Notwendigkeit verklärt wurde;904 man bewertete die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt vielmehr als ebenso vertretbar und mit Parteiinteressen in Einklang stehend.905 In der Konsequenz wurde das Tor für dieses Anknüpfungsmoment nicht grundsätzlich verschlossen, stattdessen befürwortete die Gesetzesbegründung eine Variabilität in Fällen, in denen internationalprivatrechtliche Zielvorstellungen und praktische Anforderun­ gen dies verlangten.906 Generell zeigten sich die involvierten Organe offen gegenüber einer flexibleren Ausgestaltung des IPR907 etwa in Fällen der Rechtsspaltung, solange Schritte in diese Richtung den Grundsatz der engsten Verbindung berücksichtigten, mithin nicht ein bloßes rechtspolitisches Interesse bedienten.908 bb) Grundton: Internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit und Respekt gegenüber dem fremden Recht Welch hohen Wert die Urheber der Reform dem Respekt gegenüber ausländischen Rechtsordnungen beimaßen, beweisen ferner die Ausführungen zur Reichweite des ordre public: Zunächst fällt ins Auge, dass für die weitschweifenden Erörterungen insofern nicht zwangsläufig Anlass bestanden hätte, 902 

Siehe BT-Drs. 10/504, S.  31. Siehe BT-Drs. 10/504, S.  31. 904  Zu diesem Eindruck Heiderhoff, IPRax 2017, 160 (160). 905  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  30. Der gewöhnliche Aufenthalt wurde deshalb auch beinahe auf eine Stufe mit dem Heimatprinzip gestellt, siehe Baetge, Gewöhnlicher Aufenthalt, 26. Vgl. ferner Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 127 f. 906  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  30. 907  Die Notwendigkeit dazu folgte nicht zuletzt aus der Entwicklung Deutschlands hin zu einem Einwanderungsland, siehe G. Kühne, IPRax 2017, 243 (244). 908  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  32. 903 

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

als eine „Veränderung des sachlichen Gehalts“909 ausdrücklich nicht intendiert war. Beinahe lehrbuchhaft muten die Ausführungen zum Zweck dieses Korrekturmechanismus an, in dessen Wortlaut bewusst auf die „Anwendung“ einer Norm abgestellt wurde, um den Eindruck einer abstrakten Prüfung zu vermeiden und den Anwendungsbereich zu begrenzen.910 Mit überzeugenden Gründen wurde auch der Verzicht auf eine klare Umschreibung der Rechtsfolge gerechtfertigt, schließlich sei dem „Grundsatz möglichst weitgehender Schonung des fremden Rechts“ im Rahmen einer flexiblen Lösung, die von einer automatischen Heranziehung der lex fori absieht, am ehesten Genüge getan.911 Dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von Eingriffsnormen mit den „sie tragenden wirtschafts- und sozialpolitischen Interessen“ auf das Schuldrecht begrenzte, anstatt im allgemeinen Teil ein generelles Instrument für die Geltungserstreckung zugunsten zwingender inländischer Vorschriften vorzusehen,912 darf als weiterer Ausdruck einer Zurückhaltung gegenüber fremdem Recht gedeutet werden.913 Die Beschränkung auf inländische Eingriffsnormen in Art.  34 EGBGB a. F.914 war dabei Zweifeln zu Reichweite und Feststellbarkeit des fremden ius cogens geschuldet, repräsentierte also keine grundlegende Abneigung diesem gegenüber – in den Sondermaterien des Arbeitnehmer- und Verbrauchervertragsrechts wurden ausländische lois de police durch Art.  29 I und 30 I EGBGB a. F.915 schließlich einbezogen.916 Einen weiteren Kompromiss917 vollzog Art.  27 III EGBGB a. F.,918 der selbst bei reiner Inlandsbeziehung eines Sachverhalts919 den 909 

Siehe BT-Drs. 10/504, S.  42. Siehe BT-Drs. 10/504, S.  43. Zu diesem Aspekt Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (651) und Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 88 ff. In diesem Kontext zur Frage, ob schon ein gleichberechtigungswidriger Normanwendungsbefehl ein „Ergebnis“ i. S.v. Art.  6 EGBGB darstellt, (zu Recht verneinend) Winkler v. Mohrenfels, FS G. Kühne, 945 (949 f.). Allgemein zum ordre public oben, B.III.1.a) (S.  41 ff.). 911  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  44. 912  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  43. 913  Zur intendierten Zurückhaltung der Bestimmungen über zwingende Normen auch in der konkreten Rechtsanwendung Wengler, RabelsZ Bd.  53 (1989), 409 (418 ff.). 914  Abgedruckt in BGBl.  1986 I, 1142 (1149). 915  Abgedruckt in BGBl.  1986 I, 1142 (1148). Zum Verhältnis von Art.  29, 30 EGBGB a. F. zu Art.  34 ausführlich Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 43 ff. und Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 126 ff. sowie aus der Rechtsprechung BGH v. 19.03.1997 – VIII ZR 316/96, NJW 1997, 1697 (1699). 916 Dazu Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (10). Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 132 ordnet Art.  34 EGBGB a. F. dagegen als „Refugium“ für politische IPR-Verständnisse in der Literatur ein. Die prominente Stellung der Schutzvorschriften im Zuge der Reform unterstreicht Spickhoff, Der ordre public im IPR, 174. 917  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  77. 918  Abgedruckt in BGBl.  1986 I, 1142 (1147). 919 Zu den Anforderungen an reine Inlandsfälle W. Lorenz, IPRax 1987, 269 (271) und 910 

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Rückgriff auf ausländische Rechtsordnungen qua Rechtswahl nicht in toto für unzulässig erklärte, sondern sich mit der Einhaltung zwingender Normen des abberufenen Rechts begnügte.920 Auch im internationalen Namensrecht,921 das in Art.  10 EGBGB für den Geltungsbereich der inländischen Verweisung auf den ersten Blick fehlendes Fingerspitzengefühl signalisiert, ist eine Bevormundung gegenüber dem fremden Recht nicht intendiert: Wenngleich die Urheber der Reform sich vorwerfen lassen müssen, in Wortwahl und Gestaltung der Norm den Eindruck erweckt zu haben, auch gegenüber ausländischen Behörden und für spätere Rechtsstreitig­ keiten im Ausland eine verbindliche Namenszuordnung treffen zu wollen, entsprach dieser Regelungsgehalt nicht dem tatsächlichen Telos.922 Größeres Gespür für den Geltungsanspruch ausländischer Rechtsordnungen bewies der Gesetzgeber in Art.  7 II EGBGB, indem er für die Kontinuität der Rechts- und Geschäftsfähigkeit auf die „Rechtsstellung als Deutscher“ abstellte,923 weil er dem Eindruck eines substantiellen Eingriffs in fremdes Statusrecht entgegenwirken wollte.924 Abgesehen davon darf nicht jede Situation, in der das Gesetz sich einseitig dem deutschen Forumrecht zuwendet und vom eigentlich berufenen Sachrecht abweicht, als Abkehr von den Dogmen des klassischen IPR aufgefasst werden: Wenn zum Beispiel die Gutglaubensvorschrift des Art.  12 EGBGB die Wirkungen des materiellen Rechts vom Wissen des am Abschlussort agierenden Vertragspartners abhängig macht, dann wird damit zwar nach dem Willen des Gesetzgebers von 1986 der nationale Verkehr geschützt;925 darin verkörpert sich aber primär der kollisionsrechtlich zulässige „Sieg“ der Verkehrs- über etwaige Parteiinteressen.926

Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 97 ff. Dass durch den Gesetzgeber keine klaren Kriterien für die Abgrenzung von legitimen Rechtswahlkonstellationen angeführt wurden, kritisiert Wengler, RabelsZ Bd.  53 (1989), 409 (434 f.). 920  Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (667) bezeichnet diese Vorschrift daher ob ihres Gehalts durchaus zu Recht als „bemerkenswert“. 921  Die entsprechenden Regelungen sind näher erläutert bei Sturm, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 33 (39 ff.). 922  Wengler, RabelsZ Bd.  53 (1989), 409 (413 f.) vertritt die These, dass der deutsche Gesetzgeber dieses Detail schlicht übersehen habe. 923  Was allerdings nichts daran ändert, dass es sich funktional um eine allseitige Kollisionsnorm handelt, siehe Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (651). 924  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  45. Dazu auch Sturm, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 33 (35). 925  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  49 f. 926  So sehr bildhaft Kegel/Schurig, IPR, 138.

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Einen ambivalenten Eindruck vermittelt insoweit Art.  17 III EGBGB a. F.927, der das Statut für den Versorgungsausgleich regelte: Zwar fragte die Norm in S.  1 Hs.  2 nach der Existenz des Instituts in den Heimatrechten der Parteien und übte damit Rücksicht gegenüber fremden Scheidungsfolgensystemen;928 diesen Schritt schien sie aber durch S.  2 Nr.  1, 2 auf den ersten Blick zu konterkarieren, wonach entgegen der Grundanknüpfung auf Antrag einer Partei deutsches Recht in Sonderfällen für anwendbar erklärt werden konnte. Ob ihrer sozialpolitischen Anliegen und der ungewöhnlichen Technik der Rückausnahme könnte man verleitet sein, in ihr einen fundamentalen Bruch mit dem klassischen IPR zu erblicken.929 Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Gesetzgebungsmaterialien die Unilateralität dieser Methode – argumentativ gewiss eher aus praktischer denn kollisionsrechtlicher Perspektive – verneinten, da der Inländer durch den Versorgungsausgleich nicht zwangsläufig begünstigt werde.930 Zwei weitere Aspekte sprechen dafür, dass die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen durch die Vorschrift gewiss angetastet, nicht jedoch grundlegend hinterfragt wurde: Zum einen verzichtete die Rückausnahme nicht gänzlich auf Verbindungselemente zum Recht des Forums, sodass die Leitbilder des deutschen Rechts zumindest keine willkürliche Aufwertung erfuhren; zum anderen basierte sie auf sozialpolitischen Belangen, deren Kernaussagen sich durchaus verallgemeinern lassen und kein Spezifikum des deutschen Familienrechts darstellen.931 Ebenso wenig lässt sich dem Gesetzgeber von 1986 eine „Selbstüberschätzung des Kollisionsrechts des Forumstaats“ aus dem Grund unterstellen, dass er in Vorschriften wie Art.  11 I EGBGB alternative Anknüpfungen einführte, ohne zu hinterfragen, ob dem Forumrecht eine solche Zuweisungskompetenz selbst dann zustehen kann, wenn es über keinen qualifizierten räumlichen Bezug zum Sachverhalt verfügt.932 Abgesehen davon, dass eine normimmanente Begrenzung der Verweisung auf Fälle mit eigenem Anwendungsanspruch der lex fori absolut unüblich ist und Normmangel nach sich ziehen könnte, beanstandet diese Ansicht 927  Abgedruckt

in BGBl.  1986 I, 1142 (1145). Die derart beträchtliche Frömmigkeit gegenüber ausländischen Heimatrechten kritisierte Basedow, NJW 1986, 2971 (2976) mit dem Argument, dass die Existenz des Instituts im fremden Rechtskreis berücksichtigt werde, obwohl die letztliche Durchführung in den erfassten Fällen sich sowieso nach deutschem Recht richte. 929 Vgl. Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (27) und Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (360). Jayme, IPRax 1986, 265 (268) hielt die Norm davon abgesehen für praktisch kaum umsetzbar und plädierte für eine Lösung über §  1587c BGB a. F. 930  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  62. 931  Nojack, Exklusivnormen im IPR, 64 ff. kommt daher nach eingehender Interessenanalyse zu dem Schluss, dass die Vorschrift aufgrund ihrer „Verallgemeinerbarkeit“ keine „Exklusivnorm“ sei (73). Vgl. auch Flessner, Interessenjurisprudenz, 94 f. 932  So aber Wengler, RabelsZ Bd.  53 (1989), 409 (429 f.). 928 

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ohne nachvollziehbare Argumente die selbstverständliche Prämisse, dass jedes Gericht auf die Kollisionsnormen des Forums zurückgreift und aus der internationalen Zuständigkeit eine ausreichende Legitimation für die Anwendung folgt. Internationalprivatrechtliche Interessen herrschten zudem im Recht der allgemeinen und güterrechtlichen Ehewirkungen vor, wo der nur subsidiäre933 Übergang von der Staatsangehörigkeits- zur Aufenthaltsanknüpfung und die Beschränkungen der neu eingeführten Rechtswahl934 mit der Intention gerechtfertigt wurden, einen Ausgleich zwischen dem Erfordernis von Kontinuität und der Suche einer engsten Verbindung zur konkreten Lebenssituation935 herzustellen.936 Im Übrigen zeugte der Schritt, die Privatautonomie auf die kollisionsrechtliche Ebene auszuweiten, insgesamt von der Einsicht des Gesetzgebers, dass mehr als nur ein Anknüpfungspunkt den Ansprüchen eines wertneutralen IPR genügen937 und die Rechtswahl in diesem Gefüge eine maßgebliche Rolle spielen kann.938 cc) Selten: Lex fori-Präferenz und materiellrechtliche Motive Obwohl der IPR-Gesetzgeber von 1986 die Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen also grundsätzlich anerkannte, gelang es auch ihm nicht in Gänze, sich von einer anlasslosen Bevorzugung deutschen Rechts zu lösen: So mutete Art.  3 III EGBGB in seiner bis zum 11.01.2009 geltenden Fassung939 zwar zu933  Zu den Techniken „akzessorischer“, „subsidiärer“, „alternativer“ und „kumulativer“ Anknüpfungen in der Reform siehe Dörner, StAZ 1990, 1 (5 f.). Die Rezeption der „Kegel‘schen Leiter“ in der Reform behandelt Henrich, IPRax 2017, 120 (121 ff.). Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 74 f. betont, dass die Anknüpfungsleiter die Lösung verschiedener Situationen im Sinn habe und die Bezeichnung „subsidiäre Anknüpfung“ irreführend sei. 934  Diese beiden Punkte stellt Wichard, IPRax 2017, 118 (118) als grundlegende dogmatische Debatten mit Auswirkungen bis in die Gegenwart heraus. 935  Instruktiv zu dieser Grundtendenz des deutschen IPR-Gesetzgebers und damit verbundenen Auslegungsproblemen Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (655 ff.). 936  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  55, 57 f. Erläuternd dazu G. Kühne, IPRax 2017, 243 (244 f.) auch im Hinblick auf unterschiedliche Akzentuierungen in seinem Entwurf. Zu Unterschieden zwischen dem Entwurf und den im Vorhinein gemachten Vorschlägen vom Deutschen Rat für IPR siehe Henrich, IPRax 2017, 120 (123). Vgl. ferner die Würdigung bei Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (14 f.). 937  Stark in diese Richtung geht die Begründung in BT-Drs. 10/504, S.  51. 938  Instruktiv dazu G. Kühne, IPRax 1987, 69 (69) und ders., IPRax 2017, 243 (245), der von „Anknüpfungsverlegenheit“ spricht. Vgl. auch Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 216; Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (471); Hoffmann, Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts, 127. Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (357) kritisiert diese Begrifflichkeit. Näher zu Wirkungsweise und Natur der Rechtswahl oben, B.III.3. (S.  52 ff.). 939  Dieser lautete: „Soweit Verweisungen im Dritten und Vierten Abschnitt das Vermögen

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nächst objektiv-abstrakt an, hinter der Ausnahmeregelung standen allerdings explizit Bestrebungen, für „von wirtschaftlichen und politischen Zwecken“ geprägte Sondervermögen wie Fideikommisse und Erbpachtverträge deutsche Vorgaben zur Anwendung zu bringen.940 Generell wurde die sorgsame Ausgestaltung des ordre public-Vorbehalts in der Gesamtschau durch einige Sondertatbestände, mit denen den Betroffenen bereits ex ante ein Rekurs auf deutsches Recht ermöglicht wurde (etwa Art.  13 II EGBGB, 10 IV, 17 I 2 EGBGB a. F.941), erheblich entwertet.942 Wenngleich ausweislich der Gesetzesmaterialien durchaus die Möglichkeit einer nachgeschalteten Ergebniskontrolle bei ausreichendem Inlandsbezug gesehen wurde,943 sah es der Reformgeber wohl als unvermeidbar an, diese Formen eines privilegium germanicum944 aufzunehmen. Auch der im Zuge der Reform eingefügte Art.  4 I 2 EGBGB, der einen renvoi auf deutsches Recht entgegen der Grundregel stets als Sachnormverweisung945 klassifiziert und damit eine Doppel-Rückverweisung in solchen Fällen verhindert, weist eine kollisionsrechtlich nicht gebotene Präferenz für das deutsche Recht auf.946 Entsprechend wurden außer Praktikabilitätserwägungen keine einer Person dem Recht eines Staates unterstellen, beziehen sie sich nicht auf Gegenstände, die sich nicht in diesem Staat befinden und nach dem Recht des Staates, in dem sie sich befinden, besonderen Vorschriften unterliegen.“, siehe BGBl.  1986 I, 1142 (1143). 940  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  36 f. Insofern fragt sich v. Bar, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 33 (1994), 191 (202) gar, ob der Vorrang des Einzel- vor dem Gesamtstatut ohne dieses Sonderinteresse überhaupt jemals Eingang in das deutsche IPR gefunden hätte. Die rechtspolitischen Hintergründe der Norm beleuchtet Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (20 f.). Kritisch zu der Regelung Wengler, RabelsZ Bd.  53 (1989), 409 (414 ff.). Sonstige Anwendungsfälle von Art.  3 III EGBGB a. F. nennt Beier, Rechte des überlebenden Ehegatten, 90 Fn.  479. Näher zum Anwendungsbereich außerdem Thoms, Einzelstatut bricht Gesamtstatut, 9 ff. Zur Rolle des Gesamtstatuts als „Einbruchstelle für ‚soziale Werte‘ im IPR“ Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 108. 941  Abgedruckt in BGBl.  1986 I, 1142 (1144 f.). 942  Zu diesem Eindruck Basedow, NJW 1986, 2971 (2975) und Hohloch, JuS 1989, 81 (86). Ausführlich zum Umgang mit Sondervorbehaltsklauseln im Zuge der Reform Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 249 ff., 264 ff. Vgl. auch Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (355); Voltz, Menschenrechte und ordre public, 15 f.; Spickhoff, Der ordre public im IPR, 285 f. 943  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  60 f. 944  Diese plakative Wortwahl trifft Sturm, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 33 (58 f.). 945 Die Sachnormverweisung bezeichnet Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 171 aufgrund ihres unverkennbar regulativen Inhalts als „Archetypus des ‚materiell‘ privatrechtlichen Normsatzes“. 946  Wengler, RabelsZ Bd.  53 (1989), 409 (427) klassifiziert diesen Umstand als das „unparitätische ‚Heimwärtsstreben‘“ des deutschen IPR. Zu alternativen Ausgestaltungen in Vorentwürfen siehe nur Sonnentag, Renvoi, 36 ff. Insgesamt kritisch zu der Norm Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (18). Zur möglichen Lösung von Verweisungsproblematiken bei einem renvoi auf mit Art.  3 II GG unvereinbare Kollisionsnormen durch Anwendung des Art.  4

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durchgreifenden Argumente für diese spezielle Behandlung angeführt.947 Ähnliches gilt für den prinzipiellen Vorrang der – unter Umständen rein formalen948 – Rechtsstellung als „Deutscher“ bei Mehrstaatern949 durch Art.  5 I 2 EGBGB, mit dem sich der Gesetzgeber nicht nur gegen den Entwurf von Kühne950, sondern auch gegen die neuere Rechtsprechung951 richtete. Zur Begründung führte er neben praktischen Bedenken lediglich die pauschale Formel an, Unsicherheiten dürften sich im Zweifel nicht zulasten des inländischen Rechts auswirken.952 Dass derartige Souveränitätsüberlegungen im klassischen IPR keinen Platz finden dürfen und den internationalen Entscheidungseinklang gefährden, wurde demgegenüber ignoriert.953 Inwieweit hoheitliche Motive den Gesetzgeber von 1986 auch bei der Erarbeitung von Art.  13 III EGBGB a. F. (nunmehr Art.  13 IV) leiteten, ist umstritten: Teilweise wird vertreten, die Norm belege schlicht den legislativen Willen, fremde Formvorschriften zu negieren.954 Hingegen behaupten andere Stimmen, das Gesetz räume Ordnungsinteressen in diesem Zusammenhang Vorrang gegenüber Parteiinteressen ein.955 Beiden Sichtweisen kann nur bedingt

I 2 EGBGB aber Winkler v. Mohrenfels, FS G. Kühne, 945 (951 ff.). Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (648 f.) kritisiert zudem die „Angstklausel“ in Art.  4 I 1 Hs.  2. 947  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  38 f. 948  Auf eine aktuelle Beziehung zum deutschen Staat kommt es gerade nicht an, siehe nur NK-BGB/Makowsky/G. Schulze, Art.  5 EGBGB Rn.  26. 949  Zur Problematik der Bestimmung der „engsten Verbindung“ bei Mehrstaatern i.A. Dörner, StAZ 1990, 1 (2 f.) und Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 135 ff. 950  G. Kühne, IPR-Gesetz-Entwurf, 50 f. folgte in seinem §  4 noch der Idee einer umfassenden Gleichstellung verschiedener Staatsangehörigkeiten, deren Zusammentreffen jederzeit durch die Suche nach der effektiv engsten Verbindung aufzulösen sei. Zu den Umständen der Erstellung seines Entwurfs jüngst noch ders., IPRax 2017, 243. Zu Vorentwürfen und Beratungen bei der Entstehung der Reform i.A. Henrich, IPRax 2017, 120 (120 ff.) und Kegel, Rpfleger 1987, 1 (3 f.). 951  Insbesondere BGH v. 20.06.1979 – IV ZR 106/78, NJW 1979, 1776 und BGH v. 17.04.1980 – IVa ZR 8/80, NJW 1980, 2016. Der Vorrang der „effektiven“ Staatsangehörigkeit wurde sogar in deutsch-deutschen Kollisionsfällen herangezogen, siehe Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (20). Vgl. ferner Basedow, NJW 1986, 2971 (2974). 952  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  40 f. Diese Argumentation stützt Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (650). Dass diese Bevorzugung der deutschen Staatsangehörigkeit im IZVR nicht gilt, unterstreicht Hohloch, JuS 1989, 81 (85). 953  Nojack, Exklusivnormen im IPR, 125 ff. Eine Abkehr von traditionellen Prämissen des IPR sieht daher Wengler, RabelsZ Bd.  53 (1989), 409 (425 f.). Die Kritik wurde unlängst bspw. von Arnold/Hornung/Schnetter, GPR 2021, 2 (4) und Grifo, NZFam 2021, 202 (203) mit Blick auf die Entscheidung BGH v. 26.08.2020 – XII ZB 158/18, NZFam 2020, 1009 aufgenommen. 954  Stellvertretend für die umfangreiche Kritik Wengler, RabelsZ Bd.  53 (1989), 409 (419 f.). 955  So etwa BeckOGK/Rentsch, Art.  13 EGBGB, Rn.  236.

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zugestimmt werden: Nicht feindselige Intentionen bestimmten das gesetzgeberische Handeln, sondern der Wunsch, das Konzept der obligatorischen Zivilehe unter Mitwirkung eines Standesbeamten im Inland zu schützen.956 Zugleich kenn­ ­ zeichnete diesen Wunsch jedoch kein kollisionsrechtliches Ordnungsinteresse, sondern ein materiellrechtliches;957 dass der Entscheidungseinklang, den Kegel zum Ziel seiner Ordnungsinteressen erklärte958, durch die Regelung nicht gefördert wird, gestand der Reformgeber selbst schon 1986 ein959. Insgesamt spricht aus der Vorschrift eine konservative Grundhaltung mit einem starken Rückbezug zur sachrechtlichen Rechtslage in Deutschland,960 ohne dass aller­dings die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen zielgerichtet attackiert wird. Materiellrechtliche Belange prägten auch andere Bereiche der Reform: So war es in Fragen der Rechtswahl vor allem die „Heterogenität in der rechtspolitischen Zielsetzung“, die eine rechtsgebietsübergreifende Regelung verhinderte.961 Ebenso lässt sich die auffällig hohe Zahl möglicher Anknüpfungswechsel und -spaltungen, insbesondere in ehe- und familienrechtlichen Fragen962 (etwa durch Art.  10 II EGBGB, 14 II, 18 IV EGBGB a. F.963), eher mit der Komplexität der materiellrechtlichen Dimension als durch kollisionsrechtliche Interessen erklären – Lüderitz spricht bildhaft von „materiellrechtlich bestimmten Mikrokosmen“964. Exemplarisch für eine Vermengung sach- und internationalprivatrechtlicher Motive steht überdies Art.  23 S.  2 EGBGB: Um den alternativen Rückgriff auf deutsches Recht zu rechtfertigen, wurde nicht einmal der Versuch unternommen, zwischen der materiellrechtlichen und der verweisungsrecht-

956 Siehe etwa Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (357); Nojack, Exklusivnormen im IPR, 35 ff.; Neuhaus, Grundbegriffe, 237. 957  In der Aussage, dass die Norm „als Teil des positiven ordre public gelesen werden“ muss, ist BeckOGK/Rentsch, Art.  13 EGBGB, Rn.  236 also zuzustimmen. 958  Kegel, FS Lewald, 259 (276 f.). 959  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  53 f. Zu eventuellen Folgeproblemen äußerte sich etwa Sturm, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 33 (50). 960  Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (24). 961  G. Kühne, IPRax 1987, 69 (70). Zu diesem Schluss gelangen auch Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (357 f.); Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 215 f.; Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (16 f.). 962  Die allzu große Zerfaserung dieser Teilbereiche des EGBGB kritisierte u. a. Wengler, RabelsZ Bd.  53 (1989), 409 (412 f.). Generell kritisch zum Erfolg der Vereinfachungsbestrebungen Jayme, IPRax 1986, 265 (270): das reformierte IPR als „Recht der Notare“. Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (679 ff.) sprach in diesem Zusammenhang Ratschläge für die effektive Ausgestaltung kollisionsrechtlich relevanter Vereinbarungen in der Praxis aus. 963  Abgedruckt in BGBl.  1986 I, 1142 (1145 f.). 964  Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (351 f.).

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lichen Dimension965 des Kindeswohls zu differenzieren.966 Ob die Norm einzig den Parteiinteressen des Kindes dienen, oder unter Umgehung des ordre public-Vorbehalts zugleich Präferenzen des deutschen Sachrechts durchsetzen soll, unterliegt dadurch in hohem Maße der gerichtlichen Normanwendung.967 dd) Fazit: In der Moderne angekommen Methodisch kann man der IPR-Reform des Jahres 1986 insgesamt nicht vorwerfen, sich grundlegend von den Idealen des klassischen Kollisionsrechts entfernt zu haben, schließlich reflektierten wesentliche Teile der vorgenommenen Neuerungen eine gesetzgeberische Haltung, die von der Idee der Wertneutralität geprägt war.968 Der Fakt, dass internationalprivatrechtliche Entwicklungsten­ denzen dieser Zeit aus Rechtsprechung, Literatur und ausländischen Gesetzeswerken sich in den Normen nur bedingt durchsetzen konnten,969 steht diesem Eindruck nicht entgegen; die Entscheidungen für oder gegen eine Alternative beruhten regelmäßig auf dem Fundament der Lehre Savignys, die zwar formal den einen „Sitz“ eines Rechtsverhältnisses bestimmen soll, faktisch jedoch den Weg zu unterschiedlichen Anknüpfungspunkten gleichermaßen ebnen kann. Nicht umsonst fanden sich im Regierungsentwurf umfassende Abwägungen zwischen divergierenden Regelungsoptionen, für die häufig auf kollisionsrechtliche „Interessen eigener Art“ à la Kegel rekurriert wurde.970 Nur in den wenigen Fällen, in denen das Verweisungsrecht als Vehikel inländischer Rechtspolitik fungierte, fanden diese speziellen IPR-Interessen in den Gesetzesmaterialien weniger Widerhall.971 Davon abgesehen kann man sich jedoch des Eindrucks Vgl. dazu nur Kropholler, IPR, §  2 II und Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (493). Siehe BT-Drs. 10/504, S.  73. Näher im Kontext der Reform Sturm, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 33 (64). 967  Nojack, Exklusivnormen im IPR, 93 ff. 968  Mit ausdrücklicher Betonung der Nähe zu Savigny etwa Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (31) und Sturm, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 33 (76). Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (344) erkennt trotz einiger Regelwidrigkeiten (361) eine Aufwertung für das „klassische System“. Vgl. auch Erman/M. Stürner, Einl. v. Art.  3 EGBGB, Rn.  42; Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 133. Kritisch zur wertneutralen Vorgehensweise in der Reform Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 779 ff. 969  Dies merkt G. Kühne, IPRax 2017, 243 (245) an, der aber zugleich lobend feststellt, dass die Reform „die Mitte zwischen Bewahrung und Erneuerung gehalten hat“. Pirrung, IPRax 2017, 124 (129) bescheinigt der Reform, „einen eigenen Weg gegangen“ zu sein. 970 Nach Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (344) trifft diese Aussage jedenfalls „der äußeren Form“ nach zu. Im Wesentlichen a. A. Flessner, Interessenjurisprudenz, 36 ff. 971  Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (355 ff.) nennt beispielhaft den Bereich der alternativen Anknüpfungen. Näher zu alternativen Anknüpfungen als Ausdruck einer Materialisierung des IPR Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 72 ff. 965  966 

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nicht erwehren, dass der Legislative daran gelegen war, durch die vermehrte Anwendung der den Richtern bekannten lex fori neben internationalprivatrechtlichen auch prozessökonomische Intentionen zu verfolgen.972 Was die Frage der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen anbetrifft, sollte die Rechtswissenschaftlerin nicht schon die bloße Einfügung einer „Definition“ des IPR in Art.  3 I 1 EGBGB a. F.973, die auf das Merkmal der Auslandsberührung abstellte und die Kategorie der reinen Inlandsfälle damit vermeintlich zum Regelfall erklärte, als Abkehr von diesem Dogma ansehen.974 Obschon für eine solche Umschreibung zugegebenermaßen keine Notwendigkeit bestanden hätte, wirkt der Vorwurf insofern gekünstelt, als das Kollisionsrecht sich nun einmal gerade durch seine internationale Perspektive auszeichnet.975 Im Gegenteil gelang es mit der Reform des Jahres 1986 erstmals, in Deutschland ein Kollisionsrecht zu etablieren, das Pluralität als Maxime und Zielvorstellung der Verweisung anerkannte und die Anknüpfung als Ergebnis eines gleichberechtigten Diskurses zwischen Rechtsordnungen976 charakterisierte. Regelungen, in denen sich eine unilaterale Vorliebe für das deutsche Recht manifestierte, politisierten das IPR lediglich punktuell. Das allseitige Gesamtgefüge wurde dadurch aber nicht erschüttert, galt doch im Wesentlichen: „Der Gesetzgeber duldet nicht lediglich die Fremdrechtsanwendung, sondern er hält sie für erforderlich“.977 Von den politischen Vorstellungen, fremde Rechtsordnungen in „Freunde“ oder „Feinde“ einzuteilen978 oder ihre Anwendung von konstitutiven Akten abhängig zu machen und damit mittelbar Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung der einschlägigen Kollisionsregelungen zu nehmen979, rückte die Legislative konse­ quenterweise ab. Würdigt man die Reform in der Gesamtschau, kommt man nicht umhin, ihr eine gegenüber den ursprünglichen Art.  7–31 EGBGB von 1896 in vielen Punk­ ten positive Entwicklung insofern zu attestieren, als der universelle Gel­tungs­ anspruch der lex fori beseitigt und der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit somit Vorschub geleistet wurde.980 In Anbetracht dieser konzeptuellen Fort972 Dies vermutet Basedow, NJW 1986, 2971 (2979). Einschränkend in dieser Hinsicht Hohloch, JuS 1989, 81 (89). 973  Abgedruckt in BGBl.  1986 I, 1142 (1142). 974  In diese Richtung aber Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (345 ff.). 975  Vgl. oben, B.I.1. (S.  10 ff.) und B.II.2. (S.  32 ff.). 976  Vgl. zu diesen Anforderungen oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.). 977  G. Schulze in: Strangas/Chanos/Papacharalambous/Pyrgakis/Tsapogas (Hrsg.), Kollision, Feindschaft und Recht, 1097 (1106). 978  Vgl. oben, B.II.1.b) (S.  22 ff.). 979  Vgl. oben, B.II.1.c) (S.  26 ff.). 980  Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 59 lobt v. a. die Berücksichtigung der Interessentheorie. So auch G. Schulze in: Strangas/Chanos/Papacharalambous/Pyrgakis/Tsapogas

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schritte sollten die diversen „Anomalien“ nicht zu einem Hauptcharakteristikum der Novellierung verklärt werden.981 Vielmehr fügten sie der intendierten Objektivität unübersehbare Dämpfer zu, ohne ein fundamental konträres System zu Savignys Leitlinien zu bilden.982 b) 1999983 Die zweite, bereits unmittelbar im Anschluss an die Reform von 1986 von der Literatur herbeigesehnte984 – und zwischenzeitlich ob der europäischen IPRBestrebungen für geradezu aussichtslos erklärte985 – Novellierung der internationalprivatrechtlichen Vorschriften im EGBGB widmete sich kurz vor der Jahrtausendwende den außervertraglichen Schuldverhältnissen und dem internationalen Sachenrecht. Mit dieser erneut umfangreichen Überarbeitung verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, normative Lücken986 zu schließen und dabei der Zunahme internationaler Beziehungen und Sachverhalte Rechnung zu tragen.987 Da sich in einigen der behandelten Komplexe infolge ständiger Rechtsprechung bereits gewohnheitsrechtliche Regelungen gebildet hatten, verzichtete er auf intertemporale Übergangsvorschriften988 – es handelte sich insoweit um eine „codification à droit constant“989. Obgleich die angesprochenen Rechtsgebiete qua natura keine ähnlich hohe Anfälligkeit für Politisierungen in sich tragen wie etwa die 1986 geregelten

(Hrsg.), Kollision, Feindschaft und Recht, 1097 (1106 f.), der jedoch in seiner Lobpreisung des Reformgesetzes die auch im Nachgang noch bestehenden Ausnahmen und Abweichungen zu sehr in den Hintergrund rückt. 981 Nach Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 267 überlagerten die „Erwägungen der Einseitigkeit im Einzelfall“ in Teilen jedoch das „anerkannte theoretische Ideal“. 982  In diese Richtung auch Lüderitz, FS Kegel (1987), 343 (361), der einen umfassenden „Paradigmenwechsel“ ebenso verneint wie umgekehrt die Behauptung, die Reform erschaffe ein „Gegenkonzept“ zum klassischen IPR. 983  Durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 21. Mai 1999, abgedruckt in BGBl.  1999 I, 1026. 984  Siehe nur Basedow, NJW 1986, 2971 (2972); Hohloch, JuS 1989, 81 (83); Jayme, IPRax 1986, 265 (265); Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. priv. 76 (1987), 1 (6 f.). 985  Diese Befürchtung äußerte Sandrock, ZVglRWiss Bd.  98 (1999), 227 (242 f.) noch wenige Monate vor Verabschiedung des Gesetzes. 986  Zu einzelnen Regelungen in diesen Bereichen bereits vor der Reform Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (389 f.). 987  Siehe die Begründung im Regierungsentwurf, BT-Drs. 14/343, S.  1 f. 988  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  7 und A. Staudinger, DB 1999, 1589 (1589). Denkbare Anwendungsbeispiele aus dem Übergangsrecht nennen etwa Junker, RIW 2000, 241 (243) und Spickhoff, NJW 1999, 2209 (2210 f.). 989  Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (393).

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Fragen zum Ehe- und Familienrecht,990 möchte ich auf eine vertiefte Analyse insbesondere aus zwei Gründen nicht verzichten: Erstens kann staatliche Einflussnahme gerade durch Verstöße gegen die Wertneutralität in neutral scheinenden Kontexten entlarvt werden. Zweitens existierten zu einigen Fragen dennoch verschiedene Vorschläge, die sich aus der Literatur, rechtsvergleichenden Betrachtungen und den zahlreichen Vorentwürfen991 speisten;992 die Frage, ob das IPR infolgedessen „der deutschen Dogmatik entzogen“993 wurde, verdient deshalb besondere Aufmerksamkeit. aa) Kollisionsrecht klarer Strukturen Dass Art.  38 EGBGB, der das anwendbare Recht im Falle ungerechtfertigter Bereicherungen bestimmt, sich nach wie vor in seiner ursprünglichen Form im Einführungsgesetz findet, kommt nicht von ungefähr: Dadurch, dass die entsprechenden materiellen Vorschriften jeweils eine spezielle Rechtsbeziehung, namentlich die „Leistung“ und den „sonstigen Eingriff“, in den Vordergrund rücken,994 wird auch der „Sitz“ des Rechtsverhältnisses – nicht nur für das deutsche Kollisionsrecht995 – prädisponiert.996 Angriffspunkte für politische Einflüsse bietet das internationale Bereicherungsrecht daher kaum, sodass die Legislative die Wahl der Anknüpfungsmomente überzeugend mit dem Wunsch

990  Nicht umsonst wählte Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 22 f. für seine Forderung nach einer gesamteuropäischen Lehre des Verweisungsrechts die außervertragliche Schadenshaftung als geeignetes Untersuchungsgebiet. 991 Zur Entstehungsgeschichte näher Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (390 ff.) und Spickhoff, NJW 1999, 2209 (2209 f.). Den zwischenzeitlichen Änderungswünschen seitens des Bundesrates und den Gegenäußerungen der Bundesregierung widmet sich eingehend R. Wagner, IPRax 1999, 210 ff. 992  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  6 f. 993  So die Befürchtung von Sandrock, ZVglRWiss Bd.  98 (1999), 227 (246). 994  Insofern ergaben sich in der Unternehmenspraxis auch nur höchst selten Probleme in diesem Rechtsgebiet, siehe Junker, RIW 2000, 241 (243). 995  Dass diese „typologische“ Gliederung des Bereicherungsrechts sich zwar nicht in allen sonstigen europäischen Rechtsordnungen findet, funktional aber grundsätzlich dennoch ein Gleichlauf zu erkennen ist, betont MüKoBGB/Junker, Art.  38 EGBGB, Rn.  3. Rechtsvergleichende Hinweise bietet auch Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (404 f.). Dass sich das internationale Bereicherungsrecht trotz allem durch eine hohe Varianz an Fallgestaltungen auszeichnet, unterstreicht demgegenüber R. Wagner, IPRax 1998, 429 (431). 996 Damit wird auch ein Gleichlauf verschiedener Ansprüche bzw. Statute erreicht, vgl. Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (394) und Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3675). Einen noch weitreichenderen Gleichlauf insbesondere mit dem Deliktsstatut durch eine Angleichung in der Formulierung schlug der Bundesrat vor, fand damit allerdings kein Gehör bei der Bundesregierung, siehe BT-Drs. 14/343, S.  20, 22.

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nach Entscheidungseinklang begründen konnte.997 Da dem „Hin- und Rückweg“ der Bereicherung zudem im Regelfall dieselbe Rechtsordnung zugewiesen wurde, erfuhr neben den angesprochenen Ordnungsinteressen das Parteiinteresse an einer vorhersehbaren Anknüpfung eine Aufwertung998 – die Norm fügte sich also in ein wertneutrales Verständnis des Kollisionsrechts ein. Das Bedürfnis nach Gleichlauf und Harmonie kennzeichnete des Weiteren Art.  39 EGBGB, der für internationale Geschäftsführungen ohne Auftrag dem Recht am Ort der Geschäftsbesorgung die intensivste räumliche Beziehung zu den typischen999 Sachverhaltskonstellationen zusprach.1000 Indem die Legislative daneben für sukzessive Handlungen eine Schwerpunktbildung befürwortete,1001 ließ sie Raum für eine kollisionsrechtliche Interessenabwägung im Einzelfall, anstatt unflexibel auf den Ort der ersten – aber nicht notwendigerweise charak­ teris­tischen – Geschäftsbesorgung1002 abzustellen. Wenig Konfliktpotential herrschte außerdem in Bezug auf das internationale Sachenrecht, weil dem Grundsatz der lex rei sitae schon in der damaligen Rechtsprechung und Literatur eine weit überwiegende Anerkennung zugekommen1003 und er bereits in vorangegangenen Kodifikationen europäischer Nachbarn1004 aufgegriffen worden war. Abgesehen davon begründete der Gesetzgeber seine Entscheidung mit dem effektiven Schutz des Rechtsverkehrs und „dem für das deutsche Kollisionsrecht allgemein maßgeblichen Leitgedanken der stärksten Beziehung“;1005 er stellte damit unverkennbar eine Reminiszenz an Savigny her und verzichtete auf Bezüge zur Territorialhoheit des Belegenheitsstaates1006. Um bei beweglichen Sachen trotz des Verzichts auf weitergehende Sonderregelungen,

997 

Siehe BT-Drs. 14/343, S.  8 f. Vgl. BeckOK/Spickhoff, Art.  38 EGBGB, Rn.  5. 999  Wobei für die praktisch wichtigsten Fälle der Nothilfemaßnahmen auf offenem Meer bereits internationale Übereinkommen existierten, wie Junker, RIW 2000, 241 (244) zu Recht betont. Vgl. auch BT-Drs. 14/343, S.  9. Spickhoff, NJW 1999, 2209 (2212) sieht die Rettung auf hoher See daneben als einen möglichen Fall für die Ausweichklausel an. 1000  Mit der lex loci actus unterstellte der Gesetzgeber die in Frage kommenden Ansprüche damit einem „neutralen“ Recht, wie Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (411) anmerkt. 1001  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  9. 1002  So aber Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (411). 1003  Vgl. schon Kahn, Jh. Jhb. Bd.  30 (1891), 1 (80 f.). Dazu statt aller Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und Zivilverfahrensrecht, 437 f. m. w. N. In der regelmäßigen Anknüpfung an den Lageort sieht Junker, RIW 2000, 241 (245) eine folgerichtige Ausgestaltung des Prinzips der engsten Verbindung. 1004  Siehe die Auflistung in BT-Drs. 14/343, S.  15. Zu diesem Aspekt auch Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und Zivilverfahrensrecht, 444 ff. 1005  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  15; zustimmend R. Wagner, IPRax 1998, 429 (435). 1006  Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (442). 998 

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etwa für res in transitu,1007 die internationale Dimension angemessen zu illus­ trieren, schuf der Gesetzgeber in Art.  43 II EGBGB einen kollisionsrechtlichen Kompromiss: Die allseitig negative Formulierung sollte dazu dienen, möglichst alle denkbaren Konstellationen abzudecken, ohne eine ungebührliche Wirkungserstreckung zugunsten eines nationalen Rechts zu riskieren.1008 Auf diesem Wege erkannte der Gesetzgeber bestehende sachenrechtliche Positionen in Übereinstimmung mit der Theorie der wohlerworbenen Rechte1009 dem Grunde nach an, verhinderte aber eine substantielle Aufbrechung des nationalen numerus clausus des Sachenrechts.1010 Ähnlich verhält es sich mit der Behandlung von Vorgängen, die unter einem ausländischen Recht in Gang gesetzt wurden und vor ihrer Vollendung im Inland stehen: Die einseitige Formulierung in Art.  43 III basiert ausweislich der Gesetzesmaterialien1011 auf der plausiblen Intention, einen Ausgleich zwischen Interessen der involvierten Parteien und etwaigen Drittbelangen zu schaffen, den Eingriff in fremde Sachrechtsordnungen jedoch zu minimie­ ren.1012 bb) Gerechtigkeit und Komplexität Eine ausführliche Auseinandersetzung mit kollisionsrechtlichen Argumentationsmustern lassen weiterhin die Erläuterungen zur Tatortanknüpfung in Art.  40 EGBGB mitsamt den für eine Grundregel1013 recht ausdifferenzierten Sonderanknüpfungen und Ausnahmen erkennen: Während das Optionsrecht in Abs.  1 1007 

Siehe BT-Drs. 14/343, S.  14. Diese Entscheidung lässt sich v. a. auf die fehlende praktische Relevanz zurückführen, siehe Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (436). 1008  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  16; zustimmend Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3677). 1009  Vgl. die obigen Ausführungen zu Beale, C.IV.2.c)aa) (S.  154 ff.). 1010 Instruktiv Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und Zivilverfahrensrecht, 571 f. 1011  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  16. 1012  Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (449 f.) bejaht daher die kollisionsrechtliche Rechtfertigung der Norm und sieht in ihr sogar einen „Ausdruck der anerkennungsfreundlichen Tendenz der deutschen Gerichtspraxis“. Junker, RIW 2000, 241 (254) widerspricht dieser Wertung und klassifiziert sie als Sachnorm mit Tatbestandselementen des ausländischen Rechts. Ähnlich Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und Zivilverfahrensrecht, 649 („materiellrechtliche Norm“). Stoll, IPRax 2000, 259 (263) spricht leicht ironisch von der Norm als „Ausdruck einer konstruktiven Pedanterie“. Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (445 f.) wiederum bezweifelt insgesamt die Aussage, eine allseitige Fassung stelle einen zu tiefgehenden Eingriff in fremde Rechtsordnungen dar. 1013 Auf Regelungen zu Sondermaterien hatte der Gesetzgeber bewusst verzichtet, siehe BT-Drs. 14/343, S.  10 f. Lobend insofern Spickhoff, NJW 1999, 2209 (2210). Ein zumindest teilweises Bedürfnis für Sondertatbestände, etwa bei Persönlichkeitsverletzungen, für den unlauteren Wettbewerb oder den Bereich der Amtshaftung monierte dagegen noch im unmittelbaren Nachgang der Reform Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (414 ff.).

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als Ausdruck von Interessen der geschädigten Partei1014 Eingang in das Gesetz fand, sollte Abs.  2 nach der Intention des Gesetzgebers eine mögliche engere Verbindung zu einer dritten Rechtsordnung abbilden, um den räumlich-rechtlichen Sachverhaltsumständen umfassend gerecht zu werden.1015 Besonderen Beifall verdient aus Sicht eines IPR, das die Gleichrangigkeit aller Rechtsordnungen postuliert, überdies die Klarstellung, dass die Ausnahme gemäß §  1 der „Verordnung über die Rechtsanwendung bei Schädigung deutscher Staatsangehöriger außerhalb des Reichsgebiets vom 7. Dezember 1942“1016 nicht ohne Weiteres als „Ausdruck einer gemeinsamen Umwelt“ fungieren könne.1017 Mit dieser Aussage orientierte sich der Gesetzgeber an der ständigen BGH-Rechtsprechung, in der die Verordnung aus Rücksicht vor ausländischen Rechtsordnungen insofern restriktiv ausgelegt worden war, als eine tatsächliche Bindung der Personen zu dem gemeinsamen Heimatrecht gefordert wurde.1018 Gewachsener Respekt gegenüber fremdem Recht prägte ebenso die Aufhebung von Art.  38 EGBGB (ehemals Art.  121019) in seiner seit der Neubekanntmachung des EGBGB im Jahre 1994 geltenden Form1020, dem man die Existenzberechtigung unter Verweis auf die „heutigen internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeitsvorstellungen“ absprach,1021 weil er für deliktsrechtliche Ansprüche gegenüber Deutschen bei grenzüberschreitendem Bezug inländische Haftungsmaßstäbe zur Anwendung brachte.1022

1014  Aufgrund dieser Zielrichtung leuchtet es auch ein, mit Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (424 f.) die Rechtswahl als Sachnormverweisung zu verstehen, um eine eventuelle Schwächung der Opferinteressen im Zuge einer Gesamtverweisung zu vermeiden. Aus demselben Grund überzeugt es, mit Freitag/Leible, ZVglRWiss Bd.  99 (2000), 101 (117 ff.) eine materiellrechtliche Qualifikation des Bestimmungsrechts zu fordern. Zu weiteren dogmatischen und prozessualen Folgefragen Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3675 f.). 1015  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  11 f. 1016  Veröffentlicht im Deutschen Reichsgesetzblatt 1942 I, 706, lautete dieser auszugsweise: „Für außervertragliche Schadenersatzansprüche wegen einer Handlung oder Unterlassung, die ein deutscher Staatsangehöriger außerhalb des Reichsgebiets begangen hat, gilt, soweit ein deutscher Staatsangehöriger geschädigt worden ist, deutsches Recht. […]“. 1017  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  12. 1018  Grundlegend BGH v. 08.03.1983 – VI ZR 116/81, NJW 1983, 1972 (1973 f.). Zu dieser ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung jeweils m. w. N. Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (421) und R. Wagner, IPRax 1998, 429 (433). 1019  Vgl. oben, C.IV.3.d) (S.  175 ff.). 1020  Abgedruckt in BGBl.  1994 I, 2494 (2502). 1021  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  12. 1022  Zur intensiven Kritik an dieser „Inländerschutzklausel“ näher A. Staudinger, DB 1999, 1589 (1590 f.); Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  495; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 165, 182.

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Zwar wurden im Gegenzug in Art.  40 III neuartige Vorbehalte eingefügt;1023 die Urheber der Reform charakterisierten sie aber dogmatisch überzeugend als gesonderte Ausformungen des ordre public,1024 die wesentliche Grundannahmen des deutschen Schadensrechts (Nr.  1 und 2) sowie völkervertragliche Verpflichtungen (Nr.  3) schützen sollten.1025 Auch wenn hinter der Norm politische Überlegungen stecken mögen,1026 verschärft sie die Wertungen aus Art.  6 nicht substantiell.1027 Letztlich handelt es sich mangels Begrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs nunmehr um ein privilegium generale,1028 dessen Grundprämissen angemessen erscheinen.1029 Darüber hinaus bekräftigten die zuständigen Organe ihr Streben nach situationsspezifischen Anknüpfungen mithilfe von Art.  41 als Ausweichklausel im Abschnitt der außervertraglichen Schuldverhältnisse, war sie doch dazu gedacht, eine „Anpassungsfähigkeit für jetzt noch nicht vorhersehbare Interessenlagen“ zu wahren.1030 Der Entschluss, im außervertraglichen Bereich über Art.  42 EGBGB eine Rechtswahl zuzulassen, ihre Wirkung jedoch für die Vergangenheit und im Bezug zu Dritten auszuschließen, dokumentierte ebenso die Intention,1031 Partei- und Verkehrsinteressen bei der Suche nach der engsten Verbindung in schonenden Ausgleich zu bringen.1032 Dass die vorgenommenen Beschränkungen 1023  Deren praktische Bedeutung ist indes aufgrund der Unattraktivität des deutschen Forums für ausländische Unternehmen gering, siehe schon Junker, RIW 2000, 241 (249). 1024  Wegen dieser funktionalen Äquivalenz setzt die Anwendung von Art.  40 III EGBGB wie der allgemeine ordre public eine hinreichende Inlandsbeziehung voraus, siehe statt aller Spickhoff, NJW 1999, 2209 (2213). Indifferent hierzu Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3677). 1025  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  12 f. R. Wagner, IPRax 1998, 429 (433) meint, eine völlige Aufhebung von Art.  38 EGBGB a. F. hätte darüber getäuscht, dass die dort verkörperten Gedanken in weiten Teilen nach wie vor gerechtfertigt erschienen. 1026 Zu den verschiedenen Positionen in dieser Diskussion MüKoBGB/Junker, Art.  40 EGBGB, Rn.  109 m. w. N. in Fn.  217. 1027 So Spickhoff, NJW 1999, 2209 (2213). Insbesondere verbietet die Norm nicht generell, dass das ausländische Recht in Reichweite oder Wert der Ersatzansprüche über inländische Vorgaben hinausgeht, siehe Erman/M. Stürner, Art.  40 EGBGB, Rn.  26. Wie NK-BGB/G. Wagner, Art.  40 EGBGB, Rn.  33 aufzeigt, orientieren sich insb. Nr.  1 und 2 am Wortlaut von Art.  6. Die Notwendigkeit einer Regelung hinterfragt insofern Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 416 f. Zum generellen Verhältnis von Art.  40 III zu Art.  6 nur BeckOGK/Fornasier, Art.  40 EGBGB, Rn.  136.1. 1028  Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (458). 1029  R. Wagner, IPRax 1998, 429 (433); BeckOGK/Fornasier, Art.  40 EGBGB, Rn.  136. Nach A. Staudinger, DB 1999, 1589 (1591 f.) könnte man indes über eine mittelbare Diskriminierung aus europarechtlicher Sicht nachdenken. 1030  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  13. 1031  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  14. 1032 Instruktiv Hoffmann, Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts, 131 f. und Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 181 ff. Zu den marginalen Ansätzen einer Rechtswahl im

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nicht ausnahmslos auf Zustimmung stießen,1033 lässt sich auf unterschiedliche Akzentuierungen in der Interessenabwägung zurückführen, nicht aber auf eine politische Vereinnahmung der Norm durch den Gesetzgeber. Dies gilt auch für Normgestaltungen im Internationalen Sachenrecht: Mit Art.  46 EGBGB wurde das Bedürfnis nach Flexibilisierung trotz der strengen Publizitätsanforderungen sachenrechtlicher Vorgänge – nicht zuletzt im internationalen Kontext1034 – befriedigt,1035 eine Rechtswahl dagegen mit der Begründung ausgeschlossen, das Zusammenspiel aus vorhersehbarer Grundanknüpfung und Ausweichklausel rücke die Beteiligteninteressen ausreichend in den Fokus.1036 In ähnlicher Weise wurde der Entschluss, für die Entstehung von Sicherheiten an Transportmitteln in Art.  45 II 1 an das Forderungsstatut anzuknüpfen, mit dem Ziel gerechtfertigt, trotz bestehender Unterschiede in der internationalen Praxis1037 Rechtssicherheit für die Parteien zu schaffen und Nachteile für den Rechtsverkehr infolge unflexibler Anknüpfungen zu vermeiden.1038 cc) Deutsche Rechtsinstitute als Maßstab Auch dem Gesetzgeber von 1999 gelang es indes nicht, den Ausschluss politischer Motive in letzter Konsequenz zu verwirklichen. Wenngleich er die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen nicht durch einseitige Verweisungen durchbrach, wählte er teilweise eine ergebnisorientierte Argumentation, die sich primär darauf fokussierte, Anwendungsprobleme auf Basis des deutschen Sachrechts auszuschließen: In diesem Sinne wurde der Verzicht auf eine Sonderregelung für ins Ausland verbrachte Grundpfandbriefe an inländischen Immobilien damit begründet, dass das „gewünschte Ergebnis“ sich bei deutscher lex rei sitae aufgrund der akzessorischen Eigentumsstellung entsprechender Wertpapiere automatisch einstelle.1039 Deliktsrecht vor der Reform Köthe, Parteiautonomie im Deliktsrecht, 22 f. R. Wagner, IPRax 1998, 429 (434) erkennt v. a. ein Schutzbedürfnis für eventuell einstandspflichtige Versicherer. Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (401) und Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 464 f. weisen zu Recht darauf hin, dass die Unzulässigkeit von Verträgen zu Lasten Dritter als allgemeines Rechtsprinzip Drittschutzregelungen wie die in S.  2 gewählte stützt. 1033  Zur Kritik statt aller Freitag/Leible, ZVglRWiss Bd.  99 (2000), 101 (103 ff.). 1034  Näher dazu im kollisionsrechtlichen Kontext Junker, RIW 2000, 241 (245). 1035 Ausführlich Stoll, IPRax 2000, 259 (269 f.). 1036  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  16. Kritisch zum Ergebnis der Abwägung Stoll, IPRax 2000, 259 (264). Zur eventuellen Indizwirkung einer Rechtswahl für die Entscheidung nach Art.  46 EGBGB ders., IPRax 2000, 259 (264 f.) und A. Staudinger, DB 1999, 1589 (1594). Eine solche ablehnend Junker, RIW 2000, 241 (252). 1037  Vgl. speziell dazu Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (454 f.). 1038  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  18. 1039  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  15.

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Ähnliche Gedanken lagen auch Art.  45 II 2 EGBGB zugrunde, der das Statut für die Rangfolge von Sicherungsrechten an Transportmitteln festlegt: So lässt sich annehmen, dass die Aussage, die Regelung führe regelmäßig zur Anwendung der lex fori,1040 nicht bloß feststellenden Charakter hatte.1041 Vielmehr zeigte der Reformgeber die aus deutscher Sicht bevorzugte Anknüpfung auf, die vonseiten der Rechtsprechung bereits umgesetzt,1042 in Vorentwürfen jedoch nicht befriedigt worden war.1043 Aus dem unmittelbar folgenden Nachsatz, die Anwendung deutschen Rechts sei auch qua Rückgriff auf Art.  46 EGBGB zu erreichen, spricht ebenfalls eine implizite Präferenz zugunsten des deutschen Rechts und seiner Sicherheiten. Der anschließende Hinweis, eine abweichende Hierarchie könne bei entsprechender Übereinstimmung aller sonstigen Rechtsordnungen mit einem Bezug zu den Sicherungsrechten über die Ausweichklausel berücksichtigt werden, ist wegen der geringen Wahrscheinlichkeit einer derartigen Konstellation nicht geeignet, diese Deutung zu erschüttern. dd) Fazit: Bestehendes verschriftlicht, Risiken gescheut Die Erläuterungen könnten dazu verleiten, die Reform aus dem Jahr 1999 als Musterbeispiel einer Übertragung der klassischen kollisionsrechtlichen Lehre auf die Gesetzgebung zu preisen.1044 Dieses Urteil muss allerdings insofern einge­ schränkt werden, als nicht vergessen werden sollte, dass die Novellierung in Inhalt und Umfang einen risikoarmen Weg wählte – es ging explizit darum, lediglich einen „Kernbestand internationalprivatrechtlicher Grundsätze“ festzule­ gen1045. Im Wesentlichen begnügte der Reformgeber sich damit, Lösungswege zu verschriftlichen, die bereits aus langjähriger Rechtsprechung erwachsen waren;1046 Fragestellungen, zu denen noch kein internationaler Konsens zu verzeichnen war, wurden dagegen ausgespart. Mit dem Sachen- und Deliktsrecht fiel 1040  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  18. Die Vorteile dieser Lösung unterstreicht Stoll, IPRax 2000, 259 (268). Ihm zustimmend Staudinger/Mansel, Art.  45 EGBGB, Rn.  215 f. 1041  Zu diesem Eindruck im deuschen internationalen Sachenrecht generell W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (463). 1042 Dazu Junker, RIW 2000, 241 (254) unter Zugrundelegung mehrere Urteile. 1043  Dass die Rangfolge gesetzlicher Mobiliarsicherheiten ursprünglich nur in der Begründung, nicht aber im Normtext der lex rei sitae (also regelmäßig dem deutschen Recht) unterstellt wurde, rief Kritik hervor und veranlasste den Gesetzgeber zu einer entsprechenden Änderung gegenüber dem Referentenentwurf, siehe R. Wagner, IPRax 1998, 429 (437). 1044  So recht pauschal Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3675): „Inhaltlich folgt die Neuregelung dem Prinzip der engsten Verbindung“. Ebenso in diese Richtung zu Art.  38–40 EGBGB Junker, RIW 2000, 241 (243). Ein „positives Zeugnis“ bescheinigt dem Gesetzgeber auch Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (461). 1045  Siehe BT-Drs. 14/343, S.  1. 1046  Siehe etwa BT-Drs. 14/343, S.  15.

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der Schwerpunkt des Vorhabens dazu wie erwähnt in Rechtsgebiete mit einem geringen Potential für politische Überlagerungen, was die seltene Überrepräsentation deutscher Motive erklärt. Immerhin richteten die zuständigen Organe ihr Handeln aber auch dort, wo Vorschriften eine komplexere Systematik erhielten, regelmäßig an den klassischen kollisionsrechtlichen Idealen aus, indem Mittelwege gewählt und mit widerstreitenden Interessen begründet wurden.1047 Ein „kühner Schritt des Gesetzgebers auf kollisionsrechtliches Neuland“1048 ist letztlich jedoch nur durch Art.  40 I 2 EGBGB gewagt worden, an dem sich ablesen lässt, dass die Legislative auch 1999 noch unterschwellig auf die häufigere Anwendung des inländischen Rechts in bestimmten Konstellationen pochte. Unabhängig von der Frage, ob die Vorschrift Parteiinteressen des Geschädigten zu hoch gewichtet,1049 verkörpert sie vor allem prozessökonomische Erwägungen: Die Intention, das deutsche Recht als lex fori in der gerichtlichen Praxis aufzuwerten und die Spruchkörper damit zu entlasten, wurde im Zuge des Gesetzgebungsprozesses hervorgehoben.1050 Während umstritten ist, inwieweit es infolge der Regelung tatsächlich zu einer häufigeren Anwendung des Forumrechts kommt,1051 konterkariert die Regelung das Prinzip der engsten Verbindung somit jedenfalls auf argumentativer Ebene – dem deutschen Gericht soll „die Fremdrechtsanwendung erspart“1052 bleiben. 5. Die Europäisierung1053 des IPR Die jüngste und bei Weitem noch nicht abgeschlossene Epoche in der Entwicklung des IPR setzte mit den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahr1047  Junker, RIW 2000, 241 (244) deutet beispielsweise die Fülle an Ausweichklauseln im Anschluss daran auch als Reaktion auf den Verzicht auf substantielle Sondertatbestände. Ebenso Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (432). 1048  Freitag/Leible, ZVglRWiss Bd.  99 (2000), 101 (115). 1049  Was wohl unzweifelhaft zu bejahen ist, siehe nur NK-BGB/G. Wagner, Art.  40 EGBGB, Rn.  20 und Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 65 ff. Ähnlich zum Günstigskeitsprinzip insgesamt Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (193). Dieser Einschätzung stellt sich Flessner, Interessenjurisprudenz, 82 f. entgegen. 1050  Sie ließ sich etwa aus den Vorschlägen des Deutschen Rates für IPR und aus dem Referentenentwurf herauslesen, siehe v. Hein, Günstigkeitsprinzip, 129. 1051  In der Retrospektive bejaht von Erman/M. Stürner, Art.  40 EGBGB, Rn.  1. In diese Richtung auch BeckOGK/Fornasier, Art.  40 EGBGB, Rn.  129. Dagegen noch zweifelnd Geisler, Die engste Verbindung im IPR, 328 und R. Wagner, IPRax 1998, 429 (433). Zur lex fori-Tendenz des vorherigen Günstigkeitsprinzips siehe v. Hein, Günstigkeitsprinzip, 45 f. 1052  Junker, RIW 2000, 241 (247). Kreuzer, RabelsZ Bd.  65 (2001), 383 (425) sieht in der Verlagerung des Optionsrechts auf die Parteien gar einen Eingriff in die vorherige Befugnis der Gerichte, „zur Anwendbarkeit der vertrauten lex fori zu gelangen“. 1053  Der Begriff der „Europäisierung“ soll hier weit verstanden werden und sich auf unter-

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hunderts ein und ist von der stetig zunehmenden Europäisierung des Kollisionsrechts geprägt. Obwohl, oder gerade weil1054 diese Evolution sich auf multinationaler Ebene abspielt, ist mit ihr nicht etwa eine Limitierung politischer oder gesellschaftlicher Einflüsse einhergegangen;1055 stattdessen haben sich Perspek­ tive und Regelungstechnik – man denke nur an die zahlreichen Verordnungen in Teilbereichen von IPR1056 und IZVR – bedeutend verändert.1057 Exemplarische Modifikationen durch europäische Gesetzgebung1058 und Rechtsprechung an dem Leitbild eines wertneutralen Kollisionsrechts gleichrangiger Rechtsordnungen zu messen, soll Gegenstand dieses Kapitels sein. a) Ein IPR des Binnenmarkts Worin der zumindest originäre Zweck der Europäisierungstendenzen im IPR liegt, belegt ein Blick in den jeweils ersten Erwägungsgrund der bis dato in Kraft getretenen Verordnungen: Dort findet man stets den Ausspruch, die Gemeinschaft oder Union dürfe im Rahmen der Justiziellen Zusammenarbeit in Zivil-

schiedliche Arten der Überformung und Beeinflussung beziehen, daher wird auf eine umfassende Begriffserklärung – anders als etwa bei Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  49 ff. oder Nehne, Methodik des europäischen IPR, 8 ff. – an dieser Stelle verzichtet. 1054  Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, Vorwort (S. V): „Für die Europäische Union als transnationales Gemeinwesen […] bietet sich die Metaebene des Internationalen Privatrechts als Ansatzpunkt politischer Gestaltung jedoch geradezu an“. Siehe auch Trüten, IPR in der EU, 5. 1055  Dies stellt Arnold in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, Vorwort (S. V) pointiert heraus: „So sind Recht und Politik kaum trennbar ineinander verwoben“. Die bewusst überspitzte Frage von Jayme, IJVO 1991/92, 8 (10), ob durch die Europäisierung „so ähnlich wie die Deutsche Mark auch das Internationale Privatrecht auf der Strecke bleibt“, ist daher zu verneinen. 1056  Eine kurze Zusammenfassung des inhaltlichen Gehalts der grundlegenden bisher ergangenen Verordnungen zum Kollisionsrecht auf europäischer Ebene bieten etwa Junker, IPR, §  2 Rn.  8 ff. und Rauscher, IPR, Rn.  91 ff. 1057  Trüten, IPR in der EU, 607 spricht von einer ähnlich weitreichenden „IPR-Revolution“ wie durch die angloamerikanischen Einflüsse (dazu oben, C.IV.2., S.  141 ff.). Insofern a. A. Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (6). Als Konsequenz fordert Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 10 ff. daher gar eine generelle Europäisierung der Lehre im Kollisionsrecht. 1058  Insbesondere soll es hier um Rechtsakte der EG und der EU gehen, weshalb auf Erörterungen zu den zahlreichen Haager und Genfer Übereinkommen mit ebenfalls vorwiegend europäischen Mitgliedstaaten verzichtet wird. Nehne, Methodik des europäischen IPR, 157 ff. widmet sich der Konkurrenz zwischen staatsvertraglichem und europäischem IPR.

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sachen nur1059 oder vor allem1060 bei positiven Effekten auf das „Funktionieren des Binnenmarkts“ tätig werden.1061 Aus der Lockerung des Binnenmarktbezugs seit Einführung von Art.  81 II AEUV als Kompetenzgrundlage anstelle von exArt.  65 EGV1062 sollte nicht vorschnell gefolgert werden, die Relevanz des Gemeinsamen Marktes sei in der kollisionsrechtlichen Gesetzgebung abgewertet worden;1063 vielmehr vollzog die EU diese Änderung, um die eigenen regulativen Befugnisse auszuweiten.1064 Entsprechend dieser kontinentalen Fokussierung wurde bereits im „Aktionsplan“ zum fortschreitenden Aufbau des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Hauptanliegen der IPR-Harmonisierung das nach innen gerichtete Ziel formuliert, „das reibungslose Funktionieren der Zivilverfahren in einem europäischen Rechtsraum“ zu ermöglichen und „den europäischen Bürgern das Leben dadurch zu erleichtern“.1065 Schon vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass bei der Bestimmung der verweisungsrechtlichen Anknüpfungspunkte die Dimension der EU als Wirt­ schafts- und Währungsunion einen nicht unerheblichen Einfluss ausübt.1066 So z. B. noch akzentuiert in EG 1 der Rom I-VO: „[…] Maßnahmen erlassen, soweit sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich sind“. 1060  So z. B. in jüngerer Zeit EG 1 der Rom III-VO: „[…] Maßnahmen erlassen, insbesondere wenn dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist“. 1061  W. Roth, EWS 2011, 314 (321) spricht von einem „Marktordnungsrecht“. Ausführlich zur wirtschaftlichen Grundausrichtung der EU-Verträge im privatrechtlichen Kontext Rühl in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 161 (167 ff.) und Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 174 ff. 1062  Zur Evolution der Kompetenzgrundlagen näher Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 68 ff.; Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 34 f.; R. Wagner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 105 (105 ff.); Trüten, IPR in der EU, 105 ff., 190 ff. Inwieweit die Union überhaupt zur Schaffung allseitiger Kollisionsnormen befugt ist, hinterfragt Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 348 ff. Bejahend Nehne, Methodik des europäischen IPR, 128 f. Vgl. auch Sonnentag, Renvoi, 89 ff. und Boele-Woelki, LA Siehr, 61 (62 ff.). 1063  In diese Richtung aber m. w. N. Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 26 und Weller, IPRax 2011, 429 (436). Eine vermittelnde Position nimmt Heiderhoff, EU-Privatrecht, Rn.  566 ein. 1064  W. Roth, EWS 2011, 314 (318); Kieninger, FS v. Hoffmann, 184 (187); Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 41; Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 212 f. Nach Trüten, IPR in der EU, 210 f. besteht ein wesentlicher Vorteil von Art.  81 II AEUV darin, dass er zur „aktiven Rechtsangleichung“ genutzt werden könne. Zur Ermächtigungsgrundlage ferner Raupach, Ehescheidung in der EU, 15 f. und Lechner, Reichweite des Erbstatuts, 155 ff. 1065  ABl.  EG C 19 vom 23.01.1999, S.  1 (10). Dazu Kieninger, FS v. Hoffmann, 184 (187 f.). Frühen Formen eines Binnenmarkt-IPR widmet sich Mankowski in: Basedow/Drobnig/Ellger/ Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 595 (598 ff.). 1066  Siehe nur Weller, IPRax 2011, 429 (433) und Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 238. Instruktiv zum „Störpotential“ der Sachrechtsverschiedenheit innerhalb der EU bei der Förderung des unionalen Marktes Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 8 ff. Ein1059 

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Wenngleich der europäische Gesetzgeber seine Normen keiner im engeren Sinne ökonomischen Analyse unterzieht,1067 nimmt er mal mehr, mal weniger eindeutig Rücksicht auf tatsächliche Marktbelange, die nicht zwangsläufig verweisungsrechtlichen Bedürfnissen entsprechen: So wurde beispielsweise in den Diskussionen zur Rom I-VO das zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens in der euro­ päischen Politik omnipräsente Thema der Rettung des krisengebeutelten Finanzund Bankenwesens aufgeworfen, sodass vornehmlich Art.  4 I lit.  h und Art.  6 IV lit.  d sowie lit.  e kaum ohne diesen lobbypolitischen Hintergrund gelesen werden können.1068 Dennoch beweist nicht jede Bezugnahme auf wirtschaftliche Umstände eine binnenmarktspezifische Methodik, ist doch zuvorderst nach der Einseitigkeit der dahinterstehenden Intention zu fragen1069: Vor diesem Hintergrund ist zwar nicht zu leugnen, dass Art.  5 Rom II-VO zur Produkthaftung und Art.  6 Rom II-VO zum Kartell- und Lauterkeitsrecht wirtschafts- und wettbewerbsrechtliche Bezüge aufweisen.1070 Während die Kaskadenanknüpfung in Art.  5 I jedoch aus Auseinandersetzungen zwischen Verbraucherschutzverbänden und unternehmerischen Interessenvertretungen hervorgegangen ist und sich nur schwerlich mit kollisionsrechtlichen Interessen begründen lässt,1071 nimmt Art.  6 ohne eine unilaterale Motivation Schutzgedanken aus dem materiellen Recht auf und führt sie einer „interessengerechten kollisionsrechtlichen Lösung“1072 zu. Auch die Judikative hat in Entscheidungen zu grenzüberschreitenden Sachverhalten vereinzelt Rückbezüge zur Integrationsaufgabe des Binnenmarktes hergestellt1073 – die Forderung von Generalanwalt Jääskinen, die Brüssel I-VO so anzuwenden, dass „die volle Wirksamkeit der Bestimmungen des Wettbewerbsrechts“ als „Schlüsselelement der Wirtschaftsverfassung der Europä­ ischen Union“ garantiert werde,1074 ist exemplarisch als Fingerzeig für das IPR schränkend zu diesen Thesen Trüten, IPR in der EU, 649, der die Binnenmarktfokussierung erst aus einem Zusammenspiel von Rechtsetzung und Spruchpraxis des EuGH herleitet. 1067  Darauf weist Rühl in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 161 (170 ff.) hin. Grds. kritisch zum Versuch einer ökonomischen Analyse im IPR Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (23 ff.). 1068  Mankowski, Interessenpolitik, 45 ff. Vgl. zum Einfluss des Londoner Finanzmarktes auch Trüten, IPR in der EU, 647. 1069  Vgl. oben, B.II.2. (S.  32 ff.). 1070  Rühl in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 161 (171). 1071  Siehe nur MüKoBGB/Junker, Art.  5 Rom II-VO, Rn.  4 und BeckOK/Spickhoff, Art.  5 Rom II-VO, Rn.  1. 1072  So BeckOGK/Poelzig/Windorfer, Art.  6 Rom II-VO, Rn.  18. Vgl. auch W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (508). 1073  Ausführlich zur Spruchpraxis des EuGH in Bezug auf die Binnenmarktintegration Düsterhaus, ZEuP 2018, 10 (24 ff.). Vgl. auch Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht, 312 ff. 1074  So GA Jääskinen in Rn.  27 seiner Schlussanträge (ECLI:EU:C:2014:2443 = BeckRS

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und IZVR verallgemeinerungsfähig. Man mag das IPR in praktischer Hinsicht für die richtige1075 oder falsche1076 Ebene halten, was die Erfolgsaussichten dieser Ziele anbelangt; geht man von der klassischen Methodik aus, muss man diese Vorgehensweise ablehnen: Indem das europäische IPR schon im Ausgangspunkt eine interne Perspektive wählt und so eine „Insel“ innerhalb der Gemeinschaft der Rechtsordnungen schafft, greift es im Ansatz politische Denkmuster aus der Antike auf,1077 ohne freilich in einen vergleichbaren Isolationismus zu verfallen. Anstatt die Gleichrangigkeit verschiedener Systeme innerhalb einer plura­ listischen Weltordnung zu fördern, wie es etwa Mouffe explizit fordert,1078 kon­ zentriert sich die EU darauf, die eigene Position aufzuwerten. b) Freizügigkeit, Heimwärtsstreben und Aufenthalt Europäische Grundvorstellungen haben schließlich auch dafür gesorgt, dass das unionale IPR sich zugunsten des Aufenthaltsrechts mehrheitlich von der Staatsangehörigkeitsanknüpfung abgewandt hat.1079 Auf den ersten Blick scheint zwischen den beiden Anknüpfungsalternativen ein „sachlogisches Argumentationsgleichgewicht“ zu bestehen:1080 So lässt sich die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt damit rechtfertigen, dass sie häufig zu einem Gleichlauf von IPR und IZVR führt und dabei ausschließlich auf realen Elementen beruht, wodurch Probleme auch bei Staatenlosen vermieden werden; für die Staatsangehörigkeit spricht wiederum abseits seltener Sonder2014, 82613) zu EuGH Rs. C-352/13 v. 21.05.2015 – Hydrogen Peroxide, ECLI:EU:C:2015:335 = BeckRS 2015, 80660. 1075  Siehr, IPR, 426 nennt die zunehmende Vereinheitlichung des IPR auf europäischem Niveau „eine sinnvolle und ökonomisch richtige Entscheidung“. In diese Richtung auch Kronke in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 757 (769). 1076  R. Wagner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 105 (124 f.) betont, dass die vermehrte Fokussierung auf die Förderung des Wirtschaftswachstums durch die politischen Entscheidungsträger in den letzten Jahren das Interesse an einer fortlaufenden Harmonisierung des IPR schmälern könnte, weil dieses Ziel durch eine Vereinheitlichung auf Ebene des Sachrechts effizienter zu verfolgen sei. In Teilen bezweifelt ders. in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 51 (54 f., 59) daher die „politische Strahlkraft“ des unionalen IPR. 1077  Vgl. oben, B.II.1.a) (S.  19 ff.) und C.I.3. (S.  88). 1078  Mouffe, On the Political, 129. Vgl. auch oben unter B.II.1.b) (S.  22 ff.). 1079  Mankowski, IPRax 2017, 130 (130). Für eine Bestandsaufnahme in den Rechtsakten siehe Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 139 ff. 1080  G. Kühne, Parteiautonomie im Erbrecht, 63; siehe auch Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 217; M. Stürner, Jahrbuch für Italienisches Recht 26 (2013), 59 (64). Nach Nehne, Methodik des europäischen IPR, 289 setzt in der Rom II-VO etwa die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt das Prinzip der engsten Verbindung gerade um.

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fälle ihre definitorische Schärfe, die geringe Missbrauchsgefahr und die kulturelle Verbundenheit der Streitparteien mit ihrer jeweiligen Heimat.1081 Vor diesem Hintergrund muss der Gesetzgeber also vor allem entscheiden, ob er einer „raschen, fehlerresistenten und kostenarmen“ oder der „rechtssicheren und vorhersehbaren Rechtsanwendung“ Vorrang einräumt.1082 Indem die europäische Legislative der ersten Option und damit den Vorzügen des gewöhnlichen Aufenthalts gefolgt ist, hat sie mithin eine Neujustierung vorgenommen, die mit den internationalprivatrechtlichen Interessen und damit dem Prinzip der engsten Verbindung im Grunde in Einklang steht.1083 Bei näherer Betrachtung steht die Entscheidung jedoch Pate für einen „soziologischen Paradigmenwechsel“:1084 Für die Anknüpfung an den Aufenthalt im EU-Kollisionsrecht streitet nämlich zuvorderst das rechtspolitische Interesse, die steigende Mobilität der Einwohnerinnen auch im Recht abzubilden.1085 Als primäres Anknüpfungsmoment soll der gewöhnliche Aufenthalt die Grundfreiheiten absichern und es den Bürgerinnen insbesondere in familienrechtlichen Fragestellungen ermöglichen, von der durch die Verträge garantierten Flexibilität Gebrauch zu machen.1086 Im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander müsste sich die lex patriae-Anknüpfung überdies mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, entgegen Art.  18 AEUV eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit auszusprechen.1087 Es handelt sich folglich im Wesentlichen um Einleitend statt vieler M. Stürner, Jahrbuch für Italienisches Recht 26 (2013), 59 (63 f.) und Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 738 ff. 1082  So zusammengefasst von Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 65 f. 1083  Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 338. Vgl. zu dieser Frage auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 182 f. Die Kritik an der Entscheidung fasst Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 194 f. zusammen. 1084  Weller in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 293 (317 ff.). Diesen Schritt befürwortend Weller/Thomale/Zimmermann, JZ 2017, 1080 (1081). Schon Neuhaus, Grundbegriffe, 233 führte „tagespolitische Argumente“ für den gewöhnlichen Aufenthalt an. Vgl. zu dieser Frage auch Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (485 ff.). 1085  Emmerich, Probleme der Anknüpfung, 73; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 367 f.; Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 72 f.; Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (759); ders. in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 133 (147 ff.). Zu entsprechenden Intentionen im Rahmen der Rom III-VO Mörsdorf-Schulte, RabelsZ Bd.  77 (2013), 786 (806 ff.). Vgl. auch Dethloff, FS v. Hoffmann, 73 (79) zu Entwicklungen im Güterrecht und M. Stürner, Jahrbuch für Italienisches Recht 26 (2013), 59 (64) sowie W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (494 f.) zur Umsetzung in der EuErbVO. 1086  Heiderhoff, IPRax 2017, 160 (166). Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 318 erkennt in der Anknüpfung ein „projet d‘intégration européenne“. 1087  Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 94; Erman/ M. Stürner, Einl. v. Art.  3 EGBGB, Rn.  49. Dazu bereits Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  461 ff. Grundsätzlich kritisch Mäsch, RabelsZ Bd.  61 (1997), 1081 

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eine integrationspolitische Entscheidung,1088 die infolge des europäischen Perspektivwechsels an Relevanz gewonnen hat.1089 Darüber hinaus bewirkt die Anknüpfung einen aus unionaler Sicht sicherlich nicht zu vernachlässigenden Nebeneffekt – durch die vermehrte Anwendung der lex fori weicht die „Heimat des Rechtsverhältnisses“ zunehmend der „Heimat der Richter“.1090 c) Gesellschaftsbilder als rechtliche Herausforderung Eine weitere Konsequenz der Verlagerung von juristischen Problematiken auf die europäische Bühne ist, dass das Recht sich verstärkt mit unterschiedlichen Familienkonzepten und divergierenden nationalen Regelungsmodellen auseinandersetzen muss.1091 Schon in Europa existiert eine beachtliche Meinungsvielfalt, was beispielsweise die Voraussetzungen1092 und die güterrechtlichen Folgen1093 einer Ehe anbelangt. Da zusätzlich die Phänomene der Migration und Globalisierung eine fortschreitende Varietät kultureller Identitäten bewirken,1094 285 (310). Mankowski, IPRax 2017, 130 (132 f.) nennt dagegen Gründe, die eine Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit stützen. Den Vorwurf der Diskriminierung verneint Lechner, Reichweite des Erbstatuts, 118 f. 1088  Siehe nur Makowsky, GPR 2012, 266 (270). In diese Richtung generell zum gewöhnlichen Aufenthalt schon Baetge, Gewöhnlicher Aufenthalt, 85. 1089 Nach Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 81 setzt sich der Aufenthalt „zwar nicht als zwingende, wohl aber als unionspolitisch vorzugswürdige Alternative“ durch. 1090  Weller in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 133 (158 f.). Ebenso ders. in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 293 (299 f.). Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 386 f. bestätigt ein „Heimwärtsstreben“ des EU-IPR und den Hang „zu einer verkappten lex fori-Anknüpfung“. Ähnlich Dethloff, FS v. Hoffmann, 73 (86 f.); Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  230; G. Schulze, LA Jayme, 183 (199); Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 131. 1091  Althammer in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 1 (2). Becker, NJW 2011, 1543 (1543) spricht von „identitätsstiftenden Traditionen“. Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 80 ff. erkennt v. a. die Schwierigkeit, die teils rational-ökonomischen Argumentationsmuster aus dem allgemeinen Vertragsrecht auf diese Ebenen zu übertragen. Vgl. auch Looschelders, FS v. Hoffmann, 266 (277 ff.). 1092 Ausführlich Heiderhoff, StAZ 2014, 193 ff. 1093  Dazu nur Dethloff, FS v. Hoffmann, 73 (74 f.). 1094  Kreuzer, RW 2010, 143 (144) spricht in Anlehnung an S. Huntington von einem „clash of civilizations“. Zu der Beobachtung ferner Büchler, FS Brudermüller, 61 (62); Althammer in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 1 (3); Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 1 ff.; Beier, Rechte des überlebenden Ehegatten, 1; Opris, ZErb 2017, 158 (158); Balomatis in: Höver/de Kruijf/O’Donovan/Wannenwetsch (Hrsg.), Die Familie im neuen Europa, 215 (216); M. Wagner, Kulturelle Integration und GG, 25 ff. Zu den damit verbundenen Herausforderungen gerade im IPR Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 193 ff.; Flessner, Interessenjurisprudenz, 32 ff.; Weller/Thomale/Zimmermann, JZ 2017, 1080; Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 346 ff. Vlaardingerbroek in: Höver/de Kruijf/O’Donovan/Wannenwetsch (Hrsg.), Die Familie im neuen Europa, 199

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

begegnet der Umgang mit Beziehungskonstrukten naturgemäß erheblichen Schwierigkeiten.1095 Dass die Union die Harmonisierung familienrechtlicher Fragen bisher – obschon mangels ökonomischer Bedeutsamkeit erst in einem vergleichsweise späten Stadium der Vereinheitlichungsbestrebungen1096 – zuvorderst auf kollisionsrechtlicher Ebene angestoßen hat, erscheint vor diesem realpolitischen Hintergrund nur folgerichtig1097: Wo ein gemeinsames sachrechtliches Fundament fehlt und in naher Zukunft auch nicht erreicht werden dürfte,1098 gewinnt das IPR als schonendere (Verweisungs-)Alternative an Bedeutung.1099 Zugleich rücken die traditionellen Korrekturinstrumente des IPR verstärkt als Methodenproblem in den Fokus: Instrumente wie der ordre public1100 oder anerkennungsrechtliche Ansätze1101 können zielorientiert eingesetzt werden,1102 um (213) warnt davor, diese Varianz im realen Leben auf juristischer Ebene durch die Verabschiedung vereinheitlichender Rechtsakte bekämpfen zu wollen. Zustimmend Becker, NJW 2011, 1543 (1546). 1095  Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 83 führt diesen Umstand auf die Überlagerung familienrechtlicher Diskussionsfragen (auch) im IPR durch „emotionale, traditionelle und kulturelle Aspekte“ zurück. Dazu jüngst noch Hübner, RabelsZ Bd.  85 (2021), 106 (123 ff.) zu Fragen der Anerkennung. 1096  Diesen Aspekt unterstreichen Beier, Rechte des überlebenden Ehegatten, 2, 383 und Dethloff, FS v. Hoffmann, 73 (73 f.). 1097  Vlaardingerbroek in: Höver/de Kruijf/O’Donovan/Wannenwetsch (Hrsg.), Die Familie im neuen Europa, 199 (209 f.). 1098  Beier, Rechte des überlebenden Ehegatten, 400 warnt ausdrücklich vor Harmonisierungsbestrebungen im Sachrecht. Zu entsprechenden Ansätzen durch die CEFL Vlaardingerbroek in: Höver/de Kruijf/O’Donovan/Wannenwetsch (Hrsg.), Die Familie im neuen Europa, 199 (211 f.). 1099  Gounalakis/Radke, ZVglRWiss Bd.  98 (1999), 1 (10); Muir Watt in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 44 (48). Zu dieser Integrationsfunktion des IPR auch Weller/Göbel in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 75 (84); Mills in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 245 (250); Ragno in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (34 ff.); Ruiz Abou-Nigm in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 196 (202). Vgl. ferner Hoffmann, Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts, 12 f. Von diesem Weg zeigt sich dagegen Heymann in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 277 (279) mit Blick auf Art.  81 II lit.  c AEUV überrascht. 1100  Näher dazu unten, C.IV.5.d)aa) (S.  212 ff.). Die Relevanz gerade des ordre public in den durch die Fluchtbewegungen entstandenen Fragestellungen betont Malacka, ZfRV 2019, 61 (68). 1101  Näher dazu unten, C.IV.5.f)bb) (S.  230 ff.). Die Anerkennung bei familienrechtlichen Fragen beleuchtet Heiderhoff, FS v. Hoffmann, 127 (130 ff.). 1102  Rohe in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 67 (79 f., 85 f.) warnt davor, sich auf diesem Wege realen Problemen zu entziehen. Beispielhaft positioniert sich Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 521 ausdrücklich gegen einen rechtswahlbezogenen Sondervorbehalt im Scheidungsrecht.

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europäische Leitbilder in Grundzügen abzusichern,1103 ohne eine umfassende Harmonisierung durch Rechtsakte realisieren zu müssen.1104 Obwohl somit das „Ob“ der internationalprivatrechtlichen Vereinheitlichung aus rechtspolitischer Perspektive zu bejahen ist, erweist sich das „Wie“ als äußerst schwierig.1105 So illustriert insbesondere die jüngste Limitierung des räumlichen Anwendungsbereichs der im Zuge der Verstärkten Zusammenarbeit erlassenen1106 Rom III-Verordnung, dass familienrechtliche Verordnungsvorhaben infolge der Sachrechtsverschiedenheit1107 am erforderlichen Konsens scheitern können.1108 Diese Uneinigkeiten läuteten eine „ernüchternde Phase“ in der europäischen Kollisionsrechtsentwicklung ein,1109 nach Pietsch bleibt gar nur „der klägliche Rest einer ehemals euphorischen Idee eines einheitlichen Rechtsraums“1110. Darin verkörpert sich – wie auch in dem Entschluss, eine autonome Qualifikation des Ehebegriffes durch Art.  1 II lit.  b Rom III-VO auszuschließen1111 – eine 1103 

Beispiele für eine zu weitreichende Überformung des IPR durch kontinentale Sichtweisen finden sich unter D.I. (S.  251 ff.) und D.II. (S.  262 ff.). 1104  Dieses Phänomen beschreibt Althammer in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 1 (17 ff.). Vgl. auch Büchler, FS Brudermüller, 61 (70). 1105  Althammer in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 1 (6 ff.) vermisst insgesamt Kohärenz in den Rechtsakten. Tatsächlich fehlt es dem internationalen Familienrecht der EU – anders als z. B. dem IZVR in Kindschaftssachen, das nach Balomatis in: Höver/de Kruijf/O’Donovan/Wannenwetsch (Hrsg.), Die Familie im neuen Europa, 215 (218) und Heiderhoff in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Abgrenzungen im Int. Familienrecht, 39 (40 ff.) im „Kindeswohl“ einen einheitlichen Grundsatz kennt – an kongruenten Bewertungsmaßstäben. Vgl. auch Corneloup in: Heiderhoff/Lohsse/ R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 61 (81 ff.). 1106  Näher zur Entstehungsgeschichte Winkler v. Mohrenfels, FS v. Hoffmann, 527 (532 ff.); BeckOGK/Gössl, Art.  1 Rom III-VO, Rn.  15 f.; C. Kohler, FS v. Hoffmann, 208 (208 f.); Becker, NJW 2011, 1543 (1543); Pietsch, NJW 2012, 1768 (1768); Mörsdorf-Schulte, RabelsZ Bd.  77 (2013), 786 (791 f.); J. Stürner, Jura 2012, 708 (708 f.); Althammer, NZFam 2015, 9 (10); Traar, ÖJZ 2011, 805 (806); Raupach, Ehescheidung in der EU, 4 f. (siehe außerdem 19 ff. zum Modell der Verstärkten Zusammenarbeit). Zu Problematiken schon in den Verhandlungsphasen Balomatis in: Höver/de Kruijf/O’Donovan/Wannenwetsch (Hrsg.), Die Familie im neuen Europa, 215 (220 f.). Bader, Koordinationsmethoden im IPR, 49 zeigt auf, auf welche Weise diese Form der Zusammenarbeit den räumlichen Anwendungsbereich der Verordnung modifiziert. 1107  Vgl. nur Balomatis in: Höver/de Kruijf/O’Donovan/Wannenwetsch (Hrsg.), Die Familie im neuen Europa, 215 (217) und Trüten, IPR in der EU, 563 f. 1108  Zu diesem Eindruck statt aller W. Roth, EWS 2011, 314 (323). 1109  R. Wagner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 105 (116); siehe auch ders. in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 51 (61 ff.). 1110  Pietsch, NJW 2012, 1768 (1770). 1111  Zu den Hintergründen statt aller BeckOGK/Gössl, Art.  1 Rom III-VO, Rn.  66. Die Forderung nach einer explizit europäisch-selbstständigen Anknüpfung von Vorfragen behandelt Nehne, Methodik des europäischen IPR, 222.

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politische Entscheidung, die in der „differenzierten Integration“ ein „Rettungskonzept“ erblickt.1112 Demgemäß richtet sich die Frage, ob ein Staat einen bestimmten Anknüpfungspunkt zugrunde legt, nunmehr nicht mehr nur nach dem Prinzip der engsten Verbindung, sondern nicht zuletzt nach der Haltung, die er gegenüber einer Vereinheitlichung auf Basis dieser Anknüpfung einnimmt1113 – es droht ein unbefriedigendes „EU-Regionalrecht“1114 in einem „Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten“1115. Noch grundlegendere Weichenstellungen erfordert die Frage, welchen Umgang Europa als Zusammenschluss säkularer Staaten1116 gegenüber religiösem Recht pflegen soll, dessen bedingt normativer Charakter der internationalprivatrechtlichen Methodik Schwierigkeiten bereitet.1117 Dies gilt gerade dann, wenn der europäische Gesetzgeber sich nicht bloß staatlichen Normen mit religiösem Hintergrund1118 widmen, sondern eine Position zu Regelungskatalogen einnehmen muss, denen die Religion in sich als Fundament und Durchsetzungsgrund dient.1119 Wann der Respekt vor fremden Kulturen auf Ebene des IPR gegenüber dem staatlichen Monopol zur Rechtsetzung weichen muss, ist eine Frage, die kollisionsrechtliche Grundprämissen berührt: Wodurch zeichnet sich Trüten, IPR in der EU, 569, 622. Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 47 f. betont insofern v. a., dass die Verstärkte Zusammenarbeit eigentlich nicht dazu gedacht sei, ein „Ob“ der Vereinheitlichung zu erreichen, sondern das „Wie“ bestimmen solle. Vgl. auch Heiderhoff, EU-Privatrecht, Rn.  564 f. 1114  Brand, DRiZ 2010, 164. 1115  Becker, NJW 2011, 1543 (1545). Zu diesem Aspekt auch Mills in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 245 (254 f.). 1116 Instruktiv Berkmann, Internes Recht der Religionen, 190 ff. 1117  Rohe in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 67 (67 f.); Berkmann, Internes Recht der Religionen, 169 ff.; vgl. auch v. Daniels, Religiöses Recht als Referenz, 128 f. 1118  Beispielhaft zum kontroversen Verhältnis von Religion und Recht im Islam Kalisch in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 49 (50 ff.). Zur uneinheitlichen Auslegung der Scharia siehe Kreuzer, RW 2010, 143 (182) und An-Na‘im in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 41 (45 ff.). Eine detaillierte Fallstudie bietet insofern Kühnel in: Husemann u. a. (Hrsg.), Strukturwandel und Privatrecht, 343 (350 ff.). Das Verhältnis von Religiösität und Recht im Judentum behandeln Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 53 ff. und v. Daniels, Religiöses Recht als Referenz, 27 ff. 1119  Diese treffende Differenzierung nimmt Rohe in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 67 (68 f.) vor. Zu diesem sozialen Hintergrund auch Scholz in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 477 (478 f.); Fontana, Universelle Frauenrechte und islamisches Recht, 18. Der spannenden Parallelfrage, wie religiöses Recht selbst Kollisionsfälle löst, gehen v. Daniels, Religiöses Recht als Referenz, 104 ff. mit Blick auf das jüdische Recht und Kreuzer, FS Spellenberg, 211 ff. sowie Kotzur, Kollisionsrechtliche Probleme christlich-islamischer Ehen, 11 ff. in Bezug auf das islamische Recht nach. Grundlegende Aussagen zu dieser Frage finden sich bei Berkmann, Internes Recht der Religionen, 30 f. 1112  1113 

IV. Modernes IPR seit dem 19.  Jahrhundert

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eine Rechtsordnung aus, der gegenüber eine Gleichrangigkeit im IPR gewahrt werden muss?1120 In diesem Kontext sei an den Ausschluss von Privatscheidungen aus dem Anwendungsbereich der Rom III-VO durch den EuGH-Beschluss in der Rechtssache Sahyouni1121 erinnert, in dessen Nachgang die Mitgliedstaaten teils mit erheblichen Gesetzeslücken umgehen mussten1122: Keine verweisungsrechtlichen Interessen mit universaler Stoßrichtung wurden angeführt, um zu argumentieren, weshalb die Anknüpfungen der Verordnung für nichtstaatliche Scheidungen nicht gelten sollten; vielmehr fußte die Entscheidung auf Überlegungen zur einheitlichen Auslegung mit der Brüssel IIa-VO1123 und zur materiellrechtlichen Ausgestaltung der Scheidung in den Mitgliedstaaten1124. d) Vorbehalte im IPR: Ein Wertefundament für Europa? Die Europäische Union ist auch ungeachtet dieser konkreten Problematik fortwährend mit der Herausforderung konfrontiert, die eigenen Motive als Staaten1120  Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 136. Mit Blick auf den Respekt vor fremden religiösen oder kulturellen Anschauungen stellen v. Hoffmann/Thorn, IPR, §  2 Rn.  57 daher fest: „Die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen kultureller Identität und staatlichem Privatrecht gehört zu den ungelösten Aufgaben des IPR“. Anhand zahlreicher Beispiele ferner Kreuzer, RW 2010, 143 (148 ff.) sowie Berkmann, Internes Recht der Religionen, 181 ff. Vgl. zudem Trüten, IPR in der EU, 511 ff. zur Inkorporierung von nichtstaatlichem Recht in EU-Verordnungen. Speziell in Bezug auf Fragen zur Rechtswahl Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 583 f. 1121  EuGH Rs. C-372/16 v. 20.12.2017 – Sahyouni II, ECLI:EU:C:2017:988 = NJW 2018, 447; vgl. auch EuGH Rs. C-281/15 v. 12.05.2016 – Sahyouni I, ECLI:EU:C:2016:343 = NZFam 2016, 789. Für eine normative Berücksichtigung nichtstaatlicher Scheidungen durch EU-Sekundärrecht dagegen Jayme, Ideengeschichte, 399. Arnold, NZFam 2016, 794 (795) sprach sich schon während des Verfahrens dafür aus, die VO auf Privatscheidungen anzuwenden. Kritisch daher Arnold/Schnetter, ZEuP 2018, 652 (665 f.). Zu weiteren, insbesondere aus wirtschaftlichen Erwägungen entstandenen Erscheinungsformen nichtstaatlichen Rechts, denen eine Berücksichtigung in den Verordnungen verwehrt wurde, siehe Mankowski, Interessenpolitik, 27 ff. 1122  Einführend zum Reformbedarf Antomo, NZFam 2018, 243 (246 ff.). Eine analoge Anwendung der Rom III-VO befürwortete Heiderhoff, IPRax 2017, 160 (163), die Art.  17 II EGBGB n. F. daher in BeckOK/Heiderhoff, Art.  1 Rom III-VO, Rn.  14 f. ebenso begrüßt wie Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (71 f.). Einer Analogie ablehnend stand noch Coester-Waltjen, IPRax 2018, 238 (242) gegenüber. Weller/Göbel in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 75 (88) halten die Norm gar für verfassungswidrig. Grundlegend zur Lückenschließung im EU-IPR Nehne, Methodik des europäischen IPR, 82 ff. 1123  EuGH Rs. C-372/16 v. 20.12.2017 – Sahyouni II, ECLI:EU:C:2017:988 = NJW 2018, 447 (448 f.), Rn.  40 ff. 1124  EuGH Rs. C-372/16 v. 20.12.2017 – Sahyouni II, ECLI:EU:C:2017:988 = NJW 2018, 447 (448 f.), Rn.  45.

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

verbund mit nationalen Partikularinteressen in Einklang zu bringen und zugleich offen gegenüber dem nicht-europäischen Ausland zu bleiben – politische und soziale Gemeinsamkeiten sollen gefördert, jedoch weder eine umfassende Assimilation zwischen den Mitgliedstaaten, noch Isolationismus gegenüber Drittstaaten betrieben werden. Gerade im Wertefundament, das den kollisionsrechtlichen Vorbehalten zur Abwägung dient, kann eine etwaige Europäisierung des Diskurses somit potentiell Abbildung finden. aa) Ordre public Welchen Balanceakt das Kollisionsrecht dabei schaffen muss, lässt sich gut an Debatten um den ordre public ablesen: Da die Diskussionen um die inhaltliche und die räumliche Abwägungsperspektive1125 auf unionaler Ebene um eine zusätzliche Dimension erweitert werden,1126 büßt das einzelfallbezogene Korrekturinstrument im EU-IPR deutlich an definitorischer Schärfe ein.1127 Schon hinsichtlich des Bezugspunkts für die „öffentliche Ordnung“ herrscht Uneinigkeit: Einerseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass die europäischen Verordnungen die Werte des Forumstaates in den Mittelpunkt rücken.1128 Ein genuin europäischer ordre public, der die nationalen Wertvorstellungen unter Zugrundelegung euro­ päischer Regelungen1129 in Gänze verdrängt, konnte sich daher noch nicht durchsetzen.1130 Etwa anhand von divergierenden Entscheidungen zu Fragen der Leih1125 

Vgl. oben, B.III.1.a) (S.  41 ff.). Rohe in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 67 (69 ff.). 1127  Zu den rechtspolitischen Gründen gegen eine Rom 0-VO über einen Allgemeinen Teil des europäischen IPR insofern Wilke in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 23 (25 f.). 1128  Vgl. etwa Art.  21 Rom I-VO, 26 Rom II-VO, 12 Rom III-VO, 35 EuErbVO. 1129  Der u. a. von Lechner, Reichweite des Erbstatuts, 258 getätigte Hinweis, die in diesem Kontext relevanten europarechtlichen Regelungen seien ja letztlich selbst „Bestandteil des mitgliedstaatlichen Rechtssystems“, verkennt insofern den wesentlichen Punkt, dass nämlich der nationale Gesetzgeber auf diese Vorschriften gerade keinen eigenen unmittelbaren Einfluss hat, siehe Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 305. Zur Abgrenzung der legislativen Akteure näher Bader, Koordinationsmethoden im IPR, 11 f. 1130  Heiderhoff in: Heiderhoff/Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 89 (106); Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 241. Entsprechend ist die Binnenmarktverwirklichung nicht als allgemeiner Rechtssatz i.R.d. ordre public anerkannt, siehe Baumert, Europäischer ordre public, 64 f. R. Wagner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 105 (115) qualifiziert die fehlende Beschränkung des ordre public auf europäische Wertungen als zentrale Weichenstellung in der Frühphase des EU-Kollisionsrechts. Jayme, Ideengeschichte, 369 plädierte dagegen in den Anfängen der unionalen IPR-Bestrebungen dafür, in den Anwendungsbereich von Art.  6 EGBGB wegen der intendierten inhaltlichen Bezugnahme auf Art.  16 EVÜ die öffentliche Ordnung der Gemeinschaft zu integrieren. In diese Richtung auch Trüten, IPR in der EU, 669. Kritisch dagegen Sonnenber1126 Ausführlich

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mutterschaft durch mitgliedstaatliche Gerichte lässt sich folglich demonstrieren, wie sehr inländische Denkmuster den Vorbehalt nach wie vor prägen.1131 Andererseits können unionale Maßstäbe die Abwägung jedoch beeinflussen und so eine Überformung bewirken1132: Bereits vor einem guten Jahrzehnt hat der BGH die Aussage getroffen, der ordre public sei an Werten zu messen, die „zunehmend auch der europäischen Rechtsgemeinschaft“ entsprängen.1133 In der Zwischenzeit haben Bezugnahmen auf europäische Rechtsakte auch vereinzelt Eingang in die Verordnungen gefunden; so verbieten es etwa EG 25 Rom III-VO, EG 54 EuGüVO, EG 53 EuPartVO und EG 58 EuErbVO, die Anwendung eines ausländischen Rechts wegen des Vorbehalts zu versagen, wenn sich aus dieser Rechtsfolge eine Diskriminierung nach der Charta der Grundrechte der EU ergeben würde.1134 Gerade bei Verstößen gegen die GRCh oder Gehalte aus der EMRK erscheint darüber hinaus eine Ermessensreduzierung auf Null für die zur Entscheidung berufenen Gerichte nicht abwegig,1135 wodurch dem Vorbehalt sein wesentliches Abwägungselement genommen würde.1136 ger, ZVglRWiss Bd.  95 (1996), 3 (41 f.). Auf die niedrige „Regelungsdichte“ im AT auf Ebene des europäischen IPR weist Nehne, Methodik des europäischen IPR, 2 hin, der zugleich einen Normvorschlag vorstellt (333 ff.). 1131 So Helms, IPRax 2017, 153 (157). 1132  Diese vermittelnde Lösung vertreten z. B. Rühl, Statut und Effizienz, 420; Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 312 f.; Lechner, Reichweite des Erbstatuts, 255 f. Siehr, FS v. Hoffmann, 424 (425) sieht sogar einen ordre public communautaire als bereits existent an. Eine dahingehende Entwicklung erkennt auch Greb, StudZR-WissOn 2015, 271 (284). Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 295 qualifiziert das Instrument bereits als „europäisch aufgeladen“. M. Stürner, FS v. Hoffmann, 463 (473 ff.) differenziert zwischen den unterschiedlichen Verordnungen. Eher selten düfte es indes mangels kassatorisch wirkenden Inhalts zu der von Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  746 ff. in Aussicht gestellten Aufladung der ordre public-Gehalte durch Richtlinien kommen. 1133  BGH v. 11.10.2006 – XII ZR 79/04, NJW-RR 2007, 145 (148), Rn.  37. 1134  Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 520. Vgl. auch Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 333 ff. und Corneloup in: Heiderhoff/ Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 61 (66). 1135 MüKoBGB/v. Hein, Art.  6 EGBGB, Rn.  173. Baumert, Europäischer ordre public, 49 spricht insofern von einem „Vorrang im weiteren Sinne“. Zur Anwendung der GRCh i.R.d. ordre public siehe Heiderhoff in: Heiderhoff/Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 89 (94 f.). Thoma, Die Europäisierung des ordre public, 22 ff. misst der EMRK eine Funktion als europäischer ordre public zu, bezieht sich dabei aber wohl v. a. auf die Hierarchie der Normen (vgl. Schütz, Der internationale ordre public, 14 f.). In diese Richtung auch Renfert, Über die Europäisierung der ordre public Klausel, 148. 1136  Dethloff, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, Heft 46 (2014), 47 (61) spricht von einem „Anpassungsdruck“. Nach Lechner, Reichweite des Erbstatuts, 258 setzen europarechtliche Vorhaben daher einen „Mindeststandard“. Dagegen betont Corneloup in: Heiderhoff/Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 61 (73 ff.), dass sich der EuGH mit entsprechenden Bezugnahmen bisher zurückhält.

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

Dass gemeineuropäische Ansichten sich freilich noch nicht in allen Rechtsgebieten herauskristallisiert haben, beweist die Genese des ordre public in der EuErbVO: Der Versuch, die Anwendung des Vorbehalts bei Abweichungen im Pflichtteilsrecht auszuschließen,1137 scheiterte am Widerstand der Mitgliedstaa­ ten, deren nationale Bestimmungen in diesem Bereich teils erheblich divergieren.1138 Vor diesem Hintergrund dürfte eine wirkliche Europäisierung der „öffentlichen Ordnung“ nur dann gelingen, wenn in den jeweiligen Vorschriften unmittelbar auf unionale Vorgaben rekurriert wird. Von einem solchen Perspektivwechsel nimmt das EU-IPR noch Abstand; wo bisher entsprechende Formu­ lierungen zutage traten,1139 ließ sich dies auf Fehler in der Übersetzung zurückführen.1140 Europäische Ideale können bisher deshalb insbesondere dann den Wertekanon des ordre public formen, wenn sie sich als „allgemeine Rechtssätze“ tatsächlich etabliert oder ansonsten als ethisch-rechtliche Maßstäbe bewiesen haben.1141 Methodisch stellt sich des Weiteren die Frage, wie mit dem Vorbehalt im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten umgegangen werden soll: Auf den ersten Blick scheint eine Zurückhaltung gegenüber unionalen Partnern angebracht, geht man doch grundsätzlich von einem gemeinsamen Werte- und Kulturfundament aus.1142 Weil vor allem die ökonomischen Interessen mit Entstehung der EU von einem staatlichen Level auf ein supranationales emporgehoben wurden, sind kaum Fälle denkbar, in denen der ordre public der Anwendung mitgliedstaat1137  Siehe Art.  27 II EuErbVO-E (2009), veröffentlicht in KOM (2009) 154 endg., S.  24. Dazu Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht, 310 ff. 1138  Dazu m. w. N. M. Stürner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 87 (96 f.); Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 294 f.; Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 130. Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 239 begrüßt die Entscheidung. Grundsätzliche Zweifel an der Abbildung nationaler Pflichtteilsregelungen im ordre public äußert Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 564 mit Blick auf die insofern primäre Wahrung privater Interessen. 1139  Siehe EG 24 S.  2 EuErbVO-E (2009), veröffentlicht in KOM (2009) 154 endg., S.  12 f.: „Die Gerichte sollten die Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaats […] allerdings nur dann versagen dürfen, wenn dies gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union […] verstoßen würde“. 1140  So zu EG 24 S.  2 EuErbVO-E (2009) BeckOGK/J. Schmidt, Art.  35 EuErbVO, Rn.  3. Diesen Umstand übersieht M. Stürner, Jahrbuch für Italienisches Recht 26 (2013), 59 (78 f.). 1141  Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (460 ff.); M. Stürner, FS v. Hoffmann, 463 (464); v. Bary/Ziereis, RabelsZ Bd.  85 (2021), 146 (166); vgl. schon Sonnenberger, ZVglRWiss Bd.  95 (1996), 3 (42 f.) und Gounalakis/Radke, ZVglRWiss Bd.  98 (1999), 1 (19). 1142  Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 300; M. Stürner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 87 (95 ff.); ders., FS v. Hoffmann, 463 (470 ff.); Sonnenberger, ZVglRWiss Bd.  95 (1996), 3 (43); Renfert, Über die Europäisierung der ordre public Klausel, 156 f.

IV. Modernes IPR seit dem 19.  Jahrhundert

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lichen Rechts im wirtschaftlichen Kontext entgegentreten könnte – insofern wird „in qualifizierter Weise von einer Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ausgegangen“.1143 Obgleich nicht verkannt werden darf, dass eine formal identische Bindung an europäische Standards und Werte durch die Staaten nicht zwangsläufig in gleicher Weise umgesetzt wird,1144 steht im Bezug zu europäischen Nachbarn ein Aufkeimen „besonderer Duldsamkeit und Liberalität“1145 im Raum. In dieser Haltung schwingt die rechtspolitische Sorge mit, durch eine extensive Anwendung des Vorbehalts das unionsinterne „Vertrauensdogma“ zu erschüttern.1146 Schon die Gesetzgebungskompetenzen geben insofern eine Unilateralität in der Perspektive vor: Indem Art.  67 I AEUV zur Rücksichtnahme betreffend „die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten“ auffordert, legt er zum einen schlicht die Parameter europäischer Integration fest,1147 zum anderen schließt er externe Rechtskulturen allerdings implizit aus.1148 Obgleich ein Bedeutungsverlust des Instruments im unionalen Kontext angesichts dieser Perspektivverschiebung in Verbindung mit der vermehrten Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt1149 vermutet werden könnte, verleiht unterdessen der Anstieg von im Ausland begründeten Statusverhältnissen der

1143  Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 50. Vgl. schon Beitzke, FS Smend, 1 (21 f.) und Boggiano, LA Siehr, 79 (84). 1144  Oster, JPIL 2015, 542 (550). Nehne, Methodik des europäischen IPR, 149 verweist auf den Sonderfall, dass Wertungswidersprüche zwischen nationalen Umsetzungsnormen zu Richtlinien und dem nach den Rom-VOen anwendbaren Recht auftreten. Einen möglichen „Ausgleich des ‚materiellen Rechtsgefälles‘“ durch den europäischen ordre public untersucht Baumert, Europäischer ordre public, 57 ff. Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  758 erkennen dennoch einen Ausschluss des Vorbehalts im Wirkbereich von Richtlinien. Gegen eine Aufgabe oder Abschwächung des ordre public im europäischen Kontext ausdrücklich Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (451 ff.). Dethloff, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, Heft 46 (2014), 47 (67 f.) sieht Versuche für eine unionsinterne Reduzierung des ordre public bisher als gescheitert an. 1145  Mit dieser Wortwahl v. Bar/Mankowski, IPR, 142. Dazu auch Corneloup in: Heiderhoff/ Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 61 (67) und W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (527 ff.). 1146  M. Stürner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 87 (88) erkennt die Gefahr, dass eine zu extensive Heranziehung des ordre public das „Vertrauensdogma“ des europäischen IPR erschüttern könnte. Zu den Auswirkungen des effet utile auf den ordre public im unionalen Kontext Baumert, Europäischer ordre public, 245 ff. 1147  Diesen Aspekt betont R. Wagner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 105 (107). 1148  Zur Funktion derartiger Bestimmungen aus den Verträgen näher W. Roth, EWS 2011, 314 (316). Vgl. auch Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 73 zu Art.  3 III iv EUV. 1149  Vgl. oben, C.IV.5.b) (S.  205 ff.).

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

Einzelfallkontrolle Aufwind.1150 Eine fortwährende Bedeutung der Vorbehaltsklausel steht somit vornehmlich gegenüber Drittstaaten zu erwarten,1151 was die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen im europäischen IPR prima facie degradiert. Nach hier vertretener Ansicht kommt es jedoch primär darauf an, auf welchen Wegen sich die Europäisierung des ordre public fortan vollziehen wird: Um eine unangemessene Benachteiligung drittstaatlicher Wertvorstellungen zu verhindern, ist es unerlässlich, dass die Aufladung mit unionalen Maßstäben nicht zum Ziel verklärt wird, sondern das Resultat einer einheitlichen Entwicklung bildet. Der Umstand, dass die Mitgliedstaaten sich in ihren sozial- und wirtschaftspolitischen Auffassungen durch die Mitgliedschaft in einem Staatenverbund annähern und damit auch die nationalen Anwendungsfälle der Vorbehaltsklausel kontinuierlich angeglichen werden, lässt sich kaum kritisieren. Indes darf ein Konsens weder dort behauptet werden, wo er faktisch nicht existiert, noch durch einseitige Bezugnahme auf europäische Regelungskataloge künstlich entstehen.1152 Aus einer derartigen Vorgehensweise würde letztlich die Absicht sprechen, drittstaatlichem Recht mit einem vorgegaukelten europäischen Einvernehmen zu begegnen, anstatt die natürliche Homogenisierung der Anschauungen abzuwarten. Vorschläge wie der, unter Rückgriff auf das Gebot der Unionstreue1153 eine ausreichende Inlandsbeziehung anzunehmen, sobald die Rechtsordnung irgendeines Mitgliedstaates tangiert ist,1154 möchten den ordre public für europäische Zwecke instrumentalisieren und sind deshalb abzulehnen. bb) Eingriffsnormen Auch im europäischen Kontext verbietet es sich, aus der Existenz von Eingriffsnormklauseln einen substantiellen Bruch mit dem klassischen Dogma der WertHelms, IPRax 2017, 153 (155 f.). Dethloff, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, Heft 46 (2014), 47 (69); M. Stürner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 87 (101 ff.); Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (451). 1152 Vgl. Heiderhoff in: Heiderhoff/Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 89 (113 f.). 1153  Zu dieser Vorgabe bei der Konkretisierung des ordre public eingehend Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 148 ff. Siehe auch G. Schulze, LA Jayme, 183 (202). Brödermann/ Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  1047 gestehen diesem Gebot Verfassungsrang zu. 1154  Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (470); Siehr, FS v. Hoffmann, 424 (428); M. Stürner, FS v. Hoffmann, 463 (480 f.); Greb, StudZR-WissOn 2015, 271 (283). Indifferent zu dieser Frage Jayme in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 33 (45) und Lechner, Reichweite des Erbstatuts, 227. 1150  1151 

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neutralität zu folgern,1155 wird ihnen doch seit Savigny die Rolle als politisches Instrument in einem eigentlich apolitischen Rechtsgebiet zugestanden1156. Die Frage ist vielmehr: Haben sich Inhalt und Begründung von Eingriffsnormen seit Beginn der europäischen Gesetzgebung im IPR substantiell geändert? Formal muss die Antwort zumindest mit Blick auf den Wortlaut der europäischen Vorschriften negativ ausfallen: Sie stellen in Anlehnung an die Arblade-Entscheidung des EuGH1157 vorwiegend auf „öffentliche Interessen“ des Forumstaates1158 und den unbedingten Geltungswillen der inländischen Norm1159 ab, fragen also nicht nach europäischen Intentionen. Obwohl die Vorschriften rein gesetzestechnisch unionalen Ursprungs sind,1160 verfolgen sie materiell kein „europäisches Kon­ zept“1161. Auf die Möglichkeit, beispielsweise qua Rückgriff auf „überra­gende“ Gemeinwohlbelange eine Brücke zur Rechtfertigung von Verstößen gegen die Grundfreiheiten zu schlagen, wurde folgerichtig verzichtet.1162 Gleichwohl erwächst aus der fortlaufenden europäischen Integration auch hier eine Anfälligkeit für politische Implikationen: Da sachrechtliche Wertungsunterschiede der nationalen Ordnungen im Zuge der intensiven kollisionsrechtlichen Harmonisierungen nicht zeitgleich beseitigt werden,1163 gefährden Eingriffs-

1155  Dazu statt vieler Lehmann, FS Spellenberg, 245 (256) und Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, 6 ff. Dagegen merkt Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 193 an, dass die Zunahme von lois d’application immédiate dafür sprechen könnte, dass der unionale Gesetzgeber zunehmend von der systematischen Konzeption des IPR mit allseitigen Kollisionsnormen auf der einen und einseitigen Kollisionsnormen auf der anderen Seite abweicht. Zur Frage der Unionskompetenz zur Aufstellung und Berücksichtigung von Eingriffsnormen Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 55 ff. 1156  Vgl. oben, B.III.1.b) (S.  44 ff.) und C.IV.1.a)bb) (S.  122 ff.). 1157  Vgl. EuGH Rs. C-369/96 und C-376/96 v. 23.11.1999 – Arblade, ECLI:EU:C:1999:575 = EuZW 2000, 88 (90), Rn.  30. 1158  Vgl. Art.  9 I Rom I-VO, 30 II EuGüVO. 1159  Vgl. Art.  16 Rom II-VO, 30 EuErbVO. 1160  Aufgrund dieses Umstands befürwortet Hemler, Methodik der Kollisionsnorm, 193 ff. langfristig die vermehrte Schaffung unionaler „Spezial-Kollisionsnormen“. 1161  Dahingehende Aussagen in MüKoBGB/Martiny, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  10 legen den Fokus insofern auf die rechtstechnische Verankerung in den EU-Rechtsakten. Davon abgesehen fordert Gößling, Kollisionsrecht und Schiedsgerichtsbarkeit, 154, bei der Bewertung des Anwendungswillens allein auf europäische Maßstäbe abzustellen, da dies der Anwendungsvorrang ebenso erfordere wie das Auslegungsprivileg des EuGH. 1162  Dies stellt Lüttringhaus, IPR der Antidiskriminierung, 199 heraus (vgl. aber 232 ff.). Dazu auch Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 233 und Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 15 ff. Einschränkend Hartmann in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 281 (303 f.). 1163  Dem Ziel einer Rechtsvereinheitlichung haben sich EG und EU auch nicht primär verschrieben, siehe Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  3, 594.

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normen mit ihrer nationalen Konnotation den „Vereinheitlichungszweck“1164 des EU-IPR. Aus der komplexen Aufgabe, den Schutz zwingender Vorschriften des tangierten Staates einerseits im Rahmen des Möglichen sicherzustellen und andererseits nicht willkürlich auszuweiten, ergibt sich eine besondere Spannungslage.1165 Aus diesem Grund kommt der autonomen Auslegung europäischer Normen1166 wie Art.  9 Rom I-VO eine erhebliche Bedeutung zu, sodass der EuGH zumindest judiziell eine unionale Prägung vorantreiben kann.1167 Gleichwohl darf man nicht dem Irrglauben unterliegen, der Einfluss der EU reduziere sich darauf, gesetzliche Definitionen und Generalklauseln sowie Organe der Judikative zur Verfügung zu stellen. Im Gegenteil kommt gerade dem Sekundärrecht außerhalb der Rom-Verordnungen eine erhebliche Bedeutung bei der Bestimmung von Eingriffsnormen zu1168: Die zwingende Natur von richt-

1164  Freitag, NJW 2018, 430 (432). Siehe auch W. Roth, FS G. Kühne, 859 (868) sowie ders., AcP Bd.  220 (2020), 458 (516). 1165  Köhler, Eingriffsnormen, 2. Sonnenberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 429 (430) bedauert, dass es an einem gemeinsamen Fundament gerade in einem Bereich fehle, dem durch „legislatorische politische Kompromisse und Meinungsverschiedenheiten“ nicht gedient sei. Vgl. auch Mankowski, Interessenpolitik, 54 f. 1166  Ausführlich zur „unionsspezifischen Funktion“ der Auslegung Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 161 ff.; Vogeler, Freie Rechtswahl, 43 ff.; Kropholler in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 583 (589 ff.); Gößling, Kollisionsrecht und Schiedsgerichtsbarkeit, 70 f.; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  419 ff.; Sonnenberger, ZVgl­ RWiss Bd.  95 (1996), 3 (44 ff.); Mistelis, Charakterisierungen und Qualifikation, 145 f.; Reuter, Qualifikation des falsus procurator, 50 ff. Ragno in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (37) bezeichnet die autonome Qualifikation als „ancillary tool“ des EU-IPR. 1167  Lüttringhaus, IPR der Antidiskriminierung, 202 ff.; W. Roth, FS G. Kühne, 859 (867); NK-BGB/Doehner, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  16; Hk-BGB/Staudinger, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  4; Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 541; Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 14 f. (EuGH als „Kontrollinstanz“); Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 40 ff.; Schacherreiter, JBl.  2014, 487 (497); einschränkend aber Heiderhoff, Grundstrukturen des Verbrauchervertragsrechts, 185. Zum Umfang der Prüfungskompetenz in Abhängigkeit von der methodischen Verortung der Eingriffsnormenproblematik im europäischen IPR Köhler, Eingriffsnormen, 322 ff. Vgl. ferner Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 251. 1168  Lüttringhaus, IPR der Antidiskriminierung, 205 ff. Näher dazu Maultzsch, RabelsZ Bd.  75 (2011), 60 (84 ff.); Kindler, FS v. Hoffmann, 198 (203 f.); Thoma, Die Europäisierung des ordre public, 228 ff.; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 62, 322 ff. Auf die Relevanz dieser Fragestellung wiesen schon vor Ergehen der genannten Entscheidungen Spickhoff, Der ordre public im IPR, 188 ff. und Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  733 ff. („Richtlinienkonformes Recht als Indiz“) hin.

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linienbasierten Ansprüchen von Handelsvertretern1169 wurde durch den EuGH primär mit der „Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Gemeinschaft“, der europäischen Niederlassungsfreiheit und einem „unverfälschten Wettbewerb im Binnenmarkt“ begründet.1170 Auf überzeugende wirtschafts- und sozialpolitische Gründe, die abseits rein gemeinschaftlicher Motive und in Anlehnung an den Interessenkanon von Kegel1171 einen unbedingten internationalen Geltungsanspruch der Regelungen hätten begründen können, ging der Spruchkörper hingegen nicht ein;1172 nicht umsonst plädierte er ausdrücklich für die „Einhaltung dieser Bestimmungen im Gemeinschaftsgebiet“1173. Diese Argumentation lässt sich gewiss mühelos auf nahezu jeden norma­ tiven Komplex übertragen, der ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes garantieren soll.1174 Indem das so entstehende Richtlinienkollisionsrecht zur Verteidigung europäischer Vorgaben1175 im Bezug zu Drittstaaten einer „Rechtszersplitterung“ Vorschub leistet,1176 degradiert es die Dogmen des klassischen IPR.1177 Dies gilt umso mehr, als es die hohe Re­ gulierungsmacht der EU ermöglicht, auch abseits aktiver Rechtsetzung etwa

1169 

Zurückgehend auf Art.  17–19 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, veröffentlicht in ABl.  EG L 382 vom 31.12.1986, S.  17. 1170  EuGH Rs. C-381/98 v. 09.11.2000 – Ingmar, ECLI:EU:C:2000:605 = NJW 2001, 2007 (insb. Rn.  23 f.). Kritisch insofern Rühl, Statut und Effizienz, 414 f. 1171  Zu dieser vorzugswürdigen Vorgehensweise bei Eingriffsnormen siehe oben, B.III.1.b) (S.  44 ff.). 1172  Kritisch daher Freitag, EWiR 2000, 1061 (1062) und G. Kühne, ZVglRWiss Bd.  114 (2015), 355 (363). Auch Köhler, Eingriffsnormen, 159 kritisiert die Entscheidung, mahnt aber, sie als rechtliche Realität zu akzeptieren. Zustimmend hingegen etwa A. Staudinger, NJW 2001, 1974 (1975 f.). 1173  EuGH Rs. C-381/98 v. 09.11.2000 – Ingmar, ECLI:EU:C:2000:605 = NJW 2001, 2007 (Rn.  24) [Hervorhebung durch den Verfasser]. 1174 Vgl. A. Staudinger, NJW 2001, 1974 (1976 ff.); Köhler, Eingriffsnormen, 253; Remien, FS v. Hoffmann, 334 (338); Sonnenberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 429 (442 f.); Mankowski in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 595 (609 f.); Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 133. 1175 Nach Trüten, IPR in der EU, 217 f. bilden „implizite sekundärrechtliche Schutznormen“ das Resultat dieser europarechtlichen Überformung. 1176  Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 40. 1177  Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 204 sieht darin eine eindeutige Abkehr vom IPR nach Savigny. Ähnlich Boosfeld in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 15 (26 f.).

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politische Sanktionen1178 als „Triebfeder“ für die obligatorische Natur von Normen einzusetzen.1179 Diese „Anknüpfungsasymmetrie“1180 könnte noch verstärkt werden, wenn der Gesetzgeber einer Meinung aus der Literatur folgt, die für eine explizite Differenzierung nach dem territorialen Ursprung einer Eingriffsnorm1181 im Wortlaut von Art.  9 III Rom I-VO1182 plädiert: So wird argumentiert, die fehlende Trennung zwischen dritt- und mitgliedstaatlichen lois de police widerspreche den Pfeilern des Unionsrechts, deshalb sei eine Gleichbehandlung von zwingenden Vorschriften aller Mitgliedstaaten durch das Gericht des Forums im Sinne des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit (Art.  4 III EUV)1183 angezeigt.1184 Auf diesem Wege würde bei mitgliedstaatlichen Eingriffsnormen eine Ermessensreduzierung auf Null propagiert,1185 die im Normtext jedoch nicht angelegt ist. Nachdem schon die Entscheidung, lediglich auf Eingriffsnormen

1178  Zur Umsetzung von Wirtschaftssanktionen der EU im IPR Szabados in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 149 (154 ff.). Zum Vorschlag, über Art.  34 EGBGB a. F. Richtliniendurchführungsnormen eines Staates Eingriffsnormcharakter zu verleihen und auf diesem Wege eine verspätete Umsetzung durch andere Staaten mittelbar zu sanktionieren, Baumert, Europäischer ordre public, 84 ff.; Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 229 f.; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  787 ff., 940 ff. 1179  Gößling, Kollisionsrecht und Schiedsgerichtsbarkeit, 145 erkennt gar einen generellen „ordnungspolitischen Anspruch“. 1180  Gößling, Kollisionsrecht und Schiedsgerichtsbarkeit, 148. 1181  Zur generellen Diskussion um die Behandlung drittstaatlicher Eingriffsnormen Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 223 ff. 1182  Grds. kritisch zu der Norm Sonnenberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 429 (439 f.); Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XIV); Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, 177 ff., 214 ff. (zur Anwendung im Fall); Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 252 ff.; Lehmann, FS Spellenberg, 245 (258 f.); Trüten, IPR in der EU, 528 f.; siehe auch Pfeiffer, LMK 2016, 382315. 1183  Die Relevanz von Art.  4 III EUV bei der Einordnung von Richtlinien als Eingriffsnormen unterstreicht Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 320 ff. Zum Merkmal der Unionstreue in der Rechtsprechung des EuGH Düsterhaus, ZEuP 2018, 10 (26 f.). Gegen eine „allgemeine Solidaritätspflicht“ etwa Sonnenberger, ZVglRWiss Bd.  95 (1996), 3 (39). Vgl. auch Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht, 319 ff. 1184 Dazu Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  714 („one-country“-Doktrin); W. Roth, EWS 2011, 314 (326 f.). In diese Richtung schon vor Inkrafttreten der Rom I-VO Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag, 319 ff. Vgl. auch Nojack, Exklusivnormen im IPR, 173 ff. 1185 Dafür Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 546 und W. Roth, FS G. Kühne, 859 (879). Zur Kritik an der ermessensoffenen Formulierung siehe BeckOGK/Maultzsch, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  102, 139 f. Inhaltliche Grenzen der Ermessensausübung beleuchtet Freitag, NJW 2018, 430 (431 f.).

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des Erfüllungsortes1186 Rücksicht zu nehmen, Interventionen des Londoner Kapitalmarktes geschuldet war und die britische Teilnahme an der Verordnung fördern sollte,1187 erhielte die Norm so eine weitere unionspolitische Konno­ tation1188. Obwohl sich der EuGH mit dem Hinweis auf den abschließenden Cha­ rakter der Norm inzwischen unmissverständlich gegen eine Heranziehung mitgliedschaftlicher Eingriffsnormen contra legem ausgesprochen hat,1189 wird eine derartige Privilegierung nach wie vor in Teilen der Literatur befürwortet.1190 Solche Ansichten belegen die Tendenz, unionalen Regulierungsinteressen einzig aufgrund ihrer supranationalen Ausrichtung Vorrang gegenüber drittstaatlichen Anliegen einzuräumen und auf diesem Wege die Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen im klassischen IPR zu konterkarieren.1191 Dass das europäische Recht einen „kollisionsrechtlichen Schatten“ vorauswirft und die legislativen Interessen verlagert, lässt sich zwar nicht leugnen; dieser Umstand darf allerdings nicht dazu verleiten, europäischen Normen nach Belieben eine vorrangige

Zu Definitionsschwierigkeiten siehe nur Remien, FS v. Hoffmann, 334 (342 ff.) und Köhler, Eingriffsnormen, 215 ff. 1187  Zum rechtspolitischen Hintergrund Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 57 ff.; W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (523 f.); ders., FS G. Kühne, 859 (877); Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 46 f. Zu ähnlichen Entwicklungen hinter Art.  16 Rom II-VO siehe Vogeler, Freie Rechtswahl, 400. Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 268 erkennt insofern eine „méthodologie fonctionelle“. 1188 Gegen eine solche Vorgehensweise daher MüKoBGB/Martiny, Art.  9 Rom I-VO, Rn.  32, 112; Köhler, Eingriffsnormen, 309; Sonnenberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 429 (442). Ähnlich Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 137 f.; Remien, FS v. Hoffmann, 334 (340 f.); Kuckein, Berücksichtigung von Eingriffsnormen, 62 f.; Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 178; Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 144 f.; Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, 191 f. 1189  EuGH Rs. C-135/15 v. 18.10.2016 – Nikiforidis, ECLI:EU:C:2016:774 = NJW 2017, 141 (143 f.). Zustimmend Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 174 ff. Näher zur Diskussion um die „Sperrwirkung“ m. w. N. Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 111 ff.; Köhler, Eingriffsnormen, 264 ff.; Maultzsch, RabelsZ Bd.  75 (2011), 60 (95 ff.) [für eine Analogie]. Der Frage nach einer über die europäische Harmonisierung hinausgehenden Durchsetzung von nationalen Eingriffsnormen widmete sich bereits vor Inkrafttreten der Rom I-VO Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 375 ff. 1190  So vor allem Pfeiffer, LMK 2016, 382315, der sich auf die Entscheidung EuGH Rs. C-115/08 v. 27.10.2009 – Kernkraftwerk Temelín, ECLI:EU:C:2009:660 = NVwZ 2010, 107 stützt, in welcher der EuGH allerdings primär verboten hat, diskriminierende Eingriffsnormen zu erlassen. Vgl. Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 224 f. Für eine generelle „Öffnungsklausel“ im Eingriffsrecht dagegen W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (525 f.). 1191  Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 39. Einschränkend dagegen Maultzsch, RabelsZ Bd.  75 (2011), 60 (97 f.), der die restriktive Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich begrüßt. 1186 

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Position gegenüber unionsfremdem Recht zuzusprechen.1192 Auch mitgliedstaatliche Eingriffsnormen sollten ausgewählten Zwecken dienen, die nicht bereits dann erfüllt sind, wenn eine Regelung der europäischen Integration dient. Ebenso wenig ersetzt ein Hinweis auf die unionsweite Geltung einer Norm eine Begründung für ihren internationalen Anwendungsbefehl; die unterschwellige Schlechterstellung anderer westlicher Staaten wie der USA, die den Wertekanon der Union im Wesentlichen teilen, ohne ihr anzugehören, ist nicht zu rechtfertigen.1193 Gerade der EuGH sollte sich davor hüten, in Urteilen zu Eingriffsnormfragen „statutistisch“ zu argumentieren,1194 und stattdessen eine klare „Trenn­ung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung“ vornehmen1195. Wenn wir beginnen, etwa die Realisierung der Grundfreiheiten als ein „im europäischen IPR zu beachtendes kollisionsrechtliches Interesse“ anzusehen und damit den Interessenkanon mit kontinentalen Motiven anzureichern,1196 führen wir die klassischen Dogmen des IPR ad absurdum. e) Schwächerenschutz Die vorgenannten Instrumente verlieren zusätzlich dadurch an Relevanz, dass in den letzten Jahren themenspezifische Schutzmechanismen im EU-Kollisionsrecht einen erheblichen Aufschwung erlebt haben.1197 Namentlich die Zahl individualbegünstigender Vorbehaltsklauseln und Sonderanknüpfungen, die regelmäßig bereits ex ante Wirkung entfalten,1198 unterliegt einem nachgerade exponentiellen Wachstum;1199 vereinzelt wird der Schwächerenschutz innerhalb der Verordnungen sogar als gleichberechtigt neben dem Prinzip der engsten Verbindung

Köhler, Eingriffsnormen, 149. Darauf weist richtigerweise Spickhoff, Der ordre public im IPR, 89 hin. 1194  So der Vorwurf von Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 236 zu einer eventuellen Orientierung an den Grundfreiheiten. 1195  Nehne, Methodik des europäischen IPR, 25. 1196  Diesen Versuch macht Lüttringhaus, IPR der Antidiskriminierung, 234. 1197  M. Stürner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 87 (99 f.). Von Trüten, IPR in der EU, 144 als zunächst „punktueller Ansatz“ bezeichnet. Zu dieser Entwicklung auch schon Baumert, Europäischer ordre public, 64. Der etwaigen Berücksichtigung von Verbraucherschutzvorschriften als Eingriffsnormen widmet sich Remien, FS v. Hoffmann, 334 (336 f.). 1198  Dies betont Rühl, FS v. Hoffmann, 364 (368). Aus diesem Umstand schließt Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 154 die Notwendigkeit zur „Typisierung“. 1199  Für einen Überblick zu den wesentlichen Regelungen siehe Trüten, IPR in der EU, 521 ff. Einführend ferner Weller in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 133 (151 ff.) und Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (472 ff.). Zu frühen Ansätzen vgl. Spickhoff, Der ordre public im IPR, 284. 1192  1193 

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bewertet1200. Bestimmungen in verschiedenen Rechtsgebieten wie dem Arbeitnehmer- oder dem Verbraucherschutzrecht1201 manifestieren die Zielsetzung, der übervorteilten Partei eine Waffengleichheit bereits auf der vorgeschalteten IPREbene zu garantieren1202: Zugunsten des typischerweise schwächeren Vertragspartners wird nicht nur ein ihm vertrautes Recht berufen, sondern zudem eine subjektive Abkehr von diesem – namentlich in Art.  6 II 2, 8 I 2 Rom I-VO und Art.  14 I lit.  b Rom II-VO1203 – erschwert.1204 In letzter Konsequenz wurde diese Begünstigung von Privatpersonen wiederum nicht durchgehalten, wie die Ausnahmen in Art.  6 IV lit.  a, lit.  b und lit.  c Rom I-VO beweisen, die auf Lobby­ einflüsse, hier seitens der Tourismusindustrie, der Beförderungsbranche und der Wohnungswirtschaft, zurückzuführen sind.1205 Im Zuge der Europäisierung des Verweisungsrechts hat sich die politische Stoßrichtung der Schutzbestimmungen davon abgesehen deutlich verändert: Bereits in der Frühphase des Gemeinsamen Marktes sollten die Sonderbehand­ lungen zuvorderst dazu dienen, transnationale Konsuminteressen der Bürger und damit volkswirtschaftliche Belange zu fördern.1206 Gerade der europäische Ver1200 So

Nehne, Methodik des europäischen IPR, 304 zu den ersten beiden Rom-VOen. aber bspw. in der Rom III-VO, siehe Rösler, RabelsZ Bd.  78 (2014), 155

1201 Weniger

(187 f.). 1202  Maultzsch, RabelsZ Bd.  75 (2011), 60 (75). Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 270 spricht von vorrangigen „ordnungs- und sozialpolitischen Motiven“. Vgl. auch Mankowski, Interessenpolitik, 23 ff. und Rühl, FS v. Hoffmann, 364 (366 f.). Einführend zu den speziellen Zielen des Verbraucherschutzes im Binnenmarkt-IPR zu Beginn der Vereinheitlichungsbestrebungen Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 75 ff. 1203  Nehne, Methodik des europäischen IPR, 262 weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass die Vorschriften der Rom I-VO dabei erst auf Rechtsfolgenseite eingreifen, während Art.  14 Rom II-VO schon die Tatbestandsseite beschränkt. Für eine Ausweitung des Günstigkeitsprinzips in Fragen der Rechtswahl Rühl, FS v. Hoffmann, 364 (372 ff.). 1204 Ausführlich statt aller Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 139 ff., 144 ff. Zur strittigen Frage der „Rechtswahlfestigkeit“ verbraucherschützender Normen aus dem HaustürWG bereits Baumert, Europäischer ordre public, 176 ff. Vgl. auch Heiderhoff, Grundstrukturen des Verbrauchervertragsrechts, 352. Einen Blick auf die Teilrechtswahl im Rahmen dieser besonderen Schutzbestimmungen wirft Aubart, Dépeçage, 99 ff. Die in den unterschiedlichen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Motive untersucht Reuter, Qualifikation des falsus procurator, 346 f. mit Blick auf eine eventuelle Analogie beim Vertreter ohne Vertretungsmacht. 1205  Mankowski, Interessenpolitik, 48 ff. Die Einflussnahme von Interessenverbänden im Zuge der Entstehung der Rom I-VO betont auch Maultzsch, RabelsZ Bd.  75 (2011), 60 (77). Kritisch zum unterschiedlichen Schutzniveau Rühl, FS v. Hoffmann, 364 (371). Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 150 f. kritisiert das Fehlen eines Günstigkeitsprinzips in Art.  5 Rom I-VO. 1206  Heiderhoff, Grundstrukturen des Verbrauchervertragsrechts, 289 ff.; W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (489); Arnold, Vertrag und Verteilung, 357 ff.; Maultzsch, RabelsZ Bd.  75

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

braucherschutz fungiert seit jeher als integraler „Teil des Binnenmarktkonzepts“, indem er eine nationale Isolation des Waren- und Dienstleistungsaustauschs durch eine freihandelsfreundliche Ausgestaltung des Kollisionsrechts verhindert.1207 Erst in einer Zeit, in der die wirtschaftliche Annäherung nicht mehr die absolut vorherrschende Motivation für die europäische Gesetzgebung darstellt,1208 konzentriert sich die Union in zunehmendem Maße auf eine sozialpolitische Protektions- und Integrationsfunktion gegenüber ihren Rechtssubjekten.1209 Dass es mittelbar zugleich darum geht, einen „Binnenmarktstandard“ und somit eine qualitative Abgrenzung gegenüber drittstaatlichen Verbrauchersystemen zu etablieren, ist indes nicht von der Hand zu weisen1210 – Muir Watt spricht pointiert von einem „economic unilateralism“1211. Obwohl auch die Sonderanknüpfungen einen inhaltlichen Bezug zum jeweiligen Lebenssachverhalt aufweisen, erfüllen sie oftmals nur dann die Anforderungen an eine grenzüberschreitend „engste“ Verbindung, wenn man diese in den Schutzzwecken selbst sucht; dadurch würde das Prinzip jedoch ausgehöhlt.1212 Diese Erkenntnis ist nicht neu1213 – der kollisionsrechtlich-politische Schwächerenschutz wäre Savigny auch im nationalen Recht „unverständlich gewesen“1214. Neu, und nicht weniger politisch, sind hingegen die wirtschaftlichen Erwägungen, die den Schutzbestimmungen im Unionskontext zusätzlich zugrundeliegen. Auch in der Regelungstechnik entfernt sich der EU-Gesetzgeber noch weiter von der kollisionsrechtlichen Verweisungsidee: In Bezug auf das sachrechtlich aufgeladene Günstigkeitsprinzip unterlässt er jeden Versuch, (2011), 60 (83). Für eine ökonomische Analyse von Schutzerwägungen i.R.d. Rechtswahl siehe Rühl, Statut und Effizienz, 447 ff. 1207  Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 79. Dazu mit Blick auf Art.  34 EGBGB a. F. Heiderhoff, Grundstrukturen des Verbrauchervertragsrechts, 353. 1208  Kreuzer, FS Trusen, 543 (554) warnte schon zu Zeiten der EG davor, die notwendige Vereinheitlichung des IPR auf ökonomisch relevante Materien zu begrenzen. Eine trotzdem fortlaufende Berücksichtigung der Besonderheiten des gemeinsamen Marktes auch in diesen Rechtsgebieten forderte schon in der Frühphase der europäischen Harmonisierungen im IPR Stoll in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 463 (473 ff.). 1209  Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 138 f.; Weller, IPRax 2011, 429 (434 f.). 1210  Vogeler, Freie Rechtswahl, 265. Ähnlich Heiderhoff, EU-Privatrecht, Rn.  588; Dominelli in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 49 (56); Weller/Göbel in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 75 (81). 1211  Muir Watt in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 44 (51). 1212  Remien in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 223 (226). 1213  Vgl. oben, B.III.2. (S.  51 f.). 1214  Lehmann, FS Spellenberg, 245 (250 ff.).

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zwischen internationalprivatrechtlichen und materiellen Gerechtigkeitsdimen­ sionen zu differenzieren.1215 Immerhin beanspruchen die Sonderanknüpf­ungen aber allgemeine Geltung, anstatt – wie in Vorentwürfen zur Rom I-VO noch vorgesehen1216 – den Schutz auf Verbraucher mit Aufenthalt in einem Mitgliedstaat zu beschränken;1217 eine derartige Benachteiligung von Angehörigen eines Drittstaates ließe sich in einem Kollisionsrecht gleichrangiger Rechtsordnungen, das abseits exportfördernder Erwägungen eine Verweisung aussprechen soll, kaum rechtfertigen1218. Außerdem sollte auch künftig daran festgehalten werden, im Rahmen der Günstigkeitsprüfung auf die konkreten Rechtsfolgen in der Anwendung abzustellen, da sich ein „abstrakter“ Vergleich zwischen mitgliedstaatlichem Recht und externem Recht verbietet.1219 f) Diskriminierungsschutz und Fernwirkung der Grundfreiheiten Abgesehen von den soeben angesprochenen, schon im Sachrecht angelegten Schutzwirkungen beeinflussen auch die Grundfreiheiten und sonstige europäische Diskriminierungsverbote das IPR.1220 Sowohl den speziellen Ausformungen des allgemeinen Gleichheitssatzes1221 in Art.  21 und 23 GRCh sowie Art.  18, 19 und 157 AEUV (ex-Art.  12, 13 und 141 EGV), als auch den Marktfreiheiten kommt 1215  Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 235 spricht dem Günstigkeitsprinzip aufgrund seiner Abkehr von der gängigen Verweisungstechnik „keinen klassischen kollisionsrechtlichen Gehalt“ zu. Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 34 sieht eine Konkurrenz mit dem „ergebnisblinden Prinzip des internationalen Entscheidungseinklangs“. Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 154 erkennt dem Günstigkeitsprinzip die Nützlichkeit zumindest dort ab, wo es aufgrund des Sachverhalts schwerfällt, die „schwächere“ Partei zu benennen. Coester-Waltjen/Coester, LA Schurig, 33 (43, 46) kritisieren vor allem die Komplexität der Regelungen. Vgl. ferner Neuhaus, Grundbegriffe, 178. 1216  Siehe Art.  5 II Rom I-VO-E (2005), veröffentlicht in KOM (2005) 650 endg., S.  18. 1217  Etwas irreführend ist daher die Formulierung von M. Stürner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 87 (88), der von „binnenmarktfinalen“ Wertungen spricht, damit aber wohl keine Fokussierung auf das Wohl des Binnenmarktes im engeren Sinne, sondern vielmehr eine Orientierung an den sachrechtlichen Vorstellungen des europäischen Rechtsraums meint. 1218  Lehmann, FS Spellenberg, 245 (251). 1219  Jayme, Ideengeschichte, 383. Zu den Schwierigkeiten dieser Methode siehe nur Ragno in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (65). 1220  Dazu bereits um die Jahrtausendwende Jayme, Ideengeschichte, 372 f.; Mankowski in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 595 (596); Kegel/Schurig, IPR, 218 f. Beispielhaft für eine Abbildung der unionalen Grundrechte im ordre public etwa Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (471 f.) und Siehr, FS v. Hoffmann, 424 (436). Das Verhältnis des Vorbehalts zu den Grundfreiheiten skizzieren etwa Heiderhoff, FS v. Hoffmann, 127 (136) und M. Stürner, FS v. Hoffmann, 463 (479 f.). Gegenüber einer solchen Entwicklung i.A. kritisch Bruinier, Grundfreiheiten, 105 ff. 1221  Zum Verhältnis des allgemeinen Gleichheitssatzes zu den unionsrechtlichen Diskrimi-

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eine „Leitbild- und Impulsfunktion“ zu,1222 die aus ihrer gesellschaftspolitischen und binnenmarktbezogenen Stoßrichtung resultiert.1223 Als fundamentales Versprechen der europäischen Einigung nimmt insbesondere die Freizügigkeit im Zuge der Harmonisierungen eine zentrale Rolle ein,1224 sodass den Rechtsakten seit jeher eine Sympathie für mobile Bürger anhaftet1225 – oder zugespitzt: „Wer reist, wird belohnt. Der Zaudernde hat das Nachsehen.“1226 Unionalen Regelungen liegt also ein „freiheitsrechtliches Verständnis“ zugrunde, das darauf abzielt, EU-Bürgerinnen vor negativen Erfahrungen im grenzüberschreitenden Bezug zu schützen.1227 Häufig zeigt sich die europarechtliche Überlagerung des IPR infolgedessen nicht mehr nur in der Ausgestaltung und Anwendung der kollisionsspezifischen Verordnungen, sondern zudem darin, dass Handlungsmaximen aus dem sonstigen Sekundär- und Primärrecht übergeordnete Beachtung finden.1228 Man mag sich nun fragen, ob es zugunsten unionaler Gleichbehandlungsvorstellungen tatsächlich erforderlich ist, schon auf dieser vorgeschalteten Ebene einzugreifen und von der klassischen Verweisungstechnik abzuweichen;1229 die Schimäre, im Kollisionsrecht könne mangels Ernierungsverboten siehe Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 85 ff. Noch zu ex-Art.  6 EGV ferner Rohe, RabelsZ Bd.  61 (1997), 1 (50 ff.). 1222  Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 39 f. Grundfreiheiten „indizieren den Weg der Lückenfüllung“ im unionalen IPR, wie Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 374 anführt. Vgl. auch Bruinier, Grundfreiheiten, 27. Zur Abgrenzung der Grundfreiheiten von sonstigen Diskriminierungsverboten des unionalen Rechts Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 158 ff. 1223  Lüttringhaus, IPR der Antidiskriminierung, 234 f. 1224  Siehe nur Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 27 f., 41 ff. Näher zu den Kerngehalten des Freizügigkeitsgedankens in der EU Funken, Anerkennungsprinzip, 111 ff. und Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 21 ff. 1225  Muir Watt in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Pri­vate Law, 44 (54) spricht von einer „market function“ des IPR. Zum Schutz des „aktiven“ Ver­ brauchers im Speziellen Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 89 ff. 1226  Jayme, Ideengeschichte, 394. Weller, LA Jayme, 53 (64 f.) spricht von einer „personne plurielle“. Ähnlich ders., RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (766 f.). Siehe ferner Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 89 und Heymann in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 277 (281 f.). Zu den Gründen für die Aufenthaltsanknüpfung siehe oben, C.IV.5.b) (S.  205 ff.). 1227  Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 265 ff. 1228  Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 44 rechtfertigt mit diesem Umstand die Benutzung des Begriffs „Binnenmarktkollisionsrecht“. 1229  Einen solchen Einfluss des Primärrechts auf das Kollisionsrecht negiert daher Rohe, RabelsZ Bd.  61 (1997), 1 (58 f.), der stattdessen dem ordre public einen elementaren Harmonisierungseffekt zuspricht. Ähnlich Sonnenberger, ZVglRWiss Bd.  95 (1996), 3 (22), der eine diskriminierungsrechtliche Relevanz nur für „leistungsbestimmende Sachnormen“ bejaht. Rechtstechnisch betont Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 238 im Hinblick auf die Grundfreiheiten: „Sie verfügen nicht über eine positive Kollisionsgestaltung bzw. stel-

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gebnisrelevanz nicht effektiv diskriminiert werden, trägt allerdings spätestens seit dem Spanier-Beschluss des BVerfG nicht mehr.1230 aa) Verdeckte Mechanismen im Sekundärrecht Bereits zu Beginn des Jahrtausends hat der EuGH in den Rechtssachen Grzelczyk1231 und Baumbast1232 deshalb geurteilt, dass auch sekundärrechtliche Rechtsakte auf ihre Konformität mit erstrangigem Unionsrecht geprüft werden müssen – die Grundfreiheiten werden so „zu allgemeinen Beschränkungsverboten“1233, dem Sekundärrecht kommt lediglich eine „Konkretisierungsfunk­ tion“1234 zu. Parallel dazu spricht Art.  51 I GRCh die Anordnung aus, bei der „Durch­führung des Rechts der Union“ – also auch im harmonisierten IPR – die Grundsätze der Charta zu wahren.1235 Im Anschluss daran hat der EU-Gesetzgeber einige Richtlinien erlassen, die internationalprivatrechtliche Gehalte aufweisen, gleichzeitig jedoch aktiv diskriminierungsrelevante Problematiken aufgreifen.1236 Teleologisch leuchtet ein, weshalb der Gesetzgeber nicht an der Verweisungstechnik festhält und notfalls auf generalklauselartige Garantien aus dem Primärrecht zurückgreift, sondern eine situationsspezifische Ausformung in Rechtsakten anstrebt: Indem er kollisionsrechtliche Anknüpfungspunkte in konkreten Konstellationen verdrängt, kann er dem Wunsch nach einem einheitlen kein Kollisionsrecht dar“. Bruinier, Grundfreiheiten, 59 f. verneint eine kollisionsrechtliche Dimension der Grundfreiheiten generell. 1230  Instruktiv BVerfG v. 04.05.1971 – 1 BvR 636/68, BVerfGE 58, 31 = NJW 1971, 1509 (1511). Für eine Anwendung der Interessen von Kegel auf die Entscheidung siehe Flessner, Interessenjurisprudenz, 26 ff. Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 295 ff. gelingt es sogar, Fälle „spezifisch kollisionsrechtlicher Diskriminierungen“ zu bilden, wenn sich etwa allein aufgrund der kollisionsrechtlichen Methodik Transaktionskosten einstellen. Vgl. auch Rühl, Statut und Effizienz, 208 ff. 1231  EuGH Rs. C-184/99 v. 20.09.2001 – Grzelczyk, ECLI:EU:C:2001:458 = EuZW 2002, 52 (insb. Rn.  36 ff.). 1232  EuGH Rs. C-413/99 v. 17.09.2002 – Baumbast, ECLI:EU:C:2002:493 = NJW 2002, 3610 (insb. Rn.  91 ff.). 1233  Weller/Benz/Thomale in: S. Lorenz/Kindler/Dutta (Hrsg.), Institut für Rechtsvergleichung, 143 (162). Ausführlich Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 254 ff. 1234  Grünberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 81 (131). 1235 Dazu Lüttringhaus, IPR der Antidiskriminierung, 234; Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 143 ff.; Heiderhoff in: Heiderhoff/Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 89 (90 ff.). Mansel in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 241 (289) warnt indes davor, den Regelungsgehalt von Art.  51 GRCh zu weit auszudehnen. Zur Einbeziehung der GRCh in die kollisionsrechtlich relevante Rechtsprechung des EuGH Düsterhaus, ZEuP 2018, 10 (19 ff.). Die Ursprünge der mitgliedstaatlichen Grundrechtsbindung beleuchtet Baumert, Europäischer ordre public, 74 ff. 1236  Überblicksartig Sonnenberger, ZVglRWiss Bd.  95 (1996), 3 (31 ff.).

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lichen Schutzniveau entsprechen, ohne Rechtsunklarheit aufgrund der diffusen Anwendungsbereiche primärrechtlicher Garantien befürchten zu müssen.1237 In diesem Sinne werden Vorteile für europäische Bürger in Fällen mit Berührungspunkten zu verschiedenen Rechtsordnungen teils dadurch erreicht, dass einem echten Kollisionsfall „unionsintern“ ausgewichen wird1238: So dient etwa die autonome Qualifikation des Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners als „Familienangehöriger“ in Art.  2 Nr.  2 lit.  a und b RL 2004/38/EG1239 dazu, eine abweichende Behandlung nach nationalem Recht und damit Freizügigkeitsbeschränkungen zu vermeiden.1240 Wie unlängst in der Rechtssache Coman bestätigt, soll auf diese Weise ein einheitliches Schutzniveau gewährleistet wer­ den;1241 da es um einen innereuropäischen Mindeststandard geht, sind darüber hinausgehende statusrechtliche Aussagen der Entscheidung nicht zu entneh­ men1242. Art.  3 DSGVO beschreitet einen ähnlichen Weg, indem er hohe Daten­ schutzanforderungen setzt, diese indes auf Fälle begrenzt, in denen personale Bezüge zur EU bestehen.1243

1237  Grünberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 81 (120 ff.); Ragno in: Ferrari/ Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (37). Mansel, RabelsZ Bd.  70 (2006), 651 (724 ff.) sah schon vor Inkrafttreten der Rom-Verordnungen die Chance darin, die Ausweitung der Anerkennungslösung mit einer fortschreitenden Vereinheitlichung des Sekundärrechts zu kombinieren. 1238 Nach Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 55 f. liegt die Funktion dieser Regelungen vor allem in der Festlegung des Anwendungsbereichs des unionalen Sachrechts. Zustimmend Boosfeld in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 15 (24 f.). 1239  Veröffentlicht in ABl.  EU L 158 vom 30.04.2004, S.  77. 1240  Funken, Anerkennungsprinzip, 186. Ausführlich Druschke, Familie im Ausländerrecht, 48 ff., 269 ff. Dennoch verneint Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  1102 f. eine substantielle Abweichung von der teleologisch-funktionalen Qualifikationsmethode durch das EUIPR. Einschränkend Nehne, Methodik des europäischen IPR, 189 ff. 1241  EuGH Rs. C-673/16 v. 05.06.2018 – Coman, ECLI:EU:C:2018:385 = NVwZ 2018, 1545 (insb. Rn.  39). In eine ähnliche Richtung zielt die Importeurshaftung nach Art.  3 II ProdHaftRL (85/374/EWG), siehe Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  710 ff. 1242  Looschelders in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Abgrenzungen im Int. Familienrecht, 123 (126); Funken, Anerkennungsprinzip, 185 f. Vor einer Verallgemeinerung warnen auch Arnold/Zwirlein-Forschner, GPR 2019, 262 (268). Für die a. A. siehe Werner, ZEuP 2019, 803 (811 ff.). Eine vermittelnde Ansicht vertritt Hübner, RabelsZ Bd.  85 (2021), 106 (127 ff.). Zu dieser Frage bereits Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 (395 f.); HWB-EuP/Reich, Unionsbürgerschaft (Bd.  II, S.  1559 f.). 1243  Für dieses und weitere Beispiele siehe Boosfeld in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 15 (23 f.) und W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (498 ff.). Eine dahingehende Tendenz prognostizierten schon Gounalakis/Radke, ZVglRWiss Bd.  98 (1999), 1 (25 f.).

IV. Modernes IPR seit dem 19.  Jahrhundert

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Zudem wird den Mitgliedstaaten als Handlungsadressaten durch Regelungen wie etwa Art.  6 II RL 93/13/EWG1244 (Gewährleistung eines wirksamen Verbraucherschutzes) und Art.  3 RL 96/71/EG1245 (Garantie angemessener Beschäftigungsbedingungen) aufgegeben, den angestrebten Protektionslevel nicht zuletzt bei eventueller Fremdrechtsanwendung sicherzustellen.1246 Mit der grenzüberschreitenden Erhaltung von Versicherungsansprüchen gemäß Art.  93 I VO 1408/71/ EWG1247 wiederum hat der EU-Gesetzgeber eine situative Anerkennungslösung geschaffen, anstatt den nationalen Rechten die Bewertung der internationalen Wirksamkeit zu überlassen.1248 Art.  46b EGBGB, der im grenzüberschreitenden Verbraucherschutz die Inhalte bereits ergangener Richtlinien explizit in den Vordergrund rückt, sichert diese Methodik auf nationaler Ebene ab.1249 Wie unschwer zu erkennen ist, bildet die Unionsbürgerschaft in diesem Zusammenhang das Fundament für die Frage, ob und wie auf mitgliedstaatliches Recht verwiesen werden kann, wenn innerhalb der EU eine homogene Wohlfahrtsförderung eintreten soll.1250 Wenngleich daraus kein allgemeines Modell 1244 

Veröffentlicht in ABl.  EG L 95 vom 21.04.1993, S.  29. Veröffentlicht in ABl.  EG L 18 vom 21.01.1997, S.  1. 1246  Lüttringhaus, IPR der Antidiskriminierung, 237 f.; Trüten, IPR in der EU, 216 f.; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 179; Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 286 ff. Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 300 manifestiert eine „explizite Drittrechtsabgrenzung“. Zur Kritik vgl. Grünberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 81 (91), der gerade „hinkende“ Rechtsverhältnisse als „Gerechtigkeitsproblem im Europäischen Mehrebenensystem“ bezeichnet. 1247  Veröffentlicht in ABl.  EG L 149/2 vom 05.07.1971, S.  2. 1248  Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  389 ff.; vgl. auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 58 ff., 351. Zu weiteren „Zwischenformen“ der Anerkennung Mansel, RabelsZ Bd.  70 (2006), 651 (713 ff.) und Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 153 ff. 1249  Siehe nur Bader, Koordinationsmethoden im IPR, 64. Zur Wirkungsweise der Norm Heiderhoff, EU-Privatrecht, Rn.  599 f. 1250  Grünberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 81 (156) erkennt in der Unionsbürgerschaft gar die „innere Konsistenz des Rechts“, an dem sich die kollisionsrechtliche Methodik zu orientieren habe. Zur Rolle der Unionsbürgerschaft als „Grundrecht“ HWB-EuP/ Reich, Unionsbürgerschaft (Bd.  II, S.  1557). Vgl. auch Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 358 ff.; Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht, 270 f. Nehne, Methodik des europäischen IPR, 35 f. fordert auch vom EuGH, den Schutz des Unionsbürgers in seiner Rechtsprechung zu garantieren. Dennoch plädiert ders., Methodik des europäischen IPR, 57 für eine fachsprachliche Nutzung von Begriffen, da „Alltagswörter durch die Einbettung in einen juristischen Kontext zu Fachwörtern“ würden. Demgegenüber vertritt Garau Sobrino, ZVglRWiss Bd.  117 (2018), 24 (48 f.) die These, das europäische IPR müsse sich v. a. in den Formulierungen wieder mehr dem Wissen der Bürgerinnen annähern. Generell zustimmend Ruiz Abou-Nigm in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 196 (209). 1245 

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als Alternative zum Kollisionsrecht abgeleitet werden kann,1251 ist nicht zu leugnen, dass die europäische „Rechtsintegration“ den Hintergrund vieler Rege­ lungen bildet, in denen das IPR zurückgestellt wird.1252 Gedanken der Geltungserstreckung fungieren zunehmend als „Katalysator“ für die Justizielle Zusammen­ arbeit in Zivilsachen, die eine elementare Säule zur Schaffung eines europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art.  3 II EUV) bildet.1253 Mit dem klassischen IPR bricht dieser Ansatz in zweierlei Hinsicht: Zum einen wird ein System für zivilrechtliche Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug geschaffen, in dem anstelle einer Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen die Gleichheit der Ergebnisse in den Fokus rückt; ein pluralistischer Diskurs1254 wird darin zurückgestellt. Zum anderen beschränkt sich die kollisionsrechtliche – obschon verweisungsfeindliche – Perspektive vollständig auf die Mitgliedstaaten; die Union tritt nicht mehr nur als Urheberin eines (universalen) IPR auf, sondern als entscheidungsrelevanter räumlicher Abwägungsfaktor im Streben nach privatrechtlicher Freizügigkeit. bb) Primärrecht statt IPR: Das Anerkennungsprinzip Mit dem sogenannten „Anerkennungsprinzip“1255 geht eine weitere essentielle Neuerung der jüngeren Vergangenheit unmittelbar auf den EuGH zurück, dessen Urteile zum Internationalen Gesellschafts-1256 und Namensrecht1257 eine Überlagerung des IPR durch europäische Grundgedanken aus dem Primärrecht Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 133 ff. verneint beispielhaft einen substantiellen Einfluss von Antidiskriminierungsrichtlinien auf familienrechtliche Fragen. 1252  Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 48. Zu dieser generellen Tendenz auch Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 33. 1253  Funken, Anerkennungsprinzip, 101 ff. Dessen Erreichung ist dabei nicht als bloßer Programmsatz, sondern vielmehr als verbindliches Unionsziel zu verstehen, siehe Trüten, IPR in der EU, 187. Weller/Göbel in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 75 (80 f.) kommen daher zu dem Schluss: „Rechtsexport ist EU-Programm“. 1254  Vgl. oben zum Gleichheitsverständnis bei Arendt, B.II.1.d) (S.  29 ff.). 1255 Zu terminologischen Grundlagen siehe Funken, Anerkennungsprinzip, 8 ff.; Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 163 ff.; Mansel, RabelsZ Bd.  70 (2006), 651 (712 f.); R. Wagner, StAZ 2012, 133 (134 f.); Druschke, Familie im Ausländerrecht, 90 ff. 1256  Grundlegend EuGH Rs. C-208/00 v. 05.11.2002 – Überseering, ECLI:EU:C:2002:632 = EuZW 2002, 754 (insb. Rn.  59). Ausführlich dazu Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 329 ff. Eine Übersicht weiterer wegweisender Urteile des EuGH bieten Mansel, RabelsZ Bd.  70 (2006), 651 (687 ff.); Funken, Anerkennungsprinzip, 130 ff.; Trüten, IPR in der EU, 472 ff. Zu der Diskussion ferner schon Gounalakis/Radke, ZVglRWiss Bd.  98 (1999), 1 (20 ff.). 1257  Grundlegend EuGH Rs. C-353/06 v. 14.10.2008 – Grunkin-Paul, ECLI:EU:C:2008:559 = EuZW 2008, 694 (insb. Rn.  21 ff.). Detailliert zu diesem Themenkomplex Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 387 ff. und Trüten, IPR in der EU, 489 ff. 1251 

IV. Modernes IPR seit dem 19.  Jahrhundert

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propagieren.1258 Ausgehend von der Annahme, dass beispielsweise die Niederlassungsfreiheit (Art.  49 ff. AEUV) oder die Freizügigkeit (Art.  21 AEUV1259) auf grenzüberschreitende Zivilrechtsverhältnisse ausstrahlen können,1260 schufen die Richterinnen „verdeckte“1261 Kollisionsnormen: Unter unausgesprochener Bezugnahme auf das „Herkunftslandprinzip“1262 und die Theorie der wohlerworbenen Rechte1263 verpflichteten sie die Mitgliedstaaten dazu, bestimmte Rechtslagen aus dem Recht eines EU-Partners ohne substantielle Prüfung als wirksam zu akzeptieren.1264 Von der in Art.  114 I AEUV (ex-Art.  95 EGV) festgehaltenen Idee, den Binnenmarkt auf juristischem Wege qua sukzessiver „An1258 Ausführlich zu diesen und weiteren Beispielen W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (473 ff.). Nehne, Methodik des europäischen IPR, 144 f. leitet die kollisionsrechtliche Relevanz des Primärrechts aus dessen Anwendungsvorrang ab. 1259  Zur Reichweite der Norm in diesem Kontext Heiderhoff, FS v. Hoffmann, 127 (129 f.) und Druschke, Familie im Ausländerrecht, 280 ff. Werner, ZEuP 2019, 803 (814 f.) bezeichnet Art.  21 AEUV als „ordre public européen“. 1260  Für eine beispielhafte Prüfung der Grundfreiheiten im anerkennungsrechtlichen Kontext siehe Rieks, Anerkennung im IPR, 213 ff. Eine etwaige Notwendigkeit der Anerkennung aus den Grund- und Menschenrechten negiert Funken, Anerkennungsprinzip, 86 ff. 1261  Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 166 ff. In diese Richtung auch W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (505). Gegen eine solche Formulierung Mansel, RabelsZ Bd.  70 (2006), 651 (678), der auf das Fehlen einer einheitlichen Methodik abstellt. Noch zur Rechtfertigung der Gründungstheorie über ex-Art.  58 EGV als „versteckte“ Kollisionsnorm Sonnenberger, ZVglRWiss Bd.  95 (1996), 3 (8) und Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  99 ff. 1262  Zu dieser Verknüpfung Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 263 f.; Gounalakis/Radke, ZVglRWiss Bd.  98 (1999), 1 (2 f.); Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (21); Ragno in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (60 f.). Das Prinzip hat indes trotz offensichtlicher Vorteile für den Binnenmarkt in den bisherigen VOen keinen allgemeinen Widerhall gefunden, siehe Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 79 ff. Kritisch zu der Rechtsfigur im IPR Berner, Kollisionsrecht im Spannungsfeld, 139 f.; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 234; Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 185 ff. 1263  Zu dieser ideengeschichtlichen Nähe W. Roth, EWS 2011, 314 (324); Trüten, IPR in der EU, 33 ff.; Wendehorst, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 45 (2012), 33 (45). Ähnlich auch schon vor der Intervention durch den EuGH Rohe, RabelsZ Bd.  61 (1997), 1 (58) und Mankowski in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 595 (601 ff.). Kritisch zu einem Rückgriff auf diese Theorie Grünberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 81 (158 f.). Vgl. zu entsprechenden Ansätzen im US-IPR oben, C.IV.2.c)aa) (S.  154 ff.). 1264 Einführend Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 15 ff., 45 ff. Weitere Anwendungsfelder der Anerkennung nennen Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 474 ff. und Hübner, RabelsZ Bd.  85 (2021), 106 (111 ff.). Damit nicht zu verwechseln ist die von Lüttringhaus, IPR der Antidiskriminierung, 309 ff. untersuchte kollisions- oder sachrechtliche Anpassung als Reaktion auf Unterschiede im europaweiten Diskriminierungsschutz trotz funktionaler Äquivalenz.

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

gleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten“ zu fördern,1265 wird mithin Abstand genommen. Dies überrascht umso mehr, als auch die EU für die Harmonisierung eigentlich den legislativen Pfad vorzieht.1266 Wer von der Verweisungstechnik des klassischen IPR ausgeht, stellt sich unweigerlich die Frage, inwieweit dieser Weg sich dogmatisch rechtfertigen lässt; um sie zu beantworten, muss zwischen der Anerkennungslösung an sich und ihrer konkreten Ausgestaltung im EU-IPR unterschieden werden: Methodisch entstünde bei einer umfassenden Anerkennungslösung ein „verkapptes sekundäres Kollisionsrechtssystem“, in dem nationale Anknüpfungen nur noch dann von Bedeutung sind, wenn die Entstehung einer Rechtslage im Inland mit grenzüberschreitendem Bezug untersucht werden soll.1267 Allein diese „Zwitterstellung“ aus Verweisung und Anerkennung wirkt der Prämisse der Wertneutralität allerdings noch nicht entgegen,1268 sprechen doch die internationale Entschei­dungs­harmonie und Parteiinteressen an einer vorhersehbaren Anknüpfung durchaus dafür, dem Registerrecht die international wirksame Entscheidung über die Rechtslage zu überlassen.1269 Auf den ersten Blick muss dieser Methodik sogar ein bemerkenswerter Respekt gegenüber fremdem Recht attestiert werden, schließlich verzichtet die lex fori-Rechtsordnung bei externen Rechtsverhältnissen im Grunde auf eine Überprüfung der ausländischen Regelungsbefugnis.1270 Allerdings begegnet das Anerkennungsprinzip keineswegs allen kulturellen und juristischen Identitäten aus dem Ausland derart aufgeschlossen; vielmehr 1265  Anerkennungsbemühungen im Sinne dieser Gesetzgebungskompetenz illustriert Mansel, RabelsZ Bd.  70 (2006), 651 (664 ff.). Trüten, IPR in der EU, 57 f. hebt die rechtspolitische Attraktivität dieser Methode hervor. Zustimmend Lehmann/Grimm, LMK 2011, 318018. 1266  Heiderhoff, FS v. Hoffmann, 127 (127 f., 137 f.). Zugleich betont dies., IPRax 2017, 160 (166 f.) aber den Reiz der Methode: das Anerkennungsprinzip als die „allereinfachste Form der Förderung von Freizügigkeit“. 1267  Funken, Anerkennungsprinzip, 268 ff. Vgl. auch Mansel, LA Jayme, 27 (40). 1268  Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 206 ff. Ähnlich Basedow in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 1 (2). 1269  Hübner, RabelsZ Bd.  85 (2021), 106 (140 ff.). Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 182 ff. erkennt daher nach eingehender Interessenanalyse keinen Bruch mit dem Prinzip der engsten Verbindung durch das Anerkennungsprinzip (203). Vgl. Coester-Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (16 f.): „Hierin muss man noch keinen revolutionären Akt und auch keinen Tod des klassischen Internationalen Privatrechts sehen“. Rieks, Anerkennung im IPR, 213 sieht mit Blick auf das Ziel des internationalen Entscheidungseinklangs und die subjektive Sicht des Bürgers in den konkreten Situationen jedenfalls keinen praktischen Nachteil. Mansel, LA Jayme, 27 (35 f.) erkennt jedoch auch keine zwingenden Gründe für das Anerkennungsprinzip. 1270  G. Schulze in: Strangas/Chanos/Papacharalambous/Pyrgakis/Tsapogas (Hrsg.), Kollision, Feindschaft und Recht, 1097 (1112) meint daher: „Zur Durchbrechung von Fremdheit ist im heutigen Methodenkanon des IPR ein weiteres Instrument hinzugekommen“.

IV. Modernes IPR seit dem 19.  Jahrhundert

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dokumentiert es die Kapitulation vor einem „kassatorisch“ auftretenden Primärrecht.1271 Da der Ursprungsstaat zwar formal die Rechtslage vorgibt, die inhaltlichen Maßstäbe aber aus dem Unionsrecht stammen, entsteht ein „europäischer“ Universalismus.1272 Diese geographische Eingrenzung leitet sich aus der grundsätzlichen Verwandtschaft der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen im juristi­ schen und ethischen Geiste her,1273 akzeptiert eine Gleichwertigkeit also lediglich innerhalb des Binnenmarktes.1274 Aus hoheitlicher Sicht ist das nur vor­ teilhaft: Solange die Argumentation an den unionalen Rechtsraum gebunden ist,1275 bleibt das Risiko durch den Verzicht der jeweiligen Staaten auf ihre natio­ nale Regelungsbefugnis im Wesentlichen kalkulierbar.1276 Besonders deutlich wird die Fixierung auf die kontinentalen Rechtsordnungen anhand der Überschrift zu Art.  48 EGBGB, der als Reaktion auf die EuGH-Rechtsprechung erlassen wurde und für die „Wahl eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen Namens“ Sonderregelungen vorsieht.1277 Insofern verschreibt sich das Anerkennungsprinzip einem „Kontrollmaßstab der Metaordnung“, indem es rechtspolitische Intentionen der EU umsetzt, anstatt ein Rechtsverhältnis streng methodisch nach seinem Sitz zu beurteilen.1278 Ein Blick auf die namensrechtliche Rechtsprechung des EuGH belegt diese Einschätzung: Die Richterinnen räumten in diesem Kontext insbesondere der individuellen Identität einen hohen Stellenwert ein, weshalb sie detailliert aufführten, wie stark das tägliche Leben einer Person mit Beziehungen zu ver1271  Kritisch daher Bruinier, Grundfreiheiten, 41 ff. Dagegen bezeichnet Mansel, LA Jayme, 27 (29) die Grundfreiheiten als „kollisionsrechtlich indifferent“. 1272  Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 216 f. Daran anschließend kritisch im eherechtlichen Kontext Druschke, Familie im Ausländerrecht, 293 f. 1273  Dies hebt Funken, Anerkennungsprinzip, 65 ff. hervor. Mankowski, IPRax 2020, 323 (324): „Fundamentalprinzip des gegenseitigen Vertrauens“. 1274  Sonnenberger, ZVglRWiss Bd.  95 (1996), 3 (9 f.); Mansel, LA Jayme, 27 (44 f.). Zu diesem Aspekt auch G. Schulze, IPRax 2010, 290 (295). 1275 Ziel ist schließlich eine „europäische Rechtsgemeinschaft“, siehe Mansel, RabelsZ Bd.  70 (2006), 651 (682 ff.). R. Wagner, StAZ 2012, 133 (138) erkennt daher die Gefahr von „Rechtszersplitterung“. Die sonstige Bedeutung der Anerkennung als Rechtsinstitut im IPR außerhalb des unionalen Einflusses beleuchten Rieks, Anerkennung im IPR, 101 ff. und Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 (394 f.). Zu bereits vorhandenen Anwendungsfeldern vgl. ferner Funken, Anerkennungsprinzip, 190 ff. und Trüten, IPR in der EU, 612 ff. 1276 Instruktiv Funken, Anerkennungsprinzip, 52 f.; vgl. Bruinier, Grundfreiheiten, 103 f. 1277 Vgl. G. Schulze in: Strangas/Chanos/Papacharalambous/Pyrgakis/Tsapogas (Hrsg.), Kollision, Feindschaft und Recht, 1097 (1113). Ders., IPRax 2010, 290 (295) erkennt gar ein „Persönlichkeitsrecht auf Namenswahl“. Näher zu den Intentionen der Norm Mankowski, IPRax 2020, 323 (327). 1278  Mansel, RabelsZ Bd.  70 (2006), 651 (677 f.). Eine Übersicht über weitere Kritikpunkte bietet Hübner, RabelsZ Bd.  85 (2021), 106 (116).

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

schiedenen Mitgliedstaaten durch divergierende Regelungen zu den Namensbestandteilen beeinträchtigt würde.1279 Indem sie argumentierten, „der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten“ bestimme sich anhand ihrer Unionsbürgerschaft,1280 unterstrichen sie zudem die Relevanz dieser europäischen Zugehörigkeit.1281 Demgegenüber wurde das staatliche Interesse an einer verwechslungsfreien Namensführung zwar als legitim angesehen, eine Rechtfertigung der Freizügigkeitsbeschränkungen auf Basis dieser Überlegungen aber verneint.1282 Dieser Hinweis vermittelt den Eindruck, dass europäische Leitbilder Vorrang gegenüber sicherheitspolitischen Bedenken der Mitgliedstaaten genießen.1283 Anders verhält es sich indes mit dem Wunsch einiger Mitgliedstaaten, einen Neuerwerb von Adelstiteln durch Kauf oder im Zuge einer Adoption zu verhindern: In Urteilen aus den Jahren 20101284 und 20161285 hat der EuGH eine Pflicht zur grenzüberschreitenden Namensanerkennung bei Adelstiteln abgelehnt, weil ein Staat solche Praktiken aus „Gründen der öffentlichen Ordnung“ untersagen könne. Politisch positioniert sich das Gericht damit „im Zwist zwischen Monarchien und Republiken innerhalb der Europäischen Union“ zugunsten der Republiken, ohne auf der Rechtfertigungsebene klare Linien erkennen zu lassen; es instrumentalisiert auf diese Weise gleichsam den Topos der Gleichbehandlung zwischen den Unionsbürgerinnen, um von der EU bevorzugte Normgestaltungen zu stärken.1286 Der ordre public, der auch im Rahmen des An-

1279  EuGH Rs. C-353/06 v. 14.10.2008 – Grunkin-Paul, ECLI:EU:C:2008:559 = EuZW 2008, 694 (Rn.  25 ff.). 1280  EuGH Rs. C-148/02 v. 02.10.2003 – Garcia Avello, ECLI:EU:C:2003:539 = BeckRS 2004, 74436 (Rn.  22). 1281 MüKoBGB/v. Hein, Art.  5 EGBGB, Rn.  25. Zu dieser grundlegenden Tendenz des Anerkennungsprinzips z. B. Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XV f.) und Mankowski, IPRax 2020, 323 (328). Pointiert Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (762): „Die Person überlagert den Raum“. 1282  EuGH Rs. C-148/02 v. 02.10.2003 – Garcia Avello, ECLI:EU:C:2003:539 = BeckRS 2004, 74436 (Rn.  42). 1283 Vgl. Funken, Anerkennungsprinzip, 178. 1284  EuGH Rs. C-208/09 v. 22.10.2010 – Sayn-Wittgenstein, ECLI:EU:C:2010:806 = NJOZ 2011, 1346 (insb. Rn.  94 f.). 1285  EuGH Rs. C-438/14 v. 02.06.2016 – Bogendorff von Wolffersdorff, ECLI:EU:C: 2016:401 = NJW 2016, 2093 (insb. Rn.  84). 1286  Lehmann/Grimm, LMK 2011, 318018. Vgl. auch Heymann in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 277 (285) und Hübner, RabelsZ Bd.  85 (2021), 106 (118 ff.).

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erkennungsprinzips einzelfallspezifische Grenzen setzt,1287 wird hier erkennbar durch europäische Wertungen überlagert.1288 In der Literatur wird der Weg der Anerkennung insbesondere aufgrund seiner praktischen Vorteile teilweise befürwortet1289, hinsichtlich seiner Auswirkungen auf das klassische Verweisungsrecht jedoch zugleich teilweise harsch („Abdankung des eigenen IPR“1290) kritisiert.1291 Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass bei umfassender Geltung dieses Mechanismus ein Allgemeiner Teil des europäischen Kollisionsrechts entbehrlich würde.1292 Um dieser Evolution entgegenzuwirken, wird vereinzelt vorgeschlagen, die Anerkennungslösung in die Methodik des klassischen IPR einzugliedern,1293 womit zumindest rechtstechnisch Klarheit geschaffen würde. Wer im Zuge dessen allerdings – wie der BGH im Jahre 20191294 – das Anerkennungsprinzip auf rechtmäßig erlangte Zu1287  Dazu statt aller Funken, Anerkennungsprinzip, 75 ff. Für weitere Beispiele siehe Arnold/Zwirlein-Forschner, GPR 2019, 262 (275 ff.). 1288  Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 178 f. 1289  Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 (400) stellt v. a. eine „Erleichterung für den Rechtsanwender“ in Aussicht. Positiv äußert sich ebenfalls Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 184 f. Für eine Anerkennungslösung jedenfalls in einzelnen Rechtsgebieten auch Rieks, Anerkennung im IPR, 233 f. und Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 215. Vgl. ferner Henrich, IPRax 2005, 422 (423 f.) und Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 474. 1290 MüKoBGB/v. Hein, Art.  3 EGBGB, Rn.  125. In diese Richtung bei einem vollumfänglichen Anerkennungsprinzip auch Mankowski, IPRax 2020, 323 (326). 1291 Nach Grünberger in Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 81 (88) wird das traditionelle IPR durch die Anerkennung „irritiert“. Ähnlich Mankowski, IPRax 2017, 130 (130 f.); ­BeckOGK/Kroll-Ludwigs, Art.  10 EGBGB, Rn.  74 f.; Heiderhoff, EU-Privatrecht, Rn.  605 f., 612. Henrich, IPRax 2005, 422 (422 f.) mahnt, dass die Anerkennung oft eine Umgehung bestehender Übereinkommen impliziere. Nach Arnold/Zwirlein-Forschner, GPR 2019, 262 (268) wird Entscheidungsmacht „von der Legislative auf die Judikative“ verlagert. Heymann in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 277 (283) verneint insofern eine Kompetenz der EU zu diesem schwerwiegenden Schritt. Näher zu der Debatte Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  66 ff. 1292  R. Wagner in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 51 (55). In diese Richtung schon ders., StAZ 2012, 133 (138 f.). Zum Spannungsfeld zwischen renvoi und Anerkennungsprinzip v. Hein in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 341 (386 ff.). Den Bedeutungsverlust des ordre public beleuchtet insofern Helms, IPRax 2017, 153 (158). 1293  So vor allem Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 (397 ff.) und Wendehorst, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 45 (2012), 33 (54 ff.) sowie unlängst noch Hübner, RabelsZ Bd.  85 (2021), 106 (143 f.). Auch Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 60 bevorzugt diese Option. In diese Richtung ferner Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (22); Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 234 f.; Heiderhoff, EU-Privatrecht, Rn.  612; Werner, ZEuP 2019, 803 (816 f.); Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 189 f. Mansel in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 241 (288 ff.) schlägt eine Lösung auf der Ebene der Rechtswahl vor. Auch C. Kohler, LA Jayme, 9 (24 f.) erkennt insofern Berührungspunkte. 1294  BGH v. 20.02.2019 – XII ZB 130/16, NJW 2019, 2313.

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ordnungen beschränkt und es so lediglich mit einer genuin verweisungsrechtlichen Komponente vermengt, verspielt methodische Stringenz und Rechtssicherheit gleichermaßen.1295 Einen favor zugunsten der mitgliedstaatlichen Sachrechte, der uns sonst insbesondere aus dem US-IPR bekannt ist und auch dort einer wertneutralen Verweisung entgegensteht,1296 könnte man auf diesem Wege – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung – überdies nicht effektiv verhindern.1297 Wer einen konti­nentalen Rechtsraum (pseudo-)kollisionsrechtlich isoliert und den norma­ tiven Pluralismus ergebnisorientiert einhegt, bewirkt in jedem Fall eine Poli­ tisierung des IPR.1298 Ungeachtet ihrer konkreten Gestalt bliebe die Anerkennung vorrangig ein unionales „Kompatibilisierungsinstrument“,1299 das eine „internationalistische Schule“ für die EU1300 vorgaukelt. Der damit einhergehende Verlust an Wertneutralität spricht deshalb im Übrigen dagegen, die Anerkennungslösung auf statusrechtliche Beziehungen zu erstrecken.1301 g) Rechtswahl in Europa: Wirklich „frei“? Eine zentrale Weichenstellung des europäischen IPR besteht ferner darin, den Parteien weitreichende Rechtswahloptionen zu gewähren.1302 Nachdem die par­ 1295  Der Kritik von Mankowski, IPRax 2020, 323 (329) ist daher mit Blick auf seine Ablehnung einer révision au fond uneingeschränkt beizupflichten. 1296 Vgl. Funken, Anerkennungsprinzip, 262 ff. und oben, C.IV.2. (S.  141 ff.). 1297 Einschränkend Hübner, RabelsZ Bd.  85 (2021), 106 (110). 1298  Dazu oben, B.II.1.a) (S.  19 ff.) bzw. B.II.1.d) (S.  29 ff.). 1299 Vgl. Grünberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 81 (108). Mit einer ähnlichen Wortwahl auch G. Schulze, IPRax 2010, 290 (295). 1300  Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 (18). 1301  Vgl. etwa Druschke, Familie im Ausländerrecht, 301 f. Gegen eine umfassende Anerkennungslösung auch Funken, Anerkennungsprinzip, 178 ff. Dafür aber Leifeld, Das Anerkennungsprinzip im Kollisionsrechtssystem, 82 ff.; Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (774 f.); W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (478 f.). Dass sich etwa bei der rechtlichen Bewertung internationaler Ehen eine Statusanerkennung bisher nicht durchgesetzt hat, betont Looschelders in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Abgrenzungen im Int. Familienrecht, 123 (125 f.). Zur Ausweitung der Anerkennungsgrundsätze in diesem Kontext auch Grünberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 81 (133 ff.) und Mansel, LA Jayme, 27 (41 ff.). Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (187 f.) betont das Spannungsfeld zwischen dem traditionellen IPR und der Statusanerkennung. 1302  Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 248. Den genauen Umfang in den EU-Verordnungen erläutert Arnold in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 23 (37 ff.). Dazu auch Mansel in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 241 (256 ff.); Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 108 ff.; Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 15 ff. Das Fehlen parteiautonomer Momente monierte noch in den Ausläufern des vorigen Jahrtausends Jayme, Ideengeschichte, 387.

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tei­autonome Bestimmung des anwendbaren Rechts in der bisherigen Harmo­ nisierung eine erhebliche Aufwertung erfahren hat, nimmt sie neben der objektiven Verweisung inzwischen eine dominante Position ein.1303 Allein aus diesem Umstand kann freilich noch keine Abkehr vom klassischen Bild des Kollisionsrechts geschlossen werden, repräsentiert sie doch – trotz der überwiegenden Ablehnung noch durch Savigny1304 – eine seit langer Zeit anerkannte Regelungsoption durch die Beteiligten.1305 Aufmerksamkeit verdient allerdings die Frage, inwieweit die Rechtswahloptionen eingegrenzt werden und welche Gründe für die konkreten Ausgestaltungen streiten: Gerade im Vertragsrecht hat sich der europäische Gesetzgeber für eine „freie“ Rechtswahl entschieden (Art.  3 Rom I-VO), es kommt also weder auf eine objektive Verbindung des gewählten Rechts mit dem Sachverhalt an, noch wird durch normierte Beispiele die Dispositionsbefugnis beschnitten.1306 Diese Entwicklung beruht nicht zuletzt auf marktspezifischen Erwägungen,1307 die den volkswirtschaftlichen Nutzen der Rechtswahl hervorheben1308 und in der Parteiautonomie eine positive Ausprägung der Grundfreiheiten1309 erkennen. Vor 1303 Plakativ

Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  157: die Rechtswahl „neben dem Grundsatz der engsten Verbindung als zweites Grundprinzip“. Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 84: die Rechtswahlfreiheit als „Gemeinschaftsphilosophie“. In diese Richtung auch Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 62. 1304  Vgl. oben, C.IV.1.a)bb) (S.  122 ff.). 1305  Lehmann, FS Spellenberg, 245 (247 f.); Mansel in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 241 (245). Zur Geschichte der Parteiautonomie im IPR Winkler v. Mohrenfels, FS v. Hoffmann, 527 (527 ff.). Die Entwicklung der freien Rechtswahl speziell in Europa zeichnet Vogeler, Freie Rechtswahl, 15 ff. nach. Vgl. auch oben unter B.III.3. (S.  52 ff.). 1306  Statt aller Staudinger/Looschelders, Einl. IPR, Rn.  158, 162. Zur grundsätzlich parallelen Ausgestaltung in Art.  14 Rom II-VO siehe nur Vogeler, Freie Rechtswahl, 319 f. 1307  Arnold in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 23 (33 f.); Mankowski, Interessenpolitik, 22; W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (488); Rösler, RabelsZ Bd.  78 (2014), 155 (160 f.); Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (187); Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 103 ff. Für eine ökonomische Analyse der Rechtswahl siehe Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 116 ff. 1308  Trüten, IPR in der EU, 644 f. Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 1: „Die freie Wahl des anwendbaren Rechts kann als eine der Leitmaximen eines funktionierenden Binnenmarktes gelten“. Muir Watt in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 44 (54 ff.) und dies., RIDE 2010, 103 (113 f.) erkennt neo-liberalistische Tendenzen. In diese Richtung auch Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 13; Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht, 269; Ragno in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (67 f.). 1309  Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 98 ff.; C. Kohler, LA Jayme, 9 (16); Muir Watt, ERCL 2010, 250 (255). Dazu auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 176 f. Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 71 stellt

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

allem im Wirtschaftsverkehr geht es nicht mehr nur um die persönliche Freiheit als abstrakte Leitmaxime eines liberalen Rechtsverständnisses,1310 sondern um eine „rationale und eigennutzenmaximierende Interessenverfolgung“.1311 Im juristischen Alltag bildet die Rechtwahl vermehrt den Gegenstand ökonomischer Machtspiele, weshalb sie oftmals zu einem Privileg der stärkeren Partei verkommt.1312 Da die komplexen Subventionierungs- und Arbitrageeffekte dem Binnenmarkt indes nicht in gleicher Weise schaden, wird dieses Verhandlungsungleichgewicht hingenommen.1313 Wo hingegen Beschränkungen im Kreis der wählbaren Rechte vorgenommen wurden, lässt sich dies manchmal, aber nicht immer, mit internationalprivatrechtlichen Prämissen erklären: Dass etwa Art.  6 IV und Art.  8 III Rom II-VO Wettbewerbs- und Kartelldelikte sowie Verletzungen des geistigen Eigentums von der Rechtswahl ausnehmen, ist mit überwiegenden Verkehrs- und Drittinteressen überzeugend zu rechtfertigen.1314 Materiellrechtliche Wertungen strah­­ len in diesem Kontext auf die kollisionsrechtliche Ebene aus, die sich zur Umsetzung spezifisch-verweisungstechnischer Mittel bedient.1315 Noch stärker an der Idee internationalprivatrechtlicher Gerechtigkeit orientiert sich der lobenswerte Vorschlag von Nehne, der „rein betriebsbezogene Wettbewerbsverletzun­ gen“ vom Ausschluss in Art.  6 IV Rom II-VO ausnehmen möchte, weil in einem solchen Fall der Verkehr keinen qualifizierten Schutz verdiene.1316 Wie oben bereits angesprochen, findet sich auch im Rahmen der Parteiautonomie der Gedanke des Schwächerenschutzes an vielen Stellen wieder.1317 Im

eine Verbindung zwischen der subjektiv-rechtlichen Dimension der Mobilitätsrechte und Ableitungen der Parteiautonomie aus der Willensfreiheit her. Vgl. ferner Heiderhoff, IPRax 2017, 160 (167). 1310  Zu dieser Maxime einführend Henry, Kollisionsrechtliche Rechtswahl, 13, 24 f. 1311  So erklärt Rösler, RabelsZ Bd.  78 (2014), 155 (169) die weitreichenden Rechtswahlmöglichkeiten im Vertragsrecht. 1312  Maultzsch, RabelsZ Bd.  75 (2011), 60 (62). Für eine ausführliche Analyse der Effekte siehe Muir Watt, ERCL 2010, 250 (259 ff.). 1313  Mankowski, Interessenpolitik, 22, 82; vgl. auch Rohe, RabelsZ Bd.  61 (1997), 1 (36). 1314  Zu Art.  6 siehe nur NK-BGB/Matthias Weller, Art.  6 Rom II-VO, Rn.  17. Überzeugend zu Art.  8 BeckOGK/McGuire, Art.  8 Rom II-VO, Rn.  202 ff. Zustimmend Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 557 f. Eine rechtsfolgenorientierte Rechtswahl fordert dagegen NKBGB/Grünberger, Art.  8 Rom II-VO, Rn.  9. Arnold in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 23 (50) unterstützt diesen Vorschlag. 1315  Vogeler, Freie Rechtswahl, 12; vgl. auch Mansel in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 241 (256 f.); Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 492; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, 545. 1316  Nehne, Methodik des europäischen IPR, 234. 1317  Vgl. C.IV.5.e) (S.  222 ff.).

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internationalen Familien- und Erbrecht1318 wird zudem regelmäßig ein abschließender Kanon wählbarer Rechte vorgegeben (etwa Art.  5 Rom III-VO, 22 EuErbVO, 22 EuGüVO), ohne dass den Parteien die Chance offensteht, auf eine möglicherweise engere Verbindung auszuweichen.1319 Auf diesem Wege kommt dem Prinzip der engsten Verbindung in seiner objektiven Dimension auch innerhalb der subjektiven Rechtswahl eine große Bedeutung zu,1320 wofür teleologisch vor allem Interessen der oft uninformierten Parteien sprechen.1321 Gerade Art.  5 Rom III-VO wagt hinsichtlich seiner Anknüpfungsoptionen allerdings einen „sonderbaren Spagat“ zwischen kollisionsrechtlichen und binnenmarktspezifischen Interessen, indem er neben den sonstigen Optionen die Wahl der lex fori zulässt.1322 Durch Abs.  1 lit.  d wird der Gleichlauf von Forum und ius bewusst gefördert,1323 was aus legislativer Perspektive nicht per se als irrational abgetan

Emmerich, Probleme der Anknüpfung, 153 ff. Die Entscheidung, auch für die Scheidung die Rechtswahl als Regelfall zu bestimmen (Art.  5–7 Rom III-VO), kritisiert Schurig, FS v. Hoffmann, 405 (407) als „weltfremd“. Dem widerspricht Mörsdorf-Schulte, RabelsZ Bd.  77 (2013), 786 (812) ausdrücklich. Auch Winkler v. Mohrenfels, FS v. Hoffmann, 527 (541) und C. Kohler, LA Jayme, 9 (18) begrüßen die Entscheidung. 1319  C. Kohler, FS v. Hoffmann, 208 (210 f.). Nach Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 185 f. besteht eine „Freiheit“ damit nur innerhalb des positiven Rechts. Zu möglichen Erweiterungen Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 212 ff. Die Sinnhaftigkeit der Ausgestaltung de lege lata hinterfragt Schurig, FS v. Hoffmann, 405 (407 f.). Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 98 f. kritisiert, dass die Grenzen der Rechtswahl das Prinzip der Diskriminierungsfreiheit auch im Kollisionsrecht gefährden. 1320  Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 186. Vgl. aus den Verordnungen etwa EG 38 S.  2 EuErbVO. Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 414 ff. kritisiert die Orientierung am Prinzip der engsten Verbindung überhaupt und befürwortet daher eine insgesamt freier konzipierte Rechtswahl. 1321  Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 467 f.; Rühl, Statut und Effizienz, 558 f., 562; W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (496). Näher zu den rechtswahlspezifischen Risiken gerade im internationalen Erb- und Familienrecht Gruber in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/ Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Migration und IPR, 169 (175 ff.). Siehe auch Beier, Rechte des überlebenden Ehegatten, 394 ff. und Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 64. 1322  So nach überzeugender Analyse der einzelnen Anknüpfungsmomente Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 214 f. Zustimmend Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 98 f. Vgl. schon Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 800 f. 1323  M. Stürner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 87 (100 f.); Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 185; Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 295; Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 134 ff.; Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 201; Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 209. Mansel in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 241 (268) sieht die „innere Legitimation“ der Wahl der lex fori oftmals erst durch korrespondierende Gerichtsstandsnormen als gegeben an. Ähnlich C. Kohler, LA Jayme, 9 (17). 1318 Einführend

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werden kann,1324 den potentiellen Anwendungsbereich mitgliedstaatlicher Rechte aber einseitig erweitert. Abgesehen davon stützt ein weiterer „europäischer“ Gesichtspunkt die Ausgestaltung: Da viele mitgliedstaatliche Rechte das Personalstatut im Familienrecht nach dem Forumrecht bestimmen,1325 kommt sie der Freizügigkeit im Unionsgebiet – gerade im Verhältnis zu an der Rom III-VO nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten1326 – zugute.1327 Aus der Perspektive des klassischen IPR ist dem EU-Gesetzgeber immerhin Beifall dafür zu zollen, dass er von dem Plan abgewichen ist, im internationalen Scheidungsrecht einzig die Wahl der lex fori zu dulden, um Gerichte vor der Auseinandersetzung mit ausländischen und damit häufig unbekannten Trennungsregelungen zu „schützen“.1328 Einen ambivalenten Eindruck vermitteln überdies die inhaltlichen Schranken der Rechtswahl: Zwar wurde darauf verzichtet, dem europäischen Wertekanon im Zuge einer „sozialen“ Kontrolle der Parteiautonomie umfassend Tribut zu zollen.1329 Demgegenüber hat mit Art.  3 IV Rom I-VO eine Regelung Eingang in das unionale Sekundärrecht gefunden, die aufgrund ihrer spezifischen Beachtung von Eingriffsnormen mit europäischem Hintergrund das Ideal der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen konterkariert.1330 Die Norm betrachtet die EU faktisch 1324  Diese von Arnold in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 23 (31, 52) betonte Anforderung an die Rechtswahlgrenzen erfüllt die Norm also. Flessner, Interessenjurisprudenz, 111 betont den praktischen Nutzen dieser Option. Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit, 43 ff. warnt aber insgesamt davor, bei der Heranziehung der lex fori das „Willkürverbot“ zu missachten. Zum „Law Shopping through Forum Shopping“ im internationalen Familienrecht Balomatis in: Höver/de Kruijf/O’Donovan/Wannenwetsch (Hrsg.), Die Familie im neuen Europa, 215 (238). 1325  Zur Parteiautonomie im Familienrecht der Mitgliedstaaten Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 121 f. 1326  Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 68. 1327 BeckOGK/Gössl, Art.  5 Rom III-VO, Rn.  54. 1328  Darauf weist Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 201 f. unter Bezugnahme auf KOM (2005) 82 endg., S.  8 hin. 1329  So die zutreffende Wertung von Arnold in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 23 (49) und Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 475. Zur Diskussion einer Billigkeitskontrolle insbesondere i.R.d. Rom III-VO Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 410 ff. und Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 141 f. Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 288 ff. betont die situative Komponente der Grenzziehung in den Rechtsakten. Zur Idee einer „ungeschriebenen europäischen Missbrauchskontrolle“ Vogeler, Freie Rechtswahl, 183 ff. 1330  Lehmann, FS Spellenberg, 245 (248 ff.). Nach Mansel in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 241 (269) wird die Rechtswahl damit zu einer materiellrechtlichen Wahl reduziert. Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 222 f. nennt diesen Schritt eine „außerordentliche Bündelung“. Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 265 ff. bewertet die Einführung einer „Binnenmarktgrenze“ in Abkehr vom klassischen IPR als unerlässlich. Eher befürwortend wohl auch Hauser, Eingriffsnormen in der Rom I-VO, 31 f. und Reuter, Qualifikation des falsus procurator, 358 f.

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als „einheitlichen Staat“, um im hiesigen Rechtsraum ein qualitatives Mindestniveau im Wirtschaftsverkehr sicherzustellen.1331 Dass die ökonomischen Ziele hinter dieser Vorschrift und der Parallelregelung in Art.  14 III Rom II-VO dabei gar nicht zwangsläufig gefördert werden, weil international agierende Unternehmen die situativ variierenden Anforderungen schwerlich umsetzen können,1332 hat der Gesetzgeber freilich ignoriert. Noch einen Schritt weiter geht die Forderung, die Rechtswahl müsse generell mit den Grundrechten der Verträge und der Charta vereinbar sein, in EG 16 S.  2 Rom III-VO – sie schafft „un choix guidé et conditionné“1333 und geht über das durch EG 17–19 garantierte Charakteristikum der „informierten“ Rechtswahl1334 hinaus. Unabhängig davon, welchem Ansatz zur Begründung der Rechtswahl man grundsätzlich folgt1335 – dass die Europäisierung des Kollisionsrechts auch die Parteiautonomie betrifft, lässt sich nicht leugnen. Während es globalen Tendenzen entspricht, die subjektive Bestimmung des anwendbaren Rechts auszudehnen, unterliegt die konkrete Reichweite häufig unionalen Motiven wirtschaftlicher und prozessökonomischer Art. Zu dem Schritt, die Rechtswahl durch räumliche oder inhaltliche Vorgaben ausdrücklich in den Dienst der EU zu stellen, hat sich der Gesetzgeber indes bis auf wenige Ausnahmen glücklicherweise noch nicht durchringen können. h) IPR ohne renvoi? Abschließend soll noch auf die Eindämmung des renvoi im europäischen Kollisionsrecht1336 hingewiesen werden, da diese Entwicklung im Rahmen eines binnenmarktorientierten IPR mit dem Ziel fortwährender Harmonisierung teleologisch ohne Weiteres einleuchtet: Wer innerhalb eines Rechtsraums eine ein1331 

Zu dieser Intention statt aller BeckOGK/Wendland, Art.  3 Rom I-VO, Rn.  256 f. Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 265. Zum überdies strittigen Verhältnis von Art.  14 III und Art.  16 Rom II-VO Vogeler, Freie Rechtswahl, 402 ff. 1333  C. Kohler, FS v. Hoffmann, 208 (211). Vgl. auch Corneloup in: Heiderhoff/Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 61 (66). Einem ähnlichen Verständnis folgt auch die Einteilung in „Regelungsmodelle“ bei Rühl, FS v. Hoffmann, 364 (368 ff.). 1334  Dazu en détail Brosch, Rechtswahl und Gerichtsstand, 80 ff. und Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 459 ff. Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 152 bezeichnet das „Informationsparadigma“ als „Schlüssel für den Schwächerenschutz“ in bestimmten Rechtsgebieten (vgl. auch 385 ff.). Vgl. auch Dominelli in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 49 (53 f.) und Arnold, Vertrag und Verteilung, 359 ff. 1335  Dazu oben, B.III.3. (S.  52 ff.). 1336  Vgl. Art.  20 Rom I-VO, 24 Rom II-VO, 11 Rom III-VO und 32 EuGüVO („Ausschluss der Rück- und Weiterverweisung“). Überblicksartig auch zu sonstigen Rechtsakten Emmerich, Probleme der Anknüpfung, 231 ff. 1332 

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heitliche Bestimmung des anwendbaren Sachrechts erreichen möchte und dafür vorrangiges Kollisionsrecht vorgibt, würde den Ansatz durch eine Rück- oder Weiterverweisung ad absurdum führen.1337 Gewiss gilt diese Wertung nicht im Verhältnis zu Drittstaaten, sodass ein renvoi in diesem Kontext Wirkung entfalten könnte.1338 Dennoch mehren sich die Stimmen, die Rück- und Weiterverweisungsklauseln im unionalen Kollisionsrecht ganz allgemein die Daseinsberechtigung absprechen.1339 Eine vermittelnde Position hat vor wenigen Jahren die EuErbVO gewählt, deren Art.  34 I bei Heranziehung einer drittstaatlichen Rechtsordnung das jeweilige Internationale Privatrecht für bestimmte Fälle1340 einbezieht und sich darin von bisherigen EU-Rechtsakten entfernt.1341 Mit dieser ausdifferenzierten und komplexen Ausgestaltung verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, internationalen Entscheidungseinklang zu fördern1342 und zugleich keine höherrangigen Anliegen der Verordnung zu opfern.1343 Wie stark der Fokus der involvierten Organe wiederum auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gerichtet war, verdeutlicht Art.  34 I lit.  a EuErbVO: Zwar kann der Norm nicht vorgeworfen werden, das Vereinheitlichungsziel der Verordnung zu gefähren;1344 dies allerdings 1337  Mankowski in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 595 (613 f.); M. Stürner, Jahrbuch für Italienisches Recht 26 (2013), 59 (77); Ragno in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (38 f.). Zum Verbot der Gesamtverweisung auch durch Rechtswahl Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 247 ff. Eine solche Entwicklung prognostizierten schon Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  720 ff. 1338  Dazu schon Sonnentag, Renvoi, 93. Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 39 weist in diesem Kontext auf das Risiko hinkender Rechtsverhältnisse hin. Ebenso Schack in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 41 (51 f.). Im Sinne eines äußeren Entscheidungseinklangs befürwortet Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 133 eine situative Anwendung des renvoi in statusrechtlichen Verordnungen. Zweifelnd Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 219. Vgl. v. Hein in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 341 (358, 395 f.). 1339  Statt vieler Mäsch in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 55 (55, 65 f.) und Henrich, FS v. Hoffmann, 159 ff. Schinkels, Normsatzstruktur des IPR, 247 hält die Technik der Gesamtverweisung (auch) auf ausländisches Kollisionsrecht gleich insgesamt für verfassungswidrig. Nehne, Methodik des europäischen IPR, 311 ff. verneint etwaige Ausnahmen zur Sachnormverweisung innerhalb von Ausweichklauseln. 1340 Zu den verschiedenen Konstellationen siehe MüKoBGB/Dutta, Art.  34 EuErbVO, Rn.  3 ff. Skizzenhaft zudem Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 98 ff. 1341 Kritisch dazu Mäsch in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 55 (56). Schon Henrich, FS v. Hoffmann, 159 (165) schrieb der VO eine „Schlüsselfunktion“ für die Zukunft des renvoi in Europa zu. 1342  So explizit EG 57 S.  3 EuErbVO. Näher Trüten, IPR in der EU, 591. 1343 BeckOGK/J. Schmidt, Art.  34 EuErbVO, Rn.  3. 1344  Siehe nur v. Hein in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 341 (373 f.). Ähnlich schon

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dadurch zu erreichen, dass qualitativ zwischen Verweisungen auf mitgliedstaatliches und solchen auf drittstaatliches Recht unterschieden wird, ist im Sinne der Wertneutralität nicht hinnehmbar1345. In der Vorschrift verkörpert sich in erster Linie ein Verlangen nach Systemkonsistenz innerhalb des europäischen IPR1346 – um „Weltoffenheit“1347 ging es dem Gesetzgeber nicht. Indem die Frage nicht mehr lautet, ob man den renvoi überhaupt als legitimen Teil des Verweisungsrechts betrachtet, sondern, wann man ihn im unionalen Interesse zulassen möchte, wandelt sie sich zu einer rechtspolitischen Entscheidung: Fremdes IPR wird nur dann wahrgenommen, wenn es die gewünschte Aussage trifft, ansonsten bleibt es außer Acht;1348 eine gleichrangige Diskussion, in der Pluralität als Prämisse – und nicht Risiko – gilt1349, kann so nicht entstehen. Ob die Tatsache, dass Art.  34 II in den Ausnahmen zum renvoi eine Nähe zur klassischen Dogmatik wählt,1350 als Indiz für eine generelle „Renaissance“ des Instruments gewertet werden kann,1351 darf zum jetzigen Zeitpunkt noch bezweifelt werden. i) Fazit: Internationales Privatrecht zur Lösung vornehmlich kontinentaler Probleme Angesichts der mannigfaltigen Weichenstellungen im europäischen IPR ist in der Literatur schon von „seismischen Wellen“ gesprochen worden, die auf fundamentale Änderungen in der Zukunft hindeuten.1352 Demgegenüber sollte zu Art.  26 des Verordnungsvorschlags der Kommission vom 14.10.2009 in KOM (2009) 154 endg., S.  24, der den gänzlichen Ausschluss des renvoi vorsah, Looschelders, FS v. Hoffmann, 266 (281). Zur Kritik daran, dass die Norm mittelbare Weiterverweisungen auf Mitgliedstaatenrecht nicht erlaubt, Bader, Koordinationsmethoden im IPR, 378. 1345 Nach Schurig, FS v. Hoffmann, 405 (412) ist die Entwicklung aus globaler Perspektive daher Ausdruck von kollisionsrechtlichem „Autismus“ und in diesem Sinne „kontraproduktiv“. Zur Frage einer parallelen Handhabung innerhalb der Rom I- und II-VO Nehne, Methodik des europäischen IPR, 313 ff. 1346 BeckOGK/J. Schmidt, Art.  34 EuErbVO, Rn.  8. Zur Ratio der Vorschrift grds. Emmerich, Probleme der Anknüpfung, 239 f. Diese Abkehr vom klassischen IPR sieht v. Hein in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 341 (376 f.) als für die Schaffung eines europäischen Rechtsraums dem Grunde nach zulässig an. Schack in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 41 (52) moniert jedoch, die Vorteile des renvoi seien durch die Norm „nicht optimal ausgeschöpft“. 1347  Zu dieser (vermeintlichen) Komponente der Rückverweisung vgl. nur Mäsch, RabelsZ Bd.  61 (1997), 285 (291 f.) und Schack in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 41 (54). 1348  Vgl. zu diesem Politikverständnis bei Rancière oben, B.II.1.c) (S.  26 ff.). 1349  Vgl. oben, B.II.1.d) (S.  29 ff.). 1350  Diese Haltung nehmen etwa Kränzle, Heimat als Rechtsbegriff?, 214 und Bader, Koordinationsmethoden im IPR, 382 ein. 1351  Stellvertretend für diese Ansicht Solomon, LA Schurig, 237 ff. 1352  Mit dieser prägnanten Wortwahl G. Kühne, ZVglRWiss Bd.  114 (2015), 355 (365).

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man jedoch den Umstand nicht ausblenden, dass in methodischer Hinsicht eine grundsätzliche Kontinuität aufrechterhalten wurde; als Kernelemente beinhaltet auch das unionale Kollisionsrecht die Technik der Verweisung anhand von Anknüpfungsmomenten, die universelle Anwendbarkeit1353 und die Suche nach der engsten Verbindung oder dem „Sitz“ des Rechtsverhältnisses.1354 Vorwiegend durch die allseitige Natur der Kollisionsvorschriften,1355 die im Übrigen als aktive Zurückweisung an angloamerikanische Conflicts-Law-Theorien zu verstehen ist,1356 wird dem drittstaatlichen Recht ein prinzipieller Achtungsanspruch zugestanden – von einem „(Rück)Weg in die Zeiten der Statutentheorie“1357 kann daher nicht gesprochen werden. Wo die Unionsrechtsakte sich auf klassische Ziele des IPR wie den internationalen Entscheidungseinklang oder eine grenzüberschreitende Rechtssicherheit berufen, speisen sie sich „von dem in Kontinentaleuropa Gewohnten“.1358 Zur Wahrheit gehört darüber hinaus, dass sich die Verordnungen außerhalb der speziellen Behandlung von Versicherungsverträgen über im europäischen Raum gelegene Risiken in Art.  7 Rom I-VO1359 1353  Nehne, Methodik des europäischen IPR, 130 erkennt in der Universalität folgerichtig ein „verordnungsübergreifendes Prinzip“. Auch Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 115 f. betont diese Kontinuität trotz zahlreicher materiellrechtlicher Überlagerungen. Erman/M. Stürner, Einl. v. Art.  3 EGBGB, Rn.  50a zweifelt an dieser Einschätzung. 1354 Insofern überzeugend MüKoBGB/v. Hein, Einl. IPR, Rn.  41; Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 12 ff.; Trüten, IPR in der EU, 640 f.; Coester-Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (13); Baumert, Europäischer ordre public, 149 f.; Rühl, Statut und Effizienz, 184; Ragno in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (40 ff.). Gemäß G. Kühne, ZVglRWiss Bd.  114 (2015), 355 (365) ist das „normstrukturelle Aussehen“ des IPR nicht substantiell angetastet worden. Bruinier, Grundfreiheiten, 98 ff. führt des Weiteren an, dass die explizite Annahme der Gleichrangigkeit europäischer Rechtsordnungen untereinander eine Streichung gerade dieses Dogmas im unionalen Kollisionsrecht inkonsistent erscheinen ließe. 1355  Statt aller Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 75. Die Durchsetzung dieser Technik stellte in der Frühzeit europäischer IPR-Regelungstechnik, in der noch mit Richtlinien agiert wurde, nach Jayme, Ideengeschichte, 362 f. keine Selbstverständlichkeit dar. 1356  Funken, Anerkennungsprinzip, 262 ff.; Remien in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 223 (224); MüKoBGB/v. Hein, Einl. IPR, Rn.  40. 1357  Kreuzer, FS Trusen, 543 (558). In diese Richtung auch Muir Watt in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 44 (49 f.); dies., Les méthodes du droit international privé, 68; Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (191). Die Gefahr der Drittstaatendiskriminierung im Binnenmarkt-IPR manifestiert insgesamt auch Mankowski in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/ Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 595 (614 f.). Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 214 ff. fürchtet, der internationale Entscheidungseinklang könne auf diesem Wege gestört werden. 1358  Remien in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 223 (224). Zu diesen Aspekten auch W. Roth, EWS 2011, 314 (320 f.). 1359 Siehe Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 149  f.;

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davor hüten, im Normtext selbst eine Sonderstellung des Binnenmarkts auszusprechen.1360 Insgesamt sollte die Wissenschaft davon absehen, Pauschalurteile zu fällen,1361 da sich verordnungsübergreifende Tendenzen zwar erkennen lassen, diese aber (noch) kein allgemeines Gegenkonstrukt zum klassischen IPR bilden.1362 Diese Erkenntnis rechtfertigt indes nicht die Behauptung, die angeführten Abweichungen seien bloß punktueller Natur und „kein Spezifikum des europäischen Kollisionsrechts“.1363 Sowohl die Natur des EU-Rechts,1364 als auch seine inhaltlichen Vorgaben1365 finden vielmehr in der Anknüpfung Widerhall. Infolgedessen treten die nationalen „materiellrechtlichen Gestaltungswünsche“ zurück, die Union geriert sich als „Schiedsrichter über die Rechtsanwendungsansprüche der einzelnen Mitgliedstaaten“.1366 Nicht immer agiert sie dabei erfolgreich: Zur VerKroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 466 f.; Dominelli in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 49 (56 ff.). Ob ihrer Komplexität betrachtet Garau Sobrino, ZVglRWiss Bd.  117 (2018), 24 (33 ff.) die Norm grds. als Beispiel für wenig gelungene EU-Gesetzgebung. Dem schließt sich mit Blick auf die Möglichkeit der Teilrechtswahl in Art.  7 V Aubart, Dépeçage, 133 ff. an. 1360  W. Roth, EWS 2011, 314 (324 ff.); MüKoBGB/v. Hein, Einl. IPR, Rn.  41. Einen „holistic approach“ verneint daher Dominelli in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 49 (50 f.). Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XVIII) betonen insofern die grundsätzliche Toleranz des EU-IPR. 1361  Einen Schritt zu weit geht daher Weller in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 133 (135 f.), der jedenfalls auf den ersten Blick eine Gesamtabkehr von den klassischen Dogmen postuliert. Auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 416 erkennt ein „allgemeines Konzept“. 1362  W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (481). Dethloff, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, Heft 46 (2014), 47 (59 f.) spricht von „gemeinsamen Strukturprinzipien“, zu denen sie beispielsweise die Stärkung der Rechtswahl zählt, sieht aber in Bezug auf den renvoi, den ordre public-Vorbehalt und die Eingriffsnormenproblematik noch keine einheitliche Linie. 1363  So aber bezogen auf die Materialisierungstendenzen im EU-IPR MüKoBGB/v.Hein, Einl. IPR, Rn.  41. 1364  Repasi, Anwendungsvorrang im IPR, 465 ff. führt die aufgezeigten Charakteristika der IPR-Europäisierung auf den Anwendungsvorrang des EU-Rechts zurück. Zur „constitutional function“ des EU-IPR ferner Muir Watt in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 44 (46 ff.). 1365 Nach Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  25 ff. dient das europäische Recht teils als Quelle, teils als Schranke für das Kollisionsrecht. Grünberger in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 81 (103) bewertet die Wahl eines Anknüpfungspunktes im EU-IPR als Ausdruck einer „genuin politischen Entscheidung“. Vgl. auch Boosfeld in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 15 (19 f.). 1366 HWB-EuP/Basedow, Internationales Privatrecht (Bd.  I, S.  906). Daraus wie Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht, 268 automatisch auf eine Nähe zum klassischen IPR zu schließen, greift zu kurz. Zum Perspektivwechsel auch Mills in: Muir Watt/ Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 245 (250 f.) und

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

meidung unionsinterner Divergenzen wurden etwa Persönlichkeitsrechtsverletzungen aus dem Anwendungsbereich der – ansonsten rechtspolitisch kaum überlagerten1367 – Rom II-VO ausgeklammert, obwohl ein Regelungsbedürfnis ohne Zweifel bestand.1368 Rechtspolitische Einflüsse werden damit nicht aufgegeben, es treten lediglich europäische Vorstellungen an die Stelle von mitgliedstaatlichem Kalkül.1369 Insbesondere folgt das EU-IPR teilweise dem „Fingerzeig“ des Primärrechts,1370 sodass Wertungen im Einzelfall – etwa bei Eingriffsnormen – selbst dann „heteronom gesetzter“ Herkunft sein können, wenn nationales Recht formal als deren Einfallstor dient.1371 Dass das EU-IPR eine reine „Außenperspektive“1372 bei der Abgrenzung zwischen verschiedenen Rechtsordnungen nationalen Ursprungs einnehme, lässt sich unschwer widerlegen: Im Zuge einer Verschiebung der internationalprivatrechtlichen Perspektive nach „innen“1373 forcieren die Unionsorgane die Abgrenzung gegenüber Drittstaaten zusehends, worin eine politische Entwicklung zu sehen ist.1374 In besonderer Weise zeugt die Genese von Art.  4 Rom I-VO von Heymann in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 277 (287 f.). 1367  Zu dieser zutreffenden, wenngleich im außervertraglichen Kontext freilich erwartbaren Einschätzung gelangt Mankowski, Interessenpolitik, 66 ff. Zu einzelnen sachrechtlichen Motiven dagegen W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (482 ff.) und Muir Watt in: Twigg-Flesner (Hrsg.), The Cambridge Companion to European Union Private Law, 44 (52). 1368  W. Roth, EWS 2011, 314 (323); Mankowski, Interessenpolitik, 79 ff.; Heiderhoff, EU-Privatrecht, Rn.  593. Zu Initiativen für eine Überarbeitung der Rom II-VO dahingehend siehe Trüten, IPR in der EU, 542 f. 1369  Ragno in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (61). Vgl. zur Rolle des „Zeitgeists“ Kadner Graziano, Gemeineuropäisches IPR, 86. Diesen Effekt unterschätzt Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht, 268. 1370  Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 36. Nach Weller, IPRax 2011, 429 (429) ereignet sich aktuell ein „schleichender Paradigmenwechsel“. Zustimmend W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 ( 480 f.). 1371  Köhler, Eingriffsnormen, 247. Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 76 macht eine „Neugewichtung der Argumentationstopoi“ aus. Mit Blick auf die Evolution des europäischen Verweisungsrechts stellt Mankowski, Interessenpolitik, 17 fest: „Public choice und Rechtspolitik sind längst im IPR angekommen. IPR ist schon lange kein Glasperlenspiel mehr, wie ihm so gerne vorgeworfen wird“. 1372  So aber bspw. Schacherreiter, JBl.  2014, 487 (498) im Rahmen ihrer Untersuchung zur Qualifikation im europäischen Kollisionsrecht. 1373  Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 46 spricht von einer „Indienstnahme des IPR für die Ziele der Gemeinschaft“. Ähnlich G. Schulze, LA Jayme, 183 (203 f.) und Ragno in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (58 f.). Vgl. zu dem Merkmal der „Internationalität“ oben unter B.II.2. (S.  32 ff.). 1374  Vgl. die Ausführungen zum Umgang mit Nachbarstaaten in der Politik von Aristoteles oben unter B.II.1.a) (S.  19 ff.). Zu diesem Eindruck auch W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (472) und Hübner, RabelsZ Bd.  85 (2021), 106 (106).

IV. Modernes IPR seit dem 19.  Jahrhundert

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dieser konzeptionellen Neuorientierung des europäischen IPR: Während die Vorgängervorschrift in Art.  4 EVÜ in ihrer Dreistufigkeit (Grundsatz, Typisierung, Ausweichklausel) noch streng der Idee einer engsten Verbindung des Rechts zum Sachverhalt folgte,1375 entfernt sich Art.  4 Rom I-VO mit unterschiedlichen Motiven von diesem Prinzip: Obschon grundsätzlich die „charakteristische Leistung“ (Abs.  2)1376 die Anknüpfung bestimmen soll, wird in Abs.  1 lit.  e und f auf den gewöhnlichen Aufenthalt der passiven Partei abgestellt, in lit.  g und h auf den Ort der Versteigerung oder des Handelssystems; spezifische Schutzinteressen und wirtschaftliche Anliegen der EU prägen insofern die Regelbeispiele, nicht eine objektive Schwerpunktbildung.1377 Abseits dieser Fälle profitieren von dem Ansatz dagegen in erster Linie Exporteure, für welche die Erbringung der den Vertrag prägenden Leistung regelmäßig die Geltung des eigenen Heimatrechts bedingt – was erneut dem Binnenmarkt nutzt.1378 Am ehesten zu überzeugen vermag daher eine vermittelnde Ansicht: Das europäische Kollisionsrecht versteht sich in der Tradition des klassischen IPR nach Savigny, dem es auch in seiner Grundausrichtung folgt. Dabei hat es zugleich jedoch in Teilbereichen eine Abkehr von den Dogmen der Wertneutralität und der Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen eingeläutet, um unionalen Interessen eine Vormachtstellung zu garantieren.1379 Auf diesem Wege intensiviert Weller in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 133 (141) führt die Norm als legislatives Beispiel der „klassischen“ IPR-Methode an. Vgl. auch Remien in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 223 (233 f., 238). Ausführlich zu Versuchen, bereits die ursprünglichen Strukturen des EVÜ etwa durch Richtlinienkollisionsrecht aufzuweichen, Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 305 ff. 1376  Einleitend zu diesem Prinzip Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge, 8 f. und Neuhaus, Grundbegriffe, 188 ff. 1377  Zu diesem überzeugenden Ergebnis gelangt Lehmann, FS Spellenberg, 245 (254 ff.) nach eingehender Analyse der dort geregelten Fälle. Ähnlich Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (759). Nach Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 282 hat die Rom I-VO aber zumindest die Ideale von Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit gegenüber der Flexibilität des EVÜ aufgewertet. Zustimmend Ragno in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (50 ff.). Indifferent insofern Trautmann, Europäisches Kollisionsrecht und ausländisches Recht, 306. Für einen Vergleich von Art.  4 EVÜ und Art.  4 Rom I-VO siehe auch Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 311 ff. 1378 So Mankowski, Interessenpolitik, 38 ff. Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 44 betont zwar zu Recht, dass die Gleichbehandlung von Akteuren der Wirtschaft sich als Ziel durchaus in die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit einfügen könne, dies gilt aber freilich nur, sofern dabei keine eurozentristische Position eingenommen wird. 1379  Mankowski in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 595 (613): „Binnenmarkt-IPR bricht also zumindest teilweise mit dem Grundprinzip, dass an die engste Verbindung anzuknüpfen ist“. Ähnlich Ragno in: Ferrari/ Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 27 (68 f.). 1375 

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C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

sich das kollisionsrechtliche „Heimwärtsstreben“,1380 ohne dass ausschließlich auf anerkannte Instrumente des IPR zurückgegriffen wird1381. Gerade das richterrechtliche Anerkennungsprinzip zeugt von der Bereitschaft, traditionelle Leitbilder des Rechtsgebiets zu opfern und die Verweisung sogar zugunsten alternativer Konzepte zu untergraben, solange der kontinentale Rechtsraum von diesem Schritt Nutzen zieht.1382 Auch der europäische Gesetzgeber hat in der Vergangenheit die klassischen Ideale des Kollisionsrechts dort aufgebrochen, wo ihm dies aus seiner kontinentalen Sichtweise sinnvoll erschien;1383 dem Geiste Savignys nur im Ausgangspunkt folgend, setzt er taktisch seinen „Brüsseler Stempel“1384. Eine detaillierte Prognose zur Fortentwicklung des IPR auf der europäischen Bühne zu leisten, ist wissenschaftlich weder sinnvoll, noch vor dem Hintergrund dieser Untersuchung notwendig – als gesichert dürfte aber gelten: Eine Entpolitisierung steht in näherer Zukunft nicht auf der Agenda.1385 Schack in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 41 (53): „Logischer Endpunkt dieser Entwicklung ist die lex fori“. Ähnlich Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (188). Zuzustimmen ist daher vor allem Mankowski in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 595 (596 f.), der einerseits in der angewandten Technik eine bloße Ersetzung des Gesetzgebers im IPR erkennt, andererseits aber eine kollisionsrechtliche Spaltung wegen des Binnenmarktbezugs fürchtet. Die Hoffnung von Zweigert, FS Raape, 35 (35), eine Internationalisierung des IPR bedeute gleichsam eine Förderung des Internationalen Entscheidungseinklangs bis hin zu dessen universaler Durchsetzung, wurde daher in Teilen enttäuscht. Vgl. auch W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (479). 1381  Funken, Anerkennungsprinzip, 265 nennt als denkbare Werkzeuge ausdrücklich den ordre public, den renvoi, die Qualifikation und die Anknüpfung von Vorfragen. 1382  Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 70: „Am weitesten vom traditionellen IPR entfernte sich die Diskussion um das Anerkennungsprinzip“. Nach Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 (399) muss das Anerkennungsprinzip Anhängern von Savignys Lehren wie ein „Sakrileg“ vorkommen. 1383  Diese Herangehensweise eines partiell „inter-mitgliedstaatlichen“ Ansatzes bezeichnet Trüten, IPR in der EU, 607, 632 eher als „europäisch“ denn tatsächlich „universell“. In diese Richtung auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 48 f. Ähnlich zudem Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 196, die in einer Vielzahl der untersuchten Fälle den „integrationspolitischen Anknüpfungsprinzipien lediglich eine Binnenfunktion im System der engsten Verbindung“ zuerkennt (zu den Ausnahmen überblicksartig 200 ff.). 1384  Lehmann, FS Spellenberg, 245 (259 f.). In diese Richtung auch W. Roth, AcP Bd.  220 (2020), 458 (497 f.) und Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (758 f.). Nach G. Schulze, IPRax 2010, 290 (293) „wird aus der kosmopolitischen Weltsicht ein internes Ordnungsinteresse“. 1385  Dies prophezeite letztlich schon Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 418. Mankowski in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker (Hrsg.), Aufbruch nach Europa, 595 (610 ff.) und G. Schulze, LA Jayme, 183 (194) sehen gar eine Notwendigkeit für Metakollisionsnormen zur Unterscheidung zwischen unionalem und drittstaatlichem IPR. Vgl. zu dieser Idee schon Wengler, ZÖR Bd.  23 (1944), 473 (507). Trüten, IPR in der EU, 653 f. verneint bis dato zwar die Schaffung eines „eurozentristischen interlokalen IPR“, warnt den uni1380 

V. Zusammenfassung: Das wertneutrale IPR gleichrangiger Rechtsordnungen

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V. Zusammenfassung: Das wertneutrale IPR gleichrangiger Rechtsordnungen in der Historie des Rechtsgebiets Möchte man den Schritt wagen, die Geschichte des Kollisionsrechts (im weiteren Sinne) mit Blick auf die untersuchten Dogmen in wenigen Sätzen zusammenzufassen, lassen sich folgende Erkenntnisse herauskristallisieren: Ungeachtet der Tatsache, dass der Gedanke der Wertneutralität erst seit dem vorvergangenen Jahrhundert als Ideal im internationalprivatrechtlichen Diskurs auftaucht, sind die Ansätze von der Antike bis zur Statutenlehre ihm auch faktisch nicht gefolgt. Stattdessen hat das Rechtsgebiet seinen Ausgangspunkt lange Zeit primär bei staatlichen und ökonomischen Interessen sowie sozialen Gegebenheiten gesucht, ohne die Bekundung von Respekt gegenüber ausländischen Normen als übergeordneten Wert anzuerkennen. Während sich eine dahingehende Einsicht in den Rechtssystemen angloamerikanischen Ursprungs bis heute nur sehr zögerlich und rudimentär durchsetzen konnte, haben die – selbst keineswegs unpoliti­ schen1386 – Erörterungen von Savigny für den europäischen Kontinent eine parti­ elle Kehrtwende bedeutet, deren Auswirkungen bis zum heutigen Tage nachhallen. Vorsicht ist aus Sicht der Rechtswissenschaft vor allem geboten, wenn versucht wird, in einem derart komplexen Gebiet wie dem IPR gradlinige Evo­ lutionen einerseits oder urknallartige Fortschritte andererseits nachzuzeich­ nen.1387 Solche Unternehmungen verlaufen sich häufig in Vereinfachungen, die den mannigfaltigen Einflüssen in den verschiedenen Epochen nicht gerecht werden. Wie aufgezeigt hat weder Savigny die wertneutrale Methodik durchgehend eingehalten, noch muss Mancini sich allein wegen des Fundaments seiner Arbeiten als Nationalist titulieren lassen. Die Unbeständigkeit der kollisionsrechtlichen Geschichte manifestiert sich wohl nirgends so deutlich wie in der Entstehung der Art.  7–31 EGBGB (1896), die infolge der Bemühungen von Gebhard das Potential für ein modernes Verweisungsrecht aufwiesen,1388 jedoch zum Spielball rechtspolitischer und gesellschaftlicher Interessen wurden und in der Retrospektive eine Enttäuschung darstellen. Im Gegensatz dazu zeugen die zentralen Reformen des EGBGB vor onalen Gesetzgeber aber davor, die kollisionsrechtliche Neutralität zu verlieren. In diese Richtung ebenfalls Weller, IPRax 2011, 429 (436). Grds. kritisch zur „engsten Verbindung“ im EUIPR dagegen Wilke in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 23 (30). 1386  Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (68) warnt daher zu Recht davor, den Gedanken der Wertneutralität auf Savigny zu reduzieren. 1387  Zu dieser Gefahr E. Lorenz, Struktur des IPR, 28. 1388 Nach H. Weber, Theorie der Qualifikation, 7 konnten sich Gebhards Entwürfe „in Aufbau, Form und Grundprinzipien“ bereits in vielerlei Hinsicht mit Kodifikationen des späten 20.  Jahrhunderts messen. Ähnlich lobpreisend auch Mansel in: R. Schulze (Hrsg.), Deutsche Rechtswissenschaft im Spiegel der italienischen Rechtskultur, 245 (287).

250

C. Die politische und gesellschaftliche Prägung des Kollisionsrechts

der Jahrtausendwende deutlich von dem Wunsch, bei der gesetzlichen Ausgestaltung des IPR auf Politisierungen und Materialisierungen weitgehend zu verzichten. Aktuelle Modifikationen aus europäischer Feder belegen in vielerlei Hinsicht wiederum ein Erstarken unilateraler Motive, sodass aus Sicht der Verfechter einer „reinen“ Regelungstechnik weitere Rückschritte zu befürchten stehen. Denen, die dem Internationalen Privatrecht eine soziale und politische Ignoranz vorwerfen, kann in der Gesamtschau deshalb nicht beigepflichtet werden.1389 Beifall ist allerdings ebenso wenig geboten, gehen die europäischen Ansätze doch teilweise erheblich über das hinaus, was kollisionsrechtlich zulässig und zielführend erscheint.

1389  So auch Coester-Waltjen in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 1 (12) und Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (73).

D.

Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts Im zweiten Hauptteil meiner Ausarbeitung möchte ich nun anhand ausgewählter Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit exemplarisch darlegen, weshalb von einer fortschreitenden Politisierung des Kollisionsrechts abgesehen werden sollte.

I. Art.  10 Rom III-VO Den ersten, seit seinem Inkrafttreten vielfach diskutierten Fall bildet dabei Art.  10 Rom III-VO, der sich schon in seinem Wortlaut von den bekannten Mustern der deutschen und unionalen Rechtsetzungspraxis abhebt1 und daher hier zunächst wiedergegeben werden soll: Sieht das nach Artikel 5 oder Artikel 8 anzuwendende Recht eine Ehescheidung nicht vor oder gewährt es einem der Ehegatten aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit keinen gleichberechtigten Zugang zur Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, so ist das Recht des Staates des angerufenen Gerichts anzuwenden.

Während Var.  1 der Norm noch recht unproblematisch die grundsätzliche Scheidungsfreiheit sichert,2 also auf die Existenz des Instituts an sich abstellt,3 hat Var.  2 Kontroversen ausgelöst. 1  Winkler v. Mohrenfels, ZEuP 2013, 699 (713) spricht zu Recht von einer „völlig neuartigen Klausel“. Ähnlich Majer, NZFam 2017, 1010 (1011): „Systemwidrigkeit“. 2 NK-BGB/Budzikiewicz, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  2; BeckOK/Heiderhoff, Art.  10 Rom IIIVO, Rn.  2 („Recht auf Scheidung“). Nach Gruber, IPRax 2012, 381 (391) überschreitet die Vorschrift indes die Grenzen des IPR. Vor einer „Verallgemeinerung dieser Hilfsanknüpfung“ warnt insofern Althammer, NZFam 2015, 9 (14). Zu einem evtl. Rückgriff auf Art.  12 Rom IIIVO bei unzumutbarer Erschwerung der Scheidung siehe Makowsky, GPR 2012, 266 (271); Gade, JuS 2013, 779 (782); Raupach, Ehescheidung in der EU, 210. 3  Überzeugend zum abstrakten Verständnis der Norm insofern BeckOGK/Gössl, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  6 ff. Diese Sichtweise wurde nunmehr in EuGH Rs. C-249/19 v. 16.07.2020 – JE, ECLI:EU:C:2020:570 = BeckRS 2020, 16048 bestätigt. Auf den äußerst eingeschränkten Anwendungsbereich weisen etwa Gruber, IPRax 2012, 381 (390) und Winkler v. Mohrenfels,

252

D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

1. Rechtsnatur von Art.  10 Var.  2 Rom III-VO In Bezug auf die Diskriminierungskomponente4 stellt sich vornehmlich die Frage, ob sie als abstrakte Abwehr der betroffenen Rechtsordnungen verstanden werden muss, oder nur eine spezifische Ausgestaltung des ordre public und damit einen Unterfall der Einzelfallkorrektur darstellt.5 Zwar ist in diesem Zusammenhang einzugestehen, dass die tatsächliche Einflusssphäre von Art.  10 Rom IIIVO jüngst erheblich beschnitten wurde: Da Privatscheidungen, deren Grundlage regelmäßig potentiell diskriminierendes religiöses Recht bildet, in der Rechtssache Sahyouni6 aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen wurden, hat die Vorschrift in der Rechtspraxis an Bedeutung verloren.7 Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, Art.  10 und 12 Rom III-VO nicht sinngemäß in das nationale IPR zu übertragen (Art.  17 II Nr.  5 EGBGB), hat diesen Umstand zusätzlich verstärkt.8 Als Beispiel für eine Aufladung des Kollisionsrechts mit politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen kann sie dennoch dienen, erschöpfen sich derart revolutionäre Regelungen doch nicht in ihrem praktischen Wirken; vielmehr können sie mit ihrer moralisch-wertenden Funktion den Weg für weitere Kerben in der Wertneutralität ebnen. a) Abstrakte Abwehr Eine Meinung in der Literatur versteht die zweite Variante der Vorschrift als abstrakte Abwehr des diskriminierenden ausländischen Rechts, schreibt ihr also eine umfassende Sperrwirkung zu.

ZEuP 2013, 699 (713 f.) hin. Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 352 f. hält die Norm in Ermangelung eines über die nationalen Rechte hinausgehenden Gehalts gar für überflüssig. Einen Beispielsfall bilden indes Höbbel/Seibert/Möller, FuR 2013, 28 (32 f.). 4  Ein Praxisbeispiel bieten Höbbel/Seibert/Möller, FuR 2013, 28 (30 f.). 5 Einführend Antomo, NJW 2018, 435 (437); dies., NZFam 2018, 243 (245 f.). Nietner, Internationaler Entscheidungseinklang, 292 weist zu Recht darauf hin, dass jedenfalls ein Verständnis als Einfallstor für Eingriffsnormen ausscheidet. Grundlegend zu dieser Unterscheidung im ordre public etwa Spickhoff, Der ordre public im IPR, 83, 249 f. 6  EuGH Rs. C-372/16 v. 20.12.2017 – Sahyouni II, ECLI:EU:C:2017:988 = NJW 2018, 447, Rn.  49; vgl. schon oben, C.IV.5.c) (S.  207 ff.). 7  Dazu nur Schlürmann, FamRZ 2019, 1035 (1037). Zum Umgang mit der Norm in der Anwaltspraxis Gruber in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Migration und IPR, 169 (183 ff.). 8  Dies begrüßt etwa Heiderhoff in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niet­ hammerJürgens (Hrsg.), Migration und IPR, 9 (18 ff.). Vgl. schon dies., IPRax 2017, 160 (163). Zum Änderungsbedarf des nationalen Rechts nach Einführung der Rom III-VO bereits Rauscher, FPR 2013, 257 (258) und (zu den entsprechenden Vorschriften des österreichischen Rechts) Traar, ÖJZ 2011, 805 (812 f.).

I. Art.  10 Rom III-VO

253

Für diese Auslegung lässt sich bereits der Wortlaut der Regelung anführen, denn diese stellt auf den „Zugang“ zur Scheidung, und nicht etwa auf Nachteile in der tatsächlichen Anwendung ab.9 Insbesondere hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, auf Andeutungen zu einer eventuell divergierenden Konzeption von Var.  1 und Var.  2 in der Wortwahl zu verzichten.10 Der Einwand, dem Normschöpfer habe es eventuell an einem Bewusstsein für die Problematik gefehlt, geht in diesem Kontext ins Leere, schließlich wurde die abstrakte Formulierung trotz entsprechender Änderungsvorschläge seitens des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres11 sowie des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter12 in die finale Version übernommen.13 Systematisch liegt zudem ein Gegenschluss zu Art.  12 Rom III-VO nahe, der in seiner Formulierung eine konkrete Betrachtung wählt und bei einer entsprechenden Anwendung von Art.  10 lediglich einen marginalen eigenen Anwendungsbereich behielte.14 Der Einordnung von Art.  10 als bloße Ausformung des ordre public steht weiterhin entgegen, dass derartige Klauseln regelmäßig Ermessen vorsehen, während die fragliche Norm eine obligatorische Rechtsfolge auszusprechen scheint.15 Ein Blick auf EG 16 S.  2 der Verordnung erhärtet diesen Eindruck, weil die Bezugnahme auf die europäischen Grundrechte auch in Fragen der Rechtswahl für eine einheitliche Bewertung ex ante streitet.16

Raupach, Ehescheidung in der EU, 211 f. Raupach, Ehescheidung in der EU, 212. 11  Stellungnahme A7-0360/2010 (Gebhardt), S.  38 (52 f.). 12  Stellungnahme A7-0360/2010 (Niebler), S.  55 (61). 13  Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 121. 14  Gruber, IPRax 2012, 381 (391); Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 (129 f.); Antomo, NZFam 2018, 243 (245); Raupach, Ehescheidung in der EU, 212; Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 125 f. In diese Richtung auch Coester-Waltjen/Coester, LA Schurig, 33 (44). Näher zur Abgrenzung der jeweiligen Anwendungsbereiche bei einem Verständnis der Vorschrift als Unterfall des ordre public-Vorbehalts Erman/M. Stürner, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  10. 15  Darauf wies GA Øe in Rn.  82 seiner Schlussanträge (ECLI:EU:C:2017:686 = NZFam 2017, 997) zu EuGH Rs. C-372/16 v. 20.12.2017 – Sahyouni II, ECLI:EU:C:2017:988 = NJW 2018, 447 hin. Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 349 sieht den entscheidenden Unterschied darin, dass bei Art.  10 Rom III-VO der EU-Gesetzgeber selbst die unmittelbaren Bewertungsmaßstäbe vorgebe. 16  Gruber, IPRax 2012, 381 (391); Helms, FamRZ 2011, 1765 (1772); Greb, StudZR-WissOn 2015, 271 (279); Gade, JuS 2013, 779 (782); Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 126; Raupach, Ehescheidung in der EU, 213; NK-BGB/Budzikiewicz, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  25. 9 

10 

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

Nicht minder schwer wiegt der Umstand, dass der Gesetzgeber an keiner Stelle einen legislativen Willen für eine teleologische Reduktion offenbart hat,17 sodass eine einschränkende Auslegung eine Anwendung contra legem bedeuten würde.18 Seine ausdrücklichen Ziele19 würden im Gegenteil bei abstrakter Lesart der Vorschrift gefördert, da die einzelfallorientierte Abwägung im Sinne des ordre public den internationalen Entscheidungseinklang20 und die Rechtssicherheit21 beeinträchtigt, woraus eine erhöhte Gefahr von forum shopping22 erwächst. Betrachtet man des Weiteren die Geschlechtergleichstellung im Privatrecht als nicht dispositiv, sondern den Interessen entzogen,23 ergibt sich prima facie ein eindeutiges Bild. b) Spezielle ordre public-Klausel Ebenso wird jedoch vertreten, Art.  10 Rom III-VO repräsentiere nicht mehr als eine spezielle Ausprägung des ordre public, erfordere folglich eine konkrete Prüfung im Einzelfall.24 Zur Untermauerung dieser These wird der Wortlaut von EG 24 angeführt, der auf die beiden Varianten der Norm Bezug nimmt und ihre Anwendung nur „in bestimmten Situationen“ vorsieht, also explizit den Einzelfall in den Vordergrund rücke.25 17  So z. B. Winkler v. Mohrenfels, ZEuP 2013, 699 (715) und Majer, NZFam 2017, 1010 (1011). Auf der anderen Seite erkennt Dimmler, FamRB 2014, 242 aber auch keine gesetzgeberische Intention bzgl. eines generellen Vorrangs des scheidungsfreundlicheren Rechts. Mörsdorf-Schulte, RabelsZ Bd.  77 (2013), 786 (825) geht ohne nähere Erläuterung von einer Qualifizierung der Vorschrift als „spezielle Vorbehaltsklausel“ durch den Gesetzgeber aus. 18 Dezidiert Raupach, Ehescheidung in der EU, 216. 19  Siehe etwa EG 9 Rom III-VO. 20  Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 122 f.; Schlürmann, FamRZ 2019, 1035 (1037). Der Aussage von Arnold, NZFam 2016, 706 (707), für die „Kohärenz in der Anwendung des Rechts“ komme es „auf die konkreten Ergebnisse“ an, ist insofern entgegenzuhalten, dass bei abstrakter Auslegung von Art.  10 das Einzelfallergebnis durch eben diese einzelfallunabhängige Wertung prädisponiert und ein Gleichlauf damit zwangsläufig wäre. 21  Winkler v. Mohrenfels, ZEuP 2013, 699 (715); Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 299 f. Offen für „typisierende Aussagen zum inländischen ordre public“ zeigt sich daher Rauscher, FPR 2013, 257 (260). 22  Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 122. Zu dieser Problematik im Rahmen der Rom III-VO ausführlich Rösler, RabelsZ Bd.  78 (2014), 155 (188 ff.). 23  Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 (123, 130); Weller in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 133 (156). Für einen zwingenden Charakter der Maxime auch Hausmann, IntEuFamR, Teil 1, A, Rn.  460 und Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 217. 24  Zu Fällen, in denen ein Rückgriff auf den ordre public trotz einseitiger Ausgestaltung der Scheidungsmöglichkeit dann ausschiede, siehe Hausmann, IntEuFamR, Teil 1, A, Rn.  459. 25  Gruber, IPRax 2012, 381 (391); Hau, FamRZ 2013, 249 (254); Arnold/Schnetter, ZEuP 2018, 652 (665); Althammer, NZFam 2015, 9 (14); Wennersbusch, Parteiautonomie und

I. Art.  10 Rom III-VO

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Vertreterinnen dieser Ansicht führen an, eine wortlautgetreue Auslegung der Norm überstrapaziere in unangemessenem Maße den Regelungszweck des Rechtsakts26 und schaffe das Risiko „hinkender“ Ehen.27 Zu Recht weisen sie darauf hin, dass sich die angedachten Nutznießerinnen der Regelung praktisch einem nachteiligen Ergebnis ausgesetzt sehen könnten, wenn das materielle Resultat gänzlich außer Acht gelassen wird.28 Der Hinweis, mit der grundsätzlichen Anwendung von Vorschriften einer diskriminierenden Rechtsordnung werde deren Beurteilung nicht gebilligt, sondern schlicht die Methodik des IPR respektiert,29 trägt ebenfalls. Ferner wird argumentiert, ein abstraktes Verständnis entwerte die oftmals nach intensiver Überlegung getroffene Rechtswahl nach Art.  5 Rom III-VO substantiell,30 wohingegen ausweislich EG 18 ein Anliegen der Verordnung sei, der Parteiautonomie gerade Vorschub zu leisten.31 Tatsächlich zöge eine abstrakte Auslegung der Norm bei gescheiterter Rechtswahl kaum konsistente Rechtsfolgen nach sich: Im Anwendungsbereich von Art.  10 würde dann stets die lex fori für anwendbar erklärt, bei einer Unwirksamkeit aus sonstigen Gründen

Schwächerenschutz, 127; Hausmann, IntEuFamR, Teil 1, A, Rn.  458; BeckOK/Heiderhoff, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  15 (die jedoch den Wortlaut der Norm für eindeutig hält). In diese Richtung auch Dimmler, FamRB 2014, 242. 26  So m. w. N. Dethloff, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, Heft 46 (2014), 47 (68); vgl. auch Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 361 f. 27  Gruber, IPRax 2012, 381 (391); Coester-Waltjen, IPRax 2018, 238 (241 f.). Anhand eines fiktiven Fallbeispiels dargelegt von Greb, StudZR-WissOn 2015, 271 (281 f.). 28  Arnold, NZFam 2016, 706 (707); ders., NZFam 2016, 794 (795); Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 127. Anhand einleuchtender Beispiele aus der Praxis ferner Arnold/Schnetter, ZEuP 2018, 652 (662 ff.); Rösler, RabelsZ Bd.  78 (2014), 155 (185); Gade, JuS 2013, 779 (782); Helms, FamRZ 2011, 1765 (1772). 29  Rohe in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 67 (75). Vgl. auch Arnold, NZFam 2016, 706 (707), der „Toleranz und Bescheidenheit fremdem Recht gegenüber“ zu einem wesentlichen Gehalt des europäischen Wertekanons erklärt. Zu Recht betont zudem Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 114 ff., dass aus Art.  4 GG und Art.  8 EMRK in diesem Sinne etwa keine Pflicht des Staates zur Aufbrechung des Scheidungsmonopols zugunsten religiöser Rechte folgt. 30 Erman/M. Stürner, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  6; Greb, StudZR-WissOn 2015, 271 (281); Finger, FamRBint 2013, 37 (42). In diese Richtung auch Traar, ÖJZ 2011, 805 (811 f.). Diesen Aspekt der Argumentation versuchen indes Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 (128, 131) anhand einer Untersuchung der Einzelfallgerechtigkeit in gängigen Situationen aus der Praxis zu widerlegen. 31  Zur Relevanz der Rechtswahl als Regelfall der Rom III-VO nur Becker, NJW 2011, 1543 (1544) und Kemper, FamRBint 2012, 63 (64 f.). Folgen dieser Grundentscheidung für die anwaltliche Beratungspraxis beleuchten anhand von Fallbeispielen Höbbel/Seibert/Möller, FuR 2013, 28.

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

müsste indes auf die objektive Anknüpfung gemäß Art.  8 abgestellt werden.32 In der Literatur findet sich überdies das Argument, Art.  10 gehöre bei abstrakter Normdeutung zur „Verweisungskette“, obschon diese nach der Systematik der Verordnung bereits bei Art.  9 ende, an den sich wie in EU-Rechtsakten üblich ein Teil mit allgemeinen Erwägungen wie dem ordre public anschließe.33 c) Stellungnahme Es lässt sich kaum leugnen, dass fremde Rechtsordnungen durch eine abstrakte Kontrolle kategorisiert und bei einem Verstoß umfassend missbilligt würden.34 Aus diesem Grund ist den teleologischen Erwägungen zugunsten eines konkreten Verständnisses von Var.  2 zuzustimmen; wer für ein wertneutrales Kollisionsrecht eintritt, muss es ablehnen, ein generelles Verdikt über bestimmte Rechtsordnungen zu sprechen.35 Gewichtet man jedoch alle Elemente des juristischen Auslegungskanons gleichermaßen, verliert eine einzelfallspezifische Auslegung an Überzeugungskraft: Letztlich hat der Gesetzgeber weder durch die Umschreibung seiner Ziele, noch durch seine Rolle bei der Genese der umstrittenen Vorschrift einen Anschein für diese Reduktion gesetzt. Dies gilt selbst dann, wenn das Argument eines fehlenden Ermessens auf Rechtsfolgenseite mit dem zutreffenden Hinweis widerlegt wird, die Deutung entspringe bereits einem abstrakten Verständnis und sei daher zirkelschlüssig.36 Insbesondere der Verweis auf den Wortlaut von EG 24 überzeugt nämlich nicht, denn die gewählte Formulierung könnte ebenso Situationen abstrakter Benachteiligung ansprechen, stellt sie doch keine gehobenen Anforderungen oder gar Definitionen der erfassten Konstellationen auf.37 Gerade der deutsche Wortlaut „in denen“ ist außerdem dazu geeignet, fälschlicherweise als Indiz für eine konkrete Lesart interpretiert zu werden; anderssprachige Formulierungen38 Raupach, Ehescheidung in der EU, 215. Arnold/Schnetter, ZEuP 2018, 652 (665). 34  Arnold, NZFam 2016, 706 (707). Das Fehlen von Erwägungen in dieser Hinsicht bei den Schlussanträgen des GA Øe (ECLI:EU:C:2017:686 = NZFam 2017, 997) zu EuGH Rs. C-372/16 v. 20.12.2017 – Sahyouni II, ECLI:EU:C:2017:988 = NJW 2018, 447 monierte Coester-Waltjen, IPRax 2018, 238 (241). 35  Zu diesem Eindruck etwa BeckOGK/Gössl, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  23 und Wennersbusch, Parteiautonomie und Schwächerenschutz, 126 f. Vgl. zur grds. Systematik des ordre public oben, B.III.1.a) (S.  41 ff.). 36  Arnold/Schnetter, ZEuP 2018, 652 (661) sprechen in diesem Zusammenhang von einer „petitio principii“. 37  Winkler v. Mohrenfels, ZEuP 2013, 699 (715). Auch Raupach, Ehescheidung in der EU, 213 weist auf die deutungsoffene Formulierung hin. 38  Vgl. etwa die englische („such aswhere“), französische („comme lorsque“) oder spanische („por ejemplo cuando“) Fassung. 32 Vgl. 33 

I. Art.  10 Rom III-VO

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stellen keinen derart relativen Bezug zum vorigen Satzteil her.39 Vor allem aber verstärkt EG 25 den Eindruck zweier separater Instrumente mit isolierten Wirkungsweisen, indem er für den ordre public in Art.  12 explizit von „einem konkreten Fall“40 spricht und sich daher von EG 24 abgrenzt.41 Dass eine Anwendung der Vorschrift ohne Einzelfallprüfung das Postulat der Rechtswahl beschneiden würde, ist ebenfalls kein entscheidender Grund für ein konkretes Verständnis; die kollisionsrechtliche Parteiautonomie unterliegt vielmehr unweigerlich der inhaltlichen Begrenzung durch den Gesetzgeber, dem ein weiter Ausgestaltungsspielraum zukommt.42 Auch die Annahme, Art.  9 be­ schließe die Verweisungsfolge, erscheint bei näherer Betrachtung nicht zwingend: Art.  10 gliedert sich mit seiner Art.  9 II ähnelnden Gestaltung durchaus in die Reihe „besonderer“ Kollisionsnormen der Verordnung ein, ohne durch seine systematische Stellung den Eindruck zu vermitteln, in einem Spezialitätsverhältnis zu Art.  12 zu stehen.43 Insgesamt verbietet es der normative status quo nach hier vertretener Ansicht mithin unglücklicherweise, die Norm teleologisch zu reduzieren, obwohl die internationalprivatrechtliche Wertneutralität diesen Schritt eigentlich erfordert.44 2. Art.  10 Rom III-VO im Gefüge des klassischen IPR Fragt man nach dem politischen Gehalt von Art.  10 Rom III-VO, lassen sich zunächst einige Aspekte hervorheben, die aus Sicht des klassischen Kollisions39  Darauf wies GA Øe in Rn.  77 seiner Schlussanträge (ECLI:EU:C:2017:686 = NZFam 2017, 997) zu EuGH Rs. C-372/16 v. 20.12.2017 – Sahyouni II, ECLI:EU:C:2017:988 = NJW 2018, 447 hin. Zustimmend Majer, NZFam 2017, 1010 (1011). Dazu auch Hausmann, IntEuFamR, Teil 1, A, Rn.  460 und Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 363. 40  Vgl. die insofern parallelen Formulierungen in der englischen („in a given case“), französischen („dans un cas précis“) und spanischen („a un caso concreto“) Fassung. 41  Helms, FamRZ 2011, 1765 (1772); MüKoBGB/Winkler v. Mohrenfels, Art.  10 Rom IIIVO, Rn.  3; Raupach, Ehescheidung in der EU, 212. 42 MüKoBGB/Winkler v. Mohrenfels, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  9. Ausführlich zur Begründungsbedürftigkeit von Grenzen der Rechtswahl Arnold in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 23 (44 ff.). 43  So BeckOGK/Gössl, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  21, die ferner die These vertritt, dass erst Art.  11 die Verweisungsfolge abschließe, weil er im Gegensatz zu den folgenden Normen selbst noch eine Verweisung ausspreche. 44  Antomo, NZFam 2018, 243 (245); dies., NJW 2018, 435 (437); Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016 123 (128); M. Stürner in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 87 (99); BeckOGK/Gössl, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  24; Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 364 f.; Majer, NZFam 2017, 1010 (1011). In diese Richtung grds. auch NK-BGB/ Budzikiewicz, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  26 ff. und BeckOK/Heiderhoff, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  13 ff., die sich dennoch für eine Reduktion aussprechen. So auch Helms, FamRZ 2011, 1765 (1772).

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

rechts zu befürworten sind: So bedeutet die nunmehr allseitige Ausgestaltung der Vorschrift immerhin einen Fortschritt gegenüber Art.  17 I 2 EGBGB in der vor dem 29.01.2013 geltenden Fassung45, da von einem „Deutschenprivileg“ abgesehen wurde.46 Weiterhin bestehen keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, Vorschriften im Kollisionsrecht mit Blick auf die Gleichstellung der Geschlechter zu akzentuieren, denn diese ursprünglich materielle Erwägung stellt auch im Verweisungskontext ein legitimes Interesse dar.47 Dennoch besteht im Grunde Einigkeit darüber, dass Art.  10 Rom III-VO mit dem Prinzip der engsten Verbindung bricht;48 von einem „Fehlgriff“49, einem „Fremdkörper“50 oder einer „rückständigen Diskriminierung“51 ist die Rede. Unabhängig von der Frage nach einer teleologischen Reduktion bleibt es bei dem Eindruck, der EU-Gesetzgeber habe vornehmlich die Abwehr islamischen Rechts intendiert.52 Da die Norm im Laufe der Verhandlungen nachträglich eingefügt wurde,53 um die nordischen Staaten trotz ihrer Skepsis gegenüber diesem Rechts-

45  Diese

lautete: „Die Scheidung unterliegt dem Recht, das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags für die allgemeinen Wirkungen der Ehe maßgebend ist. Kann die Ehe hiernach nicht geschieden werden, so unterliegt die Scheidung dem deutschen Recht, wenn der die Scheidung begehrende Ehegatte in diesem Zeitpunkt Deutscher ist oder dies bei der Eheschließung war“. 46  Hau, FamRZ 2013, 249 (254); Helms, FamRZ 2011, 1765 (1771). Für eine ausführliche Interessenanalyse zu dieser Vorschrift in ihrer ehemaligen Form siehe Nojack, Exklusivnormen im IPR, 52 ff. Instruktiv zu den Auswirkungen von Art.  10 Rom III-VO auf die nationalen Regelungen des EGBGB Greb, StudZR-WissOn 2015, 271 (285 ff.) und Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 125 ff., 137. 47  Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 136. 48  Statt aller Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 202. 49  Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 136. 50  Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 (123). 51  Greb, StudZR-WissOn 2015, 271 (290). 52  Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (467); Gruber, IPRax 2012, 381 (391); ders. in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Migration und IPR, 169 (183); Hau, FamRZ 2013, 249 (254) [jeweils mit dem Hinweis, dass auch jüdisches Recht typischerweise betroffen sei]; Makowsky, GPR 2012, 266 (271); Althammer, NZFam 2015, 9 (14); Hausmann, IntEuFamR, Teil 1, A, Rn.  454. Einschränkend Majer, NZFam 2017, 1010 (1011). Überblicksartig zu den wesentlichen Instrumenten des talaq (im islamischen Recht) und get (im jüdischen Recht) Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 (124 ff.) und Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 353 ff. Zum Verfahren der get-Scheidung ferner Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 26 ff. 53  So fand sich im ursprünglichen Vorschlag der Kommission, der noch vorrangig die Änderung der Verordnung (EG) Nr.  2201/2003 unter Einfügung zusätzlicher Normen über das anwendbare Recht im Sinn hatte, eine solche Vorschrift noch nicht, vgl. KOM (2006) endg., S.  16 ff.

I. Art.  10 Rom III-VO

259

kreis – letztlich erfolglos54 – zur Teilnahme an der Verordnung zu bewegen,55 kann die rechtspolitische Tragweite hinter diesem Schritt nicht ignoriert werden. Es ging der Legislative mithin zwar um realpolitische Bedürfnisse, nicht aber darum, „Ängste vor der Anwendung ausländischen, insbesondere islamischen Scheidungsrechts abzubauen“56. Insofern stellt sich die Regelung als eine „Wertentscheidung“ zugunsten des deutschen „Notrechts“57 dar, weshalb der vorgeblichen Antidiskriminierungsvorschrift eine diskriminierende Wirkung im Sinne eines „Eurozentrismus“ zu bescheinigen ist.58 Dies gilt umso mehr, als anders als beim ordre public59 nicht hilfsweise nach einer alternativen Lösung nach dem fremden Recht gesucht, sondern ohne nähere Prüfung das Forumrecht zur Anwendung gerufen wird.60 Indem die Regelung ganze Rechtsordnungen für unanwendbar erklärt, entfernt sie sich von dem multilateralen Ausgangspunkt, den das klassische IPR postuliert.61 Sollte sich der Gesetzgeber zukünftig dazu entscheiden, vermehrt auf die Regelungstechnik von Art.  10 Rom III-VO zurückzugreifen, würde er die „Weltoffenheit und Toleranz“ des traditionellen Kollisionsrechts in Frage

Siehe nur Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 (127). Winkler v. Mohrenfels, ZEuP 2013, 699 (713); Palandt/Thorn, Art.  10 Rom III-VO, Rn.  3. Zur Entstehungsgeschichte auch Antomo, NZFam 2018, 243 (245); Sahner, Materialisierung der Rechtswahl 344 f.; Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 119 f. 56  So aber Krause, Der Deutsche Rat für IPR, 267 f. 57  J. Stürner, Jura 2012, 708 (713). 58  Raupach, Ehescheidung in der EU, 214. Diese Komponente erkennt Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 206 an vielen Stellen, wo eine Bevorzugung der lex fori ausgesprochen wird. 59  Zum Versuch der möglichst schonenden Füllung von Lücken im Zuge der Anwendung des ordre public statt aller Rauscher, IPR, Rn.  595 ff. Vgl. auch oben, B.III.1.a) (S.  41 ff.). Explizit zu Art.  12 Rom III-VO in dieser Hinsicht Nitsch, ZfRV 2012, 264 (268). 60  Nitsch, ZfRV 2012, 264 (267); Traar, ÖJZ 2011, 805 (812). Darin erblickt Dörfelt, Gesetzgebungsziele im IPR, 129 ein Einfallstor für vermehrtes forum shopping, wenngleich er keine brauchbare Alternative für die Heranziehung der lex fori sieht. Der Einwand von Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 349 f., eigentlich werde wie generell beim ordre public schlicht Rechtsfortbildung betrieben, wirkt insofern eher wie eine Umgehung der Problematik. Blauwhoff/Frohn in: Paulussen/Takács/Lazić/v. Rompuy (Hrsg.), Fundamental Rights in Law, 211 (227) warnen i.A. davor, den ordre public als grundlegendes (Miss-)Billigungsinstrument zu nutzen. 61  Sehr plakativ Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 (123): „gleichstellungsimperialistische Stoßrichtung“. Gegen diese Einordnung Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 348, der darin eine Unterstellung zulasten von EU-Institutionen sieht. Vermittelnd Wilke in: Rupp (Hrsg.), IPR zwischen Tradition und Innovation, 29 (45). Generell zu derartigen Tendenzen im ordre public auch Büchler, FS Brudermüller, 61 (71). 54  55 

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

stellen.62 Mit der „Schonung“ ausländischer Rechtsordnungen wäre es vorbei,63 unionaler Paternalismus64 träte an ihre Stelle. Man mag nun argumentieren, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter im Recht ein außerordentlich hohes Gut bildet und in diesem Sinne einer Relativierung widerstrebt.65 Dem ersten Teil der Aussage ist vorbehaltlos zuzustimmen – dem zweiten jedoch nicht. Selbst wenn man Materialisierungstendenzen im IPR grundsätzlich offen gegenüber steht, lässt sich die „Abwehr fremder Konzepte“ in Gestalt von Art.  10 nicht rechtfertigen.66 Aufgrund seiner Konzeption eignet sich das Kollisionsrecht schlechterdings nicht dazu, als „Mittel des Kulturkampfes“67 instrumentalisiert zu werden. Dass es anderen Rechtsgebieten vorbehalten sein muss, fundamentale Veränderungen in der Gesellschaftsordnung herbeizuführen,68 belegen auch die bereits angeführten Bedenken zur Effektivität der Norm: Eine methodische Abweichung vom ordre public zugunsten einer einzelfallunabhängigen Wertung klingt zwar nach einem erhöhten Schutzniveau, kann aber in der Praxis das Gegenteil bewirken.69 Rohe hat diese Problematik im verweisungsrechtlichen Kontext auf den Punkt gebracht: „Abstrakte Menschenrechtsbekenntnisse dürfen nicht zu Lasten der Opfer von Menschenrechtsverletzungen wirken“70. Bei der Kritik an der Vorschrift steht damit nicht nur die „Würde des IPR“71 im Vordergrund; es muss auch davor gewarnt werden, richtige Ziele mit falschen Mitteln zu verfolgen. 62  Coester-Waltjen, IPRax 2018, 238 (242). So schon Arnold, NZFam 2016, 794 (795). Zu der dem IPR innewohnenden Toleranz vgl. auch Heiderhoff in: Budzikiewicz/Heiderhoff/ Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Migration und IPR, 9 (14 f.), Mills in: Muir Watt/ Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 245 (246) und – insbesondere zu den Schwierigkeiten dieser Zuschreibung – Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 326 ff. 63  Weller in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 133 (155). 64  Diese Gefahr erkennt Jayme in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 33 (45) hinsichtlich der effektiven Beschränkung der Rechtswahl. 65 So vor allem Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 (130). In diese Richtung auch Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 300 und Fontana, Universelle Frauenrechte und islamisches Recht, 19 (allerdings ohne expliziten Bezug zum IPR). 66  Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 367 f. Helms, IPRax 2017, 153 (154) spricht von einem „Tabubruch“. 67  Schurig, FS v. Hoffmann, 405 (410). Kemper, FamRBint 2012, 63 (66) warnt insgesamt davor, durch eine allzu leichtfertige Anwendung des ordre public das rechtsvereinheitlichende Element der Verordnung zu trüben. 68  Sehr treffende Passagen zu diesem Aspekt finden sich bei Heiderhoff in: Budzikiewicz/ Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Migration und IPR, 9 (15). 69  Vgl. die Belege in Fn.  28 dieses Kapitels. 70  Rohe in: Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts, 67 (75). 71 So Wurmnest in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 445 (467 f.). Den Schutz dieser

I. Art.  10 Rom III-VO

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Wie ist nun mit Art.  10 Rom III-VO zu verfahren? Abzulehnen ist in jedem Fall der Vorschlag, zur Wahrung der Geschlechtergleichstellung einen Abbruch der Verweisung auf diskriminierendes ausländisches Recht generell zu ermöglichen;72 dieser Ansatz ist letztlich aus denselben Gründen wie Art.  10 zum Scheitern verurteilt.73 Überlegungen, ein Antragserfordernis der von der Diskriminierung betroffenen Ehegattin vorzusehen und die Regelung damit dem ordre public anzunähern,74 respektieren demgegenüber im Wesentlichen die internationalprivatrechtliche Methodik und intendieren eine effektive Besserstellung der Frauen. Allerdings würde auf diesem Wege nicht nur der Bogen der Auslegung überspannt,75 sondern zudem die Rechtssicherheit durch ein weiteres dynamisches Element im Rahmen des Vorbehalts zusätzlich beschnitten. An diesen Punkten krankt auch die umgekehrte Idee, bei einem Einverständnis der Ehegattin mit der Scheidung von der abstrakten Wirkung der Norm abzusehen.76 Den Willen der Frau in diesem Kontext außer Acht zu lassen, führt im Übrigen nicht zwangsläufig zu ihrer Benachteiligung: Stellt man auf die deutschen Vorschriften, insbesondere eine etwaige Härtefallsituation nach §  1565 II BGB ab, ergibt sich häufig keine elementare Schlechterstellung gegenüber dem ausländischen Recht.77 De lege ferenda sollte Art.  10 Rom III-VO schlicht gestrichen und als das betrachtet werden, was er war – ein Fehler. Weder die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, noch die vermeintlichen Nutznießerinnen sind auf einen solchen Bruch im IPR angewiesen.78 Einzig durch materiellrechtliche Lösungen können „Grundidee des Internationalen Privatrechts“ betonen auch Arnold/Schnetter, ZEuP 2018, 652 (661) und Hausmann, IntEuFamR, Teil 1, A, Rn.  456. 72 So die Idee der „cupierten Verweisung“ von Weller/Thomale/Zimmermann, JZ 2017, 1080 (1081 ff.). 73 Zur Kritik stellvertretend Coester-Waltjen in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/ Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Migration und IPR, 131 (137 f.). 74  Jayme in: Leible/Unberath (Hrsg.), Rom 0-VO, 33 (45). 75  Vgl. auch Schmitz, Rechtswahlfreiheit, 298 f. 76 In diese Richtung Finger, FamRBint 2013, 37 (43). Weller/Göbel in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 75 (87) und Weller, RabelsZ Bd.  81 (2017), 747 (768) lehnen ein Einverständnis indes ab, weil sie die Geschlechtergleichstellung grds. für nicht disponibel halten. Zustimmend Majer, NZFam 2017, 1010 (1011). Näher zur Berücksichtigung dieses Merkmals i.R.d. ordre public unlängst Arnold/Hornung/Schnetter, GPR 2021, 2 (5) und Grifo, NZFam 2021, 202 (205 f.). 77  So mit Blick auf die Rechtssache Sahyouni infolge einer detaillierten Analyse verschiedener Konstellationen Weller/Hauber/Schulz, IPRax 2016, 123 (130 f.). Generell zur Frage, ob zum Schutz von Grundrechten auf die Anwendung des ordre public verzichtet werden darf, Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 86 ff. 78 Statt aller Corneloup in: Heiderhoff/Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 61 (67).

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

die unterstützenswerten Ziele erreicht werden, ohne im Zuge dessen ausländische Normsysteme insgesamt zu diskreditieren. Es ließe sich darüber diskutieren, alternativ eine Klarstellung in Art.  12 Rom III-VO einzufügen, wonach insbesondere gleichstellungsfeindliches Recht den Vorbehalt auslösen kann;79 ob sich die Spruchpraxis dadurch substantiell ändert, darf indes bezweifelt werden.

II. Art.  13 EGBGB Den nächsten Untersuchungsgegenstand bildet mit Art.  13 EGBGB erneut eine Norm aus dem Familienrecht, die allerdings dem nationalen Kollisionsrecht entstammt und damit nicht zwangsläufig denselben Motiven folgt wie die zuvor analysierte Vorschrift.80 Sie sieht verschiedene Ausnahmefälle vor, nach denen unter bestimmten Voraussetzungen auf das deutsche materielle Recht rekurriert wird, wenn nach der Regelanknüpfung eigentlich ausländische Normen berufen sind. Art.  13 III81 betrifft insofern Ehen mit einer minderjährigen Ehegattin: Unterliegt die Ehemündigkeit eines Verlobten nach Absatz 1 ausländischem Recht, ist die Ehe nach deutschem Recht 1. unwirksam, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte, und 2. aufhebbar, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte.

Einen ähnlichen Weg wird zudem Art.  13 IV EGBGB-E gehen, sofern der von der bayrischen Landesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Mehrehe82 erfolgreich und ohne größere Änderungen das Gesetzgebungsverfahren durchläuft.83 Er soll lauten: Haben beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so ist eine nach ausländischem Recht geschlossene Ehe nach deutschem Recht aufzuheben, wenn bei der Eheschließung In diese Richtung auch Frie, FamRB 2017, 232 (235). Dennoch ist die Nähe zwischen den beiden Gesetzesvorhaben unverkennbar, siehe Dutta, FamRZ 2018, 1141 (1141). 81  Mit Wirkung zum 22.07.2017 eingefügt durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.07.2017, BGBl.  2017 I, 2429 (2430). Einführend zu den normativen Änderungen durch das Gesetz etwa Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 45 ff. 82  BR-Drs. 249/18, S.  1. Detailliert zur Geschichte der Polygamie i.A. Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618 (1618 ff.); Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (270 f.). Die heutige Umsetzung in muslimischen Staaten zeigt Kreuzer, RW 2010, 143 (152 ff.) auf. 83  Zum aktuellen Stand wird auf das Dokumentations- und Informationsportal für Parlamentarische Vorgänge (DIP) verwiesen, das Gesetzesvorhaben firmiert unter der GESTA-Ordnungsnummer C032 bzw. der ID 19-236220. 79  80 

II. Art.  13 EGBGB

263

zwischen einem der Ehegatten und einer dritten Person bereits eine Ehe oder Lebenspartnerschaft bestand.

Seit seinem Inkrafttreten sieht sich Abs.  3 umfassender Kritik positiver und negativer Art ausgesetzt,84 ein ähnliches Schicksal wird aktuell dem Entwurf zu einem neuen Abs.  4 zuteil. Da die Sondervorschriften sich auf der Schwelle von Verfassungs- und Verweisungsrecht bewegen, zeichnet sich auch die Auseinandersetzung in Literatur und Rechtsprechung durch Bezüge zu beiden Rechtsgebieten aus. Nachfolgend soll daher der Diskussionsstand insbesondere im grundrechtlichen Kontext kurz dargestellt werden, bevor sich die zentralen Erörterungen zur Vereinbarkeit mit den klassischen Idealen des Kollisionsrechts an­ schließen. 1. Meinungsstand Im Wesentlichen werden Verstöße gegen Art.  3 I und 6 I GG moniert, darüber hinaus stoßen sich einige Stimmen daran, dass die Regelungen teilweise auch bereits bestehende Statusverhältnisse angreifen und nicht ausnahmslos einen Bezug zum Inland als Tatbestandsmerkmal voraussetzen. a) Abs.  3 – Minderjährigenehen Die Neuregelung zu Minderjährigenehen erfolgte nicht zuletzt als Reaktion auf eine Entscheidung des OLG Bamberg, in der die Nichtigkeit einer Ehe mit einer zum Zeitpunkt der Eheschließung eheunmündigen Minderjährigen85 selbst bei Annahme eines ordre public-Verstoßes86 verneint wurde.87 Im Nachgang erhielt die Diskussion, welche Rechtsfolgen sich aus einem Verstoß gegen Art.  6 EGBGB für die konkrete Ehe ergeben – also nach welchem Recht die LückenFrie, FamRB 2017, 232 (232 f.). Zur berechtigten Kritik am ungenauen und potentiell irreführenden Begriff „Kinderehe“ siehe Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 (429); Möller/Yassari, KJ 2017, 269 (269 f.); Schwab, FamRZ 2017, 1369 (1373); Meysen/Achterfeld in: Lehner/Wapler (Hrsg.), Die herausgeforderte Rechtsordnung, 313 (342). Auch Bongartz, NZFam 2017, 541 (545) ordnet die Formulierung als „Kampf“-Begriff ein. Dass auch der Begriff „Minderjährigenehe“ angesichts der Anknüpfung an das Personalstatut für die Frage der Volljährigkeit eine gewisse Ungenauigkeit aufweist, bemerkt zu Recht Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (578 Fn.  3). 86  Instruktiv zu dieser Frage Frank, StAZ 2012, 129. Näher zu den statusrechtlichen Erwägungen Andrae, NZFam 2016, 923 (929). 87  OLG Bamberg v. 12.05.2016 – 2 UF 58/16, BeckRS 2016, 9621 = MDR 2016, 772. Eine inhaltliche Zusammenfassung bietet Hilbig-Lugani, NZFam 2016, 807. Nach Coester, StAZ 2016, 257 (261) haben die Richter dabei die Reichweite des ordre public im konkreten Fall verkannt. Gegen eine pauschale Kritik an dem Urteil Heiderhoff, IPRax 2017, 160 (161) und Arnold/Zwirlein-Forschner, GPR 2019, 262 (269). 84 Vgl. 85 

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

schließung zu erfolgen hat und ob eine eventuelle Nichtigkeit nach ausländischem Recht dem bisherigen deutschen Modell der Aufhebbarkeit vorgeht88 – neuen Zündstoff.89 Unter anderem wurde in der Literatur vorgeschlagen, die Qualifikation der fehlenden Ehemündigkeit als einseitiges Ehehindernis90 im Falle von Minderjährigenehen zugunsten einer zweiseitigen Ausgestaltung aufzugeben.91 Weil es überdies an einer klaren Regelung zu der Frage, unter welcher Altersgrenze die Zulässigkeit der Ehe regelmäßig anzuzweifeln ist, fehlte,92 wurde der Rechtslage fehlende normative Schärfe vorgeworfen93 und der Ruf nach einer Akzentuierung der gesetzlichen Bestimmungen lauter.94 Daher entschied sich der Gesetzgeber schließlich dazu, sowohl die Nichtigkeits-, als auch die Aufhebbarkeitsvariante an starre Altersgrenzen zu koppeln, um (vermeintlich) eindeutige Verhältnisse zu schaffen.95 Sodann hat der BGH unlängst das Bundesverfassungsgericht um Normenkontrolle gebeten, weil der Senat erhebliche Umfassend dazu m. w. N. Antomo, NJW 2016, 3558 (3562 f.). Das Vorgehen nach dem alten Recht untersuchen auch Hüßtege, FamRZ 2017, 1374 (1374 f.) und Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 205 ff. 89  Mankowski, FamRZ 2016, 1274 (1274): „Die Entscheidung sticht in ein Wespennest“. Zu den gesellschaftlichen Diskussionen um das Urteil siehe auch Gutmann, NVwZ 2019, 277 (280) und Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 36, 45. 90  Zum bisherigen Verständnis siehe z. B. Staudinger/Mankowski, Art.  13 EGBGB, Rn.  202; BeckOGK/Kriewald, §  1303 BGB, Rn.  48; Raupach, Ehescheidung in der EU, 72. 91 Staudinger/Mankowski, Art.  13 EGBGB, Rn.  203; NK-BGB/Andrae, Art.  13 EGBGB, 3. Aufl. 2016, Rn.  24; dies., NZFam 2016, 923 (923 f.). Dafür de lege ferenda auch Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 419. Zu dem insofern angeführten „Gefahrpotenzial“ von Minderjährigenehen Reuß, FamRZ 2019, 1 (1 f.). 92  Die denkbaren Vorgaben aus staatsvertraglichem und internationalem Recht beleuchtet Andrae, NZFam 2016, 923 (924). Zu der Frage auch Antomo, NJW 2016, 3558 (3561 f.); Coester, StAZ 2016, 257 (259); Mankowski, FamRZ 2016, 1274 (1275); Reuß, FamRZ 2019, 1 (2 f.); Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 37 f.; MPI für ausl. und int. Privatrecht, RabelsZ Bd.  84 (2020), 705 (726 ff.); Heiderhoff, StAZ 2014, 193 (198). Vgl. ferner BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, NJOZ 2019, 43 (46), Rn.  44. Zur geschichtlichen Entwicklung der Ehemündigkeit Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289 (1290 f.) und Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 177 ff. Die Behandlung der Ehemündigkeit in islamischen Rechtsschulen legen Möller/Yassari, KJ 2017, 269 (271 ff.) und Büchler, FS Brudermüller, 61 (64 f.) dar. 93  Zu den Problemen im alten Recht ausführlich Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 191 ff. Vgl. auch Sütterlin-Waack, FF 2017, 473; Majer, NZFam 2017, 537 (538); Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289 (1292 f.). Kritisch zur bis dato vorherrschenden Aufhebbarkeitsvariante schon Andrae, NZFam 2016, 923 (929). Für die a. A. etwa Antomo, NJW 2016, 3558 (3559); dies., ZRP 2017, 79 (81); Erbarth, FamRB 2019, 47 (49); Reuß, FamRZ 2019, 1 (9); Bongartz, NZFam 2017, 541 (545). 94  Näher zur Entstehungsgeschichte BeckOGK/Rentsch, Art.  13 EGBGB, Rn.  55 ff. und Arnold/Zwirlein-Forschner, GPR 2019, 262 (269). 95  So das erklärte Ziel der Bundesregierung, siehe BT-Drs. 18/12377, S.  1. 88 

II. Art.  13 EGBGB

265

Zweifel an der Vereinbarkeit der Unwirksamkeitserklärung nach Art.  13 III Nr.  1 EGBGB mit den Grundrechten des Antragstellers aus Art.  1, 2 I, 3 I und 6 I GG äußerte.96 Aufgabe der Richterinnen wird sein, zu untersuchen, inwieweit der Gesetzgeber in Ansehung höherrangigen Rechts innerhalb der ihm zustehenden Befugnisse zur „Typisierung“ gehandelt hat.97 In der Abwägung zu Art.  6 I GG bildet es gerade dann eine zentrale Herausforderung, die leistungs- von der abwehrrechtlichen Dimension zu trennen, wenn Uneinigkeit über die (Nicht-)Anerkennung eines statusrelevanten Instituts wie der Ehe besteht.98 Zumindest der abwehrrechtliche Gehalt reduziert sich nicht auf wirksame Verbindungen;99 vielmehr ist den betroffenen Ehegatten selbst bei einer „hinkenden“, aber tatsächlich gelebten Ehe ein gewisser Schutz aus diesem Grundrecht zuzugestehen.100 Darüber hinaus genießt der Bestand derartiger Ehen auch durch das Völkerrecht eine Absicherung: Insbesondere Art.  8 und 12 EMRK nehmen das Familienleben der Ehegatten in den Blick, Art.  3 und 12 UN-Kinderrechtskonvention schreiben zudem die Berücksichtigung der Interessen des Kindes vor.101 Ferner kommt Flüchtlingen i. S.d. Genfer Flüchtlingskonvention deren Art.  12 II zugute, der die Vertragsstaaten dazu anhält, bei der Beurteilung 96  BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, NJOZ 2019, 43. Das BVerfG-Verfahren ist aktuell unter dem Az. 1 BvL 7/18 anhängig. Gegen Nr.  2 bestehen insoweit keine grundlegenden Bedenken, siehe nur Hüßtege, FamRZ 2017, 1374 (1378). Dies liegt nach Löhnig, NZFam 2019, 72 (72 f.) nicht zuletzt daran, dass auch aufhebbare Ehen grds. den Schutz von Art.  6 I GG genießen. Zu den Folgewirkungen einer solchen Ehe einführend Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (599 f.). Dennoch a. A. zur Verfassungsmäßigkeit Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (468 f.). 97  Ernst, DRiZ 2019, 182 (184 f.). Diese Grenzen sieht Erbarth, FamRB 2019, 47 (49) nur in Bezug auf die Aufhebbarkeitsvariante als gewahrt an. Diese i. V. m. einem richterlichen Antragsermessen favorisiert auch Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (469). 98  Zur Abgrenzung im Einzelnen Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41 (43 ff.). 99  Erbarth, FamRB 2019, 47 (47 f.); BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, NJOZ 2019, 43 (48), Rn.  69 f. 100  Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (468) unter Bezugnahme auf BVerfG v. 30.11.1982 – 1 BvR 818/81, BVerfGE 62, 323 (330 f.) = NJW 1983, 511 (511 f.); siehe auch Hüßtege, FamRZ 2017, 1374 (1377); Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 (435); Majer, NZFam 2017, 537 (540). Zu den qualitativen Anforderungen an diese Form einer „Ehe“ Druschke, Familie im Ausländerrecht, 262 ff. und Gössl, BRJ 2019, 6 (7). Allein die Gefahr „hinkender“ Rechtsverhältnisse darf nach Mankowski, FamRZ 2016, 1274 (1275 f.) indes nicht zu übertriebener Zurückhaltung bei der Anwendung des ordre public führen. 101  Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 142 ff.; Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41 (43); Hausmann, IntEuFamR, Teil 1, A, Rn.  636; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374 (1377); Antomo, ZRP 2017, 79 (81 f.); Bongartz, NZFam 2017, 541 (542); MPI für ausl. und int. Privatrecht, RabelsZ Bd.  84 (2020), 705 (748, 754); vgl. auch Gutmann, NVwZ 2019, 277 (279 f.). Ausführlich zum „Schutzbereich der Familie“ durch GG und EMRK Balomatis in: Höver/de Kruijf/O’Donovan/Wannenwetsch (Hrsg.), Die Familie im neuen Europa, 215 (233 ff.).

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

des Personalstatuts die bereits zu einem vorherigen Zeitpunkt erworbenen Rechte – zu denen ausdrücklich jene infolge der Eheschließung zählen102 – zu respek­ tieren.103 In der Abwägung mit dem kollidierenden Verfassungsgut des Minderjährigenschutzes hat der Gesetzgeber mit Art.  13 III Nr.  1 EGBGB den Ermessensspielraum überschritten, indem er eine allzu pauschale Regelung getroffen hat, die mit der Nichtigkeit die äußerste Sanktionsform wählt und von angemessenen Ausnahme- und Härtefallklauseln absieht.104 Dies gilt umso mehr, als Folgefragen105 zu Abstammung, Sorgerecht und Unterhalt in dem Gesetz unbeachtet geblieben sind,106 sodass die Ehegatten infolge der unklaren Rechtslage vor zusätzliche Unsicherheiten gestellt werden.107 Da diese Regelungslücke von dem Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen wurde, erscheint de lege lata auch eine Analogie zur rechtlichen Behandlung bei aufhebbaren Ehen leider nicht umsetzbar.108 Näher zu der Norm unlängst Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 89 ff. 103  Pfeiffer, LMK 2019, 415153; Möller/Yassari, KJ 2017, 269 (276); Gutmann, NVwZ 2019, 277 (281); Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 138 f.; MPI für ausl. und int. Privatrecht, RabelsZ Bd.  84 (2020), 705 (748, 754). 104  Zu diesem Ergebnis statt vieler Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (468); Gössl, BRJ 2019, 6 (9); Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 330; v. Bary/Ziereis, RabelsZ Bd.  85 (2021), 146 (154). Gegen solche Klauseln sprach sich dagegen Opris, ZErb 2017, 158 (164) aus. Jedenfalls ist Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41 (47 f.) darin zuzustimmen, dass eine Differenzierung zwischen Vor- und Hauptfragen im Rahmen einer eventuellen Härtefallklausel nicht sinnvoll wäre. 105  Grundlegend zu diesen Ansprüchen bei nicht voll wirksamen Ehen Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (596 ff.). Die Rechtsstellung minderjähriger Geflüchteter bei bestehender Anerkennungsfähigkeit untersuchen Meysen/Achterfeld in: Lehner/Wapler (Hrsg.), Die herausgeforderte Rechtsordnung, 313 (343 ff.). Kritisch zu zusätzlichen Problematiken bei der Eingehung der Ehe in einem ausländischen failing state z. B. Rixen, JZ 2019, 628 (630) und Majer, NZFam 2017, 537 (539). 106  Eine umfassende Untersuchung der rechtlichen Folgen bietet das MPI für ausl. und int. Privatrecht, RabelsZ Bd.  84 (2020), 705 (771 ff.). 107  BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, NJOZ 2019, 43 (48 f.), Rn.  70; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374 (1377); Gutmann, NVwZ 2019, 277 (281); Löhnig, NZFam 2019, 72 (73); Druschke, Familie im Ausländerrecht, 146 f., 190 ff.; MPI für ausl. und int. Privatrecht, RabelsZ Bd.  84 (2020), 705 (767 f.); a. A. Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 217 (einschränkend aber 227 f.). Rixen, JZ 2019, 628 (631) sieht in der fehlenden Akzentuierung von derartigen Folgen den zentralen Grund für den Verstoß gegen Art.  6 I GG. Eventuelle abstammungs- und unterhaltsrechtliche Folgen einer Nichtehe beleuchtet Kemper, FamRB 2017, 438 (442) exemplarisch anhand von §  1592 BGB. 108  Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (586); a. A. Majer, NZFam 2017, 537 (539 f.) und Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289 (1295 f.) sowie ihnen folgend Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 233. Kaum zu rechtfertigende Unterschiede zwischen der Behandlung von Nichtehen und aufhebbaren Ehen beim Betreu102 

II. Art.  13 EGBGB

267

Vor diesem Hintergrund erfährt auch die in Art.  13 III Nr.  1 EGBGB vorausgesetzte (unechte109) Rückwirkung mit Blick auf Art.  20 III GG berechtigte Kritik, weil für die unvermittelte und nahezu umfassende Nichtigerklärung bestehender ausländischer Ehen unter Beteiligung Minderjähriger kein Anlass bestanden hätte.110 Mit Art.  229 §  44 EGBGB111 wurde überdies eine intertemporale Übergangsvorschrift eingefügt, die gleich in doppelter Hinsicht mit Art.  3 I GG bricht112: Zum einen erscheint es willkürlich, dass für Altfälle danach unterschieden wird, ob die Eheschließung und -mündigkeit sich nach deutschem – dann Aufhebbarkeit nach Abs.  1 – oder ausländischem – dann abseits der engen Grenzen von Abs.  4 Nichtigkeit – Recht richtet. Versuchen, dieser Ungleichbehandlung mittels Analogie von Abs.  1 zugunsten ausländischer Ehen zu entgehen, hat sich der BGH jüngst entgegengestellt.113 Zum anderen leuchtet die Entscheidung, für die an den Eintritt der Volljährigkeit114 gekoppelten Rechtswirkungen des Abs.  4 Nr.  2 nach einem zwischenzeitlichen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland zu differenzieren, nicht ein. Während das Abstellen auf starre Altersgrenzen in der legislativen Regelungstechnik durchaus nicht unüblich ist,115 lassen sich keine überzeugenden Gründe für die zusätzliche lokale Komponente anführen.116 Immerhin kann dem Gesetzgeber aber nicht mehr ungsunterhalt im rechtlichen status quo behandelt Schwab, FamRZ 2017, 1369 (1371). Zur grds. Anknüpfung dieser Fragen im IPR einführend Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (467). 109  Eingehend zur Abgrenzung BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, NJOZ 2019, 43 (49), Rn.  71 ff. Insofern a. A. v. Bary/Ziereis, RabelsZ Bd.  85 (2021), 146 (153). 110  Pfeiffer, LMK 2019, 415153; Rixen, JZ 2019, 628 (631 f.); Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41 (48); Gössl, BRJ 2019, 6 (10). In diese Richtung auch Antomo, ZRP 2017, 79 (82) und das MPI für ausl. und int. Privatrecht, RabelsZ Bd.  84 (2020), 705 (765). 111  Umfassend zur Prüfung der Norm im Fall Hüßtege, FamRZ 2017, 1374 (1375); Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (466); Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (588 ff.); Druschke, Familie im Ausländerrecht, 139 ff. 112  BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, NJOZ 2019, 43 (50), Rn.  79 f.; Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 343 ff.; Rixen, JZ 2019, 628 (632). Ebenfalls in diese Richtung Pfeiffer, LMK 2019, 415153. Insgesamt kritisch zur Überleitungsvorschrift ferner Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 (432 f.). Art.  229 §  44 EGBGB übersieht Opris, ZErb 2017, 158 (165), der von einer Gleichbehandlung spricht. 113  BGH v. 22.07.2020 – XII ZB 131/20, BeckRS 2020, 19311, Rn.  20 ff. 114  Bongartz, NZFam 2017, 541 (545) bezweifelt, dass ein Abstellen auf die Volljährigkeit den tatsächlichen Problematiken gerecht wird. Zu möglichen weiteren Schwierigkeiten bei der auch für Nr.  1 relevanten Bestimmung der Geburtsdaten der Ehegatten siehe Frie, FamRB 2017, 232 (236); Hüßtege, FamRZ 2017, 1374 (1377 f.); Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (469). 115  Einschränkend in diesem Kontext Gössl, BRJ 2019, 6 (11) und Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 219. 116  Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (468) übersieht insofern, dass der BGH den Vorwurf der Ungleichbehandlung gar nicht auf die Altersgrenze stützt.

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

vorgeworfen werden, dass gleichgeschlechtliche Ehen trotz weitreichender Vergleichbarkeit eine abweichende Behandlung erfahren;117 diese Inkonsistenz wurde zwischenzeitlich qua Verweis in Art.  17b V EGBGB angepasst.118 Wenn die deutsche Legislative Vorschriften schafft, deren Rechtsfolgen sich auf rechtlich relevante Vorgänge aus dem Ausland beziehen, stellt sich daneben die Frage, ob sie befugt war, den eigenen normativen Einflussbereich in diesem Maße auszudehnen. Einen – aus dem ordre public bekannten119 – Inlandsbezug sieht das Gesetz allerdings nur in Teilen vor: Dieser lässt sich zwar nicht leugnen, sofern das Familienleben der Ehegatten seinen Mittelpunkt in Deutschland findet.120 Für die sonstigen denkbaren Fälle wird eine Beziehung zum hiesigen Rechtssystem aber nur über Art.  229 §  44 IV Nr.  2 EGBGB bei einer etwaigen Heilung garantiert;121 diese „exorbitante, weltweite Ausdehnung deutschen Rechts“, durch die §  1303 BGB n. F. geradezu in den Rang einer Eingriffsnorm „befördert“ wird122, hätte der Gesetzgeber unterlassen sollen.123 Um die Gefahren pauschaler Lösungsansätze zu vermeiden, stehen de lege ferenda verschiedene Regelungsoptionen zur Verfügung124: Zum einen könnte für Ehen unter Beteiligung von Personen unter 16 Jahren die Nichtigkeit als Regelfall beibehalten, aber im Parteiinteresse um eine Härtefallklausel ergänzt werden.125 Zum anderen erscheint es denkbar, in Art.  13 III EGBGB für Ehen mit einem oder beiden minderjährigen Verlobten im Zeitpunkt der Eheschließung generell die Aufhebbarkeit vorzusehen, ohne zwischen verschiedenen Altersstufen zu differenzieren.126 Der Vorteil des letztgenannten Vorschlages bestünde darin, dass auf diesem Wege auch die angesprochenen Rückwirkungsproblematiken ausgemerzt würden und die Notwendigkeit einer intertemporalen Übergangsvorschrift entfiele.127 Jedenfalls sollte Art.  13 III im Zuge einer etwa­ igen Neufassung eine Funktion zukommen, die ihn effektiv als positive Aus117  Vgl. noch Reuß, FamRZ 2019, 1 (6); Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 (435); Gössl, BRJ 2019, 6 (11). 118 Dazu Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (584). 119  Vgl. oben, B.III.1.a) (S.  41 ff.). 120  Statt aller Coester, StAZ 2016, 257 (261). Ebenso Majer, NZFam 2017, 537 (538 f.) mit Verweis auf Art.  229 §  44 IV Nr.  2 EGBGB. 121  Dazu nur MPI für ausl. und int. Privatrecht, RabelsZ Bd.  84 (2020), 705 (763). 122  Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 (432). 123  Pfeiffer, LMK 2019, 415153; vgl. auch Reuß, FamRZ 2019, 1 (6). Weniger kritisch Majer, NZFam 2017, 537 (538 f.). 124  Für die Umsetzung in anderen Rechtsordnungen siehe den rechtvergleichenden Bericht des MPI für ausl. und int. Privatrecht, RabelsZ Bd.  84 (2020), 705 (756 ff.). 125 Dafür Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41 (50). 126 Dafür Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 419. 127 Siehe Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 420.

II. Art.  13 EGBGB

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formung des ordre public kennzeichnet: So muss die Norm Situationen, in denen ein Eingriff in die Regelanknüpfung regelmäßig nahe liegt, klar benennen, ohne die individuelle Lebenssituation der Parteien und die konkreten Eheumstände außer Acht zu lassen.128 Wie eine solche Abwägung im Einzelfall aussehen und wann von einer Sanktionierung einer Minderjährigenehe abgesehen werden kann, hat unlängst der BGH überzeugend dargelegt: Zu begrüßen ist zunächst, dass das Gericht im Zuge verfassungskonformer Auslegung zu dem Schluss gelangt ist, dass den Richterinnen für die Frage der Aufhebbarkeit nach Art.  13 III Nr.  2 i. V. m. §§  1314 I, 1315 I BGB ein eingeschränktes Ermessen zugestanden werden müsse.129 Ebenso leuchten die Gründe ein, die für die Aufrechterhaltung der Ehe vorgebracht worden sind: Vor dem Hintergrund des Minderjährigenschutzes130 sei es geboten, sich an der „bewusst im Erwachsenenalter gelebten Familienwirklichkeit“ zu orientieren; das Alter der Verlobten, die Dauer der Ehe, der langjährige Aufenthalt in Deutschland, die einvernehmliche Entscheidung für Kinder und die inzwischen erreichte Autonomie der Frau sprächen insofern gegen die Aufhebung.131 b) Abs.  4 (Entwurf) – Mehrehen Auch die Gesetzesinitiative zur Einführung eines neuen Abs.  4 in Art.  13 soll nach dem Willen ihrer Urheber für Rechtssicherheit sorgen und dabei einer behaupteten sozialen Verurteilung polygamer Ehen Ausdruck verleihen.132 Während deren Eingehung in Deutschland133 nach weit überwiegender Ansicht ohne Rücksicht auf die jeweiligen Personalstatute der Gatten gegen den ordre public aus Art.  6 EGBGB verstößt,134 werden bereits existente ausländische Mehrehen übereinstimmend Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41 (50) und Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 419. 129  BGH v. 22.07.2020 – XII ZB 131/20, BeckRS 2020, 19311, Rn.  37 ff. 130  Vgl. BGH v. 22.07.2020 – XII ZB 131/20, BeckRS 2020, 19311, Rn.  47, 49. Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 235 ff. befürwortet insofern ein intendiertes Ermessen. 131  BGH v. 22.07.2020 – XII ZB 131/20, BeckRS 2020, 19311, Rn.  52. 132  Siehe BR-Drs. 249/18, S.  2. Dieses Anliegen sehen Dutta, FamRZ 2018, 1141 (1141) und Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (766) bereits vorab als gescheitert an. Eine beispielhafte Anwendung am Fall bietet Druschke, Familie im Ausländerrecht, 155 f. 133 Rechtsvergleichend zur Möglichkeit der Mehrehe in anderen Staaten Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (275 ff.). 134  Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618 (1625); Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (762 f.); Druschke, Familie im Ausländerrecht, 150. Dazu auch Martens, ZRP 2018, 242 (242 f.) m. w. N., der allerdings bereits die Einbeziehung des Verbots der Mehrehe in den deutschen ordre public kritisch betrachtet. Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (271) sieht indes das „heutige sittliche Anstandsgefühl der Inlandsbevölkerung“ als verletzt an. Die Ein128  Insofern

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

regelmäßig anerkannt,135 sofern keine Benachteiligung im Einzelfall festgestellt werden kann.136 Das dieser Praxis innewohnende Streitpotential erschließt sich vor allem, wenn man bedenkt, wie stark das Merkmal der Monogamie in Zeiten einer zunehmenden Liberalisierung der „klassischen“ Ehe nicht nur in wertkonservativen Kreisen an Bedeutung gewonnen hat.137 Gerade in Abgrenzung zu Art.  13 III EGBGB kann positiv angemerkt werden, dass der Gesetzesentwurf zweifellos einen ausreichenden Inlandsbezug voraussetzt, da er auf die Notwendigkeit des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland abstellt.138 Zwar haben die Urheber des Textes den Vorrang einiger staatsvertraglicher Regelungen übersehen, die etwa eine Rententeilung für die Beteiligten einer Mehrehe vorsehen;139 allein dieser handwerkliche Lapsus reicht aber nicht aus, um die Gesetzesinitiative insgesamt abzulehnen. Regelungstechnisch rücken andere Kritikpunkte in den Mittelpunkt: Ob der Schutz der Frauen als erklärtes Ziel des Vorhabens140 effektiv durch ein Verbot erreicht werden kann, das nicht gehung einer nur potentiell polygamen Erstehe ist dagegen auch im Inland möglich, siehe Kotzur, Kollisionsrechtliche Probleme christlich-islamischer Ehen, 99 und Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 252. Zur Eingehung einer Ehe neben einer bestehenden registrierten Lebenspartnerschaft siehe Heiderhoff, StAZ 2014, 193 (196 f.). 135 BeckOK/Mörsdorf, Art.  13 EGBGB, Rn.  34; NK-BGB/Andrae, Art.  13 EGBGB, Rn.  38; MüKoBGB/Coester, Art.  13 EGBGB, Rn.  71; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (765); Lentz, FuR 2017, 597 (602); Kluth, ZAR 2018, 319 (319); Kotzur, Kollisionsrechtliche Probleme christlich-islamischer Ehen, 99 f.; Büchler, FS Brudermüller, 61 (66 f.). Speziell zum strittigen Fall der inländischen Eingehung einer Mehrehe vor dem jeweiligen ausländischen Konsul Kreuzer, RW 2010, 143 (155). 136  Zu den Anforderungen statt vieler Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 252 ff. und Kühnel in: Husemann u. a. (Hrsg.), Strukturwandel und Privatrecht, 343 (361 f.). Auf die Gefahr der unreflektierten Verallgemeinerung der Anerkennungsoption weist Majer, NZFam 2019, 242 (243) hin. Zu Begründungsansätzen für eine Folgenanerkennung Kreuzer, RW 2010, 143 (156). Dass gerade Folgerechte vom ordre public-Einwand betroffen sein können, unterstreichen Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618 (1625) und Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (284 ff.). Fallbeispiele finden sich etwa bei Druschke, Familie im Ausländerrecht, 150 ff. 137  Zu diesem Befund Martens, ZRP 2018, 242 (242). Vgl. auch Büchler, FS Brudermüller, 61 (66). 138  Dutta, FamRZ 2018, 1141 (1141); Majer, NZFam 2019, 242 (243). Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 269 stellt allerdings die Frage, wie verfahren werden solle, wenn nur einer der Ehegatten sich im Inland aufhält. Auf die Relevanz des Merkmals wies in diesem Kontext schon Spickhoff, Der ordre public im IPR, 233 hin. 139 So Jayme, IPRax 2018, 473 (474) unter Verweis auf Art.  25 Nr.  6 im Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko vom 25.03.1981 (BGBl.  1986 II, 552). Dutta, FamRZ 2018, 1141 (1142) nimmt außerdem das Deutsch-Iranische Niederlassungsabkommen (RGBl.  1930 II, 1006) in den Blick. Zu diesem Aspekt ferner Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (767). 140  Siehe BR-Drs. 249/18, S.  1. Zur Problematik der fehlenden Gleichberechtigung in poly-

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die tatsächliche Lebensrealität in den Blick nimmt, sondern lediglich den rechtlichen Status pönalisiert, darf insofern bezweifelt werden.141 Auch wenn es den Beteiligten in erster Linie auf ihre Lebenswirklichkeit ankommen mag,142 dürften sie dem rechtlichen Autonomieverlust keineswegs gleichgültig gegenüberstehen.143 Schlimmstenfalls würde den Partnerinnen schließlich eine nicht zu unterschätzende Rechtsunsicherheit durch „hinkende“ Rechtsverhältnisse droh­ en,144 sofern ausländische Rechtsordnungen nicht ihrerseits die deutsche Grundsatzentscheidung anerkennen.145 Mangels Heilungsmöglichkeit wird den Parteien zudem nicht die Möglichkeit eröffnet, durch Auflösung der sonstigen Ehen das dauerhafte Risiko einer Eheaufhebung auszuräumen.146 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive herrscht erneut Unklarheit bezüglich des Schutzumfangs von Art.  6 I GG,147 wobei primär diskutiert wird, ob Verbindungen mit mehreren Partnern – die der Institutsgarantie wohl unstrittig nicht unterfallen148 – abwehrrechtlichen Schutz genießen sollten.149 Aus der Rechtsprechung lassen sich zu dieser Frage keine eindeutigen Aussagen ableiten: So hat das BVerfG ausdrücklich offengelassen, inwieweit Ehen, „die der Vorstellung des Grundgesetzes von Ehe und Familie fremd sind“, von Art.  6 I GG geschützt

gamen Ehen Majer, NZFam 2019, 242 (243); Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (290 f.); Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (762). Schnetter, StudZR-WissOn 2018, 66 (74) warnt in diesem Zusammenhang allerdings vor Generalisierungen. 141  Martens, ZRP 2018, 242 (243); Jayme, IPRax 2018, 473 (475); Schnetter, StudZR-Wiss On 2018, 66 (77 f.); Kühnel in: Husemann u. a. (Hrsg.), Strukturwandel und Privatrecht, 343 (363); Büchler, FS Brudermüller, 61 (68). Die internationalprivatrechtliche Behandlung „quasi-bigamischer“ Beziehungen infolge nicht anerkannter Mehrehen präsentieren Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618 (1625 f.). 142 So Majer, NZFam 2019, 242 (244). 143  Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (766). 144  Martens, ZRP 2018, 242 (244); Jayme, IPRax 2018, 473 (475). Anhand eines fiktiven Beispielsfalls zudem Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (766). Pointner, StudZR-Wiss On 2017, 267 (283) tut diesen Umstand als hinnehmbare Nebenfolge ab. 145  Majer, NZFam 2019, 242 (243). 146  Kritisch insofern Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (765). 147  Jayme, IPRax 2018, 473 (475). Zum eventuellen Schutz von Mehrehen durch höherrangiges Völkerrecht Mankowski, FamRZ 2018, 1134 (1137 ff.). 148  Dazu nur M. Wagner, Kulturelle Integration und GG, 184 Fn.  568 m. w. N. Für eine Einbeziehung unter bestimmten Umständen aber Dreier/Brosius-Gersdorf, Art.  6 GG, Rn.  79. Nach Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (465) würde jedenfalls die Einführung der Mehrehe gegen die deutsche Verfassung verstoßen. 149  Dafür etwa Heiderhoff, NZFam 2020, 320 (323 f.). Ablehnend Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 255 ff. Vermittelnd Raupach, Ehescheidung in der EU, 56 f. Dass der abwehrrechtliche Schutz von Ehen jedenfalls über die Gehalte der Institutsgarantie hinausgehen muss, betonen z. B. Gausing/Wittebol, DÖV 2018, 41 (45 f.).

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

werden.150 Zwar wurde in Prozessen vor dem BVerwG beispielsweise entschie­ den, dass die Norm nicht zu einem Nachzug der Zweitehefrau berechtigt151 und sogar einer Einbürgerung entgegenstehen kann.152 Zugleich haben die Richte­ rinnen jedoch eine „grundrechtsunmittelbare Grundpflicht, auf eine Zweit- oder Doppelehe zu verzichten“, abgelehnt.153 Das OLG Nürnberg ist sogar einen Schritt weiter gegangen, indem es einer polygam angelegten Erstehe Schutz nach Art.  6 I gewährt hat, weil die Zweitehe zum streitgegenständlichen Zeitpunkt bereits geschieden gewesen war.154 Jedenfalls in Fällen, in denen aus einer polygamen Ehe Kinder hervorgegangen sind, muss Art.  6 I GG in seiner Ausprägung als Familiengrundrecht die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten schützen.155 In Bezug auf Art.  13 IV EGBGB-E hilft dieser Umstand den Ehegatten freilich nur bedingt, denn das Familiengrundrecht bezieht sich weniger auf die rechtliche Bindung zwischen ihnen, als auf die Gemeinschaft mit den Kindern.156 Davon abgesehen erscheint es aber unverhältnismäßig, „potentiell“ polygamen Ehen den verfassungsrechtlichen Schutz nur aufgrund der inneren Willensrichtung zu versagen; Erstehen, die erst zukünftig unter Umständen durch Folgeehen erweitert werden, unterfallen deshalb nach überzeugender Ansicht Art.  6 I GG.157 Auch abseits dieser Konstellationen verdienen polygame Ehen jedoch abwehrrechtlichen Schutz, um den juristischen Umgang mit ihnen konsistent zu gestalten: Zunächst ist in Ansehung von Art.  3 I GG nicht einzusehen, weshalb später hinzugekommene Partnerinnen in einer Mehrehe im Anwendungsbereich von Art.  6 I GG benachteiligt werden sollten. Wenngleich faktisch nur die Folgeehen mit einem „anfänglichen Mangel“ belegt sind,158 gehen die Ehegatten in keiner der Verbindungen zu irgendeinem Zeitpunkt von 150  BVerfG v. 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84, NJW 1988, 626 (627). 151  BVerwG v. 30.04.1985 – 1 C 33/81, NJW 1985, 2097. 152  BVerwG v. 29.05.2018 – 1 C 15.17, ZAR 2018, 313. 153  BVerwG v. 29.05.2018 – 1 C 15.17, ZAR 2018, 313 (318). 154  OLG Nürnberg v. 30.06.1997 – 7 UF 1117/97, NJW-RR 1998, 2 (4 f.); vgl. Gausing/ Wittebol, DÖV 2018, 41 (45); zustimmend Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (768). 155  Schnetter, StudZR-WissOn 2018, 66 (76); Martens, ZRP 2018, 242 (245); Sachs/ v. Coelln, Art.  6 GG, Rn.  7; BeckOK/Uhle, Art.  6 GG, Rn.  3; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (768); Dreier/Brosius-Gersdorf, Art.  6 GG, Rn.  109; Hörnig/Wolff/Antoni, Art.  6 GG, Rn.  6; ausführlich M. Wagner, Kulturelle Integration und GG, 177 ff. 156  Mankowski, FamRZ 2018, 1134 (1137). 157  Martens, ZRP 2018, 242 (244 f.); Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618 (1624); Coester-Waltjen in: Budzikiewicz/Heiderhoff/Klinkhammer/Niethammer-Jürgens (Hrsg.), Migration und IPR, 131 (133). 158  Darauf weist Majer, NZFam 2018, 242 (244) hin.

II. Art.  13 EGBGB

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einer monogamen Rechtsbeziehung aus;159 unterstellt man die Erstehe trotz entsprechender Intention nur qua Priorität dem grundrechtlichen Schutz, sollte dies ebenso für die weiteren Ehen gelten. Ausländische Mehrehen vor dem ordre public regelmäßig bestehen zu lassen, ihnen den reduzierten abwehrrechtlichen Schutz von Art.  6 I GG aber zu verwehren, führt daneben zu überflüssiger Dissonanz in der rechtlichen Behandlung.160 Unglücklicherweise würde Art.  13 IV EGBGB-E mithin kaum Probleme lösen, sondern eher zusätzliche Rechtsunsicherheit hervorrufen. Außer politi­ schen Beweggründen spricht wenig für die rigorose Vorgehensweise der Geset­ zes­initiative, zumal anders als im Falle von Art.  13 III das hohe Gut des Minderjährigenschutzes nicht als unterstützendes Argument herangezogen werden kann. Auf die Norm kann insofern guten Gewissens verzichtet werden, als der ordre public-Vorbehalt in der Praxis bereits eine flexible und interessengerechte Lösung bietet.161 2. Art.  13 EGBGB im Gefüge des klassischen IPR Auch methodisch ergibt sich ein eindeutiges Bild: Die bereits in Kraft getretenen beziehungsweise geplanten Neuerungen in Art.  13 EGBGB nehmen – selbst bei unterstellter Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht162 – eine Abkehr von den klassischen Dogmen des Kollisionsrechts vor.163 In beiden Fällen entsteht eine „Blockadenorm“, die sich von den Interessen des IPR entfernt164 und überdies Martens, ZRP 2018, 242 (244 f.); ähnlich Jayme, IPRax 2018, 473 (475). Überzeugend daher Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (768). Insgesamt gegen einen Schutz durch Art.  6 I GG mit Blick auf das Merkmal der „Einehe“ indes Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (289 f.) und Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 105. 161  Stellvertretend für diese Ansicht Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 270 f.; Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (764); Jayme, IPRax 2018, 473 (475). Vgl. auch Druschke, Familie im Ausländerrecht, 157 und Gebauer in: Gebauer/ Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (71). 162  So etwa Mankowski, FamRZ 2018, 1134 (1140) zur Mehrehe. Rixen, JZ 2019, 628 (632) sieht wiederum bei der Behandlung von Minderjährigenehen durch Art.  13 III EGBGB nur den Mangel einer Folgenregulierung als verfassungswidrig an. 163  Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (768): „Störung der Funktionen des IPR“. Auch Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (292) unterstreicht die notwendige Unterscheidung zwischen der sach- und kollisionsrechtlichen Ebene. Majer, NZFam 2019, 242 (243) sieht diesen Schritt aber aufgrund der Problematiken im Umgang mit dem ordre public als gerechtfertigt an. Ebenso i.E. Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289 (1294) und Opris, ZErb 2017, 158 (164 f.). Ähnlich Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 218 (einschränkend aber 233). 164 So Coester-Waltjen/Heiderhoff, JZ 2018, 762 (769) zu Art.  13 IV EGBGB-E. Ähnlich zu Art.  13 III EGBGB Reuß, FamRZ 2019, 1 (10). 159  160 

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bei europäischen Fällen den unionalen Freizügigkeitsgedanken konterkariert165. Die Legislative geriert sich als „Weltgesetzgeber“166, der die Toleranz gegenüber fremdem Recht weitgehend vermissen lässt.167 Da der legislative Gestaltungsspielraum innerhalb der Anknüpfung nicht zu Grundrechtsverletzungen legitimiert,168 hat der deutsche Gesetzgeber in der Wahl der Mittel die Angemessenheit nicht gewahrt.169 Zwar verdient das Ziel der Integration auch mit den Mitteln des Rechts im Grunde Zustimmung,170 um einen „Export deutscher Leitkultur“171 darf es aber gerade im grenzüberschreitenden Bezug niemals gehen. Dass der deutsche Gesetzgeber durch Art.  13 III EGBGB eine pauschale Lösung sogar für ein Mindestalter geschaffen hat, das erst im selben Atemzug in das inländische Eherecht integriert wurde (§  1303 BGB), verwundert umso mehr.172 Rechtspolitisch lässt sich dieser Schritt indes leicht erklären: Im Kern gehen die Gesetzesinitiativen auf die schwelende Migrationsdebatte zurück,173 sodass die unzureichende Ausgestaltung der 165 Palandt/Thorn, Art.  13 EGBGB, Rn.  20; Pfeiffer, LMK 2019, 415153; Frie, FamRB 2017, 232 (236 f.); Gutmann, NVwZ 2019, 277 (281 f.); Werner, ZEuP 2019, 803 (821); a. A. etwa Majer, NZFam 2017, 537 (540); Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289 (1296 f.); Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (606 ff.). Aus der Rechtsprechung sei auf OLG Oldenburg v. 18.04.2018 – 13 UF 23/18, NZFam 2018, 609 und OLG Frankfurt a. M. v. 28.08.2019 – 5 UF 97/19, StAZ 2019, 341 verwiesen. Vgl. auch Kühnel in: Husemann u. a. (Hrsg.), Strukturwandel und Privatrecht, 343 (365) und Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 231 f., 247. Für eine Sonderbehandlung von Ehen zwischen EU-Bürgern de lege ferenda Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 418 f. Hübner, RabelsZ Bd.  85 (2021), 106 (131 f.) sieht insofern Parallelen zum unionalen Anerkennungsprinzip (vgl. oben, C.IV.5.f)bb), S.  230 ff.). 166  Jayme, IPRax 2018, 473 (475). In diese Richtung auch Gebauer/Huber in: Gebauer/ Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XVI f.). Allein das von Majer, NZFam 2019, 242 (243) vorgebrachte Argument des notwendigen Inlandsbezugs entkräftet den Eindruck nicht, weil auch der ordre public als zulässiges Instrument diesen vorgesehen hätte. Vgl. ferner Büchler, FS Brudermüller, 61 (68). 167  Pfeiffer, LMK 2019, 415153; Reuß, FamRZ 2019, 1 (5); vgl. auch Lentz, FuR 2017, 597 (597) und Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 4 f. 168  Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 181. 169  Martens, ZRP 2018, 242 (245); Palandt/Thorn, Art.  13 EGBGB, Rn.  20; Gutmann, NVwZ 2019, 277 (281); Jayme, IPRax 2018, 473 (475). 170  Die Gefahr von „mangelndem Integrationswillen“ bei der Nichtanerkennung der Ehe sieht Antomo, NJW 2016, 3558 (3561) als im Einzelfall gegeben an. Einschränkend Bongartz, NZFam 2017, 541 (546), der die Hauptaufgabe des Rechts nicht unbedingt darin sieht, „diskursive Prozesse“ in Gang zu bringen. 171  Gutmann, NVwZ 2019, 277 (281). 172  Darauf weist zutreffend Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 (432) hin. 173  Jayme, IPRax 2018, 473 (474). Zu diesem rechtspolitischen Hintergrund ebenso Mankowski, FamRZ 2018, 1134 (1134); Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (267 f.); Antomo, NJW 2016, 3558 (3558); Rixen, JZ 2019, 628 (628); Druschke, Familie im Ausländerrecht,

II. Art.  13 EGBGB

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Normen nicht zuletzt auf „Aktionismus“ der Urheber beruht.174 Durch ihr normatives Handeln geben sie gesellschaftlichen Haltungen Raum, die ein bestimmtes Bild des Islam unter „Generalverdacht“ stellen.175 Auch Art.  13 IV EGBGB-E richtet sich in diesem Sinne nicht gegen die Mehrehe als solche, sondern primär gegen patriarchale Gesellschaftskonstrukte auf religiöser Basis, die mit dieser Form der Ehe in Verbindung gebracht werden.176 Während der Wunsch, die Gleichberechtigung im Eherecht zu fördern und die Rechtsanwendung einheitlicher und vorhersehbarer auszugestalten, Zustimmung verdient, scheitern die Normen also vor allem an ihrer Verortung im IPR. Nicht umsonst wird dem kollisionsrechtlichen Instrumentarium die Funktion abgesprochen, eine Erziehung der Gesellschaft zu leisten und sozialen Strömungen Ausdruck zu verleihen.177 Sobald anstelle der klassischen Verweisungstechnik eine politische Lösung „durch die Hintertür“ versucht wird,178 können die realen Effekte den normativen Telos gefährden.179 Fand zum Beispiel bei Minderjäh­ rigenehen das Recht auf Achtung des Kindeswohls aus Art.  1 I, 2 I GG im Zuge der Erwägungen zum ordre public noch Beachtung, wird die Position der zu schützenden Person in Art.  13 III Nr.  1 EGBGB entwertet.180 Überdies mangelt 147. Zu eherechtlichen Fragen bei Geflüchteten in diesem Kontext schon Andrae, NZFam 2016, 923 (923 ff.). 174 Palandt/Thorn, Art.  13 EGBGB, Rn.  20; Löhnig, NZFam 2019, 72 (73); Gutmann, NVwZ 2019, 277 (282). Ein Reformbedürfnis verneinte schon Heiderhoff, IPRax 2017, 160 (161). Majer, NZFam 2017, 537 (541) tut diese Kritikpunkte als „bloße Unterstellung“ ab. Zu den Besonderheiten der Lösung im Rechtsvergleich Reuß, FamRZ 2019, 1 (8). 175  Scholz in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 477 (477). Kühnel in: Husemann u. a. (Hrsg.), Strukturwandel und Privatrecht, 343 (343) erkennt generell „eine (diffuse) Angst der einer schleichenden Islamisierung“. Gebauer/Huber in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, Vorwort (S. XVI) weisen insofern auf die bewusste Benutzung des Begriffs „Bekämpfung“ im Gesetzestext hin. 176 So Martens, ZRP 2018, 242 (243) und Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (268 f.). Vgl. auch Ruiz Abou-Nigm in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 196 (210 ff.). 177  Schnetter, StudZR-WissOn 2018, 66 (77); Möller/Yassari, KJ 2017, 269 (282 f.); Ernst, DRiZ 2019, 182 (185); in diese Richtung auch Frie, FamRB 2017, 232 (235); a. A. Opris, ZErb 2017, 158 (164). 178 So Schnetter, StudZR-WissOn 2018, 66 (78) zu Art.  13 III Nr.  1. Weller/Thomale/Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289 (1294) sprechen folgerichtig von einem „systemwidrigen Anachronismus“. 179  Für einen Fokus auf die sozialen Verhältnisse daher Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 (436); Möller/Yassari, KJ 2017, 269 (270 f.). Vgl. ferner Frank, StAZ 2012, 129 (133); Opris, ZErb 2017, 158 (163 f.); Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 419. 180  BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, NJOZ 2019, 43 (46), Rn.  40, 45 ff.; Frie, FamRB 2017, 232 (233, 235); Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (468); Löhnig, NZFam 2019, 72 (73); Gössl, BRJ 2019, 6 (10); Heiderhoff, NZFam 2020, 320 (323); a. A. Heitmann, Flucht und

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es an inhaltlicher Abstimmung: Künftig könnte durch Art.  13 III Nr.  1 EGBGB neben „hinkenden Ehen“ das Auftreten von Doppelehen nämlich ungewollt gefördert werden,181 was Art.  13 IV EGBGB-E wiederum verhindern soll. Trotz der einzelfallspezifischen Ausrichtung des ordre public-Vorbehalts ist es dem Gesetzgeber durchaus gestattet, Kerngehalte „positiv und generalisierend“ abzustecken.182 Wenn er es für erforderlich erachtet, kann er etwa themenspezifische Vorbehaltsklauseln schaffen,183 wie sie das Land NRW bereits vorgeschlagen hat184. Auch bei einer konkretisierenden Vorgehensweise, wie sie im Falle von Art.  13 erfolgen sollte, muss jedoch die Relativität des Instruments185 gewahrt werden;186 eine ausufernde „Verabsolutierung“187 deutscher Wertvorstellungen darf nicht erfolgen. Richtet man den Blick beispielsweise auf den Umgang mit Polygamie, lässt sich dem Gebot der Einehe gerade kein Eingriffsnormcharakter entnehmen,188 fehlt es doch an einem über das Inland hinausgehenden Geltungsbefehl.189 Migration im Internationalen Familienrecht, 217 f. Eine solche Prüfung sahen Vorentwürfe aus dem Justizministerium dagegen noch vor, siehe Antomo, ZRP 2017, 79 (79). Näher zu den Aspekten, die bei der ordre public-Prüfung von Minderjährigenehen zuvor Berücksichtigung gefunden hatten, Möller/Yassari, KJ 2017, 269 (277 f.). 181  BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, NJOZ 2019, 43 (49), Rn.  70. Dazu auch Frie, FamRB 2017, 232 (236); Hüßtege, FamRZ 2017, 1374 (1377); Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (466 f.); Möller/Yassari, KJ 2017, 269 (283); Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (586); Gutmann, NVwZ 2019, 277 (281); Schulte-Rudzio, Minderjährigenehen in Deutschland, 408; Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 233. Rixen, JZ 2019, 628 (632) arbeitet sich ebenso an „dem inkonsistenten Nebeneinander von Aufhebbarkeit und Nichtehe“ ab. Die von Lentz, FuR 2017, 597 (601) erhoffte „notwendige Einheitlichkeit“ dürfte damit ein Wunschbild bleiben. 182  Majer, NZFam 2017, 537 (538). 183  Antomo, NJW 2016, 3558 (3563). 184  Näher dazu Mankowski, FamRZ 2016, 1274 (1276). 185  Diese zusätzliche zeitliche und räumliche Komponente bezeichnet Antomo, NJW 2016, 3558 (3561) als „Filter“. Vgl. oben B.III.1.a) (S.  41 ff.). 186  Frank, StAZ 2012, 129 (132 f.). Den Versuchen von Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (280 ff.), dieses Merkmal für Mehrehen bei vermeintlicher „Umgehungsabsicht“ aufzuweichen, tritt Schnetter, StudZR-WissOn 2018, 66 (72) überzeugend entgegen. Antomo, NJW 2016, 3558 (3563) und Möller/Yassari, KJ 2017, 269 (277, 284) bejahen die Funktionsfähigkeit des ordre public bei Minderjährigenehen. Hüßtege, FamRZ 2017, 1374 (1380) und Onwuagbaizu, NZFam 2019, 465 (469) erkennen dagegen Unzulänglichkeiten in der Praxis. Mankowski, FamRZ 2016, 1274 (1276) spricht sich daher in derlei Fällen dafür aus, bei Eingreifen des ordre public keine Alternativen im ausländischen Recht zu suchen, sondern direkt die deutschen Normen anzuwenden. 187  Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (582). 188  So aber Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (293 f.). 189  Überzeugend Schnetter, StudZR-WissOn 2018, 66 (69 ff.).

III. Menschenrechtsschutz im IPR

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Ausländische Ehegestaltungen situativ anzuerkennen, bedeutet keineswegs, sie generell zu billigen.190 Der inländische Gestaltungsanspruch muss aber dann, wenn das berechtigte Vertrauen der Parteien oder andere internationalprivatrechtliche Interessen es erfordern, zurücktreten.191 Dass besonders bei Min­der­ jährigenehen der Entscheidungszeitpunkt in der Abwägung nunmehr gänzlich außer Acht gelassen wird,192 zeugt demgegenüber von der Tendenz, kollisionsrechtliche Feinheiten holzschnittartigen Schutzdogmen zu opfern. Um Art.  13 III EGBGB und Art.  13 IV EGBGB-E aus dogmatischer Sicht als spezielle Ausprägungen des ordre public zu verstehen,193 fehlt es insgesamt an einer auf die Einzelfallgerechtigkeit abstellenden Konzeption;194 vielmehr handelt es sich um universelle Sachnormen.195 Hinsichtlich der (geplanten) Neuerungen in Art.  13 EGBGB bleibt folglich zu konstatieren: „Friedrich Carl von Savigny war früher“.196

III. Menschenrechtsschutz im IPR In jüngerer Vergangenheit197 ist außerdem eine Frage intensiv diskutiert worden, anhand derer ich abschließend darlegen möchte, inwieweit das IPR einer fortschreitenden politischen Inanspruchnahme widerstrebt: der Schutz von Menschenrechten auf der kollisionsrechtlichen Ebene. Zwar existieren bis dato weder auf deutscher, noch auf europäischer Ebene speziell ausgestaltete Normen, die den generalklauselartigen Gewährleistungen der Menschenrechte detaillier­ 190  Schnetter, StudZR-WissOn 2018, 66 (70 f.) m. w. N.; Bongartz, NZFam 2017, 541 (543). Plakativ insofern Frie, FamRZ 2017, 232 (239) zur Diskussion um Art.  13 III EGBGB: „Niemand befürwortet Kinderehen“. Siehe auch Möller/Yassari, KJ 2017, 269 (283). 191  So schon vor Einfügung von Art.  13 III EGBGB Andrae, NZFam 2016, 923 (928 f.). 192  So schon Coester, StAZ 2016, 257 (260 f.) zu Tendenzen in der Rechtsprechung. Vgl. auch Meysen/Achterfeld in: Lehner/Wapler (Hrsg.), Die herausgeforderte Rechtsordnung, 313 (342). 193 Vgl. Dutta, FamRZ 2018, 1141 (1141 f.); Reuß, FamRZ 2019, 1 (5); Weller/Thomale/ Hategan/Werner, FamRZ 2018, 1289 (1293); Makowsky, RabelsZ Bd.  83 (2019), 577 (581 f.); BGH v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16, NJOZ 2019, 43 (47), Rn.  54. 194  Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis im IPR verkennt Pointner, StudZR-WissOn 2017, 267 (288). Zu Recht kritisch daher Schnetter, StudZR-WissOn 2018, 66 (66). Nach Gebauer in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 35 (71) zeugt Art.  13 EGBGB daher auch von einem fehlenden Vertrauen in die Judikative. 195  Hausmann, IntEuFamR, Teil 1, A, Rn.  635; Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 (432); Majer, NZFam 2017, 537 (540). 196  Ernst, DRiZ 2019, 182 (183). Diesen Bezug wählt auch Frie, FamRB 2017, 232 (235). Pfeiffer, LMK 2019, 415153 spricht von einem „Rückfall in die vormoderne Zeit des IPR“. 197 Vgl. Kreuzer, RW 2010, 143 (148); Mansel/v. Hein/Weller, JZ 2016, 855 (856).

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

tere Funktionen im Rahmen der Verweisung zusprechen198 – vorausgesetzt, man versteht nicht schon die Gewährung von Rechtswahlmöglichkeiten als Ausdruck menschenrechtlicher Garantien im IPR199. Die Auseinandersetzung mit diesem noch weitgehend unbestellten Feld verspricht aber gerade deshalb wertvolle Erkenntnisse, weil in der Debatte um grenzüberschreitende Methodenfragen gerungen wird wie kaum jemals zuvor. Zum einen wächst vonseiten der Wissenschaft der Wunsch, das anwendbare Recht auch unter Berücksichtigung menschenrechtlicher Standards zu ermitteln, weshalb sich etwa das renommierte Institut de Droit international mit Resolutionsvorschlägen200 intensiv an der Debatte beteiligt.201 Zum anderen hat der zivilrechtliche Menschenrechtsschutz vor einiger Zeit durch die „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“202 zumindest im Kontext der Unternehmensverantwortlichkeit akut an legislativer Bedeutung gewonnen: Wenngleich die dort aufgestellten Anforderungen nur unverbindlichen Charakter aufweisen und von Sanktionen absehen, manifestieren sie unverkennbar den Wunsch nach einer fortschreitenden Ausformung der unternehmerischen Verantwortlichkeit de lege ferenda.203 Demgegenüber schweigt sich der – insgesamt recht vage und unverbindlich gehaltene204 – „Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte“ der Bundesregierung205 über Maßnahmen im Bereich des Kollisionsrechts leider gänzlich aus. Dennoch existiert für die IPR-Dimension derartiger Fragen durchaus ein Bewusstsein – nicht umsonst hat sich der Wissenschaftliche 198  Zu den menschenrechtlichen Gehalten anderer europäischer Rechtsakte wie der Bilanzrichtlinie, die allerdings keine kollisionsrechtlichen Maßnahmen beinhalten, siehe nur Thomale/­ Murko, EuZA 2021, 40 (46 f.). 199  So etwa Basedow, RabelsZ Bd.  75 (2011), 32 (55 f.). In eine ähnliche Richtung G. Schulze, IPRax 2010, 290 (293 f.). 200  Grundlegend der Resolutionstext in Annuaire IDI Vol. 78 (2017), 215 (217 ff.), zum Großteil basierend auf dem Vorschlag von Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (448 ff.). 201  So wurde dieses Thema bei der Session in Hyderabad im Jahr 2017 ebenso behandelt wie unlängst in Den Haag, vgl. Basedow, RabelsZ Bd.  82 (2018), 382 (384) bzw. ders., RabelsZ Bd.  84 (2020), 125 (126). 202  UN Doc. A/HRC/17/31 v. 21.03.2011. Zur Entwicklung dieser Grundsätze siehe Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 9 ff. 203  So die überzeugende Einschätzung von Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 93 ff. und v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 133 ff. 204  Zur umfangreichen Kritik vgl. nur Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (94); Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 29 f.; Thomale/Murko, EuZA 2021, 40 (45). 205  Der Aktionsplan ist im PDF-Format unter abrufund downloadbar (letzter Abruf: 24.03.2021).

III. Menschenrechtsschutz im IPR

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Dienst des Bundestages in einem Gutachten über den Umsetzungsbedarf der UN-Vorgaben zu Eingriffsnormen und dem ordre public geäußert206. So überrascht es nicht, dass sowohl auf europäischer Ebene durch einen ersten Richtlinienentwurf207, als auch im nationalen Kontext in Form eines künftigen „Lieferkettengesetzes“208 erste Gesetzesvorhaben angestoßen wurden. Da wenige Themenfelder in ähnlicher Weise das Fundament unserer Rechtsordnung tangieren und eine Abwägung zwischen Liberalität einerseits und Souveränität andererseits von Gesetzgeber und Normanwender fordern,209 ist es in diesem Diskurs unmöglich, gegenüber den klassischen Leitbildern des IPR eine indifferente Haltung einzunehmen. Vor diesem Hintergrund stellen sich vor allem zwei Fragen: Erstens ist zu klären, inwieweit überhaupt die Notwendigkeit besteht, menschenrechtlichen Aspekten schon mit den Mitteln des Kollisionsrechts zu begegnen; zweitens erfordert die Wahl zwischen den verfügbaren Instrumenten210 eine eingehende Diskussion. Es geht dementsprechend nicht darum, „alte Positionen mit neuen Fußnoten zu besetzen“211, vielmehr soll das methodische Fundament gerade mit Blick auf moderne Vorschläge zur Rezeption von Menschenrechten im IPR begutachtet werden. 1. Hintergrund Den Menschenrechten wird im Rechtssystem schon deshalb eine besondere Bedeutung zuteil, weil sie sich gegenüber den Grundrechten durch ihren supranationalen Charakter abheben, der ihnen eine geradezu „überpositive“ Natur verleiht.212 Politische Brisanz erlangt das Thema vor allem insofern, als die rechtliche Behandlung in einen „Kampf der Systeme“ münden kann: Bilden soziale Beziehungen den Gegenstand der Diskussionen, schwingen häufig implizit Aussagen über die multi-kulturelle Ausgestaltung der Gesellschaft mit.213 Sobald 206  Ausarbeitung

WD 7 – 3000 – 091/15 v. 05.06.2015, S.  9 ff. Informationen zu Inhalt und Gang des Gesetzgebungsverfahrens finden sich auf der Website des EU-Parlaments unter der Vorgangsnummer 2020/2129(INL). Zu Details siehe unten, D.III.2.b)aa) und bb) (S.  292 ff. bzw. 295 ff.). 208  Dazu näher unten, D.III.2.b)aa) (S.  292 ff.). 209  Helms, IPRax 2017, 153 (153). Instruktiv zu diesem Problemfeld auch Täger, Schutz von Menschenrechten, 103 ff. 210  Dazu einführend Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (99 ff.). 211  Diesen Vorwurf befürchtete bereits v. Bar, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 33 (1994), 191 (192) bei der Auseinandersetzung mit Fragen zum Verhältnis von Menschenrechten und IPR. 212  Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 195; Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (401 f.). Eingehend dazu Oster, JPIL 2015, 542 (553 f.). 213  Zu diesem Eindruck statt vieler Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (469). Vgl. 207 

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wiederum der grenzüberschreitende Umgang mit Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen beurteilt werden soll, betrachten staatliche Akteure dies zuvorderst als nationale Aufgabe.214 Den seltenen Fällen, in denen sich Gerichte mit derartigen Problematiken zu befassen haben, kommt deshalb erhöhte Aufmerksamkeit zu. Ein vielbeachteter215 Prozess vor dem LG Dortmund, in dem die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des deutschen Textildiscounters „KiK“ für einen Brand in der Fabrik eines pakistanischen Zulieferers geklärt werden sollte, hat unlängst wegen Abweisung infolge Verjährung216 allerdings nicht die erhoffte Klärung durch die Rechtsprechung bringen können.217 a) Tatsächliche Relevanz im IPR Daran, dass das IPR als Teil der Rechtsordnung den Vorgaben der Menschenrechte genügen muss, besteht kaum ein ernst zu nehmender Zweifel – „les règles de conflit sont donc soumises au contrôle effectué par les droits de l’homme“.218 Da bei der Suche nach dem anwendbaren Recht allerdings wertneutral die engste Verbindung bestimmt werden soll, werden in der Regel keine menschenrechtlichen Belange im engeren Sinne tangiert.219 Insbesondere staatsvertragliche Übereinkommen zum Kollisionsrecht erfüllen regelmäßig eine reine Koordi­ nierungsfunktion, wohingegen menschenrechtliche Schutzaspekte in erster Linie durch das nationale materielle Recht aufgegriffen werden.220 Dagegen können auch An-Na’im in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 41 (42 f.). Zu dieser Problematik siehe schon oben, C.IV.5.c) (S.  207 ff.), D.I.2. (S.  257 ff.) und D.II.2. (S.  273 ff.). 214  Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (655). Den rechtspolitischen Hintergrund zu der Frage, inwieweit transnational tätigen Unternehmen Verpflichtungen zum Menschenrechtsschutz auferlegt werden können, beleuchtet Täger, Schutz von Menschenrechten, 101 ff. 215  Zur grundlegenden Bedeutung des Verfahrens Mansel, ZGR 2018, 439 (441 f.). Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung schildert Täger, Schutz von Menschenrechten, 17 ff. 216  LG Dortmund v. 10.01.2019 – 7 O 95/15, BeckRS 2019, 388. Zu den Kernargumenten der Kläger in dem konkreten Fall siehe Spießhofer, IWRZ 2019, 65 (71) und Habersack/Ehrl, AcP Bd.  219 (2019), 155 (166). Eine (hypothetische) Prüfung der materiellrechtlichen Ansprüche nimmt Ostendorf, IPRax 2019, 297 (299 f.) vor. 217 Mit Streibelt, NJW-aktuell 5/2019, 15 haben die Richter daher „eine historische Chance vertan“, sich mit Haftungsfragen in diesen Konstellationen auseinanderzusetzen. 218  So ein Auszug aus der Präambel zum Resolutionsvorschlag (Basedow) des Instituts für internationales Recht, Annuaire IDI Vol. 78 (2017), 215 (217). Vgl. Boggiano, LA Siehr, 79 (87); Peari, The Foundation of COL, 254; Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 259; Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (181). 219  Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (405); siehe auch Corneloup in: Heiderhoff/Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 61 (62); Reimann in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 178 (181); Michaels in: Ferrari/ Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (165). 220  Siehr, FS Schütze, 821 (821).

III. Menschenrechtsschutz im IPR

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derartige Aspekte vor allem in Staatsverträgen zum IZVR an Bedeutung gewinnen, weil dort elementare verfahrensrechtliche Garantien eine Rolle spielen.221 Gewisse Ausnahmen existieren jedoch auch auf kollisionsrechtlicher Ebene: So kann zum einen die Gleichberechtigung als genereller Maßstab die Verweisung beeinflussen,222 zum anderen zeichnen sich einige Sondergesetze durch explizite Bezugnahmen auf das Kindeswohl als Ausfluss menschenrechtlicher Garantien aus.223 Jedenfalls solange ein global uneinheitliches Schutzniveau bei Menschenrechten existiert, darf dem vorgeschalteten Kollisionsrecht in seinem Streben nach effektiver Anknüpfungsgerechtigkeit224 eine fortwährende Initiativkraft – als „Katalysator“225 – auch abseits dieser Komplexe nicht per se abge­ sprochen werden.226 Dies gilt gerade in Bezug auf transnationale Unternehmen: Wenngleich Menschenrechtsverletzungen im arbeitsrechtlichen Bereich bereits de lege lata weltweit Schadensersatzansprüche gegen die Tochterfirmen auslösen,227 kann das IPR die verbleibenden Schutzlücken mit Blick auf die Muttergesellschaften228 unter Umständen füllen.229 221  Siehr, FS Schütze, 821 (821 ff.); Oster, JPIL 2015, 542 (542 f.); Corneloup in: Heiderhoff/Lohsse/R. Schulze (Hrsg.), EU-Grundrechte und Privatrecht, 61 (83 ff.). Zur Frage der Verletzung von Art.  6 EMRK bei der Anwendung ausländischen Rechts vor Gericht Stuij in: Paulussen/Takács/Lazić/v. Rompuy (Hrsg.), Fundamental Rights in International and European Law, 185 (190 ff.) und Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt, 364 f. 222  Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (424 ff.); Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 104; v. Bar, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 33 (1994), 191 (202 f.). Vgl. ferner Art.  12 im Resolutionsvorschlag (Basedow) des Instituts für internationales Recht, Annuaire IDI Vol. 78 (2017), 215 (220). 223 Dazu v. Bar, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 33 (1994), 191 (204 ff.); Nussberger, RabelsZ Bd.  80 (2016), 817 (846). Siehr, FS Schütze, 821 (826 ff.) verweist auf Art.  20 HKÜ und Art.  3 UN-KRK. Zur Abwägung dieser Normen im Fall Oster, JPIL 2015, 542 (547 f.). 224  Darin sieht v. Bar, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 33 (1994), 191 (211) die Hauptaufgabe des IPR im menschenrechtlichen Bereich. 225  So die von v. Bar, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 33 (1994), 191 (206) gewählte Funktionsbeschreibung. 226  Oster, JPIL 2015, 542 (567); vgl. Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (401). In diese Richtung auch Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 106 f.; Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 337; Blauwhoff/Frohn in: Paulussen/Takács/ Lazić/v. Rompuy (Hrsg.), Fundamental Rights in Law, 211 (211). 227  Siehe nur Kieninger, IPRax 2020, 60 (61) und Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42 (42 f.). Zum anwendbaren Recht bei Klagen gegen Tochterfirmen siehe Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 353 ff. 228  Siehe nur Hartmann in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 281 (295 f.) und Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 144. Zu möglichen Verflechtungen der Unternehmen untereinander Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 54 ff. 229 Vgl. Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 77 und

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b) Problem: Konkretisierung Damit ist indes noch nicht gesagt, wann ein Verhalten von ausreichender Qualität ist, um eine menschenrechtliche Relevanz schon auf der Ebene des IPR zu begründen.230 Auf welche Gewährleistungen soll sich der Schutz im Kollisionsrecht also erstrecken? aa) Berücksichtigungsfähige Garantien Als Ausgangspunkt bietet sich vornehmlich das völkerrechtliche ius cogens an,231 das – zumindest in seinem gemeinhin anerkannten Bereich232 – beispielsweise Folter, Sklaverei und willkürliche Tötungen ausnahmslos verbietet.233 Diese Ausprägungen dürften freilich im Bereich des IPR nur ausnahmsweise Relevanz erlangen,234 weshalb die Untersuchung zwangsläufig zusätzliche Gehalte in den Blick nehmen muss. Im Zuge dessen darf indes nicht außer Acht gelassen werden, dass das Verweisungsrecht der Schonung des fremden Rechts veschrieben ist; wo sich noch kein universeller Konsens zur völkerrechtlichen Schutzdimension herausgebildet hat, hat ein „Menschenrechtsoktroi“ qua „Durchsetzung völkerrechtlicher Maximalstandards“ auf der Anknüpfungsebene mithin zu unterbleiben.235 Stattdessen erscheint eine Begrenzung auf den Kernbestand der Menschenrechte angemessen, der partiell hinter dem grundrechtlichen Kanon zurückbleibt.236 Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (679 f.). M. Stürner, FS Coester-Waltjen, 843 (854) verneint dagegen eine „entscheidende Unterstützung“ durch das IPR, geht dabei aber auf die Eingriffsnormenproblematik nicht ein. 230 Vgl. Mansel, ZGR 2018, 439 (448). Zur Eingriffsqualität von unternehmerischem Handeln im menschenrechtlichen Kontext generell Schall, ZGR 2018, 479 (483). 231  Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (103). In diese Richtung auch Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (679 f.). 232  Zu Streitigkeiten über die genaue Reichweite siehe nur Kreuzer, RW 2010, 143 (169) und v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 48 f. 233 Siehe Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 196; G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (745 f.); Voltz, Menschenrechte und ordre public, 213, 248; Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 20; v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 45. 234  Darauf weist zu Recht MüKoBGB/v. Hein, Art.  6 EGBGB, Rn.  124 hin. Ähnlich Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (114). Einschränkend aber Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 26. 235  So sehr treffend Voltz, Menschenrechte und ordre public, 385 (vgl. auch 313 f.). Ähnlich Nussberger, RabelsZ Bd.  80 (2016), 817 (849). 236  Für diese Meinung statt aller Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (483). Vgl. zum Verhältnis von Grund- und Menschenrechten in diesem Kontext Nussberger, RabelsZ Bd.  80 (2016), 817 (846 f.).

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Aus nationaler Sicht können sich berücksichtigungsfähige Inhalte vor allem aus ratifizierten Abkommen gemäß Art.  59 II GG und dem Völkergewohnheitsrecht im Sinne von Art.  25 GG237 ergeben, denn als Teil des inländischen Rechts können diese Regelungen etwa auf die „wesentlichen Grundsätze“ des ordre public einwirken.238 Als zentrale Quellen239 zu nennen sind insofern die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das „Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979“240, das „Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966“241, der UN-Zivilpakt242, der UN-Sozialpakt243 sowie die Kinderrechtskonvention244. Auch innerhalb dieser multilateralen Regelungswerke kann von Einigkeit freilich keine Rede sein: Inwiefern den jeweiligen Vertragsstaaten ein Beurteilungsspielraum bei der Ahndung von Verstößen zusteht,245 wird etwa bezüglich der wirtschaftlich-sozialen und der bürgerlich-politischen Gehalte diskutiert.246 Außerdem ist noch nicht abschließend geklärt, ob Gewährleistungen im arbeitsrechtlichen Kontext oder das Recht auf eine lebensfreundliche Umwelt herangezogen werden sollten, um den menschenrechtlichen Schutz im IPR zu akzentuieren.247 Für sorgfaltsbezogene Mindeststandards im Kontext der Unternehmensverantwortlichkeit 237  Zu Streitigkeiten über die Art der Einbeziehung in das deutsche Recht und den Rang der völkerrechtlichen Regeln Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  1030 und Voltz, Menschenrechte und ordre public, 254 ff. Schütz, Der internationale ordre public, 38 ff., 54 f. bejaht die Relevanz von Art.  25 GG für den internationalprivatrechtlichen Schutzkanon zwar, stellt mit Blick auf völkerrechtliche Verträge aber fest, dass es diesen oft an Aussagen fehle, die unmittelbar im IPR abgebildet werden könnten. 238 MüKoBGB/v. Hein, Art.  6 EGBGB, Rn.  155; Voltz, Menschenrechte und ordre public, 213 f., 248 ff.; Spickhoff, Der ordre public im IPR, 90 f.; Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 185 f.; siehe auch Scholz in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 477 (480). 239 Nach Voltz, Menschenrechte und ordre public, 112 ff., 201 ff. Vgl. auch Kreuzer, RW 2010, 143 (166) und Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (399). Zu weiteren potentiellen Quellen berücksichtigungsfähiger Rechte überblicksartig Scholz in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 477 (481 f.). Materiellrechtliche Fragen zur Schutzgesetzqualität dieser Garantien i.R.d. §  823 II BGB beantwortet Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 73 ff. 240  BGBl.  1985 II, 647. 241  BGBl.  1969 II, 961. 242  BGBl.  1973 II, 1553. 243  BGBl.  1976 II, 428. 244  BGBl.  1992 II, 121. 245 Einführend Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (484). 246 Vgl. Bielefeldt in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 99 (99); Täger, Schutz von Menschenrechten, 86 ff. 247  Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (683). In diesem Zusammenhang manifestiert

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könnten beispielsweise die UN-Leitprinzipien248 und Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)249 durchaus Indizwirkung250 entfalten, da sie den Menschenrechtsschutz zumindest im Ansatz auf eine horizontale Ebene ausweiten sollen.251 bb) Schutzdimension versus Haftungsgrund Des Weiteren muss zwischen den unterschiedlichen Dimensionen des Menschenrechtsschutzes differenziert werden, weil die kollisionsrechtliche Umsetzung nicht zuletzt von der konkreten Stoßrichtung der jeweiligen Garantien abhängt. Als Basis der Überlegungen bietet sich insofern die staatliche Schutzpflicht an, menschenrechtswidrige Vorgänge und Entscheidungen zulasten der Bürgerinnen zu unterbinden.252 Neben einer duty to respect oder to protect kann den Staat aber auch eine duty to ensure oder fulfil treffen, die ihn zum proaktiven Tätigwerden auffordert.253 Auch wenn es im Privatrecht nicht um genuin hoheitliche Beziehungen des Staates zu seinen Bürgerinnen geht, setzt sich die Unterscheidung zwischen der Protektions- und der Ermächtigungsfunktion dort fort.254 Für den Kontext der menschenrechtlichen Unternehmensverantwortlichkeit belegen dies die UN-Leitprinzipien: Nachdem die ersten zehn Maximen die vorgenannte

Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (399) eine „Grauzone“. Vgl. auch Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 79. 248  Statt aller MüKoBGB/v. Hein, Art.  6 EGBGB, Rn.  156. Eine Anlehnung an Ehrenzweigs Datumtheorie wählt Mansel, ZGR 2018, 439 (450 f.). Zur grundsätzlichen Berücksichtigung von Menschenrechten als moral data siehe Jayme, IJVO 1991/92, 8 (21 f.). 249  Auf diese verweist auch das zwölfte der UN-Leitprinzipien, siehe UN Doc. A/HRC/17/31 v. 21.03.2011, S.  13. Zu den Inhalten im Einzelnen Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 59 ff. und Täger, Schutz von Menschenrechten, 55 ff., der vor allem die „hohe Ratifikationsdichte“ in Bezug auf einzelne Konventionen hervorhebt (81). Dazu auch v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 36. 250  Dass es sich bei den Prinzipien nur um soft law handelt, betont etwa Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (98). Einen „gewissen Verbindlichkeitscharakter“ manifestieren aber Thomale/Murko, EuZA 2021, 40 (43 f.). Umfassend zu derartigen Handlungsaufforderungen Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 215 ff. 251  In diese Richtung Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (404). Vgl. auch Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 78. Einleitend zu den im ökonomischen Kontext relevanten Menschenrechten Täger, Schutz von Menschenrechten, 313 ff. 252  Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (97 f.). 253  Zu dieser Differenzierung nur Täger, Schutz von Menschenrechten, 92 ff. 254  Dazu statt aller v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 243 f. Den Wandel der EGMR-Spruchpraxis bezüglich positiver Handlungsverpflichtungen des Staates im privatrechtlichen Kontext beleuchtet Nussberger, RabelsZ Bd.  80 (2016), 817 (823 f.).

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Dreiteilung im staatlichen Kontext ausbuchstabieren,255 weiten die folgenden Absätze die Verpflichtungen in modifizierter Form auf Unternehmen aus256. 2. Lösungsvorschläge Um die dargestellten Wirkungsweisen der Menschenrechte in das Verweisungsrecht zu implementieren, stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung: Für die Abwehr untragbarer Rechtsfolgen bietet sich vor allem der ordre public an,257 für eine aktive Etablierung globaler Mindeststandards muss dagegen auf alternative Mechanismen zurückgegriffen werden. a) Ordre public Die Verletzung von Menschenrechten im Einzelfall führt nach den einschlägigen europäischen Vorschriften (z. B. Art.  21 Rom I-VO258, 26 Rom II-VO259, 12 Rom III-VO260, 35 EuErbVO261, 31 EuGüVO262) bereits de lege lata zur Anwendung des ordre public.263 Auf nationaler Normebene erfüllt Art.  6 S.  2 EGBGB, der nach dem gesetzgeberischen Willen auch Menschenrechte einbeziehen soll,264 eine identische Funktion. Aus der Tatsache, dass in dieser Formulierung abweichend von S.  1 auf das Adjektiv „offensichtlich“ verzichtet wird, lässt sich folgern, dass die Vorschrift bei Grund- oder Menschenrechtsverletzungen immer von einer ausreichenden Schwere des Verstoßes ausgeht.265 255 

Siehe UN Doc. A/HRC/17/31 v. 21.03.2011, S.  6 ff. Siehe UN Doc. A/HRC/17/31 v. 21.03.2011, S.  13 ff. Näher zu dieser Regelungstechnik Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 88 ff. und v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 131 f. 257  Dethloff, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, Heft 46 (2014), 47 (67). Daher formuliert v. Bar, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 33 (1994), 191 (196 f.) das an die einzelnen Staaten gerichtete Gebot, in ihrem IPR einen entsprechenden Vorbehalt vorzusehen, dessen Gehalt sich auf die Menschenrechte erstreckt. 258  Statt aller MüKoBGB/Martiny, Art.  21 Rom I-VO, Rn.  3. 259  Statt aller NK-BGB/G. Schulze, Art.  26 Rom II-VO, Rn.  23. 260  Statt aller BeckOGK/Gössl, Art.  12 Rom III-VO, Rn.  14. 261  Statt aller Palandt/Thorn, Art.  35 EuErbVO, Rn.  1. 262  Statt aller MüKoBGB/Looschelders, Art.  31 EuGüVO, Rn.  3. 263  Siehr, FS Schütze, 821 (829); Helms, IPRax 2017, 153 (153 f.); Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (103). 264  Siehe BT-Drs. 10/504, S.  44. 265  Voltz, Menschenrechte und ordre public, 41; Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (478); Spickhoff, Der ordre public im IPR, 124; Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 35 f.; einschränkend indes v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 330. Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 184 f. behauptet, dem ordre public-Vorbehalt komme im Kontext der Grundrechte deshalb bereits de lege lata eine positive Funktion zu. 256 

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D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

In der Literatur wird darüber hinaus vertreten, bei Menschenrechten als Bestandteil der öffentlichen Ordnung sei neben der inhaltlichen auch die räumliche Relativität entbehrlich266 oder jedenfalls lediglich an stark reduzierten267 Maßstäben zu messen. Zur Begründung wird auf die Bindung des Richters an die Grundrechte gem. Art.  1 III GG268 und auf den absoluten Schutzanspruch der Menschenrechte, der eine derartige Einschränkung verbiete,269 verwiesen. Nach hier vertretener Ansicht überzeugt es, einen Mittelweg zu wählen: Zwar ist diesen Meinungen zuzugestehen, dass die traditionellen Grenzziehungen im Anwendungsbereich der Einzelfallkontrolle270 nicht primär auf den menschenrechtlichen Kontext zugeschnitten sind und daraus das Risiko folgt, das intendierte Schutzniveau zu untergraben. Allerdings setzt die Frage nach der Existenz eines Grundrechtsverstoßes für sich genommen bereits eine Verhältnismäßigkeitsentscheidung voraus; aus dieser ergebnisoffenen Abwägung einen vollständigen Verzicht auf den Inlandsbezug herzuleiten, erscheint zirkulär.271 Ebenso wenig darf der Vorbehalt jedoch nur aus dem Grund abgelehnt werden, dass die Delikte auf einem dezentralen Geschehen beruhen, dessen wesentliche Vorgänge sich im Ausland ereignen272 – ein solches Verständnis ignoriert die tatsächlichen Machtstrukturen und widerstrebt dem superioren Rang der Menschenrechte. Die Judikative sollte sich an den streitgegenständlichen Gewährleistungen orien­ tieren, indem sie namentlich völkerrechtliche Auslegungsspielräume273 und Vorbehalte im ordre public berücksichtigt.274 Scholz in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 477 (483 ff.). Thoma, Die Europäisierung des ordre public, 79 ist ein Inlandsbezug erforderlich, aber in seiner Tiefe für jedes Grund- oder Menschenrecht im Fallbezug gesondert zu bestimmen. Schütz, Der internationale ordre public, 64 möchte an diesen wiederum i.A. nur minimale Anforderungen stellen. In diese Richtung auch Gökyayla in Böllmann/Hemme/Korkmaz/ Kühn/Sinn (Hrsg.), Menschenrechte und gesamteuropäische Rechtsentwicklung, 233 (239). 268  Überzeugend insofern Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (476). Zu dieser expliziten Anweisung des deutschen Rechts auch Oster, JPIL 2015, 542 (547) und Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 113. 269  Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (430); Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (680); Kreuzer, RW 2010, 143 (179 f.). Ähnlich Weller/Kaller/Schulz, AcP Bd.  216 (2016), 387 (396). Näher zu diesem Aspekt Bielefeldt in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 99 (101 f.). 270  Vgl. oben, B.III.1.a) (S.  41 ff.). 271  Sahner, Materialisierung der Rechtswahl, 337. 272  In diese Richtung aber G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (746 ff., 749) und Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (148). 273  Beispielhaft zu Vorbehalten islamischer Staaten in Menschenrechtskatalogen Fontana, Universelle Frauenrechte und islamisches Recht, 119 ff. 274 Grundlegend Voltz, Menschenrechte und ordre public, 308 und Spickhoff, Der ordre public im IPR, 126. In diese Richtung auch Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (482 ff.); Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (147); M. Stürner, FS Coester-Waltjen, 843 (853). 266 

267 Nach

III. Menschenrechtsschutz im IPR

287

Obgleich zu den Details noch kein Konsens herrscht,275 ergibt sich aus diesen methodischen Modifizierungen und dem angepassten Wertekanon insgesamt das Konzept eines internationalen276 – oder zumindest internationalisierten277 – Vorbehalts, dessen Hauptanwendungsfelder im Familienrecht liegen278. In der kontinentalen Spruchpraxis vollzieht sich die Anreicherung mit menschenrechtlichen Gewährleistungen zuvorderst unter Rückgriff auf die EMRK279: So wurde vonseiten des EGMR für die Frage, ob die Verweigerung einer Adoption für alleinstehende Personen nach dem berufenen Recht zu rechtfertigen war, auf Art.  8 EMRK abgestellt.280 Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den ordre public haben die Straßburger Richter ferner in zwei Prozessen aus dem Jahre 2014281 geurteilt, bei der rechtlichen Beurteilung von Verwandtschaftsverhältnissen infolge Leihmutterschaft sei auf das Recht auf Achtung des FamilienKritisch dazu Renfert, Über die Europäisierung der ordre public Klausel, 137 f. in Bezug auf Garantien aus der EMRK. Zu Grenzen der völkerrechtskonformen Auslegung siehe v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 55 ff. 275  Malacka, ZfRV 2019, 61 (64). 276  Die Bezeichnung als „international“ bezieht sich dabei auf den Ursprung der zum Ausdruck kommenden Wertvorstellungen, es geht also an dieser Stelle nicht darum, eine Abgrenzung zum „internen“ ordre public vorzunehmen. Näher zu diesen Erscheinungsformen Frey/ Pfeifer, EuR 2015, 721 (723); Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 254 f.; Schütz, Der internationale ordre public, 8 ff.; Voltz, Menschenrechte und ordre public, 309 ff.; Wilkens, Eingriffsnormen im Gesamtsystem, 238 ff. Zum Begriffsverständnis auch Beulker, Eingriffsnormenproblematik, 253 ff. und Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 510. 277  Kreuzer, RW 2010, 143 (178); vgl. auch Voltz, Menschenrechte und ordre public, 53. Insgesamt ablehnend indes schon Vallindas, RabelsZ Bd.  18 (1953), 1 (6 f.). Siehe auch Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 338. 278  Helms, IPRax 2017, 153 (154 f). 279  Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 103; Frey/Pfeifer, EuR 2015, 721 (727); Gökyayla in Böllmann/Hemme/Korkmaz/Kühn/Sinn (Hrsg.), Menschenrechte und gesamteuropäische Rechtsentwicklung, 233 (238); Kroll-Ludwigs, Die Rolle der Parteiautonomie im europäischen Kollisionsrecht, 518. Dass die Gehalte der EMRK nicht nur gegenüber Rechtsordnungen weiterer Vertragsstaaten zu berücksichtigen sind, betont v. Bar, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 33 (1994), 191 (208). Nach Thoma, Die Europäisierung des ordre public, 23 hat die EMRK den ordre public nicht nur beeinflusst, sondern „fast schon mutiert“. Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 277 spricht von einem „avatar contemporain de l’ordre public“. 280  EGMR n° 76240/01 v. 28.06.2007 – Wagner, ECLI:CE:ECHR:2007:0628JUD007624001 = FamRZ 2007, 1529. Dazu etwa Nussberger, RabelsZ Bd.  80 (2016), 817 (844 f.). 281  EGMR n° 65192/11 v. 26.06.2014 – Mennesson, ECLI:CE:ECHR:2014:0626J UD006519211 = NJW 2015, 3211 und EGMR n° 65941/11 v. 26.06.2014 – Labassée, ECLI:C E:ECHR:2014:0626JUD006594111 = BeckRS 2014, 16292. Zu diesen Entscheidungen und ihren Auswirkungen auf den ordre public siehe nur Helms, IPRax 2017, 153 (157); Blauwhoff/ Frohn in: Paulussen/Takács/Lazić/v. Rompuy (Hrsg.), Fundamental Rights in Law, 211 (219 ff.); Nussberger, RabelsZ Bd.  80 (2016), 817 (847 f.). Weitere Rechtsprechung zur Über-

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lebens Rücksicht zu nehmen; der BGH282 hat sich dieser Praxis inzwischen angeschlossen. In Schadensersatzkonstellationen, wie sie im Kontext der Unternehmensverantwortung auftreten, hilft eine derartige Anwendung des Vorbehalts gleichwohl kaum: Dort würde er entsprechend seiner Korrektivfunktion nämlich zuvorderst dazu dienen, unangemessene Rechtsfolgen auszuschließen, indem beispielsweise die Leistungspflicht in der Höhe gedeckelt wird.283 Anspruchsbegründend soll sein Einsatz demgegenüber nicht wirken.284 Selbst dann, wenn zur Lückenfüllung subsidiär auf deutsches Recht zurückgegriffen wird, kommt ihm nämlich keine „residuale positive“ Funktion zu.285 b) Konzepte aktiver Geltungserstreckung Sobald nicht mehr nur die kassatorische Abwehr menschenrechtswidriger Ergebnisse angestrebt wird, sondern auf Ebene des IPR das Fundament für eine zivilrechtliche Haftung gelegt werden soll, scheitert der ordre public mithin an seiner defensiv ausgerichteten Funktion – es bedarf alternativer Mechanismen, um transnational agierende Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Dass für die Begründung von Pflichten im Interesse des Menschenrechtsschutzes überhaupt von den gängigen Verweisungsergebnissen abgewichen werden soll, liegt vor allem lagerung des Privatrechts durch die EMRK findet sich bei MüKoBGB/v. Hein, Art.  6 EGBGB, Rn.  153. 282  Vgl. BGH v. 10.12.2014 – XII ZB 463/13, NJW 2015, 479, wenn auch ausdrücklich bezogen auf den anerkennungsrechtlichen ordre public. 283  Überzeugend in dieser Hinsicht G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (748 f.). Vgl. auch M. Stürner, FS Coester-Waltjen, 843 (854) und Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (679 f.). Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 337 verweist insofern auf EG 32 Rom II-VO. 284  Zu dieser wichtigen Unterscheidung statt aller BeckOGK/M. Stürner, Art.  6 EGBGB, Rn.  178, 280 ff. Auch mit Thomale/Hübner, JZ 2017, 385 (392 f.) scheidet eine Heranziehung des ordre public in derlei Konstellationen bei „methodenehrlicher Rechtsanwendung“ aus. Ähnlich Rudkowski, CCZ 2020, 352 (353). Angesichts der nicht allzu strengen Haftungsmaßstäbe für unternehmerisches Handeln mit Menschenrechtsbezug nach deutschem Recht bezeichnet Mansel, ZGR 2018, 439 (469 f.) diese Diskussion als „theoretisch“. Vgl. mit Blick auf die Haftungsmaßstäbe innerhalb der EU auch Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 268. Zu Gründen für diesen Umstand siehe Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 202 ff. 285  So aber explizit zur Begründung einer unternehmerischen Haftung für Menschenrechtsverletzungen Weller/Kaller/Schulz, AcP Bd.  216 (2016), 387 (395). Ebenso in diese Richtung v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 327 ff.; Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 190 f.; Demeyere in: Heiderhoff/Queirolo (Hrsg.), Legal challenges in European private integration, 105 (135); Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 337 f.; Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (145).

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an dem systematischen Zusammenspiel der einschlägigen Kollisionsnormen: Da ein Rückgriff auf das Vertragsstatut für die gewöhnlichen Konstellationen ausscheidet, in denen es an einer derartigen Sonderverbindung der Opfer mit dem Mutterunternehmen gerade fehlt,286 legt das Deliktsstatut287 das anwendbare Recht fest. Während das deutsche Recht in Art.  40 EGBGB noch von der Ubiquitätsregel mit Günstigkeitsprinzip ausgeht, wurde die Privilegierung des Geschädigten in der vorrangigen Rom II-VO auch für etwaige Ansprüche infolge der Verantwortlichkeit von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen überwiegend aufgegeben.288 Stattdessen verweist Art.  4 I Rom II-VO nüchtern auf den Erfolgsort, sodass sich transnationale Unternehmen regelmäßig nicht an den oftmals strengen Sicherheits- und Haftungsmaßstäben an ihrem Geschäftssitz messen lassen müssen.289 Zu einem anderen Ergebnis gelangt man auch nicht über die weiteren Absätze der Norm, denn es fehlt in den typischen Fällen ebenso an einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien (Abs.  2), wie an einer sonstigen „offensichtlich engeren Verbindung“ (Abs.  3).290 Ferner dürfte 286  Siehe nur Weller/Kaller/Schulz, AcP Bd.  216 (2016), 387 (392 f.); Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (125 f.); Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 81. Zu einer eventuellen Lösung über das Statut eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte Habersack/Ehrl, AcP Bd.  219 (2019), 155 (181 f.). Vgl. auch Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 144 f.; Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 343 ff.; Demeyere in: Heiderhoff/Queirolo (Hrsg.), Legal challenges in European private integration, 105 (127 f.). 287  Bei einer evtl. Durchgriffshaftung der Konzernmutter würde Art.  1 II lit.  d Rom II-VO einen Rückgriff auf das Deliktsstatut aber verhindern, siehe Schall, ZGR 2018, 479 (508 ff.). Ebenso i.E. Mansel, ZGR 2018, 439 (452 f.); Weller/Kaller/Schulz, AcP Bd.  216 (2016), 387 (397); Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 348 f. Einschränkend aber Thomale/Hübner, JZ 2017, 385 (390 f.), die für den Anwendungsbereich nach dem „Kern des deliktischen Vorwurfs“ differenzieren. Vgl. außerdem Thomale/Murko, EuZA 2021, 40 (57 f.); Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 107 ff.; Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 168 f.; Mittwoch, RIW 2020, 397 (401). 288  G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (739). Dieses Anknüpfungsergebnis erklärt Diehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 55 auch im Kontext von Menschenrechtsverletzungen ausdrücklich für mit dem klassischen IPR vereinbar. Generell zu dieser Entscheidung des Verordnungsgebers statt aller MüKoBGB/Junker, Art.  17 Rom II-VO, Rn.  26. 289  Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (100) befürchtet deshalb, dass hohe Schutzstandards unterlaufen werden könnten. 290  G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (740 f.); Weller/Kaller/Schulz, AcP Bd.  216 (2016), 387 (394); M. Stürner, FS Coester-Waltjen, 843 (850 f.); Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 178 ff.; v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 313 f.; Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 326; Demeyere in: Heiderhoff/Queirolo (Hrsg.), Legal challenges in European private integration, 105 (120). Zu Ansätzen für eine Auflockerung der starren lex loxi delicti-Regel instruktiv Sieghörtner, Internationales Unfallrecht, 219 ff.

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jedenfalls aus Unternehmenssicht ein nur geringes Interesse bestehen, an der objektiven Anknüpfung durch eine nachträgliche Rechtswahl gem. Art.  14 I Nr.  1 lit.  a Rom II-VO291 zu rütteln.292 Einer Rückkehr zu den Grundsätzen von Ubiquität und Günstigkeitsvergleich293 über die spezielle Anknüpfung des Art.  7 Rom II-VO steht wiederum nicht selten die enge Stoßrichtung der Norm entgegen, müsste es für ihre Anwendung doch zu Umweltschädigungen kommen.294 Zudem monieren Kritikerinnen Schwierigkeiten bei der Bestimmung des konkreten Handlungsortes, sodass auch diese Lösung den Parteien nicht zwangsläufig zum Vorteil gereichen würde.295 Schließlich eröffnet auch Art.  17 Rom II-VO nicht den Weg zu einer Heranziehung des Rechts am Handlungsort des Mutterunternehmens, weil diese Vorschrift indirekt einen Ausgleich zwischen Partei- und Verkehrsinteressen schaffen soll, ohne die Verweisung gemäß Art.  4 ff. Rom IIVO als solche zu modifizieren.296 291 

Zur Frage, ob Vorschriften mit überragenden Gemeinwohlbelangen wie Art.  7 Rom IIVO eine Rechtswahl verbieten, siehe nur Aubart, Dépeçage, 165. 292  Weller/Kaller/Schulz, AcP Bd.  216 (2016), 387 (394). Ein von Thomale/Hübner, JZ 2017, 385 (392) vorgebrachtes „allseitiges Grundinteresse an der Wahl deutschen Rechts“ lässt sich daher nur schwerlich ausmachen. Eine vermittelnde Position vertreten etwa Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 172 und v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 311 f. Zur Implementierung einer Rechtswahl in unternehmerische codes of conduct insofern Mansel, ZGR 2018, 439 (463) und Habersack/Ehrl, AcP Bd.  219 (2019), 155 (190). Selbst unter diesen speziellen Umständen verneint Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 323 f. aber die Wahrscheinlichkeit einer parteiautonomen Bestimmung. Vgl. auch Diehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 167. 293  Schwemmer, Anknüpfungsprinzipien im Europäischen Kollisionsrecht, 125 f. manifestiert darin eine ökonomisch-ökologische Entscheidung. Zur Kritik an der Rückkehr zu diesen Prinzipien in Art.  7 Rom II-VO Vogeler, Freie Rechtswahl, 123. Vgl. auch Schilling, Binnenmarktkollisionsrecht, 181 f. 294  Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 82; v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 315 f.; Mittwoch, RIW 2020, 397 (400). Einschränkend z. B. Hartmann in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 281 (300). Fallbeispiele nennt Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 174. In diesem Kontext spricht sich Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 327 f. für eine Ausweitung aus. 295  Dazu anhand eines Beispiels G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (743). Näher Mansel, ZGR 2018, 439 (462 f.); Habersack/Ehrl, AcP Bd.  219 (2019), 155 (188 f.). 296  Einleuchtend insofern der Verweis von G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (742 f.) auf EG 16 und 34 Rom II-VO. Zustimmend Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 86 f.; Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 170 f.; Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 117 f.; Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (144); a. A. Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 334 f.; Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 200; v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 321 f. Einführend zu diesem Problem MüKoBGB/Junker,

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Regelmäßig wird also die Rechtsordnung des Staates berufen, der für die Verletzungen entweder selbst verantwortlich ist oder den rechtlichen Rahmen für unternehmerische Akteure absteckt; an der Unparteilichkeit der lex causae und ihrer Schöpfer darf in diesem Kontext gezweifelt werden.297 Wie soll etwa mit eventuellen Amnestien umgegangen werden, durch die potentiellen Tätern von staatlicher Seite ein Straferlass unter Umständen auch in zivilrechtlicher Hinsicht zugesichert wird?298 Es scheint, als stoße die Grundanknüpfung in diesem Kontext an ihre Grenzen: In ihr findet der Umstand, dass wesentliche Konzernentscheidungen keineswegs dezentral getroffen, sondern von den Mutterkonzernen vorgegeben werden, keinen Widerhall.299 Wie unschwer zu erkennen ist, stellt die Organisation der Wertschöpfung300 das IPR hier vor das Dilemma, innerhalb komplexer Hierarchien die eine engste Verbindung zu bestimmen.301 Art.  17 Rom II-VO, Rn.  22; Hk-BGB/Dörner, Art.  17 Rom II-VO, Rn.  2; Mansel, ZGR 2018, 439 (465); Keßenich, Berücksichtigung statutsfremder Sicherheits- und Verhaltensregeln, 54 f. Zu Situationen, in denen eine „Berücksichtigung“ i. S.d. Vorschrift ähnlich weitreichende Folgen nach sich zieht wie die „Anwendung“, siehe NK-BGB/Lehmann, Art.  17 Rom II-VO, Rn.  62 f. Ähnlich Demeyere in: Heiderhoff/Queirolo (Hrsg.), Legal challenges in European private integration, 105 (124 f.); Diehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 122 ff. Wegen dieser rechtstechnischen Erwägungen präferiert Hartmann in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 281 (301) den Rückgriff auf Art.  16 Rom II-VO. 297 So Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (672); M. Stürner, FS Coester-Waltjen, 843 (849 f.); Demeyere in: Heiderhoff/Queirolo (Hrsg.), Legal challenges in European private integration, 105 (106). Dazu auch Hartmann in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 281 (283 f.); Kieninger, IPRax 2020, 60 (61); Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 142 f.; Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 26 f. 298  Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (673 f.). Vgl. Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 325, die auch allgemeine Probleme der klageweisen Durchsetzung von Menschenrechtsverletzungen anspricht (258 ff.). Ebenfalls zu diesem Aspekt Mittwoch, RIW 2020, 397 (402). 299  Habersack/Ehrl, AcP Bd.  219 (2019), 155 (184); G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (740). Für eine alternative Handlungsortanknüpfung de lege ferenda daher Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 555. Die kollisionsrechtliche Entscheidung für das Erfolgsortrecht verteidigen indes Weller/Kaller/Schulz, AcP Bd.  216 (2016), 387 (393); M. Stürner, FS Coester-Waltjen, 843 (854); Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42 (44). Vermittelnd Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (131 ff.). 300 Einführend v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 6 ff. Für Fallbeispiele siehe Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 19 ff.; Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 65 ff.; Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 99 ff. 301  Hartmann in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 281 (281 f.); vgl. auch v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 307.

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aa) Menschenrechte als zwingendes Recht: Eingriffsnormen Ein erster naheliegender Ansatz, um diese unbefriedigende Rechtslage zu korrigieren, ließe sich darin erblicken, Menschenrechte als Eingriffsnormen zu behandeln. Dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages dieser Option im Kontext der Unternehmensverantwortlichkeit kritisch gegenübersteht,302 sollte nicht als beunruhigend empfunden werden; die Einschätzung beruht schlicht auf einem falschen Verständnis von Eingriffsnormen, deren Ergebnisrelevanz in der Ausarbeitung unterschätzt wird. Demgegenüber verdient die Frage nach einer ausreichenden Bestimmtheit der zwingenden Normen Aufmerksamkeit, beleuchtet sie doch ein wesentliches Problem de lege ferenda303: Um positiv durchgesetzt zu werden, mangelt es den Menschenrechten an einem klar konturierten Normbefehl, da sie bewusst weit formuliert sind und gerade keine detaillierten Handlungsvorgaben aussprechen.304 Zudem gestaltet sich speziell die universale Verwirklichung von Menschenrechten gegenüber Unternehmen schwierig, denn auf diesem Wege würde eine horizontale Wirkung von Garantien begründet, die sich insbesondere in ihrem Kernbereich vor allem an staatliche Akteure richten.305 In jedem Fall sollte die elementare Aufgabe, Sorgfaltsmaßstäbe und ihre obligatorische Natur zu konturieren, im Kern nicht den mitgliedstaatlichen Spruchkörpern überlassen werden.306 Damit das Harmonisierungskonzept der Rom II-VO nicht durch eine konturlose Ausdehnung von Eingriffsnormen unter302 

Vgl. Ausarbeitung WD 7 – 3000 – 091/15 v. 05.06.2015, S.  10 f. Siehe nur Mansel, ZGR 2018, 439 (472). 304  Renfert, Über die Europäisierung der ordre public Klausel, 124 ff.; Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (101 f.). Zu Auslegungsschwierigkeiten auch Täger, Schutz von Menschenrechten, 138 ff.; Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42 (43); v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 242, 324; Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (113 f). Einschränkend Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 330 und Oster, JPIL 2015, 542 (555 f.), der im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine ausreichende Begrenzung sieht. 305  G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (745 f.); Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 192 f.; Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 81 f.; Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 77 (näher 198 ff.); v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 44 ff.; Diehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 166; Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (117). Vgl. auch die Präambel zum Resolutionsvorschlag (Basedow) des Instituts für internationales Recht, Annuaire IDI Vol. 78 (2017), 215 (217). Oster, JPIL 2015, 542 (554 ff.) plädiert indes für einen „indirect horizontal effect“. In diese Richtung auch Schall, ZGR 2018, 479 (481), der daraus dennoch keine Haftung ableitet. Täger, Schutz von Menschenrechten, 212 bejaht z. B. für die Multilaterale Investitionsgarantieagentur (MIGA) eine Bindung an völkergewohnheitsrechtliche Maßstäbe im Rahmen ihrer Kompetenzbereiche. 306  Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (106) [zum „positiven“ ordre public]. 303 

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laufen wird, ist vielmehr erforderlich, dass der Anwendungsbereich arbeitsrechtlicher Schutzvorgaben mit internationalem Geltungsanspruch durch nationale Gesetze präzise definiert wird.307 Generalklauseln wie §  1 AGG, dem aufgrund seiner antidiskriminierenden Stoßrichtung ein zwingender Charakter zugesprochen wird,308 sind insofern ungeeignet, als sie das Verhältnis zu etwaigen Tochterfirmen gerade nicht ausbuchstabieren.309 Sofern es demgegenüber gelingt, über die oftmals unzureichende deliktsrechtliche Verantwortlichkeit310 hinaus eine normative Haftungszurechnung qua „Corporate Social Responsi­ bility“311 mittels expliziter Anordnungen312 auf grenzüberschreitende Sachverhalte zu übertragen, könnte das IPR durchaus einen Beitrag zum Menschenrechtsschutz leisten.313 Zwar kann ein grenzüberschreitender Geltungsbefehl durch die Legislative die interessenbasierte Prüfung des zwingenden Norm307  Hartmann in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 281 (306 f.); Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 331. Vgl. zu diesem ständigen Spannungsfeld auch Oster, JPIL 2015, 542 (551 f.). 308  Dazu noch unlängst Hoffmann/Bierlein, ZEuP 2020, 47 (65 f.). 309  Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 170. 310  Zu diesem Eindruck statt aller Diehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 196. Die materiellrechtliche Haftung des Mutterkonzers nach deutschen Zivilrecht beleuchten umfassend Thomale/Murko, EuZA 2021, 40 (48 ff.); Weller/Thomale, ZGR 2017, 509 (517 ff.); Weller/ Kaller/Schulz, AcP Bd.  216 (2016), 387 (398 ff.); Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 89 ff.; Schall, ZGR 2018, 479 (484 ff.); Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 203 ff.; Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 35 ff., 105 ff.; Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 360 ff. 311  Zu Begründungsansätzen NK-BGB/v. Plehwe, Art.  7 Rom II-VO, Rn.  21. Einführend Spießhofer, IWRZ 2019, 65 (66 ff.); Thomale/Hübner, JZ 2017, 385 (386 ff.); v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 147 ff.; Walden, NZG 2020, 50 (52 ff.); Rudkowski, CCZ 2020, 352 (354 f.). Täger, Schutz von Menschenrechten, 246 bezeichnet diese Methode als „parent-based approach“. Zu europäischen Ansätzen G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (726); Habersack/Ehrl, AcP Bd.  219 (2019), 155 (177); Mittwoch, RIW 2020, 397 (398, 403 f.). Ablehnend zu dieser Art der Haftungsbegründung Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42 (44 f.). 312  Zu dieser Notwendigkeit Kieninger, IPRax 2020, 60 (66); Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 270 f.; Hartmann in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 281 (309 f.). Vgl. auch Walden, NZG 2020, 50 (54). L. Hübner, NZG 2020, 1411 (1416) unterscheidet insofern zwischen einer „großen“ (= die Eingriffsnorm bildet selbst die Anspruchsgrundlage) und einer „kleinen“ (= die Eingriffsnorm buchstabiert lediglich die Sorgfaltspflichten aus) Lösung. 313  Statt aller Demeyere in: Heiderhoff/Queirolo (Hrsg.), Legal challenges in European private integration, 105 (138). L. Hübner, NZG 2020, 1411 (1416) bezeichnet das IPR in diesem Kontext gar als „Achillesferse“. Zweifelnd indes z. B. Habersack/Ehrl, AcP Bd.  219 (2019), 155 (187) und Mansel, ZGR 2018, 439 (472).

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charakters314 nicht ersetzen,315 die Notwendigkeit einer internationalen Durchsetzung der jeweiligen Regelungen ließe sich jedoch unschwer begründen.316 Jedenfalls am Erfordernis eines Inlandsbezugs wird diese Vorgehensweise nicht scheitern317 – die bei Menschenrechtsverletzungen ohnehin niedrigen Anfor­ derungen318 sind in den typischen Fällen durch personale und sachliche Verflechtungen319 erfüllt. Frankreich hat mit Gesetz vom 27. März 2017320 die Art.  225-102-4 und Art.  225-102-5 in den Code de Commerce eingefügt, durch die Mutterunternehmen ausdifferenzierte Überwachungspflichten hinsichtlich ihrer Tochtergesellschaften aufgegeben werden, bei deren Nichteinhaltung eine deliktische Haftung droht.321 Ungeachtet der Tatsache, dass sich die Regelungen über ihre Geltung im grenzüberschreitenden Bezug unglücklicherweise ausschweigen,322 sollten sie den deutschen Gesetzgeber zu ähnlichen Reformen inspirieren. Unterschiedliche Umsetzungsalternativen finden sich ferner in einer aktuellen „Study on due diligence requirements through the supply chain“ der Europäischen Kommission, die auf die Wahrung menschen- und umweltrechtlicher Standards in internationalen Lieferketten abzielt.323 Noch einen begrüßenswerten Schritt 314 

Vgl. zu dieser Anforderung an Eingriffsnormen oben, B.III.1.b) (S.  44 ff.). Mittwoch, RIW 2020, 397 (403). Ähnlich Demeyere in: Heiderhoff/Queirolo (Hrsg.), Legal challenges in European private integration, 105 (136). 316 Zustimmend Monnheimer/Nedelcu, ZRP 2020, 205 (208 f.). Insofern a. A. Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (151). 317  Insbesondere geht es dabei nicht um „extraterritoriale Staatenpflichten“, wie sie Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 175 ff. skizziert. 318  Siehe nur NK-BGB/Knöfel, Art.  16 Rom II-VO, Rn.  1; Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 186 f.; Mansel, ZGR 2018, 439 (472); v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 330 f.; vgl. auch oben, D.III.2.a) (S.  285 ff.). 319  Hartmann in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 281 (307 f.); Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 324 ff.; v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 325; Monnheimer/Nedelcu, ZRP 2020, 205 (209); vgl. auch Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 555. Eher ablehnend indes G. Wagner, RabelsZ Bd.  80 (2016), 717 (746 f.). 320  LOI n° 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre, abgedruckt in JORF n°0074 vom 28. März 2017, S.  1. 321 Einführend Mansel, ZGR 2018, 439 (444 f.) [mit deutscher Übersetzung der französischen Vorschriften, 474 ff.]. 322  Zu dieser Kritik statt vieler Habersack/Ehrl, AcP Bd.  219 (2019), 155 (204); Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (101); Nordhues, Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Konzern, 317 f. 323  Abrufbar unter (letzter Abruf: 24.03.2021). Vgl. auch Stöbener de Mora, EuZW 2020, 211. 315 

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weiter geht eine Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2021: Der darin enthaltene Richtlinienvorschlag enthält in Art.  20 die an die Mitgliedstaaten gerichtete Aufforderung, die Qualifizierung der europäischen Vorgaben als Eingriffsnormen i. S.d. Rom II-VO sicherzustellen.324 Im Jahre 2019 schien es, als habe auch der hiesige Gesetzgeber sich zu einer entsprechenden Ausgestaltung durchringen können: §  15 eines – wohl versehentlich geleakten – Entwurfs für ein Lieferkettengesetz325 erklärte die dort vorgesehenen Sorgfaltspflichten in Fragen der außervertraglichen Haftung ausdrücklich unabhängig von dem ursprünglich berufenen Recht für anwendbar.326 Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurden allerdings neben den spezifisch kollisionsrechtlichen Passagen die Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung generell gestrichen – nach jetzigem Stand dürfte also nur ein Torso der ursprünglich ambitionierten Idee bleiben, dessen Nutzen schon jetzt bezweifelt werden kann.327 bb) Opferbezogener Schwächerenschutz: Sonderanknüpfungen Ebenso wird vereinzelt vorgeschlagen, die Normierung von Sonderanknüpfungen, wie sie im Arbeitnehmer- und Verbraucherschutzrecht üblich sind, im menschenrechtlichen Kontext zu forcieren.328 Aus meiner Sicht sprechen gegen diesen Ansatz jedoch fundamentale methodische Schwierigkeiten: So dürfte es schon kaum gelingen, eine persönliche Bezugsgruppe für die Begrenzung des Anwendungsbereichs einer solchen Norm zu definieren. Anders als etwa bei der Anknüpfung an die Arbeitnehmereigenschaft weist die Charakterisierung als „Opfer einer Menschenrechtsverletzung“ eine erhebliche Diffusität auf, die nicht zuletzt eine Vorwegnahme des materiellrechtlichen Ergebnisses erfordern würde. Definitionsprobleme, die sich bereits bei Art.  7 Rom II-VO stellen329 – der aber immerhin eine „nachteilige Veränderung einer natürlichen Ressource“ (EG 24 Rom II-VO) und damit ein quasi-empirisches Element voraussetzt –, könnten insofern nicht in befriedigender Weise ausgeräumt werden. Fraglich bleibt überdies, inwieweit 324 

Der Text ist unter der Ordnungsnummer P9_TA-PROV(2021)0073 auf der Seite des Europäischen Parlaments zu finden. 325  Der Entwurf des BMZ wurde nicht offiziell veröffentlicht, ist aber z. B. unter abrufbar (letzter Abruf: 24.03.2021). 326 Vgl. Massoud, Menschenrechtsverletzungen von transnationalen Unternehmen, 88 und Mittwoch, RIW 2020, 397 (402 f.). 327  Rühl, ZRP 2021, 66 (66 f.). 328  Dafür aufgeschlossen zeigt sich Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (100). 329  Siehe nur BeckOGK/Huber, Art.  7 Rom II-VO, Rn.  9 ff. und Demeyere in: Heiderhoff/ Queirolo (Hrsg.), Legal challenges in European private integration, 105 (122 f.).

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sich im Zuge einer Alternativanknüpfung auf Rechtsfolgenseite überhaupt Vorteile für die potentiellen Opfer erreichen ließen, fällt es doch schwer, allgemeingültige Aussagen zu menschenrechts- oder haftungsfreundlichen Rechtsord­ nungen zu tätigen.330 Versuche, über Art.  4 III Rom II-VO de lege lata ein Wahlrecht des Geschädigten zugunsten des Rechts am Handlungsort zu kre­ieren,331 gehen nicht minder fehl: Sieht man einmal davon ab, dass die Norm diesen Gehalt schlicht nicht hergibt,332 belegt die Existenz von Art.  7 Rom II-VO syste­ matisch unzweifelhaft die gesetzgeberische Intention, derartige Bestimmungsrechte einzig in den explizit vorgesehenen Fällen zu gewähren.333 Nur eine themenspezifische Normierung, wie sie etwa im Berichtsentwurf des Rechtsausschusses vom 11. September 2020 als Art.  6a Rom II-VO-E noch vorgesehen war,334 würde die inhaltlichen und rechtstechnischen Anforderungen an ein solches Wahlrecht erfüllen. 3. Menschenrechtsschutz im Gefüge des klassischen IPR Aus der Perspektive des wertneutralen Kollisionsrechts birgt der Schutz von Menschenrechten das Risiko, infolge einer Überlagerung der internationalprivatrechtlichen Ebene durch sachrechtlich motivierte Regelungen die vorrangigen Verweisungszwecke zu konterkarieren.335 Dass der nationale GesetzHartmann in: Krajewski/Saage-Maaß (Hrsg.), Die Durchsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 281 (295 f.). Die mangelnde Eignung des deutschen Sachrechts zum „Opferschutz“ unterstreichen in diesem Zusammenhang ausdrücklich Mansel, ZGR 2018, 439 (459) und Mittwoch, RIW 2020, 397 (402). 331 So Weller/Thomale, ZGR 2017, 509 (524 f.), Thomale/Murko, EuZA 2021, 40 (57) und Thomale/Hübner, JZ 2017, 385 (391 f.), die eine Befugnis zu dieser Normauslegung aus EG 14 Rom II-VO ableiten. 332  Wendelstein, RabelsZ Bd.  83 (2019), 111 (142). Mit Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht, 161 steht bei dieser Norm der Interessenausgleich zwischen den Parteien im Vordergrund, einer „prospektiven Bestimmung der anzuwendenden Verhaltensnorm“ diene sie demgegenüber nicht. So auch Diehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 32. 333  Überzeugend daher Mansel, ZGR 2018, 439 (458); Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42 (43 f.); Mittwoch, RIW 2020, 397 (400). Ebenso Habersack/Ehrl, AcP Bd.  219 (2019), 155 (184 f.), die darauf hinweisen, dass der Verordnungsgeber bewusst von einem stärkeren Politikbezug in der Formulierung abgesehen habe. Vgl. auch Ivaldi/Carrea in: Queirolo/Heiderhoff (Hrsg.), Party autonomy, 39 (79). Dazu a. A. Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 181 ff. Zur Auflockerung der lex loci delicti-Regelung aus sozialpolitischen Erwägungen allgemein Bucher, Anknüpfungsgerechtigkeit, 218 f. 334  Der Entwurf ist als Dokument PR\1212406DE.docx auf der Seite des Europäischen Parlaments einzusehen, der Normvorschlag steht auf S.  36. Eine entsprechende Initiative wurde etwa vonseiten der Grünen-Fraktion im Bundestag (BT-Drs. 17/13916, S.  2) und von Schall, ZGR 2018, 479 (512) gefordert. 335  Siehr, FS Schütze, 821 (829). Vgl. auch G. Schulze, LA Jayme, 183 (205). 330 

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geber dem eigenen Recht im grenzüberschreitenden Bezug generell zu einer „haftungsrechtlichen Weltgeltung“ verhilft, stellt insofern eine durchaus plau­ sible Befürchtung dar.336 Ein Beispiel dafür, wie gänzlich auf eine dogmatische Koordi­nation zwischen Zivilrechtsordnungen verzichtet wird, bietet die ameri­ kanische Praxis, aus völkerrechtlichen Garantien unmittelbar fallspezifisches Sachrecht zu formen.337 Zwar läuft auch die Idee eines teilweise völkerrechtlich determinierten ordre public338 der Prämisse gleichwertiger, aber zugleich souveräner Rechtsordnungen zuwider; dies dürfte aber als Globalisierungseffekt noch zu verschmerzen sein339: Völkerrechtliche Entwicklungen zeugen von staatsübergreifenden Regulierungsinteressen und der Bereitschaft, Hoheitsbefugnisse in begrenztem Rahmen aufzugeben.340 Dass das IPR die Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen partiell einem völkerrechtlichen Überbau unterstellt, erscheint daher durchaus folgerichtig.341 Insbesondere entwertet der Schritt, fundamentale Garantien mit supranationalem Geltungsanspruch in der Verweisung abzubilden, den Respekt vor fremden Rechts- und Gesellschaftssystemen nicht grundlegend.342 Dank eines ordre public mit völkerrechtlichem Anklang kann im Gegenteil garantiert werden, dass seine Anwendung nicht von der Verortung des Forums abhängt, was neben der internationalen Entscheidungsharmonie auch die Akzeptanz der daraus resultierenden Entscheidungen fördern dürfte.343 Historisch betrachtet nehmen die universalen Menschenrechte als Errungenschaft der Vereinten Nationen heutzutage die Position ein, die Savigny in seinen Ausführungen – weniger kosmopolitisch344 – den christlichen Staaten345 zuge­ 336 So Bomsdorf/Blatecki-Burgert, ZRP 2020, 42 (44). In diese Richtung auch Diehl, Berücksichtigung im Deliktsrecht, 55. 337  In weiten Teilen kritisch daher Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (674 ff.); M. Stürner, FS Coester-Waltjen, 843 (847 f.); Pförtner in: Gössl (Hrsg.), Politik und IPR, 93 (106); Görgen, Haftung in transnationalen Menschenrechtsfällen, 124 f.; v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 47 ff. Ausführlich zur amerikanischen Praxis Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 465 ff. 338  Vgl. schon Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, Rn.  1028. Zur Umsetzung dieser modifizierten Bewertungsmaßstäbe in der Praxis Kreuzer, RW 2010, 143 (179). 339  Oster, JPIL 2015, 542 (542). 340  Dezidiert insofern die Analyse von Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (680 ff.). 341  Scholz in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 477 (498) sieht mit Blick auf den ordre public die „Provinzialität eines bloßen Instruments zur Durchsetzung nationaler Egoismen“ als nicht mehr zeitgemäß an. 342 Vgl. Kreuzer, RW 2010, 143 (175). 343 MüKoBGB/v. Hein, Art.  6 EGBGB, Rn.  156. 344  Vgl. oben, C.IV.1.a)cc) (S.  127 ff.). 345  Savigny, System VIII, §  348 (S.  27).

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sprochen hat, führen also seine Gedanken denklogisch fort.346 Auch aus der – nicht zuletzt grundgesetzlich verankerten347 – Pflicht der Staatsorgane, bei ihrem Tätigwerden die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe der Rechtssubjekte zu berücksichtigen, folgt für das IPR nichts anderes: Im Verweisungskontext existiert kein subjektives „Recht auf Achtung der kulturellen Identität“348, das die individuelle Sozialisation der Personen zum primären Gerechtigkeitsmaßstab der Anknüpfung erhebt. Abgesehen davon, dass aus solchen Kunstgebilden nur selten ein tatsächlicher Mehrwert für die kollisionsrechtliche Falllösung resultiert,349 basieren derartige Konstrukte auf einer einseitigen Betonung der internationalprivatrechtlichen Parteiinteressen, wofür auch bei menschenrechtlichen Fragestellungen kein Anlass besteht.350 Vorwürfe wie der, die Menschenrechte seien einseitig auf die westliche Kultur zugeschnitten351 und erforderten etwa eine Anpassung an islamische Sichtweisen352, lassen sich überdies leicht zurückweisen: Durch die Unterzeichnung der UN-Charta, die in Art.  1 III den universalen Charakter der Menschenrechte proklamiert, haben sich nahezu alle

346  Kreuzer, RW 2010, 143 (180). Vgl auch Peari, The Foundation of COL, 145 ff. Kritisch indes Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 278 ff., die in Bezug auf die Menschenrechte von einer „universalité imaginaire“ spricht. 347  Einführend etwa M. Wagner, Kulturelle Integration und GG, 393 ff. 348  So jedoch Jayme, IJVO 1991/92, 8 (10). Zustimmend im menschenrechtlichen Bezug Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (468 f.). Diesen Gedanken nehmen auch Harms, Neuauflage der Datumtheorie, 140 f., Büchler, FS Brudermüller, 61 (61) und Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 448 ff. auf. Vgl. zu einer kulturellen Relativität i.R.d. ordre public zudem Frick, Ordre public und Parteiautonomie, 35. Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 149 ff. spricht sich unter Bezugnahme auf Mancini für eine begrenzte Berücksichtigung kultureller Interessen im IPR aus. 349 Insofern entlarvend sind die von Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (470 f.) selbst zugestandenen Schwierigkeiten, den von ihm favorisierten Identitätsaspekt in der internationalprivatrechtlichen Fallbehandlung fruchtbar zu machen. Vgl. auch die Ausführungen bei Heitmann, Flucht und Migration im Internationalen Familienrecht, 125 ff. 350  Von einer „Überhöhung“ spricht insofern v. Bar, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 33 (1994), 191 (195). Vgl. auch G. Schulze, LA Jayme, 183 (196 ff.). Zu Ausnahmen, in denen sich dieser Aspekt in klar umrissenen Tatbestandsmerkmalen zeigt, siehe Herfarth, Scheidung nach jüdischem Recht, 141 f. 351  Dazu etwa Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (165 f.). Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 295 spricht von einer „dernière utopie“. 352  Scholz in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 477 (482 f.) fordert etwa, vorrangig auf von islamischen Staaten ratifizierte Menschenrechtspakte abzustellen. Eingehend zu genuin islamischen Menschenrechtskatalogen Kreuzer, RW 2010, 143 (172 ff.) und Fontana, Universelle Frauenrechte und islamisches Recht, 33 ff.

III. Menschenrechtsschutz im IPR

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Staaten der Erde formal dazu bereit erklärt, gemeinsam für den Schutz dieser Garantien gemäß dem dort verankerten Verständnis einzutreten.353 Fragen zu einer etwaigen Abstufung des Prüfungsmaßstabs gerade außerhalb der absoluten Mindeststandards müssen dennoch geklärt werden, damit die Implementierung von Menschenrechten sich wirklich als mit der internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit kompatibel erweist.354 Bei der Anreicherung des IPR mit menschenrechtlichen Belangen handelt es sich um einen evolutiven Prozess, dessen Grenzen stets neu ausgelotet und verhandelt werden müssen.355 Außerhalb von einhellig anerkannten Gewährleistungen kann deshalb sinnvollerweise nur nach „Schwere und Tragweite“ des Verstoßes abgewogen wer­ den, wie es letztlich dem Wesen des Vorbehalts entspricht.356 Eine umfassende Implementierung von Menschenrechten in das Kollisionsrecht357 weiß deshalb ebenso wenig zu überzeugen wie der Ansatz, mittels direkter Anwendung von Katalogen wie der EMRK ein „eigenständiges Grundrechts-Kollisionsrecht“ zu etablieren358. Angesichts des hohen Abstraktionsgrads der Menschenrechte, den nicht umsonst auch Rancière und Arendt in ihren Ausführungen kritisierten359, wäre eine Katalogisierung der menschenrechtlichen Schutzgehalte im IPR-Bezug durch

353  Kreuzer, RW 2010, 143 (166 f.); v. Falkenhausen, Menschenrechtsschutz durch Deliktsrecht, 36 f.; Fontana, Universelle Frauenrechte und islamisches Recht, 6, 9 ff. Kalisch in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 49 (60 f.) macht in derartigen Forderungen vor allem den Versuch aus, die Universalität der Menschenrechte zu beschneiden. Auch Bielefeldt in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 99 (110 ff.) spricht von einer „Vereinnahmung der Menschenrechte“. Vgl. ferner Haider, Transnationale Unternehmen und Menschenrechtsverletzungen, 82 f. 354  Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (491). Scholz in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 477 (498) befürchtet ansonsten den Vorwurf der „Beliebigkeit“. Vgl. zu der nicht abebbenden, allerdings eher verfahrensrechtlichen Kritik am Gegieren mancher Institutionen als „Weltgericht“ Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (654). Auch Bielefeldt in: Elliesie (Hrsg.), Beiträge zum islamischen Recht VII, 99 (104) spricht sich allgemein für eine Limitierung des Geltungsanspruchs aus, um selbst den Eindruck der Etablierung einer „Quasi-Religion“ zu verhindern. 355  Vgl. die Präambel zum Resolutionsvorschlag (Basedow) des Instituts für internationales Recht, Annuaire IDI Vol. 78 (2017), 215 (217). 356  Völker, Zur Dogmatik des ordre public, 146 f. In diese Richtung auch Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (484) und Schütz, Der internationale ordre public, 13. 357 Dafür Oster, JPIL 2015, 542 (552 f.). 358  Zu Recht ablehnend daher Looschelders, RabelsZ Bd.  65 (2001), 463 (474 f.), Ähnlich kritisch Kreuzer, RW 2010, 143 (176 f.); Thoma, Die Europäisierung des ordre public, 89; M. Stürner, FS Coester-Waltjen, 843 (852). Vgl. zu dieser Diskussion auch Voltz, Menschenrechte und ordre public, 63 f. und Hemler, Methodik der Eingriffsnorm, 271 ff. 359 Dazu Perica, Achse, 197 ff.

300

D. Beispielhafte Entwicklungen des 21.  Jahrhunderts

verbindliche Abkommen360 erstrebenswert – dies wird in absehbarer Zeit aber wohl ein Wunschtraum bleiben.361 Ebenso fehlt der Option, eine proaktive Verstärkung des Schutzes durch Reformen zur Rom II-VO zu erreichen, aktuell wohl noch der nötige Rückhalt in den Gesetzgebungsorganen. Nur materiellrechtliche Sonderpflichten mit international zwingendem Charakter könnten daher für genau definierte Schutzbereiche eine Spezialhaftung etablieren; die Eingriffsnormklauseln würden dann als methodisches Einfallstor für die weltweite Umsetzung dienen. Indem das IPR dem Menschenrechtsschutz so Vorschub leisten würde, gäbe es seinen Anspruch auf „Entpolitisierung“ in Teilen auf.362 Dabei würde es aber weder von seinem traditionellen Instrumentarium abweichen, noch eine unilaterale Perspektive einnehmen.363 Wie zu Beginn der Untersuchung364 angeführt, agiert es damit innerhalb seines inhärenten Potentials zur Anpassung an „poli­ tische“ Gegebenheiten.

IV. Zusammenfassung: Abweisung statt Verweisung An den ausgewählten Beispielen365 lässt sich eine zentrale Tendenz des modernen IPR festmachen: Die ursprüngliche Koordinationsfunktion des Verweisungsrechts wird mehr und mehr aufgebrochen, um benachteiligten Personen oder Gruppen schon im Rahmen der Suche nach dem anwendbaren Recht Vorzüge zuzugestehen. Nur selten bedient der Gesetzgeber sich dabei der Instrumente des klassischen IPR, vielmehr wählt er in zunehmendem Maße Wege, auf denen die kollisionsrechtlichen Ideale umgangen oder jedenfalls entwertet werden können. Gerade im Kontext von Art.  10 Rom III-VO und Art.  13 EGBGB entfernt sich das Verweisungsrecht von den Dogmen, denen es seit Savigny aus guten Gründen anhängt: Wo es grundsätzlich um einen pluralistischen Diskurs zwischen ungleichen, aber gleichberechtigten Rechtsordnungen gehen sollte,366 entsteht nunmehr der Eindruck eines längst für überwunden gehaltenen Freund-Feind360 

Vgl. zu diesem Ziel Art.  15–20 im Resolutionsvorschlag (Basedow) des Instituts für internationales Recht, Annuaire IDI Vol. 78 (2017), 215 (221 f.), näher begründet bei Basedow, Annuaire IDI Vol. 77-I (2016), 391 (431 ff.). Für eine solche Lösung auch Rühl, ZRP 2021, 66 (67). 361  Näher zum aktuellen Stand Thomale/Murko, EuZA 2021, 40 (47). 362 Ähnlich Halfmeier, RabelsZ Bd.  68 (2004), 653 (684 f.). 363  Insofern a. A. Mittwoch, RIW 2020, 397 (401 f.). 364  Unter A. (S.  1 ff.) und B.II. (S.  17 ff.). 365  Für weitere Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit siehe etwa Weller/Göbel in: Gebauer/Huber (Hrsg.), Politisches Kollisionsrecht, 75 (83 ff.). 366  Vgl. die Ausführungen zu Arendt im IPR-Kontext, oben unter B.II.1.d) (S.  29 ff.).

IV. Zusammenfassung: Abweisung statt Verweisung

301

Schemas367. Der Islam wird auf Ebene des Ehe- und Scheidungsrechts pauschal als Gegenmodell zum hiesigen Wertekanon behandelt, sodass dem einschlägigen staatlich-religiösen Recht aufgrund seiner Grundausrichtung die Normanwendung im Fall generell verwehrt wird. Internationalprivatrechtlicher Separa­tionismus ist die Folge – man betreibt Abweisung statt Verweisung. Anders als in den sonstigen Beispielen aus dem EU-IPR368 steht nicht eine Absonderung auf Basis unionaler Ideale im Mittelpunkt, sondern ein Rückgriff auf (vermeintlich) westliche Denkmuster. Letztlich erweitern die diskriminierenden Vorschriften das IPR, dessen Funktion in der wertneutralen Verweisung auf eine Rechtsordnung liegt, um ein situatives Sichtbarkeitserfordernis369 – ein Normsystem wird nur berufen, sofern es in fundamentalen Wertungen mit der lex fori übereinstimmt.370 Die Beispiele aus diesem Kapitel nehmen wie angesprochen noch eine weitere Form der Sichtbarkeit in den Blick: eine personale. Mit unterschiedlichen Mitteln wird versucht, schwachen oder gefährdeten Parteien im Kollisionsrecht eine Sonderbehandlung zuzubilligen. So löblich im Zuge dessen auf der einen Seite die sozialpolitischen Zielvorstellungen sind, so eklatant die handwerklichen Mängel auf der anderen. Lediglich im Menschenrechtsschutz kann die Verweisung tatsächlich eine unterstützende Rolle einnehmen; Art.  10 Rom IIIVO und Art.  13 EGBGB garantieren demgegenüber aufgrund ihrer Ausgestaltung keinen effektiven Schutz. Insofern wissen also die klassischen, situativen Modifikationen der Verweisung eher zu überzeugen als mutmaßlich revolutionäre oder progressive Mechanismen. Der wesentliche Grund dafür, dass der Menschenrechtsschutz auch im IPR gefördert werden kann, ist in seiner kosmopolitischen Perspektive zu sehen: Er streitet zwar für konkrete Anliegen, aber – gerade im Kontext der Unternehmensverantwortlichkeit – nicht in demselben Atemzug gegen bestimmte Rechtsordnungen oder -familien.

367 

Vgl. die Ausführungen unter B.II.1.b) (S.  22 ff.). Dass hinter diesen Normen keine auch nur ansatzweise mit Schmitt vergleichbare totalitäre Einstellung und Intention steht, soll freilich an dieser Stelle betont werden. Von den Vorgaben, die Mouffe zum Umgang mit politischen Agonismen aufstellt, weicht das unionale IPR dennoch zunehmend ab. 368  Dazu oben, C.IV.5.i) (S.  243 ff.). 369  Vgl. die Ausführungen zu Rancière im IPR-Kontext, oben unter B.II.1.c) (S.  26 ff.). 370  Dass das klassische IPR einem solchen Pluralitätsverständnis widerstrebt, betont z. B. Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 470.

E.

Bewertung der erlangten Erkenntnisse Was bleibt nun nach dieser Erkundung der Wertneutralität im historischen und modernen Kontext zu konstatieren? 1. Wertneutralität bedeutet in erster Linie Pluralität.1 Dass Rechtsordnungen sich in ihren materiellrechtlichen Vorgaben unterscheiden, ist kein Hindernis, sondern Prämisse des IPR. Es obliegt demzufolge der Verweisung, auf die Vielfältigkeit der Sachrechte Rücksicht zu nehmen, anstatt nationalen Vorstellungen Ausdruck zu verleihen. Insbesondere der Blickwinkel trennt Wertneutralität von Politik, internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit von Materialisierung – das Kollisionsrecht muss an grenzüberschreitende Sachverhalte auch mit grenzüberschreitenden Argumenten herantreten. 2. Staaten können auf verschiedenen Stufen gegen die Wertneutralität verstoßen: Wenn sie im engeren Sinne diskriminierende Vorschriften schaffen, werden schon durch die Anknüpfung selbst bestimmte Rechtsordnungen ausgeschlossen. In abgeschwächter Form bricht aber auch eine formal allseitige Kollisionsnorm mit der Wertneutralität, wenn die Wahl für ihren Anknüpfungspunkt einzelstaatlichen Motivationen entspringt. 3. Weil den Forumstaaten und Gesetzgebern jedoch nicht abverlangt werden kann, fremdes Recht ohne jegliche Einflussmöglichkeit zur Anwendung zu berufen, haben sich im Laufe der Zeit einige Korrekturinstrumente herausgebildet.2 Diese weichen in Teilen von der wertneutralen Verweisung ab, um soziale, wirtschaftliche und hoheitliche Interessen durchzusetzen. Indem die Mechanismen sich auf enge Tatbestandsmerkmale beziehen und im Idealfall Rücksicht auf die Interessen nach Kegel3 nehmen, hegen sie die machtpolitische Instru­ mentalisierung des IPR allerdings zugleich ein. Als Korrektive, welche die Verweisung gleichermaßen vor einer zu umfassenden Wertneutralität und vor einer

1 

Siehe B.II.2. (S.  32 ff.). Siehe B.III. (S.  37 ff.). 3  Siehe B.I.2. (S.  13 ff.). 2 

E. Bewertung der erlangten Erkenntnisse

303

zu weitgehenden Politisierung schützen, verfügen sie im klassischen Kollisionsrecht über eine Existenzberechtigung. 4. Die Maxime des wertneutralen Kollisionsrechts gleichrangiger Rechtsordnungen hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, die freilich noch nicht auserzählt ist. Lange spielten diese Dogmen weder in der Praxis, noch in der wissenschaftlichen Diskussion eine Rolle.4 Erst Savigny hat den Fokus auf sie gelenkt, ohne aber seinerseits eine vollumfängliche Entpolitisierung zu betreiben.5 Auch nachdem der „Sitz des Rechtsverhältnisses“, der im „Prinzip der engsten Verbindung“ fortlebt, das Licht der Welt erblickt hatte, wurden die verweisungsrechtlichen Ideale von politischen Ansätzen inner-6 und außerhalb7 Europas infrage gestellt. In der normativen Praxis konnten sie sich noch in der Entstehung des EGBGB nicht durchsetzen,8 sodass erst bei den IPR-Reformen in den Ausläufern des vergangenen Jahrtausends effektiv von einer Wertneutralität gesprochen werden kann9. Von dem so eingeschlagenen Weg ist das europäische Kollisionsrecht, das den nationalen Regelungen vorgeht, in jüngerer Vergangenheit indes durch legislative und judikative Entscheidungen zugunsten unionaler Interessen abgewichen.10 In nahezu jeder Phase der internationalprivatrechtlichen Entwicklung hätte die folgende Aussage demnach zugetroffen: „IPR ist nicht unpolitisch“11 (siehe Ausgangsthese 1). 5. Angesichts dieser Erkenntnisse erscheint es nicht abwegig, eine fundamentale Umstrukturierung des IPR anzustreben, in der politische Vorstellungen nicht nur ausnahmsweise auf die Verweisung einwirken, sondern sie dirigieren. Dem möchte ich mit einem weiteren Zitat entgegentreten: „Das Fundament trägt noch“12. Meine Untersuchungen dokumentieren nämlich ebenso, dass Gesetzgebung und Praxis sich seit Savignys Lehren zwar immer wieder offen gegenüber Durchbrechungen der Wertneutralität gezeigt, dafür aber im Regelfall 4 

Siehe C.I. (S.  63 ff.), C.II. (S.  89 ff.) und C.III. (S.  99 ff.). Siehe C.IV.1.a) (S.  121 ff.). 6  Siehe C.IV.1.b) (S.  134 ff.). 7  Siehe C.IV.2. (S.  141 ff.). 8  Siehe C.IV.3. (S.  164 ff.). 9  Siehe C.IV.4. (S.  178 ff.). 10  Siehe C.IV.5. (S.  201 ff.). 11  So plakativ Mankowski, RIW 2019, 180 (180). Ähnlich Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 153: IPR als „offenes System“. Vgl. auch Reichelt, Gesamt- und Einzelstatut, 16 und Muir Watt, Les méthodes du droit international privé, 38 f. Die Gegenauffassung von Flessner, Interessenjurisprudenz, 63 beruht auf dem Umstand, dass er eine „Politisierung“ erst bei dahingehenden Äußerungen der Legislativorgane annimmt. 12  So der Titel des Beitrags von Schurig in: Mansel (Hrsg.), IPR im 20.  Jahrhundert, 5 ff. Vgl. auch Michaels in: Muir Watt/Fernández Arroyo (Hrsg.), Private International Law and Global Governance, 54 (67) und Muir Watt, CJICL Vol. 5 (2016), 388 (397 f.). Dies bezweifelnd Dessauer, IPR, Ethik und Politik, 665 f. 5 

304

E. Bewertung der erlangten Erkenntnisse

gängige Instrumente des IPR zurate gezogen haben. Im Wesentlichen vollziehen sich die Modifikationen auf der Begründungsebene, weshalb es in der Suche nach dem anwendbaren Recht zu Akzentverschiebungen kommt, ohne dass die Grundausrichtung des IPR infrage gestellt wird (siehe Ausgangsthese 2). 6. An dieser vorsichtigen Anpassung der Verweisungstechnik sollten die zuständigen Institutionen festhalten: Sofern die Anomalien als Ausnahme zur Regel auftreten, werden sie regelmäßig tatsächlichen Bedürfnissen gerecht, für die das klassische IPR in seiner reinen Koordinationsfunktion keine befriedigenden Antworten bietet. Vor allem materiellrechtliche Belange, die supranationalen Tendenzen und nicht bloß einzelstaatlichem Kalkül entspringen, lassen sich so schon in einem frühen Stadium der Falllösung begünstigen. Das IPR kann und darf politische Belange begünstigen, solange die dahinterstehenden Interessen keine diskriminierende Haltung gegenüber ausländischen Rechtsordnungen oder -kreisen verkörpern.13 Sobald hingegen tragende Säulen der Verweisung, wie etwa ihre universale Stoßrichtung, auf Basis neuartiger Mechanismen angetastet werden, vermögen die angestrebten Vorteile die praktischen Nachteile nicht aufzuwiegen. Gerade das unionale Kollisionsrecht läuft Gefahr, die mitgliedstaatlichen Regelungsansprüche in einer Weise aufzuwerten, die sich vor dem Hintergrund einer pluralistischen Verweisungsperspektive nicht rechtfertigen lässt (siehe Ausgangsthese 3). 7. Warum demgegenüber vor allem die Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen auch zukünftig im Zentrum des deutschen und europäischen IPR stehen sollte, lässt sich an verschiedenen Beispielen der jüngeren Historie veranschaulichen: Wann immer vor dem Ziel, das eigene Recht oder die eigene Kultur über fremde Rechts- und Sozialordnungen zu erheben, die Allseitigkeit der Anknüpfung im Vorhinein beschnitten oder im Nachgang entwertet wird, resultiert daraus Intoleranz, Rechtsunsicherheit und Disharmonie.14 Selbst dann, wenn daneben begrüßenswerte sozialpolitische Motive prima facie für eine stärkere Politisierung des IPR streiten, erweist sich die kollisionsrechtliche Ebene abseits der klassischen Korrekturinstrumente als ungeeignet (siehe Ausgangsthese 4). Ich verstehe diese Doktorarbeit deshalb auch als Mahnung: Das IPR verfügt bereits über einen Kanon an Möglichkeiten, um politische Interessen innerhalb seines bewährten Instrumentariums abzubilden, ohne die Verweisungstechnik grundlegend aufzugeben. Man sollte diese Flexibilität als Chance begreifen, anstatt substantielle Umwälzungen zu fordern. Um die Topoi aus der Einleitung meiner Untersuchung aufzugreifen: Versteht man die auf Savigny zurückgehende Methodik als „Tradition“, dann ist es tatsächlich sie, die „Innovation“ verhindert. 13  14 

Siehe D.III. (S.  277 ff.). Siehe D.I. (S.  251 ff.) und D.II. (S.  262 ff.).

E. Bewertung der erlangten Erkenntnisse

305

Hinter dieser Entscheidung verbirgt sich jedoch weniger Konservatismus, als eine angemessene Wertschätzung der internationalen Falldimension. Daran anschließend möchte ich mit einem Zitat von Ralf Michaels enden, der den besonderen Wert des IPR treffender auf den Punkt gebracht hat, als ich es mit meinen eigenen Worten könnte: „Private international law, then, offers itself as the discipline that can, alone, negotiate between these different values, without imposing its own values. This itself is a value, but it is a value that is not super­ imposed. It does not suffer from a liberalism understood as a fixed frame­work structure. It enables us to be pluralist, to live with and accept pluralism, without collapsing into anarchy and chaos. That should be of great value to the world of today.“15

15  Michaels in: Ferrari/Fernández Arroyo (Hrsg.), PIL – Contemporary Challenges, 148 (177).

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Sachregister Abstammung – EGBGB von 1896  175 – Minderjährigenehen  266 Accursius 103 aequitas  84 Ägypten – Kolonisation  71 Aldricus 104 Amnestien 291 Anerkennungsprinzip  230, 248 – Motivation 232 – ordre public 234 – Statusverhältnisse  236 – Wertneutralität 232 angloamerikanisches IPR  50, 141, 236, 249 – Ablehnung im EU-IPR  244 – Ablehnung in der Reform von 1986  181 – Amerika-Zentrismus 143 – Beale, Joseph 155 – Cavers, David  158 – Cook, Walter Wheeler 144 – Currie, Brainard  146 – Ehrenzweig, Albert 149 – Leflar, Robert  160 – Menschenrechtsschutz  297 – Prävalenz des Forums  152 – Story, Joseph 141 – Verhältnis zur comitas 113 Anknüpfung – allseitige ~  28, 36, 46, 61, 116, 304 – Art. 10 Rom III-VO  258 – EU-IPR 244 – Gebhard, Albert  168 – einseitige ~  46, 61 Anknüpfungsgegenstände 12

– Personalstatut  65 – Qualifikation  57 – Savigny, Friedrich Carl v. 122 – Auslegungsschwierigkeiten 130 – Statutenlehre  106, 116 Anknüpfungsmomente  36 – Anknüpfungsverlegenheit – Rechtswahl 53 – Einteilung durch Savigny 130 – Entstehungsort – Beale, Joseph  156 – Erfolgsort  179, 289 – EU-IPR – Zersplitterung 210 – gewöhnlicher Aufenthalt  33, 183, 247 – EU-IPR 205 – Reform von 1986  187 – Handlungsort  98, 179, 296 – Bestimmung 290 – Menschenrechtsschutz 290 – Staatsangehörigkeit  33, 65, 130, 175 – EU-IPR 205 – Gebhard, Albert  170 – Mancini, Pasquale Stanislao 134 – Reform von 1986  182, 187 – Staatenlose  66 – Statutenlehre 104 – Tatort  104, 114, 177, 179, 196 – Wohnsitz  65, 131 anomalisches Recht – Savigny, Friedrich Carl v. 125 Anpassung  42, 259 Antike  30, 119, 133, 205, 249 – Gastfreundschaft  68 – griechische ~  64

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Sachregister

– Kolonisation  71 – römische ~  75 – bona fides  83 – ius gentium  78 – wirtschaftliche Interessen  87 Antisemitismus – ~ in der Anknüpfung  131 Arbeitnehmerrecht  184 – EU-IPR 223 Arblade-Entscheidung  217 Arendt, Hannah  25, 88, 97, 119, 140, 243, 299, 300 – Politikbegriff 29 Aristoteles  73, 99, 140, 167, 181, 205 – Politikbegriff 19 Art. 7 Rom II-VO.  Siehe Umweltschädigungen Art. 10 Rom III-VO  251, 300 – Antragserfordernis  261 – Auswirkungen auf die Rechtswahl  255, 257 – Einverständnis der Ehefrau  261 – Rechtsnatur 252 – abstrakte Abwehrvorschrift  252 – spezielle ordre public-Vorschrift 254 – Regelungszweck der VO  255 – systematische Stellung  255, 257 – teleologische Reduktion  254 – Umsetzung im EGBGB  252 – Verhältnis zu Art. 12 Rom III-VO  253, 262 – Wortlaut  253, 255, 256 Art. 13 III EGBGB.  Siehe Minderjährigen­ ehen Art. 13 IV EGBGB-E.  Siehe Polygamie Art. 17 Rom II-VO.  Siehe Sicherheits- und Verhaltensregeln Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres  253 Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter  253 Auswanderer – Heimkehrrecht in der Antike  72 Azo 103 Balduini, Jacobus 105 Baldus de Ubaldis  107 Bartolus de Saxoferrato  107, 109

– ordre public  118 Baumbast-Entscheidung  227 Beale, Joseph – Begriffsverständnis 155 – Bezug zu Savigny 155 – Ermessen  156 – Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen  155 – Klassifizierung der Normsysteme  155 – public policy 155 – Tatsachen 154 – Territorialität 155 – Vested Rights 154 Belegenheitsrecht.  Siehe lex rei sitae Bereicherungsrecht – Reform von 1999  194 Better Law Approach  161 Binnenmarkt  203, 219, 231, 245 – Anknüpfungsrelevanz  247 – Bezugnahme in der Rechtsprechung  204 bona fides  83 Bündelungsmodell  128 Bündnispolitik  69, 99 Bürgerqualität – Antike  64, 74, 88 – EU-IPR  203, 206, 226 – fehlende ~  66 – mittelalterliche Stadtrechte  117 capitularia.  Siehe Kapitularien Cavers, David – Bezug zu Savigny  158 – Internationalismus 159 – jurisdiction-selecting-rules  158 – Kritik an Ehrenzweig 159 – Kritik an Systembegriffen  158 – Parteiinteressen 159 – Rechtswahl 159 – Sachrechtsbezogenheit  158 Choice-influencing Considerations  160 Christentum.  Siehe Religion Coman-Entscheidung  228 comitas  111, 117 – Anleihen im angloamerikanischen IPR 142 – Gebhard, Albert  168 – Mancini, Pasquale Stanislao  139 – Savigny, Friedrich Carl v. 123

Sachregister – Verhältnis zum ordre public 112 Comity of Nations 144 commercium  83, 96 Common Law  7, 153, 154 Conflict of Laws.  Siehe angloamerikanisches IPR conubium  83, 96 Cook, Walter Wheeler – Begriffsverständnis 145 – Bezug zu Savigny  146 – Ermessen 145 – Interessenabwägung 145 – Local Law Theory 144 – Methodik der Inkorporation  144 Corporate Social Responsibility 293 Currie, Brainerd 149 – Einstellung zum ordre public  148 – Einteilung in Konfliktkategorien  147, 153 – Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen  149 – Governmental Interest Analysis  146 – Interessenabwägung  148 d’Argentré, Bertrand 109 Datumtheorie 150 – local data 150 – moral data 150 Deliktsrecht – Ausweichklausel  289 – Entstehung des EGBGB  177 – Entwürfe von Gebhard  177 – Menschenrechtsschutz  289 – Reform von 1999  200 – Statutenlehre 104 – strafrechtliche Bezüge  114 Dicey, Albert  154, 164 Diskriminierungsschutz – Art. 10 Rom III-VO  252 – diskriminierende Wirkung  259 – EU-IPR 225 – Primärrecht – Anerkennungsprinzip 230 – Sekundärrecht – Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz 229 – Versicherungsansprüche  229, 244 – Staatsangehörigkeit  206

341

Drittstaaten  216, 246 DSGVO  228 Dumoulin, Charles 109 EGBGB – Art. 12 (1896)  177 – Art. 15, 17, 18 (1896)  175 – Grundrechtsverstoß  180 – Art. 30 (1896)  40 – Art. 31 (1896)  174, 182 – Art. 38 (a.F.) – Abschaffung in der Reform von 1999  197 – Entstehung  5, 34, 131, 165, 249, 303 – Ausländerfeindlichkeit  174 – Bezug zur comitas  173 – Deliktsrecht  177 – Leitmotive  177 – politische Einwände  166 – Zweck  165 – Reform von 1986  131, 180 – Eingriffsnormen  184 – Formstatut  189 – Mehrstaater  189 – Methodik  181 – Namensrecht  185 – ordre public  183, 188 – Rechtswahl  185, 187, 190 – renvoi  188 – Staatsangehörigkeitsanknüpfung  182 – Reform von 1999  193 – Bereicherungsrecht 194 – Deliktsrecht  196 – Geschäftsführung ohne Auftrag  195 – Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen 199 – Heimwärtsstreben 200 – Interessenabwägung  198 – Rechtswahl  198 – Sachenrecht  193, 195 – Wertneutralität 200 Ehe – Abwehrrecht vs. Leistungsrecht  265, 271 – gelebte ~  269 – Liberalisierung  270 – Schutz durch Grundrechte und Staats­ verträge  265

342

Sachregister

Ehemann – Anknüpfungsprivilegierung  131, 175 – Gebhard, Albert  172 Ehemündigkeit – Altersgrenzen  264 – Ehehindernis – Qualifikation  264 – intertemporale Vorschriften  267 Ehrenzweig, Albert 149 – Datumtheorie 150 – Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen  152 – Lex fori Approach 149 – rules of choice 150 Eingriffsnormen  26, 29, 44 – ausländische ~  47 – Better-Law-Ansatz 51 – EU-IPR  217 – Gefahrenpotential  218 – Lokalisierung 220 – Gemeinwohl  47 – inhaltliche Begrenzung  45 – Inlandsbezug 49 – Menschenrechtsschutz 294 – Menschenrechtsschutz  292, 300 – AGG 293 – Rechtsfolge 50 – Relativität  46 – richtlinienbasierte ~  218 – Savigny, Friedrich Carl v. 125 – Schuldstatutstheorie  48 – Sonderanknüpfung  47 – Unilateralismus 45 – Unternehmensverantwortlichkeit – Frankreich 294 – Lieferkettengesetz 294 – Wertneutralität  46 Emanzipation  27 Entpolitisierung  2, 4, 8 – EU-IPR  248 – IPR-Verständnis  19, 34, 275, 302 – Korrekturinstrumente  38 – Menschenrechtsschutz 300 – moderne Tendenzen  301 – Savigny, Friedrich Carl v.  128 – Verständnis bei Arendt 31 – Verständnis bei Schmitt 23

Entwürfe zum EGBGB von 1896.  Siehe Gebhard, Albert Erfolgsortanknüpfung  179, 196 – Menschenrechtsschutz  289 EU-IPR.  Siehe europäisches IPR europäisches IPR  37, 181, 201, 303 – allgemeiner Teil  235 – Anerkennungsmethoden  208, 229 – Anerkennungsprinzip 230 – Anknüpfungsrelevanz der EU  245 – Binnenmarktbezug  203, 223 – Bürgerstatus  203, 226, 229, 234 – Diskriminierungsschutz – Primärrecht 230 – Sekundärrecht  227 – Drittstaatenabgrenzung  5, 212, 222, 246 – Art. 10 Rom III-VO  258 – Eingriffsnormen  217 – Gefahrenpotential  218 – Lokalisierung 220 – Richtlinienbezug  218 – Ermessensreduzierungen  213, 220 – gesellschaftliche Pluralität  207 – Gesellschaftsrecht 230 – Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen  205, 230, 240, 247 – Günstigkeitsprinzip 224 – Haltung zu religiösem Recht  210 – Heimwärtsstreben  236, 240, 248 – Interessenabwägung – Privatscheidungen 211 – Internationalismus 243 – Kartell- und Lauterkeitsrecht  204 – Lobbyeinflüsse  204, 221, 223 – Methodik 244 – Namensrecht  230, 233 – ökonomische Analyse  204 – ordre public 212 – Drittstaatenabgrenzung  216 – inhaltliche Ausgestaltung  212 – Inlandsbezug  216 – Persönlichkeitsrechtsverletzungen  246 – primärrechtliche Überlagerung  246 – Produkthaftungsrecht 204 – Qualifikation – autonome ~  228 – Rechtswahl  236 – Beschränkungen  238

Sachregister – EU-Grundrechte 241 – Schwächerenschutz  238 – Verordnungsvorgaben 240 – renvoi 241 – Schwächerenschutz 222 – Drittstaatenabgrenzung 224 – Staatsangehörigkeitsanknüpfung 205 – Verbraucherschutz 204 – Wertefundament 212 – Wertneutralität  247 Exklusivnormen  36 Familiengrundrecht  272 Feudalismus  94, 110 Fideikommisse  171, 188 Folter  282 Formstatut – Interessenabwägung  189 Forum Favouritism  147 Forumrecht.  Siehe lex fori forum shopping 254 Frankenreich  89, 92 Frankreich – politische Situation im Mittelalter  109 – Unternehmensverantwortlichkeit 294 Freizügigkeit  226, 228, 230, 231, 234, 240, 274 Fremdenprätor.  Siehe praetor peregrinus Gastfreundschaft – Antike  68, 82 – Mittelalter 102 Gastgerichte – Mittelalter 94 Gebhard, Albert  167, 176, 249 – Anknüpfung im Vertragsrecht  171 – Bezug zu Savigny  169 – Grundauffassungen zur Natur des IPR  168 – Interessenabwägung  170 – Präferenz für das deutsche Forum  169 – Vorentwurf zu Art. 12 EGBGB (1896)  177 gemeines Recht.  Siehe ius commune Gemeinwohl  18, 20 – Eingriffsnormen  47 – Grundfreiheiten  217 – IPR-Verständnis 22

343

– Rechtswahl 55 Gerechtigkeit – ~ bei Arendt 32 – ~ bei Aristoteles 20 – Einzelfallbezug  277 – internationalprivatrechtliche ~  2, 8, 12, 302 – Art. 38 EGBGB (a.F.)  197 – Beale, Joseph 155 – Cavers, David 159 – EU-IPR  238 – Kegel, Gerhard 15 – kulturelle Identität  298 – Leflar, Robert  162 – Menschenrechtsschutz  281, 299 – Qualifikation  61 – Reform von 1986  183, 192 – Savigny, Friedrich Carl v. 129 – Vordenker 14 – Korrekturinstrumente  38 – materiellrechtliche ~  2, 8, 104 – Kegel, Gerhard 15 – Trennung der Gerechtigkeitsebenen  16, 225 Geschäftsführung ohne Auftrag – Reform von 1999  195 Geschichte des IPR  6, 63, 303 – angloamerikanische Ansätze  141 – Beale, Joseph 155 – Cavers, David  158 – Cook, Walter Wheeler  144 – Currie, Brainerd  146 – Ehrenzweig, Albert 149 – Leflar, Robert  160 – Story, Joseph 141 – Antike  63 – griechische ~  73 – Personalitätsprinzip  65 – römische ~  85 – Entstehung des EGBGB  165, 175 – Früh- und Hochmittelalter  89, 95 – Mancini, Pasquale Stanislao  134, 137 – Reform von 1986  180, 191 – Reform von 1999  193, 200 – Savigny, Friedrich Carl v. 121 – Statutenlehre  99, 115 Geschlechtergleichstellung  258 – Bedeutung im Privatrecht  254

344

Sachregister

– Disponibilität  260 – Menschenrechtsschutz  281 Gesellschaftsrecht 230 get  258 Gewohnheitsrecht – Stadtrechte 100 gewöhnlicher Aufenthalt  33, 183, 247, 289 – ~ als Tatbestandsbegrenzung  225, 267, 270 – EU-IPR 205 – Bedeutungsverlust des ordre public  215 – Reform von 1986  187 Gleichberechtigung – Menschenrechtsbezug im IPR  281 Gleichberechtigung in der Scheidung.  Siehe Art. 10 Rom III-VO Gleichlauf von Forum und ius  67, 205, 239 Gleichrangigkeit der Mitgliedstaaten – EU-IPR 215 Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen  1, 10, 300, 304 – angloamerikanisches IPR  153 – Arendt, Hannah 31 – Aristoteles 21 – Art. 13 EGBGB  274 – Beale, Cavers und Leflar  164 – Currie, Brainerd 149 – Ehrenzweig, Albert 152 – Entstehung des EGBGB von 1896  176 – EU-IPR  205, 221, 230, 240, 247 – Freund-Feind-Schema 23 – Gebhard, Albert  168 – Klassifizierung  211 – Kosmopolitismus 33 – Mancini, Pasquale Stanislao  138, 140 – Menschenrechtsschutz  297 – Mouffe, Chantal  26 – Rancière, Jacques  28 – Reform von 1986  183, 186, 187, 190, 192 – Reform von 1999  199 – Deliktsrecht  197 – Savigny, Friedrich Carl v.  122, 133 – Story, Joseph 143 Glossen  116 – Statutenlehre 105 Governmental Interest Analysis  146, 149

Grundfreiheiten  206, 225, 227, 237 – Bezug zu Eingriffsnormen  217 Grundrechte – europäische ~  213 – Geltung im IPR  180 Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.   Siehe Unionstreue Grzelczyk-Entscheidung  227 Günstigkeitsprinzip  224, 289, 290 gute Sitten  40 – ordre public 42 Handelsvertreterrichtlinie 219 Harmonisierungstendenzen im IPR – EU-IPR  120, 203, 208, 217, 226, 232, 237, 241 – Mancini, Pasquale Stanislao 139 – Savigny, Friedrich Carl v. 122 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 99 Heimwärtsstreben  11, 15, 37 – Ehrenzweig, Albert  151 – EU-IPR  236, 240, 248 – Reform von 1986  186 – Reform von 1999  200 Herkunftslandprinzip 231 Hert, Johan Nikolaus 114 homo faber  31 hospitium.  Siehe Gastfreundschaft Huber, Ulricus 113 Interessen – Abgrenzungsschwierigkeiten 35 – Abwägung bei Gebhard  170 – angloamerikanisches IPR  164 – Eingriffsnormen  47, 48 – EU-IPR  5, 203, 219 – internationalprivatrechtliche ~  8, 13, 46 – Art. 13 EGBGB  277 – Menschenrechtsschutz  298 – Rechtswahlbeschränkungen  238 – Kegel, Gerhard  13 – materiellrechtliche ~  8, 11, 190, 238 – Ordnungs~  14, 45, 189, 195 – Partei~  13, 29, 51, 143, 159, 183, 185, 189, 191, 195, 198, 201, 232, 238, 268, 290, 298 – Personalstatut  206

Sachregister – politische ~  15 – Privatscheidungen 211 – Reform von 1986  183, 187, 191 – Reform von 1999  198 – Savigny, Carl Friedrich v.  126 – staatliche ~  2, 5, 11, 36, 44, 302 – Verkehrs~  14, 54, 185, 198, 238, 290 – vormoderne Geschichte des IPR  249 – wirtschaftliche ~  11, 32, 247 – Antike  70 – EU-IPR 214 – Mittelalter 100 – Rechtswahl 53 internationaler Entscheidungseinklang  14, 189, 232, 244 – Eingriffsnormen 50 – Mancini, Pasquale Stanislao  139 – Reform von 1986  182 – Savigny, Friedrich Carl v. 123 internationales Zivilverfahrensrecht – Staatsverträge  281 Internationalismus  5, 10, 17, 32, 34, 82, 302, 305 – angloamerikanisches IPR  153 – Beale, Joseph  156 – Cavers, David 159 – EU-IPR  236, 243 – Gebhard, Albert  171 – Leflar, Robert  162 – Mancini, Pasquale Stanislao  139, 140 – Savigny, Friedrich Carl v.  128 – Story, Joseph 143 islamfeindliches IPR  301, 304 – Art. 10 Rom III-VO  258 – Art. 13 EGBGB  275 – Menschenrechtsschutz  298 islamisches Recht – ordre public 40 Isokrates  67 Italien  91, 100 – Risorgimento 135 ius civile – Auslegungsfunktion 119 – Formalismus  80 – römische Antike  76 ius cogens  184, 282 ius commune  102, 106, 109, 110, 119 ius gentium

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– Funktion  86 – Ursprung  79 Judikative  5, 11, 17, 39, 44, 60, 73 – EU-IPR  204, 213, 218 – Reichsgericht  131, 172, 179 – Reichskammergericht  117, 120 jurisdiction-selecting-rules  158 Justizielle Zusammenarbeit in Zivil­ sachen  203, 230 Kaiser – römische Antike  79 Kanonisten 103 Kant, Immanuel – Bezugnahme bei Mancini  137 Kapitularien – Mittelalter 93 Karolinger 93 Kartell- und Lauterkeitsrecht  204 Kegel, Gerhard – Interessen  13, 46, 191, 302 – Abwägung bei Gebhard  170 – angloamerikanisches IPR  164 – EU-IPR 219 – internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit 15 Kinderehen.  Siehe Minderjährigenehen Kindeswohl  191, 265, 275, 281, 283 Kolonisation – Antike  71 Kommentatoren  106 Korrekturinstrumente  5, 37, 302 – ~ im angloamerikanischen IPR  152 – Menschenrechtsschutz 300 Kühne, Gunther  189 kulturelle Identität  210, 215 – ~ als Interesse  298 – Anerkennungsprinzip 232 – Einfluss auf das IPR  207 – Kulturkampf  260, 274, 279, 301, 304 Kuwait Airways-Entscheidung 49 Leflar, Robert  160 – Auftreten von biases  163 – Better Law  161 – Bezug zu Currie  161 – Bezug zu Ehrenzweig  161

346

Sachregister

– Bezug zu Savigny  160 – Interessenabwägung  161 legal realism 155 leges.  Siehe Volksrechte Legisten 103 Lehnssystem.  Siehe Feudalismus Leihmutterschaft  213, 287 lex fori  11, 186, 201 – Anerkennungsprinzip 232 – angloamerikanisches IPR  152, 164 – Antike  74 – Kolonisation  72 – Aufwertung durch Art. 10 Rom III-VO  255 – Beale, Joseph 155 – Cavers, David  157 – comitas 112 – Cook, Walter Wheeler 144 – Currie, Brainerd  146 – Ehrenzweig, Albert 149 – Eingriffsnormen 44 – Funktionsvergleich  60 – Gebhard, Albert  168 – Heimwärtsstreben  36, 183, 187, 192, 205 – EU-IPR  207, 301 – Leflar, Robert  161 – ordre public  43, 184 – Qualifikation  57 – Rechtswahl  239, 240 – Savigny, Friedrich Carl v. 124 – Stammesrechte  98 – Statutenlehre  66, 103, 105, 106, 118, 119 – Verständnis bei Kegel 14 Lex fori Approach  149, 159 lex originis.  Siehe Staatsangehörigkeit lex rei sitae – EGBGB von 1896  174 – Mittelalter  98 – Reform von 1999  195 – Statutenlehre  107 Liberalismus  25, 33, 38, 279 – Eherecht  270 – EU-IPR  226 – innereuropäischer ~  215 – Mancini, Pasquale Stanislao  137, 139 – Rechtswahl 53 – Savigny, Friedrich Carl v. 132 Lieferkettengesetz 294

Local Law Theory 144 lois de police.  Siehe Eingriffsnormen Macht  18, 30, 31, 52, 123, 145, 302 – ~ als Interesse bei Cavers 159 – Interessenkanon 15 Mancini, Pasquale Stanislao 249 – Entscheidungseinklang 139 – Nationalitätsprinzip 134 – ordre public  135, 138 – politische Haltung  136 – Rechtsverhältnis 135 – Rechtswahl  135, 137 – Verhältnis zur comitas 139 – Verhältnis zu Savigny  138 – Volksbegriff  137 Materialisierung des IPR  35, 250, 260, 296, 302 materielles Recht – Politisierung 4 Mehrehen.  Siehe Polygamie Mehrstaater – Reform von 1986  189 Menschenrechtsschutz  277 – Amnestien 291 – angloamerikanisches IPR  297 – Auslegungsspielräume 299 – Eingriffsnormen  292, 300 – AGG 293 – Frankreich 294 – Lieferkettengesetz 294 – Ermessen  283 – Gleichberechtigung  281 – Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen  297 – Handlungsadressaten  284, 292 – Kernbestand  283 – Kosmopolitismus 301 – Natur der Menschenrechte  279, 292 – ordre public  285 – Auslegungsspielraum  286 – internationalisierter ~  287 – Rechtsprechung zur EMRK  287 – Rechtswahl  296 – Mancini, Pasquale Stanislao  137 – Relevanz im IPR  279, 280, 282 – Schwächerenschutz 295 – staatsvertragliches IPR  280

Sachregister – Unternehmensverantwortlichkeit  280 – Anknüpfung  289 – einschlägige Menschenrechte  283 – Rechtswahl 290 – Wertneutralität  296 Minderjährigenehen 300 – Ehemündigkeit  264 – Eingriffsnormcharakter  268 – Ermessensausübung  269 – Folgeansprüche  266 – gelebte Ehe  269 – Gesetzgebungsgeschichte  263 – gleichgeschlechtliche ~  268 – Härtefallklauseln  266 – hinkende Rechtsverhältnisse  276 – Inlandsbezug  268 – intertemporales Recht  267 – Analogie  267 – Kindeswohl  275 – ordre public  269 – Reformvorschläge  268 – Rückwirkung  267 – Verstoß gegen Art. 3 I GG  267 – Verstoß gegen Art. 6 I GG  265 Mittelalter  89 – Feudalismus 94 – professio iuris 90 – Statutenlehre 99 – System der persönlichen Rechte  89 Mobilität – EU-IPR  206, 226 – Volksrechte im Mittelalter  95 Mouffe, Chantal 205 – Eingriffsnormen  26 – ordre public  26 – Politikbegriff 25 Multilateralismus  26, 37, 115, 125 – Art. 10 Rom III-VO  259 – Savigny, Friedrich Carl v. 124 Muttergesellschaften.  Siehe Unternehmensverantwortlichkeit Namensrecht 230 – EU-IPR – Adelstitel 234 – Reform von 1986  185 Nationaler Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte  278

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Nationalitätsprinzip 134 naturalis ratio – ius gentium  80 Natur des IPR  7 Neostatutismus – ~ im angloamerikanischen IPR  149 Niederlande – habsburgische Herrschaft  113 Niederlassungsfreiheit  219, 231 Niemeyer, Theodor  164 Normenkontrolle – Abweisung statt Verweisung  301 – Art. 10 Rom III-VO  256 – Art. 13 III EGBGB  264 – ordre public 44 Nürnberger Gesetze  24 öffentliche Ordnung.  Siehe ordre public ökonomische Analyse – EU-IPR 204 – Rechtswahl 53 Ordnungsinteressen  14, 45, 189, 195 ordre public  26, 29, 252 – Anpassung 259 – Art. 12 Rom III-VO  257, 262 – Auswirkungen auf den Entscheidungs­ einklang 254 – Bezug zu Art. 10 Rom III-VO  253 – Currie, Brainerd  147 – EGBGB von 1896  177 – Ermessen 253 – EU-IPR 212 – allgemeine Rechtssätze der Union  214 – Drittstaatenbezug  216 – inhaltliche Ausgestaltung  212 – Funktion  118 – Generalisierung  276 – gute Sitten  42 – inhaltliche Begrenzung  41 – Inlandsbezug  42, 263 – EU-IPR  216 – Minderjährigenehen  268 – Interessenkanon 15 – internationalisierter ~  287 – Kassationswirkung 41 – kulturelle Identität  208 – Mancini, Pasquale Stanislao  135, 138 – Menschenrechtsschutz  283, 285

348

Sachregister

– – – – – – – – – –

Polygamie  269, 273 Qualifikation  61 Rechtsfolgen  42, 260, 263 Reform von 1986  183, 188 Reform von 1999  – Sonderanknüpfungen in Art.  40  196 Relativität  42, 276 – Menschenrechtsschutz  286 Savigny, Friedrich Carl v. 125 Schmitt, Carl 24 Stoßrichtungen  40, 288 Unternehmensverantwortlichkeit  279, 288 – Verhältnis zur comitas 112 – völkerrechtlicher ~  297 – Vorbehalte in Staatsverträgen  286 Parteiautonomie.  Siehe Rechtswahl Parteiinteressen  29, 143, 159, 185, 189, 191, 195, 198, 201, 232, 238, 290, 298 – Minderjährigenehen  268 – Schwächerenschutz 51 – Statusverhältnisse  183 Paternalismus – unionaler ~  260 Peregrinen  76 – Geltung des ius gentium  80 – Recht  87 Personalitätsprinzip  73 – Antike  65, 81, 86 – Currie, Brainerd 149 – Mittelalter  96 – Verdrängung  94, 98 – Statutenlehre  109, 118 Personalstatut  33, 172, 173, 240 – Abgrenzung zum Personalitätsprinzip  65 – Geflüchtete  266 Persönlichkeitsrechtsverletzungen  246 Pflichtteilsrecht  214 Pillet, Antoine  164 Pluralismus  34, 96, 119, 300, 302 – ~ vs. ordre public 44 – angloamerikanisches IPR  154, 164 – Antike  74, 88 – Arendt, Hannah 30 – EU-IPR 243 – Mancini, Pasquale Stanislao 140 – Mouffe, Chantal 25

– Qualifikation  61 – Reform von 1986  192 – Savigny, Friedrich Carl v. 133 policey – Stadtrechte  117 policy 150 – Cook, Walter Wheeler 145 – Kritik durch Cavers  158 – Leflar, Robert  160 polis – Antike  67 – Arendt, Hannah 30 – Aristoteles  21, 181 – Bündnisse  68 – Richterleihe  69 Politik – Definition  18 – Dimensionen 19 Politikbegriffe  18 – Arendt, Hannah 29 – Aristoteles 19 – IPR-Konzeption 33 – Mouffe, Chantal 25 – Rancière, Jacques  26 – Schmitt, Carl 22 politische Schule des IPR  3, 37, 250, 303 – Qualifikation  60 Polygamie 300 – Anerkennung in Deutschland  270 – Eingriffsnormcharakter  276 – hinkende Rechtsverhältnisse  271 – Inlandsbezug  270 – ordre public-Widrigkeit  269, 273 – potentiell polygame Ehen  272 – Regelungszweck  269 – Schutz der Ehe  271 – Schutz der Familie  272 – staatsvertragliches Recht  270 – Verstoß gegen Art. 3 I GG  272 – Verstoß gegen Art. 6 I GG  271 praetor peregrinus  77 – wirtschaftliche Funktion  77 Primärrecht – Anerkennungsprinzip 233 – Gleichheitssatz 225 – Grundfreiheiten  225, 231 – Impulsfunktion  246

Sachregister – Kompetenzgrundlagen im IPR  203, 215, 231 Principles of Preference  157 Privatscheidungen  211, 252 privilegium germanicum  178, 188, 258 Produkthaftungsrecht 204 professio iuris 90 – Rechtswahl  96 Protektionismus – EU-IPR 224 Proxenie.  Siehe Gastfreundschaft Punische Kriege  77 Qualifikation  57 – Abgrenzung zu Eingriffsnormen  58 – Bezug zum ordre public  62 – EU-IPR – Ehebegriff 209 – Familienangehöriger  228 – funktional-teleologische ~  59 – Gegenstand  57 – gesellschaftliche Relevanz  60 – renvoi 59 – Sachnormen – Statutenlehre  108 – Savigny, Friedrich Carl v. 129 – Statutenlehre  116 – Vorgang  58 Rancière, Jacques  86, 95, 118, 133, 140, 153, 164, 168, 192, 299, 301 – Eingriffsnormen 29 – ordre public 29 – Politikbegriff  26 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts  203, 230 Rechtsprechung.  Siehe Judikative Rechtsquellenhierarchie – Statutenlehre  101, 109 Rechtssicherheit  15, 53, 108, 122, 182, 199, 244, 254, 261, 269 Rechtsverhältnis – Aldricus 104 – Entpolitisierung – Savigny, Friedrich Carl v.  127, 129 – gesellschaftliche Implikationen  76, 131, 172

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– grenzüberschreitende Wirksamkeit  164, 232 – hinkendes ~  14, 169, 271, 276 – Konzentrationswirkung  65, 116 – Savigny, Friedrich Carl v. 121 – Mancini, Pasquale Stanislao 135 – Schaeffner, Wilhelm 121 – territoriale Bindung  100 – Verortung  130, 156, 207 – Wächter, Carl Georg v. 120 Rechtswahl 52 – außervertragliche Schuldverhältnisse  198 – Begründung 53 – Bezug zu EU-Grundrechten  241 – Cavers, David 159 – Entwertung durch Art. 10 Rom III-VO  255 – EU-IPR  236 – Beschränkungen  238 – Motivation  237 – Verordnungsvorgaben 240 – fraus legis  56 – Gemeinwohl 55 – informierte ~  241 – inhaltliche Begrenzung  55 – kollisionsrechtliche Rechtfertigung  54 – Mancini, Pasquale Stanislao  135, 137 – Menschenrechtsschutz  296 – Nutzen im Binnenmarkt  237 – Politisierung  56 – Rechtswirkungen 54 – Reform von 1986  185, 187, 190 – Savigny, Friedrich Carl v.  126 – Schwächerenschutz 55 – EU-IPR  238 – Ursprung bei Dumoulin 109 Reform von 1986  180, 249 – Ablehnung des angloamerikanischen IPR  181 – Eingriffsnormen  184 – Formstatut  189 – Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen  183, 187, 192 – Interessenabwägung  185 – Mehrstaater  189 – Methodik  181 – Namensrecht  185 – ordre public  188

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Sachregister

– Rechtswahl  185, 187, 190 – renvoi  188 – Staatsangehörigkeitsanknüpfung  182 Reform von 1999  193, 249 – Bereicherungsrecht 194 – Geschäftsführung ohne Auftrag  195 – Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen  199 – Heimwärtsstreben 200 – Rechtswahl – außervertragliche Schuldverhältnisse  198 – Sachenrecht  193, 195, 199 – Bezug zu Savigny 195 – Interessenabwägung  196 – Tatortanknüpfung  196 – Wertneutralität 200 – wohlerworbene Rechte  196 Registerrecht 232 Reichsgericht  131, 172 – Ausbau der unilateralen Kollisions­ normen  179 Reichskammergericht – Statutenlehre  117, 120 Relativität – Eingriffsnormen  46 – ordre public  42, 276 – Menschenrechtsschutz  286 Religion – Anknüpfungsrelevanz  131, 133, 176, 210, 252, 275, 297, 301 – Gebhard, Albert  168 renvoi 39 – Entwürfe von Gebhard  170 – EU-IPR 241 – Reform von 1986  188 Reziprozitätsklausel  169, 174, 182 Richtlinienkollisionsrecht 219 Risorgimento  136 Rückverweisung.  Siehe renvoi rules of choice  150, 153 Sachenrecht – Reform von 1999  193, 195, 199 – res in transitu  196 – Sachenstatut  36 – Sicherheiten 199 Sachnormen  14, 15

– angloamerikanisches IPR  141 – Qualifikation  57 – selbstgerechte ~  46 – Statutenlehre  108 – universelle ~  277 Sahyouni-Entscheidung  211, 252 Savigny, Friedrich Carl v.  1, 92, 99, 176, 193, 249, 300, 303 – Bezug zur comitas 123 – Bezug zur Statutenlehre  122, 127 – EGBGB-Reform von 1986  181 – Eingriffsnormen  217 – Entscheidungseinklang 123 – EU-IPR  247 – Gleichrangigkeit der Rechtsordnungen  5, 122 – ideengeschichtlicher Hintergrund  131 – Interessen  128 – Korrekturinstrumente 125 – Menschenrechte  297 – Rechtsverhältnis  121, 127 – Rechtswahl  126, 237 – Völkergemeinschaft 122 Schaeffner, Wilhelm 120 Scheidung – Freiheit 251 – Zugang 253 Schmitt, Carl  87, 95, 118, 133, 140, 174, 192, 300 – Nationalsozialismus 23 – ordre public 24 – Politikbegriff 22 – Verhältnis zu Savigny 24 Schwächerenschutz  51, 301, 304 – Eingriffsnormcharakter 51 – EU-IPR 222 – Interessen 51 – Menschenrechtsschutz 295 – Savigny, Friedrich Carl v. 224 Sekundärrecht – Diskriminierungsschutz  227 Sicherheits- und Verhaltensregeln – Interessenabwägung 290 – Menschenrechtsschutz 290 Sitz des Rechtsverhältnisses  1, 8, 16, 303 – ~ vs. Anerkennungsprinzip  233 – Auslegungsschwierigkeiten  129, 191 – EU-IPR 244

Sachregister – Mancini, Pasquale Stanislao  138 – Parallelität zum Sachrecht  194 – Qualifikationsproblem  58 – Savigny, Friedrich Carl v. 121 – Universalität 123 Sklaven  70, 78, 169, 282 Sorgerecht – Minderjährigenehen  266 Spanier-Entscheidung  180, 227 Staatenlose  66, 205 Staatsangehörigkeit  33, 130, 175 – ~ als Anknüpfungsgegenstand  61 – EU-IPR 205 – Gebhard, Albert  170 – Mancini, Pasquale Stanislao 134 – Reform von 1986  182, 187 – Staatenlose  66 Staatsverträge – Antike  70 – Common Law 153 – Entstehung des EGBGB  167, 181 – familienrechtliche Bezüge  265, 270 – Gebhard, Albert  168 – IZVR  281 – Mancini, Pasquale Stanislao 140 – Menschenrechtsschutz  280 – ordre public  286 – Wirkung im IPR  28 Stadtrechte 100 – Einfluss des römischen Rechts  101 – Kollisionsnormen 115 Stammesrechte.  Siehe Volksrechte – Bedeutungsverlust zugunsten lokaler Partikularrechte  96 statuta 100 Statutenlehre  99, 149, 249 – Bezug zum EU-IPR  244 – comitas 111 – Dreiteilung der statuta  106, 111 – Fragestellung 101 – Glossen 105 – Grundlagen 103 – Kommentatoren  106 – politischer Hintergrund  114, 116 – Rechtstechnik  108 – Schulen – Deutschland 113 – Frankreich 109

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– Niederlande 111 – Unilateralismus  117 Story, Joseph  141, 154 – Comity of Nations 141 – Methodik 143 Strafrecht – Amnestien 291 – Statutenlehre 114 Sympolitieverträge – Antike  70 System der persönlichen Rechte  89, 133, 140 talaq  258 Tatortrecht  104, 114, 177, 179 – Reform von 1999  196 Territorialitätsprinzip  73 – Antike  66 Tochterfirmen.  Siehe Unternehmensverantwortlichkeit Totalitarismus  22, 30 Ubiquitätsprinzip  179, 201, 289, 290 Umweltschädigungen – Menschenrechtsschutz 290 – personaler Anwendungsbereich  295 Unilateralismus  24, 36, 37, 52, 115, 125 – angloamerikanisches IPR  154, 164 – EU-IPR  204, 215, 250 – Gebhard, Albert  170 – ordre public 43 – Reform von 1986  186 – Reichsgericht  179 unionales IPR.  Siehe europäisches IPR Unionstreue  216 Universalismus – Ablehnung bei Cook  146 – europäischer ~  233 – Konkurrenz zur Qualifikation  58 UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte  278, 284 Unterhalt – Minderjährigenehen  266 Unternehmensverantwortlichkeit  278, 280, 281, 301 – Anknüpfung  289 – duty to respect, protect, fulfil  284 – Eingriffsnormen  292, 300

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Sachregister

– AGG 293 – Lieferkettengesetz 294 – einschlägige Menschenrechte  283 – ordre public  288 – Rechtswahl 290 – Schwächerenschutz 295 – Wertschöpfungskette 291 Unvernehmen  26 v. Bar, Ludwig  164 v. Bismarck, Otto  167 Verbraucherschutz  52, 184 – EU-IPR  204, 223, 224 – lokale Begrenzung  225 – Motivation 224 – Sekundärrecht 229 – Menschenrechtsschutz 295 Verfassungsrecht – Relevanz im IPR  263, 264, 279 – Minderjährigenehen  266 – Polygamie  271 Verkehrsinteressen  14, 54, 185, 198, 238, 290 Vermittlerposition des IPR  24, 34, 300, 304 Versorgungsausgleich – Art. 17 EGBGB  186 Verstärkte Zusammenarbeit  209 Verweisung – ~ vs. Abweisung  301 – Anerkennungsalternativen  112, 227, 232 – Begriffs~  61 – cupierte ~  261 – Einfluss der Parteien  54 – Eingriffsnormenproblematik  48 – Entpolitisierung  11, 19, 31, 132, 275 – Europäisierung 223 – Internationalismus 34 – Korrekturinstrumente  38 – Methodik  17 – Natur des IPR  2, 12, 28, 35 – Qualifikationsproblem  59 – Statutenlehre  108, 119 – universale ~  12, 33, 36, 114, 126, 158, 255 – Common Law 153 – unvollkommen-allseitige ~  61 – Entstehung des EGBGB von 1896  176

– Vorformen  7, 71 Verweisungsrecht – Natur 2 – Vorformen  76 Vested Rights 154 Voet, Johannes 113 Voet, Paul 113 Völkerbund 23 Völkergemeinschaft – Kritik bei Schmitt 24 – Mancini, Pasquale Stanislao 139 – Menschenrechtsschutz  297 – Savigny, Friedrich Carl v.  122, 297 Völkerrecht – bona fides in der Antike  84 – Gebhard, Albert  168 – ius gentium in der Antike  79 – Mancini, Pasquale Stanislao  134, 139 Völkerwanderung  89 Volksrechte 90 – Bedeutungsverlust 94 – Blutrecht 91 – Gleichstellung von Fremden  96 – Rezeption des römischen Rechts  92 – Stammlose 92 – territoriale Wirkung  90 Vorkommission des EGBGB von 1896  166 Vorstaatlichkeit des Rechts  130 – Entstehung des EGBGB  166 – Rechtswahl 53 Wächter, Carl Georg v. 120 Wertneutralität  1, 4, 10, 194, 252, 301, 302 – angloamerikanisches IPR  141, 163 – Antike  74, 88 – Arendt, Hannah 31 – Art. 10 Rom III-VO  259 – Art. 13 EGBGB  274 – Cavers, David 159 – Cook, Walter Wheeler  145 – Definitionsschwierigkeiten  17, 32 – Eingriffsnormen  46 – Entstehung des EGBGB  166, 178 – EU-IPR  247 – Anerkennungsprinzip 232 – Drittstaatenabgrenzung  219, 243 – Gebhard, Albert  171 – Internationalismus 34

Sachregister – Korrekturinstrumente 303 – Leflar, Robert  162 – Menschenrechtsschutz  280, 296 – Pluralismus 34 – Rechtsprechung  7 – Reform von 1986  182 – Reform von 1999  200 – Savigny, Friedrich Carl v. 125 – Statutenlehre  108 Wettbewerbsrecht – bona fides  85

wohlerworbene Rechte  14, 114 – Anerkennungsprinzip 231 – Beale, Joseph  156 – comitas 112 – Reform von 1999  196 zoon politikon 20 Zugang zur Scheidung.  Siehe Art. 10 Rom III-VO

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