Non-finito als Topos der Moderne: Die Marmorskulpturen von Auguste Rodin 3770559851, 9783770559855

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Non-finito als Topos der Moderne: Die Marmorskulpturen von Auguste Rodin
 3770559851, 9783770559855

Table of contents :
Non-finito als Topos der Moderne : Die Marmorskulpturen von Auguste Rodin
Inhalt
Einleitung
1. Voraussetzungen
1.1. Zum Begriff Non-finito
a. Michelangelo
b. Rodin
1.2. Michelangelo
a. Non-finito bei Michelangelo
b. Michelangelo-Rezeption im 19. Jahrhundert
c. Rodin und Michelangelo
d. Exkurs: Michelangelo-Rezeption nach Rodin
1.3. Fragmentarisches, Skizzenhaftes und Unvollendetes in der Romantik und im 19. Jahrhundert
2. Kunsttheorie und Arbeitspraxis Rodins
2.1. Kunsttheorie
a. Natur und Metamorphose
b. Fragment, Torso und Non-finito
c. Offener Werkprozess
2.2. Werkgenese der Marmorskulpturen
a. Formfindung
b. Werkstoff Marmor
c. Werkstattbetrieb und praticiens
d. Übertragung von Gips in Marmor
e. Werktitel
f. Unfertig vs. non-finit
3. Non-finito bei Rodin. Werkanalysen
3.1. Vom Illusionismus zum Stilmittel
3.2. Werkanalysen
a. Orphée et Eurydice sortant de l’enfer
b. Mère et fille mourante
c. La Pensée, L’Homme et sa pensée
d. La Main de Dieu, Pygmalion et Galatée
e. Puvis de Chavannes, Mozart, Victor Hugo
f. Zusammenfassung der Werkanalysen
g. Gipsabgüsse (surmoulages) und Bronzeabgüsse
3.3. Sukzessive Fassungen
a. Auflösung von Ikonographie: Tête de la Douleur
b. Anwachsen des Rohblocks: Fugit Amor
4. Zeitkontext
4.1. Impressionismus
a. Medardo Rosso
4.2. Symbolismus
a. James Vibert
b. Eugène Carrière
5. Rezeption und Interpretation des Non-finito bei Rodin
5.1. Verbreitung und zeitgenössische Rezeption
a. Ausstellungen
b. Sammler
c. Fotografische Reproduktionen
d. Besprechungen in Presse und Kunstliteratur
5.2. Künstlerische Rezeption
a. Motivisch-stilistische Entsprechungen: Klinger, Lehmbruck, Brancusi
b. Nachahmung, Aneignung, Zitat
c. Umdeutung und Abgrenzung: Archipenko, Hoetger, Moore
6. Non-finito als Topos der Moderne
6.1. Spuren der Werkgenese
6.2. Integration des Sockels
6.3. Prozess und Transition
a. Transition und Moderne
b. Prozesscharakter des Werks
c. Metamorphose
d. Paradox Marmor
6.4. Finalitätsverweigerung
7. Ein neues Finito
English summary
Résumé en français
Farbtafeln
Katalog
1. Galatée
2. Fugit Amor
3. Orphée et Eurydice sortant de l’enfer
4. Le Sommeil
5. La Pensée
6. L’Homme et sa pensée
7. La Terre et la Lune
8. La Vague
9. La Main de Dieu
10. Tête de la Douleur
a. Dernier Soupir (Orphée)
b. Jeanne d’Arc
c. La Douleur – Souvenir à Eleonora Duse
11. Paolo et Francesca
12. Adam et Eve
13. Pygmalion et Galatée
14. Devant la mer
15. a. L’Adieu
b. La Convalescente
16. Madame Fenaille, la tête appuyée sur la main
17. Lady Warwick
18. Mère et fille mourante (Mrs. Merrill et sa fille)
19. Mozart (Portrait de Gustave Mahler)
20. Puvis de Chavannes
21. Lady Sackville-West
22. Victor Hugo
Bibliographie
Abbildungsnachweis
Dank
Personenregister

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Wohlrab Non-finito als Topos der Moderne

BERLINER SCHRIFTEN ZUR KUNST herausgegeben vom

KUNSTHISTORISCHEN INSTITUT DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN

2016

Christiane Wohlrab

Non-finito als Topos der Moderne Die Marmorskulpturen von Auguste Rodin

Wilhelm Fink

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von Published with the kind support of Iris & B. Gerald Cantor Foundation, Los Angeles Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften, Ingelheim am Rhein Musée Rodin, Paris

Umschlagabbildung: Auguste Rodin: La Convalescente, 1906-1914, Musée Rodin, Paris Foto: Jérome Manoukian

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die geringfügig überarbeitete Fassung der 2011 vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin angenommenen Dissertation der Autorin.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2016 Wilhelm Fink, Paderborn (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5985-5

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Zum Begriff Non-finito . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Michelangelo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Rodin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Michelangelo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Non-finito bei Michelangelo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Michelangelo-Rezeption im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . c. Rodin und Michelangelo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Exkurs: Michelangelo-Rezeption nach Rodin . . . . . . . . . . . . . 1.3. Fragmentarisches, Skizzenhaftes und Unvollendetes in der Romantik und im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 17 18 20 20 29 36 39

2. Kunsttheorie und Arbeitspraxis Rodins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Kunsttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Natur und Metamorphose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Fragment, Torso und Non-finito . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Offener Werkprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Werkgenese der Marmorskulpturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Formfindung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Werkstoff Marmor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Werkstattbetrieb und praticiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Übertragung von Gips in Marmor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Werktitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f. Unfertig vs. non-finit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 49 54 60 63 63 65 67 72 75 77

3. Non-finito bei Rodin. Werkanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Vom Illusionismus zum Stilmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Werkanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Orphée et Eurydice sortant de l’enfer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Mère et fille mourante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. La Pensée, L’Homme et sa pensée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. La Main de Dieu, Pygmalion et Galatée. . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Puvis de Chavannes, Mozart, Victor Hugo . . . . . . . . . . . . . . . . . f. Zusammenfassung der Werkanalysen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g. Gipsabgüsse (surmoulages) und Bronzeabgüsse . . . . . . . . . . . . .

81 81 87 87 92 96 107 119 127 129

41

6

INHALT

3.3. Sukzessive Fassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a. Auflösung von Ikonographie: Tête de la Douleur. . . . . . . . . . . . 130 b. Anwachsen des Rohblocks: Fugit Amor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4. Zeitkontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Impressionismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Medardo Rosso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Symbolismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. James Vibert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Eugène Carrière. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135 136 139 144 145 148

5. Rezeption und Interpretation des Non-finito bei Rodin . . . . . . . . . . . . 5.1. Verbreitung und zeitgenössische Rezeption. . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Ausstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Sammler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Fotografische Reproduktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Besprechungen in Presse und Kunstliteratur . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Künstlerische Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Motivisch-stilistische Entsprechungen: Klinger, Lehmbruck, Brancusi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Nachahmung, Aneignung, Zitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Umdeutung und Abgrenzung: Archipenko, Hoetger, Moore . .

155 155 155 158 162 163 188

6. Non-finito als Topos der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Spuren der Werkgenese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Integration des Sockels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Prozess und Transition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Transition und Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Prozesscharakter des Werks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Metamorphose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Paradox Marmor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4. Finalitätsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219 219 221 223 223 226 227 229 233

188 195 209

7. Ein neues Finito . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 English summary. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Résumé en français . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Farbtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Katalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Galatée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fugit Amor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Orphée et Eurydice sortant de l’enfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269 270 272 280

INHALT

4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.

Le Sommeil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . La Pensée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L’Homme et sa pensée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . La Terre et la Lune . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . La Vague . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . La Main de Dieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tête de la Douleur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Dernier Soupir (Orphée) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Jeanne d’Arc . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. La Douleur – Souvenir à Eleonora Duse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paolo et Francesca. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adam et Eve. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pygmalion et Galatée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Devant la mer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. L’Adieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. La Convalescente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Madame Fenaille, la tête appuyée sur la main. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lady Warwick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mère et fille mourante (Mrs. Merrill et sa fille) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mozart (Portrait de Gustave Mahler). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Puvis de Chavannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lady Sackville-West . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Victor Hugo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7 284 290 296 300 306 308 317 317 318 321 323 324 327 332 334 336 339 342 345 348 351 354 358

Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Dank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

Einleitung Gegenstand dieser Studie ist das Non-finito, die handwerkliche Nicht-Vollendung der Marmorskulpturen Auguste Rodins. Ihr hybrider Charakter zwischen Vorläufigem und Finalem, klassischem Material und skizzenhafter Ausführung markiert eine Schwelle von der geschlossenen Formensprache des 19. Jahrhunderts hin zur fragmentarischen, offenen Form der Moderne. Entstehungsbedingungen, kunsttheoretische und künstlerische Rezeption des Phänomens sollen untersucht werden, um das Non-finito als weitreichenden Topos der Moderne zu diskutieren und genauer zu bestimmen. Grob bossierte, nicht-abbildende Oberflächen zeigen sich in den Marmorarbeiten Rodins zuerst Ende der 1880er Jahre. Sie werden in den folgenden Jahren entwickelt und variiert, um im Spätwerk ab 1900 zu ausgedehntem, ja inflationärem Einsatz zu kommen. Verschiedene Zonen des Werkes weisen unterschiedliche Grade der Bearbeitung auf: Aus dem roh behauenen, die Werkzeugspuren deutlich ausstellenden Block gehen illusionistische Partien, meist Köpfe oder Halbfiguren, hervor. Anders als Rodins frühe, an der Natur geschulte und vollständig artikulierte Skulpturen, deren Oberfläche überall dem Gegenstand entspricht, den sie repräsentiert, zeigen diese Werke offen ihre Genese. Die non-finite Behandlung von Oberflächen ist eine grundsätzliche Charakteristik von Rodins Werk und prinzipiell in allen Materialien und in jedem Werkzustand vorzufinden. Den Marmorskulpturen ist dabei ein eigentümlich transitorischer Status eigen: Als sei die Arbeit im Laufe des Entstehungsprozesses aufgegeben worden, entsteht der Eindruck des graduellen ‚Auftauchens‘ bzw. ‚Zurücksinkens‘ detailliert ausgeführter Zonen in den ansonsten lediglich grob bossierten Block. Die im Unbestimmten belassenen Partien beschränken sich zunächst auf den Sockelbereich, werden jedoch zunehmend auf die gesamte Form ausgedehnt und schließlich, wie es scheint, zum eigentlichen Anliegen des Werks. Diesen vermeintlich peripheren, a-mimetischen Zonen widmet sich diese Studie. Das Non-finito soll als Gestaltungsprinzip analysiert werden, das in Rodins Marmor-Œuvre zu einem eigenständigen Kunstmittel mit formalem Eigenwert reift. Denn der effektvolle Kontrast zwischen dem schroffem Stein und der glatten, weich schimmernden Oberfläche der Figur, die aus ihm hervorgeht, wird als dekoratives Gestaltungselement schnell zum äußerst erfolgreichen ‚signature style‘ Rodins. Ziel der Studie ist es, anhand signifikanter Schlüsselwerke nachzuverfolgen, wie die bossierte Oberfläche schrittweise  – von ihrer illusionistischen Funktion über den Einsatz als Stilmittel bis hin zur Selbstreferentialität – als eigenständige ästhetische Kategorie etabliert wird.

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EINLEITUNG

Das Fragmentarische und Unvollendete durchzieht als Grundprinzip Rodins Werk und ist bereits zu seinen Lebzeiten von Kunsttheoretikern und -kritikern wie Georg Simmel, Charles Morice, Gustave Kahn, Richard Muther oder Adolf von Hildebrand intensiv erörtert und interpretiert worden. Diesem auf alle Werkstoffe übergreifenden Non-finito widmete sich die kunstwissenschaftliche Forschung abermals mit veränderten Fragestellungen seit den 1950er Jahren, als formale Aspekte in den Blick rückten und Rodins Beitrag zur Moderne neu bewertet wurde. Das Interesse von Autoren wie Leo Steinberg1 und Albert E. Elsen2 richtete sich nun unter dem Eindruck der Kunst ihrer eigenen Zeit verstärkt auf Aspekte des Experimentellen, Fragmentarischen und Seriellen; und Rosalind Krauss, die ihre Passages in modern sculpture (1977) mit Überlegungen zu den repetitiven Strukturen und der Auflösung kohärenter Narration in der Porte de l’Enfer eröffnet,3 analysiert Rodins Werk unter dem Fokus des Prozessualen. Der Schwerpunkt der Forschung lag und liegt jedoch vorrangig auf den Torsi und Fragmenten in Bronze und Gips,4 die Rodin aus ihrem bisherigen Studien- und Entwurfsstatus zu autonomen Kunstwerken erhob. Im Rahmen dieser Fragestellung wurden die non-finiten Marmorskulpturen immer wieder diskutiert, ohne sich jedoch als gleichwertiger Forschungsgegenstand durchzusetzen. Denn obgleich Rodins Werke in Marmor zu seinen Lebzeiten von Kritik, Publikum und Sammlern außerordentlich geschätzt wurden und einen beträchtlichen Teil seines Œuvres bilden, verhielt sich die Rodin-Forschung ihnen gegenüber lange Zeit eher zurückhaltend. Diese Reserviertheit hat verschiedene Ursachen. Als Werkstattarbeiten, die zwar von Rodin autorisiert, jedoch im seltensten Fall eigenhändig ausgeführt sind, galten sie lange Zeit als unauthentisch, kommerziell und gefällig. Leo Steinberg erklärte sogar, um Rodin zu verstehen, müsse man die Marmore gänzlich außer Acht lassen, da sie Rodins Beitrag zur Moderne verwässerten: Während er in Gips und Bronze kühn experimentiere, seien seine harmlos-trivialen Marmorgruppen lediglich Konzessionen an den Publikumsgeschmack.5 Albert Elsen sah den Grund für die ablehnende Haltung in

1 Leo Steinberg: „Rodin“, in: Rodin. Sculptures and Drawings. Ausst.-Kat. Charles E. Slatkin Galleries, New York 1963, S. 10-27. Wiederabdruck in: Ders.: Other Criteria. Confrontations with Twentieth-Century Art. New York 1972, S. 322-403. 2 Albert E. Elsen: Rodin. New York 1963. 3 Rosalind E. Krauss: „Narrative Time: the question of the Gates of Hell“, in: Dies.: Passages in Modern Sculpture. Cambridge, Mass./London 1977, S. 7-37. 4 Grundlegend sind bis heute die Beiträge von Herbert von Einem, J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, Leo Steinberg, Albert E. Elsen und Werner Schnell; zudem die Ausstellungen The partial figure in modern sculpture (Baltimore 1969), Le Corps en morceaux / Das Fragment – Der Körper in Stücken (Paris/Frankfurt 1990) und Von Rodin bis Baselitz. Der Torso in der Skulptur der Moderne (Stuttgart 2001). Die im Mai 2006 vom Londoner Warburg Institute ausgerichtete Konferenz Non-Finito. Notions of the ‚Unfinished‘ in Music, Art and Intellectual History zeigte, dass das tatsächlich, bewusst oder scheinbar Unvollendete gattungsübergreifend zu einem weitreichenden Forschungsgegenstand geworden ist. 5 Steinberg 1963/1972, S. 324, 330, 367.

EINLEITUNG

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einer den Marmoren eigenen dramatischen Sentimentalität,6 in der sich Rodins Zeitgebundenheit viel stärker offenbare als in anderen Materialien. Um Rodins Rolle als Grenzfigur zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert zu verstehen und differenzierter zu bewerten, sind jedoch seine Arbeiten in Marmor, dem klassischen Bildhauerwerkstoff par excellence, unverzichtbar. Als einer der ersten Autoren nahm sie J.  A.  Schmoll gen. Eisenwerth, dessen Texten diese Untersuchung wichtige Anregungen verdankt, in den 1950er Jahren wieder gleichberechtigt in den Blick. Auch der Elsen-Schüler Daniel G. Rosenfeld widmete sich seit den 1970er Jahren dem Marmor-Œuvre Rodins und legte 1993 an der Stanford University seine umfängliche, leider nie als Buch publizierte Dissertation Auguste Rodins carved sculpture vor, die auch einen genau recherchierten Katalog aller Werke beinhaltet, deren Erstfassungen vor 1900 entstanden sind.7 Im Musée Rodin wurde 1987 für die Ausstellung Marbres de Rodin eine große Zahl der Skulpturen aus den Depots ans Licht gebracht, gereinigt (was die eindrucksvollen visuellen Effekte der unterschiedlich bearbeiteten Oberflächen wieder sichtbar machte) und in einem Katalog dokumentiert. Clare Vincent untersuchte 1981 die RodinSammlung, darunter neun Marmore, des New Yorker Metropolitan Museum of Art;8 1988 legte Anne-Birgitte Fonsmark ihren Katalog der Werke Rodins, unter ihnen elf Marmorarbeiten, der Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen vor.9 Ruth Butler und Susanne Glover Lindsay studierten in ihrem Verzeichnis der europäischen Skulptur des 19. Jahrhunderts in der National Gallery of Art in Washington (2000) die dort bewahrten Marmorwerke Rodins und analysierten erstmals eingehend Steinstruktur und -zusammensetzung. In Deutschland war es nach Schmoll gen. Eisenwerth vor allem Anne-Marie Bonnet, die sich für eine unvoreingenommene Beurteilung und gleichwertige Anerkennung der Marmorskulpturen einsetzte.10 Kamen die großen Rodin-Retrospektiven in Paris (1962), New York (1963), London (1970, 1975 und 1986) und Washington (1981) noch fast gänzlich ohne diese aus, waren seit den 1990er Jahren vermehrt (Bremen/Düsseldorf 1991, Wien 1996, München/Essen 2006, London/Zürich 2006, Seoul 2010) oder ausschließ-

6 Albert E. Elsen: In Rodin’s studio. A photographic record of sculpture in the making. Ithaca, N.Y. 1980, S. 179. 7 Daniel Rosenfeld: Auguste Rodin’s carved sculpture. 3 Bde., Diss., Stanford University, 1993. Zuvor erschien der Aufsatz „Rodin’s Carved Sculpture“, in: Rodin rediscovered. Hrsg. von Albert E. Elsen. Ausst.-Kat. National Gallery of Art, Washington, D.C. 1981, S. 81-102. 8 Clare Vincent: Rodin at the Metropolitan Museum of Art. A history of the collection. The Metropolitan Museum of Art Bulletin, Vol. XXXVIII, 4; Spring 1981. 9 Anne-Birgitte Fonsmark: Rodin. La collection du brasseur Carl Jacobsen à la Glyptothèque – et œuvres apparentées. Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen 1988. 10 Anne-Marie Bonnet: „Rodins ‚schleierleises Lächeln‘“, in: Opus Tessellatum. Modi und Grenzgänge der Kunstwissenschaft. Festschrift für Peter Cornelius Claussen. Hildesheim/Zürich/ New York 2004, S. 341-350; „Neue Blicke auf alte Ansichten. Zur Bedeutung der ‚Klischees‘ in der Rodin-Forschung am Beispiel des Kusses (1885-1898)“, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 68 (2005), 4, S. 521-546.

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lich11 Marmore in Ausstellungen zu sehen. Eine umfangreiche Retrospektive des Marmor-Œuvres richtete schließlich 2012 das Musée Rodin unter der Leitung von Aline Magnien aus.12 Parallel zu dieser veränderten Einstellung gegenüber den Marmorwerken zeigt sich ein anhaltendes Forschungsinteresse an den experimentellen Arbeitsmethoden Rodins und dem prozessorientierten Charakter seines Werkes. Mit der Öffnung der Depots und Archive des Musée Rodin in den 1970er Jahren rückten mit der gigantischen Sammlung von Gipsfragmenten und -assemblagen diese neuen Aspekte in den Blick, wobei Rodins Rolle als Wegbereiter der Moderne nun wiederum weitgehend unter Ausblendung der historischen Bedingtheiten seines Werks dargestellt wurde.13 Den Gefahren dieser erst durch die jüngere Forschung und Ausstellungspraxis beförderten selektiven Wahrnehmung weiß sich diese Studie ausgesetzt, ist jedoch um eine ausgewogene Perspektive bemüht. Der einseitig formale Blick auf Rodin wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten jedoch auch durch eine expandierende, zunehmend historiographisch ausgerichtete RodinForschung vor allem in den USA ausgeglichen, deren Interesse sich verstärkt auf die Produktionsbedingungen von Skulptur im späten 19. Jahrhundert richtete – auf die arbeitsteilige Werkstatt, Reproduktionsmethoden und die Abhängigkeit von öffentlichen und privaten Aufträgen –, und damit auch die epochenspezifischen Charakteristika wieder stärker ausarbeitete.14 Diesen Ansatz vertritt auch Daniel Rosenfeld, der einer „‚alternative modernity‘ to that identified by Steinberg“15 nachging, indem er die formalen Innovationen Rodins im Kontext seiner Zeit verortete. Für das immense, auf zahllose Sammlungen verteilte und sich in Mehrfachfassungen, Umarbeitungen und Reproduktionen verzweigende plastische Œuvre Rodins liegt bisher kein vollständiges Werkverzeichnis vor, mithin also auch kein kompletter Catalogue Raisonné der Marmorskulpturen. Es war daher erforderlich, als Arbeitsgrundlage zunächst den dieser Studie angegliederten Katalog zu erstellen, der alle sukzessiven Marmorfassungen ausgewählter Werke mit Angaben zu Prove11 Rodin sculpteur. Œuvres méconnues, Musée Rodin, Paris 1992; Marbres de Rodin. Collection du Musée Rodin, Shizuoka Prefectural Museum of Art 1994; Rodin. Les marbres de la collection Thyssen, Musée Rodin, Paris 1996. 12 Rodin. La chair, le marbre, Musée Rodin, Paris 2012-2013. 13 „Rodin is accepted in his twentieth-century guise but rejected totally as an artist of the nineteenth century.“ John L. Tancock: The sculpture of Auguste Rodin. The collection of the Rodin Museum Philadelphia. Philadelphia/Boston 1976, S. 18, vgl. auch S. 25. 14 Metamorphoses in nineteenth-century sculpture. Hrsg. von Jeanne L. Wasserman. Ausst.-Kat. Fogg Art Museum, Cambridge, Mass. 1975; The Romantics to Rodin. French nineteenthcentury sculpture from North American collections. Hrsg. von Peter Fusco und H. W. Janson. Ausst.-Kat. Los Angeles Museum of Art 1980; Rodin’s monument to Victor Hugo. Ausst.-Kat. Los Angeles County Museum of Art; Portland Art Museum; Metropolitan Museum of Art, New York, 1998. 15 Daniel Rosenfeld (Korrespondenz, 8.10.2007).

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nienz, Ausstellungshistorie, frühen Fotografien, Vorstudien und Varianten in anderen Materialien verzeichnet. Als Grundlage dienten neben den Werkakten im Archiv des Musée Rodin der 1987 von Nicole Barbier erarbeitete Bestandskatalog der Marmorskulpturen des Musée Rodin16 und Daniel Rosenfelds Katalog für die Werke vor 1900. Den aktuellsten Forschungsstand geben die Publikation zur Ausstellung Rodin. La chair, le marbre (2012) des Musée Rodin sowie das 2007 von Antoinette Le Normand-Romain vorgelegte Verzeichnis der im Musée Rodin verwahrten Bronzen17 wieder, das auch Marmorfassungen listet, jedoch nicht alle der hier untersuchten Motive umfasst. In einigen Fällen konnten Werkangaben nach der Erschließung neuer Quellen und im Austausch mit dem Musée Rodin und anderen Institutionen, Kunsthändlern, Auktionshäusern und Archiven revidiert oder ergänzt werden. Wichtiges Quellenmaterial stellte Rodins umfangreiche, in den vergangenen Jahrzehnten in Teilen publizierte Korrespondenz mit Mitarbeitern, Kunden und dem großen Kreis befreundeter Künstler, Kritiker und Förderer dar, ergänzt durch weitere Archivalien (Presseausschnitte, Manuskripte, frühe Publikationen und Fotografien u. a.) aus dem im Musée Rodin lagernden Nachlass des Künstlers. Trotz eingehender Recherche bleiben einige Angaben lückenhaft: Nicht alle Marmorfassungen sind fotografisch dokumentiert, nicht immer konnte der Verbleib ermittelt werden, und auch Datierungen und die chronologische Ordnung der Fassungen sind zuweilen nur annäherungsweise möglich. François Blanchetière, Konservator am Musée Rodin in Paris, dem ich für wertvolle Hinweise danke, erarbeitet derzeit einen umfassenden Catalogue Raisonné der Marmorskulpturen, der voraussichtlich 2017 publiziert wird. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung des Terminus Non-finito soll zunächst dessen Genese, Definition und seinem durch die Rodin-Rezeption eingeleiteten Bedeutungswandel nachgehen. Die Herausbildung des Begriffs als stilistische Bezeichnung geht einher mit der Anerkennung und zunehmenden Wertschätzung der unvollendeten Skulpturen Michelangelos. Diesem traditionsreichen Diskurs und der Michelangelo-Rezeption speziell im 19. Jahrhundert und durch Rodin widmet sich ein Kapitel, das zudem die generelle Aufwertung des Fragmentarischen, Skizzenhaften und Unvollendeten durch die Kunsttheorie der Romantik in den Blick nimmt. Die Annäherung an das Non-finito bei Rodin erfolgt dann über die Analyse der Kunsttheorie und Arbeitspraxis Rodins. Die Genese seiner 16 Nicole Barbier: Marbres de Rodin. Collection du Musée. Éditions du Musée Rodin. Paris 1987. 17 Antoinette Le Normand-Romain: Rodin et le bronze. Catalogue des œuvres conservées au Musée Rodin. Paris 2007. Grundlegend sind zudem die Inventare des Musée Rodin von Georges Grappe (5. Aufl. 1944), des Rodin Museum in Philadelphia von John L. Tancock (1976), und der Rodin-Sammlung von Iris & B. Gerald Cantor an der Stanford University, bearbeitet von Albert E. Elsen und Rosalyn Frankel Jamison (2003). Cécile Goldscheider arbeitete in den 1980er Jahren in Kooperation mit dem Wildenstein Institute an einem Catalogue Raisonné der Skulpturen, von dem 1989 lediglich der erste Band publiziert wurde, der die Werke bis 1886 umfasst.

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Marmorskulpturen wird nachverfolgt, Formfindung, Übertragungsverfahren und Werkstattorganisation untersucht. Besondere Beachtung erfahren die mit der Steinausführung betrauten Assistenten und die Unterscheidung unfertiger von nonfiniten Werken. Das Prozesshafte ist bei Rodin einerseits Werkverfahren und Gestaltungsprinzip, andererseits  – und besonders in den non-finiten Marmorwerken  – Thema bzw. Motiv. Das zentrale Kapitel bilden daher detaillierte Analysen der Entstehungssituation und der zeitgenössischen Wirkungsgeschichte non-finiter Hauptwerke, um davon ausgehend verschiedene Deutungsvarianten der unbestimmten Oberfläche zu entwickeln. Die non-finite Struktur wird dabei untersucht (a) vom Werkstoff her: als Produkt einer vermeintlich unabgeschlossenen Konzeption und Bearbeitung, und (b) vom Motiv her: als unbestimmte, unvollständige figürliche Repräsentation. Die Werkauswahl, die motivischen und zeitlichen Gesichtspunkten folgt, umfasst die frühen Skulpturen Orphée et Eurydice sortant de l’enfer und La Pensée und führt über L’Homme et sa pensée, La Main de Dieu und Pygmalion et Galatée bis zu Mère et fille mourante und den späten non-finiten Marmorneufassungen der Künstlerporträts von Puvis de Chavannes, Mozart/Gustav Mahler und Victor Hugo. Besonderes Interesse gilt den sukzessiven Fassungen eines Motivs, dessen schrittweise Veränderungen und Akzentverschiebungen anhand Tête de la Douleur und Fugit Amor dargestellt werden. Die Werkanalysen sollen zeigen, dass Rodin das Non-finito bewusst als Stil- und Ausdrucksmittel einsetzte, um nicht nur ästhetische Wirkungen zu erzielen, sondern auch inhaltliche Aussagen zu treffen. Um Rodins Non-finito als Phänomen der frühen Moderne nicht isoliert, sondern vielmehr aus den Strukturen seiner Zeit heraus zu begreifen, widmet sich ein weiteres Kapitel den Wechselbeziehungen mit künstlerischen Strömungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Eine Gegenüberstellung mit Kollegen Rodins soll zeigen, inwieweit das Stilmittel der aus dem Unbestimmten und Amorphen entwickelten Form nicht singulär, sondern mit zeitgenössischen Tendenzen sowohl in Skulptur als auch Malerei vergleichbar ist. Die Verbreitung und Rezeption der non-finiten Marmore zu Lebzeiten Rodins durch Ausstellungen, Besprechungen und fotografische Reproduktionen wird rekonstruiert, ihre Akzeptanz bei Museen, Sammlern und Publikum, und ihre Bewertung durch die zeitgenössische Kunstkritik und -theorie. Schließlich wird die vergleichende Analyse einer Werkreihe, die von Rodin über Max Klinger und Wilhelm Lehmbruck zu Constantin Brancusi führt, die Weiterwirkung des Non-finito Rodins in die Skulptur des 20. Jahrhunderts verfolgen. Einflüsse sollen nachgewiesen und anhand weiterer Beispiele die verschiedenen Modi der Aneignung sondiert und bewertet werden. Mit dem Werk Rodins verlagert sich der Fokus von der formal vollendeten Skulptur auf den Prozess ihrer Genese und ihr Potential zur Veränderung. Normative Standards von Geschlossenheit und Eindeutigkeit werden abgelöst durch eine neue Beweglichkeit von Formen und Inhalten. Rodins unablässig modifizierten, fragmentierten und neu kombinierten Gipsmodellen, aus denen die Bronzen und Marmore hervorgehen, wird ein traditioneller, auf Endgültigkeit ausgerichteter Werkbegriff ohnehin nur noch unzureichend gerecht. Einzelne Werke sind weniger

EINLEITUNG

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Endpunkte, als Stationen in einem fortdauernden kreativen Prozess. Inwieweit den Skulpturen in Marmor, dem für Finalität und für eine lange klassische Tradition bürgenden Werkstoff, daher eine Sonderstellung zukommt, soll im abschließenden Kapitel diskutiert werden, welches das Non-finito als Topos des Moderne analysiert. Die Fokussierung richtet sich auf die offen ausgestellten Spuren der Werkgenese, auf das Prozessuale und Transitorische.

1. Voraussetzungen 1.1. Zum Begriff Non-finito Das Stilmittel der bossierten Oberfläche in Rodins Marmorwerk ist zu seinen Lebzeiten und in der nachfolgenden Forschung unterschiedlich benannt und gedeutet worden. Der Begriff Non-finito, mit dem diese Studie arbeitet, ist genuin modern, und in seiner heute gültigen Bedeutung ein Produkt des 20. Jahrhunderts. Er wird in der Rodin-Forschung erst seit den 1950er Jahren und bis heute uneinheitlich, mit unterschiedlichen Konnotationen, verwendet. Diese Abweichungen lassen sich aus der Geschichte des Begriffs erklären, deren Untersuchung im Folgenden aufzeigen soll, wann er erstmals belegt ist, auf Werke Michelangelos angewendet und schließlich mit modifiziertem Sinngehalt auf Rodin übertragen wurde. 1.1.a. Michelangelo Das Konzept des Non-finito ist vom Standpunkt der Vollendung her gedacht. Es impliziert die Vorstellung einer (Werk-)Ganzheit, eine ursprüngliche, nicht eingelöste Absicht von Abgeschlossenheit. Der Terminus non-finito ist aus dem Italienischen zu übersetzen mit „nicht-“ bzw. „unvollendet“ und bezeichnete ursprünglich in ihrer Ausführung nicht abgeschlossene Kunstwerke. Auf dem Gebiet der Plastik wurde er im 18. Jahrhundert erstmals auf unvollendete Skulpturen Michelangelos angewendet. Von diesem selbst bzw. von Vasari und Condivi wurde die Formulierung nicht benutzt und ist auch in den ersten 200 Jahren der Michelangelo-Rezeption nicht lokalisierbar, wie auch das Unvollendete und Fragmentarische im 16. und 17. Jahrhundert noch keine eigenständige ästhetische Kategorie ist. Das Phänomen der Nichtvollendung bei Michelangelo wird zwar seit Vasari beobachtet, kommentiert und interpretiert;1 als Terminus existiert non-finito jedoch noch nicht. Während Vasari lediglich das Prädikat „non finì …“ („er vollendete nicht“) gebraucht, ohne es als eigenständige Begriffsprägung zu kennzeichnen, ist in der französischen Ausgabe von Jonathan Richardsons Kunstführer Italiens 1728 die Formulierung „non-finies“2, die Michelangelos Figuren der Neuen Sakristei be1 Paola Barocchi: „Finito e non-finito nella critica vasariana“, in: Arte Antica e Moderna, 3 (1958), S. 221-235. 2 Jonathan Richardson Sen. u. Jun.: Traité de la peinture et de la sculpture, Bd. III: Description de divers fameux tableaux, desseins, statues, bustes, bas-reliefs, & c., Qui se trouvent en Italie.

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schreibt, kursiv gedruckt. Raphael Rosenberg setzt hier die Erstverwendung als Terminus technicus an.3 Als fester Begriff setzt sich non-finito dennoch erst im 20. Jahrhundert durch. André Chastel formuliert 1965 in seiner Studie zur italienischen Renaissance Le Grand Atelier d’Italie (1460-1500) eine Definition des Begriffs in Bezug auf Michelangelo, die weitere Aspekte präzisiert. Chastel bestimmt den Begriff nicht mehr vom Standpunkt der Vollendung her, sondern definiert ihn rein formal: bestimmte Partien des Werkes sind in skizzenhaftem Zustand belassen. Der anfangs negativ konnotierte Terminus sei seit Michelangelo mit dessen schöpferischem ‚Furor‘ in Verbindung gebracht und dadurch aufgewertet worden: Non finito: Terme italien; mot à mot „non fini, inachevé“. Caractère de l’ouvrage ou des parties de l’ouvrage laissées à l’état d’abbozzo. La notion est d’abord négative, mais à la suite des initiatives de Michel-Ange, après 1500, elle tend à être associée à la vigueur de l’inspiration (furor) et se trouve ainsi valorisée.4

1.1.b. Rodin Im 20. Jahrhundert erfährt der Begriff zudem in Reaktion auf das Werk Rodins eine grundlegende Umdeutung und wandelt sich von der Bezeichnung für unvollendete Kunstwerke zu einem stilistischen Terminus. The Dictionary of Art definiert „Non finito“ nun als „term applied to a work of art that is deliberately left in what appears to be an unfinished state“5, womit zwei wesentliche, auch für Werke Rodins zutreffende Aspekte benannt sind: Sie sind (a) absichtsvoll, als Resultat einer bewussten Entscheidung in einem Zustand belassen, der (b) lediglich als unvollendet erscheint. Es wird der Anschein erweckt, es handele sich um ein unfertiges Werk, ohne dass dies tatsächlich der Fall ist. Rodin vielmehr erreicht diesen Anschein, wie noch gezeigt wird, oft erst mit elaborierten Mitteln. Non-finite Werke gelten also nach dieser modernen Definition als unvollendet konzipiert, und daher als in sich abgeschlossen und vollgültig. Die äußerliche Nichtvollendung kann zum eigentlichen Anliegen werden. Die häufige Verwendung des Terminus non-finito in der Literatur seit den 1950er Jahren (in variierenden Schreibweisen und auch in substantivischer Form) ist ein Indiz für die Etablierung des Unvollendeten als „künstlerische Form“6. Da der provisorische Bearbeitungszustand planmäßig zum finalen wird, ist der Begriff nun im Grunde semantisch nicht mehr korrekt. In

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Amsterdam 1728, S. 138; zit. in: Raphael Rosenberg: Beschreibungen und Nachzeichnungen der Skulpturen Michelangelos. Eine Geschichte der Kunstbetrachtung. München 2000, S. 103. Rosenberg 2000, S. 103. André Chastel: Le Grand Atelier d’Italie (1460-1500), Paris 1965, S. 374. Zitierte Ausgabe: Renaissance italienne 1460-1500. I. Renaissance méridionale, II. Le grand Atelier d’Italie. Paris 1999, S. 851. The Dictionary of Art. Hrsg. von Jane Turner. New York/London 1996, Bd. 23, S. 195. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth (Hrsg.): Das Unvollendete als künstlerische Form. Ein Symposion. Bern/München 1959.

ZUM BEGRIFF NON-FINITO

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dieser Studie kann der Terminus also auch nur entsprechend seines jeweiligen historischen Kontextes verwendet werden: In Bezug auf Michelangelo in seinem ursprünglichen, tatsächlich unvollendete Werke bezeichnenden Sinn, und in Bezug auf Rodin in der durch dessen Werk erst generierten modernen Bedeutung. Rodin selbst benutzte die Formulierung non-finito nicht. Im Französischen taucht sie überhaupt erst in der jüngeren Kunstgeschichte7 bzw. Rodin-Forschung8 auf (das französische Partizip „non fini“, das lediglich „nicht vollendet“ bedeutet, ist für seine Werke ja nicht zutreffend). Seine Zeitgenossen beschreiben die Erscheinung der Skulpturen phänomenologisch oder bezeichnen sie als „inachevé“ bzw. „ébauché“, es kommt jedoch nicht zur Einführung eines eigenständigen stilistischen Begriffs. Die Übertragung des Terminus non-finito auf die Werke Rodins erfolgt erst Mitte des 20. Jahrhunderts durch den Baseler Kunsthistoriker Joseph Gantner in dessen 1953 publizierter Studie Rodin und Michelangelo9, die erstmals die ästhetischen Konzepte beider Künstler einem umfassenden Vergleich unterzieht. Die jüngere Kunstgeschichte verwendet den Terminus, der zu einem Schlüsselbegriff der Moderne avanciert ist, immer häufiger, begegnet jedoch den „metaphysischen Obertönen“10 der in den 1950er Jahren um den Begriff geführten Diskurse mit Skepsis. Zudem ist im 20. Jahrhundert eine Rückwirkung auf die Michelangelo-Rezeption zu beobachten, die dessen unvollendete Werke nun neu erschließt und deutet. Während die Michelangelo-Bibliographie von Steinmann und Wittkower11 für die Jahre 1510 bis 1926 im Sachregister weder einen Eintrag zu den unvollendeten Skulpturen noch den Begriff „Non-finito“ verzeichnet, enthält die daran anschließende, von Luitpold Dussler erstellte Bibliographie für die Zeit bis 1970 ein eigenes Registerstichwort Das „Unvollendete“12 (in Anführungen gesetzt), das 37 Publikationen verzeichnet, darunter 20 Texte, die das „Non-finito“ als ihren Gegenstand anführen und bereits im Titel so benennen. Die stetig anwachsende Zahl der seither erschienenen Beiträge ist noch nicht systematisch erfasst.

7 Colloque sur le Non-Finito, in: Actes du V. Congrès International d’Esthétique, Amsterdam 1964. Den Haag/Paris 1968. Bd. 1, S. 217-262; Guy Robert: Art et non finito. Esthétique et dynamogénie du non finito. Montréal 1984. 8 Antoinette Le Normand-Romain: „Rodin et Michel-Ange: ‚Le fragmentaire, l’hybride et l’inachevé‘“, in: Rom 2001, S. 38-46, hier S. 43. 9 Joseph Gantner: Rodin und Michelangelo. Wien 1953. 10 Michael Hoff: „Epiphanie im non-finito“, in: Friedrich Weltzien, Amrei Volkmann (Hrsg.): Modelle künstlerischer Produktion. Berlin 2003, S. 39-56, hier S. 39. 11 Ernst Steinmann, Rudolf Wittkower (Hrsg.): Michelangelo-Bibliographie 1510-1926. Leipzig 1927. Reprographischer Nachdruck: Hildesheim 1967. 12 Luitpold Dussler (Hrsg.): Michelangelo-Bibliographie 1927-1970. Wiesbaden 1974, S. 273. Vgl. auch Rosenberg 2000, S. 93.

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VORAUSSETZUNGEN

1.2. Michelangelo The heads of the Medici sacristy we believe to have been thus left unfinished, as having already the utmost expression which the marble could receive, and incapable of anything but loss from further touches. John Ruskin, 184713

1.2.a. Non-finito bei Michelangelo Nach dem Bericht Giorgio Vasaris sind lediglich elf der Skulpturen Michelangelos vollendet. Vollendet heißt für ihn, dass die Marmoroberfläche keine Fertigungsspuren mehr aufweist. Alle weiteren Werke sind in verschiedenen Stadien der Bearbeitung belassen:14 Vielen fehlt lediglich die abschließende Glättung, bei anderen ist der Stein an einigen Stellen nur grob bossiert oder zeigt den Rohzustand, wie er gebrochen wurde. Das Vorherrschen der unvollendeten Form im Werk Michelangelos wird seit Vasari diskutiert und hat die unterschiedlichsten, jeweils von ihrem historischen Kontext geprägten Begründungen und Deutungen hervorgerufen.15 Von der Vielzahl dieser mitunter widersprüchlichen Wahrnehmungsmuster sollen im Folgenden diejenigen vorgestellt werden, die das Unvollendete nicht als Mangel an Gestaltung und Aussage werten, sondern vielmehr dessen ästhetische Wertschätzung einleiten oder sogar in die Rodin-Rezeption fortwirken, wo sie wieder aktiviert und neu formuliert werden. Das kann nur punktuell geschehen, und le-

13 John Ruskin: „The History of Christian Art“ (1847), in: The works of John Ruskin. Hrsg. von E. T. Cook and Alexander Wedderburn. Bd. XII: Lectures on architecture and painting (Edinburgh 1853), with other papers 1844-1854. London 1904, S. 169-248, hier S. 207f. 14 Als unvollendet gelten neben den sechs Prigioni der S.  Matteo (Galleria dell’Accademia, Florenz); Tondo Taddei (Royal Academy, London) und Tondo Pitti (Museo nazionale del Bargello, Florenz); die Figuren der Medicigräber der Neuen Sakristei in San Lorenzo in Florenz, hier v.a. die Köpfe des Giorno und Crepuscolo; die Pietà Rondanini (Castello Sforzesco, Mailand) und andere. 15 Einen historischen Überblick über die Vielzahl der Forschungsansätze geben: Paola Barocchi in: Giorgio Vasari: La vita di Michelangelo, nelle redazioni del 1550 e del 1568, Mailand u. a. 1962, Bd. IV, S. 1645-1670; Teddy Brunius: „Michelangelo’s non finito“, in: Contributions to the History and Theory of Art. Uppsala 1967, S. 29-67. Weiterhin: Juergen Schulz: „Michelangelo’s Unfinished Works“, in: The Art Bulletin 57 (1975), S. 366-373; Michael Bockemühl: „Vom unvollendeten zum offenen Kunstwerk. Zur Diskussion des non-finito in der Plastik von Michelangelo“, in: Michael Hesse (Hrsg.): Studien zu Renaissance und Barock. Manfred Wundram zum 60. Geburtstag  – Eine Festschrift. Frankfurt a. M. 1986, S. 111-133; Creighton E. Gilbert: „What is expressed in Michelangelo’s Non-finito?“, in: Artibus et historiae, 24 (2003), Nr. 48, S. 57-64.

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diglich unter Berücksichtigung der für den Vergleich beider Künstler relevanten Aspekte.16 Michelangelo ging von einer Ganzheitsvorstellung aus, sein Bestreben galt grundsätzlich der Vollendung seiner Werke. Oft sind äußere Gründe rekonstruierbar, etwa die Änderung der politischen Verhältnisse, von denen seine Auftragslage abhing, damit verbundene Ortswechsel bzw. dringendere Aufträge, die dazu führten, dass er die Arbeit an bestimmten Werken unterbrach und nicht wieder aufnahm. Wie zuletzt Horst Bredekamp plausibel dargestellt hat, ist das Non-finito Michelangelos ein „Spannungsprodukt“17 gegebener und selbstproduzierter Zwänge innerhalb eines florierenden Kunstmarktes: Die ehrgeizige Überschätzung der eigenen Kräfte und die enorme Zahl der angenommenen, letztlich unerfüllbaren Aufträge führte zu zahllosen Vertragsbrüchen und einer großen Menge unvollendeter Arbeiten. Das Non-finito wurde aus einer physischen Notwendigkeit heraus zur unausweichlichen Werkform.18 Dennoch schienen diese Skulpturen, in denen unterschiedliche Arbeitsstadien vor der abschließenden Glättung konserviert sind, für Michelangelo eine ästhetische Qualität zu besitzen, und auch die meisten Auftraggeber zahlten für diese de facto unfertigen Arbeiten. Nur sein außerordentliches Ansehen erlaubte es ihm, diese Stufen des Werkprozesses als finale Arbeiten zu präsentieren.19 Bereits Vasari und Condivi erklären die große Zahl unvollendeter Werke jedoch nicht nur mit externen Nöten, sondern auch mit subjektiven Ursachen: Sein selbstquälerischer Perfektionismus habe Michelangelo schon bei geringen Fehlern dazu veranlasst, die Arbeit am Stein aufzugeben; und zunehmend auch die Resignation angesichts des eigenen Unvermögens, die Vollkommenheit seiner geistigen Ideen materiell auch nur annähernd umzusetzen. Selbstzeugnisse Michelangelos wurden immer wieder als Belege für diese Deutung herangezogen. Doch betont bereits Vasari, der schon in der Vita des Leonardo ein ähnliches Phänomen beschrieben hatte,20 dass Michelangelos Medici-Madonna ihre Perfektion auch in unvollendetem Zustand offenbare.21 Dieses erstaunliche Urteil, das dem Vollkommenheitsideal seiner Zeit entgegensteht, ist nur damit zu erklären, dass Michelangelo, in dessen Lebensbeschreibung Vasaris Vite ihren Höhe- und Endpunkt finden, für diesen über der Kunsttheorie steht, über alle Norm erhaben ist. Trotz ihres handwerklichen Non-finito gelten ihm seine Werke als künstlerisch vollendet. Franz16 Diese Überblicksdarstellung stützt sich substantiell auf die von Raphael Rosenberg erarbeitete, analytisch organisierte Materialsammlung zur Interpretationsgeschichte des Non-finito der Medicigräber in der schriftlichen Michelangelo-Rezeption: Rosenberg 2000, S. 92120. 17 Horst Bredekamp: Michelangelo. Fünf Essays. Berlin 2009, S. 9. 18 Horst Bredekamp: „Varianten der Vollendung (1498-1505)“, ebd., S. 11-19, hier S. 12-13. 19 Ebd., S. 19. 20 Vgl. Brunius 1967, S. 54-58. 21 „[…] ancora che non siano finite le partie sue, si conosce, nell’essere rimasta abozzata e gradinata, nella imperfezione della bozza la perfezzione dell’opera.“ Vasari 1962 (1550/1568), S. 61. Vgl. Barocchi 1958, S. 223.

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VORAUSSETZUNGEN

Abb. 1: Michelangelo: Tondo Taddei, 1503-1504, London, Royal Academy of Fine Arts

Joachim Verspohl hat darauf hingewiesen, dass Vasari Marmorreliefs wie den Tondo Taddei (Abb. 1), dessen tiefer liegende Raumschichten nur andeutend bossiert sind, als unvollendet beurteilt („abbozzò e non finì due tondi di marmo“22), zugleich aber bekräftigt, dass man sie für vortrefflich und bewundernswert gehalten habe („le quali opere furono tenute egregie e mirabili“23). Eine Theorie des Nonfinito leitet Verspohl aus Vasaris Äußerungen jedoch nicht ab. Michelangelo habe die Reliefs lediglich in einem Zustand belassen, der der Werkauffassung des Gemäldes bei Leonardo entspreche:24 Die unterschiedlichen Bearbeitungsstadien des Marmors lassen sich mit der malerischen Unbestimmtheit vergleichen, die dieser mit seiner Sfumato-Technik erzeugte, oder auch, wie Horst Bredekamp ergänzt, mit den offenen Oberflächen einiger Bronzereliefs von Donatello.25 Die von Vasari vorgenommene „Abkopplung von Vollendung und Vollkommenheit“26 wird von nachfolgenden Autoren aufgegriffen und mündet in der paradoxen Feststellung Francesco Bocchis und Benedetto Varchis, Michelangelos unfertige Skulpturen seien vollendeter als abgeschlossene Werke. Über die prigioni schreibt Bocchi 1591: „Et divero più sono queste statue meravigliose in questa guisa, che se del tutto fossero compiute, e più da migliori artefici ci sono ammirate, attese, e contemplate, che se dal Buonarroto l’ultimo artifizio havessero havuto.“27 Und Varchi betonte schon 1564 mit Nachdruck, dass der S. Matteo (Abb. 2) mehr 22 Vasari 1962 (1550/1568), Bd. I, S. 23. Vgl. Franz-Joachim Verspohl: Michelangelo Buonarroti und Leonardo da Vinci. Republikanischer Alltag und Künstlerkonkurrenz in Florenz zwischen 1501 und 1505. Göttingen/Bern 2007, S. 27. 23 Ebd. 24 Ebd., S. 28-29. 25 Bredekamp 2009, S. 11. 26 Rosenberg 2000, S. 97. 27 Francesco Bocchi: Le bellezze della città di Firenze. Florenz 1591, S. 70; zit. und übers. in: Rosenberg 2000, S. 92-93: „Fürwahr, diese Statuen sind so wie sie sind herrlicher, als wenn

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Abb. 2: Michelangelo: S. Matteo, 1505-06, Florenz, Galleria dell’Accademia

Vollendung zeige als vollendete Werke anderer Künstler.28 Ascanio Condivi indes stellt Michelangelo in seiner gemeinsam mit diesem als Korrektiv zu Vasaris Vita verfassten Biografie nicht in die Tradition Donatellos, sondern kritisiert vielmehr dessen nachlässig gearbeitete Oberflächen. Dies zeigt deutlich, dass für Michelangelo das Non-finito als ästhetisches Konzept grundsätzlich fremd und nicht erstrebenswert war. Dennoch rechtfertigt Condivi die auffallend große Zahl unvollendeter Skulpturen nicht nur mit einer problematischen Entstehungsgeschichte, sondern begründet sie – wie Vasari – auch ästhetisch. Damit, so Andrea Niehaus, „schaffen sie das Phänomen des ‚Nonfinito‘“29, zu dessen Begründung und Interpretation sich die Michelangelo-Forschung bis heute herausgefordert sieht. Ikonisch geworden für die vielfältigen Ausdeutungen des Unvollendeten als Verweis auf eine dahinterliegende Aussage sind Michelangelos prigioni, die sechs in verschiedenen Stadien des Non-finito verbliebenen Gefangenen oder Sklaven: Zwei um 1513-1515 in Rom entstandene, vergleichweise vollendete befinden sich heute im Louvre,30 die vier ab 1519 in Florenz begonnenen, deutlich unfertigeren, in der sie ganz vollendet wären, und sie werden von den besten Künstlern mehr bewundert, aufgesucht und betrachtet, als wenn sie durch Buonarroti den letzten Schliff erhalten hätten.“ 28 Vasari 1962 (1550/1568), S. 229; Gilbert 2003, S. 59; Bredekamp 2009, S. 12. 29 Andrea Niehaus: Florentiner Reliefkunst von Brunelleschi bis Michelangelo. München 1998, S. 177. 30 Rebellischer Sklave (Esclave rebelle, Abb. 5), Sterbender Sklave (Esclave mourante).

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Abb. 3: Michelangelo: Schiavo che si ridesta, ca. 1519-23, Florenz, Galleria dell’Accademia

dortigen Galleria dell’Accademia.31 Ursprünglich waren sie für das Großprojekt des Grabmals für Papst Julius II. in Sankt Peter in Rom vorgesehen, mit dessen Planung Michelangelo bereits 1505 beauftragt wurde,32 fanden nach wiederholten Arbeitsunterbrechungen und quälenden Konzeptionsänderungen in der schließlich realisierten, stark reduzierten Ausführung des Monuments jedoch keinen Platz. Die heute in Florenz befindlichen Figuren gingen nach dem Tod Michelangelos 1564 als Schenkung durch dessen Neffen Lionardo in den Besitz des Großherzogs Francesco I. über, der sie 1585 von Buontalenti in die Eckpfeiler der künstlichen Grotte des Boboli-Gartens in Florenz integrieren ließ. 1909 wurden sie schließlich in die Galleria dell’Accademia überführt, wo seitdem auch ihre unausgeführten Partien vollständig sichtbar sind. Im rohesten Zustand zeigen sich der sog. Erwachende Sklave (Schiavo che si ridesta, Abb. 3) und der sog. Atlantensklave (Schiavo ‚Atlante‘, Abb.  4). Bei beiden ist noch deutlich die kubische Form des 31 Erwachender Sklave (Schiavo che si ridesta, Abb. 3), Atlantensklave (Schiavo ‚Atlante‘, Abb. 4), Bärtiger Sklave (Schiavo barbuto), Jugendlicher Sklave (Schiavo giovane). 32 Der erste Entwurf für das Grabmal von 1505 sah ein freistehendes dreigeschossiges Monument vor; der zweite von 1513 eine wandgebundene, doch stark in den Raum ausgreifende Anlage. Das Untergeschoss sollte jeweils durch Nischenfolgen gegliedert werden, die Siegerfiguren enthalten, flankiert von den gefesselten prigioni. Die vier heute in Florenz befindlichen prigioni sind vermutlich erst ab 1519 für den dritten, nochmals reduzierten Entwurf entstanden, der lediglich ein Wandgrab vorsah. Siehe auch: Schulz 1975, S. 367-368; Claudia Echinger-Maurach: Michelangelos Grabmal für Papst Julius II. München 2009, S. 45-55.

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Abb. 4: Michelangelo: Schiavo Atlante, ca. 1519-23, Florenz, Galleria dell’Accademia

Rohblocks erkennbar. Während Rumpf, Oberarme und Oberschenkel ausgearbeitet und geglättet wurden, sind Kopf, Hände und Füße noch in der grob behauenen Bosse, der bozza, geborgen. Auch dort ist der Verlauf der Glieder bereits weitestgehend erkennbar. Michelangelo, dessen Arbeitsweise sich grundlegend von der Rodins unterschied, bearbeitete seine Skulpturen zumeist eigenhändig. Er konzipierte sie von außen, von den Grenzen des Blockes ausgehend, und entwickelte sie in die Tiefe, indem er sie schrittweise freilegte. Die geistige Vorstellung, der concetto, ist nach Auffassung Michelangelos bereits in der rohen Materie des Steins vorgebildet. Diese Idee der im Marmorblock enthaltenen Form geht zurück auf Plinius33 und wurde von Alberti weiterentwickelt zu dem Topos, dass der Block die ihm gemäße Figur bereits in sich trage, die der Bildhauer entdecke und lediglich ans Licht befördere, indem er das überflüssige Material abträgt.34 Diese Vorstellung der 33 Gaius Plinius Secundus: Naturalis historia – Naturkunde. Hrsg. und übers. von Roderich König. München 1992, Buch XXXVI: Die Steine, S. 23: „Von den parischen Steinbrüchen wird ein erstaunliches Geschehen berichtet: Als ein einzelner Steinblock durch die Keile der Arbeiter losgesprengt wurde, sei in seinem Innern das Bild des Silenos zum Vorschein gekommen.“ 34 Leon Battista Alberti: De Statua. De Pictura. Elementa Picturae – Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei. Hrsg. von Oskar Bätschmann und Christoph Schäublin. Darmstadt 2000, S. 143-145: Bildhauer sind „diejenigen, die eine gesuchte Menschengestalt, als sei sie in einen Marmorblock eingelassen und in ihm verborgen, ans Licht befördern, indem sie gleichsam das Überflüssige wegschlagen.“

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vom Künstler im Stein imaginierten und mithilfe seiner Fähigkeiten daraus befreiten Gestalt formuliert Michelangelo in den programmatischen Versen seines 15. Sonetts: „Non ha l’ottimo artista alcun concetto / c’un marmo solo in sè non circoscriva / col suo soverchio; e solo a quello arriva / la man che ubbidisce all’intelletto.“35 Das Herausschlagen der Figur aus dem Stein steht in der Dichtung Michelangelos auch metaphorisch für die kathartische Läuterung der Seele. Daher sind es auch diese Gedichte, die im 20. Jahrhundert Erwin Panofsky als Belege für seine neoplatonische Deutung der prigioni heranzog, die er aus dem von Vasari formulierten Widerspruch zwischen dem geistigem Bild und dessen materieller Realisierung ableitete. Panofsky stellte heraus, dass Michelangelos Begriff des concetto mit der platonischen idea gleichzusetzen ist, ist aber auch der Ansicht, dass sich Michelangelo mit dem Begriff concetto – als „freie schöpferische Vorstellung, die ihren Gegenstand konstituiert“36  – von der transzendenten Auffassung der idea bewusst abgrenzte. Die prigioni deutete Panofsky im Sinne der in Florenz und Rom maßgeblich durch Marsilio Ficino und Benedetto Varchi verbreiteten neuplatonischen Vorstellung, dass der Geist in der Materie befangen ist: Michelangelo, der vom menschlichen Körper als dem „carcer terreno“, dem „irdischen Gefängnis“ der unsterblichen Seele sprach, zeige in den gequälten Körperhaltungen der noch halb im Stein verborgenen prigioni „den Kampf, den die Seele führt, um der Gefangenschaft der Materie zu entfliehen“37: „An die Hermen gekettet, in denen die Materie selbst sozusagen ihr Angesicht sehen läßt, symbolisieren die Sklaven die menschliche Seele, insofern sie unfrei ist.“38 Tatsächlich scheinen sich die muskulösen Körper unter gewaltigen Kräftespannungen dem Marmorblock, der sie teilweise noch einschließt, zu entwinden. Ihre Haltung der Auflehnung oder Erschöpfung gilt bis heute als ein Aufbegehren gegen den Widerstand, den die träge Materie ihnen entgegensetzt und dem einzelne, noch im Rohblock gefangene Glieder erliegen. Der heute gebräuchliche Titel Schiavo che si ridesta (Erwachender Sklave) ist zurückzuführen auf diese Lesart als Figur, die, allmählich aus der amorphen Masse des Steins hervortretend, zu Leben und Bewusstsein gelangt. Francesco Bocchi ist einer der ersten Autoren, der 1591 die damals erst kürzlich in die Grotte eingefügten prigioni als ‚im Entstehen begriffene‘, aus dem Stein sich entwickelnde Gestalt wahrnimmt, indem er sie zum antiken Mythos von Deukalion und Pyrrha in Beziehung setzt:

35 Michelangelo: Sonette. Zweisprachen-Ausgabe. Übers. von Karl Kleinschmidt. Bremen 1964, S. 66-67: „Was sich des größten Meisters Schau erschafft, / birgt alles schon der ungestalte Stein, / doch es zu lösen aus der Fülle Haft, / gelingt der geistgelenkten Hand allein.“ 36 Erwin Panofsky: ‚Idea‘. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte der älteren Kunsttheorie. Leipzig/ Berlin 1924, S. 67. Vgl. Hoff 2003, S. 48-49. 37 Erwin Panofsky: „Die neoplatonische Bewegung und Michelangelo“, in: Ders.: Studien zur Ikonologie. Humanistische Themen in der Kunst der Renaissance. Köln 1980, S. 251-304, hier S. 258. 38 Ebd., S. 268.

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Vier Statuen von Buonarroti, die für das Grab des Papstes Julius II. gemacht worden waren, sind an diesen Ort [Buontalentis Grotte im Boboli-Garten] gebracht worden, und dies geschah mit viel Feinsinn: denn bossiert, wie sie sind, mit einer unglaublichen und wunderbaren Kunstfertigkeit, zeigen die Figuren mit aller Kraft, dass sie aus dem Marmor austreten wollen, um die Ruine zu verlassen, in der sie sich befinden, und sie erinnern an das Dichtermärchen, wonach, nachdem die Menschen durch die Sintflut untergegangen waren, Deukalion die Welt wiederherstellte, indem er Menschen aus Steinen herausholte.39

Nach der Erzählung Ovids werfen Deukalion und Pyrrha, die einzigen Überlebenden der Sintflut, hinter sich in ihre eigenen Fußspuren Steine, die sich in Menschen verwandeln. Den Prozess der allmählichen Gestaltwerdung und Verlebendigung dieser Körper aus dem Stein schildert Ovid folgendermaßen: […] die Steine verlieren allmählich Härte und Starrheit, werden weich mit der Zeit und beginnen Formung zu zeigen. Dann, sobald sie, gewachsen, ein zarteres Wesen gewonnen, ließ sich wie Menschengestalt zwar etwas erkennen, doch deutlich nicht, nein so wie an Marmor, der kürzeste Zeit erst im Werk, noch wenig behauen, und ganz den rohen Bildnissen ähnlich.40

Das von Ovid verwendete Bild der Marmorskulptur im Zustand der Bearbeitung, an der sich die Entwicklungsstadien der organischen Körper ablesen lassen, legt die assoziative Verbindung zu Michelangelos prigioni nahe. Mit seinem gesamten Skulpturenprogramm inszenierte der erste Raum der Boboli-Grotte die Vision Ovids von der Erneuerung des Menschengeschlechtes nach der Sintflut,41 und es waren vor allem die prigioni, die die Vorstellung der sich aus dem Stein entwickelnden Geschöpfe in ihrem allmählichen Übergang von Fels zu Figur kongenial veranschaulichten. In dieser Einbettung erschienen sie als „chtonische Geburten“42, und waren als solche „Mimesis der Erde und zugleich Selbstreflexion der Kunst: ihres prometheischen Impulses“43. Die mythologische Referenz Bocchis wird im 18. Jahrhundert aufgenommen von den Richardsons, die in ihrem bereits zitierten 39 „Quattro statue di mano del Buonarroto, fatte già per la sepoltura di Papa Giulio Secondo, sono state in questo luogo [la grotta di Buontalenti nel Giardino di Boboli] collocate, e non senza vago, e sottile intendimento: perche abbozzate con incredibile, e maraviglioso artifizio mostrano queste figure con ogni sforzo di volere uscir del marmo per fuggire la rovina, che è loro di sopra, e fanno risovvenire di quello, che favoleggiano i poeti, quando estinti gli huomini per lo diluvio, cavando quelli da pietre, fu il mondo da Deucalione restaurato.“ Bocchi 1591, S. 69f.; zit. u. übers. bei Rosenberg 2000, S. 104. 40 Ovid: Metamorphosen. Buch 1, V. 401-406, übers. von Erich Rösch. 41 Horst Bredekamp: „Wasserangst und Wasserfreude in Renaissance und Manierismus“, in: Hartmut Böhme (Hrsg.): Kulturgeschichte des Wassers, Frankfurt a. M. 1988, S. 145-188, hier S. 162-163. Vgl. Detlef Heikamp: „La grotta grande del giardino di Boboli“, in: Antichità Viva, 4 (1965), S. 27-43. 42 Hartmut Böhme: „Antike Anthropogenie-Vorstellungen in Ovids Metamorphosen: Prometheus – Deukalion – Pygmalion“, in: Mayer/Neumann 1997, S. 89-125, hier S. 108. 43 Ebd., S. 111.

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Kunstführer Michelangelos Figuren der Neuen Sakristei ebenfalls mit der Episode von Deukalion und Pyrrha assoziieren und verschiedene evolutive Stadien beschreiben: On pouroit apliquer à ces Figures non-finies, ce qu’Ovide dit, des Pierres qui furent changées en Corps vivans, dans la Fable de Deucalion & de Pyrrha […]: ‚Ils voient, que les uns ne sont encore qu’ébauchés, dans l’instant même qui les fait naître; d’autres un peu plus avancés, cependant encore imparfaits & sans membres; & d’autres encore, dont une partie est déja animée, au-lieu que le reste n’est que pure terre‘.44

Bei Jean Baptiste Seroux d’Agincourt ist es 1811 nicht mehr eine mythologische Schöpfungsgeschichte, mit der Michelangelos unvollendete Skulpturen assoziiert werden, sondern eine Analogie aus der Naturwissenschaft. Die skizzierte Figur, die in den stehengelassenen Werkstadien bereits komplett angelegt ist, wird ihm zum Sinnbild für biologische Prozesse: Er sieht hier die Vergegenwärtigung der allmählichen Genese des Lebens; vom Zellhaufen, in dem alle Organe bereits latent vorhanden sind, hin zum vollentwickelten lebensfähigen Organismus: C’est particulièrement dans les figures qu’il a laissées imparfaites, ou dans quelques parties de celles qu’il a simplement ébauchées, qu’on aperçoit clairement la gradation avec laquelle il faisait entrer le sentiment vital dans ses ouvrages. […] Dans cet état, ces statues ressemblent à ce que l’histoire naturelle nous apprend de certains animaux aquatiques: au premier tems de leur naissance, ils n’offrent encore qu’une masse informe, dans laquelle existent, mais d’une manière latente, les organes qui après s’être successivement développés, reçoivent enfin le mouvement. Il en est de même de ces portions de marbre qui n’ont reçu du ciseau qu’une première ébauche: l’usage et l’emploi des parties qu’elles représentent sont en quelques sorte sensibles, parceque déjà la forme des membres y est annoncée avec exactitude, le contour général en est correct, le moëlleux de la chair y est même indiqué: qu’on attende un mouvement de plus et on y verra arriver la vie. Cet homme rare nous rend ainsi présens à une espèce de création.45 44 Richardson 1728, III, S. 136ff.; übers. in Rosenberg 2000, S. 103-104: „Man könnte für diese nicht vollendeten Figuren anwenden, was Ovid von den Steinen, die in lebende Körper verwandelt wurden, in dem Märchen von Deukalion und Pyrrha sagte […]: Sie sehen, daß die einen im Augenblick selbst, der sie zur Geburt bringt, erst skizziert sind; andere sind etwas fortgeschrittener, jedoch noch unvollkommen und ohne Glieder; von anderen ist ein Teil bereits belebt, während der Rest aus reiner Erde besteht.‘“ 45 Jean Baptiste Louis Georges Seroux d’Agincourt: Histoire de l’Art par les monuments. Paris 1811, 1823, II.1, S. 88; zit. u. übers. in: Rosenberg 2000, S. 104-105: „Gerade bei den Figuren, die er unvollendet gelassen, oder in Teilen derer, die er nur bossiert hat, kann man beobachten, wie er stufenweise das Lebensgefühl seinen Werken zuführte. […] Die Skulpturen gleichen in diesem Zustand bestimmten Wassertieren, von denen die Naturgeschichte lehrt, daß sie nach ihrer Geburt zuerst nur eine formlose Masse sind. Darin sind die Organe latent vorhanden. Nach und nach werden diese entwickelt und erhalten ihre Bewegung. Das gleiche gilt für jene Stellen, die vom Meißel nur angehauen wurden: Der Gebrauch und die Verwendung der dargestellten Teile sind bereits fühlbar, weil die Form der Glieder bereits genau angekündigt ist, der Gesamtumriß stimmt und selbst die Weichheit des Flei-

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1.2.b. Michelangelo-Rezeption im 19. Jahrhundert Im 19. Jahrhundert entwickeln Kunsthistoriker wie Carl Fernow und John Ruskin eine Sensibilität für die optischen Raffinessen der Marmoroberflächen und würdigen den Kontrast von bossierter und polierter Oberfläche als malerisches Gestaltungsmittel. Fernow untersucht die Wirkung des Lichts auf den unterschiedlichen Flächen und setzt die glatten und bossierten Partien in ein Verhältnis zu Hell und Dunkel bzw. Vorder- und Hintergrund,46 während Ruskin das „scenic or painterlike management of effect“47 der rohen Bosse und den Kontrast der Texturen rühmt: The marble is not cut into the actual form of the thing imagined, but oftener into a perspective suggestion of it […] – the sculptor never following a material model, but feeling after the most momentary and subtle aspects of the countenance […]. The heads of the Medici sacristy we believe to have been thus left unfinished, as having already the utmost expression which the marble could receive, and incapable of anything but loss from further touches.48

Ruskin, der sich auch für Turner begeisterte, greift hier einer impressionistischen49 und symbolistischen Ästhetik voraus, und er formuliert schon die zentrale, von der Kunstkritik vielfach aufgegriffene Überlegung, dass eine weitere Präzisierung der Form die Figur nicht perfektionieren, sondern ihrem Ausdrucksgehalt im Gegenteil schaden würde. Das fertige Werk sei „achieved“, die unvollendete Form dagegen „achieving“50, ungleich reicher an Entwicklungsmöglichkeiten und Ausdruck.

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sches ist angedeutet; eine weitere Bewegung reicht, und schon wird Leben kommen. Dieser seltene Mann vermag es, uns einen Schöpfungsakt zu vergegenwärtigen.“ Fernow über die Neue Sakristei: „Die Figuren sind an manchen Stellen nicht ganz geendiget und kleben noch hie und dort an dem rohen Marmorblocke, der ihnen zur Basis dient […]. Michelagnolo wußte […] mit dem Meißel zu zeichnen und zu modellieren. Alle Theile, auf die das Licht fällt, und die sich frei dem Auge darstellen, sind aufs höchste, fast bis zur Politur geendigt; auf den Theilen hingegen, die in Schatten zurückweichen […], sieht man den Meißel ohne weitere Endigung. Sie sind nirgends in der Form – denn die ist überall gleich genau bestimmt und vollendet – sondern bloß an den gedachten zurückweichenden Partien vernachlässiget […].“ Karl Fernow: „Neueste Literatur- und Kunstnachrichten aus Italien“, in: Der neue Teutsche Merkur, hrsg. von C. M. Wieland, 1803, III, S. 557-578, hier S. 562. John Ruskin: „The History of Christian Art“ (1847), in: The works of John Ruskin. Hrsg. von E. T. Cook and Alexander Wedderburn. Bd. XII: Lectures on architecture and painting (Edinburgh 1853), with other papers 1844-1854. London 1904, S. 169-248, hier S. 207f. Ebd. Vgl. Rosenberg 2000, S. 115-116 und Gilbert 2003, S. 61. Ruskin, zit. in Rosenberg, S. 119. Mit Rodin verbindet Ruskin die vitalistische Auffassung von Natur als lebendig-organische, in ihren Erscheinungen stetig sich wandelnde Energie. Vgl. Jürgen Paul: „Die Kunstanschauung John Ruskins“, in: Helmut Koopmann, J. A. Schmoll gen. Eisenwerth (Hrsg.): Beiträge zur Theorie der Künste im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1972, Bd. 1, S. 286-316, hier S. 291.

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Ruskin ist damit einer der Ersten, der die Potenzialität einer Form thematisiert, die im Stadium der Andeutung verbleibt. Das Michelangelo-Bild zur Zeit Rodins ist zudem stark geprägt durch Stendhals weitverbreitete Histoire de la peinture en Italie (1817), die eingehend Leben und Werk Michelangelos auf Grundlage der Biografie Vasaris wiedergibt. Dessen Erklärungsmodell für die späten unvollendeten Werke übernimmt Stendhal: Nicht nur wurden fehlerhafte Marmore aufgegeben; mit der zunehmenden Einsicht in das eigene Unvermögen, seine sublimen Ideen materiell umzusetzen, habe Michelangelo auf der Höhe seines Talents nur noch wenige Werke vollendet: Dès qu’il apercevait un défaut dans une statue, il abandonnait tout et courait à un autre marbre; ne pouvant approcher avec la réalité de la sublimité de ses idées, une fois arrivé à la maturité du talent, il finit peu de statues. ‚C’est pourqoui, disait-il un jour à Vasari, j’ai fait si peu de tableaux et de statues.‘51

Einer der wenigen Autoren im 19. Jahrhundert, die die mehr oder weniger zu einem Gemeinplatz gewordene Begründung Vasaris nicht kritiklos übernehmen, ist Eugène Delacroix, der mit seinen avancierten Überlegungen zum Unvollendeten bei Michelangelo eine Mittlerposition zwischen diesem und Rodin einnimmt. Von Delacroix, den Rodin als junger Mann getroffen hatte52 und den er zeitlebens verehrte,53 kennen wir zwei publizierte Artikel54 zu Michelangelo und etliche Einträge in seinem Journal. Dort notiert er am 9. Mai 1853 allgemeine Gedanken zur Expressivität unvollendeter Skizzen und Entwürfe, die ihn zu Michelangelo führen und zu der Überlegung, dass ein Teil der erstaunlichen Wirkung, die dessen Skulpturen hervorrufen, von gewissen Missverhältnissen oder unvollendeten Teilen herrühre, die den Ausdruck der vollendeten Partien steigern: […] fait de nouvelles réflexions […] sur l’effet que produisent les choses inachevées: esquisses, ébauches, etc. Je trouve la même impression dans la disproportion. Les artistes parfaits étonnent moins à cause de la perfection même; ils n’ont aucun disparate qui fasse sentir combien le tout est parfait et proportionné. […] J’ai été conduit à inférer qu’une partie de l’effet que produisent les statues de Michel-Ange est dû à certaines disproportions ou parties inachevées qui augmentent l’importance des parties complètes.55 51 M.B.A.A. [d.i. Monsieur Beyle, Auteur Ancien = Stendhal]: Histoire de la peinture en Italie. Paris 1817. Bd. 2, S. 411. 52 Tancock 1976, S. 17. 53 Gustave Coquiot: Rodin à l’Hôtel de Biron et à Meudon. Paris 1917, S. 107. 54 Eugène Delacroix: „Michel-Ange“, in: Revue de Paris, 15 (1830), S.  41-58; 16 (1830), S.  164-178; Ders.: „Sur le Jugement Dernier“, in: Revue des Deux Mondes, 1837. Über Delacroix’ Sicht auf und Identifikation mit Michelangelo gibt auch sein Gemälde MichelAnge dans son atelier Aufschluss (1849-1850, Öl auf Leinwand, 40 x 32 cm, Montpellier, Musée Fabre). 55 Eugène Delacroix: Journal 1822-1863. Préface de Hubert Damisch. Introduction et notes par André Joubin. Paris 1996, S. 340; in Erstausgabe 1893, Bd. 2, S. 185-186.

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Delacroix begründet diese bestürzenden Unregelmäßigkeiten („disparates choquantes“) mit einer zu hastigen Arbeitsweise, welche er dem ungestümen Arbeitseifer Michelangelos zuschreibt, aber auch mit der unweigerlich einsetzenden Ermüdung angesichts einer unmöglich zu beendenden Arbeit. Letzteres – die Unmöglichkeit, den Vorstellungen Gestalt zu verleihen – scheint Delacroix evident, doch er sieht dafür andere Ursachen: Die skizzenhaft belassenen Partien und die Füße, die im Sockel versunken sind, zeigten, dass das Problem dieser Werke mehr in einer zu unklaren Konzeption liegt als in dem außerordentlichen Anspruch eines Genies, das Höchstes erreichen will, aber unbefriedigt aufgibt. Delacroix nimmt eher an, dass die Konzeption Michelangelos eine zu unbestimmte war, und dass er für die Entwicklung seiner Ideen zu sehr auf die Inspiration des Augenblicks vertraute; und wenn er, unzufrieden mit sich selbst, die Arbeit abbrach, dann deshalb, weil er nicht mehr leisten konnte: Michel-Ange étonne et porte dans l’âme un sentiment de trouble qui est une manière d’admiration, mais on ne tarde pas à s’apercevoir de disparates choquantes, qui sont chez lui la conséquence d’un travail trop hâté, soit à cause de la fougue avec laquelle l’artiste a entrepris son ouvrage, soit à cause de la fatigue qui a dû le saisir à la fin d’un travail impossible à compléter. / Cette dernière cause est évidente dans ses statues, quand même ses historiens n’auraient pas pris soin de nous apprendre qu’il se dégoûtait presque toujours en finissant, par l’impossibilité, disent-ils, de rendre ses sublimes idées. On voit clairement, à ses parties laissées à l’état d’ébauche, à des pieds enfoncés dans le socle et où la matière a manqué, que le vice de l’ouvrage vient plutôt de la manière de concevoir et d’exécuter que de l’exigence extraordinaire d’un génie fait pour atteindre plus haut, et qui se serait arrêté sans se contenter. Il est plus probable que sa conception était vague, et qu’il comptait trop sur l’inspiration du moment pour les développements de sa pensée, et s’il s’est souvent arrêté avec découragement, c’est qu’effectivement il ne pouvait faire davantage.56

Mit dem nüchternen, unaufgeregten, auch handwerklich versierten Blick des Künstlerkollegen analysiert Delacroix die Zwänge, die Michelangelo zum Abbruch der Arbeit bewegten und entzaubert ein Stückweit das gängige Michelangelo-Bild: Dessen Werke schienen ihm unvollendbar, nicht weil die idea zu sublim, sondern der Entwurf zu unklar war. Die 400. Wiederkehr des Geburtsjahres von Michelangelo gab 1875 den Anlass für eine Serie neuer Veröffentlichungen in französischen Kunstzeitschriften, die Rodin möglicherweise sogar einen entscheidenden Impuls für seine Italienreise gaben.57 Die Gazette des Beaux-Arts erschien im Januar 1876 als Michelangelo-Sondernummer, und die neu gegründete, auch in Brüssel verbreitete Zeitschrift L’Art widmete Michelangelo mehrere Artikel mit zahlreichen Reproduktionen von Skulpturen und Zeichnungen. In einem dieser Texte wird am Beispiel des unvollendeten S. Matteo der Arbeitsprozess der taille directe nach dem inneren Vorstellungsbild 56 Delacroix 1996, S. 341. Vgl. Hans Platschek (Hrsg.): Eugène Delacroix: Journal. Frankfurt a. M./Leipzig 1991, S. 78-79. 57 Le Normand-Romain 2001, S. 38, 46.

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beschrieben, wobei der Autor das formelhafte Bild Michelangelos als furiosen, mit dem Stein ringenden, dabei weitgehend improvisierenden Skulpteur wiedergibt: […] cette statue à peine dégrossie dans un bloc de marbre donne une idée très-exacte et très-curieuse de la manière dont travaillait Michel-Ange. A la différence des sculpteurs ordinaires, il ne faisait pas d’ébauche et dédaignait de mettre au carreau. […] il concevait son œuvre, il en arrêtait les proportions, quand il la voyait distinctement se lever dans sons esprit, il se précipitait sur le bloc; avec le ciseau il en marquait les points extrêmes, et puis il taillait à vif, faisant voler le marbre en éclats, l’œil fixé sur le modèle que son imagination plaçait devant lui.58

Der S. Matteo war auch als Kupferstich abgebildet in der Sondernummer der Gazette des Beaux-Arts, wo er einen ausgedehnten Michelangelo-Essay des neoklassizistischen Bildhauers Eugène Guillaume, zu dieser Zeit Direktor der École des BeauxArts, illustrierte. An der Praxis geschult, formuliert Guillaume seine Beobachtungen präziser, geht auf den malerischen Effekt der bossierten Partien ein und bedauert, dass der bewundernswerte („admirables“) unvollendete Zustand der vier prigioni in der Boboli-Grotte kaum sichtbar ist. Guillaume referiert die geläufige Deutung der prigioni als tragische, aufbegehrende oder gebrochene Figuren, die sich aus ihrem skizzenhaften Zustand wie aus einem Gefängnis zu vollständiger Existenz hervorzukämpfen scheinen, wertet ihre unvollendete Erscheinung dann jedoch durchaus positiv: Zunächst bemühe sich der Betrachter, die Figuren in seiner Vorstellung zu vollenden, um dann jedoch die ihnen eigene Vollkommenheit zu erkennen: Les quatre autres sont ébauchées seulement. Dans cet état elles sont admirables; mais par malheur, on les à reléguées dans une grotte en rocaille des jardins Boboli. […] L’état inachevé dans lequel plusieurs de ces statues sont restées leur donne quelque chose de pathétique. Plus leurs mouvements marquent de véhémence et de fierté, plus on est touché de ce que le sort leur a refusé d’indépendance. A les voir vivantes et incomplètes, on dirait qu’elles se débattent pour échapper à l’ébauche sommaire sous laquelle le ciseau les a laissées comme dans un réseau. Elles voudraient déchirer le voile qui nous les dérobe, sortir de leur prison transparente: elles souffrent. Celles qui sont reléguées dans la grotte du jardin Boboli inspirent particulièrement cette sorte de sympathie. Jamais l’art de Michel-Ange n’a été plus émouvant. Au sein des reflets qui les éclairent, ces fantômes, ces larves de marbre, échappés des mains du grand artiste, nous apparaissent comme dans les limbes de sa pensée. L’imagination s’efforce de les terminer; mais tour à tour une puissance supérieure nous les montre dans leur perfection et nous les dérobe: Ostendent… tantum fata neque ultrà Esse sinent… On admire ces images inachevées qui comme des ombres inquiètes descendues dans la matière l’animent, lui donnent un souffle de beauté; et on accuse la destinée qui, après les avoir privées de la gloire de figurer au tombeau de Jules II, les retient en exil.59 58 Roger Ballu: „Le quatrième centenaire de Michel-Ange Buonarroti“, in: L’Art, 1 (1875), S. 73-84, hier S. 82-84. 59 Eugène Guillaume: „Michel-Ange sculpteur“, in: Gazette des Beaux-Arts, Nr.  13, Januar 1876, S. 34-118, hier S. 79-80.

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Der Vers „Ostendent terris hunc tantum fata nec ultra / Esse sinent“, den Guillaume verkürzt zitiert, entstammt dem VI. Buch der Aeneis von Vergil, das von Aeneas’ Reise in den Hades berichtet. Der trojanische Held begegnet in der Unterwelt seinem toten Vater Anchises wieder, welcher ihm, dem künftigen Stammvater der Römer, seinen Geschichtsauftrag vor Augen führt, indem er ihm einen Blick in die Zukunft ermöglicht. Die Helden der römischen Geschichte von Romulus bis Augustus ziehen an ihnen vorüber, unter ihnen ein bewaffneter Jüngling mit zu Boden gerichtetem, verdüstertem Blick, der Aeneas auffällt. Es ist M. Claudius Marcellus, der früh verstorbene Neffe und Adoptivsohn des Kaisers Augustus, dem Anchises tief bewegt den zitierten Vers widmet: „Er zeigt nach Schicksalsschluß sich der Erde, er zeigt sich / Kurz, um wieder zu gehn.“60 Wie seine visionäre Erscheinung vor Aeneas’ und Anchises’ Augen auftaucht und wieder entschwindet, so kurz wird auch seine Lebensdauer auf Erden sein. Ebenso ephemer und von sich entziehender Schönheit erscheinen Guillaume die prigioni Michelangelos. Guillaumes Text ist symptomatisch für die Sichtweise auf Michelangelo im 19. Jahrhundert mit ihrer „pathetischen Wahrnehmung des Mangels“61, die das Non-finito im Sinne einer Vergegenwärtigung der qualvollen Condition humaine begreift. Sie bestimmt auch die kleine Michelangelo-Studie des Malers Eugène Viala, die sich (mit handschriftlicher Widmung Vialas an Rodin) in Rodins Nachlass befindet. Viala deutet den Esclave rebelle (Abb. 5) im Louvre als Verkörperung des unseligen Menschen, der sich unter Anstrengung aus dem Chaos hervorkämpft und dunkle, ihm unverständliche Fesseln zu durchbrechen sucht, während sein Blick leidvoll nach oben gerichtet ist, „auf das Unerreichbare“. Die zweite Figur zeige dieselbe Beunruhigung, sei aber vollendeter und expressiver: der Sklave, der erschöpft den Kampf aufgibt und „zurückfällt ins Nichts, aus dem er kam“: Dans l’un, le pauvre être humain surgit du chaos péniblement, convulsé, enlacé par des liens énigmatiques; il fait un effort pour les briser, il lutte et ses yeux tristement se fixent là-haut vers l’inacessible. L’autre statue découle de la même inquiétude, mais est plus achevée, plus parfaite, plus expressive; on voit ici l’esclave abandonner la lutte, […] il tombe, il va revenir au néant d’où il vient.62

Auch Raymond Bouyer beschreibt 1900 diesen Esclave im Louvre als ein sich aus dem Block herauswindendes Lebewesen oder Gedanken: „Du bloc jaillit l’être qui se tord ou la pensée qui sommeille“63. Dass Rodin von dieser tragisch-pathetischen Sichtweise auf die unvollendeten Werke Michelangelos beeinflusst war, zeigen seine Ausführungen zu Paul Gsell über die Louvre-Sklaven und deren Kampf gegen 60 Vergil: Aeneis. Lateinisch und Deutsch. Eingeleitet und übertragen von August Vezin. Münster 1973, V. 869-870, S. 322/323. 61 Jean-René Gaborit: „Michelangelo zwischen Fragment und Unvollendetem“, in: Paris/ Frankfurt 1990, S. 85-93, hier S. 89. 62 Eugène Viala: Trois symboles de Michel Ange. Rodez o. J., S. 22 (Archiv Musée Rodin, Inv. 7191 RG). 63 Raymond Bouyer: „Rodin méconnu“, in: La Plume, 1900, Sondernr. VI, S. 482-483, hier S. 482.

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VORAUSSETZUNGEN

Abb. 5: Michelangelo: Esclave rebelle, 1513-1515, Paris, Musée du Louvre

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die Fesseln der Materie („souffrance, dégoût de la vie, lutte contre les chaînes de la matière, tels sont les éléments de son inspiration“64) und seine Bemerkung an anderer Stelle, Michelangelos Figuren strahlten eine Melancholie aus, als sei das Leben nur ein Provisorium („mélancolie qui envisage la vie comme un provisiore auquel il ne convient pas de s’attacher“65). Am Ende seines oben zitierten Textes fragt Guillaume rhetorisch, weshalb diese Rohfassungen  – Vorarbeiten am Marmor, die in seiner eigenen Epoche einem Gehilfen überantwortet wurden und in der Regel jeden Ausdrucks entbehrten – bei Michelangelo einen solch starken Eindruck hervorrufen: D’où vient que les ébauches de Michel-Ange produisent une impression si grande? Comment se fait-il que le travail préparatoire du marbre, qui, d’après la manière de procéder actuellement en usage, est l’ouvrage d’un praticien et se trouve généralement dénué d’expression, ait ici un accent, un mouvement, une animation qui vont jusqu’à produire l’émotion la plus vive?66

Auch Delacroix, der nie in Italien war und lediglich die Louvre-Sklaven im Original kannte, hatte sich diesen eingehend in seinem ersten Michelangelo-Aufsatz gewidmet, begründet ihren unvollendeten Zustand allerdings deutlich profaner als alle anderen Autoren mit unlösbaren technischen Problemen – der Fehlproportionierung des Blocks –, räumt aber ebenso wie Guillaume ein, dass die im Unbestimmten belassenen Züge eine „berückende Seele und Größe“ besäßen: Tout le monde peut voir au musée de Paris dans les deux seules figures que nous possédions de ce grand homme, un effet de cette fougue extraordinaire qui le portait à laisser toujours dans ses marbres quelque chose d’incomplet. Ces deux figures représentent des esclaves, et étaient destinées au tombeau de Jules II. Dans l’une, le pied est engagé dans le socle, et le support de la figure, qui devait représenter un animal, est à peine indiqué. Dans l’autre, il est évident que la pose très-tourmentée du corps vient de ce qu’il dut prévoir dès le commencement que la matière manquerait d’un côté. Effectivement, toute la partie supérieure de droite laisse voir l’écorce du marbre à laquelle il arrivait à chaque instant. Aussi laissa-t-il la tête à peine ébauchée: mais il y a dans ces traits, couverts encore d’un voile, une ame, une grandeur qui ravissent. 67 64 65 66 67

Auguste Rodin: L’Art. Entretiens réunis par Paul Gsell. Paris 1911, S. 283. Ebd., S. 267. Guillaume 1876, S. 103. Delacroix 1830, S. 57-58 („Jeder kann im Museum von Paris in den einzigen zwei Figuren, die wir von diesem großen Künstler besitzen, ein Ergebnis dieser außergewöhnlichen Erregung sehen, die ihn dazu trieb, seinen Marmorwerken stets etwas Unvollständiges zu geben. Die beiden Figuren stellen Sklaven dar, sie waren für das Grabmal Julius’ II. bestimmt. Bei einem der beiden steckt der Fuß im Sockel und die Stütze der Figur, ein Tier darstellend, ist kaum angedeutet. Bei dem anderen ist augenfällig, woraus die gequälte Haltung des Körpers resultiert: Von Beginn an war absehbar, dass auf einer Seite der Stein nicht ausreichen würde. In der Tat ist an der ganzen oberen rechten Seite die äußere Bruchkante [‚Rinde‘] des Marmors sichtbar, an der er immer wieder angelangte. Auch hat er den Kopf lediglich anskizziert: Doch diese Züge, die noch von einem Schleier bedeckt sind, haben eine berückende Seele und Größe.“).

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VORAUSSETZUNGEN

1.2.c. Rodin und Michelangelo Seine erste Italienreise führte Rodin von Brüssel aus im Februar und März 1876 neben Turin, Genua, Pisa, Siena, Rom, Neapel, Padua und Venedig auch fünf Tage nach Florenz, wo man im zurückliegenden Jahr, ab März 1875, die Jubiläumsfeiern zum 400. Geburtstag Michelangelos begangen hatte.68 Obwohl die offiziellen Feierlichkeiten weitestgehend vorüber waren, während sich Rodin in Florenz aufhielt, waren deren Nachwirkungen noch gegenwärtig und Michelangelo in der Stadt außerordentlich präsent. Rodin besucht die Medicigräber in der Neuen Sakristei von San Lorenzo, und später berichtet er aus Rom in einem Brief an Rose Beuret, dass er aus der Erinnerung Skizzen zeichne, um die Struktur der Werke Michelangelos zu verstehen,69 da jene allen Prinzipien widersprächen, die er für sich erworben zu haben glaubte. Er sieht bei Michelangelo, auf welch vielfältige Weise man Marmor bearbeiten kann und studiert dessen Techniken und Oberflächenstrukturen.70 Seinem Schüler Antoine Bourdelle gegenüber bekennt er später, Michelangelo habe ihn vom Akademismus befreit – der Möglichkeit, ihn in Italien studieren zu können, verdanke er seine Freiheit.71 Während Rodins Besuch in Florenz befanden sich die unvollendeten prigioni noch nicht im Museumskontext der Accademia, sondern noch immer in der künstlichen Grotte des Giardino di Boboli, wo sie, tief in die Wände eingelassen, wie Reliefs wirkten.72 Das organische Hervorwachsen der geformten Gestalt aus dem 68 Michelangelo nell’Ottocento. Il centenario del 1875. Hrsg. von Stefano Corsi. Ausst.-Kat. Casa Buonarroti, Florenz 1994. Florenz hatte mit dieser monatelangen Veranstaltung, die viele internationale Gäste anzog, seine Stellung im seit 1861 vereinten Italien verteidigt: Nachdem die Stadt 1865 die Hauptstadtwürde erhalten und sechs Jahre später an Rom verloren hatte, feierte man Michelangelo nun als Nationalhelden, und Florenz als Wiege der Künste und Wissenschaften der Renaissance. 69 „Te dire que je fais depuis la première heure que je suis à florence, une etude de Michel Ange ne t’etonnera pas, et je crois que ce grand magicien me laisse un peu de ses secrets. […] j’ai fait des croquis le soir chez moi, non pas d’après ses œuvres mais d’après tous les echafaudages les systèmes que je fabrique dans mon imagination pour le comprendre, eh bien je réussi selon moi à leur donner l’allure ce quelque chose sans nom que lui seul sait donner […]“. Rodin aus Rom an Rose Beuret, Anfang März 1876, zit. in: Correspondance I, S. 34. 70 Davon berichtet etwa die Bildhauerin Malvina Hoffman, die 1910-11 für Rodin arbeitete: „Rodin had a perfectly definite technique which is easily recognized. He told me that he spent many hours studying Michelangelo’s sculpture in Florence and identifying the strokes of certain tools, and just what effects they were capable of giving.“ Malvina Hoffman: Sculpture inside and out. New York 1939, S. 160. 71 Brief Rodins an Bourdelle, zit. in Frederic V. Grunfeld: Rodin. Eine Biographie. Berlin 1993, S. 113-114. 72 Der Bildhauer Karl Albiker beschreibt die verfälschte Wirkung in einem Brief aus Florenz an Leopold Ziegler vom 19. Dezember 1910: „Hier waren im Boboligarten früher d. h. bis vor 4 Monaten vier angehauene Riesenblöcke von Michelangelo zu sehen und zwar in der barbarischen Weise mit Tropfsteinen umkleistert, sodaß sie nur von einer Seite zu sehen waren. Jetzt hat man sich entschlossen, die Blöcke herauszunehmen und in der Akademie aufzustellen. Und plötzlich sah man, daß die Figuren aus viereckigen Blöcken von allen vier

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anorganischen Stein, dieser Übergang von Natur in Kunst, wurde durch die manieristische Verfremdung in der künstlichen Grotte noch hervorgehoben. Die Figuren schienen sich dem amorphen Stoff zu entwinden, ohne sich ganz aus ihm zu lösen. Sie führten zudem eindrücklich vor, dass das Vernachlässigen einzelner peripherer Details die Wirkung der artikulierten Partien – hier der Torsi – erheblich aufwerten kann. Ob Rodin die prigioni im Boboli-Garten tatsächlich gesehen hatte oder Abbildungen kannte, ist allerdings nicht belegt;73 in seinem Brief an Rose Beuret erwähnt er lediglich den Besuch in der Neuen Sakristei. Seine Zeichnungen – teilweise auch erst nach seiner Rückkehr nach Paris, und nach Gipsabgüssen in der École des Beaux-Arts entstanden – zeigen, was er sah und kannte: den Moses, die Medicigrabmäler (v. a. Notte, Giorno und Aurora), die Sklaven im Louvre.74 Möglicherweise sah er in Florenz noch andere unvollendete Marmorwerke Michelangelos wie den Tondo Pitti, und die anlässlich des Jubiläumsjahres organisierte und bis 1876 andauernde Ausstellung in der Accademia,75 wo auch Gipsabgüsse der unvollendeten Pietà Rondanini und des S. Matteo aufgestellt waren. Obwohl sich das Non-finito Rodins grundsätzlich, sowohl intentional als auch technisch, von dem Michelangelos unterscheidet, setzen Vergleiche der Marmorwerke beider Künstler frühzeitig ein. 1890 heißt es in einem Beitrag der Tageszeitung Le Temps, Rodins Andromède sei in ihrer Blockhaftigkeit inspiriert von „certaines ébauches“ Michelangelos.76 Eine präzise Abgrenzung des Non-finito bei Rodin von der Nichtvollendung bei Michelangelo nimmt 1902 der Philosoph und Soziologe Georg Simmel vor, der zwischen äußeren Hindernissen bei Michelangelo und dem bewussten Einsatz als Stilmittel durch Rodin differenziert: Es ist nichts bezeichnender, als daß dieses Steckenbleiben der Figur im Steine, das bei Michelangelo durch Verhauen oder Hinderungen entstand, bei Rodin bewußtes Kunstmittel geworden ist. Dort wirkt es tragisch, das lastende Schicksal verstärkend, das alle Gestalten Michelangelos in ein namenloses Dunkel hinabzieht; bei Rodin wirkt es unleugbar raffinirt […].77

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Seiten herausgehauen sind. Hildebrand ist sprachlos, denn seine ganze Theorie, die sich auf Michelangelo als Gewährsmann aufbaut, fällt damit zusammen.“ (Carl Albiker: Karl Albiker Werkbuch. Karlsruhe 1978, S. 11) Adolf von Hildebrands bildhauerische Theorie sah nur eine Hauptansicht vor. Le Normand-Romain 2001, S. 43. Siehe die Erfassung der Zeichnungen Rodins bei Rosenberg 2000, S.  244-246. Vgl. Le Normand-Romain 2001, S. 40. Carl von Lützow: „Die Michelangelo-Ausstellung in Florenz“, in: Zeitschrift für bildende Kunst, Bd. 11, 1876, S. 26-29, 94-95. Anon.: „Petits Salons“, in: Le Temps, 21.12.1890, S. 2: „À la sculpture, la belle figure nue que Rodin a appelée Andromède et qui est le triomphe de sa théorie de la statuaire dans le sens du bloc. S’inspirant de certaines ébauches de Michel-Ange […]“. Auf diesen Artikel weist Daniel Rosenfeld hin (Rosenfeld 1993, S. 407). Georg Simmel: „Rodins Plastik und die Geistesrichtung der Gegenwart“, in: Der Zeitgeist. Beiblatt des Berliner Tageblatts, 29.9.1902. Wiederabdruck in: Georg Simmel Gesamtausgabe.

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Herbert von Einem sieht 1935 das Unvollendete bei Michelangelo im Gegensatz zum Non-finito Rodins als ein „Unvollendbares“78: Michelangelo habe die Ausführung abgebrochen, als die weitestmögliche Gestaltung der Idee erreicht war, entsprechend bedeute eine Fortsetzung der Arbeit nur deren Begrenzung und Abschwächung. Von Einem glaubt nicht wie spätere Autoren, dass die Nichtvollendung von Michelangelo intendiert war, sie sei „immer Not, nie künstlerische Absicht.“79 In Rodins Werken hingegen sei der rohe Anteil eigenständig und einer bewussten Formentscheidung geschuldet: „Die Verwandtschaft aber der halb im Block verharrenden Gestalten Rodins mit Michelangelos Figuren ist ein Trugbild. In der Tat ist hier ein tiefer Gegensatz: bei Michelangelo ist der Block nur vorhanden, wo die Figur wirklich unvollendet ist. Bei Rodin gehört der Block mit zur künstlerischen Form.“80 Zwei Jahrzehnte später interpretiert der Wölfflin-Schüler Joseph Gantner die Nicht-Vollendung bei Michelangelo als ein absichtsvolles Zurückweichen vor einem Endzustand. Im Rückgriff auf Vasari meint auch er, dass bestimmte Details nicht ausgestaltet seien, da deren Präzisierung niemals den Gehalt der geistigen Vorstellung erreichen könne. Gantner bezieht sich auf den in Texten Dantes, Leonardos und auch Michelangelos formulierten Topos, dass das innere Bild mit den ungenügenden äußeren Mitteln nicht adäquat wiederzugeben sei und folgert daraus, dass die Nichtvollendung in diesen Fällen beabsichtigt sei.81 In unvollendeten Werken wie dem Matthäus oder den vier Sklaven sieht er vielmehr „Präfigurationen“82 bezeugt, vorbereitende Formen oder Vorstufen, die in der Vorstellung des Künstlers existieren, bis das Werk realisiert ist. Unvollendete Werke ließen folglich einen Einblick in die Formgenese zu, da sie sich in einer frühen Phase des materiellen Schaffensprozesses zeigten und einen Bearbeitungszustand konservierten, in dem die geistige Vorstellung Form annimmt – eine stehengebliebene Etappe auf dem Weg zur nicht erreichten Vollendung.83 Aus dem Zwiespalt zwischen Imagination und Verwirklichung, der bei Michelangelo in ein „Eingeständnis der Inkongruenz zwischen Gegenstand und Vision“84 mündete, habe Rodin ein neues Kunstmittel entwickelt – „Unvollendung als Stil“85 –, das die eminente Potenz an Möglichkeiten ausschöpft, die im Skizzenhaften und Angedeuteten liegt. Es sei jedoch nicht

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Hrsg. von Otthein Rammstedt. Bd. 7: Aufsätze und Abhandlungen, I: 1901-1908, Frankfurt a. M. 1995, S. 92-100, hier S. 100. Herbert von Einem: „Unvollendetes und Unvollendbares im Werk Michelangelos“, in: Schmoll gen. Eisenwerth 1959, S. 69-82, hier S. 71. Herbert von Einem: „Der Torso als Thema der bildenden Kunst“, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 29 (1935), S. 331-334, hier S. 332. Ebd., S. 333. Gantner 1953, S.  43. Vgl. Joseph Gantner: „Formen des Unvollendeten in der neueren Kunst“, in: Schmoll gen. Eisenwerth 1959, S. 47-67, hier S. 49. Gantner 1953, S. 45. Ebd., S. 41. Ebd., S. 81. Ebd., S. 52.

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als „Wurf zum unerreichbaren Vollendeten hin“86 zu betrachten, sondern als „Rückbildung vom Vollendeten“ her, wobei das „Gestaltlose als Materie ins Positive“87 gewendet werde, indem Rodin es zum Gegenstand macht. Diese Thesen Gantners greift J. A. Schmoll gen. Eisenwerth auf, der unterscheidet zwischen Michelangelos Nicht-Präzisierung aus Gründen der Selbstbeschränkung und Rodins Nicht-Präzisierung in symbolistischer Absicht. Michelangelo lasse unvollendet, was ihm „adäquat seiner inneren Vorstellung präziser zu realisieren unmöglich erscheint“, während Rodin unbearbeitet belasse, was „symbolistisch irreal“, mithin undarstellbar sei: „1. Gestalten und Gesichter im Zustand der Entrückung: im Schlaf, im Traum, im Sterben, in der Vision, – Gott im Schöpfungsakt usw. 2. Stoffe und Elemente in symbolistischer Illusion: Wasser, Wolken, Dunkelheit, Raum und amorphe Massen von Fels, Erde und Urstoff der Schöpfung“88. 1.2.d. Exkurs: Michelangelo-Rezeption nach Rodin Es überrascht nicht, dass sich mit der auf Rodin folgenden Neubewertung des Fragmentarischen in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts auch der Blick auf die unvollendeten Werke Michelangelos veränderte, die nun zu einem eigenständigen Forschungsgegenstand avancierten. Wie erwähnt stieg die Zahl der Publikationen sprunghaft an, und viele dieser Texte zeigen deutliche Spuren der Auseinandersetzung mit Rodin. Nicht nur wird das Non-finito ausdrücklich als ästhetischer Gewinn beurteilt, sondern häufig zu einer Gestaltungsnotwendigkeit und bewusst gewählten Werkform stilisiert. Neben Joseph Gantner, dessen Deutung symptomatisch für diese veränderte Sicht ist, sehen nun auch andere Autoren den Zustand der Werke nicht als provisorische, unbewältigte Zufälligkeit, sondern gehen von einer intendierten Nicht-Vollendung aus.89 Diese modernen Rückprojektionen 86 87 88 89

Ebd., S. 47. Ebd., S. 52. Schmoll 1954/1983, S. 117. Einer der ersten Autoren, der die Annahme äußerte, einige Skulpturen Michelangelos seien absichtsvoll fragmentarisch konzipiert, war Werner Körte. Für ihn schien der Gehalt dessen, was im Werk ausgedrückt werden soll, so übermächtig, „daß die vollendete, geglättete und ausziselierte Form als Mittel offenbar nicht mehr genügt, um diese Fülle zu fassen […]. Sucht Michelangelo etwa in bewußter Absicht den weiten Spielraum der Ahnungen, Empfindungen und Deutungen, den die unvollendete Form uns läßt?“ (Werner Körte: „Das Problem des Nonfinito bei Michelangelo“ [Nachgelassenes Manuskript, vor 1944], in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte, 7, 1955, S. 293-302, hier S. 297). In den 1970er Jahren deutet Georg Kauffmann das Non-finito Michelangelos als inhaltliches Programm und betont das Prozessuale, da durch die bewusste Beschränkung auf die Andeutung „alle Darstellungsprozesse auslaufen“ und „offengehalten, nicht etwa durch abschließende Politur zugedeckt und vernichtet werden“ (Georg Kauffmann: Michelangelo und das Problem der Säkularisation. Opladen 1972, S. 17). In den letzten Jahrzehnten setzte sich verstärkt eine formale Sichtweise durch, die etwa im Unvollendeten eine Formentstehung und -auflösung zu beobachten glaubt, wie Giancarlo Maiorino 1983 am Erwachenden Sklaven: „the

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sind problematisch, widerspricht Unfertigkeit doch grundsätzlich dem an der Antike orientierten Ideal der Vollendung (und jeglicher künstlerischer Praxis) der Renaissance. Schon Carl Justi kritisierte 1909 die neuesten, von Rodin und vom Impressionismus beeinflussten Michelangelo-Interpretationen scharf: Der Amorphismus ist überhaupt dem Zeitalter Michelangelos fremd. […] Meißelschläge gehören in die Werkstatt, nicht in Capelle, Saal und Galerie. Sie sind Handwerksarbeit; das was Leonardo esercizio meccanicissimo nannte und zur Herabsetzung der Sculptur gebrauchen wollte. Auch deshalb lag die amorphe Verirrung den Bildhauern allezeit ferner als den Malern. Sie ist in der Malerei weniger anstößig, gefährlich und absurd. […] Die Geschichte spricht hier ungewöhnlich klar. Daß jemals ein griechischer oder römischer, trans- oder cisalpiner Bildhauer der mittleren und neueren Zeit dem Unfertigen diese Toleranz und Gunst geschenkt habe, dafür soll noch eine Beweisstelle gefunden werden.90

Summarische Erklärungsmodelle werden dem komplexen Zusammenspiel äußerer und innerer Zwänge ohnehin nicht gerecht; jedes Werk Michelangelos lässt sich nur einzeln und in seinem jeweiligen Entstehungskontext beurteilen. Für Rodin war die nicht abschließend zu beantwortende Frage der unfreiwilligen oder intendierten Nichtvollendung zudem wohl nur nachrangig relevant. Für ihn war das Fragmentarische und Unvollendete bereits eine zunehmend anerkannte Ausdrucksform, die er bewusst wählte und deren formale Qualität und besonderen symbolistischen Gehalt er zuspitzte. Michelangelos unvollendete Werke aktivierten in ihm zweifellos ein gesteigertes Empfinden für das ausdrucksstarke Kontrastmotiv von roher Bosse und gestalteter Figur, und für die dialektische Spannung zwischen Natur und Kunst, Materie und Geist. Was bei seinem Vorgänger noch unvollendet ist, entdeckt Rodin für sich als wirkungsvolles Gestaltungsprinzip, mit dem er experimentiert und das er schließlich kalkuliert und systematisch einsetzt. Hierfür war ihm Michelangelos Werk die entscheidende formale Anregung und kunsthistorische Legitimation, auf die er sich bis zuletzt beruft: Why is it allowed to isolate the head and not portions of the body? Every part of the human body is expressive. And is not an artist always isolating, since in nature nothing is isolated? When my works do not consist of the complete body, with four limbs, ten fingers, ten toes, people call it unfinished. What do they mean? Michelangelo’s finest works are precisely those which are called ‚unfinished.‘ Works which are called ‚finished‘ are works which are clear, that is all.91

unity of absolute matter tends to absorb form into the sculptural whole, which presents the struggle of creation itself; from unity to diversity and back to unity again.“ (Giancarlo Maiorino: „In search of true form. Michelangelo’s power of expression and the aesthetic lure of the ‚non-finito‘“, in: Rivista di studi italiani, 1, 1.6.1983, S. 51-81, hier S. 58-59). 90 Carl Justi: Michelangelo. Neue Beiträge zur Erklärung seiner Werke. Berlin 1909, S. 192-193. Vgl. Gantner 1953, S. 37-38. 91 Rodin, zit. in: Muriel Ciolkowska: „Auguste Rodin on Prejudice in Art“, in: The Englishwoman. London, April 1910, S. 263-269, hier S. 266-267; zit. in Tancock 1976, S. 266.

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1.3. Fragmentarisches, Skizzenhaftes und Unvollendetes in der Romantik und im 19. Jahrhundert Wie Fragment und Torso gelangte das Non-finito erst am Ende des 19. Jahrhunderts mit Rodin zu ästhetischer Eigenständigkeit. Die historischen Voraussetzungen für diese Entwicklung liegen in einem in der Literatur- und Kunsttheorie des 18. und 19. Jahrhunderts anwachsenden Diskurs zum Fragmentarischen, Unbestimmten und Unvollendeten, der hier notwendigerweise nur summarisch und mit Blick auf ausgewählte, auch philosophische und literaturgeschichtliche Fragestellungen berührende Aspekte dargestellt werden kann. Sie bilden das Referenzsystem für Rodins Non-finito und dessen Rezeption, auch wenn er selbst sich nur auf einzelne dieser ideengeschichtlichen Voraussetzungen direkt bezieht. Bevor das Fragment zu einem „Aufbruchssignal der ästhetischen Moderne“92 werden konnte, mit dem sich die Kunst vom Anspruch an formale Ganzheit und kohärenten Sinnzusammenhang lossagte, war Unvollständigkeit stets ein Mangel. Auf dem Gebiet der Plastik war es dabei nachrangig, ob das Fragment einen Teil seiner Abbildfunktion durch äußere Einwirkung verloren hatte, also beschädigt erhalten war, oder aber vom Künstler – ungewollt oder bewusst – in unvollendetem Zustand belassen wurde. Mit der Anerkennung bestimmter antiker Skulpturenfragmente (etwa des Torso vom Belvedere) als vollgültige Kunstwerke entstand seit der Renaissance allmählich ein Bewusstsein für die künstlerische Ausdrucksqualität des Fragmentarischen,93 das sich unter anderem viel später, im 19. Jahrhundert, in der Derestaurierung antiker Skulpturen äußerte, die nun von nachträglichen, nach ihrer Auffindung vorgenommenen Ergänzungen befreit wurden. Als aus einem größeren Zusammenhang extrahiertes Konzentrat in Form wie Ausdruck wurde das Fragment zunehmend als ästhetische Kategorie anerkannt, die in stärkerem Maße als vollständige und vollendete Werke eine besondere Aneignungsleistung des Betrachters fordert, der die fehlenden oder unzureichend ausgeführten Teile in seiner Vorstellung ergänzen kann. Einen emphatischen Höhepunkt findet diese Wertschätzung des Unvollständigen in der Romantik, als Kunst und Literatur sich vom klassizistischen Formideal eines vollkommenen, harmonischen und naturgleichen Ganzen zu entfernen beginnen.94 Zunächst ist es die Literaturtheorie der deutschen Frühromantik (Fried92 Justus Fetscher: „Fragment“, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Hrsg. von Karlheinz Barck u. a., Bd. 2. Stuttgart 2001, S. 551-588, hier S. 551. 93 Hierzu Lucien Dällenbach, Christiaan L. Hart Nibbrig (Hrsg.): Fragment und Totalität. Frankfurt a. M. 1984; Le corps en morceaux / Das Fragment – Der Körper in Stücken. Ausst.Kat. Musée d’Orsay, Paris; Schirn Kunsthalle Frankfurt a. M. 1990; Eberhard Ostermann: Das Fragment. Geschichte einer ästhetischen Idee. München 1991; Arlette Camion, Wolfgang Drost, Geraldi Leroy, Volker Roloff (Hrsg.): Über das Fragment – Du fragment. Band IV der Kolloquien der Universitäten Orléans und Siegen. Heidelberg 1999; Kurt Schärer, Erwin Sonderegger (Hrsg.): Brüche, Torsi, Unvollendetes. Über das Fragmentarische in Leben, Kunst und Wissenschaft. Zürich 2004. 94 Ostermann 1991, S. 15.

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rich Schlegel, Novalis, Schelling), die die offene Form des Fragments als ideale Gattung entdeckt: Die Erkenntnis der Unmöglichkeit, Wirklichkeit als Ganzes zu erfassen, mündet im abgebrochenen Text, reduziert zu „Prinzipien, Kernsätzen, kristallhaft verdichteten zentralen Termini“95. Das ursprünglich negativ besetzte Fragment erscheint als Platzhalter des utopisch gewordenen vollendeten Werkes. Die Suche nach adäquaten künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten für das Erhabene führt aber auch zur Vagheit als „Kategorie der Entgrenzung“96 und zur unvollendeten Form, die das Unsagbare und Irrationale als ein Unvollendbares umsetzt. Bei Friedrich Schlegel heißt es: „Unvollendung giebt dem Erhabenen für mich einen höhern Reiz.“97 Die Potentialität des Fragmentarischen wird zu einem Leitgedanken, verdichtet in Schlegels programmatischem 116. Athenäums-Fragment: Romantische Literatur sei „noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann.“98 Schlegel entdeckt das Fragment als prozesshaftes Reflexionsverfahren, das sich nicht als Produkt des Denkens darstellt, sondern „die Bewegung der Reflexion selbst“99 zeigt, in der sich die Gegenwärtigkeit des Textes und Entwürfe eines zukünftigen Sinns bewahren.100 Das Fragment weist über sich selbst hinaus; es ist abgebrochen, doch an seinen Bruchstellen offen, um weitergedacht zu werden. In der bildenden Kunst der Romantik wird das Ephemere, Flüchtige zum „Faszinosum einer verzeitlichten Poetik des ständigen Übergangs und der Veränderung, welche die wechselnde Stimmung an die Stelle der festgefügten bleibenden Form treten läßt“101 und vergegenwärtigt einen unendlichen Progress, in dem Ganzheit lediglich punktuell und transitorisch möglich ist.102 Die Malerei der Romantik, vor 95 Fetscher 2001, S. 564. Vgl. Arlette Camion: „Sinn oder Sinnlosigkeit des Fragments – Ein deutscher Standpunkt aus französischer Sicht“, in: Camion u. a. 1999, S. 13-21, hier S. 18: „Im [romantischen] Fragment verdichtet sich die Essenz des Schreibens, verselbständigt sich die Literatur als solche; aber gleichzeitig enthält das Fragment alles Zukünftige, ist ‚infiniment en acte’, d.h. unendliche Virtualität.“ Vgl. Peter Horst Neumann: „Rilkes Archaischer Torso Apollos in der Geschichte des modernen Fragmentarismus“, in: Dällenbach/ Nibbrig 1984, S. 257-274, hier S. 259. 96 Friedrich Wolfzettel: „Zur Ästhetik des Vagen bei Senancour“, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 49/1 (2004), S. 55-66, hier S. 56; s.a. Remo Bodei: „Vage/unbestimmt“, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Hrsg. von Karlheinz Barck u. a., Stuttgart 2005, Bd. 6, S. 312-330, hier S. 325. 97 Friedrich Schlegel: „Über die Philosophie. An Dorothea“ (1799), zit. in: Fetscher 2001, S. 561. 98 Friedrich Schlegel: „Fragmente“ (1798), in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd.  2 (1967), S. 183, zit. in: Fetscher 2001, S. 564. Vgl. Ostermann 1991, S. 103. 99 Rainer Zimmermann: „Zur Erkenntnisfunktion des Fragments. Friedrich Schlegel und Novalis“, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Band 31/1, 1986, S. 3043, hier S. 42. 100 Ostermann 1991, S. 114. 101 Wolfzettel 2004, S. 56. 102 Manfred Frank: „Das ‚fragmentarische Universum‘ der Romantik“, in: Dällenbach/Nibbrig 1984, S. 216.

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allem die Landschaftsdarstellung, entwickelt Techniken der Vagheit und Unbestimmtheit, die dem klassizistischen Ideal der Klarheit und Reinheit entgegenarbeiten. Dieser „Affekt gegen das Genaue, Scharfe, Detaillierte“103 ist, wie Wolfgang Ullrich in seiner Geschichte der Unschärfe dargestellt hat, auch der Ausdruck einer Sehnsucht, der Macht des Faktischen in einer entfremdeten Gegenwart zu entfliehen. Im Sfumato, dem verdämmernden Fernblick mit aufgelösten Konturen, wird das Bild zum Resonanzraum für die Stimmungen und die Phantasie des Betrachters. Die französische Romantik sieht im Fragmentarischen vor allem einen Ausdruck von Verlust und Vergänglichkeit. Der von Rodin verehrte Victor Hugo ruft in seinem Gedicht À l’Arc de triomphe (1837) dazu auf, alle Bildwerke der Zeit anzuvertrauen, die sie in einem Transformationsprozess der Korrosion und Anlagerung von Alterungsschichten zu paradoxer Schönheit und Vollendung führe.104 Bereits die Errichtung künstlicher Ruinen im 18. Jahrhundert schrieb der Architektur ihr „endliches Zurücksinken in die Naturgeschichte“105 ein, indem sie ihre Verwitterung und Dekomposition vorwegnahm, und ein Kontinuum zwischen den Werken der Kultur und der natürlichen Landschaft herstellte.106 Ein Echo dieser Ästhetik des Verfalls ist vernehmbar in Rodins Verherrlichung der gotischen Kathedralen als veränderliche steinerne Organismen, und seine flammenden Plädoyers gegen die restauratorischen Eingriffe seiner Zeitgenossen in die schwindende historische Substanz, die er 1914 in seinem Buch Les Cathédrales de France zusammenfasste. Bereits 1900, in einer der Rodin gewidmeten Sonderausgaben der Zeitschrift La Plume führt der Autor Yvanhoé Rambosson die Fragmente Rodins zurück auf ein Konzept der Ruine als melancholisches Erinnerungsmedium: Pourquoi brise-t-il certaines de ses œuvres et n’en montre-t-il que des fragments? Qu’est-ce que cela ajoute à leur signification? disent certains. Ceux-là n’ont certainement pas médité le mot de Puvis de Chavannes: ‚Il y a quelque chose de plus beau encore qu’une belle chose, ce sont les ruines d’une belle chose!‘ Une belle chose, complète et neuve, nous émeut au point de vue esthétique, mais une belle chose usée, cassée, comme elle est plus humaine et plus près de notre cœur, pour avoir participé à la souffrance, et comme à l’impression de beauté pure s’ajoute une indéfinissable sensation de pitié mélancholique, un côté douloureux et d’humanité qui amplifie notre émotion!107 103 104 105 106 107

Wolfgang Ullrich: Die Geschichte der Unschärfe. Berlin 2002, S. 10-23, hier S. 20. Fetscher 2001, S. 573. Ebd., S. 556. Ullrich 2002, S. 17. Yvanhoé Rambosson: „Le Modelé et le Mouvement dans les œuvres de Rodin“, in: La Plume, 1900, numéro exceptionnel V, S. 424-425. („Weshalb zerbricht er einige seiner Werke und zeigt sie als Fragmente? Was trägt das zu ihrer Bedeutung bei, fragen manche. Sie haben ganz bestimmt nicht über das nachgedacht, was Puvis de Chavannes sagte: ‚Schöner als eine schöne Sache ist die Ruine einer schönen Sache!‘ Eine schöne Sache, vollkommen und neu, beeindruckt uns von einem ästhetischen Gesichtspunkt her, doch eine schöne Sache, die abgenutzt und zerbrochen ist, ist um vieles menschlicher und unserem Herzen näher, da sie

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Abb. 6: Auguste Préault: Ophélie, 1843-1876, Paris, Musée d’Orsay

Bereits vor Rodin sahen sich Bildhauer der französischen Romantik der Kritik ausgesetzt, unvollendete Werke auszustellen,108 wenn sie die Perfektion der sorgfältig geglätteten Oberflächen aufbrachen. Théodore Géricaults Steinskulptur Satyre et Nymphe von 1818 zeigt deutliche Spuren von Zahneisen und Feilen, während Auguste Préaults Bronzerelief Ophélie (1843-1876, Abb. 6) skizzenhafte und grob verarbeitete Partien aufweist, die sich aus dem Motiv herleiten lassen: Die Sterbende versinkt in der linearen Struktur ihres Basreliefs wie in Wasser, das sich, wie Théophile Gautier 1851 schreibt, in wenigen Momenten über ihr schließen wird: „elle semble se fondre dans la vague limpide, la tête seule, d’une beauté morte admirablement rendue, est distincte encore, mais on sent que le gouffre va bientôt se refermer sur elle.“109 Préault nimmt hier symbolistische Gestaltungsprinzipien Rodins vorweg, der, wie noch gezeigt wird, die Figur in ihren Werkstoff zurückkehren lässt, um ihr Sterben und Gestaltloswerden zu veranschaulichen. Auch Préault spielt mit seinem Material und dessen Eigenschaften, er verflüssigt förmlich die Bronze, um, wie Gautier bereits feststellt, in der beständigsten aller Gattungen, der Skulptur, den Effekt von Durchlässigkeit, Weichheit und Unschärfe zu erzeugen („à faire de la transparence, du flou, du vapoureux avec la sculpture, le plus opaque de tous les arts“110). Auf die Zeichnung eines Porträtmedaillons, das er von Delacroix anfertigte, schrieb Préault die berühmte Widmung „Je ne suis pas pour le fini, je suis pour l’infini“. Teil hatte am Leid, und dem Eindruck der makellosen Schönheit mischt sich eine undefinierbare Empfindung von melancholischem Mitleid, ein schmerzlicher und menschlicher Aspekt, der unsere Erregung verstärkt.“  – Alle Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben, CW.) 108 Vgl. Véronique Wiesinger: „L’ésprit romantique“, in: La sculpture française au XIXe siècle. Ausst.-Kat. Galeries nationales du Grand Palais, Paris 1986, S. 310-333, hier S. 324. 109 Théophile Gautier: „Salon de 1850-51“, in: La Presse, 1.5.1851, S.  2, zit. in: Auguste Préault. Sculpteur romantique 1809-1879. Ausst.-Kat. Musée d’Orsay, Paris 1997, Kat. Nr. 86, S. 161. 110 Gautier, ebd., S. 162.

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Begleitet wird die Etablierung des Unvollendeten als ästhetisches Prinzip von der im späten 18. Jahrhundert einsetzenden Aufwertung der Skizze und des Skizzenhaften in der Malerei, wie auch der bozza und des Bozetto, dem rohen Tonmodell in der Skulptur. Beide wurden über ihren vorbereitenden Charakter hinaus zunehmend als eigenständige Kunstform geschätzt – nicht nur als erste und unmittelbarste Formulierung einer Bildidee, in der sich die Handschrift des Künstlers am authentischsten zeigt, sondern auch vor allem als Stimulanz für die Phantasie des Betrachters. Der überzeugte Neoklassizist Joshua Reynolds überrascht 1778 in seinen Discourses on Art mit der Beobachtung, dass eine Skizze unter Umständen mehr zu suggerieren vermag als ein ausgeführtes Gemälde: „From a slight undetermined drawing, where the ideas of the composition and character are, as I may say, only touched upon, the imagination supplies more than the painter himself, probably, could produce.“111 1788, in seiner 14. Akademierede auf Gainsborough stellt Reynolds dessen eigentümlich flüchtigen Farbauftrag („odd scratches and marks“), dem es scheinbar an Sorgfalt und Präzision mangelt, zunächst eher als Nachlässigkeit denn als Absicht dar, schildert dann jedoch, wie diese chaotische Masse aus einer gewissen Entfernung betrachtet wundersam Form annimmt. Diese Unbestimmtheit („undetermined manner“) rege den Betrachter dazu an, das Bild imaginativ zu vervollständigen, und dies vielleicht befriedigender und genauer, als es der Künstler mit der größten Sorgfalt vermocht hätte.112 Die Potentialität unvollendeter oder skizzenhafter Zeichnungen, die die Vorstellungskraft stimulieren und Unerwartetes ankündigen, reizte auch Edmund Burke: „because the imagination is entertained with the promise of something more, and does not acquiesce in the present object of the sense“.113 Zu den Anwälten des Unbestimmten und Skizzenhaften gehören im 19. Jahrhundert auch Arthur Schopenhauer und Eugène Delacroix, in deren Beobachtungen sich Vorformen der Argumentation finden, die einerseits später von der französischen Moderne (Mallarmé, Valéry) aufgegriffen wie auch von Rodins Zeit111 Sir Joshua Reynolds: Discourses on Art, New York 1961, S. 145; zit. in: Wendelin A. Guentner: „British Aesthetic Discourse, 1780-1830. The Sketch, the Non Finito, and the Imagination“, in: Art Journal, 52 (1993), Nr. 2, S. 40-47, hier S. 41. 112 „However, it is certain, that all those odd scratches and marks, which, on a close examination, are so observable in Gainsborough’s pictures, and which even to experienced painters appear rather the effect of accident than design; this chaos, this uncouth and shapeless appearance, by a kind of magick, at a certain distance assumes form, and all the parts seem to drop into their proper places, so that we can hardly refuse acknowledging the full effect of diligence, under the appearance of chance and hasty negligence. […] It is presupposed that in this undetermined manner there is the general effect; enough to remind the spectator of the original; the imagination supplies the rest, and perhaps more satisfactorily to himself, if not more exactly, than the artist, with all his care, could possibly have done.“ Sir Joshua Reynolds: Discourses on Art. Hrsg. von Robert R. Wark. New Haven/London 1975, hier Discourse XIV, S. 257-259. 113 Edmund Burke: A Philosophical Enquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and the Beautiful (1757). Hrsg. von James T. Boulton. London 1958, Part II, XI, S. 77; zit. in: Wolfzettel 2004, S. 58; siehe auch Guentner 1993, S. 40-41.

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genossen zu dessen Verteidigung eingesetzt werden. Schopenhauer sieht auf einzigartige Weise die Inspiration des Augenblicks manifestiert, als er notiert, „daß die Skizzen großer Meister oft mehr wirken, als ihre ausgemalten Bilder; wozu freilich noch der andere Vortheil beiträgt, daß sie, aus einem Guß, im Augenblick der Konception vollendet sind; während das ausgeführte Gemälde, da die Begeisterung doch nicht bis zu seiner Vollendung anhalten kann, nur unter fortgesetzter Bemühung, mittelst kluger Ueberlegung und beharrlicher Absichtlichkeit zu Stande kommt.“114 Schopenhauer ist vielmehr der Überzeugung, dass durch das Kunstwerk „nicht Alles geradezu den Sinnen gegeben werden darf, vielmehr nur so viel, als erfordert ist, die Phantasie auf den rechten Weg zu leiten: ihr muß immer noch etwas und zwar das Letzte zu thun übrig bleiben.“115 Sinn und Verständnis für das Unvollendete förderte aber vor allem der von Rodin hoch geschätzte Delacroix – der sich selbst seit seinem ersten Auftritt im Salon 1822 Vorwürfen der Unfertigkeit stellen musste – mit umfangreichen theoretischen Überlegungen in seinem 1893 publizierten Journal. Hier notiert er am 20. April 1853, die Improvisationen Chopins seien viel kühner als seine vollendeten Kompositionen, und entwickelt daraus allgemeine Überlegungen über das Verhältnis der Skizze zum vollendeten Gemälde, und von unfertigen oder ruinenhaften zu vollendeten Bauwerken: Il en était pour cela, sans doute, comme de l’esquisse du tableau comparée au tableau fini. Non, on ne gâte pas le tableau en le finissant! Peut-être y a-t-il moins de carrière pour l’imagination que dans un ouvrage ébauché. On éprouve des impressions différentes devant un édifice qui s’élève et dont les détails ne sont pas encore indiqués, et devant le même édifice quand il a reçu son complément d’ornements et de fini. Il en est de même d’une ruine qui acquiert quelque chose de plus frappant par les parties qui manquent. […] L’édifice achevé enferme l’imagination dans un cercle et lui défend d’aller au delà.116 114 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung (1819), in: Ders.: Werke in fünf Bänden. Nach den Ausgaben letzter Hand hrsg. von Ludger Lütkehaus. Zürich 1988, Bd. 2, S. 473-474. 115 Ebd., S. 473. Schopenhauer bezieht sich hier auf Voltaire, der ebenfalls empfohlen hatte, dem Leser die vollständige Aussage vorzuenthalten: „Le secret d’être ennuyeux, c’est de tout dire.“ Unbestimmte und offene Stellen, die der aktiven Vorstellungskraft Raum lassen, forderte auch Diderot in seiner Salonkritik 1763: „quand on écrit, faut-il tout écrire? quand on peint, faut-il tout peindre? De grâce, laissez quelque chose suppléer à mon imagination.“ (Denis Diderot: Salons. Hrsg. von Jean Seznec, Jean Adhémar, Bd. I, Oxford 1957, S. 205) 116 Delacroix 1893/1996, S.  330; in Erstausgabe 1893, Bd.  2, S.  163-164: „Genauso ist es zweifellos bei einer Skizze eines Bildes im Vergleich zum fertigen Bild. Nein, man verdirbt das Bild nicht, wenn man es zu Ende bringt! Vielleicht kann sich die Vorstellungskraft weniger entfalten als beim Entwurf eines Werkes. Man empfängt unterschiedliche Eindrücke vor einem Bauwerk, das erst errichtet wird und dessen Einzelheiten noch nicht zu erkennen sind, und vor demselben Bauwerk, das mit Ornamenten verziert seine Vollendung erfahren hat. So ist es auch bei einer Ruine, deren fehlende Partien ihr etwas Eindrucksvolles verleihen. […] Das vollendete Bauwerk schließt die Vorstellungskraft in einen Kreis ein und hindert sie, darüber hinaus zu gehen.“

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Das Vollendete engt nach Ansicht Delacroix’ die Vorstellungskraft ein. Demnach spricht das Entwurfsstadium eines Werkes den Betrachter deswegen stärker an, weil er es in der Phantasie nach eigenem Ermessen ausformen kann. Zudem offenbare sich in der Skizze stärker die Persönlichkeit des Künstlers; unbestechlich mache sie den Reichtum wie auch die Grenzen seines Talents deutlich: Peut-être que l’ébauche d’un ouvrage ne plaît tant que parce que chacun l’achève à son gré. […] L’artiste ne gâte donc pas le tableau en le finissant; seulement, en renonçant au vague de l’esquisse, il se montre davantage dans sa personnalité, en dévoilant ainsi toute la portée, mais aussi les bornes de son talent.117

Delacroix’ Theorie des Vagen („le vague“), die er vor allem an Rembrandt exemplifiziert, entwirft eine kalkuliert herbeigeführte Skizzenhaftigkeit oder Unbestimmtheit, die der Imagination und Erinnerung mehr Raum gibt als das minutiös ausgeführte Bild.118 Das Werk erfüllt sich „nicht in dem, was materiell gegeben ist, sondern bedarf der Mitwirkung des Betrachters, um vollendet zu werden. Es ist prinzipiell unabgeschlossen.“119 Zweitrangige oder unwesentliche Partien des Bildes können daher im Unklaren belassen werden, da die Skizze („ébauche“), die Delacroix mit einem Keim, Ei oder Embryo vergleicht, bereits alle wesentlichen Anlagen enthält, die im Zuge der verschiedenen Stadien der Ausarbeitung nur deutlicher und in ihren Wechselbezügen hervortreten.120 Das Skizzenhafte des sichtbaren Pinselstrichs erhält eine eigene Wertigkeit: Die Ausführung bleibt improvisiert und behält ein hohes Maß an Direktheit, die durch eine höhere Präzision gefährdet würde.

117 Ebd. 118 Vgl. Karl Schawelka: Eugène Delacroix. Sieben Studien zu seiner Kunsttheorie. Mittenwald 1979, S. 60. 119 Ebd., S. 62. 120 Ebd., S. 21.

2. Kunsttheorie und Arbeitspraxis Rodins La notion du fini est aussi dangereuse que celle de élégance: toutes les deux peuvent tuer un art. Auguste Rodin1

2.1. Kunsttheorie 2.1.a. Natur und Metamorphose Für Rodin, der trotz einer betont antiakademischen Haltung in seinen Äußerungen die modernen Aspekte seines Werkes zumeist ausweichend übergeht, ist die Natur – neben den ihrerseits der Natur verpflichteten Werken der Antike und der Renaissance – der alleinige Maßstab, an dem er seine Arbeit ausrichtet. Natur ist für ihn vital und energetisch, in unablässigem Wandel und unbegrenzt in ihren Daseinsformen. Seine emphatische Auffassung von Natur als bewegtes Leben in ständiger Veränderung prägte Rodins Ästhetik grundlegend. Seine eigenen, stetig neue Zusammenhänge und Metamorphosen durchlaufenden Werke sind Zeugnisse einer Auffassung vom Kunstwerk als Extension dieser unendlichen natürlichen Variabilität. Charles Quentin überliefert eine programmatische Äußerung Rodins, in der er sein Verständnis von Vollendung in Beziehung setzt zu den stetigen Formwandlungsprozessen in der Natur, zu welchen er in der Kunst eine Entsprechung sieht: It is often said complainingly of Rodin that he does not finish his work. To this complaint I would give a reply in his own words: ‚There is no finish possible in a work of Art, since it is Nature, and Nature knows no finish, being infinite; therefore one stops at some stage or other, when one has put into one’s work all one sees, all one has sought for, all one cares to put, or all one particularly wants; but one could really go on for ever and see more to do.‘2

Da sich für Rodin in der Kunst das Prinzip der Natur ausdrückt, ist für ihn auch in der Kunst Vollendung weder möglich noch erstrebenswert. Die Frage ist für ihn irrelevant, er sucht nicht die endgültige und statische Form, sondern seine Werke existieren simultan in verschiedenen Stadien und Variationen, die alle gleicher1 Rodin, zit. in: Louis Vauxcelles: Salons de 1907. Paris 1907, S. 34. 2 Charles Quentin: „Le Musée Rodin“, in: The Art Journal, 1900, S. 213-217, hier S. 216.

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maßen gültig und ‚vollendet‘ sind. Das Unfertige, Unvollendete steht dem Lebendigen näher, Vollendung setzt er gleich mit dem Tod: „Les ignorants, devant des plans serrés et justes, disent: ‚Ce n’est pas fini,‘ La notion du fini est aussi dangereuse que celle de élégance: toutes les deux peuvent tuer un art.“3 Rodins Formen bleiben vielmehr im Fluss, im Laufe des Werkprozesses ändert sich ihre Gestalt, ihr Sinn, gleich einem in stetiger Umwandlung befindlichen Organismus. Nach Werner Hofmann zeigt Rodin Form „nicht als einen abgeschlossenen Zustand, sondern in ihrem Entstehen aus dem Formlosen, als Wachstumsprozeß, der in allen seinen Phasen veranschaulicht wird. Form auf der Suche nach ihrer Bestimmung“4. Dies gilt auch und besonders für die die non-finiten Marmore, deren gegenständlicher Teil aus dem roh bossierten Block hervorgeht. In diesem Gestaltungsprinzip ist eine Grundvorstellung aufgehoben, die unabhängig vom verwendeten Material Rodins Werk durchzieht: die Entwicklung der plastischen Form aus der amorphen Materie.5 Zum Verständnis dieses Konzeptes lassen sich mit La Terre und La Mort zwei Werke aus den späten 1880er Jahren heranziehen, die nie eine Übersetzung in Marmor erfahren haben,6 die non-finiten Skulpturen aber formal und inhaltlich vorbereiten. Beide Werke stellen Figuren dar, die mit ihrem ungestalten Untergrund verschmolzen sind, und stehen paradigmatisch für Rodins Verständnis von Natur als einem fortwährenden metamorphotischen Prozess. La Terre (Abb. 7), eine der ersten Torsoplastiken Rodins, überliefert in Gips- und Bronzefassungen unterschiedlicher Größe, ist eine bäuchlings auf einem formlosen, zum Oberkörper hin ansteigenden Untergrund liegende Figur. Arme und Füße sind abgeschnitten, der klumpig geformte Kopf nach unten abgeknickt. Der skizzenhafte, nur vage artikulierte Körper scheint mit dem Untergrund verwachsen, sich regelrecht aus dem Gips der Bodenplatte hervorzuarbeiten, bleibt aber ohne Arme und Füße passiv der rohen Materie verbunden.7 Als Ton- respektive 3 Rodin, zit. in: Louis Vauxcelles: Salons de 1907. Paris 1907, S. 34 (zit. in: Schnell 1980, S.  60); Rodin fährt fort: „On obtient la solidité, la vie par le travail poussé, non dans l’achèvement des détails, mais dans la justesse des plans successifs. Le public, égaré par le préjugé, confond l’art et la propreté.“ 4 Werner Hofmann: Die Plastik des 20. Jahrhunderts. Frankfurt a. M./Hamburg 1958, S. 45. 5 Helene von Nostitz notiert um 1902 in ihr Tagebuch über Rodin: „Nous l’avons vut travaillé une figure ce matin qui sortait en pleurant de la matière. […] Rodin: Il semble qu’elle veule retourner dans la matière qui la conçue elle regrette encore de vivre!“ (Zit. und übers. in: Rodin und Helene von Nostitz. Ausst.-Kat. Neue Pinakothek, Bayerische Staatsgemäldesammlungen München 1999, S. 16, 68 („Diesen Morgen haben wir ihn an einer Figur arbeiten sehen, die weinend die Materie verließ. […] Rodin: Es scheint, dass sie in die Materie zurückkehren will, die sie hervorgebracht hat; sie bedauert noch zu leben!“) 6 Rodin hatte bereits 1899 für seine Ausstellung in Brüssel Marmor- oder Bronzeausführungen von La Mort vorgesehen, doch es gab hierfür keinen Auftrag (Rodin en 1900. L’exposition de l’Alma. Hrsg. von Antoinette Le Normand-Romain. Ausst.-Kat. Musée du Luxembourg, Paris 2001, S. 110). Die zwölf existierenden Bronzegüsse entstanden postum. 7 Vgl. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth: „Rodin zwischen Tradition und Innovation. Fragment, Torso, Deformation, Montage im Dienst der Expression“, in: Vor 100 Jahren. Rodin in

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Abb. 7: Auguste Rodin: La Terre, 1896, Paris, Musée Rodin

Gipsmasse, die eine anthropomorphe Form annimmt, ist La Terre die personifizierte Erde, Grundstoff der Natur wie der bildhauerischen Schöpfung. Der Katalog zur Retrospektive 1900 beschreibt die Figur als „Erdklumpen von menschlicher Gestalt“ und „Gestammel der Kreation“8. Im selben Katalog stellt Eugène Carrière lapidar fest: „L’art de Rodin sort de la terre et y retourne“9. Mit La Terre, deren „lastende Materialität […] die feuchte Dichte und dumpfe Schwere des Modelliertons unverwandelt lässt“10, demonstriert Rodin die Verdichtung und Gestaltung der rohen Materie zur menschlichen Form, die zugleich auch eine gegenläufige, regressive Bewegung vom Menschen zurück zum Klumpen Lehm11, ins anorganisch Unbelebte bzw. in niedere, vorbewusste Formen des Lebens impliziert. Korrelativ dazu veranschaulicht La Mort (Abb. 8), im Musée Rodin in drei variierenden Gipsfassungenen erhalten, die Auflösung einer Figur und ihr Wiedereingehen in die undifferenzierte Materie. Ein zusammengekauerter männlicher Körper

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Deutschland. Ausst.-Kat. Bucerius Kunstforum Hamburg; Staatliche Kunstsammlungen Dresden 2006, S. 12-23, hier S. 18. „Torse fruste et rugueux, couché à plat ventre sur le sol et rampant, semblant faire effort pour se dégager de la glèbe dont il est comme partie intégrante, véritable motte de terre à forme humaine, balbutiement de la création.“ (Exposition de 1900. L’Œuvre de Rodin. Ausst.-Kat. Pavillon de l’Alma, Paris 1900, Kat. Nr. 66, S. 13). Eugène Carrière: „L’Art de Rodin“, in: Paris 1900, S. I. Claude Keisch in: Jena 2005, S. 120. Ebd.

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Abb. 8: Auguste Rodin: La Mort. L’homme, par sa mort, rentre dans la nature, 1898, Paris, Musée Rodin

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scheint einzusinken in den Grund, auf dem er liegt, während sich von dort wuchernde Vegetation über Nacken, Schulter und Beine ausbreitet. Der Kopf mit geschlossenen Augen ist an die angezogenen, vom linken Arm umfassten Knie gelegt. Der rechte Arm ist erhoben und ragt aus der kompakten Gesamtform des allmählich versinkenden Körpers heraus  – „qui peu à peu s’enfonce et disparaît sous le sol“12, wie es im Katalog zur Retrospektive 1900 heißt. Die Figur trägt den Zusatztitel L’homme, par sa mort, rentre dans la nature: Der reale Gipsgrund wird zum metaphorischen ‚Urgrund‘ der vegetativen Natur, in den der Sterbende eingeht, zurückkehrend in einen Kreislauf, aus dem sich fortwährend neues Leben entwickelt. Auf die Gussform hat Rodin eine weitere Titelvariante notiert: Transformation. Kreation, Verwandlung, Auflösung und neuerliche Kreation werden als fortdauernder Prozess begriffen. So deutlich wie hier offenbart sich nur selten Rodins Überzeugung von der prinzipiellen Gleichartigkeit biologischer und künstlerischer Prozesse, die sein eigenes Arbeitsprinzip an Wirkungsmechanismen der Natur bindet. Edmond de Goncourt, der 1886 erstmals den Gips der Porte de l’Enfer im Dépôt des Marbres sieht, erinnert die Entfaltung der Formen auf den Türflügeln an einen chaotisch wuchernden Korallenstock, auf dem das Auge erst bei genauerer Betrachtung der Vorsprünge und Höhlungen figürliche Details unterscheidet, die von unruhiger Bewegung geradezu belebt sind: C’est, sur les deux immenses panneaux, un fouillis, un emmêlement, un enchevêtrement, quelque chose comme la concrétisation d’un banc de madrépores. Puis au bout de quelques secondes, le regard perçoit, dans ces apparences de madrépores du premier moment, les ressauts et les rentrants, les saillies et les cavités de tout un monde de délicieuses petites académies, pour ainsi dire remuantes dans une animation, dans un mouvement …13

Als madrépores bzw. Madreporen bezeichnete man im 19. Jahrhundert die koloniebildenden Steinkorallen (Scleractinia), die an ihrer Basis Kalk abscheiden und so über lange Zeiträume komplexe Riffe bilden. Die Koralle, ein metamorphotisches Mischwesen, das Merkmale des Mineralischen, Pflanzlichen und Tierischen in sich 12 Paris 1900, Kat. Nr. 38, S. 7. Den Eindruck des Versinkens beschreibt Frederick Lawton, später Sekretär und Übersetzer Rodins, der das Werk im Pavillon de l’Alma sah: „One most strangely attractive was an allegory of man being reabsorbed by nature. The man’s body was doubled up and had begun to sink into the ground among moss and flowers, which partially covered him, and from which his arms emerged.“ Frederick Lawton: The Life and Work of Auguste Rodin. London 1906, S. 228. 13 Edmond et Jules de Goncourt: Journal. Mémoires de la vie littéraire. Texte intégral établi et annoté par Robert Ricatte. Paris 1989, Bd. 2, S. 1243 („Es herrscht auf den zwei gewaltigen Flügeln ein Gewirr und verzweigtes Durcheinander, als sehe man vor sich eine Art Madreporenbank. Nach einigen Sekunden unterscheidet das Auge in dieser korallenartigen Erscheinung Vorsprünge und Vertiefungen, Buckel und Höhlungen einer ganzen Welt delikater kleiner Figurenstudien, die von unruhiger Bewegung geradezu belebt sind“).

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vereint, da ihr Organismus aus einem anorganischen Kalkskelett hervorgeht, ist bereits in Ovids Metamorphosen ein Modell für die organische Wandlungsfähigkeit der Natur.14 Jules Michelet widmete der Koralle in seiner 1861 veröffentlichten Naturgeschichte des Meeres ein zentrales Kapitel, in dem er ihre Stellung zwischen niederen und höheren Lebensformen als exemplarisch für die Entwicklung des Lebens aus dem Unbelebten sieht: „Peut-être est-ce le point réel où la vie obscurément se soulève du sommeil de pierre, sans se détacher encore de ce rude point de départ“15. Vergleichbare Allegorisierungen von Natur werden wenig später in der Rezeption der non-finiten Marmore Rodins wieder virulent. Für Charles Darwin wurde, wie wir heute wissen, das Bild des Korallenstockes, in dem sich das Leben wachsend verzweigt und in verschiedene Richtungen differenziert, zum Modell eines regel- und hierarchielos wuchernden Evolutionsprozesses.16 Das Bild der Koralle assoziiert Goncourt beim Anblick der Porte de l’Enfer, Rodins Fragment gebliebenem Hauptwerk17, aus dessen amorpher Grundfläche die Figuren reliefartig und fließend aufzutauchen und wieder zurückzusinken scheinen. Als würden sich aus der anorganischen Materie organische Formen bilden, die sich wiederum in jene auflösen, wird es zur „Metapher eines Lebens, das sich in sich selbst erneuert“.18 2.1.b. Fragment, Torso und Non-finito Mit den Gips- und Bronzefragmenten und den non-finiten Marmorskulpturen entwickelte Rodin zwei materialabhängige Arten fragmentarischer Plastik, die in komplementärer Beziehung stehen. Das Fragmentarische steht bei Rodin immer, wenn auch indirekt, im Dienst seiner Metaphorik des Lebensganzen, da die „Lebendigkeit der Figur aus dem Ungeformten aufsteigt – sei es der Steinblock oder das modelé –, das Geformte seinerseits auf die Matrix seiner Herkunft zurück 14 Ovid: Metamorphosen. Buch 4, V. 750-752: „Heute noch ist die gleiche Natur den Korallen geblieben: / daß sie, gebracht an die Luft, ihre Härte gewinnen und daß, was / Stengel im Wasser gewesen, erst über dem Wasser zu Stein wird.“ (Übers. von Erich Rösch) 15 Jules Michelet: La Mer. Paris 1861, S. 139; zit. u. übers. nach: Horst Bredekamp: Darwins Korallen. Die frühen Evolutionsdiagramme und die Tradition der Naturgeschichte. Berlin 2005, S. 65: „Vielleicht ist hier tatsächlich der Punkt, an dem das Leben sich dunkel aus seinem steinernen Schlaf herauswindet, ohne sich noch von diesem schroffen Ausgangspunkt abzulösen.“ 16 Bredekamp 2005. 17 Rodin hat die ursprünglich als Eingangstor für ein geplantes Musée des Arts décoratifs beauftragte Porte de l’Enfer nicht auf eine Endfassung hin angelegt, sondern stetig weiterentwickelt. Bis 1916 arbeitete er an der Gipsfassung und ließ diese kurz vor seinem Tod noch einmal komplett montieren. Dieser Zustand letzter Hand diente als Formvorlage für den ersten Bronzeguss von 1926 sowie alle folgenden Bronzeausführungen (in Paris, Philadelphia, Zürich, Shizuoka, Stanford, Tokio und Seoul). 18 Gottfried Boehm: „Ungesicherte Aequivalente. Formen der Modernität am Jahrhundertende“, in: Rainer Warning, Winfried Wehle (Hrsg.): Fin de Siècle. München/Paderborn 2002, S. 9-25, hier S. 18.

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verweist.“19 Als erster Bildhauer erhob Rodin in den 1890er Jahren das Fragment, das bisher in der Kunst nur im Stadium des Entwurfs oder als Museumsrelikt vorkam,20 zum vollgültigen Werk. Dieser Schritt markiert, wie vielfach dargestellt wurde, die Zäsur, mit der Rodin sich von der Plastik des 19. Jahrhunderts löst: Diese hatte in ihren naturalistischen Strömungen, die ihrerseits den idealisierenden Klassizismus überwunden hatten, die minutiöse Abbildung von Wirklichkeit gesucht. Sie war nicht mehr als dessen formale, zum Verwechseln ähnliche Kopie, der lediglich das Leben fehlte. Dieser illusionistischen Naturnachahmung stellen sich Rodins Fragmente entgegen, die nicht mehr die Illusion vermitteln, mit dem Abgebildeten identisch zu sein.21 Wie Werner Schnell gezeigt hat, brachen Rodins Torsi mit der seit Jahrhunderten bestehenden Verpflichtung der Plastik, Abbild von Wirklichkeit, von Natur zu sein.22 Die Fragmentierung befreit die Form von narrativen Inhalten, da die Figur lediglich bis zu dem Punkt entwickelt wird, an dem der stärkste Ausdruck erreicht ist. Umgekehrt begann Rodin auch, aus vollständigen Werken expressive Details zu isolieren, die er seinen vollständig ausgeführten Arbeiten gleichstellte.23 Sensibilisiert durch das Antikenstudium im Louvre entdeckte er in der erodierten und inkompletten Form eine besondere, intensivierte Ausdruckskraft: „Un morceau de beau est le beau entier.“24 Im Fragment erkennt Rodin die Essenz des Plastischen: „La vie est dans le modelé, l’âme de la sculpture est dans le morceau; toute la sculpture est là.“25 Zu den frühesten Teilfiguren in Gips zählt Torse d’Adèle von 1878 (ausgestellt ab 1900). Die wichtigen Torsi entstanden vor allem in den 1890er Jahren: Cybèle (1890, ausgestellt ab 1899), Iris (1890-91, ausgestellt ab 1900), La Terre (ausgestellt ab 1896), Torse Morhardt (1895, ausgestellt ab 1899), Méditation sans bras (1896, ausgestellt ab 1897) und der auf Rumpf und Beine reduzierte L’Homme qui marche, dessen kleine Gipsfassung Rodin im Pavillon de l’Alma 1900 noch als Studie („puissante étude“)26 für 19 Boehm 2002, S. 17. 20 The partial figure in modern sculpture. From Rodin to 1969. Hrsg. von Albert E. Elsen. Ausst.-Kat. The Baltimore Museum of Art 1969, S. 15. 21 Werner Schnell: „Zwischen Abbild und ‚Realität‘ – auf dem Wege zur Plastik ohne mimetische Funktion“, in: Skulptur. I: Die Entwicklung der abstrakten Skulptur im 20. Jahrhundert und die autonome Skulptur der Gegenwart. Ausst.-Kat. Westfälisches Landesmuseum Münster 1977, o. S. 22 Werner Schnell: Der Torso als Problem der modernen Kunst. Berlin 1980. 23 Der Kunstkritiker und Dichter Gustave Kahn zeichnet diese Entwicklung nach: „Dès le temps de la Porte de l’Enfer, Rodin commence à qualifier d’œuvres ses fragments, ses études. […] Il tient davantage à celles des ses études partielles qui lui paraissent réussies qu’à certaines des petites œuvres totalement réalisées. […] Avec le temps, […] il va de plus en plus vers l’étude partielle. Ce n’est point qu’il ne veuille pas se donner le temps d’ériger la figure complète. Il ne juge pas que cela soit nécessaire. ‚Le morceau est beau en soi, l’étude du morceau légitime et profitable.‘“ Gustave Kahn: „Notes sur Rodin“, in: Ders.: Silhouettes littéraires. Paris 1925, S. 79-98, hier S. 88-89. 24 Rodin, zit. in: Coquiot 1917, S. 66. 25 Rodin, zit. ebd., S. 82. 26 Paris 1900, Kat. Nr. 63; Paris 2001 – Alma, Kat. Nr. 47.

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Saint Jean-Baptiste ausstellte, bevor er 1907 die Monumentalfassung mit dem eigenständigem Titel L’Homme qui marche präsentierte. Spätestens an diesem Punkt erfahren die Torsi Rodins eine grundlegende Statusänderung, die sie von der vorläufigen Figurenstudie im Entwurfsstadium zum autonomen und vollgültigen Werk aufwertet.27 Rodin selbst formuliert diese Neubewertung in seinen Kommentaren weit weniger radikal, wie auch grundsätzlich eine Diskrepanz zwischen seiner eher konservativen kunsttheoretischen Selbstreflexion und seiner avancierten Arbeitspraxis auffällt. Judith Cladel überliefert eine seiner raren Äußerungen, in der er die Bedeutung des Fragments für seinen Arbeitprozess des Suchens und Bildens von Formen erläutert. Indem er als Referenzen Michelangelo, die Plastik der Antike und die unvollendeten französischen Kathedralen anführt, versichert er sich einer kunsthistorischen Kontinuität, aus der er seine Methode der Torsierung ableitet: Je suis un inventeur affirme-il; je livre le résultat de mes recherches en des morceaux qui sont l’étude des plans et du modelé. On me reproche de ne pas en tirer personellement toutes les applications qui en découlent. Que ceux qui me suivent s’en chargent. Je dois me contenter d’avoir amené l’intelligence des artistes de mon temps dans les environs de Michel-Ange et de l’Antique. […] Un torse bien fait contient toute la vie. On n’y ajouterait rien en y adjoignant les bras et les jambes. Mes morceaux sont des exemples que je propose à l’étude des artistes. Ils ne sont pas finis diton. Et les cathédrales sont-elles finis?28

Rodin spricht hier in bezug auf seine Fragmente noch von „Studien“ („morceaux qui sont l’étude“), nicht von eigenständigen Werken, und begegnet damit einem Rechtfertigungszwang, den die kanonisierten Ganzheitserwartungen seiner Zeit noch einfordern. Stets betont er den Aspekt der Suche. Bereits Ende der 1880er Jahre sind seine Arbeitsgrundlage vor allem Torsi und Gliederfragmente aus Gips – in Entwicklung befindliche Formideen, die er „des embryons“29 nennt. 27 Schnell 1980, S. 25-32. 28 Rodin, zit. in: Judith Cladel: Auguste Rodin, l’œuvre et l’homme. Brüssel 1908, S. 98 („Ich bin ein Erfinder; ich lege meine Forschungsergebnisse in Form von Fragmenten nieder, die Studien sind von Flächen, von Modellierung. Man wirft mir vor, dass ich nicht alle Anwendungsmöglichkeiten vorführe, die sich daraus ableiten. Das wird Aufgabe derer sein, die nach mir kommen. Ich muss mich damit zufriedengeben, den Geist der Künstler meiner Zeit zu Michelangelo und zur Antike geführt zu haben. […] Ein gut gemachter Torso enthält das ganze Leben. Man würde ihm nichts hinzufügen, indem man Arme und Beine anbrächte. Meine Fragmente sind Beispiele, die ich anderen Künstlern zum Studium anbiete. Man sagt, sie sind nicht vollendet. Und die Kathedralen, sind diese denn vollendet?“). 29 Georg Treu: „Bei Rodin“, in: Kunst und Künstler, 3 (1904), H. 1, Oktober, S. 3-17, hier S. 5. Diese Gliederfragmente aus Gips sammelte Rodin in großen Mengen in seinem Atelier, das von einem Besucher als „Schlachtfeld unter Schnee“ beschrieben wurde: „son atelier du boulevard de Vaugirard, qui, avec ses fragments de torses, ses membres épars, tordus sur la terre, perdus dans la poussière du plâtre, a l’air d’un champ de bataille sous la neige“ (Hugues Le Roux: „Une exposition des œuvres de Rodin. L’artiste. Sa vie. Ses débuts. Son œuvre“, in: Le Temps, 20.6.1889, S. 2).

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Dass Fragment und Torso als selbständige künstlerische Einheit erst seit Rodin möglich geworden sind, beschrieb zuerst Herbert von Einem 1935: „Es ist das erste Mal, daß Form und Gegenstand auseinandertreten, daß der Anspruch der Form die Rechte des Gegenstandes schmälert.“30 Von Einem sieht im Torso eine „Monumentalisierung des Entwurfes“31, die kleinformatige Studienfragmente zur autonomen Großform erhebt. Leo Steinberg, einer der ‚Wiederentdecker‘ Rodins in den 1950er Jahren, erkennt in der Torsierung eine Darstellungsmöglichkeit von Bewegung und Bewegungsenergie. Rodin zeige weniger einen Körper in Bewegung, sondern kleide vielmehr Bewegung in einen Körper, und zwar in nicht mehr Körper als nötig – „no more body than it wants to fulfill itself“32. Demnach sei jeder unbewegte Teil des Körpers abkömmlich. Rodin hatte erklärt, wahre Meisterwerke besäßen kein einziges ausdrucksloses, somit redundantes Detail: „Les plus purs chefs-d’œuvre sont ceux où l’on ne trouve plus aucun déchet inexpressif de formes“.33 Um diese größtmögliche formale Effizienz zu erreichen, könnten sekundäre, weniger relevante Teile ausgespart werden: „L’unité de l’œuvre-fondamentale repose sur l’équilibre des volumes simples et quelques indications de directions, certaines parties, secondaires, peuvent être supprimées.“34 Darauf lässt sich auch das unvollendete Erscheinungsbild der Marmorskulpturen zurückführen, deren Ausdruck durch eine bis ins letzte Detail ausgeführte Bearbeitung im Gegenteil gefährdet würde: Parce que mes œuvres ne sont pas fignolées, vidoursées, pour employer le terme du métier, on me reproche de ne pas les terminer et de livrer au public des ébauches. Les modelés essentiels y sont; je ne crois pas nécessaire de m’attacher à polir des doigts de pied, des boucles de cheveux; ce sont là des détails sans intérêt pour moi. Ils compromettraient l’idee générale, la grande ligne de mon œuvre.35

Ein frühes fragmentarisches Werk ist die aus dem Monument à Victor Hugo ausgegliederte armlose Gipsfassung der Méditation sans bras/Voix intérieure (1896)36, eine graziöse Figur, deren zarte Hautoberfläche in emphatischem Kontrast steht zu 30 Von Einem 1935, S. 333. Dieser Verlust an Gegenständlichkeit wird 1948 zu einem zentralen Argument des Münchner Kunsthistorikers Hans Sedlmayr, der ein Kapitel seiner heftig umstrittenen konservativen Streitschrift Verlust der Mitte den Torsi Rodins widmet, die er bezugnehmend auf die Thesen von Einems als Verfallssymptom der modernen Kunst analysiert (Hans Sedlmayr: „Der Sinn des Fragments“, in: Ders.: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit. Salzburg 1948, S. 138141). 31 Von Einem 1935, S. 334. 32 Steinberg 1963/1972, S. 363. 33 Auguste Rodin: L’Art. Entretiens réunis par Paul Gsell. Paris 1911, S. 136. 34 Ebd., S. 15. 35 Rodin, zit. in: Edmond Claris: De l’Impressionnisme en Sculpture. Auguste Rodin et Medardo Rosso. Paris 1902, S. 33-34. 36 Hierzu Anne Pingeot: „Fragmente, die einem Ganzen entnommen sind (I). Rodin: Denkmal für Victor Hugo“, in: Paris/Frankfurt 1990, S. 203-218.

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aggressiven Verletzungen: Das linke Knie und die Außenseite des rechten Beines wurden abgetragen – ursprünglich, um die Figur in die Denkmalkomposition zu integrieren  – und in der Einzelfigur nicht ergänzt, die Bruchstellen blieben unkaschiert. Rodin stellte den Gips erstmals im Salon der Société Nationale des Beaux-Arts 1897 aus, wo die Kritik den Vergleich mit antiken Torsi suchte. Doch diese historische Referenz genügte nicht, um die Verstümmelung als bewussten künstlerischen Akt zu akzeptieren. Ein anonymer Autor äußert sein Unbehagen angesichts der Inkommensurabilität dieser fragmentarischen Figur: „Mais si l’on me dit,: ‚L’œuvre est définitive ainsi et dans toutes ses parties, une inquiétude atroce me saisit.“37 Rodin indes hielt sie für eines seiner vollendetsten und ausgereiftesten Werke.38 Immer wieder formulierte er die Überzeugung, dass sich das Leben in seiner Komplexität nur fragmentarisch und nie in seiner Gesamtheit wiedergeben lasse, womit er nicht nur seine Torsi, sondern vor allem auch die unvollendete Erscheinung seiner Marmore begründet: No good sculptor (he says) can model a human figure without dwelling on the mystery of life; this individual and that in fleeting variation only remind him of the immanent type; he is led perpetually from the creature to the creator. … All the best works of any artist must be bathed, so to speak, in mystery. That is why many of my figures have a hand, a foot still imprisoned in the marble-block; life is everywhere, but rarely indeed does it come to complete expression or the individual to perfect freedom.39

37 Anon., Archiv Musée Rodin, Dossier Méditation sans bras („Und wenn man mir sagt, dieses Werk ist so und in all seinen Teilen endgültig, ergreift mich eine grauenvolle Beunruhigung.“) 38 Rodin an Prinz Eugen von Schweden, 2.1.1897: „Enfin je joindrai à mon envoi un grand platre, la Voix Intérieure, auquel il manque les bras et une partie des jambes. Mais l’étude de la Nature y est complète et j’ai mis tout mon effort à y rendre l’art aussi entier que possible. Je considère que ce plâtre est une de mes œuvres le mieux finies, le plus poussées.“ (zit. in: Alain Beausire: Quand Rodin exposait. Paris 1988, S. 136.) Als Rodin die Skulptur nach Ausstellungsende dem schwedischen Nationalmuseum als Schenkung übergeben wollte, wurde sie von dessen Ankaufskomitee abgelehnt, woraufhin Rodin vorschlug, sie als „Studienfragment“ zu kategorisieren: „S’il vous agréait je serais très heureux que vous voulussiez bien le placer – comme morceau d’étude – dans votre musée.“ (zit. in: Rodin. La voix intérieure. Ausst.- Kat. Musée des beaux-arts de Marseille 1997, S. 11) Auf Wunsch König Oskars II. von Schweden wurde La Méditation nun in die königliche Sammlung aufgenommen, nach dessen Tod 1907 jedoch wieder entfernt. – In Dresden erwarb Georg Treu ebenfalls bereits 1897 eine lebensgroße Gipsfassung der Méditation/Voix intèrieure nach deren Präsentation auf der Internationalen Kunstausstellung in Dresden für die Skulpturensammlung des Albertinums. Vgl. Claude Keisch: „Georg Treu und Rodin“, in: Das Albertinum vor 100 Jahren – Die Skulpturensammlung Georg Treus. Ausst.-Kat. Staatliche Kunstsammlungen Dresden 1994, S. 218-225, hier S. 220-221. 39 Rodin, zit. in: Frank Harris: „Rodin“, in: Ders.: Contemporary Portraits. London 1915, S. 287-296, hier S. 293.

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Abb. 9: Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal, Paris 1857. Originalausgabe mit eigenhändigen Federzeichnungen Auguste Rodins von 1887/88, S. 47

Das Non-finito der Marmorwerke verhält sich komplementär zum Prinzip des Torso. Während in den Gips- und Bronzetorsi sekundäre Partien (beispielsweise die Arme und Teile der Beine der Méditation) nicht ausgeführt oder entfernt wurden, um die Figur stärker zu konzentrieren, bleiben diese in den Marmorwerken (etwa Arme und Füße in L’Homme et sa pensée) verborgen und sind gar nicht erst aus dem Stein herausgearbeitet. Die Art der Reduktion ist also abhängig vom Werkstoff: Rodins Torsi existieren, so sie überhaupt in Marmor ausgeführt wurden, nur in non-finiter Form. Die Marmore haben keine Bruchstellen oder Stümpfe,40 sondern diese sind in den Stein ‚hineingenommen‘ und bleiben unausgeführt unter der non-finiten Oberfläche. Während in den Torsi keine Hinweise auf das Abwesende gegeben werden, ist im Marmor die vollständige Figur assoziativ vorhanden.41 Deutlich wird dies einmal mehr im Vergleich von Gipsmodell und Marmor, etwa bei L’Homme et sa pensée, oder auch im Vergleich der Skulpturen und ihrer zeichne40 Eine der wenigen Ausnahmen ist Sappho, ein Marmor aus dem Jahr 1909, der in reliefartiger Anordnung eine tanzende weibliche Figur zeigt, die von zwei nahezu identischen, im Maßstab kleineren Mädchenfiguren flankiert wird. Deren linke Schultern bleiben im Stein eingeschlossen, während die rechten Armansätze jeweils in der Art eines Torsos bzw. einer Karyatide auf Brusthöhe mit einem glatten schrägen Schnitt abbrechen (vgl. Schmoll 1954/1983, S. 121). 41 Schnell 1980, S. 58.

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rischen Umsetzung durch Rodin für Gallimards Ausgabe von Baudelaires Fleurs du mal: Die Figur der Méditation ist auf der Zeichnung (Abb. 9) armlos, doch sie ist kein Torso: die Armansätze gehen fließend über in ein filigran gezeichnetes Liniensystem, aus der die Figur hervorgeht, und das in seiner Struktur den Bossierungen der non-finiten Steinoberflächen entspricht. Fragment und Non-finito sind mithin zwei sich ergänzende Manifestationen eines Verfahrens, bei dem wenige fokussierte, aus dem Werkstoff herausgearbeitete Formen in den Bronzen das Konzentrat eines Gegenstandes vermitteln, während in den Marmorarbeiten das im Stein Verborgene, Unausgeführte oder Abwesende ein eigenes Sinnpotential gewinnt. 2.1.c. Offener Werkprozess Mithilfe der Gipstorsi und -fragmente entwickelt Rodin ab den 1890er Jahren sein charakteristisches Assemblage-Verfahren: das Wiederaufnehmen und modulartige Neukombinieren bereits existierender Werke oder deren Teilstücke in neuen Kontexten, die oft einer narrativen wie kompositorischen Logik entgegenlaufen.42 Diese synthetische Methode geht vermutlich zurück auf Rodins frühe Erfahrungen als Dekorationsbildhauer für Carrier-Belleuse, dem erfolgreichsten akademischen Bildhauer seiner Zeit, in dessen Werkstatt vorgefertigte Einzelteile aus Gips zu komplexen Kompositionen zusammengefügt wurden. Ein Großteil der reifen Werke Rodins basiert auf diesem Verfahren, es sind Montagen älterer Gipsfiguren und -fragmente, zumeist aus der Porte de l’Enfer, die für ihn ein unerschöpfliches Formenreservoir war. Entsprechend kennt Rodins Werk kaum Einzelstücke, nahezu alle Formen werden wieder eingespeist in einen andauernden Transformationsprozess. Diese laborartige Werkpraxis der letzten beiden Jahrzehnte ist nicht nur Folge einer speziellen Arbeitsökonomie, die die Selbst-Paraphrase als Motor für neue Inspiration nutzt, sondern ebenso Ausdruck eines zunehmenden Desinteresses an erzählenden Inhalten, die ursprünglich einmal der Ausgangspunkt vieler Figuren der Porte de l’Enfer waren, und die nun in einem willkürlichen Spiel mit Bedeutungen aufgehen. Die einzelnen Werkteile sind wie „Buchstaben, die in verschiedenem Kontext Verschiedenes bedeuten können“43 und Ausdruck einer völlig neuen Austauschbarkeit von Inhalten. Einzelne Figuren können in neuen Konstellationen und Paarungen, in veränderter räumlicher Orientierung und in neuen ‚Rollen‘ mit neuen Titeln auftauchen. Rodins Interesse ist dabei zuallererst formal und gilt dem Zusammenspiel der Formen. Sinnzuweisungen sind immer nachgeordnet. So entsteht aus Fragmenten verschiedenen Ursprungs eine neue Kunstwirklichkeit, die auch hybride, anatomisch fehlerhafte Figuren hervorbringt (etwa La Terre mit dem 42 Vgl. Rosenfeld 1993, S. 449. 43 Werner Spies: „Der verbotene Kuss. Rodin im Musée du Luxembourg: Paris rekonstruiert seinen Auftritt zur Weltausstellung 1900“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.4.2001. Vgl. Steinberg 1963/1972, S. 371: „varisized figures, limbs, torsos, and heads […] worked for him as the idioms and syllables of a language work for a poet“.

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Kopf des Homme au nez cassé), die die Spuren ihrer Operationen sichtbar ausstellen. Torsi können in veränderten Zusammenhängen auch zu vollständigen Figuren ergänzt (so etwa Torse d’Adèle in der Paargruppe L’Éternel Printemps, oder La Méditation in Constellation) oder zu Paaren und Gruppen arrangiert werden: Der vertikale Enfant prodigue findet sich auf dem Rücken liegend in der Paargruppe Fugit Amor (Kat. 2, Taf. 2+3), die liegende Martyre steht aufrecht als Eurydice in Orphée et Eurydice (Kat. 3, Taf. 1), Andromède und La Fatigue finden sich zusammen zu La Terre et la Lune (Kat. 7). Einige dieser Assemblagen erfahren auch die Übersetzung in non-finite Marmorfassungen. Umgekehrt können bestehende Gruppen zergliedert und ihre Einzelfiguren oder deren Fragmente in verändertem Maßstab zu eigenständigen Werken werden, etwa die rechte Hand des Pierre de Wiessant aus der Gruppe der Bourgeouis de Calais, aus der die Main de Dieu hervorging. So entstehen nach 1900 kaum noch neue Figuren, sondern fast ausschließlich Gruppen und Einzelfiguren aus Montagen und Umarbeitungen bereits existierender Werke, was die französische Rodin-Forschung auch als Marcottage44 – die Montage aus verschiedenen Teilen, die Werken eigener Produktion entnommen sind – bezeichnet. Rodins Zeitgenossen beschrieben und beurteilten dieses neuartige Kompositionsprinzip aus Fragmenten naturgemäß sehr unterschiedlich. Nicht alle Beobachter schätzten die Spannung des bewusst Imperfekten und Inkohärenten, unter ihnen auch Künstler wie Henri Matisse, der kritisierte, dass für Rodin eine Komposition lediglich eine Anordnung von Fragmenten sei, deren Gesamteindruck eher von Konfusion statt Klarheit bestimmt sei: „pour lui, une composition n’est qu’un groupement de morceaux, et il en résulte de la confusion dans l’expression.“45 Anders sah das der britische Dichter und Kunstkritiker Arthur William Symons 1902, der gerade die Fähigkeit Rodins bewundert, einzelne Fragmente, deren bildhafte wie inhaltliche Information nahezu erodiert ist, zu einer gehaltvollen Komposition zusammenzufügen: „it lies among other formless suggestions of form, it groups itself with another fragment, itself hitherto unexplained; suddenly there is a composition […].“46 In Rodins Nachlass haben sich viele dieser Gipsfragmente und Rohfassungen erhalten, die seit den 1970er Jahren auch als eigenständige Werke ausgestellt und bewertet werden. Damit trat ein, was Gustave Kahn bereits 1925 erhoffte: dass man eines Tages die Werkzustände den finalen Fassungen gleichrangig zur Seite stellen würde: „Quand la gloire sera venue, toutes ces ébauches seront proposées comme des états, aussi intéressants que la réalisation définitive. Le stade du moulage, qui n’était qu’un tâtonnement, devient une date.“47

44 Marie-Thérèse Baudry: La sculpture. Méthode et vocabulaire. Paris 1978, S. 43. 45 Henri Matisse: „Notes d’un peintre“, in: La Grande Revue, 25.12.1908. Wiederabdruck in: Ders.: Écrits et propos sur l’art. Textes, notes et index établis par Dominique Fourcade. Paris 1972, S. 40-53, hier S. 47. 46 Arthur Symons: „Rodin“, in: The Fortnightly Review, June 1902, S. 957-967, hier S. 964. 47 Kahn 1925, S. 88.

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Dass nicht das vollendete, sondern das im Werden begriffene Werk, der schöpferische Prozess im Zentrum seiner Arbeit steht, zeigt nicht zuletzt Rodins Ausstellungspraxis. Bereits 1889 präsentierte er bei Georges Petit in der vielbeachteten Gemeinschaftsausstellung mit Claude Monet eine große Zahl von Torsi aus der Porte de l’Enfer, deren Entwurfscharakter einen zeitgenössischen Kritiker zwar verstörte, den er jedoch auch als einzigartigen Einblick in den Werkprozess erkannte: […] nous avons bien fait de décider l’artiste à exposer ces figures telles qu’elles sont à cette heure, avec leur linceul d’ébauche, plus effrayantes peut-être et plus suggestives dans l’indication de leur geste essentiel, que dans la perfection de travail qui les achèvera.48

Im Pavillon de l’Alma, in dem Rodin sein Werk im Schatten der Pariser Weltausstellung 1900 einem breiten Publikum präsentierte, war mit der einfachen hallenartigen Anlage, großen Fenstern und kaum Dekor weniger eine klassische Ausstellungs- als eine Ateliersituation nachempfunden. Er zeigte dort vorrangig Maquetten und Assemblagen aus Gips, also aus größeren Werkzusammenhängen isolierte Einzelstücke, und dokumentierte auf Fotografien deren Entstehungsphasen. Es handelte sich also nicht um eine Retrospektive abgeschlossener Werke, sondern vielmehr um die Vorführung ihres Reifeprozesses und ihres transformatorischen Potentials. Schon zeitgenössische Beobachter registrierten diese öffentliche Präsentation eines ‚work in progress‘, bei welcher der künstlerische Prozess selbst ausgestellt wurde49: The artist is not content simply to present several finished works, in their definitive state, ripe for private collections or museums; but he has also aspired, above all, to show the public his work in progress, his researches, as well as his projects, his sketches, and if you will, his intentions.50

Und der österreichische Schriftsteller Rudolf Kassner notiert nach seinem Besuch: Es ist also eine Ausstellung, und doch glaubt man, in eine Werkstätte zu treten. [… Man] vergißt nicht, daß jemand hier am Steine gearbeitet hat, daß am Steine hier etwas geschehen und aus Steinen etwas geworden ist.51

Claude Keisch sieht im Pavillon de l’Alma ein Bekenntnis Rodins zur „Einheit der öffentlichen und der experimentellen Seite seines Œuvres“, denn dort konnte der 48 Le Roux 1889, S. 2. 49 Vgl. Michael Kuhlemann: „Auguste Rodin. Inszenierung des Schöpferischen“, in: Hamburg/Dresden 2006, S. 24-31. 50 Marcel Nicolle: „L’Exposition Rodin“, in: Journal de Rouen, 11.7.1900; zit. u. übers. in: Daniel Rosenfeld: „Rodin’s Partial Figures“, in: Iain Ross, Anthea Snow (Hrsg.): Rodin. A Magnificent Obsession. Iris and B. Gerald Cantor Foundation. London 2001, S. 127-174, hier S. 167. 51 Rudolf Kassner: „Noten zu den Sculpturen Rodins“, in: Wiener Rundschau, 15.6.1900, S.  285-287. Wiederabdruck in: Ders.: Sämtliche Werke. Hrsg. von Ernst Zinn, Klaus E. Bohnenkamp. Pfullingen 1974, Bd. 2, S. 98-103, hier S. 98.

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Besucher das „unaufhörliche Drama der Veränderung als primär begreifen, das einzelne Werk als nachgeordnet und die von einer fragmentarischen Architektur gebändigte Amorphie des ‚Höllentores‘ als Verständnismodell.“52

2.2. Werkgenese der Marmorskulpturen 2.2.a. Formfindung Rodins Werke sind prinzipiell nicht materialgebunden konzipiert, eine große Zahl von Motiven ist in Bronze wie in Marmor ausgeführt. Dennoch war sein Arbeitsverfahren grundlegend das eines Plastikers, nicht eines Bildhauers. Rodin arbeitete niemals direkt in den Stein, wie etwa Michelangelo oder nach ihm die Bildhauer der frühen Moderne, sondern modellierte zunächst in Ton und arbeitete anschließend weiter an der Gipsabformung; in wenigen Fällen modellierte er auch direkt mit Wachs oder Glaspaste. Entsprechend ging seine Figurenkonzeption nie vom Steinblock, sondern vom Modellieren und Formen aus. Er dachte die Form von innen, vom Kern her, und verlieh ihr schrittweise Gestalt durch Zufügen von Material: Die Formfindung ist ein additiver Prozess, nicht der subtraktive des Bildhauers in der Tradition Michelangelos, der vom Block ausgeht und durch das Abtragen von Material die Form freilegt.53 Rodin fasste die Oberfläche der plastischen Form vielmehr auf als äußerste Grenze eines dagegen gerichteten Volumens54 und entwickelte die Form vollplastisch aus der Abfolge ihrer verschiedenen Profile,55 die dessen Querschnittsbegrenzungen bilden. Das auf diese Weise modellierte Oberflächenrelief, das bewegte und die Wirkung von Licht und Schatten aufnehmende modelé, bildet nicht allein die darunter liegenden Muskeln, Knochen und Sehnen ab, sondern gewinnt eine Eigengesetzlichkeit in der Veranschaulichung einer vitalen Energie, die vom Inneren der Figur an die Oberfläche drängt. So ist Ton für ihn 52 Claude Keisch: „Anti-Apotheosen. Rodins ‚Assemblage mit Köpfen der Bürger von Calais’ aus der Perspektive des werdenden Beuys“, in: Rodin Beuys. Hrsg. von Pamela Kort. Ausst.Kat. Schirn Kunsthalle Frankfurt a. M. 2005, S. 122-147, hier S. 141. Einen solchen prozessästhetischen Ansatz formulierte der französische Schriftsteller Gustave Kahn für Rodin bereits 1925: „Quand on est complexe comme Rodin, sa vérité d’un jour n’est pas toujours celle d’hier et sa sensibilité sera un peu différente demain. Il découvre en marchant; il est en route“. Kahn 1925, S. 86. 53 Die Unterscheidung von Plastik und Skulptur findet sich erstmals in Leon Battista Albertis Traktat De Statua, in dem er drei Arten der Bildnerei definiert: jene, die Stoff entfernt und zugibt (Ton und Wachs), jene, die nur Material entfernt (Stein) und Treibarbeit (Metall). 54 Rodin, seinen Lehrer Constant wiedergebend, zit. in: Rodin/Gsell 1911, S. 64: „Ne considère jamais une surface que comme l’extrémité d’un volume, comme la pointe plus ou moins large qu’il dirige vers toi.“ 55 Konträr zur Position seines deutschen Kollegen Adolf von Hildebrand, der in seiner Abhandlung Das Problem der Form in der bildenden Kunst (1893) für die einansichtige Reliefplastik mit gestaffelten Ebenen eintrat, sind Rodins Werke in der Regel Vollplastiken ohne eindeutige Hauptansicht.

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nicht bloß passive Materie, der er seine Vorstellung aufprägt. Er versuchte vielmehr, mithilfe des modelé eine lebendige, im Inneren der Form strömende Energie sichtbar werden zu lassen. Rodin modelliert spontan und rasch, wobei die Form immer figürlich bleibt, in einzelnen Partien jedoch eine Autonomie gewinnt, die, aus ihrem Kontext gelöst, ungegenständliche Züge annehmen kann. Denn seit dem Skandal um L’Âge d’airain, als ihm der Abguss vom lebenden Modell vorgeworfen wurde, ist Rodins bewegtes modelé nicht mehr analog zu menschlicher Haut, sondern gewinnt einen Eigenwert als rein plastische Oberfläche. William Tucker sieht darin Rodins nachhaltigste Entzweiung mit der abbildenden Tradition, „achieved through the uninhibited manipulation of substance to the point at which the intelligible communication of form would break down, were it not for the figure as vehicle.“56 Gewöhnlich modellierte Rodin zunächst kleinformatige Entwürfe in Ton57 und bildete nach diesen eine ausgereiftere Maquette, die in Gips abgeformt wurde. Da die Tonmaquette während der Abformung zerstört wird, ist der erste Gipsguss nunmehr das Originalmodell, von dem zur weiteren Vervielfältigung eine Stückform gefertigt wurde, aus welcher eine ‚zweite Generation‘ identischer Gipsgüsse abgeformt werden konnte. So waren stets genügend Formreserven zur Umarbeitung und Variation vorhanden. Im Musée Rodin befinden sich mehr als 6000 Gipse aus dem Nachlass. Oft ließ Rodin das Tonmodell auch in verschiedenen Zuständen abformen, während er es entwickelte, oder arbeitete gleichzeitig an verschiedenen Gipsabgüssen. Auf diese Weise näherte er sich einer Form, die im finalen Werkstoff Marmor oder Bronze (in Einzelfällen auch Keramik) fixiert wurde, deren sukzessive Zustände in Gips aber wiederum zum Ausgangspunkt für neue Werke werden konnten. Für das Konservieren von Zwischenstadien, das Revidieren, Vergrößern, Verkleinern und experimentelle Neukombinieren einzelner Teile war die extensive Verwendung von Gipsabgüssen, wie Rodin sie betrieb, praktische Voraussetzung. Der ‚arme‘, transitorische Werkstoff Gips, der als Vor- und Zwischenstufe58 für die Übertragung in edlere, dauerhaftere, in der traditionellen Hierarchie höher stehende Materialien wie Marmor oder Bronze galt, gewinnt bei Rodin eine neue Eigenwertigkeit,59 sowohl im Werkprozess, als auch in seiner Verkaufs- und Ausstellungspraxis. Einige Stücke aus dem gigantischen Formenreservoir, das stetig anwuchs, fanden bereits zu seinen Lebzeiten Eingang in Sammlungen, obwohl er sich nur widerstrebend trennte und sie in der Regel nur an große Museen gab. Diese Originalgipse und deren Vervielfältigungen sind nicht zu verwechseln mit 56 William Tucker: The language of sculpture. London 1974, S. 19. 57 Rodin arbeitete stets nach der unmittelbaren Anschauung; lediglich für Victor Hugo und Balzac fertigte er vorbereitende Zeichnungsstudien an. Porträts entstanden nach Möglichkeit vor dem lebenden Modell oder Personen mit ähnlicher Physiognomie. 58 „Le plâtre est le manuscrit, le marbre est le livre.“ (Anon.: „Visions de notre heurs, choses et gens qui passent“, in: L’Echo de Paris, 27.5.1898; zit. in: Schnell 1980, S. 211) 59 Vgl. Heike Höcherl: Rodins Gipse. Ursprünge moderner Plastik. Frankfurt a. M./Berlin u. a. 2003.

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der nachträglichen Gipsabformung (surmoulage) eines Marmors, die Rodin in der Regel vom ersten Marmorexemplar eines Werkes abnehmen ließ, und die möglichen weiteren Marmorfassungen als Vorlage diente. 2.2.b. Werkstoff Marmor Aufgrund seiner kunsthistorischen Assoziationen, seiner Kostbarkeit und Beständigkeit war weißer Marmor das bevorzugte Material der akademischen Bildhauer des 19. Jahrhunderts. Zeitgenössische Diskurse zur Materialästhetik preisen seine edle Reinheit und die optischen Qualitäten seiner Farbe und Textur60. Für Rodin, der sich in seiner kunsttheoretischen Selbstreflexion neben Michelangelo auch auf Phidias61 beruft und große Teile seines Vermögens für den Aufbau einer Antikensammlung ausgab62, ist Marmor vor allem ein Bindeglied zur klassischen Tradition, die über Bernini und Michelangelo in die römische und griechische Antike zurückreicht. Seine kenntnisreiche Begeisterung für die charakteristische Farbigkeit und Körnung verschiedener Marmorsorten griechischer, römischer und ägyptischer Provenienz schildert Édouard Herriot, damaliger Bürgermeister von Lyon, der 1906 mit Rodin römische Ruinen in Vienne im Département Isère besuchte, wo dieser vor einem Bruchsteinberg die Marmorsorten identifizierte.63 Rodin selbst verwendete vorwiegend carrarischen Marmor und reiste auch zu Einkäufen nach Italien. Rodins Marmorœuvre umfasst 295 individuelle Skulpturen,64 darunter etliche vielfach variierte Motive. Bis in die 1890er Jahre waren die meisten seiner Werke Bronzen, doch mit zunehmender Nachfrage durch Sammler begann Rodin, Einzelfiguren und Gruppen aus dem Kontext der Porte de l’Enfer, die bereits als Bronzen existierten, auch in Marmor ausführen zu lassen. Die gemeinsame Ausstellung mit 60 Hegel in seinen Vorlesungen über die Ästhetik: „[…] am unmittelbarsten aber stimmt der Marmor in seiner weichen Reinheit, Weiße sowie in seiner Farblosigkeit und Milde des Glanzes mit dem Zwecke der Skulptur zusammen und erhält besonders durch das Körnige und das leise Hindurchscheinen des Lichts einen großen Vorzug“. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik. Hrsg. von Friedrich Bassenge. Berlin 1966, Bd. 2, S. 155. 61 Vgl. Rodin/Gsell 1911, S. 255-286. 62 Bénédicte Garnier: Rodin. L’Antique est ma jeunesse. Une collection de sculpteur. Éditions du Musée Rodin. Paris 2002. 63 Édouard Herriot: Rodin. Lausanne 1949, S. IX: „Il les examinait un par un: ‚Voici, me disait-il, du Carrare et voici du Pentélique, si cristallin! voici de la brèche d’Egypte, du marbre jaune de Sienne et des morceaux de ce calcaire grisâtre, à veines ondulées, que l’on appelle du cipolin parce qu’il rappelle les tranches de l’oignon, cipolla.“ („Schauen Sie, das ist aus Carrara, und dies hier ist pentelischer Marmor, so kristallin! Das ist aus den Trümmern von Ägypten; dort ist gelber Marmor aus Siena, und das sind Stücke von dem gräulichen Kalkstein mit wellenförmiger Maserung, den man ‚cipolin‘ nennt, weil er an eine aufgeschnittene Zwiebel, eine cipolla, erinnert.“) 64 Rosenfeld 1993, S.  iv. Rosenfeld identifiziert 183 unterscheidbare Motive. Ein seiner Dissertation angegliederter Katalogteil beinhaltet all diejenigen Werke, deren Erstfassungen bis 1899 entstanden sind – insgesamt 75 Motive.

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Claude Monet bei George Petit 1889 etwa brachte ausschließlich Marmoraufträge hervor. Auch der französische Staat, der in den frühen 1880er Jahren die Bronzen L’Âge d’airain und St. Jean angekauft hatte, erwarb kurz darauf vorrangig Marmore (Madame Morla Vicuña und Le Baiser 1888, Danaïde 1890).65 Zwischen 1885 und 1917 präsentierte Rodin in den Salonausstellungen mindestens 25 Marmorarbeiten66, und es waren vor allem private Auftragsarbeiten in Marmor für einen stetig wachsenden internationalen Kundenkreis, die besonders nach 1900 zu seinen wesentlichen Einnahmequellen zählten. In dieser Spätphase entstehen kaum noch neue Sujets, sondern vor allem non-finite Marmorneufassungen älterer Werke und deren Umarbeitungen, die die außerordentliche Nachfrage des neuen Stilmittels durch Sammler belegen, teilweise aber auch für Rodins donation an den Französischen Staat bestimmt, also nicht immer an einen Auftrag gebunden waren. Die interessanteren Innovationen  – die überproportional anwachsenden rohen Materiefelder – realisiert Rodin nun in Marmor statt in Bronze.67 Anders als die körnigen Sedimentgesteine Kalk- und Sandstein hat Marmor eine homogene kristalline Struktur, die ihm hohe Festigkeit, Dichte und damit Dauer verleiht. Sein feines Korn erlaubt feinste Nuancierungen der Oberfläche. In seiner haptischen wie optischen Weichheit ist polierter weißer Marmor besonders geeignet für die Darstellung von Haut, deren Finesse und sinnliche Belebung Rodin in den antiken Marmorwerken so bewunderte. Seinen eigenen Skulpturen ist eine zart schimmernde und gleichzeitig ein wenig durchscheinende Oberfläche eigen. Marmor, ein metamorphes Carbonatgestein, ist sedimentierter und unter Hitze und Druck umgewandelter Kalkstein in kristalliner Form, in dessen Oberfläche das Licht bis zu zwei Zentimeter tief eindringt. Durch das senkrechte Behauen mit den punktförmigen Bossier- und Spitzeisen werden die Kristalle auf der Oberfläche verdichtet und beim Glätten mit Raspel und Feile zerstört, so dass das auftreffende Licht kaum reflektiert, sondern absorbiert wird. Es entstehen die für Rodin so charakteristisch weichen, transluziden Oberflächen.68 In den späten Marmoren sind diese nur noch selten glänzend poliert, sondern stumpf und milchig, so dass der Stein nahezu dematerialisiert und von einem weichen atmosphärischen Nebel umgeben scheint. Besonders in den Porträts der letzten zwei Jahrzehnte erzeugt die lichtabsorbierende Oberfläche einen weichen Schimmer, der die Betrachter in Erstaunen versetzte. George Bernard Shaw beschreibt den Eindruck eines eigentümlichen Leuchtens und Fließens an seinem eigenen Marmorporträt: 65 66 67 68

Vgl. Ruth Butler: Rodin. The Shape of Genius. New Haven 1993, S. 262. Rosenfeld 1981, S. 81. Vgl. Elsen 1963, S. 133. Diese matte Oberfläche kann mit Schleif- und Polierwerkzeugen und mit Wolle und Wasser zu reflektierendem Glanz gebracht werden. Vgl. Monika Wagner: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne. München 2001, S. 174; Hermann Leber: „Das Viele im Wenigen geben – Rilkes Beitrag zum Verständnis des Fragmentarischen bei Rodin“, in: Karl Möseneder, Gosbert Schüssler (Hrsg.): ‚Bedeutung in den Bildern‘ – Festschrift für Jörg Traeger zum 60. Geburtstag. Regensburg 2002, S. 187-204, hier S. 192.

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He gave me three busts of myself: one in bronze, one in plaster, one in marble. The bronze is me (growing younger now). The plaster is me. But the marble has quite another sort of life: it glows, and the light flows over it. It does not look solid: it looks luminous; and this curious glowing and flowing keeps people’s fingers off it; for you feel as if you could not catch hold of it.69

Als Kontrastfolie zu dieser delikaten Weichheit gewinnen die roh behauenen Partien der non-finiten Marmore ihren sorgfältig kalkulierten haptischen wie optischen Reiz. Da nur Teile der Skulptur alle Arbeitsschritte bis hin zur abschließenden Feinstglättung durchlaufen haben, während die restliche Oberfläche im bossierten Zustand der Vorbearbeitung belassen ist, treten hier andere Eigenschaften des Materials hervor: In den felsig stehengelassenen Partien und Bruchstellen reflektiert die kaum beschädigte Gesteinstruktur das Licht in glitzernden Kristallen. 2.2.c. Werkstattbetrieb und praticiens Rodins Methoden der Werkstattorganisation unterscheiden sich kaum von denen seiner Zeitgenossen. Er führte eine professionelle arbeitsteilige Großwerkstatt, in der er hochspezialisierte technische Assistenten beschäftigte, unter ihnen Gipsgießer, Modelleure, Steinmetze und Bildhauer.70 Der gängigen Praxis im 19. Jahrhundert folgend, bearbeitete er auch seine Marmorskulpturen nicht selbst: Während er sich die konzeptionelle Arbeit in Ton und Gips vorbehielt, gab er die aufwendige, kräfte- und zeitraubende Umsetzung seiner Modelle in die Hände qualifizierter Steinbildhauer, der praticiens, deren Anzahl mit der steigenden Menge an Aufträgen stetig anwuchs. Seit den 1890er Jahren erweiterte Rodin diesen hocheffektiven Werkstattbetrieb, dessen Arbeitsteilung erst die Voraussetzung für seine immense Produktivität schuf.71 Seine Mitarbeiter übernahmen nicht nur die Übertragungen in andere Materialien, sondern auch die immer zahlreicheren Umarbeitungen, Vergrößerungen und Reduktionen und die große Zahl an Zweitund Mehrfachfassungen. Als Rodin nach 1900 von einem neuen wohlhabenden Kundenkreis vor allem aus Großbritannien und den USA zahlreiche Aufträge für Marmorneufassungen älterer Arbeiten erreichen, wird seine Werkstatt zu einer regelrechten Reproduktionsmanufaktur. Diese Praxis der fabrikmäßigen, kommer69 George Bernard Shaw: „A Memory of Rodin“, in: The Lantern, London, Jan. 1918, S. 295; zit. in: Frederic V. Grunfeld: Rodin. A Biography. New York 1987, S. 570. 70 Zu Rodins Werkstatt siehe auch Butler 1993, Kap. 21, S. 261-267; Rosenfeld 1993, S. 173213; Antoinette Le Normand-Romain: „Rodin und seine Mitarbeiter“, in: Wien 1996, S. 127-138. 71 Im Nachlass Rodins finden sich für die Zeit vor 1880 die Namen von drei bis vier Helfern, die gelegentlich für ihn Bildhauerarbeiten durchführten; bis 1888 waren es mindestens zwölf, in den 1890er Jahren mindestens 20. In den Jahren zwischen 1900 und 1910 sind schließlich neben einer variierenden Anzahl fester Mitarbeiter etwa 50 Personen verzeichnet, die in begrenzten Zeiträumen an einzelnen Marmoraufträgen arbeiteten. (Rosenfeld 1981, S. 90; Rosenfeld 1993, S. 178).

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ziellen Vervielfältigung hatte Rodin bereits seit 1864 bei seinem Lehrer CarrierBelleuse kennengelernt, der als einer der ersten Bildhauer eine separate Werkstatt führte, in der er ausschließlich Kopien seiner Werke herstellen ließ.72 Der kreative Prozess, die Invention, ist bei Rodins Marmorskulpturen entkoppelt von der mechanischen Ausführung. Die von Bildhauerkollegen wie Adolf von Hildebrand geforderte Auseinandersetzung mit dem Material findet nicht statt, dessen physische Widerstände und Zufälligkeiten sind im Schaffensprozess nur nachrangig relevant. Die Überzeugung, die noch für Michelangelo galt, dass das Material die Konzeption des Werkes bestimmt, ist mit der Arbeitsteilung im 19. Jahrhundert ohnehin hinfällig geworden. Oft wurde daher kolportiert, Rodin beherrsche die Techniken der Steinbildhauerei nicht – zu Unrecht, denn er hatte in seinen Ausbildungsjahren in Strasbourg, Südfrankreich und Belgien die Marmorbearbeitung erlernt und sich später damit seinen Lebensunterhalt verdient, etwa indem er in den 1870er Jahren für Carrier-Belleuse an großformatigen dekorativen Skulpturen für das Brüsseler Börsengebäude arbeitete. Der Bildhauer Ivan Meštrović, ein Verfechter der taille directe, berichtet von einem Gespräch mit dem alten Rodin im Jahr 1909 und dessen Bekenntnis, Stein sei für ihn das Synonym für Skulptur: „Mais tout ce dont nous parlons ici, ce n’est pas la sculpture. La sculpture est dans la pierre, mais j’ai malheureusement commencé tard avec la pierre.“73 Bezeichnend ist, dass Rodin, der seine Marmorwerke nur in Ausnahmefällen selbst bearbeitete, umso mehr sein öffentliches Bild als Steinbildhauer pflegte: Mehrere Fotografien zeigen ihn eigenhändig und direkt, ohne mise au point-Verfahren, am Stein arbeitend oder mit Werkzeugen davor posierend,74 und im 1914-1915 entstandenen Film Ceux de chez nous von Sacha Guitry arbeitet er mit Hammer und Spitzeisen am Marmor Ariane 75. Dieses Bild von Rodin als Mann des métier – Rodin vertrat grundsätzlich eher den Ethos des Arbeiters und Handwerkers, der außerhalb der Institutionen ausgebildet wurde, als den des verfeinerten Künstlers –, wird aufgenommen von Rainer Maria Rilke, der ihn in seiner Rodin-Monographie als unermüdlich am Stein Arbeitenden verklärt. Und auch Rodins Schüler Antoine Bourdelle porträtiert ihn 1910 in einer nostalgischen Reminiszenz an die von Rodin nie praktizierte taille directe archaisch-kraftvoll mit Bildhauerwerkzeugen.76 Rodin beschränkte sich jedoch in der Regel darauf, die von seinen Assistenten ausgeführte Übertragung in Marmor zu überwachen und notfalls korrigierend ein72 Butler 1993, S. 56. 73 Ivan Meštrović: „Quelques souvenirs sur Rodin“, in: Annales de l’Institut Français de Zagreb, 1 (1937), S. 3-14, hier S. 7. Wiederabgedruckt in: Ivan Meštrović, l’expression croate. Ausst.Kat. Musée Rodin, Paris 2012, S. 53-63, hier S. 57. 74 Anonym: Rodin an Ariane arbeitend (Abb. in: Correspondance III, S. 41); Dornac: Rodin vor dem Marmor Victor Hugo, 1898; Ouida Grant: Rodin an der Porträtbüste Kate Simpsons arbeitend, 1902 (Abb. in: Butler 1993, S. 412). Vgl. auch Rosenfeld 1993, S. 163; Keisch 2005, S. 141-142. 75 Vgl. Le Normand-Romain 2001, S. 38. 76 Antoine Bourdelle: Rodin travaillant à sa Porte de l’Enfer, 1910, Bronze, Musée Rodin, Paris.

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zugreifen. Daher nahm er auch nicht die Dienste kommerzieller Großateliers wie Barbedienne oder Maison Müller in Anspruch,77 sondern wählte seine Assistenten persönlich aus und stand mit ihnen in engem Kontakt. Um eine gewisse Kontinuität zu gewährleisten, nahm er Schüler in den 1890er Jahren nur an, wenn sie sich vertraglich verpflichteten, mindestens vier Jahre bei ihm zu bleiben. Die im Nachlass Rodins erhaltene Korrespondenz mit einzelnen Mitarbeitern dokumentiert, wie sorgfältig und streng er die Produktion einzelner Stücke mitverfolgte. Er ließ auch nur selten zu, dass Assistenten Werke in ihr eigenes Atelier überführten, um sie dort zu bearbeiten. Rousaud etwa klagt 1912 in mehreren Briefen wortreich über den Zeitverlust während der Arbeit am Marmor Clemenceau, den ihm der lange Anfahrtsweg nach Meudon bereitete,78 was Rodin aber offenbar nicht dazu bewegen konnte, die Skulptur aus seinem Atelier und damit aus dem Bereich seiner Kontrolle zu entlassen. Dass die arbeitsteilige Werkstattpraxis für das breite Publikum und selbst für Kenner keinesfalls selbstverständlich, sondern fremd, sogar anstößig war, verdeutlicht die Tatsache, dass nach dem Tod Rodins neben den zu dieser Zeit zirkulierenden illegalen Bronzegüssen auch seine Marmore öffentlichkeitswirksam als vermeintlich unauthentisch ‚enttarnt‘ wurden: „Man hat geglaubt, daß Rodin seine Marmorplastiken selbst gearbeitet hat. Das ist ein Irrtum, er hat niemals Marmor berührt“, schreibt die Zeitung L’Éclair im Januar 1919.79 Im Verlauf dieser sich zu einem Skandal ausweitenden „Rodin-Affäre“, in deren Zuge mehrere Gießer und Händler verhaftet wurden und die eine nachdrückliche Entwertung der Skulpturen Rodins zur Folge hatte, wurden auch Rodins Marmorassistenten pauschal diskreditiert. Der Vorwurf richtete sich nicht allein gegen unauthorisierte Repliken, sondern auch gegen die Tatsache, dass Rodin überhaupt die Dienste von Assistenten in Anspruch genommen hatte. Derlei ‚Enthüllungen‘ entbehren in ihrer zuweilen dramatischen Geste nicht einer unfreiwilligen Komik, wie etwa Otto Grautoffs Urteil, das 1919 seinen Bericht über die „Rodin-Affäre“ in der Zeitschrift Kunstchronik und Kunstmarkt einleitet: „Daß er nicht Schöpfer derjenigen Marmor- und Bronzewerke war, die unter seinem Namen die Welt erobert haben, soll sicher sein. Rodin war überhaupt kein Bildhauer. Das steht heute fest.“80 Grautoffs unreflektierte Wiedergabe der in der französischen Presse kolportierten Vorwürfe verwundert  – zumal er selbst Rodins Atelier besucht und sich in Essays und einer 1908 erschienenen Monographie für dessen Werk engagiert hatte –, sie demonstriert aber auch, wie hartnäckig die traditionelle Vorstellung der Einheit von schöpferischer Idee und handwerklicher Ausführung auch von fortschrittlichen Autoren vertreten wurde, die sich für die Moderne engagierten. Noch Leo Steinberg unterscheidet die Marmorarbeiten in Einzelstücke, in deren Ausführung Rodin eng in77 Rosenfeld 1981, S. 90. 78 Barbier 1987, S. 72. 79 Otto Grautoff: „Eine Rodin-Affäre in Paris“, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, 21.2.1919, S. 381-383, hier S. 382 (dt. Übersetzung von Otto Grautoff ). 80 Ebd., S. 381.

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volviert war (wie La Pensée und einige der späten Porträts), und die von Assistenten ausgeführten multiplen Werke und Gruppen, die er als unauthentisch ablehnt.81 Für die Untersuchung der non-finiten Skulpturen ist neben der konzeptionellen Arbeit Rodins am Modell auch die Mitarbeit der ausführenden Bildhauer zu berücksichtigen. Existieren mehrere Marmorfassungen eines Motivs, so ist jedes Exemplar unverwechselbar und variiert in Details der ausformulierten und der non-finiten Partien – nicht nur, weil Form und Beschaffenheit der Rohblöcke variieren, weil Sammler ein individuelles Werk besitzen wollten, sondern auch weil jeder praticien Rodins Modelle anders umsetzte. Denn trotz des aufwendigen mise au point-Verfahrens können Details am Modell unterschiedlich interpretiert werden. Als das Non-finito zum ‚signature style‘ Rodins geworden war und Musterwerke existierten, ließ er seinen Mitarbeitern ein immer höheres Maß an Freiheit und übergab ihnen statt detaillierter Modelle seit den 1890er Jahren meist nur noch grob gearbeitete Maquetten,82 die kaum mehr als skizzenhafte Angaben enthielten und zudem im Maßstab nun häufig kleiner waren als die geplante Umsetzung in Stein. Der Marmor war nicht mehr die Replik des Modells, sondern der Assistent sah sich gezwungen zur Interpretation, er konnte und musste Lösungen vorschlagen. François Pompon, der drei Jahre lang Rodins Werkstatt leitete, berichtet, wie er, für den die potentielle Variabilität eines Werkes eine grundlegend neuartige Erkenntnis war, von Rodin zu einer individuellen Auseinandersetzung mit der Vorlage ermutigt wurde: ‚My works can be interpreted in different ways! You’ll do it as you feel it, according to your temperament, and the others will do it differently.‘ […] it was Rodin who taught me that instead of being one fixed, unalterable thing as we were always taught, a piece of sculpture can have infinite variations.83

Da sich in der Korrespondenz kaum schriftliche Anweisungen zu den non-finiten Partien finden, müssen der individuellen Ausführung mündliche Absprachen vorausgegangen sein; langjährige und erfahrene praticiens wie Aristide Rousaud gestalteten die Einbettung der Figur in die rohe Bosse nach eigenem Ermessen. Mitunter erfolgten auch spontane Arbeitsunterbrechungen durch Rodin, wie der Assistent Victor Frisch berichtet:

81 Steinberg 1963/1972, S. 329, S. 331: „dulcified replicas made by hired hands“. 82 Siehe auch Antoinette Le Normand-Romain in: Marbres de Rodin. Collection du Musée Rodin. Ausst.-Kat. Shizuoka Prefectural Museum of Art 1994, S. 124; Rosenfeld 1993, S. 137. 83 Bloomington, Indiana University, Cladel Papers; zit. in: Grunfeld 1987, S. 568. Siehe auch Anne Pingeot: „Chronologie illustrée des pratiques de Pompon“, in: François Pompon. Ausst.-Kat. Musée des Beaux-Arts de Dijon u. a. 1994, S. 105-113.

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In 1905, I was working on a marble Cupid and Psyche, when Rodin dropped in to see how the work was progressing. The figures were little more than outlined in the marble, but Rodin, struck by the appropriateness of the marble cloud that covered the figures to the symbolic subject – Cupid and Psyche, love and the soul – insisted that I leave it in that state. And thus the statue stands.84

Nicht für jede Skulptur lässt sich aus den Unterlagen im Nachlass Rodins der ausführende praticien ermitteln. Daniel Rosenfeld identifizierte 78 verschiedene Steinbildhauer mit handwerklicher und/oder akademischer Ausbildung,85 die für Rodin arbeiteten und dessen Stil adaptierten, darunter souveräne und aufstrebende Künstlerpersönlichkeiten wie Antoine Bourdelle, Charles Despiau und Jules Desbois. In die Ausführung der in dieser Studie untersuchten Werke waren etwa zehn Bildhauer involviert. JEAN ESCOULA (1851-1911), der nach der Ausbildung in der Marmorwerkstatt seines Vaters zunächst für Carpeaux gearbeitet hatte,86 führte 1893 mit Orphée et Eurydice einen der ersten wichtigen und stilprägenden non-finiten Marmore Rodins aus, bevor er dessen Atelier 1894 verließ. VICTOR PETER (1840-1918), Falguière-Schüler mit Akademieausbildung, arbeitete seit 1890 für Rodin und zählte wie Bourdelle und Desbois zu den langjährigen und privilegierten Mitarbeitern Rodins. Bis 1917 führte er 32 Marmorskulpturen aus87, darunter neben La Pensée die zweite und dritte Fassung von Pygmalion et Galatée (1909 und 1912) und zwischen 1911 und 1913 die Zweit- und Drittfassung von Le Sommeil. Der Bildhauer und Medailleur GEORGE MATHET (1853-1920) arbeitete zwischen 1893 und 1918 zahlreiche non-finite Marmore, darunter die letzte Fassung von La Terre et la Lune 1904, Madame Fenaille 1905-08, La Douleur und Lady Warwick 1909 und die Version der Main de Dieu für Samuel P. Colt 1916. Weitere Marmorfassungen der Main de Dieu fertigten VICTOR FRISCH (1906-07 für das Metropolitan Museum New York) und der russische Bildhauer SÉRAPHIN SOUDBININE (1916-18 für das Musée Rodin). Weitere für non-finite Skulpturen herangezogene Spezialisten waren GASTON SCHNEGG (Adam et Eve 1905), JEAN-MARIE MENGUE (Devant la mer 1906, Pygmalion et Galatée 1906, L’Adieu 1907) und ÉMILE MATRUCHOT, der seit 1908 für Rodin arbeitete, 1912-13 die letzte Fassung der Madame Fenaille ausführte und 1914 die von Mengue begonnene und zwischenzeitlich von Rodin selbst bearbeitete Convalescente beendete. Eine Sonderstellung nimmt ARISTIDE ROUSAUD (1868-1946) ein, der in Rodins letzten Lebensjahren als dessen wichtigster praticien und enger Freund88 viele non-finite Hauptwerke ausführte. Ausgebildet an der École des Beaux-Arts, hatte Rousaud zunächst von 1890 bis 84 Victor Frisch, Joseph T. Shipley: Auguste Rodin. A Biography. New York 1939, S. 429-430. Es handelt sich um den Marmor Psyché et l’Amour, heute im Musée Rodin, Inv. S. 1123. 85 Rosenfeld 1993, S. 173, zu den praticiens im Einzelnen S. 572-601. 86 Ebd., S. 182-183; 203-205. 87 Jacqueline Guillot: Victor Peter, Sculpteur (1840-1918). Memoire de maitrise, Université de Paris-Sorbonne 1988. 88 Die besondere Beziehung Rodins zu Rousaud verdeutlicht die Tatsache, dass Rodin ihn 1917 an sein Sterbebett rufen ließ und vor seinem Tod verfügte, dass Rousaud fortan ein ei-

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1900 das Atelier von Alexandre Falguière geleitet, wo Rodin auf ihn aufmerksam wurde und ihm nach Falguières Tod eine Anstellung in seiner Marmorwerkstatt anbot, die Rousaud aber erst 1905 annahm. Nachdem er 1910 die non-finite Mère et fille mourante ausgeführt hatte, übertrug Rodin ihm in der Folge viele der späten Porträts (u.  a. Clemenceau 1912, John Wesley de Kay 1914, Lady Sackville-West 1914-1916), darunter auch Neufassungen früherer Werke für seine eigene Sammlung wie Mozart 1911, Puvis de Chavannes 1911-13 und die beiden non-finiten Marmorbüsten von Victor Hugo 1914 und 1916-18, letztere stellte Rousaud erst nach dem Tod Rodins fertig. Er arbeitete unterdessen auch an eigenen Skulpturen89 und entwickelte einen individuellen Stil beruhigter, geschlossener Formen, der sich deutlich von dem Rodins unterscheidet – und anders als zahlreiche Assistenten Rodins90 übernimmt Rousaud die non-finite Marmorbehandlung nicht in seine eigene Arbeit. 2.2.d. Übertragung von Gips in Marmor Zur Übertragung des Gipsmodells in Stein nutzten Rodins Assistenten das Punktierungsverfahren (mise au point). Die machine à mettre aux points, zu Beginn des 19. Jahrhunderts von dem Bildhauer Nicolas Gatteaux (1751-1832) entwickelt, besteht aus verstellbaren Zirkeln, mit welchen die maßgeblichen Begrenzungspunkte des Modells auf den Steinblock übertragen werden, die anschließende Binnenausarbeitung erfolgt frei.91 Der grob beschnittene Steinblock wird zunächst vom metteur au point, einem Steinmetz, mit Schlag- und Bossiereisen auf die Dimensionen des Modells, bis auf 2-3 cm über dessen Oberfläche reduziert. Mithilfe von drei Fixpunkten (points de repère), zumeist zwei kleinen Metallstiften vorn und einem an der Rückseite der Skulptur, erfolgt die genaue Übersetzung von Messpunkten auf dem Gipsmodell (détails) in Lochbohrungen auf dem Steinblock, die die Tiefe des abzutragenden Materials anzeigen. Die Übertragung kann mit einer gleichzeitigen Maßstabsänderung einhergehen, was seit 1880 mithilfe der vom Pantographen bekannten Methode der Parallelverschiebung in einem Arbeitsgang möglich war. Die vom metteur au point vorbehauene Rohform wird vom praticien weiterbearbeitet, der die vergleichweise freie Feinausführung mit Spitz- und Zahneisen und abschließend mit Feile und Schleifpapieren verschiedener Körnungsgrade übernimmt.

genes Atelier erhält (Aristide Rousaud, un sculpteur au temps de Rodin. Ausst.-Kat. Musée du château, Flers 1996, S. 13). 89 Rodin unterstützte Rousauds eigenständige bildhauerische Arbeit und vermittelte ihm Ausstellungsbeteiligungen, z. B. im Salon der SNBA 1912 (vgl. Correspondance III, S. 203). In den 1920er Jahren erhält Rosaud zahlreiche Aufträge für Denkmäler und Porträts. 90 Vgl. Kap. 5.2.b. 91 Zum Punktierungsverfahren siehe Anne Pingeot: „La mise aux points et l’agrandissement“, in: Paris 1986, S. 114-118; Bernhard Maaz: Skulptur in Deutschland zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg. München 2010, S. 718.

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In einigen Fällen sind die Übertragungsstadien eines Gipsentwurfes in Marmor gut dokumentiert, etwa im Fall der zwei auf den ersten Blick so unterschiedlichen Werke wie L’Adieu (Kat. 15.a) und La Convalescente (Kat. 15.b), die ihren Ursprung in derselben Gipsassemblage haben. Dieses Modell, ein Porträtkopf Camille Claudel aux cheveux courts (Kat. 5.7), der mit zwei einzelnen Händen und einer Tuchdraperie auf einen Holzsockel montiert wurde, durchlief zwei Zustände, die sich in Handstellung und Draperie unterscheiden. Im ersten Zustand (Kat. 15.4), der nur durch eine Fotografie dokumentiert ist92 und nach der um 1906 ein Marmor begonnen wurde, ist die geschlossene linke Hand, deren Daumen die Lippen berühren, über der Tuchdraperie horizontal von der Seite zum Mund geführt. Diese Hand ist im zweiten Zustand, von dem sich im Nachlass zwei identische Gipsabgüsse (Kat. 15.5) erhalten haben, ersetzt durch eine Hand mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger, die von schräg unten den Mund berührt, der Daumen weist nun nach außen. Der heute als L’Adieu bzw. The Farewell (The Young Convalescent) (Kat. 15.a) bekannte Marmor im Chrysler Museum of Art in Norfolk, Virginia, der die modifizierte Handstellung der zweiten Gipsversion zeigt, wurde von Jean-Marie Mengue bis 1907 ausgeführt. Eine Fotografie von Jaques-Ernest Bulloz zeigt den Marmor noch während der Bearbeitung mit Bleistiftkorrekturen am Haar im Nackenbereich (Kat. 15.2).93 Einige Jahre später, im September 1913, verkaufte Rodin diesen Marmor, nun mit dem Titel La Convalescente, über die in Paris und New York ansässige Henry Reinhardt Gallery an den New Yorker Sammler Max J. Sulzberger.94 Dies ist wohl der Anlass, warum die Arbeit an dem anderen – von Mengue noch nach dem ersten Zustand des Gipses begonnenen, jedoch nicht fertiggestellten – Marmor wieder aufgenommen wird. Wie Léonce Bénédite 191695 vermerkt, arbeitete bis 1914 Émile Matruchot, aber auch Rodin selbst an diesem zweiten Marmor La Convalescente (Kat. 15.b).96 Bereits die 1907 fertiggestellte Fassung L’Adieu lässt den Assemblagecharakter in den Hintergrund treten, 92 Reproduziert bei Cladel 1908, Abb. nach S. 52. 93 Diese Fotografie wurde 1910 als Illustration von Otto Grautoffs Rodin-Aufsatz in der Zeitschrift Die Kunst für Alle reproduziert (Grautoff 1910, S. 36), ebenso 1914 in der RodinSondernummer der Zeitschrift L’Art et les Artistes, hier mit dem Titel Mélancolie (Rodin. L’homme & l’œuvre. Numéro spécial de L’Art et les Artistes, 109, 1914, S. 30). 94 Rodin gab dem Marmor im August 1913 ein an Max J. Sulzberger gerichtetes handschriftliches Dokument bei: „Cette sculpture, la Convalescente est un buste de jeune fille qui se forme, et qui est dans une chaise longue, ou dans un lit, elle parle peu, mais adresse des remerciements à ceux qui sont venus la voir, elle envoie des baisers. Marbre blanc, ressemble un peu au marbre grec. Cette sculpture peut à l’occasion etre en marbre une fois encore et deux fois en bronze. Ceci est la première fois sorti de mon atelier“. Ich danke Laura Christiansen vom Chrysler Museum of Art, Norfolk (VA), für die Bereitstellung dieses und weiterer, die Provenienz des Werkes betreffender Dokumente von Henry Reinhardt und Benedict B. Nurick. 95 Archiv Musée Rodin, Fiche MR 25. 96 Zur Werkgenese von La Convalescente: Barbier 1987, Nr. 8; Antoinette Le Normand-Romain: „Camille Sublimée“, in: Camille Claudel et Rodin. La rencontre de deux destins. Ausst.Kat. Musée National des Beaux-Arts, Quebec; Detroit Institute of Arts; Fondation Pierre

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da hier die Tuchdraperie wellenförmig ausgreift und die Komposition stärker vereinheitlicht als noch in der Gipsplastik. An die Stelle jener weich polierten Schleier im Sockelbereich tritt in der sieben Jahre später fertiggestellten Convalescente eine massiv angewachsene, irreguläre und grob behauene Steinmasse, aus der Kopf und Hände nur noch partiell hervortreten. Auch für den Marmor L’Homme et sa pensée (Kat. 6, Taf. 5) aus dem Jahr 1896 haben sich im Musée Rodin zwei kleinformatige Gipsmodelle erhalten: eine Montage von zwei aus der Porte de l’Enfer separierten Figuren auf einem gemeinsamen Gipsgrund (Inv. S. 2031, Kat. 6.4), die im zweiten Modell (Inv. S. 618, Kat. 6.5) auf eine größere Sockelplatte montiert und mit Punkten und Stiften für die Marmorübertragung versehen sind. Der Vergleich dieser Modelle mit der vergrößerten Marmorfassung zeigt, dass die skizzenhaften Partien der Gipse im Marmor unbearbeitet blieben, quasi in den Block hineingenommen und unter einer nonfiniten Oberfläche vereinheitlicht wurden.97 Die Gesamtform ist kompakter, alle Durchbrüche – bis auf jenen zwischen den Oberkörpern der Figuren – sind geschlossen, die Rückenpartie der weiblichen Figur ist mit dem Rohblock verschmolzen. Auch für Le Sommeil (Kat. 4, Taf. 12) haben sich mehrere Gipsmodelle (u. a. Inv. S.  1822, Kat. 4.7) erhalten, die den Assemblagecharakter der Komposition offenlegen: die Einzelfragmente – ein schräg liegender weiblicher Kopf mit Halsund Schulterpartie, eine linke Hand, darunter Blätter, ein Apfel – sind deutlich zu unterscheiden. Das farbige Punktiermodell aus Terrakotta und Gips (Inv. S. 1829, Kat. 4.6), bei welchem die Fragmente mit Wachs und Zeitungspapier verbunden sind, gibt einen Eindruck von Rodins experimentellem Umgang mit verschiedenen Materialien. Im Gegensatz zu den fragmentarischen Modellen sind die drei Marmorfassungen (Kat. 4.a-4.c) kompakt und vereinheitlicht, der Kopf verschmilzt mit der Basis zu einer blockhaften Komposition, und die Gesichtszüge der Schlafenden verdämmern unter einem Sfumato-Effekt. Alles Bruchstückhafte und Disparate ist zurückgenommen, die Einzelfragmente verschwinden unter der bossierten Oberfläche des Blocks.98 Wie diese Beispiele zeigen, ist die Herausbildung und Ausformung der non-finiten Partien maßgeblich gebunden an Rodins neuartiges, mithilfe skizzenhafter Gipsmodelle realisiertes Arbeitsverfahren der Assemblage. Während der durch Mitarbeiter ausgeführten freien Übersetzung in Marmor bleiben die im Modell ungeGianadda, Martigny 2006, S. 217-231; Auguste Rodin – Eugène Carrière. Ausst.-Kat. Musée National d’Art Occidental, Tokio; Musée d’Orsay, Paris 2006, Nr. 103. 97 Zur Werkgenese von L’Homme et sa pensée siehe: Auguste Rodin. Plastik, Zeichnungen, Graphik. Hrsg. von Claude Keisch. Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie Berlin 1979, Nr.  53 und 54; Claude Keisch: „Rodin im Wilhelminischen Deutschland. Seine Anhänger und Gegner in Leipzig und Berlin“, in: Forschungen und Berichte der Staatlichen Museen zu Berlin, 29/30 (1990), S. 251-301, hier S. 264-267; Paris 2001 – Alma, Nr. 54; Tokio/Paris 2006, Nr. 112; Le Normand-Romain 2007, S. 683-684. 98 Rosenfeld 1981, S. 84: „The internal sensations of withdrawal, weightlessness, and self-absorption […] are uniquely conveyed by the marble – its transparency, limpidity, and brilliance, its cohesion and compactness, qualities lacking in the original plaster.“

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nau artikulierten Partien roh bossiert, resp. ‚unvollendet‘, werden aber auch zusammengefasst und vereinheitlicht. Hierauf hat schon Daniel Rosenfeld hingewiesen.99 Die Möglichkeiten des mechanischen Übertragungsverfahrens der mise au point, das eine hohe Präzision erlaubt, werden nicht ausgeschöpft – vielmehr bewahrt die vom Gips in Stein überführte Skulptur ein dem Material angepasstes hohes Maß an Unbestimmtheit. 2.2.e. Werktitel Die plastische Form geht bei Rodin immer deren inhaltlicher Besetzung und Benennung voraus.100 Zwar können literarische oder mythologische Texte Anlass sein, Figuren zu entwickeln, doch in der Regel erzeugt die Form erst die Idee, die Rodin dann mit passenden Stoffen unterlegt.101 Entsprechend lag ein Sujet, das der Titel anzeigt, nur in den selteneren Fällen (etwa bei den Denkmälern und den Gruppen der Porte de l’Enfer) der Konzeption der Skulptur zugrunde. Für Rodin zeigt sich die Intention des Künstlers nicht im Gegenstand, sondern in der Ausführung: „Notre public contemporain […] prétend qu’il veut comprendre. – Quoi donc? – Ce que l’artiste a voulu dire. – Mais le sujet ne nous renseigne pas sur l’intention de l’artiste. Il faut la chercher dans l’exécution.“102 Rodin unterwanderte nicht nur normative Erwartungen an Vollendung, sondern auch an die Eindeutigkeit und Unmissverständlichkeit des Sujets. Dies äußerte sich anfangs im Weglassen spezifischer Details, wodurch sich die Bedeutung der Figuren ins Allgemeinere, Unbestimmtere

99 Rosenfeld 1993, S. 64: „Fragmentation in the marbles gives way to absorption, in which the figure and raw material fuse.“ 100 Ein früher Beobachter, der dies erfasste und konsequent formulierte, war Rainer Maria Rilke. Er bezeichnete Rodins Skulpturen als „Dinge“, die keine über ihren formalen Wert hinausgehende inhaltliche Bestimmung besitzen, sondern einen „neuen, ganz auf die plastische Erfüllung bezüglichen Sinn“ (Rainer Maria Rilke: Auguste Rodin. Berlin 1903, S. 42). „Nie ist ein Stoff bei Rodin an ein Kunstding gebunden […]. Er lebt irgendwo in der Nähe des Dinges und lebt von ihm, etwa wie der Kustos einer Sammlung. Man erfährt manches, wenn man ihn ruft; wenn man es aber versteht, ohne ihn auszukommen, ist man mehr allein und ungestört und erfährt noch mehr.“ (Rainer Maria Rilke: Auguste Rodin. Zwei Teile. Berlin 1907. S. 41-42) Auch Paul Clemen hielt 1905 die Interpretationsversuche der französischen Kunstkritik für irrig und unfruchtbar, da diese zu sehr vom literarischen Inhalt der Werke ausgehe: „Das Formale war bei ihm wie bei allen wahren Plastikern das Primäre, das Stoffliche das Sekundäre.“ (Paul Clemen: „Auguste Rodin“, in: Die Kunst für Alle, 20, 1905, S. 289-307, 321-335, hier S. 332) 101 Hans Belting: Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst. München 1998, S. 241. Siehe auch: Gabriele Kopp-Schmidt: „,Man muss den Themen, die man behandelt, nicht allzuviel Bedeutung beilegen.‘ Das offene Kunstwerk vor seiner Erfindung“, in: Auguste Rodin. Der Kuss – Die Paare. Hrsg. von Anne-Marie Bonnet u. a. Ausst.-Kat. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München; Museum Folkwang Essen 2006, S. 37-43. 102 Auguste Rodin: Les Cathédrales de France. Introduction par Charles Morice. Paris 1914, S. 38.

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verlagerte. Diese „ikonographische Unschärfe“103 wird verstärkt durch eine vage, wechselnde Titelgebung, die oft keine eindeutige Interpretation mehr erlaubt. Zahlreiche Werke erhielten nacheinander oder auch gleichzeitig verschiedene Titel. Rodin spielte mit dieser Dehnbarkeit der Sinngebung, mit motivischen Überschneidungen und Doppelbelegungen, und zeigte vor allem in späteren Jahren eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber inhaltlichen Festlegungen seiner Werke, womit er nicht selten sein Publikum irritierte.104 Der Titel wird in den späten Werken gewissermaßen zu einer Formalität, und Rudolf Dircks mutmaßte 1904 sogar, Rodin zöge es vor, seine Werke wie ein Komponist zu nummerieren,105 würden Publikum und Markt nicht anschauliche und inhaltsdefinierende Werktitel einfordern. So wird der Titel gemeinhin erst während des Arbeitsprozesses oder im Nachhinein festgelegt, zumeist spontan und assoziativ im Austausch mit Publikum und Kritikern. In der Regel verdrängte eine von Rodin ausgewählte oder auch stillschweigend akzeptierte Werkbezeichnung mit der Zeit ihre Alternativen; eine schriftliche Festlegung der Titel erfolgte erst in Georges Grappes Œuvrekatalog des Musée Rodin von 1927, zehn Jahre nach Rodins Tod. Die Titel geben also weniger Aufschluss über die Konzeption eines Werks als über dessen Rezeption und zeigen, in welchem Maße diese von Rodin bewusst in die Bedeutungskonstitution seiner Arbeiten eingebunden wurde. Einer Sammlerin erklärte er: „Le sujet sera ce que vous le baptiserez“106– die Sinngebung wird dem Betrachter überantwortet. Auch Rosalind Krauss wies darauf hin, dass der Bedeutungsgehalt von Werken Rodins nicht deren Erfahrung vorausgeht, sondern erst im Prozess der Begegnung mit dem Werk entsteht.107 Dennoch relativiert die prinzipielle Nachgeordnetheit von Inhalten nicht grundsätzlich die Bedeutung der Werktitel, wie etwa Werner Schnell meint.108 Die non-finiten Skulpturen Rodins sind ohne Berücksichtigung ihrer zumeist symbolistisch-allegorischen Titel um wichtige Sinnfacetten ärmer, wie die Werkanalysen zeigen werden und wie besonders J. A. Schmoll gen. Eisenwerth immer wieder überzeugend dargestellt hat. Die Werktitel, die sich aus Assoziationen und Deutun103 Bonnet 2004, S. 341-350, hier S. 349. 104 Der von Rodin geförderte junge Bildhauer Ivan Meštrović berichtet von einer Abendgesellschaft von Schriftstellern, Künstlern und Sammlern 1907 in Meudon, bei der ein Gast seine Verwunderung darüber äußerte, dass zwei Werke Rodins den Titel L’Amour et Psyché trugen. Rodin klagte gegenüber Meštrović, dass man in seinen Werken nur das Literarische suche und dass das Sujet für viele interessanter sei als das Werk selbst: „C’est toujours la même chose, avec ces lettrés et tout ce monde là: ils ne nous comprennent pas, ils cherchent toujours la littérature; et ce qu’on leur raconte sur le sujet a plus de sens pour eux que l’œuvre elle-même.“ (Rodin, zit. in: Meštrović 1937, S. 5) 105 Rudolf Dircks: Auguste Rodin. With a list of his principal works. London 1904, S. 7. 106 Rodin in einem Brief vom 22.7.1894 an Mme Dumon, zit. in Tancock 1976, S. 58. 107 Krauss 1977, S. 30: „Again and again Rodin forces the viewer to acknowledge the work as a result of a process, an act that has shaped the figure over time. And this acknowledgment becomes another factor in forcing on the viewer that condition of which I have spoken: meaning does not precede experience but occurs in the process of experience itself“. 108 Schnell 1980, S. 55.

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gen verdichtet haben, offenbaren nicht nur Rodins Zeitgebundenheit, sie sind zugleich Resultat und Impulsgeber für Rezeption und Interpretation seiner Werke. 2.2.f. Unfertig vs. non-finit Rodins Marmorwerke, die sichtbare Bearbeitungsspuren aufweisen, lassen sich unterscheiden in (a) liegengebliebene, nicht fertig gewordene, also tatsächlich unvollendete Werke aus dem Nachlass, z. B. Ariane109, Niobé 110, John Wesley de Kay111, Danseuse debout 112; (b) wenige Skulpturen, deren Ausführung bewusst abgebrochen wurde, z. B. La Pensée, Mère et fille mourante; sowie (c) den überwiegenden Anteil der non-finit konzipierten Werke. Georges Grappe bewertet in seinem Bestandskatalog von 1944 noch viele der im Musée Rodin bewahrten Marmore als unvollendet. Er begründet dieses Urteil aus dem Vergleich mit den vorausgegangenen, seiner Ansicht nach detaillierter ausgeführten Gipsmaquetten. Am Beispiel der Constellation113 erläutert er, der Bronzeguss nach dem Gips zeige, dass die Marmorausführung desselben Sujets, die nach Rodins Tod in dessen Werkstatt aufgefunden wurde, unvollendet ist.114 Dies gelte für viele weitere Marmorwerke im Musée Rodin: „beaucoup de visiteurs croient que le ‚flou‘ où baignent les personnages, est le fait d’une intention du statuaire, désirant à cette époque de sa vie traiter sa sculpture comme Carrière traitait la peinture, dans une sorte d’enveloppement lumineux. Mais, cette technique, si jamais elle exista, ne fut qu’un essai parmi d’autres – on s’en rend compte par la comparaison de pratiques inachevées de certaines œuvres avec leurs maquettes.“115 Noch Albert Elsen behauptet 1969, dass mindestens 80 Prozent der Marmore im Musée Rodin unvollendete bzw. verworfene Arbeiten seien,116 einige seien nicht autori109 110 111 112 113 114

1908-11, Musée Rodin, Inv. S. 1202; Barbier 1987, Nr. 72. 1909, Musée Rodin, Inv. S. 2225; Barbier 1987, Nr. 78. 1914, Musée Rodin, Inv. S. 1211; Barbier 1987, Nr. 28. 1914-18, Musée Rodin, Inv. S. 2226; Barbier 1987, Nr. 92. Musée Rodin, Inv. S. 964; Barbier 1987, Nr. 49. „Cette épreuve en bronze, coulée sur le plâtre, démontre de façon décisive que la pratique du marbre traitant du même sujet, inscrit sous le no. 320, est inachevée. Ce marbre fut trouvé en l’état où il figure ici, dans l’atelier de Rodin, à sa mort. Ce renseignement nous paraît d’autant plus utile à donner qu’un certain nombre des marbres exposés dans les salles du Musée se trouvent dans ce cas.“ Grappe 1944, S. 109. 115 Ebd. („Viele Besucher glauben, dass die Unbestimmtheit, welche die Figuren umspielt, vom Künstler intendiert gewesen sei, der in dieser Werkphase versuchte, seine Skulpturen so zu behandeln wie Carrière seine Gemälde, indem er sie in einen lichten Nebel hüllte. Doch diese Technik, wenn es überhaupt eine war, ist nichts als ein Versuch neben anderen gewesen, wie der Vergleich des unvollendeten Bearbeitungszustandes einiger Werke mit ihren Maquetten vor Augen führt.“) 116 „We know that there has been no editing of his marbles on view in Paris. At least eighty per cent of them are either uncompleted or rejected pieces“ (Elsen in einem Brief vom 21.8.1969 an Steinberg, zit. in: Steinberg 1963/1972, S. 329-330).

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siert, andere postum.117 Auch John Tancock nimmt an, viele Marmorarbeiten des Musée Rodin seien unvollendet oder von so schlechter Qualität, dass sie nicht verkauft wurden.118 Diese Urteile verschiedener Rodin-Kenner zu unterschiedlichen Zeitpunkten machen sowohl die Schwierigkeit einer gesicherten Bewertung als auch die Unterschiede in den Beurteilungskriterien deutlich. Die Einschätzungen von Grappe, Elsen und Tancock sind nachvollziehbar, da allein anhand des äußerlichen Befundes nicht immer festgestellt werden kann, ob eine Marmorarbeit unfertig oder non-finit ist. Die Signatur Rodins ist kein Indiz, denn neben bezeichneten Arbeiten finden sich unbezeichnete, die zweifelsfrei von Rodin als abgeschlossene Werke betrachtet, ausgestellt und/oder verkauft wurden. In der Mehrzahl der Fälle aber macht ein genauer Blick auf die Oberflächen den Unterschied deutlich: Während unfertige Werke wie Niobé oder Danseuse debout eine relativ einheitliches Bearbeitungsstadium erkennen kassen, haben die primären Partien der non-finiten Marmore alle Arbeitsschritte bis zur abschließenden Feinstglättung durchlaufen, selbst an schwer erreichbaren Stellen. Auch die non-finite Oberfläche ist nicht einfach unbestimmt oder zufällig: Die variierende Bossierung, die groben oder feinen Rhythmen von eingekerbten oder punktförmigen Spuren des Punktier- und Spitzeisens zeugen von einem Gestaltungswillen, der von Werk zu Werk, oft auch von praticien zu praticien variiert. Zuweilen werden auch vorgefundene Schnitte und abgesplitterte Bruchflächen des Blockes effektvoll miteinbezogen (Devant la mer, Mozart, Lady Warwick). Doch es gibt Grenzfälle – etwa die erste der zwei späten Marmorfassungen des Victor Hugo (Kat. 22.a), heute im Fine Arts Museum of San Francisco, deren Vollendungsgrad unterschiedlich bewertet wird,119 zumal in diesem Fall auch wenig über die genauen Umstände der Fertigstellung und Lieferung des 1914 von Rousaud begonnenen, zum Zeitpunkt von Rodins Tod jedoch offenbar noch in Arbeit befindlichen Werkes bekannt ist. Tatsächlich erscheint etwa die Mund- und Bartpartie mit ihren undeutlichen Zahneisenspuren im Vergleich zu anderen non-fini117 Richtig ist, dass Mitarbeiter Rodins nach dessen Tod nicht nur noch in Arbeit befindliche Werke beendeten, sondern auch weitere Aufträge entgegennahmen und unautorisierte Marmore nach Modellen Rodins herstellten, bis eine von Judith Cladel initiierte gesetzliche Regelung dieses Vorgehen untersagte. Vgl. Barbier 1987, S. 239; Shizuoka 1994, S. 126. 118 Tancock 1976, S. 40. 119 Jaques de Caso und Patricia B. Sanders bewerten die Skulptur als abgeschlossene Arbeit (de Caso/ Sanders 1977, S. 277); Daniel Rosenfeld hingegen bezeichnet sie als „unfinished“ (Rosenfeld 1993, S.  399). Darstellungen in der Presse, die die Aufstellung der Skulptur 1920 in San Francisco kommentieren, begründen ihr unfertiges Erscheinungsbild mit dem durch den Tod Rodins bedingten Abbruch der Arbeit: „Ce buste commandé à Rodin en 1913, que la guerre d’abord puis sa mort empêchèrent notre grand sculpteur national de terminer son œuvre, n’est qu’un bloc de marbre de carrare pesant plus de deux tonnes, dans lequel, aux trois quarts achevée se détache admirablement la [?] belle figure de l’auteur de ‚L’Art d’être Grand-Père‘.“ („Il y a dix ans“, in: Courrier du Pacifique, San Francisco, 29.3.1930. Vgl. auch: „Un ‚Victor Hugo‘ de Rodin à San-Francisco“, in: Le Matin, 30.5.1920; beide Artikel im Archiv Musée Rodin, Dossier Raphaël Weill).

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ten Werken120 auf eine Art unbestimmt und diffus, die weder artikuliert noch ausdrücklich roh gestaltet ist. Mehrere tatsächlich unvollendete Skulpturen Rodins finden sich vor allem in den Beständen das Musée Rodin in Paris, da diese Sammlung, die den gesamten Nachlass des Künstlers umfasst, auch alle angefangenen, doch zu seinen Lebzeiten nicht fertiggestellten Werke beinhaltet. Der immer an vielen Projekten gleichzeitig arbeitende Rodin ließ angefangene Werke nicht selten längere Zeit ruhen, bis er die Arbeit daran wieder aufnahm. Nicole Barbier verzeichnet in ihrem Katalog der Marmorskulpturen des Musée Rodin 1987 zehn unvollendete Werke („inachevée“), kann aber durch Erschließung neuer Quellen das ausdauernde Urteil, äußerlich non-finite Werke seien mitunter schlicht unfertig, revidieren, so etwa im Fall der letzten Marmorfassung des Victor Hugo (Kat. 22.b): Barbier zitiert einen Brief Aristide Rousauds an Léonce Bénédite, der nach Rodins Tod einen Teil der umfangreichen Schenkung katalogisierte und sich bei Rousaud nach dem Verlauf der Ausführung der Skulptur erkundigte. Zum Zeitpunkt von Rodins Ableben wurde der Marmor noch von Rousaud bearbeitet und galt daher lange als unvollendet; noch John L. Tancock bezeichnet ihn in seinem Werkkatalog 1976 als „unfinished“.121 Rousauds Erklärung bestätigt jedoch die ausdrückliche Vollendung des Werkes und erläutert Rodins Gestaltungsidee, dem Kopf in kraftvollem Kontrast zur soliden Steinmasse eine Anmutung von innerem Leben zu geben. Die Aussage dokumentiert zudem Rodins ständige Kontrolle des Übertragungsvorgangs und dessen Unterbrechung an jenem Punkt, an dem er seine Idee adäquat umgesetzt sah: Vous me demandez quelle était la pensée de Rodin au sujet du buste de Victor Hugo dont j’ai assuré l’exécution en marbre sous sa direction et d’après son modèle. Le Maître a vu son œuvre construite par grands volumes pour le plein air avec des détails de modelé puissants, aigus mais enveloppés pour obtenir le contraste large et fort, d’une masse solide et d’une vie intérieure intense et profonde. Il a surveillé le travail d’une façon continue et lorsqu’il l’a vu dans l’état où il est actuellement, il a jugé que sa pensée était traduite comme il l’avait conçue. Le buste est terminé. S’il était encore là il n’accepterait pas d’y reprendre un coup de ciseau.122

Die klassischen Kriterien für die ‚Vollendung‘ eines Kunstwerks greifen nicht mehr, denn die Entscheidung darüber folgt nicht mehr handwerklichen Gesichtspunkten, sondern wird zur subjektiven Setzung des Künstlers.123 Verschiedene Zustände eines Werks im Stadium der Suche sind für Rodin ebenso ausstellungswürdig wie die ‚vollendeten‘, in die finalen Werkstoffe Bronze und Marmor überführten Arbeiten. Rodins Werk ist in den letzten drei Schaffensjahrzehnten ein sich fortwährend erneuerndes und umgestaltendes ‚work in progress‘, dessen Formen sich austauschen und einander speisen. Claude Keisch hat darauf hingewiesen, dass sich 120 In der zweiten non-finiten Marmorfassung des Victor Hugo (Kat. 22.b) etwa ist der Verlauf von Bart- und Kopfhaar durch gewundene Spuren des Zahneisens deutlich markiert. 121 Tancock 1976, S. 508. 122 Aristide Rousaud an Léonce Bénédite, 23.6.1922; zit. in: Barbier 1987, S. 70. 123 Vgl. Schnell 1980, S. 59.

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‚Finalität‘ bei Rodin eher praktisch als ästhetisch begründet, erkennbar an Verkäufen und Ausstellungen. Das Überführen eines Entwurfs in Marmor bringt diesen Prozess zu einem vorübergehenden Abschluss, dessen Endgültigkeit durch das non-finite Erscheinungsbild allerdings ebenso relativiert wird wie durch die Arbeit an weiteren Fassungen: „alles auf diese Weise als gültig Erklärte wird doch wieder in den Kreislauf einer endlos sich selbst speisenden Produktion zurückgeführt, eines Prozesses, der Rodins denkwürdigster Beitrag zur modernen und nachmodernen Werkauffassung bleibt.“124

124 Keisch 2005, S. 140.

3. Non-finito bei Rodin. Werkanalysen Prendre conscience, c’est prendre forme. Henri Focillon, 19341

3.1. Vom Illusionismus zum Stilmittel Die non-finiten Skulpturen Rodins haben nicht nur in unvollendeten Werken Michelangelos formale Vorläufer, sondern stehen in einer genealogischen Linie mit Skulpturen verschiedener Epochen, in denen der roh bossierte oder Bruchkanten offen ausstellende Stein zur direkten Repräsentation seiner selbst dient. Denn die evidenteste Funktion roher Marmoroberflächen ist die illusionistische Wiedergabe der konkreten Materialiät von Stein bzw. Fels und deren Oberflächenbeschaffenheit. Deutlich sichtbare Zahneisenspuren, die den Stein körnig aufrauhen und als felsige Fläche ausweisen, finden sich bereits in antiken Skulpturen, etwa auf dem Sockel des ‚Dornauszieher‘ (3. Jh. v. Chr.) und vermehrt in Werken des Barock, etwa in François Dumonts Titan foudroyé (1712)2 oder Jean-Baptiste Lemoynes Mort d’Hippolyte (1715, Abb. 10)3. Schroffe Steinpartien sind zudem häufig aus einer Stabilisierungsfunktion abzuleiten, wenn sie, etwa bei Michelangelos Esclave mourant im Louvre, die Beine einer Figur stützen. Rodin nimmt dies in seiner Figur der Eve auf, die in zahlreichen Exemplaren in Marmor und Kalkstein existiert, welche sich vor allem in Größe und Bearbeitung dieser Felspartie unterscheiden: Die in den frühen Fassungen freistehenden Beine (1891, The Art Institute Chicago) werden in späteren Ausführungen durch einen Felsblock stabilisiert (Washington, D.C., Corcoran Art Gallery), der stetig anwächst und schließlich den unteren Teil des Körpers komplett hinterfängt (vor 1900, Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Puschkin-Museum Moskau; 1907, Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen u. a.). Frühe Marmorwerke Rodins, deren Sockelzonen nicht geglättet und neutralisiert, sondern roh behauen die Umgebung der Figur als felsigen Untergrund definieren, sind Les Métamorphoses d’Ovide (Erstfassung 1886), Andromède (Erstfas1 Henri Focillon: Vie des formes. Paris 1934, S. 64. 2 François Souchal: French sculptors of the 17th and 18th centuries. Bd.  1, Oxford 1977, S. 272. 3 Ebd., Bd. 2, S. 358; Jean-René Gaborit (Hrsg.): Sculpture française. Bd. 2: Renaissance et temps modernes. Musée du Louvre, Paris 1998, Bd. 2, S. 462.

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Abb. 10: Jean-Baptiste Lemoyne d.Ä.: La Mort d’Hippolyte, 1715, Paris, Musée du Louvre

sung 1887), Galatée (1888, Kat. 1) und Danaïde (Erstfassung 1889). Zwar sind Körper und Untergrund, anders als bei den späteren Skulpturen, hier noch klar voneinander abgegrenzt, doch augenfällig ist bereits der raffinierte Kontrast zwischen Figur und Bosse, detailliert bearbeiteten und roh belassenen Oberflächen. Erst der schroffe Stein lässt die sinnliche Weichheit der Haut – die Sorgfalt, mit der jede Stelle des Körpers gearbeitet ist – in aller Deutlichkeit hervortreten. Daniel Rosenfeld sieht daher in Rodins Danaïde bereits eine erste Manifestation des Nonfinito-Stils als innovative Setzung gegenüber akademischen Erwartungen an Geschlossenheit.4 4 „The absorption of the intricately carved Danaid into the contours of its rough-cut base, most apparent in the 1889 versions, displays the non-finito carving style which Rodin developed in these years, and which became the hallmark of his marble sculpture. The base is not treated as a flat surface designed merely to support the figure, but rather as an essential element in the figure’s formal design and expressive content. […] The integration of seemingly unfinished elements into a sculpture that is complete and refined is one of the most important innovations of the Danaid, and one of Rodin’s most important challenges to the conventions of academic taste.“ Rosenfeld 1981, S. 96. Vgl. Rosenfeld 1993, S. 57-61.

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Über die morphologische Wiedergabe von Steinoberflächen hinausgehend, dienten bossierte Strukturen bereits in der barocken Skulptur zur Definition des die Figur umgebenden Raumes. Hierauf hat bereits J. A. Schmoll gen. Eisenwerth5 hingewiesen, der die Wolkendarstellung durch amorphe Steinmassen in Gian Lorenzo Berninis Hl. Theresa von Avila (1647-1651) in den Blick nahm; vergleichbar sind auch die immateriellen, in alle Richtungen flutenden Wolken der Cathedra Petri Berninis in St. Peter in Rom. Die Figuren werden in eine expandierende Umgebung gesetzt, die in Form eines fragmentarisch bearbeiteten Sockels oder eines Landschaftsgrundes vorgestellt wird und eine weitere Ausdehnung des Raumes jenseits der Begrenzung der Skulptur impliziert. Auch Rodin dienen derart grob strukturierte Randzonen zur Veranschaulichung von Elementen wie Wasser (La Vague, Kat. 8) oder Rauch und Nebel (Paolo et Francesca, Kat. 11), die die Figuren umfangen und dem Betrachter einen Imaginationsraum öffnen. Schmoll gen. Eisenwerth bezeichnet diese stilistische Methode als „symbolistische Illusion“6 und fasst darunter „Wasser, Wolken, Dunkelheit, Raum und amorphe Massen von Fels“7. Die peripheren Zonen der Skulptur sind hierbei nie neutrale Folie, sondern bedeutungstragender Kontext der Figur. So repräsentiert in der Skulptur Devant la mer (Kat. 14) die flache, roh bossierte Basis den Ausschnitt eines Uferstreifens und definiert damit die Umgebung der Figur als sandigen Grund bzw. leicht bewegte Wasseroberfläche, und das sitzende nackte Mädchen als Badende, „face à l’infini“8. Diese non-finite Partie ist somit nicht nur Sockelzone, sondern gleichwertiger Bestandteil der Skulptur, der die Funktion hat, „den Raum als Gegenspieler der Gestalt mit sichtbar zu machen.“9 Parallel entwickelt Rodin eine Art der non-finiten Sockelbehandlung, die als rein formales Element einen ästhetischen Eigenwert annimmt, und die bereits in den 1880er Jahren bei Bildnisbüsten einsetzt, deren kontrastierende Texturen als dekoratives Gestaltungsmittel erprobt werden. Das Porträt der Madame Morla Vicuña (1888, Abb. 11) erhebt sich aus einem weich fließenden, grob gearbeiteten Gewand, das in eine florale und korallenartige Dekoration an der linken Seite der Basis ausläuft. Der auskragende Stein, der sehr filigran in parallel gewundenen Bahnen gezahnt ist, definiert hier noch eine Oberfläche – die einer Pelz- oder Federrobe. Deren Textur steht in wirkungsvollem Gegensatz zur delikaten Modellierung von Hals und Schultern wie zum weichen Ausdruck der pointiert durchgearbeiteten Gesichtszüge. Die ornamentale Detailgenauigkeit verliert sich in den 5 Schmoll 1954/1983, S. 113-114; S. a. Gantner 1953, S. 49. 6 Schmoll 1954/1983, S. 117. 7 Ebd. Vergleichbar die Bewertung von Albert Elsen: „Rodin was too much of an illusionist – or naturalist, as he preferred to be called – to flatten surfaces […] in order to give his marble a tidy, concentric blockiness. The stone might suggest to him (as it did to Bernini, whom he particularly admired on a trip to Rome in 1912) clouds, vapors, caves, waves, some palpable environment by which he might enhance the mystery or charm of a figure.“ (Elsen 1963, S. 138). 8 Grappe 1944, S. 122. 9 Schmoll gen. Eisenwerth 1954/1983, S. 121.

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Abb. 11: Auguste Rodin: Madame Morla Vicuña, 1888, Paris, Musée Rodin

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Abb. 12: Auguste Rodin: Aurore, um 1898, Paris, Musée Rodin

Porträts der 1890er Jahre wie L’Aurore (um 1898, Abb. 12), Rose Beuret (um 1898, Abb. 13), in denen die Büste mit dem Block verwächst und die bossierte Oberfläche zunehmend auf den ganzen Block ausgedehnt wird, aus dem einzig das Gesicht herausgeformt ist. Nach 1900 dann, als Rodin ein gefragter Gesellschaftsporträtist ist, kommt das neue Stilmittel vor allem in weiblichen Bildnisbüsten (Mrs. Simpson, 1902-03, Washington D.C., National Gallery of Art; Eve Fairfax, 1904 und 1905, Paris, Musée Rodin; La Femme slave, 1906, Paris, Musée Rodin; Natascha von Goloubeff, 1907, Pola Museum of Art, Hakone; Helene von Nostitz, 1908, Pinakothek München) zu nahezu inflationärem Einsatz. In gegenseitiger stofflicher Steigerung wächst der feine, ätherisch stilisierte Kopf aus dem rohen Block heraus. Teilweise hat dieser sogar den Anschein von natürlichem Fels, etwa im Porträt der Lady Warwick (1909, Kat. 17.a), deren Basis überwiegend von den vorgefundenen Bruchkanten begrenzt wird.

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Abb. 13: Auguste Rodin: Rose Beuret, um 1898, Paris, Musée Rodin

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3.2. Werkanalysen 3.2.a. Orphée et Eurydice sortant de l’enfer Die erste Marmorskulptur Rodins, bei welcher die roh bossierte Zone zu überproportionaler Größe anwächst und einen formalen wie ikonographischen Eigenwert annimmt, ist die Paargruppe Orphée et Eurydice sortant de l’enfer (Kat. 3, Taf. 1) von 1893. Es ist ein frühes non-finites Werk, das noch eine starke Anbindung an eine Narration hat. Das literarische Sujet, die Episode aus dem in Ovids Metamorphosen geschilderten Orpheus-Mythos, lag vermutlich schon dem Gipsmodell zugrunde: Dem thrakischen Sänger wird von Hades und Persephone gestattet, seine durch einen Schlangenbiss getötete Geliebte Eurydike aus der Unterwelt zurückzuholen. Ein verbotener Blick – er wendet sich auf dem Weg ins Reich der Lebenden nach ihr um – führt jedoch dazu, dass er sie endgültig verliert.10 Orpheus, dargestellt als nackter junger Mann in kontrapostischer Haltung, setzt mit dem rechten Bein zu einer Schrittbewegung an; sein rechter Arm weist starr nach unten, während die linke Hand seine Augen bedeckt. Der Körper ist differenziert ausgearbeitet und poliert, mit Ausnahme der Haare, welche durch feine lineare Schraffuren des Zahneisens beschrieben werden, die in Gehrichtung nach vorn weisen, wo der Haarschopf über die an Stirn und Augen liegende Hand fällt. Direkt hinter Orpheus folgt Eurydike, die eher zu schweben als zu gehen scheint und deren Kopf mit geschlossenen Augen und leicht geöffnetem Mund schräg nach oben gewendet ist. Ihr ein wenig erhöhter, schlafwandlerisch-schwerelos anmutender Körper wird hinterfangen von einer hoch aufragenden und giebelartig zulaufenden, grob behauenen Steinmasse, die sich aus dem Grund erhebt, auf dem Orpheus steht. Eurydikes Körper ist an Füßen, rechtem Bein, Rücken und Haar mit dieser Steinwand verwachsen. Während ihre ausgestreckten Arme Orpheus minimal am rechten Arm und links an der Taille berühren, ist ihr linker Arm durch ein Stück Steinmasse mit seinem linken Schulterblatt verbunden. Zwischen ihren Körpern schiebt sich bis zur Höhe der Beinansätze der amorphe Grund nach oben und bildet eine Verwerfung aus, die beide Figuren voneinander trennt. Wie ein Großteil der Paargruppen Rodins ist Orphée et Eurydice aus umgebildeten und neu kombinierten Einzelfiguren der Porte de l’Enfer entwickelt. Während der Körper des Orpheus synthetisiert ist aus einem eigenständigen Torso, separaten Armen und den leicht variierten Beinen des Adam, ging Eurydike aus der Martyre (Märtyrerin) hervor.11 Die rechten Arme beider Figuren sind im Gipsmodell beina10 Ovid: Metamorphosen. Buch 10, V. 46-63, hier V. 58-63: „Streckend die Hände, bemüht, gefaßt zu werden, zu fassen, / greift die Ärmste nichts als flüchtige Lüfte, und schon zum / zweiten Mal sterbend klagt sie dennoch gegen den Gatten / nichts – denn was sollte sie klagen, als daß sie zu sehr sich geliebt sah? / Nur ein letztes ‚Lebwohl‘, das kaum seinem Ohre vernehmbar, / sprach sie und sank zurück dahin, woher sie gekommen.“ (übers. von Erich Rösch) 11 Elsen 1980, S. 180.

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he identisch, was darauf hindeutet, dass Rodin denselben Arm zweimal verwendete. In der Marmorfassung ist Orpheus’ rechter Arm deutlich muskulöser gearbeitet. Eine vor 1889 entstandene Studiofotografie des Gipsmodells (Kat. 3.4) zeigt die einander maßstabsgetreu angeglichenen Gipsgüsse der beiden Einzelfiguren, hintereinander auf einen gemeinsamen Sockel montiert und an den Berührungspunkten verbunden. Auf den massiv aufragenden, rohen Fondbereich der Marmorfassung gibt das Gipsmodell noch keinerlei Hinweise. Lediglich der die Körper voneinander isolierende Fels ist in dem Stadium des Gipsmodells, das die Fotografie zeigt, bereits vorhanden. Noch ausgeprägter stellt er sich dar auf einem Stich, der auf dem Titel der Revue Illustrée12 vom Juli 1889 abgebildet ist und zeigt, wie Rodin an diesem Modell arbeitet (Kat. 3.5). Im Medium der Zeichnung allerdings hatte Rodin wenige Jahre zuvor einen solchen amorphen Hintergrundbereich bereits erprobt: Die Figurenkonstellation Orphée et Eurydice findet sich unter den Motiven der filigranen Federzeichnungen Rodins für Paul Gallimards Exemplar von Charles Baudelaires Fleurs du Mal 13 (Kat. 3.6) am Ende des Gedichtes Bénédiction. Diese Illustrationen, die Rodin im Jahr 1888 auf Wunsch Gallimards direkt auf die Buchseiten zeichnete, eröffnen eine eigenständige Bilderzählung ohne unmittelbaren Bezug zu Baudelaires Text, da Rodin sie nicht für die Gedichte konzipierte, sondern überwiegend nach Skulpturen der Porte de l’Enfer skizzierte  – wahrscheinlicher noch nach Fotografien von diesen. Hier ist bereits durch eine feine homogene Schraffur angedeutet, was in der Marmorfassung von Orphée et Eurydice vier Jahre später zum non-finiten Fond werden wird. Die weibliche Figur ist nur unvollständig dargestellt, ihr (in der Zeichnung mit einem Lorbeerkranz bekrönter) Kopf scheint in der Schraffur wie in einer Schattenzone zu versinken. Ein Vergleich der Marmorfassung mit dem Gipsmodell zeigt, dass erst die Übertragung in Stein und die damit einhergehende Einbettung in eine gemeinsame Umgebung die beiden Figuren zu einer kohärenten Paargruppe verbindet. Die hinter den Körpern aufragende Marmorwand wird zum gleichwertigen Bestandteil der Skulptur. Durch den Verzicht auf Kleidung und attributive Objekte sind die Figuren zunächst nicht an ein Sujet gebunden. Einziger inhaltlicher Anhaltspunkt neben Figurenkonstellation und Orpheus’ Gestik ist der Stein selbst, der in seiner landschaftlichen Anmutung der Wesensbestimmung des Ortes dient. Analog zu Galatée oder Danaïde kann auch hier die rohe Felspartie zunächst als illusionistisch-atmosphärische Wiedergabe der physischen Umgebung der Figuren gelesen werden, erschöpft sich aber nicht in dieser Funktion. Denn der grob bossierte, in seiner Morphologie unbestimmte Stein wird hier zum Symbol für eine materia 12 Titelblatt der Revue Illustrée vom 15.7.1889, Stich nach J. Raffaëlli. Vgl. Elsen 1980, S. 180. 13 Gallimard beauftragte Rodin 1887 mit der Illustration seines Exemplars der Erstausgabe der Fleurs du Mal von 1857. Das Original mit den 1888 fertiggestellten eigenhändigen Tuschzeichnungen Rodins blieb im Privatbesitz Gallimards und wurde, obwohl ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt, 1918 in einer Faksimile-Ausgabe von 200 Exemplaren publiziert. Vgl. Rodin et les écrivains de son temps. Sculptures, dessins, lettres et livres du fonds Rodin. Bearb. von Claude Judrin. Ausst.-Kat. Musée Rodin, Paris 1976, S. 27.

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prima, einen undifferenzierten Ausgangsstoff, wie er für La Terre und La Mort bestimmt wurde. Materia prima ist nach Platon das Unbestimmte, Nicht-Seiende, die reine Potenz. In Aristoteles’ Metaphysica steht sie für Materie ohne Form, das erste oder letzte Substrat der dem Werden und Vergehen unterworfenen körperlichen Substanzen. Diese Urmaterie ist selbst kein existierender Körper, sondern das Prinzip der Veränderlichkeit der materiellen Stoffe, Energie im Übergang. Sie ist potentiell alles, aktuell aber noch nichts.14 Aus dem undifferenzierten Ausgangsstoff entwickelt sich bei Rodin, in einer Metamorphose vom Unstrukturierten hin zum Geformten, die Figur. Die fließenden Übergänge zwischen Körper und Stein, zwischen abbildender und ungestalteter Oberfläche vermitteln zwischen Greifbarem und Entgleitendem, Diesseits und Jenseits. Die Figur der Eurydike, die noch partiell dem Totenreich angehört, ist mit dem Stein, der hinter ihr aufragt, verwachsen. Während sie in die Welt der Lebenden geführt wird, löst sich ihre Gestalt reliefartig aus der rohen Materie. Ihr Körper hat keinen festen Stand wie der von Orpheus, sondern scheint zu schweben und zum Block zurückzustreben15 – bei ihr scheint die Schwerkraft aufgehoben, bzw. zu dem hinter ihr aufragenden Stein gelenkt. Dieser Eindruck lässt sich teilweise aus ihrer Vorgängerfigur erklären, der – ursprünglich liegenden – Martyre: Trotz der Drehung des Körpers in die Vertikale beließ Rodin die der Gravitation folgende Position von Kopf und Gliedern, woraus die eigentümliche Wirkung des ‚Soges‘ zum Stein hin resultiert. Welche Bedeutung Rodin diesem Effekt beimaß, belegt eine Fotografie (Kat. 3.3), die er vor dem Verkauf des Marmors anfertigen ließ, und die eine Seitenansicht der Skulptur vor weichem Gegenlicht zeigt, welches die Konturen von Orpheus’ Körper zum Leuchten bringt, während sich eine Schattenzone bildet, wo Eurydike mit der Rückwand verschmilzt.16 Die Oberfläche der Steinwand gewinnt eine eigene Dynamik besonders dort, wo der Lichteinfall die parallelen Spitzeisen-Schläge akzentuiert, die den Effekt der zum Stein gelenkten Gravitation noch steigern. Die Beobachtung einzelner Details verweist zunächst auf den spannungsreichsten Augenblick innerhalb der Narration, unmittelbar bevor Orpheus sich umwendet. Darauf deutet vor allem seine Geste hin: Indem er mit der Hand seine Augen bedeckt, widersetzt er sich der Versuchung, sich umzuwenden. Gleichzeitig be14 Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Basel/ Stuttgart 1980, Bd. 5, Sp. 841. In der Alchemie bezeichnete materia prima (auch materia cruda, materia proxima, massa confusa) die reine, ungeformte Ausgangsmaterie, die noch alle Gegensätze in sich einschließt. Der Begriff materia prima wurde erstmals von J. A. Schmoll gen. Eisenwerth für die Interpretation der non-finiten Marmorstrukturen Rodins vorgeschlagen (Schmoll gen. Eisenwerth 1954/ 1983, S. 117). 15 Vgl. Rosenfeld 1981, S. 98. 16 Rodin empfielt Yerkes diese Art der Aufstellung in einem Brief: „placed against the light, that the rocky background, representing the Gate of Hell, may be engulfed in shadows. The figure of Orpheus has emerged into the light, but that of Eurydice is still in the penumbra.“ (Rosenfeld 1993, S. 477; zit. in.: New York, American Art Association, Charles T. Yerkes Collection sale, January 22, 1910).

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inhaltet die Art der Darstellung aber auch schon den Moment nach Orpheus’ verbotenem Blick und den Verlust Eurydikes. Ihr zum Stein zurückstrebender Körper und Haarschopf und ihr ‚abwesender‘ Ausdruck antizipieren bereits ihr Zurücksinken in die Gestaltlosigkeit. Die feinen Kerben des Zahneisens auf ihrem Haar, die anders als jene auf Orpheus’ Haar nicht in Gehrichtung, sondern zurück zum Stein weisen, sprechen für eine solche Deutung, wie auch der beide Figuren trennende rohe Materieblock. Der dargestellte Augenblick ist also äußerst ambivalent, ein Moment höchster Spannung, in dem beide Bewegungsrichtungen in einem labilen Gleichgewicht gehalten sind. Eurydike befindet sich in einem transitorischen Zustand zwischen Heraustreten und Zurücksinken, Werden und Auflösung. Sie verlässt das Totenreich nur vorübergehend, ihre Körperform konkretisiert sich nur bis zu einem bestimmten Punkt. Das im Grunde mit der Gattung Skulptur unvereinbare Motiv der Metamorphose, einer sich in zeitlichem Ablauf ereignenden Wandlung des Zustands oder des Materials, ist hier mithilfe des Non-finito ins Bild gesetzt. Ein ähnliches Wechselspiel von Belebung und Erstarrung, ein Festhalten von Transitorischem in Stein17 erprobte Bernini mit seiner Daphne (Apollo e Dafne, um 1625, Villa Borghese Rom), die auf der Flucht vor Apoll erstarrt und sich in einen Lorbeerbaum verwandelt. Während dort mit minutiösem Detailverismus eine eindeutig gerichtete, graduelle Metamorphose des menschlichen Körpers in eine pflanzliche Struktur zur Anschauung gebracht ist, Konkretes in Konkretes übergeht, zeigt Rodin mittels unterschiedlicher Stadien handwerklicher Bearbeitung ein Changieren zwischen Körper und anorganischem Stein, Konkretem und Unbestimmtem, An- und Abwesenheit – ein simultanes Noch-nicht und Schonnicht-mehr. Orphée et Eurydice war zu Lebzeiten Rodins in Europa nahezu unbekannt. Bis auf zwei Fotografien des Marmors in der gemeinsamen Ausstellung von Rodin mit Puvis de Chavannes und Carrière in Genf 189618 war die Skulptur weder in Sonderausstellungen noch Publikationen sichtbar. Léon Maillard vermerkt in seiner Rodin-Monographie 1899 lediglich den Weggang von Orphée et Eurydice zusammen mit Psyché et l’Amour („deux groupes inconnus en France“) nach Amerika.19 Denn zu Beginn des Jahres 1894 war die gerade fertiggestellte Skulptur nach Chicago verschifft worden, wo sie als moderner französischer Neuzugang in die Sammlung des vermögenden Eisenbahnaktionärs Charles Tyson Yerkes (18371905) einging, der die Marmorausführung 1892 bei Rodin bestellt hatte.20 Dem war ein erfolgloser Versuch des Kunsthändlers Paul Durand-Ruel vorausgegangen, 17 Vgl. Silke Wenk: Versteinerte Weiblichkeit. Allegorien in der Skulptur der Moderne. Köln 1996, S. 258; hier auch zu Daphne-Darstellungen in der modernen Skulptur. 18 Beausire 1988, S. 126. 19 Léon Maillard: Auguste Rodin, statuaire. Études sur quelques artistes originaux. Paris 1899, S. 148. 20 Rodin an C. T. Yerkes, 13.7.1894, in: Correspondance I, S. 143-144. Yerkes erwirbt zusätzlich im folgenden Jahr die Marmorskulptur Amor et Psyché, für beide Werke berechnet Rodin 15.000 Francs.

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Rodin den Auftrag für eine Marmorfassung für die amerikanische Sammlerin Bertha Palmer zu vermitteln.21 Mit der Ausführung des Marmors für Yerkes betraute Rodin seinen praticien Jean Escoula, der bis Oktober 1893 daran arbeitete. Daniel Rosenfeld vermutet, dass Rodin anschließend einen beträchtlichen Teil der Feinausführung selbst übernahm.22 Rodin hatte Orphée et Eurydice auch (zusammen mit L’Éternel Printemps) für den Salon der Société Nationale des Beaux-Arts 1894 vorgesehen, zog beide Werke jedoch kurzfristig zurück.23 Aus der Sammlung Yerkes wurde der Marmor im Januar 1910 bei einer Auktion der American Art Association von Thomas Fortunate Ryan, ebenfalls Eisenbahnunternehmer, Börsenmakler und Sammler, ersteigert, der sie dem Metropolitan Museum of Art in New York übergab, wo sie 1912 in der neu eingerichteten Rodin Gallery präsentiert wurde.24 In der Folge war Orphée et Eurydice, mit Ausnahme eines Jahrzehntes (1969-1979) im Depot, an verschiedenen Aufstellungsorten im Metropolitan Museum und seit 1970 auch mehrfach in amerikanischen und europäischen Museen (1970 London; 1981 Washington, 1986 Paris; 1991 Bremen/ Düsseldorf, 1996 Wien) zu sehen.25 Orphée et Eurydice ist ein Einzelstück, das hatte Rodin Yerkes 1894 ausdrücklich bestätigen müssen.26 Gleichwohl zeigte 1907 der amerikanische Pressemagnat Joseph Pulitzer, der sich zu diesem Zeitpunkt von Rodin porträtieren ließ, Interesse an einer neuen Marmorausführung des Werkes für seine Sammlung. Rodin, der entgegen der Vereinbarung mit Yerkes auf Pulitzers Anfrage einging, veranschlagte dafür 32.000 Francs27  – mehr als das Doppelte des Preises, den Yerkes vierzehn Jahre zuvor gezahlt hatte, der Auftrag kam jedoch nicht zustande.

21 Rosenfeld 1993, S. 476; Anna Tahinci: „Private passions, public pursuance: Rodin and his American collectors“, in: Symposium: New Studies on Rodin, in: Cantor Arts Center Journal, 3 (2002/03), S. 219-225, hier S. 219; Barryte/Tarbell 2011, S. 317. 22 Rosenfeld 1993, S. 477. 23 Beausire 1988, S. 120-121. 24 Vincent 1981, S. 24. Neben Orphée et Eurydice übergab Ryan dem Museum mit Amor et Psyché (ebenfalls aus der Sammlung Yerkes) und Pygmalion et Galatée zwei weitere Marmorarbeiten Rodins. Die Schenkung bildete den Grundstein für die im folgenden Jahr aufgebaute Rodin-Sammlung des Metropolitan Museums, deren Finanzierung Ryan zu großen Teilen bereitstellte. Die neue Rodin Gallery mit 40 Skulpturen öffnete am 3. Mai 1912. 25 Auskunft von Clare Vincent, Associate Curator European Sculpture and Decorative Arts, Metropolitan Museum of Art, New York. 26 „Je certifie que les deux marbres que j’ai vendus a Monsieur C. Yerkes de Chicago sont des originaux. Il n’y en a aucune reproduction ni en amerique ni en France ni un autre pays. en n’importe quelle matière“ (Rodin, zit. in: Correspondance I, S. 144). 27 Brief Rodins vom 10.3.1907, in: Correspondance II, S.  205; siehe auch Butler 1993, S. 408. Rosenfeld erwähnt zudem Dokumente aus dem Nachlass, die darauf hindeuten, dass Rodin bereits zwischen 1903 und 1905 die Ausführung eines zweiten Exemplars erwog, welches von Mathet ausgeführt werden sollte und ebenfalls nicht realisiert wurde (Rosenfeld 1993, S. 478).

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3.2.b. Mère et fille mourante Der um 1910 entstandene Marmor Mère et fille mourante (Mrs. Merrill et sa fille) (Kat. 18, Taf. 10) – neben Orphée et Eurydice eines der raren Einzelstücke im Werk Rodins – ist innerhalb des Marmor-Œuvres die Skulptur mit dem größten Anteil non-finiter Oberfläche. 1908 von der Amerikanerin Elizabeth Musgrave Merrill (1853-1929) bei Rodin als Grabmonument für ihre jung verstorbene Tochter Sally Hicks Croswell bestellt, handelt es sich hier um eine Auftragsarbeit, die Rodin bewusst abbrach, um sie in diesem Zustand für seine eigene Sammlung zu bewahren. Die Komposition – eine sitzende weibliche Figur, die ein Kind in den Armen hält – folgt einer Porträtfotografie von Mutter und Tochter (Kat. 18.4), die Mrs. Merrill Rodin zur Verfügung gestellt hatte. Der größte Teil der Oberfläche der leicht unterlebensgroßen, pyramidal aufgebauten Gruppe ist lediglich vom metteur au point mit Bossier- und Spitzeisen bearbeitet. Diese Rohform umreißt die Anlage der Figuren: die aufrecht sitzende Mutter, deren vage definierter Körper mit dem des Kindes zu einer asymmetrischen Kegelform verschmilzt. Lediglich das runde Gesicht der Mutter und die linke Gesichtshälfte der Tochter sind vom praticien, in diesem Fall Aristide Rousaud, detailliert ausgearbeitet und poliert, außerdem die linke Hand des Kindes, die auf dem rechten Unterarm der Mutter ruht, und deren linker Unterarm, der aus der rechten Seite des Blockes heraustritt. Die restliche Oberfläche strukturieren die groben, homogenen Spuren des Spitzeisens, die im Bereich zwischen Gesichtern und Armen vorn und rechts in langen Kerben auslaufen. Rechts unten und auf der Rückseite sind die glatten Schnittkanten des Rohblocks sichtbar. Aufgrund dieser kargen Ausarbeitung galt die Skulptur lange Zeit als unfertig. Eine Fotografie (Kat. 18.2) in der Rodin gewidmeten Sondernummer der Zeitschrift L’Art et les Artistes aus dem Jahr 1914 – die Arbeit an der Skulptur war bereits seit vier Jahren abgeschlossen  – zeigt sie mit dem Titel Maternité und dem Zusatz „Marbre en cours d’exécution“.28 Grappe29 und später Schmoll gen. Eisenwerth30 sowie Barbier31 unterstreichen jedoch, dass Rodin die Arbeit an der Skulptur bewusst abbrach und sie in diesem Zustand für vollendet erklärte. Es handelt sich also nicht um das „true non-finito“ einer aufgegebenen Arbeit, wie James Holderbaum meint,32 sondern vielmehr um ein ausdrücklich im Stadium der Vorbearbeitung konserviertes Werk. Dafür spricht nicht nur, dass Rodin die Skulptur im März

28 Rodin. L’homme & l’œuvre. Numéro spécial de L’Art et les Artistes, 109, 1914, S. 20. 29 Grappe 1944, S. 124: „Le sculpteur, ayant mené son œuvre au point où nous la voyons, ne voulut pas la pousser plus avant.“ 30 Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 392. 31 Barbier 1987, S. 82. Siehe auch Rosenfeld 1993, S. 139. 32 James Holderbaum: „Portrait Sculpture“, in: Los Angeles 1980, S. 50.

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1913 ausstellte,33 sondern vor allem, dass er entschied, sie für seine eigene Sammlung zu behalten, die er zu diesem Zeitpunkt bereits als Schenkung an den französischen Staat vorgesehen hatte. Nicole Barbier betont, dass Rodin besonderen Wert auf die Einbettung dieser Skulptur in den Kontext seines Gesamtwerkes legte.34 Elizabeth Merrill hatte sich im November 1908 mit Rodin über den Auftrag geeinigt: ein Basrelief, das sie und ihre vier Jahre zuvor im Alter von 16 Jahren verstorbene Tochter aus erster Ehe, Sally Hicks Croswell, zeigen sollte. Nach mehreren Porträtsitzungen reiste Mrs. Merrill im Dezember 1908 kurzfristig aus Paris ab35 und schilderte Rodin kurz darauf in einem Brief genau ihre Vorstellungen vom Aussehen der Skulptur. Sie fügte die erwähnten Fotografien als Vorlage für Rodin bei, der, obwohl er prinzipiell nur ungern nach Abbildungen arbeitete, mehrere Porträtköpfe des Kindes modellierte, die sich als Gipsabgüsse im Nachlass erhalten haben. Die Anlage der Marmorskulptur folgt grundsätzlich jener Fotografie, die Mrs. Merrill ca. 1887 gemeinsam mit ihrer Tochter zeigt, die Figuren sind jedoch sitzend statt stehend dargestellt, auch Kopf- und Handhaltung sind verändert. Rousaud bearbeitete in der Marmorfassung dann lediglich Gesichter, Arme und Hände. Der Kontakt mit den zu Recht ungeduldigen Auftraggebern gestaltet sich in den folgenden Jahren als ausdauernde Hinhaltetaktik. Im Januar 1910 zahlt Thomas Merrill zwei Raten, insgesamt 13.000 Francs, für die Skulptur.36 Wenig später überzeugt er sich zusammen mit seiner Frau in Paris vom Fortgang der Arbeit, im folgenden Jahr lassen sie Freunde danach sehen. 1913 stellt Rodin die Skulptur wie erwähnt in Paris aus. Nachdem er sie auch in den folgenden Jahren weder liefert noch darüber Nachricht gibt, schreibt Thomas Merrill im März 1917 an Rodin, er möchte seine Skulptur haben, „finished or not“37. Zu diesem Zeitpunkt war das Werk als Teil von Rodins Stiftung jedoch bereits Eigentum des französischen Staates. So schaltet Merrill nach Rodins Tod schließlich eine Anwaltskanzlei ein, und nach Jahren findet er mit der Leitung des Musée Rodin einen Kompromiss, der die Fertigung zweier reduzierter Bronze- und später einer weite-

33 Die Präsentation bei der Exposition de l’Éducation physique et des Sports, Faculté de Médecine, Paris (17.-26. März 1913) blieb die einzige Ausstellung der Skulptur zu Lebzeiten Rodins. 34 „Rodin ne se résolut pas à donner à ce groupe un caractère achevé mais décida de le conserver dans cet état dans la collection donnée à l’Etat, le réservant à un public mieux à même de le comprendre en le comparant à l’ensemble de son œuvre.“ Barbier 1987, S. 82. 35 Vor ihrer Abreise erhielt Mrs. Merrill von Rodin ein Marmorrelief nach einem Gipsabguss der rechten Hand der verstorbenen Tochter. Das grabsteinartige, bossierte Relief, heute in der National Gallery in Washington D.C., trägt die Inschrift „OFFERTE / A MADAME ELYSABETH MERRILL / EN SOUVENIR DE SA FILLE / SALLY HICKS / CROSWELL“ und die Signatur „A. RODIN“. 36 Ruth Butler, Susanne G. Lindsay: European sculpture of the nineteenth century. The collections of the National Gallery of Art, Washington. New York 2000, S. 390. 37 Thomas Merrill an Rodin, März 1917, Archiv Musée Rodin.

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ren Marmorausführung vorsieht.38 Die beiden Bronzen, die 1926 geliefert wurden, sind nach dem Originalmarmor gegossen, allerdings wurde auf den gesamten nonfiniten Teil unterhalb der Arme verzichtet und der Schwerpunkt auf die Gesichter verlagert39  – möglicherweise auf Wunsch der Merrills, die im Frühjahr 1926 in Paris zusammen mit Georges Grappe den Marmor besichtigt hatten und sich nicht „sensible à cette interpretation“40 zeigten. Nach dem Tod Elizabeth Merrills 1928 fertigte Rousaud eine zweite, leicht modifizierte Marmorfassung, die direkt bei ihm bestellt wurde und sich heute im Privatbesitz der Erben in Middleburg, Virginia, befindet.41 Mère et fille mourante, ein Gebirge aus Stein mit zwei Gesichtern und Armen, ist der Skulptur Orphée et Eurydice insofern verwandt, als beide das Verschwinden und Gestaltloswerden einer der dargestellten Figuren zum Thema haben. In beiden Skulpturen markieren die Übergänge von abbildenden Zonen zum rohen Stein einen Wechsel der Repräsentationsmodi. Unterschiedliche Stadien der Bearbeitung zeigen verschiedene Realitätsebenen an, die ineinandergreifen. An Mère et fille mourante fällt auf, dass das Gesicht der Mutter vollständig ausgearbeitet und relativ präzise von der umgebenden Bosse abgegrenzt ist, während das der Tochter nur partiell und in fließenden, mit einem feinen Zahneisen gearbeiteten Übergängen aus dem Stein tritt. Es entsteht der Eindruck, als sinke das Gesicht des Kindes zurück in die a- bzw. prämorphe Materie des Steins, auch hier Symbol für eine materia prima, Ausgangs- und Endpunkt des Lebenskreislaufs. Das Aufgehen im kristallinen und anorganischen Gestein veranschaulicht die „Erstarrung zur leblosen Materie“42 im Tod. Die fließenden Übergänge zwischen der rohen Bosse der Gesamtform und den glatten, weich schimmernden Gesichtern und Händen, die „im Stein verdämmern, heraustauchen aus dunklem Grund und wieder versinken“43 veranschaulichen das allmähliche Entgleiten der Sterbenden. Auch hier symbolisieren die Übergange von artikulierten zu offenen Oberflächen, von Geformtem zu Formlosem die Transition von einem Zustand in einen anderen, vom Existieren zum Nicht-Existieren. Anne-Marie Bonnet nennt diese Art des fließenden Wechsels verschiedener Bearbeitungsstadien bei Rodin „transitorisches Fragment“: „Die fein ausgearbeiteten Partien gehen in immer gröber gemeißelte über und schließlich in den rohen Stein zurück. Die fließenden Übergänge vermitteln das Transito38 Briefwechsel zwischen Georges Grappe und Thomas Merrill 1926-27, Archiv Musée Rodin. 39 Grappe an Merrill, 28.4.1926: „ces épreuves seront exécutées en bronze vert foncé de la grandeur de l’original, mais elles ne reproduiront pas le bloc du marbre qui forme, dans le groupe original, le soubassement de l’œuvre. Lesdites épreuves seront coupées au dessus du sujet et se termineront par un profil d’environ 10 cm, qui constituera le socle de l’œuvre.“ Eine dieser Bronzen wurde auf dem Grab von Mrs. Merrill in Middleburg, Virginia aufgestellt. 40 Hélène Pinet: Rodin et ses modèles. Le portrait photographié. Musée Rodin, Paris 1990, S. 49. 41 Barbier 1987, S. 82; Butler/Lindsay 2000, S. 391. 42 Schmoll gen. Eisenwerth 1954/1983, S. 117. 43 Ebd., S. 159.

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rische, die Bewegung in der Zeit, ein Zur-Welt-Kommen oder, im Gegenteil, ein Aus-der-Welt-Schwinden.“44 Neben Mère et fille mourante konzipierte Rodin zwei weitere Grabmonumente: Dernière Vision (1906) für M. Rollinat und Le Lys brisé (1911) für M. Sourisseau, bei welchen die Komposition ebenfalls bestimmt wird vom Motiv des Versinkens der Figur in einem undifferenzierten Fond. Dessen nicht ‚formulierte‘ Zonen bilden unbesetzte Leerstellen, die zeichenhaft einstehen für das Unvorstellbare, Inkommensurable des Todes.45 Nicht formuliert ist, was nicht formulierbar ist. Die unbestimmte Oberfläche steht hier nicht mehr nur für das imaginierte, materiell jedoch nur in Teilen realisierte Bild (im Sinne des Non-finito Michelangelos), sondern für etwas, das nur unvollkommen und andeutend beschrieben werden kann. Als negierte Form stellt sie damit die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit von Abbildung, und berührt damit eine Schwelle, der sich die Malerei schon drei Jahrzehnte zuvor genähert hatte. Claude Monet ergründete die Grenzbereiche figürlicher Repräsentation im Bild seiner sterbenden Frau, Camille sur son lit de mort 46 (Taf.  11) aus dem Jahr 1879. Auch hier befindet sich die Figur in Auflösung, sie zerfällt in flirrende Pinselstriche. Ähnlich wie bei Rodins Marmor ist das Oval ihres von einer Haube eingefassten Gesichtes die einzige feste Form, die aber bereits beginnt, die diffuse Farbe und Struktur ihrer Umgebung anzunehmen – des Bettes, in das die Figur einzusinken scheint. Der auf die Brust gelegte Blumenstrauß dissoziiert in grau-violette Farbschattierungen, und die gesamte Erscheinung zersetzt sich in einzelne unbestimmte Partikel. Obwohl Rodin mit Monet, den er Mitte der 1880er Jahre über die Kritiker Mirbeau und Geffroy kennenlernte, eine langanhaltende, wenn auch nicht spannungsfreie Freundschaft verband, gibt es keine Hinweise darauf, dass er das sehr private Bild der toten Camille kannte, da es Monet auch nie öffentlich ausstellte. Trotz der Verbundenheit beider Künstler – die sich in gemeinsamen Ausstellungen wie der vielbeachteten Doppelpräsentation bei Georges Petit 188947, dem ausgedehnten Briefwechsel und dem Austausch von Werken zeigt48 – ist es eher unwahrscheinlich. Gegenläufig zu Mère et fille mourante verhält sich der bereits besprochene Marmor La Convalescente (1906-1914, Kat. 15.b). Wie Rodin dem Käufer des Werkes, Max J. Sulzberger, erläuterte, ist hier eine im Entstehen begriffene Figur dargestellt:

44 Anne-Marie Bonnet: „Auguste Rodin, Wegbereiter der Moderne“, in: Kunsthistorische Arbeitsblätter, 2 (2000), S. 47-56, hier S. 53-54. 45 Vgl. Schmoll gen. Eisenwerth 1954/1983, S. 117. 46 Öl auf Leinwand, 90 x 68 cm, Paris, Musée d’Orsay. Daniel Wildenstein: Claude Monet. Biographie et catalogue raisonné. Lausanne/Paris 1974, Bd.  I, Kat. Nr.  543, S.  348, Abb. S. 349. Neuausgabe Köln 1996, Bd. II, Kat. Nr. 543, S. 213, Abb. S. 212. 47 Vgl. Claude Monet – Auguste Rodin. Centenaire de l’exposition de 1889. Ausst.-Kat. Musée Rodin, Paris 1989. 48 Als Dank für Rodins Jeune Mère à la grotte schenkte Monet diesem um 1888 sein Gemälde Belle-Île (heute im Musée Rodin). Siehe auch: Monet – Rodin. Rien que vous et moi. Ausst.Kat. Musée Rodin, Paris 2010.

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„Cette sculpture, la Convalescente, est un buste de jeune fille qui se forme […]“.49 Aus dem breiten Marmorblock ist bis zur Höhe von Mund und Ohren das Gesicht von Camille Claudel herausgearbeitet, unmittelbar davor tauchen aus dem Stein zwei Hände auf, die zum Mund geführt werden. Der Titel der Skulptur suggeriert die Genesung der Dargestellten nach schwerer Krankheit.50 Konträr zu Mère et fille mourante vollzieht diese Figur die Bewegung in die Gegenrichtung, kehrt zurück aus der gestaltlosen Sphäre des Todes und scheint aus dem amorphen Stein heraufzutauchen, behält jedoch „un caractère étrangement évanescent“51, ein flackerndes Gleichgewicht auf der Schwelle zum Zurücksinken. 3.2.c. La Pensée, L’Homme et sa pensée La Pensée La Pensée (Kat. 5, Taf. 4), ein aus einem massiven rohen Marmorquader ragender Porträtkopf, nimmt in Rodins Werk eine Ausnahmestellung ein, denn in keiner anderen Skulptur gestaltet sich der Übergang zwischen figürlichem Part und monolithischem Block derart unvermittelt. Während in den meisten non-finiten Werken die Figur in graduellen Abstufungen fließend aus der grob behauenen Basis hervorgeht, sitzt der Kopf hier wie ein Fremdkörper auf dem kubischen Rohblock. Das Werk verdankt diese ungewöhnliche Erscheinung seinen besonderen, von praticien Victor Peter überlieferten und mehr oder minder zur Legende gewordenen Entstehungsumständen. Diese geben Aufschluss über Rodins Arbeitsweise, seinen Umgang mit Zufällen und seine spontanen Konzeptionsänderungen, die in diesem Fall eine Non-finito-Struktur hervorbrachten, wo ursprünglich ein vergleichsweise konventioneller Porträtentwurf zugrundelag. Die obere Hälfte der Skulptur zeigt ein leicht unterlebensgroßes Porträt von Camille Claudel (1864-1943), in den Jahren 1883 bis 1894 Rodins Mitarbeiterin, Modell und Geliebte. Ihr Kopf, der hier eine bretonische Brauthaube trägt, ist bis zum Kinn aus dem Marmorblock, einem Hochkantquader mit nahezu quadratischer Grundfläche, herausgelöst. Leicht nach vorn geneigt, bleibt er fest dem Block verhaftet: Die sensible Partie unterhalb des Kinns taucht in die nach vorn abfallende Oberseite des Blocks, während Nackenpartie und Haube undeutlich in dessen rauhe Oberfläche übergehen; der Blick ist in sich gekehrt und nach unten gerichtet. La Pensée geht zurück auf die Porträtstudien Camille Claudel aux cheveux courts (1884; Kat. 5.7) und Camille Claudel au bonnet (1886; Kat. 5.8). Grappe erwähnt eine weitere Terrakotta-Studie Camille Claudels mit bretonischer Haube, die er 49 Vgl. Kap. 2.2.d. 50 Vgl. Grappe 1944, S. 88-89: „état du malade qui, au sortir des lourdes brumes de la fièvre, sent renaître ses forces, encore incertaines et mal assurées“. 51 Lore Hergershausen: „Rodin et les Neue Gedichte de R. M. Rilke. Interférences thématiques Abschied “, in: Revue de l’Université de Bruxelles, Mai-Juli 1970, S. 5.

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Petite Bretonne 52 nennt, und die möglicherweise identisch ist mit der TerrakottaStudie im Leipziger Museum der Bildenden Künste (Kat. 5.9).53 Mit der Umsetzung in Marmor betraute Rodin 1893 Victor Peter, der bis kurz vor Beginn der Salonausstellung 1895 an der Skulptur arbeitete.54 Von ihm stammt auch die oft wiedergegebene Schilderung des Entstehungsprozesses von La Pensée, die Léonce Bénédite, der erste Konservator des Musée Rodin, 1916 während des Stiftungsverfahrens in der handschriftlichen Bestandsakte der Skulptur festhielt. Peter berichtet, er habe die Bearbeitung des Marmorblockes unterhalb des Kinns unterbrochen, um Rodin vorzuschlagen, den Hals mit einem Ringkragen bzw. einer Halskrause abzuschließen. Rodin, der die halbfertige Skulptur sah, entschloss unvermittelt, sie in diesem Zustand zu belassen: Le sculpteur Victor Peter, chargé par Rodin de l’exécution de ce sujet, a raconté comment l’idée était venue au Maître de laisser le bloc inachevé au-dessous de la tête. Supposant, par la coiffe, que Rodin pourrait compléter le costume par une collerette, Peter avait gardé la matière intacte à partir du bas du visage. Mais Rodin voyant l’effet produit, lui dit: N’y touchez plus, restez-en là!55

Für den von Peter geschilderten ungeplanten Abbruch der Arbeit sprechen die unterschiedlichen Bearbeitungsstufen des Rohblocks: Während dessen Seitenflächen grob gespitzt und abgeschlagen sind – die rötliche Rückseite des Blocks ist sogar eine vorgefundene Bruchkante –, setzt etwa 3 cm unterhalb der Oberkante ein feinerer Bearbeitungsmodus ein, die vordere Oberseite des Blocks ist ebenmäßig und glatt. Zudem ist auf dem Porträtkopf die abschließende Feinstglättung unterblieben, wie die Zahneisenspuren und deutlich sichtbare Punktierlöcher auf der Haube zeigen. Allerdings hat Rodin derartige Spuren der mise au point auch bei anderen fertigen Marmoren billigend in Kauf genommen – oder zumindest ver-

52 Grappe 1944, S. 59. 53 Diese Terrakotta mit dem Titel Der Gedanke (Die Höhe), die einen überlebensgroßen Frauenkopf mit bretonischer Haube zeigt, gilt als Vorstudie zu La Pensée. Sie ist an der Rückseite unten rechts mit „A. Rodin“ bezeichnet und ging 1950 aus der Stiftung des Dresdener Arztes Paul Geipel (1869-1956) in den Bestand des Leipziger Museums der bildenden Künste über. Inzwischen konnte durch Jérôme Le Blay die Provenienz des Stückes ermittelt werden: Gustave Coquiot (1865-1926), Kunstkritiker und Vertrauter Rodins, verkaufte die Studie 1913 als La Bretonne für 6.000 Francs an den französischen Dramatiker Pierre Decourcelle (1856-1926), aus dessen Sammlung sie am 16.6.1926 im Hôtel Drouot für 4.000 Francs von dem deutschen Kunsthändler Neumann erworben wurde. 1929 wurde sie dem Musée Rodin zum Kauf angeboten, jedoch abgelehnt. Die Terrakotta, an deren Authentizität immer wieder Zweifel geäußert wurden (Claude Keisch, J. A. Schmoll gen. Eisenwerth), für deren Echtheit jedoch ihre inzwischen bekannte Provenienz spricht, stellt m. E. nicht Camille Claudel dar, kann aber dennoch als kompositorische Vorstudie zu La Pensée gelten. 54 Die Abrechnung erfolgte im Juli 1895, Peter erhielt 400 Francs für seine Arbeit (Barbier 1987, S. 92). 55 Archiv Musée Rodin, Fiche d’inventaire manuscrite MR 22, S. 1003 cat. 36. Transkription bei Barbier 1987, S. 256.

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sucht, diese – vermutlich auch als Zugeständnis an mögliche Käufer – zu kaschieren.56 Folgt man Peters Erklärung, so wäre die Form nicht konzeptionell vorbereitet, sondern ein Zufallsprodukt des empirischen Arbeitsprozesses, welches wiederum an Rodins Werkstattpraxis der an Mitarbeiter delegierten Steinbearbeitung und deren praktische Bedingungen gebunden ist – in diesem Fall einen eigenständigen Vorschlag Peters und das Warten auf eine Absprache. Daniel Rosenfeld allerdings zweifelt an der Darstellung Peters und vermutet vielmehr, dass die Gestaltung von La Pensée einer durchaus bewussten Strategie folgte.57 Er führt als Argumente an, dass die Proportionen des Rohblocks für eine Büste eher ungewöhnlich sind, da er zum einen die Schultern der Figur kaum hätte einfassen können – worüber sich streiten lässt  – und dass er zum anderen unnötig hoch ist. Tatsächlich fällt die Unverhältnismäßigkeit zwischen Porträtkopf und Block auf, der mehr als zwei Drittel der Gesamthöhe einnimmt. Rosenfeld wendet zudem ein, dass Rodins Marmorskulpturen in der Regel nicht Schicht für Schicht, sondern ganzheitlich konzipiert und bearbeitet wurden.58 Unklar bleibt vor allem, weshalb der metteur au point, der im Juni 1895 von Peter 200 Francs für seine Arbeit erhielt, lediglich die Rohform des Kopfes und nicht auch die des Körpers vorbearbeitete – wie es in der Regel üblich war und anhand von unvollendet gebliebenen Porträtskulpturen Rodins (etwa John Wesley de Kay, Abb. 14) gut nachzuvollziehen ist. All dies spricht tatsächlich dafür, dass La Pensée weniger ein Zufallsprodukt als ein Ergebnis methodischer Formentscheidung ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass man bereits 1903 in der Zeitschrift Les Maîtres artistes lesen kann, La Pensée führe die außerordentliche Bedeutung Rodins vor Augen, denn die Skulptur zeige, dass angebliche formale Mängel weder auf Unkenntnis noch auf ungenügenden plastischen Fähigkeiten beruhen, sondern in jeder Beziehung bewusste Setzungen seien.59 In einer hierzu gänzlich konträren Darstellung schildert 1907 ein Autor des L’Intransigeant den Abbruch der Werkausführung als unfreiwillig und führt ihn auf einen Materialfehler zurück: „Ce n’est pas de sa faute si, un jour, ayant commencé 56 Das bestätigt etwa ein Bericht von Karl Ernst Osthaus: „Ich verhehlte Rodin nicht meine Abneigung gegen die bei seinen Werken allzu häufigen Spuren des Punktierapparates. Als die Gruppe [Jupiter et Antiope] in Hagen eintraf […], schimmerte sie in voller Reinheit der Oberfläche. Erst nach Jahren ergab sich, daß zahlreiche doch vorhandene Punkte aufs sorgfältigste ausgekittet waren.“ Karl Ernst Osthaus: „Rodin“, in: Feuer. Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur, 2 (1920/21), 11, S. 596-604. Wiederabdruck in: Ders.: Reden und Schriften. Folkwang, Werkbund, Arbeitsrat. Hrsg. von Rainer Stamm, Köln 2002, S. 178182, hier S. 179. 57 Rosenfeld 1993, S. 494; Rosenfeld 2001, S. 162. 58 Rosenfeld 1993, S. 494. 59 „La Pensée; cela aurait pu aider beaucoup à faire apprécier plus largement […] son extraordinaire valeur artistique et à persuader beaucoup d’entre eux que certaines exagérations, et certains prétendus défauts formels qui ne dépendent ni de l’ignorance, ni d’une faible habilité plastique, sont parfaitement volontaires.“ V. Pica: „Rodin à l’étranger. Rodin en Italie“, in: Les Maîtres artistes. Nr. 8, 15.10.1903, S. 293-295.

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Abb. 14: Auguste Rodin: John Wesley de Kay, 1914, Paris, Musée Rodin

une statue, il a trouvé dans le marbre un défaut qui l’a empêché de continuer et s’il s’est contenté de finir la tête entreprise en l’appelant la Pensée.“60 Diese beiden exemplarischen Auslegungen – bewusste Konzeption vs. nicht intendierter Arbeitsabbruch – machen deutlich, welch unterschiedliche Wahrnehmungen das Erscheinungsbild der Skulptur provozieren musste. Rodin stellte La Pensée erstmals 1895 beim Salon der SNBA auf dem Champde-Mars aus. Im folgenden Jahr, im August 1896, kaufte der Sammler Durand die Skulptur, die nach dessen Tod 1902 von seiner Witwe an das Musée du Luxembourg übergeben wurde, wo man zu dieser Zeit begann, den Grundstock einer Rodin-Sammlung aufzubauen. Durand hatte 1900 zugestimmt, La Pensée auch in Rodins Retrospektive im Pavillon de l’Alma61 zu zeigen; ein Gipsabguss des Marmors war 1904 während der großen Rodin-Ausstellung in Düsseldorf zu sehen.62 1917 ging die Skulptur in den Bestand des Musée Rodin über, wo sie dann viele Jahre ein Schattendasein führte, denn in Paris wurde La Pensée, eines der meistreproduzierten und populärsten Werke Rodins, erstaunlicherweise nie ausgestellt, 60 L’Intransigeant, 3.2.1907. 61 Paris 1900, Kat. Nr. 96; Paris 2001 – Alma, Kat. Nr. 72. 62 Internationale Kunstausstellung, Städtischer Kunstpalast, Düsseldorf, Kat. Nr. 1758.

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sondern verblieb im Depot, bis es 1986 in die Schausammlung des neu eröffneten Musée d’Orsay integriert wurde. Einzig Albert Elsen holte La Pensée für seine Rodin-Retrospektive 1963 ins Museum of Modern Art nach New York. Trotz seiner Versicherung gegenüber Durand, dass dessen Skulptur die einzige Ausführung in Marmor bleiben werde,63 lässt Rodin 1901 eine zweite Fassung (Kat. 5.b) von La Pensée für John G. Johnson fertigen, einen in Philadelphia ansässigen Anwalt und Liebhaber europäischer Kunst, die dieser infolge der gefeierten Ausstellung an der Place de l’Alma 1900 über seinen Agenten, den in Paris ansässigen amerikanischen Maler Alexander Harrison, bei Rodin beauftragte.64 Nach Johnsons Tod 1917 ging die Skulptur zusammen mit seiner umfangreichen Gemäldesammlung in den Besitz der Stadt Philadelphia über und befindet sich seit 1933 im Philadelphia Museum of Art. Diese zweite Fassung von La Pensée wurde von den praticiens Raynaud und Durand nach einem Gipsabguss des ersten Marmors ausgeführt und reproduziert diesen, ohne allerdings einen vergleichbar freien und souveränen Umgang mit dem Rohblock, dem non-finiten Part zu wagen, der andere Zweit- und Mehrfachfassungen späterer Marmorwerke Rodins kennzeichnet: Der quaderförmige untere Teil folgt hier nicht den Zufälligkeiten eines mit dem Sprengeisen grob zubehauenen Rohblocks, sondern ist dem des ersten Marmors nachempfunden. Statt großflächiger Absprengungen zeigt er punktförmige Spuren des Spitzeisens, also einen fortgeschrittenen, von Gestaltungs- bzw. Nachahmungswillen zeugenden Bearbeitungsgrad. Sogar die in der ersten Fassung abgeplatzte rechte obere Ecke des Blocks wurde imitiert. Es ist hier also eher von einer Replik  – in erkennbarer Abhängigkeit vom Original  – als einer eigenständigen zweiten Fassung zu sprechen. Neben dem Gipsabguss des ersten Marmors, der diesem zweiten Marmor als Vorlage diente, existiert ein weiterer, erheblich reduzierter Gipsabguss der ersten Fassung, bei welchem lediglich die obere Hälfte des Blocks abgeformt ist  – wie schon das Beispiel der Mère et fille mourante zeigt, ist eine nachdrückliche Beschneidung des non-finiten Parts in Gips- und Bronzeabgüssen kein Einzelfall. Der dezimierte Gips von La Pensée wiederum liegt der Bronzefassung65 im Rodin Museum in Philadelphia zugrunde, einem postumen Guss, der von Jules Mastbaum für seine seit 1923 rasch anwachsende Rodin-Sammlung beim Musée Rodin in Auftrag gegeben wurde. Die zweifach verfremdete Skulptur verliert nicht nur an Authentizität und Proportion, ein Vergleich mit dem Marmor zeigt auch, wie durch den Materialwechsel das oben erörterte Sinnpotential des Werkes beträchtlich geschmä63 In einem Brief vom 2. August 1896 kündigt Durand die Zahlung von 7.000 Francs an. In einer zusätzlichen Klausel begrenzt er ausdrücklich die Auflage des Werkes: „il est entendu que vous vous interdisez toute reproduction sauf deux copies [en platre?] que vous garderez et me remettrez la maquette. De mon côté je m’en interdis également la reproduction“, zit. in: Paris 2001 – Alma, S. 198. 64 Auskunft von Jennifer A. Thompson, Kuratorin am Philadelphia Museum of Art; siehe auch Rosenfeld 1993, S. 495. 65 Tancock 1976, Kat. Nr. 108.

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lert wird, wenn nicht gar gänzlich verloren geht: Der gegossene, hohle, stark minimierte Bronzesockel verliert all jene Konnotationen  – das Freilegen der eingeschlossenen Figur, die Entwicklung aus dem elementaren Stoff etc. –, die der massive, von außen behauene Marmorrohblock transportiert. Im Katalog zur Alma-Retrospektive ist La Pensée beschrieben als „belle tête de femme, d’une élégance grave, d’une expression sérieuse et fière, apparaît, se dégageant d’un massif bloc de marbre, comme la beauté s’extrait de la matière“66. Der Fokus dieser Beschreibung liegt auf der Diskrepanz zwischen anmutigem Kopf und Rohblock, aber auch auf der Metamorphose, die das eine aus dem anderen hervorgehen lässt. Joseph Gantner sieht hier zudem die Idee, „aus dem völlig Ungeformten ein Maximum an Verfeinerung in das völlig Geformte einströmen zu lassen“67. Den Titel La Pensée trägt die Skulptur erst seit dieser Ausstellung 1900. In den Akten Victor Peters findet sie sich noch als Tête d’étude und Tête de jeune femme, und während der Salonausstellung 1895 wurde sie mit dem unspezifischen deskriptiven Titel Tête erstmals öffentlich präsentiert, wo Publikum und Kritiker sogleich symbolische Deutungen vorschlugen, darunter neben Contemplation68 auch „la Pensée émergeant de la matière“69 – der sich aus der Materie lösende Gedanke: Die aus dem amorphen Block hervorgehende Form reizte zu einer Deutung als Sinnbild für kognitive Abläufe, die Formulierung konkreter Begriffe und Bilder aus unstrukturierten, der Reflexion vorgelagerten Wahrnehmungen. Diese Metaphorik hebt das Bildnis der Camille Claudel vom Individuellen ins Allegorische. Im Sinne der auf Platon zurückgehenden Polarität von Geist und Materie steht der Sockelblock für das Stoffliche und Kreatürlich-Vorbewusste, während der Porträtkopf den menschlichen Geist repräsentiert, oder, wie es Rainer Maria Rilke formulierte, ein „Stück Klarheit, Sein und Gesicht, das sich langsam aus dem schweren Schlafe des dumpf Dauernden erhebt.“70 Rodin variiert diese Dialektik von Physis und Bewusstsein auch in der Skulptur La Terre et la Lune (1899, Kat. 7.a – 7.c), deren Titel ursprünglich L’Âme se déta-

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Paris 1900, Kat. Nr. 96, S. 24. Gantner 1953, S. 51. Grappe 1944, S. 59. Archiv Musée Rodin, Fiche d’inventaire manuscrite MR 22, S.  1003 cat. 36: „Un ami s’exclama, plus ou moins plaisamment, que c’était la Pensée émergeant de la matière, d’où le baptême de ce sujet.“ 70 Rilke 1903, S. 40. Rainer Maria Rilke zählt zu den wichtigsten frühen Vermittlern Rodins im deutschen Sprachraum. In engem persönlichen Kontakt mit Rodin entstand 1902 für Richard Muthers bibliophile Reihe von Künstlermonografien ein Essay sowie 1907 ein Vortrag, den Rilke u. a. in Dresden, Prag, Berlin, Paris und Wien hielt und den er in der Zeitschrift Kunst und Künstler publizierte. Diese beiden 1907 von Marquardt und 1913 vom Insel Verlag zu einem Buch vereinigten und später ins Englische, Schwedische, Polnische, Französische und Dänische übersetzten Texte wurden wegweisend für die Rodin-Rezeption der folgenden Jahrzehnte.

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chant de la matière71 (Die sich von der Materie lösende Seele) war. Zwei zarte, schwerelos wirkende Körper (die zurückgehen auf Andromeda und La Fatigue) entwinden sich einem mächtigen Rohblock, der in der Abfolge der drei bekannten Marmorfassungen (National Museum of Wales, Cardiff; Musée Rodin, Paris und Museo Nacional de Bellas Artes, Buenos Aires) überproportional anwächst, während die fragilen Figuren – das aus dem Stofflichen extrahierte Geistige – dezentriert werden. Das irdische verdrängt hier das ätherische Element. Während in La Pensée der Körper im Block eingeschlossen bleibt, ist der Kopf freigelegt, wobei seine leichte Neigung nach vorn, das noch im Block befangene Kinn sowie der melancholische Gesichtsausdruck den Eindruck einer unlösbaren Verbindung mit dem Stein verstärken. Zahlreiche Interpreten sehen hier Bezüge zu dem an Michelangelos prigioni vielfach entfalteten neoplatonischen Konzept des in der Materie gefangenen Geistes. Während jene prigioni sich jedoch unter großer Anstrengung aus dem Stein zu befreien scheinen, bleibt La Pensée passiv und statisch, ein Kopf ohne Körper, handlungsunfähig und unbeweglich. So erläutert auch Paul Gsell den im Stein gefangenen, vergeistigten Kopf in seinen Gesprächen mit Rodin als Sinnbild für den Geist, der aus der trägen Materie emporsteigt, sich jedoch nicht aus deren ‚Fesseln‘ befreien könne: C’est une tête féminine toute jeune, toute fine, aux traits d’une délicatesse, d’une subtilité miraculeuse. Elle est penchée et s’auréole d’une rêverie qui la fait paraître immatérielle. Les bords d’une cornette légère qui abrite son front semblent les ailes de ses songes. Mais son cou et même son meton sont pris dans un massif et grossier bloc de marbre comme en une cangue dont ils ne sauraient se dégager. Et le symbole se laisse aisément comprendre. La Pensée irréelle s’épanouit au sein de la Matière inerte et l’illumine du reflet de sa splendeur; mais s’est en vain qu’elle s’efforce d’échapper aux lourdes entraves de la réalité.72

Schnell ist man daher versucht, La Pensée in biografische Zusammenhänge zum tragischen Schicksal seines Modells zu stellen. Mehrfach wurde darauf hingewiesen,73 dass Rodin mit dem Motiv der im Stein eingeschlossenen Camille Clau71 Grappe 1944, S. 101. Eine weitere Schlüsselfigur Rodins ist in diesem Zusammenhang die Centauresse (1889), deren menschlicher Oberkörper unter großer Anspannung in einem weiten Bogen vom Tierkörper wegstrebt. Diese Skulptur trug ursprünglich den Titel L’Ame et le Corps, der die Spannung zwischen Geistigem und Kreatürlichem thematisiert: „Image de l’âme, dont les élans éthérés restent misérablement captifs de la fange corporelle“ (Rodin/ Gsell 1911, S. 212). 72 Rodin/Gsell 1911, S. 211-212 („Ein weiblicher Kopf, ganz jung und zart, […] ist leicht nach vorn geneigt und wie von einem Traum umfangen, der ihn ganz vergeistigt erscheinen läßt. […] Aber Hals und Kinn stecken in einem massigen unbehauenen Marmorblock wie in einem Marterpfahl, woraus sie sich nicht befreien können. Diese symbolische Darstellung ist leicht verständlich. Der abstrakte Gedanke blüht aus dem Schoße der trägen Materie empor und erleuchtet sie mit dem Reflex seines Glanzes; aber vergeblich ringt er danach, sich aus den schweren Fesseln der Wirklichkeit zu befreien.“) 73 J. A. Schmoll gen. Eisenwerth: Rodin und Camille Claudel. München 1994, S. 38-41; Le Normand-Romain 2005, S. 217.

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del, das er im späteren Marmor La Convalescente in radikalisierter Form wieder aufnimmt, auch eine Bildform für die Sorge und Trauer um den desolaten Zustand seiner ehemaligen künstlerischen Partnerin gefunden hat, die nach ihrer Trennung 1894 in eine schwere psychische Krise geriet und sich nach und nach aus der Welt zurückzog. In dieses Deutungsmodell fügen sich weitere Werke ein, etwa L’Adieu oder auch schon Orphée et Eurydice, entstanden nach dem ersten Bruch 1892, mit seinem Motiv der unabwendbaren Trennung, der sich entziehenden und im Stein versinkenden Geliebten hinter dem ohnmächtig und wie betäubt weiterschreitenden Mann. Die Möglichkeiten des Steins und die Formen, die er suggeriert, ergründet Camille Mauclair, indem er den Topos der im Stein eingeschlossenen Figur aufgreift, die vom Bildhauer lediglich freigelegt werden muss, gleichsam als lebendiger Kern, der sich enthüllt, wenn seine mineralische Schale abgetragen ist: Il arrive aussi qu’il trouve, dans la forme même du bloc, le mouvement d’une figure. Il l’en dégage docilement, comme si elle était enclose au dedans toute vivante et l’on disait se borne à casser autour d’elle les morceaux qui la cachent. Il brise la gangue autour d’un diamant, sans avoir prévu le diamant. Certaines figures de Rodin ont ainsi l’air d’avoir vécu préalablement dans leur gaine minérale. La Pensée, si admirable, surgissant d’un bloc, c’est l’image frappante de toute la personnalité de Rodin. Il lui arrive de ne savoir comment nommer ces êtres qu’il a découverts […]74

Nach Mauclair greift Rodin jedoch nicht auf eine geistige Vorstellung, entsprechend Michelangelos concetto, zurück, sondern ‚findet‘ vielmehr die ‚lebendige‘ Form, die er lediglich freilegt. Julius Meier-Graefe weist zudem auf die Ähnlichkeit von La Pensée mit altägyptischen Skulpturen hin, deren Körper unterhalb des Kopfes in einem kompakten, würfelartigen Block verborgen sind.75 Sie deuten das 74 Camille Mauclair: „Auguste Rodin. Son œuvre, son milieu, son influence“, in: Revue universelle, 17.8.1901, S. 769-774, hier S. 772 („Es kommt vor, dass er in der rohen Form des Blocks die Bewegung einer Figur findet. Aufmerksam legt er sie frei, als sei sie lebendig eingeschlossen und als müsse man nur die Teile abschlagen, die sie verbergen. Er bricht das Gestein um einen Diamanten, ohne den Diamanten vorher gesehen zu haben. Einige seiner Figuren scheinen einst gelebt zu haben in ihrer mineralischen Schale.“) 75 „Nehmen wir einen dieser Blöcke, den berühmtesten, den Frauenkopf mit dem Tuch über den Haaren im Musée du Luxembourg in Paris. Der Kopf liegt bekanntlich auf einem ungeheuren unbehauenen Marmorblock. Ich habe mir früher nie erklären können, warum man, um einem Kopf eine Unterlage zu geben, diesen Quadratmeter Marmor verschwendete. Ich sah eine Künstlerlaune darin ohne besonderen Zweck, bis ich mal zufällig eines Tages aus dem Luxembourg direkt in die ägyptischen Säle des Louvres ging und vor eine der herrlichen, sitzenden Figuren trat, bei denen der Unterleib des Körpers, die vorwärtsgestreckten Arme, die aufgestellten Beine in einem Block verschwinden, der in schwerer Umhüllung nur ganz schwache Conturen der Glieder sehen läßt. […] Zufällig fiel mir hier der Frauenkopf Rodins im Luxembourg ein. Sollte der etwa ähnliches mit dem ungefügen Block bezwecken? […] Wer weiß, ob man sich nicht auch in diesem Marmorblock, der wie ein Stück Felsen scheint, den Körper der Frau denken muß, ihre Glieder, vielleicht sogar ihr Kleid, sicher etwas von ihr, da dieser Block eins mit ihr ist, also einen Sinn, ein Maß von ihr

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nicht Sichtbare an, ohne es zu artikulieren. Von Rodin selbst ist lediglich eine knappe Erläuterung zu La Pensée überliefert, aufgezeichnet vom britischen Autor Anthony Ludovici, der 1906 kurzzeitig sein Privatsekretär war. Was er anstrebt, ist die Synthese, die Aufhebung der Polarität, indem das Leben, das in der gestalteten Form strömt, die träge Materie mit aller Intensität durchdringt und beseelt: Once he explained to me why, in La Pensée […], he had left the marble block on which the head reposes in a rough state. He said it was an experiment. He wished to see whether he could make the head so exuberantly alive, so thoroughly pulsating with life, that it imparted vitality even to the inert mass of marble beneath it. ‚I wanted the marble below to look as if the blood from that head were circulated through it.‘ were Rodin’s words.76

L’Homme et sa pensée Das Motiv des inkarnierten Vorstellungsbildes greift Rodin kurze Zeit später in der Skulptur L’Homme et sa pensée (Kat. 6, Taf. 5; vgl. Kap. 2.2.d) auf, die den Oberkörper eines Mannes vor einer mädchenhaften Figur zeigt, deren Haar, Rücken und Schenkel in den hinter ihr aufragenden, roh behauenen Block übergehen. Stirn, Mund und Bart des Mannes berühren Wange und Brustbein des Mädchens, während seine Arme fest an seinen Körper angelegt bleiben und seine Hände in der rohen Steinmasse verschwinden. Wie La Pensée stellte Rodin auch L’Homme et sa pensée frühzeitig in Ausstellungen zur Diskussion – zuerst 1896 im Salon der Societé Nationale des Beaux-Arts, dann 1898 in der ersten Ausstellung der neugegründeten Wiener Secession77, und 1900 im Pavillon de l’Alma –, und wie La Pensée durchlief das Werk währenddessen mehrere Titeländerungen: Im Salon 1896 war es gemeinsam mit L’Éternelle idole unter dem Titel Les deux Hosties78 ausgestellt, der die in beiden Paargruppen variierte Konstellation des knienden, das Brustbein der erhöhten (Kind-)Frau küssenden Mannes religiös konnotiert. Zwei Jahre später in Wien trug die Skulptur den profaneren Titel Les Pensées, der Blaise Pascals gleichnamige, fragmentarisch gebliebene Gedankensammlung zu Religion und Vernunft in Erinnerung ruft. Im Pavillon de L’Alma 1900 präsentierte Rodin den Marmor schließlich mit dem fortan beibehaltenen Titel L’Homme et sa pensée 79, der eine symbolistische Lesart der Skulptur als vielschichtige Evokations- und Schöpfungsdarstellung eröffnet. Folgt man dieser, so gestaltet das Werk die spannungsvolle Beziehung zwischen dem Mann und seinem geistigen Vorstellungsbild  – hier einer

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darstellt.“ Julius Meier-Graefe: „Auguste Rodin“, in: Ders.: Entwickelungsgeschichte der modernen Kunst. Vergleichende Betrachtung der bildenden Künste, als Beitrag zu einer neuen Aesthetik. Stuttgart 1904, Bd. 1, S. 263-286, hier S. 285. Anthony M. Ludovici: Personal Reminiscences of Auguste Rodin. London 1926, S. 71. Fotografie der Skulptur in der Secessionsausstellung Wien 1898; Abb. in: Rodin und Wien. Hrsg. von Agnes Husslein-Arco, Stephan Koja. Ausst.-Kat. Belvedere Wien 2010, S. 10. Beausire 1988, S. 127. Paris 1900, Kat. Nr. 72.

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kindlichen femme fatale –, welche sich vor seinen Augen materialisiert. Eine sensible Beschreibung der Skulptur stammt von Paul Ortwin Rave, Kustos und späterer Direktor der Nationalgalerie Berlin, aus dem Jahr 1929: [Der Kopf des Mannes neigt sich] zu dem hin, was ihm entsteht. Und das, um dessen Werden er sich müht, haftet noch wie ein Schemen im Block. Gelöst und schlaff knicken die Gelenke, die den zarten Körper nicht zu halten vermögen. Weit rückwärts liegen die Umrisse der Arme tief im Fels, und indem das Gesicht mit dem Ausdruck sinnlicher halbstarrer Erwartung der einen Schulter aufliegt, lastet noch die Masse ungestalteten Gesteins zu Häupten.80

Wie in La Pensée steht auch hier die Herauslösung der Figur aus dem Stein gleichnishaft für eine Imagination, die graduell bildhaft Gestalt annimmt. Rilke schildert den Mann, „der kniet und, mit seiner Stirne Berührung, aus dem Stein vor ihm die leisen Formen eines Weibes weckt, die an den Stein gebunden bleiben“ und unterstreicht die „Untrennbarkeit, mit der der Gedanke an des Mannes Stirne haftet: denn es ist immer nur sein Gedanke, der lebt und vor ihm steht; gleich dahinter ist Stein.“81 Bei genauerer Betrachtung fallen Anomalitäten und Widersprüche auf: Der unnatürlich gelängte rechte Arm des Mädchens, den sie auf Höhe des Kopfes in einer weiten Dehnung nach hinten zieht, nimmt ihre Körperspannung in einer anatomisch unmöglichen weichen Biegung auf. Der Mann indes kniet nicht – wie der erste Blick vermuten ließe und wie ihn auch Rilke beschreibt – vor dem Mädchen, seine kontrapostische Hüfthaltung verlangt stehende, nicht angewinkelte Beine. Vom Rumpf an abwärts ist er im Stein eingeschlossen, einschließlich der Hände. Er ist unbewegt, erschafft allein durch seinen Geist, der die Gestalt des Mädchens evoziert, die seine kräftige Stirn berührt. Dieser mit äußerstem Raffinement ausgeführte Bereich zwischen Stirn des Mannes und Hals bzw. Wange des Mädchens ist die sensibelste Stelle der Skulptur, an der die Spannung zwischen beiden Figuren verdichtet ist. Das inkarnierte Bild bleibt seinem Schöpfer verbunden: Statt eines Zwischenraumes befindet sich an dieser Stelle eine feine Marmormembran, die so hauchdünn ist, dass das Gegenlicht hindurchscheint.82 Eine winzige, kaum kirschkerngroße Öffnung durchbricht diese fragile steinerne ‚Haut‘ und deutet eine beginnende Ablösung an. Sehr viel beständiger ist die Verbindung mit der Rohmaterie des Steins: „Unerlöst und unerlösbar ist der knospende zarte […] ‚Gedanke‘ im Irdischen […], im Felsblock gefangen, sich der behutsamen und andächti80 Paul Ortwin Rave: Deutsche Bildnerkunst von Schadow bis zur Gegenwart. Ein Führer zu den Bildwerken der National-Galerie. Berlin 1929, S. 171-172. 81 Rilke 1903, S. 40. Vgl. die Beschreibung im Katalog Paris 1900, S. 14: „l’éternel tête-à-tête, le dialogue que poursuit toute sa vie l’homme avec lui-même, tout ce qui se trouve devant lui, sauf cette pensée, étant un mur infranchissable“. 82 Vgl. Keisch 1990, S. 267. Dieser Effekt ist auch an dem Marmor Jeux de Nymphes (Inv. S. 1117) zu beobachten, der im Musée Rodin so vor einem Fenster platziert ist, dass das von hinten auf die Skulptur treffende Licht die hauchdünne Steinmembran zwischen den Figuren zum Leuchten bringt.

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gen Annäherung darbietend, und er kann doch kaum je lebendig werden. Rodin faßt die Figur des ‚Gedankens‘ in die ätherisch zarte Gestalt eines kindhaften Neutrums: angehaucht und doch in der Materie verhaftet.“83 Auch bei dieser Skulptur geht es um ein Auftauchen bzw. Versinken, die Evokation einer geliebten Person, ein Form-Annehmen und gleichzeitiges Sich-Entziehen, darin ist sie der Gruppe Orphée et Eurydice verwandt. Zugleich erweist sich L’Homme et sa pensée als bildmächtiges Gleichnis für den künstlerischen Schöpfungsakt.84 L’Homme ist auch der Bildhauer, der der rohen Materie Gestalt verleiht und ein neues Wesen schafft. In einer frühen Reproduktion im Scribner’s Magazine vom Januar 1898 trägt die Skulptur den Titel The Artist and the Ideal. Noch während der Exposition de l’Alma wurde L’Homme et sa pensée, von dem Berliner Bankier Felix Koenigs (1846-1900) erworben,85 für 12000 Francs neben vier Bronzen und einem weiteren Marmor. Der Ankauf wurde vermittelt durch Max Klinger, der seinen Freund und Mäzen Koenigs nach Paris begleitet und den Kontakt zu Rodin hergestellt hatte. Nachdem Koenigs im November 1900 noch in Paris einer Lungenentzündung erlag, stifteten seine Erben L’Homme et sa pensée 1901 der Berliner Nationalgalerie,86 wo der Marmor als Der Mann und sein Gedanke ab März 1901 im Zweiten Corneliussaal, und später an wechselnden Standorten in der Alten Nationalgalerie87 präsentiert wurde. 1901 fragt der Organisator der IV. Biennale von Venedig L’Homme et sa pensée bei Rodin an, der die bereits verkaufte Skulptur jedoch nicht zur Verfügung stellen kann.88 Zur Retrospektive nach Prag 1902 schickt er einen der zwei Gipsabgüsse der Skulptur, die er noch während der Exposition de l’Alma anfertigen ließ,89 bevor er den Marmor, der ein Einzelstück geblieben ist, nach Berlin gab.

83 Angelika Wesenberg, Eve Förschl (Hrsg.): Nationalgalerie Berlin. Das XIX. Jahrhundert. Katalog der ausgestellten Werke. Staatliche Museen zu Berlin 2002, S. 345. 84 Rosenfeld 1993, S. 507. 85 Correspondance II, S. 37. Zur Rodin-Sammlung von Felix Koenigs: Keisch 1990, S. 255258, zu L’Homme et sa pensée S. 258-268. 86 L’homme et sa pensée war Teil einer umfangreichen Schenkung, die neben Arbeiten von Böcklin, Feuerbach und Segantini auch Max Klingers Amphitrite umfasste. 87 Raumaufnahmen im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin zeigen den Marmor 1903 im Zweiten Corneliussaal im 2. Geschoss, 1908 im Ausstellungssaal im 3. Geschoss, 1955 in der Querhalle und 1960 in Raum 1. Seit der Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie 2001 befindet sich L’Homme et sa Pensée im Treppenhaus im 2. Geschoss. 88 Beausire 1988, S. 215. 89 Vgl. Brief Rodins an Sereno Vimnera, September 1900 (Correspondance II, S. 37-39). Siehe auch Le Normand-Romain 2007, S. 684, Fußn. 1. Anders als L’Éternelle Idole ließ Rodin L’Homme et sa pensée nie in Bronze ausführen.

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3.2.d. La Main de Dieu, Pygmalion et Galatée La Main de Dieu La Main de Dieu (Kat. 9, Taf. 8), die mächtige rechte Hand, die bis auf Höhe des Handgelenks aus einem sockelartigen, roh behauenen Marmorblock ragt, ist das erste isolierte Körperfragment, das Rodin als eigenständiges Sujet weiterentwickelte. Die Komposition geht zurück auf eine Gips-Assemblage (Kat. 9.14, 9.15), für die die rechte Hand des Pierre de Wissant90 vergrößert und mit zwei kleinformatigen Aktstudien kombiniert wurde. La Main de Dieu ist als Sinnbild des kreativen Schaffensprozesses auf zwei Arten lesbar: als Veranschaulichung des biblischen Schöpfungsmythos und zugleich als Reflexion Rodins auf seine eigene Arbeit. Der ursprüngliche Werktitel La Création91 (Die Schöpfung) wird dieser Doppelbedeutung eher gerecht als die heute gebräuchliche Bezeichnung, die die vordergründige Lesart des Werkes vorgibt: die in der Genesis beschriebene Erschaffung des Menschen durch Gott,92 wobei Rodins Interpretation eine eher freie ist (er lässt Eva im selben Moment und aus derselben Materie wie Adam entstehen), deren Interesse sich auf die Darstellung des formenden und lebensspendenden Schöpfers richtet, verkörpert durch die kraftvolle tätige Hand. Die in der Hand liegende formlose Masse repräsentiert Lehm bzw. Erde, ungeformte Materie, aus der die kleinen, ineinander verschränkten Leiber der ersten Menschen hervorgehen. Die Entstehung beseelten organischen Lebens aus der unbelebten, amorphen Materie ist hier in einer Metamorphose vom Unstrukturierten zum Geformten symbolisiert und zugleich bildhaft vorgeführt. Auch in der verwandten, einige Jahre später entstandenen Skulptur Adam et Eve (1905, Kat. 12) bildet der rohe Stein die ‚Matrix‘ der kleinen Körper, aus der ihre Gestalt hervorgeht. Er gibt eine muldenartige Höhlung frei, in der die Figuren mit geschlossenen Augen liegen, teilweise noch im Stein geborgen. Diese Skulptur trug 1905 im Salon d’Automne und im Frühjahr 1913 in der Faculté de Médecine den Titel Adam et Eve endormis; wenig später, im Sommer 1913 im Palais de Bagatelle nannte Rodin sie La Création.93 In allen Marmorfassungen der Main de Dieu geht die amorphe Masse entlang der Handinnenfläche in den Sockelblock über, der kein geglätteter neutraler Kubus, sondern ebenfalls von regelloser Form und Oberfläche ist: „c’est une formida90 Athena Tacha Spear: Rodin Sculpture in the Cleveland Museum of Art. Cleveland 1967, S. 79. 91 Barbier 1987, S. 202; mit diesem Titel abgebildet u. a. bei Paul Gsell: „Chez Rodin“, in: L’Art et les Artistes, 4 (1907), Feb., S.  393-415, hier S.  405; L’Art et les Artistes 1914, Abb. S. 61. 92 1. Mose 2,7: „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“ 1. Mose 2,22: „Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm.“ 93 Guillaume Apollinaire: „Un Vernissage à Bagatelle. L’art du Jardin“, in: L’Intransigeant, 20.5.1913. Wiederabdruck in: Ders.: Chroniques d’art (1902-1918). Textes réunis, avec préface et notes, par L.-C. Breunig. Paris 1960, S. 331. Vgl. Beausire 1988, S. 347.

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ble main que Rodin, pour figurer l’œuvre des six jours, fait jaillir d’un bloc où sommeillent les forces du chaos“94 (Henri Focillon). Der Ursprung der Hand im Formlosen verweist auf den Topos der Undarstellbarkeit Gottes,95 der gleichzeitig durch die äußerst naturalistische Darstellung der Hand wieder aufgehoben wird. Jaques de Caso und Patricia B. Sanders96 verweisen auf den Ursprung des Motivs im mittelalterlichen Bildtypus der Dextera Dei, der körperlosen rechten Hand Gottes, die segnend, schützend oder richtend in den irdischen Weltenlauf eingreift. In barocken Emblemen wurde dieses Gotteszeichen wiederaufgenommen – die Beschränkung der Abbildung auf die Hand ist nun Folge der protestantischen Kontroverse um eine anthropomorphe Darstellung Gottes –, wo die Gotteshand zuweilen aus Wolken bzw. einem diffusem Nebel auftaucht, der in Rodins unbestimmtem Sockelblock nachklingt. Als Sinnbild des Schöpfungsaktes ist La Main de Dieu zugleich ein Schlüsselwerk, mit dem Rodin nachdrücklich sein Selbstverständnis als Bildhauer formuliert. Das Thema der künstlerischen Schaffenskraft, das leitmotivisch sein Werk durchzieht,97 kulminiert hier in einer so bildgewaltigen wie klischeehaften Analogie: Die Macht des göttlichen Schöpfers, der aus niederer Materie Leben bildet und beseelt, assoziiert Rodin mit der des Künstlers, speziell des Plastikers, der aus ungestalteter Materie Formen erschafft: „la première chose à laquelle Dieu a pensé en créant le monde, si nous pouvons nous imaginer la pensée de Dieu – c’est au modelé. C’est drôle n’est-ce pas de faire de Dieu un sculpteur?“98 Indem La Main de Dieu den biblischen Schöpfungsvorgang profaniert, erfährt der bildhauerische Prozess zugleich eine Auratisierung.99 Rainer Maria Rilke, der sich 1902 als Gast Rodins in Paris aufhält, verklärt in einem Brief an seine Frau Clara die Skulptur zum Sinnbild der kreativen Energie ihres Schöpfers: „Dann arbeitete er weiter und bat mich, alles zu besehen, was im Atelier steht. Das ist nicht wenig. Die ‚Hand‘ ist da. C’est une main comme-ça (sagte er und machte mit seiner eine so mächtig haltende und formende Gebärde, daß man glaubte, Dinge aus ihr wachsen zu sehen).“100 La Main de Dieu bringt jenen prekären Augenblick innerhalb des Schaffensprozesses zur Anschauung, in dem gestaltlose Materie und entstehende Form im Widerstreit liegen. Dem britischen Autor George Wyndham erklärte Rodin: „C’est la main de Dieu. Elle sort du rocher, du chaos, des nuages. Elle a bien le pouce d’un

94 Henri Focillon: Vie de formes. Paris 1996 (1934), S. 113. 95 Vgl. Elsen 1980, S. 181; Werner Schnell: „Rodins ‚Hände‘ von Rodins Händen, oder: Wie ein Teil zur Hauptsache wird“, in: La Mano. Die Hand in der Skulptur des 20. Jahrhunderts. Ausst.-Kat. Städtische Museen Heilbronn 1999, S. 45-69, hier S. 56. 96 De Caso/Sanders 1977, S. 69. 97 Andere Beispiele sind die Skulpturen Pygmalion et Galatée, Le Sculpteur et sa Muse, Le Poète et sa Muse, L’homme et sa pensée oder das Relief Le Créateur an der Porte de l’Enfer. 98 Rodin, zit. in: Judith Cladel: Auguste Rodin pris sur la vie. Paris 1903, S. 77. 99 Schnell 1999, S. 57. 100 Brief vom 19.2.1902, zit. in: Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren 1902-1906. Leipzig 1930, S. 26.

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sculpteur. Elle tient le limon et là-dessus se créent Adam et Ève.“101 Für Rodin, dessen primäres Arbeitsprinzip das Modellieren in Ton ist, bedeutet der von der Hand gehaltene Materieklumpen auch das Arbeitsmaterial des Künstlers, aus dem die kleinen Leiber  – eine Skulptur in der Skulptur  – geformt werden. In den Bronzegüssen der Main de Dieu, die auf Grundlage der ersten Marmorfassung entstanden, ähnelt dieser Klumpen wieder eher einem Stück Ton statt bossiertem Stein, weshalb die Nähe zum Vorgang des Formens und die materialgebundenen Konnotationen von Ton – formbar, strukturlos, nachgiebig – hier adäquater bewahrt sind als in den Ausführungen in Marmor. Am Motiv der Main de Dieu arbeitete Rodin vermutlich seit 1896, im selben Jahr stellte er ein erstes Gipsmodell bei der IV. Münchner Secession aus.102 Gipsstudien – das Musée Rodin verwahrt insgesamt vier Exemplare, eines davon mit Punktiermarken – zeigte er auch 1899 auf seiner ersten Einzelausstellung in Brüssel, Rotterdam, Amsterdam und Den Haag, 1900 im Pavillon de l’Alma und 1902 in Prag. Nach diesen kleinformatigen Studien entstanden bis 1918 insgesamt vier monumentale Marmorfassungen, deren erste (Kat. 9.a) Georges Grappe auf spätestens 1898 datiert;103 erstmals belegt und fotografisch dokumentiert ist sie jedoch erst im Januar 1903 als Exponat bei der XVI. Sezessionsausstellung in Wien (Kat. 9.2). Große Aufmerksamkeit erregt dieser Marmor wenige Monate später bei der Siebten Kunstausstellung der Berliner Secession, wo er in der Presse ausführlich besprochen wird. Nahezu zeitgleich sind bei der V. Biennale in Venedig und im National Arts Club in New York104 Gipsabgüsse des Marmors zu sehen. Auch in Düsseldorf 1904 ist das Werk, das schnell an Prominenz gewinnt, durch ein kleines Gipsmodell und einen großen Gipsabguss vertreten.105 Nachdem die erste Marmorfassung schließlich 1905 in London, Manchester und Burnley bei der 5th Exhibition of the International Society of Sculptors, Painters and Gravers und zum Ende des Jahres 1905 beim III. Salon d’Automne in Paris zu sehen war, wurde sie von einem der wichtigsten 101 Aufgezeichnet von George Wyndham in einem Brief an seine Schwester Pamela am 24.5.1904 während eines Parisaufenthaltes, bei dem er sich von Rodin porträtieren ließ (J.W. Mackail, Guy Wyndham: Life and Letters of George Wyndham, Bd. 2, London 1925, S. 480). 102 Offizieller Katalog der Internationalen Kunst-Ausstellung des Vereins bildender Künstler Münchens (A.V.) „Secession“ 1896, S. 45, Kat. Nr. 560. 103 Grappe 1944, S. 100. Auch Rodins Mitarbeiter Victor Frisch, der ab 1906 die zweite Marmorfassung der Main de Dieu für das Metropolitan Museum New York ausführte, datiert im Rückblick den ersten Marmor bereits auf 1898: „Rodin recognized the audacity of his conception, and for years allowed none save his collaborators and closest friends to see it.“ (Frisch/Shipley 1939, S. 431). 104 New York, National Arts Club, Loie Fuller’s Collection, 7.-17. Mai 1903. Diese von der Tänzerin und Choreographin Loïe Fuller initiierte, relativ kurze, aber stark wahrgenommene Präsentation (die New York Times widmete ihr eine ausführliche Besprechung) war die erste umfangreichere Ausstellung von Werken Rodins in Amerika (vgl. Butler 1993, S. 404). 105 Katalog der Internationalen Kunstausstellung Düsseldorf 1904 im Städtischen Kunstpalast. Düsseldorf 1904, Kat. Nr. 1743, 1743a.

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Förderer Rodins erworben, dem Bankier Albert Kahn (1860-1940), der neben Joanny Peytel und Louis Dorizon einer der drei Financiers des Pavillon de l’Alma gewesen war. Kahn besaß neben La Main de Dieu drei weitere Marmorarbeiten Rodins,106 deren Spur sich nach dem geschäftlichen Ruin Kahns infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 und der Pfändung seines Besitzes allerdings verliert. Lange Zeit waren daher die Werke aus der Sammlung Albert Kahn nur unzureichend bekannt. Entsprechend herrschte noch bis in die 1990er Jahre Unklarheit über die Anzahl der existierenden Marmorfassungen; die im Musée Rodin verwahrte vierte Fassung von 1916-18 wurde bis dahin als Erstfassung von 1902 ausgewiesen. Inzwischen ist bekannt, dass Kahn sein Exemplar der Main de Dieu bereits 1908 an einen Privatsammler veräußerte. Im Jahr 2000 war die Skulptur in einer Ausstellung des North Carolina Museum of Art in Raleigh erstmals wieder der Öffentlichkeit zugänglich und ist inzwischen Teil einer Privatsammlung in den USA. Neben diesem ersten Marmor, dessen praticien nicht bekannt ist, wurden in den folgenden 15 Jahren von verschiedenen Mitarbeitern drei weitere Marmorfassungen im selben Maßstab gefertigt. Die zweite Fassung (Kat. 9.b) wurde 1906 nach Vermittlung Albert Kahns durch dessen Bekannten, den amerikanischen Bankier Edward D. Adams für das New Yorker Metropolitan Museum of Art bestellt107 und von Victor Frisch bis 1907 ausgeführt. Die Arbeit am dritten und vierten Marmor wurde etwa zeitgleich um 1916 begonnen: Louis Mathet bearbeitete eine Fassung als Auftragswerk für Samuel P. Colt aus Bristol, Rhode Island (Kat. 9.c, Taf. 8). Sie wurde 1917 geliefert und befindet sich heute im Museum of Art der Rhode Island School of Design in Providence.108 Der vierte Marmor (Kat. 9.d) schließlich wurde nicht durch Rodin, sondern bereits durch seinen Nachlassverwalter Bénédite für das Musée Rodin in Auftrag gegeben bei Séraphin Soudbinine, einem Bildhauer, der zuvor nie für Rodin gearbeitet hatte.109 Er wurde erst 1918 nach Rodins Tod fertiggestellt. Die vier Marmorfassungen unterscheiden sich vor allem in Ausdehnung, Form und Behandlung des Sockelblocks, während die Gestaltung der Hand und der Figuren nur unwesentlich variiert. Den massivsten und höchsten Block besitzt das erste Exemplar; er ist zudem an einer Seite glatt beschnitten, was diese Fassung deutlich von den folgenden Versionen unterscheidet – für frühe Fotografien wählte man diese Seite, auf welcher der Daumen aus dem Stein hervortritt, gemeinhin als Schauseite der grundsätzlich allansichtigen Skulptur. Der Block des New Yorker Marmors ist vergleichsweise flach und läuft nach unten assymetrisch pyramidal aus. Seine Proportionalität ähnelt der von Soudbinine ausgeführten vierten Fassung, deren Blockkanten zwar irregulär, doch vergleichbar klar gezogen sind, während das nahezu zeitgleich entstandene dritte Exemplar von Mathet einen eher rundlichen, 106 Ève, L’Illusion, fille d’Icare und L’Éternel Printemps. Siehe auch: Albert Kahn 1860 – 1940. Réalités d’une utopie. Ausst.-Kat. Musée Albert Kahn, Boulogne-Bilancourt 1995, S. 50. 107 Vincent 1981, S. 19; Barryte/Tarbell 2011, S. 322-323. 108 Daniel Rosenfeld (Hrsg.): European Painting and Sculpture, ca. 1770-1937 in the Museum of Art, Rhode Island School of Design. Providence, Rhode Island 1991, Kat. Nr. 68. 109 Barbier 1987, Kat. Nr. 86; Rosenfeld 1993, S. 213.

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kompakteren Block besitzt. Zu Beginn experimentierte Rodin noch mit der Ausrichtung der Skulptur und zeigte sie 1903 in Wien auf einer der Seitenflächen des Blocks aufliegend, die Hand waagerecht daraus hervortretend (Kat. 9.2).110 Diese horizontale Orientierung, die auch in Fotografien eines Gipsabgusses der Skulptur im Atelier (Kat. 9.16) dokumentiert ist und die ein spannungsvolles raumgreifendes Ungleichgewicht erzeugt, wurde im Folgenden nicht beibehalten. Neben den vier Marmorfassungen der Main de Dieu existieren zwei Gipsabgüsse des ersten Marmors und mindestens 23 Bronzen in drei verschiedenen Größen, was die außerordentliche Popularität des Werkes belegt.111 Während 14 dieser Bronzen, die eine höhere Detailgenauigkeit und einen kleineren Materieklumpen aufweisen, der Originalgips (das sog. moyen modèle) zugrundelag, diente mindestens neun Bronzegüssen der erste Marmor als Grundlage: Drei Bronzen wurden im selben Maßstab (grand modèle) postum produziert, und sechs weitere Bronzen in einer verkleinerten Fassung (petit modèle) bereits ab 1905. Auffällig ist, dass bei der Mehrzahl der Abgüsse – auch jenen nach dem Marmor, und sogar bei dem Original-Gipsabguss des ersten Marmors, den das Musée Rodin 1973 dem Sammler B. Gerald Cantor als Schenkung übergab – der Sockelblock zu einer flachen, plinthenartigen Platte reduziert ist. Wie in den Gips- bzw. Bronzefassungen von Mère et fille Mourante und La Pensée wurde lediglich der obere, figurative Teil reproduziert, während der non-finite Sockelblock als vermeintlich subalterner Anhang aufgefasst und beschnitten wurde. Nur einige von diesen Güssen sind postum, die Mehrzahl hat Rodin in dieser reduzierten Form selbst verantwortet. Erklären lässt sich dieser, den Charakter des Werkes substantiell verändernde Eingriff nur durch den Materialwechsel: Wie im Fall von La Pensée verliert die hohle Bronze- bzw. Gipsform die Konnotationen des rohen Steins. Auch frühe fotografische Reproduktionen (Kat. 9.4, 9.5, 9.6) der Skulptur sind von diesem selektiven, den non-finiten Part marginalisierenden Blick bestimmt: Es sind zumeist Detailabbildungen, deren Fokus auf der Hand liegt, während lediglich ein geringer Teil des Blocks abgebildet ist. Parallel zu den ersten, dicht aufeinanderfolgenden Ausstellungen des ersten Marmors und seiner Gipsabgüsse im Jahr 1903 rückt La Main de Dieu in den Fokus medialer Aufmerksamkeit und wird in nahezu jeder Ausstellungsbesprechung explizit gewürdigt. Die Heterogenität der Urteile und Interpretationen ist dabei bemerkenswert. Während ein Autor des North American 1903 das Werk missbilligend als „weird example of Rodin’s impressionistic sculpture“ und „strange specimen of his art“112 ablehnt, wird es in der New York Times gelobt, wobei man jedoch einräumt, dass der Schöpfungsmythos hier kühn profaniert ist: „the Biblical fashioning of man from clay by the Almighty has been treated here in a fresh and startling fashion, a fashion, be it remarked, that sets the teeth of the Philistine on 110 So wurde die Skulptur auch fotografisch reproduziert im Artikel von Arnold Rechberg: „Altes und Neues von Rodin“, in: Illustrierte Zeitung, Leipzig, 17.9.1908, S. 477-480, hier S. 477. 111 Le Normand-Romain 2007, Bd. II, S. 501; Tancock 1976, S. 622-625. 112 North American, 23.8.1903, Archiv Musée Rodin, Dossier La Main de Dieu.

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edge.“113 Viele Autoren würdigen das neuartige, in der unterschiedlichen Behandlung der Oberflächen vermittelte transitorische Moment. Ein Rezensent der Berliner Secessionsausstellung 1903 räumt zunächst ein, dass man, „weil die Gestalten halb noch im Marmor zu stecken scheinen, eine unfertige Arbeit zu sehen wähnt“, erläutert dann aber die Hand als „Symbol der in das Chaos hineingreifenden, aus dem Nichts das Leben erzeugenden Schöpfermacht, und aus der formlosen Materie, die sie umspannt, quellen Mann und Weib zum Licht und zum Dasein empor. Man empfindet ihr Werden und Erwachen, man fühlt, wie diese Körper aus dem Dunkel heraus sich losringen und sich gestalten“114. Auch Die Kunst für Alle rühmt „in wunderbarer Weise das Neue, das dieser Meister gebracht hat, […] den Prozeß des Werdens selbst […]. Eine mächtige, kraftvolle und beseelte Manneshand reckt sich aus einem Marmorblock und hält zwischen den Fingern eine formlose Masse. Aber in dieser zuckt schon das Leben.“115 Das Motiv der sukzessiven Entwicklung und Belebung interessiert auch den Autor der Danziger Neuesten Nachrichten: „Zwei menschliche Gestalten wollen sich lösen aus der kalten Enge dieses Blockes, der vor ihren zarten Gliedern wie eine Schwelle zurückweicht.“116 Den Rezensenten der Pariser Zeitschrift Les Maîtres artistes überzeugt hingegen die Verhaftung der Körper in der rohen Materie und der Kontrast zwischen klar artikulierten und unpräzisen Formen: „les unes presque formées dégageant la chair spiritualisée, les autres incompréhensibles, vagues et difformes, disant les attaches tenaces de la matière.“117 Als Sinnbild Leben spendender, die tote Materie beseelender Schöpferkraft wird die Hand Gottes anlässlich ihrer Ausstellung in London 1905 von einem Autor der Daily Mail beschrieben: From a rough, shapeless block of marble, in which is hidden His invisible arm, rises the Hand of God, colossal in its dimensions, grand in its sculpturesque feeling. It holds another block of marble, out of which it has formed the figures of man and woman in passionate embrace, unfinished as it were, vague and nebulous – the creation of life out of clay.118

Die Unfertigkeit und Vagheit der Figuren hebt der Autor als adäquates Mittel zur Veranschaulichung des prozesshaften Charakters der Schöpfung hervor, jedoch ist für ihn die Versenkung des Handgelenkes im rohen Block keine befriedigende Lösung für die Darstellung eines isolierten Körperfragmentes:

113 „The Art of Rodin. Sculptures by the Famous French Impressionist at the Arts Club“, in: The New York Times, 9.5.1903. 114 „Aus der Berliner Sezessionsausstellung“, in: Illustrirte Zeitung, Leipzig, 28.5.1903. 115 Hans Rosenhagen: „Die siebente Kunstausstellung der Berliner Secession“, in: Die Kunst für Alle, Bd. 18, 1.7.1903, S. 394. 116 Danziger Neueste Nachrichten, 6.4.1903. 117 H.-Ernest Simon: „Poussières de marbre“, in: Les Maîtres artistes, 15.10.1903, S. 265-268, hier S. 267. 118 „The Creation in Marble. M. Rodin’s great work at the New Gallery“, in: Daily Mail, London, 10.1.1905.

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A question of far greater importance is whether M. Rodin has succeeded where non sculptor, and perhaps no painter, has succeeded before him in giving a satisfactory representation of a hand detached from the body. And, wemust confess, we do not consider the burying of the wrist in the rough marble block a solution of the problem.119

Georg Treu, Direktor des Dresdner Albertinums und engagierter Rodin-Förderer, erkennt in der Main de Dieu die Selbstdarstellung Rodins als Schöpfer-Künstler: Es soll die Hand des Weltenschöpfers sein. Uns aber gemahnt sie an die gewaltige Gestaltungskraft des Künstlers selbst, vor dessen Schaffen dem Beschauer zu Mute wird, als stände er einem Teil jener Macht gegenüber, die aus dem Erdinnern die Fülle der Gestalten in ewigem Wechsel herauf sendet.120

Diese Projektion des Künstlermythos wird in der Folge von anderen Autoren aufgenommen,121 etwa auch von Henri Bergson, der Rodins Schöpferkraft als Manifestation des élan vital, als kreative, höchst unabhängige Energie vorstellt: It is the fleeting moment of creation, which never stops; it is in a sense the genius of Rodin himself in its eternal creative force. He that lives in the intention, lives free, lives creating, lives like a very god.122

Auch dem Schriftsteller George Bernard Shaw, der zeitweilig als Kunstkritiker tätig war, wird La Main de Dieu zur Metapher für Rodins schöpferische Energie als überlegene Naturkraft. Ausführlich schildert er seine Porträtsitzungen bei Rodin und die Evolution der modellierten Büste, deren Entwicklungsstadien er eher einem Biologen als einem Schöngeist zum Studium empfiehlt: Yet a succession of miracles took place as he worked. In the first fifteen minutes, in merely giving a suggestion of human shape to the lump of clay, he produced so spirited a thumbnail bust of me that I wanted to take it away and relieve him of further labor. […] Rodin contemplated it with an air of callous patience, and went on with his job, more like a river god turned plasterer than ever. Then another century passed in a single night; and the bust became a Rodin bust, and was the living head of which I carried the model on my shoulders. It was a process for the embryologist to study, not the aesthete. Rodin’s hand worked, not as a sculptor’s hand works, but as the Life Force works. […]. His Main de Dieu is his own hand […].123

119 Ebd. 120 Georg Treu: „Auguste Rodin“, in: Jahrbuch der bildenden Kunst, 2 (1903), S. 85-86. 121 Clemen 1905, S. 289; „Le Long des Cimaises. Le Salon d’Automne“, in: Le Chroniquer de Paris, 2.11.1905. 122 Frisch/Shipley 1939, S. 431. Die Glaubwürdigkeit dieser durch Rodins Assistenten Victor Frisch überlieferten Äußerung Bergsons ist ungewiss. Dass Bergson mit Rodin in Kontakt stand, bestätigt u. a. Georg Simmel in seinem Text „Erinnerung an Rodin“, in: Vossische Zeitung, 27.11.1917. 123 George Bernard Shaw: „Sur Rodin“, in: Gil Blas, 24.11.1912; zit. in: Grunfeld 1987, S. 509-510.

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Abb. 15: Abformung der Hand Rodins mit Frauentorso, 1917, Paris, Musée Rodin

Wenige Wochen vor Rodins Tod nahm Paul Cruet einen Gipsabguss von dessen rechter Hand ab, in den später ein kleiner weiblicher Torso platziert wurde (Abb. 15). Dieses Objekt steht in der Tradition der Handabgüsse bildender Künstler und Schriftsteller, die im 19. Jahrhundert, befördert durch den Geniekult, als primäres Instrument des Schaffens zum Gegenstand von Interesse und Verehrung wurden.124 Obwohl der Abguss der Hand Rodins wohl auf Bestreben des Nachlassverwalters Léonce Bénédite angefertigt wurde125 und auch die Kombination beider Objekte vermutlich nicht auf eine Idee Rodins zurückgeht,126 wird dieses Werk gemeinhin als letzter Kommentar Rodins zur Thematik des Schöpfer-Künstlers angesehen. Dessen Hände 124 Die Handabgüsse von Goethe, Balzac und Victor Hugo, oder, im 20. Jahrhundert, etwa Brassaïs Fotografie von einem Handabguss Picassos sind Beispiele dieser Befragung der Künstlerhand als sensibles Werkzeug und Ausdrucksträger. Vgl. De Caso/Sanders 1977, S. 71; Anne Pingeot: „Hände“, in: Paris/Frankfurt 1990, S. 171-189; Die Hand des Künstlers. Ausst.-Kat. Museum Ludwig, Köln 1991; Bernd Evers: Sprechende Hände. Ausst.-Kat. Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin 2006. 125 Cladel 1903, S. 402. 126 Lynne Ambrosini, Michelle Facos: Rodin. The Cantor Gift to The Brooklyn Museum. New York 1987, S. 141.

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sind imstande, gottgleich und nach seiner Vorstellung Geschöpfe zu bilden, die keine Entsprechung mehr in der Natur haben. Pygmalion et Galatée Das Thema des bildhauerischen Schaffens und der Animation der unbelebten Materie verhandelt Rodin aus anderer Perspektive auch in der Paargruppe Pygmalion et Galatée (Kat. 13, Taf. 6). Am Mythos des Bildhauers Pygmalion, der sich in das von ihm geschaffene Idealbild einer Frau verliebt, das auf sein Bitten hin von Aphrodite zum Leben erweckt wird,127 entzündet sich seit der Antike immer wieder die theoretische Reflexion künstlerischer Arbeit.128 Als Identifikationsfigur des Künstlers und speziell des Bildhauers ist Pygmalion, unter dessen Händen die Materie nicht nur Form, sondern auch Leben erhält, – auch als tradiertes akademisches Sujet – interessant für Rodin. Pygmalion „imitiert […], was Privileg göttlicher Potenz oder naturförmigen Werdens ist“129, da seine aus dem leblosen Stoff hervorgegangene Skulptur Lebensfähigkeit und Bewusstsein erlangt. Die Episode steht in den Metamorphosen Ovids nicht zufällig in Verbindung mit der Geschichte von Orpheus und Eurydike: Sie gehört zu den Trauergesängen, mit denen Orpheus den Verlust seiner Geliebten zu überwinden sucht, und die allesamt das Motiv der (Re-)Animation umkreisen. Der Pygmalionstoff ist in dieser Erzählfolge die wundersame Ausnahme, bei der die Verwandlung von toter Materie in einen lebenden Organismus gelingt. Der Figurenkonstellation liegt Rodins etwa 1885 entstandene Minotaure-Gruppe zugrunde: Der zweifarbige Punktiergips Inv. S. 2773 (Kat. 13.4) dokumentiert die Entwicklung Pygmalions aus der älteren (ocker patinierten) Faunfigur, dessen Hörner entfernt und der neue (weiße) Arme angepasst wurden. Statt der Nymphe ist ihm nun Galatea beigegeben, die als Einzelfigur130 ebenfalls bereits seit 1889 existiert. Eine Gipsstudie im Metropolitan Museum131 zeigt sie mit abgetrenntem rechten Arm und Bein; auch der neben ihr aufragende Materiestumpf, auf dem ihre linke Hand ruht, ist hier schon vorhanden. Nach dem Gipsmodell ließ Rodin mindestens drei Marmore fertigen, die sich heute in der Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen und im Metropolitan Museum in New York befinden, während die dritte, kleinere Fassung nicht lokalisierbar und auch nicht durch Fotografien überliefert ist. Eine Abbildung des ersten, von Jean-Marie Mengue ausgeführten Mar127 Ovid: Metamorphosen, 10. Buch, V. 243-297. 128 Victor I. Stoichita: The Pygmalion Effect. From Ovid to Hitchcock. Chicago/London 2008; Mathias Mayer, Gerhard Neumann (Hrsg.): Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in der abendländischen Kultur. Freiburg 1997; Mechthild Schneider: „Pygmalion  – Mythos des schöpferischen Künstlers. Zur Aktualität eines Themas in der französischen Kunst von Falconet bis Rodin“, in: Pantheon, 45 (1987), S. 111-123. 129 Böhme 1997, S. 119. 130 Grappe 1944, Kat. Nr. 233; Tancock 1976, Kat. Nr. 45. 131 Abb. bei Vincent 1981, S. 8 (seitenverkehrt).

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mors (Kat. 13.a, Taf. 6) findet sich im Dezember 1906 in der Kunstzeitschrift L’Art et le Beau als Illustration zu einem Text von Gustave Kahn (Kat. 13.2).132 Diese erste Fassung erwarb der dänische Großsammler Carl Jacobsen 1907 in Paris von Rodin, der sie ihm zu einem deutlich geringeren Preis als vorgesehen (für 14.000 statt 20.000 Francs) überließ, sich aber auch Jacobsens Einverständnis sicherte, Repliken des Marmors herstellen zu dürfen.133 Zu diesem Zweck wurden zwei Gipsabgüsse genommen. Da sich die Lieferung nach Kopenhagen bis 1910 verzögerte, wurde im Januar 1908 der amerikanische Archäologe John Marshall auf den Marmor aufmerksam, der Rodins Atelier besuchte, um eine Vorauswahl möglicher Erwerbungen für das Metropolitan Museum in New York zu treffen.134 Unterdessen arbeitete Victor Peter für Rodin bereits an einer Replik des Werkes (Kat. 13.b), die Judith Cladel zugedacht war, von Rodin jedoch kurzerhand umgewidmet wurde, als das Komitee in New York den Ankauf von Pygmalion et Galatée entschied.135 Die zweite Fassung gelangte somit 1910 als Schenkung von Thomas F. Ryan und etwa zeitgleich mit dem von ihm ersteigerten Marmor Orphée et Eurydice in die Sammlung des Metropolitan Museum. Für Judith Cladel fertigte Victor Peter zwei Jahre später (1912-14) eine dritte Fassung (Kat. 13.c),136 die sie im Juli 1916 erhielt. Léonce Bénédite zufolge verkaufte sie diesen Marmor wenig später an Georges Bernheim. Am 29. Juni 1920 kam er, eingeliefert von dem Kunsthändler B. Coureau (London) bei Christie, Manson & Woods in London zum Aufruf,137 wo er nicht verkauft wurde; danach verliert sich seine Spur. Keines der drei Exemplare gab Rodin an Ausstellungen, auch wenn zumindest im Fall des ersten Marmors, bei dem vier Jahre zwischen Fertigstellung und Auslieferung lagen, Gelegenheit dazu gewesen wäre. Grappe nennt eine Ausstellung 1908 in Versailles, Beausire allerdings weist darauf hin, dass nicht sicher zu bestimmen ist, ob dort Pygmalion et

132 Gustave Kahn: „Auguste Rodin“, in: L’Art et le Beau, 2, Dez. 1906, S. 101-135, Abb. S. 106. 133 Fonsmark 1988, S. 126. Einen Kostenvoranschlag über 25.000 Francs für eine offenbar nicht realisierte Marmorfassung Pygmalion et Galatée sendet Rodin am 10. März 1907 über den Agenten Stephen Mac Kenna an Joseph Pulitzer (Correspondance II, S. 205). 134 Vincent 1981, S. 25-28. 135 Der Unternehmer Thomas F. Ryan stellte dem Metropolitan Museum 1910 insgesamt 25.000 Dollar für den Aufbau einer Rodin-Sammlung bereit, die Auswahl trafen Daniel Chester French (Bildhauer und Chairman des Commitee on Sculpture), Edward Robinson (seit 1910 Direktor des Metropolitan Museum) und John Marshall (Archäologe und Agent des Museums für Einkäufe in Europa). Vgl. Joseph Breck: The collection of Sculptures by Auguste Rodin in the Metropolitan Museum. Supplement to The Bulletin of The Metropolitan Museum of Art. New York, Mai 1912; Vincent 1981, S. 25-30. Zwischenzeitlich hatte Ryan die Skulptur auch als Geschenk an seinen Freund William M. Laffan vorgesehen; nach dessen plötzlichem Tod ging das Werk 1910 an das Metropolitan Museum (Ryan an Rodin, 29.1.1910, in: Correspondance III, S. 77). 136 Judith Cladel: Rodin. Sa vie glorieuse et inconnue. Paris 1936, S. 307f. Vgl. auch den Brief Rodins an Cladel, 12.5.1914, in: Correspondance III, S. 84. 137 Le Normand-Romain 2007, Bd. II, S. 622. Ich danke François Blanchetière, Musée Rodin, für die Weiterleitung von Informationen aus den Christie’s Archives, London.

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Galatée oder Minotaure zu sehen war.138 Obwohl Rodin selbst nie eine Ausführung dieses Werkes in Bronze vorsah, was dem Sujet auch nicht entsprochen hätte, wurden postum 1949 mindestens zwei Bronzegüsse nach einem der Gipsmodelle  – nicht nach dem Gipsabguss des Marmors – realisiert. Im Gegensatz zur ikonographischen Tradition stellt Rodin Pygmalion ohne Bildhauerwerkzeuge dar. Sitzend blickt er zu der dicht vor ihm stehenden Galatea auf, sein rechter Arm mit der zyklopisch großen Hand hängt schlaff herab, mit dem linken Arm umfasst er zögerlich die Beine seiner Statue. Ihr sinnlicher Körper ist ihm zugewandt, ihr Blick jedoch wendet sich ab, hin zu ihrem ausgreifenden linken Arm, der auf dem neben ihr schräg aufragenden Marmorstumpf ruht. Rodin folgt der Bildtradition insofern, dass er Pygmalion ein antikisierendes Arbeitsgewand über die Beine drapiert und das lange eingeführte Motiv der kontrapostischen Beinstellung aufnimmt, mit der sich Galatea aus ihrer statuarischen Starrheit löst. Denn dargestellt ist auch hier der kanonisch gewordene Schlüsselmoment der Pygmalion-Ikonographie, in dem die Verlebendigung der Skulptur einsetzt.139 In den zwei bekannten Marmorfassungen Rodins ist er unterschiedlich akzentuiert. Pygmalion starrt jeweils ungläubig auf sein Geschöpf, in dem er offenbar die ersten Regungen des Lebens wahrnimmt. Während Galateas Körper in der ersten Fassung vollständig geglättet ist, nimmt er in der zweiten Fassung unterhalb der Knie wieder den Charakter einer Skulptur im Zustand der Bearbeitung an, da hier die in den amorphen Grund übergehenden140 Unterschenkel nur grob bossiert sind. Auch Galateas linke Hand, die in der New Yorker Fassung fest mit dem rohen Marmorstumpf verhaftet ist und auf die sie erwartungsvoll blickt, ist im Kopenhagener Exemplar präziser artikuliert. Diese voneinander abweichenden Bearbeitungsstadien lassen sich auch metaphorisch auf die fortschreitende Belebung der Figur beziehen, die in der Kopenhagener Fassung bereits vollzogen zu sein scheint, während sie im New Yorker Marmor noch im Geschehen begriffen ist. Es ist in diesem Fall eine Metamorphose in drei Stadien: Der rohe Stein141 wird zur gestalteten Skulptur und diese wiederum wird lebendiger Körper. Unter den Händen des Bildhauers wird die (anorganische, unbelebte) Natur des Steins zu Kunst, die sich ihrerseits verwandelt in (organische, belebte) Natur. Die vielfältigen Bearbeitungen des Pygmalionstoffes in Bildhauerei und Malerei142 bieten unterschiedliche Lösungen für die Darstellung der Verlebendigung Galateas an. So markiert etwa die Marmorgruppe von Etienne-Maurice Falconet 138 Grappe 1944, S. 81; Frisch/Shipley 1939, S. 424; Beausire 1988, S. 302. 139 Vgl. Schneider 1987, S. 119. 140 Auch Pygmalions Unterkörper scheint mit der non-finiten Bodenplatte verschmolzen. Allerdings geht, wie die Rückansicht (Kat. 13.2) zeigt, nicht sein Körper, sondern lediglich sein Gewand, das den im Modell noch deutlich sichtbaren Faunsfuß bedeckt, fließend in den Stein über. 141 Im Pygmalionmythos ist es nicht Marmor, der sich verwandelt, sondern Elfenbein, ein ‚lebender Stein‘ mit mineralischen und organischen Bestandteilen. 142 Andreas Blühm: Pygmalion. Die Ikonographie eines Künstlermythos zwischen 1500 und 1900. Frankfurt a. M. 1988.

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von 1761, die Rodin wohl auch in der verkleinerten Sèvres-Version aus Biskuitporzellan gekannt hat, die Belebung durch die Körperneigung Galateas, ihre überrascht erhobenen Hände und vor allem durch die freudig erregte Reaktion Pygmalions. Die Malerei indes, in der das Sujet weit früher verbreitet war, kann den Übergang von unbelebter Materie zu organischer Substanz weit überzeugender mithilfe der Mimesis-Wirkung von Farbe darstellen – ein Mittel, das der Skulptur, in der der weiße Marmor auf sich selbst verweist und zugleich Fleisch imitiert, nicht zur Verfügung steht. So erlangte auch Jean Léon Gérôme, der den Pygmalion-Stoff zwischen 1881 und 1892 sowohl malerisch als auch als Skulptur umsetzte, die nachhaltigere Wirkung mit seinen Gemälden,143 in denen die fortschreitende Animation durch die Farbänderung von weißem Marmor in Inkarnat veranschaulicht ist. Rodin indes vertraut der „life-evoking quality“144 von Marmor. Paul Gsell berichtet, wie Rodin ihm bei einem seiner Besuche im Licht einer Lampe eine antike Kopie der Venus Medici vorführte und über die feinen Nuancierungen der Oberfläche ins Schwärmen gerät: „C’est de la vraie chair! disait-il. […] On s’attendrait presque, en tâtant ce torse, à le trouver chaud.“145 Die Evokation von Lebendigkeit als klassischer Topos der Skulptur, wie auch die Idee der Animation der Materie, die nicht nur Gestalt gewinnt, sondern metaphorisch zu Leben und Bewusstsein ‚erwacht‘, sind für Rodin übergreifende Konzepte, die sich nicht auf die Motivik beschränken, sondern, wie bereits mehrfach erwähnt, Movens seiner bildhauerischen Arbeit sind. Sie liegen bereits dem vergleichsweise frühen Werk L’Âge d’airain zugrunde, wie Rodin dem Sammler Karl Ernst Osthaus 1901 erläuterte, indem er sich auf die bereits für die Michelangelo-Rezeption fruchtbar gemachte Ovid-Episode von Deukalion und Pyrrha bezog: Er habe daran gedacht, „wie diese auf Geheiß des Gottes Steine hinter sich warfen, um die entvölkerte Erde mit neuen Menschen zu besiedeln. Das Erwachen des toten Stoffes zum seelischen Bewußtsein sei die Idee seines Werkes.“146 Während in La Main de Dieu die Belebung der toten Materie durch den gottähnlich schaffenden Künstler verhandelt wird, geht es bei Pygmalion et Galatée, wie bei L’Homme et sa pensée, auch um die klassische Beziehung von Künstler und Geschöpf, dessen Existenz und Gestalt sich dem kreativen Vermögen seines (männlichen) Schöpfers verdanken. Der spätestens seit Falconet mit dem Pygmalion-Mythos in Verbindung gebrachte „Eros des Schöpferischen“147 ist bei Rodin allerdings negativ umgedeutet und psychologisch widersprüchlich. Galatea wendet sich von Pygmalion, der dumpf und schwerfällig ihren 143 Lediglich eine der vier um 1890 entstandenen Gemäldefassungen ist erhalten, heute im Metropolitan Museum of Art in New York. Vgl. Gerald M. Ackerman: La vie et l’œuvre de Jean-Léon Gérôme. Paris 1986, Kat. Nr. 385-388. 144 Rosenfeld 1981, S. 81. 145 Rodin/Gsell 1911, S. 60-61 („Das ist wirkliches Fleisch! sagte er. […] Man erwartet fast, diesen Körper bei der Berührung warm zu finden.“). 146 Osthaus 1921/2002, S. 179. Osthaus gibt das mythische Paar fälschlicherweise als „Philemon und Baucis“ wieder. 147 Kuhlemann 2006, S. 28.

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dargebotenen Körper fixiert, in einer melancholisch-lethargischen Drehung ab.148 Keine Blickbeziehung oder Umarmung verbindet sie mehr, und die bisher als Einklang und Wechselspiel dargestellten Emotionen sind hier aufgehoben in einer entfremdeten, „ebenso triebhaften wie leidvollen, stillen wie ausweglosen erotischen Nähe“149. 3.2.e. Puvis de Chavannes, Mozart, Victor Hugo Puvis de Chavannes Das Marmorporträt Puvis de Chavannes in der Fassung von 1911-13 (Kat. 20, Taf. 16) ist Teil einer Reihe non-finiter, von Aristide Rousaud ausgeführter Künstlerporträts aus dem letzten Lebensjahrzehnt Rodins, die allesamt monumentalisierte Marmorneufassungen offizieller und mitunter lange zurückliegender Bildnisaufträge sind. Wie die ebenfalls aus einem Auftrag hervorgegangene Mère et fille mourante wurde Puvis de Chavannes nicht an die Auftraggeber geliefert, sondern blieb im Besitz Rodins. Pierre Puvis de Chavannes (1824–1898), der in Frankreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit großformatigen Freskenzyklen für öffentliche Gebäude wie das Panthéon und das Hôtel de Ville in Paris zu Ansehen gelangt war, galt vielen als bedeutendster und einflussreichster Maler seiner Zeit. Rodin, der mit ihm befreundet war und seine symbolistische, zeitlos schlichte Malerei sehr verehrte, porträtierte ihn mehrmals im Rahmen zweier offizieller Bildnisaufträge.150 Beide verband ihre Ausbildung außerhalb der akademischen Institutionen und die erst spät einsetzende offizielle Anerkennung. 1889 gehörten sie zu den Mitbegründern der Societé Nationale des Beaux-Arts und stellten 1896 gemeinsam in Genf aus. Den ersten Porträtauftrag erhielt Rodin 1890 vom französischen Staat für das Musée de Picardie in Amiens. Er entschied sich für eine antikisierende Darstellung des Malers mit nacktem Oberkörper, stattete das Gipsmodell (Kat. 20.3) jedoch auf Bitten Puvis’ kurz vor der Präsentation im Salon 1891 mit Gehrock, Kragen und Rosette der Légion d’honneur aus. Die in dieser modifizierten Form von Victor Peter ausgeführte Marmorbüste (Kat. 20.4), nach deren Gips auch mehrere Bronzen gegossen wurden, ging 1893 nach Amiens. Nach dem Tod des Malers im Jahr 1898 arbeitete Rodin an Entwürfen für ein Denkmalprojekt, das seine Porträtbüste umgeben von Genien zeigen sollte, jedoch nie realisiert wurde.

148 Schneider 1987, S. 119-120. 149 Ebd., S. 118. 150 Louk Tilanus: „Rodins portret van Puvis de Chavannes“, in: Jong Holland. Tijdschrift voor Kunst en vormgeving na 1850, 9 (1993), Nr. 4, S. 9-14; Aimée Brown Price: „Rodin & Puvis de Chavannes“, in: Symposium Cantor 2002, S. 150-161; Antoinette Le Normand-Romain: „Rodin e Puvis de Chavannes“, in: Da Puvis de Chavannes a Matisse e Picasso. Verso l’Arte Moderna. Ausst.-Kat. Palazzo Grassi, Venedig 2002, S. 167-173.

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Im Februar 1911, dreizehn Jahre nach Puvis’ Tod, erhielt Rodin einen zweiten staatlichen Auftrag für ein Marmorporträt des Malers für das Pantheon, aus dem zwei Fassungen hervorgingen. Obgleich Rodin nahegelegt wurde, lediglich die Büste in Amiens mit geringen Änderungen zu reproduzieren,151 ließ er Rousaud an einem Marmor arbeiten, der nach seiner Fertigstellung 1913 den Kopf des Malers zeigte, der kaum bis zum Kinn aus dem ausladenden felsigen Sockelmassiv herausragt (Kat. 20). Dieses selbst für Rodins Verhältnisse außergewöhnliche und für das Pantheon denkbar ungeeignete Werk lieferte er nicht ab, sondern behielt es für seine eigene Sammlung und entwarf eine weitere Büste (Kat. 20.5).152 Diese ist wie gewünscht konzeptionell an das Porträt von 1893 angelehnt; während der Kopf detailliert ausgeformt ist, ist der Oberkörper allerdings nur roh bossiert. Er zeigt lediglich die grobe Anlage eines Gehrockes, Details der Kleidung wie Kragen oder Rosette sind von der rohen Oberfläche absorbiert. Diese Beschränkung erscheint zunächst als Arbeitsökonomie des inzwischen stark nachgefragten Porträtisten Rodin, dem bis zu 40.000 Francs für eine Büste geboten wurden und der trotz zahlreicher Assistenten die steigende Auftragsmenge kaum noch bewältigen konnte. In Anbetracht der langen Fertigungszeit, die bis September 1917 andauerte, muss das Non-finito hier jedoch als programmatische Aussage gewertet werden. Es ist das erste und einzige Mal, dass Rodin das Stilmittel, für das er mittlerweile berühmt ist, bei einem – seinem letzten – Staatsauftrag einsetzt. Der im Ungenauen belassene Oberkörper schließt beide früheren Varianten mit ein, die offizielle mit Gehrock wie auch die von Rodin favorisierte mit nacktem Oberkörper. Die Büste wurde nach ihrer Fertigstellung auch von den Auftraggebern akzeptiert und befand sich bis 1934 im Pantheon, wurde dann jedoch an das Musée Rodin übergeben, da man ihre provisorische Ästhetik für das Pantheon als unangemessen empfand.153 Anders als bei dieser 1917 fertiggestellten Büste beinhaltet der non-finite Block der Porträtfassung von 1913 keinerlei Angaben zu einer Körperform. Das weich polierte Gesicht taucht aus dem überproportional angewachsenen, breit ausgreifenden Sockelmassiv, das mit einer Breite von 126 cm in keinerlei Verhältnis zu einem vorgestellten Körper steht. Der Block besitzt keine lotrechten Kanten wie etwa jener von La Pensée, sondern ist irregulär geformt und hat zu beiden Seiten des Kopfes einen annähernd horizontalen Abschluss, der rechts ein wenig höher liegt und dort in einer nach vorn zulaufenden Auskragung mündet. Nicht mittig, sondern leicht nach links versetzt, ist der Kopf aus dem Block nur zu etwa zwei Dritteln herausgearbeitet. Der Hinterkopf ist unnatürlich gelängt, Haupthaar und Bart zeigen feine Zahneisenspuren, die in die gröbere Bossierung des Blockes auslaufen. Die Augen sind geschlossen, alle harten Konturen gemildert und die Übergänge 151 Brief von Dujardin-Beaumetz an Rodin, zit. in: Barbier 1987, S. 62. 152 „Rodin […] s’arrêta devant cet état d’exécution qu’il trouvait très expressif et reprit pour le Panthéon une composition plus strictement icônique.“ Notiz von Léonce Bénédite in der handschriftlichen Bestandsakte von 1917; Transkription bei Barbier 1987, S. 255. 153 Barbier 1987, S. 64: „[I]l fut rendu au musée parce qu’on le trouvait gênant pour les cérémonies officielles.“

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verunklärt, so dass das Gesicht wie von einem dünnen Schleier überzogen scheint. Lediglich die weichen Stirnfalten sind entschiedener modelliert. Wie unkonkret und wenig individuell die Gesichtspartie tatsächlich ist, zeigt der Vergleich mit dem Gipsmodell (Kat. 20.3) oder den beiden weiteren Marmorfassungen (Kat. 20.4, 20.5). Diese malerische Weichheit der milchigen, lichtabsorbierenden Oberfläche, die besonders für die späten weiblichen Porträts charakteristisch ist, erreicht Rodin, indem er das Gipsmodell in Gipsmilch taucht.154 Je nach Häufigkeit des Eintauchens ergeben sich verschiedene Grade der Schleierwirkung, die auf die Steinfassung übertragen wird.155 Die Gesichtszüge erscheinen daher auch im Marmorporträt des Puvis de Chavannes nur angedeutet, „gleichsam prämorph […], so als ob sie gerade erst sich aus dem Stein herauszuzeichnen scheinen“156. Die Angaben zur Marmorübertragung sind auch bei dieser Skulptur lückenhaft. Nicole Barbier vermutet, dass Rousaud bereits 1910 von Rodin mit einer Marmorarbeit nach dem Gipsmodell betraut wurde.157 Demnach wäre der Anlass nicht der offizielle Porträtauftrag, der erst im Februar 1911 erfolgte, sondern zunächst eine Eigeninitiative Rodins. Wie bereits Georges Grappe158 geht auch Nicole Barbier davon aus, dass das Porträt in das Denkmalprojekt integriert werden sollte. Aufzeichnungen Rousauds zufolge nimmt er nach einer Unterbrechung die Arbeit an der Büste im September 1911 wieder auf und arbeitet periodisch daran weiter, bis er die Ausführung im Januar 1913 erneut unterbricht. Er ist unzufrieden mit dem Fortschritt der Arbeit, weshalb er in einem Brief an Rodin vom 31. Januar 1913 seinen Unmut über die Schwierigkeit der gestellten Aufgabe ausdrückt und konkrete Anweisungen verlangt: le travail que vous me demandez est au-dessus de mes forces. Je ne le comprends pas, je ne le vois pas… Voudriez-vous dire au porteur de ce mot si je dois continuer le Puvis de Chavannes […].159

Die nachdrückliche Frage Rousauds, ob er die Arbeit fortsetzen soll, legt nahe, dass Rodin selbst unschlüssig war, welche endgültige Gestalt das Bildnis haben sollte. Mitte März 1913 jedenfalls präsentiert er die Skulptur in einer kleinen Ausstellung an der Medizinischen Fakultät, und ab April im Salon der SNBA, wo der Rezensent der Gazette des Beaux-Arts darauf aufmerksam wird. Dieser verteidigt das Porträt in seinem unfertigen Erscheinungsbild, wertet es aber nicht als Werk, sondern 154 Vgl. Bonnet 2004, S. 346. Zur Gipstauchmethode siehe auch Höcherl 2003, S. 60-64. 155 J. A. Schmoll gen. Eisenwerth: „Metamorphose-Motive und physiognomische Doppelgänger im Werk Rodins“, in: Mythen – Symbole – Metamorphosen in der Kunst seit 1800. Festschrift für Christa Lichtenstern zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Helga und J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, Regina Maria Hillert. Berlin 2004, S. 195-210, hier S. 204. 156 Bonnet 2004, S. 344. 157 Barbier 1987, S. 64. 158 Grappe 1944, S. 132: „Elle était évidemment destinée à l’exécution d’un monument bien différent de celui qui, primitivement, pour Rodin, devait commémorer le talent du maître disparu.“ 159 Zit. in: Barbier 1987, S. 64.

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als noch im Entstehungsprozess befindliches Arbeitsstück, das bereits seine Schönheit offenbart, aber der Vollendung harrt. Es demonstriere nur ex negativo, nämlich im Kontrast zur Rohheit des Steins, das perfekte modelé des Kopfes: On l’accuse de n’apporter que des œuvres inachevées, un plâtre sans bras, aux jambes entaillées, une tête de Puvis de Chavannes qui émerge d’un bloc encore fruste. Les raisons qui engagent M. Rodin à exposer des travaux en cours d’exécution, il est inutile de les connaître; nous savons par une simple promenade au Luxembourg que M. Rodin est capable de parfaire une statue. Il importe donc de juger ses envois tels qu’ils sont: on ne peut alors en nier l’excellence. Le buste de Puvis sortant de la pierre brute montre à quelle délicatesse de modelé, à quel art de l’effet atteint M. Rodin […]160

Das Antlitz des Malers scheint sich in dieser Porträtfassung aus dem Ungeformten zu materialisieren. Der Kopf tritt aus dem brachen Werkstoff hervor, der in seiner raumgreifenden Form und schroffen Struktur an Landschaftliches, an Fels oder Gebirge denken lässt. Schmoll gen. Eisenwerth schreibt: „Die Umrisse des Hauptes und das ernste Antlitz tauchen aus einem Felsmassiv wie aus einer Woge auf: die Versteinerung eines menschlichen Kopfes innerhalb einer amorphen Landschaft.“161 Jane R. Becker sieht ein „evolving face that breaks from the block“162, das viel Mühe auf sein „Werden“163 aufzuwenden scheint: „despite this effort to push up and into existence, the head seems lost in a trance of spiritual meditation“.164 Stärker noch als bei La Pensée liegt der Akzent auf den fließenden Übergängen, den (noch) nicht vollständig konkretisierten Gesichtszügen und damit auf dem Prozessualen dieses In-Erscheinung-Tretens. Das Gesicht wirkt wie eine Vision, als würde es aus der Zeit auftauchen. Schmoll gen. Eisenwerth deutet diese Art der Darstellung selbst als künstlerischen Akt, bei dem Rodin das Bild seines Künstlerfreundes evoziert, indem er dessen eigene schöpferische Methode nachempfindet: Aus dem Gestaltlosen erhebt sich langsam werdend die Gestalt. Sie wird Form durch den schöpferischen Akt des Künstlers, aber auch durch die Selbstgestaltung der Persönlichkeit, die der Bildhauer nachvollzieht und symbolisiert.165

Der Künstler selbst ist einem ebensolchen Moment der Konzentration dargestellt. Seine Stirn ist aufgeworfen und die Augen geschlossen, der Blick richtet sich, wie schon Léonce Bénédite beschrieben hat, nach innen: „Les traits sont très envelop-

160 Louis Hautecœur: „Les Salons de 1913“, in: Gazette des Beaux-Arts, 55, Juli 1913, S. 34. 161 Schmoll gen. Eisenwerth 1954/1983, S. 116; s.a. Schmoll gen. Eisenwerth 2004, S. 205. 162 Jane R. Becker: ‚Only One Art’. The Interaction of Painting and Sculpture in the Work of Medardo Rosso, Auguste Rodin, and Eugène Carrière, 1884-1906. Diss., New York University 1998, S. 89. 163 Ebd., S. 90 („seems to strain with effort to become“). 164 Ebd., S. 90. 165 J. A. Schmoll gen. Eisenwerth: „Der alte Pan – Zum Spätwerk Rodins“, in: Beiträge für Hans Gerhard Evers anläßlich seiner Emeritierung. Darmstadt 1968, S. 10-35. Wiederabdruck in: Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 69-84, hier S. 77.

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pés, le regard comme replié sur la vision intérieure du rêve.“166 Dieser introspektive, abwesende Ausdruck der geschlossenen Augen ist charakteristisch für viele der späten, auch männlichen Marmorporträts wie Clemenceau (1911-12, Abb.  28), John Wesley de Kay (1914, Abb. 14) und insbesondere für Lady Warwick (1909, Kat. 17.a), die überhaupt keine Augen zu haben und vollkommen in sich selbst versunken scheint. Von den non-finiten Porträts Rodins ist Puvis de Chavannes das Bildnis, welches am tiefsten im Stein eingeschlossen bleibt. Die heroische Darstellung des aus dem brachen Material auftauchenden Kopfes kommt einer Apotheose gleich,167 in der Schmoll gen. Eisenwerth den Geniekult und die idealisierten Künstlerporträts des 19. Jahrhunderts nachklingen sieht.168 Tatsächlich ist Rodins Verehrung seines Freundes, die er in Gesprächen immer wieder betont hat,169 nicht hoch genug einzuschätzen. Losgelöst von den offiziellen Aufträgen ist das Bildnis eine sehr subjektive und persönliche Gedächtnisarbeit zu Ehren des Freundes. Mozart (Portrait de Gustave Mahler) und Victor Hugo Mit dem Marmorporträt Puvis de Chavannes von 1911-13 entwickelte Rodin in seinen letzten Lebensjahren einen eigenen Typus des non-finiten Künstlerporträts, den er in variierenden Ausformungen auch Gustav Mahler und Victor Hugo widmete. Zu Beginn des Jahres 1911 unterbricht Rousaud die Arbeit an Puvis de Chavannes, um das Porträt von Gustav Mahler in Marmor zu übertragen, wenige Monate vor dessen plötzlichem Tod im Mai 1911. Rodin hatte den Komponisten und langjährigen Direktor und Chefdirigenten der Wiener Hofoper zwei Jahre zuvor porträtiert. Aus diesen Sitzungen waren zwei Serien von Terrakotta- und Gipsstudien unterschiedlichen Charakters (sog. Typ A und Typ B) hervorgegangen.170 Der Marmorausführung (Kat. 19) liegt der weniger expressive, strengere Typ B (Kat. 166 Transkription bei Barbier 1987, S. 255. Vgl. Schmoll gen. Eisenwerth 1954/1983, S. 117: „Aus dem Ungestalteten taucht das Haupt eines Sehers, des Augenmenschen Puvis, der eine aus seinem Inneren sich formende Gestaltordnung schaut. Die Vision Rodins verewigt im Stein, was wieder in die Dunkelheit zurückzutauchen droht.“ 167 Elsen 1963, S. 123: „Rodin apotheosized his subject by showing a disembodied head, floating as if in mists.“ 168 Schmoll gen. Eisenwerth 1968/1983, S. 77. 169 „[…] l’artiste que j’admirais le plus et un homme d’une telle parfaite distinction. On ne lui a pas encore rendu tout l’hommage auquel il a droit, avant tous les autres peintres de son temps.“ Rodin über Puvis de Chavannes, zit. in: Coquiot 1917, S. 113. 170 Der Porträtauftrag wurde initiiert von dem Maler Carl Moll, Stiefvater von Alma Mahler, und der Wiener Kunstkritikerin Berta Zuckerkandl und an Rodin vermittelt durch deren Schwager Paul Clemenceau, den Bruder von Georges Clemenceau. Zu den Umständen des Auftrags und den verschiedenen Fassungen siehe Danièle Gutmann: „La conjonction Mahler – Rodin“, in: Gustave Mahler, un homme, une œuvre, une époque. Ausst. Kat. Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris 1985, S. 141-159; deutsch: „Die Geschichte eines Auftrages. Die Porträtbüsten Gustav Mahlers von Auguste Rodin“, in: Belvedere, 1 (1995), 2, S. 2439; ferner Schmoll gen. Eisenwerth 2004, S. 201ff.

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19.4) zugrunde. Ähnlich wie bei Puvis de Chavannes ruht der Kopf leicht nach links versetzt auf einem überproportional breiten, unruhig aufgeworfenen Sockelmassiv, ist aber sehr viel weiter, bis unterhalb des Kehlkopfes aus diesem herausgelöst, während Nacken und Haar in den Stein übergehen. Die linke und die hintere Kante des Blockes sind glatt beschnitten, auf der Vorderseite sind zwei Punktiermarken stehengelassen. Rodin präsentierte das Porträt im April 1911 im Salon der Société Nationale des Beaux-Arts, wo er es als Buste du XVIIIe siècle, wenig später schließlich als Mozart bezeichnet. Diese Titeländerungen demonstrieren abermals Rodins freies Spiel mit Signifikationen. Wie Puvis de Chavannes zeigt dieser Marmor keine exakte Nachformung, sondern eine verschleierte, evokative Nachempfindung der Gesichtszüge. Für Rodin scheint die individuelle Physiognomie einer Person demnach frei übertragbar zu sein, so dass er im Bildnis Mahlers, für das zudem Rodins Privatsekretär Mario Meunier nachträglich Modell saß, das eines anderen großen Komponisten sehen konnte, mit dem Mahler die Nationalität verbunden und dessen Werke er verehrt und oft dirigiert hatte.171 Alma Mahler-Werfel berichtet in ihren Erinnerungen sogar, Rodin habe ihr erklärt, Mahlers Kopf erscheine ihm als „eine Mischung von Franklin, Friedrich dem Grossen und Mozart“172. Die Umwidmung markiert eine Übertragung vom Spezifischen ins Allgemeine, Idealisierte.173 Die Marmorfassung ist kein individuelles Porträt mehr, sondern wird für Rodin zu einem Idealtypus des Musikers oder, so Nicole Barbier, zu einer „symbolisation de l’homme du siècle des lumières“174. Wie bei Puvis de Chavannes scheint dieser Kopf sich aus dem Stein heraus zu manifestieren bzw. in diesen zurückzusinken, so dass er von einzelnen Kritikern auch als „Sterbender Mozart“ („Mozart mourant“175) bezeichnet wurde. Obwohl durch Carl Moll vermittelte Angebote für eine Ausstellung der Marmorbüste in Wien und sogar für einen Ankauf vorlagen,176 scheint Rodin daran nicht interessiert gewesen zu sein. Mozart (Portrait de Gustave Mahler) blieb in seinem Besitz und wurde 1916 Teil seiner Schenkung an den französischen Staat. 171 Als eine Abbildung der Skulptur zur Illustration der 1913 im Insel-Verlag neu edierten Rodin-Monographie von Rainer Maria Rilke verwendet wird, folgt man Rodins eigenwilliger Neuinterpretation nicht, der Marmor wird hier bezeichnet als Gustav Mahler (Rainer Maria Rilke: Auguste Rodin. Zwei Teile. Leipzig 1913, Abb. 56). 172 Alma Mahler: Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe. Amsterdam 1940, S.183-184. 173 Bonnet 2004, S. 344. 174 Barbier 1987, S. 66. 175 L’Art et les Artistes 1914, S. 35: „Mais le sommet le plus haut de la pensée et de l’art de Rodin, me paraît atteint dans ce masque de Mozart mourant, devant lequel tout artiste devrait chaque jour faire sa prière.“  Ebenso Eugène Lintilhac: „Le Musée Rodin“, in: La Grande Revue, Nov. 1916, S. 5: „Devant la tête du Mozart mourant, il se récriera que voilà peut-être le dernier effort de l’art dont il vient d’avoir, comme l’artiste ou amateur, le suggestif et passionant spectacle.“ 176 Brief vom 13.9.1911 und Telegramm vom 25.1.1912 von Carl Moll an Rodin, beide Archiv Musée Rodin, zit. in: Gutmann 1995, S. 37. Vgl. Paul Clémenceau: „Gustav Mahler und Rodin“, in: Die Kunstauktion, 4 (1930), Nr. 28, S. 9.

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Auf Mahler/Mozart und Puvis de Chavannes folgen 1914 und 1917 schließlich die zwei überlebensgroßen, wiederum von Rousaud gearbeiteten non-finiten Marmorneufassungen der Büste von Victor Hugo (Kat. 22; vgl. Kap. 2.2.f ). Ihnen liegt die Porträtstudie von 1883 (Kat. 22.3) zugrunde, die zuvor schon Ausgangspunkt für zahlreiche Bronze- und Marmorvarianten gewesen war.177 Die erste Marmorfassung folgt zudem der 1896 aus der monumentalen Figur des HugoDenkmals beschnittenen sog. Buste héroïque (Kat. 22.4), bei welcher das Haupt des Dichters seitwärts nach vorn geneigt ist. Folgt man einer Darstellung des Kritikers Yvanhoé Rambosson in der Zeitschrift La Plume, so hatte schon eine der früheren Marmorbüsten in den 1890er Jahren während ihrer Bearbeitung die Idee angeregt, ihren ausdrucksstarken unvollendeten Zustand zu bewahren: J’ai souvenir du Victor Hugo en marbre ébauché dans l’atelier du maître. Il était ainsi, à peine entamé par la pratique, si terriblement évocateur et jupitérien que j’exprimai le vœu de le voir rester dans cet état. C’eût été aussi le désir de Rodin si tant de circonstances n’entravaient la volonté des artistes.178

Das erste der beiden non-finiten Porträts (Kat. 22.a), das 1913 von dem Unternehmer Raphael Weill als öffentliches Denkmal für seine Heimatstadt San Francisco in Auftrag gegeben und 1920 dort angeliefert wurde, befindet sich heute in der Legion of Honor des Fine Arts Museum of San Francisco, wo es nach der Renovierung seit 1995 wieder ausgestellt ist.179 1917, während dieser Marmor offenbar noch von Rousaud bearbeitet wurde, betraute Rodin ihn mit einer weiteren, für seine donation bestimmten non-finiten Fassung (Kat. 22.b), deren Marmor leicht rosa schimmert und die 1918 fertiggestellt wurde. Die beiden Fassungen unterscheiden sich grundlegend. Während der Rohblock der in Paris verbliebenen Büste zumindest annähernd einen Oberkörper mit Schulterabschluss nachempfindet, greift der Block der ersten Fassung seitlich des Kopfes weit in die Höhe und nach vorne in den umgebenden Raum aus. Darin ähnelt er dem zweiten Marmorporträt der Lady Sackville-West (Kat. 21.b), denn auch dort ist der Kopf nicht frei, sondern der Block wächst hinter ihm nach oben und über ihn hinaus. Bei Victor Hugo liegt im konkaven Halbrund des rohen Steins auch ein Nachklang der an den Kopf geleg-

177 Zusätzlich zu den beiden Spätfassungen existieren mindestens fünf frühe Marmorfassungen mit unterschiedlicher Sockelgestaltung (1883, Puschkin-Museum, Moskau; 1887, Maison de Victor Hugo, Paris; vor 1900, Fogg Art Museum, Cambridge, Mass.; vor 1905, Fondation Calouste Gulbenkian, Lissabon; n. dat., Paris, Musée Rodin, Inv. S. 464). 178 Rambosson 1900, S. 423 („Ich erinnere mich an die Rohfassung eines Marmorporträts von Victor Hugo im Atelier des Meisters. Kaum angerührt vom praticien, erschien diese so außerordentlich beschwörend und gebieterisch, dass ich den Vorschlag äußerte, sie in diesem Zustand zu belassen. Das war auch der Wunsch Rodins, doch die äußeren Umstände wirken dem Willen der Künstler oft entgegen.“) 179 Auskunft von Maria L. Santangelo, Kuratorin am Fine Arts Museum of San Francisco, Legion of Honor. Victor Hugo wurde in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach als Leihgabe angefragt, aus konservatorischen Gründen aber nie ausgeliehen.

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Abb. 16: Auguste Rodin: Gueorguy Gabritchevski, 1907-09, Moskau, Puschkin-Museum

ten rechten Hand des Dichters im Monument à Victor Hugo.180 Während die rechte Seite des Blocks vor allem von Bruchkanten bestimmt ist, wurde der linke, weit größere Teil mit Spitz- und Zahneisen bearbeitet, deren Spuren in die polierte Haut des Gesichtes und des nackten, durch Brustbein und linke Schulter angedeuteten Oberkörpers auslaufen und auch auf Hals und Stirn übergreifen. Der Kopf ist leicht nach vorn und zur Seite geneigt, nur dessen vordere und linke Seite sind ausgearbeitet. Seine rechte Hälfte ist wie der Oberkörper mit dem Rohblock verschmolzen, der insgesamt ungleich größer ist als der Block der zweiten Fassung, bei dem der Porträtkopf bis zum Halsansatz vollständig gebildet ist. All diese späten Marmorporträts sind Verneigungen Rodins vor ihm nahestehenden Charakteren aus der bildenden Kunst, Musik und Literatur  – ein, so Schmoll gen. Eisenwerth, „Vermächtnis des Künstlers an die Künste“181. Allen gemeinsam ist, dass ihr Ausdruck erheblich von dem der stärker akzentuierten Bronzefassung(en) abweicht, da die Gesichtszüge kaum definiert sind und in einem Sfumato verdämmern, was den Eindruck von Kontemplation und Entrückung verstärkt. Dem rohen Stein steht ein scheinbar vom Zerfließen bedrohtes, nur momentan ‚erstarrtes‘ Bild gegenüber. Die Porträtähnlichkeit bleibt stets erkennbar, das momentgebundene Erscheinungsbild wird jedoch überblendet von einem zeitlosen bzw. überzeitlichen Ideal. Flankiert werden diese Künstlerporträts von einer Reihe männlicher Marmorköpfe, die sich in ebenso wirkungsvollem Kontrast aus dem Rohblock erheben und allesamt von Rousaud ausgeführt wurden: Das Porträt des französischen Premierministers Georges Clemenceau von 1911-12 (Abb. 28), 180 Für diesen Hinweis danke ich François Blanchetière, Musée Rodin. 181 Schmoll gen. Eisenwerth 1968/1983, S. 77.

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zwei Bildnisfassungen des amerikanischen Eisenbahnunternehmers Edward-Henri Harriman (1913) und das 1914 begonnene, unvollendete Porträt des amerikanischen Hasardeurs John Wesley de Kay (Abb. 14), der Rodin zur Personifikation Dantes wurde. Aus dieser Reihe fällt deutlich das postume Marmorbildnis des russischen Bakteriologen Gueorguii Norbertovitch Gabritchevski (Abb. 16)182 heraus, das bereits 1909 von einem anderen praticien, nämlich Charles Despiau gearbeitet wurde und damit das früheste der männlichen Non-finito-Porträts ist. In seiner Anlage ähnelt es La Pensée, denn auch hier sitzt der Kopf auf einem überproportional großen, annähernd hochrechteckigen Block, der den Oberkörper der Person einzufassen scheint, bei Gabritchevski allerdings amorpher und stärker von Zufälligkeiten bestimmt ist als der vergleichsweise glatt beschnittene Block von La Pensée. 3.2.f. Zusammenfassung der Werkanalysen Zunächst hat der bossierte Stein, wie gezeigt wurde, lediglich eine Sockel- bzw. Kontextfunktion. Während der Rohblock bei La Pensée und La Main de Dieu noch sockelartig aufgefasst werden kann, ist er in Le Sommeil und in den Porträts bereits Teil der Figur. Ab den 1890er Jahren wächst der bossierte Part der Skulpturen allmählich an, das Mengenverhältnis zwischen artikulierten und unbestimmten Partien ändert sich, und der Rohblock ist deutlich größer, als für die Darstellung nötig wäre. La Convalescente und Puvis de Chavannes tauchen aus ihrem unverhältnismäßig großen Block nur noch reliefartig heraus. Mère et fille mourante schließlich ist völlig versteinert, die Figuren bleiben nahezu komplett in der Bosse eingeschlossen, lediglich Gesichter und Hände sind formuliert. Hier wird fast nichts mehr ‚gesagt‘, abgebildet. In der Mehrzahl der untersuchten Werke repräsentiert der rohe Stein eine abzw. prämorphe Materie, aus der die organische Form hervorgeht. In der Main de Dieu ist es der undifferenzierte Rohstoff des Schöpfer-Bildhauers, der das Potential zu mannigfaltiger Entwicklung in sich trägt, analog zu Pygmalion et Galatée, wo diese Materie vom Künstler zum Leben erweckt wird. Die ungestaltete Oberfläche symbolisiert zugleich einen Bereich der Abwesenheit und Negation183 (Orphée et 182 La sculpture dans l’espace. Rodin, Brancusi, Giacometti. Ausst.-Kat. Musée Rodin, Paris 2005, S. 68; Katalog Malerei, Skulptur, Miniaturen. Staatliches Puschkin-Museum Moskau 1986, S. 212. 183 Vgl. Rosenfeld 1993, S. 22 („transition from nothingness to being“). Wie bereits erwähnt, wirkten die non-finiten Werke Rodins, ihre Symbolik und ihre Interpretationen, im 20. Jahrhundert zurück auf die Michelangelo-Rezeption. In einer von Werner Körte (ohne Quellenangabe) referierten Deutung der Pietà Rondanini vom Beginn des 20. Jahrhunderts ist der rohe Stein als Repräsentant für Immaterielles, für Tod und Jenseits vorgestellt: „Mutter und Sohn ‚scheinen zwischen Leben und Tod zu schweben‘, ihre Erscheinung wird leicht und durchsichtig, und die nur roh behauene Form […] wurde als das bewußte Mittel einer reinen, auf das Jenseitige gerichteten Ausdruckskunst begriffen.“ Körte 1955, S. 295.

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Eurydice) oder Nicht-Bewusstheit (Le Sommeil), in den die Figur zurücksinkt (Mère et fille mourante) oder sich herausformt (La Convalescente). In La Pensée und L’homme et sa pensée materialisiert sich aus dem Rohblock heraus eine geistige Vorstellung als manifeste Gestalt. Rodin gelangt damit zu einem Bild des schöpferischen Prozesses selbst, des visionären, scheinbar flüchtigen ‚Aufscheinens‘ einer individuellen Form aus dem Unstrukturierten und Amorphen, das seinen Höhepunkt in den späten Künstlerporträts findet. Der Prozess des ‚Hervorgehens‘ aus der bzw. ‚Zurücksinkens‘ in die Materie wurde erstmals von J. A. Schmoll gen. Eisenwerth als Übergang in eine außerhalb des plastisch Abbildbaren liegende Zone gedeutet, weil das „selektive Sehen“184 Rodins nur ausgewählte Partien der Figur aus dem Ungeformten herauslöst und die Rand- und Grenzzonen unvollendet lässt: „Aus dieser Sicht entsteht seine Form der Fragmentisierung: von ihr wird erfaßt, was ins Unbedeutende und Ungeordnete, ins Unsichtbare und in den Urschoß der Materie zurücksinkt.“185 Im Kontrast und in der Durchdringung der realen und irrealen Elemente sieht Schmoll gen. Eisenwerth den besonderen symbolistischen Gehalt: Rodin lasse „vom Urstoff, vom Urdunkel, vom Bereich des Ungeformten, von Chaos, materia prima und Nachtraum nur bossiert, was diesen Bereichen im Werk zugehört. Das Amorphe und das Atmosphärische sind bei ihm neue gegenständliche Motive. Nur soweit die Figuren daraus hervortauchen, werden sie auch durchgeformt. Seine dynamische und das Transitorische bevorzugende Bildphantasie läßt die Gestalten vielfach im Übergang vom Ungeformten zum Geformten, von klar begreifbarer Existenz zu nicht mehr fassbarem Verdämmern erscheinen.“186 Es ist ein Vorführen von Seins-Zuständen, von Präsenz, Absenz und Werden. Rodin sah am Ende seines Lebens eine große Zahl seiner non-finiten Marmore für seine Stiftung an den französischen Staat, also als maßgeblichen Bestandteil seines künstlerischen Vermächtnisses vor. Mit wenigen Ausnahmen (etwa La Douleur, Pygmalion et Galatée oder die unmittelbar nach Fertigstellung verkaufte Gruppe Orphée et Eurydice) bewahrte er von den hier untersuchten Werken jeweils ein Exemplar für sich selbst. So konnte er sich trotz mehrerer Angebote aus Wien nicht dazu entschließen, das Marmorporträt Gustav Mahlers (Mozart) zu verkaufen, sondern behielt es für sein zukünftiges Museum zurück. Mère et fille mourante und Puvis de Chavannes behielt er sogar von vornherein seiner eigenen Sammlung vor und lieferte den Auftraggebern alternative Fassungen mit höherem Vollendungsgrad. Zahlreiche non-finite Varianten älterer Werke (darunter Victor Hugo, Mahler/ Mozart, Clemenceau, Fugit Amor) entstanden ohne Auftrag und gingen in seine Stiftung ein, befinden sich heute also allesamt im Musée Rodin. Wie auch andere Werke ließ Rodin La Main de Dieu und Fugit Amor zudem 1916 eigens für die Stiftung noch einmal neu fertigen. Einige der untersuchten Werke sind Einzelstücke, so Orphée et Eurydice, L’Homme et sa pensée, Paolo et Francesca, Adam et Eve, La 184 Schmoll gen. Eisenwerth 1954/1983, S. 139. 185 Ebd. 186 Schmoll gen. Eisenwerth 1959/1983, S. 159-160.

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Convalescente, Mère et fille mourante, Puvis de Chavannes und Mozart. In allen übrigen Fällen entstanden je nach Auftragslage zwei bis drei Marmorfassungen; La Main de Dieu und Tête de la Douleur existieren in vier, Fugit Amor in fünf Varianten. 3.2.g. Gipsabgüsse (surmoulages) und Bronzeabgüsse Alle Marmorwerke, die er verkaufte, ließ Rodin in Gips abgießen, um sie für eventuelle Neufassungen und Umarbeitungen zu konservieren. Lediglich die frühe Gruppe Orphée et Eurydice, die direkt nach ihrer Fertigstellung Anfang 1894 in die USA verkauft wurde, existiert nicht als Gipsabguss und war in Europa jahrzehntelang nur in Fotografien bekannt. Es existieren ebenfalls keine Gipsabgüsse (surmoulages) jener Stücke, die Rodins Atelier nie verließen und in seinem Besitz blieben, so wie Le Sommeil, La Convalescente, Paolo et Francesca oder die späten Künstlerbildnisse. Die Gipsabgüsse ließ Rodin in der Regel von der ersten Marmorfassung abnehmen, so bei La Pensée, La Terre et la Lune, Main de Dieu, Pygmalion et Galatée. In Ausnahmefällen wurde auch der zweite Marmor verwendet, etwa bei Tête de la Douleur. Hier liegt die zweite Marmorfassung (heute Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen) dem Gips zugrunde, obwohl die erste, deutlich abweichende Fassung Le Dernier Soupir mutmaßlich 1902 fertiggestellt wurde, aber erst 1904 nach Düsseldorf zur Internationalen Kunstausstellung ging, wo sie von einer Mäzenatin für das Städtische Museum (heute Stiftung museum kunst palast Düsseldorf ) erworben wurde. Denkbar ist, dass es auch Gipsabgüsse dieser ersten Fassung gab, die jedoch nicht erhalten bzw. nicht dokumentiert sind. Einzelne non-finite Marmore, etwa Fugit Amor, Pygmalion et Galatée, La Pensée, La Main de Dieu und Jeanne d’Arc wurden auch, auf Grundlage dieser Gipsabgüsse, als Bronzefassungen reproduziert. Diese sind nicht zu verwechseln mit den deutlich zahlreicheren Bronzen nach dem ursprünglichen Gipsmodell, das auch dem Marmor zugrundelag. Auffällig ist, dass bei einigen dieser Bronzen, etwa Fugit Amor, La Pensée und La Main de Dieu die non-finite Basis deutlich beschnitten wurde (was sie wiederum den Bronzen nach dem ursprünglichen Gipsmodell annähert). Es ist eine veränderte Reproduktion unter neuen Bedingungen, die Überlegungen der Materialanpassung und -angemessenheit folgt. Diese Mehrfachübersetzung vom Gipsmodell in Marmor und von diesem über den Gipsabguss in Bronze, zeigt einmal mehr Rodins zwangloses, von Hierarchien unbelastetes Crossover zwischen Themen und Materialien.

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3.3. Sukzessive Fassungen 3.3.a. Auflösung von Ikonographie: Tête de la Douleur Das Anwachsen des Rohblocks geht, wie die Varianten des Porträts von Puvis de Chavannes zeigen, einher mit der zunehmenden Auflösung einer traditionellen Ikonographie. Narrative Elemente, die die Figur begleiten, werden getilgt bzw. verschwinden unter der non-finiten Oberfläche. Paradigmatisch zeigen das neben Puvis de Chavannes die drei Marmorfassungen des androgynen Tête de la Douleur (Kat. 10), dessen Ausdruck zwischen stummer Agonie und schlafwandlerischer Hingabe changiert, und den Rodin etwa 1882 für die Gruppe Ugolin et ses fils entwickelte. Er verwendete ihn auch für Paolo et Francesca und L’Enfant prodigue bzw. Fugit Amor, bevor er vergrößert in Gips und Bronze zu einem eigenständigen Werk wurde und zuletzt in vermutlich vier Marmorfassungen weitere Titel- und Bedeutungsvarianten durchlief. In der ersten der drei heute lokalisierbaren Fassungen, Dernier Soupir von 1902 (Düsseldorf, Stiftung museum kunst palast; Kat. 10.a), die ursprünglich den Titel Tête d’Orphée trug, ist das von Haar- und Halsansatz gerahmte Gesicht mit geschlossenen Augen und geöffnetem Mund reliefartig hinterfangen von einem wolkigen, non-finiten Steinfond. Links oberhalb des Kopfes geht die Bosse in eine feine Linienstruktur über, die einen Schildkrötenpanzer beschreibt – als Attribut des Orpheus ein Echo des ursprünglich mythologischen Sujets. In der Jeanne d’Arc genannten Fassung (Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen; Kat. 10.b, Taf. 7), die Rodin erstmals 1905 beim Salon d’Automne präsentierte, richtet sich der nun weiblich konnotierte Kopf aus dem deutlich angewachsenen, nun eher als Sockelmassiv aufgefassten Steinblock heraus auf. Auf Höhe der rechten Schulter formt sich aus der rohen Bosse ein gegenständliches, kaum spezifiziertes Element von konischer Form, in dem man – als Verweis auf den Märtyrertod der französischen Nationalheldin auf dem Scheiterhaufen – ein Reisigbündel zu erkennen glaubte.187 In der spätesten der drei lokalisierbaren Fassungen, La Douleur – Souvenir à Eleonora Duse von 1908-1909 in der Kunsthalle Bielefeld (Kat. 10.c), sind schließlich derartige narrative Elemente in der nun gröberen Bossierung des Felssockels aufgegangen, der seinerseits erneut um etwa ein Viertel angewachsen ist. Der Titel weist die Skulptur – es ist noch immer der Tête de la Douleur, kein Porträt – nun als Hommage an die von Rodin verehrte italienische Schauspielerin Eleonora Duse aus, die für ihn 1905 in Paris Verse aus Dantes Divina Commedia rezitiert hatte. Die Abfolge dieser drei Marmorfassungen zeigt nicht nur, wie sich mittels Titeln und Attributen inhaltliche Spezifizierungen des hochexpressiven Kopfes wandeln und beweglich bleiben,188 sondern auch, wie von 187 Anne-Birgitte Fonsmark: „Auguste Rodin“, in: Manet, Gauguin, Rodin. Chefs-d’œvre de la Ny Carlsberg Glyptotek de Copenhague. Ausst.-Kat. Musée d’Orsay, Paris 1995, S. 210. 188 Der Käufer der dritten Marmorfassung, der Textilunternehmer Hans Vogel aus Chemnitz, erkundigte sich 1911 bei Rodin nach dem Titel seiner Skulptur, da zuvor verschiedene Varianten im Gespräch waren: „Voudriez-vous bien avoir l’obligeance de m’écrire quelques de-

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einer Fassung zur nächsten eine kontextualisierende Ikonographie und Narration reduziert wird, während der non-finite, nicht abbildende Teil anwächst. 3.3.b. Anwachsen des Rohblocks: Fugit Amor Nach 1900 sinken die Figuren tiefer in den Stein, Leerräume werden gefüllt, die Gesamtform wird kompakter. Exemplarisch für diese Entwicklung, die sich bereits an den beiden Fassungen von L’Adieu und La Convalescente ablesen ließ, ist das Porträt der Madame Fenaille (Kat. 16, Taf. 14), das zwischen 1900 und 1913 in zwei Varianten mit jeweils zwei non-finiten Fassungen entstand, wobei der Kopf zunehmend in der blockhaften, roh bossierten Basis versinkt, während alle porträtspezifischen Details wie Physiognomie und Haartracht nach und nach in der non-finiten Oberfläche verdämmern. Ähnlich stark ist auch die Differenz zwischen den zwei dicht aufeinander folgenden Fassungen des Porträts der Lady SackvilleWest. Dessen erste, im Musée Rodin befindliche Variante von 1914-1916 (Kat. 21.a) zeigt den träumerisch schrägliegenden Kopf auf einer pyramidalen, grob gespitzten und gezahnten Basis, die einen in Pelze gehüllten Oberkörper darstellt. Jegliche beschreibende Details haben sich in der zweiten, 1917 von Rousaud fertiggestellten Version189 (Kat. 21.b) in einem weit ausgreifenden, unförmigen Block verloren, aus dem lediglich Gesicht, Ohren und Halsansatz gestaltet sind. Wie allmählich ein immer größerer Teil des Rohblockes stehen bleibt und das technisch aufwendige Aushöhlen und Unterschneiden kaum noch notwendig ist, lässt sich auch sehr anschaulich an der Abfolge der fünf sukzessiven Marmorfassungen von Fugit Amor (Kat. 2) ablesen. In diesem Gleichnis flüchtiger Leidenschaft ist die Entfremdung der Liebenden, ihre gleichzeitige Anziehung und Abstoßung in den verschiedenen Fassungen unterschiedlich akzentuiert. Als eine der Paargruptails sur le marbre, c.a.d. les noms que vous l’avez donné. Madame la Duchesse en parla de deux; j’accepterai votre choix de nom naturellement, mais pour moi ce ‚la douleur‘ dont je n’ai jamais vue une expression si parfaite, une souffrance extreme.“ (Brief von Hans Vogel an Rodin, 7.3.1911, Archiv Musée Rodin, Dossier Douleur). Von den sprunghaften Titelund Deutungsmodifikationen dieses Werkes berichtet auch Rodins Sekretär René Chéruy: „Some time later Montesquiou came to the Meudon studio, and noticing in a corner the plaster of the head of Dying Orpheus, said: ‚It reminds me of la Duse.‘ Immediately Rodin took a pencil and scribbled ‚Duse‘ (as I saw much later). A few days after Montesquiou’s visit came the director of the Dresden Albertinum, to whom Rodin wanted to show a photograph, so he asked me: ‚Get me a portrait of la Duse.‘ The sculptor read my astonishment on my face, for I knew all the photos of his collections. Followed a short embarrassed silence, and then he said: ‚You know … the head of Orpheus!‘ The same head transposed in marble with the suggestion of flames had previously become Joan of Arc.“ London, Tate Gallery Archives, Catalogue Information, Chéruy Papers; zit. in: Grunfeld 1987, S. 537-538. 189 71 x 114 x 63 cm. Diese zweite Fassung, die 1936 nach dem Tod von Lady Sackville in den Handel gelangte (Benedict Nicolson: „Rodin and Lady Sackville“, in: The Burlington Magazine, 112 (1970), Nr. 802, S. 37-43, hier S. 43), wurde am 1. Juli 1981 bei Sotheby’s London verkauft.

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NON-FINITO BEI RODIN. WERKANALYSEN

pen aus der Porte de l’Enfer, die Rodin als Freiplastiken weiterentwickelte, existiert Fugit Amor in fünf Marmorversionen, die in einem Zeitraum von mehr als 20 Jahren, vor 1891 bis 1916, entstanden sind. Innerhalb dieser Abfolge verschmelzen die Rücken an Rücken liegenden Figuren zunehmend mit ihrem non-finiten Sockelblock, der seinerseits immer größeren Raum einnimmt. Im ersten, vor 1891190 entstandenen Marmor (Musée Rodin, Kat. 2.a, Taf. 2) liegen die ausgestreckten Körper noch mit wenigen Berührungspunkten auf dem vergleichsweise glatten Sockelblock auf, der in der mutmaßlich zweiten191 Marmorfassung (vor 1895, Shizuoka, Prefectural Museum of Art; Kat. 2.b) schon ausladender und gröber bearbeitet ist. Auf die Draperie, die im ersten Marmor noch das Geschlecht das Mannes verdeckte, verzichtete Rodin in allen folgenden Fassungen. Ungewöhnlich ist der vierte Marmor (Kat. 2.d),192 den Rodin ca. 1906-1908 für den irischen Maler Sir John Lavery anfertigen ließ, da er nicht nur deutlich kleiner als die übrigen Fassungen ist, sondern auch, weil hier der Sockelblock schräg auf einen rechteckigen, kannelierten Marmorsockel platziert ist, was der Anlage der meisten Bronzefassungen von Fugit Amor entspricht, die ebenfalls auf runde, rechteckige oder würfelför190 Wie Daniel Rosenfeld (Rosenfeld 1993, S. 447-448) nachgewiesen hat, beschreibt der Romancier Paul Bourget ein Exemplar dieser Skulptur in seiner 1891 publizierten Physiologie de l’Amour Moderne. Er nennt keinen Titel des Werks, doch die geschilderten Details lassen kaum Zweifel, dass es sich um eine frühe (die erste?) Marmorfassung von Fugit Amor handelt: „J’ai, dans ma chambre de la rue de Varenne […] un groupe de statuaire Rodin, – fragment détaché de sa Porte de l’Enfer, que je ne regarde jamais sans une infinie mélancolie. C’est tout le symbole, ce morceau de marbre, des luttes terribles dont s’accompagnent les fins d’amour… La femme est nue. Couchée sur le ventre, elle se cambre en un suprême effort qu’attestent sa bouche serrée, ses jambes tendues, ses mains crispées dans sa chevelure. Quel effort? Celui de s’arracher à l’étreinte de l’homme qui, nu lui-même, se trouve couché sur ce dos de femme comme sur une claie, épaules contre épaules, reins contre reins. Et lui aussi voudrait arracher sa chair à cette chair, mais il est le prisonnier de ces beaux seins que ses doigts affolés serrent d’une prise farouche.“ Physiologie de l’Amour Moderne. Fragments posthumes d’un ouvrage de Claude Larcher. Recueillis et publiés par Paul Bourget. Paris 1891, S. 273-274. Demnach muss die erste Marmorfassung bereits vor 1891 (und nicht, wie bisher angenommen 1892-94) entstanden sein. 191 Anhand der bekannten Dokumente und Archivalien kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden, welche dieser beiden Fassungen die frühere ist. Der Umstand, dass von dem heute in Shizuoka befindlichen Exemplar (Kat. 2.b) die Abgüsse genommen wurden und Rodin dieses häufig fotografieren ließ, spricht zunächst dafür, dass dies der erste Marmor war, doch kann eine frühere Fassung das Atelier auch sehr schnell verlassen haben. Stilistisch erscheint das Exemplar des Musée Rodin (Kat. 2.a) eindeutig früher, und auch die in allen weiteren Fassungen nicht vorhandene Draperie lässt vermuten, dass dieser Marmor den anderen vorausging. Daniel Rosenfeld hingegen glaubt, der Marmor in Shizuoka sei der erste, während er die Fassung aus der Sammlung Peytel auf nach 1900 datiert (Rosenfeld 1993, S. 451-452). 192 Die Authentizität dieser Fassung, die seit den 1980er Jahren mehrfach im Kunsthandel auftauchte, lässt sich nicht zweifelsfrei nachweisen. Rosenfeld hat keine Einwände (Rosenfeld 1993, Kat. Nr. 48b, S. 452), Antoinette Le Normand-Romain allerdings äußert verhaltene Skepsis (Le Normand-Romain 2007, Bd. I, S. 380).

SUKZESSIVE FASSUNGEN

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mige Sockel montiert sind. Die Gruppe erhält dadurch, trotz einer durch die diagonale Komposition verstärkten labilen Dynamik, einen preziosen, fast dekorativen Charakter, der wohl auf Vorlieben Laverys zurückzuführen ist, denen Rodin entgegenkam.193 Der Körper der Frau ist tiefer in das Sockelmassiv eingebettet als in den vorausgehenden Fassungen, die Höhlung unter den Beinen des Mannes hat sich verkleinert, seine Füße, insbesondere Fersen und Knöchel, liegen tiefer im Stein. In der letzten Fassung (Kat. 2.e, Taf. 3), die Rodin 1910-16 für sein geplantes Museum anfertigen ließ, ist die auf dem Bauch liegende weibliche Figur in den massiv angewachsenen, treppenartig ansteigenden Block eingesunken. Mittels dieser buchstäblichen Versteinerung entzieht sie sich ihrem Partner, der sich jedoch verzweifelt an sie klammert und in dieser Fassung mit ihrem Körper geradezu verschmilzt. Die rohe Steinmatrix tritt zwischen seinen Füßen und Unterschenkeln hervor und droht auch diese zu umschließen. Im Katalog zur Alma-Retrospektive 1900 heißt es: „Tous deux s’en vont parallèlement vers le néant.“194 Ein Detail wie der gewaltsame Zugriff seiner linken Hand auf die Brust der Frau ist in dieser letzten Version in der fließenden Übergangszone zum Rohblock aufgegangen und schon nicht mehr sichtbar. Im Spätwerk ab 1900 erscheinen einzelne non-finite Elemente regelrecht selbstreferentiell, etwa die weit in den Raum ausgreifenden Steinformationen in Pygmalion et Galatée oder La Centauresse (1901-04, Musée Rodin, Paris), die nicht mehr ausschließlich auf eine Stabilisierungsfunktion zurückgeführt werden können. Es entstehen nun Werke wie Adam et Eve oder die drei Fassungen von La Terre et la Lune, deren amorpher Anteil den abbildenden bei weitem überwiegt. Auch Paolo et Francesca, die der Porte de l’Enfer entstammenden tragischen Liebenden aus Dantes Divina Commedia sind in ihrer Marmorfassung von 1905 (Kat. 11) eingebettet in eine non-finite Steinmasse, die die Rauchwolken und Flammenwinde des Höllenfeuers visualisiert, durch die das Paar kreist, ohne sich je vereinen zu können. Nicht ableitbar aus diesem atmosphärischem Illusionismus ist allerdings der neben den Figuren aus der Marmormasse aufragende und sich weit über deren Höhe erhebende Steinstumpf: Diese überproportional große, funktionslose, im Grunde abstrakte Form wird zum eigenständigen Teil der Skulptur, die deren figurativen Part überragt und aus dem Zentrum rückt.

193 Diese Ansicht vertritt François Blanchetière, Musée Rodin Paris. 194 Paris 1900, Kat. Nr. 94, S. 23.

4. Zeitkontext Das folgende Kapitel widmet sich der Kontextualisierung der Marmorskulpturen Rodins im zeitgenössischen Umfeld des Impressionismus und Symbolismus. Beides sind Strömungen, denen die Gattung Skulptur im Grunde wesensfremd geblieben ist und die dort kaum Verbreitung gefunden hat, deren Ästhetiken jedoch Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Rodins Marmorstil setzten. Rodin selbst stellte kaum Bezüge zwischen seiner Arbeit und aktuellen Kunstströmungen wie Naturalismus, Impressionismus oder Symbolismus her, mit deren Protagonisten wie Zola, Monet oder Mallarmé er in Verbindung stand. Er suchte in seiner kunsttheoretischen Selbstreflexion vielmehr den Anschluss an die Antike und Renaissance. Sein Werk, speziell die Marmore, zu impressionistischen und symbolistischen Konzepten in Beziehung zu setzen, blieb der zeitgenössischen Kunstkritik vorbehalten. Denn Rodins unvollständige, suggestive Form entspricht einem Zeitstil und -geschmack, dem in den 1890er Jahren Künstler auch in anderen Medien mit vergleichbaren Zielen folgten. Mit ihnen verbindet Rodin ein Interesse an transformatorischen Prozessen der Formentstehung und –auflösung, und eine Gegenüberstellung macht deutlich, dass es sich hier um zeitgleiche Versuche handelt, ähnliche Probleme zu lösen. Besonders im Werk von Medardo Rosso und James Vibert, zwei jüngeren Bildhauerkollegen aus dem Umkreis Rodins, lassen sich stilistische wie thematische Parallelen nachweisen, die im Werk des Malers Eugène Carrière eine gattungsübergreifende Fortsetzung finden. Die Wiederentdeckung von Rosso und Carrière und die ihnen gewidmete Forschung der letzten drei Jahrzehnte hat auch den Blick auf Rodin und die Bewertung seines Non-finito verändert.1 Anhand konkreter Beispiele soll im Folgenden die wechselseitige Einflussnahme nachgezeichnet werden.

1 Korrespondenzen zwischen Rosso, Rodin und Carrière untersuchte Jane R. Becker in ihrer 1998 veröffentlichten Dissertation in Bezug auf Material, Bewegung, Raum und die alle drei Künstler verbindende „affinity for molten forms“ (Jane R. Becker: ‚Only One Art‘. The Interaction of Painting and Sculpture in the Work of Medardo Rosso, Auguste Rodin, and Eugène Carrière, 1884-1906. New York University 1998, S. 58. Siehe auch Jane R. Becker: „The Space/Form Continuum: Rodin, Rosso, Carrière“, in: Symposium Cantor 2002, S. 162171). Eine 2006 vom Musée d’Orsay ausgerichtete Ausstellung stellte das Werk Carrières erstmals umfassend dem von Rodin gegenüber, um formale und inhaltliche Wechselwirkungen aufzuzeigen (Auguste Rodin – Eugène Carrière. Ausst.-Kat. Musée National d’Art Occidental, Tokio; Musée d’Orsay, Paris 2006).

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4.1. Impressionismus Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein galt Rodin neben Medardo Rosso als Protagonist einer „malerisch-impressionistischen Plastik“, als deren „Begründer und Hauptvertreter“2 er 1908 von Hugo von Tschudi und noch 1934 von Will Grohmann im Künstlerlexikon Thieme/Becker bezeichnet wird. Insbesondere die nur partiell ausgeführten Marmore und deren ostentativ ausgestellte Arbeitsspuren setzten viele Kunsttheoretiker in Beziehung zur impressionistischen Malerei, die in vergleichbarer Weise ihre malerischen Mittel offenlegte und mit der Schilderung des Flüchtigen, der impression, das Interesse vom Gegenstand auf den Akt der Wahrnehmung verlagerten. Zu den Kunstkritikern, die sich frühzeitig mit Rodins non-finitem Marmorstil auseinandersetzten und diesen als skizzenhaftes Werkverfahren würdigten, gehörte der den Impressionisten und insbesondere Claude Monet nahestehende Gustave Geffroy. In seiner Besprechung der Rodin-Ausstellung bei Georges Petit 1886 würdigt er Rodins „esquisses réalisées en marbre“3. Die erste umfassende Ausstellung der Skulpturen Rodins war 1889 eine Doppelausstellung mit Monet in der Galerie Georges Petit, für die Geffroy ein Katalogvorwort schrieb. Wie Jane Becker nachgewiesen hat, war das Konzept einer ‚impressionistischen Skulptur‘ keine von Künstlern entworfene Programmatik, sondern eine Konstruktion der zeitgenössischen Kunstkritik. Bereits in den 1880er Jahren wurden frühe Werke Medardo Rossos in Italien als ‚impressionistisch‘ bezeichnet, und in Paris waren es in den 1890er Jahren neben Geffroy vor allem Charles Morice, Camille Mauclair und Camille de Sainte-Croix, die sich der offenen Form von Rosso und Rodin mit Begriffen der impressionistischen Kunsttheorie näherten.4 Edmond Claris veröffentlichte 1901 in der Zeitschrift La Nouvelle Revue die Textsammlung „L’impressionnisme en sculpture. Auguste Rodin et Medardo Rosso“, die 1902 zu einem illustrierten Buch erweitert wurde, das im selben Jahr in Utrecht auch auf Deutsch erschien. Mit dem Ziel, die Charakteristik der von Rodin und Rosso begründeten Stilrichtung zu bestimmen („de définir le caractère du mouvement crée par Rodin et par Rosso“5), überträgt Claris den Begriff Impressionismus, der bisher nur für die Malerei angewendet wurde, und den ursprünglich weder Rosso noch Rodin für sich selbst beanspruchten, auf deren plastische Arbeit. Nach seinem einführenden Text, in dem er die Angriffe auf Rodins Balzac zum Ausgangspunkt für 2 Katalog der Königlichen National-Galerie zu Berlin, Berlin 1908, S. 170. 3 Gustave Geffroy: „Chronique Rodin“, in: La Justice, 11.7.1886, zit. in Rosenfeld 1981, S. 81. Die Ausstellung, die eine der ersten wichtigen öffentlichen Präsentationen Rodins war, zeigte Werke aus dem Umkreis der Porte de l’Enfer, darunter vier Marmorskulpturen mit non-finiter Basis: Eve, Cariatide à la pierre, La Femme accroupie und Andromède (vgl. Beausire 1988, S. 94). 4 Becker 1998, S. 125f. 5 Edmond Claris: „L’impressionnisme en sculpture. Auguste Rodin et Medardo Rosso“, in: La Nouvelle revue, 1.6.1901, S. 321-336, hier S. 336.

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einen Vergleich beider Künstler nimmt, versammelt Claris die Stellungnahmen zahlreicher dem Impressionismus nahestehender Kunsttheoretiker und Künstler wie Gustave Geffroy, Camille de Sainte-Croix, Jules Desbois, Camille Pissarro oder Claude Monet, darunter in der Buchfassung auch kurze Statements von Rodin und Rosso selbst. Claris sieht die Antwort auf Baudelaires Forderung nach einer zeitgenössischen, von Architektur und Dekoration unabhängigen Bildhauerkunst, in der sich Leben und Emotion ausdrücken, in dem, was er ‚Impressionismus in der Skulptur‘ nennt.6 Wie die Malerei eines Monet oder Degas könne auch die Skulptur Atmosphäre und Bewegtheit übermitteln7 und Motive des modernen Lebens zum Gegenstand haben.8 Rodin selbst teilte diese Ansicht, konnte dem Begriff in Bezug auf die die Gattung Skulptur jedoch wenig abgewinnen: „Die Skulptur ist entweder stark oder schwach; sie ist nicht ‚impressionistisch‘, wie ein Skizze es sein kann.“9 1907 dann analysiert der junge deutsche Kunsthistoriker Richard Hamann in einer ausgedehnten Studie den Impressionismus in Leben und Kunst, den er als Fehlentwicklung ansieht und für eine Rückkehr plastischer Prinzipien in die moderne Kultur plädiert.10 Er eröffnet sein Buch programmatisch mit Rodin, dessen Werk für ihn die „Plastik des Impressionismus überhaupt“11 verkörpert, wofür er das Zufällige und „Ausschnitthafte“12 der Fragmente, die plastischen Skizzen und das „Augenblicksschaffen“13 in Ton anführt. Das Non-finito der Marmorwerke fasst er als atmosphärische Verbindung zum umgebenden Raum auf: Aber das Steckenbleiben im Stein, die halbe Form, die gar nicht ergänzt sein will, sondern zusammenfließt mit der Umgebung, als Materie gebunden ist an Materie, wie im Bilde die Erscheinung der Körper mit dem Schein der Luft zusammenfließt, ist eine häufig von Rodin verwendete Art der Darstellung.14

Richtig ist, dass Rodin, der in Gesprächen unentwegt den Stellenwert der Profile und des modelé betont, die für seine Bronzen und Zeichnungen stets bestimmend bleiben, die Oberflächen im Non-finito öffnet. Die aufgebrochene Bossierung definiert keine klare Grenze zum Raum, sondern öffnet die Form zu ihrer Umgebung. Alfred Kuhn unterstreicht in seiner 1921 publizierten Geschichte der neueren Plas6 Claris 1902, S. 27-28. 7 Ebd., S. 2: „D’ailleurs, est-ce que le peintre sur la toile, le sculpteur avec la glaise ne doivent pas également traduire du sujet qu’ils ont observé ce qui les a émus, en tenant compte non seulement de sa forme, mais encore de l’atmosphère qui l’entoure, du mouvement qui l’anime, de la perspective qui le soutient, du sentiment qui le fait vibrer?“ 8 Ebd., S. 20. 9 Rodin, zit. in: „Twixt Rodin and Rosso“, in: Pall Mall Gazette, London, 21.2.1907; zit. und übers. in: Grunfeld 1993, S. 640. 10 Müller 1996, S. 148. 11 Richard Hamann: Der Impressionismus in Leben und Kunst. Köln 1907, S. 45. 12 Ebd., S. 41. 13 Ebd., S. 47. 14 Ebd.

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tik, dass bei Rodin nicht Tast-, sondern Licht- und Sehwerte bestimmend seien: Er „entmaterialisiert die Materie“15, analog zum Luminismus der Neoimpressionisten scheine sich die Oberfläche seiner Marmorwerke in der Atmosphäre aufzulösen. Eine deutliche Abgrenzung zum Impressionismus zieht Kuhn dann aber deshalb, weil Rodins Skulpturen nicht die Darstellung eines Augenblicks verkörperten, nicht moment-, sondern wesenhaft seien: Die Figuren wachsen aus dem Stein heraus, wie Körper aus Wolken auftauchen, sie fließen ineinander über, scheinen zu schweben wie Traumgebilde, schlechterdings jeden materiellen Widerstand überwindend. […] Dies ist das Besondere an diesen Schöpfungen Rodins, dass sie, obwohl Motion darstellend, niemals Momentaneität in zufälligem Sinne haben. Jede Situation ist absolut. Niemals ist ein Teil einer Bewegung gegeben, eine Kameraaufnahme, sondern immer ist eine jede ins Absolute hinaufgehoben. Ihre Dauer ist gesichert, als ob Anfang und Ende in ihr schon enthalten seien.16

Aus der Perspektive der 1920er Jahre sieht Kuhn zudem die Entwicklung innerhalb von Rodins Werk, die ihn vom naturalistischen Abbild zum wesenhaften Kern, zum Fragment führte, als paradigmatisch für die Entwicklung von Naturalismus und Realismus hin zu zunehmender Reduktion und Abstraktion, indem sich der Fokus von der Erscheinung auf die Idee verlagert: Diese Entwicklung, die bei Rodin zu beobachten ist, vom Realismus zum Absoluten, ist charakteristisch für die allgemeine Entwicklung der Zeit. […] Sie verbindet Rodin aber auch mit jener folgenden Generation, die ihn sonst grimmig bekämpfen mußte. Es ist zweifellos eine Art Symbolik, die sich in seinen Schöpfungen dartut. Wie die Noumena Platons sind sie Urbilder von absoluter Existenz, den vergänglichen und unvollkommenen Phainomena entgegengestellt.17

Die Nähe der Marmorskulpturen Rodins zum Impressionismus ist eine rein äußerliche. Zwar bedingt die Darstellung ephemerer und substanzloser Phänomene wie Wasser, Rauch oder Wolken (La Vague, Paolo et Francesca u.  a.) eine malerische Sichtweise, die plastische Prinzipien infragestellt und die den Materialeigenschaften des Steins entgegensteht. Dass Rodin jedoch nicht den flüchtigen Eindruck suchte, sondern die „Impression des Übermomentanen, die zeitlose Impression“18, darauf hatte 1911 auch Georg Simmel schon nachdrücklich hingewiesen. Anders als viele seiner Kollegen begriff er Rodins Werk nicht als komplementäres Phänomen zur impressionistischen Malerei, sondern als über die Sphäre der Erscheinung hinausgehend.

15 16 17 18

Alfred Kuhn: Die neuere Plastik von 1800 bis zur Gegenwart. München 1921, S. 58. Ebd., S. 59. Ebd. Georg Simmel: „Rodin“, in: Ders.: Philosophische Kultur. Leipzig 1911, S. 185-203, hier S. 194.

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4.1.a. Medardo Rosso Wichtige Plastiken des aus Turin stammenden Medardo Rosso (1858-1928), der zunächst an der Accademia di Brera in Mailand die Zeichenklasse besuchte, bevor er sich 1889 in Paris niederließ, entstanden bereits in den 1880er Jahren und vermutlich ohne Kenntnis von Rodins Werk. Sein Interesse galt der flüchtigen, momenthaften Erscheinung der Form unter dem Einfluss des Lichts. Plastik begriff er als rein visuelles und atmosphärisches statt als taktiles und räumliches Phänomen.19 Er steht darin dem Impressionismus viel näher als Rodin, denn er strebte tatsächlich jene Wirkung an, die Hamann am Non-finito Rodins zu beobachten glaubte: eine optische Verschmelzung der Form mit der umgebenden Atmosphäre. Der Raum, mit dem Rosso die Figur in eine Verbindung treten lässt, ist mitgebildet und sichtbar als amorphe Masse, etwa als ausladende Einfassung des Kopfes in dem frühen Werk Carne altrui 20 (1883-84, Abb. 17). Entsprechend sind die meist sockellosen Werke Rossos keine Freiplastiken, sondern auf einen festgelegten Betrachterstandpunkt hin konzipiert. Diesen gelenkten Blick fixierte Rosso in den zahlreichen fotografischen Inszenierungen seiner Werke, die deren ohnehin starke malerische Wirkung noch hervorheben und sie mit ihrem Hintergrund zusammenfließen lassen. Seine Formauffassung erschloss sich Rosso primär über das Material. Er arbeitete mit weich modellierbaren Stoffen wie Ton, Gips und Wachs, die er programmatisch zu finalen Werkstoffen erhob, obwohl oder gerade weil sie den Zustand bzw. die Nicht-Zuständlichkeit des Ephemeren verkörpern.21 Die Figur entwickelt sich aus dem rohen Material und scheint nur flüchtig fixiert. Eine einmal gefundene Form untersuchte er, wie auch Rodin, in zahlreichen Varianten und Repliken in verschiedenen Werkstoffen. Wurden für Ausstellungen Bronzegüsse notwendig, so stellte er sie selbst her und experimentierte mit unterschiedlichen Patinierungen.22 Stärker als Rodin entwertet er die Konturen und verunklärt die Form, die meist wie durch einen Schleier gesehen erscheint. Die zerfließenden Körperfragmente und verwischten Formen sind weniger Abbild als Stimmung oder ‚Seh-Erinnerung‘ – „a sideways, dreamy uneducated glance of the indefinite flux of things“23, „an unsta19 Ullrich 2002, S. 41. 20 Paola Mola, Fabio Vittucci: Medardo Rosso. Catalogo ragionato della scultura. Museo e Archivio Rosso, Barzio 2009, S. 78-84; Nr. I.10.a – I.10.f., S. 242-247. 21 Stefan Grohé: Paragone um 1900. Maler-Bildhauer und die Geschichte der modernen Skulptur, Habilitationsschrift, Jena 2000, S. 127. 22 Diese Bronzegüsse erfuhren mitunter Missbilligung durch die Kunstkritik. So beanstandet ein Berliner Autor der Kunstchronik anlässlich einer Ausstellung von Rossos Plastiken 1902 bei Keller & Reiner dessen „eigenartige Vorliebe […], Sachen, die noch in den allerersten Anfängen stecken, in Bronze oder anderem echten Material verewigen zu lassen“. Paul Warncke: „Berliner Kunstausstellungen“, in: Kunstchronik, 6.3.1902, Nr. 18, 1902, S. 273277, hier S. 275. 23 Paola Mola: „The Transient Form“, in: Rosso. The Transient Form. Ausst.-Kat. Peggy Guggenheim Collection, Venedig 2007, S. 17-40, hier S. 20.

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Abb. 17: Medardo Rosso: Carne altrui, 1883-84, Rovereto, MART Museo di Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto

ble vision“24. Rosso geht über Rodins Intention entschieden hinaus, indem er versucht, das Volumen gänzlich zu entmaterialisieren und die stoffliche Qualität der Plastik weitestgehend außer Bewusstsein zu bringen: „Ce qui importe pour moi en art, c’est de faire oublier la matière.“25 Er sucht die transitorische, von Licht umflossene Form, was das Material Wachs mit seiner diaphanen Oberflächenstruktur für ihn zum idealen Werkstoff macht. Gleichwohl ist die Sicht auf Rosso als ,impressionistischer Bildhauer‘ eine vereinfachende, die dem Charakter seines Werkes nur unzureichend gerecht wird. Auch Rossos Figuren verharren in einem transitorischen Zustand zwischen Formentste24 Ebd., S. 24. 25 Rosso, zit. in: Claris 1901, S. 51. „Rien n’est matériel dans l’espace.“ (S. 55)

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Abb. 18: Medardo Rosso: Aetas Aurea, 1886, Turin, Fondazione Torino Musei – GAM, Galleria Civica d’Arte Moderna e Contemporanea

hung und Auflösung.26 Das plastische Volumen scheint stets latent gefährdet, seine Konsistenz und Form zu verlieren. Max Osborn beschreibt in seiner Abhandlung Moderne Plastik (1905) Rossos Werke als „verschleierte, in nebelhaften Umrissen wie aus dem Chaos auftauchende menschliche Erscheinungen“, und eine ausgewählte Arbeit als „verschwommenen Kopf eines Kindes, der wie ein Stück Materie in wundersamen Uebergangszustande zwischen unbelebter Erde und Menschenwesen aussah“.27 Vermutlich hatte Osborn eine der Mutter-Kind-Gruppen Rossos vor Augen, etwa das reliefartige Aetas Aurea28 (Abb. 18) oder Enfant au sein

26 Vgl. Peter Weiermaier: „Medardo Rosso – Bildhauer des Lichts“, in: Medardo Rosso 1858– 1928. Ausst.-Kat. Frankfurter Kunstverein 1984, S. 7-10, hier S. 10. 27 Max Osborn: Moderne Plastik. Berlin 1905, S. 7. 28 Mola/Vittucci 2009, S. 98-102; Nr. I.13.a – I.13.f, S. 256-259.

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Abb. 19: Medardo Rosso: Enfant au sein (Maternité), 1890, Privatbesitz

(Maternité) 29 (Abb. 19), dessen erste Gipsfassung – noch mit dem Kopf der Mutter, den Rosso später entfernte – 1893 bei Rossos Einzelpräsentation in der Galerie La Bodinière ausgestellt war30, wo Rodin sie gesehen haben muss. Unbestritten ist, dass Rosso seine charakteristische Formauffassung bereits entwickelt hatte und einzelne Werke öffentlich präsentierte, während Rodin mit fragmentarischen Gipsmodellen arbeitete und noch bevor dessen erste non-finite Marmore entstanden. Belegbar ist zudem, dass der knapp zwei Jahrzehnte ältere Rodin wichtige Werke Rossos bereits frühzeitig kennenlernte. Beide stellten 1885 im Salon des Artistes français aus,31 1885 und 1886 war Rosso im Salon des Indépendants vertreten. Carne altrui war in einer Bronzefassung 1889 bei der Pariser Weltausstellung zu sehen,32 ebenso ein Bronzeguss von Aetas Aurea, der sich heute im Musée d’Orsay befindet.33 Georges Petit hatte ab 1890 drei Werke Rossos in seiner Galerie, die Rodin, der seit 1884 mit Petit zusammenarbeitete, dort sehen konnte.34 Im Dezember 1893 schließlich besuchte Rodin die vielbeachtete Ausstellung Rossos in der Galerie La Bodinière im Rahmen des Salon de Peinture, Sculpture, Dessin, Pastel, Gravure im Théâtre d’Application. Hier zeigte Rosso unter anderem Enfant au sein, Enfant juif und eine Fassung der Rieuse, die Rodin, der Rosso im Januar 1894 einen begeisterten Brief schrieb und im Atelier in der Rue Voltaire

29 30 31 32 33 34

Ebd., S. 114-119 ; Nr. I.22.a – I.22.f., S. 270-274. Ebd., S. 270; Venedig 2007, S. 46. Venedig 2007, S. 150. Ebd., S. 242. Mola/Vittucci 2009, S. 256. Becker 1998, S. 13.

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Abb. 20: Auguste Rodin: Two Heads and a Hand, ca. 1895, Philadelphia Museum of Art, Rodin Museum, Bequest of Jules E. Mastbaum

aufsuchte, mit ihm gegen eine eigene Arbeit tauschte.35 Dieser Werktausch der Bronze Petite Rieuse gegen einen Torso 36 Rodins, mit dem der ältere und weitaus berühmtere Rodin seine Anerkennung ausdrückte, wurde durch eine Nachricht in der Zeitschrift L’Estafette vom 20.12.1893, unmittelbar nach Schließung der Bodinière-Ausstellung, öffentlich bekannt.37 In den folgenden Jahren stand Rosso mit Rodin, der sich zunächst sehr für ihn einsetzte, in enger Verbindung, bevor das Verhältnis zunehmend problematisch wurde. 1898 kam es bei der Präsentation des Modells für Rodins Balzac zu der notorischen Kontroverse, bei der Rosso Rodin unterstellte, er habe vier seiner Plastiken, darunter Malato all’ospedale (1893 Bodi35 Grappe 1944, S. 141, Kat. Nr. 453: Medardo Rosso: La rieuse; vgl. Venedig 2007, S. 60. 36 Le Normand-Romain 2005, S. 229: Étude de torse pour L’Homme qui marche. 37 Becker 1998, S. 22; Medardo Rosso. Ausst.-Kat. Kunstmuseum Winterthur; Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg 2003, S. 24. Vgl. auch Curt Seidel: „Rosso – Rodin“, in: Der Sturm, 4 (1913), Nr. 154/155, S. 2.

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nière) und den kühn geneigten Bookmaker in Entwürfen für das Denkmal plagiiert. Dieser Disput38 spitzte sich zu, als er im Salon d’Automne 1904 seine Plastiken neben Fotografien von Werken Rodins platzierte, um dem Publikum seine Einflussnahme auf Rodin vor Augen zu führen. Vor allem in seinen Gipsstudien nähert Rodin sich Rosso mitunter stark an, so mit der Gipsassemblage Two Heads and a Hand (Abb. 20), vermutlich Mitte der 1890er Jahre entstanden und heute im Philadelphia Museum of Art. Die Art, wie die Einzelfragmente mit ihrem Gipsgrund zu einem irregulären Materieklumpen verschmelzen, der auch Spuren der modellierenden Hand trägt, erinnert an Gipswerke Rossos, wie Enfant au sein („a magma of inorganic substance, a mountain“39). Für beide Künstler ist der Ausgangspunkt Ton bzw. Gips, Rosso geht von hier weiter zu Wachs und Bronze, Rodin auch zu Stein. Obgleich Rodin also in Marmor übersetzt, was Rosso in genuin plastischen Materialien ausdrückt, nähern sie sich formal wie inhaltlich doch stark an, wenn bei beiden der Übergang von gestaltetem zu amorphem Material zum Symbol für das Sterben der dargestellten Figur wird. Der zarte Kopf von Rossos Bambino Malato 40 (1889-1895, Taf. 15), dessen Gesichtszüge sich nur schwach und verschwommen abzeichnen, geht an Hinterkopf und Hals in die schrundige Wachs-Gips-Masse über, während etwa Rodins Convalescente in den – weit massiveren – Rohblock eingeht. Das Gestaltloswerden ist bei Rosso eher ein Zerfließen bzw. ätherisches Verhauchen der Form, während es bei Rodin eine Rückbildung in den brachen Werkstoff ist. Beide weichen die Figur gleichsam im eigenen Medium auf.

4.2. Symbolismus Im Zusammenhang mit den Affinitäten des Non-finito zum Werk Medardo Rossos stehen Wechselbeziehungen Rodins mit Künstlern des Symbolismus. Die symbolistische Wahrnehmung zielt über die optische Erscheinung hinaus auf das nicht positivistisch zu bestimmende Wesenhafte und Transzendente. Mit „Ästhetiken des Entzugs“41  – Unschärfe- oder Claire-obscure-Effekten in der Malerei und Auslassungen oder Uneindeutigkeit in der Dichtung  – werden suggestive Bilder erzeugt, die ihren Gegenstand nicht nachahmen oder begrifflich fixieren, sondern lediglich andeuten. Das Werk ist rational nicht vollständig erfassbar, sein Gehalt nur intuitiv und annäherungsweise zu bestimmen. Rodin bewegte sich seit den 38 Vgl. Rossos Stellungnahme in Claris 1902, S. 49-55. Siehe auch: Fortunato Bellonzi: „Der Impressionismus von Medardo Rosso und die Polemik Rosso-Rodin“, in: Moderne italienische Bildhauer. Hrsg. von Jacopo Recupero. Ausst.-Kat. Kunstverein Hannover u. a. 1970, S. 13-17; Krauss 1977, S. 31-32; Frankfurt 1984, S. 18-19; Grunfeld 1993, S. 382, 638641. 39 Venedig 2007, S. 46. 40 Mola/Vittucci 2009, S. 146-151; Nr. I.28.a. – I.28.f., S. 298-302. 41 Ullrich 2002, S. 48.

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späten 1880er Jahren in einem Zirkel von Literaten und Kunstkritikern, die der symbolistischen Bewegung zuzurechnen sind, unter ihnen Camille Mauclair, Octave Mirbeau und Gustave Kahn, die zu Verteidigern von Rodins Werk wurden, und Stéphane Mallarmé, mit dem er in den 1890ern korrespondierte.42 Die wechselseitigen Bezüge zu bildenden Künstlern soll die Gegenüberstellung mit dem Bildhauer James Vibert und dem Maler Eugène Carrière im Folgenden aufzeigen. 4.2.a. James Vibert Aufschlussreich ist zunächst ein Vergleich mit dem heute kaum mehr bekannten Werk des Schweizer Bildhauers James Vibert (1872-1942)43, der in den 1890er Jahren in Paris arbeitete und nahezu zeitgleich mit Rodin begann, transformatorische Oberflächen mit allegorisch-symbolistischen Inhalten zu verknüpfen. Stärker noch als bei Rodin wird bei Vibert die Figur, die aus der Materie kommt, zum Symbol. Als Vibert 1892 zwanzigjährig nach Paris kam, versuchte er angesichts der Überpräsenz Rodins zunächst, sich dessen Einfluss zu entziehen und studierte an der École des Beaux-Arts bei Mathias Duval.44 Noch im selben Jahr stellte er sein erstes wichtiges Werk fertig (Abb. 21). Es zeigt eine hagere männliche Figur, deren nackter Oberkörper auf Höhe der Taille aus einem irregulären, von Falten und Furchen überzogenen Gipssockel hervorgeht. Der Körper wirkt angespannt und scheint sich unter großer Anstrengung aus seinem Sockel herauszustemmen: die Armmuskeln zeichnen sich deutlich ab, die Finger sind in den Boden gegraben und das Gesicht ist mit qualvollem Ausdruck nach oben gerichtet. Die naturalistisch wiedergegebene Figur, die sich aus der Materie hervorkämpft, trägt den bezeichnenden Titel Vita in Morte. Vibert reichte diese Arbeit 1893 zum Salon der SNBA auf dem Champ de Mars ein, wo sie überraschend große Anerkennung fand und in der Presse gelobt wurde. Das Werk sicherte dem jungen Künstler zudem die Anerkennung von Léon Deschamps, dem Herausgeber der einflussreichen Zeitschrift La Plume, der ihn in den Kreis der Pariser Symbolisten einführte,45 wo Vibert auf Paul Verlaine traf, den er mehrfach porträtierte und der sein Denken und seine Themenwahl fortan stark beeinflusste. 1895 wurde Vita in Morte als „Frag-

42 Claudine Mitchell: „Metaphor & Metamorphosis: Rodin in the Circle of Mallarmé“, in: Symposium Cantor 2002, S. 111-127; Nina Gülicher: „Plastisches Material und Animation – Auguste Rodin, Balzac und die symbolistische Kunstkritik“, in: Antje Krause-Wahl (Hrsg.): Affekte. Analysen ästhetisch-medialer Prozesse. Bielefeld 2006, S. 36-51, hier S. 3638. 43 Zu James Vibert: André Ibels: Critiques sentimentales. James Vibert, Sculpteur. Paris 1898; Jean de Fontanes: La Vie et L’Œuvre de James Vibert, statuaire suisse. Genf 1942, Emile Schaub-Koch: James Vibert Statuaire. Genf 1942. Zu Vibert und Rodin: René Huyghe: „James Vibert et la dualité de Rodin“, in: Journal de Genève, 9. /10. August 1943. 44 Schaub-Koch 1942, S. 12. 45 De Fontanes 1942, S. 28-29.

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Abb. 21: James Vibert: Vita in Morte, 1892

ment d’un rétable symbolique représentant le cycle d’existence mortelle“46 im Salon de la Rose+Croix ausgestellt, einer Gruppierung innerhalb der symbolistischen Strömung. Vita in Morte war Teil eines größeren Projektes, dem Autel à la Nature, den Vibert aus (zumeist nur als Gipsmaquetten realisierten und lediglich in Fotografien dokumentierten) allegorischen Einzelwerken mit Titeln wie L’effort humain, Révolte contre l’Infini und Déchéance humaine komponierte, welche die zyklische Bewegung von Leben und Tod, den Kampf des Menschen gegen die Natur, sowie den Geist, der sich dem Widerstand der Materie entgegensetzt, zum Thema haben. Charakteristisch für viele dieser Plastiken, auch für spätere Werke Viberts, sind die skizzenhaft ausgeführten Partien, aus denen der figürliche Teil hervorgeht. Vita in Morte wurde für Viberts Biographen Jean de Fontanes zum Sinnbild des „homme qui essaie de s’arracher d’une gangue de malheur“47 – des Menschen, der sich aus dem ‚tauben Gestein des Unglücks‘ zu befreien sucht. Rodin war seit Dezember 1892 Vizepräsident der SNBA und zugleich Präsident der Abteilung Skulptur, weshalb davon auszugehen ist, dass er, der am Salon 1893 auch selbst mit dem Gipsrelief Bastien-Lepage teilnahm, Viberts Vita in Morte dort kennenlernte. Vibert trat dann 1894 als Schüler und Gehilfe in Rodins Werkstatt ein, wo er 18 Monate blieb

46 Robert Pincus-Witten: Occult symbolism in France. Joséphin Péladan and the Salons de la Rose-Croix, New York 1976, S. 175. Siehe ferner: Valentina Anker: Der Schweizer Symbolismus und seine Verflechtungen mit der europäischen Kunst. Bern 2009, S. 140. 47 De Fontanes 1942, S. 29.

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Abb. 22: James Vibert: L’Epoque des pierres taillées, 1924-1926

und, so Jean de Fontanes, neben L’Éternel Printemps und Christ et la Madelaine auch bei der abschließenden Arbeit am Marmor Orphée et Eurydice assistierte.48 Lange nachdem Vibert 1902 nach Genf zurückgekehrt, dort zu einem Stil statischer Archaik gefunden und mit monumentalen Denkmalsentwürfen Ansehen erlangt hatte, greift er in den 1920er Jahren auf Rodin zurück und nimmt dessen non-finite Marmorbearbeitung zum Ausgangspunkt für eigene Versuche mit Stein. Vibert, der Rodins „despotischen“ Umgang mit dem Material rügte, da dieser dem Marmor die Eigenschaften von Bronze aufnötige,49 arbeitet mittels der taille directe. Für die Werkreihe der L’Epoque des pierres taillées (1924-1926, Abb. 22) arbeitete er aus verschiedenartigen Steinen Gesichter heraus, indem er behutsam den Gegebenheiten des Rohblocks folgte und lediglich Formen akzentuierte, die dieser bereits vorgab. Diese Skulpturen sind meist aufgesockelte Rundformen und unterscheiden sich in ihrer kompakten Geschlossenheit von Rodins Marmoren, deren non-finite Basis in der Regel großflächig auf dem Untergrund aufliegt und ihnen eine lastende Verankerung im Boden gibt. Die Pierres taillées bleiben im Werk Viberts Fremdkörper, sie finden aber ein spätes Echo in der menhir-artigen Steinskulptur Sum (Abb. 23) von 1932, die als ‚Summe seines Lebens‘ Viberts Grab bekrönen sollte.50 Aus deren gleichförmig bossierter Oberfläche tauchen drei Gesichter 48 Ebd., S. 39. 49 „Rodin use de la matière en despote, sans souci de ses possibilités. Modeleur incomparable, il oblige parfois, aux dépens de son œuvre, le marbre et la pierre à parler le langage du bronze.“ Vibert, zit. in: De Fontanes 1942, S. 35-36. 50 De Fontanes 1942, S. 190.

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Abb. 23: James Vibert: Sum – L’Homme, la Femme, la Mère, 1932

auf, darunter sein eigenes, welches am wenigsten entschieden aus dem Stein herausgearbeitet ist. Nicht mehr organisch wie die Epoque des pierres taillées, sondern konstruiert aus Einzelelementen – stilisierte Porträts seiner Frau und seiner Mutter, die bereits als eigenständige Werke existierten –, ist diese Skulptur in ihrer blockhaften Reduktion ein später und schematisierter symbolistischer Nachklang. 4.2.b. Eugène Carrière Verlässt man die Gattung Skulptur, lassen sich Analogien des Non-Finito-Stils auch zur Malerei und zum malerischen Sehen des ausgehenden 19. Jahrhunderts nachweisen. Am ergiebigsten ist ein Vergleich mit dem Werk des symbolistischen Malers Eugène Carrière (1849-1906),51 der Rodin als Künstler und enger Freund sehr nahestand und ihm motivische wie stilistische Anregungen vermittelte. Beide verband seit ihrer ersten Begegnung 1880 eine verwandte ästhetische Auffassung, seit den späten 1880er Jahren tauschten sie kontinuierlich Werke aus. 1890 gehörten beide zu den Gründern der Société Nationale des Beaux-Art und stellten 1896 zusammen mit Puvis de Chavannes im Musée Rath in Genf aus. Carrière porträtierte Rodin zweimal und entwarf 1900 die Lithografie für das Plakat seiner Ausstellung an der Place de l’Alma, für die er auch eines der Katalogvorworte verfasste. 51 Zu Rodin und Carrière: Robert James Bantens: „The Imprint of Carrière on His Time“, in: Ders.: Eugène Carrière. His Work and His Influence. Ann Arbor 1983, S. 79-93; Rodolphe Rapetti: „Carrière, Rodin et le symbolisme“, in: Auguste Rodin – Eugène Carrière. Ausst.-Kat. Musée National d’Art Occidental, Tokio; Musée d’Orsay, Paris 2006, S. 67-89.

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Abb. 24: Eugène Carrière: Mère et enfant, 1891, Paris, Musée Rodin

Charakteristisch für die ab den späten 1880er Jahren überwiegend monochromen Porträts und familiären Szenen Carrières ist, was Guillaume Apollinaire als dessen „idéal brumeux“52 bezeichnete: ein Sfumato-Stil, bei dem die durch einen weichen Dunstschleier verunklärte Figur aus einem diffusen Hintergrund hervortritt (Abb. 24). Sie materialisiert sich aus einem atmosphärischen Dunkel, gleich52 Guillaume Apollinaire: „Chroniques d’art. Les peintresses“, in: Le Petit Bleu, 5.4.1912. Wiederabdruck in: Ders.: Chroniques d’art (1902-1918). Textes réunis, avec préface et notes, par L.-C. Breunig. Paris 1960, S. 235-239, hier S. 238.

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sam aus dem Nichts, und bleibt dabei kaum mehr als eine Andeutung. Wie viele der aus der rohen Bosse gelösten Körper Rodins konkretisieren sich die Figuren Carrières lediglich an charakteristischen Stellen wie Gesicht oder Händen, sie existieren in einer „Zwischenwelt“53 tranceähnlicher Abwesenheit und scheinen wie die Figuren Rodins von Wiederauflösung bedroht: „In both works life takes form from and returns to primal matter.“54 Mit den Ton in Ton helldunkel modellierten Gesichtern und verschliffenen Umrissen bildet Carrières Darstellungsform ein Pendant zu Rodins Marmorstil im Medium der Malerei – und umgekehrt. Carrière schafft suggestive Traumbilder, die malerisch nachempfinden, wie das Bild einer Person in der Imagination aufscheint, Gestalt gewinnt und wieder unkenntlich wird.55 Seine Porträt-Lithografie Rodins aus dem Jahr 1896 zeigt den Freund vor dunklem Hintergrund in nebelhafter Ferne, gleichsam sublimiert und nahezu ins Immaterielle aufgelöst. Über Gattungsgrenzen hinweg weist dieses evokative, aus dem Amorphen sich formende Bild auf Rodins eigene non-finite Künstlerporträts der 1910er Jahre voraus.56 Auf Rodin, der für die fotografischen Aufnahmen seiner Skulpturen die malerisch-atmosphärischen Inszenierungen von Fotografen wie Eugène Druet, später Haweis & Coles und Edward Steichen bevorzugte,57 übte Carrières Sfumato-Malerei aus ähnlichen Gründen eine starke Faszination aus. Zweifellos war sie auch eine maßgebliche Anregung für seinen bossierenden Marmorstil. Beide arbeiten mit Unschärfe-Effekten, die transitorische Zwischensituationen veranschaulichen. Nachdrücklich führt das Rodins Mère et fille mourante vor Augen, die motivisch und kompositorisch Carrières Werkgruppe der Maternités verwandt ist. Dessen Mère et enfant (Abb. 24)58 aus dem Jahr 1891 befand sich neben mindestens sechs 53 Eduard Beaucamp: „Eugène Carrières sozial-mystische Botschaft“, in: Intimität der Gefühle. Eugène Carrière zum 100. Todestag. Ausst.-Kat. Kunsthalle Bremen; Clemens-Sels-Museum Neuss 2006, S. 90-95, hier S. 90. 54 Bantens 1983, S. 84. 55 Vgl. Rodolphe Rapetti: „Un halluciné, un voyant, un inclassable“, in: Eugène Carrière 1849-1906. Ausst.-Kat. Strasbourg 1996, S. 13-19, hier S. 16. Vgl. Günter Metken: „Monochromie und neue Innigkeit. Wiederentdeckung eines Malers: Eugène Carrières tonlose Welt in Straßburg“, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 283, 1996, S. 20: „Carrière war ein Maler des ‚Werdens‘, der die Bildentstehung selbst darstellte, gleich dem photographischen Negativ im Entwickler. Das ‚halbblinde‘ Entwachsen seiner Formen aus dem Ungeschiedenen hat offensichtlich den Evolutionsgedanken Darwins im Hintergrund“. 56 Ullrich 2002, S. 61. 57 Wolfgang Ullrich spricht von „Inszenierungen seiner Werke, deren Seinsgrad inmitten geheimnisvollem Dunkel undefinierbar scheint“ (Ullrich 2002, S. 61). Das bekannte Porträt des ausgebildeten Malers und fotografischen Autodidakten Edward Steichen, welches Rodin vor dem Monument Victor Hugo zeigt, schildert Ullrich geradezu als Verbildlichung eines schöpferischen Prozesses: „Der Körper der Skulptur ist noch ungeformt, auch der Kopf besitzt keine klaren Konturen, alles scheint zu flimmern und zu vibrieren, so als arbeite des Künstlers Imaginationsvermögen auf höchster Stufe.“ (Ebd., S. 62) 58 Eugène Carrière 1849-1906. Catalogue Raisonné de l’Œuvre peint. Hrsg. von Rodolphe Rapetti. Paris 2008, Kat. Nr. 414; Tokio/Paris 2006, Kat. Nr. 9, S. 96.

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Abb. 25: Franck Bal: Rodin im Hôtel Biron, hinter ihm Eugène Carrières Mère et enfant, um 1905

weiteren Bildern Carrières59 im Besitz von Rodin (vgl. Abb. 25). Es zeigt in hellen Schemen eine Frau, die ein Kind in den Armen hält. Ihr Gesicht ist zur linken Seite gewandt, ebenso das des Kindes, das den linken Arm an ihre rechte Schulter legt. Wie bei Rodins Mère et fille mourante liegt der Fokus auf Gesichtern und Händen, die aus dem dämmrigen Fond herausleuchten. Die weichen verschliffenen Formen unterstreichen die innige Verbindung von Mutter und Kind, die bei Rodin in der blockhaften Verschmelzung zum Ausdruck kommt, welche wiederum in Medardo Rossos Mutter-Kind-Gruppen wie Aetas Aurea (1886, Abb. 18), Mère et son enfant endormis (1883-86) und Enfant auf Sein (1890, Abb.  19) vorweggenommen ist, die alle in den 1880er und 1890er Jahren in Paris ausgestellt waren.60 59 Tokio/Paris 2006, S. 17; Georges Grappes Bestandskatalog des Musée Rodin verzeichnet neben Mère et enfant fünf weitere Werke Carrières aus dem Nachlass Rodins: Femme nue se coiffant, vue de dos; Enfant malade (la fillette au lit) (1890); Portrait de fillette; Etude de femme nue, de face; Portrait de Rodin (1890) (Grappe 1944, S. 141). 60 Vgl. Becker 1998, S. 236. Querverbindungen bestehen auch zwischen Rosso und Carrière. So befand sich eine Bronzefassung von Rossos Aetas Aurea (1886) zeitweilig im Besitz der Familie Carrière. Eine Wachsfassung dieser Skulptur, die das Petit Palais 1908 erwarb, wurde auf Wunsch Rossos im Carrière-Raum aufgestellt, um die Analogien zwischen beiden Künstlern vor Augen zu führen (Becker 1998, S. 23). Diese wurden frühzeitig wahrgenom-

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Leonce Bénédite, der erste Konservator des Musée Rodin, illustrierte 1918 einen Artikel über das neugegründete Museum in der Zeitschrift Les Arts mit einer Abbildung der Mère et fille mourante und der Bildunterschrift „Maternité. Groupe exécuté sous l’influence d’Eugène Carrière“61 (Kat. 18.3). Diese Perspektive, die Carrière als den Impulsgeber und Rodin als Aufnehmenden charakterisiert, übernimmt Stanislas Lami 1921 in den Eintrag zu Rodin in sein Lexikon französischer Bildhauer des 19. Jahrhunderts.62 Auch Georges Grappe weist auf den nicht unerheblichen Einfluss Carrières am Beispiel von Mère et fille mourante63 und Le Sommeil 64 hin. Nicole Barbier bezeichnet Mère et fille mourante als „hommage au peintre ami Eugène Carrière“65 und vertritt die jüngere Forschung, die mit wenigen Ausnahmen66 Carrières Wirkung auf Rodin ebenfalls höher bewertet als die des Bildhauers auf den acht Jahre jüngeren Maler, was zuletzt die Ausstellung Auguste Rodin – Eugène Carrière im Musée d’Orsay 2006 anhand der Gegenüberstellung einer breiten Auswahl von Werken überzeugend vor Augen führte. Entsprechend sind Vergleiche der Malerei Carrières mit dem Werk Rodins, namentlich mit den Marmoren, schon in der zeitgenössischen Kritik zahlreich.67 Hugo von Tschudi beobachtet 1900, dass sich Carrières Formen „in einer an die Wirkung Rodinscher Marmorplastik erinnernden weichen Bestimmtheit aus dem alle störenden Details aufsaugenden Dunst heben“68. Nach Ansicht des symbolistischen Autors und Kritikers Camille Mauclair, der beide Künstler gut kannte, war Carrière derjenige Kollege und Freund, der auf Rodin den stärksten Einfluss hatte.69 Umgekehrt erkennt Mauclair in den Bildern Carrières im Salon 1901 eine

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men, etwa von Julius Meier-Graefe, der 1904 in seiner Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst auf Korrespondenzen zwischen der „schwimmenden“ Form Rossos mit dem Malstil Carrières hinweist (Meier-Graefe 1904, S. 296). Max Osborn nennt Rosso 1905 den „Carrière der Plastik“ (Osborn 1905, S. 6), wie auch Maurice Rheims Rosso noch 1972 in seiner Skulpturgeschichte des 19. Jahrhunderts als „Carrière de la sculpture“ bezeichnet (Rheims 1972, S. 142). Léonce Bénédite: „Le Musée Rodin“, in: Les Arts, 14 (1918), Nr. 168, S. 10-24, hier S. 12. Stanislas Lami: Dictionnaire des sculpteurs de l’école française au dix-neuvième siècle. Paris 1914-1921, Bd. 4, S. 170: „Maternité. Marbre exécuté sous l’influence du peintre Eugène Carrière.“ Grappe 1944, S. 124. Ebd., S. 81: „Cette figure endormie semble se ressentir de l’influence de Carrière, qui, dans sa peinture, estompait les contours.“ Barbier 1987, S. 82. Etwa Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 392, 23. Z. B. Richard Muther: „Die Ausstellungen im Januar 1901“, in: Ders.: Studien und Kritiken. Bd. 1: 1900. Wien 1901, S. 94-111, hier S. 105; Auguste Marguillier: „Eugène Carrière“, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, 8 (1903), S. 183-192, hier S. 192. Hugo von Tschudi: „Pariser Weltausstellung“, in: Kunst für Alle, München 1900, S. 67; zit. in: Bremen/ Neuss 2006, S. 47. Camille Mauclair: Idées vivantes. Paris 1904, S. 20.

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skulpturale Qualität, auf die auch Rodin selbst wiederholt hinwies.70 Mauclair erscheinen sie als in Grisaillemalerei übersetzte Skulpturen Rodins,71 die Damenbüsten Rodins indes bezeichnet er als „des Carrière“. Léon d’Agenais wertet 1901 die wechselseitige Beeinflussung zugunsten Carrières, bekräftigt aber auch die Ebenbürtigkeit beider Künstler; jeder habe in seinem spezifischen Medium den höchsten Sinn für die suggestive Form: „En peinture Eugène Carrière se montre l’égal du sculpteur, Rodin, son èmule et son ami. […] Nul comme Rodin et Carrière n’a le sens de la forme suggestive, du parfait symbole significatif, clair, immuable“.72 Als Rodins Marmorwerke dann in den 1930er Jahren zum Ziel von Polemiken werden, die besonders die literarischen Themen und ihre malerische, nicht materialgerechte Ausführung bemängeln, setzt man diese Kritik in Beziehung zur Formauflösung bei Carrière: La Pensée, L’Homme et sa pensée, Pygmalion et Galatée, no donnent pas l’impression d’être imprégnées de littérature, mais la littérature guettait Rodin. Quand, plus tard, il s’avisa qu’il était un ‚penseur‘, il perdit sa vigueur et devint une sorte de Carrière, modelant ‚dans la lumière blonde, sans trous‘, comme il disait, ces blocs de marbre, à la surface cahotique desquels affleuraient un sein, un ventre neigeux, polis comme un ongle et d’assez bas relief, des membres enlacés, arrondis, unis comme une grisaille du peintre des Maternités. - Sculpteur, il ne pensait pas en fonction du marbre […].73

70 „[…] looking at a canvas of Carrière’s, Rodin more than once remarked: ‚Carrière too is a sculptor.‘“ (Frisch/Shipley 1939, S. 298). 71 Mauclair 1901, S. 772: „Les toiles de Carrière du Salon de l’année 1901 sont étonnamment mêlées de mystère et de sculpturalité. Ce sont des bas-reliefs baignés d’ombre. Ce sont des Rodins transcrits en grisaille. Les récents bustes des femmes de Rodin, ce sont des Carrière. Ils ont le même charme mystérieux et voilé […]. Les deux grands artistes se sont mutuellement influencés, et ils commencent à influencer l’époque.“ 72 Léon d’Agenais: „Un peintre voyant“, in: Les Maîtres Artistes, 2, Dezember 1901, S. 40. 73 Jacques-Emile Blanche: Les arts plastiques, Paris 1931, S. 361 („La Pensée, L’Homme et sa pensée, Pygmalion et Galatée scheinen nicht literarisch durchdrungen zu sein, doch Rodin wurde von der Literatur umstellt. Als er sich später entschied, ein ‚Denker‘ zu sein, verlor er seine Kraft und wurde eine Art Carrière, der ‚im goldhellen Licht, ohne Öffnungen‘, wie er sagte, jene Marmorblöcke mit chaotischen Oberflächen modellierte, in denen eine Brust, ein schneeiger Bauch sichtbar wurden, poliert wie ein Fingernagel und doch Basrelief, mit verschlungenen Gliedern, abgerundet und vereinheitlicht wie eine Grisaille des Malers der Maternités.  – Ein Bildhauer, der nicht in den Gesetzmäßigkeiten des Marmors dachte […].“)

5. Rezeption und Interpretation des Non-finito bei Rodin nous ne voyons pas la nécessité de ce bloc informe … Tout à l’heure, si l’erreur continue, on nous donnera la pierre ou le marbre à peine extrait de la mine, sans le moindre coup de ciseau, avec une simple inscription, pour indiquer l’idée du maître! Argus Cortès-Gaillard, 18971 Der gewaltige Rohblock mit dem Zipfelchen Bildhauerei? Max Nordau, 19082

5.1. Verbreitung und zeitgenössische Rezeption 5.1.a. Ausstellungen Rodins non-finite Marmore waren in ihrer Entstehung und Sichtbarkeit weitaus weniger als die offiziellen Denkmal- und Porträtprojekte vom System der institutionellen Aufträge und Salonausstellungen abhängig. Zwar sind einige der modernsten und kühnsten non-finiten Marmore Nebenprodukte privater oder öffentlicher Auftragsarbeiten (Mère et fille mourante, Puvis de Chavannes, Mozart, Victor Hugo). Doch mit der Zahl der internationalen Ausstellungen und Publikationen steigt auch die Menge privater Aufträge und Ankäufe durch Sammler und Museen weltweit. Lange wurde angenommen, Rodin habe nur wenige seiner fragmentarischen Skulpturen vor 1900 öffentlich ausgestellt, sondern vielmehr den Großteil seiner Gipstorsi und vermeintlich unfertigen Marmore zunächst im Atelier zurückbehalten, wo sie von einem ausgewählten Publikum und unter anderen Bedingungen rezipiert werden konnten als im Kontext von Salon und Öffentlichkeit.3 Denn 1 A. Cortès-Gaillard: „La Sculpture au Salon du Champ-de-Mars“, in: Le Journal des artistes, 9.5.1897. 2 Max Nordau, 25.6.1908: „Pour le mérite“, in: Neue Freie Presse, Wien, Erscheinungstag unbekannt. 3 Tucker 1974, S. 22-23: „Their home was in his studio, which became over the years an alternative public theatre in which new work could be appraised by a more informed and more sympathetic audience than the Salon and thus the general public could provide. In

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REZEPTION UND INTERPRETATION DES NON-FINITO BEI RODIN

dort wurden sie zuweilen als Provokation aufgenommen oder brachten ihm den Vorwurf ein, er sei unfähig, ein Werk zu vollenden. Nicole Barbier führt den von Kritikern geprägten, abwertenden Begriff der „marbres tardifs“ an, der auf die vermeintliche Unausgereiftheit und mangelnde Sorgfalt der Bearbeitung zielte, auch mit der impliziten Begründung, schneller und mehr verkaufen zu können.4 Richtig ist, dass Rodin zu den Salonausstellungen der 1890er Jahre vorwiegend Skulpturen mit hohem handwerklichem Vollendungsgrad einreichte. Die Forderung nach formaler Geschlossenheit blieb seitens vieler Ausstellungsveranstalter auch nach 1900 bestehen, zumeist mit der Begründung, man müsse auch den Ansprüchen eines vermeintlichen Laienpublikums gerecht werden. So wird Rodin von den Organisatoren der Exhibition of the International Society 1907 in London gebeten, für die Ausstellung wichtige Werke einzureichen, darunter bitte auch „des morceaux achevés (selon l’opinion des ignorants)“5. Der Bonner Kunsthistoriker Paul Clemen kritisiert mit Blick auf die Rodin-Ausstellung in Düsseldorf 1904, bei der insgesamt 60 Werke Rodins, hauptsächlich fragmentarische Gipse, aber auch non-finite Marmore (z. B. Dernier Soupir, Madame Fenaille von 1904) bzw. deren Gipsabgüsse (La Main de Dieu und La Pensée) zu sehen waren, das Nebeneinander von Studien und vollendeten Werken: „Man darf es ruhig aussprechen: diese Skizzen und Studien gehören nicht in den Rahmen unserer gewöhnlichen Ausstellungen für die große Masse, wo doch auch bei der Malerei ein gewisser, wenigstens äußerlicher Grad von Fertigsein Aufnahmebedingung ist.“6 Auch Clemen begründet diese Forderung damit, dass die „stenographische Form“ lediglich einem Publikum mit geschultem Auge und der nötigen Sensibilität ästhetischen Genuss bereite, allen anderen aber unverständlich bleibe: „Ein plastisches Werk kann amorph sein, wie ein Weiser dies Formlose genannt hat, weil es die Form noch nicht gefunden hat, oder weil es die Form flieht. Der Künstler wird in einer solchen bewunderungswürdigen Abbreviaturkunst überall den blitzschnellen Beobachter, den kühnen Gestalter, den Herrscher über die Formen sehen, das Publikum ahnt das höchstens – das ist zu wenig.“7 Ein genauer Blick auf Rodins Ausstellungspraxis zeigt aber auch, dass er einige seiner fragmentarischen Bronzen, Gipse und Marmore schon bald nach deren Entstehung öffentlich zur Diskussion stellte. Wichtige Wegmarken in der frühen Ausstellungshistorie der Fragmente und Torsi sind der Salon 1897, wo der Denkmalentwurf für Victor Hugo mit der Méditation sans bras und der Muse tragique den Ehrenplatz unter der zentralen Kuppel der Ausstellungshalle erhielt,8 und die

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studio conditions, it was the work in progress, the unfinished, the fragmentary, that engaged the spectator’s attention, and challenged the advanced taste of the time.“ Barbier 1987, S. 9. Jacques-Emile Blanche an Rodin, 8.12.1906; zit. in: Beausire 1988, S. 281: „[…] nous tenons à ce que yous envoyiez des choses importantes et, entre autres, des morceaux achevés (selon l’opinion des ignorants).“ Clemen 1905, S. 333-334. Ebd., S. 334. Rosenfeld 2001, S. 163.

VERBREITUNG UND ZEITGENÖSSISCHE REZEPTION

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Wanderausstellung 1899 in Brüssel, Rotterdam, Amsterdam und Den Haag, in die erstmals mehrere fragmentarische Gipse (Méditation sans bras, das Gipsmodell der Main de Dieu und La Terre, La Mort und La Mort du Poète) integriert waren. Deutlich früher als Torsi und Gipsfragmente präsentierte Rodin seine non-finiten Marmore der Öffentlichkeit, wobei sicherlich auch die Nobilität und Akzeptanz des Materials eine Rolle spielte. Kaum bekannt ist etwa, dass Rodin drei Skulpturen mit non-finiter Sockelzone, Fugit Amor, Andromède und Amour et Psyché, bereits 1893 zur Weltausstellung nach Chicago sandte. Diese Chicago World’s Fair, auch als World’s Columbian Exposition bezeichnet, eine gigantische Unternehmung zum vierhundertsten Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, übertraf an Aufwand und Kosten die Pariser Weltausstellung von 1889 und erreichte eine enorme Öffentlichkeit. Im Fine Arts Building waren neben den Werken Rodins auch zahlreiche impressionistische Gemälde aus Paris zu sehen, die zu diesem Zeitpunkt noch kein europäisches Museum ausstellte. Die drei Marmore Rodins waren jedoch nicht der Frankreich-Sektion zugeordnet, sondern einer Sonderausstellung europäischer Kunst in amerikanischen Privatsammlungen.9 Unklar ist bislang, welches der frühen Exemplare von Fugit Amor nach Chicago gesandt wurde und Ende Januar 1894 wieder in Paris eintraf.10 Nach der positiven Aufnahme von La Pensée im Salon der Société Nationale des Beaux-Arts 1895 zeigte Rodin L’Homme et sa pensée im Salon von 1896 und zusammen mit der heute in Shizuoka befindlichen Fassung von Fugit Amor zwei Jahre später bei der ersten Ausstellung der neugegründeten Secession in Wien; im Salon der SNBA 1899 schließlich reicht er La Terre et la Lune ein. Die Exposition Rodin im Pavillon de l’Alma 1900 schließlich markiert einen Wendepunkt, denn hier zeigt Rodin neben La Pensée, L’Homme et sa pensée, Fugit Amor und La Terre et la Lune auch eine große Zahl fragmentarischer Gipse und verlagert den Fokus der Ausstellung auf den prozessualen Charakter seiner Arbeit. Programmatisch im Eingangsbereich stand der aggressiv torsierte Gips des Pierre de Wissant. La Terre und La Mort waren zu sehen, wie auch die bahnbrechenden Gipstorsi Cybèle, Méditation sans bras, L’Homme qui marche und die Bronzeversion der Iris ohne Kopf und linken Arm. Zu den am häufigsten zu Rodins Lebzeiten ausgestellten non-finiten Marmorskulpturen gehört neben L’Homme et sa pensée (dessen Gipsabguss 1902 zudem in 9 World’s Columbian Exposition 1893. Official Catalogue. Part X: Fine Art. Painting, Sculpture, Architecture, Decoration. Chicago 1893, S. 55. Rodins Leihgaben vermittelte Sara Hallowell, die in Paris als Agentin für amerikanische Museen tätig war. Fugit Amor erregte hier weniger durch seine formale Kühnheit Aufsehen, sondern, wie Presseberichte nahelegen, aufgrund der freien und sinnlichen Darstellung eines leidenschaftlich-verzweifelten Eros, die als verunsichernd und anstößig empfunden wurde – so sehr, dass man die drei Werke in ein privates Nebenkabinett verlegte, wo sie nur auf Anfrage zu besichtigen waren. Siehe: „Statuettes Withdrawn from View. They Are by Rodin and They Are Parts of ‚The Gates of Hell‘“, in: Chicago Daily Tribune, 17.5.1893, S. 3; Anon.: „Miss Sara Hallowell Unique in the Art World“, in: The New York Times, 31.12.1905; sowie Lawton 1906, S. 219. 10 Beausire 1988, S. 117.

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Prag zu sehen war) die auch als Bronze- und Gipsfassung überaus populäre Main de Dieu. Deren erster Marmor war viermal (1903 Wien und Berlin, 1905 London und Paris), und der Gipsabguss nach diesem Marmor mindestens zweimal (1903 Venedig, 1904 Düsseldorf ) ausgestellt. Noch häufiger angefragt wurde nur La Terre et la Lune: Die erste Fassung war vermutlich fünfmal (1899 und 1904 Paris, 1901 Dresden, 1903 Berlin, 1917 London), die zweite mindestens zweimal (1900 Paris, 1901 Wien) in Ausstellungen zu sehen. Die wichtigen non-finiten Museumsankäufe für das Metropolitan Museum New York (1908 und 1910) und die Ny Carlsberg Glyptotek (ebenfalls 1908 und 1910) kamen dort unmittelbar zur Aufstellung.11 Mère et fille mourante war zu Rodins Lebzeiten nur einmal öffentlich zu sehen, zusammen mit Puvis de Chavannes 1913 in einer kleinen, zehntägigen Ausstellung mit etwa 20 Skulpturen in der Faculté de Médecine, die nur wenig Beachtung fand.12 Puvis de Chavannes war im selben Jahr noch in der Société Nationale des Beaux-Arts zu sehen. Daneben gab es Stücke wie etwa L’Adieu, La Douleur und Paolo et Francesca, die Rodin nie in Ausstellungen gab. 5.1.b. Sammler Non-finite Marmore, die zum Verkauf standen, wurden überwiegend von Privatsammlern erworben, während Museen eher etablierte, repräsentative Werke kauften, die bereits häufig reproduziert und ausgestellt worden waren. Bemerkenswert unter den Museumserwerbungen ist daher der Ankauf der dritten Marmorfassung von La Terre et la Lune im Juli 1906 für das Museo Nacional de Bellas Artes in Buenos Aires durch den Maler, Kunstkritiker und ersten Direktor des Museums, Eduardo Schiaffino, der damit nicht nur den ersten Marmor Rodins für ein amerikanisches Museum erwarb (La Main de Dieu gelangte erst 1908 ins Metropolitan Museum New York), sondern sich auch für ein ausgesprochen radikales Werk mit ausgedehntem non-finiten Part entschied. Die Nachfrage nach Marmorwerken war generell höher als nach Bronzen, und das, obwohl Rodin für die Marmorfassung mindestens das Doppelte – in Einzelfällen sogar das Sechsfache – des Preises für einen Bronzeguss desselben Sujets forderte.13 Private Käufer zahlten einen höheren Preis als Museen. Unter den insgesamt 45 Ankäufen des französischen Staates befinden sich mehrere Marmorarbeiten, ausgeprägt non-finit unter diesen ist nur Madame Fenaille in der Version von 1907.

11 Schriftliche Auskünfte von Clare Vincent, Metropolitan Museum New York, und Josephine Nielsen-Bergqvist, Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen. 12 Rodin an Gustave Geffroy, 19.3.1913; zit. in: Correspondance IV, S. 31: „Mon expédition est très belle […] mais seulement cela passera comme une éclaire sans que personne ne s’arrête.“ 13 Beausire 1988, S. 32.

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Von Sammlern im Ausland wurde das neue Stilmittel früher akzeptiert als in Rodins Heimat.14 Legendär ist die Beliebtheit der Marmore bei dem großen und vermögenden Kundenkreis aus Großbritannien und den USA, der sich am zeitgenössischen französischen Geschmack orientierte, was sich nicht zuletzt in den zahlreichen Porträtaufträgen an Rodin zeigt. Kritiker, die die Marmorproduktion Rodins als fabrikmäßige, inflationäre Bedienung der Nachfrage verurteilten, gab es schon frühzeitig. Zu ihnen gehört Alfred Lichtwark, der Direktor der Hamburger Kunsthalle, der nach einem Besuch in Paris 1893 spöttisch berichtet: Die Unterhaltung drehte sich eine ganze Weile um Rodin, dessen Talent sehr bewundert, dessen gegenwärtige Thätigkeit allgemein verurteilt wird. Er ist Mode geworden und vertreibt die einzelnen Motive seiner Thür, in Marmor ausgeführt, zu Dutzenden. In seinem Atelier sieht man beständig fünf, sechs der kleinen Figuren in allen möglichen und noch einigen Verschränkungen, und wenn man zu einem jungen Künstler kommt, der als geschickter und feinfühlender Marmorarbeiter gilt, findet man sicherlich diese Gestalten in Arbeit, c’est pour l’Amerique, vous savez.15

Wichtige private Sammler von Rodins Marmor-Œuvre waren der dänische Brauereibesitzer Carl Jacobsen, der deutsche Industrielle August Thyssen oder der amerikanische Transportmagnat John F. Ryan, deren Sammlungen in die Bestände der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen, des Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid und des Metropolitan Museum of Art in New York eingegangen sind. Bedeutend waren auch die Sammlungen von Katherine Seney Simpson (heute in der National Gallery of Art, Washington), James Smith (heute teilweise in der Walker Art Gallery, Liverpool) und Varvara Yeliseyeva/Barbe Elisseieff (heute teilweise in der St. Petersburger Eremitage). All diese Sammler schätzten das edle Material vor allem, weil es für Tradition und Geschmack bürgte und noch immer als Inbegriff dessen galt, was man mit der Gattung Bildhauerei assoziierte. Viele dieser Verkäufe, etwa an Thyssen, Jacobsen und den Berliner Bankier Felix Koenigs, sind ein Nachhall der Retrospektive im Pavillon d’Alma 1900. August Thyssen kaufte zwischen 1905 und 1908 sieben non-finite Marmore, die er größtenteils persönlich in Rodins Atelier auswählte. Der elsässische Bankier Albert Kahn (1860-1940) erwarb zwischen 1886 und 1908 bei Rodin fünf Marmorwerke: die Erstfassung der Main de Dieu, die dritte Fassung von Fugit Amor, außerdem L’Éternel Printemps, La Chute d’Icare, Eve.16 Thomas F. Ryan, der 1910 Orphée et Eurydice aus der Yerkes Collection ersteigerte und dem New Yorker Metropolitain 14 Barbier 1987, S. 9. 15 Brief vom 9.6.1893; zit. in: Alfred Lichtwark: Briefe an die Kommission für die Verwaltung der Kunsthalle. Hrsg. von Gustav Pauli, Hamburg 1923, Bd. 1, S. 160. 16 Kahn reüssierte später als Weltreisender und Dokumentarfotograf, verlor jedoch sein gesamtes Vermögen infolge der Weltwirtschafts- und Rohstoffkrise, die 1931 Frankreich erreichte. 1936 war seine Bank insolvent, der französische Staat kaufte sein Anwesen in Boulogne-Bilancourt und die Bestände seiner Stiftung wurden zerschlagen. Vgl. Albert Kahn 1860 – 1940. Réalités d’une utopie. Ausst.-Kat. Musée Albert Kahn, Boulogne-Bilancourt 1995.

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Museum schenkte, stellte kurz darauf weitere 25.000 Dollar für den Ankauf von Werken Rodins bereit. Die Auswahl oblag dem Museumsdirektor Edward Robinson, der im Sommer 1910 in Paris gemeinsam mit Rodin zehn Arbeiten aussuchte,17 darunter Devant la mer und die zweite Fassung von Pygmalion et Galatée. Jules Mastbaum, der in den 1920er Jahren in Philadelphia die größte RodinSammlung außerhalb von Paris zusammentrug, kaufte ausgesprochen wenige Marmore, sondern vor allem Bronzen, Gipse und Zeichnungen. Auch andere umfangreiche Rodin-Sammlungen wie die Cantor Collection, die nach dem Tod des Künstlers zusammengestellt wurden, umfassen fast ausschließlich Bronzen und Gipse und kaum Marmorarbeiten, wofür es mehrere Gründe gibt: Zum Einen wurden sie weniger goutiert, da sie nun als weniger authentische Werkstattprodukte galten, zum Anderen waren nach dem Tod Rodins auch kaum noch Marmore auf dem Kunstmarkt verfügbar. Denn anders als die meisten Bronzen wurden sie von der Nachlassverwaltung nicht postum weiterproduziert – lediglich für das Musée Rodin ließ Léonce Bénédite einzelne Marmore beenden18 –, und jene Werke, die bis zu seinem Tod in Rodins Besitz verblieben waren, gingen in seine donation und damit in den unverkäuflichen Museumsbestand ein. Beim Verkauf non-finiter Skulpturen an Sammler gab es hin und wieder Irritationen. Mit Carl Jacobsen etwa, der zeitgenössische französische Skulptur und Malerei sowie Antiken sammelte und dessen Kaufverhalten gut dokumentiert ist19, kam es immer wieder zu Spannungen aufgrund konträrer Auffassungen von Vollendung. Wie die meisten Sammler suchte Jacobsen den persönlichen Kontakt zu Rodin, der als selbständiger Akteur des Kunstmarkts soweit es möglich war direkt, ohne Galeristen oder Agenten, handelte. Jacobsen gehörte zu den Kunden, die ihre Wünsche sehr bestimmt zum Ausdruck brachten, und forderte bei einigen Werken, die er bestellte, ausdrücklich einen hohen Vollendungsgrad. Als er 1900 eine Marmorfassung des Baiser erwarb, verlangte er die sorgfältige Ausarbeitung bestimmter Details, die ihm im Exemplar des Musée du Luxembourg, das er wohl bei der Exposition Universelle im Grand Palais gesehen hatte, unzureichend ausgeführt erschienen. So bat er Rodin, das Werk persönlich zu vollenden, das linke Bein des Mannes auszuarbeiten und eine amorphe Steinpartie zwischen den Figuren zu entfernen.20 Jacobsens Richtgröße war trotz aller Bewunderung für Rodin der akademische Kanon des 19. Jahrhunderts. Unter den insgesamt 24 Werken, die er bis 1914 erwarb, sind 13 Skulpturen aus Marmor bzw. Kalkstein, darunter Jeanne 17 18 19 20

Vgl. Breck 1912. Rosenfeld 1993, S. 212-213. Fonsmark 1988, Fonsmark 1995, Fonsmark 1999. „L’execution de ce groupe ne sera pas moins soignée que celle de l’original en marbre et vous avez même promis de bien executer aussi la jambe gauche de l’homme. Vous avez en outre eu la bonté – toutefois sans rien promettre – de refléchir si vous pouvez enlever une partie du marbre cru qui cache la poitrine gauche de l’homme.“ Jacobsen an Rodin, zit. in: Fonsmark 1988, S. 157.

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d’Arc und die erste Fassung von Pygmalion et Galatée. Jacobsen, der eine Vorliebe für bereits öffentlich eingeführte und prominente Werke21 wie Le Baiser hatte, innovative Arbeiten wie Balzac oder La Pensée häßlich („laide“22) fand und seine Antipathie gegen moderne Strömungen wie den Impressionismus nicht verhehlte, galten die Skulpturen aus edlem Marmor als sichere Werte, auf die er zudem mehr Einfluss nehmen konnte als auf die Bronzen. So verzögerte sich die Auslieferung der Gruppe Pygmalion et Galatée, die Jacobsen 1907 in Meudon kaufte, bis Anfang 1910, nachdem er Rodin um weitestmögliche Ausarbeitung des Werkes gebeten hatte.23 An Cariatide tombée portant sa pierre beanstandete er, dass Körper und Stein nicht klar voneinander abgegrenzt sind, sondern ineinander übergehen, und machte die Behebung dieses ‚Mangels‘ sogar zur Bedingung für die Bestellung einer Neufassung dieses Werkes.24 Rodin ging darauf ein: In der Marmorfassung, die er im Januar 1908 nach Kopenhagen lieferte, sind die Oberflächentexturen deutlich unterschieden. Insgesamt existieren von dieser Cariatide vier Marmorfassungen, zwei davon mit non-finiten Partien. Eine dieser letzteren hatte die belgische Sammlerin Mme Dumon erworben, der Rodin in einem Brief erläuterte, dass er die Skulptur in diesem Bearbeitungszustand belassen habe, um ihre Expressivität durch die rohe Steinoberfläche zu verstärken: „Heureux si cette sculpture que j’ai laissé plus engagée pour l’effet de pierre, et devenue par cela plus expressive, puisse vous plaire complètement.“25 Zu Differenzen kam es auch mit dem britischen Sammler James Smith, der Rodin 1903 in Paris aufsuchte, wo er für 12.000 Francs eine Marmorfassung des Werkes La mort d’Athènes (Der Tod Athens) erwarb. Offenbar missfiel ihm der massive unbearbeitete Block und er bat Rodin, an diesem noch Änderungen vorzunehmen. Rodins jedoch entgegnete, er habe den Sockel nicht verkleinern können, da dieser „leider das Sujet“ sei: „Je n’ai pu retirer beaucoup de la plinthe car c’est malheureusement le sujet. c’est la montagne vivante qu’est le corps de l’adolescente, qui s’ondule comme cela.“26 Die Beispiele zeigen, dass es Rodin nicht immer gelang, seine moderne 21 So gab Jacobsen bei Rodin Bestellungen anhand von Werkabbildungen auf, die er in Publikationen gesehen hatte, etwa in Frederick Lawtons Rodin-Biographie von 1906, L’Art et les Artistes vom Februar 1907 und Figaro illustré vom März 1906. Vgl. Fonsmark 1988, S. 58. 22 Anne Pingeot: „Les Rodin de la Ny Carlsberg Glyptotek“, in: Connaissance des Arts (1995), Nr. 78, S. 44-51, hier S. 51. 23 „Je vous prie donc de ne pas l’envoyer à l’emballeur avant que vous l’avez porté à la perfection que vous vous avez proposé.“ Jacobsen an Rodin, 8.8.1907; zit. in: Fonsmark 1988, S. 170. 24 „Quant à la Caryatide j’ai remarqué que la pierre qui l’écrase ne se détache pas du corps. Cela – je vous prie aussi de me pardonner cette remarque – vous donne l’idée que la pierre fait part du corps. Auriez-vous de l’objection, s’il y aurait question d’acquérir cette œuvre, de préciser plus clairement que c’est une pierre.“ Jacobsen an Rodin, 6.8.1907; zit. in: Fonsmark 1988, S. 84, 170. 25 Rodin an Mme Dumon, 22.7.1894; zit. in: Tancock 1976, S. 58. 26 Rodin an James Smith, n. dat. (um 1904), The Henry Moore Foundation, Perry Green; Fotoreproduktion im Archiv des Musée Rodin, Paris.

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Auffassung von Vollendung mit den überwiegend noch akademischen Maßstäben verpflichteten Erwartungen seiner Sammler zu vereinbaren, wenngleich er einigen von ihnen die Möglichkeit einräumte, bis zu einem gewissen Grad in Details der Gestaltung einzugreifen. Dass Rodin kaum mit Galerien zusammenarbeitete, sondern die Verkaufsverhandlungen in aller Regel selbst führte und die Werke zumeist direkt im Atelier besichtigen und auswählen ließ, erlaubte einen konstruktiven Dialog mit den Käufern, der mitunter auch manche Vorbehalte entkräften half. 5.1.c. Fotografische Reproduktionen Rodin steuerte die Rezeption seines Werkes in besonderem Maße mithilfe des Mediums Fotografie. Aufnahmen seiner Arbeiten, die er gezielt und von unterschiedlichen Fotografen anfertigen ließ, wurden in Zeitschriften und Büchern reproduziert und von ihm in Ausstellungen integriert und verkauft.27 Zu den non-finiten Marmorwerken, die in der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommen wurden, gehört die Skulptur La Pensée, die sich in einer öffentlichen Sammlung befand und sehr häufig als Abbildung publiziert wurde. Es existiert eine größere Zahl Fotoaufnahmen von Freuler, Eugène Druet und Jaques-Ernest Bulloz, die frühzeitig in verschiedenen Kunstzeitschriften28 und Rodin-Monographien29 veröffentlicht wurden. Auffällig ist, dass keine dieser frühen Aufnahmen die Skulptur vollständig abbildet: Meist ist der Block vom Bildrand beschnitten und nur teilweise zu sehen, der Fokus liegt klar auf dem Kopf, während das traditionell nachgeordnete ‚Sockelelement‘ der Skulptur ausgeblendet ist. So bildet der Stich bei Maillard 1899 den Block zur Hälfte ab; die häufig (bei Quentin 1898, La Plume 1900, Rilke 1913 u. a.) reproduzierten Fotografien von Eugène Druet (Kat. 5.2, 5.3) zeigen den Kopf im Profil und lediglich einen Ausschnitt des Rohblocks, ähnlich die seitliche Aufnahme bei Dircks 1904. Am vollständigsten ist die frontale Aufnahme von Jacques-Ernest Bulloz (Kat. 5.4), die annähernd zwei Drittel des Rohblocks zeigt und die z.  B. in Frederick Lawtons Rodin-Biographie 1906, in der ersten, Text und Vortrag vereinenden Ausgabe von Rilkes Rodin-Monographie 1907, und in der Erstausgabe von Paul Gsells Gesprächsbuch von 1911 abgebildet ist. Einige frühe Aufnahmen der Marmore, so auch von Devant la mer (Kat. 14.2, 14.3.), sind also 27 Siehe hierzu: Les Photographes de Rodin. Ausst.-Kat. Musée Rodin, Paris u. a. 1986; Druet sieht Rodin. Photographie & Skulptur. Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie Berlin 2005; Rodin et la photographie. Ausst.-Kat. Musée Rodin, Paris 2007. 28 Gustave Geffroy: „Le Salon au Champ de Mars“, Suppl. du Le Journal, Mai 1895; Charles Quentin: „Rodin. Some further notes on his recent work“, in: The Art Journal, November 1898, S. 321-324, hier S. 321; La Plume. Numéro exceptionnel Rodin, 12 (1900), S. 344; Rainer Maria Rilke: Auguste Rodin. Leipzig 1913, Abb.  16; Kahn 1906, S.  26; Gustave Kahn: Auguste Rodin. Berlin 1909, S. 51. 29 Maillard 1899 (Frontispiz); Dircks 1904, nach S.  30; Rilke 1907b, nach S.  86; Lawton 1906, nach S. 86; Cladel 1908, nach S. 26; Otto Grautoff: Auguste Rodin. Bielefeld/Leipzig 1908, S. 33.

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um den meist überproportional großen Rohblock bereinigt, was von Rodin offenbar geduldet, wenn nicht sogar befördert wurde. Ein Vergleich früher Fotografien der Main de Dieu zeigt, dass vollständige Aufnahmen (Kat. 9.1, 9.3) von Detailabbildungen (Kat. 9.4, 9.5, 9.6) verdrängt werden, die lediglich die Hand und nur einen Ausschnitt des Sockelblocks zeigen. Erstmals vollständig abgebildet ist eine große Zahl von Werken in Léonce Bénédites Prachtausgabe des Kataloges ausgewählter Werke des Musée Rodin von 1926. Claude Keisch hat darauf hingewiesen, dass dennoch auch in den Jahren nach dem Tod Rodins eine „klassizistische Auffassung von ‚Form‘“ Auswahl und Stil der Reproduktionen prägte, die das Innovative und Experimentelle der Werke Rodins weitestgehend ausblendete.30 5.1.d. Besprechungen in Presse und Kunstliteratur Die non-finiten Marmore Rodins haben in den unvollendeten Werken Michelangelos formale Vorläufer, um die sich ein weitverzweigter theoretischer Diskurs entfaltet hatte, doch entwickelte die zeitgenössische Kunstliteratur um 1900 auch neue Kriterien, um sich dem Werk Rodins anzunähern. Eine Untersuchung der verschiedenen, auch widerstreitenden Äußerungen, die von phänomenologischer Beschreibung über Interpretation zu Theoriebildung gelangen, ist daher sehr aufschlussreich. Neben oberflächlichen, allgemein gehaltenen Urteilen finden sich schon frühzeitig sehr präzise Beobachtungen und differenzierte Deutungen. Sie speisen sich aus einem Zirkulationssystem von Meinungen und Theorien, die, einmal formuliert, an anderer Stelle aufgenommen und weiterentwickelt werden. Das folgende Kapitel ist ein Versuch, diese Vielstimmigkeit zu ordnen. Absicht ist es nicht, alle Äußerungen vollständig darzustellen, sondern den Diskurs in verschiedene thematische Schwerpunkte aufzufächern, wesentliche Positionen herauszugreifen und deren Hauptgedanken zusammenzufassen. Die Quellen sind journalistische Beiträge aus der internationalen Presse sowie kunsttheoretische Texte in Monographien, Ausstellungskatalogen und Kunstzeitschriften; der Fokus liegt auf Veröffentlichungen im deutschen, französischen und englischen Sprachraum. Rodin war seit den 1890er Jahren der meistdiskutierte Künstler seiner Zeit. Er selbst verfolgte aufmerksam die öffentliche Debatte um sein Werk und war sehr gut unterrichtet darüber, wie seine Ausstellungen und Denkmalprojekte besprochen und von Kritik und Publikum aufgenommen wurden. Durch Ausschnittdienste (L’Argus de la presse, Bonneau Artistic Correspondence, später Je lis tout) ließ er sich seit den 1880er Jahren regelmäßig Presseartikel zusenden, die er kritisch las und auf die er auch reagierte. Die kunstkritische Erörterung seines charakteristischen Marmorstils setzt bereits ein mit der Besprechung eines Werkes, das den non-finiten Marmoren vorausgeht und diese formal vorbereitet: Das Porträt der Madame Morla Vicuña (Abb. 11), deren zarter Kopf und sinnlich schimmernde Schultern sich effektvoll aus einer rauen Gewandstruktur erheben, präsentierte Rodin im Salon 30 Keisch 2005, 123-124.

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des Artistes français 1888. Die Büste ist schnell das meistkommentierte Werk der Ausstellung, die Kritiken sind überwältigend: La plus belle chose du Salon est, à mon humble avis, le buste en marbre de Mme. M. V., par M. Rodin. C’est la grâce et la force tout à la fois. Ce buste de femme émerge et semble s’élancer de son pied comme une charmante apparition. C’est l’œuvre écrasante autour de laquelle tout se tait alentour.31

In erster Linie ist es die eigentümliche und reizvolle Kontrastwirkung des graziösen Kopfes über dem rohen Stein, der „charme mystérieux de l’inachevé“, der viele Kritiker beeindruckt: La composition en est exceptionnelle. La tête, amoureusement travaillée, émerge, souriante et fine, d’un bloc de marbre taillé à grands coups et à peine épannelé. […] De là un troublant contraste. M. Rodin nous a fait quelquefois de ces surprises. Nul ne connaît mieux que lui le charme mystérieux de l’inachevé.32

Mehrfach wird darauf hingewiesen, dass die Schroffheit der Sockelzone die Wahrnehmung der übrigen Skulptur verändert und die delikate Modellierung der Haut besonders vor Augen führt: Les aspérités du marbre brut font valoir les délicatesses d’un modelé très gras quoique précis, très attentif à donner un sentiment à la figure. Ici, le sentiment n’est pas sans être quelque peu douloureux, comme s’il était pénible à l’être qui sort tout formé d’un bloc de marbre de quitter l’inconscience de la matière pour entrer dans la conscience de la vie.33

Bereits hier lässt sich beobachten, dass auf Wahrnehmungsmuster und Formulierungen zurückgegriffen wird, die aus der Michelangelo-Rezeption bekannte Topoi für Rodins Werk adaptieren – das ‚mühevolle Hervorgehen‘ der Gestalt aus dem Marmorblock oder die Überwindung der ‚unbewussten Materie‘ mit dem Eintritt in die ‚Bewusstheit des Lebens‘. Auch Naturmetaphern dienen der Verbalisierung der Seheindrücke: Ein Autor des Parisien schreibt, der Körper wachse aus dem rohen Stein hervor „wie eine Blume aus einer Muschel“34, und ein Kritiker des Intransigeant meint, regelrecht Leben aus dem Stein hervorsprießen zu sehen:

31 Gazette de France, 2.7.1888 („Das schönste Stück der Ausstellung ist meiner bescheidenen Ansicht nach die Marmorbüste der M. V. von Rodin. In ihr sind Anmut und Stärke vereint. Diese weibliche Büste scheint aus ihrer Basis aufzutauchen und Gestalt anzunehmen wie eine bezaubernde Erscheinung. Es ist ein außerordentliches Werk, um das herum alles andere verstummt.“) 32 Le Temps, 14.6.1888. Vgl. Revue Libre, Mai 1888: „Une merveille de chair délicate émerge d’un bloc mystérieusement dégrossi.“ 33 Darcel, in: Journal de Rouen, 15.6.1888. 34 Maurice Guillemot, in: Parisien, 21.5.1888: „[…] le buste d’une femme aux épaules nues, le marbre inachevé faisant comme une conque d’où jaillit ainsi qu’une fleur, la chair.“

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Enfin, Auguste Rodin expose un admirable buste de femme, que je n’hésite pas à déclarer le plus beau morceau de la galerie. Il est impossible d’animer […] davantage un bloc de marbre et d’en faire jaillir plus puissamment la vie.“35 .

Im Archiv des Musée Rodin finden sich mehr als 40 solcher Kritiken, die Rodin durch einen Ausschnittdienst erhalten hatte und in denen Madame Morla Vicuña mehrheitlich positiv bis enthusiastisch besprochen wird. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass er diese zur Kenntnis nahm und sich in seinen Versuchen bestätigt sah – zumal die Skulptur noch während der Ausstellung als eines der ersten Werke Rodins vom Französischen Staat für das Musée du Luxembourg angekauft wurde. Frühe Beobachtungen zu den Marmorarbeiten stammen von dem amerikanischen Autor Truman Howe Bartlett, der 1889 nach intensiven Gesprächen mit Rodin eine zehnteilige Artikelserie über diesen publizierte und darin – Bartlett war selbst Bildhauer – die weit verbreitete Kritik an den unvollendeten Sockelzonen einiger Porträtbüsten thematisiert, aber auch die Rodin zugeschriebene Fähigkeit, „ein unbearbeitetes Stück Marmor wie ein Kunstwerk erscheinen zu lassen“: The unfinished condition of the bases of the Laurens and Morla busts has been the subject of considerable critical comment, though one or two writers have suggested that none knew, so well as Rodin, how to make a crude and unfinished piece of marble appear like a work of art. Nor does anyone know better than he that certain heads, when made into sculpture, cannot be treated as isolated divisions of the human body but must have, as a necessity of their proper expression, some accompanying intimacy of form, some warmth of accessory. In his treatment of these busts the sculptor has shown how well he understands this rarely demonstrated principle in the art of making busts, and of the individual requirements of his subjects. All is in harmony.36

Bartlett beschreibt die non-finite Basis als Extension des Körpers, als vermittelnden Übergang zwischen der Intimität des Porträts und dem umgebenden Raum. Der Kopf ist auf diese Weise nicht isoliert, sondern eingebettet in ein vermittelndes Element. Bartlett ist zudem einer der Ersten, der die non-finiten Marmore in direktem Zusammenhang mit Rodins Bronzefragmenten sieht und deren formale Unfertigkeit bereits 1889 als komplementäre Ausprägungen einer konzentrierenden Reduktion beschreibt. Er betont die Lebendigkeit der fragmentarischen Werke und lässt keinen Zweifel an ihrer Qualität und der Wertschätzung durch anspruchsvolle Kunstkenner: Another characteristic of the sculptor is that of often stopping work on a figure the moment he has found, by general movement, the fundamental object he was seeking, and leaving the head, hands, and feet unfinished. And he gets so much life into this

35 Edmond Jaques, in: Intransigeant, 12.6.1888. (Alle Zeitungsausschnitte im Archiv Musée Rodin, Dossier 1888 Paris, Salon des Artistes français) 36 Truman Howe Bartlett: „Auguste Rodin, Sculptor“, in: American Architect and Building News, xxv (1889), Nr. 682-703. Wiederabdruck in: Elsen 1965, S. 13-109, hier S. 84-85.

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movement that the most fastidious art lovers are glad to possess such unfinished work in bronze or marble.37

Im selben Jahr 1889 notiert Edmond de Goncourt nach dem Besuch der MonetRodin-Ausstellung bei Georges Petit in sein Journal, dass Rodin, befördert durch die gegenwärtige Begeisterung für den skizzenhaften Impressionismus, auf dem Gebiet der Skulptur der erste sein dürfte, der sich einen Namen mit unfertigen Entwürfen macht.38 Sieben Jahre später äußert er dann anlässlich der Salonausstellung 1896, wo u. a. Rodins L’Homme et sa pensée zu sehen war, neben einiger Verärgerung über dessen chaotisch verschlungene Torsi auch sein Missfallen an Rodins übermäßigem Gebrauch von roher Steinmasse: La sculpture, elle, cette année, tourne à la chiennerie: ce sont des emmêlements de torses roulés l’un sur l’autre à la façon des amours de vers de terre – et décidément, Rodin abuse trop de la gangue.39

Dem einflussreichen Literaten und Kunstkritiker, der zusammen mit seinem Bruder Edmond vorrangig zur Kunst des 18. Jahrhunderts publiziert hatte, fehlt für Rodins non-finite Oberflächen noch die Terminologie, er bezeichnet sie schlicht phänomenologisch als gangue – ein Begriff, der im Bergbau taubes Gestein bezeichnet. Skepsis und Kritik: Brieger-Wasservogel, Scheffler, Nordau Von den genannten Ausnahmen abgesehen, überwiegen dennoch zunächst Unverständnis und skeptische Stimmen, die die formale Unfertigkeit der Skulpturen tadeln. Beispielhaft für die vergleichsweise lang anhaltende Ratlosigkeit unter Kritikern wie Anhängern Rodins angesichts der unfertigen Anmutung vieler Marmorskulpturen ist eine Besprechung der Weimarer Rodin-Ausstellung 1904: […] er ist keiner von denen, die auf den ersten Blick fesseln – man hält die meisten Sachen für unfertig. […] Der Tod von Athen ist mir unverständlich geblieben. Die schöne Linie der liegenden Figur ist alles, was ich bewundern konnte, alles übrige ist noch so mit dem Block, auf dem sie ruht – und aus dem sich noch andere Gliedma-

37 Ebd., S. 85. 38 Goncourt 1896/1989, Bd. 3: 1887-1896, S. 294, Eintrag vom 11.7.1889: „Exposition de Rodin et de Monet. Rodin un homme de talent, un sensuel tourneur des ondoyances lascives ou passionées du corps humain, mais avec des défauts de proportion, et presque toujours avec des extrémités qui ne sont pas entièrement exécutées. Au milieu de cet engouement impressionniste, où toute la peinture est à l’état d’esquisse, il aura fait, lui, le premier, son nom et sa gloire en sculpture avec des esquisses.“ 39 Ebd., S. 1277, Eintrag vom 4.5.1896.

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ßen hervorstrecken – verbunden, daß ich mir die Bedeutung nicht klarmachen konnte.40

Arbeitsökonomie und schlicht Bequemlichkeit wird Rodin von dem Berliner Maler und Kritiker Ludwig Pietsch mit Blick auf den Marmor L’Homme et sa pensée bei dessen Ausstellung 1901 in Berlin attestiert: Hier konnte der Bildhauer der Unzulänglichkeit der Blockgerüste nicht die Schuld geben, wenn er seine Gruppe gänzlich unfertig zur einen Hälfte im Stein stehen ließ […] Es ist noch roher, unbehauener Marmor genug … geblieben, um noch zwei oder drei von gleicher Größe daraus meißeln zu lassen. Das Unfertiglassen ist aber Rodins eigenthümliche, jedenfalls sehr bequeme, viel Arbeit sparende Manier.41

Auch der konservative Kunsthistoriker Lothar Brieger-Wasservogel beanstandet in seiner 1903 erschienenen Rodin-Studie „das Halbfertige eines Teils von Rodin’s Werk“, namentlich an L’Homme et sa pensée, bewertet es aber als unwesentliche und daher zu ignorierende Schwäche und ,französische‘ Eigentümlichkeit: Eine natürliche Notwendigkeit zu Dingen wie Der Mensch und sein Werk in unserer Nationalgallerie vermag ich nicht anzuerkennen. Ein Meisterwerk ist keine Schablonenarbeit, aber es soll auch andererseits durchaus nicht, wie Rodin meint, der Phantasie des Beschauers das Beste zu ergänzen übrig lassen. Im Gegenteil besteht doch alle künstlerische Grösse offenbar darin, seiner Aufgabe voll und rastlos gerecht zu werden. Man wird vielleicht nicht fehlgehen, wenn man in dieser Manier ein klein wenig französische Eitelkeit und Lust zur Pose entdeckt […]. Leider haben sich bis jetzt nur herzlich Wenige zu der Ansicht aufschwingen können, dass eine solche Äusserlickeit (sic) – soweit sie nicht direkt die Komposition schädigt – beim Urteile über ein Kunstwerk überhaupt nicht in Betracht kommt.42

Karl Scheffler, einflussreicher Chefredakteur der Zeitschrift Kunst und Künstler, missbilligt 1912 in seinem Büchlein zur Berliner Nationalgalerie mit Blick auf L’Homme et sa pensée die non-finite Steinbehandlung als ärgerliche Manier, die zwar eine Idee gestalte, doch epidemisch und rein gewohnheitsmäßig eingesetzt sei: Die Art, wie die Figuren aus dem rohen Block nur teilweise hervorgearbeitet worden sind, ist nicht ohne Manier. […] Der späte Rodin ist eben, bei allem Genie, nicht ohne gefährliche Unarten.43

40 Anon.: „Skizzen aus der Landeshauptstadt. Rodin-Ausstellung“, in: Jenaische Zeitung, 17.7.1904; Wiederabdruck in: Jena 2005, S. 269-270. 41 Ludwig Pietsch: „Die Sammlung Felix Koenigs in der Nationalgalerie“, in: Vossische Zeitung, Nr. 167, 11.4.1901; zit. in: Claude Keisch: Göttin – Passantin – Stele. Max Klingers Amphitrite. Berlin/Köln 2003, S. 40. 42 Lothar Brieger-Wasservogel: Auguste Rodin. Eine Studie. Straßburg 1903, S. 12. 43 Karl Scheffler: Die Nationalgalerie zu Berlin. Ein kritischer Führer. Berlin 1912, S. 282.

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Dass Rodins „dreiste Formlosigkeit ein bequemer Deckmantel für gründliches Nichtskönnen ist“44, befindet auch der unter dem Pseudonym Max Nordau publizierende reaktionäre Kulturkritiker Max Simon Südfeld (1849-1923) in einem an offener Antipathie und ätzender Schärfe beispiellosen Artikel 1908 in der Wiener Neuen Freien Presse: Unter dem Einfluß einer Umgebung, die sich allmählich zu einem Hofstaat verzückter Korybanten entwickelte, überließ er sich allerlei albernen Schrullen, von denen einige nur lächerlich, andere aber sträflich anstößig waren, bis er zuletzt jede Zurückhaltung, jede Scheu, jede Spur von Selbstkritik verlor und zum tiefen Stand eines Clowns hinabglitt, der die Welt und sich selbst zum besten hat. Er holte sich einen gewaltigen Rohblock heran, bearbeitete einen winzigen Teil davon und ließ das Uebrige, wie es aus dem Steinbruch losgesprengt worden war […] und erhob diese Unfertigkeit, dieses Ungefähr, dieses faule und flüchtige Patzen zum Kunstprinzip.45

Der jüdische Publizist und Mediziner, der bereits 1892/93 in seiner breiten psychopathologischen Studie Entartung am Beispiel von Baudelaire, Nietzsche und Wagner und anderen seine Thesen zur Dekadenz der Kunst, Musik und Literatur des Fin de Siècle vorgetragen hatte, sah sich als Sprachrohr jener Kreise des deutschen Bürgertums, das neuen Bewegungen in den zeitgenössischen Künsten mit tiefem Misstrauen begegnete. Die ästhetischen Normen der Weimarer Klassik verteidigte er gegen vermeintlich zersetzende Einflüsse, vornehmlich aus Frankreich, die er pathologisierte und als „entartet“ diffamierte.46 Sein oben zitierter Artikel erschien im Juni 1908 anlässlich der Empfehlung der Berliner Akademie der Künste, Rodin mit dem preußischen Orden Pour le mérite auszuzeichnen und geht zurück auf eine Schmähschrift gegen Rodin, die Nordau 1905 in seinem Essayband Von Kunst und Künstlern veröffentlicht hatte. Diese beiden Texte sollen hier trotz aller ideologischer Überzeichnung ausführlicher wiedergegeben werden, da sie nicht nur die in diesen Jahren überpräsente Kontroverse um Rodin zuspitzen, sondern auch die damals diskutierten Wahrnehmungsmuster der non-finiten Marmore wie in einem Zerrspiegel wiedergeben: Er nimmt einen unverhältnismäßig großen Würfel, den er in der Tagelöhnerbearbeitung läßt, wie er aus dem Steinbruch hervorgeht, und arbeitet ein kleines Eckchen davon zu einem mit feinster Tiftelei zurechtgeleckten Kopf und Leib aus. Die Gestalt wächst auf diese Weise aus dem natürlichen Stein heraus oder in ihn hinein. Von drei

44 Max Nordau, 25.6.1908: „Pour le mérite“, in: Neue Freie Presse, Wien, Erscheinungstag unbekannt; Wiederabdruck in: Jena 2005, S. 297-299, hier S. 297. 45 Nordau 2005 (1908), S. 298. 46 Jens Malte Fischer: „Dekadenz und Entartung. Max Nordau als Kritiker des Fin de siècle“, in: Roger Bauer u. a. (Hrsg.): Fin de Siècle. Zu Literatur und Kunst der Jahrhundertwende. Frankfurt a. M. 1977, S. 93-111, hier S. 103. Vier Jahrzehnte später argumentierte die nationalsozialistische Kulturpolitik mit verwandter Terminologie und Thesen, die zum Teil auf den bekennenden Zionisten Nordau zurückgehen.

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Seiten betrachtet stellt sich dem Auge ein Felsklumpen oder Wackerstein dar, erst auf der vierten offenbart sich das gleichsam in der Wildnis erblühende Kunstwerk.47

Nordau referiert einige der von Kollegen vertretenen Interpretationsvorschläge, die er polemisch überspitzt und allesamt als „Redensarten“ abtut: die Veranschaulichung des Schöpfungsaktes als Entwicklung organischer Form aus chaotischem Urstoff, die Beseelung des toten Steins, die impressionistische Darstellung von Flüchtigkeit, das Essenzhafte des Fragments, und den Reiz des Ruinenhaften für die Imagination des Betrachters: Die Ideenassoziation, die Rodin mit seinem Kniff erwecken will, soll die Vorstellung im Bewußtsein aufdämmern lassen, daß sich hier vor unseren Augen ein Schöpfungswunder vollzieht, daß wir die Fleischwerdung des Steins leibhaftig überraschen, daß wir Zeugen der Geburt organischer Form aus dem leblos starren Urstoffe sind und beobachten können, wie die Gestalt, noch halb im Chaos gefangen, sich daraus mühselig zur durchgeistigten Bildung freiringt.48 Der gewaltige Rohblock mit dem Zipfelchen Bildhauerei? Beschauer, stehe erschüttert vor dem Wunder, wie der wüst chaotische, tote Fels durch den Gedanken und den Willen des Genies zu Leben und Schönheit beseelt wird! Die Schmiererei einer Modellierung, welche die Gestalt nicht einmal bis zum Zustand kanatischer Götzenbilder fördert und Menschenleiber einem kaum zubehauenen, noch mit der Borke überzogenen Baumstamm gleichen läßt? Das ist die vornehme Scheu des Künstlers vor Glätte und Süßlichkeit, das ist Impressionismus, der die leisesten Schauer des Lebens festhält. Die grundsätzliche Anfertigung bis zur Unkenntlichkeit formloser oder grillenhaft verstümmelter Bruchstücke? Der Künstler unterdrückt das Unwesentliche, um seine Absicht reiner hervortreten zu lassen; er hebt die Schönheit und Eigenwürde einer Einzelheit hervor, die sonst von der Tyrannei des Ganzen unterdrückt wird; er fügt dem künstlerischen Wert des Werkes den geheimnisvollen Reiz des Ruinenhaften hinzu, das die Einbildungskraft zu selbständigen Ergänzungen anregt und wunderbare Abenteuer alter Jahrtausende ahnen läßt. Redensarten dieser Art machen auf den Durchschnittleser, der über die Zeilen hingleitet, ohne sich etwas dabei zu denken, immer Eindruck.49

Wie Scheffler kritisiert auch Nordau, dass die non-finite Gestaltung nur selten aus dem Motiv ableitbar ist, sondern inflationär angewendet wird: Es gibt Vorwürfe, bei deren Darstellung die Rodinsche Manier ein glücklicher Fund gewesen wäre: etwa die Erschaffung Adams aus einem Erdkloß, oder die Deukalionund Pyrrha-Sage, oder ein prometheisches Motiv. Aber die gleichmäßige Anwendung auf alle möglichen Stoffe, auf banale Büsten oder Gruppen, die zum Gedanken des Schaffens und Werdens keine Beziehung haben, läßt die Manier als das erkennen, was sie ist: als Effekthascherei mittels des Sonderbaren.50 47 Max Nordau: „Auguste Rodin“, in: Ders.: Von Kunst und Künstlern. Beiträge zur Kunstgeschichte. Leipzig 1905, S. 242-258, hier S. 246-247. 48 Ebd., S. 247. 49 Nordau 2005 (1908), S. 298. 50 Nordau 1905, S. 247.

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Und auch Nordau unterlässt es nicht, die unbedachte Nachahmung durch andere Künstler zu schmähen, wobei er in einer erstaunlichen, sich selbst widerlegenden Volte dem rohbehauenen Block einen höheren künstlerischen Wert beimisst als dem figürlichen Part: Natürlich hat diese auffallende und mühelos nachahmliche Schrulle Schule gemacht. Kein Amerikaner und Skandinavier, der den Philister mit ‚Modernismus‘ verschüchtern will, unterläßt es, ein möglichst winziges Stückchen meist jämmerlicher Bildhauerei auf einem möglichst zyklopischen unbearbeiteten Felstrumm zu zeigen. Man kann nicht sagen, daß der Scherz billig ist. Der unbehauene Marmorblock stellt oft einen ziemlich hohen Gegenwert dar, einen höhern jedenfalls als der gemeißelte Zipfel. Man kann nur sagen, daß jeder Schwachkopf das Kunststück fertig bringen kann, zu einer Handvoll Gestalt einen tonnengroßen Steinklotz als Untersatz zu benützen.“51

Karikaturen Natürlich ist das Non-finito auch ein ergiebiges Thema für satirische Überzeichnungen und Karikaturen. Der populäre Illustrator Charles Léandre zeigt auf dem Titel der Satirezeitschrift Le Rire vom 4. Juni 1898 „Auguste Rodin, sculpteur auguste“, dessen Kopf sich aus dem gewaltigen Gebirge seines Vollbartes erhebt, der das non-finite Sockelmassiv seiner bekannten Porträtbüsten zitiert (Abb. 26). Kurz darauf, am 11. Juni 1898, erscheint in La Vie parisienne eine Karikatur von Henry Gerbault, die eine gänzlich amorphe Skulptur zeigt, die als Porträtbüste von der Hand Rodins ausgewiesen wird, die „reizende Tochter“52 des Hauses darstellend, in ihrer Funktion als Porträt jedoch ad absurdum geführt (Abb. 27). Ein anderes Beispiel ist die Parodie auf das Marmorporträt von Georges Clemenceau (Abb. 28), die zuerst am 1. Mai 1912 in der Zeitschrift Comœdia (Abb. 29) und einige Zeit später nochmals in der Zeitschrift Art et Industrie veröffentlicht wurde. Clemenceau (1841-1929), der bis 1909 Premierminister Frankreichs gewesen war, hatte im Frühjahr 1911 Porträtsitzungen bei Rodin zugestimmt, bei welchen eine Serie von mehr als 30 Köpfen entstand, in denen sich Clemenceau mehrheitlich verunglimpft sah.53 Das Marmorporträt, das Rousaud 1912 nahezu zeitgleich mit Puvis de Chavannes ausführte und das dessen formaler Anlage ähnelt, hatte Rodin als Ausstellungsstück für den Salon 1912 angekündigt (wo es auch im Katalog verzeichnet ist), dann jedoch zurückgezogen.54 Die Karikatur bezieht sich auf die Tatsache, dass der Marmor nicht pünktlich zum Salon, der Mitte April eröffnet wurde, fertiggestellt war: Tatsächlich belegen Briefe Rousauds55, dass er mindestens bis August 1912 an dem Werk arbeitete. Rodin werden die Worte in den Mund gelegt: 51 Ebd., S. 247-248. 52 Bildunterschrift: „On a eu raison de vous dire que ma fille était charmante. D’ailleurs, voici son buste par M. Rodin“. 53 Barbier 1987, S. 27. 54 Beausire 1988, S. 334. 55 Barbier 1987, S. 27.

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Abb. 26: Karikatur Rodins von Charles Léandre, publiziert in: Le Rire, 4. Juni 1898

Abb. 27: Karikatur von Henry Gerbault, publiziert in: La Vie parisienne, 11. Juni 1898

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Abb. 28: Auguste Rodin: Clemenceau, 1911-12, Paris, Musée Rodin

„Pas fini! pas fini! mon Clemenceau engagé dans ce bloc! … Vous ne comprenez pas? Ce bloc? son bloc de la Révolution dont il a dit qu’on ne pouvait rien détacher!  …“. Den Terminus ‚bloc’, der hier nur vordergründig den Marmorblock meint, hatte Clemenceau im Jahr 1891 anlässlich des Streits um die Absetzung des revolutionskritischen Theaterstücks Thermidor 56 von Victorien Sardou in die politi56 Gudrun Gersmann, Hubertus Kohle (Hrsg.): Frankreich 1871-1914. Die Dritte Republik und die Französische Revolution. Stuttgart 2002, S. 101-106.

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Abb. 29: Karikatur von George Edward, publiziert in: Comœdia, 1. Mai 1912

sche Debatte eingeführt. Er bezeichnete die Französische Revolution als ‚Block‘, als einheitliches und unteilbares Erbe, das man in seiner Ganzheit – mit allen radikalen Folgen – mitträgt oder ablehnt („La Révolution francaise est un bloc dont on ne peut rien distraire, parce que la vérité historique ne le permet pas.“). Im Porträt Rodins ist Clemenceau in diesem ‚bloc‘ nun sprichwörtlich gefangen. Mittels dieses Sprachspiels arbeitet die Karikatur also auf zwei Ebenen, indem sie einerseits Bezug auf den politischen Diskurs der Zeit nimmt, mit der einleitenden Floskel „Pas fini! Pas fini!“ aber auch deutlich macht, dass Rodins non-finite Marmorwerke noch im Jahr 1912 die allgemeine Auffassung von Vollendung unterliefen, zudem, wenn es sich um das Porträt eines prominenten Politikers handelte. Plastisch-Malerisch Den Berliner Kritiker Franz Servaes irritiert die Störung der illusionistischen Nachahmung, die durch die nicht-abbildenden Partien unterbrochen wird. Andererseits würdigt er die seelenvolle Lebendigkeit des Steins und die malerische Wirkung, die der Eindruck des Unfertigen hervorruft. Über Rodins Exponate in der Dresdener Internationalen Kunstaustellung 1897, darunter La Vague, die zweite Fassung von Fugit Amor und eine Gipsfassung der torsierten Méditation, schreibt er in der Literatur- und Kunstzeitschrift Die Gegenwart:

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Jener Duft und Hauch, den sonst nur der Maler hat, Rodin giebt ihn auch der Plastik. […] er führt nur wenig aus, unterdrückt viele Details, giebt seinen Werken den Charakter der Unfertigkeit. Zuweilen, wie nicht geleugnet werden soll, zeigt er darin eine störende Absichtlichkeit. Er giebt einzelnen Schöpfungen etwas Ruinenhaftes, läßt ganze Strecken kahl und deutet andere mager an. Warum das? Ich finde es äußerst tadelnswerth, weil Rodin die illusionäre Kraft seiner Bildwerke damit schädigt.57

Richard Sattelmair beanstandet 1928 in seiner Würzburger Dissertation zu Rodin am Beispiel von La Terre et la Lune dessen überproportionalen Rohblock als „plastische Unerträglichkeiten“58. Der Steinfond sei ein artifizielles Hilfsmittel und bloßes Gerüst der Figuren, das von Rodins plastischem Unvermögen zeugt, Raumempfinden und Schwerkraft allein mithilfe der Körper darzustellen: Es wird nun eine Leblosigkeit wieder durch eine Leblosigkeit dargestellt, ein plastisches non-sens. Dieser Steinhintergrund ist blanke Kulisse, leblos, wie es der Stein nur sein kann. […] Roding [sic] ringt um die glaubhafte Anschauung einer sphärischen Entrückung, einer hochschwebenden Vertikalen. Er gewinnt dieses notwendige Höhenempfinden durch den Körper allein, wie es Verpflichtung seiner Bildnerei gewesen wäre, nicht. Er baut eine theatralische Gipsmasse auf, um der Mondgestalt die Möglichkeit des Schwebens zu geben. Es sind das plastische Verirrungen übelster Art. Weil der Stein in seiner anorganischen Qualität empfunden und gegeben ist.59

Auch Sattelmair bringt mit Nachdruck zur Geltung, dass Rodin mit dem non-finiten Rohblock den Illusionismus des Werkes bricht, „daß er die plastische Sicherheit verliert und grenzübergeht: der malerische, der ‚impressionistische‘ Rodin. Dieses malerische, plastisch-blinde Auge läßt Rodin sogar die Wesenstrennung von Kunst und Wirklichkeit übersehen.“60 Der rohe Stein ist anti-illusionistisch, nicht der Sphäre des Werkes, sondern der realen Welt zugehörig, was zur Folge hat, dass die ästhetische Grenze nicht mehr zwischen Außenwelt und Werk verläuft, sondern innerhalb des Kunstwerkes. Fehlende Materialgerechtigkeit: Hildebrand Mangelnde Materialgerechtigkeit und künstliche Effekthascherei sind die Vorwürfe, die der deutsche Bildhauer und Skulpturtheoretiker Adolf von Hildebrand (1847-1921) dem Non-finito Rodins entgegenbringt. Ein Aufsatz Heinrich Wölfflins61, der Hildebrands ablehnende Haltung gegenüber Rodin anspricht, gab diesem Anlass für detaillierte Überlegungen zu Rodins Arbeit in Stein, die er 1917 in 57 Franz Servaes: „Die Dresdener Internationale Kunstausstellung“, in: Die Gegenwart, Nr. 36, 4.9.1897, Bd. LII, S. 153-156, hier S. 154. 58 Richard Sattelmair: Zum Symbolwert der Form bei Rodin. Regensburg 1929, S. 48. 59 Ebd. 60 Ebd. 61 Heinrich Wölfflin: „Adolf von Hildebrand zu seinem siebzigsten Geburtstag“, in: Kunst und Künstler, XVI, 1918. S. 6ff. Wölfflin sandte sein Manuskript bereits 1917 an Hildebrand.

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einem Manuskript formulierte, das zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht blieb. Der Text war eine Replik auf Wölfflin, die den Eindruck korrigieren sollte, Hildebrand verurteile Rodin pauschal, da er durchaus die Energie und Lebendigkeit seiner Werke bewunderte. Doch Hildebrand, der in seiner von Kunsttheoretikern und Künstlern vielgelesenen Schrift Das Problem der Form in der bildenden Kunst (1893) Geschlossenheit, Formdisziplin und die reliefähnliche Einansichtigkeit von Skulptur vertrat, kritisiert die Unfähigkeit Rodins, große Einheiten zu schaffen,62 den Mangel an architektonischer Struktur, und tadelt vor allem dessen unauthentische Steinbearbeitung. Hildebrand selbst war eine leidenschaftlicher Verfechter der taille directe, des direkten Arbeitens in Stein, und so ist sein zentraler Kritikpunkt, dass Rodins Arbeit in Marmor nicht materialgerecht sei. Rodin, der nie direkt in den Stein arbeite, sondern den Umweg des Tonmodells nehme, simuliere einen Arbeitsprozess, der so nie erfolgt sei. Er missverstehe den Charakter und die Notwendigkeit der unvollendeten Partien bei Michelangelo und imitiere sie, um künstliche visuelle Effekte zu erzeugen. Hildebrand beanstandet, […] daß neben dem erstaunlichen organischen Lebensgefühl doch Mittel benützt waren, um Eindruck zu machen, die einem Entstehungsprozeß entstammen, der hier nicht stattgefunden hat, und die hier nur als täuschende Reizmittel verstanden und künstlich verwendet wurden. Jeder, der aus Stein direkt gearbeitet hat, sieht sofort, daß Rodin die Arbeitsspuren bei Michelangelos angehauenen unfertigen Marmorarbeiten rein als äußerlichen Reiz aufgefaßt und verstanden hat, den man auch an sich anwenden kann. Wie er das verwertet hat, zeigt dem Sachkundigen sofort, daß er nie selbst direkt etwas in Stein gehauen hat, weil er es so angebracht hat, wie es überhaupt gar nicht entstehen kann bei natürlichem Prozeß.63

Entsprechend bezeichnet Hildebrand die unfertige Erscheinung als „Schwindel“, da sie lediglich eine Äußerlichkeit sei und keine im Formfindungsprozess begründete Notwendigkeit besitze: Ich mache auf diesen gewiß ganz unbewußten Schwindel nur deshalb aufmerksam, weil er die Möglichkeit davon zeigt, daß eine Erscheinung ihrem Sinn nach, d. h. als Ausdruck eines Lebens- und Entstehungsvorgangs, oder aber auch als bloßer äußerer 62 Hildebrand an Wölfflin, 16.9.1917: „Ich bewundere nämlich Rodin sehr als speziellen Bildhauer, wenn ich ihn auch keinen Künstler im eigentlichen Sinn nennen kann. Wo er ein Ganzes schaffen will, ist er ahnungslos. Organisch und lebensvoll aber den Körper erfassen, hat er wie wenige verstanden, ein gewaltiger Spezialist.“ (zit. nach: Bernhard Sattler (Hrsg.): Adolf Hildebrand und seine Welt. Briefe und Erinnerungen, München 1962, S. 671). Ferner: „Das ist der Rodin, den auch ich bewundere. Gäbe es keinen anderen, als diesen Fragmentisten, wie viel größer stünde er da. Man hätte stets bedauert, daß von seinen Werken nur Stücke übrig geblieben sind, hätte geglaubt, ein unglückseliges Temperament hätte daran Schuld. […] Daß dem aber nicht so war, zeigt, daß Rodin ganze und viele Kunstwerke in diesem Zustande hinterließ, die darauf hinweisen, daß er das Ganze, die Vollkommenheit eines Kunstwerkes gar nicht kannte.“ (zit. nach: Alexander Heilmeyer: „Adolf von Hildebrand über Rodin“, in: Die Plastik, 11 (1921), S. 14-15, hier S. 15). 63 Adolf von Hildebrand: „Rodin“, in: Ders.: Gesammelte Schriften zur Kunst. Bearb. von Henning Bock. Köln 1969, S. 425-430, hier S. 426.

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Reiz aufs Auge angesehen werden kann, als ein Erscheinungsfaktor an sich in derselben Weise, wie ein Wort bloß als Klangwert ohne Sinnbedeutung auch einen Existenzwert hat, eine Qualität besitzt.64

Hildebrand sieht als generelle Schwäche Rodins ein grundsätzlich problematisches Verhältnis zum Material Marmor. Seine Bearbeitung, die stets vom Formen in Ton ausgeht, werde dem Werkstoff Stein nicht gerecht, und verkenne dessen eigentlich wesenhafte Möglichkeiten. Rodin habe überdies nie selbst in Stein gearbeitet, sondern die mechanische Ausführung seinen Assistenten überlassen: Der Marmor spielt nur eine Rolle als äußerer Stoff mit seinen Reizen und Möglichkeiten. Von dieser Seite wurde er ausgenützt. Blöcke blieben künstlich stehen, wo sie gar keinen Sinn für den Kundigen haben, um den Eindruck zu machen, daß es frei ausgehauen sei. Gegensätze von feinster Durchführung und bloß derb angehauener Masse wurden als Reiz an sich benutzt, ohne allen innerlichen Grund des Entstehungsprozesses. Jeder, der in Stein geschaffen hat, sieht sofort, daß es so nie entstehen konnte und rein als äußerlicher Kitzel fürs Auge benutzt war. Er hat es gewiß auch nie selbst gemacht, sondern ließ zu dem Zweck von Arbeitern nur des Effektes wegen äußerlich so behandeln, was ganz mechanisch entstanden war. Sein Erlebnis war nur in Ton, der Marmor eine gefälschte, unechte Sprache. Er war darin gewiß ganz naiv, die anderen konnten es ja auch nicht anders, nur war er couragierter im Schwindel.65

Natur, Metamorphose: Morice, Symons, Lintilhac Nicht wenige Autoren nähern sich dem Non-finito mit Naturmetaphern. Der symbolistische Dichter und Kunsttheoretiker Charles Morice räumt 1899 dem transformatorischen Charakter der Werke Rodins einen besonderen Stellenwert ein. Rodins Fragmente, die zunächst wie Entwürfe wirkten, erwiesen sich als sehr ausgereifte Werke, die vollendeter seien als die geglätteten Arbeiten akademischer Bildhauer, denn sie besäßen die Fähigkeit zur Entwicklung, „wie das Leben selbst“: Ce que vous preniez pour une ébauche, regardez mieux, c’est précisément une œuvre très poussée, et c’est parce qu’elle est telle qu’elle paraît susceptible de développement; comme la vie elle-même. Ici se livre la seule acception vraie (s’il y en a une en art) du mot ‚finir‘. C’est: rejoindre la vie qui ne commence et ne s’achève jamais, qui est en développement perpétuel. Autrement compris le même mot ne pourrait avoir qu’un sens négatif, le sens de la mort, et c’est bien ainsi que l’emploient les sculpteurs médiocres, ou de l’Institut : ils finissent, – c’est-à-dire qu’ils isolent leurs œuvres de la vie, – c’est-à-dire qu’ils donnent à leurs œuvres les caractères de la mort.66

64 Ebd. 65 Ebd., S. 430. 66 Charles Morice: Rodin. Conférence lue à la Maison d’art à Bruxelles, le 12 mai 1899. Paris 1900, S. 16-17.

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Morice definiert Vollendung als im Kunstwerk wirksame Fähigkeit, das ‚Leben‘ wiederzugeben, das selbst weder Anfang noch Ende hat und sich unablässig erneuert. Die akademischen Bildhauer hingegen glätteten und ‚vollendeten‘ im negativen Sinn, trennten ihre Werke aus dem Lebensfluss heraus. Vollendung, wie sie die Klassik fordere, sei gleichbedeutend mit Stillstand und Mortifizierung. Édouard Herriot schreibt 1928 über den Gipsabguss L’Homme et sa pensée im Musée Rodin, er sei „un plâtre admirable, l’homme et sa pensée, nous révèle de quelle façon il voyait les formes se dégager de la nature, dont il ne consentait pas toujours à les séparer.“67 Und der britische, ebenfalls dem Symbolismus nahestehende Dichter und Kunstkritiker Arthur Symons begreift die unlösliche Verwurzelung der Figuren in ihrem Rohblock als Verbindung zur Erde und zur Natur: Other sculptors turn life into sculpture, he turns sculpture into life. His clay is part of the substance of the earth, and the earth still clings about it as it comes up and lives. […] That link with the earth, which we find in the unhewn masses of rock from which his finest creations of pure form can never quite free themselves, is the secret of his deepest force. It links his creations to nature’s, in a single fashion of growth.68

So wird die fließende Entwicklung der Form aus dem rohen Stein häufig zu organischen Wachstumsprozessen der Natur in Beziehung gesetzt, so auch von einem Autor des Journal de St-Pétersbourg, der umschreibt, wie der Hals einer Büste aus dem rohen Stein „keimt wie ein Halm aus der dunklen Erdscholle“ („comme une tige s’enfonce dans la glèbe ténébreuse“)69. Ähnlich Eugène Lintilhac, der in seinem Bericht über das 1916 neu gegründete Musée Rodin bisher unbekannte Werke beschreibt, die auf die blockhaft kompakte, vereinheitlichte Form Michelangelo zurückgehen, und deren Durchbrüche und Öffnungen in der non-finiten Umsetzung gefüllt sind. Die Figur entwickele sich hier aus dem mineralischen Gestein wie eine Knospung oder Blüte: Il y trouvera aussi le régal de plusieurs œuvres inédites, achevées ou ébauchées, dans cette dernière manière de Rodin où, retrouvant encore une leçon de Michel-Ange, il s’applique à masser les formes pour y diminuer les vides, si bien que les figures apparaissent sur le bloc, où elles sont encore engagées, comme une floraison naturelle du marbre.70 67 Édouard Herriot: „Dans les jardins de l’Hôtel Biron“, in: L’Art vivant, Nr. 73, 1928, S. 5. 68 Symons 1902, S. 957; siehe auch Rosenfeld 2001, S. 168. 69 „[…] une tête de femme, d’une intense expression intellectuelle, émergeant d’un bloc de pierre brute, où son cou se perd, comme une tige s’enfonce dans la glèbe ténébreuse“ H. V.: „Alliance Française. Une soirée franco-russe“, in: Journal de St-Pétersbourg, n. dat.; Archiv Musée Rodin. 70 Eugène Lintilhac: „Le Musée Rodin“, in: La Grande Revue, Paris, Nov. 1916, S. 1-8, hier S. 6 („Man wird dort auch in den Genuss einiger bisher unbekannter Werke kommen, vollendeter oder nur begonnener, in jener späten Manier Rodins, in der er zu einer Lehre Michelangelos zurückfindet und sich bemüht, die Formen zu versammeln und die Leerräume zu schließen, so dass die Figuren aus dem Block auftauchen, dem sie verbunden bleiben, wie eine natürliche Knospung des Marmors.“)

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Verlebendigung: Muther, Kahn Eine zentrale Position im Diskurs um Rodins non-finite Marmorarbeiten nimmt der Aspekt der scheinbaren Verlebendigung des Steins ein. Diesen spricht zuerst der Kunsthistoriker und –kritiker Richard Muther (1860-1909) an, einflussreicher Kopf der deutschen Kunstszene und populärer Fürsprecher vor allem der modernen Malerei,71 in seiner sensiblen Rezension der Wiener Secessionsausstellung 1901, bei der auch La Terre et la Lune und La Terre in Gips zu sehen waren: Nie denkt Rodin an handwerkliches Fertigmachen. Man glaubt dem Schöpfungsprocess beizuwohnen, der Hand des Künstlers zu folgen, wie sie tastend, formend und knetend den Stoff beseelt. Und dieser bleibt stets das natürliche Erdreich, aus dem die Gestalten emporwachsen, die Atmosphäre gleichsam, in der sie leben. Sie sind nicht losgelöst, nicht in das Nichts gesetzt. Sie haben von Anbeginn im Marmor geschlummert, haben Leben erhalten durch einen prometheischen Geist und können im nächsten Moment wieder Marmor werden, so wie Daphne, von Apollo verfolgt, zum Baum erstarrte. Das ist das Eigenartige, schwer zu Vereinende an Rodin, dass er das Allerraffinierteste, Modernste ausdrückt und gleichzeitig auf die Urbedingungen aller Plastik zurückgreift […].72

Muther, einer der „beliebtesten Antiakademiker unter den Kunsthistorikern“73, der im folgenden Jahr 1902 Rainer Maria Rilke beauftragen wird, für seine Reihe illustrierter Künstlermonografien einen folgenreichen Rodin-Essay zu schreiben, ist einer der ersten Autoren, der Rodins eminente Modernität in der Vereinigung widersprüchlichster Anliegen erkennt: Die einem Schöpfungsprozess vergleichbare Verlebendigung der toten Materie und die immer auch implizierte Re-Mortifizierung veranschauliche Rodin in Stein, dem statischsten aller Stoffe. Der Ursprung der Figur bleibt aufgehoben im non-finiten Rohblock, der sie teilweise noch einschließt und ihr eine Verankerung gibt. Muther lobt zudem die progressive Ausstellungspolitik der Secession, die „es wagte, auch so schwer zu verdauende Kost zu bieten“.74 Otto Grautoff rühmt 1908 an der Danaïde die „zauberhafte Verbindung zwischen dem toten Marmorblock und den durch den Meißel beseelten Partien, die dadurch nicht in die Sphäre einer abstrakten Idealität erhoben werden. Der Ausdruck der Lebendigkeit ist durch dieses Mittel wesentlich gesteigert. Oft […] hat Rodin den Hintergrund direkt als Kulisse verwandt, vor der sich die Figuren abheben.“75 Auch dem symbolistischen Autor Gustave Kahn scheinen Rodins 71 Vgl. Rotraud Schleinitz: Richard Muther – ein provokativer Kunstschriftsteller zur Zeit der Münchener Secession. Hildesheim/Zürich/New York 1993. 72 Richard Muther: „Die Ausstellungen im Januar 1901“, in: Muther 1901, S. 94-111, hier S. 107. 73 Peter H. Feist: „Muther, Richard“, in: Peter Betthausen u. a. (Hrsg.): Metzler Kunsthistoriker Lexikon. Stuttgart/Weimar 1999, S. 277-279, hier S. 278. 74 Muther 1901, S. 107. 75 Grautoff 1908, S. 80-82.

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Rohblöcke von Leben durchdrungen. Erst der Stein liefere den notwendigen Rahmen, vor dem ein zarter Porträtkopf seine Wirkung entfalten kann. Kahn deutet aber auch an, dass dieser Effekt in seiner übermäßigen Anwengung an Wirkung einbüßt: Voici un beau bloc de matière animée de génie. Ce n’est plus un socle, c’est un cadre, et quelle valeur prend la délicatesse de la tête sur la massivité de pierre dont elle n’est pas tout à fait délivrée. Les premières fois, l’effet fut grand.76

,Werden‘: Kassner, Simmel, Grautoff, Rechberg, Rave Eng verknüpft mit der Idee der Verlebendigung ist der transitorische Eindruck des ‚Werdens‘. Bereits 1889 beschreibt ein Kritiker der Tageszeitung Le Temps die bei Georges Petit ausgestellte Galatée (Kat. 1) als Zeugnis einer ‚Bild-Werdung‘, ohne jedoch den naheliegenden Bezug zum Pygmalion-Mythos zu herzustellen. Der Figur, noch halb im Stein eingeschlossen, hafte der Genuss der Andeutung an; sie veranschauliche jenen Augenblick, in dem die vom Künstler vorgestellte Form Gestalt annimmt: C’est, parmi les marbres, une Galathée encore à moitié prise dans la pierre, et qui symbolise les joies de l’ébauche, cette seconde où l’artiste voit la forme rêvée qui commence à poindre, avec l’espoir de la pousser jusqu’à la perfection […].77

Feinsinnig beschreibt dies auch Rudolf Kassner nach seinem Besuch des Pavillon d’Alma im Juni 1900: Die Körper sind nicht frei, oder wenigstens ein großer Teil von ihnen ist es nicht. Etwas an ihnen ist noch unbehauener Stein, der Unterkörper oder die Arme. Rodins Reliefs haben eine ähnliche innere Bedeutung wie seine Torsi. Es sind natürliche Reliefs; die Menschen bleiben immer im Relief des Stoffes, aus dem sie werden sollen. Man weiß da oft nicht, ob diese Körper aus dem Steine hervorbrechen oder sich wieder in ihn einfalten. […] Und wenn sie frei sind, so haben sie etwas Zitterndes, Fieberndes, Geblendetes, als wollten sie wieder zurück in das Schweigen, aus dem man sie gezwungen. Wie Fische, die man ans Ufer geworfen hat!78

In Ermangelung eines besseren Begriffs nennt Kassner die Skulpturen „Reliefs“, obwohl sie, bis auf Ausnahmen wie La Terre et la Lune, zumeist allansichtig sind. Er sieht die Verwandtschaft mit Rodins Torsi, und er beschreibt die eigentümliche Uneindeutigkeit der Bewegungsrichtung, das Hervorgehen aus bzw. Wiedereingehen in den Stein. Kassner resümiert lapidar: „Von allen lebenden Bildhauern ist Rodin der modernste.“79 76 77 78 79

Kahn 1925, S. 90. Le Roux 1889, S. 2. Kassner 1900/1974, S. 99-100. Ebd., S. 102.

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Georg Simmel (1858-1918) ist schließlich der erste Autor, der in einer breiten kunsttheoretischen Erörterung den transitorischen Charakter der Werke Rodins als spezifisches Merkmal seiner Modernität bestimmt. Sein erster Aufsatz mit dem programmatischen Titel Rodins Plastik und die Geistesrichtung der Gegenwart80 entsteht 1902 nach dem Besuch der Rodin-Retrospektive in Prag. Daran schließt der 1909 publizierte Text Die Kunst Rodins und das Bewegungsmotiv in der Plastik an, den Simmel zwei Jahre später in überarbeiteter Form in seinen Essayband Philosophische Kultur aufnimmt. Er hält zudem Vorträge über Rodin 1908 in Berlin und 1911 in Wien. Für Simmel, dessen soziologische und kulturphilosophische Untersuchungen der Fragmentisierung aller Lebens- und Erfahrungsbereiche und deren ästhetischer Kompensation gelten81, wird Rodin zum Inbegriff des modernen Schöpfers und sein Werk zum „Schlüssel des Zeit- und Selbstverständnisses“82, das in der Überwindung von Klassizismus wie auch Naturalismus die „Intensität des modernen Geistes“83 verkörpert. Rodins Figuren empfindet er als unbeständig und labil, und insbesondere die scheinbar unfertigen Marmore sind für ihn Sinnbilder moderner Existenz, die ständiger Veränderung unterworfen ist: Ebenso ist das Sichherausheben der Figur aus dem Stein, den Rodin oft noch Teile von ihr umfangen läßt, die unmittelbare Versinnlichung des W e r d e ns, in dem jetzt der Sinn ihrer Darstellung liegt. Jede Figur ist auf einer Station eines unendlichen Weges erfaßt, durch die sie ohne Aufenthalt hindurchgeht – oft auf einer so frühen, daß sie nur in schwer erkennbaren Umrissen aus dem Block herausragt.84

Nach Simmel ist das Werk durch seine non-finite Erscheinung in den Fluss des Lebensprozesses gestellt, als sei es eine Variante unter anderen möglichen, früheren oder späteren Zuständen85 im Verlauf seiner Entwicklung hin zur spezifischen und individuellen Form. Simmel deutet das Transitorische als Ausdrucksphänomen im

80 Dieser in der Tagespresse publizierte, für die Rezeption des Non-finito Rodins aber so wichtige frühe Text fand über einen Umweg Eingang in die Kunstliteratur: Julius Meier-Graefe, einflussreicher Fürsprecher der französischen Impressionisten, zitierte in der ersten Auflage seiner Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst von 1904 auf fast zehn Seiten ausgiebig Simmels Ansichten zu Rodin; diese Passagen wurden in allen weiteren Auflagen des vielbeachteten Werkes jedoch stark gekürzt. (Julius Meier-Graefe: „Auguste Rodin“, in: Ders.: Entwickelungsgeschichte der modernen Kunst. Vergleichende Betrachtung der bildenden Künste, als Beitrag zu einer neuen Aesthetik. Stuttgart 1904, Bd. 1, S. 263-286, hier S. 277-285). 81 Rolf Bäumer: „Fragmentarische Wirklichkeitserfahrung, ‚ästhetische Kultur‘ und das aufgeschobene Ende ästhetischer Versöhnung um 1900“, in: Camion u. a. 1999, S. 56-71, hier S. 68-69. 82 J. A. Schmoll gen. Eisenwerth: „Simmel und Rodin“, in: Hannes Böhringer, Karlfried Gründer (Hrsg.): Ästhetik und Soziologie um die Jahrhundertwende: Georg Simmel. Frankfurt am Main 1976, S. 18-43. Wiederabdruck in: Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 317-328, hier S. 318. 83 Simmel 1902/1995, S. 93. 84 Simmel 1911, S. 192. 85 Vgl. Le Normand-Romain 2001, S. 43.

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Sinne seiner Philosophie, die von einer „Nicht-Fixierbarkeit der Dinge“86 in der modernen Welt ausgeht: Die Formen „sind in dieser Welt nicht mehr Stabilitätsgaranten, sondern temporäre Kristallisierungen.“87 Er unterscheidet Werden (das Bewegte, Potentielle) und Sein (das Feste, Finale): Rodin gehe „den Weg zu einer neuen Monumentalität – der des Werdens, der Bewegtheit, während sie bisher an das Sein, an die Substantialität des klassischen Ideals gebunden schien.“88 Otto Grautoff greift den Begriff des ‚Werdens‘ auf und sieht Rodins Werk als plastische Entsprechung zur Lebensphilosophie Henri Bergsons: Seine Kunst ist eine Offenbarung, die Ursprünge und Gesetze des ewigen Werdens aufdeckt, ist das fragmentarische aber sublime Gewissen der bis zu dem heutigen Entwicklungsstadium gelangten Materie. Er geht vom Kernpunkt des Erlebnisses aus und schafft eine ewig fliehende Peripherie. […] So ist er ganz im Geiste des französischen Philosophen Henri Bergson zu einem Interpreten des Werdens und Lebens geworden.89

Grautoff sucht den Anschluss an Michelangelos Ringen mit der endgültigen Form, sieht bei Rodin aber das Kontinuum von Formentstehung und –auflösung: Aber er [Michelangelo] kämpfte noch mit der Materie. Nicht immer wurde er ihrer Herr; es blieb zuweilen ein tragischer Rest ungelöst. Rodin drängte in der gleichen Richtung energischer vorwärts. Er hat […] plastischer als alle vor ihm das Werden und Schwinden, das Aufzucken und Vorüberhasten einer Bewegung versinnbildlicht.“90

Als ephemere Geschöpfe, die dem Kreislauf von Werden und Vergehen unterliegen und deren Belebung eine temporäre bleibt, beschreibt auch Arthur Symons 1902 die aus dem Elementaren hervorgehenden kleinen Körper in der Main de Dieu: „two ephemerides, fragile, pathetic creatures, with the delicate insubstantial grace of passing things, […] accepting life on its terms of brief delight.“91 Eine vergleichbare Perspektive nimmt 1908 der Bildhauer und später auch politisch aktive Autor Arnold Rechberg ein, der in Deutschland Ausstellungen zeitgenössischer französischer Kunst organisierte, und dessen publizistische und diplomatische Anstrengungen auch nach dem Ersten Weltkrieg vornehmlich dem

86 Lothar Müller: „Jenseits des Transitorischen. Zur Reflexion des Plastischen in der Ästhetik der Moderne“, in: Hartmut Böhme, Klaus R. Scherpe (Hrsg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 134-159, hier S. 145-146. 87 Ebd., S. 147. 88 Simmel 1911, S. 194. 89 Grautoff 1908, S. 73. 90 Grautoff 1910, S. 36. 91 Symons 1902, S. 961.

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deutsch-französischen Austausch galten.92 In seinem 1908 in der Leipziger Illustrierten Zeitung erschienenen Essay über Rodin erläutert Rechberg die non-finite Gestaltung als Mittel zur Darstellung der Materialisation einer vagen, sich formenden, noch unpräzisen geistigen Vorstellung, was Rodins Skulpturen seiner Ansicht nach als eminent zeitgenössisch ausweist, da sie instinktiv den schweifenden, ahnenden Geist der Gegenwart greifbar werden lassen: Wie werdende Gedanken […], poetische Anschauungen, die noch nicht in festumrissene Formen gekleidet wurden, erscheinen einige von Rodins Gruppen und Gestalten, wie sie aus dem Stein hervorwachsen und wieder darin verschwinden, oft unbestimmt und formlos, aber auch oftmals uns einen Blick märchenhafter Schönheit gewährend […]. In jeder seiner neusten Arbeiten liegt etwas wie ein instinktives Fühlen einer Idee, die durch das Menschengeschlecht unserer Tage geht wie ein Ahnen kommender Gedanken […].93

Anders als Rechberg sieht Paul Ortwin Rave, unter Ludwig Justi in den 1920er Jahren am Ausbau der Moderne-Sammlung der Berliner Nationalgalerie beteiligt und nach Ende des Ersten Weltkriegs deren Direktor, in den non-finiten Skulpturen gerade die Unmöglichkeit einer vollständigen Materialisierung. Die Form konstituiert sich vielmehr als momenthaftes Aufscheinen von fragiler Schönheit. Mit Blick auf den Berliner Marmor L’Homme et sa pensée schreibt er 1929, Werke Rodins seien wie Träume, „die Gestalten schwinden dahin, unfest und nebelhaft, ohne die stoffliche Verdeutlichung ihres Daseins gewollt und erreicht zu haben.“94 Die Skulptur teile jedem Betrachter eine gewisse Erregtheit mit, die der Gegensatz des Ungestalteten zu dem mit äußerster Sinnlichkeit Blühenden hervorruft. Die kräftigen oder zarten Leiber, die sich nicht lösen können zum reinen Sein des Bildes und gefesselt werden von formloser Masse, beanspruchen stärkere Anteilnahme, wecken mehr Neugier, als wenn sie klar und frei als Körperlichkeiten gegeben wären.95 Veranschaulichung des Werkprozesses: Osborn, Merrill Eine eher pragmatische Perspektive zeigt sich bei jenen Autoren, die dem Non-finito vor allem deshalb einen besonderen Erkenntniswert zusprechen, weil es erlaubt, den Schaffensprozess nachzuvollziehen. Zu ihnen gehört Stuart Merrill, der in der Rodin-Sondernummer der Zeitschrift La Plume 1900 konstatiert: „Où il 92 Arnold Rechberg. Zwischen Kunst und Politik. Ausst.-Kat. Museum der Stadt Bad Hersfeld 1993. 93 Arnold Rechberg: „Altes und Neues von Rodin“, in: Illustrierte Zeitung, Leipzig, Bd. 131, Nr. 3403, 17.9.1908, S. 477-480, hier S. 480. Rechberg, der seit 1904 in Paris lebte, eignete sich auch in seiner eigenen bildhauerischen Arbeit unterschiedliche Ausprägungen des Non-finito an (Vgl. Kap. 5.2.b). 94 Rave 1929, S. 171. 95 Ebd., S. 172.

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faut saisir l’instinctive genèse de ses conceptions, c’est dans cette admirable série de marbres à peine dégrossis“.96 Die Entwicklung der gegenständlichen Form aus dem Werkstoff wird auch an Rodins Gipsen beobachtet, so in der New Gallery in London 1905. Was sich als hochinteressant und anregend für Bildhauerkollegen erweise, sei für das breite Publikum eher abstoßend: M. Rodin’s larger plaster figure, Femme Couchée, is hardly more than a powerful sketch, more interesting perhaps to the artists than any finished work, but for the very reasons which will attract the sculptor’s confrères, repellant to a public that knows little or nothing about plastic art and cannot enjoy the sensation of the form evolving from the shapeless mass.97

Auch der einflussreiche Berliner Kunstkritiker Max Osborn erörtert frühzeitig den offenen Werkprozess des Non-finito. In seinem 1899 in der Monatsschrift Der Türmer publizierten Text Neue Wege der Bildhauerkunst analysiert er Entwicklungen der europäischen Plastik vor dem Hintergrund der aktuellen Antikenrezeption. Rodin nähert er sich über Max Klingers Amphitrite, deren Torsoform allerdings nicht intendiert und zudem durch den Verweis auf antike Torsi legitimiert war. Hingegen sei das Fragment bei Rodin nicht dem Zufall geschuldet, vielmehr diene der unbearbeitete Teil der Skulptur der Offenlegung ihres Entstehungsprozesses und dem Ausweis der Fertigkeiten des Bildhauers: Bei Rodin ward es vielmehr Regel, aus jedem Werke die Art seiner Entstehung deutlich erkennen zu lassen. Um gar keinen Zweifel möglich zu machen, läßt er am liebsten ein Stück des Blocks gänzlich unbehauen, so daß wir die Illusion haben, wir sähen gleichsam den Bildhauer bei der Arbeit, sähen, wie unter seinen Händen aus dem rohen Steine langsam sich das Bildwerk löst. Der Unkundige glaubt stets, er habe ein nicht fertig Gewordenes vor sich, das der Künstler aus irgend einem Grunde liegen ließ. So ist das nicht. Rodins raffinierter Geschmack macht vielmehr das Fragmentarische zum Prinzip. Er wendet sich bewußt gegen die runde Abgeschlossenheit und die saubere Glätte der Flächenbehandlung, welche die Antike den Plastikern seit Jahrhunderten zum ehernen Gesetz gemacht hat.98

Von dieser sachlichen Haltung distanziert sich Osborn 1905 in seiner Abhandlung Moderne Plastik, in der er dem Non-finito Rodins eine wortmächtige Analyse widmet, die etliche der bisher vorgestellten Deutungsaspekte zusammenführt. Hier begründet Osborn begründet den Effekt der scheinbaren Belebung des Steins, die „Schauer des Werdens“, im Nebeneinander verschiedener Bearbeitungsstadien: Der Stein belebt sich, er wogt und kreist, und sein blendender, leuchtender Marmorleib gebiert weiße Menschenkörper. Dieser heilige Prozeß bleibt sichtbar. Die Schauer des Werdens offenbaren sich uns. Rodin hütet sich wohl, die Spuren des Entstehens 96 Stuart Merrill: „La Philosophie de Rodin“, in: La Plume 1900, I, S. 305-307, hier S. 306. 97 „The Creation in Marble. M. Rodin’s great work at the New Gallery“, in: Daily Mail, 10.1.1905, Archiv Musée Rodin. 98 Max Osborn: „Neue Wege der Bildhauerkunst“, in: Der Türmer. Monatsschrift für Gemüt und Geist, 1 (1899), S. 547-553, hier S. 551.

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zu verwischen. Er zeigt, wie die Figur sich aus dem Steine löst, auch er bleibt vor dem ‚letzten Stadium‘ stehen. Aber, und darin beruht das Geheimnis seiner enormen Künstlerschaft: er läßt wohl das Ganze ohne endgiltige ‚Fertigkeit‘ vor uns treten, doch er wechselt in der Behandlung der einzelnen Teile. Hier verschwimmt alles noch und geht über in die unbelebte Materie; dort ist mit weiser Berechnung die Ausführung abgebrochen, die Bohrlöcher der Maschine und die Hiebe des Meißels sind deutlich zu sehen; – aber dort ist ein Stück Marmor ganz frei geworden, der Hauch des Schöpferodems hat es getroffen, und menschliche Glieder, im innersten belebt und beseelt, streben zum Licht. Und diese Glieder und Figuren sind in die Sphäre der reinen Form emporgehoben. Sie tragen den Stempel des Gewordenen, nicht mehr des Werdenden […].99

Im Non-finito erkennt Osborn eine gelungene Synthese plastischer und malerischer Elemente, eine „Bestimmtheit, die durch das Unbestimmte gegangen ist“, und betont nachdrücklich die gesteigerte Wirkung der vollendeten Partien vor der Folie der „vielsagenden Andeutungen“ eines prämorphen „Chaos“: Das ist Rodins unerhörte Wirkung: malerisch eingeführte Plastik. Durch das Vibrierende und Verschwommene vorbereitete Klarheit; Bestimmtheit, die durch das Unbestimmte gegangen ist; das unorganische Körperhafte, der Stein, erst gelockert und dann organisch körperhaft geworden. […] Dadurch, daß ringsum die vielsagenden Andeutungen früherer Stadien zu finden sind, verlieren die Stellen der Ausglättung jede autoritative Arroganz; sie erscheinen in dieser Umgebung nicht eigentlich als prätenziöse ‚Fertigkeit‘, sondern nur als ein anderes, in gewissem Sinne höheres, aber noch immer nicht endgültiges Stadium der Formauffassung. Und dennoch geben sie dem Auge, das sich rings am ahnenden Verstehen, am Lösen geheimnisvoller Rätsel ergötzt hat, einen festen Halt; es sieht das ragende Heiligtum der Form, das aus dem Wogen des Chaos aufsteigt.100

Vollendung durch den Betrachter: Simmel, Rutter, Clemen Da die unvollendete Form statt Geschlossenheit und Eindeutigkeit einen interpretativen Freiraum öffnet, richtet sich die Aufmerksamkeit auch auf das Verhältnis zwischen non-finitem Werk und Betrachter. Mit der schöpferischen Eigenleistung des Wahrnehmenden beschäftigt sich eingehend Georg Simmel, der erklärt, dass die „Sensibilität des modernen Menschen“ von Kunstwerken „nicht ihre abgerundete Ganzheit, sondern nur den Punkt ihrer stärksten Anregung, ihren sublimiertesten Extrakt“101 verlange: Rodins Skulpturen sind oft unvollendet, in den verschiedensten Graden, bis zu dem, wo die Figur nur in einzelnen Theilen, in schwer erkennbaren Umrissen aus dem Block herausragt. Unter den Charakterzügen der Gegenwart ist dieser unverkennbar: daß uns gegenüber einer immer wachsenden Zahl von Werthen Anregung und An99 Max Osborn: Moderne Plastik. Berlin 1905, S. 8. 100 Ebd., S. 9. 101 Simmel 1902/1995, S. 100.

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deutung mehr sind als die deutliche Erfüllung, die unserer Phantasie nichts zu ergänzen übrig läßt. Wir wollen ein Minimum objektiver Gegebenheit, das ein Maximum von Selbstthätigkeit in uns entfesselt. [… Es] wird nun durch diese Versagtheit der vollen Form die eigene Aktion des Beschauers aufs Lebhafteste herausgefordert. Worin neuere Interpreten der Kunst das Wesen ihres Genusses sehen: daß der Genießende den Schaffensprozeß in sich wiederhole, – das kann nicht energischer geschehen als durch die Anregung der Phantasie, das Unvollständige selbst zu vollenden, die noch im Stein verborgene Gestaltung von ihm zu befreien.102

Auch der britische Kritiker und Kurator Frank Rutter rühmt 1905 die in der New Gallery in London ausgestellte Hand Gottes und ihren „Zustand der beredten Andeutung“, der den Betrachter herausfordere: M. Rodin is capable equally of ‚high finish‘ or leaving a work in what one might call a state of eloquent suggestion. Does it never occur to the captious ones that the sculptor is better qualified than themselves to judge the particular form of treatment or ‚finish‘ each subject requires? Like Euripides, M. Rodin might well say that he does not present his works so much for our criticism as for our instruction.103

Ebenso bestimmt Paul Clemen 1905 die Wahrnehmung der Werke Rodins, die er als „Skizzen“ bezeichnet, nicht als passiven sondern aktiven Vorgang. Die Imagination des Betrachters werde zu einem eigenständigen Beitrag angehalten: Es sind fast durchweg Skizzen, die der Künstler in den letzten Jahren geschaffen hat. Er ist sich des künstlerischen Reizes des Skizzismus wohl bewußt: wir lieben eben das Halbgesagte, nur Angedeutete, das unsere Phantasie zum Mitarbeiten, Weiterarbeiten, Ergänzen, Enträtseln zwingt. Vielleicht kann der Beschauer nicht energischer gezwungen werden, künstlerisch zu fühlen, als wenn er einen Teil des Weges, den letzten Teil, der zum vollendeten Genusse führt, selbständig neben dem Künstler hergehen muß.104

Werkautonomie: Rilke, Hamann, Anders Als Zwischenzone, die die Skulptur von der äußeren Realität abgrenzt und ihr eine eigene Kunstsphäre wahrt, wird das Non-finito zuerst explizit von Rainer Maria Rilke definiert. Ihre Verwurzelung im Block unterscheide Rodins Figuren von der zeitgenössischen freistehenden Plastik, die, aus ihrer ursprünglichen Bindung an die Architektur und aus sozialen Funktionen gelöst, ‚unbehaust‘ und ohne Beziehung zu ihrer Umgebung ist:

102 Ebd., S. 99-100. 103 Frank Rutter: „Round the Galleries“, in: The Times, 15.1.1905; Archiv Musée Rodin. 104 Clemen 1902/1995, S. 330.

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Von dem Stein, aus dem sie sich ausgegraben haben, getrennt, standen alle plastischen Werke heimatlos und verwaist da, auf die zufällige Umgebung angewiesen, abhängig von der Wand, die man hinter sie schob, unter den gebogenen Armen und den gehobenen Knieen vom Lichte durchbohrt, an nichts gelehnt und mit nichts Nahem verwandt; die Bildwerke Rodins aber bleiben in aller Intimität ihrer Heimat, in hundert Beziehungen zu dem Stein, ihrer großen, gigantischen Vergangenheit.105

Diese Überlegung bleibt jedoch ein unveröffentlichter Tagebucheintrag und wird von Rilke nicht in seine Rodin-Monographie aufgenommen. Ein vergleichbarer Gedanke findet sich erst sehr viel später in den Rodin gewidmeten Passagen der Geschichte der Kunst (1933) von Richard Hamann, in der er seine 1907 eingenommene Position (vgl. Kap. 4.1.) relativiert und dem Non-finito Rodins nun nicht mehr eine vorrangig impressionistische Wirkung zuschreibt. Die Figur entwickele sich vielmehr aus einer „Versenkung in einen eigenen, gegen die Welt des Betrachters abgeschlossenen Lebensbereich“106, sie sei „mit einer sie umhüllenden Schicht, einem Daseinsgrund zusammenempfunden“107, der ihr eine Verankerung gebe: Zuweilen läßt Rodin den Block stehen als einen solchen Grund, und er wird dann die Materie, das Element, aus dem das Leben erst erwächst, aus dem es emportaucht oder in das es hineinsinkt. Selbst der Boden, auf dem die Statuen stehen, ist nicht bloß Sockel, sondern Schauplatz und Erde, aus der die Gestalt ihre Kräfte zieht: von da hinauf oder da hinab!108

In diesem Kontext stehen auch die Überlegungen des Sozialphilosophen und Medienkritikers Günther Anders (1902-1992), der das Werk Rodins während seines Pariser Exils 1933-36 kennenlernte. In Brentwood (Kalifornien) hielt er im März 1943 einen Vortrag, in dem er das Werk Rodins unter sozialen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten untersuchte. Unter dem Titel Obdachlose Skulptur. Über Rodin wurde der Text sehr viel später auch auf Deutsch publiziert. Für Anders ist Rodin der letzte Bildhauer des ausgehenden 19. Jahrhunderts, für dessen Werke es in einer Zeit des fundamentalen Wandels keinen gesellschaftlichen Ort mehr gibt und die sowohl von der Natur als auch von der Gesellschaft entfremdet sind. In dieser Ortlosigkeit sieht Anders auch die Funktion des non-finiten Fonds begründet, in den Rodin seine aus allen Beziehungen zur Umwelt gelösten Figuren wie in einen ‚Mutterboden‘ bette:

105 Rainer Maria Rilke, Tagebucheintrag vom 17.11.1900; zit. in: Rätus Luck (Hrsg.): Rainer Maria Rilke – Auguste Rodin. Der Briefwechsel und andere Dokumente zu Rilkes Begegnung mit Rodin. Aus dem Frz. von Rätus Luck und Heidrun Werner. Frankfurt a. M./Leipzig 2001, S. 25. 106 Richard Hamann: Geschichte der Kunst von der altchristlichen Zeit bis zur Gegenwart. Berlin 1933, S. 830. 107 Ebd., S. 831. 108 Ebd.

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Da es keinen ‚gesellschaftlichen Grund‘ oder Hintergrund, kein architektonisches Obdach für seine Skulpturen gibt, muß Rodin selbst einen Ersatz schaffen. Deshalb stattet er die meisten seiner Figuren mit einem Stück Welt aus, zu dem sie gehören – aus dem sie entsprungen scheinen –, einem Stück versteinerten Ursprungschaos sozusagen.109

Viele der in diesem Kapitel vorgestellten Positionen relativieren den Gemeinplatz, dass die Bedeutung Rodins in ihrer ganzen Tragweite erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannt wurde. Sie zeigen vielmehr, dass seine Werke unter kaum anderen Prämissen und Sehmodi diskutiert wurden als heute. Nur wenige dieser Stellungnahmen sind den frühen Monographien entnommen, die vorrangig die Biographie Rodins und seine großen öffentlichen Aufträge behandelten, sondern sie erschienen zumeist in der Tagespresse, in Ausstellungskritiken und Porträts über Rodin, und hatten daher mit wenigen Ausnahmen (etwa Simmel via Meier-Graefe) zunächst kaum eine nachhaltige Wirkung. Interessant ist zudem, dass die sensibelsten und weitsichtigsten Beobachtungen nicht unbedingt nur von Kunstkritikern und -wissenschaftlern stammen, sondern von Bildhauern wie Truman H. Bartlett, Arnold Rechberg und Adolf von Hildebrand, von Dichtern wie Gustave Kahn, Arthur Symons und Rainer Maria Rilke oder Philosophen wie Georg Simmel und Günther Anders. Die frühen Besprechungen umfassen bereits viele der Beurteilungskriterien, die erst im Zuge der Neuentdeckung Rodins seit den 1960er Jahren wieder interessant wurden. Bezeichnend ist besonders eine frühe Bemerkung des französischen Kunstkritikers Argus Cortès-Gaillard zum Monument à Victor Hugo im Jahr 1897, die Rodin aus heutiger Perspektive als Vorläufer von Minimal Art und konzeptueller Kunst erscheinen lässt: […] nous ne voyons pas la nécessité de ce bloc informe … Tout à l’heure, si l’erreur continue, on nous donnera la pierre ou le marbre à peine extrait de la mine, sans le moindre coup de ciseau, avec une simple inscription, pour indiquer l’idée du maître!110

109 Günther Anders: Obdachlose Skulptur. Über Rodin. Aus dem Engl. von Werner Reimann. München 1994, S. 17. 110 Argus Cortès-Gaillard: „La Sculpture au Salon du Champ-de-Mars“, in: Le Journal des artistes, 9.5.1897; Archiv Musée Rodin, Dossier 1897 Paris Salon S.N.B.A. („[…] wir sehen nicht die Notwendigkeit dieses unförmigen Blocks … Wenn diese Verirrung anhält, wird man uns bald einen Stein oder Marmorblock präsentieren, kaum aus dem Steinbruch geschlagen, ohne die geringste Meißelspur und mit einer simplen Inschrift, die die Idee des Künstlers angibt.“) Engl. zit. in Rosenfeld 2001, S. 166.

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5.2. Künstlerische Rezeption Natürlich ahmt Jeder Rodin nach. Einige im Dativ; die Meisten im Akkusativ. Karl Scheffler, 1901111 es ist schwierig, die Notwendigkeit solcher Tricks bei R. anzuerkennen, weil alle nachfolgenden Missbräuche sich in den Weg stellen. Per Kirkeby, 1985112

Für viele Bildhauer der nächsten und übernächsten Generation wurde Rodin in den Jahren zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg zur außerordentlich präsenten, ja „erdrückenden Vaterfigur“113, mit der sie sich geradezu zwangsläufig auseinandersetzten. Seine innovativen Werkverfahren wie Torsierung, Fragmentierung und Assemblage hatten weitreichenden Einfluss auf Kollegen, und auch die roh bossierte, ‚rodineske‘ Marmorbehandlung wurde seit den 1890er Jahren in dichter Folge zunächst von seinen Mitarbeitern und Schülern aufgenommen, und bald auch von europäischen und amerikanischen Künstlern, die mit seinem Werk nur durch Ausstellungen und Publikationen in Kontakt gekommen waren.114 Die Aneignungen reichen von steriler Nachahmung über originelle Weiterentwicklung bis zu späten echohaften Reminiszenzen. 5.2.a. Motivisch-stilistische Entsprechungen: Klinger, Lehmbruck, Brancusi Bevor sich der Blick auf die expansive Ausbreitung des non-finiten Marmorstils in seiner eher unspezifischen Breitenwirkung richtet, soll anhand einer Werkreihe, die von Max Klinger über Wilhelm Lehmbruck zu Constantin Brancusi führt, sein Fortleben als programmatisches, da inhaltlich begründetes Gestaltungsmittel an111 Karl Scheffler: „Berliner Sezession“, in: Die Zukunft, 36 (1901), H. 3, S.  322-330, hier S. 330. 112 Per Kirkeby: Rodin. La porte de l’enfer. Übers. von Johannes Feil Sohlman. Bern/Berlin 1985, S. 16. Der Kontext des Zitats: „Einige der Skulpturen R.s zeigen eine eigentümliche Faserigkeit und Unklarheit in der Kontur. […] Das Weiche, das aus dem Stein herauswächst. […] In Pygmalion und Galatea wird es programmatisch zur Geschichte, zur Schöpfung: Das nie vollendete Auftauchen aus den Nebeln, die Substanz des Lichts.“ 113 Claude Keisch: „Rodin, Maillol und die deutschen Bildhauer des frühen 20. Jahrhunderts“, in: Mensch – Figur – Raum. Werke deutscher Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Anita Beloubek-Hammer. Ausst.-Kat. Nationalgalerie Berlin 1988, S. 22-31, hier S. 22. 114 Vgl. Susanne Kähler: Deutsche Bildhauer in Paris. Die Rezeption französischer Skulptur zwischen 1871 und 1914 unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Künstlerschaft. Frankfurt a. M. 1996, S. 204-206.

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hand eines konkreten Motivs nachverfolgt werden. Die drei Werke, die den Bildtypus der schlafenden Frau bzw. Muse variieren, sind stilistisch Rodins Marmor Le Sommeil verwandt, der in drei Fassungen existiert. Von deren erstem, heute im Musée Rodin befindlichen Exemplar (Kat. 4.a, Taf. 12) wurde bisher angenommen, dass es 1894 bei der II. Sezessionsausstellung München zu sehen war, was sich aber nicht zweifelsfrei belegen lässt.115 Erstmals dokumentiert ist dieser Marmor in einer nach 1900 entstandenen Fotografie von François Vizzavona (Kat. 4.2).116 Wie so viele Marmorfiguren Rodins scheint auch diese in einem Zustand zwischen Auftauchen und Versinken zu verharren. Der seitlich auf eine Hand gelagerte Kopf mit geschlossenen Augen – traditionell die Allegorie des Schlafs bzw. Traumes – wächst aus dem rohen Fels, in den Hals und Hand einzutauchen scheinen, das Haar fließt weich in die Bosse. Das vermeintliche ‚Einsinken‘ in den Block veranschaulicht das allmähliche Hinübergleiten der Figur in den abwesenden, unbewussten Zustand des Schlafs.117 MAX KLINGERS Marmorrelief Schlafende, das in drei Fassungen zwischen 1900 und 1904 entstand, zeigt deutliche motivische wie stilistische Analogien zu Rodins Le Sommeil (Taf. 12). Arbeiten Rodins kannte Klinger bereits – von früheren Aufenthalten in Paris und durch seine Verbindung mit Georg Treu – noch vor der ersten persönlichen Begegnung mit Rodin, als er im Herbst 1900 zusammen mit dem befreundeten Berliner Sammler Felix Koenigs mehrmals den Pavillon de l’Alma besuchte. Danach stand Klinger in engerem Kontakt mit Rodin, vermittelte den Ankauf des Marmors L’homme et sa pensée durch die Erben von Koenigs, empfahl 115 Der Offizielle Katalog der Internationalen Kunstausstellung des Vereins bildender Künstler Münchens (A.V.) „Secession“, München 1894, verzeichnet unter Nr.  387c eine Schlafende Nymphe aus Marmor von Rodin, aus der Sammlung des in Paris lebenden amerikanischen Malers William F. Dannat. Während Nicole Barbier dieses Exponat für Le Sommeil aus dem Musée Rodin hält (Barbier 1987, S. 90), ist Alain Beausire der Ansicht, dass es sich ebensogut um eine Marmorfassung von La Fatigue gehandelt haben könnte (Beausire 1988, S. 121). Die Tatsache, dass in keiner der Besprechungen dieser Sezessionsausstellung 1894 in diversen Zeitschriften (Die Kunst für Alle, Mercure de France, Die Kunst unserer Zeit, Das Atelier) ein – zu diesem frühen Zeitpunkt in Deutschland doch recht ungewöhnlicher – non-finiter Marmor Rodins erwähnt ist, sowie die Provenienz der Schlafenden Nymphe sprechen m. E. gegen die These Barbiers. 116 Zwischen 1911 und 1913 entstanden zwei weitere Marmorfassungen (Kat. 4.b, 4.c), beide heute in Privatbesitz, die die Widmung „A ma muse“ tragen und der Duchesse Claire de Choiseul zugedacht waren. Da Rodin mit der ersten, stark geäderten Marmorfassung unzufrieden war, fertigte Victor Peter ein weiteres Exemplar an, das auf einer 1917 von Gustave Coquiot publizierten Fotografie im Hôtel Biron zu sehen ist (Kat. 4.5). Vgl. auch die Briefe Rodins an Victor Peter, 15.5.1911 (Correspondance III, S. 141) sowie Victor Peters an Rodin, 8.11.1912 (Correspondance III, S. 142). Claire de Choiseul verkaufte ihr Exemplar 1918 über Georges Petit. Über den zweiten, geäderten Marmor ist lediglich bekannt, dass er bis 1951 einem französischen Sammler gehörte und bis heute, wie auch das Exemplar der Duchesse, mehrfach den Besitzer wechselte. 117 Vgl. Rosenfeld 1981, S. 84.

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Abb. 30: Max Klinger: Schlafende, 1902, Verbleib unbekannt (ehem. Sammlung Georg Hirzel)

Rodin Sammler und Händler und richtete 1904 die Rodin-Ausstellung im Leipziger Kunstverein ein.118 Die erste, um 1900 vollendete Marmorfassung seiner Schlafenden119 (Taf.  13) ist die einzige erhaltene und befindet sich heute in der Skulpturensammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Ein zweiter Marmor120 (Abb. 30) entstand 1902 für den Leipziger Verleger und Sammler Georg Hirzel, und für die Sammlung Großmann-Hermann fertigte Klinger 1904 eine dritte, modifizierte Fassung, die als unvollendet gilt. Auch bei Klinger, der seine Marmorwerke eigenhändig bearbeitete, dienen die unausgeführten Stoffmassen vor allem dazu, den sinnlichen Reiz des üppigen nackten Körpers hervorzuheben, der an der linken Schulter sowie auf Höhe der Hüfte aus dem Gestein heraus118 Zu Klinger und Rodin: Keisch 1988, S. 23; Keisch 1990; Keisch 2003, S. 69-72; Ina Gayk: Max Klinger als Bildhauer. Unter Berücksichtigung des zeitgenössischen französischen Kunstgeschehens. Hamburg 2011, S. 161-233. 119 Max Klinger. Auf der Suche nach dem neuen Menschen. Hrsg. von Ursel Berger u. a. Ausst.Kat. Georg-Kolbe-Museum Berlin; Edwin Scharff-Museum Neu-Ulm 2007, Kat. Nr. 26, S. 137-138. Siehe auch: Herwig Guratzsch (Hrsg.): Max Klinger. Bestandskatalog der Bildwerke, Gemälde und Zeichnungen im Museum der bildenden Künste Leipzig. Leipzig 1995, Kat. Nr. 17, 18a-b; Keisch 1990, S. 254; Gayk 2011, S. 227-231. 120 Julius Vogel: „Max Klinger’s Schlafende“, in: Zeitschrift für bildende Kunst, 14, Okt. 1903, S. 90; Angela Windholz (Hrsg.): Mir tanzt Florenz auch im Kopfe rum. Die Villa Romana in den Briefen von Max Klinger an den Verleger Georg Hirzel. München/Berlin 2005, S. 134, Abb. S. 135.

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wächst. In der zweiten Fassung ist das Non-finito noch stärker ausgeprägt, da deren Rohblock größer ist und entsprechend mehr Bosse stehengeblieben ist. Ina Gayk vermutet, dass Klinger hier möglicherweise seinem Auftraggeber entgegenkam, der ein Liebhaber von Rodins Marmorstil war.121 Während im ersten Marmor noch eine männliche Maske unter dem Arm der Schlafenden angedeutet ist, ist dieses erzählerische Detail in der späteren Fassung in der angewachsenen Bosse aufgegangen. Dass Klinger den zweiten Marmor 1905 zur Berliner Sezessionsausstellung einreichte, zeigt, dass dieser seinen Ansprüchen gerecht wurde und dass er den Vergleich mit Rodin nicht scheute.122 Dass er Rodins Sommeil  – dessen Entstehungszeit ungewiss bleibt – kannte, ist nicht nachweisbar und eher unwahrscheinlich. Doch er sah die Marmore Rodins im Pavillon de l’Ama (darunter L’Homme et sa pensée, La Terre et la Lune und Fugit Amor) und hatte auch zuvor in Deutschland und in Paris die Gelegenheit gehabt, Werken Rodins in Ausstellungen und Publikationen zu begegnen. Klinger, der auf Rodin traf, als er sich bereits auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung befand, stellt innerhalb der deutschen Rodin-Rezeption eine Ausnahme dar, da er noch nicht der Generation angehörte, die sich unmittelbar Rodins Einfluss ausgesetzt fand. Dennoch verstärkte die persönliche Begegnung im Jahr 1900, die ihn nachhaltig beeindruckte, wie auch die genauere Kenntnis von Rodins Werk bereits vorhandene Aspekte in seiner eigenständigen bildhauerischen Arbeit.123 WILHELM LEHMBRUCKS Schlaf 124 (Abb. 31) entsteht wenige Jahre später, 1907. Als junger Student an der Düsseldorfer Akademie hatte Lehmbruck 1904 mehrmals die große Rodin-Retrospektive der Internationalen Kunstausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast besucht, die er regelrecht als Offenbarung erlebte, und wo unter anderem die erste Marmorfassung des Tête de la Douleur (Orphée), Gipsabgüsse von La Pensée und La Main de Dieu sowie zwei weitere non-finite Marmore zu sehen waren. Sein Gips Schlaf entsteht im Jahr seiner ersten Parisreise und in einer Phase der intensiven Auseinandersetzung mit Rodin.125 Der nach dem Gips ausgeführte Marmor ist verschollen, doch auffällig ist bereits in der Gipsstudie die Verwandtschaft der Komposition mit Rodins Sommeil. Kopf und Oberkörper der Schlafenden sind ebenfalls seitlich auf ein in der Rohmasse angedeutetes Kissen gebettet, während der bei Lehmbruck bis zur Brust sichtbare nackte Oberkörper in den Gipsgrund übergeht. Eine weniger gelungene, da nicht inhaltlich motivierte An121 122 123 124

Gayk 2011, S. 228. Ebd. Ebd., S. 199, 232. Dietrich Schubert: Wilhelm Lehmbruck. Catalogue raisonné der Skulpturen 1898-1919. Worms 2001, Kat. Nr. 30; Lehmbruck, Rodin und Maillol. Ausst.-Kat. Stiftung Willhelm Lehmbruck Museum, Duisburg 2005, Kat. Nr. 40. Siehe auch: Wilhelm Lehmbruck. Ausst.Kat. Gerhard Marcks-Haus Bremen u. a. 2000, Kat. Nr. 1, S. 11-12, 20. 125 Zu Lehmbruck und Rodin: Keisch 1988, S. 27-29; Kähler 1996, S. 186; Christoph Brockhaus: „Lehmbruck und Rodin“, in: Duisburg 2005, S.  34-42; Pamela Kort: „Rodin  – Lehmbruck – Beuys“, in: Frankfurt 2005, S. 64-109, hier S. 70-71.

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Abb. 31: Wilhelm Lehmbruck: Schlaf, 1907, Duisburg, Lehmbruck Museum Abb. 32: Wilhelm Lehmbruck: Büste Freiherr von Steindecke, 1909, Duisburg, Lehmbruck Museum

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eignung der bossierten Sockelgestaltung zeigt hingegen seine eher neoklassizistische Büste des Freiherrn von Steindecke126 aus dem Jahr 1909 (Abb. 32), die das Non-finito als technische Innovation lediglich trocken imitiert, was hier weder in seiner Kontrastwirkung noch als metaphorisches Element zu überzeugen vermag. Die beiden vergleichsweise konventionellen und unentschiedenen Werke entstanden noch in einer Phase der Suche und vor Lehmbrucks eigentlicher Zeit in Paris, wo er von 1910 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges lebte. Hier fand er mit der Großen Knienden 1911 zu seinem eigenständigen, expressiv-vergeistigten Stil, mit dem er sich entschieden vom Vorbild Rodins abwand und das sich eher dem Eindruck der gesammelten, architektonischen Form Maillols und dem Austausch mit Bildhauern der Avantgarde wie Brancusi und Modigliani verdankt.127 Ähnlich wie Lehmbruck durchlief CONSTANTIN BRANCUSI eine prototypische Entwicklung, die auf Bewunderung und Nachahmung Rodins aus der Ferne schließlich in Paris die entschiedene Abkehr und den raschen, fast eruptiven Durchbruch zu einem individuellen Stil folgen lässt. Der 28jährige Brancusi kommt 1904 nach Paris, wo er drei Jahre lang die École des beaux-arts besucht, 1906 im Salon d’Automne Rodin begegnet und im März 1907 für ihn als metteur au point zu arbeiten beginnt. Schon nach einem Monat verlässt er dessen Großatelier wieder, um sich dem Sog dieses Einflusses zu entziehen, dem er sich nach eigenem Empfinden schon zu weit genähert hatte, und sucht eine kategorische Neuorientierung im Verfahren der taille directe.128 Sein Marmor Le sommeil129 (Abb. 33) entsteht nach diesem Bruch 1908, hat aber Vorstufen in den deutlich an Rodins 126 Dietrich Schubert: Wilhelm Lehmbruck. Catalogue raisonné der Skulpturen 1898-1919. Worms 2001, Kat. Nr. 39A; Duisburg 2005, Kat. Nr. 41. 127 Eduard Trier: „Wilhelm Lehmbruck, Paris 1910/14“, in: Jahresring, 1955/56, S. 144-153. 128 „Chez Rodin, a-t-il raconté en 1938, je faisais une sculpture par jour. Je faisais comme lui. Je le pastichais inconsciemment mais je voyais le pastiche. J’étais malheureux. Ce furent les années les plus dures, les années de recherche, les années où je devais trouver mon chemin propre. J’ai quitté Rodin, j’ai dû le fâcher, mais je devais chercher ma voie à moi.“ (Brancusi, zit. in: Constantin Brancusi 1876-1957. Ausst.-Kat. Musée National d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou, Paris; Philadelphia Museum of Art 1995, S. 41). Brancusi kommentierte seine Entscheidung gegen die Laufbahn in Rodins Atelier später: „Rodin accepta de me prendre comme élève. Mais moi je refusais, car il ne pousse rien sous les grands arbres.“ (Brancusi, zit. in: Quatrième Salon – La Jeune Sculpture. Paris 1952, S. 22). Zu Brancusis und Rodin: J. A. Schmoll gen. Eisenwert: „Brancusi und Rodin. Ein Beispiel kontradiktorischer Filiation“, in: Schmoll gen. Eisenwert 1983, S. 297-316; Sidney Geist: „Rodin/Brancusi“, in: Washington 1981, S. 271-273; Louk Tilanus: „Rodin and Brancusi“, in: The Burlington Magazine, 135, Juli 1993, S. 484-485. 129 Sidney Geist: Brancusi. The Sculpture and Drawings. New York 1975, Kat. Nr. 60; Friedrich Teja Bach: Constantin Brancusi. Metamorphosen plastischer Form. Köln 1987, Kat. Nr. 84, S. 425. Siehe auch: Constantin Brancusi 1876-1957. Ausst.-Kat. Musée National d’Art Moderne, Centre Georges Pompidou, Paris; Philadelphia Museum of Art 1995, Kat. Nr. 11; Constantin Brancusi. The essence of things. Ausst.-Kat. Tate Modern London; Guggenheim Museum New York, 2004, S. 47.

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Abb. 33: Constantin Brancusi: Le Sommeil, 1908, Bukarest, Muzeul Naţional de Artă al României

Sommeil und Tête de la Douleur angelehnten130 Gipsplastiken Adolescence und Repose (beide 1906)131, die jeweils einen aus der Rohmasse hervorgehenden schrägliegenden Kopf zeigen, ersterer noch auf die Arme gelegt, letzterer reduziert auf das Gesicht. Während in Rodins Sommeil das ebenmäßige Antlitz weich fließend aus dem rohen Stein hervorgeht, ist bei Brancusi das isolierte Gesicht eingefasst von einem aureolenartigen Kranz harter, parallel verlaufender Zahneisenspuren. Die Behandlung der Übergänge ist eine grundlegend andere als bei Rodin, bei dem die schönlinigen Kerben des Zahneisens den Verlauf des Haars nachempfinden. Bei Brancusi sind sie ohne gegenständliche Referenz und greifen zudem auf die untere, nicht polierte Hälfte des deutlich herberen Gesichtes über. Das Artifizielle dringt hier entschiedener in das Organische ein. Zudem behauptet Brancusis Sommeil trotz seiner offenen Oberfläche eine nach außen abgeschlossene, bereits das geome130 Schmoll gen. Eisenwerth 1972/1983, S. 307-310. Zum Vergleich des Motivs bei Rodin, Lehmbruck und Brancusi siehe auch: Siegfried Salzmann: „Brancusi und Lehmbruck“, in: Constantin Brancusi. Plastiken – Zeichnungen. Ausst.-Kat. Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg 1976, S. 117-141, hier S. 126-127. 131 Geist 1975, Kat. Nr. 28 und 35.

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trische Prinzip des Ovals antizipierende Werkform.132 Über Tête d’Enfant endormi (1908) und die Marmor-, Alabaster- und Bronzevariationen der Muse endormie (1909/10 bis 1918)133 verläuft dann die Entwicklung zur zunehmenden Stilisierung und Vereinfachung, in der Brancusi das Motiv der schlafenden Muse sublimiert zu einer archetypischen Ei-Form. Die im Schlaf vollzogene Abwendung von der äußeren, materiellen Realität findet ihr Sinnbild in der abstrahierten Form des Kopfes, dessen äußerst sparsam markierte Gesichtszüge immer mehr gelöscht werden. Nur noch minimal mit der Wange auf dem Boden aufliegend, scheint sie zu schweben. Mit der abstrakten Elementarform des Commencement du monde (1920-24) gelingt Brancusi schließlich im Verzicht auf alles Individuelle der „Sprung zum Dinglichen“134 und zu äußerster Geschlossenheit und Verdichtung. Maßgebend ist für ihn nicht mehr die offene Form in der Tradition Rodins, sondern Reinheit und Vollendung in der perfektionierten Oberflächenbehandlung. 5.2.b. Nachahmung, Aneignung, Zitat Während einige der praticiens wie Bourdelle, Despiau oder Pompon sich in ihrer eigenen Arbeit weitestmöglich von Rodin abgrenzten, experimentierte eine große Zahl seiner heute weniger bekannten Mitarbeiter mit der Kontrastwirkung von ausgearbeiteter Figur und krudem Material. Das beginnt in den frühen 1890er Jahren, und durchaus auch als Wechselwirkung, etwa bei JEAN ESCOULA (18511911), der auch 1893 für Rodin den Marmor Orphée et Eurydice ausführte. Escoulas eigener Marmor Tristesse (vgl. Abb. 34) aus dem Jahr 1894, ein melancholisches weibliches Gesicht, das reliefartig aus dem Rohblock hervorgeht, ähnelt in der Anlage Rodins vier Jahre später entstandenem Marmorporträt von Rose Beuret (Abb. 13), so dass man hier zunächst von einer wechselseitigen Einflussnahme ausgehen kann. Als Tristesse im Salon 1894 ausgestellt war, bemerkte der Rezensent der Zeitschrift L’Art allerdings nicht ohne Bedauern, dass sich auch bei Escoula, einem talentierten Bildhauer mit starker Persönlichkeit, die Tendenz zeige, in seiner Steinbehandlung Rodin zu imitieren, und er weist auf die Gefahren hin, die eine solche Nachahmung mit sich bringt.135 Für zeitgenössische Beobachter war also bereits 132 Vgl. Gundolf Winter: „Le torse comme totalité. La conception du fragment chez Rodin et Brancusi“, in: Camion u. a. 1999, S. 180-191, hier S. 191. 133 Geist 1975, Kat. Nr. 71, 72, 84, 102, 114a-c, 115; Carola Giedion-Welcker: Constantin Brancusi. Basel/ Stuttgart 1958, S. 13-14, 21; Ann Temkin: „La Muse endormie et Le Nouveau-Né“, in: Le portrait? Les carnets de l’Atelier Brancusi. Centre Georges Pompidou, Paris 2002, S. 11-18; „Les Muses“, in: Constantin Brancusi und Richard Serra. Ausst.-Kat. Fondation Beyeler, Riehen/Basel 2011, S. 103-109. 134 Schmoll gen. Eisenwerth 1972/1983, S. 312. 135 „M. Escoula a néanmoins le tort de chercher parfois, lui aussi, à imiter quelque peu M. Rodin, par exemple dans cette tête: Tristesse, qui émerge d’un bloc. […] il est plus que dangereux de prendre M. Rodin pour guide exclusif et, à plus forte raison, de le pasticher.“ Paul Leroi: „Salon de 1894“, in: L’Art, 58 (1894), S. 67-89, hier S. 76-77.

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Abb. 34: Jean Escoula: Zeichnung nach dem Marmor Tristesse, 1894

Abb. 35: Auguste de Niederhäusern-Rodo: Ophélie, 1894, zerstört 1987

1894 die non-finite Marmorbehandlung synonym mit Rodin. Im selben Jahr beginnt auch der aus Genf stammende AUGUSTE DE NIEDERHÄUSERN-RODO (18631913), der seit 1892 als praticien für Rodin arbeitete, nachdem er an der École des Beaux-Arts bei Falguière studiert hatte, in seinen eigenen Skulpturen mit unbestimmt ausgeführten Zonen zu arbeiten. In der Steinskulptur Ophélie von 1894 (Abb. 35)136 sind es noch organisch-florale Wellenstrukturen, aus denen ein Frauenkopf hervortritt; die sich in dem verwandten Marmor Printemps von 1903 (Abb. 36)137, der kompositorisch ebenfalls an Rodins Rose Beuret oder Aurore (Abb. 12) erinnert, in die rohe Bosse zurückbilden. Zu Rodos 1913 in Zürich ausgestelltem, heute verschollenem Marmor La Pensée138 (Abb. 37) heisst es in der Neuen Zürcher Zeitung: Bei der Marmorplastik Pensée beruht die künstlerische Rechnung auf dem Kontrast des ungeglätteten Steinwürfels zu dem fein und zart modellierten weiblichen Kopf an der Vorderseite, der in die Steinmasse gleichsam eingebettet ist, symbolisiert mag das auf dem Prozess des allmählichen Sichloslösens des Gedankens gedeutet werden.139

136 Claude Lapaire: Auguste de Niederhäusern-Rodo 1863-1913. Un sculpteur entre la Suisse et Paris. Catalogue Raisonné. Bern 2001, Kat. Nr. 63, S. 262. 137 Ebd., Kat. Nr. 133, S. 294. 138 Ebd., Kat. Nr. 256, S. 358. 139 Ebd.

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Abb. 36: Auguste de Niederhäusern-Rodo: Printemps, 1903, Lausanne, Musée cantonal des beaux-arts

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Abb. 37: Auguste de Niederhäusern-Rodo: La Pensée, 1911, Verbleib unbekannt

Die Anlehnung an Rodins La Pensée, weniger gestalterisch als in Werktitel und Sinngebung, ist hier evident und zeugt von Rodos offensiver Begeisterung für Rodin, als dessen Epigone er galt und dessen Einfluss er in die Schweiz trug.140 Eine Kritik aus dem Jahr 1907, die nicht nur für deutsche Künstler gelten kann, spiegelt die Allgegenwart des in vielen Spielarten aufgegriffenen Non-finito wider: Gewiß, es hat seinen eignen Reiz, der gebildeten Form den ungefügen rohen Block gegenüberzustellen, aber es ist auch nur ein Reiz, kein ästhetischer Eindruck, der auf die Dauer erträglich ist. Rodin macht darin Schule. Neuerdings scheint es Mode zu werden, nur einige Körperformen aus dem Stein herauszuholen; eine recht bequeme Art, interessant zu wirken! Auch in der deutschen Plastik fehlt es nicht an Rodinisten!141

Auch der Kunstkritiker Karl Scheffler schrieb angesichts einer regelrechten Welle von Rodin-Entlehnungen in der Berliner Sezessionsausstellung 1901: „Natürlich ahmt Jeder Rodin nach. Einige im Dativ; die Meisten im Akkusativ.“142 Scheffler bezieht sich nicht explizit auf Rodins Marmorstil, problematisiert aber die grund140 Vgl. Paul-André Jaccard: Skulptur (Ars Helvetica. Die visuelle Kultur der Schweiz, Bd. VII). Disentis 1992, S. 217-219. 141 Alexander Heilmeyer: „Auguste Rodin“, in: Über Land und Meer, (98) 1907, Nr. 44, S. 10911093, hier S. 1092. 142 Karl Scheffler: „Berliner Sezession“, in: Die Zukunft, 36 (1901), H. 3, S.  322-330, hier S. 330; zit. in: Keisch 1988, S. 25.

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Abb. 38: Alfred Boucher: Volubilis, 1896, Troyes, Musée des Beaux Arts et d’Histoire

sätzliche Unterscheidung zwischen aktiver Nachfolge und passiver Nachahmung, Fortsetzung und Aneignung. Claude Keisch hat dieses Dilemma erläutert: „Geradezu weltweit wurde[…] der Kontrast von glatter Figur und rauhem Bossen unbedenklich den konventionellsten Figuren übergezogen. Und wie immer, wenn aus einer im Bewußtsein eines künstlerischen Problems erarbeiteten Methode ein beliebig anwendbares Rezept, aus einer Lösung ein vorgewußter Effekt wird, wenn die geistigen und künstlerischen Voraussetzungen nicht erlebt sind, blieb die passive Rezeption ohne fortzeugende Kraft.“143 Beispiele für diese sterile, weniger geglückte Nachahmung ohne inhaltliche Notwendigkeit sind zahlreich. Frühzeitig und ausdauernd zeigt sie sich etwa im Werk des mit Rodin eng befreundeten ALFRED BOUCHER144 (1850-1934), der in den mindestens acht verschiedenen Varianten seines Marmors Volubilis145 schwellende Frauenleiber mit dem schroffen Rohblock verschmelzen lässt. Die erste Fassung von Volubilis (Abb. 38), die vermutlich 1896 entstand, war im selben Jahr im Salon 143 Keisch 1988, S. 25. 144 Boucher kannte Rodin bereits seit 1878 und hatte als aufstrebender, in den 1880er Jahren vielfach geehrter Künstler seinen älteren Kollegen Rodin in der Affäre um die Abgussvorwürfe um L’Âge d’airain verteidigt, und war maßgeblich an der Vermittlung des Ankaufs dieser Arbeit durch den französischen Staat 1880 beteiligt. Als Lehrer und Mentor von Camille Claudel stellte er diese 1882 Rodin vor und bat ihn, sie während seines einjährigen Italien-Aufenthaltes als Schülerin zu übernehmen. Siehe auch: Camille Claudel révélée par Boucher et Rodin. Ausst.-Kat. Musée Paul Dubois – Alfred Boucher, Nogent-sur-Seine 2003, S. 16. 145 Die vermutlich erste Fassung von 1896 befindet sich im Musée des Beaux Arts et d’Histoire in Troyes, eine späte, nach 1912 entstandene im Musée Paul Dubois–Alfred Boucher in Nogentsur-Seine. Sechs weitere unterschiedliche Marmorfassungen kamen in den letzten Jahren in

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Abb. 39: George Grey Barnard: Maiden with Lily, 1900, Marmor

ausgestellt, zusammen mit Rodins L’homme et sa pensée. Bei einem modernen Strömungen durchaus aufgeschlossenen Künstler wie Boucher, einem Verfechter der taille directe, der 1902 das Atelierhaus La Ruche in Montparnasse gründete und junge Bildhauer wie Archipenko, Lipchitz und Zadkine protegierte, ist die in den späteren, noch in den 1910er Jahren entstandenen Volubilis-Varianten zunehmend ins Süßlich-Pikante gehende Imitation des Non-finito ungewöhnlich und widersprüchlich. Die Inszenierung der weiblichen Aktfigur vor roher Bosse, die Boucher ins Manieristische steigerte, wird zu einer von unzähligen Künstlern aufgegriffenen (und zuAuktionen zum Aufruf: Sotheby’s New York, 26.5.1994, Lot 68; Sotheby’s London, 14.1.2001, Lot 177; Sotheby’s New York, 2.11.2001, Lot 167; Christie’s New York, 24.4.2002, Lot 11; Sotheby’s London, 28.6.2007, Lot 95; Sotheby’s London, 29.5.2008, Lot 90. Siehe auch: Alfred Boucher 1850-1934, sculpteur – humaniste. Hrsg. von Jaques Piette. Ausst.-Kat. Musée Paul Dubois – Alfred Boucher, Nogent-sur-Seine 2000, Kat. Nr. 44, 45, 62.

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Abb. 40: Anton Hanak: Die Zukunft, 1904, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen

meist allegorisch-symbolistisch überschriebenen) modischen Formel, die in dieser wenig subtilen Direktheit von Rodin – mit Ausnahme der späten, nie ausgestellten Psyché 146 – so nie eingesetzt wurde. Sie zeigt sich etwa im Werk des aus Chicago stammenden GEORGE GREY BARNARD (1863-1938), der ab 1883 in Paris an der École des Beaux-Arts studiert hatte und von Alfred Boucher an Rodin empfohlen wurde.147 Rodins Einfluss äußert sich erst nach seiner Rückkehr nach New York in den 1890er Jahren, und speziell in den non-finiten Aktfiguren Maiden with Lily (1900, Abb. 39) und Solitude148 (1906). Das organische Hervorgehen der Figur aus dem Stein interessiert auch den Wiener Bildhauer ANTON HANAK (1875-1934) an seinem Halbakt Die Zukunft149 (1904, Abb. 40), den er 1905 in der Wiener und 1906 in der Münchner Secession zeigte, wo er sehr positiv aufgenommen und noch im selben Jahr von der bayrischen Regierung für die Münchner Glyptothek angekauft wurde. Auch bei seiner ersten Auftragsarbeit als freier Bildhauer, dem Marmorporträt von Mäda Primavesi, Gattin des Wiener Mäzenaten Otto Primavesi, griff Hanak 1906 auf das von Rodin erfolgreich eingeführte Stilmittel zurück, 146 Barbier 1987, Kat. Nr. 66. 147 Archiv Musée Rodin, Dossier G. G. Barnard. Siehe auch Harold E. Dickson: „Barnard and Norway“, in: The Art Bulletin, 44, March 1962, S. 55-59. 148 H. Nichols B. Clark: A Marble Quarry. The James H. Ricau Collection of Sculpture at the Chrysler Museum of Art. New York 1997, Kat. Nr. 66, 250-256. 149 Friedrich Grassegger, Wolfgang Krug (Hrsg.): Anton Hanak (1875-1934). Wien 1997, S. 52-58; Gerhard Leistner: Katalog der Schausammlung. Gemälde, Skulpturen, Plastiken und Objekte. Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg 1997, S. 40; Wien 2010, S. 146-147.

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Abb. 41: Gustave-Frédéric Michel: La Forme se dégageant de la matière, 1902, Lille, Palais des Beaux Art

indem er den sensibel gestalteten Kopf und das zarte Dekolleté aus dem grob gezahnten Oberkörper heraustreten lässt. Diese non-finiten Marmorarbeiten bleiben aber Einzelfälle im Frühwerk Hanaks, der später zu einem sachlich monumentalen Stil findet. Symbolistische, inhaltlich motivierte Entlehnungen finden sich bei GUSTAVEFRÉDÉRIC MICHEL (1851-1924), dessen deutlich an Rodin angelehnter Marmor La Forme se dégageant de la matière von 1902 (Abb. 41) bereits im Titel als Allegorie des bildhauerischen Prozesses ausgewiesen ist. Wie bei Rodin geht es hier um die Extraktion der gestalteten Form aus der amorphen Materie. Der in die rohe Bosse gebettete, expressiv aufgeworfene weibliche Akt, über dessen Oberschenkel dekorativ wie eine Draperie die rohe Steinmasse mit darauf platzierten Bildhauerwerkzeugen flutet, wurde 1902 im Salon de la Société des Artistes français ausgestellt, wo er von einem Kritiker der Gazette des Beaux-Arts mithilfe der bekannten Topoi beschrieben wird: als heroische Loslösung des Körpers aus der Gefangenschaft des Steins in einem geradezu gewaltsamen Schöpfungsprozess. […] l’essor heroique dans le geste violent d’arrachement qui tend toute la figure, des genoux encore prisonniers aux bras désespérément tordus dans leur gaine de marbre. Le tourment de la création, le rude enfantement du beau, voilà ce que cette œuvre traduit éloquemment.150

150 Henry Marcel: „Les Salons de 1902“, in: Gazette des Beaux-Arts, August 1902, S. 123-141, hier S. 130-131. Siehe auch: Henry Marcel: „Gustave Michel, Statuaire“, in: Art et Décoration, 20 (1906), S. 69-80; Schnell 1980, S. 209-210.

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Abb. 42: Leonardo Bistolfi: La bellezza liberata dalla materia, 1899-1904, St. Moritz, Segantini Museum

Abb. 43: Égide Rombaux: Filles de Satan, 1900-1903, Brüssel, Musée royal des Beaux-Arts

Ähnliche, mehr oder weniger gelungene allegorische Aneignungen sind zahlreich, etwa das Segantini-Denkmal des Italieners LEONARDO BISTOLFI mit dem Titel La bellezza liberata dalla materia (1899-1904, Abb. 42), das Hugo-Denkmal La Vision du poète151 (1902) von GEORGES BAREAU, der Marmor Filles de Satan152 (19001903, Abb. 43) des Belgiers ÉGIDE ROMBAUX, und der deutlich Rodins Main de Dieu zitierende Marmor Der Mensch und das Schicksal (1920, Abb. 44) des Wieners GUSTINUS AMBROSI, der ein symbolistisch motiviertes Non-finito weit in das 20. Jahrhundert hineinträgt.153 KARL ALBIKERS (1878-1961) allegorisches Porträt Sehnsucht154 aus dem Jahr 1900 (Abb. 45) markiert eine eigenständige Umsetzung und Abwandlung: Der torsierte Körper geht nicht überall fließend in die rohe Bosse über, sondern der linke Arm ist – zusammen mit dem Steinfond – an der Schulter glatt abgeschnitten. Das Gesicht hebt sich in einer klaren Profillinie vom schroffen Hintergrund ab. Albiker 151 Marmor, Paris, Place de Colombie. Abb. in: Bésançon 2002, S. 43. 152 Marmor, Musée royal des Beaux-Arts, Brüssel. Abb. in: Rheims 1972, S. 142, Nr. 29. 153 Wien – Paris. Van Gogh, Cézanne und Österreichs Moderne 1880-1960. Ausst.-Kat. Österreichische Galerie Belvedere, Wien 2007, S. 189, 202. 154 Sigrid Walther: Karl Albiker 1878-1961. Plastik, Zeichnung. Dresden 1996, S. 11.

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Abb. 44: Gustinus Ambrosi: Der Mensch und das Schicksal, 1920, Wien, Belvedere

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Abb. 45: Karl Albiker: Sehnsucht, 1900, Privatbesitz

war nach seinem Studium an der Karlsruher Akademie im November 1899 nach Paris gegangen, wo er zuerst an der Académie Julian und dann drei Monate lang am Institut Rodin studierte, der 1900 von Rodin zusammen mit Bourdelle und Desbois als Alternative zur staatlichen École des Beaux-Arts gegründeten Lehranstalt. Während fast alle der in Paris entstandenen Werke Albikers verschollen sind, entstand Sehnsucht, das er 1901 sehr erfolgreich bei der Münchner Sezession zeigte, vermutlich direkt nach seiner Rückkehr nach Deutschland im August 1900. Auch GEORG KOLBE (1877-1947), der in seinen Anfangsjahren zwischen den Einflüssen Rodins wie auch Hildebrands stand, 1897/98 ein halbes Jahr in Paris verbrachte, Rodin aber erst 1909 in Meudon persönlich aufsuchte,155 erprobt um 1904 erfolgreich eine Neuinterpretation des Non-finito in seinem Sitzenden Mädchen156 aus Euville-Kalkstein (Taf. 9). Die expressiv zusammengekauerte Sitzfigur erscheint wie eine Inversion der prigioni Michelangelos, denn sie wird nicht von einem Rohblock umfangen, in dem ihre Glieder versinken, sondern die ungestaltete Materie windet sich von der bossierten Basis aus, einer Draperie ähnlich, an 155 Ursel Berger: Georg Kolbe – Leben und Werk. Mit dem Katalog der Kolbe-Plastiken im GeorgKolbe-Museum. Berlin 1990, S. 176. Zu Kolbe und Rodin: Keisch 1988, S. 25-27. 156 Ebd., Kat. Nr. 4, S. 210-211. Siehe auch: Hans Wendland: Über neue Bildwerke. Mit einer Abhandlung über den Begriff des Schönen als Kunsturteil. Berlin 1907, S.  16-18, Abb.  o. S. („Sitzende Figur in Stein“).

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Abb. 46: Pablo Gargallo: Volupté, um 1908, Sammlung Gargallo-Anguera

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Abb. 47: Ivan Meštrović: Witwe, 1908, Belgrad, Narodni Muzej

ihrem nackten Körper nach oben, wo sie mit dem Haar verschmilzt. Anlässlich ihrer Ausstellung beim Deutschen Künstlerbund in Berlin 1905157 wurde die Figur in der Zeitschrift Ulk als „Sklavin in Schlagsahne“ karikiert. Eine stärkere Stilisierung des weiblichen Körpers, der umso wirkungsvoller mit dem rohen Stein kontrastiert, zeigt sich bei dem aus Barcelona stammenden PABLO GARGALLO (1881-1934), der 1903 dreiundzwanzigjährig mit einem Stipendium für sechs Monate nach Paris reiste, dort Werken von Rodin begegnete, diesen Eindruck jedoch nicht unmittelbar, sondern erst nach knapp vier Jahren in dem Marmor Volupté (um 1908, Abb. 46) verarbeitete. Diese vergrößerte Neufassung seiner vollplastisch modellierten Terrakotta Petite Volupté à genoux (1907) zeigt einen knienden Frauenleib mit schmalem Oberkörper und breiten, überzeichneten Hüften in klaren, stilisierten Konturen. Der Kopf ist zur Seite gewandt und Haar, Arme und Unterschenkel sind beinahe gewaltsam nach hinten gezogen, wo sie in den rohen Stein übergehen, der die Figur an der Rückseite hinterfängt, was dem verbleibenden Torso eine kompakte Spannung verleiht. Im Catalogue Raisonné ist dieser Marmor verzeichnet als „inachevée, peut-être volontairement“158. Diese Un157 Katalog der Zweiten Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes. Berlin 1905, Kat. Nr. 266, S. 37 („Sitzendes Weib“, Stein), Abb. o. S. („Sklavin“). 158 Pierrette Gargallo-Anguera: Pablo Gargallo Catalogue Raisonné. Paris 1998, Kat. Nr.  35, S.  80. Siehe auch: Pablo Gargallo. Ausst.-Kat. Institut Valencià d’Art Modern, Valencia/ Centre Le Bellevue, Salles Les Rhunes et Les Vagues, Biarritz 2004, S.  20-21; Gargallo. La Lonja. Ausst.-Kat. Ayuntamiento de Zaragoza, Fundació Caixa Catalunya 2007, S. 68, 72-73, 288; Paris/Madrid 2009, Kat. Nr. 30, S. 270.

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Abb. 48: Ivan Meštrović: Kopf der Karyatide von Avala, 1934, Zagreb, Atelje Meštrović

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Abb. 49: John Storrs: Portrait of My Mother, 1913

sicherheit in der Beurteilung ist nachvollziehbar, da die non-finite Behandlung von Volupté singulär im Werk Gargallos bleibt. Viel stärker geprägt vom Kubismus des mit ihm seit 1904 befreundeten Picasso, arbeitet er nahezu zeitgleich an ersten detailreichen Figurinen und Masken aus Metall, die er in den 1910er und 1920er Jahren surreal verspielt weiterentwickelt, gleichzeitig aber weiterhin, beeinflusst von Maillol, typisiert und eher klassisch in Stein arbeitet. Eine eigenständige Umsetzung zeigt sich auch bei dem jungen kroatischen Bildhauer IVAN MEŠTROVIC´ (1883-1962), der nach seinem Studium an der Wiener Akademie 1907 nach Paris ging, wo er mehrmals bei Rodin zu Gast war und ihn 1914 auch porträtierte.159 Während seine von kubistischen Einflüssen bestimmte Witwe160 von 1908 (Abb. 47) sich noch organisch aus dem rohen Stein formt, ist der sehr viel später in den 1930er Jahren entstandene Kopf der Karyatide von Avala161 (1934, Abb. 48) eine modernistisch abstrahierte, vom Art Déco beherrschte Neuinterpretation einer non-finiten Porträtbüste, bei der das stilisierte Gesicht mit einer klaren Kontur isoliert ist. Bekannt und wenig überraschend ist, dass auch Rodins äußerst erfolgreicher non-finiter Porträtstil von vielen seiner Mitarbeiter aufgegriffen wurde. Ein Beispiel

159 Ivan Meštrović: „Quelques souvenirs sur Rodin“, in: Annales de l’Institut Français de Zagreb, Nr. 1, April/Juni 1937, S. 3-14. 160 Ivan Meštrović. Skulpturen. Ausst.-Kat. Nationalgalerie Berlin, Kunsthaus Zürich, Museum moderner Kunst Wien 1987, Kat. Nr. 17, S. 84-85. 161 Ebd., Kat. Nr. 56, S. 162-163.

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Abb. 50: Malvina Hoffman, John Keats, 1926, Pittsburgh (PA), University of Pittsburgh Art Gallery

ist das frühe Portrait of My Mother162 (1913, Abb. 49) des aus Chicago stammenden JOHN STORRS (1885-1956), der 1913 in Paris als Schüler für Rodin gearbeitet hatte und der sich später in den 1920er Jahren in New York auf modernistisch-reduzierte Plastiken von Hochhausstrukturen spezialisieren sollte. Weitere Beispiele für unterschiedliche Formen der Aneignung sind CHARLES DESPIAUS Buste de Femme163, Lucien Schneggs La Rieuse164 (vor 1908), ARNOLD RECHBERGS Prinzessin Marie Mu162 Debra Bricker Balken: John Storrs. Machine-Age Modernist. Hanover/London 2010, S. 14-15. 163 La Bande à Schnegg. Ausst.-Kat. Musée Bourdelle, Paris 1974, Kat. Nr. 74. 164 Ebd., Kat. Nr. 13. Vgl. Schnell 1980, S. 209-210.

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Abb. 51: Jules Desbois: Rodin, 1911, Parcay, Musée Jules Desbois

rat-Rohan165 (um 1910), MALVINA HOFFMANS idealisiertes Porträt von John Keats (1926, Abb.  50), JULES DESBOIS’ Céres166 und die Rodin-Porträts von Desbois (1911, Abb. 51)167 und VICTOR FRISCH.168 5.2.c. Umdeutung und Abgrenzung: Archipenko, Hoetger, Moore Viele der hier vorgestellten Aneignungen des Non-finito bleiben wenig eigenständig und ohne Relevanz im Vergleich zu den bestimmenden Tendenzen in der Skulptur des frühen 20. Jahrhunderts, in denen ein starkes Bedürfnis nach Erneue165 Arnold Rechberg. Zwischen Kunst und Politik. Ausst.-Kat. Museum der Stadt Bad Hersfeld 1993, Kat. Nr. V9, S. 48, 14. Siehe auch Kähler 1996, S. 176f., 208, 312. Weitere Beispiele: Sterbender Moses, 1904, Marmor (Bad Hersfeld 1993, Kat. Nr. 29; vgl. Kähler 1996, S. 176), Charlotte Prinzessin Reuss, 1916 (Bad Hersfeld 1993, Kat. Nr. 22). Der Bildhauer, Publizist und spätere Diplomat Rechberg, der seit 1904 in Paris lebte und kurzzeitig die Académie Julian besuchte, stellte erfolgreich 1905 im Salon der SNBA und 1906 bei Georges Petit aus. 166 Raymond Huard, Pierre Maillot: Jules Desbois 1851-1935. Une célébration tragique de la vie. Paris 2000, Kat. Nr. 3a, S. 78-79. Jules Desbois (1851-1935), einer der langjährigen Mitarbeiter Rodins, war bereits 1884 als praticien in dessen Atelier eingetreten. Rodins Einfluss zeigt sich vermehrt in seinem Spätwerk nach 1900. 167 Ebd., Kat. Nr. 49, S. 79-83. 168 Frisch/Shipley 1939, Frontispiz.

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rung und Emanzipation von der Autorität Rodins spürbar ist.169 Zahlreiche junge Bildhauer suchen die Rückkehr zu einer strengen, beruhigteren Formensprache unter Führung Maillols, und eine grundlegende ‚Reinigung‘ der Figur von dramatischem Ausdruck und Sensualismus. Maillol, dessen Auffassung von plastischer Geschlossenheit der Rodins grundlegend entgegenstand, brachte für dessen Nonfinito kein Verständnis auf und empfand es formal als wenig zufriedenstellend. Den Steingrund in Rodins Devant la mer kritisierte er als geschmacklos und unnütz: Quel mauvais goût, cet énorme morceau de marbre inutile! Il faudrait le tailler là, et là. Rodin ne le voyait pas. Il s’acharnait au morceau, et il ne voyait pas le côté décoratif. C’est étonnant, d’un pareil homme, qu’il n’ait pas vu ces choses-là.170

Innerhalb der neuen Strömungen gibt es Künstler, die das Non-finito auf Grundlage neuer formaler Ansätze umdeuten und weiterentwickeln. ALEXANDER ARCHIPENKO (1887-1964), der seit seiner Ankunft in Paris 1908 nie verhehlte, dass er Rodin ablehnte, setzt 1922 einen stark stilisierten, ebenmäßigen Weiblichen Torso171 auf einen non-finiten Fond (Abb. 52). Dieses Werk ist mehr als eine programmatische Auseinandersetzung mit Rodin, es geht hier nicht mehr bloß um die Diskrepanz von geschliffenem und rauem Stein, sondern um die synthetische Abstraktion der Figur, die sich von einem desorganisierten, naturhaften Hintergrund absetzt. BERNHARD HOETGER (1874-1949), der zusammen mit Paul Clemen und Studenten der Düsseldorfer Akademie 1900 den Pavillon de l’Alma besucht hatte, mit Rodin zusammentraf und bis 1907 in Paris blieb,172 entwickelte um 1914 eine eigene, konstruktive Auffassung des Non-finito, indem er stilisierte Köpfe aus einem grob behauenen, jedoch streng kubischen Sockelblock hervorgehen lässt. In seinem Kopf eines Jünglings 173 (1914-16, Abb. 53) oder den zwei Fassungen der Frau Dülberg174 (1915) erinnert der stelenartige Stein nicht mehr an eine Naturform.

169 Bezeichnend ist, dass Rodin im Gegensatz zu Brancusi, Archipenko, Lehmbruck, Barnard oder Bourdelle 1913 auf der Armory Show in New York nicht mit Plastiken, sondern nur mit Zeichnungen vertreten ist. Zum Abgrenzungsbedürfnis von Rodin: Oublier Rodin? La sculpture à Paris, 1905-1914. Ausst.-Kat. Musée d’Orsay Paris; Fundación Mapfre, Madrid 2009. 170 Aristide Maillol, zit. in: Henri Frère: Conversations de Maillol, Genf 1956, S. 173. 171 Anette Barth: Alexander Archipenkos plastisches Œuvre. Zweiter Teil: Werkverzeichnis. Frankfurt a. M. 1997, Kat. Nr. 136, Abb. S. 267. Vgl. Günther Ladstetter: Kunsthalle Mannheim. Skulptur, Plastik, Objekte. Mannheim 1982, S. 41. 172 Liesbeth Jans: „Bernhard Hoetger in Paris“, in: Christian Tümpel (Hrsg.): Deutsche Bildhauer 1900-1945, Entartet. Zwolle 1992, S. 45-56; Maria Anczykowski (Hrsg.): Bernhard Hoetger. Skulptur, Malerei, Design, Architektur. Bremen 1998, S. 8-17. 173 Ebd., Kat. Nr. 258, S. 366. 174 Ebd., Kat. Nr. 260, 261. Marmor, H 50 cm, Von der Heydt-Museum Wuppertal; Marmor, H 50 cm, Privatbesitz.

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Abb. 52: Alexander Archipenko: Weiblicher Torso, 1922, Kunsthalle Mannheim

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Abb. 53: Bernhard Hoetger: Kopf eines Jünglings, 1914-16, Bremen, Museen Böttcherstraße, Paula Modersohn-Becker Museum

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Rodins Non-finito bot zwar formale Anknüpfungspunkte für die moderne Skulptur, jedoch kaum Entwicklungspotential. Viele junge Bildhauer vermissten bei Rodin die zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder vieldiskutierte und von überzeugten Steinbildhauern wie Adolf von Hildebrand auch theoretisch fundierte Materialgerechtigkeit. Sie lehnten den verkomplizierten und unpersönlichen Werkprozess der Steinbildhauerei Rodins ab, insbesondere die mechanische Übertragung des Modells auf den Marmorblock. Und speziell das manufakturhaft hergestellte Non-finito, das die Wirkung des unterbrochenen Arbeitsprozesses vorsätzlich erzeugt, provoziert den Vorwurf des Artistischen.175 Symptomatisch für die Bildhauer der frühen Moderne wurde vielmehr die taille directe – das direkte Arbeiten in den Stein ohne Vorstudien  – als Ethos der Materialgerechtigkeit und der handwerklichen Integrität. Eine wichtige Bezugsfigur ist auch hier Michelangelo, der ohne vorbereitende Studien direkt in den Stein gearbeitet hatte, während es vom 17. bis 19. Jahrhundert üblich wurde, Tonmodelle zu Hilfe zu ziehen. Wiederbelebt wurde die taille directe Ende des 19. Jahrhunderts unter anderem von Künstlern ohne traditionelle Ausbildung und Maler-Bildhauern wie Gauguin und Maillol, die nach Zeichnungen oder Maquetten, jedoch ohne mechanische Übertragungsverfahren arbeiteten. Direkt in den Block arbeiteten dann auch viele Bildhauer der Avantgarde – von Brancusi, Epstein, Lipchitz, Zadkine, Gaudier-Brzeska, Duchamp-Villon bis hin zu Kirchner und Moore –, die den unmittelbaren Zugriff, den ‚Dialog mit dem Material‘ suchten. Der physische Akt des Herausschlagens der Figur aus dem Stein, dessen Widerstände und die Zufälligkeiten bei der Bearbeitung, fallen nun wieder zusammen mit der Werkkonzeption. Dieser Ethos der für Authentizität bürgenden taille directe wird von HENRY MOORE (1898-1986) zugespitzt in seiner frühen, das Non-finito Rodins zitierenden und zugleich dessen Arbeitsweise ad absurdum führenden Marmorstudie Head of the Virgin176 (Abb. 54). Diese Arbeit, die Moore 1922 noch als Student am Royal College of Art in London anfertigte, ist angelehnt an ein Renaissancerelief von Domenico Rosselli (Virgin and Child with Three Cherub Heads) aus dem Victoria and Albert Museum. Die Aufgabenstellung war die Reproduktion des Originals mithilfe eines Tonmodells und dessen mechanische Übertragung in Stein mithilfe der Punktiermaschine. Moore lieferte die geforderte Kopie, setzte sich allerdings über die Vorgaben hinweg und arbeitete nach Augenmaß und ohne technische Hilfsmittel direkt in den Stein. Den Marmorfond, im Original ein von Cherubim bevölkertes Flachrelief, aus dem der von einem Nimbus umgebene Madonnenkopf hervortritt, beließ er grob bossiert. Um die mechanische Reproduktion vorzutäuschen, platzierte er abschließend sogar willkürlich einige Messpunkte.177 Moore, 175 Vgl. Jena 2005, S. 132. 176 David Sylvester (Hrsg.): Henry Moore. I: Complete Sculpture 1921-48. London 1957, Kat. Nr. 6; Henry Moore. Hrsg. von Susan Compton. Ausst.-Kat. Royal Academy of Arts, London 1988, Kat. Nr. 1. 177 „We were given classical sculptures to copy and no original carving was permitted. I believed that I could copy faithfully without using the pointing machine and I persuaded Barry

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Abb. 54: Henry Moore: Head of the Virgin, 1922-23, The Henry Moore Foundation

der Rodin in späteren Jahren uneingeschränkt zugestand, die Gattung Skulptur aus einer tiefen Krise geführt zu haben,178 sah dessen Marmorwerke jedoch stets kritisch, wie er in einem Interview 1967 erläuterte. Sie trügen „réflexes victoriens“, seien sentimental, in ihnen zeige sich am deutlichsten Rodins Zeitgebundenheit. Moore kritisiert vor allem ihre Artifizialität, die auf die fabrikmäßige Produktion, die Trennung von intellektueller und manueller Arbeit zurückzuführen ist. Rodin habe seine Mitarbeiter angewiesen, die unvollendeten Werke Michelangelos nachzuempfinden, doch sei das Steckenbleiben der Figur im Block eine reine Äußerlichkeit und nicht im Werkprozess begründet wie bei Michelangelo: Voilà pourquoi je dis que la sculpture en pierre de Rodin est mauvaise. Il disait sans doute simplement à son atelier d’imiter le genre de choses que Michel-Ange avait faites, ce qu’on appelle la sculpture inachevée, où le sujet reste pris dans le bloc; mais Hart to let me try to carve my piece freely. Although he himself could handle a hammer and chisel remarkably well, he still didn’t believe it was possible and I had to make false points in pencil on the marble so that, when Derwent Wood came round, he would think I was using the pointing machine.“ Henry Moore, zit. in: John Hedgecoe, Henry Moore: Henry Moore. London 1968, S. 33. Siehe auch: Anne Midleton Wagner: Mother stone. The vitality of modern British Sculpture. New Haven/London 2005, S. 80-81. 178 „He brought sculpture out of the doldrums. […] sculpture as it was a dead art, only something to bump into or to knock your head against.“ Henry Moore, zit. in: Rodin. Sculpture and drawings. Hrsg. von Alan Bowness. Ausst.-Kat. Hayward Gallery London 1970, S. 12.

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Abb. 55: Bernhard Heiliger: Ruhende, um 1938/39, Verbleib unbekannt

il n’y reste pas comme ceux de Michel-Ange. Michel-Ange développait le sujet et il ne partait pas d’une chose complète. Je crois que, dans certains cas, Rodin a peut-être fait un modèle complet et puis l’a envoyé aux sculpteurs en leur disant de s’arrêter quand ils en seraient à un certain point et de laisser le sujet encore enfoui dans le bloc.179

In Moores Selbstverständnis als Steinbildhauer, der nicht modelliert, sondern meißelt und dessen Bronzen sogar auf Grundlage gehärteter Gipsmodelle entstehen, die er mit Feile und Eisen bearbeitet, darf der Stein nicht verfälscht werden, indem ihm etwa wie durch Rodin der Anschein von weichem Fleisch gegeben wird, sondern er solle stets seine harte und dichte Steinbeschaffenheit bewahren.180

179 „Henry Moore parle de Rodin. Propos recueillis par Rosamond Bernier“, in: L’Œil (1967), Nr. 155, S. 26-33, 63, hier S. 33. 180 „For me, sculpture should have a hardness, and because I think sculpture should have a hardness fundamentally I really like carving better than I like modelling.“ – „Stone, for example, is hard and concentrated and should not be falsified to look like soft flesh – it should not be forced beyond its constructive build to a point of weakness. It should keep its hard tense stoniness.“ Henry Moore, zit. in: Philip James (Hrsg.): Henry Moore on Sculpture. London 1966, S. 60, 69.

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Abb. 56: Alfred Hrdlicka: Golgatha, 1963, 223 x 58 x 50 cm, Mountainville (NY), Storm King Art Center

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Die vorliegende Materialsammlung, die die Weiterwirkung des Non-finito als formalästhetisches Prinzip in der figürlichen Steinskulptur verfolgt, beschränkt sich notwendigerweise auf formale, rein äußerliche Vergleichspunkte. Es zeigt sich, dass bei vielen der Künstler, die sich Rodins Marmorbehandlung auf diese oder jene Weise aneignen, diese Auseinandersetzung im Frühwerk erfolgt, und in den meisten Fällen eine experimentelle Episode bleibt, die zumeist schnell überwunden und zugunsten einer eigenständigen Formensprache aufgegeben wird. Während die Torsi und Assemblagen Rodins zum Bezugspunkt für eine ganze Generation von Bildhauern wurden, blieb das Non-finito der Marmore formal ohne nennenswerte, anhaltende Nachwirkungen und gerät als harmloses, artistisches Stilmittel zunehmend in Vergessenheit. Vereinzelte Reminiszenzen finden sich bei Bernhard Heiliger, in dessen Marmor Ruhende181 von 1938/39 (Abb. 55) die freien Passagen aus Rodins Sommeil und Lehmbrucks Schlaf nachklingen. Eher in der Nachfolge das ‚existentiellen‘ Non-finito Michelangelos als in der Rodins stehen indes die Marmore von ALFRED HRDLICKA. Figuren wie Golgatha182 (1963, Abb. 56) und Johannes der Täufer183 (1975) scheinen dem Stein, der sie teilweise einschließt, entgegenzuarbeiten. An Rodins Künstlerbüsten erinnert sein Portrait Bonhoeffer184 (1977), das assymetrisch versetzt aus einem von Bohr- und Bruchspuren strukturierten Rohblock herauswächst. Verlässt man den engen Bereich der rein formalen Weiterwirkung, ist das Nachleben des Non-finito konzeptuell jedoch immens. Die offene Form Rodins  – in allen bildhauerischen Materialien wie auch in seinen Zeichnungen – ist Voraussetzung für vieles, was im 20. Jahrhundert folgt. Nachhaltig wirken zwar auch die offenen Oberflächenstrukturen in Bronze und Gips, welche die nicht definierten Partien bei Matisse und später die schrundigen Oberflächen von Giacometti, Germaine Richier, Per Kirkeby oder von Bildhauern des Informel vorbereiten. Doch vor allem das Konzept der organischen, wachsenden Form und ihres Potentials zur Verwandlung wird nach dem Zweiten Weltkrieg zentral für viele Künstler, von Arp über Moore bis Beuys. Die wichtigsten Impulse, die bis in die Gegenwart reichen, gingen von der transformatorischen Energie des Non-finito aus, von der Ästhetik des Provisorischen und der Offenlegung eines scheinbar unabgeschlossenen Werkprozesses.

181 Marc Wellmann (Hrsg.): Bernhard Heiliger 1915-1995. Monographie und Werkverzeichnis. Berlin/Köln 2005, Nr. 9. 182 Michael Lewin: Alfred Hrdlicka. Das Gesamtwerk, Bildhauerei. Wien/Zürich 1987, Kat. Nr. 58. 183 Ebd., Kat. Nr. 133/I – 133/IV. 184 Ebd., Kat. Nr. 142.

6. Non-finito als Topos der Moderne Ce qui est achevé, trop complet, nous donne sensation de notre impuissance à le modifier. Paul Valéry, 19371 Rodin forces the viewer to acknowledge the work as a result of a process, an act that has shaped the figure over time. Rosalind Krauss, 19772

6.1. Spuren der Werkgenese „Rodin’s best sculpture is about the materials of which it is made. It is also about the process of making them.“3 Leo Steinberg, der diese Beobachtung notierte, gehört zu denjenigen Autoren, deren Interesse sich primär auf die offensiv ausgestellten Spuren des Arbeitsprozesses bei Rodin richtete. Offene Oberflächen finden sich bei Rodin prinzipiell in allen Materialien und in jedem Werkzustand.4 In den Marmorarbeiten zeugen die sichtbaren Spuren von Bossier- und Spitzeisen wie auch die auf einigen Skulpturen (etwa Jeanne d’Arc, Mozart, Clemenceau) stehengelassenen Punktiermarken vom Hergang ihrer Entstehung. Sie sind anti-illusionistisch, „nicht in Abbildung überführtes Material“5 wie die Gussnähte, Grate und schrundigen Materialverwerfungen auf den Bronzen,6 die etwa am Rumpf 1 2 3 4 5 6

Paul Valéry: „Le beau est négatif “, in: Œuvres I, Paris 1957, S. 374-376, hier S. 375. Krauss 1977, S. 30. Steinberg 1963/1972, S. 385. Vgl. Rosenfeld 2001, S. 169. Schnell 2001, S. 154; s.a. Schnell 1979, S. 316. Nicholas Penny beobachtet bereits in Bronzeskulpturen der Renaissance ein handwerkliches ‚Non-finito‘: die Konservierung von Gusszufälligkeiten als „taste for roughness“, der die Maßstäbe des Berufsstandes hinsichtlich Virtuosität und Vollendung („finish“) unterläuft, um stattdessen die Aufmerksamkeit auf Persönlichkeit und Originalität des Künstlers lenken. Während etwa Donatello Bronzen wie den David nur unzulänglich polieren ließ, um die Qualitäten der Finger- oder Werkzeugspuren des Wachsmodells auch in der Bronze zu bewahren, habe Francesco di Giorgio Martini bewusst Gussfehler nicht geglättet, um durch diesen Sfumato-Effekt die Suggestion atmosphärischer Ferne zu erzeugen. (Nicholas Penny: „Non-Finito in Italian Fifteenth-Century Bronze Sculpture“, in: Antologia di Belle Arti. La Scultura. I, 1994, S. 11-15, hier S. 14: „a melting softness and incompleteness, illegible features, vanishing contours, smudged details, which were highly suggestive and at-

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NON-FINITO ALS TOPOS DER MODERNE

des Homme qui marche und der Iris, auf Rücken und Brust der Figure volante und im Gesicht der Muse tragique sichtbar geblieben sind  – „dissonante, rätselhafte Pausen“,7 die die modellierten Partien unterbrechen und nichts als sich selbst bezeichnen. Rosalind Krauss begreift diese demonstrativ ausgestellten Spuren der Operationen, die zunächst am Gipsmodell durchgeführt und auf das finale Werk übertragen werden, wie die Rückstände des Bronzegussverfahrens als sichtbare Hinweise auf die verschiedenen Zustände, die das Material durchlaufen hat: „Rodin forces the viewer to acknowledge the work as a result of a process, an act that has shaped the figure over time“.8 Die non-finiten Marmore treiben diese Irritation auf die Spitze. Die Kontrastierung figürlich-mimetischer Partien mit ‚Brachflächen‘ grob behauenen Steins bewirkt einen Illusionsbruch, der in der Skulptur des ausgehenden 19. Jahrhunderts, mit wenigen Ausnahmen wie dem Werk Medardo Rossos, kaum Entsprechungen hat. Die illusionistische Wirkung gerät ins Stocken und löst sich auf in einer offenen, scheinbar ungeordneten Oberflächenstruktur. Wie Werner Schnell gezeigt hat, war das Material für Rodin „nicht mehr in erster Linie als Träger der Gegenstandsform interessant, in seiner Abbildhaftigkeit, sondern als Träger der Spuren künstlerischer Arbeit“  – „Plastik, die sich unabhängig von jeder mimetischen Funktion als selbständiges ästhetisches Objekt konstituiert“.9 An den Werkzeugspuren sind unterschiedliche Stadien des Arbeitsprozesses ablesbar; Daniel Rosenfeld vermutet sogar, dass es Rodins vordergründiges Anliegen war, auf diese Weise seine Arbeitspraxis offenzulegen.10 Mittels des ostentativen Verzichts auf technische Perfektion wird die Genese des Werkes vorgeführt, sein ‚Produziertsein‘ und seine Artifizialität nach außen gewandt.11 Diese Ausstellung und Reflexion der eigenen künstlerischen Mittel ist den rund zwei Jahrzehnte vorausgehenden Entwicklungen in der Malerei vergleichbar: Vorbereitet durch Maler wie Turner und Delacroix, erlangt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-

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mospheric“). Im Bereich der Steinskulptur finden sich sichtbar stehengelassene Werkzeugspuren bereits auf antiken Marmorwerken, wo feine rillenförmige Spuren des Zahneisens sichtbar blieben, um die Oberfläche körnig aufzurauhen und aus der Entfernung plastischer wirken zu lassen. Auch mittelalterliche Kalksteinarbeiten zeigen zuweilen eine feine Oberflächenriffelung, die der Grundierung unter der Bemalung Halt gab und dem Abblättern vorbeugen sollte. Auf italienischen Skulpturen des 17. Jahrhunderts finden sich sichtbare Einschnitte von Punktier- und Spitzeisen, die nun ästhetische Wertschätzung erlangten, während in der Architektur roh bossierte Steine ohnehin bereits seit der Renaissance an Palastfassaden und in Gartengrotten geläufig waren (Vgl. Nicholas Penny: Geschichte der Skulptur. Material, Werkzeug, Technik. Leipzig 1995, S. 84-88). Werner Spies: „Der Körper in Stücken“, in: Ders.: Schnitt durch die Welt. Aufsätze zu Kunst und Literatur, Ostfildern-Ruit 1995, S. 30-34, hier S. 34. Krauss 1977, S. 30; siehe auch S. 29: „a surface marbeled with the marks of process that Rodin has not smoothed out but left, so that they are the visual evidence of the passage of the medium itself from one state to another“. Schnell 1977, o. S. Rosenfeld 2001, S. 165. Vgl. Schnell 2001, S. 156; Schnell 1980, S. 57-61 zu Fragment und Torso.

INTEGRATION DES SOCKELS

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derts im Impressionismus der sichtbare Pinselstrich als ein die Oberfläche strukturierendes Element einen Eigenwert, und das Malmittel, die pastose Ölfarbe, bleibt in seiner eigenen Dinghaftigkeit sichtbar. Dieses Anerkennen des Materials – Ölfarbe, Gips oder Stein – in seiner eigenen Physis, und die sichtbaren Spuren seiner Bearbeitung führen zu einer neuartigen Offenlegung des bildnerischen Prozesses, der die Metamorphose des Stoffs zum Bild ausstellt. Gottfried Boehm hat darauf hingewiesen, dass auch in der modernen Skulptur die Materie nun als eigenes Sinnpotential anerkannt wird: „Sie wird als die Matrix erkannt, die sie in der Plastik wohl immer schon war. Von der Form zugleich begrenzt und freigesetzt ist sie selbst Ort und Medium der plastischen Darstellung von Sinn.“12

6.2. Integration des Sockels „Die akademische Auffassung geht davon aus, dass die Kunst eine eigene Sphäre bekommen sollte; die Moderne, dass sie diese aus sich heraus bereits hat“13: Während der traditionelle, meist aus andersartigem Material bestehende Sockel das plastische Bildwerk faktisch und ideell erhöht14 und dessen Verhältnis zu Umwelt und Betrachter definiert, ist die aus der klassischen Sockelfunktion hervorgegangene non-finite Basis bei Rodin integraler Bestandteil der Skulptur. 1912 definiert Wilhelm Waetzoldt in seiner Einführung in die Bildenden Künste die Aufgabe des Sockels, „das plastische Gebilde von der realen Welt zu trennen, es gegen die Wirklichkeit deutlich abzugrenzen und im wörtlichen Sinne aus ihr herauszuheben in eine höhere Daseins- und Wirkungssphäre.“15 Waetzoldt folgert, dass „ein Felsen keinen Ersatz für einen architektonischen Sockel“ bilde, denn solle er die ästhetische Schutzfunktion erfüllen, „so darf das trennende Glied selbst weder ein plastisches noch ein natürliches Gebilde sein“. Waetzoldt bezieht sich hier nicht, wie man vermuten könnte, auf Rodins bossierte Basiszonen, sondern auf illusionistische ‚Natursockel‘ etwa bei Bernini oder Falconet16. Die Funktion als vermittelndes wie abgrenzendes Element zwischen Bildwerk und Umraum wird durch die non-finite Basisbildung Rodins neu definiert – mit der Konsequenz, dass sich die ästhetische Grenze zwischen Skulptur und Raum verschiebt. Aus dem konventio12 Gottfried Boehm: „Plastik und plastischer Raum“, in: Münster 1977, o. S. 13 Arie Hartog: „Die Frage der Augenhöhe. Beobachtungen zu Sockeln in der Bildhauerei um 1900“, in: Das Fundament der Kunst. Die Skulptur und ihr Sockel in der Moderne. Ausst.Kat. Städtische Museen Heilbronn; Gerhard-Marcks-Haus Bremen; Arp Museum Bahnhof Rolandseck 2009, S. 37-43, hier S. 40. 14 Ebd., S. 9. 15 Wilhelm Waetzoldt: Einführung in die Bildenden Künste. Leipzig 1912, S. 113-114. 16 Etienne-Maurice Falconet ersetzte in seinem Reiterdenkmal Peters des Großen das klassizistische Piedestal durch einen Felssockel aus grob behauenem Granit. Das steil ansteigende felsige Postament wird hier zum integralen Bestandteil der Komposition. Vgl. Angelika Rusche: Der Sockel. Typologische und ikonographische Studien am Beispiel von Personendenkmälern der Berliner Bildhauerschule. Witterschlick/Bonn 1989, S. 44.

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nellen Skulptursockel entwickelt, wird die rohe Basiszone zum Teil des Werks, wird diesem quasi einverleibt. Gleichzeitig schirmt sie die Skulptur nach außen ab, indem sie eine weitere Realitätsebene einführt. Der non-finite Bereich bildet eine amimetische Peripherie der Skulptur, die die mimetischen Partien einschließt und unabhängig von ihrer Umgebung macht. Wie erwähnt, hat Rilke das klug beschrieben: Rodin: Das macht seine Plastik so isoliert, so sehr zum Kunstwerk, welches wie eine Festung ist: sich selbst beschützend wehrhaft, unzugänglich […]: daß sie meistens sich befreit hat von der Abhängigkeit von Umgebung und Hintergrund, vor ihrem eigenen Stein, wie zögernd stehn geblieben ist, auf den Lippen des Gebirges, das angefangen hat zu erzählen.17

Die Emanzipation vom Sockel bei Rodin würdigt 1925 auch Gustave Kahn, der unterstreicht, dass sich die Figur gerade dann wirksamer vom Rohblock abhebt, wenn sie nicht klar von diesem abgetrennt ist; er warnt aber auch vor einer inflationären Anwendung dieses Effektes, der dann zur Manier wird: Rodin] détache l’effigie du bloc; l’œuvre d’art se dégage mieux, si elle n’en est pas pleinement isolée, de la matière brute. Cela souligne son effort, et l’aspect créateur. […] Ce n’est plus un socle, c’est un cadre, et quelle valeur prend la délicatesse de la tête sur la massivité de pierre dont elle n’est pas tout à fait délivrée. Les premières fois, l’effet fut grand.18

Die Skulptur verschmilzt bei Rodin mit ihrem Sockel, die schwere, solide Basis bildet eine feste Verankerung und Beziehung zum Boden. Damit stehen die nonfiniten Marmore in nachdrücklichem Gegensatz zu jenen Werken in Bronze, die nur eine äußerst lose Beziehung zu ihrer Basis haben (L’Illusion, sœur d’Icare), die sich vom Boden lösen (Figure volante), oder deren labile Balance durch den bewussten Verzicht auf einen Sockel noch gesteigert wird (La Martyre, Iris). Letztere liegen bzw. hängen frei im Raum, scheinbar unabhängig von der Schwerkraft, ohne Beziehung zu ihrer Umgebung und zuweilen ohne eindeutige räumliche Orientierung. Auf konträre Weise vollzieht Rodin die für die Entwicklung der modernen Plastik so zentrale Befreiung vom Sockel: einerseits durch den Verzicht, andererseits durch die einer ‚Einverleibung‘ des Sockels gleichkommende Verschmelzung von Block und Figur.

17 Rainer Maria Rilke, Tagebucheintrag vom 17. November 1900, zit. in: Luck 2001, S. 24. 18 Kahn 1925, S. 90 („[Rodin] löst das Bildnis aus dem Block heraus; es tritt wirkungsvoller hervor, wenn es nicht vollständig vom rohen Material geschieden ist. Das betont den Arbeitsaufwand und den schöpferischen Aspekt. Es ist nicht mehr bloß ein Sockel, es ist ein Rahmen, und welche Wirkung erlangt die Zartheit des Kopfes auf der Massivität des Gesteins, aus welchem er nicht gänzlich erlöst ist? Anfangs war dieser Effekt grandios.“).

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6.3. Prozess und Transition 6.3.a. Transition und Moderne Das Non-finito gehört zu den „Kernmotiven einer Moderne, die im Fragmentarischen und Unvollendeten die angemessene Antwort auf elementare Erfahrungen des 19. Jahrhunderts erkannte. Da die Geschwindigkeit des modernen Lebens nicht im Ziel, sondern im Prozeß zu begreifen sei, und da die Fluidität allen Seins nicht in der Vollendung, sondern in den Stadien der Erfüllung ihren Ausdruck fände, sei das Unvollendete auch das Angemessene.“19 Eine neue Wirklichkeitserfahrung, in der sich feste Gewissheiten verflüchtigen und eine kohärente Wahrnehmung in einem unbeständigen und prismatischen Strom von Eindrücken und Empfindungen aufgeht, artikulierte neben vielen anderen auch Hugo von Hofmannsthal 1906 in seinem Vortrag Der Dichter und diese Zeit als weltanschauliches und ästhetisches Symptom der frühen Moderne: Aber das Wesen unserer Epoche ist Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit. Sie kann nur auf Gleitendem ausruhen und ist sich bewußt, daß es Gleitendes ist, wo andere Generationen an das Feste glaubten. Ein leiser chronischer Schwindel vibriert in ihr.20

In diesem Zeitgeist empfundener Zusammenhanglosigkeit und stetiger Veränderung – in dem alles instabil und im nächsten Moment erneuert erscheint, während sinn- und gemeinschaftsstiftende Fundamente einer verbindlichen Weltanschauung oder Religion wegbrechen – wird Vollendung zu einer anachronistischen Idee. In seinem Aufsatz zur Mozart-Zentenarfeier erklärte Hofmannsthal 1891: „Das Vollendete ist tot“.21 Hofmannsthal war es auch, der dem modernen Bewusstsein einer ungreifbaren, der Wahrnehmung und den Begriffen sich entziehenden Realität in seinem fiktiven Brief des Lord Chandos 1902 eine Stimme gab. Als Zeugnis einer allgemeinen Sprach- und Bewusstseinskrise formuliert dieser Text grundsätzliche Zweifel an den Darstellungsmöglichkeiten von Wirklichkeit durch Kunst und artikuliert ein von Spaltung und Entfremdung geprägtes Zeitgefühl, das in Rodins disparaten Fragmentassemblagen eine Entsprechung findet. Verglichen mit diesen erscheint Rodins Arbeit in Marmor bei oberflächlicher Betrachtung zunächst durchaus konventionell, auch vor dem Hintergrund der 19 Horst Bredekamp: „Die Skulptur als Grenzstein von Anfang und Ende“, in: Peter Brandes, Burkhardt Lindner (Hrsg.): Finis. Paradoxien des Endens. Würzburg 2009, S. 203-210, hier S. 207. 20 Hugo von Hofmannsthal: „Der Dichter und diese Zeit. Ein Vortrag“, in: Ders.: Brief des Lord Chandos. Poetologische Schriften, Reden und erfundene Gespräche. Hrsg. von Hansgeorg Schmidt-Bergmann. Frankfurt a. M./Leipzig 2000, S. 182-212, hier S. 189. 21 Hugo von Hofmannsthal: „Die Mozart-Zentenarfeier in Salzburg“, in: Ders.: Gesammelte Werke, Reden und Aufsätze I, 1891-1913. Frankfurt a. M. 1979, S. 515-518, hier S. 517. Vgl. Rolf Bäumer: „Fragmentarische Wirklichkeitserfahrung, ‚ästhetische Kultur‘ und das aufgeschobene Ende ästhetischer Versöhnung um 1900“, in: Camion u. a. 1999, S. 56-71, hier S. 64.

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Skulptur des späten 19. Jahrhunderts, die noch immer der Erwartung begegnete, einer Wirklichkeit, die instabil und unberechenbar geworden war, eine feste Mitte zu geben.22 Während in anderen Gattungen, vor allem in Literatur und Malerei, Techniken der Vagheit, Aufsplitterung und Dekomposition erprobt wurden, schien es in den großen Skulpturausstellungen, als arbeite diese weiter gegen den Zeitgeist, indem sie Werke von solider Beständigkeit schuf,23 mehrheitlich mit einer überkommenen Ikonographie, die der modernen Realität nicht mehr gerecht werden konnte. Eben deshalb gerät das Werk Rodins, wie gezeigt wurde, um 1900 rasch in den Fokus einer geschichts- und kunstphilosophischen Zeitdiagnostik, die ihre Gegenwart als Epoche der Fragmentierung auffasste.24 Was der Kunsthistoriker Richard Sattelmair 1929 im Rückblick als ein Defizit Rodins bewertet, nämlich dass er nicht das Vermögen besaß, „das Ding dem Glühfluß des vitalen Bewegungsstromes zu enttauchen und es in seiner absolut gültigen Form für eine Dauergegenwart erstarren zu lassen“25, gerade darin erkannten Zeitgenossen Rodins wie Georg Simmel, Max Osborn oder Rainer Maria Rilke das entscheidende Erneuerungspotential seines Werkes. Sie sahen in den non-finiten Skulpturen „plastische Äquivalente einer spezifisch modernen Weltwahrnehmung“26, mithin die Einlösung der Forderung „Il faut être de son temps“ von Baudelaire, der bereits 1859 das Transitorische und Flüchtige als das Moderne bestimmt hatte („La modernité, c’est le transitoire, le fugitif, le contingent, la moitié de l’art, dont l’autre moitié est l’éternel et l’immuable.“27). So begreift Rilke das Werk Rodins vor dem Hintergrund des prekären, bis ins Innerste verunsicherten Zeitgeistes der Moderne: Ich fühle deutlicher als je, dass in diesen Dingen die Skulptur unaufhaltsam zu einer Macht angewachsen ist, wie niemals seit der Antike. Aber diese Plastik ist in eine Zeit geboren worden, die keine Dinge hat, keine Häuser, kein Äusseres. Denn das Innere, das diese Zeit ausmacht, ist ohne Form, unfassbar: es fliesst.28

Doch während nach Auffassung Rilkes die Verankerung im Stein den Figuren in einer Zeit der Auflösung Schutz bietet, ist ihre unfertige Erscheinung für Osborn und Simmel nicht Kompensation, sondern Veranschaulichung des Transitorischen.29 Für Osborn, dessen Position bereits ausführlich zitiert wurde (Kap. 5.1.d.), ist Rodin der Exponent einer Modernen Plastik, deren inhärenten Widerspruch –

22 Vgl. Grunfeld 1993, S. 322. 23 Ebd.; vgl. Damian Dombrowski: „Es zerfiel mir alles in Teile. Als die Denkmäler zerbrachen: Rodin und die Skulptur um 1900“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.3.2000, S. 53. 24 Fetscher 2001, S. 577. 25 Sattelmair 1929, S. 50. 26 Dombrowski 2000, S. 53. 27 Charles Baudelaire: „Le Peintre de la vie moderne“, in: Ders. Œuvres complètes. Texte établi, présenté et annoté par Claude Pichois. Paris 1976, II, S. 683-724, hier S. 695. 28 Rilke 1907b, S. 114. 29 Vgl. Müller 1996, S. 154-155.

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die Kunstform Plastik gilt als unmodern, die nervöse und transitorische Moderne zugleich als unplastisch30 – er mit Nachdruck zur Geltung bringt: ‚Moderne Plastik‘ – das sind zwei Worte und zwei erbitterte Gegner. Dort das Fließende, nervös Bewegte, sehnsüchtig Drängende, Brodelnde, Gärende. Hier das Gefestete, Ruhige, Sichere, in sich Geschlossene, Fertige. Dort ein Fragen und Tasten, zweifelndes Vorwärtsstürmen und bewußte Entwicklung in ewigem Auf und Ab. Hier der Inbegriff des Entwickelten; Antwort und thronende Bestimmtheit; die Verkörperung des Gewordenen; die Kunst des letzten Stadiums.31

Und Simmel, der in seinen Texten die Fragmentierungserfahrungen der modernen Welt analysierte, erkannte in Rodins non-finiten Marmoren eine „unmittelbare Versinnlichung des Werdens“32– hier wirkt Schlegels Begriff des „Werdens“ (Kap. 1.3.) als Prinzip der unendlichen Potentialität nach. Simmel sieht die Figur „auf einer Station eines unendlichen Weges erfaßt, durch die sie ohne Aufenthalt hindurchgeht“33, als lediglich temporäre Spezifizierung einer lebendig fließenden Energie: Rodins Kunst […] steht im Zeichen des modernen Heraklitismus. Für das so bezeichenbare Weltbild ist alle Substanzialität und Festigkeit des empirischen Anblicks in Bewegungen übergegangen, in rastlosen Umsetzungen durchströmt ein Energiequantum die materielle Welt, oder vielmehr: es ist diese Welt; keiner Gestaltung ist auch nur das geringste Maß von Dauer beschieden […]. Rodins Gestalten sind Elemente einer so empfundenen Welt, […] die sich in eine Unendlichkeit von Entstehung und Vernichtung hineingerissen fühlen, in jedem Augenblick an dem Punkte stehen, wo Werden und Untergehen sich begegnen.“34

Hier zeigt sich auch eine Nähe zu Ideen Henri Bergsons, der 1907 in seinem Text L’Évolution créatrice die Vorstellung einer kontinuierlichen Veränderung von Form entwirft. Die Wirklichkeit konstituiert sich für ihn aus einem Fluss von Formen, den unsere Wahrnehmung unterbricht, indem sie diese strömenden Erscheinungen zu Bildern verfestigt: „C’est qui est réel, c’est le changement continuel de forme: la

30 Ebd., S. 148. 31 Osborn 1905, S. 3. 32 Simmel 1911, S. 192. Die besondere Bedeutung für den modernen Betrachter, die dem Werk eingeschriebene Entwicklung seiner Form zu erkennen, diagnostizierte Heinrich Wölfflin 1886 auch auf dem Gebiet der Baukunst: „Für den modernen Geist ist es bezeichnend, daß er gerne in der Architektur die Form sich mühsam aus dem Stoff herausarbeiten läßt, er will nicht das Fertige, sondern das Werdende sehen, den allmählichen Sieg der Form. Die Rustika der Renaissance hat diesen Gedanken deutlich zum Ausdruck gebracht. Weiterhin wurde vom Barockstil das Motiv bis zu dem Extrem verfolgt, daß die Form aus dem rohen Felsgestein sich herauswinden muß.“ Heinrich Wölfflin: Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur (1886). Mit einem Nachwort zur Neuausgabe von Jasper Cepl. Berlin 1999, S. 35. 33 Simmel 1911, S. 192. 34 Georg Simmel: Rembrandt. Ein kunstphilosophischer Versuch. Leipzig 1919, S. 134-135.

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forme n’est qu’un instantané pris sur une transition. Donc, ici encore, notre perception s’arrange pour solidifier en images discontinues la continuité fluide du réel.“35 6.3.b. Prozesscharakter des Werks Der Eindruck der ständigen Bewegung und des Fließens ist ein Grundelement von Rodins Kunst, ob im Linienstrom der Zeichnungen und Aquarelle, im modelé der Gipse und Bronzen oder in der transitorischen Erscheinung der non-finiten Marmore. Sein Interesse am Prinzip der Bewegung bzw. Beweglichkeit manifestiert sich vordergründig in einer großen Zahl hoch agiler, dynamischer Figuren (Fugit Amor, La Terre et la Lune, Paolo et Francesca u. a.), es äußert sich insbesondere aber auch in einer ständigen Veränderung der Formen selbst, ihrer Konstellationen untereinander und ihrer Sinnzuweisungen. Paradigmatisch für Rodins offene und veränderliche Oberfläche, „die ihren eigenen Kräften gehorcht […], und in deren Fließen sich von Teil zu Teil die Bedeutungskomplexionen bilden und auflösen“36, ist die Porte de l’Enfer, aus deren Grundfläche die Figuren reliefartig hervortreten und in diese zurücksinken. Die Metapher der Verflüssigung begegnet uns auch bei Werner Hofmann, der Rodin ein „extreme Flüssigkeit seiner Formenwelt“37 als Entsprechung zur ständigen Veränderlichkeit der Natur konstatiert, und bei Leo Steinberg, der den Werkprozess bei Rodin als kontinuierliche Neuordnung von Form begreift: „Form, for Rodin, is conceivable as a viscous flow that melts and reconstitutes itself before our eyes.“38 Rodins Körper besäßen eine „energy of liquefaction, in the molten pour of matter as every shape relinquishes its claim to permanence“39. Das heisst: Keine Form hat Anspruch auf Dauer. Abgüsse der verschiedenen Zustände eines Werks – frühe, überarbeitete, revidierte – stehen gleichberechtigt nebeneinander, zunächst nur im geschützten Raum des Ateliers, sie werden jedoch bald von Rodin auch ausgestellt und verkauft. So verlagert sich der Fokus vom finalen, vollendeten Werk auf den Prozess seiner Genese und sein Potential zu endlos fortführbarer Veränderung. Die zuständliche Konzeption des Kunstwerks wird durch eine dynamische ersetzt,40 es bleibt in doppeltem Sinne offen: Es besitzt nicht nur eine „durchsichtige Struktur, aus der wir den Gestaltungsprozeß herauszulesen vermögen, es ist auch offen gegenüber dem Versuch, es weiterzudenken, ihm neue Variationen anzufügen.“41 Die einzelne Form ist eine Lösungsvariante unter anderen möglichen, und im Kontext des Gesamtschaffens nur mehr „Teil eines seriellen Experiments“42. Nach Claude Keisch 35 36 37 38 39 40 41 42

Henri Bergson: L’évolution créatrice. Paris 1969, S. 302. Boehm 1977, o. S. Hofmann 1958, S. 46. Steinberg 1963/1972, S. 385. Ebd., S. 325. Werner Hofmann: Die gespaltene Moderne. Aufsätze zur Kunst. München 2004, S. 25. Ebd., S. 25-26. Keisch 1988, S. 22.

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ist das Werk für Rodin „der immer nur vorläufige Niederschlag einer prozesshaft strömenden, nicht auf ein Ende hin angelegten Kreativität, einer Kreativität, die Hervorbringung und Zerstörung untrennbar miteinander verflicht und das Destruktive im Produzieren aufhebt; ihm gilt das Kunstwerk als ein Mittel künstlerischer Reflexion, dessen ständige Veränderung immer wieder durch Phasen des Amorphen hindurchführen muss; und die ungetilgten Spuren seiner Entstehungsgeschichte deuten auf die Fortsetzbarkeit derselben hin.“43 Damit nimmt Rodin vorweg, was im 20. Jahrhundert unter dem Begriff work in progress zur verbreiteten künstlerischen Praxis werden sollte, und was auch Paul Valéry über seine Gedichte schrieb, die er jahrelang zwischen Sein und Nichtsein („entre l’être et le nonêtre“44) in der Schwebe hielt, sich immer wieder vornahm und umarbeitete, ohne sie zu einem Endzustand zu führen. Für Valéry „ist das Werk niemals vollendet, sondern nur einstweilen aufgegeben“45 und sein Zustand lediglich „das Ergebnis eines Durchschneidens des Schaffensvorganges durch ein zufälliges Ereignis“46. 6.3.c. Metamorphose Die non-finiten Marmore vermitteln den Eindruck einer scheinbaren Vorläufigkeit des Gegebenen: Die Gestalt scheint nur vorübergehend fixiert, in einer Transition begriffen. Nicht von ungefähr nutzt Rodin das Non-finito bevorzugt für die Darstellung von Wandlungs- und Übergangssituationen: In Fugit Amor ist das Entschwinden der Geliebten vergegenwärtigt, indem sie in den Stein eingeht und sich dem Zugriff des Mannes entzieht. Alternierend dazu stehen Werke wie L’Homme et sa pensée, Orphée et Eurydice oder Pygmalion et Galatée, in denen jeweils die männliche Figur die Gestalt der Frau evoziert, die sich aus dem Stein materialisiert. Auch für Mère et fille mourante, La Convalescente oder Le Sommeil wurden liminale Zustände bestimmt. Dieser „Thematik der Metamorphose, des Transitorischen, des Werdens und Vergehens […], Schwebe- oder Entpuppungszustände“47, die sich bei Rodin nicht mehr nur auf die kanonisierten, etwa die von Ovid versammelten mythischen Stoffe beschränkt, sondern alle Motivbereiche durchdringt, hat in jüngerer Zeit vor allem Anne-Marie Bonnet besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sowohl formal als auch ikonographisch sieht sie in den späten Marmorwerken eine 43 Keisch 2005, S. 123. 44 Paul Valéry: „Au sujet du Cimetière marin“, in: Gustave Cohen: Essai d’explication du Cimetière marin. Paris 1933, S. 7-33, hier S. 7. 45 Ebd., S. 8: „un ouvrage n’est jamais achevé, – mot qui pour eux n’aucun sens, – mais abandonné“. 46 Ebd., S. 15-16: „le résultat de la section d’un travail intérieur par un événement fortuit. […] C’est ainsi que par accident fut fixée la figure de cet ouvrage.“ Die deutschen Übersetzungen folgen: Paul Valéry: „Betrachtung zum ‚Cimetière marin‘“, übers. von. Eva Rechel-Mertens, in: Ders.: Zur Theorie der Dichtkunst. Frankfurt a. M. 1962, S. 176-189. Für den Hinweis auf diesen Text danke ich Claude Keisch. 47 Bonnet 2004, S. 347.

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„schwebende Ambivalenz zwischen Nähe und Ferne, Aufscheinen und Verschwinden, Festigkeit und Entmaterialisierung, Licht und Masse, Schwere und Leichtigkeit, unmittelbarem Lebensausdruck und Traumvision“.48 Die graduelle Veränderung der Marmoroberfläche von fein polierter zu grob bossierter Beschaffenheit zeigt zudem die stufenweise Transition von mineralischem Stein in organisch Körperhaftes an.49 Damit schöpft Rodin das selbstreflexive Potential seines Werkstoffs auf neuartige Weise aus, und weist damit einer Tendenz der Plastik des 20. Jahrhunderts den Weg, die, wie Christa Lichtenstern in ihrer umfassenden Studie zu Metamorphose-Motiven in der Moderne gezeigt hat, zur Darstellung transitorischer Vorgänge die bewusste Arbeit mit dem Verwandlungspotential der bildnerischen Mittel einbezieht.50 Die zunehmend prozessorientierte bildhauerische Arbeit verschränkt sich eng mit dem Werkinhalt, im Falle Rodins eben der Darstellung des Werdens: Das „Pathos der stehenbleibenden Steinquader, aus denen sich die Körper zu befreien suchen, in actu demonstrieren, dass sie nicht ‚gegeben‘ sind, sondern Explikate eines exemplarischen Prozesses. Rodin suggeriert eine Metaphorik des Erscheinens und Geborenwerdens der skulpturalen ‚Leiber‘, die auch dem Künstler die Qualität eines genuinen Schöpfers gibt.“51 Anne-Marie Bonnet sieht die Hand Gottes, die den „Übergang vom Prämorphen ins Geformte“ vorführt, als „Gleichnis […] des plastischen Schaffens, das aus dem Ungestalteten die Form entreißt, gewinnt“52 und den Prozess der Werkgenese reflektiert: Indem Rodin in allen diesen Arbeiten den Werkprozeß thematisiert und vorführt, wie das jeweilige Sujet aus dem Stein heraus gewonnen wird, vom roh bossierten Block (materia prima), über immer feiner graduell abgestufte Meißelschläge, übergehend in immer differenzierter behauene Oberflächen, die von rauher Bosse in stumpfe Körnung, dann in samtige, zunehmend milchigere bis hin zu seiden schimmernder und zuletzt transparenter Glätte überführt und poliert werden oder eben nicht, übersetzt er sein plastisches Vorgehen ins Bildhauerische. Hier schafft es Rodin, den Prozeß der Kreation zugleich vorzuführen und zu thematisieren.53

Mit den fließenden Übergängen von rohem Stein zu gestalteter Figur bringt Rodin nicht nur die Metamorphose von Anorganischem in Organisch-Belebtes (und umgekehrt) zur Anschauung, sondern auch die Verwandlung von Natur in Kunst. Zugleich bleibt die Figur in Verbindung mit dem Stein, der für Rodin „synonyme de nature“54 ist, Bindeglied zum Stofflichen der Natur. Zuweilen bleiben Bruch48 Ebd. 49 Vgl. Elsen 1963, S. 138: Rodin „preserved references to the stages by which the stone was metamorphosed from its primal opaque, obdurate, quarried state into flesh“. 50 Christa Lichtenstern: Metamorphose in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Bd.  2: Metamorphose. Vom Mythos zum Prozeßdenken. Weinheim 1992, S. 3, 94, 389-390. 51 Boehm 2002, S. 16. 52 Bonnet 2004, S. 347. 53 Ebd., S. 348. 54 Le Normand-Romain 2001, S. 45.

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kanten sichtbar, die noch von der Absprengung des Rohblocks im Steinbruch stammen. Vor allem in dieser Erscheinungsform mutet das Non-finito genuin naturhaft an. Das Prinzip der Metamorphose, das bei Ovid meist in Versteinerung und Erstarrung mündet, ist bei Rodin eher ein offenes, ungerichtetes Fließen. Ihm geht es darum, wie im Folgenden gezeigt wird, dem in der Marmorskulptur petrifizierten Leben seine Starre zu nehmen und es wieder in den Lebensprozess einzugliedern. 6.3.d. Paradox Marmor In seiner Arbeit in Marmor demonstriert Rodin virtuose Eleganz, die er jedoch bricht und zugleich inszeniert, indem er die Spannung der kruden, ungeschliffenen Oberfläche dagegensetzt. Sein Non-finito ist einerseits eine Antwort auf die Krise seiner Gattung, der Bildhauerei, die im Vergleich zu den zeitgleichen Entwicklungen in der Malerei stagnierte. Denn während dort bahnbrechende Stilwandlungen noch vor den 1870er Jahren einsetzten, blieb die Bildhauerei, die bis dahin vor allem Bildnis- und Denkmalkunst war, weit länger einem überholten Aufgabenkanon und damit einer überlieferten Ikonographie und Darstellungstradition verhaftet. Das Non-finito ist andererseits und im Besonderen eine Reaktion auf die Krise des Materials Marmor, dessen Bearbeitung seit Canova eine nicht mehr zu überbietende Perfektion, nämlich die „faksimilehafte Überführung von Fleisch in […] Marmor“55 erreicht hatte. Das preziose Material des akademischen Neoklassizismus von lebloser Glätte schien daher einigen Künstlern und Theoretikern gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr zeitgemäß. Guy de Maupassant proklamierte 1882: „le marbre rigide n’est plus la matière que veulent nos yeux avides de couleur, de mouvement et de vie. Brisons les marbres, les moules et les admirations antiques.“56 Edgar Degas und Medardo Rosso arbeiteten da bereits mit Wachs, Rodin selbst mit Gips, und andere, vor allem ‚Maler-Bildhauer‘ wie Gauguin oder später Picasso, wandten sich Holz und Terrakotta zu. Bei Rodin ist die schroffe Marmoroberfläche eine Antithese zum polierten und schimmernden Leib der Figur, deren zarter Schmelz erst vor dieser Kontrastfolie zur Geltung kommt, Lebendigkeit erhält und für den modernen Betrachter erst durch diese Brechung aufgewertet und interessant wird. Was Rodin zuerst an Madame Morla Vicuña erprobte, in der noch die weiche Grazie der französischen Skulptur des 18. Jahrhunderts nachklingt, wird schnell zum ästhetischen Konzept, das ihm einen Virtuositätsnachweis innerhalb einer entschieden antiklassizistischen Haltung erlaubt. Er nimmt

55 Werner Spies: „Rausch im Salon. Plastik des neunzehnten Jahrhunderts“, in: Ders.: Dressierte Malerei, entrückte Utopie. Zur französischen Kunst des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1990, S. 86-93, hier S. 89. 56 Guy de Maupassant: „Notes d’un démolisseur“, Gil Blas, 17.5.1882; Wiederabdruck in: Ders.: Au Salon. Chroniques sur la peinture. Paris 1993, S. 49-50.

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eine materialästhetische Umwertung vor, jedoch innerhalb der Konventionen, die die Akademie gesetzt hat. Für Rodin blieb ein Werk prinzipiell immer transformierbar. Die Marmorausführung indes ist eine Geste der Vollendung, sie ist irreversibel. Gerade deshalb nehmen die Arbeiten in Marmor – dem erhabenen und für Ewigkeit bürgenden Material – im Werk Rodins eine Sonderstellung ein. Das kontinuierliche Nachund Nebeneinander verschiedener Zustände in unterschiedlichen Werkstoffen gelangt mit der Übertragung in Stein an einen Endpunkt. Die experimentellen Assemblagen scheiden damit, so Claude Keisch, aus „der Freiheit des ewig Prozesshaften aus“57: Ein Zustand wird fixiert, in einer buchstäblichen Versteinerung. Keisch bewertet die Marmore nicht zuletzt als ins Konventionelle zurückfallende und Publikumsvorlieben bedienende Gegenstücke zu den ungleich authentischeren und ausdrucksvolleren Gipsen: Die Größenunterschiede zwischen den Figuren unterschiedlicher Herkunft sind gemildert, alle Brüche gelöscht, alle Erregung beruhigt, alle alogischen Härten in lyrische Harmonien überführt. Die Schönheit des verschleiert leuchtenden Steins löst die im Gipsbozzetto offengebliebenen Fragen. Die Ähnlichkeit des nur angehauenen Reststeins mit michelangelesk tragischem Nonfinito bleibt eine romantische Reminiszenz, die niemanden wirklich täuschen will. Unverkennbar sind kommerzielle Rücksichten, die der schnelle und anhaltende Erfolg bestätigte.58

Claude Keisch weist zu Recht darauf hin, dass Rodins Methode der Collage und Assemblage nicht kompatibel ist mit einer Überführung in den Werkstoff Marmor, da hier völlig gegensätzliche Arbeitsprinzipien zusammengezwungen werden: „Die Umsetzung in Stein jedenfalls muss immer das ursprüngliche Konzept kippen, denn die Assemblage ist ästhetisch wie praktisch mit dem Steinhauen unvereinbar; dieses setzt eine ursprüngliche Ganzheit voraus, deren Masse sich nur in einer Richtung – nach innen – verändern kann.“59 Die in Kap. 2.2.d. diskutierten Beispiele Le Sommeil, L’Adieu und L’Homme et sa pensée zeigten, dass eigenwillige Konjunktionen und ungelöste Übergänge – die „anarchische Schroffheit“60– des Gipsmodells in der Marmorausführung gleichsam in den Stein ‚hineingenommen‘ und unter einer zwar rohen, aber konvergenten Oberfläche harmonisiert sind. Die Marmorfassung ‚glättet‘ zudem vordergründig die Narration, da die disparaten Gipsfragmente zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefasst werden: „Weil der Marmor die Vorsätzlichkeit, Eindeutigkeit und – bei allem vorgeblichem Nonfinito – Endgültigkeit verbürgt, während die Brüche und Flickstellen der Gips-Improvisationen deutlich machen: Das Ganze und seine Teile sind, lange ehe sie etwas bedeuten, dinghaft.“61 Richtig ist auch, dass der elegante Marmor in seinen polier57 58 59 60 61

Hamburg/Dresden 2006, S. 130. Vgl. Rosenfeld 1993, S. 120. Keisch 2005, S. 138-139. Ebd., S. 139-140. Ebd., S. 139. Ebd.

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ten Zonen die vitale, kraftvolle Modellierung von Rodins Hand nur bedingt wiedergeben kann. Daher wurde Rodin wiederholt vorgeworfen, die Übertragung seiner Gipsmodelle in Marmor verleugne plastische Grundprinzipien: Die Gestaltung werde dem Stein nicht gerecht, oder vice versa, die mechanische Übersetzung in Marmor sei unangemessen bei Werken, deren modelé nur in formbaren, genuin plastischen Werkstoffen wie Terrakotta, Gips, Wachs oder Bronze verständlich sei. Rodins Marmorskulpturen sind daher hybride Werke, in denen sich die unverträglichen Prinzipien des Plastikers und des Skulpteurs konkurrierend begegnen. Alle, auch die in Stein übertragenen Figuren sind vom Kern her gedacht, als ein von innen nach außen gerichtetes Volumen, was der Werkstoff Marmor nur vermittelt abbilden kann. Dennoch wirken die non-finiten Skulpturen nicht wie aus dem sie umfangenden Rohblock freigelegt, sondern als würden sie sich organisch und fließend daraus entwickeln. Anders als bei Michelangelo enthält der Stein für Rodin nicht die eine, ihm gemäße Form, sondern ist wie der Ton Rohstoff für potenziell jede Gestalt. Da seine Konzeption nie vom Stein ausgeht, kann man, anders als bei Michelangelo oder auch Brancusi, von der Werkgestalt selten Rückschlüsse auf die Form des ursprünglichen Blocks ziehen, es sei denn, dessen Bruchoder Schnittkanten sind sichtbar gelassen, was in den letzten zwei Schaffensjahrzehnten üblich wurde. In den figürlichen Partien hat der Marmor zuweilen eine Anmutung von Wachs, leicht durchscheinend und mehr ‚modelliert‘ als behauen wirkend, als sei er eine formbare Materie. Einige der polierten Flächen, etwa bei Puvis de Chavannes oder Le Sommeil, erscheinen bei besonderem Lichteinfall zugleich fest und verflüssigt. Die plastische Substanz scheint aufzuweichen und sich wieder neu zu konstituieren. Dieses scheinbare Fließen der Form, der Eindruck des Einschmelzens der Figur in die rohe Sockelzone, die ‚Membranen‘ aus Marmor (etwa bei L’Homme et sa pensée) – all das ist strikt materialwidrig. Es erlaubt Rodin aber gerade deshalb eine Art der Darstellung, die in einem anderen Werkstoff nicht möglich wäre. Er übersetzt die Ästhetik des Plastischen ins Skulpturale: Indem er das weich, malerisch Modellierte betont, negiert er scheinbar die Härte und Glätte des Marmors, so als wollte er zeigen, daß er ein Plastiker ist, der eben aus dem Nichts mit Ton oder Wachs Form entstehen läßt und nicht wie der Bildhauer seine Form dem Urgestein abtrotzt. Rodin verbindet beides, er führt im Marmor vor, wie der Plastiker aus dem Ungeformten Gestalt gewinnt, hierfür ist die Hand Gottes in der Marmorversion paradigmatisch.62

Damit gelingt das scheinbar Unmögliche: Rodin erzielt in Marmor den Effekt von fließendem Metall, graduell sich verfestigender Bronze: Die Figuren scheinen sich aus dem formlosen Material zu bilden, als seien sie in der Transition erstarrt. Gerade dieser scheinbar paradoxe Einsatz des traditionellen Werkstoffs erweist sich als genuin neuartig und modern: Rodin gelingt es, ausgerechnet im Marmor, dem für das klassische Ideal der Finalität bürgenden Material schlechthin, Formen dar62 Bonnet 2004, S. 348.

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zustellen, die sich im Fluss befinden, zwischen lebendig-organischer Gestalt und kristallin-anorganischer unbelebter Materie oszillieren. Anne-Marie Bonnet unterstreicht, dass sich das Paradoxon, im Medium der Skulptur eine Bewegungssynthese ausdrücken zu wollen, noch steigert, wenn Rodin „im Stein, der für Ewigkeit bürgt – Marmor – das Ephemere festhalten will“.63 Die Gestalt ist fixiert auf der Schwelle zwischen Entstehen und Verschwinden, was Schmoll gen. Eisenwerth am Beispiel von La Douleur als ein Auftauchen wie aus Wasser schildert: „Der schmerzerfüllte Kopf taucht aus der Steinbosse auf und droht wieder zu versinken. Es ist wie das mühsame Schwimmen eines Ertrinkenden.“64 Die materielle Erscheinung wirkt zudem nicht-stofflich, flüchtig und substanzlos, was Joseph Gantner am Beispiel der Madame Fenaille (Kat. 16, Taf. 14) als „Sublimierung der Materie“65 beschrieben hat: Die Büste entwickelt sich aus dem noch roh zubehauenen Stein, die Rundungen der Brust und der Schultern werden nur summarisch angelegt, der Stoff aber, der sie bedeckt, bleibt gewissermaßen im Aggregatzustand des Unvollendeten, und dasselbe geschieht mit dem Hals und dem wie im Schlaf befangenen Anlitz mit den geschlossenen Augen. Das Haar darüber endlich tritt wieder um einen Grad mehr ins Amorphe zurück, […]: die ganze Büste lebt in einem Zwischenreich zwischen finito und non finito, nicht anders, als hätte der Künstler eine neue eigene Materie geschaffen, in welcher alles rein Stoffliche untergeht, und die nun je nach der Nuance des Ausdrucks bald stärker, bald schwächer in die Zone der Vollendung hineinragt. Es gilt für sie, was Rodin selbst während der Arbeit am Bildnis der Frau von Nostitz an die Dargestellte schrieb: ‚Die Büste ist nur ein Traum und hat nicht genug Wirklichkeit.‘66

Damit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Motiv und Material. Einen Teil der hier untersuchten Werke ließ Rodin nur als Marmor, nicht aber – wie sonst so oft – auch als Bronze ausführen. Orphée et Eurydice, Le Sommeil, L’Homme et sa pensée, La Terre et la Lune, Adam et Eve, La Convalescente und viele der weiblichen Porträts (Madame Fenaille, Lady Warwick, Lady Sackville-West u. a.) existieren ausschließlich als Marmorfassungen. Und im Fall von La Pensée, La Main de Dieu und Mère et fille mourante kennen wir die mitunter postumen Bronzegüsse nach dem non-finiten Marmor, die fast durchweg eine deutliche Reduktion ihres Sockelblocks erfahren haben und damit einschneidend verändert worden sind. Diese Faktenlage legt die Vermutung nahe, dass Rodin im Fall der genannten Werke, die allesamt Übergänge zwischen Lebendigkeit und Unbelebtheit, Entstehung und Auflösung zum Thema haben, eine Bronzeausführung mit dem Motiv unvereinbar erschien – so wie umgekehrt Marmorfassungen etwa des Homme qui marche oder des Balzac undenkbar sind. Diese Folgerung wird allerdings durch Gegenbeispiele, etwa die Bronzen nach dem Gipsabguss von Pygmalion et Galatée, widerlegt.

63 64 65 66

Ebd. Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 293-295. Gantner 1953, S. 54. Ebd.

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Gleichwohl ist die Ästhetik der Werke in Marmor und Bronze, wie Rodin sie gestaltete, antithetisch. Die Diskrepanz tritt besonders deutlich hervor bei der großen Menge der Motive, die er in beiden Techniken ausführte. Während der Marmor kühl und beruhigt anmutet, sind die Bronzefassungen energetischer. So erscheinen die Marmorversionen, die vergleichsweise vollständig durchgearbeitet sind, gegenüber den Bronzen geglättet und idealisiert, denn sie besitzen nicht die flackernde Dynamik des modelés und der herben Grate und Kerben. Die Glätte der vollplastischen Marmorleiber von Werken wie Le Baiser oder L’Éternel Printemps steht also in einem auf den ersten Blick schwer verständlichen Missverhältnis zur nervösen, aufgebrochenen Oberfläche der Bronzen. Und hier kommt die rohe Bosse des Non-finito ins Spiel, die als Stilelement gelten kann, welches diese grundverschiedenen Ästhetiken einander annähert. Auch und gerade deshalb ist die Bindung der Form an ein Material bei Rodin keine statische: Viele Motive (mit Ausnahme der Denkmäler), die zunächst nur als Bronze existierten, ließ er für sein geplantes Museum als non-finite Marmorrepliken neu fertigen, und umgekehrt wurden non-finite Marmore als Bronzen reproduziert – Beides brachte ihm den Vorwurf ein, er habe kein Gefühl für die Angemessenheit des Materials in Bezug auf die Form.

6.4. Finalitätsverweigerung Das Non-finito ist ein vorläufiger Bearbeitungszustand, der zum endgültigen wird. Die aus dem brachen Werkstoff herausgearbeitete gegenständliche Form vermittelt eine Vorstellung, die unabgeschlossen ist. Die ambivalente Offenheit der non-finiten Partien ist als solche konstituierend für das Werk, das eine grundsätzlich neue Betrachtung voraussetzt. Denn die im Unbestimmten belassene Zone kompensiert, wie an Puvis de Chavannes und La Douleur gezeigt wurde, eine traditionelle Ikonographie und wird zum Platzhalter für einen jeweils neu zu bestimmenden Inhalt. Die rohe Marmorbosse ist eine Oberflächenstruktur, die sich bei Rodin ab den 1890er Jahren nicht mehr an ein gegenständliches Referenzsystem rückbinden lässt. Die non-finiten Partien sind jedoch nicht gänzlich abstrakt, auch sie übermitteln bestimmte Informationen. In Mère et fille mourante etwa findet sich ein Restbestand an Form, der den Körperumriss definiert, und die auskragende Marmormasse des Porträt Victor Hugo ist ein Echo der Handhaltung des Dichters im Monument à Victor Hugo. Dennoch öffnet sich eine hermeneutische Lücke, die eine eindeutige Sinnzuweisung an den im Unbestimmten belassenen Teil der Skulptur verhindert. In Rodins Finalitätsverweigerung offenbart sich nicht zuletzt die „moderne Verzweiflung an der definitiven, richtigen Form“67, ein skeptisches Zurückweichen vor letzter Evidenz, das auch in den benachbarten Gattungen um sich greift: In der Malerei als Formauflösung – emblematisch vorweggenommen in 67 Spies 2001.

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Balzacs Novelle Le chef d’oeuvre inconnu (1831) mit jenem Bild, dessen Gegenstand sich nach endlosen Überarbeitungen in einem ungegenständlichen Farbchaos aufgelöst hat, aus dem einzig ein illusionistisch gemalter Fuß herausragt –, aber auch in Leerstellen, in denen die weiße Leinwand durchscheint, etwa bei Cézanne und Maurice Denis.68 Symptomatisch ist auch die Sprachkrise in der Literatur um 1900, die sich in Auslassungen und Dekonstruktion äußert. Hugo Friedrich hat gezeigt, dass sich moderne Poesie weit genauer mit negativen als mit positiven Kategorien beschreiben lässt.69 Die symbolistische Dichtung um Baudelaire, Rimbaud und Verlaine entwickelt einen Kult der Leere, der einen Höhepunkt in Mallarmés Figur der Absence und seinem Ideal des ‚schweigenden Gedichts‘ erreicht.70 Eine Krise des Werks als Symptom der Wende zum 20. Jahrhundert zeigt sich, so Gottfried Boehm, im „Verlust der Sicherheit, wann eine Repräsentation dank innerer Balance zur Ruhe komme“71– die Annahme einer Korrespondenz zwischen Wirklichkeit und Werk verliere ihre Plausibilität, sie sind nurmehr „ungesicherte Aequivalente“72. Die Konsequenz daraus ist das Werk, das den Prozess seiner unabschließbaren Erschaffung offen ausstellt: „Das Non-finito bietet sich dann an, wenn die Gewißheit des Ziels als prinzipiell unerreichbar gelten muss.“73 Der aus einer fragwürdig oder unmöglich gewordenen Vollendung resultierende „Entzug von Sehen“74 bestimmt einen wesentlichen Teil der Kunst, die im 20. Jahrhundert auf Rodin folgte, und wird, so Werner Spies, zu einem Grundelement moderner Hermeneutik. Denn im Non-finito zeigt sich die Spannung zwischen der unabgeschlossenen Vorstellung und einer gestalteten äußeren Form, die diese in Andeutungen greifbar macht, aber nicht restlos erfüllt bzw. ausspricht.75 Hans Belting nennt das Non-finito eine „Möglichkeitsform“,76 die selbst zum Werk geworden ist: Werke ließen sich nur noch als fortgesetzte Entwürfe verstehen, die auf keine endgültige Gestalt mehr angelegt waren. […] Die maßlos gewordene Idee konnte allein noch in der Verweigerung ihrer Einlösung überzeugen – das einzelne Werk war dabei der Platzhalter einer schon unmöglichen Vollendung.77 68 Ulrike Lehmann, Peter Weibel (Hrsg.): Ästhetik der Absenz. Bilder zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. München/Berlin 1994, S. 11. 69 Hugo Friedrich: Die Struktur der modernen Lyrik. Erw. Neuausgabe, Hamburg 1966, S. 1923. 70 Lehmann/Weibel 1994, S. 11. 71 Gottfried Boehm: „Ungesicherte Aequivalente. Formen der Modernität am Jahrhundertende“, in: Rainer Warning, Winfried Wehle (Hrsg.): Fin de Siècle. München/Paderborn 2002, S. 9-25, hier S. 10. 72 Ebd. 73 Ebd., S. 15. 74 Spies 1990/1995, S. 32. 75 Vgl. Bockemühl 1986, S. 126. 76 Belting 1998, S. 233. 77 Ebd.

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Die Sinngebung bleibt schwebend und mehrdeutig, das formale Non-finito greift auf den Inhalt über. Entsprechend liegt Vollendung „nicht mehr im vollkommenen Werk, sondern in der vollkommenen Anschauung dessen, was sich letztlich der Anschauung in Werken schon entzog.“78 Die non-finite Oberfläche ist also nicht zu verstehen als ein Hinweis auf etwas Unerreichtes, sondern als „erreichter Hinweis auf ein prinzipiell nicht durch Abbildung Erreichbares“79, als fortwährende Annäherung: „Was nicht zu Ende kommen kann […], ist der Prozeß des Verstehens selbst. Non-finito wird erfahren als Eigenschaft der angesichts dieser steinernen Struktur nie abschließbaren und in diesem Sinne durch das Kunstwerk sich öffnenden Begriffe selbst.“80

78 Ebd. 79 Bockemühl 1986, S. 126. 80 Ebd., S. 132.

7. Ein neues Finito Auguste Rodins Œuvre markiert den Übergang von der geschlossenen Formensprache des 19. Jahrhunderts hin zum prozesshaften Werkverständnis der Moderne. An die Stelle des formal vollendeten Werks mit eindeutigem Sujet tritt eine potentielle Wandelbarkeit der Formen und Inhalte, und eine offene Struktur, die den Gestaltungsprozess ausstellt. Dem für Rodin so grundlegenden Prinzip der veränderlichen Form stehen seine Marmorskulpturen auf den ersten Blick entgegen. Denn das kontinuierliche Nach- und Nebeneinander verschiedener Zustände in unterschiedlichen Werkstoffen, wie es für seine plastischen Arbeiten typisch ist, gelangt mit der Ausführung in Stein an einen Endpunkt – sie ist eine Geste der Vollendung. Gerade deshalb nehmen die Skulpturen in Marmor, dem klassischen und für Ewigkeit bürgenden Material schlechthin, im Werk Rodins eine Sonderstellung ein. Ihre non-finite Gestaltung ist es, die auch im Werkstoff Stein das Prozessuale wirksam werden lässt: einerseits als Werk- und Rezeptionsverfahren, andererseits als Thema und Motiv. Rodins Marmore, die Bearbeitungsspuren aufweisen, lassen sich unterscheiden in (a) unfertige, also tatsächlich unvollendete Werke aus dem Nachlass, (b) wenige Skulpturen, deren Ausführung bewusst abgebrochen wurde (z. B. La Pensée, Mère et fille mourante), sowie (c) den überwiegenden Anteil der non-finit konzipierten Werke. Eine wichtige historische Voraussetzung für das Non-finito Rodins sind die unvollendeten Skulpturen Michelangelos, die bereits von Giorgio Vasari gewürdigt wurden, obwohl erst die Kunsttheorie der Romantik das Fragmentarische als ästhetische Kategorie begründen sollte. Die frühe, zunächst paradox anmutende Wertschätzung wurde von zahlreichen Autoren aufgenommen und hat sich bald formelhaft verfestigt. Vasari begründet die Unfertigkeit mit äußeren Ursachen, aber auch mit der Resignation angesichts des Unvermögens, die vollkommene Idee materiell umzusetzen. Nicht nur deshalb wurde das ausdrucksstarke Kontrastmotiv von roher Bosse und artikulierter Figur sehr bald beschrieben als in der Materie befangenes geistiges Prinzip und als dialektische Spannung von Natur und Kunst. Derartige Deutungen, im besonderen die Lesart der prigioni als Figuren, die allmählich aus der amorphen Masse des Steins hervorgehend zu Leben und Bewusstsein gelangen, wirken später in die Rodin-Rezeption hinein. Das 19. Jahrhundert begreift das Non-finito Michelangelos mehrheitlich als Ausdruck der qualvollen Condition humaine, und die prigioni gelten als tragische, gebrochene Figuren, die gegen den Widerstand der Materie aufbegehren oder sich aus ihrem skizzenhaften Zustand zu vollständiger Existenz hervorzuarbeiten scheinen. Dieser pathetischen Wahrnehmung des Non-finito arbeiten Kunsttheoretiker wie Ruskin und Delacroix entge-

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gen, die die Diskussion um progressive Aspekte erweitern. Ihr Interesse gilt vor allem der Potenzialität einer Form, die im Stadium der Andeutung verbleibt. Die in diesem weitverzweigten Diskurs nie infrage gestellte höchste Wertschätzung der unvollendeten Werke Michelangelos bildet für Rodin die Voraussetzung, dessen Non-finito programmatisch wiederzubeleben und kunsthistorisch zu legitimieren. Was bei seinem Vorgänger noch unvollendet ist, entwickelt Rodin zu einem wirkungsvollen Gestaltungsprinzip, das er methodisch einsetzt und dessen symbolistische Metaphorik er erschließt. Das Non-finito der Marmorwerke verhält sich komplementär zum Prinzip des Torso, wobei die Art der Reduktion abhängig ist vom Werkstoff: Während in Rodins Gips- und Bronzetorsi sekundäre Partien nicht ausgearbeitet oder entfernt wurden, um die Figur stärker zu konzentrieren, bleiben diese in den Marmorwerken unausgeführt unter der rohen Oberfläche. Die Untersuchung der Werkpraxis Rodins zeigt, dass die Herausbildung und Ausformung der bossierten Partien maßgeblich an die praktischen Bedingungen seiner Arbeitsmethoden gebunden ist, insbesondere das modulartige Kombinieren abgeformter Gipsfragmente und deren Übertragung in ‚finale‘ Werkstoffe durch Assistenten. Die unbestimmten Zonen der Marmore sind bereits im skizzenhaften Gipsmodell angelegt und abhängig von dessen Interpretation durch den ausführenden praticien. Im Gegensatz zu den als Modell dienenden heterogenen Fragmentassemblagen verschmelzen in den Marmorfassungen die Einzelelemente zu einer kompakten Einheit. Zunächst ein formales Experiment, wird das Non-finito bald zum kalkuliert herbeigeführten Effekt, den Rodin bei spezialisierten Assistenten in Auftrag gibt. Denn anders als bei Michelangelo ist das Non-finito Rodins weder unfertig noch zufällig, die Bossierungen sind bewusst gesetzt und gestaltet. Während sich die non-finite Zone zunächst auf den Sockelbereich beschränkt und aus der Morphologie von Fels, Wasser oder Wolken abzuleiten ist, lässt Rodin zu Beginn der 1890er Jahre den Rohblock mit der Figur verschmelzen. Dieser wächst bald überproportional an und verselbständigt sich so weit, bis nur noch ein vergleichsweise geringer Anteil der Oberfläche eine Abbildungsfunktion hat (Mère et fille mourante, Puvis de Chavannes). Die unbestimmte Zone wird, so scheint es, immer mehr zum eigentlichen Thema des Werks. Der Vergleich sukzessiver Marmorvarianten eines Motivs zeigt, wie ikonographische oder narrative Details ihre Spezifik verlieren und in der non-finiten Oberfläche aufgehen (Tête de la Douleur), wie Durchbrüche geschlossen werden und die Figuren zunehmend tiefer in den Block sinken (Fugit Amor, Madame Fenaille, Lady Sackville-West). Nach 1900 entstehen schließlich Marmore, deren amorpher Teil den abbildenden deutlich überwiegt (Adam et Eve, La Terre et la Lune) oder deren weit in den Raum ausgreifende Steinformationen funktionslos und nahezu abstrakt sind (Paolo et Francesca). Die nonfinite Oberfläche wird schrittweise – von ihrer illusionistischen Funktion über den Einsatz als Stilmittel hin zur Selbstreferentialität  – als eigenständige ästhetische Kategorie etabliert, die auf eine ungegenständliche Skulptur vorausweist. In Rodins non-finiten Werken gehen verschiedene Bearbeitungsstadien ineinander über: Figuration und Naturbeschreibung laufen aus in eine unbestimmte,

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nicht-abbildende skulpturale Oberfläche. Darin drückt sich eine Grundvorstellung Rodins aus, die er, der stets vom Modellieren in Ton ausgeht, exemplarisch auch in den Gipsstudien La Terre und La Mort vorgeführt hat: Die Entwicklung der organischen, gestalteten und ‚belebten‘ Form aus der a- bzw. prämorphen Materie. In Marmor übersetzt, ist die rohe Steinmatrix dieser undifferenzierte Stoff, aus dem heraus sich Körper oder einzelne Körperteile konkretisieren, in einer Metamorphose vom Unstrukturierten hin zum Geformten. Der bildhauerische Prozess selbst wird zum Thema, den Rodin in Werken wie La Main de Dieu und Pygmalion et Galatée explizit vorführt, und in denen das grundsätzliche Streben des Bildhauers nach Verlebendigung des toten Steins sich einzulösen scheint. Mit dem ‚Aufscheinen‘ einer individuellen Form aus dem Amorphen gelangt Rodin zu einem Gleichnis des schöpferischen Prozesses, das seinen Höhepunkt in den späten Künstlerporträts findet. Die unbestimmte Zone symbolisiert zugleich einen Bereich der Gestaltlosigkeit und Negation (Orphée et Eurydice) bzw. Nicht-Bewusstheit (Le Sommeil ), in den die Figur zurücksinkt (Mère et fille mourante) oder sich herausformt (La Convalescente). Die ambivalente Offenheit der non-finiten Partien ist als solche konstituierend für das Werk, das eine grundsätzlich neue Betrachtung voraussetzt. Die offene Zone, die eine Ikonographie kompensiert, wird zum Platzhalter für einen jeweils neu zu bestimmenden Inhalt. Das Non-finito ist ein vorläufiger Bearbeitungszustand, der zum endgültigen wird. Gleichwohl vermittelt die aus dem rohen Gestein hervorgehende, nur teilweise ausgeformte Figur den Eindruck potenzieller Veränderlichkeit und Vorläufigkeit. Daher setzt Rodin das Non-finito bevorzugt für die Darstellung von Wandlungs- und Übergangssituationen ein. Das Hervor- oder Wiedereingehen in den Rohblock vergegenwärtigt ein transitorisches Stadium, in dem die Form noch nicht oder nicht mehr klar definiert ist, oder auch gar nicht definiert werden kann. Zugleich geht das Non-finito einher mit einer zunehmenden Verunklärung des gegenständlichen Parts, individuelle Details verschwimmen in einer Art Sfumato. So gelingt es Rodin, liminale Zustände darzustellen, die das Kontinuum von Werden und Vergehen vergegenwärtigen und in denen ein Lebensprozess spürbar ist. Entsprechend begriffen Autoren wie Georg Simmel, Max Osborn und Rainer Maria Rilke zu Beginn des 20. Jahrhunderts die scheinbar unfertigen Marmore Rodins als eminent zeitgenössisch. Im Transitorischen des Non-finito erkannten sie den adäquaten Ausdruck eines von Instabilität geprägten Zeitgeistes und einer veränderten ästhetischen Erfahrung. Besonders Simmel erörtert die Werke als Sinnbilder moderner Existenz, die einem stetigem Wandel unterworfen ist, und als lediglich temporäre Spezifizierungen einer lebendig fließenden Energie. Ein genauer Blick auf die Rezeption in der zeitgenössischen Presse und Kunstliteratur relativiert den Gemeinplatz, dass die Bedeutung Rodins in ihrer ganzen Tragweite erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannt wurde, denn viele der frühen Texte thematisieren bereits zahlreiche Aspekte, die erst für die Rodin-Forschung seit den 1960er Jahren wieder interessant werden. Neben dem Vorwurf der Unfertigkeit und mangelnden Materialgerechtigkeit gibt es schon um 1900 zahlreiche Stimmen, die die scheinbare Verlebendigung des Steins und die aktive Eigenleistung des Betrach-

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ters würdigen. Dem Non-finito wird ein besonderer Erkenntniswert zugesprochen, da es erlaubt, den kognitiven wie materiellen Arbeitsprozess nachzuvollziehen. Weitsichtige Beobachtungen finden sich bei Rudolf Kassner, der das Non-finito der Marmore als Entsprechung zum Torsoprinzip begreift, und bei Rainer Maria Rilke, der die Autonomie der Skulptur an ihrer Unabhängigkeit von Umgebung und Hintergrund misst, wobei die non-finite, a-mimetische Peripherie ihr eine eigene Kunstsphäre wahrt. Rodin demonstriert in seinen Marmorskulpturen erstaunliche Virtuosität, die er jedoch bricht und zugleich inszeniert, indem er die Spannung der rohen, ungeschliffenen Oberfläche dagegensetzt. Sie ist eine Antithese zum polierten und zart schimmernden Leib der Figur, deren weicher Schmelz erst vor dieser Kontrastfolie zur Geltung kommt. Hier zeigt sich ein höchst innovativer Umgang mit dem traditionellen Material. Seine Bearbeitung, die Wandlung des Werkstoffs zum Bild wird zum Thema. Die non-finite Behandlung erlaubt es Rodin, den edlen Werkstoff, der ihn an die klassische Tradition rückbindet, indem er eine eigene MaterialIkonologie ins Spiel bringt, mit seiner modernen Auffassung einer transformierbaren Form zu vereinen. In ihrem eigentümlich hybriden Charakter zwischen Vorläufigem und Endgültigem, finalem Material und skizzenhafter Ausführung nehmen diese Werke in der Skulptur des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine singuläre Position ein. In ihnen überträgt Rodin die Ästhetik seiner geformten Tonmodelle ins Skulpturale: Die Figuren scheinen sich aus dem amorphen Material zu bilden, als seien sie fixiert auf der Schwelle zwischen Entstehen und Wiederauflösung. Gerade dieser scheinbar paradoxe Einsatz des klassischen Werkstoffs erweist sich als genuin neuartig und modern: Rodin gelingt es, ausgerechnet im Marmor, dem statischen und für ein klassisches Ideal einstehenden Material, Formen darzustellen, die oszillieren zwischen lebendig-organischer Gestalt und anorganischer unbelebter Materie. Rodins Ästhetik der unvollständigen, suggestiven Form entspricht einem Zeitstil und -geschmack, dem in den 1890er Jahren auch Bildhauer und Maler aus dem Umfeld des Impressionismus und Symbolismus folgten. Vor allem im Werk von Medardo Rosso, James Vibert und Eugène Carrière lassen sich anhand konkreter Beispiele stilistische Einflüsse nachweisen. Die Untersuchung der künstlerischen Rezeption des Non-finito zeigt zudem, dass Rodins Marmorbossierung seit den 1890er Jahren als populäres Stilmittel unweigerlich kopiert und in dichter Folge von Mitarbeitern, Schülern und Kollegen aufgegriffen wurde. Die Aneignungen reichen von motivisch-stilistischen Entsprechungen (Klinger, Lehmbruck, Brancusi) über sterile Nachahmung zu individueller Weiterentwicklung, Umdeutung und Abgrenzung (Archipenko, Hoetger, Moore). Viele junge, der taille directe verpflichtete Bildhauer kritisierten Rodins unpersönliche Marmorproduktion, und besonders das manufakturhaft hergestellte Non-finito, das die Wirkung des abgebrochenen Arbeitsprozesses vorsätzlich erzeugt. Rodins Marmore boten zwar formale Anknüpfungspunkte für die moderne Skulptur, jedoch kaum Entwicklungspotential. Verlässt man den engen Bereich der rein formalen Weiterwirkung, ist ihr Nachleben konzeptuell jedoch immens. Die wichtigsten Impulse, die bis in die

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Gegenwart reichen, gingen von der transformatorischen Energie des Non-finito aus, von der Ästhetik des Provisorischen und der Offenlegung eines scheinbar unabgeschlossenen Werkprozesses. Mit der Entkopplung von handwerklicher und künstlerischer Vollendung definiert Rodin ein neues Finito, das ins Unbestimmte, Offene weist. Diese Studie näherte sich dem Non-finito Rodins als Topos der frühen Moderne. Die Gefahr einer Purifizierung und einseitigen Fokussierung auf formale Kriterien blieb dabei stets im Bewusstsein. Denn auch wenn die nicht-abbildenden Oberflächen Rodins für die moderne Skulptur eine wichtige Zäsur markieren, sind seine Marmore  – handwerklich virtuos, emotional und sinnlich  – noch tief im 19. Jahrhundert verwurzelt. In ihnen vereint er einander Widerstrebendes: Realistische und symbolistisch-unbestimmte Elemente, Figürliches und Ungegenständliches, edles Material und krude Bearbeitung, die schwere Stofflichkeit des Steins und scheinbar ätherische, sich verflüchtigende Figuren. Sieht man die Marmore vor der Folie ihrer Zeit, zeichnen sich ihre Antinomien noch schärfer ab. Denn als Schwellenphänomen zwischen Tradition und Moderne ist Rodins Non-finito in sich zutiefst widersprüchlich: Einerseits als formalästhetisches Stilmittel des zunehmend an narrativen Inhalten desinteressierten Künstlers; zugleich und andererseits ist es eine im Symbolismus wurzelnde, mit einer Restspur Mystik und Unsagbarem durchsetzte motivische Notwendigkeit, die Bedeutungen transportiert, die die explizite vollendete Form nicht zu vermitteln imstande wäre. Denn hartnäckig behauptet sich eine Inhaltlichkeit und Metaphorik, – etwa in den mythologischen Figuren – die nicht nur Äußerlichkeit ist: Galatea und Eurydike sind Figuren des ‚Werdens‘, die zur Welt kommen und ins Leben treten, und Pygmalion wie Orpheus sind die Künstlerfiguren, die diese metamorphotische Verlebendigung ins Werk setzen. Rodins Werke – in allen Medien – bleiben trotz ungegenständlicher oder selbstreferentieller Ansätze dem Prinzip der Repräsentation verpflichtet und bis zuletzt auf eine Realität außerhalb ihrer selbst bezogen. Zwar sind sie Vorläufer einer Skulptur, die sich ihres Gegenstands nicht mehr vorbehaltlos gewiss ist, der die Inhalte entgleiten, die ihre Verankerung im Figürlichen aber dennoch nie aufgibt. Rodins historische Situation lässt den Schritt in die Abstraktion noch nicht zu. Er bleibt der Natur und der menschlichen Figur verpflichtet, die er jedoch von ihren Randzonen her allmählich auflöst.

English summary This study explores the non-finito, the unfinished nature of Auguste Rodin’s marble sculptures in terms of craftsmanship. The hybrid character of these works poised on the threshold between the preliminary and the finalized, between classical material and sketch-like execution, marks a transition from the closed formal language of the 19th century towards the fragmentary, open form of Modernism. The conditions under which this phenomenon arose, as well as its art theoretical and artistic reception, are to be scrutinized in this study in order to discuss and define more clearly the non-finito as a far-reaching topos of Modernism. Rodin’s marble sculptures featured the aspect of a merely roughly embossed, non-representative surface from the late 1880s onwards. In contrast to his early sculptures, which were still firmly rooted in Naturalism, these seemingly unfinished works show traces of their making: Illusionistic areas – often heads or half-figures – emerge from blocks that have only been roughly carved. The non-finito, the fragmentary and incomplete, is a fundamental characteristic of Rodin’s work and can be seen in all phases in his work across all media. His marble sculptures possess a peculiar transitory character: As though work has been abandoned in the midst of the process, they conjure up the impression of a gradual “emerging” or “sinking back” of the figure into the crudely carved block. While Rodin confined the non-elaborated parts to the plinth area only to begin with, these soon increasingly spread to the entire sculptural form and matured into an artistic method which the artist employed quite deliberately, in order not only to achieve an aesthetic effect but also to make a statement as regards content. The non-finite surface was gradually established as an independent aesthetic category – which ranged from its being used in an illusionistic function to serving as a stylistic device or a self-referential element. One can categorize Rodin’s marble sculptures in which the tool marks form a distinct feature into (a) unfinished pieces, that is works from his estate that were actually left unfinished upon his death; (b) a few sculptures whose completion he purposefully aborted (e.g. La Pensée, Mère et fille mourante); and (c) the majority of the works conceived to be non-finite. Accordingly, this study examines the situation from which the major non-finito works originated alongside their contemporary reception history, in order to develop alternative interpretational models of the undefined surface from these. The non-finite structure is hereby analyzed (a) in examining its material aspect: as the product of a purportedly unfinished conception and processing, and (b) looking at it in terms of subject matter: as an indeterminate, unfinished representation of the figure.

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ENGLISH SUMMARY

Michelangelo’s incomplete sculptures form an important historical premise for Rodin’s ‚non-finito‘; these pieces were the subject of Giorgio Vasari’s admiration, although it was art theory of the Romantic period that would be the first to establish the fragmentary as an independent aesthetic category. This early, initially seemingly paradoxical appreciation was taken up by a number of authors and soon gained ground as convention. Vasari looked to external factors to explain the works’ incompleteness, also considering as a factor resignation in the face of an inability to make the perfect idea a reality. Not for that reason alone, the expressive contrasting themes of roughly hewn bozza and articulated figures swiftly came to be described as an intellectual principle implicated in the subject matter and as a dialectic tension of nature and art. Such readings, in particular the interpretation of the prigioni (fig. 3-5) as figures that, gradually rising out of the amorphous mass of stone, take on a life and consciousness of their own, later gradually find their way into the wider reception of Rodin’s works. In the 19th century the majority took Michelangelo’s non-finito to be an expression of the torturous condition humaine, while the prigioni were considered tragic, broken figures, which were revolting against the resistance of the subject matter or appeared to be forcing their way out of their draft-like state into an absolute existence. This emotive perception of the non-finito is contradicted by art theorists such as John Ruskin and Eugène Delacroix, who expand on the discussion surrounding the works’ progressive aspects. Ruskin expressed the thought, picked up by art criticism time and again in later years, that a further precision of the shape would not perfect the figure but contrarily rather harm its expressive content. The finished work would then be “achieved”, while the unfinished form was “achieving” and rich in potential for development and expression. Ruskin is therefore one of the first to address the potential of a shape that remains at the stage of suggestion. The highest perception of Michelangelo’s incomplete works, which is never called into question within the framework of this widely ramified discourse, forms the premise for Rodin to programmatically revive these non-finito works and legitimize them in art-historical terms. What remained incomplete in the works of his predecessor, Rodin develops into a highly effective creative principle, which he implements methodically and whose symbolic imagery he exploits. For in contrast to Michelangelo, Rodin’s non-finito is neither unfinished nor coincidental; the roughly hewn parts are set and arranged consciously. Whereas the non-finite area is initially limited to the base area and derives from the imagery of rocks (Galatée, 1889, cat. no. 1), water (La Vague, around 1901, cat. no. 8) or clouds (Paolo et Francesca, 1905, cat. no. 11), in the early 1890s Rodin started to blend the block into the figures themselves. An early sculpture in which the roughly hewn zone takes on a disproportionate size, gaining an intrinsic formal and iconographic value, is Orphée et Eurydice sortant de l’enfer completed in 1893 (cat. no. 3). Rodin shows the couple close together, one behind the other, while Eurydice seems to be floating rather than walking and has her eyes closed. Her slightly elevated, seemingly sleepwalking and weightless body grows out of the towering mass of stone behind her, which also pushes between the two bodies in a fold. Here

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the raw section of the stone becomes a symbol of a materia prima, an undifferentiated source material giving birth to form. As Eurydice is led into the world of the living from the realm of the dead, her body is released from the amorphous material behind her in the shape of a relief. Eurydice is in the transitory state between emerging and sinking back, becoming and dissolution. The theme of metamorphosis, a transformation of states of being or materials taking place over time is ultimately very hard to reconcile with the medium of sculpture. Yet it is visualized here through the use of the non-finito. The unhewn surface symbolizes a realm of absence or unconsciousness, which the figure sinks back into. In later works the block soon grew disproportionately and assumed a life of its own to such an extent that at some point there was only a comparatively small part of the surface that retained its representational function. This undetermined area, or so it appears, increasingly comes to be the actual theme of the work. The comparison of successive marble variations of a single motif illustrates how iconographic or narrative details lose their specific quality and merge into the non-finite surfaces (Tête de la Douleur) and how breaches are closed up and the figures sink ever further into the base (Fugit Amor, Madame Fenaille, Lady Sackville-West). In the progression of the non-finite versions of the ethereal Madame Fenaille (cat. no. 16), the head is carved out of the stone in an increasingly ambivalent fashion, while all portrait-specific details, such as physiognomy and hairstyle, melt into the roughly hewn surface. The series of five marble renditions of Fugit Amor shows a similar effect. In this allegory to fleeting passion, the alienation between the lovers, their simultaneous attraction and repulsion, is accentuated in different ways in the individual interpretations. The figures lying back to back increasingly melt into the non-finite plinth block, which takes up ever more space from version to version. In what is probably the first marble piece of the series, made around 1891 (cat. no. 2.a), the lovers lie with few points of contact on the comparatively smooth block. In the second version (before 1895, cat. no. 2.b) the block is larger and rougher. In the last version (1910-1916, cat. no. 2.e) the woman lying on her stomach has sunk into the massively enlarged block, which rises up in steps. She evades her partner by way of this literal petrification, as he still clings to her in desperation. After the turn of the century Rodin made pieces such as Adam et Eve (cat. no. 12) or the three versions of La Terre et la Lune (cat. no. 7.a-7.c), in which the amorphous section is far larger than the figurative one. Individual non-finite elements take on a life of their own and now seem well and truly self-referential, for example the stone formations in Paolo et Francesca (cat. no. 11) that reach deeply into the surrounding space. Here, figures are embedded in a mass of marble visualizing the searing flames of hellfire, through which the couple circles. The stone stump rising up next to and high above the figures cannot however be derived from this atmospheric illusionism: This disproportionately large, function-less, basically abstract shape turns into an independent sculptural element, towering above the artwork’s figurative part and taking center stage in the composition. The increasing dominance of the roughly hewn block is accompanied by an accelerated dissolution of traditional iconography. Narrative elements are increasing-

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ly left out or melt into the non-finite surface. One example of this is the series of three marble renditions of the androgynous Tête de la Douleur, whose expression oscillates between silent agony and rapture. In the first of the three versions locatable today, Dernier Soupir (Orphée) completed in 1902 (cat. no. 10.a), the face framed by hair and neck line is embedded in a cloudy base of stone, which transitions into a turtle shell – an attribute of Orpheus – on the left above the head. In the second version, titled Jeanne d’Arc (before 1905, cat. no. 10.b), the head with female connotations now lifts itself out of a considerably larger block of stone next to a carved bundle of brushwood. In the last version, La Douleur – Souvenir à Eleonora Duse (1908-1909, cat. no. 10.c), the block has grown again compared to the previous rendering, by about a quarter. The succession of the three marble pieces shows not just how the interpretations in terms of message change with different titles and attributes, but also how the iconography providing a context is reduced as the non-representative part grows. With Puvis de Chavannes (1911-1913, cat. no. 20) Rodin finally developed his own type of non-finite artist portrait in the final years of his life. In varied stages of elaboration, he dedicated works in this style to Victor Hugo (cat. no. 22.a-b) and Gustav Mahler, the non-finite version of the latter turning into Mozart (cat. no. 19). All of these are monumental, remade versions of portrait commissions Rodin had accomplished much earlier. They all have one thing in common, namely that their expression differs greatly from the preceding bronze versions. In the marble, their facial features are defined only to a very small degree. They drift into sfumato, which further intensifies the impression of contemplation and transcendence. The resemblance to the persons portrayed remains in all of these, yet the ephemeral semblance is masked out by an eternal ideal. In Rodin’s non-finite works the various stages of formation merge into one another. Their figuration and depiction of nature peter out into an undetermined, non-representational sculptural surface. Therein one of Rodin’s basic notions finds expression, which he – who always proceeded by first modeling in clay – likewise exemplified in the plaster studies La Terre (fig. 7) and La Mort (fig. 8); namely, the development of an organic, shaped and ‚animated‘ form from amorphous or rather ‚pre-morphous‘ matter. Translated into marble, the raw stone matrix of this undifferentiated material, which allows bodies or individual body parts to become concrete, finds itself in a metamorphosis from the unstructured to the sculpted. The sculptural process becomes a theme in itself, which Rodin presents explicitly in works such as La Main de Dieu (cat. no. 9) and Pygmalion et Galatée (cat. no. 13) and in which he appears to meet the fundamental aspiration to animate the dead stone. Under the hands of the creator-artist, the (inorganic, dead) nature of the stone becomes art, which in turn metamorphoses into (organic, living) nature. The handling of the marble, the transformation of the material into an image; this becomes the thematic focus of the work. This non-finite manipulation allows Rodin to combine this sophisticated material, which binds him to the classic tradition in that he makes use of a distinctive material iconology, with his modern concept of a transformable form. Its ambivalent character between final material and sketch-like

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execution is genuinely modern, as here Rodin translates the aesthetics of his molded clay models into sculptural works: The figures seem to form themselves from the amorphous material as though caught on the threshold between existence and disappearance. It is precisely this seemingly paradoxical use of the classic material that proves to be genuinely innovative and modern. Indeed, Rodin succeeds – and in marble of all things, that static material, and epitome of a classic ideal – in depicting forms which oscillate between vitally organic figures and inorganic, inanimate matter. Moreover, with the ‚appearance‘ of an individual form out of the amorphous mass, Rodin achieves an allegory of the creative process. The undefined area simultaneously symbolizes an area of formlessness and negation or non-awareness (La Pensée, cat. no. 5; Le Sommeil, cat. no. 4), in which the figure shrinks back into the stone (Mère et fille mourante, cat. no. 18) or grows out of it (La Convalescente, cat. no. 15.b). The ambivalent openness of the non-finite areas is as such constituent for the work that presupposes a fundamentally new reception. The open area, which compensates for a form of iconography, becomes a substitute for content that must be redefined by the beholder in each individual case. Indeed, from the 1890s onwards Rodin’s raw marble blocks can no longer be embedded in a figurative reference system. The non-finite areas are not however entirely abstract: They do still relay some information. For example, in Mère et fille mourante (cat. no. 18) we still find a residuum of form defining the shape of a body, while the overhanging mass of marble in the portrait Victor Hugo (cat. no. 22.a) echoes the position of the poet’s hands in Monument à Victor Hugo. Yet we are still faced with a hermeneutic gap hindering us from clearly attributing meaning when it comes to the part of the sculpture left undefined. This denial of finality does not least bear witness to the artist’s skeptical withdrawal in terms of providing conclusive evidence – a stance that can also be seen to unfold in the neighboring genres, in painting by way of a dissolution of shapes (anticipated emblematically in Balzac’s short story Le chef d’oeuvre inconnu (1831) with the painting whose subject matter has dissolved into an abstract chaos of colors after having been endlessly reworked, out of which nothing but an illusionistically painted foot emerges) as well as in gaps that allow the white canvas to show through, for example with Cézanne and Maurice Denis. The crisis in language around 1900 is also symptomatic, as can be seen in the use of omissions and deconstruction. The Symbolist literature revolving around Baudelaire, Rimbaud and Verlaine gives rise to a cult of the void, finding its culmination in Mallarmé’s figure of Absence and his ideal of the “mute poem”. The result is a work that openly exhibits the process of its interminable creation. The non-finito is an interim state of formation, which is then made the final state. Nonetheless the figure stepping out of the raw stone, though only partly formed, gives the impression of potential changeability and provisionality. Therefore Rodin shows preference for the non-finito when depicting scenes of transformation and transition. The figures’ emergence from or shrinking into the block brings a transitory stage to mind, in which the form is yet to be or is no longer clearly defined, or cannot be defined at all. At the same time the non-finito is linked to an increasing obscurity of the figurative parts, individual details become blurred in a kind of

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sfumato. Thus Rodin is able to depict liminal states, which envisage the continuum of becoming and vanishing and in which a living process becomes palpable. The gradual change of the marble surface from a finely polished to a roughly hewn state further shows the incremental transition from mineral stone into organic, bodily shapes. Rodin exploits the self-reflective potential of his material in a novel way, thereby paving the way to a sculptural tendency of the 20th century that included the deliberate use of the transformational potential of artistic media. Through the flowing transitions between raw stone and elaborated figures he not only expressed the metamorphosis from inorganic into organic-animated matter (and vice versa), but also a transformation from nature into art. Furthermore, the non-finito pieces amongst his marble works have a complementary relationship with the principle of the torso, whereby the type of reduction is dependent upon the material. Whereas in Rodin’s plaster and bronze torsos secondary elements were not worked out or removed in order to bring the figure into sharper focus, in the marble works these remain unfulfilled under the raw surface. The examination of Rodin’s working practice highlights that the emergence and formation of the non-finito parts is inextricably linked to the practical conditions of his working methods, particularly the module-like combination of molded plaster fragments and their translation into the ‚final‘ material by his assistants. The undefined areas of the marble are also laid out in the draft plaster model and remain dependent on their interpretation by the praticien. In contrast to the heterogeneous assemblages of fragments, the individual elements merge into the stone forming a compact entity. Something that began as an experiment in form, the non-finito would soon become a calculated effect, which Rodin would commission to specialised assistants. A closer look at Rodin’s exhibition practice shows that he put some of his fragmentary works up for public discussion shortly after they had been made. He presented his non-finite marbles in exhibitions much earlier than his torsi and plaster fragments, whereby the nobility and acceptance of the material most likely played a role. It is hitherto hardly known that he sent three sculptures with non-finite plinth areas, Fugit Amor, Andromède and Amour et Psyché, to the World Exhibition in Chicago as early as 1893. After the positive reception of La Pensée (cat. no. 5.a) at the Salon of the Société Nationale des Beaux-Arts in 1895, Rodin showed L’Homme et sa pensée (cat. no. 6) at the Salon of 1896 and, together with the second version of Fugit Amor (cat. no. 2.b), two years later at the first exhibition of the newly founded Secession in Vienna; at the Salon of the SNBA he finally submitted La Terre et la Lune (cat. no. 7.a) in 1899. The Exposition Rodin in the Pavillon de l’Alma held in 1900 finally marked a turning point. Here, Rodin showed a large number of fragmentary plasters alongside La Pensée, L’Homme et sa pensée, Fugit Amor and La Terre et la Lune, shifting the focus to the processual character of his work. Non-finite marbles up for sale were bought by private collectors for the most part, while museums tended to acquire established, figurative works that had already been reproduced and exhibited many times. Foreign clients accepted the new stylistic medium earlier than buyers in Rodin’s home country. The marbles were

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famously popular with the large and wealthy circle of patrons from the UK and USA, who oriented their collecting habits on contemporary French tastes. Yet Rodin was not always able to reconcile his modern take on sculpture with his client’s expectations. There were often issues due to contrary perceptions of completion, for example with the Danish brewery owner Carl Jacobsen, who collected contemporary French sculpture and painting as well as antiques. The delivery of the group Pygmalion et Galatée (cat. no. 13.a), which Jacobsen had acquired in 1907 in Meudon, was delayed until early 1910, as the patron had asked Rodin to rework the piece more diligently. He criticized Cariatide tombée portant sa pierre for the body not being clearly separated from the stone, and even made the rectification of this “deficiency” the condition for his ordering a marble version. Rodin obliged: In the version he sent to Copenhagen in January 1908 the surface textures are clearly distinguishable. Differences of opinion also cropped up with British collector James Smith after the latter had acquired a marble version of the piece La mort d’Athènes in 1903. He evidently disliked its massive rough block and asked Rodin to make some modifications to it. Rodin, however, answered: “I could not reduce the size of the plinth very much because unfortunately it is the subject.” The contemporary press and art criticism also reacted to the new stylistic device in highly controversial ways. Alongside drawing on the theoretical discourse around the non-finito in Michelangelo’s work, contemporary authors around 1900 developed new criteria for discussing its re-interpretation by Rodin. At first, the works were predominantly met with incomprehension and skeptical voices condemned the sculptures for their formal crudeness. Yet as early as 1889, the American sculptor Truman H. Bartlett quoted the soon widespread verdict that “that none knew, so well as Rodin, how to make a crude and unfinished piece of marble appear like a work of art”. In 1902 the British poet and art critic Arthur Symons, who was affiliated with Symbolism, understood the figures’ rootedness in their rough block as a connection to earth and nature: “That link with the earth, which we find in the unhewn masses of rock from which his finest creations of pure form can never quite free themselves, is the secret of his deepest force. It links his creations to nature’s, in a single fashion of growth.” Rodin’s colleague Adolf von Hildebrand on the other hand criticized him for being untrue to the material and using artificial gimmickry. Von Hildebrand was himself a passionate advocate of the taille directe, a method in which the artist works in the stone directly, and therefore especially criticized Rodin’s inauthentic processing of stone. Rodin, he claimed, who never worked immediately with the block of marble, instead taking a detour via the sculpted clay model, simulated a working process in the non-finito that had actually never taken place in the way suggested. Von Hildebrand saw Rodin as misunderstanding the unfinished areas of Michelangelo’s works and merely imitating these in order to achieve artificial visual effects not based on any necessity arising out of the formative process. In the early 20th century philosophers, authors and poets including Georg Simmel, Rudolf Kassner and Rainer Maria Rilke recognized Rodin’s apparently unfinished marble sculptures as eminently contemporary. They perceived in the transito-

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ry nature of the non-finito the adequate expression of a zeitgeist marked by instability and a modified aesthetic experience. When the feeling that life is incoherent and constantly changing dominates and the foundations established by religion or a definite world view that had previously provided meaning and community disintegrate, completion becomes an anachronistic concept. Georg Simmel (1858-1918) in particular argued that the works were allegories of modern existence subjected to constant fluctuation, as well as merely temporary specifications of a vibrantly flowing energy. According to Simmel, Rodin placed his sculptures in the flow of the life process as though they were merely possible variants amongst other, earlier or later states during their evolution towards individual form. A closer look at the reception of the work in the contemporary press and art literature qualifies the commonplace observation that Rodin’s significance was first fully recognized in the second half of the 20th century, for many of the earlier texts already address several aspects that only regained their attraction for those researching Rodin in the 1960s. Parallel to the accusations of incompleteness and a lack respect for the material, even as early as 1900 there were already those who showed their appreciation for the apparent animation of the stone and the active participation on the part of the beholder. The non-finito is attributed with a special epistemological value, as it enables one to comprehend both the cognitive and material working process. Farsighted observations were propounded by Rudolf Kassner (1873-1959), who understood the non-finito in marble as an analogy of the torso principle, and by Rainer Maria Rilke (1875-1926), who measured the autonomy of the sculpture according to its independence from its surroundings and background. Rilke saw the non-finitio as an in-between zone, providing a boundary between the work and its environment and protecting its proper artistic sphere. Rodin’s figures, being rooted in the block, differed from other contemporary free-standing sculptures, which, with their former ties to architecture having been severed and their social function dissolved, were now ‚un-housed‘ and stood in no relationship to their surroundings: “Yet Rodin’s sculptures remain in their home in all intimacy, retaining hundreds of relations to the stone, their great, gigantic past.” Several progressive authors saw crucial potential for renewal in Rodin’s non-finito – especially against the backdrop of late 19th-century sculpture, which still faced the expectation of providing a stable center to a reality that had become precarious and unpredictable. While in other genres, most notably painting and literature, techniques of vagueness, fragmentation and decomposition were being tested, the large sculpture exhibitions made it seem as though artists working in the latter medium were continuing to work against the spirit of the times by creating works of solid stability, often referencing an outdated iconography that no longer did justice to modern reality. Hence around 1900 Rodin’s work quickly became the focus of a contemporary art-philosophical diagnostics that saw the present era as one of fragmentation. The later deliberations of social philosopher and media critic Günther Anders (19021992), who encountered Rodin’s work during his exile in Paris in 1933-36, also belong to this context. Anders saw Rodin as the last sculptor of the late 19th century, whose works found no place in society during a time of fundamental change

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and were by their very nature alienated from that society. Anders sees the function of the non-finite base as being rooted in this ‚placelessness‘, and according to his logic, Rodin embedded his figures, which had become detached from all relation to their surroundings, in this base as in “mother soil”. Rodin demonstrates outstanding virtuosity in his marble sculptures, which he however ruptures yet at the same time actively presents, by contrasting the tension of the raw, crude surfaces to it. This shows a highly innovative approach to the traditional material, which is at the same time Rodin’s answer to the crisis of his genre, namely that of sculpture, which stagnated in comparison to the new developments in contemporary painting. While painting saw seminal stylistic changes occur even before the 1870s, sculpture, which had hitherto been an art form of portraits and memorials, remained firmly entrenched in an outmoded canon of functions and consequently in a traditional iconography and established representative practice. The non-finito is also, in particular, a reaction to the crisis of the material marble, the processing of which had attained a quality in academic Neo-Classicism since Canova that was impossible to surpass: a facsimile-like translation of flesh into marble, inanimate smoothness brought to perfection. Edgar Degas and Medardo Rosso already worked in wax from the 1880s onwards, while Rodin himself worked in plaster and others, most notably “painter-sculptors” like Gauguin and Picasso, turned towards wood and terracotta. Rodin’s work sees the rough marble surface turned into the antithesis of the polished and shimmering body of the figure, the delicate luster of which only fully comes into its own against this contrasting foil, gaining liveliness and, in the eye of the modern viewer, value and interest precisely through this discontinuity. The non-finito then turns into that aesthetic concept and ‚signature style‘ which allows Rodin to prove his virtuosity whilst retaining his decidedly anti-Classicist stance. He undertakes a revaluation of material aesthetics, yet does so from within the conventions defined by the academy. Rodin’s aesthetic of the incomplete, suggestive form corresponds to a contemporary style and taste also conformed to by sculptors and painters from Impressionist and Symbolist circles in the 1890s. Rodin links these to an interest in transformative processes related to the emergence and dissolution of shapes. A comparison makes it clear that these are attempts to solve related problems made during the same period. Parallels of style and content can be found in the work of Medardo Rosso (1858-1928) in particular. Rosso was interested in the fleeting, ephemeral appearance of form as influenced by light. He understood sculpture as a purely visual and atmospheric phenomenon, rather than a tactile and spatial one. He devalued contours more strongly than Rodin and diffused shapes: In his work, these appear as though viewed through a veil – he created moods, or ‘memories of sight’ rather than representations. The surrounding space, into which the figure visually melts, is part of the work and appears as an amorphous mass. Despite the fact that Rodin translates into marble what Rosso expresses in genuinely malleable materials such as wax or plaster, both artists draw closer to each other both in formal terms and as regards content, for example when the transition from crafted to amorphous

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material becomes the symbol for the death of the figure depicted in the work of both artists. The delicate head of Rosso’s Bambino Malato (1889-1895, ill. 15), whose facial features are faint and blurry, transitions into the cracked wax-plaster mass at the back of his head, whereas for example Rodin’s Convalescente (cat. no. 15.b) sinks into the rough block. With Rosso, formlessness results from a melting or an ethereal exhalation of form, while with Rodin it is rather akin to a degeneration into the uncultivated material. The now little-known Swiss sculptor James Vibert (1872-1942), who worked in Paris in the 1890s, began connecting transformational surfaces with allegorical-symbolic content at almost exactly the same time as Rodin. In Vibert’s sculpture Vita in Morte (fig. 21) the figure rising out of the material becomes symbolic to an even greater extent than with Rodin. Going beyond the genre of sculpture, analogies to the non-finito style can also be found in the painting and painterly vision of the late 19th century. A comparison with the work of Symbolist painter Eugène Carrière (1849-1906), who was very close to Rodin as a good friend and artist and with whom Rodin exchanged stimuli in terms of style and content, may be the most fruitful here. Both were united, from their very first meeting, by a similar aesthetic understanding and from the late 1880s onwards they continually exchanged works. Characteristic of Carrière’s mostly monochrome portraits and family scenes is what Guillaume Apollinaire described as the painter’s “idéal brumeux”, a sfumato style in which the figure, seemingly diffused by a soft mist, emerges from a dusky background. Like many of Rodin’s bodies that come out of the raw block, Carrière’s figures become concrete only at characteristic places such as their faces and hands, and, like Rodin’s figures, seem to exist in “limbo”, in trance-like absence and in danger of dissolving once more. An examination of Rodin’s Mère et fille mourante (cat. no. 18) alongside Carrière’s painting Mère et enfant (1891, fig. 24), which Rodin owned, shows this quite clearly. In both works the focus is on faces and hands glowing out from the twilit background. The soft, blurred shapes underline the intimate relationship between mother and child, which in Rodin’s work is expressed in the melting-into-each-other in the block. An examination of the non-finito’s artistic reception demonstrates that from the 1890s onwards Rodin’s raw marble surfaces were inevitably copied as a popular stylistic device and taken up in rapid succession by colleagues, pupils and associates. A succession of works leads from Rodin’s marble piece Le Sommeil (cat. no. 4.a – 4.c) via Max Klinger’s Schlafende (around 1900, ill. 13) and Wilhelm Lehmbruck’s Der Schlaf (1907, fig.  31) to Constantin Brancusi’s Le Sommeil (1908, fig. 33). All are variations on the theme of the sleeping muse: The perceived “sinking” of the figure into the block visualizes the gradual sliding into the absent, unconscious state of sleep. While Klinger’s marble relief, of which he made three versions between 1900 and 1904, and Lehmbruck’s plaster made in 1907 (the marble version made from the plaster has been lost) still exhibit clear analogies to Rodin’s Le Sommeil both in terms of content and style, Brancusi executed his marble after breaking with Rodin in 1908, and despite its porous surface it already displays a shape that is outwardly self-contained and which anticipates the geomet-

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ric principle of the oval. The way Brancusi has treated the transitions is fundamentally different to Rodin’s approach, as the latter’s aesthetic lines created with a claw chisel follow the flow of the hair. Brancusi’s piece sees the isolated face framed by an aureole-like circle of hard, parallel claw chisel marks that have become freed from any representational references. Here the artificial decisively invades the organic. Further artistic appropriations range from sterile copies to individual progressions, reinterpretations and dissociations, such as with Alexander Archipenko (fig. 52), Bernhard Hoetger (fig. 53) or Henry Moore (fig. 54). Many young sculptors committed to taille directe criticized Rodin’s impersonal marble production and in particular the serially produced non-finito, which intentionally evokes the impression of an interrupted working process. It also becomes evident that many of the artists who appropriated Rodin’s treatment of marble in the one way or other did so during the early stages of their careers and that in most cases this remained but an experimental episode to be overcome quickly in favor of an individual and fully-fledged formal language. While Rodin’s torsi and assemblages were to become a reference point for an entire generation of sculptors, the non-finito of his marble pieces was to formally remain without any noteworthy lasting effect and is increasingly being forgotten as a harmless stylistic device in art. Although it has provided direct points of contact for modern sculpture, they pose very little potential for development. Yet if one steps outside of the narrow range of a purely formal sustained effect, their afterlife is immense. The most important impulses, which continue to have a bearing today, emanated from the non-finito’s transformational energy, from the aesthetic of the provisional and the disclosure of an apparently incomplete working process. For in the end Auguste Rodin’s oeuvre marks the transition from the closed formal language of the 19th century to the Modern Age’s process-oriented concept of a work of art. The formally complete artwork with its clear subject is replaced by a potential changeability in terms of form and content and an open structure, which is illustrative of the creative process. At first glance, Rodin’s marble sculptures appear to oppose the principle of changeable forms so fundamental to the artist. For the continual succession and co-existence of various states in different materials, as is typical of his sculptural works, comes to an end with the use of stone – a gesture of completion. It is precisely for this reason that the sculptures in marble – the epitomical classic material with its guarantee of eternity – occupy a unique position in the oeuvre of Auguste Rodin. It is their non-finite form that – even in stone – allows the procedural aspect to shine through in the works; on the one hand as a working and reception method, on the other as a theme and motif. With Rodin’s work there is a fundamental shift of focus from the formally complete sculpture to the process of its creation and its transformative potential. Normative standards of coherence and unambiguity are superseded by a new mobility of form and content. A traditional concept of art-making geared towards “completion” could no longer have done justice to Rodin’s incessantly modified, fragmented and recombined plaster models, which themselves led to the bronzes and marbles. Individual works are stages in an ongoing creative process much rather than end

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points. The marble sculptures, executed in a material that stood for finality and a long classical tradition, therefore enjoy a special status. This study approached Rodin’s non-finito as the topos of the early Modern Age. In doing so, the danger of a purification and one-sided focus on formal criteria remained a constant consideration. For even if Rodin’s non-representational surfaces constitute an important caesura for modern sculpture, his marble works – technically masterful, emotional and sensual – remain deeply rooted in the 19th century. Here he brings together a number of conflicting components: realistic and Symbolist elements, figurative and non-figurative, a sophisticated material and a crude handling of it, the heavy nature of stone as a material and the seemingly ethereal, evanescing figures. If one views the marbles against the backdrop of their time, their antinomies stand out even more clearly. For as a threshold phenomenon between tradition and modernity, Rodin’s non-finito is in itself deeply contradictory: on the one hand as a formal-aesthetic stylistic medium chosen by this artist who showed an increasing indifference toward narrative content; on the other it is simultaneously a motivic necessity rooted in Symbolism, applied with a trace of the mystical and the unutterable, which carries those meanings that the explicitly complete form would not be capable of conveying. For here a subject matter and imagery assert themselves – in the mythological figures for instance – and it is not mere formality: Galatea and Eurydice are figures of ‘becoming’, which are born and come to life, and Pygmalion and Orpheus are artist figures, which initiate this metamorphic animation. Despite non-figurative or self-referential approaches, Rodin’s works – in all media – remain committed to the principle of representation and related to a reality external to themselves. They may be the precursors of a type of sculpture that is no longer unreservedly certain of its object and is gradually losing its content, but nonetheless always remains anchored in the figurative. However, Rodin’s historical situation did not yet permit the step into abstraction; he remained committed to nature and the human figure, though he did gradually reduce it from its periphery. With the decoupling of technical and artistic completion, Rodin defined a new finito that points to the indefinite, the open. Translation: Dr. Jeremy Gaines

Résumé en français Cette étude s’intéresse au non finito chez Auguste Rodin, à ces marbres dont la taille est restée inachevée. Leur caractère hybride entre transitoire et final, entre matériau classique et traitement esquissé signale la transition du langage formel fermé du XIXe siècle au répertoire fragmentaire ouvert de l’art moderne. Nous nous proposons d’explorer les conditions de création et la réception, tant théorique qu’artistique, du phénomène, afin d’aborder cette topique majeure du modernisme et de cerner plus en détail le non finito. À partir de la fin des années 1880, le phénomène d’une surface juste dégrossie, non figurative, s’observe sur les marbres de Rodin. À la différence de ses premières statues, placées sous le sceau du naturalisme, ces œuvres qui prétendent à l’inachèvement affichent les traces de leur fabrication: zones illusoires  – le plus souvent têtes ou demi-figures – sorties d’un bloc juste équarri. Le non finito, le fragmentaire et l’inachevé, qui existe en principe dans tous les matériaux et à chaque état d’une statue, est une caractéristique fondamentale de l’œuvre de Rodin. Les sculptures en marbre possèdent un caractère transitoire particulier, comme si le sculpteur avait abandonné le travail en cours d’exécution, d’où cette impression que la figure «émerge» peu à peu du bloc mal équarri ou «s’enfonce». Dans un premier temps, les parties non travaillées se limitent au socle, puis s’étendent progressivement à la forme entière et mûrissent, devenant un outil stylistique que Rodin utilise sciemment, dans un but non seulement esthétique, mais aussi narratif. La surface non finie devient peu à peu une catégorie esthétique autonome – qui a une fonction d’illusion, puis devient un style et aboutit à l’autoréférentialité. Les marbres de Rodin où les traces de la taille sont visibles se divisent en (a) œuvres non terminées appartenant au fonds du sculpteur, (b) quelques sculptures dont l’interruption fut volontaire (p. ex. La Pensée, Mère et fille mourante) et (c) la majeure partie des créations vouées à rester inachevées. Nous nous proposons par conséquent d’étudier la situation de la genèse et l’histoire contemporaine de l’influence des œuvres majeures inachevées, afin d’en déduire différentes interprétations de la surface indéterminée. Nous considèrerons la structure inachevée (a) sous l’aspect de la matière : comme produit d’une conception et d’un travail supposés non terminés et (b) sous l’aspect du motif: comme représentation figurée indéterminée, incomplète. Les sculptures inachevées de Michel-Ange, déjà célébrées par Giorgio Vasari, même si la théorie de l’art du romantisme fut la première à considérer le non finito comme une catégorie esthétique, sont un précédent historique majeur du non finito de Rodin. De nombreux auteurs ont repris le jugement de Vasari, qui semblait

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paradoxal dans un premier temps, et en ont vite fait un stéréotype. Vasari justifie l’inachevé par des circonstances extérieures, mais aussi par la résignation de l’artiste qui estime impossible de transposer l’idée parfaite dans la matière. C’est pour cette raison, entre autres, que le puissant contraste entre la gangue à peine dégrossie et la figure articulée symbolise très vite l’esprit prisonnier de la matière et l’opposition dialectique entre la nature et l’art. Ce type d’interprétations, en particulier la lecture des prigioni (fig. 3-5), ces figures qui peu à peu prennent vie et conscience en se dégageant de la masse amorphe de la pierre, aura des répercussions sur la réception ultérieure de Rodin. Le XIXe siècle, dans l’ensemble, voit dans le non finito de Michel-Ange une expression de la douloureuse condition humaine et dans les prigioni des personnages tragiques et brisés, qui se révoltent contre la résistance de la matière ou tentent de quitter leur état d’ébauche pour parvenir à une existence véritable. John Ruskin et Eugène Delacroix, qui introduisent des aspects progressifs dans le débat, s’élèvent contre cette conception pathétique du non finito. Selon Ruskin, préciser davantage la forme ne la perfectionnerait pas mais, au contraire, pourrait nuire à son expressivité, une formule qu’adopteront souvent les critiques d’art par la suite. L’œuvre terminée est achieved («achevée»), mais la forme incomplète est achieving («elle agit»), infiniment plus expressive et capable de se développer. Ruskin est ainsi l’un des premiers à réfléchir sur la potentialité d’une forme qui en est restée au stade de la suggestion. Dans ce discours aux vastes ramifications, le succès incontestable des œuvres inachevées de Michel-Ange incitera Rodin à ressusciter le non finito et à lui donner une légitimité au regard de l’histoire de l’art. Ce qui chez Michel-Ange reste non terminé, devient chez Rodin un principe de création, qu’il emploie avec méthode et dont il explore la composante métaphorique. Chez Rodin, qui se distingue en ceci de Michel-Ange, le non finito n’est ni inachevé, ni aléatoire, la taille est précise et pensée. Si dans les débuts la zone non finie se limite au socle et dérive de la morphologie d’une roche (Galatée, 1889, cat. 1), de l’eau (La Vague, vers 1901, cat. 8) ou des nuages (Paolo et Francesca, 1905, cat. 11), le bloc de pierre et la figure fusionnent à partir des années 1890. Le groupe Orphée et Eurydice sortant de l’enfer de 1893 (cat. 3) est l’un des premiers où la zone grossièrement ébauchée acquiert des proportions démesurées et une valeur tant formelle qu’iconographique. Rodin montre les deux amants tout près l’un de l’autre. Eurydice, les yeux fermés, semble plus en lévitation qu’en train de marcher. Son corps légèrement surélevé, en apesanteur comme celui d’une somnambule, se fond dans la masse rocheuse qui se dresse derrière elle et remonte dans une faille entre les deux corps. La partie restée à l’état brut devient le symbole d’une materia prima, d’une matière première non différenciée qui donne naissance à la forme. Tandis qu’Eurydice est conduite du royaume des morts au monde des vivants, son corps se détache de la matière amorphe, tel un relief. Eurydice évolue dans un état transitoire entre émergence et engloutissement, entre devenir et dissolution. Ici, le non finito aide à illustrer la métamorphose, la transformation dans le temps de l’état ou de la matière, un motif en fait plutôt incompatible avec une discipline telle que la sculpture. La surface non façonnée symbolise un domaine de l’absence, de la négation ou de la non-conscience, où la figure s’engloutit.

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Par la suite, le bloc brut acquiert bientôt des dimensions disproportionnées et une autonomie telle que seule une partie relativement faible de la surface, par comparaison, a une fonction figurative. Il semble que la zone indéterminée devienne de plus en plus le sujet véritable de l’œuvre. Comparées les unes aux autre, les variantes successives d’un marbre révèlent la fermeture des ruptures et l’enfoncement progressif des figures dans le bloc. Dans les versions inachevées (non finite) de l’évanescente Madame Fenaille (cat. 16), la tête se détache de la base brute avec plus d’hésitation et tous les détails relevant du portrait, tels que la physionomie et la coiffure, s’estompent dans la surface ébauchée. La suite des cinq marbres de Fugit Amor en fournit un témoignage parfait. Dans les différentes versions de cette image de la passion éteinte, le sculpteur a nuancé l’accent mis sur le désamour de l’amante, l’attirance mêlée à la répulsion. Les figures couchées dos à dos se fondent peu à peu dans le socle inachevé, qui lui-même accapare toujours plus d’espace. Dans le marbre considéré comme le premier et qui aurait été exécuté vers 1891 (cat. 2.a), elles sont couchées et ont peu de points de contact, sur un bloc relativement lisse devenu déjà plus gros et plus brut dans la deuxième version (avant 1895, cat. 2.b). Dans la dernière version (1910-1916, cat. 2.e), la femme couchée sur le ventre s’est enfoncée dans le bloc désormais massif, qui s’élève comme un escalier. Littéralement pétrifiée, elle échappe ainsi à son partenaire qui s’agrippe désespérément à elle. Après 1900 apparaissent des œuvres telles qu’Adam et Ève (cat. 12) ou les trois versions de La Terre et la Lune (cat. 7.a-7.c), où l’amorphe l’emporte de loin sur la partie figurative. Certains éléments inachevés s’émancipent désormais et semblent véritablement ne se référer qu’à eux-mêmes, par exemple les formations rocheuses qui occupent une grande partie de l’espace dans Paolo et Francesca (cat. 11). Ici, les figures sont encastrées dans une masse de marbre, image des tourbillons du feu infernal où évolue le couple. Or, le pan de roche qui se lève derrière les figures, bien plus haut qu’elles, ne se déduit pas de cet illusionnisme atmosphérique: forme abstraite, sans fonction et disproportionnée, il devient une partie intégrante de la statue, dépasse sa partie figurative et l’évince du centre. L’importance croissante du bloc ébauché s’accompagne d’une réduction progressive de l’iconographie traditionnelle. Quand ils ne sont pas supprimés, les éléments narratifs disparaissent sous la surface inachevée. Les trois versions en marbre de l’androgyne Tête de la Douleur, dont l’expression hésite entre l’agonie muette et l’abandon, en offrent un bon exemple. Dans la première des trois versions aujourd’hui localisables, le Dernier Soupir (Orphée) de 1902 (cat. 10.a), le visage encadré par la lisière des cheveux et du cou se détache d’un nuage rocheux qui, en haut à gauche, se transforme en carapace de tortue – un attribut d’Orphée. Dans la deuxième variante intitulée Jeanne d’Arc (avant 1905, cat. 10.b), la tête, désormais d’allure féminine et flanquée d’un fagot, sort d’un bloc de pierre nettement plus grand. Celui-ci, dans la dernière version, La Douleur – Souvenir à Eleonora Duse (1908-1909, cat. 10.c), s’est accru d’environ un quart. La succession des trois marbres montre non seulement l’évolution des significations de la tête, à l’aide du titre et des attributs, mais aussi la façon dont l’iconographie contextuelle perd du

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terrain au profit de la partie non figurative. Avec Puvis de Chavannes (1911-1913, cat. 20), Rodin met au point un type de portrait d’artiste inachevé et accorde ce traitement, à quelques nuances près, à Victor Hugo (cat. 22.a-b) et à Gustav Mahler, devenu Mozart (cat. 19) dans la version non finie. Tous sont de nouvelles versions monumentales en marbre de commandes de portraits, déjà anciennes pour certaines, et tous ont pour point commun une expression très différente de celle du bronze. Les traits, à peine définis dans le marbre, se noient dans un sfumato qui renforce l’impression de contemplation et de détachement. La ressemblance subsiste toujours, mais l’image temporelle est éclipsée par un idéal supra-temporel. Chez les marbres non finis de Rodin, différents stades de travail se fondent les uns dans les autres: la figuration et la description de la nature finissent dans une surface sculpturale indéterminée, non figurative. C’est l’expression de l’une des idées fondamentales dont Rodin, qui commence toujours par pétrir l’argile, offre un exemple avec les plâtres La Terre (fig. 7) et La Mort (fig. 8): la forme organique, façonnée et «animée» va surgir de la matière amorphe ou prémorphe. Traduite dans le marbre, cette matière non différenciée est la matrice de pierre brute qui va permettre aux corps ou aux membres de se concrétiser, de se métamorphoser, de passer de la non-structure à la sculpture. Le processus statuaire lui-même devient le sujet que Rodin explicite dans La Main de Dieu (cat. 9) et Pygmalion et Galatée (cat. 13), par exemple, des œuvres où l’aspiration fondamentale du sculpteur  – faire vivre la pierre morte – semble se réaliser. Sous les mains du créateur-artiste, la nature (inorganique, inanimée) de la pierre se fait art et celui-ci se transforme à son tour en nature (organique, animée). Le travail du marbre, la transformation de la matière en image, devient lui-même le sujet. Le traitement non fini permet à Rodin de réconcilier le matériau noble qui le rattache à la tradition classique, puisqu’il fait intervenir sa propre iconologie de la matière, avec sa conception moderne d’une forme susceptible de mutation. Son caractère ambivalent entre matériau final et ébauche est éminemment moderne, car ici Rodin transpose l’esthétique de ses maquettes en argile dans le sculptural: les figures semblent se construire à partir de la matière amorphe, comme si elles étaient fixées sur le seuil entre leur apparition et leur disparition. C’est justement cet emploi en apparence paradoxal du matériau classique qui est résolument novateur et moderne : Rodin réussit, et cela dans le marbre, ce matériau statique et emblématique d’un idéal classique, à représenter des formes qui oscillent entre la figure vivante et organique et la matière inanimée et inorganique. Avec «l’apparition» d’une forme individuelle se dégageant de l’amorphe, Rodin atteint de plus à la parabole du processus de création. La zone indéterminée symbolise en même temps un domaine de l’absence de forme et de la négation ou de la non-conscience (La Pensée, cat. 5; Le Sommeil, cat. 4), dans lequel retombe la figure (Mère et fille mourante, cat. 18) ou dont elle émerge (La Convalescente, cat. 15.b). L’ouverture ambivalente des parties non finies est en tant que telle ce qui constitue cette œuvre appelant un regard neuf. La zone ouverte, qui compense l’iconographie, se substitue à un contenu qui reste à définir. En effet, à partir des années 1890, la taille brute du marbre chez Rodin ne se rattache plus à un système de références figuratives. Cependant, les parties non fi-

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nies, sans être tout à fait abstraites, transmettent encore certaines informations. On devine une forme chez Mère et fille mourante (cat. 18), par exemple, qui définit le contour des corps et la masse proéminente de marbre du Victor Hugo (cat. 22.a) fait écho à la position de la main de l’écrivain dans le Monument à Victor Hugo. Néanmoins, une faille herméneutique s’ouvre, qui empêche d’interpréter sans ambiguïté la partie de la sculpture laissée indéterminée. Surtout, ce rejet de la finalité révèle un recul sceptique devant l’évidence ultime, qui se propage également aux genres voisins: en peinture, dans la disparition de la forme – anticipée de façon emblématique par le roman de Balzac, Le Chef-d’œuvre inconnu (1831), avec ce tableau dont l’objet, après d’innombrables repeints, finit par s’effacer dans un chaos coloré et abstrait, dont seul émerge un pied peint de manière illusionniste – mais aussi dans les vides laissant voir la toile blanche, par exemple chez Cézanne et Maurice Denis. Tout aussi symptomatique est la crise linguistique en littérature vers 1900, qui se manifeste dans les omissions et la déconstruction. La poésie symboliste autour de Baudelaire, de Rimbaud et de Verlaine crée un culte du vide dont l’acmé se situe dans la figure de l’absence chez Mallarmé et son idéal d’une écriture «du silence». La conséquence en est l’œuvre qui révèle le processus d’une création vouée à ne pas s’achever. État provisoire de la taille, le non finito devient définitif. Pourtant, la figure juste ébauchée qui sort de la pierre brute donne une impression de transformation potentielle et de provisoire. C’est pourquoi Rodin donne la préférence au non finito pour représenter les situations de mutation et de transition. Émerger du bloc de pierre ou s’y enfoncer illustre un stade transitoire où la forme n’est pas encore ou n’est plus clairement définie, à moins qu’elle ne puisse pas du tout l’être. Dans le même temps, le non finito va de pair avec une oblitération progressive de la partie figurative, les détails individuels se fondent dans une sorte de sfumato. Rodin parvient ainsi à représenter des états liminaux qui montrent la continuité entre devenir et disparaître et où l’on perçoit un processus vital. La transformation graduelle de la surface de marbre, du poli fin à l’ébauche grossière, montre en outre la transition progressive de la pierre minérale vers un corps organique. Par là, Rodin exploite le potentiel d’auto-réflexion de son matériau de manière inédite et ouvre la voie à une tendance de la statuaire du XXe siècle qui va travailler sciemment sur le potentiel de métamorphose des moyens picturaux. Ses passages fluides de la pierre brute à la figure élaborée ne font pas voir seulement la métamorphose de l’inorganique en organique-animé (et vice-versa), mais aussi la transformation de la nature en art. De plus, le non finito des marbres se trouve être complémentaire du principe du torse, le mode de réduction étant fonction du matériau: si des parties secondaires n’ont pas été finies ou ont été supprimées dans les torses en plâtre et en bronze de Rodin, pour insister davantage sur la figure, dans les marbres, ces éléments restent inachevés sous la surface. À étudier les habitudes d’atelier de Rodin, nous découvrons que la taille et le façonnage des parties ébauchées sont liés de façon déterminante à ses méthodes de travail, en particulier la combinaison modulaire de fragments de plâtres moulés et leur transposition dans des matériaux «finaux» par les

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assistants. Les zones indéterminées des marbres sont déjà présentes dans la maquette et dépendent de l’interprétation de celle-ci par le praticien. Contrairement aux assemblages hétérogènes de fragments servant de modèle, dans les versions en marbre, les différents éléments se fondent dans une unité compacte. Le non finito, une expérimentation sur la forme dans les premiers temps, devient bientôt un effet calculé, dont Rodin confie la réalisation à des assistants spécialisés. Rodin, ce que démontre une étude précise de ses habitudes d’exposition, soumet à l’opinion du public certains de ses œuvres fragmentaires alors qu’ils viennent tout juste d’être terminés. Il expose ses marbres non finis encore plus vite que ses torses et ses fragments de plâtre, mais il est certain que la noblesse et l’acceptabilité du matériau jouent là un rôle. Il est peu connu, par exemple, qu’il fait expédier dès 1893 trois sculptures au socle non fini, Fugit Amor, Andromède et Amour et Psyché à l’exposition internationale de Chicago. Après l’accueil favorable réservé à La Pensée (cat. 5.a) au Salon de la Société nationale des beaux-arts en 1895, Rodin montre L’Homme et sa pensée (cat. 6) au Salon de 1896 et l’envoie deux ans plus tard, avec la deuxième version de Fugit Amor (cat. 2.b), à la première exposition de la Sécession qui vient d’être fondée à Vienne ; au Salon de la S.N.B.A., en 1899, il participe avec La Terre et la Lune (cat. 7.a). En 1900, l’Exposition Rodin au Pavillon de l’Alma marque un tournant puisque Rodin y envoie, outre La Pensée, L’Homme et sa pensée, Fugit Amor et La Terre et la Lune, un grand nombre de plâtres fragmentaires et fait de ses procédés de travail le point fort de l’exposition. La majorité des marbres inachevés proposés à la vente part dans des collections privées, tandis que les musées achètent plutôt des œuvres sûres, représentatives, déjà souvent reproduites et exposées. À l’étranger, ce style nouveau est accepté plus vite qu’en France. Ces marbres remportent un succès légendaire auprès de l’importante et opulente clientèle anglaise et américaine, qui adopte le goût français contemporain. Cela dit, Rodin ne réussit pas toujours à concilier sa conception moderne de la sculpture avec les souhaits de ses clients. Ainsi, des divergences d’opinion sur le fini occasionnent de nombreuses frictions avec le brasseur danois Carl Jacobsen, collectionneur de sculptures et de peintures françaises, ainsi que d’antiquités. Jacobsen, qui avait demandé à Rodin d’apporter plus de soin au façonnage du groupe Pygmalion et Galatée (cat. 13.a), acheté à Meudon en 1907, dut attendre la livraison jusqu’au début de l’année 1910. Il regrettait que le corps de la Cariatide tombée portant sa pierre se détache mal de la pierre et fit même de la rectification de ce «défaut» la condition de sa commande d’une version en marbre. Rodin se plia aux exigences de son client et les textures des surfaces, sur l’exemplaire qu’il fit expédier à Copenhague en janvier 1908, sont nettement différenciées. Il eut également un différend avec le collectionneur anglais James Smith, qui acheta en 1903 une version en marbre de La mort d’Athènes, mais fut de toute évidence peu satisfait du bloc brut et massif. Il demanda donc à Rodin de procéder à quelques modifications. Le sculpteur rétorqua: «Je n’ai pu retirer beaucoup de la plinthe car c’est malheureusement le sujet […]» Dans la presse et les écrits sur l’art contemporains, de même, le nouveau style suscite des réactions très variées. La critique, autour de 1900, après avoir ravivé le

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débat théorique sur le non finito chez Michel-Ange, établit de nouveaux critères afin d’aborder la nouvelle interprétation qu’en donne Rodin. L’incompréhension et le scepticisme, qui réprouvent l’inachevé formel des sculptures, dominent dans un premier temps. Mais, dès 1889, le sculpteur américain Truman H. Bartlett émet un jugement qui va s’imposer: «that none knew, so well as Rodin, how to make a crude and unfinished piece of marble appear like a work of art. (personne ne savait aussi bien que Rodin donner à un marbre brut et inachevé d’apparence d’une œuvre d’art.)» Arthur Symons, écrivain anglais proche du symbolisme et critique d’art, conçoit dès 1902 l’ancrage des figures dans leur bloc brut comme un lien avec la terre et la nature: «Ce rapport à la terre, présent dans les masses de pierre non taillées dont ses plus remarquables créations de forme pure ne peuvent jamais vraiment se libérer, est le secret de sa force la plus profonde. Il relie ses créations à celles de la nature, selon un mode de croissance exceptionnel.» Son collègue Adolf von Hildebrand reprochait à Rodin son défaut de probité envers le matériau et sa recherche de l’effet artificiel. Lui-même un partisan passionné de la taille directe, il critiquait en particulier le manque d’authenticité du travail de la pierre chez Rodin : comme celui-ci ne taillait jamais directement le bloc de marbre, mais prenait le détour de l’épreuve en terre, il simulait dans le non finito un processus qui n’avait jamais eu lieu sur ce mode. Hildebrand l’accusait de ne pas comprendre les parties inachevées chez Michel-Ange et de se contenter de les imiter pour produire des effets visuels artificiels, que ne justifiait pas le processus de création. Des philosophes, écrivains et poètes tels que Georg Simmel, Rudolf Kassner et Rainer Maria Rilke estimèrent au début du XXe siècle que les marbres inachevés de Rodin étaient éminemment contemporains. Dans le transitoire du non finito, ils décelèrent l’expression juste d’un zeitgeist marqué par l’instabilité et d’une sensibilité esthétique qui avait évolué. Ils avaient en effet le sentiment d’une vie placée sous le sceau de l’incohérence, du changement perpétuel, de la perte des principes générateurs de sens et de communauté d’une vision du monde fiable ou de l’absence de religion. L’achèvement devenait alors un concept anachronique. Georg Simmel (1858-1918), en particulier, voit dans ces œuvres des symboles de l’existence moderne, soumis à des transformations incessantes, et des spécifications juste temporaires d’une énergie fluide et vivante : selon lui, Rodin place ses sculptures dans le flux du processus vital, comme si elles n’étaient que des variantes parmi d’autres états possibles, antérieurs ou ultérieurs au cours de leur évolution jusqu’à la forme individuelle. Un examen précis de la réception dans la presse et les textes contemporains sur l’art relativise le poncif selon lequel la véritable portée de l’importance de Rodin n’aurait été reconnue que dans la deuxième moitié du XXe siècle, puisqu’un grand nombre de ces écrits abordent déjà une foule d’aspects redécouverts seulement depuis les années 1960 par les spécialistes de Rodin. Les critiques vers 1900, si certains déplorent l’inachèvement et un manque d’adéquation au matériau, sont nombreux à célébrer l’animation visible de la pierre et la participation active du spectateur. Ils accordent une valeur pédagogique particulière au non finito qui permet de reconstituer le processus de travail tant cognitif que matériel. On relève des visionnaires, comme Rudolf Kassner (1873-1959) qui

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comprend le non finito des marbres comme une correspondance avec le principe du torse, et Rainer Maria Rilke (1875-1926), qui mesure l’autonomie de la sculpture à son indépendance vis-à-vis de l’environnement et de l’arrière-plan. Rilke considère le non finito comme une zone intermédiaire, une frontière entre l’œuvre et l’extérieur, qui lui concède une sphère artistique propre. Ancrées dans leur bloc, les figures de Rodin se différencient de la ronde-bosse contemporaine qui, détachée de ses liens originels avec l’architecture et les fonctions sociales, est «apatride» et sans relation avec son environnement:« les sculptures de Rodin, elles, restent dans l’intimité de leur patrie, étroitement liées à la pierre qui est leur grand, leur gigantesque passé.» Certains auteurs progressistes virent donc dans le non finito rodinien un potentiel décisif de renouvellement – même si l’on considère que la sculpture de la fin du XIXe siècle tentait toujours de procurer ce milieu solide tant attendu face à une réalité devenue précaire et imprévisible. Alors que dans d’autres disciplines, en particulier en littérature et en peinture, les artistes s’essayaient aux techniques du vague, de l’éclatement et de la décomposition, les grandes expositions de sculpture donnaient l’impression que cette discipline s’opposait au zeitgeit en présentant des œuvres sérieuses et prévisibles, relevant en majorité d’une iconographie traditionnelle incapable de tenir compte de la réalité moderne. C’est pour cette raison justement que l’œuvre de Rodin se retrouve vers 1900 au cœur d’un débat philosophique sur l’art et l’histoire, qui considère son temps comme l’époque de la fragmentation. On peut également rattacher à ce contexte les réflexions plus récentes de Günther Anders (1902-1992), sociologue et critique des médias allemand qui découvrit l’œuvre de Rodin pendant son exil parisien en 1933-1936. Selon Anders, Rodin est le dernier sculpteur de la fin du XIXe siècle dont les œuvres, à une époque de mutations fondamentales, n’ont plus de place dans la société et sont aliénées, aussi bien de la nature que de la société. Anders, par ailleurs, pense que cette absence de place justifie la fonction du fond non fini, en ce sens que Rodin fait de la «terre-mère» un lit à ses figures détachées de tout rapport à leur environnement. Dans ses marbres, Rodin donne la preuve d’une virtuosité étonnante, que pourtant il met en pièces et met en scène par le contraste avec une surface brute et non polie. Ici se fait jour un traitement des plus innovants d’un matériau traditionnel, qui est aussi la réponse de Rodin à la crise de la sculpture, en pleine stagnation face aux évolutions contemporaines de la peinture. Si celle-ci avait pris son essor avant même les années 1870, la statuaire, vouée jusque-là avant tout au portrait et au monument, avait conservé bien plus longtemps cette fonction dépassée, qui impliquait une iconographie et des modes de représentation traditionnels. Plus particulièrement, le non finito est aussi une réaction à la crise du matériau qu’est le marbre, dont le traitement par le néo-classicisme académique depuis Canova est parvenu à la perfection absolue, à l’imitation impeccable de la chair dans le marbre – et à un fini poli et sans vie. Edgar Degas et Medardo Rosso travaillaient la cire déjà dans les années 1880, Rodin le plâtre, et d’autres, notamment les «peintres-sculpteurs» Gauguin ou plus tard Picasso, se tournèrent vers le bois et la terre cuite. Chez Rodin, la surface de marbre rude devient l’antithèse du corps poli et brillant de la fi-

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gure, dont seul ce repoussoir met en valeur l’émail tendre, lui donne vie et c’est cette réfraction, justement, qui le valorise et fait son intérêt pour le spectateur moderne. Le non finito devient un concept esthétique, le signature style de Rodin, il lui permet de prouver sa virtuosité en adoptant une attitude résolument anti-classique. Il procède au renversement des valeurs esthétiques et matérielles, mais dans le cadre des conventions de l’Académie. L’esthétique de la forme inachevée et suggestive chez Rodin s’inscrit dans un style et un goût contemporains adoptés aussi, dans les années 1890, par les sculpteurs et les peintres issus des cercles de l’impressionnisme et du symbolisme. Rodin partage leur intérêt pour les processus transformatoires de la genèse et de la suppression de la forme et la comparaison des productions fait ressortir la simultanéité des tentatives pour résoudre des problèmes semblables. Le travail de Medardo Rosso (1858-1928), notamment, présente des parallèles stylistiques et thématiques. Rosso s’intéressait à l’apparition furtive et momentanée de la forme sous l’influence de la lumière. Il voyait dans la sculpture un phénomène purement visuel et atmosphérique, plutôt que tactile et spatial. Davantage que Rodin, il dévalorisa les contours et estompa la forme, qui semble être vue à travers un voile, le plus souvent, et tient moins de l’image que de l’atmosphère ou du «souvenir d’une chose vue». L’espace autour de la figure et dans lequel elle se fond visuellement est intégré dans la sculpture et visible en tant que masse amorphe. Même si Rodin traduit dans le marbre ce que Rosso exprime dans des matériaux purement plastiques comme la cire ou le plâtre, tous deux sont très proches, et par la forme, et par le contenu, par exemple quand le passage de la matière sculptée à la matière amorphe s’érige en symbole de la mort de la figure représentée. Ainsi, la tête délicate du Bambino Malato (1889-1895, pl. 15) de Rosso, dont les traits flous se distinguent à peine, s’enfonce dans la masse fissurée de cire et de plâtre au niveau de l’occiput et du cou, tandis que la Convalescente de Rodin (cat. 15.b) se dissout dans la pierre. Chez Rosso, c’est une forme fluidifiée ou éthérée qui disparaît, tandis que chez Rodin elle retourne dans la matière en friche. Le sculpteur suisse James Vibert (1872-1942), aujourd’hui à peu près tombé dans l’oubli, travailla à Paris dans les années 1890 et commença lui aussi, presque au même moment que Rodin, à établir un lien entre les surfaces transformables et des sujets allégoriques et symboliques. Dans sa Vita in Morte (fig. 21), plus nettement encore que chez Rodin, la figure surgie de la matière devient un symbole. Si l’on quitte la sculpture, les analogies avec le style du non finito se retrouvent dans la peinture et la vision pittoresque du XIXe siècle finissant. La comparaison avec l’œuvre du peintre symboliste Eugène Carrière (1849-1906) est des plus fécondes. Son style et ses motifs influencèrent Rodin, dont il était très proche comme artiste et comme ami. Depuis leur première rencontre ils se sentaient unis par la parenté de leur conception de l’esthétique et, à partir de la fin des années 1880, ils échangèrent sans cesse des œuvres. Les portraits et les scènes intimes presque tous monochromes de Carrière se caractérisent par ce que Guillaume Apollinaire appelait son «idéal brumeux»: un sfumato où la figure noyée sous un léger voile de brume se détache sur un fond diffus. À l’instar de tant des corps détachés par Rodin de leur gangue brute, les figures de Carrière ne prennent vie qu’en

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des points caractéristiques, comme le visage ou les mains, elles existent dans un «monde intermédiaire» de l’absence, comme en transe, et semblent menacées, comme les personnages de Rodin, de disparaître de nouveau. La comparaison entre la Mère et fille mourante (cat. 18) de Rodin et la Mère et enfant (1891, fig. 24) de Carrière, tableau qui appartenait au sculpteur, en offre un exemple frappant. Dans les deux cas, l’accent est mis sur les visages et les mains que leur éclairage détache d’un fond obscur. Les formes douces et polies soulignent la relation intime entre la mère et l’enfant, qui s’exprime chez Rodin par leur fusion dans le bloc de marbre. L’étude de la réception artistique du non finito à partir des années 1890 révèle qu’il a constitué un répertoire très apprécié et copié inlassablement par les collaborateurs, les élèves et les collègues de Rodin. Ainsi, le marbre intitulé Le Sommeil (cat. 4.a  – 4.c) inaugure une série d’œuvres allant de La Dormeuse (vers 1900, pl. 13) de Max Klinger et du Sommeil de Wilhelm Lehmbruck (1907, fig. 31) au Sommeil (1908, fig. 33) de Constantin Brancusi. Toutes sont des variations sur le thème de la muse endormie. L’engloutissement supposé de la figure dans le bloc illustre le glissement progressif dans l’état d’absence et d’inconscience du sommeil. Alors que le relief en marbre de Klinger, qui en réalisa trois versions entre 1900 et 1904, et le plâtre de Lehmbruck de 1907 (le marbre d’après ce plâtre est perdu) présentent encore de fortes analogies de style et de motif avec Le Sommeil de Rodin, le marbre de Brancusi, exécuté après sa rupture avec Rodin en 1908, affirme en dépit de sa surface ouverte une forme fermée vers l’extérieur, qui annonce déjà le principe géométrique de l’ovale. Le traitement des transitions est fondamentalement différent de celui de Rodin, chez qui les encoches gracieuses du grattoir à dents rendent les ondulations de la chevelure. Chez Brancusi, le visage isolé est encadré par une couronne, une sorte d’auréole, de marques dures et parallèles du grattoir à dents, qui ne présentent pas de références figuratives. L’artificiel pénètre ici de façon plus décisive dans l’organique. Ailleurs, les appropriations artistiques vont des emprunts stériles à des modes plus individuels de perfectionnement, de transposition et de démarcation, ainsi chez Alexandre Archipenko (fig. 52), Bernhard Hoetger (fig. 53) ou Henry Moore (fig. 54). De nombreux jeunes sculpteurs, adeptes de la taille directe, critiquèrent l’exécution impersonnelle des marbres de Rodin et en particulier le non finito, produit comme dans une manufacture et qui tente de faire croire à un travail interrompu. Il s’avère par ailleurs que chez nombre des artistes qui s’approprient d’une manière ou d’une autre le traitement rodinien du marbre, cette confrontation prend place dans l’œuvre de jeunesse et reste dans la majeure partie des cas un épisode expérimental, en général vite dépassé et délaissé au profit d’un répertoire original. Si les torses et les assemblages de Rodin devinrent un point de référence pour toute une génération de sculpteurs, le non finito des marbres, du point de vue formel, resta sans descendance durable ou notable et tomba peu à peu dans l’oubli, comme une quantité négligeable. Il proposait certes des passerelles vers la sculpture moderne, mais un faible potentiel d’évolution. Si l’on quitte le domaine étroit de la continuité purement formelle, le concept a pourtant fait souche de façon spectaculaire. Les impulsions les plus importantes, dont l’effet se sent aujourd’hui encore, partirent de l’énergie transformatoire du non fini-

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to, de l’esthétique du provisoire et du dévoilement d’un processus de travail inachevé en apparence. En fin de compte, l’œuvre d’Auguste Rodin marque la transition entre la forme sculpturale fermée et la révélation du processus propre à l’art moderne. En lieu et place de l’œuvre formellement achevée, au sujet précis, apparaissent des formes et des messages détenant un potentiel de transformation, et une structure ouverte qui dévoile le processus créatif. À première vue, les marbres de Rodin sont en contradiction avec le principe de la forme susceptible de mutation qui lui était si cher. En effet, la succession et la juxtaposition continue de différents états dans des matières variées, qui est typique de sa statuaire, se conclut avec la taille de la pierre – un geste d’achèvement. C’est justement pour cette raison que les sculptures en marbre, matériau classique et garant absolu d’éternité, occupent une place particulière dans l’œuvre de Rodin. Leur conception inachevée est ce qui fait intervenir l’aspect processif, y compris dans le matériau qu’est la pierre: d’une part comme procédé de fabrication et de réception, d’autre part comme thème et motif. Avec l’œuvre de Rodin, et c’est essentiel, le point focal se déplace de la sculpture formellement achevée vers le processus de sa genèse et son potentiel de transformation. Les normes de fermeture et d’univocité cèdent la place à un nouveau dynamisme des formes et des messages. Un concept traditionnel d’œuvre se voulant définitive ne peut pas vraiment rendre justice aux maquettes de plâtre de Rodin sans cesse modifiées, fragmentées et re-combinées, dont sont issus les bronzes et les marbres. Ces œuvres sont moins des aboutissements que les stations d’un processus créateur continu. Les sculptures en marbre, ce matériau garant de finalité et d’une longue tradition classique, méritent donc une place à part. Cette étude s’est penchée sur le non finito chez Rodin en tant que topos de l’art moderne naissant. Nous n’avons jamais perdu de vue les risques que comportent une perception épurée et une focalisation unilatérale sur des critères formels. Car même si les surfaces non figuratives de Rodin constituent une césure importante pour la sculpture moderne, ses marbres  – marqués par la virtuosité du travail, l’émotion et la sensualité – sont encore profondément enracinés dans le XIXe siècle. L’artiste réunit en eux des éléments qui s’opposent: réalisme et flou symboliste, figuration et abstraction, matériau noble et taille rudimentaire, lourdeur de la matière qu’est la pierre et figures éthérées qui se volatilisent. Replacés dans le contexte de leur époque, les marbres présentent des antinomies encore plus nettes. Le non finito de Rodin, phénomène intermédiaire entre tradition et modernisme, est en soi des plus contradictoires: d’une part comme moyen stylistique formel et esthétique de l’artiste que lassent peu à peu les messages narratifs; d’autre part, il est aussi un impératif iconographique entremêlé d’un vestige de mysticisme et d’indicible, enraciné dans le symbolisme et vecteur de significations que la forme achevée ne serait pas en mesure d’expliciter. Le message et la métaphore s’affirment avec opiniâtreté – par exemple dans les figures mythologiques – et ne sont pas seulement extériorité: Galatée et Eurydice sont les personnages du «devenir», qui viennent au monde et prennent vie, Pygmalion et Orphée sont les artistes qui leur donnent vie et les métamorphosent. Les travaux de Rodin – n’importe le médium – restent fi-

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dèles au principe de la représentation, malgré des dispositions à l’abstrait ou à l’autoréférence et, jusqu’au bout, se rapportent à une réalité extérieure. Certes, ils sont les précurseurs d’une sculpture qui n’est plus absolument certaine de son objet, qui voit sa substance lui échapper, mais pour autant n’abandonne jamais son ancrage dans le figuratif. Sa position dans l’histoire ne permet pas encore à Rodin de passer à l’abstraction. Il continue à adhérer à la nature et à la figure humaine, même s’il les détache progressivement de leurs limites. En désaccouplant l’achèvement artistique et l’achèvement artisanal, Rodin définit un nouveau finito qui annonce l’indéterminé et l’ouverture. Traduction: Virginie de Bermond-Gettle

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Taf. 1: Auguste Rodin: Orpheus and Eurydice, 1893, New York, The Metropolitan Museum of Art

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Taf. 2: Auguste Rodin: Fugit Amor, vor 1891, Paris, Musée Rodin

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Taf. 3: Auguste Rodin: Fugit Amor, 1910-1916, Paris, Musée Rodin

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Taf. 4: Auguste Rodin: La Pensée, 1893-1895, Paris, Musée d’Orsay

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Taf. 5: Auguste Rodin: L’Homme et sa pensée, 1896, Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie

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Taf. 6: Auguste Rodin: Pygmalion et Galatée, vor 1906, Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek

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Taf. 7: Auguste Rodin: Jeanne d’Arc, vor 1905, Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek

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Taf. 8: Auguste Rodin: La Main de Dieu, 1916-17, Providence, Museum of Art, Rhode Island School of Design

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Taf. 9: Georg Kolbe: Sitzendes Mädchen, 1904, Berlin, Georg-Kolbe-Museum

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Taf. 10: Auguste Rodin: Mère et fille mourante, 1910, Paris, Musée Rodin

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Taf. 11: Claude Monet: Camille sur son lit de mort, 1879, Paris, Musée d’Orsay

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Taf. 12: Auguste Rodin: Le Sommeil, 1894, Paris, Musée Rodin

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Taf. 13: Max Klinger: Schlafende, um 1900, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturensammlung

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Taf. 14: Auguste Rodin: Madame Fenaille, la tête appuyée sur la main, 1912-13, Paris, Musée Rodin

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Taf. 15: Medardo Rosso: Bambino malato (Sick Child), 1889-95, Dallas, Raymond and Patsy Nasher Collection, Nasher Sculpture Center

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Taf. 16: Auguste Rodin: Puvis de Chavannes, 1911-13, Paris, Musée Rodin

Katalog Anmerkung zum Katalog: Der Katalog ist chronologisch angelegt. Maßgeblich ist die erste Marmorfassung eines Motivs. Verschiedene Marmorfassungen eines Motivs sind unter einer Katalognummer erfasst und mit a, b, c usw. bezeichnet. Die Auflistung der Vorstudien, Varianten in anderen Materialien und frühen Fotografien ist lediglich eine Auswahl und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Literaturangaben sind nicht nach Fassungen unterschieden, sondern gesammelt am Ende einer Katalognummer angegeben. Verzeichnet sind wichtige Referenzen und Abbildungen, in Ausnahmefällen auch zu Varianten in anderen Materialien, falls diese relevante Informationen beinhalten.

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1. Galatée

1.1 1888 Marmor, 60,8 x 40,6 x 39,5 cm Sign.: A. RODIN Praticien: ? Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1110

Provenienz vor 1889 erworben durch Eugenia Errazuriz 1942 Vermächtnis Dr. Faure an die Stadt Aix-les-Bains 1948 an Musée Rodin im Austausch gegen Bronzen

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Ausstellungen 1889 1962 1984 1987 2001 2005/06 2009 2012

Claude Monet – Auguste Rodin. Galerie Georges Petit, Paris, Kat. Nr. 16 Rodin inconnu. Musée du Louvre, Paris, Kat. Nr. 145 Camille Claudel. Musée Rodin, Paris Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 59 Rodin et l’Italie. Académie de France à Rome, Kat. Nr. 42 Camille Claudel et Rodin. La rencontre de deux destins / Camille Claudel and Rodin. Fateful Encounter. Musée National des Beaux-Arts, Quebec; Detroit Institute of Arts; Fondation Pierre Gianadda, Martigny, Kat. Nr. 150 Rodin y la mitología simbolista. Fundación La Caixa, Málaga, Kat. Nr. 83 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 12

Gipsmodell

Abb. 1.2: Gips, 39,5 x 27,7 x 22,2 cm, Musée Rodin, Inv. S. 2434

Literatur Paris 1900, S. 14; Paris 1962, Kat. Nr. 145; Jianou/Goldscheider 1967, S. 109; Tancock 1976, S. 222-224; De Caso/Sanders 1977, S. 103; Rosenfeld 1981, S. 101; Barbier 1987, Kat. Nr. 59; Beausire 1988, S. 104; Rosenfeld 1993, Kat. Nr. 44, S. 433-436; Rom 2001, Kat.  Nr.  42, S.  56-57; Quebec/Detroit/Martigny 2005, Kat.  Nr.  150, S.  93-99, 363; Le Normand-Romain 2007, Bd. I, S. 377; Paris 2012 – Marbre, Kat. Nr. 12, Abb. S. 96; Le Normand-Romain 2013, S. 76-77; Magnien 2014, Abb. S. 62

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2. Fugit Amor 2.a

2.1 Vor 1891 Marmor, 51 x 72 x 38 cm Sign.: A. Rodin Praticien: ? Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1154

Provenienz 1892 Bestellung durch Joanny Peytel, Zahlung 1894 1963 von Peytels Erben erworben durch Musée Rodin

Ausstellungen 1893 1946 1987 2006 2012

World’s Columbian Exposition/The Chicago World’s Fair, „Foreign Works From Private Galleries in the United States“. Fine Arts Building, Chicago, Kat. Nr. 124, „Sphinx“ (dieses Exemplar?) Rodin. Galerie Jean de Ruaz, Paris Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 45 Auguste Rodin – Eugène Carrière. Musée National d’Art Occidental, Tokio; Musée d’Orsay, Paris, Kat. Nr. 63 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 18

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2.b

2.2 Vor 1895 Marmor, 55 x 87,6 x 56 cm Sign.: A. RODIN Praticien: ? Shizuoka, Prefectural Museum of Art

Provenienz 1902 1957 1990

Auktion Aug. Boutin, Paris, 27.5.1902, Nr. 76, erworben durch Oscar Schmitz, Dresden, dort mind. bis 1932 Wildenstein & Cie., Paris/London Arcade Gallery, London Privatbesitz, Belgien Christie’s London, Impressionist and Modern Paintings and Sculpture, 2.4.1990, Nr. 10

Ausstellungen 1897 1898 1900 1932 1957 2001

Erste Internationale Kunstausstellung. Städtischer Ausstellungspalast am Großen Garten, Dresden, Kat. Nr. 1164 („Die Sphinx, Marmor“) I. Kunst-Ausstellung der Secession. Gebäude der Gartenbaugesellschaft, Wien, Kat. Nr. 508 („Sphinx“) Exposition Rodin. Pavillon de l’Alma, Paris, Kat. Nr. 94 Sammlung Oscar Schmitz, Dresden – Zürich. Französische Impressionisten aus verschiedenem Besitz. Kunsthalle Zürich Arcade Gallery, London Rodin en 1900. L’exposition de l’Alma. Musée du Luxembourg, Paris, Kat. Nr. 58

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Frühe Fotografien

Abb. 2.3: publ. in: 1. Internationale Kunst-Ausstellung, Foto-Album, Dresden 1897, S. 13 (Detail)

Abb. 2.4: Eugène Druet; publ. in: Marx 1897, S. 191 („Strand und Woge“)

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Abb. 2.5: publ. in: Paris 1900, o. S.

Abb. 2.6: Eugène Druet; publ. in: Kahn 1906, S. 23; Kahn 1909, S. 21

Varianten in anderen Materialien Zwei unterschiedliche Gipsabgüsse, Musée Rodin: Inv. S. 3000 (rechteckig beschnittene Basis) Inv. S. 2999 (beschnittener und neu überformter Sockelblock) Mind. 6 Bronzegüsse, zwei davon postum, jeweils mit unterschiedlich reduziertem Sockel

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2.c Vor 1900 (?) Marmor, 35 x 85 x 35 cm Praticien: ? Privatbesitz

Provenienz vor 1913 erworben durch Albert Kahn

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2.d

2.7 Ca. 1906-1908 (?) Marmor, 43,5 x 53 x 28 cm Sign.: Rodin Praticien: ? Mexiko-Stadt, Museo Soumaya, Fundación Carso

Provenienz ca. 1906-1908 Geschenk Rodins an Sir John Lavery, R.A., London Miss J. Donelly, Dublin 1981 Sotheby Parke Bernet London, Impressionist and Modern Paintings and Sculpture, 1.7.1981, Nr. 15 (nicht verkauft?) 1983 Sotheby’s London, Impressionist, Modern and Contemporary Paintings and Sculpture, 23.3.1983, Nr. 22 (nicht verkauft?) 1994 Christie’s London, Impressionist and Modern Paintings, Watercolours and Sculpture, Part I, 28.11.1994, Nr. 4 1998 Sotheby’s New York, Impressionist and Modern Art, Part II, 17.11.1998, Nr. 207, S. 13 (nicht verkauft)

Ausstellungen 2008

The Age of Rodin/La Era de Rodin. La colección de Museo Soumaya de México y obras de Museo de Arte de Ponce, Puerto Rico. Museo de Arte Moderno de Bogotá, Kat. Nr. 8

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2.e

2.8 1910-1916 Marmor, 62 x 105 x 43,3 cm n. bez. Praticien: ? Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1396

Provenienz 1916 Donation Rodin („La Sphinge“)

Ausstellungen 1985/86 1987 1988 1994 1996 1999 2000 2001

Rodin. Nagoya, Himeji, Kure, Tokyo, Yagamata, Kagoshima u.a., Kat. Nr. 10 Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 46 Auguste Rodin. Millesgarden, Stockholm, Kat. Nr. 5 Marbres de Rodin. Collection du Musée Rodin. Shizuoka Prefectural Museum of Art, Kat. Nr. 13 Auguste Rodin i la seva relació amb Espanya. La Lonja/Museo Pablo Gargallo, Saragossa; Fundació la Caixa, Palma, Kat. Nr. 30 An Epic of Love and Passion. Rodin and The Gates of Hell. Rodin Gallery, Seoul, Kat. Nr. 25 Auguste Rodin. Museo de Bellas Artes de Sevilla; Sala Municipal d’Exposicions l’Almodí, Valencia; Museo de Bellas Artes de Bilbao, Kat. Nr. 95 Rodin et l’Italie. Académie de France à Rome, Kat. Nr. 108 Auguste Rodin. A Porta do Inferno. Pinacoteca do Estado de São Paulo, n. n.

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2004 2006 2008 2009 2010 2012

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Rodin et gli scrittori – Rodin et les écrivains. Dante, Balzac, Hugo, Baudelaire. Centro Saint-Bénin, Aosta, Kat. Nr. 10 Auguste Rodin – Eugène Carrière. Musée National d’Art Occidental, Tokio; Musée d’Orsay, Paris, Kat. Nr. 64 Rodin. El cuerpo desnudo. Fundación Mapfre, Madrid, Kat. Nr. 13E Rodin érotique. Fondation Pierre Gianadda, Martigny, Kat. Nr. 83 Retrospective Rodin. Seoul Museum of Art, Kat. Nr. 49 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 56

Gipsmodelle

Abb. 2.9: versch. Gipse, Musée Rodin, Inv. S. 61 Inv. S. 2891, Inv. S. 3227, Inv. S. 2181

Literatur Bourget 1891, S. 273-275; World’s Columbian Exposition 1893. Official Catalogue. Part X: Fine Art. Painting, Sculpture, Architecture, Decoration. Chicago 1893, S. 55; Offizieller Katalog der Internationalen Kunst-Ausstellung Dresden 1897, Kat. Nr. 1164, S. 77; Paris 1900, Kat. Nr. 94, S. 23, Abb. o.S.; Clemen 1905, S. 299; Lawton 1906, S. 219; Bénédite 1922, Kat. Nr. 44, 61; Bénédite 1926a, S. 38, Tafel LVIII (B); Grappe 1944, Kat. Nr. 174, Abb. S. 63; Cladel 1948, Abb. 44; Elsen 1963, S. 61; Steinberg 1972, S. 341-342, 355; Elsen 1980, Abb. 32, S. 168; Barbier 1987, Kat. Nr. 45, 46, S. 112-115; Rosenfeld 1993, S. 72-75; Kat. Nr. 48, S. 447-453; Shizuoka 1994, Kat. Nr. 13, S. 137-138; Paris 2001 – Alma, Kat. Nr. 71; Rom 2011, Kat. Nr. 108; Tokio/Paris 2006, Kat. Nr. 63, 64; Hamburg/ Dresden 2006, S.  159; München/ Essen 2006, S.  86-87; Le Normand-Romain 2007, Bd. I, S.  380-383; Paris 2012 – Marbre, Kat.  Nr.  18, 56; Le Normand-Romain 2013, S. 236-238

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3. Orphée et Eurydice sortant de l’enfer

3.1 1893 Marmor, 127 x 76,2 x 71 cm Sign. u. dat.: A. Rodin 1893 Praticien: Jean Escoula New York, Metropolitan Museum of Art, acc. no. 10.63.2

Provenienz 1892 1910

Bestellung durch Charles Tyson Yerkes, bezahlt 1893, geliefert Anfang 1894 erworben durch Thomas F. Ryan (American Art Association, Sale of the Charles T. Yerkes Collection, 22.1.1910), Schenkung an Metropolitan Museum of Art, New York

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Ausstellungen 1970 1981 1986

Rodin. Sculpture and Drawings. Hayward Gallery, London, Kat. Nr. 77 Rodin rediscovered. National Gallery of Art, Washington, D.C., Kat. Nr. 152 La sculpture française au XIXe siècle. Galeries nationales du Grand Palais, Paris, Kat. Nr. 36 1991/92 Rodin. Eros und Kreativität. Kunsthalle Bremen; Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Kat. Nr. 29 1996 Rodin. Eros und Leidenschaft. Kunsthistorisches Museum Wien im Palais Harrach, Wien, Kat. Nr. 59

Frühe Fotografien

Abb. 3.2: D. Freuler, um 1893, Inv. Ph. 367

Abb. 3.3: D. Freuler, um 1893, Inv. Ph. 399

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Gipsmodell, Quellen

Abb. 3.4: Gips, vor 1887 (Fotografie: E. Freuler, Inv. Ph. 366)

Abb. 3.5: Revue Illustrée, 15.7.1889

Abb. 3.6: Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal. Paris 1857. Originalausgabe mit eigenhändigen Federzeichnungen Auguste Rodins von 1887/88, Seite 14

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Literatur Maillard 1899, S.  148; Lawton 1906, S.  219-220; Breck 1912, S.  18; Ludovici 1926, S. 147; Frisch/Shipley 1939, S. 425; Grappe 1944, Kat. Nr. 261, S. 89; Descharnes/Chabrun 1967, Abb. S. 203; Jianou/Goldscheider 1967, Abb. Nr. 30; London 1970, Kat. Nr. 77; Thorson 1975, S. 86-88; Paris 1976, S.  31; Elsen 1980, Kat.  Nr.  101-102, S.  179-180; Rosenfeld 1981, S. 96-98; Paris 1986, Kat. Nr. 36, S. 99-101; Beausire 1988, S. 121; Correspondance I, S. 143-144; II, S. 205; Bremen/Düsseldorf 1991, Nr. 29; Vincent 1991, Nr. 9, S. 12, 24; Butler 1993, S. 271, 400, 408, 414; Abb. S. 401; Grunfeld 1993, S. 383384; Rosenfeld 1993, S. 77-83; Kat. Nr. 54, S. 475-479; Wien 1996, Kat. Nr. 59, S. 222223; Florenz/Philadelphia 1996, S. 163, Abb. S. 162; Clark 1997, S. 254; Tahinci 2002a, S. 219f.; München/Essen 2006, Abb. Nr. 83, S. 132; Le Normand-Romain 2007, Bd. II, S.  503-506; Paris 2007 – Photographie, Abb. S.  66; Barryte/Tarbell 2011, S.  317; Paris 2012 – Marbre, Abb. S. 12, 76; Le Normand-Romain 2013, S. 225-227

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4. Le Sommeil 4.a

4.1 1894 (?) Marmor, 48,4 x 56 x 47,5 cm n. bez. Praticien: ? Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1004

Provenienz 1916 Donation Rodin

Ausstellungen 1987 2000

Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 35 Auguste Rodin. Museo de Bellas Artes de Sevilla; Sala Municipal d’Exposicions l’Almodí, Valencia; Museo de Bellas Artes de Bilbao, Kat. Nr. 105 2001/02 Paris Barcelone. De Gaudí à Miró. Galeries nationales du Grand Palais, Paris; Museu Picasso, Barcelona, n.n. 2006/07 Rodin, noir et blanc. Chefs-d’œuvre du musée Rodin. Iwate Museum of Art; Shimonoseki City Art Museum; Shizuoka Prefectural Museum of Art; Hyogo Prefectural Museum of Art, Kat. Nr. 68

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Frühe Fotografien

Abb. 4.2: François Vizzavona, nach 1900?, publ. in Gsell 1919, S. 52

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4.b

4.3 1911-1912 Marmor (leicht rosa), 48,9 x 58,8 x 44,5 cm Sign. u. bez.: A. Rodin A ma muse Praticien: Victor Peter Privatbesitz

Provenienz Comte de St. Simon, Paris 1951 Galerie Charpentier, Paris, Tableaux anciens, objets d’art d’Extrême-Orient, objets d’art et de bel ameublement principalement du XVIIIè siècle, 7.12.1951, Nr. 124; erworben durch Comte de Bragelongne, Paris World House Galleries, New York (?) 1980 erworben durch Lorraine Pritzker 2001 Sotheby’s New York, Impressionist and Modern Art, Part I, 10.5.2001, Nr. 211

Ausstellungen 1963

Rodin, Museum of Modern Art, New York; California Palace of the Legion of Honor, San Francisco, Kat. Nr. 25/26

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4.c

4.4 1912-1913 Marmor, 46 x 60 x 60 cm Sign. u. bez.: Rodin. A ma muse Praticien: Victor Peter Privatbesitz, London

Provenienz Geschenk Rodins an Duchesse Claire de Choiseul 1918 Verkauf durch Galerie Georges Petit, Paris, 5.12.1918, an Comte de Saint-Léon, Paris Claire Gérard, Paris 1934 erworben durch Jean Schmit, Paris 1978 Ader Picard Tajan, Paris, Collection de Mr B... et à divers amateurs. Tableaux modernes, 13.12.1978, Nr. 29; erworben durch Feingarten c/o Johnson Associates, Inglewood, USA 1997 Christie’s London, Impressionist and Modern Paintings, Watercolours and Sculpture, Part I, 23.6.1997, Nr. 23A; erworben durch Ivor Braka, London

Ausstellungen 1951

Rodin, Galerie Ruaz, Paris

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Frühe Fotografien

Abb. 4.5: Cl. Lémery (?): Hôtel Biron; publ. in: Coquiot 1917, nach S. 32

Modelle

Abb. 4.6: Terrakotta, Gips, Werg, Wachs, Zeitungspapier, Nägel, 46 x 47 x 39,5 cm, Musée Rodin, Inv. S. 1829

Abb. 4.7: Gips, 40,2 x 41,8 x 30,2 cm, Musée Rodin, Inv. S. 1822

Zwei weitere Gipse, Musée Rodin, Inv. S. 1864, Inv. S. 2128

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Literatur Bénédite 1922, Kat. Nr. 24, Abb.; Frisch/Shipley 1939, S. 425; Grappe 1944, Kat. Nr. 235; Elsen 1963, Abb. S. 135; Descharnes/Chabrun 1967, Abb. S. 224; Rosenfeld 1981, S. 84; Bantens 1983, S. 82; Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 309-310; London 1986, Kat. Nr. 15, S. 56, Abb. Nr. 106 (Gips); Barbier 1987, Kat. Nr. 35; Guillot 1988, S. 207-208; Rosenfeld 1993, S.  113; Constantin Brancusi 1876-1957. Ausst.-Kat. Centre Georges Pompidou, Paris 1995, S. 12, 94; Becker 1998, S. 64-65; Paris Barcelone. De Gaudí à Miró. Ausst.-Kat. Galeries nationales du Grand Palais, Paris; Museu Picasso, Barcelona 2001, S.  248-249, 251; Becker 2002, S. 163f.; Temkin 2002, S. 11-18; Elsen 2003, Abb. 592, S. 644; A168, S. 646; Hamburg/Dresden 2006, S. 159; Barryte/Tarbell 2011, Abb. S. 126

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5. La Pensée 5.a

5.1 1893-1895 Marmor, 74,2 x 43,3 x 46 cm Sign.: A. Rodin Praticien: Victor Peter Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1003 / Musée d’Orsay, RF 4065

Provenienz 1896 1902 1917 1986

erworben bei Rodin durch G. Durand von Witwe Durands an Musée du Luxembourg übergeben Musée Rodin Musée d’Orsay

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Ausstellungen 1895 1900 1963

Société Nationale des Beaux-Arts. Palais des Beaux-Arts, Paris, Kat. Nr. 100 Exposition Rodin. Pavillon de l’Alma, Paris, Kat. Nr. 96 Rodin. Museum of Modern Art, New York; California Palace of the Legion of Honor, San Francisco, Kat. Nr. 21 1966 Rodin. Musée National d’Art Occidental, Tokio; Musée de la ville, Kyoto; Centre culturel de la préfecture, Fukuoka, Kat. Nr. 51 1988/89 L’Âge mûr de Camille Claudel. Musée d’Orsay, Paris; Musée des Beaux-Arts, Lyon, Kat. Nr. 10 2001 Rodin en 1900. L’exposition de l’Alma. Musée du Luxembourg, Paris, Kat. Nr. 72 2005/06 Camille Claudel et Rodin. La rencontre de deux destins. Fondation Pierre Gianadda, Martigny, Kat. Nr. 162 2012 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 19

Frühe Fotografien

Abb. 5.2: Eugène Druet, Inv. Ph. 638; publ. in: Quentin 1898, S. 321; La Plume 1900, S. 344; Rilke 1913, Abb. 16; ähnl. in: Dircks 1904, Abb. nach S. 30

Abb. 5.3: Eugène Druet, Inv. Ph. 639; publ. in: Kahn 1906, S. 26; Kahn 1909, S. 51

292

Abb. 5.4: Jacques-Ernest Bulloz, Inv. Ph. 635; publ. in: Lawton 1906, nach S. 86; Rilke 1907b, nach S. 86; Rodin/Gsell 1911, S. 203

KATALOG

Abb. 5.5: publ. in: Cladel 1908, nach S. 26; Grautoff 1908, S. 33

Varianten in anderen Materialien Zwei Gipsabgüsse nach dem Pariser Marmor, Musée Rodin, Inv. S. 2837; Inv. S. 3145 mit reduziertem Block Bronzeguss nach dem zweiten (reduzierten) Gipsabguss, 1896, Philadelphia, Rodin Museum

293

KATALOG

5.b

5.6 1901 Marmor, 74 x 43,4 x 46,1 cm n. bez. Praticiens: Raynaud, Durand Philadelphia, The Philadelphia Museum of Art, John G. Johnson Collection, Cat. 1148

Provenienz 1901 1917 1933

erworben bei Rodin durch John G. Johnson, Philadelphia (über Alexander Harrison), Lieferung im Juli Nachlass John G. Johnson an die Stadt Philadelphia Philadelphia Museum of Art

Ausstellungen 2005/06 Camille Claudel and Rodin. Fateful Encounter. Musée National des Beaux-Arts, Quebec; Detroit Institute of Arts, Kat. Nr. 163

294

KATALOG

Modelle

Abb. 5.7: Camille aux cheveux courts, 1882?, Gips, 27,5 x 21,5 x 21,5 cm, Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1776

Abb. 5.9: Der Gedanke (Die Höhe), 1889, Terrakotta, 35,5 x 30 x 25 cm, Leipzig, Museum der bildenden Künste, Inv.-Nr. P 254

Abb. 5.8: Camille au bonnet, Terrakotta, 25,7 x 15 x 17,7 cm, Paris, Musée Rodin, Inv. S. 208

KATALOG

295

Literatur Philippe Gille, in: Le Figaro, 24. April 1895; Gustave Geffroy: „Le Salon au Champ de Mars“, Suppl. du Le Journal, Mai 1895, Abb. ; Maillard 1899, S. 134, 148, Abb. Frontispiz; Meier-Graefe 1904, S. 285; Kassner 1900, S. 100-101; Paris 1900, Kat. Nr. 96, S. 24; Giovanni Cena: Artisti Moderni – Auguste Rodin, Rom 1901, Abb. S. 17; Revue universelle, 17.8.1901, S. 772; Rilke 1903, S. 40; V. Pica: „Rodin à l’étranger. Rodin en Italie“, in: Les Maîtres artistes, Nr. 8, 15.10.1903, S. 293-295; Lawton 1906, S. 86-87; L. Roger-Milès: „Rodin“, in: Le Figaro illustré, Nr. 192, März 1906, S. 72; Rilke 1907b, S. 40, 89; Rodin/ Gsell 1911, S. 211-212; L’Art et les Artistes 1914, S. 64; Bénédite 1922, Kat. Nr. 78; Ludovici 1926, S. 71, 147; Blanche 1931, S. 361; Grappe 1944, Kat. Nr. 165, Abb. S. 58; Gantner 1953, S. 51; Elsen 1963, S. 115-116; London 1970, Kat. 66, S. 71 (Gipsabguss); Tancock 1976, Kat. Nr. 108, S. 589-594; Berlin 1979, S. 131-132; Rosenfeld 1981, S. 101; Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 197, 314-315; Barbier 1987, Kat. Nr. 36; Butler 1993, S.193, 197, 444; Abb. S. 196; Rosenfeld 1993, S. 492-497; Philadelphia Museum of Art. Handbook of the Collections, Philadelphia 1995, S. 201; Herwig Guratzsch (Hrsg.): Museum der Bildenden Künste Leipzig. Katalog der Bildwerke. Köln 1999, Kat.  Nr.  710, S. 275; Rosenfeld 2001, S. 162f.; Paris 2001 – Alma, Kat. Nr. 72, S. 198; Becker 2002, S. 164f.; Nogent-sur-Seine 2003, Kat. Nr. 38, S. 44; Duisburg 2005, S. 22, Kat. Nr. 23 (Gipsabguss); Quebec/Detroit/Martigny 2005, S.  224-228, 364; Le Normand-Romain 2007, Bd. I, S. 265; Paris 2007 – Photographie, Abb. S. 61, 103; Paris 2012 – Marbre, Kat. Nr. 19; Le Normand-Romain 2013, S. 296-301; Viéville 2014, Abb. S. 111; Magnien 2014, Abb. S. 116

296

KATALOG

6. L’Homme et sa pensée

6.1 1896 Marmor, 77 x 46 x 55 cm n. bez. Praticien: ? Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie, Inv.-Nr. B I 158

Provenienz 1900 1901

erworben durch Felix Koenigs, Berlin Vermächtnis Felix Koenigs

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297

Ausstellungen 1896

Salon de la Societé Nationale des Beaux-Arts. Palais des Beaux-Arts, Paris (außer Kat.) 1898 I. Kunst-Ausstellung der Secession. Gebäude der Gartenbaugesellschaft, Wien, Kat. Nr. 506 1900 Exposition Rodin. Pavillon de l’Alma, Paris, Kat. Nr. 72 1901 Ausstellung der Sammlung Felix Koenigs. National-Galerie, Berlin, Kat. Nr. 14 1979 Auguste Rodin. Plastik, Zeichnungen, Graphik. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Berlin, Kat. Nr. 54 1991/92 Rodin. Eros und Kreativität. Kunsthalle Bremen; Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Kat. Nr. 4 2001 Rodin en 1900. L’exposition de l’Alma. Musée du Luxembourg, Paris, Kat. Nr. 54 2007 Frankreich in der Nationalgalerie. Courbet, Manet, Cézanne, Renoir, Rodin. Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie, Kat. Nr. 46

Frühe Fotografien

Abb. 6.2: publ. in: Katalog der Königlichen National-Galerie zu Berlin, Verzeichnis der Gemälde und Skulpturen, Berlin 1908, Nr. 135

Abb. 6.3: D. Freuler, Musée Rodin, Inv. Ph. 3144

298

KATALOG

Gipsmodelle

Abb. 6.4: Gips, 29,5 x 22,6 x 18 cm, Musée Rodin, Inv. S. 2031

Abb. 6.5: Punktiergips, 33 x 34 x 28 cm, Musée Rodin, Inv. S. 618

Varianten in anderen Materialien Zwei Gipsabgüsse, 1900, Musée Rodin, Inv. S. 1101, Inv. S. 2457

Literatur W.C.B., J.L.F.: „Two Recent Works of Rodin“, in: Scribner’s Magazine, Jan. 1898, S. 125f., Abb.; Paris 1900, Kat.  Nr.  72, S.  14; Francis Warrington Dawson: „Master Sculptor of France – Exhibition of Rodin’s works at the Paris exhibition“, in: News and Courier, Charleston, USA, 18.6.1900; Ludwig Pietsch: „Die Sammlung Felix Koenigs in der Nationalgalerie“, in: Vossische Zeitung, Nr. 167, 11.4.1901; Rilke 1903, S. 40; Lawton 1906, S. 230-231, Abb. nach S. 230 (Gipsabguss); Cladel 1908, S. 159; Katalog der Königlichen National-Galerie zu Berlin. Verzeichnis der Gemälde und Skulpturen. Berlin 1908, Nr. 135; Karl Scheffler: Die Nationalgalerie zu Berlin. Ein kritischer Führer. Berlin 1912, S. 282; Édouard Herriot: „Dans les jardins de l’Hôtel Biron“, in: L’Art vivant, Nr. 73, 1928, S. 5; Rave 1929, S.  171-173, Abb.; Blanche 1931, S.  361; Frisch/Shipley 1939, S.  427-428; Grappe 1944, Kat. Nr. 225, Abb. S. 78 (Gipsabguss); Gantner 1953, S. 51; Berlin 1979, Kat. 53, 54, S. 157-159; Beausire 1988,S. 127, 140; Keisch 1990, S. 256-268; Rosenfeld 1993, S.  506-509; Correspondance II, S. 37-38; Rom 2001, S.  45; Paris 2001 – Alma, Kat. Nr. 54, S. 162; Angelika Wesenberg, Eve Förschl (Hrsg.): Nationalgalerie Berlin. Das XIX. Jahrhundert. Katalog der ausgestellten Werke. Staatliche Museen zu Berlin 2002, Kat. Nr. 403, S. 345; Elsen 2003, S. 24; Keisch 2003, S. 40; Quebec/ Detroit/Martigny 2005, S. 110; Jena 2005, S. 130-133; Maaz 2006, Kat. Nr. 952, Bd. 2, S. 630; Hamburg/

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299

Dresden 2006, S. 161; München/Essen 2006, S. 29-30; Tokio/Paris 2006, Nr. 112; Berlin 2007 – NNG, Kat. Nr. 46, S. 63; Le Normand-Romain 2007, Bd. II, S. 684

300

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7. La Terre et la Lune 7.a

7.1 1898 Marmor, 122,5 x 72,5 x 65 cm Sign.: A. Rodin Praticiens: F. Ganier, Jean Durand (?) Cardiff, National Museum of Wales, Inv. NMW A 2509

Provenienz 1898 1900 1903 1914

Auftrag von Galerie Bruno und Paul Cassirer, Berlin, für 10.000 Francs (Jan.) Lieferung nach Berlin (Dez.) Ankauf durch Galerie Bernheim, Paris (31.7.) Ankauf durch die Schwestern Gwendoline Elizabeth und Margaret Sidney Davies, Llandinam, Montgomeryshire bei Wallis and Son, French Gallery, Pall Mall, London für £ 2.800

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301

1916-1937 als Leihgabe im Victoria and Albert Museum, London 1937-1940 als Leihgabe im National Museum of Wales, Cardiff 1940 Schenkung von Gwendoline Davies an National Museum of Wales, Cardiff

Ausstellungen 1899 1901

Société Nationale des Beaux-Arts. Palais des Beaux-Arts, Paris, Kat. Nr. 122  II. Internationale Kunstausstellung. Städtischer Ausstellungspalast am Großen Garten, Dresden, Kat. Nr. 1808as 1903 Siebte Kunstausstellung der Berliner Secession. Berlin, Kat. Nr. 220 1904 Galerie Bernheim-Jeune et Fils, Paris (?) 1917 Auguste Rodin. Victoria and Albert Museum, London 1970 Rodin. Sculpture and Drawings, Hayward Gallery, London, Kat. Nr. 80 2000 1900. Art at the Crossroads. Royal Academy of Arts, London, Kat. Nr. 77 2006/07 Rodin. Royal Academy of Arts, London; Kunsthaus Zürich, Kat. Nr. 159

Frühe Fotografien

Abb. 7.2: Eugène Druet, um 1898, Inv. Ph. 1345

Abb. 7.3: publ. in: Die Kunst für Alle, 1.7.1903

Varianten in anderen Materialien 3 Gipsabgüsse, um 1899, zwei davon im Musée Rodin (Inv. S. 2477, Inv. S. 2815), der dritte im Cleveland Museum of Art

302

KATALOG

7.b

7.4 1900 Marmor, 125,5 x 78 x 58 cm n. bez. Praticien: Raynaud Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1439

Provenienz 1901 1984

erworben in Wien durch William Edward Hardy erworben durch Musée Rodin

Ausstellungen 1900 1901 1985 1987 2012

Exposition Rodin. Pavillon de l’Alma, Paris (außer Katalog) IX. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs – Secession. Künstlerhaus Wien, Kat. Nr. 47 Anciens et nouveaux. Choix d’œuvres acquises par l’État ou avec sa participation de 1981 à 1985. Grand Palais, Paris, Kat. Nr. 134 Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 48 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 26

303

KATALOG

7.c

7.5 1901-1904 Marmor, 133,5 x 97 x 87 cm Sign.: A. Rodin Praticiens: F. Ganier 1901, Jean Durand 1902, George Mathet 1904 Buenos Aires, Museo Nacional de Bellas Artes, inv. 3656

Provenienz 1906

(Juli) erworben bei Rodin durch Eduardo Schiaffino für Museo Nacional de Bellas Artes, Buenos Aires

Ausstellungen 1934

Exposicion Rodin. Museo Nacional de Bellas Artes, Buenos Aires, Kat. Nr. 30

304 Frühe Fotografien

Abb. 7.6: Jaques-Ernest Bulloz, Inv. Ph. 1583 Inv. Ph. 5539, publ. in: Lawton 1906, Abb. nach S. 256; Cladel 1908, nach S. 58 (jeweils freigestellt); Rechberg 1908, Abb. S. 480, Titel „Mond und Sonne“ (sic!)

Gipsmodell

Abb. 7.7: Punktiergips, 60,6 x 38,2 x 40,5 cm, Musée Rodin, Inv. S. 2109

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KATALOG

305

Literatur „Aus unseren Kunstsalons“, in: Fremdenblatt, 30.1.1900; Berliner Tageblatt, 8.2.1900; Ludwig Hevesi: „Aus der Sezession. Rodin“ (17.1.1901), in: Hevesi 1906, S. 308; Ver Sacrum, H. 4, 1901, Abb. S. 77; Ver Sacrum, H. 8, 1901, S. 139; Berlin 1903, Kat. Nr. 219, S. 220; Hans Rosenhagen: „Die siebente Kunstausstellung der Berliner Secession“, in: Die Kunst für Alle, Bd. 18, 1. Juli 1903, S. 394-397; Abb. S. 394; La Nación, Buenos Aires, 13.12.1906; Buenos Aires 1934, Kat. Nr. 30; Frisch/Shipley 1939, S. 432; Grappe 1944, Kat. Nr. 294, Abb. S. 101 (Gipsabguss); Spear 1967, S. 106S, 107S; John Ingamells: The Davies collection of French Art. National Museum of Wales, Cardiff 1967, S. 98, 101, Abb. 50; London 1970, Kat. Nr. 80, S. 77; Spear 1974, S. 106S-107S; Berlin 1979, S. 26; Paris/ Esslingen/Bremen 1986, Abb. S.  63, 115; Barbier 1987, Kat.  Nr.  48; Rosenfeld 1993, S. 549-554; Becker 1998, S. 91-92; 1900. Art at the Crossroads, Royal Academy of Arts, London; Solomon R. Guggenheim Museum, New York 2000, Kat. Nr. 77, S. 147; Buenos Aires 2001, S. 35-40 (span.), 157 (frz.), 187 (engl.); Mitchell 2004, S. 98; Ann Sumner: Colour and Light. Fifty Impressionist and Post-Impressionist Works at the National Museum of Wales. Cardiff 2005, S. 136-137; Hamburg/Dresden 2006, S. 161; London/Zürich 2007, Kat. 159, S. 244; Kat. 338, 339, S. 282; Le Normand-Romain 2007, Bd. I, S. 132133; Bd. II, S. 506; Wien 2010, S. 16, 26; Paris 2012 – Marbre, Kat. Nr. 26; Le NormandRomain 2013, S. 232-233; Magnien 2014, Abb. S. 27

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KATALOG

8. La Vague

8.1 Um 1901 Marmor, 63,8 x 119 x 62 cm n. bez. Praticien: F. Ganier Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1025

Provenienz 1916 Donation Rodin

Ausstellungen 1987 1989 1992

Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 39 Claude Monet – Auguste Rodin. Centenaire de l’exposition de 1889, Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 40 Rodin sculpteur. Œuvres méconnues. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 73

KATALOG

Gipsmodell

Abb. 8.2: Gips, 20,8 x 25,2 x 14,4, cm, Musée Rodin, Inv. S. 3739

Literatur Bénédite 1922, Kat. Nr. 40; Grappe 1944, Kat. Nr. 176; Barbier 1987, Kat. Nr. 39; Paris 1989 – Monet-Rodin, Kat. Nr. 40; Paris 1992 – Œuvres Méconnues, S. 90-91

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308

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9. La Main de Dieu 9.a

Abb. 9.1: publ. in: Berlin 1903, o. S. Vor 1902 Marmor Praticien: ? Privatbesitz, USA

Provenienz 1906 erworben durch Albert Kahn, von diesem 1908 verkauft

309

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Ausstellungen 1903 1903 1905 1905 2000

XVI. Secession. Entwicklung des Impressionismus in Malerei und Plastik. Wien, Kat. Nr. 126 Siebte Kunstausstellung der Berliner Secession. Ausstellungshaus am Kurfürstendamm, Berlin, Kat. Nr. 219 5th Exhibition of the International Society of Sculptors, Painters and Gravers. New Gallery, London; Manchester; Burnley, Kat. Nr. 361 IIIe Salon d’Automne. Grand Palais, Paris Rodin. Sculpture from the Iris and B. Gerald Cantor collection and additional works. North Carolina Museum of Art, Raleigh

Frühe Fotografien

Abb. 9.2: Secession Wien 1903, Inv. Ph. 371

Abb. 9.3: publ. in: International Exhibition Supplement, London, Feb. 1905, S. 129

310

KATALOG

Abb. 9.4: François Vizzavona, publ. in: Gsell 1907, S. 405; L’Art et les Artistes 1914, S. 61

Abb. 9.5: Jacques-Ernest Bulloz, Inv. Ph. 4861; publ. in: Grautoff 1910, S. 28

Abb. 9.6: publ. in: Rechberg 1908, S. 477

Abb. 9.7: Rodin im Dépôt des marbres neben der Main de Dieu, Inv. Ph. 372

311

KATALOG

9.b

9.8

9.9

9.10

9.11

1906-1907 Marmor, 73,7 x 58,4 x 64,1 cm Sign.: A. Rodin Praticien: Victor Frisch New York, Metropolitan Museum of Art, acc. no. 08.210

Provenienz 1906

Auftrag durch Edward D. Adams, Trustee des Metropolitan Museum New York und Fellow Member des French’s Comittee on Sculpture

Ausstellungen 1991/92 Rodin. Eros und Kreativität. Kunsthalle Bremen; Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Kat. Nr. 40 2007 Französische Meisterwerke des 19. Jahrhunderts aus dem Metropolitan Museum of Art, New York. Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, n.n.

312

KATALOG

9.c

9.12 1916-1917 Marmor, 100,3 x 82,5 x 68 cm Sign.: A. Rodin Praticien: George Mathet Providence, Museum of Art, Rhode Island School of Design, 23.005

Provenienz 1916-17 erworben bei Rodin durch Samuel P. Colt, Bristol, Rhode Island 1923 erworben durch Museum of Art, Providence

313

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9.d

9.13 1916-1918 Marmor, 95,5 x 75 x 56,5 cm n. bez. Praticien: Séraphin Soudbinine Paris, Musée Rodin, Inv. S. 988

Provenienz 1916

Donation Rodin

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Ausstellungen 1983 1987 2010 2012

Rodin, les Mains, les chirurgiens. Paris, Musée Rodin, Kat. Nr. 39 Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 86 Retrospective Rodin. Seoul Museum of Art, Kat. Nr. 1 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 32

Gipsmodelle

Abb. 9.14: Gips mit Punktiermarken, Musée Rodin, Inv. S. 1830

Abb. 9.15: Patinierter Gips, vor 1896, 34 x 25 x 33,2 cm, Inv. S. 850, für Bronzegüsse verwendet

Weitere Gipse Musée Rodin, Inv. S. 3084; Goldendale, Maryhill Museum of Art, ex. Loie Fuller

Varianten in anderen Materialien 14 Bronzen nach dem Originalgips (moyen modèle), alle ohne Sockelblock Gipse und Bronzen in zwei Größen (grand modèle, petit modèle) nach dem ersten Marmor

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Gipsabguss:

Abb. 9.16: Jean-François Limet: Main de Dieu ou Création, Inv. Ph. 7384 Grand modèle: – Gipsabguss nach dem ersten Marmor, Inv. S. 2456, mit flacher Plinthe (Abb. 9.16) – Gipsabguss H 73 cm, B. G. Cantor Collections – mind. 3 Bronzen, u.a. Philadelphia, Rodin Museum (1925, mit flacher Plinthe), Pittsburgh, Carnegie Museum of Art (1909-18, mit Sockelblock) Petit modèle: – Gips nach Reduktion der ersten Marmorfassung, Musée Rodin, Inv. S. 1 – Gips H 15 cm, San Francisco, Spreckels Collection – 6 Bronzegüsse ab 1905 mit flacher Sockelplatte (Paris, Musée Rodin; Los Angeles, Cantor Collections; Cleveland, Museum of Art; San Francisco, California Palace of the Legion of Honor u.a.)

Literatur Rod 1898, S. 427; Symons 1902, S. 961; Wien 1903, Kat. Nr. 126, S. 33; Berlin 1903, Kat. Nr. 219, S. 40; „Siebte Kunstausstellung der Berliner Secession“, in: Berliner Illustrierte Zeitung, 14.3.1903, S. 212; Danziger Neueste Nachrichten, 6.4.1903; „Aus der Berliner Sezessionsausstellung“, in: Illustrirte Zeitung, Leipzig, Nr. 3126, 28.5.1903; „Aus der Berliner Sezession“, in: Berliner Tageblatt, 19.4.1903, Abb.; „The Art of Rodin. Sculptures by the Famous French Impressionist at the Arts Club“, in: The New York Times, 9.5.1903; Hans Rosenhagen: „Die siebente Kunstausstellung der Berliner Secession“, in: Die Kunst für Alle, Bd. 18, 1.7.1903, S. 394; The North American, 23.8.1903, Abb.; Simon 1903, S. 267; Treu 1903, S. 85-86; L’Étranger en Italie, 24.9.1903; „The Creation in Marble. M. Rodin’s great work at the New Gallery“, in: Daily Mail, London, 10.1.1905; Clemen 1905, S. 289; Frank Rutter: „Round the galleries“, in: TheTimes, 15.1.1905; „The fifth Exhibition of the International Society of sculptors, painters and gravers“, in: The Connoisseur, Feb.

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1905, S.  129-130; „Le Long des Cimaises. Le Salon d’Automne“, in: Le Chroniquer de Paris, 2.11.1905; Roger-Milès 1906, Abb. S.  66; Lawton 1906, S.  230; Hamann 1907, S. 47; Breck 1912, S. 20; Bénédite 1926a, S. 38, Tafel LVII (B); Ludovici 1926, S. 147; Frisch/Shipley 1939, S. 431; Grappe 1944, Kat. Nr. 291, Abb. S. 100; Spear 1967, S. 79; London 1970, Kat. Nr. 79, S. 77; Tancock 1976, Nr. 121, S. 622-625; DeCaso/Sanders 1977, Kat. Nr. 6, S. 68-71; Berlin 1979, S. 26; Elsen 1980, Kat. Nr. 105, 106, 107; Vincent 1981, Nr. 32, S. 19, 30; Washington 1981, S. 12; Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 118, 120; Paris 1983, Kat. Nr. 39, 40; Barbier 1987, Kat. Nr. 86; Beausire 1988, S. 129 (*186, 238, 239, Abb.); Paris/Frankfurt 1990, S. 180-181; Keisch 1990, S. 278; Bremen/Düsseldorf 1991, Nr. 40; Rosenfeld 1991, Kat. Nr. 68; Grunfeld 1993, S. 524, 564; Rosenfeld 1993, S. 98-102; Schnell 1999, S. 55-58; Becker 2002, S. 163f.; Marraud 2005, S. 68ff.; Hamburg/Dresden 2006, S. 162-163, 164; Berlin 2007 – NNG, S.  199; Le NormandRomain 2007, Bd. II, S. 501; Wien 2010, S. 17; Barryte/Tarbell 2011, S. 322-324; Paris 2012 – Marbre, Kat. Nr. 32, Abb. S. 57; Viéville 2014, Abb. S. 48

317

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10. Tête de la Douleur 10.a Dernier Soupir (Orphée)

10.1 Um 1902 Marmor, 41,3 x 47 x 30 cm Sign.: A. Rodin Praticien: ? Düsseldorf, Stiftung Museum Kunstpalast, Inv.-Nr. 1952-175

Provenienz 1904

Schenkung der Witwe von Louis Haniel

Ausstellungen 1904 2000 2006

Internationale Kunstausstellung. Städtischer Kunstpalast, Düsseldorf, Kat. Nr. 1724b Rodin und die Skulptur im Paris der Jahrhundertwende. Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen; Städtische Museen Heilbronn, Kat. Nr. 93 Vor 100 Jahren. Rodin in Deutschland. Bucerius Kunstforum, Hamburg; Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kat. Nr. 20

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KATALOG

10.b Jeanne d’Arc

10.2 Vor 1905 Marmor, 43,2 x 48,5 x 54,7 cm Sign.: A. RODIN Praticien: ? Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek, Inv. 1396

Provenienz 1907 1908

(August) Ankauf durch Carl Jacobsen (Januar) Lieferung nach Kopenhagen Ny Carlsberg Fondet

Ausstellungen 1905 1995

IIIe Salon d’Automne. Grand Palais, Paris, Kat. Nr. 1352 Manet, Gauguin, Rodin. Chefs-d’œvre de la Ny Carlsberg Glyptotek de Copenhague. Musée d’Orsay, Paris, Kat. Nr. 49

KATALOG

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Frühe Fotografien

Abb. 10.3: Jacques-Ernest Bulloz, 1905, Inv. Ph. 978; publ. in: Figaro Illustré, März 1906, Nr. 192, S. 72; Mauclair 1907, Abb. Nr. 36

Abb. 10.4: François Vizzavona, Inv. Ph. 1857

Abb. 10.5: François Vizzavona; publ. in: Gsell 1907, S. 410; L’Art et les Artistes 1914, Abb. S. 64

Abb. 10.6: Paul Boyer, Musée Rodin, Inv. Ph. 1698, publ. in: Grautoff 1910, Abb. nach S. 32; ähnl. in: Camille Mauclair: „La Peinture et la Sculpture au Salon d’Automne“, in: L’Art Decoratif, Dec. 1905, Nr. 87, S. 226; Shirakaba (Japan), 14.11.1910

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KATALOG

Varianten in anderen Materialien Gipsabguss, 1905, Musée Rodin, Inv. S. 1824 Mind. 5 Bronzegüsse: 1908 (Jeanne d’Arc sur le bloc), 1925 (Philadelphia, Rodin Museum), 1927, 1931, mind. ein weiterer

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KATALOG

10.c La Douleur – Souvenir à Eleonora Duse

10.7 1908-1909 Marmor, 50 x 55 x 66 cm Sign.: A. RODIN Praticien: George Mathet Bielefeld, Kunsthalle, Inv. Nr. A 106

Provenienz 1911 1945 1950

(März) erworben von Hans Vogel, Chemnitz, in dessen Besitz bis mind. 1928 Ostpreußischer Privatbesitz auf der Flucht nach Westdeutschland mitgeführt Kunsthalle Bielefeld, Stiftung der Firma Dr. August Oetker

Ausstellungen 1928 1954

Ausstellung aus Privatbesitz. Kunsthütte zu Chemnitz, Kat. Nr. 143 Zeugnisse europäischer Gemeinsamkeit. Städtische Kunsthalle Recklinghausen, Kat. Nr. 66 1981 Hommage à Lehmbruck. Lehmbruck in seiner Zeit. Wilhelm-LehmbruckMuseum Duisburg, Kat. Nr. 112 1999/2000 Art Nouveau. Symbolismus und Jugendstil in Frankreich. Institut Mathildenhöhe Darmstadt; Bröhan-Museum Berlin, Kat. Nr. 54 2011 Arp, Beckmann, Munch, Kirchner, Warhol. Klassiker in Bonn. Die unbekannte Sammlung aus Bielefeld. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, n.n.

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KATALOG

10.d Désespoir Datierung ? Marmor, 42 x 50 x ? cm Sign.: Rodin Praticien: ? Verbleib unbekannt

Provenienz Roger Marx 1914 Galerie Manzi, Paris (Catalogue des Tableaux, Pastels, Dessins, Aquarelles [...] Faisant partie de la Collection Roger Marx. 11./12.5.1914, Kat. Nr. 250, S. 119: „Désepoir. Masque de la Douleur pour la porte de l’Enfer.) Tête de femme se dégageant du bloc de marbre, les traits convulsés, le front sillonné de rides. Vue de face, encadrée de longs cheveux, elle reflète l’expression d’une amère douleur; de sa bouche entr’ouverte semble s’exhaler la plainte stérile d’une âme à jamais damnée.“ – Archiv Musée Rodin, Dossier Douleur)

Gipsmodelle 5 Gipsstudien Tête de la Douleur, davon zwei im Musée Rodin, Inv. S. 1629, Inv. S. 2055

Literatur Düsseldorf 1904, Kat.  Nr.  1724b, S.  115-116; Board 1905, S.  185; Tancock 1976, Kat. Nr. 9, S. 158-162; Elsen 1980, Kat. Nr. 121; Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 77-78, 181, 294; Ulrich Weisner (Hrsg.): Kunsthalle Bielefeld. Katalog der Gemälde und Skulpturen des 20. Jahrhunderts. Bielefeld 1985, Kat.  Nr.  282, S.  178-181; Fonsmark 1988, Kat.  Nr.  11; Grunfeld 1993, S.  593f.; Fonsmark 1995, Kat.  Nr.  49, S.  210-212; Wien 1996, S. 263; Fonsmark 1999, Kat. Nr. 124, S. 268-269; Art Nouveau. Symbolismus und Jugendstil in Frankreich. Ausst.-Kat. Institut Mathildenhöhe Darmstadt; Bröhan-Museum Berlin 1999, Kat. Nr. 54, S. 63, 70; Bremen/Heilbronn 2000, Kat. Nr. 93, S. 153; Tokio/ Paris 2006, S. 45, 123-124; Hamburg/Dresden 2006, Kat.  Nr.  20, S.  80; Abb. S.  84; Iwate u.a. 2006, S. 163, 235; Le Normand-Romain 2007, Bd. II, S. 674-676; Paris 2007 – Photographie, Abb. S.  132; Arp, Beckmann, Munch, Kirchner, Warhol. Klassiker in Bonn. Die unbekannte Sammlung aus Bielefeld. Ausst.-Kat. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2011, S.  196-197; Paris 2012 – Marbre, Abb. S. 70, 101

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KATALOG

11. Paolo et Francesca

11.1 1905 Marmor, 81 x 108 x 65 cm n. bez. Praticien: ? Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1423

Provenienz 1916

Donation Rodin

Ausstellungen 1987 2000

Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 81 Rodin. Sculpture from the Iris and B. Gerald Cantor collection and additional works. North Carolina Museum of Art, Raleigh

Gipsmodelle Gips, Musée Rodin, Inv. S. 2169

Literatur Bénédite 1922, Kat. Nr. 67; Bénédite 1926a, S. 36, Tafel L (A); Ludovici 1926, S. 147; Frisch/Shipley 1939, S. 421; Grappe 1944, Kat. Nr. 342, Abb. S. 115; Cladel 1948, Abb. 89; Barbier 1987, Kat. Nr. 81; Elsen 2003, S. 642, Abb. S. 639; Jena 2005, S. 76-77

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KATALOG

12. Adam et Eve

12.1 1905 Marmor, 50 x 84 x 56 cm n. bez. Praticien: Gaston Schnegg Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1059

Provenienz 1916 Donation Rodin

Ausstellungen 1905 1913 1913 1987 1992 2012

IIIe Salon d’Automne, Grand Palais, Paris Exposition de l’éducation physique et des sports. Faculté de  Médecine, Paris, Kat. Nr. 8 Tricentenaire de la naissance de Le Nôtre. Palais de Bagatelle, Paris Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 84 Rodin sculpteur. Œuvres méconnues. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 43 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 41

KATALOG

Frühe Fotografien

Abb. 12.2: François Vizzavona; publ. in: Gsell 1919, S. 55

Gipsmodell

Abb. 12.3: Gips, 23,4 x 52 x 40,5 cm, Musée Rodin, Inv. S. 2194 (Assemblage aus La jeune fille au serpent und La Fatigue)

325

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KATALOG

Literatur Bénédite 1922, Kat. Nr. 64; Frisch/Shipley 1939, S. 419; Grappe 1944, Kat. Nr. 119, Abb. S. 44; Cladel 1948, Abb. 21; Jianou/Goldscheider 1967, S. 98; Elsen 1980, S. 181; Barbier 1987, Kat. Nr. 84, S. 196; Beausire 1988, S. 271, 340, 347; Paris 1992 – Œuvres Méconnues, S. 60-61; Paris 2012 – Marbre, Kat. Nr. 41

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KATALOG

13. Pygmalion et Galatée 13.a

13.1 vor 1906 Marmor, 76,9 x 78,5 x 63,5 cm Bez. u. sign.: PYGMALION. A. RODIN Praticien: Jean-Marie Mengue Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek, Inv. 1590

Provenienz 1907 1910

(Juli) erworben bei Rodin durch Carl Jacobsen (Januar) Lieferung nach Kopenhagen Ny Carlsberg Fondet

Ausstellungen 2006/07 Auguste Rodin. Der Kuss – Die Paare. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München; Museum Folkwang Essen, Kat. Nr. 94

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KATALOG

Frühe Fotografien

Abb. 13.2: publ. in: Kahn 1906, S. 6; Kahn 1909, S. 35

Varianten in anderen Materialien 2 Gipsabgüsse, ca. 1909, Musée Rodin, Inv. S. 2811, Inv. S. 2454 3 Bronzen nach dem Gipsmodell (nicht nach dem Marmor), 1949, einer davon im Musée Rodin, Inv. S. 1120

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KATALOG

13.b

13.3 1908-1909 Marmor, 97 x 89 x 76,5 cm Bez. u. sign.: PYGMALION A. RODIN Praticien: Victor Peter New York, Metropolitan Museum of Art, acc. no. 10.31

Provenienz 1910 erworben bei Rodin, Schenkung durch Thomas F. Ryan

Ausstellungen 1981 Rodin rediscovered. National Gallery of Art, Washington, D.C., Kat. Nr. 158 1991/92 Rodin. Eros und Kreativität. Kunsthalle Bremen; Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Kat. Nr. 38

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KATALOG

13.c 1912-1914 Marmor, H 89 cm Praticien: Victor Peter Verbleib unbekannt

Provenienz 1916 1920

Geschenk Rodins an Judith Cladel Georges Bernheim B. Coureau, London Christie, Manson & Woods, London. Fine tapestries, objects of art and old French English furniture and a collection of bronzes, sculpture and drawings by A. Rodin, 29.6.1920, Kat. Nr. 19 (nicht verkauft)

Gipsmodelle

Abb. 13.4: Zweifarbiger Gips mit Punktiermarken, 40,8 x 31,6 x 32,5 cm, Musée Rodin, Inv. S. 2773 3 weitere Gipsstudien, Musée Rodin, Inv. S. 2738, Inv. S. 2739, Inv. S. 2737

KATALOG

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Literatur Rodin/Gsell 1911, S. 214-217; Breck 1912, S. 18; Bénédite 1919, Kat. Nr. 360 (Gipsabguss); Ludovici 1926, S. 147; Blanche 1931, S. 361; Cladel 1936, S. 307-308; Frisch/Shipley 1939, S. 424f.; Grappe 1944, Kat. Nr. 233, Abb. S. 81 (Gipsabguss); Tancock 1976, Nr. 45, S. 282-286; Rosenfeld 1981, S. 81, 100; Vincent 1981, Nr. 6, 7, S. 8, 25-30; Correspondance III, S. 76-77, Correspondance IV, S. 84; Schneider 1987, S. 119-121; Blühm 1988, S. 151-155, Kat. Nr. 138; Fonsmark 1988, Kat. Nr. 25; Guillot 1988, S. 199, 209; Grunfeld 1993, S. 628; Bremen/Düsseldorf 1991, Nr. 38; Butler 1993, S. 410, 414, 487; Rosenfeld 1993, S. 102-105; Fonsmark 1995, S. 34; Le Normand-Romain 1998, S. 75-79, 150; Fonsmark 1999, Kat. Nr. 138, S. 300-301; Hamburg/Dresden 2006, Kat. Nr. 59, 60, S. 28, 124; Abb. S. 26, 126, 127; München/Essen 2006, Kat. Nr. 94, S. 148-149; Le Normand-Romain 2007, Bd. II, S. 392; S. 622-623; Barryte/Tarbell 2011, S. 125, Abb. S. 126; Le Normand-Romain 2013, S. 233

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KATALOG

14. Devant la mer

14.1 1906 Marmor, 60 x 89 x 59 cm n. bez. Praticien: Jean-Marie Mengue New York, Metropolitan Museum of Art, acc. no. 11.173.5

Provenienz 1910 erworben bei Rodin, Schenkung durch Thomas F. Ryan

Ausstellungen 1970 Rodin. Sculpture and Drawings. Hayward Gallery, London, Kat. Nr. 90 1981 Rodin rediscovered. National Gallery of Art, Washington, D.C., Kat. Nr. 160

KATALOG

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Frühe Fotografien

Abb. 14.2: publ. in: Kahn 1906, S. 12; Kahn 1909, S. 39 („Akt-Studie“)

Abb. 14.3: publ. in: Grautoff 1910, S. 33 („Badende“); Rodin/Gsell 1911, S. 25 („Jeune Femme“)

Varianten in anderen Materialien Zwei Gipsabgüsse, um 1907, Musée Rodin, Inv. S. 1094, Inv. S. 2294 Bronzeguss nach dem Marmor, um 1907, Philadelphia, Rodin Museum

Literatur Breck 1912, S. 9, 14-16, Abb. S. 15; Bénédite 1926a, S. 38, Tafel LVIII (A); Grappe 1944, Kat. Nr. 365, Abb. S. 121 (Gipsabguss); Henri Frère: Conversations de Maillol. Genf 1956, S.  173; Elsen 1963, S. 134, 138, Abb. S.  137; Jianou/Goldscheider 1967, Abb. Nr.  62; London 1970, Kat. 90, S. 85; Tancock 1976, Kat. Nr. 60, S. 328-331 (Bronze); Vincent 1981, Nr. 11, S. 15; Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 75; Le Normand-Romain 2007, Bd. I, S. 154

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15.a. L’Adieu / The Farewell (The Young Convalescent)

15.1 1906-1907 Marmor, 45,7 x 50,8 x 40,6 cm Sign.: A. Rodin Praticien: Jean-Marie Mengue Norfolk, Virginia, Chrysler Museum of Art, 77.447

Provenienz 1913 über Henry Reinhardt erworben von Max J. Sulzberger, New York 1935-1960 Lily S. Marx, Benedict B. Nurick (Erben von Max J. Sulzberger) 1960 Schenkung an Chrysler Art Museum, Provincetown 1971 Chrysler Museum of Art, Norfolk

Ausstellungen 2000

Rodin. Sculpture from the Iris and B. Gerald Cantor collection and additional works. North Carolina Museum of Art, Raleigh, NC 2005/06 Camille Claudel and Rodin. Fateful Encounter. Musée National des Beaux-Arts, Quebec; Detroit Institute of Arts, Kat. Nr. 175 2013/14 Masterworks from the Chrysler Museum. North Carolina Museum of Art, Raleigh, NC

KATALOG

Frühe Fotografien

Abb. 15.2: Jacques-Ernest Bulloz, Inv. Ph. 3621; publ. in: L’Art et les Artistes 1914, S. 30 („Mélancolie“); ähnlich in Grautoff 1910, S. 36

Varianten in anderen Materialien Zwei Gipsabgüsse im Musée Rodin, Inv. S. 1708, Inv. S. 2488

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KATALOG

15.b. La Convalescente

15.3 1906-1914 Marmor, 49 x 74 x 55,4 cm n. bez. Praticiens: Jean-Marie Mengue, Auguste Rodin, Émile Matruchot Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1016

Provenienz 1916 Donation Rodin

Ausstellungen 1987 2001 2003

Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 8 Rodin en Buenos Aires. Fundación Antorchas, Museo Nacional de Bellas Artes, Buenos Aires, n.n. Camille Claudel révélée par Boucher et Rodin. Musée Paul Dubois – Alfred Boucher, Nogent-sur-Seine, Kat. Nr. 39

KATALOG

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2005/06 Camille Claudel et Rodin. La rencontre de deux destins / Camille Claudel and Rodin. Fateful Encounter. Musée National des Beaux-Arts, Quebec; Detroit Institute of Arts; Fondation Pierre Gianadda, Martigny, Kat. Nr. 176 2006 Auguste Rodin – Eugène Carrière. Musée National d’Art Occidental, Tokio; Musée d’Orsay, Paris, Kat. Nr. 103 2010 Retrospective Rodin. Seoul Museum of Art, Kat. Nr. 141 2012 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 45

Gipsmodelle Erster Zustand:

Abb. 15.4: Gips, nicht erhalten Zweiter Zustand:

Abb. 15.5: Zwei identische Gipse im Musée Rodin, 38 x 45 x 31 cm, Inv. S. 1795, Inv. S. 1796

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KATALOG

Literatur Grautoff 1910, S. 36; L’Art et les Artistes 1914, Abb. S. 30; Bénédite 1922, Kat. Nr. 22; Frisch/Shipley 1939, S.  428f.; Grappe 1944, Kat.  Nr.  259, 260, Abb. S.  88, 89; Cladel 1948, Abb. 67, 70; Walter P. Chrysler, Jr.: „L’Adieu“, in: The Chrysler Art Museum Bulletin, August 1961, Nr. 2, S. 1-4; Descharnes/Chabrun 1967, S. 163; Jianou/Goldscheider 1967, S. 98; Tancock 1976, S. 593; Bantens 1983, S. 83; Barbier 1987, Kat. Nr. 8, S. 34; Abb. S. 35; Butler 1993, S. 271; Paris/Esslingen/Bremen 1986, Abb. Nr. 5; Nogent-surSeine 2003, Kat. Nr. 39, S. 44; Quebec/ Detroit/Martigny 2005, S. 218-227, 365; Marraud 2005, S. 66; Hamburg/Dresden 2006, S. 22, Abb. S. 22; Tokio/Paris 2006, Kat. Nr 103, S. 50, 130; Le Normand-Romain 2007, Bd. I, S. 267; Paris 2009 – Portrait, Kat. Nr. 101, S. 118, Abb. S. 133; Paris 2012 – Marbre, Kat. Nr. 45, Abb. S. 179; Le Normand-Romain 2013, S. 306-307; Magnien 2014, Abb. S. 114, 122; Viéville 2014, Abb. S. 51

KATALOG

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16. Madame Fenaille, la tête appuyée sur la main 16.a

16.1 1905-1908 Marmor, 59 x 81 x 65 cm n. bez. Praticien: Louis Mathet Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1199

Provenienz 1931 Schenkung Maurice Fenaille

Ausstellungen 1987 1996 1998

Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 11 Rodin. Eros und Leidenschaft. Kunsthistorisches Museum Wien im Palais Harrach, Wien, Kat. Nr. 28 Les métamorphoses de Mme. F. Auguste Rodin, Maurice Fenaille et Lyon. Musée des Beaux-Arts, Lyon, Kat. Nr. 57

340

KATALOG

16.b

16.2 1912-1913 Marmor, 70 x 80 x 92,5 cm n. bez. Praticien: Émile Matruchot Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1397

Provenienz 1909 1916 1947

Auftrag Maurice Fenaille Donation Rodin (irrtümlich). Rückgabe an Maurice Fenaille Schenkung Mme Robert de Billy, geb. Yvonne Fenaille

Ausstellungen 1987 1998

Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 12 Les métamorphoses de Mme. F. Auguste Rodin, Maurice Fenaille et Lyon. Musée des Beaux-Arts, Lyon, Kat. Nr. 58 2006/07 Rodin, noir et blanc. Chefs-d’œuvre du musée Rodin. Iwate Museum of Art; Shimonoseki City Art Museum; Shizuoka Prefectural Museum of Art; Hyogo Prefectural Museum of Art, Kat. Nr. 64 2012 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 59

KATALOG

341

Gipsmodell

Abb. 16.3: Gips, Musée Rodin, Inv. S. 1775

Literatur „Les Commandes et achats de l’Etat aux artistes depuis le 1er janvier“, in: Le Soleil, 26.9.1907; Grappe 1944, Kat. Nr. 298, 299; Gantner 1953, S. 54; Jianou/Goldscheider 1967, S. 109; Los Angeles 1980, S. 50; Hare 1985, S. 385-391; Barbier 1987, Kat. Nr. 11, 12; Wien 1996, Kat. Nr. 28, S. 185; Lyon 1998; Becker 1998, S. 89-90; Paris 2001 – Alma, Kat. Nr. 109 (Gips); Marraud 2005, S. 66-68; Le Normand-Romain 2007, Bd. I, S. 367; Paris 2012 – Marbre, Kat Nr. 59; Le Normand-Romain 2013, Abb. S. 318; Magnien 2014, Abb. S. 138

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KATALOG

17. Lady Warwick 17.a

17.1 1908-1909 Marmor, 74,8 x 86,4 x 75 cm n. bez. Praticiens: Eugène Lagare, George Mathet Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1206

Provenienz 1916

Donation Rodin

Ausstellungen 1913 1987

Exposition de l’éducation physique et des sports. Faculté de  Médecine, Paris, Kat. Nr. 1 Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 19

KATALOG

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Frühe Fotografien

Abb. 17.2: Eugène Druet; publ. in: Dayot 1914, S. 178

Abb. 17.3: Goupil; publ. in: Bénédite 1918, S. 24

344

KATALOG

17.b 1909 Marmor Praticien: George Mathet Verbleib unbekannt

Provenienz 1912 1913

Lieferung an Lady Warwick nach Easton Lodge, Dunmore, Essex (April) Verkauf

Literatur Bénédite 1922, Kat.  Nr.  10; Frisch/Shipley 1939, S.  438; Grappe 1944, Kat.  Nr.  382, Abb. S. 126; Steinberg 1963/1972, S. 384; Hare 1984, S. 544-550; London 1986, S. 139, Abb. Nr. 229; Barbier 1987, Kat. Nr. 19, S. 56; Hare 1987, S. 372, 374; Grunfeld 1993, S. 580; Butler 1993, Abb. S. 389

345

KATALOG

18. Mère et fille mourante (Mrs. Merrill et sa fille)

18.1 1910 Marmor, 105 x 94 x 70,7 cm n. bez. Praticien: Aristide Rousaud Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1033

Provenienz 1908 1916

Auftrag von Elizabeth Musgrave Merrill, New York; nicht geliefert Donation Rodin

Ausstellungen 1913 1987 2006

Exposition de l’éducation physique et des sports. Faculté de  Médecine, Paris, Kat. Nr. 6 Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 31 Auguste Rodin – Eugène Carrière. Musée National d’Art Occidental, Tokio; Musée d’Orsay, Paris, Kat. Nr. 57

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KATALOG

Frühe Fotografien

Abb. 18.2: François Vizzavona, nach 1910, Inv. Ph. 483; publ. in: L’Art et les Artistes 1914, S. 20 („Maternité (Marbre en cours d’exécution)“); Gsell 1919, S. 54 („Maternité“)

Quellen

Abb. 18.4: Porträtaufnahme von Mrs. Merrill mit Tochter

Abb. 18.3: François Vizzavona; publ. in: Léonce Bénédite: „Le Musée Rodin“, in: Les Arts, Nr. 168, 1918, S. 12 („Maternité. Groupe exécuté sous l’influence d’Eugène Carrière“)

KATALOG

347

Varianten in anderen Materialien Postume Marmorfassung von Aristide Rousaud, zw. 1928 und 1936, Middleburg, Virginia Zwei reduzierte Bronzegüsse, 1926, Middleburg, Virginia

Literatur Lami 1921, Bd. 4, S. 170; Bénédite 1922, Kat. Nr. 33; Frisch/Shipley 1939, S. 299, 437, Abb. S. 113; Grappe 1944, Kat. Nr. 376, Abb. S. 125; Descharnes/Chabrun 1967, S. 218; Tancock 1976, S. 338; Los Angeles 1980, S. 50; Bantens 1983, S. 84-85; Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 117, 159, 392; Barbier 1987, Kat. Nr. 31; Beausire 1988, S. 340; Pinet 1990, S. 49, Abb. 62-65; Rosenfeld 1993, S. 138-140; Shizuoka 1994, S. 118, 149; Paris 1995 – Sculpture funéraire, S. 247, S. 65; Becker 1998, S. 235-236; Butler/Lindsay 2000, S. 388-391; Bonnet 2004, S. 347; Tokio/Paris 2006, Kat. Nr. 57; Paris 2009 – Portrait, Kat. Nr. 37-39, S. 154, 163

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19. Mozart (Portrait de Gustave Mahler)

19.1 1910-11 Marmor, 50,9 x 99,7 x 58 cm Sign. u. dat.: A. RODIN, 1911 Praticien: Aristide Rousaud Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1085

Provenienz 1916 Donation Rodin

Ausstellungen 1911 1985 1987 2005 2011

Société Nationale des Beaux-Arts. Grand Palais, Paris, Kat. Nr. 2003 Gustave Mahler, un homme, une œuvre, une époque. Musée d’Art Moderne de la Ville, Paris, Kat. Nr. 248 Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 24 Mahleriana: Vom Werden einer Ikone. Jüdisches Museum Wien, n.n. Gustav Mahler. Musée d’Orsay, Paris

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Frühe Fotografien

Abb. 19.2: publ. in: Rilke 1913, Abb. 56 („Gustav Mahler“)

Abb. 19.3: Eugène Druet; publ. in: Dayot 1914, S. 175; ähnl. in: L’Art et les Artistes 1914, S. 34 („Mozart“)

Gipsmodelle

Abb. 19.4: Gips (Typ B), Musée Rodin, Inv. S. 1406 Mindestens vier weitere Gipse (Typ B), Musée Rodin, Inv. S. 2085, Inv. S. 75, Inv. S. 1407, Inv. S. 1408

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Literatur L’Art et les Artistes 1914, S. 43; Eugène Lintilhac: „Le Musée Rodin“, in: La Grande Revue, Nov. 1916, S. 5; Bénédite 1919/1922, Kat. Nr. 23; Bénédite 1926a, S. 36, Tafel XLIX (B); Clémenceau 1930, S. 9; Frisch/Shipley 1939, S. 438; Grappe 1944, Kat. Nr. 414, Abb. S. 132; Alma Mahler: Gustav Mahler. Erinnerungen und Briefe, Amsterdam 1949, S. 187f.; Tancock 1976, S. 552-555; Gutmann 1981; Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S. 76, 181; Gutmann 1985/1995; Barbier 1987, Kat. Nr. 24; Bremen/Düsseldorf 1991, S. 194f.; Wien 1996, S. 237-238; Schmoll gen. Eisenwerth 2004, S. 201ff.; Mahleriana: Vom Werden einer Ikone. Ausst.-Kat. Jüdisches Museum Wien 2005, S. 7-9, 107-111; Hamburg/Dresden 2006, S. 76; Le Normand-Romain 2007, Bd. II, S. 494-496; Paris 2009 – Portrait, Kat. 107, S. 70-72; Wien 2010, S. 118-129; Paris 2012 – Marbre, Abb. S. 102, 103; Le Normand-Romain 2013, S. 332-333; Viéville 2014, Abb. S. 51

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20. Puvis de Chavannes

20.1 1911-1913 Marmor, 81,9 x 126 x 55,6 cm n. bez. Praticien: Aristide Rousaud Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1200

Provenienz 1911 Auftrag vom Französischen Staat für das Pantheon, Paris 1916 Donation Rodin

Ausstellungen 1913 1913 1963 1987 2012

Exposition de l’éducation physique et des sports. Faculté de  Médecine, Paris, Kat. Nr. 3 Société Nationale des Beaux-Arts. Grand Palais, Paris, Kat. Nr. 2092 Rodin. Museum of Modern Art, New York; California Palace of the Legion of Honor, San Francisco, Kat. Nr. 87 Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 22 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 60

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Frühe Fotografien

Abb. 20.2: Claude Harris: Entrée de l’hôtel Biron, Dez. 1913, Inv. Ph. 1981

Gipsmodelle 5 Gipse (Porträtkopf und Kragen), Musée Rodin, Inv. S. 1589, 1733, 6637, 1705, 1635 3 Gipse (Porträtkopf und Oberkörper), Musée des Beaux-Arts, Lyon; Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Middelheimmuseum Antwerpen

Abb. 20.3: Gips, 55 x 51 x 28 cm, Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. Abg.-ZV 2538

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Frühere Marmorfassungen

Abb. 20.4: 1892, 50 x 50 x 29 cm, Amiens, Musée de Picardie, Praticien: Peter

Abb. 20.5: 1911-1917, 60,7 x 60,5 x 41,8 cm, Musée Rodin, Inv. S. 1387, Praticien: Rousaud

Literatur Excelsior, 26.4.1913, Abb.; Louis Hautecœur: „Les Salons de 1913“, in: Gazette des BeauxArts, 55, Juli 1913, S. 34; Bénédite 1922, Kat. Nr. 2; Grappe 1944, Kat. Nr. 413; Elsen 1963, S. 122-123; Steinberg 1963/1972, S. 384; Spear 1967, S. 108; Tancock 1976, S. 525; Berlin 1979, Kat.  Nr.  48, S. 151-152; Abb. S.  151 (Gips); Musée Rodin 1983, S.  61; Schmoll gen. Eisenwerth 1983, S.  76-77, 116-117; Barbier 1987, Kat.  Nr.  22; Beausire 1988, Abb. S. 340-341; Butler 1993, S. 478; Rosenfeld 1993, Kat. Nr. 52b, S. 468; Tilanus 1993, S. 9-14; Wien 1996, S. 234; Alma 2001, Kat. Nr. 60, S. 172 (Gips); Aimée Brown Price: „Rodin & Puvis de Chavannes“, in: Cantor 2002, S. 150-161; Le Normand-Romain 2002, S.  167-173; Tokio/Paris 2006, S.  61; Le Normand-Romain 2007, Bd. II, S.  514, Abb. 7; S. 620-622; Aimée Brown Price: Pierre Puvis de Chavannes. New Haven/London 2010, I: The Artist and his Art, S. 154; Paris 2012 – Marbre, Kat. Nr. 60; Le NormandRomain 2013, S. 334-335; Viéville 2014, Abb. S. 49

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21. Lady Sackville-West 21.a

21.1 1914-1916 Marmor, 57 x 75 x 57 cm n. bez. Praticien: Aristide Rousaud Paris, Musée Rodin, Inv. S. 809

Provenienz 1916

Donation Rodin

Ausstellungen 1987 2006

Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 89 Rodin. Royal Academy of Arts, London; Kunsthaus Zürich, Kat. Nr. 177

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Frühe Fotografien

Abb. 21.2: François Vizzavona, publ. in: Gsell 1919, S. 52

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21.b

21.3 1916-1917 Marmor, 71 x 114 x 63 cm n. bez. Praticien: Aristide Rousaud Privatbesitz, Schweiz

Provenienz Lady Sackville 1936 Verkauf des Nachlasses von Lady Sackville aus ihrem Anwesen in Brighton, 21.10.1936, Nr. 650 1981 Sotheby’s London, Impressionist and Modern Paintings and Sculpture, 1.7.1981, Nr. 261 1983 Richard Nathanson, London 1997 Christie’s New York, Impressionist and Modern Paintings, Drawings and Sculpture – Part I, 11.11.1997, Nr. 102 (nicht verkauft)

Gipsmodelle Terrakotta, Musée Rodin, Inv. S. 305 Drei weitere Terrakottastudien Gips, Musée Rodin, Inv. S. 2823 Punktiergips, Musée Rodin, Inv. S. 1818

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Literatur Bénédite 1922, Kat.  Nr.  11; Grappe 1944, Kat.  Nr.  432; Steinberg 1963/1972, S.  384; Benedict Nicolson: „Rodin and Lady Sackville“, in: The Burlington Magazine, 112 (1970), Nr.  802, S.  37-43; Rosenfeld 1981, S.  99-100; Catalogue of Impressionist and Modern Paintings and Sculpture, Sotheby’s London, 1.7.1981, Nr. 261; Hare 1985, S. 617-624; Barbier 1987, Kat. Nr. 29; Hare 1987; Grunfeld 1993, S. 675-681; Butler/Lindsay 2000, S. 402-406; London/Zürich 2006/07, Kat. Nr. 177-179, S. 129-130, 249; Le NormandRomain 2013, Abb. S. 326-327; Viéville 2014, Abb. S. 119

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22. Victor Hugo 22.a

22.1 1914-1917 (?) Marmor, 105,4 x 106,4 x 69,9 cm Bez.: 3886 Praticien: Aristide Rousaud San Francisco, Fine Arts Museum of San Francisco, Legion of Honor, acc. no. 1962.28

Provenienz 1913 1920

Auftrag von Raphael Weill, San Francisco Lieferung; Schenkung durch Michel D. Weill, den Neffen Raphael Weills, an die Stadt San Francisco

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22.b

22.2 1916-1918 Marmor, 65,7 x 84 x 42,7 cm n. bez. Praticien: Aristide Rousaud Paris, Musée Rodin, Inv. S. 1204

Provenienz 1916

Donation Rodin

Ausstellungen 1985/86 La Gloire de Victor Hugo. Grand Palais, Paris, Kat. Nr. 191 1987 Marbres de Rodin. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 26 1994 Marbres de Rodin. Collection du Musée Rodin. Shizuoka Prefectural Museum of Art, Kat. Nr. 9 2002 Victor Hugo vu par Rodin. Musée des Beaux-Arts et d’Archéologie, Bésançon, Kat. Nr. 2

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2003

D’ombre et de marbre. Hugo face à Rodin. Ausst.-Kat. Maison de Victor Hugo, Paris, Kat. Nr. 109 2004 Rodin et gli scrittori – Rodin et les écrivains. Dante, Balzac, Hugo, Baudelaire. Centro Saint-Bénin, Aosta, Kat. Nr. 45 2006/07 Rodin, noir et blanc. Chefs-d’œuvre du musée Rodin. Iwate Museum of Art; Shimonoseki City Art Museum; Shizuoka Prefectural Museum of Art; Hyogo Prefectural Museum of Art, Kat. Nr. 17 2012 Rodin. La chair, le marbre. Musée Rodin, Paris, Kat. Nr. 57

Modelle

Abb. 22.3: Terrakotta, 1883 (historische Fotografie, anon., Inv. Ph. 1922)

Abb. 22.4: Gips, 74 x 59 x 57 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturensammlung, Inv.-Nr. Abg. ZV 1719

Varianten in anderen Materialien 1883 Porträtbüste Bronze, danach zahlreiche leicht variierende Bronzefassungen und mindestens 5 frühere Marmorfassungen mit unterschiedlicher Sockelgestaltung: 1883, Puschkin-Museum, Moskau; 1887, Maison de Victor Hugo, Paris; vor 1900, Fogg Art Museum, Cambridge, Mass.; vor 1905, Fondation Calouste Gulbenkian, Lissabon; n. dat., Paris, Musée Rodin, Inv. S. 464

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Literatur „Un ‚Victor Hugo‘ de Rodin à San-Francisco“, in: Le Matin, 30.5.1920; Ludovici 1926, S. 122, 147; „Il y a dix ans“, in: Courrier du Pacifique, San Francisco, 29.3.1930; Grappe 1944, Kat. Nr. 418, Abb. S. 133; Cladel 1948, Abb. 77; Jianou/Goldscheider 1967, Abb. Nr. 81; Spear 1967, S. 6; Tancock 1976, S. 504-512; De Caso/Sanders 1977, Kat. Nr. 57, S. 276-278; La Gloire de Victor Hugo. Ausst.-Kat. Grand Palais, Paris 1986, Kat. Nr. 191; Barbier 1987, Kat. Nr. 26; Goldscheider 1989, Kat. Nr. 132f.; Rosenfeld 1993, Kat. Nr. 37f, S. 402; Shizuoka 1994, Kat. Nr. 9, S. 133-134; Los Angeles/Portland/New York 1998, Abb. S. 111; Bésançon 2002, Kat. Nr. 2, S. 86-87; Paris 2003 – Hugo, Kat. Nr. 109, S. 176f.; Le Normand-Romain 2007, Bd. II, S. 433; Paris 2012 – Marbre, Kat. Nr 57, Abb. S. 176

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Abbildungsnachweis bpk Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte: Taf. 11 Bayerische Staatsgemäldesammlungen München: Abb. 40 Beausire 1988, S. 144: Abb. 26; S. 238: Kat. 9.2 Bricker Balken, Debra: John Storrs. Machine-Age Modernist. Hanover/London 2010, S. 15: Abb. 49 Buenos Aires 2001, S. 36: Kat. 7.5 Cladel 1908, nach S. 52: Kat. 15.4 Chrysler Museum of Art, Norfolk: Kat. 15.1 Christie’s London, Impressionist and Modern Paintings, 2.4.1990, S. 28: Kat. 2.2 Christie’s London, Impressionist and Modern Paintings, Part I, 23.6.1997, S. 63: Kat. 4.4 Constantin Brancusi 1876-1957. Ausst.-Kat. Centre Georges Pompidou, Paris 1995, Kat. Nr. 11: Abb. 33 De Fontanes 1942, S. 33, 171, 195: Abb. 21-23 Elsen 1980, Abb. 102: Kat. 3.2 Fine Arts Museums of San Francisco: Kat. 22.1 Gazette des Beaux-Arts, Aug. 1902, S. 131: Abb. 41 Georg Kolbe Museum, Berlin (Foto: Markus Hilbich): Taf. 9 Huard/Maillot 2000, Abb. S. 65: Abb. 51 Ivan Meštrović. Skulpturen. Ausst.-Kat. Nationalgalerie Berlin u. a. 1987, S. 85, 163: Abb. 47, 48 Jena 2005, S. 133: Kat. 6.3, L’Art, 58 (1894), S. 76: Abb. 34 Lehmbruck Museum, Duisburg (Foto: Bernd Kirtz): Abb. 31, Abb. 32 Kunsthalle Bielefeld (Foto: Philipp Ottendörfer): Kat. 10.7 Kunsthalle Mannheim (Foto: Cem Yücetas): Abb. 52 Lapaire 2001, S. 262, 128, 358: Abb. 35-37 Le Normand-Romain 2002, S. 169: Kat. 20.4 Le Normand-Romain 2013, Nr. 319: Abb. 16 London 1986, S. 56: Kat. 4.7 London/Zürich 2006, S. 133: Kat. 7.6 MART Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto: Abb. 17 Musée Rodin, Paris: Abb. 7-8, Abb. 11-15, Abb. 24-25, Abb. 28, Kat. 1.1, Kat. 1.2, Kat. 2.1, Kat. 2.8, Kat. 2.9, Kat. 4.1, Kat. 4.6, Kat. 5.1, Kat. 5.7, Kat. 5.8, Kat. 6.4, Kat. 6.5, Kat. 7.4, Kat. 7.7, Kat. 8.1, Kat. 8.2, Kat. 9.7, Kat. 9.13, Kat. 9.14, Kat. 9.15, Kat. 9.16, Kat. 11.1, Kat. 12.1, Kat. 12.3, Kat. 13.4, Kat. 15.3, Kat. 15.5, Kat. 16.1, Kat. 16.2, Kat. 16.3, Kat. 17.1, Kat. 18.1, Kat. 19.1, Kat. 19.4, Kat. 20.1, Kat. 20.2, Kat. 20.5, Kat. 21.1, Kat. 22.2, Kat. 22.3, Taf. 2, Taf. 3, Taf. 4, Taf. 10, Taf. 12, Taf. 14, Taf. 16 Medardo Rosso. Le origini della scultura moderna. Ausst.-Kat. MART, Museo di Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto, Nr. 12a: Abb. 18 Medardo Rosso. Ausst.-Kat. Kunstmuseum Winterthur; Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg 2003, S. 97: Abb. 19

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ABBILDUNGSNACHWEIS

Museen Böttcherstraße, Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen / VG Bild-Kunst, Bonn 2014: Abb. 53 Museum der bildenden Künste Leipzig: Kat. 5.9 Museum of Art, Rhode Island School of Design, Providence (Foto: Erik Gould): Kat. 9.12, Taf. 8 National Museum of Wales – Amgueddfa Cymru, Cardiff: Kat. 7.1 Nogent-sur-Seine 2000, Kat. Nr. 44: Abb. 38 Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen (Foto: Ole Haupt): Kat. 10.2, Taf.  7, Kat. 13.1, Taf. 6 Paris 1976 – Écrivains, S. 34: Abb. 9; S. 31: Kat. 3.6 Paris 1986, S. 99: Kat. 3.4 Paris 2007 – Photographie, S. 66: Kat. 3.3 Paris/Esslingen/Bremen 1986, S. 63: Kat. 7.2 Paris/Madrid 2009, S. 133: Abb. 46 Pinet 1990, S. 63: Kat. 18.4 Philadelphia Museum of Art, Rodin Museum: Kat. 5.6, Abb. 20 Privatarchiv der Autorin: Abb. 5, Abb. 6, Abb. 42, Abb. 56 Raymond and Patsy Nasher Collection, Nasher Sculpture Center, Dallas (Foto: David Heald): Taf. 15 Rheims 1972, Abb. Ar 29: Abb. 43 Rodin et la caricature. Musée Rodin, Paris 1990, S. 40: Abb. 27; S. 41: Abb. 29 Sotheby’s London, Impressionist and Modern Paintings and Sculpture, 1.7.1981, Nr. 261: Kat. 21.3 Sotheby’s New York, Impressionist and Modern Art, II, 17.11.1998, Nr. 207: Kat. 2.7 Sotheby’s New York, Impressionist and Modern Art, I, 10.5.2001, S. 37: Kat. 4.3 Staatliche Kunstsammlungen Dresden (Fotos: Elke Estel/Hans-Peter Klut): Kat. 20.3, Kat. 22.4. Taf. 13 Staatliche Museen zu Berlin, Alte Nationalgalerie (Foto: Klaus Göken): Kat. 6.1, Taf. 5 Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorf (Foto: Horst Kolberg): Kat. 10.1 The Art Bulletin, March 1962, Abb. 10: Abb. 39 The Henry Moore Foundation: Abb. 54 The Metropolitan Museum of Art, New York/ARTstor: Kat. 3.1, Kat. 9.8-9.11, Kat. 13.3, Kat. 14.1, Taf. 1 University of Pittsburgh, University Art Gallery (Foto: Isabelle Chartier): Abb. 50 Walther, Sigrid: Karl Albiker 1878-1961. Dresden 1996, S. 11: Abb. 45 Wellmann, Marc (Hrsg.): Bernhard Heiliger 1915-1995. Berlin/Köln 2005, S. 251: Abb. 55 Wien – Paris. Ausst.-Kat. Österreichische Galerie Belvedere, Wien 2007, S. 189: Abb. 44 Zeitschrift für bildende Kunst, 14, Okt. 1903, Abb. nach S. 90: Abb. 30

Dank Prof. Dr. Gregor Stemmrich, Berlin Prof. Dr. Franz-Joachim Verspohl (†) Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet, Bonn Prof. Dr. Dieter Blume, Jena Prof. Dr. Michael Diers, Hamburg/Berlin Musée Rodin, Paris: François Blanchetière Aline Magnien Catherine Chevillot Dr. Daniel Rosenfeld, Waterville/Maine Dr. Claude Keisch, Berlin Prof. Dr. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth (†) Clare Vincent, The Metropolitan Museum of Art, New York Jennifer A. Thompson, Philadelphia Museum of Art Maria L. Santangelo, Fine Arts Museum of San Francisco, Legion of Honor Laura Christiansen, Chrysler Museum of Art, Norfolk Deborah Diemente, Museum of Art, Rhode Island School of Design Elizabeth Goldberg, Sotheby’s New York Isabelle Chartier, University of Pittsburgh Anne Pritchard, National Museum of Wales, Cardiff Josephine Nielsen-Bergqvist, Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen Richard Nathanson, London Claudia Klugmann, Museum der bildenden Künste Leipzig Dr. Jutta Hülsewig-Johnen, Kunsthalle Bielefeld Elke Dichter, Stiftung museum kunst palast Düsseldorf Elisabeth Angermair, Stadtarchiv München Katrin Dyballa, Alte Nationalgalerie Berlin Carolin Pilgermann, Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin Judith Sobol, Iris & B. Gerald Cantor Foundation, Los Angeles Andreas Knop und Daniel Bonanati, Wilhelm Fink Verlag Für die großzügige Bereitstellung von Bildmaterial danke ich: Serena Aldi, MART Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto; Denise J. Bastien, Rhode Island School of Design Museum; Andreas Benedict, Lehmbruck Museum, Duisburg; Isabelle Chartier, University of Pittsburgh; Denise Faïfe, Musée d’Orsay, Paris; Susan Grinols, Fine Arts Museums of San Francisco; Ole Haupt, Ny Carlsberg Glyptotek Kopenhagen; Stephan Helms, Alte Nationalgalerie Berlin; Stefanie Hennig, Museum der bildenden Künste Leip-

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DANK

zig; Carra Henry, Nasher Sculpture Center, Dallas; Catherine Hopkins, National Museum Wales, Cardiff; Carolin Jahn, Georg-Kolbe-Museum, Berlin; Dr. Frank Laukötter, Museen Böttcherstraße, Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen; Jérome Manoukian, Musée Rodin, Paris; Melanie Neil, Chrysler Museum of Art, Norfolk; Astrid Nielsen, Yvonne Brandt, Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Stefanie Patruno, Kunsthalle Mannheim; Christina Riley, ARTstor, New York; Giema Tsakuginow, Philadelphia Museum of Art; Hannelore Wahl, Kunsthalle Bielefeld

Personenregister Alberti, Leon Battista 25, 63 Albiker, Karl 36-37, 202-203, 203 Ambrosi, Gustinus 202, 203 Anders, Günther 186-187, 250, 262 Apollinaire, Guillaume 107, 149, 252, 263 Archipenko, Alexander 199, 210, 211, 240, 253, 264 Balzac, Honoré de 114, 136, 234, 247, 259 Barnard, George G. 199, 200, 210 Bartlett, Truman H. 165, 187, 249, 261 Baudelaire, Charles 59, 60, 88, 137, 168, 224, 234, 247, 259, 282 Bénédite, Léonce 73, 79, 97, 110, 114, 116, 120, 122, 152, 160, 163 Bergson, Henri 113, 181, 225 Bernini, Gian Lorenzo 65, 83, 90, 221 Bistolfi, Leonardo 202, 202 Brancusi, Constantin 14, 188, 193-195, 194, 210, 213, 231, 252-253, 264 Brieger-Wasservogel, Lothar 167 Bocchi, Francesco 22, 26-27 Boucher, Alfred 198, 198-200 Bourdelle, Antoine 36, 68, 71, 195, 203 Bulloz, Jacques-Ernest 73, 162 Buonarroti, Michelangelo 13, 17-40, 22, 23, 24, 25, 34, 56, 63, 65, 68, 81, 95, 102, 103, 118, 127, 164, 175, 177, 181, 203, 213, 214-215, 217, 231, 237-238, 244, 249, 255-256, 261 Burke, Edmund 45 Cantor, B. Gerald 13, 111, 160 Carrier-Belleuse, Albert-Ernest 60, 68 Carrière, Eugène 51, 77, 90, 135, 145, 148-153, 149, 151, 240, 252, 263-264 Cladel, Judith 56, 78, 116, 330 Claris, Edmond 136-137 Claudel, Camille 73, 96, 97, 101, 294 Clemen, Paul 75, 121, 156, 185, 210

Clemenceau, Georges 72, 123, 126, 128, 170-173, 172, 173, 219 Colt, Samuel P. 71, 110, 312 Condivi, Ascanio 17, 21, 23 Cortès-Gaillard, Argus 155, 187 Darwin, Charles 54, 150 Degas, Edgar 137, 229, 251, 262 Delacroix, Eugène 30-31, 35, 44, 45-47, 220, 237, 244, 256 Desbois, Jules 71, 137, 203, 209, 209 Despiau, Charles 71, 127, 195, 208 Donatello 22, 23, 219 Druet, Eugène 150, 162 Duse, Eleonora 130, 131, 246, 257, 321 Einem, Herbert von 10, 38, 57 Elisseieff, Barbe 159 Elsen, Albert E. 10, 11, 77, 78, 83, 100 Escoula, Jean 71, 91, 195, 196, 280 Falconet, Etienne-Maurice 117, 221 Fenaille, Maurice 339, 340 Fernow, Carl 29 Frisch, Victor 70, 71, 109, 110, 113, 209, 311 Gabritchevski, Gueorguii 126, 127 Gantner, Joseph 19, 38-39, 101, 232 Gargallo, Pablo 204, 205-207 Gatteaux, Nicolas 72 Gautier, Théophile 44 Geffroy, Gustave 95, 136-137 Géricault, Théodore 44 Goncourt, Edmond de 53, 54, 166 Grappe, Georges 13, 76, 77, 78, 92, 94, 96, 109, 116, 121, 152 Grautoff, Otto 69, 73, 178, 181 Gsell, Paul 33, 102, 118, 162 Guillaume, Eugène 32-35 Hamann, Richard 137, 139, 186 Hanak, Anton 200, 200-201 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 65

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PERSONENREGISTER

Hildebrand, Adolf von 37, 63, 68, 174-176, 187, 203, 213, 249, 261 Hoetger, Bernhard 210, 212, 240, 253, 264 Hoffman, Malvina 36, 208, 209 Hofmannsthal, Hugo von 223 Hrdlicka, Alfred 216, 217 Hugo, Victor 14, 43, 57, 72, 78, 79, 114, 125-126, 155, 187, 233, 246, 247, 258, 259, 358-360 Jacobsen, Carl 116, 159, 160-161, 249, 260, 318, 327 Justi, Carl 40 Kahn, Albert 110, 159, 276, 308 Kahn, Gustave 10, 55, 61, 63, 116, 145, 178-179, 187, 222 Kassner, Rudolf 62, 179, 240, 249, 250, 261 Kay, John Wesley de 72, 77, 98, 99, 123, 127 Kirkeby, Per 188, 217 Klinger, Max 14, 106, 183, 188, 189-191, 190, 240, 252, 264, Taf. 13 Koenigs, Felix 106, 159, 189, 296 Kolbe, Georg 203, Taf. 9 Krauss, Rosalind 10, 76, 219, 220 Lavery, John 132-133, 277 Léandre, Charles 170, 171 Lehmbruck, Wilhelm 14, 188, 191-193, 192, 210, 217, 240, 252, 264 Lemoyne, Jean-Baptiste 81, 82 Lichtwark, Alfred 159 Mahler, Gustav 14, 123-125, 128, 246, 258, 348-349 Maillol, Aristide 193, 207, 210, 213 Mallarmé, Stéphane 45, 135, 145, 234, 247, 259 Mastbaum, Jules 100, 143, 160 Mathet, Georges 71, 91, 110, 303, 312, 321, 339, 342, 344 Matisse, Henri 61, 217 Matruchot, Émile 73, 336, 340 Mauclair, Camille 103, 136, 145, 152-153 Maupassant, Guy de 229 Meier-Graefe, Julius 103, 152, 180, 187 Mengue, Jean-Marie 71, 73, 115, 327, 332, 334, 336 Merrill, Elizabeth Musgrave 92-94, 345-346

Merrill, Stuart 182 Meštrović, Ivan 68, 76, 205, 206, 207 Michel, Gustave-Frédéric 201, 201 Michelet, Jules 54 Monet, Claude 62, 66, 95, 135, 136, 137, 166, Taf. 11 Moore, Henry 213-215, 214, 217, 240, 253, 264 Morice, Charles 10, 136, 176-177 Muther, Richard 10, 101, 152, 178 Niederhäusern-Rodo, Auguste 196, 196-197 Nordau, Max 155, 168-170 Osborn, Max 141, 152, 183-184, 224, 239 Osthaus, Karl Ernst 98, 118 Ovid (Publius Ovidius Naso) 27-28, 54, 87, 115, 118, 227, 229 Panofsky, Erwin 26 Peter, Victor 71, 96-98, 101, 116, 119, 189, 286, 287, 290, 329, 330, 353 Petit, Georges 62, 66, 95, 136, 142, 166, 179, 189, 209, 287 Plinius (Gaius Plinius Secundus Maior) 33 Pompon, François 70, 195 Préault, Auguste 44, 44 Puvis de Chavannes, Pierre 14, 43, 72, 90, 119-125, 127, 128, 129, 130, 148, 158, 231, 233, 238, 246, 258, 351-353, Taf. 16 Rave, Paul Ortwin 105, 182 Rechberg, Arnold 110, 181-182, 187, 208-209 Reynolds, Joshua 45 Rilke, Rainer Maria 68, 75, 101, 105, 108, 124, 162, 178, 185-186, 187, 222, 224, 239, 240, 249, 250, 261, 262 Rombaux, Égide 202, 202 Rosso, Medardo 135-137, 139-144, 140, 141, 142, 143, 151-152, 220, 229, 240, 251-252, 262-263, Taf. 15 Rousaud, Aristide 69, 70, 71-72, 79, 92-94, 119-121, 123, 125, 126, 131, 170, 345, 347, 348, 351, 353, 354, 356, 358, 359 Ruskin, John 20, 29-30, 237, 244, 256 Ryan, Thomas F. 91, 116, 159, 280, 329, 332 Sackville-West, Victoria 354-356

PERSONENREGISTER

Scheffler, Karl 167, 188, 197 Schiaffino, Eduardo 158, 303 Schlegel, Friedrich 42, 225 Schnegg, Gaston 71, 208, 324 Schopenhauer, Arthur 45-46 Seroux d’Agincourt, Jean Baptiste 28 Shaw, George Bernard 66-67, 113 Simmel, Georg 10, 37, 113, 138, 180, 184, 187, 224-225, 239, 250, 261 Simpson, Katherine S. 159 Smith, James 159, 161, 249, 260 Soudbinine, Séraphin 71, 110, 313 Steinberg, Leo 10, 12, 57, 69, 219, 226 Stendhal (Marie-Henri Beyle) 30 Storrs, John 207, 208

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Sulzberger, Max J. 73, 95, 334 Symons, Arthur W. 61, 177, 181, 187, 249, 261 Treu, Georg 58, 113, 189 Tschudi, Hugo von 136, 152 Valéry, Paul 45, 219, 227 Vasari, Giorgio 17, 20-23, 26, 30, 38, 237, 244, 255-256 Vibert, James 135, 145-148, 146, 147, 148, 240, 252, 263 Weill, Raphael 125, 358 Wölfflin, Heinrich 174, 225 Yerkes, Charles Tyson 89, 90-91, 159, 280