Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege: Erfolgreich verhandeln unter den Bedingungen des GVWG 9783748605980

Pflegesatzverhandlungen sind Herausforderungen der besonderen Art. Als Führungskraft ist es Ihr Ziel, Pflegesätze so zu

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Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege: Erfolgreich verhandeln unter den Bedingungen des GVWG
 9783748605980

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Roman Tillmann, Sebastian Satzvey, Christopher Floßbach, Daniel Beckers

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege Erfolgreich verhandeln unter den Rahmenbedingungen des GVWG

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Roman Tillmann, Sebastian Satzvey, Christopher Floßbach, Daniel Beckers

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege Erfolgreich verhandeln unter den Rahmenbedingungen des GVWG

Inhaltsverzeichnis 1 Vorwort

7

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

9

2.1  Sozialrechtliches Dreiecksverhältnis 2.1.1 Pflegebedürftige 2.1.2 Leistungsträger 2.1.3 Leistungserbringer

11 12 14

2.2  Duales Finanzierungssystem

15

2.3 Heimentgelt-Bestandteile

18

2.3.1 Pflegeleistungen 2.3.2  Unterkunft und Verpflegung 2.3.3 Investitionskosten(-förderung) 2.3.4 Ausbildungsumlage(-n) 2.3.5  Vergütungszuschlag nach § 43b

22 23 24 25 27

2.4  Landesrahmenverträge nach § 75 SGB XI

28

2.5  Pflegesatzverfahren nach § 85 SGB XI

31

2.5.1  Schiedsstelle (§ 76 SGB XI) 2.5.2 Relevante Regelungen des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG) 2.5.3 Vergütungskürzung bei Nichteinhaltung der gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen gem. § 115 Abs. 3, 3a, 3b SGB XI

33

2.6 Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen

39

2.6.1 Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) 2.6.2 Auswirkungen der Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen auf zukünftige Pflegesatz­verhandlungen

39

3 Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung

4

9

35 35

42 49

3.1  Das Geschäftsmodell der stationären Pflege 

49

3.2  Das Grundprinzip der Pflegesatzverhandlungen

50

3.2.1 Die Belegungsstrukturplanung in der Pflegesatzkalkulation 3.2.2 Berücksichtigung übergeordneter, strategischer Positionen in der Pflegesatzkalkulation

51 55



4 Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung 

57

4.1 Bestandsaufnahme

58

4.2  Ist-Kostenanalyse 

62

4.2.1 Grundvoraussetzungen 4.2.2 Vorgehensweise 4.2.3  Richtige Berechnung der Personalkosten 4.2.4  Exkurs: Analyse der § 43b-Vergütungzuschläge 

62 69 72 75

4.3  Simulation der Pflegesatzverhandlung

77

4.3.1  Hochrechnung der Belegung 4.3.2  Hochrechnung der Personalkosten 4.3.3  Hochrechnung der Sachkosten 4.3.4 Tarifüberleitungssimulation 4.3.5  Simulation der Pflegesätze und des EEE

77 78 81 84 86

4.4  Zeitplan für die Pflegesatzverhandlung 

90

4.5  Risiko- und Wagniszuschlag

92

4.6 Grundsatzstrategie zur Durchführung von Pflegesatzverhandlungen 

96

5 Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche 5.1 Auswirkung auf die Steuerung von Pflegeeinrichtungen

99 99

5.1.1 Personalsteuerung 5.1.2 Belegungssteuerung

99 102

5.2 Auswirkungen auf den Bereich Human Ressources

102

5.3  Strategische Auswirkungen

108

5.3.1  Auswirkungen auf die Personalstrategie 5.3.2  Auswirkungen auf die Renditestrategie 5.3.3  Auswirkungen auf die Produktstrategie 5.3.4  Auswirkungen auf die Unternehmensstrategie

108 110 111 113

6  Fazit und Ausblick Die Autoren

115 119

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege5

1 Vorwort

1 Vorwort Die letzten Jahre waren geprägt von einer hohen Dynamik an Veränderungen für die Pflegebranche. Erst die Pflegestärkungsgesetze und dann das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) haben das Geschäftsmodell und die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen der stationären Pflege gravierend beeinflusst. Dies hat zur Folge, dass Träger von Pflegeeinrichtungen zunehmend Steuerungsinstrumente nutzen sowie Verhandlungsszenarien entwickeln und bewerten müssen, um der steigenden Komplexität und der Vielzahl von Nachweispflichten konstruktiv zu begegnen. Der Grad an detaillierter Vorbereitung und Durchsetzungsvermögen entscheidet über den wirtschaftlichen Erfolg. Die rosenbaum nagy unternehmensberatung ist spezialisiert auf die betriebswirtschaftliche Beratung von sozialwirtschaftlichen Unternehmen in ganz Deutschland. Einen großen Anteil macht dabei die Beratung von freigemeinnützigen, kommunalen und privaten Trägern der Altenhilfe aus. In unseren Projekten haben wir uns in den vergangenen Jahren intensiv mit den Auswirkungen der Gesetzesreformen beschäftigt und Träger beraten, wie sie sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen müssen. Mit dem GVWG hat die Bundesregierung erneut Rahmenbedingungen verändert, die weitreichende Auswirkungen auf den Betrieb von stationären Pflegeeinrichtungen haben werden. Die Einführung der Tarifpflicht wird alle bisher nicht tariflich gebundenen Träger zwingen, z. T. deutlich höhere Löhne zu bezahlen. In einigen Bundesländern wird die Einführung der einheitlichen Personalschlüssel zu einer deutlichen Mehrpersonalisierung führen. Beides wird zu sprunghaften Kostensteigerungen führen, die nur über höhere Pflegesätze zu refinanzieren sind. Somit kommt der Pflegesatzverhandlung eine wichtige Bedeutung zu. Viele Träger werden gezwungen sein, die nachweislich vorhandenen Kostensteigerungen über Individualverhandlungen durchzusetzen. War es in der Vergangenheit in vielen Bundesländern üblich, pauschale  %-uale Erhöhungen der Pflegesätze mit den Pflegekassen zu vereinbaren, so wird dies bei teilweise zweistelligen  %-Sprüngen nicht mehr so einfach vorstellbar sein. Und trotzdem verschwinden einige der bisherigen Renditemöglichkeiten, teils aufgrund von im Gesetz verankerten Regressmöglichkeiten und teils aufgrund der Angleichung aller Pflegeeinrichtungen in der Entlohnung ihrer Mitarbeiter. Da wir als Berater häufig die Pflegesatzverhandlungen mit den Kunden vorbereiten und durchführen, ist hier eine besondere Dynamik zu spüren. Viele Träger müssen nun erstmals nach vielen Jahren mit pauschalen Pflegesatzerhöhungen wieder Individualverhandlungen führen und dabei auch noch eine neue Vergütungssyste-

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matik mitdenken, die sie später einführen werden. Wer nicht über ein gutes Controlling verfügt, das die wesentlichen Parameter der Pflegesatzverhandlung abbildet, merkt, wie aufwendig die Vorbereitung einer Pflegesatzverhandlung ist. Grundlegende Kenntnisse über die Refinanzierungsstrukturen sind elementar für das erfolgreiche Führen von Pflegesatzverhandlungen. Dieses Buch setzt genau an dieser Stelle an: Ausgehend vom GVWG werden hier alle relevanten Themen zum Umgang mit der Reform, aber auch zur erfolgreichen Ausrichtung der Pflegeeinrichtung für die Zukunft abgehandelt. Die Pflegesatzverhandlung ist dabei von zentraler Bedeutung. Wir beleuchten das Thema Pflegesatzverhandlung aus strategischer, kaufmännischer Sicht, also aus Managementsicht und stellen den Bezug zu den Veränderungen durch das GVWG her. Mit vielen Tipps und Anleitungen aus unserer mittlerweile 25-jährigen Beratungspraxis wollen wir allen Trägern dabei helfen, die nächsten Pflegesatzverhandlungen erfolgreich zu führen. Zu Beginn erklären wir die wichtigsten rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Veränderungen durch das GVWG. Anschließend werden das Grundprinzip des Geschäftsmodells der stationären Pflege aus betriebswirtschaftlicher Sicht erläutert und daraus das Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung abgeleitet. Das Kapitel 4 beschreibt die praktische Vorgehensweise bei der Pflegesatzverhandlung, angefangen mit den notwendigen Grundvoraussetzungen an Buchhaltung, Kostenrechnung und Controlling über Methoden zur prospektiven Hochrechnung der Kosten und Simulation der Pflegesätze und dem Umgang mit Risiko- und Wagnisaufschlägen bis hin zur Grundsatzstrategie zur Pflegesatzverhandlung. Abschließend werfen wir einen Blick auf die Auswirkungen der Pflegereform auf die zentralen Managementbereiche einer stationären Pflegeeinrichtung. Wir, die Autoren dieses Buchs, sind allesamt langjährige Seniorberater in der Altenhilfe und bringen die Erfahrungen aus den vielen Projekten und Pflegesatzverhandlungen für unsere Kunden ein. Uns ist es wichtig, dass dieses Buch Ihnen möglichst pragmatisch und praxisnah als Wegweiser im Dschungel der gesetzlichen Reformen dient, um den richtigen Weg bei der nächsten Pflegesatzverhandlung einzuschlagen und darüber hinaus die Pflegeeinrichtung nachhaltig und erfolgreich in die Zukunft zu führen. Eins können wir festhalten: Es wird zukünftig nicht einfacher, mit einer stationären Pflegeeinrichtung wirtschaftlich erfolgreich zu sein – aber es wird möglich sein! Die Anforderungen an betriebswirtschaftliche Steuerung und entsprechende Controllinginstrumente wird weiter steigen – auch das ist mit Blick auf die letzten 10 Jahre nichts Neues! Wir hoffen, Ihnen mit diesem Buch eine gute Hilfestellung für die nächste Pflegesatzverhandlung zu geben und wünschen Ihnen viel Erfolg dabei! Roman Tillmann (Geschäftsführender Partner der rosenbaum nagy unternehmensberatung) 8

1 Vorwort

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

2.1  Sozialrechtliches Dreiecksverhältnis Das sozialrechtliche und finanzielle Beziehungsgeflecht in der stationären Versorgung lässt sich anhand eines Dreieckmodells erläutern. In diesem „Dreiecksverhältnis“ sind öffentliche Kostenträger (z.  B. Pflegekassen, Sozialhilfeträger, Sozialversicherungen und Landesbehörden), Hilfeempfänger bzw. Pflegebedürftige (z. B. Sozialhilfeempfänger, anspruchsberechtigte Versicherte sowie andere Anspruchsberechtigte) und die Träger der stationären Pflegeeinrichtungen beteiligt. Die öffentlichen Kostenträger übernehmen neben den Eigenanteilen der Bewohner:innen die Finanzierung des stationären Aufenthaltes in der Pflegeeinrichtung Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Die gesetzlichen Regelungen geben aus betriebswirtschaftlicher Perspektive Vorgaben zur innerbetrieblichen Organisation. Auf diesem Fundament, sofern Träger von Pflegeeinrichtungen diesen Richtlinien folgend Transparenz und Nachweisbarkeit (durch gegenseitige Wechselwirkung) zunehmend steigern, können Pflegesatzkalkulationen sowohl ökonomisch als auch verhandlungssicher vorbereitet werden. Die nachfolgend aufgeführten Inhalte dienen der Groborientierung und Abgrenzung der in den Pflegesatzverhandlungen anzusetzenden Kostenpositionen. Wichtig hierbei ist mitunter das Herausstellen der tatsächlich pflegesatzrelevanten Aufwendungen im Personal- und Sachkostenbereich. Dies soll insbesondere durch die nachfolgenden Ausführungen in Kap. 2.1 bis 2.3 dargestellt werden – d. h., in welchem Umfeld agieren welche Akteure miteinander und welche Bedingungen müssen aus interner und externer Sicht erfüllt sein, um eine Pflegesatzkalkulation vorschriftsgemäß und nach den neuesten theoretischen sowie praktischen Erkenntnissen vorzubereiten und gegenüber den Kostenträgern vertreten zu können. Die Kostenträger in der Rolle als Verhandlungspartner beziehen sich gerne auf einzelne Passagen aus den nachfolgend beschriebenen und zitierten Gesetzestexten, um auf eine Nicht-Refinanzierbarkeit einzelner Kostenpositionen hinzuweisen bzw. diese damit zu begründen. Träger von Pflegeeinrichtungen könnten sich diese aber auch selbst zunutze machen, denn häufig bestehen Regelungen zugunsten der Pflegebetriebe so lange, wie sie einen wirtschaftlichen Nutzen der aufgeführten Kostenpositionen belegen können. Die Ausführungen in Kap. 2.4 bis 2.6 sollen einen ersten Überblick zu den wichtigsten Vorschriften geben und dadurch den Grad an Verhandlungssicherheit erhöhen.

(Gesamt-) Versorgungsvertrag

Vergütungsvereinbarung Sozialversicherungsträger Pflegekassen, Sozialhilfeträger

e ch rü II) sp X an B gs , SG un XI ist B Le (SG

Le (S istun GB g XI san , S sp GB rü XI che I)

Stationäre Pflegeeinrichtung

Bewohner:innen

Verhandlung

Auswirkung auf die Heimverträge

Verhandlung Beteiligung

Abbildung 1: Dreiecksverhältnis in der Altenhilfe und seine rechtlichen Beziehungen

und tragen ihren Teil zum gesetzlichen Sicherstellungsauftrag für ein ausreichendes Pflegeangebot bei (§§ 9 und 69 SGB XI ‚Sicherstellungsauftrag‘). Die pflegebedürftige Person dagegen empfängt die soziale Dienstleistung als Sachleistung. Die Träger von Pflegeeinrichtungen übernehmen als Leistungserbringer die „Produktion“ angebotener Pflege- und die weiteren damit eng verbundenen (Hotel-)Leistungen. Die pflegebedürftige Person befindet sich demnach in einem zweifachen Rechtsverhältnis. Die finanzielle Verknüpfung besteht zum einen durch das öffentlich-rechtliche Sozialrechtsverhältnis zum Kostenträger und zum anderen durch die privatrechtliche Vertragsbeziehung zum Träger von Pflegeeinrichtungen, welche Pflegeleistungen und weitere damit verbundene Leistungen zur Verfügung stellen. In diesem Zusammenhang ist die Investitionskostenförderung als Besonderheit der dualen Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht direkt Bestandteil des sozialrechtlichen Dreiecks, obwohl über die öffentlichen Kostenträger in allen Bundesländern Sozialhilfeleistungen erfolgen. Jedoch hat die Förderung der Investitionskosten Konsequenzen für Teile des Dreiecks. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass Pflegeeinrichtungen bei fehlender oder mangelhafter Investitionskostenförderung die restlichen Kosten auf die pflegebedürftige Person umlegen können (§ 82 Abs. 3 und 4 SGB XI), und zum anderen, dass die Förderung auch Inhalt einer Vereinbarung zwischen Leistungsträgern i. S. d. SGB XII und Leistungserbringern sein kann (§§ 75 Abs. 5, 76 Abs. 2 SGB XII). Eine Besonderheit dieses Dreiecksverhältnisses sind die bestehenden Vertragsbeziehungen zwischen den Beteiligten. Für eine Pflegeeinrichtung werden ein Versorgungsvertrag sowie eine Vergütungsvereinbarung mit dem Träger der Sozialversicherung bzw. der Pflegeversicherung abgeschlossen. Auf dieser Ebene erfolgt die 10

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

2.1.1 Pflegebedürftige Die pflegebedürftige Person hat aufgrund ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung und dem damit verbundenen erhöhten Maß an Hilfsbedürftigkeit im Bereich Körperpflege, Mobilität, Nahrungsversorgung/-besorgung sowie hauswirtschaftliche Versorgung im täglichen Leben einen Leistungsanspruch auf vergütete Pflegeleistungen (§ 14 Abs. 4 SGB XI). Voraussetzung hierfür ist die Notwendigkeit von unterstützenden Pflegeleistungen über einen Zeitraum, der über sechs Monate hinausgeht (§ 14 Abs. 1 SGB XI, § 61 Abs. 1 SGB XII). In mehreren (früheren) Entscheidungen hat das Bundessozialgericht1 verdeutlicht, dass die Feststellung der Pflegebedürftigkeit – und die generelle Einstufung in Pflegegrade als solche – sich maßgeblich an den im alten § 14 Abs. 4 SGB XI katalogisierten Bereichen der Hilfsbedürftigkeit richten muss. Zur Orientierung diente einst die Darstellung des definierten Hilfebedarfs nach dem ebenfalls alten § 14 Abs. 3 SGB XI in den Pflegebedürftigkeits-Richtlinien (PflRi) gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 SGB XI i. d. F. vom 11.05.2006. Der Pflegebegriff wurde dabei sehr eingeschnürt. Die Pflegebedürftigkeits-Richtlinien wurden im Zuge der Reformierung der Sozialen Pflegeversicherung durch die Begutachtungsrichtlinien vom 15.04.2016 ersetzt. Seit 01.01.2017 gilt ein Pflegebedürftigkeitsbegriff, der durch ein umfassendes Begutachtungsinstrument umgesetzt wird. Der GKV-Spitzenverband hat zudem am 22.03.2021 eine überarbeitete Fassung der Richtlinien zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit beschlossen. Diese gilt für alle Begutachtungen des Medizinischen Dienstes ab dem 17.05.2021. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist im Pflegeversicherungsrecht (SGB XI) und im Sozialhilferecht (SGB XII) nahezu identisch. Im Sozialhilferecht wirkt der Handlungsbereich aufgrund der differenten Aufgabenstellung der Hilfe zur Pflege (§  61 Abs. 2 SGB XII) und der Pflegeversicherung als eine Ergänzung. 1

 B BSG, Urteile v. 19.02.1998 - B 3 P 2/97 R - USK 9827; B 3 P 5/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 3 = FEVS 49, 85; B 3 P 7/97 R - SozR Z 3-3300 § 15 Nr. 1 = NZS 1998, 479; B 3 P 11/97 - USK 9818; BSG, Urteil v. 24.06.1998 - B 3 P 4/97 R - PflegeRecht 1999, 185 sowie Urteil v. 31.08.2000 - B 3 P 14/99 - SozR 3-3300 § 14 Nr. 15 = NZS 2001, 265

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Verhandlung der Entgelte als Pflegesatzverhandlung. Mit den betroffenen Bewohner:innen wird im engeren Sinne nicht verhandelt. Die Bewohner:innen schließen jedoch den letztlichen Heim- sowie Pflege- und Betreuungsvertrag mit der Pflegeeinrichtung und stellen ihre Leistungsansprüche an die zuständige Pflegeversicherung. Insofern sind die Bewohner:innen der zentrale Bestandteil der Leistungserbringung. Auf die Preisfindung als solche, von der Sie direkt betroffen sind, haben sie jedoch keinen Einfluss. Diese besondere Beziehung zwischen den einzelnen Akteuren ist in der Abbildung 1 auf der gegenüberliegenden Seite zusammengeführt.

2.1.2 Leistungsträger 2.1.2.1  Soziale Pflegeversicherung/Pflegekassen Die Soziale Pflegeversicherung nimmt bei der Finanzierung für die vollstationäre Versorgung in einer Pflegeeinrichtung eine zentrale Rolle ein (§ 82 Abs. 1 S. 1 SGB XI in Verbindung mit den §§ 84-85 SGB XI). Hiervon abzugrenzen ist der Leistungsanspruch auf Rehabilitation und medizinische Betreuung bzw. Behandlungspflege gemäß SGB V, wobei SGB XI lediglich den Leistungsanspruch auf die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung begrenzt, dennoch (systemwidrig) die Ansprüche aus SGB V in der stationären Pflege übernimmt. Sie basiert auf gesetzlichen Grundlagen, die das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit einer Person definieren und eine Einteilung derer in dafür vorgesehene Pflegegrade ermöglichen (§ 15 SGB XI). Die Notwendigkeit einer vollstationären Aufnahme richtet sich nach der individuellen Pflegesituation, welche durch den Medizinischen Dienst begutachtet wird (§ 18 SGB XI). Die (bestellte) begutachtende Person überprüft den Anspruch des Versicherten auf vollstationäre Pflege. Voraussetzung hierfür ist die unerfüllbare Umsetzung von häuslicher oder teilstationärer Pflege sowie gesonderte Einzelfallentscheidungen, in denen vollstationäre Leistungen für erforderlich erklärt werden (§ 43 SGB XI). Die Pflegekasse der versicherten Person übernimmt die für den begutachteten Pflegegrad entsprechenden Kosten durch die monatliche Zahlung eines pauschalen und einheitlichen Leistungsbetrages, der anteilig den allgemeinen Pflegeaufwand, die medizinische Behandlungspflege sowie die soziale Betreuung der Pflegeeinrichtung vergütet. Die Zuschüsse wurden letztmals durch das erste Pflegestärkungsgesetz (PSG I) zum 01.01.2015 angehoben. Die Zuschusshöhe je Pflegegrad ist wie in der folgenden Abbildung 2 dargestellt gestaffelt. Ab dem 01.01.2022 erhalten pflegebedürftige Personen einen so genannten ‚Leistungszuschlag‘ auf Pflege- und Ausbildungskosten, um die zunehmend finanzielle Belastung abzumildern. Pflegegrad Monatlicher Zuschuss der Pflegekasse Davon unberührt bleibt 1 125 € aber die bis heute beibe2 770 € haltende Zuschusshöhe 3 1.262 € der Pflegekasse (je Pflege4 1.775 € grad). 5

2.005 €

Abbildung 2: Monatliche Zuschusshöhe der Pflegekasse je Pflegegrad (Stand: 01/22)

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Weiterhin übernehmen Betreuungskräfte nach § 43b SGB XI in vollstationären Pflegeeinrichtungen die soziale Betreuung bzw. Alltagsbegleitung von Pflegebedürftigen. Die durch die Pflegeeinrichtungen erbrachten „§ 43b-Leistungen“ werden mit den zuständigen Pflegekassen direkt abgerechnet. Die Höhe der für die Pflegegrade vorgesehenen erstattungsfähigen Pflegekosten deckt i. d. R. die in Rechnung gestellten Pflegeleistungen der Pflegeeinrichtung nicht ab – die Soziale Pflegeversicherung als „Teilkaskoversicherung“ sorgt indes für eine soziale (Grund-)Absicherung. Für die restliche Finanzierung müssen Pflegebedürftige selbst aufkommen. Im Fall der finanziellen Bedürftigkeit werden die Kosten durch den zuständigen Sozialträger übernommen. Das zu zahlende Entgelt an die vollstationäre Einrichtung wird als (tagesgleicher) Pflegesatz bezeichnet (§ 84 Abs. 1 S. 1 SGB XI) – die Gesamtheit der zu entrichtenden Entgelte an die Pflegeeinrichtung wird als Heimentgelt bezeichnet, dessen Art, Höhe und Laufzeit regelmäßig zwischen dem Träger der Pflegeeinrichtung, den Pflegekassen sowie Sozialhilfeträgern vereinbart werden muss (§ 85 Abs. 1 SGB XI). Maßgabe hierbei ist eine leistungsgerechte Vergütung und Deckung der anfallenden Kosten in der Pflegeeinrichtung. Es besteht die Möglichkeit einer „angemessenen“ (tendenziell positiven) Rentabilität, was durchaus Anreize zur Steigerung von betrieblicher Effizienz und Qualitätsoptimierung hat. Eine Pflegeeinrichtung einer Trägerschaft mit mehreren Einrichtungen wird isoliert betrachtet, wobei die getroffene Pflegesatzvereinbarung ausschließlich für diese Einrichtung gilt. Voraussetzung hierfür ist der Nachweis eines abgeschlossenen Versorgungsvertrages (§ 72 SGB XI in Verbindung mit § 75 und § 80a SGB XI) für die vollstationäre Pflege. Daraus folgt, dass alternative Wohnformen, wie z.  B. Betreutes Wohnen, – bei denen i. d. R. Miet- und keine Heimverträge geschlossen werden – aufgrund anderer Bemessungsgrundlagen (z.  B. individueller Mietspiegel) von diesem Bemessungsgrundsatz ausgeschlossen sind. Des Weiteren wird eine Vereinbarung für einen zukünftigen Pflegesatzzeitraum getroffen, bei der die Pflegeeinrichtungen „Art, Inhalt, Umfang und Kosten der Leistungen“ sowie „Pflegedokumentation und andere geeignete Nachweise“ (§ 85 Abs. 3 S. 2 SGB XI) vor Beginn der Pflegesatzverhandlungen den entsprechenden Leistungsträgern vorzulegen sind. Neben den allgemeinen Pflegeleistungen als zentraler Bestandteil eines Pflegesatzes gibt es weitere Kosten, die von den Pflegebedürftigen bzw. vom Sozialhilfeträger übernommen werden müssen – z. B. Kosten für die Ausbildung von Pflegefachkräften, Entgelte für Unterkunft und Verpflegung, Investitionskosten und Kosten für zusätzliche Leistungen, die nicht Bestandteil des Leistungskataloges gemäß dem individuell vereinbarten Versorgungsvertrag sind.

2.1.2.2  (Über-)Örtliche Sozialhilfeträger Hauptaufgabe der Sozialhilfe ist die Möglichmachung einer der Würde des Menschen entsprechenden Lebensführung (§ 1 S. 1 SGB XII). Zur Deckung verbleibender Heimkosten bei unzureichendem Vermögen bzw. Einkommen der Heimbewohner:innen wird beim zuständigen Sozialhilfeträger ein Sozialhilfeantrag gestellt. Das Bekanntwerden der Notlage beim Sozialhilfeträger oder einer anderen beauftragten Stelle reicht zunächst aus (§ 18 Abs. 1 SGB XII – „Kenntnisprinzip“). Der Sozialhilfeträger ist dann verpflichtet, die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe zur Pflege und alle weiteren Hilfemöglichkeiten unter Betrachtung der Gesamtsituation der leistungsberechtigten Person zu überprüfen und zu organisieren (§ 20 SGB X – „Untersuchungsgrundsatz“, vgl. Griep, Renn, 2012, S. 114). Nach § 2 Abs. 1 SGB XI erhält jeder Antragsteller keine Leistungen der Sozialhilfe, der sich durch Einsatz seines Vermögens und des Einkommens selbst helfen kann. Die Sozialhilfe ist dabei als letzte Möglichkeit – „ultima ratio“ (vgl. Troschke, J., Stößel, U., 2012, S. 94) – in Betracht zu ziehen.

2.1.2.3 Pflegesatzkommission Die Bildung von Pflegesatzkommissionen ist im § 86 SGB XI, der dazu die Landesverbände der Pflegekassen, den Verband der privaten Krankenversicherung, den (über-) örtlichen Sozialhilfeträger sowie die Vereinigungen der Pflegeeinrichtungen beauftragt, festgelegt. Die Kommissionen sind in allen Bundesländern zu bilden. Die Aufgabe von Pflegesatzkommissionen ist die Rahmensetzung für das Pflegesatzverfahren, wodurch mitunter sichergestellt werden soll, dass eine für das Bundesland verbindliche Kalkulationsgrundlage abgestimmt wird. Sie ist darüber hinaus am Abschluss oder an der Überarbeitung von Rahmenvereinbarungen nach § 75 SGB XI beteiligt und erweist sich als „Empfehlungsgeber“ zu Teilaspekten der Pflegesatzverhandlung, z.  B. zur (landesrechtlichen) Finanzierung bzw. Berücksichtigung von Auszubildenden in der Pflege.

2.1.3 Leistungserbringer Pflegebedürftige erhalten bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen Pflegeleistungen in einer stationären Pflegeeinrichtung. Diese sind von ambulanten Pflegeeinrichtungen (z. B. Pflegedienste) zu unterscheiden. Zum betreuten Kreis im ambulanten Sektor gehören einerseits Pflegebedürftige und andererseits Personengruppen, deren Pflege- und Versorgungsbedarf für den Pflegegrad 1 unzureichend ist. Die Pflege in stationären Pflegeeinrichtungen ist i. d. R. mit einer dauerhaften Unterkunft verbunden – die Möglichkeit einer stationären Aufnahme ist auch im Rahmen der teilstationären Pflege (§ 41 Abs. 1 SGB XI) sowie Verhinderungs- oder 14

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

2.2  Duales Finanzierungssystem Der Regierungsentwurf zum Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG) sah zunächst ein monistisches Finanzierungssystem vor, das eine einheitliche Finanzierung beider Kostenbestandteile in Pflegeeinrichtungen – d. h. sowohl die pflegebedingten Leistungen als auch die notwendigen Investitionsaufwendungen – durch die Pflegekassen „aus einer Hand“ organisiert und ausgeführt werden sollte. Da die Mehrheit der Bundesländer hierbei jedoch kein Mitspracherecht und keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Planung und Steuerung der landesindividuellen Pflegeinfrastruktur sah, wurde im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens in der letztgültigen Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses das monistische Finanzierungsmodell entschieden abgelehnt und durch die Änderung des § 91 SGB XI das duale System, was zunächst einheitlich als ungeeignet dargestellt wurde, eingeleitet (siehe BT-Drs. 12/5262 S. 3 ff., S. 35 ff., S. 83, S. 129). Die einzelnen Bundesländer sind in der Gestaltung und kontinuierlichen Optimierung der landesweiten Pflegeinfrastruktur federführend, wobei die fachgerechte medizinische und pflegerische Versorgung des Pflegebedürftigen durch qualifiziertes Pflegepersonal jeder Pflegeeinrichtung selbst obliegt (§ 11 Abs. 1 SGB XI). Die einzelnen Pflegekassen sind im Wesentlichen für eine pflegerische Versorgungsstruktur ihrer Versicherten verantwortlich. Sie arbeiten eng mit den Trägern der stationären Pflegeeinrichtungen zusammen, um eine optimale und koordinierte Versorgung für den Pflegebedürftigen zu gewährleisten (§  12 Abs. 1 u. 2 SGB XI). Die gesetzliche Grundlage für die Refinanzierung der pflegerischen Versorgung sowie der Leistungen für Unterkunft und Verpflegung findet sich ausschließlich im Elften Sozialgesetzbuch (SGB XI) wieder. Die Gesamtverantwortlichkeit des jeweiliPflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Kurzzeitpflege gemäß §§ 39 Abs. 1 und 2 sowie 42 Abs. 1 und 2 SGB XI für sechs bzw. vier Wochen (ggfs. über Verhinderungspflege sogar für zwölf Wochen) gegeben. Die Refinanzierung der aufgeführten Leistungstypen folgt aber der gleichen Logik. Stationäre Pflegeeinrichtungen sind per definitionem „selbständig wirtschaftende Einrichtungen“ (§ 71 Abs. 2 S. 1 SGB XI), in denen pflegebedürftige Klienten permanent pflegerische Leistungen durch ausgebildete Pflegefachkräfte (vgl. Udsching, 2018) beanspruchen können (§ 71 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGB XI). Außerdem müssen stationäre Pflegeeinrichtungen die Voraussetzungen einer „Einrichtung“ erfüllen, d. h. es gilt ein Mindestmaß an Organisation und der auf Dauer angelegte Betrieb der Einrichtung sowie ein kontinuierlicher Mitarbeiter:innen-Bestand sind vorhanden (vgl. Griep, Renn, 2012, S. 194).

gen Bundeslandes ist auf §  9 SGB XI ‚Aufgaben der Länder‘ zurückzuführen, in dem steht: Die Länder sind verantwortlich für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur. Das Nähere zur Planung und zur Förderung der Pflegeeinrichtungen wird durch Landesrecht bestimmt; durch Landesrecht kann auch bestimmt werden, ob und in welchem Umfang eine im Landesrecht vorgesehene und an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Pflegebedürftigen orientierte finanzielle Unterstützung 1. der Pflegebedürftigen bei der Tragung der ihnen von den Pflegeeinrichtungen berechneten betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen oder 2. der Pflegeeinrichtungen bei der Tragung ihrer betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen als Förderung der Pflegeeinrichtungen gilt. Zur finanziellen Förderung der Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen sollen Einsparungen eingesetzt werden, die den Trägern der Sozialhilfe durch die Einführung der Pflegeversicherung entstehen. Daraus ist abzuleiten, dass die Finanzierung der Pflegeeinrichtungen dem dualen System folgt, bei dem den Bundesländern die Finanzierung von Investitionsaufwendungen zugewiesen und der Sozialen Pflegeversicherung bzw. den Pflegekassen die (nicht durch sie vollständig getragene) Finanzierung des allgemeinen Pflegeaufwands, der medizinischen Behandlungspflege sowie der sozialen Betreuung zuteil wird. Zur Abgrenzung der Leistungen für Pflege, für Unterkunft und Verpflegung, Zusatzleistungen sowie für Investitionsaufwendungen erweisen sich § 83 Abs. 1 Nr. 2 und 5 SGB XI als probates (rechtliches) Mittel zum Erlass einer Verordnung, von dem ein Bundeskabinett aber bisher kein Gebrauch gemacht hatte. Dies gelte auch nur im Zusammenspiel mit dem in § 9 S. 2 zugesprochenen Gestaltungsrahmen. Weiterhin schreibt § 83 SGB XI ‚Verordnung zur Regelung der Pflegevergütung‘ der Bundesregierung zu, Vorschriften über • Rechnungs- und Buchführungsvorschriften der Pflegeeinrichtungen einschließlich einer Kosten- und Leistungsrechnung (Abs. 1 S. 3) und • Maßstäbe und Grundsätze für eine wirtschaftliche und leistungsbezogene, am Versorgungsvertrag (§ 72 Abs. 1) orientierte personelle Ausstattung der Pflegeeinrichtungen (Abs. 1 S. 4) zu erlassen. Allgemein gilt, dass die öffentliche Förderung nicht zur vollständigen Deckung der betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen einer Pflegeeinrichtung führen 16

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Duales Finanzierungssystem (§ 82 SGB XI) Investitionsaufwendungen

Leistungsaufwendungen (Betriebs- und Versorgungskosten)

Bundesländer

Pflegekassen / Pflegebedürftige / Sozialleistungsträger

Anspruch Kein Rechtsanspruch auf Förderung Länder sollen, müssen aber nicht fördern, ansonsten: Gesondertes Entgelt gemäß § 82 SGB XI

Anspruch • auf leistungsgerechte Pflegevergütung • auf angemessenes Entgelt für • Unterkunft • Verpflegung

Ermessen der Bundesländer

Vereinbarungsprinzip

Grundsatz der Trägervielfalt • Vorrang gemeinnütziger und privater Träger • Nachrang kommunaler Träger

• Schiedsstelle entscheidet im Konfliktfall • Klage beim Sozialgericht ohne Vorverfahren

Abbildung 3: Duales Finanzierungssystem im Sektor der stationären Altenhilfe (§ 82 SGB XI)

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

muss. Die Bundesländer sind dazu angehalten, Einsparungen, die den örtlichen bzw. überörtlichen Sozialhilfeträgern durch die damalige Einführung der Pflegeversicherung entstanden sind, zur Förderung der Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen einzusetzen. Die Planung und Förderung von stationären Pflegeeinrichtungen wird demnach durch das jeweils geltende Landesrecht geregelt. Generell besteht der Grundsatz der Trägervielfalt, d. h. gemeinnützige und private Träger erhalten im dualen Finanzierungssystem Vorrang. Kommunale Träger werden somit zweit- bzw. drittrangig behandelt (§ 11 Abs. 2 S. 3 SGB XI) (Hierzu die Abb. 3 auf dieser Seite unten). In den verschiedenen Bundesländern existieren unterschiedliche Regelungen, bei denen der Gestaltungsrahmen ungleich ausgenutzt wird. Nach Landesrecht ließe sich beispielsweise bestimmen, ob und in welchem Umfang Pflegebedürftige finanzielle Unterstützung bei der (teilweisen) Übernahme der von den Trägern der Pflegeeinrichtungen berechneten betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen (Subjektförderung) zuteilwird. Gleiches gilt für Pflegeeinrichtungen bei der Tragung der betriebsnotwendigen Investitionskostenaufwendungen (Objektförderung) als Förderung der Pflegeeinrichtungen. Ein gesondertes Entgelt liegt im Ermessensbereich der Bundesländer, es besteht eine so genannte föderalistische Vielfalt. Hierdurch haben die Bundesländer im Rahmen der Landespflegegesetze durch nachträgliche Verordnungen individuelle Rahmendaten zur Förderung und Finanzierung der Investitionsaufwendungen von Pflegeeinrichtungen gesetzt (nach § 82 Abs. 3 SGB XI).

Für Pflegeeinrichtungen besteht die Möglichkeit, ihre Aufwendungen, soweit sie durch eine Förderung nach § 9 SGB XI nicht vollständig gedeckt sind, gemäß § 82 Abs. 3 SGB XI mit Zustimmung des zuständigen Bundeslandes oder – bei „Pflegeeinrichtungen, die nicht nach Landesrecht gefördert werden“ (§ 82 Abs. 4 S. 1 SGB XI) – ohne entsprechende Zustimmung dem pflegebedürftigen Klienten zur Refinanzierung der Investitionsaufwendungen anteilig gesondert in Rechnung zu stellen2. Um die Refinanzierung von Investitionsaufwendungen in Pflegeeinrichtungen zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen im §  82 SGB XI die Möglichkeit geschaffen, die Kosten auf den Pflegebedürftigen anteilig abzuwälzen. Sollte dieser nicht über ausreichend Einkommen (z.  B. Altersruhegeld, Witwenrente, betriebliche Altersvorsorge) oder angespartes Vermögen verfügen, wird der Sozialhilfeträger als zuständiger Kostenträger nach SGB XII in Erwägung gezogen.

2.3 Heimentgelt-Bestandteile Als (Finanzierungs-)Grundlage der beiden wesentlichen Bestandteile Pflegeleistungen sowie Unterkunft und Verpflegung für das Pflegesatzverhandlungsverfahren dient § 82 SGB XI. Der Paragraf schafft zudem eine Abgrenzung beider zu den Investitionsaufwendungen, wodurch festgelegt ist, welche Leistungen in der stationären Pflege von den Pflegekassen übernommen werden und welche anderen Kostenträgern, vorwiegend den Sozialhilfeträgern und Eigenanteilzahler:innen, zuzuordnen sind. Anbei der Wortlaut zu § 82 Abs. 1-3 SGB XI ‚Finanzierung der Pflegeeinrichtungen‘: Neu: Die Fassung wurde aufgrund des Gesetzes zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz) überarbeitet und am 23.10.2020 (BGBl. I S. 2220) veröffentlicht. Der hervorgehobene Text wurde entsprechend ersetzt (ursprünglich: „Krankenpflege nach § 37“). Die Gesetzesänderung ist am 29.10.2020 in Kraft getreten. (1) Zugelassene Pflegeheime und Pflegedienste erhalten nach Maßgabe dieses Kapitels 1. eine leistungsgerechte Vergütung für die allgemeinen Pflegeleistungen (Pflegevergütung) sowie 2.bei stationärer Pflege ein angemessenes Entgelt für Unterkunft und Verpflegung. Die Pflegevergütung ist von den Pflegebedürftigen oder deren Kostenträgern zu tragen. Sie umfasst auch die Betreuung und, soweit bei stationärer Pflege kein Anspruch auf 2

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siehe BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 17.10.2007 – 2 BvR 1095/05 –

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(2) In der Pflegevergütung und in den Entgelten für Unterkunft und Verpflegung dürfen keine Aufwendungen berücksichtigt werden für 1. Maßnahmen einschließlich Kapitalkosten, die dazu bestimmt sind, die für den Betrieb der Pflegeeinrichtung notwendigen Gebäude und sonstigen abschreibungsfähigen Anlagegüter herzustellen, anzuschaffen, wiederzubeschaffen, zu ergänzen, instandzuhalten oder instandzusetzen; ausgenommen sind die zum Verbrauch bestimmten Güter (Verbrauchsgüter), die der Pflegevergütung nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 zuzuordnen sind, 2. den Erwerb und die Erschließung von Grundstücken, 3. Miete, Pacht, Erbbauzins, Nutzung oder Mitbenutzung von Grundstücken, Gebäuden oder sonstigen Anlagegütern, 4. den Anlauf oder die innerbetriebliche Umstellung von Pflegeeinrichtungen, 5. die Schließung von Pflegeeinrichtungen oder ihre Umstellung auf andere Aufgaben. Abs. 3 und 4 enthalten die zuvor angemerkten Optionen für Pflegeeinrichtungen, betriebsnotwendige Investitionsaufwendungen nach Abs. 2 Nr. 1 und 3 bei nicht vollständiger Deckung durch öffentliche Förderungen gemäß § 9 SGB XI oder bei fehlender Förderung nach entsprechendem Landesrecht den Pflegebedürftigen gesondert zu berechnen. Im letzteren Fall ist die gesonderte Berechnung der zuständigen Landesbehörde mitzuteilen. Erhalten Pflegeeinrichtungen Betriebskostenzuschüsse, sind diese von der Pflegevergütung abzuziehen (Abs. 5). § 84 SGB XI ‚Bemessungsgrundsätze‘ geht einen Schritt weiter und gestaltet den mit § 82 SGB XI begründeten Anspruch gegenüber den Kostenträgern inhaltlich aus. Mitunter werden die Leistungen festgelegt, die in Bezug auf die pflegerische Versorgung vergütet werden (§ 82 Abs. 4 SGB XI). Weiterhin gilt § 84 Abs. 2 SGB XI als entscheidende Regelung auf die zu verhandelnde Pflegesatzhöhe bzw. -erhöhung. Zudem werden weitere wichtige Punkte, z. B. zur personellen Ausstattung, zur verbindlichen Vergütung der Mitarbeiter:innen und zur Vergütung zusätzlicher Betreuungsleistungen nach § 43b SGB XI, aufgegriffen. Eine zentrale Aussage ist in § 84 Abs. 2 S. 1 SGB XI verankert: „Pflegesätze müssen leistungsgerecht sein.“ Die Einteilung erfolgt hierbei nach dem Versorgungsaufwand, den Pflegebedürftige nach Art und Schwere ihrer Pflegebedürftigkeit benötigen, entsprechend den Pflegegraden 1 bis 5. Davon abgeleitet ist der so genannte Einrichtungseinheitliche Eigenanteil (EEE) für die Pflegegrade 2 bis 5 zu ermitteln. Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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außerklinische Intensivpflege nach § 37c des Fünften Buches besteht, die medizinische Behandlungspflege. Für Unterkunft und Verpflegung bei stationärer Pflege hat der Pflegebedürftige selbst aufzukommen.

Für die Praxis ergeben sich zudem wertvolle Orientierungshilfen und Argumentationsstützen, die Träger von Pflegeeinrichtungen im laufenden Verhandlungsverfahren gut unterbringen können, z. B. in § 84 Abs. 2 S. 4 SGB XI mit „Die Pflegesätze müssen einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen unter Berücksichtigung einer angemessenen Vergütung ihres Unternehmerrisikos.“ Und in § 84 Abs. 2 S. 5 SGB XI mit „Die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen kann dabei nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden.“ Wichtig hierbei ist auch, dass Überschüsse in der stationären Pflegeeinrichtung verbleiben, aber auch Verluste von ihr zu tragen sind. Trotz einer möglichen Überschusserzielung sind Träger von Pflegeeinrichtungen dazu angehalten regelmäßig (in Vergütungsverhandlungen) ihre angefallenen Kosten (transparent) nachzuweisen, was für darauffolgende Pflegesatzzeiträume ebenso eine Minderung einzelner Kostensätze nach sich ziehen kann. D. h., auf einen Überschuss in dem einen Jahr kann ein Fehlbetrag aufgrund verschlechterter Refinanzierungsvoraussetzungen im darauffolgenden Jahr folgen. Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität gemäß § 71 SGB V muss dabei durchgängig beachtet werden. Ein externer Vergleich ist vorgesehen und kann für Träger von Pflegeeinrichtungen in laufenden Verhandlungen sowohl vorteil- als auch nachteilhaft ausgelegt werden, sofern sich aus dem Vergleich z. B. deutliche Abweichungen in einzelnen Kostenpositionen ergeben (§ 84 Abs. 2 S. 9 SGB XI). Weiterhin sind die Pflegesätze nach einheitlichen Grundsätzen zu bemessen, wobei eine Differenzierung nach Kostenträgern nicht zulässig ist (§ 84 Abs. 3 SGB XI). Träger von Pflegeeinrichtungen sind zudem verpflichtet, mit der vereinbarten personellen Ausstattung die Versorgung der Pflegebedürftigen jederzeit sicherzustellen. Sie haben bei Personalengpässen oder -ausfällen durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die Versorgung der Pflegebedürftigen nicht beeinträchtigt wird (§ 84 Abs. 6 S. 1-2 SGB XI). Aus dem gleichen Absatz begründet sich auch der so genannte Personal-Soll-/Ist-Abgleich, wie in § 84 Abs. 6 S. 3 SGB XI festgeschrieben: „Auf Verlangen einer Vertragspartei hat der Träger der Einrichtung in einem Personalabgleich nachzuweisen, dass die vereinbarte Personalausstattung tatsächlich bereitgestellt und bestimmungsgemäß eingesetzt wird.“ Nähere Bestimmungen zur Durchführung enthält § 75 Abs. 1 - 2 SGB XI. In der Fassung des § 84 SGB XI wurde Abs. 7 überarbeitet, Abs. 7a hingegen wurde neu eingefügt (Stand: 31.01.2022). Die überarbeiteten bzw. neuen Inhalte sind Resultat der jüngsten Pflegereform, sie enthalten u. a. „Der Träger der Einrichtung ist ab dem 1. September 2022 verpflichtet, die bei der Vereinbarung der Pflegesätze zugrunde

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gelegte Bezahlung der Gehälter nach § 82c Absatz 1 oder der Entlohnung nach § 82c Absatz 2 jederzeit einzuhalten und auf Verlangen einer Vertragspartei nachzuweisen.“ (§ 84 Abs. 7 S. 1 SGB XI) und weiterhin „Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen legt in Richtlinien bis zum 1. Juli 2022 das Nähere zur Durchführung des Nachweises nach Satz 1 fest.“ (§ 84 Abs. 7 S. 3 SGB XI). Der im Zusammenhang mit der Refinanzierung von pflegebedingten Aufwendungen stehende neue Abs. 7a ist aber der bestimmende und wohl meistdiskutierte Absatz: „Der Träger der Einrichtung ist verpflichtet, im Falle einer Vereinbarung der Pflegesätze auf Grundlage der Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen sowie entsprechender Vergütungen nach kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, die entsprechende Bezahlung der Beschäftigten jederzeit einzuhalten.“ (§ 84 Abs. 7a S. 1 SGB XI). In § 84 Abs. 9 SGB XI werden die Vergütungszuschläge für zusätzlich vorgehaltenes Pflegehilfskraftpersonal dem Träger von Pflegeeinrichtungen unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen gestattet. Der zusätzliche Absatz ist ein Resultat des Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetzes (GPVG) und soll(te) weitere bis zu 20.000 zusätzliche Stellen für Pflegehilfskräfte in der Altenpflege finanzieren. In einer vorherigen (Teil-)Reformierung durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) wurden bereits finanzielle Mittel für bis zu 13.000 zusätzliche Stellen für Pflegefachkräfte in der Altenpflege gewährt. Inwieweit und wie die durch das GPVG und/oder PpSG zusätzlich zur Verfügung gestellten Personalmengen (bzw. deren Finanzierung) über die in der Pflegesatzvereinbarung ausgewiesene Personalmenge hinaus in künftigen Vergütungsverhandlungen Berücksichtigung finden, soll mitunter die Veröffentlichung von Umsetzungshilfen Mitte 2022 klären. Eine personalmengenmäßige Schlechterstellung schließt der Gesetzgeber aber entschieden aus (§ 113 Abs. 2 Nr. 1-3 SGB XI). Der Gesetzestext zu § 84 SGB XI wurde in den beiden vergangenen Jahren 2020 und 2021 mehrfach aktualisiert. Die entscheidenden Änderungen sind in 2021 erfolgt, bei der insbesondere der Paragraf um Abs. 9 (Inkrafttreten: 01.01.2021) und Abs. 7a erweitert und in Abs. 7 inhaltlich überarbeitet wurde (Inkrafttreten: 20.07.2021). Weiterhin müssen die „Spielregeln“ der monatlichen Heimabrechnung verstanden werden. §  87a SGB XI ‚Berechnung und Zahlung des Heimentgelts‘ gibt vor, dass alle Heimentgelt-Bestandteile mit Ausnahme des Vergütungszuschlages nach § 43b SGB XI und sonstigen Zusatzleistungen pro Berechnungstag abgerechnet werden dürfen. Hierbei erfolgt auch eine Bewertung von Ein- und Auszugs- und Verlegungstagen sowie von Abwesenheitstagen, wobei letztere in Landesrahmenvereinbarungen nach § 75 SGB XI noch einmal konkret erwähnt werden. Der Ausweis von An- und Abwesenheitstagen und die daraus resultierende Belegungs- und Abwesen-

heitsquote sind häufig durch vorzulegende Unterlagen oder Berechnungen vor oder während eines laufenden Verhandlungsverfahrens einzureichen oder nachzuweisen. Zusätzlich werden in §  87a Abs. 2 SGB XI weitere Abrechnungsregelungen im Fall einer (möglichen) Höherstufung getroffen. Der Absatz beinhaltet außerdem Rückzahlungsverpflichtungen, sofern Pflegeeinrichtungen vorab Leistungen für höhere Pflegegrade den Pflegebedürftigen in Rechnung stellen, der erhöhte Pflegebedarf jedoch nicht vom Medizinischen Dienst bestätigt werden kann. Weiterhin enthält Abs. 3 die Regelung zur Abtretung der an die Heimbewohner:innen durch die Pflegekassen zu entrichtenden Leistungsbeiträge, die nach dem heimseitigen Bestätigungsschreiben zur Aufnahme und dem ebenfalls bestätigenden Leistungsbescheid der jeweils zuständigen Pflegekasse direkt an die Pflegeeinrichtung gehen. Abs. 4 enthält abschließend Regelungen bei einer erfolgreichen Rückstufung von Pflegebedürftigen über einen Mindestzeitraum von 6 Monaten. Der Erfolg pflegerischer bzw. „aktivierender oder rehabilitativer“ Maßnahmen wird durch eine Prämienzahlung i. H. v. 2.952 € honoriert.

2.3.1 Pflegeleistungen Der stets mit jeder stationären Pflegeeinrichtung individuell vereinbarte Pflegesatz ist per definitionem das Entgelt einer Heimbewohner:in bzw. der zuständigen Kostenträger für die erbrachten voll- oder teilstationären Pflegeleistungen einer Pflegeeinrichtung (§ 84 Abs. 1 SGB XI). Der Pflegesatz beinhaltet außerdem Leistungen der sozialen Betreuung sowie die medizinische Behandlungspflege. Hierbei dürfen keine Aufwendungen enthalten sein, die nicht im Rahmen der Finanzierungszuständigkeit der Sozialen Pflegeversicherung liegen (vgl. Krahmer, Plantholz, 2018). Ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen: Das Aufführen der Inkontinenzpauschale (Bereitstellung von Einmalunterlagen) auf der monatlichen Rechnung ist kein Bestandteil des Pflegesatzes. Die Pauschale wird durch die Bewohner selbst getragen, wobei die Möglichkeit einer Zuzahlungsbefreiung durch die Pflegekasse besteht und nur ein geringer Eigenanteil geleistet werden muss. Leistungen der stationären Pflege werden über die Soziale Pflegeversicherung nur dann abgedeckt, wenn die entsprechende Pflegeeinrichtung zugelassen ist. Nicht zugelassene Pflegeeinrichtungen können hiervon abweichend mit ihren Bewohner:innen alternative Vereinbarungen treffen (vgl. hierzu die Rechtsvorschrift des § 91 SGB XI über Kostenerstattung). Nach § 84 Abs. 4 S. 1 SGB XI decken die Pflegesätze alle für die Versorgung der pflegebedürftigen Person nach Art und Schwere ihrer Pflegebedürftigkeit erforderlichen, allgemeinen Pflegeleistungen der Pflegeeinrichtung ab. Außerdem dürfen die

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2.3.2  Unterkunft und Verpflegung Ein weiterer Bestandteil des Pflegesatzes ist das Entgelt für Unterkunft und Verpflegung. Beide Bestandteile werden gemäß § 87 SGB XI separat vereinbart. Hierbei soll zwischen der Leistung der Pflegeeinrichtung und dem Entgelt ein angemessenes Ver3

BVerwG, Urteil v. 01.12.1998 – 5 C 17.97 – BVerwGE 108, 47 = RsDE 42, 96

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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ausschließlich nach §§ 85 oder 86 SGB XI vereinbarten bzw. festgesetzten Pflegesätze für die allgemeinen Pflegeleistungen berechnet werden. Auch hier gilt die Möglichkeit, sobald die Vereinbarung des Pflegesatzes die obere Grenze der Pflegeversicherung in ihrer Höhe überschreitet, dass die Pflegeeinrichtung den Differenzbetrag den Heimbewohnern oder dem zuständigen Sozialhilfeträger in Rechnung stellt. Des Weiteren werden Pflegeeinrichtungen nicht dazu genötigt, die Pflegeleistungen unterhalb der Gestehungskosten anzubieten. Gemäß den Bemessungsgrundsätzen in § 84 Abs. 2 bis 6 SGB XI sind die vereinbarten Pflegesätze für alle Heimbewohner:innen der Pflegeeinrichtung einheitlich zu bemessen. Eine Differenzierung nach Kostenträgern ist hierbei unzulässig (§ 84 Abs. 3 SGB XI). In Abs. 1 des gleichen Paragrafen wird außerdem von leistungsgerechten Pflegesätzen gesprochen, d. h. diese müssen sich auch an den zur Deckung des benötigten Versorgungsaufwandes erbrachten Leistungen orientieren. Die Refinanzierung angefallener Aufwendungen und die Erfüllung des Versorgungsauftrages bei wirtschaftlicher Betriebsführung müssen durch die Vergütung der Pflegekassen in Höhe der Pflegesätze denkbar sein. Wirtschaftlich bedeutet dabei die günstige Zweck-Mittel-Relation i. S. eines angemessenen und ausgewogenen Verhältnisses zwischen angebotenen Leistungen und den hierfür geforderten Entgelten3. Die Angemessenheit der Vergütungen baut auf zwei wesentliche Prüfungen: Zum einen wird die Plausibilität der Kostenentstehung überprüft und zum anderen wird ein externer Vergleich mit lokal angrenzenden Pflegeeinrichtungen anderer Träger nach § 84 Abs. S. 7 SGB XI vorgenommen (siehe BR-Drs. 718/07, S. 169). Die Zahlung ortsüblicher Gehälter und die Berücksichtigung tariflicher Erhöhungen ist u. a. in § 72 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI enthalten. Eine gesonderte Behandlung erfährt die ehrenamtliche Unterstützung, die insbesondere bei freigemeinnützigen bzw. caritativen und/oder kirchlichen Trägern von Pflegeeinrichtungen einen hohen Stellenwert hat. In einigen Bundesländern werden Ausgaben für das Ehrenamt in der Pflegesatzkalkulation als separate Kostenposition ausgewiesen. Hierbei gilt zu prüfen, ob das länderindividuelle Kalkulationsschema einen solchen Kostenausweis verlangt, oder ob anfallende Kosten über die gängige Kostenposition Betreuungsbedarf o. Ä. mit aufgenommen werden müssen. Eine ausführliche Beschreibung ist in § 82b SGB XI ‚Ehrenamtliche Unterstützung‘ enthalten.

hältnis bestehen (§ 87 S. 2 SGB XI). Ein erneutes Beispiel aus Nordrhein-Westfalen: Nach § 3 Abs. 1 und 2 des bereits am 01.10.1999 in Kraft getretenen Rahmenvertrages gemäß § 75 Abs. 1 SGB XI zur Kurzzeitpflege und vollstationären Pflege des Landes Nordrhein-Westfalen beinhaltet das Entgelt die Speise- und Getränkeversorgung, Wäscheversorgung, Ver- und Entsorgung (Energie, Wasser, Abfälle), Gebäude- und Wohnungsreinigung sowie Gemeinschaftsveranstaltungen (vgl. Griep, Renn, 2012, S. 226). Diese Entgelte für so genannte Hotelleistungen („Hotelkosten“) werden durch die pflegebedürftigen Bewohner:innen und/oder den zuständigen Sozialhilfeträger entrichtet. Davon abzugrenzen sind weitere bewohnerindividuell angefallene (Extra-)Kosten. Dies können u.  a. angebotene Service-Leistungen der Pflegeeinrichtung sein, die nicht im Pflegesatz enthalten sind. Telefonanschlüsse können beispielsweise über die Einrichtung selbst angemeldet sein, wobei die Kosten auf die Bewohner:innen monatlich umgelegt werden. Auch Kooperationen mit externen Dienstleistern im Bereich der Wäschereinigung können – unter der Bedingung, dass es sich um eine chemische Sonderreinigung handelt – auf die Bewohner:in umgelegt werden, da diese nicht dem eigentlichen Tätigkeitsschwerpunkt entsprechen. Die Pflegeeinrichtung darf selbst entscheiden, ob etwaige Service-Leistungen, wie z. B. das wöchentliche Angebot einer Podologin/eines Podologen über die medizinische Fußpflege hinaus, im Pflegesatz mit inbegriffen sind und nicht zusätzlich in Rechnung gestellt werden. Die Möglichkeit durch zusätzliche Angebote auf dem Pflegemarkt konkurrenzfähig zu bleiben, wird jedoch durch die wirtschaftliche Situation einer Pflegeeinrichtung weitestgehend bestimmt und stark eingeschränkt.

2.3.3 Investitionskosten(-förderung) § 82 Abs. 2 SGB XI bestimmt, welche Aufwendungen von der Kalkulation des Pflegesatzes ausgeschlossen sind. Dennoch ist die gesonderte Berechnung der Kosten für diese Aufwendungen und die monatliche Umlage als so genannte Investitionskosten auf die einzelnen Bewohner:innen zur langfristigen Erhaltung des Geschäftsbetriebes unabdingbar (§ 82 Abs. 3 und 4 SGB XI). Kosten für Investitionen sind von den Trägern der Pflegeeinrichtungen aufzuwenden, um beispielsweise die für den Betrieb der Einrichtung notwendigen Gebäude zu errichten oder instand zu halten, im Mietverhältnis fällige Mieten und Pachten zu finanzieren, vorhandenes Kapital zu verzinsen und ggfs. Unternehmergewinn zu erwirtschaften. Hiernach können nicht nach dem bestehenden Landesrecht (ausreichend) geförderte Pflegeeinrichtungen ihre betriebsbedingten Investitionsaufwendungen der Heimbe24

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wohner:in zusätzlich in Rechnung stellen. Betriebsbedingte Investitionsaufwendungen werden in § 82 Abs. 2 SGB XI katalogisiert:

Nach Maßgabe des § 82 SGB XI werden Pflegeeinrichtungen nach den Förderungsgrundsätzen in den Abs. 3 und 4 unterschieden. Einerseits gibt es Einrichtungen, die eine öffentliche Förderung nach § 9 SGB XI erhalten (haben), andererseits solche, die nicht nach Landesrecht gefördert werden. Zu unterscheiden sind zwei Formen der Investitionskostenförderung: Die institutionelle Objektförderung und die personenbezogene Subjektförderung. Bei einer Objektförderung wird die Pflegeeinrichtung gezielt in geplanten Investitionsmaßnahmen (Neubau, Modernisierung) gefördert. Träger von Pflegeeinrichtungen erhalten solche Zuwendungen direkt. Des Weiteren muss man zwischen einer vor- sowie nachschüssigen Förderung differenzieren: Erstere bezieht sich auf die Anzahl geplanter Pflegemöglichkeiten, wobei letztere von der tatsächlichen Nutzung der Pflegemöglichkeiten abhängig ist. Bei der Subjektförderung ist der in einer stationären Pflegeeinrichtung wohnhafte Pflegebedürftige, an den die Förderung (mit Ausnahme des Pflegewohngeldes) unmittelbar ausgezahlt wird, Gegenstand der Betrachtung. Beispielsweise werden Zuwendungen, die bewohnerbezogen und einkommensorientiert sind, direkt an stationäre Pflegeeinrichtungen ausgezahlt („Pflegewohngeld“) (vgl. Frye, 2013, S. 72 – 74). Hierbei handelt es sich um eine Subjektförderung, da das Pflegewohngeld einen geleisteten einkommensabhängigen Aufwendungszuschuss darstellt, der die Sozialhilfebedürftigkeit des Pflegebedürftigen verhindern soll. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat sich zum Beispiel vor einigen Jahren gegen die Methodik der Objektförderung entschieden.

2.3.4 Ausbildungsumlage(-n) Im Sektor der stationären Altenhilfe werden, anders als in den meisten anderen Branchen, die Ausbildungskosten des künftigen Pflegepersonals auf die einzelnen Bewohner:innen einer Pflegeeinrichtung umgelegt (§ 82a SGB XI). PflegeeinrichtunPflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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• Maßnahmen zur Herstellung, Anschaffung, Wiederbeschaffung, Ergänzung, Instandhaltung und Instandsetzung von für den Betrieb einer stationären Pflegeeinrichtung notwendigen Anlagegütern • Kapitalkosten (Eigen- und Fremdkapital) abzüglich Verzinsung • Miete, Pacht, Erbbauzins, Nutzung oder Mitnutzung von Grundstücken, Gebäuden oder sonstigen Anlagegütern • Anlauf oder innerbetriebliche Umstellung von Pflegeeinrichtungen • Schließung von Pflegeeinrichtungen oder ihre Umstellung auf andere Aufgaben.

gen, die nicht als Ausbildungsbetrieb geführt werden, können jedoch ausgebildetes Personal der ausbildenden Pflegeeinrichtungen abwerben und somit gegebenenfalls günstiger sein. Pflegeeinrichtungen, die ausbilden, sind entsprechend teurer als die, die dies nicht tun. Um dem entgegenzuwirken, haben bisher verschiedene Bundesländer, darunter auch Nordrhein-Westfalen, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Kosten aller Auszubildenden in der Pflege auf alle Bewohner:innen von Pflegeeinrichtungen im gesamten Bundesland umzulegen. Dazu zahlen alle gleichermaßen einen vom Bundesland festgelegten Betrag in einen Ausbildungsfonds ein, aus dem die Ausbildungen refinanziert werden sollen. Die Umlagesystematik ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich (komplex) geregelt. Mit der Einführung der generalistischen Pflegeausbildung in 2020 sind nun z. B. das Altenpflegegesetz in Nordrhein-Westfalen zum 31.12.2019 und viele weitere landesrechtlich geregelte Ausbildungsumlagen außer Kraft getreten. Es kann also zu einem zwischenzeitlichen Ausweis zweier Umlagen auf der Heimabrechnung kommen, da Auszubildende in der Pflege eventuell noch nach altem, auslaufendem Landesverfahren oder bereits nach neuem, bundesweitem Verfahren umgelegt werden. Über den bundesweit einheitlich geregelten Ausbildungsfonds werden die Kosten für die theoretische und praktische Ausbildung sowie die Ausbildungsvergütung refinanziert. Durch das nun ebenfalls einheitlich geregelte Umlageverfahren werden ausbildende und nicht ausbildende (Pflege-)Einrichtungen gleichermaßen zur Finanzierung herangezogen. Dies löst den landesindividuellen Ausbildungsfonds-„Wirrwarr“ ab. Die gewonnenen Mittel aus dem Ausbildungsfonds gemäß § 33 PflBG erhalten die Bildungs- und Pflegeeinrichtungen, in denen Pflegekräfte theoretisch und praktisch ausgebildet werden. Dazu werden regelmäßig, sprich: jährlich, Pauschalbudgets vereinbart. Hierfür sind für die Pflegeschulen und die Träger der praktischen Ausbildung getrennte, aber landesweit geltende Pauschalen zu vereinbaren, die die jeweiligen Ausbildungskosten pro Personalfall berücksichtigen. Die Kosten der Ausbildungsvergütung sind dabei nicht pauschalierungsfähig. Weiterhin davon abzugrenzen sind die zu erbringenden Finanzierungsmittel für die landesrechtlich entschiedene Ausbildung von Pflegehilfskräften. Die in dem Rahmen anfallenden Kosten sind nicht Bestandteil der Generalistik-Umlage. In vielen Bundesländern galten eigene Melde- oder Nachweispflichten, da nach bisher geltendem Landesrecht die Personalkosten für Auszubildende teilweise über die Personalbudgets im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen ausgehandelt bzw. kompensiert wurden. Die Vermischung der ursprünglich getrennten Finanzierungstöpfe wird aufgrund der Ablöse des Landes- durch das Bundesrecht in den kommen-

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2.3.5  Vergütungszuschlag nach § 43b Alle Bewohner:innen in (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen erhalten nach §  43b SGB XI ‚Inhalt der Leistung‘ zusätzliche Betreuungsleistungen. Der Inhalt des Gesetzestextes lautet wie folgt: Pflegebedürftige in stationären Pflegeeinrichtungen haben nach Maßgabe von § 84 Absatz 8 und § 85 Absatz 8 Anspruch auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung, die über die nach Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit notwendige Versorgung hinausgeht. Für pflegebedürftige Personen bedeutet dies, dass sie einen Anspruch auf zusätzliche Betreuung und Aktivierung haben. Dazu werden in allererster Linie zusätzliche Betreuungskräfte mit einem entsprechenden § 43b-Qualifikationsnachweis eingestellt. Zu den alltäglichen Hilfestellungen, die unter den zusätzlichen Betreuungsleistungen zu verstehen sind, zählen auch kreative Aktivitäten oder Bewegungsangebote. Der Umfang des Anspruchs und der anzubietenden Leistungen sowie der Verhandlungsablauf richten sich nach den § 84 Abs. 8 SGB XI und § 85 Abs. 8 SGB XI. Dabei soll zu jedem Zeitpunkt der Inanspruchnahme auf die individuelle Verfassung und die tagesaktuelle Gesundheit der Bewohner:innen Rücksicht genommen werden. Weiterhin interessant ist der bundesweit geltende Personalschlüssel von 1:20, der aber nur als Orientierungshilfe dient, von der abgewichen werden kann. Ebenso müssen die zu erbringenden Leistungen aus dem eigenen Personalbestand erfolgen, d. h. das Personal muss sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein. Der Einsatz von Fremddienstleistungspersonal ist somit nicht gestattet. Die vorauszusetzende Qualifikation der zusätzlichen Betreuungskräfte ist in der Richtlinie (Fassung vom 23.11.2016) gemäß § 53b SGB XI ‚Richtlinien zur Qualifikation und zu den Aufgaben zusätzlicher Betreuungskräfte‘ festgehalten. Die zusätzlichen Betreuungsleistungen werden durch die (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen mit den jeweiligen Pflegekassen taggenau abgerechnet. Der Betrag wird auf der Heimabrechnung unter den erbrachten Leistungen aufgeführt, aber bei den pflegekasseseitigen Erstattungen gegengerechnet.

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

den 2 bis 3 Jahren herauswachsen. Dadurch wird die Komplexität in den betroffenen Bundesländern wieder abnehmen. § 82a SGB XI wurde trotz der Einführung der „Generalistik“ nicht angepasst. Die Fassung bleibt seit der letztmaligen Änderung aufgrund des Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) vom 28.05.2008 (BGBl. I S. 874), in Kraft getreten am 01.07.2008, weiterhin unberührt.

Die Vergütungszuschläge nach § 43b SGB XI werden i. d. R. parallel zu den Vergütungsverhandlungen für die allgemeinen Pflegeleistungen sowie Unterkunft und Verpflegung verhandelt. Hierbei handelt es sich um eine separate Vergütungsverhandlung. Sowohl entsprechende Personal- als auch Sachkostenpositionen sollten separat gebucht bzw. abgebildet werden, um einen (verhandlungssicheren) getrennten Ausweis zu ermöglichen und Kostenvermischungen zu vermeiden. Der Kostenausweis kann dabei über die Kostenarten- und/oder Kostenstellen-Ebene erfolgen. Die Antragstellung könnte separat erfolgen und hat dementsprechend auch eigene Fristberechnungen (6-Wochen-Frist gilt hierbei ebenfalls). Die gelebte Praxis tendiert aber eher zu einer zeitgleichen Antragstellung.

2.4  Landesrahmenverträge nach § 75 SGB XI Landesrahmenverträge dienen als Grundlage für die Ausgestaltung und Sicherstellung der pflegerischen Versorgung im Bereich der Altenhilfe. Hierbei werden insbesondere die Inhalte der Pflegeleistungen, die Bedingungen der Pflege und die Grundsätze der personellen Ausstattung geregelt. Die gesetzliche Grundlage dazu ist § 75 SGB XI. Die vertragliche Gestaltung wird durch § 75 Abs. 2 SGB XI geregelt. Ein Rahmenvertrag sollte somit die in § 75 Abs. 2 Nr. 1-11 SGB XI aufgeführten Inhalte überwiegend aufweisen (siehe dazu Abbildung 4 auf der gegenüberliegenden Seite). Bezugnehmend auf die Pflegesatzverhandlungen gibt vor allem § 75 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI darüber Aufschluss, dass Bundesländer in ihren jeweiligen Landesrahmenverträgen eine Abgrenzung zwischen den allgemeinen Pflegeleistungen, den Leistungen bei Unterkunft und Verpflegung und den Zusatzleistungen schaffen sollten. Je nach Regelung wird dabei festgelegt, welchem Leistungsbereich – in der Kostenrechnung auch als Kostenträger bezeichnet und abgebildet – die anfallenden Aufwendungen zugeordnet und in einem Pflegesatzverhandlungsverfahren eingebracht werden können. Die Zuordnung der Kosten entscheidet über die Höhe der kalkulierten oder vereinbarten Pflegesätze und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung. Häufig auftretendes Beispiel ist die Verteilung der Energiekosten auf den Bereich der allgemeine Pflegeleistungen sowie Unterkunft und Verpflegung. Energie in Form von (warmem) Wasser oder Strom wird mitunter für die Durchführung von körpernahen Pflegemaßnahmen (z. B. Körperwäsche, Verwendung von Hebe- oder Umsetzhilfen) verbraucht und damit dem Leistungsbereich allgemeine Pflegeleistungen zugeordnet.

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Inhalt

Nr. 1

Abgrenzung zwischen den allgemeinen Pflegeleistungen, den Leistungen bei Unterkunft und Verpflegung und den Zusatzleistungen

Nr. 2 u. 5

Vertragliche Bedingungen, z. B. zur Kostenübernahme und HeimentgeltAbrechnung, Abwesenheitsregelungen bzw. Abschläge von der Pflegevergütung bei vorübergehender Abwesenheit durch Krankenhausaufenthalt oder Urlaub

Nr. 3

Personelle und sachliche Ausstattung

Nr. 4

Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Pflege

Nr. 6

Zugang des medizinischen Dienstes und sonstiger von den Pflegekassen beauftragter Prüfer

Nr. 7

Verfahrens- und Prüfungsgrundsätze für Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfungen

Nr. 8

Grundsätze zur Festlegung einer flächendeckenden – und insbesondere bürger- und ortsnahen- pflegerischen Versorgung nach Einzugsbereichen

Nr. 9

Ehrenamtliche Unterstützungsleistungen

Nr. 10

Verfahrens- und Prüfungsgrundsätze für die Zahlung einer ortsüblichen Vergütung an die Beschäftigten nach § 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XI

Nr. 11

Anforderungen an die nach § 85 Abs. 3 SGB XI geeigneten Nachweise bei den Vergütungsverhandlungen

Abbildung 4: Inhalte des § 75 Abs. 2 Nr. 1-11 SGB XI

Eine eindeutige Verbrauchszuordnung ist jedoch kaum umsetzbar, da der Energieverbrauch sowohl betriebswirtschaftlich (z. B. durch Abbildung auf bestimmten Sachkonten) als auch organisatorisch (z. B. durch Messzähler für Pflege- oder Allgemein- bzw. Gemeinschaftsbereiche) nur sehr unspezifisch oder pauschal erfolgen kann. Heiz- oder sonstige Energiekosten, die dementsprechend dem Leistungsbereich Unterkunft und Verpflegung zugeordnet werden können, sind von den Energiekosten des anderen Leistungsbereiches allgemeine Pflegeleistungen ausschließlich durch eine auf Länderebene zu treffende (eindeutige) Zuordnung abzugrenzen. Der jeweilige Landesrahmenvertrag nach § 75 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI legt im Verbund mit dem von der Landespflegekommission erarbeiteten Kalkulations- bzw. Antragsformular fest, in welcher Größenordnung die unter beiden Leistungsbereichen definierten Kosten dem jeweiligen Vergütungsbereich zuzuordnen sind.

Kostenposition

Konten- kalkuliergruppe ter Betrag

je Berechnungstag

Pflegesatzbereich

Wasser, Energie, Brennstoffe

67

4,50 €

50%

160.965 €

Pflege

Unterkunft 80.483 € 25%

Verpflegung

40.241 € 25%

40.241 €

Abbildung 5: Zuordnung von Kostenposition ‚Energiekosten‘ zu Leistungsbereichen (Mustereinrichtung mit 100 Pflegeplätzen, 98%-Auslastung) Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

§ 75 Abs. 2 SGB XI

Im überwiegenden Teil der Bundesländer werden die kalkulierten oder vereinbarten Energiekosten zur Hälfte über die Pflegesätze refinanziert, zur anderen Hälfte über die Vergütung für Unterkunft und Verpflegung. Häufig wird der Vergütungsbereich Unterkunft und Verpflegung aufgrund des getrennten Ausweises in Preistabellen oder Vergleichsportalen in der dafür vorgesehenen Kalkulation ebenfalls aufgegliedert. Die gesetzliche Vorgabe sieht die Trennung jedoch auch vor. Dazu werden die verbliebenden 50% der kalkulierten Energiekosten (erneut) pauschal hälftig aufgeteilt. Durch die unterschiedliche Handhabung, auch andere Kostenpositionen betreffend, ist ein direkter Vergleich mit anderen Bundesländern ganz oder teilweise ausgeschlossen. Sofern ein Vergleich erfolgt, sind Kostenpositionen, die ansonsten unterschiedlich zugeordnet werden, gegebenenfalls auf der aggregierten Ebene, d. h. die Gesamtkosten je Kostenposition, zu bewerten. Der Umstand ließe somit einen Vergleich innerhalb eines Bundeslandes problemlos zu, einen direkten Ländervergleich der einzelnen Vergütungsbestandteile jedoch nicht. Träger von Pflegeeinrichtungen können oder müssen sich auf die rechnerische Aufteilung und festgelegte Zuordnung, die sich im Kalkulations- bzw. Antragsformular wiederfinden, verlassen. Die jeweilige Differenzierung der Vergütungsbereiche ist somit als Grundlage im jeweils geltenden Landesrahmenvertrag hinterlegt. Zusätzlich werden weitere Leistungen, die weder den Leistungen der allgemeinen Pflegevergütung noch den Entgelten für Unterkunft und Verpflegung zuzuschreiben sind, aufgeführt. Die Abgrenzung des Leistungsbereiches der Zusatzleistungen ist in § 88 SGB XI festgehalten. Der Grad der Differenzierung zwischen diesem und den beiden anderen Leistungsbereichen variiert dabei von Rahmenvertrag zu Rahmenvertrag. Hierbei wird definiert, welche Leistungen nicht über die soziale Pflegeversicherung, sondern direkt mit den Bewohner:innen abgerechnet werden müssen. Zuletzt legt die Mehrzahl der Landesrahmenverträge Personalmengen fest. Diese werden oftmals in Personalschlüsseln oder -korridoren für einzelne Personalgruppen ausgewiesen. Dabei ist die für die gesamte Bewohnerschaft einsetzbare bzw. vorzuhaltende Personalmenge auch nur über die im jeweiligen Landesrahmenvertrag definierte Personalmenge refinanzierbar. Zusätzlich eingestelltes Personal wird entweder über zwischenzeitlich zusätzliche Budgettöpfe (z. B. GPVG, PpSG) beantragt bzw. refinanziert oder wird aufgrund von ‚Unwirtschaftlichkeit‘ in der Pflegesatzverhandlung gestrichen und muss deshalb aus Eigenmitteln finanziell gestemmt werden. Die jeweils gültigen Landesrahmenvereinbarungen sind online einsehbar (z. B. unter dem Internetauftritt der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e.V./BIVA-Pflegeschutzbund). Bei Betrachtung der Daten der aktuellen Landesrahmenvereinbarungen aller stationären Angebote (teil- und vollstationäre Dauerpflege sowie Kurzzeitpflege) in allen

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

2.5  Pflegesatzverfahren nach § 85 SGB XI Der § 85 SGB XI regelt hauptsächlich das Verfahren zur Durchführung von Pflegesatzverhandlungen. Hierbei wird das so genannte Vereinbarungsprinzip begründet, nach dem Pflegeeinrichtungen in der Einzelverhandlung ihre individuelle Vergütung mit den Kostenträgern aushandeln. Weiterhin werden • Verfahrensteilnehmer (§ 85 Abs. 2 SGB XI), • Pflegesatzzeitraum (§ 85 Abs. 3 SGB XI), • Nachweispflichten (§ 85 Abs. 3 und 4 SGB XI), • Geltungsdauer (§ 85 Abs. 6 SGB XI), • Sondervorschriften für die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 85 Abs. 7 SGB XI), • Voraussetzungen für die Einschaltung der Schiedsstelle (§ 85 Abs. 5 SGB XI), • Regelungen zur zusätzlichen Betreuung nach § 43b (§ 85 Abs. 8 SGB XI) sowie • Regelungen zum extrabudgetären Pflegehilfskraftpersonal (§ 85 Abs. 9-11 SGB XI) definiert. Die wichtigsten Inhalte werden nachfolgend kurz zusammengefasst: Art, Höhe und Laufzeit der Pflegesätze Die Art, Höhe und Laufzeit der Pflegesätze werden zwischen dem Träger des Pflegeheims und den Leistungsträgern, also den Pflegekassen oder sonstigen Sozialversicherungsträgern, den für die Bewohner:innen des Pflegeheims zuständigen Trägern der Sozialhilfe sowie den Arbeitsgemeinschaften der vorab genannten Träger, vereinbart. Die Pflegesatzvereinbarung kommt durch Einigung zwischen dem Träger des Pflegeheims und der Mehrheit der vorab benannten Kostenträger zustande und ist schriftlich zu fassen. Nach Ablauf des Pflegesatzzeitraums gelten die vereinbarten Pflegesätze bis zum Inkrafttreten neuer Sätze weiter. Die Pflegesatzvereinbarung ist im Voraus (prospektiv) für einen zukünftigen Zeitraum abzuschließen. Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Bundesländern zeigt sich abermals die föderalistische Vielfalt (oder Eigenheit): Die Daten hinsichtlich des Inkrafttretens oder der letztausgeführten Änderungen in den Rahmenvereinbarungen erstrecken sich von 1995 bis 2020. Eine gleichwertige Behandlung der darin aufgeführten Inhalte, z. B. zur Personalausstattung, ist aufgrund der zahlreichen Reglementierungen (allein) auf Bundesebene und der stark wachsenden Marktdynamik zweifelsohne nicht möglich.

Nachweispflicht des Pflegeheims Das Pflegeheim ist verpflichtet Art, Inhalt, Umfang und Kosten der Leistungen, für die es eine Vergütung beansprucht, durch Pflegedokumentationen und andere geeignete Nachweise zu begründen. Sofern im Einzelfall zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit weitere Unterlagen bzw. Informationen vonnöten sind, muss das Pflegeheim diese auf Verlangen einer Vertragspartei vorlegen und entsprechende Auskünfte erteilen. Hierzu gehören auch pflegesatzerhebliche Angaben zum Jahresabschluss, zur personellen und sachlichen Ausstattung des Pflegeheims einschließlich der Kosten zur tatsächlichen Stellenbesetzung und Eingruppierung. Dabei sind insbesondere die in der Pflegesatzverhandlung geltend gemachten voraussichtlichen Personalkosten – einschließlich entsprechender Erhöhungen im Vergleich zum bisherigen Pflegesatzzeitraum – zu begründen. Stellungnahme der Interessenvertretung der Bewohner:innen Zu den vollständigen Antragsunterlagen gehört auch eine schriftliche Stellungnahme der Interessenvertretung der Bewohner:innen (Heimbeirat). Viele Pflegesatzverhandler:innen sehen einen Pflegesatzantrag erst dann als vollständig eingereicht an, wenn auch dieses Dokument fristgerecht übermittelt wurde. Erst bei Einreichung der vollständigen Antragsunterlagen, im Rahmen der schriftlichen Aufforderung, beginnt die 6-Wochen-Frist. 6-Wochen-Frist Sofern eine Pflegesatzvereinbarung nach schriftlicher Aufforderung einer der Vertragsparteien innerhalb von sechs Wochen nicht zustande kommt, werden die Pflegesätze auf Antrag einer der Parteien unverzüglich, in der Regel innerhalb von drei Monaten, von der Schiedsstelle nach § 76 SGB XI festgesetzt. Dies gilt auch für den Fall, dass der Träger der Sozialhilfe der Vereinbarung innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Vertragsschluss widerspricht. In der Praxis sollte der schriftliche Antrag also sechs Wochen vor dem gewünschten Laufzeitbeginn der Pflegesatzvereinbarung bei den zuständigen Verhandlungspartnern eingehen. Vorab sollte mit den Verhandlungspartnern abgeklärt werden, welche Unterlagen zu einem vollständigen Antrag gehören. Zudem sollte frühzeitig klar sein, ob der schriftliche Antrag fristgerecht per Post eingehen muss oder auch per E-Mail erfolgen kann. Ein rückwirkendes Inkrafttreten von Pflegesätzen ist nicht zulässig.

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

  PRAXISTIPP

Bei dieser Gelegenheit sollte direkt auch um die Übermittlung der aktuellsten Version der Antragsunterlagen gebeten werden.

2.5.1  Schiedsstelle (§ 76 SGB XI) Für jedes Bundesland bilden die Landesverbände der Pflegekassen und die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen gemeinsam eine Schiedsstelle. Diese besteht aus Vertreter:innen der Pflegekassen und Pflegeeinrichtungen in jeweils gleicher Zahl, einem unparteiischen Vorsitzenden sowie zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Neben der Rechtsgrundlage auf Bundesebene bestehen dazu auf Landesebene entsprechende Durchführungsverordnungen, die das Schiedsstellenverfahren detaillierter bestimmen. Die Schiedsstelle entscheidet über die ihr nach dem SGB XI zugewiesenen Angelegenheiten, wie z. B. beim Nichtzustandekommen einer Pflegesatzvereinbarung (vgl. § 85 SGB XI). Jedes Mitglied der Schiedsstelle hat eine Stimme. Sofern sich bei Entscheidungen keine Mehrheit findet, gibt die Stimme der/des Vorsitzenden den Ausschlag. Für Träger von Pflegeeinrichtungen ist wichtig zu wissen, dass die Beantragung der Durchführung eines Schiedsverfahrens auch innerhalb der 6-Wochen-Frist gem. § 85 Abs. 5 S. 1 SGB XI erfolgen kann, wenn abzusehen ist, dass beide Positionen dabei deutlich voneinander abweichen und ein für beide Seiten zu erreichender Verhandlungserfolg nicht in Aussicht steht. Die Schiedsstelle kann in solchen Fällen weitere Verzögerungen eher vermeiden und somit einen fließenden Übergang beider Pflegesatzzeiträume zusätzlich begünstigen.

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Bei der praktischen Umsetzung sollten alle Rahmenbedingungen des § 85 SGB XI überprüft werden. Zum einen, da diese regelmäßig angepasst werden und zum anderen, da diese Zusammenfassung nur die wichtigsten Punkte beinhaltet. Um Missverständnissen vorzubeugen, empfiehlt es sich, die aktuell geltenden Rahmenbedingungen vorab, am besten per E-Mail, bei dem/der zuständigen Verhandlungsführer:in der Pflegekassen zu erfragen: • Bis zu welchem Stichtag müssen die Unterlagen eingereicht werden, damit der Antrag als fristgerecht gestellt gilt? • Reicht der rechtzeitige Eingang einer E-Mail mit den vollständigen Antragsunterlagen aus, oder müssen diese auf dem Postweg eingereicht werden? • Welche Unterlagen müssen bis zu diesem Stichtag eingereicht werden, damit der Antrag als vollständig gilt?

Weiterhin wichtig ist die schriftliche Beantragung bei der jeweils genannten Schiedsstelle eines Bundeslandes. In dieser sind sowohl entsprechende Begründungen als auch weitere Unterlagen über unentschiedene Positionen zu liefern. Die Schiedsstelle muss dann unverzüglich bzw. innerhalb von 3 Monaten eine Entscheidung gefällt haben (§ 85 Abs. 5 S. 1 SGB XI). Die zügige Durchführung des Schiedsstellenverfahrens ist vor allem im Hinblick auf § 85 Abs. 6 S. 3 SGB XI von größerer Bedeutung, denn bis zum Inkrafttreten neuer Pflegesätze gelten die bisherigen auch dann weiter, wenn der Pflegesatzzeitraum bereits abgelaufen ist. § 85 Abs. 6 S. 1 SGB XI überlässt es außerdem den Verhandlungspartnern bzw. der Schiedsstelle selbst, den Zeitpunkt des Inkrafttretens festzulegen, dabei ist aber eine Festlegung eines zurückliegenden Zeitpunktes unzulässig (§ 85 Abs. 6 S. 2 SGB XI). D. h., das Rückwirkungsverbot in S. 2 gilt auch für Schiedsstellenentscheidungen. Dabei besteht die Verwechslungsgefahr, dass Pflegesatzvereinbarungen immer für einen zukünftigen Zeitraum festgelegt werden. Schiedsstellenentscheidungen jedoch wirken ab dem Zeitpunkt der Beantragung bzw. ab dem Zeitpunkt, wie er aus dem Schiedsspruch ersichtlich ist/wird. Achtung: Bei einer Entgelterhöhung, die das Ergebnis eines Schiedsspruches darstellt, ist die Regelung gemäß § 9 Abs. 2 WBVG zu beachten (Mitteilungsfrist gegenüber Bewohnerschaft). Das schiedsgerichtliche Verfahren (mit einem Verwaltungsgerichtsverfahren vergleichbar) wird mündlich durchgeführt. Dabei müssen insbesondere Träger von Pflegeeinrichtungen, die ein solches Verfahren beantragen, sehr gut vorbereitet sein. Die Vorarbeiten der Pflegesatzverhandlung müssen sich hier auszahlen, sie müssen „schiedsstellenfest“ sein. Dies betrifft insbesondere alle relevanten Inhalte, die in dem Pflegesatzverfahren ausgehandelt werden sollten (u. a. Pflegesatzhöhe, zugrundeliegende Kostenpositionen, Personalschlüssel, Minderungen gemäß § 115 Abs. 3 SGB XI etc.). Das Schiedsstellenverfahren läuft i. d. R. wie folgt ab: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Antragsaufnahme Zusammenfassung der Sachverhalte Stellungnahme der Verhandlungspartner Klärung offener Fragen der Schiedsstelle ggfs. Zwischenberatung Vergleichsschluss oder Schiedsspruch Verfahrensabschluss durch Zusendung des Protokolls und der schriftlichen Ausfertigung des Vergleichsschlusses bzw. Schiedsspruchs

Ist ein aus der Sicht der Antragsteller:innen nicht zufriedenstellender Schiedsspruch ergangen, kann hiergegen eine (Anfechtungs-)Klage erhoben werden. 34

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

2.5.2 Relevante Regelungen des Wohn- und Betreuungsvertragsgesetzes (WBVG)

  PRAXISTIPP In den meisten Fällen verfügen die Spitzenverbände der privaten sowie der gemeinnützigen Träger über geeignete und rechtssichere Vorlagen für Informationsschreiben nach § 9 WBVG, die von Juristen erstellt wurden.

2.5.3 Vergütungskürzung bei Nichteinhaltung der gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen gem. § 115 Abs. 3, 3a, 3b SGB XI Sofern die Pflegeeinrichtung ihre gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen, insbesondere ihre Verpflichtungen zu einer qualitätsgerechten Leistungserbringung aus dem Versorgungsvertrag (§ 72 SGB XI) ganz oder teilweise nicht einhält, sind entsprechend § 115 Abs. 3 SGB XI die vereinbarten Pflegevergütungen für die Dauer der Pflichtverletzung zu kürzen. Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) definiert die Rahmenbedingungen von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- oder Betreuungsleistungen. In § 9 werden die Vorgaben bezüglich einer Entgelterhöhung bei Änderung der Berechnungsgrundlage beschrieben. Demnach kann der/die Unternehmer:in eine Erhöhung des Entgelts verlangen, sofern sich die bisherige Berechnungsgrundlage verändert. Neben dem erhöhten Entgelt, muss auch die Erhöhung selbst angemessen sein. Der/Die Verbraucher:in muss die beabsichtigte Erhöhung jedoch nicht nur schriftlich mitgeteilt werden, sondern diese ist auch inhaltlich zu begründen. Zudem muss aus der Mitteilung ersichtlich sein, zu welchem Zeitpunkt die Erhöhung verlangt wird. Dabei muss die Begründung der Entgelterhöhung unter der Angabe des Umlagemaßstabes die Positionen benennen, für die sich durch die veränderte Berechnungsgrundlage Kostensteigerungen ergeben. Darüber hinaus müssen die bisherigen Entgeltbestandteile den neuen Entgeltbestandteilen gegenübergestellt werden. Der/Die Verbraucher:in schuldet das Entgelt frühestens vier Wochen nach Zugang des hinreichend begründeten Erhöhungsverlangens. Er/Sie hat das Recht, die Angaben des Unternehmers/der Unternehmerin durch Einsicht in die Kalkulationsunterlagen zu überprüfen. Darüber hinaus sind die in § 11 formulierten Voraussetzungen zur Kündigung durch den/die Verbraucher:in zu beachten, da entsprechend Abs. 1 S. 2 bei einer Erhöhung des Entgelts eine Kündigung jederzeit zu dem Zeitpunkt möglich ist, zu dem der/die Unternehmer:in die Erhöhung des Entgelts verlangt. Auch auf diesen Punkt sollte im Informationsschreiben hingewiesen werden.

Über die Höhe des Kürzungsbetrags ist zwischen den Vertragsparteien Einvernehmen anzustreben, ansonsten entscheidet auf Antrag einer Vertragspartei die Schiedsstelle nach § 76 SGB XI. Der vereinbarte oder festgesetzte Kürzungsbetrag ist von der Pflegeeinrichtung bis zur Höhe ihres Eigenanteils an die betroffenen Pflegebedürftigen und im Weiteren an die Pflegekassen zurückzuzahlen. Dabei wird eine Verletzung der Verpflichtungen gem. § 115 Abs. 3a SGB XI unwiderlegbar vermutet 1. bei einem planmäßigen und zielgerichteten Verstoß des Trägers der Einrichtung gegen seine Verpflichtung zur Einhaltung der nach § 84 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 vereinbarten Personalausstattung oder 2. bei nicht nur vorübergehenden Unterschreitungen der nach § 84 Abs. 5 S. 2 N. 2 vereinbarten Personalausstattung. Dies gilt auch bei Nichtbezahlung der nach § 84 Abs. 2 S. 5 beziehungsweise nach § 89 Abs. 1 S. 4 zugrunde gelegten Gehälter. In schwerwiegenden Fällen können die Landesverbände der Pflegekassen sogar gemeinsam den Versorgungsvertrag gemäß § 74 Abs. 1 kündigen. In der Praxis ist es deshalb unerlässlich, die vereinbarte Personalausstattung vorzuhalten, die verhandelten Durchschnittsgehälter zu zahlen und dies bei Bedarf nachweisen zu können!

  INFO Corona-Soforthilfen Ausgehend davon, dass die Corona-Pandemie weiterhin anhält und damit die Verlängerung bestehender und/oder Initiierung neuer Unterstützungspakete zur Folge hätte, müssten Träger von Pflegeeinrichtungen für den bereits ab März 2020 geltenden Übergangszeitraum bis zum Erlöschen dieser angebotenen Finanzierungshilfen hinsichtlich bevorstehender Pflegesatzverhandlungen ein besonderes Augenmerk auf die dafür gesonderten Regularien werfen. Denn neben der von den Trägern selbst zu erwartenden Liquiditätsverschlechterung aufgrund der Corona-Pandemie, wirken mögliche Rückzahlungsforderungen geleisteter Ausgleichszahlungen über den Pflege-Rettungsschirm nach § 150 SGB XI als drohendes Szenario in (un)mittelbar anstehenden Pflegesatzverhandlungsverfahren, nicht zuletzt durch die erhöhten Anforderungen an die Nachweispflicht der beantragten Mittel. Die zum Teil noch fragile Gesamtsituation durch die andauernde Verbreitung neuer Virusvarianten und damit einhergehend der Aufrechterhaltung der pandemischen Lage hatte mitunter bewirkt, dass der Pflege-Rettungsschirm nach § 150 SGB 36

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Eine weitere (Auf-)Klärungsnot wird nebst Pflege-Rettungsschirm nach § 150 SGB XI die mögliche Anwendungspflicht weiterer Unterstützungspakete, vor allem der Überbrückungshilfe IV (und der nachfolgenden verabschiedeten Unterstützungspakete), sein. Denn: Erstattungsfähige Positionen, die anderweitig finanziert werden, sind von der Antragstellung nach § 150 SGB XI abzugrenzen bzw. auszuschließen. Beispielsweise für bei Überbrückungshilfen IV ff. antragsberechtigte (Pflege)Unternehmen gilt die Nachrangigkeit des Pflege-Rettungsschirms, welcher von vielen Trägern von Pflegeeinrichtungen nicht selten vorrangig beansprucht wurde. Diese sind bei der Beantragung von Zuschüssen aus diesem Geldtopf verpflichtet, alle vorrangigen staatlichen Unterstützungsleistungen ausgeschöpft zu haben und sich auch im Nachhinein darum zu bemühen. Was erstattungsfähig ist, wird genau beschrieben. Überlappungen entstehen dabei am ehesten im Personalbereich und teilweise bei baulichen Maßnahmen zur Umsetzung des Hygiene- und Infektionsschutzkonzeptes. Deren Erstattungen sind im Antrags- oder im späteren Nachtragsverfahren des Pflege-Rettungsschirms als Einnahme anzeigepflichtig und können so dessen Erstattungshöhe (rückwirkend) verringern. Erstattungen der (schon längst gedanklich „abgeschriebenen“) Investitionskosten i. S. d. § 82 Abs. 3 SGB XI haben keine Auswirkungen auf den Antrag nach § 150 SGB XI, denn hierbei spielen sie keine Rolle. Und mit Blick von oben ergeben sich schlimmstenfalls weitere Überlappungen mit anderweitigen Finanzierungsmitteln, denn auch Versicherer prüfen derweil Leistungsansprüche abgeschlossener Betriebsschließungs-, -unterbrechungs- und -ausfallversicherungen ihrer versicherten (Pflege-)Unternehmen. Sofern sich im Zuge von nachgelagerten Nachweisverfahren durch die zuständige Pflegekasse ergeben sollte, dass vorrangige staatliche Unterstützungsleistungen nicht in Anspruch genommen wurden, behält sie sich die Möglichkeit vor, Zuschüsse durch den Pflege-Rettungsschirm zu kürzen oder zurückzufordern. In nachgelagerten Nachweisverfahren durch die Pflegekassen, z. B. bei der nächsten Pflegesatzverhandlung, müssen die corona-bedingten Belastungen und Mindereinnahmen klar dargestellt und von anderen regulären Effekten abgegrenzt werden können. Weiterhin ist zu prüfen, ob es zu etwaigen Überzahlungen nach § 150 Abs. 2 SGB XI gekommen ist. Diese Erfordernisse erhöhen die Komplexität aktueller und künftiger Verhandlungsverfahren deutlich. Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

XI immer wieder verlängert wurde. Der jeweils letztgültige Beschluss verlagert somit auch den Abschluss künftiger Nachweisverfahren, da vorläufige Auszahlungen erst als endgültig gelten, sobald Pflegekassen keine Rückerstattungen geltend gemacht haben bzw. eine endgültige Entscheidung über etwaige Erstattungsansprüche getroffen wurde.

  PRAXISTIPP zum COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz: • Überprüfung der Rechtmäßigkeit der im Rahmen der Antragstellung ausgewiesenen Mindereinnahmen und Mehrausgaben über die ausführliche und stets aktuell gehaltene FAQ des GKV-Spitzenverbandes zur Umsetzung der Kostenerstattungs-Festlegungen. • Überprüfung der konkreten Vorrangigkeit der Überbrückungshilfen I-IV ff. und anderweitiger Finanzierungsmittel. • Differenzierte Kostenzuordnung durch eindeutiges Kennzeichnen der anfallenden Kosten nach ihrer Zuordnung zu anderweitigen Erstattungsverfahren (KUG, IfSG, Corona-Soforthilfen, Versicherungsleistungen, etc.), gegebenenfalls mittels einer behelfsweisen Kostenträgerrechnung, um so Doppelfinanzierungen von Anfang an auszuschließen. Dadurch verschaffen sich Träger von Pflegeeinrichtungen zusätzlich Klarheit für die nächste Pflegesatzverhandlung. • Transparente Dokumentation für Nachweisverfahren: Jede 10. Pflegeeinrichtung wird von dem nachgelagerten Nachweisverfahren betroffen sein, so dass eine fortführende Dokumentation über das antragsbezogene Verfahren hinaus sinnstiftend ist. Dabei kann sogar eine Nachzahlungsverpflichtung seitens der Pflegekassen festgestellt werden, falls Träger von Pflegeeinrichtungen im Erlösbereich rückwirkende Abrechnungskorrekturen oder im Personal- und Sachkostenbereich Nachbuchungen nachweisen können. • Proaktive Nachbeantragung weiterer Unterstützungsleistungen: Der GKV-Spitzenverband weist entschieden darauf hin, dass Pflegeeinrichtungen über weitere Unterstützungsangebote informiert sein müssen – mit der gleichzeitigen Verpflichtung, diese auch zu beantragen und ausgewiesene Überkompensationen an zuständige Pflegekassen zurückzuerstatten. • Rückstellungsbildung und Wertberichtigungen: Aufgrund der Nachrangigkeit von Zuschüssen aus dem Pflege-Rettungsschirm sollten Sie in Erwägung ziehen, bestehende Unsicherheiten bzw. drohende Rückzahlungsverpflichtungen im jeweiligen Jahresabschluss per Rückstellungen oder Wertberichtigungen auf Forderungen präventiv abzubilden.

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

2.6 Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen

ambulant vor stationär Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff/Leistungserweiterung, EEE Nachweispflichten, Gewinnzuschlag Liberalisierung alternativer Wohnformen

Erste (große) Reformen

Reformen der jüngeren Vergangenheit

PNG, PSG 1

Blut- und Gewebegesetz

PSG 2

PpSG

PSG 3

GPVG

Diverse Landesheimgesetze

GVWG (heute)

Regresspflichten bzgl. vereinbarter Personalkosten in der Pflege Zusätzliche Stellen APH, direkt über SGB V und XI finanziert

Tarifpflicht, Mehrpersonalisierung, „Entlastung“ EEE

Abbildung 6: Dynamische gesetzliche Veränderungen in der Altenhilfe (2012 bis 2021)

2.6.1 Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung, auch Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) genannt, stellt neben den Pflegestärkungsgesetzen I-III in den Jahren 2015 bis 2017 die inhaltlich umfassendste Pflegereform der letzten Jahre dar, was zu einer Neu-Sortierung des Pflegemarktes führen wird. Die für die stationäre Pflege wichtigsten Regelungen des GVWG werden nachfolgend kurz vorgestellt.

2.6.1.1 Zuschlagszahlung der Pflegeversicherung zur Reduktion der Eigenanteile (§ 43c SGB XI) Der Eigenanteil an den pflegebedingten Aufwendungen der Pflegegrade 2 bis 5 wird zukünftig begrenzt. Deshalb zahlt die Pflegeversicherung ab dem 1. Januar 2022 Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Seit dem Jahr 2012 gab es mehrere Gesetzesreformen, die sich auf die Geschäftsmodelle der Altenhilfe ausgewirkt haben. Neben den Pflegestärkungsgesetzen als große Reformpakete beeinflussten weitere zum Teil kleinere Reformen die Pflegebranche. Die wesentlichen gesetzlichen Meilensteine und Reformen der jüngeren Vergangenheit sind in der der Abbildung 6 zusammengefasst.

einen über den nach Pflegegrad differenzierten Leistungsbetrag hinausgehenden Zuschlag. Der Zuschlagsbetrag steigt mit der Dauer der Pflege: Im ersten Jahr erhalten Pflegebedürftige einen Leistungszuschlag i. H. v. 5%, im zweiten Jahr 25%, im dritten Jahr 45% und danach 70%. In Anbetracht der überwiegend kurzen Verweildauern in den Pflegeheimen werden viele Bewohner:innen die zweite oder dritte Stufe gar nicht erleben.

2.6.1.2 Tarifliche Bezahlung als Zulassungsvoraussetzung zur Versorgung (§ 72 SGB XI) Ab dem 1. September 2022 dürfen Versorgungsverträge nur noch mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden, die ihre Mitarbeiter:innen im Pflege- und Betreuungsdienst entsprechend eines Tarifvertrags oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen vergüten. Der § 72 Abs. 3a und 3b gibt vor, dass Versorgungsverträge dann nur noch diejenigen Pflegeeinrichtungen erhalten, die entweder: 1. eine Entlohnung zahlen, die in Tarifverträgen oder kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen vereinbart ist, an die die jeweiligen Pflegeeinrichtungen gebunden sind (Abs. 3a) oder 2. eine Entlohnung zahlen, die die Höhe der Entlohnung eines Tarifvertrags nicht unterschreitet, dessen räumlicher, zeitlicher, fachlicher und persönlicher Geltungsbereich eröffnet ist oder die Höhe der Entlohnung eines Tarifvertrags nicht unterschreitet, dessen fachlicher Geltungsbereich mindestens eine andere Pflegeeinrichtung in der Region erfasst, in der die Pflegeeinrichtung betrieben wird, und dessen zeitlicher und persönlicher Geltungsbereich eröffnet ist (Abs. 3b). Alternativ können auch kirchliche Arbeitsrechtsregelungen anstelle des Tarifvertrags gesetzt werden (Abs. 3c). Am 24.01.2022 wurden die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zu den Verfahrens- und Prüfungsgrundsätzen zur Einhaltung der Vorgaben für Versorgungsverträge nach § 72 Absatz 3c veröffentlicht, mit denen definiert werden soll, welche Vergütung den Anforderungen des § 72 genügen und welche nicht. Demnach erfüllen die Einrichtungen explizit die Zulassungsvoraussetzungen, sofern sie an einen Tarifvertrag oder kirchliche Arbeitsrechtsregelungen gebunden sind (§  72 Abs. 3a). Eine Tarifbindung besteht, wenn der Träger einer Pflegeeinrichtung selbst oder durch die Vollmitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband Tarifvertragspartei ist. In einer Fußnote wird klargestellt, dass einseitig von einem Arbeitgeber oder einem Arbeitgeberverband formulierte Entgeltregelungen (einseitig festgelegte „Arbeitsvertragsrichtlinien“), Betriebsvereinbarungen, betriebliche Arbeits- und So-

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

zialordnungen oder Vereinbarungen von für nicht tariffähig erklärten Verbänden keine Tarifwerke i.S. des § 72 Abs. 3a sind. Für alle nicht tarifvertraglich gebundenen Einrichtungen und Träger gilt, dass die Höhe der Entlohnung eines Tarifwerks nicht unterschritten wird, dessen räumlicher, zeitlicher, fachlicher und persönlicher Geltungsbereich eröffnet ist oder die Höhe der Entlohnung eines Tarifvertragswerks nicht unterschreitet, dessen fachlicher Geltungsbereich mindestens eine andere Pflegeeinrichtung in der Region erfasst, in der die Pflegeeinrichtung tätig ist (§ 72 Abs. 3b). Dieser regionale Bezug ist insbesondere für das Finden eines Vergleichstarifs von elementarer Bedeutung. Laut der Richtlinie des GKV-Spitzenverbands wird als Region das Bundesland festgelegt, in dem sich die Einrichtung befindet. Die Länder haben jedoch die Möglichkeit, separate Regelungen zur Definition der Vergleichsregion einzubringen. Der jeweilige Regionsbezug sowie die Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Personalaufwendungen wird ergänzend in der Richtlinie des GKV-Spitzenverbands nach § 82c Absatz 4 SGB XI vom 24.01.2022 geregelt. Für die Vergleichbarkeit der angewendeten arbeitsvertraglichen Richtlinien von nicht tarifgebundenen Trägern werden die Entgeltbestandteile herangezogen, die auch für eine Tarifüberleitung heranzuziehen sind. Im Rahmen der künftigen Pflegesatzverhandlung muss somit differenziert geprüft werden, wo sich der Personalaufwand eines nicht tarifgebundenen Trägers im Hinblick auf die Vergleichsregion befindet. In dem Vergleich werden die grundständigen Vergütungskomponenten sowie die sogenannten pflegetypischen Zuschläge berücksichtigt. Für die Tarifkonformität ist somit als Untergrenze wichtig, welche Tarife in der Region anerkannt werden, um sich hieran orientieren zu können. Es wird von elementarer Bedeutung sein, welche Vergütungen hinsichtlich des § 72 Abs. 3a und b anerkannt werden. Vermutlich wird diese „Tarifpflicht“ dazu führen, dass viele zum Jahreswechsel 2021/2022 nicht tarifgebundene Träger ihre Vergütung anheben müssen. Um diese Kostensteigerung aufzufangen, werden teilweise recht deutliche Sprünge bei den Pflegesätzen notwendig sein – nicht selten im zweistelligen Prozentbereich. In Abhängigkeit von der zukünftigen anerkennungsfähigen tariflichen Untergrenze für eine Bezahlung innerhalb der Regionen sind demnach unterschiedlich starke Preissprünge einzelner Einrichtungen zu erwarten. Insgesamt passiert eine preisliche Angleichung aller Anbieter an die Pflegesätze der kirchlichen bzw. tarifgebundenen Träger. Auch eine Obergrenze ist zu beachten: Für die Anerkennung der Wirtschaftlichkeit von Personalaufwendungen ist zudem zu berücksichtigen, dass Personalaufwendungen als nicht wirtschaftlich angesehen werden, sofern sie 10 % über den Vergleichstarifen einer Region liegen. Diese Regelung gilt nur für nicht tarifgebundene Einrichtungen. Für tarifgebundene oder an kirchliche Arbeitsregelungen gebundene

Pflegeeinrichtungen und die daraus resultierende Bezahlung von Gehältern gilt, dass diese nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden können (vgl. SGB XI §82c). Diese Voraussetzungen gelten auch für Bestandseinrichtungen, die bereits über einen Versorgungsvertrag verfügen. Ein Nachweis über deren Vorliegen muss von den Pflegeeinrichtungen erbracht werden.

2.6.1.3 Vollständige Refinanzierung der Bezahlung nach Tarif (§ 82c SGB XI) Seit dem dritten Pflegestärkungsgesetz im Jahr 2017 darf die Bezahlung von Gehältern nach tarifvertraglichen oder an kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen gebundenen Regelungen nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Die Bezahlung nach Tarif wird also vollständig refinanziert. Für Einrichtungen, die nicht tarifgebunden sind, wird eine Refinanzierung bis zur Höhe von 10  % über dem Durchschnitt der regional geltenden Tariflöhne gewährleistet.

2.6.1.4 Einführung bundeseinheitliche Personalschlüssel und neues Personalbemessungsverfahren (§ 113c SGB XI) Ab dem 1. Juli 2023 werden in den stationären Pflegeeinrichtungen bundeseinheitliche Personalanhaltszahlen für das Pflege- und Betreuungspersonal vorgegeben und ein neues Personalbemessungsverfahren eingeführt. Dabei wird als neues Element nach Hilfskraftpersonal ohne Ausbildung, Hilfskraftpersonal mit einjähriger Ausbildung und Fachkraftpersonal unterschieden, wobei jeder dieser Gruppen eigene, pflegegradabhängig unterschiedlich gewichtete Anhaltswerte zugeordnet sind. Hiermit wird der Personalbedarf für jede Einrichtung individuell – anhand der jeweiligen Bewohnerstruktur – ermittelt. Einrichtungen, die eine Personalausstattung vereinbart haben, die über die Höchstgrenzen hinausgeht, genießen einen Besitzstandsschutz, sofern die vereinbarte personelle Ausstattung auch tatsächlich vorgehalten wird.

2.6.2 Auswirkungen der Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen auf zukünftige Pflegesatz­ verhandlungen Die durch das GVWG veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen werden einen starken Einfluss auf zukünftige Pflegesatzverhandlungen haben. Um eine auskömmliche Finanzierung für eine stationäre Pflegeeinrichtung sicherstellen zu können, müssen Pflegeeinrichtungen die verbliebenen Handlungsspielräume kennen und diese optimal adressieren. Im Vergleich zu bisherigen Pflegesatzverhandlungen wird ein Umdenken erforderlich sein. 42

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

In der Regel gibt es drei Methoden, um neue Entgelte mit dem Kostenträger zu vereinbaren:

Im Vorfeld einer anstehenden Pflegesatzverhandlung ist es von außerordentlicher Wichtigkeit, für die eigene Einrichtung und die aktuelle Situation die passende Verhandlungsform auszusuchen, mit der das beste Ergebnis erzielt werden kann. Die Entscheidung fällt vielen Einrichtungsträgern schwer, da neben der gesetzlichen Dynamik noch viele weitere Faktoren in diese Entscheidung einzubeziehen sind. Die wesentlichen Aspekte, die es hierbei zu berücksichtigen gilt, sind in der nachstehenden Abbildung 7 enthalten.

Marktsituation (regional)

Unterstützung Betriebsrat

Tarifentwicklung/ -pflicht

Risiken/ Wagnis

Wettbewerb

Datenqualität

Gesetzl. Entwicklungen

Kostensteigerungen/ Inflation Zumutbarkeit für Bewohner

Individuelle Pflegesatzverhandlungen

Pauschale Erhöhung (in der Regel von Kassen angeboten)

Abbildung 7: Entscheidungsgrundlagen für eine Verhandlungsstrategie

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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2  Rechtliche Rahmenbedingungen

• Die pauschale Fortschreibung, bei der die alten Verhandlungsergebnisse um einen – zumeist von der Pflegekasse vorgeschlagenen –  %-Satz gesteigert werden. (Praxistipp: Auch der von der Pflegekasse zunächst vorgeschlagene prozentuale Steigerungswert kann in Einzelfällen noch verhandelt werden.) • Die Teil-Pauschale-Verhandlung, bei der ein Teil des Budgets, z. B. die Sachkosten, pauschal fortgeschrieben wird und ein anderer Teil, z. B. die Personalkosten, individuell verhandelt wird. • Die Einzel- oder Individualverhandlung, bei der alle Budgetbestandteile zur Ermittlung der Pflegesätze mit den Verhandlungspartnern auf Basis von Einzelkostennachweisen vereinbart werden.

Einige aus betriebswirtschaftlicher Managementperspektive wesentliche Aspekte, die in den Entscheidungsfindungsprozess für oder gegen eine individuelle Pflegesatzverhandlung einbezogen werden sollen, sind in der Abbildung enthalten. Hierzu zählt, insbesondere für private Träger, die Einführung der Tarifpflicht ab September 2022. In vielen Fällen bedeutet die Einführung einer Tarifvergütung auf Höhe des TVöD einen sehr deutlichen Personalkostenanstieg, der kaum durch pauschale Pflegesatzerhöhungen aufzufangen ist. Teilweise sind hierzu zweistellige Prozentzuwächse notwendig. Für alle bereits an Tarife oder arbeitsvertragliche, kirchliche Richtlinien gebundenen Träger, sind u. a. die Inflation und damit verbundene Preissteigerungen sowie die gesetzlichen Novellierungen der vergangenen Jahre wichtige Faktoren für die Entscheidungsfindung, ob eine individuelle Pflegesatzverhandlung angestrebt werden sollte. Die Berücksichtigung von Risiko- und Wagnisaufschlägen ist als weiterer elementarer Aspekt in die Entscheidung für eine Verhandlungsform einzubeziehen. Insgesamt haben sich die zahlreichen gesetzlichen Veränderungen der vergangenen Jahre teils massiv auf die Geschäfts- und Renditemodelle der stationären Altenhilfe in Deutschland ausgewirkt. Eine sozialwirtschaftsadäquate Rendite kann meist nur noch erzielt werden, wenn die einzelnen Entgeltbestandteile konsequent einzeln verhandelt werden. Die ehemals häufig angewendete Praxis der Pauschalverhandlung, die von vielen Einrichtungen und Kostenträgern wegen des geringeren Aufwandes präferiert wird, wird in Zukunft in vielen Fällen zu keinen auskömmlichen Pflegesätzen führen, da wesentliche Elemente, die insbesondere aus der letzten gesetzlichen Veränderung resultieren, in der Vergangenheit nicht enthalten waren und deshalb in der pauschalen Fortschreibung nicht berücksichtigt werden können. Somit wird die komplette stationäre Pflege in die Einzel- bzw. Individualverhandlung gehen müssen, um den aus dem GVWG resultierenden neuen Anforderungen gerecht zu werden zu. Die wesentlichen Inhalte der Pflegereform 2021 wurden in Kapitel 2.6.1 benannt. Im Rahmen der folgenden Ausführungen sollen nun die wesentlichen Einflussgrößen aufgenommen werden, die für die Entgelte relevant sind. Trotz der Bezuschussung der pflegebedingten Eigenanteile, deren zweite oder dritte Stufe viele Bewohner:innen in Anbetracht der überwiegend kurzen Verweildauern in den Pflegeheimen gar nicht erleben werden, kommt es insgesamt zu einer deutlichen Netto-Mehrbelastung durch das GVWG, spätestens ab Juli 2023 nach Einführung der bundeseinheitlichen Personalschlüssel. Die pflegebedingten Eigenanteile für die Bewohner:innen und deren Angehörige werden sich in den meisten Fällen, abhängig von Einrichtung und Bundesland, deutlich erhöhen. Die nachstehend beschriebenen Faktoren sind für diese Entwicklung maßgeblich:

44

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Die beiden letztgenannten Punkte sind in der nachstehenden Abbildung 8 zusammenfassend verdeutlicht.

§ 85 SGB XI

50%

§ 92c SGB XI

50%

% 100

§ 8 (6) SGB XI § 8 (6a) SGB XI

100%

Nicht EEE-relevant

50% 50%

§ 84 (8) SGB XI

Personalmengenbestimmung Die Personalmengenbestimmung folgt auch zukünftig der bekannten Grundlogik. Zentrale Erkenntnisse des Rothgang-Gutachtens werden umgesetzt. Belegungsabhängig Personalmengenbestimmung je Qualifikationsbereich:

Hilfskräfte ohne anerkannte Ausbildung

Hilfskräfte mit einjähriger Ausbildung

Fachkräfte

PG 1= 1: 11,47 / 17,73 / 12,99 PG 2= 1: 8,32 / 14,81 / 9,64 PG 3= 1: 6,90 / 9,31 / 6,45 PG 4= 1: 6,15 / 7,08 / 4,06 PG 5= 1: 5,69 / 9,07 / 2,60 ∑ aller PG= neue Gesamtpersonalmenge

Abbildung 8: Auswirkungen neuer Personalschlüssel in der Pflege Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

45

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

• Einführung der Tarifpflicht ab September 2022. • Einführung von bundeseinheitlichen Personalschlüsseln ab Juli 2023 und Integration des PpSG- und GPVG-Zusatzpersonals in den Personalschlüssel bzw. die -kennziffern. Damit verbunden ist der Wegfall der direkten Refinanzierung dieses Personals durch die Pflegeversicherung, also außerhalb der Einrichtungseinheitlichen Eigenanteile, und die Integration dieses zusätzlichen Aufwands in den EEE – zu Lasten der Bewohner:innen. • Einführung einer dritten Qualifikationsgruppe zur Leistungserbringung in der stationären Pflege – den einjährig-examinierten Pflegekräften.

Insbesondere die Integration von bisher nicht über den EEE refinanzierten Stellenanteilen spielt für die Netto-Mehrbelastung eine wesentliche Rolle. Die Integration dieser Faktoren in die Personalschlüssel bzw. -kennziffern werden auf absehbare Zeit zu dem bereits genannten Preisanstieg in der stationären Pflege führen, da das zusätzliche Personal zukünftig auch von den Bewohnern zu bezahlen ist, unabhängig davon, ob die Mitarbeiter:innen nach Tarif bezahlt werden oder nicht. Die Bundesländer sind hiervon, in Abhängigkeit von den landesindividuell angewendeten Personalschlüsseln, unterschiedlich stark betroffen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass eine preisliche Nivellierung am Markt stattfinden wird. Am Beispiel einiger Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen werden die wesentlichen Entwicklungen auf private, bisher nicht tarifgebundene Träger und freigemeinnützige, tarifgebundene Träger aufgezeigt, siehe dazu die nachstehenden Abbildung 9. Durch die Effekte der Reformen und Reformschritte der Vergangenheit werden individuelle Pflegesatzverhandlungen in Zukunft immer komplizierter werden. Denn nicht nur die Pflegeeinrichtungen kämpfen um eine möglichst optimale Refinanzierung, auch die Sozialhilfeträger werden versuchen ihre Interessen durchzusetzen. Schließlich sind auch sie von jeder Pflegesatzsteigerung unmittelbar betroffen, übernehmen sie doch die Kosten für die Bewohner:innen, die den Heimaufenthalt nicht aus eigenen Mitteln bezahlen können. Ein weiterer Aspekt: Das Verhandlungsgeschehen wird vor allen Dingen durch verbesserte Einsichtmöglichkeiten der Kostenträger im Bereich der Personalkosten immer transparenter und deren Verhandlungsposition noch weiter gestärkt. Die An-

Tarifpflicht

Mehrpersonalisierung

3.000 € 3.000 € 2.500 € 2.000 € 1.500 €

2.510 € Invest 650 € U+V 1000 €

1.000 € EEE 860 €

2.750 € Invest 650 € U+V 1000 € EEE 1100 €

Invest 650 € U+V 1000 € EEE 1350 €

2021 Ab Sep 2022 Ab Jul 2023 Private Träger ohne Tarifbindung

Tarifpflicht

Mehrpersonalisierung

2.850 €

2.850 €

Invest 450 €

Invest 450 €

U+V 1100 €

U+V 1100 €

EEE 1300 €

EEE 1300 €

3.100 € Invest 450 € U+V 1100 €

Anheben private Träger auf AVR-bpa Niveau!

EEE 1560 €

2021 Ab Sep 2022 Ab Jul 2023 Freigemeinnützige Träger mit Tarifbindung

Abbildung 9: Beispielhafte Auswirkungen der Pflegereform auf Einrichtungen in NRW

46

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

47

2  Rechtliche Rahmenbedingungen

forderungen an die Vorbereitung einer Verhandlung steigen gegenüber früher deutlich. Um sich als Pflegeeinrichtung erfolgreich behaupten zu können, müssen zum einen die Antragsunterlagen alle zu refinanzierenden Kosten beinhalten sowie stimmig und nachweissicher sein. Zum anderen müssen die Träger eine Verhandlungsstrategie aufsetzen und durch Nachweise belegbar machen, die sich auch gegen die („Totschlag“) Argumente der Kostenträger, wie z. B. dem vielfach bemühten externen Vergleich, durchsetzen lässt. Resümierend bleibt festzuhalten, dass die gesetzlichen Entwicklungen bis zur Pflegereform 2021 die Situation für die Durchführung von Einzelverhandlungen nahezu unumgänglich macht, da eine Fortschreibung zwangsweise zu strukturellen Defiziten führen wird. Für die Träger ohne Tarifbindung muss schon im Jahr 2022 ein großer Sprung bei den Pflegesätzen zur Kompensation der Tarifpflicht erfolgen. Für die Träger mit Tarifen muss (in den meisten Bundesländern) spätestens im Jahr 2023 mit Einführung der einheitlichen Personalschlüssel ein deutlicher Anstieg der Pflegesätze verhandelt werden.

3 Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung

Das Geschäftsmodell der stationären Pflege ist geprägt von den umfangreichen Regularien und nach den letzten Reformen reduzierten Gewinnerzielungsmöglichkeiten. Einen Gewinn erzielen bzw. das unternehmerische Risiko abfangen kann man nur, wenn diese Regularien genaustens auf die eigenen Gegebenheiten analysiert und die verbliebenen Spielräume ausgenutzt werden. Die Refinanzierungsbestandteile in der stationären Pflege sind die Tagesentgelte für … • … Investitionskostenerstattung • … Unterkunft • … Verpflegung • … Pflege Diese einzelnen Entgeltbestandteile sind in der folgenden Abbildung 10 dargestellt, mit den wesentlichen übergeordneten Erkenntnissen zum Geschäftsmodell. Eine Berücksichtigung von bundeslandindividuellen Regelungen kann hier nicht erfolgen. Operativer Bereich Investitionskostenerstattung

Unterkunft

Verpflegung

Pflege

U&V

Klar vorgegebenes Betriebskonzept mit vorhandenen Steuerungsmöglichkeiten

Abbildung 10: Entgeltbestandteile der stationären Pflege im Status quo

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

49

3  Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung

3.1  Das Geschäftsmodell der stationären Pflege

Die Struktur der Entgeltbestandteile und das dahinterliegende Geschäftsmodell geben ein klares Betriebsmodell vor mit eindeutig identifizierbaren Stellschrauben. Gleichwohl ist die Pflegesatzverhandlung neben der Steuerung des operativen Leistungsbetriebes der elementare Faktor für den späteren wirtschaftlich erfolgreichen operativen Geschäftsbetrieb. Aufgrund des volatilen gesetzlichen Umfeldes und den ständig wechselnden Anforderungen wird der Individualverhandlung in Zukunft eine tragende Rolle zukommen.

3.2  Das Grundprinzip der Pflegesatzverhandlungen Im Rahmen der Vorbereitung der Pflegesatzverhandlung werden auf Basis einer geplanten Belegung für den prospektiven Vereinbarungszeitraum sowohl die Personal- als auch die Sach- und Betriebsaufwendungen ermittelt. Hierbei gibt es jeweils bundeslandindividuelle Regelungen, welche Auslastung der Einrichtung anzunehmen ist und wie die Kosten auf die einzelnen Entgeltsätze aufzuteilen sind. Die beiden nachstehenden Tabellen sollen diese Aufteilung der einzelnen Kostenarten auf die beiden Refinanzierungssäulen Pflege und Unterkunft und Verpflegung verdeutlichen. Zu beachten ist hierbei, dass die Trennung bundeslandindividuell abweichen kann und deshalb angepasst werden muss. Der pflegebedingte Anteil führt nach Abzug der Pflegekassenerstattung zum Einrichtungseinheitlichen Eigenanteil (EEE). Diese grundlegende Systematik ist in allen Bundesländern gleich und in der nachstehenden Abbildung 11 illustriert. Lediglich die Aufteilung zwischen Pflege und U&V variiert zwischen den Bundesländern. Für eine erfolgreiche und gute Vorbereitung der Pflegesatzverhandlung und die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Pflege- und U&V-Sätze ist es unerlässlich, sich intensiv mit den bundeslandindividuellen Parametern auseinanderzusetzen. Personalkosten

Variabilität

Pflege

U&V

Leitung/Unternehmerlohn

Fix – Platzzahlbezug

50%

50%

Verwaltung (ohne Pförtner)

Fix – Platzzahlbezug

50%

50%

Pforte

Fix – Platzzahlbezug

50%

50%

Hausmeister:in

Fix – Platzzahlbezug

50%

50%

Pflegedienst (3 jährig examiniert)

Variabel - Personalschlüssel

100%

Pflegedienst (Hilfskräfte)

Variabel - Personalschlüssel

100%

Betreuungsdienst (ohne § 43b)

Variabel - Personalschlüssel

100%

Hauswirtschaft, Küche usw.

Variabel - Personalschlüssel

50%

50%

Sonstiges Personal

Fix – Platzzahlbezug

50%

50%

Abbildung 11: Beispielzuordnung von Personalkostenarten

50

3  Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung

Sachkosten

Variabilität

Pflege

U&V

Lebensmittel

Variabel

Wasser, Energie, Brennstoffe

Teilvariabel

Wirtschaftsbedarf

Variabel

100%

Gebäudereinigung

Fix

100%

Wäschereinigung

Teilvariabel

100%

Medizinisch-Pflegerischer Bedarf

Variabel

100%

Verwaltungsbedarf

Fix

50%

50%

Steuern, Abgaben, Versich.

Fix

50%

50%

100% 50%

50%

3  Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung

Abbildung 12: Beispielzuordnung von Sachkostenarten

Altenheim Belegungsstruktur (Auslastung und Pflegegradstruktur)

platzzahlbezogen

U&V Gesamtkosten

platzzahlbezogen platzzahlbezogen belegungsbezogen teilw. belegungsbezogen

Einrichtungseinheitlicher Eigenanteil

Betriebskonzept der stationären Altenhilfe ➔ Zentraler Gestaltungsspielraum ist die Pflegesatzverhandlung Abbildung 13: Schematisches, vereinfachtes Betriebs- und Refinanzierungskonzept

3.2.1 Die Belegungsstrukturplanung in der Pflegesatzkalkulation Die prospektiv anzunehmende Belegung und Belegungs- bzw. Pflegegradstruktur der stationären Pflege hat eine wesentliche strategische Bedeutung für die Pflegesatzkalkulation (Vorbereitung der Verhandlung) und die Verhandlungen selbst. Insbesondere vor dem Hintergrund der bundeseinheitlichen Personalschlüssel, die durch die Pflegereform ab 2023 gelten werden, kommt der Belegungsstruktur eine nochmals wichtigere Bedeutung zu. Durch die Belegungsstruktur und die damit verbundenen Personalschlüssel wird die gesamte Pflegepersonalmenge determiniert, die FachPflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

51

kraftquote von 50 % bleibt hiervon zunächst unberührt. Zukünftig wird sich die Fachkraftquote durch die drei einzeln definierten Personalschlüssel für Fachkräfte, Hilfskräfte und einjährig ausgebildete Pfleger ergeben und je nach Pflegegradverteilung der Bewohner von 50 % recht deutlich abweichen. Um zu verstehen, welche Bedeutung die Pflegegradstruktur auf die Wirtschaftlichkeit der Pflegeeinrichtung hat, muss die Umstellung auf den Einheitlichen Eigenanteil im Zuge des zweiten Pflegestärkungsgesetzes näher betrachtet werden: Die Personalmengen resultierten im Refinanzierungssystem vor den Pflegestärkungsgesetzen aus festen bundesland- oder einrichtungsindividuellen Personalschlüsseln je Pflegestufe. Die Pflegestufenstruktur hat somit die Personalmenge in den stationären Einrichtungen und die finanzielle Spreizung zwischen den Pflegesätzen vorgegeben. Die von den Bewohnern zu entrichtenden Eigenanteile ergaben sich durch Abzug der Pflegekassenerstattung und standen in direktem Bezug zu den Personalschlüsseln. Die finanzielle Spreizung der Pflegesätze aufgrund der Personalschlüssel entsprach exakt der Spreizung der zu entrichtenden Eigenanteile der Bewohner:innen. Es war ein geschlossenes System, bei dem jeder Bewohner durch seinen Pflegesatz das für ihn per Personalschlüssel vorgesehene Personal refinanziert hat. Jedoch ist zu beachten, dass seit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz und der Überleitung von Pflegestufen in Pflegegrade dieses in sich geschlossene System, aus dem direkt die notwendigen Anforderungen für eine wirtschaftliche Steuerung abgeleitet werden konnten, nicht mehr greift. Grundsätzlich bestimmt weiterhin die Pflegegradstruktur über Personalschlüssel die Personalmenge. Der große Unterschied ist die Einführung der Einrichtungseinheitlichen Eigenanteile, die dazu führt, dass jeder/jede Bewohner:in denselben Eigenanteil zu bezahlen hat – unabhängig davon, wie viel Personal der einzelne Pflegegrad mit seinen Personalschlüsseln festlegt. Im Grunde ist dadurch eine große Mischkalkulation entstanden, bei der einzelne Pflegegrade Deckungsbeiträge bringen und andere defizitär sind, auch wenn die Personalschlüssel exakt eingehalten werden. Liegt exakt die Pflegegradstruktur vor, die in der Pflegesatzverhandlung verwendet wurde, gleichen sich diese Deckungsbeiträge und Defizite i.S. der Mischkalkulation exakt aus. Bei Abweichungen von verhandelten Belegung funktioniert die Mischkalkulation nicht mehr und es können systembedingte Überschüsse oder Defizite entstehen. Vielen Trägern war und ist dieser Zusammenhang nicht klar. Eine differenzierte Analyse muss im Rahmen der Vorbereitung der Pflegesatzverhandlung durchgeführt werden, um dieser Herausforderung zu begegnen und entsprechend auf die Belegungsstruktur Einfluss nehmen zu können. In der folgenden Abbildung 14 auf der gegenüberliegenden Seite oben ist dieses Problem zusammengefasst dargestellt, mit

52

3  Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung

Altes System Pflegestufen-Struktur

Personalsteuerung im Rahmen der PSG Bestimmung

Pflegestufen-Struktur

Definiert in Kombination mit

3  Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung

Willkürliche PSG II-Personalschlüssel entkoppeln Erlös und Personalmenge

Definiert per Personalschlüssel Refinanziert

Personalmenge

Personalmenge

Refinanzierung und Definition der PM müssen deckungsgleich sein Personalmenge beeinflusst je Pflegestufe

Pflegestufen-Struktur Wirtschaftlich sinnvoll steuerndes System

Personalschlüssel Abgleich notwendig!

Gesamtbudget Pflege

Einrichtungseinheitlicher Eigenanteil Wirtschaftlich nicht sinnvoll steuerndes System, einrichtungsindividuelle Anpassungen sind unbedingt notwendig.

Abbildung 14: Änderungen der Personalsteuerungssystematik

den Auswirkungen auf die Personalsteuerung. Sie zeigt das vorhandene Steuerungsdilemma und die Auswirkungen der Pflegestärkungsgesetze auf die strategische Wichtigkeit der Pflegegrad- und Belegungsstruktur im Rahmen der Pflegesatzverhandlung. Auch nach Einführung der neuen einheitlichen Personalschlüssel in 2023 wird dieses systembedingte „Problem“ bestehen bleiben, da es weiterhin die Einrichtungseinheitlichen Eigenanteile geben wird, die der Logik einer Mischkalkulation folgen. Wie werden eigentlich Deckungsbeiträge je Pflegegrad berechnet? Durch die oben dargestellte Entkoppelung von Refinanzierung und Personalmenge sind die unterschiedlichen Pflegegrade je nach Einrichtungsstruktur und den zugrunde liegenden Schlüsseln in unterschiedlichem Maße kostendeckend oder defizitär. Um diese wesentliche Kennzahl, die sowohl für die Steuerung als auch für die Vorbereitung und Durchführung der Pflegesatzverhandlung von übergeordnetem strategischem Interesse ist, zu berechnen, ist wie folgt vorzugehen (jeweils einzeln je Pflegegrad) (siehe Seite 54, Abbildung 15).

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

53

Erlös Einrichtungseinheitlicher Eigenanteil + Erlös Pflegeversicherung - Anteil sonst. Aufwendungen (sonst. Personal-, Sachkosten, etc.) - Anteilige Personalkosten basierend auf Personalschlüsseln = Deckungsbeitrag Pflegegrad Abbildung 15: Berechnung Deckungsbeitrag je Pflegegrad Mischkalkulation der neuen Entgeltbestandteile 2.500

pos. DB neg. 1.729 DB

2.000 1.500 1.000

pos. DB 777

125

995

neg. DB

1.350

1.262

456

494

pos. DB 1.775

1.895

494

456

2.005

770

1.118

500 0

456

PG 1 Sonstige Aufwendungen

456

494

PG 2 PG 3 Personalkosten

EEE

456

494

PG 4 PG 5 Pflegeversicherungsbeitrag

Abbildung 16: Deckungsbeiträge und -lücken der Pflegegrade

Die Abbildung 16 zeigt diesen Effekt anhand einer Beispieleinrichtung. Es ist zu erkennen, dass die Pflegegrade einen unterschiedlichen Deckungsbeitrag aufweisen und entweder zu einem positiven oder negativen Ergebnis führen können. In Summe gleichen sich die positiven und negativen Deckungsbeiträge zur Stichtagsbetrachtung der Pflegesatzverhandlungskalkulation aus, solange exakt die verhandelte Belegung in der Einrichtung vorliegt. Bei einer Verschiebung der Pflegegradstruktur, die in der Realität kaum zu verhindern ist, entstehen systembedingte Defizite oder Überschüsse. Eine personalschlüsselgetreue Steuerung des Personals führt dann nicht mehr zu einem positiven Ergebnis, wenn eine Verlagerung der Pflegegrade hin zu jenen Pflegegraden erfolgt, die einen negativen Deckungsbeitrag generieren. Umgekehrt können durch den gleichen Effekt und gegenläufige Tendenzen in der Belegungsstruktur auch strukturelle Überdeckungen auftreten und die Ergebnissituation ungesteuert verbessern. Wie kann diesem Effekt begegnet werden? Durch eine bewusste prospektive Belegungsstrukturplanung in der Pflegesatzverhandlung kann dieser Effekt abgemildert werden, indem mehr Bewohner in Pflegegraden geplant werden, die defizitär 54

3  Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung

3.2.2 Berücksichtigung übergeordneter, strategischer Positionen in der Pflegesatzkalkulation Für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens ist es von übergeordneter Bedeutung, auch Positionen in der Pflegesatzkalkulation zu berücksichtigen, die nicht explizit im System benannt und einer festen Position im Kalkulationsschema zugeordnet sind. Hierzu ist es entscheidend, eine Strategie zu entwickeln, bei der alle Aspekte, die für die Refinanzierung einer stationären Altenhilfeeinrichtung wichtig sind, berücksichtigt werden. Die folgende, nicht vollständige Aufzählung soll einen Überblick über die relevanten Positionen des Personal- und Sachaufwands geben, die nicht explizit in den Kalkulationsschemata enthalten sind und dennoch in die Kalkulation einfließen müssen, um die gesamte Refinanzierung der Einrichtung zu sichern. Übergeordnete Aspekte, die dem Personalaufwand zuzurechnen sind: • anteilige Berücksichtigung des Personalaufwands für Vorstand, Geschäftsführung usw., • anteilige Berücksichtigung des Personalaufwands für zentrale Verwaltung (z. B. Buchhaltung, Personalverwaltung) und sonstige zentrale Funktionen, • Berücksichtigung von Mitarbeiterbindungs- und -akquisitionsmaßnahmen, • Berücksichtigung von Fort- und Weiterbildungskosten zur Gewährleistung der zukünftigen Personalmenge von einjährig examinierten Pflegekräften, Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

55

3  Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung

sind. Sofern dann in der Realität mehr Bewohner mit positiven Deckungsbeiträgen vorhanden sind, entsteht insgesamt ein systembedingter Überschuss. Für die Zukunft ist zu beachten, dass insbesondere der Einfluss auf die durch die Pflegereform festgelegten drei Qualifikationsgruppen in der Vorbereitung der Pflegesatzverhandlung eine wichtige Rolle für die Belegungsstrukturplanung spielen wird. Durch eine aktive Planung der Pflegegradstruktur wird neben dem Austarieren der positiven und negativen Deckungsbeiträge aktiv auf die Verteilung der Personalmenge innerhalb der Qualifikationsgruppen Einfluss genommen. Auch die Fachkraftquote wird dadurch bei unterschiedlichen Pflegegradmischungen variieren. Die resultierende Personalmenge wirkt sich außerdem auf die Einrichtungsund dahinterstehenden Pflegekonzepte aus. Auch mögliche Maßnahmen für Personalakquisition in den entsprechenden Gruppen sowie der Weiterqualifikation des Personals müssen aufgrund der Effekte aus der Belegungsstrukturplanung in die Pflegesatzkalkulation einfließen und auf der Aufwandsseite berücksichtigt werden, damit eine umfängliche Refinanzierung der einzelnen grundlegenden Bestandteile stattfinden kann.

• Berücksichtigung von Mitarbeitervertretungs- oder Betriebsratskosten, • … Übergeordnete Aspekte, die dem Sachaufwand zuzurechnen sind: • Berücksichtigung von zentralen Verwaltungsaufwendungen (z. B. Kosten der Geschäftsstelle, IT-Kosten, Software), • Berücksichtigung von Aufwendungen der Digitalisierung der Pflegeeinrichtungen, • Berücksichtigung weiterer IT-Kosten, die alleinstehend nicht in den Kalkulationsschemata angesetzt werden können, • Berücksichtigung sonstiger Sachaufwendungen, die ansonsten nicht im jeweiligen bundeslandindividuellen Kalkulationsraster angewendet berücksichtigt werden können (z. B. Rechts- und Beratungskosten, Jahresabschlusskosten), • … Insgesamt zeigt sich, dass der Durchdringung der landesindividuellen Kalkulationsschemata und der dahinterliegenden Berechnungslogik eine besondere Bedeutung zukommt. Neben diesem grundlegenden Verständnis sollen einleitend und abschließend die Chancen und Risiken sowie die Stärken und Schwächen des Geschäftsmodells der stationären Altenhilfe in Deutschland beleuchtet werden.

56

3  Grundprinzip der Pflegesatzverhandlung

4 Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Pflegesatzverhandlungen

Einhaltung und Beachtung von gesetzlichen und landesspezifischen Anforderungen Abbildung 17: Grundvorgehen vor einer Pflegesatzverhandlung

Die Vorkehrungen beinhalten neben der omnipräsenten Auseinandersetzung mit den jeweils geltenden bundes- und landesrechtlichen Anforderungen die ständige – und nicht nur zum Zwecke der Vorbereitung von Pflegesatzverhandlungen – Ist-Kostenanalyse des operativen Geschäftes. Sie ist deshalb so wichtig, weil auf dieser Auswertung (sowohl aus der Finanzbuchhaltung als auch der Kostenrechnung) alle weiteren Schritte fußen. Sie gibt z. B. Hinweise auf: • Fehlbuchungen oder Fehlzuordnungen • Fehlentwicklungen, z. B. Preis-, Mengen- oder Beschäftigungsabweichungen (Abweichungen der Produktivität einzelner Bereiche) • zu treffende Annahmen für prospektive Zeiträume Weiterhin dient sie ebenso als Grundlage für den Gemeinsamen Nachweis gemäß § 85 Abs. 3 SGB XI für weitere vor- oder nachgelagerte Nachweisverfahren, in dem die Personal- und Sachkostenentwicklung abzubilden ist. Davon abzulesen sind mögliche Kosten(fehl)entwicklungen, die auch Einfluss auf bevorstehende Pflegesatzzeiträume nehmen können. Sie sind entsprechend einzupreisen und im Verhandlungsfall stichhaltig zu begründen.

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

57

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Sobald Träger von Pflegeeinrichtungen zur Vergütungsverhandlung auffordern, sollte bis zu diesem Zeitpunkt eine gründliche Vorbereitung erfolgt sein. Dazu sind einige aufeinander aufbauende Vorkehrungen zu treffen, siehe dazu Abbildung 17.

Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Meinung der Kostenträger von der der Träger von Pflegeeinrichtungen in Pflegesatzverhandlungen hinsichtlich der getroffenen Annahmen zu Kostenentwicklungen abweichen kann. In der Praxis ist eher davon auszugehen, dass Annahmen von der anderen Verhandlungsseite nicht akzeptiert werden. Mithilfe einer oder mehrerer Simulationen der eigenen Pflegesatzkalkulation können die Auswirkungen im Vorhinein abgeschätzt werden. Die Vorbereitung unterschiedlicher Szenarien und/oder das Durchspielen verschiedener Annahmen hilft Verhandlungsführer:innen, Sicherheit im Umgang mit den eigenen Daten und Überzeugungskraft im laufenden Verhandlungsverfahren zu gewinnen. Damit wird auch das Fundament für einen der wichtigsten Bausteine der Pflegesatzverhandlung gelegt: Die Verhandlungsstrategie.

4.1 Bestandsaufnahme Der Gesamterfolg einer Pflegesatzverhandlung bemisst sich mitunter an jedem erreichten Zwischenerfolg einzelner Maßnahmen, die für das Führen eines Verhandlungsverfahrens notwendig sind. Die Schrittigkeit eines Pflegesatzverhandlungsverfahrens für eine Pflegeeinrichtung ist dabei grundlegend gleich. Sie kann aber je nach Konstellation (z. B. ist die antragstellende Pflegeeinrichtung trägerabhängig oder -unabhängig) auch davon abweichen. Insbesondere informationsgebende Träger können der Pflegeeinrichtung (zusätzlich) übergeordnet sein, d. h. der Betreiber der Pflegeeinrichtung stellt zwar formal die eine Verhandlungsseite dar, er/sie (z. B. eine caritative bzw. kirchliche Einrichtung) lässt sich aber häufig und gerne von seinem/ihren Dachverband als Verhandlungsführer:in vertreten, da hier Kompetenzen oftmals personell gebündelt sind. Das klärt die beiden Fragen, ‚Wer‘ als Verhandlungsführer:in auftritt und ‚Wo‘ die Inhalte aufbereitet werden, aber noch nicht, ‚Wie‘ dies schlussendlich erfolgen soll. Gemäß § 85 Abs. 3 SGB XI sind Träger von Pflegeeinrichtungen dazu verpflichtet, rechtzeitig vor Aufnahme des Verfahrens zur Pflegesatzverhandlung geeignete Nachweise bereitzustellen. Dies schließt die Bereitstellung der unterzeichneten Stellungnahme eines Gremiums oder der sonstigen Interessensvertreter der Bewohner:innen in stationären Pflegeeinrichtungen mit ein. Der (Heim-)Beirat hat bei jeder geplanten Entgelterhöhung das Recht auf Mitwirkung oder Einflussnahme. Das bedeutet mitunter, dass ihm im Vorfeld des Verhandlungsverfahrens die Gelegenheit geboten werden muss, sich mit den Ursachen oder Voraussetzungen der geplanten Erhöhung befassen zu können. Den Mitgliedern des Beirats müssen dazu die kalkulatorischen Grundlagen der neuberechneten Pflegesätze verständlich dargestellt und erläutert

58

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

• • • •

tatsächlicher Stellenumfang je Personalfall tatsächliche (zusammenfassende) Stellenbesetzung je Dienstgruppe tatsächliche Eingruppierung/ -einstufung je Personalfall prognostizierte Kostenänderungen durch: • (haus-)tarifliche Regelungen • angepasste Sozialversicherungsbeiträge • angepasste Regelungen ergänzender Altersvorsorgemaßnahmen (z. B. Zusatzversorgungskassen)

• Herleitung von Steigerungsannahmen (z. B. Anlehnung an Verbraucherpreisindex) • Zuordnung von Kostenpositionen, insbesondere Gemeinkostenverteilung und Verwendung von Verteilungsschlüsseln • Prognostizierte Kostenänderungen durch: • (nicht) belegungsabhängige Begebenheiten • Vertragliche Anpassungen (z. B. Fixkostenerhöhung) Abbildung 18: Häufig angeforderte Auskünfte zu geforderten Kostenpositionen

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

59

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

werden, dazu die Abbildung 18. Im Gegensatz zur ersten ist der zweiten Anspruchsgruppe, der Verhandlungspartner gemäß § 85 Abs. 2 SGB XI, im Nachgang der Verfahrensaufnahme beziehungsweise während eines laufenden Verfahrens Rechenschaft abzulegen. Sofern für eine umfassende Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der untersuchten Pflegeeinrichtung zusätzliche Unterlagen und/ oder Auskünfte erforderlich sind, muss die zur Verhandlung auffordernde Partei diese zur Verfügung stellen und/oder erteilen. Hierzu zählen z. B. die in der Abbildung 18 (siehe unten) angeforderten Informationen. Es ist wichtig anzumerken, dass im Falle einer angestrebten pauschalen oder linearen Entgeltsteigerung bzw. Fortschreibung der Pflegesätze einzelne Werte der Kalkulationspositionen nicht direkt abzubilden sind und der Fokus auf den vergangenheitsbezogenen Werten liegt. Ungeachtet der gewählten Verhandlungsstrategie sind Letztere als essenzielle Grundlage für Pflegesatzverhandlungen zu sehen, was mit einer gesicherten Datenlage einhergeht. Hierbei gilt, diese gegebenenfalls zunächst zu schaffen und fortwährend zu erhalten. Die pflegesatzerheblichen Angaben sind entsprechend der im Jahresabschluss enthaltenden Auskünfte und nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Pflegebuchführung vorzuweisen. Hiernach dient die Pflegebuchführungsverordnung (PBV) als grober Orientierungsrahmen und kann je nach Einrichtungstyp oder Schwerpunktsetzung individuell gestaltet und ergänzt werden. Die PBV enthält Anweisungen zu den Rechnungs- und Buchführungsvorschriften und zur Kosten- und Leistungsrechnung für zugelassene Pflegeeinrichtungen und ist ohnehin in beiden Rechnungskrei-

sen (Geschäftsbuchhaltung als Rechnungskreis I und Betriebsbuchhaltung als Rechnungskreis II) umzusetzen. Dies betrifft insbesondere Informationen zu den gebuchten Geschäftsvorfällen je Aufwandskonto. Sofern aufwandsmindernde Ertragsbuchungen erfolgt sind, müssen diese gegebenenfalls mit dem jeweils korrespondierenden Aufwandskonto saldiert werden. Die Zusammenfassung der bei den Kostenträgern nachzuweisenden Daten erfolgt i. d. R. über den sogenannten Gemeinsamen Nachweis gemäß § 85 Abs. 3 SGB XI für (teil-)stationäre Pflegeeinrichtungen. Dieser enthält generell: I. historische II. hochgerechnete III. zukünftige (prospektive) Daten zu: I. Vergütungssätzen II. Erlösen III. Belegung IV. Personalkosten V. Sachkosten, aus denen sich die notwendigen Informationen für die geforderten Pflegesätze feststellen lassen. Eine verlaufsmäßige Gegenüberstellung sollte nicht erst im Gemeinsamen Nachweis erfolgen, sondern kontinuierlich und regelmäßig aufbereitet sowie im Controlling überwacht werden. Dabei gilt die Schwerpunktsetzung auf die Belegung, die insbesondere mit der Heim- oder Pflegedienstleitung, dem Case-Management oder sonstigen Verantwortlichkeiten zu besprechen ist, und auf die Personal- und Sachkostenentwicklung. Erstere ist für die beteiligten Personen (aufgrund der Nähe zum operativen Geschäft) vermutlich einfacher herleit- und begründbar als betriebswirtschaftliche Entwicklungen wie z. B. punktuelle Veränderungen der Ausgabenstrukturen. Zum Letzteren bieten sich vor allem Auszüge aus der betriebswirtschaftlichen Auswertung (BWA) an, um ein Gefühl für das „was ausgegeben worden ist“ und dem „was vereinbart worden ist“ zu bekommen. Fallen dabei Unzulänglichkeiten in der bisherigen Refinanzierung auf, sind diese leider nicht mehr rückwirkend einbringbar. In dem Fall kann es sein, dass in der letzten Pflegesatzverhandlung: • … zu wenig gefordert wurde, • … zu wenig gefordert und darüber hinaus zu wenig vereinbart wurde, • … genug gefordert, aber zu wenig vereinbart wurde,

60

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

oder seit der letzten Pflegesatzverhandlung unvorhergesehene Veränderungen Einfluss auf die Kostenentwicklung genommen haben. Im letzteren Szenario haben Träger von Pflegeeinrichtungen jedoch die Chance – sofern die unvorhergesehenen Veränderungen rechtzeitig erkannt werden – auf eine außerordentliche Pflegesatzverhandlung noch innerhalb des (laufenden) vereinbarten Pflegesatzzeitraumes (§ 85 Abs. 7 SGB XI).

Der Vereinbarungszeitraum beläuft sich i. d. R. auf 12 Monate. Davon seltener abweichend gibt es Zeiträume, die sich über 12 Monate hinaus erstrecken. In den seltensten Fällen jedoch werden Pflegesätze für einen Zeitraum von 18 - 24 Monaten vereinbart. Diese sind – solange kein überzeugender Grund vorliegt – nicht zu empfehlen, da keiner der beiden Verhandlungsseiten die Kostenentwicklungen über einen längeren Zeitraum realistisch prognostizieren kann. Kürzer abgeschlossene Vereinbarungszeiträume reduzieren auf beiden Seiten die Risiken einer Unter- oder Überfinanzierung und erhöhen die Chancen auf Seiten der Träger von Pflegeeinrichtungen, mit den refinanzierten Kosten näher an den tatsächlichen Kosten zu sein. Nachteil kürzerer Verhandlungszeiträume sind die internen (und externen) Kosten der Vorbereitung und Durchführung der jeweiligen Pflegesatzverhandlung. In der ursprünglichen Pflegesatzvereinbarung bleiben die vereinbarten Merkmale (z. B. Auslastung, Abwesenheitsquote, Pflegegradstruktur etc.) für den vereinbarten Zeitraum unveränderbar. Die beiden Verhandlungsparteien sind somit an die vereinbarten Inhalte gebunden, da hierzu auch keine gesonderten Kündigungsbestimmungen existieren. Der genannte § 85 Abs. 7 SGB XI schafft nun (unter bestimmten Voraussetzungen) Abhilfe. Hierbei wird Trägern von Pflegeeinrichtungen die Möglichkeit einer Neuverhandlung im laufenden Pflegesatzzeitraum eingeräumt, wenn: 1. Eine Verhandlungspartei dazu auffordert und 2. unvorhersehbare und grundlegende Veränderungen der in der Vereinbarung getroffenen Annahmen eingetreten sind. Die Aufforderung kann nur unter folgenden Prämissen erfolgen: Eintreten einer nicht vorhersehbaren und wesentlichen Veränderung durch Darlegung

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

61

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

  INFO Vorzeitige Verhandlung gemäß § 85 Abs. 7 SGB XI

• der Unvorhersehbarkeit des Umstandes oder der Umstände, • des Grades der Einflussnahme auf die betriebliche Entwicklung, • der Überschreitung des eingepreisten Betriebsrisikos. Bei Einigkeit beider Parteien, dass es sich unter vorliegenden Umständen zweifelsohne um die Notwendigkeit einer Neuverhandlung handelt, muss § 85 Abs. 7 SGB XI zur weiteren Argumentation nicht aufgeführt werden. Eine Verkürzung des bis dato gültigen Vereinbarungszeitraumes erfolgt in solch einem Fall einvernehmlich. Die Notwendigkeit einer Neuverhandlung begünstigt ein schnelleres Vorgehen als § 85 Abs. 5 SGB XI (6-Wochen-Frist) es zulässt. Die Schiedsstelle darf bereits nach 4 Wochen über die Neuverhandlung entscheiden. Ein Beispiel für eine Neuverhandlung gemäß § 85 Abs. 5 SGB XI sind auffallende Veränderungen der Bewohnerstruktur. Das bedeutet aber nicht, dass der alternative Weg zum Auffangen einrichtungsindividueller Risiken automatisch und ohne Hindernisse eingeschlagen werden kann. Eine Neuverhandlung kann nur unter bestimmten Voraussetzungen angeregt oder angestrebt, aber keinesfalls erzwungen werden.

4.2 Ist-Kostenanalyse 4.2.1 Grundvoraussetzungen Die Möglichkeiten der Ist-Analyse beruhen auf den aufgestellten Grundstrukturen in der Finanzbuchhaltung und Kostenrechnung. In erster Linie ist dabei die Unterscheidung in SGB XI und sonstigen Bereichen wichtig, da die verwendeten Kostenstellen nur einem Bereich zugeordnet werden. Die Ist-Analyse kann durch eine feingliedrig ausgearbeitete Zeilen- und Spaltenstruktur für die zu Analysenzwecken favorisierte Berichtsform unterstützt werden. Die Zeilenstruktur ist dabei durch die Anzahl, Aufgliederung und Zusortierung der zu verwendenden Kostenarten geprägt. Weiterhin können eine oder mehrere Deckungsbeitragsebene(n) und/oder Zwischensumme(n) für Ertrags- und Aufwandsbereiche zur besseren Übersicht und Lesbarkeit der Auswertungen beitragen. Die Zuordnung von Erträgen wird durch vorgelagerte Softwarelösungen, u. a. zur Leistungsabrechnung, zumeist automatisiert gesteuert. Eine Ausdifferenzierung der Kostenarten im Ertragsbereich (Pflegeleistungen, Unterkunft und Verpflegung, § 43b-Leistungen und Investitionskosten) verhilft mitunter zu der Möglichkeit (Um-

62

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

63

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

satz-)Entwicklungen gezielter herauslesen zu können. Für das weitere Pflegesatzverfahren ist sie jedoch irrelevant. Die weitere Perspektive der Ist-Analyse ist die Spaltenstruktur. Sie enthält i. d. R. die Grobaufgliederung der Kostenbereiche nach Pflegeleistungen sowie Unterkunft und Verpflegung. Weitere Kostenbereiche können ebenfalls gesondert aufgeführt werden, z. B. der § 43b-Bereich. Dies hat zur Folge, dass alle Buchungen – sowohl auf der Aufwands- als auch Ertragsseite – die diesen Bereich betreffen, auf einer Kostenstelle zusammengefasst werden. Das Kostenstellenergebnis kann somit direkt Auskunft über eine Unter- oder Überfinanzierung geben oder zur Vorbereitung der parallel zum Pflegesatzverfahren geführten Verhandlung der § 43b-Vergütungssätze dienen. Die Betriebswirtschaftslehre sieht dafür zwar die sog. Kostenträgerrechnung vor. In der Praxis hat es sich aber aus Gründen der Komplexitätsreduktion bewährt, die Trennung der verschiedenen Refinanzierungsbausteine über Kostenstellen zu vollziehen. Letztlich sollten aber alle, für die beiden Vergütungsverhandlungen relevanten Kontenbewegungen zusammenfassend abrufbar und von anderen zu refinanzierenden Bereichen klar abgrenzbar sein. Eine Entscheidung über die Auslegung kostenrechnerischer Strukturen muss weder für noch gegen das eine (Abbildung über Kostenstellen) oder andere (Abbildung über Kostenträger) getroffen werden, sondern unter Abwägung der geführten Gesamt-(Träger-)Strukturen und der Notwendigkeit für die Einrichtung solcher (s. dazu auch die Abbildung auf den folgenden Seiten). Für die Ergebnisbetrachtung von Pflegeeinrichtungen ergibt sich weiterhin ein wichtiger Gestaltungshinweis für die Ergebnistrennung nach betrieblich und investiv, da beide Bereiche auf unterschiedlichen Finanzierungsgrundlagen basieren und dementsprechend getrennt voneinander zu bewerten sind. Auch diese Unterscheidung ließe sich sowohl über einen detaillierten Kostenartenplan und/oder einer Aufgliederung durch Kostenstellen und/oder Kostenträger abbilden. Ergänzend dazu ist eine weitere Differenzierung zu empfehlen: Der Ergebnisausweis des Neutralen Ergebnisses, d.  h. der Saldo aus neutralen Aufwendungen und neutralen Erträgen. Das macht insofern Sinn, als dass dieses Ergebnis keinen direkten Einfluss auf das unternehmerische Gesamtergebnis hat. Aufkommende Geschäftsvorfälle sind i. d. R. periodenfremd und/oder außenordentlich und können weder in künftigen Pflegesatz- noch in Investitionskostensatzverhandlungen mit aufgeführt werden. Sie unterliegen nach (bei Kostenträgern) weit verbreiteter Meinung dem eigenen unternehmerischen Risiko und können allenfalls bei (Pflegesatz-)Verhandlung eines Gewinn- oder Wagnis- bzw. Risikozuschlages (Bezeichnung variiert je nach Bundesland) zum Gegenstand der Betrachtung werden.

Kostenstellen-Nr.

§ 43b-Bereich

Investitionsabhängige Kosten

Unterkunft/ Verpflegung

Pflege

Kiosk/Cafeteria

Sozialer Dienst/ Betreuung

Küche

Hauswirtschaft/Reinigung/Wäscherei

Leitung/ Verwaltung

Gebäudekosten

Hausmeister

Kfz AB-CD 123

Kostenstellen-Bez.

1000 1050 1100 1200 2100 2200 2300 1300 3000 4000 4500 5000

Erlösseite Erlöse Pflegeleistungen PG 1-5

x

Erlöse U+V

x

Erlöse Investitionskosten

x

Erlöse Inkontinenzpauschalen

x

Erlöse Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb

x

Erlöse Bewirtung /Personalverpflegung Erlöse Interne Verrechnung Hausmeisterleistung

x

x

x

Kostenseite Personalkosten Leitung/Unternehmerlohn

x

Verwaltung

x

Pförtner/ Telefonisten

x

Hausmeister

x

Aufw. Interne Verrechnung Hausmeisterleistung

x

Pflegepersonal

x

Pflegefachkräfte

x

Pflegehilfskräfte (1-jährige Ausbildung)

x

Pflegehilfskräfte (ohne Ausbildung)

x

Auszubildende Pflege (2-/3-jährige Ausbildung)

x

Betreuungsdienst (exkl. § 43b SGB XI)

x

Abbildung 19: Beispielhafte schematische Darstellung einer Kostenstellen- und Zeilenstruktur für die stationäre Pflege

64

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

§ 43b-Personal

x

Küche

x

Reinigung

x

Wäscherei

x

Hauswirtschaft/-service

x

Sonstiges Personal

(x) (x)

(x)

(x)

(x)

(x)

Erstattungen f. Personalkosten

(x)

(x)

(x)

(x)

(x)

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Personalnebenkosten

Sachkosten Lebensmittel (inkl. Getränke)

x

Lebensmittel FL/ ZD

x

Wirtschaftsbedarf Hausverbrauchsmaterial

x

x

Putz- und Reinigungsmittel

x

x

Desinfektionsmittel

x

x

Fremdreinigung Wäsche

x

Fremdreinigung Gebäude

x

Steuern / Abgaben / Versicherungen Schmutzwassergebühren

x

Niederschlagswassergebühren

x

Müllabfuhrgebühren

x

Schornsteinfegergebühren

x

Versicherungen

x

Sonstige Prüfgebühren

x

Fahrzeuge Treibstoffe, Öl

x

Kfz-Kosten

x

Aufwand Interne Verrechnung ABCD 123 Umlage AB-CD 123

x 100%

Medizinisch-pflegerischer Bedarf Medizinischer Bedarf

x

Abbildung 19: (Fortsetzung) Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

65

Kostenstellen-Nr.

Aufwendungen Inkontinenzartikel

x

§ 43b-Bereich

x

Investitionsabhängige Kosten

Pflegedokumentationsmaterial

Unterkunft/ Verpflegung

Pflege

Kiosk/Cafeteria

Sozialer Dienst/ Betreuung

Küche

Hauswirtschaft/Reinigung/Wäscherei

Leitung/ Verwaltung

Gebäudekosten

Hausmeister

Kfz AB-CD 123

Kostenstellen-Bez.

1000 1050 1100 1200 2100 2200 2300 1300 3000 4000 4500 5000

Soziale Betreuung Therapeutischer Bedarf

x

x

Betreuungsaufwand

x

x

Verwaltungsbedarf Büromaterial

x

Zeitungen/ Zeitschriften

x

Porto

x

Bankgebühren

x

EDV-Kosten

x

Organisationsbeiträge

x

Öffentlichkeitsarbeit

x

Beratungs-/ Prüfungskosten

x

Wartung Wartung Aufzüge

x

Wartung Schutzanlagen

x

Wartung Softwarepflege

x

x

x

x

DB I Wasser, Energie, Brennstoffe

x

Kapitalkosten

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG)

x

x

x

x

x

x

x

x

Instandhaltungen

x

x

x

x

x

x

x

x

Mieten/Pachten

x

x

x

x

x

x

x

x

Darlehenszinsen

x

x

x

x

x

x

x

x

Abschreibungen

x

Abbildung Umlagen 19: (Fortsetzung) Umlage Hausmeister

100%

66 Umlage

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung 100%

Kapitalkosten Umlage Sonstige

Rest

50%

50%

Geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG)

x

x

x

x

x

x

x

x

Instandhaltungen

x

x

x

x

x

x

x

x

Mieten/Pachten

x

x

x

x

x

x

x

x

Darlehenszinsen

x

x

x

x

x

x

x

x

Umlagen Umlage Hausmeister

100%

Umlage Kapitalkosten Umlage Sonstige Gebäudekosten

100% Rest

50%

50%

DB II Kapitalkosten Leitung/ Verwaltung

100%

Sonstige Kosten Leitung/ Verwaltung

50%

50%

Kapitalkosten Hauswirtschaft/ Reinigung/ Wäscherei

100%

Sonstige Kosten Hauswirtschaft/ Reinigung/ Wäscherei

50%

50%

Kapitalkosten Küche

100%

Lebensmittelkosten

100%

Kapitalkosten Pflege

100%

DB III Interne Verrechnung zentrale Leitung/ Verwaltung

x

Interne Verrechnung FiBu/ Controlling

x

Interne Verrechnung Leistungsabrechnung

x

Interne Verrechnung PersonalAbteilung

x

Interne Verrechnung IT-Abteilung

x

Interne Verrechnung Geschäftsführung/ Vorstand

x

Umlage Zentrale Dienste

50%

50%

DB IV Abbildung 19: (Fortsetzung)

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

67

Für eine aussagekräftige Ist-Kostenanalyse sind in einem zweiten Schritt die PSV-Strukturen zu den in der eigenen Finanzbuchhaltung und Kostenrechnung gegebenen Strukturen zuzuordnen. Die Zuordnung erfolgt analog zu der im jeweiligen Bundesland vorstrukturierten Verhandlungslogik, d. h. die Verdichtung der verwendeten Sachkonten zu Kostenarten erfolgt übereinstimmend zu den Kostenarten im Kalkulationsschema zur PSV. Als einfaches Beispiel gilt das Sachkonto Lebensmittel in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV), das dem gleichnamigen Konten- bzw. Kostenbereich im Kalkulationsformular für die Pflegesatzverhandlung zugeordnet wird. Das Sachkonto Getränke wird aufgrund der inhaltlichen Verwandtschaft ebenfalls der Kostenart Lebensmittel zugeordnet. Trägern von Pflegeeinrichtungen ist außerdem zu empfehlen, intern eine sogenannte Überleitungstabelle vorzubereiten, in der jedem Kontenbereich aus dem Kalkulationsformular jedes Sachkonto aus der GuV zugeordnet wird. Dabei kann zusätzlich festgestellt werden, ob noch weitere Erfordernisse, z. B. Sachkonto-Ergänzungen oder -Löschungen, notwendig erscheinen. Wichtig ist zudem die Einführung einer Erläuterungshilfe zum Kontenplan, d. h. welcher Geschäftsvorfall wird auf welchem Sachkonto gebucht. Die Einhaltung der damit verbundenen Buchungsregeln erhöht die Kontinuität einer gleichgearteten Buchführung und begünstigt die damit einhergehende Transparenzgewinnung. Bereits einfache Veränderungen können hinsichtlich der Transparenz- und Informationsgewinnung viel bewirken: Kostenarten(-bezeichnungen), die nicht präzise genug (formuliert) waren, werden eventuell falsch oder uneinheitlich bebucht. Ebenso Bezeichnungen, die zu lang sind und dadurch womöglich ein irreführendes Verständnis hervorrufen. Weiterhin sind Konten gegebenenfalls doppelt aufgeführt, die trotz leicht abweichender Bezeichnung mit dem gleichen Inhalt bebucht werden sollen. Oder Inhalte werden zu undifferenziert auf ein „Resterampe-Konto“ gebucht, obwohl eine Ausdifferenzierung wesentlich mehr Einblicke in die Kostenentwicklung ermöglicht. Dabei sollte auch die tatsächliche Buchung auf einzelne Sachkonten mit nicht nachvollziehbarer Zuordnung (z.  B. Buchung nicht direkt zuordenbarer Geschäftsvorfälle auf Sonstige Betriebliche Aufwendungen, die von Kostenträgern in Pflegesatzverhandlungen kaum berücksichtigt werden) einer internen Prüfung unterliegen. Auch Konten mit irreführender Nummerierung (z.  B. Aufwandskonto mit der Bezeichnung Ertrag) oder fehlender Unterscheidbarkeit (z. B. separate Kontenvergabe für Aufwendungen mit unterschiedlichen Steuersätzen, ohne dies im Kontonamen kenntlich zu machen) können eine gewisse Unruhe in den Kontenplan bringen. Betrieblich notwendig ist auch vielmals die Neustrukturierung des Bereiches der Personalnebenkosten aufgrund der hohen Relevanz und betraglichen Höhe im Pflegesatzverhandlungsverfahren. Häufig werden sonstige Personalaufwendungen un-

68

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Wozu sollen die (Optimierungs-)Maßnahmen zusammenfassend verhelfen? • Zusätzliche Transparenz in der (monatlichen) Buchung, • zusätzliche Vergleichsmöglichkeiten (Erlös- und Kostenniveaus im Vorjahres-/ Mehrjahresvergleich), • detaillierter, an die betrieblichen Erfordernisse angepasster Kostenarten-Plan bietet schnellere Rückschlüsse auf betriebliche Abläufe, • angepasste Kostenarten-Bezeichnungen dienen als erste Erläuterungsebene, wodurch der (monatliche) Analyse-Aufwand reduziert werden kann, • Finanzbuchhaltung-Kontierungsfahrplan ermöglicht einheitliche Buchung vergleichbarer Geschäftsvorfälle, reduziert Unsicherheiten, Fehlerquellen und Buchungsaufwand (zeitliche Dimension). Aus der Beratungspraxis zeigt sich wiederholt, dass vor allem auch eigene Betriebsabläufe mithilfe geeigneter Steuerungsinstrumente oder Berichtselemente (z.  B. kurzfristige Erfolgsrechnung auf Kostenarten-Ebene) optimiert werden können. Dabei bestätigt sich, dass es sich hierbei um ein lebhaftes System handelt, da erst aus der nachgelagerten Analysearbeit zusätzliche betriebliche Erfordernisse entstehen können. Ein regelmäßiger, aber stets lohnender Anpassungsbedarf in den bestehenden Berichtsstrukturen auf Kostenarten-Ebene wird nicht ausbleiben.

4.2.2 Vorgehensweise Aber wie wird – nach Erfüllung der obigen Grundvoraussetzungen – konkret vorgegangen? Bei der (vor einer konkreten Pflegesatzverhandlung) vorgelagerten Analyse der aktuellen Ist-Situation ist zunächst der Grad der Dringlichkeit einer Verhandlung zu identifizieren. Das bedeutet, es gilt die aktuelle Ergebnissituation zu überPflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

69

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

zureichend ausgewiesen, sie sind aber meist vollständig refinanzierungsfähig. Die Aufgliederung der dafür vorgesehenen Konten in einer Berichtsstruktur würde mitunter aufzeigen, welche Buchungen (eventuell erst zum Jahresabschluss), z.  B. Urlaubs- und Überstundenrückstellungen, noch fehlen. Schlussendlich hängt alles von der Dateneingabe im laufenden Prozess des Rechnungseingangsmanagements ab. Eine einheitliche Verwendung von Kostenrechnungs- und Buchungsstrukturen muss dabei im gleichen Maße zum Einsatz kommen. Letztere leben von der Verwendung einheitlicher und wiederauffindbarer Buchungstexte auf der kleinsten Ebene. Träger von Pflegeeinrichtungen müssen hierbei stets hinterfragen, ob angelegte oder unbebuchte und tatsächlich gebuchte Konten das betriebliche Geschehen (noch) gut abbilden können oder weitere Anpassungsbedarfe notwendig sind.

prüfen – in der gleichen Schrittigkeit, auf der die obigen Erläuterungen aufsetzen sollten. Die Ergebnisbereiche für Pflegeleistungen, Unterkunft und Verpflegung und Investitionen müssen zwingend unterteilt und entsprechend getrennt voneinander betrachtet werden. Daraufhin erfolgt eine Detailanalyse der Ergebniseffekte, diese können z. B. sein: • Ergebniseffekte durch verschlechterte/verbesserte Auslastung, • Ergebniseffekte durch Unterschreitung/Überschreitung der Personalkosten, • Ergebniseffekte durch Unterschreitung/Überschreitung sonstiger Kosten. Die Ergebniseffekte im Bereich der Personalkosten sind aus zwei Perspektiven zu interpretieren: Erstere ist die der Mengenkomponente. Die Personalkosten können deshalb überschritten sein, weil zu viel Personal im Vergleich zur vereinbarten Personalmenge eingesetzt und bezahlt worden ist. Zweitere ist die der Vergütungskomponente. Die Personalkosten können auch deshalb überschritten sein, weil das eingesetzte Personal im Vergleich zu den in der PSV vereinbarten durchschnittlichen Stellenkosten höher bezahlt worden ist. Ähnliche Effekte ergeben sich auch bei den Sachkosten, wenn sie belegungsabhängig sind und somit als variable Kosten angesehen werden. Eine Abweichung zu den verhandelten Kosten kann beispielsweise bei den Lebensmittelkosten entstehen, wenn sich die Auslastung erhöht (mengenmäßig) oder Lebensmittelprodukte und/oder Lieferungskonditionen teurer geworden sind (kostenmäßig). Diese beiden Effekte gilt es zu trennen, da der erste keinen Einfluss auf das Gesamtergebnis hat, der zweite sehr wohl. Eine Analyse der variablen Kosten sollte daher nie mit Blick auf die Gesamtsumme der Kosten erfolgen, sondern stets mit Bezug auf die Belegung. Nur ein Vergleich der Lebensmittelkosten pro Bewohnertag mit den verhandelten Kosten pro Tag gibt Aufschluss über die Entwicklung der Lebensmittelkosten. Soll-Werte für variable Kosten sollten nach dem gleichen Prinzip definiert werden, man nennt dies auch variable Budgetierung (Beispiel: Zielvorgabe für Lebensmittel pro Bewohnertag). Das Resultat dieses Analyseschrittes ist die Identifikation des Ergebnisbeitrages (in absoluten oder relativen Werten) sowie eine umfassende Klärung des Zustandekommens. Ist das Ergebnis positiv und erklärbar, herrscht ein niedriger Handlungsdruck, bei negativem Ergebnis sollte schnellstmöglich eine Pflegesatzverhandlung angestrebt werden. Eine Detailebene tiefer, also im direkten Vergleich von historischen bzw. hochgerechneten Werten mit den vereinbarten Pflegesätzen, werden sich gewohnheitsmäßig Abweichungen ergeben. Diese Positionen sind für zukünftige Zeiträume zu bewerten und zu begründen, da höhere Abweichungen, insbesondere Kostensteigerungen, von Kostenträgern genauer geprüft werden. Die interne Dokumentation der 70

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Weitere Defizitquellen können sein: • Verwaltung/Overhead: Die Overheadkosten werden nur indirekt refinanziert. Der Komplexitätszunahme wird nicht Rechnung getragen. • Hauswirtschaft: Insbesondere die Kosten für die Fremddienstleister werden häufig nicht auskömmlich refinanziert. • Haustechnik: Die Schlüssel je Platz entsprechen häufig nicht der Realität des einrichtungsbezogenen Kümmerers. • Leitung: Es wird lediglich die direkte Leitung refinanziert und hier häufig nicht in einer marktüblichen Vergütungshöhe. Anteile für Geschäfts- und Bereichsleitung fehlen dann bei der Refinanzierung. • Ausfallzeiten (Nettoarbeitszeit): Die Refinanzierung des Personals ist nur gegeben, wenn keine übermäßigen Ausfallzeiten, z. B. durch krankheitsbedingte Abwesenheiten, entstehen. Die Einflussfaktoren auf die Personalkosten sind vielfältig und müssen genau analysiert werden, um einen sauberen prospektiven Ansatz für die Pflegesatzverhandlung Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

71

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Analyseergebnisse sollte zudem weiteren Plausibilitätsprüfungen unterzogen werden, um die Grundlage der Verhandlungsargumentation zu festigen. Die Abweichungsgründe können dabei vielfältig sein. So sind im Sachkostenbereich häufig besondere Umstände (z. B. Preisexplosionen für ein oder mehrere verschiedene Güter oder Dienstleistungen, Veränderungen der Verbrauchsmengen, sprungfixe Kosten usw.) Grund für Abweichungen. Im Personalkostenbereich hingegen können oftmals nicht auf Anhieb plausible Gründe den Ausschlag für ungeahnte Kostenentwicklungen geben. Zum Beispiel können sich aufgrund der Mitarbeiterfluktuation einzelne Löhne und Gehälter durch die unterschiedliche Einstufung und -gruppierung ergeben. Verlassen Mitarbeiter:innen die Pflegeeinrichtung, können diese ggfs. durch jüngeres und/oder berufsunerfahreneres Personal ersetzt werden (die durchschnittlichen Personalkosten der jeweiligen Dienstart würden sinken) oder genau das Gegenteil tritt ein (die durchschnittlichen Personalkosten der jeweiligen Dienstart würden steigen). Auch Positionswechsel oder bisher vakante Positionen (sofern sie nicht eingepreist waren) können sowohl im direkten Vergleich mit den vereinbarten Pflegesätzen als auch in der Vorbereitung für die zukünftigen Pflegesätze Grund für Erhöhungen oder Reduzierungen sein. Außerdem ist die Bewertung der eingesetzten Personalmenge im Vergleich zur auf Basis der Personalschlüssel errechneten Soll-Personalmenge ebenso entscheidend, um mögliche Unter- oder Überschreitungen festzustellen. Der Personal-Soll/Ist-Abgleich ist sowohl für die (tägliche) betriebliche Steuerung als auch die Bewertung der Personalkosten im Vorfeld der Pflegesatzverhandlungen ein elementarer Faktor!

zu entwickeln. Im ungünstigsten Fall egalisieren sich (wertmäßig) bestimmte Umstände bei einigen Personalfällen, sie werden nicht auf Anhieb erkannt, aber dann durch Kostenträger aufgedeckt, was sie wiederum weiter dazu veranlasst, zusätzliche Rückfragen zu stellen. Eine teilweise stichprobenartige Überprüfung der Löhne und Gehälter durch die Kostenträger im laufenden Verfahren machen die (zumindest intern) detailliertere Aufarbeitung der Personalkosten ohnehin notwendig, da Träger von Pflegeeinrichtungen hierbei Rede und Antwort stehen müssen. Denn Kostenträger scheuen sich nicht, unzulänglich begründete Kosten im aktuellen Vereinbarungszeitraum auch im Zukünftigen unrefinanziert zu lassen. Ein deutlicher Verhandlungsvorteil ergibt sich erst, wenn sich die auffordernde Verhandlungsseite argumentativ gut aufgestellt hat, d. h. jede der einzelnen Kostenpositionen, ob Personal- oder Sachkosten, schlüssig verargumentieren kann und sich nicht in pauschalen Aussagen verliert. Dies ist die Grundvoraussetzung für die Durchsetzung der eigenen Forderungen im Verhandlungsgeschehen und gilt insbesondere für den Bereich der Personalkosten!

4.2.3  Richtige Berechnung der Personalkosten Häufig verwendete Kalkulationsgröße in Pflegesatzkalkulationen sind die durchschnittlichen Stellenkosten, d. h. die Personalkosten je Vollzeitstelle für die einzelnen Qualifikationen. Berechnet werden diese mithilfe der beiden Variablen Personalmenge (Vollzeitäquivalent VZÄ) und monatliche bzw. jährliche Personalkosten (€-Betrag je Personalfall). Diese auf den ersten Blick einfache Division birgt einige Fehlerquellen, die nicht selten dazu führen, dass die echten Personalkosten pro Vollzeitstelle nicht transparent gemacht werden und der größte Kostenblock einer Pflegeeinrichtung nicht richtig verhandelt wird. In diesem Kapitel sind daher die typischen Fehler bei der Berechnung der Stellenkosten mit Empfehlungen zur Vermeidung aufgeführt. 1. Die Personalkosten stellen die i. d. R. monatlichen Gehaltsleistungen des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer:innen dar. Sie beinhalten neben der Grundvergütung weitere Gehaltsbestandteile, wie z. B. die arbeitnehmer- und arbeitgeberseitigen sozialpflichtigen Beiträge, Lohnsteuer und weitere Zuschläge (z.  B. Feiertags-, Nacht-, Wochenend- oder Wechselschichtzuschläge). Weiterhin, wie bereits erläutert, enthalten sie auch die Auszahlungen von Resturlaubstagen und Überstunden, die wiederum in gesonderten Lohnarten ausgewiesen werden (sollten). Nicht zuletzt enthalten die Personalkosten auch Sonderzahlungen, z. B. leistungsorientierte Vergütungen, Jahressonderzahlungen oder Weihnachts- und Urlaubsgeld und weitere sonstige Lohnarten. Als Quelle dient die Lohn- und Gehaltsab72

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

rechnung, die alle diese Bestandteile einzeln aufführen kann. Um möglichst aussagekräftige Zahlen zu erhalten, sollte ein repräsentativer Zeitraum ausgewählt werden, i. d. R. ein Jahr. 2. Die Personalmenge VZÄ ist eine rechnerische Größe zur Messung von Arbeitszeit und wird häufig mit Stellenumfang gleichgesetzt. Hierbei wird der Zeitwert ausgedrückt, den eine Vollzeitkraft erbringt. Dieser kann je nach Vorliegen eines (bestimmten) Tarifwerkes variieren und liegt beim überwiegenden Anteil der Träger von Pflegeeinrichtungen in einer Variationsbreite von 38,5 bis 40 Wochenstunden vor. Die Berechnung von anteiligen VZÄ für Teilzeitkräfte schafft eine Grundlage für weitere Analysen, insbesondere für die Ermittlung des Personalbedarfs bei der (belegungsabhängigen) Personalsteuerung und für die Berechnung der durchschnittlichen Stellenkosten. Die Bereitstellung der Daten für die Personalmengenberechnung ist in der Praxis deutlich schwieriger. Ausgehend vom vertraglichen VZÄ-Umfang müssen einige Hinzurechnungen und Abzüge erfolgen, um den Personalkosten einer gewählten Zeitperiode die „richtige“ Personalmenge gegenüberzustellen. – Auszahlungen von Überstunden und Resturlaub: Auszahlung von Überstunden erhöhen die Personalkosten. Die ausbezahlten Überstunden müssen quantitativ bewertet werden, in VZÄ umgerechnet und dem vertraglichen VZÄ-Umfang hinzuaddiert werden. Wurden in einem Monat 80 Überstunden für eine Vollzeitkraft ausgezahlt, so muss in die Mengenberechnung 1,5 VZÄ für diesen Monat eingehen. Gleiches Prinzip gilt auch bei der Ausbezahlung von Resturlaub, was jedoch deutlich seltener vorkommt. Hilfsweise kann bei der Personalkostenaufbereitung die Lohnart „Überstunden“ weggelassen werden. Dann kann die Mengenkomponente ebenfalls ignoriert werden. Nachteil ist dabei, dass die häufig mit Überstunden verbundenen Zuschläge keinen Eingang in die Berechnungen finden. – Ein- und Austritte und Veränderungen der Wochenarbeitszeit in der Betrachtungsperiode: Ein- und Austritte von Mitarbeiter:innen innerhalb des Betrachtungszeitraums müssen bei der Aufbereitung der Mengenbasis sauber erfasst werden. Datenbasis sollte dabei die Personalverwaltungssoftware sein, in der diese Ein- und Austritte gepflegt werden. Gleiches gilt für (temporäre) Veränderungen der Wochenarbeitszeit – sofern diese eine Auswirkung auf die monatliche Vergütung hat. Aufgelaufene Überstunden spielen hier keine Rolle, so lange sie nicht ausbezahlt werden. – Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses durch längeren Krankheitsausfall mit Verlust des Anspruchs auf Lohnfortzahlung: I. d. R. erhalten solche Mitarbeiter:innen keine weitere Gehaltsleistung bis zum Wiedereintritt bzw. zur

Wiedereingliederung. Bei der Aufbereitung der Personalmengenbasis müssen diese Mitarbeiter:innen mit 0 VZÄ für den Zeitraum des Ausfalls der Lohnfortzahlung geführt werden. Dies schließt auch die anteilige Bewertung der Stellenanteile innerhalb eines (Abrechnungs-)Monats mit ein, da der Austritt aus der Lohnfortzahlung selten zum Monatsbeginn/-ende erfolgt. – Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses durch Abwesenheiten wegen Mutterschutz oder Beschäftigungsverbot: Hierbei muss berücksichtigt werden, dass Arbeitnehmerinnen im Falle eines ausgesprochenen Beschäftigungsverbotes oder in der Zeit des Mutterschutzes Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 18 MuSchG haben und Arbeitgeber für die Weiterbezahlung Erstattungen durch die Krankenkassen erhalten. Bei der Berechnung der durchschnittlichen Stellenkosten sollte auf solche Beschäftigungsfälle geachtet werden. Für die Berechnung der Stellenkosten ist darauf zu achten, dass sie entweder komplett aus der Auswertung herausgenommen werden (für den Zeitraum des Mutterschutzes) oder dass sowohl die Kosten als auch die VZÄ dieser Mitarbeiter:innen in die Berechnung einfließen. Häufig werden sie fälschlicherweise mit 0 VZÄ ausgewiesen, weil sie aktuell nicht mitarbeiten. Mitarbeiter:innen in Elternzeit erhalten kein Gehalt und sind somit zwingend aus der Personalmengenberechnung herauszunehmen. Aus beiden Variablen kann nun ein jahresbezogener Quotient, die durchschnittlichen Personalkosten, entweder pro Personalfall oder für eine Qualifikationsgruppe berechnet werden. Eine jahresbezogene Betrachtung macht Sinn, da dann das Weihnachtsgeld vollständig enthalten ist und dafür keine Abgrenzung vorgenommen werden muss. Das AG-Bruttogehalt stellt dabei den Dividenden, die VZÄ hingegen den Divisor. Der Quotient gibt also an, welche Kosten jeder individuelle Personalfall bezogen auf eine Vollzeitstelle aufweist (Personalkosten pro 1 VZÄ). Eine Aufsummierung aller Personalfälle einer Qualifikationsgruppe ergibt die durchschnittlichen Stellenkosten. Die Berechnung der durchschnittlichen Personalkosten je Personalfall kann (oder muss in einzelnen Bundesländern) für einzelne Berufs- oder Personalgruppen – insbesondere für die Bereiche Pflege, Betreuung, §  43b, Hauswirtschaft, Leitung und Verwaltung – zusammenfassend erfolgen. Die Höhe derer ist häufig ein Indiz für die Wirtschaftlichkeit oder Mitarbeiterstruktur (in) der Pflegeeinrichtung. Auch Ausreißer nach oben und unten sind dadurch schnell identifizierbar. In Personalkalkulationen können auch Unplausibilitäten wesentlich schneller festgestellt werden, wenn z. B. falsche Einstufungen oder -gruppierungen und Stellenanteile ausgewiesen wurden und das Ergebnis deutlich zu hohe/niedrige durchschnittliche Werte anzeigt. Eine weitere Besonderheit ergibt sich im nächsten Schritt, wenn die durchschnittlichen Stellenkosten mit den verhandelten verglichen werden sollen. In einigen Bun74

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

4.2.4  Exkurs: Analyse der § 43b-Vergütungzuschläge Die Analyse des Kostenbereiches für § 43b-bedingte Leistungen und die damit verbundene Berechnung der Vergütungssätze erfolgt vergleichsweise einfach. Sofern keine dafür eigens eingerichteten Kostenstellen direkt Auskunft über Aufwand und Ertrag geben können, sollten spätestens die dafür notwendigen Informationen auf Kostenarten-Ebene auslesbar sein. In der Praxis wird oftmals keine Differenzierung der Aufwendungen für die Bereiche der Sozialen Betreuung und Alltagsbegleitung nach § 43b vorgenommen, sodass eine zusätzliche Refinanzierung des Sachkostenanteils entweder über die Pflegevergütung gesichert oder nicht vorgesehen ist. Träger von Pflegeeinrichtungen sollten ungeachtet dessen eine regelmäßige Überprüfung der Aufwandsstrukturen vornehmen und diese mit der laufenden Einnahmensituation abgleichen. Zur Ermittlung des aktuellen und/oder prospektiven Kostensatzes benötigen Träger von Pflegeeinrichtungen folgende Informationen: • • • •

Platzzahl laut Versorgungsvertrag, Anzahl der Tage (im Jahr), durchschnittliche Anzahl der Pflegebedürftigen nach § 43b (= Belegung), Berechnungstage (ergibt sich aus der Multiplikation von Platzzahl laut Versorgungsvertrag und Auslastung), • angewendeter Personalschlüssel (i. d. R. 1:20), • durchschnittliche Wochenarbeitszeit.

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

desländern gehen die Kostenträger bei der Pflegesatzkalkulation von einer einheitlichen Wochenarbeitszeit aus (z.  B. 40 Stunden/Woche). Verwendet der Träger eine davon abweichende Wochenarbeitszeit, müssen entsprechende Umrechnungen erfolgen. Beispiel: In einer Personalmengenbestimmung wird in dem Kalkulationsformular für den Bereich der Pflege und Betreuung eine Soll-Personalmenge von insgesamt 20 VZÄ angezeigt. Diese wird mithilfe der prospektiven Belegungsstruktur und Auslastungsannahme berechnet. Weiterhin gehen die Kostenträger von einer Bemessungsgrundlage von 40 Wochenarbeitsstunden aus (1 VZÄ = 40 Std./Woche). Der Träger einer Pflegeeinrichtung, der im Tarifwerk eine abweichende Wochenarbeitszeit als „Vollzeit“ definiert, z. B. 38,5 Wochenarbeitsstunden, muss also vorliegende Personalfälle auf die Wochenarbeitsbasis von 40 Stunden umrechnen. Der Träger muss also bezogen auf seine Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden 20,78 VZÄ vorhalten, um die 20 VZÄ für die Pflegesatzverhandlung zu erfüllen.

Abschließend ein Rechenbeispiel zur Verdeutlichung wichtiger Stellgrößen bei der Ermittlung der Vergütungszuschläge nach § 43b SGB XI, siehe dazu Abbildung 20. Der Ausgangspunkt des obigen Beispiels ist die Anzahl der Pflegeplätze gemäß Versorgungsvertrag. Die Mustereinrichtung hat 100 Pflegeplätze und ist in Nordrhein-Westfalen. Dementsprechend wird von einer – analog zur Vergütungsverhandlung der Pflegesätze sowie Sätze für Unterkunft und Verpflegung – 98%-Auslastung ausgegangen. Weiterhin wird im Hinblick auf die Personalvorhaltung mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden gerechnet. Vorsicht: Sofern tarifliche Bestimmungen eine davon abweichende Basis für Wochenarbeitsstunden vorsehen, ist ggfs. eine entsprechende Umrechnung vorzunehmen. Der aktuelle und/oder prospektive Zeitraum beinhaltet keinen weiteren Tag (29. Februar), deshalb werden 365 Tage ausgewiesen. Durch die Multiplikation von 365 Tagen mit der Annahme einer Auslastung von durchschnittlich 98 Pflegeplätzen ergibt sich eine Gesamtanzahl von 35.770 Berechnungstagen. Wichtig: Auf diese Anzahl an Berechnungstagen werden die prospektiven Kosten verteilt. In dem Beispiel wird außerdem der bundesweite Personalschlüssel von 1:20 verwendet, mit dessen Hilfe das vorzuhaltende Personal errechnet werden kann: Dazu werden die 98 Pflegeplätze durch 20 dividiert, was eine Personalvorhaltung von 4,90 VZÄ hervorbringt. Tatsächlich sind auch 4,90 VZÄ arbeitsvertraglich angestellt. Träger von Pflegeeinrichtungen sollten vermeiden, die Personalvorhaltung an der Gesamtplatzzahl der Mustereinrichtung bzw. an deren 100%-Auslastung zu bemessen, wobei der Umstand in der gelebten Praxis häufig anzutreffen ist. Letztlich müssen die Personalkosten je Personalfall kalkuliert werden. Diese können je nach Personalfall (durch Benötigte Information

Angabe

Platzzahl laut Versorgungsvertrag

100 Plätze

Ø-Anzahl der Pflegedürftigen nach § 43b

98 Plätze

Ø-Wochenarbeitszeit

40 Stunden

Anzahl der Tage (im Jahr)

365 Tage

Berechnungstage

35.770 Tage

Personalschlüssel § 43b

1:20

Vorzuhaltendes Personal in Vollzeit (Soll)

4,90 VZÄ

Kalkuliertes Personal in Vollzeit (Ist)

4,90 VZÄ

Kalkulierte Ø-Personalkosten je Vollzeitstelle

42.500 €

Differenz Ist-Soll

0,00 VZÄ

= Vergütungszuschlag pro Tag

5,82 €

= Vergütungszuschlag pro Monat

177,08 €

Abbildung 20: Beispielberechnung von Vergütungszuschlägen nach § 43b SGB XI

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

4.3  Simulation der Pflegesatzverhandlung 4.3.1  Hochrechnung der Belegung Die Pflegesätze in stationären Pflegeeinrichtungen sind bekannterweise tagesgleiche Pauschalvergütungen, die nicht auf Basis individueller (Pflege-)Leistungen berechnet werden, sondern anhand der (monatlichen) Aufenthaltsdauer. Die Aufenthaltsdauer ist entsprechend in An- und Abwesenheitstage auszuweisen. Diese werden getrennt voneinander (je Pflegegrad) bewertet. Die Kostenträger verlangen i. d. R. eine statistische Auswertung, die die An- und Abwesenheitstage von entweder abgeschlossenen Zeiträumen (z. B. letztes und vorletztes Jahr) oder anhand der letzten 12 Monate belegen soll. Einige Bundesländer, z. B. Nordrhein-Westfalen, gehen sogar weiter und erwarten nebst historischen Daten eine Hochrechnung des laufenden Belegungsjahres. Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

unterschiedliche Stellenanteile oder Befristungen, Einstufungen bzw. -gruppierungen und Qualifikation) variieren. In einigen Bundesländern ist die Berücksichtigung eines Sachkostenzuschlages zwischen den Vertragspartnern (z. B. Hessen) strittig. Im Einzelfall ist eine Berücksichtigung der Sachaufwendungen in der Kostenposition Betreuungsbedarf zu empfehlen. Die kalkulierten Personalkosten belaufen sich im Durchschnitt auf 42.500 € je VZÄ. Daraus ergeben sich Gesamtpersonalkosten i. H. v. 208.250 €. Um den Vergütungszuschlag nach § 43b SGB XI zu ermitteln, müssen die Gesamtkosten durch die Anzahl der Monate in einem Jahr und anschließend durch die Gesamtplatzzahl bei einer 98  %-Auslastung dividiert werden. Der Vergütungszuschlag nach § 43b SGB XI beträgt 177,08 € und wird jedem/jeder Heimbewohner:in monatlich in Rechnung gestellt sowie im gleichen Zug durch die Kostenweiterberechnung als Forderung an die zuständige Pflegekasse abgestellt, die den/die Heimbewohner:in damit gleichzeitig wieder entlastet. Der Tagessatz ermittelt sich nach dem gleichen Berechnungsschema, bei dem anstelle der Monatsanzahl die Tagesanzahl (im Jahr) Verwendung findet. Diese ist mitunter bei der Darstellung der Vergütungssätze nach § 43b SGB XI im Bereich der (eingestreuten) Kurzzeitpflege relevant. Es wird ein bundeslandindividuelles Kalkulationsformular zur Ermittlung der Vergütungszuschläge verwendet, aus dem die jeweiligen Erfordernisse für die Berechnung weitestgehend herauszulesen sind. Wird keine Aussage zur Handhabung eines (belegbaren) Sachkostenanteils getroffen, sind die Informationen – auch aus verhandlungsstrategischen Gründen – vor Aufnahme der Verhandlungen bei den zuständigen Kostenträgern zu erfragen und in grundlegende Überlegungen zur Gesamtstrategie aufzunehmen.

Anhand der statistischen Auswertung lässt sich aber ein prospektiver Jahreswert für An- und Abwesenheitstage je Pflegegrad nur sehr schwer ableiten. Vielfach werden Abwesenheitstage in der prospektiven Betrachtung überhaupt nicht mit aufgenommen, in Nordrhein-Westfalen hingegen ist es Usus eine Abwesenheitsquote neben der Auslastungsquote auszuweisen. Vielmehr wichtig ist die zum Zeitpunkt der Aufnahme der Verhandlungsvorbereitung tatsächliche Belegungsstruktur und -quote. Darauf aufbauend können weitere Annahmen zur Belegungsentwicklung getroffen werden. Die Annahmen sollten hierbei nach dem Vorsichtsprinzip erfolgen, da eine Belegungsstruktur mit einem überdurchschnittlich hohen Pflegegrad-Mix die Gefahr birgt auf Dauer nicht eingehalten zu werden. Weiterhin kann sich die Belegung im Zeitfenster ab der Antragstellung bis zur Unterzeichnung der neuen Pflegesatzvereinbarung bereits „fehl“entwickelt haben. Entstandene Abweichungen zwischen der bisherigen, der tatsächlichen und der kalkulierten Belegung sollten dennoch jederzeit begründbar sein, insbesondere die, die eine grundlegende Änderung der Belegungsstruktur herbeiführen und auf den ersten Blick für Dritte nicht offensichtlich sind. Ein wichtiger Aspekt ist die i. d. R. (innerhalb der Ländergrenzen) einheitlich verhandelte Belegungsquote. So haben Träger von Pflegeeinrichtungen noch einen bedeutenden Einfluss auf die Belegungsstruktur, auf die Belegungsquote jedoch nicht mehr. Hierbei sollte geprüft werden, ob eine bestimmte Belegungsquote bei Verhandlungen vorausgesetzt wird (z.  B. Baden-Württemberg mit 96,5  %, Nordrhein-Westfalen hingegen setzt eine 98  %-Auslastung voraus) oder ob diese ggfs. tatsächlich noch verhandelbar ist. Grundsätzlich gilt, eine möglichst niedrige Belegung zu verhandeln!

4.3.2  Hochrechnung der Personalkosten Die Personalkosten stellen den größeren Kostenblock bei dem Betrieb von Pflegeeinrichtungen dar. Das Hauptaugenmerk wird in der Pflegesatzverhandlung auch darauf liegen. Ihnen sollte – insbesondere für die Aufstellung, Bewertung und Anpassung – im Verhältnis zur Hochrechnung der Sachkosten deutlich mehr Zeit gewidmet werden. Es gibt drei bewährte Varianten für die Hochrechnung der prospektiven Personalkosten: 1. Bildung von Mitarbeiter:innen-Prototypen: Je Dienstart bzw. Beschäftigungsbereich und Qualifikationsniveau wird ein Mitarbeiter:in-Prototyp gebildet. Dabei werden relevante Parameter festgelegt, u. a. durchschnittliche Entgelthöhe, Qualifikation und Altersstufe (sofern für die Bewertung essenziell). Die Hochrechnung der zukünftigen Personalkosten wird anhand der refinanzierten Personalschlüssel vorbereitet (siehe dazu die Abbildung 21 auf der gegenüberliegenden Seite). 78

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Pflegefachkräfte Leitung

Soziale Betreuung

Azubi Pflege (2-/3jährig)

Sonstige Dienste Küche FSJ/BFD/ Praktikanten

Reinigung Wäscherei Technischer Dienst

Alltagsbegleiter nach § 43b

Abbildung 21: Mögliche Dienstartenstruktur einer stationären Pflegeeinrichtung

Zusätzlich können weitere Prämissen für die pauschale Variante getroffen werden, z. B. Veränderungen in der Höhe der Sozialabgaben, der Altersvorsorgebeiträge, der Zeitzuschläge sowie Veränderung in der Altersstruktur. Vorteil der Methodik ist der geringe Aufwand in der Prognoseerstellung. Nachteil hingegen ist die (auch trotz weiterer Prämissenbestimmung) eingeschränkte Genauigkeit und Transparenz in der Abbildung der Personalkostenentwicklung. Kostenträger scheuen in der Praxis diese Art der Verhandlungsgrundlage und erfragen für eigene (entkräftende) Berechnungen tatsächliche Lohn- und Gehaltsabrechnungen. Diese Methodik ist grundsätzlich nur zu empfehlen, wenn es sehr schnell gehen muss oder wenn die Datenbasis für eine Detaildarstellung der echten Personalkosten nicht ausreicht. 2. Detailplanung für jede:n Mitarbeiter:in: Für jede:n Bestandsmitarbeiter:in wird eine individuelle Planung durchgeführt. Anhand zahlreicher Personalinformationen wird das zukünftige Entgelt anschließend bestimmt. Die folgenden Informationen dienen der Ermittlung der individuellen Personalkosten: – Name und Personal-Nummer – Eintrittsdatum – Geburtsdatum – Qualifikation (entsprechend der Logik der Pflegesatzverhandlung) – Ausweis der Stellenanteile in Wochenstunden oder VZÄ – Grundgehalt je Monat im prospektiven Pflegesatzzeitraum – Entgeltgruppe – Entgeltstufe Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Verwaltung

Pflegehilfskräfte (ohne Ausb.)

Pflegehilfskräfte (1jährige Ausb.)

Hauswirtschaft

– – – – –

Funktionszulagen Arbeitgeberseitige Zuschüsse/betriebliche Altersvorsorge Einbezug geldwerter Vorteile Weihnachts-/Urlaubsgeld oder Jahressonderzahlungen Zuschläge (pauschaler Prozentwert, bemessen an historischen Abrechnungsdaten) – Ausweis der Gesamt-Arbeitnehmer-Bruttokosten – Arbeitgeberseitiger Anteil an Sozialversicherungsabgaben – Ausweis der Gesamt-Arbeitgeber-Bruttokosten. Die Aufstellung hat mit dem Personal-Namen und der dazugehörigen Personal-Nummer zu erfolgen, da im Rahmen der Nachweispflichten Kostenträger i. d. R. anonymisierte Listen anfordern. In der Praxis verwenden Träger von Pflegeeinrichtungen häufig entweder nur die eine oder die andere Information und sind so eigenverschuldet zur doppelten Vorbereitung von Personallisten gezwungen. Dies erhöht insgesamt die Gefahr einer Fehleranfälligkeit in den aufbereiteten Daten, sowohl was den Inhalt als auch den Stand anbelangt. Zudem können Abweichungen zu den bereits eingereichten Unterlagen entstehen, die bei den Kostenträgern weitere Rückfragen aufwerfen lassen. In der Personalliste geben die in den jeweiligen Datensätzen enthaltenden Informationen weitere wichtige Anhaltspunkte für die Hochrechnung der Personalkosten. Das Geburtsdatum kann beispielsweise Auskunft über einen bevorstehenden Renteneintritt im prospektiven Zeitraum geben. Der entsprechende Personalfall muss durch eine oder mehrere Neueinstellungen ersetzt werden. Diese sind aufgrund ihres logischerweise geringeren Lebensalters und ihrer eventuell geringeren Berufserfahrung oftmals günstiger und erzeugen Verschiebungen in der Bewertung der durchschnittlichen Personalkosten. Weitere, dazu korrespondierende Daten sind Jubiläen, die eine Prämienauszahlung, oder nächste Vorrückungen, die eine Gehaltssteigerung auslösen können. Beide lassen sich i. d. R. vom Eintrittsdatum ableiten. Die Personalkosten werden monatlich abgebildet, um so tarifliche Steigerungen ab einem bestimmten Monat einzubeziehen und eine zeitraumbezogene Vergleichbarkeit aufzubauen. Für die Simulation der Personalkostenveränderungen im prospektiven Pflegesatzzeitraum ist die Auswertung so aufzubauen, dass sie die Möglichkeit bietet, bestimmte – für alle Personalfälle – allgemeingültige Parameter (z. B. Höhe der Sozialversicherungsabgaben, zusätzliche Versorgung, tarifliche Steigerungen usw.) manuell zu ändern und die damit verknüpfte Berechnung automatisiert bzw. verformelt erfolgen kann.

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Es gilt eine Zuordnung zur Entgeltermittlung gemäß Kalkulationsformular zur Überleitung der einrichtungs- oder trägerindividuellen Personalstrukturen zu den durch den Kostenträger oder durch die Landesrahmenvereinbarung vorgegebenen Personalgruppen aufzusetzen – sofern die trägerinternen Personalstrukturen nicht ohnehin daran ausgerichtet wurden.

Vorteil der Methodik ist die hohe Prognosegenauigkeit und Detailtiefe, die auch eine Verhandlungssicherheit weiter begünstigt. Weiterhin besteht die Planungssicherheit nicht nur für Pflegesatzverhandlungen, sondern auch für wesentliche Teile der Wirtschaftsplanung. Nachteil hingegen ist der relativ hohe Bestimmungsaufwand und der damit verbundene Einsatz personeller sowie zeitlicher Ressourcen. Kostenträger setzen eine solche Ausprägung der Personalkostenhochrechnung und den entsprechenden Nachweis in laufenden Pflegesatzverfahren überwiegend voraus. 3. Berechnung der durchschnittlichen Stellenkosten im Rahmen des Personalcontrollings: Zu empfehlen ist eine Methode, die das Beste beider Varianten miteinander vereint: So liefert das Personalcontrolling ganzjährig bzw. in regelmäßigen Abständen eine überarbeitete Aufstellung der durchschnittlichen Stellenkosten je Qualifikation, und zwar auf Basis der tatsächlichen Personalabrechnungsdaten. Zu vermeiden sind dabei die häufigen Fehler einer ungenauen Datenbasis für die Personalmengenberechnung (siehe hierzu 4.2.3 richtige Berechnung der Personalkosten). Diese werden mit den noch zu treffenden Steigerungsannahmen (u. a. tarifliche Steigerungen) multipliziert.

4.3.3  Hochrechnung der Sachkosten Die Sachkosten stellen bekanntermaßen den kleineren Kostenblock bei dem Betrieb von Pflegeeinrichtungen dar. Das Hauptaugenmerk in der Pflegesatzverhandlung wird deshalb nicht darauf liegen. Kostenträger arbeiten gerne mit statistischen Aus-

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

  INFO „Plausi-Check“: Zur Prüfung auf Plausibilität der berechneten Gesamt-AG-Bruttokosten ist es ratsam, eine gesonderte Spalte in der Auflistung einzufügen, die die AG-Bruttokosten in ein Verhältnis zum Stellenanteil setzt (AG-Bruttokosten dividiert durch Stellenanteil), d. h. wie viel kostet der jeweilige Personalfall je 1,0 VZÄ? Die Abbildung der daraus resultierenden durchschnittlichen Personalkosten gibt einen ersten Aufschluss über die Angemessenheit der Höhe der Personalkosten.

wertungen und Benchmark-Werten, die sich zum großen Teil aus der Datenanreicherung der in der Region oder im Bundesland geführten Verhandlungen ohnehin ergeben haben. Im Verhältnis zum Personalkostenbudget ergibt sich dabei ein deutlich kleinerer (Sachkosten-)Budgetbereich, was deshalb Träger von Pflegeeinrichtungen dazu veranlassen sollte – insbesondere für die Aufstellung, Bewertung und Anpassung – im Verhältnis für die Hochrechnung der Personalkosten einen größeren Schwerpunkt zu setzen. Wichtig ist, dass bestimmte Kostenpositionen oder sogar Kostenarten auf Grundlage ihrer Abhängigkeit zur Belegung bewertet werden, d. h. welche Kosten sind (nicht) belegungsabhängig? In der Kostenrechnung wird dabei zwischen variablen (belegungsabhängigen) und fixen (belegungsunabhängigen) Kosten unterschieden. Ein einfaches Beispiel stellt die Kosten für Lebensmittel dar: Bei sinkender Auslastung sollten dementsprechend die Ausgaben für Lebensmittel und Getränke sinken und bei erneut höherer Auslastung wieder steigen. Die (Kosten-)Steuerung sollte bei den variablen Kosten stets mit Zielwerten pro Belegungstag erfolgen. I. S. einer variablen Budgetierung sollten nicht die absoluten Kosten für Lebensmittel p. a., sondern Lebensmittelkosten pro Belegungstag vorgegeben werden. Diese Kostensätze sind auch häufig die entscheidende Größe für Kostenträger in Pflegesatzverhandlungen. Andererseits kann es (je nach Bundesland) sein, dass ein Lebensmittelbudget verhandelt wird, bei dem Kostensatz nur nachrichtlich oder nicht ausgewiesen ist. Träger von Pflegeeinrichtungen müssen dann, sofern nicht gesondert ausgewiesen, den für ihre Einrichtung geltenden Kostensatz je BT für die weitere betriebliche Steuerung der Küche selbst ausrechnen. Wesentlich ungenauer wird es, wenn Kostenträger im laufenden Verhandlungsverfahren pauschale Kürzungen am Pflegesatz vornehmen, die theoretisch Auswirkungen auf alle Einzelbudgets innerhalb des Personal- und Sachkostenbereiches hätten. In dem Fall gilt es intern zu klären, wo im Einzelnen Kürzungen realistisch sind und wo nicht. Möglicherweise verhelfen weitere Vergleichswerte anderer Pflegeeinrichtungen des gleichen Trägers oder von Trägern, die dem gleichen Dachverband angehören, zu einem im Vergleich zu den eingereichten Werten abweichenden Ansatz, der eingehender und regelmäßiger überprüft werden muss. Die von der Kommune oder Gemeinde jährlich in Rechnung gestellten Grundbesitzabgaben sind jedoch festgelegt. Die dazu vorgenommenen Berechnungen basieren auf anderen Grundlagen als auf der der Belegungsentwicklung. Solche Fixkosten können sich also auch erhöhen, ohne dass Träger von Pflegeeinrichtungen darauf immer direkten Einfluss haben (siehe Abbildung 22 auf der gegenüberliegenden Seite). Wie bereits in obigen Ausführungen geschildert, ist eine Hochrechnung der Sachkosten teilweise pauschal vorzunehmen, d. h. Steigerungsannahmen können hierbei

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Sachkosten belegungsunabhängig

variable Kosten

fixe Kosten

Grundsätzlich gilt: • Steigt die Belegung, steigen auch die variablen Kosten. • Sinkt die Belegung, sinken ebenso die variablen Kosten.

Grundsätzlich gilt: • Fixe Kosten sind ab 1. Tag vorzuhalten. • Fixe Kosten sind bei Belegungsschwankungen in ihrer Höhe stabil(er). • Bei erheblichen Belegungsschwankungen können sprungfixe Kosten entstehen.

Beispiele: Lebensmittel, Wäscherei, medizinisches Verbrauchsmaterial

Beispiele: Verwaltungsbedarf, Abgaben/Versicherungen

Abbildung 22: Belegungs(un-)abhängige (fixe und variable) Sachkosten

entweder am Verbraucherpreisindex und dessen Entwicklung angelehnt sein oder werden pauschal, z. B. mit 2,0-2,5  %, festgelegt und i. d. R. in der Höhe auch von Kostenträgern akzeptiert. Gemessen an der jährlichen Inflationsrate können gegebenenfalls auch höhere Annahmen getroffen werden. Die Inflationsrate in Deutschland ist im Jahr 2021 auf insgesamt 3,1  % gestiegen – der höchste Stand seit 1993. Die durchschnittliche Inflationsrate zwischen 1979 - 2020 lag bei 2,2  % pro Jahr und begründet mitunter die obige Pauschalannahme. Geplante Sondereffekte, die eine überdurchschnittliche Kostenentwicklung verursachen, sind ohnehin gesondert zu begründen. Zusätzlich kann die Gemeinkostenverteilung, in dem Fall die Verteilung der Sachkosten der zentralen Verwaltung – sofern überhaupt übergeordnete Trägerstrukturen vorhanden und falls ja: unbedingt umlegen! – als Stolperstein gelten. Der dabei strittige Punkt ist die Verwendung von Verteilungsschlüsseln, über deren Rechtmäßigkeit im Einzelfall zu Ungunsten der Pflegeeinrichtung entschieden werden kann. Die Herleitung der (gesteigerten) Kostenannahmen für den prospektiven Zeitraum muss aber begründ- und nachweisbar sein. Dies gilt für historische und prospektive Kosten(-entwicklungen) gleichermaßen. Eine weitere Möglichkeit für eine möglichst gesicherte Refinanzierung von Sachkosten ist die inhaltliche Neubewertung und Verschiebung einzelner Geschäftsvorfälle von schlechter zu besser zu verhandelnden Kostenpositionen. Das klingt im ersten Moment unfair und nach Verschleierung tatsächlicher Verhältnisse, aber ist im Grunde genommen eine realistischere Abbildung des Kostenursprungs. Ein Beispiel: Alle Träger von Pflegeeinrichtungen benötigen Pflegedokumentationsmaterial zur Erfüllung der Dokumentationspflichten im Bereich der Pflege und Betreuung. Der Kontenrahmen SKR 45 für soziale Einrichtungen nach PBV sieht sogar eine für diePflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

belegungsabhängig

sen Umstand eigens dafür eingerichtete Kostenart (#6662 Pflegedokumentation inkl. EDV-Material und Softwareservice) vor. Viele Träger von Pflegeeinrichtungen aber nutzen diese Kostenart nicht. Sie wird dementsprechend auch nicht bebucht und nicht dem Medizinischen und Pflegerischen Bedarf (Name der Kostenposition in Kalkulationsschemata variiert je nach Bundesland) zugeschrieben. Der Einfachheit halber werden angefallene Aufwendungen einer Kostenart (z.  B. Bürobedarf), die dem Verwaltungsbedarf zugehörig ist, zugeschrieben. Da Kostenträger gerne selbst (eigene) Benchmarkwerte für die Bewertung der Angemessenheit der Kostensätze zurate ziehen, kann es sein, dass der vielleicht insgesamt zu hohe ausgewiesene Verwaltungsbedarf nur anteilig refinanziert wird, der Medizinische und Pflegerische Bedarf hingegen vollständig und sogar mit Luft nach oben. Letzterer wird nämlich leichter finanziell unterstützt als Ersterer. Die legitime Abbildung über die gesonderte Kostenart hätte im Rahmen des Verhandlungsverfahrens deutlich bessere Erfolgsaussichten gehabt. Schlimmstenfalls ist Trägern von Pflegeeinrichtungen der jeweilige Inhalt oder die Zusammensetzung der Kostenpositionen nicht geläufig. Die Auseinandersetzung mit der inhaltlichen Zuordnung von Geschäftsvorfällen zu Kostenarten trägt aber zum Verhandlungserfolg im Bereich der Sachkosten bei. Letztlich gilt es zu wissen, aus welchen Kostenarten sich welche einzelnen Kostengruppen gemäß Kalkulationsschema zusammensetzen. Ein Kontennachweis einzelner Sachkonten für abgelaufene Zeiträume wird häufig von Kostenträgern im laufenden Verhandlungsverfahren erbeten. Sie entscheiden gegebenenfalls über die Rechtmäßigkeit der Zuordnung einzelner Sachkonten zu Kostengruppen, im schlimmsten Fall wird eine Unrechtmäßigkeit mit dem Ausbleiben einer Refinanzierung bestraft. Träger von Pflegeeinrichtungen sollten sich deshalb immer eine Nicht- oder Teil-Anerkennung von Sachkostenpositionen begründen lassen und je nach Stichhaltigkeit beim zuständigen Kostenträger nachfassen und nach Möglichkeit weiter verhandeln.

4.3.4 Tarifüberleitungssimulation Im Rahmen der Einführung der Tarifpflicht mit der Pflegereform 2021, die im § 72 Abs. 3a und 3b SGB XI geregelt wird, gilt es insbesondere für bisher nicht tarifgebundene Träger zu prüfen, welche tariflichen Bestimmungen in Zukunft gelten können bzw. welche Tarife sie anwenden möchten. Eine sorgfältige Standortbestimmung für nicht tarifgebundene Einrichtungen und Träger ist für die Durchführung von erfolgreichen Pflegesatzverhandlungen von elementarer Bedeutung und hat somit maßgeblichen Einfluss auf die zukünftige Wirtschaftlichkeit und den Betrieb der Einrichtungen. Hierzu bietet es sich an, einen Tarifvergleich mit anschließender Personalkostensimulation – unter den neuen tariflichen Bestimmungen – durchzuführen.

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Arbeitszeitkomponenten Wochenarbeitszeit

Zuschlags- und Zulagenkomponenten Urlaubstage und Zusatzurlaub

Vergütungskomponenten

Pflegezulage

Jubiläumszulage Kinderzulage

Wechselschichtzulage

Grundentgelt Zusatzversorgung Jahressonderzahlung Mehrarbeit und Überstunden Vermögenswirksame Leistungen

Schichtzulage Samstagsarbeit

Nachtarbeit Rufbereitschaft

Sonn- und Feiertagsarbeit

Bereitschaftsdienst

Abbildung 23: Mögliche Komponenten eines Tarifvergleichs Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Im Rahmen des Tarifvergleichs werden alle relevanten, aktuellen arbeitsvertraglichen Regelungen und Vergütungskomponenten mit den relevanten Tarifkomponenten eines möglichen Zieltarifs verglichen. Hier können auch mehrere Tarifwerke berücksichtigt und miteinander verglichen werden. Eine nicht abschließende Aufzählung von Regelungen, die in einem Tarifvergleich berücksichtigt werden kann, ist der folgenden Abbildung 23 (siehe unten) zu entnehmen. Es bietet sich an, die einzelnen Komponenten in einer Tabelle gegenüberzustellen. Hierbei muss darauf geachtet werden, dass insbesondere die einzelnen Vergütungsund Arbeitszeitkomponenten gut dokumentiert und getrennt voneinander herausgearbeitet werden. Auf diesen basiert in den nächsten Schritten die Simulation der Überleitung der Mitarbeiter:innen. Nachdem die einzelnen tariflichen Komponenten verglichen wurden, müssen die Mitarbeiter:innen einzeln in die Vergleichstarifstruktur überführt werden. Dabei sind sowohl die Vergütungskomponenten des Vergleichstarifs anzuwenden als auch die Effekte der Arbeitszeit- und Zuschlagskomponenten. In diesem Schritt ist zu beachten, dass erhebliche Unterschiede entstehen können, wenn es um die Anerkennung von Vorbeschäftigungsjahren geht, die in vielen Tarifwerken einen Einfluss auf die Erfahrungsstufen haben und somit auf die Personalkosten. Auch Unterschiede in der Wochenarbeitszeit oder Urlaubstagen sollten bei der Überleitung hinsichtlich der Kostenauswirkung berechnet und in den Vergleich einbezogen werden. Für die Vorbereitung von Pflegesatzverhandlungen ist die Tarifüberleitungssimulation für bisher nicht tarifgebundene Träger ein wesentlicher Eckpfeiler, um die zukünftigen Personalkostenstrukturen ermitteln zu können. Hierbei muss eine größtmögliche Sorgfalt an den Tag gelegt werden, um mögliche Regressrisiken im Nach-

hinein auf der einen Seite zu umgehen. Auf der anderen Seite gilt es, das wirtschaftliche Risiko zu vermeiden, dass die prospektiven Personalkosten aus der Simulation heraus zu gering angesetzt wurden. Die Auswahl des geeigneten Tarifwerks zur zukünftigen Entlohnung ist somit eine wichtige strategische Weichenstellung, bei der die finanziellen Auswirkungen für die Einrichtung berechnet werden müssen, aber auch die Effekte auf die Attraktivität des Arbeitgebers aus Sicht der Arbeitnehmer:innen beachtet werden. Vor dem Hintergrund, dass die Entlohnung zukünftig deutlich näher bei einander liegen wird, kommt ergänzenden nichtmonetären Gestaltungselementen eine besondere Bedeutung zu.

4.3.5  Simulation der Pflegesätze und des EEE Wenn die vorbereitenden Arbeiten zur Hochrechnung der Personal- und Sachkosten sowie die Überlegungen zu einer prospektiven Belegungsstruktur abgeschlossen sind, kann eine Simulation der Pflegesätze erfolgen. Das Rechenschema unterscheidet sich in jedem Bundesland. Excel-Vorlagen gibt es meist bei den Spitzenverbänden. Sofern bei der Hochrechnung der Kosten die Struktur der Pflegesatzkalkulation beachtet wurde, kann das Formular einfach befüllt werden und die Pflege- sowie U&V-Sätze berechnet werden. Ein prozentualer Vergleich zu den bisherigen Sätzen hilft einzuschätzen, wie groß der Preissprung ausfallen wird. Da der Pflegesatz jedoch zum Teil von der Pflegekasse bezahlt wird, sollte im nächsten Schritt die finanzielle Auswirkung für den Bewohner berechnet werden. Sofern dieser nicht Sozialhilfeempfänger ist, muss er den einrichtungseinheitlichen Eigenanteil sowie die U&V-Sätze bezahlen (und natürlich auch den Investitionskostensatz, der nicht Teil der Pflegesatzverhandlung ist). Gesamtaufwendungen im Bereich Pflege und Betreuung - Gesamtleistungsbetrag der Pflegeversicherung bei geplanter Pflegegrad-Struktur = zu zahlender Gesamteigenanteil ÷ vereinbarte Bewohneranzahl sowie Monatsanzahl (12) = Einrichtungseinheitlicher Eigenanteil je Monat Abbildung 24: Berechnung des EEE

Die Berechnung des EEE funktioniert wie folgt: Der Tagessatz wird ermittelt, indem die Summe aus EEE und Versicherungsbeitrag durch die durchschnittliche Tagesanzahl von 30,42 geteilt wird. Der Pflegesatz für Pflegegrad 1 wird in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich festgelegt. 86

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

heute

Ab Januar 2022 -5% vom EEE

911 €*

-25% vom EEE

866 €

-45% vom EEE

683 €

-70% vom EEE

501 € 273 €

Verweildauer von Pflegebedürftigen in der stationären Pflege Status quo

Ab 1. Monat

Mehr als 12 Monate

Mehr als 24 Monate

Mehr als 36 Monate

* Durchschnittlicher Eigenanteil laut Bundesgesundheitsministerium

Abbildung 25: Entlastung der Pflegebedürftigen durch Reduktion des Eigenanteils (gültig ab 01.01.2022) , hier der EEE im Bundesdurchschnitt Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

87

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Im Rahmen der Szenario-Bewertung sind alle einzelnen Einflussfaktoren auf den EEE gesondert zu bewerten, um eine bestmögliche Vorbereitung der Pflegesatzverhandlungen zu gewährleisten. Hierzu zählt insbesondere auch die Belegungsstruktur der Einrichtung, die vor dem Hintergrund der Pflegereform 2021 und den hierin enthaltenen bundeseinheitlichen Personalschlüsseln eine besondere Bedeutung erhalten. Im GVWG wurde prinzipiell eine Entlastung der Pflegebedürftigen hinsichtlich der zu zahlenden Eigenanteile vorgesehen. Diese ist nach Verweildauer in der Einrichtung gestaffelt. Die geplante Entlastung ist in der folgenden Abbildung 25 exemplarisch dargestellt. Dieses Verfahren greift ab Januar 2022 und führt zunächst zu einer tatsächlichen Entlastung der Bewohner:innen. Gleichwohl ist festzustellen, dass durch die weiteren Reformschritte des GVWG, die Einführung der Tarifpflicht ab September 2022 und bundeseinheitliche Personalschlüssel ab Juli 2023, de facto in vielen Bundesländern eine Netto-Belastung für Pflegebedürftige und deren Angehörige entstehen wird. Sowohl die Tarifpflicht als auch die neuen bundeseinheitlichen Personalschlüssel werden den EEE in der stationären Pflege deutlich steigen lassen, da bisher nicht EEE-relevante Positionen, wie das bisherige Zusatzpersonal aus dem PpSG oder GPVG in die Kalkulation der Entgelte einfließen werden. Außerdem werden sich neben der Einführung der Tarifpflicht auch die notwendigen Nachpersonalisierungen durch die neuen bundeseinheitlichen Personalschlüssel, die je nach Bundesland

unterschiedlich stark ausfallen, teils erheblich auf die Eigenanteile auswirken. So fallen die Steigerungen der Personalmenge in Baden-Württemberg beispielsweise deutlich moderater aus als in Niedersachen. Die sich ergebenden Effekte auf die Eigenanteile sind exemplarisch in der folgenden Darstellung abgebildet. Der Der Abbildung 26 ist zu entnehmen, dass unter Berücksichtigung aller beschriebenen Effekte eine deutliche Netto-Mehrbelastung in den Beispielländern Niedersachsen und Hessen zu erwarten ist. Im Detail wird dies auch noch einmal für eine hessische Einrichtung dargestellt.

Effektive Entlastung der Eigenanteile 100%

Belastung in Hessen und Niedersachsen

80%

Trotz voller Entlastung des EEE, keine NettoEntlastung erreichbar

60% 40% 20% 0% -20% -40% -60%

Ab 1. Monat

Ab 13. Monat

Ab 25. Monat

Ab 37. Monat

Netto-Entlastung nur in Baden-Württemberg

-80% Entlastung Pflegereform

Baden-Württemberg

Hessen

Niedersachsen

Abbildung 26: Tatsächliche „Entlastung der Eigenanteile“ – Effekte nach Beispieleinrichtungen in den einzelnen Bundesländern

Durch die Effekte der notwendigen Nachpersonalisierung i. H. v. rund 3,5 VZÄ sowie die Tarifangleichung i. H. v. 19% steigt der EEE im vorliegenden Berechnungsbeispiel um fast 85 % - und das, obwohl der Pflegesatz nur um 25% steigt. Das liegt an zwei Effekten: Zum einen unterliegen die Pflegekassenerstattungen keiner Anpassungsdynamik, sondern sind wertmäßig festgelegt. Demnach werden alle Steigerungen ausschließlich über den EEE aufgefangen. Zum anderen gab es in den letzten Jahren Zusatzpersonal in den Einrichtungen (PpSG- oder GPVG-Personal), dessen Kosten direkt mit den Pflegekassen abgerechnet wurden – ohne einen Eigenanteil beim Bewohner. Diese Refinanzierung gibt es nach Einführung der neuen, bundesweiten einheitlichen Personalschlüssel nicht mehr. Demnach werden dann alle Personalkosten wieder über den EEE zu refinanzieren sein. Eine Berücksichtigung dieser Effekte in der Pflegesatzsimulation, die von Bundesland zu Bundesland stark variieren können, 88

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Auswirkungen Pflegereform auf EEE EEE (alt)

860,00 €

PK (alt)

1.740.000,00 €

Gesamtkosten (alt)

2.064.000,00 €

Durchschn. Stellenkosten

Zusatzkosten

3,52 154.214,68 €

Angleichung Tarif 19,00 %

2.254.115,46 €

Neue Gesamtkosten

2.578.115,46 €

Steigerung EEE EEE (neu)

84,72% 1.588,62 €

Abbildung 27: Beispieleinrichtung aus Hessen, bisher ohne Tarifbindung

ist unbedingt anzuraten, um die Mehrbelastung für die Bewohner:innen frühzeitig prognostizieren zu können. Die Entscheidung bezüglich der Erhöhung der EEE sollte auch vor dem Hintergrund der strategischen Ausrichtung der jeweiligen Träger von Pflegeeinrichtungen abgewogen werden. Im Hinblick auf das umliegende Markt- bzw. Wettbewerberfeld kann dabei hilfsweise eine vereinfachte Analyse vorgenommen werden, bei der durch Konkurrenzvergleich erste Anhaltspunkte für eine Plausibilität und Wirtschaftlichkeit der aktuellen Pflegesätze und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung gewonnen werden können. In der direkten Gegenüberstellung zeigt sich schnell und (visuell) eindeutig, welche durchschnittlichen Preisbestandteile in welcher Höhe zu entrichten sind. Ein Vergleich ist hierbei nur mit dem EEE, den Entgelten der Unterkunft und Verpflegung und nur bedingt mit den Investitionskosten (aufgrund in Vorhinein anzunehmender unterschiedlicher Gebäudestrukturen) möglich. Es gilt zu klären,: • … in welchem Bereich (oberes, mittleres oder unteres Drittel) die Pflegeeinrichtung im Preisranking fällt? • … wie hoch die Summe der durchschnittlichen Kosten der Pflegeeinrichtung in Relation zur Summe der durchschnittlichen Kosten aller Pflegeeinrichtungen im näherliegenden Umfeld ist (über- oder unterdurchschnittlich)? Anschließend lässt sich die Preisstrategie für die Zukunft ableiten. Ebenso sollte frühzeitig überlegt werden, wie diese Steigerungen in Richtung Bewohner kommuniziert werden sollen und wie der (z.T. deutliche) Gehaltssprung und das Mehr an Personal möglichst positiv in Richtung Mitarbeiterschaft transportiert werden können. Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

89

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Zu besetzende neue Stellen

43.800,00 €

4.4  Zeitplan für die Pflegesatzverhandlung Da eine ganze Reihe von Arbeitsschritten zur Vorbereitung und Durchführung von Pflegesatzverhandlungen notwendig ist, bedarf es einer guten Zeitplanung. Da der (gewünschte) Zeitpunkt der Pflegesatzerhöhung meist schon feststeht, z. B. aufgrund von Tariflohnsteigerungen, ist damit häufig eine Art „Rückwärtsrechnung“ verbunden. Ausgehend vom Tag, an dem die Pflegesätze angewendet werden, müssen alle Schritte dafür zeitlich bemessen werden. Einzelne davon liegen in der Hand des Trägers (Vorbereitung und Kalkulation), andere sind von der zeitlichen Verfügbarkeit der Verhandlungspartner und festgelegten Ankündigungsfristen abhängig. Der ganze Prozess nimmt häufig mehr Zeit in Anspruch als gedacht, da die Vorbereitung entweder vollständig in der Pflegeeinrichtung oder vielfach mithilfe des übergeordneten Trägers der Pflegeeinrichtung oder externen Beratern erfolgt und deshalb zusätzlich notwendiger Koordinations- und Abstimmungsaufwand erzeugt wird. Ein beispielhafter Ablauf kann wie folgt aussehen (siehe Abbildung 28, unten) Weiterhin sind die vorgegebenen (Antrags-)Fristen zu berücksichtigen, ohne deren Beachtung sich der prospektive Pflegesatzzeitraum ggfs. weiter nach hinten verschiebt und sich demnach nicht nahtlos an den aktuellen Pflegesatzzeitraum aneinanderreiht. Dadurch wird die zu dem Zeitpunkt (noch) gültige Pflegesatzvereinbarung bis zum Abschluss der neuen Vereinbarung aufrechterhalten.

1. Zahlenaufbereitung (intern / Pflegeeinrichtung) Vorbereitung Personal-/Sachkostenstruktur für Gegenüberstellung vom gebuchten + zu verhandelnden IST 2. Ableitung der prospektiven Kalkulation durch zuständige Einheit / Träger der Einrichtung Ausweis von Hochrechnung / Planrechnung inkl. Pflegegradstrukturplanung / Simulationsrechnungen 3. Bereitstellung der Unterlagen an zuständige Einheit / Träger der Einrichtung Gemeinsamer Nachweis nach § 85 Absatz 3 SGB XI 4. Prüfung durch zuständige Einheit / Träger der Einrichtung Plausibilität der Personalkosten-/Sachkostenentwicklung (z. B. hinsichtlich tariflicher Erhöhungen, VPI) 5. Anpassung durch zuständige Einheit / Träger der Einrichtung ggfs. ergänzende Kommentierung 6. Aufforderung zur Pflegesatzverhandlung an Leistungsträger (Pflegekasse) Vorbereitung / Versand des Schreibens 7. Berechnung erwartetes Ergebnis für Ankündigungsschreiben u. a. Vorbereitung reduzierte Darstellung für Bewohner-Schreiben 8. Versand Ankündigungsschreiben / Einbezug Heimbeirat Erläuterung / Darstellung der kalkulierten Kostenerhöhungen 9. Austausch von Forderung (Träger der Einrichtung) u. Angebot (Leistungsträger) 1-3 Runden mit jeweiligen Anpassungen, z. B. durchschnittliche Jahresbruttokosten/VZÄ oder Sachkosten/BT

Abbildung 28: Typischer Ablauf einer Pflegesatzverhandlung

90

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Die nachstehende Abbildung 29 soll Träger von Pflegeeinrichtungen einen groben Überblick über die zeitliche Planung und Einschätzung eines Pflegesatzverfahrens inklusive der Vor- und Nachbereitung geben: vor Antragstellung

• Aufbereitung IST-Kosten • Tarifsimulation • Kostensteigerungsfaktoren • Deckungsbeitragsanalyse

2 Analyse der Kostenentwicklung/Simulation Pflegesatzverhandlung • Simulation auf HR-Basis • Abgleich / Rückrechnung der letzten Verhandlungsergebnisse

6 Beginn neuer Pflegesatzzeitraum

3 Entwicklung der Verhandlungsstrategie • Szenarioentwicklung • Szenariobewertung

7 Umsetzung

5 Mitteilungsfrist gem. § 9 (2) S. 4 WBVG (4 Wochen)

Verhandlungsverfahren

• Informationsschreiben zur tatsächlichen Entgelterhöhung • ggfs. Rechnungskorrektur des abgelaufenen Monats künftiger Pflegesatzzeitraum

aktueller Pflegesatzzeitraum

14-21 Tage

3-7 Tage

7-14 Tage

20.11.

04.12.

01.01.

01.02.

Abbildung 29Zeitlicher Rahmen für die Vorbereitung und das Verfahren einer Pflegesatzverhandlung

In Abbildung 29 wird von einer direkt nach dem Auslaufen des aktuellen Pflegesatzzeitraumes anschließenden Anpassung der bisherigen Pflegesätze ausgegangen. Der Einfachheit halber sollen neue Pflegesätze zum 01.01. des Folgejahres vereinbart werden. Um mit den Vorbereitungen rechtzeitig beginnen zu können, kann die dafür benötigte Dauer bzw. der Beginn einer Aufnahme der Vorbereitungen rückwärts berechnet werden. Grundsätzlich gilt, zwei unumgängliche Fristsetzungen einzuhalten, um die zu einem bestimmten Zeitpunkt anvisierte Entgeltanpassung von Seiten des/ der Antragsteller:in zu gewährleisten. Zum einen müssen die Antragsfrist, d.h. die Aufforderung zur Aufnahme der Verhandlungen, mindestens 6 Wochen vor dem neuen Pflegesatzzeitraum bei dem Verhandlungspartner, den Vertreter:innen der Kostenträger, und zum anderen die Mitteilungsfrist gemäß §  9 Abs. 2 S. 4 WBVG gegenüber den Bewohner:innen der Pflegeeinrichtung beachtet werden. Daraus ergibt sich, dass spätestens zum 20.11. (bzw. durch den postalischen Versand einige Tage vorher) des laufenden Jahres die Pflegesatzkalkulation und damit die zu erwartenden Entgelterhöhungen final ermittelt worden sind.

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

91

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Antragsfrist (6 Wochen)

1 IST-Analyse/ Hochrechnung

nach Antragstellung

4

Die Dauer der Vorbereitungen selbst kann dabei stark variieren, je nach dem, in welcher Datenqualität die notwendigen Informationen vorliegen oder bereits erfasst und im Jahresverlauf bearbeitet wurden. Die einzukalkulierenden Zeiträume müssen deshalb träger- oder einrichtungsindividuell bemessen werden. In diesem Beispiel ist davon auszugehen, dass insgesamt 6 Wochen für die Vorbereitung des Pflegesatzverhandlungsverfahrens benötigt werden. Eine Aufnahme der Vorbereitungen ist demnach für Anfang Oktober vorgesehen, was einer Gesamt-Vorlaufzeit bis zum Einsetzen der neuen Entgelte von mindestens 3 Monaten entspricht. Sofern Träger von Pflegeeinrichtungen die Chance auf einen nahtlosen Übergang vom aktuellen zum künftigen Zeitraum zusätzlich erhöhen wollen, sollte die 6-Wochen-Frist nicht bis zum Ultimo ausgereizt werden. Sobald eine Vereinbarung für den künftigen Zeitraum getroffen wurde, ist ggfs. noch eine entsprechende Korrektur der vorschüssigen Heimabrechnung des bereits angelaufenen Monats (im neuen Pflegesatzzeitraum) vorzunehmen, mit der darauffolgenden Heimabrechnung. Ein nach der geführten Verhandlung zusätzliches Bewohner:innen-Schreiben über die tatsächliche Entgelterhöhung sollte das gesamte Verfahren abrunden. Mit einem gut organisierten Controlling, das auf Strukturen aufbaut, die der Logik der Pflegesatzverhandlung folgen (siehe Kapitel 4.2) und dessen Berichte regelmäßig von den Führungskräften analysiert werden, kann die Vorbereitungszeit sehr stark verkürzt werden. Ist-Kostendarstellungen und Gegenüberstellung mit verhandelten Werten sollten dann automatisch generiert werden. So beschränkt sich die Vorbereitung auf die Simulation und Hochrechnung sowie auf die strategischen Aspekte.

4.5  Risiko- und Wagniszuschlag Mit dem Betrieb einer Pflegeeinrichtung übernehmen Träger einige Risiken, die im heutigen Geschäftsmodell mit pauschalen Entgeltsätzen pro Tag nicht durch den Kostenträger abgesichert werden. Insbesondere, da Pflegesätze stets prospektiv, d. h. für eine zukünftige Zeitperiode verhandelt werden, liegt es in der Natur der Sache, dass zukünftige Entwicklungen nicht vollständig vorhergesehen werden können und Risiken bestehen, dass Kosten oder die Leistungserbringung sich anders entwickeln als geplant. Da im heutigen Geschäftsmodell auch keine „rückwirkende Nachverhandlung“ vorgesehen ist, muss sich der Unternehmer bei der Pflegesatzverhandlung nicht nur mit der eigenen Kostenstruktur auseinandersetzen, sondern auch mit etwaigen Risiken, die Auswirkungen auf Kosten oder Ertrag haben können.

92

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Mögliche Risiken beim Betrieb eines Pflegeheims sind z. B.:

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

93

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

• Belegungsveränderungen: Sobald die Belegung unterhalb der verhandelten Belegung von meist 95 bis 98  % liegt, können Verluste entstehen. Die Fixkosten sind dann nicht mehr zu 100 % gedeckt. • Belegungsstrukturveränderungen: Im Kapitel 3.2.1 ist erläutert, dass nicht jeder Pflegegrad kostendeckend ist. Das ist unproblematisch, solange die tatsächliche Belegungsstruktur der verhandelten Struktur entspricht. Dann deckt der Einrichtungseinheitliche Eigenanteil die bei einzelnen Pflegegraden entstehenden Verluste durch Überschüsse bei anderen – ganz im Sinne einer Mischkalkulation. Sobald die Pflegegradstruktur von der verhandelten abweicht, kann diese Mischkalkulation zu Ungunsten (aber auch zu Gunsten) des Trägers kippen. • Personalkostenrisiken: Die Personalkosten als größter Kostenblock im Pflegeheim weisen eine Vielzahl an Risiken auf, z. B.: – Tarifrisiken: Steigerung, Zuschläge, Arbeitszeiten, Urlaubstage etc. können sich bei zukünftigen Tarifverhandlungen verändern. – Krankheitsquote: Es gibt große Unterschiede und Schwankungen bei der krankheitsbedingten Abwesenheit der Mitarbeiter:innen, die schnell zu deutlichen Kostenerhöhungen führen können. – Personalvakanzen: Können Personalstellen nicht besetzt werden, leidet nicht nur die Qualität der Pflegeleistung. Die Maßnahmen zur Kompensation (Überstunden, Leiharbeiter) führen häufig zu deutlich höheren Personalkosten. – Erhöhter Personalbedarf: Die Personalschlüssel determinieren den Personalbedarf. Es gibt aber Situationen, in denen der Betrieb nicht mehr ohne über die Personalschlüssel hinausgehenden Personaleinsatz aufrechterhalten werden kann. Z. B. bei der Umstellung von QM-Systemen, Einführung einer digitalen Pflegedokumentation, Anpassung von Pflegekonzepten. – Personalnebenkosten: Auch hier lassen sich nicht alle Parameter voraussagen. Gesetzliche Änderungen könnten zu erhöhten Sozialversicherungsbeiträgen führen. Zusätzliche Anforderungen an Gesundheitsprüfung, Fortbildung etc. führen zu nicht geplanten Kosten. • Sachkostenrisiken: Auch in den Sachkosten können sich nicht unerhebliche Preisund Mengenrisiken verbergen. Die Preisentwicklung ist mitunter dynamisch, die Inflation schwankt. So fällt es schwer, die Entwicklung von Energiekosten oder auch Lebensmittelkosten für die nächsten 12 Monate treffgenau zu prognostizieren. Und auch Mengensteigerungen können zu unvorhergesehenen Kostensteigerungen führen. Ein kalter Winter fordert mehr Energiekosten, arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen könnten zu höheren Beratungskosten führen, IT-Sicherheitsvorfälle erhöhen die IT-Adminkosten usw.

• Risiko gesetzlicher Änderungen: Der Gesetzgeber hat der Pflegebranche in den letzten Jahren eine Flut an Veränderungen beschert. Selten konnte der Unternehmer die Auswirkungen vorhersehen. Zu seinem Schutz wurden in die neuen Gesetze häufig aber auch Besitzstandsregelungen „eingebaut“, jedoch nicht immer. • Regressrisiken: Schadenersatzforderungen sind auch für einen Pflegeheimträger denkbar, sei es von Seiten der Bewohner:innen und Angehörigen oder auch von Seiten der Aufsichtsbehörden. Die Liste ließe sich noch um einige Positionen verlängern und soll verdeutlichen, dass Betreiber mit einer Reihe von Risiken konfrontiert ist, die schnell zu einem Defizit führen können. Dennoch stecken in Geschäftsmodellen mit pauschaler Vergütung auch Gewinnmöglichkeiten. Jedes der genannten Risiken kann auch eine Chance sein, wenn tatsächliche Rahmenbedingungen zu geringeren Kosten führen, als verhandelt wurden. Jedoch muss festgestellt werden, dass die letzten Gesetzesänderungen zu einer eher einseitigen Verlagerung der Risiken auf den/die Unternehmer:in geführt haben. Laut § 115 SGB XI berechtigen Personalkosten und Personalstellenunterschreitungen die Pflegekassen zu Regressforderungen. Personalkostenüberschreitungen z. B. durch ungeahnte Tariflohnsteigerungen führen aber nicht zu einer Nachverhandlungsoption. Einige Bundesländer haben Regelungen eingeführt, die die Gewinnmöglichkeit kaschieren, wenn die Einrichtungen mit einer sehr guten Belegungsquote über der verhandelten Quote liegen. Dann wird für die nächste Verhandlung eine entsprechend höhere Quote unterlegt. Wird die verhandelte Belegung unterschritten, so ergibt sich daraus kein Erstattungsanspruch. Diese Beispiele sollen verdeutlichen, dass nicht nur Risiken bei der Kalkulation der Pflegesätze zu beachten sind, sondern eine einseitige Risikoverteilung zu Ungunsten der Einrichtungsträger vorliegt. Tatsächlich ist es weiterhin schwierig, in einer Pflegesatzverhandlung einen angemessenen Risikoaufschlag in den Pflegesätzen zu vereinbaren. Nicht selten sehen wir in unseren Betriebsanalysen Ergebnisse von Pflegesatzverhandlungen (die wir nicht selbst begleitet haben), bei denen gar kein Gewinnaufschlag vereinbart wurde. Vor dem Hintergrund, dass im § 84 SGB XI Abs. 2 eine „angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos“ explizit erwähnt und festgeschrieben ist, stellt sich die Realität häufig doch anders dar. Wir empfehlen an dieser Stelle, entsprechend hartnäckig zu sein und mit einer guten Argumentationsstrategie eine angemessene Vergütung des Unternehmerrisikos im Pflegesatz zu erreichen – so wie es im § 84 geschrieben ist.

94

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Risiko (Kostenauswirkung p.a.)

Krankenquote höher als angenommen (derzeit 3,8%), hier 6% Energiekosten steigen überproportional

RisikoEintrittsErwartungshöhe in € wahrwert in € scheinlichkeit 278.630

25 %

69.658

20.000

45 %

9.000

Überstunden (oder Leiharbeit) fallen zuschlagpflichtig an

55.528

75 %

41.646

Höhere Personalgewinnungskosten

20.000

50 %

10.000

100.000

25 %

25.000

50.314

15 %

Personalausfallkonzept wird teurer als geplant Personalkostensteigerung höher als geplant (hier: 2,5%) Summe In % zur Gesamtsumme

7.547

524.473

162.851

7,9 %

2,4 %

Abbildung 30Beispiel für Risikoeinschätzung mit Hilfe des Erwartungswerts

Für die Verhandlung gilt es nun eine geeignete Strategie zu finden, dieses Risiko im Pflegesatz angemessen zu verhandeln. Generell bieten sich dazu zwei mögliche Ansätze: • Pauschaler Gewinnaufschlag auf den Pflege- und U&V-Satz: In vielen Bundesländern gibt es eine eigene Position für diesen Gewinn- bzw. Risikoaufschlag in den Pflegesatzkalkulationsvorlagen. Höhere Aufschläge bedürfen aber einer guten Argumentation, für die nicht selten einzelne Risiken aufgeführt und bewertet werden müssen. Schwierig hierbei ist, dass alle Risiken in einen einzigen  %-Aufschlag vermengt werden und es kaum noch nachvollziehbar ist, ob dieser Aufschlag angemessen ist oder nicht. Zudem gibt es ein BSG-Gerichtsurteil aus dem Jahr 2019, das pauschale Gewinnaufschläge ohne detaillierte Begründung und Aufschlüsselung eigentlich ausschließt. Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

95

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Aber wie hoch ist das eigene Unternehmerrisiko? Sind 2  % angemessen, müssen es 10  % sein? Hierzu gibt es viele unterschiedliche Meinungen. Daher empfiehlt es sich, Transparenz in die eigene Risikobewertung zu bringen. Im ersten Schritt sollte eine Liste mit allen möglichen und (für das Jahresergebnis) relevanten Risiken erstellt werden. Um das ganze hinsichtlich der Kostenauswirkung zu bewerten, ziehen wir gerne Verfahren aus der Stochastik, der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten, zu Hilfe: Für jedes der identifizierten Risiken sollte eine Eintrittshöhe (wie hoch wird das Preisrisiko geschätzt?) und eine Eintrittswahrscheinlichkeit in  % geschätzt werden. Durch Ausmultiplikation von Erwartungswert (Eintrittshöhe) und Eintrittswahrscheinlichkeit ergibt sich ein Erwartungswert. Die Tabelle (Abbildung 30) stellt dies beispielhaft dar:

• Risikoaufschlag bei einzelnen Kostenpositionen: Sehr viel nachvollziehbarer ist es, bei dem Ansatz von bestimmten Kostenarten Risiken für etwaige Preis- oder Mengensteigerungen einzuarbeiten. Eine gute Begründung sollte dennoch präsentiert werden können. Eine Argumentation gegenüber den Verhandlungspartnern ist immer dann erfolgreich, wenn die Risken möglichst genau begründet und beziffert werden können. Die Verhandlungspartner wünschen nicht selten eine Unterlage mit der inhaltlichen Unterbauung des Risikos.

4.6 Grundsatzstrategie zur Durchführung von Pflegesatzverhandlungen Aus der Pflegereform 2021 resultieren neue Anforderungen an die Pflegesatzverhandlungen, die eine andere strategische Herangehensweise erforderlich machen als bisher üblich. Die Schritte zur Entwicklung der Verhandlungsstrategie zeigt die folgende Darstellung (Abbildung 31). Im Rahmen der künftigen Pflegesatzverhandlungen müssen eine Vielzahl von Herausforderungen gemeistert werden. Ein wesentliches Ziel ist hierbei, auch unter erschwerten Rahmenbedingungen eine auskömmliche Refinanzierung sicherzu-

1. Entwicklung einer grundsätzlichen Verhandlungsstrategie

2. Identifikation und Bewertung von Risiken für die Verhandlung

Ggf. Start eines iterativen Prozesses, in Abhängigkeit der preislichen Positionierung

3. Entwicklung einer Preisstrategie „Wo landet die Einrichtung im Wettbewerb?“

Abbildung 31: Schritte zur Entwicklung einer Verhandlungsstrategie

96

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

97

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

stellen und die zukünftigen Anforderungen an die stationären Pflegeeinrichtungen korrekt abbilden zu können. Bei den nächsten Verhandlungen, die aufgrund der umfassenden Novellierung der Rahmenbedingungen vielfach als Einzelverhandlungen stattfinden werden, gilt es also mehr denn je, das immer engmaschigere System so gut zu kennen, um die wenigen noch vorhandenen Spielräume zu seinen Gunsten auszunutzen. Träger sollten sich deshalb mit den individuellen Auswirkungen der Reform aus 2021 auf die einzelnen Einrichtungen beschäftigen, um die Themen bestmöglich vorzubereiten und dann in der Auseinandersetzung mit den Kostenträgern optimal adressieren zu können. Die Erkenntnisse aus der frühzeitigen Analyse der Auswirkungen der Pflegereform auf die Einrichtungen sollten auch dazu genutzt werden, die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen mit auf den Weg zu nehmen. Um zu den Reformgewinnern des GVWG zu zählen, muss schnell gehandelt werden. Um beispielsweise den Personalanforderungen nach dem Personalbemessungsverfahren im Juli 2023 gerecht zu werden, sollten bereits frühzeitig entsprechende Strategien entwickelt und Maßnahmen eingeleitet werden. Eine Möglichkeit läge z.  B. darin, frühzeitig den Prozess des Employer Branding (Arbeitgebermarkenentwicklung) anzustoßen und sich als attraktiver Arbeitgeber auf dem Markt zu positionieren. So könnten sich die Träger im „Kampf um die Ressource Mensch“ schnellstmöglich einen vielleicht entscheidenden Vorsprung gegenüber den Mitbewerber:innen sichern. Eine andere Option liegt in der gezielten Ausbildung von Pflegehilfskräften, die so schnell wie möglich organisiert werden sollte. Zudem besteht die Möglichkeit, einjährig ausgebildetes Personal vor Juli 2023 zu gewinnen und bis zur Einführung des neuen Personalbemessungsverfahrens, über aktuell vorhandene Möglichkeiten, (zumindest zu Teilen) in eine saubere Refinanzierung zu bringen. Im Rahmen des gesamten Strategieentwicklungsprozesses ist auch darauf zu achten, in einem zweiten Schritt alle Risken zu identifizieren und zu bewerten. Im vorherigen Kapitel wurde der Umgang mit Risiko- und Wagniszuschlägen detailliert beschrieben. Alle gewonnenen Erkenntnisse können dann im letzten Schritt, der marktstrategischen Positionierung der Einrichtung und der Preisfindung abschließend bewertet werden. Neben der Sicherstellung der Refinanzierung der Einrichtung ist hier auch auf die Positionierung im Markt zu achten. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass auch alle anderen Marktteilnehmer, insbesondere die bisher nicht tarifgebundenen, im Zuge der Pflegereform 2021 Anpassungen vornehmen müssen. Die preisliche Angleichung aller Träger aufgrund der Tarifpflicht und einheitlicher Personalschlüssel muss für die eigene Preisstrategie beachtet

werden. Die im Rahmen der Vorbereitung hochgerechneten Pflegesätze können dazu führen, dass die gesamte Pflegesatzverhandlungsstrategie überarbeitet und angepasst werden muss.

98

4  Vorgehensweise zur Pflegesatzverhandlung

5 Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

5.1 Auswirkung auf die Steuerung von Pflegeeinrichtungen 5.1.1 Personalsteuerung Die Einführung des neuen Personalbemessungsverfahrens nach § 113c SGB XI hat erhebliche Auswirkungen auf die Personalsteuerung in der stationären Pflege (siehe Seite 100, Abbildung 32 oben). Die Steuerungskomplexität nimmt durch die Reduktion der verschiedenen Refinanzierungsquellen, die einst durch die verschiedenen vorangegangenen Reformstufen entstanden sind, ab. Der PSG-II-Zuschlag, die zusätzlichen Pflegefachkraftstellen nach dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) sowie die zusätzlichen Hilfskraftstellen nach dem Versorgungsverbesserungsgesetz (GPVG) sind zukünftig allesamt in den bundeseinheitlichen Personalanhaltswerten enthalten und müssen nicht mehr in separaten Verfahren beantragt, abgerechnet und nachgewiesen werden. Jedoch bringt das novellierte Verfahren auch einen bedeutenden Nachteil mit sich: Kosten für das zusätzliche Personal nach PpSG und GVWG, die bislang über die Pflegekasse bzw. Krankenkasse getragen wurden, erhöhen nun den Einrichtungseinheitlichen Eigenanteil und müssen von den Bewohner:innen gezahlt werden. Wie in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben, ist absehbar, dass die reformbedingten Kostensteigerungen aus dem GVWG nicht durch die Bezuschussung des Eigenanteils an den pflegebedingten Aufwendungen gem. § 43c SGB XI aufgefangen werden können. Durch die Einführung einer weiteren Qualifikationsstufe, den einjährig-ausgebildeten Hilfskräften, die wie die Gruppe der Fachkräfte auslastungs- und belegungs-

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

99

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Die mit der Reform einhergehenden veränderten Rahmenbedingungen werden erhebliche Auswirkungen auf zentrale Managementbereiche haben. Hierzu gehören neben umfassenden strategischen Auswirkungen insbesondere auch neue bzw. veränderte Anforderungen an die Steuerung von Pflegeeinrichtungen sowie an den Bereich Human Ressources. Bereits heute absehbare Auswirkungen werden in diesem Kapitel grob skizziert.

§ 85 SGB XI

50%

§ 92c SGB XI

50%

100 %

§ 8 (6) SGB XI § 8 (6a) SGB XI

Hilfskräfte ohne anerkannte Ausbildung

Hilfskräfte mit einjähriger Ausbildung

Fachkräfte

100%

Nicht EEE-relevant

50% 50%

§ 84 (8) SGB XI

Personalmengenbestimmung Die Personalmengenbestimmung folgt auch zukünftig der bekannten Grundlogik. Zentrale Erkenntnisse des RothgangGutachtens werden umgesetzt.

Weitere Änderungen Die Länder sind aufgefordert, neue Rahmenvereinbarungen zur Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens zu vereinbaren. Erfolgt dies nicht, gilt der § 113c als Auffanglösung.

Belegungsabhängig Personalmengenbestimmung je Qualifikationsbereich:

Personalbemessung • Besitzstandsschutz und Überschreitung • Mehrpersonalisierung • Aufforderung zur Rahmenvertragsanpassung • Wegfall zusätzlicher Personalschlüssel • Anwendbar ab 01.07.2023 • Evaluation der Personalmengen in 2025

PG 1= 1: 11,47 PG 2= 1: 8,32 PG 3= 1: 6,90 PG 4= 1: 6,15 PG 5= 1: 5,69

/ / / / /

17,73 14,81 9,31 7,08 9,07

/ 12,99 / 9,64 / 6,45 / 4,06 / 2,60

∑ aller PG= neue Gesamtpersonalmenge

Abbildung 32: Übergang vom bisherigen System in die neue Systematik

strukturbezogen bemessen wird, nimmt die Steuerungskomplexität jedoch an anderer Stelle auch deutlich zu. Die taggenaue auslastungs- und belegungsstrukturbezogene Steuerung des Pflegepersonals stellt bereits im heutigen System eine der zentralen Herausforderungen im Tagesgeschäft der stationären Pflege dar. Durch das neue Verfahren wird sie nun noch komplexer, ist aber bei Einsatz geeigneter Steuerungsinstrumente sehr gut beherrschbar. Die nachfolgende Abbildung 33 auf der gegenüberliegenden Seite ver100

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Tagesaktuelle Belegung Bewohner Abwesenheiten

Personaleinsatzsteuerung Personalcontrolling

QM

PDL

Tägliche Ø Anwesenheitszeit bezogen auf Nettojahresarbeitszeit*

Sollstunden des Tagdienstes als maximale Std.-Zahl für den Ist-Dienstplan

EL

Dienstplanprognose

Nachtdienst Weitere Funktionen

Neue Erkenntnisse in zukünftige Planung einarbeiten

Soll-Ist-Abgleich

Tatsächlicher Dienstplan

Ist-Stunden

Abbildung 33: Nettobasierte Personalsteuerung in der stationären Altenhilfe

anschaulicht das Grundprinzip der nettobasierten Personalsteuerung für das Pflegeund Betreuungspersonal in der stationären Altenhilfe. Es handelt sich hierbei um ein prospektives Steuerungsinstrument, das die mit der Pflegesatzverhandlung vorgegebenen Personalschlüssel auf die tägliche Anwesenheitszeit der Mitarbeiter:innen herunter bricht. Die Sollstunden dienen als Vorgabe für den Dienstplaner für die tägliche Feinplanung. Die Vorgehensweise erklärt sich wie folgt: Auf Basis der tagesaktuellen Belegung und unter Berücksichtigung von Abwesenheiten der Bewohner:innen sowie möglicherweise beantragten Höherstufungen werden mithilfe der Personalschlüssel zunächst die Soll-Stellen (für einen Wohnbereich oder die ganze Einrichtung) berechnet. Da die Steuerung v. a. auf den Tagdienst ausgerichtet ist, werden Stellenanteile für den Nachtdienst und übergeordnete Leitungsaufgaben abgezogen. Um eine Bemessungsgrundlage für die täglichen Personaleinsatz zu erhalten, werden die Soll-Stellen mit der durchschnittlichen Nettojahresarbeitszeit einer Vollzeitkraft multipliziert und durch 365 (Tage) geteilt. Die Nettojahresarbeitszeit ist die Verfügbarkeit einer Vollzeitkraft in Stunden nach Abzug aller Abwesenheiten wie Urlaub, Krankheit und Fortbildung. Die sich ergebende Stundenzahl ist die Soll-Vorgabe für den Einsatz im Tagdienst für alle Pflege- und Betreuungskräfte in Summe. Die Berechnung kann analog für die Betreuungskräfte nach § 43b erfolgen. Schafft es der Dienstplaner (und v. a. die Pflege- und Betreuungskräfte) diese Stunden im Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

101

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Höhergradungen entsprechend Realisierungswahrscheinlichkeit

Ermittlung Pflege-Soll auf Basis der verhandelten bzw. errechneten Personalschlüssel ohne

täglichen Betrieb einzuhalten, wird eine Einhaltung der Personalschlüssel sehr wahrscheinlich sein. Der prospektive Ansatz dieses Steuerungsprinzips, d. h. die Planung der Personalstunden für die nächsten Tage, sollte direkt im Dienstplanprogramm verankert werden. Die hier dargestellten Berechnungen können in den meisten Programmen hinterlegt werden, so dass automatisch geprüft wird, ob die Soll-Vorgabe eingehalten wurde und dem Dienstplaner stets die Soll-Stundenzahl für den einzelnen Tag angezeigt wird. Für das laufende (nachgelagerte) Controlling empfiehlt es sich, neben dem Soll-IstAbgleich auf Basis der Vollzeitstellen (Bruttobetrachtung) auch den Soll-Ist-Abgleich der Anwesenheitsstunden (Nettobetrachtung) aufzunehmen. Nur so kann nachträglich analysiert werden, warum Personalschlüssel nicht eingehalten bzw. unterschritten wurden.

5.1.2 Belegungssteuerung Die Belegungsstruktur wird durch das bundeseinheitliche Personalbemessungsverfahren an strategischer Relevanz gewinnen, da im neuen System mit steigendem Pflegegrad auch der relative Anteil der Fach- sowie der einjährig-ausgebildeten Hilfskräfte steigt. Konkret heißt dies, dass bei stärkerer Fokussierung der Belegungsstruktur auf höhere Pflegegrade die Anzahl der Fachkräfte und auch die Fachkraftquote steigt. Bei stärkerer Konzentration auf niedrigere Pflegegrade hingegen steigt der Anteil der Hilfskräfte und die Fachkraftquote sinkt. Rein theoretisch könnte, je nach lokaler Verfügbarkeit von Fach- oder Hilfskräften, also die Ausrichtung auf niedrigere oder höhere Pflegegrade ein taktisches Mittel sein. Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass die dauerhafte Ausrichtung auf niedrigere Pflegegrade in der Praxis voraussichtlich nur sehr schwer umsetzbar sein wird. Zudem ist bei der höheren Gewichtung einzelner Pflegegrade Vorsicht geboten, denn seit der Einführung der Einrichtungseinheitlichen Eigenanteile sind nicht mehr alle Pflegegrade automatisch kostendeckend bei Einhaltung der Stellenschlüssel – ein häufig übersehener Umstand, obwohl die Effekte sich im fünfstelligen Bereich abspielen können. Nur bei exakter Einhaltung der verhandelten Belegung gleichen sich die negativen und positiven Deckungsbeiträge der einzelnen Pflegegrade aus.

5.2 Auswirkungen auf den Bereich Human Ressources Die Einführung bundeseinheitlicher Personalanhaltswerte ab dem 01. Juli 2023, in Verbindung mit der Umsetzung eines neuen Personalbemessungsverfahrens, wird in 102

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Abbildung 34: Der Kampf um die „Ressource Mensch“

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

103

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

den meisten Einrichtungen eine deutliche Mehrpersonalisierung erforderlich machen. Die einrichtungsindividuellen Auswirkungen sind jedoch bundesland- und einrichtungsspezifisch zu betrachten. Der Bedarf an Fachkräften wird auch unter den Rahmenbedingungen nach Entfaltung des GVWG in den meisten Fällen nahezu identisch bleiben. Der Mehrbedarf wird insbesondere im Bereich der einjährig-ausgebildeten Pflegehilfskräfte anfallen. Somit wird es auf dem stark umkämpften Fachkräftemarkt voraussichtlich nicht zu einer Entspannung kommen, da Stellen auch zukünftig in einem ähnlichen Umfang vorzuhalten sein werden. Es ist jedoch abzusehen, dass es in Zukunft einen ähnlichen starken Wettbewerb um Hilfskräfte mit einjähriger Ausbildung geben wird, da auch diese nach den neuen Rahmenbedingungen in einem auslastungsund belegungsstrukturabhängigen Umfang vorzuhalten und nachzuweisen sind. Die mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) ebenfalls eingeführte Regelung, dass Versorgungsverträge ab September 2022 nur noch mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden dürfen, die ihre Mitarbeiter:innen im Pflege- und Betreuungsdienst nach tarifvertraglichen Regelungen vergüten (§ 72 Abs. 3a SGB XI), wird nicht nur dazu führen, dass Pflege- und Betreuungskräfte ab diesem Zeitpunkt besser, sondern – unabhängig davon bei welchem Arbeitgeber sie beschäftigt sind – auch vergleichbarer bezahlt werden. Dies hat zur Folge, dass sich Einrichtungsträger unter den neuen Rahmenbedingungen kaum noch über die Zahlung eines höheren Gehalts von ihren Mitbewerbern abheben können und der intensive Wettbewerb um die knappe „Ressource Mensch“ verschärft wird (siehe Abb. 34).

Wenn das Gehalt also als entscheidender Faktor bei der Wahl des Arbeitgebers – auf einem sich stärker ausprägenden Arbeitnehmermarkt – entfällt, rücken zwangsläufig andere Themen stärker in den Fokus, über die zukünftig Alleinstellungsmerkmale gegenüber der Konkurrenz etabliert werden müssen. Daher sollten Träger möglichst zeitnah, mit Blick auf die anstehenden Veränderungen der Vergütungslandschaft, einen strategischen Entwicklungsprozess starten, um die Arbeitgeberattraktivität zu steigern und Alleinstellungsmerkmale zu erarbeiten. Nur so kann dafür Sorge getragen werden, dass eine Positionierung als attraktiver Arbeitgeber – auch unter diesen nochmals erschwerten Rahmenbedingungen – frühzeitig und nachhaltig gelingt und so entscheidende Vorteile im Wettbewerb um neue Mitarbeiter:innen gesichert werden können. Nachfolgend die wichtigsten Praxistipps für eine erfolgreiche Sicherung der Personalausstattung unter den neuen Rahmenbedingungen: 1. Aufbau einer Arbeitgebermarke (Employer Branding) im Einklang mit der Unternehmensmarke, der Personalstrategie sowie der Unternehmenskultur Die Basis für eine erfolgreiche Fachkräftesicherung ist der Aufbau einer Arbeitgebermarke (Employer Brand), das so genannte Employer Branding. Diese sollte maßgeschneidert sein und zur Unternehmensmarke, der Personalstrategie sowie der Unternehmenskultur passen. Die Markenentwicklung sollte dabei – wie auch beim klassischen Branding – durch die Herausarbeitung des Markenkerns erfolgen. Im Verlauf dieses Prozesses soll herausgefunden werden, was den Arbeitgeber ausmacht und was ihn positiv von den vorhandenen Konkurrenten abhebt. Dabei sollte darauf geachtet werden, die Marke Schritt für Schritt herauszuarbeiten und sie von innen nach außen aufzubauen. In der praktischen Umsetzung bedeutet dies, dass die Arbeitgebermarke zunächst mit Führungskräften sowie internen Markenbotschaftern erarbeitet und dann durch diese zunächst in der eigenen Organisation kommuniziert wird. Dies erfolgt z.  B. in Workshops sowie durch eine interne Kommunikationskampagne. Erst wenn dieser Schritt erfolgreich abgeschlossen, und somit das Fundament der Arbeitgebermarke in der eigenen Organisation aufgebaut wurde, erfolgt der externe Rollout, z. B. durch eine Werbekampagne, einen Imagefilm oder bei Messeund Recruitingveranstaltungen. 2. Anpassung aller Bereiche des Personalmanagements auf die neue Employer Brand Eine Arbeitgebermarke ist nur dann erfolgreich, wenn Bewerber:innen bzw. neu gewonnene Mitarbeiter:innen die versprochenen Mehrwerte sowie das positive Image vom ersten Kontakt an konsequent in der Organisation erleben können. 104

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Hierzu ist es erforderlich auch das Personalmanagement, also die Bereiche Personalgewinnung, Personalbindung und Personalentwicklung, auf die neue Ausrichtung hin anzupassen. Für die Verbesserung der Personalgewinnung, -bindung und -entwicklung werden eine Vielzahl von Konzepten und Maßnahmen zu entwickeln sein. Beispiele hierfür sind in Abbildung 35 und 36 und in der Abbildung 37 auf Seite 104 oben dargestellt.

Bewerbungsmanagement

Personalgewinnung Werbekampagnen

Personalauswahl

Kostenoptimierung

Abbildung 35: Personalgewinnung Moderne Personalführung

Onboarding

Personalsteuerung/ Strategisches Dienstplanmanagement

Personalbindung Vergütung

Unternehmenskultur

Arbeitszeitmodelle

Abbildung 36: Personalbindung Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Employer Branding

Jobmessen

Fort- und Weiterbildung

Nachfolgeplanung

Führungskräfteentwicklung

Personalentwicklung

Mitarbeiterbefragung zur Einbindung Mitarbeiterbedürfnisse

Mentoring Nachwuchsführungskräfte

New Work

Abbildung 37: Personalentwicklung

Arbeitgeber sollten dabei ihre heutigen Prozesse überprüfen sowie optimieren und neue Potenziale herausarbeiten, denn auch die (Neu)Ausrichtung der internen Prozesse kann im Wettbewerb entscheidend sein. Dem Bewerbungsprozess kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, er sollte eine schnelle Entscheidungsfindung ermöglichen und eine hohe Professionalität nach außen zeigen. Dazu müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden – sowohl beim Bewerbungseingang als auch bei den Entscheidungsschritten der beteiligten Führungskräfte. Manchmal kann auch die besonders freundliche Kommunikation mit Bewerber:innen, eine kreative Rückmeldung auf eine Bewerbung oder eine schnelle Reaktion auf eine Anfrage der ausschlaggebende Faktor bei der Auswahl eines neuen Arbeitgebers sein. Vielleicht ist es aber auch ein besonderes Konzept, wie z. B. die gezielte Ausbildung von Fachkräftenachwuchs zur Sicherung der eigenen Nachfrage. 3. Kommunikation echter Mehrwerte unter Nutzung der passenden Kanäle In der Außendarstellung sollten nur Mehrwerte kommuniziert werden, die auch einen wirklichen Unterschied zur Konkurrenz darstellen, also keine üblichen Standards, wie z. B. „Bezahlung nach Tarif “ oder „Mitarbeit in einem tollen Team“. Vielmehr sollten hier echte Benefits benannt werden, wie z. B. besondere Maßnahmen zur Schaffung einer ausgewogenen Work-Life-Balance, Massagen oder andere Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements, besondere Vergütungsbestandteile, flexible Dienstzeit- und New-Work-Modelle, die Unterstützung bei der Wohnungssuche oder auch die Übernahme von Kosten der individuellen Fort- und Weiterbildung.

106

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

107

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Hierzu müssen die passenden Kommunikationskanäle gefunden werden, um die ins Auge gefasste Zielgruppe auch tatsächlich – mit möglichst wenig Streuverlusten – zu erreichen. Dabei sollten auch bewusst „alte Kanäle“, wie z. B. Stellenanzeigen in der Zeitung, auf den Prüfstand gestellt werden. Dies kann mittels einer Analyse der Anzahl und Qualität, die über einen bestimmten Kanal akquiriert werden kann, erfolgen. In diesem Prozess sollte auch herausgearbeitet werden, ob die klassischen Wege tatsächlich noch ausreichende und passende Kandidatinnen und Kandidaten bringen oder es vielleicht an der Zeit ist, auch neuen Kanälen, wie z. B. Jobbörsen im Internet oder Social-Media-Kanälen, eine Chance zu geben. 4. Fokussierung auf die Mitarbeiter:innen und Arbeitgeberattraktivität Auch die Rahmenbedingungen des Arbeitsplatzes können im Wettbewerb um Fachkräfte der ausschlaggebende Faktor sein. Insbesondere in der Pflegebranche ist dabei eine verlässliche Dienstplanung die wichtigste Grundvoraussetzung, die es sicherzustellen gilt, da sie oftmals den Ausschlag darüber gibt, ob Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur gewonnen, sondern auch langfristig an das Unternehmen gebunden werden können. Denn: Wer arbeitet schon gerne in einem Unternehmen, in dem man befürchten muss, dass das Telefon klingelt und man am freien Wochenende einspringen muss? Mit diesem und weiteren Aspekten sollten Einrichtungsträger umfassend dafür Sorge tragen, dass sie ein Arbeitgeber sind, bei dem man gerne arbeiten möchte. Dies kann insbesondere durch eine moderne und transparente Führung auf Augenhöhe sowie eine offene und vertrauensvolle Kommunikation erreicht und damit eine möglichst hohe Identifikation mit dem Arbeitgeber geschaffen werden. Studien belegen, dass Mitarbeiter:innen bereit sind, ein geringeres Gehalt in Kauf zu nehmen, wenn sie einen Arbeitgeber gefunden haben, für den sie gerne tätig sind und mit dem sie sich identifizieren können. Zudem gilt: Der Aufwand zur Gewinnung neuer Arbeitskräfte ist nahezu immer deutlich höher als der Aufwand für Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung. 5. Veränderungen und Herausforderungen bieten immer auch neue Chancen Bei erfolgreicher Umsetzung der vorangegangenen Praxistipps haben Arbeitgeber das Fundament und damit die wichtigsten Voraussetzungen für eine nachhaltige Fachkräftesicherung in der Zukunft gelegt. Trotzdem ist und bleibt es wichtig, dass Betreiber sich persönlich sowie ihre Organisation und Prozesse regelmäßig auf den Prüfstand stellen und offen für Veränderungen und neue Herausforderungen sind. Nur so kann die Ausrichtung immer wieder den sich stetig verändernden Rahmenbedingungen angepasst und so der hart erarbeitete Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern langfristig gesichert werden.

5.3  Strategische Auswirkungen Die Pflegereform hat weitreichende Auswirkungen sowohl auf die Personal-, die Rendite-, die Produkt- als auch die Unternehmensstrategie im Ganzen. Alle vorbenannten Bereiche müssen auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls nachjustiert werden – siehe dazu die Abbildung 38.

Abbildung 38: Strategische Auswirkungen der Pflegereform 2021

5.3.1  Auswirkungen auf die Personalstrategie Die Pflegereform bringt für den gesamten Bereich Human Resources gravierende Veränderungen mit sich, die ein umfassendes Update der Personalstrategie unumgänglich machen. Allein die neue Form der Personalmengenbestimmung nach § 113c SGB XI macht ein völliges Umdenken erforderlich. Aber auch die Einführung der Tarifpflicht muss in der Strategie berücksichtigt werden. Eines der relevantesten Themen ist und bleibt dabei die Gewinnung und Bindung von Personal, wenn auch in einer veränderten Zusammensetzung. Die Konzentration wird neben den Fachkräften nun insbesondere auf der Gewinnung sowie Qualifikation und Bindung einjährig-ausgebildeter Kräfte liegen. Insgesamt gilt es, tragfähige Lösungen für die Zukunft zu entwickeln, die eine ausreichende Ausstattung der Organisation mit Mitarbeiter:innen nachhaltig sicherstellt. Dabei bleibt zu berücksichtigen, dass der Markt völlig neu durchgemischt wird 108

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Pflegehilfskräfte

Pflegefachkräfte

GPVG

Auflösung alte Fachkraftquote

PpSG 3 Jährig

• Auflösung bisheriger Strukturen notwendig • Auch bisherige Strukturen mit der Schnittstelle Service-Personal usw. müssen/ sollten neu geordnet und zusammengeführt werden.

1 Jährig

Hilfskräfte

• Teilweise Restrukturierung der Arbeitsweisen notwendig • Neues/anderes Zusammenfinden der Berufsgruppen • Veränderung notwendig im Selbstverständnis von Fachkräften ➔ Change-Prozess notwendig

Abbildung 39: Auswirkungen der Pflegereform auf die Organisation

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

und die Arbeitgeber sich neu positionieren müssen. Das Gehalt ist – wie bereits vorab beschrieben – kein Unterscheidungsmerkmal mehr. Deshalb wird es von entscheidender Bedeutung sein, sich als attraktiver Arbeitgeber im Wettbewerb zu positionieren. Das neue Personalbemessungsverfahren, das neben den Pflegefachkräften nun auch die Vorhaltung einer auslastungs- und belegungsstrukturabhängigen Menge an einjährig-ausgebildeten Pflegehilfskräften vorgibt, wird erhebliche Auswirkungen auf die Organisation der Arbeit haben. Insbesondere auch, da es in den meisten Einrichtungen zu einer deutlichen Mehrpersonalisierung führen wird und die Auflösung der alten Fachkraftquote, und damit auch eine neue Kräfteverteilung innerhalb der Pflege-Berufsgruppen, zur Folge hat. Dieser Zusammenhang wird in der Abbildung 39, siehe unten dargestellt. Die Arbeitsweisen und -abläufe müssen deshalb neu strukturiert werden. Vor allen Dingen hinsichtlich der Aufgabenteilung zwischen Pflegefachkräften, Pflegehilfskräften mit einjähriger Ausbildung und ohne Ausbildung sowie weiteren unterstützenden Bereichen, wie z. B. dem Servicepersonal. Dies wird zu einer Fachlichkeitsdiskussion führen, die unter anderem auch erhebliche Veränderungen im Selbstverständnis von Pflegefachkräften zur Folge haben muss. Beispielsweise müssen Tätigkeiten, die bereits seit vielen Jahren klassisch den examinierten Mitarbeiter:innen zugeordnet waren, zukünftig von den einjährig-ausgebildeten Kräften übernommen werden. Vor diesem Hintergrund werden auch nennenswerte finanzielle Ressourcen in externe Beratung sowie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen fließen müssen.

5.3.2  Auswirkungen auf die Renditestrategie Die Bestandteile der letzten Reformen haben die betriebswirtschaftlichen Spielräume und somit auch die Möglichkeiten zur Erzielung einer auskömmlichen Rendite deutlich eingeengt. Deshalb muss auf Basis der Renditegrundlagen eine zukunftsfähige und nachweissichere Renditestrategie entwickelt werden. Bislang wurden im Bereich der stationären Pflege insbesondere die folgenden Gewinnmöglichkeiten genutzt: 1. Unterschreitung verhandelter Kosten Durch intransparentes Verhandlungsgeschehen der Vergangenheit mit vielfach pauschal gesteigerten Pflegesätzen konnte es dazu kommen, dass die tatsächlichen Kosten für Personal und Sachmittel unter den verhandelten Kosten liegen. Die Differenz führte automatisch zu entsprechenden Gewinnen. 2. Unterschreitung vereinbarter Mengen Die im Rahmen der Entgeltvereinbarung verhandelten Mengen für Personal (Schlüssel) wurden unterschritten – teilweise unfreiwillig, da nicht ausreichend Personal gefunden wurde. 3. Vereinbarung von Gewinnaufschlag bzw. Wagnis Im Rahmen der Entgeltverhandlungen wurden pauschale oder differenzierte Gewinn- bzw. Wagnisaufschläge vereinbart. 4. Verbesserte Auslastung Die in der Pflegesatzverhandlung vereinbarten Auslastungswerte wurden durch eine sehr gute Belegung und kurze Nachbelegungszeiten sowie die Nutzung zusätzlicher (Notfall)-Bettkapazitäten überschritten. 5. Sonstige Gewinnmöglichkeiten Sonstige Gewinnmöglichkeiten bestehen z.  B. durch die Quersubventionierung aus anderen Bereichen (Investitionskosten), den Einsatz von Ehrenamt, Spenden sowie großzügige Abrechnungsregelungen. Die Unterschreitung vereinbarter Kosten und Mengen – insbesondere im Bereich des Pflege- und Betreuungspersonals – war aufgrund des früher eher intransparenten Verhandlungsgeschehens und den dadurch nur sehr eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten ein verbreitetes Mittel, um Gewinne zu erzielen. Spätestens mit der Einführung des §  115 SGB XI wurde jedoch deutlich herausgestellt, dass diese Vorgehensweise unzulässig ist. Wer trotzdem weiterhin von den in der Pflegesatzvereinbarung festgelegten Rahmenbedingungen abweicht, nimmt erhebliche Regressrisiken in Kauf. Auch die im Bereich der sonstigen Gewinnmöglichkeiten beschriebenen Optionen, wie die Quersubventionierung aus anderen Bereichen, sind meist nicht zulässig bzw. nicht nachhaltig. Beispielsweise ist die Quersubventionierung aus dem

110

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

5.3.3  Auswirkungen auf die Produktstrategie Viele Träger werden dazu gezwungen sein, ihr eigenes Produktportfolio – vor dem Hintergrund der durch die Pflegereform veränderten Rahmenbedingungen – auf den Prüfstand zu stellen.

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Investitionskostenbereich in den letzten Jahren durch die Einführung des reinen Kostenerstattungsprinzips in vielen Bundesländern unmöglich geworden. Zudem gibt es einen weiteren Effekt: Durch den Tarifzwang und die Mehrpersonalisierung werden fast alle Träger zu Individualverhandlungen gezwungen sein und Kosten offenlegen müssen. Dadurch verschwinden die durch vielfache pauschale Fortschreibung entstandenen Gewinne durch gutes Kostenmanagement - sozusagen ein Zufallseffekt. Von den insgesamt fünf Gewinnerzielungsmöglichkeiten verbleiben mit den Möglichkeiten der verbesserten Auslastung sowie der Vereinbarung von Gewinnaufschlag bzw. Wagnis also theoretisch lediglich zwei, die (annähernd) rechtssicher sind und somit weiterhin genutzt werden können. Bei der verbesserten Auslastung ist jedoch darauf zu achten, dass die vorab erwähnten (Notfall)-Bettkapazitäten nur in Abstimmung mit der zuständigen Aufsichtsbehörde genutzt werden dürfen. Zudem sind die Möglichkeiten stark von der Konkurrenzsituation auf dem lokalen Markt und damit den tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten abhängig. Während also z. B. an einigen Standorten eine höhere Auslastung vergleichbar einfach zu erzielen sein wird, könnte dies an anderer Stelle nahezu unmöglich sein. Somit kommt dem Gewinnaufschlag bzw. dem Unternehmerwagnis eine zentrale Bedeutung als Renditequelle zu. Jedoch wird das Thema im deutschlandweiten Vergleich sehr inhomogen behandelt. Während in einigen Bundesländern ein pauschaler Gewinnaufschlag verhandelbar und üblich ist, weigern sich die Verhandlungspartner in anderen Bundesländern bereits seit Einführung des § 84 Abs. 2 SGB XI einen (pauschalen) Aufschlag anzuerkennen bzw. zu zahlen. Auch Urteile unterschiedlichster juristischer Instanzen, bis hin zum Bundessozialgericht, haben nicht zu einer bundesweit homogenen Vorgehensweise geführt. Da somit auch diese Gewinnmöglichkeit – zumindest in einigen Bundesländern – keine echte Option darstellt, müssen in diesen Fällen andere, meist höchst individuelle Möglichkeiten, wie z. B. die Quantifizierung und Verhandlung von Einzelrisiken, herausgearbeitet und genutzt werden. Bei den nächsten Verhandlungen gilt es also mehr denn je, das immer stärker reglementierte Geschäftsmodell so gut zu kennen, dass die wenigen noch vorhandenen Spielräume positiv genutzt werden können.

Insbesondere die Einführung der Tarifpflicht wird dafür sorgen, dass es eine preisliche Angleichung geben wird. Anbieter, die ihre Strategie also bislang auf ihre Preisführerschaft ausgerichtet hatten, werden sich zukünftig neu positionieren müssen, da sie ihre Leistungen nicht mehr deutlich günstiger als ihre Mitbewerber anbieten können. Dies liegt vor allem darin begründet, dass die bislang günstigeren Preise auf einem deutlich niedrigeren Lohnniveau basierten, welches unter den novellierten Voraussetzungen nicht mehr realisierbar ist, da die Tarifpflicht eine einheitlichere Bezahlung zur Folge haben wird. Es müssen also neue Alleinstellungsmerkmale und Strategien gefunden werden, um sich auch zukünftig positiv von den Mitbewerbern abzuheben. Beispielsweise könnten weitere („vorstationäre“) Angebotsformen, wie z. B. Essen auf Rädern, alternative Wohnformen, ambulante Pflege, Kurzzeitpflege oder auch Tagespflege, das heutige Produktportfolio sinnvoll ergänzen und diversifizieren. Der Vorteil könnte dabei im Zusammenspiel der einzelnen Angebote liegen. Sofern die vorab benannten „vorstationären“ Angebote positiv von von den Kundinnen und Kunden angenommen werden, steigt gleichsam die Wahrscheinlichkeit, dass auch die anderen Angebote des Trägers, und somit auch die stationäre Einrichtung, bevorzugt in Anspruch genommen werden. Im besten Fall wird so eine langjährige Kundenbeziehung aufgebaut, die beispielsweise mit der Lieferung von Mahlzeiten begonnen wurde, dem Kunden anschließend durch die ambulanten und teilstationären Leistungen ein möglichst langes Verweilen in der eigenen Häuslichkeit ermöglichten und schließlich mit der Inanspruchnahme eines stationären Pflegeplatzes – als letztes Zuhause – endeten. Ein erheblicher Faktor dürfte hierbei zudem sein, dass in den meisten „vorstationären“ Angeboten (noch) deutlich attraktivere Deckungsbeiträge im Vergleich zur stationären Pflege erzielt werden können, die dann auch die wirtschaftliche Stabilität des Trägers und der Einrichtungen positiv beeinflussen. Wichtig bei all diesen Überlegungen ist, dass die neuen Angebote nicht nur zum Träger passen müssen, sondern dass auch eine entsprechende Nachfrage auf dem lokalen Markt vorhanden ist. Für tarifgebundene Einrichtungen, die nicht erst im Zuge der Pflegereform 2021 einen Tarif eingeführt haben, liegt darüber hinaus auch eine große Chance in der Reform: Wählten potenzielle Kunden und Kundinnen sie bislang rein aus preislichen Gründen nicht, kommen sie in Zukunft – bei nur noch leicht abweichenden Pflegesätzen – vielleicht doch bzw. früher in Betracht.

112

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

5.3.4  Auswirkungen auf die Unternehmensstrategie

Die 5 Grundprinzipien der Dynamischen Strategeientwicklung

Abbildung 40: Die 5 Grundprinzipien der dynamischen Strategieentwicklung

Die Dynamische Strategieentwicklung geht davon aus, dass Strategien aufgrund der hohen Umfelddynamik eine kürzere Halbwertzeit haben. Daher müssen Strategien auch häufiger auf den Prüfstand gestellt werden, es muss in kürzeren Zyklen strategisch gedacht werden (Grundprinzip 1). Hier empfiehlt sich eine jährliche Überprüfung aller Teilstrategien der Unternehmensstrategie. Auslöser können neben gesetzlichen Veränderungen z. B. auch politische Veränderungen oder weltpolitische EreigPflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

Die weitreichenden Veränderungen in den vorab beschriebenen (strategischen) Bereichen sowie die hohe Veränderungsgeschwindigkeit erfordern automatisch auch eine umfassende Überprüfung und ggfls. Nachjustierung der Gesamtstrategie des Unternehmens. Schließlich ist der Erfolg unmittelbar davon abhängig, dass die einzelnen Teilstrategien und Bereiche passgenau ineinandergreifen bzw. zusammenarbeiten und sich nicht etwa gegenseitig hemmen. Aufgrund der hohen Veränderungsdynamik sollten die möglichen Anpassungen im Rahmen eines dynamischen Strategieentwicklungsprozesses erfolgen, da dieser im Vergleich zu klassischen Methoden schneller, schlanker und auf kürzere Zyklen von nur ein bis zwei Jahren fokussiert ist (siehe Abbildung 40).

nisse, wie die Covid-19-Pandemie, sein. In einer immer schnelllebigeren Welt müssen Unternehmen anpassungsfähig sein (Grundprinzip 2). Strategien, Strukturen, Prozesse und Konzepte müssen bei sich ändernden Rahmenbedingungen flexibel angepasst werden können. Dieses Führungs- und Strategieverständnis muss in den Unternehmen verankert werden, damit nicht zu lange an bestehenden Strategiefestlegungen festgehalten wird. Auch der Strategieentwicklungsprozess selbst muss kürzer werden (Grundprinzip 3). Strategien wurden in der Vergangenheit meist über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren entwickelt, indem sich die Führung eines Unternehmens im Abstand von zwei bis drei Monaten zu Strategieklausurtagungen traf. Schließlich war es das Ziel, Strategien zu entwickeln, die eine Gültigkeit von mindestens fünf Jahren haben sollten. Dies ist in der heutigen VUCA4-Welt nicht mehr sinnvoll. Strategieentwicklungsprozesse sollten so angelegt werden, dass sie nicht länger als zwei Monate dauern und die Richtung für ein bis zwei Jahre vorgeben. Für die Durchführung empfehlen sich so genannte StrategieSprints, in denen bereits nach sechs bis acht Wochen Strategien entwickelt werden können. Darüber hinaus sollte auch die Schwarmintelligenz von Unternehmen (Grundprinzip 4) umfassender genutzt werden. Das in den Unternehmen bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorhandene Know-how wurde in der Vergangenheit nur selten ausreichend genug in Entwicklungsprozesse einbezogen. Zudem führen hierarchie- und generationenübergreifende Zusammenarbeit dazu, dass in der Strategieentwicklung Know-how zusammengeführt wird, welches die Strategieentwicklung qualitativ deutlich verbessert. Die Nutzung der Schwarmintelligenz ist im digitalen Zeitalter deutlich besser möglich, da neben den analogen nun auch digitale Kollaborationsformate genutzt werden können (Grundprinzip 5).

4 VUCA steht für volatility (=Volatilität, Unstetigkeit, uncertainty (=Unsicherheit); complexity (=Komplexität), ambiguity (=Mehrdeutigkeit)

114

5  Auswirkungen der Pflegereform auf zentrale Managementbereiche

6  Fazit und Ausblick

• Klärung möglicher Regressrisiken nach § 115 SGB XI beim Übergang und – nach Möglichkeit – bei der Entwicklung von Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Verhandlungsposition, Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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6  Fazit und Ausblick

Durch die Pflegereform ergeben sich Veränderungen in der Kostenstruktur, die nahezu jeden Träger, ob tarifgebunden oder nicht, in Individualverhandlungen zwingen werden. Denn mit pauschalen Steigerungen, die die Pflegekassen häufig anbieten, wird der Kostensprung nicht immer zu refinanzieren sein. Somit wird deutlich, wie wichtig die in diesem Buch beschriebenen Methoden zur Vorbereitung und Durchführung von Pflegesatzverhandlungen werden. Jeder Träger sollte sich frühzeitig mit seiner Vergütungsstruktur und den anstehenden Kostenveränderungen auseinandersetzen, um im Bedarfsfall rechtzeitig zu Pflegesatzverhandlungen aufrufen zu können. Mit Blick auf die Kunden wird es nach bisherigen Erkenntnissen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen nicht zu den angekündigten Entlastungen, sondern in den meisten Bundesländern und Einrichtungen zu deutlichen Pflegesatzsteigerungen kommen. Und das trotz der Leistungszuschläge im Bereich der pflegebedingten Aufwendungen, die die Pflegekassen ab Januar 2022 zahlen. Dabei erscheint es auch nicht förderlich, dass die Pflegebedürftigen zunächst eine echte Entlastung – zumindest von Januar 2022 bis Ende August 2022 – zu spüren bekommen. Denn: In Einrichtungen, die bislang nicht tarifgebunden waren, wird es durch die Einführung der Tarifpflicht bereits ab September 2022 teurer. Für die Pflegebedürftigen in tarifgebundenen Einrichtungen dauert die Schonfrist noch bis Juli 2023. Ab dann sorgt der nächste Reformschritt, die Einführung von bundeseinheitlichen Personalanhaltswerten, dafür, dass es sowohl für sie als auch für die neu tarifgebundenen (noch) teurer wird. Die Schuld für die höheren Belastungen werden die Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen nicht beim Gesetzgeber, sondern vielmehr bei den Einrichtungen sehen, die ihren Kunden diese in den meisten Fällen immensen Steigerungen der Eigenanteile „verkaufen“ müssen. Im Rahmen der nächsten Pflegesatzverhandlungen sind also eine Vielzahl an Herausforderungen zu meistern. Das übergeordnete Ziel sollte aber die Verhandlung einer auskömmlichen Refinanzierung – auch unter den neuen und weiter erschwerten Rahmenbedingungen – sein. In der Vorbereitung der Verhandlung sollten die nachfolgenden Themen im Fokus stehen:

• Schiedsstellenfeste Vorbereitung der Antragsunterlagen und der darin verarbeiteten Daten. • Entwicklung einer passenden Verhandlungsstrategie. • Sicherstellung der Refinanzierung der Kosten für die Qualifizierung von einjährig-ausgebildeten Pflegekräften. • Aufbau einer Argumentationslinie für die Begründung von Wagniszuschlägen und Gewinnkomponenten. Dieses Buch verdeutlicht, dass die jüngste Pflegereform zahlreiche Herausforderungen und Neuerungen mit sich bringt, die jedoch bei Berücksichtigung der vorgestellten strategischen Herangehensweise beherrschbar gemacht werden können und zudem auch neue Chancen bieten.

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6  Fazit und Ausblick

Quellenverzeichnis Frye, S.: Die Finanzierung ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen. Eine Darstellung am Beispiel von Nordrhein-Westfalen. 1. Auflage. Kiel: Deutscher Gemeindeverlag, 2013. Griep, H.; Renn, H.: Pflegesozialrecht. 5. Auflage. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft mbH + Company, 2012. von Troschke, J.; Stößel, U.: Grundwissen Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, Öf-

fentliche Gesundheitspflege. 2. Überarbeitete Auflage. Bern: Verlag Hans Huber, 2012. Udsching, P.: SGB XI, Soziale Pflegeversicherung: Kommentar. 5. Auflage. München: Verlag C. H. Beck, 2018. Prof. Dr. Krahmer, U.; RA Dr. Plantholz, M.: Sozialgesetzbuch XI, Soziale Pflegeversicherung, Lehr- und Praxiskommentar. 5. Auflage. Baden-Baden: Nomos GmbH & Co. KG, 2018.

6  Fazit und Ausblick

Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz BT Berechnungstag BWA betriebswirtschaftliche Auswertung bzw. beziehungsweise etc.

et cetera

GPVG Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz, Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz GuV Gewinn- und Verlustrechnung GVWG Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz i. d. R. i. H. v. i. S. i. S. d.

in der Regel, in der Regel in Höhe von im Sinne im Sinne des

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

PBV Pflegebuchführungsverordnung PpSG  Pflegepersonalstärkungsgesetz, Pflegepersonal-Stärkungsgesetz PSG Pflegestärkungsgesetz S. Seite SGB Sozialgesetzbuch u. a. unter anderem usw. und so weiter vgl. vergleiche VUCA volatility (Volatilität), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität), ambiguity (Mehrdeutigkeit) VZÄ Vollzeitstellenäquivalent WBVG Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz z. T. zum Teil z. B. zum Beispiel

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rosenbaum nagy Die rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH ist eine unabhängige inhabergeführte Unternehmensberatung mit Sitz in Köln und berät seit 1997 Unternehmen der Sozialwirtschaft, die öffentliche Hand sowie private und öffentliche Unternehmen. Neben den beiden Gründungsgesellschaftern, Dr. Michael Rosenbaum und Attila Nagy, sind in 2013 Sandra Winter und Roman Tillmann als Gesellschafter und Geschäftsführer aufgenommen worden. Die rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH ist deutschlandweit tätig und verfügt über einen Bürostandort in Köln. Mit mittlerweile über 2.300 Projekten in der Altenhilfe, der Behindertenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe, der Sozialarbeit sowie im Rettungsdienst und Katastrophenschutz nimmt die rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH bei der Beratung von Non-Profit-Organisationen eine führende Marktposition ein. Die Themenfelder der Beratungsprojekte umfassen die Bereiche • • • • •

Strategie und Marketing Marketing und Vertrieb Organisation und Prozesse Steuerung und Controlling Restrukturierung und Sanierung

• Human Resources und Executive Search • Digitalisierung • Interimsmanagement

Die rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH beschäftigt über 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit fachlichen Schwerpunkten in den betriebswirtschaftlichen Disziplinen, aber auch in den Bereichen Recht, Medizin, Sport, Wirtschaftsinformatik, Politikwissenschaften, Sozialpädagogik sowie Geisteswissenschaften. Die Altenhilfe als größte Branche in der Sozialwirtschaft stellt auch bei rosenbaum nagy die meisten Projekte mit Branchenfokus. Das Team Altenhilfe unter der Leitung von Roman Tillmann berät Träger der Altenhilfe neben den oben genannten Themen v. a. in den folgenden branchenspezifischen Fragestellungen: • Betriebs- und Quick-Checks von Einrichtungen zur Identifikation von Defizitursachen • Businesspläne und Marktanalysen für neue Einrichtungen und Angebotsformen • Due Diligences bei Übernahmen • Vorbereitung und Durchführung von Pflegesatzverhandlungen • Einführung passgenauer operativer Steuerungsinstrumente • Verlässliche Dienstplanung zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität • Duale Fachkräftesicherung zur Personalgewinnung und -bindung Weitere Informationen über die Beratung in der Altenhilfe sind unserer Homepage https://www.rosenbaum-nagy.de/sozialwirtschaft/altenhilfe/ zu entnehmen. 118

6  Fazit und Ausblick

Die Autoren Daniel Beckers, Diplom-Betriebswirt, Jahrgang 1981, seit 2020 bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH und Geschäftsbereichsleiter im Team Altenhilfe. Beratungsschwerpunkte sind die Sanierung von Einrichtungen und Trägern, Strategische Geschäftsfeldentwicklung, der Bereich Human Ressources und Pflegesatzverhandlungen. Herr Beckers veröffentlicht regelmäßig Fachartikel in der CareKonkret und der Altenheim. Christopher Floßbach, Gesundheitsökonom (M.A.), Jahrgang 1987, seit 2016 bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH und Geschäftsbereichsleiter im Team Altenhilfe. Beratungsschwerpunkte sind die Sanierung von Einrichtungen und Trägern, Einführung von Steuerungsinstrumenten, Strategische Geschäftsfeldentwicklung und Pflegesatzverhandlungen. Herr Floßbach veröffentlicht regelmäßig Fachartikel in der CareKonkret und der Altenheim. Sebastian Satzvey, Medizinökonom (M.A.), Jahrgang 1990, seit 2020 bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH und Seniorberater im Team Altenhilfe. Beratungsschwerpunkte sind die Sanierung von Einrichtungen und Trägern, Einführung von Steuerungsinstrumenten und Pflegesatzverhandlungen.

Roman Tillmann, Diplom-Kaufmann, Jahrgang 1975, seit 2001 bei der rosenbaum nagy unternehmensberatung GmbH, Geschäftsführender Partner seit 2013 und Teamleiter für die Altenhilfe. Beratungsschwerpunkte sind die Sanierung von Einrichtungen und Trägern, M&A-Beratung, Einführung von Steuerungsinstrumenten und die Strategische Geschäftsfeldentwicklung. Herr Tillmann veröffentlicht regelmäßig Fachartikel rund um die Altenhilfe und ist als Dozent tätig.

Pflegesatzverhandlungen in der stationären Pflege 

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