Internationale Besteuerung unter Bedingungen der Unsicherheit 9783504387440

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Internationale Besteuerung unter Bedingungen der Unsicherheit
 9783504387440

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Lars Hummel/Bert Kaminski (Hrsg.) Internationale Besteuerung unter Bedingungen der Unsicherheit

Forum der Internationalen Besteuerung

Band 50

Internationale Besteuerung unter Bedingungen der Unsicherheit Herausgegeben von

Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M. Universität Potsdam International Tax Institute, Universität Hamburg

Prof. Dr. Bert Kaminski Steuerberater Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg mit Beiträgen von

VorsRiBFH Prof. Dr. Roland Wacker Prof. Dr. Claus Staringer Michael Dworaczek Dr. Stefan Greil, LL.M. Dr. Ulrike Schramm Prof. Dr. Gerhard Kraft Diskussionsteilnehmer

Prof. Dr. Bert Kaminski MinDirig. Martin Kreienbaum Kerstin Schulz, M.I.Tax und die Beitragsverfasser

2022

Zitierempfehlung: Autor in Hummel/Kaminski, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd 50, 2022, S. ...

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-61550-5 ©2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck: Stückle, Ettenheim Printed in Germany

Vorwort Die Coronavirus-Pandemie erwies (und erweist sich noch immer) als ein Quell der Unsicherheiten und stellte bekanntlich sogar bislang Unangefochtenes in Frage. Dem vermochten sich auch die 37. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung des Interdisziplinären Zentrums für Internationales Finanz- und Steuerwesen der Universität Hamburg (IIFS) und ihr Befassungsgegenstand, eben die internationale Besteuerung, nicht zu entziehen. Besagte Unsicherheiten schlugen sich zum einen in dem Format der Tagung nieder. So musste sie am 4.12.2020 erstmals in ihrer Geschichte als Online-Veranstaltung abgehalten werden, womit sich manche neue Erfahrung verband. Zum anderen waren jene Unsicherheiten Impulsgeber für die einzelnen Fragestellungen, denen sich die Tagung zuwandte. Dementsprechend lag das Augenmerk insbesondere auf dem im internationalen Steuerrecht zu verzeichnenden Bedingungswandel, der als solcher zwar keineswegs unbekannt ist, dessen Konturen aber weniger, als es sonst zumeist der Fall ist, greifbar erscheinen. Der vorliegende Tagungsband dokumentiert die Referate und Diskussionen der 37. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung, die am 4.12.2020 unter dem – der skizzierten Situation adäquaten – Generalthema „Internationale Besteuerung unter Bedingungen der Unsicherheit“ stattfand. Lars Hummel, Inhaber der Stiftungsprofessur für Steuerrecht und Digitalisierung an der Universität Potsdam und kommissarischer geschäftsführender Direktor des IIFS, hielt die Eröffnungsansprache. Im Rahmen ihrer gedachte er des viel zu früh verstorbenen Jürgen Lüdicke und würdigte das fortgesetzte Engagement seitens Gerrit Frotscher, der beiden ehemaligen Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Steuerrecht am IIFS und Leiter der Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung. Astrid Nissen-Schmidt, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, sprach in ihrem Grußwort über die Möglichkeiten, sich virtuell – wie auch bei dieser Tagung – zu treffen und auszutauschen. Die Pandemie wirke als Beschleuniger für Entwicklungen, wie z.B. das Homeoffice und damit verbundener steuerlicher Implikationen.

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Vorwort Prof. Dr. Lars Hummel, Prof. Dr. Bert Kaminski

Andreas Dressel, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg, erklärte, dass Krisen auch Chancen und Innovationspotenzial freisetzten. Er bekräftigt zudem den Willen der Politik zum Dialog mit Wirtschaft sowie Steuerrechtswissenschaft und betonte, dass steuerliche Expertise am Standort Hamburg weiterhin vertreten sein müsse. Roland Wacker, Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, behandelte in seinem Vortrag ausgewählte aktuelle Entscheidungen des I. Senats des Bundesfinanzhofs zum internationalen Steuerrecht. Claus Staringer, Inhaber der Professur für Steuerrecht mit Schwerpunkt Unternehmenssteuerrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien und Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer, referierte aus einem zeitlich übergreifenden Blickwinkel über die Besteuerung doppelt ansässiger Gesellschaften und wandte sich dabei insbesondere dem Merkmal der tatsächlichen Geschäftsleitung i.S.d. Art. 4 Abs. 3 OECD-MA sowie der Abkommensberechtigung besagter Gesellschaften zu. Michael Dworaczek, Partner bei Ernst & Young, begab sich auf das Feld der Verrechnungspreise und erläuterte die diesbezüglichen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie. Stefan Greil, Referent im Bundesministerium der Finanzen, beschäftigte sich mit dem OECD-Blueprint zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle und verdeutlichte dessen entscheidende Parameter anhand von Fallkonstellationen. Ulrike Schramm, Global Head of Tax der Continental AG, widmete sich dem OECD-Blueprint zur Einführung einer globalen Mindestbesteuerung und ging insbesondere deren technischer Umsetzbarkeit in einem weltweit tätigen Konzern nach. Gerhard Kraft, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Of Counsel bei PwC, würdigte die angestrebten Änderungen der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG kritisch und unterbreitete Vorschläge zu deren Optimierung. Über die vorgenannten Referate hinaus enthält der vorliegende Tagungsband die daran sich anschließenden Podiumsdiskussionen, die unter der Leitung von Bert Kaminski, Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, an der Helmut-

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Vorwort Prof. Dr. Lars. Hummel, Prof. Dr. Bert Kaminski

Schmidt-Universität – Universität der Bundeswehr Hamburg, geführt wurden zwischen den Vortragenden sowie Martin Kreienbaum, Unterabteilungsleiter im Bundesministerium der Finanzen, und Kerstin Schulz, Global Head of Tax and Customs der Beiersdorf AG. Hamburg, im August 2021 Prof. Dr. Lars Hummel Prof. Dr. Bert Kaminski

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Eröffnungsansprache Verehrte Frau Vizepräses, verehrter Herr Senator, verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Damen und Herren, ich möchte Sie zur 37. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung herzlich willkommen heißen und tue dies zugleich im Namen meines Kollegen Prof. Dr. Bert Kaminski, im Namen des International Tax Institute der Universität Hamburg sowie im Namen des Vorstandes unseres Fördervereins. Digital sei das neue Normal, konstatierte ein Politiker der jüngeren Generation medienwirksam am letzten Wochenende1. Ich habe einige Schwierigkeiten mit einer solchen Feststellung – in tatsächlicher ebenso wie in normativer Hinsicht. Wir hatten, wie ich offen einräumen darf, manche Probleme zu bewältigen, um diese Tagung durchführen zu können. Mit einer Briese Optimismus (und ich meine damit nicht: Blauäugigkeit) haben wir mit einer Präsenzveranstaltung geplant, mussten uns später – unter Vornahme entsprechender Korrekturen – mit einer hybriden Veranstaltung anfreunden, schließlich der Tatsache einer digitalen Veranstaltung ins Auge blicken, die wiederum und zum Teil sehr kurzfristige Korrekturen erforderte. Mit dem Rest an Optimismus, den wir uns ungeachtet dessen bewahrten, hoffen wir nun, die heutige Veranstaltung souverän entfalten zu können. Und wenn es nicht gelingen sollte, trösten wir uns mit Ernst Bloch: „Allzu schöne Tage, allzu gemalte Tugenden sind ein Schein, an dem man sich erbauen, in dem es aber keiner allzu lange aushalten kann, ohne ins Gegenteil umzuschlagen bis zur Lächerlichkeit“2. Die hiesige Umgebung ist Ihnen bekannt, denn zumindest sie bleibt eine wohltuende Konstante, nämlich der Albert-Schäfer-Saal der Handelskammer Hamburg, der dieses Jahr allerdings eher einem Fernsehstudio als einem Tagungsort gleicht. Eines vermissen wir hier schmerzlich, nämlich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Tagung bedeutet

1 Siehe J. Friedmann, DER SPIEGEL (online) v. 29.11.2020, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/politik/junge-union-markus-soeder-bremst-auf-ju-partei tag-die-fans-von-friedrich-merz-a-601955cf-8b60-4f99-b832-de3d081240d1 (zuletzt abgerufen am 4.12.2020). 2 Werkausgabe Band I, Spuren, 6. Aufl. 1995, S. 56 (Der edle Schein).

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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.

Interaktion, bedeutet Austausch, gerade auch neben dem eigentlichen Veranstaltungsprogramm; in Interaktion und Austausch besteht geradezu ihr Zweck. Hoffen wir also, dass das heutige Format eine Ausnahme bleibt, dass wir uns in einem Jahr, das ist übrigens der 3.12.2021, hier wieder vor Ort versammeln und vis-à-vis in das Gespräch eintreten können! Zumal – nun mit Thomas Mann gesprochen – „für uns Menschen der Wert eines Gutes mit der Schwierigkeit [wächst], es zu gewinnen“3. Bis dahin werden wir weiter in einem gemeinsamen Kraftakt mit dem Virus ringen, mit ihm leben müssen, dabei aber auch die staatlichen Institutionen, in deren Hand ja die hoheitlichen Mittel liegen, kritisch im Auge behalten und zu begleiten haben. Dies gilt umso mehr, als manche Maßnahme eher von einer diffusen Angst als von rationaler Analyse getragen zu sein scheint. Eigentlich drängt es mich, an die Adresse aller Gewalten – übrigens auch an diejenige der sogenannten vierten Gewalt – zahlreiche Fragen zu richten. Dafür ist die heutige Veranstaltung jedoch nicht das richtige Forum. Hier steht das Steuerrecht im Fokus, zumal das Internationale. Das soll freilich nicht heißen, das Steuerrecht stehe außerhalb der aktuellen Probleme – im Gegenteil. So streckt insbesondere die Finanzverwaltung in Anbetracht der Lasten der Coronavirus-Pandemie den Steuerpflichtigen eine helfende Hand aus, und zwar in Gestalt allgemein formulierter, die Belastungsgleichheit tangierender Unterstützungsangebote. Dies geschieht ungeachtet des deutlichen, gerade einmal vier Jahre zurückliegenden Fingerzeigs des Großen Senats des Bundesfinanzhofs in Bezug auf die Voraussetzungen der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen.4 Wer nun aber in Belehrungen darüber eintreten wollte, dass das Steuerrecht nachgerade aus dem Diktum des Gesetzgebers lebe und auch die Austeilung von Vergünstigungen einer gesetzlichen Grundlage bedürfe5, kommt nicht umhin zur Kenntnis zu nehmen, dass noch ein anderer Virus zu existieren scheint, der die Gesetzgebungsfunktion befällt, Gesetzgebung nicht stattfinden lässt. Anders lässt sich der Umstand kaum noch erklären, dass wir noch immer auf die Überarbeitung des Außensteuergesetzes warten müssen.

3 Lotte in Weimar, 1947, 56. 4 Beschluss v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BFHE 255, 482. 5 Siehe L. Hummel, Global Taxes, TLE-012-2020 = HRN 2020, 30 mit Bezug insbesondere auf O. Bühler/G. Strickrodt, Steuerrecht3, Band I, 658.

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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.

Und damit ist denn auch die Brücke zum heutigen Tagungsprogramm errichtet. Den Auftakt bildet – man kann insoweit von einer Tradition sprechen – der nähere Blick auf neuere Judikate des Bundesfinanzhofs zum internationalen Steuerrecht, den uns der Vorsitzende des I. Senats, Prof. Dr. Roland Wacker, im Wege authentischer Interpretation gewähren wird. Prof. Dr. Claus Staringer, Inhaber der Universitätsprofessur für Steuerrecht mit Schwerpunkt Unternehmenssteuerrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien und Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer, wird uns die Besteuerung doppelt ansässiger Gesellschaften auseinandersetzen und zwar im Lichte vergangener und gegenwärtiger Entwicklungen. In dieser übergreifenden Perspektive bildet sich ab, dass es sich um ein klassisches Themenfeld handelt, welches infolge der Fortentwicklungen des Regelungsrahmens höchst aktuell bleibt. Mit der Verrechnungspreisgestaltung unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie wird sich Michael Dworaczek, Partner bei Ernst & Young, beschäftigen. Die in der jüngeren Vergangenheit vermehrt geführten Diskussionen über die fortwährende Tragfähigkeit der Maßstäbe im Bereich der Verrechnungspreise erhalten durch die Coronavirus-Pandemie einen ganz neuen Antrieb. Der Nachmittag gilt den gegenwärtigen Tendenzen der Neuordnung des internationalen Steuerrechts. Während sich Dr. Stefan Greil, im Bundesministerium der Finanzen tätig im Bereich der internationalen Unternehmensbesteuerung und des Außensteuerrechts, mit dem OECDBlueprint zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle befasst, gilt das Augenmerk von Dr. Ulrike Schramm, Global Head of Tax der Continental AG, dem OECD-Blueprint zur Einführung einer globalen Mindestbesteuerung. Wenn es auch nicht, wie für Oktober/November diesen Jahres angestrebt, zu einer Einigung kam, so dürfen wir uns doch über zwei Blueprints „freuen“, welche der Diskussion weitere Nahrung geben und, wenn ich dies anmerken darf, meine Sorgen hinsichtlich einer zukünftigen Deklassierung bewährter steuerrechtlicher Institutionen durchaus nicht mindern. Das Programm mündet in die Überlegungen von Prof. Dr. Gerhard Kraft, Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Of Counsel bei PwC, zu den geplanten Modifikationen im Außensteuergesetz. Wir dachten,

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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.

über etwas Fixes reden zu können, müssen uns nun aber in Anbetracht der bereits angesprochenen, realiter zu verzeichnenden Hemmung der Gesetzgebungsfunktion ebenfalls auf die Deutung von Tendenzen beschränken. Immerhin bewegen wir uns damit auf derselben Ebene wie die beiden vorangehenden Beiträge, so dass das Programm zumindest innere Geradlinigkeit für sich zu reklamieren vermag. In diesem Zusammenhang komme ich aber nicht umhin, meinen geschätzten Amtsvorgänger, Prof. Dr. Gerrit Frotscher, zu zitieren, der vor einem Jahr, vor demselben Pulte stehend, sagte: „Nach wie vor in der Schwebe scheint das Unternehmenssteuerreformgesetz mit den Änderungen zum AStG zu sein. Wir hatten gehofft, dass bis zu unserer heutigen Tagung ein Gesetzentwurf veröffentlicht sein würde, und haben deshalb im Tagungsprogramm einen Vortrag […] vorgesehen. Das hat sich leider als voreilig erwiesen.“6 Von einer Voreiligkeit würde ich aus der Sicht des heutigen Tages nicht sprechen wollen, eher von einer bemerkenswerten, in der Sache durchaus nicht naheliegenden Entwicklung. Als Fußnote sei der Hinweis hinzugesetzt, dass wir schon vor zwei Jahren, nämlich im Rahmen der Tagung des Jahres 2018, von nahe bevorstehenden Änderungen ausgingen. Begreifen wir die Situation als Chance für Herrn Kraft, dem Gesetzgeber die Feder zu führen. Auf dem – virtuell sich zusammensetzenden – Podium freuen wir uns über die Mitwirkung von Kerstin Schulz, Global Head of Tax and Customs der Beiersdorf AG, und – auch insoweit darf man von Traditionen sprechen – Martin Kreienbaum, Leiter der Unterabteilung für Internationales Steuerrecht im Bundesministerium der Finanzen sowie Vorsitzender des Inclusive Framework on BEPS, sowie der bereits vorgestellte Prof. Dr. Roland Wacker. Allen Vortragenden und Diskutanten gilt ein herzlicher Dank – und dies umso mehr in Anbetracht der aktuellen misslichen Bedingungen! Letztere sind es denn auch, die dazu führen, dass zwei Elemente, die sonst zum festen Rahmenprogramm gehören, in diesem Jahr leider ausfallen, nämlich das Woman-of-IFA-Network-Treffen sowie die Young-IFA-Network-Tagungsnachlese. Auch insofern setzten wir auf Rückkehr der Normalität im kommenden Jahr. Woran wir festhalten können und festhalten werden, ist der die Beiträge und Diskussionen dokumentierende, im Verlag Dr. Otto Schmidt erscheinende Tagungsband. Übrigens ist der Ta6 Frotscher in G. Frotscher/Hummel (Hrsg.), Grenzüberschreitende Tätigkeit in einem sich ändernden steuerlichen Umfeld, 2020, S. IX.

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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.

gungsband der letztjährigen Tagung noch rechtzeitig vor unserer diesjährigen Tagung erschienen und sollte Ihnen bereits zugegangen sein. Bitte gestatten Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit noch für weitere, und zwar personenbezogene, Belange zu beanspruchen. Beginnen möchte ich, dies wird Sie in diesem Kontext gewiss nicht überraschen, mit Prof. Dr. Jürgen Lüdicke. Er verlor am 27.1.2020 im Alter von nur 63 Jahren das Ringen mit der schweren Krankheit, die sich seiner bedauerlicherweise bemächtigt hatte. Knapp 20 Jahre lang leitete er die Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung, beginnend mit dem Jahre 1999 und endend mit dem Jahre 2018. Sie war für ihn Pflichtprogramm, kein lästiges, sondern eines aus Neigung. Hier verhandelte er die jeweiligen aktuellen Entwicklungen des internationalen Steuerrechts mit Gespür, Hingabe und Scharfsinn. Er schien im Zuge seiner souveränen Lenkung der Auseinandersetzungen auf dem Podium keine Energie zu verbrauchen, sie daraus vielmehr zu beziehen, um sodann bis in die Morgenstunden des Folgetages hinein die Erörterungen im Zuge der soeben angesprochenen Young-IFA-Network-Tagungsnachlese fortzusetzen. Die Beweglichkeit seines Denkens korrespondierte dem „Young“ im Namenszug. Die Bedeutung, die er der Tagung selbst beimaß, offenbart sich nicht zuletzt in dem Umstand, dass er sie auch im letzten Jahr, nur wenige Wochen, bevor ihn die Lebenskraft verließ und schwer von seiner Krankheit gezeichnet, als Pflichttermin für sich betrachtete. Er gab dieser Tagung gleichsam ein Gesicht; in ihrem Namen wird der seine fortwährend mitklingen. Wir werden bemüht sein, die Tagung im Sinne von Jürgen Lüdicke fortzuführen. In den Bereichen, in denen Jürgen Lüdicke sich im Jahre 2018 zurückziehen musste, sprang Gerrit Frotscher wie selbstverständlich ein. Und er engagierte sich auch, wie Ihnen gewiss erinnerlich ist, im Zuge der Tagung des Jahres 2019. Es ist an der Zeit, ihm in aller Öffentlichkeit und Deutlichkeit zu danken – nicht nur für dieses Tagungsengagement, sondern für sein Engagement zugunsten des International Tax Institute der Universität Hamburg überhaupt. Die Würdigung dessen kam nach meinem Dafürhalten bislang viel zu kurz. Gerrit Frotscher entfaltete nicht nur den Postgraduiertenstudiengang „Master of International Taxation“, kurz: M.I.Tax, ein Leuchtturmprojekt des International Tax Institute, brachte ihn nicht nur zu Blüte, arbeitet nicht nur an dessen Weiterblühen. Er nimmt sich ungeachtet seiner Pensionierung, die nicht den Eintritt in den Ruhestand, sondern die Entfesselung von Kräften markiert,

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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.

noch immer zahlreicher Angelegenheiten des International Tax Institute an, votiert nicht zuletzt mit beneidenswerter Standhaftigkeit Dissertationen, was sich durchaus nicht an einem Abend begleitend zu den Tagesthemen bewerkstelligen lässt. Auch Ihre Unterstützung, lieber Herr Frotscher, war es, die dazu beitrug, dass wir trotz aller personellen Einschränkungen die Geschäfte des International Tax Institute bis heute fortzuführen vermochten. Dies sind – anders als mit Blick auf Herrn Lüdicke, dessen Fortgang sie erzwingt – keine Abschiedsworte! Im Gegenteil: Es wäre mir eine große Freude, mit Ihnen gemeinsam auch weiterhin an der Zukunftssicherung des International Tax Institute arbeiten zu dürfen! Und weil ich gerade bei der Zukunft des International Tax Institute der Universität Hamburg bin: Gerrit Frotscher und ich führen die Geschäfte inzwischen ja gleichsam nebenamtlich. Nach entsprechenden langjährigen Bemühungen, die auch der hier online anwesende Präses der Finanzbehörde, Senator Dr. Andreas Dressel, unterstützte, darf ich von einem Hoffnungsschimmer für ein universitär vertretenes Steuerrecht in Hamburg berichten: Die Universität Hamburg im Allgemeinen und die Fakultät für Rechtswissenschaft im Besonderen vermochten sich zuletzt tatsächlich zu entschließen, einen gewichtigen Anteil beizutragen, indem sie im Sommer – für viele Akteure und Beobachter unerwartet – eine Steuerrechts-Professur ausschrieb. Das Auswahlverfahren befindet sich in vollem Gange, ist aber, wie zu vernehmen ist, noch nicht abgeschlossen. Damit ist allerdings nur ein erster Schritt auf dem Weg zum Erhalt des steuerrechtlichen Schwerpunktbereichs sowie des International Tax Institute und seiner Projekte genommen. Denn die Fakultät lässt sich – ich muss aus eigener Erfahrung hinzufügen: zu Recht – von der Überzeugung leiten, dass dieses Ziel auf der Grundlage einer einzelnen Professur, die zudem nicht ausschließlich dem Steuerrecht gewidmet ist, nicht, jedenfalls aber nicht in der bisherigen Breite und Tiefe, die so viel Lob erfuhren, zu erreichen ist. Bliebe es bei einer einzelnen Professur, würde das Steuerrecht als ein auf einen Überblick beschränktes Ergänzungsangebot im Rahmen eines anderen Schwerpunktbereichs, vorzugsweise des Handels- und Gesellschaftsrechts, etabliert. Einen eigenständigen steuerrechtlichen Schwerpunktbereich, zumal mit besonderem Fokus auf das internationale Unternehmensteuerrecht, würde es unter diesen Bedingungen nicht mehr geben. Deshalb möchten wir auch in diesem Jahr eindringlich um Ihre – namentlich: finanzielle – Unterstützung

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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.

bitten. Unsere Idee und unser Ziel bestehen darin, eine zweite steuerrechtliche Professur aus Drittmitteln zu erschaffen. Nur deren Hinzutreten brächte die Gewähr der Fortsetzung des steuerrechtlichen Schwerpunktbereichs sowie des International Tax Institute und seiner Projekte. In diesem Kontext ist es mir ein wichtiges Anliegen, mich mit allem Nachdruck zu bedanken, und zwar bei Dr. Morten Dibbert und Dr. Tobias Möhrle von der Kanzlei Möhrle Happ Luther. Sie teilen nicht nur die Überzeugung der geschilderten Notwendigkeiten, sie haben sich besagtes Anliegen unmittelbar zu eigen gemacht und sind beifolgend zu engagierten Akteuren des Projekts geworden. Wenn unser Werben noch nicht an Ihr Ohr gedrungen sein sollte und Sie sich vorstellen könnten, unser Anliegen ebenfalls finanziell zu fördern, um Hamburg den universitären steuerrechtlichen Nachwuchs und die universitären steuerrechtlichen Qualifizierungsangebote einschließlich des M.I.Tax zu sichern sowie zu einer stärkeren Vernetzung beizutragen, würden wir uns sehr freuen, wenn sie uns ansprächen. Aber zurück zur Tagung selbst (die allerdings auch auf jener universitären Grundlage fußt)! Ich möchte einen weiteren Dank aussprechen, und zwar gegenüber Prof. Dr. Roland Wacker. Es war uns Freude und Ehre zugleich, dass Sie, lieber Herr Wacker, die Traditionslinie, die darin besteht, dass der jeweilige Vorsitzende des I. Senats des Bundesfinanzhofs die Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung jedes Jahr durch seine Mitwirkung bereichert, fortgeführt und gleichsam aus erster Hand berichtet und argumentiert haben. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns mit Blick auf die kommenden Tagungen Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger im Amt empfehlen würden – vorausgesetzt freilich, es wird im kommenden Jahr eine neue Vorsitzende oder einen neuen Vorsitzenden geben. Angesichts einer bemerkenswerten, inzwischen literarische Auseinandersetzungen hervorrufenden7 Interpretation des Art. 33 Abs. 2 GG seitens der Bundesjustizministerin, wonach nicht die Vorgaben die Kandidaten, sondern die Kandidaten die Vorgaben beeinflussen, erscheint das durchaus nicht ausgemacht.

7 Siehe H.-F. Lange, DStR 2020, 2393; berichtend M. Sehl, LTO v. 3.12.2020, abrufbar unter: https://www.lto.de//recht/justiz/j/bmjv-bundesgerichte-richter-aus wahl-erfahrung-politische-einflussnahme-bundes-finanzhof/ (zuletzt abgerufen am 4.12.2020).

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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.

Richten wir das Augenmerk aber auch auf die organisatorische Seite! In dieser Hinsicht möchte ich der Handelskammer Hamburg nachdrücklich für die Zusammenarbeit danken. Ohne die Handelskammer Hamburg wäre die Tagung gewiss nicht die geworden, die sie ist. Dieser Dank schließt, liebe Frau Nissen-Schmidt, lieber Herr Raddatz, gerade auch den Umstand ein, dass Sie uns auch in der gegenwärtigen besonderen Lage, die sich ja alles andere als problemfrei erweist, die Möglichkeit eröffnet haben, das technische Herz der diesjährigen Tagung am bekannten und bewährten Orte schlagen zu lassen. Einen herzlichen Dank möchte ich schließlich auch in Richtung des Organisationsteams auf den Weg bringen, welches in diesem Jahr manche zusätzliche Hürde zu überwinden hatte. Unwägbarkeiten zwangen zu dem einen oder anderen pragmatischen Ansatz. Die „Bedingungen der Unsicherheit“, wie sie in das Generalthema der Tagung Eingang gefunden haben, beschäftigten auch das Organisationsteam. In ganz besonderem Maße trifft dies auf unsere M.I.Tax-Studiengangsleiterin, Anna Mayer, zu, die sich von keinem der aufkeimenden Probleme, deren Zahl durchaus nicht gering war, entmutigen oder aufhalten ließ. Ihr, für die die Tagungsorganisation zu ihrem eigentlichen Arbeitspensum hinzutrat, möchte ich daher an dieser Stelle einen besonderen Dank aussprechen. Sieht man von der Technik und deren Handhabung ab, die wir im Bewusstsein unserer Kompetenzgrenzen in die Hände qualifizierter Personen gelegt haben, arbeiten wir weiter mit Bordmitteln, nicht zuletzt mit aktuellen und ehemaligen studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Bei allen veränderten Rahmenbedingungen bleibt eines konstant: Als universitäre, nicht-kommerzielle Veranstaltung wollen wir ein Forum für alle am internationalen Steuerrecht Interessierten bieten, wollen offen und mit fachlicher Tiefe aktuelle Entwicklungen des internationalen Steuerrechts erörtern, wollen Vertreterinnen und Vertreter der Unternehmen, der Verbände, der Beraterschaft, der Finanzverwaltung, der Rechtsprechung und nicht zuletzt der Wissenschaft ins Gespräch bringen. Ihre Teilnahme, über die wir uns sehr freuen, lässt dieses Forum überhaupt erst möglich werden. Mehr noch: Mit Ihrer Teilnahme unterstützen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Arbeit unseres Fördervereins und damit zugleich die Projekte des International Tax Institute, das sind die universitäre steuerrechtliche Ausbildung, die besondere Bibliothek, den M.I.Tax-Studiengang, die IFA-Nord-Vorträge und nicht zuletzt die Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung selbst.

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Eröffnungsansprache Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M.

Daher möchte ich ausdrücklich auch Sie in meine Danksagungen einbeziehen. Mein Kollege, Bert Kaminski, der die Leitung des Podiums übernommen hat, und ich wünschen Ihnen eine ertragreiche Veranstaltung! Bevor wir uns den eigentlichen Gegenständen der Tagung widmen, die wir – wie soeben angerissen – unter dem Generaltitel „Internationale Besteuerung unter den Bedingungen der Unsicherheit“ zusammengefasst haben, freuen wir uns auf die Grußworte der Vizepräses der Handelskammer Hamburg, Astrid Nissen-Schmidt, sowie des Präses der Finanzbehörde, Senator Dr. Andreas Dressel. Herzlichen Dank! Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M. Juristische Fakultät, Universität Potsdam International Tax Institute, Universität Hamburg

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Grußwort Sehr geehrter Herr Prof. Hummel, vielen Dank für die Einführung! Sehr geehrter Herr Senator Dr. Dressel, sehr geehrter Herr Prof. Hummel, sehr geehrter Herr Kaminski, meine sehr geehrten Damen und Herren. Im Namen der Handelskammer Hamburg begrüße ich Sie sehr herzlich zur 37. Hamburger Tagung zur internationalen Besteuerung. Als Berufsträgerin ist es für mich eine besondere Ehre, auf der Nikolaustagung ein Grußwort sprechen zu dürfen. Voller Respekt schaue ich auf die lange Tradition und hohe Reputation dieser Tagung, genauso wie auf das hier und auch vor den Bildschirmen versammelte Expertenwissen. Wie auch in den vergangenen Jahren hätten wir uns natürlich auch dieses Jahr wieder gefreut, Sie hier in den Räumen der Handelskammer begrüßen zu dürfen. Leider ist das aus den bekannten Gründen aber nicht möglich. Aber vielleicht kann man der Sache auch etwas Positives abgewinnen, immerhin können wir uns heute – dank der modernen Technik – zumindest hören und sehen, also virtuell treffen. Vor einigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Auf jeden Fall möchte ich mich herzlich bei den Organisatoren bedanken, die diese Tagung trotz der außergewöhnlichen Bedingungen ermöglicht haben. Herr Prof. Hummel hat das bereits eben dargestellt. Betrübt bin ich allerdings, dass Herr Prof. Lüdicke leider nicht mehr bei uns sein kann. Mit ihm hat Hamburg Anfang diesen Jahres eine wichtige Persönlichkeit im internationalen Steuerrecht verloren. Die Corona-Pandemie meine Damen und Herren wirkt wie ein Beschleuniger für Entwicklungen, die schon davor ihren Anfang genommen haben. Home-Office ist inzwischen unser aller Alltag geworden. Der Austausch untereinander und die Arbeitswelt allgemein werden immer virtueller und vor allem digitaler. Und diese Entwicklung wird mit der Pandemie nicht enden. Umso wichtiger ist es, was sich aktuell bei der Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle tut. Deshalb freue ich mich, dass nach der Mittagspause heute diesem Thema ein eigener Programmpunkt gewidmet ist. Meine Damen und Herren, die Herausforderungen bei der Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle sind gewaltig. Mit der Zuweisung von Besteuerungsmodellen jenseits der bislang geltenden Betriebsstättendefinition wird steuerrechtliches Neuland betreten. Hinzu kommt, dass auch solche Geschäftsmodelle, die nicht per se digital sind, betroffen sein kön-

XIX

Grußwort Astrid Nissen-Schmidt

nen. So sind moderne Autos mit ihren gesammelten Daten wahre Datenschätze. Zugleich sehen wir, dass die Interessen, der am BEPS-Prozess beteiligten Staaten leider nicht immer deckungsgleich sind. Vor diesem Hintergrund sind zwei Dinge besonders wichtig: Zum einen darf es durch die Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle nicht zu einer Benachteiligung, zu Wettbewerbsnachteilen für deutsche Unternehmen kommen. Zum anderen muss vermieden werden, dass ein Hemmschuh für Innovationen im digitalen Bereich, die wir aktuell gerade dringend benötigen, entsteht. Beides ist gerade für Hamburg von großer Bedeutung. Nicht nur wegen der vielen hier ansässigen Start-ups und IT-Expert*innen sondern auch wegen der etablierten Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle gerade jetzt digitalisieren. Meine Damen und Herren, ein anderes Thema, das wegen der CoronaPandemie akut geworden ist, ist die Frage der Finanzierung der umfangreichen Corona-Hilfsprogramme. So wichtig die Hilfsprogramme auch waren und sind, so wichtig ist die Frage, wie mit der gestiegenen Staatsverschuldung auf – nach aktueller Schätzung – annähernd 75 Prozent des BIP langfristig umgegangen werden soll. Deutschland hat es schon einmal geschafft ein vergleichbares Niveau der Staatsverschuldung bis hin zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien in einem überschaubaren Zeitraum zurückzuführen. Allerdings sollten wir uns nicht darauf verlassen, dass sich der Wirtschaftsboom der letzten Jahre vor der Krise einfach so, genauso, wiederholen wird. Deshalb sollte die Politik hier kaufmännisch und umsichtig agieren. Schließlich hat erst die solide Haushaltspolitik der letzten Jahre ein konsequentes Reagieren auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ermöglicht. Nur eine solide Haushaltspolitik wird für die Zukunft notwendige Handlungsspielräume eröffnen. Auch für neue Krisen, von denen wir hoffen, dass sie nicht wieder eintreten mögen, zumindest nicht in dem Ausmaß, wie wir es derzeit erfahren. Meine Damen und Herren, besonders wichtig ist, dass der nach der Krise erwartete Aufschwung nicht durch Steuererhöhungen abgewürgt wird. Deutschland ist seit der Unternehmenssteuerreform 2008 ohnehin zu einem Hochsteuerland geworden. Der Vergleich mit dem Ausland zeigt, dass Deutschland hier mehr und mehr ins Hintertreffen gerät. Frankreich plant die Körperschaftsteuer auf 25 Prozent abzusenken. Ähnlich sieht es bereits für Kapitalgesellschaften in den USA, nach der letzten Steuerreform, aus. In Deutschland hingegen verharrt die Besteuerung von Kapitalgesellschaften bei mehr als 30 Prozent und steigt durch Anhebung von Gewerbesteuerhebesätzen tendenziell sogar weiter an. Richtig ist

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Grußwort Astrid Nissen-Schmidt

zwar, meine Damen und Herren, dass ein Wettbewerb zwischen den Staaten um die niedrigsten Steuersätze auf Dauer nicht nur Vorteile bringt und möglichst auch vermieden werden sollte. Sicherheit, gesamtgesellschaftlicher Ausgleich und Stabilität sind wichtige Standortfaktoren, die nun einmal Geld kosten. Jedoch wird sich Deutschland einer Debatte um niedrigere Unternehmenssteuern mittelfristig nicht entziehen können, ansonsten läuft Deutschland Gefahr, im Standortwettbewerb zurückzufallen, Arbeitsplätze und Steuersubstrat zu verlieren. Andere Staaten machen es vor. Wir sollten diese Entwicklung nicht passiv hinnehmen, sondern, wo es geht, aktiv mitgestalten. Eine temporäre Aussetzung der Mindestbesteuerung nach § 10d EStG wäre dafür ein Anfang. Positiv ist jedoch, dass im Verfahrensrecht die Anzeigepflicht von Steuergestaltungen nicht auf nationale Sachverhalte ausgedehnt worden ist. Auch bei der Einfuhrumsatzsteuer geht es – letztlich sogar dank Corona – endlich voran. Die mit dem zweiten Corona-Steuerhilfegesetz eingeführte Verschiebung der Fälligkeit der Einfuhrumsatzsteuer ist ein erster Schritt. Aber bereits jetzt sollten weitere Schritte hin zu einem echten Verrechnungsmodell eingeleitet werden. Dieses gilt insbesondere mit Blick in die Zukunft auf das von der EU angestrebte System der zentralen Zollabwicklung. Ohne ein Verrechnungsmodell droht, dass sonst zwei Zollanmeldungen bei der Abwicklung abgegeben werden müssten. Meine Damen und Herren, lassen sie mich abschließend noch kurz etwas zur Bundespolitik sagen. Hier spielte sich in diesem Jahr etwas Bemerkenswertes ab. Im Zuge der Pflicht zur Umrüstung elektronischer Kassensysteme mit technischen Sicherheitseinrichtungen – Sie alle wissen, wovon ich spreche – erschien die Linie zwischen dem Bundesfinanzministerium und den Landesministerien erstaunlich uneinheitlich. Sie alle wissen, dass es nicht alle Tage passiert, dass eine Problematik der Abgabenordnung größere Aufmerksamkeit in den Medien findet. Letztlich haben fast alle Länder entgegen des Votums des Bundesfinanzministeriums eine Verlängerung der Nichtaufgriffsregelung zur Nachrüstung mit TSE auf den Weg gebracht. Die Hamburger Wirtschaft ist sehr froh, dass sich auch der Hamburger Senat in dieser Sache pragmatisch und selbstbewusst gezeigt hat. Sehr geehrter Herr Dr. Dressel, ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Ihnen bedanken, dass sie diese Verlängerung der Nichtaufgriffsregelung auch für Hamburg ermöglicht haben. Dass der Vorgänger unseres ersten Bürgermeisters jetzt der Bundesfinanzminister ist, hat möglicherweise die Sache für Sie nicht unbedingt leichter gemacht. Wir freuen uns

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Grußwort Astrid Nissen-Schmidt

sehr, dass wir mit Ihnen einen Finanzsenator haben, der für die Anliegen der gewerblichen Wirtschaft – wie wir es beispielsweise auch bei den Diskussionen zur Einfuhrumsatzsteuer und zur Grundsteuer beobachten konnten –, immer ein offenes Ohr hat. Vielen herzlichen Dank! Hoffentlich gelingt uns hinsichtlich der Fristverlängerung für die Abgabe der Steuererklärung 2021 noch ein ähnlicher Erfolg und vielleicht gibt es ja auch noch eine Perspektive für eine Fortsetzung der steuerlichen Entlastungsmaßnahmen der Finanzbehörde für das nächste Jahr. Denn die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie werden uns noch weiter begleiten. Jede Maßnahme, die betroffene Unternehmen entlastet, ist also nach wie vor willkommen. Meine Damen und Herren, es bleibt mir nun Ihnen allen eine interessante Tagung und einen erkenntnisreichen Tag zu wünschen. Und hoffentlich viele gute Diskussionen auch im virtuellen Raum. Und weil Weihnachten vor der Tür steht, erlaube ich mir an dieser Stelle, einen Wunsch für die nächste Nikolaustagung: Ich wünsche mir, dass wir alle wieder persönlich den fachlichen Austausch miteinander hier in unseren schönen Räumen – brandschutztechnisch gerade ertüchtigt – in der Handelskammer genießen können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, am Sonntag einen frohen Nikolaustag und eine besinnliche Vorweihnachtszeit Ihnen allen. Bleiben Sie gesund! Astrid Nissen-Schmidt Vizepräses der Handelskammer Hamburg

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Grußwort Einen wunderschönen guten Morgen in die Runde! Ich hoffe, ich bin zu sehen und zu hören. Lieber Professor Hummel, liebe Frau Nissen-Schmidt, ich freue mich, bei dieser ganz besonderen Nikolaustagung heute Morgen zumindest virtuell bei Ihnen sein zu können, und ich glaube, es ist erst einmal ein ganz besonderer Dank wert an das Team von Professor Hummel, auch an die Bereitschaft der Handelskammer, unter diesen ganz besonderen Bedingungen hier wieder die Gastgeberschaft mit zu übernehmen. Dass wir aber auch mit dieser Tagung so innovativ unterwegs sind, dass Sie sie eben jetzt ins digitale Format überführt haben, zeigt ja auch, dass eine Krise immer auch Chancen freisetzt, Innovationspotential freisetzt. Das ist, glaube ich, insofern ein erfreulicher Punkt, auch wenn ich mir auch sehr wünsche, dass wir uns im nächsten Jahr alle wieder zusammen einfinden können. Ich finde, dass das Thema der Tagung, „Internationale Besteuerung unter Bedingungen der Unsicherheit“, genau der richtige Titel, genau das richtige Thema zur richtigen Zeit ist. Es geht natürlich um die Frage, wie wir innergesellschaftlich, aber auch international, global – denn es ist eine globale Krise, mit der wir es jetzt zu tun haben –, wie wir steuerrechtlich, steuerpolitisch damit umgehen. Insofern ist der Bogen hier wieder bei der Tagung sehr, sehr weit gespannt. Das zeigt, in welcher guten Tradition Sie mit der 37. Tagung stehen. Es ist natürlich steuerpolitisch, finanzpolitisch, für uns eine sehr, sehr herausfordernde Zeit, und natürlich hat sich ein bisschen die Schwerpunktsetzung in diesem Jahr verschoben, wenn es nämlich in Normalzeiten darum geht, dass wir im Steuerwesen dafür sorgen, die notwendigen Einnahmen des Staates auch sicherzustellen, gleichmäßig und gerecht, so ist jetzt der Fokus darauf gerichtet, wie können wir gerecht entlasten, wie können wir gerecht einen Beitrag zur Krisenbewältigung leisten, zugunsten der Gesellschaft, zugunsten der Volkswirtschaft, der Unternehmen, der Privatpersonen. Und da muss ich wirklich sagen, dass gerade im Bereich Steuer mit die größten Hilfsleistungen erbracht werden. Da will ich hier mal sagen, wie stolz ich auf unsere Finanzämter hier in Hamburg bin, denn den größten Teil der Liquiditätswirkungen, der Liquiditätsentlastungen jetzt im Rahmen unseres Corona-Schutzschirms, haben die Hamburger Finanzämter aufgebracht. Wir kommen insgesamt

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Grußwort Andreas Dressel

auf ein Volumen von fünf Milliarden Euro, was der Schutzschirm bislang ausgemacht hat an Liquiditätswirkung, vier Milliarden Euro gehen tatsächlich aufs Konto der Finanzämter durch Stundungen, durch Herabsetzungen. Das ist sehr, sehr ehrenwert und zeigt auch, dass die an vielen Stellen zu Unrecht gescholtenen Finanzbeamtinnen und Finanzbeamten auch ein Stück Coronahelden sind, weil sie mitgeholfen haben, hier kurzfristig Unternehmen, Gewerbetreibenden, Privatpersonen ein Stück Luft zu verschaffen. Wir haben viele Maßnahmen ergriffen. Ich bin Frau Nissen-Schmidt sehr dankbar, dass sie das Thema Einfuhrumsatzsteuer erwähnt hat. Das hätten wir uns, glaube ich, gemeinsam nicht träumen lassen: Denn wir arbeiten ja, Politik und Handelskammer, schon lange Seite an Seite dafür, dass bei der Einfuhrumsatzsteuer endlich ein Einstieg in einen Reformpfad gegangen wird. Dass Corona den Einstieg in diese Reformen möglich macht, das hätten wir uns vor einem Jahr noch nicht vorstellen können. Aber es ist gut und richtig und ein erster Schritt. Wirksam wird das im ersten Quartal 2021, und ich bin völlig mit Ihnen einer Meinung, das haben wir auch immer öffentlich klargestellt: Das ist nur ein Einstieg und nicht das Ende dieser Reform. Wir arbeiten weiterhin mit der Zielrichtung auf ein Verrechnungsmodell, weil nur das wirklich durchgreift und die Wettbewerbsnachteile am Standort Deutschland auch beseitigen kann. Ganz wichtig ist auch, dass wir versuchen, immer einen pragmatischen Angang zu wählen. Das gilt für bestimmte Erklärungsfristen, das gilt auch dafür, dass wir diese steuerlichen Hilfen gerne auch weit bis ins nächste Jahr verlängert haben wollen, aber auch zum Beispiel, dass wir bei bestimmten steuerverfahrensrechtlichen Verschärfungen auch gesagt haben, in der Corona-Krise: Muss das jetzt sein? Oder kann man vielleicht auch etwas zeitlich, auf der Zeitachse, lösen? Zum Beispiel, dass bei den Kassensystemen es vielleicht mitten in einer Pandemiesituation nicht der geeignete Zeitpunkt ist, wo viele um ihre Existenz kämpfen, solche Regelungen auch komplett scharf zu schalten. Und da glaube ich, haben wir einen sehr pragmatischen Weg gewählt. Vielleicht einmal kurz auch der Blick in die internationale Perspektive: Da müssen wir natürlich sehen, wie es weitergehen kann. Da werden in diesen Tagen viele Diskussionen geführt, zum Thema globale Mindestbesteuerung, zum Thema Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, mit dafür zu sorgen, dass es auch international gerecht zugeht und dass nachher – und das ist ein Thema,

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Grußwort Andreas Dressel

was wir an vielen Stellen ja haben – nicht Amazon der größte Krisenprofiteur in der ganzen Veranstaltung ist, denn das hätte vielfältige gesamtwirtschaftliche Folgen an vielen Stellen für den jeweiligen nationalen und den lokalen Handel. Das heißt, wir müssen bei dem Thema Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle vorankommen, genauso wie beim Thema globale Mindestbesteuerung. Und ich glaube, das ist auch ein Gebot in der Frage der gerechten Krisenbewältigung, denn, Frau NissenSchmidt, Sie haben es angesprochen: Wer zahlt nachher für die Krise? Ich bin da durchaus bei Ihnen, dass wir da so vorgehen müssen, dass wir nachher ein zartes Pflänzchen Aufschwung nicht durch steuerrechtliche Maßnahmen wieder abwürgen. Und trotzdem habe ich ein Problem, wie ich in den nächsten Jahren die Haushalte aufstellen muss, und das gilt für alle anderen Länderfinanzminister genauso wie für den Bundesfinanzminister. Allein für Hamburg haben wir einen Steuereinbruch über die gesamte Finanzplanungsperiode von viereinhalb Milliarden Euro prognostiziert. Das ist eine Größenordnung, die man nicht einfach so wegzaubern kann. Das wird eine große Herausforderung, und da ist es gut, dass wir da weiter im Dialog sind. Was wir für alles das brauchen, sind a) natürlich solche Tagungen wie diese, wo wir uns gemeinsam austauschen, wo wir ein Stück lernen können, wie sich das Steuerrecht weiterentwickelt, dass Wissenschaft und Praxis sich miteinander vernetzen, und dafür braucht es b) natürlich auch am Standort Hamburg eine ausgewiesene steuerrechtliche Expertise. Und das betrifft das steuerrechtliche Lehrangebot an der Universität, das will ich hier auch noch einmal betonen, das habe ich bei allen Grußworten bei der Nikolaustagung immer wieder gesagt. Als Stadt, als Freie und Hansestadt Hamburg, haben wir ein großes Interesse daran, dass wir da miteinander vorankommen. Wir sind weiterhin in guten Gesprächen mit allen Beteiligten. Ich will insbesondere Professor Hummel ganz, ganz herzlich danken, aber auch aus der Privatwirtschaft. Wir haben auch Beiträge der Kanzlei Luther Happ Möhrle, aber auch andere, die sich engagieren, die entsprechenden Hilfsinitiativen, auch das Fokussieren auf mögliche Drittmittelgeber, die sich da engagieren, und ich kann dem Appell von Herrn Professor Hummel nur zustimmen. Da sind noch viele Freiwillige sehr herzlich willkommen. Das funktioniert nur als Gemeinschaftsleistung vieler Akteure, und wenn Herr Professor Hummel da weiterhin so fokussiert versucht, alle Beteiligten zusammenzubringen, beharrlich, ausdauernd, dann ist das, glaube ich, schon ein ganz wichtiger Schritt nach vorn. Insofern da noch einmal ein ganz herzlicher Dank an Sie, Professor Hummel.

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Grußwort Andreas Dressel

Ich wünsche Ihnen jetzt eine sehr angeregte Diskussion, sehr gute Erkenntnisse aus den sehr spannenden Vorträgen und hoffentlich viele weiterführende Impulse für Theorie und Praxis. Und, ganz wichtig: Ich glaube, kein Grußwort in diesen Tagen kann schließen ohne die besten Wünsche, insbesondere im Hinblick auf die Gesundheit, und ich würde mich wirklich sehr freuen, Frau Nissen-Schmidt hat es eben angesprochen, wenn wir uns allerspätestens im nächsten Jahr präsent wieder in den wunderschönen Räumen der Hamburger Handelskammer treffen können und ein bisschen auch gemeinsam rekapitulieren können, was haben wir gemeinsam auch aus dieser Krise gelernt. Insofern ganz herzlichen Dank, gute Erkenntnisse, einen schönen Nikolaustag und schon jetzt eine schöne Weihnachtszeit. Alles Gute, bleiben Sie gesund! Dr. Andreas Dressel Finanzsenator Hamburg

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Inhaltsverzeichnis Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge. Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Eröffnungsansprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Grußworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX Prof. Dr. Roland Wacker Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatenfall . . . . . . . . . . . . .

2

B. Verständigungsverfahren nach EU-Schiedsabkommen . . . . . . . . .

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C. EU-Grundfreiheiten: Import finaler Verluste aus ausländischen Betriebsstätten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Ausfall grenzüberschreitender Darlehen – Nachlese . . . . . . . . . . .

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E. Varia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Bert Kaminski (Diskussionsleitung) Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Claus Staringer Die Besteuerung doppelt ansässiger Gesellschaften im Lichte vergangener und gegenwärtiger Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Doppelt ansässige Gesellschaften in der Vergangenheit . . . . . . . . 110 C. Doppelte ansässige Gesellschaften in der Gegenwart . . . . . . . . . . 112 D. Exkurs: Wegzugsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 E. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

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Inhaltsverzeichnis Seite

Prof. Dr. Bert Kaminski (Diskussionsleitung) Die Besteuerung doppelt ansässiger Gesellschaften im Lichte vergangener und gegenwärtiger Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Michael Dworaczek Verrechnungspreisgestaltung unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 A. Hintergrund: Krisenbedingte Einflüsse auf Ergebnisse wirken sich auf Preise aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 B. Grundlegende Überlegungen zu Anpassungen von Leistungsverrechnungen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . 134 C. Anpassungen im Zusammenhang mit verschiedenen Arten von Leistungsverrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 D. Einfluss auf Advance Pricing Agreements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Prof. Dr. Bert Kaminski (Diskussionsleitung) Verrechnungspreisgestaltung unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Dr. Stefan Greil, LL.M. Der OECD-Blueprint zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle (Pillar One) – Eine Fallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 B. Fallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

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Inhaltsverzeichnis Seite

Dr. Ulrike Schramm Der OECD-Blueprint zur Einführung einer globalen Mindestbesteuerung (Pillar Two) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 B. Mindestbesteuerung nach Pillar II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 C. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Prof. Dr. Bert Kaminski (Diskussionsleitung) Der OECD-Blueprint zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle (Pillar One) und Der OECD-Blueprint zur Einführung einer globalen Mindestbesteuerung (Pillar Two) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Prof. Dr. Gerhard Kraft Geplante Modifikationen im AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 B. Schicksal und Stand des Umsetzungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . 240 C. Geplante Modifikationen in der Hinzurechnungsbesteuerung . . 244 D. Bewertung der ATAD-Umsetzungsentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 E. Entbehrlichkeit der Hinzurechnungsbesteuerung nach Umsetzung von Pillar 2? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 F. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Prof. Dr. Bert Kaminski (Diskussionsleitung) Geplante Modifikationen im AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

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Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter des Ersten Senats Bundesfinanzhof, München

A. Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatenfall. . . . . . . . . I. BFH v. 22.5.2019 – I R 11/19 (I R 80/14), BStBl. II 2021, 265 = FR 2020, 30 – Feststellungjahre 2007/Wj 2006 – Stand-Still-Klausel Auskunftsansprüche gegenüber Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt – Erwerb von Sporterlösrecht durch Y-AG/CH. . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsgründe . . . . 3. Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . II. BFH v. 18.12.2019 – I R 59/17, BStBl. II 2021, 270 = FR 2020, 1001 – Verhältnis der Hinzurechnungstatbestände – Eigenständige Beurteilung von Einzeltätigkeiten – Feststellungsjahre 2001–2004 . . . 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsgründe . . . . 3. Leitsätze . . . . . . . . . . . . . . III. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . B. Verständigungsverfahren nach EU-Schiedsabkommen . I. BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17, BStBl. II 2020, 229 = DB 2020, 823 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . 2. Aus den Gründen . . . . . . . 3. Leitsätze . . . . . . . . . . . . . .

II. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . 2

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C. EU-Grundfreiheiten: Import finaler Verluste aus ausländischen Betriebsstätten?. . . . I. BFH-Beschluss v. 6.11.2019 – I R 32/18, BStBl. II 2021, 68 = FR 2020, 1150 . . . . . . . . . . . . II. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . D. Ausfall grenzüberschreitender Darlehen – Nachlese. . . .

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E. Varia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geschäftsführer als ständiger Vertreter i.S.v. § 13 AO. . . . . 1. BFH v. 23.10.2018 – I R 54/16, BStBl. II 2019, 365 = FR 2019, 522 . . . . . . . . . a) Sachverhalt. . . . . . . . . . b) Aus den Gründen. . . . . 2. Anmerkungen. . . . . . . . . . II. Buchführungspflicht ausländischer Immobilienkapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . 1. BFH v. 14.11.2018 – I R 81/16, BStBl. II 2019, 390 = DB 2019, 1003 . . . . . . . . 2. Anmerkungen. . . . . . . . . . III. Kein Übergang von Verlusten gem. § 2a EStG im Erbfall. . . 1. BFH v. 23.10.2019 – I R 23/17, BStBl. II 2021, 1358, Ubg 2020, 430 . . . . . . . . . . 2. Anmerkungen. . . . . . . . . .

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht

A. Hinzurechnungsbesteuerung im Drittstaatenfall I. BFH v. 22.5.2019 – I R 11/19 (I R 80/14), BStBl. II 2021, 265 = FR 2020, 30 – Feststellungjahre 2007/Wj 2006 – Stand-Still-Klausel Auskunftsansprüche gegenüber Schweiz 1. Sachverhalt – Erwerb von Sporterlösrecht durch Y-AG/CH „A. Urteil nach Verfahrensaussetzung – EuGH X 1 Es handelt sich um jenes Verfahren, das Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens des Senats an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vom 12.10.2016 – I R 80/14 (BFHE 256, 223, BStBl. II 2017, 615) und des daraufhin ergangenen EuGH-Urteils X vom 26.02.2019 – C-135/17 (EU:C:2019:136, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2019, 489) gewesen ist. 2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine im Inland ansässige GmbH, war zu 30 % an der im Juni 2005 gegründeten Y-AG, einer schweizerischen Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz, beteiligt. Weitere Gesellschafterin war eine ebenfalls in der Schweiz ansässige anderweitige Kapitalgesellschaft. 3 Ende Juni 2005 schloss die Y-AG mit der (inländischen) Z-GmbH einen „Forderungskauf- und Übertragungsvertrag“ (nachfolgend: Forderungskaufvertrag), mit dem sie Forderungen auf „Erlösbeteiligungen“ gegenüber vier Sportvereinen erwarb. Als Kaufpreis für die Abtretung der „Erlösbeteiligungen“ zahlte die Y-AG an die Z-GmbH einen Gesamtbetrag von … t, den sie in voller Höhe fremdfinanziert hatte. Die Klägerin gewährte der Y-AG im November 2005 ein Darlehen über … t. Hinsichtlich des wirtschaftlichen Hintergrunds und weiterer Einzelheiten des Forderungskaufvertrags wird auf die Schilderung im Senatsbeschluss in BFHE 256, 223, BStBl. II 2017, 615 verwiesen. 4 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA) sah in der Y-AG eine Zwischengesellschaft für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S. von § 7 Abs. 6 und 6a des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz) i.d.F. des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG) vom 16.5.2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl. I 2003, 321) – AStG 2006 –. Er stellte zum 1.1.2006 gegenüber der Klägerin (für das Wirtschaftsjahr 2005) einen verbleibenden Verlustabzug für Verluste, die bei Einkünften entstanden sind, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, in Höhe von 95.223 t gesondert fest (§ 18 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG 2006, § 10d des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung – EStG). Zum 1.1.2007 stellte das FA gemäß § 18 Abs. 1 AStG 2006 Einkünfte aus passivem Erwerb einer ausländischen Gesellschaft in Höhe von 546.651 t fest, die mit dem für das Vorjahr festgestellten Verlust verrechnet wurden.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht 5 Die gegen beide Bescheide gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg hat sie mit Urteil vom 21.10.2014 – 6 K 2550/12 als unbegründet abgewiesen. 6 Gegen das FG-Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der diese die Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensmängel geltend macht. Rücknahme bezüglich Feststellungsjahr 2006 7 Mit Schriftsatz vom 29.4.2019 hat die Klägerin die Revision in Bezug auf den zum 1.1.2006 ergangenen Feststellungsbescheid (Wirtschaftsjahr 2005/Feststellungsjahr 2006) zurückgenommen. BFH-Urteil nur zum Feststellungsjahr 2007 8 Die Klägerin beantragt, das FG-Urteil insoweit aufzuheben, als es die Klage gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung nach § 18 AStG 2006 für das Wirtschaftsjahr 2006/Feststellungsjahr 2007 abgewiesen hat, und jenen Bescheid aufzuheben. 9 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. (BMF-Beitritt) 10 Während des Revisionsverfahrens ist das Bundesministerium der Finanzen (BMF) dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten. Das BMF unterstützt in der Sache die Auffassung des FA, stellt jedoch keinen förmlichen Antrag.“

2. Entscheidungsgründe „B. Revision der Klägerin (GmbH) ohne Erfolg 11 Die nach der Teilrücknahme nur noch das Wirtschaftsjahr 2006/Feststellungsjahr 2007 betreffende Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Das FG hat die aus dem Forderungsabtretungsvertrag resultierenden Einkünfte der Y-AG ohne Rechtsfehler als Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S. von § 7 Abs. 6 und 6a AStG 2006 beurteilt. Der Hinzurechnung dieser Einkünfte steht im Streitfall die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit nicht entgegen. Y-AG: Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter 12 I. In seinem Beschluss in BFHE 256, 223, BStBl. II 2017, 615 (Rz. 16 ff.) hat der Senat ausführlich begründet, dass auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen der Vorinstanz die Y-AG für die Klägerin Zwischengesellschaft für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S. des § 7 Abs. 6a AStG 2006 gewesen ist: Die aus dem Forderungskauf-

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vertrag resultierenden Einkünfte der Y-AG – das sind die von den Vereinen auf die abgetretenen Forderungen an die Y-AG geleisteten Zahlungen – sind solche mit Kapitalanlagecharakter, weil sie aus dem Halten bzw. der Verwaltung von „Forderungen“ i.S. der Legaldefinition des § 7 Abs. 6a AStG 2006 stammen und keinen anderen, in § 8 Abs. 1 AStG 2006 aufgeführten, „aktiven“ Betätigungen der Y-AG funktional zugeordnet werden können. Des Weiteren hat der Senat dort ausgeführt, dass die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen der unzureichenden Sachverhaltsaufklärung (Verstoß gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und des Übergehens von Beweisanträgen (Verstoß gegen § 96 Abs. 2 FGO) unbegründet sind. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem Senatsbeschluss wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Keine überwölbende Gewerblichkeitsprüfung 13 Die dagegen von der Klägerin erneut vorgebrachten Einwendungen bleiben weiterhin ohne Erfolg. Das gilt insbesondere für den Versuch, aus den behaupteten Betätigungen der Y-AG deren insgesamt originär gewerblichen Charakter i.S. des § 15 Abs. 2 EStG abzuleiten, welcher einer Einordnung der streitbefangenen Einkünfte als solche mit Kapitalanlagecharakter entgegenstehen soll. Der Tatbestand der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter sieht eine solcherart überwölbende Gewerblichkeitsprüfung, die dazu führen könnte, dass Einkünfte aus den in § 7 Abs. 6a Satz 1 AStG 2006 aufgeführten Tätigkeiten, obwohl sie keiner „aktiven“ Betätigung i.S. des § 8 Abs. 1 AStG 2006 funktional zuordenbar sind, aus dem Anwendungsbereich des § 7 Abs. 6 AStG 2006 auszunehmen sind, nicht vor. Vereinbarkeit mit EU-Recht – hier: Kapitalverkehrsfreiheit 14 II. Die Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter verstößt im Streitfall nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte – EG – (ABl. EG 2002, Nr. C 325, 1), jetzt Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – AEUV- (ABl. EU 2008, Nr. C 115, 47). Zwar wird die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit auf den vorliegenden Fall einer in der Schweiz – einem Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union (EU) oder Vertragsstaat des Abkommens über den Euro-

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päischen Wirtschaftsraum (EWR) ist (Drittstaat) – ansässigen Zwischengesellschaft nicht durch die sog. Stand-Still-Klausel des Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt Art. 64 Abs. 1 AEUV) ausgeschlossen (nachfolgend 2.). Doch ist die in der Hinzurechnung liegende Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit unter den für den Streitfall maßgeblichen Umständen gerechtfertigt (nachfolgend 3.). Prüfung im Rahmen des Feststellungsverfahrens 15 1. Die Prüfung, ob die Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte mit den unionsrechtlichen Grundfreiheiten vereinbar ist, ist im Rahmen des Feststellungsverfahrens nach § 18 AStG 2006 und nicht im Rahmen der nachfolgenden Steuerfestsetzung durchzuführen (Senatsurteile vom 14.11.2018 – I R 47/16, BFHE 263, 393, BStBl. II 2019, 419; vom 13.6.2018 – I R 94/15, BFHE 262, 79). Kapitalverkehrsfreiheit (heute: Art. 63 AEUV) 16 2. Art. 57 Abs. 1 EG steht der Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit auf die Hinzurechnung von im Jahr 2006 durch eine in der Schweiz ansässige Zwischengesellschaft erzielten Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter nicht entgegen. Stand-Still-Klausel (heute: Art. 64 AEUV): nein 17 a) Gemäß Art. 57 Abs. 1 EG berührt Art. 56 EG nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder, die am 31.12.1993 aufgrund einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestehen. Zwar 30 %-Anteil der GmbH an Y-AG als Direktinvestition, aber 18 b) Bei der im Streitfall gegebenen Beteiligung der Klägerin von 30 % an der Y-AG handelt es sich zwar um eine Direktinvestition i.S. des Art. 57 Abs. 1 EG (dazu Senatsbeschluss in BFHE 256, 223, BStBl. II 2017, 615, Rz. 43 f.). Auch bestand zum Stichtag 31.12.1993 bereits ein System der Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter. Die Anwendbarkeit der Stand-Still-Klausel scheitert jedoch daran, dass jenes frühere System der Hinzurechnungsbesteuerung durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz – StSenkG) vom 23.10.2000 (BGBl. I 2000, 1433, BStBl. I 2000, 1428) zwischenzeitlich in einer Weise

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grundlegend geändert worden ist, dass die zum Stichtag bestehende Beschränkung des Kapitalverkehrs nicht ununterbrochen fortbestanden hat. … aber Systemwechsel nach Stichtag (31.12.1993) 19 aa) Die Anwendbarkeit des Art. 57 Abs. 1 EG setzt im Falle einer nachträglichen Änderung der zum 31.12.1993 bestehenden Beschränkungsregelung voraus, dass der wesentliche materielle Gehalt der fraglichen Beschränkung erhalten bleibt und die Beschränkung ohne Unterbrechung fortbesteht; die nach Art. 57 Abs. 1 EG erlaubten Beschränkungen müssen nach dem Stichtag ununterbrochen Teil der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats gewesen sein (EuGH-Urteil X, EU:C:2019:136, DStR 2019, 489, Rz. 38 ff., m.w.N.). Dabei sind die Voraussetzungen, die nationale Rechtsvorschriften erfüllen müssen, um trotz einer späteren Änderung des einzelstaatlichen Rechtsrahmens als am 31.12.1993 „bestehend“ angesehen werden zu können, eng auszulegen (EuGH-Urteile X, EU:C:2019:136, DStR 2019, 489, Rz. 42; EV vom 20.9.2018 – C-685/16, EU:C:2018:743, BStBl. II 2019, 111, Rz. 80 f.). StSenkG vom 23.10.2000 bewirkte … 20 bb) Der Senat hat in seinem Beschluss in BFHE 256, 223, BStBl. II 2017, 615 (Rz. 60) ausgeführt, dass es sich bei dem durch das Steuersenkungsgesetz implementierten System der Hinzurechnungsbesteuerung um eine derart grundlegende Rechtsänderung gehandelt hat, dass nicht von einer ununterbrochenen Fortgeltung der bisherigen Beschränkung gesprochen werden kann. Soweit das BMF die Änderungen des Steuersenkungsgesetzes in Bezug auf die Hinzurechnungsbesteuerung demgegenüber als nicht substantiell einschätzt, ist dem nicht beizupflichten. grundlegende/wesentliche Änderungen 21 Dabei muss nicht der Frage nachgegangen werden, ob allein schon der durch das Steuersenkungsgesetz vorgenommene Systemwechsel vom körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren die rechtlichen Rahmenbedingungen der Hinzurechnungsbesteuerung so verändert hat, dass von einer Änderung des nationalen Rechtsrahmens im vorstehend beschriebenen Sinne auszugehen ist (vgl. Schönfeld, Internationales Steuerrecht – IStR- 2016, 416, 417; Weber, DStR 2017, 1302, 1304; Schnitger, IStR 2019, 340, 343). Jedenfalls im Verbund mit den erheblichen Änderungen der Rechtsfolgen der Hinzurechnung (s. dazu Senatsbeschluss in BFHE 256, 223, BStBl. II 2017,

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615, Rz. 49) haben die Bestimmungen des Steuersenkungsgesetzes eine grundlegende systematische Neuordnung auch des Regimes der Hinzurechnungsbesteuerung bewirkt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass der Hinzurechnungsbetrag fortan nicht mehr zu den Einkünften aus Kapitalvermögen oder aus Gewerbebetrieb gehört, sondern wie eine eigenständige Einkunftsart schedulenmäßig mit einer (einheitlichen) Sondersteuer von 38 % belastet werden sollte, die der tariflichen Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer hinzuzurechnen war (§ 10 Abs. 2 AStG i.d.F. StSenkG). Eine Verrechnung mit Verlustvorträgen oder negativen laufenden Einkünften aus gleichen oder anderen Einkunftsarten war damit ausgeschlossen (vgl. z.B. Köhler, DStR 2000, 1849, 1855; Rättig/Protzen, IStR 2000, 548, 550 f.). Rückgängigmachung durch UntStFG vom 20.12.2001 unerheblich 22 c) Die Neuordnung der Hinzurechnungsbesteuerung durch das Steuersenkungsgesetz ist bei Prüfung der Voraussetzungen des Art. 57 Abs. 1 EG ungeachtet dessen zu berücksichtigen, dass die beschriebenen Änderungen der Rechtsfolgen der Hinzurechnung mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz – UntStFG) vom 20.12.2001 (BGBl. I 2001, 3858, BStBl. I 2002, 35) wieder rückgängig gemacht worden sind. StSenkG – Anwendbarkeit 23 aa) Die die Hinzurechnungsbesteuerung betreffenden Regelungen des Steuersenkungsgesetzes sind gemäß Art. 19 Abs. 1 StSenkG am 1.1.2001 in Kraft getreten. Die Neuregelung sollte gemäß § 21 Abs. 7 Satz 2 AStG i.d.F. StSenkG erstmals für den Veranlagungszeitraum Anwendung finden, für den Zwischeneinkünfte hinzuzurechnen sind, die in einem Wirtschaftsjahr der Zwischengesellschaft entstanden sind, das nach dem 31.12.2000 beginnt. Da nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG i.d.F. StSenkG der Hinzurechnungsbetrag unmittelbar nach Ablauf des Wirtschaftsjahrs der Zwischengesellschaft als zugeflossen gilt, hätte die Neuregelung bei kalendergleichem Wirtschaftsjahr der Zwischengesellschaft folglich erstmals ab dem Veranlagungszeitraum (Feststellungsjahr) 2002 zu einer Hinzurechnung führen können. Im Falle eines nach dem 31.12.2000 beginnenden, aber vor dem 31.12.2001 endenden (Rumpf-)Wirtschaftsjahrs der Zwischengesellschaft hätte die Neuregelung auch bereits im Veranlagungszeitraum 2001 zu einer Hinzurechnung nach den Maßgaben des Steuersenkungsgesetzes geführt.

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Aufhebung durch UntStFG noch im VZ 2001 24 bb) Noch vor dem Ende des Veranlagungszeitraums 2001 sind die die Rechtsfolgen der Hinzurechnungsbesteuerung betreffenden Neuregelungen des Steuersenkungsgesetzes durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz aufgehoben und – jedenfalls was die Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter betrifft – durch eine der vor dem Steuersenkungsgesetz geltenden Rechtslage entsprechende Regelung ersetzt worden (dazu Senatsbeschluss in BFHE 256, 223, BStBl. II 2017, 615, Rz. 50 ff., 55). Das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz ist insoweit gemäß seines Art. 12 Abs. 1 am 25.12.2001 in Kraft getreten. Diese ersetzende Gesetzesfassung sollte gemäß § 21 Abs. 7 Satz 4 AStG i.d.F. UntStFG – in gleicher Weise wie vormals die Änderungen des Steuersenkungsgesetzes – erstmals für den Veranlagungszeitraum Anwendung finden, für den Zwischeneinkünfte hinzuzurechnen sind, die in einem Wirtschaftsjahr der Zwischengesellschaft entstanden sind, das nach dem 31.12.2000 beginnt. Gleichwohl Berücksichtigung des StSenkG i.R.d. Stand-Still-Klausel 25 cc) Obschon die Änderung des Hinzurechnungsbesteuerungssystems nach dem Steuersenkungsgesetz sonach aufgehoben worden ist, bevor sie erstmals im Rahmen einer Steuerfestsetzung zur Anwendung kommen konnte, ist sie im Zusammenhang mit der nach Art. 57 Abs. 1 EG durchzuführenden Prüfung auf die ununterbrochene Fortgeltung der zum Stichtag 31.12.1993 bestehenden Beschränkung des Kapitalverkehrs mit Drittstaaten zu berücksichtigen. nach Maßgabe von EuGH X (Vorabentscheidung) 26 aaa) Der EuGH hat in seinem Urteil X (EU:C:2019:136, DStR 2019, 489) auf die ihm vom Senat unterbreitete (zweite) Vorabentscheidungsfrage geantwortet, die Stand-Still-Klausel in Art. 64 Abs. 1 AEUV sei dahin auszulegen, dass das in Art. 63 Abs. 1 AEUV enthaltene Verbot auf eine Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen (auch dann) Anwendung finde, wenn die dieser Beschränkung zugrunde liegende nationale Steuerregelung nach dem 31.12.1993 durch den Erlass eines Gesetzes wesentlich geändert wurde, das in Kraft trat, dann aber, noch bevor es in der Praxis zur Anwendung gelangte, durch eine Regelung ersetzt wurde, die mit der am 31.12.1993 geltenden Regelung im Wesentlichen übereinstimmt. Etwas anderes soll nur gelten („es sei denn …“), wenn die Anwendbarkeit dieses Gesetzes nach dem nationalen Recht auf einen späteren Zeitpunkt ver-

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schoben wurde, so dass es trotz seines Inkrafttretens nicht auf den von Art. 64 Abs. 1 AEUV erfassten Kapitalverkehr anwendbar war. Dies zu prüfen sei Sache des vorlegenden Gerichts. Hier: Anwendbarkeit des StSenkG ab 1.1.2001 bei abweichenden Wj 27 bbb) Die sonach dem Senat obliegende Prüfung ergibt, dass die Anwendbarkeit der Neuregelung des Hinzurechnungsbesteuerungssystems nach dem Steuersenkungsgesetz nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden ist. Vielmehr sollte die Neuregelung bereits auf die vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens am 1.1.2001 an entstandenen Zwischeneinkünfte anwendbar sein, soweit sie in einem nach dem 31.12.2000 beginnenden Wirtschaftsjahr der Zwischengesellschaft angefallen sind (§ 21 Abs. 7 Satz 2 AStG i.d.F. StSenkG). Es liegt daher jene Situation vor, die der EuGH in Rz. 50 seines Urteils X (EU:C:2019:136, DStR 2019, 489) als schädlich für die Anwendung der Stand-Still-Klausel beschrieben hat: Infolge des Inkrafttretens des Steuersenkungsgesetzes zum 1.1.2001 waren die im Jahr 2001 erzielten Zwischeneinkünfte nach dessen Maßgaben in die Steuerbemessungsgrundlage des betreffenden inländischen Steuerpflichtigen einzubeziehen, ungeachtet dessen, dass die Finanzverwaltung diese Vorschriften bei der Besteuerung der betreffenden Einkünfte im Jahr 2002 letztlich nicht heranzogen hat, weil die diesbezüglichen Regelungen des Steuersenkungsgesetzes am 25.12.2001 aufgehoben worden waren. Folgen: … 28 3. Die Hinzurechnung der im Streitfall festgestellten Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter führt zwar zu einer Beschränkung des Kapitalverkehrs mit einem Drittstaat i.S. von Art. 56 EG, ist aber in der hier vorliegenden Konstellation (in der Schweiz ansässige Zwischengesellschaft für Zwischeneinkünfte des Wirtschaftsjahrs 2006) aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses und insbesondere der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung gerechtfertigt und verstößt daher nicht gegen Unionsrecht. … zwar Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit, aber … 29 a) Gemäß Art. 56 Abs. 1 EG sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten. Die Hinzurechnung der von der Y-AG erzielten Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter nach Maßgabe von § 7 Abs. 6 und 6a AStG 2006 muss sich an der Kapitalverkehrsfreiheit messen lassen. Die Kapitalverkehrsfreiheit wird in der vorliegend

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gegebenen Drittstaatenkonstellation nicht durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG, jetzt Art. 49 AEUV) verdrängt (dazu Senatsbeschluss in BFHE 256, 223, BStBl. II 2017, 615, Rz. 38 ff.). 30 b) Der EuGH hat in dem Urteil X (EU:C:2019:136, DStR 2019, 489) auf die ihm vom Senat unterbreitete (dritte) Vorabentscheidungsfrage geantwortet, Art. 63 Abs. 1 AEUV (Art. 56 Abs. 1 EG) sei dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der die von einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft erzielten, nicht aus einer eigenen Tätigkeit dieser Gesellschaft stammenden Einkünfte wie die „Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter“ i.S. dieser Regelung anteilig in Höhe der jeweiligen Beteiligung in die Steuerbemessungsgrundlage eines in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen einbezogen werden, wenn der Steuerpflichtige zu mindestens 1 % an der genannten Gesellschaft beteiligt ist und die Einkünfte im Drittland einem niedrigeren Besteuerungsniveau unterliegen als in dem betreffenden Mitgliedstaat, nicht entgegensteht, es sei denn, dass ein rechtlicher Rahmen besteht, der insbesondere vertragliche Verpflichtungen vorsieht, die es den Steuerbehörden dieses Mitgliedstaats ermöglichen können, die Richtigkeit der Informationen in Bezug auf die betreffende Gesellschaft zu überprüfen, die zum Nachweis dafür vorgelegt werden, dass die Beteiligung des Steuerpflichtigen an ihr nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht. Beschränkung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt 31 Nach der Begründung des zitierten EuGH-Urteils führt die Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter zu einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs (Rz. 55 ff.). Die Beschränkung sei jedoch in Bezug auf den Verkehr mit Drittstaaten aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, insbesondere der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung grundsätzlich gerechtfertigt (Rz. 70 ff.). Was insbesondere die Verpflichtung der Mitgliedstaaten betreffe, einen Steuerpflichtigen in die Lage zu versetzen, Anhaltspunkte zum Nachweis der etwaigen wirtschaftlichen Gründe für seine Beteiligung an einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft vorzulegen, müsse das Bestehen einer solchen Verpflichtung anhand der Verfügbarkeit von Verwaltungs- und Regulierungsmaßnahmen, die gegebenenfalls eine Überprüfung der Richtigkeit solcher Anhaltspunkte erlauben, beurteilt werden können (Rz. 91). Ferner sei es, wenn die Regelung eines Mitgliedstaats die Gewährung eines Steuervorteils von der Erfüllung von Bedingungen abhängig mache, deren Einhaltung nur in der Weise nach-

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geprüft werden könne, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines Drittstaats eingeholt werden, grundsätzlich gerechtfertigt, dass der Mitgliedstaat die Gewährung dieses Vorteils ablehne, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung des Drittstaats zur Vorlage der Informationen, als unmöglich erweise, die Auskünfte von ihm zu erhalten (Rz. 92). Prüfung des rechtlichen Rahmens für Informationsaustausch durch nationales Gericht 32 Da ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet sei, Auskünfte zu den Tätigkeiten einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft, an der ein Steuerpflichtiger aus diesem Mitgliedstaat beteiligt sei, zu akzeptieren, ohne gegebenenfalls die Richtigkeit dieser Auskünfte überprüfen zu können, habe das vorlegende Gericht im konkreten Fall zu prüfen, ob zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft insbesondere vertragliche Verpflichtungen bestünden, die einen rechtlichenRahmen für die Zusammenarbeit und Mechanismen zum Austausch von Informationen zwischen den betreffenden nationalen Behörden begründeten und die es den deutschen Steuerbehörden tatsächlich ermöglichen könnten, gegebenenfalls die Richtigkeit der Informationen in Bezug auf die in der Schweiz ansässige Gesellschaft zu überprüfen, die zum Nachweis dafür vorgelegt werden, dass die Beteiligung des Steuerpflichtigen an ihr nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruhe (Rz. 94). Sofern ein solcher rechtlicher, insbesondere vertraglicher Rahmen zwischen dem betreffenden Mitgliedstaat und dem betreffenden Drittstaat fehle, sei davon auszugehen, dass Art. 63 Abs. 1 AEUV den betreffenden Mitgliedstaat nicht daran hindere, eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Frage stehende anzuwenden; sollte sich dagegen herausstellen, dass ein solcher rechtlicher Rahmen bestehe, müsse der betreffende Steuerpflichtige in die Lage versetzt werden, die etwaigen wirtschaftlichen Gründe für seine Investition in dem betreffenden Drittland darzutun, ohne übermäßigen Verwaltungszwängen unterworfen zu werden (Rz. 95). In den Jahren 2005/2006 keine Informationspflicht der Schweiz 33 c) Maßgeblich ist demnach im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung, ob im Hinblick auf den im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt der Jahre 2005 und 2006 eine vertragliche Verpflichtung der Schweiz gegenüber den deutschen Steuerbehörden besteht, die es ermöglichen würde, die Richtigkeit der Angaben der Klägerin in Bezug auf die Verhältnisse

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der Y-AG und die Umstände, denen zu folge die Beteiligung der Klägerin an dieser Gesellschaft nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht, zu überprüfen. Dies ist indessen nicht der Fall. Große DBA-Auskunftsklausel im Streitfall noch nicht anwendbar 34 aa) In Art. 27 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11.8.1971 (BGBl. II 1972, 1022, BStBl. I 1972, 519) i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 27.10.2010 (BGBl. II 2011, 1092, BStBl. I 2012, 513) – DBA-Schweiz 1971/2010 – ist zwar mit dem erwähnten Änderungsprotokoll vom 27.10.2010 eine sog. „große“ Auskunftsklausel implementiert worden. Danach tauschen die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Informationen aus, die zur Durchführung dieses Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern jeder Art und Bezeichnung, die für Rechnung der Vertragsstaaten oder ihrer Länder, Kantone, Bezirke, Kreise, Gemeinden oder Gemeindeverbände erhoben werden, voraussichtlich erheblich sind, soweit die diesem Recht entsprechende Besteuerung nicht dem Abkommen widerspricht. Diese Bestimmung gilt aber gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. d des Änderungsprotokolls vom 27.10.2010 nur für Informationen nach Art. 27 Abs. 5 DBA-Schweiz 1971/2010, die sich auf einen Zeitraum beziehen, der am 1. Januar des auf die Unterzeichnung des Protokolls folgenden Jahres beginnt (Doppelbuchst. aa) und in allen anderen Fällen hinsichtlich Informationen, die sich auf Steuerjahre oder Veranlagungszeiträume beziehen, die am oder nach dem 1. Januar des auf die Unterzeichnung des Protokolls folgenden Jahres beginnen (Doppelbuchst. bb). In Bezug auf den im Streitfall relevanten Zeitraum ist die „große“ Auskunftsklausel somit nicht anwendbar. Kleine Auskunftsklausel nicht ausreichend 35 bb) Für Informationen über die Y-AG betreffend den Zeitraum 2005/2006 gilt folglich nur die „kleine“ Auskunftsklausel nach Art. 27 DBA-Schweiz 1971 i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 12.3.2002 (BGBl. II 2003, 68, BStBl. I 2003, 166) – DBA-Schweiz 1971/2002 –. Nach Art. 27 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2002 können die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten auf Verlangen diejenigen (gemäß den Steuergesetzgebungen der Vertragsstaaten im Rahmen der normalen Verwaltungspraxis erhältlichen) Auskünfte austauschen, die notwendig sind zur Durchführung dieses Abkommens, die eine unter das Abkommen fallende Steuer betreffen. Amtshilfe wird auch zur Durchführung des inner-

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staatlichen Rechts bei Betrugsdelikten gewährt (Art. 27 Abs. 1 Buchst. b DBA-Schweiz 1971/2002). Diese Regelung gewährleistet den deutschen Finanzbehörden – entgegen der Auffassung der Klägerin – keine hinreichend sichere Möglichkeit, die Richtigkeit von Angaben über die Verhältnisse der Y-AG im Zeitraum 2005 und 2006 zu prüfen. Offen, ob überhaupt verpflichtender Charakter 36 aaa) Diesbezügliche Zweifel knüpfen schon daran an, dass Art. 27 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2002 anders als Art. 26 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-MA) nicht als Informationsanspruch ausgestaltet ist, sondern nur von einem „Können“ der zuständigen Behörden die Rede ist. Dies könnte zu der Annahme führen, dass es sich nicht um eine verpflichtende Regelung handelt (so Wingert/Strohner in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 27 Rz. 3). Jedenfalls: deutsche Hinzurechnungsbesteuerung keine Abkommensdurchführung 37 bbb) Jedenfalls aber liegen die Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2002 hier nicht vor, weil die in Rede stehenden Auskünfte aus Sicht des die Auskunft begehrenden deutschen Fiskus nicht „zur Durchführung dieses Abkommens“ notwendig sind. Bei der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG 2006 handelt es sich um eine unilaterale Maßnahme der Bundesrepublik Deutschland, der durch die Bestimmung des § 20 Abs. 1 AStG 2006 ausdrücklich der Vorrang vor etwaig entgegenstehenden abkommensrechtlichen Regelungen eingeräumt wird. Nach dieser Vorschrift werden u.a. die §§ 7 bis 18 AStG 2006 durch die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung „nicht berührt“. Soweit die Klägerin dagegen mit der Völkerrechtswidrigkeit dieser unilateralen Abkommensüberschreibung argumentiert, ist nicht ersichtlich, wie diese zu einem Auskunftsanspruch des deutschen Fiskus gegenüber den eidgenössischen Behörden führen können sollte. Auch Verifikation für Betrugsdelikte unzureichend 38 ccc) Entgegen der Sichtweise der Klägerin reicht die in Art. 27 Abs. 1 Buchst. b DBA-Schweiz 1971/2002 geregelte Amtshilfe zur Durchführung des innerstaatlichen Rechts bei „Betrugsdelikten“ als Verifikationsmöglichkeit für eine Prüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben eines Beteiligten zu den Verhältnissen der Zwischengesellschaft

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nicht aus. Der Ausdruck „Betrugsdelikt“ bedeutet nach Nr. 3 Buchst. a des Revisionsprotokolls vom 12.3.2002 ein betrügerisches Verhalten, welches nach dem Recht beider Staaten als Steuervergehen gilt und mit Freiheitsstrafe bedroht ist. 39 Da keineswegs jede objektiv unrichtige oder unvollständige Angabe eines Beteiligten in einem Steuerverfahren als strafbarer Betrug einzustufen ist, kommt eine Amtshilfe nach dieser Bestimmung nur im Ausnahmefall in Betracht und wird deshalb den vom EuGH geforderten Informationsmöglichkeiten nicht gerecht. Die Anforderungen des EuGH sind vielmehr dahin zu verstehen, dass die Möglichkeit einer Verifikation der Angaben eines Beteiligten durch ein Auskunftsrecht gegenüber dem jeweiligen Drittstaat unabhängig von einem konkreten, strafrechtlich relevanten Betrugsverdacht gegenüber einem Beteiligten gewährleistet sein muss. OECD/Europarat-Überkommen über Amtshilfe in Steuersachen 40 cc) Das von OECD und Europarat ausgearbeitete und am 25.1.1988 unterzeichnete Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/ 127) kommt als Rechtsgrundlage für ein den Streitfall betreffendes Auskunftsersuchen an die Schweiz ebenfalls nicht in Betracht. Nach Art. 4 Nr. 1 Satz 1 dieses Übereinkommens erteilen die Vertragsstaaten sich gegenseitig alle Auskünfte, die voraussichtlich geeignet sind für die Veranlagung und Erhebung der Steuern sowie die Beitreibung und Vollstreckung steuerlicher Ansprüche (Buchst. a) und die strafrechtliche Verfolgung bei Verwaltungsbehörden oder die Einleitung einer Strafverfolgung bei Gerichten (Buchst. b). Zu den unter das Übereinkommen fallenden Steuern gehören nach Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Unterpunkt i des Übereinkommens u.a. die Steuern vom Einkommen oder vom Gewinn. Beitritt der Schweiz 2017 – aber keine rückwirkende Amtshilfe 41 Zwar ist dieses Übereinkommen in Deutschland am 1.1.2015 und in der Schweiz am 1.1.2017 in Kraft getreten. Die Schweiz hat jedoch gemäß Art. 30 des Übereinkommens bei Hinterlegung ihrer Ratifizierungsurkunde erklärt, dass sie keine Amtshilfe in Bezug auf Steuerforderungen leiste, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Übereinkommens für die Schweiz bestehen („in accordance with Article 30, paragraph 1.c, of the Convention, Switzerland does not provide assistance in respect of tax claims which are in existence at the date of entry into force of the Convention in respect of Switzerland“). Bei der vorliegend streitigen Hin-

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zurechnung geht es hingegen um im Feststellungsjahr 2007 als zugeflossen geltende Zwischeneinkünfte und damit um Steuerforderungen, die am 1.1.2017 bereits bestanden haben und hinsichtlich derer die Schweiz nach dem vorgenannten Übereinkommen nicht zum Informationsaustausch verpflichtet ist …“

3. Leitsätze „1. Die aufgrund des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 am 01.01.2001 in Kraft getretenen Änderungen des Systems der Hinzurechnungsbesteuerung haben dazu geführt, dass die sog. Stand-Still-Klausel des Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 64 Abs. 1 AEUV) keine Anwendung mehr findet und die Hinzurechnungsbesteuerung im Zusammenhang mit Direktinvestitionen hinsichtlich einer in einem Drittstaat (hier: Schweiz) ansässigen Zwischengesellschaft sich fortan an der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 Abs. 1 EG, jetzt: Art. 63 Abs. 1 AEUV) messen lassen muss (Rn. 14)(Rn. 16)(Rn. 18)(Rn. 21). 2. Die Hinzurechnung von im Wirtschaftsjahr 2006 erzielten Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter einer in der Schweiz ansässigen Zwischengesellschaft beschränkt zwar die Kapitalverkehrsfreiheit, ist aber gerechtfertigt und verstößt daher nicht gegen Unionsrecht (Fortführung des EuGH-Urteils X vom 26.02.2019 – C-135/17, EU:C:2019:136, DStR 2019, 489) (Rn. 28) (Rn. 30) (Rn. 31).“

II. BFH v. 18.12.2019 – I R 59/17, BStBl. II 2021, 270 = FR 2020, 1001 – Verhältnis der Hinzurechnungstatbestände – Eigenständige Beurteilung von Einzeltätigkeiten – Feststellungsjahre 2001–2004 1. Sachverhalt „A. 1 Streitig ist die Rechtmäßigkeit der gesonderten und einheitlichen Feststellungen nach § 18 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz) in der in den Streitjahren (2001 bis 2004) geltenden Fassung (AStG). 2 Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) sind Gesellschaften mit beschränkter Haftung [GmbH], die in den Streitjahren an der Holding-Kft, einer ungarischen Kapitalgesellschaft, zu 0,0037 % (Klägerin zu 1.) bzw. zu 99,9963 % (Klägerin zu 2.) beteiligt waren. Die Holding-Kft nahm ihre Tätigkeit am 08.08.1996 auf. Im Streitzeitraum ermittelte sie ihre Einkünfte zunächst aufgrund eines kalendergleichen Wirtschaftsjahres (bis 31.12.2000), eines Rumpfwirtschaftsjahres (01.01.2001 bis 30.09.2001) und sodann aufgrund eines vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres jeweils zum 30. September. Das Wirtschaftsjahr der inländischen Beteiligten erstreckte sich ebenfalls vom 01. Oktober bis zum 30. September.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht 3 Die Holding-Kft hielt Ende 2004 Beteiligungen an dreizehn in Ungarn operativ tätigen Märkten, die jeweils in der Rechtsform einer Kft organisiert waren. Verbunden mit dem Halten der Beteiligungen war auch die Erbringung von zentralen Dienstleistungen gegenüber den ungarischen Tochtergesellschaften, die u.a. in Hilfeleistungen bei der Eröffnung und Expansion des ungarischen Unternehmens, Einkaufs- und Vertriebsberatung, Buchhaltung und Marketing bestanden. In den Jahren 2000 bis 2003 erwirtschaftete die Holding-Kft den überwiegenden Teil ihrer Einkünfte im Zusammenhang mit der Vergabe von zahlreichen Darlehen an die Tochtergesellschaften. Die Darlehen wurden im Wesentlichen aus Eigenkapital sowie aus bei der Klägerin zu 2. aufgenommenen Krediten (re-)finanziert. Der allgemeine Körperschaftsteuersatz in Ungarn betrug bis 31.12.2003 18 % und ab 01.01.2004 16 %. Ungarn ist mit Wirkung zum 01.05.2004 der Europäischen Union (EU) beigetreten. 4 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt FA) ging davon aus, dass die Holding-Kft mit der Erbringung von Dienstleistungen an die ungarischen Tochtergesellschaften eine aktive Tätigkeit i.S. des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG entfaltet habe. Dagegen sei die Darlehensvergabe an die ungarischen Tochtergesellschaften unter § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG zu subsumieren. Die dabei erwirtschafteten sogenannten passiven Einkünfte unterlägen der Hinzurechnungsbesteuerung. In den betreffenden Feststellungsjahren seien von den passiven Finanzerträgen jedoch geschätzte Anteile von 10.000 t (2001), 20.000 t (2002), 30.000 t (2003) und 40.000 t (2004) auszunehmen, da diese in funktionalem Zusammenhang mit der aktiven Tätigkeit stünden. Das FA stellte jeweils mit Bescheiden vom 13.01.2010 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 18 AStG dieser Auffassung entsprechende Hinzurechnungsbeträge für die Wirtschaftsjahre 2000 bis 2003/Feststellungsjahre 2001 bis 2004 fest, die es den beiden Klägerinnen im Verhältnis ihrer Beteiligungsquoten zurechnete. 5 Einspruch und Klage gegen die Feststellungsbescheide blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) München schloss sich in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 1344 veröffentlichten Urteil im Wesentlichen der finanzbehördlichen Beurteilung des Falles an (Urteil vom 27.04.2015 7 K 2819/12). 6 Dagegen wenden sich die Klägerinnen mit ihrer Revision. 7 Sie beantragen, das Urteil der Vorinstanz sowie die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 18 AStG für die Wirtschaftsjahre 2000 bis 2003/Feststellungsjahre 2001 bis 2004, jeweils vom 13.01.2010, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.08.2012, aufzuheben. 8 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.“

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2. Entscheidungsgründe „B. 9 Hinsichtlich des Wirtschaftsjahres 2000/Feststellungsjahres 2001 ist die Revision unbegründet und daher zurückzuweisen. Hinsichtlich der Wirtschaftsjahre 2001 bis 2003/Feststellungsjahre 2002 bis 2004 ist die Revision begründet. Der Ansatz von Hinzurechnungsbeträgen verstößt für diese Jahre gegen die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit der Klägerinnen. 10 I. Wirtschaftsjahr 2000/Feststellungsjahr 2001 Revision/Klage insoweit ohne Erfolg 11 Das FG hat zutreffend entschieden, dass der für dieses Streitjahr ergangene Bescheid rechtmäßig ist. Die Einkünfte der Holding-Kft aus ihrer Kreditvergabetätigkeit unterlagen der allgemeinen Hinzurechnungsbesteuerung gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 AStG. Dem stand auch das Unionsrecht nicht entgegen. Allgemeine Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung (§ 7 Abs. 1 AStG) 12 1. Sind unbeschränkt Steuerpflichtige an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S. des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1 KStG von der Körperschaftsteuerpflicht ausgenommen ist (ausländische Gesellschaft), zu mehr als der Hälfte beteiligt, so sind die Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, bei jedem von ihnen mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital der Gesellschaft entfällt (§ 7 Abs. 1 AStG). Eine ausländische Gesellschaft ist Zwischengesellschaft für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht aus in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 AStG bezeichneten Tätigkeiten stammen (§ 8 Abs. 1 AStG). Sonderregelung für Einkünfte aus Kapitalanlagen (§ 7 Abs. 6 AStG) 13 Ist eine ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter und ist ein unbeschränkt Steuerpflichtiger an der Gesellschaft zu mindestens 10 vom Hundert beteiligt, bestimmt § 7 Abs. 6 Satz 1 AStG, dass diese Zwischeneinkünfte bei diesem Steuerpflichtigen in dem in § 7Abs. 1 AStG bestimmten Umfang steuerpflichtig sind, auch wenn die Voraussetzungen dieses Absatzes im Übrigen nicht erfüllt sind. Gemäß § 10 Abs. 6 Satz 2 AStG sind Zwi-

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scheneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter solche Einkünfte der ausländischen Zwischengesellschaft, die aus dem Halten, der Verwaltung, Werterhaltung oder Werterhöhung von Zahlungsmitteln, Forderungen, Wertpapieren, Beteiligungen oder ähnlichen Vermögenswerten stammen, es sei denn, der Steuerpflichtige weist u.a. nach, dass sie aus einer Tätigkeit stammen, die einer unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG fallenden eigenen Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft dient. Vorrang der allgemeinen Regeln 14 a) Das Verhältnis zwischen dem auf der sog. Inländerbeherrschung beruhenden Hinzurechnungstatbestand des § 7 Abs. 1 AStG und dem in § 7 Abs. 6 AStG geregelten Tatbestand der Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter ist dadurch gekennzeichnet, dass mit der erst durch das Steueränderungsgesetz 1992 vom 25.02.1992 (BGBl. I 1992, 297, BStBl. I 1992, 146) eingeführten Regelung über die Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter lediglich Lücken in der Hinzurechnungsbesteuerung geschlossen werden sollten. § 7 Abs. 6 AStG hat damit subsidiäre Bedeutung. Greift im Einzelfall der allgemeine Hinzurechnungstatbestand des § 7 Abs. 1 AStG ein, kommt § 7 Abs. 6 AStG keine selbständige Bedeutung mehr zu. Dies entspricht der mehrheitlich in der Literatur vertretenen Meinung, der sich der Senat anschließt (vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 7 AStG Rz. 8.5; Reiche in Haase, AStG/DBA, 3. Aufl., § 7 AStG Rz. 115; Protzen in Kraft, Außensteuergesetz, 2. Aufl., § 7 Rz. 260; Köhler in Strunk/Kaminski/ Köhler, AStG/DBA, § 7 AStG Rz. 155; a.A. Fuhrmann in Fuhrmann, Außensteuergesetz, 3. Aufl., § 7 Rz. 21). Qualifikation der Tätigkeiten: „Mischfall“: 15 b) Zu den in § 8 Abs. 1 AStG aufgezählten sog. aktiven Tätigkeiten gehören gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG Dienstleistungen, soweit diese nicht die in Nr. 5 Buchst. a und b aufgeführten Merkmale erfüllen. Aktiv in diesem Sinne ist gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG auch die Aufnahme und darlehensweise Vergabe von Kapital, für das der Steuerpflichtige nachweist, dass es ausschließlich auf ausländischen Kapitalmärkten und nicht bei einer ihm oder der ausländischen Gesellschaft nahestehenden Person i.S. des § 1 Abs. 2 AStG aufgenommen und außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes gelegenen Betrieben oder Betriebsstätten, die ihre Bruttoerträge ausschließlich oder fast ausschließlich aus unter die Nummern 1 bis 6 fallenden Tätigkeiten beziehen, oder innerhalb

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des Geltungsbereichs dieses Gesetzes gelegenen Betrieben oder Betriebsstätten zugeführt wird. 16 c) Nach den vorstehend genannten Maßstäben kann im Streitfall offen bleiben, ob die Holding-Kft im Zusammenhang mit ihrer Kreditvergabetätigkeit Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt hat, was aufgrund des 10%igen Beteiligungserfordernisses allein bei der Klägerin zu 2. eine Hinzurechnung auslösen könnte. Denn beide inländischen Klägerinnen haben zusammen den Tatbestand der allgemeinen Hinzurechnungsbesteuerung gemäß § 7 Abs. 1 AStG erfüllt, dem wie ausgeführt Vorrang gegenüber der Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter zukommt. Kreditvergabe passiv – Dienstleistungen aktiv 17 Sämtliche Tatbestandsmerkmale der allgemeinen Hinzurechnungsbesteuerung sind erfüllt. So steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit, dass insbesondere eine Inländerbeherrschung i.S. des § 7 Abs. 1 AStG und eine Niedrigbesteuerung i.S. des § 8 Abs. 3 AStG im Streitjahr gegeben waren. Ferner ist davon auszugehen, dass die Tätigkeit der Holding-Kft im Zusammenhang mit der Kreditvergabe als passiv zu qualifizieren ist, weil die in § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG aufgeführten Aktivitätsvoraussetzungen für die darlehensweise Vergabe von Kapital im Streitfall nicht vorlagen. Zutreffend haben die Beteiligten und die Vorinstanz auch angenommen, dass die aufgrund der Dienstleistungsverträge erbrachten Tätigkeiten der Holding-Kft, wie z.B. die Einkaufsund Vertriebsberatung, die Buchhaltung oder das Marketing den Dienstleistungstatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG erfüllen und auch die dort genannten (Gegen-)Ausnahmen nicht eingreifen. Getrennte Betrachtung bei wirtschaftlichem Eigengewicht der Einzeltätigkeiten 18 d) Vor diesem Hintergrund ist die Qualifikation der Holding-Kft als Zwischengesellschaft davon abhängig, ob die im Streitfall ausgeübte passive Kreditvergabetätigkeit einer anderweitigen aktiven Tätigkeit zuzuordnen war und sie hierdurch trotz der im Gesetz angelegten Segmentierung ihre außensteuerrechtliche Eigenständigkeit mit der Folge verloren hatte, dass die gesamten Einkünfte der Holding-Kft i.S. des § 8 Abs. 1 AStG ausschließlich aus aktiven Tätigkeiten stammen. Eine solche einheitliche Subsumtion unter den Katalog des § 8 Abs. 1 AStG erfordert indes, dass bei funktionaler Betrachtung von wirtschaftlich zusammengehörenden Tätigkeiten auszugehen ist. Dabei ist die Tätigkeit

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für die Subsumtion maßgebend, auf der nach allgemeiner Verkehrsauffassung das wirtschaftliche Schwergewicht liegt. Stehen die verschiedenen Tätigkeiten in keinem engeren wirtschaftlichen Zusammenhang zueinander, so sind die aus ihnen stammenden Einkünfte jeweils für sich und getrennt voneinander unter § 8 Abs. 1 AStG zu subsumieren. Das Vorliegen eines solchen engeren wirtschaftlichen Zusammenhangs und damit eine einheitlich zu beurteilende Tätigkeit liegt nach bisheriger Senatsrechtsprechung insbesondere vor, wenn die Tätigkeiten im Verhältnis von Hilfs- oder Nebentätigkeiten zu einer Haupttätigkeit stehen (Senatsurteile vom 16.5.1990 I R 16/88, BFHE 161, 495, BStBl. II 1990, 1049; vom 13.10.2010 I R 61/09, BFHE 231, 152, BStBl. II 2011, 249; Wassermeyer/Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 8 AStG Rz. 24). Um der § 8 Abs. 1 AStG zugrunde liegenden gesetzgeberischen Grundentscheidung zur segmentierenden Betrachtung Rechnung zu tragen, ist die Rechtsprechung indessen dahingehend zu präzisieren, dass Einzeltätigkeiten mit einem erheblichen wirtschaftlichen Eigengewicht eigenständig unter den Katalog des § 8 Abs. 1 AStG zu subsumieren sind, auch wenn sie mit anderen Tätigkeiten in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (ähnlich Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen BMF vom 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3 Rz. 8.0.2). 19 e) Hiernach scheidet im Streitfall eine einheitliche Subsumtion der Dienstleistungstätigkeit und der Kreditvergabetätigkeit unter den Aktivtatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AStG aus. Bei funktionaler Betrachtung besteht zwischen der von der Holding-Kft ausgeübten Dienstleistungstätigkeit und der Finanzierungstätigkeit kein hinreichend enger wirtschaftlicher Zusammenhang. Beide Tätigkeiten stehen insbesondere nicht im Verhältnis von Haupt- und Nebentätigkeit zueinander. Vielmehr hat die Kreditvergabe ein erhebliches wirtschaftliches Eigengewicht, erfüllt eine eigenständige Funktion und tritt gleichwertig neben die Dienstleistungstätigkeit (vgl. Wassermeyer/Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 8 AStG Rz. 37). Sie dient dazu, die einzelnen Märkte mit dem erforderlichen Betriebskapital auszustatten und schafft damit eine der Grundvoraussetzungen für jedes unternehmerische Tun. Auch die einer Gesellschaft zugedachte Funktion einer „Landesholding“ stellt keinen engen Zusammenhang zwischen Dienstleistungstätigkeiten und Kreditvergaben her. Vielmehr kann eine Gesellschaft nur Finanzierungsgesellschaft, nur Managementgesellschaft, nur Holdinggesellschaft sein oder eben, wie vorliegend, mehrere als wirtschaftlich eigenständig zu wertende Funktionen ausüben.

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Drittstaatenfall – kein Motivtest 20 2. Die in § 8 Abs. 2 AStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20.12.2007 (BGBl. I 2007, 3150, BStBl. I 2008, 218) AStG 2008 geregelte Möglichkeit, den Gegenbeweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Betätigung der ausländischen Gesellschaft zu führen (sog. Motivtest), stand den Klägerinnen nicht zur Verfügung. § 8 Abs. 2 AStG 2008 ist nach § 21 Abs. 17 AStG 2008 für die streitgegenständlichen Zwischeneinkünfte in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar. Der Gesetzgeber hat den Motivtest lediglich mit Wirkung ex nunc eingeführt. 21 a) Die Durchführung des Motivtests unter unmittelbarer Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union EuGH (EuGH-Urteil Cadbury Schweppes vom 12.9.2006 C 196/04, EU:C:2006:544, Internationales Steuerrecht -IStR – 2006, 670) scheidet aus. Die streitgegenständlichen Bescheide erfassen nicht die Zwischeneinkünfte einer Gesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums, da Ungarn der Sitz- und Ansässigkeitsstaat der Holding-Kft der EU erst am 1.5.2004 beigetreten ist und zuvor ein sog. Drittstaat war. Das FA hat der Hinzurechnung lediglich Einkünfte unterworfen, die vor diesem Zeitpunkt von der Holding-Kft erzielt wurden. Die Schutzwirkung der Niederlassungsfreiheit, auf der das EuGH-Urteil Cadbury Schweppes (EU:C:2006:544, IStR 2006, 670) beruht, kommt somit nicht zum Tragen. 22 b) Soweit die Klägerinnen ihren vermeintlichen Anspruch auf Durchführung des Motivtests hinsichtlich des Wirtschaftsjahres 2003/Feststellungsjahres 2004 auf das BMF-Schreiben vom 8.1.2007 (BStBl. I 2007, 99) stützen, ist dem entgegenzuhalten, dass ihnen dieses Schreiben als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift keine einklagbaren Ansprüche vermitteln kann. Im Übrigen ändert das BMF-Schreiben nichts daran, dass im Streitfall sämtliche Zwischeneinkünfte vor dem 1.5.2004 angefallen sind. Der Senat kann sich schließlich auch nicht der Ansicht der Revision anschließen, nach der von dem sich seit 2001 abzeichnenden EU-Beitritt Ungarns eine Vorwirkung ausgehe, die einen Motivtest erforderlich mache. Keine DBA-Freistellung 23 3. Das FG hat ferner zutreffend angenommen, dass die festgestellten Hinzurechnungsbeträge nicht gemäß § 10 Abs. 5 AStG i.V.m. Art. 23 des im Streitzeitraum noch anwendbaren Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ungarischen Volksrepublik zur Vermei-

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dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen vom 18.7.1977 DBA-Ungarn 1977 (BGBl. II 1979, 627, BStBl. II 1979, 349) von der Besteuerung freigestellt waren. 24 a) Nach der im Streitzeitraum zeitlich noch anzuwendenden Bestimmung des § 10 Abs. 5 AStG (vgl. § 21 Abs. 11 AStG) sind auf den Hinzurechnungsbetrag die Bestimmungen der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung entsprechend anzuwenden, die anzuwenden wären, wenn der Hinzurechnungsbetrag an den Steuerpflichtigen ausgeschüttet worden wäre. Danach ist für die Anwendung dieser Norm und des einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommens der Hinzurechnungsbetrag wie eine ausgeschüttete Dividende zu behandeln, so dass es, worüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht, für die Steuerpflicht des Hinzurechnungsbetrages im Streitfall auf Art. 23 Abs. 1 Buchst. c DBAUngarn 1977 ankommt. Danach ist die Steuerfreistellung für Dividenden, die von einer in der Ungarischen Volksrepublik ansässigen Gesellschaft gezahlt werden, nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Ungarn 1977 nur anzuwenden, wenn die Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht, ihre Einnahmen ausschließlich oder fast ausschließlich aus folgenden innerhalb der Ungarischen Volksrepublik ausgeübten Tätigkeiten bezieht: Herstellung oder Verkauf von Gütern oder Waren, Dienstleistung oder Ausführung von Bank- oder Versicherungsgeschäften. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist Buchst. b entsprechend anzuwenden, wonach die Doppelbesteuerung „lediglich“ durch Steueranrechnung beseitigt wird. Auch hier Unterscheidung von Darlehensvergabe und Dienstleistungen 25 b) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen hat die Holding-Kft ihre Einnahmen nicht fast ausschließlich aus Dienstleistungstätigkeiten bezogen. Denn die betragsmäßig ins Gewicht fallende Vergabe von Krediten an die ungarischen Tochtergesellschaften stellt keine Dienstleistung i.S. des Art. 23 Abs. 1 Buchst. c DBA-Ungarn 1977 dar. Dem steht der Wortlaut der Vorschrift entgegen. Da der Begriff der Dienstleistung im Abkommen selbst nicht definiert wird, ist er nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts zu bestimmen (Art. 3 Abs. 2 DBA-Ungarn 1977). Im deutschen Steuerrecht werden aber Dienstleistungen und die Hingabe von Darlehen unterschieden, wie etwa der Sondervergütungstatbestand des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder eben die Tatbestände des § 8 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 7 AStG zeigen. Die Differenzierungen sind zugleich Ausdruck dessen, dass im steuerrechtlichen Sprachgebrauch die Darlehenshingabe nicht

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etwa als spezieller Fall vom allgemeineren Begriff der Dienstleistung mitumfasst ist, sondern ein Aliud darstellt. Nichts anderes ist dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu entnehmen, nach dem die Leistung von Diensten als eine Tätigkeit (jeder Art) zu begreifen ist, die der Befriedigung fremder Bedürfnisse dient (vgl. Palandt/Weidenkaff, Bürgerliches Gesetzbuch, 78. Aufl., § 611 Rz. 25; Urteil des Bundesfinanzhofs BFH vom 4.6.1998 III R 94/96, BFH/NV 1999, 163, zum Dienstleistungsbegriff des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG bzw. § 33c EStG a.F.; vgl. auch Wassermeyer/ Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 8 AStG Rz. 172.1). Ein solcher Tätigkeitsbezug fehlt bei der Darlehensgewährung, die sich in der zeitlich beschränkten Überlassung von Kapital zur Nutzung erschöpft. Erst wenn zur Kapitalüber- und -belassung weitere (Finanz-)Dienstleistungen hinzutreten, werden (nur) diese vom Dienstleistungsbegriff erfasst. Auch Bank- und Versicherungsgeschäfte können in der Tätigkeit einer Landesholding, die u.a. Finanzaufgaben innerhalb eines Konzerns übernimmt, nicht erblickt werden (vgl. BMF-Schreiben in BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3 Rz. 8.1.3.3). Kein Verstoß gegen EU-Recht 26 4. Das Unionsrecht steht der durch Bescheid für das Wirtschaftsjahr 2000/Feststellungsjahr 2001 angeordneten Hinzurechnungsbesteuerung nicht entgegen. 27 a) Ob die Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte mit den unionsrechtlichen Grundfreiheiten vereinbar ist, ist im Rahmen des Feststellungsverfahrens nach § 18 AStG und nicht im Rahmen der nachfolgenden Steuerfestsetzung zu prüfen (Senatsurteil vom 14.11.2018 I R 47/16, BFHE 263, 393, BStBl. II 2019, 419). Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit 28 b) Die Hinzurechnung führt zwar zu einer Beschränkung des Kapitalverkehrs mit einem Drittstaat i.S. von Art. 56 Abs. 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte EG (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1997, Nr. C 340, 1), jetzt Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft AEUV (ABl. EU 2008, Nr. C 115, 47), (s. nachfolgend unter II.2.a der Gründe dieses Urteils). Diese

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Grundfreiheit ist indes im Hinblick auf die im kalendergleichen Wirtschaftsjahr 2000 von der Holding-Kft erzielten und im Feststellungsbescheid für das Jahr 2001 erfassten Zwischeneinkünfte wegen der sog. Stand-Still-Klausel des Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt Art. 64 Abs. 1 AEUV) nicht anwendbar. 29 aa) Nach Art. 57 Abs. 1 EG berührt Art. 56 EG nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder, die am 31.12.1993 aufgrund einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestehen. Aber: Stand-Still-Klausel 30 bb) Die Stand-Still-Klausel ist im Hinblick auf die Hinzurechnung der im Wirtschaftsjahr 2000 von der Holding-Kft erzielten Zwischeneinkünfte einschlägig, weil die maßgeblichen Vorschriften des Außensteuergesetzes, insbesondere §§ 7, 8, 10 AStG, bereits am 31.12.1993 bestanden haben und in ihrem Kern bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz -StSenkG) vom 23.10.2000 (BGBl. I 2000, 1433, BStBl. I 2000, 1428) am 1.1.2001 (Art. 19 Abs. 1 StSenkG) und damit bis zum Ablauf des kalendergleichen Wirtschaftsjahrs 2000 der Holding-Kft (vgl. § 21 Abs. 7 AStG i.d.F. des StSenkG zum zeitlichen Anwendungsbereich der das Außensteuergesetz betreffenden Neuregelungen) unverändert geblieben sind (vgl. zu Einzelheiten Senatsurteil vom 22.5.2019 I R 11/19, BFHE 265, 322). Kein Verfassungsverstoß 31 5. Über die Revision der Klägerinnen zum Streitgegenstand Bescheid für das Wirtschaftsjahr 2000/Feststellungsjahr 2001 ist abschließend zu entscheiden. Die Voraussetzungen für die Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) liegen nicht vor. Die erforderliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Normen des Außensteuergesetzes, die dem angegriffenen Bescheid zugrunde liegen, vermochte der Senat nicht zu gewinnen. 32 a) Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass § 20 Abs. 1 AStG als Treaty Override gegen das Grundgesetz verstößt. § 20 Abs. 1 AStG bestimmt, dass die Vorschriften §§ 7 bis 18 AStG durch die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht berührt werden. Der Hinzurech-

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nungsbesteuerung wird durch diese unilaterale Maßnahme der Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich der Vorrang vor etwaigen entgegenstehenden abkommensrechtlichen Regelungen eingeräumt (Senatsurteil in BFHE 265, 322). Eine solche unilaterale Abkommensüberschreibung ist nach der Grundsatzentscheidung des BVerfG vom 15.12.2015 2 BvL 1/12 (BVerfGE 141, 1) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat kann nicht erkennen, dass der Vortrag der Klägerinnen diese verfassungsrechtliche Beurteilung in Frage stellen könnte. Nach den vom BVerfG herangezogenen Maßstäben (Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht, Normvorrangverhältnisse im nationalen Recht) kommt entgegen der geltend gemachten Einwände weder dem Umstand, dass die Hinzurechnungsbesteuerung nicht auf die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung zielt, noch der Tatsache, dass im DBA-Ungarn 1977 ein Verständigungsverfahren vereinbart war, eine ausschlaggebende Bedeutung zu. 33 b) Der Senat ist ferner nicht davon überzeugt, dass die Hinzurechnungsbesteuerung wegen einer Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips oder eines strukturellen Vollzugsdefizites gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verstößt. So lassen die Ausführungen zum Leistungsfähigkeitsprinzip bereits die gebotene Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob außensteuerrechtliche Regelungen, wie z.B. die Hinzurechnungsbesteuerung, nicht im Grundsatz zur leistungsfähigkeitsgerechten Besteuerung der inländischen Steuerpflichtigen erforderlich sind. Des Weiteren beruht das Vorbringen der Klägerinnen auf der Vorstellung einer „konzernbezogenen Leistungsfähigkeit“, die sich durch die konzerninternen Zinszahlungen der ungarischen Tochtergesellschaften an die Holding-Kft auch mit Blick auf den Anteilswert der Beteiligung der Klägerinnen nicht erhöht habe. Eine solche den gesamten Konzern erfassende Leistungsfähigkeit ist dem deutschen Ertragsteuerrecht indes fremd. Vielmehr bewirkt die Abschirmwirkung der eigenen Rechtspersönlichkeit (Trennungsprinzip), dass in der abgeschirmten Vermögenssphäre eine eigenständige und objektive Leistungsfähigkeit entsteht, die von der individuellen und subjektiven Leistungsfähigkeit der hinter der Kapitalgesellschaft stehenden Personen getrennt und unabhängig von ihr besteuert wird (BVerfG-Beschluss vom 12.10.2010 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224, Rz. 62). Im Hinblick auf die von den Klägerinnen gerügten Vollzugsmängel ist insbesondere nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber gegenläufige Erhebungsregelungen getroffen hat und etwaige Vollzugsmängel ihm zurechenbar wären. Vollzugsdefizite sind für sich allein genommen nicht geeignet, die Verfassungswidrigkeit der materiellen Steu-

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ernorm zu begründen (BVerfG-Urteile vom 27.6.1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, Leitsatz 4, Rz. 111; vom 9.3.2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94). 34 II. Bescheide für die Wirtschaftsjahre 2001 bis 2003/Feststellungsjahre 2002 bis 2004 Revision hat insoweit Erfolg 35 1. Hinsichtlich der Beurteilung nach den Maßstäben des nationalen Rechts wird auf die Ausführungen zum Wirtschaftsjahr 2000/Feststellungsjahr 2001 verwiesen. Hinzurechnungsbesteuerung verstößt gegen EU-Recht 36 2. Die Klägerinnen unterliegen indes nicht der Hinzurechnungsbesteuerung, weil diese im Streitfall mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist. Einer Anrufung des EuGH bedarf es nicht; die Unionsrechtslage ist durch das EuGH-Urteil X vom 26.2.2019 C 135/17 (EU:C:2019:136, IStR 2019, 347) und das hierzu ergangene Schlussurteil des Senats in BFHE 265, 322 geklärt. 37 Die Hinzurechnung der streitgegenständlichen Zwischeneinkünfte führt danach zu einer Beschränkung des Kapitalverkehrs mit einem Drittstaat i.S. von Art. 56 Abs. 1 EG, die in der hier vorliegenden Konstellation einer in Ungarn ansässigen Zwischengesellschaft für Zwischeneinkünfte der Wirtschaftsjahre 2001 bis 2003 nicht aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses und insbesondere der Verhinderung der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung gerechtfertigt werden kann. Beschränkung des freien Kapitalverkehrs 38 a) Der Senat hat im Anschluss an das EuGH-Urteil X (EU:C:2019:136, IStR 2019, 347) dahin erkannt, dass die Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter einer in der Schweiz ansässigen Zwischengesellschaft zu einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs führt. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Senatsurteil in BFHE 265, 322 verwiesen. Einschlägiger Hinzurechnungstatbestand ohne Bedeutung 39 Für die vorliegend streitigen Zwischeneinkünfte einer ungarischen Kapitalgesellschaft, die vor dem Beitritt Ungarns zur EU in Ungarn und damit in einem Drittstaat erzielt wurden, gilt nichts anderes. Zwar betraf das Senatsurteil in BFHE 265, 322 die Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter, während es vorliegend um

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die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung geht. Diesem Unterschied kommt für die unionsrechtliche Beurteilung jedoch keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Vielmehr ist auch die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung in der vorliegenden Drittstaatenkonstellation an der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen. Diese Grundfreiheit wird nicht durch die Niederlassungsfreiheit verdrängt. Verhältnis von Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit 40 aa) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist für die Frage, ob eine nationale Regelung unter die eine oder die andere Verkehrsfreiheit fällt, auf den Gegenstand der betreffenden Regelung abzustellen. Eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, fällt in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit. Hingegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen. Eine nationale Regelung über die steuerliche Behandlung von Dividenden aus einem Drittland, die nicht ausschließlich für Situationen gilt, in denen die Muttergesellschaft entscheidenden Einfluss auf die Gesellschaft ausübt, die die Dividenden ausschüttet, ist nach Art. 56 EG zu beurteilen; eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft kann sich daher unabhängig vom Umfang der Beteiligung, die sie an der in einem Drittland niedergelassenen Dividenden ausschüttenden Gesellschaft hält, auf diese Bestimmung berufen, um die Rechtmäßigkeit einer solchen Regelung in Frage zu stellen (vgl. Senatsbeschluss vom 12.10.2016 I R 80/14, BFHE 256, 223, BStBl. II 2017, 615, m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH). Keine Verdrängung durch Niederlassungsfreiheit 41 bb) Nach diesen Kriterien ist die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit im Streitfall nicht aufgrund des Vorrangs der Niederlassungsfreiheit gesperrt (gl. A. z.B. Köhler in Strunk/Kaminski/Köhler, a.a.O., § 7 AStG Rz. 22.1 f.; wohl auch Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 8 AStG Rz. 429). Die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung setzt zwar voraus, dass Steuerinländer an der ausländischen Gesellschaft „zu mehr als der Hälfte beteiligt“ sind. Dennoch stellt § 7 Abs. 1 AStG keine Regelung dar, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die einen sicheren Einfluss vermitteln. Wie das Beispiel der nur geringfügig beteiligten Klägerin zu 1. zeigt, erfasst die Norm auch

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Situationen, in denen vom einzelnen Steuerpflichtigen als dem maßgeblichen Grundfreiheitsberechtigten kein nennenswerter Einfluss ausgeübt werden kann. Für § 7 Abs. 1 AStG kommt es nach dem klaren Wortlaut nur darauf an, dass ggf. eine Mehr- oder Vielzahl von Inländern zusammen das erforderliche Quorum erfüllen. Insbesondere ist auch die „zufällige“ Inländerbeherrschung durch mehrere vertraglich nicht verbundene und auch sonst einander nicht nahestehende Steuerpflichtige tatbestandsmäßig (allgemeine Auffassung, vgl. nur Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 7 AStG Rz. 39; Köhler in Strunk/ Kaminski/Köhler, a.a.O., § 7 AStG Rz. 71 f.; Reiche in Haase, a.a.O., § 7 AStG Rz. 69). Damit ist die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung auch auf Portfoliobeteiligungen und folglich unabhängig von konkreten Einwirkungsmöglichkeiten des Steuerpflichtigen auf die Unternehmensleitung anzuwenden. Stand-Still-Klausel nicht anwendbar 42 b) Die in Art. 57 Abs. 1 EG enthaltene Stand-Still-Klausel (s. dazu oben unter I.4.b der Gründe dieses Urteils) ist im Hinblick auf die Hinzurechnung der in den Wirtschaftsjahren 2001 bis 2003 von der Holding-Kft erzielten Zwischeneinkünfte nicht anwendbar, weil die maßgeblichen Vorschriften des Außensteuergesetzes, insbesondere §§ 7, 8, 10 AStG, zwar bereits am 31.12.1993 bestanden haben, sie aber durch das am 1.1.2001 in Kraft getretene Steuersenkungsgesetz in wesentlichen Punkten geändert wurden. Diese Änderungen im System der Hinzurechnungsbesteuerung betrafen nicht allein die Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter, die Gegenstand des Senatsurteils in BFHE 265, 322 waren, sondern auch die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung (vgl. dazu im Einzelnen Senatsurteil in BFHE 265, 322; Senatsbeschluss in BFHE 256, 223, BStBl. II 2017, 615). Verifikationsmöglichkeiten gem. EU-Amtshilferichtlinie ausreichend 43 c) Nach den im Senatsurteil in BFHE 265, 322 entwickelten Rechtsgrundsätzen kommt es für die Frage der Rechtfertigung der Beschränkung maßgeblich darauf an, ob im Hinblick auf die im Streitfall zu beurteilenden Zwischeneinkünfte der Wirtschaftsjahre 2001 bis 2003 eine vertragliche Verpflichtung Ungarns gegenüber den deutschen Finanzbehörden besteht, die es ermöglichen würde, die Richtigkeit der Angaben der Klägerinnen in Bezug auf die Verhältnisse der Holding-Kft und die Umstände, denen zufolge die Beteiligung an dieser Gesellschaft nicht auf einer künstlichen Gestaltung beruht, zu überprüfen. Ein „solcher recht-

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licher, insbesondere vertraglicher Rahmen“ i.S. der Rz. 94 f. des EuGHUrteils X (EU:C:2019:136, IStR 2019, 347) ist im Streitfall vorhanden. 44 So können die deutschen Behörden Auskünfte zur Tätigkeit der Holding-Kft aufgrund der von den Mitgliedstaaten der EU verpflichtend bis zum 1.1.2013 umzusetzenden Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG – Amtshilfericht-linie (ABl. EU 2011, Nr. L 64, 1) von den ungarischen Steuerbehörden erhalten. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte geht der Senat davon aus, dass die Republik Ungarn die Amtshilferichtlinie umgesetzt hat. Das für den Amtshilfeverkehr mit dem Ausland zuständige Bundeszentralamt für Steuern hat dem Senat auf Anfrage mitgeteilt, dass keine Erkenntnisse über Störungen der Zusammenarbeit mit Ungarn vorliegen. 45 Nach Art. 5 Amtshilferichtlinie übermittelt die ersuchte Behörde auf Ersuchen der ersuchenden Behörde alle in Art. 1 Abs. 1 genannten Informationen, die sie besitzt oder die sie im Anschluss an behördliche Ermittlungen erhalten hat. Nach Art. 1 Abs. 1 Amtshilferichtlinie betrifft der Austausch die Informationen, die für die Anwendung und Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts der Mitgliedstaaten über die in Art. 2 genannten Steuern voraussichtlich erheblich sind. Die Richtlinie gilt nach Art. 2 Abs. 1 Amtshilferichtlinie für Steuern aller Art, die von einem oder für einen Mitgliedstaat bzw. von oder für gebiets- oder verwaltungsmäßige Gliederungseinheiten eines Mitgliedstaats erhoben werden. Sie gilt insbesondere nicht für die Mehrwertsteuer und die Zölle (Art. 2 Abs. 2 Amtshilferichtlinie). Hier: auch für Sachverhalt vor 2011 46 Die Republik Ungarn durfte gemäß Art. 18 Abs. 3 Amtshilferichtlinie die Übermittlung der erbetenen Informationen verweigern, wenn diese Informationen vor dem 1.1.2011 liegende Besteuerungszeiträume betreffen und wenn die Übermittlung dieser Informationen auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 77/799/EWG hätte verweigert werden können, falls vor dem 11.3.2011 um sie ersucht worden wäre. Bei der Richtlinie 77/799/EWG handelt es sich um die frühere Amtshilferichtlinie (Amtshilferichtlinie 1977), die durch die Richtlinie 2011/16/EU aufgehoben wurde. Art. 8 Abs. 1 Amtshilferichtlinie 1977 sah Grenzen des Auskunftsaustauschs vor, wenn der Durchführung von Ermittlungen oder der Übermittlung von Auskünften durch die zuständige Behörde des auskunftgebenden Staats für ihre eigenen steuerlichen Zwecke

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gesetzliche Vorschriften oder die Verwaltungspraxis entgegenstünden. Derartige punktuelle, abstrakt existierende Auskunftsverweigerungsrechte des ersuchten Staates, die im internationalen Auskunftsverkehr üblich sind (vgl. Art. 17 Amtshilferichtlinie; Art. 26 Abs. 2 und 3 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development OECD-Musterabkommen; Czakert in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl., Art. 26 Rz. 78 ff.), stehen der vom EuGH in der Rechtssache X geforderten tatsächlichen Ermöglichung einer Überprüfung durch die deutschen Steuerbehörden jedoch nicht entgegen. 47 d) Auf der Grundlage der bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) geht der Senat mit den Beteiligten davon aus, dass die Beteiligung der Klägerinnen an der Holding-Kft nicht auf einer (sog.) künstlichen Gestaltung beruhten. Einer Bestätigung der hierfür sprechenden Tatsachen durch die ungarischen Behörden bedarf es daher ebenso wenig wie einer Zurückverweisung der Sache …“

3. Leitsätze „1. Sind die Voraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß § 7 Abs. 1 AStG erfüllt, kommt der in § 7 Abs. 6 AStG enthaltenen Regelung über die Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter keine selbständige Bedeutung mehr zu. 2. Wirtschaftlich zusammengehörende Tätigkeiten sind einheitlich unter § 8 Abs. 1 AStG zu subsumieren (funktionale Betrachtungsweise). Abweichendes gilt nur für Einzeltätigkeiten mit einem erheblichen wirtschaftlichen Eigengewicht. 3. Die Hinzurechnung von im Wirtschaftsjahr 2000 erzielten Zwischeneinkünften einer in Ungarn tätigen Zwischengesellschaft wird von der sog. Stand-StillKlausel des Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 64 Abs. 1 AEUV) erfasst und verstößt daher nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Fortführung des Senatsurteils vom 22.05.2019 I R 11/19, BFHE 265, 322). 4. Die Hinzurechnung von in den Wirtschaftsjahren 2001 bis 2003 erzielten Zwischeneinkünften einer solchen Gesellschaft verstößt gegen Unionsrecht (Fortführung des Senatsurteils vom 22.05.2019 I R 11/19, BFHE 265, 322).“

III. Anmerkungen (1) Einfachrechtliche Erkenntnisse zur Hinzurechnungsbesteuerung sind vor allem aus dem Urteil I R 59/17 zu ziehen. (2) Zum einen insofern, als bei Vorliegen der Voraussetzungen des allgemeinen Hinzurechnungstatbestands in § 7 Abs. 1 AStG der Sondertat-

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bestand in Abs. 6a der Norm (Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter) verdrängt wird. (3) Zum anderen hat der Senat seine Rechtsprechung zur Zusammenfassung aktiver und passiver Einkünfte aufgrund ihres wirtschaftlichen Funktionszusammenhangs präzisiert, d.h. korrigiert. Ein solcher Zusammenhang ist nunmehr im Kern auf das Verhältnis von Haupt- und Hilfstätigkeiten beschränkt. Kommt der passiven Einzeltätigkeit (hier: Darlehensvergabe) hingegen ein erhebliches wirtschaftliches Eigengewicht zu, führt dies auch bei einem „engen wirtschaftlichen Zusammenhang“ mit aktiven Tätigkeiten (hier: Dienstleistungen) zur Hinzurechnung. (4) Die Hinzurechnungsbesteuerung genügt nach zutreffender Ansicht des Senats ferner den verfassungsrechtlichen Vorgaben des GG. Dies gilt sowohl unter dem Gesichtspunkt der Abkommensüberschreibung (Treaty Override) als auch mit Blick auf den Gleichheitssatz (vgl. zu beidem Urteil I R 59/17 a.a.O., Rz. 31 ff.). (5) Differenzierter hingegen – im Anschluss an EuGH-Urteils X vom 26.2.2019 – C-135/17 (EU:C:2019:136, DStR 2019, 489) – das Senatsvotum zur Kapitalverkehrsfreiheit. (6) Auszugehen ist hierbei davon, dass die Kapitalverkehrsfreiheit nicht durch Niederlassungsfreiheit verdrängt wird. Dies gilt sowohl für Sondertatbestand der Hinzurechnungsbesteuerung betr. Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter (§ 7 Abs. 6a AStG; Urteil I R 11/19, a.a.O.) als auch für den Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 AStG (Urteil I R 59/17, a.a.O.). Auch letzterer erfordert nicht, dass der einzelne Gesellschafter einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Zwischengesellschaft ausüben und deren Tätigkeiten bestimmen kann. (7) Im Rahmen der somit auch im Verhältnis zu Drittstaaten zu prüfenden Kapitalverkehrsfreiheit greift zwar die Stand-Still-Klausel für Zwischeneinkünfte bis einschließlich Wj 20001. 1 Märtens, jurisPR-SteuerR 48/2019 Anm. 2 führt hierzu zutreffend aus: „Obwohl der BFH in seinem Vorabentscheidungsersuchen (Beschl. v. 12.10.2016 I R 80/14, BStBl. II 2017, 615) die Entwicklung der Gesetzgebung zur Hinzurechnungsbesteuerung gerade auch im Zusammenhang mit den Änderungen des StSenkG und zu deren Rücknahme durch das UntStFG minutiös geschildert hatte, hat der EuGH (Urteil X vom 26. Februar 2019 C-135/17, aaO Rz. 50) auf die zweite Vorabentscheidungsfrage keine klare Antwort gegeben, sondern vielmehr den Ball wieder an den BFH zurückgespielt. Dieser solle prüfen, ob die Anwendbarkeit des – die Hinzurechnungsregeln wesentlich ändernden – StSenkG „auf einen späteren Zeitpunkt verschoben“ worden sei“ (vgl auch Schnitger, IStR 2019,

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(8) Für die nachfolgenden Wj (ab 2001) ist hingegen die mit der Hinzurechnungsbesteuerung verbundene Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit auch im Drittstaatenfall darauf zu überprüfen, ob sie gerechtfertigt ist. Letztere Prüfung kann nicht anhand der Regelungen zum Motivtest in § 8 Abs. 2 AStG geschehen; abgesehen davon, dass die Vorschrift erstmals für Einkünfte der Zwischengesellschaft ab dem Wj 2008 anwendbar ist (§ 21 Abs. 7 AStG), ist sie sachlich nur auf Zwischengesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung der EU oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens anwendbar, mithin nicht auf Drittstaatengesellschaften. (9) Dies lässt allerdings die Rechtfertigungsprüfung (hier: Vermeidung von Steuerumgehung und Steuervermeidung) anhand der Grundsätze zum Vorliegen einer künstlichen Gestaltung gemäß EuGH-Urteil Cadburry Schweppes vom 12.9.2006 C 196/04 (EU:C:2006:544, IStR 2006, 670) unter der weiteren Voraussetzung eines rechtlichen Rahmens zu deren Überprüfung zu unberührt. (10) D.h.: fehlt es an einer rein künstlichen Gestaltung und besteht insoweit die rechtliche Möglichkeit, dies zu verifizieren, ist die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nicht gerechtfertigt, so dass die Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte zu unterbleiben hat (Vorrang des EU-Rechts). (11) Beruht der Informationsaustausch allerdings – abweichend vom Ungarn-Fall (I R 59/17, a.a.O.) – nicht auf EU-Recht, sondern auch der großen Auskunftsklausel, ist im Ausgangpunkt zweierlei zu beachten. Zum einen steht der Informationsaustausch zur Anwendung innerstaatlichen Rechts nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA unter dem Vorbehalt, dass die Besteuerung nach diesem Recht nicht dem Abkommen widerspricht. Zum anderen wurde in den Urteilen I R 11/19 (a.a.O., 32) und I R 59/17 (a.a.O., Rz. 32) erläutert, dass es sich bei der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG 2006 um eine unilaterale Maßnahme der Bundesrepublik Deutschland handle, der durch die Bestimmung des § 20 Abs. 1 AStG 2006 ausdrücklich der Vorrang vor etwaig entgegenstehenden abkommensrechtlichen Regelungen eingeräumt werde (vgl. z.B. Art. 27 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz). Dies lässt zwar – mangels Entscheidungserheblichkeit – erkennbar die streitige Frage offen, ob die Regeln der Hinzurechnungsbesteuerung nur außerhalb der Normaussagen des konkre340; Schumann/Jahn, IWB 2019, 410). Hieran gemessen ist die Prüfung im Schlussurteil des I. Senats „eng“ ausgefallen; man hätte sie – zugunsten der Stand-Still-Klausel – ohne Verstoß gegen den Wortlaut des EuGH-Urteils auch mit einem anderen Ergebnis verbinden können.

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ten DBA liegen oder tatsächlich auf eine Abkommensüberschreibung gerichtet sind. Geht man von Letzterem (Treaty Override) aus, so wird im Schrifttum erörtert, ob DBA-rechtliche Öffnungsklausel betr. die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 ff. AStG (z.B. Art. 1 Abs. 6 DBAUSA 2008) oder ausdrückliche Abkommensbestimmungen zum Vorhalt des Missbrauchs nach nationalem Recht auf die Verpflichtung zum Informationsaustausch einstrahlen. Dies würde jedoch wiederum die Qualifikation der steuerrechtlichen Hinzurechnungsbestimmungen als Regelungen zur Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen i.S.v. § 42 AO voraussetzen (vgl. hierzu jedoch BFH-Urteil vom 25.2.2004 I R 42/02 BStBl. II 2005, 14) (12) Nach dem Referentenentwurf zum ATAD-Umsetzungsgesetz (Stand: 12/2019) ist ein Motivtest im Rahmen des Grundtatbestands (Entwurf § 7) in Drittstaatenfällen ausgeschlossen; dies steht im Zusammenhang damit, dass der Entwurf entsprechend den Vorgaben der Richtlinie vom bisherigen Merkmal der Inländerbeherrschung auf dasjenige der gesellschafterbezogenen Beherrschung übergeht und damit – aus der Perspektive der Grundfreiheiten – nicht mehr die Kapitalverkehrsfreit, sondern die Niederlassungsfreiheit2 angesprochen ist (Entwurf § 7 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 2 und 3). Anders hingegen im Rahmen des Sondertatbestands für Einkünfte von Kapitalanlagegesellschaften; er unterliegt weiterhin der Kapitalverkehrsteuer mit der Folge, dass die präzisierten Motivtestregeln auch bei Drittstaatensachverhalten zu beachten sind3 (vgl. Entwurf § 13 Abs. 1 und 4 i.V.m § 8 Abs. 2). Der Entwurf will damit dem EuGH-Urteil C-135/17 (X) „Rechnung tragen“, auf dem die vorstehend dargestellten Folgeurteile des I. Senats beruhen.

B. Verständigungsverfahren nach EU-Schiedsabkommen I. BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17, BStBl. II 2020, 229 = DB 2020, 823 1. Sachverhalt „I. 1 Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionskläger (das Bundeszentralamt für Steuern BZSt) verpflichtet werden kann, an einem Verständigungsverfahren nach dem Übereinkommen 2 Kritisch z.B. Schmidtmann, IWB 2020, 176. 3 Zweifelnd: Gebhardt/Krüger, IWB 2020, 109.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht Nr. 90/436/EWG über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen vom 23.07.1990 (ABl. EG 1990, Nr. L 225, 10) i.d.F. des Protokolls vom 17.12.1999 (ABl. EG 1999, Nr. C 202, 1) Schiedsübereinkommen (SchÜ) teilzunehmen. 2 Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1. (Klägerin zu 1.) ist eine in Spanien ansässige Kapitalgesellschaft, die in der Rechtsform einer Sociedad de responsabilidad limitada geführt wird. Bei der Klägerin und Revisionsklägerin zu 2. (Klägerin zu 2.) handelt es sich um eine deutsche GmbH, die die Rechtsnachfolgerin der inländischen X AG (AG) ist. Die Klägerinnen sind verbundene Unternehmen, deren gemeinsame Mutter die spanische Y S.L. ist. Diese wiederum wird von N beherrscht. 3 In den Jahren 2000 bis 2006 war N Geschäftsführer der Klägerin zu 1. Vorstandsvorsitzende der Rechtsvorgängerin der Klägerin zu 2. war dessen damalige Ehefrau W. 4 Die AG vertrieb „… Produkte“, während die Tätigkeiten der Klägerin zu 1. im Wesentlichen darin bestanden, „Handels- und Marketingdienstleistungen“ für die AG zu erbringen. Für diese Tätigkeiten wurden der AG Vergütungen in Rechnung gestellt. Grundlage dafür war ein schriftlicher Agentur- und Beratungsvertrag. Die AG leistete die entsprechenden Zahlungen und machte diese als Betriebsausgaben geltend. 5 Im Rahmen einer bei der AG durchgeführten Betriebsprüfung wurden seitens der Finanzbehörden „bilanzielle Unstimmigkeiten“ bei den Geschäftsbeziehungen zwischen der Klägerin zu 1. und der AG während der Wirtschaftsjahre 1999/2000 bis 2005/2006 festgestellt. Diese bezogen sich u.a. auf bilanzierte unternehmensberatende Dienstleistungen der Klägerin zu 1. an die AG. Die hierfür geleisteten Zahlungen der AG an die Klägerin zu 1. waren nach Ansicht der Prüfer überhöht, was einen in der Höhe unberechtigten Betriebsausgabenabzug bei der AG zur Folge hatte. 6 Im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung wurde Einvernehmen darüber erzielt, dass bei der gegebenen Bandbreite an Verrechnungspreisen das bereinigte Einkommen im Verhältnis 75 (AG) zu 25 (Klägerin zu 1.) aufzuteilen sei. Zudem seien weitere in den geprüften Wirtschaftsjahren von der AG an die Klägerin zu 1. getätigte Ausgaben als nicht betrieblich veranlasst anzusehen (insgesamt … t). Darüber hinaus stehe der AG aus der Überzahlung ein Rückforderungsanspruch gegenüber der Klägerin zu 1. zum 30.6.2006 in Höhe von … t zu. 7 In der Folgezeit wurden dem Ergebnis der tatsächlichen Verständigung entsprechende Körperschaftsteueränderungs-bescheide gegenüber der AG erlassen. 8 Die als Überzahlung qualifizierten und an die Klägerin zu 1. geflossenen Zahlungen wurden in Spanien besteuert. Die Neubewertung der abzugsfähigen Betriebsausgaben ist jedoch bislang nicht nachvollzogen worden. 9 Im Juli 2009 erging gegen N ein Strafbefehl, der rechtskräftig wurde. Mit diesem wurde er wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in der Zeit vom 20.12.2003 bis zum 27.11.2006 in sechs Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 200 Tagessätzen

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht verurteilt. Der Steuerhinterziehungsvorwurf betraf die Körperschaftsteuererklärungen für 2002 bis 2004 sowie die Gewerbesteuererklärungen für 2002 bis 2004 der AG und beruhte darauf, dass die von der AG an die Klägerin zu 1. zu zahlenden Vergütungen für die erbrachten Leistungen unangemessen hoch angesetzt worden waren. Hierbei wurden allerdings vom Betriebsprüfungsbericht abweichende, niedrigere Steuerverkürzungsbeträge angesetzt. 10 Das Steuerstrafverfahren gegen W in ihrer Eigenschaft als Vorstandsvorsitzende der AG wurde gegen Zahlung einer Geldbuße von … t aufgrund staatsanwaltlicher Verfügung mit Zustimmung des Amtsgerichts gemäß § 153a (StPO) eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte festgestellt, dass W intern an die Weisungen des alleinigen wirtschaftlichen Eigentümers der AG (N) gebunden gewesen sei. 11 Mit Schreiben vom 27.9.2010 stellte die Klägerin zu 1. bei der zuständigen spanischen Behörde den Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nach dem Schiedsübereinkommen. Ziel dieses Verständigungsverfahrens sollte die Beseitigung einer von der Antragstellerin gesehenen wirtschaftlichen Doppelbesteuerung sein, da ihrer Ansicht nach derselbe Sachverhalt in den betroffenen Staaten wegen divergierender Verrechnungspreise eine unterschiedliche steuerliche Behandlung erfahren habe. Die Klägerin zu 1. erklärte im Rahmen ihrer Antragstellung in Spanien, die AG sei nicht Gegenstand einer rechtskräftig festgestellten schweren Strafe i.S. des Schiedsübereinkommens gewesen. Der Strafbefehl gegen N wurde nicht erwähnt. 12 Die zuständige spanische Behörde informierte das BZSt mit Schreiben vom 21.1.2011 über den Antrag der Klägerin zu 1. 13 Mit Schreiben vom 28.7.2011 teilte das BZSt der spanischen Behörde mit, dass es eine Aufnahme des Verfahrens vor dem Hintergrund des gegen N ergangenen Strafbefehls unter Verweis auf Art. 8 Abs. 1 SchÜ ablehne. 14 Die Klägerinnen wandten sich daraufhin an das Finanzgericht (FG) Köln. Dieses qualifizierte das Rechtsschutzbegehren als auf die Durchführung des Verständigungsverfahrens gerichtete allgemeine Leistungsklage. In seinem Urteil vom 18.1.2017 2 K 930/13 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 715) wies es die Klage der Klägerin zu 2. als unzulässig, die der Klägerin zu 1. als unbegründet ab. 15 Mit ihrer Revision machen die Klägerinnen eine Verletzung formellen und sachlichen Rechts geltend. 16 Sie beantragen, a) das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und das BZSt zu verpflichten, das durch die Klägerin zu 1. mit Schreiben vom 27.9.2010 beantragte Verständigungsverfahren nach dem Schiedsübereinkommen zu führen, b) die Anschlussrevision des BZSt zurückzuweisen.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht 17 Das BZSt beantragt, a) die Revisionen der Klägerinnen als unbegründet zurückzuweisen, b) die Klage der Klägerin zu 1. im Wege der Anschlussrevision als unzulässig abzuweisen. 18 Es hält die Revisionsrügen der Klägerinnen für unbegründet. Soweit das FG die Klagebefugnis der Klägerin zu 1. bejaht habe, sei das Urteil fehlerhaft.“

2. Aus den Gründen „II. Revisionen der Klägerinnen haben keinen Erfolg 19 Die Revisionen haben keinen Erfolg. Das FG hat die Klage der Klägerin zu 1. als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung weist keinen Rechtsfehler auf, so dass die Revision als unbegründet zurückzuweisen ist (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung FGO). Die Abweisung der Klage der Klägerin zu 2. stellt sich im Ergebnis als zutreffend dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz war die Klage zwar zulässig, sie kann in der Sache aber keinen Erfolg haben. Die Anschlussrevision des BZSt ist mangels Beschwer unzulässig. Regelungen des Schiedsübereinkommens 20 1. Mit dem Schiedsübereinkommen, bei dem es sich um ein multilaterales völkerrechtliches Abkommen der EU-Staaten zur Beseitigung der Doppelbesteuerung handelt (Krabbe in Wassermeyer, Vor Art. 1 EU-SchÜ Rz. 1 und 10; Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Art. 25 Rz. 300; Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl., Art. 25 Rz. 450), haben u.a. das Königreich Spanien und die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) im Falle der Gewinnberichtigung zwischen verbundenen Unternehmen ein Verständigungs- und Schlichtungsverfahren vereinbart. Das Schiedsübereinkommen enthält hierzu u.a. folgende Regelungen: 21 a) Ist ein Unternehmen in einem Fall, auf den das Übereinkommen Anwendung findet, der Auffassung, dass die in Art. 4 SchÜ festgelegten Grundsätze – danach gilt für die Gewinnberichtigung zwischen verbundenen Unternehmen im Wesentlichen der Fremdvergleichsgrundsatz – nicht beachtet worden sind, so kann es nach Art. 6 SchÜ unbeschadet der im innerstaatlichen Recht der beteiligten Vertragsstaaten vorgesehenen Rechtsbehelfe seinen Fall der zuständigen Behörde des Vertragsstaats unterbreiten, dem es angehört. Der Fall muss innerhalb von drei Jahren nach der ersten Mitteilung der Maßnahme unterbreitet werden,

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die eine Doppelbesteuerung i.S. des Art. 1 SchÜ herbeiführt oder herbeiführen könnte. Zwar obligatorische Beseitigung der Doppelbesteuerung … 22 b) Wie sich aus dem im Schiedsübereinkommen geregelten Ablauf des Verständigungs- und Schlichtungsverfahrens (vgl. insbesondere Art. 12 Abs. 1 SchÜ: Bindung an die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses bei Scheitern einer einvernehmlichen Verständigung) und im Umkehrschluss aus Art. 8 Abs. 1 SchÜ ergibt, führt dieses Verfahren im Ergebnis zwingend zur Beseitigung der Doppelbesteuerung. Diesem obligatorischen Charakter würde es widersprechen, wenn die Durchführung des Verfahrens im Ermessen der zuständigen Behörden stehen würde (Lehner, a.a.O., Art. 25 Rz. 303). Diese sind bei Vorliegen der Voraussetzungen, insbesondere der rechtzeitigen Antragstellung i.S. des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 SchÜ zur Verfahrensdurchführung und damit zur Mitwirkung bei der Beseitigung der Doppelbesteuerung grundsätzlich verpflichtet. aber: Ausnahme bei empfindlich zu bestrafendem Verstoß gegen steuerliche Vorschriften 23 c) Ausnahmsweise ist die zuständige Behörde eines Vertragsstaats aber gemäß Art. 8 Abs. 1 SchÜ zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens oder zur Einsetzung des Beratenden Ausschusses nicht verpflichtet, wenn durch ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren endgültig festgestellt ist, dass eines der beteiligten Unternehmen durch Handlungen, die eine Gewinnberichtigung gemäß Art. 4 SchÜ zur Folge haben, einen empfindlich zu bestrafenden Verstoß gegen steuerliche Vorschriften begangen hat. Mit dem Begriff „Einleitung eines Verständigungsverfahrens“ ist nicht nur das Verhalten der Behörde des Vertragsstaats angesprochen, bei dem das Unternehmen seinen Fall gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 SchÜ unterbreitet, sondern auch dasjenige der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaats. Dementsprechend kann das Verständigungsverfahren unter Hinweis auf den empfindlich zu bestrafenden Verstoß gegen steuerliche Vorschriften sowohl durch die zuständige Behörde des einen wie auch durch die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaats blockiert werden (Krabbe, a.a.O., Art. 8 EU-SchÜ Rz. 5). Ahndung mit Freiheits- oder Geldstrafe oder Bußgeld ausreichend – einseitige Erklärung 24 d) Die Vertragsstaaten haben jeweils durch einseitige Erklärungen zum Schiedsübereinkommen bestimmt, wann ein solcher Verstoß gegeben ist. Die Bundesrepublik Deutschland hat erklärt, dass jeder Verstoß

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gegen die Steuergesetze, der mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder Bußgeld geahndet wird, einen empfindlich zu bestrafenden Verstoß darstellt. Nach Auffassung der Literatur genügt für die Anwendung des Art. 8 Abs. 1 SchÜ die Verurteilung einer bei der Ausführung der Tat für das Unternehmen verantwortlich handelnden Person (Krabbe, a.a.O., Art. 8 EU-SchÜ Rz. 4, m.w.N.). Dem schließt sich der Senat an. Dass in dem in Art. 8 Abs. 1 SchÜ geregelten Fall keine Verpflichtung zur Verfahrensdurchführung besteht, bedeutet indes nicht, dass die Entscheidung über die Verfahrensdurchführung im freien Belieben der zuständigen Behörde stehen würde. Vielmehr hat diese nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden (Krabbe, a.a.O., Art. 8 EU-SchÜ Rz. 5; Flüchter, a.a.O., Art. 25 Rz. 466, 478; vgl. auch Senatsurteil vom 26.5.1982 I R 16/78, BFHE 136, 111, BStBl. II 1982, 583). Zulässigkeit der Klagen 25 2. Nach diesen Maßstäben sind beide Klagen zulässig. Leistungsklage 26 a) Es handelt sich jeweils um eine (sonstige) Leistungsklage. Mit der Klage soll ausweislich des Klageantrags das BZSt (zur Passivlegitimation vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 5 des Gesetzes über die Finanzverwaltung Finanzverwaltungsgesetz i.V.m. des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen – BMF – vom 20.6.2011, BStBl. I 2011, 574) zu einem bestimmten Tun (Durchführung des im anderen Vertragsstaat beantragten Verständigungsund Schlichtungsverfahrens mit der zuständigen Behörde dieses Staats) verpflichtet werden. Dieses Tun ist kein Verwaltungsakt i.S. des § 118 der Abgabenordnung (AO). Vielmehr ist die Klage im Kern auf die Aufnahme von Verhandlungen mit der zuständigen spanischen Behörde zwecks Verständigung über die Beseitigung der Doppelbesteuerung gerichtet (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 7.11.1990 II R 56/85, BFHE 162, 457, BStBl. II 1991, 183; von Beckerath in Gosch, FGO § 40 Rz. 126). Klagebefugnis 27 b) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine allgemeine Leistungsklage gemäß § 40 Abs. 2 FGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung oder Unterlassung einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die hierdurch begründete Klagebefugnis ist für beide Klägerinnen zu bejahen.

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28 aa) Ein Kläger ist dann klagebefugt, wenn die Rechtsordnung ein subjektives Recht kennt, das den geltend gemachten Anspruch in seiner Person tragen würde. Welche Rechtsnormen ein solches subjektiv-öffentliches Recht begründen, entscheidet sich nach der Rechtsprechung des BFH, des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und der herrschenden Meinung nach der Schutznormtheorie (Senatsurteile vom 25.11.2015 I R 85/13, BFHE 252, 217, BStBl. II 2016, 479; vom 15.10.1997 I R 10/92, BFHE 184, 212, BStBl. II 1998, 63; BVerwG-Urteil vom 10.4.2008 7 C 39.07, BVerwGE 131, 129, m.w.N., zu § 42 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Gefordert wird damit der Verstoß gegen eine Norm, die nicht ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit, insbesondere im öffentlichen Interesse an der gesetzmäßigen Steuererhebung und Sicherung des Steueraufkommens erlassen wurde, sondern zumindest auch dem Schutz der Interessen einzelner Dritter dient (sog. „drittschützende“ Norm; vgl. Senatsurteil in BFHE 184, 212, BStBl. II 1998, 63; in BFHE 252, 217, BStBl. II 2016, 479). Möglichkeitstheorie 29 Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 FGO sind erfüllt, wenn das Klagevorbringen es als zumindest möglich erscheinen lässt, dass die angefochtene Entscheidung eigene subjektiv-öffentliche Rechte des Klägers verletzt (sog. Möglichkeitstheorie, vgl. BVerwG-Urteile vom 29.6.1983 7 C 102.82, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1983, 610; vom 27.1.1993 11 C 35.92, BVerwGE 92, 32, zu § 42 Abs. 2 VwGO); die Klagebefugnis ist umgekehrt gewendet nur dann nicht gegeben, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger geltend gemachten Rechte bestehen oder ihm zustehen können (Senatsurteile vom 21.10.1970 I R 81/68 u.a., BFHE 100, 295, BStBl. II 1971, 30; in BFHE 252, 217, BStBl. II 2016, 479; BFH-Urteile vom 3.2.1987 VII R 116/82, BFHE 149, 362, BStBl. II 1987, 346; vom 10.10.2007 VII R 36/06, BFHE 218, 458; BVerwG-Urteil vom 10.7.2001 1 C 35.00, BVerwGE 114, 356, m.w.N.). 30 bb) Nach diesen Maßstäben erscheint es nach dem Vortrag der Klägerinnen möglich, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 SchÜ ihnen ein subjektiv-öffentliches Recht gegenüber dem BZSt auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens – und sei es auch nur auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber – gewährt. Ob aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 SchÜ wirklich ein solcher Anspruch abgeleitet werden kann, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit.

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Subjektives Recht auf Verfahrenseinleitung … 31 Wie unter II.1. der Gründe dieser Entscheidung dargelegt, ist das Verständigungs- und Schlichtungsverfahren obligatorisch ausgestaltet. Es ist fernliegend, dass diese Verpflichtung ausschließlich im öffentlichen Interesse an der gesetzmäßigen Steuererhebung und der angemessenen Verteilung der Besteuerungsrechte von den Vertragsstaaten des Schiedsübereinkommens geschaffen wurde. Das Ziel der Vermeidung der Doppelbesteuerung, das mit dem Schiedsübereinkommen verfolgt wird (vgl. auch BMF-Schreiben vom 9.10.2018, BStBl. I 2018, 1122, Rz. 1.3.1), dient primär nicht anders als ein bilaterales Doppelbesteuerungsabkommen den Interessen der Steuerpflichtigen, im grenzüberschreitenden Kontext nicht zweifach zu einer gleichen oder gleichartigen Steuer herangezogen zu werden. Dementsprechend haben die Vertragsstaaten im Schiedsübereinkommen einleitend formuliert, dass sie „in dem Wunsch, Art. 220 des Vertrages (zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft) anzuwenden, in welchem sie sich verpflichtet haben, Verhandlungen einzuleiten, um zugunsten ihrer Staatsangehörigen die Beseitigung der Doppelbesteuerung sicherzustellen“, beschlossen haben, das Übereinkommen abzuschließen. Der Steuerpflichtige hat demnach einen Anspruch auf abkommensgemäße Besteuerung im Rahmen der beiden Rechtsordnungen (BMF-Schreiben in BStBl. I 2018, 1122, Rz. 1.3.1). Aus diesen Gründen ist der Senat in seiner Rechtsprechung schon bisher davon ausgegangen, dass dem Steuerpflichtigen dem Grunde nach ein subjektiv-öffentliches Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung auf Durchführung eines nicht obligatorischen Verständigungsverfahrens nach dem Vorbild des Art. 25 Abs. 1 und 2 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-Musterabkommen) zwecks Beseitigung einer Doppelbesteuerung zusteht (Senatsurteil in BFHE 136, 111, BStBl. II 1982, 583). auch der spanischen Kapitalgesellschaft 32 cc) Der Auffassung des BZSt, die Klägerin zu 1. sei im Hinblick auf deren Antragsberechtigung in Spanien (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 SchÜ) im anhängigen Verfahren nicht klagebefugt, ist das FG zu Recht nicht gefolgt. Es ist im Streitfall nicht ersichtlich, wie der verfassungsrechtlich – auch zugunsten ausländischer juristischer Personen (vgl. Papier in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VIII, 3. Aufl., § 177 Rz. 24) – gebotene Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes) gegen eine Maßnahme einer deutschen Behörde (BZSt), die mögli-

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cherweise Rechte dieser juristischen Person verletzt, ohne die Zuerkennung eines Klagerechts in Deutschland gewährleistet werden kann. 33 dd) Dass die Klägerin zu 2. wegen Ablaufs der Antragsfrist gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 SchÜ nicht mehr in der Lage ist, das Verständigungsund Schlichtungsverfahren aus eigener Initiative in Gang zu bringen, lässt die Klagebefugnis entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht entfallen. Vielmehr ist zwischen dem Verlust des Antragsrechts und dem Verlust der Klagebefugnis zu unterscheiden. Ist das Verständigungs- und Schlichtungsverfahren durch den rechtzeitigen Antrag eines der beteiligten Unternehmen in dem einen Vertragsstaat wirksam in Gang gesetzt worden (vorliegend durch den Antrag der Klägerin zu 1. in Spanien), dann ist die Weigerung der zuständigen Behörde des anderen Vertragsstaats (vorliegend des BZSt), das Verfahren durchzuführen, geeignet, in das vom Schiedsübereinkommen vermittelte subjektiv-öffentliche Recht beider von der Doppelbesteuerung betroffener Unternehmen auf Beseitigung dieser Doppelbesteuerung einzugreifen. Allein auf diese mögliche Beeinträchtigung subjektiver Rechte kommt es für die Klagebefugnis gemäß § 40 Abs. 2 FGO an. Klagen jedoch unbegründet 34 3. Die Klagen sind unbegründet. Das BZSt hat sich zu Recht auf Art. 8 Abs. 1 SchÜ berufen und die Durchführung des Verständigungs- und Schlichtungsverfahrens ermessensfehlerfrei abgelehnt. Ermessen der zuständigen Behörde 35 a) Art. 8 Abs. 1 SchÜ stellt die Entscheidung über die Einleitung des Verständigungs- und Schlichtungsverfahrens in das Ermessen der zuständigen Behörde. 36 aa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermessensnorm sind im Streitfall durch die im Strafbefehlsverfahren ausgesprochene rechtskräftige Verurteilung (vgl. § 410 Abs. 3 StPO) des N wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung erfüllt. Hier: Steuerhinterziehung i.V.m. Beihilfe – Absehen von Strafe unerheblich 37 Nach der einseitigen Erklärung der Bundesrepublik Deutschland wird von Art. 8 Abs. 1 SchÜ jeder Verstoß gegen die Steuergesetze erfasst, der mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder Bußgeld geahndet wird. Ob von diesem Strafbarkeitsverständnis nicht ohnehin alle Formen der Tatbegehung, also Täterschaft und Teilnahme, erfasst werden, kann dahinstehen.

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Denn die Strafbarkeit wegen Beihilfe setzt zwingend eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Haupttat voraus (vgl. § 27 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs). Dem gegen N ergangenen Strafbefehl wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung liegt zugleich die strafgerichtliche Feststellung zugrunde, dass eine Steuerhinterziehung i.S. des § 370 AO (Haupttat) gegeben ist. Als Täter dieser Steuerhinterziehung kommt nach den Feststellungen des FG nur W als Organ (Vorstandsvorsitzende) der AG in Betracht. Dass wegen der geringen Schuld der W ihr gegenüber von einer weiteren Strafverfolgung gemäß § 153a StPO abgesehen wurde, ändert nichts an der strafgerichtlichen Feststellung, dass die für die AG handelnde Person einen strafbewehrten Verstoß gegen die Steuergesetze begangen hat, zu dem N Beihilfe geleistet hat. Der in der einseitigen Erklärung verwendete Begriff der Ahndung stellt ebenfalls auf eine straf- oder bußgeldbewehrte Gesetzesverletzung ab, die abstrakt betrachtet zu einer Ahndung führen kann. Auf die konkrete Sanktionierung der Straftat kommt es indessen nicht an. Kein Erfordernis der vollständigen zeitlichen Kongruenz 38 bb) Entgegen der Auffassung der Revision ist es für die Anwendbarkeit des Art. 8 Abs. 1 SchÜ unerheblich, ob die steuerliche Gewinnberichtigung und der strafgerichtlich festgestellte Verstoß gegen die steuerlichen Vorschriften im Hinblick auf die Zeiträume und die Steuerbeträge vollständig übereinstimmen. Für ein solches Übereinstimmungserfordernis gibt der Wortlaut des Schiedsübereinkommens keinen Anhalt. Vielmehr genügt es nach der Formulierung des Art. 8 Abs. 1 SchÜ, dass mit einer Handlung, die die Gewinnberichtigung zur Folge hat, auch ein zu bestrafender Verstoß gegen steuerliche Vorschriften begangen wurde. Damit wird lediglich auf einen sachlichen Zusammenhang der Handlungen abgestellt. Nach den Feststellungen des FG liegt im Streitfall ein solcher Handlungszusammenhang vor. Den gemäß Agentur- und Beratungsvertrag von der Klägerin zu 1. erbrachten Leistungen standen unangemessen hohe Zahlungen der AG gegenüber. Diese Handlungen führten sowohl zur Gewinnberichtigung als auch zur strafrechtlichen Ahndung, weil W mit Beteiligung des N die Zahlungen als Betriebsausgaben im Rahmen der Körperschaft- und Gewerbesteuererklärungen der AG geltend gemacht und die tatsächlichen Verhältnisse verschwiegen hatte. Ermessensausübung ohne Rechtsfehler 39 b) Dass das BZSt sein von Art. 8 Abs. 1 SchÜ eingeräumtes Ermessen fehlerhaft ausgeübt haben könnte, hat die Vorinstanz geprüft und zu Recht verneint.

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40 aa) Soweit die Finanzbehörden ermächtigt sind, nach ihrem Ermessen zu handeln, sind die zur Nachprüfung des Verwaltungshandelns angerufenen Steuergerichte darauf beschränkt, die Handlungen oder Unterlassungen der Behörden auf Ermessensfehler nachzuprüfen (vgl. § 102 FGO; Senatsurteil in BFHE 136, 111, BStBl. II 1982, 583). 41 bb) Das FG hat dem Klageantrag nicht entsprochen. Das lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Eine solche Klagestattgabe wäre nur bei einer sog. Ermessensreduzierung auf Null (vgl. z.B. Senatsurteile vom 22.1.1992 I R 20/91, BFH/NV 1992, 562; vom 31.5.2017 I R 92/15, BFHE 259, 387, BStBl. II 2019, 14) zulässig gewesen. Dass sich im Streitfall der von Art. 8 Abs. 1 SchÜ eröffnete Ermessensspielraum des BZSt derart verengt hätte, dass nur eine bestimmte Entscheidung ermessensgerecht gewesen wäre, ist weder von Seiten der Klägerinnen geltend gemacht worden noch ist dies sonst ersichtlich. Die Einwendungen zum Vorliegen eines empfindlich zu bestrafenden Verstoßes gegen die Steuergesetze betreffen allein die Tatbestandsseite des Art. 8 Abs. 1 SchÜ und nicht das Rechtsfolgenermessen. 42 cc) Auch den Erlass eines Bescheidungsurteils hat das FG in rechtlich nicht angreifbarer Weise abgelehnt. Seine Entscheidung, das BZSt habe das von Art. 8 Abs. 1 SchÜ eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt, ist nicht zu beanstanden. Der Senat folgt insbesondere der Einschätzung der Vorinstanz, dass die Erwägung des BZSt, die gegenüber der AG vorgenommenen Gewinnerhöhungen gegenüber dem Königreich Spanien nicht belastbar darlegen zu können, weil sie auf der Basis einer tatsächlichen Verständigung erfolgt seien, als ein sachgerechter verfahrensrechtlicher Gesichtspunkt zu qualifizieren ist. Entgegen der Meinung der Revision darf bei der Ermessensausübung auch auf drohende Divergenzen zur strafrechtlichen Beurteilung abgestellt werden. 43 4. Die Verfahrensrüge hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Er sieht gemäß § 126 Abs. 6 Satz 1 FGO von einer Begründung ab. Da der gerügte Gehörsverstoß nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens erfasst, sondern nur eine einzelne Feststellung betrifft, besteht auch keine Pflicht zur Begründung gemäß § 126 Abs. 6 Satz 2 FGO (vgl. BFH-Urteil vom 29.4.2008 VIII R 28/07, BFHE 220, 332, BStBl. II 2009, 842). Anschlussrevision des BZSt ist unzulässig …“

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3. Leitsätze „1. Das Verständigungs- und Schlichtungsverfahren nach dem EU-Schiedsübereinkommen hat obligatorischen Charakter, es führt daher bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend zur Beseitigung der Doppelbesteuerung. 2. Wenn durch ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren endgültig festgestellt ist, dass eines der beteiligten Unternehmen durch Handlungen, die eine Gewinnberichtigung zur Folge haben, einen empfindlich zu bestrafenden Verstoß gegen steuerliche Vorschriften begangen hat, dann besteht keine Verpflichtung zur Verfahrensdurchführung. Vielmehr hat die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Durchführung des Verfahrens zu entscheiden. 3. Bei der Beurteilung, ob ein empfindlich zu bestrafender Verstoß vorliegt, ist auf die für das Unternehmen verantwortlich handelnde Person abzustellen. Ob diese Person tatsächlich bestraft wurde, ist nicht entscheidend. Es genügt die gerichtliche Feststellung einer straf- oder bußgeldbewehrten Gesetzesverletzung durch diese Person, die abstrakt betrachtet zu einer Ahndung führen kann. 4. Die Entscheidung über die Durchführung des Verfahrens liegt auch dann im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde, wenn die steuerliche Gewinnberichtigung und der strafgerichtlich festgestellte Verstoß gegen die steuerlichen Vorschriften im Hinblick auf die Besteuerungszeiträume und die Steuerbeträge nicht vollständig übereinstimmen.“

II. Anmerkungen (1) Das EU-Schiedsübereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen vom 23.7.1990 (ABl. EG 1990, Nr. L 225, 10) i.d.F. des Protokolls vom 17.12.1999 (ABl. EG 1999, Nr. C 202, 1) – (SchÜ) – ist nicht Teil des Unionsrechts, sondern ein Mulilateres DBA. Zur Streitbeilegungsrichtlinie s. unten. (2) Die Ausführlichkeit der Entscheidung war dem Umstand geschuldet, dass der Senat mit dem Urteil I R 82/17 erstmals zum SchÜ und damit insbesondere auch zu formellen Fragen (Klagebefugnis) Stellung genommen hat. (3) Kennzeichen des SchÜ ist zum einen ihr auf Gewinnberichtigungen beschränkter Charakter. Zum anderen die grundsätzlich obligatorische Verpflichtung der zuständigen Behörden, nach einem gescheiterten Verständigungsverfahren auf Antrag ein Schlichtungsverfahren durch den Beratenden Ausschuss durchführen (Schiedsverfahren; Art. 7), an dessen Stellungnahme sie – vorbehaltlich einer einvernehmlichen abweichenden Entscheidung – gebunden sind (Art. 12 Abs. 2). Hierdurch unterschei-

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det sich das SchÜ grundlegend von den auf Art. 25 OECD-MA fußenden fakultativen DBA-Regelungen. Zum Vergleich beider Verfahren s. das Merkblatt des BMF (BStBl. I 2018, 1122). (4) Ausnahme ist („fraus omnia corrumpit“) gemäß Art. 8 SchÜ, dem bei einem strafbewehrten Verstoß gegen steuerliche Vorschriften die zuständige Behörde die Durchführung der Rechtsschutzverfahren nach dem SchÜ verweigern kann (Ermessen). Da Deutschland (noch) nicht über ein Unternehmensstrafrecht verfügt, war hierbei auch auf die für das Unternehmen handelnde Person – hier jedenfalls W als Vorstandvorsitzende der Rechtsvorgängerin der Klägerin 2 – abzustellen (iEinz Pfirrmann, BFH/PR 2020, 168; krit. Haverkamp, ISR 2020, 208, 210). (5) Das Gesetz vom 10.12.2019 (BGBl. I, 2103) zur Umsetzung der EUStreitbeilegungsrichtlinie – EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG) erfasst zwar nicht nur Gewinnberichtigungen, sondern alle Streitfrage bei der Auslegung und Anwendung von DBA (§ 2). Gleichwohl löst es weder das EU-Schiedsabkommen noch die Verständigungs- und Schiedsverfahren nach dem jeweiligen DBA ab, sondern tritt – so die Einschätzung der Gesetzesbegründung – als vorrangiges Verfahren neben diese (BTDrs. 227/19, 25). Allerdings kennt auch das EU-DBA-SBG Regelung zu „konkurrierenden Strafverfahren“. Ein solches Nebeneinander ist zwar nach § 1 Abs. 2 nicht ausgeschlossen, allerdings kann nach § 20 Abs. 1 Satz 1 die zuständige Behörde der BRD die Einsetzung eines Beratenden Ausschusses ablehnen, wenn „1. eine betroffene Person gegen die Steuergesetze verstoßen hat, 2. dieser Verstoß mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder Geldbuße geahndet worden ist und 3. dieser Verstoß im Zusammenhang mit der Streitfrage steht.“

Zudem gilt (§ 20 Abs. 1 Satz 2): „Ist ein Straf- oder Bußgeldverfahren anhängig, kann die zuständige Behörde der Bundesrepublik Deutschland ein Streitbeilegungsverfahren nach diesem Gesetz ab dem Zeitpunkt der Zulassung der Streitbeilegungsbeschwerde bis zur rechtskräftigen Beendigung des Straf- oder Bußgeldverfahrens aussetzen“.

Sowie nach § 20 Abs. 3: „Die Einsetzung eines Beratenden Ausschusses nach § 17 hindert die Behörden der Bundesrepublik Deutschland nicht daran, ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren in derselben Angelegenheit oder ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen die betroffene Person einzuleiten oder fortzusetzen“.

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(6) M.E. sind die Auslegungsgrundsätze des Besprechungsurteils (I R 82/17 a.a.O. betr. SchÜ) insbesondere im Rahmen der Ausschlussgründe des § 20 Abs. 1 Satz 1 EU-DBA-SBG zu beachten.

C. EU-Grundfreiheiten: Import finaler Verluste aus ausländischen Betriebsstätten? I. BFH-Beschluss v. 6.11.2019 – I R 32/18, BStBl. II 2021, 68 = FR 2020, 1150 „Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Sind Art. 43 i.V.m. Art. 48 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft verwehren, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen, wenn die Gesellschaft zum einen alle Möglichkeiten zum Abzug dieser Verluste ausgeschöpft hat, die ihr das Recht des Mitgliedstaats bietet, in dem diese Betriebsstätte belegen ist, und zum anderen über diese Betriebsstätte keine Einnahmen mehr erzielt, so dass keine Möglichkeit mehr besteht, dass die Verluste in diesem Mitgliedstaat berücksichtigt werden („finale“ Verluste), auch dann entgegenstehen, wenn es sich bei den betreffenden Rechtsvorschriften um die Freistellung von Gewinnen und Verlusten aufgrund eines bilateral zwischen den beiden Mitgliedstaaten vereinbarten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung handelt? 2. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind Art. 43 i.V.m. Art. 48 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) dahin auszulegen, dass sie auch den Rechtsvorschriften des deutschen Gewerbesteuergesetzes entgegenstehen, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft verwehren, von ihrem steuerpflichtigen Gewerbeertrag „finale“ Verluste der in der ersten Frage bezeichneten Art einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen? 3. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Können im Falle der Schließung der in dem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte „finale“ Verluste der in der ersten Frage bezeichneten Art vorliegen, obgleich die zumindest theoretische Möglichkeit besteht, dass die Gesellschaft erneut eine Betriebsstätte in dem betreffenden Mitgliedstaat eröffnet, mit deren Gewinnen die früheren Verluste ggf. verrechnet werden könnten? 4. Falls die erste und die dritte Frage zu bejahen sind: Kommen als vom Ansässigkeitsstaat des Stammhauses zu berücksichtigende „finale“ Verluste der in der ersten Frage bezeichneten Art auch jene Verluste der Betriebsstätte in Betracht, die

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht nach dem Recht des Belegenheitsstaats der Betriebsstätte mindestens einmal in einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum vorgetragen werden konnten? 5. Falls die erste und die dritte Frage zu bejahen sind: Ist die Pflicht zur Berücksichtigung der grenzüberschreitenden „finalen“ Verluste der Höhe nach begrenzt durch diejenigen Verlustbeträge, die die Gesellschaft in dem betreffenden Belegenheitsstaat der Betriebstätte hätte ansetzen können, wenn nicht die Verlustberücksichtigung dort ausgeschlossen wäre?

1. Gründe 1 „A. Sach- und Streitstand 2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Aktiengesellschaft (AG) mit Hauptsitz und Ort der Geschäftsleitung in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland), betreibt eine Wertpapierhandelsbank. Der Unternehmensgegenstand umfasst die Bereiche Anlagevermittlung, Abschlussvermittlung, Finanzportfolioverwaltung und Eigenhandel. Die Klägerin hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr, das jeweils zum 30. Juni endet. 3 Im August 2004 eröffnete die Klägerin eine Zweigniederlassung in X (Großbritannien) und übte dort Tätigkeiten in den Bereichen Aktienanalyse und Wertpapierhandel aus. Die Klägerin erzielte aus der Zweigniederlassung keine Gewinne. Deshalb beschloss ihr Vorstand im Februar 2007 deren unverzügliche Schließung. Die Einstellung des Betriebs der Zweigniederlassung wurde noch im ersten Halbjahr 2007 vollzogen und am … 2007 im englischen Handelsregister eingetragen. 4 Aufgrund der Schließung der Zweigniederlassung konnten die steuerlichen Verluste in Großbritannien nicht mehr vorgetragen werden. Die britische Finanzbehörde teilte der Klägerin mit, dass für das Wirtschaftsjahr 2007/2008 und spätere Wirtschaftsjahre keine Abgabe von Steuererklärungen für die Betriebsstätte mehr notwendig sei. 5 Die Klägerin war der Auffassung, die der Zweigniederlassung zuzuordnenden Verluste von insgesamt … t (2004/2005: … t; 2005/2006: … t; 2006/2007: … t) seien trotz abkommensrechtlicher Freistellung der Einkünfte der Zweigniederlassung von der inländischen Besteuerung aus unionsrechtlichen Gründen als „finale“ Verluste bei der Einkommensermittlung des Veranlagungszeitraums 2007 (Streitjahr) zu berücksichtigen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA) hat die Verluste hingegen im Rahmen der Festsetzung von Körperschaftsteuer und Gewerbesteuermessbetrag für 2007 unberücksichtigt gelassen.

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6 Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Hessische Finanzgericht (FG) hat die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 4.9.2018 4 K 385/17 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 1876) dahingehend geändert, dass das zu versteuernde Einkommen sowie der Gewerbeertrag um … t herabgesetzt werden. 7 Gegen das FG-Urteil richtet sich die auf Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des FA. 8 Das FA beantragt (sinngemäß), das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. 9 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. 10 Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Revisionsverfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten. Es stellt keinen förmlichen Antrag, unterstützt in der Sache aber den Standpunkt des FA.B. 11 Der Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die in der Entscheidungsformel bezeichneten Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus. 12 I. Beurteilung nach nationalem Recht – DBA 13 Auf der Grundlage des nationalen Rechts ist die Revision begründet; das FG-Urteil ist aufzuheben und die Klage ist als unbegründet abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die in der britischen Zweigniederlassung der Klägerin im Zeitraum zwischen 2004 und 2007 entstandenen Verluste mindern die Bemessungsgrundlagen der Körperschaftsteuer und des Gewerbesteuermessbetrags für das Streitjahr nicht. 14 1. Die Klägerin hat Sitz und Ort ihrer Geschäftsleitung im Inland und ist hier deshalb gemäß § 1 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (KStG) mit ihren sämtlichen Einkünften unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Jedoch sind die der Klägerin durch die in Großbritannien gelegene Betriebsstätte entstandenen Verluste aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26.11.1964 (Bundesgesetzblatt – BGBl. – II 1966, 359, Bundessteuerblatt – BStBl. – I 1966, 730) in der Fassung (i.d.F.) des Revisionsprotokolls vom 23.3.1970 (BGBl. II 1971, 46, BStBl. I 1971, 140)

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DBA-Großbritannien 1964/1970 von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer ausgenommen. Symmetrische Freistellung von Betriebsstättenverlusten 15 a) Art. III Abs. 1 Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 bestimmt, dass gewerbliche Gewinne eines Unternehmens eines der Gebiete nur in diesem Gebiete besteuert werden, es sei denn, dass das Unternehmen in dem anderen Gebiet eine gewerbliche Tätigkeit durch eine dort gelegene Betriebstätte ausübt. Übt das Unternehmen durch eine Betriebstätte in dem anderen Gebiet eine gewerbliche Tätigkeit durch eine dort gelegene Betriebstätte aus, so können die Gewinne in dem anderen Gebiete besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie dieser Betriebstätte zugerechnet werden können (Art. III Abs. 1 Satz 2 DBA-Großbritannien 1964/1970). Nach Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 werden im Falle einer in Deutschland ansässigen Person von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Quellen innerhalb des Vereinigten Königreichs (Großbritannien) und die innerhalb Großbritanniens gelegenen Vermögensteile ausgenommen, die in Übereinstimmung mit diesem Abkommen in Großbritannien besteuert werden können, es sei denn, dass was vorliegend allerdings nicht zum Tragen kommt – Art. XVIII Abs. 2 Buchst. b DBA-Großbritannien 1964/1970 gilt. Deutschland behält aber das Recht, die so ausgenommenen Einkünfte und Vermögensteile bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigen (Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 2 DBA-Großbritannien 1964/1970). 16 b) Obwohl in Art. III Abs. 1 Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 ausdrücklich nur gewerbliche Gewinne erwähnt werden, sind nach Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA Großbritannien 1964/1970 auch negative Einkünfte – so die im Streitfall in Rede stehenden Verluste – im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer ausgenommen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung (z.B. Senatsurteil vom 28.3.1973 I R 59/71, BFHE 109, 127, BStBl. II 1973, 531; Senatsbeschlüsse vom 29.11.2006 I R 45/05, BFHE 216, 149, BStBl. II 2007, 398; vom 11.3.2008 I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161), dass auch dann, wenn sich der in einer abkommensrechtlichen Verteilungsnorm verwendete Einkünftebegriff auf einen Nettobetrag bezieht, Verluste ebenfalls aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind (sog. Symmetriethese).

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17 Gewerbesteuer 2. Auch im Rahmen der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags für den Erhebungszeitraum 2007 sind die der britischen Zweigniederlassung der Klägerin zuzuordnenden Verluste nicht zu berücksichtigen. 18 a) Bei der Berechnung der Gewerbesteuer ist von einem Steuermessbetrag auszugehen, der durch Anwendung eines Prozentsatzes (Steuermesszahl) auf den Gewerbeertrag zu ermitteln ist (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes in der für den Erhebungszeitraum 2007 geltenden Fassung – GewStG). Gewerbeertrag ist gemäß § 7 Satz 1 GewStG der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum (§ 14 GewStG) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge. 19 b) Für die Klägerin als unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtiger AG, bei der gemäß § 8 Abs. 2 in Verbindung mit (i.V.m.) § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind, ist Ausgangspunkt für die Ermittlung des Gewerbeertrags mithin der nach den Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes für das Jahr 2007 zu ermittelnde Gewinn. Einkünfte – auch solche negativer Art, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer auszunehmen sind, sind folglich von vornherein nicht Bestandteil des Gewerbeertrags im Sinne (i.S.) von § 7 Satz 1 GewStG (Senatsurteil vom 9.6.2010 I R 107/09, BFHE 230, 35, Rz. 28). Eines Rückgriffs auf die Vorschrift des § 9 Nr. 3 GewStG, der zufolge die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer eines inländischen Unternehmens um den Teil des Gewerbeertrags zu kürzen ist, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt (siehe s. unten II.2.a cc), bedarf es in den Fällen der abkommensrechtlichen Freistellung von der Besteuerung nicht. 20 II. Vereinbarkeit mit Unionsrecht 21 Fraglich ist jedoch, ob die Verluste, die die Klägerin mit ihrer britischen Betriebsstätte in den Wirtschaftsjahren 2004/2005 bis 2006/2007 erwirtschaftet hat, gleichwohl im Streitjahr in Deutschland bei der Gewinnermittlung (§ 4 Abs. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) zu berücksichtigen sind, weil sie sich in Großbritannien zu keinem Zeitpunkt ausgewirkt haben. Eine derartige Pflicht Deutschlands zur Berücksichtigung

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„finaler“ Verluste einer im Ausland der Europäischen Union (EU) belegenen Betriebsstätte könnte sich gegebenenfalls (ggf.) aus der unionsrechtlich gewährleisteten Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 i.V.m. Art. 48 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte EG – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. C 325, 1), jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – AEUV – (Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47) ergeben. Trotz mehrerer Entscheidungen des EuGH zur Problematik der „finalen“ Verluste ist aus Sicht des vorlegenden Senats die Grundsatzfrage der Berücksichtigungspflicht solcher Verluste in der hier vorliegenden Konstellation der auf den Vereinbarungen eines DBA beruhenden Freistellung des Ergebnisses von in anderen Mitgliedstaaten belegenen Betriebsstätten noch nicht hinreichend geklärt. Gleiches gilt für einige mit der Beurteilung der Kriterien der „Finalität“ und der Höhe der ggf. zu berücksichtigenden Verluste zusammenhängende Fragen. 22 1. Zur ersten Vorabentscheidungsfrage: Finale Verluste und Minderung von Körperschaft- und Einkommensteuer? Rechtsprechung des EuGH – Marks & Spencer 23 a) Zu in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässigen Tochter-Kapitalgesellschaften hat der EuGH (Urteil Marks & Spencer vom 13.12.2005 C 446/03, EU:C:2005:763, Sammlung – Slg. 2005, I 10837) entschieden, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats, die es einer gebietsansässigen Muttergesellschaft allgemein verwehrt, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste abzuziehen, die einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dort entstanden sind, während sie einen solchen Abzug für Verluste einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft zulässt, die durch Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG gewährleistete Niederlassungsfreiheit beschränkt. Die Beschränkung kann jedoch grundsätzlich durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren und der Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung entgegenzuwirken, mit denen zusammengenommen berechtigte und mit dem Vertrag zu vereinbarende Ziele verfolgt werden und die daher zwingende Gründe des Allgemein-

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interesses darstellen, wenn die Regelung in angemessenem Verhältnis zu diesen Zielen steht. Diese Verhältnismäßigkeit ist nicht gewahrt, wenn –

die gebietsfremde Tochtergesellschaft die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat, ggf. durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihre Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet hat, und



keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, berücksichtigt werden.

Lidl Belgium 24 b) In Bezug auf Verluste im EU-Ausland belegener Betriebsstätten, die keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, hat der EuGH in dem auf ein Vorabentscheidungsersuchen des vorlegenden Senats zurückgehenden Urteil Lidl Belgium vom 15.5.2008 C 414/06 (EU:C:2008:278, BStBl. II 2009, 692) entschieden, dass Art. 43 EG dem nicht entgegensteht, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft von ihrer Steuerbemessungsgrundlage nicht die Verluste einer Betriebsstätte abziehen kann, die ihr gehört und in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, sofern nach einem DBA die Einkünfte dieser Betriebsstätte im letztgenannten Mitgliedstaat besteuert werden, in dem die genannten Verluste bei der Besteuerung der Einkünfte dieser Betriebsstätte für künftige Steuerzeiträume berücksichtigt werden können. Weiter hat der EuGH sodann auf der Stufe der Prüfung der Verhältnismäßigkeit die oben zitierten Kriterien seines Urteils Marks & Spencer (EU:C:2005:763, Slg. 2005, I 10837) in Bezug auf die bestehenden Möglichkeiten zur Verlustnutzung in dem anderen Mitgliedstaat angesprochen, ist aber zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verluste im Fall Lidl Belgium (EU:C:2008:278, BStBl. II 2009, 692) nicht in jenem Sinne „final“ gewesen sind, weil sich im Verlauf der Verhandlung vor dem EuGH herausgestellt hatte, dass die (in Luxemburg belegene) Betriebsstätte die Verluste in Luxemburg nutzen durfte und später auch tatsächlich genutzt hatte. Rezeption durch BFH 25 c) Der vorlegende Senat hat aus dem EuGH-Urteil Lidl Belgium (EU:C:2008:278, BStBl. II 2009, 692) abgeleitet, dass in der Konstellation der in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte ein auf der

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abkommensrechtlichen Symmetriethese beruhender Ausschluss der Verlustberücksichtigung zwar die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit einschränkt, jedoch grundsätzlich gerechtfertigt ist. Falls der Steuerpflichtige jedoch nachweist, dass die Verluste im Betriebsstättenstaat steuerlich unter keinen Umständen anderweitig verwertbar (das heißt „final“) sind, würde der Ausschluss des Verlustabzugs den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzen, so dass der Ansässigkeitsstaat die Verluste gleichwohl zu berücksichtigen hat. Der Senat hat eine derartige „Finalität“ angenommen, wenn die Verluste im Quellenstaat aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können oder ihr Abzug in jenem Staat zwar theoretisch noch möglich, aus tatsächlichen Gründen aber so gut wie ausgeschlossen ist und ein wider Erwarten dennoch erfolgter späterer Abzug im Inland verfahrensrechtlich noch rückwirkend nachvollzogen werden könnte (Senatsurteile vom 17.7.2008 I R 84/04, BFHE 222, 398, BStBl. II 2009, 630; in BFHE 230, 35; vom 5.2.2014 I R 48/11, BFHE 244, 371; Senatsbeschluss vom 22.9.2015 I B 83/14, BFH/ NV 2016, 375). Als „tatsächliche“ Umstände, die im Betriebsstättenfall zur „Finalität“ führen können, hat der Senat insbesondere die Umwandlung der Betriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft, ihre entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung oder ihre endgültige Aufgabe angesehen (Senatsurteile in BFHE 230, 35, und in BFHE 244, 371). Timac Agro 26 d) Dem auf Ersuchen des FG Köln ergangenen EuGH-Urteil Timac Agro Deutschland vom 17.12.2015 C 388/14 (EU:C:2015:829, BStBl. II 2016, 362) lag in Bezug auf die zweite Vorabentscheidungsfrage (Rz. 59 ff. des Urteils) erneut die Konstellation des auf einem von Deutschland mit einem anderen Mitgliedstaat der EU (Österreich) abgeschlossenen DBA beruhenden „symmetrischen“ Ausschlusses sowohl der Gewinne als auch der Verluste der in dem jeweils anderen Staat erzielten Betriebsstättengewinne zugrunde. Die 3. Kammer des EuGH hat in diesem Fall entschieden, dass Art. 49 AEUV einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die einer gebietsansässigen Gesellschaft im Fall der Veräußerung einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte an eine gebietsfremde, zum gleichen Konzern wie die veräußernde Gesellschaft gehörende Gesellschaft die Möglichkeit verwehrt, die Verluste der veräußerten Betriebsstätte in die Bemessungsgrundlage der Steuer einzubeziehen, sofern aufgrund eines DBA die ausschließliche Befugnis zur Besteuerung der Ergebnisse dieser Betriebsstätte dem Mitgliedstaat zusteht, in dem sie belegen ist. In der Urteilsbegründung hat

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die 3. Kammer des EuGH hierzu ausgeführt, dass die Versagung der Verlustberücksichtigung für den Fall, dass die Verluste aus einer Betriebsstätte stammen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Sitzes der Gesellschaft belegen ist, eine Beschränkung darstellt, die nach den Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit grundsätzlich unzulässig und nur statthaft ist, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (Rz. 62 f. des Urteils). Zur Vergleichbarkeit der Situationen heißt es in dem Urteil weiter, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte sich in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, sich grundsätzlich nicht in einer mit der Situation einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichbaren Situation befindet (Rz. 64 des Urteils). Sodann hat der EuGH in dem Urteil festgestellt, dass die Situation einer in Österreich belegenen Betriebsstätte, über deren Ergebnisse die Bundesrepublik Deutschland keine Steuerhoheit ausübt und deren Verluste in Deutschland nicht mehr abzugsfähig sind, in Bezug auf Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft nicht mit der Situation einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte vergleichbar ist (Rz. 65 des Urteils). Eine Prüfung dahingehend, ob die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt und verhältnismäßig ist, hat der EuGH anders als in seinem Urteil Lidl Belgium (EU:C:2008:278, BStBl. II 2009, 692) nicht mehr vorgenommen. Rezeption durch BFH 27 e) Der vorlegende Senat hat in seinem Urteil vom 22.2.2017 I R 2/15 (BFHE 257, 120, BStBl. II 2017, 709) die Vorgaben des EuGH-Urteils Timac Agro Deutschland (EU:C:2015:829, BStBl. II 2016, 362) übernommen und seine an das EuGH-Urteil Lidl Belgium (EU:C:2008:278, BStBl. II 2009, 692) angelehnte frühere Rechtsprechung geändert. Der vom Senat entschiedene Fall betraf die Frage, ob ein der italienischen Betriebsstätte einer deutschen Gesellschaft zuzuordnender Verlust, der aufgrund des mit Italien bestehenden DBA von der Besteuerung in Deutschland ausgenommen ist, aufgrund des Art. 43 EG als finaler Verlust gleichwohl die steuerliche Bemessungsgrundlage mindert. Der Senat hat dies verneint, weil im Fall der abkommensrechtlichen Freistellung der ausländischen Einkünfte im Sitzstaat wegen der fehlenden Besteuerungsbefug-

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nis bei der Prüfung eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit schon tatbestandlich eine Vergleichbarkeit mit der Behandlung reiner Inlandsfälle abzulehnen sei. Dies habe zur Folge, dass die Prüfungsebene der Rechtfertigungsgründe als „Standort“ der Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Rechtsfigur der finalen Verluste entfallen sei. Bevola und Jens W. Trock 28 f.) Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, erscheint indessen nach dem Urteil der Großen Kammer des EuGH Bevola und Jens W. Trock vom 12.6.2018 C 650/16 (EU:C:2018:424, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2018, 1353) wieder zweifelhaft. Jenes Urteil betraf eine dänische Kapitalgesellschaft (Bevola), die eine Zweigniederlassung in Finnland unterhielt, die im Jahr 2009 geschlossen worden war und deren Verluste nach dem Vortrag der Bevola in Finnland nicht abgezogen werden konnten und können. Die dänische Steuerverwaltung lehnte den Antrag der Bevola, die Verluste ihrer finnischen Zweigniederlassung im Steuerjahr 2009 von ihrem in Dänemark zu besteuernden Einkommen abzuziehen, ab, weil die Bevola nicht gemäß § 31 A des dänischen Körperschaftsteuergesetzes (DK-KStG) die internationale gemeinsame Besteuerung gewählt habe, weshalb das steuerpflichtige Einkommen der Bevola nach § 8 Abs. 2 DK-KStG nicht Einnahmen und Ausgaben einer im Ausland belegenen Betriebsstätte umfasse. Der Verlustausschluss beruhte in diesem Fall folglich nicht auf einer (bilateralen) DBA-Vereinbarung zwischen Dänemark und Finnland, sondern auf einer auf dem Territorialprinzip (als Gegensatz zum Welteinkommensprinzip) beruhenden unilateralen Bestimmung des nationalen dänischen Steuerrechts, die in ihrer Wirkung jedoch der abkommensbasierten Symmetriethese entspricht. 29 Die Große Kammer des EuGH hat in dieser Sache entschieden, dass Art. 49 AEUV Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es einer gebietsansässigen Gesellschaft, die nicht eine Regelung der internationalen gemeinsamen Besteuerung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gewählt hat, auch dann verwehren, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte abzuziehen, wenn sie zum einen alle Möglichkeiten zum Abzug dieser Verluste ausgeschöpft hat, die ihr das Recht des Mitgliedstaats bietet, in dem diese Betriebsstätte belegen ist, und zum anderen über diese Betriebsstätte keine Einnahmen mehr erzielt, so dass keine Möglichkeit mehr besteht, dass die Verluste in diesem Mitgliedstaat berücksichtigt werden.

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30 In der Begründung seiner Entscheidung führt der EuGH zur Prüfung des Merkmals der Vergleichbarkeit u.a. aus, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen sei (Rz. 32 des Urteils) und dass weder das EuGH-Urteil Timac Agro Deutschland (EU:C:2015:829, BStBl. II 2016, 362) noch das EuGHUrteil Nordea Bank Danmark vom 17.7.2014 C 48/13 (EU:C:2014:2087, Internationales Steuerrecht – IStR – 2014, 563) eine Abkehr des Gerichtshofs von dieser Methode der Würdigung der Vergleichbarkeit der Sachverhalte darstellten (Rz. 33 des Urteils). Die Urteile Nordea Bank Danmark und Timac Agro Deutschland könnten aber nicht dahin verstanden werden, dass zwei Sachverhalte, die das nationale Steuerrecht unterschiedlich behandelt, nicht als vergleichbar angesehen werden können. Der Gerichtshof habe nämlich entschieden, dass die Anwendung unterschiedlicher Steuerregelungen auf eine inländische Gesellschaft, je nachdem, ob sie eine gebietsansässige oder eine gebietsfremde Betriebsstätte hat, kein zulässiges Kriterium für die Beurteilung der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen sein kann. Im Übrigen würde Art. 49 AEUV seines Sinnes entleert, wenn ein Mitgliedstaat in jedem Fall eine Ungleichbehandlung allein deshalb vornehmen könnte, weil sich die Betriebsstätte einer gebietsansässigen Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet. Mithin sei die Vergleichbarkeit der Situationen unter Berücksichtigung des Zwecks der fraglichen nationalen Bestimmungen zu prüfen. 31 Zur Anwendung dieser Vorgaben auf den Ausgangsfall (Bevola und Jens W. Trock, EU:C:2018:424, DStR 2018, 1353) führt der EuGH weiter aus (Rz. 36 bis 38 des Urteils), dass mit § 8 Abs. 2 DK-KStG bei dänischen Gesellschaften mit ausländischen Betriebsstätten eine Doppelbesteuerung der Gewinne und – symmetrisch dazu – ein doppelter Abzug der Verluste vermieden werden solle. Zu vergleichen sei daher die Situation dieser Gesellschaften mit der Situation dänischer Gesellschaften, die Betriebsstätten in Dänemark hätten. Insoweit habe der Gerichtshof zu Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die der Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, entschieden, dass sich Gesellschaften mit einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich nicht in einer Situation befinden, die mit der Situation von Gesellschaften mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte vergleichbar wäre. In Bezug auf Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte, die jede Tätigkeit eingestellt

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hat und deren Verluste nicht von ihrem steuerpflichtigen Gewinn in dem Mitgliedstaat, in dem sie tätig war, abgezogen werden konnten und nicht mehr abgezogen werden können, unterscheide sich die Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft, die eine solche Betriebsstätte habe, in Anbetracht des Ziels, den doppelten Abzug der Verluste zu vermeiden, jedoch nicht von der Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft mit einer gebietsansässigen Betriebsstätte. 32 Schließlich hebt der Gerichtshof noch hervor, dass die fraglichen nationalen Bestimmungen, die die Doppelbesteuerung der Gewinne und den doppelten Abzug der Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte vermeiden sollten, ganz allgemein darauf abzielten, sicherzustellen, dass die Besteuerung einer Gesellschaft mit einer solchen Betriebsstätte der Leistungsfähigkeit dieser Gesellschaft entspreche. Die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft mit einer gebietsfremden Betriebsstätte, die endgültige Verluste erlitten habe, sei aber in gleicher Weise beeinträchtigt wie die einer Gesellschaft, deren gebietsansässige Betriebsstätte Verluste erlitten habe. Beide Situationen seien somit auch in dieser Hinsicht vergleichbar. Reaktionen des Schrifttums 33 g) Es könnte einiges dafür sprechen, dass auf der Grundlage der Ausführungen des Urteils Bevola und Jens W. Trock (EU:C:2018:424, DStR 2018, 1353) auch in der im vorliegenden Fall zu beurteilenden Konstellation des auf der abkommensrechtlichen Symmetriethese basierenden Ausschlusses der Verlustberücksichtigung eine unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaft, die eine gebietsfremde Zweigniederlassung mit endgültigen Verlusten unterhält, mit der Situation einer unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft, deren inländische Zweigniederlassung solche Verluste erlitten hat, vergleichbar ist (in diesem Sinne z.B. das vorinstanzliche Urteil des Hessischen FG; Heckerodt, IStR 2019, 171; Kraft, IStR 2018, 508; Kopec/Wellmann, Internationale Steuer-Rundschau – ISR – 2019, 7; Kahlenberg, Die Unternehmensbesteuerung – Ubg – 2018, 470; Kahle/Braun/Burger, Finanz-Rundschau – FR – 2018, 717, 723; Schlücke, FR 2018, 648; Müller, ISR 2018, 281; Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA, 2. Aufl., Systematik Rz. 141; tendenziell auch Brandis, DStR 2018, 2051). Allein die Anwendung unterschiedlicher Steuerregelungen des nationalen Rechts auf eine inländische Gesellschaft, je nachdem, ob sie eine gebietsansässige oder eine gebietsfremde Betriebsstätte hat, ist kein zulässiges Kriterium für die Beurteilung der objektiven Vergleichbarkeit der Situationen.

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34 Ein Teil der deutschen Literatur (Ismer/Kandel, IStR 2019, 717; Schulz-Trieglaff, IStR 2018, 777; Mitschke, Ubg 2018, 467; Behrens, Betriebs-Berater – BB – 2018, 2983) und auch das dem vorliegenden Verfahren beigetretene BMF sehen hingegen einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Sachverhalt, der dem EuGH-Urteil Bevola und Jens W. Trock (EU:C:2018:424, DStR 2018, 1353) zugrunde liegt, und der Konstellation des auf der abkommensrechtlichen Symmetriethese basierenden Ausschlusses der Verlustberücksichtigung in dem Umstand, dass es sich bei der dänischen Regelung des § 8 Abs. 2 DK-KStG im Fall Bevola und Jens W. Trock um eine unilaterale Bestimmung des dänischen nationalen Steuerrechts handelt, wohingegen die abkommensrechtliche Zuordnung der Betriebsstätteneinkünfte nach dem DBA-Methodenartikel eine bilaterale Regelung zum Zweck der zwischenstaatlichen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse ist. Im hier vorliegenden Fall der Vereinbarung der Freistellungsmethode gemäß Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 verzichtet Deutschland gegenüber Großbritannien auf die Ausübung seines Besteuerungsrechts in Bezug auf die Einkünfte, die durch die in Großbritannien belegenen Betriebsstätten erzielt werden. Erwägungen des I. Senats 35 Ob dieser Umstand im Hinblick auf die Prüfung des Merkmals der objektiven Vergleichbarkeit eine unterschiedliche Beurteilung im Vergleich zu der dem Ausgangsfall des EuGH-Urteils Bevola und Jens W. Trock (EU:C:2018:424, DStR 2018, 1353) zugrunde liegenden Konstellation rechtfertigt, ist aus Sicht des vorlegenden Senats offen. 36 h) Da der EuGH für das Merkmal der objektiven Vergleichbarkeit maßgeblich auf das mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgte Ziel abstellt (z.B. EuGH-Urteil Bevola und Jens W. Trock, EU:C:2018:424, DStR 2018, 1353, Rz. 32), weist der vorlegende Senat auf Folgendes hin: 37 aa) Bei Art. XVIII DBA-Großbritannien 1964/1970 handelt es sich um den sog. Methodenartikel des Abkommens, dessen Regelungsgegenstand die Festlegung des im konkreten Fall jeweils anzuwendenden Verfahrens (Methode) zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist. Im Falle der hier vorliegenden Betriebsstätteneinkünfte haben die Vertragsstaaten gemäß Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a DBA-Großbritannien 1964/1970 zur Erreichung dieses Ziels die Freistellungsmethode gewählt, durch die das Besteuerungsrecht (nur) einem der Vertragsstaaten – nämlich dem Staat, in dem sich die Betriebsstätte befindet – zugewiesen wird. Da Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a DBA-Großbritannien 1964/1970 nach der ab-

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kommensrechtlichen Symmetriethese auch die Betriebsstättenverluste der Freistellungsmethode unterwirft, ist als weiterer Zweck der Abkommensregelung die Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung anzusehen. Grundgedanke der Freistellungsmethode 38 Anders als bei der Anrechnungsmethode, bei der beide Vertragsstaaten ihre jeweiligen Besteuerungsbefugnisse behalten und der Ansässigkeitsstaat sich lediglich dazu verpflichtet, die im Quellenstaat angefallene Steuer auf die eigene Steuer anzurechnen, verzichtet der Ansässigkeitsstaat im Rahmen der Freistellungsmethode vollständig auf sein in eigener Souveränität begründetes Besteuerungsrecht. Der Verzicht des Ansässigkeitsstaats auf sein Besteuerungsrecht ist umfassend und nicht von der tatsächlichen Besteuerung im Quellenstaat abhängig. Er gilt deshalb auch dann, wenn der Quellenstaat die Einkünfte nicht besteuert (Abwehr der sog. virtuellen Doppelbesteuerung, dazu z.B. Senatsbeschluss vom 10.1.2012 I R 66/09, BFHE 236, 304, Rz. 22; Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Grundlagen Rz. 69). Die Freistellungsmethode beruht auf der Vorstellung, dass der Staat, aus dem die Einkünfte stammen, ein „besseres“ Recht zur Besteuerung habe; der freistellende Staat tritt daher zurück. Wirtschaftlich soll die Freistellungsmethode zur Wettbewerbsgleichheit unter den Investoren verschiedener Länder im Quellenstaat führen (Kapitalimportneutralität, vgl. Ismer in Vogel/Lehner, am angegebenen Ort, Art. 23 Rz. 6; Wassermeyer in Wassermeyer MA Art. 23 A Rz. 4). 39 bb) Soweit der EuGH im Rahmen seines Urteils Bevola und Jens W. Trock (EU:C:2018:424, DStR 2018, 1353, Rz. 39) auch auf das Ziel der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu sprechen gekommen ist, so ist dieses allgemeine, abstrakte Besteuerungsprinzip aus Sicht des vorlegenden Senats nicht geeignet, der abkommensrechtlichen Freistellungsmethode einen zusätzlichen Normzweck beizugeben, der nicht bereits in den konkreten Zielen der Vermeidung von Doppelbesteuerung und doppelter Verlustberücksichtigung zum Ausdruck kommt. 40 i) Die erste Vorabentscheidungsfrage ist entscheidungserheblich. Wäre sie zu bejahen, wäre die Revision des FA – vorbehaltlich der Beantwortung der dritten, vierten und fünften Vorabentscheidungsfrage – in Bezug auf die Festsetzung der Körperschaftsteuer unbegründet. Wäre die erste Vorabentscheidungsfrage zu verneinen, wäre die Revision des FA begründet; die Klage wäre insgesamt abzuweisen.

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41 2. Zur zweiten Vorabentscheidungsfrage: Finale Verluste und Minderung der Gewerbesteuer? 42 Falls die erste Vorabentscheidungsfrage zu bejahen ist, ist die weitere Frage zu beantworten, ob die aus der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG abzuleitende Pflicht des Ansässigkeitsstaats des Stammhauses der Gesellschaft zur Berücksichtigung „finaler“ Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte sich auch auf die deutsche Gewerbesteuer erstreckt. 43 a) Rechtsnatur und Besteuerungsgegenstand der Gewerbesteuer 44 aa) Bei der Gewerbesteuer handelt es sich um eine auf der Grundlage von Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) durch Bundesgesetz geregelte Gemeindesteuer, die gemäß § 1 GewStG von den Gemeinden erhoben wird. Den Gemeinden steht gemäß Art. 106 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG das Recht zur Bestimmung des Hebesatzes zu, der gemäß § 16 Abs. 4 GewStG mindestens 200 % des Gewerbesteuermessbetrags betragen muss. Bei einem Hebesatz von 400 % beträgt die Belastung der Unternehmensgewinne mit Gewerbesteuer nominal 14,83 % (vgl. Drucksachen des Deutschen Bundestages 16/4841, S. 31) und ist damit in etwa gleich hoch wie die Belastung mit Körperschaftsteuer, deren Steuersatz einheitlich 15 % beträgt. Das Gewerbesteueraufkommen steht den Gemeinden zu (Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG); die Gemeinden haben gemäß Art. 106 Abs. 6 Satz 4 GG i.V.m. § 6 des Gesetzes zur Neuordnung der Gemeindefinanzen (Gemeindefinanzreformgesetz) i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung vom 10.3.2009 (BGBl. I 2009, 502) eine zwischen dem Bund und dem jeweiligen Bundesland aufzuteilende Gewerbesteuerumlage abzuführen. 45 Anders als bei der Einkommen- und der Körperschaftsteuer handelt es sich bei der Gewerbesteuer nicht um eine Personen-, sondern um eine Realsteuer (§ 3 Abs. 2 der Abgabenordnung), die auch als Objektsteuer bezeichnet wird. Steuergegenstand ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Maßgeblich sind dabei die Merkmale und Verhältnisse des jeweiligen Gewerbebetriebs, unabhängig von der Person des Inhabers und dessen persönlichen Verhältnissen. Steuerschuldner ist der jeweilige Unternehmer, für dessen Rechnung das Gewerbe betrieben wird (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GewStG). Die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft – wie vorliegend die Klägerin – gilt gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb.

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46 Die Erhebung der Gewerbesteuer als objektbezogener Gemeindesteuer, die zusätzlich zur Einkommensteuer beziehungsweise (bzw.) Körperschaftsteuer zu entrichten ist, ist historisch auf den Äquivalenzgedanken zurückzuführen, wonach die Gewerbesteuer einen Ausgleich für die von Industrie, Handel und Handwerk verursachten besonderen Lasten der Gemeinden, wie z.B. Erschließung von Bauland, Schaffung von Verkehrsflächen, Betreiben des Personennahverkehrs, Bau und Unterhaltung von Straßen, Krankenhäusern, kulturellen und anderen kommunalen Einrichtungen, schaffen soll (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 15.1.2008 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1; vom 15.2.2016 1 BvL 8/12, BStBl. II 2016, 557). Ursprünglich setzte sich die Gewerbesteuer aus den Komponenten Lohnsumme, Gewerbekapital und Gewerbeertrag zusammen. Die beiden erstgenannten Komponenten sind 1980 bzw. 1988 entfallen, so dass es sich seitdem bei der Gewerbesteuer um eine vornehmlich auf den Ertrag gerichtete Objektsteuer handelt. 47 Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer ist gemäß § 7 Satz 1 GewStG der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, erhöht durch die in § 8 GewStG bezeichneten Hinzurechnungen und vermindert um die in § 9 GewStG bezeichneten Kürzungen. Durch die genannten Gewinnkorrekturen ergeben sich Abweichungen von dem nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes ermittelten Gewinn und damit auch Abweichungen vom subjektiven Leistungsfähigkeitsgedanken (BVerfG-Beschluss in BStBl. II 2016, 557, Rz. 35). Das objektive Nettoprinzip des Einkommensteuerrechts bildet nicht den Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung der gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnungsvorschriften (Senatsurteil vom 4.6.2014 I R 70/12, BFHE 246, 67, BStBl. II 2015, 289, Rz. 18). Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit tritt insoweit zurück (Urteil des BFH vom 14.6.2018 III R 35/15, BFHE 261, 558, BStBl. II 2018, 662). Die Besonderheiten der Gewerbesteuer als Objektsteuer können dazu führen, dass ertraglose Betriebe belastet werden, indem z.B. Gewerbesteuer allein durch Hinzurechnungen ausgelöst wird; auch eine mögliche Substanzbesteuerung liegt in der Natur einer ertragsorientierten Objektsteuer (BFH-Urteil in BFHE 261, 558, BStBl. II 2018, 662). 48 bb) Ergibt sich bei der Ermittlung des Gewerbeertrags ein Fehlbetrag (Verlust), so ist dieser gesondert festzustellen und vorzutragen (§ 10a Satz 6 und 7 GewStG). Der maßgebende Gewerbeertrag eines Erhebungs-

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zeitraums wird bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Mio. t um die Fehlbeträge gekürzt, die sich bei der Ermittlung des maßgebenden Gewerbeertrags für die vorangegangenen Erhebungszeiträume ergeben haben (§ 10a Satz 1 GewStG). Der 1 Mio. t übersteigende maßgebende Gewerbeertrag ist bis zu 60 % um nach § 10a Satz 1 GewStG nicht berücksichtigte Fehlbeträge der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen (§ 10a Satz 2 GewStG). 49 cc) Im Inland betrieben wird ein Gewerbebetrieb, soweit für ihn im Inland oder auf einem in einem inländischen Schiffsregister eingetragenen Kauffahrteischiff eine Betriebsstätte unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Die (positiven wie negativen) Erträge im Ausland belegener Betriebsstätten, für die auf der Grundlage eines DBA die Freistellung von der Besteuerung des Ansässigkeitsstaats des Stammhauses vereinbart ist (wie im Streitfall durch Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. III Abs. 1 Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970), fallen schon aufgrund des Verweises des § 7 Satz 1 GewStG auf die einkommens- bzw. körperschaftsteuerliche Gewinnermittlung nicht in die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer (s. oben I.2.b). Für die Erträge ausländischer Betriebsstätten, für die in dem jeweils einschlägigen DBA die Anrechnungsmethode vereinbart ist oder die von keinem von Deutschland abgeschlossenen DBA erfasst werden, greift die Regelung des § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG. Danach wird die zur Berechnung des Gewerbeertrags führende Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um den Teil des Gewerbeertrags des inländischen Unternehmens gekürzt, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt. Die Erträge dieser ausländischen Betriebsstätten werden somit aus dem Gewerbeertrag ausgenommen und sind daher ebenfalls nicht Bestandteil der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage. 50 b) Berücksichtigung „finaler“ Verluste ausländischer Betriebsstätten bei der Gewerbesteuer? 51 aa) Unter der Prämisse, die unionsrechtlich gewährleistete Niederlassungsfreiheit erfordere im Rahmen der körperschaftsteuerlichen Gewinnermittlung die Berücksichtigung „finaler“ Verluste aus in anderen EU-Mitgliedstaaten belegenen Betriebsstätten, hat der vorlegende Senat die Auffassung vertreten, dass die durch die ausländischen Betriebsstätten verursachten „finalen“ Verluste auch die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer mindern müssten (Senatsurteil in BFHE 230, 35; ebenso z.B. Schön, IStR 2004, 289, 294; Braunagel, IStR 2010, 313; Kessler/Philipp, IStR 2010, 865; Roser in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz,

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§ 9 Nr. 3 Rz. 4a). Es sei kein Grund dafür ersichtlich, die gemeinschaftlichen Erfordernisse und deren Anwendungsvorrang nicht auch auf die Gewerbesteuer durchschlagen zu lassen. Der strukturelle Inlandsbezug der Gewerbesteuer und damit das Territorialitätsprinzip widersprächen dem schon deswegen nicht, weil sich die Ausgangslagen dort und bei zwischenstaatlicher Vereinbarung der Freistellungsmethode nicht unterschieden. Denn hier wie dort würden Auslandseinkünfte prinzipiell „symmetrisch“ bei der Einkünfte- und Gewerbeertragsermittlung abgeschirmt; dementsprechend seien sowohl die Körperschaft- als auch die Gewerbesteuer gleichermaßen in den sachlichen Geltungsbereich der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – so für den Streitfall Art. I Abs. 1 Buchst. a DBA-Großbritannien 1964/1970 – einbezogen. Vor diesem Hintergrund gehe es darum, die „finalen“ Auslandsverluste unbeschadet ihrer Freistellung – gleichviel, auf welcher Rechtsgrundlage diese beruhe, ob auf einer DBA-Freistellung oder gewinnkorrigierend durch Kürzung gemäß § 9 Nr. 3 GewStG – einmal zum Abzug zuzulassen. 52 bb) Diese Rechtsprechung ist von der deutschen Finanzverwaltung und Teilen des Schrifttums kritisiert worden, so dass der Senat es für geboten hält, die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Finale Verlust trotz strukturellem Inlandsbezug? 53 Gegen die Berücksichtigung „finaler“ Verluste im Rahmen der Gewerbesteuer wird vor allem der strukturelle Inlandsbezug (Territorialitätsprinzip) und der Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer ins Feld geführt. Anders als für die Körperschaftsteuer, der das Welteinkommensprinzip zugrunde liege, bedürfe es für die Gewerbesteuer keiner symmetrischen Abschirmung des Gewerbeertrags durch eine bilaterale DBAFreistellung (vgl. z.B. Gebhardt/Quilitzsch, FR 2011, 359, 363 ff.; Herbst in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, GewStG, § 9 Nr. 3 Rz. 16). Verstoße die Gewerbesteuer insgesamt nicht gegen Unionsrecht, verstießen auch kohärente, insbesondere sich aus dem Inlandsbezug der Gewerbesteuer ergebende Vorschriften nicht dagegen (Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG, 9. Aufl., § 9 Nr. 3 Rz. 4b). Diese Sichtweise wird im vorliegenden Rechtsstreit auch vom BMF vertreten. Es verneint aufgrund des der Gewerbesteuer immanenten strukturellen Inlandsbezugs die objektive Vergleichbarkeit von Unternehmen mit nur inländischen Betriebsstätten mit solchen Unternehmen, die daneben auch über ausländische Betriebsstätten verfügen.

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54 Das FA weist im vorliegenden Fall ferner auf den Umstand hin, dass es in Großbritannien und der Stadt X keine mit der deutschen Gewerbesteuer vergleichbare Realsteuer gebe. Hieraus leitet es ab, der Ausschluss des Verlustabzugs bei der Gewerbesteuer beruhe in erster Linie darauf, dass der Quellenstaat Großbritannien einen Verlustabzug zur Gewerbesteuer von vornherein nicht zulasse. Unter Bezugnahme auf das EuGHUrteil Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt vom 23.10.2008 C 157/07 (EU:C:2008:588, BStBl. II 2009, 566) vertritt das FA die Auffassung, Deutschland sei nicht aufgrund Unionsrechts verpflichtet, die Folgen dieser Entscheidung des Quellenstaats zu tragen. 55 c) Entscheidungserheblichkeit 56 Die zweite Vorabentscheidungsfrage ist im Hinblick auf die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags entscheidungserheblich. Wäre sie zu bejahen, wäre die Revision des FA – vorbehaltlich der Beantwortung der dritten, vierten und fünften Vorabentscheidungsfrage – in Bezug auf die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags unbegründet. Wäre die zweite Vorabentscheidungsfrage zu verneinen, wäre die Revision des FA im Hinblick auf die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags begründet; die Klage wäre in diesem Punkt als unbegründet abzuweisen. 57 3. Zur dritten Vorabentscheidungsfrage: Finalität trotz späterer Verwertungsmöglichkeit? Bisherige Rechtsprechung des I. Senats 58 a) Davon ausgehend, die unionsrechtlich gewährleistete Niederlassungsfreiheit erfordere im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung die Berücksichtigung „finaler“ Verluste aus in anderen EU-Mitgliedstaaten belegenen Betriebsstätten, war der vorlegende Senat der Auffassung, die Verluste einer ausländischen Betriebsstätte seien dann „final“ i.S. der Rechtsprechung des EuGH, wenn die Verluste im Quellenstaat aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können oder ihr Abzug in jenem Staat zwar theoretisch noch möglich, aus tatsächlichen Gründen aber so gut wie ausgeschlossen ist und ein wider Erwarten dennoch erfolgter späterer Abzug im Inland verfahrensrechtlich noch rückwirkend nachvollzogen werden könnte (Senatsurteile in BFHE 222, 398, BStBl. II 2009, 630; in BFHE 230, 35; in BFHE 244, 371; Senatsbeschluss in BFH/NV 2016, 375). Als „tatsächliche“ Umstände, die im Betriebsstättenfall zur Finalität führen können, hat der Senat insbesondere die Umwandlung der Betriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft, ihre

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entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung oder ihre endgültige Aufgabe angesehen (Senatsurteile in BFHE 230, 35, und in BFHE 244, 371). 59 Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das FG im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin die in Großbritannien belegene Betriebsstätte geschlossen hat, das Vorliegen endgültiger Verluste bejaht. Die Klägerin habe durch Entlassung der Mitarbeiter und Übertragung des Mietvertrags über die gemieteten Räumlichkeiten alles getan, um die Tätigkeit in Großbritannien zu beenden und um das Gericht davon zu überzeugen, dass voraussichtlich keine Einnahmen und erst recht keine Gewinne aus einer Niederlassung in Großbritannien mehr erzielt würden, von denen die bis zur Schließung entstandenen Verluste zukünftig abgezogen werden könnten. Finalität bei Verlustübergang auf Dritte? 60 b) Ob an den zuvor genannten Kriterien für die „Finalität“ der Verluste festgehalten werden kann, erscheint indessen auf der Grundlage der neueren EuGH-Rechtsprechung nicht frei von Zweifeln. 61 In den EuGH-Urteilen Memira Holding vom 19.6.2019 C 607/17 (EU:C:2019:510, IStR 2019, 597) – dort Rz. 25 ff. – und Holmen vom 19.6.2019 C 608/17 (EU:C:2019:511, IStR 2019, 603) – dort Rz. 37 ff., die zu Verlusten ausländischer Tochtergesellschaften ergangen sind, hat der Gerichtshof entschieden, dass die Verluste auch dann nicht als endgültig anzusehen sind, wenn weiterhin eine Möglichkeit besteht, diese Verluste wirtschaftlich zu nutzen, indem sie auf einen Dritten übertragen werden. Es könne nämlich nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass ein Dritter die Verluste der Tochtergesellschaft in deren Sitzstaat steuerlich berücksichtigen könne, etwa nachdem diese gegen einen Preis, der den Wert des in der künftigen Abzugsfähigkeit der Verluste bestehenden Steuervorteils einbeziehe, übertragen wurde. Der Gerichtshof bezieht sich insoweit auf die Ausführungen von Generalanwältin Kokott in deren Schlussanträgen vom 10.1.2019 (zum Verfahren Memira Holding, C 607/17, EU:C:2019:8, Rz. 65 ff., und zum Verfahren Holmen, C 608/17, EU:C:2019:9, Rz. 57 ff.), mit denen in Zweifel gezogen wird, dass es rechtlich verwertbare, aber faktisch nicht verwertbare Verluste überhaupt geben könne. Wenn die jeweilige Rechtsordnung eine Übertragung der Verluste auf andere Personen ermögliche, dann sei eine Verwertung dieser Verluste immer auch faktisch möglich. 62 Bei Übertragung dieser Erwägungen auf die Situation der Schließung einer ausländischen Betriebsstätte könnte sich nicht nur ergeben, dass

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auch hier vor Bejahung der Endgültigkeit der Verluste zu prüfen ist, ob nicht nach dem im Belegenheitsstaat der Betriebsstätte geltenden Recht eine Verlustverwertung durch Dritte – etwa nach Einbringung der Betriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft und anschließender Veräußerung der Geschäftsanteile – denkbar gewesen wäre (vgl. Heckerodt, IStR 2019, 600, 602). Vielmehr könnte bereits die theoretische Möglichkeit, dass die Gesellschaft jederzeit erneut eine Betriebsstätte in dem betreffenden Mitgliedstaat eröffnen kann, mit deren Gewinnen die früheren Verluste ggf. verrechnet werden könnten, einer Beurteilung als „finale“ Verluste entgegenstehen. 63 Die Beantwortung der dritten Frage ist entscheidungserheblich. Im Falle ihrer Bejahung wäre die Revision des FA vorbehaltlich der Beantwortung der vierten und fünften Vorabentscheidungsfrage unbegründet. Wäre die dritte Vorabentscheidungsfrage zu verneinen, wäre die Revision des FA begründet; die Klage wäre abzuweisen. 64 4. Zur vierten Vorabentscheidungsfrage: Finalität trotz Verlustvortag im Betriebsstättenstaat? 65 Die Klägerin macht neben den im Veranlagungszeitraum der Schließung (Liquidation) der Betriebsstätte (Veranlagungszeitraum 2007, Wirtschaftsjahr 2006/2007) entstandenen Verlusten auch die Berücksichtigung jener Verluste geltend, die in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen (2005 und 2006, Wirtschaftsjahre 2004/2005 und 2005/2006) entstanden sind und von denen anzunehmen ist, dass sie nach britischem Steuerrecht in den jeweils nachfolgenden Veranlagungszeitraum vorgetragen werden konnten. 66 Das BMF ist der Auffassung, als zu berücksichtigende „finale“ Verluste der ausländischen Betriebsstätte kämen lediglich die dem letzten Veranlagungszeitraum (hier 2007) zuzuordnenden Verluste in Betracht, die aufgrund der Schließung der Betriebsstätte nicht in einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum vorgetragen werden konnten. Es beruft sich dabei auf das EuGH-Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich vom 3.2.2015 C 172/13 (EU:C:2015:50, IStR 2015, 137), dem zufolge es unionsrechtskonform ist, wenn über die Endgültigkeit der Verluste einer gebietsfremden Tochtergesellschaft unmittelbar nach Ende des Steuerzeitraums, in dem die Verluste entstanden sind, entschieden wird. Die Argumentation des BMF entspricht derjenigen von Generalanwältin Kokott im Verfahren Memira Holding (Schlussanträge vom 10.1.2019 C 607/17, EU:C:2019:8, Rz. 57 ff.) und Holmen (Schlussanträge vom 10.1.2019 C 608/17, EU:C:2019:9, Rz. 50 ff.). Danach ist jeder vortrags-

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fähige Verlust nicht „final“ und kann nicht deshalb später zu einem „finalen“ Verlust werden, weil aufgrund der Liquidation ein weiterer Verlustvortrag ausscheidet. 67 Die Streitfrage wäre im Falle der Bejahung der ersten und der dritten Vorabentscheidungsfrage für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich, weil auf der Grundlage der Auffassung des BMF die in den Wirtschaftsjahren 2004/2005 und 2005/2006 entstandenen Verluste von vornherein nicht zu berücksichtigen wären. Die Revision des FA wäre insoweit begründet; die diesbezügliche Klage wäre als unbegründet abzuweisen. 68 5. Zur fünften Vorabentscheidungsfrage: Begrenzung des finalen Verlusts gemäß Gewinnermittlung im Betriebsstättenstaat? 69 a) Die Klägerin hat die geltend gemachten Verluste der britischen Zweigniederlassung auf der Grundlage der deutschen steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften ermittelt. Wie hoch die Verluste der Zweigniederlassung unter Zugrundelegung der britischen Gewinnermittlungsvorschriften waren, ist vom vorinstanzlichen Gericht nicht festgestellt worden. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass sich bei Anwendung der Gewinnermittlungsvorschriften des britischen Steuerrechts geringere Verluste ergeben würden, als bei Anwendung der deutschen Gewinnermittlungsregeln. Bisherige Rechtsprechung 70 b) Das vorinstanzliche Gericht hat die deutschen steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften als maßgeblich für die Ermittlung der aufgrund der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit zu berücksichtigenden „finalen“ Verluste der britischen Betriebsstätte angesehen. Dies entspricht der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH-Urteil A vom 21.2.2013 C 123/11, EU:C:2013:84, IStR 2013, 239, Rz. 59) und auch des vorlegenden Senats (Senatsurteile in BFHE 230, 35, und in BFHE 244, 371). Die Maßgeblichkeit der inländischen Gewinnermittlungsvorschriften rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass die unionsrechtlich begründete Pflicht zur ausnahmsweisen Berücksichtigung der grenzüberschreitenden Verluste abzuleiten ist aus der gebotenen Gleichbehandlung von nur im Inland aktiven Gesellschaften mit solchen Gesellschaften, die Betriebsstätten auch in anderen Mitgliedstaaten unterhalten.

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Einwand: Fallvergleich 71 c) Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Pflicht zur Berücksichtigung der grenzüberschreitenden Verluste nicht der Höhe nach begrenzt wird durch diejenigen Verlustbeträge, die die Gesellschaft in dem betreffenden Belegenheitsstaat der Betriebsstätte hätte ansetzen können, wenn nicht die Verlustberücksichtigung dort ausgeschlossen wäre. Denn im Falle einer Berücksichtigungsmöglichkeit der Verluste im Belegenheitsstaat der Betriebsstätte wäre der Ansässigkeitsstaat des Stammhauses nicht aus Gründen der Gleichbehandlung verpflichtet gewesen, den Differenzbetrag zu dem sich aus den eigenen Gewinnermittlungsvorschriften ergebenden (höheren) Verlustbetrag zum Verlustabzug zuzulassen. Es kann bezweifelt werden, dass die Niederlassungsfreiheit den Ansässigkeitsstaat des Stammhauses verpflichtet, die Gesellschaft im Falle des Vorliegens „finaler“ Verluste besser zu stellen, als sie gestanden hätte, wenn die Verluste in dem Belegenheitsstaat der Betriebsstätte hätten geltend gemacht werden können. 72 Die Beantwortung der fünften Vorabentscheidungsfrage wäre im Falle der Bejahung der ersten und der dritten Vorabentscheidungsfrage entscheidungserheblich. Denn im Falle einer Begrenzung der zu berücksichtigenden Verluste durch den sich nach den britischen Gewinnermittlungsvorschriften ergebenden Verlustbetrag müsste der Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen werden, damit dieses die erforderlichen Feststellungen zur Gewinnermittlung nach britischem Steuerrecht treffen kann. 73 III. Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 FGO.“

II. Anmerkungen (1) Grundlage der Vorlage ist zum einen die ständige Rechtsprechung des BFH, nach der die DBA-rechtliche Freistellung nicht nur Gewinne, sondern auch Verluste erfasst (Symmetriethese). Zum anderen die uneinheitliche Resonanz auf die alles andere als gradlinige Rechtsprechung des EuGH zum Gebot des EU-grenzüberschreitenden Verlustimports. (2) In der Vorlage des I. Senats, die den eigentlich schlichten Fall einer nicht rentablen Betriebsstättengründung in einem (noch) EU-DBA-Staat betrifft, werden nicht nur die verschiedenen Einschätzungen des EuGH in chronologischer Reihenfolge, d.h. beginnend mit dem Urteil Marks & Spencer vom 13.12.2005 C 446/03 (EU:C:2005:763, Slg. 2005, I 10837)

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und Lidl Belgium vom 15.5.2008 C 414/06 (EU:C:2008:278, BStBl. II 2009, 692) bis Bevola und Jens W. Trock vom 12.6.2018 C 650/16 (EU:C:2018:424, DStR 2018, 1353) wiedergegeben. Der vorlegendende Senat zeichnet ferner nach, dass und mit welchem Inhalt die jeweiligen Wendungen des EuGH einschließlich ihrer nuancenreichen Ziselierungen. Eingang in die Rechtsprechung der BFH-Rechtsprechung gefunden haben. Das Fazit hieraus konnte mit Blick auf die Verhältnisse des Streitfalls nur sein, dass es einer erneuten Vorlage bedurfte. Nur dies entspricht der Aufgabe des EuGH, die Verträge – man möchte hinzufügen: verständlich und möglichst bruchfrei – auszulegen (Art. 19 EUV; Art. 267 AEUV) und damit dem Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf eine Entscheidung durch den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). (3) Demgemäß ging es auch weniger um ein eindeutiges Votum in der Sache, sondern vielmehr um die Darlegung der aus Sicht des Senats zu berücksichtigenden Aspekte. Hierzu gehört nicht nur, dass die Unterscheidung des EuGH zwischen nationalen und bilateralen Freistellungen m.E. wenig überzeugend, jedenfalls in einem besonderen Maß erläuterungsbedürftig ist. Der Senat bezeichnet die Tragfähigkeit einer solchen Differenzierung als offen. (4) Teil des deskriptiven Ansatzes ist ferner, dass der Senat die Rechtsprechung des EuGH aufgreift, nach der im Rahmen der objektiven Vergleichbarkeit auf das Ziel der in Frage stehenden Regelung abzustellen ist. Hierzu weist die Vorlage – darauf hin, dass die Freistellungsmethode nicht nur die doppelte Besteuerung der Betriebsstättengewinne und die doppelte Verlustberücksichtigung verhindern will, sondern Ausdruck des übergeordneten Gesichtspunkt ist, nach dem der Ansässigkeitsstaat mit dieser Regelung – im Gegensatz zur Anrechnungsmethode – umfassend auf sein Besteuerungsrecht für die Betriebsstätteneinkünfte verzichtet, weil der Betriebsstättenstaat auch unter dem Blickwinkel der Wettbewerbsgleichheit der Investoren aus verschiedenen Ländern und damit zur Sicherstellung der Kapitalimportneutralität das „bessere Besteuerungsrecht“ habe. Letzteres sollte m.E. im Sinne des EuGH-Urteils Timac Agro Deutschland vom 17.12.2015 C 388/14 (a.a.O.) die Vergleichbarkeit von Inlands- und freigestellten Auslandsverlusten ausschließen. Dem widerstreitet – so ist über den Vorlagefall, der eine körperschaftsteuerpflichtige AG betrifft, hinaus zu ergänzen – auch die Berücksichtigung der freigestellten (positiven oder negativen) Betriebsstätteneinkünfte im Rahmen des Progressionsvorbehalt für Zwecke der Einkommensteuer

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(§ 32b Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 Nr. 2 EStG; dazu BFH, Beschluss vom 26.1.2017 I R 66/15) nicht, da hierdurch die Freistellung nicht zurückgenommen, sondern lediglich der Steuersatz der steuerpflichtigen (d.h. nicht freigestellten) Einkünfte nach Maßgabe der individuellen Leistungsfähigkeit bestimmt wird (vgl. zum Streitstand BFH-Urteil vom 22.2.2017 I R 2/15 BStBl. II 2017, 709). (5) Die Vergleichbarkeit ist des Weiteren auch der zentrale Aspekt der zweiten Vorlagefrage. Sie betrifft den Verlustimport in die Bemessungsgrundlage der (unionskonformen) GewSt. Der I. Senat hat dies in der Vergangenheit bejaht. Der strukturelle Inlandsbezug (territoriale Begrenzung) könnte – so die Vorlage (mE: sollte) – dies ausschließen. (6) Bei den Vorlagefragen 3 (finale Verluste trotz theoretischer Möglichkeit späterer Verrechnung mit Gewinnen aus Betriebsstätten-Neugründungen) und 4 (finale Verluste trotz Recht zum Verlustvortrag im Betriebsstättenstaat) handelt es sich zwar erkennbar um Folgeprobleme für den Fall, dass der EuGH die systematisch vorgelagerte Grundsatzfrage zum unionsrechtlichen gebotenen Verlustimport bejaht. Gleichwohl verdienen Sie das besondere Augenmerk aller Beteiligten, bergen sie doch bekanntlich das Potential zur Problemverschiebung, d.h. dazu, ein liberales Grundverständnis (im Rahmen der Vorlagefrage 1) auf der nachgeordneten Stufe, nämlich der tatbestandlichen Ausformung der Finalitätserfordernisse, ganz oder teilweise zu konterkarieren. Es wäre – nicht zuletzt im Interesse der Konsistenz, der Transparenz und der Praktikabilität gerichtlicher Entscheidungen – mehr als hilfreich, wenn der EuGH einer solchen Versuchung widerstehen könnte. (7) Dass die Anrufung des EuGH auf eine umfassende Klärung zielt, bringt schließlich die 5. Vorlagefrage zur Höhe des Verlustimports zum Ausdruck. Lässt man den dort angestellten Sachverhaltsvergleich (Verlustberücksichtigung/keine Verlustberücksichtigung im Betriebsstättenstaat) auf sich wirken, ist – entgegen der bisherigen Handhabung – schwer vorstellbar, dass die Niederlassungsfreiheit den Abzug eines nach deutschen Rechtsregeln ermittelten finalen EU-Auslandsverlusts gebieten kann, der über den Verlustbetrag hinausgeht, der sich nach den steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften des Betriebsstättenstaat ergibt. M.a.W.: Dessen Steuerrecht sollte den Höchstbetrag des Verlustimports vorgeben.

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D. Ausfall grenzüberschreitender Darlehen – Nachlese Der I. Senat hat mit den in diesem Jahr veröffentlichten Urteilen seine mit dem Grundsatzurteil vom 27.2.2019 – I R 73/16 –, BFHE 263, 525, BStBl. II 2019, 394 betr. die Aufgabe der früheren Sperrwirkungsrechtsprechung fortgesetzt.4 Auf die Darstellung im Vorjahr, die auch zu den kritischen Äußerungen im Schrifttum Stellung nimmt, kann deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.

E. Varia I. Geschäftsführer als ständiger Vertreter i.S.v. § 13 AO 1. BFH v. 23.10.2018 – I R 54/16, BStBl. II 2019, 365 = FR 2019, 522 Die Frage, ob Organe von juristischen Personen können ständige Vertreter i.S. des § 13 AO sein können, hat der I. Senats mit dem vorgenannten Urteil bejaht.

a) Sachverhalt 1 „I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Organ einer Kapitalgesellschaft ständiger Vertreter i.S. des § 13 der Abgabenordnung (AO) sein kann. 2 Die in Liquidation befindliche Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft luxemburgischen Rechts. In den Streitjahren (2001 bis 2007) betrieb sie u.a. den Handel mit Dental-Altgold. Diese Tätigkeit zeichnete sich dadurch aus, dass die Klägerin von zumeist deutschen Kunden (Zahnlabore u.ä.) oder Zwischenhändlern Gold erwarb und dieses sodann an Scheideanstalten veräußerte. 3 In den Büroräumen der Klägerin in Luxemburg befanden sich u.a. ihre Geschäftsunterlagen und ein Tresor für das Gold. Von dort aus wurden auch die Geschäfte der Klägerin durch den damaligen Mehrheitsgesellschafter und Alleingeschäftsführer der Klägerin, M, geleitet. M hatte unter der Büroanschrift der Klägerin auch eine Wohnung, die er ständig benutzte. Eine weitere Wohnung befand sich nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt in einem Haus in der deutschen Grenzgemeinde X. Die deutsche Wohnung nutzte er zusammen mit seiner damaligen Ehefrau.

4 Senatsurteile vom 18.12.2019 I R 72/17; 27.11.2019, I R 40/19 (I R 14/16); 14.8.2019, I R 14/18; vom 14.8.2019, I R 34/18; vom 14.8.2019, I R 21/18; vom 19.6.2019, I R 32/17; vom 19.6.2019, I R 54/17; vom 19.6.2019, I R 5/17.Vgl. auch den Überblick bei Busch, IStR 2020, 326.

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht 4 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA) vertrat im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung die Auffassung, dass die Klägerin in den Streitjahren beschränkt körperschaftsteuerpflichtig gewesen sei. M sei durch seine regelmäßigen geschäftlichen Aktivitäten für die Klägerin, die er in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland), u.a. auch in der Wohnung in X ausgeübt habe, ständiger Vertreter i.S. des § 13 AO gewesen. Dies löse gemäß § 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) jeweils in der im Streitzeitraum geltenden Fassung – die beschränkte Körperschaftsteuerpflicht der Klägerin aus. 5 Das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz folgte dem nicht. Es ging in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1324 veröffentlichten Urteil vom 15. Juni 2016 1 K 1685/14 davon aus, dass M als Organ einer Kapitalgesellschaft in dieser Eigenschaft nicht ständiger Vertreter sein könne. 6 Dagegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Es rügt die Verletzung des § 13 AO. Die Klägerin sei beschränkt körperschaftsteuerpflichtig gewesen. Da durch die Tätigkeit des M zugleich eine Vertreterbetriebsstätte i.S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23. August 1958 (BGBl. II 1959, 1270, BStBl. I 1959, 1023) i.d.F. des Ergänzungsprotokolls vom 15. Juni 1973 (BGBl II 1978, 111, BStBl. I 1978, 73) – DBA Luxemburg 1958/1973 – begründet worden sei, habe Deutschland auch das Recht zugestanden, die Betriebsstätteneinkünfte zu besteuern. 7 Das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen. 8 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.“

b) Aus den Gründen Revision des FA hat Erfolg 9 „II. Die Revision des FA ist begründet. Das FG-Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO). Das FG hat rechtsfehlerhaft entschieden, dass das Organ einer Kapitalgesellschaft nicht Vertreter i.S. des § 13 AO sein kann (s. nachfolgend unter 2.). Die Sache ist nicht spruchreif, es fehlen insbesondere Feststellungen zur Höhe der inländischen Einkünfte der Klägerin (siehe nachfolgend unter 3.).

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Entgegen Ansicht der Vorinstanz. 10 1. Das FG ist davon ausgegangen, dass sich die Geschäftsführertätigkeit und die Tätigkeit als ständiger Vertreter ausschließen. Der Begriff der Vertretung i.S. des § 13 AO setze voraus, dass der Vertreter an Stelle des Unternehmers Handlungen vornehme, die in dessen Betrieb anfielen. Der Unternehmer könne daher nicht zugleich sein „Vertreter“ sein. Der Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft, die das Unternehmen betreibe, habe organschaftliche und nicht bloß rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht. Das Handeln des Geschäftsführers sei daher kein Handeln für die Gesellschaft, sondern werde rechtlich als deren Handeln gewertet. Organe unternehmerisch tätiger juristischer Personen können somit nach Ansicht des FG von vornherein keine ständigen Vertreter i.S. des § 13 AO sein. Kann Organ einer KapGes Vertreter i.S.v. § 13 Satz 1 AO sein? 11 2. Dem ist indes nicht zu folgen. Vertreterbegriff 12 Nach der Legaldefinition des § 13 Satz 1 AO ist ständiger Vertreter i.S. der §§ 2 Nr. 1 KStG, 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG eine Person, die nachhaltig die Geschäfte eines Unternehmens besorgt und dabei dessen Sachweisungen unterliegt. § 13 Satz 2 AO bestimmt hierzu ergänzend, dass ständiger Vertreter insbesondere eine Person ist, die für ein Unternehmen nachhaltig Verträge abschließt oder vermittelt oder Aufträge einholt oder einen Bestand von Gütern oder Waren unterhält und davon Auslieferungen vornimmt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 Satz 1 AO können nach dem Wortlaut des Gesetzes auch von Personen erfüllt werden, die in ihrer Eigenschaft als Organ einer juristischen Person tätig sind. Zwar ist der Unternehmer nicht zugleich Vertreter, 13 aa) § 13 Satz 1 AO setzt ein Unternehmen und einen Vertreter voraus. Der Inhaber des dort genannten Unternehmens kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht zugleich sein eigener (ständiger) Vertreter sein (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18.12.1990 X R 82/89, BFHE 163, 360, BStBl. II 1991, 395). Der Vertreterbegriff verlangt, dass der Vertreter anstelle des Unternehmers Handlungen vornimmt, die in dessen Betrieb anfallen. Erforderlich ist demnach die Personenverschiedenheit von Unternehmer und (ständigem) Vertreter. Aus dieser zu einem Einzelunternehmer ergangenen Rechtsprechung kann entgegen der Vor-

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instanz und weiten Teilen der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (Urteile des Niedersächsischen FG vom 4.7.1991 VI 480/89, Recht der internationalen Wirtschaft RIW 1991, 1055; des FG Rheinland-Pfalz vom 17.9.1997 4 K 2438/95, EFG 1998, 576; des FG Düsseldorf vom 16.1.2003 15 K 8624/99 K, EFG 2003, 1125) und des Schrifttums (vgl. z.B. Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 232; Hidien in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 49 Rz. D 1549; Klein/Gersch, AO, 13. Aufl., § 13 Rz. 2; Boergen, Internationales Steuerrecht – IStR 2003, 798) nicht gefolgert werden, dass es im Falle der Tätigkeit des Organs einer juristischen Person an dieser Personenverschiedenheit fehlt. Diese Ansicht stützt sich auf die zivilrechtliche Qualifikation des Organhandelns, nach der das Handeln der Organe der juristischen Person wie Eigenhandeln zugerechnet wird (vgl. Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 77. Aufl., § 26 Rz. 2, § 31 Rz. 1). Aber: Organ ist von KapGes zu unterscheiden 14 Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass die Organtheorie bereits im Zivilrecht nicht die Anwendung der Vertretungsvorschriften hindert (§§ 164 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs; vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., § 10 II). Entscheidend tritt hinzu, dass nach dem Wortlaut der AO Organhandeln als Vertreterhandeln anzusehen ist, wie z.B. die Regelungen in §§ 34 Abs. 1 und 79 Abs. 1 Nr. 3 AO zeigen. Schließlich spricht gegen die Geltung der Organtheorie (i.S. eines ausschließlichen Eigenhandelns der juristischen Person) der Umstand, dass ausländische Unternehmen im Wesentlichen den Adressatenkreis des § 13 AO bilden und ausländische Rechtsordnungen diese Theorie häufig nicht kennen. 15 Geschäftsbesorgung bb) Die von § 13 Satz 1 AO weiter vorausgesetzte Geschäftsbesorgung erfasst begrifflich auch die geschäftsführenden Tätigkeiten eines Organs. Besorgen hat im allgemeinen Sprachgebrauch u.a. die Bedeutung von „erledigen“, „sich um jemanden oder etwas kümmern“, „(einen Auftrag) ausführen“ (vgl. Duden Online-Wörterbuch, www.duden.de). Die in Satz 2 des § 13 AO genannten Regelbeispiele für geschäftsbesorgende Tätigkeiten (Verträge abschließen oder Aufträge einholen) haben im Kern dieselbe Bedeutung. Auch die Person, die als Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft tätig wird, erledigt in diesem Sinne deren Geschäfte, führt für sie Aufträge aus oder holt Aufträge für sie ein (vgl. Buciek in Gocke/Gosch/Lang [Hrsg.], Körperschaftsteuer, Internationales

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Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer, 2005, S. 289 f.). Nachhaltigkeit – Weisungsabhängigkeit 16 cc) Schließlich kann ein Organ der Kapitalgesellschaft bei entsprechender Intensität sowohl nachhaltig für das Unternehmen tätig sein als auch dessen Sachweisungen unterliegen. 17 Nach deutschem Gesellschaftsrecht kann es keinem Zweifel unterliegen, dass etwa der Geschäftsführer einer deutschen GmbH den Weisungen der Gesellschafter unterworfen ist (Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 19. Aufl., § 37 Rz. 17 ff.). Im Bereich des § 13 AO geht es allerdings im Kern nicht um gesellschaftsrechtliche Weisungsbefugnisse. Das Tatbestandsmerkmal der Weisungsgebundenheit soll vielmehr sicherstellen, dass das Handeln des Vertreters durch den Willen und die Entscheidungen des Unternehmers bestimmt wird. Nur unter dieser Voraussetzung ist es gerechtfertigt, für die Besteuerung des Unternehmers an die Tätigkeit des Vertreters anzuknüpfen (vgl. Senatsurteil vom 12.4.1978 I R 136/77, BFHE 125, 157, BStBl. II 1978, 494; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 13 AO Rz. 5a). Die Maßgeblichkeit des unternehmerischen Willens wird aber auch im Verhältnis zwischen Organ und unternehmenstragender juristischer Person gewahrt, sei es durch die ohnehin gegebene Einheitlichkeit der Willensbildung i.S. der zivilrechtlichen Organtheorie oder durch das Bestehen gesellschaftsrechtlicher Weisungsbefugnisse gegenüber dem Organ. Historische Auslegung 18 b) Die Entstehungsgeschichte des § 13 AO und der damit in Zusammenhang stehenden Regelungen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht (dazu ausführlich Senatsurteil vom 28.6.1972 I R 35/70, BFHE 106, 206, BStBl. II 1972, 785, m.w.N.) geben keinen Anhalt dafür, dass Organe von Kapitalgesellschaften keine ständigen Vertreter sein könnten. Die Gesetzesmaterialien schweigen zu dieser Frage. Sinn und Zweck 19 c) Auch die teleologische Auslegung gebietet keine Verengung des Begriffs des ständigen Vertreters. Die mit dem Gesetz zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes vom 8.4.1922 (RGBl. I, 351) eingeführte Vertreterregelung bezweckte eine wirtschaftliche Gleichbehandlung solcher ausländischer Firmen, die über eine inländische Betriebsstätte verfügten und deshalb bereits der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht

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unterlagen, mit solchen ausländischen, Inlandseinkünfte erzielenden Unternehmen, die zwar keine Betriebsstätte hatten, aber in wirtschaftlich vergleichbarer Weise im Inland durch einen selbständigen Gewerbetreibenden als Generalagenten oder einen regelmäßig sich im Inland aufhaltenden Vertreter Geschäfte betreiben. Damit sollte dem Vorhandensein einer ständigen Geschäftseinrichtung als gegenständlichem Anknüpfungspunkt für die Begründung der Steuerpflicht die regelmäßige Inlandstätigkeit einer für das Unternehmen handelnden Person als gleichwertiger personeller Anknüpfungspunkt für die Begründung der Steuerpflicht beigefügt werden (RTDrucks 1921 Nr. 2867, S. 6, Band 369 der Verhandlungen des Reichstages). Einen solchen hinreichenden personellen Anknüpfungspunkt vermag die Tätigkeit eines Prokuristen oder eines Handlungsbevollmächtigten des Unternehmens zu begründen, erst recht aber ein ständig im Inland geschäftlich aktiv tätiges Organ der Kapitalgesellschaft (Buciek, a.a.O.; Urteilsanmerkung von FW, IStR 1999, 405). 20 d) Soweit der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (i.V.m. §§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 KStG) verlangt, dass der ständige Vertreter für den dort genannten Gewerbebetrieb bestellt sein muss, ergeben sich keine Einschränkungen im Hinblick auf das Handeln von Organen. Denn mit dem Begriff des Bestelltseins wird vom Gesetzgeber ebenfalls lediglich ausgedrückt, dass der ständige Vertreter auf eine gewisse Dauer damit betraut sein muss, anstelle des ausländischen Unternehmers Handlungen nach dessen Weisungen vorzunehmen (Senatsurteil in BFHE 106, 206, BStBl. II 1972, 785). Ein solches Betrautsein kann auch bei (Mit)Geschäftsführern von Kapitalgesellschaften, die z.B. ein bestimmtes Land als Absatzmarkt betreuen, anzunehmen sein. Zurückverweisung an FG – weitere Sachverhaltsaufklärung 21 3. Im zweiten Rechtsgang wird das FG, das unausgesprochen den Typenvergleich zwischen der luxemburgischen Klägerin und einer der in § 1 KStG genannten Körperschaften bisher bejaht hat, weitere Feststellungen zur Frage der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht zu treffen haben. 22 a) So werden die tatsächlichen Feststellungen zum Merkmal der Nachhaltigkeit der Geschäftsbesorgungen des M bezogen auf jedes einzelne der Streitjahre zu präzisieren sein. Bisher kam es auf diesen Gesichtspunkt nach dem vom FG eingenommenen Rechtsstandpunkt nicht entscheidend an.

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23 Nachhaltig ist eine Geschäftsbesorgung dann, wenn sie mit einer gewissen Plan- und Regelmäßigkeit erfolgt. Das setzt grundsätzlich ein wiederholtes, mehr als kurzfristiges Tätigwerden auf der Grundlage eines im Voraus gefassten Willensentschlusses voraus (vgl. Buciek in Gosch, AO § 13 Rz. 8; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 13 AO Rz. 7; ähnlich Musil in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 13 AO Rz. 9). Dies folgt aus der ergänzenden Funktion des § 13 AO (vgl. BTDrucks VI/1982, S. 104) gegenüber der Betriebsstättenregelung in § 12 AO. Hier wie dort rechtfertigt allein eine (sachliche oder personelle) Inlandspräsenz von einigem Gewicht den deutschen Besteuerungszugriff. Deshalb genügen vereinzelte, gelegentliche oder vorübergehende Entsendungen von Vertretern einer ausländischen Firma ins Inland nicht (so schon Bescheid des Reichsfinanzhofs vom 29.6.1934 I A 56/33, RStBl. 1934, 1125). Was die zeitliche Intensität der Inlandstätigkeit angeht, so kommt es neben der Gesamtdauer der inländischen Aufenthalte insbesondere auch auf deren Regelmäßigkeit an, so dass etwa eine Person, die über einen längeren Zeitraum hinweg jede Woche oder mehrmals im Monat immer wieder das Inland aufsucht, um Aufträge hereinzuholen oder Auslieferungen vorzunehmen, als ständiger Vertreter anzusehen ist (gl.A. Musil, a.a.O.; Buciek, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2006, 124). 24 b) Hieran anknüpfend wird die Vorinstanz erstmalige Feststellungen zur Höhe der beschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Einkünfte der Klägerin zu treffen haben. Vertreterbetriebsstätte gem. DBA-Luxemburg 25 c) Sodann wird das FG der Frage nachzugehen haben, ob und inwieweit das DBA Luxemburg 1958/1973 den deutschen Besteuerungszugriff begrenzt. 26 aa) Der Senat weist diesbezüglich darauf hin, dass auch das Organ einer Kapitalgesellschaft eine sogenannte Vertreterbetriebsstätte i.S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c DBA Luxemburg 1958/1973 begründen kann (gl. A. Urteile des FG München vom 28.5.1998 7 V 1/98, EFG 1998, 1491; des FG Münster vom 24.5.2004 9 K 5177/99 K, EFG 2004, 1498; Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, MA Art. 5 Rz. 197 und 201b; Hruschka in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 5 Rz. 132; Buciek, a.a.O.; Herlinghaus, EFG 2004, 1500; Heußner, IStR 2004, 161; a.A. Urteile des FG Düsseldorf vom 16.1.2003 15 K 8624/99 K, EFG 2003, 1125; des Niedersächsischen FG vom 4.7.1991 VI 480/89, RIW 1991, 1055; Görl in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Art. 5 Rz. 115; Haase in Haase, Außensteuergesetz/Doppel-

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besteuerungsabkommen, 3. Aufl., Art. 5 MA Rz. 154; Boergen, IStR 2003, 798; Leidel, IStR 2016, 823). Der dort verwendete Vollmachtsbegriff erfasst auch die Fälle der gesetzlichen oder satzungsmäßigen Vertretungsmacht (Wassermeyer/Kaeser, a.a.O.; Herlinghaus, a.a.O.). Aus den im angegriffenen Urteil konkret in Bezug genommenen Feststellungen in dem vor dem FG geführten Parallelverfahren wegen Einkommensteuer des M ergibt sich überdies, dass M Lohneinkünfte bezogen hat. Bei Bestehen eines Anstellungsverhältnisses handelt der Geschäftsführer für die juristische Person ohnehin im Zweifel auf der Grundlage des Anstellungsvertrages, also mit rechtsgeschäftlich erteilter Vertretungsmacht (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, MA Art. 5 Rz. 201b). 27 bb) Hinsichtlich des Merkmals der „gewöhnlichen Vollmachtsausübung“ i.S. des Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c DBA Luxemburg 1958/1973 wird das FG die Grundsätze des Senatsurteils vom 3.8.2005 I R 87/04 (BFHE 211, 123, BStBl. II 2006, 220) zu berücksichtigen haben, das zu einer vergleichbaren abkommensrechtlichen Regelung ergangen ist. Wie bei dem Merkmal der Nachhaltigkeit in § 13 AO kommt dem Umstand der Regelmäßigkeit neben der Zeitdauer erhebliche Bedeutung zu. Ob hiernach der Umfang der Inlandstätigkeiten und Aufenthalte des M die Annahme einer gewöhnlichen Vollmachtsausübung in den Streitjahren rechtfertigt, ist eine Frage, die im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegt und daher vom FG zu beantworten ist. 28 4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.“

2. Anmerkungen (1) Das Urteil entscheidet den bisherigen Streit, ob Organe von Kapitalgesellschaften ständiger Vertreter i.S.v. § 13 AO sein und damit die beschränkte Körperschaftsteuerpflicht der Gesellschaft begründen können. (2) Das Ergebnis war vorgezeichnet. Abgesehen davon, dass selbst im Zivilrecht die Lehre vom Organhandeln die Regeln des Vertretungsrechts nicht ausschließen, vor allem durch den Umstand, dass nach den allgemeinen Bestimmungen der AO (§§ 34, 79) das Organhandeln der Gesellschaft zurechnen ist und nur dieses Verständnis das in jeder sinnwidrige Ergebnis ausschließt, dass ein rechtsgeschäftlicher Vertreter die beschränkte Steuerpflicht der Gesellschaft zu begründen vermag, nicht jedoch das Handeln ihres Organs.

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(3) Dieses Verständnis korrespondiert zudem mit demjenigen der DBArechtlichen Vertreterbetriebsstätte und mit dem dort verwendeten Begriff der „Vollmacht“ (vgl. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA). (4) Für beide Regelungen ist aber zum einen die Nachhaltigkeit des Organhandeln/Vertreterhandeln – § 13 AO: ständiger Vertreter, nachhaltige Geschäftsbesorgung; Art. 5 Abs. 5 OECD-MA: gewöhnliche Ausübung der Vollmacht – im Inland sowie – bejahendenfalls – des Weiteren zu prüfen, welcher Anteil am Gesamtgewinn des Unternehmens auf die inländische Vertreterbetriebsstätte entfällt. Beides wird das FG im zweiten Rechtsgang zu überprüfen haben.

II. Buchführungspflicht ausländischer Immobilienkapitalgesellschaften 1. BFH v. 14.11.2018 – I R 81/16, BStBl. II 2019, 390 = DB 2019, 1003 Nach § 140 AO hat derjenige, der nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen Bücher und Aufzeichnungen zu führen hat, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, die Verpflichtungen, die ihm nach den anderen Gesetzen obliegen, auch für die Besteuerung zu erfüllen. Hierzu hat der I. Senat mit vorgenanntem Urteil entschieden: Leitsatz „Andere Gesetze“ i.S. des § 140 AO können auch ausländische Rechtsnormen sein. Eine in Deutschland beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts ist daher im Inland nach § 140 AO i.V.m. ihrer Buchführungspflicht aus liechtensteinischem Recht buchführungspflichtig.

Sachverhalt 1 „I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Mitteilung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt – FA) über den Beginn der Buchführungspflicht der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) nach § 141 der Abgabenordnung i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz BilMoG) vom 25. Mai 2009 (BGBl. I 2009, 1102, BStBl. I 2009, 650) AO. 2 Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft liechtensteinischen Rechts. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat sie im Inland keinen ständigen Vertreter und ist deshalb nur mit ihren aus der Vermietung eines im Inland belegenen Grundstücks erzielten Einkünften beschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes KStG). Zudem unterliegt sie nach liechtensteinischem Recht in Liechtenstein der Buchführungspflicht. Nachdem die Klägerin für das Jahr 2010 aus der Vermietung dieses Grundstücks einen nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f des

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht Einkommensteuergesetzes 2009 (EStG 2009) i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG als gewerbliche Einkünfte zu erfassenden Gewinn in Höhe von 133.131,82 t erklärt hatte, erließ das FA ihr gegenüber mit Bescheid vom 1. September 2011 die Mitteilung nach § 141 Abs. 2 Satz 1 AO über den Beginn der Buchführungspflicht für den Gewerbebetrieb „Vermietung und Verwaltung von Grundbesitz“. 3 Die Klage hatte keinen Erfolg (Finanzgericht – FG – des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.5.2016 3 K 1521/11, Entscheidungen der Finanzgerichte EFG 2016, 2024). 4 Gegen das Urteil des FG richtet sich die Revision der Klägerin. 5 Die Klägerin rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das Urteil des FG und die Verfügung vom 1.9.2011 über den Beginn der Buchführungspflicht in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5.12.2011 aufzuheben. 6 Das FA beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.“

Aus den Gründen Revision der Klägerin hat Erfolg 7 „II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Mitteilung des FA über den Beginn der Buchführungspflicht (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung FGO). Zulässigkeit der Klage 8 1. Die Klage ist zulässig. 9 a) Die Mitteilung nach § 141 Abs. 2 Satz 1 AO, durch die das FA auf die Verpflichtung hinweist, ab Beginn des nächsten Wirtschaftsjahres Bücher zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, gegen den die Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 Variante 1 FGO) statthaft ist (vgl. BTDrucks VI/1982, S. 124, rechte Spalte; Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2015 I B 93/15, BFHE 251, 309, BStBl. II 2016, 66, Rz. 5; Beschluss BFH vom 6. Dezember 1979 IV B 32/79, BFHE 129, 300, BStBl. II 1980, 427; Märtens in Gosch, AO § 141 Rz. 42). 10 b) Die Klägerin ist durch die Mitteilung beschwert. Zwar hat das FG bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), dass die Klägerin in Liechtenstein nach liechtensteinischem Recht buchführungspflichtig ist. Eine auf § 141 AO gestützte Buchführungspflicht endet jedoch nicht allein durch ein Unterschreiten der Grenzwerte des § 141 Abs. 1 AO, sondern erst nach einer entsprechenden Feststellung der Finanzbehörden mit Ablauf des darauffolgenden Wirtschaftsjahres (§ 141 Abs. 2 Satz 2 AO; vgl. auch Senatsbeschluss in BFHE 251, 309, BStBl. II 2016, 66, Rz. 11; Märtens in Gosch, AO § 141 Rz. 45).

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Mitteilung über Buchführungspflicht rechtswidrig 11 2. Die Klage ist begründet. Die Mitteilung des FA vom 1. September 2011 über den Beginn der Buchführungspflicht nach § 141 Abs. 2 Satz 1 AO ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Buchführungspflicht nach § 141 AO zu verneinen, weil 12 a) Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 AO sind gewerbliche Unternehmer, für die sich die Buchführungspflicht nicht aus § 140 AO ergibt, u.a. dann verpflichtet, für diesen Betrieb Bücher zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, wenn sie nach den Feststellungen der Finanzbehörde für den einzelnen Betrieb einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von mehr als 50.000 t im Wirtschaftsjahr gehabt haben. Die Verpflichtung nach § 141 Abs. 1 AO ist gemäß § 141 Abs. 2 Satz 1 AO vom Beginn des Wirtschaftsjahres an zu erfüllen, das auf die Bekanntgabe der Mitteilung folgt, durch die die Finanzbehörde auf den Beginn dieser Verpflichtung hingewiesen hat. 13 Klägerin bereits nach § 140 AO buchführungspflichtig b) Die Klägerin war bereits nach § 140 AO i.V.m. ihrer Buchführungspflicht aus liechtensteinischem Recht (auch im Inland) zur Buchführung verpflichtet, so dass für die Begründung einer Buchführungspflicht gemäß § 141 AO kein Raum bestand. Streitstand bezüglich ausländischer Buchführungspflicht 14 aa) Nach § 140 AO hat derjenige, der nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen Bücher und Aufzeichnungen zu führen hat, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, die Verpflichtungen, die ihm nach den anderen Gesetzen obliegen, auch für die Besteuerung zu erfüllen. Ob sich eine materiell-rechtliche Buchführungspflicht isoliert nach Maßgabe von § 140 AO i.V.m. ausländischem Recht ergeben kann, ist umstritten (bejahend Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 16. Mai 2011, BStBl. I 2011, 530, Rz. 3; Dornheim, Deutsches Steuerrecht 2012, 1582; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 140 AO Rz. 7; derselbe, Internationale SteuerRundschau – ISR – 2014, 265; Gosch in Kirchhof, EStG, 17. Aufl., § 49 Rz. 46; Mathiak in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rz. A 219; verneinend Urteil des Reichsfinanzhofs (RFH) vom 6. Juni 1934 IV A 42/34, RStBl. 1934, 823; Hessisches FG, Urteil vom 15. November 2012 11 K 3175/09, EFG 2013, 503; FG Nürnberg, Urteil vom 28. Februar 2013 6 K

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875/11, EFG 2013, 1018; Abele, Betriebs-Berater – BB – 2014, 2928, 2930; Beinert/Werder, Der Betrieb – DB – 2005, 1480, 1485; Bernütz/Küppers, Internationales Steuerrecht – IStR – 2011, 587, 588; Bron, DB 2009, 592, 593; Gläser/Birk, IStR 2011, 762; Görke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 140 AO Rz. 11; Könemann/Blaudow, Die Steuerberatung – Stbg – 2012, 220, 221; Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 140 Rz. 11; Märtens in Gosch, AO § 140 Rz. 10; Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Rz. 633; Richter/John, ISR 2014, 37; Podewils, Steuerberater Woche 2010, 1171, 1174; Schnitger/Fischer, DB 2007, 598; Stahl/Mann, Finanz-Rundschau – FR – 2013, 286, 293; Wachter, FR 2006, 393, 399). Die Frage konnte vom Senat bislang offengelassen werden (s. Senatsurteile vom 13. September 1989 I R 117/87, BFHE 158, 340, BStBl. II 1990, 57; vom 14. September 1994 I R 116/93, BFHE 176, 125, BStBl. II 1995, 238, und vom 25. Juni 2014 I R 24/13, BFHE 246, 404, BStBl. II 2015, 141, sowie Senatsbeschlüsse vom 9. August 1989 I B 118/88, BFHE 158, 40, BStBl. II 1990, 175, und in BFHE 251, 309, BStBl. II 2016, 66). BFH: § 140 AO verweist auch auf ausländisches Recht 15 bb) Der Senat schließt sich der Auffassung an, wonach die Regelung des § 140 AO nicht nur auf inländische, sondern auch auf ausländische Buchführungspflichten verweist. Wortlaut 16 aaa) Die in § 140 AO verwendete Formulierung („andere Gesetze“) beschränkt sich – ebenso wie diejenige in § 4 AO („Gesetz ist jede Rechtsnorm“) nicht nur auf inländische Rechtsnormen. Der Wortlaut des § 140 AO ist im Gegenteil offen und lässt eine Erstreckung auch auf ausländische Rechtsnormen zu (so auch FG Nürnberg, Urteil in EFG 2013, 1018; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 140 AO Rz. 7; derselbe, ISR 2014, 265, 267; Richter/John, ISR 2014, 37, 38; a.A. Hessisches FG, Urteil in EFG 2013, 503). Zweck 17 bbb) Dies wird auch durch den mit § 140 AO verfolgten Zweck, möglichst viele außersteuerliche Pflichten für das deutsche Steuerrecht nutzbar zu machen und dadurch den Steuergesetz-geber zu entlasten, bestätigt (BTDrucks VI/1982, S. 123; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 140 AO R.z 7; derselbe, ISR 2014, 265, 269; Gläser/Birk, IStR 2011, 762; Könemann/Blaudow, Stbg 2012, 220, 221; Märtens in Gosch, AO § 140 Rz. 2; Streck, BB 1972, 1363, 1366; derselbe, BB 1973, 32, 35). Dieser Zweck würde nur eingeschränkt erreicht werden, wenn man nur inlän-

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dische außersteuerliche Pflichten heranziehen könnte. In rechtsstaatlicher Hinsicht werden allerdings Bedenken an den Umstand geknüpft, dass die durch § 140 AO in innerstaatliches Recht transformierten ausländischen Rechtsnormen naturgemäß nicht den Maßgaben des deutschen Grundgesetzes und der Kontrolle des deutschen Gesetzgebers unterliegen (vgl. Märtens in Gosch, AO § 140 Rz. 10; Richter/John, ISR 2014, 37, 38; Stahl/Mann, FR 2013, 286, 293). Den rechtsstaatlichen Bedenken kann indessen ggf. mit einer entsprechenden Anwendung des kollisionsrechtlichen ordre public begegnet werden, dem zufolge eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts insbesondere mit den Grundrechten unvereinbar ist (s. Art. 6 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch). Im Übrigen sind dem deutschen Gesetzgeber im internationalen Steuerrecht auch in anderen Konstellationen Einflussnahmemöglichkeiten versagt, z.B. in den Fällen der sog. Qualifikationsverkettung und den Regelungen, die ausländische Rechtsnormen auf die inländische Besteuerung durchschlagen lassen (z.B. § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG). Keine Kollision mit § 146 Abs. 2 AO 18 ccc) Schließlich führt auch die Regelung des § 146 Abs. 2 Satz 3 AO, wonach die Übernahme der Ergebnisse der ausländischen Buchführung für bestimmte Fälle angeordnet wird, zu keiner anderen Beurteilung (vgl. Drüen, ISR 2014, 265, 269; Mathiak in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz. A 219; a.A. FG Nürnberg, Urteil in EFG 2013, 1018). Die Vorschrift bezieht sich auf die Fälle des § 146 Abs. 2 Satz 2 AO und vermeidet lediglich eine Pflichtenkollision zwischen inländischen und ausländischen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (vgl. Mösbauer, DB 2002, 498, 501). Eine darüber hinausgehende Aussage, wonach diese Anordnung „logisch“ voraussetze, dass nicht bereits über § 140 AO durch die ausländischen Buchführungsvorschriften eine inländische Buchführungspflicht begründet wurde, lässt sich der Regelung des § 146 Abs. 2 Satz 3 AO nicht entnehmen (vgl. auch Drüen, ISR 2014, 265, 269; Mathiak in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 5 Rz. A 219; a.A. FG Nürnberg, Urteil in EFG 2013, 1018).“

2. Anmerkungen (1) Den Urteilsgründen – einschließlich des Vorbehalts eines möglichen Widerstreits zum ordre public (vgl. Art. 6 EGBGB: Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts) – ist für sich gesehen

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und mit Blick auf die Anpassungspflicht gemäß § 146 Abs. 2 Satz 4 AO nicht viel hinzuzufügen. (2) Allerdings hat der Senat nicht die Frage angesprochen, ob die ausländische Buchführungspflicht nur verfahrensrechtlich Bedeutung für das Verhältnis von § 141 AO zu § 140 AO hat oder ob sie auch materiellrechtliche Wirkung entfaltet, die für Zwecke der deutschen Besteuerung die Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ausschließt. (3) Die Frage ist zwar umstritten (differenzierend Drüen, IStR 2019, 833; ders. 2020, 263; a.A. Neumann-Tomm, IStR 2020, 260), jedoch hat der Senat bereits mit Urteil vom 25.6.2014 I R 24/13 BStBl. II 2015, 141 für Mitunternehmerschaften abgeleitet, dass „der im Inland ansässige atypisch stille Gesellschafter einer ausländischen (hier: österreichischen) Kapitalgesellschaft, die im Inland über keine Betriebsstätte verfügt und die ihrerseits aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet ist, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, oder die dies freiwillig tut, ist nicht befugt, nach Maßgabe von § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG 2002 als seinen Gewinn aus der Beteiligung den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben anzusetzen“. Vgl. auch Pfirrmann, BFH/PR 2019, 163.

III. Kein Übergang von Verlusten gem. § 2a EStG im Erbfall 1. BFH v. 23.10.2019 – I R 23/17, BStBl. II 2021, 1358, Ubg 2020, 430 § 2a Abs. 1 EStG begründet für bestimmte negative Einkünfte aus Drittstaaten (hier: Schweiz) als lex specialis zu § 10d EStG lediglich einen eigenen Verlustkreis, indem die vorgetragenen Verluste in späteren Veranlagungszeiträumen mit positiven Einkünften derselben Art aus demselben Staat bereits bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 2 Abs. 1 EStG – und nicht erst bei der Ermittlung des Einkommens – verrechnet werden. Im Einzelnen gilt, dass nach § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a EStG negative Einkünfte aus der Vermietung oder Verpachtung von unbeweglichem Vermögen oder von Sachinbegriffen, wenn diese wie im Streitfall in einem ausländischen Staat (hier: Schweiz) belegen sind, nur mit positiven Einkünften der jeweils selben Art und aus demselben Staat ausgeglichen werden dürfen; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Soweit die negativen Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, mindern sie nach § 2a Abs. 1 Satz 3 EStG die positiven Einkünfte der jeweils selben Art, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranla-

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gungszeiträumen aus demselben Staat erzielt. Nach § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG sind die am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibenden negativen Einkünfte gesondert festzustellen. Mit dem eingangs genannten Urteil hatte der Senat erstmals darüber zu entscheiden, ob ein nach § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG festgestellter Verlustvortrag auf den Erben übergeht. Dies hat der I. Senat abgelehnt und in folgendem Leitsatz zusammengefasst: „Verbliebene negative Einkünfte des Erblassers aus der Vermietung eines Hauses in der Schweiz i.S. des § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a, Satz 5 EStG gehen nicht im Wege der Erbfolge auf den Erben über“. Sachverhalt 1 „I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Gesamtrechtsnachfolger seines am 20.08.2012 verstorbenen Vaters (V). V erzielte bis zu seinem Tod Einkünfte aus der Vermietung eines Hauses in der Schweiz. In den Jahren 2002 bis 2005 tätigte er hohe Renovierungsaufwendungen, die er durch mehrere, bis zu seinem Tode nicht zurückgeführte Darlehen finanzierte. Zum 31.12.2011 betrugen die für V nach § 2a Abs. 1 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes in der seinerzeit geltenden Fassung (EStG) gesondert festgestellten verbleibenden negativen Einkünfte 251.907 t. Der Kläger trat als Gesamtrechtsnachfolger in die Darlehen ein und erzielte in den Jahren 2012 bis 2014 (Streitjahre) eigene (positive) Einkünfte aus der Vermietung des Hauses, die der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA) der Besteuerung zugrunde legte. Einen Ausgleich der verbliebenen negativen Einkünfte des V mit den positiven Einkünften des Klägers ließ das FA nicht zu. Über die deshalb gegen die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre eingelegten Einsprüche hat das FA noch nicht entschieden. 2 Am 06.01.2016 beantragten die Kläger beim FA jeweils auf den 31. Dezember der Streitjahre den Erlass von Bescheiden über die Feststellung der verbleibenden negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus der Schweiz nach § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG. Dazu führten sie aus, die zum 31.12.2011 für V festgestellten verbleibenden negativen Einkünfte seien um positive Einkünfte des V, die er bis zu seinem Tod erzielt habe, zu mindern, so dass die verbleibenden negativen Einkünfte des V zum Todeszeitpunkt noch 202.548 t betragen hätten. Dieser Verlustvortrag sei mit dem Tode des V auf den Kläger als Erben übergegangen. Im Hinblick auf die positiven Einkünfte aus der Vermietung des Hauses, die der Kläger erzielt habe, ergäben sich verbleibende negative Einkünfte i.S. des § 2a EStG zum 31.12.2012 in Höhe von 174.630 t, zum 31.12.2013 in Höhe von 104.590 t und zum 31.12.2014 in Höhe von 45.442 t. 3 Das FA lehnte den Erlass der begehrten Feststellungsbescheide gegenüber den Klägern mit Bescheiden vom 18.01.2016 ab. 4 Nach erfolglosen Einsprüchen erhoben die Kläger Klage vor dem Finanzgericht (FG) Düsseldorf, welches dieser mit Urteil vom 20.12.2016 13 K 897/16 F (Ent-

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Wacker – Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internat. Steuerrecht scheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2017, 281) in der Person des Klägers stattgab, während es diese mangels Beschwer in der Person der Klägerin als unzulässig abwies. 5 Dagegen richtet sich die Revision des FA, das sich auf die Verletzung von Bundesrecht beruft. 6 Das FA beantragt, das Urteil des FG Düsseldorf vom 20.12.2016 13 K 897/16 F hinsichtlich der Person des Klägers aufzuheben und die Klage auch insoweit abzuweisen. 7 Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.“

Aus den Gründen Revision des FA hat Erfolg – Kein Übergang des Verlusts 8 „II. Die Revision ist begründet und führt – bezogen auf die Person des Klägers zur Aufhebung des FG-Urteils und (auch insoweit) zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die V entstandenen und bis zu seinem Tod nicht verbrauchten Verluste aus der Vermietung des Hauses in der Schweiz im Wege der Erbfolge auf den Kläger übergegangen sind. Demgemäß waren für den Kläger auch keine verbleibenden negativen Einkünfte auf den jeweiligen 31. Dezember der Streitjahre nach § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG festzustellen. Verwertungsbeschränkung für ausländische Vermietungsverluste 9 1. Nach § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a EStG dürfen negative Einkünfte aus der Vermietung oder Verpachtung von unbeweglichem Vermögen oder von Sachinbegriffen, wenn diese – wie im Streitfall – in einem ausländischen Staat (hier: Schweiz) belegen sind, nur mit positiven Einkünften der jeweils selben Art und aus demselben Staat ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Soweit die negativen Einkünfte nicht ausgeglichen werden können, mindern sie nach § 2a Abs. 1 Satz 3 EStG die positiven Einkünfte der jeweils selben Art, die der Steuerpflichtige in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus demselben Staat erzielt. Nach § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG sind die am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibenden negativen Einkünfte gesondert festzustellen. Verrechnung mit positiven ausländischen Vermietungseinkünften 10 2. Es besteht zwischen den Beteiligten zunächst kein Streit darüber, dass V in den Jahren 2002 bis 2005 negative Einkünfte aus der Vermietung des Hauses in der Schweiz erzielte, die er nach § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a EStG nicht ausgleichen konnte. Diese minderten in den

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Folgejahren die positiven Einkünfte des V aus der Vermietung des Objekts nach § 2a Abs. 1 Satz 3 EStG und es wurden gemäß § 2a Abs. 1 Satz 5 EStG zuletzt zum 31.12.2011 verbleibende negative Einkünfte des V in Höhe von 251.907 t festgestellt, die sodann wiederum nach § 2a Abs. 1 Satz 3 EStG mit den vom 01.01.2012 bis zum Tode des V am 20.08.2012 von diesem erzielten positiven Einkünften aus der Vermietung des Objekts in der Schweiz in Höhe von 49.359 t zu verrechnen waren. Bei Tod des V nicht ausgenutzter Restbetrag – kein Übergang im Erbwege 11 3. Indessen gingen die mit Ablauf des 20.08.2012 noch verbliebenen negativen Einkünfte aus der Vermietung des Hauses in der Schweiz in Höhe von 202.548 t nicht im Wege der Erbfolge auf den Kläger über (ebenso R 10d Abs. 9 Satz 9 der Einkommensteuer-Richtlinien 2015; Wacker, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht – JbFSt – 2012/2013, 809, 811; Brandenberg, JbFSt 2012/2013, 815; Franz Dötsch, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2008, 641, 646; Riedel, Internationale Steuer-Rundschau – ISR – 2017, 283, 285 f.; Hagemann, Deutsches Steuerrecht kurzgefasst 2017, 147; Gosch in Kirchhof, EStG, 18. Aufl., § 2a Rz. 42; Herkenroth/ Striegel in Herrmann/Heuer/Raupach, § 2a EStG Rz. 94; Naujok in Bordewin/Brandt, § 2a EStG Rz. 114; a.A. Pfützenreuter, EFG 2017, 281, 282 f.; Rickert, DStR 2010, 410, 411 f.; Pongs, DStR 2018, 2010, 2011 f.; Blümich/Wagner, § 2a EStG Rz. 132; Dreyer in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 2a Rz. 182; Kaminski in Korn, § 2a EStG Rz. 149; Schmidt/Heinicke, EStG, 38. Aufl., § 2a Rz. 63). Gesamtrechtsnachfolge … 12 a) Nach § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geht mit dem Tode einer Person (Erbfall) deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf deren Erben über. Über diese zivilrechtliche Gesamtrechtsnachfolge hinaus tritt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) der Erbe sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht in die abgabenrechtliche Stellung des Erblassers ein. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht im Hinblick auf Umstände, die die höchstpersönlichen Verhältnisse des Erblassers betreffen und unlösbar mit dessen Person verbunden sind. Welche steuerrechtlichen Positionen in diesem Sinne „vererblich“ sind, ist unter Heranziehung der materiell-rechtlichen Normen und Prinzipien des jeweils maßgeblichen Einzelsteuergesetzes zu beurteilen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17.12.2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, 136, BStBl. II 2008, 608, 611, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 25.8.2010 I R 13/09, BFHE 230, 436, BStBl. II 2011, 113).

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… nicht bezüglich Verlustabzug nach § 10d EStG (GrS) 13 b) Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl. II 2008, 608 insoweit erkannt, dass der in § 10d EStG vorgesehene Verlustabzug nicht vom Erblasser auf den Erben übergehe. Diese Beurteilung beruht vor allem auf dem Gedanken, dass § 10d EStG der durch den Verlust verursachten Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Rechnung trage und dass ein vom Erblasser erzielter Verlust nur dessen eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, nicht aber diejenige des oder der Erben mindere. Zugleich hat der Große Senat des BFH allerdings ausgeführt, dass im Fall der „gespaltenen Tatbestandsverwirklichung“ andere Regeln gelten können (vgl. zusammenfassend Senatsbeschluss in BFHE 230, 436, BStBl. II 2011, 113). Eine solche „gespaltene Tatbestandsverwirklichung“ hat er u.a. dann für gegeben erachtet, wenn – wie z.B. im Regelungsbereich des § 24 Nr. 2 letzter Halbsatz EStG – der Erbe den vom Erblasser eingeleiteten Einkunftstatbestand abschließt. In diesen und ähnlichen Fällen bestehe eine „Verklammerung von sowohl in der Person des Erblassers als auch in derjenigen des Erben jeweils teilweise verwirklichten Besteuerungsmerkmalen“, die es rechtfertige, die vom Erblasser verwirklichten Besteuerungsmerkmale dem Erben zuzurechnen und ihn in diesem Sinne in die steuerrechtliche Position des Erblassers eintreten zu lassen (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 220, 129, 142, BStBl. II 2008, 608, 614). Ebenso bezüglich § 2a Abs. 1 EStG 14 c) Das FG ist zwar von den vorstehenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen, es hat daraus aber bezogen auf § 2a Abs. 1 EStG rechtsfehlerhafte Schlüsse gezogen. 15 aa) Es besteht aus Sicht des Senats zunächst kein Zweifel daran, dass § 2a Abs. 1 EStG – so wie auch § 10d EStG – der durch den Verlust verursachten Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Rechnung trägt und ein vom Erblasser erzielter Verlust dessen eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, nicht aber diejenige des oder der Erben mindert (vgl. Wacker, JbFSt 2012/2013, 809, 811; Riedel, ISR 2017, 283, 285; Hagemann, a.a.O.; auch Pfützenreuter, EFG 2017, 282, 283; a.A. Wagner, a.a.O.). 16 aaa) Dies kommt bereits unmissverständlich im Wortlaut des § 2a Abs. 1 Satz 3 EStG zum Ausdruck, wonach die negativen Einkünfte, soweit sie nicht nach Satz 1 ausgeglichen werden können, die positiven Einkünfte der jeweils selben Art, die „der Steuerpflichtige“ in den fol-

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genden Veranlagungszeiträumen aus demselben Staat erzielt, mindern. Im Ausgangspunkt regeln sowohl § 10d EStG als auch § 2a Abs. 1 EStG den Verlustausgleich und -abzug. § 2a Abs. 1 EStG begründet als lex specialis zu § 10d EStG lediglich einen eigenen Verlustkreislauf (Herkenroth/Striegel, a.a.O., § 2a EStG Rz. 17; auch Kaminski, a.a.O.), indem die vorgetragenen Verluste in späteren Veranlagungszeiträumen mit positiven Einkünften derselben Art aus demselben Staat bereits bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 2 Abs. 1 EStG und nicht erst bei der Ermittlung des Einkommens verrechnet werden. Auch § 2a Abs. 1 EStG dient damit – in den von ihm gezogenen tatbestandlichen Grenzen – der Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips (Riedel, ISR 2017, 283, 285; Hagemann, a.a.O.; a.A. aber wohl Kaminski, a.a.O.). 17 bbb) Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit erlaubt insoweit die Beschränkung des Ausgleichs von Verlusten, die mit dem Ziel der Steuerersparnis eingegangen wurden (vgl. Senatsurteile vom 17.10.1990 I R 177/87, BFH/NV 1992, 174, und I R 182/87, BFHE 162, 307, BStBl. II 1991, 136), selbst wenn die der Norm zugrunde liegende typisierende Betrachtung auch andere Verluste erfasst (vgl. BFH-Urteil vom 26.3.1991 IX R 162/85, BFHE 164, 327, BStBl. II 1991, 704). 18 ccc) Dementsprechend schlagen die Erwägungen des Großen Senats des BFH in seinem Beschluss in BFHE 220, 129, 142, BStBl. II 2008, 608, 614 prinzipiell auf § 2a Abs. 1 EStG durch (Wacker, JbFSt 2012/2013, 809, 811; Gosch, a.a.O.). Keine gespaltene Tatbestandsverwirklichung 19 bb) § 2a Abs. 1 EStG begründet ferner – entgegen der insoweit vom FG vertretenen Rechtsauffassung – auch keine „gespaltene Tatbestandsverwirklichung“ i.S. der Ausführungen des Großen Senats des BFH in seinem Beschluss in BFHE 220, 129, 142, BStBl. II 2008, 608, 614, die ausnahmsweise den Übergang der in der Person des V erlittenen Verluste auf den Kläger rechtfertigen könnte. 20 aaa) Die „personelle Aufspaltung“ eines Steuertatbestands, wie sie etwa § 24 Nr. 2 letzter Halbsatz EStG vorsieht, besteht regelmäßig darin, dass zwei Personen Handlungen vornehmen oder bei ihnen Umstände eintreten, die für sich genommen d.h. personenbezogen nach dem materiellen Steuerrecht keine Besteuerung auslösen würden, wohl aber bei Anwendung einer personenübergreifenden Betrachtung. Hierin unterscheidet sich etwa die „Verklammerung“ von Besteuerungsmerkmalen nach § 24 Nr. 2 EStG von der bloßen Zurechnung von Positionen

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aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 45 der Abgabenordnung, die zunächst die Entstehung einer Steuerschuld beim Rechtsvorgänger voraussetzt und diese sodann auf den Rechtsnachfolger überleitet (Schmidt/ Wacker, a.a.O., § 24 Rz. 51). 21 bbb) Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat der erkennende Senat eine „Verklammerung“ von Merkmalen, die einerseits vom Erblasser und andererseits vom Erben verwirklicht worden sind, im Regelungsbereich des § 2 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Auslandsinvestitionen der deutschen Wirtschaft vom 18.8.1969 AuslInvG (BGBl I 1969, 1211, 1214, BStBl. I 1969, 477, 480) bejaht. Nach Auffassung des Senats besteht diese darin, dass es zunächst zu einem Verlustabzug gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 AuslInvG gekommen sein muss, der sodann gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG ausgeglichen wird. Dabei werden, wenn in der Zeit zwischen der Gewährung des Verlustabzugs und dessen späterem Ausgleich der Abzugsberechtigte verstorben ist, die Voraussetzungen für den Verlustabzug selbst vom Abzugsberechtigten (Erblasser) und diejenigen für den Ausgleich des Verlustabzugs von seinem Gesamtrechts-nachfolger (Erbe) verwirklicht. Damit liegt eine „gespaltene Tatbestandsverwirklichung“ in dem vom Großen Senat des BFH angesprochenen Sinne vor, die es rechtfertigt, das vom Erblasser verwirklichte Besteuerungsmerkmal „Verlustabzug“ dem Erben zuzurechnen. Bei § 2 Abs. 1 Satz 3 AuslInvG bzw. dessen Nachfolgebestimmung § 2a Abs. 3 EStG a.F. handelt es sich in der Sache um Nachversteuerungsregelungen (vgl. Wacker, JbFSt 2012/2013, 809, 811) auf der Ebene der Einkünfteermittlung und mithin um eine Aufspaltung des (materiellen) Steuertatbestandes zwischen Erblasser und Erbe (Riedel, ISR 2017, 283, 285; Brandenberg, JbFSt 2012/2013, 815). 22 ccc) Die vorstehenden Erwägungen lassen sich indessen nicht auf § 2a Abs. 1 EStG übertragen. Die Vorschrift betrifft die Feststellung negativer Einkünfte. Auf jener der Einkommensermittlung nachgelagerten Ebene ist aber die Annahme einer tatbestandlichen „Verklammerung“ ausgeschlossen (Riedel, ISR 2017, 283, 285; Brandenberg, JbFSt 2012/2013, 815). In der Sache geht es vielmehr um die Zurechnung von negativen Einkünften, da die beim Erblasser festgestellten negativen Einkünfte alleine darauf beruhen, dass dieser in eigener Person sämtliche materiellen Voraussetzungen des Tatbestands nach § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a EStG verwirklicht hat. Dass die Geltendmachung von Verlustüberhängen aus der Vergangenheit das Erzielen positiver Einkünfte in der Gegenwart voraussetzt, liegt insoweit in der Natur der in-

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terperiodischen Verlustverrechnung und ist keine systematische Besonderheit des § 2a EStG (Riedel, ISR 2017, 283, 285). Gleichbehandlung mit Inlandsverlusten 23 ddd) Würde man der Auffassung des FG folgen, so würden negative Einkünfte nach § 2a EStG anders behandelt als im Inland erzielte negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die im Jahr ihrer Entstehung nicht mit anderen positiven Einkünften ausgeglichen werden können. Nach Auffassung des FG würde auch ein Erbe, der eine vermietete inländische Immobilie erwirbt und die Vermietungstätigkeit des Erblassers fortführt, an die vom Erblasser begonnene Erwerbstätigkeit anknüpfen. Allerdings würden diese negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung beim Erblasser aufgrund der Einkünftesaldierung nach § 2 Abs. 3 EStG nicht gesondert festgestellt, sondern fänden ggf. Eingang in seinen Verlustvortrag i.S. des § 10d Abs. 2 EStG, für den eine Rechtsnachfolge aber gerade ausgeschlossen ist. Weshalb bei § 2a Abs. 1 EStG eine davon abweichende Handhabung geboten sein soll, erschließt sich dem Senat nicht (Riedel, ISR 2017, 283, 285). 24 Kein Widerspruch zum Übergang von § 15a-Verlusten eee) Den vorgenannten Erwägungen steht das zu § 15a EStG ergangene BFH-Urteil vom 1.3.2018 IV R 16/15 (BFHE 261, 101, BStBl. II 2018, 527) nicht entgegen. Zwar geht danach der verrechenbare Verlust in dem Fall, dass ein Kommanditist unentgeltlich einen Teil seiner Beteiligung an der KG überträgt, anteilig auf den Übernehmer über, wenn diesem auch das durch die Beteiligung vermittelte Gewinnbezugsrecht übertragen wird. Letzteres beruht indessen darauf, dass verrechenbare Verluste i.S. von § 15a EStG erst dann die finanzielle Leistungsfähigkeit des Kommanditisten mindern, wenn dieser aus seiner Beteiligung Gewinne erzielt, die er zum Ausgleich seines negativen Kapitalkontos zu verwenden hat (§ 169 Abs. 1 Satz 2 des Handelsgesetzbuchs). Die im Streitfall zu beurteilenden Verluste haben hingegen nicht die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers, sondern des V gemindert. Kein Vertrauensschutz 25 fff) Die Kläger können sich schließlich auch nicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte stützen, weil die Finanzverwaltung bis zum Ergehen des Beschlusses des Großen Senats des BFH in BFHE 220, 129, 142, BStBl. II 2008, 608, 614 noch vom Übergang der verbliebenen negativen Einkünfte aus der Vermietung i.S. des § 2a Abs. 1 EStG ausgegangen ist. Abgesehen davon, dass ein entsprechender Vertrauensschutztat-

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bestand sich nur auf die Person des V beziehen könnte, gab es zu § 2a Abs. 1 Satz 3 EStG – anders als zu § 10d EStG – keine ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, von der der Senat nunmehr abweichen würde. Deshalb kann auch nicht von der „faktischen“ Änderung der „Rechtslage“ und einer zuvor bestehenden Vertrauensbasis ausgegangen werden. 26 2. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist sein Urteil bezogen auf die Person des Klägers aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, denn nach den vorstehenden Ausführungen gingen die von V erlittenen und in seiner Person angefallenen und festgestellten Verluste aus der Vermietungstätigkeit in der Schweiz nicht auf den Kläger über. Eine Feststellung verbleibender negativer Einkünfte gegenüber dem Kläger zum jeweiligen 31. Dezember der Streitjahre ist damit ausgeschlossen und die Klage (auch) insoweit abzuweisen …“

2. Anmerkungen (1) Das Urteil ist zwar noch nicht im BStBl. Teil II veröffentlicht, gleichwohl wird es von der Finanzverwaltung angewandt (vgl. Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, 21.7.2020, S 2118a A-021-St 62, juris). (2) In der Sache beruht die Entscheidung auf dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17.12.2007 GrS 2/04, BFHE 220, 129, 136, BStBl. II 2008, 608, nach dem der in § 10d EStG vorgesehene Verlustabzug nicht vom Erblasser auf den Erben übergeht. Hiervon ausgehend konnte die Entscheidung für den Verlustkreis des § 2a Abs. 1 EStG nicht anders ausfallen. (3) Allerdings bleibt festzuhalten, dass die Rechtsprechung den Übergang verrechenbarer Verluste bejaht, weil – s. Urteilsgründe – dieser erst bei Anfall von Beteiligungsgewinnen und damit nach Erbfall (d.h. in der Person des Erben) mit einer Minderung der Leistungsfähigkeit verbunden ist (Schmidt/Wacker, EStG, 39. Aufl., § 15a Rz. 168).

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Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Bert Kaminski Steuerberater, Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Teilnehmer MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Kerstin Schulz, M.I.Tax Global Head of Tax and Customs, Beiersdorf AG Hamburg

Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, I. Senat, München

Der Diskussion voran ging der Vortrag von Prof. Dr. Wacker. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank, Herr Wacker, für Ihre Ausführungen. Ich denke, da war eine Menge drin. Ich möchte zunächst Herrn Kreienbaum bitten, zu diesen beiden Entscheidungen Stellung zu nehmen und zu der Frage, wie die Finanzverwaltung darauf reagiert. Es gibt ja, Herr Wacker hat gesagt, in den Straßenbahnen – einen Entwurf vom 17.11., der entsprechend dazu Stellung nimmt. Mögen Sie vielleicht vorweg etwas zu diesem Entwurf sagen? Zum weiteren Verfahren beim ATADUmsetzungsgesetz? Wir werden das nachher in dem Vortrag von Herrn Kraft noch im Detail besprechen. Aber es ist inzwischen ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland anhängig, und – sehen Sie mir das nach – wenn auf der einen Seite, dass immer neue Regelungen geschaffen werden sollen, weitere Vorgaben verabschiedet werden und dann die Regelungen, die eigentlich umsetzungspflichtig sind – ob man sie nun gut findet oder nicht, will ich mal dahin

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gestellt sein lassen -nicht umgesetzt bekommen, dann haben wir möglicherweise ein strukturelles Problem. Kreienbaum Ja, vielen Dank, Herr Kaminski, und guten Morgen Ihnen allen. Ich habe mir an dieser Stelle schon mindestens einmal eine Prognose zur Umsetzung der ATAD-Richtlinie erlaubt. Wir sind uns der Umsetzungsfristen bewusst. Auf technischer Ebene sind wir gut vorbereitet. Es ist Aufgabe des Ministeriums, den Gesetzgebungsprozess vorzubereiten. Am Ende ist die Frage, Herr Kaminski, die Sie mich baten zu beantworten, bevor ich zu den beiden Urteilen Stellung nehme, eine politische, und ich werde heute keine weitere Prognose der Frage wagen, ob noch in diesem Jahr erste gesetzgeberische Schritte zu erwarten sind Prof. Dr. Kaminski Entschuldigen Sie, da würde ich jetzt aber gerne mal dazwischenfragen: Wir sind am 4. Dezember! Und Sie sprechen von diesem Jahr? Sie meinen das Jahr 2020? Nur, damit ich Sie richtig verstanden habe. Kreienbaum Ich habe von den ersten gesetzgeberischen Schritten gesprochen. Prof. Dr. Kaminski Gut. Kreienbaum Das Thema ATAD-Umsetzung wird derzeit politisch diskutiert, und ich kann Ihnen nicht voraussagen, ob in diesem Jahr noch erste gesetzgeberische Schritte erfolgen werden. Ich hoffe, dass die Umsetzung zügig im nächsten Jahr erfolgen wird. Vorbereitet dazu sind wir. Diskutiert werden derzeit einzelne Regelungen, die im Gesetzentwurf des BMF enthalten sind, aber dazu möchte ich an dieser Stelle nicht Stellung nehmen. Zu den beiden Urteilen: Die beiden Urteile sind auch aus Sicht der Finanzverwaltung gut nachvollziehbar. Mit Blick auf den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit haben wir auch durch den EuGH ausreichend Klarheit zu der Frage des Maßes des notwendigen Einflusses.

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Auf der Rechtfertigungsebene hatten wir schon gehört, dass das Merkmal der Verifikationsmöglichkeiten hinzutreten muss. Der rechtliche Rahmen zur Verifikation, der es dann der Finanzverwaltung erlauben kann zu überprüfen, ob ein Missbrauch vorliegt oder nicht, ist derzeit Gegenstand der Beratungen zwischen Bund und Ländern. Das ist auch der Grund, warum bisher keines der beiden Urteile im Bundessteuerblatt veröffentlicht wurde. Wir beabsichtigen aber, das zu tun, möchten aber auch gleichzeitig mit einer Veröffentlichung den Finanzverwaltungen der Länder eine Handreichung mitgeben, wie das Maß der Verwaltungszusammenarbeit aussehen soll, um diese Verifikationsmöglichkeiten als ausreichend anzuerkennen. Ich hoffe, dass wir das spätestens im Frühjahr nächsten Jahres auf den Weg bringen können Prof. Dr. Kaminski Das wäre für die Praxis hilfreich, wenn es dazu eine Handreichung gäbe. Vor allen Dingen auch die Frage, wo, zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung, der Informationsaustausch als ausreichend angesehen wird vor dem Hintergrund, dass da ja in der letzten Zeit einiges passiert ist. Ich würde gern Frau Schulz fragen: Wie ist Ihre Praxis in diesem Bereich mit der Hinzurechnungsbesteuerung? Sagen Sie, das ist für ein Unternehmen wie Beiersdorf eher ein Randthema, oder würden Sie sagen, Sie haben hier möglicherweise Probleme? Wir haben, das steht irgendwo alles auch im Hintergrund, Verweise auf die Aktivitätsklauseln – das ist etwas, das in dem Entwurf, wenn Sie mir das gestatten, aus meiner Sicht nur unzureichend weiterentwickelt wird. Da ist möglicherweise noch ein ganz anderes Problem mit verbunden: Die Frage nach diesen Aktivitätsklauseln. Schulz Ich stimme zu. Beiersdorf bekennt sich natürlich zum Steuerstandort Deutschland, wünscht sich dennoch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. Wir sind multinational tätig und natürlich müssen wir uns an der einen oder anderen Stelle mit der Hinzurechnungsbesteuerung auseinandersetzen. Was ich mir wünschen würde, wäre einfach auch ein bisschen Klarheit, auch aus den Urteilen heraus. Funktionale Betrachtung – was heißt das eigentlich? Denn wenn wir jetzt mal dieses Thema Finanzierung rausnehmen – das kann betragsmäßig sehr groß sein, aber

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im Gesamtzusammenhang natürlich nur eine ganz kleine Thematik ausmachen. Große Beträge bedeuten nicht gleich, dass es eben auch einen großen wirtschaftlichen Einfluss geben muss. Und wenn man sich den Entwurf zum Umsetzungsgesetz der ATAD anschaut, glaube ich, dass es dort noch einige Punkte gibt, die auch von Unternehmensseite sehr bewegen. Natürlich auch der Steuersatz bezüglich der Niedrigbesteuerung, und natürlich auch die Frage: Wie wird die Gewerbesteuer mit einbezogen? 25 Prozent wären vielleicht okay, wenn man die Gewerbesteuer und die Anrechnung der Steuer im Ausland einbezieht. Wenn wir bei der bisherigen Systematik bleiben, ist natürlich auch die Thematik 25 Prozent in der Niedrigbesteuerung, die ja auch in dem Entwurf weiter so enthalten ist, aus Unternehmenssicht nicht erstrebenswert und auch nicht tragbar im Sinne der Systematik. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank. Wir werden nachher beim letzten Thema den Entwurf noch ausführlicher diskutieren und auch die Frage nach den 25 Prozent. Herr Kreienbaum, sehen Sie mir bitte nach, aber es wird Sie nicht überraschen, dass das etwas ist, was viele für nicht sachgerecht halten vor dem Hintergrund, dass wir ja in Deutschland möglicherweise eine niedrigere Besteuerung haben als 25 Prozent. Wenn Sie an 200 Prozent Gewerbesteuer denken, und dann Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag, sind Sie unter 25 Prozent, und ich meine, das kann nicht sein. Ich würde aber trotzdem noch einmal eine Frage aufwerfen, und zwar die Frage nach dem Substanztest. Herr Wacker, ich würde Sie da noch einmal um eine Einschätzung bitten. Mein Eindruck ist, dass doch der EuGH in der Vergangenheit hier relativ geringe Anforderungen genügen lies. Also das, was eine Gesellschaft im Ausland machen muss, die Verwaltung von IP, ich glaube, Ihr Senat hat das 2018 auch mal entschieden, wo gesagt wurde, dass es ausreichend ist, dass Intellectual Property im Ausland verwaltet wird. Das BMF hat sich in den letzten Jahren verstärkt um Amtshilfe bemüht, also haben Sie, vielleicht nicht unmittelbar gewollt, aber doch mittelbar damit dieses Thema den Steuerpflichtigen leichter gemacht, wenn ich das mal aus deren Perspektive betrachten darf. Und es muss gesehen werden, dass der EuGH relativ geringe Anforderungen stellt, und ich möchte, weil Sie Cadbury-Schweppes angesprochen haben, Herr Wacker, noch einen Gedanken in die Diskussion einführen: In Cadbury-Schweppes war es ja so, dass die Zwischenschaltung dieser Gesellschaft ausschließlich auf die Erzielung von steuerlichen

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Vorteilen abzielte. Und damit haben wir doch die Frage: Ist eigentlich die bisherige Rechtsprechung, die es beim BFH gab (steuerliche Vorteile sind kein wirtschaftlich beachtlicher Grund) unionsrechtlich noch haltbar? Herr Wacker, mögen Sie dazu sich äußern? Oder lieber zurückhalten? Prof. Dr. Wacker Vielleicht kurz zur Rechtssicherheit. Prof. Dr. Kaminski Gerne! Prof. Dr. Wacker Also ich denke, wir haben einen Beitrag zur Rechtssicherheit geleistet! Dass das vielleicht nicht mit dem Ergebnis verbunden ist, das sich alle wünschen, steht auf einem anderen Blatt. Gleichwohl gilt m.E.: angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhalte scheint mir das Merkmal des wirtschaftlichen Eigenwichts der jeweiligen Tätigkeiten judizierbar und damit zugleich rechtssicher zu sein. Was den Cadbury-Test anbelangt, muss man sehen, dass die ATADRichtlinie einen anderen Rechtsrahmen schafft. Sie kodifiziert und konkretisiert den Motivtest. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang natürlich auch die sog. „dänischen Fälle“. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank, so weit. Ich gucke mal auf die Uhr. Ich denke, Herr Wacker, wir sollten zum zweiten Urteil kommen, damit wir so ein bisschen in der Zeit bleiben, weil ich denke, dass diese Frage der finalen Verluste uns gleich noch ausführlicher beschäftigen wird. Es folgen die Ausführungen von Prof. Dr. Wacker. Prof. Dr. Kaminski Ja, vielen Dank, Herr Wacker. Ich würde zunächst Frau Schulz einmal fragen: Gibt es bei Beiersdorf Erfahrungen mit Verständigungsverfahren nach dem Schiedsabkommen? Man hat in der Vergangenheit gehört, dass es da ja erhebliche Probleme gab. Ich will das ausdrücklich anerkennen. Man weiß, dass das BZ Steu-

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er ein zweites Referat eingerichtet hat. Mich würde mal interessieren: Wie sind Ihre Erfahrungen aus der Praxis? Ist das für Sie eine Regelung, wo Sie sagen, das ist eine Möglichkeit? Schulz Tatsächlich gibt es das. Zum Glück haben wir nicht so viele Verfahren, weil die natürlich sehr, sehr langwierig sind. Neben Verständigungsverfahren natürlich auch in einigen Verfahren, wo es einfach um Vorab-Abstimmung geht. Die Verfahren dauern sehr lang. Es hat natürlich jetzt durch die Corona-Zeit – und so lange bin ich noch nicht bei Beiersdorf, erst seit Anfang diesen Jahres – natürlich auch da Auswirkungen gegeben auf Verfahrensdauer und Verfahrensabwicklung usw. Nichtsdestotrotz, auch wenn wir uns die Agenda für den Tag anschauen, wird dieses Thema einfach immer wichtiger und wir müssen uns einfach damit auseinandersetzen. Streitbeilegungsverfahren, ganz grundsätzlich, auf den unterschiedlichen Ebenen und Möglichkeiten, ist ein Thema, was sich meines Erachtens auch mit dem Hinblick der Entwicklung des internationalen Steuerrechts exponentiell entwickeln wird. Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum, mögen Sie was dazu sagen, wie der Stand im Moment ist? Wissen Sie etwas darüber, wie hoch die Anzahl der Verständigungsverfahren ist? Wenn ich richtig informiert bin, steigt die Zahl und auch die Zahl der unerledigten Verfahren kontinuierlich steigt. Ist das richtig? Kreienbaum Ja, vielen Dank. Zum einen sind wir in der Tat zurzeit sozusagen Weltmeister bei der Anzahl der laufenden Verständigungsverfahren. Das gilt aber auch für die Zahl der Erledigungen. Ich würde diesen Umstand nicht so werten, dass das hohe Fallaufkommen ein Zeichen großer Konfliktbereitschaft der Finanzverwaltung ist, sondern eher ein Ausdruck von Vertrauen, das Steuerpflichtige in diese Verfahren haben. Das Thema Streitbeilegung spielt insgesamt für uns politisch eine sehr große Rolle. Viele von Ihnen wissen, dass Deutschland im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft das Thema Tax Certainty oben auf die politische Steueragenda der G20 gesetzt hat, und die heutige Diskussion, der Vortrag von Herrn Wacker, hat schon erkennen lassen, dass wir mit verschiedenen Instrumenten Fortschritte erzielt haben. Wir haben die

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Schiedskonvention, das EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz, und nicht zuletzt eine Reihe bilateraler Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen. Der Zugang und das Recht zum Zugang zu diesen Verfahren, bis hin zum Anspruch auf ein Schiedsverfahren mit verbindlichem Ausgang, nehmen wir sehr ernst. Wir versuchen, dieses Thema auf allen Ebenen auszuweiten. Es gibt zu diesen Instumenten der Streitbeilegung Fragen, zu denen häufig sehr unterschiedliche Auffassungen in der internationalen Diskussion bestehen. Zum Beispiel zu der Frage, ob und inwieweit Schiedsverfahren Entscheidungen der obersten Gerichte überschreiben dürfen. Da kann es in einzelnen Staaten auch gewisse verfassungsrechtliche Grenzen geben. Auch die Frage des Ausschlusses vom Zugang zu Verständigungsverfahren und zu Schiedsverfahren in Betrugsfällen wird im internationalen Diskurs unterschiedlich betrachtet. Die Bundesregierung positioniert sich zu den Verfahren grundsätzlich als sehr aufgeschlossen. Wir wollen diese Verfahren aufbauen und befördern. Wir beteiligen uns aktiv an der Diskussion um verbindliche Vereinbarungen, mit dem Ziel, mit anderen Staaten auf bilateraler und multilateraler Ebene entsprechende Verfahren einzurichten. Und zweitens haben wir auch im administrativen Bereich unsere Ressourcen erheblich aufgestockt. Es ist richtig, dass wir mit einer sehr hohen Zahl von Verständigungsverfahren befasst sind. Wir haben aber auch eine sehr stark wachsende Zahl erledigter Verständigungsverfahren pro Jahr. Das ernsthafte Bemühen der Finanzverwaltung ist in diesem Punkt deutlich sichtbar. Ich teile ohne Einschränkung die Auffassung, dass uns dieses Thema in Zukunft noch sehr viel stärker beschäftigen wird. Wir werden über neue Ansätze, wie die Verfahren der Streitbeilegung noch effektiver und effizienter ausgestaltet werden können, nachdenken müssen, was wir auf Ebene der EU und der OECD auch intensiv tun. Wir werden heute im Laufe des Tages noch die Säule I und die Säule II zur Digitalbesteuerung diskutieren und dabei sicher auch feststellen, dass die gegenseitige Abhängigkeit der Staaten untereinander von Feststellungen, die in anderen Staaten getroffen werden, beispielsweise mit Blick auf die Feststellung der Bemessungsgrundlage, in Zukunft enorm wachsen wird. Insofern besteht in der Tat auch großer Bedarf, stärker über diese Themen und auch über neue Formen einer sehr frühen Streitvermeidung nachzudenken.

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Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank, Herr Kreienbaum. Ich habe jetzt die Zahlen leider nicht präsent, aber, wenn ich mich richtig erinnere, gibt es in der Regierungsbegründung zu diesem von Herrn Wacker ja zu Recht angesprochenen EU-Doppelbesteuerungsabkommensstreitbeilegungsgesetz auch Zahlen zu den zusätzlich erwarteten Verfahren, und mir erschienen diese außerordentlich gering. Ich glaube, man hat zwei oder drei zusätzliche Stellen im Bundeszentralamt nur für dieses Verfahren geschaffen. Das scheint mir ausgesprochen wenig zu sein. Das wurde damit begründet, dass bisherige Verfahren, die nach anderen Regelungen geführt wurden, also insbesondere nach Verständigungsverfahrensregelungen in den DBA, umstrukturiert werden. Aber sei es, wie es sei, vielleicht muss auch die Finanzverwaltung da noch einmal gucken, inwieweit das geregelt wird. Aber ich habe an Herrn Wacker noch einmal eine Frage, die sich auf die rechtliche Ebene bezieht, und zwar zur Verurteilung wegen einer schweren Straftat. Zwei Aspekte, die hier m.E. eine große Rolle spielen: Sie haben das angedeutet, als sie gesagt haben: Wir haben heute nur die Strafbarkeit von Persönlichkeiten oder von Personen. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Planungen der Bundesregierung? Vielleicht mag Herr Kreienbaum auch sagen, ob die Finanzverwaltung sich dazu äußern wird, etwa im Zusammenhang mit der Einführung eines geplanten Verbandsstrafrechts? Da soll es ja die Möglichkeit geben, dass Unternehmen selbstständig verurteilt werden können. Ich könnte mir vorstellen, dass das bei Konzernen auch gewisse Compliance-Überlegungen auslöst. Und die zweite Frage ist: Wie ist das eigentlich, und das scheint mir doch der, ich will nicht sagen mit Abstand, aber vermutlich doch ein sehr häufiger Fall zu sein, wo ein Verfahren nach § 153a StPO eingestellt wird. Würden Sie das auch als Verfahren sehen, das zum Ausschluss vom Schiedsverfahren führt? Prof. Dr. Wacker Also, was die erste Frage anbelangt, gebe ich den Ball gern an Herrn Kreienbaum weiter.

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Kreienbaum Zum Verbandsstrafrecht äußere auch ich mich nicht. Es handelt sich um ein Thema in der Federführung des BMJV. Prof. Dr. Kaminski Und zur zweiten Frage, Herr Wacker? § 153a StPO? Prof. Dr. Wacker Darüber hatte der Senat nicht zu entscheiden, aber der Wortlaut, der auf den empfindlich zu bestrafenden Verstoß abstellt, ist – das wird man sehen müssen – weit gefasst. Prof. Dr. Kaminski Hieße jetzt was? Prof. Dr. Wacker Nun, was ich gesagt habe. Der Wortlaut stellt nicht auf die Bestrafung ab, er lässt damit auch Raum dafür, eine Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO als tatbestandsmäßig anzusehen Prof. Dr. Kaminski Okay. Prof. Dr. Wacker Zur Klarstellung: Letztlich werden hierüber die Gerichte zu entscheiden haben, wenn es denn wirklich im Einzelfall entscheidungserheblich wird. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank. Für mich etwas überraschend, aber okay. Herr Kreienbaum, mögen Sie zur ersten Frage noch etwas sagen, Verbandsstrafrecht? Und dann würde ich gerne auch noch einmal auf die Compliance-Fragen, die damit verbunden sind, eingehen.

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Kreienbaum Ich kann dazu gar nicht so viel sagen. Sie haben den Ausschluss des Zugangs zum Verständigungs- und Schiedsverfahren angesprochen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Wertung hinweisen, die sich exemplarisch aus § 20 Absatz 1 EU-DBA-SBG ergibt: Ein Antrag auf Einsetzung eines Beratenden Ausschusses – also die Einleitung der Schiedsphase – kann abgelehnt werden, wenn eine betroffene Person gegen die Steuergesetze verstoßen hat, dieser Verstoß mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder Geldbuße geahndet worden ist und dieser Verstoß im Zusammenhang mit der Streitfrage steht. In diesen Fällen besteht kein Anspruch auf verbindliche Streitbeilegung. Zu den potentiellen Aspekten im Hinblick auf ein geplantes Verbandsstrafrecht kann ich, wie bereits erläutert, nichts konkretisierten. Prof. Dr. Kaminski Okay, vielleicht kommt das noch. Mich würde, Frau Schulz, dann die Frage interessieren: Wie sieht das aus, welche Compliance-Konsequenzen hat das eigentlich für ein Unternehmen wie Beiersdorf? Schulz Ja, ganz grundsätzlich haben wir natürlich ein globales ComplianceManagementsystem installiert, entsprechend natürlich auch nach dem BMF-Schreiben zu § 153 AO noch einmal näher konkretisiert, interne Kontrollsysteme, Reportings entsprechend global aufgesetzt. Also, eins muss man sagen: Wir möchten es richtig machen. Dies inkludiert alle relevanten Kollegen und Kolleginnen zu schulen, alle Reportingprozesse entsprechend einzurichten, dazu ein Monitoring und entsprechende Prüfungen zu machen. Sämtliche Dokumentation zu Compliance, das Monitoren der Prozesse und das zur Verfügung stellen der entsprechenden Materialien um die entsprechenden Reports zu generieren, werden zentral und damit auf globaler Ebene gesteuert – ein ganz, ganz wichtiges Thema; es nimmt sehr viel Raum ein. Wir haben dafür auch extra Ressourcen in der Steuerabteilung, die sich nur mit dem Thema Compliance-Einhaltung, Monitoring, Prozesse beschäftigt. Sobald ein Thema auftritt, befasst sich dann auch diese Ressource damit, was der nächste Prozessschritt ist und wie man Fehler vermeiden kann. Insofern: großes Thema, und natürlich haben wir uns auch mit dem Entwurf des Verbandsstrafrechts aus dem Juni beschäftigt. Was heißt das für die Tax

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Compliance und wo müssten wir vielleicht an der ein oder anderen Stelle sogar noch mehr in die Prozesse reingehen und noch mehr Monitoring aufsetzen? Prof. Dr. Kaminski Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es eine Verbindung gibt zur Frage der Berichtigung von Steuererklärungen und Selbstanzeige – vielleicht könnte das ja ein Weg sein, mit dem sich auch die Finanzverwaltung anfreundet. Sie hat ja im Prinzip im Anwendungserlass der AO das auch entsprechend klargestellt. Damit würde ich gerne zu der nächsten Entscheidung kommen, Herr Wacker, ein Beschluss, der aus meiner Sicht, ich will nicht sagen überfällig war, aber außerordentlich berechtigt ist, denn ich glaube, es gibt kaum einen Bereich, wo wir ein solches Hin und Her beim EuGH erlebt haben wie bei der Frage Berücksichtigung finaler Verluste. Mögen Sie vielleicht zunächst den Fall darstellen? Prof. Dr. Wacker Ja, Sie haben das Wesentliche ja eigentlich schon gesagt, daher kann ich mich kurz fassen. Der Sachverhalt ist eigentlich denkbar einfach. Inländische AG betreibt Wertpapierhandel, eröffnet eine Zweigniederlassung in London im Jahre 2004, muss aber aufgrund anhaltender Verluste schon im Jahr 2007 schließen, begehrt den Verlustimport, also den im Vereinigten Königreich entstandenen Verlust in der Bundesrepublik zum Abzug zu bringen. Dazu die ergänzende Feststellung der Vorinstanz: Im Vereinigten Königreich war der Verlustvortrag ausgeschlossen. Der I. Senat hat vorgelegt, und zwar aufgefächert in insgesamt fünf Fragen, nämlich Frage 1: Gibt es überhaupt finale Verluste, die einem Importgebot unterliegen, in dem Fall der DBA-rechtlich freigestellten Verluste. Falls ja, was bedeutet dies, Frage 2, für die Gewerbesteuer. Die Fragen 3 und 4 beschäftigen sich damit, welche tatbestandlichen Konkretisierungen gegeben sein müssen, um von finalen Verlusten sprechen zu können. Insbesondere also: wird die Finalität ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit, der Wiedereröffnung einer Zweigniederlassung oder einer wirtschaftlichen Tätigkeit in Großbritannien besteht? Und schließlich Frage 5: Wie ist der finale Verlust zu berechnen? Im Ausgangspunkt sicherlich nach den Regeln des deutschen Steuerrechts. Problematisch könnte dies aber dann sein, wenn im Vereinigten Königreich, eine andere Art der Gewinnermittlung greift, die einen niedrigeren Verlust aus-

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weist. Welcher Verlust ist dann anzusetzen? Der höhere deutsche oder der niedrigere britische? Es folgen die Ausführungen von Prof. Dr. Wacker. Prof. Dr. Kaminski Ja, vielen Dank, Herr Wacker. Ich habe eine Rückfrage, weil ich nicht sicher bin, ob ich Sie da richtig verstanden habe. Zumindest habe ich das dem Urteil bisher so nicht entnommen. Sie haben gesagt, es käme darauf an, den niedrigeren Verlust zu berücksichtigen. Wenn nach UK-Recht – so habe ich Sie zumindest eben verstanden – ein niedrigerer Verlust entstünde als nach deutschem Recht, dann sei möglicherweise nur der niedrigere Betrag zu berücksichtigen. Was mich daran ein bisschen irritiert hat ist, dass Sie auf die Höhe abstellen. Also aus meiner Sicht kann das eigentlich nicht sein, denn entweder sage ich, ich wende deutsche Gewinnermittlungsvorschriften an, oder meinethalben englische -Ermittlungsvorschriften, aber dies kann nicht von der Höhe abhängen. Denn im Urteilsfall, mag es zu niedrigeren oder höheren Verlusten kommen. In anderen Fällen könnte es auch genau umgekehrt sein. Und da kann es aus meiner Sicht nicht auf die Höhe ankommen. Oder habe ich Sie da falsch verstanden? Prof. Dr. Wacker Nehmen wir mal an, der in Großbritannien entstandene Verlust, ist dort berücksichtigt worden. Er beläuft sich nach britischem Recht auf 50. Nach deutschen Gewinnermittlungsvorschriften ergibt sich hingegen ein Verlust von 100. Was passiert dann mit der im Vereinigten Königreich nicht erfassten Verlustdifferenz? Ist das dann ein finaler Verlust? Obwohl doch im Vereinigten Königreich eine Verlustverwertung stattgefunden hat, aber natürlich auf der Grundlage der britischen Gewinnermittlungsvorschriften, die aber – wie dargelegt – von den deutschen Ermittlungsvorschriften abweichen? Unter diesem Blickwinkel gehören die Vorlagen Fragen 1 und 5 systematisch zusammen. M.a.W.: Frage 5 ist systematischer Art. Prof. Dr. Kaminski Hm, da muss ich mal drüber nachdenken, was das jetzt für Paragraph 34c EStG bedeutet, aber soweit bin ich noch nicht.

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Herr Kreienbaum, wie sehen Sie die Vorlage? Endlich Klärung? Kreienbaum Durch die Vorlage selbst ist noch keine Klärung erfolgt. Entscheidend, wird sein, wie der EuGH die Vorlage beantwortet. Prof. Dr. Kaminski Gut, okay. Kreienbaum Die Vorlage selbst begrüßen wir, weil auch wir das Thema der finalen Verluste geklärt sehen möchten. Was sind finale Verluste und unter welchen Umständen müssen sie potentiell anerkannt werden? Das ist eine Frage, die uns auch schon seit vielen Jahren umtreibt. Wir erhoffen uns von der Vorlage mehr Rechtsklarheit mit Blick auf all diese Fragen, die Herr Wacker in dem von ihm abgesteckten Diskussionsrahmen dargestellt hat. Prof. Dr. Kaminski Super! Dann hoffen wir, dass der EuGH diese Klarheit schaffen wird. Frau Schulz, ich vermute, Sie haben bei Beiersdorf wenig Betriebsstätten. Soweit ich weiß, unterhalten Sie überwiegend Tochtergesellschaften. Aber ich würde Sie trotzdem gerne mal etwas anderes fragen. Das kam ja eben auch so durch, und das können Sie auch dem Vorlagebeschluss des ersten Senats entnehmen: Ich glaube, es gibt kaum einen Bereich, der so erratisch war wie die Rechtsprechung zur grenzüberschreitende Verlustberücksichtigung. Wie gehen Sie als Unternehmen damit um, dass man sagt, wir haben eine Rechtsprechung, die dermaßen – ich will das mal zurückhaltend formulieren – ein Minimum an Kontinuität aufweist? Schulz Das ist erst einmal schon zutreffend. Wir haben nahezu keine Betriebsstätten und agieren mit Tochtergesellschaften, was natürlich auch unter der Entscheidung, wie Betriebsstätten behandelt werden, wie Abgrenzungen durchgeführt werden, und aber auch im Zweifel Verluste verrechnet werden zu tun hat. Im Rahmen der Besteuerung von Tochtergesellschaften gibt es aus meiner Sicht mehr Klarheit als im Rahmen der

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Besteuerung der Betriebsstätten und da sind wir wieder bei Streit und Streitbeilegung, Betriebsstätten sind auch sehr diskussionsanfällig. Ganz grundsätzlich zu den Vorlagefragen: Es ist aus meiner Sicht immer wünschenswert, eine klare Regelung zu haben. Ich habe das ja schon einmal vorher betont, das, was wir im steuerlichen Bereich machen oder was wir grundsätzlich strukturieren, das wollen wir richtig machen und je mehr Rechtssicherheit, je mehr Klarheit wir haben oder die Leitplanken gegeben sind, desto einfacher ist es natürlich für uns, die Dinge entsprechend auf den Weg zu bringen und nicht erst Jahre später dann zu diskutieren. Und das ist natürlich auch etwas, das in Richtung meines Managements geht, oder auch des Managements der Unternehmen, in denen ich bisher tätig war. Rechtssicherheit und in die Zukunft gerichtete Investitionen sind eng verbunden – da ist es ganz, ganz wichtig, eine rechtliche Grundlage zu haben, auf der man aufbauen und entsprechend planen kann. Egal, ob es jetzt hier um die Verluste bei Betriebsstätten geht, die wir zum Glück nicht haben, weder Betriebsstätten noch hohe Verluste. Prof. Dr. Kaminski Ich nehme das mal als Appell auch an den Gesetzgeber, nicht nur an die Steuergestalter, an die Internetkonzerne zu denken, sondern auch an diejenigen, die noch physisches Business betreiben und sich eben bemühen, dann überall auch entsprechend compliant zu sein. Herr Wacker, ich würde Sie bitten, Ihr nächstes Urteil vorzutragen. Sie haben es vorhin angedeutet, wir haben diese Darlehensfälle beim letzten Mal hier sehr ausführlich und sehr kontrovers diskutiert. Vielleicht können wir uns auch mit Blick auf die Uhr dort etwas kürzer fassen, weil ich glaube, das ist ja eigentlich die Fortführung Ihrer bisherigen Rechtsprechung. Es folgen die Ausführungen von Prof. Dr. Wacker. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank, Herr Wacker, für diesen bunten Strauß. Ich würde zwei Aspekte gerne herausgreifen, auch angesichts der Zeit, und zunächst an die Unternehmenspraxis fragen: Dieses Thema ständiger Vertreter, treibt Sie das um? Ist das für Sie ein Thema? Sie müssen doch im Prinzip riskieren, dass Sie überall, wo jetzt Leitungsorgane Ihres Unternehmens nachhaltig Verträge abschließen, eine Betriebsstätte auslösen.

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Schulz Ja, das treibt uns sehr um. Wir sind multinational tätig, und dementsprechend gibt es natürlich auch unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Es gibt interne Richtlinien, wann, wo, was zu erfolgen hat, um eben den entsprechenden Dokumentationen für Entscheidungen Rechnung zu tragen. Ich glaube nichtsdestotrotz, das ist eine Frage, die gerade jetzt brandaktuell ist im Rahmen der Covid-19-Krise, wo eben Reisebeschränkungen bestehen und es eben vielleicht an der ein oder anderen Stelle auch schwierig wird, entsprechende Vor-Ort-Tätigkeit so durchzuführen, wie man das in der Vergangenheit gemacht hat. Aber nichtsdestotrotz: Wir haben sehr strenge Regelungen dazu, es gibt Guidelines, und wir achten sehr darauf, das Thema der Betriebsstätte, aber auch Ort der Geschäftsleitung entsprechend zu dokumentieren. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank. Herr Kreienbaum, ich würde Sie gerne etwas fragen, hinsichtlich der Entscheidung zur Buchführungspflicht ausländischer Immobilienkapitalgesellschaften. Wenn ich das richtig sehe, hat das grundlegende Bedeutung auch für inländische Betriebsstätten von ausländischen Kapitalgesellschaften. Es gibt ja auch diese Rechtsprechung des BFH zu funktionsschwachen Vertriebsgesellschaften, keine Gewinnlosigkeit, keine dauerhaften Verluste. Machen Sie zukünftig eigentlich eine Betrachtung vor Kosten für Buchführung und nach Buchführung, oder wie muss ich mir das vorstellen? Kreienbaum Herr Kaminski, da kann ich gar nicht so viel zu sagen. Wir beschäftigen uns zwar mit diesem Thema, auch in der Diskussion zwischen Bund und Ländern, aber noch nicht einmal bis dahin ist die Frage so weit gediehen. Prof. Dr. Kaminski Okay, vielen Dank. Damit darf ich Ihnen sehr herzlich danken, Herr Wacker. Wir kommen leider nicht mehr zu der Frage dieses Urteils zu Paragraph 2a – sehen Sie mir das nach. Sie haben in Ihrem Urteil mehrfach meine abweichende Kommentierung zitiert.

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Podiumsdiskussion: Aktuelle Rspr. des I. Senats zum Internat. StR

Ich möchte auf einen Punkt hinweisen. Nehmen Sie mal den Fall, Sie hätten hier eine Qualifikation nicht als Erhaltungsaufwand im Urteilsfall, sondern Sie würden das Ganze aktivieren müssen. Dann würden Sie zu Abschreibungen kommen, und dann würden Sie beim Erben diese Beträge abziehen können. Deswegen habe ich was diese Aussagen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit angeht unverändert Bedenken. Aber das können wir ja vielleicht bei anderer Gelegenheit noch einmal vertiefen. Meine Damen und Herren, es ist jetzt schon etwas später als ursprünglich geplant. Ich würde vorschlagen, dass wir eine 10-minütige Kaffeepause machen und dann um 11:20 Uhr die Veranstaltung fortsetzen. Vielen Dank zunächst einmal an Sie, Herr Wacker, für Ihre Vorträge, für Ihre Beiträge, und auch an die Diskutanten für die erste Runde.

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Die Besteuerung doppelt ansässiger Gesellschaften im Lichte vergangener und gegenwärtiger Entwicklungen Prof. Dr. Claus Staringer WU Wien

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Doppelt ansässige Gesellschaften in der Vergangenheit 110 I. Standortbestimmung. . . . . . . 110 II. EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97 – Centros . . . . . . . . 110 C. Doppelte ansässige Gesellschaften in der Gegenwart . . 112

I. Auswirkungen der CoronaPandemie auf die Ansässigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 II. Bedeutung des Art. 4 Abs. 3 OECD-Musterabkommen . . 113 III. Die Neufassung des Art. 4 Abs. 3 OECD-Musterabkommen durch die Revision 2017 115 D. Exkurs: Wegzugsbesteuerung 118 E. Fazit und Ausblick . . . . . . . . 119

A. Einführung Ich bedanke mich sehr herzlich für die Einladung, bei der Hamburger Nikolaustagung zum Thema „Doppelt ansässige Gesellschaften – Dual Resident Companies“ sprechen zu dürfen. Herr Kaminski hat es schon angedeutet: Es ist ein Thema, das mir schon vor langer Zeit begegnet ist. Ich habe noch „im 20. Jahrhundert“ – konkret 1999 – eine Schrift zur „Besteuerung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften“ vorgelegt.1 Ich habe es daher als eine gute Gelegenheit empfunden, aus Anlass dieser Tagung eine neuerliche Standortbestimmung samt Rückblick und Ausblick zu diesem Thema zu versuchen. Dies führt zum Titel meines Vortrags: „Doppelt ansässige Gesellschaften – gestern, heute, morgen“.2

1 Staringer, Besteuerung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften (1999). 2 Das Manuskript wurde im Januar 2021 abgeschlossen. Die Vortragsform wurde bei beibehalten.

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B. Doppelt ansässige Gesellschaften in der Vergangenheit I. Standortbestimmung Beginnen wir daher mit der Standortbestimmung. Wo befindet sich das Thema „Doppelt ansässige Kapitalgesellschaften“ insgesamt? Das Phänomen „dual residence“ war – jedenfalls bei Körperschaften – für viele Rechtsordnungen lange Zeit ein bloßes Orchideenthema. Dass einem einmal eine doppelansässige Gesellschaft über den Weg gelaufen ist, hatte in dieser Zeit einen echten Seltenheitswert. Gerade darin mag zwar der Reiz der wissenschaftlichen Befassung gelegen haben. Für die tägliche Praxis war es aber jedenfalls kein allzu wichtiges Thema. Dies hatte sich dann aber durch das Zusammentreffen mehrerer großer Trends rasch geändert: Auf der einen Seite hat die Globalisierung zu einer immer stärkeren Verflechtung multinationaler Unternehmen geführt. Auf der anderen Seite haben technologischer Fortschritt und Zunahme der persönlichen Mobilität der Menschen (z.B. als potentielle Geschäftsführer) insgesamt dazu geführt, dass die Migration juristischer Personen deutlich an praktischer Bedeutung gewonnen hat.

II. EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97 – Centros Im Jahr 1999 hat es jedenfalls für Europa (d.h. für die EU) so etwas wie den rechtlichen Urknall für das Phänomen Dual Resident Companies in der Rechtspraxis gegeben. Durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Centros3 im Jahre 1999 hat sich die Fallzahl doppelt ansässiger Gesellschaften in der EU dramatisch erhöht. Der Fall Centros lässt sich kurz gefasst wie folgt rekapitulieren: Es ging damals darum, dass ein aus Dänemark stammendes Ehepaar Mühsal und Kosten einer Gesellschaftsgründung in ihrem Heimatstaat Dänemark nicht auf sich nehmen wollte. Einfacher und billiger erschien es ihnen, ihre Gesellschaft in der Rechtsform einer Limited englischen Rechts im Vereinigten Königreich zu gründen. Die Gesellschaft wurde zwar nach englischem Recht errichtet, hatte aber ihre Hauptverwaltung in Dänemark, wo die gesamte Tätigkeit der Gesellschaft ausgeübt wurde. Somit gab es keinerlei physische Präsenz der Gesellschaft im Vereinigten Königreich.

3 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 = FR 1999, 499 – Centros.

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Die Frage im Fall Centros war, ob dies durch die Niederlassungsfreiheit des Unionsrechts gedeckt sein konnte. Der Europäische Gerichtshof hat in dieser Leitentscheidung Centros den Schutz der Gesellschaftsgründung nach englischem Recht durch die Niederlassungsfreiheit bejaht. Die Entscheidung ist nicht allein geblieben, auf Centros ist in den Folgejahren eine ganze Serie von Entscheidungen gefolgt, in der der EuGH seine Leitentscheidung Centros bestätigt hat. Entscheidungen wie Überseering4 oder Inspire Art5 sind hier die wichtigsten Fälle gewesen. Insgesamt hat diese unionsrechtliche Rechtsprechung des EuGH einen sehr liberalen Zugang zur Nutzung der verschiedenen nationalen Gesellschaftsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten ermöglicht. Denn es ist dadurch i.E. problemlos möglich geworden, Gesellschaften nach dem Recht eines Mitgliedstaates zu errichten, aber sodann von einem anderen Mitgliedsstaat aus zu leiten. In einem Satz: Diese Entscheidung hat die Niederlassungsfreiheit des Unionsrechts de facto zu einer Rechtswahlfreiheit im Gesellschaftsrecht gemacht. Auch wenn die Centros-Entscheidung des EuGH ein „Urknall“ war, so muss man dennoch festhalten, dass doppelt ansässige Gesellschaften nach wie vor kein Massenphänomen sind. Vielmehr sind sie im Wesentlichen ein Gestaltungselement – mitunter auch zur Steuergestaltung – geblieben. Wer solche Gestaltungselemente bewusst einsetzt, wird sich dies im Regelfall gut überlegt haben. Daneben gibt es aber auch die ungeplante Doppelansässigkeit, nämlich das Risiko einer ungewollten Geschäftsleitung im Inland, die eine inländische steuerliche Präsenz in Form unbeschränkter Steuerpflicht begründet. Auch das ist ein klassisches Thema der Doppelansässigkeit. Dennoch werden Fälle der Doppelansässigkeit von Gesellschaften insgesamt keine allzu große praktische Bedeutung haben. Es mag daher überraschen, dass dieser überschaubaren Praxisrelevanz eine überproportional hohe Befassungsdichte in der steuerrechtlichen Literatur gegenübersteht. Dies ist freilich ganz natürlich: Denn es gibt zwangsläufig viele steuerliche Detailfragen, die sich an der Doppelansässigkeit entzünden. Diese Fragen haben seit jeher zur literarischen Aufarbeitung eingeladen.

4 EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 – Überseering BV. 5 EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 – Inspire Art Ltd.

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C. Doppelte ansässige Gesellschaften in der Gegenwart I. Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Ansässigkeit Nun aber zur Gegenwart. Ich beginne mit jenem Aspekt des Themas Doppelansässigkeit, der vermutlich dafür verantwortlich war, dass es in die Agenda der heutigen Tagung Eingang gefunden hat. Es geht dabei um das Thema dual residence und Covid-19-Pandemie. Im Kern steht dabei die Frage, welche Folgen Covid-19-Beschränkungen im Wirtschaftsleben (also Reiseverbote, Quarantänen, oder ganz allgemein die Tatsache, dass viele natürliche Personen in Home-Offices arbeiten) auf die Ansässigkeit einer Gesellschaft haben. Diese Beschränkungen haben nämlich vielfach zur Folge, dass Entscheidungsträger vom geplanten Ort der Geschäftsleitung einer Gesellschaft physisch ferngehalten werden. Es liegt daher die Frage nahe, ob dies Auswirkungen auf die Ansässigkeit einer Gesellschaft haben kann. Es war interessant zu sehen, dass es nur einige Tage gebraucht hat, bis es bereits Stellungnahmen einer Reihe nationaler Steuerverwaltungen zu diesem Thema gegeben hat. Es handelt sich dabei durchweg um Rechtsordnungen des common law-Rechtskreises. Jedenfalls sind alle diese Stellungnahmen vom gleichen Tenor getragen: Denn dort werden die Covid19-Beschränkungen bzw. die von ihnen verursachten Ergebnisse in Bezug auf den ungeplanten physischen Aufenthalt von Entscheidungsträgern an anderen Orten als jenem der geplanten Geschäftsleitung im Wesentlichen für unbeachtlich gehalten. I.E. wird somit versucht, die praktischen Konsequenzen dieser Covid-19-Beschränkungen für das Thema Doppelansässigkeit insgesamt auszublenden. Auch das Sekretariat der OECD hat sich hierzu geäußert und die vielfach auf nationaler Ebene vertretene Sichtweise in der Sache bestätigt. Nach einer Note des OECD-Sekretariats sollen vorübergehende Ortsverlagerung von Geschäftsführern oder leitenden Angestellten in außergewöhnlichen und bloß vorübergehenden Situationen aufgrund der Covid-Krise keine Veränderung des place of effective management bei juristischen Personen i.S.v. Art. 4 Abs. 3 OECD-MA nach sich ziehen.6 Auch hier zeigt sich eine beruhigende (wenn nicht beschwichtigende) Linie. Dafür gibt es, auch durchaus ein gutes Argument: Denn der Kom6 OECD Secretariat v. 3.4.2020, Analysis of tax treaties and the impact of the COVID-19 crisis.

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mentar zum OECD-Musterabkommen bringt für den place of effective managment Begriffe ins Spiel, die implizit von einer „Normalität“ der Verhältnisse ausgehen (wie „üblich“ und „gewöhnlich“ bzw. „usually“ und „ordinarily“). Es ist daher nicht schwer zu begründen, dass bei außergewöhnlichen Umständen, wie sie in einer Pandemie zweifellos vorliegen, hier eben nichts mehr „üblich“ oder „gewöhnlich“ ist. Man mag dies für eine Selbstverständlichkeit halten. Nur weil ein Geschäftsführer (oder ein Mitglied eines Kollegialorgans) bei einer Sitzung einmal physisch nicht anwesend sein konnte, wird die Welt nicht untergehen. Die eigentliche Frage ist aber jene nach der Grenze zur neuen Normalität. Was passiert eigentlich, wenn ein zunächst als „außergewöhnlich“ empfundener Zustand mit der Zeit zu einem Dauerzustand wird? Was gilt, wenn wir uns daran gewöhnt haben, Termine aus der Entfernung wahrzunehmen, Reisetätigkeiten einzustellen und es insgesamt als „normal“ empfinden, den Geschäften (etwa als Geschäftsführer) nicht mehr vor Ort nachzugehen? Das scheint die wesentliche Frage zu sein. Wenn ein solcher Zustand zum Dauerzustand wird, dann wird man früher oder später auch die traditionellen Grundsätze zur Frage des Ortes der Geschäftsleitung neu überdenken müssen. Dies dürfte aber noch in der Zukunft liegen: Denn zumindest für den Moment dürfte die OECD an ihrer Position festhalten, dass COVID-19-Beschränkungen in aller Regel für die Ansässigkeit von Körperschaften keine Folgen haben sollen.7

II. Bedeutung des Art. 4 Abs. 3 OECD-Musterabkommen Im Hintergrund all dieser Diskussionen steht aber die Grundsatzfrage, was denn eigentlich der place of effective management (POEM, somit der Ort der tatsächlichen Oberleitung) nun ist. Dieser POEM ist nämlich das tie-breaker-Kriterium für die Doppelansässigkeit juristischer Personen nach dem OECD-Musterabkommen a.F. – zur neuen Fassung komme ich noch im Detail – und die allermeisten Doppelbesteuerungsabkommen folgen diesem tie-breaker-Kriterium. Ein näherer Blick auf die Kriterien des POEM nach Art. 4 Abs. 3 OECDMA a.F. zeigt jedoch, dass damit erhebliche Schwierigkeiten in der Praxis verbunden sein können. Das liegt auch daran, dass die Kriterien für einen solchen POEM im OECD-Musterabkommen gar nicht und im von der OECD dazu veröffentlichten Kommentar nur unscharf vorgege7 S. ausführlich OECD v. 21.1.2021, Updated guidance on tax treaties and the impact of the COVID-19 pandemic.

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ben werden. Schon die Struktur des Musterabkommens lässt das Problem deutlich erkennen: So enthält das OECD-MA für die Doppelansässigkeit natürlicher Personen eine ganze Hierarchie von Einzeltests (für die eine Vielzahl von Kriterien herangezogen werden können, wie Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt, Mittelpunkt der Lebensinteressen und Staatsbürgerschaft). Im Vergleich dazu ist der Test zur Auflösung von Doppelansässigkeit bei juristischen Personen im OECD-MA nur rudimentär geregelt. Namentlich fehlt für den POEM nach Art. 4 Abs. 3 OECD-MA a.F. jene Hierarchie verschiedener Test, die den tie-breaker für natürliche Personen in Art. 4 Abs. 2 OECD-MA kennzeichnet. Im deutschsprachigen Raum (jedenfalls in Deutschland und Österreich) hat man traditionell diese strukturelle Schwäche des OECD-MA als nicht zu gravierend wahrgenommen. Denn hier war die Vorstellung verbreitet, dass der im nationalen Recht relevante Ort der Geschäftsleitung im Wesentlichen deckungsgleich ist mit dem POEM des Abkommensrechts. Dies mag in der Tat in vielen Praxisfällen auch richtig sein. Allerdings zeigt die Realität auch, dass andere Staaten durchaus eigene Vorstellungen haben können, was die Ermittlung des POEM angeht. Am Ende helfen unilaterale Vorstellungen bei einem Abkommensbegriff wie dem POEM eben nicht weiter. Im Streitfall enden solche Fälle deshalb allzu oft im DBA-Verständigungsverfahren. Tatsächlich ist Art. 4 Abs. 3 OECD-MA schon seit langer Zeit als eine „Baustelle“ des Musterabkommens erkannt worden. So hatte sich die OECD damit bereits vor längerem in einem eigenen Report beschäftigt. Ein Diskussionsentwurf dieses Reports aus dem Jahr 2008 hatte es sich zur Aufgabe gemacht, entweder den Tiebreaker-Test des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA zu verbessern bzw. zu verfeinern, oder diesen Test durch alternative Lösungen zu ersetzen. Dieser Entwurf hat im Rahmen der OECD allerdings keinen Konsens gefunden. Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, dass es weiterhin Streitfälle zur Auslegung der TiebreakerRegel des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA gibt. Dabei geht es im Übrigen nicht nur um den Ausgang des Tie-BreakerProzesses für Zwecke des konkreten DBA (d.h. in welchem Vertragsstaat eine doppelansässige Gesellschaft denn nun abkommensberechtigt sein soll), sondern auch um die Frage nach einer möglichen Abkommensberechtigung der Gesellschaft gegenüber Drittstaaten. Dabei steht eine doppelte DBA-Berechtigung der doppelt ansässigen Gesellschaft im Raum. Klar ist dabei, dass die Gesellschaft jedenfalls im Staat ihrer Geschäftsleitung abkommensberechtigt ist. Die Frage war aber immer, ob

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sich auch im Staat des Sitzes (im deutschsprachigen Bereich würde dies den statutarischen Sitz bezeichnen) durch das als „other criterium of a similar nature“ i.S.d. Art. 4 Abs. 1 des OECD-Musterabkommens die Ansässigkeit begründen lässt. Ich möchte an dieser Stelle bewusst die akademische Diskussion aussparen, ob der statutarische Sitz ein solches „other criterium of a similar nature“ sein kann. Mit guten Gründen kann man das jedenfalls für einen kontinentaleuropäisch verstandenen statutarischen Sitz, der gesellschaftsrechtlich immerhin eine minimale physische Präsenz braucht, bejahen. Damit würde aber das Potential für Gestaltungen eröffnet, weil dann die Gesellschaft mit zwei verschiedenen Abkommensberechtigungen Zugang zu unterschiedlichen Abkommensnetzwerken hätte. Das kann z.B. Bedeutung haben bei Quellensteuern oder der Begründung von Betriebstätten. Der OECD Musterkommentar hat diese Idee der doppelten Abkommensberechtigung im Hinblick auf die damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten bereits im Jahr 2008 abgelehnt.8 Die Überlegung des Kommentars ist dabei die tie breaker Regel eines DBA (also Art. 4 Abs. 3) so zu verstehen, dass der Staat der geschäftlichen Oberleitung durch die Anwendung des tie breakers zum „Gewinner-Staat“ wird, sodass nur dieser Staat in der Lage ist, Abkommensberechtigung zu vermitteln. Der Staat des statuarischen Sitzes wird hingegen als Folge des tie breakers zum „Verlierer-Staat“, der keine DBA-Berechtigung gegenüber Drittstaaten mehr vermitteln darf. Die dahinterstehende methodische Prämisse der OECD ist eine Art Drittwirkung einer – eben nur vermeintlich bilateralen – Abkommensregel: Der Ausgang eines solchen tie breaker in einem Abkommen zwischen Staat der Geschäftsleitung und Staat des statuarischen Sitzes soll Relevanz haben für Abkommen mit dritten Staaten.

III. Die Neufassung des Art. 4 Abs. 3 OECD-Musterabkommen durch die Revision 2017 Damit aber nicht genug: Die strenge Haltung der OECD wurde mit der Revision des OECD-MA noch weiter verschärft. In der aktuellen Fassung des Musterabkommens aus 2017 ist nunmehr geregelt, dass die doppelansässige Gesellschaft vom Abkommensschutz von vornherein zur Gänze ausgeschlossen ist, es sei denn, die Vertragsstaaten einigen sich vorweg in einem Verständigungsverfahren, ob bzw. wo die Gesellschaft nun für 8 Vgl. 8.2 OECD MK zu Art 4.

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Zwecke des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA ansässig sein soll. Die Bestimmung lautet nunmehr wie folgt: „Where by reason of the provisions of paragraph 1 a person other than an individual is a resident of both Contracting States, the competent authorities of the Contracting States shall endeavour to determine by mutual agreement the Contracting State of which such person shall be deemed to be a resident for the purposes of the Convention, having regard to its place of effective management, the place where it is incorporated or otherwise constituted and any other relevant factors. In the absence of such agreement, such person shall not be entitled to any relief or exemption from tax provided by this Convention except to the extent and in such manner as may be agreed upon by the competent authorities of the Contracting States.“

Diese Bestimmung erzeugt eine im OECD-MA ganz ungewöhnliche Situation. Denn i.E. setzt damit die Abkommensanwendung ein vorgelagertes Behördenverfahren voraus, in dem erst der Zugang zum Abkommensschutz eröffnet wird. Eine solche „Vorwegkontrolle“ ist ein echter Fremdkörper im gesamten Musterabkommen. Woher kommt das? Diese Neufassung des Art. 4 Abs. 3 ist durch das MLI eingeführt worden, wo es eine der weniger beachteten Bestimmungen war. Als Begründung nennt das MLI die „Vereinfachung“ bei der Behandlung doppelt ansässiger Gesellschaften – dies ist freilich nur vorgeschoben. „Einfacher“ wird die Lage allenfalls für die Vertragsstaaten, die das Abkommen in Fällen von Doppelansässigkeit gar nicht anwenden müssen. In Wahrheit geht es dem MLI um Schutz der Vertragsstaaten vor Steuergestaltung, unter deren Generalverdacht doppelt ansässige Gesellschaften gestellt werden. Wenn man die Akzeptanz dieser Neufassung des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA unter den MLI-Signatarstaaten betrachtet, dann zeigt sich ein gemischtes Bild. Eine Gruppe von Staaten hat tatsächlich diese neue Regelung in ihre Abkommenspolitik übernommen und versucht dementsprechend, dies bilateral in Abkommen zu verankern. Zu dieser Gruppe gehören insbesondere das Vereinigte Königreich, Niederlande, China, Indien und Kanada. Deutschland und Österreich haben hingegen den neuen Art. 4 Abs. 3 OECD-MA nicht zum Teil ihrer DBA-Politik gemacht. Namentlich hat Österreich das MLI mit einem entsprechenden Vorbehalt ratifiziert. Dennoch werden in Einzelfällen auch von Österreich Abkommen verhandelt, die diese neue Klausel beinhalten. Beispiele aus jüngster Zeit sind die DBA zwischen Österreich und dem Vereinigten Königreich sowie zwischen Österreich und Japan.

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Dies führt zur Kritik an der Neufassung des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA. Diese fällt im Schrifttum durchaus intensiv aus:9 Kritisch werden insbesondere die sehr unklaren Kriterien gesehen, nach denen die Vertragsstaaten im Verständigungsverfahren vorgehen sollen. Es werden im Text von Art. 4 Abs. 3 OECD-MA zwar eine Reihe von Kriterien genannt. Völlig offen bleibt aber, welche tatsächlich maßgebend sein sollen bzw. in welcher Gewichtung sie zueinanderstehen. Dies erzeugt erhebliche Unsicherheit. Fundamental betrachtet muss man sagen, dass ein Verständigungsverfahren für die Gewährung von DBA-Ansässigkeit in der Sache ein unangemessenes Forum ist. Die Notwendigkeit einer Vorabgenehmigung durch Behördenkonsens ist im klassischen Verständigungsverfahren nämlich tückisch, da es dort keinen Einigungszwang gibt. Wenn daher am Ende keine Einigung erzielt wird, gibt es für die Gesellschaft auch keinen Abkommensschutz (und zwar in keinem der beiden Vertragsstaaten). Differenzierter scheint es unter solchen DBA zu sein, wo Einigungszwang besteht, also ein Schiedsverfahren über DBA-Streitigkeiten verankert ist (wie z.B. innerhalb der EU aufgrund der EU-Besteuerungsstreitbeilegungs-Richtlinie). Aber auch ein solches Schiedsverfahren hat Schwächen: Es liegt nämlich in der Natur des DBA-Schiedsverfahrens, dass der Steuerpflichtige gar nicht in der Lage ist, das Ergebnis des Schiedsverfahrens in der Sache zu bekämpfen. Der Schiedsspruch ist für sich nämlich unanfechtbar, man kann ihn als Steuerpflichtiger nur allenfalls zur Gänze ablehnen, was normalerweise zur Klärung der Streitfrage im ordentlichen Rechtsweg führt. Genau dieser Rechtsweg steht der doppelansässigen Gesellschaft aber gerade nicht offen. Denn ohne entsprechenden Schiedsspruch hat die Gesellschaft gar keine Abkommensberechtigung und ist somit konsequenterweise nicht in der Lage, einen Abkommensvorteil geltend zu machen. Letztlich führt der neue Art. 4 Abs. 3 OECDMA daher zu rechtsstaatlichen Problemen bei der Durchsetzung von DBA-Vorteilen, die – jedenfalls nach den in Österreich und Deutschland gewohnten Maßstäben – wohl unhaltbar sind.

9 Vgl. dazu ausführlich Staringer/Moldaschl, The Role of Competent Authorities under Article 4(3) of the OECD Model Convention, in Kofler/Lang/Pistone/ Rust/Spies/Staringer (eds) Tax Treaties and Procedural Law (2020) 87.

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D. Exkurs: Wegzugsbesteuerung In Ergänzung des Themas Doppelansässigkeit dürfen auch Fragen der Wegzugsbesteuerung nicht unerwähnt bleiben. Denn dieser Bereich ist – jedenfalls bei den nicht von Anfang an als doppelt ansässig etablierten Gesellschaften – eines der wichtigsten, geradezu klassischen Themen. Dort geht es um die Steuerfolgen der Verlegung der Geschäftsleitung aus dem Staat der Gründung der Gesellschaft in einen anderen Staat. In diesem Fall sehen viele Staaten schon seit langem eine Wegzugssteuer bzw. Exit Tax vor. Dabei kommt es regelmäßig zur Schlussbesteuerung stiller Reserven im Vermögen der nunmehr doppelt ansässigen Gesellschaft, soweit der Wegzugsstaat durch den Wegzug einen Verlust seines Besteuerungsrechts zu erleiden droht. Die EU Anti Tax Avoidance Richtlinie (ATAD) hat alle Mitgliedstaaten nunmehr sogar dazu verpflichtet, eine solche Wegzugssteuer in ihrem nationalen Steuerrecht zu verankern. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c ATAD nennt die Verlegung der Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat ausdrücklich als einen der verpflichtenden Tatbestände der Wegzugssteuer. Insbesondere hat die ATAD den Mitgliedstaaten untersagt, in den ATADWegzugssteuerfällen einen Steueraufschub bis zur tatsächlichen Realisierung der entstrickten stillen Reserven zu gewähren. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die Etablierung von Doppelansässigkeit für Körperschaften in der EU grundsätzlich – soweit Besteuerungsrechte in andere Länder verschoben werden könnten und auch keine nationalen Befreiungen bestehen – zu einer Belastung mit Wegzugssteuer führt. Dies kann bisweilen unangenehm oder sogar für den Wegzug (d.h. die Begründung der Doppelansässigkeit) prohibitiv sein. Die ATAD hat den Mitgliedstaaten damit die rechtspolitische Frage, ob sie eine sofortige Wegzugssteuer vorsehen wollen, aus der Hand genommen. Damit wird in Zukunft umso mehr Gewicht auf der Frage liegen, wie (d.h. mit welcher Bemessungsgrundlage) eine solche Wegzugsteuer zu ermitteln ist. In diesem Zusammenhang ist auf eine – bislang wenig beachtete – eigene Bewertungsregel der ATAD für diese Zwecke hinzuweisen. Art. 5 Abs. 6 ATAD spricht nämlich von einer Bewertung zum Marktwert. Was ist aber nun der „Marktwert“? Jeder, der sich mit Bewertungen näher beschäftigt, weiß, dass über einen solchen Marktwert ganz unterschiedliche Vorstellungen bestehen können. Die ATAD enthält hierzu zwar eine Begriffsdefinition des „Marktwertes“ („[…] der Betrag, für den zwischen vertragswilligen unabhängigen Käufern und Ver-

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käufern in einer direkten Transaktion Vermögenswerte ausgetauscht oder gegenseitige Verpflichtungen abgerechnet werden können.“). Diese Definition ist jedoch – vorsichtig formuliert – generisch gefasst. Ich möchte an dieser Stelle nicht vertiefen, was man aus dieser Wertdefinition der ATAD möglicherweise herauslesen könnte. Letztlich wird auch dies eine Frage für den EuGH sein, wenn ein ATAD-Wegzugssteuerfall an ihn herangetragen werden sollte. Denn ohne Zweifel hat die ATAD in diesem Zusammenhang auch den Begriff des „Marktwertes“ harmonisiert. Interessant ist weiter, dass in Art. 5 Abs. 5 ATAD eine verpflichtende Wertverknüpfung vorgesehen ist. Der Zuzugsstaat ist, zumindest beim ersten Hinsehen, an die Bewertung des Wegzugstaates gebunden. Er muss also einer korrespondierenden Step-up gewähren. Dies ist bislang keineswegs für alle Mitgliedsstaaten der EU selbstverständlich und kann Wegzugs- bzw. Migrationsfälle in der EU deutlich erleichtern, weil damit immerhin eine Einmal-Besteuerung stiller Reserven sichergestellt ist. Allerdings ist diese Wertverknüpfung von der ATAD nur dann vorgesehen, wenn die Bewertung dem Marktwert entspricht. Das heißt nichts anderes, als dass erst recht keine Bindung des Zuzugsstaat an die Bewertung im Wegzugsstaat besteht, wenn unterschiedliche Vorstellungen über den „Marktwert“ bestehen. M.a.W. droht die an sich begrüßenswerte Wertverknüpfung in der ATAD nur auf dem Papier zu stehen. Man kann allerdings auch die Auffassung vertreten, dass der Marktwert aufgrund seiner Erwähnung in der ATAD ein Begriff des Unionsrechts ist, dessen Letztauslegung dem EuGH vorbehalten ist. Am Ende könnte es dann doch noch zu einer Wertverknüpfung kommen, wenn der EuGH den Begriff des Marktwertes mit Bindungswirkung für beide betroffenen Mitgliedstaaten auslegt. Dies wird die Zukunft zeigen. Es scheint zwar Skepsis angebracht, ob der EuGH tatsächlich eine konkrete Bewertung selbst vornehmen würde. Aber immerhin könnte er die methodologische Grundlage des Begriffes des Marktwertes entwickeln. Damit könnte die ATAD auch in der Bewertungsfrage einen Beitrag zur Harmonisierung der Wegzugssteuer innerhalb der EU leisten.

E. Fazit und Ausblick Damit wäre ich am Schluss. Der (leicht umformulierte) Titel meines Referats hat gelautet: „Doppelansässigkeit gestern, heute, morgen“. Ich denke die Frage nach dem „gestern“ ist einfach: Doppelt ansässige Gesellschaften waren früher einmal ein Orchideenthema. Im „heute“ wissen

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wir, dass dies anders geworden ist. Solche Gebilde haben mittlerweile ihren festen Platz in der Rechtspraxis, aber auch in der Steuerpolitik gefunden. In der Wissenschaft galt dies sowieso schon seit langem. Insgesamt ist über die Jahre damit eine gewisse Normalisierung der Verhältnisse eingetreten. Dies tut der Sache gut. Dass sich damit für die Zukunft – dem „morgen“ – neue Rechtsfragen rund um doppelt ansässige Gesellschaften ergeben, liegt in der Natur der Sache.

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Die Besteuerung doppelt ansässiger Gesellschaften im Lichte vergangener und gegenwärtiger Entwicklungen Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Bert Kaminski Steuerberater, Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Teilnehmer MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Kerstin Schulz, M.I.Tax Global Head of Tax and Customs, Beiersdorf AG Hamburg

Prof. Dr. Claus Staringer Wirtschaftsuniversität Wien/ Freshfields, Wien

Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, I. Senat, München

Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank, Herr Staringer, für Ihren interessanten Vortrag. Da war eine Menge drin, und Sie haben in der Tat Recht, bei uns war auf der einen Seite diese Frage, MLI-Relevanz, um das Thema auf die Agenda zu setzen, auf der anderen Seite natürlich die zunehmenden neuen technischen Möglichkeiten des mobilen Arbeitens. Ich würde aber mit einem anderen Aspekt beginnen wollen. Frau Schulz, Sie haben in Ihren Ausführungen ja bereits mehrfach darauf hingewiesen, welche Sorgfalt Sie Compliance-Überlegungen widmen und daher meine Frage: Ist das eigentlich verhältnismäßig, wenn Sie auf der einen Seite sehen, dass Sie ungeheuer großen Compliance-Aufwand haben, sich bemühen, entsprechende Dinge umzusetzen – und dann versagt man Ihnen praktisch den Schutz des Doppelbesteuerungsabkommens? Also das ist ja praktisch die schärfste Sanktion, die überhaupt denkbar ist.

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Schulz Ja, dafür habe ich natürlich kein Verständnis, und am Ende des Tages muss man ja sagen, Beiersdorf erwirtschaftet seine Ergebnisse nicht mit Compliance-Einhaltung und steuerlicher Beratung intern, das darf man an der Stelle auch nicht vergessen. Die Internationalisierung des Geschäftes, die Digitalisierung -da kommen wir später noch mal drauf, deswegen finde ich den roten Faden durch die Agenda auch sehr gut – die greift sehr ineinander. Wenn wir jetzt eben davon abgehen – und das macht Pillar One – einen anderen Nexus zu schaffen, also an Marktstaaten und dann auch an Umsatz anknüpfen, stellt sich mir schon die Frage, ob das nicht vielleicht sogar die richtige Richtung ist, obwohl ich noch genug Punkte habe, die vielleicht aus meiner Sicht nicht ganz optimal abgebildet sind. Aber die Frage ist: Ist das, was wir da machen, auch zukunftsfähig? Also: Bildet das wirklich die Unternehmenswirklichkeit ab, die sich hier in der Regelung, in dem Umgang und dann aber auch mit dem Versagen des DBA-Zugangs an der Stelle ergibt? Das ist für Unternehmen schon sehr, sehr schwierig. Nichtsdestotrotz haben wir meines Erachtens alles dafür getan, dass wir das Einhalten und unter den gegebenen Umständen – das hatte ich eingangs ja auch schon einmal erwähnt, Covid 19 ist natürlich so eine Thematik – mit einem ganz anderen Blick auf Einhaltung Dokumentation usw. sehen. Prof. Dr. Kaminski Können Sie das den Mitarbeitern vermitteln, dass man denen sagt – ich sag das mal ganz bildhaft: Ihr müsst jetzt umziehen, nur, weil ihr Geschäftsführer einer ausländischen Tochter seid? Ich meine, das wird bei Ihnen im Zweifelsfalle zu sehr hohen Kosten führen, wenn die entstehenden Belastungen für die Mitarbeiter ausgeglichen werden. Umzugskosten und was da alles dranhängt. Das ist ja auch ein wirtschaftliches Thema, nicht nur ein steuerliches. Schulz Definitiv. Am Ende des Tages ist das eine Frage des gesamten BusinessCases, die man da mit einbeziehen muss. Also die Thematik überhaupt virtuell zu arbeiten, Personen umziehen zu lassen an entsprechende Orte ist was, das nicht nur Beiersdorf umtreibt, sondern auch andere Unternehmen – ich bin dazu auch mit den anderen großen deutschen Unternehmen im guten Austausch. Da ergeben sich, wie gesagt, noch mal

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mit einem starken Push durch die Krise natürlich erhebliche Fragen, erhebliche Thematiken, die jetzt auch aufzunehmen sind, und auch die Thematik virtuelles Arbeiten, Zugang zum Arbeitsmarkt, spielt da eine ganz große Rolle. Und ganz konkret: Leute zu finden, die in den entsprechenden Staaten dann die Aufgaben übernehmen, ist eine Herausforderung. Sei es in der Geschäftsleitung, aber auch in anderen Funktionen. Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum, wir haben gehört, dass es Staaten gibt, die Regelungen geschaffen haben, die zumindest versucht haben, zu helfen. Wird es so etwas aus dem BMF auch geben? Kreienbaum Herr Kaminski, Ihre Frage verstehe ich als eine rhetorische Frage, denn es ist ja unsere Haupttätigkeit, Steuerpflichtigen in entsprechenden Fragen auch zu helfen. Zur Frage des Ortes der Geschäftsleitung als maßgebliches Kriterium zur Festlegung der Ansässigkeit und auch zur Frage, ob wir dem 2017er Modell des OECD-Musterabkommens folgen, nach dem nur auf Basis der Verständigung der Steuerverwaltungen eine Ansässigkeit bestimmt werden kann – das ist durchaus eine Frage, die uns beschäftigt. Sie werden in dem Vortrag von Herrn Staringer gesehen haben, dass wir im DBA Kanada den Artikel 4 Absatz 3 des 2017er Musters aufgenommen haben, während wir die entsprechende Regelung nicht in das multilaterale Instrument aufgenommen haben. Das hat damit zu tun, dass wir gewisse rechtstaatliche Vorbehalte nicht völlig ausschließen können. Das hört sich vielleicht erst einmal erstaunlich an, weil das DBA Kanada so verhandelt und auch durch eine Ressortabstimmung gegangen ist. Aber letztendlich bedeutet diese Regelung, dass die Frage der Abkommensberechtigung in die Hände der Verwaltung gelegt wird. Und das ist schon ein Punkt, den man sehr ernst nehmen muss. Der zweite Punkt, warum wir dem Konzept des Artikels 4 Abs. 3 aus dem 2017er OECD-Musterabkommen eher kritisch gegenüber stehen, ist, dass der Verwaltung, aber auch den weiteren Beteiligten, damit die Bürde auferlegt wird, möglicherweise in einer Vielzahl der Fälle zur Bestimmung der Ansässigkeit ein Streitbeilegungsverfahren führen zu müssen. Wir haben ja bereits über das Fallaufkommen mit Blick auf Verständigungsfälle gesprochen. Insoweit spricht auch dieser verwaltungs-

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ökonomische Grund eher dagegen, dem Art. 4 Abs. 3 des 2017er OECDMuster zu folgen. Wir befinden uns derzeit noch in der weiteren Abstimmung der Aktualisierung der deutschen Verhandlungsgrundlage. Ich gehe davon aus, dass wir auch in Zukunft an den Ort der Geschäftsleitung anknüpfen und diesen anhand bestimmter Kriterien feststellen werden. In den Fällen, in denen dieser Weg zu keinem unstreitigen Ergebnis führt, steht als letzte Möglichkeit ein Verständigungsverfahren zur Verfügung. Losgelöst von dieser Verfahrensfrage kann man sich fragen, ob das Konzept „Ort der Geschäftsleitung“ und die damit verbundene Verfahrensfrage der objektiven Feststellbarkeit des Ortes der Geschäftsleitung vor dem Hintergrund voranschreitender Globalisierung und Digitalisierung auf Dauer eine Zukunft hat. Denn möglicherweise sind diese Kriterien künftig weniger geeignet, um die Ansässigkeit zu bestimmen. Das bestehende Konzept setzt einen Ort voraus, an dem die Geschäftsleitung sich gewöhnlich zusammenfindet und Entscheidungen trifft und – vielleicht wird es einen solchen physischen Ort in Zukunft gar nicht mehr geben. Möglicherweise werden die maßgeblichen Entscheidungen im Unternehmen so fragmentiert getroffen, dass sie nicht mehr einem einzelnen Staat zugeordnet werden können. dann stehen wir vor neuen Herausforderungen. Prof. Dr. Kaminski Ich darf vielleicht einmal zwei Fallgruppen separieren: Das eine sind die sog. Limited-Fälle, die m.E. eine Sondersituation bilden und die Bundesrepublik Deutschland hat mit der UG haftungsbeschränkt ja auch versucht, diese Fälle zu begrenzen. Ich meine gelesen zu haben, dass es heute noch rd. 1.500 von diesen Gesellschaften gibt. Also eine deutlich geringere Zahl. Und das zweite die verunglückten Fälle, von denen wir eben gesprochen haben. Die gibt es in der Tat, und ich glaube, das sind die Fälle, in denen wir uns einig sind, die sind nicht irgendwie steuerinduziert geschaffen worden, sondern sie sind passiert, weil etwas schiefgelaufen ist. Gibt es darüber hinaus aus Ihrer Wahrnehmung Fälle, wo man sagt, das wird systematisch für Steuergestaltungen genutzt? Kreienbaum Systematisch für Steuergestaltungen genutzt – ich weiß nicht, ob derart pauschal eine Wertung getroffen werden kann. Was aber festgehalten wer-

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den kann ist, dass ein Potential für die Steuergestaltung vorhanden ist. Das klang auch im Vortrag an, und allein schon das Potential für Steuergestaltungen ist häufig Grund genug für den Gesetzgeber, sich entsprechende Themen genauer anzusehen. Prof. Dr. Kaminski Herr Wacker, ich habe eine Frage an Sie. Ein Thema, was mich so ein bisschen umtreibt in Sachen Rechtsstaatlichkeit. Wir wissen alle, der Ort der Geschäftsleitung begründet eine Betriebsstätte. § 12 Satz 2 Nr. 1 AO sagt das eindeutig. Wir haben eine gesetzliche Pflicht zur Anzeige von Betriebsstätten beim Finanzamt (§ 138 Abs. 2 AO). Und wir haben eine Regelung (§ 379 Abs. 1 AO), die sagt, dass das als Steuergefährdung gilt, die nach Abs. 7 der Norm mit bis zu 25.000 Euro sanktioniert wird. Wenn wir jetzt hören, dass Covid 19 systematisch dazu führt, dass wir Fälle haben, wo Betriebsstätten entstehen, die offensichtlich keiner so wirklich ernst nimmt – ich darf hier mal das Wort zitieren: „Gnade vor Recht“ – Haben wir damit rechtsstaatlich ein Problem? Wäre es vor diesem Hintergrund aus Ihrer Sicht nicht geboten, da irgendetwas zu tun? Ich meine, das ist ja möglicherweise auch ein strafrechtliches Thema für die Betroffenen. Ich habe vorhin das Verbandsstrafrecht angesprochen, das ja ggf. einschlägig sein könnte. Prof. Dr. Wacker Das ist eine Frage, die eigentlich zunächst einmal an Herrn Kreienbaum zu richten ist. Also, wie geht man mit der aktuellen Rechtslage um? Das eine ist die Auslegung der Norm, also Anforderungen an das Vorliegen einer Betriebsstätte, und das zweite ist die Frage: Gewährt man Billigkeit? Da ist sicherlich die Judikative im Hintergrund. Prof. Dr. Kaminski Herr Wacker, ich habe noch einmal eine Frage zu dem, was Sie als erstes ausgeführt haben. Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es zum Beispiel in dem Protokoll zum DBA mit den USA, eine Klausel, wo gesagt wird: Wenn die Vertragsparteien, also wenn eine doppelte Ansässigkeit einer Kapitalgesellschaft besteht und die Finanzverwaltungen sich nicht einigen, dann würde der Schutz des Abkommens versagt werden. Würden Sie die rechtsstaatlichen Bedenken auch auf diesen Fall übertragen wollen?

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Prof. Dr. Wacker Können Sie bitte die Frage wiederholen? Prof. Dr. Kaminski Es gibt eine Klausel, wo gesagt wird: Wenn es eine doppelt ansässige Gesellschaft gibt und die Regelung des Artikel 4 Abs. 3 führt nicht zu einer Beseitigung der doppelten Ansässigkeit, dann wird gesagt, die Finanzverwaltungen müssen sich ins Benehmen setzen und wenn die sich nicht einigen über die Frage, in welchem Land diese Gesellschaft als ansässig gilt, dann wird der gesamte Schutz des DBA versagt. Und deswegen meine Frage, ob Sie die rechtsstaatlichen Bedenken, die Sie gegen den Artikel 4 Abs. 3 – ich nenne ihn mal so: neuer Fassung – geäußert haben, auch für diesen entsprechenden Fall übertragen würden. Prof. Dr. Wacker Ihre Schilderung betrifft die normative Prüfungsstufe 1. D.h.: die Ansässigkeit ist nach Artikel 4 Abs. 3 zu bestimmen. Hier wird sich m.E. das Problem mit der Folge lösen, dass Stufe 2 eine theoretische bleiben wird. Prof. Dr. Kaminski Naja, wenn diese Regelung getroffen und gesagt wurde, wir versagen den Abkommensschutz, wenn wir uns nicht einigen können – es gibt, wenn ich das richtig sehe, mehrere DBA, die entsprechend teilweise übrigens auch nur in den Protokollen eine solche Regelung enthalten – wird es ja einen Grund geben, warum man das gesagt hat. Und Sie sehen, ich habe das gleiche Problem, dass es in das Ermessen der Finanzverwaltung gestellt wird, ob es zu einer solchen Einigung kommt oder nicht. Prof. Dr. Wacker Ja, aber halt erst … So, wie Sie es geschildert haben, gehe ich von einer Klärung auf der normativen Stufe aus. Prof. Dr. Kaminski Ich frage deshalb, weil natürlich der Steuerpflichtige nicht Verfahrensbeteiligter bei diesen Konsultationen ist. Also es einigen sich die Verwaltungen ohne Beteiligung des Steuerpflichtigen.

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Podiumsdiskussion: Besteuerung doppelt ansässiger Gesellschaften

Aber ich würde gern auf diese andere Frage mit der Anzeigepflicht für die Betriebsstätte nochmal zurückkommen. Herr Kreienbaum, sehen Sie das nicht als Problem? Denn ich meine, man muss das mal deutlich sagen, das ist ja auch für die Betriebsprüfungspraxis ein Problem. Denn eigentlich müssen Sie sagen, wenn jetzt jemand als Finanzbeamter da sitzt und sieht, es gab eine solche Geschäftsleitungsbetriebsstätte – ich nenne sie jetzt mal so –, die ist nicht angezeigt worden, dann müsste er sagen: Ich müsste ja eigentlich dagegen vorgehen. Kreienbaum Herr Kaminski, ich würde doch gern noch etwas zum DBA USA sagen und zu der Protokollziffer, die Sie erwähnten. Die Situation dort ist überhaupt nicht vergleichbar mit Artikel 4 Abs. 3 des 2017er Musters, und zwar aus den von Herrn Wacker genannten Gründen. Denn der Spielraum der Verwaltung, hier tätig zu werden, ist ein ganz anderer. Er ist reduziert auf das Fehlen der Voraussetzungen, die auf der ersten Prüfungsebene zu prüfen wären. Das schließt nicht von vornherein aus, dass auch dann noch rechtsstaatliche Bedenken bestehen könnten, weil am Ende möglicherweise doch noch ein Bereich verbleibt, in dem die Steuerverwaltungen sich zusammensetzen und über die Frage der Ansässigkeit und damit über die Frage der Abkommensberechtigung entscheiden würden. Aber dieser Bereich ist so reduziert, dass man durchaus vertreten kann, dass der Gesetzgeber vor Augen gehabt hat, dass Abkommensschutz regelmäßig gewährt werden sollte, es sei denn, die Finanzverwaltungen kommen aus besonderen Gründen zu einem anderen Ergebnis. Prof. Dr. Kaminski Vielleicht kommen wir zu dem Ergebnis, dass dann zumindest die Ermessensgründe gerichtlich überprüft werden müssen. Vielleicht könnte darin eine Lösung liegen. Okay. Ich habe hier eine Frage aus dem Chat bekommen, eine Frage, die sich an Herrn Staringer zur Drittwirkung der Tie Breaker Rule richtet. Ich darf das mal vorlesen: „Sie sagten, die Thematik der Drittwirkung sei umstritten. Könnten Sie bitte kurz Ihre Meinung darstellen? Kann ein bilaterales DBA dies erreichen, ohne gegen das Wiener Übereinkommen (Recht der Verträge) zu verstoßen, oder handelt es sich gegebenenfalls um ein faktisches Erfordernis?“

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Podiumsdiskussion: Besteuerung doppelt ansässiger Gesellschaften

Herr Staringer, mögen Sie sich dazu äußern? Ich weiß nicht, ob Sie die Frage auch weitergeleitet bekommen haben. Die Frage der Drittwirkung von bilateralen Verträgen ist ja sowieso ein ganz spannendes Thema, hier die Frage, inwieweit die Regelungen zur Bestimmung der Ansässigkeit dann auch Wirkung für Drittstaateneinkünfte haben. Prof. Dr. Kaminski Vielleicht kommen wir zu dem Ergebnis, dass dann zumindest die Ermessensgründe gerichtlich überprüft werden müssen. Vielleicht könnte darin eine Lösung liegen. Okay. Ich habe hier eine Frage aus dem Chat bekommen, eine Frage, die sich an Herrn Staringer zur Drittwirkung der Tie Breaker Rule richtet. Ich darf das mal vorlesen: „Sie sagten, die Thematik der Drittwirkung sei umstritten. Könnten Sie bitte kurz Ihre Meinung darstellen? Kann ein bilaterales DBA dies erreichen, ohne gegen das Wiener Übereinkommen (Recht der Verträge) zu verstoßen, oder handelt es sich gegebenenfalls um ein faktisches Erfordernis?“ Herr Staringer, mögen Sie sich dazu äußern? Ich weiß nicht, ob Sie die Frage auch weitergeleitet bekommen haben. Die Frage der Drittwirkung von bilateralen Verträgen ist ja sowieso ein ganz spannendes Thema, hier die Frage, inwieweit die Regelungen zur Bestimmung der Ansässigkeit dann auch Wirkung für Drittstaateneinkünfte haben. Prof. Dr. Staringer Ja, vielen Dank. Einfache Antwort: Ich glaube nicht daran. Damit bin ich auch im Schrifttum on Record. Mit so einer Drittwirkung eines bilateralen Abkommens muss man vorsichtig sein, und es ist am Ende, glaube ich, die Argumentation des Musterkommentars auch schwach an dieser Stelle. Nichtsdestotrotz muss man jetzt ehrlich sein: Auch der Kommentar des Musterabkommens ist eine relevante Quelle für die Abkommensauslegung, also man kann das jetzt für Abkommen, jedenfalls für spätere, nicht so einfach ignorieren, aber am Ende wäre ich da skeptisch, tatsächlich solche Trickwirkung anzunehmen. Da spricht auch die Historie dieser Bestimmung dagegen. Das möchte ich jetzt gar nicht weiter vertiefen, aber da muss man insgesamt vorsichtig sein. Wenn ich vielleicht die Gelegenheit nutzen darf: Was mir für das ganze Thema doch noch wichtig erscheint ist, den richtigen Zungenschlag zu finden. Was immer wieder so im Raum steht: Ist das Thema doppelte An-

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sässigkeit tatsächlich real? Ist das eine reale Gefahr, wenn ich das so nennen will? Ich glaube, die Antwort ist ganz einfach: Natürlich gibt es diese Fälle, und sie sind gelegentlich auch nicht ganz unspektakulär. Zum Beispiel sind die beiden Gesellschaften, die im anhängigen Beihilfefall Irland-Apple vor dem EuGH in Rede sind, doppelansässige Gesellschaften. Also das gibt’s. Ich glaube, da gibt es erhebliche Unterschiede, je nachdem, aus welchem Rechtskreis diese Gesellschaften kommen und aus welcher Rechtskultur. Es ist jetzt kein typisch deutschsprachiges Thema, wenn ich das so sagen darf, aber so in der weiten Welt gibt’s alles. Viel wichtiger erscheint mir aber genau das Gegenteil zu sein. In aller Regel bereitet Doppelansässigkeit mehr Kopfzerbrechen als Gestaltungsfreude. Also für einen normalen Konzern ist es ja viel stärker eine Bedrohung. Man ist viel stärker damit beschäftigt sicherzustellen, dass keine ungewollte Geschäftsleitung im Ausland besteht. Und das sind ganz unschuldige Themen. Denken Sie an einen Konzern, der viele Kapitalgesellschaften in aller Herren Länder hat, wo aus dem Konzernhauptquartier Personal in Geschäftsführungsfunktionen (akustisch schwer zu verstehen!!!) sind. Mehrfachgeschäftsführungsrollen zum Beispiel. Das ist eine sehr, sehr häufige Konstellation. Wenn das dann ständig zu Fragen der Ansässigkeitsverschiebung führt, dann kann das ausgesprochen mühselig sein. Und wollen tut’s eigentlich niemand. Was wirklich helfen würde an der Stelle, und ich glaube, da sind sich in Wahrheit alle einig, nur die Antworten sind verschieden: Mehr Klarheit, was denn der Ort der tatsächlichen Oberleitung ist. Place of Effective Management. Denn letztlich ist ja das Musterabkommen 2017 auch nur eine radikale Antwort auf diese Frage, auf diese Unsicherheit. Man konnte sich nicht einigen darüber, was wirklich im Detail Kriterien sind, daher versagt man den Abkommensschutz zur Gänze. Da geht’s um ganz banale Dinge, möchte man meinen. Etwa um die Frage: Was oder wer sind denn die relevanten Personen, auf die ich blicke? Sind’s die Geschäftsführer, die formal bestellt sind? Sind’s faktische Geschäftsführer? Ist es der ins Alltagsgeschäft hineinregierende Gesellschafter? Solche Themen verdienen einfach Klarheit. Die Ortsbestimmung, das ist das Thema in der gegenwärtigen Pandemie, das viele Dinge auch sichtbar werden lässt. Worauf kommt’s bei der Ortsbestimmung denn wirklich an? Muss ich wirklich jetzt physisch irgendwo hinfliegen? Muss ich das jedes Mal machen? Wie häufig? Das, glaube ich, bräuchte mehr Klarheit. Auf welche Tätigkeiten kommt’s eigentlich an? Geht’s um die grundlegenden strategischen Entscheidungen,

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die vielleicht quartalsweise in einer Geschäftsführungssitzung abgearbeitet werden? Oder geht’s um das Tagesgeschäft im Alltagsbetrieb? Oder eine Schnittstelle dazu? Das sind die Themen, die Unsicherheit erzeugen. Und der echte Fortschritt würde erreicht werden, wenn man dort Klarheit hinbekommt. Lange Rede kurzer Sinn: Ich hab’s eigentlich immer schade gefunden, dass das Projekt der OECD 2008, das genau ein solches Refinement des Problems versucht hatte, gescheitert ist. Ergebnis ist halt der Rundumschlag des Musterabkommens 2017, der aus meiner Sicht nicht in die richtige Richtung geht. Prof. Dr. Kaminski Ja, vielen Dank, Herr Staringer. Das war zugleich ein gutes Schlusswort. Ein Appell an die OECD – ich gucke noch mal in die Richtung von Herrn Kreienbaum –, da nochmal zu überlegen, ob dort vielleicht noch Regelungen notwendig sind, und auch zu überlegen, inwieweit angesichts der derzeitigen Lage Besonderheiten greifen. Ich darf Ihnen, Herr Staringer, noch einmal sehr herzlich für Ihren Vortrag danken, den ich auch sehr instruktiv finde und wir kommen damit zum nächsten Thema, der Verrechnungspreisgestaltung unter den Bedingungen der Covid-19-Pandemie. Ich darf Sie herzlich begrüßen, Herrn Michael Dworaczek. Herr Dworaczek ist Partner bei Ernst & Young, und er leitet bei Ernst & Young auch eine Verrechnungspreisgruppe, die sich speziell mit der Frage beschäftigt hat, inwieweit vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen eine Anpassung zu erfolgen hat. Und Sie werden gleich sehen, das ist ein, aus meiner Sicht zumindest, hochspannendes Thema, weil wir ja erlebt haben, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Pandemie hat und wenn wir entsprechend diesen alten Grundsatz, den wir ja auch gerne bei unserem Masterstudiengang immer praktizieren, Tax Follows Business, vor Augen haben, dann heißt es natürlich, dass entsprechend auch die Verrechnungspreise da Implikationen haben. Ich darf nur darauf hinweisen, das Rednerpult ist vorsorglich desinfiziert worden, also coronamäßig ist alles in Ordnung. Herr Dworaczek, Sie haben das Wort, bitte schön!

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Verrechnungspreisgestaltung unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie Michael Dworaczek Partner EY

A. Hintergrund: Krisenbedingte Einflüsse auf Ergebnisse wirken sich auf Preise aus . . . . . 131 B. Grundlegende Überlegungen zu Anpassungen von Leistungsverrechnungen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Unter welchen Umständen passen Dritte Preise an? . . . . 134 II. Welche Bedeutung haben Verträge? . . . . . . . . . . . . . . . . 137

C. Anpassungen im Zusammenhang mit verschiedenen Arten von Leistungsverrechnungen 139 I. Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Dienstleistungen . . . . . . . . . 141 III. Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 142 IV. Finanztransaktionen. . . . . . . 143 V. Entsendungen . . . . . . . . . . . . 144 D. Einfluss auf Advance Pricing Agreements . . . . . . . . . . . . . . 146 E. Zusammenfassung . . . . . . . . 148

A. Hintergrund: Krisenbedingte Einflüsse auf Ergebnisse wirken sich auf Preise aus Die Coronavirus-Pandemie hält an. Und ein jeder Einzelne spürt ihre Auswirkungen, der eine mehr, der andere weniger. Die erheblichen Einschränkungen des täglichen Lebens, sowohl im privaten als auch im unternehmerischen Bereich, fordern Ihren Tribut. Dies ist nicht nur regelrecht zu spüren, sondern lässt sich mittlerweile auch statistisch belegen.

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Dworaczek – VP-Gestaltung unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie ifo Geschäftsklima, Geschäftslage und -erwartungen nach Wirtschaftsbereichen Salden, saisonbereinigt ifo Geschäftsklima

Beurteilung der Geschäftslage

Geschäftserwartungen

Verarbeitendes Gewerbe 60

Dienstleistungssektor 60

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20

0

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Bauhauptgewerbe 60

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Quelle: ifo Konjunkturumfragen, Oktober 2020.

2016

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2018

2019

2020

2018

2019

2020

© ifo Institut

So hat die Coronavirus-Pandemie zu einem starken Einbruch des Bruttoinlandsprodukts geführt. Dieses ist im vergangenen Jahr 2020 um 5,0 % gesunken. Die deutsche Volkswirtschaft findet sich mittlerweile in einer schweren Rezession wieder, vergleichbar mit der Finanzkrise 2008/2009. Nach einer Erholung der Wirtschaftsleistung im dritten Quartal 2020, war Stand Dezember 2020 als Folge des Teil-Lockdowns im November und der anschließenden Verschärfung und Verlängerung von einer Stagnation im Schlussquartal auszugehen. Während die Auftragseingänge im Verarbeiteten Gewerbe und der Industrieproduktion nach dem Einbruch im April 2020 gegen Ende des Jahres wieder vermehrt ein Ansteigen zu verzeichnen haben, ist der Dienstleistungssektor von den Einschränkungen immer noch stark betroffen. Im Einzelhandel ist ein geringer Anstieg zu erkennen.1 1 BMWi – Konjunktur und Wachstum (abrufbar unter: https://www.bmwi.de/Re daktion/DE/Dossier/konjunktur-und-wachstum.html#:~:text=Im%20drit

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Dworaczek – VP-Gestaltung unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie

Experten prognostizierten noch im Sommer 2020, dass die Wirtschaft 2 Jahre brauchen würde, bis sie sich gänzlich wieder erholt hat.2 Diese Prognose könnte aufgrund des Anhaltens der Pandemie und insbesondere des zweiten (Teil-)Lockdowns ab Herbst 2020 überholt sein. Preisentwicklung im Überblick 2015 = 100 110

Finanzmarktkrise

100

90

2008

2010

2012

2014

Importpreise Exportpreise Erzeugerpreise gewerblicher Produkte ©

2016

2018

2020

80

Großhandelsverkaufspreise Verbraucherpreise

Statistisches Bundesamt (Destatis), 2021

Der Einbruch der Wirtschaft spiegelt sich teilweise auch in den Preisen wider. Die Änderungen der Preise sind jedoch differenziert zu betrachten. Während die Verbraucherpreise im Durchschnitt recht stabil blieben, sind bspw. die Großhandelsverkaufspreise und die Importpreise deutlich gesunken. Die in diesem Beitrag zu behandelnden Verrechnungspreise bewegen sich nicht im Bereich der Verbraucherpreise, sondern der vorgelagerten Handelsstufen. Dort ist im Durchschnitt ein Preisrückgang zu verzeichnen. Dies muss sich entsprechend des Fremdvergleichsgrundsatzes auch auf die Verrechnungspreise auswirken. Dieser senkende Effekt auf die Preise ist nicht unbekannt und neu. Auch während der Finanzkrise 2008/2009 sind die Preise deutlich eingebrochen. Gewisse Herausforderungen und Handlungsoptionen für die Verrechnungspreisgestaltung dürften also bekannt sein. Allerdings ist die Finanzkrise 2008/2009 dem Grunde nach nicht mit der Coronavirus-Pandemie vergleichbar. Desten%20Quartal%20konnte%20die,2019 %20vor%20Ausbruch%20der%20Pan demie.&text=Als%20Folge%20des%20erneuten%20Lockdowns,Stagnation%20 des%20Bruttoinlandsprodukts%20gekommen%20sein.). 2 Corona-Folgen: Historischer Einbruch der Wirtschaft in Deutschland (faz.net) (abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/konjunktur/corona-fol gen-historischer-einbruch-der-wirtschaft-in-deutschland-16882387.html).

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Dworaczek – VP-Gestaltung unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie

halb können aus der Finanzkrise 2008/2009 keine Vergleichswerte im engeren Sinne für die Verrechnungspreise abgeleitet werden. Allerdings können dem Grunde nach die Erfahrungen, hinsichtlich der damaligen Handlungen und des Krisenmanagements der Unternehmen eines solchen Preisschocks herangezogen werden. Darüber hinaus sind in Anbetracht der nachfolgenden Überlegungen die einzelnen Branchen zu differenzieren. Die Coronavirus-Pandemie hat nicht alle Branchen in demselben Ausmaß getroffen. So hat die Krise auch durchaus Gewinner zu verzeichnen, aber eben auch Verlierer. Die nachfolgenden Thesen des Beitrags legen ausschließlich die Annahme zugrunde, dass das Unternehmen wesentlich negativ von der Krise betroffen ist.

B. Grundlegende Überlegungen zu Anpassungen von Leistungsverrechnungen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz I. Unter welchen Umständen passen Dritte Preise an? Der durch die Coronavirus-Pandemie resultierende Preisrückgang auf den Märkten schlägt sich auch auf die konzerninternen Preise durch. Je nach Branche und Unternehmenssituation kann daher eine Anpassung der Verrechnungspreise sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach geboten sein. Unter Zugrundelegung des Fremdvergleichsgrundsatzes sollten sich Unternehmen stets fragen, wie ein fremder Dritter in einer vergleichbaren Situation sich den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie stellen würde (sog. Fremdvergleichsgrundsatz).3 Ein Mittel für Unternehmen, Ergebniskrisen zu begegnen, sind Kostenanpassungen. Allerdings sind Kosten nicht allein Verrechnungspreise. Inwiefern Verrechnungspreise krisenbedingt angepasst werden, ist eine Frage der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten sowie auch der realistischen Handlungsalternativen eines jeden Unternehmens. Entsprechend des Fremdvergleichsgrundsatzes muss diese Frage im Einzelfall beurteilt werden; unternehmerische Handlungsspielräume bestehen und sollten steuerlich anerkannt werden.

3 Auch die OECD fokussier sich in ihrem am 18.12.2020 veröffentlichten Leitfaden „Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic“ auf die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie.

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Dworaczek – VP-Gestaltung unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie

Für eine effiziente Kostenanpassung sollten zunächst die unterschiedlichen Kostenarten differenziert werden. Denn je nach Kostenart kann eine Anpassung als Sofortmaßnahme erfolgen oder komplexere Unternehmensentscheidungen fordern. Grundsätzlich ist zwischen Fixkosten (sog. Strukturkosten) und variablen Kosten (z.B. Material, Verpackung, Frachtgebühren etc.) zu unterscheiden. Unternehmen werden als krisenbedingte Sofortmaßnahme wohl zunächst ihre variablen Kosten anpassen (z.B. Kurzarbeit). Die Anpassung erfolgt schnell und fordert keine komplexen Unternehmensentscheidungen. Im Rahmen der Anpassung variabler Kosten sollten Unternehmen eine Anpassung ihrer Verrechnungspreise in Betracht ziehen. Denn Verrechnungspreise sind variable Kosten. Dagegen ist eine Anpassung der Fixkosten für die Unternehmen wesentlich zeitaufwändiger und komplexer. Denn Fixkosten sind „träge“ in der Möglichkeit, diese zu reduzieren. Eine Anpassung dieser Kosten fordert von den Unternehmen, Entscheidungen unter Unsicherheit bezüglich der weiteren Geschäftsentwicklung treffen zu müssen. Damit ist die Kostenanpassung stets eine Unternehmensentscheidung hinsichtlich der Frage, ob und inwiefern das Unternehmen bereit ist, Verluste hinzunehmen oder dies unter Umständen tun zu müssen. Eine Ausnahme hiervon besteht ggf., sofern der Prinzipal (Strategieträger) dem Routineunternehmen die Kostenstrukturen vorgibt. Verrechnungspreise stehen somit dem Grunde nach als eine potenziell zu adjustierende Erfolgseinflussgröße bereit. Der Höhe nach ist die Verrechnungspreisanpassung keine pauschale Gewinnanpassung, sondern die Einflussnahme auf die Preise, soweit es die Geschäftsbeziehungen erlauben. Gegenstand der Betrachtung ist demnach die Preisgestaltung konzerninterner Transaktionen und nicht die Allokation von Gewinnen. Sofern Verrechnungspreise dem Grunde nach anzupassen sind, ist zu prüfen in welcher Höhe eine fremdübliche Anpassung des Preises erfolgen kann. Eine Preisanpassung ist aus Sicht des Verkäufers selbstredend zunächst einmal eine deckungsbeitragssenkende Maßnahme, die gut überlegt sein will. Sie ergibt sich nicht reflexartig und keinesfalls in ausuferndem Ausmaß. Vielmehr wird man die realistischen Handlungsoptionen schrittweise durchdenken. Falls denn überhaupt eine Preissenkung seitens des Lieferanten infrage kommt, könnte der Höhe nach eine Verrechnungspreissenkung prozen-

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tual i.H.d. der Senkung des Endabgabepreises zum Kunden hin in Betracht gezogen werden. Dies könnte opportun sein, sofern das Unternehmen ausschließlich unter einem Margendruck und nicht unter einer strukturellen Nachfrageschwäche leidet. Sofern die Kunden also weiterhin kaufen, aber zu geringeren Preisen, ist die reine Preissenkung eine Möglichkeit hinsichtlich der Anpassung des Verrechnungspreises der Höhe nach. Allerdings werden Unternehmen entsprechend des Drittvergleichs im Falle einer reinen Preissenkung die Preispolitik nach der Coronavirus-Pandemie bedenken. Denn eine ausufernde, unbeschränkte Preisreduzierung wäre in Anbetracht eines Wiederaufschwungs der Konjunktur nach der Krise nicht sinnvoll, denn aufgrund der damit verbundenen Preiserwartung würde die Marge nach der Krise massiv unter Druck geraten. Im Falle einer strukturellen Nachfrageschwäche – wenn also schon dem Grunde nach die Nachfrage nach dem Konzernprodukt nachlässt – könnte es vorkommen, dass eine einfache Rabattierung entsprechend des Endabgabepreisniveaus nicht ausreichend ist. In einem solchen Fall könnte eine grundlegende Anpassung des Verrechnungspreisniveaus erwogen werden. In dem Fall muss der Lieferant seinen Mindestpreis ermitteln, unterhalb dessen es für ihn nicht sinnvoll ist, die Produkte zu verkaufen. Eine Bewegung hin zu diesem Mindestpreis erfolgt sinnvollerweise nicht „auf einmal“, sondern, die Handlungsalternativen abwägend, schrittweise und zeitlich auf die Krisensituation begrenzt. Beispiel: Der Händler muss aufgrund der Coronavirus-Pandemie seine Kosten reduzieren, denn die Preise, zu denen er einkauft, sinken. Seine Absatzsituation hat sich erheblich verschlechtert. Daher ist er darauf bedacht, den Preis mit dem Hersteller (Strategieträger) zu reduzieren. Er wird aber selbstredend nicht bewirken können, den Preis uneingeschränkt gesenkt zu bekommen, da der Hersteller nicht bereit sein kann, jedem Preis zuzustimmen. Dieser wird seine wirtschaftliche Situation so gut wie angesichts der Handlungsalternative möglich wahren. Dabei gibt es eine individuelle Untergrenze. Der Hersteller wird nur soweit den Preis senken, wie die Wechselkosten bei Wegfall der Geschäftsbeziehung mit dem Händler über dem Verlust aus der etwaigen Preisreduzierung liegen. Überlegungen zur Ableitung Mindestpreis aus Sicht des Lieferanten könnten wie folgt sein: Ausgangspunkt zur Ableitung des Mindestpreises ist das Preisvolumen, mit dem der Händler ein Nullergebnis erzielen kann. Kostenineffizienzen gehen zu Lasten des Händlers. Anpassungen der Strukturkosten hat der Händler zu verantworten, es sei denn der Hersteller gibt eine Kostenstruktur vor. Ermessensspielräume be-

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Dworaczek – VP-Gestaltung unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie treffend (Struktur-)Kostenanpassungen bestehen und sollten steuerlich anerkannt werden. Die Preise können unter Umständen auch unter diesem genannten Niveau liegen, sofern der Hersteller bei Wegfall der Geschäftsgrundlage mit dem betrachteten Händler zusätzliche (Wechsel-)Nachteile erwarten würde. Die variablen Kosten des Lieferanten sollten in aller Regel die absolute Untergrenze darstellen. In Ausnahmefällen könnte sogar unter den variablen Kosten verkauft werden, aber nur, falls andernfalls, d.h. bei fehlendem Absatz sonstige, höhere Kosten anfallen würden (bspw. Lagerkosten bei Überkapazitäten).

II. Welche Bedeutung haben Verträge? Preise, Gewinnmargen oder Ergebnisse in einer bestimmten Bandbreite sind wesentlicher Teil der Vereinbarung zwischen den Transaktionspartnern. Eine Preisanpassung setzt dementsprechend eine vertragliche Anpassung voraus. Dies gilt im Kontext der Verrechnungspreise unter der Prämisse, dass ein fremder Dritter unter vergleichbaren Umständen eine Vertragsanpassung vornehmen würde. Ist dies der Fall, ist weiter zu untersuchen, ob der Vertrag als solcher eine Preisänderung zulässt. Ermöglicht der Vertrag keine Preisanpassung, ist zu prüfen, ob eine ordentliche vertragliche (Änderungs-)Kündigung vertraglich möglich ist. Ist auch dies nicht vorgesehen, ist zu untersuchen, ob die Coronavirus-Pandemie einen Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) bedeutet und damit eine Preisänderung herbeigeführt werden kann. Falls keine einseitige Preisanpassungsmöglichkeit besteht (wovon i.d.R. auszugehen ist), ist eine Preisanpassung unter der Anwendung des Prinzips des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu beurteilen. Fremde Dritte stehen sich demgemäß als unabhängige Geschäftspartner gegenüber, die jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen und den gegebenen Verhandlungsspielraum nutzen, um für ihr Unternehmen die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. Das Prinzip des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters simuliert im Ergebnis den zwischen nahestehenden Personen regelmäßig fehlenden Interessengegensatz.4 Sofern also beide Parteien gemäß dem Prinzip des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ein Interesse haben, den Preis anzupassen, kann eine Preisanpassung erfolgen. Ein Interesse besteht 4 Vgl. BMF v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003 BStBl. I, 774, Rz. 149.

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bei beiden Parteien jedoch nur, sofern beide vorteilhaft an der Preisanpassung partizipieren, z.B., um das Fortbestehen der Geschäftsbeziehung zu sichern. Sofern demgemäß die finanziellen Nachteile einer Preisänderung geringer sind als die Wechselkosten, die durch Wegfall der Geschäftsbeziehung entstehen, ist eine Preisänderung sinnvoll.5 Bestehen Verträge mit vordefinierten Margenbandbreiten, stellt die Verrechnungspreisanpassung im Hinblick auf die Bestimmung eines geänderten Margenniveaus eine Herausforderung dar, denn die (dem Vertrag zu Grunde gelegten) Fremdvergleichswerte (sog. comparables) entstammen Vorjahren und sind der Höhe nach nicht mit durch die Coronavirus-Pandemie betroffenen Jahren, insbesondere dem Geschäftsjahr 2020, vergleichbar. Informationen für dieses Geschäftsjahr werden typischerweise frühestens Ende des Jahres 2021 verfügbar sein, da kommerzielle Datenbanken öffentlich verfügbare Informationen aus Jahresabschlüssen verwenden und diese Jahresabschlüsse in der Regel erst mehrere Monate nach dem Zeitraum, auf den sie sich beziehen, eingereicht werden. Daher spricht sich die OECD grundsätzlich dafür aus, dass Steuerpflichtige unter diesen Umständen eine Vergleichbarkeitsanalyse auf der Grundlage der verfügbaren Finanzinformationen aus dem Vorjahr durchführen und abhängig von den Fakten und Umständen des Falles, alle verfügbaren Informationen aus dem laufenden Jahr nutzen.6 Wie bereits Eingangs ausgeführt, können Unternehmen zwar im Hinblick auf ihre Erfahrungswerte insbesondere hinsichtlich ihres Krisenmanagements auf die Finanzkrise 2008/2009 zurückgreifen. Dem Grunde nach sind jedoch diese Krisen nicht vergleichbar. Dementsprechend sind aus Datenbankstudien der Finanzkrise keine Vergleichswerte heranzuziehen.7 Mangels des Rückgriffs auf Datenbankstudien ist daher auch in diesen Fällen eine Anpassungsrechnung an den Mindestpreis erforderlich. Daher ist im Ergebnis festzuhalten, dass Steuerpflichtige ausreichend dokumentieren sollten, anhand welcher Kriterien und unter Zugrundelegung welcher Bedingungen die Preise zu Jahresbeginn festgelegt wurden. 5 So auch OECD „Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic“ v. 18.12.2020, 14, Rz. 43. 6 Vgl. OECD „Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic“ v. 18.12.2020, 7, Rz. 16. 7 So auch OECD „Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic“ v. 18.12.2020, 9, Rz. 25.

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Der Mangel an vergleichbaren Verhältnissen könnte zudem dazu führen, dass Routineunternehmen übergangsweise Verluste zugeordnet werden. In diesen Fällen sollten Ermessensspielräume zugunsten des Steuerpflichtigen steuerlich anerkannt werden. Zugleich könnte der Steuerpflichtige erwägen, den Verlust über einen überschaubaren Kalkulationszeitraum mittels einer Preisgestaltung zu kompensieren, z.B. Gewährung zukünftiger Rabatte für Geschäftspartner wegen Mittragung des Verlusts. Auch die OECD spricht sich für die Anerkennung eher weiter Ermessensspielräume zugunsten des Steuerpflichtigen aus und äußert sich zu der bislang ungeklärten Frage, ob Verlustunternehmen überhaupt in eine Datenbankanalyse einbezogen werden dürfen. Danach sollen Verlustunternehmen, die während und aufgrund der Coronavirus-Pandemie Verluste erwirtschaftet haben, grundsätzlich in einer Datenbankanalyse berücksichtigt werden können.8 Zudem sollen grundsätzlich auch Routineunternehmen Verluste vorweisen können. Allerdings nur, sofern sie auch in Nicht-Krisenzeiten grundsätzlich in Höhe ihres zu tragenden Risikos Verluste übernehmen.9 Wenn allerdings die von Dritten erlittenen Verluste ein Risikoniveau widerspiegeln, welches nicht mit dem vergleichbar ist, welches das Routineunternehmen normalerweise in Nicht-Krisenzeiten übernehmen würde, dann sollte ein solcher Vergleich von der Liste der Vergleichswerte ausgeschlossen werden.10

C. Anpassungen im Zusammenhang mit verschiedenen Arten von Leistungsverrechnungen I. Lieferungen Beispiel: Die GmbH (Strategieträger) liefert Waren an ihre Tochtergesellschaft ForCo. Hierfür zahlt die ForCo einen Verrechnungspreis i.H.v. 70 Euro. Der Absatzpreis im Markt beträgt 100 Euro. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie erzielt die ForCo Verluste und die Absatzpreise im Markt sinken um 20 %, auf 80 Euro.

8 Nicht geklärt ist die Frage, ob Unternehmen, die dauerhaft Verluste aufweisen, als Vergleichsunternehmen herangezogen werden dürfen. 9 Vgl. OECD „Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic“ v. 18.12.2020, 13, Rz. 38. 10 Vgl. OECD „Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic“ v. 18.12.2020, 13, Rz. 39.

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Der Verrechnungspreis ist dem Grunde nach an den Preis anzupassen, den ein fremder Dritter verlangen würde. Der Höhe nach, kann eine Verrechnungspreisanpassung entsprechend der Absatzpreisreduzierung erwogen werden, bspw. ebenfalls prozentual, also um 20 % oder absolut um 20 Euro. Einer prozentualen Preisanpassung ist die Annahme zugrunde zu legen, dass der Händler „nur“ unter einem Margendruck leidet. Die Kunden kaufen weiterhin, aber zu geringeren Preisen. Es herrscht keine strukturelle Nachfrageschwäche. Dennoch kann der Preis nicht unbegrenzt gesenkt werden, es sei denn, das Unternehmen ist bereit einen möglichen Wegfall der Geschäftsbeziehung zu riskieren und unter Umständen eine vergleichbare Geschäftsbeziehung einzugehen. Davon ist nicht auszugehen. Bei einer strukturellen Nachfrageschwäche wäre eine Anpassung über eine einfache Rabattierung des Preises hinaus zu erwägen. Demgemäß wäre eine grundlegende Veränderung des Verrechnungspreisniveaus in Betracht zu ziehen. D.h. der Lieferant könnte Überlegungen in Richtung seines Mindestpreises, wie oben erläutert, anstellen. Vorbehaltlich der vertraglichen Situation ist eine Preisanpassung bei beiderseitigem Interesse, unter Anwendung des Prinzips des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters möglich. Ein beiderseitiges Interesse besteht, wenn beide Parteien vorteilhaft an der Vertragsanpassung partizipieren. Hierbei werden die Parteien abwägen, ob die Wechselkosten wegen der Auflösung der langjährigen Geschäftsbeziehung und die Unsicherheit in Zeiten der Coronavirus-Pandemie gegenüber dem Verlust aus der Preisänderung überwiegen. Sofern die Wechselkosten höher sind, als der Nachteil aus dem Preisniveau, ist eine Anpassung für beide Seiten vorteilhaft.

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II. Dienstleistungen Werden zentrale verrechenbare Leistungen des Strategieträgers (z.B. IT, Treasury, Controlling, Rechnungswesen, strategisches Marketing, Legal oder Tax) auch durch Konzerngesellschaften in eigenem betrieblichem Interesse genutzt, müssen im Gegenzug die Konzerngesellschaften für die Inanspruchnahme der Leistung einen fremdüblichen Preis zahlen. In Zeiten der Coronavirus-Pandemie steht im Falle der negativen Betroffenheit des Leistungsempfängers zur Diskussion, ob bzw. inwiefern die Verrechnung unter das außerhalb der Krise übliche Niveau gesenkt werden kann. Sofern die Dienstleistung, die an die Konzerngesellschaft verrechnet wird, zugleich das Kerngeschäft des Leistungserbringers- und Leistungsempfängers darstellt, ist eine Verrechnungspreissenkung bis hin zum Mindestpreis des Leistungserbringers möglich (siehe Ausführungen unter B). Anders verhält es sich bei der Verrechnung von Unterstützungsleistungen, die nicht zum Kerngeschäft des Strategieträgers gehören. Beispiel: Die ForCo erbringt Unterstützungsleistungen (Controlling oder Buchhaltung) an die GmbH. Die GmbH erleidet corona-bedingt starke Umsatzeinbrüche und erzielt Verluste.

Mangels Bezug zum Kerngeschäft und dessen Unternehmensgewinn des Leistungsempfängers sind die Preise stabil. Ein Umsatzeinbruch des Kerngeschäfts wirkt sich daher nicht auf die Preise der Unterstützungsleistungen aus. Daher scheint eine strukturelle Preisanpassung eher unangebracht.

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Angesichts eines in der Krise erforderlichen Krisenmanagements könnte die Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft temporäre Covid-19 Rabatte gewähren oder aber das Zahlungsziel verlängern.

III. Lizenzen Erleidet der Lizenznehmer aufgrund der Coronavirus-Pandemie Verluste, ist zu prüfen, ob eine Senkung der Lizenzzahlung an den Lizenzgeber unter Fremdvergleichsaspekten gerechtfertigt wäre. Beispiel: Die GmbH (Lizenzgeber) überlässt immaterielle Wirtschaftsgüter („IP“) an die ForCo (Lizenznehmer) und erhält hierfür eine erfolgsabhängige Lizenzzahlung i.H.v. 5 % des Umsatzes der ForCo. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie verzeichnet die ForCo starke Umsatzrückgänge und erzielt Verluste.

Im Falle einer vereinbarten erfolgsabhängigen Vergütung partizipiert der Lizenzgeber unmittelbar an einem corona-bedingten Umsatzrückgang des Lizenznehmers. Die Lizenzeinnahmen des Lizenzgebers sinken proportional entsprechend. Eine darüberhinausgehende Anpassung des Lizenzsatzes in der Krise scheint möglich, sofern der Lizenzgeber von diesem bestimmten Lizenzgeschäft abhängig ist. Eine solche Abhängigkeit liegt vor, wenn Lizenzgeber und Lizenznehmer in dem Maße aufeinander angewiesen sind, als dass der Lizenzgeber bei Verlust des Lizenzvertrags einen höheren strukturellen Schaden für sein Geschäft bzw. sein IP erwarten müsste. Dies ist nur der Fall, wenn der Lizenzgeber für sein IP keinen anderen adäquaten Lizenznehmer finden würde. Kann der Lizenznehmer hingegen ersetzt werden, ohne dass die Marke einen Schaden erleidet, erscheint eine weitergehende Anpassung des Lizenzsatzes nicht erforderlich.

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Langfristig sollte der Lizenznehmer aus dem Lizenzgeschäft keinen Verlust machen müssen. Denn bei anhaltender Verlustsituation des Lizenznehmers könnte die Verrechnung einer Lizenzgebühr unangemessen sein.11

IV. Finanztransaktionen Konzerninterne Finanzierungsbeziehungen nehmen in Zeiten der Krise eine noch bedeutendere Rolle ein. Dabei ist für die Behandlung konzerninterner Darlehen, insbesondere die Frage nach der fremdüblichen Höhe des Zinssatzes, für Unternehmen maßgebend. Beispiel: Die GmbH (Strategieträger) hat ein Darlehen an die ForCo gewährt. Die ForCo kann corona-bedingt den Zinszahlungen nur schwer nachkommen.

Für die Würdigung konzerninterner Finanzierungsbeziehung, ist grundsätzlich zwischen (i) fremdüblich verzinsten konzerninternen Darlehen, die vor der Krise gewährt wurden und (ii) unverzinslichen bzw. niedrig verzinslichen konzerninternen Darlehen, die während der Krise an die Tochtergesellschaft hingegeben wurden, zu unterscheiden. (i) Wurden bereits vor der Krise fremdüblich verzinste Darlehen von der deutschen Muttergesellschaft an die ausländische Tochtergesellschaft gewährt und kann die Tochtergesellschaft aufgrund der Coronavirus-Pandemie den Zinszahlungen nicht nachkommen, könnte die Möglichkeit einer Zinsstundung in Betracht gezogen werden. Dies wäre fremdüblich, sofern die Konditionen der Stundung vereinbart und die Höhe eines angemessenen Zinssatzes für die Stundung vertraglich festgelegt werden. 11 BMF v. 7.4.2017 – IV B 5 - S 1341/16/1003, BStBl. I, 701, Rz. 8; BMF, Schreiben v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I, 218, Rz. 5.2.3.

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(ii) In Fällen, in denen die Muttergesellschaft hingegen während der Krise ihrer in Schieflage geratenen Tochtergesellschaft ein niedrig verzinsliches oder gar unverzinsliches Darlehen gewährt, sollte unter Zugrundlegung der EuGH-Rechtsprechung zur Rs. Hornbach-Baumarkt12 die niedrige Verzinsung kein Abweichen vom Fremdüblichen darstellen, sofern dies durch wirtschaftliche Gründe gerechtfertigt wird.13 Demzufolge sieht das Bundesfinanzministerium keine Korrektur des fremdunüblichen Zinssatzes gemäß § 1 Abs. 1 AStG vor, soweit der Steuerpflichtige sachbezogene, wirtschaftliche Gründe nachweisen kann, die eine vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichende Vereinbarung erfordern, um die sonst bedrohte wirtschaftliche Existenz der Unternehmensgruppe als solcher oder der dem Steuerpflichtigen nahestehenden Person zu sichern (sog. sanierungsbedingte Maßnahmen). Sanierungsbedingte Maßnahmen sind laut BMF Maßnahmen, die der Vermeidung der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit dienen und den Fortbestand der nahestehenden Person bzw. Unternehmensgruppe sichern sollen. Das Erfordernis solcher Maßnahmen, insbesondere die Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit der nahestehenden Person oder Unternehmensgruppe ist vom Steuerpflichtigen nachzuweisen.14 Demzufolge ist bei einer Darlehensgewährung während der Krise aufgrund einer corona-bedingten Sanierungsbedürftigkeit oder Sanierungsfähigkeit der darlehensempfangenden Tochtergesellschaft der Zinssatz nicht gemäß § 1 Abs. 1 AStG zu korrigieren. Entsprechendes gilt für Garantien und Bürgschaften.

V. Entsendungen Entsenden Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Ausland, fallen im Rahmen dieser Entsendung Kosten an (z.B. Wohnung, Grundgehalt, Prämien, Dienstwagen, Flug, etc.). Welches Unternehmen (entsendete oder aufnehmende Unternehmen) die Entsendekosten zu tragen hat, richtet sich nach dem sog. Veranlassungsprinzip. 12 Da es sich um einen EU-Sachverhalt handelte und im konkreten Fall die deutsche Muttergesellschaft mittelbar eine 100%ige Beteiligung an ihren ausländischen Konzerngesellschaften hielt, war der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit zu prüfen. Die Grundsätze der Rechtsprechung sind nicht auf Drittstaatensachverhalte übertragbar. 13 EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU:C:2018:366. 14 BMF v. 6.12.2018 – IV B 5 - S 1341/11/10004-09, BStBl. I, 1305.

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Gemäß dem Veranlassungsprinzip ist der Aufwand von dem Unternehmen zu tragen, in dessen Interesse die Entsendung erfolgt ist (Interessensverteilung). Dem Grunde nach ist zu prüfen, ob die Tätigkeit im ausschließlichen betrieblichen Interesse des aufnehmenden Unternehmens liegt oder ob die Tätigkeit des entsandten Arbeitnehmers ganz oder teilweise durch das Interesse des entsendenden oder eines übergeordneten Unternehmens verursacht ist. Der Höhe nach ist zu prüfen, ob der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter eines unabhängigen Unternehmens die Aufwendungen für einen vergleichbaren Arbeitnehmer in gleicher Höhe getragen hätte.15 Bei der Prüfung eines entsendenden Unternehmens ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer im Interesse und für Rechnung des aufnehmenden Unternehmens tätig wird. Allerdings kann auch ein Interesse des entsendenden Unternehmens bestehen. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn dem betreffenden Arbeitnehmer eine Vergütung gezahlt wird, die über dem Lohnniveau im Ansässigkeitsstaat des aufnehmenden Unternehmens liegt. Dieses Interesse kann sich z.B. darin zeigen, dass der entsandte Arbeitnehmer Planungs-, Koordinierungs- oder Kontrollfunktionen für das entsendende Unternehmen wahrnimmt und diese nicht gesondert abgegolten werden oder nach Rückkehr des Arbeitnehmers dessen gesammelte Auslandserfahrungen im Rahmen seiner weiteren Beschäftigung beim entsendenden Unternehmen genutzt oder Arbeitsplätze bei Tochtergesellschaften im Rotationsverfahren ständig mit Arbeitnehmern der Konzernobergesellschaft besetzt werden.16 Verursacht hingegen der entsandte Arbeitnehmer beim aufnehmenden Unternehmen höhere Aufwendungen als lokale Arbeitnehmer mit vergleichbaren Funktionen und Aufgaben, hat das aufnehmende Unternehmen nachzuweisen, dass der höhere Teil des Gesamtaufwands in seinem Interesse gezahlt wird, z.B. bei Spezialwissen. Demgemäß liegt insbesondere bei projektbezogener Entsendung, bei dem der entsandte Arbeitnehmer über spezielles Fachwissen verfügt und ein vergleichbarer Arbeitnehmer nicht oder nur mit erheblichem Aufwand zu rekrutieren ist, das Interesse beim aufnehmenden Unternehmen.17

15 BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341-20/01, BStBl. I 2001, 796, Rz. 3.1. 16 BMF v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341-20/01, BStBl. I 2001, 796, Rz. 3.1.1. 17 BMF, Schreiben v. 9.11.2001 – IV B 4 - S 1341-20/01, BStBl. I 2001, 796, Rz. 3.1.2 und 3.4.1.

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Diese Grundsätze sind gleichermaßen für die Frage der Kostenverteilung im Fall eines vorzeitigen Abbruchs der Entsendung aufgrund der Coronavirus-Pandemie zugrunde zu legen. Beispiel: Die GmbH (Strategieträger) entsendet einen Mitarbeiter an die ForCo. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie wird die Entsendung vorzeitig beendet. Welche Partei hat zusätzliche Kosten, welche durch die frühzeitige Beendigung der Entsendung entstehen, zu tragen?

Gemäß dem Veranlassungsprinzip sind die zusätzlichen Kosten von dem Unternehmen zu tragen, in dessen Interesse die Entsendung abgebrochen wurde. Hat z.B. das aufnehmende Unternehmen durch die CoronavirusPandemie erhebliche Umsatzrückgänge zu verzeichnen und sind daher zeitnahe Kostenreduzierungen nötig, besteht ein erhebliches Interesse an der Rücksendung des entsandten Arbeitnehmers. In diesem Fall hat das aufnehmende Unternehmen die Abbruchkosten der Entsendung zu tragen. Kommt hingegen das entsendende Unternehmen seiner Fürsorgepflicht nach und möchte die Entsendung aufgrund der Coronavirus-Pandemie abbrechen, sind die Zusatzkosten vom entsendenden Unternehmen zu tragen.

D. Einfluss auf Advance Pricing Agreements Kaum ein Land wurde von der Coronavirus-Pandemie verschont. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind global zu spüren. Fraglich ist daher, inwiefern die Coronavirus-Pandemie die wirtschaftlichen Bedingungen bereits bestehender bi- und multilateraler Advance Pricing Agreements (APA’s) beeinflusst. Unklar ist, ob überhaupt und falls ja, in welchem Umfang die geänderten wirtschaftlichen Bedingungen Einfluss auf die bestehenden APA’s haben.

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APA’s sind verbindliche Vorabverständigungsverfahren zu Verrechnungspreissachverhalten in denen sowohl die Methodik als auch die konkrete Höhe der Verrechnungspreise geregelt werden kann. Sie umfassen Gültigkeitsbedingungen (sog. „Critical Assumptions“) und die Verpflichtung für die beteiligten Steuerpflichtigen, in Jahresberichten (Annual Reports) die Einhaltung der Gültigkeitsbedingungen nachzuweisen.18 Werden die Gültigkeitsbedingungen des vereinbarten APA hingegen nicht eingehalten, kann dies zur Annullierung des APA führen. Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf die Wirtschaft kann folglich Einfluss auf die Gültigkeitsbedingungen haben und ein Einhalten dieser erschweren. Fraglich ist daher, wie mit bestehenden APA’s vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie zu verfahren ist. Beispiel: Eine GmbH (Strategieträger) überlässt IP zur Nutzung an die ForCo und erhält hierfür eine erfolgsabhängige Lizenzgebühr. Die erfolgsabhängige Lizenzgebühr i.H.v. 5 % des Umsatzes ist Gegenstand und zugleich eine Gültigkeitsbedingung des bestehenden APAs. Die ForCo erzielt aufgrund der Coronavirus-Pandemie Verluste. Gleichwohl wird erwogen, die Lizenzgebühr beizubehalten.

Grundsätzlich sollten gemäß der OECD-Empfehlung bestehende APAs und ihre Bedingungen respektiert, beibehalten und aufrechterhalten werden, es sei denn, es ist eine Bedingung eingetreten, die zur Aufhebung oder Überarbeitung des APAs führt. Die Bedingungen bestehender APAs können nicht aufgrund des Eintritts der Coronavirus-Pandemie missachtet oder geändert werden.19 Grundsätzlich ist im APA ausdrücklich beschrieben, in welcher Situation eine vereinbarte Gültigkeitsbedingung 18 Vgl. Borstell in Vögele/Borstell/Bernhardt5, Verrechnungspreise, ABC der Verrechnungspreise. 19 Vgl. OECD „Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic“ v. 18.12.2020, 25, Rz. 90.

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nicht eingehalten wird sowie die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Eine bloße Änderung der Geschäftsergebnisse durch die CoronavirusPandemie würde laut der OECD zwar nicht zu einer Verletzung einer Gültigkeitsbedingung führen, sofern die Änderung der Geschäftsergebnisse nicht zugleich selbst eine Gültigkeitsbedingung des vereinbarten APA darstellt.20 Gleichwohl ist anzuraten, bei wesentlicher Veränderung der Gültigkeitsbedingungen des bestehenden APA durch die Coronavirus-Pandemie wie im Beispielsfall unverzüglich Gespräche mit der Finanzverwaltung aufzunehmen. Steuerpflichtige sollten nicht versuchen, diese einseitig zu lösen. Stattdessen sollte ein kooperativer und transparenter Ansatz verfolgt werden.

E. Zusammenfassung Viele Unternehmen haben aufgrund der Coronavirus-Pandemie unter erheblichen wirtschaftlichen Folgen zu leiden. Ein erheblicher Umsatzrückgang der Unternehmen und der Preisschock auf einigen Märkten wirken sich auch auf die Verrechnungspreispraxis aus. Denn ein Mittel für Unternehmen, Ergebniskrisen zu begegnen, sind Kostenanpassungen (variable Kosten und Fixkosten). Eine Sofortmaßnahme für Unternehmen ist dabei die Anpassung der variablen Kosten. Zwar können in diesem Zuge Verrechnungspreise als variable Kosten dem Grunde nach angepasst werden. Inwiefern eine solche krisenbedingte Anpassung erfolgen kann, ist allerdings auch eine Frage der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten sowie auch der realistischen Handlungsalternativen eines jeden Unternehmens. Entsprechend des Fremdvergleichsgrundsatzes muss diese Frage im Einzelfall beurteilt werden; weitreichende unternehmerische Handlungsspielräume bestehen und sollten steuerlich anerkannt werden. Bei der Beurteilung von Preisanpassungen ist das Prinzip des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu beachten.

20 Vgl. OECD „Guidance on the transfer pricing implications of the COVID-19 pandemic“ v. 18.12.2020, 26, Rz. 92.

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Verrechnungspreisgestaltung unter den Bedingungen der Coronavirus-Pandemie Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Bert Kaminski Steuerberater, Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Teilnehmer Michael Dworaczek Partner, Ernst & Young, Düsseldorf

MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Kerstin Schulz, M.I.Tax Global Head of Tax and Customs, Beiersdorf AG Hamburg

Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, I. Senat, München

Prof. Dr. Kaminski Herr Dworaczek, vielen Dank für Ihren, wie ich finde, ganz außerordentlich interessanten Vortrag. Ich würde auch gleich in die Diskussion einsteigen wollen und würde Sie, Frau Schulz, zunächst fragen wollen. Ich kann mir vorstellen, Sie werden ja auch reichlich Verrechnungspreisthemen haben. Wie stellt sich das bei Ihnen dar? Haben Sie angepasst? Haben Sie pauschal angepasst? Haben Sie entsprechend nach Ländern differenziert Anpassung vorgenommen, weil ja vermutlich die einzelnen Märkte unterschiedlich reagiert haben? Mögen Sie ein bisschen was dazu erzählen? Schulz Grundsätzlich kann ich den Ausführungen nur zustimmen. Das ist ein Thema, was sich für uns nicht nur jetzt in der Corona-Krise ergibt. Da Beiersdorf im Fast Moving Consumer-Bereich tätig ist, haben wir natürlich diese Preisthematiken nicht nur in der Corona-Krise – diese Krise hat das eben zusätzlich noch einmal befördert – wir haben diese Thematik

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auch im sonstigen Umfeld. Wenn man sich zum Beispiel Themen wie Foreign Exchange Effekte ansieht, diese wirken sich extrem auf Verrechnungspreise und die Verrechnung zwischen Konzerngesellschaften aus, zu Mal manche Währungen auch sehr volatil sein können. Also es geht hier nicht nur um die Preise an sich oder den Preisdruck, den man jetzt in der Corona-Krise sieht, es geht um die unterschiedliche Entwicklung in den Märkten. Grundsätzlich haben wir bei Beiersdorf jedoch kürzlich keine strukturellen Veränderungen vorgenommen. Wir schauen uns natürlich Einzelfälle an, in den wir Gesellschaften haben, die vielleicht schon auf Lager produziert hatten und nun ggf. große Scrapping-Kosten als außerordentlichen Aufwand haben könnten, aber vom eigentlichen Funktions- und Risikoprofil eher eine Routine oder eine Routine-Plus-Funktion darstellen. Fraglich ist dann: wie geht man mit solchen Themen um? Da es sich hierbei bei uns mehr um einzelne Betrachtungen handelt und nicht strukturelle Veränderungen, zum Beispiel von Konzernlizenzen, sehe ich an dieser Stelle keinen gravierenden Handlungsbedarf. Prof. Dr. Kaminski Herr Kreienbaum, wird die deutsche Finanzverwaltung sich erlassmäßig äußern oder sagen Sie, man guckt sich das dann in den Betriebsprüfungen im Einzelfall an? Kreienbaum An uns sind bisher noch keine wesentlichen Fragen in diesem Zusammenhang herangetragen worden. Gleichwohl beschäftigt uns dieses Thema sehr. Vor allem auf internationaler Ebene, auf Ebene der OECD, und in diesem Fall im Format der dort zuständigen Arbeitsgruppe 6 unter Beteiligung der rund 140 Staaten des Inclusive Framework. Die OECD wird noch vor Weihnachten ihre Transfer Pricing Guidelines insoweit anpassen, um die beschriebene Situation zu berücksichtigen. Wir haben zurzeit ein Entwurfsschreiben, das unter den Mitgliedsstaaten zirkuliert, und ich erwarte, dass wir deutlich vor Weihnachten, etwa zwischen dem 16. und dem 18. Dezember, ein Papier auf der Website der OECD veröffentlichen werden. Der Entwurf des Papiers ist ausgesprochen umfangreich, beleuchtet die Aspekte, die Herr Dworaczek genannt hatte, und darüber hinaus auch noch eine Reihe weiterer interessanter Fragen, beispielsweise die Frage, wie wir mit staatlichen Subventionen umgehen. Lohnhilfen beispielsweise, oder Garantien – wie gehen wir mit diesen Themen vor dem Hin-

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tergrund der Pandemie um? Insoweit wird es ein Update der Verrechnungspreisrichtlinien geben, das wir entsprechend auch in unseren BMFVerlautbarungen berücksichtigen. Dworaczek Herr Kreienbaum, das ist ja eine sehr erfreuliche Nachricht. Das wird sicherlich zur Rechtssicherheit beitragen. Wie gehen wir mit den Situationen um, dass das Jahr 2020 aber jetzt schon gelaufen ist und viele Unternehmen eben einfach schon handeln mussten und gehandelt haben? Oder vielleicht auch nicht gehandelt haben und nachher jemand sagt: Ihr hättet aber handeln müssen? Wie gehen wir mit diesen Besonderheiten im Jahr 2020 um? Mein Appell war ja, dass wir da weitgehend unternehmerische Entscheidungsfreiheiten akzeptieren. Ich glaube, auch in der Finanzmarktkrise – ich hab’s eben gezeigt – gab’s ähnliche Fragestellungen. Ich glaube, da sind wir gemeinsam – Berater, Unternehmen, Finanzverwaltung – ganz gut durchgekommen, ohne groß Verwerfungen in dem Thema zu haben. Aber trotzdem die Frage: Wie gehen wir damit um, dass das Jahr schon praktisch durch ist? Kreienbaum Die erste Frage ist ja: Ist die Finanzverwaltung offen für diese Themen? Sieht sie diese Punkte und Besonderheiten? Die Antwort ist: ja – ich hatte es ja gerade erläutert. Die zweite Frage, die Sie jetzt stellen, ist die Frage: Wie kann ich als Unternehmen im Jahre 2020 damit umgehen, wenn ich noch nicht weiß, wie die Finanzverwaltung auf diese besonderen Umstände reagieren wird. Zum Zeitpunkt des Entstehens der Verpflichtungen können Sie praktisch nur im Wege der Dokumentation Ihre Rechtsposition absichern. Sie können dokumentieren, welche Umstände aus Sicht des Unternehmens, aus Sicht der Steuerpflichtigen, zu einer veränderten Betrachtungsweise geführt haben, und diese Umstände können dann entsprechend der international vereinbarten oder zu vereinbarenden Leitlinien Berücksichtigung finden. Dworaczek Das finde ich einen sehr guten Hinweis, weil das ja auch bedeutet, dass diese Dokumentation dann in den Betriebsprüfungen zum Tragen

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kommt. Dass darin auch die Unternehmen darlegen können, warum oder warum nicht sie in der Krise entsprechend gehandelt haben. Das finde ich eine gute Nachricht, danke. Kreienbaum Das heißt ja nicht immer, dass die Finanzverwaltung die rechtlichen Schlussfolgerungen aus der Dokumentation, die Sie gezogen haben, teilt. Aber die Dokumentation hilft Ihnen, Ihre Argumente zu untermauern. Herr Wacker, die Rechtsprechung des BFH ist hier besprochen worden, das Verhältnis beherrschender Gesellschafter/Gesellschaft und diese Frage der Rückwirkung. Mich interessiert Ihre Einschätzung zu Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz. Kann ein Abweichen nur bei Störung der Geschäftsgrundlage – § 313 BGB sieht ja eine entsprechende Rechtsgrundlage für die zivilrechtliche Korrektur vor – begründet werden oder sagen Sie, auch vor dem Hintergrund, auch das klingt an, Hornbach und aus meiner Sicht auch in SGI angelegt, wirtschaftliche Gründe vom Abweichen vom Fremdvergleichsgrundsatz können oder müssen auch darüber hinaus anerkannt werden? Können Sie sich vorstellen – ohne dass ein konkreter Fall vorliegt, den Sie natürlich nur beurteilen könnten – dass gesagt wird, das ist ein solches Argument, das auch im Sinne der Rechtsprechung des EuGH entsprechend trägt? Prof. Dr. Wacker Das Thema Verrechnungspreise war bisher keine Domäne des BFH. Woran liegt das? Weil die Würfel in aller Regel in der ersten Instanz fallen. Mit anderen Worten, was der BFH da noch tun kann, die rechtlichen Planken für die Ermittlung des „richtigen“ Verrechnungspreises zu legen. Dazu hatte er in der Vergangenheit wenig Gelegenheit. Dies gilt auch für die Frage des angemessenen Darlehenszinses. MaW: der BFH ist als Rechtsinstanz sicherlich nicht der Ort, um punktgenau über die Richtigkeit oder die fehlende Passgenauigkeit von Verrechnungspreisen entscheiden zu können. Letzteres sollte die primäre Domäne der Betriebswirte bleiben. Prof. Dr. Kaminski Herr Wacker, ich sehe das ähnlich, aber wenn die Entwicklung betrachtet wird, dann stellen wir doch fest, dass wir in letzter Zeit deutlich mehr Verrechnungspreisfälle beim BFH haben. Also wenn wir mal zurückdenken, wir hatten doch lange Zeit nur diesen klassischen Fall der funktionsschwachen Vertriebsgesellschaft, den Sie oder Ihr Senat dann ja auch ent-

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schieden hat. Aber ich habe doch den Eindruck, dass die Zahl größer wird, und ich glaube, das liegt eben auch daran, dass Verrechnungspreisfälle häufig Konstruktionen umfassen, in denen gesagt wird, wir bemühen uns um einen Konsens in der Schlussbesprechung. Ich erwarte schon, dass Ihr Senat da in Zukunft deutlich mehr mit zu tun haben wird, als das in der Vergangenheit der Fall war. Aber … Prof. Dr. Wacker Wir werden es mit Spannung beobachten. Prof. Dr. Kaminski Okay, warten wir’s mal ab. Herr Kreienbaum, ich habe noch an einer Stelle bei dem Vortrag eben gezuckt, und ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – das Schreiben zu Hornbach. EuGH Rechtssache Hornbach, Sanierungsbedürftigkeit, Sanierungsfähigkeit. Was machen wir denn eigentlich in den ganzen Fällen, wo die Sanierung scheitert? Heißt das, erst die Insolvenz, und dann die Steuernachforderung, oder wie muss ich mir das, plakativ betrachtet, vorstellen? Kreienbaum Darauf kann ich Ihnen noch keine abschließende Antwort geben. Tut mir leid, Herr Kaminski. Prof. Dr. Kaminski Okay. Ich wollte gern auf einen Punkt noch einmal hinweisen. Und zwar gab es einen Fall, wo das FG Münster1 für die Frage der Lizenzgebühren auf Regelung zum Schadensersatz abgestellt hat. Da hieß es, es könne für die Nutzung einer Marke praktisch auf Schadensersatzregelungen zurückgegriffen werde, und hier könnte auch über Vertragsschäden und NichtErfüllungsschäden nachgedacht werden, zumindest über Opportunitätsgesichtspunkte, und das hat der I. Senat dann aufgehoben. Ich würde auf dieses Argument mit den Datenbankstudien, noch einmal eingehen. Herr Kreienbaum, es gab lange Zeit Gerüchte, dass die Finanzverwaltung sich zu dem Thema Datenbankstudien zur Verrechnungs1 FG Münster vom 14.2.2014, 4 K 1053/11 E, EFG 2014, 921.

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bestimmung äußern wird. Können Sie uns sagen: Kommt da etwas? Oder hält sich die Finanzverwaltung da zurück? Kreienbaum Die Frage zuverlässiger Datenbanken und auch die Frage des Zugangs zu Datenbanken ist ein Thema, das uns schon seit vielen Jahren beschäftigt. Konkrete Vorhaben dazu werden sich aus meiner Sicht in der nächsten Zeit nicht materialisieren, aber das Thema bleibt für uns auch wichtig, um Vergleichsgrößen auch letztendlich gerichtlich überprüfbar – das spielt bei der Frage auch eine Rolle – festlegen zu können. Prof. Dr. Kaminski Sehen Sie sich als Bundesfinanzministerium dabei eigentlich von anderen Ländern, die entsprechende Studien teilweise zwingend verlangen, unter Druck gesetzt? Kreienbaum Man muss sehen, meine ich, dass der Zugang zu Datenbanken und die Verfügbarkeit von Daten in Staaten sehr unterschiedlich sind. Insofern sehe ich uns nicht unter Druck gesetzt. Wir können nur feststellen, dass aus Perspektive anderer Staaten häufiger auf Datenbanken zurückgegriffen wird und können uns entsprechend bemühen, nützliche Datenzugänge aufzubauen und einzurichten. Prof. Dr. Kaminski Frau Schulz, ich möchte gerne nochmal eine Frage stellen. Es ist immer wieder die Parallele zur Finanzmarktkrise aufgezeigt worden. Nach Ihrer Erfahrung: Gab es in der Finanzmarktkrise und in Betriebsprüfungen, soweit sie schon durch sind – möglicherweise sind sie ja noch gar nicht beendet – ein Grundverständnis in der Finanzverwaltung, wo Sie sagen: Das war sachgerecht? Man hat hier mit Augenmaß und mit angemessenem Verhältnis geprüft? Oder hatten Sie eher den Eindruck, dass gesagt wurde: Wir folgen der sehr formalen Linie, die der BFH ja jüngst erneut nochmal bestätigt hat, dass allein das Abweichen von schriftlichen Vereinbarungen zu einer Verrechnungspreiskorrektur führen kann?

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Schulz Ich würde sagen, man hat eher die strikte Linie gefahren und ist da wenig auf krisenbedingte Einflüsse eingegangen. Tatsächlich sind die Betriebsprüfungen für diese Jahre bei Beiersdorf schon erledigt, insofern gab’s die, würde ich sagen, normalen Diskussionen um diese Themen, aber einen besonderen Einfluss der Finanzmarktkrise konnte ich da an den Ergebnissen und an den Diskussionen nicht erkennen. Nichtsdestotrotz – und das sieht man natürlich jetzt auch, und dann kommt man wahrscheinlich auch in diese Refinanzierungsdiskussion rein – wenn man sich anschaut, welches Ausmaß in der Finanzmarktkrise die Zuwendungen und Investitionen haben und welche Größenordnungen wir jetzt im Rahmen der Corona-Krise sehen, ist das natürlich noch einmal eine ganz andere und neue Dimension. Da wird sich sicherlich noch ein Blick darauf ergeben, wenn die Jahre 2020 und folgende dann irgendwann in der Betriebsprüfung sind. Prof. Dr. Kaminski Herr Dworaczek, wie waren Ihre Erfahrungen in der Finanzmarktkrise? Und ich glaube, Sie wollten eben auch noch eine Frage stellen. Dworaczek In der Finanzmarktkrise, wie ich eben gesagt habe – ich kenne jetzt natürlich nicht alle Fälle, aber ich sehe ja, was im Kollegenkreis ist, was im Mandantenkreis ist – ich meine, ich hab’s eben schon mal gesagt, der Umgang und die Ergebnisse in den Betriebsprüfungen in der Finanzkrise oder für die Finanzkrise waren ganz ordentlich. Ich habe da jetzt keine strukturellen Verwerfungen gesehen, dass die Finanzverwaltung diese ungewisse Situation irgendwie zu ihren Gunsten genutzt hätte – ich meine, es war ein ganz vernünftiger Umgang. Mir sind keine strukturellen Verwerfungen da bekannt geworden. Dann hätte ich noch einen letzten Punkt, der ist aber eher so ein Plädoyer. Sie hatten eben das Thema mit den Datenbanken und dem Fremdvergleich. Ich verstehe auch den Punkt, den Herr Kreienbaum da gebracht hat. Mir ist immer wichtig, dass man in dem Thema, glaube ich, auch vernünftig in der Betriebsprüfung oder an den Finanzgerichten damit umgeht, denn dass der Fremdvergleichsgrundsatz im Gesetz steht und dass das der Maßstab für die internationale Einkunftsabgrenzung ist, das hat der Steuerpflichtige sich nicht ausgedacht, sondern das hat der Gesetz-

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Podiumsdiskussion: VP-Gestaltung in der Corona-Pandemie

geber gemacht. Und wenn die Finanzverwaltung da Anpassungen vornimmt, dann ist das erst einmal ein Eingriff, und ich meine, da ist und bleibt es erst einmal bei der Beweislastverteilung, die im Allgemeinen gilt. Es ist natürlich immer einfach, dem Steuerpflichtigen zu sagen: Du musst einen Fremdvergleich führen, und machst du es nicht, sind deine Dokumentationen im Wesentlichen nicht verwertbar. Dann mache ich einen Fremdvergleich nach bestem Wissen und Gewissen, und dann sage ich aber, dieser Fremdvergleich ist missglückt, weil ich finde, irgendwie ist das kein Fremdvergleich. Das ist für mich eine unbefriedigende Situation. Deswegen glaube ich, ist es wichtig, dass es ein gutes Miteinander in dem Punkt ist und mit Augenmaß in dem Thema vorgegangen wird, wissend, dass der Fremdvergleich nicht perfekt ist und wissend, dass die Anforderung an den Steuerpflichtigen, ihn zu erfüllen, trotzdem da ist, nach bestem Wissen und Gewissen das auch gemacht wird, dann, meine ich, sollte auch mit Augenmaß hier vorgegangen werden. Prof. Dr. Kaminski Wir werden nach der Mittagspause ja dann diskutieren, inwieweit Pillar One und Pillar Two möglicherweise die Aspekte hier deeskalieren. Herr Kreienbaum, ich hätte noch eine letzte Frage. Es kursierte ja mal ein Entwurf für eine umfassende Änderung des Paragraphen 1 des Außensteuergesetzes. In dem ATAD-Umsetzungsgesetz wird nun nur die nahestehende Person verändert. Können Sie sagen, ob aller Voraussicht nach dabei bleiben wird, oder wird das BMF nochmal diesen Versuch, den § 1 AStG in einen §§ 1, 1a und 1b AStG aufzuteilen, unternehmen? Kreienbaum Die Themenkreise um § 1, § 1a und § 1b AStG sind Gegenstand eines Gesetzentwurfes, der aus dem BMF stammt und der weiterhin Gegenstand politischer Beratungen ist. Mein Eindruck ist, dass die Gefahr nicht gering ist, dass der vorgeschlagene Umfang der Änderungen so den Gesetzgebungsweg nicht nehmen wird. Prof. Dr. Kaminski Okay, Sie sagen „Gefahr“ – das nehmen wir mal so zur Kenntnis. Meine Damen und Herren, ich glaube, das war eine gute Nachricht, dass wir damit nicht rechnen müssen.

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Der OECD-Blueprint zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle (Pillar One) – Eine Fallstudie Dr. Stefan Greil, LL.M.1

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 158 B. Fallstudie . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beschreibung des Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lösung des Sachverhalts auf Basis des Blueprints . . . . . . . . 1. Schritt 1 – Aktivitätstest. 2. Schritt 2 – Umsatzschwellentest . . . . . . . . . . 3. Schritt 3 – Ausnahme für Inlandsgeschäfte . . . . . . . 4. Schritt 4 – Nexustest . . . . 5. Schritt 5 – Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schritt 6 – Segmentierung 7. Schritt 7 – Berücksichtigung von Verlusten und Gewinnunterdeckungen . 8. Schritt 8 – Berechnung und Zuteilung von Amount A . . . . . . . . . . . . 9. Schritt 9 – Doppelerfassung . . . . . . . . . . . . . 10. Schritt 10 – Ermittlung der „zahlenden“ Unternehmen . . . . . . . . . . . . . .

160 160 162 162 164 165 166

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172

174 176

11. Schritt 11 – Vermeidung der Doppelbesteuerung und Administration . . . . 12. Zwischenfazit . . . . . . . . . III. Berücksichtigung von Vereinfachungspotenzialen. . . . . . . 1. Ein formelhafter Ansatz. . 2. Bemessungsgrundlage: Konzerngewinn . . . . . . . . 3. Umsatzschwellen-, Aktivitäts- und Nexustest. . . . 4. Die Formel . . . . . . . . . . . . 5. Die Unternehmensgruppe als Steuersubjekt . . . . . . . 6. Die Besteuerung der Unternehmensgruppe . . . 7. World Tax Credit . . . . . . . 8. Ermittlung der „zahlenden“ Unternehmen . . . . . 9. Ergebnis: (Nahezu) keine Doppelbesteuerung . . . . .

182 183 184 184 185 185 188 189 190 190 191 192

C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

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1 Die Fallstudie wurde im englischsprachigen Original in der Zeitschrift Interax gemeinsam mit Dr. Thomas Eisgruber publiziert (Taxing the Digital Economy – A Case Study on the Unified Approach, Intertax, Vol. 49, 2021, issue 1). Die hiesige Fassung wurde im Nachgang gegenüber dem Original leicht modifiziert. Die dargelegte Meinung gibt nur die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

A. Einleitung Die Besteuerung der digitalen Wirtschaft ist seit Jahren ein besonderes Thema. Im Mai 2019 mündeten die Diskussionen in das Arbeitsprogramm zur Entwicklung einer Konsenslösung für die steuerlichen Herausforderungen, die sich aus der Digitalisierung der Wirtschaft2 ergeben, das im Zusammenhang mit dem BEPS-Aktionspunkt 1 Besteuerung der digitalen Wirtschaft3 und dem öffentlichen Konsultationspapier vom 13.2.20194 zu betrachten ist. Letzteres enthält Vorschläge zur Neuverteilung von Besteuerungsrechten (Pillar One) und Maßnahmen zur Sicherstellung einer globalen effektiven Mindestbesteuerung (Pillar Two), die sich auch im Arbeitsprogramm wiederfinden. Anfang Oktober 2019 stellte das OECD-Sekretariat dann das Konzept eines sog. Unified Approach5 (UA) vor, das im Januar 2020 vom Inclusive Framework6 begrüßt wurde und die Grundlage für die weitere Arbeit bildet.7 Erklärtes Ziel war es, bis Ende 2020 Empfehlungen für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft zu erarbeiten. In der Zwischenzeit wurde im Oktober 2020 ein Entwurf eines Blueprints für Pillar One zur öffentlichen Konsultation veröffentlicht.8 Das damit verbundene Ziel ist es,

2 OECD, Programme of Work to Develop a Consensus Solution to the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy, OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS (OECD Publishing, 2019). 3 OECD, Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 – 2015 Final Report, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project (OECD Publishing, 2015). 4 OECD, Tax Challenges of the Digitalisation of the Economy, Public Consultation Document 13 Feb. – 6 Mar. 2019 (OECD Publishing, 2019). 5 OECD, Secretariat Proposal for a „Unified Approach“ under Pillar One, Public Consultation Document 9 Oct. – 12 Nov. 2019 (OECD Publishing, 2019). 6 Flyer OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS, available at https://www. oecd.org/tax/beps/flyer-inclusive-framework-on-beps.pdf (abgerufen am 13.10.2020). 7 OECD, Statement by the OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS on the Two-Pillar Approach to Address the Tax Challenges Arising from the Digitalisation of the Economy – January 2020, OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS, (OECD Publishing, 2020), available at www.oecd.org/tax/beps/state ment-by-the-oecd-g20-inclusive-framework-on-beps-january-2020.pdf (abgerufen am 13.10.2020), para. 1. 8 OECD, Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, (OECD Publishing, 2020).

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

die verbleibenden politischen und technischen Herausforderungen zu überwinden, um im Jahr 2021 eine Lösung auf Basis des Blueprints zu verabschieden. Der UA, der die Grundlage des Blueprints bildet, soll das bestehende System der Ertragsbesteuerung ergänzen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags besteht der Kern des UA darin, den Marktstaaten das Recht einzuräumen, einen Teil der Gewinne von Unternehmensgruppen (sog. Residualgewinne) zu besteuern – unabhängig davon, ob sie im Marktstaat eine physische Präsenz in Form eines verbundenen Unternehmens oder einer Betriebsstätte haben. Zu diesem Zweck sollen die Gewinne von Unternehmensgruppen auf deren Ansässigkeits- und Absatzländer aufgeteilt werden. Der UA besteht aus zwei Beträgen und dem Aspekt der Steuersicherheit: •

Amount A weist das Recht zur Besteuerung von Gewinnen einer Unternehmensgruppe teilweise den Marktstaaten zu, unabhängig davon, ob diese Unternehmensgruppe eine physische Präsenz in diesen Staaten hat. Amount A legt dabei lediglich das Besteuerungsrecht für politisch determinierte Residualgewinne fest.



Amount B soll in das derzeitige System eingreifen und die Vergütung von Vertriebsgesellschaften mit sog. Routinemarketing- und Routinevertriebsaktivitäten standardisieren. Damit zielt der Ansatz insbesondere auf Vertriebsgesellschaften mit geringer Funktionalität und geringem Risiko ab. Der UA sieht vor, dass solchen Unternehmen ein Mindesteinkommen oder ein safe harbour-Einkommen für die Ausübung dieser Funktion zugerechnet wird.



Der Aspekt der Steuersicherheit (ehemals Amount C) umfasst Verfahren zur Streitvermeidung und -beilegung für den Amount A und auch für Bereiche, die über den Amount A hinausgehen (z.B. Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes).

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Dieser Beitrag versucht, die Anwendung von Amount A anhand eines Fallbeispiels zu erläutern und gleichzeitig Vereinfachungspotenzial aufzuzeigen. Dabei können aber nicht alle offenen Punkte in einer einzigen Fallstudie behandelt werden. Die Fallstudie basiert auch auf dem allgemeinen Verständnis des Autors zum UA. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Aspekte anders interpretiert oder betrachtet werden könnten. Daher soll diese Fallstudie auch zur Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses beitragen und Vereinfachungsmöglichkeiten aufzeigen.

B. Fallstudie I. Beschreibung des Sachverhalts Die Unternehmensgruppe SAC ist im Bereich der Produktion und des Verkaufs von Smartphones (SP), der Entwicklung und des Angebots von Anwendungssoftware (App) sowie der Ausbeutung und des Verkaufs von Rohstoffen (C) tätig. A Co. ist die oberste Unternehmenseinheit (ultimate parent entity – UPE) mit einem umfassenden Funktions- und Risikoprofil. Das Hauptgeschäftsfeld der Unternehmensgruppe sind Smartphones. Für die Produktion der Smartphones benötigt die Unternehmensgruppe Rohstoffe, die von der B Co. abgebaut und geliefert werden. Die verbleibenden Rohstoffe werden unbearbeitet auf dem Markt verkauft. Der App-Sektor ist ein aufstrebendes Geschäftsfeld und verdrängt zunehmend das Smartphone-Segment. Die Gruppe ist in sechs Ländern tätig und hat ihren Sitz in sechs Ländern. Die folgende Abbildung zeigt die Struktur der Unternehmensgruppe. Der Anhang enthält die einzelnen Gewinn- und Verlustrechnungen (GuV) sowie die konsolidierte GuV. Sie basieren auf den gesetzlich geltenden Rechnungslegungsstandards.

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Abbildung 1: Struktur der Unternehmensgruppe A Co. (UPE) umfassendes F&R-Profil; Gewinnmarge: 13,41%

Staat A

Konsument und Nutzer (SP & App)

Staat B

B Co. (low risk) Lieferant von Rohstoffen; Gewinnmarge: 5%

Geschäftskunden (C)

Staat C

C Co. (low risk) Vertrieb von Smartphones; Gewinnmarge: 8,33%

Konsument (SP)

Staat D

D Co. (flully-fledged) Vertrieb von Smartphones; Gewinnmarge: 16,67%

Konsument (SP)

Staat E

E Co. Marketing SP & App; Gewinnmarge: 15,00%

Konsument und Nutzer (SP & App)

Staat F

F Co. (Finanzierungsgesellschaft); Gewinnmarge: 67,74%

Konsument und Nutzer (SP & App)

Staat G Konsument und Nutzer (SP & App)

Kennzahlen der Unternehmensgruppe: Umsatzerlöse: Gewinnmarge: Gewinnmarge des SP-Segments: Gewinnmarge des App-Segments: Gewinnmarge des C-Segments:

2.500 Million 26,40% 23,54% 45,48% 8,39%

Legende: Geschäftsbeziehung & Erträge

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II. Lösung des Sachverhalts auf Basis des Blueprints Nach derzeitigem Stand und basierend auf dem Blueprint zu Pillar One umfasst die Anwendung von Amount A verschiedene Schritte, die im Folgenden aufgeführt und auf die Fallstudie angewendet werden. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Fallstudie nicht eins zu eins die im Anhang A des Blueprints vorgegebene Reihenfolge umsetzt. Dies ist jedoch nicht abträglich für den Inhalt.

1. Schritt 1 – Aktivitätstest Zunächst muss ein Aktivitätstest durchgeführt werden, um festzustellen, ob die Unternehmensgruppe Tätigkeiten ausübt, die in den Anwendungsbereich von Amount A fallen, wobei der Umfang grundsätzlich erst einmal unerheblich ist.9 Tätigkeiten im Anwendungsbereich werden auf automated digital services (ADS) und consumer facing business (CFB) bezogen. In den Anwendungsbereich von ADS fallen Geschäftstätigkeiten von Unternehmen, mit denen Umsätze aus der Bereitstellung automatisierter digitaler Dienste und Umsätze aus der Monetarisierung von Daten generiert werden, die auf standardisierter Basis einer großen Kunden- oder Nutzerpopulation über mehrere Staaten hinweg mit wenig oder keiner lokalen Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Sie nutzen in der Regel Kunden- oder Nutzernetzwerkeffekte aus und generieren Wert aus der Interaktion mit Nutzern und Kunden. Sie profitieren oft von Daten- und Inhaltsbeiträgen der Nutzer sowie von der intensiven Überwachung der Nutzeraktivitäten und der Nutzung entsprechender Daten. ADS ist also etwas, das über das Internet oder ein elektronisches Netzwerk erbracht wird, die Bereitstellung des Dienstes für den Nutzer ist weitgehend automatisiert und kann ohne Informationstechnologie nicht geleistet werden. Dies wiederum zeigt zugleich, dass eine entsprechende Infrastruktur (bspw. Glasfaserkabel oder Server) im jeweiligen Staat genutzt werden muss. Beispiele für ADS sind Online-Suchmaschinen, Social-Media-Plattformen und das Streaming digitaler Inhalte. Die allgemeine Definition

9 Die im Anhang zum Blueprint zu Pillar One abgebildete Prozessabfolge des Amount A beginnt mit dem Umsatzschwellentest. Dieser Schritt ist jedoch implizit erforderlich. Der Aktivitätstest ist im Übrigen spätestens im dritten Schritt erforderlich.

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

könnte mit einer aktualisierbaren Positiv- und Negativliste von Diensten kombiniert werden, in der die in den Geltungsbereich fallenden und die nicht in den Geltungsbereich fallenden Dienste aufgeführt sind. Interessanterweise fehlen im Blueprint schon bekannte Geschäftstätigkeiten, wie das Online-Gambling und Virtual Reality. Zugleich wird Cloud-Service explizit genannt und betont, da es wohl nicht zwingend unter die allgemeine Definition subsumiert werden kann. In den Anwendungsbereich von CFB fallen Geschäftstätigkeiten von Unternehmen, die Einnahmen aus dem Verkauf von Waren oder Dienstleistungen direkt oder indirekt an Verbraucher erzielen. Darüber hinaus werden spezielle Ausnahmen diskutiert, z.B. eine rohstoffgewinnende Industrie, Finanzdienstleistungen sowie Flugzeuge und Schifffahrt. Allerdings ist die Abgrenzung etwas unklar, da sie auf subjektiven Kriterien beruht. So wäre z.B. das Schürfen von Gold und der anschließende Verkauf an Geschäftskunden wahrscheinlich nicht erfasst, die Weiterverarbeitung zu einem Schmuckstück und der anschließende Verkauf wären jedoch als CFB zu qualifizieren. Im Rahmen der Fallstudie wird davon ausgegangen, dass die Aktivitäten in Bezug auf das Smartphone-Segment unter CFB und die Aktivitäten in Bezug auf das App-Segment unter ADS fallen. Das Commodity-Segment würde hingegen nicht in den Anwendungsbereich fallen. Es ist jedoch zu beachten, dass die Identifikation und Klassifizierung der einzelnen Geschäftsaktivitäten und der daraus resultierenden Umsatzströme in ADS, CFB und sonstige Aktivitäten nicht mit der Segmentierung einer Unternehmensgruppe einhergehen muss, wie es hier der Einfachheit halber angenommen wird. Dementsprechend muss eine produkt- oder dienstleistungsbezogene Identifizierung und Klassifizierung vorgenommen werden. So könnten z.B. im Smartphone-Segment auch Dienstleistungen erbracht werden, die enger mit ADS verbunden sind, und zudem müssen nicht alle Einnahmen des Smartphone-Segments durch ADS- oder CFB-Aktivitäten generiert werden. Dies wiederum zeigt auch auf, dass jeder Einkommensstrom, den eine Unternehmensgruppe erzielt, einer der drei Kategorien (ADS, CFB oder sonstige) zuzuordnen und für die Finanzverwaltungen weltweit überprüfbar zu machen ist. Schließlich wird im Blueprint nicht erwähnt, wie hoch die Einnahmen aus ADS- und CFB-Aktivitäten sein müssen, damit sie in den Anwendungsbereich fallen. Daher sollte nach Auffassung des Autors dieser Schritt mit einem Schwellentest kombiniert werden. Dies hätte zur Folge, dass nur Unternehmensgruppen mit

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

i) einem aggregierten Umsatz von „x“ oder mehr Euro aus diesen inscope-Aktivitäten oder ii) einem relativen Anteil von mehr als „x“ % aus diesen in-scope-Aktivitäten gemessen am Gesamteikommen für Amount A berücksichtigt würden. Im vorliegenden Fall sollen alle Schwellenwerte überschritten sein (ADS: EUR 395 Mio.; CFB: EUR 2.005 Mio.; sonstige Aktivitäten: EUR 100 Mio.).

2. Schritt 2 – Umsatzschwellentest In einem zweiten Schritt muss ein globaler Umsatztest auf den konsolidierten Abschluss der Unternehmensgruppe angewendet werden. In den Anwendungsbereich sollen nur solche Unternehmensgruppen fallen, deren Umsatz einen Betrag von „x“ Euro übersteigt. Zumindest die Schwelle von EUR 750 Mio. ist vielversprechend. Dies liegt auch daran, dass der Schwellenwert für das Country-by-Country-Reporting (CbCR) bei EUR 750 Mio. liegt und die CbCRs ein integraler Bestandteil des Dokumentationspakets zur Ermittlung und Überprüfung von Amount A werden könnten. Ob ein solcher Schwellenwert generell angemessen ist, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Folgendes Beispiel soll aber den Sinn und Zweck einer Schwelle generell hinterfragen: Zwei Unternehmensgruppen (A und B) sind nahezu identisch. Beide betreiben eine Onlineplattform in den Staaten A und B, beide haben ihren Hauptsitz in Staat A und erwirtschaften mit Kunden aus Staat B jeweils einen Umsatz von EUR 700 Mio. Unternehmensgruppe A hat einen Umsatz von EUR 750 Mio. Sie würde in den Anwendungsbereich von Amount A fallen. Gruppe B hat einen Umsatz von EUR 749 Mio. Sie würde nicht in den Anwendungsbereich von Amount A fallen. Ausschlaggebend ist also nur der niedrigere Umsatz im Ansässigkeitsstaat, obwohl wirtschaftlich betrachtet der Staat B gleichermaßen ohne einen nach derzeit geltendem Recht bestehenden Anknüpfungspunkt zur Besteuerung (Nexus) durchdrungen wird. Für die Besteuerung im Marktstaat werden damit Tatbestandsvoraussetzungen herangezogen, die keinerlei Verbindung zum Marktstaat aufweisen. Gerade aus deutscher Sicht ist dann fraglich, weshalb bspw. Buch- und Registereintragungen im Inland als unsubstantielle Anknüpfungsmomente der Besteuerung angesehen werden.10

10 Siehe dazu Hummel, Global Taxes, TLE-038-2020.

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie der Unternehmensverbund zu definieren ist. Würde man lediglich auf den Konzernabschluss abstellen, so würden zumindest die Einheiten nicht einbezogen, die aufgrund ihrer Unwesentlichkeit auch im Konzernabschluss nicht einbezogen sind. Diese Einheiten müssten dann wohl zusätzlich wie beim CbCR berücksichtigt werden. Einbezogen werden im Einklang mit dem Gedanken des CbCR sicherlich auch Unternehmen, die neben dem Stammhaus lediglich mit Betriebsstätten agieren. Darüber hinaus sollte es eigentlich Ziel sein, wirtschaftliche Einheiten zu erfassen. Entsprechend kommen auch wirtschaftliche Einheiten in Betracht, deren Einheiten zwar miteinander in Beziehung stehen (bspw. als verbundene Unternehmen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 OECD-Musterabkommen), aber keinen Konzernabschluss erstellen müssen. Als Beispiel kann man an die NFL denken, die weltweit Rechte vergibt und daraus Milliardenumsätze macht, ohne vor Ort eine physische Präsenz zu haben. Die Gewinne werden zwar an die einzelnen Teams ausgeschüttet, aber dieser wirtschaftliche Erfolg kann nur durch das Zusammenwirken über die NFL generiert werden.

3. Schritt 3 – Ausnahme für Inlandsgeschäfte In einem dritten Schritt wird über eine Ausnahmeregelung für Unternehmensgruppen nachgedacht, die vornehmlich ein Inlandsgeschäft aufweisen (de minimis foreign in-scope revenue test). Unternehmensgruppen, die mehr als „x“ % ihrer gesamten in-scope-Umsätze im Inland erzielen und deren in-scope-Umsätze im Ausland unter einem bestimmten Betrag liegen, könnten von Amount A ausgenommen werden. Betrachtet man die Abbildung 1 und die entsprechende Gewinn- und Verlustrechnung der Unternehmensgruppe, kann sich die Frage einstellen, was tatsächlich „inländisch“ ist. Nur die A Co. erzielt Umsätze aus grenzüberschreitendem Direktgeschäft (mit Kunden in den Staaten E und G). In Staat E ist jedoch eine Gesellschaft der Unternehmensgruppe ansässig, die für das Marketing zuständig ist, aber keine Umsätze mit Dritten erzielt. Darüber hinaus macht die Beurteilung, ob etwas „inländisch“ ist, die Anwendung der hochkomplexen Umsatzabgrenzungsregelungen (revenue sourcing rules) notwendig (s. Schritt 4). Die nächste Frage ist, ob CFB und ADS als Ganzes betrachtet oder konsequent getrennt werden sollen – insbesondere im Hinblick auf die Über-

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

legungen zum Nexus, der eine unterschiedliche Behandlung von ADS und CFB vorsieht. In der Fallstudie führt dies nun zu Folgendem: Tab. 1: Ausnahme für Inlandsgeschäfte Ausnahme für Inlandsgeschäfte

Anteil des Umsatzes aus Staat G

Anteil des Umsatzes aus den Staaten E und G

Nur CFB (Smartphone)

7,48 % (= Umsätze Staat G/Umsätze gesamt = 150/2.005)

21,45 % (= 430/2.005)

Nur ADS (App)

37,97 % (= 150/395)

68,35 % (= 270/395)

ADS & CFB

12,50 % (= 300/2.400)

29,17 % (= 700/2.400)

Man könnte nun annehmen, dass Unternehmensgruppen, die mehr als 75 % ihres gesamten in-scope-Umsatzes auf ihrem Heimatmarkt erzielen, vom Anwendungsbereich ausgeschlossen würden. Für den Fall, dass z.B. nur Staat G relevant wäre, wäre die Fallstudie hier beendet. Dies wäre nicht der Fall, wenn auch die Umsätze in Staat E berücksichtigt würden. Eine andere Möglichkeit ist, sich auf den Wohnsitzstaat der UPE (hier: A Co.) zu konzentrieren. In diesem Fall würden alle Umsätze außer denen in Staat A als „ausländisch“ behandelt werden. Dann dürfte dieser Test in den meisten Fällen keine Auswirkungen haben. Der Test ist an sich überflüssig, selbst wenn er gut gemeint ist. Diejenigen, die sich darauf berufen wollen, müssen die revenue sourcing rules samt Nexustest (s. Schritt 4) anwenden. Eine Vereinfachung geht damit daher grundsätzlich nicht einher. Eine Schwelle für die Umsätze aus ADS und CFB wäre praktikabler (s. Schritt 1).

4. Schritt 4 – Nexustest Im nächsten Schritt muss ein Nexustest durchgeführt werden, um die für den Amount A in Frage kommenden Marktstaaten zu bestimmen.11

11 Man könnte vorher aber auch den maßgebenden zu verteilenden Residualgewinn ermitteln und eruieren, ob man an dieser Stelle aufgrund einer geringen Profitabilität von Amount A ausgenommen ist. Dies ist jedoch nur eine Frage der Reihenfolge. Das Ergebnis ist davon nicht abhängig.

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Dazu muss der jeweilige lokale Umsatz ermittelt werden bzw. der Umsatz muss den entsprechenden Marktstaaten zugeordnet werden. Dies erfordert sogenannte revenue sourcing rules, die für verschiedene Aktivitäten unterschiedlich sind, was technisch anspruchsvoll sein kann. Die revenue sourcing rules bestimmen, welche Umsätze als aus einem bestimmten Marktstaat stammend gelten. Das folgende Beispiel verdeutlicht die Komplexität: Der Nutzer einer Onlinesuchmaschine befindet sich in Staat A. Der Betreiber der Suchmaschine ist nur in Staat B ansässig. Die Nutzung ist kostenlos und nur die Daten des Nutzers werden verwendet, um genau zugeschnittene Werbung von anderen Unternehmen anzuzeigen, die dafür eine Gebühr an den Suchmaschinenbetreiber entrichten. Das werbende Unternehmen ist in Staat A ansässig und bietet Dienstleistungen an, die i) in Staat A oder ii) in Staat C konsumiert werden können. Damit stellt sich zum einen die Frage, welchem Staat der Amount A tatsächlich zuzuordnen ist (Ort des Nutzers oder Ort des Konsums). Zum anderen ist fraglich, wie eine Zuordnung erfolgen soll, da die IP-Adresse des Nutzers ein Indiz für einen bestimmten Staat sein kann, aber auch mit der Werbevergütung verknüpft werden müsste, wenn nicht pauschale Vorgehensweise zur Anwendung kommen sollen. Darüber hinaus gibt es weitere Herausforderungen, z.B. in Bezug auf die Frage der Behandlung von Zwischenhändlern, Grauimporten, Re-Importen, Parallelimporten und Franchisevereinbarungen. Nachdem diese Zuordnungsherausforderungen jedoch gelöst sind, muss die Schwelle für den neuen Nexus bestimmt werden. Es wird darüber nachgedacht, für ADS und CFB unterschiedliche Anforderungen zu stellen, um eine Steuerpflicht auszulösen. So könnten z.B. die Schwellenwerte unterschiedlich festgelegt werden (z.B. EUR 1 Mio. für ADS und ein höherer Schwellenwert für CFB) oder es könnten unterschiedliche Veranlagungszeiträume (z.B. ein Jahr für ADS und drei Jahre für CFB) angewendet werden. Darüber hinaus werden auch sog. Plusfaktoren für CFB diskutiert,12 die insbesondere darauf abzielen, dass im Marktstaat schon ein Nexus existiert, obwohl man eigentlich Geschäftsmodelle erfassen wollte, die Märkte ohne physische Präsenz durchdringen. Folgendes Beispiel zeigt auf, dass die unterschiedliche Ausgestaltung des Nexus doch diskutabel sein dürfte: A Co. (ansässig in Staat A) ver12 Test 1: physische Präsenz der Unternehmensgruppe vor Ort. Test 2: CFB-Umsatz auf dem Markt über einem bestimmten Betrag.

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

kauft Blue-ray Discs im Direktverkauf an Kunden in Staat B. B Co. (ansässig in Staat A) bietet einen Online-Streaming-Dienst für Filme an, die an Kunden in Staat B gestreamt werden. In beiden Fällen sind die Verkaufszahlen und die Erträge mit Kunden in Staat B gleich. Sollte es ernsthaft einen Unterschied hinsichtlich des Nexus machen, ob es sich um ADS oder CFB handelt? Eigentlich sollte genau das Gegenteil der Fall sein, da die physische Lieferung der Blue-ray Discs die Infrastruktur und die Umwelt in Staat B sogar noch stärker belastet wird (bspw. aufgrund der notwendigen Logistikleistungen im Marktstaat). Im vorliegenden Fall wird davon ausgegangen, dass in jedem Staat, in dem ein Umsatz getätigt wird, ein Nexus hergestellt wird. Außerdem würde dies im Fall von Staat A, E und G bedeuten, dass eine Steuerpflicht zweimal ausgelöst würde (für ADS bzw. für CFB). Der Blueprint berücksichtigt auch die Notwendigkeit einer Segmentierung für den Nexustest (s. Schritt 6). Demnach müsste der Test für jedes Segment und für jede Aktivität durchgeführt werden. In der Fallstudie ergibt sich dadurch keine Änderung, da die Segmentierung einhergeht mit der Kategorisierung nach ADS und CFB. Tab. 2: Nexustest in jeder Marktgerichtsbarkeit Nexustest in jeder Marktgerichtsbarkeit

CFB (EUR in Mio.)

ADS (EUR in Mio.)

Staat A

375

125

Staat B

0

0

Staat C

600

0

Staat D

600

0

Staat E

280

120

Staat F

0

0

Staat G

150

150

Da es sich bei Amount A um ein neues Besteuerungsrecht handelt, das neben dem bestehenden System eingeführt werden soll, sollte es auch unabhängig von diesem sein. Daher wäre es an sich angemessen, den Amount A dort zuzuordnen, wo die Einnahmen erzielt werden. Weitere Schritte wären dann nicht notwendig.

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Allerdings wird in Erwägung gezogen, dass Vergütungen für Tätigkeiten über einen bestehenden Nexus, wie z.B. eine Betriebsstätte oder eine Tochtergesellschaft, in einem zweiten Schritt angerechnet werden könnten, um eine doppelte Zuordnung zu einem Marktstaat zu vermeiden (s. auch Schritt 9). Andererseits könnten die Vergütungen von Betriebsstätten und Tochtergesellschaften relativ einfach erhöht werden, um Amount A indirekt im bestehenden System zu vergüten.

5. Schritt 5 – Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage Wenn eine Unternehmensgruppe in den Anwendungsbereich fällt und ein neuer Nexus geschaffen wird, muss die Steuerbemessungsgrundlage für den Amount A ermittelt werden. Ausgangspunkt ist die Konzernbilanz bzw. Konzern-GuV. Für die Ermittlung des Gewinns vor Steuern (profit before taxes) der Unternehmensgruppe sind mögliche Anpassungen (z.B. Ertragsteueraufwendungen oder Dividendenerträge und Gewinne oder Verluste im Zusammenhang mit Aktien) zu berücksichtigen. Aus Vereinfachungsgründen werden hier jedoch keine Anpassungen vorgenommen; der Gewinn vor Steuern beträgt EUR 660 Mio. (einschließlich B Co., die auf Rohstoffe ausgerichtet ist, da nicht wirklich klar ist, ob B Co. für die Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage eliminiert werden sollte), was einer Gewinnmarge von 26,40 % entspricht. An diesem Punkt beinhalten die Steueranpassungen nur ein Potenzial für Diskussionen zwischen der Unternehmensgruppe und den Steuerverwaltungen und/oder zwischen den Steuerverwaltungen. In Anbetracht des nahezu zu vernachlässigenden Volumens von Amount A für die einzelnen Staaten und die einzelne Unternehmensgruppe erscheinen die Anpassungsrechnungen kaum notwendig.

6. Schritt 6 – Segmentierung In einem sechsten Schritt muss bestimmt werden, ob eine Segmentierung erforderlich ist. Der Blueprint sieht hierfür wiederum mehrere Tests vor, zum Beispiel einen Umsatztest und bestimmte Hallmarks. Hintergrund ist, dass gewisse Unternehmensgruppen insgesamt eine Gewinnmarge aufweisen, die zu niedrig ist, um Amount A anzuwenden, da die Formel zur Verteilung des Amount A das Überschreiten einer bestimmten Gewinnmarge (z.B. 10 %) vorsieht.

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Folgendes Beispiel soll den Gedanken verdeutlichen: Die Unternehmensgruppe A ist tätig im Bereich Onlinesales (Verkauf von Produkten über einen Webshop) und im Bereich des Cloudbusiness. Die Unternehmensgruppe weist eine Gewinnmarge von 5 % aus (= EUR 2 Mrd. Gewinn). Betrachtet man die beiden Segmente beträgt die Gewinnmarge im Bereich Onlinesales 4,77 % (= EUR 1,9 Mrd. Gewinn) und im Bereich Cloudbusiness 50 % (= EUR 100 Mio. Gewinn). Sollte die Formel zur Verteilung von Amount A (s. Schritt 8) eine Mindestgewinnmarge von 10 % vorsehen, würde die Unternehmensgruppe auf dieser Ebene aus der Anwendung von Amount A ausscheiden. Um dann aber den profitablen Bereich der Unternehmensgruppe zu erfassen, soll eine segmentierte Vorgehensweise erfolgen, obwohl auf einer ersten Stufe auf den Umsatz der Unternehmensgruppe abgestellt wird. Mithin würde isoliert nur das Cloudbusiness betrachtet, welches nur deswegen in den Anwendungsbereich von Amount A gelangt, weil der Umsatz aus dem Bereich der Onlinesales dazu beigetragen hat, den Umsatzschwellentest (s. Schritt 2) zu passieren. Entsprechendes würde gelten, wenn die Unternehmensgruppe insgesamt Verluste erzielt, aber ein Segment profitabel genug wäre, um Amount A zu bestimmen, was den immer wieder vorgetragenen Gedanken einer Nettobesteuerung konterkariert, wenn man beim Anwendungsbereich auf die Unternehmensgruppe als solche abzielt. Führen die im Blueprint vorgesehenen Tests dazu, dass eine Segmentierung notwendig ist, dann wäre der Gewinn vor Steuern auf Basis von Segmenten zu bestimmen. Dies dürfte für Unternehmensgruppen umsetzbar sein, solange die Segmentierung, die für die Rechnungslegung verwendet wird, angewendet wird. Für die Steuerverwaltungen stellt sich an dieser Stelle die Herausforderung der Überprüfbarkeit, die in der Praxis kaum möglich sein wird, da die Prüfung eines Segments die Analyse aller zugrundeliegenden Geschäftseinheiten, auch derer im Ausland, erfordert. Zugleich ist nicht vorgesehen und auch praktisch abwegig, dass alle Steuerverwaltungen in jedem Einzelfall eine gemeinsame Betriebsprüfung durchführen. Sollte nicht auf die Segmentberichterstattung, die auch für Rechnungslegungszwecke verwendet wird, zurückgegriffen werden, so müsste eine speziell für die Zwecke des Amount A entwickelte Segmentierung angewendet werden. Diese dürfte sich aber in der Praxis als besonders ungeeignet erweisen, da u.a. zum einen die Zuweisung von Gemeinkosten

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

zu einzelnen Segmenten streitbehaftet sein dürfte. Zum anderen stellen sich in der heutigen Praxis schon erhebliche Herausforderungen bei der Implementierung und Beurteilung von Konzern- und Kostenumlagevereinbarungen, die sich in einem multilateralen Kontext mit 137 Staaten zumindest nicht verringern dürften. Schließlich kann auf das Testat eines Wirtschaftsprüfers, das man als vertrauenswürdigen Ausgangspunkt nehmen könnte, in diesem Zusammenhang nicht einmal mehr zurückgegriffen werden. Die vorliegende Fallstudie basiert auf der Segmentierung, die die Unternehmensgruppe auch für die Rechnungslegung verwendet. Dem Autor ist bewusst, dass die einzelnen Umsatzströme in Bezug auf ADS und CFB nicht nur in der Fallstudie nicht unbedingt der Segmentierung entsprechen. Als Beispiel kann die Automobilindustrie dienen. Eine Segmentierung z.B. in Automobile, Motorräder, Nutzfahrzeuge und Finanzdienstleistungen ist durchaus üblich. Der Verkauf eines Autos kann dann dem Bereich CFB und damit dem Segment Automobile zugeordnet werden. Die Bereitstellung einer zusätzlichen Informationstechnologie oder eines digitalen Dienstes, z.B. die elektronische Aktivierung der Sitzheizung, oder die Sammlung Verwertung der Kfz-Nutzerdaten fällt eher in den Bereich ADS, wird aber wohl auch im Segment Automobile ausgewiesen werden. Hierdurch würden aber ADS- und CFB-Erträge unzutreffend in einem Segment erfasst. Die Segmentierung nach ADS und CFB wäre dann wohl genauer, jedoch weiterhin unzutreffend. Theoretisch korrekt wäre die Segmentierung erst dann, wenn diese nach den einzelnen Tätigkeiten, wie hier etwa Verkauf eines Autos, digitaler Service und Verwertung von Nutzerdaten, erfolgen würde. Wenn die Segmentierung also nicht nach den einzelnen Tätigkeiten in den Bereichen ADS und CFB erfolgt, ist sie ungenau und damit unbrauchbar. Tab. 3: Gewinn vor Steuern – segmentierte Betrachtung Segment

Gewinn vor Steuern (Mio. EUR)

Gewinnmarge

Smartphone (CFB)

471,97

23,54 %

App (ADS)

179,64

45,48 %

171

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

7. Schritt 7 – Berücksichtigung von Verlusten und Gewinnunterdeckungen In einem nächsten Schritt sollen Verluste und Gewinnunterdeckungen (profit shortfalls) berücksichtigt werden. Wenn das Segment oder die Unternehmensgruppe einen Verlust (oder eine Gewinnunterdeckung) erzielt, wird dieser berechnet und zum Ausgleich zukünftiger Gewinne vorgetragen. Die Berücksichtigung möglicher Verluste, aber auch die Berücksichtigung von Gewinnunterdeckungen – d.h. Gewinnmarge ist unterhalb der Rentabilitätsschwelle, – ist konsequent. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Gegensatz zu einer Digital Service Tax (DST) eine Nettobesteuerung angestrebt wird, obwohl dieser Gedanke allein aufgrund der beabsichtigten Segmentierung (s. Schritt 6) konterkariert werden kann. Die Berücksichtigung von Verlusten ist jedoch mit erheblicher Komplexität verbunden. Die Verluste müssten für Amount A gesondert ermittelt werden, und es müssten besondere Regeln für die Restrukturierung und Reorganisation von Unternehmensgruppen sowie für die Reorganisation von Segmenten gelten (z.B. weil das Management oder das Amount A-System es verlangt). Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie mit Verlusten umgegangen werden soll, die vor der Einführung des neuen Systems entstanden sind. Sollen frühere Jahre berücksichtigt werden und wenn ja, wie viele Jahre sind zu berücksichtigen? Die Mehrheit der Unternehmen wird wahrscheinlich verlangen, Verluste zu berücksichtigen. Folglich würden einige Unternehmensgruppen (auch in den kommenden Jahren) nicht verpflichtet sein, eine Steuer auf Amount A zu entrichten, während eine DST eine direkte Auswirkung hätte. Die folgende Tabelle zeigt eine illustrative Übersicht, wobei anzumerken ist, dass es sich um Gewinnmargen der Unternehmensgruppen handelt und nicht um segmentierte Gewinnmargen. Insbesondere die Gewinnmarge von Amazon veranschaulicht, warum einige Personen der Überzeugung sind, dass eine Segmentierung notwendig ist. Amazon würde auf Gruppenbasis wohl kaum in den Anwendungsbereich von Amount A einbezogen werden, was politisch nicht opportun erscheint. Bei segmentierter Betrachtung wäre Amazon hingegen erfasst (wenn auch nur mit

172

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

einem geringen Anteil).13 Dies sollte allerdings zum Nachdenken anregen, ob der Anwendungsbereich nicht insgesamt unzutreffend definiert ist. Tab. 4: Exemplarische Gewinnmargen verschiedener Unternehmensgruppen14 Unternehmensgruppe

Jahr 18/19

Jahr 17/18

Jahr 16/17

Microsoft

31,35 %

29,84 %

23,24 %

Apple

22,81 %

24,78 %

25,24 %

Alphabet (Google)

22,10 %

17,37 %

21,30 %

–53,82 %

10,51 %

–52,08 %

Amazon

4,75 %

4,74 %

2,26 %

Netflix

9,24 %

7,01 %

3,75 %

Twitter

9,67 %

16,51 %

0,36 %

–109,90 %

–9,05 %

–26,35 %

–54,42 %

–96,69 %

–377,26 %

Hellofresh

–1,51 %

–6,47 %

–9,81 %

Spotify

–0,80 %

–0,82 %

–9,24 %

Zalando

2,53 %

2,14 %

4,14 %

15,96 %

22,85 %

20,63 %

Uber

Pinterest Snap

SAP

13 Amazon, Annual reports, proxies and shareholder letters, available at https:// ir.aboutamazon.com/annual-reports-proxies-and-shareholder-letters/default. aspx (abgerufen am 13.10.2020). 14 Data based on the publicly accessible portals Finanzen, available at www.fi nanzen.net (abgerufen am 13.10.2020) and Onvista, available at www.onvis ta.de (abgerufen am 13.10.2020).

173

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

8. Schritt 8 – Berechnung und Zuteilung von Amount A Die Höhe des Amount A ergibt sich aus einer Formel. Die Formel benötigt eine Rentabilitätsschwelle, einen Umverteilungsprozentsatz und einen Verteilungsschlüssel. Es wird hier eine 20-über-10-Regel angewendet, da eine solche Regel nicht sehr unwahrscheinlich ist. Das bedeutet, dass eine Rentabilitätsschwelle von 10 % gilt und 20 % des angenommenen Residualgewinns den Marktjurisdiktionen zugewiesen werden. Die Formel wäre Folgende: Deemed Residual Profit (DRP) = Profit Before TaxesGroup or Segment ./. Routine Profit; Routine Profit = Revenue Group or Segment * x%, whereby x% is 10% in this case study; Amount A = DRP * reallocation percentage (y%), whereby y% is 20% in this case study; Allocable to Market Jurisdictions = Amount A * Allocation Key, for instance revenues.

Eine andere mathematische Methode besteht darin, in einem ersten Schritt die Routinegewinnmarge von der Gewinnmarge abzuziehen, um die Deemed Residual Profit Margin (DRPM) zu berechnen. Diese wird dann mit y % multipliziert. Anschließend erfolgt die Aufteilung auf die Marktstaaten anhand eines Verteilungsschlüssels, z.B. der Umsätze. Tab. 5: Deemed Residual Profit Deemed Residual Profit MNE group

16,40 %

Smartphone (CFB)

13,54 %

App (ADS)

35,48 %

Amount A könnte auf Unternehmensgruppenbasis oder auf segmentierter Basis ermittelt werden. Die folgenden beiden Tabellen zeigen die jeweiligen Ergebnisse.

174

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Tab. 6: Verteilung von Amount A auf Unternehmensgruppenbasis Staat

Amount A (unter der Annahme, dass Betrag A überall dort zugewiesen wird, wo Erträge erzielt werden); in Mio. EUR

A

16,4 (= 16,40 % * 20,00 % * 500)

B

0

C

19,68 (= 16,40 % * 20,00 % * 600)

D

19,68 (= 16,40 % * 20,00 % * 600)

E

13,12 (= 16,40 % * 20,00 % * 400)

F

0

G

9,84 (= 16,40 % * 20,00 % * 300)

Amount A gesamt 78,72

Tab. 7: Verteilung von Amount A auf segmentierter Basis Staat

Amount A (nur CFB) in Mio. EUR

Amount A (nur ADS) in Mio. EUR

Amount A (CFB & ADS) in Mio. EUR

A

10,15 (= 13,54 % * 20,00 % * 375)

8,87 (= 35,48 % * 20,00 % * 125)

19,02 (= 10,15 + 8,87)

B

0,00

0,00

0,00

C

16,25

0,00

16,25

D

16,25

0,00

16,25

E

7,58

8,52

16,10

F

0,00

0,00

0,00

G

4,06

10,64

14,71

Amount A gesamt 54,29

28,03

82,32

Nunmehr kann die Steuerschuld berechnet werden, da der Amount A dem normalen Ertragsteuersatz unterliegen sollte. Zur Vereinfachung wird angenommen, dass es in jedem Staat nur einen Ertragsteuersatz gibt und dass keine Unterschiede in der Behandlung von Personen- und Kapi-

175

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

talgesellschaften existieren. Hierfür wird das Ergebnis aus Tabelle 7 (segmentierte Basis) verwendet. Tab. 8: Amount A-Steuer Staat

Amount A (CFB & ADS)

Ertragsteuersatz

A

19,02

10 %

1,90

B

0,00

20 %

0,00

C

16,25

12 %

1,95

D

16,25

26 %

4,22

E

16,10

5%

0,80

F

0,00

0%

0,00

G

14,71

45 %

6,62

Amount A-Steuer

Amount A-Steuer (in Mio. EUR)

15,50

Es ist zu beachten, dass der Betrag der Amount A-Steuer (EUR 15,5 Mio.) einem Steuersatz von 2,21 % auf grenzüberschreitende Einkünfte der Unternehmensgruppe entspricht (bezieht sich auf die Einnahmen der A Co. aus dem direkten Geschäft mit den Staaten E und G).

9. Schritt 9 – Doppelerfassung Betrachtet man Abbildung 1, so könnte die Berechnung des Amount A gemäß Schritt 8 zu einer Doppelerfassung führen. Es stellt sich die Frage, ob dieselben Residualgewinne nach dem Fremdvergleichsgrundsatz und aufgrund des neuen Systems bestimmten Marktjurisdiktionen – und somit doppelt – zugeordnet werden. Folglich dürften diese Marktjurisdiktionen die gleichen Residualgewinne mehrfach besteuern. Dies kann von der Definition her jedoch schon kaum der Fall sein. Einerseits werden die handelsrechtlichen fiktiven Residualgewinne im Amount A-System zugewiesen; im Falle des Fremdvergleichsgrundsatz basieren die Residualgewinne auf steuerlichen Regeln. Andererseits wird der fiktive Residualgewinn politisch anhand einer Gewinnschwelle ermittelt, während sich beim Fremdvergleichsgrundsatz der Residualgewinn aus dem jeweiligen Sachverhalt ergibt und wirtschaftlich motiviert ist. Schließlich fehlt es dem Amount A an einem eindeutigen Narrativ

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

(was soll eigentlich verteilt und besteuert werden) und einer theoretisch fundierten Grundlage.15 Es handelt sich also um einen eigenständigen Betrag, der auf politischen Vereinbarungen beruht und das Ergebnis von Diskussionen über die zwischenstaatliche Verteilungsgerechtigkeit ist. Gleichzeitig wird eingeräumt, dass es in Einzelfällen zu Überschneidungen bei den Beträgen kommen kann, dass aber die eindeutige Bestimmung dieser Überschneidungen sehr komplex ist und aufgrund der unwesentlichen Höhe des Amount A vernachlässigt werden sollte. 15 Der aktuelle Entwurf geht nicht ernstlich auf die Herausforderungen der digitalen Wirtschaft ein. Drei Gründe könnten in Betracht gezogen werden, um sicherzustellen, dass der Amount A nicht nur das Ergebnis eines Wettbewerbs um die Zuweisung von Besteuerungsrechten ist: (i) die Zurechnung von Gewinnen, die bisher nicht nach dem Fremdvergleichsgrundsatz erfasst wurden, wie z.B. Marktvorteile, Konzernvorteile oder Erträge aus bestimmten immateriellen Vermögenswerten, die sich nicht in Vergleichsdaten abbilden lassen, wie z.B. Goodwill. Bei diesen Vorteilen bzw. immateriellen Vermögenswerten kann es sich um Synergieeffekte, Netzwerkeffekte, Kundendaten, Beiträge der Nutzer zur Wertschöpfung oder standortspezifische Vorteile handeln. Aufgrund ihrer Immaterialität lassen sie sich nicht eindeutig zuordnen und werden teilweise nicht angemessen vergütet. Ausgehend von dieser Annahme könnte für diese Werte eine pauschale Vergütung in Abhängigkeit von der Profitabilität der Unternehmensgruppe angesetzt werden. (ii) die Allokation von Übergewinnen, da ein Routinegewinn Voraussetzung für die Anwendung von Amount A ist. Übergewinne werden erzielt, wenn eine Gesamtkapitalrendite erwirtschaftet wird, die größer ist als die Gesamtkapitalkosten der Unternehmensgruppe; mit anderen Worten, es wird mehr Wert geschaffen, als die Investoren erwarten und als Entschädigung verlangen. (iii) die Zuteilung von Monopolrenten (vgl. auch Lammers, The OECD Concept of User Par-ticipation and More Pragmatic Way to Tax Rent Seeking, 96 Tax Notes International (18.11.2019), 611 (621)); d.h. die zusätzliche Rente, die ein Monopolist im Vergleich zum vollkommenen Wettbewerb erhält, weil er seine Preise unabhängig vom Wettbewerb gewinnmaximierend festlegen kann. Diese Argumentation mag für bestimmte Unternehmensgruppen gelten, aber nicht in jedem Einzelfall. Außerdem würde eine Reallokation bis zu einem gewissen Grad dazu beitragen, die Marktmacht von Monopolen zu begrenzen. Allerdings könnte sie in manchen Fällen die Steuerlast im Vergleich zum Status quo verringern und somit einen komparativen Vorteil schaffen. Diese Gründe würden auch zu dem Schluss führen, dass es keine Wechselwirkung zwischen Amount A und dem Fremdvergleichsgrundsatz gibt.

177

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Es werden jedoch Mechanismen erwogen, um das bestehende System mit dem neuen System zu verbinden. Das Ziel ist die Berücksichtigung von Residualgewinnen bei der Zuteilung des fiktiven Residualgewinns für Zwecke des Amount A, die angeblich bereits nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zugewiesen wurden. Ein solcher Ansatz vermittelt aber eher das Gefühl, dass die Neuzuweisung von Besteuerungsrechten auf ein Minimum beschränkt werden soll. In diesem Zusammenhang wird ein safe harbour für Marketing- und Vertriebsgewinne diskutiert. Die Prämisse dieses safe harbour ist es, dass Amount A nicht jenen Marktjurisdiktionen zugewiesen werden sollte, in denen eine Unternehmensgruppe bereits Residualgewinne erzielt. Hierfür sind drei Kennzahlen erforderlich: •

Gewinne, die dem Marktstaat nach den bestehenden Gewinnzuordnungsregeln für die Durchführung von Marketing- und Vertriebsaktivitäten im Zusammenhang mit in-scope-Umsätzen zugewiesen werden,



eine safe harbour-Rendite, die sich aus der Summe von zwei Komponenten zusammensetzt •

Amount A, der nach der Formel für Amount A berechnet wird; und



einer festen Rendite für Routinemarketing- und Routinevertriebsaktivitäten.

Die folgenden Tabellen zeigen die Berechnung. Wenn der Marketing- und Vertriebsgewinn •

niedriger ist als die festgelegte Rendite, muss der volle Amount A zugeteilt werden;



die festgelegte Rendite übersteigt, aber unter der safe harbour-Rendite liegt, würde der diesem Staat zugewiesene Amount A auf die Differenz zwischen der safe harbour-Rendite und dem bereits der lokalen Präsenz zugewiesenen Gewinn reduziert; und



die safe harbour-Rendite übersteigt, würde diesem Markstaat kein Amount A zugewiesen werden.

178

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Tab. 9: Überblick Gewinn vor Steuern Staat

Unternehmen

Marketing & Vertrieb (in-scope-Aktivitäten)

Gewinnmarge

Gewinn vor Steuern (vereinfacht dargestellt)

A

A Co.

Ja (aber auch andere Aktivitäten)

13,41 % (s. Anhang)

275 (s. Anhang)

B

B Co.

Nein

––

––

C

C Co.

Ja

8,33 %

50

D

D Co.

Ja

16,67 %

100

E

E Co.

Ja

15,00 %

15

F

F Co.

Nein

––

––

G

––

––

––

––

Tab. 10: Berechnung von Amount A unter Berücksichtigung des safe harbour Staat

Amount A

Safe harbourFestgelegte Rendite Rendite (vereinfachende Annahme; Gewinnmarge 5 %)

Gewinn vor Steuern

Amount A – Neu

A

19,02

102,5 (= 5 % * Erträge A Co. = 5 % * 2.050)

275

0 (= 121,52 – 275 , 0)

C

16,25

30

46,25

50

0

D

16,25

30

46,25

100

0

E

16,10

5

21,10

15

6,10

G

14,71

0

14,71

0

14,71

121,52 (= 19,02 + 102,5)

Im Fall von Staat A wurde aus Vereinfachungsgründen die gesamte Tätigkeit berücksichtigt. Normalerweise müssten nur die Marketing- und Vertriebsaktivitäten berücksichtigt werden. In den Fällen der Staaten C und D ist es fraglich, ob die Vergütung fremdüblich war. Es ist auch offensichtlich, dass Verrechnungspreisprüfungen, bei denen unterschiedli-

179

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

che Beurteilungen vorgenommen werden, direkte Auswirkungen auf diesen safe harbour haben. Tab. 11: Neuberechnung Amount A-Steuer Staat

Amount A (CFB & ADS)

Ertragsteuersatz Amount A-Steuer (in Mio. EUR)

A

0,00

10 %

0,00

B

0,00

20 %

0,00

C

0,00

12 %

0,00

D

0,00

26 %

0,00

E

6,10

5%

0,80

F

0,00

0%

0,00

G

14,71

45 %

6,62

Total Amount A Tax

7,42

Dieses Ergebnis könnte im Übrigen auch mit einer konsensbasierten DST erzielt werden, sodass es eines solchen komplexen multilateralen Amount A-Systems nicht bedarf: Die Unternehmensgruppe führt nur seitens der A Co. Direktgeschäfte mit den Staaten E und G aus. Würde man lediglich auf die ADS-Erträge abstellen (Staat E: 120; Staat G: 150), dann bedürfte es lediglich eines DST-Steuersatzes von 0,67 % (Staat E) bzw. 4,41 % (Staat G).

10. Schritt 10 – Ermittlung der „zahlenden“ Unternehmen Nachdem nun der Amount A festgelegt und die Steuerpflicht entsprechend bestimmt wurde, muss festgelegt werden, welche Unternehmen zum Amount A beitragen müssen (zahlende Unternehmen) und welche Staaten eine Doppelbesteuerung vermeiden müssen. Dieser Schritt ist grundsätzlich der schwierigste (technisch wie politisch), da die Staaten nunmehr (offensichtlich16) auf Besteuerungsrechte verzichten müssen.

16 Selbst bei den vorhergehenden Schritten schwingt der Gedanke immer wieder mit und macht sich deutlich bemerkbar durch die Komplexität des Ansatzes,

180

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Folgt man dem bisherigen Konzept, könnte es an dieser Stelle durchaus sinnvoll sein, einen Aktivitätstest, einen Marktverbindungstest und einen Rentabilitätstest (ggf. auf segmentierter Basis) durchzuführen. Dies würde bedeuten, dass nur Unternehmen, die im Bereich ADS und CFB im Zusammenhang mit dem relevanten Markt tätig sind und mehr als Routinefunktionen ausüben, zum Amount A beitragen müssten. Dies würde ein umfassendes Dokumentationspaket über die gesamte Unternehmensgruppe (insbesondere CbCR, Master File, alle Verrechnungspreisdokumentation der einzelnen Unternehmen) und die entsprechende Bewertung für jedes einzelne Unternehmen erfordern. Zugleich verbindet dieser Ansatz den Fremdvergleichsgrundsatz mit dem neuen System. Damit wird das Problem geschaffen, dass u.a. Verrechnungspreiskorrekturen aufgrund von Verrechnungspreisprüfungen, die teilweise erst Jahre später stattfinden, die Ermittlung der zahlenden Unternehmen beeinflussen können. Außerdem ist es möglich, dass die Finanzbehörde bei Verrechnungspreisprüfungen an die für Amount A getroffene Festlegung gebunden ist. Betrachtet man die Unternehmen in der Fallstudie, ist es nicht möglich, eine klare Aussage zu treffen, die nicht kritikfähig ist: •

A Co. ist die zentrale Unternehmenseinheit in der Unternehmensgruppe. Sie ist auch in beiden Segmenten tätig, und sie ist die Einheit, die das Direktgeschäft in den Staaten E und G betreibt, so dass eine Marktverbindung hergestellt werden kann.



B Co. dürfte vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sein, da sie als Routineeinheit insbesondere im Rohstoffsektor tätig ist.



C Co. ist als Routinevertriebseinheit in Staat C tätig und verfügt über keine entsprechende Rentabilität. Wenn ein Amount A dem Staat C zugeordnet wird, kommt eher die A Co. in Frage.



Im Falle von D Co. könnte dies für Staat D anders gesehen werden. Als vollwertige Vertriebseinheit erwirtschaftet sie durch ihre Tätigkeit in Staat D mehr als einen Routinegewinn. Folglich könnte Amount A dem Staat D zugeordnet werden, wenn man davon ausgeht, dass der Staat D überhaupt einen Anteil an Amount A erhalten soll. Denn aus der Sicht des derzeitigen Systems werden dem Staat D bereits mehr als die Routinegewinne zugerechnet.

da jeder Staat scheinbar versucht, eine Umverteilung nur zu seinen Gunsten vorzunehmen.

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie



Ob E Co. auch im Staat E zum Amount A beitragen sollte, könnte man anhand seiner Rentabilität begründen. Sie wird jedoch kaum als Entrepreneur zu qualifizieren sein.



Zur F Co. ist anzumerken, dass sie als Finanzierungseinheit für die gesamte Unternehmensgruppe fungiert. Ob sie sich jedoch als zahlende Einheit qualifiziert, scheint fraglich, da sie keine Marktverbindung aufweist. Es scheint, dass das OECD-Sekretariat vorschlägt, solche gruppeninternen (Finanzierungs-)Einheiten auszuschließen, was Gestaltungsspielräume öffnet und noch mehr Druck in das bestehende System bringt und damit den Kritikern des Fremdvergleichsgrundsatzes eine weitere Argumentationsbasis liefert.

Im Hinblick auf den Rentabilitätstest wird in der Literatur u.a. auch vorgeschlagen, dass Verrechnungspreisanpassungen, die die Rentabilität beeinflussen könnten, berücksichtigt werden sollten. Dies ist abzulehnen, da eine solche Anpassung keinen Einfluss auf die handelsrechtliche Gewinn- und Verlustrechnung im betreffenden Jahr hat. Sie hat unter Umständen eine höhere Steuerzahlung im laufenden Jahr zur Folge, wäre dann aber ebenfalls irrelevant, da das neue System auf den Gewinn vor Steuern abstellt. Darüber hinaus schlägt das OECD-Sekretariat vor, bereinigte Gewinn- und Verlustrechnungen der Einzelgesellschaften zu verwenden. Das bedeutet, dass die GuV jeder einzelnen Einheit innerhalb des Rechnungslegungsrahmens erstellt werden muss, den die Unternehmensgruppe für ihre Abschlüsse verwendet. Schließlich sollte der Rentabilitätstest abweichend von der Formel zur Ermittlung des Amount A auf einem Substance-Carve-out-Test entsprechend der effektiven Mindestbesteuerung beruhen.

11. Schritt 11 – Vermeidung der Doppelbesteuerung und Administration Der letzte Schritt ist die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb des multilateralen Amount A-Systems. Es ist wichtig, dass die Neuzuweisung von Besteuerungsrechten innerhalb dieses Systems nicht zu Doppelbesteuerungen führt. Daher werden verschiedene Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung diskutiert (Freistellungs-, Anrechnungs- oder Umverteilungsmethode). Dies ist angemessen, da es sich bei Amount A lediglich um eine Umverteilung von Besteuerungsrechten zwischen den Staaten handelt und die Unternehmensgruppen nicht zusätzlich belastet werden sollten.

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Zugleich ist offensichtlich, dass ein solches multilaterales System nur funktionieren kann, wenn eine zentrale Verwaltung auf Seiten der Steuerpflichtigen (bspw. durch die UPE), aber auch auf Seiten der Verwaltung erfolgt (single point of contact mit einer leading tax administration). So würde gewährleistet, dass eine Unternehmenseinheit stellvertretend für die Unternehmensgruppe gegenüber einer Verwaltung handelt und diese Verwaltung stellvertretend für alle anderen Verwaltungen (Entgegennahme der Steuererklärung für Amount A und Prüfung). Anderweitig wäre der Steuerpflichtige 137 Verwaltungen ausgesetzt; bisherige Instrumente wie ICAP, gemeinsame steuerliche Außenprüfungen oder (Vorab-)verständigungsverfahren sind für ein solches System gänzlich untauglich. Der Ansatz bringt es zugleich mit sich, dass ein Weltsteuergericht notwendig wird. Letzteres wird derzeit im Blueprint nicht diskutiert, ist aber nach hiesiger Einschätzung notwendig, da der Steuerpflichtige anderweitig faktisch keinen Rechtschutz begehren kann (er kann sich lediglich in 137 Staaten an das jeweilige Gericht wenden, dessen jeweiliges Urteil jedoch für die anderen 136 Staaten irrelevant ist) und die Auslegung von Amount A im Belieben der handelnden Verwaltungen steht und einer richterlichen Rechtsfortbildung entzogen wird.

12. Zwischenfazit Der UA hat im Hinblick auf Amount A seine ursprünglichen Ziele – Lösung der Herausforderungen der digitalen Wirtschaft und Vermeidung einer Fragmentierung des internationalen Steuerrechts – aus den Augen verloren. Man mag den derzeitigen Bemühungen zwar zugutehalten, dass es eine politische Leistung ist, dass in Zeiten, in denen sich Unilateralismus besonderer Beliebtheit erfreut, weiter versucht wird, einen multilateralen Konsens zu erzielen und dem Blueprint auch Fortschritte zu entnehmen sind. Allerdings ähnelt das Amount A-System eher einer Rube-Goldberg-Maschine17, die schließlich eine nicht nennenswerte Umverteilung von Besteuerungsrechten vornimmt und dennoch derart in das bestehende System eingreift, dass man ahnt, wohin die Reise in Zukunft gehen könnte. Nicht immer muss Multilateralismus auch ein besseres Ergebnis liefern und damit die dominante Strategie sein.

17 Vanderwolk, The OECD’s Draft Blueprints For Pillars 1 and 2 – Rube Goldberg Lives On, (3 Sept. 2020), available at https://news.bloombergtax.com/ transfer-pricing/insight-the-oecds-draft-blueprints-for-pillars-1-and-2-rube-gold berg-lives-on (abgerufen am 13.10.2020).

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Die Neuzuweisung von Besteuerungsrechten könnte hingegen auf eine einfachere, pragmatischere und transparentere Weise erreicht werden, um zur Verteilungsgerechtigkeit beizutragen und das System zu stabilisieren. Ein transparenter Ansatz sollte dabei mit Daten beginnen, zu denen alle beteiligten Verwaltungen Zugang haben. Methoden, die von allen 137 Staaten des Inclusive Framework verwendet werden können, sollten genutzt werden, um die Daten leicht zu überprüfen. Es sollte auch klar sein, dass eine umfassende Sachverhaltsprüfung mit einem vollständigen Detaillierungsgrad, wie im Bereich der Verrechnungspreise, in einem multilateralen System kaum machbar erscheint und deswegen auch die Verbindung zwischen dem neuen und dem bestehenden System geradezu abwegig ist. Dementsprechend muss es eindeutige Vorgaben und klare Formeln geben, die auf definierten und leicht überprüfbaren Unterlagen basieren. Dies vermag mit Ungenauigkeiten einhergehen, verhilft dem Amount A-System aber zu dessen Anwendbarkeit seitens aller Beteiligten.

III. Berücksichtigung von Vereinfachungspotenzialen 1. Ein formelhafter Ansatz Die Anwendung von Amount A lässt viele Fragen offen und ist nach Ansicht des Autors bei 137 und möglicherweise mehr Staaten nicht praxisreif, es sei denn man begrenzt die Anzahl der Fälle (und damit der Unternehmensgruppen) auf ein Minimum, was durch ein Anheben des Umsatzschwellenwertes auf EUR 5 bis 10 Mrd. erreicht werden könnte. Das Ziel der Umverteilung von Besteuerungsrechten kann auch erreicht werden, wenn Ungenauigkeiten in Kauf genommen werden und ein rein formelhafter Ansatz gewählt wird, der neben das bestehende System hinzutritt. Da sich das Ausmaß von Amount A und damit der Umverteilung von Besteuerungsrechten in sehr überschaubaren Dimensionen bewegt, ist eigentlich eine Kosten-Nutzen-Analyse mit Blick auf die Verwaltungsund Folgekosten zwingend. Es wird kein stabiles System geschaffen und damit der Fragmentierung des internationalen Steuerrechts entgegengewirkt, wenn wenig Besteuerungsrechte umverteilt und zugleich erhebliche administrative Bürden auferlegt werden. Deshalb werden im Folgenden einige Vereinfachungsmöglichkeiten vorgestellt, wobei das grundsätzliche Vorgehen beibehalten wird. Es wird je-

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doch in einem multilateralen Kontext sowohl für Steuerpflichtige – auch mit komplexen Unternehmensstrukturen – als auch für Steuerverwaltungen weltweit administrierbar sein. Ungeachtet dessen ist auch dem Autor bewusst, dass dieser Vorschlag „angreifbar“ ist. Am Ende sind aber immer die Alternativen gegeneinander abzuwägen.

2. Bemessungsgrundlage: Konzerngewinn Ausgangspunkt sollte der Gewinn der Unternehmensgruppe sein. Entsprechend sollte die geprüfte und testierte konsolidierte Gewinn- und Verlustrechnung der Unternehmensgruppe verwendet werden. Es wird davon ausgegangen, dass der zu versteuernde Amount A so gering erscheint, dass berechtigte und begründete Einwände gegen die Anwendung von Rechnungslegungsstandards zur Ermittlung des zu versteuernden Gewinns vernachlässigt werden können. Ebenso besteht keine Notwendigkeit für steuerliche Anpassungen, die in der Praxis zu Diskussionen führen werden. Hieraus folgt, dass die Definition einer Unternehmensgruppe den Rechnungslegungsstandards folgt. Da die GuV die Basis für die Berechnung von Amount A bilden würde, gibt es keine Verlustvorträge und keine Verrechnungspreisanpassungen, die berücksichtigt werden müssten. Da der Gedanke der Nettobesteuerung schon im jetzigen Blueprint verletzt wird, würde er hier insoweit es Verlustvorträge betrifft verletzt werden. In dieser Fallstudie beläuft sich das Gewinn vor Steuern der Unternehmensgruppe auf EUR 660 Mio., was einer Gewinnmarge von 26,40 % entspricht.

3. Umsatzschwellen-, Aktivitäts- und Nexustest Den Umsatzschwellentest bedarf es nicht, da die hiesigen Vereinfachungspotenziale das System administrierbar gestalten und damit gar keine Notwendigkeit besteht, den Anwendungsspielraum (offensichtlich) einzugrenzen. Damit könnten auch verfassungs- und europarechtliche Probleme vermieden werden. Der Aktivitätstest wäre ebenfalls nicht erforderlich. Um unterschiedliche Positionen zum Anwendungsbereich von Amount A in Bezug auf ADS, CFB und andere Aktivitäten zu überwinden, könnte ein vereinfachter und quantitativer Ansatz angewendet werden, der auf spezifischen Indikatoren wie Umsatz oder Gewinn pro Mitarbeiter und Gesamtkapitalrendite (RoA) basiert (Digitalisierungsgrad). Wenn diese (politisch) ver-

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Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

einbarten (und am besten empirisch getesteten) Schwellenwerte (kumulativ oder alternativ) überschritten würden, würde die Unternehmensgruppe in den Anwendungsbereich fallen. Wenn nicht, fällt die Unternehmensgruppe aus dem Anwendungsbereich heraus. Dieser Ansatz würde nicht auf eine bestimmte Gruppe von IT-Unternehmen, insbesondere in den USA, abzielen. Vielmehr würde sich diese Vorgehensweise an eine wachsende Zahl von Unternehmen entsprechend ihres Digitalisierungsgrades richten. Sicherlich könnten an dieser Stelle auch Unternehmensgruppen rausfallen, die man sich im Anwendungsbereich wünschen würde. Die Logik hinter den Indikatoren ist die folgende: Es könnte angenommen werden, dass die finanzielle Produktivität pro Mitarbeiter eines Unternehmens tendenziell mit dem Digitalisierungsgrad eines bestimmten Geschäftsmodells zunimmt und digitalisierte Geschäftsmodelle weniger auf Sachwerte, sondern vor allem auf immaterielle Werte angewiesen sind. Daher könnte man annehmen, dass die Indikatoren für digitalisierte Unternehmensgruppen höher sind als für traditionelle Unternehmensgruppen. Schließlich können beide Indikatoren dem CbCR entnommen werden, der zur Verfügung stehen würde, wenn die Umsatzschwelle auf EUR 750 Mio. festgelegt wird. Es mögen auch andere Indikatoren denkbar sein, sie sollten aber leicht zugänglich sein, sodass auf vorhandene Daten zurückgegriffen werden kann. Zudem schließt dieser Vorschlag es nicht aus, dass Unternehmensgruppen bestimmter Branchen aus dem Anwendungsbereich ausgenommen werden könnten. Allerdings sollte eine solche Ausnahme auf Branchenschlüsseln, wie dem NACE-Code, basieren. Damit würden Unternehmensgruppen, die beispielsweise vorwiegend in der Rohstoffindustrie tätig sind, ausgenommen werden können. Derzeit müssten selbst diese Unternehmensgruppen ihre gesamten Ertragsströme daraufhin analysieren, ob sie nicht doch die Definition von ADS oder CFB erfüllen. Der Ausnahmentest für das Inlandsgeschäft wäre ebenfalls nicht erforderlich, da es zum einen an einer fundierten Begründung dafür mangelt, zum anderen regelt sich dieser Bereich über den Nexus. Ein Nexustest in jeder Marktjurisdiktion – mit all den vorgenannten Problemen mit den revenue sourcing rules – wäre weiterhin notwendig, würde aber ohne Differenzierung hinsichtlich ADS und CFB angewen-

186

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

det. Die folgenden Tabellen zeigen die entsprechende Berechnung des Amount A, der auf der oben angeführten Formel basiert. Tab. 12: Nexustest Nexustest

CFB & ADS & andere Aktivitäten

Staat A

500

Staat B

100

Staat C

600

Staat D

600

Staat E

400

Staat F

0

Staat G

300

Tab. 13: Deemed Residual Profit Deemed Residual Profit Unternehmensgruppe

16,40 %

Tab. 14: Amount A-Steuer Staat

Amount A (in Mio. EUR)

Ertragsteuersatz

Amount A Steuer (in Mio. EUR)

A

16,4

10 %

1,64

B

3,28

20 %

0,66

C

19,68

12 %

2,36

D

19,68

26 %

5,12

E

13,12

5%

0,66

0%

0,00

45 %

4,43

F

0

G

9,84

Total

82

14,86

Der Unterschied bzgl. der Amount A-Steuer zu den bisherigen Ausführungen (s. Tab. 8) ist vernachlässigbar, kann aber mit deutlich weniger

187

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Aufwand erreicht werden. Ein Unterschied macht sich in dieser Fallstudie nur dann bemerkbar, wenn man den safe harbour für Marketingund Vertriebsgewinne (s. Tab. 11) für sachgerecht erachten und berücksichtigen würde, was auch im Rahmen dieses Vereinfachungsvorschlags zumindest möglich wäre, aber eigentlich keinem anderen Zweck als der Reduzierung des Umverteilungsvolumens dient. Dann könnte Amount A auch nur dorthin verteilt werden, wo derzeit kein Nexus existiert. Wenn dann doch eine weitergehende Umverteilung angestrebt werden sollte, könnte dies auch im bestehenden System durch standardisierte Aufschläge im Rahmen des Fremdvergleichsgrundsatz, die den Gedanken von Amount A und auch bzgl. dessen Volumen annähernd widerspiegeln, erreicht werden. Ein solches Verfahren ist in der Literatur bereits beschrieben worden.18

4. Die Formel Die zuvor beschriebene Formel könnte beibehalten werden. Allerdings ist der derzeit diskutierte Profitabilitätsschwellenwert zugleich der Anlass für die Diskussionen bzgl. einer Segmentierung (s. Beispiel in Abschnitt B.II.6). Würde man die Profitabilitätsschwelle hingegen auf 0 % setzen, würde die Unternehmensgruppe A aus dem Beispiel in Abschnitt B.II.6 erfasst werden, ohne dass es einer Segmentierung bedarf. Verbunden werden könnte diese Variante mit einem progressiven Umverteilungsfaktor (profit escalator). Geht man derzeit von einer 20-über10-Regel aus, so könnte eine 2x-über-x-Regel angewendet werden. Damit würde der Umverteilungsfaktor immer doppelt so hoch sein, wie die Profitabilität der Unternehmensgruppe. Im Falle des vorgenannten Beispiels würde dann eine 10-über-5-Regel angewendet werden. Auf diese Weise würde man das „Amazon-Problem“ (s. Abschnitt B.II.7) und die Diskussion über Gewinnunterdeckungen (profit shortfalls) lösen, ohne das System dadurch zu verkomplizieren. Zuzugeben ist jedoch, dass dann die Anzahl der Unternehmensgruppen ansteigen würde, die eine Amount A-Steuer zu entrichten hätten. Dies wiederum dürfte aus insbesondere zwei Gründen für die Unternehmen unerheblich sein: Sollte die Amount A-Prozessabfolge bis zur Formel durchgeprüft sein und man würde auf Basis der derzeit vorgeschlagenen 18 Förster/Greil/Hilse, Taxing the Digital Economy – The OECD Secretariat’s New Transfer Pricing A-B-C and Alternative Courses of Action, 27 International Transfer Pricing Journal 1, (2020).

188

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Formel rausfallen, dann sind die überwiegenden administrativen Aufwendungen schon angefallen. Zudem sollte die Doppelbesteuerung im Bereich von Amount A im Rahmen eines neuen Systems gänzlich vermieden werden. Voraussetzung ist, dass das System hierfür entsprechend ausgestaltet wird und anerkannt wird, dass es sich beim Amount A nur um eine Umverteilung von Besteuerungsrechten zwischen den Staaten handelt und nicht um eine zusätzliche Steuer. Auf diese Weise würden auch Entwicklungsländer eher mitgenommen werden, da nicht umgehend das Signal gegeben würde, dass eigentlich keine Umverteilung vorgenommen bzw. nur auf große Unternehmensgruppen begrenzt werden soll. Schließlich ist auch das Argument, dass eine Unternehmensgruppe unterhalb von bspw. 10 % keine Residualgewinne erzielen würde, nicht haltbar. Die derzeit vorgesehene Profitabilitätsschwelle und die damit verbundene Definition des Residualgewinns ist eine politisch bestimmte Größe und orientiert sich weder an individuellen noch ökonomischen Gegebenheiten. Entsprechend kann sie auch auf 0 % abgesenkt werden. Darüber hinaus bestimmen sich Residualgewinne normalerweise auf Basis des Einzelfalls, wobei verschiedene Faktoren, wie bspw. Marktmacht und Wettbewerbssituation, hierfür entscheidend sind. Der progressive Umverteilungsfaktor trägt zudem dazu bei, dass profitablere Unternehmensgruppen auch mehr umverteilen müssten. Dies ist dann sachgerecht, wenn man akzeptiert, dass insbesondere Unternehmensgruppen, die bspw. neue Techniken und vermehrt immaterielle Werte einsetzen, unabhängiger von Personalfunktionen sind und von Netzwerkeffekten profitieren, profitabler sind.

5. Die Unternehmensgruppe als Steuersubjekt Die Unternehmensgruppe sollte selbst als Steuersubjekt für Zwecke der Amount A-Steuer gelten. Dabei würde die UPE (hier A Co.) als Vertreter der Unternehmensgruppe gegenüber der führenden Steuerverwaltung (leading tax administration – LTA) agieren. Die LTA sollte grundsätzlich die Steuerverwaltung der UPE sein (hier die Steuerverwaltung in Staat A). Auf administrativer Ebene ist die UPE also zentral für die administrativen Belange der Amount A-Besteuerung zuständig. Dementsprechend muss die UPE der LTA eine umfassende und leicht nachprüfbare Berechnung und Zuordnung des Amount A zur Verfügung stellen und Zugriff auf die Systeme der Unternehmensgruppe gewähren. Um den Verwaltungsaufwand so gering wie möglich zu halten, sollte ein one-

189

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

stop-shop bzw. ein single point of contact eingerichtet werden. Daher prüft die LTA (ggf. zusammen mit bestimmten wenigen anderen Steuerverwaltungen) die eingereichte Amount A-Steuererklärung, veranlagt die Amount A-Steuer und weist ihn den jeweiligen Marktstaaten zu. Dies wiederum bedingt, dass der Steuerpflichtige sich auch an eine zentrale Instanz wenden können muss, um Rechtsmittel einzulegen (s. zum Weltsteuergericht Abschnitt B.II.11).

6. Die Besteuerung der Unternehmensgruppe Die UPE unterliegt dann mit dem ihr zugewiesenen Anteil des Amount A der Besteuerung in den Marktjurisdiktionen. Der jeweils lokale Anteil des Amount A sollte mit dem normalen Körperschaftssteuersatz besteuert werden, und es sollte kein Sondersteuersatz zulässig sein; was in Deutschland nicht nur wegen der GewSt schon eine besondere Herausforderung darstellt. Die UPE wäre verpflichtet, die Steuer auf den Amount A an die Steuerverwaltungen der Marktjurisdiktionen oder an die LTA zu entrichten, die dann die Steuer an die anderen relevanten Marktjurisdiktionen weiterleitet. Etwaige Ausgleichszahlungen durch Unternehmen der Unternehmensgruppe lösen dann keine steuerlichen Konsequenzen aus.19 Dies bedeutet, dass die Zahlungen für die zahlende Unternehmenseinheiten nicht steuerlich absetzbar sind und das steuerpflichtige Einkommen des Empfängers, hier der UPE, nicht erhöhen.

7. World Tax Credit In einem nächsten Schritt werden alle von der UPE an die Marktjurisdiktionen unter Amount A gezahlten Steuern zu einer Weltsteuer auf Amount A addiert; in dieser Fallstudie EUR 14,86 Mio. Die Weltsteuer auf Amount A wird in ein entsprechendes Weltsteuerguthaben auf Amount A (World Tax Credit) umgerechnet.

19 Zivilrechtlich ergibt sich daraus ein Anspruch gegen das zahlende Unternehmen in Höhe ihres Steueranteils in Höhe von Amount A. Im Beispiel hätte die A Co. dann einen Anspruch in Höhe von insgesamt EUR 2,19 Mio. gegen D Co. Steuerrechtlich sollte dieser Vorgang dann jedoch unbeachtlich sein.

190

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Dieses Guthaben kann dann in dem jeweiligen Staat von den dort steuerpflichtigen Unternehmenseinheiten der Unternehmensgruppe genutzt werden. Die Entscheidung, welche Unternehmenseinheit das Steuerguthaben in dem jeweiligen Staat nutzen darf, kann jedoch der UPE überlassen werden. Einzige Voraussetzung ist, dass dieses Guthaben nur in Staaten genutzt werden kann, in dem zahlende Unternehmenseinheiten ermittelt wurden. Hierdurch kommt der Gedanke zum Ausdruck, dass es sich bei Amount A lediglich um eine Umverteilung zwischen den Staaten handelt.

8. Ermittlung der „zahlenden“ Unternehmen Eine weitere Vereinfachung betrifft die Ermittlung der zahlenden Unternehmen. Sie würden ausschließlich auf der Grundlage eines Rentabilitätstests ermittelt. Da Amount A und die Amount A-Steuer aus einer Unternehmensgruppenbetrachtung resultieren, ist diese Betrachtung auch hier konsequent fortzusetzen. Der Gesamtgewinn, der verteilt wird, resultiert aus dem Zusammenwirken aller Einheiten. Entsprechend sind auch alle Einheiten grundsätzlich verpflichtet, einen Beitrag zu leisten; zumindest fiktiv (s. Abschnitte B.III.5-7). Die Aktivitäten eines Unternehmens oder sein Bezug zu einem Markt sind völlig irrelevant. Um jedoch sicherzustellen, dass nur Unternehmenseinheiten zum Amount A beitragen, die es sich finanziell leisten können, wird eine Rentabilitätsschwelle gemäß der Amount A-Formel angewendet. Da der Residualgewinn jedoch auf dem Zusammenspiel aller Einheiten basiert, wäre auch an dieser Stelle keine Profitabilitätsschwelle notwendig. Außerdem würde dadurch sichergestellt, dass die Steuer auf den Amount A in jedem Fall gezahlt werden kann, was im Blueprint nicht sichergestellt ist. Der Beitrag zur Amount A-Steuer wäre also eine lineare Funktion der Rentabilität der einzelnen Unternehmenseinheiten. In der nachfolgenden Tabelle wird jedoch berücksichtigt, dass es wahrscheinlich scheint, dass eine Rentabilitätsschwelle eingezogen wird.

191

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

Tab. 15: Amount A-Steuer Unternehmen

Gewinnmarge (basierend auf der GuV der jeweiligen Einheit)

Anteil Amount A

Anteil der Amount A-Steuer (in Mio. EUR)

A Co.

13,41 %

11,89 % (= 13,41/[13,41 + 5,00 + 8,33 + 16,67 + 15,00 + 67,74])

B Co.

5,00 %

0%

0,00

C Co.

8,33 %

0%

0,00

D Co.

16,67 %

14,77 %

2,19

E Co.

15,00 %

13,30 %

1,98

F Co.

67,74 %

60,04 %

8,92

1,77

14,86

9. Ergebnis: (Nahezu) keine Doppelbesteuerung Infolgedessen wird die Weltsteuer auf den Amount A auf die Staaten aufgeteilt, in denen sich die zahlenden Unternehmenseinheiten innerhalb der Unternehmensgruppe befinden. Im Kontext der Fallstudie würde dies beispielsweise bedeuten, dass eine Steuergutschrift in Höhe von EUR 2,19 Mio. dem Staat D zugewiesen würde. Da nur die D Co. hier steuerpflichtig ist, könnte nur die D Co. diese Steuergutschrift zur Berechnung ihrer eigenen Steuerlast in diesem Staat verwenden. Wenn z.B. ein anderes Unternehmen der Unternehmensgruppe in diesem Land steuerpflichtig wäre, könnte die A Co. als UPE entscheiden, wie die Steuergutschrift zwischen den beiden Unternehmen in diesem spezifischen Staat aufgeteilt werden sollte. Dementsprechend ist die Berechnung der Steuergutschrift eng mit der Vermeidung der Doppelbesteuerung verbunden. Es gibt grundsätzlich drei verschiedene Methoden, die hier in Frage kommen:

192

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie







Anrechnungsmethode •

Die Steuergutschrift kann genutzt werden, um die Steuerlast zu reduzieren.



D Co. könnte also die EUR 2,19 Mio. auf ihre im Staat D zu zahlende Steuerlast anrechnen und damit die Steuerlast im Land D reduzieren.

Abzugsmethode •

Die Steuergutschrift kann zur Reduzierung des steuerpflichtigen Einkommens verwendet werden.



So könnte D Co. die EUR 2,19 Mio. als eine Art Betriebsausgabe verwenden, so dass sich das steuerpflichtige Einkommen entsprechend verringert.

Freistellungsmethode •

Der Wert des Amount A, der der Steuergutschrift entspricht, kann von der Besteuerung freigestellt werden.



D Co. könnte damit EUR 12,11 Mio. (= 14,77 % * 82) freistellen.

Es sollte dann im Ermessen der einzelnen Staaten liegen, welche Methode sie anwenden, um eine maximale Flexibilität für die Staaten und ihre Steuerpolitik zu gewährleisten.

C. Fazit Mit dem stark vereinfachten Fallbeispiel wurde die Komplexität von Amount A aufgezeigt. Es muss bewusst gemacht werden, dass Amount A die Herausforderungen der Digitalisierung nicht vollständig adressiert. Amount A betrifft nur die Transaktion zwischen der Unternehmensgruppe und dem Kunden (Transaktion Null20). Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Digitalisierung die Erschließung von Märkten ermöglicht, ohne dass man vor Ort physisch präsent ist. Gleichzeitig lässt Amount A außer Acht, dass •

digitale und sich digitalisierende Geschäftsmodelle zunehmend immaterielle Werte nutzen bzw. wirtschaftlicher Erfolg auf ihnen basiert,

20 Freudenberg/Greil/Maier/Rasch/Simons/Stoltenberg/Wenisch, Data and Information as Taxable Assets, European Taxation, Nov. 2020, 489-498.

193

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie



sich Wertschöpfungsmodelle verändern und immer stärker integriert werden und



menschliche Funktionen in den Hintergrund treten.

Gerade diese Faktoren sind es aber, die steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten vorantreiben und zu Streitigkeiten zwischen Steuerpflichtigen und Steuerverwaltungen sowie zwischen den Steuerverwaltungen selbst führen. Der Fremdvergleichsgrundsatz soll hier weiterhin gelten, wird aber nicht an die Herausforderungen der Digitalisierung angepasst. Eine zunehmende Komplexität mit steigendem Streitpotenzial ist unausweichlich, wozu auch das neue Amount A-System beitragen dürfte. Die Komplexität vervielfacht sich, wenn versucht wird, das Amount A-System mit dem bestehenden System zu verknüpfen und eine Interaktion zwischen beiden Systemen zu ermöglichen. Würde man die vorgestellten Vereinfachungsmaßnahmen berücksichtigen, um das neue Besteuerungssystem in der Praxis umsetzen zu können, würde Amount A als separates Besteuerungssystem auf der Ebene der Unternehmensgruppe konzipiert. Es handelt sich um ein streng formelbasiertes System, das an die nach Rechnungslegungsvorschriften ermittelten Gewinne für Konzerne anknüpft. Daher ist dieses System völlig losgelöst vom geltenden System und greift nicht in das bestehende System ein. Es würde sichergestellt werden, dass die politisch bestimmten Residualgewinne der Unternehmensgruppe anteilig auf die Marktstaaten verteilt werden und dass die Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht vollständig dem Ansässigkeitsstaat der UPE auferlegt wird. Vielmehr wird ein Weltsteuerguthaben auf die Staaten aufgeteilt, in denen sich die profitabelsten Unternehmenseinheiten, inklusive Betriebsstätten, befinden. Damit wird die Doppelbesteuerung bezüglich des Amount A beseitig und ist aufgrund des strikt formelhaften Ansatzes für Unternehmen und Steuerverwaltungen leicht zu administrieren. Nur ein einfaches, transparentes und administrierbares System wird verhindern, dass Pillar One die Büchse der Pandora gänzlich öffnet, in der viele Staaten mit neuen Steuern experimentieren, die von international etablierten und fundierten Regeln abweichen. Zugleich ist mit Pillar One keine Steuerrevolution21 ersichtlich. Eventuell werden die Weichen ge-

21 https://bdi.eu/publikation/news/auf-den-punkt-oecd-steuerrevolution/ (abgerufen am 24.12.2020).

194

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

legt, um den Fremdvergleichsgrundsatz zu verdrängen, aber eine grundlegende Neuerung des Steuersystems geht noch nicht damit einher.

Anhang P&L – A Co. A Co

In total

Smartphone App

Commodities

Revenue Country A

500

375

125

0

Revenue Country B

0

0

0

0

Revenue Country C (C Co.)

500

500

0

0

Revenue Country D (D Co.)

350

350

0

0

Revenue Country E

400

280

120

0

Revenue Country F

0

0

0

0

Revenue Country G

300

150

150

0

COGS (related parties)

200

170

30

0

COGS (third parties)

900

810

90

0

Other Expenses

400

320

80

0

EBIT

550

355

195

0

Interest Expenses (F Co)

250

201.83

48.17

0

25

20,18

4.82

0

275

132.99

142.01

0

8.04 % 35.95 %

0

Interest Expenses (third parties) EBT Profit Margin (EBT/Revenue)

13.41 %

195

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

P&L – B Co. B Co

In total

Smartphone App

Commodities

Revenue Country A (A Co.)

100

10022

Revenue Country B

100

0

0

100

Revenue Country C

0

0

0

0

Revenue Country D

0

0

0

0

Revenue Country E

0

0

0

0

Revenue Country F

0

0

0

0

Revenue Country G

0

0

0

0

COGS (related parties)

0

0

0

0

160

80

0

80

Other Expenses

20

10

0

10

EBIT

20

10

0

10

Interest Expenses (F Co)

10

5

0

5

0

0

0

0

10

5

0

5

5.00 %

5.00 %

0

5.00 %

COGS (third parties)

Interest Expenses (third parties) EBT Profit Margin (EBT/Revenue)

0

0

22 B Co. verkauft nur Rohstoffe. Der Verkauf von Rohstoffen an A Co. wird für die Herstellung von Smartphones in A Co. verwendet; daher wird der entsprechende Umsatz in diesem Segment ausgewiesen.

196

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

P& L – C Co. C Co (LRD)

In total

Smartphone App

Commodities

Revenue Country A

0

0

0

0

Revenue Country B

0

0

0

0

Revenue Country C

600

600

0

0

Revenue Country D

0

0

0

0

Revenue Country E

0

0

0

0

Revenue Country F

0

0

0

0

Revenue Country G

0

0

0

0

500

500

0

0

COGS (third parties)

25

25

0

0

Other Expenses

25

25

0

0

EBIT

50

50

0

0

Interest Expenses (F Co)

0

0

0

0

Interest Expenses (third parties)

0

0

0

0

50

50

0

0

8.33 %

8.33 %

0

0

COGS (related parties)

EBT Profit Margin (EBT/Revenue)

197

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

P&L – D Co. D Co FFD

In total

Smartphone App

Commodities

Revenue Country A

0

0

0

0

Revenue Country B

0

0

0

0

Revenue Country C

0

0

0

0

Revenue Country D

600

600

0

0

Revenue Country E

0

0

0

0

Revenue Country F

0

0

0

0

Revenue Country G

0

0

0

0

350

350

0

0

COGS (third parties)

50

50

0

0

Other Expenses

50

50

0

0

150

150

0

0

50

50

0

0

0

0

0

0

100

100

0

0

16.67 %

16.67 %

0

0

COGS (related parties)

EBIT Interest Expenses (F Co) Interest Expenses (third parties) EBT Profit Margin (EBT/Revenue)

198

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

P&L – E Co. E Co

In total

Smartphone App

Commodities

100

7023

30

0

Revenue Country B

0

0

0

0

Revenue Country C

0

0

0

0

Revenue Country D

0

0

0

0

Revenue Country E

0

0

0

0

Revenue Country F

0

0

0

0

Revenue Country G

0

0

0

0

80

56

24

0

5

4

1

0

15

10

5

0

Interest Expenses (F Co)

0

0

0

0

Interest Expenses (third parties)

0

0

0

0

15

10

5

0

14.29 % 16.67 %

0

Revenue Country A (A Co.)

COGS Other Expenses EBIT

EBT Profit Margin (EBT/Revenue)

15.00 %

23 Die Aufteilung basiert auf dem Einkommen von A Co. in Bezug auf den Staat E.

199

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

P&L – F Co. F Co

In total

Smartphone App

Commodities

Revenue Country A (A Co.)

250

201,83

48,17

0

Revenue Country B (B Co.)

10

5

0

5

Revenue Country C (C Co.)

0

0

0

0

Revenue Country D (D Co.)

50

50

0

0

Revenue Country E (E Co.)

0

0

0

0

Revenue Country F

0

0

0

0

Revenue Country G

0

0

0

0

50

41.42

7.77

0.81

0

0

0

0

260

215.41

40.40

4.19

Interest Expenses (related parties)

0

0

0

0

Interest Expenses (third parties)

50

41.42

7.77

0.81

210

173.98

32.63

3.39

67.74 % 67.74 %

67.74 %

COGS Other Expenses EBIT

EBT Profit Margin (EBT/Revenue)

200

67.74 %

Greil – Der OECD Blueprint (Pillar One) – Eine Fallstudie

P&L – MNE Group MNE Group

In total

Smartphone App

Commodities

Revenue Country A

500

375

125

0

Revenue Country B

100

0

0

100

Revenue Country C

600

600

0

0

Revenue Country D

600

600

0

0

Revenue Country E

400

280

120

0

Revenue Country F

0

0

0

0

Revenue Country G

300

150

150

0

COGS (third parties)

1265

1062.42

121.77

80.81

500

409

81

10

735.00

533.58

192.23

9.19

75.00

61.61

12.59

0.81

660.00

471.97

179.64

8.39

23.54 % 45.48 %

8.39 %

Other Expenses EBIT Interest Expenses (third parties) EBT Profit Margin (EBT/Revenue)

26.40 %

201

Der OECD-Blueprint zur Einführung einer globalen Mindestbesteuerung (Pillar Two) Dr. Ulrike Schramm Global Head of Tax, Continental AG, Hannover

A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . 203 B. Mindestbesteuerung nach Pillar II . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundprinzipien . . . . . . . . . . II. Regelungsblöcke . . . . . . . . . . 1. Allgemeiner Überblick . . . 2. Subject-to-Tax-Rule . . . . .

207 207 208 208 210

3. GloBE-Regeln . . . . . . . . . . a. Anwendungsbereich . . b. Effective Tax Rate . . . . c. Income Inclusion Rule d. Undertaxed Payment Rule . . . . . . . . . . . . . . .

212 212 213 216 220

C. Fazit und Ausblick . . . . . . . . 220

A. Einführung Vielen Dank, Herr Professor Kaminski. Ich habe gegenüber Herrn Greil zwei Vorteile, zum einen, dass ich wenigstens ein paar Zuschauer hier live im Raum dabei habe, und zum anderen, dass Herr Greil Sie mit seinem sehr guten Vortrag nach der Mittagspause wachgerüttelt hat, sodass wir uns jetzt auf Pillar II, Säule II, konzentrieren können.

203

Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

Im Fokus der Neuregelungen von Pillar I und II stehen große, international agierende Konzerne. Ich würde Ihnen gerne einen Überblick über die technische Umsetzung von Pillar II auf Basis des OECD-Blueprints geben und gerne die Flughöhe etwas absenken und versuchen zu erklären, wie Pillar II funktioniert, wie die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung in einem weltweit tätigen Konzern umgesetzt werden könnte und welche Herausforderungen dies für die Wirtschaft bedeutet. Zum Schluss gebe ich einen Ausblick, was noch gesetzlich an Implementierungsschritten notwendig ist, insbesondere, wenn dann die finale Version auf dem Tisch liegt.

204

Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

Bevor wir einsteigen, noch eine Anmerkung in eigener Sache. Ich bzw. wir aus der Wirtschaft sind Anwender der Regelungen, wir haben Stand heute auch nicht mehr als die 250 Seiten des Pillar II-Blueprints vorliegen, saßen also bei den Verhandlungen des Inclusive Frameworks nicht mit am Tisch. Aus diesem Grund basiert dieser Vortrag auf unseren Auslegungen, unseren bzw. meinen Interpretationen dieser umzusetzenden Regelungen, welche auch noch nicht überall im Detail ausformuliert sind. Die Kollegen vom BMF, insbesondere Herr Greil, wissen dies sicher besser. Korrigieren Sie mich daher gerne, falls ich hier irgendetwas falsch verstanden oder falsch dargestellt habe. Vielleicht ist dies hier auch der Lackmustest für die Anwender, die die 250 Seiten durchgearbeitet haben.

205

Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

Ich würde hier zugunsten der Zeit über die zeitlichen Entwicklungen von Pillar I und II und deren Einordnung etwas hinwegspringen, sage vielleicht nur kurz ein paar einleitende Worte, weil eigentlich über beiden Säulen „BEPS 2.0“ drübersteht. Für mich ist die gerade gehörte Säule I, bei der es um die Neuordnung, die Neuzuweisung von Besteuerungsrechten geht, eigentlich kein wirkliches Thema von BEPS 1.0 bzw. sie entspricht nicht dem ursprünglichen Gedanken von BEPS. Bei BEPS 1.0 ging es darum, Gewinnverlagerung innerhalb von Konzernen und Aushöhlung von Bemessungsgrundlagen zu vermeiden. Umso mehr geschieht dies im Rahmen von BEPS 2.0 durch Pillar II mit der Einführung einer globalen Mindestbesteuerung. Hier versucht man, Anreize, durch die Gewinne im Konzern mit dem Ziel einer geringeren Besteuerung verlagert werden, im Keim zu ersticken. Wenn man wirklich eine allgemeine Besteuerungsgrundlage im Rahmen von Pillar II einführt, macht das vielleicht sogar einige bisher getroffene BEPS-Regelungen bis zur Höhe der Mindestbesteuerung obsolet.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

B. Mindestbesteuerung nach Pillar II I. Grundprinzipien

Hier auf dieser Folie sind die Grundprinzipien von Säule II dargestellt. Das Ziel von Säule II ist es, eine globale, vereinheitlichte effektive Mindestbesteuerung für alle Unternehmensgewinne eines Konzerns einzuführen. Man lässt sich dabei von dem Grundsatz leiten: „Right to tax back“. Das heißt, das Inclusive Framework wird sich noch auf einen Mindeststeuersatz einigen, der wird wohl ungefähr bei 10-12 % liegen wird – die Kollegen vom BMF werden vielleicht dazu noch etwas sagen können, wo wir final landen werden. Dieser Mindeststeuersatz wird verglichen mit dem effektiven Steuersatz, mit dem die Unternehmensgewinne tatsächlich besteuert wurden. Wenn der effektive Steuersatz über dem noch festzulegenden Mindeststeuersatz liegt, ist alles gut, liegt er darunter, dann wird der Differenzbetrag als sogenannte „Top-up Tax“ erhoben. Das „Right to tax back“ besagt nichts anderes als das Recht eines anderen Staates (in der Regel der Sitzstaat der Konzernobergesellschaft), die Top-up Tax nachträglich zu erheben, wenn ein Staat, in dem der Konzern tätig ist, die dort erzielten Gewinn effektiv unterhalb des Mindeststeuersatzes besteuert.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

Das Inclusive Framework hat sich bei der Erstellung der Regelungen von bestimmten Parametern leiten lassen. Das ist natürlich einmal, die Doppelbesteuerung im Konzern zu vermeiden. Zum anderen wollte man versuchen, das Ganze einfach zu fassen und den administrativen Aufwand sowohl für Steuerpflichtige als auch für die Steuerbehörden möglichst gering zu halten. Herausfordernd ist hier, dass Pillar II im Gegensatz zu Pillar I fakultativ eingeführt werden soll. Im Gegensatz dazu verpflichten sich bei Pillar I alle Staaten, diese neuen Besteuerungsregeln einzuführen. Bei der Mindestbesteuerung ist die tatsächliche Durchführung ein freiwilliger Akt, was das Ganze sehr kompliziert macht. Es ist dem Inclusive Framework bewusst, dass es Staaten geben wird, die die Mindestbesteuerung nicht einführen. Aus diesem Grund wurden in dem derzeitigen Regelungsinhalt – sozusagen vorausschauend – Regelungen eingebaut, die eine Nichteinführung der Mindeststeuer in bestimmten Staaten abfangen sollen, was natürlich die Komplexität für den Anwender ungemein erhöhen wird.

II. Regelungsblöcke 1. Allgemeiner Überblick

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

Wie soll Pillar II umgesetzt werden? Es gibt im Wesentlichen zwei große Regelungsblöcke: Zum einen die –

Subject-to-Tax-Rule und zum anderen



die GloBE-Regeln. GloBE steht für Global Anti Base Erosion, und beinhaltet u.a. die Income Inclusion Rule und die Undertaxed Payment Rule

Die vorstehende Folie zeigt den weiteren Ablauf des Vortrags und wie ein Konzern sich dem Thema Pillar II nähern kann, um compliant zu sein. Für einen Konzern ist es in jedem Fall wichtig, dass Regeln ausdefiniert und klar formuliert sind, so dass man diese Regeln auch befolgen kann. Trotzdem ist das Petitum der Konzerne stets: Macht’s bitte nicht so kompliziert. Anhand der auf der Folie gezeigten Abfolge sieht man jedoch schon, dass es doch nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Subject-to-Tax-Rule – sie ist der Startpunkt und den eigentlichen GloBE-Regelungen vorangestellt, weil sie sich nicht auf die eigentliche Mindestbesteuerung von kumulierten Unternehmensgewinnen bezieht. Bei der Subject-to-Tax-Rule geht es um Steuern bemessen an Nominalsteuersätzen, die in einem Staat auf einzelne Zahlungen einbehalten werden. Das Ganze ist als Bruttobesteuerung ausgestaltet. Nun zum wirklichen Kernanwendungsbereich von Pillar II, den GloBERegeln: Es gibt, wie gesagt, einen Mindeststeuersatz, der durch die OECD noch zu bestimmen ist. Im ersten Schritt muss ein Konzern berechnen, mit welchem effektiven Steuersatz seine Unternehmensgewinne je Land besteuert worden sind und diesen mit dem Mindeststeuersatz vergleichen. Liegt die effektive Besteuerung in einem oder mehreren Ländern unter dem Mindeststeuersatz, kommt es zur Zahlung einer sogenannten „Top-up Tax“. Über die Income Inclusion Rule wird bestimmt, welches Unternehmen im Konzern die Top-Up-Tax zu zahlen hat. Die Switchover-Rule ist ein Sonderfall der Income Inclusion Rule für niedrigbesteuerte Betriebsstätten; ähnlich der Regelung in § 20 Abs. 2 AStG. Hier erfolgt ein Wechsel von der für Betriebsstätten nach dem DBA im Regelfall anzuwendenden Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode, um die Mindestbesteuerung durchsetzen zu können Die Undertaxed Payment Rule ist die komplexeste und komplizierteste Regelung, weil sie unter anderem genau den Fall abfangen soll, dass Staaten die Mindestbesteuerungsregeln nicht einführen. Die Undertaxed Payment Rules stellen sicher, dass trotzdem alle Unternehmensgewinne mindestbesteu-

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

ert werden. Im Folgenden werde ich die einzelnen Regelungen etwas ausführlicher erläutern.

2. Subject-to-Tax-Rule Die Subject-to-Tax-Rule dient der Sicherung des Besteuerungssubstrats von Quellenstaaten. Das war nach meinem Verständnis ein Zugeständnis an Entwicklungs- und Schwellenländer. Vorangestellt: Bei den GloBE-Regeln, bei denen es um eine effektive Mindestbesteuerung geht und es bei Unterschreiten über eine Top-up Tax zu einer Nachbesteuerung kommt, ist die Grundregel, dass immer die Konzernobergesellschaft die Top-up Tax an die Finanzbehörden in ihrem jeweiligen Sitzstaat zahlt. Das heißt, durch die Subject-to-Tax-Rule, die vor den GloBE-Regelungen anzuwenden ist, erhalten die Entwicklungsländer und Schwellenländer, in denen selten Konzernobergesellschaften ansässig sind, indirekt ebenfalls einen Teil des Mehrergebnisses aus der Einführung einer globalen Mindestbesteuerung. Weltweit rechnet man insgesamt mit etwa 150 Milliarden US-Dollar Mehreinnahmen aus der Mindestbesteuerung pro Jahr.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

Bei der Subject-to-Tax-Rule geht es dem Grunde nach um grenzüberschreitende hochmargige Intercompany-Zahlungen (meistens Lizenzen). Cost plus-Service Leistungen sollen nicht darunterfallen. Die Intercompany-Zahlungen werden dann (nach-)besteuert, wenn der Sitzstaat des Zahlungsempfängers die Zahlung eben nicht mit mindestens einem bestimmten (adjustierten) Nominalsteuersatz besteuert. Das beabsichtigte Vorgehen ist vergleichbar mit den nationalen Regelungen zur Lizenzschranke (§ 4j EStG). Das würde für Konzerne heißen, dass für jede (im Sinne der Regelung hochmargige) Intercompany-Zahlung analysiert werden muss, ob sie der Subject-to-Tax-Rule unterliegt. Es müsste sichergestellt werden, dass eine potentielle Nachsteuer entweder über eine nachträgliche Quellensteuer im Land der zahlenden Konzerneinheit erhoben oder über andere Nachbesteuerungsmethodiken gezahlt wird. Über die Art und Weise der Nacherhebung der Steuer besteht derzeit noch Uneinigkeit. Da bei großen Konzernen zahlreiche IntercompanyZahlungen zum Beispiel in Form von Technik- oder Markenlizenzen üblich sind, bedeuten diese neuen Regelungen viel Arbeit. Selbst für den Fall, dass man nicht in den direkten Anwendungsbereich der Regelung fällt, weil es keine hochmargigen Lizenzen im Konzern gibt, müssen Dokumentationserfordernisse erfüllt werden. Ich glaube, nicht die potentielle Nachbesteuerung selbst wird für viele Konzerne die große Herausforderung der Regelung sein, sondern die damit verbundenen Dokumentationserfordernisse.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

3. GloBE-Regeln a. Anwendungsbereich

Nun kommen wir aber zu den eigentlichen GloBE-Regelungen. Der potentielle Anwendungsbereich ist genau der gleiche wie der bei Säule I von Herrn Greil beschriebene. Das sind Konzerne mit einem konsolidierten Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro. Von der Mindestbesteuerung sind grundsätzlich alle im konsolidierten Jahresabschluss enthaltenen Konzerngesellschaften betroffen. Zusätzlich werden neben Betriebsstätten diejenigen Konzerngesellschaften hinzuaddiert, die wegen Größe oder Unwesentlichkeit vorher nicht in den Konsolidierungsabschluss mit einbezogen wurden. Bestimmte Gesellschaften wie z.B. Investmentfonds und Pensionsfonds fallen nicht in den Anwendungsbereich von Säule II.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

b. Effective Tax Rate Die Anwendungsreihenfolge, Order of Rules, hatte ich vorhin vorgestellt: Man beginnt erstmal damit, die Effective Tax Rate zu berechnen, die dann verglichen wird mit dem Mindeststeuersatz. Hier hat man sich, entgegen der Hoffnung der Wirtschaft, für ein „Jurisdictional Blending“ und kein ‚Global Blending‘ entschieden, welches bei den GILTI-Regelungen in den USA zur Anwendung kommt. Bei den GILTI-Regelungen werden, vereinfacht gesagt, alle weltweit erzielten Unternehmensgewinne in einen Topf geworfen und daraufhin auf eine Mindestbesteuerung überprüft. Bei den GloBE-Regeln hingegen muss der Konzern aufgrund des ‚Jurisdictional Blendings‘ die Unternehmensgewinne aller Legal Entities je Land unter Beachtung besonderer Ermittlungsgrundsätze für das GloBEIncome konsolidieren und diese dann ins Verhältnis zu den darauf gezahlten Steuern (sogenannte Covered Taxes) setzen. Das heißt, die Gewinne aller zum Konzern gehörenden rechtlichen Einheiten je Land unabhängig von der Unternehmenssparte werden konsolidiert, zu den Covered Taxes ins Verhältnis gesetzt und anschließend der effektive Steuersatz je Land berechnet.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

Starten wir mit der Berechnung des GloBE Incomes. Womit fängt man eigentlich an, dieses GloBE-Einkommen zu berechnen? Hier wurde befürchtet, dass Ausgangspunkt der Berechnung des GloBE-Einkommens das Einkommen der jeweiligen Gesellschaft ermittelt nach den für die Konzernobergesellschaft (oder einer anderen Paying Entity) geltenden steuerlichen Vorschriften ist, ähnlich den Vorschriften im AStG. Bei Pillar II soll nun aber das Einkommen als Ausgangspunkt dienen, welches nach den für den Konzernkreis anzuwendenden Rechnungslegungsvorschriften ermittelt wurde, im Regelfall also IFRS oder US-GAAP. In der Praxis könnte man somit zum Beispiel mit den IFRS-Packages der einzelnen Rechtseinheiten in den Ländern starten und müsste diese zur finalen Ermittlung des GloBE-Incomes dann noch um bestimmte Korrekturen des Pillar II-Regelwerkes anpassen. (Wahrscheinlich wird es jedoch bei vielen Konzernen im Vorfeld notwendig sein, die IFRS-Packages einzelner legaler Einheiten in einen tatsächlichen IFRS-Einzelabschluss zu überführen, zum Beispiel um bereits (automatisch) vorgenommene länderübergreifende Konsolidierungen innerhalb gleicher Geschäftsfelder wieder zu neutralisieren.) Die Einigung auf einen allgemein anerkannten internationalen Rechnungslegungsstandard als Ausgangsbasis für die Ermittlung des GloBE-Einkommens ist für die Unternehmen eine große Erleichterung im Hinblick auf die Umsetzung des Pillar II-Regelwerkes. Korrekturen des nach den Konzernrechnungslegungsvorschriften ermittelten Einkommens beziehen sich u.a. auf Fair Market Value Berichtigungen, At Equity-Korrekturen, bestimmte Abschreibungen sowie steuerfreie Reorganisationen. Die Durchführung dieser Korrekturen ist inhaltlich nachvollziehbar, aber sehr komplex und aufwendig. Diesbezüglich muss im Konzern erreicht werden, diesen komplexen Berechnungsprozess zu automatisieren, um manuelle Korrekturen in jedem Land oder sogar für jede einzelne Konzerngesellschaft zu vermeiden. Im zweiten Schritt erfolgt die Berechnung der Covered Taxes. Diese beziehen sich insbesondere auf „ganz normale“ Einkommen- und Körperschaftsteuern, Steuern aus Pillar I und den Steuern aus der Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung. Die Steuern aus der Anwendung der Subject-to-Tax-Rule sind natürlich auch in die Covered Taxes mit einzubeziehen. Was nicht mit einzubeziehen sind, sind die Digital Service Taxes, weil diese keine Einkommensteuern darstellen.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

Bevor es nun zur Berechnung der Effective Tax Rate kommt, müssen vorher noch bestimmte Zuweisungen und Anpassungen vorgenommen werden. Zuweisungen deshalb, weil das GloBE-Income je Legal Entity bzw. Betriebsstätte berechnet wird. Bei den Covered Taxes ist es aber so, dass mitnichten das Land, in dem die Steuern gezahlt wurden, diese auch immer in seiner Effective Tax Rate-Berechnung einbeziehen kann, da die Steuern immer dem dazugehörigen Einkommen zugerechnet werden. D.h. zum Beispiel, dass die Quellensteuern auf Lizenzen zum Land des Lizenzempfängers gehören und nicht zu demjenigen (oder dem Land), der sie für den Lizenzempfänger einbehalten hat. Quellensteuern auf Dividenden, die freigestellt sind, sind nicht Teil der Covered Taxes. Für Staaten, die das Anrechnungssystem anwenden, gehören Steuern auf Dividenden für die Berechnung der Covered Taxes zum Staat der ausschüttenden Gesellschaft. Weitere Anpassungen sind auf Länderebene vorzunehmen. Insbesondere müssen noch sogenannte Excess Taxes und Verluste berücksichtigt werden. Das ist dem geschuldet, dass bei der Berechnung der Effective Tax Rate als Vergleichswert zum Mindeststeuersatz auf Basis des Blueprints keine Deferred Taxes gebildet werden, um Schwankungen zwischen z.B.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

IFRS-Bilanz und Steuerbilanz auszugleichen oder den Wert von Verlustvorträgen abzubilden. Somit bedarf es demnach einer Art Schattenrechnung für die Bestimmung der Covered Taxes, bevor die exakte Effective Tax Rate berechnet werden kann. Wenn man tiefer in die Berechnungsmethodiken einsteigt, stellen sich noch viele Fragen: Was passiert zum Beispiel bei Reorganisationen im Konzern? Was passiert, wenn ein Unternehmen verkauft wird? Gehen dann die Excess Taxes einfach unter wie Verlustvorträge? Diese Auswirkungen auf die Excess Taxes und die Effective Tax Rate sind auf Basis des derzeitigen Blueprints teilweise noch völlig unklar und müssen Eingang in die finale Version finden. Nachdem nun das GloBE-Einkommen und die Covered Taxes berechnet und den einzelnen Ländern und Konzerneinheiten korrekt zugewiesen worden sind, kann nun die Effective Tax Rate als Verhältnis beider Größen zueinander berechnet werden. Eine mögliche Top-Up Tax als Produkt des GloBE-Incomes je Land multipliziert mit dem Differenzsatz zwischen der Mindeststeuer und der Effective Tax Rate (sofern positiv) führt aber nicht umgehend zu einer Top-up Tax. Konzerne dürfen vorher auf Basis des sogenannten Substance Based Carve-Out Gewinne aus anlage- und personalintensiven Geschäftsmodellen (in den meisten Fällen Produktionsgewinne) aus dem GloBE-Income herausrechnen. D.h. sie dürfen die Bemessungsgrundlage für die Mindeststeuer um diese Gewinne kürzen. Nur für das, was übrigbleibt – im Regelfall Gewinne aus hochmargigen, hochgewinnträchtigen digitalen Geschäftsmodellen – greift die Mindestbesteuerung. Man sieht an der Herleitung, dass die Berechnung der zu zahlenden Mindeststeuer komplex und mitunter zeitintensiv sein wird. Im Ergebnis ergibt sich damit je Land entweder eine Steuernachzahlung in Form der Top-up Tax oder die Dokumentation, dass keine Steuernachzahlung zu leisten ist.

c. Income Inclusion Rule Im Falle einer Nachzahlung kommen wir zum Regelungsinhalt der Income Inclusion Rule. Danach wird bestimmt, WER im Konzern, d.h. welche rechtliche Einheit, die Nachzahlung leistet. Die einfache Grundregel ist, dass immer die Konzernobergesellschaft die Top-up Tax zu begleichen hat, d.h. sie deklariert die Mindeststeuer und führt sie an den Staat ihrer Ansässigkeit ab. Im Continental-Konzern hätte die Continen-

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

tal AG im Regelfall eine potentielle Top-up Tax an die deutschen Finanzbehörden zu zahlen.

Problematisch wird es – und das wird sich als große Herausforderung für die Wirtschaft in der praktischen Umsetzung der Regelungen zur Mindestbesteuerung herausstellen –, wenn es im Konzern Joint Venture-Beteiligungen gibt oder gesplittete Beteiligungsketten vorliegen. Bei Joint Venture-Beteiligungen, bei denen der Konzern zum Beispiel nur mit 60 % beteiligt ist, wäre es ungerecht, wenn die Konzernobergesellschaft für den mit 40 % beteiligten fremden Dritten die auf diesen Anteil entfallende Top-up Tax mitbezahlt. Daher geht man gemäß den Income Inclusion Rules innerhalb der Beteiligungskette automatisch eine Stufe tiefer und nimmt dann als Zahlungsverpflichteten der Top-up Tax die (Beteiligungs-)Gesellschaft, an der der fremde Dritte (oder bei gesplitteten Konzernbeteiligungen auch das andere Konzernunternehmen) beteiligt ist. Diese Regelung ist inhaltlich nachvollziehbar, macht aber die Umsetzung in einem Konzern mit mehreren Hundert legalen Einheiten kompliziert, da die Beteiligungsstrukturen daraufhin jedes Jahr erneut analysiert werden müssen.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two) Exkurs: Beispiel zur grundsätzlichen Anwendung der Income Inclusion Rule

Wir haben drei Länder, A, B und C. A und B haben die Regelung zur Mindestbesteuerung umgesetzt. In Land C, in dem die Co 4 und Co 2 sitzen, sind die Unternehmensgewinne minderbesteuert. Die Effective Tax Rate im Land C beträgt 2,5 %. Sie ergibt sich aus den Besteuerungsregeln in Land C. Der Nominalsteuersatz beträgt zwar 25 %, aber annahmegemäß werden von allen Gewinnen, die die Co 4 und die Co 2 vereinnahmen, nur 10 % besteuert und damit 90 % freigestellt. Deswegen kommt es hier nur zu Covered Taxes von 4 bei einem GloBE Income von 160. Insgesamt ergibt sich damit eine Effective Tax Rate in diesem Land von 2,5 %. Da der unterstellte Mindeststeuersatz 10 % beträgt, ergibt sich somit eine Differenz von 7,5 % zum Mindeststeuersatz. Diese Differenz wird auf die gesamten Unternehmensgewinne im Land C (160) angewandt, so dass sich eine Top-up Tax von 12, nämlich genau der Differenzbetrag zu 16, ergibt. Mittels der Income Inclusion Rule ist nun zu schauen, wer diese Top-up Tax zu zahlen hat. Wie bereits erläutert, ist Ausgangspunkt die Konzernobergesellschaft, somit die HoldCo im Land A. Land A wendet auch die Mindestbesteuerungsregelungen an. Folglich zahlt die Hold Co im Land A einen Betrag von 12 nach, so dass folglich alle Unternehmensgewinne des Konzerns mindestens mit 10 % besteuert wurden.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two) Exkurs: Beispiel zur Income Inclusion Rule mit Split Ownership

In diesem Fall ist an der Co 3 in Land B ein außenstehender Dritter mit 40 % beteiligt. Ansonsten sind die Annahmen wie im Beispiel zuvor. Es gibt Land A und B, die wieder die Mindestbesteuerungsregelungen umgesetzt haben, und im Land C sind die Gewinne niedrig besteuert. Gemäß den Split Ownership Rules zahlt die Hold Co im Land A die Top-up Tax jedoch nur noch für den Teil der Mindeststeuer für Land C, der auf ihre Beteiligung an der Co 2 entfällt. Dass sie auch die vollständige Top-up Tax übernimmt, die auf den von der Co 4 erwirtschafteten Gewinn entfällt, wäre nicht gerecht, da der mit 40 % beteiligte, außenstehende Dritte, bevorteilt wäre. Deshalb „rutscht die Steuerschuldnerschaft“ sozusagen eine Ebene nach unten von Land A in Land B, das hier annahmegemäß auch die Mindestbesteuerungsregelung umgesetzt hat. Damit hat man in diesem Beispielsfall zwei Konzerngesellschaften, die eine Topup Tax zu zahlen haben, nämlich im Land A und in Land B. In einem großen Konzern wird dies kein Einzelfall sein, da viele Konzerne weltweit mit Hunderten von Gesellschaften mit unterschiedlichsten Beteiligungsverhältnissen operieren.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

d. Undertaxed Payment Rule Ganz kurz erklärt – die Undertaxed Payment Rule: Auf diese wird (nur) zurückgegriffen, wenn die vorher erläuterten Regelungen nicht greifen bzw. nicht greifen können, da zum Beispiel ein Staat die GloBE Regelungen nicht umgesetzt hat. Hier soll unter Hinzuziehung von Intercompany-Zahlungen versucht werden, die Steuern, die über die Anwendung der bisher erläuterten Regelungen nicht erhoben werden können, nachzuerheben.

C. Fazit und Ausblick Aus dem Blueprint ist ersichtlich, dass man sich zu den verschiedenen Fragestellungen der Mindestbesteuerung und deren praktischer Umsetzung sehr ausführliche und detaillierte Gedanken gemacht hat. Aber es ist auch ersichtlich, dass man nicht alle am Anfang erläuterten Ziele gleichermaßen erreichen wird. Das Inclusive Framework befindet sich immer in einem natürlichen Zielkonflikt: Auf der einen Seite soll sichergestellt werden, dass alle Unternehmensgewinne eines Konzerns mindestbesteuert werden, während auf der anderen Seite die Doppelbesteuerung vermieden und die Umsetzung für die Steuerpflichtigen und die Steuerverwaltung einfach gehalten werden soll. Wie eben aufgezeigt, ist dies eine große Herausforderung, die in der Realität nur scheitern kann, da man zumindest die Komplexität aus dem Regelungswerk nicht herauszunehmen kann und wird; sei es zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, zur Missbrauchsvermeidung oder vor dem Hintergrund, dass nicht alle Staaten die Regelungen zur globalen Mindestbesteuerung gemäß dem finalen OECD-Regelungswerk umsetzen werden.

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Schramm – OECD-Blueprint: Globale Mindestbesteuerung (Pillar Two)

Wenn der finale Regelungsinhalt hoffentlich Mitte nächsten Jahres vorliegt, ist es für uns als Anwender trotzdem wichtig, dass die Regelungen klar und präzise formuliert sind, so dass die betroffenen Konzerne genau verstehen, was bis wann umzusetzen ist. Es wäre wünschenswert, wenn der Wirtschaft ausreichend Zeit für die Implementierung der Regelungen gegeben wird. Wie eben dargestellt, sind viele Regelungen sehr komplex und damit in einem Konzern mit vielen multinationalen Konzerneinheiten zeitaufwendig umzusetzen.

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Der OECD-Blueprint zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle (Pillar One) und

Der OECD-Blueprint zur Einführung einer globalen Mindestbesteuerung (Pillar Two) Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Bert Kaminski Steuerberater, Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Teilnehmer RD Dr. Stefan Greil, LL.M Bundesministerium der Finanzen, Berlin

MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Dr. Ulrike Schramm Global Head of Tax, Continental AG, Hannover

Kerstin Schulz, M.I.Tax Global Head of Tax and Customs, Beiersdorf AG, Hamburg

Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, I. Senat, München

Prof. Dr. Lars Hummel, LL.M. Universität Potsdam/International Tax Institute, Universität Hamburg

Der Diskussion voran ging der Vortrag von Dr. Greil zum OECD-Blueprint zur Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle (Pillar One). Prof. Dr. Kaminski Ja, Herr Greil, Ihnen ganz herzlichen Dank für Ihren Vortrag. Es ist sehr deutlich geworden, dass das eine sehr grundlegende Abkehr von dem bisherigen Prinzip darstellt. Wir sind heute in einer Welt, wo wir sagen, wir haben Betriebsstätten, und da, wo keine Betriebsstätte gegeben ist, da darf auch nicht besteuert werden. Das ist die Aussage des Artikels 7,

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

und dieses System würde an diesen Grundfesten rütteln und würde ein möglicherweise alternativ oder gegebenenfalls auch kumulativ entstehendes System implementieren, mit einer Vielzahl von Zweifelsfragen, die wir nachher gerne diskutieren würden. Aber wir hatten vorgesehen, erst den Vortrag zu Pillar Two zu hören und dann beide Vorträge gemeinsam zu diskutieren, weil es eben bestimmte Ausprägungen gibt, die sich bei beiden Systemen ergeben. Frau Dr. Schramm, ich darf Sie bitten! Dr. Schramm setzte mit Ihrem Vortrag zum OECD-Blueprint zur Einführung einer globalen Mindestbesteuerung (Pillar Two) fort. Prof. Dr. Kaminski Frau Schramm, ganz herzlichen Dank für Ihren Vortrag, den ich außerordentlich informativ fand. Ich glaube, Sie haben gezeigt, wie komplex die Materie ist. Also eines ist auf jeden Fall deutlich geworden: Der Berufsstand der Steuerberater und die Steuerabteilungen in den Konzernen müssen sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen. Ich möchte eine Frage an den Anfang stellen. Ich weiß nicht, Herr Greil oder Herr Kreienbaum, ob Sie dazu etwas sagen können oder möchten. Das ist die Frage zur Umsetzung. Es ist ja bekannt, dass die Amerikaner mal Teil dieses Projektes waren und dass sie die Begeisterung verloren haben, wenn ich das so neutral formulieren darf, und deshalb der Hinweis auf die Frage: Gibt es da neue Entwicklung? Gehen Sie davon aus, dass die neue amerikanische Administration auf diesen Zug wieder aufspringt, oder ist das so, dass man sagt: Wir haben mit den USA ja schon einen großen Player, der sagt: Bitte ohne uns! Kreienbaum Ja, Herr Kaminski, ich darf Ihre Frage aufzunehmen und beginnen. Ich glaube, dass es wichtig ist, den gesamten steuerpolitischen Kontext zu sehen. Wir befinden uns gegenwärtig in der Diskussion mit 137 Staaten sowohl zur Säule I als auch zur Säule II und bemühen uns gemeinsam, Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Steuerbelastung und Vermeidung der Doppelbesteuerung herzustellen. Alle Staaten des Inclusive Framework haben sich Anfang Oktober auf die beiden Blueprints geeinigt. Dazu gehören auch die USA. Viele von Ihnen werden gesehen haben, dass wir uns nicht nur auf die Blueprints geeinigt haben, sondern auch noch eine sogenannte Cover Note, eine politische Erklärung, hinzugefügt haben, in der die 137 Staaten die Hoffnung ausdrücken, bis Mitte

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

nächsten Jahres, Mitte 2021, zu einem einvernehmlichen Ergebnis zu kommen. Dies schließt notwendigerweise die USA mit ein. Die beiden Blueprints und auch die Cover Note sind im Oktober den G20 vorgelegt worden, und im Oktober-Communiqué der G20 Finanzminister finden Sie dann auch die Aufforderung an das Inclusive Framework, bis Mitte 2021 konkrete Ergebnissen zu vereinbaren. Ich hoffe, das beantwortet Ihre Frage, Herr Kaminski, ob die Amerikaner dabei sind. Ja, die Amerikaner sind dabei, sie haben ihre politische Unterstützung ausgedrückt, sowohl auf Fachebene im Inclusive Framework als auch auf Ebene der G20 Finanzminister, und wir haben allen Grund, zuversichtlich zu sein. Die neue Administration in den USA befindet sich noch im Aufbau. Selbstverständlich haben wir, die OECD und das Inclusive Framework insgesamt, Kontakte aufgenommen zum Übergangsteam des neugewählten Präsidenten und zu unseren neuen Ansprechpartnern. Es ist alles in den Anfängen, die Kolleginnen und Kollegen in den USA müssen sich auch noch erst zu Hause versichern, ob sie mit uns sprechen dürfen – formale Punkte.Wir sind in einer Situation, in der wir aus meiner Sicht davon ausgehen können, dass die Amerikaner weiter an Bord sind. Ich will an dieser Stelle auch noch einmal, um den politischen Rahmen vollständig zu erläutern, hinzufügen, dass die Alternativsituation, nämlich die Situation, dass wir uns im nächsten Jahr nicht einigen würden im Format des Inclusive Framework, aus Unternehmenssicht alles andere als wünschenswert wäre. Zum Regelungsgegenstand der Säule I sehen wir zahlreiche Initiativen in vielen Staaten dieser Welt. Einzelne Staaten, auch europäische Staaten, haben eine Digitalbesteuerung schon umgesetzt, Frankreich hat jetzt noch einmal bekräftigt, dass die französische Digital Service Tax auch tatsächlich erhoben werden soll, die USA haben darauf schon reagiert und frühzeitige Retaliationsmaßnahmen in Höhe von 1:10 angekündigt. Das sind immerhin schon Punkte, die man sich auch aus Unternehmenssicht vielleicht nicht wünscht. Sich mit seinen Produkten und Dienstleistungen Steuern oder Zöllen im Ausland ausgesetzt zu sehen, die dann zudem international nicht koordiniert sind, ist kein wünschenswertes Szenario. Die Erwartung, dass die USA eine europäische Digitalsteuer auf die US-Steuerschuld anrechnen würden, würde ich nicht hegen. Insofern dienen unsere Bemühungen der Vermeidung der Doppelbesteuerung und Doppelbelastung. In einer globalisierten Welt sind wir alle auf international koordinierte Systeme angewiesen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

Zum vollständigen politischen Bild gehört auch die in der Europäischen Union diskutierte Digital Levy, die von Herrn Greil schon erwähnt wurde. Sie findet sich wieder in den Ratsbeschlüssen der Staats- und Regierungschefs vom Juli und auch vom Oktober dieses Jahres. Einige von Ihnen werden gesehen haben, dass die Digital Levy als eigene Finanzierungsquelle für die EU zur Refinanzierung des europäischen so genannten Recovery-Programms benannt ist. Das Recovery-Programm umfasst diese 750 Milliarden Euro, von denen 390 Milliarden gemeinschaftlich durch noch zu schaffende Eigenmittel zurückgezahlt werden sollen. In den Ratsbeschlüssen sind nicht viele mögliche Quellen für Eigenmittel genannt. Neben einer Finanztransaktionssteuer werden eine so genannte Plastikabgabe und weitere emissionsbezogene Steuern genannt, sowie die die Digital Levy. Aber, wenn man sich anschaut, wie das Finanzierungsvolumen dann aussieht, wenn über, wenn ich mich richtig erinnere, 30 Jahre, ab 2028 diese 750 Milliarden einschließlich zugegebenermaßen nicht allzu hoher Zinsen, aber immerhin, zurückgezahlt werden sollen, dann ist schon ein signifikanter Bedarf an zusätzlichen Mitteln zu erkennen. Es besteht schon jetzt ein ganz erheblicher Druck, neue Finanzierungsquellen in recht kurzer Zeit einzurichten. Zu Säule II: Die USA haben mit GILTI ein Regime eingerichtet, das wir im Regelungskonzept der Säule II als gleichwertig anerkennen werden. Für beide Säulen gilt, dass das Fehlen einer internationalen Koordination zu Doppel- und Mehrfachbelastungen und sicher auch zu einem deutlich höheren administrativen Aufwand führen würde. Dann müssten Unternehmen sich mit Ihren grenzüberschreitenden Aktivitäten auf eine Vielzahl unterschiedlicher nationaler Regelungen einstellen und wären im Ergebnis noch mit einer Mehrfachbelastung konfrontiert. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank, Herr Kreienbaum. Ich hätte noch eine technische Frage, die hier gerade gekommen ist, an Herrn Greil. Und zwar geht es um die Frage: Wie soll eigentlich diese Geolokalisierung erfolgen? Wie soll das zugeordnet werden? Und es wird auch gefragt: Wie soll das mit Datenschutzvorgaben berücksichtig werden? Das kann ja wohl nur von dem Unternehmen erfolgen, das die Dienstleistung anbietet, und da ist natürlich die Frage berechtigt: Wie will man das erfassen? Wie will man das zurechnen?

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

Dr. Greil Danke für die Frage. Also diese technischen Feinheiten werden natürlich noch ausgearbeitet. Aber bei der Geolokation, es geht jetzt nicht darum, dass die von dem Unternehmen vorgehalten werden und dann quasi der Betriebsprüfung überlassen werden, so dass die Betriebsprüfer und Betriebsprüferinnen das prüfen könnten. Es geht ja dann eher um eine Systemprüfung. Diesen Datenschutzaspekt hat man gesehen. Das bedeutet, die Aufzeichnung von IP-Adressen oder der Geolokation müsste wohl möglich sein, zumindest in Grundzügen, und das speichert man quasi in ein System, und das gibt man dann weiter. Aber wie genau das aussehen soll, da ist man tatsächlich erst noch am Anfang. Aber was nicht sein soll ist, dass zum Beispiel eine Finanzverwaltung auf die einzelnen IP-Adressen zugreifen kann, um dann am Ende ausfindig zu machen, wer eigentlich wo was gekauft hat. Also, wer steckt hinter der IP-Adresse. Da gibt es ja auch Möglichkeiten, wie man da drankommen kann. Das soll nicht möglich sein am Ende. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank. Ich möchte Frau Schulz fragen: Haben Sie mal überlegt, was das für Beiersdorf als Auswirkung hätte? Schulz Ja, natürlich haben wir uns das schon überlegt, und natürlich schauen wir uns die Entwicklung an und nutzen natürlich auch die Gelegenheit zur Kommentierung noch bis Mitte Dezember im Rahmen der Verbandstätigkeit. Ganz grundsätzlich: Also, ich würde sagen, in einer perfekten Welt, in der dann die Streitbeilegungsmaßnahmen so gewählt sind, dass man auch wirklich zu einem Konsens kommt, würde ich als deutscher oder – wir sind ja ein deutscher Konzern, ein multinationaler Konzern mit entsprechenden Tochtergesellschaften – im Moment davon ausgehen, dass es eher eine Umverteilung aus Deutschland in andere Staaten geben wird. Wie gesagt, angenommen, wir sind in diesem perfekten Vakuum und wir kommen da eben nicht in Diskussionen und Allokationsverteilungskämpfe sozusagen, denn aus meiner Sicht, als in Deutschland ansässiger Konzern, bildet auch jetzt schon unsere CFC Taxation entsprechend die Gegebenheiten des Pillar II ab, und für Pillar I, dadurch, dass wir überall Tochtergesellschaften haben – in den wenigsten Staaten, in denen wir tätig sind, haben wir keine Tochtergesellschaften –, würde ich meinen, dass man da im Amount A solche Länder, wo eben Tochter-

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

gesellschaften gegeben sind, herausnehmen sollte, weil da meines Erachtens das jetzige System und die Allokation über die Verrechnungspreise dem schon genug Rechnung trägt, so dass wir dann über Marktstaatenallokation sprechen, wo wir vielleicht keine Legal Entity und keine Gesellschaft oder Betriebsstätte entsprechend haben. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank. Herr Wacker: „Weltsteuergericht“ ist hier als Schlagwort gefallen, und wir haben gehört, dass die deutsche Wirtschaft ganz froh ist, dass auf IFRS abgestellt wird. Ich habe mich gefragt – vorbehaltlich Ihres Weltsteuergerichts – die Idee finde ich gar nicht schlecht, Herr Greil! Die Frage ist: Wer entscheidet eigentlich über Auslegungsfragen? Es wird auf die IFRS zurückgegriffen. Führt das Ganze jetzt dazu, dass wir demnächst die IFRS à la BFH-Rechtsprechung, à la ausländischer Gerichte haben, oder wie muss ich mir das vorstellen? Prof. Dr. Wacker Ich habe das Gefühl, Herr Kaminski, dass Ihre Frage der Entwicklung ein bisschen vorgreift. Ich teile zwar grundsätzlich die Ansicht von Herrn Kreienbaum dass der multilaterale Ansatz der richtige ist, um die Interessen aller am besten zu wahren und zum Ausgleich zu bringen. Gleichwohl, die Aufgabe ist nicht nur materiell-rechtlich komplex, sondern auch unter dem Blickwinkel der Praxis nicht einfach. Das beginnt schon mit der Faktenerhebung. Ist dies überhaupt möglich und, wenn ja, mit welcher Rechtssicherheit? Hinzu kommt der Aspekt der administrativen Koordination und Kooperation. Des weiteren geht es natürlich auch um die justizielle und rechtstaatliche Überprüfbarkeit sowie die Bereitschaft der betroffenen Staaten und die jeweils zu beachtenden verfassungsrechtlichen Grenzen einer Kompetenzverlagerung. Prof. Dr. Kaminski Ich frage nochmal die Vertreter aus der Industrie: Umsetzbarkeit, ja oder nein? Glauben Sie, dass es möglich ist, in absehbarer Zeit ein System zu implementieren, das Doppelbesteuerungen wirksam vermeidet?

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

Dr. Schramm Bei meiner Antwort kann ich vielleicht nochmal auf Herrn Kreienbaum zurückkommen, weil er sagte, die Wirtschaft sollte es sich wünschen, dass das Ganze verschoben wird und nicht, dass man zu einem Konsens Mitte nächsten Jahres kommen wird. Dem Grunde nach, Herr Kreienbaum, bin ich da vollkommen Ihrer Meinung, und das beantwortet auch dann diese Frage, dass wir, wenn wir wirklich zu einem Konsens kommen, dann, glaube ich, ist die Wirtschaft auch vorne mit dabei. Das Thema ist bloß, dass ich bezweifle oder meine Zweifel daran habe, dass es aufgrund von fiskalischen Interessen die einzelnen Nationalstaaten auf ihre nationalen Regelungen, die sie entweder schon lange haben oder gerade eingeführt haben hinsichtlich Digital Service Tax, einfach so verzichten werden. Ich könnte Sie jetzt fragen, wird das EStG abgeschafft, wenn wir dann nächstes Jahr die Mindestbesteuerung einführen? Man kann vielleicht diesen Punkt schon bei Pillar I sehen. Doppelbesteuerung, wie wird die vermieden in den Ansässigkeitsstaaten, wenn wir den Amount A oder einen Teil von Amount A in die Marktstaaten verteilt haben? Man hätte ja eigentlich zugunsten der Vermeidung einer Doppelbesteuerung sagen können: Dann zahlen die Ansässigkeitsstaaten genau diesen Betrag, den die Unternehmen in die Marktstaaten gezahlt haben, einfach Cash aus. Das wäre dann 1:1 Vermeidung der Doppelbesteuerung. Hier überlässt man es den Nationalstaaten, dies über eine Freistellungsmethode, über eine Anrechnungsmethode, zu regeln, und ich befürchte, dass es so kompliziert geregelt wird, wenn man es über Anrechnung zum Beispiel macht, ohne Vortrag von Steuergutschriften, dass man dann einfach aus der Regel heraus in einer Doppelbesteuerung drin ist, und wenn man die dann wirklich vermeiden wollen würde, dann würde man auch eine einfache Regelung treffen. Aber hier, da bin ich mir hundertprozentig sicher, versucht jeder Staat, sein eigenes Besteuerungssubstrat zu erhalten, und wenn dann solche globalen Regelungen eingeführt werden, dann kommt aus fiskalischer Sicht sozusagen immer das Staateninteresse durch, und das macht mir Sorge, dass wir zwar vielleicht zu einem Konsens kommen, aber Aushöhlungen auf Ebene der Nationalstaaten stattfinden werden. Prof. Dr. Kaminski Brauchen wir eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer?

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

Dr. Schramm Wir brauchen die Abschaffung der Gewerbesteuer, wenn ich ehrlich bin, denn wenn wir hier über eine Harmonisierung von Besteuerungsgrundlagen sprechen, dann sollte die Gewerbesteuer in die Körperschaftsteuer integriert und dann ein Umverteilungsprozess auf die Länder umgesetzt werden. Ich glaube, das ist ein Thema, das schon hinlänglich diskutiert wurde, aber wenn man aus Vereinfachungsgründen etc. und Harmonisierung in der EU von Besteuerungsgrundlagen redet, da ist die Gewerbesteuer ein alter Hut und gehört nicht mehr in unsere Zeit. Prof. Dr. Kaminski Naja, wir haben diesen alten Hut noch. Frau Schulz: Wie sehen Sie das? Glauben Sie aus Ihren Erfahrungen, dass es einen Mechanismus geben kann, der wirksam die Doppelbesteuerung vermeiden kann, wenn dieses Instrument eingeführt wird? Ich habe noch eine zweite Frage: Es hat mich ziemlich überrascht, wie gering das Steueraufkommen sein soll. Mich erinnert das, Herr Kreienbaum, Sie werden sich daran erinnern, an die alte Diskussion um BEPS. Keiner wusste genau, wie viel es bringt und wie hoch oder wie niedrig die Steuerzahlungen sind, aber mir scheinen doch die administrativen Belastungen unverhältnismäßig hoch zu sein verglichen zum Ertrag. Wie sehen Sie das? Schulz Also ich kann mich da nur vollumfänglich Frau Dr. Schramm anschließen. Ich sehe das ähnlich. Diese Verteilungskämpfe wird es geben, und wenn Sie mich fragen, würde ich sagen, wir einigen uns hier in Deutschland auf den Amount A, wir überweisen den Betrag, und sie streiten sich dann, wie sie den verteilen. Also das wäre für mich die einfachste Lösung. Da wäre ich sofort dabei. Also wir zahlen gerne unsere Steuern, wir wollen natürlich auch eine gute Infrastruktur haben. Insofern sehe ich, dass, gerade wenn man sich Richtung Marktstaaten öffnet, und ich hatte das eben ja auch schon mal erwähnt, basierend auf den Blueprints und was wir wussten, haben wir natürlich auch Simulationen durchgeführt, und wenn ich jetzt aus deutscher Sicht darauf schaue, sehe ich eher, dass Steuersubstrat, aber auch Steuern in andere Länder umverteilt wird, dann ist so ein bisschen die Frage: Ist das wirklich gewollt? Und um noch einmal einen ganz großen Bogen zu schlagen: Ganz ursprünglich ging es um die Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Jetzt haben wir hier Consumer Facing Business auch noch mit drin. Das ist so irgendwie mit reinge-

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

kommen. Ich tue mich damit ein bisschen schwer. Zunächst noch einmal ein Kompliment, dass Sie den Blueprint in 137 Staaten, Pillar I und II, so abstimmen konnten und hinbekommen haben. Ich glaube, das ist eine riesige Leistung. Das dann umzusetzen, wenn es tatsächlich um den fiskalischen Anreiz geht, die Steuern ins eigene Land zu ziehen und entsprechend sich dann darauf zu einigen – ich glaube, das ist eine viel, viel größere Herausforderung als das, was jetzt schon geschafft worden ist, wo ich wirklich Respekt vor habe, und auch großes Kompliment, dass das so in der Form jetzt entstanden ist. Prof. Dr. Kaminski Ich sehe auch, dass das eine herausragende Leistung ist, egal, ob dies für richtig oder falsch gehalten wird. Die Leistung ist beeindruckend. Herr Kreienbaum, ich hätte noch zwei Fragen. Haben Sie mal fiskalisch für Deutschland gerechnet, oder ist Ihr Ansatz zu sagen, wir machen das im Interesse der deutschen Wirtschaft, um eben diese divergierenden Systeme zu verhindern? Und die zweite Frage: Wenn ein solcher Einigungsmechanismus einführt würde, könnte der nicht auch genutzt werden, um Doppelbesteuerungsfälle in anderen Fällen zu beseitigen? Kreienbaum Ja, zur ersten Frage: Wir haben nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene Berechnungen vorgenommen zu wirtschaftlichen und fiskalischen Auswirkungen. Dieses Thema spielt für alle am Diskussionsprozess beteiligten Staaten eine erhebliche Rolle und beeinflusst die Positionierungen einzelner Mitgliedstaaten. Die OECD hat dazu ein Softwareprogramm entwickelt, das sie allen Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt hat. Dieses Programm kann jeder Staat, mit seinen eigenen Daten füttern. Die genaue Formel zur Reallokalisierung des Besteuerungsrechts an dem Gewinnanteil steht noch nicht fest. Abhängig von der sich aus der Formel ergebenden Größe mit Blick auf den umzuverteilenden Gewinn kommen Staaten dann zu unterschiedlichen Ergebnissen. Je Einstellung haben wir für Deutschland bei Säule I neutrale bis leicht positiven Ergebnisse berechnen können. Ob eine partielle Umverteilung von Besteuerungsrechten insgesamt zu positiven fiskalischen Effekten führt, hängt davon ab, ob das Besteuerungsniveau bei den hinzugewinnenden Staaten durchschnittlich höher ist als bei den abgebenden Staaten. Da über den Mechanismus zur Vermeidung der Doppelbesteuerung aber noch nicht abschließend entschieden ist, kann hierzu noch keine Aussage getroffen

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

werden. Wir hatten von Herrn Greil aber schon die Überlegungen zur sogenannten Paying Entity gehört. Wenn die Paying Entity regelmäßig die Tochtergesellschaft in einer Niedrigsteuerjurisdiktion ist, dann kann man sich gut vorstellen, dass wir auch bei Säule I im Ergebnis global gesehen zu Mehraufkommen kommen. Bei Säule II wird das Steueraufkommen insgesamt größer und entsprechend ist mehr zu verteilen, so dass Säule II in der Gesamtbetrachtung unter keinen Umständen ein Nullsummenspiel ist. Wie gesagt, das Thema Economic Impact Assessment ist für alle Staaten sehr wichtig. Viele Staaten versprechen sich mehr Aufkommen sowohl durch Säule I als auch durch Säule II. Schauen Sie sich an, wie heftig die Debatte zur Digitalbesteuerung in unseren Nachbarländern geführt wird. In Österreich, in der Schweiz, in Osteuropa, im Vereinigten Königreich. Ähnlich versprechen sich die beteiligten Staaten auch durch Säule I mehr Aufkommen, insbesondere, wenn sie dann ihre bisherigen Digitalsteuern, abschaffen sollen und den Wegfall der Einnahmequelle kompensieren müssen. Diskussionsgrundlage innerhalb des Inclusive Frameworks ist die Annahme, dass mit einer Vereinbarung und Implementierung der Säule I nationale Maßnahmen zur Digitalbesteuerung zurückgenommen werden. Ich würde sogar so weit gehen, dass dies nicht nur mit Blick auf den Anwendungsbereich ADS und CFB gilt, sondern auch beispielsweise mit Blick auf die Frage, ob ein Staat dann noch nationale Regeln erhalten oder einführen darf, die Unternehmen betreffen, die wegen der Größenschwelle von Säule I nicht erfasst werden, die beispielsweise unter den 750 Millionen Euro Umsatz im Konzern liegen. Auch da, würde ich sagen, besteht eine implizite Annahme im Inclusive Framework, dass entprechende Regelungen dann nicht mehr erlaubt sind. Die zweite Frage habe ich jetzt bei meinen langen Ausführungen vergessen. Herr Kaminski, können Sie mir noch einmal kurz ein Stichwort geben, bitte? Zur zweiten Frage? Prof. Dr. Kaminski Streitbeilegungsmechanismen auch für andere Fälle. Kreienbaum Ich verstehe, dass sich der Fokus der Diskussion aus Sicht der steuerpflichtigen Unternehmen sehr schnell auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung und auf Streitbeilegungsmechanismen richtet. Aber wir

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

müssen bei Säule I einen nicht ganz unerheblichen, dem Streitverfahren weit vorgelagerten Punkt sehen, nämlich die Frage, wie ich Vertrauen unter den betroffenen Mitgliedsstaaten in die Richtigkeit des ermittelten Amount A schaffe. Immerhin haben wir es mit einer Gewinngröße zu tun, deren Ermittlungsgrundlagen vollständig außerhalb des eigenen Hoheitsbereiches des steuerberechtigten Staates liegen. Anknüpfungspunkte sind möglicherweise private Kunden und Nutzer, bei ADS und digitaler Werbung vielleicht auch einfach nur Konsumenten, die sich Werbung im Internet gefallen lassen müssen. Auf Basis dieser Anknüpfungspunkte profitiert ein Staat steuerlich an Gewinnen, nehmen wir mal an, eines Unternehmens, das nur in den USA sitzt. Wie schaffen Sie denn dann weltweit Vertrauen in die Richtigkeit eines dort ermittelten Amount A? Über die Frage hinaus, wie der Gewinn ermittelt wird, brauchen Sie Mechanismen, denen alle Beteiligten vertrauen. Auch diejenigen, die letztlich nicht profitieren sollen, müssen letztendlich Vertrauen haben, dass die Tatsachen, die ermittelt worden sind und dazu geführt haben, dass diese Staaten nicht an dem Amount A partizipieren, dass die zugrunde gelegten Tatsachen vollständig und zutreffend sind. Und diejenigen, die profitieren, die müssen in die ermittelte Größe Vertrauen haben. Wenn wir Klarheit über diesen Mechanismus haben, können wir darauf aufbauen und Verfahren entwickeln, die zu einer effektiven Vermeidung der doppelten Besteuerung führen. Ob sich dann Streitbeilegungsverfahren in der Form, wie wir sie heute kennen, oder alternative Streitbeilegungsverfahren anbieten, das ist noch nicht ausgemacht. Ich würde eher vermuten, dass wir verstärkt auf neue Formen der frühzeitigen Streitvermeidung setzen müssen. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank! Es gibt eine Rückfrage von Herrn Hummel. Prof. Dr. Hummel Ich möchte gern noch einmal an den Vortrag des Kollegen Greil anknüpfen. Der Vortrag, insbesondere die aufgegriffenen Beispiele, vermitteln ein sehr diffuses Bild der Anknüpfungsmerkmale für die Besteuerung. Am intensivsten findet dieses diffuse Bild seinen Ausdruck in dem unterbreiteten Fall der virtuellen Safari. Ich habe durchaus meine Schwierigkeiten, dort den greifbaren Anknüpfungspunkt für die Besteuerung zu erkennen. Wie dem auch sei – wenn ich mich auf den modus procedendi

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

einlasse, frage ich mich, wie er sich mit einer in der vorletzten Woche geäußerten Einsicht vereinbaren lässt. Besagte Einsicht findet sich in dem auf der Internetseite des BMF veröffentlichten Referentenentwurf zu einem – ich musste mir den Begriff eigens notieren – Abzugssteuerentlastungsmodernisierungsgesetz vom 19.11.2020. Dessen Begründung konstatiert nämlich, dass die steuerliche Anknüpfung an eine inländische Registereintragung einen unsubstantiellen Inlandsbezug bilde und eine inländische Besteuerung deswegen nicht sachgerecht sei. Einerseits gänzlich diffuse Anknüpfungsmerkmale im Bereich Pillar I, andererseits die Überzeugung, dass inländische Registereintragungen, die übrigens klassische Anknüpfungsmerkmale im internationalen Steuerrecht darstellen, nicht substantiell genug seien und daher keine sachgerechten Anknüpfungsmerkmale böten – wie passt beides zusammen? Ich bin mir nicht sicher, an wen ich die Frage günstiger Weise richten soll, an Herrn Greil oder an Herrn Kreienbaum, so dass ich die Auswahl gern den Angesprochenen überlassen würde. Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank, Herr Hummel, für die Frage. Kreienbaum Herr Hummel, zu Ihrer Frage der, wie Sie es nannten, „diffusen“ Anknüpfungspunkte: Sie dürfen natürlich nicht diffus sein. Die Anknüpfungspunkte müssen hinreichend konkret sein, und sie werden hinreichend konkret sein. Mit Blick auf die Frage der hier eingetragenen Registerrechte geht es um Fälle, bei denen über die Eintragung der Fälle in deutsche Register hinaus im Inland kein Anknüpfungspunkt vorhanden ist, im Zweifel auch keine Zahlungen geleistet wird und möglicherweise auch keine Verwertung im Inland stattfindet. Es handelt sich im Zweifel um außerhalb Deutschlands ansässige Vertragspartner, die mit Blick auf ein immaterielles Wirtschaftsgut, das in ein Register in Deutschland eingetragen ist, eine Zahlung leisten. Jetzt kann man sich fragen, ob die Zahlung auch mit Blick auf die durch die Eintragung in das deutsche Register bewirkte Schutzleistung in Deutschland erfolgt ist. Das wäre wahrscheinlich ein sinnvoller Anknüpfungspunkt, dem man folgen könnte. Aber auch hier müssen wir Verifikationsprobleme und möglicherweise auch strukturelle Vollzugsdefizite mit im Blick haben.

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

Prof. Dr. Kaminski Möchten Sie ergänzen, Herr Greil? Dr. Greil Nee, unzuständig! Prof. Dr. Kaminski Dann habe ich noch eine andere Frage: Wenn ich das richtig erinnere, ist die OECD bei ihren Berechnungen für diese Under Tax Payments immer von 10 bis 12,5 % Steuersatz ausgegangen. Herr Greil, halten Sie das für eine realistische Größenordnung? Dr. Greil Die Frage würde ich doch direkt, wenn Sie mögen, Herr Kreienbaum, an Sie abgeben, wegen Pillar II. Kreienbaum Zunächst möchte ich festhalten, dass wir uns politisch innerhalb des Inclusive Framework noch nicht über die Höhe des Steuersatzes bei der effektiven Mindestbesteuerung geeinigt haben. Im politischen Raum sind verschiedentlich Zahlen genannt worden. Der französische Finanzminister Le Maire hatte schon im letzten Jahr 12,5 Prozent in die öffentliche Diskussion geworfen. Vom Bundesfinanzminister hat man gehört, die Zahl solle zweistellig sein, also mindestens 10 Prozent. Eine gewisse Orientierungsgröße wird US GILTI geben, möglicherweise wird der Mindeststeuersatz unter GILTI auch noch verändert. Zu beachten ist bei den US-Regeln zudem das dort erlaubte Worldwide Blending – wir haben ja gehört, dass wir mit Blick auf die Säule II von einem Jurisdictionwide Blending reden. Der Steuersatz müsste dann entsprechend angepasst werden, bei Jurisdictionwide Blending dürfte der Steuersatz geringer sein als bei einem Worldwide Blending, bei dem das Verrechnen verschiedener Steuersätze grenzüberschreitend gestattet ist. Die Größenordnung, – 10 % oder 12,5 % sind genannt worden – scheint mir realistisch zu sein. Ich meine, politisch wäre aus Perspektive der Staaten, die die Säule II vorangetrieben haben – das sind ja insbesondere Deutschland und Frankreich – ein Satz von unter 10 Prozent nicht akzeptabel. Hinzu kommt, dass es insgesamt auch in der politischen Diskussion unter den Staaten,

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

die sich für die Mindestbesteuerung einsetzen, nur schwer zu verkaufen wäre, wenn der Satz einstellig wäre. Prof. Dr. Kaminski Das wäre ja vielleicht eine Größenordnung, die zu einer Begrenzung des Anwendungsbereichs der Regelung führte. Herr Greil, für Sie das Schlusswort! Dr. Greil Jetzt erwischen Sie mich gut auf dem falschen Fuß, sehr schön, danke schön! Prof. Dr. Kaminski Das tut mir leid. Dr. Greil Ich nehme mal jetzt das Schlusswort, und vielleicht erwische ich Sie jetzt ein bisschen auf dem falschen Fuß! Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber ich bin verwundert über Ihre letzte Anmerkung aus dem vorhergehenden Panel, dass Sie sich wünschen, dass die Änderung des § 1 AStG nicht käme. Ich lass mal den § 1a raus, aber ich glaube, die Änderung des § 1 und des § 1b trägt der Rechtssicherheit bei, und die Umsetzung der BEPS-Aktionspunkte 8-10 ist, glaube ich, schon etwas, was für die Steuerpflichtigen notwendig ist oder hilfreich wäre, in Anbetracht der viel geforderten Rechtssicherheit, und das gilt eben auch für die Steuerverwaltung. Und ich glaube, deswegen war ich ein bisschen verwundert. Das nehme ich jetzt mal als Schlussstatement. Und im Hinblick auf Pillar I und II wird das nächste Jahr einfach mal zeigen, in welche Richtung das Ganze geht. Prof. Dr. Kaminski Gut, ich kann dazu hier jetzt nicht antworten, weil wir dann die vorherige Diskussion wieder eröffnen würden. Wir können uns dazu gerne bei passender Gelegenheit eingehend austauschen. Frau Schramm, mögen Sie auch noch ein Schlussstatement abgeben?

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

Dr. Schramm Ich hatte ja vorhin schon gesagt, also ich würde mir wünschen, dass wir, wenn wir zu einer harmonisierten Lösung kommen, sowohl bei Pillar I als auch bei Pillar II, dass das einhergeht damit, dass auch die nationalen, unilateralen Regelungen dann eingedämpft oder abgeschafft werden, dass wir uns da nicht zweigleisig mit diesen Systemen beschäftigen müssen und dann die Doppelbesteuerung haben. Prof. Dr. Kaminski Darin sehe ich die ganz große Gefahr. Sie haben die Gewerbesteuer angesprochen, die seit Jahren nicht abgeschafft wurde. Genau das fürchte ich hier eigentlich auch, und dann haben wir nämlich das Schlechteste aus allen Welten. Aber warten wir es ab. Die Entwicklung steht ja noch bevor. Kreienbaum Ich möchte noch kurz noch einen Satz zu den Registerfällen ergänzen. Mir ist es wichtig, das hier in der Runde zu sagen, wo ja viele Berater auch zuhören und vielleicht einige, die sich mit den entsprechenden Fällen auch beschäftigen: Das BMF hat am 6. November ein BMF-Schreiben herausgegeben und auf die grundsätzlich bestehende Steuerpflicht hingewiesen. Jetzt hat Herr Hummel auf den Gesetzentwurf hingewiesen, der vorletzte Woche, durch uns ins Internet gestellt worden ist. Der Entwurf ändert – das ist selbstverständlich – nichts an der Rechtslage. Und ob der Entwurf mit der dort enthaltenen Rückwirkung Gesetzeskraft erfahren wird oder nicht, das ist nur schwer vorherzusagen. Ich möchte deshalb darauf hinweisen: Die Rechtslage, auf die wir ausdrücklich im November hingewiesen haben, besteht zunächst weiter. Leiten Sie mit Blick auf die künftige Rechtslage keine falschen Schlüsse aus der Tatsache ab, dass das BMF einen Gesetzesentwurf veröffentlicht hat. Prof. Dr. Kaminski Ja, vielen Dank für den Hinweis, Herr Kreienbaum. Das ist ja für die Beratungspraxis schon alleine aus Haftungsgründen ein ganz wichtiger Punkt. Und bei dem Gesetzgebungsverfahren – das sehen wir ja im Jah-

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Podiumsdiskussion – OECD-Blueprint Pillar One und Pillar Two

ressteuergesetz – wissen wir alle nicht, wann und wie was kommt und was vielleicht dann doch nicht kommt. Also von daher, meine Damen und Herren … Wir machen jetzt die Kaffeepause bis 16 Uhr und wenden uns dann dem nächsten dauerhaften Baustellenthema zu, der Reform des Außensteuergesetzes und ATAD-Umsetzung. Vielen Dank!

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Geplante Modifikationen im AStG Prof. Dr. Gerhard Kraft Universitätsprofessor, Wirtschaftsprüfer/Steuerberater Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . 239 B. Schicksal und Stand des Umsetzungsprozesses . . . . . . I. Bisherige Genese der Referentenentwürfe zur ATADUmsetzung. . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission . . . . . . . III. Begründungsansätze der nicht fristwahrenden Umsetzung . IV. Unionsrechtliche Konsequenzen der nicht fristgerechten ATAD-Umsetzung. . . . . . . . .

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C. Geplante Modifikationen in der Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . 244 I. Erweiterung des Adressatenkreises der Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Wandel des Beherrschungskonzepts. . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Grundlagen des modifizierten Beherrschungskonzepts 245 2. Begünstigende Wirkungen des modifizierten Beherrschungskonzepts. . . . . . . . 246 3. Verschärfende Wirkungen des modifizierten Beherrschungskonzepts. . . . . . . . 247

4. Konsequenz: unmittelbare Anwendung der (begünstigenden Wirkungen) der ATAD . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Überarbeitungsbedarf der Entwürfe beim Begriffsverständnis der nahestehenden Person im Kontext der modifizierten Beherrschungskonzeption . . . . . III. Niedrigsteuergrenze . . . . . . . IV. Einkünftekatalog . . . . . . . . . V. Räumliche Begrenzung der Anwendbarkeit des Motivtests und OutsourcingVerbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Hinzurechnungsbetrag . . . . . VII. Vermeidung der Doppelbesteuerung. . . . . . . . . . . . . . D. Bewertung der ATADUmsetzungsentwürfe . . . . . . I. Neutrales. . . . . . . . . . . . . . . . II. Positives . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritisches . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Entbehrlichkeit der Hinzurechnungsbesteuerung nach Umsetzung von Pillar 2? . . . 262 F. Zusammenfassung in Thesen 264

A. Ausgangslage Die EU-Richtlinie gegen Steuervermeidung vom 12.7.2016 (Anti Tax Avoidance Directive – ATAD I) war nach ihrer Veröffentlichung im

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Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

Amtsblatt als RL (EU) 2016/1164 am 19.7.2016 als zwingend umzusetzendes Sekundärrecht („hard law“) bis zum 31.12.2018 in deutsches Recht zu transformieren. Mit anderen Worten hätte eine Umsetzung des Mindeststandards in nationales Recht nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie spätestens mit Wirkung zum 1.1.2019 erfolgen müssen. Sämtliche Nachbarstaaten sind dieser Verpflichtung – häufig minimalinvasiv – nachgekommen. Der deutsche Umsetzungsgesetzgeber ist in erheblichem Verzug. Auch wenn von offizieller Seite davon ausgegangen wird, dass Deutschland zwar bereits heute weitgehend die von der ATAD vorgegebenen Mindeststandards erfüllt1, ist gleichwohl in einigen höchst praxisrelevanten Bereichen noch bestehender Anpassungsbedarf zu identifizieren. Die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung steht damit vor der einschneidendsten Reform seit ihrer Einführung im Jahre 1972. Vor diesem Hintergrund skizzieren die nachfolgenden Ausführungen den bisherigen Umsetzungsprozess und arbeiten wesentliche zu erwartende Modifikationen der Regelungssystematik der Hinzurechnungsbesteuerung heraus.

B. Schicksal und Stand des Umsetzungsprozesses I. Bisherige Genese der Referentenentwürfe zur ATAD-Umsetzung Der erste offiziell veröffentlichte Entwurf datiert vom 10.12.2019.2 Unter diesem Datum leitete das Bundesministerium der Finanzen den Verbänden den „Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der AntiSteuervermeidungsrichtlinie“ mit einer bemerkenswert kurzen Frist zur Stellungnahme zu.3 Zur Kabinettsbefassung kam es indessen nicht, der Entwurf geriet in Vergessenheit.

1 Vgl. „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der ATAD-Richtlinien“ vom 17.11.2020, 1. Dieser Entwurf wird nachfolgend als „Entwurf vom 17.11.2020“ zitiert. Inhaltlich steht er dem Entwurf vom 24.3.2020 nahe. Die nachfolgenden Überlegungen verstehen sich auf der Grundlage des Entwurfs vom 17.11.2020. 2 Eine inoffizielle Version, die teilweise öffentlich zitiert wurde, datiert vom 18.12.2018 und wurde als „kleine Lösung“ bezeichnet; vgl. dazu Haase/Hofacker, Ubg 2019, 260 ff. und Lukas/Oppel, Tagungsband der 3. Jahrestagung des Young IFA Network 2019, C. Die Hinzurechnungsbesteuerung: Aktueller Stand und Reformbedarf, Fußnote 12. 3 Vgl. näher Kraft, FR 2020, 105.

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Ein am 24.3.2020 auf der Homepage des BMF publik gemachter „angepasster Referentenentwurf“ stellt den nächsten Schritt dar. Teilweise überraschend finden sich in den Empfehlungen des Finanzausschusses des Bundesrates zum Regierungsentwurf eines Jahressteuergesetzes 2020 vom 28.9.2020 Textpassagen, die die ATAD-Umsetzung vorschlagen. Diese wurden indessen vom Bundesrat in der Sitzung vom 9.10.2020 abgelehnt. In der Anhörung des Finanzausschusses des Bundestages zum JStG2020 vom 26.10.2020 war das Thema der ATAD-Umsetzung wohl wieder erfolglos auf der Agenda. Am 17.11.2020 wurde ein „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der ATAD-Richtlinien“4 öffentlich, begleitet von einem Anschreiben der Parlamentarischen Staatssekretärin. Die in diesem Entwurf vorgesehenen Regelungen bilden die Grundlagen und den Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen. An den Entwürfen fällt auf, dass die Modifikationen und Abweichungen von Entwurf zu Entwurf im Zeitablauf eher überschaubar sind und sich als primär redaktioneller Natur erweisen. Die erhoffte Fundamentalreform der Hinzurechnungsbesteuerung ist demzufolge nicht mehr zu erwarten. Aus diesem Grunde erscheint es kaum wahrscheinlich, dass die endgültig Gesetz werdende Fassung signifikant von dem abweichen wird, was bereits bis zum aktuellen Zeitpunkt in der Form sogenannter Referentenentwürfe publik geworden ist.

II. Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission Angesichts des Befunds, dass die EU-Kommission mit Beschluss vom 24.1.2020 ein Vertragsverletzungsverfahren5 gegen Deutschland auf Basis von Art. 258 AEUV wegen nicht fristgerechter Umsetzung der ATAD eingeleitet hat6, erstaunt die „Unbekümmertheit“ des Entwurfs vom 17.11.2020. Das anhängige Vertragsverletzungsverfahren wird dort nicht einmal erwähnt, den politisch verantwortlichen Entscheidungsträgern ist es bekannt. Dies belegt die Antwort der Bundesregierung7 auf eine kleine Anfrage, in welcher sie ausführt, der Vorwurf der Europäischen Kommission bestehe in der Nichtmitteilung der Umsetzung der Richt4 Az. IV C 2 - S 1910/19/10057:019, DOK 2020/1195097. 5 https://www.ec.europa.eu/atwork/applying-eu-law/infringements-proceedings/ infringement_decisions/index.cfm (aufgerufen am 1.12.2020). 6 Vgl. Gebhardt/Krüger, IWB 2020, 109 (120). 7 Vgl. BT-Drucks, 19/18056, 3.

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linie 2016/1164/EU (Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken) und der Änderungsrichtlinie 2017/952 in das deutsche Recht. Die hierzu korrespondierenden Mahnschreiben der Europäischen Kommission nach Artikel 258 AEUV seien dem Deutschen Bundestag gemäß § 4 Absatz 6 Nummer 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union am 30.1.2020 übermittelt worden.

III. Begründungsansätze der nicht fristwahrenden Umsetzung Im Schrifttum finden sich unterschiedlich gelagerte Begründungsvermutungen für die erhebliche Verletzung der Umsetzungsfristen. Gemutmaßt wird8: „Dem Vernehmen nach liegt es im Wesentlichen an den steuerpolitischen Diskussionen um die Niedrigbesteuerung, dass die ATAD in Bezug auf die Hinzurechnungsbesteuerung noch nicht umgesetzt ist.“ Interessant liest sich auch die folgende These9: „Dem Vernehmen nach sieht sich die deutsche Finanzverwaltung nicht im Verzug, da die geltenden Regelungen dem Mindestschutzniveau der RichtlinienVorgaben entsprächen.“ Mittlerweile wird die Fristüberschreitung mit der Uneinigkeit über die Umsetzung der Wächtler-Entscheidung10 vom 26.2.2019 begründet. Daran ist bemerkenswert, dass das Judikat des EuGH ein Datum trägt, an dem die ATAD bereits hätte umgesetzt sein müssen.

IV. Unionsrechtliche Konsequenzen der nicht fristgerechten ATAD-Umsetzung Es ist allgemein anerkannt, dass sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ein an den Mitgliedstaaten-Gesetzgeber adressiertes Loyalitätsgebot ergibt. Aus dieser Norm folgt nach der Judikatur des EuGH11 die Pflicht des nationalen Gesetzgebers, in seinem innerstaatlichen Recht die Konsequenzen aus seiner Zugehörigkeit zur Union zu ziehen („effet utile“). Dieses an den 8 Vgl. Haase/Hofacker, Ubg 2019, 260 (266). 9 Vgl. Lukas/Oppel, Tagungsband der 3. Jahrestagung des Young IFA Network 2019, C. Die Hinzurechnungsbesteuerung: Aktueller Stand und Reformbedarf, F. 10 Vgl. EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17, ECLI:EU:C:2019:138 – Wächtler. 11 Vgl. EuGH v. 8.2.1973 – 30/72, Slg. 1973, 161, Rz. 11 – Kommission/Italien; vgl. Calliess/Kahl/Puttler in Calliess/Ruffert5, Art. 4 EUV Rz. 55.

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Gesetzgeber adressierte Loyalitätsgebot betrifft vor allem die effektive Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht.12 Der Mitgliedstaat kann sich zur Rechtfertigung einer Nichtumsetzung, einer fehlerhaften oder einer nicht fristgerechten Umsetzung nicht auf innerstaatliche Gegebenheiten berufen.13 Folglich ist sämtlichen der vorstehend skizzierten Begründungsansätze die Geltungsgrundlage entzogen. Über die politische Bewertung der nicht fristgerechten ATAD-Umsetzung muss hier nicht spekuliert werden.14 Unstrittig ist, dass die Pflichtverletzung des deutschen Gesetzgebers nach ständiger Rechtsprechung des EuGH15 Schadensersatzansprüche von Unionsbürgern bzw. Unionsunternehmen begründen kann. Diese ergeben sich aus der EuGH-Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien sowie zum mitgliedsstaatlichen Staatshaftungsanspruch. Zur Frage der unmittelbaren Anwendung von Richtlinien ist geklärt, dass Richtlinien unmittelbare Wirkung haben, wenn sie innerhalb der Umsetzungsfrist nicht oder nur unzulänglich in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sind und die einzelnen Bestimmungen „inhaltlich unbedingt“ und „hinreichend bestimmt“ sind.16 Richtlinienbestimmungen können nur zu Gunsten des „Bürgers“, nicht aber zu seinen Lasten, angewendet werden. In der Francovich-Entscheidung hat der EuGH erkannt, dass ein Staat, der eine Richtlinie nicht oder nicht korrekt umsetzt, das Gemeinschaftsrecht der von dieser angestrebten Wirkung beraubt. Zugleich verstößt er gegen die Verträge17, die die verbindliche Natur der Richtlinie feststellen und 12 Vgl. Kraft, FR 2020, 105. Plastisch die Ausführungen in EuGH v. 14.9.2017 – C-628/15, ECLI:EU:C:2017:687, Rz. 47 – The Trustees of the BT Pension Scheme: „Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten insbesondere nach dem in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet sind, in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet die Anwendung und die Einhaltung des Unionsrechts zu gewährleisten, und dass sie nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben, ergreifen.“ 13 Vgl. EuGH v. 3.10.1984 – 279/83, Slg. 1984, 3395, Rz. 4 – Kommission/Italien. 14 Vgl. dazu Kraft, FR 2020, 105 f. 15 Unstrittig nach der „Frankovich“-Doktrin, vgl. EuGH v. 19.11.1991 – C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357 – Frankovich u.a. 16 Vgl. z.B. EuGH v. 5.4.1979 – 148/78, Slg. 1979 S. 1629, ECLI:EU:C:1979:110 – Ratti. 17 Seinerzeit der EWG-Vertrag, aus aktueller Perspektive EUV und AEUV.

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Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

ihn verpflichten, alle zu der Durchführung erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Vorgaben der Rechtsprechung des Gerichtshofs bedeuten, dass solche ATAD-Bestimmungen, die zugunsten des Steuerpflichtigen wirken, jedenfalls dann und insoweit unmittelbare Geltung beanspruchen, soweit sie sich als „inhaltlich unbedingt“ und „hinreichend bestimmt“ erweisen. Diese Francovich-Formel könnte angesichts der nicht fristgerechten Umsetzung der ATAD in Bezug auf einzelne Regelungsbereiche hohe Bedeutung erlangen. Untersuchungen dazu, ob und inwieweit diese Voraussetzungen erfüllt sind, werden sich künftig als flankierende Zusatzaufgaben des ATAD-Umsetzungskontextes erweisen.

C. Geplante Modifikationen in der Hinzurechnungsbesteuerung I. Erweiterung des Adressatenkreises der Hinzurechnungsbesteuerung Eine wesentliche Neuerung besteht in der Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung auf beschränkt Steuerpflichtige. Nach § 7 Abs. 1 S. 4 sämtlicher AStG-Entwürfe sind die Sätze 1 bis 3 nämlich auch auf einen beschränkt Steuerpflichtigen anzuwenden, soweit die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnen ist, durch die eine Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 2 des EStG ausgeübt wird. Im Schrifttum wird demgegenüber vertreten, nach der ATAD-Vorgabe komme es für die Anwendung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AStG allein auf die unbeschränkte Steuerpflicht des beherrschenden Gesellschafters an. Dessen unbeschränkte Steuerpflicht solle auch für Zwecke des Art. 7 Abs. 1 ATAD maßgeblich sein, die beschränkte Steuerpflicht reiche nicht aus. Zwingender Anpassungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber (mit weitreichenden Konsequenzen für die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung) ergebe sich daher nicht.18 Zutreffend ist zunächst, dass die Vorschrift ein echtes Novum ist und auf den systematisch und sprachlich völlig misslungenen Anwendungs-

18 Vgl. Böhmer/Gebhardt/Krüger in Hagemann/Kahlenberg, Anti Tax Avoidance Directive (ATAD) Kommentar, Art. 7 Rz. 261; so im Ergebnis auch Schnitger/ Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016 960 (969).

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Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

bereich der ATAD (Art. 1) zurückgeht.19 In dieser Richtlinienbestimmung werden zwar Dreieckssachverhalte angesprochen, eine unmittelbare Verpflichtung des Mitgliedstaatengesetzgebers zur Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs der Hinzurechnungsbesteuerung kann der Bestimmung indessen nicht entnommen werden.20 In der Tat befiehlt die ATAD-Vorgabe keine zwingende Verpflichtung zum Einbezug beschränkt Steuerpflichtiger in den Adressatenkreis der Hinzurechnungsbesteuerung. Daher ist verwunderlich, dass sich in den Entwürfen keine Begründung für die Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs der Hinzurechnungsbesteuerung findet. Die lediglich paraphrasierende Wiedergabe des Normtextes enttäuscht daher.21 Denn dass Hinzurechnungsverpflichtete nach Satz 4 auch beschränkt Steuerpflichtige sein können, wenn die Beteiligung an der Zwischengesellschaft der gewerblich tätigen inländischen Betriebsstätte dieser Steuerpflichtigen dient, ergibt sich unmittelbar aus Lektüre der Rechtsnorm. Es lässt sich allenfalls darüber spekulieren, ob die Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs primär fiskalisch motiviert ist oder welche Erwägungen noch hinter der geplanten Neuregelung stehen könnten. In jedem Fall werden dadurch seit jeher umstrittene Probleme der Zuordnung von Beteiligungen zum Stammhaus bzw. zur Betriebsstätte eine Renaissance erleben.

II. Wandel des Beherrschungskonzepts 1. Grundlagen des modifizierten Beherrschungskonzepts Durch die Neuformulierung des § 7 Abs. 1 AStG-E wird das der Hinzurechnungsbesteuerung zugrundeliegende Beherrschungskonzept fundamental modifiziert. Ausweislich der verschiedenen Begründungen soll es zu den Kernelementen der Reform der Hinzurechnungsbesteuerung zählen, die bisherige Inländerbeherrschung künftig durch eine gesellschafterbezogene Betrachtung zu ersetzen.22 Dies bewirkt einerseits, dass sogenannte „Zufallsbeherrschungen“ künftig weitgehend ausgeschlossen sein sollten.23 Andererseits sind durch die Zurechnung von Beteili19 Kritisch Haase/Hofacker, Ubg 2019, 260 (262). 20 Zur Problematik des Adressatenkreises der Hinzurechnungsbesteuerung nach der ATAD vgl. Schnitger/Nitzschke/Gebhardt, IStR 2016, 960 (961). 21 Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 60. 22 Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 28. 23 Vgl. Baumgartner, IStR 2020, 524 (525).

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Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

gungen nahestehender Personen in der Besteuerungspraxis schwierige Probleme zu lösen. Dadurch werden die Fälle zunehmen, in denen die Beherrschungsquote von der Zurechnungsquote abweichen wird.

2. Begünstigende Wirkungen des modifizierten Beherrschungskonzepts Die geänderte Beherrschungskonzeption vermag im Verhältnis zur bisherigen Rechtslage sowohl verschärfend als auch begünstigend zu wirken.

A 2% %

D-GmbH 49%

Deutschland Cayman-Island Sub-Inc. Abb. 1: Beispiel einer begünstigenden Wirkung des künftig geänderten Beherrschungskonzepts Beispiel: Die natürliche Person A und die D-GmbH sollen annahmegemäß keine nahe stehenden Personen sein. Ebenso wenig sollen Anzeichen für ein „acting-in-concert“ auszumachen sein.

Nach bisheriger Rechtslage wäre von einer Beherrschung durch Steuerinländer in Form einer „Zufallsbeherrschung“ auszugehen mit der Rechtsfolge der Hinzurechnungsbesteuerung. Nach künftiger Rechtslage wird keine Beherrschung mehr vorliegen, da keine Zusammenrechnung der Anteilsquoten erfolgen wird. Verschärfend kann der Paradigmenwechsel „weg von der Inländerbeherrschung“ und „hin zur Konzernbeherrschung“ indessen auch wirken.

246

Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

3. Verschärfende Wirkungen des modifizierten Beherrschungskonzepts F-SA Frankreich

1%

100%

D-GmbH Deutschland

Cayman-Island

49,99%

Inc.

Abb. 2: Beispiel einer verschärfenden Wirkung des künftig geänderten Beherrschungskonzepts

Die im Inland ansässige D-GmbH wäre nach bisheriger Rechtslage nicht mehrheitlich an der Inc. beteiligt. Von einer Beherrschung durch Steuerinländer könnte daher nach bisheriger Rechtslage nicht ausgegangen werden. Die Rechtsfolge der Hinzurechnungsbesteuerung würde somit selbst bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen auf Ebene der Inc. nicht eintreten. Nach künftiger Rechtslage wird aufgrund der Zusammenrechnung der Anteilsquoten der F-SA und ihrer als Tochtergesellschaft nach § 1 Abs. 2 AStG nahestehenden Person der D-GmbH eine Beherrschung vorliegen. Die Beherrschungsquote auf Ebene der D-GmbH wird 50,99 % betragen, die Zurechnungsquote 49,99 %.

4. Konsequenz: unmittelbare Anwendung der (begünstigenden Wirkungen) der ATAD Wie bereits angedeutet vermag die verschärfende Wirkung der nicht fristgerecht umgesetzten ATAD unionsrechtliche Fragestellungen zu evozieren, welche Rechtslage für die Veranlagungszeiträume gelten soll, in denen der deutsche Gesetzgeber seinen Umsetzungsverpflichtungen nicht nachgekommen sein wird. Es wird sich insoweit um die Veranlagungszeiträume 2019 und 2020 handeln.

247

Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

Y-GmbH

X-AG 50%

50%

Deutschland Cayman-Island Sub-Inc. Abb. 3: Beispiel zur Illustrierung der unmittelbaren Anwendung der ATAD im Kontext des modifizierten Beherrschungskonzepts der Hinzurechnungsbesteuerung Beispiel: Die gesellschaftsrechtlich unverbundenen X-AG und Y-GmbH qualifizieren unterstellungsgemäß nicht als nahestehende Personen. Ebenso wenig sollen Anzeichen für ein „acting-in-concert“ vorliegen. Die Sub-Inc. erzielt niedrig besteuerte, passive Einkünfte (keine Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter).

Bis zum 31.12.2018 gilt die Sub-Inc. als deutschbeherrscht, als Rechtsfolge tritt die Konsequenz der Hinzurechnungsbesteuerung ein. Es stellt sich die Frage, wie die Rechtslage ab 2019 zu beurteilen ist, insbesondere, ob eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie als direkte Anwendung der ATAD zu bejahen ist. Fest steht insoweit, dass nach dem Beherrschungskonzept der ATAD nicht von einer Beherrschung durch Steuerinländer ausgegangen werden kann. Insoweit ist die Rechtslage als „inhaltlich unbedingt“ und „hinreichend bestimmt“ zu beurteilen. Damit sind die Voraussetzungen nach der Francovich-Formel des EuGH24 erfüllt. Die reguläre Hinzurechnungsbesteuerung kann in dieser Konstellation ab 2019 nicht mehr angewandt werden.

24 Vgl. EuGH v. 19.11.1991 – C-6/90 u. 9/90, Slg. 1991, I-5357 – Frankovich.

248

Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

5. Überarbeitungsbedarf der Entwürfe beim Begriffsverständnis der nahestehenden Person im Kontext der modifizierten Beherrschungskonzeption Schließlich ist auf ein merkwürdiges Verständnis des Begriffs der nahestehenden Person in den Entwürfen hinzuweisen, welches sich nicht im Kontext der Beherrschungskonzeption, sondern im Rahmen der Erläuterung der Hinzurechnungsbesteuerung in mehreren Staaten findet. France-SA 30%

Frankreich

Cayman-Island

D-GmbH 40%

Deutschland

Lux-S.a.r.l. 30%

Luxemburg

Sub-Inc.

Abb. 4: Ausgangsbeispiel zur Problematik des Begriffs „nahestehende Person“ im ATAD-Ums-Entwurf Beispiel: Im vorstehenden Schaubild halten drei unverbundene Beteiligte mit jeweils weniger als 50 % der Anteile an einer Zwischengesellschaft.

Die von der Sub-Inc. erzielten niedrig besteuerten, passiven Einkünfte führen jedenfalls dann nach künftiger Rechtslage im Inland nicht zur Hinzurechnungsbesteuerung, wenn die France-SA, die D-GmbH sowie die Lux-S.a.r.l. unverbunden sind und kein „acting-in-concert“ nachzuweisen ist. Da mithin keine Beherrschung vorliegt, tritt auch keine Hinzurechnungsbesteuerung ein. Überraschend lesen sich in diesem Kontext die Ausführungen des Entwurfs. Zur Illustration wird auf die nachfolgende Skizze verwiesen.

249

Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

France-SA

D-GmbH

30%

40%

Deutschland

Frankreich

Cayman-Island

Lux-S.a.r.l. 30%

Luxemburg

Sub-Inc. 100%

Sub-Sub-Inc. Abb. 5: Erweitertes Beispiel zur Problematik des Begriffs „nahestehende Person“ im ATAD-Ums-Entwurf Beispiel: Diese gesellschaftsrechtliche Struktur unterscheidet sich von der vorhergehenden lediglich dadurch, dass nunmehr die Sub-Sub-Inc. die niedrig besteuerten, passiven Einkünfte erzielt, wohingegen die (indirekten) Beherrschungsstrukturen identisch sind. Die Entität, in der die passiven Einkünfte erwirtschaftet werden, wurde gleichsam eine Konzernebene tiefer verlagert.

Gänzlich überraschend sind hierzu die Ausführungen der Begründung des Entwurfs25 vom 17.11.2020 zu verstehen. Diese gehen von folgender Überlegung aus: „Nach inländischem Recht beherrscht die D-GmbH die Sub-Sub-Inc. ebenfalls, da ihr die Beteiligung der Sub-Inc. an der Sub-SubInc. in voller Höhe zugerechnet wird (Sub-Inc. ist gemäß § 1 Absatz 2 AStG nahestehende Person der D-GmbH). Die mittelbare Beteiligung der A-GmbH bleibt auch nicht nach § 7 Absatz 1 Satz 2 AStG unberücksichtigt.“ Diese Ausführungen lesen sich so, als gingen die Entwurfsverfasser/innen davon aus, die Beteiligungskettenverlängerung ohne Änderung der Beherrschungssituation würde bewirken, dass nunmehr eine nahe stehende Person der im Inland ansässigen, indirekt 40 % der Anteile an der vermeintlichen Zwischengesellschaft (Sub-Sub-Inc.) haltenden D-GmbH vorliege. 25 Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 76.

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Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

Selbstverständlich ist dem nicht zu folgen. Weder wirtschaftlich noch rechtlich hat sich etwas an der Beherrschungssituation geändert, was zu einer modifizierten Betrachtung im Hinblick auf die Zurechnung inkriminierter Einkünfte Anlass geben könnte. Aus diesem Grunde sollte der Entwurf insoweit fundamental überarbeitet werden.

III. Niedrigsteuergrenze Es darf als allgemein bekannt gelten, dass es sich beim Referenzsteuersatz der Niedrigbesteuerung um den zentralen – ideologisch umkämpften – Streitpunkt handelt. Da nach dem aktuell diskutierten Entwurf der bisherige Referenzsteuersatz von 25 % weiterhin gelten soll, handelt es sich eigentlich um gar keine Modifikation, streng genommen müsste die Thematik im Rahmen des Titels gar nicht abgehandelt werden. Nach dem ATAD-Ansatz soll der Referenzsteuersatz in Höhe der hälftigen Körperschaftsteuerbelastung zu verorten sein. Diese würde – aus deutscher Sicht – unrealistische 7,5 % bedeuten. Die bisherigen Entwürfe gehen trotz massiver Kritik des Schrifttums von 25 % aus. Der Verfasser hatte bereits vor mehr als 10 Jahren einen Referenzsteuersatz der Niedrigbesteuerung von 15 % als realistisch und praktikabel begründet. Die überwiegende Meinung im Schrifttum ist diesem Ansatz gefolgt.26 Auch der Finanzausschuss des Bundesrats hatte 15 % zugrunde gelegt, allerdings wurde das gesamte ATAD-Umsetzungspaket vom Bundesrat am 9.10.2020 abgelehnt. Ohne die Niedrigsteuerdiskussion an dieser Stelle vertiefen zu wollen, ist hier nur nochmals zu betonen, dass 25 % als Niedrigsteuerschwelle vollkommen sachfremd, ökonomisch verzerrend und unzeitgemäß zu beurteilen sind. Der aus heutiger Sicht deutlich zu hoch angesetzte Referenzsteuersatz der Niedrigbesteuerung ist auch vor dem Hintergrund abzulehnen, dass die Hinzurechnungsbesteuerung Missbräuche verhindern will, nicht aber Auslandsinvestitionen einer prohibitiven Sondersteuer unterwerfen soll.27 Hinzuweisen ist ebenfalls nochmals darauf, dass die meisten hinzurechnungssteuerlichen Problembereiche bei einer 15 %-Schwelle schlicht entfallen würden.

26 Vgl. z.B. Mattern, Gastkommentar, DB 2019, DB1298388; zur verfassungsrechtlichen Perspektive eines Referenzsteuersatzes von 25 % vgl. Haarmann, IStR 2011, 565 (571). 27 Vgl. Haarmann, IStR 2011, 565 (572).

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Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

Eher aus anekdotischen denn aus inhaltlichen Gründen ist daher darauf zu verweisen, dass die Begründung des Entwurfs zu § 8 Abs. 5 AStG-E überrascht.28 Dort wird zunächst die Richtlinie interpretiert, indem es heißt: „Danach ist eine niedrige Besteuerung gegeben, wenn die ausländische Ertragsteuerbelastung weniger als die Hälfte der Ertragsteuerbelastung des Steuerpflichtigen beträgt.“ und weiter: „Unter Einbeziehung der deutschen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer ist diesem Erfordernis genüge getan.“ Richtig ist, dass unter „Einbeziehung der deutschen Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer“ diesem Erfordernis gerade nicht genüge getan ist, weil dann die ungefähre Ertragsteuerbelastung ungefähr das Doppelte der Körperschaftsteuerbelastung beträgt. Demzufolge hält der Passus des ATAD-Umsetzungsentwurfs arithmetisch natürlich nicht. Indessen ist zu konzedieren, dass der Mindeststandard der ATAD bedeutet, dass Deutschland aus unionsrechtlicher Perspektive einen höheren Steuersatz ansetzen kann. Ob dieser in irgendeiner Form nach oben begrenzt ist, müsste gesonderten Untersuchungen vorbehalten bleiben.

IV. Einkünftekatalog Während ein Passivkatalog in der ATAD angelegt ist, entspricht ein Aktivkatalog der deutschen hinzurechnungssteuerlichen Tradition.29 Inhaltlich lassen sich die materiellen Ziele einer „CFC-legislation“ mit beiden Konzepten erreichen, ob sich ein Passivkatalog tatsächlich als innovationsfreundlicher30 erweist, kann dahingestellt bleiben.31 Generell zu bedauern hinsichtlich des Katalogs ist, dass Anregungen des Schrifttums nicht aufgegriffen wurden.32 Es bleibt bei der teils verquer anmutenden Regelungstechnik33, bekanntlich weist der geltende Aktivkatalog eine teilweise komplexe Regelungssystematik mit Grundfall, Ausnahme und Rückausnahme auf. Die Wortlautführung der einzelnen Tatbestände des Katalogs erschwert die Abgrenzung zwischen aktiven 28 Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 66. 29 Vgl. dazu eingehend Dehne in Lüdicke, Internationales Steuerrecht am Scheideweg, 2018, Hinzurechnungsbesteuerung – Bestandsaufnahme und Reformbedarf, Gliederungspunkt F. I. 30 Vgl. Haase/Hofacker, Ubg 2019, 260 (264). 31 Baumgartner, IStR 2020, 524 (526) identifiziert gar einen „einen klaren Nachteil für den Wirtschaftsstandort Deutschland“ aufgrund des Aktivkatalogs. 32 Vgl. statt vieler z.B. Haarmann, IStR 2011, 565; Kraft IStR 2010, 377 (379 f.). 33 Vgl. Kraft, in Kraft2 Vor § 7 Rz. 164: „Regel-Ausnahme-Rückausnahme-Ausnahme von der Rückausnahme“.

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und passiven Tätigkeiten im Einzelfall erheblich.34 Zutreffend ist, dass die an verschiedenen Stellen vorhandenen Mitwirkungstatbestände35 kaum subsumierbar36 sind und nicht mehr der heutigen Unternehmensund Konzernpraxis entsprechen.37 Enttäuschend sind ferner einige bislang schon reformbedürftige Regelungsbereiche, hinsichtlich derer leider auch keine Klärung zu erwarten ist. So ist – um nur ein Beispiel herauszugreifen – im Kontext des bisher anwendbaren sogenannten predominance-test im Kontext des § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG bei der Frage, ob das Aktivgeschäft oder das Passivgeschäft von Kreditinstituten entscheidend für die Auslegung des Begriffs „überwiegend“ (daher predominant) sein soll, keine Klärung eingetreten. Künftig wird zwar wohl eine Drittelregelung Anwendung finden. Das strukturelle Problem indessen, ob das Aktivgeschäft oder das Passivgeschäft oder ggf. ein Mix in den Blick zu nehmen ist, wird weiterhin bestehen.

V. Räumliche Begrenzung der Anwendbarkeit des Motivtests und Outsourcing-Verbot Nach § 8 Abs. 2 AStG-E ist – ähnlich der bisherigen Formulierung – eine ausländische Gesellschaft nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte, für die nachgewiesen wird, dass die Gesellschaft in dem Staat, in dem sie ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, insoweit einer wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Das Gesetz enthält die Nachweispflicht, wonach insbesondere der Einsatz der für die Ausübung der Tätigkeit erforderlichen sachlichen und personellen Ausstattung in diesem Staat vorausgesetzt wird. Die Tätigkeit muss durch hinreichend qualifiziertes Personal selbständig und eigenverantwortlich ausgeübt werden, vgl. § 8 Abs. 2 S. 3 AStG-E. Aufgrund des § 8 Abs. 3 AStG-E ist der räumliche Erstreckungsbereich auf den EU-/EWR-Raum begrenzt, da § 8 Abs. 2 AStG-E nur gelten soll, wenn die ausländische Gesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens hat. 34 Vgl. Lukas/Oppel, Tagungsband der 3. Jahrestagung des Young IFA Network 2019, C. Die Hinzurechnungsbesteuerung: Aktueller Stand und Reformbedarf, Fn. 27. 35 Dazu Haase/Nürnberg, Ubg 2020, 1 (2). 36 Vgl. Lukas/Oppel, Tagungsband der 3. Jahrestagung des Young IFA Network 2019, C. Die Hinzurechnungsbesteuerung: Aktueller Stand und Reformbedarf, Fn. 27. 37 Vgl. Details bei Linn, IStR 2016 645 (650 f.).

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Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

Neben der räumlichen Begrenzung findet sich somit im Motivtest auch ein „Outsourcing-Verbot“, denn § 8 Abs. 2 S. 4 AStG-E bestimmt, dass die Sätze 1 bis 3 nicht gelten, wenn die Gesellschaft ihre wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit überwiegend durch Dritte besorgen lässt. Damit wird eine Verschärfung des Wortlauts von „tatsächliche“ auf „wesentliche“ wirtschaftliche Tätigkeit vorgenommen38, wenngleich die Begründung39 betont, dass an der Grundkonzeption des bestehenden Motivtests festgehalten werde. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße sprachliche Spitzfindigkeit. Unter „tatsächlich“ ist inhaltlich etwas anderes zu verstehen als unter „wesentlich“. Das belegt schon die eingeschwungene steuergesetzliche Verwendung des Begriffs „wesentlich“. Wesentliche Inlandsinteressen (§ 2 AStG) sind etwas anderes als tatsächliche Inlandsinteressen, eine wesentliche Beteiligung (früher in § 17 EStG verwendet) ist etwas anderes als eine tatsächliche Beteiligung. Warum der Entwurf die ATAD-Vorgaben diesbezüglich ohne Begründung verschärft, bleibt im Dunkeln. Das ausländische Unternehmen müsse grundsätzlich sachliche und personelle Ressourcen vorhalten, insbesondere durch qualifiziertes Personal, welches relevante Tätigkeiten selbständig und in eigener Verantwortung auszuführen imstande ist. Im Falle der Auslagerung von Tätigkeiten – neudeutsch „outsourcing“ – könne die ausländische Gesellschaft diesen Kriterien nicht entsprechen. Im Grundsatz gilt der Motivtest gegenüber Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Vertragsstaaten des EWR-Abkommens. § 8 Abs. 3 AStG schließt jedoch den Motivtest im Verhältnis zu Drittstaaten-Gesellschaften aus, da die vorliegenden Vorschriften in § 8 Abs. 1 AStG als Motivtest den in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb mit Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr kennen. Dem ist entgegenzuhalten40, dass der EuGH und ihm folgend der BFH die Prüfung anhand wirtschaftlicher Gründe für die Beteiligung an Drittstaatsgesellschaften zugelassen haben. Eine derartige Prüfung sieht § 8 Abs. 2 AStG-E gerade nicht vor. Demzufolge erweisen sich die räumlichen Beschränkung des § 8 Abs. 2 bzw. 3 AStG-E einerseits verknüpft mit der Unmöglichkeit des Nachweises wirtschaftlicher Gründe für die Beteili-

38 Vgl. Heckerodt/van Lück, IStR 2020, 857 (861). 39 Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 65. 40 Vgl. Gebhardt/Krüger, IWB 2020, 109 (120).

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gung andererseits aus unionsrechtlichen Erwägungen im Gegensatz zur Diktion der Entwurfsbegründung41 alles andere als bedenkenfrei. Es besteht insoweit eine komplexe Gemengelage. Zwar ist der Verzicht auf die Drittstaatenerstreckung des Motivtests nach der ATAD zulässig, die höchstrichterliche Judikatur indessen weist in andere Richtungen. Demzufolge ist vom Grundsatz her kritisch zu hinterfragen, ob diese tatbestandlichen Anforderungen noch zeitgemäß sind. Ob sich eine derartige räumliche Begrenzung angesichts der klaren Fingerzeige von EuGH und BFH noch nahtlos in eine globalisierte Steuerwelt, die nun einmal weiter geht als eine europäisierte Steuerwelt, einfügen lässt, werden höchstrichterliche Verfahren der Zukunft zeigen müssen. Es sollte sich in das Selbstverständnis eines exportorientierten Steuerstaats einfügen, im Hinblick auf die weit überwiegend kooperative Anzahl von Drittstaaten eine globale, internationale Perspektive walten zu lassen. Kleinteilige, gerade einmal die unbedingt notwendigen Vorgaben des EuGH umsetzende Mindestlösungen, passen nicht so recht in eine export- und weltoffene Wirtschaftsordnung.42 Die Ressourcenanforderungen des Entwurfs muten auch etwas aus der Zeit gefallen an, ist doch mittlerweile auch bei der Finanzverwaltung die Problematik personalloser Betriebsstätten angekommen.43 Ferner ist darauf zu verweisen, dass nach aktuellem Diskussionstand Pillar 1 Staaten Besteuerungsrechte ohne jegliche vorhandene Personalfunktion im jeweiligen Staat zuweisen möchte.

VI. Hinzurechnungsbetrag Die Regelungen zum Hinzurechnungsbetrag werden partielle technische Anpassungen erfahren. Nach wie vor wird der Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören. Aufgrund der Vorgaben der ATAD wird allerdings künftig eine phasengleiche Zurechnung des Hinzurechnungsbetrags (§ 10 Abs. 2 AStG-E) erfolgen. Dies bedeutet 41 Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 62: „Dies hat zur Folge, dass die Hinzurechnungsbesteuerung im Grundsatz in Drittstaaten-Sachverhalten keinen europarechtlichen Bedenken ausgesetzt ist, da in derartigen Beherrschungssachverhalten Prüfungsmaßstab allein die Niederlassungsfreiheit ist, deren Geltung auf EU- und EWR-Sachverhalte beschränkt ist.“ 42 Ähnlich Baumgartner, IStR 2020, 524 (528). 43 Vgl. BMF v. 17.12.2019 – IV B 5 - S 1341/19/10010:003, DOK 2019/1018207 zu Betriebsstätten ohne Personalfunktion (sog. funktionslose Betriebsstätten).

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Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

eine Änderung gegenüber der aktuellen Rechtslage. Soweit sie – in Einzelfällen denkbar – zugunsten des Steuerpflichtigen wirkt, greifen wiederum die Erwägungen zur unmittelbaren Anwendung der ATAD zugunsten des Steuerpflichtigen. Streit könnte insoweit vorprogrammiert sein. Der – wie bisher – aufgrund der ATAD-Vorgaben nach deutschem Steuerrecht zu ermittelnde Hinzurechnungsbetrag weist im Hinblick auf seine Interpretation in den Entwürfen doch einige Änderungen auf, die diskussionswürdig erscheinen. Zunächst ist auf eine Modifizierung der normativen Verortung eines Regelungsbereichs hinzuweisen, die zwar – vordergründig – keine Neuerung darzustellen scheint, aufgrund ihrer künftigen Stellung im Gesetz indessen eine Bedeutungszunahme erwarten lässt. Es geht um die künftig in § 10 Abs. 5 AStG-E verortete Erstbewertungsklausel, die sich unmittelbar auf den Hinzurechnungsbetrag auswirkt. Die begründenden Ausführungen in den Entwürfen44 hierzu lassen aufhorchen. 100%

Deutschland USA

Inc.

Nicht-DBA zu Deutschland

2024: Immoblienveräußerung

Abb. 6: Beispiel zur Erstbewertungsklausel Beispiel: Zur Einführung in die Problematik soll angenommen werden, dass bereits seit sechs Dekaden eine im Ausland domizilierte Kapitalgesellschaft existiert, der im Zusammenhang mit ihrer Gründung eine Immobilie zum Wert von 1.000.000 $ übertragen wurde. Im Jahr 2022 soll annahmegemäß ein Anteilserwerb durch einen unbeschränkt Steuerpflichtigen erfolgen, der Wert der Immobilie zu diesem Zeitpunkt wird mit 12.000.000 $ angenommen. Die Immobilie wird – aus welchen Gründen auch immer – hinzurechnungssteuerrelevant im Jahr 2024 veräußert, und zwar zu 15.000.000 $.

44 Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 68.

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Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

Hier stellt sich naturgemäß die Frage, welcher hinzurechnungssteuerlich relevante Betrag der stillen Reserven letztlich im deutschen Steuersubstrat landet. Die Entwurfsbegründungen45 stellen auf die historischen Anschaffungskosten ab, im Beispiel würden somit nach dieser Lesart 15.000.000 $ – 1.000.000 $ = 14.000.000 $ von der Hinzurechnungsbesteuerung erfasst werden, obwohl lediglich 15.000.000 $ – 12.000.000 $ = 3.000.000 $ stille Reserven im Zeitraum der Beherrschung durch einen Steuerinländer entstanden sind. Begründet wird diese Bezugnahme auf die historischen Anschaffungskosten damit, dass andernfalls auf die Konzeption der Ver- und Entstrickung zurückgegriffen werden müsste, die allerdings der Systematik der Hinzurechnungsbesteuerung fremd sein soll.46 Aus systematischen Gründen werde die Vorschrift in den § 10 AStG verschoben. Diese Verschiebung kann nach hier vertretener Sichtweise durchaus als Indiz für erhöhte „Aufgriffsbereitschaft“ seitens der Finanzverwaltung gedeutet werden. Überraschend kommt dieser „Appetit“ auf die Besteuerung vor Geltung der Hinzurechnungsbesteuerung entstandener stiller Reserven nicht, zumal auch in anderen Regelungsbereichen die Finanzverwaltung mit dem Zugriff auf die Besteuerung von vor Inkrafttreten einer entsprechenden Rechtsgrundlage entstandenen stillen Reserven in der Vergangenheit nicht zurückhaltend war. Ob die Finanzverwaltung insoweit Rückendeckung vom BFH erwarten darf, scheint nicht eindeutig zu sein. Immerhin formulierte er einen Leitsatz in einer länger zurückliegenden Entscheidung47 zu einer inhaltlich identischen Vorläuferbestimmung des § 21 Abs. 3 AStG und damit auch des künftigen § 10 Abs. 5 AStG-E wie folgt: „Bei der Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags sind als Anschaffungskosten veräußerter Wirtschaftsgüter die ursprünglichen Anschaffungskosten anzusetzen; dies gilt auch dann, wenn diese vor Inkrafttreten des AStG anfielen und damit vor Inkrafttreten des AStG entstandene stille Reserve vom Hinzurechnungsbetrag erfaßt werden.“ Die Begründung des Entwurfs48 enthält allerdings noch einen weiteren interessanten Fingerzeig hinsichtlich der Problematik, ob im Kontext der Hinzurechnungsbesteuerung die Dogmatik von Ent- und Verstri-

45 46 47 48

Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 68. Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 68. Vgl. BFH v. 12.7.1989 – I R 46/85, BStBl. 1990, 113. Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 68.

257

Kraft – Geplante Modifikationen im AStG

ckung beheimatet sein können.49 Auch dies lässt sich mithilfe einer Exemplifizierung illustrieren.

Deutschland

100%

USA Inc.

Vorher: Nicht-DBA zu Deutschland Nachher: DBA

Abb. 7: Beispiel zur Entstrickungsproblematik in der Hinzurechnungsbesteuerung

Im abkommenslosen Zustand unterfallen Miet- und Pachterträge sowie Veräußerungsgewinne aus der im Nicht-DBA-Staat belegenen Immobilie wegen § 8 Abs. 1 Nr. 6b AStG der Hinzurechnungsbesteuerung. Schließen nun Deutschland und der Belegenheitsstaat ein DBA ab, so wandeln diese Erträge ihren hinzurechnungssteuerlichen Charakter. Aus den vormals passiven Immobilienerträgen werden aktive, vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 6 b AStG. Somit stellt sich die Frage, ob es zu einer Entstrickung aus der Hinzurechnungsbesteuerung kommt.50 Nach der Entwurfsbegründung51 ist die Konzeption der Ver- und Entstrickung der Systematik der Hinzurechnungsbesteuerung fremd. Konsequenz dieses starken Satzes ist, dass im Kontext der Hinzurechnungsbesteuerung offenbar steuerfreie Entstrickungssituationen möglich sein können.

VII. Vermeidung der Doppelbesteuerung Hinsichtlich der hinzurechnungssteuerlichen Behandlung der Vermeidung der Doppelbesteuerung tatsächlich repatriierter Gewinne weicht die künftige Besteuerungstechnik zwar vom bisherigen System nach § 3 Nr. 41 EStG ab, die materielle Regelungskonzeption bleibt indessen ähnlich. An die Stelle einer befristeten Freistellung tatsächlich repatriierter, 49 Vgl. umfassend dazu Kraft, IStR 2012, 733; Wassermeyer, IStR 2012, 804. 50 Sogenannte passive Entstrickung durch DBA-Abschluss, vgl. BMF v. 26.10.2018 – IV B 5 - S 1348/07/10002-1, BStBl. I 2018, 1104. 51 Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 68.

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vorgängig bereits im System der Hinzurechnungsbesteuerung versteuerter Gewinne, tritt künftig eine unbefristete Freistellung. Diese ist in der ATAD verwurzelt, eine Option für den Mitgliedstaatengesetzgeber existiert daher nicht. Technisch arbeitet der Entwurf mit einem sogenannten Hinzurechnungskorrekturvolumen (§ 11 AStG-E), wonach auf Antrag der Ansatz eines Kürzungsbetrags in Höhe früher versteuerter Gewinne vorgesehen ist. Diese entspricht dem Volumen der in der Vergangenheit und im laufenden VZ besteuerten Hinzurechnungsbeträgen. Zu bemängeln daran ist, dass der Entwurf keine Aussage zu Situationen enthält, in denen eine Zwischengesellschaft mittlerweile auf eine Gesamtrechtsnachfolgerin übertragen wurde. Nach dem Wortlaut ist insoweit eine steuerfreie Vereinnahmung repatriierter bereits im Wege der Hinzurechnungsbesteuerung erfasster Beträge nicht möglich.52

D. Bewertung der ATAD-Umsetzungsentwürfe Im Hinblick auf die Bewertung der ATAD-Umsetzungsentwürfe bietet sich eine Dreiteilung an, die zunächst neutral auf die Vorgaben der ATAD abstellen, im Anschluss Positives an den bislang bekannt gewordenen Entwürfen und sodann Kritisches herausarbeitet.

I. Neutrales Als unproblematisch dürfte sich erweisen, dass die ATAD mit einem Passivkatalog arbeitet, die Entwürfe aber der Tradition folgend beim Konzept des Aktivkatalogs bleiben. Materiell wird diese Unterscheidung irrelevant sein. Die Phasengleichheit der Besteuerung des Hinzurechnungsbetrags beruht auf einer ATAD-Vorgabe und ist an dieser Stelle der Kritik nicht mehr zugänglich. Gegebenenfalls werden sich administrative Schwierigkeiten in den Unternehmen ergeben, wenn ein- und derselbe Veranlagungszeitraum in verschiedenen Jurisdiktionen unter Durchbrechung des kapitalgesellschaftlichen Trennungsprinzips hinzurechnungssteuerlich einzuordnen ist. Die Abschaffung der Befristung steuerfreier Ausschüttungen nach § 11 AStG-E wirkt begünstigend, insoweit greift die gleiche Argumentation in Bezug auf die unmittelbare Anwendbarkeit der ATAD. Mit dieser Thema52 Zur Problematik Kraft, IStR 2010, 377 (378).

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tik redaktionell verbunden ist die zu begrüßende Verortung der Fristenregelung ins AStG, statt wie bisher in § 3 Nr. 41 EStG An der auf Richterrecht beruhenden Verlustverrechnungsmöglichkeit nachgeschalteter Zwischengesellschaften wird aufgrund der ATAD-Vorgaben künftig nicht festgehalten werden können, da insoweit ein Ersatz der bisher praktizierten übertragenden Zurechnung bei nachgeschalteten Zwischengesellschaften durch eine direkte Zurechnung an den mittelbar Beteiligten vorgesehen ist. Die dadurch verunmöglichte Verlustkonsolidierung nachgeschalteter Zwischengesellschaften wird die Gestaltungsund Kautelarpraxis künftig dann vor Probleme stellen, wenn Gesellschaften aufgrund des Geschäftsmodells beispielsweise als sogenannte „Special Purpose Vehicles“ (SPVs) strukturell verlustträchtig sind und die Verluste im hinzurechnungssteuerlich relevanten Konzernverbund nicht mehr auf andere Rechtsträger übertragen werden können. Der Wegfall des § 4 Abs. 3 EStG-Wahlrechts schließlich beruht auch auf einer ATAD-Vorgabe. In der Zukunft wird die Hinzurechnungsbilanz mithin Standard sein. Aus systematischer Perspektive ist dies zu begrüßen, zumal die Entwürfe erkannt haben, dass die § 4 Abs. 3 EStG-Rechnung im Kontext der Hinzurechnungsbesteuerung in der Vergangenheit häufig als Gestaltungsmittel gewissermaßen zur „Besteuerung nach Wahl“ einsetzbar waren. Der künftig zwingend vorgeschriebene Bruttoansatz des Hinzurechnungsbetrags bedingt einheitlich die Methode der Steueranrechnung, das Wahlrecht zum Abzug entfällt. Im Kontext der Hinzurechnungsbesteuerung wird dies ohne nennenswerte negative materielle Auswirkungen bleiben.

II. Positives Aus systematischer Sicht überfällig war die Streichung der partiellen Abzugsbeschränkung wie sie bisher in § 10 Abs. 2 S. 4 EStG geregelt war. Danach galt § 3c Abs. 2 EStG im Kontext des Hinzurechnungsbetrags entsprechend, es handelte sich dabei bekanntlich um einen systematischen Fremdkörper. Die Entwurfsbegründungen53 nennen als – zutreffenden – Grund für die ersatzlose und überfällige Streichung, dass der Hinzurechnungsbetrag „für sich“ stehe und nicht die Ermittlung der Einkünfte des Steuerpflichtigen aus seiner Beteiligung berühre. 53 Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 67.

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Zu begrüßen ist ebenfalls der Ersatz der Bezugsgröße – Einkünfte statt Bruttoerträge – in verschiedenen Regelungsbereichen. So ist dies im Rahmen der Freigrenzenregelung des § 9 AStG-E geplant. Ebenfalls werden im Rahmen der Kapitalanlageeinkünfte nach § 13 AStG-E künftig nicht mehr „Bruttoerträge“, sondern Einkünfte zugrunde gelegt. Eine ebenfalls begrüßenswerte Aussage zur Leitidee der Hinzurechnungsbesteuerung findet sich in den Entwürfen, wenn es heißt, § 12 AStG-E erlaube sowohl die Anrechnung der von der Zwischengesellschaft entrichteten Steuern als auch die Anrechnung einer vorgeschalteten Hinzurechnungsbesteuerung, um das „Ziel der Gesetzesregelung zu wahren, unangemessene Steuervorteile auszugleichen, ohne darüber hinausgehende Mehrbelastungen aufzuerlegen.“ Fraglich kann nach dieser Formulierung sein, ob mit dem Ziel der Gesetzesregelung lediglich das Binnenziel des § 12 AStG gemeint sein soll oder ob es sich um einen Ausdruck der Auffassung zur allgemeinen Konzeption der Hinzurechnungsbesteuerung handelt. Im Hinblick darauf, dass sich auch die höchstrichterliche Judikatur54 konzeptionell an der „Direktbezugsthese“ orientiert, wonach die Hinzurechnungsbesteuerung den Zustand herstellen soll, der ohne die Einschaltung der ausländischen Zwischengesellschaft gegeben wäre, sollte die Einschätzung für den gesamten Regelungskontext der Hinzurechnungsbesteuerung Gültigkeit beanspruchen. Anders gewendet geht es der Hinzurechnungsbesteuerung darum, „level-playing-fields“ sicherzustellen, aber auch um nicht mehr. Positiv zu bewerten sind endlich die erleichterten Erklärungspflichten beim Unions-Escape in Form einer Anzeige. Die bisherige Regelung war schwerwiegenden unionsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.55 Die Regelung bei Hinzurechnungsbesteuerung in mehreren Staaten basiert künftig auf gesetzlicher Grundlage (§ 12 Abs. 2 AStG-E), die bisher verwaltungsseitige Regelung56 konnte nur in Teilbereichen in der Praxis zu befriedigenden Lösungen führen. Bereits positiv hervorgehoben wurde die Positionierung zu Ent- und Verstrickung in der Hinzurechnungsbesteuerung.

54 Vgl. BFH v. 21.1.1998 – I R 3/96, BStBl. II 1998, 468. 55 Vgl. Kraft, IStR 2011, 897; Kraft in Kraft2, § 18 AStG Rz. 92; Hendricks/Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 18 AStG Rz. 442. 56 Vgl. BMF v. 14.5.2004, BStBl. 2004 I Sdnr. 1/2004, Rz. 14.1.5. – AEAStG.

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III. Kritisches Die vielfältigen zur Kritik berechtigenden Aspekte umfassen zunächst, dass Anregungen des Fachschrifttums nahezu nicht rezipiert wurden. Dies betrifft die Formulierung des Aktivkatalogs ebenso wie die Höhe der Niedrigsteuergrenze. So sind – trotz einhelliger Kritik – die Mitwirkungstatbestände im Aktivkatalog erhalten geblieben, auch die Regelungstechnik hat keine Verbesserung erfahren. Die bedrückende Perspektive ist, dass die nächsten fünfzig Jahre Hinzurechnungsbesteuerung auf grammatikalisch, methodisch und inhaltlich problematischem Fundament beruhen. Die vielfach herausgestellte Chance zur Fundamentalreform wird wohl vertan. Bereits herausgearbeitet wurde, dass die arithmetische Phantasie im Kontext des Beherrschungskonzepts überstrapaziert wurde. Hier ist Abhilfe dringend geboten. Die Erstbewertungsklausel verkörpert einen prinzipiell begrüßenswerten Regelungsansatz, indessen ist ihre inhaltliche Ausgestaltung mit dem Prädikat mangelhaft noch zurückhaltend umschrieben. Die räumliche Begrenzung des Motivtests enttäuscht und dürfte in nicht allzu ferner Zukunft Gegenstand höchstrichterlicher Befassung werden. Der – im derzeitig relevanten Entwurf – enthaltene investmentsteuerliche Vorrang wird die Fondsindustrie freuen. Über dessen inhaltliche Rechtfertigung kann sicherlich kontrovers diskutiert werden.

E. Entbehrlichkeit der Hinzurechnungsbesteuerung nach Umsetzung von Pillar 2? Im Kontext des künftigen Schicksals der Hinzurechnungsbesteuerung wird häufig deren Entbehrlichkeit nach einer potenziellen Pillar 2-Umsetzung57 thematisiert. Deren Erfolgswahrscheinlichkeit steht nach hier vertretender Auffassung zunächst schon die Einschätzung58 entgegen, die Hinzurechnungsbesteuerung stelle eine robuste Regelungseinheit zur Verhinderung steuerlich indizierter, nicht notwendigerweise missbräuchlicher, Verlagerung von passiven Einkünften ins niedrig besteu57 Vgl. OECD (2020), Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar Two Blueprint: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/ abb4c3d1-en. 58 Vgl. Entwurf vom 17.11.2020, 27.

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ernde Ausland dar. Getreu der Anekdote „Steuern sterben nicht“ dürfte übertriebener Optimismus insoweit eher unrealistisch sein. Mit Blick auf andere Staaten ist zunächst zu vermelden, dass die USA auch nach der Einführung der GILTI-Regelungen an ihrer CFC festgehalten haben, die beiden Regelungsbereiche leben in Ko-Existenz.59 Ebenso wenig ist zu erwarten, dass die Staaten, die bereits heute Digital Service Taxes eingeführt haben, diese nach – Einschätzung des Verfassers eher unwahrscheinlicher – erfolgter Umsetzung von Pillar 160 wieder eliminieren werden. Zwar scheint der OECD-Pillar 1-Report davon auszugehen, dass die betroffenen Staaten ihre bereits eingeführten DSTs als Konsequenz dann wieder abschaffen werden, wenn er präsumiert: „As stated in the Outline, it is expected that any consensus-based agreement must include a commitment by members of the Inclusive Framework to implement this agreement and at the same time to withdraw relevant unilateral actions, and not adopt such unilateral actions in the future.“ Alleine der Glaube daran fehlt, lässt sich doch eine derartige Hypothese weder finanzwissenschaftstheoretisch erhärten noch suggeriert empirische Evidenz entsprechende gouvernementale Aktionen. Auch der Binnenblick suggeriert nichts wesentlich Optimistischeres. So ist darauf zu verweisen, dass nach Einführung flächendeckender steuerlicher Erfassung von Beteiligungsveräußerungen im Privatvermögen durch die Einführung von § 20 Abs. 2 EStG die eigentlich systematisch zwangsläufige Abschaffung des § 17 EStG nicht erfolgt ist. In die gleiche argumentative Richtung bewegt sich das Nebeneinander allgemeiner und spezieller Missbrauchsklauseln, erst jüngst wieder offiziell bekräftigt. So wird insbesondere im Bereich der Inbound-Gestaltungen mehr und mehr die Frage aufgeworfen61, ob es einer Bestimmung wie der des § 50d Abs. 3 EStG noch bedürfe, insbesondere angesichts der an dieser Vorschrift immer wieder geäußerten Kritik und mit Blick auf unionsrechtlich relevante Fallgestaltungen und die dort etablierten Missbrauchsabwehrtatbestände. Die Antwort auf die Frage hat das BMF mit dem Referentenentwurf des Bundesministeriums eines Gesetzes zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung 59 Vgl. Kraft, IWB 2019, 104 (107). 60 Vgl. OECD (2020), Tax Challenges Arising from Digitalisation – Report on Pillar One Blueprint: Inclusive Framework on BEPS, OECD/G20 Base Erosion and Profit Shifting Project, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/be ba0634-en, Rz. 848. 61 Vgl. dazu Reiners, IWB 2020, 123.

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von Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) gegeben. Begründet wird dort, seit dem 1.1.2019 sei eine Regelung zur Missbrauchsbekämpfung nunmehr im gesamten Anwendungsbereich des gegenwärtigen § 50d Abs. 3 EStG unionsrechtlich vorgeschrieben. So verpflichte Artikel 6 der ATAD die Mitgliedstaaten zur Verhinderung von Missbrauch u.a. bei allen unbeschränkt und beschränkt Körperschaftsteuerpflichtigen. Zwar kenne Deutschland bereits die Generalklausel des § 42 AO, es diene aber der Rechtssicherheit, wenn für die Entlastung ausländischer Gesellschaften von der Kapitalertragsteuer und vom Steuerabzug nach § 50a EStG ergänzend zur Generalklausel des § 42 AO eine offensichtliche Konstellation von Gestaltungsmissbrauch in diesem Bereich tatbestandlich näher durch § 50d Absatz 3 geregelt werde. Dies hat zur Folge, dass nach dem Bekunden der Finanzverwaltung neben § 42 AO weiterhin für andere Konstellationen des Missbrauchs im Bereich der Entlastung von Abzugsteuern Anwendung finden, die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG mithin keinen abschließenden Charakter haben soll. Es ist somit eine starke Tendenz zu vermuten, insbesondere im Bereich des internationalen Steuerrechts das Nebeneinander verschiedener, teilweise auch überlappender Anti-Missbrauchsregeln nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern sogar aktiv zu betreiben. Auch aus diesem Grunde dürfte sich die Abschaffung der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung selbst dann als unwahrscheinlich erweisen, wenn – entgegen der Erwartungen des Verfassers – Pillar 2 vollumfänglich umgesetzt werden sollte.

F. Zusammenfassung in Thesen Die Hinzurechnungsbesteuerung steht vor der einschneidendsten Reform seit ihrer Einführung im Jahre 1972. Seine Wurzel findet diese letztlich in der Verpflichtung zur Umsetzung der EU-Richtlinie gegen Steuervermeidung vom 12.7.2016. Der deutsche Gesetzgeber hat das an ihn als Mitgliedstaat der EU adressierte Loyalitätsgebot in besorgniserregendem Ausmaß verletzt. Ob und ggf. inwieweit diese Respektlosigkeit gegenüber dem europäischen Gesetz- bzw. Richtliniengeber und den europäischen Institutionen zu Konsequenzen auf der mikroperspektivischen Ebene von EU-Unternehmen und EU-Bürgern führen werden, wird die Zukunft zeigen. Nicht ausgeschlossen ist, dass soweit die nicht fristgerechte Umsetzung

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der ATAD zu Schadensersatzansprüchen betroffener Unternehmen begründen wird. Die Diskussion steht insoweit erst am Beginn einer komplexen Reihe von Fragestellungen. Was die mittlerweile vorliegenden Entwürfe zur ATAD-Umsetzung anbelangt, fällt das Gesamturteil ernüchternd aus. Über mehrere Jahrzehnte vom Schrifttum formulierte Anregungen, von der höchstrichterlichen Judikatur entwickelte Fingerzeige und selbst von der Finanzverwaltung zuzurechnenden Autoren unterbreitete Verbesserungsvorschläge haben in den Entwürfen nahezu keinen Niederschlag erfahren. Ein „Weiter so“ ohne jegliche steuerpolitische Gestaltungskraft wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die künftige hinzurechnungssteuerliche Situation kennzeichnen.

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Geplante Modifikationen im AStG Podiumsdiskussion Leitung Prof. Dr. Bert Kaminski Steuerberater, Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Teilnehmer Prof. Dr. Gerhard Kraft Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg/PwC München

MinDirig Martin Kreienbaum Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Kerstin Schulz, M.I.Tax Global Head of Tax and Customs, Beiersdorf AG Hamburg

Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, I. Senat, München

Prof. Dr. Kaminski Sehr herzlichen Dank, Herr Professor Kraft, für Ihren Vortrag. Das war Außensteuerrecht vom Feinsten. Vielen Dank dafür zunächst einmal. Das hat mir sehr gut gefallen. Ich würde zunächst Herrn Kreienbaum nach der zeitlichen Perspektive fragen wollen. 16.12. im Bundeskabinett – dieses Gerücht ist ja von Herrn Kraft angesprochen worden. Können Sie das bestätigen, oder ist das etwas, das nicht so schnell kommen wird? Kreienbaum Ich hatte mich heute Morgen schon zu dieser Frage geäußert und kann das weder bestätigen noch dementieren. Ich kann Ihnen sagen, dass zurzeit politische Gespräche geführt werden und dass ich nicht ausschließen will, dass noch in diesem Jahr erste gesetzgeberische Schritte in diese Richtung unternommen werden. Aber es liegt völlig in der Hand der Regierungskoalition, die nächsten Schritte zu tun.

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Prof. Dr. Kaminski Vielen Dank. Warten wir es mal ab. Es ist ja vielleicht vor dem Hintergrund des Vertragsverletzungsverfahrens auch schlau, sich dort offiziell zurückzuhalten. Herr Wacker, ich würde Sie gerne fragen: Wie sehen Sie das mit der unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie? Herr Kraft hat ja ausgeführt, dass das möglicherweise weitgehende Konsequenzen hätte! Würden Sie das teilen, dass das ein Fall ist, wo man zumindest über eine unmittelbare Anwendbarkeit der ATAD nachdenken muss? Prof. Dr. Wacker Das ist sicherlich ein ganz wichtiger Punkt im Vortrag von Herrn Kraft. Zunächst aber noch einmal die Frage an Herrn Kraft und Herr Kreienbaum, ob es bei der Umsetzung der Richtlinie Gestaltungsspielräume gibt. Prof. Dr. Kaminski Antworten Sie ruhig erst, Herr Kraft. Prof. Dr. Kraft Also ich lese den Artikel 7 Absatz 1 ATAD so, dass er die 50-ProzentGrenze explizit normiert. Deswegen bin ich mir da relativ sicher, dass es keine Gestaltungsspielräume geben sollte. Kreienbaum Vielleicht kann ich ergänzen. Der Anwendungszeitpunkt ist durch die ATAD festgelegt. Was wir immer im Hinterkopf haben müssen ist, dass die ATAD einen Mindeststandard bildet. Das heißt, dass Maßnahmen, die über die ATAD hinausgehen, auch weiterhin zulässig sind. Prof. Dr. Wacker Gut, aber passt es wirklich in die Kategorie von Mindeststandard und Verschärfung des Mindeststandards, wenn wir es mit einem partiellen Systemwechsel zu tun haben? Ist das Konzept der Gesellschafterbeherrschung nicht eine grundsätzlich andere Herangehensweise?

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Kreienbaum Es sind ohne Zweifel zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Aber die Veränderung, wenn Sie vom Systemwechsel sprechen wollen, die Veränderung des Systems wirkt sowohl in die eine wie auch in die andere Richtung. Das heißt, ich kann mir Fälle vorstellen, die mit der Gesellschafterbeherrschung von der HZB erfasst werden, und die von der Inländerbeherrschung nicht erfasst worden sind, und auch der umgekehrte Fall kann vorkommen. Deswegen kann man nicht von Verschärfung und Abmilderung sprechen, sondern wir haben tatsächlich einen Systemwechsel. Wenn ein Staat aber in Zukunft über die jetzt vorgesehene Gesellschafterbeherrschung hinausgehen und auch noch Fallgestaltungen mit einbeziehen würde, die von der Gesellschafterbeherrschung nicht erfasst werden würden, dann würde das aus meiner Sicht unbeschadet der ATAD-Vorgaben funktionieren. Prof. Dr. Kaminski Droht da nicht aber unter Umständen eine Mehrfacherfassung? Kreienbaum Nein. Die Mehrfacherfassung sehe ich nicht. Dass die ATAD die Gesellschafterbeherrschung vorgibt, hat keine Rückwirkung mit Blick auf die Frage, ob ein Staat ein Konzept der Inländerbeherrschung für einen Zeitraum anwenden darf, in dem er die ATAD noch nicht umgesetzt hat. Prof. Dr. Wacker Ich glaube, Herr Kreienbaum, das ist schon verstanden worden. Ich will auch zu sehr insistieren, aber kann man von einem Überschreiten des Mindeststandards auch dann sprechen, wenn man zwei verschiedene Konzepte vor sich hat. Kreienbaum Ich verstehe Ihren Punkt schon, Herr Wacker, aber welche Konsequenz würden Sie in der konkreten Fallgestaltung denn daraus ziehen? Prof. Dr. Wacker Nun, die von Herrn Kraft aufgezeigte.

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Kreienbaum Also mit dem Ergebnis, dass die Inländerbeherrschung nicht mehr anwendbar wäre, selbst, wenn wir das Konzept der Gesellschafterbeherrschung noch nicht rückwirkend oder noch nicht umgesetzt hätten? Prof. Dr. Wacker Nun es wäre jedenfalls von dem Sachverhalt zu unterscheiden, dass das bisherige Recht bestehen bleibt und dieses lediglich um Neuregelungen ergänzt wird. Kreienbaum Herr Wacker und Herr Kraft, ich würde das nicht so sehen und kann es nicht nachvollziehen. Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir haben die ATAD nicht umgesetzt. Wir würden für Zeiträume nach dem 1.1. auf Basis der Inländerbeherrschung hinzurechnen. Dann würde ich sagen: Das ist erlaubt, obwohl wir Fälle erfassen würden, die wir nach der ATAD nicht erfassen müssten. Die nicht umgesetzte ATAD sperrt nicht die Anwendung des Konzeptes der Inländerbeherrschung. Eine andere Situation wäre: Wir hätten die Richtlinie umgesetzt und würden über eine rückwirkende Anwendung sprechen. Auch dann kann ich über das Konzept der Gesellschafterbeherrschung hinaus Fälle erfassen, die zum Beispiel auf Basis der Inländerbeherrschung in den Anwendungsbereich der HZB fallen sollen. Prof. Dr. Wacker Ich denke, ich habe Sie verstanden. Prof. Dr. Kraft Noch ein Satz dazu, Herr Kreienbaum. Der Mindeststandard gilt für die umgesetzte Richtlinie, und wir haben keine umgesetzte Richtlinie in 2019 und wahrscheinlich auch nicht in 2020. Kreienbaum Aber den Gedanken, Herr Kraft, den verstehe ich nicht! Der Mindeststandard gilt für die umzusetzende Richtlinie.

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Prof. Dr. Kraft DerMindeststandard gilt für die umgesetzte Richtlinie. Sonst hätte doch in alter EuGH-Diktion der Mitgliedsstaat ein Wahlrecht, was er umsetzt und was nicht, und dann hätte er nach Ihrer Lesart the best of both worlds. Das soll ja gerade verhindert werden mit der Judikatur des EuGH, zu nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien. Kreienbaum Die Verpflichtung zur Umsetzung der Richtlinie besteht ungeachtet der Frage, ob ein Gesetz noch Gültigkeit hat, das in seiner Substanz in Einzelfällen darüber hinausgeht. Prof. Dr. Kaminski Das weiß ich nicht, ob das so geteilt wird. Aber wir lassen den Punkt, glaube ich, so stehen. Ich würde gerne einen anderen Aspekt – Herr Kraft, Sie hatten es angedeutet – ansprechen: die Frage der niedrigen Besteuerung. Herr Kreienbaum, was ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht verstanden habe ist, warum der Entwurf bei den 25 Prozent bleibt und nicht wenigstens auf 22,825 Prozent geht. Denn dieser Steuersatz ergibt sich, wenn Sie 200 Prozent Hebesatz bei der Gewerbesteuer nehmen, 15 Prozent Körperschaft und den Solidaritätszuschlag. Alles andere, was in diesem Bereich zwischen den 22,825 Prozent liegt, können Sie aus meiner Sicht definitiv nicht rechtfertigen. Unabhängig davon: Ich teile die Auffassung von Herrn Kraft mit den 15 Prozent. Wir haben ja eben auch von 10 bis 12,5 Prozent bei der Diskussion um Pillar I und II gesprochen. Sie haben gesagt, Herr Kraft, es ist eine ideologisch aufgeladene Diskussion. Aus meiner Sicht wäre das ein Instrument, um viele Fälle aus der Hinzurechnungsbesteuerung herauszuhalten, indem ein angemessener Steuersatz definiert würde. Kreienbaum Ich stimme Herrn Kraft zu, wenn er sagt, das ist eine politisch aufgeladene Diskussion. Und natürlich entfaltet der die Hinzurechnung auslösende Steuersatz politische Signalwirkung. Es ist kein Geheimnis, dass wir auf fachlicher Ebene viele technische und fachliche Erwägungen in die Diskussion eingeführt haben. Das Thema der Anrechnungsüberhänge spielt dabei auch eine Rolle und aus fachlicher Sicht spricht einiges dafür, von den 25 Prozent abzuweichen. Manchmal überlagern aber politische Erwägungen die fachlichen Argumente und zu den politi-

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schen Erwägungen zählen häufig auch Wahrnehmungen in der breiten Öffentlichkeit. Fachlich vernünftige Erwägungen sind manchmal schwerer zu verkaufen als einfache politische Botschaften. Das gilt auch für die Niedrigsteuergrenze. Insofern, glaube ich, sind hier die politischen Diskussionen und die fachlichen Erwägungen zwei unterschiedliche Diskussionsebenen. Prof. Dr. Kaminski Frau Schulz, wie sehen Sie das? Haben Sie Fälle, wo Sie sagen, wenn es bei den 25 Prozent bleibt, auch vor dem Hintergrund des – ich würde Ihre Kritik teilen – nur unzureichend angepassten Aktivitätskatalogs aus § 8, insbesondere aus meiner Sicht im Bereich der schädlichen Mitwirkung bei den Inlandssachverhalten? Die Frage also: Führt das nicht dazu, dass Fälle in die Hinzurechnungsbesteuerung fallen, in denen man eigentlich sagt, das könnte gar nicht sein? Das, was die eigentliche Idee ist oder war, wird hier praktisch konterkariert? Schulz Demkann ich voll zustimmen. Man kann die 25 Prozent natürlich auch mitgehen, wenn wir wenigstens dazu übergehen, dass Anrechnungsüberhänge auch auf die Gewerbesteuer angerechnet werden können. Dann würde dem Ganzen irgendwie Rechnung getragen. Aber die Quote von 25 Prozent unter der jetzigen Anrechnung nur auf die Körperschaftsteuer sehe ich als nicht adäquat. Und von Niedrigbesteuerung kann man, glaube ich, im Vergleich mit den sonstigen Steuersätzen in anderen Ländern eigentlich nicht mehr sprechen. Und an dieser Stelle vielleicht auch ein Petitum in Richtung politische Diskussion: Also, es wird ja viel auf multinationale Konzerne geschaut und Aushöhlung der Bemessungsgrundlage. Am Beispiel Beiersdorf mit einer Konzernsteuerquote von rund 29 Prozent kann man dies nicht erkennen. Nichtsdestotrotz müssen wir uns auch mit dem Thema AStG und Niedrigbesteuerung beschäftigen, weil wir hier eben diese 25 Prozent im Gesetz verankert haben, ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen, von Niedrigbesteuerung kann hier wirklich keine Rede sein. Prof. Dr. Kaminski Ich hätte noch einen anderen Aspekt, Herr Kreienbaum, der aus meiner Sicht in die gleiche Richtung geht: Das ist der § 9 AStG. Sie wissen alle, da gibt es eine absolute Freigrenze, die dazu führt, dass die Hinzu-

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rechnungsbesteuerung nicht zur Anwendung kommt. In dem Entwurf steht unverändert ein Betrag i.H.v. 80.000 Euro. Die Regelung stammt aus dem Jahre 1972, wie das Außensteuergesetz, und da standen mal 120.000 DM. Würde dieser Betrag alleine inflationsbereinigt, landen wir bei rd. 300.000 Euro. Ich habe mich gefragt: Was soll das eigentlich, dass wir mittlerweile selbst Kleinstfälle – um nichts anderes handelt es sich bei einer Größenordnung von 80.000 Euro – der Hinzurechnungsbesteuerung unterwerfen? Warum werden diese Grenzen nicht sinnvollerweise auf ein Niveau gehoben, so dass die erfassten Fälle überhaupt in einem angemessenen Verhältnis zu dem stehen, was hier in der Diskussion steht, auch vor dem Hintergrund der damit verbundenen Kostenbelastung für die Betroffenen? Kreienbaum Ja, Herr Kaminski, ich nehme das gern als politischen Appell mit, aber Sie haben zu Recht gesagt, das geht ein bisschen in diese gleiche Kategorie. Das sind Themen, die weniger mit der konzeptionellen Gestaltung zu tun haben als mit der Frage, was auf öffentliche Akzeptanz stößt und was politisch verkauft werden kann. Diejenigen, die aus politischer Perspektive auf die Dinge schauen, schauen natürlich zunächst einmal auf den Status Quo, auf das, was vorhanden ist. Da werden gewisse Preissignale gesetzt. Dies gilt auch für den Niedrigsteuersatz, die 25 Prozent. Und wenn man davon substantiell abweicht, dann gibt es Erläuterungsbedarf. Prof. Dr. Kaminski Ich nehme das mal so hin, aber offen gesagt, ich habe ein bisschen Bedenken, weil mir nicht klar ist, inwieweit die Personen, die darüber entscheiden, mit diesen Aspekten hinreichend vertraut sind. Wäre es hier nicht sachgerecht gewesen, eine Anpassung im Entwurf vorzunehmen, um zumindest eine Angleichung an die Rechtsentwicklung oder an die Zeitentwicklung vorzunehmen? Wenn ein Gesetzgeber sagt, wir gleichen die kalte Progression beim Einkommensteuertarif aus und passen andere Beträge nicht an, dann begibt der sich in einen grundlegenden Wertungswiderspruch. Das passt m.E. nicht zusammen! Diese Argumentation dürfte dem Gesetzgeber auch vermittelbar sein. Das scheint mir durchaus noch diskussionsbedürftig zu sein. Herr Wacker, ich hätte an Sie noch eine Frage, die sich mit den geringfügigen Änderungen im Aktivitätskatalog verbindet. Wir haben ja eine

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ganze Reihe von Doppelbesteuerungsabkommen, die verweisen in den Aktivitätsklauseln auf die Regelung des Außensteuergesetzes. Nun ändert der Gesetzgeber das AStG, und nun ist die Frage: Wozu führt das? Ist das jetzt im Sinne einer statischen oder im Sinne einer dynamischen Auslegung zu betrachten? Das heißt also, wirkt sich die Änderung des AStG auch auf die Auslegung der DBA, oder würden Sie sagen, wir müssen für Anwendung dieser Aktivitätsklauseln entsprechend auf die alten deutschen AStG-Regelungen zurückgreifen? Prof. Dr. Wacker Sie wissen, wir legen die Doppelbesteuerungsabkommen im Ausgangspunkt statisch aus. Das soll vor allem sicherstellen – wir hatten ja darüber im letzten Jahr gesprochen –, dass die Gewaltenteilung gewahrt wird und die Gerichte über die Auslegung von Normen entscheiden. Indes: die Sondersituation, dass das DBA selbst auf weitere Normen des Steuerrechts verweist, wird man – auch mit Rücksicht auf solche Verweise innerhalb des genuin nationalen Rechtskreises – noch einmal reflektieren müssen. Zum Motivtest der Hinweis, dass die Richtlinie strenger als der Cadbury-Test ist. Demgemäß stellt sich nicht nur die Frage nach der Umsetzung der Richtlinie durch die Finanzverwaltung, sondern ferner auch diejenige der gerichtlichen Einschätzung und damit letztlich auch die Frage danach, ob diese strengeren Anforderungen nicht auch Gegenstand einer Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH sein werden. Prof. Dr. Kaminski Das passt sehr gut, Herr Wacker. Hier ist gerade aus dem Chat eine Frage gekommen, und das möchten wir gerne kombinieren. Prof. Dr. Kraft In der Tat, Herr Wacker, der Aspekt des Motivtests ist ein bisschen zu kurz gekommen. Prof. Dr. Wacker Das war kein Vorwurf! Im Gegenteil!

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Prof. Dr. Kraft Ich schätze den Diskurs mit Ihnen über alles, aber Sie sagen zu Recht, da ist eine Verschärfung drin. Das ist mir auch aufgefallen. Wir werden Situationen erleben, in denen künftig kein sicherer Einfluss im Sinne der EuGH-Judikatur vorliegt, aber in denen Beherrschung nach dem künftigen Beherrschungskonzept im AStG gegeben sein wird. Ihr Senat hat ja bei dem DBA-Belgien-Urteil mal 25 Prozent aus der EuGH-Judikatur herausgelesen – das kann man sicherlich auch nochmal diskutieren. Ich hatte versucht, das in dem einen umgedrehten Beispiel mal ein bisschen anzudeuten – mit Beteiligungsquoten, die deutlich darunter liegen. Aber ich glaube, dass wir auch künftig Situationen haben werden, in denen wir ohne Beherrschung, also ohne wesentlichen oder, in der Terminologie des EuGH, sicheren Einfluss, Beherrschungssituationen nach AStG haben. Und da ist für mich die offene Frage – ich sage ja nicht, dass es so sein wird –, ob das nicht Anlass gibt, über die Abgrenzung Niederlassungsfreiheit/Kapitalverkehrsfreiheit nachzudenken. Denn der Begriff „Beherrschung“ als solcher, der ist ähnlich auslegungsbedürftig wie der vom EuGH geschaffene Begriff „sicherer Einfluss“. Also für mich ist das, nebenbei bemerkt, das Gleiche, aber wir wissen, dass es nicht das Gleiche ist. Von daher würde ich in der flankierenden Analyse Ihrer aufgeworfenen Frage und auch in Beantwortung der Frage aus dem Chat sagen, wir werden auch in der Zukunft die Kapitalverkehrsfreiheit und den Drittstaatenbezug als Prüfmaßstab weiter fortführen müssen. Im Übrigen entgegen dem, was im Entwurf so vertreten wird. Dass das im Rahmen der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter so sein wird, ich glaube, da sind wir einer Meinung. Das hatten Sie heute Morgen ja so gesagt, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Prof. Dr. Kaminski Okay, Herr Wacker, eine Äußerung dazu? Nein? Kreienbaum Sorry, ich hatte mich gerade stummgeschaltet. Darf ich noch kurz was dazu ergänzen? Ich habe das, Herr Kraft, noch nicht wirklich nachvollziehen können. Sie haben das Konzept der Gesellschafterbeherrschung so ein bisschen in die Nähe des Beherrschungskonzepts mit maßgeblicher Beteiligung

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gerückt, oder vielleicht haben Sie im Hinterkopf bestimmte Beteiligungshöhen. Das ist ja jetzt gerade das Neue an diesem Beherrschungskonzept vor dem Hintergrund der Frage eines maßgeblichen oder wie auch immer gearteten Einflusses, der vorhanden sein muss. Ich glaube, dass man sich noch näher angucken muss, wie dieses Maß des Einflusses dann genau ausgestaltet sein muss. Und ich habe das noch nicht nachvollzogen, Herr Kraft, wie Sie die Fälle dann gebildet haben. Sie wiesen auf einen Fall hin, bei dem dann bei sehr geringer Beteiligung eben dieses notwendige Maß des Einflusses nicht vorhanden sein soll und deswegen die Niederlassungsfreiheit die Kapitalverkehrsfreiheit nicht verdrängt. Diesen Fall müsste man sich vielleicht einmal näher anschauen. Ich habe das in der Kürze noch nicht nachvollziehen können, wie Sie da genau hinkommen. Prof. Dr. Kaminski Ich habe auch noch zu einem Fall eine Frage. Mich würde interessieren, ob die Lösung mit der Sub-Sub, die mit einem Mal passiv wird, auf dem Podium genauso gesehen wird. Also ich habe eine direkte Beteiligung – da habe ich überhaupt kein Problem – und jetzt rechne ich die Beteiligung unten zu, und das führt dazu, dass ich im Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung bin. Seite 17 der Folien von Herrn Kraft ist das gewesen. Ich teile Ihre Auffassung, Herr Kraft: Das kann nicht sein. Also wenn die Lösung so richtig ist und sich so aus dem Gesetz ergäbe, dann ist im Gesetz irgendetwas falsch geregelt. Gibt es dazu eine Einschätzung? Kreienbaum Vielleicht sage ich etwas dazu, wenn sonst niemand etwas sagen will. Ich würde das noch einmal mit meinen eigenen Worten zu beschreiben versuchen, damit wir von einer gleichen Sachlage ausgehen. Also, es soll um eine Fallgestaltung gehen, in der unter dem Strich nur eine geringere Beteiligung als 100 Prozent bei der Sub-Sub vorliegt, nicht wahr? Die Zwischenbeteiligung war, glaube ich, 40 Prozent, und dann hielt die erste Zwischengesellschaft 100 Prozent an der darunter vorhandenen Gesellschaft. Zum Beherrschungskonzept gilt dann das vorhin Diskutierte, und zur Zurechnung käme ich dann aber auch nur auf die 40 Prozent. Und ich hatte jetzt Herrn Kraft so verstanden, dass er auf 100 Prozent Zurechnung kam, ist das richtig?

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Prof. Dr. Kraft 100 Prozent Zurechnung nach den Entwürfen. Nach meiner Einschätzung 0 Prozent Zurechnung. Kreienbaum Ich würde das nochmal mitnehmen. Nach meiner Einschätzung wären das dann 40 Prozent Zurechnung. Prof. Dr. Kraft Also nach meiner Sichtweise käme es überhaupt nicht zu einer Beherrschung nur aufgrund der Beteiligungskettenverlängerung. Prof. Dr. Wacker Darf ich mich nur ganz kurz einschalten? Ich weiß nicht, ob Sie die Folie noch einmal zeigen könnten. Ich glaube, es war doch so, dass man in der Kumulation von unmittelbarer und mittelbarer Beteiligung knapp über die 50 Prozent gekommen ist? Prof. Dr. Wacker Herr Kraft, gehen wir davon aus, dass die Sub-Inc. an der Sub-Sub-Inc. mit, sagen wir, 40 Prozent beteiligt ist. Dann hätten wir eine unmittelbare Beteiligung von 40 Prozent plus hinzuzurechnenden 40 Prozent von den 40 Prozent macht 16 Prozent. Und das zusammen führt dann auch die D-GmbH über 50 Prozent. Prof. Dr. Kraft Es ist eigentlich kein Additions-, sondern ein Multiplikationsvorgang. Im ersten Fall, in dem wohl unproblematischen Fall, haben wir direkt 40 Prozent Beteiligung an dieser Zwischengesellschaft. Im zweiten Fall hängen wir eine hundertprozentige Tochter darunter, und dann sage ich, dann kann ja nicht die Beherrschung plötzlich über 50 Prozent werden bei der im Inland ansässigen D-GmbH. Aber das ist das, was der Entwurf in seiner Begründung zugegebenermaßen unglücklicherweise an anderer Stelle suggeriert. Also wir kommen hier nicht zu einer Beherrschung durch unbeschränkt Steuerpflichtige. Wenn man 40 Prozent mal 100 Prozent, rechnet bleibt man bei 40 Prozent! Da kommt man nicht zu einer Beherrschung, aus der Perspektive der D-GmbH. Und was im Entwurf

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als Begründung steht, das passt da irgendwie nicht rein. Also nicht nur irgendwie – das passt nicht rein! Prof. Dr. Wacker Ich wollte nur aufzeigen, was der Gesetzeswortlaut hergibt. Im Übrigen, das Gesetzes muss eine Vielzahl denkbarer Konstellationen ins Auge nehmen. Auf einem anderen Blatt steht selbstverständlich, ob und unter welchen Voraussetzungen das Wortlautergebnis nach Sinn und Zweck der Norm zurückzunehmen ist. Prof. Dr. Kraft Herr Wacker, also entschuldigen Sie! Wenn man so rechnet, dann kommt man in der Summe arithmetisch zu Beteiligungen über 100 Prozent! Das können Sie nicht machen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die Beteiligungs- beziehungsweise die Beherrschungsquoten einer Kapitalgesellschaft insgesamt 100 % nicht übersteigen können. Prof. Dr. Kaminski Vielleicht wäre das aber auch ein Anlass, noch einmal über die Frage nachzudenken: Wenn der Gesetzgeber sowieso tätig wird – wir reden ja noch über einen Entwurf –, ob man die Konturen des Entwurfes an der Stelle noch einmal nachschärfen könnte. Prof. Dr. Wacker Ich gehe davon aus, der Fokus wird jetzt nicht auf diesem Detail liegen, sondern eher um die Lösung politischer Grundfragen. Kreienbaum Meine Ausführungen vorhin haben sich dann doch auf einen leicht anderen Sachverhalt bezogen. Ich nehme aber das gerne noch einmal mit. Prof. Dr. Kaminski Das ist, glaube ich, der Fall auf Folie 13, auf den sich Herr Kreienbaum hier bezogen hat. Dort hatten Sie ja dann den Wechsel der Beteiligungsverhältnisse? Das war der Fall, wo Sie gesagt haben, ich habe oben die deutsche Gesellschaft, dann die B SARL in Frankreich dazwischen und unten die Zwischengesellschaft im dritten Staat, und die deutsche Gesellschaft ist nur minimal beteiligt.

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Kreienbaum Richtig! So ist es. Prof. Dr. Kaminski Vermutlich sind sich die meisten von uns einig: Wenn dieser Fall in die Hinzurechnungsbesteuerung fällt, ist ein Punkt gekommen, wo man sich spätestens fragen muss, ob das Ganze administrierbar ist. Ich denke, das ist nicht mehr überprüfbar und nachvollziehbar. Kreienbaum Konzeptionell ist es aus meiner Sicht so gedacht, dass er da reinfällt. Prof. Dr. Wacker Ja, und es ist vor allem auch kein Fall der Kapitalverkehrsfreiheit. Es ist und bleibt ein Fall der Niederlassungsfreiheit. Prof. Dr. Kraft Das ist richtig, Herr Wacker, aber wir hatten den Fall umgedreht. Die GmbH, die deutsche Gesellschafterin, wäre dann oben. Und dann hätten wir nur zwei Prozent. Und da ist die Frage: Zerstört letztlich der Umstand, dass die Tochtergesellschaft dann in Frankreich existent ist – und solche Strukturen sind keine Exoten, sondern die gibt’s häufig –, zerstört dieser Umstand die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit? Das war mein Punkt. Aber es wird verschriftlicht, und da kann man das in Ruhe nachlesen. Kreienbaum Konzeptionell ist es doch genau richtig, wenn ich mir jetzt anschaue, welchen Einfluss die B-SARL und die A GmbH zusammen auf die Zwischengesellschaft haben. Dann kann es doch keinen Unterschied machen, ob ich mir den Einfluss aus deutscher oder französischer Perspektive angucke, wenn in der Gesamtschau die Gesellschafter beherrschen. Und insofern, finde ich, ist das ein völlig logisches Ergebnis, dass es aus meiner Sicht vollständig zur Verdrängung der Kapitalverkehrsfreiheitsprüfung kommt.

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Prof. Dr. Kaminski Also, wenn ich das richtig sehe, ist das unionsrechtlich noch nicht abschließend geklärt. Also ich meine, der EuGH hat das noch nicht entschieden. Prof. Dr. Kraft Genau, das wollte ich sagen. Und ich wollte das Problem aufwerfen. Ich habe nicht gesagt, dass das zwingend ein Fall der Kapitalverkehrsfreiheit ist. Ich glaube, wir werden in einigen Jahren entsprechende Fälle in Luxemburg erklärt bekommen. Prof. Dr. Kaminski Meine Damen und Herren, es ist 17:14 Uhr. Damit darf ich Ihnen allen sehr herzlich für Ihre Teilnahme an der diesjährigen Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung danken, und ich möchte vor allen Dingen und allen vorweg noch einmal denjenigen besonders danken, die unter den Corona-Bedingungen dafür gesorgt haben, dass wir diese Veranstaltung überhaupt durchführen konnten, vor allen Dingen, Herr Hummel hatte es schon gesagt, Frau Mayer, die hier in den letzten Wochen und Monaten wirklich unheimlich viel gemacht hat. Ich möchte den Vortragenden danken, ich möchte Frau Schramm danken, Ihnen, Herr Wacker, Herrn Staringer, Herrn Dworaczek, Herrn Greil, Herrn Kraft, und ich möchte auch vor allen Dingen Frau Schulz für die Diskussion, Herrn Wacker und Herrn Kreienbaum ebenfalls, für die Rolle als Diskutanten danken, und ich möchte Sie herzlich einladen zur 38. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung. Die findet statt am 3.12.2021, entweder als Präsenzveranstaltung oder gegebenenfalls wieder online. Und, meine Damen und Herren, es bleibt dabei, dass Mitglieder unseres Fördervereins immer einen Sonderpreis, also einen ermäßigten Eingangs- oder Zugangspreis, bekommen. Wer also Interesse hat: Sie haben mit den Tagungsunterlagen eine Satzung unseres Fördervereins bekommen und einen Antrag auf Beitritt – wir würden uns über eine finanzielle Unterstützung freuen, denn dieses Institut unterhält damit die Bibliothek, und die hat im Moment Unterstützung nötig. Ihnen auch noch einmal ganz herzlichen Dank, Herr Kraft, für Ihren Vortrag, und Ihnen allen einen angenehmen Abend jetzt, erholen Sie sich von einer ganztägigen Online-Veranstaltung. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ich wünsche Ihnen einen frohen Advent, ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch. Vielen Dank.

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Stichwortverzeichnis § 1 AStG 156, 236 § 42 AO 33, 264 § 50d Abs. 3 EStG 263 f. Abkommensberechtigung VI, 114 f., 117, 123, 127 Abkommensrechtliche Symmetriethese 53, 57 f. Abkommensüberschreitung 13, 24 f., 31, 33; s. auch Treaty Override ADS s. automated digital services Advance Pricing Agreements 146 ff.; s. auch APA’s Aktivitätstest 162, 181, 185 Aktivkatalog 252, 259, 262 Allokation 135, 177, 227 f. Amount A 159 f., 162, 164 f., 166, 167 ff., 172, 174 ff., 227 f., 228, 230, 233; s. auch World Tax Credit Amount A-Steuer 176, 178, 187, 189 f., 191 f. Amount B 159 Amount C 159 Anti Tax Avoidance Directive 239; siehe auch ATAD APA(’s) s. Advance Pricing Agreement(s) AStG 118 f., 241 f., 247, 251 ff., 264, 268 f.; s. Außensteuergesetz ATAD s. auch EU-Richtlinie gegen Steuervermeidung und Anti Tax Avoidance Directive – Bestimmungen 244 – Richtlinie 94, 118, 240 f. – Umsetzung 94, 238, 240 ff., 244, 265 – Umsetzungsentwurfs 241, 259 – Umsetzungsgesetz 33, 156 – Umsetzungspaket 251 – Vorgabe 244 f., 254, 256, 259 f., 269

Außensteuerrecht VI, XII, 3 f., 6 ff., 13, 15 ff., 27 f., 30 ff., 144, 156, 209, 214, 236, 239 ff., 244 f., 247, 250, 252 ff., 255 f., 257 ff., 272, 274 f. automated digital services 162 ff., 167 f., 171, 174 f., 180, 185, 186 f., 232 f. Beherrschungskonzept 245, 248, 262, 275 f. Bemessungsgrundlage 9 f., 48 ff., 52 ff., 61 f., 70, 99, 118, 185, 206, 216 BEPS XII, XX, 158, 206, 230, 236 Besteuerungsrecht(e) 40, 58 f., 69, 118, 157, 159, 168, 177 f., 180, 182 ff., 189, 206, 231, 255 Beteiligungskette 217, 250, 277 Betriebsausgabe 34, 42, 84, 193 Betriebsprüfung 34 f., 127, 150 f., 154 f., 170, 227 Betriebsstätte 18 f., 46 f., 48, 50 ff., 57 f., 62 f., 65 ff., 70, 75 f., 84, 105 ff., 125, 159, 165, 169, 194, 209, 212, 215, 223, 228, 244 f., 255 – Definition 55 – Einkünfte 51, 58, 69, 72 – Gewinne 53, 69 f. – Verluste 48, 51 ff., 59, 62, 106 Blueprint s. OECD-Blueprint Buchführungspflicht 79 ff., 107 Cadbury-Test 97, 274 CbCR s. Country-by-CountryReporting CFB s. consumer facing business consumer facing business 162 ff., 167 f., 171, 175, 180, 185, 186 f., 232 Country-by-Country-Reporting 164 f., 181, 186 Covid-19 107, 112 f., 130, 134, 138 f., 142, 147 f.

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Stichwortverzeichnis DBA s. Doppelbesteuerungsabkommen DBA-Belgien 275 DBA-Berechtigung s. Abkommensberechtigung DBA-Großbritannien 49, 58, 62 f., 116 DBA-Italien 54 DBA-Japan 116 DBA-Kanada 123 DBA-Luxemburg 72, 77 f. DBA-Österreich 53, 116 DBA-Schweiz 13, 18, 21, 32 DBA-Ungarn 22, 25 DBA-USA 33, 125, 127 Digital Service Tax 172, 180, 214, 225, 229, 263 Digitalbesteuerung 99, 225, 232 Digitale und digitalisiert Geschäftsmodelle 193 Digitales Geschäftsmodell VI, XI, XIX f., XXIV f., 157 ff., 216 Digitalisierte Geschäftsmodelle 186 Doppelansässigkeit 111 ff., 116 Doppelbesteuerung 12 f., 22, 24, 34 ff., 40 f., 44, 46, 48, 50, 54, 56 ff., 63, 72, 75, 180, 182, 189, 192, 194, 208, 220, 224 f., 228 ff., 237, 258 Doppelbesteuerungsabkommen 12, 22, 30, 33, 36, 40, 44 ff., 48, 50 ff., 55, 57 ff., 62 f., 68, 79, 99 f., 103, 113 ff., 116 f., 121 f., 127 f., 209, 258, 274 f. – Auslegung 45 f., 75, 114, 128, 274 f. – Methodenartikel 58 – Öffnungsklausel 33 – Verständigungsverfahren 25, 33, 35, 37, 39 f., 44, 97 f., 99 f., 114 f., 117, 124 Drittstaat 2, 5, 8 ff., 15, 21, 23, 26 f., 31 ff., 114 f., 144, 255 – Bezug 275 – Einkünfte 84, 128 – Erstreckung 255 – Gesellschaften 32, 254 DST s. Digital Service Tax

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Einfuhrumsatzsteuer XXI f., XXIV EU Anti Tax Avoidance Richtlinie s. ATAD EU-DBA-SBG s. EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz EU-DoppelbesteuerungsabkommenStreitbeilegungsgesetz 45 f., 99, 102 EU-Grundfreiheiten 5, 23, 27, 33, 46 EU-Richtlinie gegen Steuervermeidung 239, 264; siehe auch ATAD EU-Streitbeilegung 98 f., 102, 106 – Maßnahmen 227 – Mechanismen 232 – Richtlinie 45 – Verfahren 98, 123, 233 Fremdvergleich 138, 142, 156 Fremdvergleichsgrundsatz 36, 133 f., 142, 144, 148, 152, 155 f., 159, 176 ff., 181 f., 188, 194 f. Geschäftsleitung VI, 2, 17, 21, 32, 47 f., 107, 111 ff., 118, 123 ff., 127, 129, 253 Gewerbesteuer XX, 46 ff., 50, 60 ff., 96, 229 f., 237.252, 271 f. Global Anti Base Erosion s. GloBE GloBE 209 f. GloBE-Einkommen 213 ff., 218 GloBE-incomes s. GloBE-Einkommen GloBE-Regeln 209 f., 212 ff. Grundfreiheiten s. auch Kapitalverkehrsfreiheit, Niederlassungsfreiheit, EU-Grundfreiheit Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter 4, 8, 10, 28 Hinzurechnungsbesteuerung VI, 5 ff., 13, 15 ff., 23, 25, 26 ff., 30 ff., 95, 214, 240 ff., 244 ff., 247 ff., 251, 257 ff., 264, 271 ff., 276, 279 Hinzurechnungstatbestand 18, 26, 30

Stichwortverzeichnis Inbound 263 Inclusive Framework XII, 150, 158, 184, 205, 207 f., 220, 224 f., 232, 235, 263 Income Inclusion Rule 209, 216 ff. Inländerbeherrschung 18 f., 28, 33, 245 f., 269 f. Kapitalanlagecharakter 2 ff., 8 ff., 15, 17 ff., 26, 28, 30 f. Kapitalverkehrsfreiheit 3 ff., 9, 15, 17, 23, 27, 30 ff., 94, 275 f., 279 f.; s. auch Grundfreiheiten Körperschaftsteuer XX, 7, 16, 34 f., 47 ff., 59 ff., 63, 72, 74, 96, 214, 230, 251 f., 264, 272 Körperschaftsteuergesetz 17, 48, 50, 55 f., 58, 73, 76, 79 f., 83 KStG s. Körperschaftsteuergesetz Leistungsfähigkeitsprinzip 25, 89 Leistungsverrechnungen 134, 139 Marktstaat 122, 159, 164, 166 ff., 174, 178, 190, 194, 228 ff. Mindestbesteuerung VI, XI, XXI, XXIV f., 158, 182, 204, 206 ff., 212 f., 216 ff., 224, 229, 235 f.; s. auch Pillar II Mindeststeuersatz 207, 209, 213, 215, 218, 235 Motivtest 21, 32 f., 97, 253 ff., 262, 274 Musterabkommen s. OECD-Musterabkommen Nexus 122, 164, 167 ff., 169, 186, 188 Nexustest 166, 168, 188 Nichtaufgriffsregelung XXI Niederlassungsfreiheit 10, 21, 27, 31, 33, 51, 53, 55, 60, 62, 64, 67, 70, 111, 275 f., 279; s. auch Grundfreiheiten Niedrigbesteuerung 19, 96, 242, 251, 272 Niedrigsteuerschwelle 251

OECD 14, 99, 112 f., 115, 130, 138 f., 148, 150, 158, 177, 182, 209, 220, 225, 231, 235 – Verrechnungspreisrichtlinien 138 f., 147 f., 150 OECD-Blueprint VI, XI, 158 f., 162 f., 168 ff., 183, 185, 191, 204 f., 215 f., 220, 224 f., 230 OECD-MA s. OECD-Musterabkommen OECD-Musterabkommen VI, 13, 30, 32, 40, 45 ff., 79, 112 ff., 123, 128 ff., 165 Pillar I 99, 122, 156, 158, 162, 194, 206 ff., 212, 214, 224 ff., 229, 231 ff., 236 f., 255, 263, 271 – Gewerbesteuer 229 f. Pillar II 99, 156, 203 ff., 208 f., 212, 214, 224, 226 f., 232, 235 ff. – Blending 213, 235 Prinzip des doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters 137, 140 Profitabilitätsschwelle 188 f., 191 Qualifikationsverkettung 83 Residualgewinn 159, 166, 174, 176, 178, 189, 191, 194 Right to tax back 207 Säule I s. Pillar I Säule II s. Pillar II Schiedsübereinkommen 34 ff. SchÜ s. Schiedsübereinkommen Stand-Still-Klausel 5, 8 f., 15, 24, 28, 30 f. Steueraufkommen 39, 60, 230, 232 Steuerbemessungsgrundlage 9 f., 52, 169, 185 Streitbeilegung 44 f., 98 f., 102, 106, 117, 123, 227, 232 f.; s. auch EUDoppelbesteuerungsabkommenStreitbeilegungsgesetz Streitvermeidung 99, 159, 233

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Stichwortverzeichnis Subject-to-Tax-Rule 209 ff., 214 Symmetriethese 49, 53, 55, 57 ff., 68; s. auch abkommensrechtlichen Symmetriethese Tie-Breaker-Kriterium 113 ff., 127 f. Tie-Breaker-Rule s. Tie-BreakerKriterium Top-up Tax 207, 209 f., 216 ff. Treaty Override 24, 31, 33; s. auch Abkommensüberschreibung UA s. Unified Approach Umsatzschwelle 162, 164, 170, 184, 186 Umsatzschwellentest 162, 164 f., 170, 185 Undertaxed Payment Rule 209, 220 Unified Approach 157 ff., 183 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 53 Verlustberücksichtigung 47, 51, 53 f., 57 ff., 68 ff., 105

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Verrechnungspreise VI, XI, 34 f., 130, 133 ff., 137, 147 f., 150, 152, 184, 228 – Anpassungen 182, 185 – Gestaltungen XI, 130, 133 – Richtlinie 150 f. – Vorabverständigungsverfahren 147; siehe auch APA’s Verständigungsverfahren 25, 33, 35, 37, 39 f., 44, 97 ff., 114 f., 117, 124, 147, 183 Wegzugsbesteuerung 118 Welteinkommensprinzip 55, 63 Weltsteuergericht 183, 190, 228 Zweigniederlassung 47 f., 55, 57, 67 Zwischeneinkünfte 2 ff., 15, 17 ff., 21, 23 f., 26, 28, 30 ff. – mit Kapitalcharakter 5, 15, 18 f., 26, 30 Zwischengesellschaft 32, 260