Inszenierung des Unheimlichen: Prag als Topos - Buchillustrationen der deutschsprachigen Prager Moderne (1914-1925) 9783737004053, 9783847104056, 9783847004059

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Inszenierung des Unheimlichen: Prag als Topos - Buchillustrationen der deutschsprachigen Prager Moderne (1914-1925)
 9783737004053, 9783847104056, 9783847004059

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Veronika Schmeer

Inszenierung des Unheimlichen Prag als Topos – Buchillustrationen der deutschsprachigen Prager Moderne (1914 – 1925)

Mit zahlreichen Abbildungen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0405-6 ISBN 978-3-8470-0405-9 (E-Book) Die Arbeit wurde im Jahr 2013 von der Fakultät für Philosophie-, Kunst-, Geschichtsund Gesellschaftswissenschaften der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. D355 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Schroubek-Fonds München und des Adalbert-Stifter-Vereins München. Ó 2015, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Ó Hugo Steiner-Prag: Der Golem, 1916, Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2 Die Gruppe ›Jung-Prag‹ und das Caf¦haus als Treffpunkt der Subkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Ansatz und Struktur der Untersuchung . . . . . . . . . . . 1.2 Quellensituation: Im Spannungsfeld von Originalität und Reproduzierbarkeit graphischer Buchkunst . . . . . . . . . 1.3 Forschungsdiskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Die deutschsprachige Moderne in Prag . . . . . . . . 1.3.2 ›Insel‹ und ›Dreifaches Ghetto‹: Sonderfälle der deutschsprachigen Forschung . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Intermediales und Wort-Bild-Verhältnisse . . . . . . . 1.3.4 Buchkunst und Buchkünstler . . . . . . . . . . . . . . 1.3.5 Phantastik, schwarze Romantik und das Unheimliche

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3 Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis – der erste Prager Gespensterroman? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Faszination Großstadt um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Biographische und künstlerische Hintergründe zu Paul Leppin 3.3 Biographische und künstlerische Hintergründe zu Richard Teschner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Buchgestaltung zu Severins Gang in die Finsternis . . . . . 3.4.1 Bilder im verlegerischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Herausgabekontext des Romans . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Analyse der graphischen Gestaltung Richard Teschners . 3.4.4 Die Merkantile Funktion von Bildern . . . . . . . . . . . 3.4.5 Der Topos Prag in Wort und Bild . . . . . . . . . . . . . .

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6 4 Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt . . . . . . . . . 4.1 Die Figur des Golem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Historische Ursprünge der Golemlegende . . . . . . . . . 4.1.2 Die Handlung der Prager Golemlegende nach der Sippurim-Sammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der Roman Der Golem von Gustav Meyrink . . . . . . . . . . . 4.2.1 Biographische Hintergründe zu Gustav Meyrink . . . . . 4.2.2 Entstehungshintergründe zum Roman Der Golem . . . . 4.3 Das Mappenwerk Der Golem von Hugo Steiner-Prag . . . . . . 4.3.1 Biographische Hintergründe zu Hugo Steiner-Prag . . . . 4.3.2 Die Genese der Golem-Mappe – ein ›Schurkenstreich‹ . . 4.3.3 Fritz Schwimbeck – der erste Golem-Illustrator . . . . . . 4.3.4 Analyse der Golem-Lithographien von Hugo Steiner-Prag 4.3.4.1 Die literarische Struktur des Romans . . . . . . . 4.3.4.2 Struktur der Bild-Bild-Zusammenhänge . . . . . . 4.3.4.3 Struktur der Wort-Bild-Zusammenhänge . . . . . 4.3.5 Motivgruppen innerhalb der Golem-Mappe . . . . . . . . 4.3.5.1 Die Darstellung der Figuren . . . . . . . . . . . . 4.3.5.2 Anthropomorphe Architekturen und belebte Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.3 Schwelle und Durchgang . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5.4 Milieuschilderungen und Prager Topographien . . 4.3.5.5 Adaption der Golemfigur bei Meyrink und Hugo Steiner-Prag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Prag als ›genius loci‹ der unheimlichen Stadt . . . . . . . 4.4 Atmosphäre des Unheimlichen – Phantastik in Wort und Bild . 4.4.1 Der Begriff der Phantastik in der Literatur . . . . . . . . 4.4.2 Der Diskursverlauf der Phantastik in der Literaturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Der Begriff der Phantastik in der Kunstgeschichte . . . . 4.4.4 Die Golem-Mappe und die Phantastik . . . . . . . . . . . 4.4.4.1 Das Unheimliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4.2 Affektwirksamkeit des Bildes . . . . . . . . . . . . 4.5 Alfred Kubin, Der Golem und Die andere Seite . . . . . . . . . 4.5.1 Biographische Hintergründe zu Alfred Kubin . . . . . . . 4.5.2 Kubin als Illustrator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Die Illustrationen zu Die andere Seite und Der Golem . . 4.5.3.1 Analyse der Bild-Text-Strukturen . . . . . . . . . 4.5.3.2 Der Bild-Text-Vergleich von Schroeder . . . . . .

Inhalt

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73 73 73

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Inhalt

5 Das ›Magische Prag‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die Legendenbildung um das ›Magische Prag‹ . . . . . . . . . . 5.2 Die Darstellung des ›Magischen Prag‹ in Der Tod des Löwen . . 5.3 Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Der Tod des Löwen 5.3.1 Strukturanalyse der Wort-Bild-Bezüge . . . . . . . . . . . 5.3.2 Strukturanalyse der Bild-Bild-Bezüge . . . . . . . . . . . 5.4 Die Buchgestaltung Georg/Jirˇ† J†lovsky´s zu Böhmische Sagen . . 5.4.1 Biographische Hintergründe zu Georg/Jirˇ† J†lovsky´ . . . . 5.4.2 Die Illustrationen zu Böhmische Sagen . . . . . . . . . . .

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6 Das Jüdische Prag in Hollunderblüthe . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Kurze Inhaltsangabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Hollunderblüthe 6.2.1 Strukturanalyse der Wort-Bild-Bezüge . . . . . . . . . . 6.2.2 Strukturanalyse der Bild-Bild-Bezüge . . . . . . . . . .

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205 205 206 206 214

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7 ›Tripolis Praga‹ und die Nationalitätenkonflikte . . . . . . . . . . . 7.1 Prag als mitteleuropäische Stadt in Grenzstellung zwischen Ost und West . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Nationalitätenkonflikte in Prag um 1900 . . . . . . . . . . . . . 7.3 Die Buchgestaltung Hugo Steiner-Prags zu Die Vaclavbude . . .

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8 Dramatische Inszenierungen des Prag-Stoffes . . . . . . . . . . . 8.1 Der Prager Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Der Beginn der Prager Filmreihe: Der Student von Prag 8.1.2 Die Golem-Trilogie von Paul Wegener . . . . . . . . . . 8.2 Die späte Golem-Rezeption in der Oper . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Bühnenbilder zu Der Golem von Eugen d’Albert . . . . 8.2.2 Bühnenbilder zu Der Enkel des Golem von Paul Leppin

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9 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Danksagung

Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Version meiner Dissertation, die ich 2013 an der Universität Regensburg vorgelegt habe. Lange und mühevolle Jahre waren vorausgegangen, die ich ohne die Unterstützung vieler Personen nicht so gut überstanden hätte und denen ich an dieser Stelle danken möchte. Mein Betreuer, Prof. Dr. Hans-Christoph Dittscheid, stand mir stets mit Rat und Tat zur Seite. Sein großes Vertrauen in mein Projekt, seine Begeisterung für das Thema und das immer offene Ohr, sowie die moralische Unterstützung können kaum hoch genug eingeschätzt werden. Ebenso dankbar bin ich meinem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Walter Koschmal für seine hilfreichen Hinweise und seine unermüdliche Unterstützung bei meinen Stipendiumsanträgen. Auch die anderen Professoren des Instituts für Kunstgeschichte, Herr Prof. Dr. Albert Dietl und Herr Prof. Dr. Wolfgang Schöller waren immer hilfsbereit und trugen dazu bei, dass ich mich am Institut aufgehoben und unterstützt zu fühlte. Des Weiteren möchte ich mich ganz besonders bei Herrn Prof. Dr. Dr. hc. Klaus Roth, Vorsitzenden des Schroubek-Fonds der Ludwig-Maximilians-Universität München bedanken. Sein Einsatz und die finanzielle Unterstützung in der Endphase der Dissertation, sowie die finanzielle Bezuschussung der Publikation durch die Stiftung waren eine unermessliche Hilfe. Auch dem AdalbertStifter-Verein gilt mein Dank für einen Zuschuss zur Drucklegung. Viele Freunde begleiteten die Zeit meiner Dissertation und unterstützten mich seelisch, aber auch fachlich. Ihre Geduld, ihr gutes Zureden und ihre Motivation in den Tiefphasen waren eine große Hilfe. Nicht zuletzt gilt mein größter Dank meinen Eltern und meiner Familie. Ohne ihr immenses Vertrauen, ihre moralische und finanzielle Unterstützung in jeder Phase dieser Arbeit, ihre Ratschläge und ihre Erfahrung wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.

1

Einleitung

»Jeder Mensch, den ich dort gekannt, gerinnt zum Gespenst und zum Bewohner eines Reiches, das Tod nicht kennt. Marionetten sterben nicht, wenn sie von der Bühne verschwinden; und Marionetten sind alle Wesen, die die Stadt mit dem heimlichen Herzschlag gefangenhält. Andere Städte, so alt sie auch sein mögen, muten mich an, wie unter der Gewalt ihrer Menschen stehend: wie desinfiziert von keimtötenden Säuren – Prag gestaltet und bewegt wie ein Marionettenspieler, seine Bewohner von ihrem ersten bis zum letzten Atemzug.«1

1.1

Ansatz und Struktur der Untersuchung

In Bezug auf die sogenannte ›Schwarze Romantik‹2 hatte sich bis in die 1910er Jahre in verschiedenen Strömungen wie der D¦cadence, der Neoromantik oder des Symbolismus‹ ein Topos3 des Unheimlichen entwickelt, der auf verschiedene europäische Städte als Wirkstätten des Unheimlichen übertragen wurde. Neben 1 Meyrink, Gustav : Die Stadt mit dem heimlichen Herzschlag, in: Stimmen der Völker. Meisternovellen der Weltliteratur, Bd. 7, München 1947, S. 221 – 225, S. 222. 2 Vgl. hierzu grundlegend Praz, Mario u. Rüdiger, Lisa: Liebe, Tod und Teufel. Die schwarze Romantik, München 1963. 3 Nach E. R. Curtius »›feste Clich¦s oder Denk- und Ausdrucksschemata‹« (Müller, Wolfgang G.: Topik/Toposforschung, in: Nünning, Ansgar (Hg): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart 20084, S. 722 – 723, S. 722). Müller verweist auf den ambivalenten Charakter des Topos: »Aus dem hohen Alter der meisten Topoi ergibt sich eine ihrer grundsätzlichen Eigenschaften, nämlich die ihnen gewöhnlich inhärente Spannung zwischen Altehrwürdigkeit und Abgegriffenheit. Topoi können die Plattheit von ›Gemeinplätzen‹ annehmen. Sie können aber auch neu formuliert und damit revitalisiert werden.« (Müller (2008), S. 722). Zum Begriff des Topos vgl. Jehn, Peter (Hg): Toposforschung. Eine Dokumentation (= Respublica literaria, Bd. 10), Frankfurt a. M. 1972. Der Toposbegriff der vorliegenden Arbeit orientiert sich an dem Definitionsvorschlag Obermayers: »Topos als ein Vorstellungsmodell, als eine Weise des Denkens und Formens von Sein und Welt, die sich zu einer feststehenden sprachlichen Form kristallisieren kann, jedoch nicht notwendigerweise muß, und literarisch wirksam wird.« (Obermayer, August: Zum Toposbegriff der modernen Literaturwissenschaft, in: Jehn (1972), S. 155 – 159, S. 155).

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Einleitung

Venedig, Brügge oder London wurde auch die Stadt Prag als Schauplatz für diesen Topos gewählt. Dabei steht die Frage nach einer realen städtischen Topographie weniger im Vordergrund, als die Mechanismen, die zur Verbreitung des Mythos der unheimlichen Stadt geführt haben. Insbesondere die Literatur spielt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle. So ist es vor allem Gustav Meyrinks ›Bestseller‹-Roman Der Golem, erstmals 1913 als Fortsetzungsroman veröffentlicht, der entscheidend zur Entwicklung des Topos in Prag beitrug.4 Dennoch wirken auch ältere Traditionalismen auf die Entstehung Prags als unheimlicher Stadt ein. In der vorliegenden Arbeit liegt das Hauptaugenmerk auf dem Roman Der Golem und in seiner Nachfolge weiteren Veröffentlichungen, die im Anschluss an den großen Erfolg Meyrinks auf das gleiche marktstrategische System setzten. Dabei steht die buchkünstlerische Gestaltung der Buchproduktion im Fokus der Untersuchung. Die Spanne reicht hierbei von klassischen Illustrationen bis zu Mischformen mit Vignetten oder auch einfach nur Titelblatt und Frontispiz. Zu den zu behandelnden Werken zählen neben Meyrinks Der Golem, illustriert von Fritz Schwimbeck (1915 – 1918) und Hugo Steiner-Prag (1916), Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis, mit Titelblatt, Frontispiz und Buchgestaltung von Richard Teschner (1914), Auguste Hauschners Der Tod des Löwen, illustriert von Hugo Steiner-Prag (1922), Oskar Wieners Böhmische Sagen, illustriert und gestaltet von Georg/Jirˇ† J†lovsky´ (1919) und Karl Hans Strobls Die Vaclavbude, mit Titelblatt, Frontispiz und Buchgestaltung von Hugo Steiner-Prag (1917). In enger genetischer Verbindung zu Der Golem steht Alfred Kubins Roman Die andere Seite (1909), den er selbst illustriert hat. In weitestgehend chronologischer Reihenfolge werden die verschiedenen Arbeiten vorgestellt, einer Bild-Text-Analyse unterzogen und in den jeweiligen spezifischen Prager Kontext gestellt. Beginnend mit Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis geht es zunächst um die Bemühungen des Verlages, einen schwer verkäuflichen Autor zu bewerben. Die Erstausgabe von 1914 wurde von Richard Teschner buchkünstlerisch gestaltet. Vor allem am Titelbild ist der Bezug zum Topos des unheimlichen oder gespenstischen Prag deutlich zu erkennen, wohingegen der Text der D¦cadence-Literatur im Baudelaireschen Sinn zuzuordnen ist. Im Hauptteil richtet sich die Aufmerksamkeit auf den Roman Der Golem von Gustav Meyrink. An diesem Beispiel lassen sich beinahe alle Aspekte des gesteckten Themenfeldes festmachen. Ausgangspunkt ist der Roman, der zur 4 Tatsächlich kann schon seit zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung von einem ›Bestseller‹ gesprochen werden. Bereits kurz nach Erscheinen war die erste Auflage vergriffen, mit den späteren Ausgaben ging die Auflage in das 100 000-fache. Vgl. Binder, Hartmut: Gustav Meyrink. Ein Leben im Bann der Magie, Prag 2009, S. 509; vgl. auch Göbel, Wolfram: Der Kurt-Wolff-Verlag 1913 – 1930, München 1977, S. 735.

Ansatz und Struktur der Untersuchung

13

phantastischen Literatur der Prager deutschsprachigen Moderne zu zählen ist. Darüber hinaus thematisiert er das deutsche, tschechische und jüdische Leben im Prag der Jahrhundertwende. Die berühmte Golemlegende bildet den Hintergrund für den Roman, in dessen Zentrum die mysthische Entwicklung des Subjekts steht. In den Bildern spiegeln sich diese Elemente auf unterschiedliche Art und Weise. Vor allem das zerstörte jüdische Viertel wird in den Bildern zum Thema. Des Weiteren manifestiert sich auch an diesem Beispiel der verlegerische Willen, den Erfolg des Romans auszubauen. Fritz Schwimbeck, der erste Illustrator des Romans versuchte, sich selbst mit seinen Zeichnungen für die Gestaltung des Golem-Romans zu bewerben, und scheiterte. Der erfolgreichere und bekanntere Hugo Steiner-Prag bekam den Auftrag für das Projekt. Im Zusammenhang mit dem Golem-Roman muss auch der Roman Die andere Seite von Alfred Kubin in die Betrachtung miteinbezogen werden. Kubin sollte bereits um 1907 den Golem in einer frühen Version illustrieren. Allerdings geriet Meyrinks Arbeit ins Stocken, sodass die Zusammenarbeit endete. Kubin verwendete einzelne der bereits angefertigten Zeichnungen für seinen Roman Die andere Seite. Der Roman Der Golem kann als Prototyp des ›Prager Gespensterromans‹ gesehen werden – vor allem aus Sicht der Verleger. Auch wenn die meisten der darauffolgenden Publikationen wenig inhaltliche oder stilistische Schnittmenge mit dem Roman hatten, konnten sie sicherlich von dem dort ausgestalteten Paradigma des ›phantastischen‹ oder unheimlichen Prag profitieren. In der Nachfolge des großen kommerziellen wie künstlerischen Erfolgs des Golem-Romans und seiner Illustrationen entstanden mehrere Buchprojekte mit künstlerischer Gestaltung, die sich mit den verschiedenen Themenkomplexen rund um die unheimliche Stadt Prag beschäftigten. Diese sind das magische oder auch phantastische Prag und in diesem Zusammenhang das jüdische Prag, sowie die Dreivölkerstadt Prag mit ihren Nationalitätenkonflikten als ›genius loci‹, die in die literarische Produktion in Form eines Stadttextes einfließen. Dieser »Prager Text«5 vermittelt ein spezifisches Bild der Stadt Prag um 1900 und daran anknüpfend bis in die 1930er Jahre hinein, das sich auf dem deutschen Literaturmarkt großer Beliebtheit erfreute. Dazu gehört zunächst Auguste Hauschners Novelle Der Tod des Löwen, die in einer Neuauflage 1922 von Hugo Steiner-Prag gestaltet wurde. Hauschner bezieht sich in ihrer Erzählung auf die habsburgische Residenzstadt unter Rudolf II., der unter anderem als Kunstmäzen des Manierismus in die Geschichte eingegangen ist. Auch sein Interesse für Astrologie und Alchimie ist Legende. Ebenfalls in diese Kategorie zu zählen ist Georg/Jirˇ† J†lovsky´s Buchgestaltung 5 Den Begriff des ›Prager Textes‹ führt Susanne Fritz ein. Vgl. Fritz, Susanne: Die Entstehung des »Prager Textes«. Prager deutschsprachige Literatur von 1895 bis 1934, Dresden 2005.

14

Einleitung

von Oskar Wieners Böhmische Sagen von 1919. Hier werden verschiedene Geschichten rund um Prag neu erzählt und teilweise mit ganzseitigen Illustrationen bebildert. Auch die Golemlegende findet hier ihren bildlichen und literarischen Niederschlag. Das jüdische Prag ist in der Novelle Hollunderblüthe von Wilhelm Raabe Thema. Raabe verfasste seine Erzählung bereits 1863, sie wurde dann 1925 noch einmal neu aufgelegt und mit Illustrationen von Hugo Steiner-Prag versehen. Dennoch ist sie von den anderen Werken abzugrenzen, da sie nicht direkt zur Struktur des Prager Stadttextes gezählt werden kann. Um die literarischen Illustrationen abzuschließen, wird der große Themenbereich der Nationalitätenkonflikte in der Dreivölkerstadt ins Auge gefasst. Karl Hans Strobl widmete eine Trilogie von Prager Studentenromanen diesem Themenkomplex. Der erste Roman der Reihe, Die Vaclavbude, erstmals veröffentlicht 1902, wurde 1917 erneut ins Verlagsprogramm aufgenommen und entsprechend buchkünstlerisch gestaltet. Hugo Steiner-Prag schuf Titelbild und Frontispiz. Dabei werden bildnerisch nicht die nationalistischen Auseinandersetzungen behandelt, sondern in erster Linie das deutsche Studentenmilieu in Prag gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Zuletzt wird der Bogen zu Film und Theater gespannt. Sowohl die Themenwahl, als auch die Parallelen in der Wort-Bild-Konstellation bilden hier die Basis für das Forschungsinteresse. Im Bereich des Films entwickelte sich in etwa zeitgleich zum Prager Roman ein Paradigma des Prager Films, der Prag im Sinne des Unheimlichen thematisierte. Dazu zählen neben Der Student von Prag von 1913 auch die berühmten drei Golem-Filme von und mit Paul Wegener, entstanden zwischen 1915 und 1922. Später kamen noch zwei Opern hinzu, die die Golemlegende als Vorlage nutzten. Es sind dies Der Golem von Eugen d’Albert von 1926 und Der Enkel des Golem von Paul Leppin aus dem Jahr 1934. Für beide Opern schuf Hugo Steiner-Prag die Bühnenbilder. In der Analyse werden die spezifischen Themenkomplexe genauer untersucht. Die sogenannte Dreivölkerstadt, die ›Tripolis Praga‹ bildet sowohl den literarischen als auch den künstlerischen Hintergrund für alle ausgewählten Buchproduktionen. Der gesellschaftliche Hintergrund mit den besonderen Merkmalen einer multiethnischen Bevölkerung in der ehemaligen Habsburger Residenzstadt spielt dabei eine entscheidende Rolle. Dieser Bereich ist bereits gut erforscht worden, sodass auf eine vielfältige Forschung zurückgegriffen werden kann. Eine kritische Lektüre darf angesichts der besonderen Geschichte der deutsch-tschechischen Beziehungen im 20. Jahrhundert nicht ausbleiben. Lange wurde bezüglich der deutschsprachigen Bevölkerung in Prag an dem Postulat einer insularen oder ghettoähnlichen Situation innerhalb der tschechischen Bevölkerung festgehalten. Für diese Annahme gibt es gewisse Anhaltspunkte, die vor allem Eduard Goldstücker auf eine wirtschaftliche Verän-

Ansatz und Struktur der Untersuchung

15

derung der einzelnen Bevölkerungsgruppen bezogen hat.6 Diese historischen Faktoren sind nicht von der Hand zu weisen. Allerdings konnte von anderer Seite vielfach nachgewiesen werden, dass ein reger Austausch zwischen Deutschen, Tschechen und Juden in der Stadt Prag stattgefunden hatte.7 Darüber hinaus hatten die Prager Deutschen sehr viel Kontakt zu den deutschsprachigen Nachbarländern und künstlerischen Austausch auf europäischer Ebene. Daran anknüpfend kann die Vorstellung der Isolation der deutschsprachigen Bevölkerung Prags als Konstruktion im Sinne nationaler Distinktionsbestrebung betrachtet werden.8 Sprache und Literatur waren in dieser Hinsicht ein geeignetes Mittel. Vielfach wurde die Vorstellung des ›magischen‹ Prag mit seinem architektonischen Erscheinungsbild in Zusammenhang gebracht. Vor allem das jüdische Viertel und dessen ›Assanierung‹ (Abbruch und Neubau) zwischen 1896 und 18979 prägten sich in das literarische Stadtbild ein. Aber auch die Großstadt allgemein um 1900 wird literarisch und künstlerisch verhandelt. Erzählungen über die dunklen Seiten von Städten entwickelten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem literarischen Thema. Als Hintergrund hierfür kann die Industrialisierung der Städte gesehen werden, die immer mehr Menschen zur Landflucht bewegte. Die neu entstehenden Metropolen waren mit Modernität verbunden, die einerseits Fortschrittlichkeit bedeutete, andererseits Inbegriff einer krankhaften Fehlentwicklung war. Auch die zunehmende Elektrifizierung und Beleuchtung der Nacht in den Städten sollte mit in Betracht gezogen werden. Die Nacht, die nun scheinbar abhandengekommen war, wurde zu einem literarisch und künstlerisch mystifizierten Topos, der das ›Magische‹ evozierte.10 Neben dem Motiv der Stadt Prag bildet die Wort-Bild-Verfasstheit der ausgewählten Werke einen weiteren Bereich, der anhand der jeweiligen Beispiele intensiv untersucht wird. Die Forschung zum Thema der Bild-Text-Zusammenhänge ist einerseits schier unüberschaubar, andererseits werden vor allem von Seiten der Kunstgeschichte die Graphik und insbesondere die Buchillustration eher vernachlässigt. Die Zeit um 1900 und die Buchkunst des Jugendstils

6 Vgl. Goldstücker, Eduard (Hg): Weltfreunde. Konferenz über die Prager deutsche Literatur, Prag 1967. 7 Vgl. zum Beispiel die Beiträge Binder, Hartmut: Entlarvung einer Chimäre. Die deutsche Sprachinsel in Prag, in: God¦, Maurice u. a. (Hg): Allemands, Juifs et TchÀques — Prague de 1890 — 1924. Deutsche, Juden und Tschechen in Prag 1890 – 1924, Montpellier 1994, S. 183 – 209 und Cohen, Gary B.: Deutsche, Juden und Tschechen in Prag. Das Sozialleben des Alltags 1890 – 1914, in: God¦ (1994), S. 55 – 69. 8 Vgl. Binder (1994), S. 185. 9 God¦, Maurice u. a.: Vorwort, in: God¦ (1994), S. 9 – 16, S. 10 – 11; vgl. auch allgemein dazu Parˇ†k, Arno u. Zieschang, Peter : Das jüdische Prag, Prag 2002, S. 36 – 37. 10 Vgl. Gaßner, Hubertus u. a. (Hg): Die Nacht, Bern 1998.

16

Einleitung

werden zwar oft behandelt, allerdings fehlt den Abhandlungen meist der theoretische Überbau bzw. erfolgt keine fundierte Text-Bild-Analyse. Die kunsthistorische Analyse legt ihren besonderen Schwerpunkt auf die bildnerische Gestaltung. Für eine tiefergehende literarische Analyse kann auf die bisherige Forschung verwiesen werden, die auch für die Bild-Text-Analyse herangezogen wurde. So ist es das Ziel der Arbeit, die visuelle Umsetzung eines literarischen Textes zu beleuchten. In diesem Zusammenhang kann es nicht ausbleiben, Nähe und Ferne zum Text herauszuarbeiten, um dann im Anschluss die Funktionsweisen der Wort-Bild-Kunst abzufragen. Dabei spielt vor allem der inszenatorische Aspekt eine entscheidende Rolle. Zusätzlich rücken die formalen Strukturen der Wort-Bild-Zusammenhänge, also die Verteilung von Bild und Text im Buchgefüge, in den Fokus der Untersuchung. Darüber hinaus werden die Narrativität innerhalb der Bilderfolge und die Struktur der Bild-BildBezüge in den Blick genommen. Somit soll den Bildern eine Eigenständigkeit gegenüber dem Text zuerkannt und eine einseitig textdominierte Verhandlung der Wort-Bild-Kunst vermieden werden. Hinzu kommt an dieser Stelle die Frage der Genese solcher Wort-BildKunstwerke. Daher ist die Vorgehensweise der Verlage, die ein hohes wirtschaftliches Interesse an der Vermarktung spezifischer Prag-Texte in der Nachfolge des Golem-Romans hatten und diese durch buchkünstlerische Arbeiten unterstützen wollten, von besonderem Interesse. Auch der entsprechende Herausgabekontext spielt eine Rolle. So gibt es Beispiele, in denen der Text zuerst in Buchform ohne Bilder erschien, und diese im Nachhinein hinzugefügt wurden, wobei hier zwischen zeitnaher Bebilderung und der älterer Texte unterschieden werden sollte. Der Roman Die andere Seite von Alfred Kubin hingegen ist ein Beispiel für eine intensive, eng verflochtene, sich sozusagen gleichzeitig vollziehende Entstehung von Bild und Text. Darüber hinaus war die Illustrationstätigkeit eine lukrative Einnahmequelle für Künstler. Es macht einen Unterschied, ob ein Künstler finanziell unabhängig war, wie beispielsweise Richard Teschner, der reich geheiratet hatte, oder Hugo Steiner-Prag, der sehr früh in die Lehrtätigkeit ging, oder ob er sich, wie es bei Alfred Kubin der Fall war, mit seiner künstlerischen Tätigkeit selbst finanzieren musste. Alfred Kubins buchkünstlerisches Oeuvre ist sehr umfangreich. Bei näherer Betrachtung mancher Werke drängt sich der Eindruck auf, dass sie allein dem verlegerischen Willen, den zugkräftigen Namen Kubins auf dem Buchumschlag vorweisen zu können, zu verdanken sind. Nicht nur bei Kubin, auch bei Hugo Steiner-Prag kann das bisweilen vermutet werden, zum Beispiel bei seinen Illustrationen zur Hollunderblüthe. Dies hat sicherlich Einfluss auf die Verfasstheit der Text-Bild-Bezüge. Bei allen behandelten Werken erfolgt zusätzlich eine übergeordnete Kontextualisierung innerhalb der verschiedenen Kunstströmungen im ersten Viertel

Quellensituation

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des 20. Jahrhunderts. So ist es die D¦cadence bei Paul Leppin und Richard Teschner oder die Phantastik bei Gustav Meyrink, Auguste Hauschner und Hugo Steiner-Prag. Anklänge an die Phantastik finden sich auch bei Oskar Wiener und Georg/Jirˇ† J†lovsky´. Naturalismus und Phantastik überschneiden sich bei Meyrink und Wilhelm Raabe, während in der bildnerischen Gestaltung das Unheimliche überwiegt. Es sei darauf verwiesen, dass weder die Phantastik, noch das Unheimliche feste Kategorien oder geschweige denn Epochenbezeichnungen sein können. Es ist ihrem Charakter eingeschrieben, schwer greifbar und rätselhaft zu bleiben. Somit kann eine Einordnung in derartige Strömungen nie zu einem befriedigenden Ergebnis führen. Allerdings fällt es umgekehrt bei den zu behandelnden Werken schwer, sie in andere, feste Kategorien wie den Impressionismus oder Expressionismus einzuordnen. Die epochenspezifische Kontextualisierung beschränkt sich daher trotz des Wunsches nach allgemein gültigen Aussagen auf Einzelfalluntersuchungen.

1.2

Quellensituation: Im Spannungsfeld von Originalität und Reproduzierbarkeit graphischer Buchkunst

Die Forschungsarbeit mit Buchillustrationen gestaltete sich nicht immer einfach. Einerseits gelang der erste Zugang recht schnell, da fast alle Originalausgaben mit Illustrationen in den Bibliotheken vorhanden waren.11 Andererseits stellte sich die Suche nach den Originalgraphiken, also Probedrucken, Zeichnungen oder sonstigen Vorlagen, als ausgesprochen schwierig heraus. So bildeten die Bücher, die zugänglich waren, den Ausgangspunkt für die künstlerische Analyse. Dabei blieb allerdings das Problem der gängigen Praxis einer künstlichen Limitierung der bebilderten Ausgaben. So war es üblich, von einer Auflage mehrere Ausgaben herauszugeben, sodass meist nur bei den ersten 100 Exemplaren die vorgesehene Bebilderung vollständig vorhanden ist.12 Diese wenigen Exemplare sind verloren oder befinden sich vermutlich in privaten Sammlungen und bleiben für die Forschung unzugänglich. Es ist problematisch, mit einer höher nummerierten Ausgabe zu arbeiten, in der nicht alle Bildbeigaben vorhanden sind. Darüber hinaus kann aus den illustrierten Ausgaben natürlich nicht ersehen werden, wo sich mögliche Originalgraphiken heute 11 So zum Beispiel Der Golem in der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, Der Tod des Löwen in der Humboldt-Universität Berlin, Severins Gang in die Finsternis in der Bayerischen Staatsbibliothek München, dort auch Böhmische Sagen und Die Vaclavbude sowie Hollunderblüthe in der Universitätsbibliothek Regensburg. 12 Ein gutes Beispiel ist Auguste Hauschners Roman Der Tod des Löwen, der in nummerierten Versionen erschien, die sich in ihrer Wertigkeit durch die Anzahl und Qualität der Bildbeigaben unterscheiden.

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befinden oder ob sie überhaupt noch existieren. Für die Bild-Text-Analyse wäre die Einsichtnahme der Originaldrucke nicht unbedingt vonnöten. Dennoch steht außer Frage, dass der Blick auf das Original vieles zu Tage bringt, was die Reproduktion nicht in der Lage ist, aufzuzeigen. So stellte sich heraus, dass in den Fällen, in denen eine Einsichtnahme der Originale möglich war, diese den Blick auf das Bildnerische der Illustrationen deutlich erweiterte, weil viele Details sichtbar wurden. Daher stellt sich die Quellensituation als sehr heterogen dar. Für die meisten Beispiele Hugo Steiner-Prags waren die Originaldrucke der Ausgangspunkt. Die Golem-Mappe liegt als Dedikationsausgabe im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg vor. Im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg liegt eine Mappe aus dem Nachlass Hugo Steiner-Prags vor.13 Es handelt sich um Probedrucke mit einem Dedikationsblatt von 1917.14 Die Mappe ist Steiner-Prags Frau Paula, gewidmet, und zwar sowohl von Hugo Steiner-Prag selbst, als auch von Gustav Meyrink. Dieser fügte jedem Blatt handschriftlich eine Textstelle hinzu. Diese handschriftlichen Anmerkungen bilden einen wichtigen Ansatzpunkt für die Bild-Text-Analyse. Einige Drucke und Zeichnungen befinden sich im Prager Kunstgewerbemuseum oder im Jüdischen Museum Prag. Darüber hinaus befinden sich viele Originaldrucke im Leo-Baeck-Institute in New York.15 Dabei wird der Umgang des Künstlers mit dem Begriff der ›Originalität‹ deutlich. Der Hinweis ›Probedruck‹ lässt durchaus nicht darauf schließen, dass es sich um den letzten Druck vor der Veröffentlichung handelt.16 Von einigen Blättern existieren mehrere Exemplare, die mit ›Probedruck‹ bezeichnet sind, die sich in ihrer Ausführung

13 Vgl. Kunstforum Ostdeutsche Galerie (KOG), Inv.nr. 9542-1 bis -25. 14 Im Kunstforum selbst befinden sich weitere Exemplare der Golem-Ausgabe, die als ›Probedrucke‹ bezeichnet sind (Vgl. KOG, Inv.nr. 9321, 9343 und 9392). Bei den Blättern des LeoBaeck-Institutes in New York handelt es sich eindeutig um ein Exemplar der Mappenausgabe (Vgl. call number NC 251 S73 G6; http://www.lbi.org/digibaeck/; aufgerufen am 16. Jan. 2015). Die Auflagenhöhe betrug 300. Die Blätter aus der Sammlung des Museums für Bildende Künste Leipzig konnten nicht eindeutig identifiziert werden. Der Hinweis aus dem Inventarbuch »signierte und vom Künstler gelieferte Drucke« lässt darauf schließen, dass es sich auch hier um eine Ausgabe der Mappe handelt. Vielen Dank für alle Hinweise bezüglich der Sammlung in Leipzig an Dr. Marcus Andrew Hurttig. 15 Das Leo-Baeck-Institute New York verfügt über einen umfangreichen Katalog, in dem alle Werke digitalisiert sind. Eine eingehende Recherche ist hier zwar möglich, doch sollten die Angaben genau beachtet werden, da – verständlicherweise aufgrund der ungeheuren Datenmenge – sowohl bei den Zuschreibungen als auch bei den Beschreibungen bisweilen Fehler unterlaufen sind. Vgl. http://www.lbi.org/; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 16 Der Verweis ›Probedruck‹ meint beispielsweise im Falle Steiner-Prags nicht den ›¦preuve d’¦tat‹, also den Zustandsdruck, denn die Probedrucke unterscheiden sich in der Darstellung nicht von den späteren Abzügen.

Quellensituation

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nicht unterscheiden. Sehr selten erscheint auch die Bezeichnung ›Modelldruck‹, die wohl als gleichbedeutend mit ›Probedruck‹ aufgefasst werden kann. Bei den Illustrationen zu Der Tod des Löwen von Auguste Hauschner befinden sich Probedrucke im Kunstgewerbemuseum in Prag.17 Sie sind in einem Karton zusammengefasst und verfügen über Remarquen.18 Bezüglich der Illustrationen Richard Teschners gestaltete sich die Suche nach Probedrucken oder Vorzeichnungen deutlich schwieriger, da sein Frühwerk, das nicht im Zusammenhang mit seinen Figurentheaterarbeiten stand, auf wenig Interesse bei den Sammlungen der Museen gestoßen ist. Solche Blätter sind vermutlich weiterhin in privater Hand und konnten nicht eingesehen werden. In der Theatersammlung des Stadtmuseums München liegt Archivmaterial zu Richard Teschner, das sich ebenfalls zum Großteil auf sein Figurentheater bezieht, ebenso die graphischen Arbeiten, die dort im Depot vorhanden sind. Es handelt sich um Entwurfszeichnungen für Puppen und Kostüme. In den Archivakten fand sich allerdings eine Auktionsliste des Wiener Antiquariats Nebehay, das fast den gesamten Nachlass angeworben hatte. Durch eine Preisliste, die über 400 Titel führt, ergibt sich ein nahezu vollständiges Werkverzeichnis seiner graphischen Arbeiten. Die Liste liefert aber nur die technischen Daten und wenige, qualitativ schlechte Abbildungen. Zum Teil ist auch die Technik des jeweiligen Blattes nur unzureichend oder gar nicht angegeben. Über den Verbleib der verschiedenen Blätter erfährt man nichts. Laut Angaben des Antiquariats wurden nur wenige Titel von der Liste verkauft19 – vor allem an das Historische Museum und die Nationalbibliothek in Wien. Das Theatermuseum, eine Unterabteilung des Kunsthistorischen Museums in Wien, teilte mit, nur wenige Buchillustrationswerke von Teschner zu besitzen. Dabei handelt es sich 17 Vgl. UPM GS 2465/1 – 12. 18 Auch im Leo-Baeck-Institute befinden sich Blätter zu Der Tod des Löwen. Die Werkgruppe erscheint hier sehr heterogen, denn einige Blätter sind als Probedrucke bezeichnet, signiert und mit Remarquen versehen (Vgl. call number 78 791 bis 78 793 und 78 796 bis 78 802; http://www.lbi.org/digibaeck/ aufgerufen am 16. Jan. 2015). Die meisten Remarquen sind allerdings angeschnitten, besonders deutlich zu sehen bei call number 78 800. Ein Blatt hat keine Remarque, ist aber auch als Probedruck bezeichnet (Vgl. call number 78 798). Es ist zu vermuten, dass diese Blätter im Leo-Baeck-Institute nicht aus ein und derselben Mappe stammen. In der Leipziger Sammlung des Museums für Bildenden Künste erscheinen ebenfalls Blätter zu Der Tod des Löwen, sie werden im Inventarbuch als vom Künstler signierte Probedrucke bezeichnet. Möglicherweise handelt es sich um dasselbe MappenExemplar wie im Kunstgewerbemuseum in Prag, da die Blätter nicht mehr in der Sammlung vorhanden sind. Sie waren dem Leipziger Museum als Geschenke versprochen, wurden aber möglicherweise niemals vom Künstler geliefert oder noch vor Beginn des Dritten Reichs an eine andere Sammlung übergeben, ohne dass dies vermerkt wurde. Im Inventarbuch werden sie allerdings als »signierte und vom Künstler gelieferte Probedrucke« geführt. 19 Vielen Dank für alle Auskünfte bezüglich der Auktion des Hauses Nebehay an Dr. Hansjörg Krug.

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auch nicht um Originaldruckvorlagen, sondern um die entsprechenden illustrierten Bücher. Die nicht verkauften Objekte aus der Liste der Auktion gingen an die Besitzer zurück, – der weitere Verbleib ist unbekannt. Da es sich bei Hugo Steiner-Prag und Richard Teschner um weniger bekannte Künstler handelt, gibt es auch keine Werkverzeichnisse. Zwar existiert von beiden ein Ausstellungskatalog der Künstlergilde Esslingen, in dem ein Großteil ihrer Arbeiten aufgenommen wurde, aber es fehlt jeglicher Hinweis auf Sammlungen, in denen die Arbeiten zu finden wären.20

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1.3.1 Die deutschsprachige Moderne in Prag Es ist unvermeidbar, dass man bei der Beschäftigung mit deutschsprachigen Künstlern in Prag auf die problematische Geschichte der deutsch-tschechischen Beziehungen im Laufe des 20. Jahrhunderts stößt. Diese besteht in erster Linie aus den Ereignissen im Anschluss an die Okkupation durch die Nationalsozialisten und der Vertreibung der Deutschen aus den Böhmischen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg. Daher ist es notwendig und unumgänglich, sich mit der problematischen Nachkriegsgeschichte Deutschlands und seiner östlichen Nachbarländer kritisch auseinanderzusetzen. Liest man hierzu eine Einschätzung aus französischer Sicht, wird diese Problematik deutlich: »Die deutschen Vertriebenen aus Ostmitteleuropa spielten lange Zeit hindurch eine entscheidende Rolle im politischen Leben der Bundesrepublik. Von allen Parteien gefürchtet und in starken, hoch subventionierten Vereinen organisiert, wurden die Vertriebenen-Verbände zu einer der großen Lobbies im bundesrepublikanischen politischen Leben. Ihre Rolle bestand vor allem darin, die Erinnerung an die ›verlorenen‹ Ostgebiete wachzuhalten und die ›Volksdeutschen‹ in Rumänien, Ungarn und Polen zu schützen.«21

Die Fachliteratur der unmittelbaren Nachkriegszeit über die deutschsprachige Kunst und Literatur aus der Vorkriegszeit hat diese zu instrumentalisieren versucht. Die Bestrebung, das Leid der Vertriebenen mit dem Leid der Opfer des Holocaust gleichsetzen zu wollen, ist dabei immer im Hintergrund wahr20 Auch wenn diese Angaben vermutlich heute nicht mehr aktuell wären, gäben sie wenigstens einen Anhaltspunkt über mögliche Provenienzen. 21 Le Rider zitiert des Weiteren Michel Korinman dazu: »›Die deutschen Ostraumvertriebenen haben eine Leidenschaft des Kartenstudiums entwickelt, die bis zur Besessenheit geht. Die kartographische Darstellung des früheren deutschen Siedlungsraums deckte sich für sie mit den legitimen Grenzansprüchen der Bundesrepublik…‹« (Le Rider, Jacques: Mitteleuropa. Auf den Spuren eines Begriffes. Essay, Wien 1994, S. 39).

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nehmbar. Gerade in der direkten Nachkriegszeit wurde von einem Kulturverlust durch die Vertreibung der Deutschen gesprochen. Dies ist auf der einen Seite durchaus nachvollziehbar, da faktisch viele Angehörige der deutschsprachigen Bevölkerung über einen historisch langen Zeitraum in den böhmischen Ländern gelebt haben. Auf der anderen Seite haben solche Äußerungen eine schwierige Konnotation. Sie wecken Assoziationen zu vorangegangenen nationalen Konflikten vor 1900. Insbesondere die Forderung nach deutscher Kulturhoheit wirkt in diesem Zusammenhang wie die Beschwörung einer historischen Kontinuität aus Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg. Auch auf tschechischer Seite bleibt die Forderung einer Auseinandersetzung mit der jüngsten deutsch-tschechischen Geschichte bestehen. Vor allem während der Zeit des Eisernen Vorhangs war diese Kontroverse zum Stillstand gekommen. Die revisionistischen Tendenzen in der deutschen Wahrnehmung betreffen vor allem die Veröffentlichungen der Nachkriegszeit. Seit dem hat sich jedoch einiges getan. Die Zusammenarbeit zwischen tschechischen und deutschen Kulturinstitutionen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Ein gutes Beispiel dafür ist der für die vorliegende Arbeit zentrale Begleitband zur Ausstellung Deutschsprachige Literatur aus Prag und den böhmischen Ländern. Buch- und Plakatkunst 1900 – 1939, herausgegeben von Jürgen Born u. a. (2006).22 Bei der Ausstellung handelte es sich um eine Kooperation des Gerhart-HauptmannHauses in Dortmund, der Bergischen Universität Wuppertal und dem Kunstgewerbemuseum in Prag, die an verschiedenen Orten in der Tschechischen Republik und Deutschland gezeigt wurde. Erstmals und bislang einmalig richtete sich der Fokus auf das Thema der Prager Buchillustrationen. Sowohl tschechische als auch deutsche Autoren schrieben Beiträge, die zweisprachig erschienen. Die Katalog-Texte nehmen vergleichsweise wenig Platz ein, während der Bildanhang in Farbe angesichts des geringen Gesamtumfangs deutlich ins Gewicht fällt. Die Texte weisen in erster Linie auf das Forschungsdesiderat hin, das auch nach der Ausstellung zu beheben sei. Neben vielen anderen Unternehmungen sei aus kunsthistorischer Sicht die Konferenz Ztracen‚ generace? Eine verlorene Generation? im Oktober 2013 in Liberec als Beispiel deutsch-tschechischer Kooperation erwähnt. Parallel zur Ausstellung Junge Löwen im Käfig in der Oblastn† galerie/Bezirksgalerie Liberec über deutsch-böhmische Künstler im Spannungsfeld zwischen Dresden, Wien und Prag wurden auf der Konferenz neue Gesichtspunkte zu einzelnen Künstlern, aber auch neue Forschungsansätze behandelt. 2014 erschien der Begleitband zur Konferenz.23 22 Vgl. Born, Jürgen: Neˇmeckojazycˇn‚ literatura z Prahy a cˇesky´ch zem†. Knizˇn† umeˇn† a plak‚t 1900 – 1939. Deutschsprachige Literatur aus Prag und den böhmischen Ländern, Praha 2006. 23 Hab‚nov‚, Anna u. Hab‚n, Ivo (Hg.): Ztracen‚ generace? Eine verlorene Generation?

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Aufgrund ihrer Ausführlichkeit und ihrem inhaltlichen Bezug zum vorliegenden Forschungsinteresse dienen außerdem die Ausstellungskataloge In morbid colours. Art and the idea of decadence in the Bohemian lands 1880 – 1914 von Otto Urban (2006) und Tripolis Praga. Die Prager Moderne um 1900 von Walter Schmitz (2001), sowie Die Entstehung des »Prager Textes«. Prager deutschsprachige Literatur von 1895 bis 1934 von Susanne Fritz (2005) als hilfreiche Einführungen in den größeren Themenkomplex.24 Der Ausstellungskatalog von Otto Urban ist sehr umfangreich. Im Katalogteil sind sowohl deutsche wie tschechische Künstler und Autoren vertreten und werden beispielhaft besprochen. Die für die vorliegende Arbeit interessanten Werke werden leider nur kursorisch abgehandelt. Die große Bandbreite bietet jedoch einen hilfreichen Querschnitt durch den relevanten Zeitraum. Die Texte sind auf Englisch verfasst. Dabei leidet die sprachliche Qualität zum Teil unter der fehlenden Muttersprachlichkeit. Einzelne Textteile oder ganze Artikel fallen durch Phrasenhaftigkeit auf und können stellenweise wenig Gehalt vermitteln. Ähnlich verhält es sich mit dem Ausstellungskatalog Tripolis Praga, der thematisch gegliedert und ebenfalls sehr breit gefächert ist. Hier wird vor allem ein gesamtgesellschaftlicher Blick auf die Metropole Prag geworfen und politische, gesellschaftliche und künstlerische Phänomene und ihre Protagonisten werden vorgestellt. Insbesondere die Kapiteleinführungen bieten eine Übersicht über die verschiedenen Themenbereiche aus einer aktuellen und kritischen Forschungsperspektive, an die sich jeweils ein exemplarischer Katalogteil anschließt. Auch hier erfährt man nur in aller Kürze etwas über die Werke, die hier im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen, die Abhandlungen sind jedoch konzise und verweisen auf weiterführende Literatur. Die Abhandlung von Susanne Fritz hat einen sehr spezifischen Fokus, sodass daraus eher induktive Schlüsse gezogen werden können. Interessant für die vorliegende Arbeit ist vor allem die Untersuchung des ›genius loci‹ der Stadt Prag in Bezug auf die Prager deutsche Literatur. In einen ähnlichen Bereich fällt die Monographie von Vera Schneider Wachposten und Grenzgänger von 2009.25 Die Arbeit ist von hoher theoretischer Schärfe und klarer Struktur. Vor allem die einführenden Kapitel sind für die vorliegende Arbeit relevant, da hier auf Basis einer diskurstheoretischen Analyse die Prager Literatur im Allgemeinen und die entsprechende Forschung zusammengefasst werden. Schneider legt dabei ihren Deutschböhmische bildende Künstler der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen Prag, Wien, München und Dresden, Begleitband zur Tagung 22.–23. 10. 2013 in Liberec, Technick‚ univerzita v Liberci, Liberec 2014. 24 Vgl. Urban, Otto M. (Hg): In morbid colours. Art and the idea of decadence in the Bohemian lands 1880 – 1914, Prag 2006; vgl. auch Schmitz, Walter (Hg): Tripolis Praga. Die Prager Moderne um 1900 (= Mitteleuropastudien), Dresden 2001; vgl. auch Fritz (2005). 25 Vgl. Schneider, Vera: Wachposten und Grenzgänger (= Epistemata Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 631), Würzburg/Berlin 2009.

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Fokus auf die Positionen der einzelnen literarischen Protagonisten als Grenzen Überschreitende oder Grenzen Ziehende zwischen den Nationalitäten in Prag. Die weiteren Ausführungen sind für die vorliegenden Werke jedoch zu speziell. Aufgrund des hohen Anteils deutsch-jüdischer Protagonisten geriet die Forschung über die Prager Moderne im Vorfeld des Nationalsozialismus und während der deutschen Okkupation ins Hintertreffen. Die weitere Forschungsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg war, wie bereits erwähnt, geprägt von der anhaltenden politischen Problematik der deutsch-tschechischen Beziehungen und einer schwierigen Austausch-Situation über die Grenzen des ›Eisernen Vorhangs‹ hinweg. Nichtsdestotrotz fand 1967 in Prag eine Konferenz über die deutschsprachige Prager Literatur unter der Redaktion Eduard Goldstückers statt, die einen neuen Fokus auf das Phänomen der Prager Moderne warf. Insbesondere die sozioökonomische Analyse der Veränderungen im Bürgertum durch die wirtschaftlichen Umwälzungen ist für das Verständnis der Sonderlage des deutschsprachigen Kulturlebens in Prag um 1900 von entscheidendem Wert.26 In seinem Beitrag fragt Goldstücker nach möglichen Erklärungen für die hohe und hochwertige Produktivität der deutschsprachigen Kulturszene in Prag.27 Er argumentiert mit statistischen Zahlen und entsprechenden Analysen, aber auch mit historischen Ereignissen, die er in einen Zusammenhang mit gesellschaftlichen Veränderungen und deren Auswirkungen auf das intellektuelle Leben setzt. Aktuellste Forschung zum Thema der Multiethnizität Prags um 1900 liefert ˇ apkov‚ in ihrer Monographie Czechs, Germans, Jews? National Katerˇina C ˇ apkov‚s Schwerpunkt liegt dabei Identity and the Jews of Bohemia von 2012.28 C auf der jüdischen Bevölkerung und ihrer komplexen Stellung zwischen deutschen und tschechischen Christen. Ebenfalls die jüdische Perspektive beleuchtet der Sammelband Juden zwischen Deutschen und Tschechen von 2006 mit Beiträgen aus unterschiedlichen Fachgebieten.29 Abgesehen von Untersuchungen zur Verortung der Schriftsteller und 26 Der Fokus auf die wirtschaftlichen Veränderungen als Ursachen für gesellschaftliche Veränderungen verweist auf den historischen Materialismus, der den Untersuchungen zugrunde gelegt werden muss. Diese Ausrichtung der Konferenz war allerdings auch politisch bedingt, da, wie God¦/Le Rider/Mayer feststellen, »das Thema des deutschen und jüdischen Anteils an der tschechischen Kultur [in der tschechoslovakischen Republik der Nachkriegszeit] tabuisiert [war]; man durfte es höchstens vom strikt marxistischen Standpunkt anschneiden.« (God¦ u. a. (1994), S. 14). 27 Vgl. Goldstücker, Eduard: Die Prager deutsche Literatur als historisches Phänomen, in: Goldstücker (1967), S. 21 – 45. ˇ apkov‚, Katerˇina: Czechs, Germans, Jews? National Identity and the Jews of Bohemia. 28 C ˇ esˇi, Neˇmci, Translated by Derek and Marzia Paton, New York/Oxford 2012. [Originaltitel: C ˇ ech‚ch, 1918 – 1938]. Zˇid¦? N‚rodn† identita Zˇidu˚ v C 29 Nekula, Marek u. Koschmal, Walter (Hg.): Juden zwischen Deutschen und Tschechen. Sprachliche und kulturelle Identitäten in Böhmen. 1800 – 1945, München 2006.

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Künstler in einer deutschsprachigen Minderheit in Prag, gibt es einige Monographien aus der Literaturwissenschaft, die die Autoren in einen zeitgenössischen und bisweilen auch europäischen Kontext setzen. Vor allem Meyrink wurde in vielfachen Publikationen auf seine phantastische Literatur hin untersucht. Aber auch zu Karl Hans Strobls phantastischem Frühwerk gibt es eine Untersuchung von Günther Wackwitz von 1981.30 Zu Paul Leppin war die Monographie von Dirk O. Hoffmann Paul Leppin. Eine Skizze mit einer ersten Bibliographie der Werke und Briefe von 1982 hilfreich.31 Bezüglich der zu untersuchenden Künstler gestaltet sich die Forschungssituation deutlich schwieriger. Wie bereits erwähnt, gibt es kaum fundierte Literatur zu Hugo Steiner-Prag oder Richard Teschner, ebenso wenig zu Georg/Jirˇ† J†lovsky´ und Fritz Schwimbeck. Die Literatur zu Alfred Kubin ist hingegen gut erschlossen. Allerdings wird zwar sein Roman immer wieder von Seiten der Literaturwissenschaft bearbeitet, eine fundierte Analyse des Bild-Text-Verhältnisses wird aber meist nur in Ausschnitten vorgenommen. Zu Hugo Steiner-Prag gibt es viele zeitgenössische Publikationen, die sich aber vornehmlich seinen Errungenschaften im Engagement um ›das schöne Buch‹ widmen, so zum Beispiel die Festschrift von Julius Rodenberg Hugo Steiner-Prag zum fünfzigsten Geburtstag von 1930.32 Weiterhin sehr hilfreich war der Katalog von H. K. Frenzel mit großformatigen Abbildungen und einer Einführung von Max Osborn von 1928.33 Eine ausführliche Biographie von Irene Schlegel konnte jedoch nicht den wissenschaftlichen Zwecken der vorliegenden Arbeit genügen. Sie ist eher in den Bereich der Belletristik einzuordnen. Auch die Hoffnung, auf weitere Hinweise zu Sammlungen oder weiterführende Literatur zu stoßen, wurde nicht erfüllt.34 30 Wackwitz, Günter : Karl Hans Strobl. 1877 – 1946. Sein Leben und sein phantastisch orientiertes Frühwerk, Halle-Wittenberg 1981. 31 Von dieser Monographie (Dissertation) existieren zwei Versionen, die sich geringfügig unterscheiden: Hoffmann, Dierk: Paul Leppin. Ein Beitrag zur Prager deutschen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Basel 1973 und Hoffmann, Dirk O.: Paul Leppin. Eine Skizze mit einer ersten Bibliographie der Werke und Briefe (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Bd. 279), Bonn 1982. 32 Vgl. Rodenberg, Julius (Hg.): Hugo Steiner-Prag zum fünfzigsten Geburtstag. Leipzig am 12. Dez. 1930, Leipzig 1930. 33 Vgl. Frenzel, H. K. (Hg.): Hugo Steiner-Prag, Berlin 1928. 34 Darüber hinaus unterlaufen Schlegel insbesondere bezüglich seines Hauptwerks Der Golem Fehler. So schreibt sie, es seien zuerst acht Lithographien zusammen mit dem Roman erschienen und erst danach habe Steiner-Prag die Mappe mit 25 Lithographien erstellt. Vgl. Schlegel, Irene: Hugo Steiner-Prag. Sein Leben für das schöne Buch, Memmingen 1995, S. 40. Es ist jedoch hinreichend bekannt, dass zuerst das Mappenwerk erschien, aus dem dann acht Lithographien für eine Neuauflage des Romans ausgewählt wurden. Vgl. die Datierung der einzelnen Blätter in KOG, Inv.nr. 9542-1 bis -25; vgl. auch Schremmer, Ernst (Hg.): Hugo Steiner-Prag. 1880 – 1945. Aquarelle – Zeichnung – Graphik – Buchkunst, Esslingen 19813, S. 30.

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Sowohl zu Hugo Steiner-Prag als auch zu Richard Teschner existiert ein Katalog der Künstlergilde Esslingen. Beide Kataloge sind recht schmal ausgefallen und in teilweise sehr unterschiedlichen Ausgaben erschienen.35 Für Bibliographien und Werkangaben waren sie dennoch von zentraler Bedeutung für die Recherchearbeit.36

1.3.2 ›Insel‹ und ›Dreifaches Ghetto‹: Sonderfälle der deutschsprachigen Forschung Viel diskutiert wurde die weit verbreitete ›Inseltheorie‹ bezüglich der deutschen und deutsch-jüdischen Bevölkerung in Prag als Ursache für die als außergewöhnlich angesehene Zahl kultureller Leistungen der Prager Deutschen. Zwar sind die Abhandlungen über dieses Thema vorwiegend literatur- oder sprachwissenschaftlich geprägt. Für den Gesamtzusammenhang der behandelten Werke in der vorliegenden Arbeit ist die Auseinandersetzung mit diesem Paradigma dennoch wichtig. Goldstücker konstatierte in Einklang mit Paul/Pavel Eisner die Richtigkeit einer isolierten Situation, eines »dreifachen Getto[s]«37 der deutschen, vor allem der deutsch-jüdischen Bevölkerung. Dieser Terminus meinte in erster Linie eine soziale Schichtabgrenzung, die zu den Nationalitätenkonflikten einen wichtigen Anteil beigetragen hatte. Aus dieser Isolation allein heraus ist nach Goldstücker die enorme künstlerische Produktivität jedoch nicht zu erklären. In seiner weiterführenden Argumentation gelangt er zu einer größeren Kontextualisierung und gipfelt in der These einer allgemeinen Dekadenzerscheinung des un35 Der Katalog zu Hugo Steiner-Prag liegt in drei verschiedenen Versionen vor. Die ersten beiden Ausgaben unterscheiden sich insofern, als der ältere Katalog von 1975 über eine umfangreichere Bibliographie verfügt, während im jüngeren von 1976/77 ein Text von Eleanor Steiner-Prag hinzugekommen ist. Die Abbildungen sind identisch. In der dritten Ausgabe – übrigens der einzig paginierten – finden sich zusätzliche Texte. Die Bibliographie ist einerseits ausführlicher, andererseits um manche Titel gekürzt. Darüber hinaus fehlt hier eine Abbildung, die in den ersten beiden Katalogen zu finden ist. Aus praktikablen Gründen wurde bevorzugt die jüngste Ausgabe von 1981 herangezogen. Vgl. (1) Hugo SteinerPrag. 1880 – 1945. Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Buchkunst. Ostdeutsche Galerie Regensburg, 13. August-30. September 1975 in Verbindung mit der Künstlergilde, hrsg. v. der Ostdeutschen Galerie, Regensburg 1975; (2) Hugo Steiner-Prag. 1880 – 1945. Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Buchkunst. Eine Ausstellungsreihe der Künstlergilde (Esslingen): Bonn 3. 11.–31. 11. 1976/Frankfurt (Main) 20.1.–5.3.1977/Bamberg Mai 1977, hrsg. v. der Ostdeutschen Galerie Regensburg 1976/77; (3) Schremmer, Ernst (Hg.): Hugo SteinerPrag. 1880 – 1945. Aquarelle – Zeichnung – Graphik – Buchkunst., Esslingen 19813. 36 Vgl. Schremmer, Ernst (Hg.): Richard Teschner. 1879 – 1948. Ein Meister aus Böhmen, Regensburg 1979. 37 Goldstücker (1967), S. 27. Dreifach im Sinne von sprachlich, sozial und national. Vgl. Schmitz (2001), S. 14.

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tergehenden Habsburgerreiches.38 Während die Tage der Habsburger Monarchie bereits gezählt waren, wollte man in der Prager deutschsprachigen Bevölkerung an alten Strukturen festhalten. Durch die Isolation verblieben die deutschsprachigen Prager in einer rückständigen intellektuellen Geisteshaltung der bürgerlichen Kultur. Während laut Goldstücker in anderen Staaten der neue Kapitalismus als Kitt zur Nationalstaatsbildung dienen konnte, hatte er im Habsburger Vielvölkerstaat den gegenteiligen Effekt – das Habsburger Reich zerfiel. Mit dem Kapitalismus ging ein Übergang vom bürgerlichen Liberalismus und Humanismus zum Imperialismus einher, der laut Goldstücker die entscheidende Komponente der Situation der Prager Deutschen ausmachte.39 Daraus ergab sich eine besondere Situation für die deutschsprachigen Juden Prags, deren Assimilierung und Akzeptanz in der Prager Bevölkerung vor allem auf Humanismus und Liberalismus fußten.40 Die antisemitische Bedrohung nahm hier nach Goldstücker ihren Anfang. Ähnlich argumentiert Kurt Krolop, für den das Ende des Liberalismus mit der Dekadenzbewegung um 1900 verbunden ist.41 Die einzelnen Vereinigungen und Parteien zersplitterten sich und verfolgten extreme Einzelinteressen.42 Die gegenseitige Abgrenzung fand gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre schärfste Ausprägung.43 Junge Literaten und Künstler begannen nun, sich dem zu widersetzen und neue Kontakte zu knüpfen. Sie schlossen sich zu Gruppen zusammen und begannen, publizistisch aktiv zu werden, um die selbst gezogenen Grenzen zu überwinden. So formierte sich die Gruppe ›Jung-Prag‹. Paul Leppin gab die Modernen Flugblätter heraus, sowie zusammen mit Richard Teschner die Zeitschrift Wir.44 Die Zersplitterung der einzelnen Gruppierungen, die Einzelinteressen und der Druck der Nationalitätenkämpfe bewirkten jedoch bald eine starke Abwanderungsbewegung der ›Jung-Prager‹ nach Wien, München, Leipzig oder Berlin.45 Die Schrift von F¦lix Guattari und Gilles Deleuze beschäftigt sich in erster 38 Vgl. Fetz, Bernhard u. Schmidt-Dengler, Wendelin: Prag und Wien im Spiegel der Literatur im 19. und 20. Jahrhundert, in: Gamillscheg, Ernst (Hg.): Prag – Wien. Zwei europäische Metropolen im Lauf der Jahrhunderte, Wien 2003, S. 81 – 98, S. 93. 39 Vgl. Goldstücker (1967), S. 28. 40 Vgl. Goldstücker (1967), S. 29. 41 Vgl. Krolop, Kurt: Zur Geschichte und Vorgeschichte der Prager deutschen Literatur des »expressionistischen Jahrzehnts«, in: Goldstücker (1967), S. 47 – 96. Diese Feststellung muss allerdings in Hinblick auf die europaweite Entwicklung betrachtet werden, ohne, dass daraus allein eine besondere Prag-Spezifik herauszulesen wäre. 42 Vgl. Krolop (1967), S. 49. 43 Vgl. Krolop (1967), S. 50. 44 Vgl. Krolop (1967), S. 52. 45 Vgl. Krolop (1967), S. 52.

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Linie mit Kafka und seiner Zeit.46 Ihre Erkenntnisse über die literarische Landschaft Prags sind jedoch auch für die Generation vor Kafka aufschlussreich. Sie schreiben über die »kleine Literatur«47 Franz Kafkas. Deleuze und Guattari konstatieren bei der ›kleinen Literatur‹ der deutschsprachigen Prager Juden – und dabei natürlich insbesondere bei Kafka – die Enge des Lebensraumes als Ursache für den stark politischen Charakter der Texte: »Ihr enger Raum bewirkt, daß sich jede individuelle Angelegenheit unmittelbar mit der Politik verknüpft.«48 Aufgrund der spezifischen Lage der deutschsprachigen Juden in Prag entwerfen Guattari und Deleuze eine Theorie der Deterritorialisierung der Sprache. Durch die isolierte Sprachentwicklung der Prager Deutschen Sprache fanden eine Entfremdung und eine Entfernung von der deutschen Sprache in Deutschland statt. Sie stellen dabei zwei verschiedene Wege des Umgangs mit diesem ›verarmten‹, ›papiernen‹ Deutsch fest. Die eine Gruppe der »Prager Schule«, zu der auch Gustav Meyrink zu zählen ist, »bläh[te] […] das Deutsch artifiziell […] auf, indem [sie] sämtliche Ressourcen eines Symbolismus, einer Hellseherei, einer esoterischen Sinngebung, eines verborgenen Signifikanten ausbeute[ten].« Es handle sich dabei um das »verzweifelte Bemühen um symbolische Territorialisierung.«49 Kafka hingegen schlug den gegenteiligen Weg ein und nahm das verarmte Prager Deutsch und trieb es in seiner Nüchternheit und Trockenheit noch weiter auf die Spitze. Durch den Zerfall des Habsburger Reiches verstärkte sich die Deterritorialisierung und »komplexe, archaisierende, mythische oder symbolistische«50 ›Re-Territorialisierungstendenzen‹ verbreiteten sich. Auch Deleuze und Guattari implizieren in dieser Betrachtung eine Isolation. Dabei wird der dekadente Charakter der Literatur beispielsweise bei Meyrink als etwas Prag-Spezifisches dargestellt. Anhand vergleichbarer Literatur aus anderen Städten kann diese Behauptung eigentlich nicht aufrechterhalten werden. Die Vorstellung einer ›Re-Territorialisierung‹ hingegen wirft einen differenzierten Blick auf die Instrumentalisierung der Sprache zur Rückeroberung oder besser gesagt Festschreibung eines literarischen Raumes. Dieses Konzept kann für verschiedene Schriften des ›Prager Textes‹ in Anspruch genommen werden. Die von Paul/Pavel Eisner und Eduard Goldstücker und in ihrer Nachfolge immer wieder konstatierte Inselsituation der deutschsprachigen Prager muss 46 Deleuze, Gilles u. a.: Kafka. Für eine kleine Literatur (= Edition Suhrkamp, Bd. 807), Frankfurt am Main 19761. 47 Der Begriff ist problematisch, denn er wurde aus dem Französischen übersetzt, wo er eigentlich »litt¦rature mineure« heißt und sich auf die literarischen Aktivitäten einer Minderheit bezieht. Vgl. Deleuze (1976), S. 24. 48 Deleuze (1976), S. 25. 49 Deleuze (1976), S. 28. 50 Deleuze (1976), S. 35.

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relativiert werden.51 Die äußeren Rahmenbedingungen, die Goldstücker feststellt, sind zwar historisch nachvollziehbar, es werden aber zu einseitige Schlüsse daraus gezogen. Hingegen konnten in der Zwischenzeit genügend Belege für einen reichen Austausch zwischen Tschechen und Deutschen gefunden werden, ebenso wie eine intensive intellektuelle Auseinandersetzung mit den europäischen Entwicklungen.52 Statt einer abgeschiedenen Insel zeigt sich ein komplexes Geflecht aus verschiedensten Strömungen, Verbindungen und Auseinandersetzungen. Darüber hinaus stellt man fest, dass die deutschen ebenso wie die tschechischen und jüdischen Bevölkerungsgruppen in einer gewissen Isolationssituation lebten, in der sie jedoch horizontal eine ausgeprägte Durchlässigkeit pflegten.53 Die Vorstellung einer Insel ist mit Prag eng verbunden und wurde bereits von Zeitgenossen der Jahrhundertwende bemüht, jedoch auch zum Beispiel von Max Brod entschieden zurückgewiesen.54 Eine historisch fundierte Untersuchung zu diesen sich widersprechenden Zeitzeugenaussagen liefert Gary B. Cohen in dem Sammelband Allemands, Juifs et TchÀques — Prague de 1890 — 1924, 1994 herausgegeben von Maurice God¦ und Jacques Le Rider. In seinem Aufsatz Deutsche, Juden und Tschechen in Prag: das Sozialleben des Alltags 1890 – 1914 untersucht Cohen verschiedene Volkszählungen und wirft einen differenzierten Blick auf die Kategorien Beruf, Religion, Nationalität.55 So weist er nach, dass zwar die Tendenz zutreffend ist, nach der die Deutschen in den Jahren von 1880 bis 1920 zu einer Minderheit wurden und ebenso, dass sie meist der Mittel- und Oberschicht angehörten. Allerdings kristallisiert sich dabei auch heraus, dass die Trennung der einzelnen Bevölke51 Vgl. Krywalski, Diether : Weit von hier wohnen wir, weit von hier. Beobachtungen und Gedanken zur deutschsprachigen Literatur in den böhmischen Ländern (= Vitalis Scientia, Bd. 4), Prag 20021, S. 308. 52 Vgl. Krywalski (2002), S. 309. 53 »Die tschechischsprachigen Intellektuellen, Unternehmer und Gelehrten standen in engerem Bezug zu den deutschsprachigen Oberschichten als zu den tschechischsprachigen Arbeitermassen in den Mietskasernen und Vororten.« (Krywalski (2002), S. 312); vgl. auch Cohen (1994), S. 61. 54 Vgl. Schmitz (2001), S. 15. So schreibt Max Brod 1966: »Ferner bestanden sehr wesentliche Freundschaftsstrahlungen zu tschechischen Dichtern hin, zu Musikern, Malern und zu tschechischen Menschen aller Stände, aller Klassen – ebenso zu deutschen und deutschjüdischen Gruppen in Wien, Berlin und andern Städten, auch solchen in Böhmen. Ich lehne jene Theorie ganz entschieden ab (die namentlich Paul Eisner entwickelt hat), die den Prager Kreis als unnatürlich isoliert, als von einer ›dreifachen Ghettomauer‹ gegen die Welt hin abgesperrt darstellt. Diese Theorie ist durchaus unfundiert und sachlich unrichtig, ja irreführend; sie mag auf das überskeptische Prag der deutschen Juden passen, wie es in den Romanen Auguste Hauschners geschildert ist […], das Prag zwischen 1870 und 1890, jedoch keinesfalls auf die viel freiere, hoffende und wenn auch nicht geradezu naive, so doch kindhafte Stimmung des ›Prager Kreises‹ (etwa von 1904 bis 1939).« (Brod, Max: Der Prager Kreis, Stuttgart 1966, S. 37). 55 Vgl. Cohen (1994).

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rungsgruppen unterschiedlich stark ausgeprägt war. So spielten religiöse Unterschiede oft eine größere Rolle als Sprachunterschiede, da sich die Religion im Alltagsleben niederschlug. Auch teilten sich Angehörige der gleichen Religion, in diesem Fall vor allem Katholiken und Juden, die gleichen Institutionen, egal ob sie nun Tschechen oder Deutsche waren.56 Auch die Trennung anhand der Klassenzugehörigkeit setzte sich über die Nationalzugehörigkeit hinweg. Interessant ist Cohens Hinweis auf »Charakter und […] Ton oder […] Bedingungen der Kontakte und Beziehungen, die zwischen den Mitgliedern der verschiedenen nationalen Gruppen herrschten, die [die] Wahrnehmung der gesellschaftlichen Trennung«57 maßgeblich beeinflussten. Auch Hella-Sabrina Lange beschäftigt sich in ihrer Monographie über Auguste Hauschner mit dem Prager Kontext. Der sich lange haltenden Theorie der deutschen Sprachinsel in Prag erteilt auch sie eine Absage. Vielmehr, so konstatiert sie, sollte kritisch hinterfragt werden, inwiefern die bereits zeitgenössisch postulierte Konfiguration einer sprachlichen Insel ein Abgrenzungsversuch aufgrund von Alteritätsgefühlen und sprachlichen Verlustängsten war. Die Sprache sollte als Identifikationsinstrument zur Distinktion von einem tschechischen Bürgertum dienen, das zunehmend das kulturelle Leben dominierte. Die ›Sprachinsel‹ kann also als Konstruktion zur Identitätsstiftung angesehen werden. Entscheidend scheint eine Unterscheidung zwischen dem GhettoisierungsGedanken Eisners und der ›Sprachinsel‹-Theorie zu sein. Eisner bezog sich dabei vor allem auf die bedrängte Situation der jüdischen Bevölkerung in der Stadt Prag. Diese Ansicht bestätigt Jacques Le Rider in seiner Monographie Mitteleuropa von 1994.58 Er betrachtet die Situation der Deutschen vor allem aus der Sicht der deutschsprachigen Juden. Die ›Sprachinsel‹-Theorie hingegen wurde vornehmlich von einer deutschnationalistischen Intellektuellen-Schicht propagiert, die sich in ihrer kulturellen Hegemonie bedrängt sah. Auch dies beruhte sicherlich auf historischen Tatsachen, vor allem dem enormen Zuwachs der tschechischen Bevölkerung in Prag und einem erstarkten tschechischen Nationalbewusstsein. Lange enttarnt dieses Postulat der ›Sprachinsel‹ als Konstruktion und Instrument des nationalistisch geprägten deutschen Bürgertums. Darüber hinaus hatten viele Autoren, die zur deutschen ›Sprachinsel‹ Prags gezählt wurden, die Stadt bereits früh verlassen. So lässt sich eine einfache Dialektik zwischen Identität und Alterität nicht aufrechterhalten. Regionale Zuschreibungen ent-

56 Vgl. Cohen (1994), S. 62. 57 Cohen (1994), S. 66 – 67. 58 Vgl. Le Rider 1994.

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puppen sich als Konstrukt für Distinktionsbestrebungen, die ideologisch unterfüttert sind.59 Mit in Betracht gezogen werden müssen die genannten nationalistisch geprägten Auseinandersetzungen. Die deutsche Bevölkerung in Prag konnte einige Vertreter des Nationalismus aufweisen, so zum Beispiel den die Studentenbewegung unterstützenden Karl Hans Strobl,60 aber auch einige assimilierte Juden wie Fritz Mauthner.61 Lange bezieht sich unter anderem auf einen Artikel von Hartmut Binder, der die »Chimäre«62 der Sprachinselmetapher endgültig beseitigt sehen möchte. Er betont, dass die meisten Verlautbarungen zu einer Sprachinsel – bzw. einer ›Gesellschafts‹-Insel – aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen stammen und rückwirkend auf die Zeit vor dem ersten Weltkrieg angewendet wurden.63 Bemerkenswert ist der Hinweis Binders, dass die Inselmetapher nicht einmal im Stadtbild territorial zu begründen sei, da Deutsche und Tschechen in heterogenen Siedlungsgebieten zusammenwohnten. »Die Prager Deutschen lebten also als über das gesamte Stadtgebiet zerstreute Einsprengsel in einem tschechisch bestimmten Sprachraum, eine Situation, für die allein der Begriff sprachliche Diaspora angemessen ist.«64 Darüber hinaus kann die sprachliche Isolierung, auf die sich der eigentlich linguistische Begriff der ›Sprachinsel‹ bezieht, nicht konstatiert werden, da reger Austausch mit anderen deutschen Siedlungsgebieten im Habsburger Reich und mit Deutschland bestand.65 Die ›Sprachinsel‹ wird vor allem auch als Metapher für eine kulturelle Bedrohung verwendet.66 Die Nationalitätenkonflikte trugen zu solch einer Haltung 59 Vgl. Lange, Hella-Sabrina: »Wir stehen alle wie zwischen zwei Zeiten.« Zum Werk der Schriftstellerin Auguste Hauschner (1850 – 1924) (= Düsseldorfer Schriften zur Literaturund Kulturwissenschaft, Bd. 1), Essen, Düsseldorf 20061, S. 37. 60 Vgl. hierzu die ausführliche Bearbeitung des Strobl’schen Werks aus marxistischer Perspektive von Wackwitz (1981). 61 Vgl. Brod (1966), S. 41. 62 Das verdeutlicht bereits der Titel des Artikels: »Entlarvung einer Chimäre«, vgl. Binder (1994). 63 Vgl. Binder (1994), S. 185. 64 Binder (1994), S. 186 – 187. In diesem Zusammenhang sei auch auf Schneider verwiesen, die feststellt, dass »in erster Linie der Geldbeutel die Wahl des Wohnviertels [bestimmte]«. (Schneider (2009), S. 14). 65 Vgl. Binder (1994), S. 188. Hinzu kommt, dass die Prager Deutschen auch nicht eingesperrt waren oder in weiter geographischer Ferne zum Land ihrer Muttersprache lebten, so wie es bei einzelnen deutschsprachigen Enklaven in Südamerika beispielsweise der Fall ist. Man unternahm Reisen, gerade nach Wien und München, man hatte Zugang zur internationalen und deutschsprachigen Presse und viele der erwähnten Protagonisten blieben für längere Aufenthalte oder für immer im Ausland. Meyrink zum Beispiel ging in Hamburg zur Schule, schon in Jugendjahren hatte er in drei verschiedenen Städten gelebt. Vgl. Binder (1994), S. 204. 66 Vgl. Binder (1994), S. 188.

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bei. Ablehnung gegenüber Deutschen und Juden auf Seiten der tschechischen Bevölkerung äußerten sich zum Beispiel in den Badeni-Unruhen.67 Selbst die Annahme, die deutsche Bevölkerung in Prag hätte nur aus der Mittel- und Oberschicht und vor allem aus Beamten bestanden, woraus sich nicht nur Nationalitäten-, sondern auch Klassen-Konflikte mit der tschechischen Arbeiterschaft ergeben hätten, lässt Binder in ihrer überspitzten Darstellung nicht gelten. Auch innerhalb der deutschen Bevölkerung habe es viele Arbeiter gegeben, im Arbeiterviertel Smichov sogar eine Bildungsvereinigung deutscher Arbeiter mit Namen »Eintracht«68. Gleichwohl kann die Tatsache, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung der Mittelschicht angehörte, nicht geleugnet werden. Daraus aber einen Einfluss auf die deutsche Sprache im Sinne einer ›papiernen‹ Beamtensprache ableiten zu wollen, kann nicht einleuchten.69 Darüber hinaus widerlegt Binder die These, wonach die Prager Deutschen keinen Dialekt besessen hätten.70 Beide Elemente – die Existenz einer Arbeiterschicht und der bestehende Dialekt in der deutschen Bevölkerung – können auch literarisch nachgewiesen werden. In Gustav Meyrinks Roman Der Golem erscheinen verschiedene Figuren wie die Hauptperson Athanasius Pernath, ein Kunsthandwerker, oder der Trödler Wassertrum, aber auch Rosina, der nachgesagt wird, sie sei eine Prostituierte. Sie sind keine typischen Vertreter eines Fabrikarbeiterproletariats, wie es in den späteren literarischen Produktionen des Expressionismus verhandelt wird. Sie gehören der Unterschicht oder einer verarmten Mittelschicht an, – oder gar wie im Fall der Figuren Rosina und Wassertrum einer halblegalen Unterwelt.71 Auch der Rabbi Shemajah Hillel und seine Tochter Miriam sind eindeutig als arme Leute charakterisiert, obwohl sie in ihrer literarischen Funktion als Intellektuelle zu identifizieren sind. Zudem verwendet Meyrink dialektale Ausdrücke, um seine Erzählung in einem bestimmten Milieu zu ver-

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Vgl. Binder (1994), S. 190. Binder (1994), S. 196. Vgl. Binder (1994), S. 196. Vgl. Binder (1994), S. 202. Die Dialektlosigkeit des Prager Deutsch wurde von verschiedener Seite mehrfach betont. So galt sie zunächst als Ausdruck eines Kulturdeutschs, bzw. Beamtendeutschs, das dann aber als Armut an Austausch und fehlender Lebendigkeit der Sprachentwicklung negativ konnotiert wurde. Dabei entstand auch die Auffassung des Prager Deutschs als »papiernes Deutsch« (Fritz Mauthner); vgl. Ein »Mütterchen mit Krallen«. Eine Prager Moderne, in: Schmitz, Walter (Hg.): Böhmen am Meer. Literatur im Herzen Europas, Chemnitz 1997, S. 110 – 118, S. 116. 71 Vgl. Luft, Robert: Nationale Utraquisten in Böhmen. Zur Problematik »nationaler Zwischenstellungen« am Ende des 19. Jahrhunderts, in: God¦ (1994), S. 37 – 51, S. 48 – 49. Luft schreibt diesem Gesellschaftsbereich einen eigenen Slang aus Versatzstücken verschiedener Sprachen zu. Dieser Slang ist nicht gleichzusetzen mit dem sogenannten ›Kuchelböhmisch‹.

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orten.72 Die Beweggründe für die Ablehnung des Dialekts und das Bestreben, ein hochgestochenes Deutsch zu sprechen, waren die Distinktion vom Unterschichten-Milieu, das »Kuchelböhmisch«73 sprach und seitens der assimilierten Juden die Abgrenzung zum Jiddischen. Es sollte zwischen individuellen persönlichen Beziehung der Menschen untereinander und einem nationalistisch aufgeladenen Zeitgeist, der sich in Institutionen und Maßnahmen auf tschechischer und deutscher Seite zeigte, unterschieden werden. Eine Ablehnung der ›Sprachinsel‹-Theorie, also die Ablehnung der Annahme einer völligen Kontaktlosigkeit der Bevölkerungsgruppen, bedeutet jedoch nicht, dass die Möglichkeit feindseliger Kontakte oder chauvinistischer Haltungen ausgeschlossen werden. Le Rider gemahnt »zur Vorsicht gegenüber Beschreibungen vom harmonischen Zusammenleben der Deutschen, Juden und Tschechen im Prag der Jahrhundertwende.«74 Die historische Realität ist wohl am ehesten im Dazwischen zu vermuten.75 Weiterhin ignoriert die ›Sprachinsel‹-Theorie das Phänomen der sogenannten »nationalen Utraquisten«76, also derer, die lange Zeit keine Entscheidung für die eine oder andere Nation trafen. Diese Personengruppen erscheinen kaum in historischen Betrachtungen: »Der Mangel an plakativen Quellen für diese Bereiche [der Überschneidungen] bewirkt allgemein eine verschobene Wahrnehmung, wobei jedoch davor gewarnt werden muß, die Formen übernationaler Kontakte zu idealisieren.«77

1.3.3 Intermediales und Wort-Bild-Verhältnisse Die in der vorliegenden Arbeit zu untersuchenden Werke sind in ihrer Verfasstheit verschiedenen Formen von Wort-Bild-Kunst zuzuordnen. Daher ist eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Intermedialitätstheorien unerlässlich. Unter Intermedialität versteht Wiemann »…in einem weiten Sinn jedes Überschreiten von Grenzen zwischen konventionell als distinkt angesehenen Ausdrucks- oder Kommunikationsmedien«78. In der vorliegenden Untersuchung und analog zum kanonischen kunsttheoretischen Diskurs ist die Intermedialität zwischen Bild und Sprache/Schrift 72 Dabei ist zu beachten, dass Meyrink den Roman aus der Rückschau auf Prag schrieb. Bereits 1904 verließ Meyrink die Stadt. 73 Binder (1994), S. 208. 74 Le Rider (1994), S. 110. 75 Vgl. God¦ u. a. (1994), S. 11. 76 Luft (1994), S. 42. 77 Luft (1994), S. 43. 78 Wiemann, Volker : Intermedialität, in: Nünning (2008), S. 327 – 328, S. 327.

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von vorrangiger Bedeutung.79 Seit der Antike ist diese durch ein »Spannungsverhältnis«80 zwischen ihrer Vergleichbarkeit und Betrachtung als ›Schwesterkünste‹ oder ihrer strikten Trennung gekennzeichnet.81 In seinem Traktat über die Dichtkunst erklärte Horaz in einem eigentlich eher beiläufigen Nebensatz die Dichtung und die Malerei zu gleichwertigen Künsten (›ut pictura poesis‹82). Trotz der scheinbaren Nebensächlichkeit dieses Ausdrucks hatte der ›ut pictura poesis‹-Topos in der Antikenrezeption der Renaissance entscheidenden Einfluss auf Vergleichbarkeit und Hierarchisierung der Künste. Ähnlich tonangebend war Simonides von Keos’ Formulierung über die Dichtkunst als sprechende Malerei und die Malerei als stumme Dichtkunst.83 Im Mittelalter galt die eindeutige Vorherrschaft der Schrift über das Bild, bzw. des Hörens über das Sehen.84 Gleichzeitig machte man sich die Wirkmacht der Bilder zur Festigung von Herrschaftsstrukturen und zur Verstärkung des christlichen Amtscharismas zunutze.85 Bilder dienten dennoch immer als Beiwerk der Sprache. Die Naturnachahmung spielte keine Rolle, simultanes Darstellen von narrativ aufeinander folgenden Szenen oder ›übernatürliche‹ Darstellungen stellten kein diskursives Problem dar. In der italienischen Renaissance gelangten Bilder zu einem eigenständigen Wert und lösten sich aus dem engen christologischen Kontext. In seinen Viten erbrachte Giorgio Vasari dazu den kunsttheoretischen Hintergrund.86 Dort

79 Im Gegensatz zu Musik oder Tanz. 80 Schmidt, Olaf: »Callots fantastisch karikierte Blätter«. Intermediale Inszenierungen und romantische Kunsttheorie im Werk E. T. A. Hoffmanns. Dissertation, Leipzig 2002, S. 9. 81 Ann-Kathrin Reulecke vertritt in ihrer Monographie die Auffassung, dass beide Vorstellungen immer parallel aufzufinden sind. Dies muss dem Ausdruck des »Spannungsverhältnisses« nicht widersprechen. Gemeint ist ein Vorhandensein beider Auffassungen, wobei meist eine von beiden in spezifischen Diskursen überwiegt. Vgl. Reulecke, Anne-Kathrin: Geschriebene Bilder. Zum Kunst- und Mediendiskurs in der Gegenwartsliteratur. Techn. Univ., Dissertation Berlin, 2000, München 2002, S. 129. 82 So schreibt Horaz: »Eine Dichtung ist wie ein Gemälde: es gibt solche, die dich, wenn du näher stehst mehr fesseln, und solche, wenn du weiter entfernt stehst; dieses liebt das Dunkel, dies will bei Lichte beschaut sein und fürchtet nicht den Scharfsinn des Richters; dieses hat einmal gefallen, doch dieses wird, noch zehnmal betrachtet, gefallen.« (Quintus Horatius Flaccus: Funktion der Dichtung. Ars Poetica/Die Dichtkunst. 334 – 346 und 361 – 365, in: Helmes, Günther u. Köster, Werner (Hg.): Texte zur Medientheorie, Stuttgart 2004, S. 34 – 35, S. 35). 83 Vgl. Prange, Regine: Bild, in: Pfisterer, Ulrich (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen – Methoden – Begriffe, Stuttgart 2003, S. 43 – 46, S. 44. 84 Vgl. Schmidt (2002), S. 15. 85 Vgl. Bredekamp, Horst: Kunst als Medium sozialer Konflikte. Bilderkämpfe von der Spätantike bis zur Hussitenrevolution (= Edition Suhrkamp, Bd. 763), Frankfurt am Main 19751, S. 39. 86 Leben der ausgezeichneten Maler, Bildhauer und Baumeister von Cimabue bis zum Jahre 1567, beschrieben von Giorgio Vasari, Maler und Baumeister. Aus dem Italienischen. Mit

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manifestierte sich nicht nur die fortschreitende Emanzipation des Bildes, sondern auch des Künstlers. Indem die bildende Kunst schließlich der Rhetorik als eigenständige Ausdrucksform untergeordnet wurde, löste sie sich vom Paradigma des Handwerks. »In der Einleitung zu seinem Opus entwickelt Vasari zunächst eine ambitionierte Theorie, in der er – mit Rekurs auf die Paragone-Diskussionen seiner Zeit – den D[isegno] zu einem allen Gattungen übergeordneten Prinzip erklärte, das er weitgehend mit den im Intellekt des Künstlers eingeschriebenen Vorstellungen parallelisierte; diese gehen der Werkausführung, und damit der eigentlichen künstlerischen Arbeit voraus.«87

Im Humanismus wandelte sich die Rhetorik zur »Leitwissenschaft«88 und zum Strukturprinzip aller Künste. Diese wurden nun durch die intellektuelle Leistung der Erfindung, der ›inventio‹, untereinander vergleichbar, die Ausführung, die ›elocutio‹ wurde hingegen als zweitrangig betrachtet. Die Emanzipation des Bildes wurde auch von Leonardo da Vinci vorangebracht, der die Malerei als die höchste aller Künste ansah.89 In ihr sah er die vollendete ›imitatio naturae‹. Er versinnbildlicht den Wettstreit der Künste durch den ›paragone‹. Auch die Gleichzeitigkeit der Darstellung lobte da Vinci als Vorzug der Malerei. Die Vergleichbarkeit der Zeichen bei der ›inventio‹, bzw. dem ›disegno‹ kam einer Austauschbarkeit gleich. So konnte die Idee, die geistige Zeichnung, das »dessin intelectuel«90 nach Le Brun genauso gut in Worten geschehen. Die Rhetorik subsummierte also die Künste untereinander, die sich dann nur noch in der ›elocutio‹, der Ausgestaltung unterschieden. Bis ins 18. Jahrhundert blieb die Vergleichbarkeit der Künste erhalten. Insbesondere im Barock entstanden ausgesprochen »bimediale Kunstwerke«,91 wie die Emblemata, Figurengedichte oder die Ekphrasis. In der Literatur- und Sprachwissenschaft wird die Zeit zwischen Barock und Klassizismus als Schwellenzeit für einen entscheidenden Paradigmenwechsel gesehen, der weitreichenden Einfluss auf die Entwicklung der Intermedialität hatte. Hierbei geht es vor allem um den allegorischen Charakter intermedialer Kunst des Barocks, die dann im Klassizismus negiert wurde. Die kunsttheoretischen Auseinandersetzungen im 17. und 18. Jahrhundert brachten eine Los-

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einer Bearbeitung sämmtlicher Anmerkungen, so wie mit eigenen Berichtigungen und Nachweisungen begleitet von Ludwig Schorn, Stuttgart/Tübingen 1837. Rosen, Valeska von: Disegno und Colore, in: Pfisterer (2003), S. 71 – 73, S. 72. Schmidt (2002), S. 16. Vgl. Kohle, Hubertus: Ut pictura poesis non erit. Denis Diderots Kunstbegriff. Mit einem Exkurs zu J. B. S. Chardin (= Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 52), Hildesheim 1989, S. 12. Kohle (1989), S. 37. Schmidt (2002), S. 21.

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lösung des Bildes aus dem Dogma der Rhetorik hervor und leiteten die Trennung der Künste durch die Auflösung des ›ut pictura poesis‹-Prinzips ein. Lessings Laokoon 1766 markierte den Höhepunkt der Trennung und Dichotomisierung der Künste und wurde zum Gegentopos des ›ut pictura poesis‹Prinzips. Lessing verfolgte eine eindeutige Zuschreibung spezifischer Eigenschaften von Sprache und Bild.92 Die Zuordnung des Raumes auf die bildliche und der Zeit auf die sprachliche Darstellung hat bis heute ihre Bedeutung nicht verloren. Die Synchronizität des Bildes und die Sukzessivität des Textes werden weiterhin als Differenzierungsmodelle der Künste herangezogen.93 Dabei prägt die Dominanz der Sprache gegenüber dem Bild die Diskurse, obwohl bereits in der Nachfolge des ›linguistic turns‹ der ›pictorial turn‹94 proklamiert wurde. Dennoch schreibt beispielsweise Titzmann: »These 1: Die Koexistenz von Bildern und Texten innerhalb derselben Äußerung ist typologisch wie historisch nur ein Spezialfall unter den möglichen Formen der Kooperation und Interaktion von Bildern und Texten: beide Klassen von Äußerungen kooperieren und interagieren auch dann, wenn sie nicht innerhalb von Äußerungen koexistieren. These 2: Aufgrund ihrer unterschiedlichen semiotischen Strukturen differieren Bilder und Texte grundsätzlich im Umfang des Anteils, den die Generierung von Bedeutung an der kommunikativen Funktion der Äußerung hat. These 3: Soweit es um die bedeutungsgenerierende Funktion von Äußerungen geht, hat Sprache einen 92 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Zeichengebrauch von Poesie und Malerei. Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. 1766, in: Helmes (2004), S. 52 – 55, S. 53. So schreibt Lessing: »Gegenstände, die nebeneinander oder deren Teile nebeneinander existieren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei. Gegenstände, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.« 93 »Die Malerei kann in ihren koexistierenden Kompositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen, und muß daher den prägnantesten wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten wird. Ebenso kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen, und muß daher diejenige wählen, welche das sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erwecket, von welcher sie ihn braucht.« (Lessing (2004), S. 54). 94 Auch ›iconic turn‹ (Ikonische Wende) bezeichnet. Nach Baader umfasst der Begriff »eine Reihe von Positionen, die sich insgesamt um die Frage zentrieren, was ein Bild sei, welche kulturellen oder erkenntnistheoretischen Funktionen ihm zukommen können und wie diese wissenschaftlich zu analysieren seien. […] Die durch die Formel des i[conic] t[urn] bewusst evozierte Anlehnung an die Entwicklung der Philosophie und in deren Folgen in der Literatur- und Geschichtswissenschaften [sic] kann daher nur heißen, nicht länger Sprache und Schrift, sondern vielmehr auch das Bild in das Zentrum der Überlegungen zu stellen. […] Mit der Rede vom i[conic] t[urn] findet daher die alte und in der abendländischen Kultur seit dem jüdischen Bilderverbot und Platons Bildkritik immer neu verhandelte Debatte des Verhältnisses von Bild und Text in neuer Form ihre Fortsetzung.« (Baader, Hannah: Iconic Turn, in: Pfisterer, Ulrich (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, Stuttgart 20112, S. 186 – 188, S. 186 – 187).

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privilegierten Status gegenüber allen anderen Zeichensystemen: die Bedeutung sowohl von Texten als auch von Bildern (usw.) kann (in letzter Instanz und adäquat) nur durch Texte (geordnete Mengen von Propositionen) abgebildet werden. These 4: Die Menge überhaupt möglicher Bedeutungen, die von den Äußerungen einer Epoche abgebildet werden können, ist eine abhängige Funktion des in dieser Epoche verfügbaren sprachlich und kulturell bedingten Systems der Kategorisierung der Welt, das sich in Texten artikuliert und aus Texten rekonstruiert werden kann.«95

Im 20. Jahrhundert verdichten sich die verschiedenen Ansätze zu einem schier unüberschaubaren Diskurs der verschiedenen Intermedialitätsdebatten und Mediendiskurse. Die überwältigende Zahl an intermedialen Untersuchungen macht eine lückenlose Sichtung unmöglich. Dennoch konstatiert Schoell-Glass noch 2011 das Fehlen einer »Gesamtdarstellung dieser Zusammenhänge«96. Es bleibt ausgesprochen schwierig und unbefriedigend, schlüssige Theorien zu finden, die sich auf die Zeit zwischen etwa 1890 und 1925 anwenden lassen. Es werden fast immer nur spätere Beispiele, vor allem seit den Dadaisten und Avantgardisten gewählt, bei denen sich das Bild-Text-Verhältnis noch einmal völlig gewandelt hat. Es fällt besonders ins Auge, wie unbefriedigend die doch recht zahlreichen Abhandlungen aus der Kunstgeschichte über die Buchillustration ausfallen. Für die klassische Buchillustration existieren fast nur deskriptive Abhandlungen, die die Fähigkeit des Illustrators, einen Text zu verbildlichen, qualitativ ausleuchten. Möchte man sich mit der historischen Entwicklung der Buchgestaltung beschäftigen, begegnet man immer wieder der Intention, die ›Liebe zum schönen Buch‹ zu fördern. Es wird der Untergang der Illustration prophezeit, dem durch die Behandlung dieses Sachgebietes Einhalt geboten werden soll.97 Abgesehen von Lexikonartikeln lässt sich kaum eine Publikation für diese Arbeit als besonders nützlich hervorheben. In den allermeisten Fällen sind die Untersuchungen entweder zu allgemein, mit einem Übergewicht der Literaturwissenschaft oder zu exemplarisch und dabei so spezifisch, dass sich keine induktiven Schlüsse ziehen lassen. Hier muss auch besonders kritisch bei der Kunstgeschichte angesetzt werden, die sich zum einen bisher kaum mit Buch-

95 Titzmann, Michael: Theoretisch-methodologische Probleme einer Semiotik der Text-BildRelationen, in: Harms, Wolfgang (Hg.): Text und Bild, Bild und Text. DFG-Symposion 1988 (= Germanistische Symposien-Berichtsbände, Bd. 11), Stuttgart 1990, S. 375 – 376. 96 Schoell-Glass, Charlotte: Text und Bild, in: Pfisterer (2011), S. 433 – 437, S. 433. 97 Vgl. beispielsweise Wendland, Henning: Die Buchillustration. Von den Frühdrucken bis zur Gegenwart, Aarau 1987. »Es scheint in dieser Zeit einen gewissen Stillstand zu geben, wenn man die Entwicklung des künstlerisch illustrierten Buches betrachtet. […] Wenn die Aufträge fehlen, wenn sich das Illustrieren für den Künstler nicht mehr lohnt, wird es vielleicht bald keine illustrierten Bücher mehr geben, wie wir sie bisher gewohnt waren.« (Wendland (1987), S. 11).

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kunst und Illustration beschäftigt hat und zum anderen dazu neigt, eine reine Beschreibung der Phänomene als wissenschaftliche Leistung stehen zu lassen. Einen allgemeinen Forschungsüberblick zum Thema Text und Bild bietet Charlotte Schoell-Glass.98 Sie verweist auf die sehr ausgeprägte kunstwissenschaftliche Erforschung mittelalterlicher Wort-Bild-Kunst, sowie der Ekphrasis. In der theoretischen Aufarbeitung dominieren die literaturwissenschaftlichen Publikationen. Die Kunstwissenschaft holt nun allerdings auf und beschäftigt sich vor allem mit multimedialen Erscheinungsformen.99 Karl Riha verweist auf den Streit zwischen Literatur und Malerei, vor allem auf Lessings Schrift Laokoon. Grenzüberschreitungen und Tabubrüche im 18. Jahrhundert sieht er als Wegweiser für neue Auffassungen von Schrift und Bild, die sich im 19. Jahrhundert entwickeln.100 Der Frage nach den Gründen einer Blüte der Buchillustrationskultur um 1900 versucht Günter Häntzschel nachzugehen. Er markiert vor allem merkantile Beweggründe. Der Buchhandel befand sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Absatzkrise und musste neue Leserschaften anwerben. Dies versuchte man durch Ausgaben, die dezidiert auf das weibliche Lesepublikum abzielten, sowie durch erschwingliche Romanheftchen (›Groschenromane‹) und illustrierte Ausgaben. Befördert wurden diese Strategien durch neue Druckverfahren.101 Bernard Dieterle macht das genannte Forschungsdesiderat an dem Problem der Interdisziplinarität fest. In mehreren Beispielen zeigt er das Problem der Narrativik von Bildern, oder besser gesagt die unterstellte Unmöglichkeit ihrer Narrativität.102 Bemerkenswert ist dabei sein Urteil, dass eine »›wörtliche‹« Illustration zu einem metaphorischen Text entweder »Komik oder Phantastik«103 hervorbringe. Darauf aufbauend schreibt Dieterle »einer gelungenen Illustration« zu, »doppelt verankert [zu] sein: auf der Ebene der Denotation, damit der 98 Schoell-Glass (2011), S. 435 – 436. 99 Vgl. Schoell-Glass (2011), S. 436. 100 Vgl. Riha, Karl: Bilderliteratur, in: Timm, Regine (Hg.): Buchillustration im 19. Jahrhundert. Vorträge, gehalten anläßlich eines Arbeitsgespräches in der Herzog-August-Bibliothek (= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens, Bd. 15), Wiesbaden 1988, S. 47 – 66, S. 47. 101 Vgl. Häntzschel, Günter : Gedichte und Illustration in Anthologien und Prachtausgaben des 19. Jahrhunderts. Das Beispiel Heinrich Heine, in: Timm (1988), S. 67 – 85, S. 67. 102 Vgl. Dieterle, Bernard: Zum Text-Bild-Verhältnis im illustrierten Gedicht, in: Timm (1988), S. 87 – 115, S. 91. Dieser These wurde vielfach widersprochen. Insbesondere der Historien-, aber auch die Genremalerei wird eine hohe Narrativität zugeschrieben. Vgl. Weisner, Annette: Konzepte von Narrativität und Temporalisierung in Bildwerken der skandinavischen Moderne, in: Heitmann, Annegret u. Schiedermair, Joachim (Hg.): Zwischen Text und Bild. Zur Funktionalisierung von Bildern in Texten und Kontexten (= Rombach Wissenschaften Reihe Nordica, Bd. 2), Freiburg im Breisgau 20001, S. 93 – 115, S. 94. 103 Vgl. Dieterle (1988), S. 92. Als Beispiele nennt Dieterle Redons Illustrationen zu E.A. Poe oder Flaubert.

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Leser leicht einen ersten Bezug herstellen kann […], und auf der Ebene der Nebenvorstellungen, damit der erste Bezug nicht im punktuellen, rein buchstäblichen verbleibt.«104 Seine Schlussfolgerung unterstreicht die Vorstellung, dass Bild-Text-Verhältnisse bereichernd und spannungsreich sein können und weniger die »Vielfalt des Textes reduzierend. […] Die Voraussetzung dafür ist nicht so sehr die künstlerische Qualität, sondern die Qualität, die Intensität des illustrativen Bezuges.«105 Auch Titzmann, der von einer strikten Trennung beider Künste als semiotische Zeichen ausgeht, gestattet ihnen dennoch eine gegenseitige Bereicherung zu. »Aufgrund ihrer grundsätzlich verschiedenen Bedeutungsstruktur erbringen Bilder und Texte in der Abbildung von […] ›Welten‹ verschiedene Leistungen […], wobei sie füreinander jeweils supplementäre Funktionen erfüllen; bei Koexistenz in derselben Äußerung addieren sich die verschiedenen […] Leistungen direkt; […]. Wie die Bilder einer Kultur (-epoche) durch die Zuordnung von Texten eine Semantisierung erfahren, erfahren die Texte durch die Zuordnung von Bildern eine Referentialisierung: als jeweils direkte wechselseitige Interpretation bei Koexistenz, als indirekter kontextueller Interpretationsrahmen füreinander bei Nicht-Koexistenz.«106

Der Begriff der Illustration wurde oft sehr weit aufgefasst, kann aber prinzipiell auf die bildliche Begleitung eines physisch vorhandenen Textes und die unmittelbare Nähe zwischen Bild und Text angewendet werden. Darüber hinaus gibt es Illustrationen, die sich physisch vom Text lösen, aber in eindeutigem textuellem Zusammenhang zu sehen sind. Daneben kann allerdings jedes Bild, das auf einen Text verweist, also auch beispielsweise jede biblische Darstellung als Illustration aufgefasst werden. In der Hauptzahl der Werke handelt es sich um vervielfältigbare Kunst, also um Druckgraphik.107 Die Frage nach der Illustration und ihrer Abgrenzung versucht Hans Holländer so zu beantworten, dass die Buchmalereien des Mittelalters Illuminationen seien, und die Buchillustration erst mit dem Buchdruck erfunden wurde. Darüber hinaus schreibt er : »Der illustrative Charakter eines Bildes kann offenbar unabhängig von der Beschaffenheit oder der Existenz von zugehöriger Literatur erhalten oder sogar noch gesteigert werden. Für diese Fälle, die sehr zahlreich sind, habe ich versucht, den Begriff modus illustrandi einzuschmug-

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Dieterle (1988), S. 95. Dieterle (1988), S. 114. Titzmann (1990), S. 380. Vgl. Illustration, in: Olbrich, Harald (Hg.): Lexikon der Kunst. Architektur. Bildende Kunst. Angewandte Kunst. Industrieformgestaltung. Kunsttheorie. Greg-Konv (= Bd. 3), Leipzig 20042, S. 402.

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geln.«108 Es gibt also bildende Kunst, die sich auf keinen konkreten Text bezieht, sondern ihren eigenen Text erfindet. Das Postulat des Horaz, ›ut pictura poesis‹ und dessen Umkehrung ›ut poesis pictura‹ finden hier ihre Anwendung.109 Anhand der Umkehrung lässt sich die jeweilige Dominanz von Schrift oder Bild erkennen. Holländer vermutet, dass diese Konkurrenz – der Paragone der Künste – niemals enden wird.110 Der Literaturwissenschaftler Gottfried Willems konstatiert in Anschaulichkeit von 1989 eine Dominanz der Wortkunst gegenüber der Bildkunst.111 Dennoch gelingt es ihm, in einer differenzierten Herleitung, sowohl die Geschichte der Bild-, wie auch der Wortkunst und ihrer Verbindungen als Wort-Bild-Kunst aufzuzeigen. Erstaunlich ist dabei die Fülle an markanten Beispielen aus beiden Bereichen. Auch er setzt sein Hauptaugenmerk auf Moderne und Avantgarde. Die geschichtliche Entwicklung der Wort-Bild-Beziehungen unterliegt einem stetigen Wandel.112 Willems will diese anhand der Entwicklung des Bildes und im Weiteren dann seine Entwicklung zu Wort-Bild-Beziehungen beleuchten. Bis zur frühen Neuzeit, so stellt Willems fest, waren Bilder in erster Linie Bedeutungsbilder.113 Damit meint er, dass Bilder eine fest zugewiesene Bedeutung haben, die im Bild zur Darstellung kommen soll. Für diese festen Bedeutungen gibt es Codes, die bekannt sind und auf die sich die bildliche Darstellung beruft. »Die Reproduktion des Augenscheins beschränkt sich dann auf wenige charakteristische, besser gesagt: als charakteristisch geltende Momente – auf ebenso viele, wie notwendig sind, um ein Wiedererkennen zu ermöglichen.«114 Diese Funktion des Bildes ist stark von seiner Abhängigkeit zur abendländischen Geschichte der christlichen Religion geprägt. In dieser Hinsicht hat das Bild vor allem eine erklärende, für Analphabeten aufschließende Funktion.115 Im Übergang des Spätmittelalters zur frühen Neuzeit entstanden laut Willems auffallend viele Wort-Bild-Formen. 108 Holländer, Hans: Der modus illustrandi in der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts, in: Timm (1988), S. 13 – 45, S. 29. 109 Interessant ist dabei, dass in Horaz’ Postulat bereits die Freiheit des Bildes angelegt ist, etwas zu erfinden, was eigentlich unmöglich ist. Diese Freiheit gesteht er auch der Literatur zu. 110 »Denn immer noch befinden wir uns im alten Paragone von Literatur und Malerei, der wahrscheinlich nie enden wird, weil Wort und Bild, einander ergänzend und einander in unterschiedlichen Graden der Annäherung oder der Feindschaft begegnend, unsere Weltvorstellung bestimmen.« (Holländer (1988), S. 29). 111 Vgl. Willems, Gottfried: Anschaulichkeit. Zu Theorie und Geschichte der Wort-Bild-Beziehungen und des literarischen Darstellungsstils (= Studien zur deutschen Literatur, Bd. 103), Tübingen 1989. 112 Vgl. Willems (1989), S. 109. 113 Vgl. Willems (1989), S. 110. 114 Willems (1989), S. 111. 115 Vgl. Willems (1989), S. 113.

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»Fast könnte man sagen, daß Wort und Bild in dieser Phase der Geschichte in der Lage sind, einen kohärenten Diskurs zu bilden. […] [W]as das Bild zum redenden Bild macht, seinen inneren Sprachcharakter begründet und es insofern zur künstlerischen Darstellung werden lässt, ist in dieser Phase seiner Geschichte weithin ebendasselbe wie das, was das Wort zum anschaulichen Wort macht, ihm seine innere Bildlichkeit verleiht und es damit als literarische Mimesis etabliert – es ist das System der Allegorese; auf ihm beruhen hier die inneren Wort-Bild-Beziehungen.«116

Im weiteren Verlauf der Darstellung der geschichtlichen Entwicklung trat in der Renaissance die mimetische und »illusionistisch-physiognomische[…]«117 Funktion des Bildes hinzu, wenngleich das Bild weitgehend Bedeutungsbild blieb. In der Phase der Aufklärung traten Bild und Wort stärker auseinander und in ein »Spannungsverhältnis«118. In der Folgezeit, also dem 18. und 19. Jahrhundert, reduzierte sich laut Willems das Bild zu einem reinen »Illusionsbild«119 und mündete in den »Impressionismus, in dem sich das Bild darauf zurückzieht, das bloße Sehen darzustellen.«120 Das Bedeutungsbild verschwand nie vollständig und es wurden immer wieder Rückgriffe vollzogen, die Entwicklung lässt sich aber in groben Zügen so beschreiben: »[D]as progressive Element liegt unzweifelhaft in der Entwicklungslinie vom Bedeutungsbild über das Illusionsbild hin zu einem Bild, das das Sehen und schließlich auch das Bildsein überhaupt reflektiert«121. In der Folge rückten Wort- und Bildkunst auseinander, wurden in ihrer Unterschiedlichkeit wahrgenommen, aber auch in ihrer Gleichrangigkeit.122 Im 19. Jahrhundert konstatiert Willems eine Akzentverschiebung. Die Künste wurden aus ihrer mimetischen Funktion entlassen und konnten so neue Verbindungen eingehen.123 Die Entmimetisierung der Künste traf aber nur einen Teil der sich pluralisierenden Kunstströmungen. Es entstand eine Gemengelage aus Ent- und Remimetisierungen, die in ihrer Fülle und in ihren komplexen Abhängigkeiten nur schwer zu erfassen sind.124 Bezüglich der Ausleuchtung des Intermedialitätsdiskurses in seiner geschichtlichen Entwicklung bildet Anne-Kathrin Reuleckes Monographie Geschriebene Bilder. Zum Kunst- und Mediendiskurs in der Gegenwartsliteratur von 2002 einen wichtigen Anhaltspunkt.125 Obwohl sie in ihrem Hauptteil auf die 116 117 118 119 120 121 122 123 124 125

Willems (1989), S. 119 – 120. Willems (1989), S. 122. Willems (1989), S. 125. Willems (1989), S. 126. Willems (1989), S. 126. Willems (1989), S. 126. Vgl. Willems (1989), S. 132. Vgl. Willems (1989), S. 159. Vgl. Willems (1989), S. 160. Vgl. Reulecke (2002).

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Ekphrasis, bzw. die Darstellung von Kunstwerken in der Literatur abhebt, gibt sie eine gute Einführung in die Ästhetikdebatte des 18. Jahrhunderts. Ebenfalls sehr spezifisch, aber in der Einführung ausgesprochen hilfreich ist Hubertus Kohles Arbeit über Denis Diderots Kunstbegriff Ut pictura poesis non erit von 1989.126 Unverzichtbar ist die Reclam-Quellensammlung zu Texten der Medientheorie. Hier finden sich die einschlägigen Texte von Horaz, Gotthold Ephraim Lessing, Marshall McLuhan und weiteren.127 Die theoretischen Grundlagen stammen beinahe ausschließlich aus dem Bereich der Linguistik oder Semiotik. Wolfgang Max Fausts Arbeit Bilder werden Worte. Zum Verhältnis von bildender Kunst und Literatur im 20. Jahrhundert oder vom Anfang der Kunst im Ende der Künste von 1977 war Basis für viele spätere Arbeiten.128 Aber auch hier zeigte sich das Problem, dass die klassische Buchillustration nicht behandelt wird. Sehr hilfreich war die Einführung von Ursula Brandstätter Grundfragen der Ästhetik von 2008.129 Sie bespricht grundsätzliche Belange der Wahrnehmung und zieht Rückschlüsse auf die betreffenden medialen Formen. Die Arbeit von Erich Straßner Text-Bild-Kommunikation – Bild-Text-Kommunikation von 2002 kam ebenfalls zur Anwendung.130 Die Monographie von Hartmut Stöckl Die Sprache im Bild – Das Bild in der Sprache von 2004 war für die Methodik der BildText-Analyse aufschlussreich.131

1.3.4 Buchkunst und Buchkünstler Intermediale Kunstwerke existieren in vielen verschiedenen Formen. In der vorliegenden Arbeit vorrangig behandelt werden Werke in Form von physischen Büchern. Nach Kapr kann man die Buchherstellung in zwei Bereiche unterteilen, den der literarischen Produktion und den der technischen Buchproduktion. Am 126 Vgl. Kohle (1989). 127 Vgl. Helmes (2004). 128 Faust, Wolfgang Max: Bilder werden Worte. Zum Verhältnis von bildender Kunst und Literatur im 20. Jahrhundert oder vom Anfang der Kunst im Ende der Künste (= Literatur als Kunst), München 1977. 129 Vgl. Brandstätter, Ursula: Grundfragen der Ästhetik. Bild – Musik – Sprache – Körper (= UTB Kunstwissenschaften, Bd. 3084), Köln 2008. 130 Vgl. Straßner, Erich: Text-Bild-Kommunikation – Bild-Text-Kommunikation (= Grundlagen der Medienkommunikation, Bd. 13), Tübingen 2002. 131 Vgl. Stöckl, Hartmut (Hg.): Die Sprache im Bild – das Bild in der Sprache. Zur Verknüpfung von Sprache und Bild im massenmedialen Text. Konzepte, Theorien, Analysemethoden (= Linguistik – Impulse & Tendenzen, Bd. 3), Berlin 2004.

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Schnittpunkt der beiden Bereiche stehen Buchkünstler und Illustrator.132 Der Buchgestalter kann eine vermittelnde Funktion zwischen dem literarischen Text und dem Rezipienten einnehmen. Der Illustrator inszeniert Bilder, die durch Worte ausgelöst werden. Es sind aber keine universalen Bilder, sondern die künstlerischen Bilder-Gedanken zu dem Text, den der Illustrator liest.133 Er macht sozusagen einen Vorschlag aus dem Repertoire seiner ›Privatikonographie‹.134 Die Vorstellung des ›In-Szene-Setzens‹ ist in vielen Illustrationsfolgen zu spüren.135 So könnte das Illustrieren eines Buches als Vorform einer dramatischen Inszenierung in Theater oder Film gesehen werden.136 Die Buchgestaltung hat eine lange Tradition, deren Niveau stark variiert. Ihren Ausgangspunkt nahm die Buchillustration in den mittelalterlichen illuminierten Handschriften. Im ausgehenden Mittelalter wurden dann die Klöster von den Universitäten abgelöst, die sich zu wichtigen Zentren für den Buchhandel entwickelten.137 Parallel zur Entwicklung des Buchdrucks entstanden auch frühe seriell produzierte Schriftzeugnisse mit Umrisszeichnungen, die auf das Wesentliche reduziert waren. Diese waren an einen offenen Kundenstamm gerichtet. Damit einher gingen Werbemaßnahmen, die sicherlich im Zusammenhang mit der Bebilderung standen.138 Mit den Einblattdrucken und Blockbüchern wurde der Weg für die weitere Entwicklung einer reproduzierten Druckgraphik innerhalb eines textuellen Zusammenhangs bereitet.139 Bereits im 16. Jahrhundert war die Erkenntnis präsent, dass Buchillustrationen neben ihrem informativen Mehrwert auch durch ihren dekorativen 132 133 134 135

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Vgl. Kapr (1989), S. 9. Vgl. Holländer (1988), S. 13. Vgl. Holländer (1988), S. 14. Das In-Szene-Setzen – aus dem Französischen übernommen (mise en scÀne) – bildet etymologisch die Vorform des Begriffes Inszenierung. Damit gemeint war »sowohl, jemanden oder etwas zum Gegenstand des Theaters machen, als auch jemandem oder etwas einen Platz in einem literarischen oder anderen künstlerischen Werk […] anweisen.« (Fischer-Lichte, Erika: Inszenierung und Theatralität, in: Willems, Herbert u. Jurga, Martin (Hg.): Inszenierungsgesellschaft. Ein einführendes Handbuch, Wiesbaden 1998, S. 81 – 90, S. 82). Der Begriff der Inszenierung wird in einem bewusst weit gefassten Sinn verwendet. Nach Fischer-Lichte kann die Inszenierung eine anthropologische Kategorie sein. Dabei bildet die Inszenierung »den Aspekt von Theatralität […], der auf die schöpferische Hervorbringung zielt. […] In diesem Sinne meint der Begriff Kulturtechniken und Praktiken, mit denen etwas zur Erscheinung gebracht wird. Entsprechend wird Inszenierung als ein ästhetischer bzw. ästhetisierender Vorgang begriffen und ihr Resultat als ästhetische bzw. ästhetisierte Wirklichkeit…« (Fischer-Lichte (1998), S. 87). Diese Konnotation des Inszenierungsbegriffs soll neben der Vorstellung des In-Szene-Setzens ausschlaggebend für die nachfolgenden Untersuchungen sein. Vgl. Janzin, Marion u. Güntner, Joachim: Das Buch vom Buch, Hannover 20073, S. 100. Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 102. Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 104.

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Charakter zum Erfolg eines Buches beitragen konnten.140 Der Buchschmuck erfreute sich nun großer Beliebtheit. In der Renaissance und vor allem während der Gegenreformation kamen zu den in erster Linie religiös geprägten Buchillustrationen Sachillustrationen und Karikaturen auf Flugblättern als Themengebiete hinzu. Auch die Flugblätter und Flugschriften vermehrten die erfolgreiche Verbreitung von Bildern in der Kombination mit Text. Durch den Kupferstich nahm die Entwicklung der Buchillustration eine neue Wendung. Im 17. Jahrhundert zeigte sich die Buchillustration überwiegend als Informationsquelle,141 während der künstlerische Anspruch abnahm. Die Bedeutung des Frontispizes und des Titelkupfers wurde nun evident. In etwa diese Zeit fällt auch die Blüte der Emblemata, die sich in sogenannten Emblembüchern wiederfanden.142 Diese besondere Form der Text-Bild-Beziehung blieb ein relativ kurzlebiges und einzigartiges Phänomen des Barock. Erst im 18. Jahrhundert begann man zunehmend auch Belletristik zu illustrieren. Zuvor beschränkte sich die Bebilderung vorwiegend auf Sachliteratur wie naturwissenschaftliche Abhandlungen oder Reiseberichte. Ihr informativer Charakter stand im Vordergrund. Auch im 18. Jahrhundert verlor die Buchillustration diese Funktion nicht. In dieser Epoche entstanden viele große illustrierte Enzyklopädien.143 Mit dem Beginn der literarischen Buchillustration wurde ihre Funktion jedoch erweitert. Kupferstecher wie Salomon Gessner, der selbst auch literarisch tätig war, oder Daniel Chodowiecki waren maßgeblich daran beteiligt, der Illustration eine größere Bedeutung innerhalb der Belletristik zuzuweisen.144 Im Gegensatz zum Titelkupfer wurden nun einzelne Szenen des literarischen Werkes herausgegriffen und nach Interpretation des Illustrators in ein Bild übertragen. Große Bedeutung erlangte im englischsprachigen Raum William Hogarth als wichtiger Repräsentant einer Form von Illustrationen, die er selbst als »dramatische[…] Inszenierungen«145 bezeichnete. Zunehmend trat also der szenische Charakter der Buchillustration in den Vordergrund. Eine Erforschung der Buchillustration der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland bildete lange ein Forschungsdesiderat in der Kunstgeschichte.146 Dies hing auch mit der Entwicklung der Buchillustration in 140 Eine wichtige Rolle spielten dabei auch noch im 17. Jahrhundert die so genannten Kolporteure, Hausierer und Marktschreier, die ihre Druckwaren aus regionalen Druckereien bezogen. Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 224. 141 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 219. 142 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 221 – 222. 143 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S.236. 144 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 259. 145 Schmitz-Emans, Monika u. Bachmann, Christian A.: Literatur-Comics. Adaptationen und Transformationen der Weltliteratur (= Linguae & litterae, Bd. 10), Berlin 2012, S. 108. 146 Vgl. Timm, Regine: Zur Einführung, in: Timm (1988), S. 7 – 11, S. 8.

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Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert zusammen. In England entstand die Buchillustration des 19. Jahrhunderts aus der Karikatur, während die deutsche Tradition vor allem eine Auseinandersetzung mit den literarischen Klassikern darstellte. Deren Inhalte wurden als bekannt vorausgesetzt, sodass viele Illustrationsfolgen als Mappenwerke unabhängig vom Text erschienen. Die Illustration im klassischen Sinne, als kohärente Struktur von Text und Bild innerhalb eines physischen Bucheinbandes, betraf daher die weniger bekannte Literatur und die Trivialliteratur.147 Diese Fälle fanden bislang wenig Beachtung. Im Fokus stehen auch weiterhin die Illustrationen berühmter Künstler wie Marc Chagall, Pablo Picasso, Henri Matisse oder im deutschsprachigen Raum Oskar Kokoschka und Ernst Barlach. Sie werden bis heute regelmäßig als Vertreter der Illustrationskunst vorgestellt.148 Die Relevanz ihrer Illustrationen innerhalb des Buchgefüges wird als gegeben hingenommen, bzw. ihr Beitrag automatisch als Aufwertung des Buches wahrgenommen. Inwiefern Text und Bild zusammenspielen, welche Funktion die Illustrationen übernehmen und welche verlegerischen Absichten dahinterstehen, wird kaum thematisiert. So wird die Geschichte der Buchillustration als Unterströmung der großen Züge der Kunstgeschichte dargestellt. Sie wird als ein Nebenprodukt der künstlerischen Produktion behandelt. Nur in Fällen wie Alfred Kubin oder William Morris, die in erster Linie durch ihre Buchillustrationen bekannt wurden, wird der Illustration ein Eigenwert zugeschrieben.

1.3.5 Phantastik, schwarze Romantik und das Unheimliche Der Bereich der Phantastik ist vor allem in Bezug auf die zu behandelnde Literatur von hoher Relevanz. Das Hauptwerk der vorliegenden Arbeit, Meyrinks Roman Der Golem, wird als ein Hauptvertreter der deutschen Phantastik bewertet.149 Auch der genetisch eng verwandte Roman Die andere Seite von Alfred Kubin wird zu diesem Genre gezählt.150 Die Forschungslage im Bereich der Phantastik, vor allem in der Literaturwissenschaft, bot eine nicht besonders 147 Vgl. Timm, Einführung (1988), S. 9. 148 Vgl. beispielsweise Schultze, Jürgen u. Winther, Annemarie (Hg.): Bild und Buch. Das illustrierte Buch vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen, Bremen 1979. In der genannten Publikation findet keine Auseinandersetzung der Bild-Text-Bezüge statt. Die vorgestellten Beispiele aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen werden als anerkannte Beispiele für die Entwicklung der Buchillustration vorgestellt. 149 Über die Zuordnung zur phantastischen Literatur werden jedoch auch Zweifel gehegt, so bei Freund, Winfried: Deutsche Phantastik. Die phantastische deutschsprachige Literatur von Goethe bis zur Gegenwart (= UTB für Wissenschaft Uni-Taschenbücher, Bd. 2091), München 1999, S. 206. 150 Vgl. Freund (1999), S. 202.

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große, aber sehr dezidierte Auswahl an Arbeiten, die sich in diesem engen Kontext sehr gut untersuchen ließ. Trotz der in der Forschung immer wieder hervorgebrachten Kritik, die Phantastik sei immer noch zu wenig untersucht, kann man von einem wahren Forschungsboom in den 1970er Jahren sprechen. Im Anschluss daran wurde die Phantastik mehr oder weniger in den Kanon der literaturwissenschaftlichen Forschungsobjekte eingereiht. In dieser Hinsicht kann die Einführung von Winfried Freund Deutsche Phantastik. Die phantastische deutschsprachige Literatur von Goethe bis zur Gegenwart von 1999 als maßgeblich gelten.151 Hilfreich für den Einstieg in das Werk von Gustav Meyrink ist die Monographie von Peter Cersowsky Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts von 1983.152 Daneben gibt es verschiedene Reihen und Buchtitel aus den 1970er Jahren.153 Bezüglich der Phantastik in der Bildenden Kunst stellt sich die Forschungslage anders dar, obgleich auch hier ein paar wichtige Publikationen den entscheidenden Einblick in das Themenfeld gewährten. Zuvorderst ist hier DuMont’s kleines Lexikon der Phantastischen Malerei zu nennen, herausgegeben von Jörg Kirchbaum und Rein A. Zondergeld aus dem Jahr 1980 und Wieland Schmieds 200 Jahre Phantastische Malerei, das 1973 erschien.154 Beide Publikationen sind bereits älteren Datums und können auf den besagten PhantastikBoom der 1970er Jahre zurückgeführt werden. Angesichts der definitorischen Schwierigkeiten für eine Phantastische Malerei/Bildende Kunst werden eher Einzelfälle wie Johann Heinrich Füssli und William Blake, Francisco de Goya und Giovanni Battista Piranesi oder Hieronymus Bosch behandelt. Da hier ein kontinuierlicher Zusammenhang fehlt oder die genannten Künstler als Sonderfälle aufgefasst wurden, folgten nur noch wenige Abhandlungen über das Phantastische in der Kunst allgemein, so zum Beispiel Werner Hofmanns Phantasiestücke von 2010.155 Eine allgemeine Einführung in das Thema bietet das interdisziplinäre Handbuch zur Phantastik, eine rezente Publikation von Hans Richard Brittnacher und Markus May aus dem Jahr 2013.156 151 Vgl. Freund (1999), S. 202. 152 Vgl. Cersowsky, Peter : Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Untersuchungen zum Strukturwandel des Genres, seinen geistesgeschichtlichen Voraussetzungen und zur Tradition der »schwarzen Romantik« insbesondere bei Gustav Meyrink, Alfred Kubin und Franz Kafka, München 19832. 153 Zum Beispiel Zondergeld, Rein A. (Hg.): Phacon. Almanach der phantastischen Literatur (= Bd. 1), Ulm 1974, eine fünfbändige Reihe, die von 1974 bis 1982 erschien. 154 Vgl. Kirchbaum, Jörg u. Zondergeld, Rein A. (Hg.): DuMont’s kleines Lexikon der Phantastischen Malerei (= DuMont Taschenbücher, Bd. 52), Köln 19802 und Schmied, Wieland: Zweihundert Jahre phantastische Malerei, Berlin 1973. 155 Vgl. Hofmann, Werner : Phantasiestücke. Über das Phantastische in der Kunst, München 2010. 156 Brittnacher, Hans Richard u. May, Markus: Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2013.

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In dem mit der Phantastik verwandten Bereich der ›Schwarzen Romantik‹ kann die Monographie von Andr¦ Vieregge herangezogen werden. Vieregge bezieht sich vor allem auf die zentrale Arbeit zur ›Schwarzen Romantik‹ von Mario Praz.157 Nachdem Praz einen Motivkatalog der ›Schwarzen Romantik‹ angelegt hatte, der zum Beispiel die »Metamorphosen des Teufels«158 oder Figuren wie die ›femme fatale‹ und die ›femme fragile‹ umfasst, versucht Vieregge eine darüber hinausgehende vergleichende Analyse inhaltlicher und motivgeschichtlicher Strukturen ausgewählter Literatur. Dabei bringt Vieregge den Begriff des Unheimlichen ins Spiel: »Was für das Genre der Phantastik in all seinen Variationen noch nicht gelten konnte, stellt für die Schwarze Romantik eine elementare Struktur dar. Das Unheimliche ist hier tatsächlich ein konstitutives Moment, das sich jedoch nicht aus stürmischen Nächten, verfallenen Gemäuern und finsteren Wäldern herleitet. Die Atmosphäre ist ein nur schwierig definierbares Element, dessen Wirkung sowohl von der Kunstfertigkeit des Autors als auch von der emotionalen Empfänglichkeit des Rezipienten abhängt, die sich zudem zeitlich und gesellschaftlich bedingt verändert.«159

Den Begriff des Unheimlichen hatte Freud in seinem Aufsatz über E. T. A. Hoffmanns Der Sandmann geprägt.160 Veröffentlichungen zum Thema der ›Schwarzen Romantik‹ und Phantastik greifen den Freud’schen Begriff immer wieder auf und erörtern ihn im Fokus des jeweiligen spezifischen Forschungsinteresses.161 Parallel dazu wurde der Bildband zur Ausstellung Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst im Frankfurter Städel von 2012 herangezogen.162 Vergleichbar mit den Veröffentlichungen zur Phantastik wird auch hier die Dialektik der Aufklärung und die »Kehrseite[…] der Vernunft«163 thematisiert. Zu Recht weist Herding jedoch darauf hin, dass eine der Freud’schen vergleichbar tiefgreifende Abhandlung über das Unheimliche trotz der breiten Rezeptionsgeschichte bislang noch aussteht.164 Die Wiedergeburt der düsteren Seite der Romantik um 1900 wurde auf ver157 Vgl. Vieregge, Andr¦: Nachtseiten. Die Literatur der Schwarzen Romantik (= Europäische Hochschulschriften Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Bd. 1967), Frankfurt am Main, Kiel 2008 und Praz u. Rüdiger (1963). 158 Praz u. Rüdiger (1963), S. 52 – 75. 159 Vieregge (2008), S. 77. 160 Vgl. Freud, Sigmund (Hg.): Das Unheimliche. Aufsätze zur Literatur, Frankfurt a. M. 1963. 161 Vgl. beispielsweise Vieregge (2008), S. 78. 162 Vgl. Krämer, Felix u. Borgards, Roland (Hg.): Schwarze Romantik. Von Goya bis Max Ernst, Ostfildern 2012. 163 Krämer u. Borgards (2012), S. 9. 164 Herding, Klaus: Finster, lauernd, ungreifbar – die vertraute Altstadt als Hort des Unheimlichen bei Charles Meryon, in: Orte des Unheimlichen. Die Faszination verborgenen Grauens in Literatur und bildender Kunst, hg. v. Klaus Herding u. Gerlinde Gehring, Göttingen 2006, S. 192 – 233, S. 192.

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schiedene Umstände zurückgeführt. Insbesondere die Endzeitstimmung, das fin-de-siÀcle und die D¦cadence als literarische Strömung sind hier zu nennen. Ausgehend von der französischen Literatur entwickelte sich im 19. Jahrhundert die D¦cadence als »Ästhetik des Morbiden«165. Eine tiefgreifende Untersuchung des Dekadenten stammte von dem Zeitgenossen Max Nordau. Nordau war einer der Anhänger einer pathologisierenden Betrachtung der Kunst, Literatur und Musik um 1900. In Anlehnung an Cesare Lombroso, der den Begriff der Entartung für Insassen von Irrenhäusern im 19. Jahrhundert prägte, wendete Nordau die Entartung auf die Künste an. Er wollte die Kunst des fin-de-siÀcle in einen pathologischen Zusammenhang setzen, indem er den Künstlern und Schöpfern von Kunst eine geistige Fehlstellung, eine Entartung zuschrieb. Dabei beschrieb er manche Symptome der Zeit sehr treffend. Sprachlich an die Satire grenzend, zog er daraus allerdings fatale und völlig unzulässige Schlüsse. Vor allem zeigen sich in seinen beiden Bänden protofaschistische Züge, die, angesichts der noch kommenden Ereignisse im 20. Jahrhundert und der im Aufdämmern des Dritten Reichs verfehmten entarteten Kunst, beim Leser ein unangenehmes Gefühl hinterlassen. So sind es bezeichnenderweise die Oberschichten, die der geistigen Erkrankung der Entartung anheimgefallen sein sollten. Die Arbeiter und Bauern – ganz gemäß einer ›Blut und Boden-Ideologie‹ – seien noch gesund, »die führenden Klassen sind es, deren Fäulnis ich feststelle.«166 Besonders verschmähte Nordau den scheinbar wahllosen Eklektizismus des ›fin-de-siÀcle-Menschen‹. Er suche allein, »die Nerven zu erregen und zu verwirren«,167 was laut Nordau höchst schädlich sei und sich vor allem durch den manipulativen Charakter der Kunst in die breite Bevölkerung ausdehne. Als künstlerische Beispiele nennt er Impressionisten wie Puvis de Chavannes oder Albert Besnard, für die Musik in erster Linie Richard Wagner. In literarischer Hinsicht sind es Marquis de Sade, Emile Zola oder Themen und Stoffe der schwarzen Romantik, so zum Beispiel »Gespenstergeschichten, die aber in wissenschaftlicher Verkleidung, als Hypnotismus, Telepathie, Somnambulismus auftreten müssen, […], esoterische Romane, in denen der Dichter andeutet, daß er über Magie, Kabbala, Fakirismus, Astrologie und andere weiße und schwarze Künste viel sagen könnte, wenn er nur wollte.«168

165 D¦cadence, in: Burdorf, Dieter ; Fasbender, Christoph u. Moenninghoff, Burckhard (Hg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, Weimar 20073, S. 142 – 143, S. 142. 166 Nordau, Max: Entartung, Berlin 1893, Bd. 1, S. 5. 167 Nordau (1893), S. 21. 168 Nordau (1893), S. 26.

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Die Vertreter der Bewegung, wie sie Nordau beschrieb, waren bald in ganz Europa zu finden und empfanden sich als zutiefst »antibürgerlich«169. Stellvertretend für diese Strömung in Prag kann die Gruppe Jung-Prag gelten.

169 Burdorf, Fasbender u. Moenninghoff (2007) S. 143.

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Die Gruppe ›Jung-Prag‹ und das Caféhaus als Treffpunkt der Subkultur

Die deutschsprachigen Künstlerkreise in Prag gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren vor allem von einer reaktionären, konservativen Haltung beherrscht. Insbesondere der Künstler- und Literatenkreis ›Concordia‹ bestand aus »chauvinistisch gesinnten Epigonen eines abgestandenen Klassizismus«170. In bewusster Abgrenzung zur ›Concordia‹ und in stilistischem Anklang an Rainer Maria Rilke entstand um 1900 der Kreis der Neuromantiker um Oskar Wiener.171 Die Gruppe nannte sich ›Jung-Prag‹ in Anlehnung an die Gruppierung Jung-Wien um Hermann Bahr. Dieser Gründung folgten weitere Gruppierungen, in denen sich vor allem Oskar Wiener und Paul Leppin als charismatische Figuren positionierten. Neben Literaten wie Victor Hadwiger oder Camill Hoffmann waren auch Künstler wie Hugo Steiner-Prag und Richard Teschner Mitglieder. Gustav Meyrink und Alfred Kubin hielten Kontakte zu diesen Gruppierungen.172 Es fand auch ein Austausch mit tschechischen Künstlern und Literaten statt,173 da man sich sowohl gegen den deutschen »Kulturimperialismus«, als auch gegen den »tschechischen Alleinvertretungsanspruch«174 zur Wehr setzen wollte. Thematisch lag der Schwerpunkt auf den Gebieten des Morbiden und Tabuisierten, also abseits des ›Normalen‹, um sich bewusst gegen eine verstaubte und antiquierte bürgerliche Kultur zu wenden. Darüber hinaus war den genannten Literaten und Künstlern Prag als Imago eingeprägt: »So lange als möglich versuchten sie, die hektisch-nüchterne Alltagswirklichkeit zu ignorieren, und übersteigerten stattdessen den morbiden Glanz ihrer Kindheitskulisse 170 Schardt, Michael M. u. Sudhoff, Dieter : Einleitung, in: Sudhoff, Dieter (Hg.): Prager deutsche Erzählungen (= Universal-Bibliothek, Bd. 8771), Stuttgart 1992, S. 9 – 46, S. 27. 171 Vgl. Schardt u. Sudhoff (1992), S. 28. 172 Vgl. Schardt u. Sudhoff (1992), S. 29. 173 Vgl. Hoffmann (1982), S. 13. vgl. auch Magris, Claudio: Prag als Oxymoron, in: Szabolcsi, Miklûs u. Vajda, György M. (Hg.): Neohelicon. Acta comparationis litterarum universarum. Litterae in confiniis (= VII, 2), Budapest 1980, S. 11 – 65, S. 42. 174 Ein »Mütterchen mit Krallen« (1997), S. 113.

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Die Gruppe ›Jung-Prag‹ und das Caféhaus als Treffpunkt der Subkultur

im Gefühl unklarer Bedrohung zu einer Atmosphäre des Unheimlichen, Mystischen, Grotesken, die bis heute untrennbar mit der Vorstellung von Prag verbunden ist.«175

Über die zwei Generationen um Meyrink und Kafka und das Prag um 1900 schreibt Max Brod: »Es war das Prag Rilkes und Gustav Meyrinks, das Prag, das Hugo Salus liebte, das Prag unseres Paul Leppin, des zu unrecht vergessenen schmerzlichen Lyrikers, dessen Anfänge denen Rilkes so verwandt klingen. Ich nenne nicht ohne Absicht fast lauter Namen von jungen Leuten, die alle um einige Jahre älter waren als ich. Hier schieden sich zwei Generationen oder, wenn man will, zwei Halbgenerationen. Die ältere war die spätromantische, die sich ausdrücklich dem Zauber des alchimistischen Prag ergab, den Verschwörerzirkeln der Revolutionäre. Wie Rilke sie in einem seiner Frühwerke gezeichnet hat (›König Bohusch‹); auch in den Versen seines ›Larenopfers‹ findet sich ja viel von den malerischen und akustischen Strahlungen des alten Gemäuers. In den Gesprächen und Büchern der Jüngeren dagegen wurde das Wort Prag seltener genannt; das glaubten wir unserem altklugen Realismus schuldig zu sein. Doch wir waren in Gedanken und Stimmungen unbewußt voll von Prag; die mächtige Königsburg der vielen Jahrhunderte nahm uns in ihren Schatten gefangen, wenn wir die Karlsbrücke überschritten hatten; die ›Kleinseite‹ unserer Spaziergänge war eine völlig andere Welt, weit bedeutender als das moderne Prag, in dem wir lebten…«176

Der Zusammenhalt der ›Jung-Prager‹ Gruppe war jedoch instabil. Bald wanderten die meisten Mitglieder in andere Kulturmetropolen wie Wien, München, Leipzig oder Berlin aus.177 Es folgte nun die ›Frühlingsgeneration‹ um die Verbliebenen Paul Leppin und Richard Teschner, die gemeinsam die Zeitschrift Wir gründeten.178 Sie blieben in Kontakt mit ihren emigrierten Freunden und es kam weiterhin zu Kollaborationen. Eine weitere wichtige Gruppierung war der ›Verein deutscher bildender Künstler in Böhmen‹, der ein Fixpunkt im Prager Kulturleben blieb.179 In einer Ausstellung dieses Vereins 1914 in Dresden waren unter anderem auch Hugo Steiner-Prag, Georg/Jirˇ† J†lovsky´ und Alfred Kubin vertreten. Der Frage nach den Gründen für die überdurchschnittlich hohe literarische Produktion der Deutschen in Prag wurde immer wieder gestellt und unter anderem auf das Verhältnis der deutschschreibenden Prager Literaten zum Judentum zurückgeführt.180 Tatsächlich gehörten aber gerade Gustav Meyrink und

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Schardt u. Sudhoff (1992), S. 29 – 30. Brod, Max: Streitbares Leben. 1884 – 1968, München 1969, S. 10. Schardt u. Sudhoff (1992), S. 30. Vgl. Hoffmann (1982), S. 19. Vgl. Hoffmann (1982), S. 18. Vgl. Born, Jürgen: »Die strafenden Blicke eines vergehenden Glaubens«. Judentum und Prager deutsche Literatur, in: Ehlers, Klaas-Hinrich (Hg.): Brücken nach Prag. Deutschsprachige Literatur im kulturellen Kontext der Donaumonarchie und der Tschechoslowa-

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Paul Leppin nicht zu diesen Autoren. Auch unter den Künstlerpersönlichkeiten war nur Hugo Steiner-Prag jüdischer Abstammung. Für ihn spielte sein Verhältnis zum Judentum künstlerisch auf jeden Fall eine Rolle. Jüdische Themen nahmen jedoch erst in seinem Spätwerk deutlich zu. Aber vor allem die Orte – die jüdischen Psychotope in der Stadt Prag – beschäftigten ihn und wurden künstlerisch zum beständig wiederkehrenden Thema. Dennoch muss festgehalten werden, dass auch die künstlerische Gruppierung der ›Jung-Prager‹ artifiziell als homogen konstruiert wurde und derjenigen vieler anderer Gruppierungen um 1900 in anderen Städten entsprach. So stellte auch Jürgen Born fest: »Aussagen über eine gesamte Bevölkerungsgruppe haben immer etwas Problematisches. Und so stellt auch die zitierte These eine nicht überzeugende Verallgemeinerung dar. Man kann nicht sagen, in Prag sei ›der Literatur‹, nämlich der der noch deutschschreibenden Autoren die ›Aufgabe zugefallen‹, eine ›unsicher gewordene soziale Identität zu stützen‹ […]. Denn nicht der Literatur fällt eine Aufgabe zu; Literatur, wenn man die schriftstellerische Produktion einer Stadt so nennen kann, ist keine kollektive Anstrengung, sondern geht auf das Wollen (oder die innere Notwendigkeit) zum Schreiben des einzelnen Autors zurück. So unterschiedlich die Charaktere der deutschschreibenden Autoren Prags, so unterschiedlich auch ihre Motivation…«181

Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen die Buchillustrationen Hugo Steiner-Prags zu Gustav Meyrinks Roman Der Golem. An diesem Beispiel manifestierte sich der Wille zur Erschaffung eines Prager Romans, der durch die Herausgabe des Mappenwerks und später die Neuausgabe mit beigefügten Illustrationen unterstützt werden sollte, am deutlichsten. In unmittelbarem Zusammenhang zu diesem Erfolgskonzept stand die Buchgestaltung Richard Teschners zu Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis als Vorläufer aus dem Jahr 1914, also direkt im Anschluss an die Erstveröffentlichung des GolemRomans in den Weißen Blättern 1913/1914. In den Jahren darauf folgten die Veröffentlichung der Novelle von Auguste Hauschner Der Tod des Löwen 1922 mit Bildbeigaben und eine Neuauflage von Wilhelm Raabes Die Hollunderblüthe 1925, ebenfalls mit Buchillustrationen. Die Kolportage eines spezifischen PragBildes vor allem in die deutschsprachige Leserschaft außerhalb Tschechiens wurde auch von den Verlegern gezielt angestrebt. So müssen die Buchillustrationen unter dem Aspekt der Konstruktion der Prag-Imago für ein bestimmtes, nämlich deutschsprachiges Publikum außerhalb Prags angesehen werden. Die Buchgestaltung Hugo Steiner-Prags zu Karl Hans Strobls Die Vaclavbude 1917 sollte ebenfalls unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.182 kei. Festschrift für Kurt Krolop zum 70. Geburtstag, Frankfurt am Main 2000, S. 163 – 175, S. 168. 181 Born (2000), S. 165. 182 Strobl fällt in eine andere Kategorie, da er einerseits nicht in denselben Kreisen verkehrte

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Den Nukleus des Illustrationswerks zum Roman Der Golem stellen Alfred Kubins Illustrationen zu seinem eigenen Roman Die andere Seite dar. Sie stehen in engem genetischen Zusammenhang mit der Entstehung des Golem-Romans. Alfred Kubin kam jedoch nur für kürzere Aufenthalte nach Prag, der ›genius loci‹ der Stadt ist nicht eindeutig in seinem Werk erkennbar. Dennoch wird ihm bisweilen eine Behandlung des Prager ›genius loci‹ in seinem Roman nachgesagt.183 Der Prag-Bezug auf bildlicher Ebene lässt sich nur bei Hugo Steiner-Prag dezidiert herausarbeiten. Ebenfalls sehr eng mit Prag verbunden war Georg/Jirˇ† J†lovsky´, der sein gesamtes Leben in Prag verbrachte und viele Stadtansichten hinterlassen hat. Im Gegensatz dazu entstand bei Richard Teschner eher ein allgemeineres Bild von Prag, einem Ort des Unheimlichen, Seltsamen, Bizarren, das nicht nur seine frühen graphischen Arbeiten, sondern auch die eigenartige Phantastik seines Figurentheaters beeinflusst haben mag. Obwohl auch Fritz Schwimbeck den Golem illustriert hat, war er selbst vermutlich nie in Prag. Sein Bild der Stadt wurde wohl durch die literarische Gestaltung im Roman geprägt oder aus (photo-)graphischen Ansichten gespeist. In seinen Illustrationen sind kaum Stadtdarstellungen zu finden. Es ging ihm offensichtlich eher um das visuelle Gestalten der literarischen ›Atmosphäre‹.

und andererseits weltanschaulich nicht zur Gruppe der ›Jung-Prager‹ zu zählen ist. Strobl gehört zu den protofaschistischen böhmischen Erzählern und war maßgeblich an den Studentenunruhen der Badeni-Krise beteiligt. Vgl. Wackwitz (1981), S. 13. Unter diesem Gesichtspunkt ist es bemerkenswert, dass Steiner-Prag als Jude die Buchgestaltung übernahm. Allerdings ist der Roman vor allem antitschechisch und nationalistisch gestimmt, weniger antisemitisch. Darüber hinaus hatte Strobl freundschaftliche Beziehungen zu jüdischen Künstlern und Autoren. Schneider führt das unter anderem auf das »besondere[…] Klima im Prager deutschen Treibhaus« zurück (Schneider (2009), S. 37). 183 »Im ›Reich des Untergangs‹ spielt auch Alfred Kubins Roman Die andere Seite (1909), die wiederum ›die Schablone des dämonischen Prag als Ort der Handlung‹ wählt (Stern), wie sie dann Gustav Meyrink, mit dem Kubin zusammenarbeitet, ausbeuten wird.« (Ein »Mütterchen mit Krallen« (1997), S. 115). Aber auch nach Schroeder bei Claudio Magris: »Suggesting that Kubin had used Prague as the model for Perle, C. Magris mentions that city as ›die Stadt, wo der Tod Mitteleuropas zur schöpferischen Metamorphose, zur Verwandlung in neue, dauerhafte Werte wurde.‹« (Schroeder, Richard Arthur : Alfred Kubin’s Die andere Seite. A study in the Cross-fertilization of literature and graphic arts, Bloomington, Indiana 1970, S. 139).

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Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis – der erste Prager Gespensterroman?

3.1

Faszination Großstadt um 1900

Bei der Beschäftigung mit dem künstlerischen Einfluss des ›genius loci‹ der Stadt Prag auf die in der vorliegenden Arbeit behandelten Künstler und Literaten ist eine Auseinandersetzung mit der »Soziologie der Großstadt«184 unabdingbar. Richard Sennett stellt in seiner Monographie Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds von 1991 ein wesentliches Merkmal der antiken Stadt heraus.185 Für ihn war die Stadt der Antike durch das Sich-Preisgeben, das Ausgesetzt-Sein geprägt, während sich im »Erscheinungsbild der [modernen] Städte […] eine mächtige, weitgehend unbeachtete Angst davor [spiegelt], sich ›preiszugeben‹.«186 In der Antike sei die Schutzlosigkeit gegenüber der Architektur der Stadt, das Wahrnehmen der Unterschiede innerhalb des Stadtbildes, die meist auch Abbild einer unterschiedlichen Gesellschaftsschicht waren, eine wichtige Erfahrung in der Entwicklung des Menschen gewesen. Er sollte sich in diesem Ausgesetzt-Sein schulen, um dann zur angestrebten Ausgeglichenheit des reifen Erwachsenen zu gelangen. So schreibt Sennett: »Zeuge zu werden sowohl von Unheil als auch von Vielfalt, galt vielmehr insofern als wertvoll, als das Individuum, indem es sich der Welt aussetzte, nach und nach seine Orientierung fand und lernte, ein Gleichgewicht zu wahren.«187 Die Orientierung, die Sennett beschreibt, scheint sich in der Großstadtliteratur der Moderne in ihr Gegenteil zu wandeln. Die literarische Figur des Flaneurs, eingeführt durch Charles Baudelaire und Edgar Allan Poe, ist gerade durch seine Orientierungslosigkeit, aber auch seinen Wunsch nach Ziellosigkeit gekennzeichnet.188 184 Fritz (2005), S. 23. 185 Vgl. Sennett, Richard: Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds. Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser, Frankfurt am Main 1991. 186 Sennet (1991), S. 12. 187 Sennet (1991), S. 13. 188 So auch in Severins Gang in die Finsternis. Zur Figur des Flaneurs in Rückgriff auf Baudelaire schreibt Walter Benjamin: »Die Straße wird zur Wohnung für den Flaneur, der

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Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis – der erste Prager Gespensterroman?

Auch in der Literatur wurde das Phänomen der Großstadt virulent. Durch die Industrialisierung, die in Frankreich und England früher eintrat als im deutschsprachigen Raum, wurde die Großstadt zu einem gesellschaftlichen Kosmos, der den sogenannten ›sozialen Roman‹ hervorbrachte.189 Der Bereich der großstädtischen Unterwelt wurde zum Themengebiet der Literatur. Beispiele aus Frankreich sind Emile Zola und Victor Hugo, für England und London im Speziellen Charles Dickens.190 Bei allen Vertretern des neuen Großstadtromans spielten vor allem die dunklen Seiten, die unheimlichen Elemente eine wichtige Rolle. Die allermeisten Großstadtromane wurden illustriert. Dabei erlangten die Illustratoren und ihre Illustrationen eine eigenständige Berühmtheit, was besonders für die Dickens-Illustratoren George Cruikshank und ›Phiz‹, aber auch Honor¦ Daumier oder Gustave Dor¦ gilt. Um 1900 konstituierte sich auch in der Forschung ein Paradigmenwechsel, der die Veränderungen des Gesellschaftslebens durch die wachsenden Großstädte ins Auge fasste. Der Aufsatz von Georg Simmel Die Großstädte und das Geistesleben von 1903 verdeutlicht anschaulich diesen Wahrnehmungswandel.191 Georg Simmel bildete als zeitgenössischer Beobachter den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Großstadtforschung als Stadtsoziologie im 20. Jahrhundert. In den soziologischen Untersuchungen versuchten Simmel und seine Nachfolger, das Verhalten der Bevölkerung auf ihre städtische Umgebung zu beziehen. Simmel erarbeitete das Wesen des modernen Großstädters anhand von Beobachtungen über das Leben in der großen Stadt. Wichtige Komponenten sind laut Simmel die hohe Quantität an Reizen und das Wesen der Geldwirtschaft.192 Diese Charakteristika zwingen den Großstädter, den Verstand im Gegensatz zu Gefühl und Intuition verstärkt einzusetzen Mit der Reizüberflutung

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zwischen Häuserfronten so wie der Bürger in seinen vier Wänden zuhause ist. Ihm sind die glänzenden emaillierten Firmenschilder so gut und besser ein Wandschmuck wie im Salon dem Bürger ein Ölgemälde; Mauern sind das Schreibpult, gegen das er seinen Notizblock stemmt; Zeitungskioske sind seine Bibliotheken und die Caf¦terrassen Erker, von denen aus er nach getaner Arbeit auf sein Hauswesen heruntersieht.« (Benjamin, Walter : Gesammelte Schriften, I.2. Werkausgabe (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, I-2), hg. v. Rolf Tiedemann u. a., Frankfurt am Main 20065, S. 539). Vgl. Becker, Ingeborg: Im Dickicht der Städte, in: Popitz, Klaus u. Becker, Ingeborg (Hg.): Von Odysseus bis Felix Krull. Gestalten der Weltliteratur in der Buchillustration des 19. und 20. Jahrhunderts (= Veröffentlichung der Kunstbibliothek Berlin, Bd. 90), Berlin 1982, S. 247 – 270, S. 247. Vgl. Becker (1982), S. 248. Vgl. Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben, in: Gehe-Stiftung zu Dresden (Hg.): Die Großstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung, Dresden 1903, S. 187 – 206. Simmel meint das Finanzwesen, aber auch die kapitalistische Gesellschaft um 1900 im Allgemeinen. Vgl. Simmel (1903), S. 189.

Faszination Großstadt um 1900

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einher gehe auch eine Blasiertheit, die sich darin äußere, dass das Individuum auf die ständig neuen Eindrücke mit Gleichgültigkeit reagiere.193 Für Simmel führten diese Grundkonstituenten zu einer wechselseitigen Entwicklung, nämlich einerseits der Befreiung des Menschen durch die Anonymität, andererseits seiner Vereinzelung und Flucht in kleinere Gruppen.194 Die Beobachtungen Simmels könnten vermuten lassen, dass es sich bei seiner Analyse um eine kulturpessimistische Kritik an der Großstadt handelt. Simmel gehörte jedoch zu den Vertretern der frühen Kulturwissenschaft und Soziologie, die versuchten, sich den Untersuchungsobjekten ohne Wertung zu nähern. Darüber hinaus ordnete er seine Beobachtungen in einen historischen Kontext ein. So schrieb er gegen Ende seines Aufsatzes: »Das 18. Jahrhundert fand das Individuum in vergewaltigenden, sinnlos gewordenen Bindungen politischer und agrarischer, zünftiger und religiöser Art vor […]. In dieser Lage entstand der Ruf nach Freiheit und Gleichheit […]. Neben diesem Ideal des Liberalismus wuchs im 19. Jahrhundert, durch Goethe und die Romantik einerseits, die wirtschaftliche Arbeitsteilung andererseits, das weitere auf: die von den historischen Bindungen befreiten Individuen wollen sich nun auch von einander unterscheiden. Nicht mehr der ›allgemeine Mensch‹ in jedem Einzelnen, sondern gerade qualitative Einzigkeit und Unverwechselbarkeit sind jetzt die Träger seines Wertes.«195

Abschließend stellte er fest: »Damit gewinnen [die Großstädte] einen ganz einzigen, an unübersehbaren Bedeutungen fruchtbaren Platz in der Entwicklung des seelischen Daseins, sie enthüllen sich als eines jener großen historischen Gebilde, in denen sich die entgegengesetzten, das Leben umfassenden Strömungen wie zu gleichen Rechten zusammenfinden und entfalten. Damit aber treten sie, mögen ihre einzelnen Erscheinungen uns sympathisch oder antipathisch berühren, ganz aus der Sphäre heraus, der gegenüber uns die Attitüde des Richters ziemte. Indem solche Mächte in die Wurzel wie in die Krone des ganzen geschichtlichen Lebens eingewachsen sind, dem wir in dem flüchtigen Dasein einer Zelle angehören – ist unsere Aufgabe nicht, anzuklagen oder zu verzeihen, sondern allein zu verstehen.«196

Im Zuge der Entwicklung der Großstädte entstand nach Schoell-Glass auch ein neues Feld für intermediale Kunstwerke. Ihrer Ansicht nach hatte die permanente Reizüberflutung Auswirkungen auf die verschiedenen Sinne, die dann zu intermedialer Experimentierfreudigkeit führte. 193 »Das Wesen der Blasiertheit ist die Abstumpfung gegen die Unterschiede der Dinge, nicht in dem Sinne, daß sie nicht wahrgenommen würden, wie von den Stumpfsinnigen, sondern so, daß die Bedeutung und der Wert der Unterschiede der Dinge und damit der Dinge selbst als nichtig empfunden wird.« (Simmel (1903), S. 193 – 194). 194 Vgl. Simmel (1903), S. 198 – 199. 195 Simmel (1903), S. 204 – 205. 196 Simmel (1903), S. 205 – 206

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Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis – der erste Prager Gespensterroman?

»Zu den Voraussetzungen für diese Öffnung zwischen den Bereichen der reinen Bildkünste und der Dichtung/Sprache, zwischen dem Malen von Bildern und dem Schreiben gehört vielleicht das in der Vorstellung vom Gesamtkunstwerk enthaltene Angebot eines Verschmelzens verschiedener Künste zu einem Kunstwerk. Wichtiger noch ist aber die neue Wahrnehmung der Kultur der Metropolen […] als eines aus unendlich vielen Reizen visueller, sprachlicher, typographischer, auditiver, taktiler und sozialer Art zusammengesetzten Ansturms auf den Großstadtbewohner. Die bejahende Öffnung für die metropolitane Lebensweise, aber auch die kritische Sicht auf sie und auf die industrielle Produktion, auf der sie beruhte, hat auf unterschiedlichen Ebenen eine Erweiterung der Bereiche ästhetischer Reform gebracht und künstlerische Experimente nahegelegt.«197

Gerade bei Leppins Roman Severins Gang in die Finsternis ist das Thema der Großstadt als ›Psychotop‹ bzw. dessen Verlust von zentraler Bedeutung.198 Susanne Fritz geht in Anlehnung an das Raummodell der Erzähltheorie von Jurij M. Lotman199 davon aus, dass es »in der Gesamtheit der mitteleuropäischen Literatur in kultursemiotischer Perspektive einen speziellen ›Prager Text‹ gibt«200. Die Zuschreibungen durch Fritz sind jedoch nicht unproblematisch. Zunächst muss festgehalten werden, dass es sich ausschließlich um deutschsprachige Literatur handelt.201 Dabei fehlt die Thematisierung einer deutschsprachigen literarischen Konstruktion. Darüber hinaus muss das im Begriff des ›Prager Textes‹ als homogen betrachtete Textgeflecht deutlich differenziert werden. Dieses Konstrukt wurde vor allem in der nicht-tschechischen Bevölkerung wahrgenommen und kolportiert. Es stimmt mit der Wahrnehmung Prags aus tschechischer Sicht nicht überein. Das deutsche Bild der Stadt Prag wurde vor allem von Seiten der Verleger genutzt, um Romane verkaufen zu können. Die Verkäuflichkeit anhand dieses Pragbildes sollte durch die Illustrationen noch gesteigert werden.

197 Schoell-Glass (2011), S. 434. 198 Vgl. Fritz (2005), S. 181. 199 Vgl. Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte, München 1972; vgl. auch Mart†nez, Matias u. Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie (= C. H. Beck Studium), München 1999. 200 Fritz (2005), S. 7. 201 Obwohl Susanne Fritz auch tschechischsprachige Literatur einbezieht, liegt ihr Schwerpunkt auf der deutschsprachigen Literatur. Dies wird auch bereits im Untertitel ihrer Monographie verdeutlicht.

Biographische und künstlerische Hintergründe zu Paul Leppin

3.2

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Biographische und künstlerische Hintergründe zu Paul Leppin

Paul Leppin gehörte zu den literarischen Kreisen der Gruppe ›Jung-Prag‹ und war einer der wenigen, die die Stadt nicht verließen, obwohl er von seinen dortigen Kritikern nicht gerade verschont wurde.202 Trotz der harschen Äußerungen über seine literarischen Leistungen war er eine der zentralen Figuren der deutschsprachigen Literaturszene Prags im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Aus heutiger Sicht beschränkt sich seine Bedeutung nicht nur auf seine Funktion als Verbindungsglied der verschiedenen Gruppierungen aus Künstlern und Literaten. Auch sein schriftstellerisches Werk wird heute anders bewertet, vor allem vor dem Hintergrund der D¦cadence und anderer zeitspezifischer Strömungen, die lange Zeit zweitrangig behandelt wurden.203 Hoffmann, der sich bislang am ausführlichsten mit Paul Leppin beschäftigt hat, charakterisiert ihn in seiner Monographie als Verkörperung des ›d¦cadents‹: »…sein Leben wurde zum Sinnbild des Widerspruchs, gekennzeichnet von innerer Qual und äußerem Übermut; nachts ein Bohemien, der Schrecken der Bürger, tags ein braver Beamter, ein Rädchen der bürgerlichen Gesellschaft, die er verachtete. Der laszive Bänkelsänger, der sehnsuchtsverzehrte Lyriker und der kleine Rechnungsangestellte: das war Paul Leppin.«204

Auch von seinen Literatenfreunden wurde er bereits zu Lebzeiten künstlerisch geschätzt, vor allem innerhalb der Gruppe ›Jung-Prag‹. Bereits um 1900 war Leppin mit Gustav Meyrink und Richard Teschner in Freundschaft verbunden.205 Im größeren Kreis wurden spiritistische Sitzungen abgehalten, dementsprechend waren auch die literarischen Vorlieben gelagert.206 Die Nachfolgegruppierungen waren die ›Frühlings-Generation‹207 und die Gruppe um die

202 Vgl. Hoffmann (1982), S. 9 – 10. 203 Lange blieb die D¦cadence als Strömung der Moderne unbeachtet, da sie als Manierismus und Eskapismus betrachtet wurde. Hinzu kamen der exaltierte Individualismus und die Selbstinszenierung des Künstlers als Außenseiter und Dandy, die dazu führten, dass die D¦cadence in Vergessenheit geriet. Die D¦cadence wurde mit den typischen Dichotomisierungen gesund-krank oder rational-irrational in Verbindung gebracht. Vgl. Urban (2006), S. 21. 204 Hoffmann (1973), S. 14. 205 Angeblich widmete Leppin seinem Freund Meyrink die Figur des Nikolaus in seinem Roman Severins Gang in die Finsternis. Vgl. Freund (1999), S. 209. 206 Vgl. Hoffmann (1982), S. 23 – 24. 207 Benannt nach einer Reihe ›lyrischer Flugblätter‹ mit dem Namen Frühling, die von Hugo Steiner-Prag und Ferdinand Krombholz bildlich gestaltet wurden. Vgl. Hoffmann (1982), S. 23.

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Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis – der erste Prager Gespensterroman?

Zeitschrift Wir, die Leppin ins Leben gerufen hatte. Außerdem hatte Leppin Kontakt zu tschechischsprachigen Kollegen wie Jirˇ† Kar‚sek ze Lvovic.208 Leppin interessierte sich – ähnlich wie sein Schriftsteller-Kollege Gustav Meyrink – für die Marginalisierten der Gesellschaft, die Armen, die Dirnen, die Bewohner der Halb- und Unterwelt. Dabei war er aber kein Kritiker der ökonomischen Verhältnisse im aufkommenden Kapitalismus, sondern sah diese Menschen als Ausdruck einer in den Untergang tanzenden Gesellschaft, ganz im Sinne der D¦cadence.209 Leppin war der Lyrik stark verhaftet und gelangte darin zu einer großen Meisterschaft. Eine seiner ersten lyrischen Arbeiten, Glocken, die im Dunkeln rufen, steht in der symbolistischen Tradition um 1900. Zudem erwecken die Gedichte Assoziationen mit dem ›Goldenen Prag‹ des Barock. Des Weiteren tauchen traumhafte Sequenzen auf. Hugo Steiner-Prag entwarf die bildliche Gestaltung, der Band erschien 1903 bei Schafstein, Köln.210 Leppins erstes bekannteres Werk war der Roman Daniel Jesus von 1905. Der zweifelhafte Ruhm des Werkes ist vor allem auf die scharfe Kritik zurückzuführen. Leppin litt unter den Vorwürfen der Pornographie und entarteten Sexualität, die sich in der Kritik an Daniel Jesus manifestierten. Er fühlte sich verkannt und versuchte, durch Gegendarstellungen seinen Ruf als verruchter Literat zu korrigieren. So bemühte er sich, zu erklären, dass es die Gesellschaft sei, die seine Figuren als Folge »d[er] Entzweiung von Eros und Religion«211 gebäre. Richard Teschner entwarf zur Erstausgabe des Daniel Jesus ein Frontispiz. Für eine spätere Ausgabe nach dem ersten Weltkrieg schuf Alfred Kubin eine Titelzeichnung.212 1914 erschien Leppins bekanntester Roman Severins Gang in die Finsternis, dessen Buchgestaltung ebenfalls Richard Teschner übernahm.

3.3

Biographische und künstlerische Hintergründe zu Richard Teschner

Ganz gemäß des zeitgenössischen Verständnisses einer Grenzen überschreitenden Kunstauffassung war Teschner einerseits Graphiker und gestaltete Plakate, Exlibris, Bucheinbände und Illustrationen, andererseits galt seine große 208 Vgl. Hoffmann (1982), S. 39; vgl. auch Fritz (2005), S. 181. 209 Vgl. Hoffmann (1982), S. 20. 210 Leppin, Paul: Glocken, die im Dunkeln rufen. Gedichte. Mit Bildern von Hugo Steiner-Prag, Köln 1903. Auch Steiner-Prag bewegt sich mit seiner Buchgestaltung im künstlerischen Rahmen von Jugendstil und Symbolismus. 211 Hoffmann (1982), S. 37. 212 Paul Leppin: Daniel Jesus, Strache, Wien 1919.

Biographische und künstlerische Hintergründe zu Richard Teschner

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Leidenschaft dem Marionettentheater. Diese Kunstform empfand er als Mitte zwischen der statischen Kunst eines Gemäldes, symbolisiert in den Figuren als Objekte, und der literarischen Inszenierung, in der die Figuren ›lebendige‹ Gestalt annehmen können.213 Seine Zeitgenossen verehrten ihn für seine Vielseitigkeit und seine Phantasie; er war nicht nur Puppenspieler, er machte auch Musik auf selbst gebauten Instrumenten.214 Richard Teschner war ein Zeitgenosse Hugo Steiner-Prags, geboren 1879 in Karlsbad als Sohn eines Lithographen und gestorben 1948 in Wien teilt Teschner beinahe die gleichen Lebensdaten.215 Seine Beschäftigung mit dem ostasiatischen Figuren- und Schattenspiel hatte großen Einfluss auf sein künstlerisches Gesamtwerk. Sein ausgeprägtes Interesse für die verschiedenen Weltkulturen, sowie das Mystische und Abseitige stellen ihn in eine Reihe mit anderen Künstlern und Literaten seiner Zeit und seines sozialen Umfelds. Das Pantomimische seiner Figurenspiele kann in verwandtschaftlicher Nähe zu den Illustrationen gesehen werden. Die Figuren inszenieren eine Geschichte in Form einer stummen ›Malerei‹. Interessant ist die Bemerkung Hadamovskys: »Seine [des Figurentheaters] Form war zunächst undramatisch: es illustrierte eine Erzählung.«216 Die Aussage steht in Zusammenhang mit Teschners allgemeiner künstlerischen Vorstellung von sich selbst: »Als zünftiger Maler und Bildhauer und ausgesprochener Augenmensch hatte ich aber immer das Gefühl, dass den kleinen Kunstfiguren des Marionettentheaters die ihnen unterschobenen ›lebensgroßen‹ natürlichen Menschenstimmen in Stil und Format nicht ganz angemessen sind.«217 Teschner verbrachte einen Teil seiner Jugendzeit in Leitmeritz/Litomeˇrˇice, der Geburtsstadt von Alfred Kubin. Eine weitere biographische Überschneidung kann nicht nachgewiesen werden, wobei aufgrund des lokalen, zeitlich beschränkten Kontextes davon auszugehen ist, dass beide die Arbeiten des jeweils anderen kannten. Immer wieder tauchen auch in Zusammenhang mit Teschner Zuschreibungen auf, die auf seine böhmische Herkunft zurückgeführt werden. 213 Vgl. Schremmer, Ernst: Ein Universalkünstler, in: Schremmer (1979), o. S. »Die Marionette kann man gewissermaßen als ein Mittelding zwischen dem reinen und einmaligen Kunstwerk des Bildhauers und der lebenden Gestalt des Schauspielers auf der Menschenbühne ansehen. Sie ist zwar lebloses Gebilde aus Holz und anderen toten Stoffen, solange sie im Kasten des Puppenspielers hängt; sobald er sie aber in die Hände nimmt und an Schnüren oder mittels Stäbchen über seine kleine Bühne führt, erfährt sie eine merkwürdige Beseelung und ein beinahe unheimliches Eigenleben.« (Schremmer (1979), o. S.). 214 Vgl. Steiner-Prag, Hugo: Fröhliche Erinnerungen, in: Schremmer (1979), o. S. 215 Vgl. Schremmer (1979), o. S. 216 Hadamovsky, Franz: Richard Teschner und sein Figurenspiegel. Die Geschichte eines Puppentheaters, Wien/Stuttgart 1956, S. 11. 217 Teschner, Richard: Über mich selbst, in: Böhmer, Günter (Hg.): Richard Teschner. Ausstellung der Puppentheatersammlung im Münchner Stadtmuseum, München 1970, S. unpaginiert, o. S.

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Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis – der erste Prager Gespensterroman?

Laut Zettl erbringt Teschners Werk den Nachweis, dass das Phantastische »eines der Idiome des mitteleuropäischen Kulturraumes«218 darstelle. Das Phantastische ist sowohl Teschner als auch Kubin zu eigen, jedoch auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Das Phantastische wird bei beiden Künstlern aber auch mit ihrem Verhältnis zur ›Hauptstadt der Phantastik‹ – Prag – in Zusammenhang gesetzt. Teschners graphisches Oeuvre ist davon gekennzeichnet, dass er zunächst autodidaktisch die Techniken erlernte. »Technische Schwierigkeiten schreckten ihn nicht ab, sondern reizten ihn im Gegenteil, sie zu überwinden. Auf allen möglichen Gebieten hat er den Kampf mit der Materie gesucht und seinen Stolz dareingesetzt, sie aus eigener Kraft zu bezwingen.«219 Zwischen 1896 und 1899 war Teschner Schüler an der Kunstakademie in Prag bei Wenzel/V‚clav Brozˇ†k,220 ebenso wie Steiner-Prag, der 1897221 an die Akademie kam. Neben ihrer gemeinsamen Graphikklasse verband beide Künstler ihre Zugehörigkeit zu den gleichen literarischen und künstlerischen Kreisen in Prag.222 Die Stadt Prag beeinflusste Teschner, er nannte den »Kunstnährboden« der Stadt »zwar […] sumpfig[…], aber doch sehr fruchtbar[…]«223. Er hatte Kontakt mit Paul Leppin, Max Brod und Gustav Meyrink. Durch Verbindungen Meyrinks zur ›Wiener Werkstätte‹ kam Teschner mit den Künstlern dort in Berührung. Ihre Arbeiten und ihr Stil beeinflussten ihn nachhaltig.224 1900 bis 1901 hielt sich Teschner in Wien auf, dort besuchte er den Unterricht an der Kunstgewerbeschule. Anschließend kehrte er nach Prag zurück, wo er bis 1909 blieb. In dieser Zeit machte er mehrere Reisen nach Wien, arbeitete für die Wiener Werkstätte und zog dann ab 1909 dauerhaft dorthin.225 Mit den ersten Skizzen zu Marionettenfiguren macht sich seine eigenwillige künstlerische Handschrift bemerkbar, »jenes eigentümliche, skurrile Groteske, das mit einem Schuss Erotik, Grauen, Abenteuer haarscharf in den Kreis von Prager Künstlern passt, der in jenen Jahren das Leben der Stadt ausprägte. In den Figuren mischte sich das Geheimnisvolle der Prager Altstadt mit ihren winkeligen Gässchen, das in Meyrinks ›Golem‹ ein Jahrzehnt später

218 Zettl, Walter : Das Phantastische bei Teschner, in: Böhmer (1970), o. S. 219 Nebehay, Christian M.: Liste 86. Der künstlerische Nachlass von Richard Teschner. Mit einem Versuch zur Aufstellung eines Oeuvre-Kataloges seiner Graphik 1964, S. 7. 220 Vgl. Schremmer (1979), o. S. 221 Vgl. Schremmer (1981), S. 27. Hugo Steiner-Prag war ebenfalls Schüler von Wenzel Brozˇ†k, sowie von Adalbert von Hynais. 222 Vgl. Schremmer, Universalkünstler (1979), o. S. 223 Hadamovsky (1956), S. 38. 224 Hadamovsky (1956), S. 42 – 43. 225 Vgl. Schremmer (1979), o. S; vgl. auch Hadamovsky (1956), S. 37.

Die Buchgestaltung zu Severins Gang in die Finsternis

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seinen klassischen Ausdruck fand, mit E. T. A. Hoffmanns romantisch-mystischem Märchen-Gruseln und E. A. Poes kalter Grausamkeit.«226

In seiner mehrere Jahre andauernden Prager Zeit war er vor allem als Graphiker tätig. Wie so viele aus der Generation der Neuromantiker berichtete er vor allem rückblickend von seinen Prag-Impressionen. Bekannt sind die Namen der Autoren, die er illustrierte und die sich der Prager Einflusssphäre zuordnen lassen, wie zum Beispiel Oskar Wiener, Hedda Sauer, Friedrich Adler, Paul Leppin und Karl Hans Strobl.227 Wie sein Zeitgenosse Steiner-Prag illustrierte er E. T. A. Hoffmann.228 Stilistisch sind Steiner-Prag und Teschner nur bedingt verwandt. Eine Ähnlichkeit ist vor allem in den frühen Arbeiten erkennbar, in denen bei beiden die Einflüsse von Emil Orlik und dem Jugendstil wirksam waren. Teschner blieb auf diesen Pfaden. Hinzu kam der Einfluss der Wiener Werkstätte und der Wiener Sezession. Steiner-Prag wandte sich eher dem Expressionismus zu. Beide entwickelten jedoch sehr eigenständige stilistische Ausdrucksmöglichkeiten. Teschner war stark von der asiatischen Kunst beeinflusst, die vor allem in seinen Marionettenfiguren zum Tragen kam. Gleichzeitig bevorzugte er das Kleinteilige und bisweilen fast Naive, aber auch bizarre, groteske und phantastische Darstellungen.

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3.4.1 Bilder im verlegerischen Kontext Im Zusammenhang mit den strukturellen Veränderungen im 19. Jahrhundert und der Entwicklung des kapitalistischen Warenmarktes wurde auch das Buch zu einem Produkt, das marktstrategisch positioniert werden musste. Der ver226 Hadamovsky (1956), S. 40. 227 Vgl. Schremmer (1979), o. S. So zum Beispiel: Wiener, Oskar : Balladen und Schwänke, J. c. c. Brun’s Verlag, Minden i. W. 1903; Sauer, Hedda: »Wenn es rote Rosen schneit«. Gedichte, Verlag C. Bellmann, Prag 1904; Adler, Friedrich: Vom goldenen Kragen, Verlag C. Bellmann, Prag 1907; Leppin, Paul: Severins Gang in die Finsternis. Ein Prager Gespensterroman. Sammlung abenteuerlicher Geschichten, Delphin Verlag, München 1914; Strobl, Karl Hans: Lemuria. Seltsame Geschichten. Galerie der Phantasten, Verlag Georg Müller, München 1917. 228 E. T. A. Hoffmann, Der goldene Topf. Ein Märchen aus der neuen Zeit, Gerlach & Wendling, Wien/Leipzig/New York, o. J. (1920). Die genannten Illustrationswerke zeigen eine starke künstlerische Verwandtschaft zwischen Hugo Steiner-Prag und Richard Teschner. Beide interessierten sich für die gleichen Autoren und Stoffe. Steiner-Prag illustrierte ausgesprochen viele Werke von E. T. A. Hoffmann, aber auch von Karl Hans Strobl, Die Vaclavbude, Verlag Staackmann, Leipzig 1917; von Paul Leppin, Glocken die im Dunkeln rufen, Verlag Schaffstein, Köln 1902 und noch einmal kurz vor seiner Emigration Paul Leppin, Prager Rhapsodie, Verlag Werner, Prag 1938. Vgl. Schremmer (1981), S. 30 – 32.

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kaufsfördernde Effekt des Buchschmucks, der bereits länger bekannt war, gewann nun eine gesteigerte Bedeutung. Die Technik der Lithographie trug ihren Anteil dazu bei, die Buchproduktion den Anforderungen des industriellen Zeitalters anzupassen.229 Neben der Lithographie war vor allem die Erfindung des Holzstichs durch Thomas Bewick von entscheidender Bedeutung.230 George Cruikshank und ›Phiz‹ waren die berühmten Illustratoren der Romane und Erzählungen Charles Dickens.231 Sie trugen erheblich zum Erfolg der Bücher bei, stehen aber auch symptomatisch für eine veränderte Situation zwischen Autoren, Verlegern, Künstlern und Druckern. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts machte sich in der technischen Buchherstellung der Stilpluralismus deutlich bemerkbar. An den Produktionen dieser Zeit können die verschiedenen Stile oder ›Moden‹ abgelesen werden, so vor allem durch den Historismus geprägte Neo-Stile, wie die Neogotik, Neoklassik oder der Neorokoko.232 Durch photomechanische Reproduktionstechniken konnten Bücher mit Bildbeigaben noch schneller und billiger hergestellt werden.233 Als Gegenbewegung zu diesen industriell gefertigten Büchern entstand ein neuer Markt für kunstvoll gestaltete Ausgaben in der Gründerzeit.234 Diese Prachtbände dienten eher der Anschauung und Repräsentation denn dem Lesen.235 William Morris und sein Konzept für kunstgewerbliche Gestaltung, das der kapitalistischen Buchproduktion entgegentrat, hatte weitreichenden Einfluss und bewirkte eine Wende in der Buchgestaltung um 1900.236 Im Zuge dieser Wende entstand eine regelrechte Blüte neuer Druckereien und Verlage, vor allem sogenannte »bibliophile Pressen«237, so zum Beispiel die berühmte ›Kelmscott Press‹ oder die ›Doves Press‹.238 Daraufhin entstanden auch im deutsch-

229 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 337. 230 Vgl. Buchillustration, in: Stadler, Wolf (Hg.): Lexikon der Kunst. Malerei, Architektur, Bildhauerkunst. in 12 Bänden (= Bd. 2), Freiburg i. Breisgau, Basel, Wien 1987, S. 366 – 368, S. 367. 231 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 336; vgl. auch Buchillustration, in: Olbrich, Harald (Hg.): Lexikon der Kunst. Architektur. Bildende Kunst. Angewandte Kunst. Industrieformgestaltung. Kunsttheorie. A-Cim (= Bd. 1), Leipzig 20042, S. 688 – 691, S. 690. 232 Vgl. Kapr, Albert: Auswirkungen der Buchkunst-Bewegung in Leipzig, in: ders. (Hg.): Traditionen Leipziger Buchkunst. Carl Ernst Poeschel, Walter Tiemann, Hugo Steiner-Prag, Ignatz Wiemeler, Horst Erich Wolter, Leipzig 19891, S. 7 – 23, S. 12. 233 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 347. 234 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 349. 235 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 350. 236 Vgl. Kapr (1989), S. 12; vgl. auch Buchillustration (2004), S. 690 und Buchillustration (1987), S. 367. 237 Kapr (1989), S. 14. 238 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 355.

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sprachigen Raum zahlreiche Privatpressen wie die ›Steglitzer Werkstatt‹, die von Harry Graf Kessler gegründete ›Cranach-Presse‹239 oder die ›Officina Bodoni‹.240 In der Nachfolge dieser Entwicklung sind die anschließenden Bewegungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu sehen, die allgemein als ›Art Nouveau‹ oder ›Jugendstil‹, bisweilen auch als ›Sezessionsstil‹ bezeichnet werden.241 Vor allem die Blüte der Zeitschriften trug viel zur Beliebtheit der Illustration bei. Hier konnte sich die Druckgraphik frei entfalten. Die Blüte des Buchhandels um 1900 hatte auch mit der weitgehenden Alphabetisierung der Bevölkerung zu tun.242 Die Zeit während des 1. Weltkriegs, besonders kurz nach Ausbruch war jedoch für die Verleger und Schriftsteller eine schwierige Zeit, da alle ökonomischen Interessen auf die Kriegsindustrie gerichtet waren.243 Auch aus dieser Perspektive müssen die Buchillustrationen als verkaufsfördernde Maßnahmen betrachtet werden. In eine andere Richtung gingen die berühmten Verleger der Jahrhundertwende, wie zum Beispiel Albert Langen oder Kurt Wolff. Sie strebten nach dem »anspruchsvolle[n] Buch, das viele Leser erreicht.«244 In dieser Zeit entstanden feste Bindungen zwischen Verlegern und Künstlern, wie zum Beispiel bei Hans von Weber und Alfred Kubin.245 Letzterer steht auch für die Entwicklung der Profession des Buchillustrators als eigenständige Berufsgattung.246

3.4.2 Herausgabekontext des Romans Die deutschsprachige Prager Literatur genoss bereits vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges einen besonderen Ruf in den deutschsprachigen Nachbarländern. Die Bekanntheit und das verlegerische Begehren nach Prager Stoffen steigerten sich in der anschließenden Zeit noch weiter. So kam es auch zu dem berühmt gewordenen Ausspruch in einer Berliner Wochenschrift von 1917: »›Es ist kaum glaublich, ich bin nicht aus Prag und werde doch gedruckt‹«247. Ganz sicher hatte dieser Ruf der Prager Literaten mit dem enormen Erfolg des Romans Der Golem 239 Vgl. Kritter, Ulrich von u. Salter, Ronald: Internationale Buchgraphik in Europa und Übersee aus der Sammlung v. Kritter. Wort und Bild als Medium zeitgenössischer Kulturen. IV. Teil Englischsprachige Länder : Großbritannien und USA (= Literarische Bilderwelten des 20. Jahrhunderts, Bd. 4), Bad Homburg v. d. H. 1994, S. 9. 240 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 362, S. 366, S. 368. 241 Vgl. Buchillustration (1987), S. 367. 242 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 399. 243 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 399. 244 Janzin u. Güntner (2007), S. 381. 245 Vgl. Janzin u. Güntner (2007), S. 390. 246 Vgl. Buchillustration (2004), S. 690. 247 Ein »Mütterchen mit Krallen« (1997), S. 112.

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von Gustav Meyrink zu tun. Dieser traf offensichtlich den Nerv der Zeit. Jedoch bereits im Vorfeld begann sich in der Gruppe ›Jung-Prag‹ ein Interesse für den Prager Stoff abzuzeichnen.248 In diesem Zusammenhang muss auch die Veröffentlichung von Leppins Severins Gang in die Finsternis verstanden werden. Im Vorfeld der Veröffentlichung des Romans hatte Paul Leppin bereits mit seinem angegriffenen Ruf zu kämpfen. Trotz der Fürsprache der Freundin Else Lasker-Schüler wurde das Manuskript beim Kurt-Wolff-Verlag abgelehnt.249 Erst die Hilfe Otto Picks, der sich an Alfred Kubin wandte, konnte ihm zum Erfolg beim Münchner Delphin-Verlag verhelfen. So schrieb Otto Pick 1913 an Kubin: »›Ich möchte Sie heute um eine große Gefälligkeit bitten. Der Prager Paul Leppin hat einen Prager Roman Das Herz des Teufels [gemeint ist Severins Gang in die Finsternis] geschrieben. Ich kenne das Werk und finde es durchaus gut. Darf ich Sie bitten, dem Delphin-Verlag, mit dem Sie ja in Verbindung stehn, das Werk, welches dort eingereicht wird, gelegentlich zu empfehlen. Ich bin überzeugt, daß Ihnen dieser Roman, der von jenem Prag handelt, das auch Sie lieben, gefallen wird.‹«250

Kubins Antwort 1914 lautete: »›Sehr geehrter Herr, ein paar Worte zum Dank für die freundlichst übersandte Prager Gespenstergeschichte [Hervorh. V.S.], die ich soeben gelesen habe. An überraschend unmittelbaren und intim erfassten Bildern ist diese Erzählung sehr reich. – Der Apparat eines so verfeinerten Empfindens macht mich auf Ihre weitere Produktion gewiss sehr neugierig. – Wenn ich Schriftsteller wäre, so würde ich mir als Leser einen Menschen von hochgradiger Kultur vorstellen und ausdenken, – diesen imaginären Geist in atemloser Spannung zu halten, wäre dann eines der stärksten Motive für mein Schreiben. – Ich glaube Sie werden noch sehr vieles und gutes machen. – Vielleicht komme ich dieses Jahr auch wieder einmal nach Prag; – dieser ganz sonderbaren Stadt, deren Unterströmungen Sie hier in Ihrem Buche derartig magisch enthüllten, dass die Sehnsucht nach dieser Stadt in einem munter wird…‹«251

Die Bezugnahme in beiden Zitaten auf das unheimliche Prag dürfte auch beim Verlag eine wesentliche Rolle für die Veröffentlichung gespielt haben. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, steht diese Beurteilung des Romans jedoch in frappantem Widerspruch zu seiner inhaltlichen und stilistischen Beschaffenheit.252 Der Roman erschien kurz nach bzw. parallel zur Erstveröffentlichung des 248 So bereits mit Rainer Maria Rilkes Larenopfer von 1895 und Zwei Prager Geschichten 1899; Karl Hans Strobls Die Vaclavbude von 1902 und Der Schipkapaß von 1909, Auguste Hauschners Familie Lowositz 1908. Vgl. Fritz (2005), S. 9. 249 Vgl. Hoffmann (1973), S. 68. 250 Raabe, Paul: Alfred Kubin. Leben, Werk, Wirkung, Hamburg 1957, S. 40. 251 Zitiert nach Hoffmann (1973), S. 199, Fußnote 82. Leider gibt Hoffmann keine Quellenangabe, sodass der Brief nur indirekt zitiert werden kann. 252 Besonders erstaunlich ist die Bezugnahme Kubins auf die Prager Gespenstergeschichte.

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Meyrinkschen Golem in den Weißen Blättern, jedoch noch bevor abzusehen war, welche weitreichenden Auswirkungen dieser Roman auf das Bild Prags haben würde. Besonders anhand der Buchgestaltung durch Richard Teschner ist jedoch der Wille zur Vermarktung in eben diesem Sinne erkennbar.

3.4.3 Analyse der graphischen Gestaltung Richard Teschners Für den 1914 schließlich im Delphin-Verlag erschienenen Roman fertigte Richard Teschner eine Umschlagszeichnung und ein Frontispiz.253 Die Umschlagzeichnung zeigt einen schwarzen Hintergrund, der von umrisshaften und beinahe durchsichtig gezeichneten Gespenstern und Totenköpfen bevölkert wird (Abb. 1). Schraffierte Linien steigen als Rauchsäulen oder schlangenförmige Gliedmaßen auf. Die unheimliche Atmosphäre wird durch den kontrastreichen Einsatz von Licht und Schatten gesteigert. Die zentrale Kerze als Lichtquelle beleuchtet scheinwerferartig die Gesichter der Geister und Totenköpfe. Die Figuren scheinen in der Luft zu schweben, denn abgesehen von den schlangenartigen Linien haben sie keine Verbindung zu irgendeiner Art Vorder-, Hinter- oder Untergrund. Ein Totenkopf links unten im Bild ist mit einem nur zu erahnenden skelettierten Brustkorb verbunden, die dunklen Augenhöhlen des rechten Totenkopfes treten deutlich hervor. Einer der Geister auf der linken Seite trägt humorvoll groteske Züge. Sein eingefallener Mund steht offen und zwei wacklige Zähne blitzen weiß hervor. Zusammen mit seinem rechten Gegenüber, einem kindhaften Gespenst mit überhöhter Stirn, leeren Augenhöhlen und riesenhaften Ohren, erinnern sie an phantastische Figuren aus Teschners Figurentheater, zum Beispiel die Figur Zipizip von 1913. Die Schrift des Autorennamens besteht aus aneinandergereihten Perlen. Diese Perlenschnüre erinnern an die Haare eben derselben Stabpuppe. Auch der maskenähnliche Charakter der Figuren gemahnt an die Theateraffinität Teschners. Zeigt das Umschlagbild wesentliche Spezifika der Teschnerschen Kunst, so ist das Frontispiz hingegen eine stilistische Erweiterung seines Repertoires (Abb. 2). Das Bild zeigt einen Mann in Rückenansicht mit Zylinder vor einer Hauswand an einem nächtlichen Ort. Sein übergroßer Schatten wird auf die Hauswand geworfen, aus dem Fenster darüber blickt ein Frauenkopf herab. Der Mann scheint sich zu erschrecken, er hat die Arme und Hände von sich gestreckt, Auch ihm wurde und wird bisweilen unterstellt, in seinem Roman Bezug auf die unheimliche Stadt Prag zu nehmen. Diese Annahme konnte bislang nicht bestätigt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Kubin sicher in der Lage war, beurteilen zu können, dass Leppins Roman wenig mit einem Prager Gespensterroman gemeinsam habe. Daraus lässt sich schließen, dass dieser Topos bereits 1914 eine weitgehende Eigendynamik entwickelt hatte, die nicht mehr hinterfragt wurde. 253 Vgl. Leppin (1914).

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der Oberkörper ist leicht zurück gelehnt. Es macht den Anschein, als wolle er sofort wieder umkehren. Sein unnatürlich großer Schatten taucht den Rest des Bildes beinahe völlig in Dunkelheit. Nur der Rücken des Mannes wird stark beleuchtet. Phantastisch-absurd, surrealistisch, aber gleichzeitig unheimlich wirkt das weiß aufleuchtende Gesicht im Fenster. Es handelt sich um eine ›unmögliche‹ Beleuchtung, die den heutigen Betrachter an Ren¦ Magrittes Gemälde Reich der Lichter denken lässt.254 Der Betrachter wird – ganz im Sinne einer phantastischen Kunst – in die Irre geführt. Er ordnet das Gesicht dem Schatten zu, so als ob auf diesem dunklen überdimensionalen Nichts ein winziger Kopf säße. Der Betrachter versteht zwar, dass es sich um eine physikalisch nicht realisierbare Beleuchtung handelt und kann sie auf die Fiktivität des Bildes zurückführen. Dennoch wird ihm der direkte Zugang zum Verständnis des Bildes zunächst verwehrt oder zumindest verschleiert. Auch der durch den großen Schatten erzeugte Verfremdungseffekt kann in einem phantastischen Sinn gedeutet werden.255 Das Phantastische entsteht in der Absurdität des Realen, seiner Transformation ins Fremde. Dabei entsteht eine Durchbrechung des »Kontinuum[s] ›unserer praktischen Realitätsbeherrschung‹«256. Die für Teschner ungewöhnliche Klarheit und reduzierte Komposition der Szenerie ist sehr auffallend. Die Unheimlichkeit wird dadurch umso mehr gesteigert, das Absonderliche nur angedeutet. Auch das groteske und humorvollphantastische Element fehlt. In den meisten anderen Blättern von Teschner erscheint ein wahlweise naives, phantastisches oder absurdes Moment.257 In diesem Blatt ist das Unheimliche durch die Reduktion der Bildmittel extrem gesteigert. Der eigentliche Grund für das Grauen bleibt im Verborgenen.

3.4.4 Die Merkantile Funktion von Bildern Betrachtet man die Wort-Bild-Beziehungen, so lässt sich weder die dargestellte Szene des Titelblattes, noch des Frontispizes direkt auf eine Textstelle beziehen. Das Titelblatt kann im Grunde genommen überhaupt nicht in eine Beziehung zum Text gesetzt werden. An diesem Beispiel lässt sich zeigen, dass der verkaufsfördernde Effekt eines Titelbildes gesucht wurde. Dies liegt in den spezifischen Eigenschaften begründet, die Bildern zugewiesen werden. Diese sind in 254 Das Reich der Lichter bezeichnet eine Reihe von Gemälden, hauptsächlich aus den Jahren 1949 bis 1964. 255 Vgl. Holländer, Hans: Das Bild in der Theorie des Phantastischen, in: Thomsen, Christian Werner u. Fischer, Jens Malte (Hg.): Phantastik in Literatur und Kunst, Darmstadt 1980, S. 52 – 78, S. 74. 256 Holländer, Bild (1980), S. 75. 257 Vgl. Mappenwerk Acht Original Radierungen 1916.

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den häufigsten Fällen Authentizität, einfache Wissensaneignung und Attraktivität. Bilder sind synoptisch und zeigen Gleichzeitigkeit, die in der Realität so nicht vorhanden sein muss. Bilder besitzen eine affektive und emotionale Kraft.258 Sie brauchen ein Trägermedium, um visuell erfahrbar zu werden. Dabei nimmt der Betrachter das Bild als solches einerseits und das Bild als Abgebildetes wahr.259 Viele psychologische und neurologische Vorgänge bestimmen das Wahrnehmen von Bildern, ebenso die kulturelle Vorprägung. Das Bild hat Appellcharakter, kann also schnell die Aufmerksamkeit erregen und erhöhen. In der Präzision des Ausdrucks wird es aber der Sprache als unterlegen betrachtet.260 Im vorliegenden Fall ist insbesondere der persuasive Aspekt einer Bildrhetorik von ausschlaggebender Bedeutung.261 Gerade aufgrund der eingangs beschriebenen, den Bildern zugewiesenen Eigenschaften, eignen sich Bilder gut im Sinne einer rhetorischen ›Werbestrategie‹. In Korrespondenz zum Titelblatt, das eine Geistergeschichte erwarten lässt, steht der Untertitel Ein Prager Gespensterroman.262 Sowohl Titelbildgestaltung, wie auch Untertitel verweisen auf den klassischen Topos der unheimlichen Stadt Prag. Der Text selbst hat jedoch mit dieser Stadtimago wenig zu tun. Es geht weder um Prag als unheimliche Stadt, noch um Geister oder Wiedergänger, 258 Vgl. Straßner (2002), S. 13. 259 Diese Ansicht geht auf Platon zurück, der ausführlich in seiner Schrift Sophistes seine Bildtheorie darlegt. »Hier unterscheidet er [Platon] zwei Arten der Mimesis […]. Die eine wird die e_jastij^ t]wmg - Schleiermacher übersetzt die eben-bildnerische Kunst, - und die andere, die vamtastij^ t]wmg - Schleiermacher übersetzt die trugbildnerische Kunst - genannt.« (Böhme, Gernot: Theorie des Bildes, München 1999, S. 22). Dabei wird der spätere Betrachter miteinbezogen: »Die ebenbildnerische Darstellung orientiert sich offenbar allein am Vorbild. Sie ist hier, wenn wir einmal von den Farben absehen, geradezu so definiert, wie wir eine mathematische Abbildung definieren würden. Und zwar wird das Nachbild so gebildet, daß dabei die Maßverhältnisse erhalten bleiben. Wenn man diese Forderung zur Forderung einer Erhaltung der Relationen verallgemeinert, dann handelt es sich um eine Isomorphie. Die trugbildnerische Kunst unterscheidet sich nun in beiden Punkten von der ebenbildnerischen. Sie orientiert sich in der Darstellung nicht nur am Original, sondern auch am Blick des späteren Betrachters.« (Böhme (1999), S. 23). 260 Vgl. Straßner (2002), S. 15. 261 »Die Aufgabe der Rhetorik als Praxis besteht darin - dies dürfte eine klassische Ansicht sein -, die Zuhörer einer Rede zu veranlassen, zum Gegenstand der Rede eine bestimmte Einstellung und Haltung einzunehmen. Die Rhetorik als Praxis will eine konkrete Person oder ein konkretes Auditorium veranlassen, den dargestellten Gegenstand in einem bestimmten Licht zu sehen. Es geht in der Rhetorik nie nur um die Möglichkeiten der bloßen Mitteilung von Tatsachen, sondern immer darüber hinaus um den Versuch, beim Ansprechpartner gegenüber dem Mitgeteilten eine persönliche Haltung, Wertung oder Sichtweise zu erzeugen. Es dürfte auf der Hand liegen, dass sich für diese Absicht der Rhetorik bestens Bilder verwenden lassen - und genau dies ist gängige Praxis.« (Wiesing, Lambert: Zur Rhetorik des Bildes, in: Knape, Joachim u. Grüner, Elisabeth (Hg.): Bildrhetorik (= Saecula spiritualia, Bd. 45), Baden-Baden 2007, S. 37 – 48, S. 37). 262 Vgl. Schmitz (2001), S. 73.

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sondern um einen jungen Mann, der sich in der verzweifelten Hingabe zu einer ›femme fatale‹ um alles bringt und dem sozialen Abstieg geweiht ist. Der Roman ist zutiefst der D¦cadence verschrieben, hat jedoch wenig mit dem Mystizismus und der Geisterwelt einer Meyrinkschen Phantastik zu tun. Es ist naheliegend, dass sowohl Titel, als auch Titelbild zum Zweck einer schnellen Einordnung für die Leser in den Kreis der phantastischen Literatur den Verkauf steigern sollten. Diese Vermutung wird zusätzlich verstärkt, wenn man die harsche Kritik an der Literatur Leppins mit in Betracht zieht. Sicherlich sollte hier ein schwer verkäuflicher Text für ein breiteres Publikum zugänglich gemacht werden. Für diesen Roman fiel die Kritik jedoch positiv aus, so schreibt Kurt Pinthus263 : »›Dies ist ein Gespensterroman, in dem kein Gespenst unheimlich Grausen verbreitend auftritt. Sondern eins der stillsten, unaufdringlichsten und dennoch ernstesten, künstlerischen Bücher, die in den letzten Monaten emportauchten. Zugleich ein Buch, das beunruhigt, das niederdrückt, das ein wirreres Grauen in uns weckt als unheimliche Geschichten und spukhafte Abenteuer. Denn das Grauen rührt uns an, welches das Leben, das Geschehen an sich birgt, jenes scheinbar hintaumelnde, sinnlose Geschehen, das unbiegsam, unverwirrbar trotz aller Wirrnis zu seinem Ziele zwingt.‹«264

Das Frontispiz hingegen lässt sich bis zu einem gewissen Grad in Bezug zum Text setzen. Der hoffnungslos Verzweifelte steht unter dem Fenster der Angebeteten, seine sehnsüchtige Abhängigkeit zu ihr steht wie ein dunkler Schatten vor ihm. Das Frauengesicht leuchtet unnatürlich weiß in das Dunkel hinein. Der kleine weiße Kopf sitzt genau auf dem Hals des riesigen Schattens, so wirkt es fast, als würde beides zusammengehören und als wäre die Frau eigentlich der große Schatten, eine übergroße Person. Der Rest der Szenerie ist wie ausgestorben, der dargestellte Mann ist völlig allein mit sich und seiner Verzweiflung. Teschner illustriert zwar keine bestimmte Szene aus der Textvorlage, doch die verschiedenen Motive sind literarisch angelegt. So beschreibt beispielsweise Leppin den jüdischen Buchhändler, der durch die Stadt flaniert: »Da ließ der alte Lazar für gewöhnlich seine Tochter im Laden zurück und machte Streifgänge in der Umgebung. Mit kleinen Schritten ging er die Gasse auf und nieder und sah nach den Stockwerken hinauf. Er war etwas kurzsichtig und das Gaslicht hatte seine Augen geschwächt. Er sah den Dienstmädchen zu, wie sie die festen Brüste an den Fensterrand lehnten und den Staub aus den Tüchern in die Gasse hinunterschwenkten.«265 263 Vgl. Schmitz (2001), S. 73; bei Hoffmann (1973) wird dasselbe Zitat ausführlicher abgedruckt, ohne jedoch auf Pinthus zu verweisen. 264 Kurt Pinthus, Rezension zu Severins Gang in die Finsternis, zitiert nach Hoffmann (1973), S. 69. 265 Leppin, Paul u. Slav†cˇek, Jirˇ† Vincenc: Severins Gang in die Finsternis. Ein Prager Gespensterroman (= Bibliotheca Bohemica, Bd. 19), Prag 19981, S. 19.

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An anderer Stelle kehrt Severin zur Buchhandlung zurück und blickt von außen in den Laden. Dabei überrascht ihn die Tochter des Buchhändlers, Susanna: »Eine Hand legte sich auf seine Schulter und als er sich umwandte, stand Susanna vor ihm. Was tust du hier? – fragte sie und ihre erloschenen Augen drohten. Ihre Gestalt wuchs groß und gebieterisch in der Dämmerung und Severin sah voll Grauen, daß sie ein Kind erwartete. Susanna! – flüsterte er. Zum ersten Male seit Wochen fiel ein Licht in seine nackte Seele. Die Finsternis in ihm zerflatterte und er erschrak. Warum bin ich hierhergekommen? – dachte er bei sich. Es war still und einsam in der fahlen Gasse und er fürchtete sich vor dem Gesichte der Jüdin.«266

Das Schattenmotiv findet sich noch öfter im Text: »Er lief durch die Gassen und die Laternen zogen seinen schmalen Schatten auf den Pflastersteinen nach.«267 Gegen Ende des Romans erinnert eine weitere Szene an das Frontispiz, ohne, dass eine Wiedergabe am Text festgemacht werden könnte: »Nach Wochen einer grausam verlorenen Einsamkeit konnte Severin sein Verlangen, Mylada wieder zu sehn, nicht mehr bezähmen. Die blutleeren Gespinste, die seine Phantasie ihm vorgaukelte und die er im Schatten der Nächte verfolgte, führten ihn immer wieder zu der Stelle hin, wo das Licht der Weinstube wie ein großes und blendendes Rad auf die Gasse fiel.«268

Ohne also eine bestimmte Szene aufzugreifen, gelingt es Teschner, dem Roman eine einzige Bildbeigabe voranzustellen, die im Grunde genommen alles beinhaltet, was im Text Thema sein wird – Verzweiflung, Abhängigkeit, Angst, der hilflose Mann und die dominante Frau. Es muss sich jedoch weder bei dem Mann um den Protagonisten Severin, noch bei der Frau um Mylada, zu der Severin in eine destruktive Liebe verfällt, handeln. Die Frau könnte auch Zdenka, seine Freundin, sein, die allein in einer kleinen Kammer wohnt und stets auf seine Rückkehr wartet. Sie liebt Severin aufrichtig, wird aber von ihm zurückgewiesen. Aus ihrer Enttäuschung heraus wird sie sich ihm am Ende verweigern. Severin scheut sich vor Zdenka, er versucht, ihr aus dem Weg zu gehen. Auch die Interpretation als Darstellung zweier unbekannter Personen, die als Typen dem Kampf zwischen den Geschlechtern Ausdruck verleihen, wäre denkbar. Gerade diese Offenheit lässt das Frontispiz in einen Dialog zwischen Wort und Bild treten. Darüber hinaus bildet es einen atmosphärischen Vorgriff auf den zu erwartenden Inhalt für die potentielle Leserschaft.

266 Leppin u. Slav†cˇek (1998), S. 71. 267 Leppin u. Slav†cˇek (1998), S. 101. 268 Leppin u. Slav†cˇek (1998), S. 125.

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3.4.5 Der Topos Prag in Wort und Bild Die Stadt Prag spielt im Roman eine wichtige Rolle, es werden exakte Topographien wiedergegeben.269 In diesem Fall dient der Lokalkolorit jedoch, wie bereits erwähnt, weniger als Instrument, um eine unheimliche Atmosphäre zu kreieren. Vielmehr ist die Stadt Prag der tatsächliche Ort, die reale Stadt, in der die Handlung stattfindet. Dabei wird Leppin die »Wirklichkeit [der Stadt] selbst zum Symbol«270. Straßennamen und Geschäfte werden genannt, sowie die Stadt beschrieben. Das eigentliche Thema allerdings sind die seelischen Zustände des Protagonisten, der sich dem Baudelaireschen Flaneur gleich durch die Straßen Prags treiben lässt. Seine inneren Zustände spiegeln sich auch in seinem Verhältnis zur Stadt Prag, das geprägt ist von einem seltsamen Druck, einer Nervosität, einem diffusen Angstgefühl, das ihn bei seinen Streifzügen beschleicht.271 Obwohl Hoffmann einerseits den Roman nicht in die gleiche Kategorie wie andere pragspezifische Stadttexte einordnen möchte – so schreibt er ausdrücklich, Severins Gang in die Finsternis sei eine »Brechung [Hervorh. V.S.] des ›mit einer bemerkenswerten Ausdauer‹ behandelten Typus des neuromantischen, neurasthenischen Abenteurers in der Atmosphäre Prags«272 – bezieht er sich andererseits genau auf die Tradition dieser Literatur, wenn er schreibt: »Prag wird zum Seelenspiegel Severins wie dieser ganzen Prager dichterischen Generation…«273 Aus dieser Perspektive wiederum scheint es begründet, dass Freund den Roman doch zur phantastischen Literatur zählt. Er spielt zwar im Prager Ghetto »…mit seinen zwielichtigen, verwinkelten Gassen und seinen düster drohenden Häuserfronten. Aber Leppin verzichtet sowohl auf okkultistische Überhöhungen als auch auf gespenstische Sensationen. Seine Phantastik entwickelt sich aus der Sinnlosigkeit des Alltags […]. Wo alles Handeln zur Sisyphos-Arbeit wird, gewinnen die Dinge ein gespenstisches Eigenleben…«274

269 Vgl. Hoffmann (1973), S. 73 und S. 201 – 202: »Alles kann genau platziert werden: Weinberge, Nusle, die alte Stadt, die Stephansgasse, wo P[aul] L[eppin] Kains Antiquariat platziert, Ferdinandska, botanischer Garten, Pilsner Restaurant gegenüber der Kirche des Heiligen Stephan, wo Severin mit Kain bekannt wird, der Altstädter Ring, wo Zdenka wohnt, Belvedere, Museum […], die Gifthütte…« 270 Hoffmann (1973), S. 73. 271 Vgl. Fritz (2005), S. 179; vgl. auch Hoffmann (1973), S. 73: »Das Prag der Jahrhundertwende mit seinen barocken Palästen, seinen tausendjährigen Friedhöfen, seinen schwarzen Synagogen und seinen dem Abbruch geweihten Gäßchen ist für Leppin – wie für die meisten deutschen Prager Dichter – das zu Stein gewordene Gefühl des Verfalls, des Untergangs. Hier sah man wie nirgends sonst die Brüchigkeit dieser Welt, die alt geworden ist.« 272 Hoffmann (1973), S. 73. 273 Hoffmann (1973), S. 73. 274 Freund (1999), S. 209.

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Die Unheimlichkeit der Stadt wird ebenfalls beschrieben: So sei »…zwischen ihren [der Stadt] gedunkelten Mauern, ihren Türmen und Adelshäusern, ihrer fremdartigen Abgestorbenheit eine verhaltene Phantastik mit ihm groß geworden […], daß er immer mit dem Gefühle die Straße betrat, daß ihn heute ein Schicksal erwarte.«275 Die bildliche Darstellung deutet zwar Prager Architekturen an. Eine zwiebelförmige Kirchturmspitze im Hintergrund und eine Häuserfassade mit barocken Voluten lassen Assoziationen zum barocken Prag zu (zum Beispiel zur Nikolauskirche auf der Prager Kleinseite), legen den Bezug aber nicht fest. Interessant für die bildliche Darstellung ist Fritz’ Feststellung, dass sich durch die Handlung eine Dualität aus Tag und Nacht zieht. In der Nacht entwickelt die Stadt »eine seltsame Eigendynamik«276. Der Flaneur tritt in Kontakt mit der Stadt, diese wird zur ›Benjaminschen Landschaft‹.277 Die Beziehung zur Stadt Prag bleibt im Roman unverkennbar. Prag spielt jedoch für den Protagonisten Severin eine andere Rolle als zum Beispiel im Roman Der Golem, wie im Anschluss zu zeigen sein wird. Dennoch zählt auch Hoffmann – ebenso wie Fritz – den Roman zu den ›Prager Romanen‹. Hoffmann nennt den Roman »wie die meiste Literatur aus Prag, […] eine Stadtdichtung par excellence, in der die Stadt zur Natur wird und lebt.«278

275 Leppin u. Slav†cˇek (1998), S. 30. 276 Fritz (2005), S. 180. 277 Vgl. Fritz (2005), S. 177. Vgl. auch Menninghaus, Winfried: Schwellenkunde. Walter Benjamins Passage des Mythos, Frankfurt am Main 1986, S. 44: »Den Typus des Flaneurs schuf ja Paris. […] Denn Paris haben nicht die Fremden, sondern sie selbst, die Pariser, zum gelobten Land des Flaneurs, zu der ›Landschaft aus lauter Leben gebaut‹, wie Hofmannsthal sie einmal nannte, gemacht. Landschaft – das wird sie in der Tat dem Flanierenden. Oder genauer : ihm tritt die Stadt in ihre dialektischen Pole auseinander. Sie eröffnet sich ihm als Landschaft, sie umschließt ihn als Stube.«. 278 Hoffmann (1973), S. 204, Fußnote 122.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

4.1

Die Figur des Golem

4.1.1 Historische Ursprünge der Golemlegende Die Legende um den ›Golem‹ ist ein »Symptom jüdisch-tschechisch-deutschen Zusammenlebens«279 in Prag. Es handelt sich dabei eigentlich um eine Legendensammlung, deren Zentralfigur der Golem ist. Golemfiguren haben jedoch eine lange Tradition in der jüdischen Geschichte.280 Gershom Scholem weist auf das tellurische Element des Golem im Midrasch hin. Der Golem bzw. Adam entsteht aus der »Hochzeit zwischen Gott und Erde«281, zwischen Elohim und Edem.282 Erst im 3. Jahrhundert n. Chr. tauchen Legenden um die Schöpfung eines Wesens durch einen Menschen auf, und zwar anhand des Sefer Yetzirah/Jezira, dem Buch der Schöpfung, durch den Amoräer Raba bar Josef bar Chama, bekannt als Raba oder Rawa, und zwar durch eine Vertauschung (Permutation) der göttlichen Buchstaben, dem Tetragramm JHWH oder YHWH.283 Die Verbindung der Erschaffung eines menschenähnlichen Wesens aus Lehm, wie sie in der talmudischen Schöpfungsgeschichte mit dem Einhauchen des Lebens durch eine Permutation des Tetragramms erwähnt wird, ist das we279 Nübler, Norbert: Der Prager Golem, in: Engel-Braunschmidt, Annelore u. Hübner, Eckhard (Hg.): Jüdische Welten in Osteuropa, Frankfurt a. M. 2005, S. 209 – 218, S. 209. 280 Eine erste Erwähnung des Golem findet sich im Talmud. Vgl. Sherwin, Byron L.: The Golem of Prague and his Ancestors, in: Put†k, Alexandr u. Demetz, Peter (Hg): Path of life. Rabbi Judah Loew ben Bezalel; ca. 1525 – 1609. An exhibition organ. by the Prague Castle Administration and the Jewish Museum in Prague for the 400th anniversary of the death of Rabbi Judah Loew Ben Bezalel Imperial Stables at Prague Castle 5.8.–8.11.2009, Prague 20091, S. 273 – 291, S. 273. 281 Scholem, Gershom: Zur Kabbala und ihrer Symbolik, Zürich 1960, S. 217. 282 Elohim »als Vater alles Entstandenen« und »die halb als Jungfrau, halb als Schlange gebildete Edem, die auch Israel und Erde heißt.« (Scholem (1960), S. 216. 283 Vgl. Sherwin (2009), S. 280; vgl. auch ausführlicher Scholem (1960), S. 221.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

sentliche Merkmal der Golem-Schöpfung durch den Hohen Rabbi Löw.284 Da es sich bei der Schöpfung eines Humanoiden durch einen Menschen um einen sündhaften Akt handelt, ist der Golem ein unvollkommenes Wesen.285 Dass sich der Golem im Verlauf seiner Geschichte vom harmlosen Geschöpf zu einem unberechenbaren Wesen wandelt, das seinen Schöpfer angreift, ist die gerechte, göttliche Strafe. Der Mensch soll sich nicht anmaßen, gottesgleich schöpferisch tätig zu sein. Diese Abwandlung der Golemlegende in der Moderne ist beeinflusst durch Mary Shelleys Frankenstein.286 Der Prager Golem jedoch erlangte Berühmtheit über die jüdische Gemeinde hinaus. Obwohl seine Legende im 16. Jahrhundert angesiedelt ist, beginnt seine eigentliche Rezeption und Überlieferung in der heutigen Form erst im 19. Jahrhundert. So gesehen ist er eine »modern creature«287. Obwohl in den historischen Schriften des Rabbi Judah Löw (gestorben 1609288) der Golem keine Erwähnung findet, wird er seit dem 19. Jahrhundert mit Rabbi Löw assoziiert. Die Zuschreibung taucht erstmalig 1841 in den Schriften des nichtjüdischen Deutsch-Prager Journalisten Franz Klutschak auf.289 Bald darauf, 1847 erschien in Fortsetzungsheften die Erzählsammlung Sippurim von Wolf Pascheles, in der der Golem nun von jüdischer Seite mit dem Rabbi Judah Löw in Verbindung gebracht wurde.290 Die Sippurim sind auch in Bezug auf die jüdische Aufklärung in Prag interessant. Wurde bis ins frühe 19. Jahrhundert das jüdische Schrifttum auf Hebräisch verfasst, begann man Anfang des 19. Jahrhunderts zunehmend jüdische 284 285 286 287 288

Vgl. Sherwin (2009), S. 282. Vgl. Sherwin (2009), S. 282. Vgl. Sherwin (2009), S. 283. Sherwin (2009), S. 273. Zur Biographie der historischen Figur des Rabbi Löw vgl. Put†k, Alexandr u. Polakovicˇ, Daniel: Judah Loew ben Bezalel, Called Maharal. A Study on his Genealogy and Biography, in: Path of life. Rabbi Judah Loew ben Bezalel. Ca. 1525 – 1609, hg. v. Alexandr Put†k u. Peter Demetz, Prague 2009, S. 26 – 83. 289 Vgl. Sherwin (2009), S. 274; vgl. auch Frenschkowski, Marco: Von Schemajah Hillel zu Aaron Wassertrum. Juden und Judentum in der deutschsprachigen phantastischen Literatur, in: Le Blanc, Thomas (Hg.): Traumreich und Nachtseite, Bd. 1. Die deutschsprachige Phantastik zwischen D¦cadence und Faschismus (= Schriftenreihe und Materialien der Phantastischen Bibliothek Wetzlar, Bd. 15), Wetzlar 1995, S. 126 – 157, S. 129. Nübler hingegen vermutet die Legendenbildung über den historischen Rabbi Löw und den Golem bereits kurz nach dessen Tod zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Vgl. Nübler (2005), S. 217. Demetz berichtet, dass Klutschak im Sinne der Aufklärung in dieser frühen Version der Golemlegende nach rationalen Erklärungen für die unglaublichen Vorgänge um Rabbi Löw suchte, so in erster Linie, dass »Rabbi Löw der Erfinder der Camera obscura war…« (Demetz, Peter (Hg.): Geschichten aus dem alten Prag. Sippurim, Frankfurt a. M./Leipzig 1994, S. 370). 290 Vgl. Sherwin (2009), S. 274; vgl. auch Demetz (1994), S. 361. Die Sippurim-Erzählungen sind auch Vorlage für die Erzählungen um den Golem in Oskar Wieners Böhmische Sagen.

Die Figur des Golem

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Texte in »›Weiber-deutsch-Buchstaben‹«291 zu verfassen. Viele Erzählungen aus den Sippurim sind märchenhaft oder mythisch. Dies stand freilich in einem Kontrast zur aufklärerischen Vernunft, sodass den mythischen Erzählungen oft eine Rahmengeschichte mit einem fiktiven Gewährsmann oder -dokument angefügt wurde.292 Dadurch wurde der aufklärerische Impetus gewahrt.293 Mehrere jüdische Prager Schriftsteller waren an der Erstellung der Texte beteiligt294 und lieferten so einen frühen Grundstock des ›Prager Textes‹ von jüdischer Seite.295 Den Prager Erzählungen in den Sippurim kam nach Demetz eine besondere Bedeutung zu, da sie »ein literaturhistorisches Dokument erster Ordnung und eine beredte Aufforderung, in der Erforschung der Prager deutschen Literatur in die Tiefe der Geschichte zurückzugehen…«296 darstellten. Die Golem-Erzählung in der Sippurim stammte von Leopold Weisel, der sie angeblich mündlich überliefert bekommen hatte. Die Golemlegende wurde dann weiter kolportiert und bereits kurz nach der Jahrhundertwende 1909 in einer ausgeklügelten literarischen Fälschung durch Yudel Rosenberg bekannt gemacht.297 Dieser behauptete, seine Erzählung Nifla’ot Maharal basiere auf einem Manuskript des Schwiegersohns von Rabbi Judah Löw, der bei der Schöpfung des Golems anwesend gewesen sein soll. Diese Erfindung beeinflusste die Golem-Rezeption jedoch in einem hohen Maße.298 Sie bringt erstmalig das Motiv auf, dass der Golem zum Schutz der jüdischen Bevölkerung gegen den Vorwurf des Ritualmordes und der damit verbundenen antisemitischen Angriffe auf die jüdische Bevölkerung eingesetzt wurde. Der Ritualmordvorwurf ist historisch nicht im 16. Jahrhundert zu verorten, sodass die Fiktivität der Erzählung offenbar wird.299 Durch eine Rezeption von Chaim Bloch, der sich – ohne Rosenberg zu er291 Demetz (1994), S. 366. 292 Vgl. Demetz (1994), S. 370. 293 Nach Demetz sind die Sippurim-Geschichten sogar »eindeutig und offen in ihrer aufklärerischen Polemik gegen das Kabbalistisch-Mystische, welches das Bild des Rabbi Löw schon zu ihrer Zeit zu überwuchern drohte.« (Demetz, Peter : Die Legende vom magischen Prag, in: ders. (Hg.): Böhmische Sonne, mährischer Mond. Essays und Erinnerungen, Wien 1996, S. 143 – 166, S. 154). 294 Zu ihnen gehören Georg Leopold Weisel, Michael Klapp, Salomon Kohn und Siegfried Kapper. Vgl. Demetz (1994), S. 372 – 373. 295 Vgl. Fritz (2005), S. 45. 296 Demetz (1994), S. 375. Die Sippurim fanden auch Eingang in den Sammelband Die goldene Gasse von Heinz Politzer. Dieser Sammelband wurde von Friedrich Feigl, einem Prager Künstler, illustriert. Erschienen 1937 liegt diese Publikation bereits außerhalb des fokussierten Zeitraums. Die Illustrationen zeigen sich deutlich beeinflusst von dem Film Paul Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam von 1920. Vgl. Politzer, Heinz (Hg.): Die goldene Gasse. Jüdische Sagen und Legenden; Auswahl aus d. Sippurim, Wien 1937. 297 Vgl. Sherwin (2009), S. 275. 298 Vgl. Sherwin (2009), S. 275. 299 Vgl. Sherwin (2009), S. 277.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

wähnen – stark an dessen Version der Golemlegende anlehnt, und dessen Übersetzungen in verschiedene europäische Sprachen floss die Golemlegende in die europäische Literatur der Jahrhundertwende ein. Der Golem wurde zu einem modernen Motiv der Wissenschaft und Technik, der industriellen Revolution um 1900 und ihren negativen Implikationen.300 Besonders die Romantiker beschäftigten sich mit der Golemlegende.301 Zum Teil erfuhr sie hier bereits Formen von abgewandelten Adaptionen, zum Beispiel mit dem Doppelgängermotiv.302 In einer erweiterten Auffassung der Golemlegende können auch Erzählungen von Automaten oder Wachspuppen hinzu gezählt werden, so zum Beispiel bei E. T. A. Hoffmann. Die Golemlegende in der Form, wie sie Meyrink kannte, basiert also durchaus nicht auf einer langen jüdischen Tradition, sondern entpuppt sich – wie so oft bei mündlichen Erzähltraditionen, deren historische Kontinuität proklamiert wird – als zeitspezifische, literarische Konstruktion. Neben der Golemlegende um Rabbi Löw existieren noch zwei ältere GolemErzählungen, eine aus Polen über den Rabbi Elijah von Chelm aus der Mitte des 16. Jahrhunderts und eine andere über den Rabbi Eleasar von Worms.303 Rabbi Löw wurde dennoch der bekannteste der mystischen Golem-Schöpfer, da sich seine Geschichte zusätzlich im Rudolphinischen Prag, der magischen Stadt, verorten ließ.304 Der Grabstein des berühmten Rabbi Löw auf dem jüdischen Friedhof ist bildlich in die Stadterzählungen eingegangen. Ihm und seinem Golem ist auch eine Statue von Ladislav Sˇaloun von 1910 gewidmet.

4.1.2 Die Handlung der Prager Golemlegende nach der Sippurim-Sammlung Die Legende um den Golem wird historisch verortet und weist spezifische Elemente auf. Sie spielt in der Zeit Rudolphs II. Das jüdische Volk ist durch Unterdrückung bedroht und so erschafft der Hohe Rabbi Löw eine Tonfigur, die 300 Vgl. Sherwin (2009), S. 277. 301 So zum Beispiel Jakob Grimm, Clemens Brentano und Achim von Arnim. Vgl. Scholem (1960), S. 210; vgl. auch Demetz, Peter : Rabbi Loew and His Golem in German Literature, in: Put†k u. Demetz (2009), S. 292 – 313, S. 294. 302 Vgl. Put†k u. Demetz (2009), S. 294. 303 Vgl. Petzoldt, Leander: Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister (= Beck’sche Reihe, Bd. 427), München 1990, S. 82. Dieser Rabbi Eleasar von Worms beschreibt in seinen Schriften die Erschaffung eines Golem, bei der ein Gelehrter den wahren Namen Gottes in der Bibel finden müsse, um in der Lage zu sein, einen künstlichen Menschen zu schaffen. Dieses Element findet sich auch in den verschiedenen Legendenversionen durch den ›Schem‹, das hebräische Wort für ›Name‹. Vgl. Nübler (2005), S. 217. Sicherlich bezog sich Eleasar aber auf die bereits erwähnten Permutationen des göttlichen Namens JHWH. 304 Vgl. Demetz (2009), S. 293.

Die Figur des Golem

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dem jüdischen Volk dienen und es beschützen soll. Das Motiv des von Menschenhand geschaffenen Humanoid ist hier das primäre Motiv, ein weiteres die Bedrohung des jüdischen Volkes. Interessanterweise treten einige Elemente des Christentums und der Philosophie der Renaissance hinzu: Rabbi Löw nimmt seinen Schwiegersohn und seinen Schüler als Gehilfen hinzu305. Die drei Männer symbolisieren die drei Elemente Feuer, Wasser und Luft, während der Golem die Erde symbolisiert.306 Der Versuch des Rabbi Löw, ein menschenähnliches Wesen zu schaffen, muss jedoch scheitern. Das Wesen gerät bald außer Kontrolle und wendet sich gegen seinen Schöpfer. Der Golem, dessen Lebensfunktionen von einem kabbalistischen Buchstabenrätsel – wahlweise auf seiner Stirn oder als Zettel unter seiner Zunge – abhängen, zerstört die Stadt (oder zumindest das Ghetto) und muss deshalb wiederum selbst zerstört werden. Nachdem ihm der Rabbi Löw die Buchstabenkombination wieder entfernt hat, stürzt er als lebloser Lehmhaufen in sich zusammen. Die Legende besagt, dass seine Lehmüberreste immer noch auf dem Dachboden der Altneu-Synagoge lagern sollen.307 Dass der Golem in Verbindung mit der historischen Figur des Hohen Rabbi Löw aus dem 16. Jahrhunderts gebracht wurde, wird unter anderem damit begründet, dass Rabbi Löw in einer seiner Schriften Partei für die Erschaffung eines Golem ergriff. Er war der Ansicht, dass Gott die Welt unvollendet ließ und der Mensch in der Nachahmung Gottes, in der ›imitatio dei‹, Gott nahe sei und auf völlig berechtigte und natürliche Weise versuche, das Werk Gottes zu vollenden. Seine Zeitgenossenschaft mit Rudolph II. und dessen Affinität zum Bizarren und Rätselhaften308 brachten Judah Löw in Verbindung mit Erzählungen über die wundertätige Erschaffung eines Golem.309 Tatsächlich existieren jedoch keine zeitgenössischen und auch bis ins 18. Jahrhundert hinein keine schriftlichen Zeugnisse, die den Prager Rabbi Löw mit dem Golem in Verbindung bringen.310 Ein weiterer Grund für die Legendenbildung um die historische Figur des Rabbi Löw ist die Epoche des Rudolphinischen Zeitalters, die einen guten Nährboden für nationalistisch intendierte Narrative der böhmischen Länder innerhalb der k. u. k.-Monarchie bot. Dass gerade eine jüdische Legende natio305 Vgl. Nübler (2005), S. 211. Nach Nübler könnte dies einen christologischen Bezug durch die Trinität aus Vater, Sohn und Geist in Form des Schülers herstellen. 306 Vgl. Nübler (2005), S. 210. Dies sieht Nübler in einem Zusammenhang mit antiken Naturphilosophen und deren Rezeption in der Renaissance. 307 Vgl. Mayer, Sigrid: Golem. Die literarische Rezeption eines Stoffes, Bern/Frankfurt a. M. 1975, S. 37. 308 Tatsächlich interessierte sich Rudolph II. sogar für die Kabbala, die jüdische Geheimlehre. Vgl. Sherwin (2009), S. 290. 309 Vgl. Sherwin (2009), S. 288. 310 Vgl. Demetz (1996), S. 154.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

nalitätsstiftend für Tschechien sein sollte, lag auch im besonderen Interesse der jüdischen Gemeinde und zeugt von der engen Verflechtung tschechischer und jüdischer Geschichte.

4.2

Der Roman Der Golem von Gustav Meyrink

4.2.1 Biographische Hintergründe zu Gustav Meyrink Gustav Meyrink, 1868 in Wien als unehelicher Sohn der Hofschauspielerin Maria Meyer und des württembergischen Staatsministers Karl von Varnbüler geboren311, durchlebte eine Jugend geprägt von Ortswechseln zwischen München, Hamburg und Prag.312 Die Stadt Prag sollte eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen. Er selbst bezeichnete sein Verhältnis zu Prag als Hassliebe. Er scheiterte dort als Bankier und musste aufgrund von Betrugsvorwürfen eine Gefängnisstrafe absitzen. Dieses Erlebnis war eine entscheidende Wende in Meyrinks Biographie.313 Im Anschluss an die Haftstrafe siedelte Meyrink 1904 nach Wien über und betätigte sich als Satiriker in den Zeitschriften Lieber Augustin und Simplicissimus.314 In Wien begegnete Meyrink Kubin und war mit Richard Teschner gut bekannt.315 Ab 1906 nahm er seinen festen Wohnsitz in München. Seine Beiträge im Simplicissimus erfreuten sich großer Beliebtheit und er hatte Kontakt zu dem Verleger Albert Langen. Zusätzlich konnte er in der Halbmonatszeitschrift März, von Langen, Ludwig Thoma, Hermann Hesse und Kurt Aram herausgegeben, veröffentlichen.316 Während dieser Zeit begann sich Meyrinks Interesse für exotische Riten und mystische Religionen abzuzeichnen. Vor allem Indien, der Hinduismus, aber später auch der Buddhismus faszinierten ihn sehr. Wie viele andere Zeitgenossen nahm auch Meyrink an spiritistischen Sitzungen und Experimenten teil.317

311 Vgl. Binder (2009), S. 19; vgl. auch Kalka, Joachim: Das Unheimliche des Erzählens. Gustav Meyrink zwischen Okkultismus, Satire und Kolportage, in: Le Blanc (1995), S. 108 – 125, S. 108. 312 Vgl. Binder (2009), die entsprechenden Kapitel S. 27, S. 41, S. 45; vgl. auch Kalka (1995), S. 109. 313 Vgl. Binder (2009), S. 204 – 232. 314 Vgl. Binder (2009), S. 358. 315 Vgl. Binder (2009), S. 384 – 385. 316 Vgl. Binder (2009), S. 407. 317 Die Lehre der berühmten Okkultistin Helena Blavatsky hingegen lehnte er ab. Vgl. Binder (2009), S. 108.

Der Roman Der Golem von Gustav Meyrink

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4.2.2 Entstehungshintergründe zum Roman Der Golem 1905 begegnete Meyrink Alfred Kubin in Wien. Sie verbrachten im Februar desselben Jahres ein Wochenende zusammen auf dem Semmering.318 Kubin und Meyrink kannten sich wohl über den gemeinsamen Freund Oskar A. H. Schmitz, dem Meyrink seine ersten Textproduktionen zu verdanken hatte und der seit 1904 Kubins Schwager war.319 Bereits in dieser frühen Phase war ein Romanprojekt angedacht, das Kubin in einem Brief an seine Frau Hedwig so beschreibt: »Meyrink hat einen philosophisch-phantastischen Roman den ich durch Bilderbeigaben ausschmücken soll erst im Concept [sic] fertig, er wird ganz außerordentlich originell, die Hauptperson, ein leidenschaftlicher Grübler, hat es erlernt je mit einer Körperhälfte zu schlafen, schließlich reduziert er den Schlaf auf 14 des Körpers um [sic] endlich in der Morgenfrühe einen Schlafpunkt zu haben, – der merkwürdige Mann erlebt nun die seltsamsten ›Träume‹ genauso intensiv als sein wahres Leben, – und empfängt von außerirdischen starken Intelligenzen ganz geheimnisvolle Offenbarungen, … Das Buch soll als sehr teuere Prachtausgabe von F. Waerndorfer verlegt werden. – Gewisse Blätter aus meinem Werk gebe ich ohne weiteres mit hinein (ich denke an O. A. H. sterbende Stadt) andere zeichne ich sobald M. mir das Manuskript sendet wohl im Mai…«320

Diese frühe Romankonzeption hat mit dem späteren Roman kaum etwas gemein. Nur das Traummotiv kann als Hinweis auf den Golem-Roman bewertet werden. Dennoch ist bemerkenswert, dass Kubin bereits recht konkrete Vorstellungen davon hatte, wie er seine bildliche Gestaltung umsetzen konnte. Ab 1907 hatte Meyrink Kontakt mit Martin Buber bezüglich seiner Romanveröffentlichung. Buber war Lektor im Verlag Rütten & Loening.321 Meyrink wollte sich nicht zu sehr an Albert Langen binden, mit dem er im Zusammenhang mit seinen Veröffentlichungen im Simplicissimus bereits zusammen gearbeitet hatte. Er vermutete Betrügereien bei Auszahlungen und wollte sich mehrere Möglichkeiten offen halten. Meyrink schickte Kubin 1907 erste Textteile.322 Auch Anfang 1908 gab es weiteren Textnachschub für Kubin, doch danach stockte Meyrinks Produktivität. Ungefähr ein Achtel bis ein Sechstel der 318 Vgl. Heißerer, Dirk: Wort und Linie. Kubin im literarischen München zwischen 1898 und 1909, in: Hoberg, Annegret u. a. (Hg.): Alfred Kubin 1877 – 1959, München 1990, S. 67 – 90, S. 75. 319 Vgl. Frank, Eduard: Gustav Meyrink. Werk und Wirkung, Büdingen-Gettenbach 1957, S. 13. 320 Zitiert nach Heißerer (1990), S. 75. 321 Vgl. Binder (2009), S. 419. 322 Vgl. Binder (2009), S. 429; vgl. auch Lube, Manfred: Gustav Meyrink. Beiträge zur Biographie und Studien zu seiner Kunsttheorie (= Dissertationen der Universität Graz, Bd. 51), Graz 19801, S. 114 – 115.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

Gesamtlänge des Romans323 soll fertig gewesen sein, als es aufgrund einer lang währenden Schaffenskrise zum Ende der Zusammenarbeit zwischen Kubin und Meyrink kam.324 Die bereits erstellten Illustrationen verwendete Kubin für seinen eigenen Roman Die andere Seite. In der Zeit zwischen 1908 und 1911 arbeitete Meyrink vorwiegend als Übersetzer, v. a. aus dem Englischen und bevorzugt Texte Charles Dickens.325 1911 kam es zu einer Teilveröffentlichung des Golem-Romans in der Zeitschrift Pan unter dem Titel Der Stein der Tiefe. Ein Guckkasten.326 Dadurch erregte Meyrink die Aufmerksamkeit des Verlegers Kurt Wolff für sein Werk. Dieser erneuerte zweimal sein Angebot, den Roman in seinem Verlag zu veröffentlichen.327 1912 gab Meyrink seine Einwilligung, 1913 wurde das Typoskript fertig gestellt und dem Verlag übergeben.328 Die Erstausgabe sollte ganz ohne Illustrationen bleiben. Prinzipiell konnte sich Meyrink vorstellen, die »Nebensachen illustrativ hervorzuheben.«329 Kurzzeitig war die Überlegung im Raum gestanden, Hans Reimann – Mitarbeiter, Drucker und Buchgestalter im Verlag Kurt Wolff – Kapitelvignetten erstellen zu lassen. Dazu äußerte sich Meyrink wie folgt: »›Wichtig ist eine kabbalistische Methode, Geister zu sehen: man formt aus den Fingern beider Hände ein Fünfeck und blickt zu bestimmten Stunden hindurch. Vielleicht gäbe das eine hübsche Vignette. […] Ich freue mich sehr auf Ihre Zeichnungen. Wünsche habe ich nicht – höchstens den, dass der Golem selbst, den ich unsichtbar ließ, auch unsichtbar bleibt.‹ [Hervorh. V.S.]«330

Reimanns Antwort war eine implizite Absage an das gesamte Unternehmen: »›Nach reiflichem Überlegen ließ ich alles übrige gleichfalls unsichtbar.‹«331 Er war der Meinung, »ein bebilderter Roman töte die Phantasie«332. Diese Aussage 323 Vgl. Lube (1980), S. 116. 324 Vgl. Binder (2009), S. 430. 325 Unter anderem Weihnachtsgeschichten, David Copperfield, Bleakhaus und Pickwickier. Vgl. Binder (2009), S. 443. Diese Lektüre hat Einfluss auf die weitere Entwicklung des Romans genommen. 326 Vgl. Binder (2009), S. 460. Das dort bereits vorhandene Kapitel Der Trödler Wassertrum fand später Eingang in das Kapitel Prag. Dies sieht Lube als »die Urzelle des Golem« (Lube (1980), S. 117). 327 Vgl. Binder (2009), S. 474; vgl. auch Lube (1980), S. 112. Erinnerungen des Verlegers Kurt Wolff über den genauen Vorgang dieses Vertragsabschlusses sind leider verwirrend und aus verschiedenen Ereignissen vermengt, worauf Lube hinweist. Vgl. Lube (1980), S. 112 – 114. 328 Vgl. Binder (2009), S. 479. 329 Lube (1980), S. 128. 330 Aus dem Vorwort Reimanns zu einer Neuauflage, zitiert nach Binder (2009), S. 479. Leider macht Binder keine Angaben, um welche Ausgabe es sich dabei handelt. Auch eigene Recherchen konnten sie nicht ausfindig machen. 331 Binder (2009), S. 479. 332 Binder (2009), S. 479.

Der Roman Der Golem von Gustav Meyrink

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war wohl eine Rechtfertigung, denn von Seiten Meyrinks kam in einem Brief an Kurt Wolff vom 14. Januar 1914 eine klare Absage an die Illustrationen Reimanns: »›Der Gedanke, mein Buch mit den Vignetten Herrn Reimanns, mögen sie im Druck auch besser ausfallen, ausgestattet zu sehen, ist mir direkt eine Qual. Ich glaube, ich könnte das Buch nicht ohne Widerwillen anfassen. Es ist das keine Übertreibung, glauben Sie mir, – auch keine alberne Überempfindlichkeit, aber es gibt Dinge, die man eben wie das Kreischen einer Gabel auf dem Teller empfindet, und so geht es mir beim Anblick der Vignetten Herrn Reimann’s (der übrigens, nach seinem Brief zu urteilen, gewiss ein sehr liebenswürdiger Mensch ist, – nur seine Kunst ist offenbar eine Antipode von meiner). Ist es denn nicht möglich, dass wir uns heute schon dahin einigen: Das Buch ohne jegliche Zeichenkunst auszustatten.‹«333

Der Golem wurde dann zwischen Dezember 1913 und Juli 1914 in den Weißen Blättern als Folge und ohne Illustrationen veröffentlicht.334 Bereits hier zeichnete sich für die Verleger der Erfolg des Romans ab, Hans von Weber lobte die Vorveröffentlichung und ließ erkennen, dass ihn die weitere Entwicklung des Romans sehr interessierte.335 Die Buchausgabe war für Herbst 1914 geplant, musste aber aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges vorerst verschoben werden.336 Georg Heinrich Meyer hatte inzwischen nach dem Wehrdienst-Einzug Kurt Wolffs die Geschäftsführung des Verlages übernommen. Er behielt diese bis in die 1920er Jahre inne und prägte den Verlag durch seine ›propagandistisch‹337 betriebene Werbung338 und sorgte für die Kommerzialisierung des Kurt-Wolff-Verlages.339 Auch die 1915 erfolgte Erstveröffentlichung des Golem in Buchform wurde massiv beworben.340 So hieß es im Börsenblatt: 333 Karle, Robert: Meyrink und die Kunst – Kunst zu Meyrink, o. O. 1976 (Privatdruck). Leider war diese Publikation nicht verfügbar und Binder gibt auch keine weiteren bibliographischen Hinweise, daher zitiert nach Binder (2009), S. 480. 334 Vgl. Lube (1980), S. 127. 335 Göbel erklärt sich den großen Erfolg des Golem-Romans unter anderem damit, dass das Thema bereits in dem ersten der drei Golem-Filme Paul Wegeners behandelt worden sei, der 1913 erschienen sein soll. Vgl. Göbel (1977), S. 732. Laut Angaben des Deutschen Filmportals erfolgte die Zensur für den Film jedoch erst im Dezember 1914, die Uraufführung fand im Januar 1915 statt. Vgl. http://www.filmportal.de/film/der-golem_ ab77346a527a471eba5a89e47f04768b; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 336 Vgl. Binder (2009), S. 480. 337 Der Begriff der ›Propaganda‹ sollte in diesem Zusammenhang von dem späteren, durch die Nationalsozialisten geprägten Begriff getrennt werden. Propagandistisch meint hier allgemein eine stark manipulative Form der Werbung. 338 Vgl. Binder (2009), S. 497; vgl. auch Göbel (1977), S. 722; vgl. auch Janzin u. Güntner (2007), S. 398; vgl. auch Lube (1980), S. 128. 339 »Meyer war ein in erster Linie kommerziell denkender Verleger, dem es darum ging, seine Autoren möglichst gut zu verkaufen.« (Göbel (1977), S. 702). 340 Vgl. Lube (1980), S. 128.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

»›Das alte Motiv vom Golem, jener selbstgekneteten Tonfigur, die ein Prager Rabbiner durch einen Zauberspruch zu rätselhafter Dienstbereitschaft belebte, und die gespenstig noch lange im Judenviertel Prags spukte, wird in Meyrinks Buch phantastisch umgestaltet und vertieft. Da das Werk eigentlich ein großer Traum ist, wirkt es stärker als ein Roman, denn es löst sich von der Wirklichkeit und erhellt geheimnisvolle Gründe und Beziehungen der Seelen und Menschenschicksale. So formen sich diese seltsamen Figuren und Abenteuer in kunstvoller Verknüpfung zu einem der buntesten, spannendsten und gedankentiefsten Werke der deutschen Literatur. Hat sich doch hier reichste Meyrinksche Phantasie in die dumpf-dunklen Enggassen Alt-Prags gepresst, noch einmal die unter Trambahnen und Autos versinkende Königsstadt mit Gespensterleben geschmückt. Toller [sic] Lokale Luft mischt sich mit dem Weihrauch der herrlichen Kirchen Prags. Und durch die Atmosphäre von Mord und ungerechtem Gefängnis tastet sich im magischen Dunst der Dämon der Stadt: Der Golem. Wir sind Gefangene Meyrinks und seines ethischen Kriminalromans: des visionärsten Phantastenbuchs der letzten zwanzig Jahre.‹«341

Sowohl das Signum der Titelgestaltung durch Walter Tiemann, das zu einer Art Markenzeichen avancierte, als auch die Auflage in der Buchreihe Der neue Roman mit »knallgelbe[n] Umschläge[n]« und schwarzer Schrift sorgte für Aufsehen und große Bekanntheit.342 Bald mussten weitere Auflagen gedruckt werden und Ende 1915 brachte man eine Feldpostausgabe zur leichteren Versendung an die Soldaten an der Front heraus. Auch diese Maßnahme sorgte für eine noch größere Verbreitung.343 So gelangte Franz Werfel zu der Ansicht, der Verlag habe den Golem »mehr als der Autor gemacht.«344

4.3

Das Mappenwerk Der Golem von Hugo Steiner-Prag

4.3.1 Biographische Hintergründe zu Hugo Steiner-Prag Hugo Steiner-Prag ist – ganz im Gegensatz zu seiner Bekanntheit zu Lebzeiten – heute in Vergessenheit geraten. Der Hauptgrund dafür liegt wohl in der stark kunstgewerblichen Ausrichtung seines Werkes. Auch heute noch ist das Kunstgewerbe überwiegend das Metier der Sammler und Kulturwissenschaftler. Hugo Steiner-Prag widmete sich der Graphik, und im Speziellen der Graphik im und am Buch. Diese ist – abgesehen von künstlich wertvoll gemachten bibliophilen Ausgaben – eine fast ›massenmediale‹ Kunst.345 Darüber hinaus war 341 342 343 344 345

Binder (2009), S. 499. Vgl. Binder (2009), S. 505. Vgl. Binder (2009), S. 506. Göbel (1977), S. 735. Bücher gehören ebenfalls in die Kategorie der kunstgewerblichen Sammelleidenschaften. Die ›Vielheit an Originalen‹ kommt auch im Antiquariatswesen zum Tragen, wobei na-

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Hugo Steiner-Prag Jude, was dazu führte, dass er mehrfach vor den Nationalsozialisten flüchten musste. Hugo Steiner-Prag, 1880 in Prag geboren, war Sohn eines Buchhändlers. Die Begeisterung für Bücher, Literatur und Buchkunst kam aus dem familiären Umfeld.346 Seine Geburtsstadt Prag blieb bedeutend für seine künstlerische und persönliche Entwicklung. Ihr widmete Steiner-Prag viele seiner Werke. Nachdem er nach München gezogen war, gab er seinem Namen den Zusatz ›Prag‹, um seine Herkunft zu kennzeichnen. Schon in seinen Jugendjahren begann Hugo Steiner-Prag, sich künstlerisch zu betätigen. Er zeichnete, wollte aber auch schreiben. Der schwierige Begriff der Doppelbegabung greift bei ihm nicht ganz, aber die Verschwisterung beider Künste war in ihm als Künstlerpersönlichkeit angelegt.347 Bald pflegte er Kontakte zu den literarischen Kreisen Prags um 1900, vor allem der Gruppe ›JungPrag‹ um Paul Leppin, Oskar Wiener und Gustav Meyrink. Wie in dieser Zeit und vor allem in den Kreisen um Meyrink und Leppin üblich, veranstaltete man spiritistische Sitzungen, an denen auch Steiner-Prag teilnahm.348 Künstlerisch einflussreich war Emil Orlik, der Steiner-Prags Talent früh erkannte und ihn förderte.349 Steiner-Prag wurde an der Prager Kunstakademie aufgenommen und erhielt Unterricht bei Vacl‚v Brozˇ†k und Adalbert von Hynais.350 1900 ging er nach München, an die Akademie, zunächst zu Franz von Stuck. Dort arbeitete er vor allem an seinem zeichnerischen Können.351 Schon bald nahm Steiner-Prag Aufträge für Buchgestaltungen an. Die Gründe hierfür waren – wie so oft – pekuniärer Natur. Schnell machte er sich einen Namen und pflegte gute Kontakte zu Verlegern. Er illustrierte Stefan Zweig, Nikolaus Lenau und Andersens Märchen.352 Bereits 1903 nahm Steiner-Prag seine Lehrtätigkeit auf, zunächst in den ›Versuchswerkstätten für freie und angewandte Kunst‹, gegründet von Hermann Obrist und Wilhelm von Debschitz.353 In München war vor allem der Jugendstil einflussreich und prägend für den jungen Künstler.

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türlich der Wert des einzelnen Buches steigt, je kleiner diese Vielheit ist. Dabei ist nun der eigentliche Urheber – Autor, Buchgestalter oder Buchdrucker – in den Hintergrund getreten. Die Faszination bezieht sich dann auf einen konservatorischen oder ›antiquitären‹ Aspekt des Buches. Vgl. Schremmer (1981), S. 27. Vgl. Klitzke, Gert: Hugo Steiner-Prag. 1880 – 1945, in: Kapr (1989), S. 114 – 159, S. 116. Vgl. Klitzke (1989), S. 117. Vgl. Schremmer (1981), S. 27. Vgl. Schremmer (1981), S. 27. Die Prager Kunstakademie gehörte zu den utraquistischen Institutionen, die Angehörigen beider Nationen Aufnahme gewährten. Vgl. Luft (1994), S. 45. So hatte Steiner-Prag während seiner Lehrjahre Kontakt zu seinen tschechischsprachigen Zeitgenossen. Vgl. Klitzke (1989), S. 117. Vgl. Klitzke (1989), S. 118. Vgl. Schremmer (1981), S. 27.

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Auch die Tätigkeit von Peter Behrens, Bruno Paul und Bernhard Pankok in den ›Vereinigten Werkstätten‹ beeindruckten ihn sehr. Seine erste größere Arbeit war ein Mappenwerk aus Lithographien – Phantastische Landschaften von 1905.354 Dieser Erfolg brachte ihm den Ruf nach Barmen an die Städtische Kunstgewerbeschule ein. Dort richtete er eine Abteilung für Graphik ein.355 Seinen ersten großen Erfolg als Buchillustrator konnte er mit seinen Illustrationen zu E. T. A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufels 1907 feiern.356 In dieser Illustrationsfolge ist eine künstlerische Wende erkennbar. Zum einen bildet ein Großteil der Illustrationen eine Reminiszenz an den Rokoko bzw. an den sogenannten ›Zopfstil‹ Chodowieckis. Diese Illustrationen stehen stilistisch in einer Linie mit seinen frühen Arbeiten. Zum anderen tauchen erstmals die flächigen, körnigen und freien Formen seiner späteren Illustrationen auf. Hier übte er sein Spiel mit Licht und Schatten, mit unscharfen Konturen und großen dunklen Flächen. Diese neuen Formen sollten für sein späteres Werk kennzeichnend werden.357 Seine Erfolge mehrten seine gute Reputation, sodass er 1907 nach Leipzig, an die ›Königliche Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe‹ gerufen wurde.358 Leipzig als traditionelle Buchstadt sollte für Steiner-Prag eine seiner wichtigsten und längsten Stationen werden. Hier entwickelte er mit seinen Kollegen die Buchkunst entscheidend weiter.359 Sicherlich gefördert durch sein eigenes starkes Interesse an Literatur und seine große Begeisterung für bestimmte Autoren, machte sich Steiner-Prag auch Gedanken über die Beschäftigung von Künstlern mit Literatur und über das Verhältnis von Bild und Sprache.360 In diesem Zusammenhang ist auch die Arbeit Steiner-Prags als 354 Vgl. Klitzke (1989), S. 118. Ein weiterer Hinweis auf die genannte Mappe war sonst nirgends zu finden. Aus dem Jahr 1905 stammt allerdings eine andere Arbeit, die laut Schremmer mit Prager Phantasien betitelt ist. Möglicherweise liegt hier eine Verwechslung vor. Vgl. Schremmer (1981), S. 30. 355 Vgl. Schremmer (1981), S. 27. 356 Erschienen 1906 bei G. Grote in Berlin. Vgl. Klitzke (1989), S. 121; vgl. auch Schremmer (1981), S. 27. 357 Vgl. Klitzke (1989), S. 121. Steiner-Prag selbst schreibt, dass er in seiner Golem-Mappe auf seine Illustrationen zu E.T.A. Hoffmanns Elixiere des Teufels zurückgegriffen habe. Vgl. Klitzke (1989), S. 130. 358 Vgl. Schremmer (1981), S. 27; vgl. auch Klitzke (1989), S. 121. 359 Vgl. Klitzke (1989), S. 122. Bemerkenswert ist, dass Leipzig zwar eine so wichtige Wirkungsstätte für Steiner-Prag war, sich aber als genius loci – ganz im Gegensatz zu seiner Heimatstadt Prag – künstlerisch nicht bei ihm niedergeschlagen hat. 360 Das Thema ›Buch‹ beschäftigte ihn auch in seinen Illustrationen, so z. B. in seinen Illustrationen zu Bibliomanen. Drei Erzählungen von Charles Nodier, Gustave Flaubert, Charles Asselineau, Avalun-Verlag, Wien/Leipzig 1921. Prinzipiell sah Steiner-Prag in der Kunst des Illustrierens eine dienende Aufgabe. Die Vorrangigkeit des Textes blieb bei ihm unhinterfragt. Dennoch empfand er das Zusammenwirken von Text und Bild als mediale Erweiterung. So schrieb er 1927: »Dort, wo die Mittel der Sprache versagen, wo sich die Grenzen des

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Bühnenbildner wichtig. So kann man in der Bühnenbildnerei auch eine Form von Illustration sehen, oder allgemeiner gesagt einen künstlerischen Austausch zwischen Bild und Sprache.361 1910 erhielt Steiner-Prag den Auftrag für ein Bühnenbild zu Bizets Carmen. Es blieb nicht bei dieser einmaligen Auftragsarbeit. Steiner-Prag war bis 1933 künstlerischer Beirat der Städtischen Bühnen Leipzig.362 Die Nähe zur Bühnenkunst äußerte sich auch in seiner Vorliebe für Dramen als Illustrationsobjekte, so Goethes Clavigo (1917), Nikolaus Lenaus Don Juan (1918) oder Die Ahnfrau von Franz Grillparzer (1919).363 Hier konnte sich Steiner-Prag in seiner Vorliebe für unheimliche, übersinnliche Themen ausleben. Der inszenatorische Charakter von Buchillustrationen war auch für SteinerPrag bedeutsam. So formulierte er 1927 den direkten Vergleich: »Seine [des Buchillustrators] Arbeit ist gleichzeitig ein Abwägen und Auswählen notwendiger und stärkster Wirkungen. So gleicht er mitunter dem zielbewußten Regisseur, der das Unwesentliche fortläßt, das Wesentliche aber hervorholt und in das Licht des Scheinwerfers rückt.«364

Buchgestaltung und Buchkunst trafen den Geschmack der Zeit. So wurde es auch möglich, dass Steiner-Prag 1914 die große internationale Buchkunstausstellung BUGRA initiierte. Hier trafen sich internationale Buchkünstler zum Austausch, aber auch Besucher konnten sich über die neuesten Entwicklungen auf dem Buchkunstmarkt auf dem Laufenden halten. Die BUGRA wurde zu einem elementaren Teil der neuen »Buchkunstbewegung«365 zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg wurde Hugo Steiner-Prag künstlerischer Leiter des Propyläen-Verlags.366 Hier gestaltete er aber vor allem Einbände.367 Dabei blieb aber für ihn das Buch als Gesamtkunstwerk der Mittelpunkt seiner Arbeit.368

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Wortes fühlbar zeigen, wo der Dichter nur andeutet, soll der bildende Künstler mit Ausdruckmitteln seiner Kunst einsetzen, um des Dichters Werk zu vollenden.« (Steiner-Prag, Hugo: Die Kunst des Illustrierens, in: Monatsblätter für Bucheinbände und Handbindekunst, Bd. 4, Leipzig 1927, S. 3 – 12, S. 9 – 10). Umgekehrt kann man Illustrationen einen inszenatorischen Charakter zuschreiben. Vgl. Schremmer (1981), S. 27. Vgl. Schremmer (1981), S. 30. Steiner-Prag (1927), S. 11 – 12. Klitzke (1989), S. 129. Vgl. Schremmer (1981), S. 28. Vgl. Klitzke (1989), S. 134. Vgl. Klitzke (1989), S. 137. Dabei war seine Buchgestaltung zunehmend klassisch-schlicht und prägte das Auftreten des Propyläen-Verlages. Vor allem die berühmte PropyläenKunstgeschichte von 1923 und die Propyläen-Weltgeschichte von 1929 verdanken ihr Aussehen Hugo Steiner-Prag.

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Seine Illustrationen zu Auguste Hauschners Der Tod des Löwen369 spielen in der Zeit Rudolfs II. Die Referenz auf dessen Regentschaft beschwor einerseits goldene Prager Zeiten, andererseits auch das unheimliche Prag, den ›genius loci‹ der düsteren Stadt herauf. In seinen Illustrationen von 1925 zu Die Hollunderblüthe des Naturalisten Wilhelm Raabe370 griff er auf Altbekanntes zurück, so zum Beispiel den Ladeneingang des Trödlers Wassertrum oder den jüdischen Friedhof aus Der Golem. Einen großen Erfolg feierte Steiner-Prag mit der IBA 1927, der Internationalen Buchkunst-Ausstellung, an der namhafte Künstler teilnahmen. Diese Buchkunstausstellung war aber weniger an der innovativen Förderung der expressionistischen oder strukturalistisch-avantgardistischen Buchgestaltung interessiert, als eher rückwärtsgewandt, traditionsbewusst und auf der Suche nach dem ›schönen Buch‹.371 Durch seine jüdische Abstammung war Hugo Steiner-Prag ab den 1930er Jahren in Nazi-Deutschland Repressionen ausgesetzt, die ein Ende seiner Lehrtätigkeit in Leipzig und die Rückkehr in seine Heimat zur Folge hatten. In Prag konnte sich Steiner-Prag noch einmal mit dem für sein Werk zentralen Thema, seiner Heimatstadt, beschäftigen. Auf der Prager Kleinseite richtete er eine Schule, die ›Officina Pragensis‹, ein.372 Er war rege als Illustrator und Bühnenbildner tätig. Besonders hervorzuheben ist seine Arbeit für Paul Leppin, den er zu Beginn seiner Laufbahn schon einmal illustriert hatte und für den er 1938 Lithographien zur Prager Rhapsodie schuf.373 Bald darauf marschierten die Nationalsozialisten in Prag ein. Hugo Steiner-Prag konnte noch rechtzeitig die Stadt verlassen. Er ging zunächst ins Stockholmer Exil, dann nach New York, wo er 1945 starb.374 In der Zeit seines Exils arbeitete Steiner-Prag weiterhin als Buchkünstler und schuf als letzte Höhepunkte seines Gesamtwerks Illustrationen zu Lord Byrons Don Juan (1943), E. A. Poes The Poems (1943) und auch im selben Jahr noch einmal zu E. T. A. Hoffmann The Tales of Hoffmann, für die er selbst eine Einleitung schrieb.375 Hugo Steiner-Prags Gesamtwerk ist geprägt von stilistischen Schwankungen.376 Sein Frühwerk ist dem Jugendstil verhaftet.377 Selbstkritisch wollte er sich davon später distanzieren. In Konfrontation mit der internationalen Buchkunst 369 370 371 372 373 374 375 376 377

In der Ausgabe von 1921. Vgl. Schremmer (1981), S. 31. Vgl. Schremmer (1981), S. 31. Vgl. Klitzke (1989), S. 150. Vgl. Schremmer (1981), S. 28. Vgl. Schremmer (1981), S. 31. Vgl. Schremmer (1981), S. 29. Vgl. Schremmer (1981), S. 32. Vgl. Klitzke (1989), S. 141 – 143. Vgl. Klitzke (1989), S. 129.

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der BUGRA war Steiner-Prag verunsichert. Er hielt sich selbst zu sehr von der Tradition abgeschnitten, war aber auch nicht fähig, eine eigene Ausdrucksform zu finden.378 Erst mit seinem Mappenwerk zu Der Golem befand er für sich selbst, ein wirklich eigenes Werk geschaffen zu haben. Vor allem seine Rückbesinnung auf seine Prager Ursprünge gab ihm neue Inspiration.379 Der Roman ließ in ihm die Stadt seiner Kindheitserinnerungen wieder auferstehen. So schreibt Steiner-Prag im Vorwort zur Neuauflage des Romans: »In einer wilden Sturmnacht des Winters 1916, auf einer einsamen Nordseeinsel, las ich das erste Mal das Buch, dem Sie den Namen dieses rätselhaften Gebildes gegeben haben. Ich las es von der ersten bis zur letzten Seite, atemlos und ohne aufzuhören. Je länger ich las, umso lebendiger standen diese ganzen versunkenen Jugendjahre wieder auf, vermischten sich ihre Gestalten und ihre ganze merkwürdige Welt mit den Geschehnissen Ihrer Erzählung. Ich hatte einst mit vielen dieser Menschen in dunklen Stuben gesessen, mit ihnen die Nächte durchwacht, und in den winkligen Gassen der alten Stadt war ich ihnen oft begegnet.«380

Diese eigene Beurteilung muss angesichts der Werkgenese kritisch betrachtet werden. Sie kann vor allem auf seine Stadtdarstellungen bezogen werden, da er sich – wie später noch eingehend zu erörtern sein wird – in den szenischen Darstellungen vermutlich an Fritz Schwimbeck orientierte. Nichtsdestotrotz erlangte Steiner-Prag nun einen Höhepunkt seiner künstlerischen Entwicklung. In Bezug auf die Golem-Illustrationen gelangte Klitzke zu folgendem Urteil: »In der Mehrzahl der Grafiken bildet das alte Prag mit seinen verwinkelten Hinterhöfen, gewundenen Gassen, mit den bröckelnden Fassaden der zerfallenden, ineinander verschachtelten Häuser die romantische Kulisse für das unheimliche Geschehen. Diese Illustrationen verbildlichen jene rätselhaften mystischen Vorgänge derart, daß ein Rest von Unerklärlichem, Geheimnisvollem bleibt und die Phantasie des Betrachters immer wieder herausgefordert wird.«381

Max Osborn verweist in seiner Anmerkung über die Illustrationen Steiner-Prags auf die geisterhaften Lichteffekte: »Wo ist hier die Grenze des Wirklichen und des Unwirklichen, des Möglichen und des Unbegreiflichen? Gerade in der Erfassung des Grenzgebietes ist Hugo Steiner-Prag ein Meister. Die Figuren und ihre Umgebung halten sich im Grunde durchaus im Rahmen realer Stimmungen. Aber dann kommt die unmerkliche Betonung irgendeiner Linie oder, vor allem, der huschende, flackrige Einwurf unerwarteter Lichtreflexe, der die

378 Vgl. Klitzke (1989), S. 129. 379 Vgl. Klitzke (1989), S. 130. 380 Meyrink, Gustav : Der Golem. Roman. Mit acht Illustrationen und einer Einführung von Hugo Steiner-Prag, Bremen 1931, S. 13. 381 Klitzke (1989), S. 130 – 133.

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Szenerie mit nervöser Spannung lädt und etwas Geisterhaftes, jenseits der materiellen Greifbarkeit Liegendes hereinträgt.«382

Die Empfindung des Staffageartigen, vor allem in der Darstellung von Charakteren und Figuren, fällt auch Klitzke auf. Steiner-Prags Stärke lag eindeutig eher im Stimmungsvollen, als im Figürlich-Charakteristischen.383 Auch seine von ihm selbst als demütig dargestellte Haltung384 gegenüber der Literatur und seine Auffassung der Buchkunst als Beigabe zeigen sich deutlich in seinen Werken, die dem Text die Dominanz zuweisen.385 Neben der Technik der Lithographie, die Hugo Steiner-Prag meisterhaft beherrschte, war er ebenso gewandt in der Kaltnadelradierung. Seinem Lieblingsautor E. T. A. Hoffmann blieb Steiner-Prag Zeit seines Lebens verbunden. Hier fand er die Stoffe, die ihn fesselten. Die Begeisterung für phantastische oder unheimliche Motive steht außerdem in engem Zusammenhang mit der Epoche der D¦cadence, Neoromantik und des Symbolismus um 1900.

4.3.2 Die Genese der Golem-Mappe – ein ›Schurkenstreich‹ Bisher war wenig bekannt über die Entstehungszusammenhänge der Lithographien Steiner-Prags zum Roman Der Golem von Gustav Meyrink. In den meisten Fällen wird auf die Eigendarstellung Steiner-Prags in seinem Vorwort zu der Ausgabe von 1931 verwiesen. Dort schildert Steiner-Prag die Lektüre des GolemRomans als düsteres und mysteriöses Erlebnis. Damit schuf er den passenden Hintergrund für einen ingeniösen Entstehungsmythos zu seinem Mappenwerk.386 Tatsächlich stellte sich heraus – und das ist bislang noch nie eingehend in der Forschung behandelt worden –, dass ein anderer Künstler, nämlich Fritz Schwimbeck, bereits Anfang 1916 mit dem Kurt-Wolff-Verlag über Illustrationen zum Roman in Verhandlungen stand und mehrere Entwürfe fertig gestellt hatte. Diese Erkenntnis geht einerseits aus den Tagebuchaufzeichnungen 382 Osborn, Max: Einführung, in: Frenzel (1928), S. 6 – 27, S. 20. 383 Vgl. Klitzke (1989), S. 144. 384 So schrieb Hugo Steiner-Prag 1927: »Denn das Buch von heute verlangt vom Illustrator, daß er mit feinem Gefühl für sein Wesen, seine Architektur und seine technische Eigenart ans Werk geht, daß er sich bemüht, seine Bilder dem Gesamteindruck anzupassen, und daß er es versteht, sich der gestellten Aufgabe unter ›Wahrung der eigenen Freiheit‹ unterzuordnen.« (Steiner-Prag (1927), S. 7 – 8). 385 Vgl. Klitzke (1989), S. 144. 386 Die Mystifizierung der Entstehung der Golem-Mappe kann in einer Linie zu den unzähligen Entstehungsmythen rund um den Roman gesehen werden. Vielfach widersprechen sich die Aussagen der Beteiligten und umso mehr um den eigentlichen Hergang der Herausgabe gerätselt wurde, umso interessanter wurde der Roman auch selbst. Vgl. Göbel (1977), S. 730.

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Schwimbecks hervor – eine Quelle, die selbstverständlich kritisch zu beurteilen ist.387 Andererseits fiel die hohe Ähnlichkeit einiger Blätter zu denen Hugo Steiner-Prags sofort ins Auge, sodass der Vorgang, wie ihn Schwimbeck in seinem Tagebuch schildert, glaubhaft erscheint. Darüber hinaus weist Göbel darauf hin, dass sich der Kurt-Wolff-Verlag in den Jahren 1915 und 1916 aufgrund des großen Erfolges des Golem-Romans vor Manuskript-Einsendungen nicht mehr retten konnte und es sich daher leisten konnte, Absagen zu erteilen und sich die ›Rosinen herauszupicken‹.388 Mochte das für Autoren gelten, so gewiss auch für Buchkünstler. Geboren 1889 in München war Schwimbeck ein Zeitgenosse Steiner-Prags, wuchs aber in Friedberg bei Augsburg auf.389 1908 bis 1912 besuchte er die ›Polytechnische Schule‹ in München. Dort lebte er die meiste Zeit und kam mit den Neoromantikern der Schwabinger BohÀme in Kontakt.390 So wie es Schwimbeck in seinen Aufzeichnungen selbst darlegt, hatte er bereits gegen Ende des Jahres 1915 begonnen, Zeichnungen zum Golem zu fertigen, den er bereits im April 1915 in den Weißen Blättern zum ersten Mal gelesen hatte.391 Im Dezember 1915 nahm er den Roman erneut zur Hand und hatte nun die Idee zu Illustrationen für den Roman.392 Wenig später verzeichnete er einen ersten Versuch zu dem Blatt Spuk. »Mittwoch, 29. Dezember 1915: […] Golem ›Spuk‹ Federzeichnung. Erster Entwurf z[um] Golem. Damit beginnt die reizvolle und für mich so wichtige Federzeichnungsserie zu Meyrink.«393 387 Schwimbeck hat wahrscheinlich seine Tagebücher anhand von Aufzeichnungen und Briefen später ins Reine geschrieben. Es handelt sich auch weniger um Tagebucheinträge, sondern meist um Arbeitsberichte, Protokolle über den Stand der Arbeiten, Besuche, auswärtige Aufenthalte. Natürlich besteht weiterhin die Möglichkeit, dass Schwimbeck seine Aufzeichnungen gefälscht haben könnte. Allerdings bleiben mögliche Motive für dieses Vorgehen fraglich. 388 So schreibt Kurt Wolff: »Wenn ein Verlag das Glück hat, mit einem Buch ganz großen Erfolg zu haben, obwohl es nicht schlecht ist, so hat das eine erfreuliche Folge, es zieht Autoren an. In erfolgsarmen Jahren war der Zustrom neuer Autoren spärlich, in erfolgreichen Jahren war der Zustrom übergroß. Das haben wir damals beim ›Golem‹ erlebt, wenig später bei Heinrich Mann und Tagore. […] Daß hier ein neuer, der jungen Generation offenstehender Verlag vorhanden war, in dem Kafka, Werfel, Hasenclever gedruckt wurden, veranlaßte zahllose begabte und unbegabte junge Schriftsteller, Manuskripte einzusenden.« (Wolff, Kurt: Autoren, Bücher, Abenteuer. Betrachtungen und Erinnerungen eines Verlegers (= Quarthefte, Bd. 1), Berlin 19651, S. 18 – 19). 389 Vgl. Mutti, Ilda: Fritz Schwimbeck. Ein Münchner Künstler des Phantastischen und Mystischen, in: Weltkunst 62. 1992, S. 1804 – 1805, S. 1804. 390 Vgl. Mutti (1992), S. 1804. 391 »Sonntag, 16. April: Gustav Meyrink: ›Der Golem‹ i[n] d[en] Weißen Bl[ättern] v[on] J. Nitzsche an d[en] Abenden i[m] Bett gelesen.« (Fritz Schwimbeck: Aufzeichnungen zu seinem Leben und Werk. Nachlass. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, 1915). 392 »Freitag, 24. Dezember 1915: Buch v[on] G. Meyrink ›Der Golem‹ mitgebracht und lese ihn wieder. Anregung zu Bildern zum Roman.« (Ebd.) 393 Ebd.

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Zu Beginn des Jahres 1916 fertigte Schwimbeck in rascher Folge weitere Federzeichnungen zum Golem an, so die Blätter Nacht am 9. Januar 1916394, Angst395 und Jaromir am 3. Februar 1916396. Mehrere Zeichnungen schickte er bereits jetzt an den Kurt-Wolff-Verlag, ohne irgendeine schriftliche Zusicherung von Seiten des Verlages über das Projekt. Sicherlich erhoffte er sich, Eindruck mit diesen Blättern zu hinterlassen und so für sich zu werben. So schreibt er am 3. Februar : »An Kurt Wolf Verlag 3 Bilder z[um] ›Golem‹ geschickt. Erste Sendung u[nd] Angebot f[ür] illustrierte Ausgabe.« Am 5. Februar kam die Antwort: »Er kommt darauf zurück.«397 Weitere Blätter entstanden, so am 28. Februar 1916 Buch Ibbur (später nur noch I), am 10./11. März Doppelgänger, am 13./14. März 1916 Dom.398 Diese schickte er am 17. März an den Kurt-WolffVerlag. Am 18. März kam die Bestätigung und der Verweis: »Nächstens Brief«399. Am 14. April 1916 verzeichnete Schwimbeck die Federzeichnung Laponder, am 4. Mai Wassertrum.400 Am 10./11. Mai folgte Mauer zur letzten Latern, am 20. Mai Hillel.401 Bei diesen elf Zeichnungen blieb es vorerst. Schwimbeck erwähnt eine »2. Anfrage bei Kurt Wolf Verlag«402, jedoch fand die Angelegenheit dann keine weitere Erwähnung. Schwimbeck war im Sommer des Jahres 1916 länger erkrankt, er berichtet von Arztbesuchen und kam in seiner künstlerischen Arbeit nicht voran. Dann folgte sehr überraschend die große Enttäuschung im September, als Schwimbeck am 27. September 1916 schreibt, er habe über eine Anzeige von der Veröffentlichung eines Mappenwerks von Hugo Steiner-Prag zum Golem erfahren: »Im Börsenblatt zeigt Kurt Wolff Verlag [sic] eine Lithogr[aphien-]Mappe v[on] Hugo Steiner Prag an! Seit 5. Februar hatte mich d. Ehrenmann hingehalten, am 10. Apr[il] Verständig[ung] m[it] Meyrink versprochen – dem er nie d[ie] Arbeiten (nie) [sic] 394 Hier vermerkt er jedoch, dass dies bereits die zweite Fassung sei, während die erste Fassung ebenfalls wie Spuk am 29. Dezember 1915 entstanden sein soll. Am 29. Dezember 1915 schreibt er jedoch nichts davon. Vgl. Schwimbeck (1915) und Fritz Schwimbeck: Aufzeichnungen zu seinem Leben und Werk. Nachlass. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, 1916, S. 177 (per Hand paginiert; nach dieser handschriftlichen Paginierung richten sich alle folgenden Seitenangaben). 395 Ohne genaues Datum, nur unter »künstlerische Arbeiten im Januar [1916]« (Schwimbeck (1916), S. 178). 396 Dieses Blatt sei später im Kurt-Wolff-Verlag verschollen, so schreibt Schwimbeck in seinen Notizen zu 1916. Vgl. Schwimbeck (1916), S. 178. 397 Schwimbeck (1916), S. 178. Mit »er« ist vermutlich Georg Heinrich Meyer oder ein Kollege gemeint, da Kurt Wolff seit 1914 eingezogen war. Schwimbeck schreibt allerdings immer von Kurt Wolff. 398 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 179. 399 Schwimbeck (1916), S. 179. 400 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 180. 401 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 181. 402 Schwimbeck (1916), S. 182.

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gezeigt, wie mir d[ieser] selbst später sagte! – am 29. Juni nachmals auf ›kommende Woche‹ vertröstet. Inzwischen hatte er längst m[it] H. Steiner darüber abgeschlossen, vielleicht v[on] meinen Arb[eiten] dazu angeregt, u[nd] H. St[einer] höchst wahrscheinlich meine Arbeiten gezeigt, wie sich aus gewissen Ähnlichkeiten dort ergab [Hervorh. V.S.]. Um aber eine anderweitige Verwendung zu verhindern hatte er mich hingehalten als hätte er dafür Interesse! Von ihm eine geschäftl[iche] Klugheit, eine Intrige, ein Schwindel[…], ein Schurkenstreich[…] – meine erste Erfahrung mit einem sog. großen Verlag! Ich stelle sofort Frist bis 6. Okt. zur Rücksendung m. Blätter, sonst Klage. Die Frist verstreicht – weil d[ie] Arbeiten wohl in Prag lagen!! – u[nd] ich stellte Klage.«403

Im weiteren Verlauf kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen, die auch den Einsatz eines Anwaltes nötig machten, da der Verlag das Blatt Jaromir nicht mehr auffinden und zurückgeben konnte. Schwimbeck bekam »80,- Mark«404 Entschädigung für das verschollene Blatt. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet wirft dieser Vorfall ein völlig neues Licht auf die Werkgenese des Steinerschen Mappenwerks. Die Vermutung Schwimbecks, dass Steiner-Prag seine Blätter zur Ansicht vorgelegt wurden, kann als sehr wahrscheinlich angenommen werden. Die Ähnlichkeit zwischen Steiner-Prags Arbeit und den elf ersten Blättern Schwimbecks ist sehr frappierend. Im September erschienen also die 25 Lithographien von Hugo Steiner-Prag im Kurt-Wolff-Verlag.405 Inwiefern dieser mehr oder weniger einen Auftrag von Seiten des Verlages bekommen hatte, oder der Verlag ihm nur eine Veröffentlichung in Aussicht gestellt hatte, ist nicht mehr feststellbar. Des Weiteren bleibt Gustav Meyrinks Rolle innerhalb der Vertragsverhandlungen ungeklärt.406 Möglicherweise war auch Steiner-Prag schon früher auf die Idee zu einer Illustrationsfolge gekommen, da er mit Meyrink in Prag bereits bekannt war, und den Roman kurz nach seinem ersten Erscheinen gelesen hatte. Das Mappenwerk war nummeriert mit Inhaltsverzeichnis in der folgenden Reihenfolge: 1. Widmung, 2. Der Golem, 3. Die Hahnpaßgasse, 4. Am Grab des Meisters, 5. Im Ghetto, 6. Die Erscheinung des Golem, 7. Das Buch Ibbur, 8. Aaron Wassertrum, 9. Der Student Charousek, 10. Laster, 11. Der Hilferuf, 12. Der Weg ins Grauen, 13. Nachtgespenst, 14. Der Gehetzte, 15. Beim Loisitschek, 16. Die Gezeichneten, 17. Angst, 18. Schemajah Hillel, 19. Die Wachspuppe, 20. Im Dom, 21. Alchymistengasse, 22. Rosina, 23. Mord, 24. Das Ende des Ghettos, 25. Die Befreiten. Die Titelei, 403 404 405 406

Schwimbeck (1916), S. 185. Vgl. Schwimbeck (1916), S. 188. Vgl. Schremmer (1981), S. 28; vgl. auch Binder (2009), S. 510. Auch Recherchen im Nachlass des Kurt-Wolff-Verlags in der Beinecke Library der Yale University ergaben keine Hinweise auf Vertragsverhandlungen, weder in Bezug auf Hugo Steiner-Prag noch auf Fritz Schwimbeck. Vielen Dank für die Hinweise an Elizabeth Frengel (Research Librarian of Beinecke Library).

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nicht jedoch die Reihenfolge, wurde für die spätere Ausgabe im Langen-MüllerVerlag übernommen.407 So tragisch für Schwimbeck die Ereignisse sicherlich waren, so unterstreicht dieser Vorfall doch, wie sehr das geschäftliche Taktieren der Verleger Anteil an dem großen Erfolg des Idioms der unheimlichen Stadt Prag hatte. Das von Geschäftsinteressen durchdrungene Verhalten ist Ausdruck der massiven Einflussnahme der Verleger auf die künstlerische Konzeption der Illustrationen. Bereits mit dem Abkauf aller Rechte an dem Manuskript von Meyrink hatte der Kurt-Wolff-Verlag den Grundstein für die immense Vermarktung des Romans gelegt.408 Den Golem als Markenzeichen weiter zu vertreiben, war auch für die Entstehung der Golem-Mappe von Steiner-Prag ausschlaggebend. Schwimbeck, der für eine weitere zugkräftige Maschine im Räderwerk um den Golem vermutlich nicht bekannt genug war, zog in diesem Fall den Kürzeren. Für den Verlag diente er offensichtlich zur Inspiration und Anregung für diese Idee. Steiner-Prag, der zu dieser Zeit schon ziemlich bekannt war und bereits die BUGRA organisiert hatte, war aus verlegerischer Sicht wohl für die Umsetzung der Idee besser geeignet. Im Verlag regte sich jedoch Widerstand von Seiten Albert Ehrensteins, der äußerte: »›für eine furchtbar kitschige Golem-Mappe von Hugo Steiner-Prag wird Meyer 13.000 M.- Honorar anlegen, wiewohl der fast verramschte Golem durch nichts mehr zu beleben ist – für Kokoschka und Kubin hat er keinen Pfennig übrig.‹«409 Die Reaktionen auf die Steinersche Golem-Mappe waren unterschiedlich. So schrieb Dr. C. Weinmayer in einem Nebensatz über Lithographien, die unmittelbar nach dem Roman dazu erschienen seien. Es kann sich dabei nur um die Steinersche Golem-Mappe gehandelt haben, da Schwimbeck seine Arbeiten erst später veröffentlichte. Weinmayer schreibt: »Meyrinks Bücher [gemeint sind Der Golem und Die Fledermäuse] waren ›in der Luft gelegen‹, und so kam es dann auch, daß sofort nach ihrem Erscheinen eine Reihe von Illustrationen dazu auftauchten, alle viel zu erdenschwer.«410 Im selben Jahr schrieb W. Kurth eine Rezension zur Frühjahrsausstellung der Berliner Sezession: »Steiner-Prag ist 407 Meyrink, Gustav : Der Golem. Roman, München 1989, S. 292. 408 Kurt Wolff schildert in seinen Erinnerungen, dass Meyrink ihn auf den Vertragsabschluss mit einer Einmalzahlung über 10.000 Mark gedrängt hatte. Offenbar war Meyrink in Geldnöten. Dass der Verlag daraus ein gutes Geschäft machen wollte, war dann nur logische Konsequenz. Vgl. Lube (1980), S. 111. 409 Vgl. Binder (2009), S. 510. 410 Dr. C. Weinmayer: E. M. Engbert. München. Neueste Silhouetten, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Wohnungskunst – Malerei – Plastik – Architektur – Gärten – Künstlerische Frauenarbeiten, hrsg. v. Alexander Koch, Heft 7/8, April/Mai 1917, S. 85 – 87. http://digi.ub. uni-heidelberg.de/diglit/dkd1917/0101/scroll?sid=be20e0747fcdaa3f6a21dc916fc6d12e; aufgerufen am 16. Jan. 2015.

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diesem Sentiment vollständig erlegen. Die zehn Blätter, die er zum ›Golem‹ lithographiert hat, gehen mit anspruchsvoller Phantastik, die meist Effekt, höchstens einmal Überraschung erzeugt, über die Symbolik des Buches hinaus.«411 Darüber hinaus kam es dann 1917 zu einer bibliophilen Ausgabe des Golem in der Reihe Die schwarzen Bücher mit acht Illustrationen aus dem Mappenwerk Steiner-Prags. Zusätzlich zu den Lithographien gestaltete Steiner-Prag eine Titelvignette mit dem Golem-Kopf vor der Prager Stadtsilhouette.412 Bei dieser ersten Ausgabe mit Steiner-Prags Illustrationen ist jedoch bemerkenswert – und auch das zeugt vor allem von den verlegerischen Absichten einer Absatzsteigerung –, dass die ausgewählten Lithographien aus der Mappe völlig wahllos in das Buch eingestreut wurden. So zum Beispiel das Blatt Das Buch Ibbur an der Stelle, an der von Dr. Hulbert und dem Bataillon berichtet wird oder noch viel kurioser die Darstellung des Trödlers Wassertrum an der Stelle, an der Pernath sich im ›geheimen Zimmer‹ befindet.413 In späteren Auflagen wurden weitere Bilder aus der Mappe hinzugenommen, so 1931 im Bremer Schünemann-Verlag. Dort erschien eine »wohlfeile Ausgabe« mit zwei zusätzlichen Strichzeichnungen und einem Farb-Umschlag von Steiner-Prag.414 Dazu schrieb der Buchkünstler einen Brief an Meyrink mit Erinnerungen an das alte Prag, der in der Neuausgabe abgedruckt wurde. 1989 erschien im Langen-Müller-Verlag eine Ausgabe mit der Erweiterung auf 19 Lithographien aus dem Steinerschen Mappenwerk. Dazu kamen der erwähnte Brief der Schünemann-Ausgabe und ein Nachwort des Meyrink-Kenners Eduard Frank.415

4.3.3 Fritz Schwimbeck – der erste Golem-Illustrator Trotz der erschütternden Neuigkeiten und dem endgültigen Aus einer möglichen Veröffentlichung seiner Zeichnungen im Kurt-Wolff-Verlag ließ sich Schwimbeck allerdings nicht lange von der Arbeit an der Illustrationsfolge abhalten. Bereits im Oktober arbeitete er an weiteren Zeichnungen. So sind die 411 W. Kurth: Die Frühjahrsausstellung der Berliner Sezession, in: Kunstchronik, Neue Folge, 28. Jahrgang, Heft 36, Leipzig 1917, col. 390 – 393. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ kunstchronik1917/0206/scroll?sid=c1c1467172cf5473da7509838f97695e; aufgerufen am 16. Jan. 2015. Es ist leider nicht bekannt, welche Lithographien aus der Mappe in der Ausstellung gezeigt wurden. 412 Vgl. Binder (2009), S. 510. 413 Vgl. Meyrink, Gustav : Der Golem, Kurt Wolff Verlag Leipzig, 1917, 141.–150. Taus. d. Gesamtauflage. 414 Vgl. Binder (2009), S. 517. 415 Vgl. Meyrink (1989).

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Blätter Schlaf, Im Durchgang und Dunkle Gänge zwischen dem 7. und 12. Oktober 1916 entstanden.416 Kurz darauf lernte Schwimbeck Hans Ludwig Held417 kennen, der ihm später zur Veröffentlichung seiner Mappe verhalf. Es folgt das Blatt Das Golemhaus am 19. November und Schwimbeck bestätigt, »inzw[ischen] H. Steiner Prag ›Golem‹ gesehen [zu haben], bei dem 6 Bl [ätter] starke Ähnlichkeit mit meinen.«418 Auf diesem Blatt kann durchaus eine Inspiration durch die Steinersche Mappe gesehen werden, zum Beispiel durch das Blatt Rosina419 oder Die Hahnpaßgasse420. Es handelt sich dabei um allgemeine Ähnlichkeiten wie den Bildausschnitt oder die architektonische Gestaltung. Kurz darauf entstand das Blatt Charousek und Ankündigung des Golem.421 Im Dezember 1916 lernte Schwimbeck durch Hans Ludwig Held Gustav Meyrink persönlich kennen. Dieser zeigte sich beeindruckt von den Zeichnungen, die er offensichtlich noch nicht kannte. Er war laut Schwimbecks Aussage nicht vom Vorgehen des Kurt-Wolff-Verlages unterrichtet gewesen.422 Im Laufe des Jahres 1917 kam es dann zu Verhandlungen und einem Vertragsabschluss über ein Mappenwerk zu Der Golem und Das Grüne Gesicht mit dem Georg-Müller-Verlag.423 Bei den Druckarbeiten kam es zu Schwierigkeiten mit der Druckerei Kuhn, darüber hinaus verstarb Georg Müller im Dezember 1917.424 Es kam trotzdem zur Veröffentlichung im Verlag im Jahr 1918.425 Ein Mappenexemplar befindet sich im Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg426, außerdem lagen einige wenige Originalentwürfe im Auktionshaus ›Christie’s‹ in London vor.427 Sechs der insgesamt 17 Zeichnungen wurden bei Christie’s angeboten. Es handelt sich um die Blätter Schlaf, Nacht, Dunkle Gänge, Spuk, Angst und Pernath und der gekrönte Doppelgänger. Einige der Blätter tragen verso Datierungen, wobei die Angaben im entsprechenden Auktionskatalog von Christie’s unstimmig sind. So wurde unter anderem auf der Rückseite 416 417 418 419 420 421 422 423 424 425 426 427

Schwimbeck (1916), S. 185. Der in späteren Jahren eine Abhandlung über die Golem-Legende verfasste. Schwimbeck (1916), S. 187. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-22. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-3. 23. und 26. November 1916. Vgl. Schwimbeck (1916), S. 187. Dies erklärt auch sein lobendes und besonders bemühtes Vorwort zur später erschienen Mappe. Vgl. auch Schwimbeck (1916), S. 185. »Samstag, 12. Mai 1917: Heute Cyclen ›Golem‹ u. ›Grünes Gesicht‹ bei Georg Müller Verlag vertraglich untergebracht.« (Fritz Schwimbeck: Aufzeichnungen zu seinem Leben und Werk. Nachlass. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, 1917, S. 193). Schwimbeck (1917), S. 200. Ein genaues Datum liefern die Aufzeichnungen von Schwimbeck dazu nicht, er erwähnt nur die Ankündigung des Verlags für die Veröffentlichung Anfang 1918. Vgl. Schwimbeck (1917), S. 200. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0353 – 0369. Weitere Entwürfe befinden sich vermutlich in Privatbesitz.

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des Blattes Nacht als Datierung »9.I.15«428 angegeben, dabei müsste es nach den Aufzeichnungen Schwimbecks 9. Januar 1916 heißen.429 Es soll nun an dieser Stelle erstmalig eine eingehende Analyse der Schwimbeckschen Illustrationen und ein Vergleich mit Hugo Steiner-Prags Mappenwerk vollzogen werden. Dabei spielen die elf Zeichnungen, die im Kurt-WolffVerlag vorlagen, eine zentrale Rolle. Die späteren Zeichnungen Schwimbecks, die nach dem Erscheinen der Steinerschen Mappe entstanden sind, werden umgekehrt ebenfalls auf eine Einflussnahme durch Steiner-Prag hin untersucht. Abweichend von der späteren Reihenfolge im Mappenwerk sollen nun zuerst die elf frühesten Zeichnungen besprochen werden. Die erste Zeichnung ist das Blatt Spuk430 (Abb. 28) datiert auf den 29. Dezember 1915.431 Sie zeigt dieselbe Szene wie Steiner-Prags Lithographie Im geheimen Zimmer/Nachtgespenst432 (Abb. 15). Beide wählten die Szene im geheimen Zimmer, als Pernath seinem Doppelgänger gegenübersitzt. »Stunden um Stunden kauerte ich da – unbeweglich – in meinem Winkel, ein frosterstarrtes Gerippe in fremden, modrigen Kleidern! – Und er drüben: ich selbst. Stumm und regungslos. So starrten wir uns in die Augen – einer das gräßliche Spiegelbild des anderen - - -«433. Schwimbeck setzt beide Figuren gegenüber, über ihnen ein vergittertes Fenster, dessen Schatten zwischen den beiden auf den Boden fällt. Eine Figur ist dunkel, die andere hell gehalten. Vor den sitzenden Figuren befindet sich eine geöffnete Falltür, durch die der Protagonist Pernath in das geheime Zimmer gelangt ist. »Sonderbar, die Treppe stieß oben gegen eine Art horizontalen Getäfels, das aus regelmäßigen, sich schneidenden Linien den Lichtschein herabschimmern ließ, den ich schon weiter unten im Gang bemerkt hatte! Ich duckte mich, so tief ich konnte, um aus etwas weiterer Entfernung besser unterscheiden zu können, wie die Linien verliefen, und sah zu meinem Erstaunen, daß sie genau die Form eines Sechsecks, wie man es auf den Synagogen findet, bildeten. Was mochte das nur sein? Plötzlich kam ich dahinter : es war eine Falltür, die an den Kanten Licht durchließ! Eine Falltür aus Holz in Gestalt eines Sternes. Ich stemmte mich mit den Schultern gegen die Platte, drückte sie aufwärts und stand im nächsten Moment in einem Gemach, das von grellem Mondschein erfüllt war.«434

428 http://www.artnet.de/künstler/fritz-schwimbeck/nacht-originalentwurf-zu-das-grüne-ge sicht-von-g-gtCJMIoQceahKCui5qSBuw2; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 429 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 177. 430 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0364; vgl. auch http://www. artnet.de/k%C3%BCnstler/fritz-schwimbeck/spuk-golem-originalentwurf-zu-das-gr%C3 %BCne-gesicht-1Nkr4NZMSRl3dRdSIi6ldg2; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 431 Vgl. Schwimbeck (1915). 432 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-13. 433 Meyrink (1989), S. 110. 434 Meyrink (1989), S. 106.

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Sollte Steiner-Prag die Zeichnung von Schwimbeck gesehen haben, so übernahm er sowohl Szenenwahl wie Komposition in weiten Teilen. Dies wird besonders deutlich, wenn man die Vorzeichnungen für diese Lithographie hinzuzieht. In zwei Vorzeichnungen platzierte Steiner-Prag zunächst die beiden Figuren ebenfalls unterhalb des Fensters.435 Mit dem Lichteinfall bildete er eine spiegelbildliche Anordnung zur Schwimbeckschen Komposition, die auf die vorgedachte Seitenumkehrung durch die Lithographie zu erklären sein könnte. Auch die helle und die dunkle Figur sitzen im Vergleich zu Schwimbeck spiegelverkehrt. In der zweiten Vorzeichnung entfernte sich Steiner-Prag nun von seiner Vorlage.436 Es ist nur noch das Fenster ohne Lichteinfall zu sehen. Die Figuren bleiben schemenhaft. In der fertigen Lithographie ist das Fenster nicht mehr zu sehen, nur noch der Schattenwurf auf die beiden Figuren. Steiner-Prag hat sich von der Vorlage Schwimbecks gelöst. Dennoch bleibt die Komposition frappierend ähnlich. Die zweite Zeichnung ist das Blatt Nacht437 (Abb. 29), entstanden am 9. Januar 1916.438 Die analoge Lithographie Steiner-Prags ist das Blatt Der Hilferuf439 (Abb. 13). Auch hier scheint die Komposition Steiner-Prags stark an die Schwimbecks angelehnt. Eine Gruppe von Männern steht in einer Straße, einer der Männer beugt sich zu einem Kanalgitter nach unten. Um sie herum sind hohe Häuser zu sehen. Eine spezifische Prager Architektur ist bei der Schwimbeckschen Zeichnung nicht zu erkennen. Auch bei Steiner-Prag beugt sich einer der Männer zu einem Kanalgitter nach unten. Im Hintergrund ist die Stadt nur angedeutet. Die Textstelle macht eindeutige Vorgaben, die beide in ihre Darstellung aufnehmen: »Prokop machte eine heftig abwehrende Bewegung mit dem Arm und beugte sich noch tiefer hinab. Er kniete beinahe auf dem Pflaster.«440 Während Steiner-Prag sich stärker am Text orientierte, indem er seine Figur tatsächlich beinahe knien lässt, war Schwimbeck freier und verteilte die beschriebene Bewegung auf zwei Figuren – während sich der Mann links nur leicht nach unten beugt, hat Schwimbeck dem ganz rechts stehenden Mann die abwehrende Geste übertragen. Im Text ist es beide Male dieselbe Person, die zwei Bewegungen hintereinander ausführt.441 Steiner-Prag nahm zusätzlich das Bild des aufflackernden Lichts durch das Anzünden der Pfeife mit auf. 435 436 437 438 439 440 441

Vgl. Jüdisches Museum Prag, Inv.nr. 156.657/12. Vgl. Jüdisches Museum Prag, Inv.nr. 156.657/15. Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0359. Vgl. Schwimbeck (1916), S. 177. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-11. Meyrink (1989), S. 62. In Bezug auf eine Narrativik des Bildes ist diese Beobachtung interessant, da Schwimbeck dadurch eine Temporalität herstellen kann, indem er zwei verschiedene zeitliche Stadien auf zwei verschiedene Personen überträgt.

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Die nächste Zeichnung trägt den Titel Angst442 (Abb. 30). Hier hat SteinerPrag offensichtlich sogar den Titel analog übernommen (Abb. 19).443 Das Entwurfsblatt Schwimbecks ist rückseitig mit »23.I.16« bezeichnet, was auch mit den Aufzeichnungen übereinstimmt.444 Schwimbeck wählte ein Interieur mit hohem Fenster im Hintergrund, dessen Vorhänge halb zugezogen sind. Links zeichnete er eine Wanduhr. Der Protagonist sitzt in einem Sessel, vor ihm steht ein hell-durchsichtiges Wesen, eine Art Gespenst, mit einer leuchtenden Lampe in der Hand, die es dem Protagonisten hinreicht. Steiner-Prag übernahm die Komposition sowohl in seinem analogen Blatt Angst445 (Abb. 19), als auch teilweise auf dem Blatt Das Buch Ibbur446 (Abb. 9). Selbst die Wanduhr nahm Steiner-Prag auf. Dies könnte auch auf die gleiche Textgrundlage zurückzuführen sein.447 Auch, dass Schwimbeck den Protagonisten in einem Sessel platziert, passt zum Text: »Ich ließ mich in den Lehnstuhl fallen. Wenn doch endlich der Tod käme! Nur dieses blutlose, furchtbare Lauern nicht mehr fühlen!«448 Steiner-Prag variiert hier deutlich die Komposition und hat sich in erster Linie von der Raumgestaltung inspirieren lassen. Er lässt sein ›Gespenst‹ hinter dem stehenden Protagonisten erscheinen. Hier nimmt er die Textstelle auf, in der Meyrink die aufkommende Angst beschreibt: »Die Luft, die ich einatmete, wurde dünn und schneidend wie Äther.«449 Das nächste Blatt Jaromir450 (Abb. 31) entstand am 3. Februar 1916451 und war das Blatt, das später im Verlag nicht mehr auffindbar war und daher nicht an Schwimbeck zurückging.452 Das später in der Mappe erschienen Blatt Jaromir weist jedoch keine direkte Ähnlichkeit mit einem der Steiner-Prag-Blätter auf. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Schwimbeck für seine Mappe aus der Erinnerung heraus das gleiche Blatt noch einmal anfertigte, da er in seinen Aufzeichnungen kein neues Blatt erwähnt.

442 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0366; vgl. auch http://www. artnet.com/artists/fritz-schwimbeck/angst-originalentwurf-zu-das-grüne-gesicht-von-gnC_oPUraIgLBn5_MHrwwzQ2; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 443 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-17. 444 Ob Schwimbeck die Aufzeichnungen anhand der Datierungen auf der Rückseite, oder die Datierung auf der Rückseite anhand seiner aus Notizen zusammengefügten Aufzeichnungen vorgenommen hat, ist nicht bekannt. 445 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-17. 446 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-7. 447 Im Meyrinkschen Text ist jedenfalls von einer Wanduhr die Rede, sodass man davon ausgehen kann, dass Steiner-Prag eine solche hier gemeint hat. Vgl. Meyrink (1989), S. 150. 448 Meyrink (1989), S. 153. 449 Meyrink (1989), S. 150. 450 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0355. 451 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 178. 452 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 188.

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Das Blatt Buch Ibbur453 (Abb. 32) zeigt deutliche Parallelen mit dem gleichnamigen Blatt Hugo Steiner-Prags454 (Abb. 9). Schwimbecks Zeichnung entstand am 28. Februar 1916455 und zeigt die Übergabe des Buches Ibbur an den Protagonisten Pernath. Die gleiche Szene wählte Steiner-Prag in seiner Lithographie. Eine Ähnlichkeit der Blätter ist hier eher auf die gleiche Szenenauswahl und daher gemeinsame Textgrundlage zurückzuführen. Beide zeigen die Szene, in der ein Kunde – der Golem – Pernath ein Buch zum Ausbessern überreicht. Schwimbeck hält sich hier deutlich an die literarische Vorlage und zeigt einen Herrn mit Kleidung im Stil des ausgehenden 18. Jahrhunderts mit Culotte, Justeaucorps und Dreispitz. Die Kleidung kann als einziger Hinweis Schwimbecks auf die Figur des Golems gewertet werden, die im Text als altmodisch beschrieben wird. Allerdings erfolgt diese Charakterisierung des Golem im Text erst deutlich später.456 Die Wohnung Pernaths zeigt Schwimbeck karg und heruntergekommen, durch die schräge Wand geht ein langer Riss, im Zimmer befinden sich nur ein einfacher Stuhl und Tisch, sowie ein Regal im Hintergrund. Schwimbeck trifft hier eher die Darstellung im Text, als Hugo Steiner-Prag, der einen Raum mit bürgerlichen Möbeln und Gemälden an der Wand zeigt. SteinerPrags Raumausschnitt ist kleiner und spielt in der Bildaussage eine untergeordnete Rolle. Im Zentrum stehen die Übergabe des Buches und die Charakterisierung des Golem. Schwimbeck zeigt deutlich mehr vom Raum, den er aber nahezu leer ließ, um die Kargheit und Armseligkeit zu unterstreichen. Bei Steiner-Prag ist die Verwandlung des Kunden in den Golem, die eigentlich erst in der Erinnerung Pernaths stattfindet und darüber hinaus eigentlich eine Verwandlung Pernaths ist, bereits in der Übergabe zu sehen. Die nächste Federzeichnung ist betitelt mit Pernath und der gekrönte Doppelgänger457 (Abb. 33). Der Entwurf ist verso datiert »10./11.III.16«. In diesem Fall gibt es keine Ähnlichkeit zu einer Lithographie von Steiner-Prag. Schwimbeck verbildlicht eine Szene kurz vor Ende des Romans: »Ich saß in der Dachkammer und lauschte dem Knistern der Tannennadeln, wenn hie und da ein kleiner Zweig über den Wachskerzen zu glimmen begann. […] Als ob mich

453 454 455 456

Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0356. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-7. Vgl. Schwimbeck (1916), S. 179. »…in altmodische, verschossene Kleider gehüllt.« (Meyrink (1989), S. 48 – 50). Noch später erfolgt ein weiterer, genauerer Hinweis auf die altmodische Kleidung: »Heute nachmittag ging das Gespenst seelenvergnügt bei hellichtem Sonnenschein in seinem berüchtigten altmodischen Anzug aus dem siebzehnten Jahrhundert durch die Salnitergasse spazieren…« (Ebd., S. 191). 457 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0369; vgl. auch http://www. artnet.com/artists/fritz-schwimbeck/pernath-und-der-gekrönte-doppelgänger-mX3938aL cuaoE5ANDvRyNw2; aufgerufen am 16. Jan. 2015.

Das Mappenwerk Der Golem von Hugo Steiner-Prag

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eine Hand zöge, wandte ich mich plötzlich um und: Da stand mein Ebenbild auf der Schwelle. Mein Doppelgänger. In einem weißen Mantel. Eine Krone auf dem Kopf.«458

Wie sonst auch arbeitete Schwimbeck hier mit einer einzelnen Lichtquelle, die nur einen sehr kleinen Teil des Bildraumes erleuchtet. Der Doppelgänger wird dabei hell angestrahlt. Die Erscheinung der ›Lichtgestalt‹ wird somit unterstrichen.459 Sehr wahrscheinlich ist die Beeinflussung bei der folgenden Zeichnung Dom460 (Abb. 34), entstanden am 13./14. März 1916.461 Zunächst ist es auch hier die Wahl der Szene, die starken Anlass zur Vermutung gibt, Steiner-Prag habe sich in seiner Lithographie Im Dom462 (Abb. 22) an Schwimbeck orientiert. Schwimbeck wählte den Chorumgang als Schauplatz für seine Zeichnung, ebenso Steiner-Prag. Das Kircheninnere Schwimbecks ist nicht durch eine eindeutige Ausstattung als der Veitsdom in Prag – in dem die Szene literarisch spielt – erkennbar. Ein Paar sitzt im Chorgestühl, der Mann hat den Arm um die Schulter der Frau gelegt. Es ist zu vermuten, dass Schwimbeck den Veitsdom nicht aus eigener Anschauung kannte und daher einen prototypischen Chor einer gotischen Kirche geschaffen hat. Im Gegensatz dazu hat Steiner-Prag eine sehr spezifische Stelle im Chorumgang des Veitsdoms wiedergegeben, nämlich in unmittelbarer Nähe zum Grab des Hl. Nepomuk. Steiner-Prag deutet das Kircheninnere nur an, während Schwimbeck sogar Einzelheiten des bemalten Fensters und deutlich erkennbare Pfeilerskulpturen wiedergibt.463 Die als nächstes entstandene Zeichnung Laponder464 (Abb. 35) vom 14. April 1916465 findet keine Entsprechung bei Steiner-Prag. Schwimbeck hält sich auch hier an den Text: »Schlotternd vor Aufregung stieg ich, so leise ich konnte, herab und trat an das Bett Laponders. Das Mondlicht schien voll auf sein Gesicht, und ich konnte deutlich unterscheiden, daß er die Lider offen hatte, doch nur das Weiße der Augäpfel war sichtbar. An der Starre der Wangenmuskeln sah ich, daß er im Tiefschlaf lag.«466

458 Meyrink (1989), S. 266/267. 459 In dieser Zeichnung wird auch das Schwellenmotiv, das später ausführlich behandelt wird, eingebunden. 460 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0361. 461 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 179. 462 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-20. 463 Bemerkenswert ist dabei, dass dies in Widerspruch zum Bildinhalt steht, denn Steiner-Prag bezieht sich mimetisch auf den realen Veitsdom, bleibt aber ungenau, während Schwimbeck genaue Details wiedergibt, ohne einen real existierenden Ort zu zeigen. 464 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0368. 465 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 180. 466 Meyrink (1989), S. 241/242.

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Auch bei der Zeichnung Wassertrum467 (Abb. 36) vom 4. Mai 1916468 ist die Ähnlichkeit zur gleichbetitelten Lithographie von Steiner-Prag (Abb. 10) nicht so augenscheinlich wie in den anderen Beispielen. Die geringfügige Ähnlichkeit ist in diesem Fall allerdings vor allem auf die Auswahl der gleichen Szene zurückzuführen. Beide wählten die Einführung der Figur im 2. Kapitel, in der Wassertrum vor seinem Trödlerladen beschrieben wird. Schwimbecks Zeichnung zeigt den stehenden Wassertrum vor seinem Geschäft. Das Haus sieht baufällig aus, vom Fensterbogen des Ladens hängen Gegenstände herab. Sie sind kaum zu erkennen, möglicherweise ein Hufeisen und eine Säge. Auf dem Tisch vor dem Laden steht Geschirr. Wassertrum lehnt an seinem Türstock und blickt den Betrachter direkt an. Er ist völlig anders charakterisiert als bei Hugo SteinerPrag, schmal und hochgewachsen mit spitzem Kinn. Er trägt eine Kippa. Auch die Charakterisierung seiner Gesichtszüge unterscheidet sich deutlich von Steiner-Prag, der sich stärker am Text orientiert. Von einer Hasenscharte oder Fischaugen, wie in der Textvorlage beschrieben, ist nichts zu sehen.469 Interessant ist die Wahl des Bildausschnittes: Der Betrachter sieht Wassertrum durch einen Torbogen. Diese Wahl erinnert an andere Bilder dieses Typs, die das Motiv des Durchgangs oder der Schwelle verwenden. Wie bereits bei dem Bild Pernath und der gekrönte Doppelgänger, so erscheint auch hier und noch mehrfach an anderer Stelle das Motiv der Schwelle. Es handelt sich um ein zentrales Motiv des frühen 20. Jahrhunderts. So beschäftigte sich Walter Benjamin mit dem Thema der Schwelle und der Passage. Neben der architektonischen Passage interessiert ihn vor allem die mythologische Schwelle. Zentrale Figuren sind der Wächter an Tür oder Tor, Grenzen und Mauern, aber auch Übergänge zum Traum.470 Die nächste Zeichnung Mauer zur letzten Latern471 (Abb. 37) bezieht sich auf folgende Textstelle: »Ein schmales, gewundenes Gäßchen mit Schießscharten, ein Schneckengang, kaum breit genug, die Schultern durchzulassen – und ich stand vor einer Reihe Häuschen, keines höher als ich. Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich auf die Dächer greifen. Ich war in die ›Goldmachergasse‹ geraten, wo im Mittelalter die alchimistischen Adepten den Stein der Weisen geglüht und die Mondstrahlen vergiftet haben. Es führte kein anderer Weg hinaus als der, den ich gekommen war. Aber ich fand die Mauerlücke nicht mehr, die mich eingelassen – stieß an ein Holzgatter. Es nützt nichts, ich muß jemanden wecken, damit man mir den Weg zeigt, sagte ich mir. Sonderbar, daß hier ein Haus die Gasse abschließt – größer als die andern und anscheinend wohnlich. […] Ich 467 468 469 470 471

Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0354. Vgl. Schwimbeck (1916), S. 180. Vgl. Meyrink (1989), S. 14. Vgl. Menninghaus (1986), S. 30, S. 31, S. 35. Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0367.

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gehe durch das Gatter über den schmalen Gartenstreif, drücke das Gesicht an die Scheiben: – alles finster. Ich klopfe ans Fenster. – Da geht drinnen ein steinalter Mann, eine brennende Kerze in der Hand, durch eine Tür mit greisenhaft wankenden Schritten bis mitten in die Stube, bleibt stehen, dreht langsam den Kopf nach den verstaubten alchimistischen Retorten und Kolben an der Wand, starrt nachdenklich auf die riesigen Spinnweben in den Ecken und richtet dann seinen Blick unverwandt auf mich. Der Schatten seiner Backenknochen fällt ihm auf die Augenhöhlen, daß es aussieht, als seien sie leer wie die einer Mumie.«472

Steiner-Prag wählte in seiner Lithographie eine Darstellung des Goldmachergässchens und orientierte sich somit bildlich nicht an der Schwimbeckschen Vorlage, wählt aber die gleiche Textstelle. Schwimbeck zeigt die Textstelle, als Pernath, der – im Gegensatz zu den anderen Zeichnungen – hier einen Hut trägt, am Ende der Gasse vor dem Fenster des Hauses steht. Im Inneren des Hauses steht der im Text beschriebene Mann mit den dunklen Schatten auf den Augen. Er trägt eine Lampe und geht an einem Stock – möglicherweise gedacht als Visualisierung der literarisch geschilderten wankenden Schritte. Neben ihm im Hintergrund sind undeutlich Gerätschaften zu erkennen. Die letzte der elf Zeichnungen, die bereits im Verlag vorlagen, ist Hillel473 (Abb. 38). Schwimbeck zeigt den jüdischen Rabbiner mit einem der wichtigsten Symbole des Judentums, der Menorah, dem siebenarmigen Kerzenleuchter. Zwei Menorot stehen im Hintergrund auf Podesten und beleuchten die Szene. Hillel trägt einen langen Bart und eine Kippa und hat die Hände wie zum Gebet erhoben. Vor ihm auf einer Liege befindet sich lang ausgestreckt eine Figur, vermutlich Pernath, der in Trance zu sein scheint. Schwimbeck bezog sich hier auf die Anfangsszene des Kapitels Wach. Pernath ist gegen Ende des vorangegangenen Kapitels in der Kneipe ›Zum Loisitschek‹ in eine Art Ohnmacht gefallen, seine Freunde bringen ihn in sein Haus zu Schemajah Hillel: »Noch immer konnte ich kein Glied rühren, und die unsichtbaren Finger hielten meine Zunge; aber mein Denken war fest und sicher, und das Gefühl des Grauens hatte von mir abgelassen. Ich wußte genau, wo ich war und was mit mir geschah, und empfand es nicht einmal als absonderlich, daß man mich wie einen Toten hinauftrug, samt der Bahre im Zimmer Schemajah Hillels niedersetzte und – allein ließ.«474

Auch in der folgenden Beschreibung der Szene hat sich Schwimbeck eng an den Text gehalten: »…wie er so hin- und herging, einige Gegenstände auf der Kommode zurechtrückte und schließlich mit dem Leuchter einen zweiten, gleichfalls siebenflammigen, an472 Meyrink (1989), S. 185 – 186. 473 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0360. 474 Meyrink (1989), S. 77.

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zündete. […] sein Ebenmaß an Leib und Gliedern und der schmale, feine Schnitt des Gesichtes mit dem edlen Stirnaufbau.«475

Steiner-Prag nahm die Szene in seine Lithographie Schemajah Hillel476 (Abb. 20) auf. Schwimbeck fügte keine zusätzliche Deutungsebene hinzu, wie es SteinerPrag tat, indem er die Prophetenköpfe um Hillel schweben lässt. Er umging dadurch eine phantastische Deutung der Szene, gestaltete aber eine unheimliche Atmosphäre durch die düstere Beleuchtung von hinten, sodass die Gesichter verdunkelt bleiben. Nach diesem Vergleich konnte bei sieben von elf der Schwimbeckschen Zeichnungen in der Szenenauswahl oder der Komposition eine ausgesprochen starke Ähnlichkeit zu den entsprechenden Blättern Hugo Steiner-Prags festgestellt werden. Aufgrund der relativ kurzen Entstehungszeit477 und der teilweise fraglichen Zuordnung im Text kann darüber hinaus vermutet werden, dass Steiner-Prag bereits vorhandene Bilder aus seinem Œuvre noch einmal verwendet hat. Dies ist bei dem Bild Alchymistengasse478 (Abb. 23) und anderen Szenen aus dem Ghetto vorstellbar. Die Zeichnungen Schwimbecks, die nach der Veröffentlichung der SteinerPrag-Mappe entstanden sind, zeigen wiederum eine Beeinflussung in die andere Richtung. Bereits im Oktober hatte Schwimbeck nach eigenen Angaben weitere Zeichnungen für den Golem angefertigt, darunter Schlaf479 (Abb. 39), Im Durchgang480 (Abb. 40) und Dunkle Gänge481 (Abb. 41). Bei letztgenanntem Blatt schien sich Schwimbeck über das Datum selbst nicht mehr im Klaren zu sein, er vermerkt den 12. Oktober mit einem Fragezeichen.482 In seiner üblichen Zusammenfassung gegen Ende des Monats konstatiert er jedoch diese drei Zeichnungen als im Oktober entstanden.483 Dies ist insofern bemerkenswert, als das Blatt Dunkle Gänge eine ausgesprochen frappierende Ähnlichkeit zu der Steiner-Lithographie Der Weg ins Grauen484 (Abb. 14) aufweist, und noch mehr 475 Meyrink (1989), S. 77 – 78. 476 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-18. 477 Die Entstehungszeit muss aufgrund der beschriebenen Umstände im Zusammenhang mit Schwimbeck auf Anfang 1916 bis September 1916 geschätzt werden. Ob Steiner-Prag wirklich bereits vorher mit Entwurfszeichnungen begonnen hat, kann nicht geklärt werden. Die im jüdischen Museum vorhandenen Vorzeichnungen sind durchgängig auf 1916 datiert. Vgl. Put†k u. Demetz (2009), S. 436 – 440. Beim Titelblatt ist im Katalog die Signatur mit der Jahreszahl 1915 angegeben, dabei handelt es sich um einen Fehler. Dies ergibt sich aus dem Vergleich am Original, dort steht eindeutig eine 16. 478 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-21. 479 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0353. 480 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0358. 481 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0363. 482 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 185. 483 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 186. 484 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-12.

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eine Entwurfszeichnung, die bei Christie’s angeboten wurde.485 Wann genau Schwimbeck die Steiner-Mappe gesehen hat, bleibt ungeklärt.486 Da die Ähnlichkeit der anderen Blätter, die Schwimbeck später anfertigte, eher eine allgemeine Beeinflussung durch Steiner-Prag darstellt und nicht so explizit eine Szene oder Komposition, gibt dieses Blatt doch Anlass zu der Überlegung, ob es nicht doch auch zu den schon beim Verlag vorliegenden Entwurfszeichnungen gehört haben könnte oder Schwimbeck gegenüber dem Verlag die Idee zu der Zeichnung erwähnt hat. Diese Vermutung gewinnt noch an Relevanz, wenn man bedenkt, dass es für Schwimbecks künstlerischen Erfolg nicht unbedingt hilfreich gewesen wäre, nun umgekehrt von Steiner-Prag ›abzukupfern‹. Seine Aufzeichnungen geben hierüber jedoch keinerlei Aufschluss. Im Folgenden sollen nun die restlichen sechs Zeichnungen der Schwimbeckschen Mappe untersucht und auf eine Beeinflussung hin betrachtet werden. Gemäß der bisher eingehaltenen chronologischen Reihenfolge ist die nächste Zeichnung Schlaf487 (Abb. 39). Zu dieser Zeichnung lässt sich keine analoge Lithographie bei Steiner-Prag feststellen. Die Zeichnung zeigt einen tiefen Raum, an dessen Ende ein Bett steht. Im Bett liegt eine Person, auf dem Fußende sitzt ein krähenartiger Vogel im Mondlicht, das durch ein Fenster in das Zimmer fällt. Schwimbeck visualisiert die erste Szene des ersten Kapitels: »Das Mondlicht fällt auf das Fußende meines Bettes und liegt dort wie ein großer, heller, flacher Stein. […] Ich hatte über das Leben des Buddha Gotama gelesen, ehe ich mich niedergelegt, und in tausend Spielarten zog der Satz, immer wieder von vorne beginnend, durch meinen Sinn: ›Eine Krähe flog zu einem Stein hin, der wie ein Stück Fett aussah, und dachte: Vielleicht ist hier etwas Wohlschmeckendes. Da nun die Krähe hier nichts Wohlschmeckendes fand, flog sie fort. Wie die Krähe, die sich dem Stein genähert, so verlassen wir – wir, die Versucher – den Asketen Gotama, da wir den Gefallen an ihm verloren haben.‹«488

Schwimbeck verbindet dabei zwei Textstellen, die zusammengehören, aber nicht explizit im Text zusammengebracht werden. Er visualisiert den Gedanken, den der Schlafende hat, auf seinem Bett-Ende. Der literarische Bezug ist sofort klar. Schwimbeck komponiert allerdings eine neue Szene, die über den Text hinausgeht. 485 Vgl. http://www.artnet.com/artists/fritz-schwimbeck/golem-skizze-zu-dunkelg%C3%A4n ge-SztF2ndTKX1z4vlt_cuu6g2; aufgerufen am 10. Jan. 2015. Das Blatt ist auf 1916 datiert und gibt somit keine weiteren Hinweise auf die Reihenfolge der Entstehung. 486 »Freitag 17. November : Der ›Steiner Golem‹ bei Stobbe zu sehen« (Schwimbeck (1916), S. 186 – 187). Die Formulierung »zu sehen« gibt keinen Hinweis darauf, ob er sie dort erstmals gesehen hat, oder ob sie dort für die Allgemeinheit zu sehen gewesen sei. 487 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0353; vgl. auch http://www. artnet.com/artists/fritz-schwimbeck/schlaf-golem-originalentwurf-zu-das-grüne-gesicht9YhJwDZWPNnoandG14oqJQ2; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 488 Meyrink (1989), S. 9.

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In der nächsten Zeichnung, betitelt mit Im Durchgang489 (Abb. 40), entstanden im Oktober 1916, zeigt Schwimbeck den Besucher Pernaths – erkennbar an seiner Kleidung und dem Dreispitz – in einem Durchgang.490 Er zeichnete hier das charakteristische Bild eines Ghettos mit Durchhäusern und engen Gassen. Die Häuser im Hintergrund sind ebenfalls dem Prager Judenviertel entlehnt. Dennoch ist fraglich, ob Schwimbeck die Josefstadt aus eigener Erfahrung kannte. Möglicherweise kannte er jedoch Photographien. Die Szene ist düster, die Architektur zeigt kleine, eng aneinander gebaute Häuser mit kleinen Fenstern und offenen Wandstücken. Die Wahl des Durchgangs kann wiederum in die Typologie der Schwelle eingeordnet werden. Die dritte Zeichnung vom Oktober 1916 ist betitelt mit Dunkle Gänge491 (Abb. 41). Wie bereits erwähnt, weist sie eine hohe Ähnlichkeit zu Hugo SteinerPrags Lithographie Der Weg ins Grauen492 (Abb. 14) auf. Auch hier wurde die gleiche Szene gewählt, Schwimbeck variiert sie jedoch geschickt, indem er den Protagonisten von hinten die Treppen nach unten verschwindend zeigt. Der Betrachter bleibt zurück und kann nicht erkennen, was Pernath erwartet. Mit ihm verschwindet das Licht, das er trägt. Zum Treppenabsatz hin führen zwei sich gegenüberliegende Torbögen, die das Labyrinth andeuten, in dem sich der Protagonist verirren wird. Am 19./20. November entstand das Blatt Zum Golem-Haus493 (Abb. 42).494 Fritz Schwimbeck zeigt eine Häuserflucht, die an die Lithographie Rosina495 (Abb. 24) von Hugo Steiner-Prag angelehnt sein könnte. Beide Blätter zeigen keine eindeutige Szene und können auch sonst nicht inhaltlich in Zusammenhang gebracht werden. Auf stilistischer Ebene erinnert die Darstellung der Architektur jedoch in gewisser Weise an die Steiner-Prags. Die nächste Zeichnung trägt den Titel Charousek496 (Abb. 43) und wird von

489 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0358. 490 Die Figur des Mannes mit den altmodischen Kleidern stellt bei Schwimbeck die Erscheinung des Golem dar. Dabei ist bemerkenswert, dass diese Figur einen Hut trägt. Der Hut ist im Text das Kennzeichen der Verwechslung des auktorialen Erzählers mit der Figur Pernaths. Gleichzeitig ist Pernath auch der Golem und so der Golem sein Doppelgänger. Schwimbeck verbindet die verschiedenen Ebenen auf geschickte Weise. Hugo Steiner-Prag hingegen zeigt den Golem nie mit Hut. Im Text ist davon auch nie die Rede. Schwimbeck gibt dem Text dadurch eine weitere Bedeutungsebene hinzu. 491 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0363; vgl. auch http://www. artnet.com/artists/fritz-schwimbeck/golem-dunkle-gänge-m7_4IuEc8-vJ5zCLrQkWxQ2; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 492 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-12. 493 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0365. 494 Vgl. Schwimbeck (1916), S. 187. 495 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-22. 496 Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0362.

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Schwimbeck auf den 23. November datiert.497 Obwohl die Steiner-Mappe eine beinahe gleichbetitelte Lithographie enthält, hat Schwimbecks Zeichnung keine Ähnlichkeit zu Steiner-Prags Der Student Charousek498 (Abb. 11). Schwimbeck visualisierte die Begegnung Pernaths mit dem Studenten im Inneren eines Hauses. Einzig die Verortung an einer (Tür)-Schwelle gibt den Hinweis auf eine mögliche Verbindung zu Steiner-Prag, der den Studenten in einem Torbogen zeigt. Steiner-Prag hielt sich dabei an die Textstelle, an der Pernath den Studenten das erste Mal beschreibt.499 Schwimbeck hingegen griff die Szene auf, in der Pernath den Studenten im nachbarlichen Atelier überrascht: »Lange stand ich so und starrte hinauf, bis ich mich leise, ganz leise zu wundern begann, warum ich denn nicht aufschräke, wo doch ein Geräusch von verhaltenen Schritten durch die Mauern neben mir deutlich an mein Ohr drang. Ich horchte hin: Kein Zweifel, wieder ging da ein Mensch. Das kurze Ächzen der Dielen verriet, wie seine Sohle zögernd schlich. […] Und schon stand ich vor der eisernen Bodentüre, drückte dagegen, schob vorsichtig den Haken ins Schloß und horchte. Richtig: Ein schleifendes Geräusch drinnen im Atelier, wie wenn jemand eine Schublade aufzieht. Im nächsten Augenblick schnellte der Riegel zurück. Ich konnte das Zimmer überblicken und sah, obwohl es fast finster war und meine Kerze mich nur blendete, wie ein Mann in langem schwarzem Mantel entsetzt von einem Schreibtisch aufsprang…«500

Pernath ist in Rückenansicht zu sehen. Er bleibt genau auf der Türschwelle stehen und trägt ein Licht vor sich, das den dahinterliegenden Raum hell beleuchtet. Im Raum rechts sieht man den Studenten Charousek, der sich erschrocken zum Betrachter – der Pernath gleichsam über die Schulter sieht – umdreht. Die folgende Zeichnung vom 26./27. November hat Schwimbeck mit Die Ankündigung des Golem501 (Abb. 44) betitelt.502 Es ist eine bemerkenswerte Zeichnung, die jedoch keine Analogie mit einer der Steinerschen Lithographien aufweist. Sie zeigt eine Szene aus dem Kapitel Punsch, in der die Freunde bei Pernath sitzen und vom Golem erzählt wird. Schwimbeck stellte erneut die Wohnung mit der Dachschräge, dem Regal und dem kleinen Scherenschnitt an der Wand dar. Eine Gruppe Männer sitzt um einen runden Tisch – hier variiert Schwimbeck, in seiner vorherigen Zeichnung war es ein eckiger Schreibtisch –, Pernath sitzt in einem Sessel und ist eingeschlafen. Einer der Männer schnitzt an einem Holzkopf, wie es auch im Text beschrieben ist: 497 498 499 500 501 502

Vgl. Schwimbeck (1916), S. 187. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-9. Vgl. Meyrink (1989), S. 30. Meyrink (1989), S. 98 – 99. Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0357. Vgl. Schwimbeck (1916), S. 187.

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»›Jetzt kommt der Kopf‹, hörte ich plötzlich den Maler Vrieslander mit heller Stimme sagen. Und er nahm einen runden Holzklotz aus der Tasche und begann ihn zu schnitzen. Eine schwere Müdigkeit legte sich mir über die Augen, und ich rückte meinen Lehnstuhl aus dem Lichtschein im Hintergrund.«503

Der Holzkopf in den Händen des Malers hat Ähnlichkeit mit dem Golem. Hier orientierte sich Schwimbeck ebenfalls am Text: »Eine Weile schien das Messer des Malers zögernd etwas zu suchen, dann ritzte es entschlossen eine Linie ein, und plötzlich gewannen die Züge des Holzklotzes schreckhaftes Leben. Ich erkannte das gelbe Gesicht des Fremden, der mir damals das Buch gebracht. […] Dann sah ich mit einem Male Zwakhs aufgeregte Miene und hörte seine Worte: Um Gottes willen, das ist ja der Golem!«504

Einer der Männer, stark kontrastiert zu dem hellen Lichtschein der Lampe auf dem Tisch, ahmt die Erscheinung des Golem nach: »Immer wieder begibt es sich nämlich, daß ein vollkommen fremder Mensch, bartlos, von gelber Gesichtsfarbe und mongolischen Typus, aus der Richtung der Altschulgasse her, in altmodische, verschossene Kleider gehüllt, gleichmäßigen und eigentümlich stolpernden Ganges, so, als wolle er jeden Moment vornüber fallen, durch die Judenstadt schreitet und plötzlich – unsichtbar wird.«505

Schwimbeck verband in dieser Zeichnung mehrere Szenen des Kapitels zu einem schlüssigen, atmosphärisch verdichteten Zusammenspiel. Die Fähigkeit des Zusammenführens verschiedener Szenen hatte er bereits in seinem ersten Blatt Nacht (Abb. 29) unter Beweis gestellt. Einen deutlichen Unterschied zu Hugo Steiner-Prag bildet die stringente Kontinuität der Zeichnungen durch den gesamten Text. So bebildert Schwimbeck auch eine Szene im Gefängnis, Laponder506 (Abb. 35). Hierzu gibt es kein Äquivalent von Steiner-Prag. Allerdings wiederholt Schwimbeck Motive, die er bereits vorher verwendet hat, wie zum Beispiel den auf einer Pritsche liegenden Laponder und den großen Lichtstrahl, der durch das Fenster hereinfällt.507 Insgesamt erinnern die Zeichnungen stilistisch an Kubin.508 Schwimbecks 503 504 505 506 507 508

Meyrink (1989), S. 55. Meyrink (1989), S. 60. Meyrink (1989), S. 48 – 50. Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0368. Diese Elemente zeigte er auch auf den Blättern Schlaf und Spuk. Vgl. Mutti (1992), S. 1805. Wie so oft will auch Mutti die Ähnlichkeit zu Kubin nicht nur auf stilistischer Ebene erkennen, sondern auch auf biographischer. Sie unterstellt beiden, aufgrund ihrer »schwierige(n) Biographie«, sich besonders zu abseitigen Themen hingezogen gefühlt zu haben: »…beide Künstler haben die Mutter früh verloren und ein zwiespältiges Verhältnis zu Frauen gehabt, in beiden hat sich eine sensible Psyche in Depressionen und häufigen Krankheiten geäußert…« Im Anschluss bemerkt sie die Gemeinsamkeiten bei der Themenwahl, die durchaus auf eine Verwandtschaft schließen lassen. Sie

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Mappe ist in sich geschlossener und stärker am Text orientiert als die SteinerPrags. Alle dargestellten Szenen können in einer kontinuierlichen Reihenfolge dem Text zugeordnet werden. Die letzte zu besprechende Zeichnung ist Jaromir509 (Abb. 31), von der es kein Datum und auch sonst keine Hinweise über die Entstehung gibt. Wie bereits erwähnt ist das Originalblatt im Verlag verschollen. Wann das später in der Mappe erschienene Blatt entstanden ist, bleibt unklar. Es weist keine Analogien zu einer Steinerschen Lithographie auf. Nur bei dem Blatt Laster510 von SteinerPrag kann eine Ähnlichkeit in der Darstellung des Treppenhauses gesehen werden. Schwimbeck zeigt ein dunkles Treppenhaus, an dessen Ende eine Figur, ein barfüßiger Junge, schlaglichtartig beleuchtet wird. Der Junge beugt sich lauernd über das Treppengeländer. Meyrink beschreibt den taubstummen Jungen als von Eifersucht Getriebenen, der auf der Suche nach Rosina und seinem Bruder Loisa ist: »Jaromir, der taubstumm ist und dessen ganzes Denken eine ununterbrochene, wahnsinnige Gier nach Rosina erfüllt, irrt wie ein wildes Tier im Hause umher, und sein unartikuliertes, heulendes Gebell, das er, vor Eifersucht und Argwohn halb von Sinnen, ausstößt, klingt so schauerlich, daß einem das Blut in den Adern stockt. Er sucht die beiden, die er stets beieinander vermutet – irgendwo in einem der tausend schmutzigen Schlupfwinkel versteckt – in blinder Raserei, immer von dem Gedanken gepeitscht, seinem Bruder auf den Fersen sein zu müssen, daß nichts mit Rosina vorgehe, von dem er nichts wisse. Und gerade diese unaufhörliche Qual des Krüppels ist, ahnte ich, das Reizmittel, das Rosina antreibt, sich stets von neuem mit dem anderen einzulassen.«511

Der vergleichbaren Illustration bei Hugo Steiner-Prag Laster512 (Abb. 12) ordnet Meyrink zwar eine ganz andere Textstelle zu, jedoch könnte die dargestellte Szene auf diese Textstelle hinweisen. Hugo Steiner-Prag zeigt ein Treppenhaus, in dem ein Paar am Treppenende steht. Weiter oben auf den Stufen steht eine weitere Figur, die die beiden beobachtet. Meyrink schreibt: »Vor meiner Tür bewegte sich jemand, und ich erriet: es ist immer noch Rosina, die draußen im Dunkeln steht in begehrlichem Warten, daß ich sie doch vielleicht zu mir hereinrufen wolle. Und unten, ein halbes Stockwerk tiefer, lauert der blatternarbige, halbwüchsige Loisa auf den Stiegen mit angehaltenem Atem, ob ich die Tür öffnen

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zieht allerdings daraus den Schluss, dass »die Auseinandersetzung mit dem Tod, grausige Visionen, von denen sie überwältigt werden, phantastische Wesen und fernöstliche Götter […] nichts als Symbole ihrer inneren Welt sind.« (Mutti (1992), S. 1805). Dabei handelt es sich um psychologisierende Wertungen, die einen unwissenschaftlichen Eindruck machen. Vgl. Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0355. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-10. Meyrink (1989), S. 17 – 18. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-10.

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würde, und ich spüre förmlich den Hauch seines Hasses und seine schäumende Eifersucht bis herauf zu mir.«513

Beide meinen vermutlich die gleiche Szene, auch wenn sie im Text anders beschrieben ist.

4.3.4 Analyse der Golem-Lithographien von Hugo Steiner-Prag 4.3.4.1 Die literarische Struktur des Romans Aus literarischer Sicht kann der Roman Der Golem auf verschiedene Weise betrachtet werden. Grundsätzlich ist er geprägt von einem Dualismus aus literarischem Naturalismus und phantastischen Elementen.514 Der Anfang des Romans weist naturalistische Komponenten auf wie authentische Handlungsorte, Milieubeschreibungen und eine historische Verortung. Dabei erhält jedoch das Milieu einen Eigenwert, das als Folie für den Einbruch des Phantastischen dient.515 Darüber hinaus beschwört das Milieu eine atmosphärische Dichte des Unheimlichen, die sich durch den ganzen Roman zieht. Das literarische Bezugsystem ist nach Cersowsky »…das Milieu der Unterschicht, […], in dem Häßlichkeit, Krankheit, Triebhaftigkeit und Verbrechen dominieren. […] Traditionalismen der ›schwarzen Romantik‹ erscheinen im Sinne dieser Naturalistik und unter dem Einfluß Dickens modifiziert.«516 Meister hält fest, dass Der Golem eine ähnliche Struktur aufweist wie eine Novellensammlung, aber dabei nicht eine lose Zusammenreihung der einzelnen Fragmente darstellt, wie es bisweilen in der Rezeptionsgeschichte vertreten wird. Einzelnen Erzählungen innerhalb der Binnenhandlung wird viel Raum gegeben, ohne dass sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der übergeordneten Handlung stünden. Das verleiht dem Roman umso mehr einen traumartigen, bisweilen fragmentarischen Charakter. Dennoch lässt er nicht den übergeordneten Spannungsbogen der Primärhandlung vermissen.517 Diese Struktur spiegelt sich in den Lithographien, in denen Szenen einzelner Handlungsstränge isoliert herausgegriffen werden, wieder. Die Lithographien illustrieren nicht den

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Meyrink (1989), S. 16. Vgl. Cersowsky (1983), S. 34 – 63. Cersowsky (1983), S. 37. Cersowsky (1983), S. 38. Vgl. Meister, Jan Christoph: Hypostasierung - Die Logik mythischen Denkens im Werk Gustav Meyrinks nach 1907. Eine Studie zur erkenntnistheoretischen Problematik eines phantastischen Oeuvres (= Hamburger Beiträge zur Germanistik, Bd. 3), Frankfurt am Main 1987, S. 6.

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übergeordneten Handlungszusammenhang, sondern weisen eine eigenständige Struktur auf. Auf einer Metaebene schafft Meyrink eine Verschmelzung verschiedener Mythologeme, die sich sowohl aus dem Okkultismus, der Kabbala, der Lehre des Paracelsus und einer Privatphilosophie des Yoga in Verbindung mit Buddhismus und Hinduismus speisen. Die einzelnen Traditionslinien erhalten dabei eine literarische Erweiterung.518 Da sich keine der vorgestellten Weltansichten durchgängig auf den Roman beziehen lässt, kristallisiert sich ein bewusster Subjektivismus heraus, der den Zusammenhang zum literarischen Symbolismus herstellt. Im Gegensatz zur klassisch-romantischen Symbolvorstellung eines willkürlichen, gottgegebenen, nicht reflektierbaren Verweiszusammenhangs, der den Dingen immanent sei und keiner Erklärung bedürfe, entwickelt sich in der Kunst des Symbolismus eine »›bewußte Symbolik‹ [Hegel]«519. Dabei wird das Subjekt zum Schöpfer seiner eigenen Symbolwelten.520 Dadurch bedarf es explikatorischer Figuren im Roman, wie zum Beispiel Schemajah Hillel oder Laponder. Cersowsky arbeitet heraus, dass die zentrale Idee die Entwicklung des Subjekts in einen gottähnlichen Zustand ist. Dafür ist auch die Golemlegende eine adäquate Folie, da ihr der Gedanke des menschlichen Schöpfers immanent ist.521 In den Bildwelten Hugo Steiner-Prags zur literarischen Vorlage des Golem 518 Cersowsky (1983), S. 65. 519 Cersowsky (1983), S. 66. Hegel verwendet den Begriff der »bewußten Symbolik« vor allem für das Rätsel (aber auch vergleichende Kunstformen wie Fabel, Parabel, Metapher, Allegorie), dessen Anfang und Ende vom seinem Erfinder gewusst werden, während die »eigentlichen Symbole […] vor- und nachher unaufgelöste Aufgaben [sind]…« (Hegel, Georg G.W.F (Hg.): Werke. Vorlesungen über die Ästhetik I (= Bd. 13), Frankfurt am Main 1970, S. 509). 520 »Unter der bewußten Symbolik nämlich ist zu verstehen, daß die Bedeutung nicht nur für sich gewußt, sondern ausdrücklich von der äußerlichen Weise, in welcher sie dargestellt wird, unterschieden gesetzt ist. Die Bedeutung, so für sich ausgesprochen, erscheint dann […] nicht wesentlich in und als die der Gestalt, welche ihr auf solche Weise gegeben wird. Die Beziehung beider aufeinander bleibt aber nicht mehr, wie auf der vorigen Stufe, ein in der Bedeutung selber schlechthin begründetes Beziehen, sondern wird ein mehr oder weniger zufälliges Zusammenbringen, welches der Subjektivität des Poeten, dem Vertiefen seines Geistes in ein äußerliches Dasein, seinem Witze, seiner Erfindung überhaupt angehört […]. Von der noch naiven und bewußtlosen Symbolik unterscheidet sich deshalb diese Art der Verknüpfung sogleich dadurch, daß jetzt das Subjekt sowohl das innere Wesen seiner zum Inhalt genommenen Bedeutungen als auch die Natur der äußeren Erscheinungen kennt, welche es vergleichungsweise zur näheren Veranschaulichung benutzt und beide in dieser bewußten Absicht der aufgefundenen Ähnlichkeit wegen zueinanderstellt.« (Hegel (1970), S. 486 – 487). 521 Vgl. Cersowsky (1983), S. 66. Dabei wird aber der destruktive Zug der Golemlegende, nämlich die gegen ihren Schöpfer gewandte zerstörerische Kraft des Golem unterschlagen. In der ursprünglichen Legende wird der Rabbi für seinen Versuch, gottähnlich zu werden, bestraft.

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schlagen sich in erster Linie die Milieuhaftigkeit und der Naturalismus der Meyrinkschen Erzählung nieder. Auch Okkultismus, Spiritismus und die Seelenwanderung waren Steiner-Prag nicht unbekannt. Für ihn entstehen aber vor allem Bilder eines Milieus aus vergangener Zeit, aus seiner eigenen Vergangenheit. Dies betrifft vor allem die Bilder des jüdischen Viertels. Hier liegen Steiner-Prags besonderen Fähigkeiten, die seinem Werk einen künstlerischen Eigenwert verleihen. Seine Lithographien sind ein Dokument des historischen Prag vor der Jahrhundertwende. Die Komplexität der philosophischen Hintergründe spielt in den Darstellungen hingegen kaum eine Rolle. Auffällig ist vor allem, dass Steiner-Prag vorwiegend den Anfang des Buches illustriert. Der gesamte zweite Teil mit dem Gefängnisaufenthalt, in dem sich der Protagonist sehr stark mit sich selbst auseinander setzen muss und die Entwicklung des Subjekts stattfindet, ist überhaupt nicht bildlich aufgenommen. Darüber hinaus tritt das phantastische Element der Erzählung in der zweiten Hälfte des Romans deutlicher zutage als in der ersten Hälfte. Steiner-Prag überließ es hier offensichtlich lieber der Imagination des Lesers, eigene phantastische Bilder zu schaffen.522

4.3.4.2 Struktur der Bild-Bild-Zusammenhänge Buchillustrationen entstehen mit der Intention, zusammenhängend mit dem Text in Erscheinung zu treten, oft auch mit Bildunterschriften oder Betitelungen, d. h. ihr literarischer Bezug kann in den meisten Fällen unmittelbar nachvollzogen werden. Die behandelten Werke weisen eine klassische Form des TextBild-Zusammenschlusses auf. Dennoch genießen die Bilder ein hohes Maß an Eigenständigkeit. So erschienen viele Buchillustrationen auch des Öfteren vorrangig als Mappenwerke. Es handelt sich daher um eigenständige Arbeiten, deren Textgrundlage zweitrangig geworden ist und nur als Hintergrundfolie dient. Oft standen die Veröffentlichungen als Mappenwerk in Zusammenhang mit den literarischen Veröffentlichungen des gleichen Verlages, um an ein Erfolgskonzept anzuknüpfen. Wenn man den Begriff ›illustrativ‹ zu weit fasst, so ist fast jedes Bild illustrierend, da es etwas anschaulich macht.523 Auch Inszenierung und Theatralik sind bekannte Eigenschaften der Malerei, sodass diese nicht unbedingt als Kennzeichen eines illustrativen Bildes fungieren können.524 Charakteristisch für illustrative Bilder scheint das Darstellen eines ›Zwischen-den-Zeilen‹ zu sein. Es 522 Mayer ist hier anderer Meinung und findet gerade im Kontrast zum vergleichsweise realistischen ersten Teil die Illustrationen umso phantastischer. Vgl. Mayer (1975), S. 217 – 218. 523 Vgl. Holländer (1988), S. 15. 524 Vgl. Holländer (1988), S. 16.

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werden Momente ins Bild gefasst, die so im Text möglicherweise gar nicht vorhanden sind, aber sein könnten – eine Illustration des hinter dem Text liegenden Berichtes.525 Holländer spricht auch von »Gedankenbildern«, also illustrativen Bildern, die eine »erzählerische Komponente«526 aufweisen. Die Blätter der Mappe Steiner-Prags zum Roman Der Golem verfügen über eine eigenständige Narration, die unabhängig von der literarischen Vorlage betrachtet werden kann. Aus dieser Perspektive heraus bilden sie eine Erzählung über das jüdische Viertel Prags vor dem Abriss in den 1890er Jahren. Sie sind gekennzeichnet durch eine starke Hell-Dunkel-Kontrastierung und verschiedene andere Mittel, die eine unheimliche und düstere Atmosphäre erzeugen. Die einzelnen Figuren werden in ihrem Milieu geschildert, so zum Beispiel als Studenten, Prostituierte oder verarmte Bewohner des jüdischen Viertels. Das Caf¦haus kommt ebenso zur Darstellung, wie der Veitsdom oder der Trödlerladen. Szenen mit einsamen Straßenzügen wechseln sich mit von Menschenmengen überfüllten Straßen ab. Die Lichtverhältnisse auf vielen Blättern vermitteln einen nächtlichen oder dämmernden Zustand. Hugo Steiner-Prag zeichnete die Geschichte einer Großstadt der Jahrhundertwende in ihren verschiedenen Facetten nach. Dabei blieb er in vielen Blättern auf seine topographischen Eindrücke der Stadt Prag beschränkt. Das Ausgesetzt-Sein in der Großstadt527 wird ähnlich zum Thema wie die Begegnungen der Menschen untereinander, sogar bis zu ihren Extremen von Massenpanik.528 Sowohl die Vereinsamung wie auch die Beengtheit innerhalb der bedrohlichen Architektur, in der die Begegnungen meist anonym bleiben, zeichnen ein zeitspezifisches Bild der urbanen Moderne. Die beiden Rahmenblätter bieten durch einen Blick von oben Distanz zum beengten Stadtgeschehen. Durch ihre zusätzliche Rahmung erinnern sie jedoch an das Guckkastenmotiv und reproduzieren selbst eine Verengung des Blicks. Die eigenständige Kohärenz der Bilder zueinander – unabhängig von ihren textuellen Bezügen, die die Bilder eher als solitäre Einzelwerke erscheinen lassen – wird durch verschiedene Mittel hergestellt. Kohärenzstiftend sind alle bereits genannten Stilmittel wie zum Beispiel das Schwarz-Weiß, der düstere Dämmerzustand oder topographische Markierungen, die einen Zusammenhang innerhalb des Prager Stadtbildes bilden, aber auch Gemeinsamkeiten wie die Rauchschwaden auf dem Titelblatt und dem Blatt Golem529. Die Wiederholung der Golem-Figur stellt eine Narration innerhalb der Bilderfolge dar, ebenso wie die Wiedererkennbarkeit anderer Figuren, v. a. des Protagonisten Pernath. Auch 525 526 527 528 529

Vgl. Holländer (1988), S. 21. Holländer (1988), S. 22. Vgl. Sennett (1991), S. 12. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-14. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-1 und -2.

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die anthropomorphe Architektur ist ein Bindeglied der einzelnen Bilder untereinander. Zwischen den einzelnen Blättern ist ein krasser Stilwechsel festzustellen. Dies ist sicherlich auf die Werkgenese zurückzuführen, da knapp ein Drittel der Blätter in der Komposition stark an die Zeichnungen Schwimbecks angelehnt ist. Darüber hinaus kann vermutet werden, dass einige Stadtdarstellungen auf älteren Skizzen oder Zeichnungen Steiner-Prags basieren. Dies scheint insbesondere beim Titelblatt (Abb. 3) und den Blättern Im Ghetto (Abb. 7), Alchymistengasse (Abb. 23) und Die Befreiten (Abb. 27) der Fall zu sein.530 Durch die Exaktheit der Wiedergabe der realen Topographien und das Fehlen jeglichen expressiven Elements fallen diese Blätter aus der Reihe heraus. 4.3.4.3 Struktur der Wort-Bild-Zusammenhänge »Wenn eine Illustration nicht überflüssig sein soll, dann muss sie etwas bieten, was der Text in seinem Medium, eben den Worten, nicht kann, aber was ihm auch nicht widerspricht.«531 In ihrer Unterschiedlichkeit werden Bild und Wort verschiedene ›Seiten‹ der darzustellenden Wirklichkeit zugeschrieben. Bei der Beschäftigung mit WortBild-Formen stellt sich jedoch heraus, dass beide Seiten und ihr jeweiliges Darstellungsmedium stark miteinander verknüpft sind, sodass eine Trennung eigentlich unmöglich ist.532 Es gibt kein ›reines‹ Bild, es hat immer schon eine Bedeutungszuweisung durch das Wissen des Betrachters. So wird von einer »Dominanz unseres begrifflichen Wissens über die sinnliche Wahrnehmung«533 ausgegangen. Dennoch »[liegt] [i]m Wort gleichsam immer ein verdunkeltes Bild, im Bild immer ein verstummtes Wort beschlossen.«534 Somit kann die Intermedialität von Bild und Text als Erweiterung des jeweiligen anderen Mediums empfunden werden. Grundsätzliche Funktionen des Bild-Text-Zusammenhangs sind die verbesserte Aufnahmefähigkeit und die Veranschaulichung von Inhalten durch Bilder. Darüber hinaus »liefert das Bild eine gliedernde, kohärenzstiftende und reduktive Makrostruktur der Textinhalte, besitzt damit Ordnungsfunktion.«535 Die Illustration des Textes wird als eigene Funktion angesehen und hat »motivationale

530 531 532 533

Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-1, -5, -21, -25. Holländer (1988), S. 13. Willems (1989), S. 61. Gombrich, Ernst H. u. Gombrich, Lisbeth: Kunst und Illusion. Zur Psychologie der bildlichen Darstellung, Stuttgart 19862, S. 245. 534 Willems (1989), S. 65. 535 Straßner (2002), S. 20.

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Bedeutung«536, ist also auf einer motivischen Ebene sinnstiftend. Darüber hinaus bietet das Bild in »seiner transformierenden Funktion«537 eine Gedächtnisstütze.538 Dieterle weist auf die unterschiedlichen Entstehungshintergründe eines illustrierten Buches hin: die Illustration kann dekorativ oder erläuternd gemeint sein, sie kann die visuellen Inspirationen des Künstlers durch die Literatur zum Ausdruck bringen, und sie kann darüber hinaus völlig unabhängig von der Intention des Künstlers oder des Autors vom Verleger dem Text beigefügt worden sein. Für den Leser seien diese Unterschiede aber wohl unerheblich.539 Dieser frage vielmehr konkret nach den inhaltlichen Bild-Text-Bezügen. Betrachtet man unter diesen Gesichtspunkten die einzelnen Blätter in ihrer Reihenfolge parallel zum Text, so ergeben sich verschiedene Bild-Text-Zusammenhänge. Ordnungsstiftende Funktion kann sowohl den beiden Rahmenblättern, als auch dem ersten Blatt innerhalb der Binnenerzählung zugeschrieben werden. Das Titelblatt540 (Abb. 3) und das Schlussblatt541 (Abb. 27) der Mappe erfüllen eine klammernde Funktion parallel zur Rahmenhandlung. Wie ein infernalisches Tor öffnen Feuer und Rauchwolken, auf denen der rätselhafte Hut als ›Gedankenträger‹ schwebt, den Blick auf die vergangene Stadt. Am fernen Horizont verschwindet der Prager Burgberg wie ein verheißungsvolles Mekka im Dunst. Im letzten Blatt Die Befreiten542 (Abb. 27) blickt umgekehrt der Betrachter zusammen mit den beiden Rückenfiguren auf die Stadtansicht vom Hradschin (Belvedere) aus nach unten auf die Kleinseite und die Altstadt. Der literarische Bezug zur Rahmenhandlung ist zusätzlich am Hut erkennbar, der nur dort auftaucht und diese gewissermaßen legitimiert.543 Anhand einer Verwechslung des Hutes nimmt der Protagonist der Rahmenhandlung die Rolle des Protagonisten der Binnenhandlung an.544 Statt einer vermeintlich rationalen 536 Straßner (2002), S. 20. 537 Straßner (2002), S. 20. 538 Diese Funktion kann wiederum auf den werbenden Effekt des Bildes bezogen werden. Gerade das Titelbild soll in Erinnerung bleiben und die Wiedererkennbarkeit der Ware Buch erhöhen. 539 Vgl. Dieterle (1988), S. 88. Es ist zu beachten, dass Dieterle die Illustration zu Gedichten behandelt. Er betont – im Unterschied zur Illustration eines längeren Textes – die quantitativ relative Gleichgewichtung zwischen Text und Bild. 540 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-1. 541 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-25. 542 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-25. 543 Bemerkenswerterweise hat Meyrink dem Titelblatt den Abschlusssatz zugeordnet. Seine handschriftliche Textzuweisung lautet: »Herr Athanasius Pernath läßt verbindlichst danken und bittet, ihn nicht für ungastfreundlich zu halten, daß er Sie nicht einlädt, in den Garten zu kommen, aber es ist strenges Hausgesetz so von alters her….« (Meyrink (1989), S. 280). Vgl. auch KOG, Inv.nr. 9542-1. 544 Jung interpretierte die Verwechslung des Hutes als »Vertauschung des Kopfes bzw. des Unbewußten« (Meister (1987), S. 316). Jung schreibt: »Der Hut als das den Kopf Bedeckende hat im allgemeinen die Bedeutung des den Kopf Einnehmenden. Wie man bei der

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Auflösung im Epilog – in dem die Verwechslung aufgeklärt wird und der Leser zunächst meint, die Binnenhandlung sei nur ein Traum gewesen – tauchen dann jedoch Indizien in der Rahmenhandlung auf, die die Authentizität der Binnenhandlung zu bestätigen scheinen. Die Unschlüssigkeit darüber wird nicht aufgelöst.545 Das Blatt Der Golem546 (Abb. 4), bildet den Auftakt für die Binnenerzählung. Es hat einen deutlich dekorativen Charakter. Besonders die Verschmelzung des Golemkopfes – dessen ausgeprägte Gesichtszüge hier bildlich vorgestellt werden – mit der Fassade der Altneu-Synagoge hat fast emblematischen Charakter. Die im oberen Teil des Blattes aufsteigende Feuersbrunst findet sich auch auf dem Titelblatt. Einige Blätter des Mappenwerks Steiner-Prags stehen in direktem Zusammenhang mit Textstellen der Binnenhandlung des Romans, sie sind also zum Text parallelisiert.547 Es handelt sich dabei bezeichnenderweise vor allem um diejenigen Blätter, die Bezug auf die Schwimbeckschen Vorlagen nehmen.548 Dies ist zum Beispiel der Fall bei Das Buch Ibbur549 (Abb. 9), bei Der Hilferuf550 (Abb. 13), als die Freunde gemeinsam das Haus verlassen und sich einer von ihnen die Pfeife anzündet; in gewisser Weise auch bei Der Weg ins Grauen551

545

546 547 548 549 550 551

Subsumption ›alle Begriffe unter einen Hut bringt‹, so überdeckt der Hut wie eine Obervorstellung die ganze Persönlichkeit und teilt dieser ihre Bedeutung mit. Die Krönung erteilt dem Herrscher die göttliche Sonnennatur, der Doktorhut die Doktorwürde, ein fremder Hut eine fremde Natur. Meyrink verwendet dieses Motiv im ›Golem‹, wo der Held den Hut des Athanasius Pernath aufsetzt und infolgedessen in ein fremdes Erleben versetzt wird. Es ist deutlich genug im ›Golem‹, daß es das Unbewußte ist, welches den Helden in phantastische Erlebnisse verstrickt. Hypothetischerweise soll hier schon die Bedeutung der Golemparallele hervorgehoben werden: Es ist der Hut eines Athanasius, eines Unsterblichen, eines Zeitlosen, als welcher ein allgemeingültiger, immer existierender Mensch, der sich vom einmaligen, sozusagen zufälligen Individuum unterscheidet, anzusehen ist. […] Als allgemeine Folge der Hutumtauschung dürfen wir wohl eine ähnliche Entwicklung wie im ›Golem‹, das heißt ein Hervortreten des Unbewußten erwarten. Das Unbewußte steht schon wie ein Schatten mit seinen Figuren hinter ihm und drängt in das Bewußtsein.« (Jung, Carl Gustav u. Barz, Helmut: Traumsymbole des Individuationsprozesses. Psychologie und Alchemie 1 (= Grundwerk, Bd. 5), Olten 19915, S. 54). Wie Meister jedoch kritisch festhält, »vereinnahmt [wie bereits bei Freud] auch bei C. G. Jung die Theorie literarische als quasipsychologische Gegenstände« (Meister (1987), S. 22). Meyrink selbst sagte über die Bedeutung der Hutverwechslung: »Jeder Gegenstand, den P[ernath] am Leibe getragen, ist gesegnet und durch Berührung mit solchen wird jeder zeitweilig erleuchtet. Daher die Folgen, die das Tragen des Hutes für mich hatte.« (zitiert nach Lube (1980), S. 118). Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-2. Vgl. Stöckl (2004), S. 254. Schwimbeck hat sich in seinen Zeichnungen – wie bereits erläutert – stark am Text orientiert. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-7. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-11. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-12.

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(Abb. 14), als Pernath die Treppen in das unterirdische Labyrinth hinabsteigt, oder auch bei Im geheimen Zimmer/Nachtgespenst552 (Abb. 15). Daneben weisen manche Blätter Elemente mit einem ›übertragenen Sinn‹ auf. Auf sprachlicher Ebene würde man von Metaphern oder Allegorien sprechen. Die Metapher gehört zu den Tropen, die durch Uneigentlichkeit gekennzeichnet sind und beruht auf einer Form von Ähnlichkeit. Die verschiedenen Metapherntheorien der Literatur- und Kulturwissenschaft sind jedoch höchst komplex und schwer auf die bildende Kunst zu übertragen. Darauf verweist Wedewer, vor allem in Bezug auf die kontingenten Metaphern, die auf einer Ähnlichkeit beruhen. Sie zeigen eine große Nähe zum Vergleich. So konstatiert Wedewer : »Anders als in der Sprache kann es im visuellen Bild keine WieMetapher geben.«553 Stöckl spricht von Metaphorisierungen, meint dabei aber konkret die bildliche Umsetzung einer konventionalisierten sprachlichen Metapher.554 Die dabei immanente Dominanz des Textes erkennt auch Meyer in Bezug auf mittelalterliche Illustrationen: »Metaphern sind naturgemäß Leistungen des Textes, die mit ihm den Illustrationen fest vorgegeben, wenngleich verschieden interpretierbar- und darstellbar sind.«555 Die Abgrenzung zwischen Metapher, Allegorie und Symbol, sowie Personifikation zeigt sich dabei schwierig.556 Die Unterscheidung muss im Einzelfall untersucht werden. Gemeint sind im vorliegenden Fall Bilder, die Bildelemente aufweisen, die über das szenisch Gesagte hinausgehen, die »[ein Bild] für ein Unanschauliches [herstellen]«557. Sie enthalten eine Metaebene, die mit einer Metaphorik im literarischen Sinne nicht unbedingt gleichzusetzen ist. Gleichwohl enthalten die behandelten Werke, sowohl Bild wie Text, eine metaphorische Struktur, die dem ›Stadttext‹ zu eigen ist. Ein Beispiel wäre das Blatt Angst558 (Abb. 19). Hinter der Hauptperson Pernaths ist eine gespenstische Figur zu sehen, die ihn eng umschließt, ihm beinahe den Kopf auf die Schulter legt. Pernath ist die (im Text als undefinierbar beschriebene) Angst förmlich ins Gesicht geschrieben. Er hat die Augenbrauen nach oben gezogen und blickt angstvoll nach hinten, ohne seinen Kopf zu bewegen. Die Schultern sind steif und versuchen, den Körper vor dem drohenden 552 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-13. 553 Wedewer, Rolf: Zur Sprachlichkeit von Bildern. Ein Beitrag zur Analogie von Sprache und Kunst. Dissertation, Köln 1984, S. 67. 554 Vgl. Stöckl (2004), S. 260. 555 Meyer, Heinz: Die Metaphern des Psaltertextes in den Illustrationen des Stuttgarter Bibelpsalters, in: Meier-Staubach, Christel u. Ruberg, Uwe (Hg.): Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit, Wiesbaden 1980, S. 175 – 208, S. 179. 556 Vgl. Wedewer (1984), S. 67. 557 Wedewer (1984)., S. 67. 558 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-17.

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Unheil zu schützen. Mayer verweist auf das Sprachbild, dass »einem ›die Angst im Nacken‹ sitz[t]«559. Um beide Figuren herum schweben weitere halb transparente Gesichter, die auf Geister verweisen. Der Text beschreibt Bedrängung und Angst: »…die Luft, die ich einatmete, wurde dünn und schneidend wie Äther«560. Die Gespensterfigur kann als Personifikation der Angst betrachtet werden.561 Aufgrund der Ähnlichkeit der Gesichtszüge von Pernath und dem Gespenst, enthält die Darstellung darüber hinaus das Motiv des Doppelgängers. In dieselbe Kategorie fällt auch das Blatt Schemajah Hillel562 (Abb. 20), um dessen zentrale Figur ›Prophetenköpfe‹ schweben oder – einem Menetekel gleich – auf der Wand erscheinen.563 Auch sie sind halb transparent und damit eine Andeutung auf ihre Anwesenheit auf einer Metaebene, oder auch ein Beleg für ihre Nicht-Gegenständlichkeit. Die übertragene Bedeutung erhalten sie nur durch den Kontext des Rabbiners. Zu ihm und zum Text stellen die Prophetenköpfe einen Bezug dar und verweisen auf die Gelehrtheit des Rabbiners. Auch könnten sie als Personifikationen bezeichnet werden. Beide Abbildungen erinnern in ihrer Gestaltung darüber hinaus an die ›Geisterphotographie‹, die im 19. Jahrhundert durch William Mumler (1832 – 1884) aufkam.564 Bestärkt durch die Erfindung der Röntgenstrahlen, erfreute sich dieses Genre größter Beliebtheit.565 Die Entstehung war meist verbunden mit einer spiritistischen S¦ance.566 Auf diesen Trickphotographien – meist Portraits – ist in der Regel mindestens eine weitere Figur zu sehen, die halb durchsichtig erscheint. Oft wurde einfach mit der Belichtungszeit gearbeitet oder die Photoplatte zweimal belichtet, um den ›gespenstischen‹ Effekt herzustellen.567 Bei dem Blatt Im geheimen Zimmer/Nachtgespenst568 hingegen, das ebenfalls 559 Mayer (1975), S. 217. 560 KOG, Inv.nr. 9542-17, Bezeichnung. 561 Auch an dieser Stelle ist wiederum die Mittelalterforschung heranzuziehen, die im Gegensatz zu Stöckl auch vom Text unabhängige Metaphern gelten lässt, und zwar insbesondere dann, wenn der Illustrator »bei der Darstellung eines ungegenständlichen, geistigseelischen Sachverhaltes an die Grenzen seines Mediums gerät, [dann] kann er auf in literarischer Tradition überlieferte Metaphern zurückgreifen und so auf das nicht direkt Darstellbare hinweisen.« (Meyer (1980), S. 181). 562 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-18. 563 Die Darstellung weist gewisse Ähnlichkeiten mit Rembrandts Das Gastmahl von Belsazar von 1635 auf. Thematisch lässt sich jedoch kein Bezug herstellen. 564 Vgl. allgemein zum Thema Kaplan, Louis: The strange case of William Mumler, spirit photographer, Minneapolis 2008; vgl. auch Ch¦roux, Cl¦ment (Hg): The Perfect Medium. Photography and the Occult, New Haven, Connecticut/London 2005. 565 Vgl. Krämer u. Borgards (2012), S. 20. 566 Auch viele Mitglieder der Gruppe ›Jung-Prag‹ interessierten sich für Spiritismus und wohnten regelmäßig S¦ancen bei. 567 Vgl. Cloutier, Crista: Mumler’s Ghosts, in: Ch¦roux (2005), S. 20 – 28, S. 20. 568 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-13.

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eine Gespensterfigur zeigt, steht eindeutig die Parallele zum Text im Vordergrund.569 Die Gespensterfigur ist konkret fassbar. Sie hat einen Körper, auf dessen Auswölbungen sich der Schatten des Fensterkreuzes abzeichnet. In dieselbe Kategorie wäre auch das Titelbild einzuordnen, das jedoch mit dem Hut an prominenter Stelle ein Symbol aufweist, das auch in der Textvorlage als ein solches Anwendung findet. Zu den metaphorischen Bildmotiven wäre klassischerweise auch die Belebung von Gegenständen zu zählen. Insbesondere die anthropomorphisierende Architektur spielt hierbei eine zentrale Rolle. Neben den parallelisierten und den ›tropischen‹ Text-Bild-Bezügen haben viele Bildbeigaben einen inszenatorischen Charakter. Dieser kommt nicht nur an den Schnittstellen der Sprache-Bild-Bezüge, sondern auch innerhalb der Bild-Bild-Bezüge zum Vorschein. Einige der Illustrationen wirken wie Tableaus, also Standbilder oder wie Bühnenbilder.570 Dabei spielt auch die Narrativität von Bildern eine Rolle. Narrationen weisen Bilder auf, die über eine »temporale Komponente«571 verfügen.572 Eine solche temporale Komponente drückt sich in der Darstellung zweier Zustände aus oder in der Zusammenfügung verschiedener Szenen in einem Bild, so zum Beispiel auf dem Blatt Laster573 (Abb. 12). Drei Figuren werden in einen szenischen Zusammenhang gesetzt, der eine simultane Temporalität suggeriert. Während das Paar am Treppenabsatz eng beieinander steht und sich im Flüsterton auszutauschen scheint, taucht auf der Treppe eine dritte Figur auf, die die unter ihr stattfindende Situation beobachtet oder belauscht. Die Figuren befinden sich zwar einerseits im selben Raum des Treppenhauses, sind aber andererseits durch die Stufen voneinander getrennt. Ihr Zusammentreffen wird in einen zukünftigen Handlungsverlauf projiziert, findet aber auf einer nachgeordneten Ebene bereits statt. Eine temporale Komponente könnte aber auch schlicht die Darstellung von Bewegung sein, wie zum Beispiel auf dem Blatt Der Gehetzte574 (Abb. 16), auf dem eine einzelne Person vor einer Menschenmenge flieht. Sowohl innerbildlich – wie bei den genannten Beispielen mit temporalen Elementen und szenischen Darstellungen, die einen Handlungsverlauf anzeigen – als auch innerhalb der Bilderfolge kann den Bildern zum Golem Narrativität und eine sequenzielle Narration zugeschrieben werden. 569 »Stunden um Stunden kauerte ich da […] in meinem Winkel, ein frosterstarrtes Gerippe in fremden, modrigen Kleidern! – Und er drüben: ich selbst. Stumm und regungslos.« (Meyrink (1989), S. 110). 570 Hugo Steiner-Prag war seit 1910 »Künstlerischer Beirat der Städtischen Bühnen Leipzig« (Schremmer (1981), S. 27). Seine Tätigkeit am Theater könnte durchaus Einfluss auf seine Illustrationstätigkeit genommen haben. 571 Stöckl (2004), S. 270. 572 Vgl. hierzu auch den aufschlussreichen Aufsatz von Weisner (2000). 573 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-10. 574 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-14.

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4.3.5 Motivgruppen innerhalb der Golem-Mappe 4.3.5.1 Die Darstellung der Figuren Die Vorstellung der einzelnen Figuren geschieht vorwiegend in der ersten Hälfte des Romans. Die Figur des Golem ist das zentrale Motiv der Steiner-Mappe und im Zusammenhang mit dem großen Erfolg des Golem-Romans Steiner-Prags bedeutendste Invention. Auch heute noch ist das Bild des Golem-Kopfes im Zusammenhang mit der Legende in Prag und dem Meyrinkschen Roman allgegenwärtig.575 Steiner-Prag selbst hat den relativ großen Erfolg seiner Mappe, der ihm vor allem in Sammlerkreisen eine hohe Bekanntheit bescherte, als Beginn seiner Karriere, als Markenzeichen ›Steiner-Prag‹ bezeichnet: »1916. Meine Arbeit für den Golem, 25 Lithographien zu Meyrink’s Roman, beginnt. Ich besinne mich wieder ein Prager Künstler zu sein, verbinde mich mit den ersten Prager Phantasien, greife auf die Elixiere und E. T. A. Hoffmann zurück, entdecke meine eigenen Kompositionsgesetze und werde, so glaube ich, ›Hugo SteinerPrag‹.«576 In seiner Golem-Darstellung entfernt er sich deutlich von der literarischen Vorlage. Im Roman ist der Golem eine Art Untoter577, bzw. erscheint nie als wirkliche Figur. Der Leser wird in Unschlüssigkeit darüber gelassen, ob es sich nun um den Golem handelt oder nicht. Er dient als Folie für die Idee der Seelenwanderung und Unsterblichkeitsvorstellungen. Steiner-Prags Bilderfindungen des Golem orientieren sich zunächst an der literarischen Beschreibung einer vermuteten Golemfigur : »Immer wieder begibt es sich nämlich, dass ein vollkommen fremder Mensch, bartlos, von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus, aus der Richtung der Altschulgasse her, in altmodische, verschossene Kleider gehüllt, gleichmäßigen und eigentümlich

575 So beispielsweise das Titelblatt Der Prager Golem. Jüdische Erzählungen aus dem Ghetto, Furth im Wald 2006. 576 Steiner-Prag u. Geiger (1955), S. 201. Inwiefern die Illustrationen zu Die Elixiere des Teufels in Zusammenhang mit den Lithographien zu Der Golem gesehen werden können, ist unklar. Obwohl die Illustrationen zu Hoffmann bereits andeuten, wie Steiner-Prag später künstlerisch verfahren wird, sind sie doch in der Mehrzahl noch ganz Emil Orliks flächenhaftornamentalem Jugendstil verhaftet. Auch inhaltlich haben sie keine Gemeinsamkeiten mit denen der Golem-Mappe. Höchstens könnte sich auf literarischer Ebene ein gewisser Bezug herstellen lassen, da E. T. A. Hoffmann für die Literaten der Neoromantik ein wichtiges Vorbild war. Abgesehen von dem Doppelgängermotiv, das in den Elixieren des Teufels in völlig anderer Form auftritt, als bei Meyrink, lassen sich jedoch auch hier keine großen Überschneidungen feststellen. Möglich wäre die Vorstellung, Steiner-Prag habe sich auf die Vorgehensweise bezogen, da von der Anzahl her die Illustrationen zu Die Elixiere des Teufels ein sehr umfangreiches Bildwerk sind. 577 Vgl. Cersowsky (1983), S. 39.

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stolpernden Ganges, so, als wolle er jeden Augenblick vornüberfallen, durch die Judenstadt schreitet und plötzlich – unsichtbar wird.«578

Steiner-Prag setzt seinen Golem jedoch in einen neuen Kontext und entfernt sich damit vom Text. Er verortet seine Golem-Figur an anderen Stellen als im Roman: vor der gotischen Silhouette der Altneu-Synagoge und auf dem jüdischen Friedhof mit dem historischen Grab des Rabbi Löw im Hintergrund. Hier bezieht er sich auf die klassische Sage des Golem und des Rabbi Löw.579 Auf anderen Blättern gelingt Steiner-Prag die Darstellung der Golem-Figur als klassisches Gespenst, wie sie auch im Roman mehrfach vorkommt. Das Blatt Angst580 (Abb. 19) ist ein gutes Beispiel. Auch auf dem Blatt Im geheimen Zimmer/Nachtgespenst581 (Abb. 15) ist eine zweite gespensterhafte, fast durchsichtige Figur zu erkennen. Die angstvolle Atmosphäre, das Starren in das dunkle Zimmer und die Beengtheit in der literarischen Vorlage spiegeln sich in der Darstellung Steiner-Prags wider.582 Von einer ähnlich leichten Durchsichtigkeit, zusätzlich von einem Lichtschein umgeben, sind die anderen Golem-Figuren, so auf dem Blatt Das Buch Ibbur583 (Abb. 9), auf dem der (vermeintliche) Golem Pernath das Buch Ibbur zur Ausbesserung bringt, oder auch auf dem Blatt Die Erscheinung des Golem584 (Abb. 8). Die Dualität zwischen irdischer und geistiger Welt, die ein Hauptthema des 578 Meyrink (1989), S. 48 – 50. 579 Auf einer der Kohlevorzeichnungen im jüdischen Museum in Prag sieht man sogar den Golem vor dem historischen Grab des Rabbi Löw sitzen. Zwar wurde diese Zeichnung nicht als Lithographie verwirklicht, verdeutlicht aber den engen Bezug zur Golemlegende bei der Entstehung der Graphiken. Vgl. Jüdisches Museum Prag, Inv.nr. 156.657/23. 580 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-17. 581 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-13. Interessanterweise verortet Gnam dieses geheime Zimmer in der Altneu-Synagoge. Woran sie diese Beobachtung festmachen will, nennt sie nicht. Vgl. Gnam, Andrea: Erkenntnisformen des Phantastischen. Okkulte Vorstellungswelten in Gustav Meyrinks Golem und Alfred Kubins Die andere Seite, in: Luserke-Jaqui, Matthias u. Zeller, Rosemarie (Hg.): Musil-Forum. Studien zur Literatur der klassischen Moderne (= Bd. 29), Berlin/New York 2005/2006, S. 190 – 206, S. 199. Aus der eigenen Lektüre kann anhand des Textes nicht darauf geschlossen werden. Auch auf dem Bild findet sich kein entsprechender Hinweis. 582 Die entsprechende Textstelle lautet »immer wieder : der weißliche Fleck - - - der weißliche Fleck - - ! Eine Karte, eine erbärmliche Spielkarte ist es, schrie ich mir ins Hirn hinein - - umsonst - - jetzt hat er sich dennoch – dennoch Gestalt erzwungen – der Pagat – und hockt in der Ecke und stiert herüber zu mir mit meinem eigenen Gesicht. - - - Stunden um Stunden kauerte ich da – unbeweglich – in meinem Winkel, ein frosterstarrtes Gerippe in fremden, modrigen Kleidern! – Und er drüben: ich selbst.« (Meyrink (1989), S. 110). Wie bereits im vorangegangenen Kapitel besprochen, geht die Komposition auf Schwimbeck zurück, dennoch gelangt Steiner-Prag zu einer eigenen Gestaltung der Szene und entwickelt eine eigenständige Atmosphäre des Unheimlichen. Siehe hierzu Kapitel 4.4.4. 583 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-7. 584 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-6.

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Romans darstellt, zeichnet sich bis zu einem gewissen Grad in den Lithographien ab. Der Golem und Schemajah Hillel sind Figuren, die der geistigen Ebene zugeordnet werden.585 Steiner-Prag setzt das teilweise in seinen Lithographien um, ohne dabei jedoch der stringenten Dualität des Romans zu folgen.586 Seine Darstellung des Schemajah Hillel ist die eines jüdischen Gelehrten, ausgestattet mit dem siebenarmigen Kerzenleuchter, der Menorah und einem auf dem Tisch liegenden, aufgeschlagenen Buch (Abb. 20). Das Buch kann als Hinweis auf ein (Geheim-)Wissen, eine Verrätselung oder ein Geheimnis verstanden werden. Um ihn herum ›schweben‹ Prophetenköpfe wie Gespenster.587 Die Beschreibung im Roman passt auf die dargestellte Figur : »Alles kam mir selbstverständlich vor, und ich wunderte mich weder darüber, daß Hillel mit einem jüdischen siebenflammigen Sabbatleuchter eintrat, noch daß er mir gelassen ›guten Abend‹ wünschte wie jemandem, dessen Kommen er erwartet hatte.«588 Sein Aussehen ist gekennzeichnet durch »sein Ebenmaß an Leib und Gliedern und der schmale, feine Schnitt des Gesichtes mit dem edlen Stirnaufbau. Er konnte, wie ich jetzt beim Schein der Kerze sah, nicht älter sein als ich: höchstens fünfundvierzig Jahre zählen.«589 Diese Eigenschaften sind sehr treffend bei Steiner-Prag wiedergegeben. Es bleibt ein gewisser Eindruck der Unbeholfenheit, wie es oft bei Steiner-Prags Figurengestaltung der Fall ist. Das wiederum wird durch die Hinzufügung der Prophetenköpfe gemildert, für die sich kein direkter literarischer Beleg finden lässt. Sie repräsentieren eine Allgegenwart der geistigen Sphäre, die sich im Roman durch den nun folgenden kabbalistisch-philosophischen Monolog Hillels ausdrücken. An dieser Stelle kommt die bereits erwähnte seelische Entwicklung des Subjekts zur Sprache: »Wenn die Menschen aufstehen von ihren Lagerstätten, so wähnen sie, sie hätten den Schlaf abgeschüttelt, und wissen nicht, daß sie ihren Sinnen zum Opfer fallen und die Beute eines neuen, viel tieferen Schlafes werden, als der war, dem sie soeben entronnen sind. Es gibt nur ein wahres Wachsein, und das ist das, dem du dich näherst.«590

Ebenfalls der geistigen oder allgemeiner der metaphysischen, phantastischen Ebene zuzuordnen ist das bereits erwähnte Blatt Das Buch Ibbur591 (Abb. 9), die erste Begegnung Pernaths mit dem Golem, der Einbruch des Übernatürlichen. Bei dem Blatt Laster592 (Abb. 12) wirkt der Meyrinksche Textverweis ver585 586 587 588 589 590 591 592

Vgl. Cersowsky (1983), S. 39 – 41. Auch im Roman überschneiden sich beide Ebenen vielfach. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-18. Meyrink (1989), S. 77. Meyrink (1989), S. 84. Meyrink (1989), S. 80. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-7. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-10.

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wunderlich. Er gibt den Beginn vom Kapitel Punsch an, als einer der Freunde Pernaths, Josua Prokop, ein Lied anstimmt: »An Bein-del von Eis-en recht alt, An Stran-zen net gar a so kalt, Messinung, a’Räucherl und Rohn, Und immerrr nur put-zen…[sic]«593. Die Darstellung eines intimen Austausches zwischen einer Frau und einem Mann im Treppenhaus, mit Blick auf einen die Treppen herunterkommenden Mann im Hintergrund und einer vierten Person, die nach links im Innenhof verschwindet, würde eher zur Beschreibung des Wohnhauses Pernaths und seiner Bewohner im Kapitel Tag passen. So auch der Charakter Rosina, die »fast immer in unserem Hofe [war] oder […] sich in den dunklen Winkeln und Gängen unseres Hauses umher [drückte].«594 Dazu gehören auch zwei Brüder, Loisa und Jaromir, die hinter dem rothaarigen Mädchen Rosina her und von Eifersucht getrieben sind. An welche Textstelle Hugo Steiner-Prag bei dieser Lithographie gedacht haben mag, bleibt jedoch trotz des Textvergleichs unklar. Eine weitere Figur, die Steiner-Prag visuell vorstellt, ist der Student Charousek595 (Abb. 11). Auf dem Blatt ist die Szene zu sehen, in der Pernath und der Student sich in einem Torbogen vor dem Regen schützen, dargestellt ist aber nur eine Figur. Die Beschreibung Meyrinks wird in der Lithographie aufgenommen: »Neben mir stand der Student Charousek, den Kragen seines dünnen, fadenscheinigen Überziehers aufgeschlagen, und ich hörte, wie ihm vor Kälte die Zähne aufeinanderschlugen. Er kann sich den Tod holen in diesem zugigen, eisigen Torbogen, sagte ich mir…«596. Steiner-Prags Arbeit mit Licht und Schatten, die Darstellung von Schmutzigkeit durch Spinnweben in der rechten Ecke und die unregelmäßigen speckigen Steine an Wand und Boden dienen der Milieuschilderung im jüdischen Viertel. Darüber hinaus könnte die Szene im Durchgang von Schwimbecks Darstellung des Trödlers Wassertrum inspiriert sein. Eine ähnliche kurze Szene, die sich ausgesprochen nah am Text bewegt, ist die der Freunde Pernaths um das Kanalgitter auf dem Blatt Der Hilferuf597 (Abb. 13). Auch diese Szene ist – wie bereits besprochen – von Schwimbeck inspiriert. Vier Figuren sind um ein Kanalgitter gruppiert, die Szenerie ist in Dunkel gehalten und wird nur durch das Feuer beim Anzünden einer Pfeife der Figur rechts im

593 Meyrink (1989), S. 44. Der Liedtext ist auf Rotwelsch abgefasst, das Wort ›Stranze‹ bedeutet Prostituierte. Vielen Dank für diesen Hinweis an Gabriela Kasˇkov‚ und Jana Böttrich, Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg. 594 Meyrink (1989), S. 14. 595 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-9. 596 Meyrink (1989), S. 30. 597 KOG, Inv.nr. 9542-11.

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Bild erhellt. Meyrinks Bleistiftbezeichnung lautet »Still doch! Hört ihr denn nichts?«598. Die entsprechende Textstelle ist konkret umgesetzt: »Wir traten hinaus auf die Gasse, und ich sah, wie Prokop sich bückte und die Marionette suchte. ›Freut mich, dass du den dummen Kopf nicht finden kannst‹, brummte Vrieslander. Er hatte sich an die Mauer gestellt, und sein Gesicht leuchtete grell auf und erlosch wieder in kurzen Intervallen – wie er das Feuer eines Streichholzes zischend in seine kurze Pfeife sog. […] ›Still doch! Hört ihr denn nichts?‹ Wir traten an ihn [Prokop] heran. Er deutete stumm auf das Kanalgitter und legte horchend die Hand ans Ohr. […] Einen Augenblick – kaum einen Herzschlag lang – hatte es mir geschienen, als klopfte da unten eine Hand gegen eine Eisenplatte…«599

Die unheimliche Atmosphäre unterstreicht Steiner-Prag in seiner Lithographie durch die verschatteten oder von unten beleuchteten Gesichter, sowie den schmalen Ausblick in die Straße, der den Eindruck einer Seitengasse vermittelt. In der Arbeit mit Licht und Schatten liegt Steiner-Prags große Stärke, die durch die Körnigkeit der Lithographie eine spezielle Note erhält. Vor allem das grelle Aufleuchten der Pfeife Vrieslanders findet eine plastische Gestaltung.

4.3.5.2 Anthropomorphe Architekturen und belebte Gegenstände Auffällig ist Steiner-Prags Gestaltung anthropomorpher Architektur. Die Analogie zwischen Mensch und Architektur blickt auf eine lange Tradition zurück, so zum Beispiel bei Vitruv und seiner Wiederentdeckung in der Renaissance. Bereits im Mittelalter bezog man sich auf die Antike, indem man das Gotteshaus mit einem menschlichen Körper verglich. Später entwickelte Filarete eine detaillierte Anthropomorphismus-Theorie, indem er den menschlichen Körper auf allen möglichen Ebenen mit einem Bauwerk verglich.600 Allerdings verlor der Mensch als Maß für die Architektur mit der Festlegung des Meters und der technischen Serienherstellung einzelner Bauteile im 19. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung.601 So könnte die Anthropomorphisierung auch in Verbindung mit dem architektonischen Erscheinungsbild industrialisierter Städte im Sinne einer Sehnsucht nach Urwüchsigkeit und Individuation gesehen werden. Darüber hinaus ist sowohl in literarischer Hinsicht, als auch auf den einzelnen Blättern, die Behandlung von Architektur als Stilmittel zur Belebung des 598 KOG, Inv.nr. 9542-11, Bezeichnung. 599 Meyrink (1989), S. 62. 600 Vgl. hierzu Tigler, Peter : Die Architekturtheorie des Filarete (= Neue Münchner Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 5), Berlin 1963, S. 69 – 71. 601 Vgl. Zöllner, Frank: Anthropomorphismus. Das Maß des Menschen in der Architektur von Vitruv bis Le Corbusier, in: Neumaier, Otto (Hg.): Ist der Mensch das Mass aller Dinge? Beiträge zur Aktualität des Protagoras (= Arianna, Bd. 4), Möhnesee 2004, S. 307 – 344, S. 333.

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Unbelebten ein zentraler Aspekt. Die organischen Stadtarchitekturen auf den Blättern Steiner-Prags entspringen zwar einerseits seiner nostalgischen Vorstellungswelt des alten Prager Ghettos, andererseits stehen sie aber im Zusammenhang mit der spirituell durchdrungenen Darstellung belebter Dinge im Roman. Meyrink speist seine Motive aus Paracelsus und dessen Vorstellung, alles sei von Geist durchdrungen.602 So sieht auch Cersowsky in dieser spirituellen Durchdringung ein Leitmotiv des Romans: »Daß damit der Zentralaspekt des ›Golem‹-Romans berührt ist, liegt auf der Hand. Die leitende Idee der Beseelung von Anorganischem, die sich in der anthropomorphisierten Architektur, vor allem aber in der Figur des Golem selbst manifestiert, findet so ihre Begründung. Der Roman wird zum Ausprägungsfeld okkultistischer Unsterblichkeitsvorstellungen.«603

Im Roman finden sich dafür eindeutige Vorlagen: »…[ich] musterte die mißfarbigen Häuser, die da vor meinen Augen wie verdrossene alte Tiere im Regen nebeneinanderhockten. Wie unheimlich und verkommen sie alle aussahen! Ohne Überlegung hingebaut standen sie da, wie Unkraut, das aus dem Boden dringt. An eine niedrige gelbe Steinmauer, den einzigen standhaltenden Überrest eines früheren langgestreckten Gebäudes, hat man sie angelehnt – vor zwei, drei Jahrhunderten, wie es eben kam, ohne Rücksicht auf die übrigen zu nehmen. Da ein halbes, schiefwinkliges Haus mit zurückspringender Stirn – ein anderes daneben: vorstehend wie ein Eckzahn. Unter dem trüben Himmel sahen sie aus, als lägen sie im Schlaf, und man spürte nichts von dem tückischen, feindseligen Leben, das zuweilen von ihnen ausstrahlt, wenn der Nebel der Herbstabende in den Gassen liegt und dazu beiträgt, ihr leises, kaum merkliches Mienenspiel zu verbergen. In dem Menschenalter, das ich nun hier wohne, hat sich der Eindruck in mir festgesetzt, den ich nicht loswerden kann, als ob es gewisse Stunden des Nachts und im frühesten Morgengrauen für sie gäbe, wo sie erregt eine lautlose, geheimnisvolle Beratung pflegen. Und manchmal fährt da ein schwaches Beben durch ihre Mauern, das sich nicht erklären lässt, Geräusche laufen über ihre Dächer und fallen in den Regenrinnen nieder – und wir nehmen sie mit stumpfen Sinnen achtlos hin, ohne nach ihrer Ursache zu forschen. Oft träumte mir, ich hätte diese Häuser belauscht in ihrem spukhaften Treiben…«604

Anthropomorphisierte Architekturen sind beinahe auf allen Blättern SteinerPrags zu finden. Besonders prägnante Beispiele sind die Blätter Die Hahnpaßgasse (Abb. 5), Die Erscheinung des Golem (Abb. 8), Die Gezeichneten (Abb. 18), Rosina (Abb. 24), Mord (Abb. 25) oder Finis Ghetto605 (Abb. 26). Das Blatt Am 602 Im Kreisschluss gibt es auch in der Golemlegende Verweise auf Paracelsus und seine Homunkulus-Idee. Vgl. Scholem (1960), S. 226. 603 Cersowsky (1983), S. 54. 604 Meyrink (1989), S. 32. 605 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-3, -6, -16, -22, -23, -24.

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Grabe des Meisters606 (Abb. 6) zeigt zwar keine anthropomorphisierte Architektur, verweist aber auf die Belebung unbelebter Gegenstände durch die unzähligen, krummen und schiefen Grabsteine des jüdischen Friedhofs, die wie eine große Menschenmenge um den Golem herumsitzen. Umgekehrt erinnert die stark stilisierte Figur des Golem wie aus Stein oder zumindest unbelebt und nicht menschlich. Ein weiteres Blatt, das diese Idee aufgreift, ist Die Wachspuppe607 (Abb. 21). Die Erwähnung einer Wachspuppe in Verbindung mit dem Trödler Wassertrum ist im Text nur eine Randbemerkung: »›Jetzt ist er allein‹, murmelte [Charousek], ›ganz allein mit seiner Gier und – und – und mit der Wachspuppe!‹«608. Später im Roman findet die Wachspuppe nochmals Erwähnung, ohne dass genauer darauf eingegangen wird, welche Bedeutung sie hat: »›Sagen Sie, Mirjam‹, fragte ich, ›haben Sie nie davon gehört, daß Wassertrum eine Wachsfigur in seinem Laden stehen hat? Ich weiß nicht mehr, wer es mir erzählt hat – es war vielleicht nur ein Traum - -‹ ›Nein, nein, es ist schon richtig, Herr Pernath: eine lebensgroße Wachsfigur steht in der Ecke, in der er, mitten unter dem tollsten Gerümpel, auf seinem Strohsack schläft. Er hat sie vor Jahren einem Schaubudenbesitzer abgewuchert, heißt es, bloß weil sie einem – einer Christin – ähnlich sah, die angeblich einmal seine Geliebte gewesen sein soll.‹ ›Charouseks Mutter!‹ drängte es sich mir auf.«609

Neben der Darstellung belebter Gegenstände ist das Motiv der Puppe oder Marionette ein zeitspezifischer Topos.610 Darüber hinaus war Steiner-Prag begeisterter E. T. A. Hoffmann-Leser und -Illustrator. Der Verweis auf Hoffmanns bekanntes Kunstmärchen Der Sandmann, in dem ebenfalls die krankhafte Liebe zu einer Puppe eine zentrale Rolle spielt, liegt hier nahe.611 4.3.5.3 Schwelle und Durchgang Schwellen und Durchgänge sind – wie bereits mehrfach erwähnt – häufig wiederkehrende Motive sowohl bei Hugo Steiner-Prag als auch bei den anderen vorgestellten Künstlern. Bereits 1909 beschäftigte sich Arnold van Gennep mit der räumlichen Schwelle in seinem Hauptwerk Les rites de passage.612 In seiner 606 607 608 609 610

Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-4. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-19. Meyrink (1989), S. 41. Meyrink (1989), S. 178. Vgl. zum Themenkomplex der Puppen, Marionetten und Automaten in der Moderne Müller-Tamm, Pia u. a. (Hg.): Phantasmen der Moderne. Puppen, Körper, Automaten, Köln 1999. 611 Diese Erzählung sollte Hugo Steiner-Prag in seinem Spätwerk (1943) auch noch einmal selbst illustrieren. Hoffmann, E. T. A. (Hg.): Der unheimliche Gast und andere Erzählungen. Illustriert und mit einem Vorwort von Hugo Steiner-Prag, München 1971. 612 Vgl. van Gennep, Arnold: Übergangsriten. Les rites de passage, Frankfurt/Main 1986.

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Arbeit beschreibt van Gennep verschiedenen Riten des Übergangs, er unterteilt sie in Trennungs-, Schwellen-, bzw. Übergangs- und Angliederungsriten.613 Für ihn hat die Grenzüberschreitung einen »magisch-religiöse[n] Aspekt«614, der Grenzüberschreitende »schwebt zwischen zwei Welten«615, der »fremden und der häuslichen Welt« oder der »profane[n] und [der] sakrale[n] Welt«616. Die neutrale Zone zwischen diesen Welten bildet die Schwelle – ursprünglich eine große Fläche zwischen zwei Territorien, die dann immer kleiner wurde, bis hin zum Balken einer Türschwelle. Tür und Tor sind heilig. So schreibt van Gennep: »Das Tor, das das Verbot des Eintritts symbolisiert, wird zum Tor in der Wallmauer, zum Tor in der Umgrenzung eines Stadtteils, zur Tür eines Hauses. Doch hat nicht allein die Bodenschwelle sakralen Charakter, auch die Oberschwelle und der Tragbalken sind heilig. Alle Teile einer Tür oder eines Tores bilden so eine Einheit. […] ›Die Schwelle überqueren‹ bedeutet […], sich an eine neue Welt anzugliedern…«617

Für den Zeitgenossen Walter Benjamin war die Schwelle ein »monadologisches ›Urphänomen‹ des 19. Jahrhunderts«618. Viele seiner Gedanken dazu sind universal und zeitlos und verweisen auf einen großen Sinnzusammenhang in seinem Werk über den Mythos.619 In den Illustrationen zum Golem findet die Schwelle oder Passage in den Darstellungen von Figuren in Torbögen oder Treppenhäusern, so zum Beispiel Der Student Charousek620 (Abb. 11), der Trödler Wassertrum vor dem Eingang zu seinem Laden621 (Abb. 10), die Bewohner des Hauses im Treppenhaus622 (Abb. 12) oder Wassertrum und seine Wachspuppe623 (Abb. 21) einen Niederschlag. Auch das Blatt Weg ins Grauen624 (Abb. 14) kann mit dem Motiv der Schwelle in Zusammenhang gebracht werden. Ebenso an einer Türschwelle befindet sich die Prostituierte, die Pernath zu sich ruft625 (Abb. 24). Die Schwellenüberschreitung im besonderen Fall der Prostitution schildert auch Benjamin: »Kein Zweifel jedenfalls, daß ein Gefühl, die Schwelle der eigenen Klasse nun zum erstenmal zu überschreiten an der fast beispiellosen Faszination, auf offener Straße 613 614 615 616 617 618 619 620 621 622 623 624 625

Vgl. van Gennep (1986), S. 21. van Gennep (1986), S. 25. van Gennep (1986), S. 27. van Gennep (1986), S. 29. van Gennep (1986), S. 28 – 29. Menninghaus (1986), S. 51. »…der antimythische Umgang mit dem Mythos bleibt selbst an die Respektierung von Schwellen gebunden, ja ist geradezu ein Schwellenhandeln.« (Menninghaus (1986), S. 52). Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-9. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-8. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-10. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-19. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-12. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-22.

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eine Hure anzusprechen, Anteil hatte. […] Aber war es wirklich ein Überschreiten, ist es nicht vielmehr eher ein eigensinnig-wollüstiges Verharren auf [Hervorh. V.S.] der Schwelle, ein Zögern, das das triftigste Motiv in dem Umstand hat, daß diese Schwelle ins Nichts führt?«626.

Benjamin setzt auch die Figuren einer Stadt in Beziehung zur Schwelle, die aber allgemeingültig für das Großstadtwesen der frühen Moderne gesehen werden kann: »Wie die Räume, wie Handlungen, Wünsche, Träume, Schrecknisse und erfüllte Glücksmomente, so sind auch die auftauchenden Personen seltsam an einen Schwellenzauber geknüpft. Was für Tante Lehmann, die Großmutter, eine namenlose Freundin und die Prostituierten gilt, hat Benjamin auch ganz allgemein als Gesetz des mythologischen ›Personals‹ benannt: ›Die Luft der Stadt, die hier beschworen wird, gönnt ihnen […] nur ein kurzes, schattenhaftes Dasein. Sie stehlen sich an ihren Mauern hin wie Bettler, tauchen in ihren Fenstern geisterhaft empor, um zu verschwinden, wittern um Schwellen, wie ein Genius loci‹ [Hervorh. V.S.].«627

Die Stadttore, wie sie auch in Prag vorkommen, sind bei Benjamin zweigesichtig: »…Wichtig ist ihre Zweiheit: Grenzpforten und Triumphtore. Geheimnis des ins Innere der Stadt einbezogenen Grenzsteins, der ehemals den Ort markierte, wo sie zu Ende war. - Auf der andern Seite der Triumphbogen, der heute zur Rettungsinsel geworden ist. Aus dem Erfahrungskreise der Schwelle hat das Tor sich entwickelt, das den verwandelt, der unter seiner Wölbung hindurchschreitet. Das römische Siegestor macht aus dem heimkehrenden Feldherrn den Triumphator. […] Diese Tore – die Eingänge der Passagen – sind Schwellen. Keine steinerne Stufe markiert sie. Aber das tut die wartende Haltung der wenigen Personen. Sparsam abgemessene Schritte spiegeln, ohne daß sie selbst davon wissen, es ab, daß man vor einem Entschluß steht.«628

Menninghaus hebt darüber hinaus vor allem das ›Dazwischen‹ der Schwelle bei Benjamin hervor.629 Der Ethnologe Victor Turner begreift in Anschluss an van Gennep die Liminalität, also den Schwellenzustand, als »notwendigerweise 626 Benjamin, Walter: Berliner Chronik. Mit einem Nachwort von Gershom Scholem, Frankfurt a. M. 1988, S. 18 – 19. 627 Menninghaus (1986), S. 39 – 40. 628 Menninghaus (1986), S. 47. 629 »Die Form der Schwelle als einer zeitlich oder räumlich inextensiven Gestalt des Zwischen korrespondiert also mit Benjamins besonderer Fassung geschichtsphilosophischer Triadik. Und sie korrespondiert ebenso mit seiner letztlich sprachtheoretisch fundierten Vorstellung von einem Medium, einem vermittelnden Zwischen überhaupt. Deren Pointe nämlich ist, daß ein Medium nicht bloß ein Raum instrumenteller Vermittlung zwischen vorausgesetzten Extremen ist - z.B. der Vermittlung eines sprachfrei gedachten ›Inhalts‹ zwischen zwei Sprechern -, daß vielmehr das Medium allererst produziert, was es scheinbar nur ›mediiert‹.« (Menninghaus (1986), S. 55).

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unbestimmt«630 und beobachtet, dass dieser Zustand mit Ritualen und Symbolen verbunden ist, die »Ambiguität und Unbestimmtheit des Schwellenzustands zum Ausdruck bringen.«631 Und er schreibt weiter : »Was uns […] an den Schwellenphänomenen interessiert, ist die Mischung aus Erniedrigung und Heiligkeit, […]. Wir werden in solchen Riten mit einem Augenblick in und ausserhalb der Zeit, in und ausserhalb der weltlichen Sozialstruktur konfrontiert.«632 Das Blatt Weg ins Grauen (Abb. 14) mit der Treppe und den Lichtverhältnissen gibt ein plastisches Bild für diese Vorstellung: Der Protagonist hat die helle Welt der festen Strukturen verlassen und begibt sich in das unterirdische Labyrinth, in eine neue Welt. Auf der Treppe befindet die Figur sich im Dazwischen des Schwellenzustandes.

4.3.5.4 Milieuschilderungen und Prager Topographien Das Milieu findet bei Steiner-Prag eine eingehende Schilderung. Auf verschiedenen Blättern zeigt er Erinnerungen an die Prager Architektur, so zum Beispiel auf den Blättern Die Hahnpaßgasse (Abb. 5), Die Erscheinung des Golem (Abb. 8), Der Gehetzte (Abb. 16), Die Gezeichneten (Abb. 18) oder Mord633 (Abb. 25). Verdunkelte und heruntergekommene Straßenzüge, sowie feuchte und schmutzige Häuser dienen der Charakterisierung des Unterschichten-Milieus, aber auch des Prager Ghettos. Andere Blätter sind eindeutig im Stadtbild Prags zu verorten, so der Blick auf das jüdische Rathaus mit der nördlich gegenüber liegenden Altneu-Synagoge auf dem Blatt Im Ghetto634 (Abb. 7), der Meyrink die Textstelle zuordnet: »Sowie er heimkäme vom jüdischen Rathaus, wollte mich seine Tochter sofort verständigen.«635 Die reale Topographie ist genau wiedergegeben. Eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem realen Goldmachergässchen auf der Prager Kleinseite weist das Blatt Die Alchymistengasse636 auf (Abb. 23). Die kleinen Häuschen mit den Schornsteinen, die so charakteristisch sind und noch heute viele Touristen anziehen, sind detailgetreu dargestellt. Eine weitere wiedererkennbare Stelle der städtischen Topographie findet sich auf dem Blatt Die Erscheinung des Golem637 (Abb. 8), es handelt sich um einen 630 631 632 633 634 635 636 637

Turner, Victor : Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt/New York 2005, S. 95. Turner (2005), S. 95. Turner (2005), S. 96. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-3, -6, -14, -16, -22, -23. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-5. Meyrink (1989), S. 115. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-21. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-6.

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Straßenzug im Judenviertel, der Blick vom Dreibrunnenplatz Richtung Meiselgasse, Ecke Würfelgasse.638 Auf dem Blatt Mord639 (Abb. 26) ist der Blick in die Pinkasgasse zu sehen.640 Auf dem Blatt Der Gehetzte (Abb. 17) handelt sich wohl um den Blick in die Saazergasse, die nicht im jüdischen Viertel liegt, anstelle der Salnitergasse, von der im Text die Rede ist.641 Neben den Milieuschilderungen des jüdischen Viertels finden sich weitere Verortungen in der realen Topographie Prags. Das Bild Im Dom642 (Abb. 22) zeigt zwei Figuren im Veitsdom, erkennbar an Teilen des berühmten Nepomukgrabes: einem der Engel, die den Baldachin tragen, den Kerzenständern und Bündelpfeilern des Chorumganges. Obwohl die topographische Zuordnung eine untergeordnete Rolle spielt und damit hier wie in den anderen Blättern eine Folie zur Gestaltung des Unheimlichen und Düsteren bildet, sind alle Details sehr wirklichkeitsgetreu wiedergegeben. Das Blatt Aron Wassertrum643 (Abb. 10) ist milieugeprägt und der irdischen Lebenswelt des Romans zugeordnet. In authentischer Detailliertheit wird der Trödler vor seinem Laden dargestellt. Mit Hut und Mantel sitzt Wassertrum vor den geöffneten Flügeltüren seines Ladens. Sein Gesicht ziert eine große Hakennase644, einen verzerrten Mund, kleine Augen und riesige Ohren. Um den Eingang seines Geschäftes herum hängen allerlei Gerätschaften und Verkaufsobjekte. Der literarische Bezug ist eindeutig und bietet viel Stoff für die Darstellung: »Sein starres, grässliches Gesicht mit den runden Fischaugen und der klaffenden Unterlippe, die von einer Hasenscharte gespalten ist. Wie eine menschliche Spinne kam er mir vor, die die feinste Berührung ihres Netzes spürt, so teilnahmslos sie sich auch stellt. […] An den Mauerrändern seines Gewölbes hängen unverändert Tag für Tag, jahraus, jahrein dieselben toten, wertlosen Dinge. […] Alle diese Dinge nahmen an Zahl nie zu, nie ab, und blieb wirklich hier und da einmal ein Vorübergehender stehen und fragte nach dem Preis des einen oder anderen, geriet der Trödler in heftige Erregung. In grauenerregender Weise zog er dann seine Lippe mit der Hasenscharte empor und sprudelte gereizt irgend etwas Unverständliches in einem gurgelnden,

638 Vielen Dank für diesen Hinweis an Gabriela Kasˇkov‚ und Jana Böttrich, Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg. Ihre Recherchen anhand von zeitgenössischen Photographien identifizieren vor allem den treppenartig hervorspringenden Erker und die schräg gegenüber an der Häuserkante montierte Laterne. 639 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-23. 640 Vielen Dank für diesen Hinweis an Gabriela Kasˇkov‚ und Jana Böttrich, Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg. 641 Vielen Dank für diesen Hinweis an Gabriela Kasˇkov‚ und Jana Böttrich, Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg. 642 KOG, Inv.nr. 9542-20. 643 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-8. 644 Wie oft bei Steiner-Prag ein Hinweis auf die (Auto-)Stereotypisierung eines Juden.

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stolpernden Baß hervor, dass dem Käufer die Lust weiterzufragen verging und er abgeschreckt seinen Weg fortsetzte.«645

Darüber hinaus weist eine historische Photographie des Trödlerladens auf der Pinkasgasse eine gewisse Ähnlichkeit mit der Darstellung bei Hugo Steiner-Prag auf.646 Eine weitere Milieuschilderung zeigt das Blatt Beim Loisitschek647 (Abb. 17). Das Bild zeigt einerseits die Caf¦hauskultur der Jahrhundertwende, andererseits die verschiedenen Gesellschaftsschichten, die darüber hinaus durch die Bildarchitektur hierarchisch angeordnet sind. Im Hintergrund auf einer Erhöhung oder einem Podest sind zwei Herren mit Zylinder und Frack und eine Dame mit Hochsteckfrisur zu sehen. Im Mittelgrund ist eine Gruppe von Männern zu erkennen, sie tragen schlichte Schiebermützen und trinken aus einfachen Gläsern. Sie könnten dem studentischen Milieu angehören. Im Vordergrund werden vier Figuren dargestellt. Eine Frau mit Kopftuch macht dem Mann neben ihr Avancen, vermutlich handelt es sich um die Darstellung einer Prostituierten. Eine weitere Frau am Tisch ist schlafend in sich zusammengesunken. Ein Mann sitzt rauchend frontal zum Betrachter. Er hat tiefliegende Augen und eingefallene Wangen – Ausdruck ärmlicher und heruntergekommener Verhältnisse. Neben den verschiedenen Gesellschaftsschichten werden somit auch die unterschiedlichen Nationalitäten der ›Tripolis Praga‹ thematisiert. Die Studenten sind aller Wahrscheinlichkeit nach Deutsche, die Kneipe heißt jedoch ›Zum Loisitschek‹ – ein tschechischer Name. Nationalität und soziale Schicht gehen ineinander über. Das Blatt weist darüber hinaus eine hohe Narrativität auf, die sich in der Darstellung der verschiedenen Schichten und der pluriszenischen Darstellung von Gleichzeitigkeit zeigt. Das jüdische Viertel spielt sowohl für den Roman, als auch für die Illustrationen Steiner-Prags eine zentrale Rolle. Die Darstellung des Golem auf dem jüdischen Friedhof648 (Abb. 6) ist eindeutig in Prag zu verorten. Dabei dient sie aber weniger der Milieubeschreibung, sondern ist eher dekorativ aufgefasst. Die verschlungenen Äste und die in alle Richtungen versunkenen Grabsteine stilisiert Steiner-Prag zu einem dicht geflochtenen Ornament, in dessen Mitte der Golem in seinem beinahe nach vorne überkippenden Gang dargestellt ist. Hier wird auch das Spiel mit Licht und Schatten ornamental eingesetzt, so auf dem

645 Meyrink (1989), S. 14 – 16. 646 Vgl. Schmitz (2001), S. 175 – 176. In einer vergleichbaren Lithographie für Hollunderblüthe von Wilhelm Raabe ist das Vorbild des Trödlerladens in der Pinkasgasse noch deutlicher erkennbar. Siehe hierzu Kapitel 5.4. Vgl. auch Binder (2009), S. 521, der den Trödlerladen nach seinem Besitzer Mojzˇisˇ Reach benennt. 647 KOG, Inv.nr. 9542-15. 648 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-4.

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Grabstein, der als das historische Grab des Rabbi Löw erkennbar ist. Für die starke Wirkung des Blattes ist die Golem-Figur fast überflüssig.649 Die Darstellungen der Altneu-Synagoge und des jüdischen Rathauses auf den Blättern Der Golem (Abb. 4) und Im Ghetto650 (Abb. 7) sind auch heute noch exakt in der Josefstadt/Josefov wiederzufinden. Die Darstellung auf dem Blatt Finis Ghetto651 (Abb. 26) hingegen kann heute nicht mehr genau zugeordnet, aber mit historischen Photographien von der ›Assanierung‹ des Prager jüdischen Viertels verglichen werden. Hier schlug sich die prägende Jugenderinnerung Steiner-Prags an den Abriss seiner Heimat nieder. Auch das Blatt Rosina652 (Abb. 24) konnte in eine topographische Realität verortet werden, es handelt sich vermutlich um die Alte Post in der Judenstadt.653 Die gesamte Straßenschlucht ist anhand der Balkone eindeutig wiederzuerkennen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Hugo Steiner-Prag viele Skizzen von Prager Stadtdarstellungen bereits vor der Golem-Mappe gezeichnet hatte, sodass er darauf nun zurückgreifen konnte. Dies muss auch aufgrund der relativ kurzen Entstehungszeit angenommen werden. Es sind möglicherweise dadurch noch weniger Lithographien auf die unmittelbare Inspiration durch das Buch zurückzuführen. 4.3.5.5 Adaption der Golemfigur bei Meyrink und Hugo Steiner-Prag Die historische Figur des Golem wird im Roman aufgegriffen, erfährt aber eine Abwandlung. Das zentrale Motiv ist das des Wiedergängers, dessen Seele keine Ruhe findet. Alle 33 Jahre erscheint er erneut in der Stadt und verbreitet Angst und Schrecken. Nach Gershom Scholem hat dieser Golem nur mehr wenig mit der jüdischen Kabbalistik zu tun: »Nach Meyrinks Interpretation ist der Golem eine Ahasverische Erscheinung, die alle dreiunddreißig Jahre – die Zahl ist wohl nicht zufällig die der Lebensjahre Jesu – am Fenster eines Zimmers ohne Zugang im Prager Ghetto erscheint. Dieser Golem ist teils materialisierte Kollektivseele des Ghetto, mit allen trüben Rückständen des Gespenstischen, teils aber Doppelgänger des Helden, eines Künstlers, der um seine Selbsterlösung ringt und in ihr den Golem, sein eigenes unerlöstes Selbst, messianisch reinigt. Wenig freilich steckt von der jüdischen Tradition, selbst in ihren verfallenen und von

649 Der jüdische Friedhof wird auch in seinen späteren Lithographien zu Hollunderblüthe von Wilhelm Raabe eine prominente Rolle spielen. 650 KOG, Inv.nr. 9542-2 und -5. 651 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-24. 652 KOG, Inv.nr. 9542-22. 653 Vgl. die Abbildung in Der Prager Golem (2006), S. 38.

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der Sage verwandelten Formen, in dieser einigermaßen berühmt gewordenen Romangestalt.«654

Zudem ist sein Erscheinen immer mit einem Mordfall verbunden. Bezüglich des Aussehens entfernt sich Meyrink von der Darstellung als stumme Lehmfigur, die Materialität des Golem spielt im Roman keine Rolle mehr. Stattdessen tritt sein asiatisch anmutendes Aussehen des Golem in den Vordergrund, das sowohl für die Strömung des Exotismus um 1900 typisch war, als auch Meyrinks persönlichem Interesse entsprach. Meyrink beschreibt den Golem mit schräg liegenden Augen und einem kahlen, ei-förmigen Schädel. Betont wird auch sein Gang als gekrümmt, beinahe vornüber fallend und mit schleppendem Schritt.655 Steiner-Prag übernimmt diese Beschreibung einerseits sehr deutlich, andererseits vollzieht er eine Rückbindung der Meyrinkschen Figur an die ursprüngliche Legende des Golem, indem er ihn auf einem seiner Blätter im jüdischen Friedhof vor dem berühmten Grab des historischen Rabbi Löw platziert. Aufschlussreich für die Untersuchung des Meyrinkschen Golem ist die etymologische Herkunftsbestimmung des Wortes ›Golem‹. Abgeleitet aus dem hebräischen ›golmi‹ und dessen Wurzel ›glm‹, bedeutet ›golem‹ etwas Ungeformtes, Amorphes.656 In der weiteren Folge erfährt der Begriff eine Abwandlung hin zu einem »wrapped embryo«657, oder im israelischen Hebräisch auch geläufig als ›kokonähnlich‹.658 Dieser Übersetzung widerspricht Scholem ausdrücklich. Für ihn stellt der Golem ein Stadium in der Schöpfungsgeschichte dar. Daher übersetzt er das Wort ebenfalls mit ›formlos‹.659 In der aramäischen Linie wird ›golem‹ zu einem menschlichen Körper, wobei keine Aussage über seine Lebenskräfte oder Fähigkeiten getroffen wird.660 Im Talmud, bzw. in der Mischnah erfährt der Begriff ›golem‹ verschiedene Abwandlungen: in erster Linie ist es ein Wesen oder etwas, das vollendet zu werden verlangt. Des Weiteren bedeutet der Terminus auch so etwas wie dumm, ungebildet. Beide Bedeutungen stehen in enger Beziehung, denn jemand oder etwas, das noch keinen Verstand erlangt hat, ist »not yet a completely developed human being«661. Auch Held stellt fest: 654 Scholem (1960), S. 209 – 210. Trotz seiner Kritik gesteht Scholem dem Roman zu, eine »unnachahmliche Stimmung« hervorgerufen zu haben. Die Ghettoarchitektur charakterisiert er als »futuristisch«. (Scholem (1960), S. 209). 655 Meyrink (1989), S. 50. 656 Vgl. Sherwin (2009), S. 278; vgl. auch Held, Hans Ludwig: Das Gespenst des Golem. Eine Studie aus der hebräischen Mystik mit einem Exkurs über das Wesen des Doppelgängers, München 1927, S. 37. 657 Sherwin (2009), S. 278. 658 Vgl. Sherwin (2009), S. 278. 659 Vgl. Scholem (1960), S. 212. 660 Vgl. Sherwin (2009), S. 278. 661 Sherwin (2009), S. 278.

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»Hier sei auch das wohl allen Golemgestalten inhärierende Stummsein bemerkt, das den bezeichnendsten Unterschied zwischen Mensch und Golem in sich begreift, eben den Mangel des höchsten Gottesgeschenkes an den Menschen: das Vermögen der Namengebung, als den Beweis der Durchdringung des eigentlichen Seins aller neben Adam bestehenden Wesen.«662

Spezifizierung erfährt die Figur des Golem in den späteren talmudischen Texten, im Traktat Sanhedrin.663 Hier ist der Golem die Vorform des Adam, er ist also das Lehmgeschöpf der Schöpfungsgeschichte, dem Gott den Atem einhaucht und er zu Adam wird. Der Golem wird also von Gott geschaffen und ist ein »protohuman being«664. Somit ist der Golem eine Figur zwischen den Toten und den Lebendigen, einem Bereich »der nach Freud zur Sphäre des Unheimlichen par excellence gehört.«665 Ein wesentliches Merkmal fast aller Golem-Figuren ist ihre Stummheit, ein Ausdruck ihrer Unvollkommenheit. Ganz besonders ist das Fehlen einer Sprache Zeichen der Unwissenheit, das Fehlen jeglichen Verstands. In Bezug auf die Geschlechtlichkeit wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass der Golem männlich ist. Er verfügt jedoch nicht über eine wie auch immer geartete Sexualität und ist in der Folge auch unfruchtbar, was ein weiteres Merkmal seiner Unvollkommenheit ist.666 Die ursprüngliche Legende gibt dem Golem eigentlich kein wiedererkennbares Aussehen.667 Er wird lediglich durch sein Verhältnis zum Rabbi Löw charakterisiert. In der Statue von Sˇaloun ist er vor allem in Rückenansicht zu sehen und weist im Grunde keine abnormalen physischen Merkmale auf. In späteren Darstellungen, vor allem im Film von Paul Wegener, wird er übergroß, massig und unförmig dargestellt, in anderen Bildern auch als stumm oder blind, bzw. ohne Sinnesorgane.668 Da bei Meyrink nicht klar wird, ob die Figur, die man für den Golem halten könnte, tatsächlich (innerhalb der Romanfiktion) existiert, kann keine eindeutige Aussage über seine Merkmale getroffen werden. In der Szene jedenfalls, als der Golem (tatsächlich oder nur erträumt) dem Protagonisten das Buch Ibbur zur Reparatur bringt, spricht er nicht. Merkwürdig ist die auffallende Ähnlichkeit der Steinerschen Golem-Figur 662 663 664 665 666

Held (1927), S. 38. Sherwin (2009), S. 280. Sherwin (2009), S. 280. Mayer (1975), S. 37. Vgl. Sherwin (2009), S. 283 – 284. Es gibt seltene Erwähnungen von einem weiblichen Golem, die aber auch in anderer Hinsicht von der Schöpfungslegende des Golem abweichen. 667 Vgl. Klimesˇ, Ivan: Bringing the Homunculus to Life. The Golem in Film and Theatre, in: Put†k u. Demetz (2009), S. 387 – 399, S. 387. 668 Vgl. hierzu die verschiedenen Aufsätze in Put†k u. Demetz (2009).

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mit späteren Darstellungen von Außerirdischen. Diese frappierende Analogie konnte jedoch nicht auf einen unmittelbaren Zusammenhang mit Steiner-Prags Darstellung und den Erscheinungen von Außerirdischen gebracht werden. Dennoch ist bemerkenswert, dass ältere Vorstellungen von Lebewesen beispielsweise auf dem Mond oder Mars eher an florale oder tierische Transformationen menschlicher Wesen erinnern. Erst im 20. Jahrhundert erlangen sie ihre charakteristische Form des ›Aliens‹.669 Prototypen sind zum Beispiel die sogenannten ›Greys‹, die erstmals in den 1950er Jahren gesichtet worden sein sollen, aber auch andere Arten von außerirdischen Lebewesen wurden ähnlich beschrieben.670 Die Ähnlichkeit des ›Marsmenschen‹ mit Erscheinungsformen der Humanoiden des 20. Jahrhunderts kommt sicher nicht von ungefähr. Es handelt sich in den allermeisten Fällen um Darstellungen einer technisch überlegenen Rasse, deren Ikonographie von einem Mensch-Maschine-Dualismus geprägt ist. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Film Metropolis von Fritz Lang von 1925.

4.3.6 Prag als ›genius loci‹ der unheimlichen Stadt Für die europäische Dekadenzbewegung spielte der Topos der verfallenden, sterbenden oder toten Stadt eine wichtige Rolle.671 Die literarisch und künstlerisch gespiegelten Veränderungen und Verfallserscheinungen hatten meist reale 669 Leider steht bislang eine wissenschaftliche Bearbeitung einer Ikonografie der Figur des Außerirdischen in der Forschung aus. Dies liegt einerseits aufgrund ihres spekulativen Charakters in der Materie selbst, andererseits in der Scheu der Kunstwissenschaft, sich mit populärkulturellen Phänomenen zu beschäftigen, begründet. 670 »The Beings have a head, an upright body, two arms, two hands, three or four fingers, an opposable thumb, two legs, and two feet. Their eyes are located on their heads near the middle. Their heads have no hair, no ears (although sometimes a hole or some other small apparatus is described), and no nose, although most abductees say that they can see a ridge or even holes where the nose would be. The mouth is represented by a lipless slit that is usually not open and it is not used for communication. […] The eyes are huge for the face. They have no white in them, rather they seem to be ›inky‹, opaque, black organs. They have no eyebrows, no eyelashes, no eyelids. […] On occasion an abductee will say that the eyes can be raised at the corners a bit.« (Jacobs, David M.: Aliens and Hybrids, in: Pritchard, Andrea u. a. (Hg): Alien discussions. Proceedings of the Abduction Study Conference, Cambridge, Mass 1994, S. 86 – 90, S. 86). 671 Schmitz (2001), S. 15; vgl. auch Fritz (2005), S. 47. Fritz betont dabei noch eine Spezifik der »Mitteleuropäischen Stadt«, die besondere Mythen generiert. Ihre Beispiele sind Wien, Triest, Venedig und natürlich Prag. Ihnen allen ist laut Fritz vor allem eine gewisse Grenzposition zwischen Ost und West gemein. Neben den literarischen Beispielen, wie sie Fritz behandelt, gibt es auch in der bildenden Kunst zahlreiche Beispiele für diesen Topos. So zum Beispiel Egon Schieles Bildserie Tote Stadt 1911/12 oder Fernand Khnopff Die verlassene Stadt 1904.

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Hintergründe. Modernisierung und Industrialisierung verwandelten die Städte um die Jahrhundertwende in einer immensen Geschwindigkeit. In Prag machte sich das unter anderem in der ›Assanierung‹ des Judenviertels bemerkbar.672 Um 1900 gab es in verschiedenen europäischen Städten eine Kultur der »›Stadtpersonalität‹«673. Diese Stadtpersonalität konnte einen morbiden Charakter aufweisen, also den Topos der sterbenden oder verfallenden Stadt verkörpern, so beispielsweise Brügge, Venedig oder London.674 Steiner-Prag als Meister der belebten Architektur verwirklichte die Stadtpersonalität als architektonische Personifikation in seinen Bildern, die sich auch in der literarischen Vorlage findet. Auch bei Kubin lässt sich das Motiv der personifizierten Stadt erkennen, allerdings eher im Literarischen als im Zeichnerischen. Vor allem aber am Beispiel der Stadt Prag manifestiert sich dieses Motiv. Ihre mystischen Zuschreibungen enthalten meist eine Imago als Person. So schreibt Meyrink in einer Umfrage Kurt Krolops über Prag, die Stadt habe eine »Hexenhand, [mit der sie] den Menschen packt, daß er vor dumpfer Angst jede Stunde fliehen möchte und doch, wenn es ihm gelingt, anderswo kein Glück mehr fühlt und, an innerer Leere verdurstend, wieder zurücksucht.«675 Später formulierte er eine ähnliche personifizierende Charakterisierung Prags: »Jeder Mensch, den ich dort gekannt, gerinnt zum Gespenst und zum Bewohner eines Reiches, das Tod nicht kennt. Marionetten sterben nicht, wenn sie von der Bühne verschwinden; und Marionetten sind alle Wesen, die die Stadt mit dem heimlichen Herzschlag gefangenhält. Andere Städte, so alt sie auch sein mögen, muten mich an, wie unter der Gewalt ihrer Menschen stehend: wie desinfiziert von keimtötenden Säuren – Prag gestaltet und bewegt wie ein Marionettenspieler, seine Bewohner von ihrem ersten bis zum letzten Atemzug.«676

672 Ähnlich wie Steiner-Prag zeigte sich auch die tschechische Bevölkerung betrübt über den Abriss des jüdischen Viertels. Es kam zu Protestschriften, so zum Beispiel von dem Literaten Vil¦m Mrsˇt†k 1896. Marek fasst zusammen: »Es ging Mrsˇt†k freilich nicht so sehr um die historischen Denkmäler, die das Baufieber in Gefahr brachte, und erst recht nicht speziell um die jüdischen in der Josefstadt, sondern um den ›malerischen‹ Charakter des alten, ›uns so teuren‹ Prag, der nun mit den romantischen Vorstellungen einer tschechischen Vergangenheit der Stadt identifiziert wurde, und den es gegen die Übermacht des Kapitals zu verteidigen galt, das seinerseits implizite mit der deutsch sprechenden Oberschicht gleichgesetzt wurde.« (Marek, Michaela: ›Monumentalbauten‹ und Städtebau als Spiegel des gesellschaftlichen Wandels in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Seibt, Ferdinand (Hg.): Böhmen im 19. Jahrhundert. Vom Klassizismus zur Moderne, Berlin 1995, S. 149 – 233, S. 201 – 202). 673 Schmitz (2001), S. 16. 674 Schmitz (2001), S. 15. 675 Krolop, Kurt: Hinweis auf eine verschollene Rundfrage: »Warum haben Sie Prag verlassen?«, in: Goldstücker, Eduard (Hg.): Germanistica Pragensia, Praha 1966, S. 47 – 64, S. 50. 676 Meyrink (1947), S. 222.

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Dass die Imago der Stadt Prag wesentlich von den Prager Literaten entworfen wurde, und nicht umgekehrt der literarische Stil durch die Stadt geprägt ist, betont auch Claudio Magris: »Der Prager Schriftsteller […] beschreibt oft auf seinen Seiten nicht etwa ein geschichtstreues und wirkliches Prag der Vergangenheit oder der Gegenwart, sondern ein von der Literatur geschaffenes Prag, das wiederum zum literarischen clich¦, zur künstlichen und konventionellen Landschaft wird, die als echte Welt akzeptiert wird, um in ihrem Hintergrund die eigenen Figuren hervortreten zu lassen. Das mythische und vielschichtige Prag ist wenigstens teilweise das Ergebnis der Phantasie einiger großer, mittelmäßiger oder unbedeutender Schriftsteller, die ihre Verständnisschwierigkeiten gegenüber den Widersprüchen ihrer Umwelt in ein verzaubertes Reich verwandelt haben…«677

Magris Beobachtungen zur Prager Literatur sind sehr aufschlussreich, sodass hier noch eine folgende Textstelle zitiert werden soll: »Die Prager Literatur ist ein Beispiel dafür, wie Literatur mit Besessenheit die eigene Tradition zum Thema macht […]. Diese Tradition besteht aus einer Anzahl immer wiederkehrender Motive […]: Das Vielvölkermosaik Mitteleuropas, das dreifache Ghetto, das den Prager deutschen Juden innerhalb der deutschen Gemeinschaft, die wiederum in der tschechischen Stadt isoliert war, in eine Sackgasse sperrte; die Überschneidung von Sprachen und Kulturen, die künstliche Treibhausatmosphäre, in der die deutsche Kultur lebte […], der gespenstische Alltag und der groteske Friedhofshumor, die Mystik des Objekts und der Aufstand der Dinge, der mit Gegenständen und Krimskrams überladene Prunk, der die Geschichte wie ein Museum oder einen Gebrauchtwarenladen erscheinen läßt, die Parks in der Abenddämmerung und die spitzbübische Epik der Vorstadtcliquen und des Kneipengeschwätzes…«678

Bemerkenswert sowohl für die Literaten, als auch für die Künstler ist die Konzeption der Werke aus der Rückschau auf Prag. Zum Zeitpunkt der Entstehung der meisten Arbeiten hatten die Autoren/Künstler die Stadt bereits verlassen. Dies schreibt Claudio Magris der Spezifik der Prager Kunst zu: »Sowohl diejenigen, die Prag verlassen, als auch diejenigen, die in Prag bleiben, stimmen darin überein, den Prager Schriftsteller als ›heimatlos‹, ›radikal expatriiert‹ (Werfel), ›enterbt‹ (Wiener) zu bezeichnen. […] Das ist die historische und existentielle Wahrheit des Exils, unserer einzig möglichen Heimat der Wille zur ›Deterritorialisierung‹ (Deleuze und Guattari), d. h. der Verzicht auf die Herrschaft, auf die warme und fatale falsche Einreihung in eine nicht mehr bestehende Chorartigkeit, der Verzicht auf die ›Kuhwärme‹ der mundartlichen Sentimentalität, auf die Unmittelbarkeit der Nabelschnur. Es ist die Wahrheit Kafkas, der aus Prag eines der größten

677 Magris (1980), S. 12 – 13. 678 Magris (1980), S. 13.

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Exilsymbole aller gemacht und damit ein wahrheitsgetreues Bild der Heimat eines jeden entworfen hat.«679

Magris sieht dabei gerade in der territorialen Distanz die Möglichkeit, Prag zu vergegenwärtigen, wohingegen die Anwesenheit in der Stadt hilfreich sein kann, um ihr zu entkommen.680 Dieses Phänomen ist u. a. für ihn ein Symbol des Prager »Oxymorons«, ein »solidarischer Chor der dort Gebliebenen, die es verfluchen und der Fortgegangenen, die es erträumen, beide gleich gezwungen, von [Prag] zu sprechen.«681 Den besonderen Charakter Prags will Norberg-Schulz an der Architektur festmachen.682 Dabei vermischt er atmosphärische Eindrücke, literarische Beschreibungen und architektonische Gestaltungen. Für ihn sind wichtige Merkmale des Prager ›genius loci‹ der »Kontrast zwischen Erde und Himmel«683, den er an der Prager Stadtsilhouette festmacht,684 aber auch die Grenzstellung zwischen Ost und West.685 Die Innenstadt ist durch ihre Beengtheit geprägt: »Die Nebenstraßen des alten Prag sind ihrem Charakter nach enge, gewundene Gassen, und als solche haben sie ausgesprochene Geschlossenheit, doch sind viele kleine Plätze als städtische Nebenzentren eingerichtet. In der Altstadt ist es durchaus nicht unüblich, daß Häuser von zwei Seiten aus betreten werden können (Durchhäuser). […] Diese besondere räumliche Eigenheit trägt ganz entscheidend zum ›geheimnisvollen‹ Wesen Prags bei.«686

Damit geht der Charakter des Labyrinthischen einher, den Norberg-Schulz als »Gefühl, man könne immer tiefer nach innen vordringen«687 beschreibt. Neben der architektonischen Gestaltung des historischen Prag, findet auch

679 Magris (1980), S. 37. Dieser Heimatverlust, bzw. die Heimatlosigkeit zeigt sich künstlerisch auch deutlich in Der Golem, und zwar im Abriss und der ›Assanierung‹ des Judenviertels. Die ›Heimatlosigkeit‹, die Magris den Prager Literaten zuschreibt, wurde auch oft der Wiener Literatur zugeeignet. Vgl. Ein »Mütterchen mit Krallen« (1997), S. 113. 680 Vgl. Magris (1980), S. 38. 681 Magris (1980), S. 39. 682 Vgl. Norberg-Schulz, Christian: Genius loci. Landschaft, Lebensraum, Baukunst, Stuttgart 1982, S. 78 – 111. So interessant Norberg-Schulz’ Ausführungen sind, bleiben sie sehr tendenziös. 683 Norberg-Schulz (1982), S. 81. 684 »Der steile Berg mit dem Hradschin kontrastiert mit dem ausgedehnten horizontalen Gedränge der Altstadt, und die Burg versammelt den Ortscharakter in ihren langen horizontalen Linien, die vertikal vom St.-Veits-Dom überragt werden. Dieses Beieinander ist das bestimmende Motiv der berühmten ›Ansicht von Prag‹: Über den horizontalen Verlauf der Moldau blickt man auf die vertikal aufsteigende Kleinseite.« Norberg-Schulz (1982), S. 81. 685 Vgl. Norberg-Schulz (1982), S. 84 – 85. 686 Norberg-Schulz (1982), S. 87. 687 Norberg-Schulz (1982), S. 87.

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die »Soziologie der Großstadt«688 einen künstlerischen Niederschlag im ›genius loci‹ der Stadt Prag. Gerade im Zuge der Jahrhundertwende und im Vorfeld des Ersten Weltkriegs nahm die Großstadt neue Züge an. Diese Veränderungen äußerten sich in der Technisierung des Alltagslebens, moderne Architektur, Verkehr, Beschleunigung und Funktionalität waren Kennzeichen einer neuen Urbanität. Ein Diskurs über den Lebensraum Stadt setzte den Menschen und sein Verhalten in Bezug zu seiner städtischen Umgebung. Es ging dabei auch um Identitäten und Gruppenzugehörigkeiten, die zum Teil bewusst von der Obrigkeit gesteuert wurden. In Prag nahm dies ganz konkrete Formen an, indem man mithilfe städtebaulicher Maßnahmen künstliche nationale Identitäten zu erschaffen versuchte.689 Dies kann auch erklären, warum gerade in der deutschen Literatur und Kunst oft auf die vergangenen goldenen Zeiten der Stadt Prag rekurriert wurde. Es sind also nicht nur die konkreten Gebäude und Plätze einer Stadt, sondern auch historische Ereignisse oder historische Imagi einer Stadt, die auf die Geisteshaltung ihrer Bewohner Einfluss nehmen können. Fritz erläutert die spezifischen Prager Topographien, die bedeutsam für den ›genius loci‹ der Stadt waren, anhand folgender Punkte: »Die wichtigste identitätsstiftende Einheit ist dabei, was die Prager Deutschen betrifft, zweifellos das Panorama mit Karlsbrücke, Moldau, Kleinseite und Hradschin, das man vom Altstädter Ufer aus erblickt. Bedeutsam ist weiterhin das einstige jüdische Ghetto mit seinem berühmten Friedhof, der Altstädter Ring und das Altstädter Rathaus.«690

Fritz erkennt außerdem die »Epoche Rudolphs II. und seiner sagenhaften Alchimisten, verknüpft mit den Legenden vom Hohen Rabbi Löw und dem Golem«691 und die Zeit des biedermeierlichen Prags vor der ›Assanierung‹ des jüdischen Ghettos als identitätsstiftende, historische Markierungen. Die mystische Phantastik der Prager deutschen Literatur wurde immer wieder auf eine spezielle Ausstrahlungskraft dieses Stadtbildes oder auf die »slawische Seele zurückgeführt«692. Dabei handelt es sich um ein komplexes Phä688 Fritz (2005), S. 23. 689 Fritz (2005), S. 24. Beispiele hierfür sind das Deutsche und das Tschechische Theater, jeweils zwei nationale Opern, Universitäten etc. Institutionen also, die sowohl innerhalb des Städtebaus eine maßgebliche Rolle spielen, da sie Fixpunkte der städtischen Topographie bilden. Darüber hinaus handelt es sich um Orte, an denen Öffentlichkeit hergestellt wird und die öffentliche Bildungs- und Kulturinstitutionen sind, die sich besonders dazu eignen, nationale Identitäten zu schaffen. Vgl. zum Thema Marek (1995). Marek hält jedoch fest, dass diese identitätsstiftenden Baumaßnahmen in Prag nicht so eine starke Ausprägung fanden, wie in anderen Städten des Habsburger Reiches. Vgl. Marek (1995), S. 166. 690 Fritz (2005), S. 25. 691 Fritz (2005), S. 26. 692 Vgl. Satonski, Dmitri Wladimirowitsch: Zur gesellschaftlichen Situation der Prager deutschen Literatur, in: Goldstücker (1967), S. 183 – 186, S. 184.

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nomen, das immer beide Seiten, Konstrukt und Historizität, in sich birgt. So schreibt auch Schmitz, dass »sich hier Ereignis und Mythos von Anbeginn überlagern.«693 Indes einem Kulturraum eine spezifische ›Seele‹ zuzuschreiben, die auf alle dort Anwesenden wirke, ist ein Topos der Moderne. Die Tatsache, dass die Umgebung einen Einfluss auf die künstlerische Tätigkeit hat, soll nicht in Frage gestellt werden. Wie genau jedoch diese Umgebung charakterisiert wird, und was genau der ›genius loci‹, also der ›Geist des Ortes‹, sein soll, wird in erster Linie durch ein Konstrukt aus Mythen und ihren Adaptionen und Abwandlungen bestimmt. Umgekehrt hat dann dieser Mythos wiederum Einfluss auf die nachkommenden Generationen und ihre künstlerische Produktion. Der Prager ›genius loci‹ wird also durch seine Charakterisierung in literarischen Texten, die für sich selbst den Anspruch erheben ›Prager Texte‹ zu sein, dargestellt. Dies ergibt in Anbetracht der Tatsache, dass die meisten Literaten des ›Prager Textes‹ aus ihrer Erinnerung heraus über Prag schreiben, noch viel mehr Sinn.694 Der ›genius loci‹ ist in einer Reihe von Texten eingeschrieben, die ähnliche Motive wiederholen. Diese Motive sind meist solche, die sich in ähnlicher Form für andere Städte in derselben Zeit auch finden, die aber für die Topographie der Stadt Prag spezifiziert werden. Überspitzt formuliert könnte man sagen, der ›genius loci‹ ist ein Zeitgeist, eine Art Mode, die dem jeweiligen Kontext angepasst wird. Sowohl in den Illustrationen Hugo Steiner-Prags zum Roman Der Golem, wie auch im Roman selbst wird der ›genius loci‹ Prags bewusst künstlerisch eingesetzt. Es würde zu kurz greifen, Prag als bloße Hintergrundfolie für eine unheimliche Geschichte zu sehen. Anhand des biographischen Bezugs von Künstler und Autor zur Stadt Prag lässt sich dies gut begründen. Bei Meyrink war es nach eigenen Aussagen eine Art ›Hassliebe‹, die seine Beziehung zu Prag prägte, bei Steiner-Prag eher eine verklärte oder bewundernde Sicht auf das vergangene jüdische Ghetto. Insbesondere die ›Assanierung‹ der Josefstadt hatte bei Hugo Steiner-Prag einen tiefen Eindruck hinterlassen und ihn für sein späteres Werk entscheidend geprägt. Der Verlust des Ortes seiner Kindheit wird in einer Art Erinnerungswerk in der Golem-Mappe aufgearbeitet. Steiner-Prag hat dem Prager Judenviertel ein Denkmal gesetzt. Das jüdische Ghetto in Prag galt als der Ort des ›Unheimlichen‹ und Krankhaft-Morbiden mit verwinkelten Gassen, eng stehenden Häusern, dem jüdischen Friedhof, und erschien durch seine Abgeschlossenheit als schwer zugänglicher Krankheitsherd.695 693 Schmitz (2001), S. 15. 694 Bemerkenswert ist dabei auch der Hinweis von God¦/Le Rider/Mayer, dass die Beschwörung des Prager genius loci sich »so gut wie nie [auf] das zeitgenössische Prag« bezieht (God¦ u. a. (1994), S. 12). 695 Aus dieser Ansicht erschließt sich auch der Begriff der ›Assanierung‹, also der ›Gesundung‹ des jüdischen Viertels. Bemerkenswert ist der Hinweis Mareks, dass um 1900 kaum mehr

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Trotz der guten Integration der jüdischen Bevölkerung, sowie ihres großen Anteils an der Entstehungsgeschichte Prags wurde in den Prager Texten mit üblichen Stereotypen des Jüdischen gearbeitet. Besonders die Alchimie, die den Juden zugeschrieben wurde, diente als Folie für unheimliche, geheimnisvolle Machenschaften. Im Sinne der ›De-Territorialisierungstheorie‹ nach Deleuze und Guattari können die Stereotypen sogar als Instrumente eines ›Re-Territorialisierungsversuches‹ bewertet werden.696 Darüber hinaus verfügt die Alchimie über ein festes Repertoire an architektonischen Bezügen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich das berühmte Goldmachergässchen auf dem Burgberg befindet und in einen Turm mündet. Hinzu tritt das Symbol des Labyrinthes in Form unterirdischer Gänge, die im Golem unter dem jüdischen Viertel verortet werden. Berg bzw. Turm und Höhle bzw. unterirdisches Wegelabyrinth sind feste Archetypen der Alchimie und finden sich in der Behandlung des städtischen Gefüges Prags bei Meyrink wieder.697 Nicht nur das jüdische Ghetto, sondern auch der Hradschin und die Karlsbrücke – wie auch insgesamt die Prager historische Altstadt – dienten zur Milieu-Skizzierung, sowohl in den Texten als auch in den entsprechenden Illustrationen. Vergleichbar ist dieses Phänomen mit der Darstellung Londons in den Texten Charles Dickens und seinen Illustrationen. Dickens Texte waren beiden Künstlern bekannt, Meyrink übersetzte mehrere Romane698, Steiner-Prag illustrierte Werke von Dickens.699 Bei der Entstehung des Golem verweilten weder Meyrink noch Steiner-Prag in Prag selbst. Gerade bei Meyrink gehört das Verlassen Prags zu einer tragischen Wende und sollte zeitlebens seine Arbeiten beeinflussen. Auch Hugo Steiner-

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jüdische Familien in der Josefstadt lebten. Aufgrund des Privilegs von 1852, das den Juden erlaubte, außerhalb der Josefstadt Grundeigentum zu erwerben, war das beengte jüdische Viertel der »Verslummung« anheim gegeben: »Noch 1899 führte der Stadtphysikus Vladim†r Preininger in einem Bericht über die Verhältnisse in der Josefstadt an, daß das Viertel etwa gegenüber der schon relativ dicht besiedelten Altstadt die dreifache Bevölkerungsdichte aufwies, während der Anteil der jüdischen Bevölkerung nur mehr 10 % betrug und über 40 % der Bewohner Untermieter und vorübergehend Beherbergte waren.« (Marek (1995), S. 198). Deleuze u. a. (1976), S. 28. »In der Alchimie also bilden Höhle und Turm ein Bildpaar, das die natürliche Metamorphose der Stoffe im Schoß der Erde und ihre künstliche Nachahmung in der Retorte bezeichnet – ein zentraler Gedankengang der arkanen Wissenschaft also – und das sich entsprechend häufig in der alchimistischen Illustrationskunst abgebildet findet.« (Pieper, Jan: Das Labyrinthische. Über die Idee des Verborgenen, Rätselhaften, Schwierigen in der Geschichte der Architektur (= Schriften des Deutschen Architekturmuseums zur Architekturgeschichte und Architekturtheorie), Braunschweig, Wiesbaden 1987, S. 263). Vgl. Cersowsky (1983), S. 35. Hugo Steiner-Prag erstellte 1909 vier Illustrationen zu Dickens Weihnachtserzählungen. Vgl. Schremmer (1981), S. 30.

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Prag war früh nach München gegangen. Kindheits- und Jugenderinnerungen bestimmten dann sein künstlerisches Schaffen bezüglich seiner Prag-Arbeiten. Es scheint also gerade der retrospektive Blick zu sein, der es möglich machte, Prag seinen ›genius loci‹ zuzuschreiben. Die ›Assanierung‹ thematisierte Steiner-Prag immer wieder in seinen Rückblicken. Die Beschäftigung mit seiner jüdischen Abstammung nahm in seinem Spätwerk eher zu, wohingegen sie in seinem Frühwerk noch keine große Rolle in einem religiösen Sinn spielte. Meyrink, der kein Jude war, verband mit der Stadt Prag ein unheimliches und beengendes Gefühl. So schreibt Binder in seiner Biographie: »…gleich nach seiner [Meyrinks] Ankunft, bei seinem ersten Spaziergang zur Prager Burg, der er 1917 in seiner Walpurgisnacht ein eindrucksvolles literarisches Denkmal setzte, hatte ihn ›ein tiefes Grauen‹ erfasst, eine Bangigkeit, die ihn nicht mehr verließ solange er in der Stadt lebte: ›Jeder Mensch, den ich dort gekannt‹, schrieb er in seinem Essay Die Stadt mit dem heimlichen Herzschlag, ›gerinnt zum Gespenst und zum Bewohner eines Reiches, das Tod nicht kennt.‹«700

Bei Steiner-Prag schlug sich die Auseinandersetzung mit der Stadt in seinen Architekturdarstellungen nieder. Die belebte Architektur aus hoch aufstrebenden Häuserfluchten des barocken Prag ist ebenso signifikant wie die kleinteilige Architektur des Goldmachergässchens. Steiner-Prags Golem-Kopf vor dem gezackten Giebel im Hintergrund ist ebenso eindeutig als die Fassade der AltneuSynagoge zu erkennen, wie seine Straßenansicht von der Maiselov‚ aus. Auch der alte jüdische Friedhof mit den schiefen und sich überlagernden Steinen und den verwilderten Bäumen ist genau getroffen. Auf dem Schlussblatt ist der Blick vom Hradschin auf die Stadt vedutenartig wiedergegeben.

4.4

Atmosphäre des Unheimlichen – Phantastik in Wort und Bild

4.4.1 Der Begriff der Phantastik in der Literatur Der Roman Der Golem gilt neben dem Roman Die andere Seite von Alfred Kubin als Prototyp des phantastischen Romans des frühen 20. Jahrhunderts.701 Deshalb 700 Binder (2009), S. 521. 701 Interessant ist die Erwähnung des Golem-Romans bei Kayser und seiner Abhandlung über das Groteske. »Eine echte Gestaltung des Grotesken findet sich nur bei zwei damaligen Erzählern des Grauens. Der eine ist Gustav Meyrink. Einige Erzählungen und sein Roman ›Der Golem‹ erweisen sich als re-readable. Man empfindet, wenn man von Ewers herkommt, den Unterschied einfach in der Qualität, trotz aller Sprödigkeit des Tons, man empfindet mit einer Erleichterung, daß der Leser hier nicht mit direkten und indirekten Mitteln gespannt werden soll. Meyrink kreist, wie es zunächst scheint, gleich dem teatro del grottesco um das Problem des Ich und seine Aufspaltung. […] Aber mit einer spielerischen

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gilt es auch aus der Perspektive der Buchillustrationen, sich mit dem Aspekt der Phantastik eingehender zu befassen. Zunächst muss daher der Begriff der Phantastik untersucht werden. Erstmals erschien er in der Forschung in Frankreich und wurde als »fantastique«702 vor allem auf eine Gruppe von Texten aus dem 19. Jahrhundert angewendet, den sogenannten »contes fantastiques«703. Es handelte sich dabei um psychologisch fundierte Formen des ›Wunderbaren‹. ›Fantastique‹ blieb dabei vornehmlich eine ästhetische Kategorie. In England, dem Entstehungsort der ›gothic novel‹ und in Deutschland wurde der Begriff der Phantastik eher abwertend verwendet.704 Nach Grein ist die Phantastik: »…[i]m weiteren Sinne jede Art von Lit[eratur], die dem empirisch überprüfbaren Weltbild des Lesers ein anderes entgegenstellt […]; im Gegensatz dazu Ph[antastik] im engeren Sinne, in der innerhalb des Texts ein Konflikt zwischen dem zunächst vorgestellten Weltbild, das auch das des Lesers ist, und Ereignissen, die sich nicht innerhalb dieses Weltbildes erklären lassen, dargestellt wird […]. Die meisten Definitionen berufen sich auf einen solchen Ordnungskonflikt als bestimmendes Merkmal der Ph[antastik], wenn auch die in der Lit[eratur]theorie zu beobachtende Subjektivierung des Wirklichkeitsbegriffs die Definition erschwert.«705

Da hier von einer Narration ausgegangen wird, in deren Verlauf ein phantastisches oder außernatürliches Ereignis eintritt, ist dies zunächst nicht auf die bildende Kunst anwendbar. Ausgehend von der klassischen Gattungstrennung ist die bildende Kunst nicht in der Lage, einen chronologischen Ablauf darzustellen, sondern nur einen prägnanten Augenblick. In diesem Sinne kann es keine ›phantastische Kunst‹ geben.

4.4.2 Der Diskursverlauf der Phantastik in der Literaturwissenschaft Wichtige Voraussetzung für das Verständnis der problematischen Begrifflichkeiten für die Phantastik in der Kunst ist die Auseinandersetzung mit dem

702 703 704 705

Handbewegung wird am Schluß des Romans dem in ein fremdes Ich verwandelten Vordergrund-Erzähler das Problematische genommen: ein verwechselter Hut war der Anlaß für die Verwechslung der Personen. […] Meyrink vermeidet es, das im Traum wiederholte und vom Erlebenden selber erzählte Leben traumhaft darzustellen. Exakteste Schilderung läßt uns das enge, dunkle, schlupfwinkelreiche Judenviertel des alten Prag erstehen mit seinen sonderbaren Existenzen, […] eine Welt, in der Gier und Güte, Haß und Liebe, Verbrechen und Unschuld dicht beieinander hausen.« (Kayser, Wolfgang: Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung, Oldenburg/Hamburg 1961, S. 154 – 155). Jehmlich, Reimer : Phantastik - Science Fiction - Utopie. Begriffsgeschichte und Begriffsabgrenzung, in: Thomsen u. Fischer (1980), S. 11 – 33, S. 13. Jehmlich (1980), S. 14. Vgl. Jehmlich (1980), S. 14. Grein, Birgit: Phantastik, in: Nünning (2008), S. 570 – 571, S. 570.

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Diskursverlauf in der Literaturwissenschaft, der in Teilen maßgebend für die Kunstgeschichte war.706 In Deutschland fand die Phantastik in der Literatur lange keine Beachtung. Erst die Übersetzung von Tzvetan Todorovs Introduction — la litt¦rature fantastique707 ins Deutsche brachte 1972 einen Aufschwung für die wissenschaftliche Beschäftigung mit phantastischer Literatur. Für Todorov war die ›Unschlüssigkeit‹ zwischen einer natürlichen und einer übernatürlichen Erklärung eines phantastischen Ereignisses besonders wichtig. Diese Unschlüssigkeit muss nach Todorov bis zum Ende der Narration aufrechterhalten werden, um der Kategorie des Phantastischen zugeordnet werden zu können.708 Todorov betont den »Grenzcharakter«709, den die Phantastik zwischen dem Wunderbaren und dem Unheimlichen einnimmt. Das Wunderbare ist nach Todorov die gefallene Entscheidung für eine übernatürliche, das Unheimliche für eine natürliche Lösung des phantastischen Ereignisses.710 Seine strukturalistische Analyse erfuhr v. a. durch Stanisław Lem eine kritische Auseinandersetzung.711 Die Methodenvielfalt in den 1970er Jahren bewirkte eine wirkungsästhetische Perspektive auf die Phantastik. Diese bezog sich vor allem auf die psychoanalytische Leseebene durch Sigmund Freuds Literatur-Aufsatz über das Unheimliche von 1919.712 Von ausschlaggebender Bedeutung für die vorliegende Arbeit aufgrund des breit angelegten und Kunstgattungen übergreifenden Forschungsansatzes ist der Sammelband von Thomsen und Fischer Phantastik in Literatur und Kunst von 1980.713 Dort finden sich einige der wenigen Auseinandersetzungen der Kunsttheorie mit der Phantastik. Bereits in der Einleitung wird zur Sprache 706 Vgl. Flemming, Victoria von: Mediale Ausprägungen des Phantastischen. Bildende Kunst, in: Brittnacher u. May (2013), S. 198 – 226, S. 198. 707 Todorov, Tzvetan u. Kersten, Karin: Einführung in die fantastische Literatur (= Literatur als Kunst), München 1972. 708 Auf diese Unschlüssigkeit verweist allerdings auch schon deutlich früher Sigmund Freud nach Jentsch: »›Einer der sichersten Kunstgriffe, leicht unheimliche Wirkungen durch Erzählungen hervorzurufen‹, schreibt Jentsch, ›beruht nun darauf, daß man den Leser im Ungewissen darüber läßt, ob er in einer bestimmten Figur eine Person oder etwa einen Automaten vor sich habe, und zwar so, daß diese Unsicherheit nicht direkt in den Brennpunkt seiner Aufmerksamkeit tritt, damit er nicht veranlaßt werde, die Sache sofort zu untersuchen und klarzustellen, da hierdurch, wie gesagt, die besondere Gefühlswirkung leicht schwindet. E. T. A. Hoffmann hat in seinen Phantasiestücken dieses psychologische Manöver wiederholt mit Erfolg zur Geltung gebracht.‹« (Freud, Sigmund: Das Unheimliche, in: ders. (Hg.): Das Unheimliche. Aufsätze zur Literatur, Frankfurt a. M. 1963, S. 45 – 85, S. 54). 709 Todorov u. Kersten (1972), S. 27. 710 Vgl. Todorov u. Kersten (1972), S. 40. 711 Vgl. Lem, Stanisław : Tzvetan Todorovs Theorie des Phantastischen, in: Zondergeld, Rein A. (Hg.): Phacon. Almanach der phantastischen Literatur, Bd. 1, Ulm 1974, S. 92 – 122. 712 Vgl. Freud (1963). 713 Vgl. Thomsen u. Fischer (1980).

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gebracht, Phantastik sei »in mehrfacher Hinsicht ein grenzüberschreitendes Phänomen«714. Besonders zwischen Literatur und bildender Kunst besteht in der Phantastik eine Tradition der gattungsübergreifenden Beziehungen.715 Dabei wird eine erste Bilanz der literaturtheoretischen Forschung über die Phantastik gezogen. Dieter Penning stellt in seinem Artikel Die Ordnung der Unordnung die verschiedenen Forschungsansätze vor. In der Vielzahl möglicher Definitionen scheint für ihn ein gemeinsamer Nenner zu sein, dass ein Ordnungskonflikt als Grundstruktur vorherrscht. Auch für ihn ist die Unschlüssigkeit innerhalb dieses Ordnungskonfliktes ausschlaggebend.716 Besonders wichtig ist die Frage nach der ›Realität‹ als Folie für den »Einbruch des Übernatürlichen als factum brutum«717. Der Realitätsbegriff ist dabei immer historisch gebunden. Somit kann die phantastische Literatur nur eine innerliterarische Realität als Koordinatensystem angeben, die dann gebrochen wird. Im Laufe seiner Analyse bleibt Pennings Hauptaugenmerk auf der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert und auf der Aufklärung.718 Denn erst die rationale Erklärbarkeit der Welt machte einen unerklärlichen Einbruch so bedeutsam und erschreckend. Erst im 20. Jahrhundert wurde die dialektische Gegenströmung zum Rationalismus obsolet, v. a. im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg und der industriellen Revolution, in der das Reale wieder phantastisch geworden war. Dabei entwickelte sich ein Trivialitätsverdikt gegenüber der Phantastik des 19. Jahrhunderts.719 Ebenso von Bedeutung sind die Überlegungen zu Psychologie und Pathologie, die mit der Aufklärung zusammenfallen. Unter Heranziehung der Untersuchungen Michel Foucaults über den Wahnsinn720 erkennt auch Penning die Verschiebung des Religiösen ins Psychologische zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Ausgangspunkt für phantastische Literatur. Das menschliche Versagen wurde nun nicht mehr auf die Existenz einer göttlichen Instanz zurückgeführt, sondern auf den Menschen selbst – das Versagen wurde internalisiert.721 Diese Internalisierung diente der Unterdrückung. In einer durchrationalisierten Welt musste dann der Wahnsinn an anderer Stelle zum Tragen kommen, zum Beispiel in der phantastischen Literatur. Das Ende der Angst vor der Natur durch die Aufklärung bedingte die Lust an der Angst, verbunden mit dem Wissen, dass die

714 Thomsen u. Fischer (1980), S. 4. 715 Überwiegend aber ist dieser Sammelband literaturwissenschaftlich geprägt. 716 Vgl. Penning, Dieter : Die Ordnung der Unordnung. Eine Bilanz zur Theorie der Phantastik, in Thomsen u. Fischer (1980), S. 34 – 51, S. 37. 717 Penning (1980), S. 36. 718 Vgl. Penning (1980), S. 39. 719 Vgl. Penning (1980), S. 40. 720 Vgl. Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 39), Frankfurt am Main 19814. 721 Vgl. Penning (1980), S. 42.

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Gefahr fiktiv ist und abstrakt bleibt.722 Simultan zu dieser Entwicklung kann eine Auflösung des klassischen Gattungsgefüges konstatiert werden. Damit einher ging ein Paradigmenwechsel hin zu einer »Ästhetik des Bösen«723, des Hässlichen und Abstoßenden.724 Cersowsky beschäftigt sich mit den Autoren Gustav Meyrink, Alfred Kubin und Franz Kafka und stellt sie in die Tradition der ›schwarzen Romantik‹.725 Er sieht die Phantastik als Darstellungsmedium zur »Durchbrechung gesellschaftlicher Tabus«726. Phantastische Literatur diene als Aufstand gegen den Rationalismus und die Dingwelt des Kapitalismus. Zum gegenteiligen Ergebnis kommt bereits zuvor Jens Malte Fischer in seinem Aufsatz über Phantastik zwischen D¦cadence und Faschismus.727 Er zeigt auf, dass Phantastik auch als Widerspruch zum historischen Materialismus, als reaktionäre Erscheinung und reiner Eskapismus gesehen werden kann. Er betont den Einfluss E. T. A. Hoffmanns und E. A. Poes auf die Autoren der deutschen Phantastik zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei streicht er die besondere Bedeutung Prags als Schauplatz phantastischer Literatur heraus.728

4.4.3 Der Begriff der Phantastik in der Kunstgeschichte Es gestaltet sich schwierig, den Begriff der Phantastik auf die Kunst zu übertragen. Sucht man in einem kunstwissenschaftlichen Lexikon nach einem vergleichbaren Schlagwort wie ›Phantastik‹ oder ›phantastische Kunst‹, so trifft man höchstens auf den ›Wiener Phantastischen Realismus‹ oder ›Phantastische Architektur‹ als Sonderfälle. Dies liegt möglicherweise auch an der Kollision der Begriffe ›Phantasie‹729 und ›Phantastik‹. Phantasie und Phantastik stehen sicher 722 Vgl. Penning (1980), S.46. Der fiktiven Angst wurde bereits im 18. Jahrhundert eine kathartische Funktion zugewiesen. Berühmt wurde die Schrift von Edmund Burke über das Erhabene und Schöne von 1757. Das Erhabene könnte als Äquivalent zum Einbruch des Phantastischen in der Alltagswelt gesehen werden. Es »katapultiert den Betrachter […] aus seinem vertrauten Kosmos heraus. […] Wer das Erhabene aushält, dem wird es zur befreienden ästhetischen Erfahrung…« (Krämer u. Borgards (2012), S. 17). 723 Penning (1980), S. 42. 724 Dieser neuen ästhetischen Wahrnehmung widmete sich Mitte des 19. Jahrhunderts Karl Rosenkranz in seiner berühmten Monographie. Vgl. Kliche, Dieter (Hg.): Rosenkranz, Karl. Ästhetik des Häßlichen (= Reclam-Taschenbuch, Bd. 21555), Stuttgart 2007. 725 Vgl. Cersowsky (1983). 726 Cersowsky (1983), S. 13. 727 Vgl. Fischer, Jens Malte: Deutschsprachige Phantastik zwischen D¦cadence und Faschismus, in: Zondergeld, Rein A. (Hg.): Phacon. Almanach der phantastischen Literatur, Bd. 3, Ulm 1978, S. 93 – 130. 728 Vgl. Fischer (1978), S. 26. 729 Der Begriff der Phantasie bezieht sich auf das allgemein Schöpferische und nicht auf eine

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in einem engen Zusammenhang.730 Die Phantastik beschreibt die Grenzüberschreitung von Phantasie und Wirklichkeit nach Baudelaire.731 Dennoch dürfen die Begriffe nicht gleichgesetzt werden. Das ›Capriccio‹, auch ›Phantasiestück‹ genannt, ist mit der Phantastik verwandt, ohne mit ihr gleichgesetzt werden zu können. Hierzu finden sich unterschiedliche Definitionen. »Capriccio ((…) ital. ›Laune‹, ›Grille‹). Nach G. Vasari u. a. wurde der Begriff in die bild[ende] Kunst durch J. Callot eingeführt, der 1617 für den Herzog de Medici eine Serie von Drucken herstellte, die er ›Capricci‹ nannte. Die älteste Bezeichnung, noch im 16. J[ahr]h[undert] gebräuchlich, war ›grylloi‹ (Grillen), sie traf auf alle phantast[ischen] Darstellungen zu…«732

Der Begriff ›phantastisch‹ wird verwendet, erfährt aber keine nähere Erläuterung. Wilton-Ely beschäftigt sich vorwiegend mit Architekturdarstellungen. Hier wird das ›Capriccio‹ als Gegenbegriff zur ›Vedute‹ aufgrund seines »fantasy element«733 dargestellt. Im englischen ›fantasy‹ ist jedoch kein Unterschied

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bestimmte Gattung oder Epoche. Phantasie ist die »psych[ische] Fähigkeit zur Erzeugung von anschaul[ichen] Vorstellungen, die über die Grenzen vorgefundener Sachverhalte, wahrgenommener Dinge oder geläufiger Ideen hinausgehen, so daß es zu neuartigen Vorstellungsbildern kommt, die stimulierend auf das Tun einwirken können.« (Phantasie, in: Olbrich, Harald (Hg.): Lexikon der Kunst. Architektur, Bildende Kunst, Angewandte Kunst, Industrieformgestaltung, Kunsttheorie. Mosb-Q (= Bd. 5), Leipzig 20042, S. 567). Die Phantasie ist damit eine Voraussetzung für phantastische Kunst. Zur Unterscheidung gemahnt auch Olbrich: »Die Bedeutung der Ph[antasie] für die Kunst ist nicht auf die Schaffung im engeren Sinne phantastischer, irrealer Gestalten und Situationen, wie Mischwesen, Götter, Wunder usw. […] beschränkt.« (Olbrich, Phantasie (2004), S. 567). Walter Benjamin sieht eine enge Verbindung zwischen Phantasie und Phantastik. Für ihn betreibt die Phantasie eine »Entstaltung«: »…in der Tat hat die Phantasie es nicht mit Gestalten, mit Gestaltung nicht zu tun. Sie gewinnt zwar ihre Erscheinungen diesen ab, aber sie sind als solche ihr sowenig zugeordnet, daß man sogar die Erscheinungen der Phantasie bezeichnen darf als Entstaltung des Gestalteten. Es ist aller Phantasie eigen, daß sie um die Gestalten ein auflösendes Spiel betreibt.« (Benjamin, Walter : Fragmente vermischten Inhalts. Zur Ästhetik, in: Gesammelte Schriften, VI. Werkausgabe, hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser (= Bd. 6), Frankfurt am Main 19862, S. 109 – 129, S. 114). Dabei ist sie aber nicht destruktiv. Erst in dem Moment, wo die Phantasie selbst auflösend in Erscheinung tritt, entsteht die Phantastik: »Phantasie löst also nicht sich selbst auf, denn wo sie dies versucht, wird sie phantastisch. Phantastische Gebilde entstehen, wo die Entstaltung nicht wahrhaft vom Innern der Gestalt selbst aus sich vollzieht.« (Benjamin, Fragmente (1986), S. 115). Benjamin betrachtet dies aber als illegitime Form der Phantastik. Nur in der Groteske sieht er die »einzig legitime Form des Phantastischen […], in welcher die Phantasie nicht zerstörend entstaltet, sondern zerstörend überstaltet. Die Groteske ist eine Grenzform im Bereich der Phantasie, sie steht, wo diese an ihrer äußersten Grenze wieder Gestaltung zu werden sucht.« (Benjamin, Fragmente (1986), S. 115). Vgl. Renner, Rolf Günter : An den Rändern der Bilder und der Texte. Zur Beziehung zwischen phantastischem Text und phantastischem Bild, in: Harms (1990), S. 430 – 447, S. 434. Olbrich, Buchillustration (2004), S. 767. Wilton-Ely, John: Capriccio, in: Turner, Jane (Hg): The dictionary of art. Brugghen, terCasson (= Bd. 5), London 1996, S. 685 – 688, S. 685.

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zwischen ›Phantastik‹ und ›Phantasie‹ erkennbar. Offensichtlich gibt es im Kanon der bildenden Kunst kein Äquivalent zur ›Phantastik‹ der Literatur. Auch Flemming konstatiert das Fehlen einer ausgereiften Definition des Phantastischen in der Bildenden Kunst. Ohne aber in fatalistischer Prognose darauf abzuzielen, dass es niemals eine Definition des Phantastischen geben kann, möchte sie einen neuen Phantastik-Diskurs eingeläutet sehen, der stark interdisziplinär ausgerichtet ist.734 Dennoch haben sich einige in der Forschung darin versucht, ein Kompendium phantastischer Kunst zusammenzustellen. Sie beziehen sich vor allem auf die phantastische Malerei des 19. Jahrhunderts. Die immer wiederkehrenden Beispiele lassen sich jedoch unter mystifizierender oder nicht-kanonischer Kunst subsumieren, denn meist wird mit einem sehr undifferenzierten Phantastik-Begriff gearbeitet, der einen Zugang erleichtern oder es möglich machen soll, völlig divergente Strömungen, die sich keiner anderen großen Linie der Kunstgeschichte angliedern lassen, zusammenzufassen. Dafür bezeichnend steht die Aussage, die phantastische Kunst des 19. Jahrhunderts bewege sich auf den Wegen »der bildenden Kunst, die sich, jenseits der Realität, heute doch als eine andere Sicht von Wirklichkeit zu erkennen geben.«735 Wenn jedoch breite Strömungen wie der Orientalismus736 unter ›phantastischer Malerei‹ firmieren, scheint das am Kern der Phantastik vorbeigearbeitet. So in Ursula Bodes Kunst zwischen Traum und Alptraum. Phantastische Malerei im 19. Jahrhundert von 1981: »Zwischen Unmittelbarkeit und Gelehrsamkeit, aber auch zwischen Kunst und Kitsch, subjektiver Sicht und modischem Salonklischee bewegt sich der Orientalismus. Nicht eindeutig, aber folgerichtig – nur ein Aspekt der Hoffnung auf eine Welt jenseits der Wirklichkeit, die dieses Jahrhundert ergreift.«737

Die Sehnsucht nach Exotischem in Gleichsetzung mit der Sehnsucht nach einer Welt jenseits der Wirklichkeit scheint fragwürdig. Bode bezieht sich auf das Phänomen des ›mal du siÀcle‹, ohne dies konkret an historischen oder kulturwissenschaftlichen Überlegungen festzumachen. Die Beobachtung mag stimmig sein, in ihrer Darstellung vermittelt sie allerdings eine hohe Subjektivität. Vereinzelt finden sich bei Bode Beispiele, die über diese reine Eskapismus734 Vgl. Flemming (2013), S. 199. 735 Bode, Ursula: Kunst zwischen Traum und Alptraum. Phantastische Malerei im 19. Jahrhundert, Braunschweig 1981, S. 9. 736 Sonderform des Exotismus um 1900, eine Begeisterung für die Kunst des Nahen Osten im Zuge des Kolonialismus. Vgl. Orientalismus, in: Olbrich, Mosb-Q (2004), S. 304 – 305 und Exotismus, in: Olbrich, Harald (Hg.): Lexikon der Kunst. Architektur. Bildende Kunst. Angewandte Kunst. Industrieformgestaltung. Kunsttheorie. Cin-Gree (= Bd. 2), Leipzig 20042, S. 403. 737 Bode (1981), S. 11.

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Begrifflichkeit hinausgehend der Phantastik zugeordnet werden, wie zum Beispiel Arnold Böcklin, Max Klinger, Fernand Khnopff oder Johann Heinrich Füssli. Andere Beispiele hingegen lassen sich eher als ›Phantasiegebilde‹ beschreiben. Sie stehen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Symbolismus und der Privatikonographien, die an die Stelle religiöser oder mythologischer Bildthemen treten. Das Kapitel über die Graphik scheint sich davon abzuheben. Hier nähert sich Bode der Phantastik am ehesten: »In der Druckgraphik ließ sich auch – schwarz auf weiß – realisieren, was die bürgerliche Gesellschaft gern goutierte oder mit Spannung und Kennerschaft anzunehmen bereit war : die Welt des schönen Schauders, die Geheimnisse des Diesseits und des Jenseits. Für den Symbolismus am Jahrhundertende wurde die Graphik zu einem entscheidenden Ausdrucksmittel. Odilon Redon ist einer der bedeutenden Vertreter dieser kaum auf einen Nenner zu bringenden Kunstströmung. Er sah in der abstrakten Linie der Zeichnung eine ›aus den Tiefen kommende Kraft‹, er suchte nach neuen Wegen – und fand sie in den Dunkelheiten seiner geheimnisvollen Kompositionen. Neue Wege gibt es viele in den druckgraphischen Erfindungen der Zeit. Sie weisen zudem über die technischen Möglichkeiten hinaus auf neue Erkenntnisse hin, sie zeigen in den scharfen Kontrasten von Schwarz und Weiß etwas von den Obsessionen eines neuen Zeitalters.«738

Im Werk Giuliano Brigantis, Phantastische Malerei im 19. Jahrhundert aus dem Jahr 1974, werden beinahe dieselben Beispiele herangezogen, aber es wird keine theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit dem Phantastischen vollzogen.739 Auch hier wird Phantastik eher im Sinne von ›Phantasiegebilde‹ oder Vision betrachtet. Einen theoretischen Beitrag der Kunstgeschichte im Bereich der Phantastik leistet am ehesten Wieland Schmied in Zweihundert Jahre phantastische Malerei.740 Er zeichnet zunächst eine chronologische Entwicklung des Phantastischen nach, obgleich er anerkennt, dass dies im eigentlichen Sinn nicht möglich sei, da die Phantastik keine kontinuierliche Entwicklung aufzeige. »Dieses Buch ist keine Entwicklungsgeschichte phantastischer Kunst. Eine solche kann nicht geschrieben werden. Es gibt keine Geschichte der Phantastik als kontinuierliche Kunst- oder Stilgeschichte. Phantastische Kunst ist immer die Ausnahme von der Regel, Abweichung vom Kurs der Kunstgeschichte.«741

So muss nach Schmied eine Forschung über phantastische Kunst als »Geistesgeschichte«742, nicht als Kunstgeschichte betrieben werden. Er betont das 738 Bode (1981), S. 193. 739 Vgl. Briganti, Giuliano u. Birk, Linde: Phantastische Malerei im 19. Jahrhundert (= Galerie Schuler), München 1974. 740 Vgl. Schmied (1973). 741 Schmied (1973), S. 6. 742 Schmied (1973), S. 6.

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»kontrapunktische Wesen der Phantastik«743, sodass diese nur anhand ihrer Gegenposition zum Kanon chronologisch behandelt werden kann. Schmied geht davon aus, dass phantastische Kunst besonders im Manierismus und der Romantik einen Nährboden fand. Im 19. Jahrhundert hingegen hatte der Triumph der Aufklärung eine Veränderung der phantastischen Kunst bewirkt. Ähnlich wie die Literaturwissenschaft erkennt Schmied die Internalisierung des durch die Aufklärung Tabuisierten, das unterschwellig weiter existierte. Es trat in der Malerei in Form von Maskierungen, in der »Maske des Traums«, der »Gestalt des Wahnsinns«744, in der Karikatur oder der Karnevalisierung in Erscheinung, sowie in der chiffrierten Kunst der Symbolisten. Eine weitere Wende diagnostiziert Schmied im Surrealismus, in dem das Alltägliche zum Phantastischen wird. Diese Entwicklung sieht er parallel zu Freuds Thesen und der Erklärbarkeit des Phantastischen durch unbewusste Vorgänge.745 Bedenklich erscheinen Schmieds Ausführungen über die psychische Konstitution des Künstlers in Verbindung mit phantastischer Kunst: »Wer phantastische Kunst hervorbringt, der blickt nach innen, nicht nach außen, dorthin also, wohin primär ihm kein anderer zu folgen vermag; der unterscheidet sich von seiner Mitwelt, der ist ein Sonderfall, ein Einzelgänger, ein Außenseiter. Phantastische Kunst hervorzubringen setzt eine bestimmte psychische Disposition voraus, die Fixierung an nachtseitige Themen, Heimsuchung, Ausgesetztsein, innere Zwänge, ein Gedrängt- und Getriebenwerden von Kräften, deren Bannung in gültige Form zu einer Lebensnotwendigkeit wird, ja man darf vielleicht sogar sagen: phantastischer Kunst anzuhängen ist ein Schicksal.«746

Im zweiten Kapitel versucht Schmied eine Definition des Phantastischen. Zunächst analysiert er Erscheinungen phantastischer Kunst und konstatiert dabei den Zusammenhang zu krisenhaften Epochen. »Richtig verstanden war das Phantastische immer Ausdruck tiefgehenden Unbehagens und Ankündigung tiefgreifenden Umbruchs, Vision gegenwärtig sich vollziehenden Unheils und Vorahnung kommenden Untergangs und manchmal zugleich der Versuch ihrer Bannung und Bewältigung.«747

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Schmied (1973), S. 6. Schmied (1973), S. 5. Vgl. Schmied (1973), S. 5. Schmied (1973), S. 13. Abgesehen von der fehlenden Wissenschaftlichkeit solcher Aussagen wird dabei eine mögliche Inszenierung des Künstlers völlig außer Acht gelassen. 747 Schmied (1973), S. 11. Wenngleich diese Analyse bestechend klingt, sollten Formulierungen wie »immer« oder »richtig verstanden« mit Vorsicht genossen werden. Sie sind oft ein Zeichen unzulässiger Generalisierungen oder Hierarchisierungen. Darüber hinaus bleibt seine Analyse, die die oppositionelle Position der phantastischen Kunst gegenüber der normativen Gesellschaft fokussiert, sehr vage.

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Bemerkenswert ist im Folgenden die Wesensmäßigkeit der phantastischen Kunst als »immer zugleich anachronistisch und visionär, sie blickt janusköpfig in die Vergangenheit und in die Zukunft, und sie blickt an ihrer Gegenwart vorbei. Die Gegenwart des Phantastischen wäre die Aufhebung des Phantastischen, denn dieses würde, permanent anwesend, das Natürliche und schließlich zum Maß werden, an dem die Zeitgenossen ihre Normalität bestimmen.«748

Bei der Frage, was nun phantastisch sei, verbleibt Schmied zunächst in der unkonkrete Aussage, das Phantastische sei »alles, was außerhalb des selbstverständlichen Einverständnisses einer Epoche liegt.«749 Im Folgenden nähert sich Schmied dem literaturwissenschaftlichen Ansatz einer Definition des Phantastischen. Er gelangt zu einer Differenzierung zwischen dem ›Wunderbaren‹ und dem ›Phantastischen‹. »Das Wunderbare erklärt sich selbst […]; das Phantastische dagegen aber ist das Unerklärbare […]. Es ist das Ungewohnte, Fremde, ganz und gar Andere, nicht aber das Unbestimmte und Unpräzise. Oder […] das Unbestimmte unmittelbar neben dem Bestimmten, die Andeutung neben dem Eindeutigen, die Suggestion des Vagen in einem realen Raum, des Realen in undefinierbaren Räumen.«750

An späterer Stelle konstatiert er : »Phantastische Kunst ist der präzise Ausdruck einer unbestimmten Angst, sie gibt einem verschwommenen Gefühl die exakten Konturen.«751 Die Begriffe bleiben sehr allgemein, daher versucht Schmied, seine Überlegungen anhand von Beispielen zu bestätigen. Er rekurriert dabei auf das Phantastische als ästhetische Kategorie, als Modus, in dem epochenspezifische Kunst produziert wird. So kommt er zu dem Schluss, dass sich »das, was wir in diesem Buch verallgemeinernd als das Phantastische zu umschreiben versuchen, als etwas jeweils anderes herausstellen [wird]. Die Phantastik Goyas ist nicht die Füsslis oder Blakes, die Redons eine andere als die Ensors oder Moreaus, die de Chiricos unverwechselbar mit der eines Dali oder Magritte, auch die Epochen des Symbolismus und Surrealismus haben den ihnen zugehörenden Erscheinungen keine durchweg einheitlichen Züge aufzuprägen vermocht. Gibt es das Phantastische überhaupt? Stellt sich das Phantastische nicht, je weiter wir in sein Terrain eindringen, nur als die ideale Summe verwandter Phänomene dar, die in immer wechselnden Kombinationen und in verschiedener Intensität in einem künstlerischen Werk auftreten können? Das macht eine Grenzziehung so schwierig.«752

748 749 750 751 752

Schmied (1973), S. 11. Schmied (1973), S. 11. Schmied (1973), S. 12. Schmied (1973), S. 42. Schmied (1973), S. 16.

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Im Anschluss versucht Schmied diese Grenzziehung zwischen phantastischer Kunst und dem Expressionismus anhand des Künstlers Edvard Munchs. Für ihn zeigt der Expressionismus die Erlösung aus der Phantastik, indem das Unterdrückte zum Ausdruck kommt und sich expressiv befreit, während es in der phantastischen Kunst unterschwellig bleibt.753 Zuletzt versucht Schmied – in Abgrenzung zum Nicht-Phantastischen – das Phantastische noch einmal zu fassen zu bekommen. Zur Unterscheidung dient ihm die »Hingabe an die Realität«754 bestimmter Künstler, die dadurch von der Phantastik auszuschließen seien. Dabei kommt er zu einem ähnlichen Schluss wie Tzvetan Todorov, dass das Poetische im Sinne des Wunderbaren vom Phantastischen abzugrenzen sei. Diese beiden Pole – das Poetische und das Realistische – sind nach Schmied die Grenzlinien, zwischen denen sich das Phantastische bewegen kann. Auffällig sind die starken Überschneidungen der ausgewählten Werke mit Veröffentlichungen zur Schwarzen Romantik, der D¦cadence oder des Symbolismus‹.755 Dies trifft im Übrigen oftmals auch im literaturwissenschaftlichen Bereich zu.756 Man könnte das Phantastische auch als Modus begreifen, während D¦cadence oder Symbolismus üblicherweise eher für einen begrenzten Zeitraum als Epochenbegriffe verwendet werden. Eine exakte Unterscheidung erscheint kaum möglich. Sicherlich fehlt auch weiterhin eine überzeugende Phantastiktheorie für das Bildliche. Zusammenfassend kann nach Holländer festgestellt werden: »Gegenwärtig gibt es zwei Kontinente des Phantastischen, die zunehmend auseinandergedriftet sind, den literarischen und den bildnerischen. Diese Feststellung gilt aber nur im Bereich der Sekundärliteratur. Während weiterhin den Malern des Phantastischen eine unübersehbare Nähe zum ›Literarischen‹ nachgesagt wird und in der phantastischen Literatur Bilder eine ungewöhnliche Rolle spielen; während sich als literarische Fiktion eine höchst umfangreiche Bilderwelt entfaltet, deren Präzedenzfälle in der Malerei zu finden sind, wie umgekehrt die bildartigen Variationen der Literatur die Malerei herausfordern zu phantastischen Erfindungen, spielt, dies alles ignorierend, die Theorie des Phantastischen andere Spiele, in denen die enge Verschränkung von Malerei und Literatur nicht mehr vorkommt.«757

753 Die kathartische Funktion der Phantastik sieht er also nicht gegeben, sondern erst im Expressionismus verwirklicht. 754 Schmied (1973), S. 44. 755 Vgl. Krämer u. Borgards (2012); vgl. auch Urban (2006). 756 Vgl. Praz u. Rüdiger (1963), der in vielen Fällen auf Literatur rekurriert, die im Sinne Todorovs als phantastisch gelten könnte. Dies gilt insbesondere für E. T. A. Hoffmann. 757 Holländer, Bild (1980), S. 55.

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4.4.4 Die Golem-Mappe und die Phantastik Die vorangestellten Überlegungen zur Phantastik haben gezeigt, dass die Frage nach der Definition phantastischer Kunst nicht leicht zu beantworten ist. In der Literaturwissenschaft sind die Positionen zwar ebenfalls streitbar, aber es existiert eine ernstzunehmende Kontroverse über Theorien des Phantastischen. Nach eingehender Betrachtung der verschiedenen Publikationen stellt sich heraus, dass die vorgestellten, zahlreichen, aber auch sehr heterogenen Beispiele sich deutlich von den Beispielen in der vorliegenden Arbeit unterscheiden. Merkwürdigerweise wird gerade dem Genre der Illustrationen auffallend wenig Beachtung geschenkt.758 Analogien weisen vornehmlich Kunstwerke der Romantik (insbesondere der sogenannten ›Schwarzen Romantik‹) auf. Hinzu kommen Überlegungen zum Unheimlichen in der Kunst. Es zeigt sich daher, dass die Illustrationen zum Teil unter dem Aspekt der Phantastik behandelt werden können, sich allerdings auch bei vielen der Zugang über das Unheimliche anbietet. Letzteres gilt insbesondere für die Golem-Illustrationen. Dabei bildet aber vorrangig die ›phantastische‹ Textvorlage den Ausgangspunkt für die Phantastik der Bilder.759 Tatsächlich ist dies wohl auch die angezeigte Herangehensweise, da die Bilder nicht unabhängig von der Textvorlage betrachtet werden können. Das Phantastische des Textes überwiegt gegenüber der Betrachtung der Bilder als eigenständige phantastische Kunst. Daneben ist es vor allem Freuds Theorie des Unheimlichen, die Anhaltspunkte für die Bildanalyse bietet. Die Phantastik steht zwar in Zusammenhang mit dem Unheimlichen, allerdings auch im Widerspruch zu ihm. Dennoch treffen das Unheimliche und das Phantastische in den Golem-Illustrationen aufeinander. Während das Unheimliche sich eher atmosphärisch durch das Stilmittel der Lichtführung abzeichnet, sind die phantastischen Elemente inhaltlich zu suchen. Als phantastische Darstellungen können alle Bilder, die den Golem zeigen, bewertet werden. Ihre Phantastik ist durch den textuellen Bezug gegeben. An anderer Stelle arbeitete Steiner-Prag mit konventionellen Vorstellungen des Übernatürlichen in Form von durchsichtigen Gespenstern. Besonders 758 Flemming verweist darauf, dass man sogar so weit gehen könnte, dass Kunst, die sich eindeutig auf eine phantastische Textgrundlage bezieht, nicht selbst als genuin phantastische Kunst angesehen werden kann. Sie findet diese Einschränkung jedoch nicht sinnvoll. Vgl. Flemming (2013), S. 204. Abschließend hält sie jedoch fest, dass eine Emanzipation der phantastischen Kunst aus der Literatur(-wissenschaft) noch aussteht. Vgl. Flemming (2013), S. 223. 759 Die Frage, ob es sich bei dem Roman Der Golem um phantastische Literatur handelt, ist weitgehend von Cersowsky bearbeitet worden und soll an dieser Stelle nicht ausführlich behandelt werden. Vgl. Cersowsky (1983).

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markant ist die Bildbeigabe Angst760, auf der das Gespenst den Protagonisten von hinten umfängt. Seine Transparenz und somit seine Zugehörigkeit zu einer übernatürlichen Ebene werden durch ein verschwimmendes Weiß attribuiert. Hinzu treten frei im Raum schwebende Köpfe, deren Konturen fragmentarisch angedeutet werden. Das Unsagbare - die Angst - wird durch das Fragmentarische, das Angedeutete, ausgedrückt.761 Im gleichen Verfahren weist Steiner-Prag Schemajah Hillel eine übernatürliche Ebene zu, indem er um die Figur schemenhafte Prophetenköpfe frei im Raum schweben lässt.762 Insbesondere die Prophetenköpfe auf der linken Bildseite verschwimmen so stark in den Konturen, dass sie fast nicht mehr zu erkennen sind. Die nur noch als dunkle Flecken angedeuteten Augen betonen die Phantastik der Darstellung, sie scheinen beinahe in den Köpfen zu verschwinden, sind nur noch schwarze Löcher in den Schemen. Das Fragmentarische der Darstellung ist bis ins Verschwinden gesteigert, verbleibt aber an dem Punkt, an dem die Darstellung gerade noch zu erkennen ist. Mayer stellt fest, dass gerade diese Bilder, die der verhältnismäßig realistischen, ersten Hälfte zugeordnet sind, eine höhere Phantastik aufweisen, als der Text selbst. Sie schätzt die Möglichkeiten der phantastischen Bildlichkeit stärker als im Meyrinkschen Text ein: »Der im Text noch verhältnismäßig stark ausgeprägte Anspruch auf Wirklichkeit weicht in den schwarz-weiss Zeichnungen stärker dem Eindruck des Traumhaften. Dies stellt der sprachlichen Ausdrucksweise Meyrinks gegenüber, die nicht selten Gefahr läuft, ins Klischee zu verfallen, eine vorteilhafte Ergänzung dar. Denn die visuelle Darstellung gewinnt, je weiter sie sich von der Nachahmung der Wirklichkeit entfernt, an Originalität, während die Sprache im Umgang mit Bildern und Metaphern leicht auf ausgetretene Wege gerät. Die ›phantastischen‹ Bilder zu Meyrinks Text zwingen gleichsam dazu, diesen ernst zu nehmen, und wirken so der Gefahr des durch die Sprache vorschnell angebotenen Klischees entgegen.«763

Des Weiteren verweist Mayer auf die expressionistischen Züge sowohl bei Steiner-Prag als auch bei Kubin. Obwohl nach Schmied der Expressionismus die Befreiung des Phantastischen sei,764 tilgt die expressive Komponente beider Künstler das Phantastische nicht.765 Allerdings kann man auch feststellen, dass 760 KOG, Inv.nr. 9542-17. 761 Holländer koppelt das Phantastische an das Fragmentarische – das Fragmentarische in dem Sinn, dass das Unsagbare fehlt. Er stellt dabei fest, dass dieses Fragmentarische mit Bildern gefüllt wird. Das Nicht-Mitteilbare bewegt sich jenseits aller Grenzen und Normen und bietet so freien Spielraum für Gedanken und Bilder. Vgl. Holländer, Bild (1980), S. 70. 762 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-18. 763 Mayer (1975), S. 217 – 218. 764 Vgl. Schmied (1973), S. 42. 765 »Zweifellos unterstreichen sowohl Kubins wie Steiner-Prags Illustrationen zu Meyrinks Text die expressionistischen Aspekte seiner Epoche und bewirken so ein angemesseneres

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die Beobachtung Schmieds auf die späteren Illustrationen Steiner-Prags zumindest teilweise zutrifft. In seinen stärker expressionistisch geprägten Illustrationen zu Der Tod des Löwen von Auguste Hauschner (1922) tritt das phantastische Element in den Hintergrund. Holländer kommt zu dem Schluss, dass Phantastik keine Gattung ist, und zwar weder in der Literatur noch in der bildenden Kunst. Daher muss auf gemeinsame Leitmotive zurückgegriffen werden, ohne dabei von einer Dominanz der Literatur oder der Kunst auszugehen. Anhand von vielen Einzelbeispielen ist erkennbar, wie eng Literatur und bildende Kunst in der Phantastik zusammenhängen.766 Diese leitmotivische Erarbeitung des Phantastischen vollzieht Holländer in seinem Artikel über die Konturen einer Ikonographie des Phantastischen von 1980.767 Er versucht sich – ähnlich den genannten Arbeiten aus der Kunstgeschichte – an Motivsammlungen: »Spiel mit der Perspektive«, »Menagerie der Mischwesen und Monstren«, »Vergrößerung und Häufung«768. Beispiele hierfür wären bei Hugo Steiner-Prag seine überdimensionierten Architekturdarstellungen mit extremer Untersicht auf den Blättern Die Gezeichneten (Abb. 18), Im Dom (Abb. 22), Mord (Abb. 25) oder Finis Ghetto (Abb. 26).769 Der Golem als Monster ist bereits in der Literatur als solches angelegt und wiederholt sich in den bildlichen Darstellungen bei Steiner-Prag.

4.4.4.1 Das Unheimliche In seinem Aufsatz Das Unheimliche beginnt Freud mit Überlegungen zur Herkunft des Wortes, das als Gegensatz des Heimlichen sowohl einen Gegensatz zum Vertrauten, als auch zum Verborgenen bedeutet. Das Unheimliche tritt zu Tage und ist das Unvertraute, Fremde. »Das deutsche Wort ›unheimlich‹ ist offenbar der Gegensatz zu heimlich, heimisch, vertraut und der Schluß liegt nahe, es sei etwas eben darum schreckhaft, weil es nicht bekannt und vertraut ist. Natürlich ist aber nicht alles schreckhaft, was neu und nicht vertraut ist; die Beziehung ist nicht umkehrbar. Man kann nur sagen, was neuartig ist, wird leicht schreckhaft und unheimlich; einiges Neuartige ist schreckhaft, durchaus

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Verständnis seines zeitgenössischen Erfolges. Die Neuherausgeber des Romans haben richtig erkannt, dass in diesem Werk die zeitgenössischen Illustrationen den Text nicht nur ergänzen, sondern auch wertvoller machen.« (Mayer (1975), S. 218). Vgl. Holländer, Bild (1980), S. 78. Holländer, Hans: Konturen einer Ikonographie des Phantastischen, in: Thomsen u. Fischer (1980), S. 387 – 403. Holländer, Konturen (1980), S. 394 – 395. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-16, -20, -23, -24.

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nicht alles. Zum Neuen und Nichtvertrauten muß erst etwas hinzukommen, was es zum Unheimlichen macht.«770

Freud führt weiter aus: »[Es] ist für uns am interessantesten, daß das Wörtchen heimlich unter den mehrfachen Nuancen seiner Bedeutung auch eine zeigt, in der es mit seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt. […] Wir werden überhaupt daran gemahnt, daß dies Wort heimlich nicht eindeutig ist, sondern zwei Vorstellungskreisen zugehört, die ohne gegensätzlich zu sein, einander doch recht fremd sind, dem des Vertrauten, Behaglichen und dem des Versteckten, Verborgengehaltenen.«771

Ähnlich wie bei Freud gehen bei Hans Holländer die Bilder des Phantastischen, Unsagbaren auf Alt-Bekanntes zurück. Sie sind chiffriert und voller Verweise, die vertraut aussehen, aber nicht entzifferbar sind.772 Dies nennt er die »Metamorphose des scheinbar Vertrauten«773 und veranschaulicht diese Metamorphose anhand von Piranesis phantastischen Architekturen, die mit der Verfremdung von bekannten Perspektiven und Dimensionen arbeiten. In eine ähnliche Richtung geht die Feststellung Oettingers: »Im Sinnverstand der Alltagssprache ist das ›Unheimliche‹ etwas, das uns in den Zustand der Orientierungslosigkeit versetzt.«774 Alle diese Vorstellungen spielen in den Golem-Darstellungen eine Rolle. Die Golemlegende ist vielen Leser bekannt und Steiner-Prag setzt sie darüber hinaus in den Kontext der Stadt Prag kurz vor der ›Assanierung‹ des jüdischen Ghettos. Somit wäre einerseits das Vertraute, aber auch die Verfremdung des Vertrauten vorhanden. Steiner-Prag arbeitete beispielsweise mit der Brechung der vertrauten Silhouette der Altneu-Synagoge mit der literarisch vorgegebenen Neuschöpfung eines Golem, wie ihn Prag vorher nicht kannte (Abb. 4).775 Das stark kontrastierende Schwarz-Weiß der Darstellung lässt die dunklen Stellen unterhalb der Silhouette ins beinahe Unsichtbare versinken, während der hellere Himmel von Rauchschwaden durchzogen ist, die eine in der Ferne wütende Feuersbrunst suggerieren. Das Portrait des Golem wird nur durch einen Lichtkegel im unteren Teil des Gesichtes beleuchtet, ein Effekt aus dem Bereich des Theaters, der die Inszenierung des Unheimlichen unterstreicht. Auch trägt das starke Dunkel der Darstellung zu einem Orientierungsverlust trotz der eindeutigen Verortung vor der Altneu-Synagoge bei. 770 771 772 773 774

Freud (1963), S. 47. Freud (1963), S. 51. Vgl. Holländer, Bild (1980), S. 70. Holländer, Bild (1980), S. 74. Oettinger, Klaus: Die Inszenierung des Unheimlichen. Zu E.T.A. Hoffmanns Erzählung »Der Sandmann«, in: Ehlert, Anke (Hg.): Das Wort. Germanistisches Jahrbuch, Moskau 1996, S. 24 – 35, S. 25. 775 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-2.

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In erster Linie ist es tatsächlich die Verwendung des Lichtes, bzw. der Dunkelheit, die einen unheimlichen Effekt hervorruft.776 Insbesondere die Farbe Schwarz als Träger des Unheimlichen hat hier große Bedeutung. Traditionell ist Schwarz im Abendland mit negativen Attributen versehen, vor allem steht es in Verbindung mit dem Tod. »Aus der […] Verbindung von Schwarz und Tod ergibt sich die intuitive Unheimlichkeit des Schwarzen. […] Schwarz löst […] Angst aus. Was sich im Schatten, in der Finsternis, im Verborgenen befindet, wird mit Schwarz assoziiert. Es ist undurchschaubar, nicht erfassbar und daher bedrohlich. […] Schwarz ist die Farbe des Bösen, des Schädigenden, des Zornes und der moralischen Minderwertigkeit, und ›überhaupt ist die Hölle und alles, was mit ihr im Zusammenhange steht, als schwarz gedacht.‹«777

In diesem Sinne verwendet auch Steiner-Prag dunkle bis schwarze Tönungen bei seinen Lithographien. Im Gegensatz dazu sind die genannten Darstellungen mit Geistererscheinungen weniger unheimlich (Abb. 19/Abb. 20).778 Darüber hinaus ist die beinahe konstante Anwesenheit der Nacht für die Lithographien kennzeichnend. Die Nacht als das Irrationale im Kontrast zum Tag findet sich bereits bei Schopenhauer und Nietzsche und wird dann um 1900 erneut aufgegriffen: »Diese Sichtbarmachung eines allgegenwärtigen Dunkels, vor dem sich die lichte Welt des Tages nur als durchscheinend scheinhafte Folie bewegt, lebt nicht nur bei Schopenhauer in der Entgegensetzung der untergründigen Welt des dunklen Willens und der sie überlagernden, hellen Welt der Vorstellung weiter, wo Verstand und Logik herrschen. Von Schopenhauer ausgehend, bringt Nietzsche diese Vormachtstellung des nächtlichen Dunkels, die Goya in die bildende Kunst einführte, in seinem Gegensatzpaar des Dunkel-Dionysischen und Hell-Apollinischen philosophisch auf den Begriff. Auch in Werken der romantischen, symbolistischen, abstrakt-spirituellen und surrealistischen Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts, die von Schopenhauer und Nietzsche beeinflußt waren, lebt dieser nächtliche Untergrund des menschlichen Seins nicht nur fort, sondern mächtig auf.«779

Auch dem Doppelgänger widmet Freud Aufmerksamkeit. Die Ich-Doppelung und »Wiederkehr des Gleichen, die Wiederholung der nämlichen Gesichtszüge, Charaktere, Schicksale, verbrecherische Taten, ja der Namen durch mehrere 776 Werber will den Ursprung der unheimlichen Wirkung des Dunklen in einem Gegensatz zum heimischen Herdfeuer sehen: »Auch die Lichtverhältnisse des Unheimlichen stehen in einem Gegensatz zu Heim und Herd, an dessen Feuer es hell ist.« (Werber, Niels: Gestalten des Unheimlichen. Seine Struktur und Funktion bei Eichendorff und Hoffmann, in: Steinecke, Hartmut u. a. (Hg): E.T.A. Hoffmann Jahrbuch, Bd. 6 (= Bd. 6) 1998, S. 7 – 27, S. 9). 777 Vieregge (2008), S. 21. 778 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-17/18. 779 Gaßner, Hubertus: »Der Mond ist aufgegangen…«. Malen im Dunkeln – Malen des Dunkels, in: Gaßner (1998), S. 13 – 52, S. 30.

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aufeinanderfolgende Generationen«780 spielt zunächst im Text eine zentrale Rolle. Daneben erscheint der Doppelgänger auch auf einer der Illustrationen (Abb. 15).781 Bezeichnend ist Freuds Hinweis auf das Unheimliche des Doppelgängerwesens: »Der Charakter des Unheimlichen kann doch nur daher rühren, daß der Doppelgänger eine den überwundenen seelischen Urzeiten angehörige Bildung ist, die damals allerdings einen freundlicheren Sinn hatte.«782 Der Golem in Form der jüdischen Legende könnte in diesem Sinn gedeutet werden, da er ursprünglich zum Schutz des Menschen, insbesondere der jüdischen Bevölkerung geschaffen worden war. Die Darstellung des verdoppelten Ichs in der Mitte der Illustrationsfolge (Nummer 13 von 25; Abb. 15) bildet den Dreh- und Angelpunkt der gesamten Mappe und betont den spannungsreichen Höhepunkt der Erzählung.783 An dieser Stelle ist die Verknüpfung mit dem Text beinahe unerlässlich. Obwohl die Darstellung durch Licht und Dunkelheit einen unheimlichen Effekt hervorzurufen vermag, gewinnt sie ihre tragende Bedeutung erst durch die Verbindung mit dem Text.784 Obwohl einerseits klassische Mittel des ›Grauenerregens‹ angewendet werden – dies vor allem in der Gestaltung von Licht und Dunkelheit – fehlt den Bildern nicht die Tiefe der seelischen Abgründe. Beklommenheit und Angst, Unschlüssigkeit und Unsicherheit werden evoziert. Die Darstellung des Golemkopfes vor der Altneu-Synagoge, die in ihrer starken Kontrastierung eine doppelte Ansicht hervorruft, ist hierfür ein gutes Beispiel. Einerseits ist der Golemkopf vor einer Stadtsilhouette zu sehen, andererseits wirkt der Himmel im Hintergrund, als würde er in das Bild hineinragen und zapfenartig zwischen die dunklen Stellen eindringen.785 Diese Mehrschichtigkeit in der Darstellung unterstreicht die Existenz verschiedener Bedeutungsebenen selbst bei Darstellungen, die für einen bestimmten Personenkreis völlig klar zu sein scheinen. Ein anderes Motiv des Unheimlichen sind labyrinthische, unterirdische Gänge, die Steiner-Prag in dem Blatt Weg ins Grauen786 aufgreift. War die 780 781 782 783

Freud (1963), S. 62. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-13. Freud (1963), S. 64. Die Szene Im geheimen Zimmer befindet sich nicht tatsächlich im Mittelteil des Romans. Sie bildet aber den Kulminations- und Höhepunkt der Erzählung um den Golem. Im zweiten Teil des Romans, während des Gefängnisaufenthaltes, tritt die Golemlegende zunehmend in den Hintergrund. 784 Die Textstelle, die Meyrink dieser Darstellung zugeordnet hat, bildet den Verknüpfungspunkt: »Stunden um Stunden kauerte ich da – unbeweglich – in meinem Winkel ein frosterstarrtes Gerippe. – Und er drüben: ich selbst.« (KOG, Inv.nr. 9542-13). 785 Der Pragbesucher erkennt sicherlich auf den ersten Blick die Silhouette der Altneu-Synagoge, aber die missverständliche Ansicht sah zum Beispiel auch Mayer: »de[r] rahmenartige[…] Überhang, der aus Schnee und Eiszapfen zu bestehen scheint.« (Mayer (1975), S. 216). Mayer kann sogar eine entsprechende Textstelle zu ihrer Ansicht heranziehen. 786 KOG, Inv.nr. 9542-12.

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Großstadt durch das Verschwinden der Nacht gekennzeichnet, wandelte sich das Schattenreich, das nicht vom elektrischen Licht erreicht wird, zum Ort des Unheimlichen. »In den zunehmend illuminierten Städten findet sich ganz entsprechend das Unheimliche erwartungsgemäß nicht im Wald, sondern im ›Schattenreich‹ des Untergrunds […]. Das Unheimliche im Dschungel der modernen Großstädte liegt in den Katakomben und Gewölben unter ihrer Oberfläche – auf dem Lande dagegen, am Rand des Waldes, lauert es gleich nebenan. In der Stadt ist das Unheimliche da – aber latent.«787

Zu den genannten Merkmalen, die Freud entwickelte, kommen weitere hinzu, die sich aus den Betrachtungen zur Schwarzen Romantik in der Kunst speisen. Krämer und Bogards erwähnen den »Kult der Stille«788, der auf nahezu allen Blättern Steiner-Prags spürbar ist, besonders aber zum Beispiel bei den Blättern Im Dom789 oder Alchymistengasse790 (Abb. 22/ Abb. 23). Aber auch Edmund Burkes Begriff des Erhabenen könnte auf einzelne Blätter wie das Titelblatt791 oder das Blatt Der Golem792 (Abb. 4) angewendet werden. Burke macht beispielsweise die »Größe der Dimension«793, und vor allem die »Größe der Dimension bei Gebäuden«794 als Ursache für die Empfindung des Erhabenen aus. Dabei bemerkt er, »daß Höhe weniger großartig ist als Tiefe und daß wir stärker berührt sind, wenn wir in einen Abgrund hinab-, als wenn wir an einem Objekt hinaufsehen…«795. Eine Erklärung für diese Feststellung hat er nicht und er schränkt auch ein, dass er sich nicht ganz sicher sei, ob seine Beobachtung stimme.796 Auch Dunkelheit und »Privation«797, also Vereinzelung oder Einsamkeit, schlägt er als Kategorien vor, die sich auf verschiedenen Blättern der Golem-Mappe finden lassen. Den Blick von oben zeigt Hugo Steiner-Prag sowohl auf dem Titelblatt wie auch auf Die Befreiten (Abb. 27). Die Größe der Dimension von Gebäuden ist bei fast allen Architekturdarstellungen in der GolemMappe gegeben, wobei hier bevorzugt der Blick von unten, aus einer gefühlten

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Werber (1998), S. 9. Krämer u. Borgards (2012), S. 19. KOG, Inv.nr. 9542-20. KOG, Inv.nr. 9542-21. KOG, Inv.nr. 9542-1. KOG, Inv.nr. 9542-2. Burke, Edmund: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen, übers. von Friedrich Bassenge, neu eingeleitet und hrsg. von Werner Strube, Hamburg 19892, S. 108. Burke (1989), S. 113. Burke (1989), S. 109. Burke (1989), S. 109. Burke (1989), S. 107.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

Winzigkeit heraus an den steilen, überdimensionierten Hauswänden nach oben geht. 4.4.4.2 Affektwirksamkeit des Bildes Burkes sensualistische Ästhetik bezog sich sehr oft – wenn auch nicht ausschließlich – auf Bilder. Bilder besitzen eine affektive und emotionale Kraft.798 Sie haben Appellcharakter, können also schnell die Aufmerksamkeit erregen und erhöhen. In der Präzision des Ausdrucks werden sie aber der Sprache als unterlegen betrachtet.799 Heinen geht dennoch davon aus, dass Bilder über eine spezifische Rhetorik verfügen, die darauf abzielt, den Betrachter zu überreden oder umzustimmen. Er gelangt zu der Ansicht, dies sei besonders der Fall, wenn ein Bild »bewegt«800. Ihm geht es um die »Affektwirksamkeit«801 eines Bildes, also das emotionale Erleben beim Betrachten eines Bildes. Dafür ist ihm der Begriff des ›ictus‹, des unmittelbaren Schocks beim ersten Anblick eines Bildes, wichtig.802 Das Fragmentarische oder Undeutliche scheint Heinen ein zentraler Punkt zur Entfaltung einer sehr »intensive[n] und affektwirksame[n] Vorstellungswirksamkeit«803. Dabei kommt es zu einer unzuverlässigen Wahrnehmung. Im Prinzip formuliert Heinen aus einer neurobiologischen Perspektive die These Caillois über das Phantastische, das durch einen Ordnungskonflikt, also das Einbrechen des Phantastischen in das Reale, den Riss im Alltäglichen erfolge.804 Der Riss wird bei Caillois zum Topos des Allgegenwärtigen, aber Unsagbaren, Unbeschreibbaren. Fast wie eine Vision, eine Epiphanie kosmischen Ausmaßes beschreibt er den Eintritt des phantastischen Risses in den Alltag.805 Dabei tritt ein Entspannungsmoment ein, indem der Betrachter zwar unschlüssig bleibt, aber dennoch die Wahrnehmung als eine bildhafte erkennt. Dies ist auch die wohlbekannte Freude am Grauenhaften, die bereits in der 798 Vgl. Straßner (2002), S. 13. 799 Vgl. Straßner (2002), S. 15. 800 Heinen, Ulrich: Zur bildrhetorischen Wirkungsästhetik im Barock. Ein Systematisierungsversuch nach neurobiologischen Modellen, in: Knape u. Grüner (2007), S. 111 – 158, S. 111. 801 Heinen (2007), S. 119. 802 »Der ictus, der erste Schlag, ist unwillkürlich und unbezwingbar. Nach Senecas Auffassung kann er bestenfalls durch Abstumpfung betäubt oder durch sorgfältige Beobachtung seiner Auslöser vermieden werden. Solche Abstumpfung kann nach stoischer und neostoischer Auffassung durch Praemeditation, das heißt durch mentale Simulation von ictus-Ereignissen und deren Bewältigung gelernt werden. Senecas Schriften sind reich an Beispielen für die unmittelbare Wirksamkeit des ictus, die auch für das emotionale Bild-Erleben bedeutend sind.« (Heinen (2007), S. 128). 803 Heinen (2007), S. 137. 804 Vgl. Holländer, Bild (1980), S. 61. 805 Vgl. Holländer, Bild (1980), S. 63.

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aristotelischen Poetik angelegt ist, die eine ›delectatio‹ in der Betrachtung grauenvoller Dinge sieht.806 Bezüglich der Lithographien Steiner-Prags ist diese Affektwirksamkeit an verschiedenen Stellen gegeben, insbesondere in den stark kontrastierten Bildern, deren Schwarz nur Andeutungen verrät und dabei den Betrachter über die genaue Konstellation im Unklaren lässt. Ob die Illustration des Phantastischen wirklich möglich ist, muss offen bleiben.

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Alfred Kubin, Der Golem und Die andere Seite

4.5.1 Biographische Hintergründe zu Alfred Kubin Alfred Kubin war ein Zeitgenosse Hugo Steiner-Prags. Er wurde 1877 im nordböhmischen Leitmeritz/Litomeˇrˇice geboren.807 Nach einer unsteten Kindheit und Jugend, die von einem schwierigen Verhältnis zum Vater geprägt war, kam Kubin kurz vor der Jahrhundertwende nach München, wo er in die künstlerische Lehre von Professor Nikolaus Gysis eintrat.808 Bald knüpfte er Kontakte zum Kreis um Albert Langen und den Simplicissimus und konnte sein erstes Mappenwerk bei dem Verleger Hans von Weber veröffentlichen. Er unternahm mehrfach Reisen, obgleich er seit 1906 eher zurückgezogen in Zwickledt lebte. So kam er auch 1911 nach Prag.809 Kubin kannte Prag bereits aus frühen Kindheitserinnerungen. Er machte nun eine Art Erinnerungsreise, unter anderem auch in seine Geburtsstadt in Böhmen. Da er bereits das ruhige Landleben gewöhnt war, bereitete ihm der Aufenthalt in der großen Stadt Prag in erster Linie Unbehagen. Auch zeigte sich, dass die Erinnerungen und Eindrücke aus Kindertagen nicht mehr der Realität entsprachen: »Aber oh weh! Die tschechische Hauptstadt hatte eine mir neuartige Maske angenommen! Nichts von verträumtem Wiedererkennen, nichts von einem alle Starre lösenden Aufgehen in einem umfassenderen Lebensstrom. Hier fand ich den harten Gegensatz zu den mir in Leitmeritz gewordenen leisen Märchen: eine robuste, dröhnende Welt des Emporkommens. [Hervorh. V.S.] Gern rettete ich mich nach ein paar Tagen aufreibenden Aufenthaltes nach Hause.«810

806 Vgl. Heinen (2007), S. 138. 807 Vgl. Marks, Alfred: Der Illustrator Alfred Kubin. Gesamtkatalog seiner Illustrationen und buchkünstlerischen Arbeiten. Mit 2361 Abbildungen nach Aufnahmen des Verfassers, München 1977, S. 7. 808 Vgl. Marks (1977), S. 7. 809 Vgl. Marks (1977), S. 7. 810 Vgl. »Besuch in der Heimat«, zitiert nach Schremmer, Ernst: Alfred Kubin und Böhmen, in: Sudetenland (1958/59), S. 24 – 31, S. 25 – 26.

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Dies ist eine wichtige Aussage, die zeigt, dass Kubin vor seiner Ankunft offensichtlich ein anderes Bild der Stadt Prag hatte. Er beschreibt bei seinem Besuch eine florierende, lebendige Großstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese Beobachtung wird unterstützt durch Max Brods Ansichten über Prag um 1900, eine aufstrebende, lebendige Metropole: »Prag, die Stadt der drei Nationen, Prag, die polemische Stadt. Man würde indes fehl gehen, wenn man annähme, daß alle diese unsere Auseinandersetzungen, zu denen auch bald die über den Einzelmenschen und die Gemeinschaft traten, in abgeschlossenen Räumen dumpf und lichtlos, in faustischen Studierstuben stattfanden. Schauplatz unserer geistigen Kämpfe waren vielmehr oft die fröhlichen Badeanstalten, die schönen Inseln im Moldaufluß, die Tennisplätze, die Wälder der Umgebung Prags – oder die Tanzlokale und noch niedrigere Stätten des Vergnügungsbetriebs – oder die langen Spaziergänge, die uns aus Versammlungen über die alte Karlsbrücke mit ihren lebhaft gestikulierenden Barockheiligen in jenen märchenhaften leisen Stadtteil führten, der ›Kleinseite‹ hieß, Civitas Minor, die riesenhafte Ansammlung von Gärten und von Palästen, die fast nur noch von Dienstboten oder Staatsämtern, nicht mehr von ihren adeligen Eigentümern bewohnt waren. Hier stand das Leben still oder es nahm spukhaft bösartige Formen an.«811

Die Vorstellung einer düsteren, untergehenden Stadt manifestierte sich erneut als Konstrukt einer Stadtimago des Urbanismus, in deren Zusammenhang literarische Produktionen, die auf dieses Konstrukt abzielten, großen Erfolg haben konnten. Kubin hatte freundschaftlichen Kontakt zu den Prager Autoren Meyrink und Paul Leppin.812 Interessanterweise zählt Susanne Fritz Alfred Kubins Roman Die andere Seite ebenfalls zur Prager Literatur der D¦cadence, obwohl Kubin im Grunde genommen sonst kaum Bezug zur Stadt Prag hatte.813 Bemerkenswert ist besonders die Hervorhebung als »prominentestes, weil offenkundigstes Beispiel«814 für die Prager deutschsprachige Literatur. Ausschlaggebend scheint zu 811 Brod (1969), S. 10). 812 Vgl. Schremmer (1958/59), S. 27. 813 Vielmehr wird ein topographischer Bezug seines Romans zu Salzburg hergestellt, was Lachinger in seinem Aufsatz evident macht. Vgl. Lachinger, Johann: Österreichische Phantastik? Trauma und Traumstadt. Überlegungen zu Kubins biographisch-topographischen Projektionen im Roman Die andere Seite, in: Freund, Winfried (Hg.): Der Demiurg ist ein Zwitter. Alfred Kubin und die deutschsprachige Phantastik, München 1999, S. 121 – 130, S. 126. Dennoch wird Kubin von anderer Seite unterstellt, »›die Schablone des dämonischen Prag als Ort der Handlung‹ [Stern]« gewählt zu haben. (Schmitz (1997), S. 115). Dies kann jedoch an keiner Stelle des Romans eindeutig herausgelesen werden. Auch Claudio Magris will in der Darstellung Perles Prag wiedererkennen: »Prag ist auch der verhexte Zauber der Perle von Kubin (Die andere Seite)« (Magris (1980), S. 47). Er führt den Bezug zu Prag auf die Elemente des Verfalls und der Vergötterung des Alten in Kubins Roman zurück, die er auch im Golem beobachtet. 814 Fritz (2005), S. 59.

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sein, dass es »ein gewisses Endzeitbewußtsein im Schaffen derjenigen Prager deutschsprachigen Autoren, die als sprachliche und kulturelle Minderheit inmitten des slawischen Volkes den Niedergang der österreichisch-ungarischen Monarchie erlebten«,815 gegeben habe. Hier wird nun die Begrifflichkeit einer spezifischen Prager Literatur aufgeweicht hin zu einer allgemeiner aufgefassten habsburgischen D¦cadenceliteratur, die auch für den Prager Text symptomatisch stehen soll. Im Verlauf der Forschungsgeschichte über deutschsprachige Künstler in der Tschechischen Republik wurde Kubin eine besondere Liebe zu seinen böhmischen Wurzeln zugeschrieben. Auch hier stößt man immer wieder auf das Problem einer territorialen Zuschreibung künstlerischen Ausdrucks. Sicherlich betonte auch Kubin selbst sein ausgeprägtes Interesse für seine Herkunft, seine ›Heimat‹. Dabei sollte sich die Wissenschaft jedoch klar von einer Instrumentalisierung und Überhöhung ›deutschen Kulturgutes‹ in den böhmischen Ländern abgrenzen.816 Darüber hinaus müssen Selbstzuschreibungen von Künstlern quellenkritisch beleuchtet werden.

4.5.2 Kubin als Illustrator Alfred Kubin ist vor allem als Illustrator unzähliger Romane und Erzählungen bekannt. Die Hinwendung zum Genre der Buchkunst wird mit seinem Roman Die andere Seite in Verbindung gebracht.817 Kubin war jedoch bereits vor dem Roman als Buchillustrator tätig. Auch wäre es vermutlich auch sonst nicht zu diesem Werk gekommen, da es in einem unmittelbaren Verhältnis zu seiner Illustrationstätigkeit für den Golem steht. Die Zuschreibung kann wohl in dem Sinne nachvollzogen werden, dass er sich ab diesem Zeitpunkt vermehrt dem Illustrieren zuwandte. Dem Roman wird noch eine weitere Bedeutung zugeschrieben, nämlich der Wendepunkt seiner stilistischen Entwicklung hin zur Federzeichnung. Diese Wende ist sehr auffällig, seine Illustrationen ab dem Zeitpunkt des Romans haben wenig gemein mit seinen frühen Werken, die 815 Fritz (2005), S. 60. 816 Leider wurden künstlerische Äußerungen aus einer Zeit vor dem Nationalsozialismus nach 1945 im Sinne einer ideologisch aufgeladenen Vertriebenenpolitik umgedeutet. So geschehen bei Schremmer (1958/59), der in seinem Aufsatz über Kubin und Böhmen schreibt: »Diese im wesentlichen 1935 entstandene, erst 1951 veröffentlichte Reihe grandioser, düsterer Blätter [Phantasien im Böhmerwald] mit dickem Strich ist ein Stück Folklore, […], das dann in dem scheinbar ganz idyllischen, letzten Blatt ›Gesperrte Straße‹ unheimliche Wirklichkeitsbedeutung für unser Schicksal nach 1945 erhält, Ausdruck auch der Trauer, daß dem Künstler der Zugang zu seinem Heimatland verwehrt bleibt.« (Schremmer (1958/ 59), S. 28). 817 Vgl. Marks (1977), S. 7.

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surreal, atmosphärisch und wie aus einer fernen Zeit wirken. Die illustrierenden Federzeichnungen künden hingegen von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Text und verfügen über ein sehr expressives Moment. Sie sind konkret und gegenständlich, sodass der ›Einbruch des Phantastischen‹ innerhalb dieser dargestellten Wirklichkeit über eine längere Aneinanderreihung von mehreren Blättern erfolgen kann. Kubin schreibt selbst über seine Illustrationstätigkeit: »…[d]ie hingebende, etwas feminine Komponente im Illustrator ist bei mir ziemlich betont, und ich fühle mich jedes Mal von den sonderbarsten Schauern berührt, wenn ich das Dichtwerk, dem ich einen Leib zu geben habe, vertieft kennenlerne.«818 Für Kubin stellte die Beschäftigung mit einem literarischen Werk eine so intensive Auseinandersetzung dar, dass er zum Teil sein Alltagsleben davon durchdrungen sah. So schreibt er : »Das erfuhr ich besonders stark, als ich die Illustrationen zu Strindbergs ›Tschandala‹ schuf. Der Ort der Handlung ist ein gänzlich verlotterter, altertümlicher Gutshof, und ich war in der Zeit, in der mein Geist in diese verruchte Verfallsatmosphäre gezwungen war, verfolgt von der Vorstellung, daß mein eigener Wohnsitz, ein altes Landhaus, auch alle schauerlichen Zeichen des Zugrundegehens trage. Das verschwand rasch, als die Arbeit beendet war.«819

Daher wollte Kubin sich auch nicht über einen langen Zeitraum hinweg einem literarischen Werk widmen. Beim Auftrag für die Illustrierung des Meyrinkschen Golem stellte sich das als Problem heraus. Kubin erläutert wie folgt: »Als zum Beispiel Gustav Meyrink seinen nachmals so berühmten ›Golem‹ schrieb, hatte ich schon mit dem Verleger Langen auf Illustrationen zu diesem Roman abgeschlossen, und zwar wollte Meyrink mir die jeweils fertig geschriebenen Kapitel nach und nach zur Verfügung stellen, und ich sollte Bilder dazu liefern. Diese an sich schon widersinnige Abmachung konnte nur für die ersten Kapitel eingehalten werden, dann überkam meinen Freund eine sterile Periode, die dann übrigens jahrelang anhielt; ich wartete ungeduldig und vergeblich auf die Fortsetzung des mich stofflich sehr fesselnden Manuskripts, und da sich in diesen jugendlich-drängenden Entwicklungsjahren meine Zeichenweise ständig wandelte, konnte ich nicht auf die Weiterführung des ›Golem‹ warten und verwendete daher die schon fertigen Blätter für meinen eigenen Roman ›Die andere Seite‹.«820

Schnell hatte Kubin den Ruf, für bestimmte Stoffe eine besondere Neigung zu haben, was dazu führte, dass ihm alle mögliche ›Schauerliteratur‹ zugetragen 818 Kubin, Alfred: Wie ich illustriere, in: Aus meiner Werkstatt. Gesammelte Prosa mit 71 Abb., hg. v. Ulrich Riemerschmidt, München 1973, S. 69 – 77, S. 69. 819 Kubin, Wie ich illustriere (1973), S. 72. Eigenaussagen des Autors/Künstlers müssen sicherlich unter ihrer subjektiven Färbung betrachtet werden. Nichtsdestotrotz haben sie einen hohen Quellenwert. 820 Kubin, Wie ich illustriere (1973), S. 73.

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wurde. So schreibt er, »[e]s ist ganz erstaunlich, wie primitiv und naiv sich manche Auftraggeber zeigten, wenn sie annahmen, es brauchte sich nur um Leichen und Verwesungsgeruch zu handeln, damit es mich zur Illustrierung reize.«821 Die Häufung übersinnlicher Themengebiete in seinem Oeuvre passt einerseits in die Zeit um die Jahrhundertwende, entsprach aber auch seinem persönlichen Interesse. Er setzte sich mit seinen Vorbildern auseinander und konstatiert ein gemeinsames Drängen zu diesen Themengebieten, so zum Beispiel bei James Ensor, Odilon Redon oder Edvard Munch.822 »Soviel ist sicher : kein Künstler würde diese abseitigen Stoffe wählen, wenn er sich nicht dazu gedrängt fühlte. In einem Winkel seiner Seele glaubt der Maler an die Eingebungen seiner Phantasie. Es ist das Erleben des Übersinnlichen, dem wir hier auf künstlerischem Boden begegnen, und viele Menschen müssen wohl für dieses noch nicht genug erkannte und beschriebene Gebiet feinere Organe besitzen, sonst könnten solche Werke nicht allgemein interessieren. Ich setze also diese Fähigkeit hier voraus und habe an mir selbst und an anderen die Erfahrung gemacht, daß sie sich wesentlich vertiefen und ausbauen lässt. Das kann durch eingehendes Betrachten von dahingehörenden Kunstwerken geschehen, doch noch mehr durch ein genaues, unbefangenes Aufnehmen der eigenen Erlebnisse und der Ereignisse um uns her. […] Stets nur im Gefühl liegt der Zugang zu dieser dem Traum nahe verwandten Welt.«823

Dabei meint Kubin nicht das ›offensichtlich‹ Unheimliche, das plumpe Schaudern, sondern eher »die aufdringliche Stimmung des zwiespältig Unwirklichen, das dem Bilde den entscheidenden Charakter gibt und sich dem Beschauer mitteilt.«824 Dennoch tat sich Kubin schwer damit, in eine bestimmte Kategorie gepresst zu werden. Zeitgenössischen Beurteilungen durch Okkultisten oder Psychologen stand er ablehnend gegenüber, obgleich er den traumhaften Charakter seiner Arbeiten noch am ehesten akzeptierte. Die Träume spielten nach Kubins Meinung eine große Rolle, seien aber zu schwer zu fassen. Eher seien es die Kindheitseindrücke, der »Erlebnishumus der untergegangenen Kindheit und Jugend«825. Darüber hinaus war Kubin der Meinung, eine besondere Sensibilität 821 822 823 824 825

Kubin, Wie ich illustriere (1973), S. 73. Vgl. Kubin, Alfred: Malerei des Übersinnlichen, in: Riemerschmidt (1973), S. 43 – 45, S. 43. Kubin, Malerei (1973), S. 43 – 44. Kubin, Malerei (1973), S. 45. Kubin, Alfred: Dämmerungswelten, in: Riemerschmidt (1973), S. 39 – 42, S. 42. Als Beispiel für solche Kindheitserlebnisse, die sich in seiner Kunst niederschlugen, kann die Angst vor Pferden genannt werden. Das Pferd taucht immer wieder als bedrohliche Figur auf. Kubin selbst beschreibt sein Verhältnis zu Pferden durch ein Kindheitserlebnis: »Als kleiner Junge spielte ich in unserm Dorf auf der Straße. Auf einmal hörte ich ein Getümmel und Rufen: ein Pferd hatte sich frei gemacht und galoppierte die Straße herauf. Mich erfasste eine unsagbare Angst vor dem heranstürmenden großen Tier, ich wollte in ein Haus flüchten, war

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für »Dämmerwelten«826 zu besitzen, doch die »suggestive Kraft meiner Blätter, die sich in ihrer Auswirkung auf andere Menschen zeigt, ist wohl der einzige objektive Maßstab für ihre Gültigkeit bei dem herrschenden Wirrwarr der Tagesmeinungen.«827 Ihm ging es um die Wirkungsästhetik seiner Arbeiten. Kubin schildert auch seine Probleme mit der Arbeit, fehlende Inspiration, Ärger mit Verlegern oder Autoren. Dabei stellt er fest, dass er kein Freund von bibliophilen Prachtbänden sei. »Für übertriebenen Luxus oder extravagantes Material konnte ich mich niemals erwärmen, es zieht zu sehr vom Inhalt ab.«828 Über seine Technik schreibt er ähnlich aufschlussreich, er ziehe »eine gute Strichätzung anderen Reproduktionsverfahren vor, obgleich die Lithographie wie auch der Lichtdruck sehr schöne Resultate ergeben. Nur kann man die beiden letztgenannten Techniken nicht mit dem Satz mitdrucken.«829 Hier nennt er einen entscheidenden Unterschied seiner Illustrationstätigkeit im Gegensatz zu derjenigen Steiner-Prags. Während Steiner-Prag die Lithographie bevorzugte und vornehmlich ganzseitige Blätter anfertigte, streute Kubin gern kleine Portraits oder viertel- bis halbseitige Abbildungen in den Text mit ein. Steiner-Prags Illustrationen haben dadurch eher einen vom Text losgelösten Charakter und konnten auch unabhängig davon als Mappenwerke erscheinen. Die Intermedialität ist hingegen bei Kubin deutlich ausgeprägter. In einer anderen Abhandlung beschreibt Kubin seine Bevorzugung der Federzeichnung: »Die Feder ist mir seit vielen Jahren das wichtigste Werkzeug. […] Ihre richtige Verwendung muß man sich errungen haben, um den trockenen, etwas dürftigen Eindruck zu überwinden, welcher die Federzeichnung gegenüber den saftigen Effekten, die das Metall der Radierung, oder der abgeschlossenen Monumentalität, die der Holzstock dem Abdruck gibt, anfangs benachteiligt.«830

Seine weiteren Überlegungen über die Graphik verfolgen die Entwicklung der Jahrhunderte. Das Studium der Vorbilder hielt Kubin für ebenso wichtig, wie die neuen Errungenschaften seiner Zeit auszuprobieren.

826 827 828 829 830

aber zu klein, um den Torgriff zu erreichen. Im Augenblick der größten Qual ging das Haustor wie durch ein Wunder von selbst ein wenig auf, ich zwängte mich durch den Spalt und schlug es hinter mir wieder zu; da hörte ich von meinem Versteck aus schon die scharfen Schläge der Hufe des herantobenden Pferdes. Seither – es sind mehr als 45 Jahre vergangen –, erfaßt mich jedes Mal eine Angst und rätselhafte Bangigkeit, wenn ich ein scheues Pferd in meiner Nähe bemerke. Auch treibt es mich immer wieder, solche Vorgänge künstlerisch zu gestalten.« (Kubin, Alfred: Angst und Bangigkeit, in: Riemerschmidt (1973), S. 27, S. 27). Kubin, Dämmerungswelten (1973), S. 42. Kubin, Dämmerungswelten (1973), S. 42. Kubin, Wie ich illustriere (1973), S. 75. Kubin, Wie ich illustriere (1973), S. 75. Kubin, Alfred: Der Zeichner, in: Riemerschmidt (1973), S. 55 – 60, S. 57.

Alfred Kubin, Der Golem und Die andere Seite

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4.5.3 Die Illustrationen zu Die andere Seite und Der Golem Alfred Kubin hatte bereits einige Illustrationen zum Golem geschaffen, bevor Meyrink in eine Schaffenskrise geriet. Die bereits vollendeten Zeichnungen verwendete Kubin für seinen eigenen Roman, der wiederum Einfluss auf Meyrinks Golem-Roman genommen haben soll. Lube jedoch führt die literarischen Ähnlichkeiten beider Romane auf den »gemeinsamen kulturellen Hintergrund zurück.«831 Die übrigen Zeichnungen entstanden gleichzeitig mit dem Text. Man könnte hier nach Holländer das Diktum Kleists, nämlich die »›allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Reden‹«832 auf die Graphik anwenden. Holländer erweitert diese Vorstellung allerdings um alle möglichen Arten von künstlerischem Ausdruck: »So geht es auch beim Malen, Schreiben, Zeichnen und selbst noch beim Rechnen, also eigentlich immer zu, wenn Neues gemacht wird.«833 Die Vorstellung einer parallelen Herstellung von Text und Bild kann mit dem Begriff des Modus greifbar gemacht werden. So wählt der Künstler je nachdem den einen oder anderen Modus, um die Verfertigung seiner Gedanken zu vollenden. Wie genau die Werkgenese bei Kubin vonstattengegangen ist, bleibt jedoch ungeklärt. Darüber hinaus ist es leider nicht mehr nachvollziehbar, welche Illustrationen bereits für den Golem existierten und welche im Schaffensprozess des Romans Die andere Seite entstanden sind. In einem Brief spricht Kubin von elf fertig gestellten Illustrationen.834 Richard Arthur Schroeder hat versucht, anhand inhaltlicher Merkmale eine Gruppe möglicher Golem-Illustrationen aus den 52 Zeichnungen für Die andere Seite herauszuarbeiten. Insgesamt will er acht der insgesamt elf Illustrationen identifizieren.835 Ein Identifizierungsversuch anhand von Textvergleichen ist problematisch, da die Romanfassung während der Kubin’schen Illustrationsphase nicht mit dem später erschienenen Roman übereinstimmt. Binder geht davon aus, dass die ersten fünf Kapitel vollendet waren, denn er bezieht eine Zeichnung Kubins auf eine Textstelle im Kapitel Punsch des später veröffentlichten Romans.836 Meyrink schrieb jedoch den Roman nicht kontinuierlich von vorne bis hinten durch, sondern arbeitete an verschiedenen Fragmenten, die sich fortlaufend transformierten. Es ist daher sehr schwer zu beurteilen, welche Illustrationen wirklich in Verbindung mit

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Lube (1980), S. 116. Holländer (1988), S. 43. Holländer (1988), S. 43. Brief an Hans von Müller vom 30. Dezember 1908, zitiert aus Schroeder (1970), S. 127. Vgl. Schroeder (1970), S. 132. Vgl. Binder (2009), S. 430. Binder selbst schränkt ein, dass es sich »keineswegs um die Version handelte, die später in den Druck ging.« (Binder (2009), S. 430).

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Meyrinks Textfragmenten gebracht werden dürfen.837 Anhand von Schilderungen Meyrinks über seine Arbeit und der Veröffentlichung in der Zeitschrift Pan hat Lube eine Teilrekonstruktion vorgenommen. Die Erzählung rund um den Trödler Wassertrum sieht er als Urzelle des Romans.838 Die Figuren Rosina und Jaromir erschienen auch bereits in einem sehr frühen Stadium; im endgültigen Roman zu Randfiguren ›degradiert‹, hatten sie wohl in der frühen Fassung eine zentrale Rolle. Zumindest Rosina bekam einen deutlichen Schwerpunkt, ihr sollte eine »edle Jüdin«839 – Mirjam – als Kontrast gegenüber gestellt werden. Über den Schluss bemerkte Meyrink, dass hier die Auflösung der Hutverwechslung stattfinden solle.840 Für eine tragfähige Analyse der Kubin’schen Illustrationen sind diese Hinweise jedoch nicht ausreichend. Heißerer nimmt an, dass auch noch andere Illustrationstätigkeiten im selben Zeitraum für drei Illustrationen des späteren Romans als Vorlagen gedient haben könnten.841 Dass Kubin schon vorhandene Arbeiten mehrfach verwendete, gehörte zu seinem üblichen Vorgehen.842 Leider kann auch Heißerer keine Hinweise auf die für den Golem bereits vorhandenen Illustrationen geben. Er handelt das Thema mit dem Hinweis ab, der Ausgang der Zusammenarbeit sei hinlänglich bekannt.843 Mayer verweist durch die Tatsache, dass die Illustrationen nicht mehr auf den Golem-Roman zurückzuführen sind, auf die besondere Qualität ›phantastischer‹

837 Über die verstrickte und undurchsichtige Werkgenese schreibt ausführlich Lube (1980), S. 110 – 131. 838 Vgl. Lube (1980), S. 117. 839 Lube (1980), S. 119. 840 Vgl. Lube (1980), S. 118. 841 Vgl. Heißerer (1990), S. 77 – 80. Nach Heißerer könnte es sich um die Illustrationen der »kleine[n] Kamelkarawane« (Heißerer (1990), S. 77 und Kubin, Alfred u. Winkler, Josef: Die andere Seite. Ein phantastischer Roman. Mit einem Plan (= Bibliothek Suhrkamp, Bd. 1444), Frankfurt am Main 20091, S. 43), »Tempel am See« (Heißerer (1990), S. 78 und Kubin u. Winkler (2009), S. 86) und »Naphtaflamme« (Heißerer (1990), S. 80 und Kubin u. Winkler (2009), S. 274) handeln, die er auf die Illustrationstätigkeiten für Franz Bleis 1905 begonnene Übersetzung des Vathek von William Beckford von 1786 zurückführt. Das Projekt kam jedoch nicht zustande. Vgl. Heißerer (1990), S. 76. Der Argumentation Heißerers kann insofern zugestimmt werden, als diese Blätter einerseits thematisch dem Roman nicht eindeutig zugeordnet werden können und diese Tatsache andererseits die stilistische Heterogenität der Illustrationen erklären könnte. Besonders die letztgenannte Illustration der Naphtaflamme sieht Heißerer als »Zwischenstufe in der Entwicklung Kubins von den hermetisch flächigen Malereiexperimenten zu den Illustrationen für den Roman« (Heißerer (1990), S. 80). 842 Vgl. Heißerer (1990), S. 75 – 76. In einem Brief an seine Frau Hedwig erwähnt er eine Zeichnung für Oscar A. H. Schmitz, die er sich als Beigabe für den Golem-Roman vorstellen könnte. Vgl. Heißerer (1990), S. 75. 843 Vgl. Heißerer (1990), S. 76.

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Illustrationen. In ihren Augen »[biete] die sogenannte ›phantastische‹ Literatur […] zweifellos den weitesten Spielraum zu visuellen Ergänzungen an.«844 Trotz der genannten Schwierigkeiten fallen einige Illustrationen auf – entweder aufgrund ihrer Analogie zur literarischen Vorlage des Golem oder aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu denjenigen Illustrationen, die später durch SteinerPrag bzw. Schwimbeck für den Golem entstanden. Ob sich die Illustrationen aufgrund der gemeinsamen Textgrundlage ähneln oder Hugo Steiner-Prag und Fritz Schwimbeck allgemein von Kubins Illustrationen beeinflusst waren, ist schwer zu unterscheiden. So bleibt die Frage über die Richtung der Einflussnahme unbeantwortet. 4.5.3.1 Analyse der Bild-Text-Strukturen Die erste Zeichnung, die eine Ähnlichkeit aufweist, findet sich auf Seite 58.845 Sie zeigt eine Stadtdarstellung der Traumstadt Perle mit engen, verwinkelten Gassen und kleineren Voranbauten vor einem düsteren und verschwommenen Hintergrund. In ihrer Architektur könnte sie durch das Prager Ghetto beeinflusst sein. In ihrer literarischen Zuordnung bezüglich Der anderen Seite ist nicht ganz klar, ob sich die Darstellung auf das französische Viertel Perles bezieht. Die literarische Beschreibung des französischen Viertels erinnert stark an das Prager Ghetto: »Dieser kleine Stadtteil mit seinen viertausend Einwohnern, Romanen, Slawen und Juden, galt als verrufene Gegend. Die bunt zusammengewürfelte Menge hockte da in alten Holzhäusern eng aufeinander. Winkelgäßchen und übelriechende Spelunken enthaltend, war dieses Viertel nicht gerade der Stolz von Perle.«846

Lube setzt Perle und das Prager Ghetto durch ihre Funktion als »Orte des Grauens, des Verfalls, der langsamen Zerstörung […] zahlreich von abnormen Menschen bevölkert« gleich. Ebenso wie Meyrink arbeitet Kubin mit belebten Architekturen:847 844 Mayer (1975), S. 214. 845 Leider tragen die Kubin’schen Illustrationen keine Betitelungen, sodass die Zuordnung nur über die Seitenangabe erfolgen kann. Alle Seitenangaben richten sich nach folgender Ausgabe: Kubin, Alfred u. Winkler, Josef: Die andere Seite. Ein phantastischer Roman. Mit einem Plan (= Bibliothek Suhrkamp, Bd. 1444), Frankfurt am Main 20091. Dieser Hinweis wird an späterer Stelle noch einmal wichtig, da Schroeder (1970) sich auf eine andere Ausgabe bezieht und sich seine Seitenangaben von den hier verwendeten unterscheiden. 846 Kubin u. Winkler (2009), S. 59. 847 Bzw. mit belebten Gegenständen, so auch Mayer: »Es scheint […], als habe [Kubin] die ›atmosphärischen‹ Züge des Werkes, in denen gerade die Dinge ein unheimliches Eigenleben annehmen, der Darstellung von Individuen vorgezogen.« (Mayer (1975), S. 215). Das anschließende Beispiel einer Darstellung des Buches Ibbur kann jedoch nicht nachvollzogen werden.

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»Diese Häuser, das waren die starken, wirklichen Individuen. Stumm und doch wieder vielsagend standen sie da. Ein jedes hatte so seine bestimmte Geschichte, man musste nur warten können und sie stückweise den alten Bauten abtrotzen. Diese Häuser wechselten sehr mit ihren Launen. Manche haßten sich, eiferten gegenseitig aufeinander. Es gab garstige Brummbären unter ihnen, wie die Molkerei da gegenüber ; andere schienen frech und hatten ein loses Maul, gerade mein Caf¦ ist dafür ein gutes Beispiel. Weiter hinauf zu, das Haus, wo wir wohnten, war eine vergrämte alte Tante. Klatschsüchtig und böswillig schielten die Fenster…«848

In diesem ersten Fall ist anzunehmen, dass die Ähnlichkeiten zwischen der Kubin’schen Zeichnung und den Lithographien Steiner-Prags, die Stadtdarstellungen zeigen, auf der gemeinsamen literarischen Grundlage basieren, da sie eher inhaltliche Analogien aufweisen.849 Kompositorisch oder stilistisch lassen sich keine unmittelbaren Ähnlichkeiten feststellen. Anders liegt der Fall bei einer Kubin-Zeichnung auf Seite 90. Sie zeigt ein Treppenhaus, das zu einem dunklen Torbogen führt.850 Eine erläuternde Textstelle ist in unmittelbarer Nähe nicht zu finden. Eine ähnliche Komposition findet sich sowohl bei Steiner-Prag851 (Abb. 12) als auch bei Fritz Schwimbeck (Abb. 31). Auch hier gibt es keine erläuternde Textstelle im Meyrinkschen Roman. Hier wie da dient die Illustration eher der Darstellung und Vermittlung einer allgemeinen Stimmung, die mit unterirdischen dunklen Gängen oder Heimlichkeiten auf Treppenabsätzen verbunden wird. Sehr auffällig ist die kompositorische und inhaltliche Analogie der Bildbeigabe auf Seite 111, sowohl zum Meyrinkschen Roman852 als auch zur Steinerschen Lithographie Der Gehetzte853 (Abb. 16). Dargestellt ist eine enge Stadtgasse, auf der eine einzelne Figur vor einer großen Menschenmenge flieht. Der Protagonist des Kubin’schen Romans verirrt sich ins französische Viertel und wird aus ungeklärten Gründen von einer immer stärker anwachsenden Menge verfolgt. »Mit Flaschen und Messern warf man nach mir, kreuz und quer lief ich in den Gassen, und an jeder Ecke schrie ich, so laut ich konnte: ›Hilfe, Polizei!‹ Aber niemand half, und hinter mir hörte ich den tollen Haufen hohnlachen. Mit aufgerissenem Mund, nackt und verzweifelt, flog ich förmlich dahin; keine Rettung, keine Hoffnung bot sich mir.

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Kubin u. Winkler (2009), S. 74. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-3, -6, -14, -21, -22, -23. Vgl. Kubin u. Winkler (2009), S. 90. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-10. Zur gleichen Auffassung gelangt auch Mayer (1975), S. 214. Sie widerspricht damit der Auffassung Schroeders, der diese Abbildung zu seiner 1. Gruppe von Illustrationen zählt, die in keinerlei Verbindung mit dem Golem-Roman stehen. Vgl. Schroeder (1970), S. 129. 853 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-14.

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Endlich – ich war schon ganz matt – sah ich ein schmales hohes Haus; es schloß die Gasse ab. Alle Fenster waren erleuchtet, über der Schwelle hing ein roter Lampion.«854

Zum Golem-Roman gestaltete Hugo Steiner-Prag ein ähnliches Blatt, auf dem eine Menschenmenge eine einzelne Figur verfolgt.855 Die entsprechende Textstelle lautet bei Meyrink: »Auf den Lärm hin mußten wahrscheinlich viele Leute aus ihren Höhlen gestürzt sein, denn es brach ein unbeschreibliches Gezeter hinter mir los. Ich drehte mich um und sah ein wimmelndes Heer totenblasser, entsetzenverzerrter Gesichter sich mir nachwälzen. Erstaunt blickte ich an mir herunter und verstand: – ich trug noch immer die seltsam mittelalterlichen Kleider von nachts her über meinem Anzug, und die Leute glaubten, den ›Golem‹ vor sich zu haben. Rasch lief ich um eine Ecke hinter ein Haustor und riß mir die modrigen Fetzen vom Leibe. Gleich darauf raste die Menge mit geschwungenen Stöcken und geifernden Mäulern an mir vorüber.«856

Eine weitere, sehr auffällige Analogie zeigt die Darstellung der sogenannten ›Blauäugigen‹ auf Seite 262, die sowohl an die literarische Beschreibung Meyrinks, als auch die Darstellung des Golems durch Steiner-Prag erinnert. Es ist vor allem der Hinweis auf sein orientalisches Aussehen. Literarische und bildliche Darstellung überschneiden und verflechten sich. Von Kubin wird einer der ›Blauäugigen‹ folgendermaßen geschildert: »Wie aus Porzellan geformt, war das reine Eirund des Kopfes. Mit den durchsichtig dünnen Nasenflügeln, dem schmalen, etwas eingedrückten Kinn kam mir der Mann wie ein überfeinerter Mandschuprinz oder wie ein Engel aus einer buddhistischen Legende vor. Seine schlanken, langen Gelenke sprachen von äußerster Entwicklung der Rasse. Alles Haar war abgeschabt, und vollkommen glatt spannte sich seine Haut. Mit einem unvergleichlichen Blick aus seinen blauen Augen sah er mich an.«857

Die Schilderung des Golem bei Meyrink erfolgt an zwei verschiedenen Textstellen,858 zunächst im Gespräch der Freunde über den seltsamen Besuch Pernaths zur Ausbesserung des Buches Ibbur : »…war der Fremde vielleicht bartlos, und hatte er schrägstehende Augen?«859. Etwas später dann berichtet der Marionettenspieler Zwakh von der Golemlegende (in der Meyrinkschen Version): 854 Kubin u. Winkler (2009), S. 112. Kubins Textstelle erinnert außerdem an die Szene vom ›Haus zur Letzten Latern‹ im Golem-Roman. Es geht um das Haus am Ende einer Sackgasse, das nur für die Auserwählten zu finden ist. »Sonderbar, daß hier ein Haus die Gasse abschließt – größer als die andern und anscheinend wohnlich.« (Meyrink (1989), S. 185). 855 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-14. 856 Meyrink (1989), S. 114. 857 Kubin u. Winkler (2009), S. 262 – 263. 858 Vgl. auch Schroeder (1970), S. 135. 859 Meyrink (1989), S. 46.

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»Immer wieder begibt es sich nämlich, daß ein vollkommen fremder Mensch, bartlos, von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus [Hervorh. V.S.], aus der Richtung der Altschulgasse her, in altmodische, verschossene Kleider gehüllt, gleichmäßigen und eigentümlich stolpernden Ganges, so, als wolle er jeden Moment vornüber fallen, durch die Judenstadt schreitet…«860

Ein Bild-Text-Vergleich lässt vermuten, dass diese Illustration bereits für den Golem-Roman gedacht war. Seine bildliche Darstellung war dann höchstwahrscheinlich Vorlage für seine literarische Beschreibung der exotischen Blauäugigen. In diesem Fall ist auch davon auszugehen, dass Steiner-Prag in seiner Darstellung von Kubin beeinflusst worden ist. Die bildliche Analogie ist so frappierend, dass sie nicht allein durch die literarische Vorlage gerechtfertigt werden kann. So ist zum Beispiel bei Meyrink nicht direkt die Rede davon, dass der Golem keine Haare hat. Dieses Merkmal hingegen wird dann bei Kubin literarisch sehr betont (»das reine Eirund des Kopfes«). Bei Meyrink gibt es zwar auch einen Hinweis auf das glatte, haarlose Aussehen des Golem-Kopfes, dies aber eher beiläufig, als Zwakh von einer Begebenheit beim Bleigießen der Hochzeit seiner Schwester berichtet. Sie habe aus Blei den Golemkopf gegossen: »…es wäre damals das geschmolzene Metall zu einem kleinen, ganz deutlichen Kopf erstarrt gewesen – glatt und rund [Hervorh. V.S.], wie nach einer Form gegossen…«861. Während der längeren Szene bei Meyrink, in der die Freunde bei Pernath sitzen und über den Golem sprechen, schnitzt Zwakh an einem Marionettenkopf, der im Laufe des Gesprächs ebenfalls Ähnlichkeiten mit dem Golem bekommt.862 Ohne, dass die Eigenschaft des ›wie aus Holz geschnitzt‹Seins bei Meyrink konkret genannt wird, weisen doch beide bildlichen Darstellungen eine gewisse Ähnlichkeit zu einem aus Holz geschnitzten Kopf auf.863

4.5.3.2 Der Bild-Text-Vergleich von Schroeder Viele andere Illustrationen sind weder dem Kubin’schen Text, noch dem Meyrinkschen Text eindeutig zuzuordnen. Richard Arthur Schroeder, der bislang den einzigen ernsthaften Versuch unternommen hat, die Kubin-Illustrationen Meyrinks Text zuzuordnen, kommt in Teilen zu anderen Ergebnissen, die nun vorgestellt werden sollen. Er kategorisiert zunächst alle Kubin-Illustrationen in 860 861 862 863

Meyrink (1989), S. 48 – 50. Meyrink (1989), S. 53. Vgl. Meyrink (1989), S. 60. Diese Feststellung ist insofern zusätzlich bemerkenswert, als die Golemlegende Bezug auf Roboter und Automaten nimmt, ein Topos, der gerade im 19. Jahrhundert neue Bedeutung gewinnt, insbesondere in der Schwarzen Romantik. Das verwandte Motiv der Marionette spielt in vielen Erzählungen eine wichtige Rolle, so zum Beispiel bei E. T. A. Hoffmanns Der Sandmann.

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drei Gruppen. Die erste Gruppe nennt er »illustrations which thematically are entirely unrelated to Meyrink’s novel«, die zweite Gruppe »[illustrations] which bear some thematic resemblance, even circumstantial, to Meyrink’s novel, and thus remain inconclusive, marginal cases« und die dritte Gruppe »[illustrations] which thematically correspond to descriptions of certain characters, objects, events and settings«864. Schroeder betont selbst einschränkend den spekulativen Charakter seines Identifizierungsversuches, seine Einteilung dient jedoch der Operationalisierbarkeit in seiner Untersuchung. Seine Auswahl soll mit den Ergebnissen in der vorliegenden Arbeit abgeglichen werden und auf mögliche Übereinstimmungen und Abweichungen hin untersucht werden. Um gerade die erste Gruppe noch deutlicher abzugrenzen, kann festgestellt werden, dass es sich hierbei um Illustrationen handelt, die großenteils mehr oder weniger eindeutig dem Kubin’schen Text zugeordnet werden können. In manchen Fällen kommt es jedoch zu Überschneidungen, sodass Zeichnungen beiden Texten zugeordnet werden können. Mayers Kategorisierung widerspricht Schroeders Einschätzungen. Sie zieht drei Zeichnungen aus Schroeders erster Gruppe in Zweifel. Dies ist zunächst die Darstellung auf Seite 31, die den Protagonisten mit Rückenansicht am Fenster stehend zeigt.865 Mayer setzt diese Bildbeigabe in einen direkten Zusammenhang zum Golem-Roman. Sie will darin Pernath erkennen, der aus seinem Fenster blickt:866 »Ich wollte meine Gedanken von Rosina losreißen und sah von dem offenen Fenster meiner Stube hinab auf die Hahnpaßgasse.«867 Mayer möchte außerdem die Zeichnung auf Seite 111 aus dieser ersten Gruppe aussondern. Wie bereits oben besprochen, kommt auch Mayer zu dem Schluss, dass es sich hier um die Verfolgung Pernaths als Golem handeln könnte.868 Die dritte Illustration, die Mayer aus der ersten Gruppe ausschließt, ist die Darstellung auf Seite 142, auf der ein Mann an einem Caf¦tisch sitzend gezeigt wird. Mayer sieht in dieser Darstellung Pernath, der in einem Kaffeehaus sitzt, kurz nachdem ihm klar wird, dass er unfreiwillig in den Mordfall um Charousek verwickelt wurde.869 »Stunden um Stunden saß ich in dem Kaffeehaus und glaubte, vor innerer Nervosität wahnsinnig werden zu müssen – aber wohin sollte ich gehen? Nach Hause? Herumschlendern? Eines schien mir gräßlicher als das andere.«870 Abgesehen von den Kritikpunkten Mayers scheint Schroeders Annahme, in 864 865 866 867 868 869 870

Schroeder (1970), S. 128. Kubin u. Winkler (2009), S. 31. Mayer (1975), S. 214. Meyrink (1989), S. 14. Vgl. Mayer (1975), S. 214 – 215 und Meyrink (1989), S. 114. Vgl. Mayer (1975), S. 215. Meyrink (1989), S. 205.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

der ersten Gruppe seien keine der elf Golem-Illustrationen zu vermuten, auch im Vergleich mit den oben angestellten Analysen im Großen und Ganzen zutreffend zu sein. In der zweiten Gruppe versammelt Schroeder Zeichnungen, deren Zuordnung gut nachvollzogen werden kann, und andere Zeichnungen, deren Verbindung zum Golem-Roman tatsächlich, wie Schroeder selbst sagt, »arbitrary«,871 also willkürlich erscheinen. In Übereinstimmung mit den vorliegenden Analysen sieht Schroeder die Stadtdarstellungen in Verbindung mit dem GolemRoman. Unabhängig von der unbekannten frühen Version kann davon ausgegangen werden, dass auch hier bereits die Stadtschilderungen Prags vorhanden waren. Der Schauplatz war jedenfalls von Anfang an so geplant. So erkennt Schroeder in der Zeichnung auf Seite 57 eine Stadtansicht an einem sich windenden Fluss mit Brücke als mögliche Darstellung Prags.872 Die Ansicht kann allerdings nirgendwo in der realen Prager Topographie eingeordnet werden.873 Deutlicher wird die Thematik der Stadtdarstellungen jedoch auf der darauffolgenden Zeichnung auf Seite 58, in der Schroeder das Goldmachergässchen erkennen möchte.874 Die Analogie ist in diesem Fall sehr auffallend. Sie könnte möglicherweise sogar eine Einordnung dieser Zeichnung in die letzte Gruppe der eindeutigeren Golem-Illustrationen nahelegen. Auch die Darstellung des Torbogens auf Seite 90 erinnert an Bilder des jüdischen Viertels und des unterirdischen Prags. Wiederum sehr willkürlich oder gar abwegig sind Vermutungen bei den Figurendarstellungen, in denen Schroeder »some of the main characters in Der Golem«875 sehen will, so zum Beispiel auf den Seiten 63, 95 oder 191.876 Da sich diese Vermutungen nicht belegen lassen, fallen diese Zeichnungen in keine nachvollziehbare Kategorie. Schroeders Annahme bezüglich der Darstellungen von Melitta Lampenbogen, der er die Darstellung von Rosina zuschreibt, widerspricht Mayer. Ihr Argument ist die literarische Schilderung Rosinas als »vierzehnjähriges, verwahrlostes Mädchen«877. Dies passt jedenfalls nicht zum Bild Melittas vor dem Kaminfeuer sitzend.878 Mit in Betracht gezogen werden muss an dieser Stelle erneut die unbekannte Frühversion des Romans. Darüber hinaus spricht Meyrink in seinem vollendeten Roman von mehreren Rosina-Generationen, die alle 871 Schroeder (1970), S. 131. 872 Vgl. Schroeder (1970), S. 131. 873 Darüber hinaus hat Lachinger die Ähnlichkeit zu Salzburg festgestellt. Vgl. Lachinger (1999), S. 126. 874 Vgl. Schroeder (1970), S. 131. Auch Mayer folgt dieser Zuordnung. Vgl. Mayer (1975), S. 215. 875 Schroeder (1970), S. 131. 876 Kubin u. Winkler (2009), S. 63, S. 95, S. 191. 877 Mayer (1975), S. 215. 878 Vgl. Kubin u. Winkler (2009), S. 137.

Alfred Kubin, Der Golem und Die andere Seite

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zu Prostituierten geworden seien. Außerdem nahm die Figur der Rosina in der frühen Fassung vermutlich eine zentrale Rolle ein. Es ist gut möglich, dass ihre Darstellung dort differenzierter ausgefallen sein mag. In der dritten Gruppe nennt Schroeder als Erstes eine Zeichnung auf Seite 75. Vermutlich zeigt die Zeichnung ein Kästchen auf einem Tisch. Im dunklen Hintergrund sind verschiedene mehr oder minder groteske Gestalten zu erkennen. Darüber hinaus kommt unterhalb des Kästchens eine Schlange oder etwas Ähnliches hervorgekrochen. Schroeder will in dieser Zeichnung eine Analogie zu Meyrinks literarischer Beschreibung des Buches Ibbur sehen.879 Des Weiteren meint er in den grotesken Figuren Szenen aus dem anschließenden Traum oder der Vision Pernaths in Der Golem zu erkennen. Die Erweiterung um diese Vision Pernaths lässt die Zuordnung etwas schlüssiger erscheinen. Gleichwohl kann nicht nachvollzogen werden, inwieweit das Kästchen auf Kubins Zeichnung einem Buch ähneln sollte. Dies erscheint abwegig und lässt die kategoriale Eindeutigkeit der Zugehörigkeit zur dritten Gruppe der eindeutigen Golem-Illustrationen durch Schroeder fraglich erscheinen. Er möchte seine Ansicht der Darstellung eines Buches mit einer entsprechenden Textstelle Kubins unterstreichen, der in einem Nebensatz ein »Buch oder eine[…] Spieldose« erwähnt.880 Die Textstelle kann in keinerlei Bezug zur Zeichnung gesetzt werden und erscheint daher auch kaum als schlüssiger Beweis für die Darstellung eines Buches für den Golem-Roman. Schroeder ist hingegen überzeugt davon, die richtige Einordnung getroffen zu haben und übergeht mögliche Bedenken mit der Aussage, »Kubin may have altered the drawing to make what was originally a book look like a box.«881 Mayer hinterfragt die Zuordnung Schroeders nicht und beschreibt die bildliche Darstellung als Beispiel für die Belebung von Gegenständen: »Das metallbeschlagene ›Buch Ibbur‹, das gleichsam aus sich selbst heraus lebendig wird und Visionen hervorbringt…«882. Die nächste Zeichnung in der Gruppe der eindeutig zu identifizierenden Golem-Illustrationen findet sich bei Kubin auf Seite 203. Sie zeigt verschiedene Krustentiere, Muscheln, Krebse, aber auch einen Nachtfalter. Schroeder ordnet diese Zeichnung im Golem-Text im ersten Kapitel ein883 : »All jene Steine, die je in meinem Leben eine Rolle gespielt, tauchen auf rings um mich her. Manche quälen sich schwerfällig ab, sich aus dem Sande ans Licht emporzuarbeiten – wie große schieferfarbene Taschenkrebse, wenn die Flut zurückkommt, und

879 Vgl. Schroeder (1970), S. 132. Leider zitiert Schroeder seine herangezogenen Textstellen auch im Weiteren ohne bibliographische Hinweise. 880 Vgl. Schroeder (1970), S. 132. 881 Schroeder (1970), S. 133. 882 Mayer (1975), S. 215. 883 Schroeder (1970), S. 133.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

als wollten sie alles daransetzen, meine Blicke auf sich zu lenken, um mir Dinge von unendlicher Wichtigkeit zu sagen.«884

Abgesehen von den »Taschenkrebsen« und dem »Sand«, aus dem sich die Krebse »empor[…]arbeiten«, kann kein Bezug zwischen der Zeichnung und der von Schroeder vorgeschlagenen Textstelle hergestellt werden. Es lohnt sich, die Kubin’sche Zeichnung genauer zu betrachten. Dabei wird deutlich, dass Kubin keine Taschenkrebse gezeichnet hat, sondern einen ziemlich klein geratenen Hummer oder Flusskrebs am rechten Bildrand. Die restlichen Tiere setzen sich aus einem Seestern, einem – im Verhältnis zum Krebs – übergroßen Nachtfalter und einer ebenso überdimensionierten Heuschrecke am oberen rechten Bildrand, sowie vielen kleineren und größeren Muscheln zusammen. So hat Kubin ein Konglomerat an unterschiedlichen, sich kriechend fortbewegenden Getier geschaffen. Eine Assoziation mit der Meyrinkschen Textstelle bietet sich nicht zwingend an. Auch Mayer scheint die Zeichnung nicht genauer betrachtet zu haben, denn sie bezeichnet sie als Darstellung von »Steine[n], die lebendige Gestalt annehmen wollen«885. Die dritte der acht von Schroeder ausgewählten Zeichnungen auf Seite 212 zeigt zwei männliche Brustportraits. Schroeder will in ihnen die Darstellung von Juden aus dem Prager Ghetto erkennen. »Rosina ist von jenem Stamme [von Juden], dessen rothaariger Typus noch abstoßender ist als der der anderen. Dessen Männer engbrüstig sind und lange Hühnerhälse haben mit vorstehendem Adamsapfel.«886 Die Zuordnung ist schlüssig, bleibt aber vage und nicht überzeugend. Schroeder nimmt eine sehr auffällige Zeichnung auf Seite 224 in seine dritte Gruppe mit auf. Sie zeigt einen undefinierten Raum, in dessen rechter hinterer Ecke eine überdimensionierte Spinne sitzt und in dessen vorderer linken ein Leichnam liegt. Ein heller Lichtschein erstrahlt in der Mitte des Raumes und lässt alles andere im Dunkeln versinken.887 Diese Zeichnung bezieht Schroeder auf die Beschreibung des Trödlers Wassertrum bei Meyrink:888 »Wie eine menschliche Spinne kam er mir vor, die die feinste Berührung ihres Netzes spürt, so teilnahmslos sie sich auch stellt.«889 Einen weiteren Vergleich zieht Schroeder mit der Figur des Dr. Wassory :

884 885 886 887

Meyrink (1989), S. 10. Mayer (1975), S. 215. Meyrink (1989), S. 13. Die Hell-Dunkel-Effekte betont auch Mayer, die hierin expressionistische Tendenzen bei Kubin festmacht. Vgl. Mayer (1975), S. 216. 888 Vgl. Schroeder (1970), S. 134. 889 Meyrink (1989), S. 14.

Alfred Kubin, Der Golem und Die andere Seite

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»Nur ein Mensch, der mit allen Fasern im Getto und seinen zahllosen, unscheinbaren, jedoch unüberwindlichen Hilfsquellen wurzelte und von Kindheit an gelernt hat, auf der Lauer zu liegen wie eine Spinne, der jeden Menschen in der Stadt kannte und bis ins kleinste seine Beziehungen und Vermögensverhältnisse erriet und durchschaute –, nur ein solcher – ›Halbhellseher‹ möchte man es beinahe nennen – konnte jahrelang derartige Scheußlichkeiten verüben.«890

Beide Bezüge sind plausibel. Der Bezug auf Wassertrum scheint jedoch wahrscheinlicher als der auf Wassory, da Wassertrum vor allem in der frühen Manuskriptversion eine wichtige Rolle spielte. Eine weitere Zeichnung, die Schroeder zur letzten Gruppe zählt, befindet sich auf Seite 245. Sie zeigt zwei verschlungene Gestalten. Die entsprechende Textstelle bei Kubin steht in unmittelbarer Nähe zur Zeichnung: »Der so geblendete griff aufs Geratewohl zu, packte seinen Gegner an der Brust und riß ihn zu sich heran. Die Schiffsschrauben schlossen sich hinter seinem Rücken, Anton knickte ein. Beide, der Lange und der Kurze, wälzten sich auf dem Boden, zuerst rollten sie durchs ganze Gemach, dann durch die offene Tür auf die Altane hinaus. Daß das Geländer zerbrochen war, merkten die sich wütend umschlungen Haltenden nicht. Sie flogen vom Balkon auf das Dach der angebauten Waschküche, glitten weiter abwärts und stürzten in die geöffnete Senkgrube.«891

Der literarische Bezug bei Kubin passt sehr gut und lässt eine enge Verbindung von Bild und Text vermuten, wobei nicht gesagt werden kann, ob zuerst das Bild oder der Text vorhanden war. Schroeders Hinweis auf eine sehr kurze Textstelle im Golem klingt wenig überzeugend: »Ein Mann und ein Weib umschlangen sich.«892 Schroeder begründet seine Annahme damit, dass eine der beiden Figuren ursprünglich weiblich gewesen sein könnte.893 Tatsächlich wirkt die dunkle Figur in ihrer Statur weiblich, sie hat schlanke Beine und eine ausladende Hüfte. Auch die Schuhe könnten die einer Frau sein. Die von Schroeder herangezogene Textstelle ist ein Detail aus der großen Traumszene im dritten Kapitel: »…Dann brachten sie ein Weib geschleppt, das war splitternackt und riesenhaft wie ein Erzkoloß. Eine Sekunde blieb das Weib vor mir stehen und beugte sich nieder zu mir. Ihre Wimpern waren so lang wie mein ganzer Körper, und sie deutete stumm auf den Puls ihrer linken Hand. Der schlug wie ein Erdbeben, und ich fühlte, es war das Leben einer ganzen Welt in ihr. Aus der Ferne raste ein Korybantenzug heran. Ein Mann und ein Weib umschlangen sich. Ich sah sie von weitem kommen und immer näher brauste der Zug. Jetzt hörte ich den hallenden Gesang der Verzückten dicht vor mir, und meine Augen suchten das verschlungene Paar. Das aber hatte sich verwandelt in eine einzige 890 891 892 893

Meyrink (1989)., S. 40. Kubin u. Winkler (2009), S. 245 – 246. Meyrink (1989), S. 25. Vgl. Schroeder (1970), S. 134.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

Gestalt und saß, halb männlich, halb weiblich – ein Hermaphrodit –, auf einem Throne von Perlmutter. Und die Krone des Hermaphroditen endete in einem Brett aus rotem Holz; darein hatte der Wurm der Zerstörung geheimnisvolle Runen genagt. In einer Staubwolke kam eilig hinterdreingetrappelt eine Herde kleiner, blinder Schafe: die Futtertiere, die der gigantische Zwitter in seinem Gefolge führte, seine Korybantenschar am Leben zu erhalten […] Eine Frau schwebte an mir vorbei. Ich sah ihr Antlitz nicht, sie wandte es ab, und sie trug einen Mantel aus fließenden Tränen. Maskenzüge tanzten vorüber, lachten und kümmerten sich nicht um mich…«894

Interessant ist die Verwandlung der beiden Gestalten in einen Hermaphroditen, eine Figur, die auch Kubin beschäftigte und die er als Schlusspunkt für seinen Roman setzt.895 Dennoch scheint die Szene der Verschlingung der beiden Geschlechter nur einen relativ kleinen Teil des Traumes darzustellen, eindrucksvoller beschreibt Meyrink doch die Vielzahl an Figuren, die tanzend vor dem Erzähler auftauchen. Dass nun Kubin ausgerechnet dieses kleine Detail illustriert haben sollte, kann in Frage gestellt, aber nicht widerlegt werden. Eine weitere Illustration zählt Schroeder zu der letzten Gruppe, sie findet sich auf Seite 261. Sie zeigt bei Kubin die Blauäugigen: »Da gewahrte ich eine kleine Schar Männer am jenseitigen Ufer, die durch das sandige Flußbett herüberkamen: die Blauäugigen.«896 Schroeder sieht die Szene bei Meyrink, in der Pernath zunächst in seinem Zimmer eine ungreifbare Angst897 erlebt und anschließend wieder in einen traumartigen Trancezustand verfällt.898 In diesem Traum beschreibt Pernath zwei Menschengruppen: »Und als ich die Augen aufschlug, standen in zwei sich schneidenden Kreisen, die einen Achter bildeten, fremdartige Wesen um uns herum: Die des einen Kreises gehüllt in Gewänder mit violettem Schimmer, die des anderen mit rötlich schwarzem. Menschen einer fremden Rasse, von hohem, unnatürlich schmächtigem Wuchs, die Gesichter hinter leuchtenden Tüchern verborgen.«899

Auch hier lohnt es sich, die Darstellung Kubins genauer zu betrachten. Kubin zeigt eine lange Reihe von Figuren, im Hintergrund sind Ruinen zu sehen. Die erste der Figuren ist ziemlich schwer zu erkennen, aber sie könnte ein Tuch über dem Kopf tragen. Dadurch ließe sich ein Bezug zu Meyrink herstellen. Allerdings trägt sie zwei Stangen in den Händen, die an Krücken erinnern. Davon ist weder bei Meyrink noch bei Kubin die Rede. Dies ist ein merkwürdiges Detail, das sich nicht durch einen literarischen Bezug erklären lässt. Auch bei den anderen 894 Meyrink (1989), S. 24 – 25. 895 Der letzte Satz bei Kubin lautet: »Der Demiurg ist ein Zwitter.« (Kubin u. Winkler (2009), S. 286). 896 Kubin u. Winkler (2009), S. 262. 897 Zu dieser Szene hat Steiner-Prag eine Illustration entworfen. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-17. 898 Vgl. Schroeder (1970), S. 134. 899 Meyrink (1989), S. 155.

Alfred Kubin, Der Golem und Die andere Seite

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Bildelementen lassen sich deutliche Unterschiede feststellen. Die Gruppe bildet eine lange Reihe und keine zwei Kreise. Auch die Umgebung mit Ruinen hat keine literarische Grundlage. Meyrink beschreibt hingegen den Raum dergestalt: »Dann löste die Finsternis mein Zimmer in einen unendlichen leeren Raum auf, in dessen Mitte ich mich auf meinem Lehnstuhl sitzen wußte, vor mir der graue Schatten wieder mit dem ausgestreckten Arm.«900 In der Kubin’schen Zeichnung findet sich weder eine Figur auf einem Lehnstuhl, noch eine stehende Figur mit ausgestrecktem Arm. Der Raum bei Meyrink ist leer. Die siebte Zeichnung aus der letzten Gruppe ist die Darstellung eines ›Blauäugigen‹ auf Seite 262.901 Diese Zeichnung wurde bereits eingehend besprochen und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den elf Golem-Illustrationen zu zählen. Schroeder verweist auf die Textstellen, die bereits erwähnt wurden.902 In diesem Fall ist Schroeder in jeder Hinsicht beizupflichten. Eine bemerkenswerte Kategorisierung vollzieht Schroeder mit der letzten, der achten Zeichnung aus der dritten Gruppe, auf Seite 282. Er verweist auf die Zwitterhaftigkeit im dargestellten Portrait und möchte somit erneut eine Beziehung zur Hermaphroditen-Motivik bei Meyrink herstellen.903 Dies scheint einsichtig, allerdings ist die Darstellung bei Kubin nicht unbedingt zwitterhaft aufzufassen. Schwierigkeiten machen dabei die leeren Augen, ein wesentliches Merkmal eines Gesichtes, die so eine geschlechtsspezifische Zuschreibung schwierig machen. Der Kubin’sche Text, an dem die Illustration verortet ist, spricht von einer Mumie, was die leeren Augen erklären würde. »Dann fand man bei Nachgrabungen in einem warmen Aschenhaufen eine eingetrocknete Figur ; sie wurde abgestaubt – eine Mumie, hieß es. Ein Regimentsarzt fand aber noch Leben in ihr, mühte sich ab und brachte den kleinen Funken wieder zum Brennen. Alles lief, um diesen Geretteten zu sehen, der, wie sich bald herausstellte, weiblichen Geschlechts war.«904

Bild und Text sind hier in einem engen genetischen Zusammenhang zu sehen. Bei Binder findet sich ein einziger Hinweis auf die Kubin’schen Golem-Illustrationen. Er erwähnt eine Textstelle bei Meyrink mit einer Katze: »Das Schicksal in diesem Hause irrt im Kreise umher und kehrt immer wieder zum selben Punkt zurück, fuhr es mir durch den Sinn, und ein häßliches Bild, das ich einmal mit angesehen – eine Katze mit verletzter Gehirnhälfte, im Kreise herumtaumelnd –, trat vor mein Auge.«905 900 901 902 903 904 905

Meyrink (1989), S. 155. Vgl. Kubin u. Winkler (2009), S. 262 und Schroeder (1970), S. 134 – 135. Vgl. Schroeder (1970), S. 135 und Meyrink (1989), S. 46 und 48 – 50. Vgl. Schroeder (1970), S. 135. Kubin u. Winkler (2009), S. 281 – 282. Meyrink (1989), S. 55.

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Der Golem – Inszenierung der unheimlichen Stadt

Binder will eine der Illustrationen zu Die andere Seite in textlichem Zusammenhang mit dieser Stelle sehen.906 Welche Zeichnung er gemeint haben könnte, sagt er nicht. Tatsächlich lässt sich jedoch keine einzige Zeichnung dieser Textstelle zuordnen.907 Es existiert noch eine weitere Zeichnung, die nicht in Die andere Seite veröffentlicht worden ist, von der aber vermutet wird, dass sie für den Golem gedacht war. Karle erwähnt die Zeichnung in seinem Artikel, ohne jedoch genauere Angaben zu diesem Blatt zu machen. Es trägt keinen Titel, sondern nur den Hinweis, dass es sich in Privatbesitz befände.908 Die entsprechende Abbildung weist tatsächlich eine erstaunliche Ähnlichkeit zu dem Blatt Die Erscheinung des Golem909 von Steiner-Prag auf. Sie zeigt eine asiatisch aussehende Figur vor einer Häuserfront. Sehr wahrscheinlich kannte Steiner-Prag dieses Blatt und ließ sich davon inspirieren. Es ist jedoch unzulässig, aufgrund dieser Beeinflussung eine Zugehörigkeit zu den Golem-Illustrationen als gesichert anzunehmen. So ist es möglicherweise nur der retrospektive Blick des heutigen Betrachters, der diese Vermutung nahelegt.

906 Vgl. Binder (2009), S. 430. 907 Gleich zu Beginn des Romans erscheint die Zeichnung eines Tigers. Vgl. Kubin u. Winkler (2009), S. 19. Sie weist jedoch keinerlei Bezug zu Binders Textverweis auf. 908 Vgl. Karle, Robert: Nichts ist phantastischer als die Wirklichkeit. Illustrationen zu Gustav Meyrinks Der Golem, in: Die Kunst (und das schöne Heim) 1988, S. 626 – 633, S. 629. 909 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-6.

5

Das ›Magische Prag‹

5.1

Die Legendenbildung um das ›Magische Prag‹

Der Stadt Prag wurde und wird immer wieder eine magische Ausstrahlung zugeschrieben. Diese Charakterisierung war wesentlicher Bestandteil des breiten Interesses für die Prager Literatur im frühen 20. Jahrhundert. Ursachen für diese Zuschreibung wurden in verschiedenen Bereichen gesucht. Ein wichtiger Bestandteil dieser Konstruktion ist der Rekurs auf die Epoche Rudolfs II. Seine Regentschaft war gekennzeichnet durch ein ausgeprägtes Interesse an den Wissenschaften. Der Kaiser versammelte verschiedenste Gelehrte an seinem Hof, aber auch Künstler aus aller Welt, so zum Beispiel Johannes Kepler, Tycho Brahe oder Giuseppe Arcimboldo. Unter seiner Regentschaft wurden den Protestanten großzügige Rechte eingeräumt, ebenso erlebte die jüdische Gemeinde eine Blüte, da der Kaiser finanziell von ihr abhängig war. Es fanden ein internationaler Austausch und ein reger Zulauf aus Italien und Deutschland nach Prag statt. Die historische Epoche Rudolfs II. steht in einem Widerspruch zu den Mythen, die sich um seine Person ranken. Denn ganz offensichtlich war er in erster Linie ein gebildeter und an den Wissenschaften interessierter Herrscher. Seine Liberalität sorgte allerdings für Unmut und führte zu seinem Ruf einer labilen Persönlichkeit, die »›nur an Zaubereien, Alchemisten, Kabbalisten und ähnlichen Leuten interessiert‹«910 gewesen sei. Nach Rudolfs Regentschaft und im Zuge des 30-jährigen Krieges endete diese Bekenntnisfreiheit und Offenheit. Mit den manieristischen Künstlern am Prager Hof hatte die ›groteske‹ Kunst bereits zu dieser Zeit eine gewisse Tradition. Literarisch und auch künstlerisch wird immer wieder auf das Rudolfinische Zeitalter verwiesen. So auch im Golem, wenn von den Ursprüngen der Legende und von einer ›Laterna magica‹ berichtet wird, die angeblich Rudolf getäuscht haben soll.911 910 Demetz (1996), S. 157. 911 Die Laterna Magica kann mit der Kunstform der Illustration in Verbindung gebracht

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Das ›Magische Prag‹

Peter Demetz geht in seinem Essay Die Legende vom magischen Prag (1996) der Frage nach möglichen anderen Gründen für diese Stadtimago nach.912 Er betont die Bedeutung des Katholizismus und der religiösen Mystik für die Entwicklung eines Prager Bildes der magischen Stadt.913 Im Zeitalter des Barock bildeten die italienischstämmigen Karmeliterinnen das Zentrum der religiösen Mystik in Prag.914 Die Legendenbildung um das magische Prag verweist Demetz in das 19. Jahrhundert. In literarischen Erzeugnissen erkennt er eine Wirkkraft zur Kolportage des Prag-Bildes, wie es sich dann auch in der Nachfolge zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt. Ausschlaggebende Publikationen sind seiner Ansicht nach unter anderem Hollunderblüthe (1863)915 von Wilhelm Raabe, The Witch of Prague (1890) von Marion Crawford oder Le passant de Prague (1903) von Guillaume Apollinaire.916 So ordnet er die Zuschreibung deutlich später ein, und bemerkt, dass sie insbesondere jünger sei, als eine andere Zuschreibung, nämlich die des goldenen Prag, das er mit dem jungen aufsteigenden, tschechischen Prag verbindet.917 Die Begeisterung, die das magische Prag heute auslöst, sieht Demetz durch die Tourismusbranche gefördert, die sich in einer romantischen Nostalgie auf den engen Bezirk der Innenstadt beschränkt und mit der Alltagskultur der Prager kaum mehr etwas zu tun hat.918

5.2

Die Darstellung des ›Magischen Prag‹ in Der Tod des Löwen

Auguste Hauschners Novelle Der Tod des Löwen, erstmals 1916 erschienen, zählt nach Fritz zu den Schriften des ›Prager Textes‹.919 Auguste Hauschner wurde 1850 in Prag als Auguste Montag geboren. Sie stammte aus einer »wohlhabenden Prager jüdischen Familie«920. Ab 1871 lebte sie in Berlin, nach dem Tod ihres

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werden. Einen Vergleich mit dem Comic zieht Schmitz-Emans, der auf Illustrationen, bzw. Bilderfolgen im Allgemeinen übertragbar ist: »…die Laterna Magica ist mit dem Comic durch grundlegende Gemeinsamkeiten verbunden: Hier wie dort sind es Bilderfolgen, welche eine Geschichte erzählen, hier wie dort erzeugen die Bilder der erzählten Geschichte eine imaginäre Welt, die mit den Bildern der Alltagswelt konkurriert, hier wie dort geht es darum, verschiedene Dimensionen der Wirklichkeit aufeinander zu projizieren.« (SchmitzEmans u. Bachmann (2012), S. 164). Vgl. Demetz (1996). Vgl. Demetz (1996), S. 144. Vgl. Demetz (1996), S. 148 – 149. Demetz datiert die Novelle in das Jahr 1868. Vgl. Demetz (1996), S. 160. Vgl. Demetz (1996), S. 160 – 161. Vgl. Demetz (1996), S. 164. Zur Ambivalenz der Stadtbilder, v. a. des aufsteigenden tschechischen Prag im Gegensatz zum untergehenden deutschen Prag vgl. Schmitz (1997), S. 113 – 114. Vgl. Demetz (1996), S. 166. Vgl. Fritz (2005), S. 72. Delf von Wolzogen, Hanna: Hauschner, Auguste (Auguste Montag), in: Kilcher, Andreas B.

Die Darstellung des ›Magischen Prag‹ in Der Tod des Löwen

181

Mannes 1890 begann sie zu schreiben und gründete einen ›Salon‹. In ihren Romanen und Novellen behandelte sie vor allem sozialkritische Themen. Ihr Roman Die Familie Lowositz von 1908 gilt als »Quelle für das Prager jüdische Milieu ihrer Zeit«921. Ihre Erzählung Der Tod des Löwen bettet sie in das historische Prag Rudolfs II. ein. In diesem Rahmen entfaltet Hauschner ihre mystische Erzählung um den Kaiser im Kampf gegen sein vorhergesagtes Schicksal.922 Ähnlich wie bei Gustav Meyrink fungiert die Stadt Prag als Imago für einen unheimlichen Ort. Diese Vorstellung wurde der Stadt durch verschiedene Schriften des ›Prager Textes‹ als eine Form der kollektiven Erinnerung eingeschrieben und wird in Der Tod des Löwen erneut belebt.923 Typische Elemente sind nach Fritz »Alchimie, Astronomie und Okkultismus«, die sich »in apokalyptischer Weise mit verschiedensten übersinnlichen Erscheinungen wie z. B. dem über Prag stehenden blutroten Kometen, der den heraufziehenden Krieg ankündigt«,924 verbinden. So urteilt Fritz zusammenfassend: »Die Autorin vertritt mit ihrer Erzählung ebenso wie Max Brod mit Tycho Brahes Weg zu Gott den historischen Themenkreis des ›Prager Textes‹ und führt hier das gesamte semiotische Inventar, das für deutschsprachige Schilderungen des Prag des 16. Jahrhunderts bezeichnend ist, beispielhaft zusammen.«925

Viele Elemente der Erzählung sind historisch verbürgt, so zum Beispiel die Charakterisierung des Kaisers als von Depression und Verfolgungswahn geplagten Regenten.926 Aber auch Rudolfs Interesse für Magie und seine eigenen Versuche der Alchimie basieren auf historischen Berichten.927 Dabei nahm sich Hauschner die Freiheit, auch chronologisch nicht zusammenhängende Ereignisse zu verbinden.928 Hinzu kommen Elemente aus den jüdischen Erzählungen der Sippurim.929

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928

(Hg.): Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. Jüdische Autorinnen und Autoren deutscher Sprache von der Aufklärung bis zur Gegenwart (= Suhrkamp-Taschenbücher, Bd. 3529), Frankfurt am Main 20031, S. 209 – 210, S. 209. Delf von Wolzogen (2003)., S. 209. Vgl. Lange (2006), S. 150. Vgl. Lange (2006), S. 151. Fritz (2005), S. 139. Fritz (2005), S. 140. Obgleich dies – wie bereits erwähnt – wohl vor allem eine Zuschreibung durch seine Widersacher war. Findlen verweist auf einen Bericht eines italienischen Gesandten, dass Rudolf den »kaiserlichen Thron« gegen den »Werkstattschemel« getauscht habe. (Findlen, Paula: Mundus – Kabinette, Sammeln und Naturphilosophie. Ein Palast für den Stein der Weisen, in: Fuc†kov‚, Eliska u.a (Hg.): Rudolf II. und Prag. Kaiserlicher Hof und Residenzstadt als kulturelles und geistiges Zentrum Mitteleuropas, Prag, London, Mailand 1997, S. 209 – 219, S. 216). Vgl. Lange (2006), S. 152. Lange spricht von ›Fehlern‹, die der Autorin unterlaufen seien.

182

Das ›Magische Prag‹

Lange vollzieht eine der wenigen literarischen Analysen der Novelle. Sie hebt einige Merkmale hervor, die auch für die Untersuchung der Bildbeigaben und ihrer literarischen Bezogenheit hilfreich sein können. Interessant sind vor allem die Ausführungen Langes zur topographischen Erinnerung anhand der verschiedenen Räume in der Erzählung. Dem Hradschin, der Alchimistengasse und dem jüdischen Viertel werden jeweils bestimmte Figuren zugeordnet. Diese Räume sind voneinander isoliert und werden durch die Karlsbrücke metaphorisch verbunden.930 Durch den Löwen, einerseits als allgemeines Symbol für das Königtum (der Löwe als König der Tiere), andererseits als konkretes Symbol der Herrschaft Rudolfs, dessen Schicksal an den Löwen gebunden ist, fließt das Doppelgängermotiv bei Hauschner in die Erzählung ein. Darüber hinaus erscheint es in tranceartigen Sequenzen, besonders in Verbindung mit dem Erscheinen des Gehilfen Ben Bezalels, der an die Golemfigur angelehnt ist. So beschreibt Hauschner den Zustand Rudolfs: »Noch glaubt er, in einem Dämmerzustand, sein eigener Beobachter zu sein, sein eigener Doppelgänger, mit der Macht, sich nach Belieben aufzuwecken und mit sich selber zu vereinen.«931 Die Golemfigur wird bei Hauschner nicht explizit als solche benannt, in der Figur des Gehilfen Jabob bezieht sie sich jedoch deutlich auf den Golem. Hauschner verwendet zum Teil klassische Motive aus der Golemlegende der Sippurim, teilweise erweitert sie diese auch. Der Golem bei Hauschner ist stumm und blind. »Jabob [sic!] ging geschäftig durch die Räume, führte Befehle aus, deren Ziele er nicht kannte. An der Leine des Gehorsams ging er stumm und blind.«932 Auch sein Unvollendet-Sein wird entsprechend der Golemlegende erwähnt: »Unter den zu einem Strich geeinten Brauen musterte er finster des Burschen Umriß, der etwas Großzügiges hatte und etwas Unvollendetes zugleich, als habe eine Künstlerhand die Form dem rohen Stoff entrissen, aber ihre Ungefügigkeit noch

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Dabei ist zu bedenken, dass Hauschner eine fiktive Novelle verfasst hat, deren historische Bezüge von ihr frei gewählt wurden. So werden hier – ähnlich wie im Golem – unterschiedlichste Elemente zu einem fiktiven Bild einer Zeit verwoben, das vor allem für die Entwicklung einer Stadtimago dienlich ist. So sieht das auch Lange an späterer Stelle: »Hauschner stabilisiert mit ihrem retrospektiven Blick auf Prag die der Stadt zugeschriebene Erinnerungs- und Gedächtnisfunktion. Daß es dabei weniger um ein historisches Geschichtsbewußtsein, als um die identitätsstiftende Wirkung von Legenden und Sagen geht, kann als wesentlicher Bestandteil des hier aktivierten kulturellen Gedächtnisses gesehen werden.« (Lange (2006), S. 157). Dazu gehört zum Beispiel die Erzählung, dass der hohe Rabbi Löw das Volk von der Pest befreite, da er von den Geistern der verstorbenen Kinder in Erfahrung gebracht hatte, dass die Pest durch die Sünde einer Frau, nämlich Ehebruch, ausgelöst worden war. Vgl. Hauschner, Auguste: Der Tod des Löwen. Mit Radierungen von Hugo Steiner-Prag, Leipzig/ Prag 1922, S. 49 – 51 und Demetz (1994), S. 94 – 99. Vgl. Lange (2006), S. 154. Hauschner (1922), S. 84. Hauschner (1922), S. 101.

Die Darstellung des ›Magischen Prag‹ in Der Tod des Löwen

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nicht gegliedert.«933 Eine Erweiterung erfährt die Darstellung des Golems als Findelkind. Dieses Element ist laut Lange auf eine Legende von 1580 zurückzuführen.934 Beinahe alle Szenen spielen bei Nacht, die laut Lange »Symbolcharakter«935 erhält. In der Nacht kann sich einerseits die seherische Kraft der Astronomie entfalten, andererseits das Unheimliche walten. Das Element der Nacht wird um 1900 künstlerisch interessant. Durch die Veränderungen der industriellen Revolution und die Elektrifizierung der Großstädte kann man von einem Verlust der Nächte in der modernen Gesellschaft seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert sprechen. Umso relevanter wurde der Topos des Nächtlichen in dieser Zeit.936 Durch das ›Abhandenkommen‹ der völligen Dunkelheit und der Belebung der Nacht in den Großstädten entstand in der Romantik eine sehnsuchtsvolle Begeisterung für die Dunkelheit, die Nacht wurde literarisch und künstlerisch wieder ›zurückgeholt‹.937 Als das Gegenteil des Tages, als die Abweichung von der Norm,938 wurde die Nacht Thema der Schwarzen Romantik und erneut in ihren verschiedenen Renaissancen um 1900. Sie wurde damit Teil der Beschäftigung mit dem Unheimlichen und Phantastischen, Abseitigen und Abnormen. Diese Beobachtung ist auch für die anderen Beispiele der vorliegenden Arbeit relevant. 933 Hauschner (1922), S. 87. 934 Lange (2006), S. 163 – 164. Dieses Element konnte bislang in keiner Abhandlung über die Golemlegende gefunden werden. 935 Hauschner (1922), S. 156. 936 »Die Gründe, warum das Dunkel als solches erst am Ende des 18. Jahrhunderts zum Gegenstand künstlerischer Darstellung werden konnte und nicht nur als die andere, defiziente Seite des hellen Tages, als Abwesenheit oder Mangel von irdischem oder göttlichem Licht behandelt wurde, liegen vor allem in den beleuchtungstechnisch bedingten Veränderungen der Nacht und dem damit einhergehenden Wandel in der Auffassung und Empfindung des nächtlichen Geschehens begründet. Je heller die Nacht im Verlaufe des 17. und 18. Jahrhunderts ausgeleuchtet wurde, und je mehr Menschen die Nacht bevölkerten, desto mehr rückte das uralte Grauen vor der nächtlichen Finsternis in den Hintergrund des menschlichen Bewußtseins. Von der Ausgrenzung der Nacht als terra incognita aus dem menschlichen Leben und ihrer Verdrängung im Bewußtsein als tabuierte Gefahrenzone führt ein verzweigter Weg der allmählichen Bewußtwerdung ihrer Bedeutung für die Physis und Psyche des Menschen durch die Geschichte bis hin zur Romantik, die angesichts des rapiden Schwindens der nächtlichen Dunkelheit schließlich von einer Wehmut nach einer ›verzauberten‹ und ›wunderbaren‹ Welt befallen wird, die sich in einem Kult der Nacht und der ihr assoziierten Traumwelt kundtut.« (Gaßner (1998), S. 36). 937 Die Beschäftigung mit der Nacht beginnt bereits im frühen 19. Jahrhundert. Sie fällt in ähnliche Kategorien wie die Beschäftigung mit der dunklen Seite der Seele, der Dialektik der Aufklärung. Vor allem Schopenhauer und Nietzsche beschäftigten sich mit dem Dualismus von Tag und Nacht und übertrugen ihn auf viele Bereiche. Nietzsche prägte hierfür den Dualismus des Dionysischen und Apollinischen. Beide Philosophen wurden für die Künstler und Intellektuellen um 1900 erneut relevant. Vgl. Gaßner (1998), S. 30. 938 Vgl. Bronfen, Elisabeth: Nächtliche Begegnungen anderer Art, in: Gaßner (1998), S. 153 – 168, S. 155.

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Das ›Magische Prag‹

Literarisch und bildnerisch sticht die beständige Thematisierung der Nacht bei Der Tod des Löwen besonders hervor. Darüber hinaus enthält der Roman viele Motive der Schwarzen Romantik, wie sie Mario Praz und in seiner Nachfolge Andr¦ Vieregge herausarbeiteten.939 Dazu gehören zum Beispiel die »Metamorphosen des Teuflischen«940 in der Rolle des Renus Cysatus und die »dämonisierte Weiblichkeit«941 durch die Tochter des Rabbi, Golde. Auch die schicksalhafte Verknüpfung von Rudolfs Leben mit dem des Löwen kann im Sinne Viereggers als Fluch gedeutet werden.942

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Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Der Tod des Löwen

5.3.1 Strukturanalyse der Wort-Bild-Bezüge Die Novelle erschien 1922 in der Andre’schen Buchhandlung Leipzig in drei verschiedenen Ausgaben mit jeweils limitierten Bebilderungen.943 Die Ausgabe A verfügt über insgesamt elf Bildbeigaben, davon eine kleine Titelradierung. Die Radierungen folgen in regelmäßigen Abständen und erscheinen größtenteils parallel zu den entsprechenden Textstellen, sodass sie vom Leser leicht zugeordnet werden können. Eine Mappe von Probedrucken befindet sich im Kunstgewerbemuseum in Prag und diente als Referenz für die Bildanalyse.944 Hugo Steiner-Prag, dessen Illustrationen zu Der Tod des Löwen sechs Jahre nach Erscheinen seiner Golem-Mappe entstanden, nahm hier wieder ähnliche Motive auf. Vor allem in den Stadtdarstellungen sind Parallelen zu erkennen. Vgl. Praz u. Rüdiger (1963); vgl. auch Vieregge (2008). Vieregge (2008), S. 87. Vieregge (2008), S. 114. Vgl. Vieregge (2008), S. 152. Es gab drei verschiedene Ausgaben: Ausgabe A (Nummer 1 – 145) enthält elf Radierungen als Remarquen-Drucke, Ausgabe B (Nummer 146 – 200) enthält nur sieben Radierungen ohne Remarquen, aber mit eigenhändiger Bezeichnung durch Steiner-Prag, die restlichen Nummern enthalten nur die Radierungen. An dieser Aufgliederung ist die Taktik des Verlages zu erkennen, durch eine künstliche Verknappung der Bildbeigaben den Verkaufswert zu steigern. Für die Arbeit stand nur eine Nummer der Ausgabe B zur Verfügung. Die Verortung der fehlenden Bildbeigaben im Buchverband konnte durch Abbildungen des Buches in der Literatur rekonstruiert werden. Neben der Titelradierung folgten dann Bildbeigaben auf S. 19 (Kaiser Rudolf), S. 35 (Tycho Brahe und Renus Cysatus), S. 59 (Im Ghetto), S.71 (Rabbi Löw), S. 81 (Golde), S. 105 (Kaiser Rudolf auf der Karlsbrücke), S. 118 (Die Alchimistengasse), S. 133 (Beim Magier), S. 155 (Feuer in der Judenstadt), S. 167 (Der Tod des Löwen). 944 Die Angaben richten sich nach den Inventarnummern des Kunstgewerbemuseums in Prag (Umeˇleckopru˚myslov¦ museum) UPM GS 2465/1 – 12.

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Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Der Tod des Löwen

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Stilistisch wandte er sich in dieser Zeit dem Expressionismus zu. Darüber hinaus handelt es sich bei diesen Bildbeigaben um Radierungen mit scharfkantigen Konturen. In vielen seiner anderen Werke bevorzugte er die Lithographie, die eine starke Körnung, Weichheit des Strichs und vielfältige Grauabstufungen aufweist. Steiner-Prag benutzte diese unterschiedlichen Eigenschaften des Strichs für seinen künstlerischen Ausdruck. Bei den Radierungen zu Der Tod des Löwen zeigt er spitze, zackige Häusergiebel, schroffe und scharfe Gebäudekanten. Stark kontrastieren Schwarz und Weiß, ohne die in den Lithographien so eigentümliche Verdüsterung, ohne weiche Stimmungen. Ebenfalls sehr expressiv sind die Feuer- und Rauchdarstellungen auf dem Blatt Feuer in der Judenstadt945 (Abb. 54). Auch hier setzt Steiner-Prag schlagschattenartige Kontraste bei den Rauchsäulen ein. Die Häuserfronten erscheinen – in ihrer Personifizierung mit dem Golem vergleichbar – wie Gesichter mit schiefem Grinsen. Dazu kommen die fliehenden Figuren im Hintergrund, die an zackige Strichmännchen erinnern und wild auseinanderlaufen, sowie zwei Figuren, die in ihren Häusern gefangen sind, sich hilfesuchend aus den Fenstern lehnen und verzweifelt die Hände in die Luft recken. Auf diesem Blatt kommt Steiner-Prags Begabung für das Spiel mit Licht und Schatten erneut zum Tragen. Das Feuer, dessen Zungen böse an den Dächern lecken, wirft lodernde, wilde Schatten auf die Häuser und verfremdet die Stadtansicht. Die Stadt wirkt wie von Geisterhäusern bevölkert. Die Erzählung beginnt – vergleichbar mit dem Anfang des Golem946 – mit dem Kaiser, der aus einem Traum aufschreckt. Auf den folgenden Seiten wird der geistige Zustand des Kaisers geschildert und von der unheilvollen Verbindung des Königs zu seinem Löwen Mehmet Ali berichtet: »…des Löwen Ende sollte dem Monarchen Tod bedeuten.«947 Da der Kaiser unter Verfolgungswahn leidet, verlässt er sein Schloss selten und dann nur umgeben von einer großen Leibgarde. Dies zeigt auch Steiner-Prag in seiner ersten Bildbeigabe (Abb. 46).948 Er portraitiert den Kaiser an historische Darstellungen angelehnt mit ausladendem 945 Vgl. UPM GS 2465/11 oder Hauschner (1922), S. 155. (Nur in Ausgabe A). 946 Auch beim Golem wird am Anfang eine Traumvision geschildert. »Ich schlafe nicht und wache nicht, und im Halbtraum mischt sich in meiner Seele Erlebtes mit Gelesenem und Gehörtem, wie Ströme von verschiedener Farbe und Klarheit zusammenfließen.« (Meyrink (1989), S. 9) und weiter »Zuweilen fahre ich empor aus dem Dämmer dieser halben Träume und sehe für einen Augenblick wiederum den Mondschein auf dem gebauschten Fußende meiner Decke liegen wie einen großen, hellen, flachen Stein, um blind von neuem hinter meinem schwindenden Bewußtsein herzutappen, ruhelos nach jenem Stein suchend, der mich quält…« (Meyrink (1989), S. 10). Bei Hauschner heißt es am Anfang: »Der Kaiser fuhr mit einem Schrei aus unruhigem Schlummer auf. Noch hielt er den wilden Lärm, dessen Nachhall ihm in den Ohren dröhnte, für die Täuschung eines Traumes, da wiederholte sich das Kampfgetöse…« (Hauschner (1922), S. 5). 947 Hauschner (1922), S. 25. 948 Vgl. UPM GS 2465/3 oder Hauschner (1922), S. 19.

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Das ›Magische Prag‹

Schnauzbart, Halskrause und dunklem Umhang; dazu ein dunkler Hut, der sein Gesicht verschattet. Die Beschreibung bei Hauschner lautet: »Das etwas abgetragene spanische Samtgewand lose gegürtet, den weiten Pelz um die Schultern geschlagen, das Barett tief in die hohe Stirn gedrückt, bis in den grauwerdenden Strich der Brauen, die buschig ineinander liefen, wirkte er königlich und vornehm, trotz der gedrückten Leibeshaltung, die, den Mitgliedern des Hauses Habsburg angeboren, bei ihm durch Siechtum noch befördert worden war.«949

Im Hintergrund ist schemenhaft die Leibgarde mit Lanzen und Helmen vor einer Häuserwand mit Fenstern zu sehen. Das weitere Geschehen verläuft innerhalb kurzer Zeit. Der Kaiser verlässt die Burg und sucht den Astronomen Tycho Brahe auf.950 Dort findet er nicht nur den von ihm gesuchten Dänen vor, sondern auch einen Freund namens Renus Cysatus,951 sowie – durch seine Stimme verraten – den Hohen Rabbi Löw. Zunächst trifft Rudolf aber nur auf die beiden Sternenkundler : »Schon eilten, von oben her, zwei Männer auf ihn zu, beide in vornehmer Gelehrtentracht, im engen, bis zu den Füßen reichenden Gewand, kurzärmlig, auf der Brust geöffnet und durch das Atlasunterwams ergänzt, um den Hals die Spitzenkrause, auf dem Haupt die pelzverbrämte Mütze mit schmalem aufgestellten Rand.«952

Tycho Brahe hat einen »Knebelbart«, der Gast, Renus Cysatus, ist ganz in schwarz gekleidet. In der Bildbeigabe entfernt sich Steiner-Prag von der Textvorlage, indem er die Szenerie auf die außenliegende Terrasse bzw. ›Galerie‹ verlagert, wohingegen sie sich literarisch eigentlich in Brahes Haus abspielt, denn der Kaiser sitzt während der ganzen Unterhaltung im Lehnstuhl.953 Der Leser erfährt erst später von der Galerie, denn Brahe will von seinem zweiten Besucher, dem jüdischen Rabbi, der sich vor dem Kaiser versteckt hält, ablenken: »Zur Fensterscheibe zugewendet, forderte er den Kaiser auf, ihm auf die Galerie zu folgen, zu den Instrumenten; dort, angesichts des rätselhaften Phänomens werde er an dem Sextanten, den er der kaiserlichen Großmut dankte, dem Fürsten die Messungen

949 Hauschner (1922), S. 18. 950 Tycho Brahe, ein dänischer Astronom, kam 1599 an den Hof Rudolfs II. Vgl. Findlen (1997), S. 217. 951 Bei Schmitz »Cynatus« geschrieben (Schmitz (2001), S. 163). Es gibt allerdings die historische Figur des Johann Baptist Cysatus, eines Schweizer Jesuiten und Astronomen um 1600. Vermutlich handelt es sich um einen Schreibfehler bei Schmitz: Im Folgenden wird die Figur weiterhin Cysatus genannt. 952 Hauschner (1922), S. 30. 953 Von der Terrasse ist allerdings am Anfang die Rede, da der Kaiser bei seiner Ankunft von dort herkommend die drei Stimmen hört, er sieht sie jedoch nicht.

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erklären, die er in den letzten Nächten in sein Kometenbuch eingetragen habe, als neue Stützen für die Errichtung eines Weltsystems…«954

Das Ablenkungsmanöver misslingt jedoch und der Kaiser entdeckt nun die dritte Person, den Rabbi Löw. Die bildliche Darstellung von Steiner-Prag vermischt mehrere Textstellen zu einem Bild, das in dieser Form nicht im Text vorkommt (Abb. 47).955 Die beiden Astronomen stehen auf der Terrasse, erkennbar an der Brüstung und den Gerätschaften zur Sternbeobachtung, dem erwähnten Sextanten und einem Fernrohr. Im Hintergrund ist der Sternenhimmel mit dem Kometen deutlich sichtbar. Die beiden Astronomen sind anhand des Bartes, den der Rechte der beiden trägt und der schwarzen Kleidung des Linken zu unterscheiden. Die beschriebenen Mützen hat Steiner-Prag Zauberhüten angenähert, er lässt sie spitz zulaufen. Beide sehen eher wie Magier denn wie Wissenschaftler aus, obgleich eigentlich nur einer von beiden ein Magier sein soll. Dieses Beispiel zeigt, dass Steiner-Prag sich künstlerisch bis zu einem gewissen Grad vom Text entfernt, um eine für ihn besonders schöne, plastische Szene darzustellen. Ähnlich wie beim Golem ist seine Darstellung hintergründig im Text angelegt, denn beide Astronomen standen ja zuvor auf der Terrasse. Strenggenommen formuliert es Hauschner jedoch nicht so. Die Textnähe ist gegeben, Steiner-Prag fängt aber eine Atmosphäre ein, die ihm, hätte er die Szene korrekterweise in den Innenraum des Hauses ohne den Sternenhimmel im Hintergrund verlegt, so nicht hätte darstellen können. Der weitere Verlauf der Erzählung offenbart nun den Hohen Rabbi Löw vor dem Kaiser, der einerseits eine Abscheu gegenüber Angehörigen des jüdischen Volkes pflegt, andererseits von einer großen Neugier für die kabbalistischen Riten geplagt ist.956 Auch der Golem findet eine kurze Erwähnung, ebenso die eingangs erwähnte Erzählung über die Pest in der Judenstadt. Beide beziehen sich auf die Erzählsammlung der Sippurim. Der Kaiser verlangt vom Rabbi, ihn in die Künste der Kabbala einzuführen, obwohl der Rabbi ihm versichert, dass dies nur möglich sei für denjenigen, der ohne Sünde sei. Der Kaiser will ihm zunächst widersprechen, erkennt dann aber, dass er diese Bedingung nicht erfüllen kann.957 954 Hauschner (1922), S. 37. 955 Vgl. UPM GS 2465/4 oder Hauschner (1922), S. 35. (Nur in Ausgabe A). 956 Tatsächlich hat es auch ein historisches Treffen zwischen Rudolf II. und Rabbi Löw im Jahr 1592 gegeben. Dieses, sowohl für den Kaiser wie auch für die jüdische Gemeinde in Prag außergewöhnliche Ereignis, gab Anlass zu zahlreichen Legenden und Mythen. Vgl. Pursˇ, Ivo: The Intellectual World of Rudolf II and the Kabbalah, in: Put†k u. Demetz (2009), S. 198 – 221, S. 215. 957 Auch dieses Detail ist einer Sippurim-Erzählung entlehnt, jedoch in einer leichten Variation. Vgl. Demetz (1994), S. 100 – 109. Darüber hinaus nimmt es vermutlich Bezug auf Rudolfs II. Wunsch, von einem Gesandten des Giambattista Della Porta, des Verfassers der Magiae naturalis sive de miraculis rerum naturalium von 1558, in diesen magischen Künsten

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Das ›Magische Prag‹

In der darauffolgenden Nacht begibt sich der Kaiser inkognito in die Altstadt. Diesem nächsten Abschnitt der Erzählung ist wiederum eine Bildbeigabe zugeordnet (Abb. 48).958 Es handelt sich um eine Stadtdarstellung. Aufgrund des gestuften Giebels eines der Gebäude im Hintergrund, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um die Altneu-Synagoge handelt. Diese Vermutung wird durch die Remarque bestärkt, die ganz unverkennbar die Altneu-Synagoge zeigt. Die Remarquen gehören aber nicht wesensgemäß zur Bildaussage und sind auch nur bei der Vorzugsausgabe A enthalten.959 Die Darstellung des Judenviertels bleibt im Gegensatz zu den Darstellungen im Golem vergleichsweise vage.960 Darüber hinaus spielt die gewählte Textstelle, an der die Bildbeigabe im Buch angesiedelt ist, noch gar nicht in der Judenstadt, sondern noch vor der Überquerung der Karlsbrücke. Im Gedränge der Altstadt verliert Rudolf seine Leibwache und gelangt mehr oder weniger durch Zufall in die Judenstadt. Wie von einem inneren Wissen geleitet findet er das Haus des Rabbi Löw und wird eingelassen, als ob er erwartet worden wäre.961 An zwei verschiedenen Stellen der Novelle wird der Rabbi beschrieben, sodass Steiner-Prag Anhaltspunkte für die Gestaltung des Aussehens hatte. In der ersten Begegnung zwischen Kaiser und Rabbiner im Haus des Dänen Tycho Brahe wird vor allem seine Physiognomie herausgestellt. »So malt das alte Testament die Patriarchen. Lang herabwallend der zweigeteilte graue Bart, die Locken an den Schläfen schon gelichtet, unter der leidgefurchten Stirn die Brauenhügel, die Wohnsitze des Intellekts, wie von grübelnden Gedanken vorgedrängt. Des Rabbi Nacken war gerundet, wie belastet von dem Druck der Feme, die auf seinem Volke lag, und die linke Seite seines Kaftans zeigte das Abzeichen der Schmach, das gelbe Rädchen, mit dem jeder Jude sich schänden und der christlichen Verfolgung kenntlich machen musste.«962

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unterrichtet zu werden. Vgl. Findlen (1997), S. 215. Aber auch Rudolfs Interesse für die Kabbala ist historisch nachweisbar und war darüber hinaus auch ein Phänomen in der Zeit des Humanismus. Vgl. Pursˇ (2009), S. 200. Vgl. UPM GS 2465/5 oder Hauschner (1922), S. 59. (Nur in Ausgabe A). Dennoch stehen die Remarquen in einem inhaltlichen Zusammenhang zum Bild und erweitern die Bildaussage, bzw. wie in diesem Fall das Verständnis der Bildaussage. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-2 oder -5. Der Chronist David Gans (1541 – 1613) berichtet von einer Audienz Rabbi Löws bei Rudolf II. Seine Chronik wurde Grundlage für zahlreiche Legenden. Vgl. Sˇedinov‚, Jirˇina: Die Prager Judenstadt, in: Fuc†kov‚ (1997), S. 302 – 309, S. 308. Die Darstellung Hauschners, dass der Rabbi über den Besuch des Monarchen nicht verwundert ist, erinnert an Meyrinks Darstellung des Rabbi in Der Golem: »Alles kam mir selbstverständlich vor, und ich wunderte mich weder darüber, daß Hillel mit einem jüdischen siebenflammigen Sabbatleuchter eintrat, noch daß er mir gelassen ›Guten Abend‹ wünschte wie jemandem, dessen Kommen er erwartet hatte.« (Meyrink (1989), S. 77). Es ist darüber hinaus ein Hinweis auf die phantastischen Elemente der Novelle. Hauschner (1922), S. 44.

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Bei der zweiten Begegnung wird die literarische Darstellung bezüglich seiner Kleidung konkretisiert: »Dann fiel sein Blick auf Ben Bezalel Löw, der ein fließendes Gewand trug, an seiner Achsel fehlte das gelbe Abzeichen der Schmach, und wie von einer Zentnerlast befreit, reckten sich sein Wuchs und Wesen.«963 Und später : »Weißer als sein Mantel leuchtete sein eingefallenes Gesicht, nur als Hauch löste sich die Stimme von den Lippen, da er von den zweiunddreißig Wegen sprach, die Gottes Herrlichkeiten führen…«964 Diesen Moment bildet Steiner-Prag in seiner Bildbeigabe ab (Abb. 49).965 Der Rabbi steht in seinem »weißen Mantel«, der als jüdischer Gebetsmantel erkennbar ist, in einem nicht näher zu identifizierenden Raum und hat die Hände erhoben. Sein Bart hängt ihm weit auf die Brust herab, die jüdischen Schläfenlocken hingegen sind nicht deutlich erkennbar. Auf dem Kopf trägt er eine Art Mütze, die wie eine Kippa aussieht. Die Lippen sind leicht geöffnet. Die gesamte Figur ist entsprechend der Erzählung in Weiß gehalten, der unspezifische Hintergrund ist von Schatten bedeckt. Die Gesichtsphysiognomie erinnert einerseits an die Beschreibung aus der entsprechenden Textstelle (die vorgeschobenen Augenbrauen), andererseits an stereotype Physiognomien des semitischen Typs, so die ausgeprägte, leicht gekrümmte Nase. Erneut begehrt der Kaiser die Einweisung in die Kabbala und bietet im Gegenzug dem Rabbi die Erlösung seines Volkes von den herrschaftlichen Repressionen. Inmitten eines visionären Anfalls des Kaisers tritt die Tochter des Rabbis, Golde, in die Szene und verändert den Gemütszustand des Kaisers völlig. »Ein Kind noch, doch in der Biegsamkeit der Linie, die von dem Nacken zu den Hüften geht, ist schon die Verlockung des Geschlechts. Aus dem Hintergrund von irgendeinem Licht getroffen, von der Seite durch das Herdfeuer bestrahlt, steht es zwischen den Pfosten, wie in einem Rahmen. In das weiße, mantelartige Gewand ist sie wohl eilig hineingeschlüpft und hat um die Mitte eine goldene Kordel nachlässig gebunden; es lässt die zarte Gurgel frei und die knabenschlanken Arme, schwarze Flechten, wie vom Schlaf gelockert, hängen schwer darauf herab. Ein scheues Lächeln schimmert aus ihren blauen Augen, und auf den sanft geschwellten Lippen liegt, wie der Tau auf einem Rosenblatt, der letzte Ton des lieblichen Gesanges. […]vor des Rabbi kummervollem Ausruf: ›Golde, Tochter, warum hast du mir das angetan?‹ verwischt sich Lied und Lächeln, die langen Wimpern legen sich mit dichtem Schatten auf das in Scham erglühende Gesicht. Ehe die Lippen eine Antwort finden können ist eine Alte hervorgestürzt, sie trägt über einem falschen fuchsigbraunen Scheitel eine schwarze Haube, ihre Haut ist gelb wie Pergament«966

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Hauschner (1922), S. 67. Hauschner (1922), S. 73. Vgl. UPM GS 2465/6 oder Hauschner (1922), S. 71. Hauschner (1922), S. 79 – 80.

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Das ›Magische Prag‹

Die kranke Tochter des Rabbiners soll in ihr Gemach zurückkehren. Die alte Begleiterin bringt sie aus dem Zimmer. »Das Phantom war ihm entglitten; im Entschwinden hatte es, wie ein Vögelchen, den schlanken Hals gedreht und einen Blick zurückgeworfen: klagend, bittend, lockend. Wie ein Pfeil schoß er in des Kaisers Herz.«967 Steiner-Prags Portrait der Golde ist einfach gehalten (Abb. 50).968 Auch hier neigt der Künstler zu autostereotypen Darstellungen der jüdischen Figur der Tochter und der Alten Sara. Beide kennzeichnet die ausgeprägte, gekrümmte Nase. Obwohl die Tochter Golde heißt, ist sie, wie eine klassische Darstellung des ›Judenmädchens‹ es erwarten lässt, sowohl im Text als auch in der bildlichen Darstellung dunkelhaarig (»schwarze Flechten«). Der Rest der Szene bleibt undefiniert. Der Hintergrund ist ein amorphes Dunkel, aus dem das maskuline Gesicht der Figur der Sara hervor scheint. Die Beleuchtung stammt von einer Menorah. In diesem Detail, über das man hinweg sehen könnte, widerspricht Steiner-Prag der Erzählung. Allerdings wird einerseits in der Erzählung die Beleuchtung hervorgehoben, um die Lichterscheinung der Golde zu betonen (»von der Seite durch das Herdfeuer bestrahlt«). Andererseits wählt Steiner-Prag gerade die Menorah zur Beleuchtung, um den explizit jüdischen Kontext noch einmal zu verdeutlichen. Rudolf II. begehrt die Tochter des Rabbiners und sucht dessen Haus erneut auf. Der Rabbi bereitet den Sabbat vor und ist nicht zu Hause, nur Golde ist da. Trotz anfänglichen Zögerns beginnen die beiden ein Gespräch. Ähnlich wie die Figur der Mirjam aus dem Golem, so träumt auch Golde von einem Wunder : »Ja, Golde Löw, das Kind von fünfzehn Jahren, verzehrte sich in Sehnsucht nach dem Wunderbaren, harrte in atemloser Spannung, daß es komme, das Unerhörte, sie aus Niedrigkeit zu lösen, zu märchenhafter Größe zu erhöhen.«969 Auch die Umgebung im Hause des Rabbi erinnert an den Golem: »Die ganze Luft geschwängert von Geheimnissen und Unbegreiflichkeiten, aus alten Büchern stiegen sie hervor, loderten in Flammen aus dem Herde, umschwebten unsichtbar das Mädchen, von ihrem Atem fühlte sie sich angerührt.«970 Das Gespräch endet in einer innigen Umarmung. In diesem Moment kommt 967 Hauschner (1922), S. 84. 968 Vgl. UPM GS 2465/7 oder Hauschner (1922), S. 81. 969 Hauschner (1922), S. 99; vgl. auch Meyrink (1989), S. 145 – 147: »Mirjam schüttelte freudig den Kopf: ›Ich lebe wie in einem seligen Schlaf dahin. – Als Sie mich vorhin fragten, Herr Pernath, ob ich Sorgen hätte und warum wir hier wohnten, mußte ich fast lachen. Ist denn die Natur schön? Nun ja, die Bäume sind grün, und der Himmel ist blau, aber das alles kann ich mir viel schöner vorstellen, wenn ich die Augen schließe. Muß ich denn, um sie zu sehen, auf einer Wiese sitzen? – Und das bisschen Not und – und – und Hunger? Das wird tausendfach aufgewogen durch die Hoffnung und das Warten.‹ ›Das Warten?‹ fragte ich erstaunt. ›Das Warten auf ein Wunder. […]‹« (Meyrink (1989), S. 145). 970 Hauschner (1922), S. 99 – 100.

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jedoch der Gehilfe, der ›Golem‹ Jabob, in den Raum und reißt die beiden auseinander. »Eisern war der Griff, mit dem er die Umschlungenen auseinanderriß, indessen er unartikulierte Laute heulte und ihm Schaum weiß vor dem Munde stand. Wie die Maschine ihre Kolben hebt, streckte sein ungefügiger Rumpf den Arm aus nach dem Mädchen, packte sie, preßte sie an sich, tastete an ihr herunter, als erobere er sein Eigentum zurück, das ihm ein anderer hatte stehlen wollen. Wie der Dampf im überhitzten Kessel zischte die Brunst aus ihm hervor und verbrannte der Regungslosen Lippen, Hände, Schultern, Brust.«971

Dieser Szene ist eine Bildbeigabe zugeordnet, die man zunächst nicht eindeutig parallelisieren kann (Abb. 51).972 Entsprechend der vorangegangenen Beschreibungen könnte man vermuten, sie zeige den Kaiser, wie er sich in die Judenstadt begibt. Ein Mann läuft hastig des Nachts über die Karlsbrücke, eindeutig an dem (Altstädter) Brückenturm im Hintergrund zu erkennen. Auch das Kruzifix im Hintergrund findet sich auf der Karlsbrücke wieder, wenn auch leicht variiert. Am nächtlichen Himmel ist der Komet zu sehen. Die dargestellte Perspektive ist topographisch widersprüchlich. So würde die Position des Kruzifixes darauf hindeuten, dass der Kaiser sich auf dem Rückweg zur Burg befände.973 Der Brückenturm im Hintergrund zeigt mit großer Wahrscheinlichkeit den Turm auf der Altstädter Seite und nicht einen der beiden Türme auf der Kleinseite, die beide nicht so exponiert liegen. Aus dem topographisch korrekten Blickwinkel wäre der Turm jedoch nicht zu sehen. Einzig die Möglichkeit, aufgrund eines Fehlers sei die Darstellung spiegelverkehrt (die Lithographie sieht eine spiegelverkehrte Druckvorlage vor), könnte die topographische Verortung erleichtern. Sie würde dann den Kaiser auf dem Weg in die Judenstadt zeigen. Auch in diesem Fall wäre der Altstädter Brückenturm nicht zu sehen, was darauf hindeutet, dass Steiner-Prag den Brückenturm hinzugefügt hat, um die Wiedererkennbarkeit der Brücke als die Prager Karlsbrücke zu erhöhen. In welche Richtung sich der Kaiser auf der Brücke bewegt, ist nicht zu klären. Da darüber hinaus die Einordnung des Bildes innerhalb des Textkörpers des Buches keine direkte Parallelisierung zulässt, könnte sie sich auch auf eine spätere Stelle im Text beziehen:

971 Hauschner (1922), S. 110. 972 Vgl. UPM GS 2465/8 oder Hauschner (1922), S. 105. 973 Auf der Karlsbrücke befindet sich noch ein weiteres Kruzifix. Dabei handelt es sich allerdings um eine Piet—, bzw. eine Beweinung Christi. Auf der Bildbeigabe Steiner-Prags ist das Kruzifix mit Christus am Kreuz zu sehen. Das Kruzifix, das Steiner-Prag höchstwahrscheinlich in seiner Darstellung gemeint hat, ist darüber hinaus bemerkenswert, da es eine hebräische Inschrift aufweist. Diese zeigt Steiner-Prag jedoch nicht.

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Das ›Magische Prag‹

»Draußen in der Christenstadt wetzte der Kaiser die Schuhe an dem ersten Stein, schüttelte den Staub von seinem Mantel und lief, um rasch eine Entfernung zwischen sich und die Stätte seines Zorns zu legen. Nur weil ihm der Atem fehlte, hielt er auf der Moldaubrücke eine kurze Rast; er lehnte gegen das Geländer, und ihm war, als sei die Stimmung der Natur seinem Erlebnis nachgewandelt. Bei seinem Ausgang hatte der Himmel einem sanften Rain geglichen, an dem des Abendsterns kaum aufgebrochene Knospe blühte, nun war er dunkel und gefurcht wie ein aufgepflügter Acker, in die Friedlichkeit der Luft brach der Ostwind mit kriegerischen Stößen, und die offene Landschaft war mit Nebeln wie mit grauem Gram umhängt. […] [Der Orkan] riß an den Kleidern des Monarchen, er peitschte in die Moldau, daß sie gurgelnd gegen die Brückenpfeiler schlug, er riß des Himmels Dunkel entzwei. Aus mißfarbigen Schleiern, ihre Ränder waren kupfern gefärbt, sprang der Komet hervor und schleuderte das Feuer seiner Rute dem Kaiser mitten in das eifernde Gesicht. Dieser Augenblick vollendete des Kaisers seelische Vernichtung, er duckte sich, wie vor der Mündung einer Waffe, kehrte sich dann zur Flucht, sinnlos geworden vor Entsetzen.«974

Es fällt auf, dass Hugo Steiner-Prag nicht die Szene mit dem Golem auswählt, sodass er diese Figur nie sichtbar werden lässt. Der Golem spielt in Hauschners Novelle allerdings auch keine wesentliche Rolle. Es wäre jedoch naheliegend gewesen, dass Steiner-Prag diese ihm so bekannte Figur aufgegriffen hätte. In kurzem Abstand zur zitierten Textstelle innerhalb des Buchkörpers – zwei Seiten weiter – erscheint die nächste Bildbeigabe.975 Hier hingegen passt die Textstelle sehr gut. Das könnte auch der Grund für das starke Abrücken der vorangegangenen Bildbeigabe von der entsprechenden Textstelle sein, da beide Abbildungen sonst sehr nah beieinander gelegen hätten. Hier wurde die Ausgewogenheit innerhalb des Buches als Gesamtwerk dem Bezug zur Textstelle übergeordnet. Im folgenden Verlauf der Erzählung gelangt der Kaiser auf seinem Heimweg in das Alchimistengässchen. Wie im Golem wird die Gasse als Sackgasse beschrieben: »Kurz vor dem Burgtor änderte der Kaiser die Richtung seines Weges und bog nach rechts ab in ein hofartiges Gäßchen, das nur auf einer Seite angebaut war und, dem Boden eines Sackes gleich, an seinem Ende keinen Ausgang hatte. […]Die Häuser dieses Gäßchens waren, wie Schwalbennester an einem Mauervorsprung, dem Rand des kaiserlichen Gartens angeklebt, dort wo er sich, als baumbestandener Graben, zum Gehege der kaiserlichen Hirsche abwärts senkte. Sie lehnten aneinander, wie aus einer Spielzeugschachtel gekramt; ihre Breite bot eben für die Eingangspforte und für den Rahmen eines schmalen Fensters Platz, auf dem Erdgeschoß saß ihnen gleich der niedrige Mansardenstock, der vom Dachstuhl überschattet wurde, wie eine Kinderstirn von einem allzuweiten Hut. Sie schienen von der spielerischen Laune, die sie ausgeschüttet hatte, achtlos vergessen und ganz unbewohnt zu sein und nichts ein974 Hauschner (1922), S. 115 – 117. 975 Vgl. UPM GS 2465/9 oder Hauschner (1922), S. 119.

Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Der Tod des Löwen

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zuschließen als einen grellen Brand, der durch die sonderbaren geometrischen Figuren, die in ihre festverschlossenen Fensterladen eingeschnitten waren, wie mit bösen Hexenaugen in das Freie glotzten [sic]. In ihrem Innern pulste ein seltsam regelmäßiges Geräusch, und ein dünnes Räuchlein flog aus den Schornsteinen, die, an jedem Dachstuhl einer, wie Fanale in die Höhe ragten; es war, als schliefe hinter diesen Mauern ein großes Tier und stieße seinen auf und ab gehenden Atem gekräuselt durch die Schlote auf.«976

Etwas später präzisiert Hauschner noch: »In seiner Kirchhofstille weckten des Kaisers Schritte einen lauten Widerhall; alle Fenster wurden aufgerissen, aus allen Türen stürzten Männer mit großen Bärten, mit fließenden gegürteten Talaren, spitze Mützen auf dem lang herabwallenden Haar.«977 Die Bildbeigabe Alchimistengasse978 (Abb. 52) entspricht durch ihren topographisch korrekten Ausschnitt der ›Goldenen Gasse‹ in Prag derjenigen der Golem-Mappe. Vergleicht man die beiden Darstellungen, so fallen einerseits einige Ähnlichkeiten, andererseits einige Unterschiede auf. Analog ist der perspektivische Ausschnitt mit Blick in die Gasse hinein. Nur die linke Häuserreihe wird betont, zu sehen sind kleine, eng beieinander stehende, geduckte Häuschen bei nächtlicher Stimmung. Die stilistische Auffassung der beiden Darstellungen unterscheidet sich stark. Während das Goldmachergässchen der Golem-Lithographie ruhig und eher realistisch gezeigt wird, ist das Bild bei Hauschner sehr expressiv. Das liegt zum einen wie eingangs erwähnt an den verschiedenen Techniken: hier weiche, körnige Lithographie, da scharfkantige, kontrastreiche Radierung, zum anderen aber auch an der literarischen Vorlage. Zwar gerät der Protagonist im Golem auch in einer eher nervösen Stimmung in das Gässchen, aber er trifft dort nicht auf Menschen, alles ist ruhig. Durch diffuse Lichtquellen und merkwürdige Schatten wird die Stimmung ins Unheimliche gesteigert. Im Gegensatz zur unheimlichen, düsteren, aber spannungsgeladenen Stimmung im Golem, ist bei Auguste Hauschner die Straße in Aufruhr, der Kaiser ist außer sich und scheucht so die Alchimisten, die Bewohner der Gasse, aus ihren Häusern. Stilistisch ähnlich wie im Golem erhält die Architektur belebte Züge. 976 Hauschner (1922), S. 117 – 118. Im Golem heißt die Stelle: »Ein massiger Schatten ragt hoch auf, den Kopf in einer schwarzen, steifen Zipfelmütze: ›die Daliborka‹ – der Hungerturm, in dem Menschen einst verschmachteten, derweilen Könige unten im ›Hirschgraben‹ das Wild hetzten. Ein schmales, gewundenes Gäßchen, mit Schießscharten, ein Schneckengang, kaum breit genug, die Schultern durchzulassen – und ich stand vor einer Reihe von Häuschen, keines höher als ich. Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich auf die Dächer greifen. Ich war in die ›Goldmachergasse‹ geraten, wo im Mittelalter die alchimistischen Adepten den Stein der Weisen geglüht und die Mondstrahlen vergiftet haben. Es führte kein anderer Weg hinaus als der, den ich gekommen war.« (Meyrink (1989), S.185). Beide Textstellen beschreiben den realen topographischen Kontext der ›Goldenen Gasse‹ in Prag. 977 Hauschner (1922), S. 121. 978 Vgl. UPM GS 2465.9 oder Hauschner (1922), S. 119.

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Hauschner beschreibt die Häuserreihe wie ein Tier – einen Drachen mit Zacken auf dem Rücken, der ein- und ausatmet.979 Davon ließ sich auch Steiner-Prag inspirieren: die Häuser liegen eng aneinandergereiht krumm und schief, als würden sie heftig schnaufen.980 Auch die Rauchschwaden wecken Assoziationen mit einem Drachen oder einem feuerspeienden Tier. Die Figuren, die aus den Häusern treten, heben ihre Arme, sie tragen spitze Hüte und lange Bärte, ebenso schwarze Talare und weisen sich durch die stereotypen Attribute als Magier aus. Ähnlich wie beim Golem ist die belebte Architektur das interessanteste Element des Bildes. Die spitzen Schornsteine, die aggressiv in die Höhe stürmenden Rauchschwaden und die scharfen Häuserkanten erzählen eine eigene Geschichte und erzeugen gemeinsam die mit Nervosität aufgeladene Stimmung. Die Figuren wirken beinahe wie eine unnötige Zutat, sie bleiben schematisch und dienen vor allem dazu, die Textnähe herzustellen. Steiner-Prag gelang es, den literarischen Unterschieden der Textvorlagen des Golem und des Tod des Löwen bildnerisch Ausdruck zu verleihen. Ist die Atmosphäre beim Golem unheimlich und bedrohlich, wirkt sie bei Hauschner nervös und aggressiv. Nachdem der Kaiser in der Goldmachergasse in seine private Alchimistenküche gelangt ist, lässt er nach dem Magier Renus Cysatus rufen. Dieser soll ihm eine Weissagung bezüglich des Kometen und seiner Wirkung auf die Herrschaftsverhältnisse im ›Bruderzwist‹ mit Mathias machen.981 Cysatus, unglücklicherweise ziemlich betrunken und offensichtlich ein Aufschneider, veranstaltet eine ›Hexenküche‹ mit verschiedensten Mitteln. »Aus dem Kupferkessel quollen dicke Dämpfe und zerteilten sich zu einem beizenden und aufreizenden Dunst, in dem die Form des Cysatus zickzackend rannte, wie eine schwarze Linie mit einem schwefelgelben Rand. Dem Kaiser war es, als schwebe er in einer Wolke, umwirbelt von einem wildgewordenen Stern; Renus Cysatus selbst hatte die Empfindung, daß er im Äther fliege, und beide waren an das Irdische nur durch das Grauen gebunden, das der eine bei dem Anblick des andern empfand. […] Schon schleppte er die Zauberspiegel zu und ordnete sie an, daß sie, einander gegenüber, in ihren Längsachsen zusammentrafen.«982

Dieser Szenerie verleiht Steiner-Prag in seiner bildlichen Darstellung Ausdruck983 (Abb. 53). Der Magier Cysatus steht mit erhobenen Armen im Hintergrund, im Mittelgrund sitzt der Kaiser Rudolf mit stechendem Blick vor einem 979 Vgl. Hauschner (1922), S. 118. 980 Die Szene könnte auch durch die Filmkulisse des zwei Jahre vorher erschienenen GolemFilms Der Golem wie er in die Welt kam von Paul Wegener (1920) beeinflusst sein. 981 Auch hier bezieht sich Hauschner auf historische Gegebenheiten. Vgl. zu diesem Thema Haupt, Herbert: Vom Bruderzwist zum Bruderkrieg. Der Heerzug Erzherzog Matthias’ nach Prag im Jahre 1608, in: Fuc†kov‚ (1997), S. 238 – 249. 982 Hauschner (1922), S. 131 – 132. 983 Vgl. UPM GS 2465/10 oder Hauschner (1922), S. 133.

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dampfenden Kessel im Vordergrund. Die aufsteigenden Rauchschwaden sind ein nun schon bekanntes Mittel Steiner-Prags, expressive Stimmung zu erzeugen. In der Mitte stehen die beiden Spiegel, von denen ein gleißender Lichtstrahl ausgeht. Der Kaiser ist in Anlehnung an historische Darstellungen und Beschreibungen mit seinem ausladenden Schnurrbart dargestellt, seine zusammengezogenen, buschigen Augenbrauen verdeutlichen seine nervöse Angespanntheit. Eine etwas spätere Textstelle konkretisiert wiederum die bildliche Darstellung: »…in diese Stille zischte aus dem Kohlenbecken, gleich einer vulkanischen Entladung, eine grüne Flamme auf, und diese Flamme hatte eine Stimme, und der Kaiser hörte, wie sie leise sang: ›Sieh in den Spiegel, Kaiser Rudolf, er wird dir deine Zukunft offenbaren.‹ Die Kupferfläche, in die der Kaiser starrte, hatte durch den Qualm nichts von ihrem Glanze eingebüßt, sie gab die Züge des vor ihr Stehenden getreu zurück: der aber war sich dieser Spieglung nicht bewußt. Seine Vernunft lag geblendet und betäubt im Bann der Zauberei, und die Erwartung, die bis zum Bersten angespannt war, ließ keine Wirklichkeit in ihn hinein.«984

Der Kaiser kann das Orakel befragen, überspannt jedoch den Bogen und fragt nach dem Tod des Bruders. Die Sitzung endet in einem Ohnmachtsanfall des Kaisers, der – anschließend wieder im Schloss – wie verwandelt scheint. Renus Cysatus ist verschwunden. Es stellt sich im weiteren Verlauf der Erzählung heraus, dass er eine Inkorporation des Satans gewesen sein soll.985 Entgegen der Gepflogenheiten der vorangegangenen Wochen und Monate sucht Rudolf die öffentliche Gesellschaft und gibt ein Bankett. Die offensichtliche Angeschlagenheit des Regenten und der schlechte Zustand seines Löwen, an dessen Schicksal seines gebunden ist, lassen jedoch keine festliche Stimmung aufkommen. Während des Banketts erreicht die Festgesellschaft die Nachricht, dass die »Judengasse«986 brenne.987 Für diese Textstelle schuf Steiner-Prag die Radierung, die eingangs bereits besprochen wurde (Abb. 54).988 Sie zeigt das Feuer in der Judenstadt. Die belebte Architektur wird auch hier als Mittel zur 984 Hauschner (1922), S. 136. 985 Nach Praz u. Rüdiger (1963) und Vieregge (2008) ein klassisches Motiv der ›Schwarzen Romantik‹. 986 Hauschner (1922), S. 157. 987 Für das Prager Ghetto sind mehrfach Brände belegt. Unter anderem wurden bei einem verheerenden Brand in der Judenstadt 1689 das jüdische Rathaus sowie zahlreiche Gebäude und Synagogen zerstört. Auch 1754 kam es zu einem weiteren großflächigen Brand. Vgl. Parˇ†k u. Zieschang (2002), S. 13 – 14. Es handelt sich damit zwar um einen Anachronismus Hauschners, allerdings gehört auch dieses Element zur Schilderung der Verhältnisse im Judenviertel, vor allem der kalte Blick auf die Zerstörung des jüdischen Viertels als Ausdruck der Ablehnung des jüdischen Volkes insgesamt. Auch die schlechten hygienischen und bautechnischen Verhältnisse spiegeln sich in dem Brand wider. 988 Vgl. UPM GS 2465/11 oder Hauschner (1922), S. 155 (Nur in Ausgabe A).

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Erzeugung einer bedrohlichen Stimmung eingesetzt. Das Haus im Hintergrund mit dem gestuften Giebel ist vollkommen schwarz, nur die Fenster sind von innen grell beleuchtet. Das Haus glüht von innen, die Fenster erscheinen wie bösartige Augen und die Fassade wirkt wie ein Gesicht, das kurz vor dem infernalischen Zusammenbruch grausam lacht. Die anderen Häuser im Vordergrund sind heller, haben dafür aber dunkle Fenster, sodass ihre Fassaden wie tot in das brodelnde Feuer starren. Die Beschreibung der Feuersbrunst im Text ist etwas weniger dramatisch, die Gäste des Banketts beobachten sie von der Burg aus: »Es lag zuviel Entfernung zwischen dem Ghetto und der Königsburg, als daß sich ein Echo aus seinen Straßen hätte in die Höhe wagen können; nur der Horizont sprach, von Osten her, mit düsterer Röte von der Feuersbrunst, und ab und zu flogen graue Schatten vor die Lohe, Rauchsäulen, die der Sturmwind aus dem Herd des Feuers stieß. Der Fluß hatte sich die Himmelsfarbe in sein Bett geholt, und die Welt schien purpurn zu sein; mit hochmütigem Abstand von der Not des Judenvolkes flatterte durch die hinjagenden Wolken die grelle Fahne des Kometen. Manch einer schlug das Kreuz bei seinem Anblick und betonte, wie glücklich es sich treffe, daß seine Bosheit in dieser Weise abgelenkt werde von der Christenheit, und er ihr sogar, durch seine Tücke, einen Dienst erweise, denn ein paar Dutzend Juden ausgerottet, das sei ein Segen für diese Welt.«989

Der Kaiser jedoch erinnert sich an Golde, die Tochter des Rabbi, die in der Judenstadt den Flammen ausgesetzt ist. In merkwürdigem Wahnsinn übermannt ihn zunächst die Bestürzung, die Sehnsucht nach Golde, kurz darauf erkennt er die Verlockung des Weibes und bricht in Lachen aus.990 »Aber in des Kaisers Kehle gluckste das fürchterliche Lachen, das dem Krampf des Schluchzens gleicht: ›brenne nur, du Judenmetze, glühe, als liege dir der Mordbube im Schoß.‹ Mitten im Triumph des Hasses überwältigte ihn eine schwere Traurigkeit. Ihm war, als habe er mit eigenen Händen die Sonne eingesargt, nie mehr werde sie ihm scheinen. Es duldete ihn nicht länger unter Menschen. Ohne ein Wort des Abschieds, der Erklärung stand er auf, er verließ den Saal und ging zu seinem Löwen.«991

989 Hauschner (1922), S. 157 – 158. 990 Interessant ist Hauschners Darstellung der ambivalenten Beziehung Rudolfs zum jüdischen Volk. Historisch gesehen war die Regentschaft Rudolfs II. davon geprägt, dass er der jüdischen Bevölkerung weitgehende Privilegien einräumte, bzw. frühere Privilegien erneuerte, die den Juden unter den vorangegangenen Herrschern versagt blieben. In dieser Zeit genossen die Juden »eine niedagewesene Entspannung des Lebens im Ghetto« (Parˇ†k u. Zieschang (2002), S. 12). In Hauschners Novelle ist die Beziehung Rudolfs II. zu den Juden jedoch geprägt von ihren zeitgenössischen Ansichten, einerseits über die teuflische Verführungskraft der Frau (Motiv der ›femme fatale‹), andererseits als im Grunde verabscheuungswürdiges Volk, das den Christen bisweilen dienlich war. 991 Hauschner (1922), S. 162.

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Der Kaiser verbringt viele Stunden halb wachend, halb schlafend bei seinem Löwen. Für kurze Zeit scheint dieser wieder zu Kräften zu kommen und der Kaiser schläft ein. Für die nun folgende Szene schuf Steiner-Prag seine letzte Bildbeigabe der Novelle: »…Es war dem Kaiser, als griffe eine kalte Hand in sein Genick. Sein Bewusstsein, das noch zögernd an der Schwelle eines Traumes stand, schreckte zitternd auf. Er mußte viele Stunden lang geschlafen haben, die Lichter hatten lange Schnuppen, und eine Öde schwebte in der Luft, als hielte die Zeit am Scheidewege zweier Tage ihren Atem an. Wieder streifte den Kaiser der Schauder einer eisigen Berührung, seine Haare sträubten sich. ›Ist jemand hier?‹ Plötzlich begriff er – der Tod war hinter ihn getreten. Des Löwen Wohnung schien entleert, so tief hatte sich Mehmet Ali in ihren Hintergrund gedrückt, er lag dort wie eine dunkle Erhöhung, wie eine Hülle ohne Kern. Da ihn der Kaiser anrief, lief es wie eine Welle über seine Haut, er versuchte, sich noch weiter von ihm wegzuschleppen. Des Kaisers Lebensgier, die jammernd verlangte, daß man herbeistürze und frisches Öl auf die auslöschende Lampe gieße, machte Halt vor dem Pathos dieser abwehrenden Gebärde. Sie entlarvte seine Wirklichkeit als phantastische Betrügerin, und enthüllte ihm der Wahrheit gemiedenes Gesicht; ›Schicksal‹ stand darauf geschrieben; sie zeigte ihm die Pforten eines Reichs, in dem für seinen Willen keine Geltung war. Wie mit eherner Gewalt fühlte er sich von dem Thron seiner Einzigkeit gestoßen, hinunter auf die allgemeine Straße, auf der die Masse unaufhaltsam zieht. Von ihm, dem zu entrinnen er wie ein Gehetzter durch die Welt geflohen war, vom Tode fühlte er sich überlaufen und gestellt. Die Natur baute ihre Schranken um ihn auf, sie rief ihm zu: laß ab von dem wahnwitzigen Streben, mich zu übersteigen.«

Nun ist der Höhepunkt der Erzählung erreicht, der sogleich auch den Untergang einläutet. Unheil kommt über Böhmen, der Löwe und damit auch der Kaiser sterben und der dreißigjährige Krieg bricht aus. Die Darstellung Steiner-Prags der Szene992 (Abb. 55), in der der Tod an Rudolf herantritt, ist einerseits sehr ›wörtlich‹ wiedergegeben, andererseits zeigt Steiner-Prag durch das Zusammenrücken von König und Löwe die starke innere Verbindung, die jedoch in der Erzählung durch Gitterstäbe und den Rückzug des Löwen in den Hintergrund eher einen spirituellen Charakter hat. Dies versucht Steiner-Prag visuell so zu gestalten, dass er den Löwen in unmittelbarer Nähe zu seinem Herrscher und aus den Gitterstäben hervortretend schlafen lässt. Der Monarch sitzt schlafend oder bereits im Sterben begriffen in einem Sessel, der Kopf ist ihm vornüber gesunken. Hinter dem Sessel steht der Tod in Form eines Skelettes. Er legt dem Kaiser sanft die Knochenhand auf die Schulter, mit der anderen greift er nach der Lampe, um symbolisch das Licht des Lebens zu löschen. Den Hintergrund bilden die Gitterstäbe, in deren Öffnung der massige und schwere Schädel des Löwen mit mächtiger Mähne liegt. Die Komposition ist von mehreren, diagonalen Lichtstrahlen durchzogen, die an den weissagenden 992 Vgl. UPM GS 2465/12 oder Hauschner (1922), S. 167 (Nur in Ausgabe A).

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Kometen gemahnen, der nun das Schicksal in Form des Todes walten lässt. Kompositorisch gehört dieses Blatt sicherlich zu den komplexesten SteinerPrags, ist dafür aber nicht so stark vom Atmosphärischen durchdrungen wie viele seiner anderen Blätter. Im kleinen hochrechteckigen Titelbild vereinigen sich die verschiedenen Aspekte der Erzählung symbolhaft (Abb. 45). Der Tod erscheint in Form eines Soldatenskeletts mit Säbel und fetzenartigen Kleiderresten und hält den Reichsapfel für die kaiserliche Herrschaft in einer Hand, in der anderen die ablaufende Sanduhr. Von rechts in das Bild streifend durchfährt der Komet mit Schweif die Darstellung. Übertragen auf den Schluss der Erzählung sind die Symbole klar : die Vergänglichkeit durch die Sanduhr – ein gängiges Vanitassymbol –, der Tod als Skelett, aber auch als Soldat, der einerseits Unheil durch Krieg bringt, andererseits erleidet, die Herrschaft durch den Reichsapfel, die dem Untergang geweiht ist und der Komet, der das Schicksal vorhersagt.

5.3.2 Strukturanalyse der Bild-Bild-Bezüge Unter Betrachtung der Bilder unabhängig vom Text fallen Kohärenzen auf, die auf eine eigene Erzählung der Bilder unabhängig vom Text hindeuten. Hierfür können auch die Remarquen hinzu gezogen werden, die den intratextuellen993 Zusammenhang der Bilder verstärken. Das Titelbild und das letzte Bild (Der Tod des Löwen) sind die beiden symbolhaftesten Darstellungen (Abb. 45/Abb. 55). Sie haben einen stark ›metaphorischen‹ Charakter, wobei das Titelbild auf konventionalisierte Metaphern, Symbole oder Attribute zurückgreift. Darüber hinaus handelt es sich um eine klassische Personifikation bzw. Allegorie des Todes. Das letzte Bild enthält zwar durch die Darstellung des Todes als Skelett und des Herrschers als Löwe konventionelle Personifikationen, sie sind aber in erster Linie im Sinne einer metaphorischen Gestaltung der Novelleninhalte zu lesen. Der Verweiszusammenhang des Löwen mit dem Tod ist nur durch den sprachlichen Kontext zu erkennen. Darüber hinaus konfigurieren sich drei Gruppen innerhalb der Bildfolge. Vier Bildbeigaben charakterisieren die verschiedenen Figuren (Abb. 46/Abb. 47/ Abb. 49/Abb. 50).994 Sie haben ein deutliches Übergewicht gegenüber den anderen Bildern. Drei Bilder lassen sich unter der Kategorie der Stadt- und Ar993 Gemeint ist der Zusammenhang innerhalb der Bilder, die als eigener ›Text‹ aufgefasst werden. 994 Vgl. UPM GS 2465.3/4/6/7 oder Hauschner (1922), S. 19, S. 35, S. 71, S. 81.

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chitekturdarstellung zusammenfassen (Abb. 48/Abb. 51/Abb. 54).995 Die drei restlichen Bildbeigaben kohärieren in ihrer Darstellungen phantastischer Vorgänge (Abb. 52/Abb. 53/Abb. 55).996 Diese Einteilung ist schematisch; die einzelnen Gruppen sind nicht eindeutig voneinander abzugrenzen. Dennoch lässt sich eine Erzählstruktur in diesen Gruppierungen herauskristallisieren. Die Figurendarstellungen häufen sich am Anfang, während die phantastischen Darstellungen gegen Ende zunehmen. Die Architekturdarstellungen dienen sowohl der Verortung der Figuren, als auch der atmosphärischen Hinführung auf die Phantastik, bilden also eine Scharnierfunktion zwischen den Figuren und ihren phantastischen Erlebnissen. Die Zunahme an phantastischen Elementen unterstreicht die sich steigernde Atmosphäre von Bedrängung, Unglück, Wahnsinn und schließlich Tod. Die Bilderfolge in ihrer Gesamtheit kann analog zur Erzählung des Textes gesehen werden, ohne dass einzelne Szenen exakt zugeordnet werden müssen. Erzählung der Bilder und Erzählung des Textes bilden in ihrem gemeinsamen Erscheinen in Buchform ein Geflecht auf verschiedenen Ebenen. Einzelne Abbildungen sind im Text verankert, andere lösen sich und bilden dabei eine übergeordnete Form der Erzählung, die nicht eine Szene exakt wiedergibt, sondern eine neue Form findet und den schriftlichen Text erweitert. Ein stilistisch wiederkehrendes Element sind der Komet und die Lichtreflexe, die in Analogie zum Text die ständige Präsenz des Unheil bringenden Kometen betonen.

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5.4.1 Biographische Hintergründe zu Georg/Jirˇí Jílovsky´ Georg/Jirˇ† J†lovsky´ war ein Zeitgenosse Richard Teschners und Hugo SteinerPrags. Er wurde 1884 in Prag geboren und wuchs zweisprachig auf. Er war jüdischer Abstammung und wählte später Tschechisch als bevorzugte Hauptsprache. Er begann sein Studium der Graphik 1901 an der Kunstgewerbeschule, also ein Jahr nachdem Hugo Steiner-Prag die Stadt verlassen hatte.997 Auch Richard Teschner hatte seine Ausbildung abgeschlossen und bewegte sich zwischen Wien und Prag hin und her. 1904 kam J†lovsky´ an die Kunstakademie, an der einige Jahre zuvor seine beiden Vorgänger studiert hatten. Ob er mit ihnen 995 Vgl. UPM GS 2465.5/8/11 oder Hauschner (1922), S. 59, S. 105, S. 155. 996 Vgl. UPM GS 2465.9/10/12 oder Hauschner (1922), S. 119, S. 133, S. 167. 997 Vgl. Parˇ†k, Arno: Der Prager Maler und Grafiker Georg J†lovsky´, in: Decker, Heinz (Hg.): Jüdische Kultur und Exlibriskunst. Jahrbuch der Deutschen Exlibris-Gesellschaft e.V. 2004 (= DEG-Jahrbuch Exlibriskunst und Graphik, Bd. 2004), Wiesbaden 20041, S. 47 – 68, S. 48.

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tatsächlich Bekanntschaft gemacht hat, ist nicht erwiesen. Dennoch kann von einer künstlerischen Kenntnis ausgegangen werden, die J†lovsky´ sicherlich nicht unbeeindruckt ließ. Das ist vor allem an einer stilistischen Nähe zu Steiner-Prag, aber auch zu Teschner und teilweise auch zu Kubin zu erkennen. Darüber hinaus setzte er sich künstlerisch mit seiner Heimatstadt auseinander, was er mehrfach in Prager Ansichten zum Ausdruck brachte. Er schuf in erster Linie Exlibris, aber auch verschiedene grafische Arbeiten, Gemälde und Buchausstattungen. Diese sind kaum bekannt, abgesehen von seinen Illustrationen zu Oskar Wieners Böhmische Sagen von 1919, einer Erzählsammlung, die zum ›Prager Text‹ gezählt werden kann und in der visuell – ähnlich dem Golem – das alte Prag wiederbelebt wird.998 In späteren Jahren arbeitete J†lovsky´ auch für das Neue Deutsche Theater in Prag.999 Im Gegensatz zu Hugo Steiner-Prag, der rechtzeitig aus Tschechien emigrieren konnte, bevor im sogenannten Reichsprotektorat Böhmen die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung begonnen hatte, wurde J†lovsky´ mit seiner gesamten Familie deportiert, zunächst nach Theresienstadt, später nach Auschwitz. J†lovsky´ überlebte die Zeit im Konzentrationslager und starb 1958.1000 Im Jahr 2005 widmete das Jüdische Museum in Prag dem Künstler eine Ausstellung.1001

5.4.2 Die Illustrationen zu Böhmische Sagen Der Erzählband von Oskar Wiener wurde 1919 herausgegeben und von Georg/ Jirˇ† J†lovsky´ mit Illustrationen, Vignetten und Buchschmuck ausgestattet. Die Sagen, die entweder in Böhmen oder in Prag spielen, wurden von Wiener neu vertextet. Meist enden sie mit einem Wahrzeichen, das heute noch im Prager Stadtbild an die Legende erinnert, so die Daliborka oder der Uhrturm am Altstädter Ring.1002 Viele Erzählungen haben auch ein phantastisches Element, da es sich um Sagen handelt.1003 J†lovsky´ schuf dazu sechs großformatige Illustratio998 Vgl. Parˇ†k (2004), S. 55. Darüber hinaus behandelt eine der Erzählungen sogar die Golemlegende. 999 Vgl. Parˇ†k (2004), S. 58. 1000 Vgl. Parˇ†k (2004), S. 54. 1001 Vgl. den Bericht auf Radio Prag. http://www.radio.cz/de/rubrik/spazier/juedisches-museum-entdeckt-den-prager-maler-jiri-jilovsky-wieder ; aufgerufen am 26. Jan. 2015. 1002 Themen der slawischen Geschichte sind in dieser Zeit nicht ungewöhnlich. So schuf Alfons Mucha zur selben Zeit sein berühmtes Slawisches Epos/Slovansk‚ epopej (1911 – 1928). 1003 Ob Sagen und Märchen zur phantastischen Literatur zählen, ist umstritten. Brittnacher will die Sage im Gegensatz zum Märchen durchaus zum Phantastischen hinzuzählen: »Hat der Schrecken im Märchen einen sichtlich harmlosen, sogar anthropomorphen Zuschnitt, beharrt die Sage – und auch davon zehrt die Phantastik – auf den ›numinosen‹ und

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nen, sowie Vignetten, Initialen und floralen Buchschmuck für die nicht großformatig illustrierten Erzählungen. In diesem Fall kann nicht von einer übergeordneten Narration der Bilder ausgegangen werden, da die verschiedenen Texte keine kohärente Struktur aufweisen. Es erfolgt allerdings auf formaler Ebene eine Strukturierung innerhalb des Buchkörpers durch die verschiedenen Bildarten. Entsprechend der bildlichen Ausgestaltung gliedern sich auch die Textsorten. Floraler Schmuck und figürliche Initialen wurden ausschließlich für Gedichte verwendet. Viele kürzere Erzählungen haben gar keinen bildlichen Schmuck, nur die Eingangsinitiale ist durch Größe und Form hervorgehoben. Einige Erzählungen weisen am Anfang und am Schluss eine schlichte Vignette auf. Die ganzseitigen Illustrationen sind eher den längeren Erzählungen zugeordnet. Insgesamt wird so der Textkomplex strukturiert, indem sich die unterschiedlichen Bebilderungsformen abwechseln. Die großen Illustrationen verleihen den entsprechenden Erzählungen eine besondere Hervorhebung. Sie werden in J†lovsky´s Werk als Wendepunkt hin zu einem sich stärker ausprägenden Expressionismus und einer Abwendung vom Jugendstil gesehen.1004 Drei Erzählungen und Illustrationen sollen an dieser Stelle herausgegriffen und beispielhaft besprochen werden. Die Erzählung Dalibor berichtet von der Sage des Fürsten Dalibor, der den Bauernaufstand nach den Hussitenkriegen anführte. Er wurde wegen Aufstachelung der Bauern festgenommen und in einen Turm auf der Prager Burg gesperrt.1005 Dort wartete er über einen langen Zeitraum hinweg auf den Vollzug der Todesstrafe. Während seiner Haft wurde ihm laut der Legendenerzählung von einer ihm freundlich gesinnten Gefängniswärterin eine alte Geige gebracht, auf der er sich autodidaktisch das Geigenspiel beibrachte und durch sein Musizieren die Fußgänger, die an dem Turm vorbeikamen, zum Innehalten brachte. Am Ende wurde er hingerichtet und der Turm nach ihm Daliborka benannt. Diese Sage ist in Prag sehr bekannt und fand sogar Eingang in die Oper Dalibor von Bedrˇich Smetana. Die Rezeption der Figur des Dalibor war einerseits die eines Verbrechers und Volksverhetzers, andererseits die eines Helden, der für die Rechte der Armen gekämpft hatte. In der Erzählung von Wiener kommen beide dämonischen Charakter des übernatürlichen Ereignisses. […] Kommen im Märchen die Helden mit dem Schrecken davon – und haben dabei in aller Regel eine Initiation bestanden –, bleibt der Held der Sage vom dämonischen Geschehen schwer gezeichnet zurück. Werden Märchen, ›wie manche ironische Schlußformel andeutet, ohne Anspruch auf Glauben erzählt‹ […], gehört zum Wesen der Sage wie dem der Phantastik die unabdingbare Bereitschaft, der erzählten cause c¦lÀbre, wie unwahrscheinlich sie auch sein mag, Glauben zu schenken.« (Brittnacher, Hans Richard: Ästhetik des Horrors. Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und künstliche Menschen in der phantastischen Literatur (= Suhrkamp-Taschenbuch, Bd. 2397), Frankfurt am Main 19941, S. 14). 1004 Vgl. Parˇ†k (2004), S. 56. 1005 Vgl. Wiener, Oskar: Böhmische Sagen, Warnsdorf i. B./Wien 1919, S. 59.

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Elemente zur Geltung. Zunächst wird Dalibor als Falschspieler dargestellt, der zu Recht ins Gefängnis kommt. Im Verlauf seiner Gefängnisstrafe macht er jedoch eine Wandlung durch und erregt Mitleid bei den Mitmenschen, vor allem durch sein Geigenspiel. In der ganzseitigen Illustration von J†lovsky´ wird Dalibor als Inhaftierter im Turm gezeigt (Abb. 56).1006 Er steht hinter dem vergitterten Fenster seines Verlieses und spielt auf der Geige. Unterhalb des Turmes hat sich eine kleine Menschenmenge angesammelt. Interessant ist die Abbildung aufgrund der Schilderung des Stadtbildes, denn der Turm, die Daliborka, befindet sich am Ende der berühmten ›Goldenen Gasse‹. Die entsprechende Textstelle erwähnt dies jedoch nicht: »Dalibors Kerkerturm grenzte an die alte Schloßstiege, die heute noch von der Bruska zum Hradschin emporführt und der wichtigste Zugang zum Hoflager war. So blieben die Stufen auf dem Sankt Wenzelsweinberge tagsüber dicht bevölkert, mußte doch jeder, der zum Königssitz oder zum Dom wollte, hier vorüber…«1007

Im linken Mittelgrund ist der Eingang zur ›Goldenen Gasse‹ zu sehen, die aufgrund der spezifischen Architektur der Häuser zu erkennen ist. Die Perspektive entspricht nicht ganz den topographischen Verhältnissen in Prag, da man von dem gewählten Standort mit der Daliborka rechterhand nicht direkt in die ›Goldene Gasse‹ blicken kann. Für J†lovsky´ stand wohl dennoch die unverkennbare Prager Architektur der ›Goldenen Gasse‹ im Vordergrund, sodass er beide Wahrzeichen in einem Bild miteinander vereinte. Die Darstellung der Figuren entspricht der historischen Verortung der Sage in die frühe Neuzeit, die Personen tragen historische Gewänder. Der Duktus ist expressiv, vor allem in der Gestaltung der Wolken, des unregelmäßigen Pflasters oder der einzelnen, charakteristisch unterschiedenen Gesichtsausdrücke. Thematisch ist die Darstellung eng an den Text angelehnt. Die angewendete Technik der Monotypie1008 ermöglicht zusätzlich stilistische Freiheit. Eine weitere Erzählung handelt von dem Uhrmacher der berühmten RathausUhr (Staromeˇstsky´ orloj) in Prag, Die Weissagungen des blinden Jünglings. Sie ist eine Variation der Sage über den Uhrmacher, der nach Vollendung seines Werkes geblendet worden sein soll, um sein Wissen über die Herstellung der Uhr nicht weitergeben zu können. In der Erzählung Wieners soll der Jüngling bereits blind gewesen sein und über eine besondere seherische Gabe verfügt haben, die ihn nach Prag brachte. Dort baute er dann die berühmte Uhr. Am Ende verweist Wiener noch auf die anderen Varianten der Legende. Die Erzählung um die Uhr ist eigentlich nebensächlich, wird aber durch die Bebilderung J†lovsky´s in den 1006 Vgl. Wiener (1919), Abb. gegenüber S. 60. 1007 Wiener (1919), S. 60. 1008 Vgl. Parˇ†k (2004), S. 56.

Die Buchgestaltung Georg/Jirˇí Jílovsky´s zu Böhmische Sagen

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Mittelpunkt gestellt. Damit gerät das Buch zu einer Art Reiseführer durch die Stadt Prag. J†lovsky´ zeigt das Horologium am Rathaus und darunter vorbeigehende Passanten: ein großes Fuhrwerk, ein Mann, der ein großes Fass auf einem Karren schiebt, Frauen, Kinder, ein kleines Hündchen (Abb. 57).1009 Er schildert das Prager Alltagsleben auf dem Rathausplatz. So verknüpft er die große Stadtgeschichte mit dem alltäglichen Geschehen seiner Zeit. Gleichzeitig ist die Altstädter Rathausuhr in Prag einerseits ein Wahrzeichen für die untergegangenen Zeiten des ›Goldenen Prag‹, andererseits aber auch für wundersame Technik, Geheimwissen und die Beschäftigung mit Astronomie. Es handelt sich dabei um Motive, die sich auch bei Hauschners Der Tod des Löwen wiederfinden. Die Erzählung Geschichten vom Hohen Rabbi Löw versetzt den Leser in das Prag Rudolfs II. Es werden Anekdoten aus dem Leben des Rabbi Löw erzählt, in denen er allerlei Wunder vollbringt und als Magier dargestellt wird. Die Legende wird um viele Details ausgeschmückt und die Kabbala, die jüdische Geheimlehre, als Zauberei dargestellt. Oskar Wiener bezieht sich hauptsächlich auf die Erzählsammlung der Sippurim.1010 Die Legende des Golems ist hier nur eine von mehreren. J†lovsky´ wählte dennoch diese Sage als Thema für seine Illustration, was für die allgemeine Bekanntheit und Beliebtheit dieser Sage spricht. Dies ist sicherlich nicht zuletzt auf den großen Erfolg des Golem-Romans von Meyrink zurückzuführen. Literarisch wird der Golem als sanfter, aber tumber Lehmkoloss beschrieben, der vom Rabbi für Hilfsarbeiten benutzt wird. Weil der Rabbi durch die schwere Krankheit seiner Tochter abgelenkt wird, vergisst er, dem Golem den Schem unter die Zunge zu legen.1011 Dieser beginnt in der AltneuSynagoge sein Unwesen zu treiben. Als der Rabbi Löw davon erfährt, stürzt er sofort dorthin und kann den Golem wieder beruhigen, indem er das Gebet zum Sabbat unterbricht. »…das brachte den Golem um seine Macht, denn so lange der erste Psalm nicht zu Ende gesungen ist, hat der Sabbat noch keinen Anfang genommen. Mit einemmal erloschen die gewalttätigen Triebe des Golem. Er ließ die Fäuste sinken und glotzte stumpf nach seinem Meister herüber. Und der Rabbi trat auf das still gewordene Ungetüm zu, schob ihm den neuen Talisman in den Mund, und der Mann aus Lehm war sanft und fügsam

1009 Vgl. Wiener (1919), Abb. gegenüber S. 140. 1010 Vgl. Demetz (1994), S. 44 – 109. 1011 Dies ist eine Variation der Sage aus den Sippurim, eine Umkehrung: eigentlich gerät der Golem außer Kontrolle, weil der Rabbi vergessen hat, den Schem aus dem Mund herauszunehmen, bzw. die Buchstaben auf seiner Stirn zu löschen. Mit dem Entfernen des lebenseinhauchenden Mals/Schems, wird der Golem außer Gefecht gesetzt, und damit auch getötet.

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Das ›Magische Prag‹

geworden wie ein Kind. Ein guter Diener wurde er wieder, ein Knecht, der blind dem Willen seines Herrn gehorcht.«1012

Die Bildbeigabe J†lovsky´s zeigt den Golem als unförmig, dumpf, aber harmlos, wie er auch in den Legenden des 19. Jahrhunderts beschrieben wird (Abb. 58).1013 Der Golem steht in einem Torbogen, er ist deutlich größer als die Menschen, die im Mittelgrund zu sehen sind.1014 Durch den Torbogen sieht der Betrachter im Hintergrund einen Ausschnitt der Stadt mit verwinkelten, schiefen Häusern und einem mit Sternen besetzten Himmel. Zwar kann die kulissenartige Stadtarchitektur keinem bestimmten Ort in Prag zugeordnet werden, aufgrund des Textbezuges handelt es sich aber sehr wahrscheinlich um eine Darstellung des Prager Judenviertels. Vor den Häusern hat sich eine Menschenmenge versammelt, die vor dem Golem zu flüchten scheint. Nur zwei mutige Männer wagen sich bis zum Torbogen vor, verstecken sich dort aber. Der Golem scheint sie nicht wahrzunehmen. Er hat einen traurigen Gesichtsausdruck. Seine Haltung signalisiert Hilflosigkeit. Dadurch wird er als Mitleid erregendes Geschöpf charakterisiert, wie ähnliche Gestalten der Legenden um Automaten, Roboter oder andere Homunkuli, so in Mary Shelleys Frankenstein. Sein Gesicht ähnelt – im Gegensatz zu den Beschreibungen des Meyrinkschen Golems und ihren Visualisierungen durch Steiner-Prag – einer Affengestalt. Er hat eine eingedrückte Nase, ein ausgeprägtes Kinn, große, abstehende Ohren, die Stirn ist kurz und voller Sorgenfalten. Der Gesichtsausdruck der Golem-Figur hat karikierende Züge. Seine Kleidung ist einfach bis ärmlich, er hebt die rechte Hand in einer Geste des Innehaltens, aber auch des Beschwichtigens. Seine Gestaltung als groß und unförmig erinnert in gewisser Weise an die Golem-Figur aus Wegeners erstem Golem-Film von 1913. Darüber hinaus sind jedoch kaum Ähnlichkeiten festzustellen. Die Bildbeigabe erinnert in ihrem Aufbau sehr stark an das Blatt SteinerPrags Der Student Charousek1015 (Abb. 11), sowie an das Titelblatt zu Strobls Vaclavbude (Abb. 67).1016 Auch die Stadt-Darstellung kann mit der Steiner-Prags verglichen werden, ebenso die flüchtende Menschenmenge1017 (Abb. 8). Das legt die Vermutung nahe, dass J†lovsky´ die Arbeit Steiner-Prags kannte.

1012 Wiener (1919), S. 214. 1013 Vgl. Wiener (1919), Abb. gegenüber S. 212. 1014 Er wird auch mehrfach in der Legende von Wiener als Riese beschrieben: »Ein Glück, daß der Riese aus Lehm keine Ahnung hatte von den unheilvollen Gewalten, die in seinem Innern schliefen.« (Wiener (1919), S. 211). 1015 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-9. 1016 Die Darstellung eines Torbogens kann auch bei diesem Blatt in Beziehung zur Schwellenkunde Benjamins gesetzt werden. 1017 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-6.

6

Das Jüdische Prag in Hollunderblüthe

6.1

Kurze Inhaltsangabe

Wilhelm Raabes Novelle Hollunderblüthe stammt aus dem Jahr 1863. Sie wurde 1925 in Weimar neu aufgelegt und mit acht Lithographien von Hugo SteinerPrag herausgegeben. Nach Fritz ist die Novelle nicht direkt zum ›Prager Text‹ zu zählen, da sie in einer Zeit entstanden ist, in der das Textgeflecht des ›Prager Textes‹ noch nicht die Ausprägung erfahren hatte, wie in den Jahren nach 1900.1018 Darüber hinaus war der Autor weder gebürtiger Prager, noch lebte er für längere Zeit dort. Beides soll aber für die vorliegende Betrachtung kein Ausschlusskriterium sein. Einerseits wird Wilhelm Raabes Hollunderblüthe als einer der Vorläufer des ›Prager Textes‹ bewertet,1019 andererseits verdeutlicht das Neuerscheinen in der Nachfolge der großen Prager Romane seine wesentliche Rolle zur Konstitution des Prager Topos. Die Novelle wird aus der Rückschau – nämlich aus den Erinnerungen eines Arztes an seine Studentenzeit in Prag – erzählt. Die Binnenhandlung, also seine Erzählung, spielt sich hauptsächlich auf dem jüdischen Friedhof und im jüdischen Viertel in Prag ab. Der junge Student Hermann trifft auf der Suche nach dem jüdischen Friedhof in Prag auf eine junge Jüdin, Jemima Löw, die eine Nachfahrin des berühmten Rabbi Löw sein soll. Nach anfänglichem Misstrauen begegnen sich die beiden regelmäßig auf dem Friedhof und Jemima berichtet von den verschiedenen Sagen und Legenden der Verstorbenen auf dem Friedhof. Eines Tages gelangen sie zum Grab der Tänzerin Mahalath, die laut Jemima für ihr Volk gestorben sei. Sie habe ein krankes Herz gehabt, genauso wie Jemima, und sie prophezeit für sich selbst das gleiche Schicksal wie Mahalath. Mahalath wurde von einem Fürsten verehrt, der sie aber letztendlich verließ. Jemima sagt für sich und Hermann das gleiche Schicksal voraus. Sie verlässt den Friedhof und

1018 Vgl. Fritz (2005), S. 217. 1019 Vgl. Fritz (2005), S. 217.

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Das Jüdische Prag in Hollunderblüthe

kehrt nie mehr zurück. Hermann wird vom Friedhofswärter dazu angehalten, die Stadt zu verlassen, um nicht noch mehr Unheil anzurichten. Er folgt dieser Bitte und geht nach Berlin. Als er einige Zeit später noch einmal nach Prag zurückkehrt, erfährt er vom Tod Jemimas, die tatsächlich an ihrem erkrankten Herzen gestorben ist. Hermann macht sich Vorwürfe, ihr nicht geholfen zu haben. Die Schuldgefühle begleiten ihn sein Leben lang, und die Holunderblüte erinnert ihn dauerhaft an dieses Ereignis, da auf dem jüdischen Friedhof der Holunder geblüht hatte. Auch vierzig Jahre später erinnert sich der Arzt noch an dieses Ereignis, als er im Nachlass einer jungen Patientin einen Ballkranz aus Holunderblüten findet, der die Erzählung auslöst.

6.2

Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Hollunderblüthe

6.2.1 Strukturanalyse der Wort-Bild-Bezüge Die Lithographien von Hugo Steiner-Prag erinnern stark an seine früheren Bilder zu Der Golem und Der Tod des Löwen, während sie sich mal mehr, mal weniger von der literarischen Vorlage entfernen. Steiner-Prag hatte nun seinen Stil voll entwickelt und konnte gerade in seinen topographischen Darstellungen der Stadt Prag auf ein bewährtes Repertoire zurückgreifen. Die Bildbeigaben sind hier weniger parallelisiert zu den Textstellen, sie übernehmen also innerhalb der Text-Struktur keine sinnstiftende Funktion. Dennoch lassen sich einige Textstellen herausarbeiten, die in Zusammenhang mit den visuellen Darstellungen zu sehen sind. Die erste Bildbeigabe zeigt eine Häuserflucht bevölkert mit Menschengruppen, die nicht näher zu identifizieren sind (Abb. 59).1020 Ein Textbezug kann nicht eindeutig hergestellt werden.1021 Ob es sich bereits um Erinnerungen des Arztes an die Stadt Prag handelt oder um einen Blick aus dem Fenster auf die Straße unterhalb des Hauses, in dem er sich befindet, ist nicht deutlich. Es könnte auf eine deutlich frühere Textstelle passen, als der Erzähler vom Weg zum Haus seiner verstorbenen Patientin berichtet: 1020 Vgl. Raabe, Wilhelm: Hollunderblüthe. Eine Erinnerung aus dem Hause des Lebens. Mit Steinzeichnungen von Hugo Steiner-Prag, Weimar 1925, Abbildung zwischen S. 10 und S. 11. 1021 Dies kann bei fast allen Bildbeigaben festgestellt werden. Czapla attestiert Steiner-Prag jedoch ein strikte Orientierung »an der Textvorlage« (Czapla, Ralf Georg: »Licht aus Schatten«. Raabes Stuttgarter Novellistik im Spiegel seiner Federzeichnungen und der Lithographien Hugo Steiner-Prags. Mit einem Exkurs zur Wieland-Rezeption in »Die Gänse von Bützlow«, in: Henkel, Gabriele u. Biegel, Gerd (Hg.): Wilhelm Raabe. Das zeichnerische Werk, Hildesheim 2010, S. 127 – 148, S. 132), die so nicht nachvollzogen werden kann.

Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Hollunderblüthe

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»Es war ein klarer, kalter Tag im Januar; die Sonne schien, der Schnee knirschte unter den Füßen der Wanderer, die Wagenräder drehten sich mit einem pfeifenden, kreischenden Ton. Es war ein gesunder, herzerfrischender Tag, und ich holte noch einmal aus voller Brust Athem, ehe ich um die dritte Nachmittagsstunde die Thürglocke eines der ansehnlichsten Häuser der Stadt zog.«1022

Nach Put†k handelt es sich jedoch um die Darstellung einer Gasse im jüdischen Viertel.1023 Bereits an diesem ersten Blatt sind Verbindungen zu Steiner-Prags Architekturdarstellungen in seiner Golem-Mappe zu sehen. Auch hier dominiert die hohe, bedrohliche Architektur das Geschehen, das Sonnenlicht kann kaum bis in die tiefliegende Gasse durchdringen, der Schnee liegt in kleinen schmutzigen Haufen auf der Straße, die Häuser wirken heruntergekommen.1024 Die Atmosphäre des Textes, das Traurige und Trostlose der bereuenden Erinnerung des Arztes finden im Bild ihre Entsprechung. In der zweiten Bildbeigabe wird das bereits bekannte Motiv des Trödlerladens variiert, das in Der Golem in Bezug auf den Trödler Wassertrum erscheint (Abb. 60).1025 In Hollunderblüthe spielt hier die erste Begegnung des Protagonisten mit Jemima Löw. Die entsprechende Textstelle in Hollunderblüthe spricht allerdings nicht von einem Trödlerladen: »Es hing ein alter Frauenanzug vor einer dunkeln Hausthür, und an dem Thürpfosten lehnte träge, doch nicht unzierlich, ein fünfzehnjähriges Mädchen. Sie hielt die Arme und Hände auf dem Rücken verborgen und sah mich an. Ich sah sie wieder an, und beschloß, meine Frage vorzubringen. Ein Gesicht aus den vornehmen Ständen hatte ich freilich nicht vor mir, und ehe mir Antwort ward, kam eine kleine braune Hand hinter dem Rücken des Kleides hervor, fuhr mir geöffnet mit unverkennbarem Verlangen entgegen, und ich konnte nicht umhin – sechs Kreuzer hineinzulegen. ›Nach unserm alten Kirchhof ? Nun, ich will hinbringen den Herrn.‹ Herab von drei schmutzigen Stufen sprang die schmächtige Gestalt, glitt mir voran, ohne sich umzusehen, und führte mich kreuz und quer durch die abscheulichsten Winkel, Gassen und Durchgänge, wo mir von allen Seiten mehr oder weniger vortheilhafte Handelsanträge in Betreff meines schwarzen altdeutschen Sammetrocks gemacht wurden. Ich hielt mich nicht damit auf, diese Anerbietungen abzulehnen, sondern achtete nur auf das zierliche Irrlicht, welches mich durch die seltsamen Regionen leitete und endlich neckisch schadenfroh mich verleitete.«1026

In Steiner-Prags Lithographie sind die großen Flügeltüren des Ladens geöffnet, an denen die zu verkaufenden Gegenstände hängen. Sie sind deutlich zu er1022 Raabe (1925), S. 6. Die Rechtschreibung richtet sich bei diesem und allen folgenden Zitaten nach der Ausgabe von 1925. 1023 »A lane in the Ghetto« (Put†k u. Demetz (2009), S. 456). 1024 Ein Hinweis darauf, dass Steiner-Prag doch eher die Architektur des jüdischen Viertels gemeint haben könnte. 1025 Vgl. Raabe (1925), Abbildung zwischen S. 16 und S. 17. 1026 Raabe (1925), S. 16 – 17.

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Das Jüdische Prag in Hollunderblüthe

kennen, es lehnen Schaufeln an der rechten Flügeltür, darüber hängen Pfannen, eine Gießkanne und ähnliche Gegenstände. An der linken Flügeltür sind Anzüge aufgereiht. Rechts im Türrahmen lehnt die Figur der schüchternen Jemima, links im Vordergrund sprechen zwei Männer. Hatte schon der Trödlerladen bei Der Golem an eine historische Photographie eines Trödlerladens aus dem jüdischen Viertel1027 erinnert, so ist hier die Ähnlichkeit zu dieser Abbildung noch frappierender. Das Schild über dem Laden ist ebenso wie auf der Photographie hochrechteckig und nach vorne ausgewölbt und auch die feilgebotenen Gegenstände ähneln sich stark. In Der Golem ist der Laden insgesamt kleiner, sieht schmutzig und unheimlich, also eher abstoßend aus. Steiner-Prag verändert dasselbe Motiv durch die literarische Vorlage: hier der hässliche Trödler Wassertrum vor seinem ungemütlichen dunklen, kleinen Laden – dort die zurückhaltende Jemima vor dem trotz des Schmutzes offenen, geschäftstüchtigen Laden, vor dem sich sogar Kunden zu befinden scheinen. In der Schilderung Wassertrums wird von der abschreckenden Wirkung des Ladens auf die Kundschaft berichtet. Ordentlich hängen die Gegenstände nebeneinander an den Flügeltüren von Jemimas Trödlerladen, während Wassertrums Verkaufsobjekte kaum auszumachen sind und wild durcheinander an einer Schnur über dem Eingang baumeln – eine große Säge zwischen Zangen und krummen Nägeln, im Vordergrund ein angeschlagenes Fass und Wassertrum in einem zerschlissenen Mantel. Wie sonst auch bei Steiner-Prag bleiben die Figuren auf der Bildbeigabe zu Hollunderblüthe eher typisiert: die beiden Männer im Vordergrund haben die gleichen Gesichter mit Hakennasen entsprechend der Auto-Stereotypisierung Steiner-Prags in der Darstellung der jüdischen Bevölkerung. Die Darstellung der Jüdin Jemima erinnert deutlich an die Darstellung der Jüdin Golde in Der Tod des Löwen.1028 Beide haben die leicht nach unten herabgedrückten Augenbrauen, die ihnen einen leidenden Gesichtsausdruck verleihen. Dunkles Haar und feine Gesichtszüge verstärken den Eindruck des Typs der dunklen, geheimnisvollen Jüdin. Auffallend ist auch hier die fehlende körperliche Ausformung. Jemima steckt wie ein Kegel in einem einfarbigen hellen Kleid. Diese Beobachtung kann auch bei anderen Bildern Steiner-Prags gemacht werden, ganz besonders bei der Darstellung von Menschen, die nicht durch einen Habitus eine bestimmte Kleidung aufweisen und so charakterisiert werden können.1029 1027 Vgl. Schmitz (2001), S. 176. 1028 Vgl. Hauschner (1922), S. 81. 1029 So ist zum Beispiel die Figur des Golems nicht durch bestimmte Kleidung ausgewiesen, und hat dadurch einen einförmigen, kegelartigen Körper ohne spezifische Ausformungen. Vgl. KOG, Inv.nr. 9542 – 7 (Abbildung 009). Umgekehrt wird der Körper des Rabbi in Der Tod des Löwen (Vgl. Hauschner (1922), S. 71 und Abbildung 052) durch seine jüdische Kleidung als solcher charakterisiert. Besonders auffällig ist die Zuschreibung über Klei-

Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Hollunderblüthe

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Auch in der dritten Bildbeigabe griff Steiner-Prag auf sein bewährtes Repertoire zurück. Dargestellt ist eine alte Frau in einem Treppenhaus (Abb. 61).1030 Ähnlichkeiten zu einer Lithographie aus Der Golem1031 sollen kurz beleuchtet werden. Weder bei Der Golem noch bei Hollunderblüthe ist ein eindeutiger Textbezug auszumachen. Eine mögliche Textstelle in Hollunderblüthe wäre jedoch diejenige, an der Hermann, nachdem ihn Jemima falsch geleitet hat, auf das Frauenspital stößt: »Obgleich ich eigentlich durchaus nicht wußte, wo ich anklopfen sollte, so tappte ich doch auf gut Glück den Gang entlang, bis ich gegen eine andere schwarze, feuchte Thüre stolperte. Ich klopfte und vernahm drinnen ein Aechzen, Stöhnen und dann ein Schlürfen. Dann öffnete sich die Pforte und ich stand entsetzt vor einer unappetitlichen alten Hexe, welche mich auf czechisch ankreischte. Drei andere ähnliche Zauberschwestern krochen an Krücken langsam herzu und schnarrten mir ebenfalls Unverständliches entgegen. Höchst verblüfft sah ich mich in dem halbdunkeln, weiten, niedern Raume um. Sechs Betten standen darin, und aus zwei derselben richteten sich zwei entsetzliche Gespenster auf uns, starrten mich an, wie die unglückseligen Geschöpfe, welchen Gulliver auf seinen Reisen begegnete, diese Wesen, welche mit einem schwarzen Fleck vor der Stirn geboren werden und nicht sterben können. Ich hatte die Frechheit, meine Frage nach dem Judenkirchhof zu wiederholen, obgleich mir eine Ahnung sagte, daß ich an der Nase geführt, und daß diese Frage an diesem Orte sehr unstatthaft sei. Und richtig – im nächsten Augenblicke befand ich mich wieder in dem vorhin geschilderten Gange, froh, mit gesunden, unausgekratzten Augen davon gekommen zu sein.«1032

Die Abbildung folgt wenige Seiten später, doch die Szene ist anders dargestellt. Der einzige Hinweis ist das Christuskreuz im Treppenaufgang, es fehlen jedoch die Krankenbetten und die weiteren Frauen. Man sieht nur eine Frau auf einen Krückstock gestützt mit Kopftuch im Treppenhaus eines heruntergekommenen Hauses. Vorne rechts steht ein Waschzuber, in der linken oberen Ecke hängen die bei Steiner-Prag immer wiederkehrenden Spinnenweben, die er als Markenzeichen an allen Orten von Schmutz oder Unheimlichkeit einfügt. Auch bei der Lithographie aus Der Golem tauchen die gleichen Versatzstücke auf, der Waschzuber, die verwinkelten Gänge des Treppenhauses, die aufsteigende Treppe und Figuren am Treppenabsatz. Die Torbögen sind krumm und schief, vergitterte Fenster lugen wie böse Augen aus dem Hintergrund hervor. dung in dem Blatt Beim Loisitschek (Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-15 und Abbildung 017). Hier gelingt Steiner-Prag eine habituelle Abgrenzung der verschiedenen Gesellschaftsschichten nicht nur durch ihre hierarchisierte Positionierung im Bildraum, sondern auch durch ihre Kleidung. Im Hintergrund die edlen Herren mit Frack und Zylinder, im Mittelgrund die Studenten mit ihren Biedermeiermützen und Vordergrund die einfachen bis armen Leute mit teilweise zerschlissenen Jacken, schiefen Kappen und Mützen, eine Frau mit Kopftuch. 1030 Vgl. Raabe (1925), Abbildung zwischen S. 20 und S. 21. 1031 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-10. 1032 Raabe (1925), S. 17 – 18.

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Das Jüdische Prag in Hollunderblüthe

Der Lichteinfall kommt in beiden Blättern diffus von schräg oben, es gibt keinen direkten Lichteinfall, das Hausinnere wirkt düster, schmutzig und heruntergekommen. Die Erzählung der Novelle führt nun zum Hauptschauplatz, nämlich dem jüdischen Friedhof in Prag. Zwar werden auch andere Schauplätze eindeutig beschrieben und benannt, sie finden aber keinen Niederschlag in den Lithographien Steiner-Prags. Der jüdische Friedhof, dessen genaue Kenntnis SteinerPrag bereits in Der Golem unter Beweis gestellt hatte, erscheint hier in mehreren Blättern. Die vierte Abbildung zeigt Hermann und Jemima Löw auf den Steinen des jüdischen Friedhofs sitzend, im Hintergrund das berühmte Grab des Hohen Rabbi Löw und die blühenden Holundersträucher (Abb. 62).1033 Bemerkenswert ist der Blütenkranz auf Jemimas Kopf, der an die Rahmenerzählung und den Blütenkranz der verstorbenen Patientin erinnert. Die Szene fängt den Moment der ersten Annäherung ein. »Als ich aber die Hand nach dem Spuk ausstreckte, da war er blitzschnell verschwunden, und einen Augenblick später sah das lachende bräunliche Gesicht, umgeben von schwarzem Gelock, um das Grab des hohen Rabbi, als wolle es mich von Neuem verlocken, und zwar zu einer Jagd über den alten Todtenort. Aber diesesmal ließ ich mich nicht verleiten, denn ich wußte klar, daß es mir doch nichts nutzen würde, wenn ich dem Ding nachspränge. In die Erde, in den schwarzen Boden hätte es sich verloren, oder noch wahrscheinlicher, in die Hollunderblüthen, über den Gräbern wäre es verschwunden. Wie angewurzelt stand ich auf meinen Füßen und traute dem hellen Tag, der glänzenden Mittagsstunde nicht im Mindesten: wer konnte sagen, ob an dieser geisterhaften Stelle nicht andere Regeln der Geisterwelt galten, als anderwärts? Still stand ich und hütete mich wohl, mich zu rühren, und als nun das Ding sah, daß sein lockendes Lachen, Blicken und Winken ihm nichts half, da fing’s den Zauber auf eine andere Art an. Sein Gesichtchen wurde ernst, sein Köpfchen neigte sich, und schüchtern schlich’s heran, neigte sich wiederum sittsam und stand vor mir und sagte: ›Schöner Herr, verzeih’, ich will nicht wieder böse sein.‹«1034

Nach Czapla ist die ambivalente Stimmung bildnerisch eingefangen. Zwar stünden die blühenden Holundersträucher und die zärtliche Zuwendung des Paares zueinander für Vitalität, so wie auch der Friedhof Beth-Chaim ›Haus des Lebens‹ heißen soll. Allerdings sei die Szenerie dennoch düster durch die gewaltigen Grabsteine und die dunklen Äste des Holunders.1035 Im Folgenden erzählt Hermann von der Begegnung mit dem Vater Jemimas, der den Trödlerladen besitzt. »…der Sprössling sehr irdischer Eltern, welche in der Josephsstadt zu Prag mit alten Kleidern und Geräthschaften handelten. Auch die Hausnummer und den Namen er1033 Vgl. Raabe (1925), Abbildung zwischen S. 24 und S. 25. 1034 Raabe (1925), S. 21 – 22. 1035 Vgl. Czapla (2010), S. 134.

Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Hollunderblüthe

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fuhr ich: Jemima hieß es, wie die Tochter Hiob’s, des trefflichen Mannes aus dem Lande Uz, und Jemima bedeutete auf deutsch: Tag. Obgleich der Vater nicht Hiob hieß, sondern Baruch Löw, so war er doch ein gutes Seitenstück zu jenem Dulder in der Zeit der Plagen.«1036

Steiner-Prag griff diese Beschreibung in seinem zweiten Bild bereits auf (Abb. 60). Er beschreibt den Laden bildnerisch sehr genau, auch mit »Kleidern und Geräthschaften«. Über dem Torbogen auf dem Schild steht »Baruch/Trödler« und darunter auf Tschechisch etwas, das »vetesˇ« (Plunder) heißen könnte. Im weiteren Verlauf der Erzählung berichtet Hermann von den häufigen Begegnungen der beiden auf dem jüdischen Friedhof und den vielen Friedhofslegenden, die er von Jemima erzählt bekommt. Die nächste Bildbeigabe zeigt die beiden aneinandergeschmiegt zwischen den Grabsteinen stehen (Abb. 63).1037 Die Blüten des Holunders sind verblüht, es ist also schon einige Zeit verstrichen. Laut Czapla stehen sie vor dem Grab der Mahalath. Jemima erzählt Hermann von dem Tod der Tänzerin: »…eines Tages, um die Mitte des Herbstes, als die ersten winterlichen Ahnungen durch die Welt gingen, als die Blätter des Flieder nicht weniger wie alle anderen Blätter sich bunt färbten, – eines Tages um die Mitte des Herbstes fasste sie meine Hand und zog mich durch einen düstern Gang nach der Mauer des Kirchhofs zu einem Grabstein, den wir bis jetzt noch nicht betrachtet hatten. Auf diesen Stein deutete sie und sprach: ›Das bin ich!‹ In hebräischer Schrift stand auf dieser Platte: Mahalath. Und darunter die Jahreszahl: 1780. Wie kam es, daß ich so sehr erschrak? War es nicht Thorheit, daß ich so erstarrt, wortlos das Mädchen neben mir ansah? Ja, es lachte nicht, es freute sich nicht eines gelungenen närrischen Einfalls. Ernst und traurig, mit gekreuzten Armen stand es da, lehnte sich über den Stein und sagte, ohne eine Frage abzuwarten: ›Sie hieß Mahalath, und sie war Mahalath, das ist eine Tänzerin. Sie hatte ein krankes Herz wie ich, und ist die Letzte gewesen, welche auf diesem unserm Beth-Chaim eingesenkt wurde, – die Allerletzte. Nachher hat’s der gute Kaiser Joseph verboten, daß sie noch Einen aus unserm Volk hier zu Grabe brächten; die Mahalath ist die Letzte gewesen. Der gute Kaiser hat auch die Mauern der Judenstadt niedergeworfen, und hat ihr seinen eigenen milden und glorreichen Namen zu seiner und unserer Ehre gegeben. Er hat dies Gefängnis zerbrochen und uns athmen lassen mit dem andern Volk; der Gott Israels segne seine Asche.‹«1038

Mit diesem Höhepunkt enden die Treffen der beiden und Hermann verlässt Prag. Die sechste Bildbeigabe lässt keine eindeutige Textzuschreibung zu. Gezeigt wird erneut eine Häuserflucht in der Manier der Steinerschen Architekturen (Abb. 64).1039 Rechts stehen zwei Männer in einem Torbogen, links beugt 1036 1037 1038 1039

Raabe (1925), S. 22. Vgl. Raabe (1925), Abbildung zwischen S. 28 und S. 29. Raabe (1925), S. 29 – 30. Vgl. Raabe (1925), Abbildung zwischen S. 34 und S. 35.

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Das Jüdische Prag in Hollunderblüthe

sich eine Person aus einem Fenster. Möglicherweise dachte Steiner-Prag hier an das Gespräch zwischen Hermann und dem Friedhofsaufseher, das jedoch in der Erzählung selbst auf dem Friedhof stattfindet: »Als eben der erste Donner dumpf rollend die Fenster der Stadt erklirren machte, zog ich abermals die klappernde Glocke des Pförtnerhauses am Judenkirchhof. Statt des langbärtigen, ehrwürdigen Greisenkopfes erschien in der Thüröffnung das verrunzelte, gelbe Gesicht der alten Dienerin des Pförtners. ›Wo ist euer Herr? Ich muß ihn sprechen, – auf der Stelle!‹ ›Gott Israels, wie Ihr ausseht, junger Herr! Mein, was ist Euch begegnet? Was wollt Ihr schon wieder? Was bannt Euch an diesen Ort?‹ Ich antwortete ihr nicht, sondern drängte mich an der Schwätzerin vorüber. Durch die dunkelen, – jetzt während des Gewitters so schrecklich, furchtbar dunkelen Gänge des Friedhofes eilte ich, und am Grabe des hohen Rabbi Löw fand ich den Alten, unbekümmert in dem immer stärker losbrechenden Sturm.«1040

Diese Textstelle befindet sich jedoch in großem Abstand zur Bildbeigabe innerhalb des Buches. Eine andere Textstelle spricht von zwei Herren, einem aus Hamburg und einem aus Danzig, die sich auch auf dem Friedhof befinden, während Hermann und Jemima über den Tod sprechen.1041 Beide Textstellen stiften keinen befriedigenden Kontext für die Bildbeigabe. Die Betitelung der Nationalgalerie Prag lautet »A meeting with the Rabbi in a Lane of the Ghetto.«1042 Welche Textstelle hier gemeint sein könnte, ist unklar, denn von einem Treffen mit dem Rabbi ist nie die Rede. Höchstwahrscheinlich ist damit der Friedhofsvorsteher gemeint. In der siebten Bildbeigabe zeigt Steiner-Prag den Blick auf ein schmales Haus (Abb. 65).1043 Der Himmel ist dunkel bewölkt, es ist entweder bereits dunkel oder ein Unwetter steht bevor. Zwischen den Wolken bricht ein Lichtstrahl hervor, der die Seitenfront des Hauses beleuchtet. Auf der Straße oder dem Innenhof vor dem Haus sind verschiedene Personengruppen unterwegs. Im Textkörper befindet sich die Abbildung an der Stelle, als Hermann noch einmal nach Prag zurückkehrt und zum Festtag des Hl. Nepomuk eintrifft. Die ganze Stadt ist überfüllt und Hermann bekommt nur mit Mühe noch eine Unterkunft am Wenzelsplatz. Dies könnte der konkrete Bezug für die Bildbeigabe sein. Das wird bestätigt durch die Betitelung »Kamz†kov‚ lane«1044. Diese Straße befindet sich in der Nähe des Wenzelsplatzes. Der Bildausschnitt ist exakt wiedergegeben, die kleine Passage führt vom Altstädter Ring grob in Richtung Wenzelsplatz und mündet in einen kleinen Vorhof. Von dort aus ist auch heute noch die Frontseite des Hauses zu sehen, wie es Steiner-Prag zeichnete. Es ist eine der ruhigeren 1040 1041 1042 1043 1044

Raabe (1925), S. 39 – 40. Vgl. Raabe (1925), S. 36. Put†k u. Demetz (2009), S. 456. Vgl. Raabe (1925), Abbildung zwischen S. 46 und S. 47. Put†k u. Demetz (2009), S. 456.

Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Hollunderblüthe

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Ecken rund um den Altstädter Ring. Dies macht den besonderen Zauber der kleinen Gasse aus, die wie eine Oase der Stille Einkehr abseits des Trubels der Innenstadt bietet. Die Beschreibung der Unterkunft bleibt literarisch vage, es wird vielmehr das bunte Treiben auf den Straßen beschrieben, das in Steiner-Prags Lithographie jedoch kaum zum Vorschein kommt. Hermann erfährt durch Zufall, dass Jemima kürzlich verstorben ist und besucht noch einmal den jüdischen Friedhof. Die letzte Bildbeigabe zeigt den leeren jüdischen Friedhof und bildet somit einen bildlichen Abschluss für die Erzählung1045 (Abb. 66). Trauer und Melancholie, Einsamkeit und Reue sind auf diesem schlichten Bild festgehalten. Dies funktioniert aber vor allem in der literarischen Bezugsetzung. Der leere Friedhof, die stille Einöde ist der bildlichste Ausdruck für die Vergänglichkeit und den Tod. Das Motiv der Holunderblüte, die nun endgültig verblüht ist, wird in literarischer Anlehnung bis zum Ende stringent durchgezogen.1046 Darüber hinaus gibt die Remarque den Hinweis auf den Tod des Mädchens durch einen Totenkopf. Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich Steiner-Prag noch deutlicher als in seinen vorangegangenen Arbeiten vom Text löste. Es bleibt allerdings unklar, in welchem editorischen Zusammenhang diese Neuausgabe entstanden ist. Möglicherweise wurde Steiner-Prag aufgrund seiner Bekanntheit als Buchgestalter für die Illustration beauftragt. Daher besteht die Möglichkeit, dass er alte Motive oder Ideen wieder aufgenommen hat, um Raabes Novelle bildnerisch zu gestalten. Sicherlich hat ihn jedoch der Text an sich interessiert, da er nach Czapla »[m]it dem Milieu der Judenstadt, der Verschränkung von Realität und Phantastik sowie der Abfassung durch einen ihm seit langem vertrauten Autor […] alle drei Kriterien, die potentiell Steiners Interesse an einem literarischen Text weckten [erfüllt]«1047. Text und Bild funktionieren auf einer bestimmten Ebene sehr gut miteinander, vor allem bei den Abbildungen, die den Friedhof zeigen. Steiner-Prag verbildlichte auch hier seine Erinnerungen an Prag und vor allem die Prager Judenstadt. Literarisch wird die Prager Topographie eher als Hintergrundfolie verwendet und spielt nicht eine vergleichbar dominante Rolle wie in Der Golem oder Der Tod des Löwen. Bemerkenswert ist auch der latent phantastische Zug der Novelle, der nicht im Sinne Todorovs mit einem Einbruch des Übernatürlichen erfolgt. Jede Übernatürlichkeit ist durch Zufälligkeit oder psychologische Umstände erklärbar, dennoch wird ein Bezug zum Jenseits hergestellt. Zur phantastischen Literatur wäre diese Novelle also nicht zu zählen, gewisse Momente der Phantastik können aber festgestellt werden. Nach Czapla ist diese 1045 Vgl. Raabe (1925), Abbildung zwischen S. 50 und S. 51. 1046 Vgl. Czapla (2010), S. 136. 1047 Czapla (2010), S. 132.

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Das Jüdische Prag in Hollunderblüthe

Phantastik unter anderem auf eine intertextuelle Verwandtschaft zu E. T. A. Hoffmanns Der Sandmann zurückzuführen.1048 Genauere Hinweise darauf gibt Czapla jedoch nicht. Auch anhand eines Textvergleiches ist nicht ersichtlich, welche intertextuellen Beziehungen sich Czapla vorstellt.

6.2.2 Strukturanalyse der Bild-Bild-Bezüge Gerade bei den Lithographien zur Hollunderblüthe bietet sich eine Untersuchung der Kohärenz der einzelnen Bilder zu einem visuellen Gesamttext an, da sie sich nicht so eindeutig zum literarischen Text parallelisieren lassen. Eine feste Einteilung in bestimmte Gruppen ist zwar nicht möglich, allerdings lassen sich deutlich die Bilder des jüdischen Friedhofs von den anderen unterscheiden. Die Bilder auf dem Friedhof sind in der Reihenfolge der Bilder Abbildung vier, fünf und acht. Die anderen fünf Bilder sind von Architekturdarstellungen geprägt. Das Bild mit Jemima vor dem Trödlerladen, Abbildung zwei, könnte zur Gruppe der Friedhofsdarstellungen gezählt werden. Jemima wäre hier das kohärenzstiftende Element. In den Abbildungen eins, drei, sechs und sieben dominieren die architektonischen Gestaltungen. In Anlehnung an Stöckls »temporale BildBild-Bezüge«1049 könnte man innerhalb der drei Friedhofs-Bilder eine dynamische Folge erkennen. Sie zeigt – wie oben beschrieben – den Handlungsverlauf in einzelnen Ausschnitten, die sukzessiv hintereinander gesetzt werden können. Ausschlaggebend für die Herstellung des Bezugs der einzelnen Bilder zu einer visuellen, linearen Beschreibung der Veränderung der Beziehung, die die beiden Figuren Jemima und Hermann durchlaufen, ist die »Konstanz der Perspektive«1050 auf den jüdischen Friedhof. Abbildung Vier zeigt die erste Begegnung der beiden auf dem jüdischen Friedhof bei voller Blüte der Holundersträucher. Beide Figuren sind sich zärtlich zugewandt (Abb. 62). In Abbildung Fünf sind die Blüten bereits verblüht, die Sträucher tragen allerdings noch ihre Blätter. In starker Schraffur wirken sie wie vom Wind bewegt (Abb. 63). Die beiden Figuren, Jemima und Hermann stehen nun nebeneinander und blicken in die gleiche Richtung. Diese Haltung kann als Veränderung der Beziehung der beiden zueinander gelesen werden. Sie ist nun über die ersten zögerlichen Begegnungen hinausgetreten und einer intimen Zweisamkeit gewichen. Ein besonders starker Ausdruck hierfür ist die gemeinsame Blickrichtung der beiden, die nun nicht mehr sich gegenseitig aus einer gewissen Distanz heraus, sondern stattdessen gemeinsam etwas Drittes (den Grabstein der Mahalath) betrachten. Abbildung 1048 Vgl. Czapla (2010), S. 132. 1049 Stöckl (2004), S. 292. 1050 Stöckl (2004), S. 293.

Die Illustrationen von Hugo Steiner-Prag zu Hollunderblüthe

215

Acht, gleichzeitig auch Schlusspunkt der Narration des visuellen Gesamttextes, setzt den Schlusspunkt dieser Beziehung (Abb. 66). Die Figuren sind aus dem Bild verschwunden, der Friedhof leer. Zurück geblieben sind nur die nun entlaubten Zweige der Holundersträucher und die düsteren Grabsteine. Die Darstellung der veränderten Natur ist ein konventioneller Kunstgriff zur Visualisierung der Vergänglichkeit, der unmittelbar begriffen werden kann. Die teilweise zwischen diese kohärente Narration der Beziehung eingestreuten ›Architekturbilder‹ stellen einerseits einen Kontrast dar, andererseits visualisieren sie – ähnlich wie im Golem – eine Atmosphäre der Einsamkeit und Trostlosigkeit. Obwohl auf allen diesen Blättern Figuren integriert sind, wirkt die städtische Topographie seltsam verlassen und bedrohlich. Die Atmosphäre wird wie eine Schicht subkutan unter die Erzählung der beiden Figuren gelegt. Sie und nicht die Liebesgeschichte dominiert – trotz ihrer fehlenden Text-Bezüglichkeit – die visuelle Narration.

7

›Tripolis Praga‹ und die Nationalitätenkonflikte

7.1

Prag als mitteleuropäische Stadt in Grenzstellung zwischen Ost und West

Das Thema der Stadt Prag und ihrer multiethnischen Bevölkerung gehört ebenfalls zu den Themenbereichen des ›Prager Textes‹.1051 Dabei handelt es sich um ein ambivalentes Phänomen: zum einen stellt Prag aufgrund seiner Lage im Habsburger Reich einen Sonderfall dar, zum anderen können die Entwicklungen in einen europäischen Kontext gesetzt werden. Überall in Europa kam es um 1900 zu gesellschaftlichen Umwälzungen aufgrund sozialer Umschichtungen, die durch ökonomische Veränderungen verursacht wurden. Imperialismus und Kapitalismus führten zu einem sozialen Konflikt zwischen Arbeiterklasse, Bürgertum und Aristokratie, wobei vornehmlich das Bürgertum Abgrenzungsbestrebungen nach ›unten‹ aufweist, während sich gleichzeitig Adel und Bürgertum annäherten. Diese Entwicklung manifestierte sich besonders eindringlich in Wohnbaumaßnahmen aufgrund des enormen Bevölkerungszuwachses und der daraus resultierenden Beengtheit und Wohnungsknappheit.1052 In multiethnischen Staatsgefügen, wie dem Habsburger Reich, entwickelte sich aus dem sozialen Konflikt ein nationaler Konflikt, der von den einzelnen Bevölkerungsgruppen forciert und geschürt wurde. Die deutschen Studentenkorps waren maßgeblich daran beteiligt. Sie traten in der Badeni-Krise und den daran anschließenden Badeni-Unruhen in Prag als ›agents provocateurs‹ in Erscheinung.1053 Die jüdische Bevölkerung geriet zwischen die Fronten. Viele jüdische Geschäfte wurden pogromartig zerstört.1054 Nach den Unruhen war der bevorstehende Untergang der Monarchie spürbar geworden.1055 1051 Vgl. Fritz (2005), S. 33 – 46. 1052 Vgl. zur Einführung Reulecke, Jürgen: Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt am Main 19851, insbesondere ab S. 49. 1053 Vgl. Wackwitz (1981), S. 13. 1054 Vgl. Glettler, Monika: Die böhmischen Länder und Österreich von 1848 bis 1914, in:

218

›Tripolis Praga‹ und die Nationalitätenkonflikte

Die nationalen Spannungen behandelte Karl Hans Strobl in dem ersten seiner drei Prager Studentenromane Die Vaclavbude, den Steiner-Prag mit einer Buchgestaltung versah. Der Roman kann als prototypisch für die nationalistischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Tschechen in Prag gelten. Die Vielschichtigkeit der Konflikte kommt trotz der eindeutigen Schilderung aus deutscher Sicht im Roman zum Tragen. Auch dass ein jüdischer Künstler die Buchgestaltung übernommen hat, gibt ein beredtes Zeugnis davon. Denn die jüdische Bevölkerung stand zusätzlich zwischen den Nationalitäten. Fritz arbeitet im Fall Prag, sowie in den Städten Triest und Venedig eine spezielle mitteleuropäische1056 Identität heraus, die sich von anderen europäischen Städten unterscheidet. Vor allem die Bemühungen um Homogenität innerhalb der multiethnischen Staatsgefüge führten ihrer Ansicht nach oft zum genauen Gegenteil und zu Separationsbestrebungen der einzelnen Bevölkerungsgruppen.1057 Gemeinsame Kennzeichen der mitteleuropäischen Großstadtmythen sind nach Fritz zum Beispiel die Wahrnehmung als Grenzgebiete oder im Falle Prags – was sich passenderweise auch auf die Etymologie des Stadtnamens beziehen lässt – als Schwelle zwischen Ost und West.1058 Die oft beschriebene Multiethnizität, die den mitteleuropäischen Großstädten als Eigenschaft zugeschrieben wird, sollte aber kritisch beleuchtet werden. So macht Schneider darauf aufmerksam, dass die Zuschreibung der drei Gruppen ›Deutsche – Juden – Tschechen‹ der sogenannten ›Tripolis Praga‹ unzulässig sei, da sich zwei Gruppierungen unter einer Nation subsummieren, während die dritte Gruppierung unter der Kategorie Religion einzuordnen ist.1059 Sie weist

1055 1056

1057 1058

1059

Gamillscheg, Ernst (Hg.): Prag – Wien. Zwei europäische Metropolen im Lauf der Jahrhunderte, Wien 2003, S. 35 – 70, S. 49. Vgl. Schardt u. Sudhoff (1992), S. 17. »Der Begriff ›Mitteleuropa‹ ist noch immer mit dem Ruch eines Dominiums deutscher Interessen und der Rolle eines ›Hinterlands‹ der deutschen Wirtschaft belastet.« (Le Rider (1994), S. 17). Die Expansion der deutschen Wirtschaft in den Ostraum wird dabei gerade aus der Perspektive Nicht-Deutscher als Kontinuität eines faschistischen Ostdrangs gesehen. Vgl. Le Rider (1994), S. 39. Le Rider nimmt selbst einige Seiten später einen gewissen Abstand zu seinen französischen Kollegen der geopolitischen Zeitschrift H¦rodote, da er es wissenschaftlich für unzulässig hält, historische Kontinuitäten seit den 1920er Jahren bis in die 1990er Jahre zu konstruieren. Vgl. Le Rider (1994), S. 41. Eine kritische Betrachtung und ein Bewusstsein für diesen Sachverhalt bei der Verwendung des Begriffs ›Mitteleuropa‹ bleibt unerlässlich. Vgl. Fritz (2005), S. 48. Die Wortherkunft des Stadtnamens Prag wird von Pr‚h = Schwelle hergeleitet. Vgl. Fritz (2005), S. 48. Interessant ist der Hinweis auf die Schwelle als Großstadtmythos auch insofern, da es sich – wie bereits erwähnt – um ein Thema der zeitgenössischen Philosophie und Soziologie des frühen 20. Jahrhunderts handelt. Vgl. Schneider (2009), S. 12. In ihrer deutlich differenzierteren Betrachtung verweist ˇ apkov‚ jedoch auf den Umstand, dass gerade beim Zensus von 1921 die jüdische BeC ˇ apvölkerung sich auch für eine jüdische Identität entscheiden konnte. Daraus folgert C kov‚, dass es sich bei der Zugehörigkeit zum Judentum für die jüdische Prager Bevölke-

Nationalitätenkonflikte in Prag um 1900

219

darüber hinaus auf die doppelte Bedeutung der Schwellenmetaphorik hin. Für sie »steht […] die Raummetapher ›Schwelle‹ immer auch für eine Wechselwirkung von Trennung und Verbindung, für eine Grenze zwischen Territorien, die gleichzeitig Schwellen-Angst machen und zum Eintreten einladen kann.«1060 Diese Grenzstellung, die neben Prag vor allem auch Wien zugeschrieben wurde,1061 bildet nach Schneider die Folie für die Entwicklung eines unheimlichen Stadtmythos, da hier viele Grenzgänger zusammenkämen und aus Prag eine »Zauberstadt«1062 machten.

7.2

Nationalitätenkonflikte in Prag um 1900

Die bisweilen konfliktreichen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Tschechen in Prag äußerten sich in verschiedener Hinsicht. Dies geschah beispielsweise über die Gründung von Vereinen, die etwa den Schutz des deutschen Volkstums als Auftrag verfolgten.1063 In Prag spielte laut Schardt und Sudhoff für die deutsche Bevölkerung vor allem der Eindruck einer historischen Kontinuität des Deutschtums eine wichtige Rolle.1064 Die deutsche Sprache und diejenigen, die sie sprachen, hatten über Jahrhunderte hinweg starken Einfluss auf das städtische Leben. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kehrte sich dieses Verhältnis jedoch um, und die Deutschen wurden zunehmend zu einer Minderheit.1065 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen Nationalitätenkämpfe, das Zusammenleben zu dominieren.1066 Die Beobachtung, dass die deutsche Bevölkerung vorwiegend dem Bildungsbürgertum angehörte, während die stetig wachsende tschechische Bevölkerung zum Kleinbürgertum oder der Arbeiterklasse gehörte, gab Anlass dazu, den nationalen Konflikt um den Aspekt des Sozialen zu erweitern. Es wird allerdings vielfach vermutet, dass erst durch die

1060 1061 1062

1063 1064 1065 1066

rung um mehr als eine religiöse Angelegenheit handelte. Darüber hinaus wird deutlich, dass Nationalitätszugehörigkeit nicht ausschließlich über die Sprache zu definieren ist. ˇ apkov‚ (2012), S. 26, S. 52. Vgl. C Schneider (2009)., S. 12. Vgl. Fritz (2005), S. 54. Urzidil, Johannes: Zu den neun Teufeln, in: Sudhoff (1992), S. 423 – 436, S. 427. Urzidil beschreibt weiter: »Hier haben die Rabbiner ihre Zauberlehrlinge herumlaufen lassen, und die Kaiser haben sich ihre Goldmacher gehalten. Hier kam vieles zusammen, Ost und West, Jud und Christ, Tschech und Deutscher, Nord und Süd, und wo viele Essenzen zusammenfließen, da entstehen auch viele zauberhafte, unbegreifliche und sonst nie gesehene Dinge, Worte, Charaktere und Begebenheiten, da ist der Nährboden der magischen Kräfte und Zauberworte.« (Urzidil (1992), S. 427). Vgl. Cohen (1994), S. 65. Vgl. Schardt u. Sudhoff (1992), S. 12. Vgl. Schmitz (1997), S. 112; vgl. auch Schneider (2009), S. 12. Vgl. Huig, Michael: Von der Provinzstadt zur Metropole, in: Becker, Edwin u. Huig, Michael (Hg.): Prag 1900. Poesie und Ekstase, Zwolle 1999, S. 9 – 21, S. 10.

220

›Tripolis Praga‹ und die Nationalitätenkonflikte

sozialen Konflikte die nationalen Auseinandersetzungen hinzukamen und zu Abgrenzungsbestrebungen führten.1067 Vermutlich ist keine der beiden Thesen eindeutig zu belegen. Sicherlich kann von einer gegenseitigen Wechselwirkung ausgegangen werden. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Veränderungen des Marktes durch die Industrialisierung umgekehrt zunehmend wirtschaftliche Kooperationen zwischen Deutschen und Tschechen forderten und förderten.1068 Sicherlich hingen beide Entwicklungen – einerseits die Ausbildung nationaler Identitäten und andererseits das Aufkommen der sozialen Frage durch die Industrialisierung – eng zusammen. Das Zusammentreffen dieser zwei Konfliktpotentiale in einer multiethnischen Stadt wie Prag um 1900 führte dann zu nationalistisch aufgeladenen Spannungen. Die Nationalitätsunterschiede manifestierten sich vor allem im öffentlichen Leben und wurden von den Institutionen geschürt und für ihre Interessen instrumentalisiert. Besonders deutlich zeigte sich das an den beiden Nationaltheatern, die »Gegenstand eines großen Bürgerstolzes«1069 waren. Große Umwälzungen prägten das Leben in den Großstädten der Jahrhundertwende. Obwohl der Bevölkerungszuwachs in Prag deutlich schwächer ausfiel als in anderen europäischen Großstädten, machten sich städtebauliche Veränderungen bemerkbar.1070 Diese zielte vor allem auf die Nationalitätenkonflikte und staatlich organisierte, territoriale Absonderungen ab. Aber auch die Aufwertung der inneren Bezirke wurde angestrebt. In diesem Zusammenhang ist auch die ›Assanierung‹ der Josefstadt zu beurteilen.1071 Repräsentation stand vor allem bei Bauten wie dem Nationaltheater oder dem Prager Gemeindehaus/Obecn† du˚m im Vordergrund. Die jüdische Bevölkerung stand zwischen den deutsch-tschechischen Nationalitätskonflikten. Einerseits war sie Anfeindungen des Antisemitismus ausgesetzt, andererseits den nationalen Abgrenzungsbestrebungen, da den Juden die deutsche Sprache zugeordnet wurde. Tatsächlich gab es allerdings viele zweisprachige oder tschechischsprachige Juden.1072 Bereits um 1900 bekannten sich »mehr als 92 % [der jüdischen Bevölkerung] zur tschechischen Nation«1073. Antisemitische Anfeindungen gab es jedoch von beiden Seiten.1074 1067 Vgl. Schneider (2009), S. 59. Schneider führt dies vor allem auch auf die fehlende Arbeiterschicht innerhalb der deutschen Bevölkerung zurück. 1068 Vgl. Schneider (2009), S. 14; vgl. auch Cohen (1994), S. 60. 1069 Cohen (1994), S. 64. 1070 Vgl. Huig (1999), S. 10, der das vor allem auf Wien und Prag bezieht. Die Veränderungen waren aber ebenso in anderen schnell wachsenden Städten zu beobachten. 1071 Vgl. Glettler (2003), S. 52; vgl. auch Marek (1995), S. 198 – 199. 1072 Vgl. Schmitz (2001), S. 23; vgl. auch Le Rider (1994), S. 108. Die jüdische Bevölkerungsgruppe wurde sogar als diejenige bezeichnet, die am allermeisten »die Zweisprachigkeit [pflegte oder benötigte]« (Luft (1994), S. 47). 1073 Glettler (2003), S. 49.

Nationalitätenkonflikte in Prag um 1900

221

Diese Entwicklung hatte auch mit der Niederlage und dem Ende des Liberalismus zu tun, was mit einem Gefühl der Untergangsstimmung im Bürgertum einherging.1075 Das antiliberale Klima trug wesentlich zu einer Verschärfung der ethnischen Konflikte bei, vor allem bezüglich eines neuerlichen Aufkommens des Antisemitismus.1076 Das Phänomen der Gruppierung in Vereinen und Caf¦häusern stand um 1900 in Prag in Verbindung mit einer gesamteuropäischen Bewegung und ist ebenfalls in einem Zusammenhang mit der Urbanisierung zu sehen. Die Assoziierung zu selbst gewählten Vereinigungen ersetzte die nachbarschaftliche Solidarität in der anonymen Großstadt.1077 Die der Aufklärung entsprungene Idee solcher Zusammenschlüsse verdichtete sich zu einer Institution, um einer Gruppen- oder Nationalitätszugehörigkeit Ausdruck zu verleihen.1078 Das manifestierte sich im Stadtbild durch bestimmte Straßenzüge oder Caf¦häuser, aber eben auch durch Vereine.1079 In dieser Zeit politischer Bedrohung und in einer Krisenstimmung des untergehenden Habsburgerreiches entwickelte sich das kulturelle Leben zu einer Blüte, die sich im intellektuell reichen Alltagsleben äußerte. Durch Künstlerkreise kamen Literaten und Künstler, aber auch Verleger in Kontakt, sodass sich daraus neue Kollaborationen ergaben. Durch die rege journalistische Aktivität und ein ausgeprägtes Feuilleton gelangten einige Künstler oder Literaten schnell an eine breite Öffentlichkeit.1080 Umgekehrt waren die Prager Kaffeehausbesucher von Kunst und Kultur im restlichen Europa bestens unterrichtet.1081 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Prag sicherlich sehr spannungsreich war

1074 Vgl. Fritz (2005), S. 42; vgl. auch Le Rider (1994), S. 110, der auf die Hilsner-Affäre verweist, in der mit der typischen antisemitischen Ritualmord-Legende argumentiert wurde. 1075 Das wurde für Wien um 1900 bereits postuliert und entlehnt sich sicherlich aus dieser Diagnose des Habsburgerreiches. Vgl. Uhl, Heidemarie: Vorwort, in: dies. (Hg.): Kultur – Urbanität – Moderne. Differenzierungen der Moderne in Zentraleuropa um 1900 (= Studien zur Moderne, Bd. 4), Wien 1999, S. 11 – 18, S. 11 – 12; vgl. auch Schardt u. Sudhoff (1992), S. 27. 1076 Vgl. Glettler (2003), S. 46; vgl. auch Ein »Mütterchen mit Krallen« (1997), S. 112. 1077 Dies beobachtete bereits der Zeitgenosse Georg Simmel. Vgl. Simmel (1903), S. 196 – 197. 1078 Vgl. Schneider (2009), S. 59. 1079 So schreibt Egon Erwin Kisch in seinen Erinnerungen: »Kein Deutscher erschien jemals im tschechischen Bürgerklub, kein Tscheche im Deutschen Kasino. Selbst die Instrumentalkonzerte waren einsprachig, einsprachig die Schwimmanstalten, die Parks, die Spielplätze, die meisten Restaurants, Kaffeehäuser und Geschäfte. Korso der Tschechen war die Ferdinandstraße, Korso der Deutschen der ›Graben‹.« (Kisch, Egon Erwin: Deutsche und Tschechen, in: Kisch, Egon Erwin u. a. (Hg.): Marktplatz der Sensationen (= Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. 8), Berlin 19936, S. 78 – 86, S. 81 – 82). 1080 Vgl. Fetz u. Schmidt-Dengler (2003), S. 92. 1081 Vgl. Schardt u. Sudhoff (1992), S. 21.

222

›Tripolis Praga‹ und die Nationalitätenkonflikte

und sich oft genug in Konflikten entlud.1082 Die persönlichen Beziehungen der Menschen untereinander gestatteten jedoch vielfach Kontakte oder Freundschaften über Nationalität, Religion oder Weltanschauung hinaus.

7.3

Die Buchgestaltung Hugo Steiner-Prags zu Die Vaclavbude

Karl Hans Strobl veröffentlichte Die Vaclavbude erstmals 1902.1083 Die Buchgestaltung durch Hugo Steiner-Prag erfolgte bei der Neuauflage 1917 im Leipziger Staackmann-Verlag.1084 Der Studentenroman erzählt von einer studentischen Vereinigung, die sich in der ›Vaclavbude‹ trifft. Strobl schilderte das studentische Milieu eingehend, wohl aus eigenen Erfahrungen gespeist. Vor allem die sogenannten ›Bummelabende‹ beschreibt er ausführlich: »Es war das gewöhnliche Programm solcher Bummelabende. Singspiele, dann Gasthaus, dann Kaffeehaus. Als sie um zwei Uhr aus dem Caf¦ Continental gingen, kam die Abenteuerlust über sie. Eine wilde Lust und ein Wunsch nach Unerhörtem, Nichterlebtem oder wenigstens doch seitab Liegendem. Groß schlug vor, eines der kleinen Beisel der Judenstadt zu besuchen und unter Dirnen, Soldaten und betrunkenen Nachtschwärmern bis zum Morgen zu bleiben. Die anderen wußten nichts Besseres und folgten Groß’ Führung. In dem Gewirr von Gäßchen mit stinkenden Tümpeln, dunklen Ecken und löcherigem Pflaster, mit den rot verhangenen Kneipen und den schwarzen Haustoren, über denen bunte Laternen lockten, dachte Binder an Horaks Worte von der boshaften Heimtücke dieser Stadt. Die ganze Zwecklosigkeit dieser nächtlichen Zecherei, das Blödsinnige dieser endlosen Biergespräche fiel ihm schwer auf die Seele.«1085

Im Laufe der Erzählungen ereignen sich die konfliktreichen Auseinandersetzungen in Folge der Badeni-Krise. Die Studenten der Vaclavbude werden verfolgt, können sich aber retten. Am Ende geht die Studentenvereinigung auseinander. Steiner-Prag schuf das Titelbild, Frontispiz und eine Titelvignette zum ersten Kapitel. Ähnlich wie bei Teschners Buchgestaltung zu Severins Gang in die Finsternis ist auch hier nur schwer eine Parallelisierung zum Text möglich. Dennoch sind die beiden bildlichen Darstellungen eine eingehendere Betrachtung wert. Zunächst gilt die Aufmerksamkeit dem Titelblatt, das eine bemerkenswerte Parallele zu ähnlichen Darstellungen Steiner-Prags aufweist (Abb. 67). Daneben hat es auch hohe Ähnlichkeit mit J†lovsky´s Bildbeigabe zur Golemlegende in Oskar Wieners Böhmische Sagen (Abb. 58). Die Darstellung 1082 1083 1084 1085

Vgl. Le Rider (1994), S. 110. Es folgten Der Schipkapaß 1908 und Das Wirtshaus »Zum König Przemysl« 1913. Strobl, Karl-Hans: Die Vaclavbude. Ein Prager Studentenroman, Leipzig 1917. Strobl (1917), S. 112 – 113.

Die Buchgestaltung Hugo Steiner-Prags zu Die Vaclavbude

223

zeigt einen großen Torbogen mit geöffneten Flügeln. Im Torrahmen links steht eine Figur, die durch ihre Schirmmütze (›Biedermeiermütze‹) und einen Säbel als ›Couleur tragender‹ Student charakterisiert wird. Im Torrahmen rechts befindet sich eine weitere Figur, die nicht zugeordnet werden kann. Der Torbogen gibt den Blick frei auf eine Straße und Häuserzüge. Im Hintergrund ist eine größere Menschenmenge zu erkennen. Zwar sind die Architekturen topographisch nicht eindeutig zu identifizieren, entsprechend den bekannten Architekturdarstellungen Steiner-Prags und auch im Bezug zur literarischen Vorlage dürfte es sich aber um einen Straßenzug im jüdischen Viertel handeln. Eine mögliche Verbindung zum Text könnte gegen Ende des Romans hergestellt werden, als die Studenten vor ihren Verfolgern fliehen und zur ›Vaclavbude‹ zurückkehren: »Wie sie nun um die Straßenecke biegen und nicht mehr gesehen werden können, fangen sie an zu laufen und laufen immerzu, so von Herzen…ah! Alle Ratlosigkeit und Wut laufen sie sich herunter. Und es ist höchste Zeit. Denn wie sie zur nächsten Ecke kommen, hören sie schon wieder den Lärm hinter sich. Aber da ist auch schon das Haus. Den Schlüssel ins Schloß, umdrehen und aufstoßen, und sie stehen im finsteren Haustor.«1086

An dem Blatt ist vor allem die Komposition des Torbogens auffällig, eine Form, die Hugo Steiner-Prag gerne wählte. Eine analoge Komposition benutzte SteinerPrag bereits in seiner Golem-Mappe bei dem Blatt Der Student Charousek1087 (Abb. 11). Bezeichnenderweise handelt es sich hierbei auch um die Darstellung eines Studenten. Aus medienrhetorischer Perspektive muss das Titelbild als Mittel zur Kaufüberredung betrachtet werden. Insbesondere dem Motiv der Türschwelle, deren Übertreten im bildlichen Sinn dem Öffnen des Buches gleichgesetzt werden könnte, kommt dabei eine persuasive Funktion zu.1088 Das ungleiche Verhältnis von Text und Bild weist eine eindeutige Dominanz des Textes auf, sodass es sich »primär um sprachliche Kommunikation handelt«1089. Daher kann – ähnlich wie bei Teschners bildlicher Gestaltung von Leppins Severins Gang in die Finsternis – »bereits die Tatsache, dass überhaupt Bilder […] eingesetzt werden, als rhetorisches Mittel [gewertet werden].«1090 Das Titelbild hat darüber hinaus die Funktion der Erzeugung eines Stimmungsbildes, das dem (zu erwartenden) 1086 Strobl (1917), S. 217. 1087 Vgl. KOG, Inv.nr. 9542-9. 1088 Hier sei noch einmal auf Walter Benjamin und seine Schwellenkunde verwiesen, in deren Zusammenhang er auf die Situation des auf der Schwelle Verharrens verweist, währenddessen ein Entschluss gefasst wird. Vgl. Menninghaus (1986), S. 47. 1089 Sachs-Hombach, Klaus u. Masuch, Maic: Können Bilder uns überzeugen?, in: Knape u. Grüner (2007), S. 49 – 70, S. 50. 1090 Sachs-Hombach (2007), S. 50.

224

›Tripolis Praga‹ und die Nationalitätenkonflikte

literarischen Inhalt entspricht. Steiner-Prag wählte hierfür einerseits die Tracht des Couleur-Studententums und andererseits die architektonische Gestaltung mit Torbogen und sich anschließender schmaler Gasse in Anlehnung an seine bereits bekannten Pragbilder andererseits, um den inhaltlichen Bezug herzustellen. Das gleiche versuchte er auf dem Frontispiz (Abb. 68) durch die Darstellung des Hauses, in dem sich die ›Vaclavbude‹ befindet. Gezeigt wird eine Häuserzeile mit einer Menschengruppe, die in einem Hauseingang mit darüber hängendem Schild verschwindet. Für dieses Bild könnte noch mehr die oben zitierte Textstelle passen.1091 Auf dem Schild steht »Hostinec Vaclav Zmrman« (Wirtshaus Vaclav Zimmermann). Die eintretenden Menschen sind wie auch auf dem Titelbild durch Schirmmützen als Angehörige des Studentencorps identifizierbar. Im Text wird die Vaclavbude am Rande des jüdischen Viertels liegend beschrieben. Eine topographische Verortung anhand der Darstellung ist nicht möglich, Steiner-Prag wendete jedoch auch hier wieder sein Repertoire an Architekturen an, die eine düstere und heruntergekommene Atmosphäre erzeugen. Auch in diesem Bild darf der – fast schon für Steiner-Prag unerlässliche – Trödlerladen nicht fehlen. Er befindet sich direkt neben dem Eingang zur Vaclavbude, ›wie üblich‹ sind die Torbögen geöffnet, Gegenstände hängen an den Toren und vom Torrahmen herab, im Torbogen sitzt eine Frau, daneben steht ein Mann. Interessant ist die literarische Vorlage, in der Strobl das Judenviertel während der ›Assanierung‹ beschreibt. Auch er benutzt stilistisch die Belebung der Architektur : »Die neue Bude lag am entgegengesetzten Ende der Stadt. An der Grenze jenes Gebietes, das der lieben Gesundheit wegen niedergerissen werden sollte. Sie kamen in die Judenstadt. Dieser weite, mit Häusern angestopfte Stadtteil machte den Eindruck des Trübseligen und Todgeweihten. Ein weites ödes Schuttfeld. Eine unerbittliche Gewalt, eine eiserne Faust schaffte hier den Schmutz und den Gestank von Jahrhunderten weg. Stehengebliebene Mauern zeichneten in ihrem Mörtelbewurf und ihrer Bemalung die Umrisse alter Zimmer ab. Daneben die Reste eines Abortschlauches voll greulichen Unrats in jähem Sturz in die Tiefe. Man sah in das Innere von Höfen, die bis zu den Dächern der umgebenden Häuser wie in Jauche getaucht schienen. Die Häuser ineinander geschachtelt, verschoben, aneinander gelehnt, mit Vorbauten, Erkern, Verbindungsgängen – ein zähes, verfilztes, durch Schmutz zusammengeklebtes Gewirr von Häusern, Balken und Mauern; Dächer und Höfe gleichmäßig mit jahrhundertaltem Unflat beschmiert. Es schien, als ob die Arbeit von Tausenden nicht hinreichen könne, hier Ordnung zu schaffen. Diese verpestete Luft würde niemals mehr rein werden. Diese Kaffeehäuser mit den rotscheibigen Fenstern, diese schmalen, eng-

1091 Vgl. Strobl (1917), S. 217.

Die Buchgestaltung Hugo Steiner-Prags zu Die Vaclavbude

225

brüstig vornübergebeugten Häuser würden wie unausrottbares Unkraut wieder aus dem Boden schießen.«1092

Auch in dieser Darstellung wird das Bild der Schwellenüberschreitung behandelt. Die Studenten müssen sich gegen Ende des Romans, als die Unruhen endgültig ausgebrochen sind, in der Vaclavbude verstecken. Sie überschreiten die Schwelle von einer Welt in eine andere, von einer feindlich gesinnten Welt, in der sie isoliert scheinen oder sich zumindest isoliert fühlen, in eine Welt, in der sie unter sich sind, aber doch auch umgeben von den Wirtshausbesuchern, die ihnen bisweilen unangenehm sind. In der Titelvignette nahm Steiner-Prag erneut Bezug auf das Studentenmilieu. Die Vignette besteht aus zwei sich kreuzenden Säbeln und einer Studentenmütze, sowie den (im Normalfall weißen) Handschuhen und Couleurbändern. Es handelt sich dabei um die charakteristischen Insignien einer studentischen Verbindung. Auch die Komposition ist den Bundeszeichen studentischer Verbindungen entlehnt. Steiner-Prag verweist mit aller Deutlichkeit auf das couleur-studentische Milieu, in dem der Roman spielt. Auf die Nationalitätenkonflikte wird bildnerisch nicht eingegangen. Zwar steht der Name des Wirtshauses auf dem Schild auf Tschechisch geschrieben, es handelt sich aber auch im Roman um einen Tschechen, dem die ›Vaclavbude‹ gehört. Dies spiegelt letztlich die Ambiguität des Romans wieder, der einerseits die Badeni-Krise und die anschließenden Studentenunruhen aus einer sehr deutsch gefärbten Perspektive beschreibt, andererseits auch die Vielfältigkeit des Zusammenlebens Deutscher und Tschechen um die Jahrhundertwende darstellt. So schreibt Strobl über die Besucher des Wirtshauses zur ›Vaclavbude‹: »Die Alteingesessenen gaben sich zufrieden und zogen sich zurück. Es waren offenbar brave Handwerker und Bürger aus der nächsten Nähe. Fremde hätten niemals hierher getroffen [sic]. Die Leute waren Tschechen. Aber der jahrelange Verkehr auf der Vaclavbude hatte sie einigermaßen germanisiert. Tag für Tag die Studenten mit Mützen und Bändern zu sehen, stumpfte schließlich ihre Abneigung ab. So waren sie zu einer gutmütigen Duldung erzogen worden, die manchmal nicht ohne einen Anflug von Hochmut war. Sie fühlten sich immer noch, unbewußt vielleicht, als Angehörige der größeren Nation da draußen.«1093

Aus heutiger Sicht ist es kaum nachvollziehbar, wie zwiespältig die Konflikte offensichtlich verlaufen sind. Auch die Figur Karl Hans Strobls ist schwer zu 1092 Strobl (1917), S. 21 – 22. 1093 Strobl (1917), S. 40. Es ist bemerkenswert, wie Strobl die Verhältnisse umkehrt, indem er den Tschechen den Hochmut der »größeren Nation« zuschreibt. Gerade diese Haltung war oft unter den Deutschsprachigen anzutreffen, die über Jahrhunderte weg die Kulturhoheit für sich beanspruchten, obwohl sie zahlenmäßig in der Minderheit waren.

226

›Tripolis Praga‹ und die Nationalitätenkonflikte

greifen. So muss er einerseits als Deutschnationalist betrachtet werden und vor allem in seinen späteren Jahren als Sympathisant der Nationalsozialisten. Andererseits pflegte er beispielsweise den Kontakt zu Hugo Steiner-Prag, der Jude war. Im Roman klingen im zweiten Teil auch phantastische Elemente an, die jedoch auf bildnerischer Ebene bei Steiner-Prag nicht aufgegriffen werden.

8

Dramatische Inszenierungen des Prag-Stoffes

8.1

Der Prager Film

Ähnlich wie im Bereich der Literatur kam es im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zu einem regelrechten Boom des Prager Themas im gerade erst neu entstandenen Medium des Films. »›Die großen Erfolge des Studenten von Prag, wie des Golem‹, so [Egon Erwin] Kisch, jener moderne Besucher des Golem, riefen Anfang der 20er Jahre ›ein besonderes Interesse an weiteren Inhaltsgeheimnissen Prags hervor‹. Doch sei die ›Realität in Prag […] tausendmal mystischer, verstiegener und unwahrscheinlicher als alle bizarren Sagen zusammengenommen‹«1094

Die große Begeisterung für die Prager Stoffe im Film beruht vor allem auf dem Interesse Paul Wegeners an dem Stoff, den er bereits ab 1913 in mehreren Filmen zum Thema machte. Sicherlich trug die filmische Verarbeitung einerseits zu dem enormen Erfolg des Golem-Romans von Meyrink bei, andererseits hatte auch umgekehrt der Erfolg des Golems Auswirkungen auf die anschließend entstandenen Filme. Wegener vollzieht zwar eine ganz eigene Interpretation der Prager Stoffe, dennoch bilden auch die Filme einen wichtigen Bestandteil für das Geflecht des Prager Topos in den 1910er und 1920er Jahren. Bemerkenswert sind darüber hinaus die Überschneidungen der Personengruppen um Film und Literatur. Eine wichtige Figur dabei war Hanns Heinz Ewers, der im Georg-MüllerVerlag die Phantastische Reihe herausgab.1095 Die enge Verbindung des frühen Stummfilms mit der Literatur und insbesondere mit der phantastischen Literatur ist ein Argument für seine Behandlung in der vorliegenden Arbeit.1096 1094 Der Golem, das Ghetto und seine Kinder, in: Schmitz (1997), S. 119 – 128, S. 121. 1095 In dieser Reihe erschien auch ein Erzählband von Karl Hans Strobl. Vgl. Strobl, Karl Hans: Galerie der Phantasten. Lemuria (= Bd. 4), hg. v. Hanns Heinz Ewers, München o. J.. Die Erzählungen wurden von Richard Teschner illustriert. 1096 Vgl. Freund (1999), S. 241; vgl. auch Beil, Ulrich Johannes: Der caligarische Imperativ. Schrift und Bild im Stummfilm, in: Pandaemonium Germanicum online (= Bd. 14), S¼o

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Dramatische Inszenierungen des Prag-Stoffes

Freund zählt Der Student von Prag und Der Golem, wie er in die Welt kam zur Gattung des phantastischen Films. So schreibt Freund: »Der phantastische Film setzte das Verbotene und Verdrängte, das, was man nicht wahrhaben wollte, ins Bild, die verborgene Seite des Menschen, seine zwielichtige, in grauenvollen Vexierbildern zum Leben erweckte Natur und die Alpträume existentieller Vernichtung. Die Leinwand wurde zum Röntgenschirm, auf dem sich das dem normalen Blick Entzogene, das Verdrängte und Abgründige, die unbewältigten Ängste und die Nachtseiten des Daseins abbildeten. Transparent traten die Konturen des Dämonischen hervor.«1097

Neben diesen thematischen Überschneidungen mit den Beispielen der Illustrationen zu Prager Texten ergibt sich ein intermedialer Diskurs über das Medium des Buches hinaus. So ist gerade der Stummfilm ein wichtiges Themengebiet der Intermedialitätsdebatte der Moderne.1098 In einer etwas gewagten These könnte man den Stummfilm als Weiterführung der Schrift-Bild-Kommunikation, wie sie im illustrierten Buch bereits angelegt ist, ansehen. Selbstverständlich unterscheidet sich das bewegte Bild ganz erheblich vom statischen Bild einer Illustration. Nichtsdestotrotz kann auch anhand des Stummfilms die Problematik der Wort-Bild-Verhältnisse weiter ausgeleuchtet werden. Im Stummfilm hat sich bezüglich der Dominanz das Verhältnis von Wort und Bild umgekehrt, das Bild überwiegt und hat erzählende Funktion aufgrund der Aneinanderreihung der Bilder, die Handlung wird in den Bildern vollzogen. Die Schrift ist nun das »störende Einsprengsel«1099 in der Folge der Bilder, im Gegensatz zum Bild, das innerhalb des Buchgefüges den Textfluss unterbricht. Die Zwischentitel dienen offenbar nur der Erklärung des absolut Notwendigsten. Dennoch geht die Verwendung des Schriftlichen im Stummfilm über die Zwischentitel hinaus. Auch in anderer Form wird das Schriftliche verwendet, zum Beispiel in Urkunden oder anderen Schriftstücken, die ähnlich den ZwischenPaolo 2009, o. S. http://www.scielo.br/scielo.php?pid=S1982-88372009000100002& script =sci_arttext; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 1097 Freund (1999), S. 242. 1098 So zum Beispiel Arnheim, Rudolf u. Diederichs, Helmut H.: Die Seele in der Silberschicht. Medientheoretische Texte. Photographie – Film – Rundfunk (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1654), Frankfurt am Main 20041. Arnheim stellt vor allem Überlegungen zu Vergleichen mit Theater und Film an: »Die Verkoppelung mehrerer Mittel, etwa des bewegten Bildes und der Sprache, im Kunstwerk läßt sich, so sagten wir, nicht einfach damit rechtfertigen, daß Sichtbares und Gesprochenes auch in der Wirklichkeit in inniger Verbindung, ja als untrennbare Einheit vorkommen. Vielmehr müssen für eine solche Verkoppelung künstlerische Gründe beigebracht werden: sie muß dazu dienen, um etwas auszudrücken, was mit einem einzigen Mittel nicht ausgedrückt werden kann. […] Jedes Mittel muß von dem Gegenstand auf eine besondre Art erzählen, und diese Unterschiede müssen den Wesensverschiedenheiten der Mittel entsprechen: jedes Mittel wird das Thema so auffassen und darbieten, wie es seinem, des Mittels, Charakter entspricht.« (Arnheim u. Diederichs (2004), S. 390). 1099 Arnheim u. Diederichs (2004), S. 406.

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titeln deutlich lesbar gezeigt werden. Sie machen – nun auch wieder in der Umkehrung zu den Buchillustrationen – »Unsichtbares sichtbar«1100. Auch Beil beobachtet: »Die Schrift bleibt vielmehr mit den bewegten Bildern verwoben, als ihre dauerhafte Herausforderung, ihr Motor und ihr Unbewusstes, nicht zuletzt auch als auratisches Relikt einer in die Jahre gekommenen medialen Hegemonie.«1101

8.1.1 Der Beginn der Prager Filmreihe: Der Student von Prag Der Student von Prag aus dem Jahr 1913 ist der erste einer Reihe von Filmen mit Prager Thematik. Hanns Heinz Ewers schrieb zusammen mit Paul Wegener, der auch die Hauptrolle übernahm, das Drehbuch. Wegener war bereits durch seine Theatererfolge mit Max Reinhardt1102 bekannt und beliebt. Regie führte Stellan Rye, der maßgeblich an der atmosphätischen Wirkung des Films durch die »an Rembrandt erinnernde Ausleuchtung im Studio«1103 beteiligt war. Die Produktionsfirma war die ›Deutsche Bioskop‹, die noch eine Reihe weiterer Prag-Filme produzierte.1104 Balduin (Paul Wegener) ist ein mittelloser Prager Student, gleichzeitig aber der beste Fechter der Stadt. Dennoch ist er unglücklich, weil er kaum über finanzielle Mittel verfügt. Auf einer Feier des Studentenkorps spricht ihn ein älterer Herr, Scapinelli, an, der ihm einen Pakt anbietet. Balduin bekommt so viel Geld wie er möchte, dafür erhält Scapinelli Balduins Spiegelbild.1105 Zunächst 1100 Beil (2009), o. S. 1101 Beil (2009), o. S. 1102 Vgl. Keiner, Reinhold: Hanns Heinz Ewers und der Phantastische Film (= Studien zur Filmgeschichte, Bd. 4), Hildesheim 1988, S. 24. 1103 Seeßlen, Georg u. Jung, Fernand (Hg.): Horror. Geschichte und Mythologie des Horrorfilms (= Grundlagen des populären Films), Marburg 2006, S. 101; vgl. auch Eisner, Lotte: Dämonische Leinwand. Die Blütezeit des deutschen Films, Wiesbaden 1955, S. 25, die diese Arbeit mit dem Licht vor allem Paul Wegener zuschreibt, der sie aus seiner Theaterzeit mit Reinhardt übernommen habe. 1104 Vgl. alle technischen Angaben bei Dahlke, Günther (Hg.): Deutsche Spielfilme von den Anfängen bis 1933. Ein Filmführer, Berlin 19932, S. 18. 1105 Die Szene, in der Scapinelli Balduin das Spiegelbild abkauft, hat Einfluss auf die künstlerische Motiventwicklung sowohl im Filmgenre als auch in anderen Künsten genommen. So existiert beispielsweise auch eine Lithographie von Hugo Steiner-Prag betitelt mit Man stepping out of a Mirror. Die Betitelung ist auf Englisch, da sich die Lithographie im LeoBaeck-Institute in New York befindet. In der deutschen Literatur findet sie keine Erwähnung. Das Bild ist mit »Not published« bezeichnet, es muss sich um eine spätere Hinzufügung handeln, da es sich nicht um Steiner-Prags Handschrift handelt und die Bezeichnung auf Englisch abgefasst ist. Das Leo-Baeck-Institute gibt kein Jahr an, allerdings ist auf der Lithographie Steiner-Prags Kürzel und darunter die Zahl 42 zu erkennen. Auch stilistisch würde es in diese Zeit passen, in der Steiner-Prag auch die Hoff-

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scheint der Pakt für Balduin ein Segen, denn nun kann er die Gunst seiner Verehrten, der Komtesse Margit, gewinnen. Doch sein Spiegelbild beginnt ihn zu verfolgen und vereitelt seine Versuche, endlich sein Glück zu finden. Am Ende erschießt Balduin sein Spiegelbild und tötet sich damit selbst. Im Film werden gängige Topoi der Phantastik aufgenommen: das Motiv des Doppelgängers, das fehlende Spiegelbild wie beim Motiv des Vampirs und das Ende, das an die Romanfigur des Dorian Gray erinnert, der sein Alter Ego zusammen mit sich selbst tötet. Auch eine Anlehnung an Adalbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte von 1813 sowie in dessen Nachfolge E. T. A. Hoffmanns Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde von 1815 ist nicht zu übersehen.1106 Wegener selbst verwies auf die Inspiration durch Hoffmann und dessen Doppelgängermotiv : »Ich erinnerte mich an Scherzphotographien, wo ein Mann mit sich selbst Skat spielte oder ein Bruder Studiosus mit sich selbst die Klinge kreuzte. Ich wusste, dass dies durch Teilung der Bildflächen gemacht werden konnte, und sagte mir, das muss doch auch im Film gehen, und hier wäre doch die Möglichkeit gegeben, E.T.A. Hoffmanns Phantasien des Doppelgängers oder des Spiegelbildes in Wirklichkeit zu zeigen und damit Wirkungen zu erzielen, die in keiner anderen Kunst zu erreichen gewesen wären.«1107

Neben der Beeinflussung durch Hoffmann ist der literarische und künstlerische Expressionismus im Film spürbar.1108 Der Schauplatz Prag ist nicht zufällig gewählt, gehört doch das Thema des Studentischen sowie des Phantastischen fest zum Motivkatalog der Prager Literatur. Am Anfang des Filmes wird darauf hingewiesen, dass die Dreharbeiten unter anderem auf der Prager Kleinseite im Palais Fürstenberg stattfanden. In manchen Szenen sind Ausschnitte der Kleinseitener Stadtansichten zu sehen, so im Schloss Belvedere, wo im Hintergrund Hradschin und Veitsdom zu erkennen sind. Bemerkenswert ist die Szene eines geheimen Treffens Balduins mit Margit, seiner Angebeteten. Auf dem Weg dorthin sind weitere Prager Schauplätze auszumachen. Die Szene beginnt mit dem Fortgang Margits aus dem Palais Fürstenberg. Die anschließenden Wege sind vermutlich in den verschiedenen Palaisgärten unterhalb der Burg gedreht. In einer Szene läuft Margit durch eine schmale Gasse. Dabei könnte es sich um mann’schen Erzählungen bebilderte (1943). Vgl. Online-Datenbank des Leo-Baeck-Institute in New York: http://www.lbi.org/digibaeck/results/?term=man+stepping+out +of+mirror& qtype=basic& stype=contains& paging=25& dtype=any ; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 1106 Vgl. Keiner (1988), S. 21. Kracauer verweist darüber hinaus auf die Ähnlichkeit zu William Wilson von Edgar Allen Poe, vgl. Kracauer, Siegfried: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Übersetzt von Ruth Baumgarten u. Karsten Witte, Frankfurt a. M. 19932, S. 35. 1107 Seeßlen u. Jung (2006), S. 100. 1108 Seeßlen u. Jung (2006), S. 101.

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die ›Goldene Gasse‹ handeln.1109 Das Treffen findet auf dem jüdischen Friedhof statt. Der Schauplatz ist in verschiedener Hinsicht prägnant gewählt. So gehört der Friedhof einerseits zu den typischen Orten einer schauerlichen, unheimlichen Szenerie. Darüber hinaus hat der jüdische Friedhof in Prag eine besondere Rolle in der Literatur, so bei der Novelle Hollunderblüthe von Wilhelm Raabe, in der die Treffen des Liebespaares ebenfalls auf dem jüdischen Friedhof stattfinden. Der Friedhof im Film ist jedoch nicht der Originalschauplatz des jüdischen Friedhofs in Prag. Die Darstellung Prags ist nicht vergleichbar mit den Milieuschilderungen bei Meyrink oder Steiner-Prag. Dennoch ist bemerkenswert, dass der Film, obgleich er inhaltlich keinen Bezug auf die Stadt Prag nimmt, dezidiert den Schauplatz dorthin verlagert und dies sogar im Titel schon ankündigt. Der Film entstand kurz vor der Veröffentlichung des großen Erfolges Meyrinks.1110 Im Film Der Student von Prag zeigt sich deutlich die deutsche Sicht außerhalb Tschechiens auf die ›wundersame Stadt im Osten‹.1111 Bereits 1926 kam es zu einem ›Remake‹ des Films unter der Regie Henrik Galeens und dem Drehbuch von Hanns Heinz Ewers, Produktionsfirma war die Sokal-Film GmbH in Berlin.1112 Statt der Originalschauplätze wurden die Kulissen in Berlin nachgebaut.1113 Inhaltlich ist der Film deckungsgleich mit dem Original von 1913.

8.1.2 Die Golem-Trilogie von Paul Wegener Paul Wegener, sowohl Regisseur, Drehbuchautor als auch Schauspieler, produzierte von 1915 bis 1920 drei Filme, die sich inhaltlich mit der Golemlegende befassen. Er selbst spielt in allen drei Filmen selbst den Golem und ist mit dieser Figur berühmt geworden.1114 Bereits in Der Student von Prag hatte Wegener sein 1109 Auf die Goldene Gasse verweist zumindest die Datenbank Filmportal. Vgl. http://www. filmportal.de/film/der-student-von-prag_eea77e18d0cc4d038e114d869caf1431; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 1110 Die Uraufführung fand am 22. 08. 1913 in Berlin statt. Vgl. http://www.filmportal.de/film/ der-student-von-prag_eea77e18d0cc4d038e114d869caf1431; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 1111 Die Bewunderung für Prag könnte auch in Zusammenhang mit dem Exotismus und Orientalismus gesehen werden. Obwohl die Stadt Wien östlicher liegt als Prag, war sie den Deutschen dennoch näher, allein aufgrund des Sprachgebrauchs. Prag gehörte da zwar schon lange zum Habsburger Reich, schien aber dennoch weiter weg. 1112 Vgl. Schöning, Jörg u. Bock, Hans-Michael: Im Herzen Europas. Deutsch-tschechische Filmbeziehungen im 20. Jahrhundert. CineFest. IV. Internationales Festival des Deutschen Film-Erbes, Hamburg, Kommunales Kino Metropolis, November 2007 [20. Internationaler Filmhistorischer Kongress], München 2007, S. 44. 1113 Vgl. Schöning u. Bock (2007), S. 45. 1114 Interessanterweise war Wegener bereits unter Reinhardt in einer Golem-Inszenierung zu

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Interesse für phantastische Themen gezeigt und wollte diese mit filmischen Mitteln umsetzen.1115 Der erste Film der Golem-Trilogie, schlicht betitelt mit Der Golem, von 1915 ist nur in einem kurzen Fragment enthalten. Dieses Fragment von etwa vier Minuten umfasst eine Anfangsszene, in der der Golem und sein Schöpfer Eisen schmieden, sowie die Schlussszenen vom Ball, der Verfolgung des jungen Liebespaares und der Vernichtung des Golems. Der Inhalt des Films ist ungefähr bekannt.1116 Die Überreste des Lehmkolosses werden in einem Brunnenschacht gefunden. Einem jüdischen Antiquitätenhändler (Henrik Galeen)1117 gelingt es, den Golem (Paul Wegener) wieder zum Leben zu erwecken. Der Golem – angelehnt an die Sagenfigur – soll die Tochter des Hauses (Lydia Salmonov‚) schützen. Aus Eifersucht auf ihre heimliche Liebesbeziehung zu einem Grafen (Carl Ebert) gerät der Golem außer Kontrolle. Er verfolgt das Mädchen bis zu einem Ball auf einem Landgut – wie im Fragment zu sehen. Dort versucht man, das Ungetüm außer Gefecht zu setzen, doch letztendlich gelingt es dem verfolgten Mädchen, das auf das Dach geflüchtet ist, dem Golem den Schem von der Brust zu nehmen und ihn in die Tiefe zu stürzen. Das grundlegende Thema des Films ist die menschliche Seite, die der Golem entwickelt, indem er Gefühle wie Eifersucht und Liebe empfinden kann. Bereits in diesem ersten Golem-Film hatte Wegener die Golemfigur geschaffen, die seitdem beinahe ikonenhaft für den Golem allgemein und die Prager Golemlegende steht. Das Aussehen von Paul Wegeners Golem lehnt sich deutlich stärker an die Sippurim-Legende des 19. Jahrhunderts an. Er ist übergroß mit breiten Schultern, das Gesicht ist geschminkt wie glänzender, feuchter Lehm, die Hände stecken in riesenhaften, unförmigen Handschuhen. Der Oberkörper ist ausgestopft, um eine kolosshafte Wirkung zu erzielen. Besonders prägnant – und vollkommen im Gegensatz zu Steiner-Prags Golem – trägt Wegeners Golemfigur eine helmartige Perücke, die aussieht wie aus Lehm geformt. Auf seinem schweren Mantel sind hebräisierende Schriftzeichen aufgebracht, den Schem trägt er in Form eines Judensterns auf der Brust. Wegener trug Plateauschuhe, um die abnormale Größe des Golems zu imitieren. Darüber hinaus unterstützen die Schuhe sein schauspielerisches Bemühen um grobe Bewegungen. Er geht langsam, ungelenk, schwankend, er bewegt kaum die Arme. Er erinnert an einen Roboter, eine Figur, deren Entstehung in engem Zusammenhang mit der Golemlegende steht. Auch die Darstellung des Antiquitätenhändlers ist erwähsehen, als Titelfigur in dem Drama Der Golem von Arthur Holitscher. Vgl. Mayer (1975), S. 153. 1115 Vgl. Kracauer (1993), S. 37. 1116 Vgl. Mayer (1975), S. 153, vgl. auch Dahlke (1993), S. 26. 1117 Bei Dahlke irrtümlich Carl Ebert als Antiquitätenhändler und Henrik Galeen als Graf. Vgl. Dahlke (1993), S. 26.

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nenswert. Dieser scheint eine Wiedergeburt des Hohen Rabbi Löws zu sein, mit Hilfe dessen Methode er den Golem zum Leben erweckt. Er trägt eine Kippa und seitliche Schläfenlocken, sowie einen Spitzbart und einen langen Mantel und vermittelt den Habitus eines Gelehrten oder eines Magiers. Aufgrund der Unvollständigkeit des überlieferten Filmmaterials nur schwer in einen Kontext zu setzen ist die anfängliche Szene, in der der Golem zusammen mit dem Trödler Metall schmiedet. Vermutlich sollte die Szene einerseits die enormen Kräfte, über die der Golem verfügt, sowie seine Funktion als Gehilfe im Hause des Trödlers veranschaulichen, andererseits auf den alchimistischen Hintergrund der Golemlegende verweisen.1118 Der Film wurde in Hildesheim und Bautzen gedreht, sowie für die Schlussszene auf dem Pfingstberg in Potsdam. Auf den Fragmenten ist dies jedoch nicht zu erkennen.1119 Im zweiten Golem-Film Wegeners Der Golem und die Tänzerin von 1917 versuchte Wegener in einer Komödie eine Parodie auf seinen eigenen Vorgängerfilm. Er spielt mit dem Doppelgängermotiv, das er auf sich selbst als Schauspieler des Golems anwendet.1120 Der Film ist verschollen, es existieren nur noch drei Standbilder.1121 In diesem zweiten Film ist kein Bezug zur Golemlegende oder der Stadt Prag herzustellen. Der dritte Film der Golem-Trilogie, Der Golem, wie er in die Welt kam, ist der bekannteste der drei Filme und stammt von 1920. Er ist vollständig erhalten. Dieser letzte Film zeigt nun in einer Rückschau die Vorgeschichte zum ersten Film und behandelt die Erschaffung des Golems durch den Hohen Rabbi Löw. Durch Astrologie und Kabbala wird der Golem zum Leben erweckt und dient dem Rabbi als Gehilfe, aber auch Beschützer des jüdischen Volkes. Innerhalb dieses Handlungsstrangs, der die Golemlegende aufgreift, entwickelt sich eine Liebes- und Eifersuchtsgeschichte mit der Tochter des Rabbi, die bezeichnenderweise Mirjam heißt – so wie die Tochter des Rabbi in Meyrinks Der Golem. Am Ende gerät der Golem – wie in der Legende – außer Kontrolle und entführt Mirjam. Die jüdische Ghettobevölkerung verfolgt ihn, bis er am Ende einem kleinen Mädchen begegnet, das ihm einen Apfel reicht. Der Golem, nun besänftigt, nimmt das Mädchen auf den Arm und so kann es den Stern von seiner Brust lösen. Der Golem stürzt zu einem Lehmhaufen zusammen. Bemerkenswert ist die grandiose Kulisse der Judenstadt, die Hanns Poelzig 1118 »Für den Alchimisten ist der Ofen also das entscheidende Hilfsmittel, um die Materie zu verwandeln.« (Pieper (1987), S. 262). 1119 Vgl. Schöning u. Bock (2007), S. 39. 1120 Vgl. die Filmrezensionen auf http://www.filmportal.de/film/der-golem-und-die-taenze rin_2bd14a0174a14a92a74da97b0aabed9e; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 1121 Vgl. http://www.filmportal.de/film/der-golem-und-die-taenzerin_2bd14a0174a14a92a74 da97b0aabed9e; aufgerufen am 16. Jan. 2015.

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auf dem Ufa-Freigelände erbaut hatte.1122 Sie »wurde zu einem Synonym für expressionistische plastische Filmarchitektur.«1123 Wegener sagte in einem Interview über die Filmarchitektur : »Es ist nicht Prag, […] was mein Freund, der Architekt Poelzig aufgebaut hat. Nicht Prag und nicht irgendeine andere Stadt. Sondern es ist eine Stadt-Dichtung, ein Traum, eine architektonische Paraphrase zu dem Thema ›Golem‹. Diese Gassen und Plätze sollen an nichts Wirkliches erinnern; sie sollen die Atmosphäre schaffen, in der der Golem atmet.«1124

Tatsächlich finden sich keine Anlehnungen an eine reale Topographie. In ihrem Ausdruck erinnert die Filmstadt jedoch an das jüdische Ghetto, bzw. die Darstellung des Ghettos in den Illustrationen Hugo Steiner-Prags, vor allem den expressionistisch geprägten zu Der Tod des Löwen. Auch Lotte Eisner erkennt die gedrängte Dichte des Ghettos in den schmal aufstrebenden Architekturbauten Poelzigs: »Es ist die wirkliche Form von steilen, engen Giebelhäusern, die durchdringt; auf einem spärlichen, durch Mauern eingezwängten Raum erhebt sich ein qualvoll gedrängtes Ghetto, in dem Haus neben Haus keinen Platz hat, sich auszubreiten, und in die Höhe steilen muß. Hier sind die expressionistisch empfundenen Bauten nicht zum abstrakten Dekor geworden. Die spitzen Judenhüte scheinen eine Replik zu den spitzen Giebeln zu sein, alles wird fast Greco-haft zackig, zackig wirken die Spitzbärte, die im Winde wehen, zackig die flackernden Gesten, die in die Höhe gestreckten Hände.«1125

Die immer wieder thematisierten belebten Architekturen finden auch im Film Widerhall. So berichtet Theodor Heuss über Wegeners Golem-Film: »Der wichtigste Gewinn des Zusammenwirkens [zwischen Wegener und Poelzig] war der Auftrag, für den ›Golem‹ eine ganze Stadt zu bauen, ein mittelalterliches Ghetto. Das Ergebnis war höchst merkwürdig. Poelzig kam es nicht darauf an, ein richtiges historisches ›Milieu‹ zu entwerfen, sondern der Fremdheit des Stoffes eine formale Entsprechung zu schaffen. Man mag das Geschick anmerken, womit er in dem Gewinkel von Straßen und Plätzen eine dreidimensionale Tiefenwirkung erreicht, wie sie im Film jener Zeit (1920) noch ungewöhnlich war – mit einer plastischen Freiheit, die über alles brav Konstruktive hinweggeht, leiht er den Fronten, Türen, Türmen, Fenstern, Erkern eine heftige Beredsamkeit, in einem Innenraum überdreht er sozusagen die Wölbung ins Unwirkliche der Stützungsmöglichkeit, legt geheimnisvolle Treppen und Gänge, so daß Licht und Schatten wie gespenstisches Ornament sind. Er hat damals, es ist die Zeit des stummen Films, das derb-sarkastische Wort gebraucht, daß 1122 Vgl. Dahlke (1993), S. 49. 1123 Dahlke (1993), S. 49. 1124 Film-Kurier Nr. 244, 29. 10. 1920; http://www.filmportal.de/node/8589/material/754176; aufgerufen am 16. Jan. 2015. 1125 Eisner (1955), S. 26.

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wenigstens die Häuser ›mauscheln‹ [Hervorh. V.S.] sollen – eine erfinderische Fröhlichkeit geht durch die ganze düstere und dumpfe Welt.«1126

Auch das Filmplakat von Poelzig greift in expressionistischer Manier die Filmarchitektur auf, lehnt sich aber auch in seiner Gestaltung an Steiner-Prags Architekturdarstellungen an.1127 Film und Plakat mögen wiederum Einfluss auf Steiner-Prags spätere Arbeit zu Der Tod des Löwen genommen haben.

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Die späte Golem-Rezeption in der Oper

8.2.1 Bühnenbilder zu Der Golem von Eugen d’Albert Im Jahre 1926 wurde die Oper Der Golem. Musikdrama in drei Akten von Eugen d’Albert uraufgeführt. Hugo Steiner-Prag entwarf hierfür die Bühnenbilder.1128 Obwohl Hilde d’Albert auf das Buch Meyrinks als Initialzündung der Oper verweist,1129 bezieht sie sich inhaltlich deutlich auf die Golemlegende aus den Sippurim und den Golem-Film von Wegener. Der vom Hohen Rabbi Löw geschaffene Golem verliebt sich in Löws Pflegetochter Lea. Diese lehrt ihn, Gefühle zu verspüren. Die Liebesgeschichte des ungleichen Paars verläuft tragisch und so versucht der Rabbi, sie zu trennen. Der Golem droht, das Ghetto zu zerstören. Der Rabbi traut daher die beiden, um ein größeres Unglück abzuwenden. Lea stirbt jedoch und der Rabbi entnimmt dem Golem den Schem. Neben den drei Hauptrollen tauchen die üblichen Nebenfiguren auf, Rudolf II., Tycho de Brahe, ein Famulus und zwei spanische Juden.1130 Der Oper war kein dauerhafter Erfolg beschert.1131 Die Entwürfe zu den Bühnenbildern Hugo Steiner-Prags lehnen sich auch in diesem Fall an seine Illustrationstätigkeiten zu Prager Themen an. Vor allem Der Tod des Löwen ist eine Bezugsquelle. Steiner-Prag entwirft eine Stadtkulisse, vor deren Horizont astronomische Apparaturen aufgebaut sind (Abb. 70). Eine Parallele zu seinem Blatt Tycho Brahe und Renus Cysatus1132 (Abb. 47) ist unverkennbar. Aber auch der Golem-Film von Wegener könnte Einfluss auf Stei1126 Heuss, Theodor u. Poelzig, Hans: Hans Poelzig. Bauten und Entwürfe. Das Lebensbild eines deutschen Baumeisters, Stuttgart 1985, S. 50. 1127 Klimesˇ (2009), S. 386. 1128 Sicherlich nur für die Aufführung in Leipzig, da er seit 1910 »Künstlerischer Beirat der Städtischen Bühnen in Leipzig« war. Vgl. Schremmer (1981), S. 27. 1129 »Das Buch ›Der Golem‹ habe ihrem Mann bereits Anfang des Jahres 1923 vorgelegen.« (Pangels, Charlotte: Eugen d’Albert. Wunderpianist und Komponist. Eine Biographie, Zürich/Freiburg i. Br. 1981, S. 372). 1130 Vgl. Inhaltsangabe und Rollen nach Pangels (1981), S. 384. 1131 Vgl. Pangels (1981), S. 387; vgl. auch Demetz (2009), S. 307. 1132 Vgl. UPM GS 2465/4.

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Dramatische Inszenierungen des Prag-Stoffes

ner-Prags Entwürfe genommen haben. Über die restlichen Bühnenentwürfe lässt sich leider keine Aussage treffen, da sie nicht mehr existieren. Insgesamt beschränkt sich die Auswertung der dramatischen Bild-Text-Bezüge auf die wenigen genannten Hinweise, da sowohl für die Bilder als auch für die Texte die Quellenlage schwierig ist.

8.2.2 Bühnenbilder zu Der Enkel des Golem von Paul Leppin In der Nachfolge des berühmten Golem-Romans kam es 1934 zu einer dramatischen Neuauflage des Stoffes durch Paul Leppin.1133 Das Drama wurde nicht verlegt, aber der Inhalt ist bei Hoffmann zusammengefasst.1134 Es bezieht sich nur am Rande auf die Meyrinksche Vorlage, thematisch stehen beide Werke jedoch in Zusammenhang. Darüber hinaus arbeitete Steiner-Prag künstlerisch an der Neukonzeption mit und entwickelte die Bühnenbilder. Drei Entwürfe in Form von Kohlezeichnungen sind erhalten.1135 Die Uraufführung 1935 wurde zu einem »vollen Erfolg«1136. Regisseur war Julius Gellner, Hauptdarsteller in der Rolle des Tobias Jonatan (die Figur des ›Enkels des Golem‹) Fritz Valk. In der Theaterrezension Max Brods wird deutlich, dass sich die Bühnenbilder erneut an das Bild des unheimlichen, verwinkelten Prags aus den früheren Werken Steiner-Prags anlehnten. So schreibt Max Brod: »[Die] Bühnenbilder von Hugo Steiner (Prag) erwiesen sich als außerordentlich stimmungsvoll. Das Gewinkel der alten Gäßchen, der Laubengänge und Kirchenportale, das ›Caf¦ Kandelaber‹, die ›Gifthütte‹ mit der Szenerie des Windberges, der Friedhof mit seinem ins Riesenhafte vergrößerten Grabstein des Rabbi Löw ; all das hatte jene Phantastik, die nur aus Liebe zum dargestellten Objekt in so blühender Fülle aufschießen mag.«1137

Die Beschreibung der Golem-Figur in Brods Rezension hingegen erinnert eher an die Darstellung in der berühmten Golem-Film-Trilogie von Paul Wegener : »Großartig seine [Valks] darstellerische Verwandlungskunst; er hat diesmal wirklich im Wortsinne ›Maske gemacht‹, wie eine Maske trägt er ein Vollmondgesicht von unheimlicher Starrheit (man erkennt ihn gar nicht), jeder einzelne Leibesbestandteil scheint wie durch Elephantiasis angeschwollen, die Finger, die Nase, der Mund.«1138 1133 Uraufführung: Neues Deutsches Theater (Prag) am 8. Dezember 1934. Vgl. Hoffmann (1973), S. 108. 1134 Vgl. Hoffmann (1973), S. 108. 1135 Die drei Entwürfe liegen im Theaterarchiv der Künstlergilde Esslingen, das sich heute in der Martin-Opitz-Bibliothek in Herne befindet. Vgl. Inv.nr. 702/20/77.1 – 3. 1136 Hoffmann (1973), S. 107. 1137 Zitiert nach Hoffmann (1973), S. 108. 1138 Zitiert nach Hoffmann (1973), S. 108.

Die späte Golem-Rezeption in der Oper

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Inhaltlich beschäftigt sich Leppin erneut mit den Ausgestoßenen der Gesellschaft. Prag dient ihm als Folie, die er hinter den Ereignissen eines Menschen mit tiefen Abgründen aufspannt. »Wohl ist kein Werk Leppins stärker durchtränkt von der zwielichtigen Atmosphäre Prags der Jahrhundertwende – selbst Severins Gang in die Finsternis nicht – doch sie steht nicht für sich. Die Dämonie des verschollenen Alt-Prag verwebt sich mit dem Dämonischen des Protagonisten…«1139

Das Drama handelt von dem Arzt Tobias Jonatan mit monströsem, furchteinflößendem Aussehen – er wird »Der Enkel des Golem«1140 genannt. Sein abstoßendes Äußeres bewirkt einerseits die Ablehnung durch Außenstehende, andererseits seine negative Reaktion auf diese Ablehnung, sein grobes, kaltblütiges Verhalten, obwohl er sogar als Armenarzt der Gesellschaft Gutes tun will.1141 Einzig eine Prostituierte, Zdenka, kann sich für ihn erwärmen. Doch auch sie kann ihn nicht aus seiner Situation befreien, stattdessen wird auch Zdenka von ihren Kolleginnen verachtet. Ihr ehemaliger Zuhälter zettelt eine Verschwörung gegen Jonatan an und beschuldigt ihn, Zdenka zu Tode gebracht zu haben. Die Verschwörer überraschen ihn am jüdischen Friedhof, wo er niederstürzt. Doch seine Verfolger fliehen, nachdem sie die Stimme der toten Zdenka vernehmen. Nur zwei Personen bleiben übrig, ›Revoluzze‹ und ›Karfunkelstein‹, die erkennen, dass der Enkel des Golem ein Mensch gewesen ist. Sie versuchen, ihn zu retten, doch Karfunkelstein erkennt, dass Jonatan tot ist und endet mit dem Satz: »Es hat ihm einer den Schem aus dem Mund genommen.«1142 Die Golemlegende wird auch hier wie bei Meyrink zur Vorlage für den eigentlichen Diskurs. Bei Meyrink ist es die Menschwerdung, das Erwachen aus dem dumpfen Sein, bei Leppin dient der Golem als »Symbol für die nicht vollendete Menschwerdung«1143. Seine Oper behandelt wie seine Erzählungen und Romane die Ausgestoßenen, die Marginalisierten, Tabuisierten. Prag und die Legende um den Golem boten sich hierfür geradezu an. Dadurch übte Leppin auch Kritik an der Gesellschaft. Das zeigt wiederum, dass die D¦cadence-Literatur nicht bloßer Eskapismus ist, sondern ganz im Gegenteil gerade durch das 1139 Hoffmann (1973), S. 110. 1140 »Der Rabbi Löw war ein Papa/Erfahren in der Kabbala,/Er machte ein Gespinst aus Lehm/ Und gab ihm in den Mund den Schem/Der fleischgewordene Zauberknecht/Besaß das männliche Geschlecht-/Er schwängerte des Juden Kind-/Und fuhr zur Hölle wie der Wind./Ein Enkel aus dem alten Schlag/Lebt heute noch als Arzt in Prag./Er fängt die Kinder, macht sie stumm,/Und geht als Brut des Satan um./Und wißt Ihr, wer der Golem ist,/Der unsre kleinen Mädchen frißt?/Ein toller Hund, ein Scharlatan,/Das ist der Doktor Jonatan.« (Leppin, Der Enkel, zitiert nach Hoffmann (1973), S. 108 – 109). 1141 Vgl. Hoffmann (1982), S. 89. 1142 Leppin, Der Enkel, zitiert nach Hoffmann (1973), S. 110. 1143 Hoffmann (1973), S. 111.

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Dramatische Inszenierungen des Prag-Stoffes

Aufwerfen der tabuisierten Themenbereiche den Finger in die Wunde legt. Interessant ist dabei der Hinweis von Hoffmann, dass es nicht um die Rehabilitation einer Randgruppe geht, sondern diese vielmehr für die gesamte Gesellschaft stellvertretend betrachtet werden muss.1144 Ihre moralische Verderbtheit beleuchtet die umso schlimmere moralische Verderbtheit der Anderen, Bessergestellten.1145 Die Entwürfe zeigen Stadtansichten aus dem Ghetto, wie sie für Hugo SteinerPrag charakteristisch sind. Auf der dritten Skizze1146 (Abb. 69) hat der Betrachter aus einer erhöhten Perspektive einen Blick auf Hausdächer im Vordergrund, im Mittelgrund sind verschiedene Häuserfronten zu sehen. Wie auch in seinen anderen Architekturdarstellungen wählt Steiner-Prag für die Fassaden einen leicht schmutzigen Duktus, der den Häusern den Ausdruck von Feuchtigkeit und Baufälligkeit verleiht. Er verstärkt diesen Eindruck durch unregelmäßige Konturen. Im Hintergrund erstrecken sich weitere Hausdächer mit schiefen Schornsteinen, die sich verschwommen im Dunst des Nachthimmels verlieren. Es finden sich keine konkreten topographischen Anhaltspunkte. Ohne eine bestimmte Häuserzeile in Prag zu meinen, entfaltet Steiner-Prag mit dieser Stadtdarstellung ein weiteres Mal die Atmosphäre des Prager Ghettos. Die Darstellung erinnert stark an Steiner-Prags Gestaltung des Schutzumschlags für die Neuausgabe des Golem-Romans 1931.1147 Durch diese Neugestaltung hatte Steiner-Prag die Thematik noch einmal ins Gedächtnis gerufen und konnte sich für die Bühnengestaltung daran anlehnen. Auch hier wählt er eine Stadtansicht in leicht erhöhter Ansicht auf Hausdächer und Hausfassaden vor schwarzem Hintergrund. In der Farbgebung in Beige-Braun, gehalten erinnern auch diese Häuser an den leicht schmutzigen Duktus seiner Golem-Illustrationen. So lassen die Entwürfe vermuten, dass Steiner-Prag auf sein altbekanntes Repertoire zurückgriff, um die Bühne für Leppins Golem-Drama zu gestalten. Wie schon bei den Illustrationen Teschners zu Leppin, trifft die Bildsprache die literarische Sprache Leppins nicht ganz. Zwar wird im Drama ein düsteres Bild der Stadt gezeichnet, es hat aber nicht die Funktion einer unheimlichen Kulisse, sondern ist, wie in Severins Gang in die Finsternis, Spiegel der Verderbtheit der Gesellschaft.

1144 1145 1146 1147

Vgl. Hoffmann (1973), S. 111. Vgl. Hoffmann (1973), S. 111 – 112. Martin-Opitz-Bibliothek, Herne, Inv.nr. 702/20/77.3. Vgl. Abbildung Nr. 227 in Binder (2009), S. 516.

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Resümee

In der vorliegenden Arbeit sollte gezeigt werden, wie anhand der literarischen Produktion einer Prager Gruppe über die dazu entstandenen Bilder ein Topos der Stadt Prag geschaffen wurde. Dieser Topos manifestierte sich einerseits in einer Blüte Prager literarischer Produktionen, andererseits in der künstlerischen Gestaltung des physischen Buches, mit deren Hilfe die Verlage marktstrategische Interessen verfolgten. Das Hauptwerk der Arbeit, der Roman Der Golem von Gustav Meyrink, war einerseits aufgrund der massiven Werbung durch den Verlag ein großer kommerzieller Erfolg, andererseits traf diese Literatur offensichtlich Geschmack und Interesse der Zeit. Bereits im Vorfeld des Golem gab es andere Buchproduktionen, die Prag als gespenstische oder unheimliche Stadt thematisierten. Hierfür beispielhaft steht Paul Leppins Roman Severins Gang in die Finsternis von 1914, der sowohl im Titel als auch im Titelbild als ›Gespensterroman‹ beworben wurde, dessen Inhalt dieser Ankündigung im Wesentlichen jedoch widerspricht. Bereits hier war gut herauszuarbeiten, dass der Verlag an ein Paradigma der Zeit anknüpfte, das bereits seit der Jahrhundertwende virulent war. Darüber hinaus wollte man durch diese Verbindung zu Prag als Topos des Unheimlichen den schwer verkäuflichen Autor Paul Leppin besser auf dem Buchmarkt platzieren. Dies spiegelt sich – wie in der Bildanalyse dargelegt werden konnte – vor allem im plakativen und theatralen Titelbild wider. An das zentrale Werk, den Roman Der Golem von Gustav Meyrink, knüpften sich weitere Anhaltspunkte. Bereits 1907 arbeitete Kubin an Illustrationen zu einer frühen Fassung des Romans. Nachdem die Zusammenarbeit ins Stocken geraten war, verwendete Kubin die bereits vorhandenen Illustrationen für seinen eigenen Roman Die andere Seite von 1909. Durch eine Bild-Text-Analyse konnten mögliche Golem-Illustrationen Kubins herausgefiltert werden. Aufgrund der schwierigen Quellenlage muss eine eindeutige Zuordnung weiterhin ausbleiben. Dennoch wurden erstmals grundlegend die verschiedenen Ansätze in der Forschung miteinander verglichen und mit den späteren Illustrationen des Buchkünstlers Hugo Steiner-Prag in ein Verhältnis gesetzt.

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Resümee

Steiner-Prag wurde durch sein Mappenwerk zum Roman Der Golem berühmt, aus dem einzelne Blätter in den verschiedenen späteren Neuauflagen als Bestandteile des physischen Buches aufgenommen wurden. Bisher unbekannt war jedoch, dass möglicherweise Teile seiner Illustrationen auf das Werk eines anderen Künstlers zurückgehen. Fritz Schwimbeck, ein bis heute weitgehend unbekannter Künstler, hatte bereits Ende 1915 mit Illustrationen zum Golem begonnen und diese ersten Entwurfszeichnungen Anfang 1916 an den KurtWolff-Verlag geschickt, in der Hoffnung, den Auftrag zur Illustrierung des Romans zu erhalten. Im Ränkespiel der Vertragsverhandlungen bekam jedoch offensichtlich der zu diesem Zeitpunkt weitaus bekanntere Hugo Steiner-Prag den Zuschlag. Darüber hinaus verwendete Steiner-Prag mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die bereits im Verlag vorliegenden Zeichnungen Schwimbecks als Vorlagen für seine Lithographien. Somit könnte der große Erfolg des Buchkünstlers Steiner-Prag zu etwa einem Drittel der Mappenfolge auf der künstlerischen Leistung seines unbekannten Kollegen beruhen. Eine eindeutige Beweisführung für diesen Vorgang gibt es nicht, die hohe Ähnlichkeit der Werke und die Tagebuchaufzeichnungen Schwimbecks sprechen jedoch dafür. Sicherlich kam es öfter zu solchen Vorkommnissen, gerade in einer Zeit mit einer Vielzahl an neu gegründeten Verlagen war die Konkurrenz groß. Der vorliegende Fall belegt darüber hinaus den vor allem von Seiten der Verleger ausgehenden Wunsch, mit dem Topos Prags als unheimlicher Stadt den größtmöglichen kommerziellen Erfolg zu erzielen. Der Prager Topos beruht also nicht zuletzt auf der kapitalistischen Vermarktung des Buchs als Ware durch die Verlage. Nichtsdestotrotz war das Mappenwerk Hugo Steiner-Prags künstlerisch zentral für die Betrachtungen der bildnerischen Gestaltung. Seine topographisch exakt wiedergegebenen Stadtdarstellungen bilden eine in sich schlüssige Hommage an eine vergangene Stadt, an das Prag vor 1900 mit noch intaktem jüdischen Viertel. Darüber hinaus ist vor allem seine Golemfigur prototypisch für die Legendenbildung und die Ikonographie des Golems in Prag geworden. Seine besondere Leistung liegt also vor allem in den nicht von Schwimbeck inspirierten Abbildungen, die sich deutlich vom Text entfernen und eine Atmosphäre des unheimlichen Prags erschaffen. Dies konnte anhand einer Analyse der Wort-Bild- und der Bild-Bild-Struktur herausgearbeitet werden. Motivgeschichtlich wird sowohl im Roman, als auch in den Bildern an die Schwarze Romantik und die Phantastik angeknüpft, wobei man bei der ausschließlichen Betrachtung der Bilder nicht unbedingt von einem phantastischen Kunstwerk sprechen kann. In der Nachfolge des großen Erfolgs des Golem erschienen weitere Veröffentlichungen mit Buchillustrationen, die einen Prager Bezug aufweisen. Vor allem Hugo Steiner-Prag hatte sich durch seinen großen Erfolg einen Namen als

Resümee

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Illustrator des untergegangenen Prags gemacht, was zwei weitere thematisch verwandte Werke nahelegen. Dies sind zum einen Auguste Hauschners Der Tod des Löwen (1922) und zum anderen Wilhelm Raabes Hollunderblüthe (1925), die Steiner-Prag im Sinne eines Topos des unheimlichen Prags illustrierte. Hier konnte er auf bewährtes Inventar aus seinem früheren Werk zurückgreifen. Sowohl Auguste Hauschner als auch Wilhelm Raabe bezogen sich in ihren Werken auf eine vergangene Zeit, auf ein Prag, das zum Zeitpunkt des Erscheinens (bzw. der Neuauflage bei Wilhelm Raabe) nicht mehr existierte. Gerade bei Hauschner wollte Hugo Steiner-Prag diese Stadt wieder zum Leben erwecken. Bei der Novelle Hollunderblüthe reduzierte er sein Repertoire jedoch noch einmal erheblich und zeigt teilweise stilisierte Stadtansichten, vor allem des jüdischen Friedhofs. Nicht zu vernachlässigen sind in dieser Betrachtung auch andere Künstler neben Hugo Steiner-Prag, wie zum Beispiel Georg/Jirˇ† J†lovsky´, der ebenfalls mit Prager Stadtansichten seine Reputation gefestigt hatte. In der Erzählsammlung Böhmische Sagen von Oskar Wiener 1917 greift J†lovsky´ wichtige Merkmale der Prager Altstadt auf und illustriert sie in Bezug auf die städtische Legendenbildung. Fast wie ein mythischer Stadtführer liest sich das Buch mit den entsprechenden Bildbeigaben. Interessant ist J†lovsky´s Darstellung des Golem, die einerseits deutlich von der Steiner-Prags abweicht und sich an der literarischen Vorlage orientiert, andererseits in ihrer Gesamtkomposition an andere Bilder von Steiner-Prag anknüpft. Einen anderen Themenkomplex behandelte Karl Hans Strobl in seinem ersten Studentenroman Die Vaclavbude 1902, der in einer Neuauflage 1917 von Hugo Steiner-Prag illustriert wurde. Hier geht es um die Nationalitätenkonflikte in der Dreivölkerstadt Prag, die in den Badeni-Unruhen 1897 kulminierten. Diese Zeit fasste Strobl in seinem Roman ins Auge, die er aus Sicht der deutschen Studentenbewegung betrachtete. Steiner-Prag entwarf Frontispiz und Titelbild, sowie die schlichte Innengestaltung des Buches. Auch in diesem Fall orientierte er sich an eigenen, früheren Arbeiten. Dieser Sachverhalt lässt vermuten, dass Steiner-Prag nicht besonders viel Zeit auf die Gestaltung verwendete, sondern auf bewährte und erfolgreiche Bildkonzepte zurückgriff. Auch wenn SteinerPrag in seinen Selbstäußerungen immer wieder seine Liebe zum ›schönen Buch‹ betonte, müssen seine Arbeiten dennoch als Massenware bewertet werden. Auch für ihn spielte der kommerzielle Erfolg seiner Buchgestaltungen eine Rolle. Dabei ist auffallend, wie sehr Steiner-Prag seine stilistische Auffassung der jeweiligen literarischen Vorlage anpasste. Diese Beobachtung verweist einerseits auf die kunstgewerbliche Ausrichtung des Künstlers und möglicherweise auf die Vorgaben des Verlags, andererseits aber auch auf sein großes Können, sich literarisch inspirieren zu lassen und ein stimmiges Gesamtkunstwerk zu entwerfen.

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Resümee

Eher am Rande relevant für die vorliegende Fragestellung war die Anknüpfung der frühen Filmindustrie an den literarisch erfolgreichen Topos des unheimlichen Prags. Vor allem die Filme von und mit Paul Wegener widmeten sich intensiv den Themenbereichen Prag und der Golemlegende. Es sollte keine ausführliche Filmanalyse vorgenommen werden, denn diese hätte den Rahmen der vorliegenden Arbeit gesprengt. Dennoch bieten die Filme Anknüpfungspunkte zu den Illustrationen, vor allem in Bezug auf das Filmplakat und die Gestaltung der Stadt sowohl in den Originalaufnahmen, als auch in den nachgebauten Filmarchitekturen Poelzigs für den Film Der Golem, wie er in die Welt kam von 1920. In ähnlichem Bezug dazu stehen die Bühnenbilder Hugo SteinerPrags zu zwei Opern, die sich ebenfalls dem Thema Prag und Golem verschrieben haben. Auch hier erfolgte keine detaillierte Wort-Bild-Analyse, zum Einen, da dies aufgrund der sehr schwierigen Quellenlage kaum möglich war und zum Anderen, da sich hier die Wort-Bild-Bezüge doch deutlich von denjenigen der Buchgestaltung unterscheiden. Der Topos Prag konstituierte sich also in einem sehr heterogenen Geflecht aus literarischen und bildnerischen Produktionen. Diese reichen vom reinen Titelbild bis zur Bilderserie mit einer übergeordneten, eigenen Erzählung. Den verlegerischen Intentionen kommt dabei eine wichtige Stellung innerhalb des Geflechts zu. Die Verleger waren maßgeblich daran beteiligt, den Topos des unheimlichen Prag zu formen. Fast alle Werke entstanden zu einem Zeitpunkt, als die meisten der vorgestellten Künstler und Literaten Prag bereits verlassen hatten. Sie zeichneten aus der Rückschau ein Bild von Prag, das es damals schon nicht mehr gab und in dieser Mythologisierung wohl nie gegeben hat. Bild und Text wurden zu einem übergeordneten Stadttext der Erinnerungen, zu einem Konzentrat des Unheimlichen in der Gespensterstadt Prag.

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Abbildungen

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Abb. 1: Richard Teschner, Severins Gang in die Finsternis, Titelbild, Tuschezeichnung, 290 x 225 mm

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Abb. 2: Richard Teschner, Severins Gang in die Finsternis, Frontispiz, Tuschezeichnung, 330 x 245 mm, Bez. unterhalb des Darstellung: Richard Teschner Wien 1913

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Abb. 3: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Titelblatt, Lithographie auf Japanpapier, Maße Darstellung: 176 x 12 mm, Bez. unter der Darstellung: Hugo Steiner-Prag 1916 Probedruck/»Herr Athanasius Pernath läßt verbindlichst danken und bittet, ihn nicht für ungastfreundlich zu halten, daß er Sie nicht einlädt, in den Garten zu kommen, aber es ist strenges Hausgesetz so von alters her….«/Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 1

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Abb. 4: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Der Golem, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 190 x 130 mm, Bez. unter der Darstellung: Der Golem Probedruck Hugo Steiner-Prag/»Golem? – Ich habe schon so viel davon reden hören. Wissen Sie etwas über den Golem?« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 2: Der Golem

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Abb. 5: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Die Hahnpaßgasse, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 188 x 122 mm, Bez. unter der Darstellung: Die Hahnpaßgasse Probedruck Hugo Steiner-Prag 16/»Oft träumte mir, ich hätte diese Häuser belauscht in ihrem spukhaften Treiben«/Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 3

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Abb. 6: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Am Grabe des Meisters, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 182 x 144 mm, Bez. unter der Darstellung: »Am Grabe des Meisters« Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916/»Es sei aber doch kein richtiger Mensch daraus geworden und nur ein dumpfes, halbbewusstes Vegetieren habe ihn belebt« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542.4: Am Grabe des Meisters

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Abb. 7: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Im Ghetto, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 165 x 124 mm, Bez. unter der Darstellung: Im Ghetto Probedruck Hugo Steiner-Prag 16/»So wie er heimkäme vom jüdischen Rathaus, wollte mich seine Tochter sofort verständigen«/Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 5

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Abb. 8: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Die Erscheinung des Golem, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 182 x 121 mmm, Bez. unter der Darstellung: Die Erscheinung des Golem Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916/»Einige Aufgeregte wiederum behaupteten, sie hätten ihn um eine Ecke auf sich zu kommen sehen.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 6

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Abb. 9: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Das Buch Ibbur, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 182 x 121 mmm, Bez. unter der Darstellung: Das Buch Ibbur Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916/»Er griff in die Tasche und nahm ein Buch heraus« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 7

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Abb. 10: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Aron Wassertrum, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 181 x 121 mm, Bez. unter der Darstellung: Aron Wassertrum Probedruck Hugo Steiner-Prag 16/»Was bewiese es auch, wenn selbst Rosina dem Trödler ähnlich sähe!« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 8

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Abb. 11: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Der Student Charousek, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 154 x 119 mm, Bez. unter der Darstellung: Probedruck Hugo Steiner-Prag 16/»Neben mir stand der Student Charousek, den Kragen seines dünnen, fadenscheinigen Überziehers aufgeschlagen.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 9

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Abb. 12: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Laster, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 179 x 133 mm, Bez. unter der Darstellung: Probedruck Hugo SteinerPrag 16/»An Bein=del von Eisen / recht alt / »An Stran = zen net gar / a so kalt / »Mesinung, a Räucherl / und Hohn /und immer nur putz – en__Salon« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 10

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Abb. 13: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Der Hilferuf, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 187 x 120 mm, Bez. unter der Darstellung: Der Hilferuf (Probedruck) Hugo Steiner-Prag 16/»Still doch! Hört ihr denn nichts?«/Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 11

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Abb. 14: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Der Weg ins Grauen, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 182 x 121 mm, Bez. unter der Darstellung: Der Weg ins Grauen Probedruck Hugo Steiner-Prag 16/»Schmale, steile Stufen liefen hinab in tiefste Finsternis« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 12

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Abb. 15: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Nachtgespenst/Im geheimen Zimmer, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 182 x 116 mm, Bez. unter der Darstellung: »Nachtgespenst« Probedruck Hugo Steiner-Prag 16/»Stunden und Stunden kauerte ich da – unbeweglich – in meinem Winkel, ein frosterstarrtes Gerippe. – Und er drüben: ich selbst.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 13

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Abb. 16: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Der Gehetzte, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 189 x 120 mm, Bez. unter der Darstellung: »Der Gehetzte« Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916/»Sie haben mich für den Golem gehalten, begriff ich.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 14

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Abb. 17: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Beim Loisitschek, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 151 x 120 mm, Bez. unter der Darstellung: Beim Loisitschek Probedruck Hugo Steiner-Prag 16/»Jä, jä, das sin mir Gästäh.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 15

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Abb. 18: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Die Gezeichneten, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 181 x 122 mm, Bez. unter der Darstellung: Die Gezeichneten Probedruck Hugo Steiner-Prag 16/»Im Testament war ein Legat vorgesehen, danach bekömmt jeder vom ,Bataillon‘ mittags beim ,Loisitschek’ umsonst eine Suppe.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 16

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Abb. 19: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Angst, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 187 x 124 mm, Bez. unter der Darstellung: Angst Probedruck Hugo Steiner-Prag 16/»Die Luft, die ich einatmete, wurde dünn und schneidend wie Äther.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 17

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Abb. 20: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Schemajah Hillel, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 180 x 120 mm, Bez. unter der Darstellung: »Dabei bewegte er die Lippen und sprach lautlos einen Satz.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 18

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Abb. 21: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Die Wachspuppe, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 186 x 137 mm, Bez. unter der Darstellung: Die Wachspuppe Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916/»Jetzt ist er allein mit seiner Gier und – und – und mit der Wachspuppe.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 19

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Abb. 22: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Im Dom, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 183 x 116 mm, Bez. unter der Darstellung: Im Dom Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916/»Ein Leben ohne Herzschlag erfüllte den Raum – ein heimliches, geduldiges Warten.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 20

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Abb. 23: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Alchymistengasse, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 154 x 118 mm, Bez. unter der Darstellung: Die Alchymistengasse Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916/»Ich war in die Goldmachergasse geraten« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 21

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Abb. 24: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Rosina, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 185 x 126 mm, Bez. unter der Darstellung: Rosina Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916, »Wieder : ,Herr Pernath, Herr Pernath!’ Im Flüsterton.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 22

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Abb. 25: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Mord, Lithographie auf Japanpapier (grau-brauner Fond), Maße Darstellung: 181 x 125 mm, Bez. unter der Darstellung: Mord Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916/»Eines Morgens fand man Dr. Hulbert tot auf einer Bank.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 23

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Abb. 26: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Finis Ghetto, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 182 x 126 mm, Bez. unter der Darstellung: Finis Ghetto Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916/»Ise sich doch ieberall Pflaster aufgerissen, Judenstadt wirde sich doch assaniert.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 24

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Abb. 27: Hugo Steiner-Prag, Der Golem, Die Befreiten, Lithographie auf Japanpapier (graubrauner Fond), Maße Darstellung: 182 x 125 mm, Bez. unter der Darstellung: Die Befreiten Probedruck Hugo Steiner-Prag 1916/»Hyazinthenduft weht über die Mauer herüber.« Gustav Meyrink, Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg Inv.nr. 9542 – 25

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289

Abb. 28: Fritz Schwimbeck, Spuk, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0364

290

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Abb. 29: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Nacht, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/ 0359

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291

Abb. 30: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Angst, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/ 0366

292

Abbildungen

Abb. 31: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Jaromir, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/ 0355

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293

Abb. 32: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Buch Ibbur, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/ 0356

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Abb. 33: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Pernath und der gekrönte Doppelgänger, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0369

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295

Abb. 34: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Dom, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/ 0361

296

Abbildungen

Abb. 35: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Laponder, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/ 0368

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297

Abb. 36: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Wassertrum, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/ 0354

298

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Abb. 37: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Mauer zur letzten Latern, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0367

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299

Abb. 38: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Schemajah Hillel, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0360

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Abb. 39: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Schlaf, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/ 0353

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Abb. 40: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Im Durchgang, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0358

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Abb. 41: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Dunkle Gänge, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0363

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Abb. 42: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Das Golemhaus, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0365

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Abb. 43: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Charousek, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/ 0362

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Abb. 44: Fritz Schwimbeck, Der Golem, Ankündigung des Golem, Federzeichnung, Maße Darstellung ca. 170 x 125 mm; Blatt 278 mm x 206 mm, Museum im Wittelsbacher Schloss Friedberg, Inv.nr. 2013/0357

306

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Abb. 45: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Titelblatt, Radierung, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag, Maße: Blatt: 270 x 170 mm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/1

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307

Abb. 46: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Kaiser Rudolf, Radierung mit Remarque, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag 22, Maße: Druck 159 x 89 mm; Blatt 270 x 170 mm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/3

308

Abbildungen

Abb. 47: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Tycho Brahe und Renus Cysatus, Radierung mit Remarque, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag 22, Maße: Druck 159 x 94 mm; Blatt 270 x 170 mm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/4

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309

Abb. 48: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Im Ghetto, Radierung mit Remarque, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag 22, Maße: Druck 159 x 93 mm; Blatt 270 x 170 mm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/5

310

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Abb. 49: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Rabbi Löw, Radierung mit Remarque, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag 22, Maße: Druck 159 x 93 mm; Blatt 270 x 170 mm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/6

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Abb. 50: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Golde, Radierung mit Remarque, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag 22, Maße: Druck 159 x 93 mm; Blatt 270 x 170 mm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/7

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Abb. 51: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Rudolf auf der Karlsbrücke, Radierung mit Remarque, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag 22, Maße: Druck 159 x 92 mm; Blatt 270 x 170 mm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/8

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Abb. 52: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Alchimistengasse, Radierung mit Remarque, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag 22, Maße: Druck 159 x 93 mm; Blatt 270 x 170 mm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/9

314

Abbildungen

Abb. 53: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Beim Magier, Radierung mit Remarque, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag 22, Maße: Druck 159 x 92 mm; Blatt 270 x 170 mm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/10

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Abb. 54: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Feuer in der Judenstadt, Radierung mit Remarque, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag 22, Maße: Druck 159 x 92 mm; Blatt 265 x 170 mm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/11

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Abb. 55: Hugo Steiner-Prag, Der Tod des Löwen, Tod des Löwen, Radierung mit Remarque, Bez.: Probedruck Hugo Steiner-Prag 22, Maße: Druck 159 x 94 mm; Blatt 268 x 170 mmm, Kunstgewerbemuseum Prag/Umeˇleckopru˚myslov¦ museum, Inv.nr. GS 2465/12

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Abb. 56: Jirˇ† J†lovsky´, Dalibor, in: Oskar Wiener, Böhmische Sagen, Warnsdorf i. B./Wien 1919, Abbildung zwischen S. 60 und S. 61, Monotypie, bez. u. .: JILOVSKY

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Abb. 57: Jirˇ† J†lovsky´, Altstädter Rathausuhr, in: Oskar Wiener, Böhmische Sagen, Warnsdorf i. B./Wien 1919, Abbildung zwischen S. 140 und S. 141, Monotypie, bez. u. l.: monnogrammiert J L

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Abb. 58: Jirˇ† J†lovsky´, Golem, in: Oskar Wiener, Böhmische Sagen, Warnsdorf i. B./Wien 1919, Abbildung zwischen S. 212 und S. 213, Monotypie, bez. u. r : JILOVSKY

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Abb. 59: Hugo Steiner-Prag, Stadtansicht, in: Wilhelm Raabe, Hollunderblüthe. Eine Erinnerung aus dem Hause des Lebens, Weimar 1925, Abbildung zwischen S. 10 und S. 11, Lithographie Bez. u. r.: Steiner-Prag, Maße Darstellung: 168 x 113 mm

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Abb. 60: Hugo Steiner-Prag, Jemima vor dem Trödlerladen, in: Wilhelm Raabe, Hollunderblüthe. Eine Erinnerung aus dem Hause des Lebens, Weimar 1925, Abbildung zwischen S. 16 und S. 17, Lithographie, Bez. u. r.: Steiner-Prag, Maße Darstellung: 168 x 114 mm

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Abb. 61: Hugo Steiner-Prag, Treppenhaus, in: Wilhelm Raabe, Hollunderblüthe. Eine Erinnerung aus dem Hause des Lebens, Weimar 1925, Abbildung zwischen S. 20 und S. 21, Lithographie, Bez. u. r.: Steiner-Prag, Maße Darstellung: 168 x 113 mm

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Abb. 62: Hugo Steiner-Prag, Auf dem jüdischen Friedhof I, in: Wilhelm Raabe, Hollunderblüthe. Eine Erinnerung aus dem Hause des Lebens, Weimar 1925, Abbildung zwischen S. 24 und S. 25, Lithographie, Bez. u. r.: Steiner-Prag, Maße Darstellung: 168 x 112 mm

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Abb. 63: Hugo Steiner-Prag, Auf dem jüdischen Friedhof II, in: Wilhelm Raabe, Hollunderblüthe. Eine Erinnerung aus dem Hause des Lebens, Weimar 1925, Abbildung zwischen S. 28 und S. 29, Lithographie, Bez. u. r.: Steiner-Prag, Maße Darstellung: 168 x 113 mm

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325

Abb. 64: Hugo Steiner-Prag, Im Judenviertel, in: Wilhelm Raabe, Hollunderblüthe. Eine Erinnerung aus dem Hause des Lebens, Weimar 1925, Abbildung zwischen S. 34 und S. 35, Lithographie, Bez. u. r.: Steiner-Prag, Maße Darstellung: 168 x 113 mm

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Abb. 65: Hugo Steiner-Prag, Rückkehr nach Prag, in: Wilhelm Raabe, Hollunderblüthe. Eine Erinnerung aus dem Hause des Lebens, Weimar 1925, Abbildung zwischen S. 46 und S. 47, Lithographie, Bez. u. r.: Steiner-Prag, Maße Darstellung: 168 x 113 mm

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Abb. 66: Hugo Steiner-Prag, Der verlassene Judenfriedhof, in: Wilhelm Raabe, Hollunderblüthe. Eine Erinnerung aus dem Hause des Lebens, Weimar 1925, Abbildung zwischen S. 50 und S. 51, Lithographie, Bez. u. r.: Steiner-Prag, Maße Darstellung: 168 x 113 mm

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Abb. 67: Hugo Steiner-Prag, Titelbild, in: Karl Hans Strobl, Die Vaclavbude, Ein Prager Studentenroman, Leipzig 1917

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Abb. 68: Hugo Steiner-Prag, Frontispiz, in: Karl Hans Strobl, Die Vaclavbude, Ein Prager Studentenroman, Leipzig 1917

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Abb. 69: Hugo Steiner-Prag, Der Enkel des Golem, Bühnenbild, Kohlezeichnung mit Aquarell, Martin-Opitz-Bibliothek Herne, Inv.nr. 702/20/77.3, bez. u. r.: HUGO / STEINER-PRAG / 1935

Abb. 70: Hugo Steiner-Prag, Der Golem (Oper), Bühnenbild, Kohlezeichnung, 1926, Nationalgalerie Prag