Entscheidungen unter Unsicherheit: Die verhaltenspsychologische Ausrichtung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung [1 ed.] 9783428554959, 9783428154951

Die interdisziplinäre Untersuchung zur aktienrechtlichen Vorstandshaftung betrifft die Frage der Anwendbarkeit der durch

140 88 2MB

German Pages 150

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Entscheidungen unter Unsicherheit: Die verhaltenspsychologische Ausrichtung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung [1 ed.]
 9783428554959, 9783428154951

Citation preview

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 300

Entscheidungen unter Unsicherheit Die verhaltenspsychologische Ausrichtung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung

Von

Christian Ahrendt

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTIAN AHRENDT

Entscheidungen unter Unsicherheit

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 300

Entscheidungen unter Unsicherheit Die verhaltenspsychologische Ausrichtung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung

Von

Christian Ahrendt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-15495-1 (Print) ISBN 978-3-428-55495-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85495-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Lucile Tronel

Vorwort Der Gesetzgeber, die Rechtsprechung und die juristische Literatur arbeiten bei der Auslegung von Rechtsnormen bzw. deren Entwurf zum Teil mit Annahmen über die Wirkung der Rechtsnormen auf das Verhalten der Adressaten. Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert die aktienrechtliche Vorstandshaftung mit der Frage nach der Anwendbarkeit der sogenannten Business Judgment Rule auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit. In diesem Zusammenhang wird sowohl auf Verhaltensweisen von Vorstandsmitgliedern als auch von Richtern Bezug genommen. Mitunter betrifft dies die Erwartung des Auftretens (oder des Ausbleibens) des sogenannten Rückschaufehlers (hindsight bias) im Rahmen der richterlichen Entscheidungsfindung. Diese Untersuchung soll zeigen, dass die Arbeit der Rechtswissenschaft mit verhaltenswissenschaftlichen Annahmen Brücken zwischen der Rechtswissenschaft und den Verhaltenswissenschaften erfordert. Der Bau derartiger Brücken setzt von Seiten der Rechtswissenschaft eine Akzeptanz der empirischen Forschung zu menschlichem Verhalten als Erkenntnisquelle voraus. Das Ziel dieser Untersuchung ist erreicht, wenn sie einen Beitrag zur Steigerung dieser Akzeptanz leistet. Die Untersuchung wurde Ende 2016 im Wesentlichen abgeschlossen. Später erschienene Literatur und Rechtsprechung wurden nur noch teilweise berücksichtigt. Ein wichtiger Aspekt der Untersuchung wurde in der Zwischenzeit auch von anderen Stimmen hervorgehoben, nämlich von Frau Dr. Karen Klein und Herrn Dr. Nicolas Ott mit ihrem Aufsatz „Hindsight Bias bei der Vorstandshaftung wegen ComplianceVerstößen“, erschienen in der AG 2017, S. 209 – 221. Die Arbeit hat im Wintersemester 2017/18 der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation vorgelegen. Frau Prof. a.D. Dr. Christine Windbichler, LL.M. (Berkeley), der Erstgutachterin, möchte ich für die Betreuung sowie die zahlreichen und wertvollen Anregungen meinen herzlichsten Dank aussprechen. Ebenfalls möchte ich Herrn Prof. Dr. Ralph Hertwig, Direktor am MaxPlanck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, für die Erstellung des Zweitgutachtens herzlich danken sowie für die Einräumung der Recherchemöglichkeiten im Institut. Besonderer Dank gilt dabei Herrn Dr. Renato Frey, Forscher am Zentrum für Cognitive and Decision Sciences an der Universität Basel, für die vielen und ergiebigen Austausche über die Untersuchung. Herrn Prof. Dr. Andreas Nelle, M.P.A. (Harvard), möchte ich für seine entgegenkommende Förderung im Gespräch danken. Für ihre große Unterstützung möchte ich meinen Eltern Hannelore AhrendtWestermann und Dr. Jürgen Westermann von Herzen danken. Berlin, im Mai 2018

Christian Ahrendt

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 B. Geschäftsführung und Leitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Die Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Sinn und Zweck von § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Durchsetzbarkeit und D&O-Versicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 IV. Entstehungsgeschichte von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 V. Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Nachvollziehbarkeit unternehmerischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Optimierung des Entscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3. Schaffung eines sicheren Hafens (safe harbor) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4. Rückschaufehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 5. Vermeidung eines Anreizes zu defensivem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . 37 6. Zusammenfassendes Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 VI. Die Rechtsnatur von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 VII. Die Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Unternehmerische Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Handeln zum Wohle der Gesellschaft ohne Eigeninteresse und sachfremde Einflüsse sowie Gutgläubigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Vernünftigerweise annehmen dürfen, auf angemessener Informationsgrundlage zu handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 VIII. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 D. Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I. Vorgaben durch die Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Anforderungen an Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit . . . . . . . . . . . . . 51 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

10

Inhaltsverzeichnis 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3. Zusammenfassendes Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Zusammenfassendes Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 IV. Exemplarische Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Genehmigungspflichtige Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Zusammenfassendes Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 V. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

E. Einholung von Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 I. Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 II. Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 III. Das Vorverständnis des Gesetzgebers (Ergebnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 F. Einführung in die interdisziplinäre Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 I. Grundsätzliches zur Erkenntnisgewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 II. Wissenschaftlicher Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Empirie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 IV. Grundsätzliches zur Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 V. Statistik und Ziele des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Die Annahme rationalen Verhaltens des Normadressaten . . . . . . . . . . . . . 80 2. „Immunität“ von Vorstandsmitgliedern oder Richtern gegen biases? . . . . 81 3. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 G. Zur „Population“ der Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Grundsätzliches zum hindsight bias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 II. Hypothesen aus dem juristischen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Prognosecharakter der unternehmerischen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Nachträgliche Veränderung des Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Folgerungen für den Begriff der unternehmerischen Entscheidung . . . . . . 90 4. Exemplarische Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Compliance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Genehmigungspflichtige Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 III. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 I. Sunk cost effect . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Beschreibung und Auftreten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Prozessverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Inhaltsverzeichnis

11

3. Besonderheiten (gutachtenbasierter) Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4. Folgerungen für das Verhältnis zwischen § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG und der Legalitätspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5. Zusammenfassendes Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Einholung von Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Vereinzelte Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Inhaltliche Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Präferenzen und standpunktinkonsistente Information . . . . . . . . . . . . . 112 b) Neurologische Vorgänge bei Konfrontation mit standpunkt(in)konsistenten Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Übertragbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Prozessverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Zusammenfassendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Schlussbetrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Ausgewählte Populärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

Abkürzungsverzeichnis a. A. AG AktG al. allg. M. AVB-AVG Az. BaFin BB BGB BGBl. BGH BGHZ BilMoG BSG BT-Drs. CCZ CEO Ch. CRT DB DCGK ders./dies. d. h. DStR EuZW e. V. EWiR f., ff. Fn. FS GAAP GDV GG ggf. GmbH GmbHG GmbHR gr. GWR

andere Ansicht Aktiengesellschaft, Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Aktiengesetz alii allgemeine Meinung Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern Aktenzeichen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts Bundessozialgericht Drucksachen des Deutschen Bundestages Corporate Compliance Zeitschrift (Zeitschrift) chief executive officer Court of Chancery cognitive reflection test Der Betrieb (Zeitschrift) Deutscher Corporate Governance Kodex derselbe/dieselbe das heißt Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) eingetragener Verein Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) folgende, fortfolgende Fußnote Festschrift Generally accepted accounting principles Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Zeitschrift) griechisch Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis HGB Hrsg. IDW i. H. d. i. H. v. i. R. v. i. S. d. i. S. v. JAS KG KGaA KonTraG KSzW KWG lat. MoMiG

13

Handelsgesetzbuch Herausgeber Institut der Wirtschaftsprüfer in Höhe des/der in Höhe von im Rahmen von im Sinne des/der im Sinne von judge advisor system Kammergericht, Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Kölner Schriften zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Kreditwesengesetz lateinisch Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen m. w. N. mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht (Zeitschrift) NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) OLG Oberlandesgericht PS Prüfungsstandard RegE Regierungsentwurf RG Reichsgericht RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rn. Randnummer r+s Recht und Schaden (Zeitschrift) Rspr./st. Rspr. Rechtsprechung/ständige Rechtsprechung S. Seite SEC Securities and Exchange Commission str. streitig TransPuG Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) Tz. Textziffer u. a. und anderem ü. L. überwiegende Lehre UMAG Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts usw. und so weiter VAG Versicherungsaufsichtsgesetz vgl. vergleiche VGR Gesellschaftsrechtliche Vereinigung VorstAG Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (Zeitschrift) WPg Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) z. B. zum Beispiel ZBB Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (Zeitschrift)

14 ZGR ZgS ZHR ZIP ZRFC ZRP

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (Zeitschrift) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Risk, Fraud & Compliance (Zeitschrift) Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift)

„[N]ous gardions (…) l’impression d’une justice absurde qui ne pourra jamais comprendre ni même atteindre les faits qu’elle se propose de punir“1. Jean-Paul Sartre, 1947

A. Einleitung I. Untersuchungsgegenstand Vorstandsmitglieder von börsennotierten Aktiengesellschaften laufen nach jeder unternehmerischen Entscheidung zehn Jahre lang (bei nicht börsennotierten Gesellschaften fünf Jahre) Gefahr, von der Gesellschaft auf Ersatz eines aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung eingetretenen Schadens in Anspruch genommen zu werden (§ 93 Abs. 6 AktG). Zur Vorbereitung auf die potentielle (gegebenenfalls klageweise) Inanspruchnahme durch die Gesellschaft empfehlen Juristen Vorstandsmitgliedern die Dokumentation von Entscheidungen sowie deren Aufbewahrung – für die Dauer der Verjährungsfrist.2 Im Rahmen der Geschäftsführung holen Vorstandsmitglieder regelmäßig den Rat von Wirtschaftsprüfern und Rechtsanwälten ein3 sowie unter anderem von Unternehmensberatern, Ingenieuren, Investmentbankern oder Wirtschaftsmathematikern.4 Auch dies wird Vorstandsmitgliedern zur Reduzierung von Haftungsrisiken empfohlen.5 Nicht selten fordern Vorstandsmitglieder dabei eine von ihnen präferierte Schlussfolgerung heraus.6 Der Gesetzgeber des UMAG7 hat der Ausgestaltung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ein bestimmtes – aus- oder unausgesprochenes – Vorverständnis vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse zugrunde gelegt und zeigt insoweit eine bestimmte Erwartungshaltung im Hinblick auf die verhaltenssteuernde Wirkung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung. Den Gegenstand dieser Untersuchung bildet die Ermittlung dieses Vorverständnisses und dessen Abgleich mit Erkenntnissen aus der Verhaltenspsychologie, um Maßgaben für die Auslegung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zu ermitteln. Dies betrifft insbesondere die vom 2. Senat des Bundesge1

Sartre, Situations I, S. 111. Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 36 m. w. N.; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142; vgl. Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 125. 3 Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1397. 4 Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1399. 5 So z. B. Harbarth, in: FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 340. 6 U. H. Schneider, DB 2011, 99, 103. 7 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22. September 2005, BGBl. 2005 Teil I Nr. 60, S. 2802. 2

16

A. Einleitung

richtshofs und der juristischen Literatur betriebene Auslegung in Fällen von Entscheidungen auf unsicherer Informations- bzw. Rechtsgrundlage, welchen ggf. ein entsprechender Rat Dritter zugrunde liegt.

II. Methode Die Auslegung rechtlicher Normen folgt der Dogmatik. Die Erforschung ihrer Auswirkungen auf das menschliche Verhalten bedarf des Rekurrierens auf die Methoden der Verhaltenspsychologie als eine auf empirische Erkenntnisgewinnung gerichtete Disziplin. Sie vollzieht Erkenntnisfortschritte durch die statistische Auswertung experimentell gesammelter Daten. Die Frage, ob Erkenntnisfortschritt durch beobachtete Ereignisse eine Erwartungshaltung zulässt, ist Gegenstand des Induktionsproblems in der Logik und der Diskussion der Rolle des Zufalls. Die Frage, inwieweit Erkenntnisfortschritt durch beobachtete Ereignisse Erwartungshaltungen erlaubt, ist eine der empirischen Methodik. Die Untersuchung hat sowohl die dogmatische als die empirische Methodik zu berücksichtigen, wenn sie ein gesetzgeberisches Vorverständnis vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse ermittelt, dieses mit verhaltenspsychologischen Erkenntnissen abgleicht und auf dieser Grundlage Maßgaben für die Auslegung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG aufzeichnet.

III. Gang der Untersuchung Die Untersuchung führt in den Teilen B. und C. den Inhalt des aktienrechtlichen Verhaltensmaßstabs gemäß der §§ 76, 93 AktG ein. Die Darstellung beginnt im Teil B. bei den Grundsätzen der Geschäftsführung (B.I.) sowie den besonderen Anforderungen im Bereich der Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft (B.II.) und widmet sich im folgenden Teil den Voraussetzungen des Anspruchs der Gesellschaft gegen das einzelne oder mehrere Vorstandsmitglied(er) auf Schadensersatz gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG sowie der dogmatischen Einordnung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Die Ermittlung der Erwartungshaltung des Gesetzgebers erfolgt im Rahmen des Sinnes und Zweckes der §§ 93 Abs. 1 Satz 2, 93 Abs. 2 Satz 1 AktG (C.II. und C.V.). Sie führt an die Grenzen der dogmatischen Betrachtung heran und eröffnet den Übergang der Untersuchung zur Verhaltenspsychologie. Ausgehend von der aktienrechtlichen Behandlung unter Rechtsunsicherheit getroffener Entscheidungen (Teil D.) widmet sich die Untersuchung den Besonderheiten, welche sich für die Vorstandshaftung aus der Einholung von Rat ergeben (Teil E.). Im Teil F. führt die Untersuchung die Methode der Empirie ein. Ziel der Untersuchung ist an dieser Stelle nicht die umfassende Darstellung einer Jahrhunderte, gar Jahrtausende währenden Diskussion, sondern die Schaffung eines gedanklichen Rahmens für die nachfolgende Behandlung verhaltenspsychologischer Erkenntnis-

III. Gang der Untersuchung

17

se. Der Teil schließt mit der Erörterung der Berechtigung oder fehlenden Berechtigung der Erwartung einer gewissen „Immunität“ von Vorstandsmitgliedern oder Richtern gegen bestimmte verhaltenspsychologische Phänomene. Die Untersuchung widmet sich im Teil G. der verhaltenspsychologischen Erwartungshaltung im Hinblick auf das potentielle Auftreten des sog. hindsight bias eines Richters bei der rückblickenden Beurteilung verschiedener Typen von Entscheidungen. Darauf folgt im Teil H. die Untersuchung von bestimmten Verhaltensweisen von Vorstandsmitgliedern auf Kosten der Anteilseigner, Gläubiger und ggf. der Allgemeinheit, die der Gesetzgeber durch seine Ausgestaltung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gerade nicht fördern wollte. Die Untersuchung führt in H.I.1. escalation of commitment bzw. den sunc cost effect im Hinblick auf die Geschäftsführungstätigkeit des Vorstands ein und im Speziellen in H.II. im Hinblick auf (gutachtenbasierte) Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit. Die Untersuchung misst das Vorverständnis des Gesetzgebers des UMAG vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse, demgemäß er derartige Verhaltensweisen durch seine Ausgestaltung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gerade nicht fördert, an empirischen Erkenntnissen aus der Verhaltenspsychologie. Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf einseitige, von Präferenzen geleitete Auseinandersetzungen mit geistigen Inhalten und auf potentielle Besonderheiten durch eine Verantwortung für den Entscheidungsprozess. Der Fokus liegt dabei auf der Auseinandersetzung von Entscheidern mit gegenläufigen, standpunktinkonsistenten Informationen, wie z. B. solche, die die (rechtliche) Durchführbarkeit einer Maßnahme in Frage stellen. Die vom Gesetzgeber einkalkulierte Möglichkeit einer gesetzlich bedingten Förderung formaler Absicherungsstrategien wird aus der Perspektive der Verhaltenspsychologie betrachtet. An diesen Maßgaben misst die Untersuchung die von der Rechtsprechung und der juristischen Literatur betriebene Auslegung der aktienrechtlichen Haftungsvorschriften. Den Abschluss der Untersuchung bilden eine thesenartige Zusammenfassung der Ergebnisse und ein Ausblick.

B. Geschäftsführung und Leitung I. Grundlagen Der Vorstand hat die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten (§ 76 Abs. 1 AktG). Die Leitung ist eine Kernaufgabe des Gesamtvorstands.8 Sie betrifft die grundlegende Unternehmenspolitik, -planung, -koordination und -kontrolle.9 Die Leitung der Gesellschaft ist ein Bestandteil der Geschäftsführung.10 Die Geschäftsführung bezeichnet jede Tätigkeit für die Aktiengesellschaft rechtsgeschäftlicher oder tatsächlicher Art.11 Die Leitung der Gesellschaft unter eigener Verantwortung bedeutet ein Treffen der Leitungsentscheidungen nach eigenem Ermessen.12 Leitungsaufgaben selbst sind nicht delegierbar – die Delegation von vorbereitenden Tätigkeiten ist zulässig, sofern die Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung gewährleistet ist.13 Freilich darf der Vorstand die Gesellschaft nicht durch den Abschluss von Beratungsverträgen ohne jeden Nutzen schädigen.14 Das Gesetz bezieht die Leitung in § 76 Abs. 1 AktG zwar ausdrücklich auf die Gesellschaft. Dies beinhaltet jedoch die Leitung des Unternehmens und hat sich am satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand auszurichten.15 Der Vorstand darf im 8

Münchkomm-AktG/Spindler, § 77 Rn. 5; Großkomm-AktG/Kort, § 76 Rn. 34. Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, Rn. 11, Münchkomm-AktG/ Spindler, § 76 Rn. 16; Hüffer/Koch, § 76 Rn. 9; Großkomm-AktG/Kort, § 77 Rn. 31 m. w. N.; vgl. Fleischer, ZIP 2003, 1, 5; zur Konkretisierung der Leitungsaufgaben durch § 91 Abs. 2 AktG: Begründung RegE KonTraG, BT-Drs. 13/9712, S. 15; Großkomm-AktG/Kort, § 91 Rn. 1; Hüffer/Koch, § 91 Rn. 1; MünchKomm-AktG/Spindler, § 91 Rn. 3; zu ComplianceAufgaben siehe unten D.IV.1. 10 Hüffer/Koch, § 76 Rn. 8; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 76 Rn. 4. 11 Großkomm-AktG/Kort, § 77 Rn. 3; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 77 Rn. 2; Münchkomm-AktG/Spindler, § 77 Rn. 6; Schmidt/Lutter/Seibt, § 77 Rn. 4. 12 Hüffer/Koch, § 76 Rn. 8; Großkomm-AktG/Kort, § 76 Rn. 41. 13 Fleischer, ZIP 2003,1, 6; Großkomm-AktG/Kort, § 76 Rn. 31; MünchKomm-AktG/ Spindler, § 76 Rn. 18 m. w. N.; gegen ein strenges Delegationsverbot: Schmidt/Lutter/Seibt, § 76 Rn. 8; Seibt, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 1463, 1480 f. (Bestimmung der Zulässigkeit der Delegation anhand von § 93 Abs. 1 AktG); vgl. Hüffer/Koch, § 76 Rn. 8; zur Differenzierung von unternehmensinternen und -externen Dritten: MünchHdb-GesR IV/Wiesner, § 19 Rn. 31. 14 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 190 mit Verweis auf BGH NJW 1997, 741 (für GmbH): teuere Unternehmensberatung durch Rechtsreferendar. 15 Großkomm-AktG/Kort, § 76 Rn. 39 m. w. N.; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 76 Rn. 6 f.; zum Verhältnis von Unternehmensinteresse und Unternehmensgegenstand siehe Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 1, 2. Halbband, Die juristische Person, § 2 VII 2, S. 54 ff. 9

I. Grundlagen

19

Rahmen der Geschäftsführung neben der Interessen der Aktionäre auch die der Arbeitnehmer der Gesellschaft und Gemeinwohlinteressen berücksichtigen.16 Der Befugnis zur Berücksichtigung von Gemeinwohlinteressen steht es nicht entgegen, dass das Aktiengesetz von 1965 anders als das von 1937 keine Gemeinwohlklausel enthält.17 Der Vorstand hat die langfristige Rentabilität des Unternehmens zu verfolgen.18 Dies kann die Inkaufnahme von kurz- oder mittelfristigen Einbußen gebieten.19 Der Begriff des Unternehmensinteresses ist äußerst umstritten.20 Ein genereller Vorrang der Aktionärsinteressen wird überwiegend abgelehnt.21 Dem von der Gegenauffassung hervorgehobenen Vorzug einer klaren Zielfunktion der Orientierung an den Aktionärsinteressen22 wird entgegengehalten, dass die potentiellen Aktionäre sehr divergierende Interessen verfolgen können.23 Die Aktionärsstruktur einer Aktiengesellschaft ist in der Praxis regelmäßig nicht homogen.24 Die Interessen der Aktionäre können über die bloße Kapitalanlage hinaus in anderen Zwecken wirtschaftlicher, sozialer oder ideeller Natur bestehen.25 Nach dem Deutschen Corporate Governance Kodex (Ziff. 4.1.1.) leitet der Vorstand das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung. Der Deutsche Corporate Governance Kodex geht insoweit über den Wortlaut von § 76 Abs. 1 AktG hinaus. Aufgrund der Indikativformulierung besteht kein Erfordernis einer Entsprechenserklärung nach § 161 AktG. Praktisch wichtiger als eine abschließende positive Bestimmung des Unternehmensinteresses ist die haftungsrechtliche Frage nach dessen Verletzung.26 Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so sind sämtliche Vorstandsmitglieder grundsätzlich nur gemeinschaftlich zur Geschäftsführung befugt (§ 77 Abs. 1 16

Allgemein anerkannt. Vgl. Begründung RegE bei Kropff, AktG 1965, S. 97 f.; Großkomm-AktG/Kort, § 76 Rn. 84. 18 Junge, in: FS Caemmerer, 1978, S. 547, 554; Großkomm-AktG/Kort, § 76 Rn. 53; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 76 Rn. 21; Schmidt/Lutter/Seibt, § 76 Rn. 23; OLG Hamm ZIP 1995, 1263, 1268. 19 Großkomm-AktG/Kort, § 76 Rn. 53. 20 Münchkomm-AktG/Spindler, § 76 Rn. 63 ff.; vgl. Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung der Unternehmensleitung, S. 62 ff. 21 Hüffer/Koch, § 76 Rn. 31; Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 76 Rn. 17; MünchkommAktG/Spindler, § 76 Rn. 71 ff. 22 Spindler/Stilz/Fleischer, § 76 Rn. 34 m. w. N.; vgl. MünchHdb-GesR IV/Wiesner, § 19 Rn. 20 ff. 23 Hüffer/Koch, § 76 Rn. 31; Großkomm-AktG/Kort, § 76 Rn. 62. 24 Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 25 Rn. 20. 25 Großkomm-AktG/Kort, § 76 Rn. 59 m. w. N. 26 Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 27 Rn. 24. 17

20

B. Geschäftsführung und Leitung

Satz 1 AktG). Die Satzung oder die Geschäftsordnung des Vorstands kann Abweichendes bestimmen (§ 77 Abs. 1 Satz 2, 1. Hs. AktG; vgl. § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG). Zulässig ist etwa die Bestimmung der Einzelgeschäftsführung mit Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis in funktioneller Hinsicht (Einkauf, Produktion, Vertrieb, Personal, usw.) oder nach Sparten gegliedert (z. B. nach verschiedenen Produktpaletten), in welchen sich die verschiedenen Funktionen wiederfinden.27 Der Geschäftsverteilung sind gesetzliche Grenzen gesetzt. Die Leitung der Gesellschaft ist dem Vorstand gem. § 76 Abs. 1 Satz 1 AktG als Kollegialorgan zugewiesen (Prinzip der Gesamtleitung).28 Unter die Geschäftsführungsbefugnis des Gesamtvorstands fallen ferner gesetzlich vorgesehene Gesamtvorstandsaufgaben – wie etwa die Berichterstattung an den Aufsichtsrat (§ 90 Abs. 1 Satz 1 AktG), die Pflicht für Buchführung zu sorgen (§ 91 Abs. 1 AktG), die Pflicht des Vorstands, geeignete Maßnahmen zu treffen, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden (§ 91 Abs. 2 AktG) sowie die Pflicht zur Verlustanzeige gemäß § 92 Abs. 1 AktG.29 Auch auch die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Gesellschaft ist eine Aufgabe des Gesamtvorstands.30 Die Geschäftsverteilung entbindet Vorstandsmitglieder nicht von der – im Aktiengesetz nicht explizit geregelten – Gesamtverantwortung für die Vorstandstätigkeit.31 Vorstandsmitglieder haben die Pflicht, ihre Kollegen über wichtige Entscheidungen aus dem eigenen Bereich oder Ressort zu unterrichten.32 Zugleich trifft die Vorstandsmitglieder eine Überwachungspflicht im Hinblick auf die übrigen Vorstandsmitglieder, zu deren Wahrnehmung den Vorstandsmitgliedern untereinander Informationsansprüche über die ressortspezifischen Angelegenheiten zustehen.33 Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für die Überwachung des Gesamtvorstands entbindet die Vorstandsmitglieder nicht von der wechselseitigen Kontrolle.34 Der Inhalt der Überwachungspflicht – nicht ihr Bestehen – kann von der Geschäftsverteilung, der Größe der Gesellschaft oder dem Geschäftsgegenstand abhängen.35 Sobald konkrete Umstände den Verdacht auf Pflichtwidrigkeiten erregen, 27 Münchkomm-AktG/Spindler, § 77 Rn. 63 f.; m. w. N.; Großkomm-AktG/Kort, § 77 Rn. 23; Hüffer/Koch, § 77 Rn. 10; zu weiteren Arten der Vorstandsorganisation vgl. nur Münchkomm-AktG/Spindler, § 77 Rn. 63 ff. 28 Fleischer, ZIP 2003, 1, 2 m. w. N.; Spindler/Stilz/Fleischer, § 77 Rn. 44; GroßkommAktG/Kort, § 77 Rn. 30 f. 29 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 77 Rn. 24; Großkomm-AktG/Kort, § 77 Rn. 33. 30 Ebenda. 31 Hüffer/Koch, § 77 Rn. 15; Großkomm-AktG/Kort, § 77 Rn. 35; Spindler/Stilz/Fleischer, § 77 Rn. 44; Münchkomm-AktG/Spindler, § 77 Rn. 56. 32 Großkomm-AktG/Kort, § 77 Rn. 35; MünchHdb-GesR IV/Wiesner, § 22 Rn. 25. 33 Münchkomm-AktG/Spindler, § 77 Rn. 56; vgl. Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 77 Rn. 26 m. w. N.; vgl. LG München I ZIP 2014, 570, 575 – Siemens/Neubürger. 34 Großkomm-AktG/Kort, § 77 Rn. 35. 35 Fleischer, NZG 2003, 449, 453; LG München I ZIP 2014, 570, 573 – Siemens/Neubürger; Ihrig/C. Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, Rn. 421; Hüffer/Koch, § 77, Rn. 15a; Großkomm-AktG/Kort, § 77 Rn. 35a.

II. Die Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft

21

muss das Vorstandsmitglied Nachforschungen anstellen.36 Gesteigerte Überwachungspflichten bestehen in Krisensituationen37 oder Fällen von Unregelmäßigkeiten in der Vergangenheit.38 Eine permanente und intensive Überwachung ist im Regelfall nicht geschuldet.39 Bei konkreten Anhaltspunkten für Unstimmigkeiten kann das Vorstandsmitglied den Gesamtvorstand informieren und so eine bindende Entscheidung des Gesamtvorstands über die Angelegenheit herbeizuführen.40 Die Willensbildung des mehrköpfigen Vorstands erfolgt durch Beschluss.41 Dieser wird regelmäßig in den Sitzungen des Vorstands nach den Maßgaben der Satzung oder einer Geschäftsordnung gefasst (vgl. § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG).42 Der mehrköpfige Vorstand soll sich gemäß Ziff. 4.2.1. DCGK eine Geschäftsordnung geben, welche insbesondere die Ressortzuständigkeiten einzelner Vorstandsmitglieder regelt sowie die dem Gesamtvorstand vorbehaltenen Angelegenheiten und die erforderliche Beschlussmehrheit bei Vorstandsbeschlüssen (Einstimmigkeit oder Mehrheitsbeschluss).

II. Die Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft Das am 1. Mai 1998 in Kraft getretene Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) führte § 91 Abs. 2 AktG ein.43 Danach hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Bereits vor der Einführung von § 91 Abs. 2 AktG durch das KonTraG ergab sich eine Organisationspflicht und eine Pflicht zur Früherkennung von den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG.44 Die Vorschrift konkretisiert die allgemeinen Leitungs36 Fleischer, NZG 2003, 449, 454; Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 107; Kölner KommAktG/Mertens/Cahn, § 77, Rn. 26. 37 BGHZ 133, 370, 379; Fleischer, NZG 2003, 449, 454; vgl. auch Spindler/Stilz/Fleischer, § 77 Rn. 53 m. w. N.; Habersack, WM 2005, 2360, 2362 f.; MünchHdb-GesR IV/Wiesner, § 22 Rn. 26. 38 Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 110. 39 Fleischer, NZG 2003, 449, 455; Emde, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 295, 306 f.; Großkomm-AktG/Kort, § 77 Rn. 35a; Hüffer/Koch, § 77 Rn. 15; vgl. MünchHdb-GesR IV/ Wiesner, § 22 Rn. 24; näher zu den denkbaren Fehlentwicklungen wirtschaftlicher und rechtlicher Art: Nietsch, ZIP 2013, 1449, 1452 ff. 40 Münchkomm-AktG/Spindler, § 77 Rn. 32; Großkomm-AktG/Kort, § 77 Rn. 38 m. w. N. 41 Münchkomm-AktG/Spindler, § 77 Rn. 10; MünchHdb-GesR IV/Wiesner, § 22 Rn. 11; Spindler/Stilz/Fleischer, § 77 Rn. 21. 42 MünchHdb-GesR IV/Wiesner, § 22 Rn. 11. 43 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27. April 1998, BGBl. 1998 Teil I Nr. 24, S. 786. 44 Vgl. Begründung RegE KonTraG, BT-Drs. 13/9712, S. 15; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 14 m. w. N.

22

B. Geschäftsführung und Leitung

aufgaben i. S. v. § 76 Abs. 1 AktG (vgl. oben B.I.).45 Die Gesamtverantwortung des Vorstands für die Erfüllung dieser Pflicht hindert zwar nicht die Übertragung damit verbundener Aufgaben auf Einzelne, in diesem Fall ergeben sich jedoch gesteigerte Kontroll- und Überwachungspflichten der unbeteiligten Vorstandsmitglieder.46 Der Sinn und Zweck von § 91 Abs. 2 AktG besteht darin, den Vorstandsmitgliedern bestandsgefährdende Entwicklungen vor Augen zu führen und dadurch eine Entscheidung über den Umgang mit diesen Risiken zu veranlassen.47 Es soll einer Insolvenz sowie bereits der Entstehung bestandsgefährdender Entwicklungen vorgebeugt werden.48 Die Vorschrift hat damit einen präventiven Charakter.49 Entwicklungen i. S. v. § 91 Abs. 2 AktG sind Prozesse und Veränderungen von Zuständen, nicht Risikozustände selbst.50 Nach der Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs des KonTraG zählen zu diesen Entwicklungen insbesondere risikobehaftete Geschäfte, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft oder des Konzerns wesentlich auswirken.51 Eine Bestandsgefährdung im Sinne der Vorschrift besteht nur im Falle der erheblichen Steigerung der Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz der Gesellschaft.52 Es genügt die potentielle Eignung der Entwicklungen, den Bestand der Gesellschaft zu gefährden.53 Die Maßnahmen interner Überwachung sollen so eingerichtet sein, dass den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen zu einem Zeitpunkt erkannt werden, in dem noch geeignete Maßnahmen zur Sicherung des Fortbestandes der Gesellschaft ergriffen werden können.54 Die Eignung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung eines Ermessens des Vorstands bei der Auswahl und der Ausgestaltung der Maßnahmen sowie der Berücksichtigung der unternehmensspezifischen Besonderheiten wie der Größe, Branche, Struktur sowie des Kapitalmarktzugangs des jeweiligen Unternehmens zu bestimmen.55 Nach einer Auffassung ergibt sich das 45

Vgl. Begründung RegE KonTraG, BT-Drs. 13/9712, S. 15; Großkomm-AktG/Kort, § 91 Rn. 1; Hüffer/Koch, § 91 Rn. 1; MünchKomm-AktG/Spindler, § 91 Rn. 3. 46 MünchKomm-AktG/Spindler, § 91 Rn. 2: Delegation auf einzelnes Vorstandsmitglied; so auch Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 15; Spindler/Stilz/Fleischer, § 91 Rn. 37: arbeitsteiliges Zusammenwirken der Vorstandsmitglieder; Großkomm-AktG/Kort, § 91 Rn. 54: auch nachgeordnetes oder auswärtiges Personal. 47 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 20. 48 Spindler/Stilz/Fleischer, § 91 Rn. 29 m. w. N. 49 Blasche, CCZ 2009, 62 f.; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 45. 50 Großkomm-AktG/Kort, § 91 Rn. 30 m. w. N. 51 Vgl. Begründung RegE KonTraG, BT-Drs. 13/9712, S. 15. 52 Großkomm-AktG/Kort, § 91 Rn. 36 m. w. N. 53 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 35 m. w. N. 54 Vgl. Begründung RegE KonTraG, BT-Drs. 13/9712, S. 15. 55 Ebenda; Spindler/Stilz/Fleischer, § 91 Rn. 28; Münchkomm-AktG/Spindler, § 91 Rn. 28 m. w. N.; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 25 m. w. N.; Hüffer/Koch, § 91 Rn. 7 m. w. N.

II. Die Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft

23

Ermessen des Vorstands insoweit unmittelbar aus § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG.56 Andere rekurrieren auf den Begriff des unternehmerischen Ermessens bzw. Leitungsermessens.57 Eine besondere Ausprägung der geeigneten Maßnahmen ist die Einrichtung eines Überwachungssystems.58 Die Reichweite des Begriffs ist umstritten. Eine in der Betriebswirtschaftslehre und der Abschlussprüferpraxis vertretene Auffassung versteht den Begriff als risk management in der Form der Einführung eines umfassenden Systems zur Erkennung der Risiken von Verlusten.59 Die ganz herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft lehnt dies ab.60 Der Wortlaut von § 91 Abs. 2 AktG ist auf den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen beschränkt. Die Gesetzesmaterialien zum KonTraG nennen beispielhaft risikobehaftete Gescha¨ fte, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Versto¨ ße gegen gesetzliche Vorschriften, die sich auf die Vermo¨ gens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft oder des Konzerns wesentlich auswirken (siehe oben).61 Nach dem Deutschen Corporate Governance Kodex (Ziff. 4.1.4.) sorgt der Vorstand zwar für ein angemessenes Risikomanagement und Risikocontrolling im Unternehmen. Dabei handelt es sich – ausweislich der Indikativformulierung – aber um die bloße Wiedergabe der Gesetzeslage.62 Der Deutsche Corporate Governance Kodex statuiert gleichwohl kein staatliches Recht.63 Bei börsennotierten Gesellschaften ist im Rahmen der Abschlussprüfung zu beurteilen, ob der Vorstand die ihm nach § 91 Abs. 2 AktG obliegenden Maßnahmen in einer geeigneten Form getroffen hat und ob das danach einzurichtende Überwachungssystem seine Aufgaben erfüllen kann (§ 317 Abs. 4 HGB). Das Ergebnis dieser Beurteilung hat der Abschlussprüfer in einem besonderen Teil des Prüfungsberichts darzustellen (§ 321 Abs. 4 Satz 1 HGB). Dabei hat er darauf einzugehen, ob Maßnahmen erforderlich sind, um das interne Überwachungssystem zu verbessern (§ 321 Abs. 4 Satz 2 HGB). Entnähme man § 91 Abs. 2 AktG die Pflicht 56

MünchKomm-AktG/Spindler § 91 Rn. 28, 36; Spindler/Stilz/Fleischer, § 91 Rn. 28; vgl. Huth, BB 2007, 2167, 2168: Einbeziehung der in Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 12 genannten Kriterien der Rentabilität, Risikobewertung, Investitionsvolumen, Finanzierung, etc. 57 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 25; Hüffer/Koch, § 91 Rn. 7: Leitungsermessen; so auch Bürgers/Körber/Bürgers/Israel, § 91 Rn. 10. 58 Münchkomm-AktG/Spindler, § 91 Rn. 29. 59 Lück, DB 1998, 8, 12 f.; Kromschröder/Lück, DB 1998, 1573, 1575; Kuhl/Nickel, DB 1999, 133 ff.; Preußner/Becker, NZG 2002, 846, 848 ff. 60 OLG Celle AG 2008, 711, 712; Spindler/Stilz/Fleischer, § 91 Rn. 34; Hüffer/Koch, § 91 Rn. 8; Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer-Coceani, § 91 Rn. 14; Kölner Komm-AktG/Mertens/ Cahn, § 91 Rn. 20 m. w. N. 61 Begründung RegE KonTraG, BT-Drs. 13/9712, S. 15. 62 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 20; vgl. DCGK-Komm/Bachmann, Rn. 851 ff. 63 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 158 f.

24

B. Geschäftsführung und Leitung

zur Einführung eines umfassenden Risikomanagementsystems, so bestünde bei börsennotierten Gesellschaften eine Zuständigkeit des Abschlussprüfers für die Einhaltung von Maßnahmen zur Risikobewältigung. Bei letzteren handelt es sich indes um Geschäftsführungsmaßnahmen, bezüglich derer der Vorstand Ermessen genießt, dessen Ausübung zu überwachen nicht Aufgabe des Abschlussprüfers, sondern des Aufsichtsrats ist (§ 111 AktG).64 Gegen die Auslegung des Begriffs Überwachungssystem als Risikomanagementsystem spricht auch, dass der Gesetzgeber den Begriff des Risikomanagements ausweislich der §§ 289 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, 315 Abs. 2 Nr. 1 lit. a HGB kennt, ihn in § 91 Abs. 2 AktG aber gerade nicht gebraucht.65 Gegen derart weitreichende gesetzliche Vorgaben zur Einführung umfassender Überwachungssysteme spricht weiter, dass § 91 Abs. 2 AktG als zwingendes Recht keine, in diesem Fall gebotene, Differenzierung zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Aktiengesellschaften zulässt.66 § 91 AktG gilt ferner über § 188 Abs. 1 Satz 2 VAG für den Vorstand eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit. Die Versicherungsbranche ist durch die Abwägung von Risiken geradezu geprägt. Die Formalisierung von Geschäftsführungsmaßnahmen hätte praktisch eine massive Erschwerung eines Großteils der Vorstandstätigkeit zur Folge. Dabei handelt es sich hingegen um eine spezielle Regulierung, die auf das Aktienrecht nicht übertragbar ist. Die Vorgabe eines bestimmten Organisationssystems zur Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen durch § 91 Abs. 2 AktG stünde im Konflikt mit der eigenverantwortlichen Leitung gemäß § 76 Abs. 1 AktG (vgl. oben B.I.).67 Konkrete gesetzliche Vorgaben bestimmter betriebswirtschaftlicher Modelle würden zudem die von Art. 14 Abs. 1 GG garantierte Organisationsfreiheit des Unternehmens verletzen.68 Dagegen spricht zudem der Sinn und Zweck von § 91 Abs. 2 AktG, den Vorstandsmitgliedern solche Entwicklungen vor Augen zu führen, die bestandsgefährdend sind, nicht solche, die bloße Verlustrisiken besorgen lassen (siehe oben).69 Bei Kreditinstituten macht § 25a Abs. 1 KWG spezielle Vorgaben für die Ausgestaltung des Risikomanagements, die für die Ermittlung des Inhalts von § 91 Abs. 2 AktG jedoch nicht heranzuziehen sind (vgl. bereits oben zum VAG).70 Die 64 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 20; Huth, Die Vorstandspflicht zur Risikoüberwachung, S. 73 f.; vgl. Spindler/Stilz/Fleischer, § 91 Rn. 29. 65 Vgl. Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 20. 66 Großkomm-AktG/Kort, § 91 Rn. 50 f. 67 Spindler, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 19 Rn. 7. 68 Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, S. 462 ff.; Münchkomm-AktG/ders., § 91 Rn. 31. 69 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 91 Rn. 20. 70 Großkomm-AktG/Kort, § 91 Rn. 98; Münchkomm-AktG/Spindler, § 91 Rn. 39 f.; Spindler/Stilz/Fleischer, § 91 Rn. 43; a. A.: Preußner/Zimmermann, AG 2002, 657, 660; VG Frankfurt WM 2004, 2157, 2160.

II. Die Sicherung des Fortbestands der Gesellschaft

25

teilweise angenommene Heranziehbarkeit von IDW-PS 340 für die Bestimmung der Organisationspflichten bedarf jedenfalls der Beachtung der konkreten Lage des Unternehmens, da die IDW-Standards gegenüber dem Vorstand keine bindende Wirkung entfalten.71 Der IDW-PS 340 verlangt eine vollumfängliche Erfassung operativer und strategischer Risiken.72 Dies erfordert einen permanenten Überwachungs- und Steuerungsprozess derjenigen Unternehmensbereiche, in denen Risiken auftreten können.73

71 72 73

Münchkomm-AktG/Spindler, § 91 Rn. 33. IDW PS 340, WPg 1999, S. 658 ff. IDW PS 340, WPg 1999, S. 658, 659 Tz. 7; Großkomm-AktG/Kort, § 91 Rn. 91.

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung I. Grundlagen Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten schuldhaft verletzen, haben der Gesellschaft den daraus entstehenden Schaden gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zu ersetzen. Die exakte Ausgestaltung der Tätigkeit des Vorstands durch vertragliche Pflichten ist nicht praktikabel.74 Dies gilt auch für die Vorstandshaftung.75 Teilweise sind die Pflichten der Vorstandsmitglieder im Aktiengesetz tatbestandlich konkretisiert (z. B. §§ 90 Abs. 1 Satz 1, 91 Abs. 1 und Abs. 2 AktG).76 Einzelfälle von Pflichtverletzungen, welche die Kapitalerhaltung der Aktiengesellschaft betreffen, enthält der Katalog von § 93 Abs. 3 AktG. Namentlich sind Vorstandsmitglieder nach Nr. 6 der Vorschrift der Gesellschaft gegenüber ersatzpflichtig, wenn Zahlungen entgegen § 92 Abs. 2 AktG geleistet werden. Die Vorschrift gewährt einen eigenen Anspruch auf Ersatz des gesamten Schadens der Gesellschaft einschließlich des über den Fehlbetrag hinausgehenden Teils.77 Eine Schädigung der Gesellschaft wird in all den in § 93 Abs. 3 aufgelisteten Fällen vermutet; das Vorstandsmitglied muss in derartigen Fällen nachweisen, dass es nicht schuldhaft gehandelt hat oder dass der Gesellschaft trotz einer schuldhaft begangenen Handlung kein Schaden entstanden ist.78 Objektive Verhaltenspflichten ergeben sich im Übrigen aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG.79 Die Vorstandsmitglieder haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Der Sorgfaltsmaßstab des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG ist insofern objektiv, als er sich nicht nach dem Üblichen richtet, sondern nach dem Erforderlichen: Weicht die Übung innerhalb einer Branche vom Erforderlichen ab, so wirkt dies nicht entlastend.80 Vorstandsmitglieder müssen die zur Amtsausübung erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse aufweisen.81 Dies betrifft insbesondere die Führung des übernommenen Ressorts und darüber hinaus die Pflichten außerhalb der eigenen Ressortführung, wie die Erfül74

Arnold, Die Steuerung des Vorstandshandelns, S. 168. Vgl. Fischel/Bradley (1986), 261, 266. 76 Münchkomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 21. 77 Ganz ü. L.; siehe Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 326 m. w. N. 78 Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 27 Rn. 35. 79 MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 21 m. w. N.; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 5; kritisch: Hüffer, in FS Raiser, 2005, S. 163, 165 ff.; vgl. für die GmbH: Zöllner/Noack, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 8. 80 Allg. M.; vgl. MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 25 m. w. N. 81 MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 25 m. w. N.; vgl. BGHZ 85, 293, 295 ff. – Hertie (zu den Mindestkenntnissen und -fähigkeiten eines Aufsichtsratsmitglieds). 75

I. Grundlagen

27

lung der Überwachungsaufgaben.82 Ein Erfordernis eigener juristischer Sachkunde des Vorstandsmitglieds sowie dessen Ausmaß kann sich aus dem satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand ergeben; jedenfalls Grundkenntnisse sind aber im Bereich des Gesellschaftsrechts zu verlangen sowie ggf. im Bereich des Kapitalmarkt- und Kartellrechts.83 Die Grundregeln des Entscheidungsverfahrens wie z. B. die Geschäftsordnung und gegebenenfalls die Zustimmung des Aufsichtsrats sind zu beachten.84 Das Vorstandsmitglied hat bereits leichte Fahrlässigkeit zu vertreten.85 Persönliche Unfähigkeiten oder fehlende Kenntnisse wirken sich nicht auf den Sorgfaltsmaßstab aus, Spezialkenntnisse können diesen jedoch erhöhen.86 Das Verschulden anderer Vorstandsmitglieder wird dem einzelnen Vorstandsmitglied weder zu seinen Gunsten angerechnet, etwa durch die Anwendung von § 254 Abs. 1 BGB, noch zu seinen Lasten – Vorstandsmitglieder sind untereinander keine Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen i. S. d. §§ 278 Satz 1, 831 Abs. 1 Satz 1 BGB.87 Der Beweis der Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers obliegt dem Vorstandsmitglied (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG).88 Die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast betrifft die Pflichtverletzung sowie das Vertretenmüssen.89 Die Pflichtverletzung muss für den eingetretenen Schaden ursächlich i. S. d. allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätze sein.90 Bei Kollegialentscheidungen des Vorstands entfällt die haftungsrechtliche Kausalität nicht durch die Stimmabgaben der anderen Vorstandsmitglieder.91 Mehrere Vorstandsmitglieder haften gesamtschuldnerisch i. S. d. §§ 421 ff. BGB i. V. m. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG.92

82

Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 59 m. w. N. Ausführlich: Piepenbrock, „Defense of Reliance“ im deutschen Aktienrecht, S. 35 ff. m. w. N.; vgl. zur steigenden praktischen Relevanz des Kapitalmarktrechts für Freiverkehrsemittenten deren Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung), umfassend in Kraft getreten am 3. Juli 2016 (Art. 2 Abs. 1). 84 Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 27 Rn. 34. 85 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 391 f. m. w. N. 86 MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 25 m. w. N.; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 392 m. w. N. 87 MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 179 m. w. N.; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 391 m. w. N., 404 m. w. N. 88 Vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 12. 89 MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 181 m. w. N.; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 427 f. m. w. N.; Kritik: ebenda, Rn. 449 m. w. N. 90 Allg. M. 91 MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 175 m. w. N. 92 Hüffer/Koch, § 93 Rn. 57 m. w. N. 83

28

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung

II. Sinn und Zweck von § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG Mehrere Zwecke der aktienrechtlichen Vorstandshaftung schließen sich nicht zwingend aus.93 Ein unmittelbarer Zweck der Vorstandshaftung gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG besteht in der Kompensation von Schäden für die Gesellschaft aufgrund des Fehlverhaltens von Vorstandsmitgliedern.94 Die Vorstandsmitglieder sind treuhändische Verwalter des Gesellschaftsvermögens.95 § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG belegt zudem eine Gläubigerschutzfunktion – insb. gegenüber den Arbeitnehmern (siehe unten C.III.).96 Ein mittelbarer Normzweck von § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG besteht im Schutz des Rechtsverkehrs und der Allgemeinheit (vgl. zu Gemeinwohlinteressen oben B.I.).97 Bereits zum Genossenschaftsrecht führte das Reichsgericht aus, dass der Zweck von Haftungsnormen auch im Schutz der Interessen der Allgemeinheit liege.98 Die Bedeutung für die Allgemeinheit wird bei Gesellschaften besonders sichtbar, die regional eine derart große Bedeutung haben, dass der Wohlstand der Bürger in den Gemeinden mit dem der Gesellschaft steigt und fällt. Das Haftungsrisiko soll auf Vorstandsmitglieder zugleich eine Steuerungswirkung dergestalt entfalten, dass diese ihre Pflichten gegenüber der Gesellschaft erfüllen, damit Schäden bereits präventiv begegnet wird – das grundsätzlich auf den Vermögensausgleich gerichtete Zivilrecht übernimmt insoweit die für das Strafrecht anerkannte Funktion der Generalprävention.99 Ein voller Ersatz des der Gesellschaft entstandenen Schadens ist häufig nicht zu erwarten.100 Es droht die Insolvenz der Gesellschaft und die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Vorstandsmitglieds.101 Der Gesetzgeber des KonTraG betont mit der Einführung von § 91 Abs. 1 Satz 2 AktG seinen Willen, Insolvenzen durch geeignete Regeln vorzubeugen (siehe oben B.II.). Der Hintergrund der Regelung ist danach nicht die Verbesserung der Unternehmensführung. Neben den Mechanismus der Verhaltenssteuerung treten freilich andere präventive Kontrollmechanismen wie Transparenz, Frühwarnsysteme und die Einschaltung außenstehender, möglichst unabhängiger Kontrollinstanzen.102

93

Vgl. Hüffer/Koch, § 93 Rn. 1. Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 28 m. w. N.; a. A.: Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 253 ff.: nur Präventivfunktion. 95 Grundmann, Der Treuhandvertrag, S. 96 ff.; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 28 m. w. N. 96 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 29. 97 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 30 m. w. N. 98 RGZ 46, 60, 61 (Genossenschaft). 99 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 28 m. w. N.; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, § 93 Rn. 1; Bürgers/Körber/Bürgers/Israel, § 93 Rn. 1. 100 Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 2a m. w. N. 101 Arnold, Die Steuerung des Vorstandshandelns, S. 170; Kebekus/Zenker, in: FS MaierReimer, 2010, S. 319, 321 f. 102 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 32. 94

III. Durchsetzbarkeit und D&O-Versicherungen

29

III. Durchsetzbarkeit und D&O-Versicherungen In der Praxis ist heutzutage der Abschluss von D&O-Versicherungen (directors and officers liability insurance) üblich (siehe auch unten C.V.5.).103 Der Abschluss des D&O-Vertrages erfolgt regelmäßig durch die Gesellschaft in Form von Gruppenpolicen für den gesamten Vorstand mit einer einheitlichen Prämie.104 Die Haftungshöchstbeträge in D&O-Versicherungs-Policen großer deutscher Gesellschaften betragen EUR 500.000.000 und mehr.105 In der Praxis vorkommende Schadenssummen, welche diese Beträge überschreiten, beruhen beispielsweise auf von der Europäischen Kommission verhängten Geldbußen in Kartellrechtssachen.106 Es ist eine Zunahme von Haftungsklagen gegen Organmitglieder zu beobachten.107 Typische Konstellationen sind Haftungsklagen durch den Insolvenzverwalter, Haftungsklagen nach Übernahmen unter Austausch der Geschäftsführung sowie nach massiven Fehlinvestitionen oder Straftaten.108 Zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen den Vorstand sieht das Aktiengesetz zunächst die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat vor (§ 112 Satz 1 AktG). Eine gewisse „Bisssperre“ des Aufsichtsrats kann sich aus der Loyalität zwischen Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern ergeben.109 Fehler in der Geschäftsführung werfen zudem die Frage auf, ob der Aufsichtsrat die Geschäftsführung ordnungsgemäß überwacht hat (§ 111 Abs. 1 AktG). Für Aufsichtsratsmitglieder besteht durch den Anreiz, sich nicht selbst in Erklärungsnot zu bringen, ein Interessenkonflikt.110 In seiner ARAG/Garmenbeck-Entscheidung nahm der Bundesgerichtshof eine Pflicht des Aufsichtsrats an, das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern eigenverantwortlich zu prüfen und diese bei Bestehen grundsätzlich auch geltend zu machen, wenn dem nicht gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls

103

Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 450 m. w. N. Ihlas, D&O Directors & Officers Liability, S. 334 f.: juristische Person als Versicherungsnehmerin in über 99 % der Fälle. 105 Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 235 f.; Wagner, Theoretical Inquiries in Law 2015, 69, 82 m. w. N.; vgl. Ihlas, D&O Directors & Officers Liability, S. 428 ff. 106 So z. B. i. H. v. EUR 553.000.000 gegen E.ON (Pressemitteilungen der Europäischen Kommission IP/09/1099); vgl. Geldbuße i. H. v. EUR 1,06 Mrd. gegen Intel (Pressemitteilungen der Europäischen Kommission IP/09/745) und i. H. v. EUR 880.000.000 gegen SaintGobain (Pressemitteilungen der Europäischen Kommission IP/08/1685, „Autoglaskartell“). 107 Strohn, ZHR 176 (2012), 137. 108 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 41 m. w. N. 109 Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 318; vgl. Peltzer, WM 1981, 347, 348 f. 110 Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 240; vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 20: „Es kann typischerweise nicht erwartet werden, dass derjenige Ansprüche verfolgt, der dem Ersatzpflichtigen kollegial oder geschäftlich verbunden, ihm für seine Bestellung zu Dank verpflichtet ist, oder der Gefahr läuft, dass im Verfahren seine eigenen Versäumnisse aufgedeckt werden“. 104

30

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung

entgegenstünden.111 Dem Aufsichtsrat droht insoweit eine Schadensersatzpflicht (§§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2 Satz 1 AktG). Die Ersatzansprüche der Gesellschaft aus der Geschäftsführung gegen die Mitglieder des Vorstands müssen geltend gemacht werden, wenn es die Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit beschließt (§ 147 Abs. 1 Satz 1 AktG). Eine Klageerzwingung setzt eine starke Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Hauptversammlung und dem Aufsichtsrat voraus, was eine Erklärung für den geringen praktischen Anwendungsbereich von § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG bietet.112 Aktionäre, deren Anteile im Zeitpunkt der Antragstellung zusammen 1 % des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von EUR 100.000 erreichen, können die Zulassung beantragen, im eigenen Namen die in § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG bezeichneten Ersatzansprüche der Gesellschaft geltend zu machen (§ 148 Abs. 1 Satz 1 AktG). Dieses Klagezulassungsverfahren setzt ebenfalls eine gewisse Handlungsfähigkeit der Aktionäre voraus – wenn auch in einem geringeren Maße als § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG. Für die Zulassung der Klage gelten besondere Anforderungen: Insbesondere müssen Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden ist (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG). Die Kosten des Zulassungsverfahrens hat der Antragsteller zu tragen, soweit sein Antrag abgewiesen wird (§ 148 Abs. 6 Satz 1 AktG). Das Kostenrisiko und die hohen Hürden der Zulassungsvoraussetzungen legen die Gründe nahe, aus denen § 148 Abs. 1 Satz 1 AktG praktisch keine Anwendung findet.113 Der Gesetzgeber hat insoweit offenbar Missbrauchsgefahren ein besonderes Gewicht beigemessen.114 Die §§ 147, 148 AktG sollen auf die Aufsichtsratsmitglieder eine präventive Wirkung entfalten, Ersatzansprüche tatsächlich geltend zu machen, indem die Vorschriften ihnen vor Augen führen, dass protektionistisches Verhalten zugunsten von Vorstandsmitgliedern durch das zweifelhafte Absehen von einer Inanspruchnahme letztlich keinen Erfolg verspricht.115 Dem steht freilich gegenüber, dass die Vorschriften aufgrund ihrer Hürden in der Praxis kaum Anwendung finden (siehe oben). Der Sinn und Zweck der präventiven Wirkung der Vorschriften findet seine Schranke in der Maßgabe, kein Gesetzesrecht zu schaffen, welches die Erhöhung von Missbrauchsrisiken erwarten lässt.116

111

BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, 1926, 1928 – ARAG/Garmenbeck. Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 147 Rn. 56. 113 Schmidt/Lutter/Spindler, § 148 Rn. 58 m. w. N. 114 Ebenda. 115 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 147 Rn. 20 m. w. N., vgl. Rn. 22 zum Missbrauchsrisiko. 116 Vgl. Schmidt/Lutter/Spindler, § 148 Rn. 58 m. w. N. 112

IV. Entstehungsgeschichte von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG

31

Der Ersatzanspruch kann darüber hinaus durch die Gesellschaftsgläubiger geltend gemacht werden, soweit sie von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen können (§ 93 Abs. 5 Satz 1 AktG). Dies gilt mit Ausnahme der Sondertatbestände von § 93 Abs. 3 AktG nur im Falle einer groben Verletzung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 5 Satz 2 Hs. 1 AktG). Während der Dauer des Insolvenzverfahrens übt der Insolvenzverwalter die Rechte der Gläubiger aus (§ 93 Abs. 5 Satz 4 AktG). Der Anwendungsbereich von § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG ist äußerst eingeschränkt und liegt insbesondere in der masselosen Insolvenz.117

IV. Entstehungsgeschichte von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG Im Rahmen der Geschäftsführungstätigkeit treffen Vorstandsmitglieder selten Schwarz-weiß-Entscheidungen, sondern nehmen regelmäßig eingehende Bewertungen verschiedener Entscheidungsalternativen vor.118 Dabei handeln sie regelmäßig unter Zeitdruck sowie unter Unsicherheit.119 Sogar die sorgfältige Auswahl einer von mehreren Entscheidungsalternativen kann sich letztlich als „Fehlgriff“ herausstellen.120 Wirtschaftliche Misserfolge, die in der Realisierung eines Marktrisikos bestehen, begründen keine Haftung der Vorstandsmitglieder gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG.121 Sie können sich im Wert der Aktien der Gesellschaft niederschlagen, in einer Versagung der Wiederbestellung nach abgelaufener Amtszeit oder der Entlastung gemäß § 120 Abs. 2 AktG.122 Haftungsrechtlich maßgeblich ist nicht eine unvorhersehbare Entwicklung im Zuge einer unternehmerischen Entscheidung, sondern sorgfaltswidriges Verhalten im Entscheidungszeitpunkt – die Vorstandshaftung gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ist gerade keine Erfolgshaftung.123 Der 2. Senat des Bundesgerichtshofs führte in seiner ARAG/Garmenbeck-Entscheidung aus: „Eine Schadensersatzpflicht des Vorstands kann (…) erst in Betracht kommen, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise über117

Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, § 93 Rn. 79, 81. Vgl. Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, S. 98 f. 119 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 63 m. w. N.; Fleischer, in: FS Wiedemann, 2002, S. 827, 830; ders., NZG 2011, 521, 522. 120 Vgl. Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, S. 98 f. 121 Allgemeiner Grundsatz; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 61 m. w. N.; Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 27 Rn. 33 m. w. N. 122 Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 27 Rn. 33. 123 Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 61 m. w. N.; Hölters/ders., § 93 Rn. 31. 118

32

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung spannt worden ist oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss.“124

Diese Rechtsprechung kodifizierte der Gesetzgeber im Wesentlichen durch das am 1. November 2005 vollständig in Kraft getretene Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG).125 Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Bei der Kodifizierung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG handelt es sich um eine Rezeption der business judgment rule aus dem US-amerikanischen Rechtsraum, welche jedoch systematisch und dogmatisch eigenständig ist und keine pauschale Übertragung amerikanischer Regeln in das deutsche Recht erlaubt.126 Bei Unanwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist unter § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG das unternehmerische Ermessen zu prüfen, welches dem Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zwar entspricht, durch diese Vorschrift aber lediglich teilweise kodifiziert wurde.127 Daraus ergibt sich nach wohl überwiegender Auffassung nicht die Identität des Prüfungsmaßstabs, sondern ein grundsätzlich auch inhaltsorientierter anstatt rein prozessorientierter Maßstab des unternehmerischen Ermessens sowie ein Abstellen auf die Vertretbarkeit des Handelns (näher zum Prüfungsmaßstab von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG unten C.VII.3.).128

V. Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG 1. Nachvollziehbarkeit unternehmerischer Entscheidungen Nach einer Auffassung ist der Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf die Nachvollziehbarkeit unternehmerischer Entscheidungen gerichtet.129 Rein in124

BGH NJW 1997, 1926, 1928 – ARAG/Garmenbeck. Vgl. Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 62. 126 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 65 m. w. N. 127 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 116, 118 m. w. N.; vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 12: „Der Grundgedanke eines Geschäftsleiterermessens (…) findet sich in allen Formen unternehmerischer Betätigung. Das für das Aktiengesetz zu § 93 gefundene Regelungsmuster und die Literatur und Rechtsprechung dazu können aber als Anknüpfungs- und Ausgangspunkt für die weitere Rechtsentwicklung dienen“. 128 Holle, AG 2011, 778, 784 f.: Handlungsspielraum nicht allein dem Gesellschaftswohl verhaftet, sondern gesetzlichen Zielvorgaben – zumeist Beschränkung der Inhaltskontrolle auf Vertretbarkeit im Hinblick auf gesetzliche Vorgaben; Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, S. 143; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 75, 126 m. w. N.; a. A.: von Falkenhausen, NZG 2012, 644, 649: im Ergebnis gleich; vgl. Bachmann, in: FS Stilz (2014), S. 25, 28. 129 Grundei/von Werder, AG 2005, 825, 831; Graumann, CCZ 2010, 226; Hamann, ZGR 41 (2012), 817, 831. 125

V. Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG

33

tuitive Entscheidungen fielen nicht unter § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG.130 Das Erfordernis der Nachvollziehbarkeit ergebe sich aus dem Wortlaut von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG „vernünftigerweise“, welcher für die Voraussetzung einer Entscheidung des „kontrollierbaren und regelbasierten Systems II (…) [spreche], also in verhaltenswissenschaftlich informierter Perspektive als Gegenstück zur Intuition – wenn auch nicht als striktes „Gegenteil“, da sich beide Systeme überlappen und einander nicht völlig ausschließen.“131

Dafür spreche der Vergleich mit der vernünftigen kaufmännischen Beurteilung i. S. v. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG und § 254 Abs. 1 Hs. 2 AktG die ebenfalls eine objektiv-sachkundige, richterlicher Prüfung zugängliche Beurteilung voraussetze.132 Auch bei der business judgment rule im Recht der GmbH werde auf Nachvollziehbarkeit abgestellt.133 Die business judgment rule im schweizerischen Rechtsraum setzt Nachvollziehbarkeit explizit voraus.134 Die Nachvollziehbarkeit einer unternehmerischen Entscheidung ist Voraussetzung für die Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat (vgl. § 90 AktG).135 Die Nachvollziehbarkeit unternehmerischer Entscheidungen erlaubt zudem die Entscheidung über die Entlastung des Vorstands (§ 120 Abs. 1 Satz 1 AktG). Durch das Erfordernis der Nachvollziehbarkeit sei eine Verminderung der Missbrauchsversuchung der Vorstandsmitglieder (moral hazard) und des Interessenkonflikts zwischen Vorstandsmitgliedern und Anteilseignern (principal agent conflict) zu erwarten.136 Der Prinzipal setzt den Agenten aufgrund unzureichender Fähigkeiten oder eines Entlastungswunsches zur eigenverantwortlichen Erfüllung einer Aufgabe ein; es wird angenommen, dass es unmöglich für den Prinzipal ist, ohne Kosten sicherzustellen, dass der Agent aus Sicht des Prinzipals optimale Entscheidungen trifft.137 Der Prinzipal kann oder will die Tätigkeit des Agenten nur eingeschränkt überwachen (hidden action) und kann aufgrund der Vielfalt der möglichen kausalen Umstände nur begrenzte Schlüsse aus dem Erfolg oder Misserfolg der Geschäftsführung auf die Erfüllung der Aufgaben ziehen.138 Die Schwierigkeiten betreffen die Bewertung des Arbeitseinsatzes oder das Aufdecken von eigennützigem Verhalten zu Lasten des Prinzipals.139 Der Agent kann zudem 130

Hamann, ZGR 41 (2012), 817, 833. Hamann, ZGR 41 (2012), 817, 832. 132 Ebenda; MünchKomm-AktG/Koch, § 254 Rn. 14. 133 Vgl. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 22a; für verfahrensbezogenen Sorgfaltsmaßstab Großkomm-GmbHG/Paefgen, § 43 Rn. 123, 125 m. w. N. 134 Staub, CCZ 2009, 121, 122 f.; Hamann, ZGR 41 (2012), 817, 833. 135 Grundei/von Werder, AG 2005, 825, 831 f. m. w. N.; Hamann, ZGR 41 (2012), 817, 833. 136 Hamann, ZGR 41 (2012), 817, 831. 137 Jensen/Meckling (1976), 305, 307 f. 138 Arnold, Die Steuerung des Vorstandshandelns, S. 14. 139 Arrow, in: Pratt/Zeckhauser, Principals and Agents: The Structure of Business, S. 36, 38; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 174. 131

34

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung

über Informationen verfügen, die der Prinzipal nicht hat (hidden information).140 Informationsasymmetrien sind für Agenturbeziehungen typisch.141 Die agency theory geht auf die zwei Annahmen zurück, dass der Geschäftsleiter einer Publikumsgesellschaft einzig an das Interesse der Anteilseigner gebunden ist, jedoch häufig damit im Konflikt stehende eigene Interessen verfolgt.142 Die Erwartungen der einzelnen Anteilseigner an die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsprozesse sind regelmäßig unterschiedlich, da die Einhaltung dieser Vorgaben sich kontraproduktiv auswirken kann, soweit durch einen übermäßigen Formalisierungsbedarf die Amtsausführung beeinträchtigt wird. Anteilseigner, die eine kurzfristige und hohe Gewinnerzielung verfolgen, können ein anderes Maß an Bereitschaft haben, diese Einbußen zu tragen, als solche, deren Anlage langfristig auf Risikominimierung ausgerichtet ist. Der Vorstand ist aufgrund der Eigenverantwortlichkeit unter welcher er die Gesellschaft leitet (§ 76 Abs. 1 AktG) nicht an Weisungen – z. B. solche von Großaktionären – gebunden.143 Entgegen der Annahme der agency theory besteht ein Agenturverhältnis des Vorstands im Ergebnis allenfalls zur Gesellschaft, mangels einer Auftragsbeziehung oder auftragsähnlichen Beziehung aber nicht gegenüber einzelnen Gesellschaftern oder Gesellschaftsgläubigern.144 Insoweit trägt der Vorstand weder Informationspflichten noch Rechenschaftspflichten gem. § 666 BGB.145 2. Optimierung des Entscheidungsprozesses Nach einer Auffassung habe der Gesetzgeber des UMAG mit der Einführung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG einen Optimierungsgedanken verfolgt.146 § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG erfasse daher auch Vorarbeiten wie die Bestimmung des Entscheidungsinhalts, die Zielsetzung, die Vorauswahl der Handlungsmöglichkeiten im Hinblick auf die gesetzten Ziele sowie die Abwägung von Risiko und voraussichtlichem Nutzen.147 Ob diese Auslegung ihre Stütze in einem „Optimierungsgedanken“148 des Gesetzgebers findet, ist äußerst fraglich, da offen bleibt, woraus sich dies ergeben solle. Die ausdrückliche Bezugnahme auf unternehmerischen Erfolg in der Begründung des Regierungsentwurfs zum UMAG stützt diese Auffassung nicht:

140

Arrow, in: Pratt/Zeckhauser, Principals and Agents: The Structure of Business, S. 36, 38. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, S. 174. 142 Berle/Means, The modern corporation and private property, S. 122 ff. 143 Allg. M.; hierzu Hüffer/Koch, § 76 Rn. 25. 144 Großkomm-AktG/Kort, § 76 Rn. 60 m. w. N. 145 BGH NJW 1967, 1462, 1463; Hüffer, ZIP 1996, 401, 404 mit Gegenbeispiel des § 716 Abs. 1 BGB; Hüffer/Koch, § 76 Rn. 25; vgl. LG Detmold, AG 1959, 140 f. 146 Graumann, ZGR 40 (2011), 293, 295 ff., 302. 147 Graumann, ZGR 40 (2011), 293, 299. 148 So Graumann, ZGR 40 (2011), 293, 295 ff., 302. 141

V. Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG

35

„Das Gesetz möchte den Mut zum unternehmerischen Risiko nicht nehmen, zugleich aber Unbesonnenheit und Leichtsinn auf Kosten der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer keinen Vorschub leisten. Darauf nimmt das Tatbestandsmerkmal „angemessene Information“ Rücksicht. Es reflektiert, dass insbesondere bei Entscheidungen, die unter hohem und nicht selbst erzeugtem Zeitdruck zu fällen sind, eine umfassende Entscheidungsvorbereitung schwierig oder gar unmöglich sein kann. Mitunter sind die verfügbaren objektiv erscheinenden Informationen auch unmerklich durch betriebswirtschaftliche Trends oder allgemeine Marktstimmungen subjektiv eingefärbt, und gerade der Unternehmer, der sich antizyklisch verhält und das Unerwartete tut, mag Erfolg haben.“149

Aus dieser Formulierung ergibt sich nicht zwingend, dass der Gesetzgeber des UMAG den Entscheidungsprozess optimieren will. Es geht vielmehr um die gesetzlichen Rahmenbedingungen, unter denen erfolgreiche Entscheidungen nach Auffassung des Gesetzgebers praktisch zustande kommen können. Der Gesetzgeber will dem kein Hindernis bereiten, indem das Haftungsrecht übermäßig in den unternehmerischen Freiraum eingreift. Daraus ergibt sich nicht, dass er mit der Einführung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG in der Form des UMAG den Entscheidungsprozess „aktiv“ optimieren will. Es geht vielmehr um die Frage, weshalb der Gesetzgeber sich „zurückhalten“ sollte. Die Frage, ob die Unternehmensführung erfolgreich ist, ist Gegenstand anderer Kontrollmechanismen (vgl. oben C.II.). Das Ziel einer präventiven Wirkung auf das Verhalten von Vorstandsmitgliedern oder ihre Entscheidungsprozesse verfolgt der Gesetzgeber im Hinblick auf Pflichtverletzungen i. S. v. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG (siehe oben C.II.). Hiervon ist eine überschießende Optimierung des Entscheidungsprozesses streng zu unterscheiden. Es stellt sich vielmehr die Frage, wann der Gesetzgeber ein Störer von Entscheidungsprozessen ist, indem er Regeln schafft, die, gemessen an den Schutzgütern von § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, „unerwünschte“ Wirkungen entfalten. 3. Schaffung eines sicheren Hafens (safe harbor) Ein Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG besteht nach wohl herrschender Meinung in der Schaffung eines sicheren Hafens (safe harbor), in welchem das Vorstandsmitglied keine Inanspruchnahme durch die Gesellschaft für unternehmerische Entscheidungen zu befürchten habe.150 Dies sei ein Ausgleich für die durch das UMAG „erleichterte“ Haftungsdurchsetzung durch die Aktionäre (vgl. oben C.III).151 Dafür sprächen die Erwartung, anderenfalls qualifiziertes Personal abzuschrecken und der Schutz „ehrlicher Entscheidungen“ vor richterlicher Nachprüfung.152 An der Verwendung des Begriffs safe harbor ist bedenklich, dass dieser 149

Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 12. Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 13; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 9; GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 63 m. w. N. 151 C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1254; vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11. 152 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 63 m. w. N. 150

36

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung

Begriff in erster Linie der Charakterisierung der business judgment rule im USamerikanischen Rechtsraum als safe harbor rule dient (vgl. oben C.IV. und C.V.3.).153 Der director oder officer profitiert dort, anders als hier, von einer Beweislastregel zu seinen Gunsten, da der Kläger die Beweislast sowohl für das Nichtvorliegen der Voraussetzungen der business judgment rule als auch für die Sorgfaltspflichtverletzung selbst trägt.154 „It is a presumption that in making a business decision the directors of a corporation acted on an informed basis, in good faith and in the honest belief that the action taken was in the best interests of the company. (…) Absent an abuse of discretion, that judgment will be respected by the courts. The burden is on the party challenging the decision to establish facts rebutting the presumption.“155

Dies steht der Beweislastverteilung nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG diametral gegenüber (siehe oben C.I.).156 4. Rückschaufehler Eine maßgebliche Erwägung für die Einführung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist die Gefahr, dass der Richter im Gerichtsverfahren gegen das Vorstandsmitglied im Rahmen seiner Entscheidungsfindung einem hindsight bias (auch „Rückschaufehler“) unterliegt.157 Der Mensch überschätzt tendenziell die Vorhersehbarkeit eines Ereignisses, wenn er weiß, dass es bereits eingetreten ist (näher hierzu unten G.I.).158 Der Richter beurteilt im Nachhinein eine Entscheidung, die auf einer unvollständigen Informationsgrundlage getroffen wurde und deren negativer Ausgang ihm typischerweise bekannt ist, da die Gesellschaft den eben hieraus resultierenden Schaden geltend macht. Es bestehe die Gefahr der vorschnellen Annahme des Richters, das Vorstandsmitglied habe wegen unzureichender Berücksichtigung eines entscheidenden Umstandes oder unzureichender Maßnahmen sorgfaltswidrig gehandelt.159 Dies entspräche im Ergebnis einer dem Willen des Gesetzgebers widersprechenden Erfolgshaftung (siehe oben C.IV.). Der Richter soll die unternehmerische Entscheidung dagegen aus der Handelndenperspektive beurteilen, d. h. nicht darüber 153

Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 920. Ebenda. 155 Aronson v. Lewis, 473 A. 2d 805, 812 (Delaware 1984). 156 Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 920; Lutter, GmbHR 2000, 301, 308. 157 Fleischer, ZIP 2004, 685, 691; Fleischer, in: FS Immenga, 2004, S. 575, 580; Spindler/ Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 60; Brömmelmeyer, WM 2005, 2065, 2068; Koch, ZGR 35 (2006), 769, 782; C. Schäfer, ZIP 2005, 1253 f.; S. H. Schneider, DB 2005, 707, 708 f.; GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 63; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 41; vgl. Bachmann, ZIP 2014, 579, 580 f.; Fleischer, in: FS Wiedemann, 2002, S. 827, 832; Bainbridge, Corporate Law, S. 106 f. 158 Fischhoff (1975), 288 ff.; Choi/Nisbett (2000), 890 ff.; Sanna/Schwarz/Stocker (2002), 497 ff.; Werth/Strack/Förster (2002), 323 ff. 159 Vgl. für die GmbH Großkomm-GmbHG/Paefgen, § 43 Rn. 129. 154

V. Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG

37

befinden, welche Entscheidung rückblickend die „richtige“ gewesen wäre, sondern nur die der Entscheidung zugrunde gelegten Annahmen beurteilen.160 Maßgebliche ist danach die Entscheidungsfindung selbst.161 § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG solle einem richterlichen hindsight bias durch eine begrenzte richterliche Überprüfbarkeit von unternehmerischen Entscheidungen Rechnung tragen und mahne den Rechtsanwender zur Vorsicht bei der Beurteilung eines Geschehensverlaufs aus der ex antePerspektive.162 Die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG solle stets, aber auch nur dann, gegeben sein, wenn eine Entscheidung des Vorstandsmitglieds potentiell erwarten lasse, dass ein Richter bei deren Beurteilung in einem Haftungsprozess einem hindsight bias unterliege.163 5. Vermeidung eines Anreizes zu defensivem Verhalten § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bezwecke zudem die „Verhinderung eines Anreizes zu defensivem, risikoaversem Verhalten des Unternehmensleiters mit Nachteilen für alle Beteiligten“164. Für den Fall, dass Vorstandsmitglieder bei jeglicher Fehlentscheidung Haftungsfolgen befürchten müssten, sei eine Tendenz zu einer ungenügenden Risikobereitschaft zu erwarten.165 Dies könne sich in der Entscheidung gegen die Wahrnehmung neuer risikobehafteter Geschäftschancen niederschlagen, was ggf. den Verlust des Anschlusses an die wirtschaftliche Entwicklung bedeuten könne.166 Eine spezielle Variante von defensivem Verhalten behandelt die Begründung des Regierungsentwurfs des UMAG. Mit dem UMAG werde ein Modell der Vorstandshaftung geschaffen, welches keine Förderung formaler Absicherungsstrategien durch routinemäßiges Einholen von Sachverständigengutachten, Beratervoten oder externe Marktanalysen bewirke(n solle).167 Die Verabschiedung des Gesetzes in eben dieser Ausgestaltung lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber aufgrund der konkreten Ausgestaltung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG keine Förderung defensiver Verhaltensweisen erwartet. Der Gesetzgeber legt danach ein – ggf. implizites – Vorverständnis vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse zugrunde, demgemäß die Vorstandshaftung in der Ausgestaltung durch das UMAG auf die Regelungsadressaten einerseits die präventive verhaltenssteuernde Wirkung 160

Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, § 93 Rn. 26. Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 13. 162 Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, § 93 Rn. 29. 163 S. H. Schneider, DB 2005, 707, 709; a. A.: Langenbucher, DStR 2005, 2083, 2086: unnötige Einführung in normative Wissenschaft. 164 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 63; Koch, ZGR 35 (2006), 769, 782; Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996, S. 909, 914; Holle, AG 2011, 778, 782; Kölner Komm-AktG/Mertens/ Cahn, § 93 Rn. 13; vgl. BGH ZIP 1997, 1027, 1029 (zur GmbH & Co. KGaA); Fleischer, ZIP 2004, 685. 165 Fleischer, NZG 2011, 521, 522; Holle, AG 2011, 778, 782. 166 BGH ZIP 1997, 1027, 1029. 167 Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 12. 161

38

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung

entfalte, den aktienrechtlichen Verhaltensmaßstab der §§ 76, 93 AktG einzuhalten (positiver Aspekt der Prävention), andererseits gerade keine Wirkung der Art erwarten lasse, dass sie eine Förderung defensiver Verhaltensweisen bewirke (negativer Aspekt der Prävention). Nach dem Vorverständnis des Gesetzgebers vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse ist nicht zu erwarten, dass die Steuerungswirkung der Vorstandshaftung deswegen ausgeschlossen ist, da Vorstandsmitglieder sich praktisch aufgrund der Hürden für die Durchsetzung der Ersatzansprüche der Gesellschaft ohnehin wenig um die erfolgreiche Inanspruchnahme durch die Gesellschaft sorgen müssten. Der Gesetzgeber des UMAG hat mit der Neufassung der §§ 147, 148 AktG die Voraussetzungen unter denen Ersatzansprüche gegen Organmitglieder verfolgt werden können erleichtert; die Hindernisse, welche die bisherige Regelung der Durchsetzung von Ersatzansprüchen durch eine Minderheit in den Weg stellte, und die falschen Anreize, die sie (nach der Erwartung des Gesetzgebers des UMAG) vermittelte, sollten so weit wie möglich beseitigt werden (vgl. oben C.III.).168 Durch dasselbe Gesetz hat der Gesetzgeber § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG n. F. unter ausdrücklichen Erwägungen zu den verhaltenspsychologischen Steuerungswirkungen eingeführt (vgl. oben C.V.2.). Nach seinem Vorverständnis vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse stehen die o. g. Durchsetzungsprobleme der erwarteten Steuerungswirkung nicht entgegen. Der Gesetzgeber erwartet eine Steuerungswirkung der Vorstandshaftung auch trotz des in der Praxis üblichen Abschlusses einer D&O-Versicherung zugunsten des Vorstandsmitglieds (vgl. unten H.I.2.).169 Ausweislich der Gesetzesmaterialien zum VorstAG war er sich potentieller Auswirkungen von D&O-Verträgen auf die präventive Wirkung der Vorstandshaftung bewusst.170 Mit dem im August 2009 in Kraft getretenen VorstAG führte der Gesetzgeber § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG ein, demgemäß ein Selbstbehalt für das Vorstandsmitglied in den Versicherungsvertrag aufzunehmen ist.171 Dieser hat mindestens 10 Prozent des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds zu betragen. Es steht dem Vorstandsmitglied jedoch frei, wiederum eine Versicherung zur

168

865 ff. 169

Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 20 f.; näher hierzu Spindler, NZG 2005,

So im Ergebnis auch Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 453; Kölner Komm-AktG/ Mertens/Cahn, § 147 Rn. 20; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 193 m. w. N.; vgl. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 272 f.: kein positiver Steuerungseffekt von seinerseits versichertem Selbstbehalt zu erwarten.; vgl. Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), BT-Drucks. 16/13433, S. 11; Koch, in: Großkomm-VVG, Vor §§ 100 – 112 Rn. 59. 170 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), BT-Drucks. 16/13433, S. 11. 171 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31. Juli 2009, BGBl. 2009 Teil I Nr. 50, S. 2509.

V. Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG

39

Übernahme des Betrages i. H. d. Selbstbehaltes abzuschließen.172 Die Prämie dieser Eigenversicherung darf die Gesellschaft zwar nicht übernehmen.173 In der Praxis ist der Versicherungsgeber, mit dem die Gesellschaft die D&O-Police abgeschlossen hat, jedoch identisch mit dem Versicherungsgeber, der den Versicherungsschutz für den Selbstbehalt anbietet; die Abrechnung der zusätzlichen Prämie erfolgt dann indirekt über die Gesellschaft, indem sie die zusätzliche Prämie an den Versicherungsgeber auszahlt und den entsprechenden Betrag im Rahmen der regulären Vergütung des Vorstandsmitglieds in Abzug bringt.174 Gleichwohl bestehen bezüglich des Versicherungsschutzes für Vorstandsmitglieder erhebliche Unsicherheiten. Im Rahmen einer Versicherungsstudie im Jahr 2007 antworteten auf die Frage, ob der Versicherungsfall nach Meinung des Versicherers von der D&O-Versicherung gedeckt war, 48 % der Teilnehmer mit „Ja, mit Ausnahme des Selbstbehalts“ und jeweils 24 % mit „Nein, weil vom D&O-Vertrag nicht gedeckt“ und „Blieb letztlich offen bzw. unklar“.175 75 % der Streitpunkte in Deckungsverfahren betrafen den Ausschluss wegen Vorsatzes oder wissentlicher Pflichtverletzung.176 Bei Haftpflichtversicherungen (§ 100 VVG) ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eintretenden Schaden herbeigeführt hat (§103 VVG). Das ist dispositives Recht (vgl. § 112 VVG). Der Ausschluss erfordert, auch bei der D&O-Versicherung, die positive Kenntnis der jeweiligen Pflicht, die Kausalität der Pflichtenverletzung für den Schaden sowie dolus directus bezüglich der Pflichtverletzung; ein Eventualvorsatz ist nicht ausreichend.177 Für grob fährlässiges Verhalten besteht grundsätzlich Versicherungsschutz.178 Dies gilt auch nach den zu Lasten des Vorstandsmitglieds von § 103 VVG abweichenden Musterbedingungen des GDV: Ein Ausschluss des Versicherungsschutzes besteht u. a. für Haftpflichtansprüche wegen vorsätzlicher Schadensverursachung oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung (Ziff. 5 AVB-AVG).179 Entgegen den Vorschriften zur allgemeinen Haftpflichtversicherung besteht auch dann kein Versicherungsschutz, wenn die versi172 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 456 m. w. N.; Wagner, Theoretical Inquiries in Law 2015, 69, 80 f.; kritisch: Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 273. 173 Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 254 m. w. N. 174 Wagner, Theoretical Inquiries in Law 2015, 69, 91. 175 Ihlas, D&O Directors & Officers Liability, S. 646 f.; vgl. zum Aufbau der Studie ebenda, S. 127 ff. 176 Ihlas, D&O Directors & Officers Liability, S. 648. 177 MünchKomm-VVG/Ihlas, 2. Teil. Systematische Darstellungen, 3. Kapitel. Versicherungssparten, 320. Directors & Officers-Versicherung Rn. 601 m. w. N. 178 Ihlas, D&O Directors & Officers Liability, S. 458. 179 Vgl. zur Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB: R. Koch, in: Großkomm-VVG, § 103 Rn. 101 ff.; Überblick über Ausschlüsse in der Versicherungspraxis bei Ihlas, D&O Directors & Officers Liability, S. 453 – 556; vgl. auch Beckmann, in: ders./Matusche-Beckmann, Hdb. VersR, § 28 Rn. 117 f.

40

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung

cherte Person zwar in der Überzeugung handelte, keinen Schaden herbeizuführen, dabei aber bewusst gegen positiv bekannte und nicht lediglich für möglich erachtete Pflichten verstieß.180 Dies gilt nach h. M. auch für die D&O-Versicherung181 und ist nach dem Ergebnis der o. g. Versicherungsstudie ein häufiger Anlass für Streit zwischen den Beteiligten. 6. Zusammenfassendes Zwischenergebnis Mehrere Zwecke der aktienrechtlichen Vorstandshaftung schließen sich nicht zwingend aus. Ein Sinn und Zweck der aktienrechtlichen Vorstandshaftung gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG besteht in der präventiven Wirkung, den aktienrechtlichen Verhaltensmaßstab der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG einzuhalten (positiver Aspekt der Prävention). Dabei legt der Gesetzgeber des UMAG ein – zumindest implizites – Vorverständnis vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse zugrunde, demgemäß die Vorstandshaftung in der Ausgestaltung durch das UMAG gerade keine Wirkung der Art erwarten lasse, dass sie eine Förderung defensiver Verhaltensweisen bewirke (negativer Aspekt der Prävention). § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG hat den Sinn und Zweck, dem Auftreten eines hindsight bias bei Richtern in auf § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gestützten Haftungsprozessen Rechnung zu tragen. Nach bestrittener Auffassung fällt ein Sachverhalt in den Anwendungsbereich der Vorschrift, wenn das Auftreten eines hindsight bias dieser Art bei einem Richter in einem potentiellen Haftungsprozess zu erwarten sei. Der Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG gilt entsprechend für das unter § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG zu prüfende unternehmerische Ermessen.

VI. Die Rechtsnatur von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG Die Rechtsnatur von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist umstritten. Für die Haftung von Vorstandsmitgliedern gegenüber der Gesellschaft hat die Problematik keine praktische Bedeutung.182 Nach der Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs „soll[e § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG] den Bereich unternehmerischen Handlungsspielraums ausgrenzen aus dem Tatbestand der Sorgfaltspflichtverletzung nach Satz 1.“183 „[D]er Haftungsfreiraum des Satzes 2 (…) [sei] als Ausnahme und Einschränkung

180 BGH VersR 1987, 174 f.; BGH VersR 1991, 178; OLG Hamm NJW-RR 1993, 1503 f.; OLG Hamm r+s 2007, 279 f.; Seitz, VersR 2007, 1476, 1477; Ihlas, D&O Directors & Officers Liability, S. 459. 181 Ihlas, D&O Directors & Officers Liability, S. 459 m. w. N. 182 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 15; Haas/Ziemons, in: Michalski, GmbHG, § 43 Rn. 68a. 183 Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11; für Tatbestandsqualität auch Bürgers/Körber/Bürgers/Israel, § 93 Rn. 10.

VI. Die Rechtsnatur von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG

41

gegenüber Satz 1 formuliert“.184 Gegen diese Betrachtung wird angeführt, dass der Haftungstatbestand nicht in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG geregelt sei, sondern in § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG. Eine Tatbestandseinschränkung müsse systematisch im Anschluss an diesen geregelt sein. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG schließe demgegenüber an den in § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG geregelten Maßstab der Geschäftsleitersorgfalt an.185 Die in der Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs angenommene Tatbestandseinschränkung wird auch als Bestimmung der richterlichen Kontrolldichte gedeutet, welche den Sorgfaltsmaßstab von § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG selbst unangetastet lasse.186 § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG normiere eine Einschätzungsprärogative des Vorstands in der rechtlichen Gestalt eines Beurteilungsspielraums. Die angemessenen Informationen im Sinne dieser Vorschrift seien in gewissen Grenzen ein nicht justiziabler unbestimmter Rechtsbegriff. In Anlehnung an die Differenzierung zwischen Sorgfaltsmaßstab (standard of conduct) und Prüfungsmaßstab (standard of review) könne „§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG die Verhaltensanforderungen für Vorstandsmitglieder unangetastet [lassen] und (…) nur die gerichtliche Kontrolldichte ab(senken). Das hätte den Vorteil, die ermahnende und verhaltenssteuernde Wirkung der objektiven Sorgfaltspflicht aufrechtzuerhalten.“187

Ungeachtet der Frage, ob oder inwiefern zu erwarten ist, dass sich eine sanktionslose Pflichtverletzung „ermahnend“ auf Vorstandsmitglieder auswirkt, spricht gegen diese Sichtweise, dass bloße „Ermahnungen“ eher ausdrücklich im Deutschen Corporate Governance Kodex zu erwarten wären als zwischen den Zeilen in der Dogmatik von § 93 Abs. 1 AktG.188 Nach einer anderen Auffassung handele es sich bei § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG um eine unwiderlegliche Rechtsvermutung dergestalt, dass die Prüfung einer objektiven Pflichtverletzung bei Vorliegen der Voraussetzungen der Vorschrift zwingend ausgeschlossen sei.189 Dieses Verständnis der Vorschrift werde „am besten ihrem Zweck gerecht, einen haftungsfreien Raum für unternehmerische Entscheidungen zu gewährleisten, ohne dabei die strengen Pflichtanforderungen an treuhändisch tätige Amtswalter herabzusetzen.“190 Eine weitere Auffassung versteht § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG als eine Konkretisierung der objektiven Sorgfaltspflichten von Vorstandsmitgliedern außerhalb von 184

Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 12. Hüffer/Koch, § 93 Rn. 14. 186 Fleischer, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 7 Rn. 50. 187 Ebenda; a. A.: Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 22: Verzicht auf Rechtsfigur einer gerichtlich nicht kontrollierbaren Pflichtverletzung. 188 Brömmelmeyer, WM 2005, 2065, 2068; ebenfalls ablehnend: Kindler, ZHR 162 (1998), 101, 104; Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, S. 37 f. 189 Hüffer, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 334, 377 f.; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 14; Lutter, in: FS Canaris II, 2007, S. 245, 247, 249 f. 190 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 15. 185

42

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung

rechtlich gebundenen Entscheidungen und legt damit ein materielles Normverständnis zugrunde.191 Für diese Auffassung spricht insbesondere ihre Wortlauttreue.192

VII. Die Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG 1. Unternehmerische Entscheidung § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG setzt eine unternehmerische Entscheidung voraus. Eine unternehmerische Entscheidung i. d. S. erfordert einen bewussten Entschluss für eine Handlung oder ein Unterlassen.193 Das unbewusste Unterlassen eines follow up fällt danach ebenso wenig in den Anwendungsbereich der Vorschrift wie die unbewusste Nichtwahrnehmung eines Geschäfts.194 Dies entspricht der richterlichen Ausgestaltung der business judgment rule in dem für den US-amerikanischen Rechtsraum besonders bedeutsamen Recht von Delaware (vgl. oben C.IV.): „[T]he business judgment rule operates only in the context of director action. Technically speaking, it has no role where directors have either abdicated their functions, or absent a conscious decision, failed to act. But it also follows that under applicable principles, a conscious decision to refrain from acting may nonetheless be a valid exercise of business judgment and enjoy the protections of the rule.“195

Im Übrigen sind die Merkmale der unternehmerischen Entscheidung weitestgehend umstritten. Dies betrifft zunächst die Frage, ob eine Entscheidung i. d. S. einen Prognosecharakter voraussetzt.196 Nach der dies ablehnenden Auffassung sei weder die Zukunftsbezogenheit noch der Prognosecharakter ein zwingendes Begriffsmerkmal der unternehmerischen Entscheidung.197 Die Komplexität des ge191 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 67; Münchkomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 39; Brömmelmeyer, WM 2005, 2065, 2068 f.; Hoffmann-Becking, NZG 2006, 127, 128. 192 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 15. 193 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 80 m. w. N.; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, § 93 Rn. 32; vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11. 194 Münchkomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 44 m. w. N. 195 Aronson v. Lewis, 473 A. 2d 805, 813 (Delaware 1984). 196 Bejahend: Hauschka, ZRP 2004, 65, 66, Arnold, Die Steuerung des Vorstandshandelns, S. 177; Fleischer, NJW 2005, 3525, 3528; Brömmelmeyer, WM 2005, 2065, 2066; C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1256; vgl. Hoor, DStR 2004, 2104, 2105; für die GmbH Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 22b. 197 Paefgen, AG 2004, 245, 251; Spindler, NZG 2005, 865, 871; Koch, ZGR 35 (2006), 769, 787 f.; Cahn, WM 2013, 1293, 1294; Langenbucher, DStR 2005, 2083, 2086; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 18; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 84; S. H. Schneider, DB 2005, 707, 711 f.: auf Unvollständigkeit der Informationen abstellend; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 19; Lohse, Unternehmerisches Ermessen, S. 76, 78 f.: Grenze der einforderbaren Entscheidungsqualität bei Konfrontation des Managements mit sog. unstrukturiertem hochkomplexem Problem.

VII. Die Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG

43

genwärtigen Sachverhalts beispielsweise könne die für unternehmerische Entscheidungen typische Ungewissheit ebenso begründen.198 Eine Prognose (gr.-lat.; „das Vorherwissen“) ist die Vorhersage einer zukünftigen Entwicklung aufgrund kritischer Beurteilung des Gegenwärtigen.199 In den Gesetzesmaterialien zum UMAG heißt es: „Unternehmerische Entscheidungen sind infolge ihrer Zukunftsbezogenheit durch Prognosen und nicht justiziable Einschätzungen geprägt.“200 Weiter heißt es: „Dies unterscheidet sie von der Beachtung gesetzlicher Pflichten ohne tatbestandlichen Beurteilungsspielraum.“201 Die letzteren Pflichten werden ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG herausgenommen.202 Die einleitende Bezugnahme auf Prognosen und Zukunftsbezogenheit löste auch für den Bundesrat klärungsbedarf aus: „Auch verbotene Kartellabsprachen sind z. B. zukunftsbezogen sowie durch Prognosen und nicht justiziable Einschätzungen geprägt. Sie sind dementsprechend unternehmerisches Handeln, obwohl eine Gesetzesverletzung vorliegt. Daher müssen Gesetzes- und Satzungsverstöße ausdrücklich ausgenommen werden.“203

In der Gegenäußerung wiederholt bzw. konkretisiert die Bundesregierung die insoweit maßgebliche Voraussetzung: „Der § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG-E – wie er im Regierungsentwurf vorgesehen ist – stellt unmissverständlich klar, dass eine Erfolgshaftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft ausscheidet, dass also für Fehler im Rahmen des unternehmerischen Entscheidungsspielraums nicht gehaftet wird (Hervorhebung durch den Verfasser).“204

Entscheidend für die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG sei nach der Bundesregierung der von ihr bereits eingangs genannte Begriff des tatbestandlichen Beurteilungsspielraums bzw. des unternehmerischen Entscheidungsspielraums.205 Die Begriffe der Prognose und der Zukunftsbezogenheit sind danach für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Vorschrift nicht entscheidend.206 Die Begriffe veranschaulichen gleichwohl die Erwägungen der Bundesregierung zugunsten der Einführung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Wenn die Frage, ob eine Entscheidung sich als Fehlschlag oder als Erfolg herausstellt, im Entscheidungszeitpunkt nicht mit hinreichender Sicherheit zu beantworten ist, sollte die Haftung eines Vorstands198

Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 17; Cahn, WM 2013, 1293, 1294. Duden Fremdwörterbuch, S. 660. 200 Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11. 201 Ebenda. 202 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 84; Cahn, WM 2013, 1293, 1294. 203 Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 33. 204 Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 41. 205 So auch die DAV-Stellungnahme 21/05 vom März 2005 zum RegE UMAG, abgedruckt in ZIP 2005, 774, 775: „Die Klausel betrifft nur die Haftung für fehlgeschlagenes unternehmerisches Handeln, bei dem unter Beachtung aller zwingenden Rechtsregeln ein Ermessensspielraum bestand“. 206 Paefgen, AG 2014, 554, 561. 199

44

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung

mitglied nicht im Sinne einer Erfolgshaftung von dieser Frage abhängen.207 Diese Erwägung trifft in anschaulicher Weise auf Prognoseentscheidungen zu. Die Annahme des Prognosecharakters einer Entscheidung ist häufig Ansichtssache, wie das Beispiel des Bundesrates zu der verbotenen Kartellabsprache veranschaulicht: Die Prognose ist zwar in Bezug auf die Auslegung des Gesetzes fragwürdig, lässt sich aber unproblematisch auf die mögliche Aufdeckung durch die Kartellbehörden beziehen. Ob nun das Eine oder das Andere maßgeblich sein soll, kann nicht sinnvollerweise den Anwendungsbereich von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bestimmen. Dies gilt umso mehr, als die Stellungnahme der Bundesregierung den maßgeblichen unternehmerischen Entscheidungsspielraum ausdrücklich benennt. Von der Möglichkeit, weitergehende Konkretisierungen vorzunehmen hat die Bundesregierung ausdrücklich keinen Gebrauch gemacht, um diesen Bereich der Rechtsentwicklung zu überlassen.208 Es besteht kein Anlass dafür, der Bundesregierung zu unterstellen, sie habe entgegen diesem ausdrücklichen Anliegen eine weitergehende Eingrenzung des Begriffs der unternehmerischen Entscheidungen anhand der illustrativ herangezogenen Begriffe der Zukunftsbezogenheit und Prognose vornehmen wollen. Die Auffassung, welche den Begriff der Prognose als Definitionsbestandteil der unternehmerischen Entscheidung ansieht, stützt sich auf eine Behauptung im Hinblick auf den hindsight bias („Rückschaufehler“, vgl. oben C.V.4.): Die Wesensmerkmale des Begriffs der unternehmerischen Entscheidung seien das Nichtvorliegen eines Gesetzes- oder Satzungsverstoßes, der Prognosecharakter sowie das Münden der Entscheidung in ein Dulden oder Unterlassen, zu dem das Organmitglied nicht verpflichtet sei.209 „Denn nur unter diesen Voraussetzungen (…) [werde nach der Einschätzung dieser Stimmen] die ex-post-Beurteilung des Verhaltens durch den eingangs beschrieben kognitiven „Rückschaufehler“ behindert.“210 Nach der Einschätzung anderer Stimmen könne ein hindsight bias nicht nur bei der Beurteilung zukunftsgerichteter Entscheidungen auftreten.211 Die Untersuchung dieser Annahmen bedarf eines verhaltenspsychologischen Ansatzes (siehe unten G.II.).

207 208 209 210 211

Dauner-Lieb, in: FS Röhricht, 2005, S. 83, 89. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 41. C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1256. Ebenda; ähnlich Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2253. Koch, ZGR 35 (2006), 769, 787 f.

VII. Die Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG

45

2. Handeln zum Wohle der Gesellschaft ohne Eigeninteresse und sachfremde Einflüsse sowie Gutgläubigkeit Vorstandsmitglieder müssen Entscheidungen ohne Einfluss von Interessenkonflikten treffen: Sie haben weder Fremdinteressen, unmittelbaren Eigennutz noch sonst sachfremde Interessen zu verfolgen (vgl. oben B.I.).212 Das Vorstandsmitglied muss insoweit im guten Glauben sein.213 Dieses Erfordernis geht auf das für die business judgment rule im US-amerikanischen Rechtsraum entwickelte, mit einem Gutglaubenserfordernis vergleichbare Merkmal des „acting in good faith“ zurück (vgl. oben C.IV.).214 Es handelt sich hierbei nicht um unmittelbare gesetzliche Kriterien, sondern um ungeschriebene tatbestandsausfüllende Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG.215 3. Vernünftigerweise annehmen dürfen, auf angemessener Informationsgrundlage zu handeln Der durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG vorgegebene Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist der der Entscheidung zugrunde liegende Entscheidungsprozess einschließlich eines angewandten Prognoseverfahrens.216 Die Subsumtion des Entscheidungsprozesses erfolgt unter das Merkmal „Vernünftigerweise-annehmenDürfen“. Ein „full blown second guessing“217 ist den Gerichten verwehrt. Nach dem Wortlaut („annehmen durfte“) ist auf die ex ante-Perspektive im Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung abzustellen.218 Die Frage, wann ein Vorstandsmitglied (nicht) vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zu handeln, ist umstritten. Nach einer Auffassung habe das Vorstandsmitglied grundsätzlich die Pflicht zur Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen.219 Der Bundesgerichtshof führte noch in einem Beschluss aus dem Jahr 2008 zur Haftung eines Geschäftsführers gegenüber der GmbH gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG aus, dieser habe „in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der 212 Vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 60 m. w. N.; Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 72; ders., ZIP 2004, 685, 690 f.; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 25. 213 Vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11. 214 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 31 m. w. N. 215 Allg. M. 216 MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 58 f.; Scholz/Schneider, § 43 Rn. 61 m. w. N.; zur Prozessorientierung auch Seibt, NZG 2015, 1097, 1099. 217 Fleischer, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 7 Rn. 59. 218 Vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11. 219 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 66; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 22c (für die GmbH); vgl. Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 105.

46

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung bestehenden Handlungsoption sorgfältig abzuschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung zu tragen (…). Nur wenn diese Anforderungen erfüllt (…) [seien], (…) [gebe es] Raum für die Zubilligung unternehmerischen Ermessens.“220

Der Senat stützte die Herleitung des unternehmerischen Ermessens des Geschäftsführers auf seine bisherige Rechtsprechung. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG fand in der Entscheidung weder direkte, analoge noch seinem Rechtsgedanken nach Anwendung,221 denn die streitgegenständlichen schädigenden Handlungen des Geschäftsführers waren bereits im Jahr 1999 beendet und das UMAG entfaltet auf diesen Sachverhalt keine Rückwirkung. Gemäß der ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des Bundesgerichtshofs müssen die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sein (siehe oben C.IV.). In einer nachfolgenden Entscheidung führte der Senat aus, dass „[f]ür die Ausübung unternehmerischen Ermessens (…) erst dann Raum [sei], wenn der Vorstand die Entscheidungsgrundlagen sorgfältig ermittelt und das Für und Wider verschiedener Vorgehensweisen abgewogen [habe]“222. Im Folgenden beließ der Senat es bei der Wiedergabe des Wortlauts von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG in der Fassung des UMAG.223 Die Forderung der Einhaltung eines Höchstmaßes an Information, wie nach der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs („alle verfügbaren Quellen“, siehe oben), ist mit dem Willen des UMAG-Gesetzgebers unvereinbar: Die Neufassung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist gerade eine Abkehr von diesem absoluten Maßstab.224 Nach der Begründung des Regierungsentwurfs diene als Maßstab für die Überprüfung, ob die Annahme des Vorstandsmitglieds nicht zu beanstanden sei, das Merkmal „vernünftigerweise“.225 Mit § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG unvereinbar ist auch der extreme Gegensatz zu dieser Auffassung. Nach einer vor dem Inkrafttreten des UMAG vertretenen Auffassung sei nur „jenes minimale Quantum an Informationen (einforderbar), das unverzichtbar benötigt (…) [werde], um überhaupt von einer sachlichen Entscheidung sprechen zu 220 BGH NJW 2008, 3361, 3362 f., Rn. 11 (zur GmbH); so bereits Goette, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 140 f.; hiergegen Fleischer, NJW 2009, 2337, 2339: mit Blick auf § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG verfassungsrechtliche Bedenken. 221 Zur methodischen Begründung der Anwendung der in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG niedergelegten business judgment rule auf den Geschäftsführer einer GmbH siehe Fleischer, NZG 2011, 521, 524 f. 222 BGH NJW-RR 2009, 332, Rn. 3 m. w. N. 223 BGH ZIP 2011, 766, 767, Rn. 19. 224 Vgl. im Übrigen zur Untersuchung von Zusammenhängen zwischen Quantität der verfügbaren Informationen und Qualität von Entscheidungen Fiedler/Eichberger/Schnell, in: Jahresbericht „Marsilius-Kolleg 2015/2016“, S. 33 ff. 225 Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11.

VII. Die Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG

47

können“226. Dies steht dem Wortlaut des später geschaffenen § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG entgegen. Der im Merkmal „vernünftigerweise“ zum Ausdruck kommende Maßstab für das „Annehmen-Dürfen“ ist nicht mit der Anforderung gleichzusetzen, dass sich ein die Annahme stützendes „Quantum an Information“ finden lässt. Das Merkmal „vernünftigerweise“ wäre in diesem Fall weitgehend inhaltsleer.227 Das Ausmaß der zu beschaffenen Informationen ist danach nicht absolut zu bestimmen. Es richtet sich nach dem Einzelfall, d. h. nach dem zeitlichen Vorlauf, dem Gewicht und der Art der Entscheidung sowie anerkannten betriebswirtschaftlichen Verhaltensmaßstäben.228 Mit der Bedeutung der Entscheidung steigen die Informationspflichten an.229 Bedeutend in diesem Sinne sind insbesondere strategische Entscheidungen.230 Der gemischt objektiv/subjektive Maßstab unterliegt einer gerichtlich eingeschränkten Kontrolle.231 Eine Auffassung stellt insgesamt auf die Vertretbarkeit der Einschätzung des Vorstandsmitglieds im Entscheidungszeitpunkt aus der Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters ab.232 Eine verbreitete Auffassung zieht die Grenze bei der Unverantwortlichkeit.233 In der Sache wird dies teilweise dem Handeln ohne grobe Fahrlässigkeit gleichgesetzt.234

226 Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, S. 264; vgl. Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 103. 227 Vgl. zum sog. confirmation bias aus verhaltenspsychologischer Sicht nur Wason (1960), 129 ff.: Die Studienteilnehmer hatten die vom Versuchsleiter aufgestellte Regel herauszufinden, welcher das Zahlentripel 2 – 4 – 6 unterlag. Sie durften dem Versuchsleiter beliebig viele andere Zahlentripel nennen, welche er im Hinblick auf die Konformität mit seiner Regel akzeptierte oder ablehnte. Die Studienteilnehmer hatten die Tendenz, ihre Annahme über die Regel durch die Nennung von mit dieser im Einklang stehenden Zahlentripeln abzusichern. Die Akzeptanz dieser Zahlentripel durch den Versuchsleiter (eine ihre Annahme unterstützende Information) verleitete die Teilnehmer, verhältnismäßig komplizierte Regeln zu präsentieren, verhalf ihnen jedoch nicht zum Auffinden der korrekten Regel „jede aufsteigende Zahlenfolge“. 228 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 104; vgl. Begründung RegE UMAG, BTDrs. 15/5092, S. 12: Ressortabhängigkeit der individuell angemessenen Intensität der Informationsbeschaffung; zur Entscheidungsvorbereitung aus der Sicht der Betriebswirtschaftslehre siehe DCGK-Komm/Lutter/von Werder, Rn. 666 ff. 229 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 107; Bachmann, ZGR 177 (2013), 1, 8 f. 230 Grundei/von Werder, AG 2005, 825, 826 ff.; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 107; weitergehend Schneider, Informationspflichten, 2006, S. 89 ff. (jede einen Prognosespielraum enthaltende unternehmerische Entscheidung). 231 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 102 m. w. N. 232 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 34; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 22. 233 Koch, ZGR 35 (2006), 769, 789; Bachmann, ZGR 177 (2013), 1, 9; Großkomm-AktG/ Hopt/Roth, § 93 Rn. 113; vgl. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11: „Das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals [„vernünftigerweise“] wäre etwa dann zu verneinen, wenn das mit der unternehmerischen Entscheidung verbundene Risiko in völlig unverantwortlicher Weise falsch beurteilt worden ist“. 234 Bachmann, in: FS Stilz (2014), S. 25, 34 f.

48

C. Die aktienrechtliche Vorstandshaftung

VIII. Zusammenfassendes Ergebnis Der Anwendungsbereich von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bestimmt sich maßgeblich anhand des Begriffs der unternehmerischen Entscheidung. Nach einer Auffassung liege eine solche nur bei Entscheidungen vor, denen Prognosen zugrunde lägen. Dies ergebe sich daraus, dass andernfalls auch kein hindsight bias des Richters auftrete. Aus diesem Grund fielen auch Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit nicht unter § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Wann ein Vorstandsmitglied vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Informationen zu handeln, ist nicht absolut zu bestimmen. Weder ein absolutes Höchstmaß, noch ein absolutes Mindestmaß trägt der Vorschrift Rechnung. Die Frage der Intensität des Maßstabs ist von der Beschreibung seiner Art zu trennen. Der Art nach ist der aktienrechtliche Verhaltensmaßstab prozessorientiert.

D. Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit I. Vorgaben durch die Legalitätspflicht Die Frage der Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit ist stark umstritten. Eine ausdrückliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der business judgment rule auf alle Entscheidungen des Vorstands unter Unsicherheit – und damit insbesondere auf solche unter rechtlicher Unsicherheit (legal judgment rule) – lehnte der 70. Deutsche Juristentag mit 29:41:12 Stimmen ab.235 Offen bleibt die Diskussion um den Anwendungsbereich von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nach geltendem Recht. Die Legalitätspflicht betrifft zunächst Verstöße gegen Gesetze, z. B. die §§ 266, 266a StGB236 und sonstiges Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (insb. § 130 OWiG i. V. m. § 9 OWiG)237, zwingende Vorschriften des Aktiengesetzes wie z. B. §§ 93 Abs. 3, 111 Abs. 4 AktG238, die §§ 134, 138 BGB sowie steuer-, arbeits- und sozial-, kartell-, kapitalmarkt-, umwelt- und andere verwaltungsrechtliche Verbote und Pflichten.239 Auch fallen die Einhaltung der Satzung240 und von Hauptversammlungsbeschlüssen unter die Legalitätspflicht.241 Ob die Einhaltung der Vertragspflichten der Gesellschaft im Außenverhältnis überhaupt unter die Legalitäts-

235 http://www.djt.de/nachrichtenarchiv/meldungen/artikel/beschluss-abteilung-wirtschafts recht (Beschluss Nr. 4) abgerufen im Internet am 19. Juli 2016; so auch Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 35. 236 Vgl. Bachmann, WM 2015, 105, 111 f.: für Anwendbarkeit der Business Judgment Rule im Rahmen der Untreue (§ 266 StGB) mit Begrenzung durch Treuepflicht. 237 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 74; Bedenken insb. bezüglich § 266 StGB: Wagner, Theoretical Inquiries in Law 2015, 69, 75 f.; für Geltung auch bei reinen Ordnungsvorschriften: Fleischer, ZIP 2005, 141, 149; Bicker, AG 2014, 8, 11; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 6; a. A.: Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 438 f.; U. H. Schneider, in: FS Hüffer, 2010, S. 905, 909 f. 238 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 74, 326 m. w. N.; vgl. zu § 93 Abs. 3 AktG Poelzig, WM 2008, 1009, 1013 f.: kein zwingender Ausschluss unternehmerischen Ermessens aufgrund gesetzlicher Pflicht. 239 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 74 m. w. N.: auch nicht lediglich interne, sondern vom Unternehmen zu beachtende, Verwaltungsvorschriften; a. A. im Grundsatz: Hüffer/Koch, § 93 Rn. 16. 240 Hüffer/Koch, § 93 Rn. 16. 241 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 74.

50

D. Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit

pflicht fällt, ist umstritten.242 Die Entscheidung, vertragliche Pflichten der Gesellschaft zu erfüllen oder nicht, steht nach bestrittener Auffassung grundsätzlich im Ermessen des Vorstands.243 Bei Verstößen gegen die Legalitätspflicht ist § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht anwendbar.244 Entscheidend ist danach, wann ein solcher Verstoß anzunehmen ist. Eine verbreitete Auffassung nimmt bei rechtswidrigem Verhalten im Außenverhältnis eine ggf. entschuldbare Pflichtwidrigkeit im Innenverhältnis an.245 Auf der Pflichtenebene steht das Vorstandsmitglied nach dieser Auffassung für den Erfolg des gesetzmäßigen Verhaltens der Gesellschaft im Außenverhältnis ein. Die Legalitätspflicht des Vorstands gegenüber der Gesellschaft steht hingegen nicht im strikten Gleichlauf mit der Außenpflicht der Gesellschaft.246 Das kooperationsrechtliche Rechtsverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Vorstand sowie das schuldrechtliche Anstellungsverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied sind in Bezug auf das „Leistungsprogramm“ im Kern tätigkeits- und nicht erfolgsbezogene Rechtsverhältnisse.247 Das Vorliegen einer Pflichtverletzung kann sich daher nicht nach dem Erfolg eines Rechtsverstoßes im Außenverhältnis an sich richten, sondern nur nach dem Vorliegen eines im Innenverhältnis pflichtwidrigen Verhaltens in Bezug auf Rechtsermittlungs- und Rechtsanwendungspflichten.248 Die verhaltensbezogene Deutung kommt bei eindeutiger Rechtslage regelmäßig zum selben Ergebnis wie die oben genannte verbreitete Auffassung, da bei sorgfältiger Rechtsermittlung und Rechtsanwendung ein Rechtsverstoß im Außenverhältnis erkannt und unterlassen worden wäre; die Unterschiede zeigen sich in Fällen von Rechtsunsicherheit.249 Bei Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit wird vermehrt 242 Dagegen: Thole, ZHR 173 (2009), 504, 519; Fleischer, ZIP 2005, 141, 150; Spindler/ Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 33 m. w. N.; dafür: Wiedemann, ZGR 40 (2011), 183, 199; zweifelnd: Hüffer/Koch, § 93 Rn. 17. 243 Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, S. 25; Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, S. 131 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 519; U. H. Schneider, in: FS Hüffer, 2010, S. 905, 912; Großkomm-AktG/ Hopt/Roth, § 93 Rn. 148; Bicker, AG 2014, 8, 9 f.: nicht sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gem § 826 BGB oder Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB; a. A.: C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1256; Nietsch, ZGR 44 (2015), 631, 654; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 17 m. w. N.; vgl. zum efficient breach of contract H. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 495 ff. 244 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 74 m. w. N.; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 17; Münchkomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 75; Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 28 ff.; Thole, ZHR 173 (2009) 504, 521; Bicker, AG 2014, 8, 10; 14; vgl. Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, § 93 Rn. 13 ff.: Differenzierung zwischen absoluten und relativen Verbotsgesetzen; bei Verstoß gegen letztere nicht ohne weiteres Pflichtwidrigkeit gegeben. 245 Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 24 m. w. N. 246 Windbichler, ZGR 18 (1989), 434, 437; vgl. zu Compliance-Pflichten im Innen- und Außenverhältnis: Bachmann, ZIP 2014, 570, 581; zur Unterscheidung im Kapitalmarktrecht: Seibt, NZG 2015, 1097 ff. 247 Seibt, NZG 2015, 1097, 1100. 248 Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f. 249 Seibt, NZG 2015, 1097, 1099.

II. Anforderungen an Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit

51

das Bestehen eines Spielraums bezüglich der Auswahl eines Rechtsstandpunkts angenommen.250 Das Legalitätsprinzip sei in diesen Fällen nach einer Auffassung sachgerecht anwendbar,251 teilweise wird dessen Durchbrechung angenommen.252

II. Anforderungen an Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit 1. Meinungsstand Die an das Vorstandsmitglied zu stellenden Anforderungen an Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit sind stark umstritten. Die Diskussion wird teilweise losgelöst von der dogmatischen Einordnung der Problematik geführt. Eine Auffassung lehnt die Haftung des Vorstandsmitglieds dann ab, wenn es bei unsicherer Rechtslage einer vertretbaren Auslegung folgt.253 Vereinzelt wird es für ausreichend erachtet, dass die Rechtsauffassung nicht schlichtweg unvertretbar ist.254 Nach einer anderen Auffassung sei entscheidend, dass das Vorstandsmitglied auf die Rechtsauffassung vertrauen durfte,255 was nach einer Auffassung nur dann angenommen werden könne, wenn der Rechtsrat den Konflikt mit dem Gesetz oder der Satzung so weit wie möglich ausschließe.256 Für den aufsichtsrechtlichen Bereich wird die Befolgung einer optimalen Auslegungsvariante verlangt.257

250 Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 37, 69; MünchKomm/Spindler § 93 Rn. 75 f.; Spindler, in: FS Canaris II, 2007, S. 403, 414 f.; § 91 Rn. 64, 66; Kölner Komm-AktG/Mertens/ Cahn, § 93 Rn. 19; Bürgers/Körber/Bürgers/Israel, § 93 Rn. 12; Bachmann, ZHR 177 (2013) 1, 8 f.; ders ZIP 2014, 579, 580 f.; Holle, AG 2011, 778, 785; Bicker, AG 2014, 8, 10, 14; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 75, 132; Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, § 93 Rn. 17; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, S. 429, 436 f. 251 Fleischer, ZIP 2005, 141, 149; Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 28 ff.; GroßkommAktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 132. 252 Dreher, in FS: Konzen (2006), S. 85, 92; vgl. MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 75; Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, S. 132: Keine Einschränkungen des unternehmerischen Ermessens über den Ausschluss vorsätzlicher Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften hinaus; ähnlich Piepenbrock, „Defense of Reliance“ im deutschen Aktienrecht, S. 28: kein Ermessen bei Frage, sich rechtmäßig oder bewusst rechtswidrig zu verhalten; a. A.: U. H. Schneider, DB 2011, 99, 100; vgl. auch Seibt, NZG 2015, 1097, 1100: nur angeblich unbedingte, unrelativierbare Pflicht. 253 Fleischer, ZIP 2005, 141, 150; MünchKomm-AktG/Spindler § 93 Rn. 83; Schmidt/ Lutter/Krieger/Sailer-Coceani, § 93 Rn. 16; Raiser/Veil, KapGesR, § 14 Rn. 81: in schwerwiegenden Fällen Pflicht zur Einholung von Rechtsrat. 254 Zimmermann, WM 2008, 433, 435. 255 Wachter/Eckert, § 93 Rn. 15 mit Verweis auf BGHZ 131, 347 ff. (zu den Anforderungen an den Rechtsirrtum eines Verwalters von Wohnungseigentum über eine Zustimmungspflicht). 256 U. H. Schneider, DB 2011, 99, 100; Müller, DB 2014, 1301, 1306. 257 Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22.

52

D. Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit

Die Festlegung eines generellen Maßstabs, wie der der Vertretbarkeit, wird zum Teil auf Fälle einer gänzlich unklaren Rechtslage beschränkt, etwa aufgrund fehlender Quellen aus der Rechtsprechung oder Verwaltung zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe.258 Bei der Abweichung von einer (höchstrichterlichen) Rechtsprechung, zeige der Maßstab der Vertretbarkeit seine Schwäche, da sich über die Vertretbarkeit eines Rechtsstandpunkts hinaus Eigenheiten aus dem Stufungsund Wertigkeitsverhältnis zwischen gerichtlichen Instanzen ergäben.259 Eine besondere Bedeutung wird vereinzelt Anzeichen beigemessen, die auf eine Abweichung des Spruchkörpers von einer Rechtsprechung schließen lassen260 oder entsprechende Anregungen von Richtern des Spruchkörpers.261 Diese Umstände sind nicht rein rechtlicher, sondern tatsächlicher Natur.262 Bei begründeter Aussicht auf eine Rechtsprechungsänderung solle eine Geschäftsführungsmaßnahme dem Vorstandsmitglied auch zur Ermöglichung der Rechtsentwicklung haftungsrechtlich nicht vorwerfbar sein.263 Andernfalls wäre das Haftungsrecht systemschädlich, da zumindest eine Verzögerung der Rechtsentwicklung zu besorgen sei.264 Entscheidend sei letztlich das Maß der Unsicherheit.265 In der Konsequenz bedeutet dies ein Ansteigen der Anforderungen an die zugrunde gelegte Rechtsauffassung je nach der Festigkeit der Rechtslage und dem Vorliegen von Entscheidungen höherer Gerichte.266 Steht eine für sich genommen vertretbare Auffassung im Widerspruch zu einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, so darf ein Vorstandsmitglied diese nicht ohne Weiteres zugrunde legen.267 Gegenüber einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Gegenansicht, welche nur schwache Argumente für sich beanspruchen kann, zwar rechtsmethodisch aber nicht 258

Kaulich, Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Rechtsanwendungsfehler, S. 201. 259 Kaulich, Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Rechtsanwendungsfehler, S. 195. 260 Kaulich, Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Rechtsanwendungsfehler, S. 197 f.; MünchKomm-AktG/Spindler, 93 Rn. 85; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524; Werner, ZRFC 2010, 130, 135; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2256. 261 Dreher, in FS: Konzen (2006), S. 85, 93. 262 Vgl. Kaulich, Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Rechtsanwendungsfehler, S. 202, der an dieser Differenzierung das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung misst. 263 Fleischer, ZIP 2005, 141, 149 f.; ders./ders., § 7 Rn. 19; Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 31 f.; Dreher, in FS: Konzen (2006), S. 85, 92 f.; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 85; ders., in: FS Canaris II, 2007, S. 403, 422 f.; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 23c. 264 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 138. 265 Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8; Piepenbrock, „Defense of Reliance“ im deutschen Aktienrecht, S. 52 f. 266 Dreher, in, FS: Konzen (2006), S. 85, 93; Werner, ZRFC 2010, 130, 135; Bicker, AG 2014, 8, 11; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524. 267 MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 85.

II. Anforderungen an Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit

53

praktisch vertretbar.268 Über die sorgfältige Bildung des Rechtsstandpunkts hinaus habe das Vorstandsmitglied eine Abwägung der Vorteile der Gesellschaft durch Befolgung einer Auslegungsvariante mit den Folgen eines möglichen (ggf. gerichtlich festgestellten) Gesetzesverstoßes vorzunehmen.269 2. Stellungnahme Den flexiblen Maßstäben ist gemein, dass sie eine Trennung von rein rechtlichen und tatsächlichen Elementen vornehmen. Die Unsicherheit auf tatsächlicher Ebene ist – selbst wenn sie mit Rechtsproblemen einhergeht –eine typische Bedingung unternehmerischen Handelns. Diese Trennung wird auch in der Praxis der Rechtsberatung gepflegt, wenn beispielsweise der Erfolg einer Klage von einer schwierigen Beweisaufnahme abhängt. Der Rechtsanwalt wird (oder sollte) sich in diesem Fall nach der Risikopräferenz des Mandanten erkundigen und ihm die im Fall des Unterliegens oder ggf. Teilunterliegens potentiell entstehenden gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten mitteilen. Denn letztlich ist für den Mandanten in diesem Fall eine „unternehmerische Entscheidung“ zu treffen. Das Abstellen auf die Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung an sich führt nicht weiter, wenn praktisch nicht zu erwarten ist, dass sich die entscheidenden Spruchkörper einer bestimmten Gegenauffassung anschließen, etwa weil eine einschlägige Rechtsprechung besteht, von der für den konkreten Fall keine Abweichung zu erwarten ist. Die Möglichkeit der Rechtsprechungsänderung besteht zwar. Der reinen Ausrichtung des Verhaltens am Maßstab der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung läge jedoch die Annahme zugrunde, dass die Rechtsprechung stets der dogmatisch am besten vertretbaren Auffassung folgt. Dies ist jedoch nicht der Fall, da die Gerechtigkeit im Einzelfall dogmatische Erwägungen überlagern kann. Der Grund weshalb ein Handeln in Erwartung einer Rechtsprechungsänderung sich hier grundsätzlich nicht empfiehlt, folgt nicht aus einer rechtsdogmatischen, sondern der praktischen Erwägung, dass eine Rechtsprechungsänderung ohne weitere Anhaltspunkte grundsätzlich zwar denkbar, aber kaum zu erwarten ist. Das Festhalten an der Gegenauffassung entscheidet sich letztlich nach der Risikopräferenz. Tatsächliche Anhaltspunkte, wie z. B. Äußerungen von Mitgliedern des Spruchkörpers oder sich mehrende Publikationen aus dem Schrifttum können die im Handlungszeitpunkt anzunehmende Wahrscheinlichkeit einer Rechtsprechungsänderung beeinflussen. Letztlich ist auch hier das Maß der Unsicherheit entscheidend.

268

Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 92: Pflichtwidrigkeit gegebenen falls, obschon (noch) vertretbar, im Streitfall die Gerichte mit großer Wahrscheinlichkeit abweichend entscheiden werden. 269 Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 33; Werner, ZRFC 2010, 130, 134 f.; vgl. Zimmermann, WM 2008, 433, 435: keine Pflichtverletzung solange eingegangenes Risiko nicht außer Verhältnis zu Vorteilen.

54

D. Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit

3. Zusammenfassendes Zwischenergebnis Unsicherheiten über rechtliche Bewertung eines Sachverhalts durch Behörden oder Gerichte können durch rechtliche Prüfungen nicht stets abschließend ausgeräumt werden. Hieraus kann sich für Vorstandsmitglieder ein Erfordernis für Abwägungen ergeben, welche typisch unternehmerische Elemente enthalten. Das Maß der Unsicherheit spielt insoweit eine entscheidende Rolle. Das pauschale Abstellen auf die Befolgung eines vertretbaren Rechtsstandpunkts wird dem nicht gerecht, da diese streng rechtsdogmatische Betrachtung den Eigenheiten der juristischen Praxis nicht gerecht wird.

III. Dogmatik 1. Meinungsstand Die dogmatische Herleitung der Spielräume bei Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit ist sehr umstritten. Teilweise wird hierfür auf das unternehmerische Ermessen i. R. v. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG rekurriert,270 teilweise § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG in direkter oder analoger Anwendung herangezogen,271 teilweise eine eigene Kategorie verlangt272. Eine enge Auffassung vertritt eine Prüfung beim Verschulden.273 270

Habersack, in: Lorenz, Karlsruher Forum 2009, S. 5, 17 f., 28 f.; Bicker, AG 2014, 8, 10; 14; wohl auch Holle, AG 2011, 778, 785. 271 MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 76: nicht unmittelbar anwendbar, aber entscheidende Hinweise; so auch ders., in: FS Canaris II, 2007, S. 403, 415; Cahn, WM 2013, 1293, 1294 f.: Anwendbarkeit des tragenden Rechtsgedankens von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 876; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 522 f.: § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG als gesetzlicher Anknüpfungspunkt bei Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit, jedenfalls aber auf der Ebene der Pflichtverletzung; Raiser/Veil, KapGesR, § 14 Rn. 69: entsprechende Anwendung; Gottschalk/Weng, GWR 2013, 243, 247: (entsprechende) Anwendung der business judgment rule; für unmittelbare Anwendung: Winnen, Die Innenhaftung des Vorstandes nach dem UMAG, S. 157 f. (Paradefall der unternehmerischen Entscheidung); Kocher, CCZ 2009, 215, 217; Werner, ZRFC 2010, 130, 134; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 76; Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8 f.; ders., ZIP 2014, 579, 580 f.; wohl auch von Falkenhausen, NZG 2012, 644, 647; differenzierend: Kaulich, Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Rechtsanwendungsfehler, S. 207, 215 f.: Anwendbarkeit zur Ausfüllung von Spielräumen, die nicht mit spezifisch rechtlichen Gesichtspunkten ausfüllbar; ähnlich Nietsch, ZGR 44 (2015), 631, 656 zur principle based regulation: Vorliegen einer unternehmerische Entscheidung bei der Bewertung von „Eignung“, „Angemessenheit“, „Wirksamkeit“ usw., da sachlich-deskriptiver und nicht normativer Charakter. 272 Spindler/Stilz/Fleischer Rn. 69a m. w. N. 273 Spindler, AG 2013, 889, 893 f.; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 19; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2254, 2257; a. A.: Thole, ZHR 173 (2009), 504, 524: jedenfalls Ebene der Pflichtverletzung; so auch Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, 429, 437; U. H. Schneider, in: FS Hüffer, 2010, S. 905, 909; Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, S. 150.

III. Dogmatik

55

Die dogmatische Einordnung ist für den Inhalt des Spielraums insbesondere dann relevant, wenn sie zu unterschiedlichen Standards der gerichtlichen Kontrolle führt.274 Dies ist im Hinblick auf § 93 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AktG nach bestrittener Auffassung der Fall (siehe oben C.IV.). Die Einordnung auf der Verschuldensebene würde an sich zur Anwendbarkeit der strengen Grundsätze zum Rechtsirrtum führen: Dieser setzt die sorgfältige Prüfung der Rechtslage voraus und soweit erforderlich die Einholung von Rechtsrat sowie die sorgfältige Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.275 Den Schuldner trifft dabei grundsätzlich das Risiko, die Rechtslage zu verkennen,276 wobei ein schuldhaftes Handeln bereits vorliegt, wenn der Schuldner mit der Möglichkeit rechnen musste, dass das zuständige Gericht einer anderen Rechtsauffassung folgt.277 Diese Rechtsfolge lehnen selbst einige Vertreter eben dieser engen Auffassung ab: Der Maßstab für die gerichtliche Überprüfung sei trotz der Einordnung beim Verschulden wertungsmäßig an § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG anzulehnen.278 Die direkte Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit beruht auf der Erwägung, dass unternehmerische Entscheidungen im Sinne der Vorschrift alle Entscheidungen seien, welche unter Unsicherheit getroffen würden.279 Aufgrund der starken Verrechtlichung nahezu jeden Sachverhaltes, in dem sich Geschäftsführungsmaßnahmen ereigneten, würde die Herausnahme von Entscheidungen unter rechtlicher Unsicherheit den Anwendungsbereich von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG übermäßig einengen.280 Rechtliche Unsicherheiten seien solchen kommerzieller Art vergleichbar.281

274 Vgl. zur Relevanz für eine Abberufung nach § 84 Abs. 3 AktG und ggf. fristlose Kündigung: Raiser/Veil, KapGesR, § 14 Rn. 97; Paefgen, AG 2014, 560; 554; Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011, 429, 437; relativierend: Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 128. 275 BGH, Beschluss vom 15. 1. 2013 – II ZR 44/12, Rn. 13; BGH ZIP 2011, 2097, 2100, Rn. 15 m. w. N. – ISION. 276 BGH ZIP 2011, 2097, 2100, Rn. 15 m. w. N. – ISION. 277 BGH, Beschluss vom 15. 1. 2013 – II ZR 44/12, Rn. 13. 278 Spindler, AG 2013, 889, 893 f.: eher auf der Ebene des Rechtsirrtums aber mit wertungsmäßigen Kriterien von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; hierzu Hüffer/Koch, § 93 Rn. 19: erwägenswert; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 522 f.: Heranziehung der Wertungen und Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2257: Grundsätze des Rechtsirrtums, jedoch in spezifischer Form; Strohn, CCZ 2013, 177, 178: strenge Legalitätspflicht, bei der einzelne Elemente der business judgment rule anwendbar; vgl. Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, S. 255 f.: im Ergebnis Fahrlässigkeitsmaßstab. 279 Bachmann, ZHR 177 (2013) 1, 8; Bachmann, ZIP 2014, 579, 580 f.; Großkomm-AktG/ Hopt/Roth, § 93 Rn. 83; vgl. Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 19: „aber auch nur insoweit“. 280 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 75; vgl. Hüffer/Koch, § 93 Rn. 6: „Ausuferungstendenzen“; so auch Wachter/Eckert, § 93 Rn. 14. 281 Bachmann, ZHR 177 (2013), 1, 8; Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, S. 44; Bachmann, in: FS Stilz (2014), S. 25, 26; Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 AktG Rn. 29 f.; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 75, 83; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 876;

56

D. Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit

Gegen diese Auffassung wird eingewandt, „dass Vorstand und Aufsichtsrat auch im Rahmen der Verschwiegenheitspflicht – und damit im Kernbereich der gesellschaftlichen Treuepflicht – bisweilen dazu aufgerufen sind, gegenläufige Interessen zu gewichten und abzuwägen, ohne dass dies Anlass geben sollte, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf derlei Entscheidungen zur Anwendung zu bringen.“282 Eben dies wird jedoch in der Tat vertreten.283 § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG erlaube zudem „keine hinreichende Kontrolle, ob Beurteilungs- und Ermessensspielräume ordnungsgemäß ausgefüllt worden [seien] (…) und [ließe] (…) daher nicht auf eine sorgfaltskonforme Entscheidung schließen.“284 Diese Kritik wird zwar als berechtigt gesehen, stehe indes der Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht entgegen, da das Maß des Entscheidungsfreiraums flexibel handhabbar sei, indem es an den Grad der Ungewissheit anknüpfe (vgl. oben C.VII.3.).285 Ein weiteres Argument aus dem Lager der engen Lesart gegen die (analoge) Anwendung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG betrifft den Sinn und Zweck der Vorschrift: „Gegen eine Analogie spricht, dass der Sinn und Zweck der Business Judgment Rule darin besteht, den unternehmerischen Wagemut zu fördern und risikoaversem Verhalten gegenzusteuern. Darum geht es jedoch in Bezug auf die unsichere Rechtslage nicht.“286

Der Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG besteht hingegen nach überzeugender Auffassung nicht darin, (aktiv) unternehmerischen Wagemut zu fördern. Hiervon zu trennen ist der Sinn und Zweck einer Vermeidung von durch die aktienrechtliche Haftung bewirktem defensiven Verhalten (siehe oben C.V.5.). Die Erwägung, in Fällen von Rechtsunsicherheit ginge es nicht um die Ausrichtung des Verhaltens an Risiken, ist indes kein Argument für diese Auffassung, sondern dieser Auffassung zugrunde liegende Annahme. Gegen die (analoge) Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit wird weiter vorgebracht: „Beim Legal Judgment lieg[e] (…) im Gegensatz zum Business Judgment kein Erfahrungsvorsprung der Geschäftsleiter vor. Es besteh[e] (…) nicht die Gefahr gerichtlicher Rückschaufehler“ (vgl. oben C.V.4. undC.VII.1.).287 Das Auftreten eines hindsight bias verlange eine nachträgliche Sachverhaltsänderung und sei daher ausgeschlossen, Bicker, AG 2014, 8, 10: jedenfalls wertvolle Hinweise durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; Schmidt/ Lutter/Krieger/Sailer-Coceani, § 93 Rn. 16. 282 Habersack, in: Lorenz, Karlsruher Forum 2009, S. 5, 18. 283 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 310: für die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf die sachliche und verfahrensgemäße Handhabung bei sowohl positiven als negativen Folgen für die Gesellschaft (str.), m. w. N. 284 Holle, AG 2011, 778, 784 f. 285 Bachmann, ZHR 177 (2013) 1, 8 f. 286 Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2253. 287 Ebenda.

IV. Exemplarische Fallgruppen

57

wenn der zu entscheidende Sachverhalt im Entscheidungs- und Bewertungszeitpunkt gleich sei.288 „Ein solcher Wahrnehmungsdefekt [Anm. d. Verfassers: die Rede ist vom „Rückschaufehler“] besteht aber gewiss nicht in Bezug auf die Rechtslage, deren Beurteilung a priori nicht anders ausfallen kann als zum Entscheidungszeitpunkt.“289

2. Zusammenfassendes Zwischenergebnis Gegen die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit wird neben dogmatischen Erwägungen vorgebracht, bezüglich Entscheidungen von Vorstandsmitgliedern unter Rechtsunsicherheit sei ein richterlicher hindsight bias denknotwendig bzw. a priori ausgeschlossen. Die Anwendung einer juristisch-dogmatischen Überlegung auf empirisch zu vollziehende Erkenntnisgewinnung ist zweifelhaft. Ob diese Aussage zumindest im Ergebnis dem verhaltenspsychologischen Verständnis des hindsight bias entspricht, ist ebenfalls zweifelhaft (siehe unten G.I. und G.II.).

IV. Exemplarische Fallgruppen 1. Compliance Im Deutschen Corporate Governance Kodex (Ziff. 4.1.3) heißt es seit dem Jahr 2007: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance).“

Diese Begriffsbestimmung hat sich auch in der Praxis durchgesetzt.290 Geschäftsleiter tragen neben der Legalitätspflicht die Sorge für regelgetreues Verhalten auf nachgeordneten Unternehmensebenen (Legalitätskontrollpflicht).291 Die sog. Legalitätskontrollpflicht ist nach der heute h. L. dogmatisch in den §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG einzuordnen.292 Den Ausgangspunkt der deutschen Compliance-De288 Kaulich, Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Rechtsanwendungsfehler, S. 203. 289 C. Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1256; ähnlich Buck-Heeb, BB 2013, 2247, 2253; vgl. hierzu Nietsch, ZGR 44 (2015), 631, 655: „graue Theorie“. 290 Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 1 Rn. 3. 291 Bachmann, ZIP 2014, 579, 581; MünchKomm-GmbHG/Fleischer, § 43 Rn. 142 m. w. N.; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 187 m. w. N.; zu Stimmen gegen die Annahme einer Compliance-Pflicht siehe Hüffer/Koch, § 76 Rn. 13 m. w. N. 292 Hüffer/Koch, § 76 Rn. 12; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 186 m. w. N.: Herleitung aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG und dort aus der Legalitätspflicht; so auch Thole, ZHR

58

D. Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit

batte bildete ein Aufsatz von Uwe H. Schneider vom April 2003,293 in dem dieser als erster eine generelle Pflicht zur Einrichtung einer Compliance-Organisation annahm.294 Dogmatisch begründete Schneider dies mit einer Gesamtanalogie zu einer Reihe von Spezialnormen: § 130 OWiG, § 25a KWG, § 33 WpHG, § 52a Abs. 2 BImSchG, § 53 KrW-/AbfG, Art. 11 EG-Geldwäsche Richtlinie295 sowie § 14 GeldwäscheG.296 Das Landgericht München I nahm in der ersten zivilgerichtlichen Entscheidung zur Organhaftung wegen mangelhafter Erfüllung der Compliance-Organisation297 keine Einschränkung der richterlichen Nachprüfbarkeit an.298 Dies steht im Gegensatz zu der von der überwiegenden Meinung vertretenen grundsätzlichen Unterscheidung zwischen dem nicht im Ermessen stehenden „Ob“ der Einhaltung der Compliance-Pflicht und dem richterlich nur eingeschränkt nachprüfbaren Ermessen im Hinblick auf das „Wie“.299 Danach ist allenfalls eine Verengung des Ermessens anzunehmen, wenn es bereits zu Rechtsverstößen gekommen sei, nämlich dahingehend, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, z. B. den jeweiligen Mitarbeiter zur Verantwortung zu ziehen (sog. anlassbezogene oder auch repressive Compliance).300 Ein Restermessen sei dem Vorstand auch hier nicht abzusprechen.301 Zur 173 (2009), 504, 510; Bachmann, ZIP 2014, 579, 581: Teil der Sorgfaltspflicht; Spindler/Stilz/ Fleischer, § 91 Rn. 63 m. w. N. (so auch für § 91 Abs. 2 AktG): Kernbereich der Leitungsaufgaben; vgl. Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 1 Rn. 30 ff.; kritisch: Nietsch, ZIP 2013, 1449, 1454 f.; a. A.: Spindler, WM 2008, 905, 906 f.: Herleitung aus § 91 Abs. 2 AktG; so auch Dreher, in: FS Hüffer, 2010, S. 161, 171; a. A.: U. H. Schneider, ZIP 2003, 645, 648 f.: Gesamtanalogie; vgl. Nietsch, ZGR 44 (2015), 631, 645: § 130 OWiG als Grundlage der Compliance-Pflicht; offen gelassen in LG München I ZIP 2014, 570, 573 – Siemens/Neubürger: Gesamtverantwortung des Vorstands für die Einrichtung eines funktionierenden Compliance-Systems – ungeachtet der Herleitung aus der allgemeinen Leitungspflicht gem. §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG oder unmittelbar aus § 91 Abs. 2 AktG. 293 U. H. Schneider, ZIP 2003, 645, 648 f. 294 So Kindler, in: FS Roth, 2011, S. 367, 371; Bachmann, ZIP 2014, 579, 581; vgl. die zurückhaltendere Auffassung im kurz vorher erschienenen Aufsatz Fleischer, AG 2003, 291, 300: Verstoß gegen § 93 Abs. 2 AktG möglich. 295 Richtlinie 2001/97/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. 12. 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/308/EWG zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl EG 2002 Nr. L 344, S. 76. 296 U. H. Schneider, ZIP 2003, 645, 649. 297 Harbarth/Brechtel, ZIP 2016, 241, 247. 298 LG München I ZIP 2014, 570, 574 f. – Siemens/Neubürger. 299 Kort, in: FS Hopt I, 2010, S. 983, 995; Hüffer, in: FS Roth, 2011, S. 299, 305; Kindler, in: FS Roth, 2011, S. 367, 371 f.; Bachmann, ZIP 2014, 579, 580; Bachmann, BB 2015, 771, 773; MünchKomm-AktG/Spindler § 91 Rn. 66 m. w. N.; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 187 m. w. N.; für breiten Ermessensspielraum bereits Fleischer, AG 2003, 291, 300; für Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf Compliance-Organisation: Kort, in: FS Hopt I, 2010, S. 983, 995; Hüffer, in: FS Roth, 2011, S. 299, 305; Kindler, in: FS Roth, 2011, S. 367, 372. 300 MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 30; Bachmann, BB 2015, 771, 773. 301 Seibt/Cziupka, DB 2014, 1598, 1599 f. (These 5); Bachmann, BB 2015, 771, 773.

IV. Exemplarische Fallgruppen

59

Begründung eines Entscheidungsspielraums wird der Wille des Gesetzgebers des KonTraG herangezogen,302 normiere § 91 Abs. 2 AktG doch die Pflicht zur Einrichtung eines Überwachungssystems dessen „konkrete Ausformung (…) von der Größe, Branche, Struktur, dem Kapitalmarktzugang usw. des jeweiligen Unternehmens abh[inge]“303 (siehe oben B.II.). Die Pflicht zu gehöriger Aufsicht gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 OWiG (i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) stehe dem nicht entgegen, da auch diese einen Beurteilungsspielraum einschließe304 und ein gleichwohl anzunehmender Verstoß gegen diese Vorschrift im Außenverhältnis nicht zwingend eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft begründe (vgl. oben C.VIII.).305 Dafür spricht im Ergebnis auch der Vergleich zum US-amerikanischen Rechtsraum. William T. Allen, ehemals Chancellor am Delaware Court of Chancery, formulierte 1996 in einem dictum: „[O]nly a sustained or systematic failure of the board to exercise oversight – such as an utter failure to attempt to assure a reasonable information and reporting system exists – will establish the lack of good faith that is a necessary condition to liability.“306

Das Merkmal des good faith ist ein Element der duty of loyality.307 Zehn Jahre später übernahm der Delaware Supreme Court den von Chancellor Allen aufgestellten Standard ausdrücklich.308 Die director oversight liability setze voraus, dass: „(a) the directors utterly failed to implement any reporting or information system or controls; or (b) having implemented such a system or controls, consciously failed to monitor or oversee its operations thus disabling themselves from being informed of risks or problems requiring their attention. In either case, imposition of liability requires a showing that the directors knew that they were not discharging their fiduciary obligations. Where directors fail to act in the face of a known [Hervorhebung durch Verfasser] duty to act, thereby demonstrating a conscious disregard [Hervorhebung durch Verfasser] for their responsibilities, they breach their duty of loyalty by failing to discharge that fiduciary obligation in good faith.“309

302

Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 69. Begründung RegE KonTraG, BT-Drs. 13/9712, S. 15. 304 Siehe dazu Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, § 130 Rn. 21; Rogall, in: Karlsruher Komm-OWiG, § 130 Rn. 50 m. w. N.; vgl. von Busekist/Hein, CCZ 2012, 41, 44 f.: Einschränkungen des Auswahlermessens durch die Anforderungen von § 130 Abs. 1 OWiG. 305 Bachmann, ZIP 2014, 579, 581; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 93 Rn. 77; MünchKomm-AktG/Spindler, § 93 Rn. 64. 306 In re Caremark International Inc. Derivative Litigation, 698 A. 2d 959, 969 f. (Delaware Ch. 1996). 307 Guttman v. Huang, 823 A. 2d 492, 505 (Delaware Ch. 2003) m. w. N. 308 Stone v. Ritter, 911 A. 2d 362, 365 (Delaware 2006). 309 Stone v. Ritter, 911 A. 2d 362, 370 (Delaware 2006). 303

60

D. Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit

2. Genehmigungspflichtige Geschäfte Erhebliche Rechtsunsicherheiten können auch durch behördliche Genehmigungspflichten entstehen. Aus dem Bereich der Fusionskontrolle (FKVO, §§ 35 ff. GWB) betrifft dies z. B. die Frage des Kontrollerwerbs durch die Erlangung der Möglichkeit zur Ausübung bestimmenden Einflusses (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 FKVO). Die Kontrollerlangung kann gem. Art. 3 Abs. 2 FKVO auf rechtlicher oder tatsächlicher Grundlage erfolgen. Bereits langfristige Lieferverträge können i. V. m. strukturellen Verflechtungen zum Vorliegen eines bestimmenden Einflusses führen.310 Kartellrechtliche Bedenken können für den Vorstand Anlass zur Erwägung einer Vorabstimmung mit der Kartellbehörde geben. Unter der Prämisse, dass diese gesetzlich nicht vorgeschrieben ist,311 fällt die Beurteilung ihrer Möglichkeit und Gebotenheit in den Anwendungsbereich von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG.312 Auch das Bedürfnis der Erteilung von Bau- oder Anlagengenehmigungen kann erhebliche Rechtsunsicherheiten begründen (etwa nach den Landesbauordnungen oder dem BImSchG). Bei umfangreichen Vorhaben kann beispielsweise die Errichtung eines Teils der Anlage frühzeitig aufgrund einer Teilgenehmigung erfolgen (§ 8 Abs. 1 BImSchG). Dies erfordert u. a. eine vorläufige Gesamtbeurteilung, deren Bindungswirkung entfällt, wenn eine Änderung der Sach- oder Rechtslage oder Einzelprüfungen im Rahmen späterer Teilgenehmigungen zu einer von der vorläufigen Gesamtbeurteilung abweichenden Beurteilung führen (§ 8 Abs. 2 BImSchG). Die Tätigung der hiermit im Zusammenhang stehenden Investitionen erfolgt unter der rechtlichen Unsicherheit darüber, ob die positive vorläufige Gesamtbeurteilung im Laufe des Projektes entfällt oder nicht. Während die Dauer eines Fusionskontrollverfahren nach der FKVO bzw. dem GWB etwa 4 – 5 Monate beträgt, können sukzessive Verfahren über Teilgenehmigungen im Anlagenbau sich über Jahre hinwegziehen. 3. Zusammenfassendes Zwischenergebnis In den beispielhaften Fällen der fehlenden Geeignetheit von Compliance-Maßnahmen und der Investition in Projekte, welche an fehlenden Genehmigungen scheitern, zeigt sich die potentielle Gefahr, im Nachhinein vorschnell anzunehmen, die entsprechende Maßnahme hätte von vornherein nicht durchgeführt werden dürfen. Das mit der Sache befasste Vorstandsmitglied kann im Entscheidungszeitpunkt mit der Frage eines Strategiewechsels oder gar eines Projektabbruchs kon310 Konsolidierte Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der VO (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, Rn. 20; Riesenkampff/Steinbarth, in: Loewenheim et al., Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 28; Kellerbauer, in: Berg/Mäsch, Deutsches und Europäisches Kartellrecht, Art. 3 FKVO Rn. 15. 311 Offen gelassen in OLG Frankfurt a.M. NZG 2014, 1017, 1018; vgl. von Wartenburg, in: Loewenheim et al., Kartellrecht, Art. 4 FKVO Rn. 15 f. 312 Bachmann, BB 2015, 771, 772.

V. Zusammenfassendes Ergebnis

61

frontiert sein, dessen Beantwortung – im Extremfall – über den Fortbestand des Unternehmens entscheiden kann. Die dabei bestehenden Unsicherheiten können rein rechtlich oder tatsächlich sein, sich aufgrund ihrer Verflechtung aber auch gegenseitig bedingen.

V. Zusammenfassendes Ergebnis Für Vorstandsmitglieder, die im Rahmen der Geschäftsführung Entscheidungen unter nicht zeitnah auflösbaren rechtlichen Unsicherheiten zu treffen haben, kann sich ein Erfordernis für Abwägungen ergeben, welche typisch unternehmerische Elemente enthalten. Die Information, ob eine einer Geschäftsführungsmaßnahme zugrunde gelegte Rechtsauffassung vor Behörden oder Gericht Bestand hat, kann im Entscheidungszeitpunkt schlicht nicht ermittelbar sein. Ein Sachverhalt kann zwar aus dogmatischer Sicht im Entscheidungszeitpunkt abschließend rechtlich geprüft werden. In Bezug auf die rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch Behörden oder Gerichte kann aber eine verbleibende, nicht auflösbare Unsicherheit bestehen. Der das Verhalten des Vorstandsmitglieds beurteilende Richter in einem Haftungsprozess hat regelmäßig Kenntnis von einer bestandskräftigen behördlichen Verfügung oder in der Sache ergangenen (ggf. letztinstanzlichen) gerichtlichen Entscheidung sowie mehr Zeit, um die Rechtsfragen zu prüfen. Ein Einfluss dieser Kenntnis auf die Entscheidungsfindung des Richters im Haftungsprozess ist nach einigen Stimmen aus der juristischen Literatur denknotwendig ausgeschlossen (vgl. unten G.I. und G.II.). Beispielhaft zeigt sich die Bedeutung dieser Problematik am Treffen von Compliance-Maßnahmen oder an genehmigungspflichtigen Geschäften. Die potentielle Gefahr, im Nachhinein vorschnell anzunehmen, die entsprechende Maßnahme sei ungeeignet gewesen oder hätte nicht weiter verfolgt werden dürfen, zeigt sich hier besonders deutlich.

E. Einholung von Rat I. Dogmatik Die gutachterliche Prüfung von Geschäftsführungsmaßnahmen kann sich Vorstandsmitgliedern zum einen in Fällen anbieten, in denen sie zwar selbst über das hierfür erforderliche Fachwissen verfügen, sich eine Auslagerung der Arbeiten aber aufgrund ihren Umfangs anbietet – z. B. bei sehr zeitaufwendigen Aufgaben, wie der Bewertung von Unternehmen. In diesem Fall muss das Vorstandsmitglied seine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse in die Überprüfung des Gutachtens einbringen, da für ein sachkundiges Vorstandsmitglied ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab gilt.313 Im Falle nicht ausreichender persönlicher Kenntnisse für die Beurteilung einer geplanten Geschäftsführungsmaßnahme können Vorstandsmitglieder zur Einholung von Rat verpflichtet sein.314 Gleichwohl dürfen sie ihre Geschäftsführungsmaßnahmen nicht blind auf die Ratschläge Dritter stützen.315 Die dogmatische Einordnung von eingeholtem Rechtsrat oder sonstigem Rat innerhalb der Anspruchsvoraussetzungen gem. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ist äußerst umstritten. Die jüngere Rechtsprechung behandelt eingeholten Rechtsrat ausdrücklich im Rahmen des Verschuldens.316 Dem folgt ein Teil der Literatur.317 Andere ordnen den Rat bei der Prüfung der Sorgfaltspflichtverletzung ein.318 Die Auffassung, welche bei einer 313

Müller, DB 2014, 1301, 1305; Fleischer, KSzW 2013, 3, 9; Kremer, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012, 171, 177. 314 BGH NJW 2007, 2118, 2120, Rn. 16 m. w. N.: Pflicht zur Einholung von Rat für den Fall nicht ausreichender persönlicher Kenntnisse; näher Peters, AG 2010, 811, 812 f.; Decker, GmbHR 2014, 72, 73; siehe zur Einholung externen Rechtsrats Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 139 m. w. N.; ausführlich Piepenbrock, „Defense of Reliance“ im deutschen Aktienrecht, S. 21 ff. 315 Vgl. Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1404. 316 BGH ZIP 2011, 2097, 2100, Rn. 25 – ISION; noch offen gelassen in BGH NJW 2007, 2118, 2120, Rn. 18: keine schuldhafte Verletzung der Insolvenzantragspflicht; vgl. Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1405. 317 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 138; Strohn, CCZ 2013, 177, 183; Hahn/Naumann, CCZ 2013, 156, 159; so wohl auch MünchHdb-GesR IV/Wiesner, § 26 Rn. 16; Merkt/Mylich, NZG 2012, 525, 529: Verschulden, sofern rechtlich gebundene Entscheidung; vgl. Merkt, in: FS Hommelhoff (2012), S. 711, 716. 318 Binder, AG 2008, 274, 281 f., 287: § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG unter Heranziehung allgemeiner Verschuldensgrundsätze; Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1404 f.: Vorbildwirkung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187, 199, 201; Spindler/Stilz/ Fleischer, § 93 Rn. 35 f., 209; Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 499; Großkomm-AktG/Hopt/ Roth, § 93 Rn. 140: § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, zumindest analog; vgl. Sander/Schneider, ZGR 42 (2013), 725, 758 f.

I. Dogmatik

63

unsicheren Rechtslage eine Wandlung des Pflichtenprogramms hin zur Vornahme einer Risikoabwägung vertritt, verortet den Rat in eben dieser Abwägung.319 Auf der Sachverhaltsebene sind die Fälle voneinander zu unterscheiden, in denen eine Rechtsunsicherheit auch unter Berücksichtigung eingeholten Rechtsrats fortbesteht und solchen, in denen der eingeholte Rechtsrat eine relevante Rechtsfrage (vermeintlich) löst oder eine Rechtsunsicherheit (vermeintlich) auflöst. Die Diskussion um die dogmatische Einordnung von eingeholtem Rechtsrat betrifft vorwiegend die letztere Variante. Die Argumentation entspricht gleichwohl teilweise derjenigen zur Einordnung von Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit: Die sich aus der Behandlung auf der Verschuldensebene ergebenden Konsequenzen für die Abberufung und die Kündigung aus wichtigem Grund (siehe oben D.III.1.) seien nicht überzeugend.320 Zudem versperre sie den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens.321 Eine Parallele zu § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ergebe sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift, nach welchem keine Pflichtverletzung vorliege, wenn das Vorstandsmitglied vernünftigerweise habe annehmen dürfen, auf der Grundlage angemessener Informationen zu handeln.322 Die Ablehnung einer Sorgfaltspflichtverletzung gebiete schließlich der allgemeine zivilrechtliche Vertrauensgrundsatz.323 Weitgehende Einigkeit besteht bezüglich der wesentlichen Voraussetzungen unter denen ein Anspruch der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied ausscheiden soll, wenn das Vorstandsmitglied eingeholtem (Rechts-)Rat folgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liege keine schuldhafte Pflichtverletzung (hier der Insolvenzantragspflicht) vor, wenn der organschaftliche Vertreter einer Gesellschaft bei fehlender eigener Sachkunde zur Klärung des Bestehens der Insolvenzreife der Gesellschaft den Rat eines unabhängigen,324 fachlich qualifizierten Berufsträgers 319

Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 499; so auch schon Dreher, in: FS Konzen (2006), S. 85, 93: die Pflichtgemäßheit beruhe nicht auf dem unternehmerischen Ermessen sondern auf der Erfüllung der Sorgfaltspflichtausprägung im Einzelfall. 320 Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 35 f. 321 Ebenda; siehe zum Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens Fleischer, NJW 2009, 2337, 2339 m. w. N. 322 Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1405; GK Rn. 140: Annahme einer unternehmerischen Entscheidung (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, jdf. analog), wenn in der Folge der Einholung von Rechtsrat trotz verbleibender Zweifel Annahme der Rechtmäßigkeit; für die Einordnung bei § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wohl auch Bürgers/Körber/Bürgers/Israel, § 93 Rn. 21b; vgl. Gubitz/ Nikoleyczik/Schult, Manager Liability in Germany, S. 85: Hinzuziehung von Beratern diene dem Vorstandsmitglied praktisch der Beweisführung im Hinblick auf die Angemessenheit der Informationsgrundlage. 323 Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 109 (zu Expertenrat im Allgemeinen). 324 Vgl. zur Frage, ob die interne Rechtsabteilung unabhängig i. d. S. sein kann: ablehnend: Vetter, EWiR 2011, 793, 794; bejahend: Junker/Biederbick, AG 2012, 898, 901 f.; Wagner, BB 2012, 651, 656; Kiefner/Kra¨ mer, AG 2012, 498, 501; Klöhn, DB 2013, 1535, 1538; Gottschalk/ Weng, GWR 2013, 243, 244 f. (vor allem Beweisproblem); so auch Binder, AG 2012, 885, 892; Fleischer, EuZW 2013, 326, 329: kein Grund, generell an der Objektivität von Hausjuristen zu zweifeln; kritisch: Seitz, EuZW 2010, 524, 526: Bedenken sowohl bei internen als bei externen Rechtsberatern; vgl. Klöhn, DB 2013, 1535, 1539 mit Hinweis auf verhaltenspsychologische

64

E. Einholung von Rat

einhole, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiere und nach eigener Plausibilitätsprüfung der ihm daraufhin erteilten Antwort dem Rat folge und von der Stellung des Antrages absehe.325 Der Senat führt aus, „[e]s wäre nicht zu rechtfertigen, einem organschaftlichen Vertreter abzuverlangen, unabhängigen, fachkundigen Rat zur Klärung des Bestehens einer Insolvenzlage einzuholen und es ihm gleichwohl als schuldhaften Verstoß gegen seine Sorgfaltspflichten anzulasten, wenn er sich – trotz fehlender eigener ausreichender Sachkunde – dem fachkundigen Rat entsprechend verhält“.326

Die Anforderungen an die Auswahl des Beraters konkretisierte das OLG Stuttgart dahingehend, dass es sich um einen unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträger handeln müsse, wobei sich das Vorstandsmitglied bei der Auswahlentscheidung selbst hinsichtlich der spezifischen Sachkunde des Berufsträgers zu vergewissern habe.327 In seinem „ISION“-Urteil erweiterte der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung auf Rechtsrat.328 Den Anforderungen an die Auswahl eines Rechtsberaters durch Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder genüge eine schlichte Anfrage bei einer von dem organschaftlichen Vertreter für fachkundig gehaltenen Person durch die Gesellschaft nicht. Erforderlich sei, dass sich das Vertretungsorgan, das selbst nicht über die erforderliche Sachkunde verfüge, unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger, beraten lasse und die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterziehe.329 Vorstandsmitglieder können sich nicht darauf berufen, ein (als Rechtsanwalt tätiges) Aufsichtsratsmitglied habe sie fehlerhaft beraten.330 Dies ergibt sich bereits aus einem Vergleich zu § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG. Dadurch, dass der Aufsichtsrat die Handlung (eines Vorstandsmitglieds) gebilligt hat, wird die Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft nicht ausgeschlossen. Wenn dies schon für den Aufsichtsrat als Organ gilt, so erst recht für ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied. Eine Zurechnung des Verschuldens des Beraters nach § 278 Satz 1 BGB scheidet aus, Betrachtung der „Unabhängigkeit“ interner und externer Juristen von ihren „Auftraggebern“ sowie Hinweis auf Bedarf für interdisziplinäre Forschung; zu den insoweit einschlägigen Untersuchungen des bias von Beratern, den Entscheidungsträgern tendenziell die Fortführung von Projekten zu empfehlen und zu Auswirkungen auf das Auftreten von escalation of commitment siehe Nachweise bei Schultze/Schulz-Hardt (2015), 108 ff. 325 BGH NJW 2007, 2118, 2120, Rn. 18; bestätigt durch BGH DStR 2007, 1641, 1642, Rn. 3; BGH NZG 2012, 672, 673 Rn. 19. 326 BGH NJW 2007, 2118, 2120, Rn. 18; zustimmend: Buck-Heeb, BB 2016, 1347, 1348 f. 327 OLG Stuttgart NZG 2010, 141, 144. 328 BGH ZIP 2011, 2097, 2099, Rn. 18 – ISION. 329 BGH ZIP 2011, 2097, 2099 f., Rn. 18 – ISION; zustimmend: Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 35 ff.; ders., NZG 2010, 121, 125; vgl. bereits ders., ZIP 2009, 1397, 1403. 330 BGH ZIP 2011, 2097, 2099 f., Rn. 20 – ISION.

II. Maßstab

65

da dieser nicht der Erfüllungsgehilfe des Vorstandsmitglieds oder des Vorstands ist, sondern der Gesellschaft.331

II. Maßstab Die Literaturstimmen verfolgen im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab für den Umgang mit dem Ergebnis des Rats keine einheitliche Linie, indem sie einerseits strenge Anforderungen verlangen332 und andererseits vor einer Überspannung der Anforderungen warnen.333 Auskünfte mit „Feigenblattfunktion“334 oder Gefälligkeitsgutachten335 könnten den Anforderungen an die Entlastung des Vorstandsmitglieds nicht gerecht werden. Dies betreffe Gutachten, die erkennbar oberflächlich oder in Verfolgung ganz einseitiger Interessen angefertigt worden seien,336 deren Gefälligkeitscharakter ihnen „geradezu auf der Stirn geschrieben steh[e]“337 und „schon einem Laien ins Auge spring[e]“338. Eine Ausnahme vom Erfordernis der Plausibilitätskontrolle komme in besonderen Eilfällen in Betracht.339 Nach der Rechtsprechung habe das Vorstandsmitglied jedenfalls darzulegen, dass und gegebenenfalls welche Plausibilitätsprüfungen es angestellt habe; das Verschulden entfalle nicht, wenn das Vorstandsmitglied von einer Plausibilitätsprüfung abgesehen oder sie schuldhaft fehlerhaft vorgenommen habe.340 Eine Untersuchung des Begriffsverständnisses der anderen Senate des Bundesgerichtshofs spricht für eine Orientierung der Rechtsprechung an dem Maßstab des für einen Laien Möglichen und Zumutbaren. Freilich kann höchstens ein gemeinsamer Kern des Begriffsverständnisses der verschiedenen Senate vorliegen. Eine unmittelbare Heranziehung der Begriffsverwendung durch andere Senate scheidet aufgrund der Eigenheiten der jeweiligen Rechtsgebiete aus. 331

BGH ZIP 2011, 2097, 2099, Rn. 17 – ISION; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142; Hüffer/ Koch, § 93 Rn. 46 m. w. N.; vgl. die Nachweise ablehnender Auffassungen bei Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1405. 332 Fleischer, NJW 2009, 2337, 2339; Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 209; U. H. Schneider, DB 2011, 99, 102: hohe Anforderungen. 333 Vgl. Binder, AG 2008, 274, 286; Binder, ZGR 42 (2012), 757, 772: ohne weitere Anhaltspunkte genüge die Auseinandersetzung mit dem erhaltenen Rat; Kiefner/Krämer AG 2012, 498, 500; Merkt/Mylich, NZG 2012, 525, 529; Strohn, CCZ 2013, 177, 183; MünchHdb-GesR IV/Wiesner, § 26 Rn. 16; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 139; Krieger, ZGR (41) 2012, 496, 498; Hüffer/Koch, § 93 Rn. 44; Freund, NZG 2015, 1419, 1422. 334 Fleischer, NJW 2009, 2337, 2339; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 141. 335 Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 35e. 336 Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 142. 337 Fleischer, DB 2015, 1764, 1769. 338 Fleischer, in: FS Hüffer, 2010, S. 187, 194. 339 BGH ZIP 2011, 2097, 2100, Rn. 24 – ISION; Großkomm-AktG/Hopt/Roth, § 93 Rn. 139; MünchHdb-GesR IV/Wiesner, § 26 Rn. 16. 340 BGH ZIP 2011, 2097, 2100, Rn. 25 – ISION.

66

E. Einholung von Rat

Das Element der Zumutbarkeit entspricht dem Begriffsverständnis des 3. Senats. Die Zumutbarkeit sei eine Grenze der Plausibilitätsprüfung, die ein Anlagevermittler vorzunehmen habe, wenn er eine Anlage anhand eines Prospekts vertreibe. Er habe „im Rahmen der geschuldeten Plausibilitätsprüfung den Prospekt jedenfalls darauf überprüfen, ob er ein in sich schlüssiges Gesamtbild über das Beteiligungsobjekt gibt und ob die darin enthaltenen Informationen, soweit er das mit zumutbarem Aufwand zu überprüfen in der Lage ist, sachlich vollständig und richtig sind“.341 „Die Plausibilitätsprüfung kann auch in gewissem Umfang Ermittlungspflichten einschließen, wenn es um Umstände geht, die nach den vorauszusetzenden Kenntnissen des Anlagevermittlers Zweifel an der inneren Schlüssigkeit einer mitgeteilten Tatsache zu begründen vermögen. Andererseits dürfen an die Pflichten eines Anlagevermittlers keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden; der mit der notwendigen Überprüfung verbundene Aufwand muss ihm zumutbar sein“.342

Bei der Geltendmachung einer Forderung durch eine Vertragspartei gegenüber der anderen sei nach dem 5. Senat der eigene Rechtsstandpunkt aufgrund der Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen. Diese ähnele einer Evidenzkontrolle.343 Die Konkretisierung des Maßstabs hin zu dem für einen Laien Möglichen und Zumutbaren (siehe oben) findet sich auch in der Literatur.344 Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. April 2015 betraf die Haftung eines Vorstandsmitglieds wegen des Abschlusses eines Vertrages mit einer GmbH (für die Aktiengesellschaft), welche für die Tätigkeit des Vorstandsmitglieds im Vorstand der Aktiengesellschaft entlohnt werden sollte. Nach einem dem Vorstandsmitglied vorliegenden Rechtsgutachten schien dies unproblematisch zu sein – entgegen der Zuständigkeit des Aufsichtsrats (§ 84 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Satz 1, §§ 87, 112 AktG). Der 2. Senat entschied – insoweit konsequent – dass die Plausibilitätsprüfung eines Rechtsgutachtens durch ein Organmitglied ohne einschlägige Rechtskenntnisse keine rechtliche Überprüfung beinhalte.345 Vielmehr habe das Vorstandsmitglied zu überprüfen, ob der Berater ausweislich des Inhalts der Auskunft über die erforderlichen Informationen verfügt habe, er diese verarbeitet und die sich einem Rechtsunkundigen aufdrängenden Fragen widerspruchsfrei beantwortet habe oder sich aufgrund der Auskunft weitere Fragen aufdrängten.346 Der Senat trennt die Behandlung tatsächlicher und rechtlicher Elemente der Entscheidungsgrundlage. 341

BGH, Urteil vom 22. 3. 2007 – III ZR 218/06, Rn. 4. BGH, Beschluss vom 21. 5. 2008 – III ZR 230/07, Rn. 9. 343 BGH, Urteil vom 16. 1. 2009 – V ZR 133/08, Rn. 25 mit Verweis auf Kaiser, NJW 2008, 1709, 1712. 344 Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1404. 345 BGH DB 2015, 1459, 1462, Rn. 33; zustimmend: Vetter, NZG 2015, 889, 894; a. A.: Bayer/Scholz, ZIP 2015, 1853, 1860: unangemessene Herabsetzung; vgl. bereits Strohn, CCZ 2013, 177, 183: keine Untersuchung, die juristisches Fachwissen erfordere. 346 BGH DB 2015, 1459, 1462, Rn. 33. 342

II. Maßstab

67

Ein Teil der Literatur nimmt diese Trennung implizit vor. Vorstandsmitglieder hätten sich der Anknüpfung des Rats an zutreffende und vollständige Tatsachen zu vergewissern.347 Das Gutachten sei auf offensichtliche Widersprüche und Begründungslücken hin zu überprüfen.348 Die vollständige Lektüre eines umfangreichen Gutachtens sei dabei nach einer Auffassung nicht zu verlangen; es genüge die Kenntnisnahme einer Zusammenfassung (sog. executive summary) mit stichprobenartiger Überprüfung des Gesamtgutachtens.349 Andere verlangen eine umfassende und erschöpfende Prüfung.350 Dem wird neben rein praktischen Bedenken im Hinblick auf den zeitlichen Umfang einer solch umfangreichen Prüfung351 entgegengehalten, dass dies die Funktion einer Plausibilitätsprüfung übersteige, welche gerade keine Prüfung auf rechtliche Richtigkeit, sondern Plausibilität beinhalte.352 Die Plausibilitätskontrolle müsse jedenfalls „so einzelfallbezogen sein, dass der Geschäftsleiter in einem möglichen Prozess Tatsachen dazu vortragen könne, die dem Gericht die Überprüfung der Frage erlaubten, ob eine ernsthafte Auseinandersetzung stattgefunden habe.“353 Die Schlussfolgerungen habe das Vorstandsmitglied kritisch mit Erfahrungen des Geschäfts- und Wirtschaftslebens abzugleichen.354 Für den Fall, dass auch auf Nachfrage keine Klärung verbleibender Widersprüche herbeizuführen ist, nimmt eine Auffassung eine Pflicht zur Einholung eines zweiten Gutachtens an.355 Für den Fall, dass ohnehin ein Ermessensspielraum bestehe, in dessen Rahmen u. U. auch erhebliche Wagnisse eingegangen werden könnten, gelte dies freilich nicht.356 Verbleiben trotz der Einholung von Rechtsrat Zweifel, so soll nach einer Auffassung § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG anwendbar sein (vgl. oben D.III.1.).357

347

Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1404; Merkt/Mylich, NZG 2012, 525, 529. Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1404; Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 35e; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142: Widersprüche im Allgemeinen; a. A.: Kiefner/Krämer AG 2012, 498, 500: generell keine Überprüfung auf Widersprüche. 349 Hüffer/Koch, § 93 Rn. 44; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142; Fleischer, DB 2015, 1764, 1769; vgl. Krieger, ZGR (41) 2012, 496, 502: Auswertung durch Rechtsabteilung mit anschließendem Bericht an Geschäftsleiter. 350 Hahn/Naumann, CCZ 2013, 156, 163. 351 Decker, GmbHR 2014, 72, 77. 352 Kort, AG 2015, 531, 534; Steber, DStR 2015, 2391, 2394 f.; Buck-Heeb, BB 2016, 1347, 1348. 353 Strohn, ZHR 176 (2012) 137, 143. 354 Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1404; Spindler/Stilz/Fleischer, § 93 Rn. 35e; a. A.: Merkt/ Mylich, NZG 2012, 525, 529. 355 Mu¨ ller, NZG 2012, 981, 982: Hinzuziehung eines weiteren Experten nicht ohne besondere Anhaltspunkte; Gottschalk/Weng, GWR 2013, 243, 246; vgl. Primaczenko, GWR 2011, 518: empfehlenswert. 356 Müller, DB 1301, 1306. 357 Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer-Coceani, § 93 Rn. 16; Kort, AG 2015, 531, 534. 348

68

E. Einholung von Rat

III. Das Vorverständnis des Gesetzgebers (Ergebnis) Die Gesetzesmaterialien zum UMAG legen nahe, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung – jedenfalls implizit – ein Vorverständnis vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse zugrunde gelegt hat. Dieses Vorverständnis erkennt die Möglichkeit einer verhaltenssteuernden Wirkung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung nach § 93 AktG auf ihre Adressaten an. Außerdem ist nach diesem Vorverständnis zu erwarten, dass von der aktienrechtlichen Vorstandshaftung bestimmte verhaltenssteuernde Wirkungen auf Vorstandsmitglieder gerade nicht ausgehen: Das Gesetz möchte den Mut zum unternehmerischen Risiko nicht nehmen, zugleich aber Unbesonnenheit und Leichtsinn auf Kosten der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer keinen Vorschub leisten.358 Keinesfalls zielt der Entwurf darauf, dass durch routinemäßiges Einholen von Sachverständigengutachten, Beratervoten oder externe Marktanalysen eine rein formale Absicherung stattfindet.359 Der Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, einem richterlichen hindsight bias Rechnung zu tragen (siehe oben C.V.4.) beruht ebenfalls auf einem – ggf. impliziten – Vorverständnis vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse. Der Gesetzgeber hat aufgrund seines psychologischen Vorverständnisses eine konkrete Ausgestaltung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung vorgenommen, nach der eine Erfolgshaftung der Organmitglieder gegenüber der Gesellschaft ausdrücklich ausscheide.360 Die Schaffung ungeschriebener Voraussetzungen der Vorstandshaftung in Beraterfällen durch die Rechtsprechung bzw. die Literatur kann mit dem vom Gesetzgeber auf Grundlage seines – impliziten – Vorverständnisses geschaffenen Haftungsmodell im Einklang stehen oder auch nicht. Die Untersuchung des vom UMAG-Gesetzgeber zugrunde gelegten psychologischen Vorverständnisses erfordert einen interdisziplinären Ansatz.

358 359 360

Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 12. Ebenda. Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 11.

F. Einführung in die interdisziplinäre Untersuchung I. Grundsätzliches zur Erkenntnisgewinnung Die Verhaltenspsychologie ist eine empirische Wissenschaft. Psychologen formen Hypothesen über Ursachen und Wirkungen und testen diese in Experimenten.361 Es handelt sich nicht um einen Bestand an Überzeugungen und Übungen, jenseits von aktiver Forschung. Sie ist vorwärtsgerichtet und erkundend, nicht traditionsgebunden und dogmatisch.362 Die empirische Erkenntnisgewinnung unterscheidet die Verhaltenspsychologie von der Philosophie oder der Gesellschaftstheorie und auch von der Rechtswissenschaft. Hans Albert hat anhand der Legende vom Baron von Münchhausen einen fundamentalen Ansatz zur Epistemologie begründet.363 Dieser findet auf jegliche Theorie Anwendung.364 Der Legende nach zog der Baron von Münchhausen sich und sein Ross an seinem eigenen Schopfe aus einem Sumpf. Die Legende veranschaulicht das grundsätzliche Problem der Erkenntnisgewinnung, dass jede Annahme auf einer grundsätzlicheren Annahme bzw. einem grundsätzlicheren Prinzip beruht.365 Zur Lösung dieser Problematik werden drei verschiedene Ansätze vertreten: (1) Gewisse Prinzipien seien unbeweisbar; (2) die grundsätzlicheren Prinzipien seien durch andere Prinzipien beweisbar, was zu einem unendlichen Rekurrieren führt; (3) man akzeptiert Erkenntnisgewinnung als zirkulär und legt gewisse Prinzipien unhinterfragt zugrunde.366 Die Probleme der induktiven Erkenntnisgewinnung beschreibt David Hume wie folgt: „These two propositions are far from being the same, I have found that such an object has always been attended with such an effect, and I foresee, that other objects, which are, in appearance, similar, will be attended with similar effects. I shall allow, if you please, that the one proposition may justly be inferred from the other: I know, in fact, that it always is inferred. But if you insist that the inference is made by a chain of reasoning, I desire you to produce that reasoning. The connection between these propositions is not intuitive. There is required a medium, which may enable the mind to draw such an inference, if indeed it be 361 362 363 364 365 366

Myers, Social Psychology, S. 3 f. Bunge (1984), 36, 41. Albert, Traktat über kritische Vernunft, S. 15; Boudon, Le sens des valeurs, S. 19. Boudon, Le sens des valeurs, S. 20. Boudon, Le sens des valeurs, S. 19. Albert, Traktat über kritische Vernunft, S. 15; Boudon, Le sens des valeurs, S. 19 f.

70

F. Einführung in die interdisziplinäre Untersuchung drawn by reasoning and argument. What that medium is, I must confess, passes my comprehension; and it is incumbent on those to produce it, who assert that it really exists, and is the origin of all our conclusions concerning matter of fact.“367

Der Schluss von beobachteten Ereignissen auf zukünftige Ereignisse kann nach Hume nicht anhand der Vernunft gezogen werden. Die induktive Empirie ist auf die Annäherung an die Wahrheit ausgelegt, kann diese aber nicht für sich beanspruchen. Die induktive Empirie erlaubt keinen logischen Schluss auf zukünftige Ereignisse. Ludwig Wittgenstein führt dazu aus: „6.363 Der Vorgang der Induktion besteht darin, dass wir das e i n f a c h s t e Gesetz annehmen, das mit unseren Erfahrungen in Einklang zu bringen ist. 6.3631 Dieser Vorgang hat aber keine logische, sondern nur eine psychologische Begründung. Es ist klar, dass kein Grund vorhanden ist, zu glauben, es werde nun auch wirklich der einfachste Fall eintreten. 6.36311 Dass die Sonne morgen aufgehen wird, ist eine Hypothese; und das heißt: wir w i s s e n nicht, ob sie aufgehen wird. 6.37 Einen Zwang, nach dem Eines geschehen müsste, weil etwas anderes geschehen ist, gibt es nicht. Es gibt nur eine l o g i s c h e Notwendigkeit.“368

II. Wissenschaftlicher Prozess Karl Popper umgeht die problematische Beziehung zwischen Empirie und Logik mit seinem Ansatz, dass sich Erkenntnisgewinnung durch Vermutung und Widerlegung vollziehe (Falsifikation), denn die Logik lässt den modus tollens zu: „Von dem hier entwickelten Standpunkt aus bleiben also alle Gesetze und alle Theorien prinzipiell vorläufig; sie bleiben Vermutungen oder Hypothesen, selbst dann, wenn wir uns außerstande fühlen, sie weiter in Zweifel zu ziehen. Bevor eine Theorie widerlegt ist, können wir nie wissen, in welcher Weise sie vielleicht geändert werden muss.“369

Während Popper wissenschaftlichen Fortschritt anhand der Logik beschreibt, betont Thomas Kuhn die dabei vom Menschen eingenommene Rolle. Den Ansätzen ist gemein, dass sie wissenschaftlichen Fortschritt als Revolution verstehen. Sie unterscheiden sich in der diesbezüglichen Rolle der Kritik.370 Nach Kuhn ist wissenschaftliche Revolution eine Folge des Auftretens von Anomalien, die durch ein allgemein akzeptiertes Paradigma, innerhalb dessen sich der wissenschaftliche Fortschritt bis Dato vollzog, nicht erklärt werden können. Die konsequente Ver367

Hume, Enquiries Concerning the Human Understanding, and Concerning the Principles of Morals, § 4 Rn. 29. 368 Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, S. 158 (6.3631). 369 Popper, Vermutungen und Widerlegungen, S. 78; vgl. Kritik von Hausman (1985), 313 f. m. w. N. 370 Kuhn, in: Lakatos/Musgrave, Criticism and the Growth of Knowledge, S. 1, 14.

III. Empirie

71

werfung eines Paradigmas ist menschlichem Widerwillen ausgesetzt und geht mit der Akzeptanz eines neuen Paradigmas einher (Paradigmenwechsel).371 Imre Lakatos beschreibt den wissenschaftlichen Prozess als Abfolge von Theorien, denen ein harter Kern gemein ist (Forschungsprogramm).372 Eine neue Theorie kann theoretisch progressiv sein, indem sie eine aus dem Blickwinkel einer älteren Theorie unerwartete Aussage trifft oder empirisch progressiv indem ihre Hypothesen teilweise durch empirische Befunde bestätigt werden können.373 Der modus tollens richtet sich grundsätzlich nicht gegen den harten Kern der Theorien, sondern gegen einen aus Hilfsannahmen gebildeten Schutzgürtel.374 Erst wenn der Schutzgürtel nicht weiter durch empirische Befunde verstärkt wird, ist der harte Kern der Falsifikation zugänglich.375 Entscheidend ist nach diesem Ausschnitt aus einer Vielzahl von Auffassungen, dass Wissenschaft kein punktueller Schritt ist, sondern ein ständiger Prozess. Dieser Prozess erfordert „(e)ine tätige Skepsis: welche unablässig bemüht ist, sich selbst zu überwinden, um durch geregelte Erfahrung zu einer Art von bedingter Zuverlässigkeit zu gelangen.“376

III. Empirie Die experimentelle Untersuchung von Ursache-Wirkungs-Mechanismen erfolgt durch die Manipulation eines Faktors oder mehrerer Faktoren (unabhängige Variablen) und die zielgerichtete Gleichhaltung anderer.377 Das Ausmaß in dem dies gelingt bezeichnet die interne Validität.378 Die von dem Versuchsleiter gemessene Variable ist die abhängige Variable; der Versuchsleiter will erfahren, ob die abhängige Variable durch die unabhängige Variable beeinflusst wird.379 Die externe Validität bezeichnet das Ausmaß, in dem die Ergebnisse einer Studie auf andere Situationen und auf andere Menschen übertragbar sind.380 Die lediglich oberflächliche Vergleichbarkeit eines Experimentaufbaus mit echten Lebenssachverhalten beschreibt der Begriff „mundane realism“381. Unge371

Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, S. 77. Lakatos, in: Lakatos/Musgrave, Criticism and the Growth of Knowledge, S. 91, 55. 373 Lakatos, in: Lakatos/Musgrave, Criticism and the Growth of Knowledge, S. 91, 118. 374 Lakatos, in: Lakatos/Musgrave, Criticism and the Growth of Knowledge, S. 91, 133 f. 375 Lakatos, in: Lakatos/Musgrave, Criticism and the Growth of Knowledge, S. 91, 134. 376 Goethe, Maximen und Reflexionen, S. 651. 377 Myers, Social Psychology, S.13. 378 Aronson/Wilson/Akert, Social Psychology, S. 36 f. 379 Aronson/Wilson/Akert, Social Psychology, S. 36. 380 Aronson/Wilson/Akert, Social Psychology, S. 38 f. 381 Wilson/Aronson/Carlsmith, in: Fiske/Gilbert/Lindzey, Handbook of Social Psychology, S. 51, 56 f. m. w. N. 372

72

F. Einführung in die interdisziplinäre Untersuchung

achtet der Künstlichkeit einer im Labor geschaffenen Situation im Vergleich zum alltäglichen Leben können Experimente die Teilnehmer gefühlsmäßig derart einnehmen, dass sie „echte“ Reaktionen zeigen („experimental realism“382). Die im Labor erzeugten kognitiven Prozesse sollten, gemessen an den pychologischen Prozessen, die sich im Alltagsleben abspielen, authentisch sein („psychological realism“383). Das Mittel, um die Generalisierbarkeit von Studienergebnissen auf eine Population sicherzustellen, ist die Auswahl der Studienteilnehmer nach dem Zufallsverfahren aus eben dieser Population.384 Hier ergeben sich die praktischen Hürden der empirischen Forschung. Die Teilnehmer psychologischer Experimente sind nicht stets, aber häufig Studenten und bei Leibe kein repräsentatives Abbild der Bevölkerung.385 Die Annäherung an die Entdeckung universeller psychologischer Prozesse vollzieht sich durch Wiederholung von Experimenten. Die statistische Auswertung verschiedener Studien in Bezug auf eine unabhängige Variable bezeichnet man als Metaanalyse. Im Grundsatz entspricht diese Analyse der Ermittlung des sogenannten P-Wertes nach der klassischen Statistik.386 Die Teilnehmer der verschiedenen Studien können sich beispielsweise in ihrem Alter, Geschlecht oder kulturellen Hintergrund unterscheiden. Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften können eine eigene Population in diesem Sinne darstellen. Die externe Validität im Hinblick auf Vorstandsmitglieder wäre hoch, wenn die Teilnehmer der jeweiligen Studien Angehörige dieser Population wären. Derartigen Studien im Labor begegnen unter anderem organisatorischen Schwierigkeiten. Feldexperimente sind demgegenüber Experimente, die in der natürlichen Umgebung durchgeführt werden, nicht im Labor.387 Vorstandsmitglieder würden gar nicht merken, dass sie Teilnehmer einer Studie sind – was neben organisatorischen auch rechtliche Probleme aufwirft. Die externe Validität wäre höher als bei Laborexperimenten mit Teilnehmern, die kein Vorstandsamt bekleiden. Feldexperimente scheinen Laborexperimenten insoweit überlegen zu sein. Die Schwäche von Feldexperimenten ist die interne Validität. Für die empirische Erforschung etwa von Zusammenhängen zwischen Verantwortung von Vorstandsmitgliedern und deren Verhalten sind Messungen außerhalb des Labors in Feldexperimenten regelmäßig durch eine Vielzahl von Variablen kontaminiert.388

382 Wilson/Aronson/Carlsmith, in: Fiske/Gilbert/Lindzey, Handbook of Social Psychology, S. 51, 56 f. m. w. N. 383 Wilson/Aronson/Carlsmith, in: Fiske/Gilbert/Lindzey, Handbook of Social Psychology, S. 51, 57 m. w. N.; Myers, Social Psychology, S.10. 384 Aronson/Wilson/Akert, Social Psychology, S. 39. 385 Myers, Social Psychology, S.12. 386 Aronson/Wilson/Akert, Social Psychology, S. 40 f. 387 Aronson/Wilson/Akert, Social Psychology, S. 39 f. 388 Simonson/Staw (1992), 419, 421.

IV. Grundsätzliches zur Statistik

73

Experimente im Labor unterscheiden sich dadurch von Lebenssachverhalten, dass sie eine kontrollierte und vereinfachte Realität abbilden.389 Die Stärke von Laborexperimenten ist die interne Validität. Zwischen interner und externer Validität besteht somit nahezu immer ein trade-off, den man auch als „basic dilemma of the social psychologist“390 bezeichnet. Eine Lösung bietet die Wiederholung von Experimenten und die Durchführung von Metaanalysen. Dies gilt auch für die Übertragung von Studienergebnissen auf Vorstandsmitglieder bei ihrer unternehmerischen Tätigkeit. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse konkreter psychologischer Studien auf Vorstandsmitglieder betrifft die Frage der externen Validität.391 Vorstandsmitglieder könnten zum Beispiel aufgrund einer besonderen Sozialisation eine Population darstellen, die sich im Hinblick auf einzelne verhaltenspsychologische Phänomene von den jeweiligen Studienteilnehmern unterscheidet. Die Befunde wären durch die Wiederholung der Studien mit Vorstandsmitgliedern gegebenenfalls zu falsifizieren. Es handelte sich in diesem Fall nicht um universelle verhaltenspsychologische Phänomene.

IV. Grundsätzliches zur Statistik Die klassische Statistik überprüft die Übereinstimmung einer Hypothese mit aus Beobachtungen gewonnenen Daten mittels Signifikanztests.392 Zurzeit gibt es einen klaren Trend zur Bayes’schen Statistik, welche keine Signifikanztests kennt.393 Die statistische Signifikanz wurde in der Psychologie in letzter Zeit kontrovers diskutiert; stark befürwortet wird beispielsweise die Berücksichtigung von Effektgrößen.394 Besonders bedeutsam ist dies für die juristische Nutzbarmachung experimentell gewonnener Daten.395 Die Grundlagen der klassischen Statistik sind nach wie vor unabdingbar zum Verständnis der nach dem klassischen Modell durchgeführten Studien. Die klassische Statistik fragt nach der Wahrscheinlichkeit einer Produktion von Datensätzen, die so extrem sind, wie die beobachteten.396 Ausgangspunkt ist die Null-Hypothese H0, dass zwischen – anhand der zu vergleichenden Datensätze ermittelten – Mittelwerten kein Zusammenhang bestehe. Der Signifikanztest ermittelt 389

Myers, Social Psychology, S.12. Wilson/Aronson/Carlsmith, in: Fiske/Gilbert/Lindzey, Handbook of Social Psychology, S. 51, 59. 391 Vgl. Engel, in: Engel/Englerth/Lüdemann/Spiecker genannt Döhmann, Recht und Verhalten, S. 363, 367 f. 392 Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics, S. 372 ff. 393 Lee, Bayesian Statistics – An Introduction, S. 3 f. 394 Cohen (1990), 1304 ff.; Cumming, The New Statistics, S. 21 ff. 395 Engel, in: Engel/Englerth/Lüdemann/Spiecker genannt Döhmann, Recht und Verhalten, S. 363, 366 f. 396 Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics, S. 377. 390

74

F. Einführung in die interdisziplinäre Untersuchung

das Gewicht der Beweise gegen die Null-Hypothese.397 Auch bei Vorliegen von H0 können die Messergebnisse bezüglich der jeweiligen Gruppen zufällig voneinander abweichen. Diese Wahrscheinlichkeit gibt der P-Wert an. Je kleiner der P-Wert ist, desto schwerer wiegt der Beweis gegen H0.398 Anhand des P-Wertes wird festgestellt, ob statistische Signifikanz vorliegt oder nicht. Der Wert, ab dem statistische Signifikanz angenommen werden kann, ist nicht durch ein Naturgesetz vorgegeben, sondern im Grunde beliebig. Ein Signifikanzlevel von a = 0.05 verlangt, dass die Ergebnisse gegen H0 nicht häufiger als in 5 % der Fälle aufgrund bloßer Wahrscheinlichkeit zu erwarten wären;399 ein Signifikanzlevel von a = 0.01 bietet einen stärkeren Beweis gegen H0. Man formuliert die statistische Signifikanz am Level a.400 Es gibt juristische Argumentationen, denen statistische Berechnungen zugrunde liegen, zum Beispiel im US-amerikanischen Antidiskriminierungsrecht. Der U.S. Supreme Court hatte über die Diskriminierung eines US-Amerikaners mit mexikanischen Hintergrund durch die Zusammensetzung der grand jury in einem Strafverfahren zu entscheiden. Die richterliche Ernennung zum grand juror setzt voraus, dass der Kandidat „of sound mind and good moral character“ ist. Die Bevölkerung des betreffenden county bestand zu 79 % aus US-Amerikanern mit mexikanischem Hintergrund. Diese machten an der Gesamtheit der dortigen grand jurors innerhalb der letzten 11 Jahre einen Anteil von lediglich 39 % aus. Der U.S. Supreme Court nahm einen prima facie Beweis für eine absichtliche Diskriminierung an.401 Dies entspricht einer statistischen Signifikanz am Level a = 0.0445, wenn es um die Über- oder Unterschreitung eines vorgegebenen Wertes geht (einseitiger Test) und eine Signifikanz am Level a = 0.0027 wenn es um Abweichungen von einem vorgegebenen Wert in beide Richtungen geht (zweiseitiger Test).402 Statistische Signifikanz kann anhand verschiedener Tests ermittelt werden. Der Einstichproben-t-Test (one sample t-test) prüft anhand des Mittelwerts der Stichprobe (x den Unterschied des Mittelwerts der Grundgesamtheit l von dem durch die Nullhypothese vorgegebenen Wert l0. Die Nullhypothese kann nicht verworfen werden, wenn der Mittelwert der Stichprobe (x nahe an dem vorgegebenen Wert l0 liegt.

Eine normalverteilte Population hat den Mittelwert l und die Standardabweichung s. Die Standardabweichung gibt das Maß der Streuung der Werte um den Mittelwert l an. Bei einer normalverteilten Gesamtheit finden sich 68,3 % der Werte 397

Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics, S. 374. Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics, S. 377. 399 Die Punkt- und Kommasetzung innerhalb statistischer Angaben folgt der Gepflogenheit im angelsächsischen Sprachraum. 400 Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics, S. 378 f. 401 Castaneda v. Partida, 430 US 482, 97 S.Ct. 1272. 402 Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics, S. 378 f. 398

IV. Grundsätzliches zur Statistik

75

im Intervall einer Standardabweichung s um den Mittelwert l herum, d. h. im Intervall l : s sowie 95,4 % im Intervall l : 2s und 99,7 % im Intervall l : 3s. Ist eine Stichprobe repräsentativ, liegen ihr Mittelwert (x und der Mittelwert der Grundgesamtheit l nahe beieinander. Das Maß der Streuung der Werte in der Stichprobe, d. h. die Standardabweichung in der Stichprobe wird mit der Größe der Stichprobe n geringer.

# ! Da die Standardabweichung s der Gesamtpopulation in der Praxis unbekannt ist, wird sie anhand der Standardabweichung s in der Stichprobe geschätzt. Dies bezeichnet man als den Standardfehler. Der Standardfehler des Mittelwerts der Stichprobe (x ist entsprechend:

%'" "

$ !

Hinter der Berechnung der Standardabweichung s in einer Stichprobe steht die Überlegung, dass die Abweichungen xi – (x die Streuung der Werte xi um den Mittelwert (x zeigen.

$"

%"" % "$ ! ! %"! % "$ ! ! ###! %"! ! "$ ! ! %"

Die Addition aller Einzelabweichungen links und rechts vom Mittelwert ergibt null. Für statistische Zwecke ist die Null nicht brauchbar. Daher werden die Abweichungen bildhaft soweit miteinander verrechnet bis nur noch eine einzige übrig bleibt – „die letzte vor Null“. Die konkrete Einzelverrechnung der Werte kann frei variieren und hat keinen Einfluss darauf, dass am Ende ein und derselbe Wert übrig bleibt. Bei insgesamt n Werten gibt es in diesem Rechenbeispiel n – 1 Werte, die frei variieren können, ohne den letzten Wert – die Statistik – zu beeinflussen. Die Freiheitsgrade bezeichnen die Anzahl der Werte, die bei einer bestimmten Anzahl von Messungen und einem bestimmten Mittelwert frei variieren können (degrees of freedom).403

403

Healy, Statistics: A tool for social research, S. 203 Fn. 2.

76

F. Einführung in die interdisziplinäre Untersuchung

Anhand dieser Werte lässt sich eine so genannte t-Verteilung aufstellen: Zieht man aus einer normalverteilten Population N (l, s) eine Stichprobe der Größe n, so hat die Einstichproben-t-Statistik

#"

"%$ $ !

bei n – 1 Freiheitsgraden eine sogenannte t-Verteilung. Je weiter rechts auf der tVerteilung der Wert für t liegt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit p, dass die gemessenen Unterschiede zufällig sind. Es ergeben sich beispielsweise für n = 26, d. h. bei 26 – 1 = 25 Freiheitsgraden, t(25), die folgenden kritischen Werte für t: p

.10

.05

.025

.01

.001

t

1.316

1.708

2.060

2.485

3.450

Die Zwei-Stichproben-t-Statistik prüft die Hypothese H0 : l1 = l2, wenn zwei Stichproben der Größen n1 und n2 aus jeweils normalen Populationen mit den jeweils unbekannten Mittelwerten l1 und l2 gezogen wurden.404 In diesem Fall müssen zwei Standardabweichungen (s1 und s2) durch Schätzungen ersetzt werden (s1 und s2).

#"

"" % " ! $"! $!! ! !" !!

Die kritischen Werte richten sich auch nach der t(k)-Verteilung (siehe oben), wenn die Freiheitsgrade k annähernd berechnet werden konnten oder einfach der kleinere der Werte n1 – 1 und n2 – 1 genommen wird. Die F-Statistik kann die Varianzen zweier Stichproben miteinander vergleichen.405 Es liegen zum Beispiel zwei Stichproben aus normalverteilten Populationen vor – eine der Größe n1 aus der Population N(l1,s1) und eine der Größe n2 aus der Population N(l2,s2). Die Mittelwerte und Standardabweichungen der Populationen sind unbekannt. Die Hypothese gleicher Streuung H0 : s1 = s2 wird anhand der F-Statistik überprüft. Sie ist das Verhältnis der Varianzen der beiden Stichproben zueinander. Die Varianz s2 ist die Standardabweichung s zum Quadrat. Es 404 405

Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics, S. 454 f. Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics, S. 474 f.

V. Statistik und Ziele des Gesetzgebers

77

ergibt sich:

&"

!

$" $! !

Die F-Statistik kann zudem zum Vergleich verschiedener Mittelwerte eingesetzt werden.406 Im Rahmen einer ANOVA (analysis of variance) können mehrere Populationen im Hinblick auf verschiedene Faktoren untersucht werden. Handelt es sich dabei um einen einzelnen Faktor, so spricht man von einer one-way ANOVA.407 Die sogenannte F-Verteilung bestimmt sich anhand der Freiheitsgrade im Zähler und im Nenner. Die Freiheitsgrade im Zähler (j) und im Nenner (k) werden durch die Schreibweise F(j, k) angegeben.408 Für jede Kombination von Freiheitsgraden ergibt sich eine andere F-Verteilung. Für jede konkrete F-Verteilung ergibt sich ein kritischer F-Wert. Der Freiheitsgrad im Zähler folgt hier aus Anzahl der Populationen minus eins; bei zwei Populationen ergibt sich ein Freiheitsgrad im Zähler von j = 1. Der Freiheitsgrad im Nenner ergibt sich aus der Anzahl der Werte minus die Anzahl der Populationen; bei 202 ermittelten Werten und zwei Populationen ergeben sich Freiheitsgrade im Nenner von k = 200. Im Beispielsfall von einem Freiheitsgrad im Zähler und 200 im Nenner, F(1, 200), ergeben sich folgende kritische P-Werte für F: p

.10

.05

.025

.01

.001

F

2.73

3.89

5.10

6.76

11.15

V. Statistik und Ziele des Gesetzgebers Eine juristische Zielrichtung bei der Aufstellung von Rechtssätzen ist der gerechte Ausgleich von Interessen. Dies ist durch die allgemeine Kodifikation einer Verhaltensvorgabe nur begrenzt möglich. Dies zeigt sich exemplarisch beim Vertretenmüssen im bürgerlichen Recht. Der Schuldner hat gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Fahrlässig in diesem Sinne handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB). Der Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist in erster Linie objektiv festzusetzen,409 sodass subjektive Entlastungsfaktoren nicht berücksichtigt wer-

406 407 408 409

Ebenda. Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics, S. 644 f. Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics, S. 660 f. MünchKomm-BGB/Grundmann, § 276 Rn. 55.

78

F. Einführung in die interdisziplinäre Untersuchung

den.410 Eine Deckungsgleichheit mit der üblichen Sorgfalt ist dabei zwar nicht zwingend, zumal etwa eine eingerissene Verkehrssitte keinen Entschuldigungsgrund darstellt. Berücksichtigung findet aber eine tatsächliche Übung.411 Insoweit richtet sich der Maßstab am Verhalten der Mehrheit aus. Vorbehaltlich der Grenzen eingerissener Verkehrs(un)sitten ist das tatsächlich ausgeübte Mehrheitsverhalten der Sorgfaltsmaßstab für den Einzelnen. Er hat nicht einen vergleichsweise höheren Sorgfaltsmaßstab einzuhalten als die Mehrheit, sondern eben den der Mehrheit. Insofern ist die Zielrichtung von § 276 Abs. 2 BGB die grundsätzliche Ausrichtung des Einzelnen am tatsächlichen Verhalten der Mehrheit. Allerdings „(schärfen) besondere subjektive Stärken den Sorgfaltsstandard (individuell)“412, d. h. Spezialwissen wird im Einzelfall zu Lasten des Schädigers berücksichtigt. Haftungsrechtliche Normen und Sorgfaltsmaßstäbe sollen eine präventive Wirkung auf die Regelungsadressaten haben (vgl. oben C.II.) – d. h. realistischer Weise nicht auf jedes betroffene Individuum, sondern auf die Mehrheit der Regelungsadressaten. Das Haftungsrecht soll eine verhaltenssteuernde Wirkung im Hinblick auf Verletzungen der haftungsrechtlichen Vorschriften entfalten. Das gänzliche Ausbleiben von Zuwiderhandlungen aufgrund des Bestehens haftungsrechtlicher Normen kann und soll nicht garantiert werden. Der Sinn und Zweck von Haftungsnormen betrifft eine – vom Gesetzgeber ggf. unausgesprochen angenommene – Einwirkung auf das Verhalten der Mehrheit der Regelungsadressaten. Die Analyse dieser präventiven Wirkung kann anhand der Statistik erfolgen, falls entsprechende Daten verfügbar sind. Ein weiteres Ziel kann in der Schaffung eines Instrumentenkastens zur Verwirklichung individueller und wirtschaftlicher Freiheiten bestehen. Der Ausgestaltung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt ein Verständnis erfolgreicher Geschäftsführung als individuelles Phänomen zugrunde („[G]erade der Unternehmer, der sich antizyklisch verhält und das Unerwartete tut, mag Erfolg haben“413; vgl. oben C.V.2.). Der Gesetzgeber kann ein unausgesprochenes Vorverständnis vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse haben, welches sich mit empirisch gewonnenen Erkenntnissen deckt oder auch nicht. Dies zeigt sich beispielhaft an § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG sowie § 15a Abs. 4, 5 InsO: Mitglied des Aufsichtsrats kann nicht sein, wer in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied derselben börsennotierten Gesellschaft war, es sei denn, seine Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25 Prozent der Stimmrechte an der Gesellschaft halten (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG). Die durch das im August 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG)414 eingeführte Bestimmung einer 410

MünchKomm-BGB/Grundmann, § 276 Rn. 56. Palandt/Grüneberg, § 276 Rn. 16 m. w. N. 412 MünchKomm-BGB/Grundmann, § 276 Rn. 56 m. w. N. 413 Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 12. 414 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergu¨ tung (VorstAG) vom 31. Juli 2009, BGBl. 2009 Teil I Nr. 50, S. 2509. 411

V. Statistik und Ziele des Gesetzgebers

79

zweijährigen Karenzzeit für den Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat („cooling-offperiod“) soll Interessenkonflikten entgegenwirken und den möglichen Einfluss des Vorstands auf den Aufsichtsrat über die ehemaligen Vorstandsmitglieder verhindern.415 Die Regelung deutet das gesetzgeberische Vorverständnis an, dass ein Aufsichtsratsmitglied sich mit erhöhter Wahrscheinlichkeit befangen oder defensiv verhält, wenn es in den letzten zwei Jahren Vorstandsmitglied der Gesellschaft war. Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Zweck der Antragspflicht liegt in der rechtzeitigen Einleitung des Insolvenzverfahrens zum Schutz der Gläubiger vor Schädigungen durch Verschleppung der Insolvenz bei gleichzeitig fehlender persönlicher Haftung einer natürlichen Person.416 Die Vorschrift bezweckt die Unterbindung der unternehmerischen Tätigkeit von Gesellschaften, die sich im Zustand materieller Insolvenz befinden, zum Schutz des Rechtsverkehrs, d. h. der potentiellen Gläubiger und der bestehenden Gläubiger, sowie bei Versagung dieses Schutzes eine Überführung der Gesellschaft in ein für die Gläubiger interessengerechtes Insolvenzverfahren.417 Die Verletzung der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages i. S. v. § 15a Abs. 1 InsO bei juristischen Personen und gemäß § 15a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO bei bestimmten Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (insb. die GmbH & Co KG) stellt einen Straftatbestand dar (§ 15a Abs. 4, 5 InsO). Der Gesetzgeber geht offenbar davon aus, dass die antragspflichtigen Personen einen Anreiz haben, vom Stellen des Insolvenzantrags abzusehen. Diesem Anreiz will er durch die Statuierung einer strafbewehrten Antragspflicht entgegenwirken. Nach dem unausgesprochenen psychologischen Vorverständnis des Gesetzgebers vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse ist im tatbestandlichen Bereich der Insolvenz die Tendenz zu einer besonders hohen Risikobereitschaft zu erwarten, um ein drohendes Insolvenzverfahren abzuwenden.

Dieses unausgesprochene psychologische Vorverständnis des Gesetzgebers deckt sich mit einschlägigen verhaltenspsychologischen Studien. Drohende Verluste lösen beim Menschen eine besonders hohe Risikobereitschaft aus. Der Mensch bevorzugt tendenziell die Chance, einen drohenden großen Verlust völlig abzuwenden – selbst wenn diese Chance sehr gering ist – anstatt einen mittleren Verlust definitiv in Kauf zu nehmen. Im Hinblick auf die Realisierung von Gewinnen verhält sich der Mensch tendenziell entgegengesetzt, indem er einen mäßigen sicheren Gewinn bevorzugt; die geringe Wahrscheinlichkeit eines hohen Gewinnes mit der zusätzlichen Möglichkeit, gar nichts zu gewinnen, lehnt er in der Regel ab. Kahneman und Tversky (1984) kamen zu dem Ergebnis, dass die meisten Menschen einen sicheren Gewinn von US$ 800 gegenüber einem Gewinn von US$ 850 mit einer Wahrscheinlichkeit von 85 % und einer 15 %igen Wahrscheinlichkeit eines Totalverlusts bevorzugten. Haben Menschen die Wahl zwischen einem sicheren Verlust in Höhe von US$ 800 oder einem Verlust in Höhe von US$ 1.000 mit 85 %iger Wahrscheinlichkeit bei 415

Spindler/Stilz/Spindler, § 100 Rn. 30 m. w. N. K. Schmidt/Herchen, in: K. Schmidt, InsO, § 15a Rn. 1; MünchKomm-InsO/Klöhn, § 15a Rn. 7 m. w. N.; vgl. Begründung RegE MoMiG, BT-Drs. 16/6140, S. 55. 417 K. Schmidt/Herchen, in: K. Schmidt, InsO, § 15a Rn. 1. 416

80

F. Einführung in die interdisziplinäre Untersuchung

15 %iger Chance gar keinen Verlust zu erleiden, wählen nach den Ergebnissen von Kahneman und Tversky die meisten Menschen die zweite Alternative. Wenn es um die Abwendung von Verlusten geht, handeln Menschen demnach risikofreudig.418 Dieses Verhalten bezeichneten Kahneman und Tversky als „loss aversion“419. Der bias scheint tief in der (menschlichen) Evolution verwurzelt zu sein, da das gleiche Phänomen in Studien mit Kapuzineraffen beobachtet werden kann.420 1. Die Annahme rationalen Verhaltens des Normadressaten Der Gesetzgeber bezieht seine Annahmen über menschliche Entscheidungsprozesse bereits aus rein praktischen Gründen nicht auf jeden individuell betroffenen Normadressaten, sondern auf einen „typischen“ Adressaten. Ähnlich verfolgt auch Ökonomik mit der Aufstellung eines Modells (individuellen) menschlichen Verhaltens den Hauptzweck, „typisches“ Verhalten zu erklären.421 Das Modell des sogenannten homo oeconomicus beruht auf der Annahme, dass Individuen Entscheidungen eigenständig, d. h. bestimmt durch eigene Präferenzen422 oder durch Beschränkungen des jeweiligen Handlungsspielraums,423 rational treffen.424 Rationalität heißt nicht die ständige Ausrichtung des Verhaltens an der optimalen, gleich durch einen wandelnden Computer ermittelten Handlungsoption, sondern die prinzipielle Fähigkeit des Individuums zur Ermittlung und Bewertung seiner Handlungsoptionen sowie zur entsprechenden Ausrichtung seines Verhaltens.425 Dabei steht das Individuum häufig unter Zeitdruck; seine Informationsgrundlage ist unvollständig und die Beschaffung weiterer Informationen kostspielig (vgl. oben C.IV.). Freilich handelt es sich dabei um bloße Annahmen, welche im Einzelfall überprüft und angepasst, gegebenenfalls sogar verworfen werden müssen. Wie jede Theorie ist auch das Modell des homo oeconomicus von unzähligen Anomalien umgeben. Seine vollständige Verwerfung rechtfertigt dies nicht (vgl. oben F.II.).426

418

Kahneman/Tversky (1984), 341 f. Ebenda. 420 Chen/Lakshminaryanan/Santos (2006), 517 ff. 421 Frey (1980), 21, 24; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 319 f. 422 Vgl. Becker/Stigler (1977), 76 ff.: zur Stabilität und Identität von Präferenzen; von Weizsäcker, ZgS 1984, 90, 92: adaptive Präferenzen; hierzu Lindenberg, ZgS 1984, 96 ff., 99: Abstellen auf Beschränkungen anstatt Präferenzen. 423 Frey (1980), 21, 24; Lindenberg, ZgS 1984, 96, 99 f. 424 Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 16; vgl. Jensen/Meckling (1994), 4 ff. zum REMM (Resourceful, Evaluative, Maximizing Model). 425 Frey (1980), 21, 23 f.; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 17. 426 Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 207. 419

V. Statistik und Ziele des Gesetzgebers

81

2. „Immunität“ von Vorstandsmitgliedern oder Richtern gegen biases? Der Begriff bias beschreibt in der Verhaltenspsychologie systematische Fehler in der menschlichen Urteilsfindung.427 Neben den grundsätzlichen methodischen Problemen (vgl. oben F.I. und F.II.) stellt sich die Frage, ob zu erwarten ist, dass Vorstandsmitglieder oder Richter aufgrund besonderer Übung, besonderer Aufmerksamkeit für die Vermeidung von Fehlern, besonderen Sachverstandes oder gar besonderer kognitiver Leistungsfähigkeit eine verminderte oder gar keine Anfälligkeit für bestimmte verhaltenspsychologische Phänomene aufweisen, sondern die Fähigkeit haben biases „auszublenden“428. Eine menschliche Fähigkeit, eigene kognitive Vorgänge zu „beobachten“ ist nicht vorhanden oder zumindest stark begrenzt („telling more than we can know“429). Die meisten biases arbeiten nicht auf der Bewusstseinsebene und hinterlassen wahrscheinlich keine phänomenologisch wahrnehmbaren Spuren, welche der Mensch selbst erkennen könnte430 – nichtsdestoweniger verlässt sich der Mensch über Gebühr auf die Fähigkeit, eigene biases identifizieren zu können („introspection illusion“).431 Pronin, Lin und Ross (2002) führten eine Reihe von Studien zur Untersuchung „blinder Flecken“ durch („bias blind spots“). In der ersten Studie wurden die Teilnehmer, Psychologiestudenten an der Stanford University, gefragt, in welchem Ausmaß sie sich als anfällig für acht konkret aufgeführte biases betrachteten und im Anschluss, wie ihre diesbezügliche Einschätzung bezüglich des durchschnittlichen US-Amerikaners aussehe. Dabei wurde eine 9-Punkteskala – von 1 (überhaupt nicht) bis 9 (stark) – eingesetzt. Die Teilnehmer schätzten sich weniger anfällig für diese acht biases ein als ihre Mitbürger.432 Zum Ausschluss der Rückführbarkeit dieser Ergebnisse auf den Umstand, dass die Teilnehmer durchweg Studenten an der Stanford University waren und sich gegenüber dem Durchschnittsbürger überlegen fühlten („better than average effect“), wurden Vergleichsstudien mit anderen Populationen durchgeführt (vgl. oben F.III.). Unter anderem bestand eine Population aus Wartenden am Flughafen von San Francisco, die sich und ihre Mitreisenden zu beurteilen hatten. Obwohl das Eingestehen eigener Anfälligkeit für biases einfacher zu sein schien, wurden die Ergeb-

427 Tversky/Kahneman (1974), 1124; zur Entstehung des Forschungsprogramms „biases and heuristics“ in der Verhaltenspsychologie siehe Kahneman/Frederick, in: Gilovich/Griffin/ Kahneman, Heuristics and Biases: The Psychology of Intuitive Judgment, S. 49. 428 von Falkenhausen, NZG 2012, 644, 649. 429 Nisbett/ Wilson (1977), 231, 231; Aronson/Wilson/Akert, Social Psychology, S. 134. 430 Pronin/Gilovich/Ross (2004), 781, 791; vgl. Hawkins/Hastie (1990), 311, 323 zum hindsight bias. 431 Pronin/Kugler (2007), 565, 565; Pronin (2007), 37, 38 f. 432 Pronin/Lin/Ross (2002), 369, 371.

82

F. Einführung in die interdisziplinäre Untersuchung

nisse der vorherigen Studien im Wesentlichen reproduziert.433 Fraglich bleibt, ob eine entsprechende mit Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften durchgeführte Studie abweichende Daten produzieren würde. In einer zweiten Studie hatten Studenten der Stanford University sich selbst in Bezug auf neun positive und negative Charaktereigenschaften auf einer Skala zu bewerten und bekamen im Anschluss einen Text ausgehändigt, in welchem der better than average effect wie folgt erklärt wurde: „Studies have shown that on the whole, people show a ,better than average‘ effect when assessing themselves relative to other members within their group. That is, 70 – 80 % of individuals consistently rate themselves ,better than average‘ on qualities that they perceive as positive, and conversely, evaluate themselves as having ,less than average‘ amounts of characteristics they believe are negative.“434

Im Anschluss an die Lektüre des Textes erhielten sie die Mitteilung, dass die Objektivität der ermittelten Daten äußerst wichtig für den Erfolg der Studie sei, weshalb sie angeben mögen, inwieweit sie meinten, mit ihrer Selbsteinschätzung in Bezug auf die neun Charaktereigenschaften von einem im Höchstmaß akkuraten und objektiven Test abzuweichen: Dabei gestanden 24 % der Teilnehmer die Möglichkeit ein, eine durch bias beeinflusste Einschätzung vorgenommen zu haben.435 Teilnehmer einer Studie von van Boven, White, Kamada und Gilovich (2003) behaupteten gar, weniger anfällig für einen bestimmten bias zu sein, da sie sich unter anderem sehr bemühten, diesen bias durch eigene Anstrengungen zu korrigieren.436 Auch an dieser Stelle muss offen bleiben, ob eine Studie mit Teilnehmern aus der Population von Vorstandsmitgliedern oder Richtern einen höheren Anteil an Eingeständnissen zum Ergebnis hätte. Das Leugnen, selbst biases zu unterliegen, bezeichnet man auch als naiven Realismus437: Der Mensch geht, ohne notwendigerweise darüber nachgedacht zu haben, davon aus, dass vernünftige und faire Menschen mit seinen Anschauungen einverstanden sein sollten; seine Meinung müsse vernünftig sein, andernfalls hätte er sie nicht.438 Selbst das erfolgreiche Erkennen eines eigenen bias lässt keine objektive Urteilsfähigkeit erwarten. Biases sind auf zweierlei Weisen mit optischen Täuschungen vergleichbar: Sie führen zu falschen Folgerungen aus gegebenen Informationen und wirken fort, auch nachdem der Trick aufgedeckt wurde.439 Die Annahmen, Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften oder Richter hätten eine besondere kognitive Leistungsfähigkeit und aufgrund dessen keine 433 434 435 436 437 438 439

Pronin/Lin/Ross (2002), 369, 374. Pronin/Lin/Ross (2002), 369, 375. Ebenda. Van Boven et al. (2003), 249, 256. Pronin/Lin/Ross, (2002), 369, 369; Pronin (2007), 37, 40. Pronin/Lin/Ross (2002), 369, 369. Risinger/Loop (2002), 193, 198.

V. Statistik und Ziele des Gesetzgebers

83

blinden Flecken für bestimmte biases, scheinen verfehlt. Kognitive Leistungsfähigkeit könnte im Gegenteil die Wahrscheinlichkeit des Auftretens blinder Flecken in Bezug auf bestimmte biases erhöhen.440 Die Studien von West, Meserve und Stanovich (2012) legen nahe, dass blinde Flecken in Bezug auf biases bei zunehmend intelligenteren Menschen nicht schwächer werden, sondern häufig stärker.441 Die 482 Teilnehmer erhielten schriftliche Erläuterungen einzelner biases, unter anderem des von Tversky und Kahmeman (1981) untersuchten anchoring effect, welcher die Beeinflussung konkreter Entscheidungen durch scheinbar belanglose Rahmenbedingungen bezeichnet.442 Sie hatten auf einer Sechs-Punkte-Skala die Wahrscheinlichkeit anzugeben, mit der sie selbst dem jeweiligen bias unterlägen sowie die Wahrscheinlichkeit mit der ein durchschnittlicher Kommilitone an der eigenen Universität dem bias unterläge.443 Die Teilnehmer gaben bezüglich jedes einzelnen bias an, selbst weniger anfällig für ihn zu sein als ihre Kommilitonen.444 Zur Bestimmung der kognitiven Leistungsfähigkeit hatten die Teilnehmer ihre Ergebnisse des mündlichen und mathematischen Teils ihres SAT-Tests sowie ihre Gesamtergebnisse anzugeben.445 Zudem bearbeiteten sie einen cognitive reflection test (CRT)446, welcher sich durch Fragen auszeichnet, die eine intuitive, falsche Antwort hervorrufen. Der CRT besteht aus drei Fragen: „(1) A bat and a ball cost $1.10 in total. The bat costs $1.00 more than the ball. How much does the ball cost? ___ cents (2) If it takes 5 machines 5 minutes to make 5 widgets, how long would it take 100 machines to make 100 widgets? ___ minutes (3) In a lake, there is a patch of lily pads. Every day, the patch doubles in size. If it takes 48 days for the patch to cover the entire lake, how long would it take for the patch to cover half of the lake? ___ days“447

Die korrekten Antworten zu den Fragen sind ,5 cents‘, ,5 minutes‘ und ,47 days‘.448 West, Meserve und Stanovich kamen zu dem Ergebnis, dass Teilnehmer, die

440

Vgl. Trivers, Deceit & Self-Deception, S. 38. West/Meserve/Stanovich (2012), 506, 509 f. 442 Tversky/Kahneman (1981), 453, 455 ff. 443 West/Meserve/Stanovich (2012), 506, 508. 444 West/Meserve/Stanovich (2012), 506, 510. 445 West/Meserve/Stanovich (2012), 506, 508 f. 446 Vgl. Frederick (2005), 25, 26 ff. 447 Frederick (2005), 25, 27; West/Meserve/Stanovich (2012), 506, 508. 448 Die letzte Frage des CRT befasst sich mit dem exponentiellen Wachstum eines Bestandes mit einer festen Wachstumsrate (z. B. 3,7 % per annum). Die Verdoppelungszeit T lässt sich anhand des natürlichen Logarithmus von 2 berechnen (ln 2 = 0,6931). Ein Bestand mit einer Wachstumsrate von 1 % p.a. verdoppelt sich in 69,31/1 = 69,3 Jahren. Ein Bestand mit einer Wachstumsrate von 2 % p.a. verdoppelt sich in 69,31/2 = 34,6 Jahren. Bei 3 % sind es 441

84

F. Einführung in die interdisziplinäre Untersuchung

im Rahmen ihrer Ergebnisse beim SAT und CRT höhere Ergebnisse erzielten als die anderen Teilnehmer, wiederum einen stärkeren Effekt bei den blinden Flecken zeigten.449 Dem Eingestehen eigener biases kann auch das Wissen einzelner Teilnehmer um ihre hohen Leistungen und die darauf gestützte Annahme einer besonderen Urteilsfähigkeit entgegenstehen. Es fehlt auch an Anhaltspunkten dafür, dass fachspezifische Ausbildungen von Richtern oder Vorstandsmitgliedern eine Immunität gegen einzelne biases bewirken.450 In ihren Studien zum sunk cost effect kamen Arkes und Blumer (1985) zu dem Schluss, dass das Studium der Wirtschaftswissenschaften – sogar in Koppelung mit einer Beschreibung des sunk cost effect – keinerlei Wirkung auf das Auftreten dieses bias bei ihren Versuchsteilnehmern zu haben schien.451 Auch Studien mit praktizierenden Richtern kommen zu dem Ergebnis des Auftretens eines hindsight bias bei rechtlichen Bewertungen von Sachverhalten (siehe hierzu unten G.II.1.). 3. Zusammenfassendes Ergebnis Es fehlt an hinreichenden Anhaltspunkten für die Annahme, dass Richter in Haftungsprozessen zwischen Vorstandsmitgliedern und der jeweiligen Gesellschaft nicht anfällig für den hindsight bias wären. Die Untersuchung geht auch im Übrigen von der jeweils widerlegbaren Annahme aus, dass Vorstandsmitglieder, soweit sie überhaupt als homogene Population beschreibbar sind, anfällig für die untersuchten biases sind.

23,1 Jahre, bei 4 % sind es 17,3 Jahre und bei 5 % sind es 13,8 Jahre. Bei 10 % p.a. beträgt die Verdoppelungszeit 6,9 Jahre. Obwohl die Verdoppelungszeit im CRT nicht berechnet werden muss, sondern vorgegeben ist (T = ein Tag), finden sich Fälle, in denen die Teilnehmer alle drei Fragen – und damit jedenfalls auch die dritte – falsch beantworteten: Am Massachusetts Institute of Technology + 7 % der Teilnehmer, an der Princeton University + 18 % der Teilnehmer sowie an der Harvard University + 20 % der Teilnehmer. 449 West/Meserve/Stanovich (2012), 506, 511. 450 Vgl. auch Falk/Alles, ZIP 2014, 1209 ff. 451 Arkes/Blumer (1985), 127, 136.

G. Zur „Population“ der Richter I. Grundsätzliches zum hindsight bias Der Sinn und Zweck von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG besteht unter anderem darin, einem richterlichen hindsight bias Rechnung zu tragen (siehe oben C.V.4.). Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass bei der rückblickenden richterlichen Bewertung einer unternehmerischen Entscheidung, die sich später als nachteilig herausgestallt hat, ein hindsight bias zu erwarten sei. Der hindsight bias ist einer der am meisten untersuchten biases: Er ist Bestandteil von über 800 Studien.452 Nach den grundlegenden Studien von Fischhoff453 wurde er in verschiedensten Bereichen untersucht und beobachtet, unter anderem im Bereich der Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung454, der Arzthaftung455 und weiteren Fällen von Sorgfaltspflichtverletzungen.456 Häufig bezieht sich der Begriff hindsight bias auf die Tendenz von Individuen mit Wissen um einen Ausgang, die Wahrnehmung eines Ereignisses so zu ändern, dass die nachträglich angenommene Fähigkeit, den Eintritt des Ereignisses vorherzusagen größer ist, als die eigentliche Fähigkeit.457 Dies gibt die gebräuchlichen Verwendungen des Begriffs jedoch nicht abschließend wieder. Diese gebräuchliche Beschreibung bezieht sich auf Experimente mit einem hypothetischen Versuchsaufbau (hypothetical design). In diesen erhält der Teilnehmer eine korrekte Antwort und wird danach gebeten, die Antwort mitzuteilen, welche er ohne das Wissen um die korrekte Antwort gegeben hätte.458 Teilnehmer einer Kontrollgruppe werden um eine Antwort gebeten, ohne dass ihnen zuvor die korrekte Antwort mitgeteilt wurde. Bei diesem Versuchsaufbau handelt es sich um ein sog. between-subjects design.459 In einem sog. memory design geben die Teilnehmer zunächst – ohne dass sie einem bias unterlägen – eine Antwort ab, erhalten danach die korrekte Antwort und werden schließlich gebeten sich an ihre eingangs abgegebene Antwort zu erinnern. In 452

Roese/Vohs (2012), 411. Fischhoff (1975), 288, 297 f.; Fischhoff/Beyth (1975), 1, 6 ff. 454 Anderson/Lowe/Reckers (1993), 711, 717 ff.; Peecher/Piercey (2008), 243 m. w. N. 455 Überblick bei Harley (2007), 48 ff. 456 Kamin/Rachlinski (1995), 89, 94 ff.; Stallard/Worthington (1998), 671, 672 ff.; Hastie/ Schkade/Payne (1999), 445, 450 ff. zu Umweltverschmutzungen; Smith/Greene (2005), 505, 507 ff.; vgl. Rachlinski (1998), 571, 590 ff.; Hawkins/Hastie (1990), 311, 312 ff. 457 Grundlegend Fischhoff (1975), 288 ff.; vgl. Hawkins/Hastie (1990), 311 ff. 458 Hoffrage/Pohl (2003), 329, 330. 459 Roese/Vohs (2012), 411, 412; vgl. nur Fischhoff (1975), 288, 289. 453

86

G. Zur „Population“ der Richter

einer Kontrollgruppe geben die Teilnehmer ebenfalls eine Antwort ab und werden danach darum gebeten, sich an diese zu erinnern. Sie erhalten jedoch nicht zuvor die korrekte Antwort. In diesem sog. within-subject memory design460 gibt ein Teilnehmer zwei Antworten ab, deren Diskrepanz der hindsight bias beschreibt.461 Allgemein formuliert kann das Vorliegen eines hindsight bias in allen Fällen angenommen werden, in denen eine rückblickend abgegebene Antwort näher an der korrekten Antwort liegt als die vorausschauend abgegebene – und in denen diese Diskrepanz signifikant größer ist als in einer Kontrollgruppe (dieser Zusatz ist wichtig für die experimentelle Forschung, da systematische Abweichungen zwischen den Antworten andere Gründe haben kann).462 Unter diese Beschreibung fällt auch der visual hindsight bias:463 Ein Patient verklagt seinen Arzt, weil dieser einen Tumor auf einer Röntgenaufnahme nicht erkannt haben soll. Mit bloßem Auge war dies auch kaum zu vollbringen. Bei der Beweisaufnahme legt ein zweiter Arzt eine jüngere Röntgenaufnahme vor, welche ohne jeden Zweifel das Heranwachsen eines Tumors belegt. Der zweite Arzt sagt aus, dass der erste Arzt den Tumor auf dem ersten Röntgenbild hätte erkennen müssen.464 In einem Rechtstreit über das Bestehen eines Anspruchs gem. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG der Aktiengesellschaft gegen ein Vorstandsmitglied haben die mit der Sache befassten Richter in der Regel Kenntnis über den der Entscheidung des Vorstandsmitglieds zugeschriebenen Ausgang. Dieser ergibt sich bereits aus dem Klägervortrag. Das Auftreten eines richterlichen hindsight bias würde bedeuten, dass die Entscheidung des erkennenden Gerichts in Bezug auf die Sorgfaltspflichtverletzung (oder auf das Verschulden) tendenziell von einer Entscheidung eines Richters abwiche, der ähnlich einer Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 Abs. 2 ZPO nur über das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung oder deren Verschulden auf der Grundlage eines „zensierten“ Sachverhalts zu befinden hätte, der lediglich die für das Vorstandsmitglied im Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Informationen enthielte. Es kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass das Gesetz dem Auftreten eines hindsight bias bereits durch die bloße Vorgabe einer ex ante-Prüfung entgegenwirkt. Eine Schwächung des hindsight bias kann zufolge einiger Studien durch das Ausdenken alternativer Geschehensverläufe erzielt werden.465 Das erzwungene Ausdenken sehr vieler, nicht auf der Hand liegender Alternativen für einen Ge-

460

Vgl. nur Fischhoff/Beyth (1975), 1, 3. Roese/Vohs (2012), 411, 412. 462 Hoffrage/Pohl (2003), 329, 330. 463 Harley/Carlsen/Loftus (2004), 960, 961; Bernstein/Harley (2007), 548, 549. 464 Vgl. Berlin (2000), 597 ff.; Harley/Carlsen/Loftus (2004), 960 f.; Roese/Vohs (2012), 411, 412. 465 Slovic/Fischhoff (1977), 544, 548; Koriat/Lichtenstein/Fischhoff (1980), 107 ff.; Sanna/ Schwarz/Stocker (2002), 497, 501 m. w. N.; Sanna/Schwarz (2003), 287, 288. 461

II. Hypothesen aus dem juristischen Schrifttum

87

schehensverlauf kann den hindsight bias andererseits verstärken.466 Die Schwierigkeit, immer mehr Alternativen aufzufinden, führt danach zu der Annahme, dass der tatsächlich eingetretene Geschehensverlauf schwer vorhersehbar war. Die Annahme einer Milderung des hindsight bias aufgrund der bloßen Vorgabe, die Beurteilung aus der ex ante-Perspektive vorzunehmen, so wie § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG es verlangt, ist überaus zweifelhaft.

II. Hypothesen aus dem juristischen Schrifttum 1. Prognosecharakter der unternehmerischen Entscheidung In der juristischen Literatur wird vereinzelt die Behauptung aufgestellt, ein hindsight bias könne nur dann auftreten, wenn eine Person im Zeitpunkt t1 eine Prognose aufstelle, welche im Zeitpunkt t2 von der anderen Person beurteilt werde (siehe oben C.VII.1.). Dieses Verständnis vom hindsight bias entspricht (jedenfalls) nicht demjenigen der Verhaltenspsychologie. Der hindsight bias setzt eine Beurteilung unter Unsicherheit voraus.467 Das Auftreten des hindsight biases setzt dagegen nicht voraus, dass die in t1 handelnde Person eine zukunftsgerichtete Prognose aufstellt. Dies veranschaulicht bereits das häufig herangezogene Beispiel aus dem Bereich der Arzthaftung (siehe oben G.I.). Hätte der zweite Arzt in der Situation des ersten Arztes gesteckt, hätte er den Tumor auf dem Röntgenbild womöglich ebenso wenig erkannt. Aufgrund seines nachträglich erlangten sicheren Wissens um den Tumor kommt er aber vorschnell zu der Aussage, der erste Arzt hätte ihn bereits auf dem originären Röntgenbild erkennen müssen. Dies ist ein klassisches Beispiel für den hindsight bias. In der Auswertung des Röntgenbilds im Zeitpunkt t1 liegt gleichwohl keine „zukunftsgerichtete Prognose“. Vielmehr tritt in dem späteren Zeitpunkt t2 mit der Erstellung der zweiten Röntgenaufnahme ein Ereignis ein, durch welches der Tumor, nachdem er sich verändert hat, besser erkennbar wird. Die von Teilen der juristischen Literatur aufgestellte Behauptung, bei einem Richter im Haftungsprozess gegen ein Vorstandsmitglied sei im Zeitpunkt t2 ein hindsight bias, überhaupt nur dann denkbar, wenn das Vorstandsmitglied im Zeitpunkt t1 eine Entscheidung mit Prognosecharakter aufgestellt habe, beruht auf einem Fehlverständnis vom hindsight bias. Als Argument gegen die (analoge) Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit ist diese Behauptung nicht tauglich.

466 Sanna/Schwarz/Stocker (2002), 497, 500 f.; vgl. Sanna/Schwarz (2003), 287, 293 m. w. N. 467 Siehe nur Hoffrage/Pohl (2003), 329, 330.

88

G. Zur „Population“ der Richter

Dies zeigt sich auch am Beispiel der Studie von Anderson, Lowe und Reckers (1993). Die Teilnehmer waren Richter (general jurisdiction state und federal judges) und Wirtschaftsprüfer einer Gesellschaft der (damaligen) „Big Six“.468 Die teilnehmenden Richter hatten die Entscheidung eines Wirtschaftsprüfers zu beurteilen, bei der Prüfung von „Associated Industries“ keine Abschreibung von veralteten Beständen für das Jahr 1989 zu verlangen. Diese Frage habe ausweislich der den Richtern mitgeteilten Informationen eine entscheidende Rolle in damaligen Verhandlungen über eine Fusion gespielt.469 Unter den den Richtern vorgelegten umfassenden Anlagen befand sich auch je nach Versuchsgruppe eine positive oder negative Beschreibung des Fortgangs der Geschehnisse (unabhängige Variable). Die negative Beschreibung lautete: „Subsequently, the client was not able to dispose of all existing inventory profitably through domestic and foreign sales. Rather, significant losses ensued as the competitions’ product came into the market earlier than projected. Further, the client was not able to develop a competitive replacement product in a timely fashion and thus experienced a significant loss of market share. Profits dropped sharply in 1990 and 1991. While the merger was effected in early 1990, subsequent inventory loss disclosures lead the acquiring corporation to file suit against the auditing firm for issuing an unqualified opinion on statements that were allegedly significantly misstated.“470

Die positive Beschreibung lautete: „The client was able to dispose of all existing inventory profitably through domestic and foreign sales. Further, a replacement product was developed in a timely fashion allowing the client to maintain their market share and maintain profit growth trends. The merger was effected to everyone’s satisfaction.“471

Die deutliche Differenz zwischen den Beurteilungen der Richter in der positiven und der negativen Kondition unterstützte die Annahme eines hindsight bias.472 Nach einer modellhaften juristisch-dogmatische Betrachtung dürfte ein hindsight bias bei dem urteilenden Richter im Falle einer rechtlichen Bindung der Prüfungsentscheidung – etwa aufgrund der GAAP (Associated Industries war am Pacific Stock Exchange börsennotiert) – nicht auftreten. Das Vorliegen einer derartigen Bindung bestimmte sich nach der Einschlägigkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs materiality (Wesentlichkeit) auf die Frage der Zulässigkeit der Unterlassung der Abschreibung.473 Die von der SEC publizierte Definition der materiality lautet: „The omission or misstatement of an item in a financial report is material if, in the light of surrounding circumstances, the magnitude of the item is such that it is probable that the 468 469 470 471 472 473

Anderson/Lowe/Reckers (1993), 711, 722. Anderson/Lowe/Reckers (1993), 711, 721. Anderson/Lowe/Reckers (1993), 711, 723. Ebenda. Anderson/Lowe/Reckers (1993), 711, 727. Anderson/Lowe/Reckers (1993), 711, 725.

II. Hypothesen aus dem juristischen Schrifttum

89

judgment of a reasonable person relying upon the report would have been changed or influenced by the inclusion or correction of the item.“474

Die Beantwortung dieser Frage ist ausschlaggebend für die Zulässigkeit der Rechnungslegung nach GAAP.475 Die Auffassungen der Richter bezüglich der materiality im konkreten Fall variierten beträchtlich: Die Skala zur Einschätzung der materiality reichte von „Not at all“ bis „To a great extent“.476 Bei der Annahme von materiality hätte die unterlassene Abschreibung der Zulässigkeit der Rechnungslegung entgegengestanden. Der Wirtschaftsprüfer hätte in diesem Fall eine gebundene Entscheidung zu treffen gehabt. Gleichwohl unterlagen die Richter bei der Beurteilung der Prüfungsentscheidungen einem hindsight bias im Hinblick auf die Einbeziehung der positiven oder negativen Folgeentwicklungen. Dies spricht gegen die Annahme, bei der richterlichen Beurteilung der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei ein hindsight bias bereits denknotwendig ausgeschlossen. Dass dies normativ betrachtet nicht geschehen dürfte, heißt nicht, dass es dies nicht tut. 2. Nachträgliche Veränderung des Sachverhalts Mit Blick auf das Beispiel zur Arzthaftung (siehe oben G.II.1.) wäre es befremdlich, anzunehmen, ein hindsight bias sei in diesem Fall ausgeschlossen, da es den Tumor ja im Zeitpunkt t1 auch schon gab. Entscheidend ist, dass der Tumor im Zeitpunkt t1 sehr schwer erkennbar war. Die zweite Röntgenaufnahme hat dazu geführt, dass der Tumor besser erkennbar wurde. In der juristischen Literatur wird gleichwohl mit einer vergleichbaren Überlegung angenommen, bei der Beurteilung der Rechtslage sei ein hindsight bias ausgeschlossen, da die Rechtslage im Vergleich zwischen dem Entscheidungszeitpunkt t1 und dem Beurteilungszeitpunkt t2 unverändert sei (siehe oben D.III.1.). Dies spreche gegen die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit. Die Nachvollziehung dieser Erwägung erfordert eine modellhafte Betrachtung richterlicher Entscheidungsfindung. Danach bewertet der Richter ausschließlich die für die Entscheidung des Vorstandsmitglieds relevante Rechtsfrage. Die Beurteilung der Rechtslage im Zeitpunkt t1 könne bzw. dürfe bei normativer Betrachtung nicht von der Beurteilung der Rechtslage im Zeitpunkt t2 abweichen. Nach dieser Be474 SEC Staff Accounting Bulletin: No. 99 – Materiality, abgerufen im Internet am 19. Juli 2016 unter https://www.sec.gov/interps/account/sab99.htm. 475 SEC Staff Accounting Bulletin: No. 99 – Materiality, abgerufen im Internet am 19. Juli 2016 unter https://www.sec.gov/interps/account/sab99.htm. 476 Anderson/Lowe/Reckers (1993), 711, 725, die den Richtern vorgelegte Frage lautete: „What is your assessment of the materiality (significance) of the issues, in the above case? Generally accepted accounting principles do not require reporting or disclosure of immaterial issues (i. e., issues of a magnitude not sufficiently likely to influence stockholder buy/sell decisions)“.

90

G. Zur „Population“ der Richter

trachtung kann es bezüglich Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit so etwas wie Erkenntnisfortschritt nicht geben. Vorstandsmitglieder können es praktisch nicht vermeiden, Entscheidungen zu treffen, deren Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit gemäß einer Behörden- oder Gerichtsentscheidung erst nachträglich erkennbar wird.477 Ein Vorstandsmitglied hat ggf. unter Zeitdruck zwischen Entscheidungsalternativen zu wählen, welche jeweils hochkomplexe juristische Fragstellungen aufwerfen. Die Komplexität von Rechtsproblemen kann durch juristische Beiträge aus der Literatur, Beratungspraxis, Verwaltung und Rechtsprechung abnehmen. Insoweit kann sich in Bezug auf die einschlägigen Rechtsfragen ein Erkenntnisfortschritt vollziehen. In Gerichtsverfahren wegen Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder haben die entscheidenden Richter ggf. Verhaltensweisen zu beurteilen, welche sich letztlich ausweislich von Behörden- oder (ggf. höchstrichterlichen) Gerichtsentscheidungen als rechtswidrig herausgestellt haben. Fraglich ist daher, ob die Entscheidung eines Richters in Kenntnis einer vorliegend ergangenen Behördenoder (ggf. höchstrichterlichen) Gerichtsentscheidung (nicht) faktisch von der Entscheidung eines Richters ohne dieses Wissen abweichen kann. Experimentell ließe sich diese Frage anhand eines hypothetical between-subjects design untersuchen (siehe oben G.I.). Die Heranziehung juristischer Dogmatik ist zur Untersuchung dieser Frage ungeeignet. Zwar dürfte der entscheidende Richter sich bei normativer Betrachtung nicht durch die Kenntnis einer Behörden- oder Gerichtsentscheidung beeinflussen lassen. Ob ein derartiger Einfluss besteht, ist indes keine normative, sondern eine empirische Frage. 3. Folgerungen für den Begriff der unternehmerischen Entscheidung Die Untersuchungen zum hindsight bias sprechen gegen die Annahme, unternehmerische Entscheidungen setzten zwingend einen Prognosecharakter aufgrund einer Zukunftsbezogenheit voraus. Das entscheidende Merkmal ist die Unsicherheit der Entscheidungsgrundlage, die sich mit Ablauf der Zeit durch neue Erkenntnisse verringern kann. Dies gilt jedoch auch für Entscheidungen, die keinen unmittelbaren Bezug zur Zukunft erkennen lassen, wie solche unter Rechtsunsicherheiten. Entscheidend ist auch hier die Variabilität der Unsicherheit. Rechtsunsicherheit ist kein statisches Phänomen. Entscheidungen, denen ein eindeutiger Sachverhalt zugrunde liegt und die rechtlich gebunden sind – d. h. Entscheidungen, bei denen es nur eine rechtmäßige Entscheidungsalternative gibt –, sind von vornherein aus dem Anwendungsbereich von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ausgenommen. Insoweit fehlt es bereits an einer im Entscheidungszeitpunkt objektiv gegebenen Unsicherheit. Das objektive Element der Unsicherheit ist dem Umstand geschuldet, dass § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht 477

Wagner, Theoretical Inquiries in Law 2015, 69, 75 f.

II. Hypothesen aus dem juristischen Schrifttum

91

jegliche Entscheidung schützen soll, die aufgrund rein subjektiver Unsicherheiten ergangen ist. Subjektive Fehlwertungen im Falle einer objektiv eindeutigen Rechtsund Sachlage betreffen die Ebene der Schuld. Beispielhaft zeigt sich dies an der Entscheidung des BGH vom 28 April 2015 (siehe oben E.II.).478 Die Zuständigkeit des Aufsichtsrats für Fragen der Vergütung des Vorstands ist objektiv auch dann nicht unsicher, wenn die Vergütung „für die Vorstandstätigkeit des Vorstandsmitglieds“ von der Aktiengesellschaft an eine dritte Gesellschaft geleistet wird.479 Der Anwendungsbereich von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist danach konsequenterweise nicht eröffnet. Besteht im Entscheidungszeitpunkt eine objektive Unsicherheit (auch aufgrund von Generalklauseln), so muss für das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung das subjektive Bewusstsein der Unsicherheit hinzutreten. Andernfalls würde es von vornherein an jeglichen Abwägungen der Entscheidungsalternativen aufgrund der Unsicherheit fehlen (vgl. oben D.II.1.). Eine unternehmerische Entscheidung liegt jedenfalls vor, wenn ein auf die Entscheidung folgendes Ereignis eine im Entscheidungszeitpunkt objektive gegebene und subjektiv erkannte Unsicherheit entscheidungserheblich verringern oder auflösen kann. Die Unsicherheit kann dabei tatsächlicher oder rechtlicher Art sein. 4. Exemplarische Fallgruppen a) Compliance Die Schwierigkeit einer Differenzierung zwischen tatsächlichen und rechtlichen Unsicherheiten zeigt sich an unbestimmten Rechtsbegriffen wie der der „Eignung“ von Maßnahmen i. S. v. § 91 Abs. 2 AktG oder von Compliance-Maßnahmen. Bei der nachträglichen Beurteilung von Maßnahmen i. d. S. besteht die Gefahr, aus dem Bekanntwerden von Ereignissen, wie Rechtsverstößen innerhalb des Unternehmens, auf die fehlende Eignung von zuvor getroffenen Maßnahmen eines Vorstandsmitglieds zu schließen. Zur experimentellen Untersuchung dieses möglichen hindsight bias böte sich wiederum ein hypothetical between-subjects design an (siehe oben G.I.). Ob ein Richter in einem abgeschlossenen Gerichtsverfahren einem hindsight bias dieser Art unterlag lässt sich kaum ermitteln. Fälle dieser Art können allenfalls den Gegenstand von Fallstudien bilden. Zur Veranschaulichung eines potentiellen hindsight bias von Richtern, die über die Eignung von Compliance-Maßnahmen zu befinden hatten, soll das Verfahren „Siemens/Neubürger“ vor dem LG München I dienen.480 Streitgegenständlich war die Haftung eines ehemaligen Vorstandsmitglieds der Siemens AG wegen der Einrichtung eines (vermeintlich) mangelhaften Compliance-Systems zur Verhinderung 478 479 480

BGH DB 2015, 1459, 1462, Rn. 33. Siehe nur Hüffer/Koch, § 112 Rn. 3 m. w. N. LG München I ZIP 2014, 570 – Siemens/Neubürger.

92

G. Zur „Population“ der Richter

von Schmiergeldzahlungen. Die Gelder wurden der Gesellschaft bis in die Jahre 2001 bzw. 2002 über Bargeldabhebungen oder Verwendung von Barschecks entzogen. Danach errichteten Mitarbeiter der Gesellschaft ein neues System zum Abzug von Geldern über Scheinberaterverträge.481 Die Richter kamen zu dem Ergebnis, der Beklagte habe trotz wiederholter, ihm zur Kenntnis gebrachten Gesetzesverletzungen keine bzw. jedenfalls keine ausreichenden Maßnahmen zur Aufklärung und Untersuchung von Verstößen, zu deren Abstellen und zu der Ahndung der betroffenen Mitarbeiter eingeleitet.482 Die Richter listeten konkrete Maßnahmen auf, welche (bei rückblickender Betrachtung) zur Aufdeckung der „schwarzen Kassen“ geführt hätten. Insbesondere nannten sie die zentralisierte Erfassung der Beraterverträge als Maßnahme, welche das Vorstandsmitglied hätte ergreifen müssen. Die Richter unterstellten damit, dass die zentrale Erfassung von Beraterverträgen eine aus der Handelndenperspektive vorhersehbar geeignete und sogar zwingend zu ergreifende Compliance-Maßnahme gewesen sei. Auch sei das Vorstandsmitglied verpflichtet gewesen, alle Verträge, die einen klaren Bezug zu Nigeria aufgewiesen hätten, zu überprüfen, was letztlich die relevanten Vertragsunterlagen hätte auffallen lassen. In rechtlicher Hinsicht wirft dies die Frage auf, inwieweit es überhaupt zum richterlichen Prüfungsumfang gehört, im Einzelfall vermeintlich geeignete hypothetische Compliance-Maßnahmen zu ermitteln.483 Die Beurteilung einer Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten Vorstandsmitglieds hatten die Richter aus der ex ante-Perspektive vorzunehmen.484 Die Richter durften insoweit lediglich die dem Vorstandsmitglied im jeweiligen Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen heranziehen. Informationen, welche dem Vorstandsmitglied im jeweiligen Zeitpunkt nicht vorlagen, hatten die Richter i. R. d. Prüfung der Sorgfaltspflichtverletzung „auszublenden“. Hätten sie dies nicht vollbracht und wären deshalb zur Annahme des Fehlens geeigneter Maßnahmen gekommen, so hätte ein Fall eines hindsight bias vorgelegen. Ob die Richter dabei tatsächlich einem hindsight bias unterlagen, ist eine rein spekulative Frage. Im Tatbestand des Urteils heißt es, bei der Siemens AG habe sich bereits im Laufe der 80er Jahre ein System „schwarzer Kassen“ zur Leistung von Korruptionszahlungen entwickelt.485 Die Frage, ob das Wissen der Richter um das System der „schwarzen Kassen“ auch die vorzunehmende ex ante-Bewertung der Geeignetheit der Compliance-Maßnahmen entscheidend beeinflusst hat, liegt zumindest nahe. Der Rückschluss von nachträglich bekanntgewordenen Ereignissen auf die Eignung von Maßnahmen aus der Handelndenperspektive findet sich sogar ausdrücklich in den Entscheidungsgründen: 481

LG München I ZIP 2014, 570, 571 – Siemens/Neubürger. LG München I ZIP 2014, 570, 573 – Siemens/Neubürger. 483 Kritisch hierzu: Hauschka/Moosmayer/Lösler, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 1 Rn. 38. 484 Bachmann, ZIP 2014, 579, 580. 485 LG München I ZIP 2014, 570, 571 – Siemens/Neubürger. 482

II. Hypothesen aus dem juristischen Schrifttum

93

„Bei dem anzulegenden objektiven Sorgfaltsmaßstab hätte er [,der Beklagte‘] erkennen können, dass die ergriffenen Maßnahmen so nicht ausreichend waren, um die Funktionstüchtigkeit des Compliance-Systems bei der Klägerin zu gewährleisten. Andernfalls wären keine korruptionsverdächtigen Vorgänge (…) aus jüngster Vergangenheit an ihn herangetragen worden [sic].“486

Der ausdrückliche Schluss von der Herantragung korruptionsverdächtiger Vorgänge an den Beklagten im Zeitpunkt t2 auf die Einhaltung des Sorgfaltsmaßstabs im Zeitpunkt t1 erinnert in starkem Maße an die schulmäßige Beschreibung des hindsight bias.487 Ein weiterer Streitpunkt in dem Verfahren „Siemens/Neubürger“ betraf die Konkretisierung des objektiven Sorgfaltsmaßstabs: Der Beklagte meinte, die heutigen Anforderungen an die Compliance-Pflicht könnten nicht für die Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabs im entscheidungserheblichen Sachverhalt herangezogen werden, da „der Begriff der „Compliance“ im fraglichen Zeitraum noch nicht etabliert gewesen (sei).“488 Dies war so zu verstehen, dass die Überwachungs- und Organisationspflicht heute dank mannigfaltigem Material aus Literatur und Rechtsprechung sehr viel eindeutiger konkretisiert seien als damals. Bewährte Compliance-Maßnahmen, welche heute als selbstverständlich erscheinen, lagen früher nicht unbedingt auf der Hand. Die gesellschaftsrechtliche Compliance-Debatte wurde im Jahr 2003 eröffnet (siehe oben D.IV.1.).489 Mit der Einführung des Begriffs „Compliance“ in den Deutschen Corporate Governance Kodex (Ziff. 4.1.3.) im Jahr 2007 stieg die Zahl der Beiträge zu diesem Thema schlagartig an.490 Vorher wurde Compliance jedenfalls in der Praxis wenig Bedeutung zugemessen.491 Die Richter am Landgericht München I haben diese Überlegung ausweislich der Entscheidungsgründe nicht nachvollzogen: „Die Vorschrift des § 76 Abs. 1 AktG wurde (…) in Anknüpfung an § 70 AktG 1937 in das AktG vom 6. 9. 1965, BGBl I, 1089, aufgenommen und seit dieser Zeit nicht verändert. Neu ist die Begrifflichkeit der „Compliance“, nicht jedoch der dahinterstehende Gedanke, der Vorstand müsse dafür Sorge tragen, dass seitens der Gesellschaft und ihrer Mitarbeiter die zu beachtenden gesetzlichen Vorgaben auch tatsächlich eingehalten werden.“492

Dass sich die Organisations- und Überwachungspflichten aus dem Aktiengesetz und nicht aus dem Begriff „Compliance“ ergeben, musste dem Beklagten vermutlich nicht erläutert werden. Die entscheidende Frage war, welchen Inhalt die Organisations- und Überwachungspflichten im damaligen Zeitraum hatten und ob heute selbstverständliche umfassende Maßnahmen damals im gleichen Maße selbstver486 487 488 489 490 491 492

LG München I ZIP 2014, 570, 575 – Siemens/Neubürger. Vgl. Bachmann, ZIP 2014, 579, 581. LG München I ZIP 2014, 570, 575 – Siemens/Neubürger. Vgl. Fleischer, AG 2003, 291, 300; Schneider, ZIP 2003, 645, 648. Bachmann, ZIP 2014, 579, 581. Harbarth/Brechtel, ZIP 2016, 241, 250. LG München I ZIP 2014, 570, 576 – Siemens/Neubürger.

94

G. Zur „Population“ der Richter

ständlich waren. Die Möglichkeit des Auftretens eines hindsight bias in dieser Hinsicht,493 d. h. im Falle der rückblickenden Veränderung von Normen, entspricht durchaus seinem heutigen Verständnis, demgemäß der hindsight bias nicht ausschließlich an die angenommene Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ereignisses anknüpfen muss, sondern ein umfassenderes Anwendungsfeld hat (siehe oben G.I.). b) Genehmigungspflichtige Geschäfte Geschäftsführungsmaßnahmen, deren Erfolg durch die Erteilung von behördlichen Genehmigungen bedingt ist, können bei bei deren Versagung erhebliche Verluste für die Gesellschaft begründen und den Gegenstand von Haftungsprozessen der Gesellschaft gegen das entsprechende Vorstandsmitglied bilden. Das Vorstandsmitglied wird seine Geschäftsführungsmaßnahme dabei auf die Annahme einer Genehmigungsfähigkeit gestützt haben, die sich letztlich als fehlerhaft herausstellte. Dem Richter in einem Haftungsprozess wird die fehlende Genehmigungsfähigkeit ausweislich einer abschließenden Behörden- oder (ggf. letztinstanzlichen) Gerichtsentscheidung von Beginn der Befassung mit der Sache an bekannt sein. Im Falle einer (ggf. letztinstanzlichen) Gerichtsentscheidung können dieser Begründung komplexe rechtliche Prüfungen durch mehrere Behörden und unterinstanzliche Gerichte vorausgegangen sein. Dabei kann die Prüfung innerhalb jeder einzelnen Behördenstufe oder Gerichtsinstanz mehr Zeit in Anspruch genommen haben, als dem Vorstandsmitglied in der konkreten Entscheidungssituation zur Verfügung stand. Die abschließende und umfassende rechtliche Würdigung des Verwaltungsstreits liegt dem Richter im Haftungsprozess regelmäßig vom Beginn der Befassung mit der Sache an vor. Diesem kann wiederum ein Bearbeitungszeitraum zur Verfügung stehen, welcher das Zeitfenster des Vorstandsmitglieds in der konkreten Entscheidungssituation übersteigt. Unter diesen Bedingungen hat der Richter darüber zu befinden, ob das Vorstandsmitglied von der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens ausgehen durfte oder nicht. Diese Bedingungen dürften die richterliche Entscheidungsfindung bei normativer Betrachtung nicht beeinflussen. Ob ein derartiger Einfluss im Einzelfall tatsächlich besteht ist indes keine normative, sondern eine empirisch zu beantwortende Frage. Dies kann der Fall sein oder auch nicht. Aus dieser Möglichkeit ergibt sich für entsprechend gelagerte Fälle nicht der hinreichende Grund zur Erwartung eines hindsight bias, sondern die Erkenntnis, dass das Auftreten eines hindsight bias nicht aus juristisch-dogmatischen Erwägungen heraus als „denknotwendig“ ausgeschlossen erklärt werden kann.

493

Dies nahelegend Bachmann, ZIP 2014, 579, 581.

III. Zusammenfassendes Ergebnis

95

III. Zusammenfassendes Ergebnis Die im juristischen Schrifttum vermehrt auftretende Behauptung, bei Entscheidungen von Vorstandsmitgliedern unter Rechtsunsicherheit sei es ausgeschlossen, dass ein Richter in einem anschließenden Gerichtsverfahren einem hindsight bias im Hinblick auf das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung (oder deren Verschulden) unterliege, ist empirisch nicht belegbar. Diese Behauptung dürfte auf der Annahme beruhen, dass die rechtliche Bewertung eines Sachverhalts denknotwendig, d. h. bei normativer Denkweise notwendig, unabhängig von anschließenden Entwicklungen sei. Die Kenntnis von Rechtsverstößen im Unternehmen dürfte die richterliche Prüfung der „Eignung“ von Compliance-Maßnahmen nicht beeinflussen. Diese weitgehende Annahme kann nicht aufgrund juristisch-dogmatischer Erwägungen als zutreffend behandelt werden und bietet kein Argument gegen die (analoge) Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit (vgl. oben D.III.1.).

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder I. Sunk cost effect 1. Beschreibung und Auftreten Die Untersuchung der Deckung des gesetzgeberischen Vorverständnisses vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse mit den Erwartungen aufgrund verhaltenspsychologischer Studien setzt eine Anknüpfung dieses Vorverständnisses an das verhaltenspsychologische Vokabular voraus. Die in den Materialien zum UMAG zu findende Aussage, den Mut zum unternehmerischen Risiko nicht zu nehmen (siehe oben C.V.2.), kann aus psychologischer Sicht unter den Oberbegriff sog. defensiven Verhaltens gefasst werden.494 Das ausdrückliche formulierte Ziel, Unbesonnenheit und Leichtsinn auf Kosten der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG keinen Vorschub zu leisten, erinnert an die frühen Erklärungsversuche zum Auftreten von escalation of commitment bzw. des sunk cost effect (siehe oben F.V.2.).495 Einer von vielen zur Erklärung von escalation of commitment später herangezogenen Ansätze rekurriert auf den Drang, getroffene Entscheidungen zu rechtfertigen und zu verteidigen (siehe sogleich).496 Dies stellt zugleich einen Anknüpfungspunkt für die in den Gesetzesmaterialien ausgedrückte Maßgabe her, der Gesetzesentwurf ziele keinesfalls darauf, dass durch routinemäßiges Einholen von Sachverständigengutachten, Beratervoten oder externen Marktanalysen eine rein formale Absicherung stattfindet (siehe unten H.II.).497 Ein wichtiger Bestandteil der Geschäftstätigkeit des Vorstands einer Aktiengesellschaft liegt im Treffen von Investitionsentscheidungen. In diesem Zusammenhang sind eine ganze Reihe möglicher Verzerrungen des Verhaltens von Vorstandsmitgliedern denkbar.498 Anzeichen für die Fehlerhaftigkeit oder unvorhergesehene Schwächen einer getroffenen Investitionsentscheidung können ein Rechtfertigungsbedürfnis des handelnden Vorstandsmitglieds auslösen. Eine der möglichen Handlungsalternativen liegt dabei in der Aufwendung zusätzlicher, neuer Ressourcen für die getroffene Maßnahme – was durchaus angezeigt sein kann. Der 494

Vgl. zur business judgment rule nach dem Recht von Delaware Engert/Goldlücke (2013), 1, 4 ff. m. w. N. 495 Siehe Nachweise bei Simonson/Staw (1992), 419, 424; Garland (1990), 728 ff. 496 Simonson/Staw (1992), 419, 424; vgl. zum Überblick über einzelne Theorien: Staw, in: Organizational Decision Making, S. 191, 198 ff. 497 Begründung RegE UMAG, BT-Drs. 15/5092, S. 12. 498 Relevante Beispiele bei Korch, Haftung und Verhalten, S. 35 ff.

I. Sunk cost effect

97

Einsatz zusätzlicher Ressourcen kann ggf. zu einer Steigerung von Verlusten führen, was sich wiederum in einem gesteigerten Rechtfertigungsbedürfnis niederschlagen kann. Diesen durch wiederholte Investitionen in verlustbringende Entscheidungsverläufe gekennzeichneten Teufelskreis bezeichnen Psychologen als escalation of commitment bzw. sunc cost effect.499 Staw (1976)500 untersuchte escalation of commitment im Hinblick auf Investitionsentscheidungen anhand eines Experiments mit Studenten einer US-amerikanischen business school. Als solche hatten die Teilnehmer bereits Erfahrung in der Bearbeitung von Fällen, in welchen finanzielle oder organisatorische Entscheidungen zu treffen waren. Den Teilnehmern wurde mitgeteilt, dass sie die Rolle des Finacial Vice President einnehmen sollten. Das ihnen ausgehändigte Material sei zwar begrenzt (u. a. lägen die wesentlichen Geschäftszahlen der letzten 10 Jahre vor), reiche aber aus, um eine gute finanzielle Entscheidung zu treffen. Eine solche werde von ihnen auch erwartet.501 Der zu bearbeitende Fall betraf die fiktive „Adam & Smith Company“ im Jahr 1967, ein großes Technologieunternehmen, dessen Profitabilität in den letzten Jahren abgenommen habe. Die Geschäftsführung sei sich einig, dass hierfür der Bereich Forschung und Entwicklung verantwortlich sei. Daher habe sie die Bereitstellung von US$ 10 Millionen für Investitionen in Forschung und Entwicklung in einen einzelnen der zwei – detailliert dargestellten – Hauptgeschäftsbereiche Verbrauchsgüter und Industriegüter beschlossen. Die Auswahl solle die Versuchsperson treffen und eine schriftliche Begründung der Entscheidung anfertigen, welche anschließend beim Versuchsleiter einzureichen sei.502 Nach der Einreichung der angefertigten Unterlagen wurde in einem zweiten Teil die finanzielle Lage der „Adam & Smith Company“ fünf Jahre später, im Jahr 1972, präsentiert. Die Geschäftsführung habe beschlossen, erneut finanzielle Mittel für Forschung und Entwicklung bereitzustellen – dieses Mal US$ 20 Millionen. Die Versuchsperson wurde wiederum um die Allokation der Mittel gebeten – dieses Mal nicht auf die bloße Auswahl des Geschäftsbereichs beschränkt, sondern in beliebiger Verteilung zwischen den Bereichen.503 Eine von insgesamt zwei unabhängigen Variablen war die Konsequenz der Erstentscheidung: Die Hälfte der Versuchspersonen erhielt zu Beginn des zweiten Teils des Experiments positive Rückmeldungen zum Erfolg ihrer Erstentscheidung; die andere Hälfte erhielt negative Rückmeldungen. Eine zweite unabhängige Variable war die persönliche Verantwortung für die Erstentscheidung: In einer Versuchskondition mit niedriger persönlicher Verantwortung wurden die Versuchsper499 500 501 502 503

Staw (1976), 27, 41; Staw/Fox (1977), 431, 432. Staw (1976), 27. Staw (1976), 27, 30 f. Staw (1976), 27, 31. Staw (1976), 27, 31 f.

98

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

sonen lediglich um die zweite Investitionsentscheidung gebeten. Die erste Investitionsentscheidung habe ein Mitarbeiter getroffen. Die Versuchskondition mit hoher persönlicher Verantwortung entsprach dem oben dargestellten Aufbau, nach dem die Versuchsperson auch die erste Investitionsentscheidung selbst zu treffen hatte.504 Die Analyse der Interaktion zwischen den beiden unabhängigen Variablen ergab, dass diejenigen Versuchspersonen, welche die Erstentscheidung selbst getroffen hatten und hierzu negative Rückmeldung erhalten hatten, im Durchschnitt US$ 13,07 Millionen für die gleiche Alternative im Rahmen der zweiten Investitionsentscheidung aufwendeten – der höchste Wert aller Versuchskonditionen.505 Staw entnahm diesen Daten eine große Unterstützung für seine Hypothese, dass Individuen, welche die persönliche Verantwortung für negative Konsequenzen trügen, ihre Investitionen in vorweg gewählte Handlungsstränge steigerten.506 Staw und Fox (1977) untersuchten den Fortbestand dieses Effekts über längere Zeiträume. In den entsprechend Staw (1976) aufgebauten Experimenten konnten sie auch nach drei Zyklen von negativem Feedback, Folgeentscheidungen und wiederum negativem Feedback keine Abnahme von escalation of commitment beobachten.507 Auf die Untersuchung von Staw (1976) folgte eine Vielzahl weiterer Untersuchungen aus jeweils verschiedenen Blickwinkeln.508 Escalation of commitment wird mittlerweile als robustes Phänomen mit einem weiten Anwendungsbereich erachtet.509 An den Untersuchungen wurde bemängelt, dass sie sich typischerweise mit Entscheidern befasse, welche nicht unter realistischen Bedingungen von Verantwortung erfolgten, was die externe Validität der gewonnenen Ergebnisse infrage Stelle.510 Insbesondere ließen sie das Augenmerk für die Agenturbeziehung vermissen, in welche Entscheidungen häufig eingebettet seien (vgl. oben C.V.1.).511 504

Staw (1976), 27, 32 f. Staw (1976), 27, 37. 506 Staw (1976), 27, 40. 507 Staw/Fox (1977), 419, 443, 447; vgl. aber McCain (1986), 280 ff.: Abnahme nach wiederholtem negativem Feedback; Simonson/Nye (1992), 416 ff.: keine Reduzierung von Entscheidungsfehlern durch Verantwortung, wenn Richtigkeit der Annahme auch durch sorgfältige Informationsverarbeitung nicht ermittelbar. 508 Vgl. zur geringen Flexibilität politischer Entscheidungsträger bezüglich negativer Folgen von Reformen: Fox/Staw (1979), 449 ff.; weiter zu Erfolgen und Niederlagen nach politischen Entscheidungen: Staw/Ross (1978), 40 ff.; zu Bewertungen von Arbeitnehmern: Bazerman/Beekum/Schoorman (1982), 873 ff.; Schoorman (1988), 58 ff.; zum Umgang von Mitarbeitern einer Bank mit problematischen Darlehen: Staw/Barsade/Koput (1995), 130 ff.; zur Erschließung von Ölquellen Garland/Sanderfur/Rogers (1990), 721 ff.; zum Scheitern des IT-Projekts „Taurus“ der Londoner Börse: Drummond (1999), 11 ff.; zum Unfall im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi: Thatcher/Vasconcelos/Ellis (2015), 57 ff.; zum Unterschied zwischen individuellen Entscheidungen und solchen in der Gruppe: Bazerman/Giullano/Appleman (1984), 141 ff.; Whyte (1993), 430 ff. 509 So Kirby/Davis (1998), 206; Grenze bei Eindeutigkeit der Sachlage: Northcraft/Neale (1986), 348, 353; Bowen (1987), 52 ff.; Schaubroeck/Davis (1994), 59 ff. 510 Tetlock (1990), 297, 302 f.; Kirby/Davis (1998), 206. 505

I. Sunk cost effect

99

Kirby und Davis (1998)512 untersuchten den Zusammenhang zwischen escalation of commitment und persönlicher Verantwortung mit besonderem Augenmerk auf tatsächlich bestehende, anstatt fingierte, Prinzipal-Agent-Verhältnisse. Die gefundenen Ergebnisse unterstützten ihre Hypothese, dass Agenten, welche für eine ursprüngliche Strategieentscheidung persönlich verantwortlich seien, anschließend mehr Mittel in gescheiterte Strategien investierten als nicht persönlich verantwortliche Agenten.513 Die 102 Versuchspersonen waren in Managementkurse eingeschriebene Studenten einer großen amerikanischen Universität. Die Versuchspersonen erhielten die Mitteilung, dass sie die Rolle eines Managers zu spielen hätten, der im Interesse eines Eigentümers tätig sei. Der Unternehmensgegenstand der Anagram, Inc. sei der Vertrieb von Anagrammen samt zugehöriger Lösungen. Der jeweilige Manager erhielt am Empfang eines Bürogebäudes die Spielregeln und wurde von dort zum Zimmer begleitet, in welchem der Eigentümer bereits mit der Vorbereitung von Investitionsmaßnahmen für das Unternehmen beschäftigt sei. Der Eigentümer teilte dem Manager die Höhe des Betrages mit, welcher für Investitionen im Rahmen des Spiels zur Verfügung stünde. Anschließend wurde der Manager in ein mit einem Computer ausgestatteten Nebenzimmer begleitet, auf welchem das Spiel installiert war. Ihm wurde mitgeteilt, dass je nach der Höhe des am Ende einer Spielrunde vorhandenen Nettobetrages Lose vergeben würden. Es gebe eine Verlosung von US$ 50 für die Manager und eine für die Eigentümer. Eine Million US$ im Spiel entspreche einem Los. Aus Sicht der Manager bestimmte ihre Leistung im Spiel die Wahrscheinlichkeit eines Gewinns in den Verlosungen – für sich selbst und für den Eigentümer. Die Leistung der Manager ergab sich aus der Anzahl im Spiel gelöster Anagramme. Während des Spiels konnten die Manager eine bestimmte Strategie wählen und finanzieren. Eine Strategie entsprach der Art der zu lösenden Anagramme. Zur Wahl standen konzeptionelle, konkrete oder häufig gebrauchte Begriffe. Nach der Durchsicht der Strategien wurden die Manager gebeten, den vom Eigentümer zur Verfügung gestellten Betrag von US$ 20.000.000 in eine Strategie für die erste Runde des Spiels zu investieren. Nach der ersten Runde erhielten alle Manager die Information, dass ihre Leistung gemessen an Archivdaten vorheriger Teilnehmer dem 60. Perzentil und damit einem Verlust von US$ 6.000.000 entsprochen habe. Der Eigentümer informierte den Manager anschließend, dass er die vom Manager gewählte Strategie riskant finde und konservative Strategien gegenüber riskanten bevorzuge. Nach dem Zufallsverfahren ordnete er die eine der beiden übrigen Strategien als konservativ und die andere als riskant ein. Im Anschluss konnten die Manager die Strategie für die zweite Spielrunde wählen. Dieses Mal stand es ihnen auch frei, einen Betrag zurückzubehalten, welcher unmittelbar für den Erwerb von Losen einsetzbar sei.

511 512 513

Kirby/Davis (1998), 206. Kirby/Davis (1998), 206 ff. Kirby/Davis (1998), 206, 212.

100

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

Die Schaffung von persönlicher Verantwortung erfolgte ähnlich dem Aufbau von Staw (1976) (siehe oben) dadurch, dass die Hälfte der Teilnehmer die erste Lösungsstrategie selbst bestimmten während die andere Hälfte informiert wurde, dass ein anderer Manager diese Auswahl bereits getroffen hätte. Insoweit persönlich für die Entscheidung verantwortliche Teilnehmer tendierten dazu, erneut in die gescheiterte Strategie zu investieren. Persönlich verantwortliche Manager investierten in der zweiten Runde mehr Mittel in die gescheiterte Strategie als nicht persönlich verantwortliche Manager. Kirby & Davis (1998) bezeichneten dies als ein escalation of commitment im Rahmen einer Agenturbeziehung. Dies unterstützt die Annahme, dass escalation of commitment auch im Rahmen der Geschäftsführungstätigkeit von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft auftreten kann. Derartige Verhaltensweisen würden letztlich den Gesellschaftern und Gläubigern, insb. den Arbeitnehmern, zum Nachteil gereichen. Verhaltensweisen auf Kosten der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer soll § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ausweislich der Gesetzesmaterialien gerade keinen Vorschub zu leisten (siehe oben C.V.2.). Die in den Gesetzesmaterialien in diesem Zusammenhang genannten Begriffe der Unbesonnenheit und des Leichtsinns sind solche, die der Erklärung von Verhaltensweisen dienen. Escalation of commitment ist dagegen ein Begriff zur Beschreibung von Verhaltensweisen. Das psychologische Vorverständnis des Gesetzgebers, die Schaffung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG leiste Unbesonnenheit und Leichtsinn auf Kosten der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer keinen Vorschub, impliziert die Annahme, dass § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG dem Auftreten von escalation of commitment keinen Vorschub leiste. Hierin liegt keine Optimierung des Entscheidungsprozesses (vgl. oben C.V.2.). Entscheidend ist die Erwartung, durch die Vorschrift als Bestandteil der aktienrechtlichen Vorstandshaftung keine Steigerung des Auftretens von escalation of commitment zu bewirken. Die Untersuchung dieses Vorverständnisses erfordert eine Greifbarmachung der durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG geprägten Ausgestaltung der Organhaftung sowie der Erfolgshaftung für die Verhaltenspsychologie. Die Erfolgshaftung i. S. d. juristischen Begrifflichkeit, könnte der in verhaltenspsychologischen Studien eingesetzten Variable der Ergebnisverantwortung nahekommen. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG setzt dagegen voraus, dass das Vorstandsmitglied vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zu handeln. Das Haftungsmodell knüpft nicht an den Misserfolg der unternehmerischen Entscheidung an, sondern an den Entscheidungsprozess der zu dem Misserfolg führte (siehe oben C.VII.3.). Dies könnte der in verhaltenspsychologischen Studien eingesetzten Variable der Prozessverantwortung nahekommen. Nach dem psychologischen Vorverständnis des Gesetzgebers sollte unter Ergebnisverantwortung eine Steigerung des Auftretens von escalation of commitment zu erwarten sein, nicht aber unter Prozessverantwortung.

I. Sunk cost effect

101

2. Prozessverantwortung Simonson und Staw (1992)514 untersuchten das Auftreten von escalation of commitment unter Konditionen von Ergebnis- und Prozessverantwortung. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Verantwortung für den Ausgang einer Entscheidung escalation of commitment (bzw. den sunc cost effect) eher verstärke, während die Verantwortung für den Entscheidungsprozess ein wirksames Mittel zur Förderung einer Deeskalation sei.515 Die von Simonson und Staw (1992) im Labor gewonnenen Ergebnisse bestätigten Doney und Armstrong (1996) in Feldexperimenten mit Einkaufspersonal (Mitglieder der US-amerikanischen National Association of Purchasing Management) durch ihren Befund, dass Prozessverantwortung, nicht aber Ergebnisverantwortung, die Intensität der Informationsverarbeitung erhöhte.516 Die 193 Teilnehmer der Studie von Simonson und Staw (1992) wurden gebeten den „Brauerei Berk“-Fall zu bearbeiten. 1981 habe das amerikanische Unternehmen begonnen, zwei Biersorten in der Schweiz zu vertreiben: ein alkoholfreies Bier und ein kalorienarmes Bier. Es wurden detaillierte Angaben über die beiden Märkte gemacht. Die Verkaufszahlen suggerierten, dass beide Produkte etwa gleich gut abschnitten, wobei das kalorienarme Bier etwas höhere Verkaufszahlen, zugleich aber eine etwas geringere Wachstumsrate aufwies. Weiter hieß es, das Management habe zur langfristigen Gewinnsteigerung ein größeres Budget für die Vermarktung der beiden Produkte im Zeitraum von 1984 bis 1987 beschlossen. Ferner sei beschlossen worden, zwar weiterhin beide Produkte zu vermarkten, jedoch die Vermarktung eines der beiden Produkte besonders zu intensivieren. Neben den üblichen US$ 2 Millionen für jedes Produkt sollten daher zusätzliche US$ 3 Millionen in eines der beiden Produkte investiert werden. Die Teilnehmer wurden um die Erarbeitung eines Vorschlags gebeten. Im Anschluss wurde jedem Teilnehmer mitgeteilt, dass eine Maßnahme entsprechend des Vorschlags beschlossen worden sei. Weiter hieß es, die Durchführung einer Computersimulation habe ergeben, dass die Maßnahme letztlich nicht erfolgreich gewesen sei. Die Verkaufszahlen für das vorgeschlagene Produkt hätten am Ende des Zeitraums leicht unterhalb der Ausgangszahlen gelegen und die des nicht vorgeschlagenen Produktes leicht darüber. Nachfolgend wurde den Teilnehmern mitgeteilt, das Management habe für den kommenden Zeitraum von 1987 bis 1990 ein zusätzliches Budget in Höhe von US$ 10 Millionen beschlossen, welches anteilig zur Vermarktung der beiden Produkte bestimmt sei. Die Teilnehmer gaben einen Vorschlag für die Allokation dieses Budgets ab.517 514

Simonson/Staw (1992), 419 ff. Ebenda. 516 Doney/Armstrong (1996), 57, 62; vgl. de Langhe/van Osselaer/Wierenga (2011), 238, 241 ff.: keine generelle Optimierung von Entscheidungsprozessen unter Prozessverantwortung (mit Nachweisen zu weiteren Studien, welche diesen Effekt generell nahelegen); Siegel-Jacobs/ Yates (1996), 1 ff. 517 Simonson/Staw (1992), 419, 422. 515

102

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

Vor der Bearbeitung dieses Falles, wurden die 193 Teilnehmer per Zufallsverfahren jeweils einer von sieben Konditionen zugewiesen, um mögliche Unterschiede bei der Allokation des finalen Budgets zu ermitteln.518 Unter den Konditionen fand sich eine Kondition „Verantwortung für das Ergebnis der Entscheidung“ (nachfolgend: Ergebnisverantwortungskondition) und eine Kondition „Verantwortung für den Entscheidungsprozess“ (nachfolgend: Prozessverantwortungskondition). In beiden dieser Konditionen wurde den Teilnehmern vorab mitgeteilt, dass die Menge der bereitgestellten Informationen für einen Studenten einer business school ausreiche, um auf ihrer Grundlage zu einer guten Entscheidung zu kommen. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, die Aufgabe bestmöglichst zu bewältigen. Die beiden Konditionen unterschieden sich wie folgt: In der Ergebnisverantwortungskondition wurde der Versuchsaufbau dadurch abgewandelt, dass die Teilnehmer vorab die folgende zusätzliche Mitteilung erhielten: Im Falle, dass besonders effektive oder ineffektive Entscheidungen getroffen würden, erhielten die anderen Teilnehmer und die Versuchsleiter eine Meldung hierüber. Ihre Beurteilung als Entscheider richte sich lediglich danach, ob sich die eingangs abgegebene Empfehlung als für das Unternehmen langfristig förderlich herausstelle. In der Prozessverantwortungskondition erhielten die Teilnehmer die folgende zusätzliche Mitteilung: Im Falle, dass besonders effiziente oder ineffiziente Entscheidungsstrategien eingesetzt würden, erhielten die anderen Teilnehmer und die Versuchsleiter eine Meldung hierüber. Ihre Beurteilung richte sich nach der Anwendung effizienter Entscheidungsstrategien anstatt nach dem Ergebnis dieser Strategien. Zudem hatten die Teilnehmer in beiden Konditionen eine Einverständniserklärung zur Videoaufzeichnung eines anschließenden Interviews über ihre Entscheidung abzugeben sowie einen Termin für das Interview zu bestimmen.519 In der Prozessverantwortungskondition nahmen die Teilnehmer weniger Allokationen auf das eingangs empfohlene Produkt vor, welches sich als wenig ertragreich herausstellte, als in der Ergebnisverantwortungskondition. Demgegenüber waren Teilnehmer, welche für ihren Entscheidungsprozess verantwortlich waren, weniger anfällig dafür, den Einsatz in den eingangs gewählten verlustbringenden Handlungsverlauf zu intensivieren.520 Simonson & Staw (1992) sahen einen unter mehreren entscheidenden Faktoren für die Erklärung von escalation of commitment in Rechtfertigungsmotiven.521 Bloße Unbesonnenheit (vgl. oben C.V.2. und H.I.1.) könne die Ergebnisse nicht erklären, da die Teilnehmer ausdrücklich aufgefordert worden seien, das Für und Wider der jeweiligen Entscheidungsalternative zu gewichten.522 Der auf Rechtfertigungsmotive 518

Simonson/Staw (1992), 419, 421. Simonson/Staw (1992), 419, 423. 520 Simonson/Staw (1992), 419, 424. 521 Simonson/Staw (1992), 419, 424; vgl. nochmals zum Überblick über einzelne Theorien: Staw, in: Organizational Decision Making, S. 191, 198 ff. 522 Simonson/Staw (1992), 419, 424. 519

I. Sunk cost effect

103

abstellende Erklärungsansatz stand indes im Einklang mit den gefundenen Ergebnissen: Ergebnisverantwortung kann den Drang erhöhen, das Ergebnis des ursprünglichen Entscheidungsverlaufes zu rechtfertigen und daher die getroffene Entscheidung selbst zu verteidigen. Unter Prozessverantwortung kann dieser Wirkungszusammenhang weniger ausgeprägt sein. Die Kritik an vielen der Laborexperimente zum Thema der Entscheidungsfindung lautet, dass sie den Einfluss von Verantwortung auf das Entscheidungsverhalten unterschätzten.523 Insbesondere Experimente mit rein hypothetischer Verantwortung hätten daher vereinzelt zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt.524 Der Experimentaufbau von Simonson und Staw (1992) wird – bestreitbar – als vergleichsweise realistisch erachtet.525 Im Zusammenhang mit der Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf die Population der Vorstandsmitglieder in der Realität stellt sich die Frage, ob die potentielle Möglichkeit der Inanspruchnahme nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG beim Regelungsadressaten Verantwortung im psychologischen Sinne begründet und diese Art der Verantwortung einer Prozessverantwortung i. S. d. oben genannten Studien entspricht. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG setzt eine vom Vorstandsmitglied getroffene unternehmerische Entscheidung voraus und damit eine, für welche er die persönliche Verantwortung trägt. Nach den Ergebnissen einer Umfrage von 2004 unter Geschäftsleitern (und Aufsichtsratsmitgliedern) ist das Haftungsbewusstsein hoch.526 40 % der im Rahmen einer Studie von 2013 befragten Vorstandsmitglieder befürchten sogar, einmal in einen Haftungsfall verwickelt zu werden, wobei Compliance-Verstöße in dieser Studie am häufigsten genannt wurden.527 In der vorhergehenden Umfrage wurden an dieser Stelle Unternehmenstransaktionen, Investitionsprojekte, Einhaltung von Auflagen zum Umweltschutz und aus dem Kapitalmarktrecht und wesentliche Änderungen der Unternehmensorganisation genannt.528 Dem hohen Haftungsbewusstsein scheint es nicht entgegenzustehen, dass Vorstandsmitglieder üblicherweise eine D&O-Versicherung einschließlich einer Versicherung für den Selbstbehalt gem. § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG abschließen (vgl. oben C.V.5.), zumal 94 % der befragten Vorstände unter dem Schutz von D&O-Versicherungen standen.529 Freilich deckt eine D&O-Versicherung nur konkrete vorab in der Versicherungspolice bestimmte Kosten und befreit den Versicherungsnehmer nicht von jeglichem Risiko von Vermögenseinbußen.530 Für 523

Tetlock (1990), 297, 307 f.; Kirby/Davis (1998), 206, 208. Kirby/Davis (1998), 206, 208. 525 Ebenda. 526 Vgl. Köhler/Marten/Hülsberg/Bender, BB 2005, 501, 509 f.; Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, S 16. 527 Siehe Nachweis bei Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, S. 15. 528 Köhler/Marten/Hülsberg/Bender, BB 2005, 501, 510. 529 Köhler/Marten/Hülsberg/Bender, BB 2005, 501, 508 f. 530 Vgl. Armbrüster, NJW 2016, 897, 898 ff. zu unzureichenden Versicherungssummen. 524

104

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

das Vorstandsmitglied besteht somit das Risiko, dass der Versicherungsschutz im Ernstfall nicht ausreicht. Persönliche Verantwortung im psychologischen Sinne knüpft nicht an die Möglichkeit einer Minderung des (eigenen oder anderen) finanziellen Vermögens aufgrund einer Entscheidung an. Nach der Manipulation von Ergebnis- und Prozessverantwortung in den oben behandelten Studien trugen die Versuchsteilnehmer kein eigenes finanzielles Risiko für den Fall eines wirtschaftlichen Misserfolges. Die Versuchsteilnehmer gingen nicht davon aus, finanziell für einen entstandenen Schaden einzustehen. Die Manipulation von Ergebnis- und Prozessverantwortung erfolgte durch das Inaussichtstellen eines möglichen Rechtfertigungsbedarfs für das Ergebnis einer getroffenen Entscheidung bzw. den zugrunde liegenden Entscheidungsprozess. 60 % der im Rahmen der o. g. Umfrage von 2004 befragten Vorstände kannten den Entwurf des UMAG, wobei das diesbezügliche Detailwissen unter Vorstandsmitgliedern höher war als unter GmbH-Geschäftsführern.531 Damit ist davon auszugehen, dass sich Vorstandsmitglieder überwiegend nicht nur der Möglichkeit einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme durch die Gesellschaft bewusst sind, sondern auch der Voraussetzungen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Dies spricht dafür, dass die Möglichkeit einer Inanspruchnahme nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ein Mittel darstellt, welches potentiell geeignet ist, um bei Vorstandsmitgliedern Verantwortung im psychologischen Sinne zu begründen. Die starke Prozessorientierung der Vorschrift (siehe oben C.VII.3.) spricht dafür, dass es sich dabei in Bezug auf Entscheidungen, welche sich erkennbar im Anwendungsbereich von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bewegen, um Prozessverantwortung im psychologischen Sinne handelt. Eine Ausgestaltung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung, nach der ein Vorstandsmitglied faktisch für den eigentlichen Misserfolg einer unternehmerischen Entscheidung einzustehen hätte, könnte steigernd auf das Auftreten von escalation of commitment wirken. Dieser Effekt ginge letztlich zu Lasten der Anteilseigner und Arbeitnehmer. Die Anknüpfung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG an den Entscheidungsprozess fördert den Zweck, das Auftreten von escalation of commitment nicht auf Kosten der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer durch die aktienrechtliche Vorstandshaftung zu verstärken. In früheren psychologischen Studien wurde dies in der Tat noch mit „Unbesonnenheit“ assoziiert. Das Vorverständnis des Gesetzgebers des UMAG spiegelt zwar nicht die moderneren Erklärungsansätze wieder, deckt sich aber im Ergebnis mit den empirischen Befunden. Beispielhaft gilt dies in Anlehnung an Simonson & Staw (1992) für den Fall einer Entscheidung des Vorstandsmitgliedes, in Forschung und Entwicklung zu investieren, die sich im Laufe der Zeit als nicht gewinnbringend oder gar verlustbringend erweist. Eine faktisch einer Erfolgshaftung gleichkommende Ausgestaltung der aktienrechtlichen Vorstandshaf531

Köhler/Marten/Hülsberg/Bender, BB 2005, 501, 509.

I. Sunk cost effect

105

tung könnte hier die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Vorstandsmitglieder nach dem Offenbarwerden des ausbleibenden Gewinns oder des Eintritts eines Verlustes durch die vorangegangene Investition die Investitionen in eben diesen Bereich verstärken. Dies kann sich im Einzelfall als wirtschaftlich günstige Entscheidung erweisen oder auf Kosten der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer gehen. Aus Sicht des Gesetzgebers ist entscheidend, dass er derartige Verhaltensweisen, die potentiell zur Bestandsgefährdung des Unternehmens führen können, nicht verstärkt. Negative Auswirkungen der Vorstandshaftung auf Kosten der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer sollen aus Sicht des Gesetzgebers so gering wie möglich sein. Aufgrund der Ausgestaltung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nach dem Modell der Prozessverantwortung an sich kann nicht erwartet werden, dass diese Wirkungen gänzlich ausbleiben. Denn ein Vorstandsmitglied kann sich aus einer Vielzahl von Gründen für das Ergebnis seiner Investitionsentscheidung verantwortlich fühlen – mit dem Ergebnis einer Gemengelage aus beiden Typen von Verantwortung oder gar einem völligen Überwiegen der Ergebnisverantwortung. Entscheidend für den Gesetzgeber des UMAG ist es, dass das Gesetz diesen Verhaltensweisen auf Kosten der Kapitalgeber und der Arbeitnehmer keinen Vorschub leistet. Hierin liegt keine „aktive“ Optimierung des Entscheidungsprozesses durch vermeintlich positive Steuerungseffekte (vgl. oben C.V.2.), sondern der Einsatz eines milderen Mittels. In der Praxis liegt ein potentieller Anknüpfungspunkt für Ergebnisverantwortung ferner in der Erwartung des Vorstandsmitglieds, im Falle eines Misserfolgs seiner unternehmerischen Entscheidung den Anlass für einen Rechtsstreit zu geben. Aus der Sicht des Gesetzgebers soll diese Erwartung weder durch die Ausgestaltung noch durch die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zur Vorstandshaftung übermäßig gefördert werden. Für die Rechtsprechung gilt daher die Maßgabe, den durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG vorgegebenen Verhaltensbezug zu berücksichtigen und explizit zu adressieren. 3. Besonderheiten (gutachtenbasierter) Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit? Das Auftreten von escalation of commitment in der Folge einer Entscheidung unter Rechtsunsicherheit, welcher Gutachten zugrunde lagen, untersuchte Drummond (1999)532. Ihre Fallstudie zum escalation of commitment betraf das auf den Namen „Taurus“ getaufte Projekt der Londoner Börse, den Londoner Börsenhandel unter Verzicht auf die Verwendung körperlicher Wertpapiere umfassend zu digitalisieren.533 1987 kollabierte das bis dahin papierbasierte System aufgrund des großen Handelsvolumens beinahe. Damals setzten Wertpapiertransaktionen eine schriftli-

532 533

Drummond (1999), 11. Drummond (1999), 11, 12.

106

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

che Erklärung und die Ausfertigung eines Zertifikats voraus.534 Das mit Taurus verfolgte Ziel lag in der Umstellung des Wertpapierhandels in Papierform auf den elektronischen Handel. Die Komplikationen bei der in den 80er Jahren begonnenen Entwicklung von „Taurus“ erreichten mit der Zeit ein derartiges Gewicht und führten zu derartig hohen Verlusten, dass das Projekt letztlich abgebrochen wurde.535 Die Komplikationen betrafen sowohl die Programmierung von Taurus als den rechtlichen Rahmen für einen digitalen Wertpapierhandel. Deren Ausmaß zeigte sich erst im Laufe des Projekts. Der als sehr erfahrend geltende John Watson aus der Beratungsgesellschaft Coopers and Lybrand Deloitte übernahm die Leitung des Projekts mit über 30 Ausschüssen verschiedener Interessenvertreter. Watsons erste Aufgabe bestand in der Herbeiführung eines Kompromisses zwischen den verschiedenen Interessengruppen. Er löste sie durch einen hybriden Entwurf mit 17 alternativen Versionen zur Berücksichtigung bestehender Geschäftspraktiken.536 Die mit der Abschaffung körperlicher Wertpapiere einhergehenden Probleme suchten die hinzugezogenen Rechtsanwälte durch ein sog. entitlement to shares zu lösen, was sich letztlich als zu kompliziertes Konzept erwies.537 Gemäß Coopers and Lybrand Deloitte habe dies bedeutet: „investors hold an interest in entitlement, the entitlement itself being held by the controller to the account of the investor, or account holder.“538 Der Entwurf der Uncertificated Securities Regulations (1992) bestimmte zusammengefasst: „This is the power, held only by controllers, to instruct the company whom to enter on its register as holder of the share. The controller must allocate the entitlement in his records to the investor for whom he holds it. The controller’s duty is to give instructions to the company to register the names of the investors to whom he has allocated entitlements. Every controller must, at least once a year, send each investor a statement showing the entitlements held on his behalf. Company controllers must also send a statement after each change in the holding. When a market bargain, or an off-market transfer involving two controllers, is settled, the operator transfers the entitlements from the seller’s controller to the buyer’s controller in its records, and the two controllers make corresponding changes to their records of allocations. Such transfers of entitlement will be irrevocable, except in very rare cases, giving the market the assurance it requires that there is no risk that the transfer will be rejected some time after settlement by the company registrar.“539

534

Drummond, Escalation in Decision-Making, S. 105. Drummond (1999), 11, 13 f. 536 Drummond (1999), 11, 12. 537 Drummond (1999), 11, 13; Drummond, Escalation in Decision-Making, S. 104: „extremely complex idea which no one really understood“. 538 Zitiert nach Drummond, Escalation in Decision-Making, S. 104 m. w. N. 539 Hansard, House of Lords Sitzung vom 10. 2. 1992, Band 535, S. 530, 533, abgerufen im Internet am 19. Juli 2016 unter http://hansard.millbanksystems.com/lords/1992/feb/10/uncertif icated-securities-regulations. 535

I. Sunk cost effect

107

Die erheblichen Rechtsunsicherheiten bezüglich der Umsetzbarkeit des Projekts seien einer Pressemitteilung von 1993 zufolge zum Ende des Projekts hin zu einem großen Teil gelöst worden: „Taurus aimed to achieve the advantages of a book entry computerised system of share transfer whilst also ensuring that investors remained registered members of the company with the legal rights, benefits and visibility this confers. (…) Legal problems do not appear to have contributed to the failure; whilst the first draft of the statutory instrument that set out in detail the legal working of the new system (the Uncertificated Securities Regulations 1992) was criticised as being too detailed and complex, much hard work was put in during the course of last year to resolve the outstanding difficulties; by the time the project was cancelled all the major issues had been resolved with only some detailed legal rules and regulations remaining to be finalised. The final legal structure did represent an innovative approach to achieving legal membership within a book transfer system.“540

Nach der Einschätzung von Drummond spielten die rechtlichen Probleme gleichwohl eine entscheidende Rolle für das von ihr aufgezeigte escalation of commitment im Verlauf des Projekts.541 Dabei lagen die relevanten Informationen durchweg vor.542 Das anstatt Taurus später verfolgte System Crest bot anstelle des Konzepts des entitlement to shares eine vergleichsweise einfache Lösung durch Effekten-Giroverkehr (book entry transfer).543 Die Fallstudie betrifft das Auftreten von escalation of commitment bei der Rechtsgestaltung. Letztere ist in Form des Aufsetzens vertraglicher Regelwerke, ggf. vorbereitet durch interne oder externe Rechtsberater, ein allgegenwärtiger Bestandteil der Geschäftsführungstätigkeit des Vorstands. Damit gehen auch besonders komplexe Vertragsgestaltungen einher, wie z. B. im Rahmen von Unternehmenskäufen. Die Möglichkeit eines Auftretens von escalation of commitment scheint in diesen Fällen grundsätzlich gegeben. Das Hervortreten der rechtlichen Schwierigkeiten kann auch hier schrittweise – etwa im Rahmen einer langwierigen legal oder der tax due diligence – erfolgen. In diesem Zeitpunkt sind regelmäßig bereits erhebliche Ressourcen verbraucht worden. Zu den Geschäftsführungsmaßnahmen, die eine potentielle Eskalationsgefahr in sich bergen zählen auch solche, die umfassende behördliche Genehmigungsverfahren voraussetzen, in deren Rahmen eine fehlende Genehmigungsfähigkeit zu Tage tritt (vgl. oben G.II.4.a)). In Sachverhalten dieser Art kann die Differenzierung zwischen tatsächlicher oder rechtlicher Unsicherheit durchaus zweifelhaft sein (vgl. oben D.II.1.).

540

Pressemitteilung vom 1. 4. 1993, abgerufen im Internet am 19. Juli 2016 unter http://uk. practicallaw.com/1-100-3790. 541 Drummond (1999), 11, 13. 542 Drummond (1999), 11, 16. 543 Pressemitteilung vom 1. 9. 1993, abgerufen im Internet am 19. Juli 2016 unter http://uk. practicallaw.com/7-100-4206.

108

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

Die rechtliche Unsicherheit kann sich auch auf die Rechtmäßigkeit des Geschäftsmodells als solchem beziehen. Dies gilt besonders deutlich für die rechtlich problematischen sharing economy businesses, wie Uber544 und Airbnb545 sie betreiben. Der Entscheidung für eine Expansion trotz verbleibender rechtlicher Unsicherheiten bezüglich des Geschäftsmodells dürfte man einen unternehmerischen Charakter kaum absprechen können.546 Bezüglich der vom Vorstandsmitglied im Zeitpunkt t1 getroffenen Ausgangsentscheidung können sich in den Zeitpunkten t2, t3, usw. Informationen ergeben, welche auf juristische Defizite der Entscheidung hindeuten. Dies betrifft z. B. neue Fachliteratur oder Behörden- oder Gerichtsentscheidungen in dieser oder anderer Sache. Die vom Vorstandsmitglied im Zeitpunkt t1 getroffene Maßnahme hat sich in diesem Fall als weniger belastbar herausgestellt als angenommen. In t2 stellt sich daher die Frage, ob dennoch an der eingangs gewählten Strategie festgehalten wird und neue Ressourcen für sie aufgewendet werden, oder ob auf eine andere Strategie übergegangen wird. Eskalationsgefahren sind auch im Rahmen von Compliance-Maßnahmen denkbar. Der konkrete Aufbau einer Compliance-Abteilung, kann auf Annahmen über die unternehmensspezifischen Compliance-Risiken beruhen, welche sich durch schlichten Erkenntnisgewinn als unzutreffend erweisen und durch neue Annahmen zu ersetzen sind. Anhaltspunkte für oder gegen die Vollständigkeit oder Angemessenheit von Compliance-Maßnahmen können sich auch im Rahmen einer externen Prüfung ergeben.547 Escalation of commitment kann sich hier durch eine Verstärkung der Investitionen in die eingangs gewählte Lösung, trotz Hinweisen auf besser geeignete Compliance-Maßnahmen, zeigen. Unterschiede bei der konkreten Eignung von Compliance-Maßnahmen ergeben sich auch im Rahmen der Vielzahl angebotener EDV-Lösungen.548

544 Vgl. OVG Hamburg, 24. 09. 2014 – 3 Bs 175/14; BVerfG, Beschluss vom 13. 11. 2014 – 1 BvR 2861/14. 545 Vgl. das vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossene Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsverbot-Gesetz – ZwVbG) vom 29. November 2013. 546 Vgl. zu Uber: „Uber Technologies Inc. said it would invest $1 billion in India in the next nine months (…). After the December ban, Uber, along with local services like it, continued to operate in Delhi and is still locked in a court battle over whether cars on its app are allowed to ply in the capital. A court granted Uber interim relief from the ban earlier this month while it applies for a license to operate in the city. The company has said it wants to work with authorities and is awaiting rules currently being formulated by the federal government to regulate transport aggregators.“ Aufgerufen im Internet am 19. Juli 2016 unter http://www.wsj.com/articles/uberto-invest-1-billion-in-india-1438314294. 547 Vgl. Kautenburger-Behr, in: Fissenewert, Compliance für den Mittelstand, S. 182 ff., 188 zu IDW PS 980. 548 Vgl. Schlaghecke, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 43 Rn. 6 ff.

I. Sunk cost effect

109

4. Folgerungen für das Verhältnis zwischen § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG und der Legalitätspflicht Der Pflichtenkatalog des Vorstandsmitglieds gegenüber der Gesellschaft ist in seinem Kern verhaltensbezogen. Dies gilt auch für die Einhaltung der Legalitätspflicht im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft (siehe oben D.I.). Die Verhaltensorientierung und in diesem Sinne Prozessorientierung des aktienrechtlichen Verhaltensmaßstabs findet im Umgang mit rechtlichen Risiken eine konkrete Ausprägung. Die Auffassung, nach der die Verletzung einer Pflicht der Gesellschaft im Außenverhältnis automatisch zu einer Pflichtverletzung im Innenverhältnis führt, begründet eine Einstandspflicht für den Entscheidungserfolg. Sie widerspricht der verhaltens- und prozessorientierten Ausgestaltung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung und ist abzulehnen (siehe oben D.I.). Ein Automatismus i. d. S. ergibt sich aber bei vorsätzlichen Gesetzes- oder Satzungsverletzungen. Hier findet die Legalitätspflicht ihren Anwendungsbereich. 5. Zusammenfassendes Zwischenergebnis Im Hinblick auf das Auftreten von escalation of commitment bzw. den sunc cost effect scheint eine Differenzierung zwischen Entscheidungen unter tatsächlichen und rechtlichen Unsicherheiten nicht ausschlaggebend zu sein. Der Wille des Gesetzgebers, mit der Schaffung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG Verhaltensweisen von Vorstandsmitgliedern auf Kosten der Kapitalgeber und Arbeitnehmer keinen Vorschub zu leisten, spricht für die Anwendbarkeit der Vorschrift auf Entscheidungen unter tatsächlichen sowie unter rechtlichen Unsicherheiten. Der Gesetzgeber erreicht dies nach seinem Vorverständnis vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse dadurch, dass die Vorschrift an den Entscheidungsprozess anknüpft. Die Untersuchung legt die Annahme zugrunde, dass die Möglichkeit einer Inanspruchnahme nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ein Mittel ist, welches potentiell dazu geeignet ist, bei Vorstandsmitgliedern Verantwortung im psychologischen Sinne zu begründen. Bei Entscheidungen, welche sich erkennbar im Anwendungsbereich von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG bewegen, handelt es sich bei dieser Verantwortung aufgrund der Prozessorientierung der Vorschrift um Prozessverantwortung im psychologischen Sinne. Dies entspricht dem Anliegen des Gesetzgebers, Eskalationen von Entscheidungsverläufen zu Lasten des Gesellschafts- und Unternehmenswohls nicht durch die konkrete gesetzliche Ausgestaltung der aktienrechtlichen Vorstandshaftung durch das UMAG zu fördern. Diese Erwägung gilt sowohl für Entscheidungen unter tatsächlichen als unter rechtlichen Unsicherheiten einschließlich solcher, denen Drittexpertisen zugrunde liegen Die Rechtsnatur von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist in Anbetracht dessen weniger im Sinne eines Freiraums zu verstehen als im Sinne einer Konkretisierung von Sorgfaltspflichten. Denn der Hintergrund der Vorschrift ist nicht durch den alleinigen

110

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

Ausschluss der Verantwortung für den Erfolg der Geschäftsführungsmaßnahme zu erklären, sondern nur durch die Hinzuziehung des stattdessen geschaffenen Anknüpfungspunktes an den Entscheidungsprozess.

II. Einholung von Rat 1. Vereinzelte Erklärungsansätze Die Verhaltenspsychologie kann als empirische Disziplin die Gründe für die Einholung von Rat nur in Form von Theorien erklären. Nach der im Rahmen der klassischen Ökonomie herangezogenen subjective expected utility theory erfolgt die Auswahl einer Entscheidung unter verschiedenen Alternativen anhand des jeweils erwarteten Nutzens.549 Rechtfertigungsüberlegungen sind danach unbeachtlich. Tversky und Shafir (1992)550 widerlegten die subjective expected utility theory.551 Die Einholung von Rat ermöglicht eine Verlagerung der Steuerung auf einen Dritten, dessen Einsatz zu einer Befreiung von Verantwortung, Stress und Risiko führen kann.552 Rechtfertigungserwägungen spielen nach dieser Betrachtung eine bedeutende Rolle. Dies bietet einen Erklärungsansatz dafür, dass bei als besonders wichtig empfundenen Entscheidungen ein übermäßiger Verlass auf Rat beobachtet werden kann.553 Für Vorstandsmitglieder ergeben sich potentielle Rechtfertigungsbedürfnisse z. B. aus den Mitwirkungspflichten an der Berichterstattung des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat.554 Der Vorstand hat dem Aufsichtsrat nach § 90 Abs. 1 und 2 AktG ohne besondere Aufforderung555 Berichte zu erstatten. Der Aufsichtsrat kann vom Vorstand jederzeit einen Bericht über Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen, über ihre rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen zu verbundenen Unternehmen sowie über geschäftliche Vorgänge bei diesen Unternehmen, die auf die Lage der Gesellschaft von erheblichem Einfluss sein können (§ 90 Abs. 3 Satz 1 AktG). Auch ein einzelnes Mitglied kann einen Bericht, jedoch nur an den Aufsichtsrat, verlangen (§ 90 Abs. 3 Satz 2 AktG). Mitglieder eines mehrköpfigen Vorstands haben die Pflicht zur Mitwirkung am Zustandekommen der Berichte, den Gesamtvorstand über erhebliche Vorgänge in ihrem Arbeitsbereich zu informieren und dafür Sorge zu

549

Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 187 m. w. N. Tversky/Shafir (1992), 305 f. 551 Eysenck/Keane, Cognitive Psychology, S. 513 f.; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 188. 552 Bandura (2001), 1, 13 m. w. N. 553 Vgl. Harvey/Fischer (1997), 117, 121. 554 Vgl. zu den Prozessen der Kommunikation und Kooperation zwischen Aufsichtsrat und Vorstand: Jürgens/Lippert, Kommunikation und Wissen im Aufsichtsrat, S. 85 f. 555 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 90 Rn. 1. 550

II. Einholung von Rat

111

tragen, dass der Bericht an den Aufsichtsrat vollständig und sachgemäß ist.556 Die Berichterstattung ist eine wesentliche Grundlage für die die Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat.557 Die Berichterstattungspflichten halten den Vorstand zur fortlaufenden Überprüfung seiner Tätigkeit an.558 Der Vorstand hat dem Aufsichtsrat insbesondere über die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung zu berichten, wobei auf Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung von früheren Zielen unter Angaben von Gründen einzugehen ist (§ 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AktG). Die Vorschrift wurde durch das am 26. Juli 2002 in Kraft getretene TransPuG559 eingefügt. Hinter ihr steht ein wesentlicher Grundsatz sorgfältiger Berichterstattung: Ein aussagekräftiger Bericht muss über die Ist-Zahlen hinaus auch die Soll-Zahlen enthalten (follow-up Berichterstattung).560 Potentielle Rechtfertigungsbedürfnisse ergeben sich für Vorstandsmitglieder auch aus dem Auskunftsrecht eines jeden Aktionärs gegenüber dem Vorstand. Jedem Aktionär ist vom Vorstand auf Verlangen in der Hauptversammlung Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist (§ 131 Abs. 1 Satz 1 AktG). Das Auskunftsrecht schützt den einzelnen Anleger durch die Schaffung einer Informationsgrundlage zur sachgemäßen Ausübung seines Stimmrechts und dient der Kontrolle.561 Die Reichweite bestimmt sich nach dem Maßstab eines objektiv denkenden Aktionärs.562 Daneben bestehen Berichts- und Informationspflichten des Vorstands gegenüber der Hauptversammlung als Organ, zum Beispiel im Zusammenhang mit Strukturmaßnahmen (§§ 293a, 319 Abs. 3 Satz 1 AktG; §§ 8, 127, 192 UmwG).563 Potentielle Rechtfertigungsbedürfnisse ergeben sich ferner aus der Möglichkeit einer Inanspruchnahme in Wege der aktienrechtlichen Vorstandshaftung. Ungeachtet der Erklärung der zugrunde liegenden Motive für die Einholung von Rat ist sich der Gesetzgeber der prinzipiellen Möglichkeit bewusst, Vorstandsmitgliedern durch gesetzliche Vorschriften Anreize zur Einholung von Rat zu geben. Nach seinem psychologischen Vorverständnis kann dabei auch die bloße Absicherung – in Ab556

MünchKomm-AktG/Spindler, § 90 Rn. 6. Allg. M.; Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 90 Rn. 6; MünchKomm-AktG/Spindler, § 90 Rn. 1 m. w. N.; Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 27 Rn. 28. 558 Kölner Komm-AktG/Mertens/Cahn, § 90 Rn. 7. 559 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) vom 19. Juli 2002, BGBl. 2002 Teil I Nr. 50, S. 2681. 560 MünchKomm-AktG/Spindler, § 90 Rn. 21; Schmidt/Lutter/Krieger/Sailer-Coceani, § 90 Rn. 14; Hüffer/Koch, § 90 Rn. 4c. 561 Merkt, Unternehmenspublizität, S. 257; Großkomm-AktG/Decher, § 131 Rn. 5 m. w. N.; vgl. ebenda, Rn. 45 f. zum Verhältnis zur ad hoc-Publizität (15 WpHG). 562 BGH NJW 2005, 828, 829; BGH NZG 2009, 342, 348, Rn. 39 – Kirch/Deutsche Bank. 563 Großkomm-AktG/Decher, § 131 Rn. 38 m. w. N.: ergänzende Funktion von § 131 AktG; Schmidt/Lutter/Spindler, § 131 Rn. 12. 557

112

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

grenzung zur Gewinnung objektiv zutreffender Erkenntnisse – ein entscheidendes Motiv sein (siehe oben C.V.5.). Eine rein formale Absicherung bedeutet, dass das Vorstandsmitglied vorwiegend am Ergebnis des Rats interessiert ist und nicht an seinem inhaltlichen Zutreffen. Der Gesetzgeber hat damit Fälle vor Augen, in denen die inhaltliche Überprüfung von Rat durch dessen Ergebnis vorbestimmt und insoweit eingeschränkt wird. Eine ergebnisorientierte Beschränkung der inhaltlichen Überprüfung von Rat soll die aktienrechtliche Vorstandshaftung gerade nicht bewirken bzw. fördern. Nach dem psychologischen Vorverständnis des Gesetzgebers lässt die Ausgestaltung der Vorstandshaftung durch das UMAG dies nicht erwarten. Die Untersuchung dieser Erwartung erfordert wiederum einen verhaltenspsychologischen Ansatz.

2. Inhaltliche Auseinandersetzung a) Präferenzen und standpunktinkonsistente Information Einschränkungen bei der inhaltlichen Überprüfung von von Vorstandsmitgliedern eingeholtem Rat könnten sich dadurch ergeben, dass Vorstandsmitglieder solche unternehmerischen Entscheidungen gutachterlich prüfen lassen, an deren Durchführung sie insbesondere aus persönlichen Gründen interessiert sind, z. B. dadurch, dass sie sich mit einem bestimmten Projekt identifizieren und somit eine Präferenz für dessen Gelingen haben. Das Vorstandsmitglied könnte in diesem Fall eine eigene, persönliche Präferenz im Hinblick auf das die Maßnahme unterstützende Gutachten haben. Hieraus könnten sich Einschränkungen bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Gutachten bzw. Rat ergeben. Das Vorstandsmitglied hätte in diesem Fall einen persönlichen Standpunkt, zu welchem Umstände, wie widersprüchliche Informationen in einem vom Ergebnis her präferierten Gutachten, im Gegensatz stünden. Die Interpretation von Informationen als den eigenen Standpunkt unterstützend, obwohl sie dem Standpunkt objektiv entgegen- oder neutral gegenüberstehen, ist ein in der verhaltenspsychologischen Forschung umfassend untersuchter bias. Wegweisend waren insoweit die Studien von Lord, Ross und Lepper (1979). Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Urteile über die Validität, die Verlässlichkeit oder die Bedeutung von Informationen tendenziell so ausfallen, dass das Ergebnis mit der vorgefertigten Anschauung übereinstimmt; dies führt zur Verwerfung von empirischen Hinweisen, die der Anschauung widersprechen und zur unterstützenden Heranziehung von weniger beweiskräftigen Hinweisen.564 Folgestudien bestätigen diese Ergebnisse.565 564

Lord/Ross/Lepper (1979), 2098, 2099. Vgl. Darley/Gross (1983), 20 ff. zu der Einschätzung der akademischen Fähigkeiten eines neunjährigen Mädchens anhand von einheitlichen Informationen im Anschluss an die Betrachtung eines Videos, in dem dessen Eltern entweder als mittelständisch oder sozial schwach dargestellt wurden; Plous (1991), 1058 ff. zum Thema der Sicherheit der Energieversorgung durch Kernkraft. 565

II. Einholung von Rat

113

Übertragen auf das Interesse eines Vorstandsmitglieds, eine bestimmte Geschäftsführungsmaßnahme zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, mag der Einwand nage liegen, Vorstandsmitglieder seien z. B. erfahren genug, um einer derart beeinflussten Beurteilung der Informationsgrundlage nicht zu unterliegen (siehe oben F.V.2.). Jedoch tendieren selbst geübte Sozialwissenschaftler nach einer Studie von Mahoney (1977) dazu, Experimente und Publikationsempfehlungen abhängig von ihren eigenen theoretischen Anschauungen zu bewerten.566 Die Auswahl der 75 Teilnehmer des Experiments erfolgte anhand einer Liste von Gutachtern (journal reviewers) für die Zeitschrift Journal of Applied Behavior Analysis. Charakteristisch für diese Zeitschrift war seinerzeit der Einsatz für die Weiterentwicklung und die Ausweitung der angewandten Verhaltenspsychologie. Die Zugehörigkeit zu dem Gutachterkreis dieser Zeitschrift erlaubte einen Schluss auf die Ähnlichkeit der persönlichen Überzeugungen der Teilnehmer mit der Ausrichtung der Zeitschrift. Die Gutachter erhielten wie gewohnt einen Forschungsartikel, welchen sie im Hinblick auf die Veröffentlichung in einer Sonderausgabe beurteilen sollten. Die Zuweisung verschiedener Manuskripte erfolgte an nach dem Zufallsverfahren gebildete Gruppen. Im jeweiligen Manuskript wurde ein Experiment vorgestellt, dessen Gegenstand die Auswirkung extrinsischer Bestärkung auf intrinsische Motivation war – ein seinerzeit äußerst kontrovers diskutiertes Thema in der Psychologie. Gegner der angewandten Verhaltenspsychologie vertraten die Auffassung, dass die verhaltenspsychologische Strategie der Bestärkung erhebliche Nebeneffekte haben könne. Ein Individuum für sein Verhalten zu belohnen, könne dazu führen, dass seine intrinsische Motivation für das Verhalten abnehme. Daher könne sich das Belohnen von Schulkindern für akademische Leistungen abträglich auf ihre Wertschätzung lernpädagogischer Aufgaben auswirken. Vertreter der angewandten Verhaltenspsychologie wehrten sich entschieden gegen diesen Vorwurf. Sie vertraten den Standpunkt, dass Belohnung intrinsische Motivation eher bestärke als mindere.567 Die Manuskripte enthielten identische Einleitungen und methodische Teile. Durchweg fehlte eine abschließende Diskussion.568 Unterschiede bestanden lediglich bei den vermeintlich ermittelten Daten. Sie sprachen im einen Manuskript für die Auffassungen der Vertreter der angewandten Verhaltenspsychologie (konsistent) im anderen Manuskript dagegen (inkonsistent). Die Gutachter, die Manuskripte mit standpunktkonsistenten Daten erhielten, urteilten wie folgt: „– A very fine study … I have not seen the Discussion section but I don’t see how it could be very far off the mark. – An excellent paper… it definitely merits publishing. I find little to criticize. The topic is excellent and very relevant, the design is quite adequate, and the style is very good.

566 567 568

Mahoney (1977), 161, 173. Mahoney (1977), 161, 165. Mahoney (1977), 161, 164.

114

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

– It’s a bit difficult to review this sort of study without the discussion section!“569

Die Gutachter, die Manuskripte mit standpunktinkonsistenten Daten erhielten, urteilten wie folgt: „– There are so many problems with this paper, it is difficult to decide where to begin. While I have not seen the discussion section, I can’t think of what would be there to save this paper, – The paper [is] perpetrating a serious, mistaken conclusion by unwary readers. – I would hope that the authors avoid making … wild overgeneralizations. – Accept as exploratory study if [the] discussion includes alternate explanations of the data.“570

b) Neurologische Vorgänge bei Konfrontation mit standpunkt(in)konsistenten Informationen In einer Studie von Westen et al. (2006) hatten 30 Teilnehmer Denkaufgaben zu bearbeiten, während ihre Gehirnaktivität mittels einer funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) aufgezeichnet wurde. Nach der Ermittlung ihrer Haltung zu der Demokratischen und der Republikanischen Partei sowie zu deren Kandidaten im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf aus dem Jahr 2004 erhielten die Teilnehmer Informationen über George W. Bush und John Kerry. Auf sieben aufeinanderfolgenden Folien sahen sie eine Eingangsaussage des jeweiligen Kandidaten, ein dieser widersprechendes Verhalten sowie eine Entschuldigung. Beispielsweise zeigte die erste Folie die Aussage George W. Bushs aus dem Jahr 2000, dass er im Falle eines Sieges im Präsidentschaftswahlkampf 2004 sein Amt nach dem Vorbild von Ken Lay führen wolle, dem damaligen CEO von ENRON. Die zweite Folie enthielt einen Widerspruch, nämlich, dass George W. Bush es inzwischen vermeide, ENRON überhaupt anzusprechen. Die Teilnehmer sahen auf der dritten Folie eine Aufforderung, sich Gedanken über die Konsistenz der Aussage und des Verhaltens zu machen und viertens eine Bewertung auf einer 4-Punkte-Skala von starker Zustimmung bis starker Ablehnung abzugeben. Auf der fünften Folie sahen die Teilnehmer eine entschuldigende Aussage, etwa dass George W. Bush sich von Ken Lay hintergangen fühle und selbst schockiert gewesen sei, als er von der Korruption im Management von ENRON erfahren habe. Die Teilnehmer wurden erneut zum Überlegen und zur Abgabe einer Bewertung aufgefordert.571 Bei den Teilnehmern, die durch die zweite Folie eine mit ihrem politischen Standpunkt übereinstimmende Information erhielten – ein Widerspruch auf Seiten des Gegners – waren die Bereiche des Gehirns, die mit logischen Denkprozessen assoziiert werden stärker aktiv, bei den Teilnehmern, die eine dissonante Information erhielten, hingegen praktisch inaktiv. Bei den Letzteren waren mit Emotionen as569 570 571

Mahoney (1977), 161, 172. Ebenda. Westen et al. (2006), 1947, 1948 f.

II. Einholung von Rat

115

soziierte Bereiche des Gehirns stark aktiv, wenn dank der Entschuldigung auf der fünften Folie die Konsonanz wieder hergestellt werden konnte.572 c) Übertragbarkeit? Als potentielle Standpunkte i. d. S. kommt die Auffassung von Vorstandsmitgliedern in Betracht, eine erfolgreiche Geschäftsführungsmaßnahme zu verfolgen. Dabei kann es sich etwa um das Vorhaben handeln, durch das Angebot eines neuen Produktes in einen bestimmten besonders lukrativen Markt vorzudringen oder ein bestimmtes Unternehmen zu kaufen. Weist ein zur Prüfung dieses Vorhabens eingeholtes und dessen rechtliche oder wirtschaftliche Durchführbarkeit bestätigendes Gutachten Fehler auf, so handelt es sich dabei für das Vorstandsmitglied um, gemessen an seiner persönlichen Präferenz, standpunktinkonsistente Informationen. Insoweit könnte die inhaltliche Überprüfung des jeweiligen Gutachtens ergebnisorientiert sein und damit den Bestandteil einer lediglich formalen Absicherungsstrategie bilden. Die vom Gesetzgeber erkannte prinzipielle Gefahr formeller Absicherungsstrategien scheint danach durchaus begründet zu sein. Der Gesetzgeber erwartet indes in dem durch das UMAG eingeführten Modell der Vorstandshaftung keine Bewirkung bzw. Förderung ergebnisorientierter Auseinandersetzungen mit Informationen. Er erwartet vielmehr eine vergleichsweise neutrale Auseinandersetzung insb. mit standpunktinkonsistenten Informationen. Diese Erwartung könnte wiederum auf der Schaffung eines Anknüpfungspunktes für Prozessverantwortung beruhen und damit auf der prozessorienteierten Ausgestaltung der Vorstandshaftung (vgl. oben H.I.2.). 3. Prozessverantwortung Die Auswirkungen von Prozessverantwortung auf Informationsverarbeitung sind in der Verhaltenspsychologie umfassend untersucht.573 Diese zielen jedoch vorwiegend auf eine Optimierung der Informationsverarbeitung, die der Gesetzgeber des UMAG mit § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht verfolgt (siehe oben C.V.2.). Zwar sind Studien, welche konkret auf Defizite bei der Auseinandersetzung mit standpunktinkonsistenten Informationen in Konditionen der Prozess- und Ergebnisverantwortung zielen, bisher nicht ersichtlich. Insoweit besteht Forschungsbedarf. Untersucht wurden jedoch die Wirkungen von sog. psychological ownership an geistigen Inhalten unter Prozessverantwortung. Psychological ownership beschreibt eine Beziehung zwischen einer Person und einem Gegenstand (körperlich oder nichtkörperlich), bei der die Person das Objekt als eng zu sich gehörig empfindet und es fortan als verlängerten Teil der Person selbst 572 573

Westen et al. (2006), 1947, 1951. Lerner/Tetlock (1999), 255, 258 m. w. N.; Scholten et al. (2007), 539 ff.

116

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

betrachtet, sodass es die gleichen selbstwertsteigernden Tendenzen auslöst.574 Die Existenz der Auswirkungen derartiger Bindungen wurde von Coase (1960) insoweit verneint als hypothetische Märkte ohne Transaktionskosten (welche praktisch nicht existieren) Ressourcen – ungeachtet der ursprünglichen Allokation des Eigentums – effizient aufteilten.575 Für die Aufstellung dieses sogenannten Coase Theorems und weitere Verdienste wurde Ronald Coase 1991 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Kahneman, Knetch und Thaler (1990) kamen in ihren Studien zum endowment effect zu dem Ergebnis, dass die Allokation von Ressourcen im Falle äußerst niedriger Transaktionskosten entgegen dem Coase Theorem nicht unabhängig von der originären Verteilung des Eigentums sei: Die Präferenz – hier der Widerwille – zur Durchführung von Transaktionen gründet auf dem jeweiligen Referenzpunkt, welchen die originäre Verteilung der Eigentumspositionen bestimmt.576 Mit anderen Worten überschätzen Menschen den Wert eigener Objekte. Daniel Kahneman erhielt 2002 den Wirtschaftsnobelpreis für die mit Amos Tversky entwickelte Prospect Theory: Diese nimmt unter anderem an, dass der Mensch Verluste eindringlicher empfindet als Gewinne (loss aversion, siehe oben F.V.). Der endowment effect ist eine Manifestation der loss aversion.577 Kognitive Bindungen können nicht nur zu Objekten, sondern auch zu intellektuellen Gütern wie Ideen und Argumentationen bestehen und vergleichbare Reaktionen bezüglich dieser Güter hervorrufen. De Dreu und van Knippenberg (2005) bestätigten die Hypothese, dass Menschen unter praktisch identischen Argumentationen solche als höherwertig einschätzten, zu denen sie eine persönliche Verbindung haben. Die 95 studentischen Teilnehmer erhielten die Mitteilung, dass sie an einer Studie zu dem Dilemma zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Umweltschutz teilnähmen. Sie wurden in eine Aufsatzkondition eingeteilt, in welcher sie die Position vertreten sollten, dass man ein geringeres Wirtschaftswachstum zum Schutz der Umwelt akzeptieren sollte sowie in eine Debattierkondition, in welcher sie die gleiche Position in einer Diskussion mit einem anderen Teilnehmer verteidigen sollten. Laut Anweisungen seien zwei Sätze an Argumenten entwickelt worden, die im höchsten Maße gleichwertig und im Vorfeld auf entsprechende Länge, Validität sowie Überzeugungskraft überprüft worden seien. Jedem Teilnehmer sei nach dem Zufallsverfahren einer dieser beiden Sätze an Argumenten A und B zugeteilt worden.578 Die Teilnehmer erhielten jeweils eine ausdrückliche Mitteilung, dass sie nun über den Satz A (oder B) verfügten, welcher im höchsten Maße vergleichbar mit dem Satz B (oder A) sei, über welchen sie nicht verfügten.579 Ein computergeneriertes 574 575 576 577 578 579

Baer/Brown (2012) 60, 61. Coase (1960), 1, 16. Kahneman/Knetsch/Thaler (1990), 1325, 1344. Kahneman/Knetsch/Thaler (1991), 193, 194. De Dreu/van Knippenberg (2005), 345, 346. De Dreu/van Knippenberg (2005), 345, 347.

II. Einholung von Rat

117

Zufallsverfahren habe den Beginn mit der Präsentation von Satz A bestimmt (Satz B wurde letztlich nicht gezeigt). Satz A enthielt Argumente für die Akzeptanz eines geringeren Wirtschaftswachstums zum Schutz der Umwelt. Die Teilnehmer erhielten jeweils eine Erinnerung daran, dass sie über diesen Satz A verfügten oder nicht. In Anlehnung an den Versuchsaufbau von Kahneman, Knetch und Thaler (1990) (siehe oben) wurde den Teilnehmern mitgeteilt, dass ein anderer anwesender Teilnehmer die gleiche Aufgabe zu lösen habe, jedoch anstatt Argumente ausgehändigt bekommen zu haben über Geld verfüge, um einen Satz an Argumenten von ihm zu kaufen (tatsächlich kam es zu diesem Schritt nicht). Dieser andere Teilnehmer habe die Aufgabe, einen Höchstpreis zum Erwerb der Argumente anzugeben. Die Teilnehmer sollten Mindestpreise angeben, zu denen sie die Argumente veräußern würden. Die Ausgangshypothese war die Erwartung höherer Preise für Argumente, die den Teilnehmern vorher persönlich zugewiesen wurden, als für nicht zugewiesene. Während dieser Unterschied in der Aufsatzkondition gering ausgeprägt war, waren die Ergebnisse in der Debattierkondition deutlich stärker. Die Teilnehmer, die eine Auseinandersetzung erwarteten, bewerten Argumente, die ihnen persönlich zugewiesen wurden, bedeutend höher, als Argumente, über die sie nicht verfügten.580 Dieser Effekt zeigte sich auch bei Teilnehmern, welchen im Vorfeld Satz B zugewiesen wurde – der ihnen letztlich niemals gezeigt wurde. Die Entstehung von psychological ownership an Argumenten setzt keine Kenntnis vom Inhalt der Argumente voraus.581 Psychological ownership an geistigen Inhalten kann einen Protektionismus auslösen, der sich in einem Widerwillen äußert, andere die zugrunde liegenden Ideen hinterfragen zu lassen.582 Dies gilt weniger im Hinblick auf konstruktive Anreicherungen (additive Veränderungen), sondern insbesondere gegenüber dem Aufdecken von fehlerhaften Inhalten des Gutachtens (subtraktive Veränderungen).583 Die Auswirkungen von psychological ownership an geistigen Inhalten auf diesen drohende Veränderungen untersuchten Baer und Brown (2012). Den Teilnehmern ihrer Studie wurde mitgeteilt, sie sollten die Rolle des Mitglieds einer Arbeitsgruppe einnehmen, die mit der Entwicklung einer Werbekampagne für ein neues Restaurant betraut sei. Ein diesbezüglicher Vorschlag sei bereits von einer anderen Gruppe ausgearbeitet worden und solle von ihnen in Einzelarbeit überprüft werden und dann an ihre Kollegen für ein kurzes Feedback weitergeleitet werden. Nach Berücksichtigung des Feedbacks sollten sie den Vorschlag an das zuständige Bewertungskomitee schicken. Einige Teilnehmer wurden gebeten, den auf Papier notierten Vorschlag in einen Computer abzutippen und für das Feedback weiterzuleiten, ohne jeglichen Einfluss auf dessen Inhalt oder Formatierung nehmen zu können. Andere Teilnehmer er580 581 582 583

De Dreu/van Knippenberg (2005), 345, 348. De Dreu/van Knippenberg (2005), 345, 356. Baer/Brown (2012), 60, 61. Baer/Brown (2012), 60, 61 f.

118

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

hielten einen lückenhaften Vorschlag, in den sie zuerst persönliche Details, wie ihren Namen einfügen sollten und das Format verändern sollten. Dadurch sollte bei den beiden Gruppen von Teilnehmern ein unterschiedliches Niveau an psychological ownership an dem Vorschlag hervorgerufen werden (erste Gruppe begrenzt, zweite erhöht). Im Feedback, das die Teilnehmer erhielten, wurde vorgeschlagen, zwei Elemente des Vorschlags (die Zielgruppe einer gehobenen Kundschaft und berufstätigen Frauen) zu streichen und durch andere zu ersetzen. Wie erwartet übernahmen die Teilnehmer mit dem erhöhten psychological ownership seltener die Änderungen aus dem Feedback.584 Die Teilnehmer mit einem erhöhten Gefühl von psychological ownership akzeptierten demnach weniger subtraktive Veränderungen an dem Vorschlag. De Dreu und van Knippenberg (2005) untersuchten ferner die Auswirkungen von Prozessverantwortung auf psychological ownership an Argumenten. Der experimentelle Aufbau entsprach dem des ersten Experiments (siehe oben), mit dem Unterschied, dass alle Teilnehmer in der Debattierkondition waren.585 In der Prozessverantwortungskondition erhielten die Teilnehmer die folgenden Anweisungen, kurz bevor sie den Preis für den Satz A oder Satz B bestimmten sollten: „Before you decide the price for the set of arguments, please keep in mind why you are doing so. After the experiment, we will interview you in detail about the reasons and considerations you had for setting a particular price. We are not so much interested in the actual price, but more in the underlying reasons you had for setting it at that level. If you want, you can make some notes using the scrap paper placed beside your computer, and you can bring these notes to the interview.“586

Prozessverantwortung führte zum Ausbleiben der starken Wirkungen von psychological ownership.587 Die Manipulation der Prozessverantwortung dürfte mit der erwarteten Rechenschaft über die Frage, ob vernünftiger Weise angenommen werden durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zu handeln, vergleichbar sein. Dies ist freilich eine widerlegbare Annahme. Ownership betrifft hier indes die Wertschätzung geistiger Inhalte und nicht deren inhaltliche Überprüfung. An einer direkten Übertragbarkeit fehlt es. Diese Variablen können sich in entsprechenden Fällen decken oder auch nicht. Es besteht nach diesem Forschungsstand jedoch Grund zu der (widerlegbaren) Annahme, dass Prozessverantwortung sich auch auf die Auseinandersetzung von Vorstandsmitgliedern mit standpunktinkonsistenten Informationen auswirken kann. Vorbehaltlich des bestehenden Forschungsbedarfs spricht dies dafür, dass der Gesetzgeber des UMAG ein gesetzesbedingtes Leerlaufen der eigenverantwortlichen Prüfung der Informationsgrundlage und der Bewirkung bzw. Förderung rein 584 585 586 587

Baer/Brown (2012), 60, 63. De Dreu/van Knippenberg (2005), 345, 349. Ebenda. Ebenda.

II. Einholung von Rat

119

ergebnisorientierter Prüfungen auch in Beraterfällen deswegen nicht erwartet, da durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG in diesen Fällen ein psychologischer Anknüpfungspunkt für Prozessverantwortung besteht. Entscheidend ist danach, dass die aktienrechtliche Vorstandshaftung auch in „Beraterfällen“ einen Anknüpfungspunkt i. d. S. schafft. Dies dürfte z. B. nicht der Fall sein, wenn die aktienrechtliche Haftung des Vorstandsmitglieds wegen einer Entscheidung unter Rechtsunsicherheit letztlich von der rechtlichen Entscheidung eben dieser Frage durch ein Gericht oder eine Behörde – gleichsam einer Erfolgshaftung – abhinge. Darüber, welche konkreten Anforderungen in diesen Fällen zu einer Schaffung von Prozessverantwortung führen, können im Rahmen dieser Untersuchung nur Annahmen gemacht werden. In den o. g. Studien wurde Prozessverantwortung durch das Inaussichtstellen eines Rechtfertigungsbedürfnisses für die Gründe der eigentlichen Entscheidung geschaffen. In Rechtsberaterfällen liegen potentielle Gründe i. d. S. in der Unabhängigkeit und Fachkompetenz des Rechtsberaters, in der Überprüfung des Gutachtens im Hinblick auf die Verfügung des Beraters über die erforderlichen Informationen und dessen widerspruchsfreie Beantwortung von Rechtsfragen und der Erörterung, ob sich aufgrund dessen weitere Fragen aufdrängen (siehe oben E.II.). Insbesondere bei der Beurteilung der Widerspruchsfreiheit zeigt sich die Bedeutung der Differenzierung zwischen Erfolgs- und Prozessverantwortung deutlich. Das Vorstandsmitglied kann nicht für die Widerspruchsfreiheit des Gutachtens an sich einstehen, sondern dafür, dass er diese vernünftigerweise annehmen durfte. Bei offensichtlichen Widersprüchen kann dies freilich kaum der Fall sein. Der vom Vorstandsmitglied geschuldete Prüfungsprozess ist dabei stets neutral und nicht am Erfolg der Geschäftsführungsmaßnahme ausgerichtet. Persönliche Präferenzen des Vorstandsmitglieds für das Gelingen eines Projekts berühren den gesetzlich vorgegebenen Prüfungsmaßstab nicht. Dies findet seine rechtliche Anknüpfung im Begriff „vernünftigerweise“ i. S. v. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Wenig zielführend dürfte insoweit die in der juristischen Literatur abstrakt geführte Diskussion um die Forderung strenger oder die Folgen zu strenger Anforderungen sein (siehe oben E.II.), da die Betrachtung der Intensität der Anforderungen nichts zur entscheidenden Differenzierung zwischen dem Entscheidungsprozess und dem Entscheidungserfolg beiträgt. Für das Bestehen eines psychologischen Anknüpfungspunktes für Prozessverantwortung ist die dogmatische Einordnung der rechtlichen Unsicherheiten – aller Erwartung nach – unbeachtlich. Entscheidend ist die Gewährleistung der Prozessorientierung der durch Auslegung ermittelten Anforderungen in Beraterfällen. Ungeachtet der dogmatischen Verortung gilt die Maßgabe der Prozessverantwortung für Entscheidungen unter tatsächlich oder rechtlich bedingten Unsicherheiten; diese Maßgabe verliert auch durch die Hinzuziehung von Rechtsrat nicht an Bedeutung (siehe oben H.I.3.). Auch in Beraterfällen bleibt das Vorstandsmitglied für den Entscheidungsprozess verantwortlich und steht nicht für die Entscheidungen von Gerichten oder Behörden in Fällen von Rechtsunsicherheit ein. Dies spricht dafür die

120

H. Zur „Population“ der Vorstandsmitglieder

Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht davon abhängig zu machen, ob das Vorstandsmitglied der Entscheidung ein Gutachten zugrunde legt (vgl. oben E.II. am Ende). Dies bedeutet kein „weniger“ im Sinne eines Haftungsfreiraums, sondern die Knüpfung der Verantwortung des Vorstandsmitglieds an den Entscheidungsprozess anstatt an deren Erfolg. Die prozessuale Verantwortung des Vorstandsmitglieds schlägt sich auch in der Versorgung des Beraters mit entscheidungsrelevanten Informationen wieder. Defizite in diesem Bereich bilden in der Beratungspraxis eine bedeutende Ursache fehlerhafter Gutachten.588 Hält der Geschäftsleiter hier entscheidende Informationen zurück, so wird er dem prozessualen Verhaltensmaßstab nicht gerecht. Ein anschauliches Beispiel hierfür bietet die Prüfung des Vorliegens einer Scheinselbständigkeit sog. Freelancer.589 In Zweifelsfällen bietet sich hier ein Statusfeststellungsverfahren an (§ 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Dem Berater liegen regelmäßig nur begrenzte Informationen – in Form der in einen Datenraum eingestellten Dienstverträge – vor. Der Berater ist hier in Ermangelung weiterer Auskünfte auf die Überprüfung der Ausgestaltung des Dienstvertrags beschränkt. Dies kann jedoch zu falschen Schlüssen führen, wenn der Vertrag faktisch anders gelebt wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts richtet sich die Frage, ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen.590 Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist.591 Auch die prozessuale Verantwortung des Vorstandsmitglieds für die Versorgung des Beraters mit entscheidungsrelevanten Informationen ist letztlich eine Ausprägung des aktienrechtlichen Verhaltensmaßstabs. Die Prozessorientierung des aktienrechtlichen Verhaltensmaßstabs gilt ungeachtet des Umstands, ob das Vorstandsmitglied seiner Entscheidung ein Gutachten zugrunde legt oder nicht.

III. Zusammenfassendes Ergebnis Nach dem psychologischen Vorverständnis des Gesetzgebers lässt die Ausgestaltung der Vorstandshaftung durch das UMAG nicht erwarten, dass sie eine Ergebnisorientierung der inhaltlichen Überprüfung von Rat bewirkt bzw. fördert. Der aktienrechtliche Verhaltensmaßstab verlangt eine neutrale Überprüfung und damit 588 So der Befund nach Gesprächen des Verfassers mit Partnern einer internationalen Großkanzlei zu praktisch bedeutsamen Fehlerquellen bei der legal due diligence im September 2016. 589 Siehe nur KassKomm/Seewald, § 7 SGB IV Rn. 46 ff. 590 Siehe Nachweise bei BSG DStR 2013, 770, 771. 591 BSG DStR 2013, 770, 772; vgl. Pelz, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 20 Rn. 33 f.

III. Zusammenfassendes Ergebnis

121

insbesondere eine neutrale Auseinandersetzung mit standpunktinkonsistenten Informationen. Vorstandsmitglieder dürfen sich insoweit nicht von dem Umstand leiten lassen, dass das Gutachten einen vom Vorstandsmitglied präferierten Standpunkt, d. h. „seinen“ Standpunkt unterstützt. Diese Erwartung könnte auf der prozessorientierten Ausgestaltung der Vorstandshaftung beruhen, was aus verhaltenspsychologischer Sicht zumindest naheliegt. Insoweit besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf. Entscheidend ist nach dieser Betrachtung, dass die prozessuale Ausrichtung des aktienrechtlichen Verhaltensnmaßstabs auch in Beraterfällen nicht an Bedeutung verliert. Die vom BGH in der ISION-Entscheidung aufgestellten rechtlichen Anforderungen in Beraterfällen stehen hiermit im Einklang. Praktisch entscheidend ist darüber hinaus, dass dieser Einklang auch mit der tatsächlichen Rechtsanwendung durch die (Instanz-)Gerichte besteht.

Gesamtergebnis I. Thesen 1. Der Gesetzgeber des UMAG hat mit der Einführung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG mehrere Zwecke verfolgt. 2. Ein Sinn und Zweck der Vorschrift besteht darin, einem hindsight bias von Richtern im Hinblick auf Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern Rechnung zu tragen. 3. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG hat nicht den Sinn und Zweck, eine Optimierung von Entscheidungen zu bewirken. 4. Der Gesetzgeber will negative Auswirkungen der aktienrechtlichen Vorstandshaftung auf erfolgreiche Geschäftsführung gering halten. In dieser Hinsicht ist nach dem Vorverständnis des Gesetzgebers vom Ablauf menschlicher Entscheidungsprozesse die durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG geprägte Ausgestaltung der aktienrechtlichen Vordstandshaftung im Vergleich zu einer solchen, die das Entstehen einer faktischen Erfolgshaftung erwarten ließe, ein milderes Mittel. 5. Nach diesem – impliziten – Vorverständnis entfaltet die Vorstandshaftung in der Ausgestaltung durch das UMAG auf die Regelungsadressaten einerseits die präventive verhaltenssteuernde Wirkung, den aktienrechtlichen Verhaltensmaßstab der §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG einzuhalten (positiver Aspekt der Prävention), andererseits, wenn entsprechend gehandhabt, gerade keine Wirkung der Art, dass sie eine Förderung defensiver Verhaltensweisen bewirkt (negativer Aspekt der Prävention). 6. Die vom negativen Aspekt der Prävention umfassten defensiven Verhaltensweisen betreffen insbesondere Eskalationen von Entscheidungsverläufen auf Kosten der Anteilseigener und Gläubiger (in der Psychologie allgemein als escalation of commitment bzw. sunc cost effect bezeichnet) und formale Absicherungsstrategien. 7. Eine einseitige inhaltliche Auseinandersetzung eines Vorstandsmitglieds mit einem vom Ergebnis her präferierten Gutachten stellt eine rein formale Absicherungsstrategie dar. Der Gesetzgeber von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG fördert Verhaltensweisen dieser Art nach seinem psychologischen Vorverständnis nicht. 8. Dieses Verständnis des Gesetzgebers beruht aus verhaltenspsychologischer Sicht auf der Annahme, mit dem UMAG-Haftungsmodell einen Anknüpfungspunkt für Prozessverantwortung in Abgrenzung zu Ergebnisverantwortung zu schaffen.

I. Thesen

123

9. Potentielle Anknüpfungspunkte für Ergebnisverantwortung können sich aus einer Vielzahl von Umständen ergeben (Abberufung, Verweigerung der Entlastung, Nicht-Wiederbestellung). Für den Gesetzgeber ist entscheidend, dass er mit der aktienrechtlichen Vorstandshaftung keine eigenständigen Anknüpfungspunkte für Ergebnisverantwortung schafft, sondern stattdessen solche für Prozessverantwortung. 10. Die Rechtsnatur von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist weniger im Sinne eines „Freiraums“ zu verstehen als im Sinne einer prozessorientierten Konkretisierung von Sorgfaltspflichten. 11. Es besteht Grund zur Annahme, dass Konditionen der Ergebnisverantwortung eher zu einer Steigerung des Auftretens von escalation of commitment bzw. des sunc cost effect führen können als Konditionen der Prozessverantwortung. Escalation of commitment bzw. der sunc cost effect kann auch bei Entscheidungsverläufen beobachtet werden, mit denen erhebliche und zunächst nicht auflösbare Rechtsunsicherheiten einhergehen. 12. Für Vorstandsmitglieder kann es prakisch unvermeidbar sein, Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit zu treffen. Rechtsunsicherheiten können unter Umständen auch durch vom Vorstandsmitglied einholte Rechtsgutachten nicht beseitigt werden. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist grundsätzlich auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit anwendbar. Dies schließt insbesondere das „Wie“ des Ergreifens von Compliance-Maßnahmen ein, wie auch die Durchführung von Geschäftsführungsmaßnahmen, welche die Erteilung behördlicher Genehmigung voraussetzen. 13. Der Begriff der unternehmerischen Entscheidung i. S. v. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG setzt einen Prognosecharakter oder eine Zukunftsbezogenheit der Entscheidung nicht voraus. Die Erwägung, dass nur unter diesen Voraussetzungen ein hindsight bias des Richters auftreten könne, geht fehl. Insbesondere liefert sie kein Argument gegen die Anwendbarkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit. 14. Eine unternehmerische Entscheidung i. S. v. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt jedenfalls vor, wenn ein auf die Entscheidung folgendes Ereignis eine im Entscheidungszeitpunkt objektive gegebene und subjektiv erkannte Unsicherheit entscheidungserheblich verringern oder auflösen kann. Die Unsicherheit kann tatsächlicher oder rechtlicher Natur sein. 15. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist nicht auf Entscheidungen unter Rechtsunsicherheit anwendbar, welche eine Verletzung der Legalitätspflicht begründen. 16. Die Legalitätspflicht steht einer vorsätzlichen Verletzung von gesetzlichen Vorschriften oder der Satzung entgegen, nicht aber der Eingehung des Risikos an sich, durch eine Entscheidung unter objektiv gegebener und subjektiv erkannter Rechtsunsicherheit einen Gesetzesverstoß zu begehen. 17. Nichtvorsätzliche Rechtsverletzungen, d. h. solche auf deren Ausbleiben das Vorstandsmitglied vertraut hat und vertrauen durfte, verstoßen nicht gegen die Le-

124

Gesamtergebnis

galitätspflicht. Dies gilt unbenommen von der Frage, ob ein Bestandteil der Informationsgrundlage ein (Rechts-)Gutachten ist oder nicht. 18. Prozessverantwortung kann ein weniger ausgeprägtes Auftreten von subjektiven Bindungen (ownership) zu geistigen Inhalten, wie Argumenten, bewirken. Eingeholte Gutachten könnten geistigen Inhalten dieser Art entsprechen und vergleichbaren Bindungen unterliegen. Prozessverantwortung könnte die Ausprägung dieser Wirkung nicht verstärken, sondern mildern. 19. Die Art der gesetzlich geschaffenen Verantwortung für die getroffene Entscheidung ist nicht ergebnis-, sondern prozessorientiert und damit ausgewogen und neutral. Die Intensität des Prüfungsmaßstabs hierdurch nicht vorgegeben. 20. Bei der Konkretisierung der haftungsrechtlichen Anforderungen in Beraterfällen durch die Rechtsprechung ist die Maßgabe, durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG einen Anknüpfungspunkt für Prozessverantwortung zu schaffen, zu berücksichtigen und explizit zu adressieren. 21. Die bloße Maßgabe der (ggf. erst rückblickend bestimmbaren) Richtigkeit oder Plausibilität des Rats wird dem nicht gerecht. Sie liefe dem vom Gesetzgeber des UMAG verfolgten Haftungsmodell zuwider. Auch bei Zugrundelegung von Gutachten muss der aktienrechtliche Verhaltensmaßstab an den Entscheidungsprozess anknüpfen. 22. Die vom BGH in der ISION-Entschiedung aufgestellten rechtlichen Anforderungen in Beraterfällen stehen hiermit im Einklang

II. Schlussbetrachtung und Ausblick Der Gesetzgeber, die Rechtsprechung und die Literatur können bei der Auslegung von Rechtsnormen (bzw. bei deren Ausarbeitung) Annahmen über die Wirkung des Rechts auf den Regelungsadressaten zugrunde legen. Die Analyse des Verhaltens des Regelungsadressaten ist eine Bereicherung für den juristischen Schaffensprozess. Wissenschaft ist als Prozess zu verstehen. Dies schließt die Rechtswissenschaft ein, denn auch sie legt Annahmen über Ursache-Wirkungs-Mechanismen zugrunde. Ein Anstoß in diese Richtung kann aus dem Gesellschaftsrecht kommen, wenn es die empirische Forschung als Erkenntnisquelle akzeptiert. Das Interesse der Psychologinnen und Psychologen ist groß.

Literaturverzeichnis Albert, Hans: Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1991 (zit.: Albert, Traktat über kritische Vernunft). Ariely, Dan/Loewenstein, George F./Prelec, Drazen: „Coherent Arbitrariness“: Stable Demand Curves without Stable Preference, in: The Quarterly Journal of Economics, Band 118, 2003, Heft 1, S. 73 – 105. Arkes, Hal R./Blumer, Catherie: The Psychology of Sunk Cost, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 35, 1985, Heft 1, S. 124 – 140. Arkes, Hal R./Hutzel, Laura: The Role of Probability of Success Estimates in the Sunk Cost Effect, in: Journal of Behavioral Decision Making, Band 13, 2000, Heft 3, S. 295 – 306. Armbrüster, Christian: Interessenkonflikte in der D&O-Versicherung, in: Neue Juristische Wochenschrift, 2016, Heft 13, S. 897 – 901. Arnold, Arnd: Die Steuerung des Vorstandshandelns, München 2007 (zit.: Arnold, Die Steuerung des Vorstandshandelns). Aronson, Elliot/Wilson, Timothy D./Akert, Robin M.: Social Psychology, 8. Aufl., Essex 2014 (zit.: Aronson/Wilson/Akert, Social Psychology). Arrow, Kenneth. J.: The economics of agency, in: Pratt, John, W./Zeckhauser, Richard (Hrsg.), Principals and Agents: The Structure of Business, Boston 1991, S. 36 – 51 (zit.: Arrow, in: Pratt/Zeckhauser, Principals and Agents: The Structure of Business). Bachmann, Gregor: Anmerkung zu LG München I, Urt. v. 10. 12. 2013 – 5 HK O 1387/10, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2014, Heft 12, S. 579 – 583. – Das „vernünftige“ Vorstandsmitglied – Zum richtigen Verständnis der deutschen Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG), in: Habersack, Mathias/Huber, Karl/Spindler, Gerald (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Stilz zum 65. Geburtstag, München 2014, S. 25 – 44 (zit.: Bachmann, in: FS Stilz, 2014). – Die Geschäftsleiterhaftung im Fokus von Rechtsprechung und Rechtspolitik, in: BetriebsBerater, 2015, Heft 14, S. 771 – 777. – Reform der Organhaftung? Materielles Haftungsrecht und seine Durchsetzung in privaten und öffentlichen Unternehmen – Gutachten E zum 70. Deutschen Juristentag, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, Band 1, Gutachten, Teil E, München 2014 (zit.: Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014). – Reformbedarf bei der Business Judgment Rule? In: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Band 177, 2013, S. 1 – 12. – Zehn Thesen zur deutschen Business Judgment Rule, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, 2015, Heft 3, S. 105 – 112.

126

Literaturverzeichnis

Baer, Markus/Brown, Graham: Blind in one eye: How psychological ownership of ideas affects the types of suggestions people adopt, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 118, 2012, Heft 1, S. 60 – 71. Bainbridge, Stephen M.: Corporate Law, 2. Aufl., New York 2009 (zit.: Bainbridge, Corporate Law). Bandura, Albert: Social Cognitive Theory: An Agentic Perspective, in: Annual Review of Psychology, Band 52, 2001, S. 1 – 26. Baumbach, Adolf/Hueck, Alfred: GmbH-Gesetz, 20. Aufl., München 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Baumbach/Hueck, GmbHG). Bayer, Walter: Legalitätspflicht der Unternehmensleitung, nützliche Gesetzesverstöße und Regress bei verhängten Sanktionen, in: Bitter, Georg/Lutter, Marcus/Priester, Hans-Joachim/ Schön, Wolfgang/Ulmer, Peter (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, Köln 2009, S. 85 – 103 (zit.: Bayer, in: FS K. Schmidt, 2009). Bayer, Walter/Scholz, Philipp: Vertretung durch den Aufsichtsrat nach § 112 AktG und Rechtsirrtümer im Kernbereich des Aktienrechts, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2015, Heft 39, S. 1853 – 1861. Bazerman, Max H./Beekun, Rafik I./Schoorman, F. David: Performance evaluation in a dynamic context: A laboratory study of the impact of a prior commitment to the ratee, in: Journal of Applied Psychology, Band 67, 1982, Heft 6, S. 873 – 876. Bazerman, Max H./Giullano, Toni/Appelman, Alan: Escalation of commitment in individual and group decision making, in: Organizational Behavior and Human Performance, Band 33, 1984, Heft 2, S. 141 – 152. Beckmann, Roland Michael/Matusche-Beckmann, Annemarie: Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl., München 2015 (Bearbeiter, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Hdb. VersR). Beggan, James K.: On the social nature of nonsocial perceptions: The mere ownership effect, in: Journal of Personality and Social Psychology, Band 62, 1992, Heft 2, S. 229 – 237. Berg, Werner/Mäsch, Gerald: Deutsches und Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl., Köln 2015 (zit.: Bearbeiter, in: Berg/Mäsch, Deutsches und Europäisches Kartellrecht). Berle, Adolf. A./Means, Gardiner C.: The modern corporation and private property, New York 1932 (zit.: Berle/Means, The modern corporation and private property). Berlin, Leonard: Hindsight Bias, in: American Journal of Roentgenology, Band 175, 2000, Heft 3, S. 597 – 601. Bernstein, Daniel M./Harley, Erin M.: Fluency misattribution and visual hindsight bias, in: Memory, Band 15, 2007, Heft 5, S. 548 – 560. Bicker, Eike: Legalitätspflicht des Vorstands – ohne Wenn und Aber? In: Die Aktiengesellschaft, 2014, Heft 1 – 2, S. 8 – 14. Binder, Jens-Hinrich: Anforderungen an Organentscheidungsprozesse in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung – Grundlagen einer körperschaftsrechtlichen Entscheidungslehre? In: Die Aktiengesellschaft, 2012, Heft 24, S. 885 – 898.

Literaturverzeichnis

127

– Geschäftsleiterhaftung und fachkundiger Rat, in: Die Aktiengesellschaft, 2008, Heft 8, S. 274 – 287. – Mittelbare Einbringung eigener Aktien als Sacheinlage und Informationsgrundlage von Finanzierungsentscheidungen in Vorstand und Aufsichtsrat, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band 41, 2012, Heft 5, S. 757 – 775. Blasche, Sebastian: Die Mindestanforderungen an ein Risikofrüherkennungs- und Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG, in: Corporate Compliance Zeitschrift, 2009, Heft 2, S. 62 – 67. Bohnert, Joachim/Krenberger: Benjamin/Krumm, Carsten, Ordnungswidrigkeitengesetz, 4. Aufl., München 2016 (zit.: Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG). Boudon, Raymond: Le sens des valeurs, 2. Aufl., Paris 2007 (zit.: Boudon, Le sens des valeurs). Bowen, Michael G.: The Escalation Phenomenon Reconsidered: Decision Dilemmas or Decision Errors? In: The Academy of Management Review, Band 12, 1987, Heft 1, S. 52 – 66. Brömmelmeyer, Christoph: Neue Regeln für die Binnenhaftung des Vorstands – Ein Beitrag zur Konkretisierung der Business Judgment Rule, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, 2005, Heft 44, S. 2065 – 2112. Buck-Heeb, Petra: Die Haftung von Mitgliedern des Leitungsorgans bei unklarer Rechtslage, in: Betriebs-Berater, 2013, Heft 38, S. 2247 – 2257. – Die Plausibilitätsprüfung bei Vorliegen eines Rechtsrats – zur Enthaftung von Vorstand, Geschäftsführer und Aufsichtsrat, in: Betriebs-Berater, 2016, Heft 23, S. 1347 – 1355. Bunge, Mario: What is Pseudoscience, in: The Skeptical Inquirer, Band 9, 1984, Heft 1, S. 36 – 46. Bürgers, Tobias/Körber, Torsten: Aktiengesetz, 3. Aufl., Heidelberg 2014 (zit.: Bürgers/Körber/Bearbeiter). Busekist, Konstantin von/Hein, Oliver: Der IDW PS 980 und die allgemeinen rechtlichen Mindestanforderungen an ein wirksames Compliance Management System (1) – Grundlagen, Kultur und Ziele, In: Corporate Compliance Zeitschrift, 2012, Heft 2, S. 41 – 48. Cahn, Andreas: Aufsichtsrat und Business Judgment Rule, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, 2013, Heft 28, S. 1293 – 1305. Chen, M. Keith/Lakshminaryanan, Venkat/Santos, Laurie: The evolution of our preferences: Evidence from capuchin monkey trading behavior, in: Journal of Political Economy, Band 114, 2006, Heft 3, S. 517 – 537. Choi, Incheol/Nisbett, Richard E.: Cultural psychology of surprise: Holistic theories and recognition of contradiction, in: Journal of Personality and Social Psychology, Band 79, 2000, Heft 6, S. 890 – 905. Coase, Ronald: The Problem of Social Cost, in: Journal of Law and Economics, Band 3, 1960, S.1 – 44. Cohen, Jacob: Things I Have Learned (so Far), in: American Psychologist, Band 45, 1990, Heft 12, S. 1304 – 1312. Cumming, Geoff: The New Statistic – Effect Sizes, Confidence Intervals, and Meta-Analysis, New York 2012 (zit.: Cumming, The New Statistics).

128

Literaturverzeichnis

Darley, John M./Gross, Paget H.: A Hypothesis-Confirming Bias in Labeling Effects, in: Journal of Personality and Social Psychology, Band 44, 1983, Heft 1, S. 20 – 33. Dauner-Lieb, Barbara: Unternehmerische Tätigkeit zwischen Kontrolle und Kreativität, in: Crezelius, Georg/Hirte, Heribert/Vieweg, Klaus (Hrsg.), Festschrift für Volker Röhricht zum 65. Geburtstag, Köln 2005, S.83 – 103 (zit.: Dauner-Lieb, in: FS Röhricht, 2005). De Dreu, Carsten K. W./van Knippenberg, Daan: The Possessive Self as a Barrier to Conflict Resolution: Effects of Mere Ownership, Process Accountability, and Self-Concept Clarity on Competitive Cognitions and Behavior, in: Journal of Personality and Social Psychology, Band 89, 2005, Heft 3, S. 345 – 357. De Langhe, Bart/van Osselaer, Stijn M. J./Wierenga, Berend: The effects of process and outcome accountability on judgment process and performance, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 115, 2011, Heft 2, S. 238 – 252. Decker, Andreas: Organhaftung und Expertenrat – Umfang und Grenzen einer Haftungsvermeidung durch fachkundige Expertise, in: GmbH-Rundschau, 2014, Heft 2, S. 72 – 78. Doney, Patricia M./Armstrong, Gary M.: Effects of Accountability on Symbolic Information Search and Information Analysis by Organizational Buyers, in: Journal of the Academy of Marketing Science, Band 24, 1996, Heft 1, S. 57 – 65. Dreher, Meinrad: Die Vorstandsverantwortung im Geflecht von Risikomanagement, Compliance und interner Revision, in: Kindler, Peter/Koch, Jens/Ulmer, Peter/Winter, Martin (Hrsg.), Festschrift für Uwe Hüffer zum 70. Geburtstag, München 2010, S. 161 – 185 (zit.: Dreher, in: FS Hüffer, 2010). Drosdowski, Günther/Scholze-Stubenrecht, Werner/Wermke, Matthias: Duden Fremdwörterbuch, 6. Aufl., Mannheim 1997 (zit.: Duden Fremdwörterbuch). Drummond, Helga: Are we any closer to the end? Escalation and the case of Taurus, in: International Journal of Project Management, Band 17, 1999, Heft 1, S. 11 – 16. – Escalation in Decision-Making, New York 1996 (zit.: Drummond, Escalation in DecisionMaking). Easterbrook, Frank H./Fischel, Daniel, R.: The Economic Structure of Corporate Law, 2. Aufl., Cambridge, Massachusetts 1996 (zit.: Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law). Emde, Ernst Thomas: Gesamtverantwortung und Ressortverantwortung im Vorstand der AG, in: Burgard, Ulrich/Hadding, Walther/Mülbert, Peter O./Nietsch, Michael/Welter, Reinhard (Hrsg.), Festschrift für Uwe H. Schneider zum 70. Geburtstag, Köln, 2011, S. 295 – 321 (zit.: Emde, in: FS U. H. Schneider, 2011). Engel, Christoph: Verhaltenswissenschaftliche Analyse: eine Gebrauchsanweisung für Juristen, in: Engel, Christoph/Englerth, Markus/Lüdemann, Jörn/Spiecker genannt Döhmann, Indra (Hrsg.), Recht und Verhalten, Tübingen 2007, S. 363 – 397 (zit.: Engel, in: Engel/ Englerth/Lüdemann/Spiecker genannt Döhmann, Recht und Verhalten). Engert, Andreas/Goldlücke, Susanne: Why agents need discretion: The business judgent rule as optimal standard of care, in: University of Mannheim/Department of Economics Working Paper 13 – 04, 2013, S. 1 – 34.

Literaturverzeichnis

129

Eysenck, Michael W./Keane, Mark T.: Cognitive Psychology, 6. Aufl., New York 2010 (zit.: Eysenck/Keane, Cognitive Psychology). Falk, Ulrich/Alles, Matthias: Verhaltensökonomik und Anwaltsrhetorik – Ein interdisziplinärer Forschungsbericht zu Wahrnehmungsverzerrungen bei Risikoabwägungen, Prognosen und Richtigkeitswertungen, in: ZIP – Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2014, Heft 25 – 26. S. 1209 – 1218. Falkenhausen, Joachim von: Die Haftung außerhalb der Business Judgment Rule, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2012, Heft 17, S. 644 – 651. Fiedler, Klaus/Eichberger, Jürgen/Schnell, Knut: Information und Entscheidung – Wie hängt die Qualität von Entscheidungen von der Quantität der verfügbaren Informationen ab? Ein interdisziplinäres Experiment, in: Jahresbericht „Marsilius-Kolleg 2015/2016“, Heidelberg 2016, S. 33 – 39 (zit.: Fiedler/Eichberger/Schnell, in: Jahresbericht „Marsilius-Kolleg 2015/ 2016“). Fischel, Daniel R./Bradley, Michael: The role of liability rules and the derivative suit in corporate law: a theoretical and empirical analysis, in: Cornell Law Review, Band 71, 1986, Heft 2, S. 261 – 298. Fischhoff, Baruch: Hindsight ¼ 6 foresight: Effect of outcome knowledge on judgment under uncertainty, in: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, Band 1, 1975, Heft 3, S. 288 – 299. – Hindsight ¼ 6 Foresight: The Effect of Outcome Knowledge on Judgment Under Uncertainty, in: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, Band 1, 1975, Heft 3, S. 288 – 299. Fischhoff, Baruch/Beyth, Ruth: „I Knew It Would Happen“ – Remembered Probabilities of Once-Future Things, in: Organizational Behavior and Human Performance, Band 13, 1975, Heft 1, S. 1 – 16. Fissenewert, Peter: Compliance für den Mittelstand, München 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Fissenewert, Compliance für den Mittelstand). Fleischer, Holger: Aktienrechtliche Legailitätspflicht und „nützliche“ Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2005, Heft 4, S. 141 – 152. – Aktuelle Entwicklungen der Managerhaftung, in: Neue Juristische Wochenschrift, 2009, Heft 32, S. 2337 – 2343. – Behavioral Law and Economics im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht – ein Werkstattbericht, in: Fuchs, Andreas/Schwintowski, Hans-Peter/Zimmer, Daniel (Hrsg.), Wirtschaftsund Privatrecht im Spannungsfeld von Privatautonomie, Wettbewerb und Regulierung – Festschrift für Ulrich Immenga zum 70. Geburtstag, München 2004, S. 575 – 587 (zit.: Fleischer, in: FS Immenga, 2004). – Das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, in: Neue Juristische Wochenschrift, 2005, Heft 49, S. 3525 – 3530. – Das unternehmerische Ermessen des GmbH-Geschäftsführers und seine GmbH-spezifischen Grenzen, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2011, Heft 14, S. 521 – 527. – Die „Business Judgment Rule“ im Spiegel von Rechtsvergleichung und Rechtsökonomie, in: Wank, Rolf/Hirte, Heribert/Frey, Kaspar/Fleischer, Holger/Thüsing, Georg (Hrsg.), Fest-

130

Literaturverzeichnis

schrift für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, München 2002, S. 827 – 850 (zit.: Fleischer, in: FS Wiedemann, 2002). – Die „Business Judgment Rule“: Vom Richterrecht zur Kodifizierung, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2004, Heft 15, S. 685 – 692 – Expertenrat und Organhaftung, in: Kölner Schriften zum Wirtschaftsrecht, 2013, Heft 1, S. 3 – 9. – Handbuch des Vorstandsrechts, München 2006 (zit.: Bearbeiter, in: Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts). – Rechtsrat und Organwalterhaftung im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, in: In: Kindler, Peter/Koch, Jens/Ulmer, Peter/Winter, Martin (Hrsg.), Festschrift für Uwe Hüffer zum 70. Geburtstag, München 2010, S. 187 – 203 (zit.: Fleischer, in: FS Hüffer, 2010). – Verbotsirrtum und Vertrauen auf Rechtsrat im europäischen Wettbewerbsrecht, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2013, Heft 9, S. 326 – 331. – Vertrauen von Geschäftsleitern und Aufsichtsratsmitgliedern auf Informationen Dritter, in: ZIP – Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2009, Heft 30, S. 1397 – 1406. – Vorstandshaftung und Rechstirrtum über die Vertretungskompetenz beim Abschluss eines Interim-Management-Vertrags, in: Der Betrieb, 2015, Heft 31, S. 1764 – 1769. – Vorstandshaftung und Vertrauen auf anwaltlichen Rat, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2010, Heft 4, S. 121 – 125. – Vorstandsverantwortlichkeit und Fehlverhalten von Unternehmensangehörigen – Von der Einzelüberwachung zur Errichtung einer Compliance-Organisation, in: Die Aktiengesellschaft, 2003, Heft 6, S. 291 – 300. – Zum Grundsatz der Gesamtverantwortung im Aktienrecht, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2003, Heft 10, S. 449 – 459. – Zur Leitungsaufgabe des Vorstands im Aktienrecht, in: ZIP – Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2003, Heft 1, S. 1 – 11. Flume, Werner: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 1, 2. Halbband, Die juristische Person, Berlin 1983 (zit.: Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band 1, 2. Halbband, Die juristische Person). Fox, Frederick V./Staw, Barry, M.: The Trapped Administrator: Effects of Job Insecurity and Policy Resistance Upon Commitment to a Course of Action, in: Administrative Science Quarterly, Band 24, 1979, Heft 3, S. 449 – 471. Frederick, Shane: Cognitive Reflection and Decision Making, in: Journal of Economic Perspectives, Band 19, 2005, Heft 4, S. 25 – 42. Freund, Stefan: Brennpunkte der Organhaftung – Anmerkungen aus der Praxis zur organrechtlichen Innenhaftung, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2015, Heft 36, S. 1419 – 1424. Frey, Bruno S.: Ökonomie als Verhaltenswissenschaft: Ansatz, Kritik und der europäische Beitrag, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Band 31, 1990, Heft 1, S. 21 – 35.

Literaturverzeichnis

131

Garland, Howard: Throwing good money after bad: The effect of sunk costs on the decision to esculate commitment to an ongoing project, in: Journal of Applied Psychology, Band 75, 1990, Heft 6, S. 728 – 731. Garland, Howard/Sandefur, Craig A./Rogers, Anne C.: De-escalation of commitment in oil exploration: When sunk costs and negative feedback coincide, in: Journal of Applied Psychology, Band 75, 1990, Heft 6, S. 721 – 727. Goethe, Johann Wolfgang von: Maximen und Reflexionen, in: Seidel, Siegfried (Hrsg.), Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe, Band 18, Berlin 1972 (zit.: Goethe, Maximen und Reflexionen). Goette, Wulf: Leitung, Aufsicht, Haftung – zur Rolle der Rechtsprechung bei der Sicherung einer modernen Unternehmensführung, in: Geiß, Karlmann/Nehm, Kay/Brandner, Hans Erich/Hagen, Horst (Hrsg.), Festschrift aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, Köln 2000, S. 123 – 142 (zit.: Goette, in: FS 50 Jahre BGH, 2000). Gottschalk, Eckart/Weng, Andreas: Was ist bei der Inanspruchnahme rechtlicher Beratung zu beachten? Ein Leitfaden fu¨ r Gescha¨ ftsleiter, in: Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, 2013, Heft 12, S. 243 – 247. Graumann, Matthias: Der Entscheidungsbegriff in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG – Rekonstruktion des traditionellen Verständnisses und Vorschlag für eine moderne Konzeption, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band 40, 2011, Heft 3, S. 293 – 303. – Gesellschaftsrechtliche Anforderungen an die Informationsgrundlage unternehmerischer Entscheidungen – Versuch einer Konkretisierung unter Einbeziehung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse, in: Corporate Compliance Zeitschrift, 2010, Heft 6, S. 222 – 228. Grigoleit, Hans Christoph: Aktiengesetz Kommentar, München 2013 (zit.: Grigoleit/Bearbeiter). Großkommentar zum Aktiengesetz, hrsg. von Hirte, Heribert/Mülbert, Peter O./Roth, Markus, Band 4/1, 5. Aufl., Berlin 2015; Band 4/2, 5. Aufl., Berlin 2015 (zit.: Großkomm-AktG/ Bearbeiter). – hrsg. von Hopt, Klaus J./Wiedemann, Herbert, Band 5, 4. Aufl., Berlin 2008 (zit.: Großkomm-AktG/Bearbeiter). Großkommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, hrsg. von Baumann, Horst/Beckmann, Roland Michael/Johannsen, Katharina/Johannsen, Ralf/Koch, Robert, Band 4, 9. Aufl., Berlin 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Großkomm-VVG). Grundei, Jens/Werder, Axel von: Die Angemessenheit der Informationsgrundlage als Anwendungsvoraussetzung der Business Judgment Rule – Anforderungen an die Fundierung strategischer Entscheidungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht, in: Die Aktiengesellschaft, 2005, Heft 22, S. 825 – 834. Grundmann, Stefan: Der Treuhandvertrag, München 1997 (zit.: Grundmann, Der Treuhandvertrag). Gubitz, Daniel/Nikoleyczik, Tobias/Schult, Ludger: Manager Liability in Germany, München 2012 (zit.: Gubitz/Nikoleyczik/Schult, Manager Liability in Germany).

132

Literaturverzeichnis

Habersack, Mathias: Die Legalitätspflicht des Vorstands in der AG, in: Burgard, Ulrich/ Hadding, Walther/Mülbert, Peter O./Nietsch, Michael/Welter, Reinhard (Hrsg.), Festschrift für Uwe H. Schneider zum 70. Geburtstag, Köln, 2011, S. 429 – 441 (zit.: Habersack, in: FS U. H. Schneider, 2011). – Gesteigerte Überwachungspflichten des Leiters eines „sachnahen“ Vorstandsressorts? In: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, 2005, Heft 50 – 52, S. 2360 – 2364. Hahn, Christopher/Naumann, Daniel: Organhaftung trotz sachverständiger Beratung – Entscheidungskonflikte zwischen dem „Gebot des sichersten Weges“ und unternehmerischer Wagnis, in: Corporate Compliance Zeitschrift, 2013, Heft 4, S. 156 – 164. Hamann, Hanjo: Reflektierte Optimierung oder bloße Intuition? Eine verhaltenswissenschaftliche Erwiderung zur Auslegung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band 41, 2012, Heft 6, S. 817 – 834. Harbarth, Stephan: Unternehmerisches Ermessen des Vorstands im Interessenkonflikt, in: Erle, Bernd/Goette, Wulf/Kleindiek, Detlef/Krieger, Gerd/Priester, Hans-Joachim/Schubel, Christian/Schwab, Martin/Teichmann, Christoph/Witt, Carl, Heinz (Hrsg.), Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, Köln, 2012, S. 323 – 341 (zit.: Harbarth, in: FS Hommelhoff, 2012). Harbarth, Stephan/Brechtel, Micha: Rechtliche Anforderungen an ene pflichtgemäße Compliance-Organisation im Wandel der Zeit, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2016, Heft 6, S. 241 – 250. Harley, Erin M.: Hindsight Bias in Legal Decision Making, in: Social Cognition, Band 25, 2007, Heft 1, S. 48 – 63. Harley, Erin M./Carlsen, Keri A./Loftus, Geoffrey R.: The „Saw-It-All-Along“ Effect: Demonstrations of Visual Hindsight Bias, in: Journal of Experimental Psychology, Band 30, 2004, Heft 5, S. 960 – 968. Harnos, Rafael: Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, Berlin 2013 (zit.: Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage). Harvey, Nigel/Fischer, Ilan: Taking advice: accepting help, improving judgment, and sharing responsibility, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 70, 1997, Heft 2, S. 117 – 133. Hasselbach, Kai/Ebbinghaus, Felix: Anwendung der Business Judgment Rule bei unklarer Rechtslage, in: Die Aktiengesellschaft, 2014, Heft 24, S. 873 – 883. Hastie, Reid/Schkade, David A./Payne, John W.: Juror Judgments in Civil Cases: Effects of Plaintiff’s Requests and Plaintiff’s Identity on Punitive Damage Awards, in: Law and Human Behavior, Band 23, 1999, Heft 4, S. 445 – 470. Hauschka, Christoph E.: Grundsätze pflichtgemäßer Unternehmensführung – Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 2004, Heft 3, S. 65 – 67. Hauschka, Christoph. E./Moosmayer, Klaus/Lösler, Thomas: Corporate Compliance, 3. Aufl., München 2016 (zit.: Bearbeiter, in: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance).

Literaturverzeichnis

133

Hausman, Daniel M.: Is Falsificationism Unpractised or Unpractisable? In: Philosophy of the Social Sciences, Band 15, 1985, Heft 3, S. 313 – 319. Hawkins, Scott A./Hastie, Reid: Hindsight: Biased judgments of past events after the outcomes are known, in: Psychological Bulletin, Band 107, 1990, Heft 3, S. 311 – 327. Healy, Joseph F.: Statistics: A tool for social research, 10. Aufl., Stamford 2015 (zit.: Healy, Statistics: A tool for social research). Hoffmann-Becking, Michael: Vorstandsvergütung nach Mannesmann, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2007, Heft 4, S. 127 – 131. Hoffrage, Ulrich/Pohl, Rüdiger F.: Research on hindsight bias: A rich past, a productive present and a challenging future, in: Memory, Band 11, 2003, Heft 4/5, S. 329 – 335. Holle, Philipp Maximilian: Rechtsbindung und Business Judgment Rule, in: Die Aktiengesellschaft, 2011, Heft 21, S. 778 – 786. Hölters, Wolfgang: Aktiengesetz Kommentar, 2. Aufl., München 2014 (zit.: Hölters/Bearbeiter). Hommelhoff, Peter/Mattheus, Daniela: Risikomanagementsystem im Entwurf des BilMoG als Funktionselement der Corporate Governance, in: Betriebs-Berater, 2007, Heft 51/52, S. 2787 – 2791. Hoor, Gerd: Die Präzisierung der Sorgfaltsanforderungen nach § 93 Abs. 1 AktG durch den Entwurf des UMAG, in: Deutsches Steuerrecht, 2004, Heft 49, S. 2104 – 2108. Hopt, Klaus J.: Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat – Zugleich ein Beitrag zur corporate-governance-Debatte. In; Immenga, Ulrich/Möschel, Wernhard/Reuter Dieter (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker zum 70. Geburtstag, Baden-Baden 1996, S. 909 – 931 (zit.: Hopt, in: FS Mestmäcker, 1996). Hüffer, Uwe: Compliance im Innen- und Außenrecht der Unternehmen, in: Altmeppen, Holger/ Fitz, Hanns/Honsell, Heinrich (Hrsg.), Festschrift für Günter H. Roth zum 70. Geburtstag, München 2011, S.299 – 307 (zit.: Hüffer, in: FS Roth, 2011). – Das Leitungsermessen des Vorstands in der Aktiengesellschaft, in: Damm, Reinhard/Heermann, Peter W./Veil, Rüdiger (Hrsg.), Festschrift für Thomas Raiser zum 70. Geburtstag am 20. Februar 2005, Berlin 2005, S. 163 – 180 (zit.: Hüffer, in: FS Raiser, 2005). – Der Vorstand als Leitungsorgan und die Mandats- sowie Haftungsbeziehungen seiner Mitglieder, in: Bayer, Walter/Habersack, Mathias (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Band 2: Grundsatzfragen des Aktienrechts, Tübingen 2007, S. 343 – 388 (zit.: Hüffer, in: Bayer/ Habersack, Aktienrecht im Wandel). – Minderheitsbeteiligungen als Gegenstand aktienrechtlicher Auskunftsbegehren, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 1996, Heft 9, S. 401 – 411. Hüffer, Uwe/Koch, Jens: Aktiengesetz, 12. Aufl., München 2016 (zit.: Hüffer/Koch). Hume, David: Enquiries Concerning the Human Understanding, and Concerning the Principles of Morals, hrsg. von Selby-Bigge, Lewis Amherst, 2. Aufl., Oxford 1902 (zit.: Hume, Enquiries Concerning the Human Understanding, and Concerning the Principles of Morals). Huth, Mark-Alexander: Die Vorstandspflicht zur Risikoüberwachung, Baden-Baden 2007 (zit.: Huth, Die Vorstandspflicht zur Risikoüberwachung).

134

Literaturverzeichnis

– Grundsätze ordnungsgemäßer Risikoüberwachung, in: Betriebs-Berater, 2007, Heft 40, S. 2167 – 2170. Ihlas, Horst: D&O Directors & Officers Liability, 2. Aufl., Berlin 2009 (zit.: Ihlas, D&O Directors & Officers Liability). Ihrig, Hans-Christoph/Schäfer, Carsten: Rechte und Pflichten des Vorstands, Köln 2014 (zit.: Ihrig/C. Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands). Jensen, Michael C./Meckling, William H.: The Nature of Man, In: Journal of Applied Corporate Finance, Band 7, 1994, Heft 2, S. 4 – 19. – Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, in: Journal of Financial Economics, Band 3, 1976, Heft 4, S. 305 – 360. Junge, Werner: Das Unternehmensinteresse, in: Ficker, Hans Claudius/König, Detlef/Kreuzer, Karl F./Leser, Hans G./Bieberstein, Wolfgang Frhr. Marschall von/Schlechtriem, Peter (Hrsg.), Festschrift für Ernst von Caemmerer zum 70. Geburtstag, Tübingen 1978, S. 547 – 557 (zit.: Junge, in: FS Caemmerer, 1978). Junker, Claudia/Biederbick, Jörn: Die Unabhängigkeit des Unternehmensjuristen – Dürfen Organmitglieder auf den Rat der Rechtsabteilung hören? In: Die Aktiengesellschaft, 2012, Heft 24, S. 898 – 906. Jürgens, Ulrich/Lippert, Inge: Kommunikation und Wissen im Aufsichtsrat – Voraussetzungen und Kriterien guter Aufsichtsratsarbeit aus der Perspektive leitender Angestellter, Studie in Kooperation mit dem Deutschen Führungskräfteverband (ULA), Berlin 2005 (zit.: Jürgens/ Lippert, Kommunikation und Wissen im Aufsichtsrat). Kahneman, Daniel/Frederick, Shane: Representativeness Revisited: Attribute Substitution in Intuitive Judgment, in: Gilovich Thomas/Griffin, Dale/Kahneman, Daniel (Hrsg.), Heuristics and Biases: The Psychology of Intuitive Judgment, New York 2007, S. 49 – 81 (zit.: Kahneman/Frederick, in: Gilovich/Griffin/Kahneman, Heuristics and Biases: The Psychology of Intuitive Judgment). Kahneman, Daniel/Knetsch, Jack L./Thaler, Richard H.: Anomalies: The Endowment Effect, Loss Aversion, and Status Quo Bias, in: The Journal of Economic Perspectives, Band 5, 1991, Heft 1, S. 193 – 206. – Experimental Test of the endowment effect and the Coase Theorem, in: Journal of Political Economy, Band 98, 1990, Heft 6, S. 1325 – 1348. Kahneman, Daniel/Tversky, Amos: Choices, values, and frames, in: American Psychologist, Band 39, 1984, Heft 4, S. 341 – 350. – Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk, in: Econometrica, Band 47, 1979, Heft 2, S. 263 – 291. Kaiser, Dagmar: Pflichtwidriges Mangelbeseitigungsverlangen, in: Neue Juristische Wochenschrift, 2008, Heft 24, S. 1709 – 1713. Kamin, Kim A./Rachlinski, Jeffrey L.: Ex Post ¼ 6 Ex Ante: Determining Liability in Hindsight, in: Law and Human Behavior, Band 19, 1995, Heft 1, S. 89 – 104. Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, hrsg. von Senge, Lothar, 4. Aufl., München 2014 (zit.: Bearbeiter, in: Karlsruher Komm-OWiG).

Literaturverzeichnis

135

Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, hrsg. von Körner, Anne/Leitherer, Stephan/ Mutschler, Bernd, Stand der 90. Ergänzungslieferung: 1. Juni 2016, München 2016 (zit.: KassKomm/Bearbeiter). Kaulich, Matthias: Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Rechtsanwendungsfehler, Berlin 2012 (zit.: Kaulich, Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Rechtsanwendungsfehler). Kebekus, Frank/Zenker, Wolfgang: Business Judgment Rule und Geschäftsleiterermessen – auch in Krise und Insolvenz? In: Grunewald, Barbara/Westermann, Harm Peter (Hrsg.), Festschrift für Georg Maier-Reimer zum 70. Geburtstag, München 2010, S. 319 – 343 (zit.: Kebekus/Zenker, in: FS Maier-Reimer, 2010). Kiefner, Alexander/Krämer, Lutz: Geschäftsleiterhaftung nach ISION und das Vertrauendürfen auf Rechtsrat, in: Die Aktiengesellschaft, 2012, Heft 13 – 14, S. 498 – 502. Kindler, Peter: Unternehmerisches Ermessen und Pflichtenbindung. Voraussetzungen und Geltendmachung der Vorstandshaftung in der Aktiengesellschaft, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Band 162, 1998, S. 101 – 119. Kirby, Susan L./Davis, Mark A.: A Study of Escalating Commitment in Principal-A gent Relationships: Effects of Monitoring and Personal Responsibility, in: Journal of Applied Psychology, Band 83, 1998, Heft 2, S. 206 – 217. Kirchgässner, Gebhard: Homo Oeconomicus, Tübingen 2013 (zit.: Kirchgässner, Homo Oeconomicus). Klöhn, Lars: Gescha¨ ftsleiterhaftung und unternehmensinterner Rechtsrat Wie unabha¨ ngig sind Unternehmensjuristen? In: Der Betrieb, 2013, Heft 28, S. 1535 – 1540. Knox, Robert E./Inkster, James A.: Postdecision dissonance at post time, in: Journal of Personality and Social Psychology, Band 8, 1968, Heft 4, S. 319 – 323. Koch, Jens: Das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band 6, 2006, Heft 6, S. 769 – 804. Kocher, Dirk: Zur Reichweite der Business Judgment Rule, in: Corporate Compliance Zeitschrift, 2009, Heft 6, S. 215 – 221. Köhler, Annette G./Marten, Kai-Uwe/Hülsberg, Frank M./Bender, Gregor: Haftungsrisiken für Gesellschaftsorgane – Aktuelle Beurteilung und Gegenmaßnahmen, in: Betriebs-Berater, 2005, Heft 10, S. 501 – 510. Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. von Biedenkopf, Kurt H./Zöllner, Wolfgang, 2. Teilband, 3. Aufl., Köln 2010 (zit.: Kölner Komm-AktG/Bearbeiter). Korch, Stefan: Haftung und Verhalten – Eine ökonomische Untersuchung des Haftungsrechts unter Berücksichtigung begrenzter Rationalität und komplexer Präferenzen, Tübingen 2015 (zit.: Korch, Haftung und Verhalten). Koriat, Asher/Lichtenstein, Sarah/Fischhoff, Baruch: Reasons for confidence, in: Journal of Experimental Psychology, Band 6, 1980, Heft 2, S. 107 – 118. Kort, Michael: Beziehungen des Vorstandsmitglieds der AG zu Dritten: Drittanstellung, Interim Management, Personalleasing und Vergütung durch Dritte, in: Die Aktiengesellschaft, 2015, Heft 15, S. 531 – 534.

136

Literaturverzeichnis

– Compliance-Pflichten von Vorstandsmitgliedern und Aufsichtsratsmitgliedern, in: Grundmann, Stefan/Haar, Brigitte/Merkt, Hanno/Mülbert, Peter O./Wellenhofer, Marina/Baum, Harald/von Hein, Jan/von Hippel, Thomas/Pistor, Katharina/Roth, Markus/Schweitzer, Heike (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010, Band 1, Berlin 2010, S. 983 – 1003 (zit.: Kort, in: FS Hopt I, 2010). Kremer, Thomas: Haftungsausschluss durch Beratung, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012, Köln 2013, S. 171 – 185 (zit.: Kremer, in: VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012). Kremer, Thomas/Bachmann, Gregor/Lutter, Marcus/Werder, Axel von: Deutscher Corporate Governance Kodex Kommentar, 6. Aufl., München 2016 (zit.: DCGK-Komm/Bearbeiter). Krieger, Gerd: Wie viele Rechtsberater braucht ein Geschäftsleiter? In: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band 41, 2012, Heft 4, S. 496 – 504. Kromschröder, Bernhard/Lück, Wolfgang: Grundsätze risikoorientierter Unternehmensüberwachung, in: Der Betrieb, 1998, Heft 32, S. 1573 – 1576. Kropff, Bruno: Textausgabe und Einführungsgesetz zum Aktiengesetz vom 6. 9. 1965 Bundesgesetzblatt I S. 1185 mit Begründung des Regierungsentwurfs, Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, Verweiseungen und Sachverzeichnis, Düsseldorf 1965 (zit.: Kropff, AktG 1965). Kuhl, Karin/Nickel, Johann-Peter: Risikomanagement im Unternehmen – Stellt das KonTraG neue Anforderungen an die Unternehmen? In: Der Betrieb, 1998, Heft 3, S. 133 – 135. Kuhn, Thomas S.: Logic of Discovery or Psychology of Research? In: Lakatos, Imre/Musgrave, Alan (Hrsg.), Criticism and the Growth of Knowledge, Cambridge, Vereinigtes Königreich 1970, S. 1 – 24 (zit.: Kuhn, in: Lakatos/Musgrave, Criticism and the Growth of Knowledge). – The Structure of Scientific Revolutions, Band 2, 2. Aufl., Chicago 1970 (zit.: Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions). Lakatos, Imre: Falscification and the Methodology of Scientific Research Programmes, in: Lakatos, Imre/Musgrave, Alan (Hrsg.), Criticism and the Growth of Knowledge, Cambridge, Vereinigtes Königreich 1970, S. 91 – 196 (zit.: Lakatos, in: Lakatos/Musgrave, Criticism and the Growth of Knowledge). Langenbucher, Katja: Vorstandshaftung und Legalitätspflicht in regulierten Branchen, in: Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft, 2013, Heft 1, S. 16 – 23. – Vorstandshandeln und Kontrolle, in: Deutsches Steuerrecht, 2005, Heft 49, S. 2083 – 2090. Lee, Peter M.: Bayesian Statistics – An Introduction, 4. Aufl., Chichester 2012 (zit.: Lee, Bayesian Statistics – An Introduction). Lerner, Jennifer S./Tetlock, Philip E.: Accounting for the Effects of Accountability, in: Psychological Bulletin, Band 125, 1999, Heft 2, S. 255 – 275. Lindenberg, Siegwart: Preference versus Constraints, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 140, 1984, Heft 1, S. 96 – 103. Loewenheim, Ulrich/Meessen, Karl M./Riesenkampff, Alexander/Kersting, Christian/MeyerLindemann, Hans-Jürgen: Kartellrecht, 3. Aufl., München 2016 (zit.: Bearbeiter, in: Loewenheim et al., Kartellrecht).

Literaturverzeichnis

137

Lohse, Andrea: Unternehmerisches Ermessen, Tübingen 2005 (zit.: Lohse, Unternehmerisches Ermessen). Lord, Charles G./Ross, Lee/Lepper, Mark R.: Biased assimilation and attitude polarization: The effects of prior theories on subsequently considered evidence, in: Journal of Personality and Social Psychology, Band 37, 1979, Heft 11, S. 2098 – 2109. Lorenz, Egon: Karlsruher Forum 2009: Managerhaftung, Versicherungsrecht Schriftenreihe, Band 43, Karlsruhe 2010, S. 5 – 40 (zit.: Bearbeiter, in: Lorenz, Karlsruher Forum 2009). Lück, Wolfgang: Elemente eines Risiko-Managementsystems, in: Der Betrieb, 1998, Heft 1, S. 8 – 14. Lutter, Marcus: Haftung und Haftungsfreiräume des GmbH-Geschäftsführers, in: GmbHRundschau, 2000, Heft 7, S. 301 – 312. – Interessenkonflikte und Business Judgment Rule, in: Heldrich, Andreas/Koller, Ingo/Prölss, Jürgen/Langenbucher, Katja/Grigoleit/Hans Christoph/Hager, Johannes /Hey, Felix/Neuner, Jörg/Petersen, Jens/Singer, Reinhard (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, Band 2, München 2007, S. 245 – 256 (zit.: Lutter, in: FS Canaris II, 2007). Mahoney, Michael J.: Publication Prejudices: An Experimental Study of Confirmatory Bias in the Peer Review System, in: Cognitive Therapy and Research, Band 1, 1977, Heft 2, S. 161 – 175. McCain, Bruce E.: Continuing investment under conditions of failure: A laboratory study of the limits to escalation, in: Journal of Applied Psychology, Band 71, 1986, Heft 2, S. 280 – 284. Merkt, Hanno: Unternehmenspublizität, Tübingen 2001 (zit.: Merkt, Unternehmenspublizität). Merkt, Hanno/Mylich, Falk: Einlage eigener Aktien und Rechtsrat durch den Aufsichtsrat, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2012, Heft 14, S. 525 – 530. Michalski, Lutz: Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz), Band 2, 2. Aufl., München 2010 (zit.: Bearbeiter, in: Michalski, GmbHG). Moore, David S./McCabe, George P./Craig, Bruce A.: Introduction to the Practice of Statistics, 8. Aufl., New York 2014 (zit.: Moore/McCabe/Craig, Introduction to the Practice of Statistics). Mu¨ ller, Hans-Friedrich: Geschäftsleiterhaftung und Vertrauen auf fachkundigen Rat, in: Der Betrieb, 2014, Heft 23, S. 1301 – 1307. – Geschäftsleiterhaftung wegen Insolvenzverschleppung und fachkundige Beratung, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2012, Heft 25, S. 981 – 983. Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, hrsg. von Hoffmann-Becking, Michael, Band 4: Aktiengesellschaft, 4. Aufl., München 2015 (zit.: MünchHdb-GesR IV/Bearbeiter). Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, hrsg. von Goette, Wulff/Kalss, Susanne/Habersack, Mathias, Band 2, 4. Aufl., München 2014; Band 4, 4. Aufl., München 2016 (zit.: MünchKomm-AktG/Bearbeiter). Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Säcker, Franz Jürgen/Rixecker, Roland/Oetker, Hartmut/Limperg, Bettina, Band 2, 7. Aufl., München 2016 (zit.: MünchKomm-BGB/Bearbeiter).

138

Literaturverzeichnis

Münchener Kommentar zum GmbHG, hrsg. von Fleischer, Holger/Goette, Wulf, Band 2, 2. Aufl., München 2016 (zit.: MünchKomm-GmbHG/Bearbeiter). Münchener Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, hrsg. von Langheid, Theo/Wandt, Manfred, Band 3, 2. Aufl., München 2017 (zit.: MünchKomm-VVG/Bearbeiter). Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, hrsg. von Kirchhof, Hans-Peter/Eidenmüller, Horst/Stürner, Rolf, Band 1, 3. Aufl., München 2013 (zit.: MünchKomm-InsO/Bearbeiter). Mutter, Stefan: Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, Köln 1994 (zit.: Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft). Myers, David G.: Social Psychology, 6. Aufl., New York 2012 (zit.: Myers, Social Psychology). Nietsch, Michael: Geschäftsleiterermessen und Unternehmensorganisation bei der AG, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band 44, 2015, Heft 5, S. 631 – 666. – Überwachungspflichten bei Kollegialorganen, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2013, Heft 31, S. 1449 – 1456. Nisbett, Richard E./Wilson, Timothy D.: Telling more than we can know: Verbal reports on mental processes, in: Psychological Review, Band 84, 1977, Heft 3, S. 231 – 259. Northcraft, Gregory B./Neale, Margaret A.: Opportunity Costs and the Framing of Resource Allocation Decisions, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes. Band 37, 1986, Heft 3, S. 348 – 356. Paefgen, Walter G.: Dogmatische Grundlagen, Anwendungsbereich und Formulierung einer Business Judgment Rule im künftigen UMAG, in: Die Aktiengesellschaft, 2004, Heft 5, S. 245 – 261. – Organhaftung: Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven, in: Die Aktiengesellschaft, 2014, Heft 16, S. 554 – 584. – Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, Köln 2002 (zit.: Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG). Palandt, Otto: Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Aufl., München 2016 (zit.: Palandt/Bearbeiter). Peecher, Mark E./Piercey, David M.: Judging Audit Quality in Light of Adverse Outcomes: Evidence of Outcome Bias and Reverse Outcome Bias, in: Contemporary Accounting Research, Band 25, 2008, Heft 1, S. 243 – 274. Peltzer, Martin: Die Haftung des Aufsichtsrats bei Verletzung der Überwachungspflicht, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, 1981, Heft 14, S. 346 – 352. Peters, Kai: Angemessene Informationsbasis als Voraussetzung pflichtgemäßen Vorstandshandelns, in: Die Aktiengesellschaft, 2010, Heft 22, S. 811 – 817. Piepenbrock, Dina: „Defense of Reliance“ im deutschen Aktienrecht, Hamburg 2013 (zit.: Piepenbrock, „Defense of Reliance“ im deutschen Aktienrecht). Plous, Scott: Biases in the Assimilation of Technological Breakdowns: Do Accidents Make Us Safer? In: Journal of Applied Social Psychology, Band 21, 1991, Heft 13, S. 1058 – 1082. Poelzig, Dörte: Die Verantwortlichkeit des Vorstands für den Abkauf missbräuchlicher Anfechtungsklagen – Der Einfluss des UMAG auf die Handlungsmöglichkeiten zur Abwehr

Literaturverzeichnis

139

„räuberischer“ Aktionäre, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, 2008, Heft 22, S. 1009 – 1016. Popper, Karl: Vermutungen und Widerlegungen, Tübingen 2009 (zit.: Popper, Vermutungen und Widerlegungen). Preußner, Joachim/Becker, Florian: Ausgestaltung von Risikomanagementsystemen durch die Geschäftsleitung, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2002, Heft 18, S. 846 – 851. Preußner, Joachim/Zimmermann, Dörte: Risikomanagement als Gesamtaufgabe des Vorstands, in: Die Aktiengesellschaft, 2002, Heft 12, S. 657 – 662. Primaczenko, Vladimir: Anmerkungen zu BGH, Urteil vom 20. 09. 2011 – II ZR 234/09 (OLG Hamburg), in: Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, 2011, Heft 22, S. 518 – 519. Pronin, Emily: Perception and misperception of bias in human judgment, in: Trends in Cognitive Sciences, Band 11, 2007, Heft 1, S. 37 – 43. Pronin, Emily/Gilovich, Thomas/Ross, Lee: Obektivity in the Eye of the Beholder: Divergent Perceptions of Bias in Self versus Others, in: Psychological Review, Band 111, 2004, Heft 3, S. 781–799. Pronin, Emily/Kugler, Matthew: Valuing thoughts, ignoring behavior: The introspection illusion as a source of the bias blind spot, in: Journal of Experimental Social Psychology, Band 43, 2007, Heft 4, S. 565 – 578. Pronin, Emily/Lin, Daniel Y./Ross, Lee: The Bias Blind Spot: Perceptions of Bias in Self Versus Others, in: Personality and Social Psychology Bulletin, Band 28, 2002, Heft 3, S. 369 – 381. Rachlinski, Jeffrey J.: A Positive Psychological Theory of Judging in Hindsight, in: University of Chicago Law Review, Band 65, 1998, Heft 2, S. 571 – 625. Raiser, Thomas/Veil, Rüdiger: Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., München 2015 (zit.: Raiser/Veil, KapGesR). Richter, Rudolf/Furubotn, Eirik G.: Neue Institutionenökonomik, 4. Aufl., Tübingen 2010 (zit.: Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik). Rinne, Horst: Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik, 2. Aufl., München 1996 (zit.: Rinne, Wirtschafts- und Bevölkerungsstatistik). Risinger, Michael D./Loop, Jeffrey L.: Three Card Monte, Monty Hall, Modus Operandi and ,Offender Profiling‘: Some Lessons of Modern Cognitive Science for the Law of Evidence, in: Cordozo Law Review, Band 24, 2002, Heft 1, S. 193 – 286. Roese, Neal J./Vohs, Kathleen D.: Hindsight Bias, in: Perspectives on Psychological Science, Band 7, 2012, Heft 5, S. 411 – 426. Roth, Markus: Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, München 2001 (zit.: Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands). Sander, Julian/Schneider, Stefan: Die Pflicht der Geschäftsleiter zur Einholung von Rat, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band 42, 2013, Heft 6, S. 725 – 759. Sanna, Lawrence J./Schwarz, Norbert: Debiasing the hindsight bias: The role of accessibility experiences and (mis)attributions, in: Journal of Experimental Social Psychology, Band 39, 2003, Heft 3, S. 287 – 295.

140

Literaturverzeichnis

Sanna, Lawrence J./Schwarz, Norbert/Stocker, Shevaun L.: When Debiasing Backfires: Accessible Content and Accessibility Experiences in Debiasing Hindsight, in: Journal of Experimental Psychology, Band 28, 2002, Heft 3, S. 497 – 502. Sartre, Jean-Paul: Situations I, Lagny-sur-Marne 1947 (zit.: Sartre, Situations I). Schäfer, Carsten: Die Binnenhaftung von Vorstand und Aufsichtsrat nach der Renovierung durch das UMAG, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2005, Heft 29, S. 1253 – 1259. Schäfer, Hans-Bernd/Ott, Claus: Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 5. Aufl., Berlin 2012 (zit.: H. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts). Schaubroeck, John/Davis, Elaine: Prospect Theory Predictions When Escalation Is Not the Only Chance to Recover Sunk Costs, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 57, 1994, Heft 1, S. 59 – 82. Schmidt, Karsten: Insolvenzordnung, 19. Aufl., München 2016 (zit.: Bearbeiter, in: K. Schmidt, InsO). Schmidt, Karsten/Lutter, Marcus: Aktiengesetz Kommentar, Band 1, 3. Aufl., Köln 2015 (zit.: Schmidt/Lutter/Bearbeiter). Schmidt-Leithoff, Christian: Die Verantwortung der Unternehmensleitung, Tübingen 1989 (zit.: Schmidt-Leithoff, Die Verantwortung der Unternehmensleitung). Schneider, Sven H.: „Unternehmerische Entscheidungen“ als Anwendungsvoraussetzung für die Business Judgment Rule, in: Der Betrieb, 2005, Heft 13, S. 707 – 712. Schneider, Uwe H.: Anwaltlicher Rat zu unternehmerischen Entscheidungen bei Rechtsunsicherheit, in: Der Betrieb, 2011, Heft 2, S. 99 – 103. – Compliance als Aufgabe der Unternehmensleitung, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2003, Heft 15, S. 645 – 650. – Die Haftung von Mitgliedern des Vorstands und der Geschäftsführer bei Vertragsverletzungen der Gesellschaft, in: Kindler, Peter/Koch, Jens/Ulmer, Peter/Winter, Martin (Hrsg.), Festschrift für Uwe Hüffer zum 70. Geburtstag, München 2010, S. 905 – 916 (zit.: U. H. Schneider, in: FS Hüffer, 2010). Scholten, Lotte/van Knippenberg, Daan/Nijstad, Bernard A./de Dreu, Carsten K. W.: Motivated information processing and group decision-making: Effects of process accountability on information processing and decision quality, in: Journal of Experimental Social Psychology, Band 43, 2007, Heft 4, S. 539 – 552. Scholz, Franz: Kommentar zum GmbH-Gesetz, Band 2, 11. Aufl., Köln 2014 (zit.: Scholz/ Bearbeiter). Schoorman, F. David: Escalation bias in performance appraisals: An unintended consequence of supervisor participation in hiring decisions, in: Journal of Applied Psychology, Band 73, 1988, Heft 1, S. 58 – 62. Schultze, Thomas/Schulz-Hardt, Stefan: The impact of biased information and corresponding meta-information on escalating commitment, in: Journal of Economic Psychology, Band 49, 2015, Heft 4, S. 108 – 119.

Literaturverzeichnis

141

Seibt, Christoph H.: 20 Thesen zur Binnenverantwortung im Unternehmen im Lichte des reformierten Kapitalmarktsanktionsrechts, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2015, Heft 28, S. 1097–1103. – Dekonstruktion des Delegationsverbots bei der Unternehmensleitung, in: Bitter, Georg/ Lutter, Marcus/Priester, Hans-Joachim/Schön, Wolfgang/Ulmer, Peter (Hrsg.), Festschrift für Karsten Schmidt zum 70. Geburtstag, Köln 2009, S. 1463 – 1487 (zit.: Seibt, in: FS K. Schmidt, 2009). Seibt, Christoph H./Cziupka, Johannes: 20 Thesen zur Compliance-Verantwortung im System der Organhaftung aus Anlass des Siemens/Neubürger-Urteils, in: Der Betrieb, 2014, Heft 29, S. 1598 – 1602. Seitz, Björn: Vorsatzausschluss in der D&O-Versicherung – endlich Licht im Dunkeln! In: Versicherungsrecht, 2007, Heft 31, S. 1476 – 1478. Seitz, Claudia: Ein Schritt vor und zwei zurück? – Zum letzten Stand des Anwaltsgeheimnisses für Unternehmensanwälte im Europäischen Kartellverfahren – Kurzbesprechung der Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 29. 4. 2010 – C-550/07 P (Akzo Nobel/Kommission), in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2010, Heft 14, S. 524 – 526. Semler, Johannes: Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl., Köln 1996 (zit.: Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft). Siegel-Jacobs, Karen/Yates, J. Frank: Effects of Procedural and Outcome Accountability on Judgment Quality, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 65, 1996, Heft 1, S. 1 – 17. Simonson, Itamar/Nye, Peter: The Effect of Accountability on Susceptibility to Decision Errors, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 51, 1992, Heft 3, S. 416 – 446. Simonson, Itamar/Staw, Barry M.: Deescalation Strategies: A Comparison of Techniques for Reducing Commitment to Losing Courses of Action, in: Journal of Applied Psychology, Band 77, 1992, Heft 4, S. 419 – 426. Slovic, Paul/Fischhoff, Baruch: On the Psychology of Experimental Surprises, in: Journal of Experimental Psychology, Band 3, 1977, Heft 4, S. 544 – 551. Smith, Alison C./Greene, Edith: Conduct and its Consequences: Attempts at Debiasing Jury Judgments, in: Law and Human Behavior, Band 29, 2005, Heft 5, S. 505 – 526. Spindler, Gerald: Compliance in der multinationalen Bankengruppe, in: Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, 2008, Heft 20, S. 905 – 918. – Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat für fehlerhafte Auslegung von Rechtsbegriffen, in: Heldrich, Andreas/Koller, Ingo/Prölss, Jürgen/Langenbucher, Katja/Grigoleit/Hans Christoph/Hager, Johannes /Hey, Felix/Neuner, Jörg/Petersen, Jens/Singer, Reinhard (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, Band 2, München 2007, S. 403 – 428 (zit.: Spindler, in: FS Canaris II, 2007). – Haftung und Aktionärsklage nach dem neuen UMAG, in: Neue Zeitschrift für Gesellschafsrecht, 2005, Heft 21, S. 865 – 872.

142

Literaturverzeichnis

– Organhaftung in der AG – Reformbedarf auf wissenschaftlicher Perspektive, in: Die Aktiengesellschaft, 2013, Heft 23, S. 889 – 904. – Unternehmensorganisationspflichten, München 2001 (zit.: Spindler, Unternehmensorganisationspflichten). – Von der Früherkennung von Risiken zum umfassenden Risikomanagement – zum Wandel des § 91 AktG unter europäischem Einfluss, in: Kindler, Peter/Koch, Jens/Ulmer, Peter/ Winter, Martin (Hrsg.), Festschrift für Uwe Hüffer zum 70. Geburtstag, München 2010, S. 985 – 998 (zit.: Spindler, in: FS Hüffer, 2010). Spindler, Gerald/Stilz, Eberhard: Kommentar zum Aktiengesetz: AktG, Band 1, 3. Aufl., München 2015 (zit.: Spindler/Stilz/Bearbeiter). Stallard, Merrie Jo/Worthington, Debra L.: Reducing the Hindsight Bias Utilizing Attorney Closing Arguments, in: Law and Human Behavior, Band 22, 1998, Heft 6, S. 671 – 683. Staub, Leo: Überlegungen zur Erfassung und Steuerung rechtlicher Risiken im Unternehmen (aus Schweizer Sicht), in: Corporate Compliance Zeitschrift, 2009, Heft 4, S. 121 – 131. Staw, Barry M.: Knee-Deep in the Big Muddy: A Study of Escalating Commitment to a Chosen Course of Action, in: Oranizational Behavior and Human Performance, Band 16, 1976, Heft 1, S. 27 – 44. – The escalation of commitment: An update and appraisal, in: Shapira, Zur (Hrsg.), Organizational Decision Making, New York 1997, S. 191 – 215. Staw, Barry M./Barsade, Sigal G./Koput, Kenneth W.: Escalation at the Credit Window: A Longitudinal Study of Bank Executives’ Recognition and Write-Off of Problem Loans, in: Journal of Applied Psychology, Band 82, 1995, Heft 1, S. 130 – 142. Staw, Barry M./Fox, Frederick V.: Escalation: The Determinants of Commitment to a Chosen Course of Action, in: Human Relations, Band 30, 1977, Heft 5, S. 431 – 450. Staw, Barry M./Ross, Jerry: Commitment to a Policy Decision: A Multi-Theoretical Perspective, in: Administrative Science Quarterly, Band 23, 1978, Heft 1, S. 40 – 64. Steber, Tobias: Die Weiterentwicklung der Rechtsprechung zur Enthaftung von Vorstandsmitgliedern bei Einholung von Rechtsrat – Zugleich Besprechung des Urteils des BGH v. 28. 4. 2015 – II ZR 63/14, DStR 2015, 1635, in: Deutsches Steuerrecht, 2015, Heft 43, S. 2391 – 2395. Stigler, George J./Becker, Gary S.: De Gustibus Non Est Disputandum, In: The American Economic Review, Band 67, 1977, Heft 2, S. 76 – 90. Strohn, Lutz: Beratung der Geschäftsleitung durch Spezialisten als Ausweg aus der Haftung? In: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Band 176, 2012, S. 137 – 143. – Pflichtenmaßstab und Verschulden bei der Haftung von Organen einer Kapitalgesellschaft, in: Corporate Compliance Zeitschrift, 2013, Heft 5, S. 177 – 184. Thatcher, Andrew/Vasconcelos, Ana C./Ellis, David: An investigation into the impact of information behaviour on information failure: The Fukushima Daiichi nuclear power disaster, in: International Journal of Information Management, Band 35, 2015, Heft 1, S. 57 – 63.

Literaturverzeichnis

143

Thole, Christoph: Managerhaftung für Gesetzesverstöße, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Band 173, 2009, S. 504 – 535. Trivers, Robert: Deceit & Self-Deception, London 2011 (zit.: Trivers, Deceit & Self-Deception). Tversky, Amos/Kahneman, Daniel: Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases, in: Science, Band 185, 1974, Heft 4157, S. 1124 – 1131. – The Framing of Decisions and the Psychology of Choice, in: Science, Band 211, 1981, Heft 4481, S. 453 – 458. Tversky, Amos/Shafir, Eldar: The disjunction effect in choice under uncertainty, in: Psychological Science, Band 3, 1992, Heft 5, S. 305 – 309. Ulmer, Peter: Der Deutsche Corporate Governance Kodex – ein neues Regulierungsinstrument für börsennotierte Aktiengesellschaften, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Band 166, 2002, S. 150 – 181. – Die Aktionärsklage als Instrument zur Kontrolle des Vorstands- und Aufsichtsratshandelns, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Band 163, 1999, S. 290 – 342. Ulmer, Peter/Habersack, Mathias/Löbbe, Marc: Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Band 2, 2. Aufl., Tübingen 2014 (zit.: Großkomm-GmbHG/ Bearbeiter). Van Boven, Leaf/White, Katherine/Kamada, Akiko/Gilovich, Thomas: Intuitions about situational correction in self and others, in: Journal of Personality and Social Psychology, Band 85, 2003, Heft 8, S. 249 – 258. Vetter, Eberhard: Anmerkung zu BGH, Urteil vom 20. 9. 2011 – II ZR 234/09 (OLG Hamburg), in: Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht, 2011, Heft 24, S. 793 – 794. – Drittanstellung von Vorstandsmitgliedern, aktienrechtliche Kompetenzverteilung und Exkulpation des Vorstands bei rechtlicher Beratung, in: Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht, 2015, Heft 23, S. 889 – 895. Wagner, Gerhard: Officers’ and Directors’ Liability Under German Law – A Potemkin Village, in: Theoretical Inquiries in Law, Band 16, 2015, Heft 1, S. 69 – 106. – Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung – Skizze eines Haftungsregimes, in: Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, Band 178, 2014, S. 227 – 281. Wagner, Jens: Die Rolle der Rechtsabteilung bei fehlenden Rechtskenntnissen der Mitglieder von Vorstand und Geschäftsführung, in: Betriebs-Berater, 2012, Heft 11, S. 651 – 658. Wason, Peter C.: On the failure to eliminate hypotheses in a conceptual task, in: Quarterly Journal of Experimental Psychology, Band 12, 1960, Heft 3, S. 129 – 140. Weizsäcker, Carl Christian von: The Influence of Property Rights on Tastes, In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Band 140, 1984, Heft 1, S. 90 – 95. Werner, Rüdiger: Die Pflicht des Vorstands zur Information über juristische Risiken, in: Risk, Fraud & Compliance, 2010, Heft 3, S. 130 – 137.

144

Literaturverzeichnis

Werth, Lioba/Strack, Fritz/Förster, Jens: Certainty and uncertainty: The two faces of the hindsight bias, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 87, 2002, Heft 2, S. 323 – 341. West, Richard F./Meserve, Russell J./Stanovich, Keith E.: Cognitive Sophistication Does Not Attenuate the Bias Blind Spot, in: Journal of Personality and Social Psychology, Band 103, 2012, Heft 3, S. 506 – 519. Westen, Drew/Blagov, Pavel S./Harenski, Keith/Kilts, Clint/Hamann, Stephan: Neural Bases of Motivated Reasoning: An fMRI Study of Emotional Constraints on Partisan Political Judgment in the 2004 U.S. Presidential Election, in: Journal of Cognitive Neuroscience (Massachusetts Institute of Technology), Band 18, 2006, Heft 11, S. 1947 – 1958. Whyte, Glen: Escalating Commitment in Individual and Group Decision Making: A Prospect Theory Approach, in: Organizational Behavior and Human Decision Processes, Band 54, 1993, Heft 3, S. 430 – 455. Wiedemann, Herbert: Verantwortung in der Gesellschaft – Gedanken zur Haftung der Geschäftsleiter und der Gesellschafter in der Kapitalgesellschaft, in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band 40, 2011, Heft 3, S. 183 – 217. Wilson, Timothy D./Aronson, Elliot/Carlsmith, Kevin: The Art of Laboratory Experimentation, in: Fiske, Susan T./Gilbert, Daniel T./Lindzey, Gardner (Hrsg.), Handbook of Social Psychology, Band 1, 5. Aufl., New Jersey 2010, S. 51 – 81 (zit.: Wilson/Aronson/Carlsmith, in: Fiske/Gilbert/Lindzey, Handbook of Social Psychology). Windbichler, Christine: Gesellschaftsrecht, 23. Aufl., München 2013 (zit.: Windbichler, Gesellschaftsrecht). – Schadensersatzansprüche des stillen Gesellschafters – Besprechung der Entscheidung BGH WM 1987, 1193 ff., in: Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, Band 18, 1989, Heft 3, S. 434 – 444. Winnen, Armin: Die Innenhaftung des Vorstandes nach dem UMAG, Baden-Baden 2009 (zit.: Winnen, Die Innenhaftung des Vorstandes nach dem UMAG). Wittgenstein, Ludwig: Tractatus Logico-Philosophicus, London 1992 (zit.: Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus). Zimmermann, Martin: Kartellrechtliche Bußgelder gegen Aktiengesellschaft und Vorstand: Rückgriffsmöglichkeiten, Schadensumfang und Verjährung, in: Zeitschrift für Wirtschaftsund Bankrecht, 2008, Heft 10, S. 433 – 442.

Ausgewählte Populärliteratur Ariely, Dan, Predictably Irrational, London 2009. Cialdini, Robert B., Influence, New York 2007. Dörner, Dietrich, Die Logik des Misslingens, Berlin 2003. Gigerenzer, Gerd, Das Einmaleins der Skepsis: Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken, Berlin 2002. Gladwell, Malcolm, Blink, New York 2007.

Literaturverzeichnis Kahneman, Daniel, Thinking, Fast and Slow, New York 2013. Ross, Lee/Nisbett, Richard, E., The Person and the Situation, 2. Aufl., London 2011. Tavris, Carol/Aronson, Elliot, Mistakes Were Made (but not by me), New York 2007. Thaler, Richard H./Sunstein, Cass R., Nudge, London 2009.

145

Glossar ANOVA

Im Rahmen einer ANOVA (analysis of variance) können mehrere Populationen im Hinblick auf verschiedene Faktoren untersucht werden.

Bias (Verhaltenspsychologie)

Systematische Fehler in der menschlichen Urteilsfindung.

Doppelter t-Test (two sample t-test)

Statistischer Test zur Prüfung der Deckung der Mittelwerte zweier Grundgesamtheiten anhand der Mittelwerte zweier Stichproben.

Einseitiger Test

Eine Hypothese, die eingesetzt wird, wenn nur Ergebnisse auf einer Seite der Stichprobenverteilung von Interesse sind oder eine entsprechende Vorhersage getroffen werden kann.

Einstichproben-t-Test (one sample t-test)

Statistischer Test zur Prüfung der Deckung des Mittelwertes einer Grundgesamtheit l mit einem vorgegebenen Wert l0 anhand der Mittelwertes einer Stichprobe (x.

Feldexperimente

Experimente, die in der natürlichen Umgebung durchgeführt werden, nicht im Labor.

Freiheitsgrad

Die Anzahl der Werte, die bei einer bestimmten Anzahl von Messungen und einem bestimmten Mittelwert frei variieren können.

Kritischer F-Wert

Der Wert für F, der den Beginn des kritischen Bereichs in einer F-Verteilung angibt.

Kritischer t-Wert

Der Wert für t, der den Beginn des kritischen Bereichs in einer t-Verteilung angibt.

Median

Der Punkt einer Verteilung unter und über den exakt die Hälfte der Werte fallen (abgekürzt M).

Mittelwert

Das arithmetische Mittel von Werten (für Stichproben abgekürzt (x, für Populationen abgekürzt l).

P-Wert

Die Wahrscheinlichkeit, dass Abweichungen von der Nullhypothese zufällig sind.

Standardabweichung

Die Beschreibung der Streuung der Messwerte um den Mittelwert (für Stichproben abgekürzt s, für Populationen abgekürzt s).

Standardfehler des Mittelwerts

Die Standardabweichung einer Stichprobenverteilung von Stichprobenmittelwerten.

Glossar

147

Variable, abhängige

Die vom Versuchsleiter gemessene Variable; er will erfahren, ob sie durch die unabhängige Variable beeinflusst wird.

Variable, unabhängige

Die Variable, welche der Versuchsleiter verändert, um ihren Effekt auf eine andere Variable zu prüfen.

Zweiseitiger Test

Eine Hypothese, die eingesetzt wird, wenn Ergebnisse auf beiden Seite der Stichprobenverteilung von Interesse sind oder keine entsprechende Vorhersage getroffen werden kann.

Stichwortverzeichnis Agency theory 34 ANOVA 77 ARAG/Garmenbeck Aufsichtsrat 78

31, 46

Berater 62, 110 Bias blind spot 81 Business judgment rule Compliance

32, 36, 42

57, 91

Darlegungs- und Beweislast 27 D&O-Versicherung 29, 38 Effektgröße 73 Empirie 70 f. Entscheidungsprozess 45 Erkenntnisgewinnung 69 Escalation of commitment siehe sunc cost effect Externe Validität 71 Fahrlässigkeit, grobe 47 Falsifikation 70 Feldexperiment 72 Freiheitsgrad 75 Früherkennung 21 Fusionskontrolle 60 Genehmigungspflicht 60, 94 Gerichtliche Kontrolle 55 Gesamtverantwortung 20 Geschäftsführung 19 Geschäftsverteilung 20 Hindsight bias siehe Rückschaufehler Homo oeconomicus 80 Induktion 69 Insolvenz 79

Interne Validität ISION 64

71

Laborexperiment 72 Legalitätskontrollpflicht 57 Legalitätspflicht 49, 109 Leitung der Gesellschaft 18 Loss aversion 80 Metaanalyse 72 Mittelwert 74 Moral hazard 33 Nachvollziehbarkeit 32 Null-Hypothese 73 Optimierung

34

Plausibilitätskontrolle 65 Population 72 Präferenzen 112 Prävention 28, 78 – Negativer Aspekt der Prävention 38 – Positiver Aspekt der Prävention 38 Principal agent conflict 33 Prognose 43, 87 Prozessverantwortung 101, 115, 118 Psychological ownership 115 Rationalität 80 Rechtsirrtum 55 Rechtsnatur 40 Rechtsunsicherheit 51, 105 Risikomanagement 24 Rückschaufehler 36, 56, 85 Safe harbor 35 Selbstbehalt 39 Signifikanz 73 Sorgfaltsmaßstab 26 Standardabweichung 74

Stichwortverzeichnis Verschulden 55 Vertretbarkeit 52 VorstAG 78 Vorverständnis des Gesetzgebers

Standardfehler 75 Standpunktinkonsistenz 113 Statistik 73 Stichprobe 74 Sunk cost effect 84, 96 Überschuldung 79 Überwachungssystem 23 UMAG 32, 34, 37 Unternehmerische Entscheidung

Zahlungsunfähigkeit 79 Zukunftsbezogenheit 43 90

149

68