Inszenierung der Suche: Vom Sichtbarwerden ästhetischer Erfahrung im Tagebuch. Entwurf einer wissenschaftskritischen Grafieforschung [1. Aufl.] 9783839406564

Der Begriff »Ästhetische Erfahrung« gilt zu oft als Chiffre für das Unsagbare. Wie können ästhetische Erfahrungen dennoc

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Inszenierung der Suche: Vom Sichtbarwerden ästhetischer Erfahrung im Tagebuch. Entwurf einer wissenschaftskritischen Grafieforschung [1. Aufl.]
 9783839406564

Table of contents :
Inhalt
Vorworte
Antworten
Zur Einführung
I. Einleitung: Inszenierung der Suche
II. Grafien: Zugang zur Forschung
1. Voraussetzung: Erfahrung
Zugang
Mangel
Intention
Pathos
Diastase / Differenz
Supplement des Ursprungs
Selbst
Selbstaffektion
Fremdaffektion
Draußen
Berührung
Gegenwart
Schrift
»Ich bin«
Spur
Antwort
2. Riss
3. Setzung: Aufzeichnung
Anspruch
Sprachlosigkeit
»...«
Mediale Krise der Repräsentation
performative writing
aufzeichnen – grafieren
Zur Forschungslage
Zu textuellen Aufzeichnungen
Eine Grafieforschung?
suchen
Gegenstand
directing data
othering
constructing data
Methode zur Datenerhebung
Ausgangspunkte
Forschungsfrage
III. Grafien: Zugang zu den Daten der Anderen
Begründung des qualitativen Forschungsansatzes
1. Methodologische Grundlegung: Rekonstruktion von Eigensinn
Relation von Erfahrung und Theorie
Methodische Kontrolle
Relevanz, Lebenswelt, Eigensinn
»Erfahrungswissen«
Verstehen im »konjunktiven Erfahrungsraum«
Postulat der Fremdheit
Grafieren: Übersetzung in den »kommunikativen Erfahrungsraum«
2. Rekonstruktion der Aufzeichnungspraxis
Setting
Fallauswahl
Zugang zum Datenmaterial – »Zufall«
Dokumentarische Methode der Interpretation
Visualisierung des Datenmaterials und der Arbeitsschritte
Formulierende Interpretation: »Zufall« oder Die Suche nach einer Visualisierung
»Soviel im Kopf und noch nichts aufgeschrieben ...« oder Der Anfang
»Ich denke an Flaschenpost ...« oder Die Themensuche
»... ich muss mich anders annähern« oder Die Entstehung des Spielraumes
»... mein hauptsächliches Problem ist jetzt die Visualisierung ...« oder Die Wegplanung
»Ich kann ja nicht zufällig handeln« oder Die Zufallsgenerierung im Bild
»Ausgangspunkt Mädchen (20)« oder Die Formulierung der Geschichte
»Rückblick: Themensuche« oder Die Rekonstruktion der Themensuche
»... meine Geschichte geht jetzt in eine leicht andere Richtung« oder Die Visualisierung
»Und zur Zeit beschäftigen mich meine Träume« oder Die Visualisierung des Privaten
»Ich suche immer wieder von Neuem« oder Die Anbindung der Suche
»... Seiten mit link zur Auswahl, die man … gesucht hat« oder Die Recherche: Kunst und Zufall
»... plötzlich rückt da dieses Auto mit einer Vehementheit in mein Blickfeld« oder Die Aufmerksamkeit
»... erst durch die Auto-Geschichte inspiriert« oder Die Reflexion der Suche
»… was dir hier bedeutungsvoll erscheint« oder Der Aufruf zum Kunstprojekt
»Tintenklecksbilder«
»Aufgeschriebene Würfelwürfe«
»Texte zum Auto«
»Stimmungslinien«
»Fernseherschlagworte«
»Zufallsfotos«
»Postkarten an Sabine«
»Traumsätze, Tagebucheinträge«
»Gedichte, in Wien von irgendwelchen Wänden / Säulen gepflückt«
»Fundstücke«
»Fotos vom abgebrochenen Absatz«
»Fotos vom Auto«
Diverses
Rekonstruktion der Sinngebung
Indizes als Instrumente der Rekonstruktion von Eigensinn
Reflektierende Interpretation oder »... wo die Geschichte zur Erfahrung wird«
Intervention
Brüche
Rekonstruktion der Vergleichshorizonte im Hinblick auf die Brüche
1. Vergleichshorizont: »Beziehungsweise«
2. Vergleichshorizont: »Vera’s Private Book of Tattoo Art«
3. Vergleichshorizont: »Island – Woher kommt die Faszination?«
Grafievariation
Fragengenerierung
Tendenzen
Übersicht: Methodologische Übersetzungen
Methodologische Übersetzungsschritte zur Rekonstruktion von Eigensinn
3. Grafien als Maßstab der (darstellbaren) Erfahrungen
Grafien als Instrumente des Antwortens
Grafien als Maßstab der Erfahrungen
Grafien als Praxis des Antwortens
IV. Grafien: Zugang zur kunstpädagogischen Anwendung
1. Es gibt die Erfahrung nicht, es sei denn als angewandte
Ästhetische Erfahrung
Anwendung der Erfahrung
Ästhetische Anwendung der Erfahrung
Ästhetische Organisation der Erfahrung
Ästhetik der Forschung
Ästhetik der Produktion
Findigkeit – Eine Heuristik für die Kunstpädagogik?
2. Anwendung im Kontext »Forschendes Lernen«
Ästhetische Forschung
Das Tagebuch »als Bezugspunkt der Reflexionen«
V. Schluss: Prinzipien der Setzung
VI. Literaturverzeichnis

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Andrea Sabisch Inszenierung der Suche

Theorie Bilden Band 9 Hannelore Faulstich-Wieland, Hans-Christoph Koller, Karl-Josef Pazzini, Michael Wimmer (Herausgeber im Auftrag des Fachbereichs Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg)

Editorial Die Universität ist traditionell der hervorragende Ort für Theoriebildung. Ohne diese können weder Forschung noch Lehre ihre Funktionen und die in sie gesetzten gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen. Zwischen Theorie, wissenschaftlicher Forschung und universitärer Bildung besteht ein unlösbares Band. Auf diesen Zusammenhang soll die Schriftenreihe »Theorie Bilden« wieder aufmerksam machen in einer Zeit, in der Effizienz- und Verwertungsimperative wissenschaftliche Bildung auf ein Bescheidwissen zu reduzieren drohen und in der theoretisch ausgerichtete Erkenntnis- und Forschungsinteressen durch praktische oder technische Nützlichkeitsforderungen zunehmend delegitimiert werden. Dabei ist der Zusammenhang von Theorie und Bildung in besonderem Maße für die Erziehungswissenschaft von Bedeutung, ist doch Bildung nicht nur einer ihrer zentralen theoretischen Gegenstände, sondern zugleich auch eine ihrer praktischen Aufgaben. In ihr verbindet sich daher die Bildung von Theorien mit der Aufgabe, die Studierenden zur Theoriebildung zu befähigen. In dieser Schriftenreihe werden theoretisch ausgerichtete Ergebnisse aus Forschung und Lehre von Mitgliedern des Fachbereichs publiziert, die das Profil des Faches Erziehungswissenschaft, seine bildungstheoretische Besonderheit im Schnittfeld zu den Fachdidaktiken, aber auch transdisziplinäre Ansätze dokumentieren. Es handelt sich dabei um im Kontext der Fakultät entstandene Forschungsarbeiten, hervorragende Promotionen, Habilitationen, aus Ringvorlesungen oder Tagungen hervorgehende Sammelbände, Festschriften, aber auch Abhandlungen im Umfang zwischen Zeitschriftenaufsatz und Buch sowie andere experimentelle Darstellungsformen.

Die Autorin dieses Bandes: Andrea Sabisch (Dr. phil.) lehrt Kunstpädagogik an der Universität Dortmund. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Methoden der Aufzeichnung, ästhetische Forschung, heuristische Kunstpädagogik, Methodologie der qualitativen Forschung und Wissenschaftskritik aus ästhetischer Perspektive.

Andrea Sabisch

Inszenierung der Suche Vom Sichtbarwerden ästhetischer Erfahrung im Tagebuch. Entwurf einer wissenschaftskritischen Grafieforschung

Meinen Eltern Jo und Lisa, Hanne und Günter gewidmet.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Liane Müller, 2007 Lektorat & Satz: Andrea Sabisch, Dortmund Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-656-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Vorworte BERNHARD WALDENFELS: Antworten KARL-JOSEF PAZZINI: Zur Einführung

9 11

I.

Einleitung: Inszenierung der Suche

17

II.

Grafien: Zugang zur Forschung

25

1.

Voraussetzung: Erfahrung Zugang Mangel Intention Pathos Diastase / Differenz Supplement des Ursprungs Selbst Selbstaffektion Fremdaffektion Draußen Berührung Gegenwart Schrift »Ich bin« Spur Antwort

29 29 30 33 33 35 38 39 40 41 42 42 43 44 45 46 47

2.

Riss

48

3.

Setzung: Aufzeichnung Anspruch Sprachlosigkeit »...« Mediale Krise der Repräsentation performative writing aufzeichnen – grafieren Zur Forschungslage Zu textuellen Aufzeichnungen Eine Grafieforschung? suchen Gegenstand

49 49 52 53 58 64 70 73 74 81 83 85

III.

directing data othering constructing data Methode zur Datenerhebung Ausgangspunkte Forschungsfrage

86 88 89 90 92 94

Grafien: Zugang zu den Daten der Anderen

97

Begründung des qualitativen Forschungsansatzes

97

1.

Methodologische Grundlegung: Rekonstruktion von Eigensinn Relation von Erfahrung und Theorie Methodische Kontrolle Relevanz, Lebenswelt, Eigensinn »Erfahrungswissen« Verstehen im »konjunktiven Erfahrungsraum« Postulat der Fremdheit Grafieren: Übersetzung in den »kommunikativen Erfahrungsraum«

102 103 105 107 108 110 111 113

2.

Rekonstruktion der Aufzeichnungspraxis Setting Fallauswahl Zugang zum Datenmaterial – »Zufall« Dokumentarische Methode der Interpretation Visualisierung des Datenmaterials und der Arbeitsschritte Formulierende Interpretation: »Zufall« oder Die Suche nach einer Visualisierung »Soviel im Kopf und noch nichts aufgeschrieben ...« oder Der Anfang »Ich denke an Flaschenpost ...« oder Die Themensuche »... ich muss mich anders annähern« oder Die Entstehung des Spielraumes »... mein hauptsächliches Problem ist jetzt die Visualisierung ...« oder Die Wegplanung »Ich kann ja nicht zufällig handeln« oder Die Zufallsgenerierung im Bild »Ausgangspunkt Mädchen (20)« oder Die Formulierung der Geschichte »Rückblick: Themensuche« oder Die Rekonstruktion der Themensuche »... meine Geschichte geht jetzt in eine leicht andere Richtung« oder Die Visualisierung »Und zur Zeit beschäftigen mich meine Träume« oder Die Visualisierung des Privaten »Ich suche immer wieder von Neuem« oder Die Anbindung der Suche »... Seiten mit link zur Auswahl, die man … gesucht hat« oder Die Recherche: Kunst und Zufall »... plötzlich rückt da dieses Auto mit einer Vehementheit in mein Blickfeld« oder Die Aufmerksamkeit »... erst durch die Auto-Geschichte inspiriert« oder Die Reflexion der Suche »… was dir hier bedeutungsvoll erscheint« oder Der Aufruf zum Kunstprojekt »Tintenklecksbilder« »Aufgeschriebene Würfelwürfe« »Texte zum Auto« »Stimmungslinien« »Fernseherschlagworte« »Zufallsfotos« »Postkarten an Sabine« »Traumsätze, Tagebucheinträge« »Gedichte, in Wien von irgendwelchen Wänden / Säulen gepflückt« »Fundstücke« »Fotos vom abgebrochenen Absatz« »Fotos vom Auto« Diverses

115 115 120 122 123 125 125 126 127 128 130 131 136 137 138 140 140 142 149 151 153 155 158 159 164 166 169 171 177 181 182 184 185 186

3.

Rekonstruktion der Sinngebung Indizes als Instrumente der Rekonstruktion von Eigensinn Reflektierende Interpretation oder »... wo die Geschichte zur Erfahrung wird« Intervention Brüche Rekonstruktion der Vergleichshorizonte im Hinblick auf die Brüche 1. Vergleichshorizont: »Beziehungsweise« 2. Vergleichshorizont: »Vera’s Private Book of Tattoo Art« 3. Vergleichshorizont: »Island – Woher kommt die Faszination?« Grafievariation Fragengenerierung Tendenzen Übersicht: Methodologische Übersetzungen Methodologische Übersetzungsschritte zur Rekonstruktion von Eigensinn

187 187 189 191 192 195 195 198 200 203 204 205 208 210

Grafien als Maßstab der (darstellbaren) Erfahrungen Grafien als Instrumente des Antwortens Grafien als Maßstab der Erfahrungen Grafien als Praxis des Antwortens

211 212 218 219

IV. Grafien: Zugang zur kunstpädagogischen Anwendung

225

1.

Es gibt die Erfahrung nicht, es sei denn als angewandte Ästhetische Erfahrung Anwendung der Erfahrung Ästhetische Anwendung der Erfahrung Ästhetische Organisation der Erfahrung Ästhetik der Forschung Ästhetik der Produktion Findigkeit – Eine Heuristik für die Kunstpädagogik?

225 230 232 233 234 236 237 239

2.

Anwendung im Kontext »Forschendes Lernen« Ästhetische Forschung Das Tagebuch »als Bezugspunkt der Reflexionen«

242 244 245

V.

Schluss: Prinzipien der Setzung

255

VI. Literaturverzeichnis

261

Antworten

Forschen und Lehren ändern ihre Gestalt, wenn man sich von dem doppelten Vorurteil frei macht, entweder wisse man zuinnerst schon, was man sucht und lehrt, oder man wisse es gar nicht, weil es ganz und gar von außen komme. Doch wie kann man suchen, ohne bereits zu wissen, was man sucht? Dieses alte Rätsel, das uns seit Platons Zeiten verfolgt, findet nur dann eine Lösung, wenn Wissen mehr ist als ein bloßes Wissen, das man hat oder nicht hat, das man für sich behält oder an andere weitergibt. Die Sinne sind darin unsere besten Lehrmeister. Wie sie uns lehren, beginnt alles damit, dass uns etwas auffällt, uns befremdet, beunruhigt, anlockt, abschreckt, mitreißt, und ähnlich steht es mit dem, was uns in den Sinn kommt, was uns einfällt. Wir beginnen immer aufs Neue außerhalb unser selbst, indem wir auf etwas antworten, das uns widerfährt, zustößt, zufällt. Antworten heißt mehr tun, als man kann; das Antworten geht über unsere eigenen Kräfte. Demgemäß setzt jedes Forschen ein mit einem Aufmerken, jedes Lehren mit einem Aufmerkenlassen. Das Aufmerken kommt allerdings nicht aus heiterem Himmel, es hebt sich ab von dem Hintergrund einer anfänglichen Vertrautheit, die verfremdet, aber nicht getilgt wird. Alles Neue lebt vom Kontrast. Es wirkt umso nachhaltiger, je mehr es in Frage stellt. Doch das Forschen und Lehren bliebe beschränkt auf Augenblicksblitze, würde es sich nicht in wechselnden Formen niederschlagen. Der Fortgang bedarf der Künste des Darstellens. Wie aber lässt sich verhindern, dass die Heuristik zur bloßen Vorstufe herabsinkt? Wie lässt sich darstellen, was wir nicht schon kennen? Wie lässt sich eine Unruhe ins Bild setzen, zu Gehör bringen, in Worte fassen? Die Antwort, die uns in hier angeboten wird, lautet: Immerzu zeigt sich mehr, als sich sagen und mitteilen lässt. So bedarf es indirekter Formen der Darstellung, die im Gefundenen die Spuren des Fremden wahren und die Abenteuer des Findens wachhalten, und zwar in Form von Brüchen, Rissen, blinden Stellen und stillen Pausen, die einer Genese der Sinne und des Sinnes angehören. Unsere Autorin hält sich an Aufzeichnungen, die ihren prozessualen Charakter ebenso wenig verleugnen wie ihre affektive Aufladung und ihre ansteckende Wirkung. Die Kunstpädagogik, die sich aus den Erfindungen der Künste nährt, steht nicht allein. Eine Findigkeit der Sinne und des Körpers ist überall gefordert, wo nicht bloß Wissensbestände verwaltet, Forschungsaufträge ausgeführt, Lehrprogramme durchgeführt werden. Dies unterscheidet die Szenen des Suchens von den Lagerbeständen eines Fundbüros.

9

INSZENIERUNG DER SUCHE

Die Inszenierung der Suche bildet nicht nur das zentrale Thema dieser erfindungsfreudigen Untersuchung, sie wird selbst in verschiedenen Akten inszeniert, von den Aufzeichnungen der Forschung über die Auswertung studentischer Erfindungen bis zum allgemeinen kunstpädagogischen Ertrag. Vieles sollte man geduldig vor und zurück lesen. Der Gang der Untersuchung enthält genügend Stolpersteine, die verhindern, dass die Forschungs- und Lehrpraxis allzu glatt abläuft. Insofern hat diese kunstpädagogische Zugangsweise etwas Exemplarisches. Bernhard Waldenfels

10

Zur Einführung

Kunstpädagogik, sei es nun in der Schule oder in der Hochschule, ist ein Feld, das sich einerseits schwer abgrenzen lässt, andererseits in sich schon viele Grenzen enthält, die dauernd überschritten werden müssen, wenn man kunstpädagogisch arbeitet, zumal dann, wenn man forscht. Der Diskurs der Kunstpädagogik, verstanden als soziales Band, ist sehr heterogen. Wenn es auch keinen allgemein verbindlichen Konsens über das gibt, was als Kunstpädagogik zu verstehen sei, so zeichnet sich gerade deshalb Kunstpädagogik dadurch aus, dass unterschiedliche insbesondere pädagogische und erziehungswissenschaftliche, überhaupt wissenschaftliche und künstlerische Parzellen auf diesem Feld sich berühren. So gibt es ganz unterschiedliche Typen, verstanden als Eigenarten und Menschen, die sich auf diesem Feld bewegen. Andrea Sabischs Arbeit zeigt einen Typ davon, und zwar einen, der sich auf dem Marktplatz, wo die verschiedenen Kulturen zusammengebracht werden, bestens auskennt und viele Sprachen spricht. Sie tut dies an der Arbeit ablesbar mit Bezug auf wiederum andere unterschiedliche Typen (auf Menschen, wie auf Wissenschaften). Die Arbeit bewegt sich insbesondere auf und zwischen und über die Grenzen hinweg z.B. von Sprache, Schrift, Abbild, und Bild. Man könnte die Bereiche auch gleich in den Plural setzen. Sabisch thematisiert Variationen der Bezugnahme. Das Buch geht zurück auf eine Ermunterung. Speziell war sie gerichtet an Studierende zur Produktion von Grafien. Es folgte die Aufbereitung zur Darstellung im Rahmen einer Forschungsarbeit. Die Autorin forschte nach Hinweisen für Momente ästhetischer Erfahrung. Die Suche danach und deren Interpretation bilden das Zentrum des Buches. Grafien sind auf einer Skala zwischen den Polen Schrift und Bild anzusiedeln. Besondere Beachtung schenkt die Autorin dem Herstellungsprozess dieser Grafien. So rücken auch deren Produzenten in den Fokus der Aufmerksamkeit. Von der präzisen Darstellung des Herstellungsprozesses, von Zeugnissen möglicher ästhetischer Erfahrung einmal erfasst, befand ich mich als Leser, wenn auch zunächst in relativer Distanz, im gleichen Feld am anderem Ort, und wurde in einen performativen Prozess einbezogen. Ich vermute – und das ist ein Qualitätsmerkmal der vorliegenden Untersuchung – dass es jedem Leser so gehen wird. Das nun vorliegende Buch steht zugleich dafür, dass nicht alles im Prozess verschlungen wird, also flüchtig bleibt, sondern in der Grafie dieser Arbeit viele Feststellungen und Setzungen erfährt, die dennoch den Diskurs nicht beenden können.

11

INSZENIERUNG DER SUCHE

Wenn nach der Aufklärung und ihren Folgen, ihrer Dialektik, der kritischen Selbstreflexion alle vormals als fixe Orientierungspunkte geglaubte Gewissheiten selber als zweifelhaft erscheinen, dann ist es ein oft gewählter Ausweg, von der Wissenschaft anzunehmen, sie könne doch noch neue Gewissheiten in Form der ubiquitären Überprüfbarkeit schaffen. Aber je mehr diese Fähigkeit und Kapazität der Wissenschaft auf komplizierte Gegenstände und Widerstände bezogen werden, umso mehr wird Wissenschaft damit konfrontiert, dass wir als Wissenschaftler nicht mehr genau wissen, was wir tun, und damit, dass wir dies nicht kontrollieren können – so ruft Sabisch Wolfgang Krohn als Zeugen auf. Sie forscht mit einem aufmunternden und argumentierenden Dennoch. Für die Kunstpädagogik ist das Operieren an den Grenzen zum Nichtsagbaren und Nichtschreibbaren unverzichtbar. Als Chiffre dafür steht seit langem in der Kunstpädagogik die Rede von der ästhetischen Erfahrung. In der vorliegenden Untersuchung wird diese andernorts oft schwammige Rede zunächst einmal als solche identifiziert und konzipiert als unsichtbare Konstruktion. Daraus folgen Fragen und Untersuchungsaufgaben: Wie kann das, was ästhetische Erfahrung genannt wird, überhaupt einer Untersuchung zugänglich gemacht werden? Durch die ganze Abhandlung hindurch wird die Frage in unterschiedlicher Weise facettiert, beginnend mit einer Bezugnahme auf philosophische Theorien bis hin zu immer wieder neuen Schritten der Übersetzung der Frage. Dadurch erhält die Arbeit einen in sie integrierten Evaluationsprozess, der aber nicht auf der Überprüfung vorher gesetzter Zielannahmen zielt und damit eine Planbarkeit implizieren würde, sondern gekennzeichnet ist durch die Arbeit an einer immer wieder zu erringenden Öffnung gegenüber einer drohenden Schließung durch Normierung. So kann die Untersuchung für Evaluation, wenn sie denn fachspezifisch sein will, das hier Entwickelte zum Vorbild nehmen. Die Autorin ist sich durchaus im Klaren darüber, dass sie um Setzungen nicht herumkommt. Diese Setzungen werden im überzeugenden Sinne als wirklichkeitsgenerierende Fiktionen konzipiert. Sie konfrontieren damit, dass schon am Ausgangspunkt jeglicher Forschung Gestaltung angezeigt ist und sich damit die Forscherin selber mitten im Feld befindet, sich, ihr Schreiben und ihr Gegenstand um zuvor dargestellte Erfahrungsspuren herum modelliert. Als Prinzipien der Setzung werden isoliert: die Unterstellung, die Performativität, der Eigensinn, die Inszenierung und die Leerstelle. Was den Status dieser Setzungen angeht, kann man beispielsweise ermessen, wenn man das zum Prinzip des Eigensinns angeführte etwas genauer ansieht: Es geht um die Berücksichtigung des Singulären in seinem Eigensinn. Das Selbst habe man nicht, sondern erst, indem das Selbst diese Eigensinnsbewegung herstelle, werde es umgekehrt erst zu einem Selbst. Der Zirkel der Selbstheit werde durch eine Fremdaffektion gesprengt, der dann folgende Aufzeichnungsprozess erst zeige Eigensinn. Die Untersuchung bietet Gelegenheit über das, was Empirie genannt wird in der Forschung der Kunstpädagogik, lesend nachzudenken. Manchmal gewinnt man dabei den Eindruck, als habe sich die Autorin gegen die weitgehenden Folgerungen aus ihrer Arbeit vorläufig etwas geschützt. Sie betont, dass es ihr z.B. gegen den vernebelten Gebrauch und Reklamation ästhetischer Erfahrung in der Kunstpädagogik und anderswo um eine empirische Arbeit ginge. Die oft vergessene Übersetzung von »Empirie« ist »Erfahrung«. Allerdings ist die äußerst sorgfältige und erfindungsreiche Darstellung der empirischen Forschung gleichzeitig ein Aufweis, dass es in der Kunstpädagogik, vielleicht auch anderswo, dabei weder um die Erlangung noch um die Entdeckung einer vorausgesetzten Gewissheit gehen kann.

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VORWORTE

Forschung und auch die Rezeption ihrer Ergebnisse, sind ein komplexer Erfahrungsprozess, der selber ein Moment von Produktion hat. Empirie ist eben Erfahrung, immer auch ästhetische, auch wenn das nicht immer bemerkt wird. Wenn aber, wie Sabisch überzeugend vorführt, im Feld der Kunstpädagogik Erfahrung auf so komplizierte und komplexe Weise erst herzustellen ist, dann kann man nicht, wie die Autorin es fast entschuldigend tut, alleine fehlende Zeit und fehlende Ressourcen dafür verantwortlich machen, dass im vorliegenden Fall nur eine studentische Arbeit diesem Konstruktionsprozess ausgesetzt wird, sondern dann ist es Kennzeichen dieser hier erforderten »Empirie«. Das aufzuzeigen, ist Andrea Sabisch überzeugend gelungen. Sie hat dazu für die Darstellung jede Menge Erfindungen machen müssen und diese einer kritischen Reflexion ausgesetzt, die jeder Leser, der willens ist und Geduld hat, nachvollziehen kann. Die Erfindungen reichen von der Art des Schreibens über die Darstellung der studentischen Arbeit zum Zwecke einer Unterbringung in einem Buch, der Anordnung auf der Seite bis zur Typografie und Farbgebung. Selten habe ich eine so erfindungsreiche Arbeit der Herstellung von Empirie, eines »Protokolls« von werdender Erfahrung zur Kenntnis nehmen können. Zur Vorbereitung in dieser Einsicht beim Leser dient Andrea Sabisch die Darstellung ihres eigenen aus der Nachträglichkeit heraus destillierten Erfahrungsprozesses mit einschlägigen philosophischen Ansätzen zum Erfahrungsbegriff. Zentriert werden diese Reflexionen ganz wesentlich durch den phänomenologischen Ansatz von Waldenfels. Immer deutlicher kristallisiert sich dabei der zukünftige Gegenstand (wie gesagt aus der Nachträglichkeit) heraus, er ist also nicht, er wird aus dem, was gewesen ist. In diesem Sinne ist die vorliegende Arbeit eine Art »Wiederholung« (vielleicht auch Mimesis) der Aufgabenstellung für die Studierenden. Wesentlich erscheint mir die an Waldenfels gewonnene Einsicht, die dem Dateneuphoriker ins Stammbuch geschrieben gehört, das nicht das zu Erforschende Fremde außen als gegeben (Wer gibt die Daten?) aufzunehmen sei, sondern dass die Fremdheit gewissermaßen das Selbst durchziehe und »in der Fremdaffektion affiziert sich das Selbst. Das bedeutet, dass das Fremde und das Eigene nicht mehr als Gegensatz von psychologischem Innen- und physischem Außen beschrieben werden kann, sondern als wechselseitige Durchdringung«. Diese Tatsache lässt jeden Erfahrungsprozess zum pathischen (leid- und lustvollen) werden. Aus der Sprachwissenschaft mit einem Rückgang auf Nietzsche beschreibt Sabisch die Krise der Repräsentation und ihre daraus gewonnene Aufmerksamkeit für das, was in Sprache nicht abgebildet werden kann, und damit auf die Frage, was mit all dem ist, was man zwar ganz unbestimmt (!) bemerkt, aber noch nicht, jedenfalls nicht unmittelbar und ohne Verlust oder ein Mehr in ein Medium transformieren kann. Damit fokussiert sie ihre Aufmerksamkeit auf die Einbrüche dieses bisher noch nicht Formulierten in die möglichen medialen Darstellungen. Grafieren ist die Herstellung von Erfahrung selbst. Was Derrida zum Verhältnis von Sprache, Stimme und Schrift entfaltet hat, kombiniert mit den Forschungen von Waldenfels lässt eine weit über die Arbeit hinausreichende Kritik an gängiger Wissenschaft formulierbar werden. Konventionelle Wissenschaft schließt die pathische Dimension unter dem Vorzeichen der »Objektivität« zwangsläufig aus dem Diskurs aus – jedenfalls versucht sie das –, wenn sie die schriftliche Fassung lediglich als kontrollierte, gesteuerte, intentionale, und bewusste auftreten lässt. Die Zeitlichkeit des Forschungsprozesses wird beschrieben als eine, die im Futur anterior funktioniert. (Diese Einsicht widerspricht überzeugend den meisten Formularen, die ein Wissenschaftsbeamter heute bei Forschungsanträgen ausfüllen muss.)

13

INSZENIERUNG DER SUCHE

Diese Thesen und Argumentationen werden umsichtig und kenntnisreich gestützt durch Bezüge auf Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft (z.B. Saussure), Theorien zur Performativität (z.B. Wolf, Mersch, Sibylle Peters), Kulturwissenschaft (z.B. Kittler) bis hin zur Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte (z.B. Panofsky). Zusammen gehalten werden diese Erörterungen im Hintergrund durch einen Bezug auf Ernst Bloch. Aus ethnologischen Theoremen heraus ergibt sich das Selbstverständnis der Forscherin: Forschung, üblicherweise in einem Text dargestellt, ist sich wechselseitig hervorrufende Ethno-Grafie und Auto-Grafie. Durch diese Verfahrensweise möchte sie den Adressaten der Forschung (nicht misszuverstehen einzig als Leser; vielmehr geht es um die Beforschten oder die Objekte, wie man konventionell sagen würde) nicht mundtot machen, zum Fall erklären, sie quasi überfallen. Gestützt auf die phänomenologischen Ansätze Waldenfels' zeigt sich, dass das hier auf dem Feld der Kunstpädagogik Erforschte durchaus paradigmatischen Charakter für Wissenschaft haben kann. Damit wird der Kunstpädagogik durch deren unausweichliche Berührung mit dem Ästhetischen und der Erfahrung künstlerischer Vorgehensweisen eine Pilotfunktion für die erziehungswissenschaftliche Forschung zugeschrieben. Von da leiten sich, wie angedeutet wird, Konsequenzen für eine Konzeption des Lernens und Lehrens ab. Andrea Sabisch macht gegenüber einer definierten und standardisierten Zielbestimmung des Lehrens, des Lernens, des Forschens und der Wissenschaft, also etwas Gewissem, das erreichbar zu sein scheint, klar, dass bei der ästhetischen Erfahrung das Ziel durch deren Thematisierung sich allmählich erst herauskristallisiert, als das, worauf man zielte, ohne es klar vor Augen haben zu können. Man konnte es höchstens im Modus eines unbewussten Wissens für wahr nehmen. Es geht um zwei Bewegungen der Unterstellung: die für jeden Lehr- und Lernprozess notwendige Unterstellung des Lehrenden als eines Subjektes, das weiß, und die gleichzeitig notwendige Unterstellung von Seiten der Lehrenden, der Unterstellung die Studierenden seien Subjekte, die etwas wissen und zu (ästhetischen) Erfahrungen fähig seien. Die Doppelung wendet sich gegen eine simple Selbstverwirklichung, die davon ausgeht, dass das Selbst, was es zu verwirklichen gilt, zumindest im Kern schon da, vielleicht lediglich verborgen sei. Ein risikoreiches Forschungsprojekt hat eine differenzierte Darstellungsform gefunden. Diese Untersuchung geht in ihren sorgfältig gewonnenen Aussagen über das kunstpädagogische Feld hinaus, wie sie sich auch auf Diskurse bezieht, die zunächst einmal weit vom Kern normaler kunstpädagogischer Forschung entfernt zu suchen sind. Und noch etwas: Die hier vorgeführte Empirie positioniert sich mit Demut gegenüber dem »Objekt« der Forschung. Karl-Josef Pazzini

14

»Ich weiß nicht. Ich mag das Wort Erfahrung recht gerne, dessen Ursprung etwas über die Durchquerung sagt; jedoch über eine Durchquerung mit dem Körper, eines Raumes, der nicht von vorneherein gegeben ist, sondern sich in dem Maße öffnet, wie man voranschreitet. Ich würde vielleicht das Wort Erfahrung auswählen, in einer etwas wiederbelebten und aufgefrischten Form, sagen wir.«1

1

DERRIDA, JACQUES: Auslassungspunkte. Gespräche. 1998. S. 220.

I. Einleitung: Inszenierung der Suche

Während in den letzten Jahren viele Texte über Merkmale und Strukturmomente »Ästhetische Erfahrung« publiziert wurden, frage ich in der vorliegenden Arbeit nach ihren Aktualisierungsmöglichkeiten im kunstpädagogischen Kontext. Ausgehend von der Tatsache, dass »Ästhetische Erfahrung« im Lehralltag eine unsichtbare Konstruktion ist, über die wir nur spekulieren können, verschiebe ich die Frage, was eine ästhetische Erfahrung ist, danach, wie sie zur Darstellung gelangen kann, damit sie kommunizierbar wird. Eine Möglichkeit Erfahrungen zu aktualisieren, sehe ich in dem Versuch (und der gleichzeitigen Unmöglichkeit), sie aufzuzeichnen. Der Vorzug einer solch prozessualen Manifestation liegt darin, als genetische Schnittstelle zwischen ästhetischer und theoretischer Praxis zu figurieren, welche nicht erst dem Endprodukt Rechenschaft zollt, sondern den Prozess der Darstellung konkretisiert. Entsprechend untersuche ich in dieser Arbeit die These, dass Aufzeichnungen eine ästhetische Produktivität eignet, welche in ihrer Anwendung als kunstpädagogische Methode eine Möglichkeit darstellt, die oft getrennten Bereiche von Erfahrung, Inszenierung und Forschung neu miteinander zu verknüpfen.

»Ästhetische Erfahrung«

Unter dem Begriff der »Aufzeichnung«, den ich synonym zu »Grafie« (griech. gráphein: schreiben, ritzen, zeichnen) verwende, verstehe ich lernbegleitende Notations- und Dokumentationspraktiken, die sowohl einen »Inhalt« (Biografie, Kosmografie etc.) als auch eine mediale Weise der Darstellung (Fotografie, Videografie, Audiografie etc.) bezeichnen. Für die Anwendung solcher Grafien existieren im kunstpädagogischen Diskurs verschiedene Begrifflichkeiten: Neben den Namen für das fixierte Produkt, wie beispielsweise ästhetisches oder visuelles Tagebuch, Journal oder Portfolio, betonen Begriffe wie Mapping und Kartierung spezifische Aufzeichnungspraktiken. Im Unterschied zu rein textbasierten Tagebüchern, können in Aufzeichnungen nicht nur sprachliche, sondern diverse mediale Modi des Darstellens miteinander verknüpft werden. Die kunstpädagogische Relevanz besteht darin, dass die Grafie als subjektorientierte Veröffentlichungsstrategie eine selbstorganisierte mediale Praxis darstellt, die nicht nur eine individuelle Suche auslösen kann und damit Erfahrungen generiert, sondern gleichermaßen die Erfahrungsorganisation in ihrer Abfolge als dynamische Orientierung der Suche sichtbar macht. Anders gesagt: Wenn ich dem Eingangszitat zufolge mit DERRIDA »Erfahrung« als Durchquerung eines noch nicht vorhandenen Raumes verstehe, der sich im Gehen erst öffnet, fungiert die Aufzeichnung als Instrument der Navigation in unbekannten Räumen, an

»Aufzeichnung« und »Grafie«

17

Kunstpädagogische Relevanz

INSZENIERUNG DER SUCHE

Inszenierung der Suche

Ästhetische Forschung

Suche

Inszenierung

Re-search – Forschung

Die leere Landkarte

dem sich die individuelle Wegbahnung mitsamt der Raumöffnung dokumentiert. Diese Doppelstruktur der Aufzeichnung als Konstruktion einerseits und Repräsentation andererseits macht Aufzeichnungen für die Kunstpädagogik interessant. Indem wir aufzeichnen, inszenieren wir Erfahrungen. Damit wird die Inszenierung erfahrbar. Da die Aufzeichnung eine Methode ist, die individuelle Erfahrungen generiert und damit persönliche Relevanzrahmen, Erwartungshorizonte und Eigensinnigkeiten bereits in ihrem Entstehungskontext kommunizierbar macht, eignet sie sich besonders im Rahmen eines selbst gesteuerten, entdeckenden oder forschenden Lernens. Denn hier fungiert die Aufzeichnung – wie ich mit dem Titel »Inszenierung der Suche« anzeigen möchte – als antreibende Kraft, als Motor für die singuläre Suche. Im kunstpädagogischen Setting dieser Arbeit situiere ich die Aufzeichnung folglich im Rahmen der Konzeption »Ästhetische Forschung«, wie Helga KÄMPF-JANSEN sie 2001 für Schule und Hochschule entwickelt hat. Dabei widerspreche ich ihrer Annahme, dass am Anfang der Forschung bereits eine Frage stünde. Stattdessen versuche ich zu erkunden, wie eigene Fragen entstehen. Dazu bezeichne ich die Phase, die vor der Forschung geschieht, als »Suche«. Die Suche ist im Unterschied zum Forschungsprozess wesentlich diffuser, weil es noch keine Ordnung gibt und auch keine Frage, die das, was wir suchen, bündeln könnte. Die Suche ereignet sich in einer paradoxalen Struktur: Wir suchen, ohne bereits im Voraus zu wissen, was es sei, wonach wir suchen und dennoch können wir fündig werden. In dieser vorreflexiven Ungewissheit des noch nicht Greifbaren, über die wir schwerlich verfügen können, leiten uns Ahnungen und Aufmerksamkeiten, die uns und unsere Suche ausrichten. Eine Suche allein aber müsste pädagogisch irrelevant bleiben, sofern wir sie nicht erscheinen lassen, sie inszenieren. Und eine Methode die Suche zu inszenieren, ist, sie zu grafieren. Entscheidend ist nun, dass sich Suche und Inszenierung wechselseitig bedingen. Sie geben sich im Produktionsprozess gewissermaßen gegenseitig Anschwung, sodass man sagen kann, die Suche wiederhole sich variierend anhand der Inszenierung, die sie umgekehrt erst motiviert. Diese kreisende Suchbewegung, die die Grafie von der singulären Suche abhängig macht, wird insofern kommunizierbar, als sie – unabhängig von dem, was uns jeweils bewegt –, zugleich um Fragen der Darstellbarkeit kreist. Insofern ergänze ich meine bisherige Aussage: Indem wir aufzeichnen, inszenieren wir unsere Erfahrungen der Suche. Damit wird die »Inszenierung der Suche« ästhetisch erfahrbar. Durch die sich wiederholende Anwendung im performativen Akt der Bedeutungsbeimessung und Sinngebung wird der antreibende »Eigen-Drehimpuls«2, der Spin des Selbst erfahrbar. Indessen entstehen die Fragen. Eine derartig motivierte, sich wiederholend modifizierende »Inszenierung der Suche«, wird auch »Re-Search« oder »Re-cherche« genannt; sie ist bereits »Forschung«. Die etymologische Verwandtschaft der Begriffe »Forschung«, »Frage« und »Suche« verweist ferner darauf, dass Forschung grundsätzlich die Möglichkeit neuer Erfahrungen impliziert und sich somit in die Zukunft entwirft. Insofern wird die Grafie zum navigierenden Forschungsinstrument der Lernenden. Als symbolisches Modell einer grafierten »Inszenierung der Suche« betrachte ich die berühmte leere Landkarte von Lewis CAROLL. In seinem vermeintlichen Unsinnsgedicht »Hunting of the snark« beschreibt dieser die fiktive Suche einer Schiffsmannschaft nach einem Fabeltier namens »snark«. Als sich die aus Tieren und Menschen bestehende Crew am Anfang der Reise an Bord versammelt, bestimmt der Kapitän seinen Kurs, indem er eine leere Landkarte zeigt:

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18

Diesen Begriff übernehme ich von Botho Strauß vgl. STRAUSS, BOTHO: Beginnlosigkeit. Reflexionen über Fleck und Linie. 1997. S. 92.

EINLEITUNG

»He had bought a large map representing the see, Without the least vestige of land. And the crew were much pleased when they found it to be a map they could all understand. ›What's the good of Mercator's North Poles und Equators, Tropics, Zones, and Meridian Lines?‹ So the Bellman would cry: and the crew would reply ›They are merely conventional signs!‹ ›Other maps are such shapes, with their islands and capes! But we've got our brave Captain to thank‹ (So the crew would protest) ›that he`s bought us the best – A perfect and absolute blank!‹«3

Die eigentliche »Aufgabe der Karte, an der sich Seefahrer orientieren können, ist als ›Konvention‹ über Bord geworfen. Sie ist leer und geographische Fixpunkte sind durcheinander gebracht. Die Matrosen müssen die Karte neu anfertigen, also die Weltmeere neu entdecken«.4 Eine Suche kann beginnen. Diese Suche erinnert an die literarisch tradierten Irrfahrten eines Odysseus, an die Schiffe des Fliegenden Holländers, der steuerlosen Todesbarke von Kafkas »Jäger Grachus« sowie Rimbauds »Bateau ivre«, die ins Unendliche treiben , sie erinnert an die die Reise motivierende Sehnsucht ebenso wie an eine Symbolik der Lebensreise; kurz: sie erinnert an das »Motiv der Fahrt«, wie es auch in der »Erfahrung« aufscheint.5 Versteht man die Karte gewöhnlich als Wegweiser für die Durchquerung oder Erfahrung der Welt, wird die Kartografie »zur künstlerischen Metapher auch für Orientierung in einer immer orientierungsloser apostrophierten Welt.«6 Eine leere Karte hingegen wird zum Denkbild der Möglichkeit; sie kann eine Suche hervorrufen. Um diesen Entwurfscharakter zu betonen, visualisiere ich zu Beginn jedes Kapitels dieser Arbeit eine leere Karte, die in postkolonialen Zeiten keine Land- oder Seekarte mehr darstellt und schon gar nicht die »Welt an sich«7, sondern eine Karte, die die Koordinaten und den jeweiligen Maßstab für meinen Weg der Textwerdung im entsprechenden Kapitel visualisiert. Im Gegensatz zu Borges Kartenzeichner, der eine Welt im Maßstab 1:1 entwarf, die die eigentliche Welt überdeckte, sind meine Setzungen und Maßstäbe verkleinert; sie führen eher zu »Fingerreisen«: »Der Fingerreisende, oft kurzsichtig, furchtsam und verträumt, ist ein Conquistador der Fantasie. Leicht ist es über ihn zu lächeln, aber womöglich sind jene Fernen, die er nicht kennen lernt, größer und poetischer als alles, was umtriebige Weltenbummler kurzsichtig erkunden.«8

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CAROLL, LEWIS: Hunting of the snark. Agonie in acht Krämpfen. 1982, zuerst 1876. S. 33. BUSSE, KLAUS-PETER: Atlas-Mapping in der ästhetischen Praxis. 1998. Heft 4. S. 11. FRANK, MANFRED: Die unendliche Fahrt. Ein Motiv und sein Text. 1979. S. 30. BEIL, RALF: »Atlas Mapping«. In: Kunstforum International. Bd. 141. S. 412. Damit widerspreche ich vehement der These von König und Bentler, dass die leere Landkarte als Modell auf das wissenschaftstheoretische Paradigma des Empirismus zurückgeht und mit der Abbildung einen Verweis auf die »Wirklichkeit an sich« darstelle, der den Beobachter ausschließe. KÖNIG / BENTLER: Arbeitsschritte im qualitativen Forschungsprozeß – ein Leitfaden. 2003. S. 89. – Hier mangelt es den Autoren an Grafie-Kenntnissen, die zeigen könnten, wie Konventionen der Kartierung ihre Referenzen und Bedeutungen prägen: Die Ebstorfer Weltkarte bildet z.B. keineswegs eine »Wirklichkeit an sich« ab, sondern zeigt eine historisch kulturelle Sicht auf die Welt, zu deren Maßstab Religiosität wurde. Ein Beobachterstandpunkt ist also vor allem durch Aufzeichnungsprozesse, hier der Kartierung überhaupt erst herauszufiltern und methodisch zu kontrollieren. KEHLMANN, DANIEL: Fingerreisen. 2006. S. 20. Diesen Textfund verdanke ich Nikolai MeyerHeinricy.

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Motiv der Fahrt

Erfahrung

Kapitel-Wegweiser

INSZENIERUNG DER SUCHE

Wenn Oskar Wilde einmal gesagt haben soll: »Eine Karte der Welt verdient nicht einmal einen Blick, wenn das Land Utopia auf ihr fehlt«9, so können wir jenes auf der leeren Landkarte überall entdecken. Die leere Landkarte wird zu einem Modell für den Entwurf. Sie visualisiert die Leerstelle(n). Ebenso wenig wie die Geschichte der Navigation von der Geschichte der Kartografie zu trennen ist, können wir die Geschichte der Suche von der Geschichte ihrer Inszenierung, der Grafie trennen. Die Suche beginnt mit der Suche nach einem Anfang: »Die Schwierigkeiten beim Suchen nach einem Anfang ergeben sich aus dem Festhalten an einer Illusion. Es gibt diesen Anfang nicht, ebenso wenig wie es einen Abschluß gibt. Die hingestellten Anfänge sind immer fiktiv und jede Beendigung bleibt offen.«10 Verlauf

Ziel

Gliederung

Zugang zur Forschung

Mit den hier grob skizzierten Wirkungsmechanismen einer »Inszenierung der Suche« markiere ich den konzeptionellen Rahmen dieser Arbeit. Fokussiert werden dabei die Fragen, inwiefern ästhetische Erfahrungen und Aufzeichnungen miteinander verwoben sind, auf welche Weise ästhetische Erfahrungen anhand von Aufzeichnungen aktualisiert werden können und wie sie kommunizierbar werden. Dazu werde ich mit Waldenfels einen Erfahrungsbegriff zugrunde legen, der sich gegen eine Einheit der Erfahrung wendet, – welche von dem im kunstpädagogischen Diskurs viel rezipierten John Dewey vertreten wurde11 – und stattdessen die »Bruchlinien der Erfahrung« betont. Ausgehend von diesem Erfahrungsbegriff, der besonders die pathische Dimension der Erfahrung berücksichtigt, erkunde ich Möglichkeiten seiner Anwendung durch Grafien in der qualitativen empirischen Forschung. Ein solches Vorhaben setzt sich unweigerlich mit denjenigen auseinander, die diese Erfahrungen machen. In dieser Untersuchung handelt es sich dabei um Studierende, die im Sommersemester 2003 an meinem kunstpädagogischen Seminar »Ästhetische Forschung« an der Universität Dortmund teilnahmen. Am Beispiel einer studentischen Aufzeichnung beleuchte ich zunächst methodologisch, dann anhand der Dokumentarischen Methode der Interpretation nach Bohnsack, wie Aufzeichnungen überhaupt ästhetische Erfahrungen reflektieren können und welche Konsequenzen sich daraus für die Dokumentarische Methode ergeben. Daran schließt die Frage an, wie Aufzeichnungen eine kunstpädagogische Lehrsituation verändern und wie mit den Lernenden über ästhetische Erfahrungen in Lehrsituationen verhandelt werden kann Ziel dieser Arbeit ist es, die Aufzeichnung als kunstpädagogische Methode zu implementieren und dafür ein methodologisches Gerüst für die Untersuchung und Kommunikation von »ästhetische Erfahrungen« zu entwerfen, in der das Singuläre und die pathische Dimension der Erfahrung erscheinen können. Die Arbeit gliedert sich in drei Teile, die die Verankerung dieser kunstpädagogischen Methode vorsehen, indem sie die fundamentale Bedeutung der Grafien als Zugang zur Forschung, als Zugang zu den Daten der Anderen und als Zugang zur (kunstpädagogischen) Situation ansiedelt. Im nun folgenden, zweiten Kapitel Zugang zur Forschung entfalte ich die Begriffe »Erfahrung« und »Grafie« aus der phänomenologischen Perspektive. Dabei frage ich danach, wie Aufzeichnungsprozesse mit Erfahrungen zusammenhängen.

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BLOCH, ERNST: Tübinger Einleitung in die Philosophie. 1970. S. 102. WEISS, PETER: Abschied von den Eltern. »Wie Dewey selber betont, ist seine Theorie der ästhetischen Erfahrung eine Theorie der Einheit der Erfahrung. Sie bildet sowohl das Zentrum seiner Ästhetik, wie auch seiner Erfahrungsphilosophie insgesamt.« ENGLER, ULRICH: Kritik der Erfahrung. 1992. – Vgl. DEWEY, JOHN: Kunst als Erfahrung. 1980, zuerst 1934.

EINLEITUNG

Indem ich den Text entsprechend der hier geschilderten Erfahrungsstruktur: Widerfahrnis, Bruchlinie, Antwort gliederte, platziere ich die Erfahrung als Widerfahrnis, den Riss als unbeschreibbaren Bruch und die Aufzeichnung als Antwort, wobei ich behaupte, dass sich Erfahrung und Aufzeichnung wechselseitig bedingen. Neben der Lektüre über Erfahrung simuliere ich so meine Suche nach dem Zugang zur Forschung als brüchige Erfahrungsgenese. Insofern ist das erste Kapitel als Inszenierung zu verstehen, als strukturelle Simulation eines Suchprozesses entlang den Grenzen von Erfahrung und Repräsentation. Das dritte Kapitel, Zugang zu den Daten der Anderen, handelt von der empirische Anwendung dieser brüchigen Erfahrungsgenese anhand der Grafien als Quellen. Es stellt insofern den Kern dieser Arbeit dar, als es die Möglichkeit der Reflexion ästhetischer Erfahrungen mitsamt den Problemen nicht nur thematisiert, sondern exemplarisch veranschaulicht. Damit geht eine Methodenkritik und Innovation einher. Ferner knüpfe ich mit der qualitativen Forschung an Fragen der Jugend- bzw. Adoleszentenforschung an, die in Bezug auf ästhetische Praktiken ein Forschungsdesiderat darstellt. Das Datenmaterial, das 2003 im Rahmen des kunstpädagogischen Seminars »Ästhetische Forschung« an der Universität Dortmund entstanden ist, besteht aus Grafien von ca. 50 Studierenden, die sich über den Zeitraum eines Semesters auf die individuelle Suche nach einem eigenen Thema begeben haben, um für diesen Prozess eine adäquate Dokumentationsweise zu entwickeln. Die Kriterien zur Untersuchung dieses Materials bis hin zur Auswahl des Einzelfalls bilden ferner Scharnierstellen auch für die kunstpädagogische Reflexion von ästhetischen Erfahrungen. Das vierte Kapitel stellt schließlich den Zugang zur kunstpädagogischen Anwendung her. Hier geht es vor allem darum, die Anschlussstellen an den kunstpädagogischen Diskurs zu erkunden und bisherige Ergebnisse auf Anwendungs- und Reflexionsmöglichleiten im Kunstunterricht zu beziehen. Im Schlussteil thematisiere ich die in dieser Arbeit zugrunde liegenden impliziten Prinzipien der Setzung, um sie im Hinblick auf die »Ästhetische Forschung« wie auch einer Grafieforschung als Kritik der methodologischen Übersetzungen von Erfahrungen zu reflektieren. Für die Betreuung dieser Dissertation, ihre Unterstützung, Anregung und das in mich und meine Arbeit gesetzte Vertrauen gilt Prof. Dr. Klaus Peter Busse, Prof. Konrad Jentzsch und Prof. Dr. Karl-Josef Pazzini mein ganz besonderer Dank. Prof. Dr. Klaus-Peter Busse möchte ich zudem für die unkomplizierte Schaffung von Freiräumen im universitären Alltag danken, die mir die empirische Untersuchung erst ermöglichten. Prof. Dr. Karl-Josef Pazzini danke ich nachdrücklich für die spontane Bereitschaft diese Dissertation – nach dem schmerzlichen Tod von Konrad Jentzsch – mit zu betreuen. Darüber hinaus danke ich den Studierenden, die so mir ihre Aufzeichnungen so großzügig langfristig zur Verfügung gestellt haben. Ohne den Rat und die Unterstützung Vieler wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Herzlich danke ich denjenigen, die sich durch Lektüren, Korrekturen und Diskussionen auf diesen Text eingelassen haben und sich fortan gewissermaßen als Spuren in diesen Text mit eingeschrieben haben: Prof. Dr. Manfred Blohm, Dr. Andreas Brenne, PD. Dr. Nils Büttner, Christine Heil, Dr. Corinna Hohls, Prof. Dr. Helga Kämpf-Jansen, Dr. Sven Keppler, Prof. Dr. Wolfgang Legler, Dr. Silke Leonhard, Prof. Dr. Torsten Meyer, Nikolai MeyerHeinricy, Stephan Münte-Goussar, Prof. Dr. Georg Peez, Christopher Salzbrunn, Petra Sabisch, Dr. Fritz Seydel, Dr. Änne Söll, Sabine Steinkopf, Prof. Dr. Bernhard Waldenfels und Oliver Wolff. Für den uneingeschränkten Rückhalt danke ich meiner Familie. Besonders aber danke ich Christoph, wem sonst als dir.

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Zugang zu den Daten der Anderen

Zugang zur kunstpädagogischen Lehrsituation

Dank

GRAFIE

ERFAHRUNG

Zugang zur Forschung

VORAUSSETZUNG

... ... ... ...

Bruchlinien

SETZUNG

»ZUGANG AUS SICH HERAUS

Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst. Das Bin ist innen. Alles Innen ist an sich dunkel. Um sich zu sehen und gar was um es ist, muß es aus sich heraus. Muß sich herausmachen, damit es überhaupt erst etwas sehen kann, sich unter seinesgleichen, wodurch ein Ich bin, als nicht mehr an sich, zu einem Wir wird. Und draußen geht dem Ansich des Um-uns auf, worin Menschen stehen und unter, neben oder über ihnen Dinge. Als mehr oder minder abstoßende, mehr oder minder anziehende Fremdlinge zuerst; sie müssen so, als keineswegs selbstverständlich, erst gelernt werden. Dies Lernen bewegt sich völlig im Außen, ist darin fahrend und so erst erfahrend und so erst auch, mittels des Draußen, das eigene Innen selber erfahrend. Der Mensch besonders ist auf diesen steten Weg nach außen angewiesen, damit er überhaupt nur wieder auf sich zurückkommen könne und so bei sich gerade die Tiefe finde, die nicht dazu ist, daß sie in sich, ungeäußert bleibe. Das bloße Bin muß, damit es seiner auch nur empfindlich werde, sich ein Etwas von draußen anziehen. Auch im übertragenen Sinn ist der Mensch in seiner eigenen Haut nackt geboren und bedarf fremder bekleidender Stoffe, um sich genau in seiner eigenen Nähe zu wärmen, ja zu betonen. Vom puren Innen ist kein einziges Wortbild gekommen, das uns übers innerste sprachlose Ansich hinaus sprechen läßt und eben äußert. Dagegen Worte wie: eng, tief, warm, dunkel, hell, dichtes Vergessen, offenes Aufdämmern, der innere Weg selber: alle diese sind aus Äußerern gezogen und dann erst fürs Innere durchscheinend. So merkt sich alles Innen erst über das Außen; gewiß nicht, um sich dadurch zu veräußerlichen, wohl aber, um sich überhaupt zu äußern. Anderenfalls es das Einsame bliebe, ohne jenes Mit-uns, das nicht Man, sondern Wir heißt, und ohne jenes Um-uns, das immerhin Topferde für die menschliche Pflanze, Rohstoff für das menschliche Haus wurde und wird. Dann erst wird das Um-uns von innenher bedacht, damit es dadurch immer näher komme. Also gerade auch dem Menschen immer weniger fremd sein könne. Dazu sind wir unterwegs und gehen durchaus mit uns selber heraus.«12

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BLOCH, ERNST: Tübinger Einleitung in die Philosophie. 1970. S. 13–14. Den Hinweis auf diesen Text verdanke ich Nils Büttner.

II. Grafien: Zugang zur Forschung

In diesem Kapitel versuche ich, meine Forschungserfahrung in einem Text-Raum nachträglich zugänglich zu machen. Der Eintritt erfolgt über das Zitat von Ernst BLOCH. Das »Aussich-heraus« steht programmatisch für die Vergegenwärtigung eines zurückgelegten Weges und die Weisen der Begehung, die ich im Rahmen dieser Arbeit aus verschiedenen Perspektiven und in verschiedenen Rollen beleuchten werde. Zudem verbildlicht das Herausgehen-aus-sich den für die Forschung unerlässlichen Prozess, sich selbst immer wieder »über die Schulter zu schauen« und das eigene Vorgehen als Prozess in der Rückschau methodologisch zu reflektieren. Im folgenden Kapitel reflektiere ich die Relation von meiner Rolle als Forscherin und Autorin. Sofern ich also von mir in der ersten Person schreibe, beziehe ich mich in den Voraussetzungen auf meine Rolle als Forscherin, um später in den Setzungen aus der Perspektive der Autorin darauf zu »antworten«. Dabei wird deutlich, dass Forschung und Autorschaft nicht getrennt betrachtet werden können, sondern sich wechselseitig bedingen. Denkt man die Struktur und Genese des Forschungs- und Schreibprozesses zusammen, überlagern sich Text-, Erfahrungs- und Zeit-Raum. Um diese Ebenen beschreiben zu können, benötige ich mitunter diskursive13 Geländer. 13

Ich verwende den Begriff Diskurs (lat. discursus) nach Foucault im Unterschied zu Sprache, um das, was thematisiert wird, mit dem, wie es sich formiert, zu verknüpfen. Der wechselseitige Bezug einer thematischen Formierung von Wissen einerseits und einer Formation des Themas andererseits (im Unterschied zu einer rein formalen Definition von Sprache als langue und parole) wird dabei als konstruktive Praxis im Prozess ihrer Herstellung hervorgehoben. Die Betonung, dass Diskurse erst hervorbringen, was sie bezeichnen, ermöglicht einen Anschluss an die in den folgenden Punkten übereinstimmende Verwendung des Diskursbegriffes von Foucault und Butler: »Der Diskurs enthält die Regeln der Sprache, aber er beschränkt sich nicht darauf, denn er umfasst auch die Aussagenebene, als das, was gesagt wird. Über das strukturalistische Paradigma hinaus wird hier das Konzept der Sprache, wie es den semiotischen Strukturalismus kennzeichnet, durch das Konzept der diskursiven Praxis ersetzt. Damit bildet der Diskurs nicht eine unbewusste Struktur, die sich auf Regelhaftigkeiten der Sprache zurückführen lassen. Der Diskurs erscheint, über die Aussagenebene hinaus, als diskursive Praxis; er ist selbst produktiv.« BUBLITZ, HANNELORE: Diskurs. 2003. S. 54– 55. – Ferner ziehe ich den Begriff Diskurs in diesem Kontext dem der Sprache vor, um die Ausdehnung einer symbolischen Ordnung von einer rein sprachlichen auf bildhafte Zeichen anzudeuten, wenngleich »Diskursforschung nach wie vor in erster Linie eine textorientierte und textbasierte Forschung ist.« KELLER, REINER / HIRSELAND, ANDREAS / SCHNEIDER, WERNER / VIEHÖVER, WILLY: Die vielgestaltige Praxis der Diskursforschung – Eine Einführung. 2003. S. 11. – Dass Diskurse jedoch nicht in den Zeichen aufgehen, beschreibt Foucault folgendermaßen: »Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen, aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr

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Rolle der Forscherin und Autorin

Struktur und Genese des Suchprozesses

INSZENIERUNG DER SUCHE

Relation von Erfahrung und Aufzeichnung

Diese Geländer bestehen aus verschiedenen wissenschaftlichen und künstlerischen Stützpfeilern: philosophischen, literaturwissenschaftlichen, linguistischen, ethnologischen bzw. anthropologischen, medienwissenschaftlichen, kulturwissenschaftlichen sowie literarischen und bildhaften Diskursen. Jedoch verhält es sich nicht so, dass das diese Stützpfosten im Voraus am Wegesrand stünden und ein Geländer ergäben. Vielmehr findet die Forschung im Prozess der Wegbahnung statt. Erst nachträglich kann ich sagen, dass diese einzelnen Stützen ein zusammenhängendes Geländer abgeben. Damit mein Weg entlang der Geländer aber nicht der Meine bleibt, sondern nachvollziehbar und gangbar wird für Andere, dienen die Geländer als Wegmarkierungen. Der imaginäre Handlauf, der die Stützpfosten verbindet und den Weg sichtbar macht, orientiert sich an einer kunstpädagogischen Verortung, die sich zunächst an der Frage ausrichtet, wie Erfahrung und Aufzeichnung, hier: Forschungserfahrung und Darstellungspraxis miteinander verwoben sind. muss man ans Licht bringen und beschreiben.« FOUCAULT, MICHEL: Archäologie des Wissens. 1981, zuerst 1969. S. 74. – Wenngleich Diskurse sich nicht auf die Sprache zurückführen lassen, »bemächtigt sich die Sprache«, so die Kritik Derridas, »des universellen Problemfeldes. Es ist dies der Augenblick, da infolge der Abwesenheit eines Zentrums oder Ursprungs alles zum Diskurs wird – vorausgesetzt, man kann sich über dieses Wort verständigen –, das heißt zum System, in dem das zentrale, originäre oder transzendentale Signifikat niemals absolut, außerhalb eines Systems von Differenzen, präsent ist.« Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz. 1994. S. 424. – Wenn aber »alles zum Diskurs wird«, ist die Definition unbrauchbar. Mehr noch: Die Definitionspraxis des Diskursbegriffs entlarvt sich selbst als diskursive Macht, die die Welt der Dinge ausschließlich als vom Diskurs her verortete betrachtet und andere Zugänge zur Welt der Dinge und der Erfahrungen (vgl. das Reale bei Lacan) ausklammert. In diesem Sinne möchte ich auf die Gefahr hinweisen, dass entweder der Begriff der Erfahrung unter den Begriff des Diskurses subsumiert wird, wie es mit dem Titel der schweizerischen Historikerinnentagung »Erfahrung: alles nur Diskurs?« befürchtet wird, – BOS, MARGUÉRITE / VINCENZ, BETTINA / WIRZ, TANJA (Hg.): Erfahrung: Alles nur Diskurs? 2004. – oder, dass im Sinne von Canning, die Begriffe Diskurs und Erfahrung als Dichotomie gegenübergestellt werden, wie dies zu Beginn des linguistic turn geschah. CANNING, KATHLEEN: Problematische Dichotomien. Erfahrung zwischen Narrativität und Materialität. 2002. S. 37–58. – Sofern es jedoch unmöglich ist, sich jenseits von Diskursen zu bewegen (Sarasin, S. 32) und »Sinn« oder »Bedeutung« nur als diskursiv erzeugte, auf der Ebene von gesellschaftlich-sozialen Formierungen entstehen, wie ist dann ein handlungsfähiges Subjekt zu denken, das mehr ist als ein »Schnittpunkt von Diskursen«? SARASIN, PHILIPP: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. 2003. S. 54f. – Indem das Begehren innerdiskursiv erst erzeugt wird, so Sarasin in Bezug auf Butler, kann es »im Rahmen vorgegebener Normen und Machtverhältnisse gegen diese Vorgaben aufbegehren« und es stellt sich die Frage, »wie Subjekte sich in den Widersprüchen der symbolischen Ordnung als eigenständige, eigensinnige Produkte dieser Ordnung einnisten«. Ebd. S. 54–55. – Um im Anschluss an die feministische und postkoloniale Kritik an Foucaults Diskursbegriff die subjektorientierte Position, die für die Pädagogik bedeutsam ist, in Relation und Interaktion zu den konstituierenden Diskursen zu konkretisieren, beschreibe ich in diesem Kapitel Diskurse über Erfahrung, um im nächsten Kapitel – vom Einzelfall studentischer Aufzeichnungen ausgehend – eine qualitative empirische Perspektive gegenüber einer subjektorientierten Praxis einzunehmen. Im vierten Kapitel setze ich den kunstpädagogischen Diskurs über ästhetische Erfahrungen zu den vorangegangen Perspektiven in Bezug. – Wenn also im Folgenden von Diskurs die Rede ist, benutze ich das »Modewort, dessen schillernde Bedeutung eine verbindliche Definition nahezu unmöglich macht«, in einem vorläufigen, offenen Sinne für eine symbolische Formierung des Wissens, die sowohl thematisch als auch formal organisiert ist und den konstruktiven Prozess ihrer Hervorbringungen als (genealogische) Praxis betont. LANDWEHR, ACHIM: Die Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse. 2004, zuerst 2001.S. 66. – Zur Kritik an Foucaults Diskursbegriff vgl. auch WALDENFELS, BERNHARD: Verstreute Vernunft. Zur Philosophie von Michel Foucault. 1986. – Zum Diskursbegriff in Bezug auf Foucault vgl. MILLS, SARA: Discourse. 1997. – PONGRATZ, LUDWIG A. / WIMMER, MICHAEL / NIEKE, WOLFGANG / MASSCHELEIN, JAN (Hg): Nach Foucault: Diskurs- und machtpolitische Perspektiven der Pädagogik. 2004. – SCHIFFRIN, DEBORAH / TANNEN DEBORAH / HAMILTON, HEIDI E (Ed.): The Handbook of discourse analysis. 2001. – SCHMIDT, SIEGRFRIED J.: Geschichte & Diskurse. Abschied vom Konstruktivismus. 2003.

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ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Die Auswahl der zitierten disziplinären Vertreter ergibt sich vor allem aus der thematischen Relevanz. Ferner verweisen deren Stimmen exemplarisch auf historische Bezüge und vielschichtige Kontexte der Aufzeichnungspraxen im 20. Jahrhundert. Da eine historische Kontextualisierung den Rahmen dieser Dissertation sprengen würde, beschränke ich mich darauf, mit den jeweiligen Stimmen drei für die Aufzeichnungspraxis bedeutende Phasen zu Wort kommen zu lassen: die späten 20er bis 30er Jahre (Phase 1), die späten 60er bis 70er Jahre (Phase 2) sowie die Zeit der 90er Jahre bis heute (Phase 3). Aus dem philosophischen Diskurs beispielsweise, der dieses erste Kapitel im Wesentlichen prägen wird, greife ich Aspekte des Denkens von Ernst BLOCH (1885– 1977) aus der ersten Phase auf, während die Schriften von Jacques DERRIDA (1930–2004) und Bernhard WALDENFELS (*1934) der zweiten und dritten Phase zuzuordnen sind. Damit entsteht eine Lesart, in der ich aus der heutigen Perspektive den Erfahrungsbegriff von WALDENFELS auf einer philosophiegeschichtlichen Folie thematisch »anwende«.14 Um neben dem diskursiven Gerüst mitsamt den beschriebenen zeitlichen Querstreben der disziplinären Stützpfeiler zugleich eine Genese meines Weges mit all den Brüchen darzustellen, verknüpfe ich die Frage nach der Relation von Erfahrung und Aufzeichnung mit einer Reflexion über meine Suche nach einem Anfang, bzw. der Suche nach einer Forschungsfrage.

Suche nach einem Anfang

Dieses Kapitel ist folgendermaßen gegliedert: In einem ersten Teil beschreibe ich theoretische Stationen von Erfahrungen als Voraussetzungen, die – unterbrochen durch einen Riss – zu einem dritten Teil, den Setzungen, führen. In den Setzungen markiere ich theoretische Stationen der Grafie (Synonym zu Aufzeichnung), d.h. der grafierten Inszenierungen von Erfahrungen. Um die Diskrepanz von Erfahrung und ihrer Repräsentation in ihrer Brüchigkeit besser lesbar zu machen, entwickle ich meinen Zugang zur Forschung in den Voraussetzungen zunächst unabhängig von der Grafie, damit die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrungen verständlich werden. Erst im Zusammenspiel mit den Setzungen treten diese theoretischen Annahmen dann in ihrer Komplexität zu Tage. Mit den sich wechselseitig bedingenden Voraussetzungen und Setzungen reflektiere ich meine Suche nach einem Zugang zur Forschung aus den Differenzen zwischen meiner Rolle als Forscherin und Autorin. Ausgehend von der Frage nach dem Anfang thematisiere ich solche »Bruchlinien der Erfahrung«, die für eine »Grafieforschung« von Belang sein könnten. Das Kapitel endet mit der Formulierung meiner Forschungsfrage.

Gliederung des Kapitels

Der Tatsache, dass eine vermeintlich »unmittelbare« Erfahrung nicht kommunizierbar ist, trage ich insofern Rechnung, als dass im Zentrum dieser Arbeit nicht eine »eigentliche« Suche steht, sondern deren Inszenierung als »originäre Repräsentanz«.15

Inszenierung der Suche

14

15

Ich benutze den Begriff »Anwendung« (engl. application, to apply: an- und zusammenfalten) als Oberbegriff für eine Praxis des Antwortens, wie auch für eine Praxis des Übersetzens, hier: für eine Praxis des Antwortens als Übersetzung der Erfahrung. »Die Übersetzung ist Anwendung par excellence. […] Anwendung besteht darin, von der Erfahrung der notwendigen Unmöglichkeit der Anwendung Zeugnis abzulegen. Ein Zeugnis ist die Antwort auf einen Auftrag. Damit wird eine andere Möglichkeit von Anwendung, genauer: die Möglichkeit einer Differenz bezeugt.« OUDÉE DÜNKELSBÜHLER, ULRIKE: Nahtfalter. S. 57 – Dabei »wird eine methodisch abgesicherte Umsetzung aus einem Diskurs in einen anderen mitgedacht.« PAZZINI, KARL-JOSEF: Vorurteil gegenüber der Anwendung. S. 67. – »Jede Übersetzung muß das Verfahren des Schnittsetzens anwenden. Nähern wir uns diesem Schnitt: Übersetzen heißt überzusetzen, den Schritt bis zum Schnitt der Entscheidung zu riskieren. Es heißt, sich zur -wendung (-plication) einer Version (Drehung) zu überwinden: sich dem unabwendbaren und notwendigen Aufwand zu stellen, sich von der Vielfältigkeit des semantischen Fächers abzuwenden.« OUDÉE DÜNKELSBÜHLER, ULRIKE: Nahtfalter. S. 55. – Vgl. PAZZINI, KARL-JOSEF: Kunst existiert nicht, es sei denn als angewandte. 2000. – Vgl. Kapitel IV. Der Begriff »originäre Repräsentanz« bezieht sich darauf, dass »Medien also an der Ermöglichung von Erfahrung beteiligt sind und nicht bloß der Wiedergabe und Weitergabe vorgegebener Erfah-

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Bruchlinien der Erfahrung und Grafieforschung

INSZENIERUNG DER SUCHE

Damit erklärt sich meine sehr verkürzte, aber keineswegs ausschließende Darstellung des psychoanalytischen Diskurses im Kontext der beschriebenen Erfahrungstheorien. Andererseits verorte ich auf diese Weise eine Möglichkeit der kunstpädagogischen »Anwendung« von Erfahrungen, um im vierten Kapitel den fachimmanenten Diskurs über »Ästhetische Erfahrungen« anhand der qualitativen empirischen Studien zur Grafieforschung (Kapitel III) kritisch zu hinterfragen und eine interdisziplinäre Öffnung als mögliche Ausgangsposition zu entwerfen für eine neu zu entwickelnde Forschungstradition im Fach. Indem ich versuche, Struktur und Genese der Erfahrung schreibend zusammen zu denken und zugleich sprachlich vorzuführen, inszeniere ich meinen Zugang zu Forschung zugleich als Experiment eines anderen wissenschaftlichen Schreibens. – Wissenschaftliche Kriterien

»Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.«16 Gesetzt, dass »wir« mit dieser Dissertation »werden«, dann geschieht dies unter den Prämissen des Zugangs wissenschaftlicher Forschung, unter denen »wir« dann im Wesentlichen Diskursanbindung und Nachvollziehbarkeit (Transparenz) sowie die später formulierten Kriterien qualitativer empirischer Forschung verstanden haben werden.

»Ich bin – Erfahrung und Diskurs

Aber wie ist ein Schreiben über das »Ich« in der gegenwärtigen Erfahrung möglich, so, dass es nachvollziehbar bleibt? Kann das »Ich bin« oder »Ich erfahre« überhaupt im (wissenschaftlichen) Diskurs erscheinen? Oder spielt das »Ich« und »jetzt« explizit keine Rolle, weil »Ich« zum Zeitpunkt des Schreibens schon längst nicht mehr anwesend ist? »Ich« ist ein »Anderes« in einer anderen Zeit geworden. »Ich« ging aus der Erfahrung erst hervor. Im Diskurs hingegen, der immer schon nachträglich war, verschwindet gewöhnlich die Vorgängigkeit der Erfahrung. Indem man formulierend z.B. hintereinander ordnet, was in der vorgängigen Erfahrung möglicherweise diffus nebeneinander schien, formiert man eine lineare Zeitlichkeit, die nicht der komplexen, situativ eingebundenen Zeitlichkeit der Erfahrung entspricht. Denn letztere ist vorläufig und brüchig. Nur, wie finden Brüche ihren Platz im Diskurs? Wie gelangt Vorläufigkeit in einen Text? Wie zeigen sich Diskontinuitäten? Wie kann das »Ich bin« und »Ich erfahre« in einer diskursiven Praxis vorkommen?

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rungsgehalte dienen.« WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 128. Vgl. auch das Kapitel Supplement des Ursprungs S. 38f. Bloch stellt diesen Satz als Motto über die Werkausgabe letzter Hand und damit über seine gesamte Philosophie. Laut Becker könnte man diesen »Grundsatz der Blochschen Philosophie so wiedergeben: Weil die Sinnbestimmung dessen, was ›ich‹ zu sich sagt, noch unabgeschlossen ist (möglicherweise sogar als unabschließbar gelten muß), gibt es Kultur; oder anders: Kultur ist das Unternehmen, dem Sinn des Faktums ›Mensch‹ zum Ausdruck zu verhelfen. Sämtliche kulturellen Elaborate sind somit nichts anderes als Versuchsgestalten eben dieses großangelegten ›Experimentes‹«. BECKER, RALF: Sinn und Zeitlichkeit. 2002. S. 217. – Als ein solches ›Experiment‹ kann man auch diese Arbeit ansehen, mit der ich nach den Grenzen der Verfügbarkeit des Selbst in Erfahrungs- und Aufzeichnungskontexten frage und damit zugleich die Frage nach der Lehrbarkeit stelle. Für Bloch selbst stellt, in der Nachfolge der Tübinger Axiomatik (Hölderlin, Schelling, Hegel), die Lehrbarkeit wesentliches Ziel der praktischen Umsetzung von philosophischem Denken dar. Vgl. dazu ZIMMERMANN, RAINER E.: Subjekt und Existenz. 2001. S. 29.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

1. Voraussetzung: Erfahrung Wenn ich in meinen vorläufigen Überlegungen behauptet habe, dass ich an den Brüchen meiner Erfahrung zwischen Textgenese und Forschungsprozess Diskurse erscheinen lasse und somit visuell auf die Brüche verweise, dann widerspreche ich – mit der geliehenen Stimme von Richard SHUSTERMAN – solchen Vertretern einer »Ideologie der Textualität«, die propagieren, »daß Sprache den gesamten Bereich der Erfahrung ausschöpfe, zumal alles, was außerhalb von Sprache liegt, weder gedacht noch mit Inhalt gefüllt werden kann.«17 Mit dem Auftauchen der Diskurse lasse ich die Bruchstellen meiner Erfahrungen im Text durchschimmern. Auf diese Weise versuche ich den Erfahrungen mitsamt ihren Brüchen Raum zu geben, um so auf sie zu zeigen, wo sie sich nicht sagen bzw. schreiben lassen. Indem sich dieser Raum, als Zwischenraum gewissermaßen in den Text einschreibt, als Lücke, Pause oder Bruch, strukturiert er nicht nur den Text, sondern auch die Textgenese im Moment des Schreibens. Und damit meine Zeit.

Zugang Der erste solche Bruch wird deutlich in der Frage nach dem Anfang, d.h. der Frage, wie sich mein eigener Zugang zur Forschung anbahnte. Bereits das verwendete Präteritum deutet auf die Nachträglichkeit dieser geschriebenen Antwort. Denn im Forschungsprozess selbst erfahre ich den Zugang nicht als solchen, geschweige denn als anfänglichen. Zudem setzt ein solcher Zugang einen Ausgang des eigenen »An-Sich« aus dem »dunklen Innen« voraus. Aber auch meine Ausgangspunkte, die das »Aus-sich-heraus« bedingen und formieren, erfahre ich nicht, während ich ausgehe.18 Des Weiteren bedeutet ein Zugang zu etwas, dass ich auf etwas zu gehe. Dem Aus- und Zugehen wohnt demnach schon eine Gerichtetheit, eine »Intentio« inne.19 Und der »Ur-Sprung« dieser Intention wird »in der Neuzeit vom Mangel her gedacht«.20

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In seiner Untersuchung über »Sprache und Erfahrung in Hermeneutik, Dekonstruktion und Pragmatismus« zeigt Shusterman, dass es Verstehen und Erfahrung vor jeglicher Interpretation gibt. Damit hinterfragt er den Widerstand der Philosophie gegenüber nicht-sprachlich vermittelter Erfahrung. Als frühen Vertreter einer so genannten somatischen Erfahrung (d.h. einer leiblich orientierten Erfahrung, die den Leib nicht als »natürlich gegeben«, sondern historisch bedingten auffasst) innerhalb der Philosophie bezieht sich Shusterman auf Dewey, der diese in pragmatischer Hinsicht (bezogen auf die Alexander-Technik) schon vor der sprachtheoretischen Wende thematisierte. SHUSTERMAN, RICHARD: Vor der Interpretation. 1996. S. 126–127. – Siehe dazu auch die Studie über den Erfahrungsbegriff bei Hannah Ahrend. ALTHAUS, CLAUDIA: Erfahrung denken. 2000. S. 53. – WALDENFELS, BERNHARD: Das leibliche Selbst. 2000. S. 370f. Über den »blinden Fleck« des selbstreferentiellen Ausgangspunktes innerhalb der Blochschen »Prozessphilosophie« vgl. ZIMMERMANN, RAINER E.: Subjekt und Existenz. 2001. S. 17. Aber wie entsteht diese Gerichtetheit, diese Absicht? Entwickelte sich die Intention im Innen? War sie also schon da, bevor ich ausging? Dann müsste ich von einer inneren Ursache sprechen. Oder entsteht sie erst im Moment des Heraustretens? Sind Aus- und Zugang demzufolge gleichzeitig zu denken? – Bloch zufolge findet eine »Wechselwirkung zwischen ›Drinnen‹ und einem davon mitaktivierten, wo nicht leitend aktivierten ›Draußen‹« statt. BLOCH, ERNST: Tübinger Einleitung in die Philosophie. 1970. S. 211–212. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 48.

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Frage nach dem Anfang

Intention

INSZENIERUNG DER SUCHE

Mangel Der Mangel markiert einen negativen Zustand, in dem etwas nicht vorhanden ist.21 Mit Jimmys Satz »Etwas fehlt!« in BRECHTs Drama »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«, das 1930 in Leipzig uraufgeführt wurde, fasst BLOCH rückblickend das Motiv des Kapitels »Selbstbegegnung« aus seinem ersten Buch »Geist der Utopie« von 1918 zusammen: »Da befindet man sich in der Lage dessen, der etwas einkaufen will, er weiß noch nicht was. Wir sehnen uns nach etwas, wir suchen etwas, wir gehen auf etwas zu. Wir gehen in ein großes Warenhaus (dem entspricht die Geschichte der Wissenschaften) und da wird von den Verkäufern alles Mögliche angeboten. Wir aber wollen etwas, ohne schon zu wissen, was es sei. Das hat Brecht in Mahagonny ausgedrückt mit dem Satz: Etwas fehlt. Was fehlte, konnte Jimmy nicht sagen, aber etwas fehlte und das sucht er, das ist es, worauf er aus ist.«22 Unkonstruierbare Frage

Das, was Jimmys Zugang motivierte, »die Urfrage, die er hatte, ist vergessen.«23 Der Mangel wird bei BLOCH zur Gestalt der »unkonstruierbaren Frage«24, die weder bewusst noch verfügbar ist, sondern vielmehr zum Motor für ein Streben wird: »Das Nicht ist Mangel an etwas und ebenso Flucht aus diesem Mangel; so ist es Treiben nach dem, was ihm fehlt. Mit Nicht wird also das Treiben in den Lebewesen abgebildet: als Trieb, als Bedürfnis, 25 Streben und primär als Hunger.«

Mangel als Nochnicht-Haben

Dem Eingangszitat entsprechend – »Ich bin. Aber ich habe mich nicht.« – beschreibt BLOCH den Mangel, ausgehend von einem Mangel an »Selbsthabe«, als NochnichtHaben.26 Der Mangel als Nochnicht-Haben markiert BLOCHs Erkenntnisinteresse, das darauf zielt, das Unbewusste als Vorbewusstes, als Vorgängiges zu thematisieren. 27 Indem er die anthropologische Bedeutung des Unbewussten als zeitliche Vorgängigkeit thematisiert, grenzt er sich von FREUDs psychoanalytischer Zuordnung des Unbewussten als Vergangenes ab28: 21

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»Die elementare Bestimmung des Mangels besagt, daß es einem x an einem y fehlt, wobei das y einem Richt- oder Sollwert gehorcht und als erforderlich oder als erwünscht zu charakterisieren ist. Der Mangel läßt sich als Bedarf bezeichnen, wenn der Mangel an einem y einem x zugeschrieben wird, als Bedürfnis, wenn der Mangel an einem y von x selbst als Mangel erlebt wird. Das Streben bestünde dann in der Tendenz, von einem Ausgangszustand des Mangels in einen Zielzustand verminderten oder behobenen Mangels überzugehen. Das Streben wäre erfüllt, wenn der Zustand einer Befriedigung des Bedarfs beziehungsweise des Bedürfnisses durch einen geeigneten Prozeß oder ein geeignetes Tun zustande gekommen wäre.« WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 48. MAYER, HANS: Reden über Ernst Bloch. 1989. S. 36–37. Ebd. S. 37. Zur »Gestalt der unkonstruierbaren Frage« s. HANSEN, HORST: Die kopernikanische Wende in die Ästhetik. Ernst Bloch und der Geist seiner Zeit. S. 48ff. BLOCH, ERNST: Tübinger Einleitung in die Philosophie. 1970. S. 218 sowie S. 243–249. Vgl. zum Begriff des Mangels bei Bloch ZIMMERMANN, RAINER E.: Subjekt und Existenz. 2001. S. 157. »Mit dem Mangel an ›Selbsthabe‹ ist gemeint, daß das ›Ich bin‹ gleichzeitig unverfügbar und unausschöpflich ist. […] Dieses Erlebnis, dass man sich auf bestimmte Weise fremd ist, hat viele Erscheinungsformen. Bloch spannt den Mangel an ›Sinn‹ bis zum physischen Hunger. Der ›ontologische Grund‹ für alle einzelnen Erlebnisse dieser Art ist jedoch jener ursprüngliche Mangel an Selbsthabe, die ständige Begleitung jedes Bestimmungsversuches durch den Zusatz ›Etwas fehlt‹.« BECKER, RALF: Sinn und Zeitlichkeit. S. 217. »Blochs Hauptwerk, Das Prinzip Hoffnung, verknüpft die Ontologie des Noch-Nicht-Seins mit einer Psychologie des Noch-Nicht-Bewußtseins«. Ebd. S. 233. Auch Lacan betont später diese Vorgängigkeit: »Freud ordnete das Unbewußte der Vergangenheit zu; Lacan zeigte, daß die Vorzukunft die eigentliche Zeitform des Unbewußten ist, stukturiert sie doch antizipierend-entwerfend das Bedeutsame dessen, was gewesen ist.« WIDMER, PETER: Subversion des Begehrens. 1997. S. 17.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

»Das Bewußtwerden des Unbewußten in der Psychoanalyse enthüllt ein subjektverortetes Ehemals, bringt Gewesenes an den Tag, in der utopischen Philosophie Blochs scheint ein vorbedeutendes, vorbedeutetes ›Noch-Nicht-Gewordenes« in der Welt auf – ein Heraufkommendes, das noch nicht erschienen ist. Wurzelt bei Freud das Gewesene in den Nachtträumen, so ist bei Bloch der Tagtraum der Ort des Vor-bewußten.«29

Wenngleich die Berührungspunkte von philosophischen und psychoanalytischen Diskursen um den Mangel wesentlich komplexer sind, als ich sie hier skizzieren kann, sind die beiden Pole des NochNicht und NichtMehr (Urverdrängung) vor allem als erkenntnistheoretische Eckpunkte für die weitere Argumentation relevant.30 Einerseits stehen sie für unterschiedliche zeitliche Richtungen oder systematische Dimensionen des Mangels als »NichtWissen«. Andererseits markieren sie aber nicht nur das Defizitäre, sondern zugleich ein »Grenzwissen, also eine Erfahrung des Entzugs, einer Abwesenheit in der Anwesenheit.«31 Indem BLOCH die affektive Grundierung der Erfahrung aufgreift32, der FREUD »ein neues Gewicht verschafft« hatte33, nennt er einen weiteren Bereich, in dem dieses »Grenzwissen« als Erfahrung eine bedeutende Rolle spielt: »Verwandt mit der Frage des Unbewußten ist die nach der affektiven Besetzung dessen, was uns auffällt oder entgeht, nach der Trieb- und Interessegebundenheit der Aufmerksamkeit.«34 Die Einbettung des Mangels in eine affektiv verankerte Erfahrungskonzeption bildet zudem den Anknüpfungspunkt für die zeitgenössische phänomenologische Diskussion, wie ich sie exemplarisch mit der Stimme von Bernhard WALDENFELS zu Wort kommen lasse. Aus dem besagten Mangel, der sich seit der Neuzeit »mehr und mehr von der Abwesenheit herleitet«35, resultiert ein Begehren (franz. désir), d.h. ein dynamischer Vorgang des Entzugs, der das Getriebensein und Streben (lat. appetitus) immer wieder entfacht.36 29 30 31 32

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BLOCH, JAN ROBERT: Subjekt ist noch nicht Prädikat. S. 16. Vgl. auch S. 15. Zur psychoanalytischen Auseinandersetzung mit Bloch und Freud vgl. ROBERT HEIM: Vom letzten Menschen nach dem Ende der Utopie. Überlegungen eines Psychoanalytikers. 1994. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 299. »Denn eben das Meinen als Nicht-Haben ist das Meinen als Sehnen und zugleich logisch fassbar als Intendieren. Das Denken und Gedachtwerden des Sehnens ist das Neue, aber nicht Andersartige daran […]. Als Sehnsucht ist das Meinen emotional, als Intention logisch, dieses Ineinander an der Wurzel des Meinens gibt den Grund ab, weshalb legitim gesagt werden muß: das Nicht im NichtHaben hält es auch logisch nicht bei sich aus. Weshalb auch weiterhin jeder logische Bezug, statt in der Luft zu schweben oder gar tautologisch leer zu sein, in der Auseinandersetzung eines Emotional-Intensiven sich befindet.« BLOCH, ERNST: Tübinger Einleitung in die Philosophie. 1970. S. 244f. – Vgl. auch WURTH, MARIANNE: Antizipierendes Denken. Ernst Blochs Philosophie und Ästhetik des Noch-Nicht-Bewußten im Zusammenhang seiner Freud-Kritik. 1986. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 302. WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 71. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 50. Als Personifikation des »sich einen Weg bahnenden Mangels« steht in der griechischen Mythologie Eros, »der Sohn der Penia und des Poros, der ›Armut‹ (besser: Mangel) und des ›Wegfinders‹. Meyer, Torsten: Interfaces, Medium, Bildung. S. 111. Vgl. das Kapitel »Ausgang«, S. 125. Pazzini zufolge ist Eros »Überträger (oder abstrakter: ›Übertragung‹) er gehört weder den einen noch den anderen [den Göttern oder Menschen] Er ist dazwischen.« Er re-präsentiert das Inter-esse, als die sich immer wieder vollziehende Bewegung der Wegsuche, den »Umschlag von hier nach dort«, von Innen und Außen. PAZZINI, KARL JOSEF: Anmerkungen zu einem fast vergessenen Thema in der Pädagogik und Erziehungswissenschaft. S. 34. – Vgl. ausführlich KRISTEVA, JULIA: Geschichten von der Liebe. 1989. S. 74f. – Waldenfels über Eros. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 58 u. 194. – Während Eros m. E. das räumliche Dazwischen re-präsentiert, wird in der literarischen Figur des Kaspar Hauser das zeitliche Vorher und Nachher re-präsentiert. Kaspar eignet sich den Mangel erst an, indem er auswendig lernt und sprechen übt, was gar nicht seinem Wunsch entspricht: »Ich möcht’ ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist«. HANDKE, PETER: Kaspar. Frankfurt am Main 1969. S. 13. – Durch seine stammelnde Sprechübung, deren Sinn sich während des Sprechens erst bildet, wird die Erfahrung des Noch-Nicht und d.h. die Erfahrung einer Gegenwart dem Zuschauer vorgeführt. Der Zuschauer wird zum Zeugen einer

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Nichtwissen und Grenzwissen

Entzug

INSZENIERUNG DER SUCHE

Bezug und Bedeutung

Begehren

Dieser Entzug setzt einen ebenso dynamischen Bezug, ein Beziehen, voraus.37 Das Beziehen wird – vorläufig stark verkürzt beschrieben – von einer »Kraft«, der »Anziehung« (lat. attentio) motiviert und geht über in das Bedeuten. Anders gesagt, »als Begehrende[r] werde ich bewegt von etwas, das mir fehlt, das sich mir entzieht und das mich eben dadurch affiziert oder anrührt«; indem ich diese Bewegtheit jedoch als etwas betrachte, habe ich es bereits bedeutet.38 Obwohl das Selbst zum Maßstab dieses Ent- und Bezugs wird, wie ich später noch ausführen werde39, ist das Begehren nicht auf eine subjektive Suche nach Bedürfnisbefriedigung zu reduzieren.40 Zwar ist das Begehren bei WALDENFELS ein »eminent leibliches Geschehen«, aber dennoch kann ich es nur bedingt erfahren.41 Könnte ich das Begehren als solches erfahren, bezeichnete es schon nicht mehr das Erfahrene, sondern eine nachträglich bedeutete Erfahrung.42 Ich kann also Begehren und Bedeuten nicht voneinander trennen. Vielmehr wird deutlich, dass »das Streben und Begehren […] der Bedeutungsintention bereits innewohnt und sie nicht nur ergänzt«43, denn »das, wonach wir streben, lässt sich als gut oder als genussvoll explizieren, ohne dass diese Qualitäten einer entsprechenden Vorstellung entsprächen.«44 Dem Mangel als Ursprung einer Intention ist eine attentionale Ausrichtung inhärent. Die Gerichtetheit meines Strebens wird von Aufmerksamkeiten gesteuert, die wiederum mein Begehren und Bedeuten prägen.45

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»Sprechfolterung« (Handke), in der der sprachlose Findling gezwungen wird, der Sprache zu entsprechen und sich schließlich »als Beschriebener präsentiert.« HÖRISCH, JOCHEN (Hg.): Ich möchte ein solcher werden wie… Materialien zur Sprachlosigkeit des Kaspar Hauser. S. 264–301 und zu Handke S. 298. – Vgl. auch die mit dem literarischen Motiv des Kaspar Hauser verwobenen Diskurse der Sprachlosigkeit und des Subjekts. S. 36ff. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S 193. WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 221 und 136. – Die unverfügbare, affektive Grundierung (bei Husserl heißt es »affektives Relief«) der Erfahrungsorganisation thematisiert Waldenfels ausführlicher anhand des Begriffs der »Aufmerksamkeit«. Ebd. Vgl. dazu das Kapitel Selbst und Selbstaffektion S.39f. »Die emphatische Form eines Strebens, das sich auf etwas abwesendes Anderes richtet, schwebt uns vor Augen, wenn wir – ähnlich wie Lacan und Lévinas es tun – von einem Begehren sprechen, das sich vom subjektiven Bedürfnis grundlegend unterscheidet. Dieses Begehren geht also weder aufs Ganze wie das Glücksstreben der klassischen Griechen, noch beschränkt es sich auf die Befriedung subjektiver Bedürfnisse. […] Grundlegend ist die Annahme, die sich schon bei Hegel vorbereitet, daß das Begehren sich zu einem Begehren des Begehrens verdoppelt.« WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 53. WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 221. An dieser Stelle unterscheidet sich der phänomenologische Ansatz von Waldenfels von »Lacans Konzept des Begehrens, das, als sprachbedingtes zum menschlichen Sein – und das heißt bei Lacan immer auch – zum Seinsmangel, zum Offenen der Existenz gehört.« WIDMER, PETER: Subversion des Begehrens. 1997. S. 11. Während Lacan das Unbewusste als etwas von Sprache Strukturiertes beschreibt, begreift Waldenfels das Unbewußte nicht als ausschließlich sprachlich Formiertes, sondern leiblich Grundiertes. In Bezug auf Lacan schreibt er in seinem Kapitel Die psychoanalytische Aufsprengung der Erfahrung: »Mein eigener Versuch zielt in die gleiche Richtung, doch ausgehend von phänomenologischen Befunden, die nicht allein den Windungen der Signifikantenkette zu entnehmen sind und die dem leiblichen Selbst, seiner Sinnlichkeit und seiner imaginativen Kraft größeres Gewicht einräumen. Die entscheidenden Fragen lauten weiterhin: Wie ist ein Unbewußtes zu denken, das nicht negativ an das Bewußtsein gekettet ist? Wie ist ein Selbst zu denken, das sich reflexiv auf sich selbst zurückbeugt, ohne in der Reflexion zu sich selbst zurückzukehren? Wie ist schließlich die Allmacht eines Wissens zu brechen, das glaubt, bei sich selbst beginnen zu können? Im übrigen wird die Sache nicht wesentlich besser, wenn man die Magna Charta des Bewußtseins durch die der Sprache, der Kommunikation oder der Medien ersetzt und an deren Omnipotenz ›alles ist…‹ festhält.« WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S 298. Ebd. S 380. Vgl. zum Ineinander von Bedeuten und Begehren auch S. 23, 25 und 54. Ebd. S 54. Vgl. auch S. 23 und 378. Zu den Begriffen in der Philosophiegeschichte s. WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 18: »Die attentio, die bei Augustinus terminologisch nicht von der ge-

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Intention Gleichwohl, auch diese Intentionalität erfahre ich nicht als solche.46 Zwar steuert sie und treibt mich. Zwar richtet sie meinen Gang aus, aber zugleich entzieht sie sich meiner Kenntnis. Stattdessen stellt die Intentionalität in ihrer komplexen Bewegtheit die Bedingungen der Möglichkeit meiner Erfahrung dar. Insofern konstituiert sie erst den Ausgang und Zugang als solchen. Sie erzeugt erst den Raum, in dem ich erfahren kann. Indem ich also gehe, entsteht etwas, das wir als Raum zu denken gewohnt sind, aus dem ich heraus gehen kann: eine Öffnung. Die Erfahrung wird zum Durchgang eines Zwischen-Raums. Indem ich erfahre, werden Ausgang, Zugang und Intentio, die vor und nach dem Gehen als Kon-Figuration gedacht werden können, zu einer »Inter-Figuration«, einer Figur des Zwischen.47 Sie treten nicht isoliert auf, sondern formieren gemeinsam den Zwischen-Raum in der Erfahrung. Und während sich der Zwischen-Raum noch bildet, verschieben sich Innen und Außen, verändert sich der Raum. Diese räumliche Verschiebung bildet den blinden Fleck, eine Leerstelle, die die eigenen Erfahrungen zwar motiviert, antreibt und sie prägt, deren Urheberschaft ich aber nicht habe. Und gesetzt, ich hätte sie, so fehlte dem Ich der Mangel, der Entzug. Der Anschwung für das Draußen. Es bliebe bei sich. Und könnte, obwohl zum Bezug durchaus in der Lage, doch nicht aus sich heraus, weil es dann kein Draußen mehr gäbe. Das Draußen wäre nur noch als eigene Fiktion, vom Innen her gedacht. Eng und pausenlos sich wiederholend. Das Ich wäre in sich gefangen. Ohne das Draußen, ohne das Du gibt es aber kein Ich, kein Wir und vor allem kein Werden. Wozu sollte ich dann noch ausgehen?

Pathos Wie aber gelange ich nun nach Draußen? – Wenn ich bislang den Begriff Intention als »Zweiklang von Bedeuten und Begehren«48 in deren Wechselwirkung andeutete, so habe ich damit vorübergehend den »pathischen«49 Hintergrund der Erfahrung weitgehend ausgeblendet, obwohl er doch die Folie liefert, auf der Erfahrung überhaupt stattfinden kann und zugleich die Grenze der Erfahrbarkeit darstellt.50

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läufigeren intentio unterschieden wird, ist bekanntlich vom Lateinischen in die romanischen Sprachen eingegangen. Dieses Begriffswort hat den Vorteil, daß der Bezug auf die Dehnung oder Spannung (tensio) und die Verwandtschaft mit der Zerdehnung (extentio) einem einseitig kognitivem Verständnis weniger Vorschub leistet als das deutsche Wort ›Aufmerksamkeit‹. Gleichzeitig deutet sich im Französischen mit der Nähe von attention und attendre ein zeitlicher Aspekt an.« »Intentionalität meint nicht etwas, das ich tun oder lassen kann, sondern Intentionalität bezieht sich auf die Art und Weise, wie ich etwas tue, etwas sage, erfahre. In diesem Sinne ist die Intentionalität eine Grundbeschaffenheit, eine Grundkennzeichnung, die das Handeln und Verhalten als solches betrifft und nicht noch einmal einen speziellen Akt bezeichnet. Es gibt nicht einen Akt der Intentionalität, sondern eine Intentionalität von Akten, einschließlich der Einbettung in die Horizonte eines Handlungsfeldes.« WALDENFELS, BERNHARD: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes. 2000. S. 367. Vgl. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 185. Ebd. S. 302. »Die grundlegende Bedeutung der Wörter ʌȐșȠȢ und ʌȐșȘȝĮ, die sich von dem Verb ʌȐıȤİȚȞ herleiten, ist die des Widerfahrnisses. Gemeint ist etwas, daß uns ohne unser eigenes Zutun zustößt oder entgegenkommt. Im Hintergrund steht die grammatische Form des Passivs, die Leideform, die sich von der Tätigkeitsform abhebt.« WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 15. Ebd. S. 398.

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Interfiguration, eine Figur des Zwischen

INSZENIERUNG DER SUCHE

Pathos als Widerfahrnis

Verstehe ich mit WALDENFELS »Pathos« als »Widerfahrnis« 51, als Passivität »zwischen neutralem Erleiden und schmerzlichem Leid«52, so ist es etwas, dass ich nicht steuern oder bestimmen kann, sondern etwas, das mich trifft: »Der einfachste Fall ist die Störung, etwa ein Geräusch, das mich ablenkt. Die Störung besteht nicht darin, daß mehrere Intentionen miteinander in einem Widerstreit liegen und sozusagen einen Bedeutungsstreit austragen, störend ist vielmehr das, was unseren Intentionen in die Quere kommt, ähnlich einem Hindernis, das sich uns in den Weg stellt und das nicht mit einem Zielkonflikt zu verwechseln ist.«53

Ordnung und Sinnorganisation

Diese Störungen können bestimmte Erfahrungen auslösen, andere verhindern oder innerhalb des Erfahrens geschehen, wie z.B. eine plötzliche Blendung der Sonne, die mich beim Fahrradfahren im Schatten hinter einer Kurve überrascht.54 Das, was ihre Intensität unterscheidet und demzufolge die Erfahrung stark oder schwach wirken lässt, hängt davon ab, wie sehr es den jeweiligen Erwartungshorizont und Organisationsrahmen der Erfahrung übersteigt, »gemessen an unserer Störanfälligkeit und unseren Abwehrmöglichkeiten.«55 Die Beispiele, die sich hier anführen lassen, reichen von banalen Alltagserfahrungen bis hin zu pathologischen Erfahrungen, wie etwa traumatischen Verletzungen und Schockerlebnissen: In dem Moment, wenn mich ein schriller Ton beim Lesen stört und mich zusammenfahren lässt, habe ich ihn noch nicht als Handyklingeln gedeutet. Oder: Zu dem Zeitpunkt, als mich beim Spaziergang ein herunterstürzender Teil eines Dachziegels trifft, habe ich ihn noch nicht als vom Sturm gelösten, fallenden Lehmziegel gedeutet. Im Widerfahrnis »taucht etwas auf, bevor es als etwas aufgefaßt, verstanden oder abgewehrt wird. Die Störerfahrung ist aber nicht zu verwechseln mit der nachträglichen Deutung als Störung und entsprechenden Abwehrmaßnahmen, mit denen wir unsere Fassung zurückgewinnen.«56 Widerfahrnisse geschehen also. Sie sind Vorgänge in der Zeit, die wir immer nur im Nachhinein berücksichtigen können. Widerfahrnisse selbst haben folglich nicht schon eine Bedeutung. An sich sind sie bedeutungslos.57 Wenn sie uns im Extremfall lähmen, so liegt das nicht daran, dass sie eine Bedeutung haben, also bereits als etwas erscheinen, sondern vielmehr, dass sie sich unseren Sinnerwartungen widersetzen, indem sie unsere Ordnung oder Sinn-Organisation überschreiten, »deren Fassungskraft [übersteigen] bis hin zu dem Punkt, wo für uns eine Welt zusammenbricht.«58

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»In Bezug auf die Sinneslehre von Erwin Straus unterscheidet Waldenfels (vorläufig als Gegensatz) das ›gnostische ›Sich-richten-auf‹« von einem »pathischen ›Getroffen-sein-durch‹«. S. 58. Vgl. zur pathischen Intentionalität auch S. 65 und 196. Ebd. S. 61. Ebd. S. 32–33. Mit dem Begriff Störung nimmt Waldenfels erneut Bezug auf Freud. »Entscheidend ist, wo und wie Freud beginnt. Wie er wiederholt und ausdrücklich versichert, beginnt er mit Phänomenen, die den normalen Gang der Erfahrung unterbrechen […]. Das sieht aus nach einem normalwissenschaftlichen Verfahren: »Der richtige Anfang der wissenschaftlichen Tätigkeit besteht […, B.W.] in der Beschreibung von Erscheinungen, die dann weiterhin gruppiert, angeordnet und in Zusammenhänge eingetragen werden. (GWX, 210) Doch diese Normalität stößt in den Störungen, Anomalien und Pathologien gerade auf ihre Grenzen.« Ebd. S. 288. – Vor dem Hintergrund eines methodischen und methodologischen Vorgehens ist die Frage nach der Störung oder Irritation, nach dem Maßstab desjenigen, dem eine Störung geschieht und der zugrunde gelegten Annahme von »Normalität« elementar. Entscheidend ist dabei, dass diese Störung im Sinne eines »es geschieht« hier mit zum Prozess der Erfahrung gehört und nicht von außen, wie es in der pädagogischen Praxis oft der Fall ist, d.h. von den Lehrenden hinzugefügt wird. Zu dieser Kritik vgl. auch Kapitel IV. – Vgl. auch den Begriff »Perturbation« im Radikalen Konstruktivismus. Ebd. S. 33. Ebd. S. 33. WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 133. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 33.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Das, was uns widerfährt, ist selbst nicht intentional verfasst.59 Es ist nicht etwas, aber auch nicht nichts. Indem es etwas für mich wird, hat es meinen Bedeutungsrahmen, meine Ordnung bereits überschritten. Ein »Überschuss« entsteht. Aber dies wäre nur die eine Seite, die des Bezugs. Auf der anderen Seite des Entzugs, des Begehrens, gibt es einen vergleichbaren »Überschuss«. Wenn ich etwas in einem Zielobjekt suche, so ist das Objekt für sich genommen ziel- und sinnlos. Erfahre ich jedoch in der Situation der Suche diese selbst als Sinnentleerte, so gerät mein Zielstreben ins Stocken, da meine Zielordnung überschritten wurde.60 Für den so genannten »doppelten Überschuss« steht keine Ordnung zur Verfügung, denn die »Tatsache, daß es eine Ordnung gibt, findet selbst keinen Eingang in die Ordnungen des Bedeutens und Begehrens, außer man verkennt die Genese und verwandelt Gewordenheit in ein Sein.«61 Innerhalb der Intention entsteht ein Überschuss, als ortloses NochNicht, als Außer-Ordentliches, das erst die Bodenlosigkeit meiner Ordnung offenbart und dann zu einer neuen Ordnung führen kann.

Überschuss

Diastase / Differenz Diese Überschüsse tauchen immer dann auf, wenn Differenzen entstehen: Eine »signifikative Differenz« entsteht, wenn etwas als etwas erscheint, eine »repräsentative Differenz«, wenn etwas für anderes steht, eine »appetitive Differenz«, wenn etwas in anderem erstrebt wird und eine »responsive Differenz«, wenn wir auf etwas antworten.62 Wenngleich WALDENFELS diese Differenzen einführt, um die verschiedenartigen Bruchstellen der Erfahrung zu bezeichnen und voneinander zu trennen, sieht er deren auffällige Verwandtschaft in der Bewegung der »Diastase«, wörtlich: dem »Auseinanderstehen«.63 Diese »Diastase« beschreibt aber nichts Vorhandenes, sondern ein Zwischen »als Riß ohne etwas, das zerreißt, als Spalt, ohne etwas, das sich aufspaltet, als Pause, ohne etwas, das aufhört und wieder beginnt, als Abweichung ohne etwas, das abweicht – und so eben auch als Diastase ohne etwas, das auseinandertritt.« LÉVINAS zitierend fährt er fort: »›Diastase‹ bezeichnet einen Differenzierungsprozeß, in dem das, was unterschieden wird, erst entsteht.«64

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Die Fragen, welchen Raum wir uns selbst und anderen für Widerfahrnisse in institutionellen Zusammenhängen geben und inwiefern dieser institutionell durch räumliche, zeitliche, atmosphärische, personelle oder strukturelle Rahmenbedingungen vorstrukturiert ist, kann im Rahmen dieser Arbeit nur strukturell berücksichtigt werden. Vgl. S. 284. Vgl. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 54. Ebd. S. 55. Ebd. S. 175. »Das griechische Wort įȚȐıIJĮıȚȢ ist ein Verbalsubstantiv; es bedeutet wörtlich ein Auseinanderstehen oder Auseinandertreten und ist sprachlich dem Aussichherausgehen der εțıIJĮıȚȢ verwandt.« Ebd. S. 174. Das komplexe Differenzierungsgeschehen, das in der Diastase erfolgt, »nähert sich der différence oder différance im Sinne von Deleuze und Derrida. Es handelt sich nicht um einen bloßen Akt der Unterscheidung, der eines vom anderen unterscheidet, sondern um einen Prozeß der Scheidung, der dem Abschied, der Abgeschiedenheit und dem Verscheiden verwandt ist.« WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 174. – »Die différance ist vor der Trennung zwischen dem Differieren als Aufschub und dem Differieren als aktiver Arbeit der Differenz zu denken. Selbstverständlich ist das vom Bewusstsein, das heißt von der Gegenwärtigkeit, oder schlichtweg von ihrem Gegenteil, der Abwesenheit oder dem Nicht-Bewußtsein, her undenkbar. Genauso undenkbar ist sie als die einfache homogene Komplikation eines Diagramms oder einer Linie der Zeit, als komplexe ›Sukzession‹. Die supplementäre Differenz vertritt die Gegenwärtigkeit in ihrem Sich-selbst fehlen«. In: DERRIDA, JACQUES: Die Stimme und das Phänomen. 2003. S. 118.

35

Signifikative, appetitive und responsive Differenz

Diastase

INSZENIERUNG DER SUCHE

Während ich die räumliche Verschiebung im Zusammenhang des Zwischenraums der Erfahrung und der »Interfiguration« von Ausgang, Zugang und Intention bereits erwähnt habe, entsteht in der Diastase auch eine zeitliche Verschiebung. Um diese deutlich zu machen, komme ich nun auf das pathische Moment der Intentionalität zurück, das sich ereignet: als Vorgang, sowohl in der Zeit, als auch als Vorgehen der Zeit im Erfahren. Ein Widerfahrnis ist etwas, das mich überrascht und meine Ordnung überschreitet. Insofern kann man »das pathische Ereignis des Widerfahrnisses als Getroffensein zu denken versuchen. Im Getroffensein steckt ein perfektivisches Moment, ein Moment zeitlicher Vorgängigkeit. Was uns zustößt oder zufällt, ist immer schon geschehen, wenn wir darauf antworten. Eben deshalb hat jede Bezugnahme auf Widerfahrnisse einen indirektiven Charakter, sie geschieht aus einem zeitlichen Abstand heraus […]. Widerfahrnisse sind keine Wunderdinge, auf die wir einladend oder warnend mit dem Finger zeigen können. Einladung oder Warnung kämen entweder zu früh oder zu spät. Widerfahrnisse gleichen einer Wunde, die wir schon empfangen haben, wenn wir sie vorweisen. Sie folgen sprachlich betrachtet einem ›apriorischen Perfekt‹«.65 Antwort

Wenn WALDENFELS hier den »zeitlichen Abstand« betont, der immer schon geschehen ist, »wenn wir darauf antworten«, dann setzt er zunächst voraus, dass wir überhaupt antworten und dass wir auf Widerfahrnisse antworten. Das bedeutet, dass die Antwort, mit der hier jegliche reagierende Handlung wie auch die Artikulation der Erfahrung gemeint sein kann, genuin mit zur Erfahrung gehört.66 Mit »Getroffensein« beschreibt er eine »eigentümliche Passivität […], die nicht das schiere Gegenteil einer Aktivität ist«, da es kein »Etwas« gibt, was uns trifft. 67 Das »Etwas« gehört schon zu unserer Antwort auf das Widerfahrnis. Stattdessen ist das Getroffensein zu verstehen »als Vorgängigkeit einer Wirkung, die ihrer Ursache vorausgeht«68, es »erzeugt rückwirkend seine Geschichte« und »geht dem Treffen von etwas voraus.«69 Die Erfahrung geht »in Form von Widerfahrnissen sich selbst voraus.«70 Jedoch bildet sich die Erfahrung in der Antwort keineswegs ab.71 Vielmehr lässt sie einen pathischen Überschuss entstehen: »Erst im Antworten auf das, wovon wir getroffen sind, tritt das, was uns trifft, als solches zutage.«72

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WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 56. »Zeitverschiebung besagt, daß das Sprechen anderswo beginnt, im Bereich einer Vor-Sprache, einem vor-prädikativen, einem prä-diskursiven Bereich; der Bindestrich deutet auf eine Erfahrungsschwelle, nicht aber auf einen makellosen Erfahrungsboden, der von aller Sprache unberührt wäre. Die Sprache ist keineswegs alles, wie manche meinen, doch nicht deshalb, weil es anderes neben ihr gäbe, sondern weil sie sich selbst vorausgeht und sich selbst überschreitet, weil sie in diesem Sinne selbst einen Leib hat und nicht nur über den Leib spricht.« WALDENFELS, BERNHARD: Zeitverschiebung. Motive einer Phänomenologie der Zeiterfahrung. S. 37f. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 58. Ebd. S. 58. Ebd. S. 59. WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 174. In Analogie zu Pazzini (in Bezug auf Derrida) könnte man sagen, die Antwort ist eine Anwendung der Erfahrung. PAZZINI, KARL-JOSEF: Kunst existiert nicht, es denn als angewandte. 2000. – Für Hinweise im Kontext dieses Textes danke ich Christine Heil und Konrad Jentzsch. – Zu Derridas Begriff der Anwendung s. DERRIDA, JACQUES: As if I were dead = Als ob ich tot wäre. 2000. Und: »Dieses Antworten ist ganz und gar vom Getroffensein her zu denken, in der Nachträglichkeit eines Tuns, das nicht bei sich selbst, sondern beim anderen beginnt, als eine Wirkung, die ihre Ursache übernimmt. Der Antwortende tritt primär auf als der, dem etwas widerfährt und widerfahren ist. Diese Verzögerung lässt sich niemals aufholen; um sie aufzuholen, müsste ich mein eigenes ›Vor-Sein‹ aufholen, obwohl dieses unauflöslich mit fremden Einwirkungen verquickt ist. Hier liegt auch der Grund dafür, daß das Antworten auf keine Antwortmöglichkeit zurückzuführen ist, etwa auf eine Rezeptivität, die für geeignete Aufnahmebedingungen sorgen würde. Widerfahrnisse zeichnen sich dadurch aus, daß die jeweils erlittene Wirkung ihre Möglichkeiten übersteigt.« WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 59.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Das heißt, dass wir auf das antworten, wovon wir getroffen sind, ohne je von dem Widerfahrnis selbst zu wissen. Das Widerfahrnis bleibt in jedem Falle unbewusst.73 Und das, was unterschieden wird, bildet sich erst heraus. Zwischen dem, worauf wir antworten und dem, was wir antworten entspringt eine »responsive Differenz«. Daher nimmt das Worauf des Antwortens in dem, wovon wir getroffen sind »eine pathische Färbung an.«74 Und in dieser pathischen Färbung schimmert das Draußen durch. Bezogen auf die zeitliche Dimension scheint mir nun bemerkenswert, dass das Widerfahrnis nicht als Apriori einer Antwort zu verstehen ist. Das würde eine lineare Zeitlichkeit voraussetzen. Aber eben diese Linearität wird in der Diastase aufgebrochen. Deswegen spricht WALDENFELS in Bezug auf FREUD über die Diastase als »zeiträumliche Verschiebung«.75 Mit »Verschiebung« meint er nicht etwa eine Bewegung, die in einem kontinuierlichen Zeitfluss stattfindet und bloß an anderer Stelle wieder auftaucht. Das wäre eine räumliche Verschiebung, ohne das dabei etwas entsteht. Stattdessen besagt Verschiebung hier, »daß etwas oder jemand sich herausbildet, so daß der ›verschobene Eindruck‹ niemals durch eine eindeutige Identifizierung vereinheitlicht wird.«76 Die Verschiebung gewinnt dann »einen radikal zeitlichen Sinn, wenn wir die Vorgängigkeit eines Widerfahrnisses mit der Nachträglichkeit der eine Antwort produzierenden Wirkung zusammendenken.«77 Dieses Zusammendenken verweist zunächst auf eine Gleichzeitigkeit, die der Verschiebung innewohnt. Aber es bleibt nicht dabei. »Die Verschiebung hat nicht nur einen zeitlichen Charakter, sie gibt der Zeit selbst ihr eigentümliches Gepräge.«78 Das bedeutet, dass sich in der Diastase nicht nur der Raum herausbildet, sondern auch die Zeit, ebenso wie derjenige, dem etwas widerfährt, worauf er antwortet.

Zeiträumliche Verschiebung

»Vorgängigkeit dessen, was unserem Tun vorausgeht und Nachträglichkeit dessen, was zu tun ist, treffen sich, aber sie treffen sich nicht in einem nunc stans, das sich aus der zeitlichen Zerstreuung heraushebt, sondern in einem nunc distans, einer Diachronie, die jede einheitliche Zeitordnung sprengt und die sich mit einer Diatopie verbindet. Eine Ferne, die uns zeitlich entrückt, ist als eine nicht zu erinnernde Vor-vergangenheit und eine nicht vorwegzunehmende Nach-zukunft, verweist auf ein Anderswo, einen Ort, an dem ich als Ich nie war und nie sein werde.«79

Dieser »Nicht-Ort«, der durch die zeit-räumliche Verschiebung erzeugt wurde und »sich in kein präsentisches Zeitfeld einzeichnen läßt«80, ist zugleich der »Ort jenes Mangels, der sich jeder Sinngebung und Zielsetzung entzieht und doch bewirkt, daß es etwas zu sagen und tun gibt.«81

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Vgl. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 193. Ebd. S. 60. Wenn sich Waldenfels in seinem Kapitel »die psychoanalytische Aufsprengung der Erfahrung« wiederholt auf Freud bezieht, so stellt jener für ihn einen Vertreter derjenigen dar, »die den Mächten des Pathos und des Affekts ein neues Gewicht verschafft haben«. Ebd. 2002. S. 302. Ebd. S. 179. Ebd. S. 178. Ebd. S. 179. Zur »Zeitigung« [temporalisation] der Zeit bei Derrida, der sich mit diesem Begriff wiederum auf Heidegger und Husserl bezieht, vgl. GONDEK, HANS-DIETER: Zeit und Gabe. 1997. S. 183–225, besonders S. 197.– In seiner Untersuchung über die Zeit Donner le temps: I. La fausse monnaie überlegt Derrida, was es für jemanden bedeuten würde, Zeit zu geben. Mit dem Terminus »es gibt Zeit« bezeichnet er die Zeit als »Gabe«, als Ereignis, das sich einem Haben entzieht. Vgl. DERRIDA, JACQUES: Falschgeld: Zeit geben I. 1991. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 180. Vgl. zum Raum-Zeitverhältnis bei Bloch, der bereits die Zeit als eine diskontinuierliche problematisierte. ZIMMERMANN, RAINER E.: Subjekt und Existenz. 2001. S. 37–38. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 180. Ebd. S. 60. Vgl. hierzu auch die Derrida- und Gadamer-Lektüre von THOLEN, TONI: »Der NichtOrt der différance«. 1999. S. 25–42. – Vgl. zum Begriff des »Nicht-Ortes« den »U-Topos« bei Bloch. ZIMMERMANN, RAINER E.: Subjekt und Existenz. 2001. S. 39.

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Utopos und Nicht-Ort

INSZENIERUNG DER SUCHE

Grenze der Analyse

Der pathische Hintergrund dieses Nicht-Ortes, der sich bildet und zugleich entzieht, zeigt demzufolge die Grenzen von jedweder hermeneutischer oder intentionaler Analyse auf.82 Und genau darin unterscheidet sich der Prozess der Auseinander-Setzung in der »Urdiastase« von einem »Ur-Sprung«, welcher auf einer linearen Zeitauffassung basiert und von einem einheitlichen Ganzen ausgeht: »Unter Ur-diastase verstehe ich einen Grund-riß im wörtlichen Sinne, nämlich eine maximale Spanne, die unsere Erfahrung besonderen Zerreißproben aussetzt. Sie besteht aus einer gegenläufigen Doppelbewegung, die weder aus einer einheitlichen Quelle entspringt noch zu sich selbst zurückkehrt. Die beiden Pole dieser Ur-diastase bilden das Wovon des Widerfahrnisses und das Worauf des Antwortens, also das, was uns angeht und das, worauf wir eingehen. Statt von Polen sollten wir vielleicht angemessener von Orten der Entrückung sprechen. Wir sind nicht dort, von wo wir ausgehen und worauf wir zugehen.«83

Brüchigkeit der Erfahrung

Durch die diastatischen Differenzen wird die Erfahrung also zu einer brüchigen. Und in der Brüchigkeit der Erfahrung scheint der pathische Hintergrund durch. Die Urdiastase, die »im Hiatus von Widerfahrnis und Antwort ihr größtes Gefälle erreicht«84, ist dabei jedoch nicht als Grunddifferenz innerhalb eines teleologischen Ganzen, einer Einheit, zu betrachten, sondern als ein »Grund-Riss«, der »unsere Erfahrung nicht nur [begrenzt], sondern bewirkt, dass diese gegenüber sich selbst verschoben ist.«85 Diese Spaltung der Erfahrung verrückt Zeit und Raum, Selbst und Andere, indem jene woanders in einer neuen Ko-Relation als Andere auftauchen. Und eben dadurch erfahren jene sich erst in der Zeit, die infolge der Spaltung nachträglich als Vorher und Nachher erscheint und suggeriert, dass es einmal eine unmittelbare, volle Gegenwärtigkeit in der Erfahrung gab.

Supplement des Ursprungs Das Ereignis der Spaltung, das aus einer gegenläufigen Doppelbewegung (zwischen dem Wovon des Widerfahrnisses und dem Worauf des Antwortens) besteht und Zeit und Raum erst formiert, erzeugt einen Bruch in der Erfahrung und verleiht ihr eine Dynamik. Demzufolge fällt eine gebrochene Erfahrung auch »nicht unter das Verdikt einer Ursprungs- oder Präsenzmetaphysik, da das Ursprüngliche selbst zerspringt.«86 Die Erfahrung ist nicht eine Einheit oder ein Ganzes und sie ist nicht auf das Primat der Gegenwart zurückzuführen.87 Auf der einen Seite ist also die zeiträumliche Verschiebung in der Diastase bzw. Différance als Ursprung anzusehen. Auf der anderen Seite erweist sich der vermeintlich gegenwärtige, unmittelbare Ursprung, der ja immer nur nachträglich als Gegenwart postuliert wird, somit als Mythos88. 82

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Vgl. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 302. Der pathische Hintergrund bleibt unverfügbar. In Hinsicht auf diese pathische Grundierung lässt sich auch der Begriff der »Gabe« verstehen, den Derrida in Bezug auf Maurice Blanchot verwendet: »Gabe, wenn es dergleichen gibt, gibt es nur in dem, was das System unterbricht oder auch das Symbol zerbricht, in einer Aufteilung ohne Rückkehr und ohne Rückzuteilung, ohne das Mit-sich-sein des Gabe-gegenGabe.« Zitiert nach RAPAPORT, HERMAN: Derridas Gaben. 1997. S. 46. – In der Unverfügbarkeit des Pathos ist auch ein Bezug zu dem Eingangszitat von Bloch zu sehen, »Ich bin, aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.« Indem die Grammatik des Habens, des Verfügens, sich entzieht, ereignet sich etwas. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 176. Ebd. S. 176. Ebd. S. 188. Ebd. S. 9–10. Vgl. CIARAMELLI, FABIO: Jacques Derrida und das Supplement des Ursprungs. 1997. S. 126. Vgl. dazu: »Den Kalamitäten einer endlosen Vermittlung entgeht man freilich nicht, indem man alle Vermittlungen über Bord wirft und so tut, als könne man mit einer ‚unbefleckten Erkenntnis

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Laut DERRIDA muss deswegen »›ursprünglich‹ als ausgestrichen verstanden werden«, denn »die Ursprungslosigkeit ist es, die ursprünglich ist.«89 Die Bewegung der Spaltung vertritt somit die Gegenwärtigkeit in ihrem originären Sich-selbst-fehlen und wird daher von DERRIDA und im Bezug darauf von WALDENFELS zum originären Ersatz, zum »Supplement des Ursprungs« erklärt.90 »Supplement« wird hier zugleich als Ergänzung und Ersatz verstanden. Insofern kann man »von einem ›ursprünglichen‹ Supplement sprechen: ihre Hinzugabe ergänzt einen Mangel, ein ursprüngliches Nicht-mit-sich-gegenwärtig-sein, das heißt, eine ›Gegenwärtigkeit‹, die bereits begonnen hatte, sich selbst zu ermangeln.«91 Mit anderen Worten: Wahrnehmung und Vergegenwärtigung stehen nicht für das Ursprüngliche. Vielmehr ist das Ursprüngliche »die Ermangelung seiner selbst des Ursprungs, sein Ausbleiben, sein ursprüngliches Verlangen nach einem Supplement, das ihn als Ursprung produziert. Ein Mangel, bei dem der Verlust dem vorausgeht, was verloren wird, bei dem der Verlust selbst der Ursprung ist.«92 Am Anfang steht also das Supplement, die Bewegung des Unterscheidens, die »in einem die Gegenwärtigkeit zerspaltet und verzögert und so im selben Zug der ursprünglichen Teilung und dem ursprünglichen Aufschub unterwirft« und die Nachträglichkeit irreduzibel macht.93 Durch den Differenzierungsprozess innerhalb des Ereignisses der Diastase entsteht eine Ver-Gegenwärtigung, als unersetzbare und daher originäre Nicht-Gegenwärtigkeit. – Wie aber ist dann Gegenwart zu verstehen? »Was wir Gegenwart nennen, nistet in dem Spalt zwischen vorgängiger Widerfahrnis und nachträglicher Antwort. Dieser Spalt schließt sich nicht, aber er ist von Anfang an in Vergessenheit gehüllt und gerät immer wieder in Vergessenheit, und dies nicht nur dort, wo man sich an bestehende Ordnungen klammert, sondern auch und vermehrt dort, wo man aus dem Ereignis ein gesuchtes und begehrtes Event macht. Was auf uns zukommt, findet sich, bevor es gesucht wird.«94

Um die Gegenwart im diastatischen Geschehen aus der Vergessenheit herauszufiltern, bedarf es eines erneuten Umweges, auf dem ich mich zugleich der Frage nähere, wie ich denn nach Draußen gelange.

Selbst Wird der Mangel seit der Neuzeit als Abwesenheit gedacht95, die wiederum nicht loszulösen ist von einer Gegenwart, geschieht dies – so WALDENFELS – »mit einem deutlichen Akzent auf dem Selbst.«96 Dabei ist der Mangel, der das Selbst antreibt, nicht als rein negativer Zustand zu verstehen, denn eine Erfahrung des Fehlens setzt nicht nur voraus, dass etwas fehlt, sondern, dass »es zu sein hat«.

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beginnen, die dann ›Erfahrung‹ oder ›wirkliche Erfahrung‹ heißen mag. Eine behauptete Unmittelbarkeit ist keine, und eine forcierte Unmittelbarkeit ist erst recht keine.« WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S 56. DERRIDA, JACQUES: Die Schrift und die Differenz. 1994. S. 311–312. »Ergänzt werden kann nur, was nicht schlechthin das Ganze ist, dem etwas fehlt, so daß es auf Ergänzungen angewiesen ist. Hier meldet sich das Motiv eines Supplements im Sinne von Derrida, das zwar nur supplementiert, aber in dieser Supplementierungsleistung unersetzlich, also originär ist.« WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 367. Vgl. auch S. 322. Vgl. auch DERRIDA, JACQUES: Die Stimme und das Phänomen. 2003. S. 118. DERRIDA, JACQUES: Die Stimme und das Phänomen. Hier zitiert nach CIARAMELLI, FABIO: Jacques Derrida und das Supplement des Ursprungs. 1997. S. 150. CIARAMELLI, FABIO: Jacques Derrida und das Supplement des Ursprungs. 1997. Hier S. 149. DERRIDA, JACQUES: Die Stimme und das Phänomen. 2003. S. 118. WALDENFELS, BERNHARD: Die Macht der Ereignisse. 2004. S. 155–170. Hier: S. 170. S. 30, Fußnote 26. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 50.

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ursprünglich

Supplement des Ursprungs

Vergegenwärtigung

INSZENIERUNG DER SUCHE

Konstitution des Selbst

Das, was zu sein hat, kann aber nur an sich selbst gemessen werden. Das Selbst wird folglich zum Maßstab für Mangel, Begehren und Streben und eben dadurch bildet es sich heraus.97 Ähnlich verhält es sich im Widerfahrnis. Indem das Selbst getroffen ist, worauf es antwortet, wird es erst zu einem Selbst. Dieses Selbst ist allerdings nicht als identifizierbare Einheit oder als Ganzes, als Individuum, zu denken.98 »Ein Sub-jekt, das dem Getroffensein des Widerfahrnisses entstammt und nicht zuvor schon weiß, was und wie ihm geschieht, ist nicht mit einem selbstbewussten und selbstmächtigen Subjekt zu verwechseln.«99 Ebenso, wie man im Augenblick des Widerfahrnisses nicht von einem Selbst oder Subjekt sprechen kann, weil es im Davor eben noch nicht ist, ebenso wenig ist das Widerfahrnis als Objekt, als etwas zu bezeichnen. Das Selbst entsteht, indem es sich spaltet. Es konstituiert sich in der Diastase durch Selbstbezug und Selbstentzug, die durch das Begehren ausgelöst werden. In der Diastase findet eine Transformation statt: »Die Transformation des Wem des Pathos in ein Wer der Antwort, somit auch die Transformation eines Ereignisses in Akt oder Handlung, wirft Probleme auf, die sich im Dämmerlicht von Klinik und Gericht, in der zwiefachen anomalen Brechung von Pathologie und Kriminologie. Man pflegt sie als Frage nach der Konstitution des Selbst zu behandeln.«100 Um diese diastatische Doppelbewegung im Hinblick auf die »Konstitution des Selbst« zu verdeutlichen und schließlich die Frage nach der Gegenwart zu klären, bedarf es eines Begriffs, der das Davor des Selbst bezeichnet.

Selbstaffektion Affektion

Aufmerksamkeit

Bevor ich etwas als etwas bedeute, werde ich nicht von etwas, sondern von einer so genannten »Kraft« angezogen.101 Diese Anziehungskraft oder »Affektion«102, »könnte man als dynamischen Aspekt des Pathos bezeichnen«103. Die Affektion geht einer Wahl, einem aktiven Vorziehen voraus. Sie weckt Aufmerksamkeiten, motiviert Such- oder Fluchtbewegungen und ist Auslöser für das Begehren. Jede Affektion schließt unweigerlich eine »Selbstaffektion« mit ein. Bezogen auf den diastatischen Prozess, den das Selbst in der Erfahrung durchläuft, findet also eine Selbstaffektion statt, bevor das Selbst daraus hervorgeht. Diese affektive Selbstbesetzung erreicht unterschiedliche Intensitätsgrade, die sich im Extrem zwischen Gefühlsausbruch und Langeweile abspielen.104 Wenn ich von etwas affektiert bin, werde ich zu etwas bewegt oder etwas richtet sich an mich, je nachdem ob ein Etwas oder Jemand wirkt oder adressiert.105 Die Selbstaffektion bildet die Grundlage für das eigene Verhalten. 97

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»Der Mangel trägt nicht unwesentlich dazu bei, das Subjekt, wie es fortan heißt oder das Selbst, wie ich lieber sage, aus der Taufe zu heben. Das Selbst, das aus dem Mangel erwächst, beruht nicht auf dem Selbstbewußtsein oder der Selbstsetzung mit all den Aporien, die dieser reflexiven Form der Selbstheit anhaften.« WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002.. S. 50. Vgl. ebd. S. 204. Ebd. S. 80. WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 42. Mit dem Begriff »Kraft« greift Waldenfels die Husserlsche Terminologie auf. Vgl. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 196 f. Der Begriff Affektion (lat. von afficere), bedeutet wörtlich An-tun. Darin klingt »das An-regen, Angehen oder An-rufen mit, das sich in einem leiblichen Getroffensein« äußert. WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 40 und 221. – Zur Verwandtschaft der Begriffe Pathos und Affekt s. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 16. Ebd. S. 196. »Die affektive Selbstbesetzung wird von Freud als primärer Narzissmus gedeutet.« Ebd. S. 196. – Zum primären Narzissmus vgl. auch KRISTEVA, JULIA: Geschichten von der Liebe. 1989. S. 226f. Zur Fabel von Narziß und Echo, siehe S. 41, Fußnote 109. Vgl. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 98.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Fremdaffektion Fragt man sich nun, wie diese Selbstaffektion entsteht, so wird ersichtlich, dass sie nicht zu trennen ist von der Fremdaffektion.106 In der Diastase erscheint erneut eine Figur des Zwischen, in der hier Selbst und Andere auseinander treten.107 »Was das Selbst erleidet, wozu es aufgefordert wird und worauf es antwortet, ist ganz und gar mit Fremdem durchsetzt.«108 Die Erfahrung des Selbst ist folglich unauflöslich mit der Fremderfahrung verknüpft.109 Versteht man nun das Fremde als Entzug, mehr noch als Selbstentzug, dann ist dieser wiederum untrennbar verquickt mit dem Entzug des Anderen: »Wenn ich nur bin, wer ich bin, indem ich vom Anderen affiziert und in Anspruch genommen bin, so bin ich außer meiner selbst, mir selbst fremd.«110 Wenn ich aber nicht bei mir bin, bin ich nicht beim Anderen als Anderen, sondern allenfalls bei einem Nicht-Ich.111 Die Fremdheit durchzieht gewissermaßen das Selbst und in der Fremdaffektion affiziert sich das Selbst. Das bedeutet, dass das Fremde und das Eigene nicht mehr als Gegensatz von psychologischem Innen und physischem Außen beschrieben werden kann, sondern als wechselseitige Durchdringung.112 106 107

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Vgl. ebd. S. 100 und 205. Die verschiedenen Weisen, in der Selbst und Andere auseinander treten, kann man sowohl als »Weisen der Fremdwerdung« als auch als »Weisen der Selbstwerdung« lesen. Da Waldenfels jedoch in diesem Buch das pathische Moment der Erfahrung hervorheben will, differenziert er sie als »Weisen des Fremdwerdens«. Die Differenzierungen müssen im Rahmen dieser Arbeit ausgespart bleiben, da sie für den weiteren Argumentationsgang nicht notwendig sind. Vgl. ebd. S. 234ff. Ebd. S. 205. Während Narziss in Ovids Metamorphosen als Personifikation der Selbstaffektion gesehen werden kann, verkörpert die Nymphe Echo die Fremdaffektion. Beide Figuren können nicht zueinander finden. »Narziß ist nur auf sich selbst bezogen und in sich selbst verliebt, er steht für einen Selbstbezug ohne Fremdbezug, während die Nymphe Echo einen Fremdbezug ohne Selbstbezug verkörpert, sie lebt nur im und vom Anderen. Diese extreme Konfiguration endet, wie stets bei Ovid, nicht mit dem Tod, sondern mit der Verwandlung. Nymphe Echo verwandelt sich in einen Stein, Narziß in eine Blume. In solchen Verwandlungen geht die Geschichte weiter. Der Mythos stellt sinnbildlich dar, wie Spiegel und Echo im Inneren der Sinnlichkeit wirksam sind;« WALDENFELS, BERNHARD: Das leibliche Selbst. 2000. S. 380 und Ders.: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 121f. Ebd. S. 205. Ebd. S. 206. Vgl. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 97. – »Die Wende zur Moderne endet nicht bei der Spaltung der Welt in eine geistige und physische Außenwelt. Was über eine solche Dichotomie hinausführt, ist die Annahme kontingenter Ordnungen, die sowohl dem Geist wie der Natur ihr wechselseitiges Gepräge geben. [...] Im Zuge kontingenter Ordnungen bilden sich Zwischeninstanzen aus, die sowohl symbolische Formen und kulturelle Institutionen wie auch Praktiken und Techniken umfassen und die sich in variablen Lebenswelten und Lebensformen niederschlagen. Zwischeninstanzen, die weder in einer Ordnung der Dinge noch in einem Reich des Geistes ihr hinreichendes Fundament finden, verändern den Begriff der Möglichkeit in Richtung auf eine Ermöglichung, die Möglichkeiten schafft und nicht nur Möglichkeiten nach einer Art Entelechie, einer inneren Zielstrebigkeit fortentwickelt. [...] Dieser veränderte Ordnungsgedanke kommt auch der Aufmerksamkeit zugute. Er entrückt das Phänomen der Aufmerksamkeit der Antithese von Innen- und Außensicht, von Eigentätigkeit und Fremdwirkung, da die Frage »Was wird erfahren?« bzw. »Wer erfährt etwas?« nun durchgehend mit der Frage »Wie wird erfahren?« verknüpft wird. Damit erhalten die Modalitäten der Erfahrung ein ganz eigenes Gewicht. Eine derartige Umorientierung liegt auf der Linie einer Phänomenologie der Aufmerksamkeit, die zwar nach den Ordnungen der Erfahrung fragt, diese aber in der Erfahrung selbst am Werk sieht.« WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 24–25. – In Bezug auf Freud merkt Waldenfels kritisch an, dass jener einen »Parallelismus von realer Außenwelt und psychischer Innenwelt« unterstelle. Ebd. S. 302.

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Innen und Außen

INSZENIERUNG DER SUCHE

Draußen Wenn ich also danach gefragt habe, wie ich nach Draußen gelange, so lässt sich nun darauf antworten: In sich gerät das erleidene Selbst außer seiner selbst. »Nicht etwas ist draußen, sondern ich selbst«.113 Das Außen verschiebt sich in die Ordnung des Innen und wird so – bzw. dort und dann – zur Differenz. »Gemeint ist nicht ein Selbst, das nach außen tritt, wie wenn es sein Haus verläßt, um Andere zu besuchen, und gemeint ist auch nicht ein Dasein im Woraufhin eines Entwurfs. Als Selbst, das aus Widerfahrnissen hervorgeht, das sich in der Fremdaffektion selbst affiziert und nicht etwa ihr zuvor, bin ich mir anfänglich selbst entzogen. Die Arche, der Anfang und Ursprung dessen, was ich an mir selbst, am eigenen Leibe erfahre, liegt weder in mir, noch außer mir, sondern als Ur-Sprung ist sie in sich selbst gespalten, gebunden an ein Selbst, das sich selbst vorausgeht, weil es aus und in Anderem lebt.«114 Heraus-aus-sich

Und indem das Selbst vom Anderen affiziert wird, erlebt es sich als Anderes. Der Spalt, der dabei aufklafft und »das Unvermittelbare schlechthin darstellt, setzt jedem Ganzseinwollen ein Nicht-Ganzseinkönnen entgegen. Dieses Heraus-aus-sich-selbst besagt, daß es Anteile des Anderen im Selbst gibt, ›im eigenen Haus‹, ohne daß es bereits den Anderen als Anderen gibt.«115

Berührung

Kontakt und Distakt

Berührtwerden durch Fremdes geht dem eigenen Berühren voraus

Am deutlichsten tritt die Relation von Selbst- und Fremdaffektion in der Berührung zutage, in der ich nicht nur etwas berühre und von etwas berührt werde, sondern indem zusätzlich »Berührendes und Berührtes einander berühren, […] sich berühren«.116 Das wechselseitige Moment des Kontakts, erfährt einen Distakt, eine Diskontinuität in der Differenz, bzw. der Diastase. Durch diesen Distakt in der Berührung »zeigt sich eine fliehende Nähe, eine Ferne, die sich mit der Annäherung nicht verringert, sondern noch steigert«.117 Hinsichtlich der zeitlichen Dimension der Selbst- und Fremdaffektion ist nun bemerkenswert, dass WALDENFELS das Berührtwerden durch Fremdes dem eigenen Berühren voranstellt, um die Rückbindung der Erfahrung an das Pathos zu untermauern118: »Entscheidend ist dabei, daß das Angerührtwerden durch Anderes dem eigenen Anrühren vorausgeht. Traditionell gesprochen besagt dies, dass die Selbstaffektion im Zuge der Fremdaffektion auftritt und ihr nicht vorausgeht. Das Sichberühren bildet die Kehrseite des Berührtwerdens und nicht etwa seine Vorbedingung. Ähnlich äußert sich Jean Luc Nancy: »›Berühren ist der Augenblick der Berührung und der Erfahrung der Fremdheit. Es läßt uns fühlen, was uns fühlen läßt (was Fühlen wirklich ist): die Ferne, das Streben nach inniger Nähe‹«.119 113 114 115

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WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 188. Ebd. S. 205, 206. Ebd. S. 60, 195. – »Blochs Denkfigur: ›Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst‹ muß nicht einer linear progredierenden, auf einen utopischen Endzustand hinauslaufenden Dialektik gedeutet werden. Im Horizont einer Identitätsphilosophie gelesen, die sich vom (Allmachts-)Wunsch nach Ganzheit leiten läßt, welche allen Begrenzungen entronnen wäre, scheint das ›Habe mich nicht‹ lediglich den aufhebbaren Abstand vom Ideal zu bezeichnen. Nimmt man es jedoch als Ausdruck der fundamentalen Heterogenität des Selbst, so läßt es sich als Ichbildende Differenz verstehen. Im Anerkennen des ›anderen‹, der Andersheit, liegt dann auch die Möglichkeit von Veränderung begründet. ›Darum werden wir‹, kann von daher gesagt werden, erst im Bejahen der eigenen Begrenztheit.« DIETSCHY, BEAT: Gebrochene Gegenwart.. 1988. S. 287. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 77. Ebd. S. 82. Vgl. Ebd. S. 98. Waldenfels zitiert Nancy aus »Die Musen« (1999), in Bezug auf Derridas »Le toucher«. Ebd. S. 80.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Im Akt des Berührens entsteht die Kluft zwischen Eigenem und Fremden und dabei wird Fremdheit erfahrbar. Das Ereignis der Berührung wird somit zum Prototyp für eine pathische Grundierung der Erfahrung, die sämtliche »kognitiv-perzeptiven und praktischkinetischen Erfahrungsweisen […] untermalt und unterfüttert.«120 Folglich könnte man sagen: Ich werde getroffen worden sein von etwas, aus dem ich und Anderes jeweils für sich und als Unterscheidung hervorgehen. Der pathische Hintergrund der Erfahrung ermöglicht eine Selbstaffektion, die durch die Anziehung von mir Fremdem entsteht.

Pathische Grundierung der Erfahrung

»Sofern das Pathos etwas ist, das von anderswoher kommt, stellt es sich gleichzeitig als Fremdaffektion dar, die den Zirkel der Selbstheit sprengt. Die Frage nach dem Wem des Widerfahrnisses geht der Frage nach dem Wer eines zuschreibbaren Aktes voraus. Die Urspaltung, die Tatsache also, daß das Selbst nur über einen Spalt hinweg mit sich in Kontakt steht, führt zu einer zeit-räumlichen Selbstverschiebung, die eine reine Innenperspektive ebenso ausschließt wie eine reine Außenperspektive. Das Zugleich von Selbstbezug und Selbstentzug spricht für einen genuinen Fremdbezug und es verheißt eine Konzeption des Leibes und des Unbewussten, die sich von den üblichen Dualismen fernhält.«121

Der »Zirkel der Selbstheit« wird durch das Pathos gesprengt, das als Fremdaffektion auftritt und einen Selbstentzug darstellt. Der Selbstentzug geht dabei dem Selbstbezug, der Selbstaffektion voraus. Dass diese genuine Selbstaffektion jedoch »keine bloß psychologische Frage ist, sondern eine durchaus ontologische«, zeigt sich daran, dass sie »eine qualitative Färbung zeigt und verschiedene Richtungen vorzeigt.«122 Die affektive Selbstbesetzung prägt und strukturiert den eigenen Erfahrungsraum. Insofern kann man sagen, dass die Selbstaffektion nicht bloß eine Modalität der Erfahrung darstellt123, sondern die »Bedingung der Erfahrung schlechthin«124. Das Pathos hingegen, das als Fremdaffektion in Erscheinung tritt, bedeutet dann »nicht etwas, das aus der Erfahrung stammt oder unter bestimmten Bedingungen in der Erfahrung gegeben ist, es ist die Erfahrung selbst, sofern sie sich selbst entgleitet.« Indem WALDENFELS die pathische Grundierung im Vorgang des Erfahrens selbst am Werk sieht, verknüpft er das Gewicht dessen, was erfahren wird untrennbar mit der Frage wie es erfahren wird.125

Gegenwart Der Selbstentzug, den wir anfänglich erfahren, ist aber nicht zu trennen von einer uns ursprünglich entzogenen Gegenwart, wie ich sie mit dem »Supplement des Ursprungs« beschrieben habe. Die Anwesenheit kann nur dann als solche erscheinen, wenn sich in ihr eine Abwesenheit, eine Nicht-Präsenz formiert. Den Zusammenhang von Selbst und Zeit stellt DERRIDA folgendermaßen dar: »Die Auto-Affektion konstituiert das Selbst (auto), indem sie es teilt. Der Entzug der Präsenz ist die Bedingung der Erfahrung, das heißt der Präsenz.«126 120 121 122 123 124 125

126

WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 75. Ebd. S. 398. Ebd. S. 102. Vgl. DERRIDA, JACQUES: Die Stimme und das Phänomen. 2003. S. 112. DERRIDA, JACQUES: Grammatologie. 2003. S. 285. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 173. – »Während in der älteren Tradition die Tendenz vorherrscht, die Modi der Erfahrung der Sache selbst zuzurechnen und sie an einer wahren oder grundlegenden Seins- und Denkweise zu messen, wächst in der Neuzeit die Neigung, sie zusammen mit der Erfahrung in der Subjektivität zu verankern und das in re mehr und mehr durch ein in mente zu ersetzen.« WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 115–116. DERRIDA, JACQUES: Grammatologie. 2003. S. 285.

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Bedingung der Erfahrung

INSZENIERUNG DER SUCHE

Bedingung von Erfahrung

Der Entzug der Anwesenheit des Selbst ist die Bedingung von Erfahrung und zugleich »die Bedingung der Selbst-Gegenwart.«127. Und die Zeitlichkeit der Selbst-Gegenwart konstituiert sich, indem wir Supplemente produzieren, um uns etwas zu vergegenwärtigen, was immer schon abwesend war.128 Erst in dieser Vergegenwärtigung tritt die ursprüngliche Nachträglichkeit zu Tage.

Schrift Den Prototyp des Supplements sieht DERRIDA nun in der »Schrift« [ecriture], da sich in ihr die Differenz als Zwischenräumlichkeit in der Zeitlichkeit artikuliert und insofern ein »genetisches Moment« enthält.129 »Als Ursprung der Erfahrung des Raumes und der Zeit macht es die Schrift, das Gewebe der Spur, möglich, daß sich die Differenz zwischen Raum und Zeit artikuliert und als solche in einer Einheit der Erfahrung (eines »gleichen« Gelebten, ausgehend von einem »gleichen« Leib) erscheint. Diese Artikulation erlaubt es also einer graphischen (»visuellen« oder »taktilen«, »räumlichen«) Kette, sich – unter Umständen linear – einer gesprochenen (»lautlichen«, »zeitlichen«) Kette anzugleichen. Die Differenz ist die Artikulation.«130 Der Text als Riss

Mit der in der Schrift erfolgenden Artikulation, die sich als zeiträumlicher »Ort des Verhältnisses von Rezeption und Produktion offenbart«, erzeugt der Text selbst den Riss, er wird zum »Zwischen von Lesen und Schreiben.«131 Während man in der gesprochenen Rede, der Stimme, sich selbst affiziert, indem man sich selbst sprechen hört, also eine »Öffnung im Drinnen« stattfindet,132 führt der Weg über die Schrift, als Symbolisierung nach Draußen.133 Diese Exteriorität ist für die Schrift konstitutiv. Über den Weg des Draußen kann die Schrift »in ihrem Innern die lebendige Rede affizieren« und sie so alterieren.«134 »Sobald man die Verräumlichung zugleich als ›Intervall‹ oder Differenz und als Öffnung nach draußen zugesteht, gibt es keine absolute Innerlichkeit mehr, hat sich das Draußen in die Bewegung eingeschlichen, durch die das Drinnen des Nichtraumes, das, was den Namen »Zeit«, sich erscheint, sich konstituiert, sich ›gegenwärtigt‹. Der Raum ist ›in‹ der Zeit, er ist das reine Aus-sich-herausgehen der Zeit, er ist das Außer-sich als Selbstbeziehung der Zeit.

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134

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DERRIDA, JACQUES: Die Stimme und das Phänomen. 2003. S. 112. Vgl. CIARAMELLI, FABIO: Jacques Derrida und das Supplement des Ursprungs. 1997. S. 130. THOLEN, TONI: Erfahrung und Interpretation. 1999. S. 29. DERRIDA, JACQUES: GRAMMATOLOGIE. 2003. S. 114–115. THOLEN, TONI: Erfahrung und Interpretation. 1999. S. 35. DERRIDA, JACQUES: Die Stimme und das Phänomen. 2003. S. 116. »Alles Lebendige ist der Selbst-Affektion mächtig. Und einzig ein Wesen, das fähig ist zu symbolisieren, das heißt sich selbst zu affizieren, kann sich durch den Anderen im allgemeinen affizieren lassen.« DERRIDA, JACQUES: Grammatologie. 2003. S. 284. Ebd. S. 537. Vgl. zum Verhältnis von Sprechen und Schreiben das Gespräch von Cahen mit Derrida, im Rahmen der Radioaufzeichnung auf France Culture am 22. Mai 1986: »Ich mag aber eine bestimmte Art des Sprechens über Philosophie, die für mich eine gewisse Art des Schreibens ist. Und ich glaube, daß sich in dem von mir im Sinne der Graphie oder Veröffentlichung Geschriebenen stets die Erfahrung der Stimme, des Rhythmus und des sogenannten gesprochenen Wortes (parole) abzeichnet. Ich lege besonderes Gewicht auf diesen Punkt, denn normalerweise würde man mich – zumindest jene, die sich für meine Arbeit interessieren – eher als jemanden darstellen, der für die Schrift steht, eher ein Mann der Schrift als des Sprechens. Das ist aber falsch! Ja, das ist falsch! Ich denke ganz einfach, daß der Schriftbegriff mittlerweile soweit umgewandelt worden ist, dass man nicht mehr auf diese doch etwas triviale Opposition von gesprochenem Wort und Schrift hereinfällt.« DERRIDA, JACQUES: Auslassungspunkte. Gespräche. 1998. S. 210f.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Die Äußerlichkeit des Raumes, die Äußerlichkeit als Raum, überfällt nicht unversehens die Zeit; sie eröffnet sich als reines ›Draußen‹ ›in‹ der Bewegung der Zeitigung.«135

Laut DERRIDA erfolgt das Aus-sich-heraus über die Schrift: Es wird ursprünglich durch die Bewegung der Zeitigung impliziert, die die Schrift originär supplementiert. Indem man also schreibend Aus-sich-heraus geht, fungiert die Schrift als Verräumlichung der Zeit. Diese »Verräumlichung als Schrift ist das Abwesend und Unbewußtwerden des Subjekts« und zugleich eine Vergegenwärtigung.136 DERRIDA exponiert die Schrift zur originären Vergegenwärtigung und beschreibt mit der Schrift einen Ort, der zugleich selbstreferentiell und draußen ist, der Lese- und Schreiberfahrungen in ihrer Genese und Struktur offenbart und entstehen lässt und es zudem ermöglicht, Erfahrungen diskursiv, durch die »immanente Rhetorizität der Struktur« erlebbar zu machen.137 Die Schrift wird zum Ereignis, zur Erfahrung der Différance. Diese Erfahrung nimmt ihren Anfang mit dem Zeichen:

Aus-sich-heraus anhand der Schrift

»Mit dem Zeichen anfangen – das heißt mit dem Sekundären selbst beginnen und sich schon auf dem Umweg befinden. Das Zeichen ist der Logik der Logik (des logos) zufolge Zeichen von etwas. Es vertritt die Sache in ihrer Abwesenheit; es repräsentiert sie in Erwartung ihrer Rückkehr. Es hält sich zwischen zwei Gegenwarten und ist seinem eigenen Begriff nach nur aus dem Vorrang der Gegenwärtigkeit dieser Gegenwarten zu denken. […] Mit dem Zeichen beginnt aber nicht allein die Reihe der publizierten Arbeiten Derridas. Von allem Anfang an behauptet er vielmehr, dass das Zeichen am Anfang steht.«138

Gehe ich nun mit Toni THOLEN davon aus, dass »Derridas Texte die Orte seiner dekonstruktivistischen Schreib-Erfahrung sind«, dann schreibt er sich gewissermaßen als Spur in seine Texte ein.139

»Ich bin« Sofern das »Ich bin« aber in der Schrift erscheint, muss es – um eine Gültigkeit und Lesbarkeit zu erreichen – unabhängig von der Anwesenheit des Schreibenden verständlich sein. Das bedeutet, dass die Abwesenheit des Schreibenden im »ich bin« in der Schrift, d.h. im Lese- und Schreibprozess als »ich bin tot« impliziert ist. »Schreibt die Schrift in den endlichen Diskurs der cartesianischen Frage das ›Ich bin tot‹ ein, so öffnet sie sie in Richtung auf die Unendlichkeit reiner, absoluter différance. Soll die différance sich als Möglichkeitsbedingung aller endlichen Rede, bzw. Gegenwart erweisen, so muß sie im Modus absoluter Vergangenheit gedacht werden, die ›älter‹ ist als jegliches Denken der Absenz der Präsenz. Das Ich muß sich schreiben, denn in der Schrift schreibt es sich als totes. Und nur in diesem Bezug zu seinem Tod kann es die unendliche différance in der Präsenz erscheinen lassen.«140 135 136 137 138 139

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DERRIDA, JACQUES: Die Stimme und das Phänomen. 2003. S. 116. DERRIDA, JACQUES: Grammatologie. 2003. S. 120. MERSCH, DIETER: Kunst und Sprache. 2004. S. 41–59. Vgl. BENNINGTON, GEOFFREY / JACQUES DERRIDA: Jacques Derrida. 2001. S. 31–32 sowie DERRIDA, JACQUES: Die Schrift und die Differenz. 1994. S. 255. THOLEN, TONI: Erfahrung und Interpretation. 1999. S. 35. – Vgl. dazu auch das 1991 veröffentlichte Gespräch »Ein ›Wahnsinn‹ muss über das Denken wachen!«, das der ehemalige Assistent Foucaults, François Ewald, der heute für Chirac arbeitet, führte: »Für mich zählte (aber warum veranlassen Sie mich in der Vergangenheit zu sprechen?) der Akt des Schreibens oder vielmehr, denn es ist vielleicht nicht wirklich ein Akt, die Erfahrung des Schreibens: eine Spur zu hinterlassen, die ohne die Präsenz ihrer ursprünglichen Einschreibung auskommt, ohne ihren ›Autor‹, wie man unzureichenderweise sagen würde, und die sogar dazu bestimmt ist.« DERRIDA, JACQUES: Auslassungspunkte. Gespräche. 1998. S. 350. THOLEN, TONI: Erfahrung und Interpretation. 1999. S. 34.

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»Ich bin« als »Ich bin tot«

INSZENIERUNG DER SUCHE

Kritik am Logozentrismus

Im Prozess des Schreibens schreibt sich das Autorsubjekt als »Ich bin« in den Text mit ein. Indem das »Ich bin« aber keine Referenz mehr hat, sobald es sich vom »Ich bin tot« her denkt, enteignet es sich, um sich schreibend das »Ich bin« zu vergegenwärtigen.141 Insofern kann man sagen, dass DERRIDA das »Aus-sich-heraus« als diskursive Praxis des Schreibens vorführt. Mit dem metaphorischen Begriff der Schrift (écriture), dem Zeichen sowie der Symbolisierung thematisiert er nicht nur die differentielle Struktur der Schrift, sondern lässt vielmehr das Geschehen der différance in der Schrift sich ereignen.142 Damit verleiht er der Schrift einen exponierten Stellenwert, einen speziellen Erfahrungsraum. Die Fokussierung auf die Schrift bedeutet aber nicht eine Ausschließlichkeit, sie besagt keineswegs, dass Erfahrung stets eine sprachlich verankerte sei.143 Vielmehr verweist DERRIDA mit der Schrift auf die Grenzen der Texte: »sein dekonstruktives Unternehmen stellt die »logozentristische Umzäunung« in Frage«.144

Spur

Spur

Anlässlich des 2001 verliehenen Adorno-Preises spricht WALDENFELS in seiner Laudatio für DERRIDA davon, das man dessen als Dekonstruktion bezeichnetes Verfahren auch verstehen könne »als Weigerung in eine phänomenologische oder hermeneutische Sinneuphorie einzustimmen, die den Bodensatz des Nicht-Sinnes unterschlägt«; vielmehr verweise er mit seiner »textgetreuen Mikrologie«, in der »schreibendes Lesen und lesendes Schreiben, bei dem Produktion und Rezeption ineinander greifen« auf eine »Freisetzung dessen, was sich den Regelungen eines seiner selbst mächtigen Logos entzieht.«145 Was sich dem Logos entzieht, deutet auf den Bereich des Pathischen, auf das DERRIDA mit dem Begriff der Spur verweist.146

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Vgl. DERRIDA, JACQUES: Die Stimme und das Phänomen. 2003. S. 127–129. »Man kann das Geschehen der différance somit als Ereignis der Schrift verstehen.« MERSCH, DIETER: ›Geschieht es?‹ Ereignisdenken bei Derrida und Lyotard. S. 3. In einem von der Journalistin und Autorin McKenna geführten Interview mit Derrida, das in Irvine, an der University of California aufgenommen wurde, wo sich Jacques Derrida mit Wolfgang Iser und Jean-François Lyotard eine Professur teilte, sagte Derrida: »I never said everything is linguistic and we`re enclosed in language. In fact, I say the opposite, and the deconstruction of logocentrism was conceived to dismantle precisely this philosophy for which everything is language.« MCKENNA, KRISTINE: The Three Ages of Jacques Derrida. 2002. Vgl. zu den Grenzen des Logozentrismus auch das am 18.02.1965 in Paris geführte Gespräch zwischen Roland Barthes, André Breton und Raymond Federman mit dem Titel: Das »Anrennen gegen die Grenzen der Sprache – Methoden des Schreibens und Strategien des Lesens.« WALDENFELS, BERNHARD: »Derrida ist niemand, der mit dem Hammer philosophiert«. 2001. S. 3. »Und währenddessen wurde ich mir dann auf viel stärkere und deutlichere Weise bewußt, daß die Asche in vielen früheren Texten ein, sagen wir, beharrliches Motiv war. Daher kommt auch diese Art ›Polylog‹, eine unbestimmte Anzahl von Stimmen über diese Aschentexte oder diese Texte über die Asche, in deren Verlauf ich versuchte, … oder jemand versuchte, aufzuzeigen, daß die Wörter, die ich bis dahin etwas bevorzugt hatte, wie Spur, Schrift, Gramme … in der Tat mit dem Beinamen ›Asche‹ besser benannt werden, und zwar aus folgendem Grund: Die Asche ist ganz offensichtlich eine Spur – im allgemeinen denkt man bei der Figur der Spur als erstes an die eines Schrittes, auf dem Weg, im Auf-dem-Weg-Sein, man denkt an den Schritt, der einen Abdruck, eine Spur oder einen Überrest hinterläßt –; ›Asche‹ benennt aber besser, was ich mit dem Begriff der Spur ausdrücken wollte, nämlich etwas, das bleibt, ohne zu bleiben, das weder anwesend noch abwesend ist, das sich selbst zerstört, von selbst, das sich völlig verzehrt, ein Rest ohne Rest ist. Das heißt also etwas, das nicht ist. Um das konsequent vor Augen zu führen, müßte man anfangen über das Sein nachzudenken, über ›ist‹ und das, was ›ist‹ heißt, was ›Rest‹ in jenen Texten heißt, in denen ich ›bleiben‹ und ›sein‹ voneinander unterschieden habe. Die Asche ist nicht! Die Asche ist nicht, das heißt sie bezeugt, ohne zu bezeugen. Sie bezeugt das Verschwinden des Zeugen, wenn man so sagen kann. Sie bezeugt das Verschwinden der Erinnerung.« DERRIDA, JACQUES: Auslas-

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Antwort Während DERRIDA also das »Aus-sich-heraus« als performativen Prozess des Schreibens vorführt, indem er schriftlich »antwortet«, schreibt WALDENFELS über den Bezug von Erfahrung und Sprache: »Daß Rede und Erfahrung nicht aufgehen in dem, was jeweils sinnhaft und regelgerecht gesagt oder erfahren wird, besagt, dass das Ereignis des Zur-Sprache-kommens und des In-Erscheinung-tretens sich selbst entgleitet in Form jener invasiv-evasiven Fremdheit, die im Herzen der Erfahrung aufbricht.«147

Mit seinem Begriff der »Antwort« lässt er die Weise, in der sich Erfahrung artikuliert oder sichtbar wird, offen. Auch eine leibliche Antwort kann damit verbunden sein.148 Damit verknüpft er die im 20. Jahrhundert postulierte vermeintliche Gegensätzlichkeit einer hermeneutischen, sprachlich-reflexiven Herangehensweise gegenüber einem auf der Analogie des Blicks beruhenden phänomenologischen Zugang.149 Während heutige phänomenologische Betrachtungen die »Leiblichkeit der Existenz« hervorheben und »damit auch die vorsprachlichen Verwicklungen des Denkens, Wahrnehmens und Handelns mit einer anmutenden Welt, zielen sie auf die Grenzen intentionaler Akte und bringen einen Nicht-Sinn ins Spiel, der sich gegenüber dem Anspruch des »universalen und radikalen Verstehens« […] als sperrig erweist.«150 Auf Grundlage dieser phänomenologischen Tradition ist das Erfahrungskonzept von WALDENFELS geöffnet: sowohl für ein leibliches situatives als auch für ein sprachliches Agieren als Antwort.151

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sungspunkte. Gespräche. 1998. S. 221. – Vgl. zur Spur DERRIDA, JACQUES: Randgänge der Philosophie. 1988. S. 49. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 235. »Diese weite Form des Antwortens bleibt nicht auf die Sprache beschränkt, sie kann auch in einem Wegsehen oder in einem Weghören bestehen, eine Seite kann stumm bleiben.« WALDENFELS, BERNHARD: Das leibliche Selbst. 2000. S. 366. »Phänomenologie und Hermeneutik sind schwer zu unterscheiden, zumal wenn es um ihren Umgang mit der Erfahrung geht. […] Erfahrung wird dabei in einer hermeneutischen Perspektive vor allem als die zur Sprache gebrachte Erfahrung interpretiert. Habitualisierungen der gelehrigen Körper, die gesellschaftliche Spielregeln einhalten, sittliche Erwartungen erfüllen und Wahrnehmungsgewohnheiten aufrechterhalten, kommen nur als in Worte gefasst vor.« MEYER-DRAWE, KÄTE: Lernen als Erfahrung. 2003. S. 511–512. Ebd. S. 512. Vgl. zu dieser Opposition im 20. Jahrhundert den Audioausschnitt aus dem Vortrag von Hubert Sowa (mit Bettina Uhlig) auf der von Winfried Marotzki und Horst Niesyto initiierten Tagung »Bildinterpretation« vom 25. – 26. Juni 2004 an der PH Ludwigsburg.

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Grenzen intentionaler Akte und Nicht-Sinn

INSZENIERUNG DER SUCHE

2 . R i s s 152

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Mit dem Verweis »This page intentionally left blank!« (http://www.this-page-intentionally-leftblank.org/whythat.html – 07.01.2007) markiere ich einen symbolischen Riss im Text, platziert zwischen den Voraussetzungen von Erfahrungen und den folgenden Setzungen der Repräsentationen von Erfahrungen.

INSZENIERUNG DER SUCHE

3. Setzung: Aufzeichnung »Noch bevor ich beschließe, was ich sagen werde, verspreche ich zu Ihnen zu sprechen, antworte ich auf das Versprechen zu sprechen, ich antworte. Ich antworte Ihnen, sobald ich spreche, und folglich verpflichte ich mich. Deshalb würde ich sagen, daß ich diese Sprache nicht beherrsche: selbst wenn ich etwas anderes tun wollte als zu versprechen, würde ich noch versprechen. Ich beherrsche sie nicht, denn sie ist älter als ich, die Sprache ist da, bevor ich da bin, und in dem Moment, da ich mich in ihr verpflichte, sage ich in gewisser Weise ja zu ihr und zu Ihnen, und ja sagen, ist auch versprechen, nämlich versprechen, das Ja zu bestätigen. Es gibt kein Ja das nicht das Versprechen seiner Bestätigung wäre. Es geht mir voraus. Sobald ich spreche, bin ich in ihm. So groß meine Redekunst sein mag, bin ich zugleich der Sprache und der Versprechensstruktur unterworfen, die bedingt, daß Sprache an jemanden adressiert ist und daß sie folglich dem anderen antwortet. Und an diesem Punkt bin ich verantwortlich, noch bevor ich meine Verantwortlichkeit gewählt habe. Insofern ist die Verantwortlichkeit keine Erfahrung von etwas, das man frei wählte. Ob man will oder nicht, ist man verantwortlich, noch vor jeder Art von Freiheit im Sinne der Beherrschung. Und vielleicht ist dieses der Freiheit vorausgehende Verantwortlichkeit, die mir auch meine Freiheit schenkt.«153

Das Versprechen

Anspruch Was erfahre ich nun am Anfang meiner Forschung? Was erfahre ich an einem Anfang, den es nicht einfach so gibt, sondern den ich hinstellte, vor-aus-setzte, den ich der Schrift aussetzte, um dort konturenhaft im Nachhinein zu erscheinen, als Antwort. Auch die Frage nach dem Anfang war eine nachträglich konstruierte Setzung.154 Aber der »An-Spruch«155 einer Dissertation, nämlich eine wissenschaftliche und das bedeutet ja gewöhnlich, eine schriftliche Antwort zu erzeugen, um damit »Aus-sich-heraus« zu gehen, die Selbstheit gleichermaßen zu sprengen und aus dem Abstand heraus über das Draußen und das Gehen kommunizieren zu können, dieser An-Spruch richtet die Erfahrung aus auf das, was schriftlich dargestellt werden kann.156 Anders gesagt: nur die Erfahrung, die schriftlich darstellbar wird, fließt ein in den Text. Diejenigen Erfahrungen, die die Grenzen des Sag- und Darstellbaren überschreiten, werden im Text implizit ausgeklammert.157

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Dieses Zitat entstammt einem Interview mit dem Titel »Übergänge – vom Trauma zum Versprechen«, das Elisabeth Weber mit Jacques Derrida 1990 für den Hörfunk geführt hat. DERRIDA, JACQUES: Auslassungspunkte. Gespräche. 1998. S. 388f. Dass der Zusammenhang zwischen Setzungen und Voraussetzungen nicht nur komplementär zu denken ist, sondern sich überdies wechselseitig konstituiert und insofern autokonstitutiv genannt werden kann, beschreibt Schmidt in »Abschied vom Konstruktivismus«: »Setzungen operieren auf der Grundlage von Voraussetzungen, Voraussetzungen orientieren die Sinngebung von Setzungen«. SCHMIDT, SIEGFRIED J.: Geschichte & Diskurse. Abschied vom Konstruktivismus. 2003. S. 32. Für diesen Hinweis danke ich Konrad Jentzsch. Den Begriff An-Spruch übernehme ich von Waldenfels, der ihn 1994 im Antwortregister »im doppelten Sinne des Wortes in den Mittelpunkt rückte«, d.h. im pathischen Sinne von angeregt sein, sich-angesprochen-fühlen einerseits und der Ambition, den eigenen Erwartungen gerecht zu werden andererseits. Wenn ich hier auf den Anspruch antworte, eine Dissertation zu schreiben, so ist dies doch gewiss nicht der Anfang meines Anspruchs, der bereits viel früher begonnen hatte mit dem antwortenden Hinhören und Hinsehen, dem Aufmerksamwerden für Aspekte, auf die ich hier antworte. WALDENFELS, BERNHARD: Antwortregister. 1994. S. 193f. – Vgl. zur Gegenüberstellung von Anspruch und Antwort WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 98. »Indem ich mich schriftlich über das Sprechen äußere, begebe ich mich selbst auf die Seite des Textuellen, welches anderen Gesetzen gehorcht, als die gesprochene Sprache. Dies ist zugegebenermaßen ein Widerspruch. Doch bleibt kein anderer Weg, als sich, wenn (in Buchform) Bleibendes produziert werden soll, auf der Ebene der Schrift zu bewegen.« STURM, EVA: Im Engpass der Worte. Sprechen über moderne und zeitgenössische Kunst. 1996. S. 17. Zur Kritik am wissenschaftstheoretischen Kontext der textuellen Verfasstheit von Theorien und Erfahrungen siehe den Text: DANNEBERG, LUTZ: Erfahrung und Theorie als Problem moderner

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Erfahrung und Text

INSZENIERUNG DER SUCHE

Ausschluss des Pathischen?

Futur anterior

Insofern erscheint die Grenze des Textes als Grenze der Erfahrung, hier: der Forschungserfahrung.158 Dort, wo die Textur einsetzt, scheint auch die Erfahrung anzuheben und wo sie endet, scheint auch die Erfahrung zu enden. Auf jeden Fall werden Erfahrungen mittels des Textes inszeniert.159 Und sofern man wissenschaftliche Texte als spezielle regelgeleitete Text- »Sorte« begreift, wie etwa »Ethnographie als literarisches Genre«, könnte man behaupten, dass Erfahrungen wissenschaftlich inszeniert werden.160 Eine wissenschaftlich inszenierte, d.h. »eine methodisch vorgehende und kontrollierte Erfahrung«, schließt aber die pathische Dimension zwangsläufig aus dem Text aus, wenn sie schriftliche Erfahrungen lediglich als kontrollierte, gesteuerte, intentionale oder bewusste auftreten lässt und gleichzeitig eine Analogie zwischen Text und Wirklichkeit, bzw. zwischen Text und Erfahrung suggeriert.161 Indessen kann die pathische Dimension vor allem dann in die Schrift einfließen, wenn der Inszenierungscharakter selbst wahrnehmbar wird: Erst indem der Text die medialen, literarischen, methodologischen Grenzen der Textualität simuliert, vorführt, transportiert oder artikuliert, kann er auf das verweisen, was er zugleich ausblendet.162 Erst indem die Art und Weise, wie der Text geschrieben ist, seine Faktur, seine Medialität, Methodik und Struktur mitreflektiert, verweist er auf das, was außerhalb seiner ist. Die Abgrenzung der Textur von dem Ungesagten bzw. Unsagbaren formiert den Text und lässt so das Draußen durchscheinen. Aber auch in diesem Fall wird vorrangig erkennbar, dass eine pathische Dimension als Nicht-Text möglicherweise existiert. Hingegen, wie sie sich äußert, wie sie wirkt, wozu sie auffordert oder wann sie lähmt, bleibt allenfalls als Spur in der Schrift zurück. Folgt man diesen Überlegungen bis hierher, so fällt auf, dass sie den Text aus der Distanz heraus bereits als geschriebenen antizipieren. Sie sind aus der Perspektive des Futur anterior artikuliert: Der Text, die Antwort, wird geschrieben worden sein.163

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Wissenschaftsphilosophie in historischer Perspektive. 1996. S. 14–15. FABIAN, JOHANNES: Präsenz und Repräsentation. Die Anderen und das anthropologische Schreiben. S. 343f. Zur »Unterscheidung zwischen Forschen und Aufschreiben« siehe ebd. S. 343. Ich verwende den Begriff der Inszenierung im Sinne von Martin Seel als »Erscheinen lassen« und ziehe ihn demjenigen der Re-präsentation vor, da er den konstruktiven Aspekt stärker betont, während Re-Präsentation häufig auf den »realistischen« Grad der Über-Setzung (in Texten) beschränkt bleibt. Wenn ich also sage, dass die Erfahrung durch den Text inszeniert wird, gewinnt dabei – neben dem performativen zeitlichen Charakter der Vergegenwärtigung, der auch im Begriff RePräsentation mitschwingt – zudem die räumliche Situierung der Erfahrung im Text, ihre Platzierung an Bedeutung. SEEL, MARTIN: Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs. 2001. Seit der literarischen Wende dient die »Hinwendung zum Text« nicht nur zur Beschreibung der disziplinären, hier: der ethnographischen Repräsentationspraxis, sondern überdies zum Instrument der Distanzierung, die zugleich eine Wissenschaftskritik ermöglicht. Vgl. FUCHS, MARTIN / BERG, EBERHARD: Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation. 1999. S. 14, 38f. und 64. – Stellvertretend für die ethnographische Diskussion bis zu den 80er Jahren siehe MARCUS, GEORGE E / CUSHMAN, DICK: Ethnographies as texts. 1982. S. 25–69. Diese Aussage bezieht sich auf die Realismus-Debatte, die in der Frühmoderne einsetzte und von der linguistischen zur literarischen Wende bis hin zum Dekonstruktivismus führte. Die Argumentation kristallisiert sich in der so genannten »Krise der Repräsentation«, deren Maßstab die vermeintliche Realität abgeben sollte: »Der häufig unausgesprochene und ungerechtfertigte Anspruch des Realismus war der, daß eine Realität – eine Praxis des Schreibens von »realistischen« Ethnographien – für die Realität repräsentativ sein sollte.« FABIAN, JOHANNES: Präsenz und Repräsentation. Die Anderen und das anthropologische Schreiben. S. 347. HAMPE, MICHAEL / LOTTER, MARIE-SIBYLLA: Einleitung: Enttäuschende Erfahrungen. S. 7. Zur Artikulation der Differenz in der Schrift als Zwischenräumlichkeit der Zeitlichkeit S. 44.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Wenn ich aber geschrieben habe, dass der Text selbst den Riss erzeugt und zum »Zwischen von Lesen und Schreiben« wird164, so fehlt noch die Perspektive des vorgängigen Antwortens auf den Anspruch der Schrift. An dieser Stelle kommt das Widerfahrnis ins Spiel. Das Widerfahrnis geht ein schwieriges Verhältnis mit der Schrift ein, denn es zeichnet sich dadurch aus, dass es den Sinnhorizont und Ordnungsrahmen von demjenigen, den es trifft, übersteigt. Da eine wissenschaftliche Arbeit die Ordnung jedoch in geschriebener Sprache präfiguriert, stellt sich die Frage, wie etwas in der Schrift zur Sprache kommen kann, was jenseits ihrer Ordnung liegt. Indem ich mich nun dem textuellen An-Spruch aussetze, um schriftlich zu antworten, bewege ich mich in einem Zwischenreich zwischen pathischer Affektion und Antwort. Ich befinde mich im Davor meiner Antwort. In der Weglosigkeit des Noch-Nicht: Ich möchte antworten, allein es fehlt mir eine Ordnung, in die hinein und aus der heraus ich etwas sagen bzw. schreiben kann.165 Mit dieser Aporie des Noch-Nicht, nähere ich mich zugleich der Frage nach dem Anfang und der Setzung. In dieser Hinsicht lese ich auch die Passage von MERSCH: »Kein Satz macht den Anfang. Gleichzeitig bedeutet Sprechen aber Ein-Setzen, d.h. mit dem Ereignis der Setzung in der Sprache, als Ensemble von »Sprachspielen« oder »Diskursarten« Platz zu nehmen.«166

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Vgl. S. 44. Den Begriff der Weglosigkeit oder Aporie beschreibt der Literaturwissenschaftler A. Schmitt als Schlüsselbegriff Derridas: »Die Bedeutung der ›différance‹ als Aufschub steht in engem Konnex zu einem weiteren Schlüsselbegriff des ›späten‹ Derrida, zu dem der Aporie (griech. ›Weglosigkeit‹). In der klassischen Philosophie die Unlösbarkeit eines logischen Problems aufgrund eines immanenten Widerspruchs, ist ›Aporie‹ für Derrida in erster Linie ›Un-Logik‹.« SCHMITT, AXEL: Le Derrida actuel. Eine einführende Skizze. – Bei Derrida heißt es dazu: »Die Aporie ist eine exotische. Sie erschließt und verschließt den ausweglosen Weg.« DERRIDA, JACQUES: Ousia und gramme. Notiz über eine Fußnote in Sein und Zeit. 1988. S. 59. MERSCH, DIETER: ›Geschieht es?‹ Ereignisdenken bei Derrida und Lyotard. S. 7. Diese als »Fisches Nachtgesang« bekannt gewordene »Zeichenfolge«, die dem Titel zufolge auf Goethes »Wandrers Nachtlied« anspielt, zeichnete Christian Morgenstern 1905 auf. »Auf dem Papier stehen Zeichen, die keine Stimme aussprechen kann – gleichgültig ob man sie als Schuppen am Fischleib sieht oder als diskrete Elemente einer Antiqua liest.« KITTLER, FRIEDRICH A.: Aufschreibesysteme 1800–1900. 1995. S. 326. – »Die geregelte, eine um die Jahrhundertwende in der Lyrik nicht unbekannte achsenzentrierte Zeichenfolge ahmt eine Gedichtstrophe nach.« FÄHNDERS, WALTER: Das Wort – Destruktion und Neukonzeption zwischen Jahrhundertwende und historischer Avantgarde. S. 109. – Für den Hinweis auf dieses »Gedicht« danke ich Hans-Christoph Koller.

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Aporie

INSZENIERUNG DER SUCHE

Sprachlosigkeit

Im Davor der Antwort

An-Spruch

Zeugen der Sprachlosigkeit

Kein Satz macht den Anfang, sondern etwas, das noch kein Satz ist. Wie kommt es zum Ein-Satz? Wie kann ich es als Satz hinstellen? In der Weglosigkeit des Noch-Nicht fehlt mir die Richtung, der An-Satz, in den ich etwas, was mir widerfährt, einordnen kann. Und selbst wenn diese Ordnung als sprachliche vorausgesetzt ist, einen Vor-Satz darstellt, weiß ich doch nicht, wie ich formulieren soll, was ich noch nicht habe, sondern erst noch erforschen möchte. Im Davor der Antwort, im Noch-Nicht der Schrift, erfahre ich die Vorgängigkeit der pathischen Aufmerksamkeit und die Nachträglichkeit der Antwort als Bruch, bzw. als AnSpruch, dem ich noch nicht entsprechen kann. Der Mangel muss sich den Weg durch die entsetzte Ordnung ins Draußen erst noch bahnen.168 Und gesetzt, ein Weg fände sich »jenseits der Schrift«, vielleicht sogar jenseits der Sprache, so müsste die Ordnung erneut »übersetzt« werden, um in der Ordnung der Schrift zu erscheinen.169 Angesichts dieser Setzung der Schrift als An-Spruch, erfahre ich den »Engpass der Worte« und das Nadelöhr der Schrift.170 Da ich noch keine neue Ordnung habe und die Wegbahnung sich erst bilden wird, fehlt mir eine Orientierung, um meinen Zugang zur Forschung anzubahnen.171 Die daraus resultierende Handlungsunfähigkeit – einen Weg zu bahnen, von dem ich noch nicht weiß, wohin er mich geführt haben wird, bevor ich ihn in der Schrift für andere zugänglich machen kann – äußert sich in der Schrift als Sprachlosigkeit. Am Anfang meiner Forschung steht also die Sprachlosigkeit. Aber dieser Anfang entsteht erst mit der Hinwendung zur Sprache, mit dem Versprechen172. Ohne den Anspruch als AnSprache wäre ich nicht sprachlos. Ohne das Noch-Nicht-Haben wäre das Vor-Haben der Schrift undenkbar. Aber wie ist nun diese Sprachlosigkeit zu verstehen? Wie kann ich in der Schrift von diesem Phänomen zeugen? Die Sprachlosigkeit kann schon per definitionem nicht in der Sprache erscheinen, denn als artikulierte ist sie bereits nicht mehr sprachlos. Wie kann ich mit diesem Paradox über die Grenzen der Sprache umgehen? Und wie werde ich zur Autorin meines eigenen Sprachlos-Werdens? –

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Zu Mangel siehe S. 30f und zu Personifikationen des räumlichen und zeitlichen Zwischens (Interesse) die Figuren des Eros und Kaspar Hauser. S. 31, Fußnote 36. Vgl. REINHARDT, THOMAS: Jenseits der Schrift: dialogische Anthropologie nach der Postmoderne. 2000. Mit der Phrase »Im Engpass der Worte« beziehe ich mich auf die gleichnamige Arbeit von Eva Sturm. Darin stellt sie aus der Perspektive der strukturalen Psychoanalyse (Lacan) »die Frage des Sprechens über und vor künstlerische/n Arbeiten« (im Kunstmuseum) und bezieht diese auf »den Begriff der Vermittlung / der Lehre«. Dabei kritisiert sie sowohl »die Vorstellung von Ganzheit, Vollständigkeit und eines Sprechens ohne Rest« wie auch »das erwähnte Konzept der Unmittelbarkeit ebenso wie die Vorstellung stabiler Individuen oder Identitäten, die selbstbewusst und kontrolliert sprechen können.« Stattdessen hebt sie mit Lacan hervor, »das aus dem Sprechen geborene Begehren, den Rest, den Mangel sich ereignen zu lassen. Tut man dies nicht, so bleiben die Subjekte ausgespart.« STURM, EVA: Im Engpass der Worte. Sprechen über moderne und zeitgenössische Kunst. 1996. S. 16. Zur Frage, inwiefern die Rhetorik dabei »strukturbildend wirkt für das ›Wie‹ von Forschung und wissenschaftlicher Episteme«, vgl. den interdisziplinären Forschungsband von FOHRMANN, JÜRGEN (Hg.): Rhetorik. Figuration und Performanz. S. VII. Vgl. das Zitat von Derrida auf S. 49.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

» … «173 Der Diskurs über Sprachlosigkeit verweist auf das, was der Schrift vorausgeht. Wenngleich sprachkritische Diskurse bis in die Antike zurückverfolgt werden können, in der es vor allem um den »richtigen oder falschen Sprachgebrauch, um Sinn und Unsinn in der Sprache« geht, zweifelt erst Friedrich NIETZSCHE im Zuge der Erkenntniskritik des Wiener Physiker und Philosophen Ernst MACH »die Sprache als Erkenntnisinstrument« selbst an.174 So bemerkte er 1876 in seiner Vierten Unzeitgemäßen Betrachtung in Bezug auf WAGNER, dass die kommunikative Funktion von Sprache nicht mehr funktioniere, weil Sprache »der« Wirklichkeit des Subjekts nicht mehr entspreche.175 Indem das begriffliche Denken also die Gefühle der Menschen, vor allem das des Leidens ausschließe, weil es nicht mehr in der Lage sei, diese umfassend auszudrücken, unterdrücke es sie und werde somit zur Gewalt. Diese philosophische Kritik an der Sprache präzisiert er nur zwei Jahre später als Wissenschaftskritik in Menschliches, Allzumenschliches:

Nietzsches Zweifel an der Sprache als Erkenntnisinstrument

»Die Sprache als vermeintliche Wissenschaft. – Die Bedeutung der Sprache für die Entwicklung der Kultur liegt darin, daß in ihr der Mensch eine eigene Welt neben die andere stellte, einen Ort, welchen er für so fest hielt, um von ihm aus die übrige Welt aus den Angeln zu heben und sich zum Herrn derselben zu machen. Insofern der Mensch an die Begriffe und Namen der Dinge als an aeternae veritates durch lange Zeitstrecken hindurch geglaubt hat, hat er sich jenen Stolz angeeignet, mit dem er sich über das Tier erhob: er meinte wirklich in der Sprache die Erkenntnis der Welt zu haben. Der Sprachbildner war nicht so bescheiden, zu glauben, daß er den Dingen eben nur Bezeichnungen gebe, er drückte vielmehr, wie er wähnte, das höchste Wissen über die Dinge mit den Worten aus; in der Tat ist die Sprache die erste Stufe der Bemühung um die Wissenschaft. Der Glaube an die gefundene Wahrheit ist es auch hier, aus dem die mächtigsten Kraftquellen geflossen sind. Sehr nachträglich – jetzt erst – dämmert es den Menschen auf, daß sie einen ungeheuren Irrtum in ihrem Glauben an die Sprache propagiert haben. Glücklicherweise ist es zu spät, als daß es die Entwicklung der Vernunft, die auf jenem Glauben beruht, wieder rückgängig machen könnte. – Auch die Logik beruht auf Voraussetzungen, denen Nichts in der wirklichen Welt entspricht, z.B. auf der Voraussetzung der Gleichheit von Dingen, der Identität des selben Dinges in verschiedenen Punkten der Zeit: aber jene Wissenschaft entstand durch den entgegengesetzten Glauben (daß es dergleichen in der wirklichen Welt allerdings gebe).«176

Mit dieser Sprachskepsis, die die Sprache sowohl als Erkenntnisinstrument als auch als rhetorisches Mittel zur »Abbildung« der Welt in Frage stellt, reagiert NIETZSCHE auf die Texte

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»Auslassungspunkte, Weiß, und ein neues Kapitel beginnt, auf einer blanken Seite.« Diesen Satz von Paul Valery übersetzt Elisabeth Weber als programmatischen Titel der Gespräche mit Derrida. DERRIDA, JACQUES: Auslassungspunkte. Gespräche. 1998. S. 15 und 401. KACIANKA, REINHARD / ZIMA, PETER VON (Hg.): Krise und Kritik der Sprache. 2004. S. 7. »Es ist ihm zuerst die Erkenntnis eines Notstandes aufgegangen, der so weit reicht, als jetzt überhaupt die Zivilisation die Völker verknüpft: überall ist hier die Sprache erkrankt, und auf der ganzen menschlichen Entwicklung lastet der Druck dieser ungeheuerlichen Krankheit. Indem die Sprache fortwährend auf die letzten Sprossen des ihr Erreichbaren steigen mußte, um, möglichst ferne von der starken Gefühlsregung, der sie ursprünglich in aller Schlichtheit zu entsprechen vermochte, das dem Gefühl Entgegengesetzte, das Reich des Gedankens zu erfassen, ist ihre Kraft durch dieses sich übermäßige Sichausrecken in dem kurzen Zeitraume der neueren Zivilisation erschöpft worden: so daß sie nun gerade das nicht mehr zu leisten vermag, wessentwegen sie allein da ist: um über die einfachsten Lebensnöte die Leidenden miteinander zu verständigen. Der Mensch kann sich in seiner Not vermöge der Sprache nicht mehr zu erkennen geben, also sich nicht wahrhaft mitteilen: bei diesem dunklen gefühlten Zustande ist die Sprache überall eine Gewalt für sich geworden, welche nun wie mit Gespensterarmen die Massen faßt und schiebt, wohin sie eigentlich nicht wollen;« NIETZSCHE, FRIEDRICH: Unzeitgemäße Betrachtungen. Viertes Stück: Richard Wagner in Bayreuth. S. 387f. NIETZSCHE, FRIEDRICH: Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. 1982. S. 453.

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Sprachskepsis und Sprachkrise

INSZENIERUNG DER SUCHE

Brief des Lord Chandos

von BAUDELAIRE, RIMBAUD und MALLARMÉ und »antizipiert den linguistic turn der zeitgenössischen Semiotiker und Dekonstruktivisten.«177 Die erst im 20. Jahrhundert unter dem Begriff der »Sprachkrise« virulent gewordene Sprachlosigkeit des Einzelnen, angesichts der Instrumentalisierung von Sprache, wird im deutschsprachigen Raum vor allem über die Presse von den Wiener Sprachkritikern MAUTHNER, KRAUS und HOFMANNSTHAL geprägt. Auch das folgende Zeugnis, der häufig zitierte fiktive Brief des Lord Chandos, den der achtundzwanzigjährige HUGO VON HOFMANNSTHAL 1902 an FRANCIS BACON als Antwort auf dessen vermeintliche Nachfrage nach seinem literarischen Fortkommen verfasste und der seitdem in der Germanistik als das Dokument von Sprachkrise schlechthin rangiert178, beschreibt die Unzulänglichkeit der Begriffe bis hin zum Verstummen und zur zukünftigen Absage, sich im Medium der Schrift weiterhin zu artikulieren: »Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgendetwas zusammenhängend zu denken und zu sprechen [...]. Ich empfand ein merkliches Unbehagen, die Worte ›Geist‹, ›Seele‹ oder ›Körper‹ nur auszusprechen. Ich fand es innerlich unmöglich, über die Angelegenheiten des Hofes, die Vorkommnisse im Parlament, oder was sie sonst wollen, ein Urteil herauszubringen, [...] die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muß, um irgendwelches Urteil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze. Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich; sie gerannen zu Augen, die mich anstarrten und in die ich wieder hineinstarren muß: Wirbel sind sie, in die hinabzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch man ins Leere kommt.« 179

Francis Bacon

Wissenschaftskritik

Der im Brief postulierte gänzliche Verzicht auf eine schriftliche Artikulation wird einerseits mit einer unzulänglichen, referenzlosen Sprache und der damit einher gehenden Identitätskrise begründet und andererseits mit der »Explikation einer neuen Erfahrungsebene, die der Sprache sich zu entziehen erscheint.«180 So führt die »aus dem Versagen resultierende Sprachnot des modernen Dichters« zum konsequenten Schweigen, »weil jene Sprache der ›stummen Dinge‹ nicht realisierbar ist.«181 Über diese existentielle, brüchig gewordene Erfahrung der Sprachentfremdung berichtet der gelehrte Gutsbesitzer Lord CHANDOS jedoch nicht irgend einem Zeitgenossen, sondern dem Wegbereiter der europäischen Aufklärung Sir Francis BACON. Als Begründer des englischen Empirismus »systematisierte dieser die neuen Erfahrungswissenschaften seiner Epoche«, indem er die von Beobachtung und Experiment ausgehende Erfahrung als Ausgangspunkt für jede wissenschaftliche Erkenntnis forderte und mittels der induktiven Methode zu systematisieren anstrebte.182 Diese Vorstellung entspricht einer universellen Einheitswissenschaft, die »das Schema der Berechenbarkeit von Welt« einerseits sucht und andererseits damit auch unterstellt.183 Schon mit der Wahl dieses Adressaten rückt HOFMANNSTHAL, als ehemaliger Student von MACH, seine Sprachkritik aus dem poetologischen Rahmen in den breiteren Kontext einer Wissenschafts- und Rationalitätskritik.184

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KACIANKA, REINHARD / ZIMA, PETER VON (Hg.): Krise und Kritik der Sprache. 2004. S. 7–8. »Rückblickend ist der »Chandos-Brief« das bedeutendste Dokument eines allgemeinen Zweifels an den Ausdrucksmöglichkeiten der literarischen Sprache, mehr noch, es ist ein Schlüsseltext für das Verständnis der Krise der Kunst um 1900.« SCHMIDT-BERGMANN, HANSGEORG: Der Gestus des Verstummens – Hugo von Hofmannsthals »Chandos Brief« und seine kritische Prosa. 2000. S. 288. HOFMANNSTHAL, HUGO VON: Sämtliche Werke. S. 48f. SCHMIDT-BERGMANN, HANSGEORG: Der Gestus des Verstummens. 2000. S. 295. DANIELS, KARLHEINZ (Hg.): Über die Sprache. 1966. S. 587. Vgl. SCHMIDT-BERGMANN, HANSGEORG: Der Gestus des Verstummens. 2000. S. 297. HORKHEIMER, MAX / ADORNO, THEODOR W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. 1988, zuerst 1944. S. 13. Vgl. MÜLLER-RICHTER, KLAUS: Tendenz zum Verstummen – Rückkehr des Sagbaren. 1996. S. 74.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Überdies kann auch die um dreihundert Jahre zurück verlegte Datierung des Briefes auf das Jahr 1603 (dem Todesjahr Elisabeth I.) »als Chiffre für die Schwelle zwischen der Renaissance und dem rationalistischen Zeitalter begriffen werden.«185 Indem der Wiener Sprachkritiker »für die Dinge, die leidende Kreatur Partei ergreift, und das von der rationalistischen und humanistischen Bildung Ausgegrenzte und Verdrängte zur Sprache kommen lässt, kann man im »Chandos Brief« schon fast eine frühes Modell der Dialektik der Aufklärung sehen.«186 Ein wesentlicher Kritikpunkt der im Brief formulierten Sprachkrise bezieht sich dabei auf die zunehmend wahrgenommene Referenzlosigkeit zwischen Wort und Welt187, die bereits MAUTHNER anmahnte. Nur wenige Jahre später wurde dieser Bezug zwischen dem »sprachlichen Zeichen« und seinem »Referens«, d.h. dem außersprachlichen Bezug, durch den französischen Strukturalisten DE SAUSSURE unter dem Stichwort »Arbitrarität der Zeichen« aus linguistischer Perspektive untersucht.188 Dies führte schließlich zu einer Grundlegung der Séméologie (um 1906) und 1967 daran anknüpfend zur Grammatologie von DERRIDA.189 Wenn SAUSSURE jedoch mit der Gegenüberstellung von Sprache (langue) und Sprechen (parole)190 an die sprachwissenschaftliche Tradition des ausgehenden 19. Jahrhunderts anknüpft191, nimmt er diese Opposition vor allem aus methodischen Gründen vor, um später das Primat der Sprache als alleinigen Gegenstand der Sprachwissenschaft zu legitimieren.192

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SCHMIDT-BERGMANN, HANSGEORG: Der Gestus des Verstummens. 2000. S. 297. Ebd. S. 297. Die Sprachkrise der vorigen Jahrhundertwende stellt sich laut Fähnders dar als »beispielloser Kampf um das Wort«, und Killy spricht »von einer tiefgreifenden Störung, welche in dem Verhältnis von Wort und Wirklichkeit stattgefunden hat.« FÄHNDERS, WALTER: Das Wort – Destruktion und Neukonzeption zwischen Jahrhundertwende und historischer Avantgarde. S. 105. – KILLY, WALTER (Hg.): 20. Jahrhundert 1880–1933. Texte und Zeugnisse. 1988. S. VII. SAUSSURE, FERDINAND DE: Grundfragen einer allgemeinen Sprachwissenschaft. 1967. S. 77f. Um den Begriff »Grammatologie« zu erläutern, ersetzt Derrida die bekannte Passage von Saussure zur Grundlegung der »Séméologie« als »Wissenschaft, welche das Leben der Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens untersucht.« SAUSSURE, FERDINAND DE: Grundfragen einer allgemeinen Sprachwissenschaft. 1967. S. 19. – »Wie werden sie [Grammatologie] nennen ... Da sie noch nicht existiert, kann man nicht sagen, was sie sein wird. Aber sie hat Anspruch darauf zu bestehen; ihre Stellung ist von vornherein bestimmt. Die Linguistik ist nur ein Teil dieser allgemeinen Wissenschaft, die Gesetze, welche die [Grammatologie] entdecken wird, werden auf die Linguistik anwendbar sein.« DERRIDA, JACQUES: Grammatologie. 2003. S. 89. – Mit der Verlagerung von Séméologie zur Grammatologie fokussiert Derrida weniger eine Referenz oder ein Signifikat, sondern die inneren Beziehungen der Signifikanten: »Derrida hat daraus die Konsequenz gezogen, dass das Zeichen nur mehr als eine Marke unter anderen Marken (marques) aufzufassen sei, und die Saussure’sche Figur dadurch verschärft, dass er die Möglichkeit eines »transzendentalen Signifikats« überhaupt zugunsten eines unaufhörlichen Spiels von Marken ausstreicht. [...] Folglich finden die Zeichen – oder besser: Marken, denn Derrida legt Wert auf den Unterscheid zwischen signe und marque – keinen Halt mehr, keinen Angelpunkt; sie lösen sich ganz in ihre Bewegung, ihre fortwährende Unruhe auf; sie bilden nicht nur eine Funktion oder Form, sondern eine Drift. Anders gewendet: Die Zeichen büßen ihr Zentrum ein; sie exzentrieren sich.« MERSCH, DIETER: Paradoxien der Verkörperung. Ohne Jahresangabe. In seinen von 1906–1911 in Genf gehaltenen Vorlesungen, deren Mitschrift heute unter dem Namen Grundfragen einer allgemeinen Sprachwissenschaft bekannt ist, führt Saussure die Begriffe langue und parole ein, die ich im Folgenden mit Gauger als Sprachbesitz und Sprachäußerung übersetze. GAUGER, HANS-MARTIN: Sprachkritik – heute. 2004. S. 29. Vgl. HILDENBRANDT, EBERHARD: Versuch einer kritischen Analyse des Cours de linguistique générale von Ferdinand de Saussure. 1972. S. 15. Die bahnbrechende Neudefinition der Sprachwissenschaft bestand darin, die langue zum einzigen Objekt der Sprachwissenschaft zu erklären. Vgl. SAUSSURE, FERDINAND DE: Grundfragen einer allgemeinen Sprachwissenschaft. 1967, zuerst 1916. S. 24. – Als Begründung diente Saussure die

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Referenzlosigkeit

Langue und Parole

INSZENIERUNG DER SUCHE

Ausklammerung der Schrift

Dass diese Vorrangstellung der langue vor der parole, sowie das Apriori von Signifikat vor Signifikant193, die ihrerseits bei SAUSSURE die Schrift aus der Sprachwissenschaft ausklammerte, durch eben den Begriff der Arbitrarität zu widerlegen ist, der die Ausklammerung einst begründen sollte, weist DERRIDA nach.194 So argumentiert er – gegen die traditionelle linguistische Auffassung von dem Primat der gesprochenen Sprache – für das Supplement des Ursprungs als Schrift. In Bezug auf die in der Sprachkritik geäußerte Referenzlosigkeit mag es aus heutiger Perspektive erstaunen, dass SAUSSURE die mit dem Chandos-Brief entstandene literarische Schreibkultur seiner Zeit als sprachwissenschaftliches Sujet unberücksichtigt ließ, obwohl jene bereits von der Sprachkrise als Krise der parole ausging, ohne dabei jedoch die wechselseitige Verknüpfung von Sprachäußerung und Sprachbesitz gänzlich auszublenden: »Im Zentrum der Sprachkritik steht, so wie sie faktisch auftritt [...] weniger die Kritik an Sprache überhaupt oder an einem bestimmten »Sprachbesitz«, sondern die Kritik an ›Sprachäußerungen‹, an Sprachverwendung somit, an sich verfestigendem Sprachgebrauch, der also droht – dies ist für die Kritik das entscheidende Motiv –, in ›Sprachbesitz‹ überzugehen und also fester Bestandteil von ihm zu werden. Eine Sprache verändert sich in der Tat – gewiß eine linguistische Banalität – ausschließlich von den in ihr und mit ihr gemachten ›Äußerungen‹ her«.195

Sprachäußerung als Tätigkeit

Auf der anderen Seite verhalf die Trennung von langue und parole der Sprachkritik erst zu einer literarischen Produktivität, denn »so wurde es möglich, die Sprache (im Sinne von »parole«) zu kritisieren, und doch zugleich auf sprachlichem Fundament zu operieren.«196 Erst mit der Hinwendung zur Sprachäußerung als Tätigkeit des Sprechens und Schreibens entstand ein Diskurs über die pragmatische Dimension der Sprache, der die Sprache »als Handlung« fokussierte.197 Rückblickend ist diese zunehmende pragmatische Akzentuierung kennzeichnend für die sprachkritischen Ansätze des 20. Jahrhunderts.198

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später viel diskutierte, widersprüchliche Opposition von Sprache als »fait sociale« und Sprechen als »acte individuel«. LUTHER, WILHELM: Sprachphilosophie als Grundwissenschaft. 1970. S. 22. Der Terminologie von Saussure zufolge verwende ich den Begriff »Signifikat« synonym zu »Vorstellung«, »Bezeichnetes« und »Signifikant« synonym zu »Lautbild«, »Bezeichnendes«. SAUSSURE, FERDINAND DE: Grundfragen einer allgemeinen Sprachwissenschaft. 1967. S. 79. »Die Saussuresche Definition der Schrift als »Abbild« und damit als natürliches Symbol der Sprache muß also gerade im Namen der Arbitrarität des Zeichens abgelehnt werden. Abgesehen davon, daß das Phonem das Nicht-Abbildbare (l’inimaginable) schlechthin ist, und daß nichts Sichtbares ihm ähneln kann, genügt es schon, Saussures Ausführungen über die Differenz zwischen dem Symbol und dem Zeichen heranzuziehen. (p. 45 / 28) Es ist dann nicht mehr einzusehen, wie er einerseits von der Schrift sagen kann, sie sei »Abbild« oder »bildhafte Darstellung« der Sprache, und wie er andererseits die Sprache und die Schrift als »zwei verschiedene Systeme von Zeichen« (p. 45, 28) definieren kann.« DERRIDA, JACQUES: Grammatologie. 2003. S. 79. GAUGER, HANS-MARTIN: Sprachkritik – heute. 2004. S. 29–30. SCHMITZ-EMANS, MONIKA: Sprachreflexion und Ethik – Etappen einer Allianz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 2004. S. 47. Stellvertretend für diese Auffassung vom Handlungscharakter der Sprache sei hier die 1966 erschienene umfangreiche Anthologie von Daniels angeführt, in der verschiedene literarische Texte aus dem 20. Jahrhundert als poetologische Handlungen der Sprache arrangiert werden. DANIELS, KARLHEINZ (Hg.): Über die Sprache. 1966. Wenngleich Schmitz-Emans speziell für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts proklamiert: »Die Aufmerksamkeit der Philosophen, Literaturtheoretiker, Zeit- und Kulturkritiker, der Anthropologen, Sozialwissenschaftler und Dichter auf die pragmatische Dimension der Sprache verstärkt sich«, so zeichnet sich – mit Hofmannsthal, Wittgenstein und den Frankfurter Poetik-Vorlesungen – hierin m.E. eine Tendenz ab, die schon zur Jahrhundertwende einsetzte. SCHMITZEMANS, MONIKA: Sprachreflexion und Ethik. – Etappen einer Allianz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 2004. S. 47 und 45.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Indem die Sprache als Tätigkeit, als Sprechen und Schreiben nicht nur thematisiert und kritisiert, sondern auf grammatologischer Ebene zudem prädiziert wird, rücken die zeitlichen, performativen, prozesshaften Aspekte ins Zentrum, die überdies ethische Fragen nach dem Umgang mit der Sprache, ihrem Herrschaftsanspruch, der Instrumentalisierung, etc. implizieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus bemerkenswert, dass SCHMIDTBERGMANN bereits im Chandos-Brief die zeitliche Darstellung hervorhebt: »Identitätskrise und Sprachskepsis zeigt Hofmannsthal als einen Prozess.«199 Diese Prozesshaftigkeit wird – analog zum zeitgleich entwickelten Stationendrama STRINDBERGs – durch sinnbildliche Weg-Stationen geschildert200: Ausgehend von dem einst als »Einheit« wahrgenommenen »ganzen Dasein« erzeugt die zunehmende Referenzlosigkeit eine Brüchigkeit, eine Differenz von Erfahrung und Sprache, die innerhalb der Sprache jedoch indifferent bleiben muss und infolgedessen zum Verstummen führt.201 Während HOFMANNSTHAL die Sprachlosigkeit inszeniert, indem er CHANDOS den Prozess als zeitliches Vorher und Nachher beschreiben lässt, verlagert Peter HANDKE 1968 mit der Figur des KASPAR die Handlung gänzlich auf eine performative Sprechebene. Die Handlung konstituiert sich als Sprechhandlung, in der selbst die außersprachliche Referenz zu einer sprachlich konstituierten wird: Der sprachlose Findling Kaspar wird gezwungen sich die Sprache anzueignen, den Begriff zu haben, bis er schließlich eine Identität durch Sprache gewinnt, die er in seinem letzten Satz: »ich bin nur zufällig ich« wieder in Frage stellt. Es ist also nicht seine Identität, sondern »sein Ich ist ihm durch die Sprache zugefallen, es ist ihm eingeredet worden.«202 Der Prozess des Spracherwerbs ist bei HANDKE Voraussetzung für die Selbst- und Sprachentfremdung des einstigen Sprachlosen, wörtlich: des »Infans«, und zugleich bedingt der Sprachentzug erst den Spracherwerb. Insofern repräsentiert das Drama die »erfolgreiche Einschreibung in die symbolische Ordnung der Sprache« als wechselseitige Brechung der Erfahrung am und im Medium der Sprache.203 Die Sprache wird zum Machtinstrument, »die der Wirklichkeit Mängel einbildet, um Sprache als Medium ihrer Beherrschung zu instrumentalisieren. Von einer Sprache beherrscht zu sein, der der Zwang zur Referenz auf hypostasierte Wirklichkeit oktroyiert wurde, ist hingegen Kaspar Hausers erste prädikable Spracherfahrung.«204 An Kaspar »manifestiert sich bis zur Überdeutlichkeit der ansonsten unbewußte Zwangszusammenhang, der Sprache und Welt aufeinander abbildbar macht.«205 » ... «206

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SCHMIDT-BERGMANN, HANSGEORG: Der Gestus des Verstummens. 2000. S. 294. Vgl. NEUDECKER, NORBERT: Der Weg als strukturbildendes Element im Drama. 1972. S. 116. Über die apathische und aphasische Indifferenz vgl. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 160. HENSEL, GEORG: Theater der Zeitgenossen. Stücke und Autoren. 1972. S. 359. HÖRISCH, JOCHEN (Hg.): Ich möchte ein solcher werden wie… Materialien zur Sprachlosigkeit des Kaspar Hauser. 1979. S. 292. HÖRISCH, JOCHEN (Hg.): Ich möchte ein solcher werden wie… 1979. S. 282. Ebd. S. 286. Als Referenz für die Auslassungspunkte verweise ich auf das gesammelte Schweigen von dem fiktiven Hörfunkredakteur Murke, der das Schweigen von Personen auf Band aufzeichnet. In: Böll, Heinrich: Dr. Murkes gesammeltes Schweigen. In: BÖLL, HEINRICH: Doktor Murke und andere: Drei Satiren. 1999. – Für diesen Hinweis danke ich Nils Büttner.

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Handkes Kaspar

Erfahrung und Sprache

INSZENIERUNG DER SUCHE

»Du lernst mit dem Satz zu stocken und du lernst mit dem Satz, daß du stockst, und du lernst mit dem Satz zu hören und du lernst mit dem Satz, daß du hörst, und du lernst mit dem Satz die Zeit einzuteilen in die Zeit vor und nach dem Aussprechen des Satzes und du lernst mit dem Satz, daß du die Zeit einteilst, so wie du mit dem Satz lernst, daß du woanders warst, als du das letzte Mal den Satz gesprochen hast, so wie du mit dem Satz lernst, daß du jetzt woanders bist, und mit dem Satz lernst du zu sprechen und mit dem Satz lernst du, daß du sprichst; und du lernst mit dem Satz, daß du einen Satz sprichst, und du lernst mit dem Satz einen anderen Satz zu sprechen, so wie du lernst, daß es andere Sätze gibt, so wie du andere Sätze lernst und zu lernen lernst; und du lernst mit dem Satz, daß es Ordnung gibt, und du lernst mit dem Satz, Ordnung zu lernen.«207

Mediale Krise der Repräsentation

Erfahrung und Medium

Wenn ich, ausgehend von der Frage nach der Relation von Erfahrung und Sprache mit den beiden literarischen Figuren CHANDOS und KASPAR zwei sprachkritische Positionen an der Grenze zur Sprachlosigkeit aufgezeigt habe, möchte ich damit auf einen exemplarischen Problemkomplex verweisen, der in Analogie auch für eine rhetorische und methodologische Reflexion wissenschaftlicher Texte von Interesse ist. Im Zentrum steht dabei die Frage nach dem Verhältnis von Erfahrung zu dem Medium, in dem bzw. wodurch diese Erfahrung dargestellt werden soll.208 Mit der Beschreibung der Erfahrung in oder durch ein Medium lege ich einen integrativen Medienbegriff zugrunde, der Medium als »Mitte«209 und »Mittel«210 oder anders gesagt als »Träger« und »Werk-

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HANDKE, PETER: Kaspar. Frankfurt am Main 1969. S. 7. »Auch das, was man heute mit dem sehr allgemeinen Ausdruck ›Medien‹ bezeichnet, gehört zur Modalisierung der Erfahrung. Verglichen mit technischen Eingriffen, die jegliches was und Wozu dem Druck eines Womit aussetzen, erweist sich die mediale Einbindung, die alles Was und Wozu an ein Wodurch bindet, als die weichere Variante. Dieses Wodurch ist ähnlich wie das griechische įȚȐ und das lateinische per als ein Hindurch (frz. á travers) zu verstehen, das die Materialität eines Vermittels (frz. par) nicht abgelegt hat.« WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 127. Im Zuge der Auseinandersetzung mit einer neu zu etablierenden Medienphilosophie beschreibt Dieter Mersch diesen Zugang in seinem Vortrag des Weimarer Medienphilosophie Workshops als Ausgangspunkt für »differenztheoretische Ansätze«: »Medium wird im Wortsinne [...] von ›Medium‹ für Mitte, Vermittlung oder auch ›Zwischen‹ her entwickelt. Man könnte hier im weitesten Sinne von einem zeichentheoretisch motivierten Medienbegriff sprechen. Ein solcher Medienbegriff tendiert zu einem Denken der Vermittlung, das – diskursgeschichtlich – der Semiotik und Semiologie entspringt. Selbst schlägt es allerdings verschiedene moderatere und radikalere Wege ein und landet in seiner exponiertesten Version bei jenem Diktum der Nichtpräsenz oder Nachträglichkeit, wie ihn Derrida formuliert hat. Paradigmatisch dominiert dabei das Modell der Sprache, der Strukturalität einer symbolischen Ordnung oder auch der ›Schrift‹ (in einem weiten Sinne) Sie münden in differenztheoretische Ansätze.« MERSCH, DIETER: Reaktion. 2003. Als Vertreter einer streng instrumentellen »Mediendefinition, die in weiten Teilen der Kommunikationswissenschaft als Standard gilt«, nennt Hoffmann den Kommunikationswissenschaftler Gerhard Maletzke. HOFFMANN, STEFFEN: Geschichte des Medienbegriffs. 2002. S. 153. – Für den historischen kunstpädagogischen Diskurs nenne ich stellvertretend die »einflußreiche Mediendefinition« des Publizisten Harry Pross von 1972, die »eine[] deutliche[] Orientierung an körperlichen Erweiterungsfunktionen hinsichtlich der physischen Kommunikationsmöglichkeiten des Menschen bewertet« (Ebd., S. 155): »Primäre Medien sind Sprache, Gestik und Mimik, »face to face«, direkte Kommunikation. Sekundäre Medien sind solche, die eines technisch hergestellten Trägers bedürfen, während die Rezeption direkt, ohne technische Hilfsmittel, vor sich geht: Wand- oder Tafelbilder, Schrift- und Druckmedien, Grafiken, Fotografie. Tertiäre Medien haben einen technisch hergestellten Aufnehmer, Träger oder Sender sowie eine technisch vermittelte Rezeption: Telegraf/ Telefon, Hörfunk, Film/ TV, Multimedia.« PROSS, HARRY: Medienforschung. 1972. S. 140, 128, 224. – Vgl. auch KERLEN, DIETRICH: Einführung in die Medienkunde. 2003. S. 14 und die Rezension von JENTZSCH, KONRAD: Medienforschung. 1975. S. 44. – Die Idee der körperlichen »Erweiterungen« des Subjekts findet sich auch bei Lev Manovich, der »Apparate zur Erzeugung virtueller Realität,

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

zeug«211 zusammendenkt, wie es HOFFMANN in seiner historischen Analyse der Begriffsgeschichte nahelegt.212 Wissenschaftskritisch betrachtet, ist dabei besonders die dialektische Wechselwirkung von Belang, dass nämlich einerseits Erfahrungen sich durch ein Medium darstellen lassen und andererseits durch das Medium Erfahrungen organisiert, modalisiert, präfiguriert213 und damit auch bestimmte Erfahrungsbereiche ausgeklammert werden, wie ich es für die pathische Dimension der Erfahrung in wissenschaftlichen Texten vorläufig behauptet habe.214 Denn mit jedem Medium ist eine spezifische Rhetorizität verbunden, die bestimmte Konventionen hervorruft und spezifische Diskurse formiert.215 In Bezug auf die seit der Moderne züngelnde »Krise der Repräsentation« ist es demnach erwähnenswert, dass die sprachkritischen Autoren HOFMANNSTHAL und HANDKE, – trotz der thematisierten existentiellen Erfahrung der grundsätzlichen Arbitrarität von Sprache – diese medienimmanent, also sprachlich äußern. Vorstellbar wäre ebenso eine Sprachkritik durch einen Medienwechsel216, wie im Falle von MORGENSTERNs Fisches Nachtgesang217 – im Medium des »Zeichens« bzw. der »Bildlichkeit« – oder durch eine Medienkombination aus Sprache und Bild, wie z.B. in MAGRITTEs Traktat über Les mots et les images von 1929218 sowie durch die »Ikone der Moderne« Ce ci n’est pas une pipe von 1926.219

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die fest mit dem user verbunden sind« nachdenkt und zur ›absoluten Illusion‹ führt. KOGGE, WERNER: Lev Manovisch – Society of the screen. 2004. S. 305. Vgl. zur Differenzierung dieser Ansätze MEYER, TORSTEN: Bilden im neuen Medium: mit Kunst. S. 279. – Zur Metaphorik der Medien vgl. die Darstellung von Torsten Meyer über »Behälter«, »Höhlen«, »Post« und »Ausgang«. MEYER, TORSTEN: Interfaces, Medium, Bildung. 2002. S. 83– 134. »Das Beharren auf einer Verknüpfung beider Konzepte im Medienbegriff hat nichts mit semantischer Erbsenzählerei zu tun – vielmehr erzeugt die Ausblendung eines der beiden Aspekte charakteristische Schieflagen, die man bei einigen einflußreichen Autoren beobachten kann. Diese Autoren kann man grob in zwei Gruppen einteilen, die Gruppe der Verfechter eines ausschließlich instrumentellen Medienbegriffs und die Gruppe der »Milieutheoretiker« (wir verwenden den Milieubegriff hier nicht im soziologischen Sinn).« HOFFMANN, STEFFEN: Geschichte des Medienbegriffs. 2002. S. 151. – Als andere Vertreter einer integrierenden Medienkonzeption führt Hoffman hier Ulrich Saxer, Sven F. Sager und Georg Christoph Tholen an. Ebd. S. 159. Als »Spielart des differenztheoretischen Ansatzes« bezeichnet Mersch diese »funktionalistische und systemtheoretische« Perspektive, in der Medien von »ihrer Medialität her definiert« werden, Unterscheidungen induzieren und durch diese »Differenzeffekte« schließlich »formieren, konstituieren oder generieren.« MERSCH, DIETER: Reaktion. 2003. Zu den Medien als Zwischeninstanzen. WALDENFELS, BERNHARD: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. 2004. S. 128. Zum Medium des Films untersucht z.B. Bordwell rhetorische Differenzierungen im Interpretationsprozess, der sowohl innerhalb der Produktion als auch bei der Rezeption stattfindet. Vgl. BORDWELL, DAVID: Making Meaning. 1989. Vgl. zum Mediumwechsel den Text von KUNI, VERENA: Vom Standbild zum Starschnitt. 2004. S. 209–246. Siehe S. 51, Fußnote 167. In seiner Dissertation über den unerforschten »Kontext von Sprachphilosophie und Sprachreflexion in der Kunst« schreibt Streitberger über die Sprachbilder in Magrittes Traktakten: »Wenn Bild und Name eines Gegenstandes sich begegnen (Satz 4 / 1929), wird die Fragilität des Zeichens in seiner benennenden Funktion deutlich.« STREITBERGER, ALEXANDER: Ausdruck – Modell – Diskurs. Sprachreflexion in der Kunst des 20. Jahrhunderts. 2004. S. 41, 269. Vgl. BÖHME, GERNOT: Die Wörter und die Bilder bei Magritte. 2003. S. 117–125. STURM, EVA: Im Engpass der Worte. Sprechen über moderne und zeitgenössische Kunst 1996. S. 66–70. – Boehm beschreibt die Struktur der Sprachbilder als »Störung der Referenz«. BOEHM, GOTTFRIED: Bildbeschreibung. Über die Grenzen von Bild und Sprache. 1995. S. 29. Vgl. auch FOUCAULT, MICHEL: Dies ist keine Pfeife. 1997.

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Krise der Repräsentation

INSZENIERUNG DER SUCHE

Sprachkritik als Medienkritik

Medialer Modus der Repräsentation in der Wissenschaft

Auch eine leibliche Aktion könnte die Sprache an der Grenze zur Aphasie kritisieren, wie 1916 in der dadaistischen Aktion von Hugo BALL »Verse ohne Worte«.220 Aus mediengeschichtlicher Perspektive ist die Sprachkritik dann allgemeiner als Kritik des Mediums zu verstehen221, die darin besteht, »das Problematisch-Werden ihrer eigenen Mittel, bzw. dieser Mittel zum außersprachlichen Kontext« zu erkunden222 und die »Grenze des Medialen« mitzudenken.223 Dass Reaktionen auf solche Medienkrisen und mithin die Mediengeschichte selbst in wiederkehrenden Zyklen verlaufen, beschreibt PETHES als einen »typischen« Ablauf: »(1) die Etablierung eines neuen Mediums zur Überwindung der Arbitrarität des vorigen, (2) seiner Konventionalisierung und (3) der erneuten Einsicht in die Arbitrarität auch dieses Mediums.«224 Bezogen auf die textuelle Konstituiertheit in den Wissenschaften heißt dies, dass der mediale Modus der Repräsentationen in seiner Historizität mitreflektiert werden muss225, denn »die Form der Repräsentation ist nicht neutral.«226 Es macht einen Unterschied, ob sich ein wissenschaftlicher Text oder Textauszug als Reisebericht, Erzählung227, als Dialog228, Montage229, als Atlas230 oder Hypertext231 präsentiert oder ob er textuelle und andere Darstellungsweisen miteinander verknüpft.232

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Vgl. VAN DEN BERG, HUBERT F: Sprachkrise als Zeitkrankheit. Hugo Ball und die Wiederfindung des Wortes. 2004. S. 131. – Vgl. auch LANGE, MARIE-LUISE: Grenzüberschreitungen. Wege zur Performance. 2002. S. 73. Zur medienkritischen Einordnung des »Verrats der Bilder« (bei Saussure, Magritte und Foucault) im pädagogischen Kontext vgl. MEYER, TORSTEN: Interfaces, Medium, Bildung. Paradigmen einer pädagogischen Medientheorie. 2002. S. 145f. So Orosz in Bezug auf die literarische Kritik. OROSZ, MAGDOLNA: Der verwundete Vogel oder die erzählte Metapher. S. 3 Mersch plädiert sowohl für ein philosophisches »Denken der Grenze des Medialen« sowie andererseits eine rekonstruierende »Diskursgeschichte des Mediendiskurses selber«. MERSCH, DIETER: Reaktion. 2003. PETHES, NICOLAS: »In jenem elastischen Medium«. Der Topos der Prozessualität in der Rhetorik der Wissenschaften seit 1800 (Novalis, Goethe, Bernard). S. 138. Dazu Peters in Bezug auf Foucault und de Man: »Statt in Abgrenzung gegenüber der Rhetorik eine Objektivität wissenschaftlicher Texte zu suggerieren, geht man heute von einer irreduziblen Rhetorizität auch der wissenschaftlichen Sprache aus, auf die zu reflektieren zugleich heißt, den ubiquitären Zusammenhang von Wissensproduktion und Macht offenzulegen.« PETERS, SIBYLLE: Performative Writing 1800 / 2000? 2003. S. 99–116. FUCHS, MARTIN / BERG, EBERHARD: Phänomenologie der Differenz. 1999. S. 83. Der »Roman« Hubert Fichtes mit dem Titel »Forschungsbericht« thematisiert u.a. die Technik des Interviews als Fragetechnik, die eine Asymmetrie des Fragenden und der Befragten als koloniale Diskursformation in Frage stellt: »Ich darf keine unnötige Frage verschießen. Die Frage ist obszön. Die Frage ist Folter.« POOLE, RALPH E.: Palimpsest und Kassiber. 2002. S. 134. Mohn untersucht verschiedene Dokumentationskonzepte in der visuellen Anthropologie, der Ethnomethodologie und der soziologischen Ethnografie, um zu zeigen, »dass sich die Positionen, die sich erkenntnistheoretisch bestreiten, praxeologisch aufs Trefflichste ergänzen.« Um die unterschiedlichen Positionen darzustellen, verwendet sie u. a. eine fiktive dialogische Schreibform. MOHN, ELISABETH: Filming Culture: Spielarten des Dokumentierens nach der Repräsentationskrise. 2002. Den Text als Montage zu sehen, ist für Pazzini »mit der Möglichkeit von Mimesis« (im Sinne einer »Mitbewegung«) verbunden. »Alle Montagenähte zusammen genommen, ohne Umgebung, das ist das Unbewußte.« PAZZINI, KARL-JOSEF: Bilder und Bildung. 1992. S. 31 und 32. Vgl. zu dieser Idee die Habilitationsschrift von BUSSE, KLAUS-PETER: Atlas. Ein kunstdidaktischer Handlungsapparat. 1999. Vgl. MATT, EDUARD: Darstellung qualitativer Forschung. 2003, zuerst 2000. S. 584–585. In seiner Dissertation über »neue Medien« versteht Meyer den Text als »komplexe bildungstheoretische ›Bedienungsanleitung‹ für die Cd-Rom«, auf der sich Unterrichtsmaterial sowie der FilmEssay »Ursprung der Bilder« befindet. MEYER, TORSTEN: Interfaces, Medium, Bildung. Paradigmen einer pädagogischen Medientheorie. 2002. S. 12.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Im Zuge der darstellungs- und erkenntnisprägenden Struktur des Medialen verwundert es nicht, dass aus der Sprachkrise um 1900 und den folgenden Krisen der Repräsentation immer neue Verfahren entwickelt wurden, die ihrerseits zu neuen Wissensformationen herausforderten: »Zum einen wird unter immer neuen Gesichtspunkten eine Einsicht in die Prämissen, Bedingungen, die Zwänge und Spielräume der Verfahren der Re-Präsentation gesucht, zum anderen werden verschiedenste Repräsentationsformen gesucht, die von dem bisher gültigen Kodex der Wissenschaftlichkeit abweichen, in dem Bestreben erprobt, den erkannten Grenzen und Zwängen der bisherigen Formen zu entgehen oder sie zu verschieben.«233

Inwiefern die »Krisen der Repräsentation« indessen selbst als Antworten auf mediale Widerfahrnisse zu verstehen sein könnten, um dann aus der jeweiligen Sprachlosigkeit heraus neue spezifische Weisen des Antwortens zu entwickeln, die auf die medialen und damit verbundenen technischen Gegebenheiten und Diskurse Bezug nehmen, scheint mir hingegen nur ansatzweise erforscht.234 Eine Ausnahme stellt m.E. KITTLERs Habilitationsschrift Aufschreibesysteme 1800– 1900 dar, in der er untersucht, wie Diskurse durch technische Medien einerseits geprägt und andererseits gestaltet werden. Mit dem Begriff »Aufschreibesystem« bezeichnet er »das Netzwerk von Techniken und Institutionen […], die einer gegebenen Kultur die Adressierung, Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben.«235 Übertragen auf die Methodik seiner Untersuchung bedeutete das, nicht primär von den literarischen Texten auszugehen, sondern von den medialen Bedingungen des Schreibens selbst, wie er es am Beispiel von RILKEs Schreibkonzept im Zusammenhang mit EDISONs Phonograph236 herausarbeitet237: »Um den Status von Literatur zu definieren, wählt RILKEs ›Aufzeichnung‹ UrGeräusch in unüberbotener Genauigkeit ein Modell, das seit 1900 Einschreiben und Decodieren überhaupt bezeichnet: den Phonographen.«238 Es liegt nahe, in dem damals noch »neuen« Paradigmenwechsel von 1985 eine Ursache für das Aufsehen seiner Habilitationsschrift zu sehen, die insgesamt 13 Gutachten erforderte. Bestand die Neuerung KITTLERs doch nicht nur in dem Perspektivwechsel, die Entstehungsprozesse der Texte in ihrer medialen Historizität zu beleuchten, sondern zudem darin, die Dimensionen der Produktion (und Rezeption) als Prozess der medialen »Einschreibung«239, als komplexen transdisziplinären und zeitlichen Prozess zu beschreiben, der im übrigen – wie im Faust – pathisch, »mit einem Seufzer« beginnt.240 233 234

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FUCHS, MARTIN / BERG, EBERHARD: Phänomenologie der Differenz. 1999. S. 82–83. So schreibt Foucault in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France 1970 in Bezug auf die Formation und Formierung des Diskurses: »Ich frage mich, ob sich nicht gewisse Themen der Philosophie als Antworten auf diese Einschränkungs- und Ausschließungsspiele gebildet haben und sie vielleicht auch verstärken.« FOUCAULT, MICHEL: Die Ordnung des Diskurses. 2003, zuerst 1972. S. 30. KITTLER, FRIEDRICH A.: Aufschreibesysteme 1800–1900. 1995. S. 519. Der Phonograph wurde von Thomas Alva Edison, dem »Prototypus des rasenden Erfinders, dem Walt Disney mit der Comicfigur des Daniel Düsentrieb ein ausbaufähiges Denkmal gesetzt hat« 1879, zeitgleich mit der Glühbirne, erfunden und – im Zuge der Pariser Weltausstellung 1889 – massenhaft vermarktet. Parallel dazu entwickelt Emil Berliner das Grammophon, das die Übertragung von Phoné (Stimme) in Grammé (Schrift) bezeichnet. Vgl. HÖRISCH, JOCHEN: Eine Geschichte der Medien. 2004. S. 263–264. »142 Seiten über Aphasieforschung und Phonographen, Psychoanalyse und Paranoia sind vielleicht nicht vergeudet, wenn sie es zum ersten Mal möglich machen, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge zu buchstabieren und nicht bloß zu verstehen.« KITTLER, FRIEDRICH A.: Aufschreibesysteme 1800–1900. 1995. S. 401. Ebd. S. 398. Mit dem einleitenden Zitat »Sie haben recht – unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken« von Nietzsche an seinen Sekretär, möchte ich an dieser Stelle auf eine neuere Publikation

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Kittlers Aufschreibesysteme 1800-1900

Mediale Einschreibung

INSZENIERUNG DER SUCHE

Rhetorische Wende

Medium und Form

Rückblickend lassen sich die »Aufschreibesysteme« einordnen in eine Zeit, der die »Monarchie des Signifikanten«241 in einer »Welt als Text«242 und dem Glauben an seine Verfügbarkeit im »Tod des Autors«243 vorausging. In diesem Zusammenhang erscheint es heute keineswegs zufällig, dass die erneute, postmoderne Rezeption von NIETZSCHE durch die französische Übersetzung von FOUCAULT und DELEUZE 1966 der Ausgangspunkt vieler kulturwissenschaftlicher Debatten war und ist.244 Vielmehr, so könnte man annehmen, basiert die kulturwissenschaftliche Diskussion u.a. auf den Überlegungen FOUCAULTs, der die »Ordnung der Dinge«245 (1966) als »Ordnung des Diskurses«246 (1972) mitsamt ihren kritischen und genealogischen Prinzipien darstellt und damit entscheidend zu einer »rhetorischen Wende« in den 80er Jahren beigetragen hat. 247 Deren »wichtigste Prämisse« sieht der Literatur- und Medientheoretiker FOHRMANN darin, »dass Medien nur über ›Form‹ beobachtet werden können und dass ›Form‹ ihrerseits als Effekt von Figurationen erscheint, die ›Textbewegungen‹ leiten.«248 Mit der Unterscheidung von »Medium« und »Form« verweist Fohrmann auf die relationale Medientheorie von Niklas LUHMANN249, die von der »Form des Mediums ausgeht, um in ihren Begriffen

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hinweisen: NIETZSCHE, FRIEDRICH: Schreibmaschinentexte: vollständige Edition, Faksimiles und kritischer Kommentar. 2002. »Die Deutsche Dichtung hebt an mit einem Seufzer. Habe nun, ach Philosophie / Juristerei und Medizin, / und leider auch Theologie / Durchaus studiert, mit heißem Bemühen.« Hervorbringt den Seufzer kein namenloses ich – es kommt im Satz nicht vor –, erst recht also kein namhafter Autor. Was den Tonfall altdeutscher Knittelverse durchkreuzt, ist eine reine Seele. Verse des anderen Klassiker bestätigen es: der Seufzer ach ist das Zeichen jener einmaligen Wesenheit, die, wenn sie irgendeinen anderen Signifikanten oder, da es Signifikanten nur im Plural gibt, Signifikanten überhaupt in den Mund nähme, gleich wieder zu ihrem einen Seufzer zurückkehren müßte, denn schon wäre sie nicht mehr Seele, sondern (der Titel ist unzweideutig) Sprache.« KITTLER, FRIEDRICH A.: Aufschreibesysteme 1800–1900. 1995. S. 11. FOUCAULT, MICHEL: Die Ordnung des Diskurses. 2003, zuerst 1972. S. 44. »In der textlichen Manifestation von Sprache schließlich liegt die Voraussetzung für deren Interpretation durch den Forscher.« GARZ, DETLEF / KRAIMER, KLAUS: Die Welt als Text. S. 7. – Vgl. auch den Ansatz von GEERTZ »Kultur als Text«. FUCHS, MARTIN / BERG, EBERHARD (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. 1999. S. 57. Vgl. die erste deutsche Übersetzung des Textes. BARTHES, ROLAND: »Der Tod des Autors«. 2000. So verknüpft beispielsweise Detering das DFG-Symposion zur Autorschaft leitmotivisch mit dem modernen und postmodernen »Rückbezug auf Nietzsche«. Vgl. dazu auch STINGELIN, MARTIN: »er war im Grunde der eigentliche Schriftsteller, während ich bloß der Autor war«. Friedrich Nietzsches Poetologie der Autorschaft als Paradigma des französischen Poststrukturalismus (Roland Barthes, Gilles Deleuze, Michel Foucault). 2002. S. X–XI. FOUCAULT, MICHEL: Die Ordnung der Dinge. 1974, zuerst 1966. FOUCAULT, MICHEL: Die Ordnung des Diskurses. 2003, zuerst 1972. »Entsprechend dieser Prinzipien […] werden sich meine Analysen in zwei Richtungen bewegen. Einerseits die »Kritik«, welche das Prinzip der Umkehrung zur Geltung bringt: es soll versucht werden, die Formen der Ausschließung, der Einschränkung, der Aneignung […] zu erfassen; es soll gezeigt werden, wie sie sich gebildet haben, um bestimmten Bedürfnissen zu entsprechen, wie sie sich verändert und verschoben haben, welchen Zwang sie tatsächlich ausgeübt haben, inwieweit sie abgewendet worden sind. Auf der anderen Seite die »Genealogie«, in der die drei anderen Prinzipien zur Geltung kommen: es soll untersucht werden, wie sich durch diesen Zwangssysteme hindurch (gegen sie oder mit ihrer Unterstützung) Diskursserien gebildet haben; welche spezifischen Normen und welche Erscheinungs-, Wachstums- und Veränderungsbedingungen eine Rolle gespielt haben.« Ebd. S. 38–39. Siehe dazu den Call for papers des DFG-Symposions 2002 zu Rhetorik. Figuration und Performanz http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/2002/krhet09.htm (22.12.2004) – Mit der Differenz von Medium und Form bezieht sich Luhmann nach eigenen Angaben auf die von Fritz Heider in Bezug auf Wahrnehmungsmedien getroffen Unterscheidung von Medium und Ding. Khurana hingegen behauptet, dass »Medium/ Form eher der Unterscheidung von Medien im Ruhezustand und falscher Form bei Heider (Heider 1926) entspricht«. KHURANA, THOMAS: Niklas Luhmann – Die Form des Mediums. 2004. S. 99.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

die Verfasstheit von Prozessen und Praktiken zu untersuchen.«250 In Bezug auf die rhetorische Wende lässt sich damit vor allem präzisieren, »wie [Hervorh. A.S.] das kommunikative Prozessieren sich durch die Form von medialem Substrat/ Form artikuliert – materiell, räumlich, zeitlich, aber zugleich damit: sozial und semantisch.«251 Diese Konkretisierung korreliert sowohl mit meiner bereits formulierten dialektischen Wechselwirkung zwischen der medialen Darstellung von Erfahrungen einerseits und der medieninduzierten Formierung von Erfahrungen andererseits252. Der Prozess der »Artikulation« kann dabei »Medien-Formbildungen ermöglichen«253, wie TENORTH dies analog zu erziehungswissenschaftlichen Kontexten als »Form der Bildung«, respektive »Bildung der Form« bezeichnet.254 Um diese Prämisse herum gruppieren sich, so FOHRMANN, aus gegenwärtiger Sicht »wichtige wissenschaftliche Auseinandersetzungen der letzten zwei Dezennien«, von denen ich hier nur einige für die Argumentation relevante herausgreife: »die Verfahren der Historiographie« von Hayden WHITE über Jacques Le GOFF255, Michel de CERTAU256 und Ulrich RAULFF257, »die Dekonstruktion« von DERRIDA, die »writing-culture-Debatte der Ethnologie«258 seit Clifford GEERTZ259 und die »Performativitätsdiskussion der Medien«.260 Was diese Diskurse meines Erachtens vereint – und was KITTLER sowohl reflektiert, als auch vermittelt – ist die kritische Würdigung des Schreibens als performativen Prozess.261 250 251 252 253

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KHURANA, THOMAS: Niklas Luhmann – Die Form des Mediums. 2004. S. 123. Ebd. S. 123. Vgl. zur wechselseitigen Bedingung von Medium und Erfahrung vgl. S.18, 21, 27, 42, 211, 250. Bei diesen Formbildungsprozessen und -praktiken spielen vor allem die folgenden vier Aspekte eine Rolle: Aktualität und Potentialität, die Zeitlichkeit, die Konstituiertheit und Materialität. Ebd. S. 123–124. TENORTH, HEINZ-ELMAR (Hg.): Form der Bildung – Bildung der Form. 2003. Vgl. LE GOFF, JACQUES / NORA, PIERRE (Hg.): Faire de L’histoire. 1974. Vgl. »Die Historiographie (d.h. »Geschichte« und »Schreiben«) enthält im eigenen Namen das Paradox – oder beinahe das Oxymoron – einer zwischen zwei antinomischen Begriffen, der Wirklichkeit und dem Diskurs, hergestellten Beziehung. Ihre Aufgabe ist es, die beiden zu verbinden und dort, wo die Verbindung unvorstellbar ist, so zu tun, als ob sie sie verbinde. Aus der Beziehung, die der Diskurs zur Wirklichkeit, von der er handelt, unterhält, ist dieses Buch hervorgegangen. Welche Allianz besteht zwischen Schreiben und der Geschichte? {…] Von diesem Standpunkt aus führt die Neuuntersuchung der historiographischen Operation einerseits zu einem politischen Problem (Verfahren, die sich zum »Machen von Geschichte« eignen, verweisen auf eine Form des »Geschichte-Machens« und andererseits zum Problem des Subjekts (des Körpers und der ausdrückenden Rede) – ein Problem, das durch das Gesetz eines wissenschaftlichen Schreibens in Richtung Fiktion oder Schweigen verdrängt wurde.« CERTEAU, MICHEL DE: Das Schreiben der Geschichte. 1991, zuerst 1975. S. 9–10. Vgl. RAULFF, ULRICH: Der unsichtbare Augenblick. Zeitkonzepte der Geschichte. 2000. CLIFFORD, JAMES / MARCUS, GEORGE E. (Hg.): Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. 1986. – CUSHMAN, DICK UND MARCUS, GEORGE E: Ethnographies as texts. 1982. Zur inhaltlichen Diskussion siehe FUCHS, MARTIN / BERG, EBERHARD: Phänomenologie der Differenz. 1999, zuerst 1993. S. 70f. Vgl. u.a.: GEERTZ, CLIFFORD: The Interpretation of Cultures: Selected Essays. 2000, zuerst 1973. Sowie GEERTZ, CLIFFORD: Dichte Beschreibung. 1983, zuerst 1972. FOHRMANN, JÜRGEN: Ankündigung zur Tagung »Rhetorik. Figuration und Performanz«. 2002. Zum Begriff »Performanz« siehe Janecke in Abgrenzung zu Fischer-Lichte: »›Performativität‹ ist keineswegs der Allgemeinbegriff zu ›Performance‹. Vielmehr ist ›Performativität‹das Substantiv zum Adjektiv ›performativ‹ – und zwar nicht im Sinne von Fischer-Lichte und ihren Adepten veränderten und zugleich verbreiterten Sinne von ›aufführungshaft‹, sondern zunächst im Sinne der Austinschen Bestimmung, derzufolge performative Äußerungen hervorbringen, was sie bezeichnen.« Janecke, Christian: Performance und Bild – Performance als Bild. 2004. S. 32. – LANGE, MARIE-LUISE: Grenzüberschreitungen. 2002. S. 21. – WIRTH, UWE: Der Performanzbegriff im Spannungsfeld von Illokution, Iteration und Indexikalität. 2002. S. 9f. – FISCHER-LICHTE, ERIKA: Ästhetik des Performativen. 2004. Den Hinweis auf dieses Buch verdanke ich Klaus-Peter Busse.

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Wechselwirkung Medium und Erfahrung

Schreiben als performativer Prozess

INSZENIERUNG DER SUCHE

»Ihr Worte Ihr Worte, auf mir nach!, und sind wir auch schon weiter, zu weit gegangen, geht’s noch einmal weiter, zu keinem Ende geht’s. Es hellt nicht auf. Das Wort wird doch nur Andere Worte nach sich ziehn, Satz den Satz. So möchte Welt, endgültig, sich aufdrängen, schon gesagt sein. Sagt sie nicht. Worte, mir nach, daß nicht endgültig wird nicht diese Wortbegier und Spruch auf Widerspruch! Laß eine Weile jetzt Keins der Gefühle sprechen, den Muskel Herz sich anders üben. Laßt, sag ich, laßt, ins höchste Ohr nicht, nichts, sag ich geflüstert, zum Tod fall dir nichts ein, laß, und mir nach, nicht mild noch bitterlich, nicht trostreich, ohne Trost bezeichnend nicht, so auch nicht zeichenlos – Und nicht nur dies: das Bild Im Staubgespinst, leeres Geroll Von Silben, Sterbenswörter. Kein Sterbenswort, Ihr Worte.262

performative writing Performative Wende

Für die performative Wendung machen Christoph WULF und Jörg ZIRFAS »fünf zentrale historische Referenzen« verantwortlich: Erstens die performative Sprechakttheorie AUSTINs263, zweitens CHOMSKYs Transformationsgrammatik mit der Gegenüberstellung von Performanz und Kompetenz, drittens Aktionskunst und Performance Art, viertens die 262 263

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Ingeborg Bachmann zitiert nach DANIELS, KARLHEINZ (Hg.): Über die Sprache. 1966. S. 363. Die Sprechakttheorie Austins geht aus der 1955 gehaltenen Vorlesungsreihe von Austin in Harvard, mit dem Titel »How to do things with words«, hervor. In dieser Theorie prägt er den Begriff der »Performanz«. Die Theorie ist der »Versuch einer systematischen Rekonstruktion von Wittgensteins Sprachspielthese – insbesondere seiner Auffassung, daß die Bedeutung sprachlicher Äußerungen durch ihren Gebrauch bestimmt sind.« WIRTH, UWE: Der Performanzbegriff im Spannungsfeld von Illokution, Iteration und Indexikalität. 2002. S. 10. – KRÄMER, SYBILLE: Was tut Austin, indem er über das Performative spricht? 2003.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

»Genderdiskussion mit dem Begriff der Performativität als ritueller Zitierung des Geschlechts« und fünftens schließlich der Sonderforschungsbereichs »Kulturen des Performativen« an der FU Berlin.264 Diese Referenzen und den daraus entstandenen Diskursen führten dazu, dass die performative Wende seit den 60er Jahren zunehmend in der interpretativen Anthropologie rezipiert wurde, was 1986 – in Jahr nach Erscheinen der Aufschreibesysteme – in der berühmten Essaysammlung writing culture von James CLIFFORD mündete.265 Seither formiert sich eine »kritische Ethnographie«, die das Schreiben als performativen Prozess thematisiert und damit den Paradigmenwechsel von der »Welt als Text«266 zu einer »Welt als Performance« vollzieht.267 Welche erkenntnistheoretischen Fragestellungen daraus resultieren, untersucht der jüngst verstorbene amerikanische Ethnograph und Professor für Performance-Studies Dwight CONQUERGOOD in seinem vielzitierten Aufsatz von 1991.268 Darin befindet sich ein methodologisch interessantes Fragenkonvolut, dessen programmatische erste Frage lautet: »What are the consequences of thinking about culture as a verb instead of a noun?«269 Um schrittweise herauszustellen, wie sich diese Performanz in Texten äußern kann, füge ich zunächst einen kurzen Ausschnitt aus der Erzählung Tlön, Ukbar, Orbis Tertius von 1941 ein, in dem der argentinische Schriftsteller Jorge Luis BORGES, bezogen auf die fiktive Bevölkerung eines unbekannten Planeten, über die Idee nachdenkt, eine Sprache der Verben zu entwickeln: »Die Völker dieses Planeten sind – von Geburt an – Idealisten. Ihre Sprache und was aus dieser Sprache folgt – die Religion, die Literatur, die Metaphysik – setzen den Idealismus voraus. Die Welt ist für sie nicht ein Zusammentreffen von Gegenständen im Raum; sie ist eine herkunftsmäßig verschiedene Reihenfolge unabhängiger Handlungen. Sie ist sukzessiv, zeitlich, nicht räumlich. Die erschlossene Ursprache Tlöns, von der die »heutigen« Idiome und Dialekte herstammen, kennt keine Dingwörter; es gibt unpersönliche Verben, die durch einsilbige Suffixe (oder Präfixe) adverbieller Art näher bestimmt werden. Zum Beispiel: es gibt kein Wort, das dem Wort »Mond« entspricht, aber es gibt ein Verbum, das im Lateinischen »lunare« oder bei uns »monden« lauten würde. Der Mond ging über dem Fluß auf lautet: blör u fang axaxas mlö oder in genauer Wortfolge: Empor hinter dauer-fließen mondet’es (Xul Solar übersetzt in knapper Form: upa tras perfluyue lunó. Upward, behind the onstreaming it mooned).«270

Wenn BORGES mit dieser Erzählung die Idee einer Sprache der Verben verfolgt, geschieht dies in einem Schreiben über die fiktive Sprache, denn ein Sprechen in derselben würde die Grenzen des Verstehens in einer Erzählung übersteigen. Solange er jedoch narrativ schreibt, kann er nur exemplarisch verfahren und Auszüge einfügen, um die Idee anzudeuten. 264 265 266

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WULF, CHRISTOPH / ZIRFAS, JÖRG: Bild, Wahrnehmung und Phantasie. Performative Zusammenhänge. 2005. S. 8. Für den Hinweis auf dieses Buch danke ich Klaus-Peter Busse. CLIFFORD, JAMES / MARCUS, GEORGE E. (Hg.): Writing Culture. 1986. Vgl. die Anthologie zur Objektiven Hermeneutik, die eine »soziale Wirklichkeit in ihrer textförmigen Erscheinung analysiert« und das »Prinzip der universellen Vertextbarkeit« zugrunde legt. GARZ, DETLEF / KRAIMER, KLAUS: Die Welt als Text. S. 13. Vgl. CONQUERGOOD, DWIGHT: Rethinking Ethnography. 1991. S. 190. – Mit der Differenz von Text und Performance möchte ich lediglich eine Akzentverlagerung beschreiben, die keineswegs als Opposition (im Sinne Fischer-Lichtes) zu fassen ist, denn das würde bedeuten, dass ein Text nicht performativ sein könnte, was sowohl bei Handke als literarisches Beispiel und bei Derrida im wissenschaftlichen Schreiben, zu entkräften ist. Vgl. zu dieser Kritik auch BUCHER, ANDRÉ: Repräsentation als Performanz. Studien zur Darstellungspraxis der literarischen Moderne. 2004. S. 15. Vielmehr verstehe ich diese Verlagerung mit Conquergood als eine grammatologisch sehr interessante: vom Text zum Schreiben, vom Nomen zum Verb. Genauer müsste es dann im Englischen heißen: »Performing world«, im Deutschen gibt es m.E. keine Entsprechung. Ebd. S. 179–194. Ebd. S. 190. BORGES, JORGE LUIS: Tlön, Uqbar, Orbis Tertius. 1996. 27–28. Für den Hinweis auf diesen Text danke ich Torsten Meyer.

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Von der »Welt als Text« zur »Welt als Performance«

Thinking about culture as a verb

INSZENIERUNG DER SUCHE

Die Wendung von der nominalen Perspektive271 auf eine prozessuale, zeitlich orientierte des Verbs, von der CONQUERGOOD spricht, verlagert das Erkenntnisinteresse hingegen von der Schrift auf das Schreiben. Genau darüber sinniert auch Dieter MERSCH in seinen Untersuchungen zur Ästhetik des Performativen: Eine Sprache der Verben

Heisenbergs Bruch mit der Ontologie Unschärferelation

»In diesem Sinne wäre das Performative generell an Verben zu binden, denn Verben rauben den Begriffen ihr Statisches und verflüssigen ihre Identität in Richtung eines Nicht-Identischen: Sie entwischen dem Ort, der Räumlichkeit. Was sie beschreiben, bezeichnet kein Sein, kein Beständiges, sondern eine Zeitlichkeit: Verwehen. Die Sprache verzweifelt hier, weil sie anzuzeigen sucht, was nicht unter die Struktur eines »Sprechens-über« fällt: Verläufe, Plötzlichkeiten, Unvorhergesehenes.«272

Zwar richten sich auch diese Sätze über »das Performative« gegen eine statische Sprache, dennoch bleibt die Artikulation von diesen Gedanken über eine Dynamik unberührt. Denkt man den Ansatz des Ethnographen jedoch weiter, verschiebt sich – neben dem zeitlichen Aspekt des Performativen – in der Sprache zudem die Referenz, d.h. der außersprachliche Gegenstand. Anders gesagt: in einer Sprache der Verben verlagert sich die vormals gewichtigste Frage des Was, die aus der Ordnung der Namen stammt, zugunsten der Fragen: Wie verläuft etwas? und wann erscheint etwas?273 Das Geschehen als performativer Vollzug wird fokussiert.274 Und wenn CONQUERGOOD unter der Überschrift »Rhetorical reflexivity” in Bezug auf GEERTZ behauptet, »the way of saying is the what of saying«, bezieht er diese Einsicht auch auf die Inszenierung wissenschaftliche Texte.275 Die »Transformation vom Nomen zum Verb bricht dabei mit der überlieferten Ontologie [...]; sie verschiebt sie von der Ding- zur Prozessanalyse.«276 Dass die Weise des Schreibens untrennbar ist von einem »Inhalt«, den sie methodisch und medial erst herstellt, ist spätestens seit der sprachwissenschaftlichen Adaption von HEISENBERGs Unschärferelation bekannt. Seit der Feststellung also, dass »sich Bewegung und Position eines Elektrons nicht gleichzeitig messen lassen, wird davon ausgegangen, dass – grundsätzlich – Messung in das zu Messende eingreift«, woraus Torsten MEYER folgert:

Wissenschaftliche Tätigkeit als Produktionsprozess

»Messung muss insofern verstanden werden als Darstellung des zu Messenden. Als performativer Akt, der etwas hervorbringt, was es vorher so – d.h. in für Wahrnehmung optimierter Form – nicht gab. In diesem Sinne muss auch wissenschaftliche Tätigkeit als Produktionsprozess begriffen werden.« 277

Relation von Inhalt, Methode und Medium

Wie diese Relation von Inhalt, Methode und Medium u. a. durch performatives Schreiben zur Geltung kommen kann, zeigt sich an Versuchen, die Modi der Repräsentation in der wissenschaftlichen Darstellung von Forschungsergebnissen zu verändern bzw. eine ausschließliche Textualität zu kritisieren.

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In Bezug auf die Begriffsgeschichte der Ethnographie stellt Fabian fest: »Wichtiger noch, das Element der Be-Schreibung [de-scription], das Über-etwas-oder-jemanden-Schreiben, hatte von Anbeginn an eine nominalistische Färbung: es bezog sich weniger auf den Akt des Schreibens denn auf dessen Produkte«. FABIAN, JOHANNES: Präsenz und Repräsentation. 1999, zuerst 1993. S. 342. MERSCH, DIETER: Ereignis und Aura. 2002. S. 249. Vgl. dazu Goodmans Frage Wann ist Kunst?, die darauf abzielt, dass ein Objekt nicht bestimmte Eigenschaften und Merkmale besitzt, die es dadurch zur Kunst werden lassen, sondern, dass es zu einer bestimmten Zeit als Kunstwerk fungieren kann und zu anderen Zeiten nicht. In: GOODMAN, NELSON: Weisen der Welterzeugung. 1995, zuerst 1978. S. 76ff u. S. 87. In der derzeitigen Bildungsreform kann man diese Entwicklung m.E. daran ablesen, dass so genannte »Kompetenzen«, d.h. Fähigkeiten als Tätigkeiten, als Verben ins Zentrum bildungspolitischer Diskurse treten. CONQUERGOOD, DWIGHT: Rethinking Ethnography. 1991. S. 193. MERSCH, DIETER: Ereignis und Aura. 2002. S. 250. MEYER, TORSTEN: Interfaces, Medium, Bildung. 2002. S. 24.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Inwiefern dabei die Aufmerksamkeit auf die Medialität gelenkt wird, erläutert Sibylle PETERS folgendermaßen: »Das Performance-Paradigma ›dezentriert‹ den Text zunächst, indem es, anstelle der Selbstverständlichkeit des Textlichen, hinter der die medialen Bedingungen von Schrift, Druck, Buch zurücktreten, gerade im kulturwissenschaftlichen Diskurs eine Aufmerksamkeit für jenes Geschehen einfordert, das man als mediale Übersetzung bezeichnen könnte. Solange die textliche Form selbstverständlich ist, steht die Verweisfunktion des Textes, seine Referenz im Vordergrund. Ist Textualität dagegen gewissermaßen kontingent gesetzt, wird man aufmerksam, für das, was in der spezifischen Performanz des Textlichen geschieht – und zwar nicht im Sinne eines reflexiven Vorbehalts, sondern im Sinne der Entwicklung eines auf Medialität orientierten und darin quasi experimentellen Verfahrens. Dies wird zwar als Verzeitlichung, als Umorientierung von der Struktur auf den Prozess erfahrbar, doch ist es, entgegen dem ersten Anschein nicht Textualität als solche, die das Synchrone im Sinne der Struktur oder des Modells nahe legt. Verzeitlichung wird zwar im Unterschied zum Text als Struktur bzw. Modell, aber zugleich doch als Zeitlichkeit des Textlichen in Écriture und Lektüre erfahrbar und verbindet sich so mit einer Aufmerksamkeit für die Medialität als Differenz.«278

Angenommen die erhöhte Aufmerksamkeit für mediale und zeitliche Differenzen hinge tatsächlich von der Gewohnheit ab, mit der ein bisheriges oder zukünftiges Medium zur Verfügung stand, dann legt dies eine zyklisch wiederkehrende Variation von medial bedingten »Krisen der Repräsentation« nahe. Und in der Tat kann PETERS dies für den Übergang der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit um 1800 aufzeigen – genau dem Zeitpunkt der »totgesagten Rhetorik«279 – in dessen Verlauf sie eine »Verlagerung der Evidenz von der Referenz in die Performanz« sieht.280 Mit der Entstehung der Philologie an der Wende zum 19. Jahrhundert beschreibt auch FOUCAULT diesen Wandel. Die »Bipolarität von Nomen und Verb sein« wird ersetzt durch eine »komplexere Einteilung«. Die Verben »werden so das erstrangige Element der Sprache, von dem aus sie sich entwickeln kann«; sie werden mitsamt den Pronomen zum »›Hebel aller Wörter‹«. Sie dirigieren die Namen, die wiederum den Prozess einer Handlung festhalten. Die Sprache »›verwurzelt sich‹ nicht bei den wahrgenommenen Dingen, sondern beim aktiven Subjekt.«281 Wenn ferner Nicolas PETHES eine topologisch wiederkehrende Struktur der Medienkrisen um 1800 und 1900 erkennt und herausstellt, dass die »Krise des Arbiträren und Statischen sowie der Wunsch nach Analogie und Zeitlichkeit« zusammenhängen282, möchte ich hinzufügen, dass ich eine solche toposbildende Sprache der Verben auch in BLOCHs Texten finde. Die Kategorie des Noch-Nicht als Kategorie des Verbs zu denken und zwar sowohl auf semantischer als auch auf performativer Ebene, darin sehe ich einen leitenden Gedanken und eine performative Schreibweise von BLOCH.283

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PETERS, SIBYLLE: Performative Writing 1800 / 2000? Evidenz und Performanz in der medialen Refiguration des Wissens. 2003. S. 103. FOHRMANN, JÜRGEN. Ankündigung zur Tagung »Rhetorik. Figuration und Performanz«. 2002. PETERS, SIBYLLE: Performative Writing 1800 / 2000? 2003. S. 103. Eine Sprache der Verben »bezeichnet in ihren konstantesten Wurzeln Handlungen, Zustände, Willen. Eher als das, was man sieht, bedeutet sie im Ursprung das, was man tut oder was man erleidet. Und wenn sie schließlich die Dinge wie mit dem Finger zeigt, dann insofern, als sie das Resultat oder der Gegenstand oder das Instrument dieser Handlung sind. FOUCAULT, MICHEL: Die Ordnung der Dinge. 1974, zuerst 1966. S. 353. PETHES, NICOLAS: »In jenem elastischen Medium«. S. 138. Mit dem Satz »Subjekt ist noch nicht Prädikat« setzt Bloch als 22-jähriger Student in dem Text Über die Kategorie Noch-Nicht einen Grundgedanken in die Welt, dem er seit Erscheinen 1907 treu blieb. – »Subjekt ist noch nicht Prädikat. Vom Subjekt wissen wir, daß es ihm mangelt und dieser Mangel sein Unterwegs treibt. Mit einstimmiger Resonanz nahm Bloch das lakonische Resümee des einfachen Holzfällers Jimmy Mahoney aus Brecht / Weills Singspiel Mahagonny inmitten der vermeintlich blühenden Erfüllung des kapitalistischen Betriebs auf: »Aber etwas fehlt«. Ein Hun-

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Zyklische Widerkehr von medial bedingten Krisen der Repräsentation

Die Kategorie des Noch-Nicht als Kategorie des Verbs

INSZENIERUNG DER SUCHE

Verben und Symbolische Form

Universelle Medien-krise

Aber wie unterscheiden sich die Ansätze, wenn die Medienkrisen, wie auch die performativen Neuorientierungen zyklisch wiederkehren? Worin besteht die Innovation des aktuell wieder belebten Performanz-Diskurses? Was zeigt er? Sind die historischen Diskurse überhaupt miteinander vergleichbar? Oder wirkt eine aktuelle Medienkrise möglicherweise sehr viel tiefgreifender als die Sprachkrise um 1900, zumal an Stelle der von Erwin PANOFSKY postulierten »Perspektive als »symbolische Form««284 (der Neuzeit bis zur Moderne) eine »Datenbank als symbolische Form« des Computer-Zeitalters denkbar wird285, in der »Subjekte und Objekte zu flexiblen und allseits verfügbaren Momenten eines übergreifenden Geschehens werden, das sich nicht mehr zu Beherrschenden und Beherrschten dichotomisiert«?286 Dann wäre zu fragen, wie Verben (auf grammatologischer Ebene) in der symbolischen Form (als Struktur) vorkommen können287, wie aus den Operationen mit variablen Datensätzen eine intersubjektiv geteilte Zeitlichkeit entstehen kann und wie sich durch eine mögliche Datenbankstruktur auch die performativen Verfahren der Schrift und des Schreibens ändern. Wie universell diese neue Medienkrise sein wird, kann man angesichts ihres eigenen des Anspruchs, des »Weltweitwerdens« bislang nur ahnen. Möglicherweise wird eines Tages die sechzig Jahre alte Vorhersage BORGEs über Tlön zugetroffen haben:

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ger, der treibt, ein Hunger, der jenen grundehrlichen Zug erzeugt: die Sehnsucht, die Sehnsucht nach Etwas, das fehlt. Subjekt ist noch nicht Prädikat. Subjekt ist das Wer, Prädikat das Was, die Kopula ist der Weg der versuchten Bestimmung des Wer durch sein Was.« In: BLOCH, JAN ROBERT: Subjekt ist noch nicht Prädikat. Einführung in die Blochsche Philosophie. 1995. S. 13. »Allein wenn Perspektive kein Wertmoment ist, so ist sie doch ein Stilmoment, ja, mehr noch: sie darf, um Ernst Cassirers glücklich geprägten Terminus auch für die Kunstgeschichte nutzbar zu machen, als eine jener »symbolischen Formen« bezeichnet werden, durch die »ein geistiger Bedeutungsinhalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird«; und es ist in diesem Sinne für die einzelnen Kunstepochen und Kunstgebiete wesensbedeutsam, nicht nur ob sie Perspektive haben, sondern auch welche Perspektive sie haben.« PANOFSKY, ERWIN: Die Perspektive als »symbolische Form«. 1927. S. 108. – Zu Panofskys Verständnis von seinem Hamburger Kollegen Cassirer vgl. das Kapitel »Panofsky and Cassirer«. HOLLY, MICHAEL ANN: Panofsky and the Foundation of Art History. 1984. S. 114–157. »Lev Manovich kommt nach eingehender Analyse zu dem Schluss, die Logik der Database wäre die Symbolische Form des Computerzeitalters. Er folgt darin Erwin Panofskys Analyse der Zentralperspektive als Symbolische Form der Neuzeit. […] Die Logik der Database ist eine gegenüber der Logik der Perspektive neue Form, den Blick auf und das Wissen über die Welt zu strukturieren. In dieser toposbildenden Funktion kann die Symbolische Form als eine Art Wissensmanagementsystem (und damit zugleich Wahnausschlusssystem) gedacht werden. […] Die Logik der Database ist das aktuelle historische Apriori, das bedingt, wie und was wir und was wir wie sehen können. Die Database bedingt den spezifischen Wahn des Computerzeitalters. Und umgekehrt: Der epochenspezifische Wahn bedingt den Inhalt und die Struktur seines Archivs als praktizierten Metadiskurs. Dabei kann man nicht eindeutig sagen, dass das epochenspezifische Archiv, unser Neues Medium gewissermaßen, Folge der kommunikationstechnologischen, inklusive der abbildungstechnologischen und archivarischen Möglichkeiten wäre. MEYER, TORSTEN: Wahn(-) und Wissensmanagement. Versuch über das Prinzip Database. S. 228–229. – »Die Datenbank liefert dabei keine präfigurierten Ordnungen, sondern Listen und Präferenzen der Anordnung, was nach Manovich einem zentralen Paradigmenwechsel gleich kommt. Während in der traditionellen Theorie die syntagmatische Ebene eine explizite Narration präsentiert und die paragdimatische Ebene von Wahlmöglichkeiten (an narrativen Formen) nur implizit vorhanden war, so dreht sich das Verhältnis im Computerzeitalter um: die Optionen sind explizit, die daraus resultierenden Narrationen aber nur noch implizit vorhanden.« FRIELING, RUDOLF: Das Archiv, die Medien die Karte und der Text. 2004. KOGGE, WERNER: Lev Manovisch – Society of the screen. 2004. S. 309. »Haben wir die screens zu lange im Horizont der Unterscheidung von Schein und Wirklichkeit, von Virtualität und Realität betrachtet und der Frage zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, wie sich die Logiken des Handelns verändern? Lev Manovichs The Language of New Media bietet jedenfalls eine Fülle von Ansätzen, solche Versäumnisse zu revidieren.« Ebd. S. 315.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

»Wenn unsere Prognosen nicht irren, wird in hundert Jahren jemand die hundert Bände der Zweiten Enzyklopädie von Tlön entdecken. Englisch, Französisch und sogar Spanisch werden dann vom Planeten verschwunden sein. Die Welt wird Tlön sein.«288 Vor dem Hintergrund, dass insbesondere während der Medienkrisen Zeitlichkeit und Performanz thematisiert werden, bevor daraus neue Weisen der medialen Praxis entstehen, frage ich mich, ob eine Praxis des Schreibens, des writing culture, den Grenzen der Textualität und der damit verwobenen performativen Wende noch gerecht werden kann. Sofern nämlich »die philosophische Kritik an wissenschaftlichen Repräsentationsformen« sich insbesondere »auf die Annahme der Existenz einer beschreibungsunabhängigen Wirklichkeit und die Idee der Repräsentation als innerer Spiegelung und Visualisierung eines äußeren Objekts« richtet, müsste man die mediale Weise der Schreibung und der Über-Setzung, d.h. die Weisen der Inszenierung, stärker berücksichtigen.289 Falls »mediale Differenzen in den wissenschaftlichen Nachweisverfahren der Zukunft« also eine Rolle spielen sollen, erscheint mir der Begriff des Schreibens zu stark an die Konvention der rein textlichen Konstituiertheit gebunden.290 Stattdessen möchte ich – in Analogie zum Performative Writing – in meiner Forschung von einer Praxis des Aufzeichnens und synonym zu einer Praxis des Grafierens ausgehen. Denn sie erweitert die Möglichkeiten der Antwort auf visuelle, akustische und filmische, kurz: auf andere »mediale Performanzen«.291 Wenn ich bislang notiert habe, dass ich am Anfang meiner Forschung, mit der Hinwendung zur Sprache sprachlos werde, d.h. mich selbst als eine in der Sprache Unerfahrene erfahre, angesichts der Weglosigkeit des Noch-Nicht, ergänze ich jetzt, dass ich das Aus-sichheraus nicht als ausschließlich textuelle Operation denke, sondern vielmehr als mediale Wegbahnung, als Operation des Aufzeichnens. »Ja, der wirklich ausgebrochene, der welthaft-offene Anfang von allem, was sich bildet und gebildet hat, ist ein Noch-Nicht; so hat auch das Darstellen und Abbilden dieses sich Bildens und Erscheinens nicht nur allererst, sondern – sich konkret verändernd – allemal auch unterwegs im jeweils auf dem Sprung Seienden immer wieder zu beginnen. Also in der Tendenz und darin, mit jenem erst partial Bedingten, das objektive Möglichkeit heißt. Daraus erhebt sich das verwirklicht Erscheinende und kann genetisch verstanden werden, wohlverstanden: mit all seinen fronthaft-offenen, immer wieder neu utopischen Rändern.«292

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BORGES, JORGE LUIS: Tlön, Uqbar, Orbis Tertius. 1996. S. 40. FUCHS, MARTIN / BERG, EBERHARD: Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation. 1999, zuerst 1993. S. 72. PETERS, SIBYLLE: Performative Writing 1800 / 2000? 2003. S. 103. Vgl. Tagungsband des Berliner Sonderforschungsbereiches Kulturen des Performativen, der sich mit den (Kor-)Relationen von Performativität, Textualität, Visualität und Medialität aus kulturhistorischer Perspektive befasst. EMING, JUTTA / LEHMANN, JAEL / MAASEN, ANNETTE UND IRMGARD (Hg.): Mediale Performanzen. Historische Konzepte und Perspektiven. 2002.

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BLOCH, ERNST: Tübinger Einleitung in die Philosophie. 1970. S. 211.

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Übersetzung als Inszenierung

Praxis des Aufzeichnens statt Praxis des Schreibens

Aus-sich-heraus als mediale Wegbahnung

INSZENIERUNG DER SUCHE

»Das ist der Gestus des Aufzeichnens, das Aushalten der Unsicherheit, das Durchlassen der Gegenwart, die von der Auflösung des Gegenstands ausgeht; denn sie, die Aufzeichnung, wird ihn nun neu fassen, formulieren.«293

aufzeichnen – grafieren gráphein

Mit der Tätigkeit des »Aufzeichnens« oder »Grafierens« beziehe ich mich auf die Bedeutung von griech. gráphein: »›Gráphein‹ verkörpert in den Tätigkeiten von ritzen, einritzen, eingraben, zeichnen und einzeichnen Tätigkeiten des Zeichners. Es ist die dem Wort ›gráphein‹ eigene und vielleicht ursprünglichste Bedeutung, Schriftzeichen in eine Materie einzuritzen, in einen Stoff einzuzeichnen, die die zeichnende Geste im Schreiben hervorhebt und die der Begriff der Aufzeichnung aufzugreifen versucht.« 294 Denke ich mit BLOCH das Noch-Nicht als Kategorie des Verbs weiter, dann stellt sich angesichts meiner Sprachlosigkeit die Frage nach dem Wie des Aufzeichnens. Es verlagert sich zum Wie anfangen?295 Wie kann ich aufzeichnen, was ich erst noch erforschen möchte? – Mit Peter WEISS habe ich in meinem Eingangskapitel behauptet, dass es diesen Anfang nicht gibt. Ich muss ihn hinstellen, eine Setzung vornehmen, antworten, laut WALDENFELS, auf das, wovon ich getroffen werde. Die DERRIDA-Lektüre hat gezeigt, dass die Schrift, oder allgemeiner: die Manifestationen immer schon nachträglich geantwortet haben werden, indem sie etwas re-präsentieren, wieder-holten, vergegenwärtigten, was so zuvor nicht war. Wenn ich also sprachlos wurde, angesichts der Setzung der Sprache und meine Antwort auf die Sprachlosigkeit als Erfahren eines Bruches dargestellt habe, dann frage ich mich rückblickend, inwiefern diese Erfahrung des Noch-Nicht-Sprechen-Könnens überhaupt möglich wäre, wenn es die Setzung der Sprache nicht gegeben hätte. Umgekehrt formuliert hieße die Frage dann: »Ist das darüber Sprechen oder Schreiben ein integraler Bestandteil des »Erfahrungenmachens«? Oder scheint das nur so, weil wir als Forschende erst die kommunizierten Erfahrungen überhaupt zur Kenntnis nehmen können? Können Erfahrungen auch ganz im Stillen und Individuellen gemacht werden? Dies sind Fragen, denen es sich nachzugehen lohnt.«296

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DITTBERNER, HUGO: Arche nova: Aufzeichnungen als literarische Leitform. 1998. S. 28. WORTELKAMP, ISA: Sehen mit dem Stift in der Hand. Stille Stellen der Aufzeichnung. 2004. S. 99. – Zur Bedeutung und Etymologie von griech. gráphein: »ȖȡĮijȦ I. Akt. I. ritzen, einritzen, eingraben [...] zerschneiden. – 2. in Wachs, Holz, Stein, Metall usw. Zeichen einritzen. Insb. a) zeichnen, malen [...], bsd. (mathem.) etw. beschreiben = konstruieren b) schreiben [...] insb.: Į) etw. auf-, niederschreiben, schriftlich aufzeichnen, (in ein Verzeichnis) eintragen, etw. verfassen; auch beschreiben, schriftlich darstellen. ȞȠȝȠȞ ein Gesetz schriftlich abfassen od. geben, einführen [...], ȕ) j-m etw. schriftlich melden [...], brieflich mitteilen, auftragen, vorschreiben, schriftlich festsetzen od. anordnen; insb. j-n schriftlich zu etw. bestimmen od. etw. als etw. bezeichnen [...] Ȗ) etw. schriftlich beantragen, [...] abs. einen Antrag stellen [...] c) etw. beschreiben = mit einer Inschrift versehen [...] E.¥ gerph einritzen, ahd. Kerfan = nhd. kerben; lett. Grebju, a./e. ceorfan, engl. to carve schnitzen: [...].« MENGE, HERMANN / GÜTHLING, OTTO (Hg.): Enzyklopädisches Wörterbuch der griechischen und deutschen Sprache unter Berücksichtigung der Etymologie. 1964, zuerst 1913. Vgl. zur Frage des Anfangs im Schreibprozess den aus der Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum und im Literaturhaus Berlin 1994 hervorgegangenen Sammelband »Das weiße Blatt oder Wie anfangen?« PFÄFFLIN, FRIEDRICH (Hg.): Das weiße Blatt oder wie anfangen? 1997. BOS, MARGUÉRITE / VINCENZ, BETTINA / WIRZ, TANJA (Hg.): Erfahrung: Alles nur Diskurs? 2004. S. 20.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Wenngleich ich mir nicht im Mindesten anmaße zu behaupten, dass sich ohne eine sprachliche Manifestation keine Erfahrungen machen ließen, so frage ich mich, ob Erfahrungen nicht irgendeines Mediums bedürfen.297 Und verstehe ich unter dem (primären) Medium im Sinne von PROSS den Leib, so würde das lediglich bedeuten, dass ich die Differenzen und Bruchlinien erst, oder besonders, medial, d.h. durch ein Medium hindurch erfahre.298 Will ich aber, wie ich es im kunstpädagogischen Rahmen dieser Arbeit für notwendig erachte, zudem mit anderen über Erfahrungen kommunizieren, dann wird eine mediale Auseinandersetzung unerlässlich. Doch auch jene hat ihre jeweiligen medialen, materiellen, pragmatischen und persönlichen Grenzen. Diese zu erfahren, könnte durchaus eine (kunstpädagogische) Forschung wert sein. Gleichwohl unterstellt die Frage nach der Möglichkeit einer von Medien isolierten Erfahrung in Bezug auf meinen Zugang zur Forschung noch etwas Anderes: Ihr liegt die »Unterscheidung zwischen Forschen und Aufschreiben zugrunde, verschleiert als schlichte Abfolge«.299 Und eben diese Verschleierung des Schreibprozesses führt zu einer Glättung von wissenschaftlichen Texten bzw. ihrer Dokumentationspraxis, die infolgedessen die Brüchigkeit der Erfahrung zu vergessen scheinen und – zunehmend entfernt von den Widerfahrnissen – nicht mehr antworten auf das, wovon sie getroffen wurden. Gerade dies sollte jedoch Forschung (damit meine ich eine Erkenntnispraxis, die sich an der Darstellung ihrer Dokumentation reibt) nicht nur zulassen, sondern sogar fordern: nämlich neue Erfahrungen zu machen, den eigenen Ordnungsrahmen und Sinnhorizont durch Widerfahrnisse immer wieder übersteigen zu lassen:

Setzung des Mediums

»Zwischen dem Wovon der Affektion und dem Worauf der Responsion, zwischen dem, was mir widerfährt, und dem, was ich zur Antwort gebe, geschieht etwas, das sich weder der einen noch der anderen Dimension zuordnen läßt. Was hier geschieht, ist genau die Umwandlung des Wovon in ein Worauf, die Umwandlung des erleidenden in ein antwortendes Selbst. Diese Umwandlung beschränkt sich nicht auf eine einmalige Genese der Dinge und des Selbst, sondern sie geschieht immer wieder, wenn wir neue Erfahrungen machen und nicht nur fertige Erfahrungen wiederholen.«300

Umwandlung von erleidendes in antwortendes Selbst

Wandle ich also das, wovon ich getroffen werde, um in etwas, worauf ich antworte, dann ist dieser Umwandlungsprozess genau der Zwischenbereich, wo eine ästhetische (Selbst-)Bildung genuin einsetzt. Und versuche ich, aus dieser Perspektive einer Produzierenden, das Davor des Noch-Nicht auf möglichst vielfältige Art zu schreiben bzw. aufzuzeichnen, so benutze ich diese Notationen als mediale Wegbahnungen, die gleichermaßen Forschungsinstrument und -gegenstand sind.

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Zum Medienapriori in verschiedenen zeitgenössischen Positionen schreibt Dieter Mersch: »Wie daher für das Konzept einer Medienphilosophie die Frage nach dem Vorrang des Medialen, seines positiv zu bestimmenden transzendentalen Schematismus, seinem konstitutiven Sinn ›die Gretchenfrage‹ bleibt, ergibt sich freilich die Frage, wie dies selbst wieder zu begründen wäre. Soll es sich nicht bloß um ein idealistisches Postulat, eine metaphysische Behauptung oder ein konstruktivistisches Axiom handeln, bekommen wir es nämlich sofort mit dem Zirkel zu tun, wie diese Apriorität des Medialen selbst aufweisbar, mediatisierbar oder diskursiv ›anschreibbar‹ sein soll – und der Hinweis darauf, dass gerade dies das Medienapriori bestätige, bedeutet lediglich, es schon unterstellt zu haben. Denn das Problem besteht ja darin, dass, wenn sich die Struktur des Medialen dem Wahrnehmen, Denken oder Verstehen schon im Sinne eines apriorischen Perfekts aufgeprägt haben soll, dass sich dann die Strukturalität der Struktur selber als nicht beschreib- oder analysierbar erweist – es sei denn, wir veranschlagten ein weiteres Medium, das diese erkennbar machte, dem wiederum seine eigene Strukturalität entgeht, was ein weiteres Medium erfordert usw.« MERSCH, DIETER: Reaktion. 2003. Zum Medienbegriff S. 58, zu Pross insbes. Fn. 210. FABIAN, JOHANNES: Präsenz und Repräsentation. S. 343. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S.102–103.

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Forschen und Aufschreiben als Abfolge

Glättung von wissenschaftlichen Texten

Neue Erfahrungen

Aufzeichnung als Forschungsinstrument und -gegenstand

INSZENIERUNG DER SUCHE

Erfahrung der Bruchlinien Aufzeichnungen als Navigationsinstrument im Prozess der Suche

Relation von einer Praxis des Schreibens zur Praxis, über die geschrieben wird

Mehr noch: Indem ich möglichst vielfältige Weisen des Aufzeichnens in ihrer Prozessualität und inneren Rhetorizität erfahre, konkretisiert sich inmitten dessen die Frage danach, wovon ich mich affizieren lasse, welche zeitliche und räumliche Setzungen, Verortungen und Gewichtungen ich im Zwischenbereich von Widerfahrnis und Antwort bevorzuge oder ausklammere. Indem ich mich einer materiellen Notationsweise aussetze, erfahre ich die Bruchlinien der Transformation an mir selbst. Zugleich aber modalisiert der Notationsprozess meine Erfahrung. Daher dient die Aufzeichnung im Prozess der Suche nach Antwortmöglichkeiten als Navigationsinstrument zu meiner Wegerzeugung oder -findung, während sie im Nachhinein als materielles Zeugnis des »Werk«-prozesses lesbar wird. Bezogen auf die inhaltliche Dimension, zu der das Grafieren offensichtlich erst hinführt, stellt sich erneut die Frage nach der Repräsentation eines Gegenstandes. Denke ich diesen Gegenstand aber nicht mehr substantivisch – also als statischen ZuStand, sondern stattdessen als Verb, als Praxis, spielt es eine gravierende Rolle, »in welchem Verhältnis eine Praxis des Schreibens zu der Praxis steht, über die geschrieben wird.«301 Indem ich mich aufzeichnend auseinandersetze, setze ich mich also in ein zeitliches und räumliches Verhältnis gegenüber Anderem, ich positioniere die Aufzeichnung und damit mich, respektive meine Handlungen und Äußerungen. Dass der Prozess des Grafierens zurückwirkt auf seinen Urheber, beschreibt auch WILLEMSEN in seinem Nachwort zu den neu edierten Geheimen Aufzeichnungen des englischen Flottenadministrators Samuel PEPYS aus dem 17. Jahrhundert: »Sieht man es diätetisch, so brachte das tägliche Tagebuchschreiben – das manchmal auch mehrere Tage rückwirkend ausgeübt wurde – eine gewisse Ordnung in das Leben des Autors. Es forderte ihm Disziplin ab und machte seine Vorsätze ebenso manifest wie die dauernden Vorstöße gegen dieselben. […] Vielleicht war also das Tagebuchschreiben auch der Versuch, sich und der eigenen Zeiterfahrung Ordnung zu geben. Wäre es anders, große Teile der Tagebücher verlören jede Plausibilität – darunter einige, die wir zu den kostbarsten rechnen.«302

Inszenierung der Erfahrung wird zur Erfahrung der Inszenierung

Die Ordnung der Erfahrung wird im Prozess des Grafierens zur Erfahrung der Ordnung. Die Artikulation der Erfahrung wird zur Erfahrung der Artikulation. Die Inszenierung der Erfahrung wird zur Erfahrung der Inszenierung. So erzeugt die Aufzeichnung den Riss, an dem sich die Erfahrung bricht. Die Brüchigkeit der Erfahrung wird im Aufzeichnungsprozess durch Pausen, Lücken und Spuren sowohl sichtbar als auch erst erzeugt.303 Denn »an sich« sind Erfahrungen flüchtig. Um sie kommunizieren zu können, muss ich den Versuch wagen, sie festzuhalten.304

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»Dieses Verhältnis kann sich nicht in einer »Widerspiegelung« erschöpfen, denn Praxis ist Tun. Das Tun spiegelt nichts wider und das allein ist Grund den naiven Realismus ad acta zu legen.« FABIAN, JOHANNES: Präsenz und Repräsentation. S. 348. Nachwort von Roger Willemsen. In: PEPYS, SAMUEL: Die geheimen Tagebücher. 2004. S. 375. Dass diese Brüchigkeit der Erfahrung durch den Gebrauch von medialen Metaphern dargestellt wird, zeigt z.B. die »metapherologische Lektüre der Fotografie«, derer Freud sich bedient, »um die Fotografie als Parameter zur eigenen Begriffsklärung, aber auch zur Kommunikation der eigenen Begrifflichkeit« zu verwenden. In dem 1973 von Sara Kofmann publizierten Text ›Freud – Der Fotoapparat‹ zeigt die Verfasserin, ›dass Freud der Fotometapher bedurfte, um das Funktionieren des Unbewussten zu (be)schreiben.‹« WOLF, HERTA: Vom Nutzen und Vorteil des historischen Blicks auf die Fotografie. S. 53. Vgl. dazu auch meinen Vortrag »Bewegungen. Passagen. Über das Flüchtige« im Rahmen der Ringvorlesungsreihe »Ästhetische-Kulturelle-Bildung« an der Universität Flensburg vom 9. Januar 2002, in dem ich über die Möglichkeit der Wahrnehmung von Bewegungen und ihren Manifestati-

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Mit BLOCH könnte man sagen, dass die Aufzeichnung ein Schritt in Richtung des Ausgangs bedeutet, sie formiert den Zugang, mit dem das Aus-sich-heraus beginnt, nach draußen zu gehen. »Wer der Gang der jüngeren Ideengeschichte verfolgt hat, wird bemerkt haben, dass in ihm ein subtiler Trend zur Subversion am Werke ist. Unmerklich verlagerte sich seit zwei Jahrzehnten das Interesse der Semiotiker und Hermeneuten vom Text zum Buch, in welchem er steht, und vom Geist zum Substrat, an dem er klebt. Der materielle Träger des Geistigen erhob sich so aus seiner vormaligen Knechtsgestalt, und wurde zum Hauptobjekt der Forschung. ‚Von der Materialität des Zeichens‹ könnte dieses jüngste Kapitel der Kulturgeschichte heißen oder ›wie die Fabel zur wirklichen Welt wurde.‹[…]. Begriffen als ein Urakt geistiger Produktion, wird das Manuskript zum Träger und Ausdruck einer Arbeit, im Unterschied zum Buch als Träger einer Kommunikation. Historisch, im Rahmen einer Kulturgeschichte textueller Produktionen betrachtet, zeigt das Manuskript […] den Ausbruch aus der Ordnung der mittelalterlichen Pagina und den Beginn jener gesegneten fünf Jahrhunderte, in denen das literarische Schaffen kein anderes Werkzeug kannte als das weiße Blatt (resp. den Zettel) und die Feder oder den Stift – bis mit dem späten neunzehnten Jahrhundert auch die Schriftsteller ins Industriezeitalter des Tastendrucks eintreten werden.«305

Zur Forschungslage Obwohl seit der Writing-Culture Debatte und dem Performative-Writing ein Diskurs über das Schreiben insbesondere in Ethnographie und Literaturwissenschaft einsetzt, finden sich bis heute kaum Forschungen, die Prozesse des Aufzeichnens in ihrer inneren Rhetorizität, der Struktur, der Materialität mitsamt der zeitlichen Abfolge untersuchen.306 Zwar existieren in der Literaturwissenschaft motivische Sammlungen zu pragmatischen und situativen Aspekten des Schreibens sowie pädagogische Anleitungen zum »kreativen« Schreiben.307 Zwar gibt es Forschungen, die den Begriff der Schrift ausdehnen, wie Michael WETZEL es in Bezug auf DELEUZE / GUATTARI mit dem Konzept der »Quadrographie« beschreibt, dem so genannten vierhändigen Schreiben, bestehend aus der archaischen, klassischen, ästhetischen und transklassischen (d.h. medientechnischen) Dimension der Schrift.308 Und schließlich gibt es Archive von Schreibprozessen in (Selbst-)Zeugnissen, z.B. innerhalb der Kindheitsforschung.309

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onen in der zeitgenössischen Kunst nachdenke. Sabisch, Andrea: Bewegungen. Passagen. Über das Flüchtige. 2005. Diese Rezension erschien zehn Jahre bevor der Historiker und Journalist Raulff im November 2004 zum neuen Direkter des Schiller-Nationalmuseums und des Literaturarchivs ernannt wurde. RAULFF, ULRICH: »Kratzen auf weißem Blatt Papier«. Als Ausnahme kann hier für die Kunstpädagogik das Gießener Forschungsprojekt zur Kinderzeichnung betrachtet werden, in dem zur Rekonstruktion von Prozessen des Zeichnens am PC eigens Aufzeichnungsstrategien und -techniken erfunden wurden, die eine zeitgleiche Darstellung von »externen« und »internen« Prozessen des Adressatenkreises ermöglichen. Vgl. MOHR, ANJA: Analyse von Videodokumentationen in der kunstpädagogischen Forschung. 2001. Exemplarisch nenne ich hier die von der deutschen Schillergesellschaft in Marbach am Neckar in den 90er Jahren herausgegebene Reihe »Vom Schreiben«. PFÄFFLIN, FRIEDRICH (Hg.): Das weiße Blatt oder wie anfangen? 1997. (Vom Schreiben; 1). – FISCHER, SABINE (Hg.): Der Gänsekiel oder Womit schreiben? 2000. (Vom Schreiben; 2). – PLÄTTNER, PETRA (Hg.): Stimulanzien oder Wie sich zum Schreiben bringen? 2003. (Vom Schreiben; 3). – KIENZLE, RUDI (Hg.): Im Caféhaus oder Wo schreiben? 2000. (Vom Schreiben; 4). – PFÄFFLIN, FRIEDRICH (Hg.): Ankündigungen oder »Mehr nicht erschienen«. 1998. (Vom Schreiben; 5). – TGAHRT, REINHARD / MOJEM, HELMUTH / WEISS, ULRIKE (Hg.): Aus der Hand oder Was mit den Büchern geschieht 2002. (Vom Schreiben; 6) Während die erste Dimension, die archaische Schrift »in Anlehnung an Derridas Begriff der ›UrSpur‹ das Supplement des Ursprungs als Schrift bezeichnet, kann die klassische Schrift als »›Prozessualisierung von Sinn‹ durch Zeichenkonventionen« spezifiert werden in die »piktographischen,

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Unerforschte Praxen des Aufzeichnens

Quadrografie

INSZENIERUNG DER SUCHE

Auf dem Weg zu einer Grafieforschung

Aber eine Grafieforschung, die verschiedene Weisen des Aufzeichnens, auch des digitalen, berücksichtigt und das Verhältnis von Inhalt, Methode und Medium als Praxisforschung untersucht, ist mir nicht bekannt.310 Aus diesem Grund untersuche ich zunächst die literaturwissenschaftliche Forschung über Aufzeichnungen als literarische Textform.

Zu textuellen Aufzeichnungen Aufzeichnungen als literarische Form

Aufzeichnungsliteratur im 20. Jh.

Wenn im 20. Jahrhundert, besonders in den letzten drei Jahrzehnten, viele Schriftsteller ihre Texte mit Aufzeichnungen betitelt haben, unternimmt Thomas LAPPE 1991 den ersten und bisher einzigen Versuch, diesen Begriff einzugrenzen und davon ausgehend eine Typologie der Aufzeichnung als literarische Kurzform zu entwickeln. Ungeachtet der produzierten »kaum überschaubare[n] Materialfülle«311 sei der Begriff Aufzeichnung »bis heute nicht genau festgelegt«, sondern für unterschiedliche literarische Kurzformen verwendet worden, wie Tagebuch, Notiz, Aphorismus312, Journal, Notat313, Essay314 und Skizze315. LAPPE zufolge hat sich die »Denkform ›Aufzeichnung‹ [...] – in der Rezeption! – als Kunstform noch nicht durchgesetzt. An Sekundärliteratur findet sich wenig«, sie »ist ein noch weitgehend unerforschtes Gebiet«.316 Dass sich daran wenig geändert hat, dass »eine theoretische Auseinandersetzung [...] seit Erscheinen der Arbeit Lappes so gut wie nicht mehr [existiert]« und auch seine Arbeit »weitgehend ohne Echo geblieben ist«, bestätigt Susanne NIEMUTH-ENGELMANN 1998. In ihrer Arbeit Alltag und Aufzeichnung – Untersuchungen zu Canetti, Bender, Handke und Schnurre geht sie auf die »charakteristische Verbindung zwischen der Form der ›Aufzeichnung‹ und dem Inhalt ›Alltag‹«317 ein, um »die Gattungstheorie [...] mit der Textinterpretation in Verbindung [zu setzen]«318. Den zeitlichen Rahmen der Aufzeichnungsliteratur siedelt LAPPE im 20. Jahrhundert an. Zwar seien die Sudelbücher LICHTENBERGs (1764–1799) und die Tagebücher HEBBELs (1835–1843) »durchaus ›modern‹«, aber die Tatsache, dass solche einzelnen Aufzeichnungen ›weitgehend unbewußt‹319 (sic!) entstanden, weil es für sie noch keinen Begriff gab und

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ideogrammatischen, alphabetischen, bibliographischen, typographischen etc. Aufschreibesysteme«. Unter ästhetischer Schrift fasst er dingliche Chiffrierungen als »Techniken der Spurensicherung, die in den »Medien Malerei, Architektur, Plastik, Choreographie, Musik aber auch Poesie« erscheinen. Die vierte Dimension, die medientechnische oder transklassische umfasst die »Photo-, Phono-, Kinemato-, Radio-, Video- etc. -Graphie.« WETZEL, MICHAEL: Die Enden des Buches oder die Wiederkehr der Schrift. 1991. S. 47–48. »Das Archiv Kindheit Jugend verfolgt das Ziel, vorhandene (Selbst-) Zeugnisse zu sammeln, die die Geschichte und Gegenwart von Kindheit und Jugend im deutschsprachigen Raum seit Ende des 19./ Anfang des 20. Jahrhunderts beschreiben, und diese einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.« BEHNKEN, IMBKE / ZINNECKER, JÜRGEN: Archiv Kindheit und Jugend. Sie würde untersuchen, was aufgezeichnet wird (Biografie, Kosmografie, Ethnografie) gekoppelt an das, wie es aufgezeichnet (Fotografie, Videografie, Phonografie, Szenografie etc.) wird. Dieses Wie muss noch einmal differenziert werden, in die mediale Weise (wodurch etwas erscheint oder worin) und andererseits, wie es methodisch vor (sich) geht. LAPPE, THOMAS: Die Aufzeichnung. 1991. S. 15. Ebd. S. 12. Ebd. S. 13. Vgl. ebd. S. 88–94. Vgl. ebd. 1991. S. 99–109. Ebd. S. 13. NIEMUTH-ENGELMANN, SUSANNE: Alltag und Aufzeichnung. 1998. S. 9. Ebd. S. 36. LAPPE, THOMAS: Die Aufzeichnung. 1991. S. 30. – Gegenüber dieser proklamierten vermeintlichen »Unbewusstheit« stellt Michael Wetzel folgenden medialen Kontext heraus: »In die literarischen Diskurse interveniert um 1800 ein naturwissenschaftlicher Diskurs, der die Enden des Buches als

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

sie deswegen in ihrer Eigenständigkeit ›schwer oder gar nicht als solche zu entdecken« waren, unterscheide sie von späteren Aufzeichnungen. 320 Aber auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts sei die Suche nach der »Aufzeichnung als bewußte, eigenständige Form [...] vergeblich«321, es finde sich »kein ›WiederErfinder‹«, obwohl es ›eine bereitwillige geistige Akzeptanz‹«322 für diese Textart gebe. Die Texte, die LAPPE erwähnt, u.a. die seit 1920 von BRECHT verfassten autobiografischen Aufzeichnungen323, gleichen seiner Meinung nach bereits bewährten autobiografischen Schreibformen oder »private[n] Mischform[en]«324. Die »Notizen dienen allenfalls als Skizzen«, die damals »auch in Ansätzen nicht als ästhetisierenswert angesehen wurde[n]«.325 Wenn LAPPE zudem behauptet, diesen Texten mangele es an »absichtlich ästhetischer Gestaltung« und »heute feststellbare Ähnlichkeiten sind zufällig«326, frage ich mich, wie er sie dann als Aufzeichnung erkennen konnte. Die zeitliche Begrenzung wirkt konstruiert: Denn von der mangelnden Begrifflichkeit der Aufzeichnungen auf eine unbewusste oder anders intendierte327 Entstehungsweise zu schließen, die lediglich etwas Beiläufiges ohne Kunstcharakter hervorbringe, scheint mir – im Zuge der Veröffentlichung eben dieser Texte von reflektierten Verfassern – mehr als gewagt, zumal Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge RILKEs von 1910 wohl kaum beiläufig, banal sein dürften. Allerdings kann LAPPE so den »qualitativen Hauptbeginn« der Aufzeichnungsliteratur »erst in den 30er Jahren« datieren.328 Diesen habe Walter BENJAMIN, als »erster wirklich aufzeichnerisch Tätiger«329 mit seinem 1928 erschienenen Buch Einbahnstraße eingeleitet. Auch BLOCH (Spuren, 1930)330 und ADORNO (Minima Moralia, 1944–47) produzierten philosophische »Notizen«, die sich jedoch aufgrund der »schwierigen [...] assoziierten Kontexte«331 nur »mit Verzögerungen literarisch durchsetzten« und insofern eher »als Experimente eines neuen Bewußtseins«332 zu verstehen seien.

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»die Enden der Parabel« berechenbar macht, indem er rückhaltlos technische Apparaturen der physikalisch-chemischen Spurensicherung von Elektrizität zum Einsatz bringt.« S. 70. Dass der Göttinger Physiker und Schriftsteller selbst an diesem Diskurs beteiligt war, entgeht Lappe, weil er die Aufzeichnung als Textsorte isoliert von ihren außerliterarischen Entstehungsbedingungen betrachtet. So blendet er aus, dass Georg Christoph Lichtenberg – ausgehend von eigenen elektrischen Experimenten – ein »Aufzeichnungs-Medium in der Form des Elektrophors beschrieben hat«, dabei ein Pulver auf der Oberfläche des Apparates als feste Konfiguration erkannte, diese als »Steganographie« (Geheimschrift) bezeichnete und zudem darüber reflektierte, wie die Beobachtung um die Möglichkeit der Speicherung aufgerüstet wird und damit die Bedeutung der »Urszene elektrischer Schrift« erkennt. WETZEL, MICHAEL: Die Enden des Buches oder die Wiederkehr der Schrift. 1991. S. 47–48. – Welchen Einfluss die Auseinandersetzung mit physikalischen Phänomenen auf sein Schreiben, vor allem auf die von Lappe als Aufzeichnungen betitelten, über 34 Jahre verfassten Sudelbücher hatten, die zu den ältesten überlieferten Merkbuch-Aufzeichnungen zählen, ist bis heute noch unerforscht. LAPPE, THOMAS: Die Aufzeichnung. 1991. S. 26. Ebd. S. 33. Ebd. S. 31. Vgl. Ebd. S. 31 u. S. 386. Ebd. 1991. S. 32. Ebd. 1991. S. 33. Ebd. S. 33 und 31. Ebd. S. 32. Ebd. 1991. S. 32. Ebd. S. 33. Dass Blochs Aufzeichnungspraxis jedoch nicht in den 30er Jahren endete, kann man daran ablesen, dass er 1959 »den schön geschlossenen Aufbau seines Buches »Spuren« durchbrach, um den Band zu erweitern und neu zu strukturieren, wenngleich man ihm davon abriet«. MAYER, HANS: Reden über Ernst Bloch. 1989. S. 41. LAPPE, THOMAS: Die Aufzeichnung. 1991. S. 38. Ebd. S. 39.

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30er Jahre als qualitativer Hauptbeginn der Aufzeichnungsliteratur

INSZENIERUNG DER SUCHE

60er Jahre als quantitativer Hauptbeginn der Aufzeichnungsliteratur

Nach dem Zweiten Weltkrieg stockte, so LAPPE, die »Tradition des ›aufzeichnerischen‹ Schreibens [...] für Jahrzehnte; der Roman, das Drama und vor allem die Lyrik dien[t]en als hauptsächliche Innovationsgebiete«333. Als Folge der zunehmend verwendeten literarischen Kurzformen (u.a. der Kurzgeschichte) und der »stärker einsetzenden Kurzprosa-Erforschung« seit dem Zweiten Weltkrieg334, verzeichnet er hingegen für die späten 60er und 70er Jahre den quantitativen Hauptbeginn der Aufzeichnungsliteratur, die spätestens seit CANETTIs programmatischer Schrift Das Gewissen der Worte von 1965 nun als »bewußte Parallelität zu Tagebüchern und Skizzen« wahrgenommen wurde.335 Zu den Autoren, die – neben CANETTI – in den Achtzigern »wegbereitend für die Weiterentwicklung« waren, zählt er u.a. HARTUNG, HANDKE, JÜNGER, BENDER, FÜHMANN und SCHNURRE336 sowie ROSEI, KIRSCH, BRÜCKNER, HAUSEMER und HILSBECHER337. Die 1987 im Band Nachlese erschienenen Skizzen HILDESHEIMERs stellen in LAPPEs Untersuchung schließlich »einen komplizierten Endpunkt dar«338, »an dem die Aufzeichnung formal ins Ungefähre zu verschwinden droht«339, da die Form sich auflöse. Wenn LAPPE bis zu diesem Punkt nicht nur eine umfangreiche Textauswahl treffen konnte, sondern diese auch literaturgeschichtlich einordnete, so konnte dies nur auf der Folie einer begrifflichen Vorannahme geschehen, die es ihm überhaupt erst ermöglichte, an den verschiedenen Texten auffällige, d.h. der Vorannahme entsprechende Merkmale festzustellen. Er setzt also »einen a-priori-Entwurf voraus, indem er noch ohne konkrete Hypothese und möglichst unvoreingenommen, den Blick für etwas literarisch ›Auffälliges‹ schärft«340. Mit CANETTI wählt er einen Autor, der sowohl Aufzeichnungen schreibt als auch über diese als Literaturform reflektiert. So widmete LAPPE den Aufzeichnungen des in Bulgarien geborenen Literaten schon zuvor seine Aufmerksamkeit in einem Buch341, das eine »Vorarbeit für diese Untersuchung darstellt«342. Die Vorannahme, die er seiner Arbeit voranstellt, möchte ich hier unverändert wiedergeben: »Aufzeichnungen sind spontan und widersprüchlich. Sie enthalten Einfälle, die manchmal unerträglicher Spannung, oft aber auch großer Leichtfertigkeit entspringen. [Ein Mensch] muß der Vielfalt seiner Anlagen nachgeben und wahllos verzeichnen, was ihm durch den Kopf geht. Es muß so auftauchen, als käme es von nirgends her und führe nirgends hin, es wird meist kurz sein, rasch, blitzartig oft, ungeprüft, ungemeistert, uneitel, und ohne jede Absicht. [...] Wenn er das wirklich fertig bringt, viele Jahre lang, behält er das Vertrauen zur Spontaneität, die die Lebensluft solcher Aufzeichnungen ist. [...] Sehr viel später, wenn alles wie von einem anderen Menschen ist, mögen sich die Dinge in den Aufzeichnungen finden, die, sinnlos wie sie ihm damals vielleicht erschienen, plötzlich Sinn für andere haben.«343

Merkmale der Aufzeichnung

Betrachtet man diese »Grundsteinlegung« genauer, die LAPPE selbst als »schwach ausgebildet« beschreibt, so stellt man fest, dass als mögliches Formmerkmal höchstens kurz in Betracht kommt. Und auch dieses Merkmal ist relativ und wenig aussagekräftig.

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LAPPE, THOMAS: Die Aufzeichnung. 1991. S. 31. Ebd. S. 40. Ebd. S. 41. Ebd. S. 47. Ebd. S. 49. Ebd. S. 51. Vgl. auch S. 99. Ebd. S. 51. Ebd. S. 20. Vgl. LAPPE, THOMAS: Elias Canettis Aufzeichnungen 1942–1985. Modell und Dialog als Konstituenten einer programmatischen Utopie. 1989. Ebd. S. 14. Ebd. S. 19.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Zudem steht es m.E. im Widerspruch zu dem wahllosen Aufzeichnen, das eher eine umfangreichere Textform suggeriert. Ob eine Aufzeichnung jedoch spontan, rasch, blitzartig, ungeprüft, ungemeistert, uneitel und absichtslos geschrieben wird, ob sie inhaltlich widersprüchlich ist oder ob sie aufgrund unerträglicher Spannung oder großer Leichtfertigkeit entsteht, kann man meiner Meinung nach an der Form schwerlich ablesen, geschweige denn überprüfen. Die Übertragung dieser Vorannahme auf die Form einer Textsorte muss spekulativ bleiben. Hier liegt meines Erachtens eine methodische Schwierigkeit, die sich fortan durch LAPPEs gesamte Untersuchung zieht: Während CANETTI aus der Sicht des Schreibenden über Entstehung und Produktion einer Aufzeichnung reflektiert, versucht LAPPE, aus der Sicht des Rezipienten von dieser Beschreibung aus auf die Aufzeichnung als Produkt zu schließen. Die Widersprüche, die sich allein innerhalb der Definition ergeben, machen meiner Ansicht nach deutlich, dass die Aufzeichnung als literarische Kurzform nicht so klar erkennbar und abgrenzbar ist, wie LAPPE es konstruiert.344 Um dieses Problem zu meiden, benutzt NIEMUTH-ENGELMANN den Begriff in einem weiteren, umgangssprachlichen Sinne. Sie geht davon aus, dass Aufzeichnung »nicht im Sinne bereits existierender Definitionen [Bezug auf LAPPE] verwendet wird, sondern im vorwissenschaftlichen Sinne, also für jede einzelne ›Eintragung« in einer Zusammenstellung vom jeweiligen Autor so genannter ›Aufzeichnungen«, unabhängig davon, als welche literarische Kurzform man eine solche ›Eintragung« klassifizieren kann. ›Eintragung«, ›Eintrag« und ›Notat« werden ebenfalls in dieser Bedeutung benutzt.«345

In diesem Verständnis ist Aufzeichnung ein Oberbegriff für eine Literatur der Eintragungen,346 wobei die einzelnen Einträge selber keine einheitlichen Formmerkmale aufweisen, wie LAPPE es behauptete, sondern sehr verschiedene Textsorten darstellen, wie z.B. Gedicht, Brief, Aphorismus, Zitat, Maxime oder Essay. Durch diese begriffliche Ausdehnung widerlegt NIEMUTH-ENGELMANN die formale Definition, die LAPPE für eine einzelne Aufzeichnung geltend machen wollte. Vielmehr stimmt sie der Argumentation von Stephan FEDLER zu, der nachweist, dass dieselben Einzeltexte, die LAPPE Aufzeichnungen nannte, überwiegend Aphorismen seien.347 Während sich für FEDLER daraufhin »die weitere Frage nach einer sinnvollen Definition der Aufzeichnung [erübrigt]«348, sieht sie die Ursache dieser diffusen Begrifflichkeit darin, dass lediglich die einzelne Aufzeichnung nicht länger Grundlage für eine literarische Gattung sein kann. Stattdessen schlägt sie vor, von dem gesamten Textgefüge vieler Aufzeichnungen auszugehen, die sie Aufzeichnungssammlung und Aufzeichnungswerk nennt: »Eine einzelne Aufzeichnung läßt sich nicht als eigenständige Gattung definieren, sondern ist nur im Kontext anderer ›Aufzeichnungen« als ›Aufzeichnung« zu erkennen. Autonome literarische Textsorten sind dagegen die beiden aus einzelnen Aufzeichnungen zusammengesetzte Literaturformen ›Aufzeichnungssammlung« und ›Aufzeichnungswerk«, die jenen Kontext bilden, innerhalb dessen die ›Aufzeichnung« als ›Aufzeichnung« definierbar ist.«349

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Zur Kritik an Lappe »Problematisch an diesem Ansatz ist nicht nur das Verfahrender abgrenzenden Abzirkelung, sondern [...] auch die Beschreibung der ästhetischen Strukturierung der Kurztexte, zumal von der Geschichtlichkeit unterschiedlicher Traditionslinien abstrahiert und eine spontane Entstehung unterstellt wird.« GÖTTSCHE, DIRK: Denkbilder der Zeitgenossenschaft. 2001. NIEMUTH-ENGELMANN, SUSANNE: Alltag und Aufzeichnung. 1998. S. 10. Mit dem Begriff der Eintragung stellt sich die Frage nach dem Material, in das etwas eingetragen wird, bzw. worauf aufgezeichnet wird. NIEMUTH-ENGELMANN, SUSANNE: Alltag und Aufzeichnung. 1998. S. 20f. – Vgl. FEDLER, STEPHAN: Der Aphorismus. Begriffsspiel zwischen Philosophie und Poesie. 1992. Vgl. NIEMUTH-ENGELMANN, SUSANNE: Alltag und Aufzeichnung. 1998. S. 20. Ebd. S. 9. Vgl. auch S. 155.

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Aufzeichnung als Oberbegriff für eine Literatur der Eintragung

INSZENIERUNG DER SUCHE

Aufzeichnungssammlung und -werk

Während die Aufzeichnungssammlung also keinen inneren oder funktionalen Zusammenhang der einzelnen Texte untereinander haben muss, zeichnet sich das Aufzeichnungswerk erst durch die komponierte Binnenstruktur der Texte aus, »die in unmittelbarem Zusammenhang mit den in ihm angesprochenen Inhalten [steht] und […] der Vermittlung bestimmter Aussagen [dient]. Die einzelnen Aufzeichnungen sind im Aufzeichnungswerk gar nicht oder nur bedingt austauschbar«350. Die gesamte Aufzeichnungsliteratur besteht also aus gesammelten Einträgen, wobei die einzelnen Notate im Aufzeichnungswerk inhaltlich und formal aufeinander bezogen sind, während sie, der Verfasserin zufolge, in der Aufzeichnungssammlung unvermittelt nebeneinander stehen und lediglich formale Bezüge aufweisen.351 Wenn aber »die Ordnungskriterien in der Aufzeichnungssammlung rein äußerlicher Natur sind«352, wie erklärt sich dann, dass »die Kenntnis aller Aufzeichnungen in einer Aufzeichnungssammlung das Verständnis der einzelnen Aufzeichnung erleichtert«353? Bedarf es nicht erst inhaltlicher Bezüge innerhalb der Aufzeichnungssammlung, um solch ein besseres Verständnis zu erreichen? Und ist z.B. eine chronologische Ordnung, wie sie die Verfasserin für die Aufzeichnungssammlung postuliert, überhaupt rein »äußerlich« vorstellbar? Gibt es nicht immer thematische Bezugnahmen und Verweise, selbst wenn dies durch die Strukturierung nicht unmittelbar hervorgehoben wird? Und, falls es in der Aufzeichnungsliteratur – im Unterschied zur Anthologie – der Autor selbst ist, »der für die Auswahl und Anordnung der Einzeltexte verantwortlich ist«354, besteht nicht der innere Zusammenhalt von Aufzeichnungen zumindest in dem autobiografischen Bezug und Filter, der die unterschiedlichen Textsorten überhaupt zusammenhält, unabhängig davon, welche Verweise die Leser davon erkennen können? Insofern muss m. E. kritisch hinterfragt werden, ob die einzelnen Eintragungen in einer Aufzeichnungssammlung tatsächlich so austauschbar sind, wie es hier behauptet wird.355 Am Beispiel von SCHNURREs Schattenfotograf, den sie von allen Texten als einziges Aufzeichnungswerk interpretiert, zeigt NIEMUTH-ENGELMANN, inwiefern sich Inhalt und Form aufeinander beziehen. Sie stellt fest, dass es verschiedene Stoff- und Motivgruppen gibt, die immer wieder auftauchen aber unter der jeweiligen Kapitelüberschrift, einer Art Motto, jeweils neue Variationen darstellen und so andere Bedeutungen oder Lesarten ermöglichen.356 Dabei bleiben, gemäß den Aussagen der Verfasserin, das inhaltliche Nebeneinander und die Diskontinuität der einzelnen Einträge, die LAPPE beschrieben hatte357, im Aufzeichnungswerk grundsätzlich erhalten358, erlauben jedoch zusätzlich weitere intertextuelle Verweise untereinander359. An dieser Stelle wird meiner Meinung nach sichtbar, dass die Grenzen von Aufzeichnungssammlung und Aufzeichnungswerk so ineinander fließen, dass eine Unterscheidung nur graduell möglich scheint. Deswegen ist es insgesamt wenig überzeugend, die beiden Weisen der Aufzeichnung hinsichtlich der Verknüpfung von Form und Inhalt derart voneinander abzugrenzen, dass sie sich am Ende als verschiedene Kurzprosa-Gattungen gegenseitig ausschließen. 350 351 352 353 354 355 356 357 358 359

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NIEMUTH-ENGELMANN, SUSANNE: Alltag und Aufzeichnung. 1998. S. 10. Vgl.ebd. S. 155. Ebd. S. 155. Ebd. S. 154. Vgl. auch S. 11. Ebd. S. 22. Vgl. ebd. S. 87. Vgl. ebd. S. 120–126 und S. 146f. Vgl. LAPPE, THOMAS: Die Aufzeichnung. S. 131. Über die »Diskontinuität als Strukturprinzip« bei Schnurre vgl. NIEMUTH-ENGELMANN, SUSANNE: Alltag und Aufzeichnung. 1998. S. 105ff. Vgl. das Kapitel über Bloch »Intertextueller Diskurs im Aufzeichnungswerk«. Ebd. S. 139–145.

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Wenn ich so ausführlich über die beiden literaturwissenschaftlichen Studien in formaler Hinsicht geschrieben habe, so geschah dies, um zu zeigen, welche methodischen und methodologischen Probleme sich hinter den in meinen Augen gescheiterten Analysen beider Verfasser verbergen, um daraus Konsequenzen für eine Grafieforschung zu ziehen. Beide Verfasser erkennen ein scheinbar »neues« Phänomen in der Literatur, das sie als literarische Kurzform charakterisieren und dem scheinbar eine alltägliche, ephemere Schreibpraxis zugrunde liegt. Herkömmlicherweise wenden sie eine teils textimmanente, teils komparative Analyse an, in der sie die Texte inhaltlich und formal miteinander vergleichen. Sie finden Kategorien oder Kriterien als Merkmale, die wiederum zur Befragung der anderen Texte dienen. Was dabei ausgeklammert wird, ist der pragmatische und performative Aspekt des Schreibens selbst, den man schwerlich an »fertigen« Aphorismen, sondern eher an Manuskripten mitsamt den darin enthaltenen Korrekturen in seiner Genese nachvollziehen kann.360 Es macht einen enormen Unterschied, ob ich in der Emigration oder auf Reisen möglicherweise keine Schreibmaschine zur Verfügung habe und nur deswegen in mein Notizbuch aufzeichne, weil es transportabel ist, oder ob meine gesammelten handschriftlichen Notizen im Nachlass sehr viel später von einer Erbengemeinschaft als Aufzeichnungen veröffentlicht werden. Auch für die kontextuellen und medialen Entstehungsbedingungen der Texte scheint es an Quellen oder Recherche zu mangeln. Die Frage, in welcher Relation eine Schreibpraxis zu der Praxis steht, über die geschrieben wird, bleibt bei dem dehnbaren Alltagsbegriff stecken. Jegliche Zeitlichkeit – sowohl der Einsatz des Schreibens, als auch die Schreib-Dauer, als auch die Zeitspanne zwischen Niederschrift und Herausgabe eines Textes – wird ausgeblendet. Kurz: Hier wird eine Methodik vorgeführt, die ein »neues« Phänomen in eine alte, nominale Ordnung pressen will. Was fehlt, ist, das Aufzeichnen als Praxis anzuerkennen, die sich nicht allein vom Endprodukt her entschlüsseln lässt. Dabei ergeben sich folgende Fragen: Welche Funktion nimmt die Aufzeichnung für den Schreibenden und den Adressaten ein: Stellt sie eine Geste des Festhaltens, Inszenierens, einen Entwurf für einen anderen Text oder eine Geste des Navigierens angesichts eines drohenden Verstummens dar? In welchem Verhältnis stehen die Aufzeichnungen zu anderen Grafien des Œuvres oder der Zeit, in dem, was sie zeigen, z.B. Biografisches und in dem, wie sie es zeigen, z.B. Audio-, Fotografien? Was klammern Aufzeichnungen aus und worauf antworten sie?

Methodische Probleme

Eine Forschung, die diese Probleme in Bezug auf Aufzeichnungsprozesse berücksichtigt, bahnt sich jedoch erst an.361 So leicht diese Fragen nachträglich zu stellen sind, so schwierig sind sie doch in der Forschung methodisch zu bewältigen, besonders dann, wenn sich kein festes Klassifikationsschema, kein gattungstheoretisches oder textsortenspezifisches Cluster auf eine historisch geprägte Praxis des Aufzeichnens anwenden lässt. Es bedarf einer Produktionsforschung, die genetisch rekonstruiert, wie Entstehungsprozesse sich vollziehen und unter welchen medialen Bedingungen sie ablaufen.362 Eine solche Forschung sprengt die Grenzen der Disziplinen.363

Forderung nach Produktionsforschung

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Vgl. zur pragmatischen Dimension der Analyse auch PORATH, ERIC: Aufzeichnung und Analyse. Theorien und Techniken des Gedächtnisses. 1995. S. 20f. Unter dem Aspekt »Stillstellen« werden in dieser Anthologie Aufzeichnungsprozesse erstmalig in einen erweiterten Kontext der literarischen, darstellenden und bildenden Künste gestellt und von verschiedenen Medien in ihrer Zeitlichkeit untersucht. Das u-topische Paradox durchzieht die unterschiedlichen, sehr anregenden Beiträge: »Stillstellen erscheint nicht, es ist kein Phänomen und kann nur auf Umwegen an Phänomenen abgelesen werden« GELHARD, ANDREAS / SCHMIDT, ULF / SCHULTZ, TANJA: Stillstellen. Medien. Aufzeichnung. Zeit. 2004. S. 8. »Wie lässt sich die Praxis künstlerischer Schaffensprozesse untersuchen?« fragt Holger Schulze in seiner Theorie der Werkgenese, »deren erster Teil, Das aleatorische Spiel [...] Grundzüge für eine

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Ausklammerung des pragmatischen und performativen Aspekts Ausklammerung der medialen Entstehungsbedingungen

Ausklammerung der Zeitlichkeit

INSZENIERUNG DER SUCHE

Aufzeichnung als Kritik an traditionellen literarischen Formen

Dass man den literarischen Aufzeichnungen nicht gerecht werden kann, wenn man sie auf ihre Formmerkmale hin befragt, behauptet auch der Schriftsteller Hugo DITTBERNER: »Der Wunsch, die Aufzeichnung wie eine prägnante Kurzform zu fassen, verkennt, daß die Aufzeichnung gerade nicht prägnante Form sein will.«364 In einem weiteren, essayistischen Text, der auf einer 1996 in Mainz gehaltenen PoetikVorlesung basiert und sich mit den besprochenen Arbeiten auseinandersetzt, beschreibt er die Aufzeichnung als »eine Kunst nicht der Form, sondern der Formulierung, am Ende einer Epoche«365. Ihr liege eine »Schreibästhetik« zugrunde, »die allem Geschriebenen zuerst das Siegel der Schriftlichkeit aufprägen, die das Bewußtsein der Formulierung signalisieren will«; es sei eine »Schreibgebärde«, die sich von dem traditionellen »Werk als Bezugsgröße der Poetik« auf »Prozesse des Schreibens« verlagert und eben dadurch einen Wandel im 20. Jahrhundert anzeigt, denn »die Formen-Welt der Literatur gerät unter Streß.«366 »Die Aufzeichnung ist, für mich, heute die grundlegende Stil-, Schreib-, ja Schriftlichkeitsgebärde geworden, weil sie nicht ausschließlich und einförmig, sondern tendenziell ergänzbar und geradezu darauf aus ist: Zitate, Ansätze, Traditionen, Inventionen in sich aufzunehmen. Sie ist gleichsam eine Teil-Erfindung, der Abschied von hundertprozentigen Formen, des Horaz sowohl als auch der radikalen programmatischen Moderne. Ein robustes, pragmatisches Konzept, das Produktivität ermöglicht, mit dem man das Material, aber auch das Repertoire der Formen nutzen kann.«367

Aufzeichnung als Versuch oder Projekt

Betrachtet man die Aufzeichnungen als »pragmatisches Konzept, das Produktivität ermöglicht«, dann könnte man dieses Konzept als Antwort auf eine Krise des Romans, bzw. auf eine geschlossene, einheitsstiftende und sequentielle Schreibweise lesen.368 An die Stelle der literarischen Großform tritt die Aufzeichnung als Bagatelle, »fragmentarisch, als Mischform, unvollendet, als Zitat, ungesichert, ›gewagt‹, ...kurz: als Versuch oder Projekt.«369 Statt einer »Form der Fiktion [steht] deren Formulierung«.370 Die Aufzeichnung kritisiert zugleich traditionelle literarische Formen, als sie auch einen neuen Umgang mit denselben ermöglicht. Insofern ergibt sich für den bisherigen literarischen Kanon eine »doppelte Lesart: in der alten, gleichsam angebrochenen Form (der benutzten Baukästen) und als Aufzeichnung. Also zum Beispiel als Roman und als Aphorismus. Man kann diese Bücher von Anfang bis Ende lesen, aber auch aufschlagen und eine eigene Spur zusammenlesen.«371 Indem DITTBERNER diese Lesart umgekehrt auf den Roman anwendet, wird deutlich, wie prägend die uneinheitlichen Aufzeichnungen für das letzte Jahrhundert bis heute sind: »Umgekehrt will mir scheinen, daß die großen Bücher unseres Jahrhunderts, die sich als Romane nicht leicht lesen, Prousts ›Suche nach der verlorenen Zeit‹, der ›Ulysses« von

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Theorie der nicht-intentionalen, der absichtslosen Werkentstehung« herausstellt, um in einem zweiten Teil, Heuristik der Kunst, die jeweils individuelle Heuristik aus der Werkgenese von KünstlerInnen zu rekonstruieren. SCHULZE, HOLGER: Das aleatorische Spiel. 2000. SCHULZE, HOLGER: Heuristik. Theorie der intentionalen Werkgenese. 2005. »Ein Kapitel über die Idee des Aufzeichnens kann deshalb nur richtungsandeutend, aber keinesfalls erschöpfend sein. An dieser Stelle verläßt nämlich die Literaturwissenschaft (gern) das Feld; sie muß denen Platz einräumen, die den Diskurs über das ›aufzeichnerische Denken‹ in anderen Disziplinen fortsetzen.« LAPPE, THOMAS: Die Aufzeichnung. S. 14. DITTBERNER, HUGO: Was ich sagen könnte. Über Aufzeichnungen. 1996. S. 9. DITTBERNER, HUGO: Arche Nova: Aufzeichnungen als literarische Leitform. 1998. S. 19 Ebd. S. 21. Ebd. S. 25. »Eine ausgemalte Welt, wie im vergangenen Jahrhundert, läßt sich so nicht vorgaukeln. Zuviel, könnte man sagen, ist der Rest, ist in den Pausen: ist Sache des Lesers, der ja auch noch andere Medien der Vergegenwärtigung nutzt, um seine Vorstellungswelt zu konstituieren.« Ebd. S. 21. Ebd. S. 24–25. Ebd. S. 22. DITTBERNER, HUGO: Arche Nova: Aufzeichnungen als literarische Leitform. 1998. S. 6.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Joyce, zumal in seinem zweiten Teil der Wörterlust, des Fragebogens, der Meisterbrocken, unter der Vorgabe ›Aufzeichnungen« sich besser aufschließen und im Zusammenhang wahrnehmbar sind.«372 Dass die uneinheitlichen Formen der Aufzeichnungen nicht mit einer einheitlichen Klassifikation der »Geste des Aufzeichnens« untersucht werden können, scheint offensichtlich. Vielmehr, so lautet meine These, ist die Aufzeichnung als inszenierte Zeugenschaft einer Vergegenwärtigung zu verstehen.373 Je nachdem in welchem Kontext die Zeugenschaft erscheint, kann sie als autobiografische Notation, thematische und mediale Dokumentation oder Reflexion etc. fungieren. Als Geschriebene wird sie, laut DITTBERNER, zur »Arche Nova«, zur »literarischen Leitform«. Ihr Vorläufer ist »der Roman und es wird nach ihr vielleicht die Performance sein. Indem die Formulierung, dieses ›Ich schreibe hier«, das ›Es war einmal« oder den ersten Satz der ›Anna Karenina« in den Schatten stellt und die unüberbietbare Wichtigkeit der Gegenwart, des Augenblicks, der im Medium der Schrift festgehalten ist, anträgt, wird eine neue Zeit behauptet, in der die Literatur eine andere Rolle spielen wird.«374 Diese könnte meines Erachtens darin bestehen, das »Ich schreibe hier« auf ein inter- und transmediales »Ich grafiere hier« zu verschieben.

Aufzeichnung als inszenierte Zeugenschaft einer Vergegenwärtigung

»Schon auf der Ebene gedruckter Texte, die in ihrer ziemlich säuberlichen Unterschiedenheit auch auf getrennte Gruppen von Lesern gemünzt sind, wird also der Autor in der Wissenschaft zum Problem. Wie sieht es nun aber unterhalb der Ebene dieser Texte aus? Um uns dieser Frage zu nähern, müssen wir nach literarischen Praktiken oder besser nach Praktiken der Spurenerzeugung in den Wissenschaften fragen, die sich auf der Forschungsebene selbst ansiedeln. Beispiele dieser Art von wissenschaftlichen Schreiben sind Labortagebücher oder Forschungsnotizen. Diese Schreiberzeugnisse des Arbeitsalltags der Forschung dienen weniger der öffentlichen Kommunikation als vielmehr allererst der Sicherung experimenteller Spuren. Hier stellt sich die Frage nach der Autorfunktion anders. Was tut der Forscher und an wen wendet er sich, wenn er Notizen macht, Daten aufschreibt, Einfälle notiert? Hier wird geschrieben, aber da offensichtlich nur der Schreiber selbst als Leser und Interpret zunächst in Frage kommt: Ist er ihr Autor im herkömmlichen Sinne des Wortes, das doch den anderen als Leser voraussetzt? Wer autorisiert die Einträge des Forschers am Labortisch? Ermächtigt er sich selbst durch den schieren Akt der Aufzeichnung? Das Kritzeln in der Forschung als eine besondre Form der Aufzeichnung ist bisher von der Wissenschaftsgeschichte erstaunlich wenig beachtet worden.«375

Eine Grafieforschung? Denkt man die Verschiebung des Schreibens zum Grafieprozess – nach Rheinberger – als »Praxis der Spurenerzeugung«, verlagert sich die Aufmerksamkeit der Forschung, statt auf Formmerkmale, auf Bruchlinien und Grenzen von Organisationsprozessen als potentiellen Erfahrungsräumen der Artikulation, Visualisierung, Dokumentation, Speicherung, Ordnung, etc., um aus dem Medienwechsel heraus das Spezifische der Prozesse deutlicher hervortreten zu lassen.376 372 373

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Ebd.. S. 19. Lappe benennt diese Zeugenschaft zwar, bezieht sie im weiteren Verlauf seiner Untersuchung jedoch auf den »Augenblick« als besonderen Auslösemoment der Aufzeichnung, den er in der Form zu erkennen sucht. Er behauptet, der Aufzeichnende fungiere nicht als Chronist, sondern als Zeuge (S. 50) und »Der Augen-Blick, Auslöser der Aufzeichnung, der Skizze, des Tagebuchs etc. ist ein Augenblick der Teilhabe, des Dabeiseins – und des Verarbeitens.« LAPPE, THOMAS: Die Aufzeichnung. 1991. S. 159. DITTBERNER, HUGO: Arche Nova: Aufzeichnungen als literarische Leitform. 1998. S. 21. RHEINBERGER, HANS-JÖRG: Iterationen. Berlin 2005. S. 84f. Für den Hinweis auf diese Quelle danke ich Karl-Josef Pazzini. Als Beispiel für eine mediale Kontextualisierung kann die Ausstellung »Zeichnung als Reportage« im Kunstverein Hannover dienen, die »Verwirklichungen künstlerischer wie nicht künstlerischer

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Verschiebung der Aufmerksamkeit von Merkmalen auf Bruchlinien von Erfahrungsräumen

INSZENIERUNG DER SUCHE

Aufzeichnungen als Quellen

In diesem Sinne könnte man aus historischer Perspektive, Aufzeichnungen als Quellen nicht nur daraufhin rekonstruieren, was sie bezeugen, sondern zudem, wie sie in der jeweiligen Medialität inszeniert werden und welche Konventionen der Inszenierungspraxis zugrunde liegen.377 In Bezug auf eine neue Studie der Kunstpädagogik »Vom Sinn der Sichtbarmachung«378 könnte dann die Frage nach »Sinngebungsprozessen in Grafien« auf bestimmte Anwendungsgruppen bezogen werden. Zudem könnte eine Forschung entstehen, die die Brechung der Erfahrung an der Grafie produktionsbegleitend untersucht und das Noch-Nicht im konstruierenden Entwurf lesbar macht379, denn »letztlich leben Aufzeichnungen [...] aus einem Prinzip: dem Prinzip der Durchlässigkeit. Die Schrift, das Wort, soll sich dem, was formuliert wird, nicht in den Weg stellen [...]; aber es weiß ja noch nicht, was es sein wird. Das eben soll die Aufzeichnung ausmachen.«380

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Zeichnungspraktiken« gewidmet ist, um »anstelle einer Wiederholung vermeintlicher Gattungsspezifika mit übergreifenden ›Gebrauchsformen‹ – hier eben denen der Zeichnung – zu beschäftigen.« BERG, STEPHAN / GROOS, ULRIKE / KRÜMMEL, CLEMENS / ROOB, ALEXANDER (Hg.): Tauchfahrten – Zeichnung als Reportage. 2004. S. 9. – Vgl. auch JOCKS, HEINZ NORBERT (Hg.): Der Gebrauch der Fotografie. 2004. JOCKS, HEINZ NORBERT (Hg.): Das Ende der Fotografie. 2004. Mit der Ausstellung »Die Sehnsucht des Kartografen« hatte der Kunstverein Hannover 2003 die Konstruktionsleistung der Kartografie hervorgehoben und auf verschiedene mentale, territoriale, kynetische Referenzen angewendet. Denn die Karte, so Baudrillard, »sie ist es, die das Gebiet hervorbringt.« BERG, STEPHAN / ENGLER, MARTIN (Hg.): Die Sehnsucht des Kartographen. 2003. S. 5. – Dass visuelle Dokumente von Historikern häufig lediglich zur Illustration oder Präsentation von Ergebnissen genutzt werden, »und nicht, um neue Antworten zu geben oder neue Fragen zu stellen« (S. 10), führt Burke u.a. darauf zurück, dass die »Kritik visueller Quellen immer noch unterentwickelt« ist. BURKE, PETER: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen. 2003. S. 15. KRAUTZ, JOCHEN: Vom Sinn des Sichtbaren – John Bergers Ästhetik und Ethik als Impuls für die Kunstpädagogik am Beispiel der Fotografie. 2004. Vgl. die Untersuchung zur Werkgenese, in der sich Schulze mit verschiedenen KünstlerInnen produktionsbegleitend auseinandersetzt. SCHULZE, HOLGER: Heuristik. Theorie der intentionalen Werkgenese. 2005. – S. 72. Fn. 355 DITTBERNER, HUGO: Arche Nova: Aufzeichnungen als literarische Leitform. 1998. S. 22. – Analog zu Kleists »Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden« (1806) und deren Übertragung auf den Schreibprozess in der Frankfurter Poetik-Vorlesung von Herman Burger »Über die allmähliche Verfertigung der Idee beim Schreiben«, könnte man über hier »über die allmähliche Vergegenwärtigung der inszenierten Zeugenschaft beim Aufzeichnen« sprechen. Dazu Kleist: »Aber, weil ich doch irgend eine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche, von fern her in einiger Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüt, während die Rede fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, jene verworrene Vorstellung zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, daß die Erkenntnis, zu meinem Erstaunen, mit der Periode fertig ist.« Kleist, zitiert nach TENORTH, HEINZ-ELMAR: Form der Bildung – Bildung der Form. 2003. S. 168.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

»Menon: und auf welche Weise, willst du dasjenige suchen, Sokrates, wovon du überhaupt gar nicht weißt, was es ist? Denn als welches Besondere von allem, was du nicht weißt, willst du es dir denn vorlegen und so suchen? Oder wenn du es auch noch so gut träfest, wie willst du denn erkennen, daß es dieses ist, wovon du nicht wusstest? Sokrates: Ich verstehe, was du sagen willst, Menon! Siehst du, was für einen streitsüchtigen Satz du uns hervorbringst? Daß nämlich ein Mensch unmöglich suchen kann, weder was er weiß, noch was er nicht weiß. Nämlich weder was er weiß, kann er suchen, denn er weiß es ja, und es bedarf keines Suchens weiter; noch was er nicht weiß, denn er weiß ja dann auch nicht, was er suchen soll.«381

suchen Das von PLATON beschriebene Paradox der Suche, das um Erinnerung, implizites Wissen als Ahnung und Wissen um das Nichtwissen, kurz: um »Grenzwissen« kreist, nimmt nicht nur in dieser Arbeit, sondern auch in meiner Lehre einen zentralen Stellenwert ein. Wenn ich mit Aufzeichnungen eine kunstpädagogische Methode in Ansätzen entworfen habe, die die Inszenierung der Erfahrung ermöglicht und zugleich zur Erfahrung der Inszenierung führt, skizziere ich im Folgenden, wie sie innerhalb einer kunstpädagogischen Praxis zum Einsatz kommen kann und welche Rolle dabei die Suche spielt. In seinem Buch über »biografische Spuren in ästhetischen Prozessen« stellt Manfred BLOHM 2002 eine These auf, die in der Lehre meines Erachtens bislang keineswegs selbstverständlich war: »Jede Form ästhetischer Erfahrungsarbeit ist biografisch verankert. Mit anderen Worten gibt es keine ernstzunehmende ästhetische Praxis ohne biografische Anteile.«382 Aber wie kann ich als Lehrende eine »ernstzunehmende ästhetische Praxis« erreichen? Wie gelingt es mir, in Seminaren mit über 60 Studierenden eine biografische Einbindung zu ermöglichen? Wie ist es möglich in einem Rahmen, in denen die Studierenden Namensschilder anfertigen, weil sie sich nach drei Semestern immer noch nicht namentlich kennen? Und gesetzt, es gäbe diese biografische Anbindung: Wie könnten wir uns darüber verständigen, sie kommunizieren? Allein, »das Leben drückt sich nicht ab«, schreibt Karl-Josef PAZZINI im selben Buch: »Es muss ›in irgendeiner Form geschrieben sein, sonst ist es keine Biografie. Ein Leben zu schreiben, zu ritzen, zu zeichnen, darzustellen, bedeutet, es zu übersetzen und zu transformieren, sich irgendeinem Medium anzuvertrauen. Man kann ja nicht einfach das Leben abschreiben oder abbilden.«383 Biografieren384 ist etwas sowohl »im Leben selbst Stattfindendes, mit dem Leben Verwobenes und zugleich etwas über das Leben Formuliertes«, wie Fritz SEYDEL es für unser gemeinsames Themenheft formuliert hat.385 Biografie umfasst einerseits eine leibhaftige Zeugenschaft (wie z.B. im Falle der Autobiografie) oder benutzt Zeugnisse und Dokumente als Verweis auf eine Anwesenheit (wie z.B. im Fall der Biografie). Andererseits wird durch das Grafieren, durch den Akt der Darstellung sowohl des Bezeugten als auch der Zeugenschaft, zugleich etwas erzeugt, hinzugefügt, ausgewählt, hervorgebracht, konstruiert, erdacht. Indem wir eine Zeugenschaft artikulieren oder visualisieren, lassen wir das Erlebte in irgendeiner Weise erscheinen.

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Hier zitiert nach HÖRISCH, JOCHEN (Hg.): Ich möchte ein solcher werden wie… Materialien zur Sprachlosigkeit des Kaspar Hauser. 1979. S. 287. (Platon – Menon. Übersetzt von F. Schleiermacher. Sämtliche Werke Bd. 2, I.c., p. 21 (80d–81a). BLOHM, MANFRED: Berührungen und Verflechtungen. Biografische Spuren in ästhetischen Prozessen. 2002. S. 11. PAZZINI, KARL-JOSEF: Bio muss erst grafiert werden. 2002. S. 309. Griech. bios = das Leben und graphein = schreiben, ritzen, zeichnen. SEYDEL, FRITZ / SABISCH, ANDREA: Bio-Grafie. Themenheft Kunst + Unterricht. 2004. Heft 280. Vgl. Dies.: Bio-Grafieren. Material-Kompakt. Kunst + Unterricht. 2004. Heft 281.

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Biografische Verankerung (ästhetischer) Erfahrung

Das Leben grafieren

Zeugenschaft

INSZENIERUNG DER SUCHE

Grafieren als Inszenierung

Am Anfang steht nicht die Frage

suchen und forschen

Suche entlang der Grafie produziert ästhetische Erfahrung

Wechselseitige Bedingung von Suche und Grafie

Und diese »Praxis des Erscheinenlassens« nenne ich mit Martin SEEL »Inszenierung«.386 Aber was soll nun aus dem Leben grafiert, aufgezeichnet werden? Und womit fangen wir an? Wenn Helga KÄMPF-JANSEN über die Ästhetische Forschung notiert »am Anfang steht eine Frage« und »Ästhetische Forschung hat – wie alle Forschung – nur Sinn, wenn die Forschenden eine Frage haben«, setzt sie voraus, dass diese Frage sich aus dem Leben ergibt und schon da ist.387 Es wirkt wie eine Feststellung, die sich nachträglich auf einen ästhetischen Forschungsprozess bezieht. Ich vermute hingegen, dass es nur rückblickend so scheint, als wäre die Frage der eigentliche Anfang gewesen.388 Aber liegt das nicht daran, dass wir für das Davor keine Sprache haben?389 Um dieses Davor zu thematisieren, nenne ich das, was vor dem Forschen kommt, Suche. Die Suche ist wesentlich diffuser, weil es noch keine Ordnung gibt und auch keine Frage. Die Suche setzt Ahnungen und Aufmerksamkeiten voraus und diese richten wiederum die Suche aus. Für die Suche ist eine Anbindung an das Leben, an autobiografische Vorerfahrungen, Interessen, Gefühle, Neigungen unentbehrlich, denn sonst könnte daraus ja keine »ernstzunehmende ästhetische Praxis« entstehen. Eine Suche allein aber müsste pädagogisch irrelevant bleiben, sofern wir sie nicht erscheinen lassen, sie inszenieren. Und eine Methode die Suche zu inszenieren, ist, sie zu grafieren, sie aufzuzeichnen. Wenn ich bislang behauptet habe, dass die Aufzeichnung selbst den Riss hervorbringt, an dem sich die Erfahrung bricht, dann modifiziert diese Brechung auch die Suche. Indem die Suche entlang der Grafie, um Fragen der Darstellbarkeit, um Weisen des Antwortens (auf Widerfahrnisse) kreist, werden Erfahrungen als ästhetische Erfahrungen (zumindest in Ansätzen) kommunizierbar.390 Dabei bedingen sich die Suche und die Grafie wechselseitig, als Setzungen und Voraussetzungen.391 Die Umwandlung von einem widerfahrenden, erleidenden (im Sinne von noch nicht agierend, noch nicht bedeutend) in ein antwortendes Selbst vollzieht sich zwischen Suche und Grafie. Ich antworte auf das, wovon ich getroffen werde.392

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»Jede Inszenierung, so nehme ich an, ist ein Vorgang des Handelns, aber nicht jedes Handeln ist (Teil einer) Inszenierung. Jede Inszenierung ist eine ästhetische Operation, aber nicht jede Operation ist (Teil einer) Inszenierung. Jede Inszenierung ist ein ästhetischer Vorgang, aber nicht Inszenierung ist eine Operation der Kunst.« SEEL, MARTIN: Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen über die Reichweite eines Begriffs. 2001. S. 48. – Vgl. auch SEEL, MARTIN: Ästhetik des Erscheinens. 2003. Zur Geschichte des Begriffs »Inszenierung« vgl. FISCHER-LICHTE, ERIKA: Ästhetik des Performativen. 2004. S. 318–332. KÄMPF-JANSEN, HELGA: Ästhetische Forschung. Wege durch Alltag, Kunst und Wissenschaft. Zu einem innovativen Konzept ästhetischer Bildung. 2000. S. 19. »Die Frage, so scheint es, bringt sich selbst und etwas ins Spiel, indem sie anderes anderswoher erwartet. Steht also am Anfang die Frage? Diese Frage stellen heißt, die auf gewisse Weise beantworten. Ein Anfang, nachdem ich selbst frage, wird selbst fraglich.« WALDENFELS, BERNHARD: Antwortregister. 1994. S. 22. Vgl. SABISCH, ANDREA: »Am Anfang steht eine Frage«. Das Tagebuch in der Ästhetischen Forschung. 2006. Zu dem aktuell boomenden Diskurs über »ästhetische Erfahrung« und dessen impliziter und expliziter Grundlegung in der Kunstpädagogik vgl. Kapitel IV. Vorweg sei lediglich angemerkt, dass ich den ausführlich entfalteten Erfahrungsbegriff von Waldenfels auf Fragen der Darstellbarkeit anwende, ohne jedoch zu behaupten, dass jenseits dessen keine anderen ästhetischen Erfahrungen möglich sind. Damit versuche ich ein methodologisches Gerüst für »ästhetische Erfahrungen« zu entwickeln, das mit der Frage der Darstellbarkeit einerseits den aktuellen institutionellen und disziplinären Rahmen der Kunstpädagogik übersteigt und andererseits die Kommunikation über »ästhetische Erfahrungen« in kunstpädagogisch anmutenden Glaubensbekenntnissen konkretisiert und dadurch kommunizierbar macht. Zur wechselseitigen Bedingung von Setzung und Voraussetzung vgl. S. 49, Fußnote 154. Zum Umwandlungsprozess vgl. S. 71, 86, 113, 212, 257.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Erst eine sich wiederholend modifizierende Suche, die wir auch »Re-search« oder »Re-cherche« nennen, heißt dann »Forschung«. Was möglich wird durch den Prozess des Grafierens, ist eine Kommunikation, die das Davor der Suche, die Brüchigkeit der Wegbahnung, das Unfertige zu thematisieren und markieren sucht; darum: »Wir« werden, indem wir grafierend Wegbahnungen suchen.

Re-search als Forschung

»Wissen, wo etwas ist, heißt: es wieder finden zu können, den Weg zu kennen, der zu ihm hinführt. Die Lage eines Ortes ist mir nicht schon dann bekannt, wenn ich einmal dort war, sondern erst, wenn ich ihn anzubinden vermag an das Netz meiner Wege, in dem und auf denen ich mich mit schlafwandlerischer Sicherheit bewege und an meine lebensweltliche, deren Plätze und Dinge durch diese Wege verbunden und erreichbar sind. Erst indem ich auf diese Weise selbst wieder weiß, wo ich bin, weiß ich auch, wo das ist, was ich gefunden habe. Andernfalls wäre ich zwar dort gewesen, hätte es zwar gesehen; aber den Weg zu ihm nicht mehr zu wissen heißt: es wieder verloren und das Finden nicht zur Vollendung gebracht zu haben. Ein Weg, den ich nicht irgendwann einmal zurücklege, um ihn sogleich zu vergessen, sondern den ich mir markiere, um ihn jederzeit wiederzufinden: ein solcher Weg bekommt Dauer. Von meiner subjektiven Erinnerung unabhängig, gewinnt er objektiven Bestand. Ein solcher Weg, heißt das, ist erkennbar und begehbar für jedermann. Wäre Theseus dem Minotauros zum Opfer gefallen: dank Ariadne hätte danach ein jeder ein Labyrinth betreten und hinfinden können zu der Stelle, an der’s geschah. Und wieder zurück! Also: ein markierter, gar befestigter Weg ist nicht länger bloß meiner, er wird unserer; gebahnt von mir, ist er doch, sowie es ihn gibt, ein Weg für uns. Und dies gilt wechsel- und allseitig: Als unsere Wege sind die der anderen grundsätzlich auch meine, zwar außerhalb meiner Lebenswelt, aber für mich da.«393

»Ein Gegenstand einer Wissenschaft, der kein Gegenstand ist, wird zur ›fundamentalen Problematik« einer Wissenschaft.«394

Gegenstand Mit der Frage danach, was Gegenstand dieser Arbeit ist, möchte ich unmittelbar auf ein methodologisches Problem aufmerksam machen, welches die Grundlegung dieser Arbeit wesentlich ausmacht und sie eben dadurch zunächst verzögert: Der Gegenstand dieser Arbeit ist nicht, er wird erst. Es geht also nicht um einen Bestand, etwas bereits Vorhandenes oder gar Vertrautes, was man einfach als Gegenstand bezeichnen oder zum Gegenstand erklären könnte und lediglich systematisch auf seine Eigenschaften, Merkmale oder Besonderheiten hin untersuchen müsste, um diese Analyse dann an bestehende Diskurse anzubinden. Vielmehr bildet sich der Gegenstand im fortschreitenden Forschungsprozess erst heraus. Das bedeutet, dass die Relation von meiner Rolle als kunstpädagogischer Forscherin und Autorin, die ich in diesem Kapitel reflektiere, erst zur Inszenierung des Gegenstandes führt. In der Forschung befinde ich mich also in einem Suchprozess nach etwas, was erst noch Gegenstand wird. Zum Gegenstand dieser Arbeit wird nicht etwas Statisches, nichts Feststehendes, sondern eine Tätigkeit, ein Prozess. Besser gesagt: Es sind mehrere Prozesse. Es gibt sie nicht als Einzelne. Sie finden zeitgleich statt, überlagern einander, überschneiden sich in ihren Verläufen und unterbrechen sich. Wie kann man sie untersuchen? Die wesentliche Besonderheit, wenn man Prozesse untersucht, besteht darin, dass der Gegenstand nicht steht. Sie bewegen sich und bewegend werden sie erst. Als Forschende kann ich also schwerlich um sie herum gehen, sie betrachten, sie lesen, sie im Raum wahrnehmen, sie einordnen. 393 394

SOMMER, MANFRED: Suchen und Finden. 2002. S. 205–206. WORTELKAMP, ISA: Sehen mit dem Stift in der Hand. Stille Stellen der Aufzeichnung. 2004. S. 102.

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Es gibt den Gegenstand noch nicht

Suche nach dem Forschungsgegenstand

Der Forschungsgegenstand als Prozess

INSZENIERUNG DER SUCHE

Denn das, was gewöhnlich als Gegenstand einer Untersuchung bezeichnet wird, war noch gar nicht da, als ich heraus ging, um ihn suchen. Folglich ist der Gegenstand am Anfang meiner Forschung nicht nur ungegenständlich, abstrakt, sondern darüber hinaus auch unsichtbar. Welche Weisen ausgewählt werden, um ihn sichtbar oder lesbar zu machen, ist eine Frage der Datenerhebung, die gewöhnlich ganz am Anfang der Forschung festgelegt werden soll. Zwar kann ich den Anfang zeitlich setzen, aber ich kann nur bedingt darüber verfügen. »Zwar kann ich sagen: ›Ich habe gelernt‹, aber nicht: ›Ich beginne zu lernen.‹ Der letzte Satz meint dann vielleicht ein Üben oder die Erledigung einer Aufgabe, bei der man ein vorher und nachher unterscheiden kann, aber wohl kaum die Eröffnung eines bislang nicht fungierenden neuen Verständnishorizontes. Lernen als das Aufgehen einer bislang nicht eingenommenen Perspektive ist wie das Aufwachen. Man ist dabei, aber nicht als konstituierendes Subjekt. Die Beteiligung liegt dran, dass man den Anspruch eines anderen zulässt und auf ihn antwortet. Passivität und Aktivität kommen in einer Subjektivität zusammen, die zugleich zugrunde liegt und unterworfen ist. Ebensowenig wie mein Wille den Anfang des eigentlichen Lernens erzwingen kann, ist ein Lehren möglich, das diesen Beginn setzt. Es kann stets mit ihm rechnen und die Bedingungen günstig gestalten, ihn aber nicht garantieren. Einer Theorie des Lernens fällt diese Aufgabe zu, diese Problematik so adäquat wie möglich zu formulieren.«395

directing data 396 Datenerhebungsmethoden formieren erst den Forschungsgegenstand

Fremdproduktion der Daten

In meiner Forschung kreise ich den Gegenstandsbereich auf (ästhetische) Erfahrungsprozesse bei Studierenden ein, denen ich mich aus der kunstpädagogischen Perspektive einer Lehrenden und qualitativ empirisch Forschenden nähern möchte. Dabei gehe ich nach den beschriebenen medialen Krisen der Repräsentation davon aus, dass die Datenerhebungsmethode den Gegenstand erst formiert und hervorbringt. Statt den Gegenstand mittels Daten zu »repräsentieren«, muss ich zuerst meinen Weg zu den Daten rekonstruieren. In der qualitativen empirischen Forschung gibt es mehrere Wege, um zu Daten zu gelangen. Entweder wählt man eine Methode, in denen bereits vorhandene Daten herangezogen werden (wie z.B. Kunstwerke, Tagebücher, Filme, Dokumente etc.) oder solche, in denen die Daten erst erzeugt werden (wie z.B. bei der Beobachtung, Befragung oder Beschreibung). Unabhängig davon, ob die Daten gefunden oder erzeugt werden, muss nach einer angemessenen, »gegenstandsadäquaten« Methode der Datenerhebung gesucht werden.397 Aber wie kann ich ästhetische Erfahrungen in Daten übersetzen, wenn die Umwandlungsprozesse zwischen Erfahrung und Grafie eine Rolle spielen sollen?398 Während es üblich ist, dass die Daten, die z.B. in einer Befragung, einem Interview entstehen, von den Forschenden erzeugt, notiert, transkribiert und ausgewertet werden, verhält es sich in meinem Fall komplizierter, denn: Ich lasse die Daten produzieren. Der Grund dafür liegt in dem Thema selbst, denn »(ästhetische) Erfahrungen« sind undenkbar ohne jemanden, der sie macht. 395 396

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MEYER-DRAWE, KÄTE: Lernen als Erfahrung. 2003. S. 509. Mit der englischen Überschrift möchte ich die lateinische Herkunft des Wortes »Daten« stärker herausstellen, das sich von lat. »dare« geben herleitet und im Plural »Gegebenes« meint. Unter Datenerhebung würde dann lediglich eine nachträgliche Erhebung von bereits »Gegebenem« verstanden. Stattdessen möchte ich betonen, dass die »Datenerhebung« eine Methode darstellt, die einen Gegenstand, hier: (ästhetische) Erfahrungen erst formiert und ausrichtet. Denn »das Wissen über einen Untersuchungsgegenstand [ist] von Prozessen seiner Erforschung abhängig«. CROPLEY, ARTHUR J.: Qualitative Forschungsmethoden: eine praxisnahe Einführung. 2002. S. 66. – Vgl. die Aussage in Bezug auf Heisenberg, dass Messung in das zu Messende eingreift. S. 66. Zum Umwandlungsprozess vgl. S. 71, 84, 113, 212, 257.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Und es mutet befremdlich verengend und narzisstisch an, wenn ich – schreibend oder lehrend – ausschließlich von meinen eigenen Erfahrungen als ordnendem Faktor ausginge, statt von denjenigen Subjekten, (für) die ich unterrichte oder über die ich schreibe. Will ich hingegen konkreter über die Möglichkeiten nachdenken, inwiefern Andere in meiner Lehre ästhetische Erfahrungen machen können – und das impliziert, Widerfahrnisse zulassen zu können – habe ich es mit vielschichtigen ganz pragmatischen, aber natürlich auch erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Komplikationen zu tun, von denen ich hier nur einige nennen werde: • Diese in kunstdidaktischen und philosophischen Texten viel beschworene »ästhetische Erfahrung«399 ist unsichtbar. Das bedeutet, dass ich – selbst wenn ich neben jemand stehe, der eine ästhetische Erfahrung macht, – dies nicht direkt beobachten kann.400 • Ästhetische Erfahrungen kommen nicht isoliert vor, sondern eingebunden in einen situativen sozialen Lebenswelt-Kontext. Eine Herauslösung aus diesem Kontext ist eine einerseits notwendige andererseits verfälschende Reduktion. Die Reduktion muss also methodisch überprüft werden. • Ästhetische Erfahrungen zeichnen sich genuin dadurch aus, dass sie nichtsprachlich verankert sind und im Moment des Erfahrens nicht verbal erfasst werden können, wenn überhaupt, höchstens im Nachhinein. Zugleich ist aber die Sprache über ästhetische Erfahrung niemals deckungsgleich mit der Erfahrung selbst.401 Insofern ist auch eine verbale Befragung, die Aussagen über ästhetische Erfahrungen hervorruft, nur wenig aussagekräftig. • Ästhetische Erfahrungen sind Prozesse, sie sind flüchtig und weder steuerbar, planbar, noch begleit- oder meßbar. Sie sind nur mäßig erinnerbar, geschweige denn »unmittelbar« kommunizierbar. Daraus folgt, dass es einer längerfristigen – statt einer einmaligen – Manifestation bedarf, um ästhetische Erfahrungen überhaupt reflektieren und kommunizieren zu können. Aber diese Manifestationen kann ich als Forschende unmöglich leisten, weil ich ja bekanntlich nicht wahrnehmen kann, was, wann und wie die Probanden erfahren und wann sie etwas als Bruch erfahren. »Eine derartige Erfahrung ist von Bruchlinien durchzogen, an denen Bewegungen an- oder abbrechen und Neues aufbricht, sie weist Breschen auf, wo Einbrüche, Ausbrüche und Durchbrüche stattfinden, sie gerät in ein Gelände, wo der Boden nachgibt und einbricht. Die Tatsache, daß immerfort die Einheit, Stimmigkeit, Kontinuität oder die Bodenhaftung der Erfahrung beschworen wird, weist hin auf eine Brüchigkeit, die der Erfahrung selbst anhaftet und die jeder Erfahrungsordnung den Stempel der Zerbrechlichkeit aufdrückt. Erfahrung, die sich ihrer Brüchigkeit zu entledigen trachtet, verleugnet sich selbst.«402

399 400 401 402

Zur Ästhetischen Erfahrung vgl. S. 230f. Vgl. PEEZ, GEORG: Qualitative empirische Forschung in der Kunstpädagogik. 2001. S. 20. RORA, CONSTANZE: Einleitung 2. Teil: Ästhetische Erfahrung als Forschungsgegenstand. Überlegungen zur Methodologie. 2004. S. 27. WALDENFELS, BERNHARD: Bruchlinien der Erfahrung. 2002. S. 9.

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Komplikationen bei der Untersuchung ästhetischer Erfahrungen

INSZENIERUNG DER SUCHE

»Sollte die derzeitige Suche ihr höchstes Ziel erreichen – Ethnographie umzugestalten zu einer Praxis, die fähig ist, die Anderen präsent zu machen (anstatt Repräsentation zu erzeugen, die auf der Abwesenheit der Anderen gründen) –, dann kann die Arbeit der Interpretation beginnen.«403

othering404 Eigenproduktion der Grafien Hervorlockung der Daten

Forschung als Ethno-und Autografie

Die Stimmen der Anderen

Aus diesen Gründen halte ich es für sinnvoll, dass die Probanden ihre eigenen Manifestationen herstellen.405 Das heißt aber, dass ich als Forschende von der Datenentstehung losgelöst bin. Ich erzeuge die Daten nicht selbst, sondern ich muss sie durch einen Impuls hervorlocken. Das birgt viele Unsicherheiten für mich als Forschende, denn ich kenne die entstehenden Daten nicht vorher, sondern ich möchte die Stimmen derer zu Wort kommen lassen, über die ich forsche.406 Aus dieser genuin ethischen Motivation lehne ich also eine Forschung ab, die die Adressaten mundtot macht, sie zurechtstutzt und sie – ohne sie zu fragen – zum Fall erklärt, indem sie über sie schreibt, sie quasi überfällt. 407 Stattdessen verstehe ich meine Forschung, die, wie üblicherweise in einem Text dargestellt wird: als sich wechselseitig hervorrufende Ethno-grafie und Auto-grafie. Bei der Frage danach, welche Methoden nun die Anderen zu Wort – oder besser gesagt: zur Darstellung – kommen lassen, werde ich im Folgenden das ›othering«, bzw. eher das ›The Others speak back« berücksichtigen.

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FABIAN, JOHANNES: Präsenz und Repräsentation. S. 361. Unter dem Neologismus »othering« wird in der Ethnographie »ein primärer Prozess der Produktion des Bildes der Anderen thematisiert.« FUCHS, MARTIN / BERG, EBERHARD: Phänomenologie der Differenz. 1999, zuerst 1993. S. 13. »Wenn es stimmt, dass die Medienförmigkeit von Wahrnehmungsprozessen an Bedeutung gewonnen hat, kann dies nicht ohne Auswirkung auf theoretisch-konzeptionelle Überlegungen bei der Entwicklung von Forschungsdesigns bleiben. Da Rezeptionsformen – so die Annahme – auch Ausdrucksformen beeinflussen, geht es zugleich um methodische Fragen, gerade bei subjektorientierten Forschungsansätzen. Diese Ansätze legen großen Wert auf sog. subjektadäquate Methoden der Repräsentation. Die These ist: Wer in der heutigen »Mediengesellschaft« etwas über die Vorstellungen, die Lebensgefühle, das Welterleben von Kindern und Jugendlichen erfahren möchte, sollte ihnen die Chance bieten, sich – ergänzend zu wort- und schriftsprachlichen Formen – auch mittels eigener, selbst produzierter Medien und somit verbundener präsentativ-symbolischer Formen auszudrücken.« NIESYTO, HORST: Eigenproduktion mit Medien als Gegenstand der Kindheits- und Jugendforschung. 2001. »Die Objektkonstruktion ist dann besonders prekär, wenn es sich bei dem Objekt nicht etwa um eine Pfeife, sondern um interagierende Menschen handelt. Die Ethnographen haben hierfür eine prägnante Formulierung: Sie sprechen vom othering – also dem Machen der anderen. Dieses othering muss man verstehen als soziale Praxis – die des Ethnographen nämlich. Das Problem ist hier, dass die Menschen über deren Handlungen und an derer Statt die Wissenschaft spricht, eingerückt in die Position von Subjekten für sich selbst sprechen können. Das meint, dass – würde man die anderen vernehmen anstatt stellvertretend für diese zu sprechen – jeweils andere Bedeutungsschichten der repräsentativen Praxis zur Sprache kämen – aufgrund des jeweils spezifischen biographischen Ortes, der spezifischen sozialen Position, der spezifischen Funktion der Akteure im untersuchten Praxis-Feld, von denen aus dieses durch die Akteure zur Sprache gebracht wird. Nicht selten bringt die Wissenschaft diese Stimmen zum Verstummen und hält einen akademischen Monolog.« MÜNTE-GOUSSAR, STEPHAN: Hypermediales Ethnografieren. 2004. S. 290. Übrigens ist es doch erstaunlich, dass sich seit ca. 1870 die Kunstpädagogik als Fachdisziplin etabliert, es jedoch bis heute keine nennenswerte Forschung über die Studierenden als Adressaten gibt, geschweige denn eine solche, die deren Stimmen selbst zu Wort kommen lässt.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

»Man nimmt sich mit, wohin man geht.«408

constructing data Welche Methoden gibt es also, den Anderen zur »Stimmbildung« zu verhelfen? Denke ich an alltägliche Situationen, so fallen mir zunächst dialogische Gesprächsformen zwischen mir und anderen ein. Will ich im Forschungskontext hingegen mit den Studierenden ein Gespräch führen, um ihre Meinungen, Thesen, Erfahrungen usw. zu hören, dann nehme ich als gleichzeitig Lehrende und Forschende – vergleichbar mit der Rolle in der teilnehmenden Beobachtung – eine spezifische, nämlich eine Forscherinnenrolle ein.409 Aus dieser Rolle heraus wird das Gespräch sehr schnell zu einer Befragung410, die bestimmte soziale, ethische und ästhetische Erwartungshorizonte impliziert und dadurch bestimmte thematische Antworten hervorruft, sowie die damit zusammenhängenden spezifischen Weisen der Beantwortung.411 Ein generelles Problem der Befragung – und dies wird in meinem Fall besonders virulent – liegt allerdings darin, dass sie eine reaktive Datenerhebungsmethode darstellt, auch im Hinblick auf das verwendete Medium. Das bedeutet, dass die Weise, eine Frage zu formulieren, nicht nur die Zahl der prinzipiell möglichen Antworten einschränkt, indem sie jene inhaltlich lenkt, sondern auch die Weisen der Beantwortung vorstrukturiert. Auf eine mündlich gestellte Frage erhalte ich als Antwort kein Bild. Stattdessen ruft eine Befragung eine Antwort im gleichen Medium hervor.

Stimmbildung

»Wenn sich eine Frage an jemanden richtet [...], besteht immer das Risiko, dass die Antwort durch die Form der Frage selbst bereits nahegelegt wird. In diesem Sinne gibt es eine Gewalt der Frage, insofern sie schon im vorhinein eine mögliche Antwort auferlegt.«412

Gewalt der Frage

Wenn ich nun ästhetische Erfahrungen erforschen will und durch meine Frage ein enges Reaktionsfeld vorgebe, sei es inhaltlich, methodisch oder medial, dann schränke ich nicht nur die Antwortmöglichkeiten unnötig ein, sondern verhindere zugleich Lernprozesse der Anderen. Mehr noch, ich schließe das Andere als Anderes, als Fremdes, geradewegs aus,

Ausklammerung des Fremden

408 409

410

411

412

BLOCH, ERNST: Tübinger Einleitung in die Philosophie. 1970. S. 20. Da die Problematik zwischen der Rolle von Forscherin und Lehrerin prinzipiell bei allen Erhebungsmethoden besteht, sind in die Forschung integrierte Korrektive zur Reflexion heranzuziehen, wie etwa »die Expertenbefragung, die Nutzung der Selbstreferenzialität des Feldes (Konfrontation der Beforschten mit den Beobachtungsergebnissen und Auswertung der Reaktionen) sowie die Nutzung der Dokumentenanalyse (Auswertung von Artefakten)«, »Auswertungen von Fotografien und Videoaufnahmen (Analyse der Körpersprache) hinzu.« BRENNE, ANDREAS: Ressource Kunst. ›Künstlerische Feldforschung‹ in der Primarstufe. 2004. S. 151. Ohne Befragungen abzuwerten, möchte ich damit auf »die künstliche (nicht selbst gesuchte), asymmetrische (einseitig themenbestimmte), distanzierte (nicht persönlich werdende), neutrale (emotional nicht extreme), anonyme (nicht zwischen Bekannten erfolgende) Gesprächsform« hinweisen, die speziell in meiner Konstellation als Lehrende und Forschende schwierig erscheint, auch wenn diese Aspekte in jeder Datenerhebung in unterschiedlicher Gewichtung zum Tragen kommen. SCHOLL, ARMIN: Die Befragung. Sozialwissenschaftliche Methode und kommunikationswissenschaftliche Anwendung. 2003. S. 24 und 197. – Zudem ist eine verbale Befragung nicht als gegenstandsadäquate Methode in Bezug auf ästhetische Erfahrungen zu betrachten. Vgl. S. 86. Bemerkenswerter Weise sind diese scheinbar so unmittelbaren, direkten und zielgerichteten Befragungen in mündlicher Form (Interview) oder in schriftlicher Form (Fragebogen) die am häufigsten benutzten qualitativen Datenerhebungsweisen. DERRIDA, JACQUES: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen. 2003. S. 15.

89

INSZENIERUNG DER SUCHE

Erfahrung der Anderen

indem ich mein Relevanzsystem vorgebe. Durch die Fragestellung habe ich das Feld für die Reaktion, die Antwort bereits vorgezeichnet.413 Wenn ich also den Raum, den der/die Andere für mich in der Forschung einnehmen soll, schon vorstrukturiere und den Anderen somit im Voraus platziere, gehe ich von meinen eigenen Erfahrungen aus und verhindere, dass etwas Neues in der Forschung entsteht, mit dem ich vorher nie gerechnet hätte. Genau das bedeutet aber Erfahrung (auch Forschungs-Erfahrung): Ich mache eine Erfahrung dann, wenn etwas meinen Sinnhorizont und meinen Ordnungsrahmen übersteigt, wenn ich von etwas getroffen werde, mir etwas widerfährt, auf das ich dann antworte. Gehört es also mit zur Erfahrung, dass ich Sinnhorizonte und Ordnungsrahmen modifiziere, kann ich eine solche Erfahrung der Anderen nicht erforschen, wenn ich einen festen Rahmen mit einem vorgezeichneten Relevanzsystem vorgebe.414

»Eine Frage entspricht immer einer Methode des Findens. 415 Oder man könnte sagen: Eine Frage bezeichnet eine Methode des Suchens.«

Methode zur Datenerhebung416 Methode: Hervorlockung von Grafien

Grafie als visuelle, phonetische und textuelle Notationsweise

Die Suche nach einer eigenen Frage

Wenn ich nun zur »Stimmwerdung«, zur visuellen oder textuellen Artikulationsbildung von Anderen beitragen möchte, heißt das, dass ich sie in ihrer individuellen Besonderheit der Generierung zur Artikulation kommen lassen muss. Das bedeutet für mich, dass ich eine Methode erfinden muss, die es Studierenden ermöglicht, nicht nur Ort und Zeit für ihre Antworten selbst zu wählen, sondern auch Inhalt und Methode selbst zu bestimmen. Denn das, wovon sie getroffen sind, und das, worauf sie antworten, in ästhetischer Hinsicht (insbes. auf Fragen der Darstellbarkeit bezogen) kommunizieren zu können, ist das Ziel meiner Untersuchung und meiner Lehre. Diese Methode, die es zu erfinden gilt, besteht darin Grafien oder Aufzeichnungen hervorzulocken. Den Begriff Aufzeichnungen benutze ich umgangssprachlich für eine fragmentarische Notationsform (Tagebuchaufzeichnungen, Foto- und Videoaufzeichnungen, Tonbandaufzeichnungen etc.) synonym zu Grafie.417 Ausgehend von der literaturwissenschaftlichen Debatte um die Aufzeichnungen als literarische Textsorte versus Aufzeichnung als Methode des Formulierens weite ich den Begriff auf visuelle und phonetische Notationsweisen aus. Aber wie kann ich Studierende dazu bringen, Aufzeichnungen zu generieren? Während viele Lehrkonzepte stillschweigend voraussetzen, dass die Lernenden bereits eine Frage haben, der sie im Rahmen eines forschenden Lernens dann nachgehen, halte ich diese Ausgangskonzeption für eine schwerwiegende falsche Annahme.418 Gerade vor dem Hintergrund, dass ich junge Menschen ausbilde für eine Zukunft, von der ich nicht weiß, wie sie sein wird, müssten meines Erachtens solche Konzepte erfunden werden, die Anlässe bieten, eine eigene Frage zu suchen. Insbesondere dann, wenn Lehrkonzepte sich vornehmen, Erfahrungen zu ermöglichen und zu thematisieren. 413

414

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90

Vorausgesetzt, ich würde Studierenden im institutionellen Kontext der Universität im Fach Kunstpädagogik nach ihren »ästhetischen Erfahrungen« fragen, wird sich ihre Antwort vermutlich auf Kunst-Erfahrungen beziehen, da sie denken, dass ich das als Kunstpädagogin von ihnen erwarte… Stattdessen weist Bohnsack auf darauf hin, dass die rekonstruktiven Sozialforschung auf der methodologischen Ebene »den Erforschten Gelegenheit [gibt], ihr Relevanzsystem zu entfalten«. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 14f, 22f. – Siehe S. 107. WITTGENSTEIN, LUDWIG zitiert nach: STURM, EVA: Im Engpaß der Worte. 1996. S. 168. Zur Kritik am Begriff Datenerhebung s. S. 86, Fußnote 396. Zum Grafiebegriff vgl. S. 17 und S. 70ff. Vgl. S. 84.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Nun haben »wir«419 es bei der Suche nach einer Frage aber mit einem Paradox zu tun: Ich suche nach etwas, von dem ich – während des Suchens – eben noch nicht weiß, was es sein wird. Denn sonst bräuchte ich es nicht mehr zu suchen. Damit ich bei dieser ungewissen Suche, in der sich mir dieses Etwas immer wieder entzieht, aber nicht orientierungslos herumirre, sondern meinen Kurs immer wieder neu bestimmen kann, brauche ich ein Geländer: die Aufzeichnung.420 Sie stützt die Suche. Indem ich jedoch aufzeichne, modifiziert sich die Suche entlang der Grafie. Die Grafie wird zum (kunstpädagogischen) Navigationsinstrument für die Studierenden und zugleich zu meiner Daten-Quelle. Und wenn ich die Studierenden im Rahmen eines zweistündigen kunstpädagogischen Seminars dazu auffordere, zu einem Thema ihrer Wahl über ein Semester eine angemessene Weise der Aufzeichnung zu entwickeln, wende ich eine Methode an, die Erfahrungen und Fragen generiert und die ich – in Analogie zu Douglas HARPER – »Hervorlockung von Grafien« nenne.421 Analog zum erzählgenerierenden Impuls beim narrativen Interview, in dem eine offene Frage formuliert wird, um eine Stegreiferzählung hervorzulocken, die dann in ihrer Eigendynamik analysiert werden kann, gebe ich einen grafie-generierenden Impuls. Allerdings beschränkt sich die Generierung von Grafien nicht auf narrative Momente, sondern bezieht fragmentarische, dokumentarische und visuelle Darstellungsweisen mit ein. Im Gegensatz zu soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Methoden, die die Grafien m.E. metaphorisch häufig als »Fenster zur Wirklichkeit« betrachten, ohne dabei jedoch auf die Beschaffenheit des Fensters als Sicht-Konstruktion, als Licht-Spiegel und Sicht-Verzerrung zu thematisieren, möchte ich als Kunstpädagogin nicht unreflektiert auf die Geschichte hinter den Aufzeichnungen, im Sinne von »der eigentlichen Lebensgeschichte« eingehen. Das bedeutet, dass ich das Fenster als mediale Sicht-Konstruktion mitdenke und die Weisen seiner Öffnung, Durchsicht, seiner Verdunklung etc. als potentielle Weisen ästhetischer Erfahrung betrachte.422 Mit anderen Worten: ich gehe grundsätzlich nicht davon aus, dass die produzierten Formulierungen und Bilder in der Aufzeichnung »authentische« Gesten sind. Vielmehr lese ich sie als fiktive Darstellungen, die, obgleich sie inszeniert sind, dennoch auf einer »authentischen« Geschichte beruhen können. Dennoch ist jede Grafie eine Inszenierung von etwas und zugleich eine Inszenierung der Artikulation bzw. Visualisierung. Gerade die wechselseitige Betrachtung der Suche und deren medialer Inszenierung kann m.E. auch die methodischen und methodologischen Fragen der Bild- und Textinterpretation anregen. Denn hier geht es nicht um Einzelbilder, deren kompositorischen Aufbau und eine gegenständliche Bildanalyse à la PANOFSKY, die dem gesellschaftlichen Kontext der Bildproduzenten gegenüber gleichgültig war.423 419 420 421

422 423

Mit »wir« meine ich an dieser Stelle sowohl mich als Forschende auf der Suche nach einer Forschungsfrage, als auch die Studierenden, die sich auf die Suche nach einer Frage machen. An dieser Stelle teilen sich die »Geländer«: Während die Studierenden aufzeichnen, bleibe ich den Konventionen einer wissenschaftlichen Arbeit als Schrift verhaftet. »Die fotogeleitete Hervorlockung« ist eine Methode, mit der Forschende durch Vorgabe bestimmter Aufnahmen – man kann sie sozusagen als Vorlagen eines ›kulturellen Rohrschach-Test‹ ansehen – den zu erforschenden Personen Bildinterpretationen entlocken.» Ob die Interviewten, denen Fotos vorgelegt werden, am fotografischen Prozess selbst teilnahmen oder ob die Fotografien dazu dienen, Erinnerungen, Assoziationen und Bildinterpretationen hervorzurufen, die fotogeleitete Hervorlockung dient in jedem Falle der Erzählgenerierung. HARPER, DOUGLAS: Fotografien als sozialwissenschaftliche Daten. 2003. S. 414. – Ich ziehe den Begriff der »Hervorlockung« demjenigen der »Produktion von Grafien« vor, da er den interaktionistischen Aufforderungscharakter und die damit verbundene Machtstruktur mit anzeigt. Vgl. BÖTTGER, ANDREAS: »Hervorlocken« oder Aushandeln? 1995. S. 6ff. Zur Fenstermetapher vgl. MÜLLER, AXEL: Das ist kein Fenster. 2003. »Der ikonographische Ansatz muß sich zudem den Vorwurf gefallen lassen, die soziale Dimension zu ignorieren, dem gesellschaftlichen Kontext gegenüber indifferent zu sein. Panofsky, der der So-

91

Aufzeichnung als Navigationsinstrument der Suche und als Daten-Quelle

Authentische versus inszenierte Aufzeichnung

INSZENIERUNG DER SUCHE

Prozessforschung

Inszenierung und »eigentliche« Suche

Stattdessen geht es in dieser Prozessforschung um Verläufe, Brüche, Widersprüche, mediale Umschlagpunkte, kurz: es geht um die Erfahrung der inszenatorischen Bildherstellung, ihrer individuellen Be-deutung im immer vorläufigen Prozess der Produktion, an der sich der pragmatische Bildumgang ebenso zeigt, wie die Pausen, die Distanz und Reflexion der eigenen Erfahrungen von Studierenden. Aber das, was dargestellt werden soll, der Inhalt der Aufzeichnungen, ist von der Weise, wie es dargestellt wird, nicht zu trennen. Denn je nachdem, für welche Methoden, Wege man sich während des Aufzeichnens entscheidet, nähert man sich den Prozessen, d.h. dem Inhalt, auf eine andere Art und Weise und aus einer anderen Richtung. Die Methode führt erst zu einer bestimmten Perspektive und verändert so den Inhalt. Insofern ist die Inszenierung der Suche auch niemals zu trennen von der eigentlichen Suche. Durch die Grafien erst wird die Inszenierung – mitsamt den dramaturgischen, szenischen, performativen, grafischen, malerischen und sprachlichen Darstellungsweisen – in der Lehre kommunizierbar. Denn das Leben drückt sich nicht ab, wir müssen es schon grafieren. »Ich habe also gleichzeitig herauszustellen versucht, inwiefern beispielsweise dekonstruierende Fragen keine Methoden hervorbringen können, das heißt, keine technischen Verfahren, die man von einem Kontext zum anderen wiederholen könnte. Ich denke, es gibt in dem von mir Geschriebenen auch allgemeine Regeln und Verfahren, die man durch Analogie übertragen kann – und das versteht man unter Lehre, Wissen und Anwendungen, – diese Regeln sind aber in einen Text einbezogen, dessen Element immer singulär ist und sich darin nicht gänzlich methodisieren lässt.«424

»Die Forschung ist ein endloser Prozess, von dem man niemals sagen kann, wie er sich entwickeln wird. Unvorhersehbarkeit gehört zur Natur des Wagnisses Wissenschaft. Sollte man auf etwas wirklich Neues stoßen, so ist das etwas, das man per definitionem nicht im Voraus kennen konnte. Man kann unmöglich sagen, wohin ein bestimmter Forschungsbereich führen wird.«425

Ausgangspunkte Die Punkte, die notwendig waren, um Aus-Sich-heraus gehen zu können, damit »wir« werden konnten, habe ich hier – ausschließlich in Bezug auf die Datenerhebung – stichwortartig rekonstruiert, denn sie bilden eine materielle Basis für die Interpretation im nächsten Kapitel. Sie sind die konkreten Hinweise auf die Entstehungsbedingungen der Aufzeichnungen als »Praxis der Spurenerzeugung«. Das Datenmaterial ist im Rahmen eines kunstpädagogischen Seminars »Ästhetische Forschung«426 im Sommersemester 2003 entstanden.

424 425 426

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zialgeschichte der Kunst bekanntermaßen gleichgültig, wenn nicht gar ablehnend gegenüberstand, ging es darum, »die« Bedeutung des Bildes zu entdecken, ohne daß er die Frage gestellt hätte: Bedeutung für wen?« – »Ein weiteres Problem der ikonographischen Methode besteht darin, daß diejenigen, die sich ihrer Bedienen, der Vielfalt von Bildern zu wenig Aufmerksamkeit schenkten. Panofsky und Wind hatten einen scharfen Blick für gemalte Allegorien, aber Bilder sind nicht immer allegorisch.« BURKE, PETER: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen. 2003. S. 47. DERRIDA, JACQUES: Auslassungspunkte. Gespräche. 1998. S. 213. Bachelard in RHEINBERGER, HANS-JÖRG: Iterationen. Berlin 2005. S. 29. »Ästhetische Forschung« ist eine kunstpädagogische Konzeption, die von Helga Kämpf-Jansen in Bezug auf die »Ästhetischen Erziehung« weiter entwickelt wurde. Kennzeichnend für diese offene didaktische Lehr- und Lernkonzeption ist die forschende Grundhaltung im Prozess des selbstbestimmten Lernens innerhalb der Bezugsfelder Kunst, Wissenschaft und Alltag, die eine Anbindung an autobiografische Kontexte und Fragestellungen ermöglicht. KÄMPF-JANSEN, HELGA: Ästhetische Forschung. Wege durch Alltag, Kunst und Wissenschaft. Zu einem innovativen Konzept ästhetischer Bildung. 2000.

ZUGANG ZUR FORSCHUNG

Die Studierenden hatten zunächst die Aufgabe, sich eine Frage oder ein Thema zu suchen, zu der/ dem sie ein Semester lang (nicht im Seminar, aber begleitend zur Suche) arbeiten wollten. Dieses Thema musste nichts mit Kunst zu tun haben. Wichtig war nur, dass es Ihnen etwas bedeutete, bzw. sie sich mit diesem Thema längerfristig, d.h. über ein Semester auseinandersetzen wollten. Zudem – und darin bestand Teil 2 der Aufgabe – sollten die Studierenden eine dem Thema angemessene Formation/ Formulierung der Aufzeichnung finden; bzw. entwerfen. •

Voraussetzung zur Teilnahme war eine individuelle Vorbesprechung in der Sprechstunde (Februar bis März 2003), in der ich auf die Bereitschaft zur semesterbegleitenden Aufzeichnung hingewiesen habe und den Begriff der Aufzeichnung erklärt habe.



Zur strukturellen Vorgabe des Seminars: ein Leistungsnachweis kann sowohl über die Aufzeichnungen erfolgen als auch über die herkömmliche Hausarbeit.



Datenbasis: Schriftliche Ankündigung



Impuls: »Suchen Sie sich – unabhängig von dem Fach Kunst – ein Thema / eine Frage ihrer Wahl, mit der Sie sich in diesem Semester beschäftigen möchten und wählen Sie eine dem Thema / der Frage angemessene Weise der Aufzeichnung.«



Datenbasis: Darüber hinaus gibt es eine Tonbandaufnahme aus dem ersten Seminar, wo die Studierenden ihre Themen und eben damit verbunden auch die Schwierigkeiten beschreiben sollten.



Zudem haben die Studierenden ihre Themen in der zweiten Seminarsitzung auf Karteikarten geschrieben und sie anschließend geordnet, sodass das Themenspektrum des Seminars visualisiert wurde.



Als weitere Datenbasis dienen natürlich die Aufzeichnungen der Studierenden selbst, d.h. ihre Antworten. Hierfür habe ich in zwei parallelen Seminaren Vergleichshorizonte entwickelt, so dass mir insgesamt 56 studentische Grafien zur Verfügung standen.

Das hier genannte Setting ist für die Studierenden ein sehr offenes. Auch wenn ich damit versucht habe, die »Gewalt der Frage«427 einzudämmen und den »Eigendrehimpuls« der Studierenden in der Grafie zuzulassen, darf es nicht über Folgendes hinwegtäuschen: »Je offener ein Impuls ist, desto stärker wirken die Rahmenbedingungen«, wie z.B. die Abhängigkeit gegenüber der Lehrenden.428

427 428

Zur »Gewalt der Frage« vgl. S. 89, 106, 113, 249. Für diesen Hinweis danke ich Fritz Seydel.

93

Aufgabe

Datenbasis

INSZENIERUNG DER SUCHE

»Es wird dem Menschen nicht leicht fallen, an die Beginnlosigkeit der Welt zu glauben. Liegt es daran, daß er sie nicht denken kann? Daß es in seinem ›System« einen unauslöschlichen, unersetzlichen Mythos von Anfang und Ursprung geben muß? Der Wahrheit näher käme die physikalische Imago von einem steady state, das Zeit, Raum, Leben, Ich und andere in einen einzigen, konturlosen Nebel hüllt – eine bewegte Aufgelöstheit, der Dinge und Benennungen, in der Alles zu einem Etwas zerrieben, das Ganze zu einer Sämtlichkeit abgewandelt erschiene und folglich vom einzelnen Ereignis nicht zu sagen wäre, ob es vorbei ist oder ankommt oder immer da war.«429

Forschungsfrage

Forschungsfrage

Erinnerung an den Anfang

»Am Anfang der Forschung steht eine Frage«, so lautet ein Mythos. Ich bin längst herausgegangen, wenn ich meine Forschungsfrage gestellt haben werde. Denn mein Zugang zur Forschung entstand mit der Frage nach dem Anfang. Unterwegs zu dieser Frage, habe ich die wechselseitigen Bedingungen der Voraussetzung von »Erfahrungen« und den Setzungen der »Grafie« erforscht und meine Forschungserfahrungen in einem Textraum für Andere zugänglich gemacht. Was bleibt, ist die »Erinnerung an den Anfang« sowie die Forschungsfrage, die meine folgenden empirischen Untersuchen leiten wird: »Inwiefern reflektieren Aufzeichnungen ästhetische Erfahrungen?«430 »Einen Anfang der Zeit können wir nicht denken. Er läge schon in der Zeit. Aristoteles hat daraus die Folgerung gezogen, die Welt müsse ewig sein, weil ohne sie keine Zeit denkbar wäre. Das folgt sogar noch aus Kants Widerlegung des Idealismus in der zweiten Auflage der ersten Kritik, auch wenn ihm dieser Preis einer Nebenfolge für sein Hauptresultat zu hoch – weil unausweichlich spinozistisch – hätte sein müssen. In Hautnähe kommt das alles erst durch den fundamentalen Rang der Zeit für das Bewußtsein als ›Erlebnisorgan‹: Kein Bewußtsein kann sich als anfangend erleben. Nicht einmal beim alltäglichen Erwachen aus dem Schlaf ist jemals ein Augenblick der erste; erst recht sind Anfang des Lebens und Welteintritt der Geburt jeder Erlebbarkeit wesensmäßig entzogen, was auch immer davon Spur oder Trauma geblieben sein mag. Gerade und nur weil das so ist, gibt es die unerfüllte Insistenz auf Annäherungen ans Erlebbare, das rastlose Umkreisen der Natalität nicht anders als der Mortalität, der Undenkbarkeiten von Anfang und Ende des Bewußtseins als der Indizien seiner Unzugehörigkeit zu den physischen Realitäten. Deren Bedingungen von Ursprung und Zerfall sind durch gegenständliches Wissen bekannt, gesichert, vertraut, fast beherrschbar geworden. Paradox ist: Wir wissen, daß wir sterben müssen, aber wir glauben es nicht, weil wir es nicht denken können. Nicht anders und nicht weniger paradox ist, daß wir wissen, angefangen zu haben – weil angefangen worden zu sein –, ohne es glauben – weil nicht denken – zu können.«431

429 430

431

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STRAUSS, BOTHO: Beginnlosigkeit. Reflexionen über Fleck und Linie. 1997. S. 38. Unter »Reflexion« (von lat. reflectere: zurückbeugen) verstehe ich im Folgenden sowohl seine metaphorische Bedeutung als Spiegel (hier: der Grafie), an dem sich die Erfahrung bricht, als auch die Bedeutung einer – daraus hervorgehenden angewandten Überlegung. – Vgl. RITTER, JOACHIM / GRÜNDER, KARLFRIED (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. R-Sc. 1992. S. 395. – Entscheidend bei der Verwendung des Begriffes ist jedoch – im Hinblick auf das Verständnis des Fremden – sich von »Reflexion im Sinne der alten Reflexionsphilosophie als Rückkehr zu sich selbst« oder als »Übergang zu einer Metastufe« zu verabschieden, denn »im ersten Falle bestünde das Fremde, in dem, was noch nicht reflexiv eingeholt, im zweiten Falle in dem, was noch nicht objektiviert wurde. Der Trend zu einer Überwindung des Fremden wäre also nur verzögert, nicht durchbrochen.« Deswegen begreife ich »Reflexion« mit Waldenfels als »Selbstverdopplung«, »als eine Nicht-Koinzidenz in der Koinzidenz, die bewirkt, daß jede fungierende Sinnbildung und Sinndarstellung sich selbst entgleitet. Dieser Selbstentzug setzt im Eigenen Fremdes frei, das jeder Aneignung vorauseilt. Man mag bezweifeln, ob das Spiegelwort geeignet ist, diesen Entzug im Selbstbezug anzuzeigen.« Vgl. WALDENFELS, BERNHARD: Paradoxien ethnographischer Fremddarstellung. 2002. S. 175-176. – Zum Spiegel als heuristische Metapher vgl. ZIMMER, JÖRG: Reflexion. 2004. S. 38–42. BLUMENBERG. HANS: Höhlenausgänge. 1996. S. 11. Den Hinweis auf diese Textstelle verdanke ich Torsten Meyer.

Zugang zu den Daten der Anderen ZUFALL

VISUALISIERUNG

KONJUNKTIVER ERFAHRUNGSRAUM

KOMMUNIKATIVER ERFAHRUNGSRAUM PRAXEOLOGISCHE METHODOLOGIE DOKUMENTARISCHE METHODE ... ... ... ...

Eigensinn

»Die Erfahrungen, die ich schildere, habe ich überhaupt nicht gemacht.« Studentin

III. Grafien: Zugang zu den Daten der Anderen

Nachdem ich meine Suche nach einem Zugang zur Forschung im vorigen Kapitel in Schritte zerlegt und als brüchige Erfahrungsgenese am Text simuliert habe, um die strukturelle Bedeutung von Grafien in Sinnbildungsprozessen herauszustellen, geht es in diesem Kapitel um die methodische und methodologische Bedeutung von Grafien als Zugang zu den Daten der Anderen. Da die Relevanz von Aufzeichnungen als spezifischer Zugang zu den Daten der Anderen bislang nicht systematisch untersucht wurde432, fasse ich in Bezug auf das bisher Gesagte ihre übergeordnete, essentielle Funktion zunächst als Instrument des Antwortens auf Widerfahrnisse zusammen. Im Folgenden werde ich erläutern, warum ich die Forschungsfrage nicht nur theoretisch behandle, sondern im Rahmen qualitativer Sozialforschung auch am Einzelfall untersuche.

Begründung des qualitativen empirischen Forschungsansatzes Die qualitative empirische Sozialforschung beschäftigt sich mit den Erfahrungen der Anderen, im Spannungsgefüge von Wissenschaft und Gesellschaft, in dem einerseits das Soziale zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung wird und andererseits das sozialwissenschaftliche Wissen potentiell die Gesellschaft verändern kann und dadurch eine politische bzw. ethische Dimension enthält.433 Innerhalb dieses Spannungsfeldes werden dabei sowohl kollektive wie individuelle Erfahrungen thematisiert. »Bei qualitativer Empirie handelt es sich also um eine interpretative Rekonstruktion alltäglicher, lebensweltlicher Relevanz- und Sinnsysteme im Wissenschaftskontext.«434 432

433

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Eine Ausnahme bildet Oevermanns Darstellung zum Stellenwert des Protokolls als verschriftlichte Aufzeichnung. Im Rahmen des 7. Methodenworkshops des ZBBS an der Universität Magdeburg hielt der in Frankfurt am Main am Institut für Sozialisationsforschung und Sozialpsychologie Lehrende einen Vortrag, indem er die Erkenntnispraxis des Protokollierens derjenigen des Beobachtens gegenüberstellte und eine Empirie der Sinnstrukturierung einer der Sinnesdaten vorzog. Vgl. OEVERMANN, ULRICH: Objektivität des Protokolls und Subjektivität als Forschungsgegenstand. 2004. Zum Verhältnis von Wissen und Gesellschaft vgl. die Darstellung zu Etappen der Wissenssoziologie Keller, Reiner: Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. 2005. S. 19–94. – HITZLER, RONALD / REICHERTZ, JO / SCHRÖER, NORBERT (Hg.): Hermeneutische Wissenssoziologie. 1999. – BENDER, GERD (Hg.): Neue Formen der Wissenserzeugung. 2001. – WEINGART, PETER: Wissenschaftssoziologie. 2003. PEEZ, GEORG: Evaluation ästhetischer Erfahrungs- und Bildungsprozesse. 2005. S. 10.

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INSZENIERUNG DER SUCHE

Sichtweisen der Anderen

Sensibilisierung für und Entdeckung von fremden Welten

Grafien und Ästhetische Erfahrungen als unerforschter Zusammenhang

Im Unterschied zur quantitativen Forschung geht es in der qualitativen Forschung darum – und darin sehe ich das Hauptargument für ihre Verwendung in dieser Arbeit, – »die Sichtweisen der beteiligten Subjekte, die subjektiven und sozialen Konstruktionen ihrer Welt« zu berücksichtigen, wobei »zentraler Ausgangspunkt für gegenstandsbegründete Theoriebildung« die »Offenheit für Erfahrungswelten, ihre innere Verfasstheit und ihre Konstruktionsprinzipien« sind.435 Durch den Versuch, die subjektive Bedeutungs- und Sinngebung der Anderen nachzuvollziehen, wird die qualitative Forschung nicht nur für die pädagogische Forschung attraktiv und erklärt ihre schnelle Verbreitung in der Erziehungswissenschaft436, sondern dient darüber hinaus zur Sensibilisierung, »Entdeckung und Beschreibung fremder Welten«.437 Daher ist laut Uwe FLICK qualitative Forschung »immer dort zu empfehlen, wo es um die Erschließung eines bislang wenig erforschten Wirklichkeitsbereichs« geht.438 Dies ist der Fall, wenn es um die Frage nach (ästhetischen) Erfahrungen von Studierenden, bzw. um die Bedeutung einer Grafieforschung im Kontext empirischer Forschung geht: Zwar gibt es unübersichtlich viele theoretische Arbeiten über »Ästhetische Erfahrungen«439 sowie eine kleine streitbare Studie über die Evaluation »ästhetischer Erfahrung«440, aber weder existiert eine Adressatenforschung über diejenigen, die Erfahrungen machen (hier: die Studierenden)441, noch eine qualitative Forschung, wie diese Erfahrungen entstehen oder ablaufen, noch gibt es diskursive Untersuchungen, die Texte über »ästhetische Erfahrungen« nach bestimmten wiederkehrenden Topoi sortieren, ordnen, befragen. Vielmehr fragen die Verfasser immer noch zuerst danach, was »ästhetische Erfahrung« sei, um dann feststehende Merkmale oder Strukturmomente an bestimmten Dokumenten abzuhaken und zu bestimmen, ab welcher Altersstufe man von ästhetischer Erfahrung sprechen darf.442 Dies wird weder dem Anspruch der Offenheit noch den subjektiven Sichtweisen der Beteiligten gerecht, noch dient es der Erkundung fremder Welten.443 Stattdessen werden hier Produkte und Artefakte zur Illustration der eigenen, im Voraus festgelegten Hypothesen genutzt444, die im Übrigen nicht selten einer »Ontologisierung der Kindheit « oder eines »ästhetischen Objekts« Vorschub leisten445, ohne sich dabei auf die Prozesse der Anderen einzulassen und ohne zu hinterfragen, wie man (ästhetische) Erfahrungen reflektieren kann. 435 436 437 438 439 440

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FLICK, UWE / KARDORFF, ERNST VON / STEINKE, INES: Was ist qualitative Forschung? 2003. S. 17. TERHART, EWALD: Entwicklung und Situation des qualitativen Forschungsansatzes in der Erziehungswissenschaft. 2003. S. 37. OSWALD, HANS: Was heißt qualitativ forschen? 2003. S. 79. FLICK, UWE / KARDORFF, ERNST VON / STEINKE, INES: Was ist qualitative Forschung? 2003. S. 25. Zur »ästhetischen Erfahrung« vgl. S 230ff. PEEZ, GEORG: Evaluation ästhetischer Erfahrungs- und Bildungsprozesse. 2005. – Ich halte diese Untersuchung insofern für streitbar, als sie von den kunstpädagogischen Texten über Aspekte ästhetischer Erfahrungen auf Merkmale derselben schließt, um diese anhand der empirischen Daten dann wiederzufinden. »Zu den Eigenheiten des ästhetischen Ausdrucksverhaltens im Studierendenalter liegen keine aktuellen Studien vor. Dieser Mangel wurde zuletzt auf dem Münchener Kunstpädagogenkongress unwidersprochen beklagt.« SEYDEL, FRITZ: Biografische Entwürfe. Ästhetische Verfahren in der Lehrer/innenbildung. 2005. S. 168 – In Bezug auf ästhetische Erfahrungen von Kindern hat Mollenhauer hier die Grundlagen gelegt. MOLLENHAUER, KLAUS: Grundfragen ästhetischer Bildung. 1996. PARMENTIER, MICHAEL: Protoästhetik oder der Mangel an Ironie. 2004. S. 109. Analog zu Goodman halte ich eine Verschiebung der Fragestellung für zwingend, die nicht mehr ontologisiert: Statt zu fragen, was ästhetische Erfahrung ist, frage ich also danach, wann sie wie vorkommen kann. – Vgl. auch S. 66, Fußnote273. Vgl. die Kritik von Bohnsack an hypotheseprüfenden Verfahren. S. 103–104. »In der Abschlussdiskussion über die in diesem Band dokumentierte Tagung wurde die Frage nach der Angemessenheit des Begriffs ästhetischer Erfahrung ausführlich und kontrovers diskutiert. […]

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Wichtige Impulse für die Reflexion von ästhetischen Erfahrungen liefert hingegen die Studie von Franz-Josef RÖLL über die Lehrmethode einer symbolorientierten Medienpädagogik, in der er Medien (Film und Video) als »Reservoir von Erfahrungfeldern« für Jugendliche beschreibt, die »als Anregungsmittel für intentionale und unbewußte Orientierung« bei der Selbst-Verortung dienen.446 Ebenfalls auf die Lehre bezogen, fragt Claudia MEYER in ihrer Habilitationsschrift danach, »ob und inwiefern die Inszenierung ästhetischer Erfahrungsräume in der Lehrerinnenund Lehrerausbildung gelingen und einen sinnvollen Beitrag zur Vorbereitung Studierender auf das zukünftige Arbeitsfeld Schule leisten kann«.447 Dabei nimmt sie in ihren Beschreibungen jedoch nur ansatzweise die biografische Perspektive in den Blick, sondern eher

die gesamte Ausbildungssituation. Einzig die qualitative Forschung von Fritz SEYDEL stellt sowohl einen empirisch und theoretisch begründeten, argumentativen Zusammenhang von ästhetischer Erfahrung und Bio-Grafie in der Lehrerinnenbildung her.448 Im Anschluss an SEYDEL untersuche ich im Folgenden (ästhetische) Erfahrungen im Hinblick auf die Grafie. Dabei verstehe ich die Aufzeichnungspraxis als Prozess einer performativen Herstellung von Studierenden, bei der ich danach frage, welche Erfahrungsräume die Studierenden von sich aus suchen bzw. entdecken und welche Orientierungen sich innerhalb dieser Erfahrungsräume dokumentieren. Daraus können sich Fragehorizonte für weitere Forschungen entwickeln. Eine Untersuchung über die Reflexion von ästhetischen Erfahrungen setzt jemanden voraus, der sie macht. Wenn ich im Folgenden anhand der Grafien versuche, verschiedene Weisen des Antwortens auf Erfahrungen zu erforschen, gehe ich im Rahmen meiner kunstpädagogischen Arbeit innerhalb der Lehrer/innenbildung von studentischen Aufzeichnungen aus, also dem »ästhetischen Ausdrucksverhalten im Studierendenalter« aus.449 Dies liegt einerseits daran, dass ich der weitgehend unerforschten Altersgruppe zwischen Jugendlichen und Erwachsenen450 den Mut, die Offenheit und Reflexionsbereitschaft zur Erprobung von Aufzeichnungen unterstelle.

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Helga Zieher wies darauf hin, dass die Abgrenzungen zwischen Kindern und Erwachsenen – historische Modelle und Konstruktionen einer ›Natur des Kindes‹ längst korrodieren; ähnlich wie Jörg Zirfas warnte sie vor einer Ontologisierung der Kindheit. MATTENKLOTT, GUNDEL: Einleitung 1. Teil: Zur ästhetischen Erfahrung in der Kindheit. 2004. S. 21. RÖLL, FRANZ-JOSEF: Mythen und Symbole in populären Medien. Der wahrnehmungsorientierte Ansatz in der Medienpädagogik. Frankfurt am Main 1998. S. 12. MEYER, CLAUDIA: Inszenierung ästhetischer Erfahrungsräume. Ein Beitrag zu Theorie und Praxis in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung. 2003. S. 10 – Zur Kritik an C. Meyer siehe SEYDEL, FRITZ: Biografische Arbeit als ästhetischer Erfahrungsprozess in der Lehrer/innen(aus)bildung. 2004. S. 198–199. SEYDEL, FRITZ: Biografische Entwürfe. Ästhetische Verfahren in der Lehrer/innenbildung. 2005. Ebd. S. 168. Die erste Shell-Studie im Jahr 1953, mit der die empirische Jugendforschung begann, bezeichnete mit »Jugend« noch das Alter »zwischen 15 und 24« Jahren. Aufgrund der generationsspezifischen zunehmenden Verschiebung und Ausdifferenzierung der Lebensphase schlug Zinnecker 1981 vor, das Alter von ca. 20 bis 24 Jahre als »Postadoleszenz« zu bezeichnen, während Hurrelmann die Lebensphase von 12 bis 27 Jahren fasst. – FISCHER, ARTHUR / FUCHS, WERNER / ZINNECKER, JÜRGEN: Jugendliche und Erwachsene ’85. Generationen im Vergleich. 1985. S. 259 – Im Anschluss daran vgl. LEUZINGER-BOHLEBER, MARIANNE / MAHLER, EUGEN (Hg.): Phantasie und Realität in der Spätadoleszenz. 1993. – Ebenfalls bis in der 90er Jahre reicht der psychoanalytische Sicht auf die Alterstufe BOHLEBER, WERNER (Hg.): Adoleszenz und Identität. 1996. – Die folgenden Studien beziehen sich überwiegend auf die Phase der Jugend bis zum Alter von 18, höchstens 20 Jahre: Forschungsüberblicke und Bibliografien bietet die weiterführende Literatur, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: ANDRESEN, SABINE: Einführung in die Jugendforschung. Darmstadt 2005. FERCHHOFF, WILFRIED / SANDER, UWE / VOLLBRECHT, RALF (Hg.): Jugendkulturen – Faszination

99

Studierende Studierendealsals Probanden Probanden

INSZENIERUNG DER SUCHE

Konstruktion von Wirklichkeit

Fallrekonstruktion

Erkenntnisprinzip des Verstehens

Insbesondere als zukünftige Multiplikatoren in der Lehre sollten sie Aufzeichnungen als kunstpädagogische Methode (Vgl. Kap. IV) selbst ausprobieren, um eigene Fragen zu entwickeln.451 Andererseits sprechen pragmatische Gründe für die so genannten »Postadoleszenten«: Sie erfüllen den hohen Grad der Selbstständigkeit, den ich mit meiner Ausgangsfrage zugrunde lege und ermöglichen eine grafiegeleitete längerfristige Prozessforschung, die im institutionellen Rahmen eines Praktikums an der Schule nicht gewährleistet werden könnte.452 Ein weiteres Argument für die Einbindung der qualitativen Forschung in meine Arbeit ist folgende geteilte Grundannahme: Mit dem Versuch, die Perspektive der Anderen anhand von Aufzeichnungen nachzuvollziehen, hängt das Prinzip der individuellen und sozialen Konstruktion von Wirklichkeit zusammen.453 Gesetzt, dass Wirklichkeit nicht als vermeintlich objektive, bereits vorhandene betrachtet wird, sondern als immer neu herzustellende, die noch nicht ist, sondern innerhalb der Forschung erst wird, indem ihr Bedeutungen und Sinn zugeschrieben werden, ist die Re-Konstruktion eines Prozesses, hier einer Sinngebung, überhaupt erst denkbar. In diesem Sinne verstehe ich den Begriff der »Fallrekonstruktion« als Rekonstruktion der Genese eines Prozesses möglichst dicht an den Perspektiven der Beteiligten. Während sich Fallrekonstruktionen von -beschreibungen und -analysen üblicherweise dadurch unterscheiden, dass Typisierungen und »Strukturgeneralisierungen hervorgebracht werden«, halte ich meine Auswahl nicht für repräsentativ und beschränke mich auf eine Fragengenerierung entlang der rekonstruierten Praxis.454 Sofern ich die Perspektive der Studierenden jedoch rekonstruieren und damit auch darstellen möchte, setzt dies das für die qualitative Forschung unerlässliche interpretative Paradigma voraus: das Erkenntnisprinzip des Verstehens.455

451 452

453 454 455

100

und Ambivalenz. 1997. – HELD, JOSEF: Praxisorientierte Jugendforschung. Theoretische Grundlagen, methodische Ansätze, exemplarische Projekte. 1994 – HURRELMANN, KLAUS: Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung. 2004.– GRIMM, ANDREA (Hg.): Mit der Jugendforschung zur besseren Praxis? Oder: Welche Forschung braucht die Jugendarbeit? 2002. – KING, VERA: Die Entstehung des Neuen in der Adoleszenz. Individuation, Generativität und Geschlecht in modernisierten Gesellschaften. 2002. – KING, VERA / MÜLLER, BURKHARD (Hg.): Adoleszenz und pädagogische Praxis. Bedeutung von Geschlecht, Generation und Herkunft. 2000. – KRÜGER, HEINZ-HERMANN / GRUNERT, CATHLEEN (Hg.): Handbuch Kindheitsund Jugendforschung 2002. – MERKENS, HANS / ZINNECKER, JÜRGEN (Hg.): Jahrbuch Jugendforschung. 2001. – ZINNECKER, JÜRGEN: Fünf Jahrzehnte öffentliche Jugend-Befragung in Deutschland. Die Shell-Jugendstudien. 2001. – Leider war die folgende Studie in verschiedenen Bibliotheken nicht zugänglich. KOKEMOHR, RAINER / MAROTZKI, WINFRIED (Hg.): Biographien in komplexen Institutionen. 1989. Die aktuell stark zunehmende Literatur zu Lerntagebüchern sowie meine eigenen Erfahrungen als Lehrende in der Primarstufe und Sekundarstufe I verweisen darauf, dass eine längerfristige selbstständige Begleitung der Suchprozesse von Lernenden in Form von Grafien auch in der Schule prinzipiell möglich ist. Hier fehlt es bislang jedoch an (kunstpädagogischen) Forschungen. FLICK, UWE / KARDORFF, ERNST VON / STEINKE, INES: Was ist qualitative Forschung? 2003. S. 20. KRAIMER, KLAUS: Die Fallrekonstruktion – Bezüge, Konzepte, Perspektiven. 2000. S. 24. FLICK, UWE / KARDORFF, ERNST VON / STEINKE, INES: Was ist qualitative Forschung? 2003. S. 23. – Vgl. auch HITZLER, RONALD / REICHERTZ, JO / SCHRÖER, NORBERT (Hg.): Hermeneutische Wissenssoziologie. Standpunkte zu einer Theorie der Interpretation. 1999. – SCHROER, NORBERT (Hg.): Interpretative Sozialforschung. Auf dem Weg zu einer hermeneutischen Wissenssoziologie. 1994.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Mit der Methodologie von Fallrekonstruktionen ist »eine Hinwendung zur Konkretion der Erscheinung verbunden, so dass dem Einzelfall in den meisten Ansätzen rekonstruktiver Forschung eine zentrale Bedeutung zukommt.«456 Wenn ich behaupte, dass der Einzelfall nicht repräsentativ sein kann, sondern – wie alles Singuläre – einen Sonderfall darstellt, dann kommt ihm und seiner Rekonstruktion eine exemplarische Bedeutung zu. Darin liegt auch die Bedeutung von Fallstudien für die Gewinnung (kunst-)pädagogischer Erkenntnisse und die Frage, inwiefern Aufzeichnungen (ästhetische) Erfahrungen reflektieren.457 Der Zugang zum Einzelfall geschieht also über die Rekonstruktion der Aufzeichnungspraxis, an der ich nach Indizes für Reflexionsetappen suche, um meine Forschungsfrage zu beantworten. Das Kapitel ist in verschiedene Absätze gegliedert. In einem ersten Teil frage ich nach den methodologischen Grundannahmen zur Rekonstruktion von Eigensinn, wie sie der dokumentarischen Methode von BOHNSACK zugrunde liegen. Im zweiten Teil, dem Kernstück dieser Arbeit, untersuche ich exemplarisch am Einzelfall verschiedene Phasen, Gelenkstellen und Grenzen in der methodischen Anwendung als auch in der methodologischen Konzipierung der Aufzeichnungspraxis. Dabei soll herausgearbeitet werden, welche Funktion den Aufzeichnungen in der Reflexion von Erfahrungen und Erfahrungsräumen zukommt, um so Anschlussstellen an den Diskurs herzustellen. Daran schließt sich eine Kritik zu den Grenzen der Darstellbarkeit von Erfahrungen in Grafien im Rahmen qualitativer empirischer Forschung an. Sie dient dazu die Grafien als Methode zu implementieren.

Einzelfall

Für den Lesefluss ist ein Wechsel von Datenbasis und Reflexion unabdingbar, der jedoch durch eine schattierte Unterlegung – dunkelgrau bzw. grün für die Datenbasis und hellgrau bzw. gelb für meine Interpretation der Daten der Anderen – markiert ist

Lesefluss

456 457

FABEL-LAMLA, MELANIE / TIEFEL, SANDRA: Fallrekonstruktionen in Forschung und Praxis – Einführung in den Themenschwerpunkt. 2003. S. 189. FATKE, REINHARD: Fallstudien in der Erziehungswissenschaft. 2003. S. 57.

101

Gliederungdes des Gliederung Kapitels Kapitels

INSZENIERUNG DER SUCHE

1. Methodologische Grundlegung: Rekonstruktion von Eigensinn

Praxeologische Methodologie

Die folgende qualitative empirische Studie zu Aufzeichnungen von Studierenden ist im Rahmen der »rekonstruktiven Sozialforschung« angesiedelt, wie sie der an der FU in Berlin lehrende Soziologe Ralf BOHNSACK bereits in seiner Dissertationsschrift 1981 thematisiert458 und 2003 aktualisiert dargelegt hat. Die rekonstruktive oder interpretative Sozialforschung459 beruht auf einer »praxeologischen Methodologie«, die ich im Folgenden skizzieren werde, da sie den Rahmen meiner empirischen Studie darstellt. Innerhalb dieser Rahmung soll vor allem der methodologische Stellenwert der Grafie thematisiert werden. Als Methodenlehre, die einerseits die Forschungspraxis, andererseits die Alltagspraxis der Erforschten rekonstruiert460, stellt sie auf der Metaebene die Möglichkeit zur Verbindung her zwischen den in der Praxis gewonnenen Erfahrungen und theoretischen Annahmen oder Folgerungen. Dabei fungieren, so meine These, die Grafien als Schnittstellen. Innerhalb dieser erfahrungswissenschaftlichen Methodologie finden lediglich »solche theoretischen Aussagen Anerkennung [...], die einer Nachprüfung durch die Erfahrung prinzipiell fähig sind.«461 Das hat Konsequenzen für den Erfahrungs- und Theoriebegriff sowie für die Relation von Erfahrung und Theorie: »Weil schlichte, uninterpretierte Sinneserfahrung wissenschaftlich keine Relevanz gewinnen kann, sondern weil wir dort, wo wir es mit wissenschaftlich relevanter Erfahrung zu tun haben, immer schon interpretierte, und d.h. sprachlich fassbare und formulierte Sachverhalte vor uns haben, lässt sich das Problem der Beziehung von Theorie einerseits und Erfahrung andererseits bezeichnen als dasjenige der Beziehung theoretischer Sätze zu denjenigen Sätzen oder Aussagen, in denen Erfahrungen, Beobachtungen formuliert werden. Popper (u.a. 1971) als einer der Begründer der Methodologie der hypotheseprüfenden Verfahrensweise nennt diese Sätze auch Basissätze oder Protokollsätze. Das Problem der Beziehung von Theorie und Erfahrung, von Theorie und Empirie lässt sich also zunächst formulieren als das Problem der Beziehung von theoretischen Sätzen auf der einen und Beobachtungssätzen, Basissätzen oder Protokollsätzen auf der anderen Seite.«462

Um das Problem der Relation von Erfahrung und Theorie, das »zu den zentralen Themen wissenschaftstheoretischer Untersuchungszusammenhänge gehört« und in Bezug auf die Wissenschaftsphilosophie eine zunehmend größere Rolle spielt463, auf den Kontext der rekonstruktiven Sozialforschung zu beziehen, beschränke ich mich im Wesentlichen auf die methodologische Argumentation von BOHNSACK.

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102

Im Unterschied zu dem Ansatz von Oevermann, der sich insbesondere auf die Rekonstruktion kollektiver Prozesse beziehe, rekonstruiert Bohnsack »die erlebnismäßige Verarbeitung sozialer Tatsachen durch reflexionsfähige Subjekte auf unterschiedlichen Ebenen und Modi der Kommunikation«. BOHNSACK, RALF: Alltagsinterpretation und soziologische Rekonstruktion. 1983. S. 155. Vgl. auch S. 66. Zum aktuellen Forschungsstand und unterschiedlichen Ausrichtungen der interpretativen Soziologie vgl. HITZLER, RONALD: Sinnrekonstruktion. Zum Stand der Diskussion (in) der deutschsprachigen interpretativen Soziologie. 2002. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 10. Ebd. S. 13. Ebd. S. 13. DANNEBERG, LUTZ: Erfahrung und Theorie als Problem moderner Wissenschaftsphilosophie in historischer Perspektive. 1996. S. 12 und 41.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Relation von Erfahrung und Theorie BOHNSACK stellt die rekonstruktive Methodologie derjenigen der historisch älteren »hypotheseprüfenden Verfahren«464 gegenüber, wie sie der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Karl R. POPPER 1934 in seiner »Logik der Forschung« thematisierte.465 Die hypotheseprüfenden Verfahren basieren auf der Methode der rationalen Rekonstruktion, die sich von der Rekonstruktion der Praxis, wie sie BOHNSACK vertritt, vor allem in der Argumentationsrichtung unterscheidet.466 Zunächst zur rationalen Rekonstruktion: Diese Methode stellt bis heute einen einheitlichen Bezugspunkt der analytischen Wissenschaftstheorie dar, indem sie Wissenschaft als gegebenes Faktum voraussetzt und nach rationalen Kriterien rekonstruiert. Während der von 1920 bis ca. 1950 vertretene logische Empirismus (Wiener Kreis, u.a. MACH, CARNAP) versuchte, die Wissenschaft als logisch-strukturelles Faktum systematisch zu rekonstruieren, stellt der kritische Rationalismus der dreißiger Jahre (POPPER, FEYERABEND, KUHN, LAKATOS) die wissenschaftliche Erkenntnis verstärkt als historisches Faktum in den Fokus.467 Gemeinsam ist beiden Strömungen, dass sie Sinn- oder Prüfkriterien für die Hypothesenbildung aufstellen, um die »Übersetzung« der Erfahrung in Basissätze einerseits468 und die Basissätze in theoretische Sätze andererseits rational rekonstruieren zu können. Eine wesentliche Differenz besteht in der logischen Operation der Schlussfolgerung und den daraus folgenden Kriterien: Während der logische Empirismus mit dem Verfahren der Induktion von beobachtbaren Erfahrungen ausgeht, die verifizierbar sind und von diesen auf unbeobachtbare, theoretische Sätze schließt, geht der kritische Rationalismus den umgekehrten Weg: »Die Erfahrung steht nach Popper nicht am Anfang, sondern am Ende eines deduktiven Begründungszusammenhangs.«469 Erkenntnis wird als vorläufige betrachtet, die sich durch empirische Prüfung der Falsifikation erst bewähren muss. So verändert sich sowohl die Position der Logik als auch die der Erfahrung: »Nicht der Theorieentwurf unterliegt einer logischen Überprüfung, sondern dessen Konsequenzen einer empirischen.«470 Bei der rationalen Rekonstruktion des Erkenntnisprozesses stellt sich die Frage, wie die Übersetzung von Basis- zu Theoriesätzen und dementsprechend der Übergang von der Erfahrung auf die Theorie begründen lässt.

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Während die Methodologie »hypotheseprüfender Verfahren« sich historisch auf quantitativempirische Analysen bezieht, ist eine »rekonstruierende« Methodologie der qualitativ-empirischen Forschung zuzurechnen. Nach Terhard stellt sich dieser Unterschied in der Argumentations- und Blickrichtung der Forschenden dar: »In quantitativ-empirischer Forschung wird ein streng theorieund hypothesegeleitetes Verfahren bzw. Instrumentarium auf die Wirklichkeit gerichtet, die – derartig zubereitet – dann nur noch im Rahmen der vorab erfolgten Kanalisierung des Blicks auf die Abstraktionsebene zurückwirken kann. In qualitativ-empirischer Forschung wird umgekehrt versucht, Abstraktionen aus der Erfahrung zu generieren und dabei einen Rückbezug kontinuierlich aufrechtzuerhalten.« TERHARD, EWALD: Entwicklung und Situation des qualitativen Forschungsansatzes in der Erziehungswissenschaft. 2003, zuerst 1997. S.28. POPPER, KARL R.: Logik der Forschung. 1994, zuerst 1934. Vgl. AVGELIS, NIKOLAOS: Rationale Rekonstruktion und Empirie. Zur gegenwärtigen Problemlage der Wissenschaftstheorie. 1996. S. 42. Ebd. S. 43. Vgl. das Kapitel Grafieren als Übersetzung in den »kommunikativen Erfahrungsraum«. S. 113f. AVGELIS, NIKOLAOS: Rationale Rekonstruktion und Empirie. 1996. S. 51. REICHERTZ, JO: Die Abduktion in der qualitativen Sozialforschung. 2003. S. 12.

103

Rationale Rationale Rekonstruktion

Rekonstruktion

Logische LogischeSchlussSchlussfolgerung folgerungpositioniert positioTheorie und Erfahrung niert Theorie und

Erfahrung

INSZENIERUNG DER SUCHE

Induktionsproblem

Kritik Bohnsack

Diese Frage wurde in dem so genannten »Induktionsproblem«, das seit ARISTOTELES bekannt – u.a. von BACON471 und HUME im 17. und 18. Jahrhundert behandelt worden – von POPPER in Auseinandersetzung mit dem Wiener Kreis erneut thematisiert. Dabei ging es »um die Möglichkeit, aus einer Mehrzahl gleichartiger Beobachtungen auf Gesetzmäßigkeiten zu schließen«472 bzw. danach zu fragen, »ob und wann induktive Schlüsse berechtigt sind«473. Die Frage, wie man von besonderen empirischen Sätzen auf allgemeine Sätze schließen kann, stellt sich in der sozialwissenschaftlichen Forschung auch heute noch, insbesondere in der Kategorien- und Typenbildung.474 Im Unterschied zu apriorischen Aussagen sind induktive Schlüsse jedoch nicht notwendig gültig.475 Die Schwierigkeit der Induktion entsteht vor allem im Begründungskontext, also sobald die Frage aufgeworfen wird, »wie die Induktion selbst gerechtfertigt werden kann.«476 Dass dieses Problem erkenntnistheoretisch nicht zu lösen sei, da eine logische Begründung der Induktion ihrerseits einen induktiven Schluss voraussetze, legte POPPER in der »Logik der Forschung« dar.477 An dieser Stelle setzt die Kritik von BOHNSACK ein: »Popper [...] hat den Ausweg aus diesem Dilemma darin gesehen, dass er den Bereich der Entstehung, Entdeckung, der Genese von Theorien aus der erkenntnislogischen Begründung des Forschungsprozesses ausklammert. Die Frage: »Wie kommt jemand zu einer theoretischen Annahme?« ist – in diesem Sinne – allenfalls Gegenstand empirischer Wissenschaft, z.B. der Psychologie, nicht aber deren erkenntnistheoretische Grundlage: Eine Methode, etwas Neues zu entdecken, eine Methode der Theorieentdeckung, der Theoriegenerierung gibt es also in der Methodologie des Kritischen Rationalismus nicht. Somit konzentriert die forschungslogische Absicherung empirischer Wissenschaft sich dort allein auf den Überprüfungs- oder Begründungszusammenhang von Theorien.«478

Ausklammerung des Entdeckungszusammenhangs

Die einseitige Beschränkung auf den Überprüfungs- und Begründungskontext von Hypothesen und deren deduktiver Ableitung birgt aber noch ein weiteres Problem. Sie weist der Erfahrung einen geringeren Status zu als der Theorie. 471

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Vgl. dazu meine Darstellung des Chandos-Briefes als Rationalismuskritik Hofmannsthals, der als Student Machs mit dem Wiener Kreis und den Gedanken des logischen Empirismus vertraut war und sich mit der Figur des Chandos an den Gründer des Empirismus Francis Bacon wendet, der übrigens auch »Aufzeichnungen« veröffentlichte (vgl. Lappe S. 40), um seinen Erfahrungsprozess als Leidensprozess an der Sprache zu rekonstruieren. RITTER, JOACHIM / GRÜNDER, KARLFRIED (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. 1992. Bd. 8: R–Sc. S. 49. POPPER, KARL R.: Logik der Forschung. 1994, zuerst 1934. S. 3. Für Bohnsack stellt die Typenbildung die dritte Interpretationsstufe dar, die nach der methodisch kontrollierten Rekonstruktion einsetzt und mit der logischen Operation der Abduktion erreicht werden soll. Diese Art der Schlussfolgerung nehme auch die Objektive Hermeneutik fälschlicherweise für sich in Anspruch, obwohl sie eigentlich eine »qualitative Induktion« praktiziere. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 197 und REICHERTZ, JO: Von Gipfeln und Tälern – Bemerkungen zu einigen Gefahren, die den objektiven Hermeneuten erwarten. 1994. S. 147. MITTELSTRASS, JÜRGEN (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. 2004, zuerst 1995. Bd. 2, H–O. S. 234. Diese Frage ergibt sich laut Chalmers »für jeden, der sich der Sichtweise verschreibt, wissenschaftliche Erkenntnis müsse in allen Aspekten entweder durch einen Bezug zur (deduktiven) Logik gerechtfertigt sein oder daraus, dass sie aus Tatsachen gewonnen wird«, es gibt »nur zwei Möglichkeiten, entweder eine Rechtfertigung unter Bezugnahme auf die Logik oder eine Rechtfertigung in Bezugnahme auf die Erfahrung.« CHALMERS, ALAN F.: Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie. 2001. S. 42. Vgl. POPPER, KARL R.: Logik der Forschung. 1994, zuerst 1934. – »Jedes induktive Argument enthält einen Bezug auf vorhergehendes Wissen, das ein induktives Argument benötigt, um es zu belegen, was einen Bezug auf vorhergehendes Wissen enthält, uns so geht das in einer nie enden wollenden Argumentationskette weiter. Die Forderung, dass alles Wissen durch Induktion belegt sein muss, wird zu einer Forderung, die nicht erfüllt werden kann«. CHALMERS, ALAN F.: Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie. 2001. S. 42. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 14.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Gegen die deduktive Ableitung einer der Erfahrung übergeordneten Erkenntnistheorie, Logik bzw. Methodologie auf die Methodologie und Forschungspraxis der Einzelwissenschaften, hatten sich bereits Karl MANNHEIM in den 30er479, Norbert ELIAS in den 70 und 80er Jahren480 und Niklas LUHMANN in den 90er Jahren481 ausgesprochen.482 In der Tradition der Wissenssoziologie MANNHEIMs fordert BOHNSACK, »Methoden und Methodologien [ ] auf dem Wege der bzw. in Auseinandersetzung mit einer Rekonstruktion der Praxis der empirischen Forschung zu entwickeln«483, um so eine Theoriegenerierung im Entdeckungszusammenhang zu ermöglichen.

Methodische Kontrolle Dabei stellt sich die Frage, wie eine Praxis wissenschaftlich rekonstruiert werden kann. Um diese Frage zu beantworten, werde ich genauer auf die Differenzen von »hypotheseprüfenden Verfahren« und »rekonstruktiver Methodologie« im Hinblick auf das wissenschaftliche Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und damit der Gültigkeit und Geltung der Forschung eingehen. Die von BOHNSACK (re-)formulierte Kritik am konventionellen Forschungsmodell hypotheseprüfender Verfahren bezieht sich vor allem auf zwei Bereiche, erstens auf den bereits angesprochenen, ausschließlich auf den Begründungzusammenhang hin beschriebenen Übergang der empirischen Sätze zu theoretischen Sätzen (Beobachtungssatz ĺ Übergang ĺ theoretischer Satz), und zweitens auf »den Bereich der Beziehung von Beobachtungserfahrung und Realität«, dem so genannten Basissatzproblem (Realität ĸ Interpretation ĺ Beobachtungssatz).484 Um das Basissatzproblem intersubjektiv überprüfen zu können, forderte bereits der kritische Rationalismus (und das führte zur Bezeichnung kritisch), den Erkenntnis- und Interpretationsprozess »methodisch zu kontrollieren«, d.h. dass »der Vorgang, in dem das beobachtete Handeln in Beobachtungskategorien, in eine Beobachtungssprache übersetzt wird, dokumentiert« und prinzipiell reproduzierbar sein müsse.485 Um dies zu erreichen, sollten »analog zum naturwissenschaftlichen Experiment [...] in der sozialwissenschaftlichen Untersuchung die Rahmenbedingungen dadurch konstant gehalten werden, dass die Kommunikation zwischen den Forschern und denjenigen, die Gegenstand der Forschung sind, formalisiert, schematisiert oder standardisiert wird.«486 479

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Ich beziehe mich auf Mannheims berühmten Historismus-Essay von 1924, hier zitiert nach LAUBE, REINHARD: Karl Mannheim und die Krise des Historismus. Historismus als wissenssoziologischer Perspektivismus. 2004. S. 211–212; indem Mannheim behauptet, »daß die Erkenntnistheorie eines Zeitalters nichts anderes enthüllt, als die letzten Voraussetzungen einer Denkstruktur, die in jener Epoche die dominierende war, und daß der Erkenntnistheoretiker und Logiker sich faktisch an der Struktur bestimmter Erfahrungsgebiete des Lebens (z,B. an der religiösen Erfahrung), oder in wissenschaftlichen Epochen an bestimmten Einzelwissenschaften, die gerade in Zentrum treten, orientiert.« – Vgl. auch MANNHEIM, KARL: Wissenssoziologie. 1978, zuerst 1929. S. 247ff. – Ein frühes Plädoyer Mannheims gegen das Primat der Erkenntnistheorie findet sich bereits in »Die Strukturanalyse der Erkenntnistheorie. MANNHEIM, KARL: Die Strukturanalyse der Erkenntnistheorie. 1991, zuerst 1922. S. 69f. ELIAS, NORBERT: Das Credo eines Metaphysikers. 1985. Jg. 14, Heft 2. S. 95. – ELIAS, NORBERT: Was ist Soziologie? 1978, zuerst 1970. S. 52. Im Unterscheid zur übergeordneten Erkenntnistheorie schlägt Luhmann eine Theorie selbstreferentieller Systeme vor, die einen empirischen Anschluss ermöglicht. LUHMANN, NIKLAS: Die Wissenschaft der Gesellschaft. 1994. S.360–361. Vgl. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 189. Ebd. S. 189. Ebd. S. 16. Ebd. S. 16–17. Ebd. S. 17.

105

Kriterium der Intersubjektivität

1. Beobachtungssatz – Übergang – theoretischer Satz

2. 2. Basissatzproblem Basissatzprob(Realität – Übergang – lem (Realität Beobachtungssatz Übergang - Beo-

bachtungssatz

Standardisierung der Kommunikation

INSZENIERUNG DER SUCHE

Die Schematisierung der Kommunikation zur besseren Kontrolle birgt aber ein Problem: Wenn z.B. eine Biografieforscherin von Jugendlichen lediglich standardisierte Fragebögen zur Datenerhebung einsetzte, so würde sie zwar quantitative Daten erzeugen, schränkte dabei jedoch die Kommunikation zwischen sich und den Jugendlichen durch die »Gewalt der Frage«487 so stark ein, dass sie dem Gegenstand ihrer Untersuchung mit dieser Methode allein nicht gerecht würde. »Es ergibt sich hier das Problem, dass durch eine Standardisierung die Forschungskommunikation eingeengt, vor allem aber die Kommunikationsmöglichkeiten der Proband(inn)en beschnitten werden. Dadurch wird das infrage gestellt, was man als »Gültigkeit« (oder »Validität«) einer Verfahrensweise, einer Methode ihrem Gegenstand, nämlich dem sozialen Handeln, der Kommunikation derjenigen adäquat ist, die Gegenstand der Forschung sind.«488 Methodische Kontrolle

Aus diesem Grund geht die rekonstruktive Sozialforschung »den entgegengesetzten Weg, nach dem Motto: Weniger Eingriff schafft mehr Kontrollmöglichkeiten. Durch weniger Eingriffe des Forschers soll paradoxer Weise mehr methodische Kontrolle erreicht werden.«489 Das bedeutet, dass die Fragestellung in der qualitativen Sozialforschung, z.B. beim Interview, möglichst offen sein soll, »sodass die Befragten die Kommunikation weitestgehend selbst strukturieren und damit auch die Möglichkeit haben, zu dokumentieren, ob sie die Fragestellung überhaupt interessiert, ob sie in ihrer Lebenswelt – man sagt auch: ihrem Relevanzsystem – einen Platz hat und wenn ja, unter welchem Aspekt sie für sie Bedeutung gewinnt. Die Befragten sollen selbst offen legen, wie sie die Fragestellung interpretieren, damit die Art und Weise, wie sie die Fragen übersetzen, erkennbar wird; und zugleich wird ihnen die Gelegenheit gegeben, das Thema in ihrer eigenen Sprache zu entfalten. Je umfassender dies geschieht, desto geringer ist die Gefahr, dass die Interviewenden oder auch diejenigen, die das Interview auswerten, die Befragten missverstehen.«490

Prinzipien der Offenheit und Kommunikation

Während hypotheseprüfende Verfahren also die Bezugnahme auf »die« Realität standardisieren und damit den Gegenstand der Forschung als gegebenes, feststehendes Objekt auffassen, das nach einheitlichen Klassifikationsgesetzen untersucht werden kann, geht die rekonstruktive bzw. interpretative Sozialforschung, die demgegenüber Menschen, ihre Handlungsentwürfe und -weisen erst zum Gegenstand werden lässt, von einem interaktiven, kommunikativen Feld zwischen Forschenden und zu Erforschenden aus. Dieses Feld sei, so BOHNSACK in Bezug auf HOFFMANN-RIEM, von den methodisch zu kontrollierenden Prinzipien der Kommunikation und Offenheit geprägt: »Das Prinzip der Kommunikation besagt, daß der Forscher den Zugang zu bedeutungsstrukturierenden Daten im allgemeinen nur gewinnt, wenn er eine Kommunikationsbeziehung mit dem Forschungssubjekt eingeht und dabei das kommunikative Regelsystem der Forschungssubjekte in Geltung läßt«, während »das Prinzip der Offenheit besagt, dass die theoretische Strukturierung des Forschungsgegenstandes zurückgestellt wird, bis sich die Strukturierung des Forschungsgegenstandes durch die Forschungssubjekte herausgebildet hat.«491 487 488

489 490 491

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Zur »Gewalt der Frage« vgl. u.a.S. 89, 113, 249. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 17. – Vgl. dazu auch die eindrucksvolle Übersicht von Ballhaus über Interviewformen, Fragetechniken und deren Darstellung im Film. BALLHAUS, EDMUND: Rede und Antwort. Antwort oder Rede? Interviewformen im kulturwissenschaftlichen Film. 2003. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 20. Ebd. S. 20. Hier zitiert nach Bohnsack, ebd. S. 21–22. Vgl. HOFFMANN-RIEM, CHRISTA: Die Sozialforschung einer interpretativen Soziologie. Der Datengewinn. 1980. S. 343 und 346. – Zum Prinzip der Offenheit und Kommunikation in der Theoriegenerierung der Grounded Theory, Heuristischen Sozialforschung und Ethnografie KROTZ, FRIEDRICH: Neue Theorien entwickeln. 2005. S. 118–137.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Diese Prinzipien machen deutlich, dass das Basissatzproblem untrennbar mit einer anderen Ebene, nämlich der Beziehung von einer Theorie zu ihrem Gegenstand, bzw. dessen Beobachtung, verbunden ist: Je nachdem, wie sich die Relation von Theorie und Erfahrung formiert, entsteht ein anderer Modus der Artikulation von Erfahrungen und eine andere methodische Kontrolle wird erforderlich. Daraus resultiert eine immense Bedeutung der Praxis des Aufzeichnens im methodologischen Kontext, denn die Formation der Erfahrung und Theorie ist davon abhängig, wie etwas aufgezeichnet, notiert oder dokumentiert wird. Verschiedene Weisen der Aufzeichnung schaffen verschiedene Bezugnahmen auf »die« Realität. Sie konstruieren erst den Gegenstand, der ohne sie so nicht »ist«, sondern durch sie erst »wird.«492 Die methodische Kontrolle zielt also darauf, eine offene Kommunikation herzustellen, um den Gegenstand aus der Sicht der Erforschten entstehen zu lassen. Der Filter, bzw. das Raster für die Konstruktion und Rekonstruktion des Gegenstandes ist die Aufzeichnung. Was aber »wird« in den Sozialwissenschaften zum Gegenstand?

Stellenwert der Grafie

Relevanz, Lebenswelt, Eigensinn Im Unterschied zur naturwissenschaftlichen Relation von Gegenstand und Theorie ist der Gegenstand der Sozialwissenschaften, laut dem österreichischen Juristen und phänomenologischen Soziologen Alfred SCHÜTZ, geprägt durch eine »besondere Sinn- und Relevanzstruktur für die in ihr lebenden, denkenden und handelnden Menschen.«493 Um deren Sinnbildungsprozess als »Eigen-Sinn« zu rekonstruieren494 und die Strukturen und Prozesse zu erforschen, die der bloßen Beobachtung unzugänglich sind, bedarf es einer Methodologie, die »nicht mehr normativ gesetzt wird«, sondern »aufbauend auf der Rekonstruktion der Prozesse des Erkennens im Alltag und aus der Auseinandersetzung mit ihnen entwickelt wird.«495 Ausgehend von dem HUSSERLschen Begriff der »Lebenswelt« beschreibt SCHÜTZ die Verankerung des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses in der sozialen Praxis. Bereits in seiner frühen Textsammlung »der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt«496 konturiert sich der Gedanke, dass Sinn nicht einfach so gegeben ist, sondern »vielmehr das Resultat meiner Auslegung [d.h. der Forschenden] vergangener Erlebnisse, die von einem aktuellen Jetzt und von einem aktuell gültigen Bezugsschema reflektiv in den Griff genommen werden.«497

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497

Vgl. zum Gegenstand, der noch nicht ist S. 85f. SCHÜTZ, ALFRED: Common-Sense und wissenschaftliche Interpretation menschlichen Handelns. S. 159. Vgl. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 22. – Zur Relevanzstruktur vgl. den von Luckmann herausgegebenen Nachlass von Schütz, indem das ursprünglich vom Verfasser geplante Kapitel über »die Wissenschaften von der Lebenswelt« nicht mehr rekonstruiert werden konnte. (S. 21). SCHÜTZ, ALFRED / LUCKMANN, THOMAS: Strukturen der Lebenswelt. 2003. S. 252ff. »Den allgemeinsten sozusagen epistemologischen Sinn interpretativer Soziologie sehe ich in der Rekonstruktion von Sinn.« HITZLER, RONALD: Sinnrekonstruktion. 2002. Abschnitt. 3. – SCHÜTZ, ALFRED: Common-Sense und wissenschaftliche Interpretation menschlichen Handelns. 2004. S. 193. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 25. 1932, zwei Jahre vor Poppers »Logik der Forschung«, erscheint das einzige zu Lebzeiten veröffentlichte Buch von Alfred Schütz »Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt«, das – 30 Essays umfassend – seine später von Luckmann weitergeführten Gedanken grundlegt und ebenfalls in Abgrenzung zum Wiener Kreis entstand. SCHÜTZ, ALFRED / LUCKMANN, THOMAS: Strukturen der Lebenswelt. 2003. S. 44. – Vgl. zu den »Grundlagen des Wissens in der Alltagswelt« auch BERGER, PETER L. / LUCKMANN, THOMAS: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. S. 21ff.

107

Eigensinn

Lebenswelt Lebenswelt

Sinnbildung

INSZENIERUNG DER SUCHE

Genetische Analyseeinstellung

Reflexive Beziehung

Rekonstruktion von Eigensinn im Relevanzrahmen der Erforschten

Durch die Differenz der Sinn- und Relevanzstruktur zwischen Forschenden und Erforschten entsteht ein implizit komparatives, »reflexives Verhältnis«, das dazu dient »jene Verfahren der Interpretation und Reflexion zu rekonstruieren, die gleichermaßen im Alltag wie in den Wissenschaften, oder genauer: die gleichermaßen im Alltag derjenigen, die Gegenstand der Forschung sind, wie im Alltag der Forscher selbst zur Anwendung gelangen.«498 Diese rekonstruktive oder genetische Reflexion eines Forschenden zu seinem Gegenstand kennzeichne zugleich den Unterschied zwischen wissenschaftlicher und alltäglicher Einstellung.499 Die reflexive Beziehung, die BOHNSACK auch »Rekonstruktion der Rekonstruktion« nennt500, kann noch einmal differenziert werden: einerseits als Rekonstruktion auf methodologischer501 und forschungspraktischer Ebene502 andererseits. Während auf der methodologischen Ebene die Regeln der kommunikativen Bedingungen von Forschenden und Erforschten rekonstruiert werden, stellt die forschungspraktische Ebene eine Rekonstruktion des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses und seiner Arbeitsund Entscheidungsschritte dar503, die traditionell durch eine »Integration von Forschung und Lehre nach Art von Forschungswerkstätten« praktiziert wurde.504 Im Unterschied zu hypotheseprüfenden Verfahren, in denen theoretische Sätze im Hinblick auf die empirischen »Anwendungsfälle« lediglich überprüft und begründet werden, besteht das Ziel der rekonstruktiven Sozialforschung darin, eine Rekonstruktion der Bildung von Eigensinn im Relevanzrahmen der Erforschten herzustellen. Dadurch wird die Beziehung zwischen Forschenden und Erforschten in der praxeologischen Methodologie zu einer reflexiven. Im Folgenden soll nun erläutert werden, welche wissenssoziologische Grundannahme eine Rekonstruktion der Praxis überhaupt ermöglicht.

»Erfahrungswissen« Basierend auf der »umfassenden Verankerung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der sozialen Praxis«, setzen beide Ebenen ein »Erfahrungswissen« (gegenüber einem »Aussagenwissen«) voraus, dass in routinierten Praxen auftritt und innerhalb des Prozesses weder bewusst noch explizierbar ist. Dieses »Erfahrungswissen« wird bei MANNHEIM als »atheoretisches Wissen«, bei Michael POLANYI als »stilles Wissen« (»tacit knowledge«)505, bei 498 499 500 501

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108

BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 25. Ebd. S. 27. Dies ist eine Anspielung auf Luhmanns Beobachtung zweiter Ordnung. «Die methodologische Position wird getragen durch die Phänomenologische Soziologie (A. Schütz), vor allem in der Wendung, welche ihr die Ethnomethodologie (Garfinkel und Cicourel) gegeben hat, sowie durch die Wissenssoziologie von Karl Mannheim und durch die Hermeneutik, in jener Wendung, die wir bei Habermas finden.« BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 25. Als Vertreter der forschungspraktischen Ebene nennt Bohnsack die Chicago School der späten 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, die von Anselm L. Strauss (und Barney Glaser) weiterentwickelt wurde. Ebd. S. 190. »Richtungsweisend für eine derartige forschungspraktisch gewendete Rekonstruktion der eigenen Vorgehensweise sind die methodischen Überlegungen von Glaser / Strauss (u.a.1969) sowie Strauss (1987), die in der Tradition der Chicagoer Schule stehen.« Ebd. S. 27. In Bezug auf die Integration von Forschung und Lehre weist Bohnsack auf die wenig bekannte Tatsache hin, dass Karl Mannheim mit Norbert Elias bereits zur Zeit der Chicago Schule in Frankfurt eine Forschungswerkstatt zu qualitativen Methoden betrieb. Ebd. S. 190. In seinen 1958 gehaltenen »Lindsay Memorial Lectures” würdigt Polanyi den Direktor der Universität North Staffordshire (UK), der sich für eine Einheit des Wissens zwischen Kunst und Wissenschaft einsetzte und dazu ein zusätzliches Jahr an der Hochschule implementierte. Die ein Jahr später veröffentlichten Vorlesungen skizzieren das implizite Wissen als personales Wissen: »What is usually described as knowledge, as set out in written words or maps, or mathematical formulae, is only one kind of knowledge; while unformulated knowledge, such as we have of something we are

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

BOURDIEU in Bezug auf PANOFSKY als »habitualisiertes Wissen« oder »Habitus«506 und bei BOHNSACK als »implizites Wissen« bezeichnet.507 Ein Beispiel: »Der Radfahrer beherrscht die Fertigkeit sich im Sattel zu halten, ohne die Regel, die diesem Verhalten zugrunde liegt, durch die entsprechende mathematische Formel ausdrücken zu können.«508 Das, was der Radfahrer tut, nämlich u.a. Balance halten, ist in der Praxis untrennbar mit dem verknüpft, wie er es tut. Der wechselseitige Bezug einer praktischen Formierung von Wissen einerseits und seiner Formation der Praxis andererseits wird dabei als konstruktive Praxis im Prozess ihrer Entstehung akzentuiert. Das »implizite Wissen« bringt erst hervor, was praktiziert wird. Damit ruft es nicht eine bloß unbewusste Struktur hervor, die sich auf Regelhaftigkeiten zurückführen lässt, vielmehr erscheint das implizite Wissen über die Praxisebene hinaus, als implizite Wissensformation oder Wissensstruktur; es ist selbst produktiv.509 Im performativen Vollzug einer Praxis entzieht sich das Wissen über das implizite Wissen, es ist nicht verfügbar, es ist ein Mangel, ein »Nichtwissen« und eben dadurch organisiert es die Praxis, schreibt es sich – wie ich mit WALDENFELS und DERRIDA gezeigt habe – gewissermaßen als Spur mit in die Praxis ein. Das implizite Wissen wird zur Spur, die »bezeugt, ohne zu bezeugen. Sie bezeugt das Verschwinden des Zeugen, wenn man so sagen kann. Sie bezeugt das Verschwinden der Erinnerung.«510 Dass dieses »implizite Wissen« nicht nur in alltäglichen Praxen vorkommt, sondern zudem ein wesentliches Moment in kognitiven Prozessen darstellt und somit auch in der Praxis wissenschaftlicher Forschung relevant wird, skizzierte POLANYI bereits 1959 in dem Kapitel »Understanding ourselves.«511 Ich füge die These hinzu, dass das habituelle Wissen auch für eine ästhetische Praxis grundlegend, d.h. handlungsleitend wird.512

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in the act of doing, is another form of knowledge. If we call the first kind explicit knowledge, and the second, tacit knowledge, we may say that we always know tacitly that we are holding our explicit knowledge to be true. If, therefore, we are satisfied to hold a part of our knowledge tacitly, the vain pursuit of reflecting ever again on our own reflections no longer arises. The question is whether we can be satisfied with this. Tacit knowing appears to be a doing of our own, lacking the public, objective, character of explicit knowledge. It may appear therefore to lack the essential quality of knowledge.« POLANYI, MICHAEL: The Study of Man. 1959. P. 11–12. – Vgl. den 1966 erschienenen, erst 1985 ins Deutsche übersetzten Essayband »the tacit dimension«, in der Polanyi seine Ideen bezüglich des impliziten Wissens bereits auf die vierziger Jahre zurückführt. POLANYI, MICHAEL: The tacit dimension. 1966. S. IX und 3–25. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 62. Die hier aufgezählten nicht-expliziten Wissensbegriffe sind keineswegs als deckungsgleich anzusehen. Die Unschärfe des »stillen« Wissensbegriffs reicht von einem handlungsleitenden Wissen, strukturellen oder prozeduralem Wissen bis hin zum unbewussten oder gänzlich unexplizierbarem Wissen. Bei Bohnsack resultiert das implizite Wissen »aus der Einbindung in eine Handlungspraxis«, die vom Fahrradfahren bis zur Erzählung reicht und an der Herstellung von Realität als modus operandi, als Habitus (im Sinne Bourdieus) beteiligt ist (Bohnsack, Ralf: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 191 und 194.) Im Folgenden bezeichne ich den Begriff implizites Wissen synonym zu dem des Habitus als »nicht nur strukturierende, die Praxis wie deren Wahrnehmung organisierende Struktur, sondern auch strukturierte Struktur«. BOURDIEU, PIERRE: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. 2003, zuerst 1979. S. 279. Als aktuellen Versuch, den nicht-expliziten Wissensbegriff in gedächtnispsychologischer Hinsicht des »Wissensmanagement« zu schärfen, vgl. MEYER, BERTOLT: Der nicht-explizierte Wissensbegriff im Wissensmanagement: Schärfung eines vagen Konstruktes. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 191. Vgl. die Analogie der Argumentation beim Diskursbegriff. S. 25. Fußnote 13. – Bei Bourdieu heißt es über den Habitus, dass er sowohl Erzeugungsprinzip von Praxisformen fungiere, als auch zugleich als deren Klassifikationssystem. BOURDIEU, PIERRE: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. 2003, zuerst 1979. S. 276. DERRIDA, JACQUES: Auslassungspunkte. Gespräche. 1998. S. 221. – Vgl. S. 46, Fußnote 146. Vgl. POLANYI, MICHAEL: The Study of Man. 1959. S. 73. Zum handlungsleitenden Aspekt S. 190, 194, 199, 202, 204, 211, 234, 235, 239f, 257.

109

Habitus, Habitus, ImpliziImplizites Wissen, tes Wissen, ErfahErfahrungswissen rungswissen

Produktivität der impliziten Wissensstruktur

Spur

Ästhetische Praxis und implizites Wissen

INSZENIERUNG DER SUCHE

Genetische Analyseeinstellung

Implizites Wissen als Grundlage der praxeologischen Methodologie

Indem die rekonstruktive Sozialforschung eine »genetische Analyseeinstellung« einnimmt und »auf die Frage nach dem Wie der interaktiven und erlebnismäßigen Herstellung sozialer Wirklichkeit [zielt]«, setzt sie voraus, dass das implizite Wissen zur Herstellung von Realität beiträgt, indem es sie organisiert und »sich an diesem Prozess der Herstellung selbst dokumentiert«.513 Auf der Grundlage eines kollektiven wie individuellen impliziten Wissens, das sich in der Erfahrung einer Praxis vollzieht, basiert die praxeologische Methodologie. Insofern bildet das implizite oder habituelle Wissen eine »wissenssoziologische Kategorie, mit welcher die für die Reproduktion sozialer Strukturen konstitutive Bedeutung symbolischer Repräsentationen aufgeschlossen wird.«514 Bezogen auf die Rekonstruktion berührt das implizite Wissen sowohl die methodologische Ebene als auch die forschungspraktische, es ist »unabdingbare Voraussetzung für Verstehensleistungen« sowie zugleich eine »Quelle der Kreativität«.515 Inwiefern wird jedoch implizites Wissen zur Voraussetzung von Verstehensprozessen und zur kreativen Quelle? Wie und wann kann es expliziert werden und wie kann es zur methodischen Kontrolle von Fremdverstehen führen?516

Verstehen im »konjunktiven Erfahrungsraum« Indexikalität

Konjunktiver Erfahrungsraum

In seinen »Krisenexperimenten«517 hat der Begründer der Ethnomethodologie, Harold GARFINKEL mit seinen Studierenden anhand von Kommunikationsstörungen gezeigt, dass Äußerungen in einer Kommunikation nicht automatisch mit bestimmten Bedeutungen verbunden sind, sondern dass »sprachliche Äußerungen indexikal sind, d.h. sie sind lediglich Hinweise auf Bedeutungen«, die interpretationsbedürftig sind.518 Im Alltag wird dies kaum als Interpretationsleistung wahrgenommen, weil man sich immer schon innerhalb einer Kultur oder Subkultur, einem Milieu oder einer Generation, also in einem geteilten »konjunktiven Erfahrungsraum«519 bewegt.

513 514 515 516 517

518 519

110

BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 194. MEUSER, MICHAEL: Repräsentation sozialer Strukturen im Wissen. Dokumentarische Methode und Habitusrekonstruktion. 2001. S. 207. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 194. Vgl. BOHNSACK, RALF: Alltagsinterpretation und soziologische Rekonstruktion. 1983. S. 8. In den »Krisenexperimenten« versucht »Garfinkel zu zeigen, daß Handlungen, die bestimmte normative Regelen verletzen, dadurch zugleich unverständlich werden. Ziel dieser Experimente ist es, durch regelwidriges Verhalten Störungen in der Interaktion zu erzeugen, an denen abgelesen werden kann, welche Bedeutung diesen Regeln für die Sicherung eines ungestörten Verlaufs der Interaktion zukommt. [...] Die kontrollierte Erzeugung von Störungen wird hier als Mittel vorgeschlagen, um die im Normalfall latent bleibenden Erwartungen und Mechanismen, die als strukturelle Voraussetzungen alltäglicher Interaktion fungieren, in ihrer Arbeitsweise sichtbar zu machen. Als »soziale Strukturen« gelten dabei Erwartungsstrukturen. Deren Störung durch die Produktion von Abweichungserlebnissen soll Aufschluss über ihre Funktionsweise geben.« SCHNEIDER, WOLFGANG LUDWIG: Grundlagen der soziologischen Theorie. Garfinkel – RC – Habermas – Luhmann. 2002. S. 15. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 19. Der Begriff »konjunktive Erfahrung« wurde von Karl Mannheim geprägt und bezeichnet einen der Interpretation und Kommunikation vorgeordneten intuitiven Verstehensprozess (im Unterschied zum Interpretationsprozess), die sich durch eine gemeinsame Handlungspraxis ergibt. Im »konjunktiven Erfahrungsraum« ist Verstehen an den Nachvollzug der Handlungspraxis gebunden, der ein atheoretisches, implizites Wissen erfordert. MANNHEIM, KARL: Eine soziologische Theorie der Kultur und ihrer Erkennbarkeit (Konjunktives und kommunikatives Denken). 1980, zuerst 1922 – 25. S. 211ff. – Für Bohnsack basiert die praxeologische Methodologie auf dem Fundament der konjunktiven Erfahrung als habitualisierte Praxis. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 62.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Zudem stiftet man durch die Kommunikation als interaktive Verstehenspraxis zugleich die Mitglieder dieser Gemeinschaft in jedem Kommunikationsakt neu ans, solche zu werden.520 Je mehr biografische Erfahrungen geteilt werden, desto größer ist die Schnittmenge von »konjunktiven Erfahrungsräumen« und implizitem Wissen, die zusammen ein intuitives »Verstehen«521 ermöglichen. Das implizite Wissen wird insofern zur Voraussetzung von Verstehensleistungen und damit auch zur Erfahrung des Anderen, da es wie ein Movens wirkt: es motiviert und organisiert eine Handlung, einen Akt oder eine Praxis im Vollzug. Es ist Grundlage für die Eigendynamik in der »Erfahrung des Machens«522 und demnach auch für die Erfahrung des Grafierens. Ferner kann man das »Erfahrungswissen« auch als Vorstrukturierung oder Grundierung von zukünftigen Erfahrungen des Machens begreifen523, denn – wie ich bereits gesagt habe – fungiert es »über die Praxisebene hinaus als implizite Wissensformation oder Wissensstruktur«.524 Die in der Kommunikationspraxis sich wechselseitig bedingenden Voraussetzungen und Setzungen von individueller und sozialer sowie konjunktiver und kommunikativer Erfahrung äußern sich nach GARFINKEL im Alltag, indem sich die Akteure gegenseitig »stillschweigend die Verständlichkeit dessen unterstellen, was sie sich wechselseitig anzeigen.«525 Überträgt man diese alltägliche Praxis jedoch auf die wissenschaftliche Forschung, dann bedeutete diese Unterstellung erstens, dass es einen gemeinsam partizipierten »konjunktiven Erfahrungsraum« gäbe und zweitens, dass die Forschenden sich in diesem »konjunktiven Erfahrungsraum« immer schon »verstanden« hätten, was die Anderen ihnen anzeigen würden; sonst könnten sie das Andere ja nicht darstellen. Eine Forschung, wie auch der Versuch Fremdes zu »verstehen« wäre überflüssig, weil das Fremde und damit auch die Erfahrung schlichtweg nicht mehr zum Vorschein kämen. Das »Gleichmachen« führte zum »Überwinden einer lästigen Fremdheit«.526 Der Verstehensprozess wäre lediglich »ein Wiederfinden des Ich im Du«527.

Postulat der Fremdheit Aus diesem Grund legt die rekonstruktive Sozialforschung – in wissenssoziologischer und phänomenologischer Tradition – das methodologische Postulat der prinzipiellen Fremdheit zwischen Forschenden und Erforschten zugrunde. »Forscher(innen) gehen hier nicht von vorneherein davon aus, dass sie mit den Erforschten gemeinsame Wissensbestände teilen, sondern betrachten dies als eine empirische Frage.«528 520

521

522

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Aus der Schreibpraxis kann exemplarisch der so genannte »implizite Leser« angeführt werden, an den ein Verfasser sein Werk adressiert, ohne, dass ihm dieses Wissen selbst verfügbar ist. GARFINKEL, HARALD / SACKS, HARVEY: Über formale Strukturen praktischer Handlungen. 2004. S. 415. Zum intuitiven Verstehen s. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 60.– Vgl. auch die bereits angeführte Differenzierung Mannheims von Verstehen und Interpretieren. S. 110, Fußnote 519. Stellvertretend für den aktuell sich formierenden Diskurs einer Produktionsästhetik sei hier das gleichnamige Buch des Frankfurter Literaturwissenschaftlers Köhn genannt. KÖHN, ECKHARDT: Erfahrung des Machens. 2005. Vgl. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 23. S. 109. STRÜBING, JÖRG / SCHNETTLER, BERNT (Hg.): Zu Garfinkel und Sacks: Über formale Strukturen praktischer Handlungen. 2004. S. 389. RATH, CLAUS-DIETER: ›Einfühlen‹ und ›Erschließen‹ bei Freud. 2005. S. 17 u. 24. – Für diesen Hinweis danke ich Karl-Josef Pazzini. Über die Problematik des hermeneutischen Zirkels und das Postulat der Fremdheit vgl. UHLE, REINHARD: Qualitative Sozialforschung und Hermeneutik. 2002 S. 99–122. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 198. Vgl. auch S. 58.

111

Implizites Wissen als Voraussetzung für Erfahrungen

Erfahrung des Machens als strukturelles Vorwissen

Kritik: Verstehen als »Wiederfinden des Ich im Du«

INSZENIERUNG DER SUCHE

Reflexive Beziehung

Wissensstruktur zwischen Forschenden und Erforschten

Diese Annahme, den Anderen in seiner Eigengültigkeit als Fremden wahrzunehmen, ohne ihn vermeintlich gleich zu »verstehen«, ist von grundlegender Bedeutung sowohl für eine genetische Analyseeinstellung als auch für das phänomenologisch orientierte, kunstpädagogische Setting dieser Arbeit.529 Sie ermöglicht eine reflexive Beziehung zwischen Forschenden und Erforschten, die sich aus der Differenzierung zwischen den jeweiligen Relevanzrahmen ergibt und nicht einen geteilten (ästhetischen) Erfahrungsraum immer schon voraussetzt. Für diese Differenzierung spielt indessen die Struktur zwischen Erforschten und Forschenden eine entscheidende Rolle: Im Unterschied zur Objektiven Hermeneutik gehen Forschende bei der rekonstruktiven Sozialforschung »nicht von vorneherein davon aus, dass sie mehr wissen als die Erforschten, sondern zunächst davon, dass die Erforschten selbst nicht wissen, was sie da eigentlich alles wissen«530 Die Forschung orientiert sich an der Praxis des Anderen mit dem Ziel, den Fallverlauf in seiner eigenen Dynamik und Dramaturgie mitsamt den zugrunde liegenden Organisationsprinzipien und Regelsystemen zu rekonstruieren. »Auf der Grundlage des impliziten Wissens der Erforschten selbst, d.h. auf der Grundlage ihrer Beschreibungen, Erzählungen und Diskurse werden jene verallgemeinerbaren Regeln bzw. Orientierungsmuster rekonstruiert, die den Erforschten zwar wissensmäßig verfügbar sind, die sie aber – je tiefer diese in ihrer habitualisierten, routinemäßigen Handlungspraxis verankert sind – umso weniger selbst zu explizieren vermögen.«531

Standortgebundenheit des Forschenden

Dass die Rekonstruktionen auf methodologischer und forschungspraktischer Ebene bestenfalls »als Annäherung« an die Eigengeltung des Anderen gelingen können, ist laut HITZLER evident.532 Im Hinblick auf das Fremdverstehen der Anderen im Forschungsprozess bedeutet dies, dass eine interpretative Annäherung an die Beobachtungsaussagen und Realisationen, d.h. an die Repräsentationen (hier: die Aufzeichnungen) der Anderen erfolgt, nicht jedoch eine Annäherung an deren Bewusstsein oder Intentionen.533 Im Unterschied zur traditionellen Hermeneutik wird Sinn nicht als etwas Gegebenes verstanden, das ohne die Interpreten bereits vorhanden und nur noch nachzuvollziehen wäre. Vielmehr gehört »der produktive Beitrag des Interpreten [...] auf unaufhebbare Weise zum Sinn des Verstehens selber.«534 Statt die Perspektive des Forschenden als Fehlerquelle zu betrachten, bildet sie einen (impliziten) Gegenhorizont zu derjenigen des Erforschten. Dadurch führt die von MANNHEIM so genannte »Seinsverbundenheit des Wissens« zur methodischen Kontrolle der »Aspekthaftigkeit« und »Standortgebundenheit« des Forschenden.535 Wie kann dies aus methodologischer Sicht bewerkstelligt werden? Indem der Interpret – wie an den Krisenexperimenten deutlich wird – die »natürliche Einstellung suspendiert«536, das intuitive Verstehen stört537, eine genetische Analyseeinstel529 530 531 532 533 534 535 536

112

Vgl. SOEFFNER, HANS-GEORG / HITZLER RONALD: Hermeneutik als Haltung und Handlung. Über methodisch kontrolliertes Verstehen. 1994. S. 35. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 198. Ebd. S. 198. HITZLER, RONALD: Sinnrekonstruktion. 2002. Abschnitt 32. – Vgl. auch KELLER, REINER: Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. 2005. S. 269. Ebd. Abschnitt 32. RITTER, JOACHIM / GRÜNDER, KARLFRIED (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. 1974. Bd. 3. G–H. S. 1070. MANNHEIM, KARL: Eine soziologische Theorie der Kultur und ihrer Erkennbarkeit 1980. S. 212ff. – BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 173f. Die »Suspendierung der ›natürlichen Einstellung‹ der Phänomenologie von Husserl und Schütz [...], der so genannten Epoché«, korrespondiert mit der genetischen Analyseeinstellung Mannheims. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 59 und 84.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

lung und folglich eine Distanz zum konjunktiven Erfahrungsraum einnimmt, werden Mechanismen, Regeln und Grenzen des Verstehens explizierbar und wissenschaftlich reflektierbar. Aber diese Auseinandersetzung findet nicht im konjunktiven Erfahrungsraum statt, sie ist bereits Interpretation. Geht man mit dem Postulat der Fremdheit nicht davon aus, dass Forscher und Erforschte denselben Erfahrungsraum teilen, wird die Frage relevant, wie man aus dem konjunktiven Erfahrungsraum in den kommunikativen übertritt.

Grafieren: Übersetzung in den »kommunikativen Erfahrungsraum« Die Art und Weise des Übergangs vom konjunktiven in den kommunikativen Erfahrungsraum wird üblicherweise – für die Akteure stumm – durch die Datenerhebungsmethode geregelt und in der Auswertungsmethode rekonstruiert. Ich habe bereits erwähnt, dass Forschende dabei durch die »Gewalt der Frage«538 den medialen Spielraum der Antwortenden im Vorhinein vorstrukturieren, sodass im Interview eine Frage selten mit einem Bild beantwortet wird. Um denjenigen, die Gegenstand der Forschung sind, die Strukturierung der Kommunikation im Rahmen des für die Untersuchung relevanten Themas so weit wie möglich zu überlassen, habe ich die Datenerhebungsmethode so konzipiert, dass sie auch das Medium, in dem kommuniziert werden soll, selbst wählen können. Damit schließe ich an die Forschung des Erziehungswissenschaftlers Horst NIESYTO an, der die »Eigenproduktion von Medien« im Hinblick auf die Kindheits- und Jugendforschung untersucht.539 Durch die mediale »Übersetzung«540 seitens der Erforschten entsteht ein weiterer Gegenhorizont zum Forschenden. Im Hinblick auf meinen kunstpädagogischen Fokus habe ich mit WALDENFELS gezeigt, dass die Umwandlung dessen, wovon ich getroffen werde, in etwas, worauf ich antworte, genau der Zwischenbereich ist, wo eine ästhetische Selbstbildung genuin einsetzt.541 Indem ich diesen Zwischenbereich den Anderen überantworte, habe ich eine zusätzliche methodische Kontrolle installiert und eine weitere Reflexionsmöglichkeit in Bezug auf die Erfahrung bzw. den Modus der Artikulation entwickelt. Darüber hinaus ist das Postulat der Fremdheit nicht nur eine Annahme, die für die anschließende Interpretation der Grafien relevant wird. Vielmehr wird die Fremdheit nicht nur einseitig postuliert, sondern insofern methodisch kontrollierbar, indem die Studierenden selbst entscheiden, ob sie in ihren Aufzeichnungen von einem geteilten konjunktiven Erfahrungsraum ausgehen oder nicht und ob sie ihre aufgezeichneten Erfahrungen als prinzipiell teilbare oder kommunikativ übersetzbare ansehen. Wie bedeutsam diese methodologische Veränderung für die Reflexion von Erfahrung sein kann, wird ansatzweise ahnbar, wenn man sich bewusst macht, dass hier das bereits angesprochene Basissatzproblem, bzw. die Frage, wie eine Beobachtung oder Erfahrung in einen Beobachtungssatz transformiert werden kann, den Anderen überlassen wird.542

537 538 539

540 541 542

BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 83. Zur »Gewalt der Frage« S. 89,106, 249. NIESYTO, HORST: Eigenproduktionen mit Medien als Gegenstand der Kindheits- und Jugendforschung. 2001. S. 7–14. – NIESYTO, HORST: Jugendforschung mit Video. Formen, Projekte, Perspektiven eines Forschungsansatzes. 2001. S. 89–102. – NIESYTO, HORST: Medien und Wirklichkeitserfahrung – symbolische Formen und soziale Welt. 2002. S. 29–53. Zum Begriff »Übersetzung« vgl. S. 27, 67, 69, 103, 113, 208-210, 226, 239. Zur »Umwandlung« vgl. S. 71, 84, 86, 212, 257. Siehe S. 105.

113

Grafien: Mediale Übersetzung der Erforschten

Grafien als zusätzliche methodische Kontrolle

Methodologische Bedeutung von Grafien

INSZENIERUNG DER SUCHE

Gerade im Hinblick auf die zu reflektierenden ästhetischen Erfahrungen der Studierenden ist die mediale Dimension der »Übersetzung« von enormer Bedeutung, denn sie ist es, die in den Grafien praktiziert wird und sich dadurch dokumentiert. Mehr als jede andere Art der »Protokollierung«, in denen Beobachtungen in Protokollsätze übersetzt werden, fungieren Grafien als methodische Kontrolle, die in jedem Falle »eine Trennung von ›Daten‹ (Originaltexten) und Interpretationen des Forschers schärfer und präziser« macht.543 Die Tatsache, dass hier jedoch die Erforschten, die Anderen grafieren, führt zu einer methodologischen und kunstpädagogischen Verquickung des Zugangs zur Fremderfahrung, insbesondere wenn man die Aufzeichnungen als Instrumente des Antwortens auf Widerfahrnisse versteht.

543

114

BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 196.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

2. Rekonstruktion der Aufzeichnungspraxis Im Hinblick auf die Forschungsfrage, inwiefern Aufzeichnungen (ästhetische) Erfahrungen reflektieren, werde ich im Folgenden verschiedene Schritte der Rekonstruktion an einem Einzelfall exemplifizieren. Dafür ist es notwendig zunächst den Rahmen der Aufzeichnungspraxis zu beschreiben – von der Aufgabenstellung bis zum Seminarthema, von den ausgeklammerten Grenzfällen bis hin zu den potentiellen Interessen der Studierenden –, um dann die Fallauswahl zu begründen und mit der Rekonstruktion des Singulären zu beginnen.

Setting Die zu rekonstruierende Aufzeichnungspraxis ist in einem kunstpädagogischen Seminar »Ästhetische Forschung«544 entstanden, das folgendermaßen am schwarzen Brett und im Vorlesungsverzeichnis in Kurzform angekündigt wurde. C3 Do 14 – 16.00 Uhr, Raum 5246

Didaktik und Methodik Andrea Sabisch

Ästhetische Forschung Unter dem Titel Ästhetische Forschung entwickelte HELGA KÄMPF-JANSEN ein kunstdidaktisches Konzept, das die Grundlage für dieses Seminar bildet. Anhand eigener Projekte in Form von »Aufzeichnungen« sollen die Grenzen dieses Ansatzes, dessen Begrifflichkeiten, die Durchführung und Initiierung in der Lehre thematisiert und ausprobiert werden. Die Lektüre des Buches Ästhetische Forschung bis zum Semesterbeginn ist Voraussetzung für die Teilnahme an diesem Seminar! Eine Anmeldung in der Sprechstunde ist erforderlich. Die Einführung findet am 25. April 2003 statt. Im Rahmen der Studienordnung sollte dieses Seminar vor der Zwischenprüfung, d.h. zum Ende der Grundstudiumszeit besucht werden, sodass die Durchschnittssemesterzahl der Studierenden zwischen dem 3. und 4. Fachsemester lag. Das bedeutet, dass sich die Studierenden schon im universitären Alltag orientieren konnten. Innerhalb des Seminarverlaufs waren drei Sitzungen den Aufzeichnungen gewidmet: Eine zur Themenfindung, die im Folgenden noch genauer beschrieben wird, eine Sitzung zur gegenseitigen Beratung in Gruppen und eine am Ende des Semesters mit der Präsentation der Aufzeichnungen. Die unerwartet hohe Anzahl von 69 TeilnehmerInnen (62 weibliche und 5 männliche), die sich bereits vor Beginn des Seminars anmeldete (hier gab es keine Auswahl), erforderte die Aufteilung der Studierenden in zwei Seminare, die innerhalb dieser Untersuchung als Vergleichshorizonte dienen. Von den ursprünglich 69 Teilnehmenden nahmen 61 Studierende regelmäßig teil, 56 davon gaben ihre Aufzeichnungen ab. Die fehlenden fünf Aufzeichnungen erklären sich nur in zwei Fällen. In einem Fall wurden die Aufzeichnungen aufgrund eines Studienortswechsels abgebrochen. Im anderen Fall wurde lediglich die Abgabe bzw. Einsicht verweigert, da die Aufzeichnungen die Studentin laut eigener Aussage in eine Krise führten, in der sie merkte, wie »wenig ich mich in den letzten Jahren um mich selbst gekümmert habe«545. 544 545

Zur didaktischen Konzeption vgl. S. 92, Fußnote 426, sowie das gleichnamige Kapitel S. 244. Dieses Zitat stammt aus einem kurzen Videointerview von mir mit der Studentin, das allerdings aufgrund des Datenschutzes nicht gezeigt werden kann. Weder die Existenz des Tagebuchs noch die der Studentin ist darstellbar und nachweisbar. Sie lassen sich nur behaupten.

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Ankündigung zur Anmeldung des Seminars im Sommersemester 2003

Vergleichshorizont

Grenzfälleder der AufGrenzfälle zeichnungen Aufzeichnungen

INSZENIERUNG DER SUCHE

Nähe zu psychoanalytischen Prozessen

Was wird in der Aufzeichnungspraxis ausgeklammert?

Plagiat

Impuls

Sie begab sich daraufhin aus eigener Motivation in eine psychotherapeutische Behandlung, über die sie ein Tagebuch führte. An den Veranstaltungen nahm sie regelmäßig teil. Lediglich ihr Buch wollte sie nicht öffnen. Ich versprach ihr, dass sie das nicht müsse und bestärkte sie darin, dennoch weiterhin am Seminar teilzunehmen. Daraufhin brachte sie ihr Buch mit in die drei den Aufzeichnungen gewidmeten Veranstaltungen, ohne es jedoch zu zeigen. Eine symbolische Geste, die auf eine stumme Zeugenschaft verweist, versiegelt, aber dennoch präsent. Die emotionale Beteiligung, die grundlegend ist für biografische Arbeit, macht die Nähe zu psychoanalytischen Prozessen und die »Grenzen psychischer Beteiligung im Ausbildungsprozess« deutlich, deren tatsächliche »Bearbeitung« Fritz SEYDEL im Rahmen der Hochschullehre zwar ablehnt, nicht jedoch den Hinweis auf eine mögliche professionelle therapeutische »Bearbeitung«.546 Als Grenzfall soll dieser Fall hier Erwähnung finden, da er auf zweierlei Weisen für die Reflexion von Erfahrungen wichtig ist: Einerseits zeigt er, dass sehr persönliche Erfahrungen von Studierenden aus diesem Grund in den Aufzeichnungen möglicherweise ausgeklammert wurden, andererseits – gesetzt, die Aufzeichnungen wären im Seminar gezeigt worden – ist solch ein persönlicher Fall schon aus Gründen des Datenschutzes und der Anonymisierung im Rahmen einer Veröffentlichung schier nicht darstellbar, wenngleich als Grenzfall ungeheuer darstellungswürdig. Wenn MERKENS behauptet: »Verweigerungen oder Hindernissen kommt Bedeutung zu, weil sie oft systematischer Natur sind«547, dann gilt dies auch für den folgenden Grenzfall. Er verweist auch auf die Problematik des Scheiterns, die mit den Aufzeichnungen als Antworten einhergeht. Neben den fehlenden Grafien gab es auch eine ungültige Aufzeichnung, ein Plagiat, in dem eine Studierende – vermeintlich unwissentlich – Internetaufzeichnungen zum Thema »Wasser« handschriftlich abschrieb. Aufmerksam wurde ich darauf, als ich die durchgängige »Schönschrift« der Studentin in immer gleichem Schreibduktus sah und die ersten esoterischen Abhandlungen las, die eine persönlich gefärbte, eigenständige Arbeit zum Thema förmlich ausschloss. Unabhängig von dem Betrug und der puren Sinnlosigkeit dieses Unterfangens, kann man diese Hilflosigkeit im besten Falle auch als Antwort auf das Seminar im Sinne einer Überforderung deuten. Zumindest ist es ein weiterer Grenzfall, der in weiteren Forschungen zu Aufzeichnungen sowie in deren Lehre konzeptionell antizipiert werden sollte. Für die Rekonstruktion der Aufzeichnungspraxis stelle ich hier noch einmal den genauen Impuls dar, um die Antworten darauf mit zu reflektieren. »Suchen Sie sich – unabhängig von dem Fach Kunst – ein Thema / eine Frage ihrer Wahl, mit der Sie sich in diesem Semester beschäftigen möchten und wählen Sie eine dem Thema / der Frage angemessene Weise der Aufzeichnung!« Diesen Impuls habe ich sowohl in einem Einzelgespräch bei der Anmeldung fast allen Teilnehmenden erläutert, als auch den hinzu gekommenen Neulingen in der ersten Seminarsitzung. Leider gibt es nur eine unvollständige Tonbandaufzeichnung aus dem Seminar über diese Sequenz, die ich in einer Folgeuntersuchung noch stärker kontrollieren würde. Gleichzeitig thematisiere ich mit der unvollständigen Aufzeichnung eine potentielle, hier technische Fehlerhaftighaftigkeit.

546 547

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SEYDEL, FRITZ: Biografische Entwürfe. 2005. Vollständiger Dissertationstext. Anhang S. 212. MERKENS, HANS: Auswahlverfahren, Sampling Fallrekonstruktion. 2003. S. 288.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Auf diesen Impuls hin trafen die Studierenden in der zweiten Seminarsitzung eine Vorauswahl über Themenwünsche. Da man diese Themen auch als gewählte Erfahrungsfelder verstehen kann, stelle ich sie im Folgenden in der Ordnung und mit den Überschriften dar, wie sie die Studierenden in einer gemeinsamen Seminarsitzung arrangiert haben. Auf einer Karteikarte stellte ich folgende Frage:

Potentielle PotentielleErfahrungsErfahfelder der Studierenden rungsfelder der Stu-

dierenden

Was möchten Sie gerne – unabhängig von dem Fach Kunst – lernen oder erfahren? Entscheiden Sie sich für ein Thema, eine Frage oder eine Tätigkeit und formulieren Sie bitte im ganzen Satz! Diese vorläufige Themenordnung habe ich bewusst nicht in den Anhang verschoben, sondern der Fallauswahl vorangestellt, da sie sich m.E. hervorragend eignet, um einen ersten Eindruck aus der Welt der Studierenden zu erhalten.548 Biografische Ansätze – »Ich würde mir gerne klar darüber werden, ob meine jetzige Fächerkombination das Richtige für mich ist. – Körpersprache« – »Das allgegenwärtige Thema in meinem Leben sind die Menschen, die mich umgeben (insbesondere natürlich meine Freunde / meine Familie). Sowohl ›freudige Ereignisse‹ als auch Komplikationen im ›Zwischenmenschlichen‹ beschäftigen mich. – »Kultureller Hintergrund von Piercings und Tattoos: Körperwahrnehmung, Erscheinungsbild« – »Was möchte ich aus meinem Leben machen (erreichen)? Welche Rolle spielt die Kunst in meinem Leben?« – »Ich interessiere mich für das Thema ›Beziehungen‹ und möchte erfahren, welche Umsetzungsmöglichkeiten es in der Kunst gibt.« – »Warum fällt es mir so schwer bei einigen Menschen vorurteilsfrei zu denken? Wie bildet sich bei mir Sympathie und Antipathie?« – »Von Zuhause (Elternhaus) ausziehen? Ist das ab einem bestimmten Alter (welches?) notwendig, um gesellschaftlich (Freund ... Partnerschaft ... Selbstständigkeit ...) anerkannt zu bleiben?« – »Wer bin ich? Wo gehe ich hin? – Kann sich eine biografische Spurensuche mit meinem Leben verknüpfen, ohne den wissenschaftlichen Aspekt zu verlieren? (Auch Interesse an Verknüpfung der biografischen Spurensuche mit Übergängen in soziologischen Lebensläufen)« – »Wie gestalte ich meinen Tag am effektivsten? Wie finde ich zwischen verschiedenen Aufforderungen ein Gleichgewicht, ohne dass ich selbst dabei zu kurz komme?« – »Mich interessiert das Thema Zugfahren (Fernweh / Heimweh), weil ich jede Woche / Wochenende selbst zugfahre und so zwischen zwei Welten ›pendle‹. ĺ Persönlicher Erfahrungsbericht! Persönlich, biografisch. – Das Thema ›Meer‹« – »Ich möchte lernen, mich zu entscheiden. Rausfinden, was ich will. In dem Fall, welchem Nebenfach ich die Priorität einräumen soll und ob ich in der Berufsschule oder dem Gymnasium in Zukunft unterrichten möchte.« – »Ich würde gerne wissen, ›was die Welt im Innersten zusammenhält‹. Es ist für mich so schwer zu wissen, was ich will, wohin ich will mit meinen Gedanken und mit meinem Leben.« – »Ich möchte mich persönlich weiterentwickeln und dieses später an meine SchülerInnen weitergeben.« – »Ich möchte gerne mehr über Kleidung / Mode erfahren, insbesondere Szene-Kleidung. Wie kleidet man sich in welcher Szene? Ich in der Gothik-Szene.« – »Ich möchte mehr über mein ›Ich‹ erfahren!« – »Ich interessiere mich für die Biografien anderer Menschen, u.a. in anderen Kulturen.« 548

Vgl. die Forderung von RAINER GOETZ nach einer »ästhetischen Interessenforschung« für eine nachhaltige Motivation, die ich auf S. 245 genauer erläutern werde.

117

59 Interessen

INSZENIERUNG DER SUCHE

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»Wie beeinflussen sich Menschen in ihrer Nachbarschaft durch ihre Geschichten?« »Wie entsteht Angst und wie überwinde ich sie?« »Ich würde gerne mehr übers Recherchieren erfahren (z.B. Ahnenforschung) erfahren.« »Ich möchte lernen, wie ich meine Zeit besser einteilen kann, um alle Wünsche erfüllen zu können, bzw. wie ich es schaffe, im Alltag weniger Stress zu haben.« »Die Darstellung von Tod/ Vergänglichkeit und Leben innerhalb der monotheistischen Religionen und deren Ausdruck / Umsetzung in der Kunst interessieren mich. »Mein Leben selbst zu organisieren (eigenes Leben)«

Andere Kulturen / Anthropologie – »Ich möchte gerne erfahren, woher meine Faszination für den Norden kommt (insbesondere Island), wie u.a. die (sehr alte) Sprache funktioniert und ob man sich darüber der Sagenwelt nähern kann.« – »Ich habe viele Interessen und möchte vieles machen und erfahren. Würde von allem ein bisschen was erfahren und dann gucken, was für mich gut ist, mich für ein Thema entscheiden und erfolgreich beenden – Würde mich mit verschiedenen Kulturen beschäftigen.« – »Erfahren im Sinne von Wahrnehmen: Ich möchte näher am Zeitgeschehen leben, Gedanken zulassen dürfen, die der Alltag verschluckt, (die den Alltag aber betreffen) – Im Sinne von Wissen: Völkerkunde / Archäologie.« – »Ich möchte mehr über die Problematik (aber auch die Lösungsansätze des Bevölkerungswachstums wissen.« – »Ich möchte mehr über fremde Kulturen / Länder lernen / erfahren z.B. durch Reisen.« – »Wie andere mit dem Thema ›Liebe‹ umgehen und welche Erfahrungen gemacht werden.« – »Ich würde mich gerne mit menschlichen Strukturen beschäftigen (Verhalten, Denken...).« – »Ich würde mich gerne mit anderen Ländern, Kulturen und Lebensweisen beschäftigen; bzw. mit Menschen und deren Alltag früher und heute im Allgemeinen.« – »Ich möchte im Rahmen meines Staatsarbeitsthemas in Deutsch, was sich um Heldenmotive in Felix Dahn’s ›Ein Kampf um Rom‹ dreht, über die Ostgoten, die Völkerwanderung und über Heldenmotive (auch) ästhetisch forschen. Wie ich das und ob ich das verbinde, weiß ich noch nicht. Aber ich habe schon ein paar Ideen. (Außerdem überlege ich, an der Arbeit – falsch – aus dem Archiv von Sigrid Sigurdson ein Buch zu leihen und ästhetisch zu gestalten. Dabei würde es sich um Auto-Biografisches drehen. Das wäre dort von Interesse).« Thema

– – – – – –

»1. Mich interessiert der Himmel, seine verschiedenen Erscheinungsformen, die Formen der Wolken, Sternbilder, seine Bedeutung in der Religion,... 2. Mich interessiert das Thema ‚Sehen und Nicht-Sehen (3. Erfahrungen auf Zugfahrten).« »Ich möchte mehr zum Thema ›Kopf‹ erfahren.« »Ich möchte mich mit dem Thema ›wachsen‹ beschäftigen.« »Mich beschäftigt das Thema ›Zufälle‹, wie man bestimmte Dinge beeinflussen hätte können und was ›einfach so gekommen ist‹ bzw. so kommen musste.« »Wie schaffe ich es meine Zeit gut einzuteilen? Sinnvoll ĺ Wahrnehmung von Zeit«»Wie werde ich bei meinem Hobby Standardtanz erfolgreicher? Was steckt hinter meiner Faszination?« »Astrophysik interessiert mich, seit ich Physik als Leistungskurs belegt hatte.«

Lernen lernen – »Ich möchte lernen, mich intensiv mit einem Thema beschäftigen zu können und lernen, wie ich mir am besten weiterführende Gedanken zu diesem Thema machen und diese umsetzen und darstellen kann.«

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ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

– –

»Ich möchte lernen zu verstehen, was man mit Worten nicht erklären könnte. Ich möchte verstehen, warum man etwas ... (naja, ein Satz müsste genügen!)« »Ich bin daran interessiert, Strategien kennenzulernen, meine Lernprozesse und Handlungsweisen (in allen Bereichen) sowie Lerninhalte besser zu überblicken, strukturieren, kategorisieren & verbessern und sinnvoll miteinander in Bezug bringen zu können. (Fokussieren, entscheiden, was wichtig ist).«

Lernen, erfahren, konzentrieren – »Im Moment habe ich kein außerfachliches Interesse. Anfänglich wollte ich noch Spanisch hier an der Uni lernen, habe es aber dann aus Zeitgründen gestrichen. Heute war ich bei einer Psychologie-Vorlesung. Falls ich am Do um 12.00 Uhr zum Seminar komme, streiche ich das auch.« – »Ich möchte lernen, mich mit voller geistiger Kraft auf ein Thema zu konzentrieren. Anstatt mich ständig mit 1000 Themen gleichzeitig zu beschäftigen. Und von deren Möglichkeiten irritiert zu sein. Ich will zuviel, glaube ich und komme nicht zur Ruhe. Also: Selbstbeschränkung und Konzentration auf das, was man wirklich – und am meisten – will, auch wenn das ein sehr hoher Anspruch ist, der wahnsinnig schwierig zu verwirklichen ist. Vielleicht auch gar nicht.« Ausdruck – »Ich habe das Interesse, mir möglichst viele Ausdrucksmöglichkeiten zu erschließen. In der Philosophie z.B. wissenschaftlich-rational (Logik, Dialektik). In der Germanistik z.B. durch das Schreiben von Prosa, Lyrik. In der Kunst durch das Erlernen möglichst vieler Techniken, die mir wieder neue und qualitativ andere Möglichkeiten erschließen.« – »Ich möchte gerne interessante, spannende Fotos machen.« – »Ich möchte gerne richtig gute Fotos machen können.« – »Ganz unabhängig von der ›hohen Kunst‹, die für mich auch nach dem 17. Jahrhundert weitergeht, würde ich gerne mehr aus dem (für mich zusammenhängenden) Bereich Architektur / Möbel- & Produktdesign der Gegenwart lernen.« – »Ich möchte mich mit dem Verständnis von Ästhetik beschäftigen, weitergehend möchte ich das Ästhetische des literarischen Werks des Schriftstellers Graham Greene erfahren, bzw. analysieren.« – »Ich möchte gerne mehr über Rhetorik lernen und erfahren.« Kunst lehren – »Wie kann ich meine Schüler (später) motivieren? Ich möchte lernen, ›guten‹ (interessanten) Unterricht zu machen. Bezogen auf das Fach Kunst: die Kreativität der Schüler fördern, soweit dies trotz äußeren Einschränkungen (Curriculum etc.) möglich ist.« – »Wie kann ich Menschen sinnvoll helfen – Kunsttherapie – Gesprächstherapie? – ›Soziale Beziehungen‹« – »Wie kann ich Kinder in ihrem künstlerischen Schaffensprozess fördern, ohne sie durch meine Eingriffe einzuschränken?« – »Fächerübergreifend unterrichten – Geographie und Kunst.« Lehren

– –

»Ich möchte ›Lehren‹ lernen!« »Wie kann ich die Fantasie von Kindern anregen und ihnen helfen, diese umzusetzen?«

Verhalten von Kindern und Jugendlichen – »Ich interessiere mich für Jugendbewegungen im 20.Jh., weil das 20. Jahrhundert ein sehr schnelllebiges war.«

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INSZENIERUNG DER SUCHE



– –

»Mich interessieren die modernen ›Jugendbewegungen‹ und Lebensstile von jungen Leuten. (Vor allem im Bereich der Optik (Mode-Erscheinungen), Aussehen und Musik). Wie drücken sich jungen Leute aus, identifizieren mit Szenen? Warum tätowieren / piercen sich junge /alte Menschen sich? (Piercing, Tattoo, Rock’n Roll, 50er / 60er / 70er, Punk, Rock) Würde auch gerne mal jemanden tätowieren... habe überhaupt keine Ahnung davon...« »Ich möchte herausfinden, ob es möglich ist, Grundschulkinder vom Fernsehen weg und hin zum freiwilligen Lesen zu bringen. Oder: Wie kann ich das Lesen attraktiv machen?« »Verstehen von Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen, Hintergründe; Einflussnahmen.«

Fallauswahl

Theoretical Sampling

Die hier zitierten Themenstellungen und Fragen der Studierenden sind als »Türöffner« zu potentiellen Erfahrungsräumen zu begreifen, sie geben einen Eindruck von der vielfältigen inhaltlichen Orientierung und Dimensionierung der Aufzeichnungen. Sie bilden eine Grundgesamtheit, die umfasst, was die Lernenden gerne lernen, erfahren oder wissen möchten. Die damit zusammenhängende Frage, wie sie diesen »Mehrwert«, diese Zielsetzung erreichen wollen, d.h. in welchem Medium sie sich mit welcher Methode wann ihren Interessen annähern, betrifft die ebenso angesprochene Lernorganisation. Diese beruht in erheblichem Maße auf den Vorerfahrungen und Orientierungsmustern der Studierenden, die ich an den Grafien ansatzweise rekonstruieren werde. Bei der Fallauswahl steht dabei entsprechend der Aufgabenstellung die Verknüpfung des Themas mit einer angemessenen Weise der Aufzeichnung im Vordergrund. Um überhaupt eine Vorstellung davon zu bekommen, wie man für diese Verknüpfung Kriterien entwickeln kann, mussten verschiedene Fälle miteinander kontrastiert werden. Die Abgrenzung der Grundgesamtheit vom Fall wird damit zu einem interpretativen Problem, denn sie ist nicht – wie bei quantitativen Stichproben – im Voraus gegeben, sondern muss im Forschungsprozess erst hergestellt werden.549 Als ausführlichste methodologische Beschreibung des Arbeitsschrittes »Sampling« sehe ich die von Anselm STRAUSS und Barney GLASER entworfene Methode des »Theoretical Sampling«550, die hier treffend zusammengefasst wird: »Datenerhebung und Datenanalyse werden nicht als zwei voneinander getrennte Schritte konzipiert, sondern sind in einem zirkulären Forschungsprozess eng miteinander verzahnt und spiralförmig in den Prozess der theoretischen Erkenntnisfindung eingewoben. D.h. die Analyse beginnt bereits am ersten erhobenen Fall und die Auswahl weiterer für die Untersuchungsfragestellung ›relevanter Fälle‹ wird getroffen, indem auf der Basis der generierten ersten fallübergreifenden Hypothesen, theoretischen Kategorien, Einsichten oder Vergleichsdimensionen Fallauswahlkriterien entwickelt und Kontrastfälle im Untersuchungsfeld gesucht werden. Es ist also, die sich entwickelnde Theorie, die die weitere Fallauswahl steuert und dabei gleichzeitig über den Weg des Vergleichens und Kontrastierens überprüft und verdichtet wird [...] ein Verfahren, das als Theoretical Sampling bekannt ist.«551

Im Unterschied zu dem hier beschriebenen Verfahren der erneuten Datenerhebung aufgrund von bereits analysierten Fällen habe ich lediglich eine einmalige Datenerhebung durchgeführt.

549 550

551

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MERKENS, HANS: Auswahlverfahren, Sampling Fallrekonstruktion. 2003. S. 291. GLASER, BARNEY G./ STRAUSS, ANSELM: The discovery of Grounded Theory. 1977, zuerst 1967. – GLASER, BARNEY G. / STRAUSS, ANSELM: Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. 2005. S. 53–83. – STRÜBING, JÖRG: Grounded Theory. 2004. S. 29–32. FABEL-LAMLA, MELANIE / TIEFEL, SANDRA: Fallrekonstruktionen in Forschung und Praxis. 2003. S. 191.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Die Schwierigkeit der Fallauswahl bestand zuerst darin, überhaupt einen Überblick über die Menge des Datenmaterials zu bekommen. Denn dieses Material war ja noch nicht so ohne Weiteres sichtbar. Vor mir lagen Videos in den unterschiedlichsten Formaten, Tonbänder, Alben, Zettelkästen, Zeichenblöcke, Leinwände, Koffer, die Einladung zu einer Ausstellung etc. Das gesamte Material musste also erst vollständig archiviert, d.h. digitalisiert werden, in rechnertaugliche Formate umgewandelt werden, um überhaupt zum Vergleich zu stehen. Durch die Formation der Daten gingen jedoch auch Daten verloren, wie z.B. die Materialität einer großen Zeichnung, für die ich einen ganzen Raum ausleuchten musste, um sie dann mehr schlecht als recht fotografisch re-präsentieren zu können etc. Was bei der Phase der Archivierung nicht sichtbar gemacht werden kann, steht auch nicht als Kriterium für die Fallauswahl zur Verfügung, wird schlichtweg ausgeklammert. Die Sichtbarmachung des Datenmaterials ist – sofern jenes sich nicht nur auf Texte beschränkt – nur eine scheinbar selbstverständliche und banale Tätigkeit des Forschenden.552 Sie ist ein medieninduziertes Nadelöhr, das in einer »medienübergreifenden Quellenkunde« hinterfragt werden muss.553 Diese Hinterfragung findet gegenwärtig im Diskurs über den Konstruktionscharakter des Visuellen, über den Prozess der Sichtbarmachung in bildgebenden Verfahren und deren wissenschaftlicher Anwendung statt.554 Bei dieser Archivierung wird zudem bereits eine ordnende Struktur zugrunde gelegt, die zur Fallauswahl führen kann. In meinem Fall habe ich allerdings Ordner mit den Namen der Studierenden angelegt, um überhaupt einen Überblick zu behalten, wer was wann abgegeben hat. Vorstellbar wäre aber ebenso eine Ordnung nach den Formaten der Grafie: als Textografie, Fotografie, Videografie etc. Wie kann ich aus so einer Fülle einen Fall auswählen, wenn ich – im Unterschied zu PETERS – die Untersuchungsmatrix noch nicht kenne?555 Wie kann ich nach Kriterien suchen, an denen ich die Reflexion festmachen kann? Während das Ziel des Sampling üblicherweise darin besteht, das »Typische einer Lebenslage in den Blick zu nehmen«556, zielt das Sampling im Rahmen meiner Arbeit darauf, die Grenzen und Möglichkeiten der Aufzeichnungsprozesse (und ihrer Analyse) ansatzweise – soweit dies eine einführende Erstlingsforschung leisten kann – zu untersuchen, um daraus Indizes für Reflexionsetappen abzuleiten. Aus diesem Grund habe ich nach einem Fall gesucht, an dem sich thematische und mediale Umschlagpunkte, Korrekturen, Verwerfungen und Motivationsveränderungen zeigen lassen.557 Dabei ging es mir – analog zur Begründung der Fallauswahl bei Fritz SEYDEL – »nicht um die ästhetische Qualität« im Sinne einer formvollendeten oder gar künstlerisch stilisierten Aufzeichnung im Gegensatz zu einer steoretypen Tagebuchdarstellung, vielmehr erfolgte die Auswahl im Hinblick auf die prozessualen Reflexionsmöglichkeiten ästhetischer Erfahrungen.558 552

553 554

555 556 557 558

Exemplarisch für den neueren Diskurs über den Konstruktionscharakter des Visuellen in naturwissenschaftlichen bildgebenden Verfahren vgl. die Anthologie HESSLER, MARTINA (Hg.): Konstruierte Sichtbarkeiten. 2005. – Vgl. auch S. 236, Fußnote 686. Vgl. den essayistischen Versuch diese Quellenkunde zu thematisieren BALLHAUSEN, THOMAS: Kontext und Prozess. Eine Einführung in eine medienübergreifende Quellenkunde. 2005. BREDEKAMP, HORST / WERNER, GABRIELE (Hg.): Bilder in Prozessen. 2003. – BREDEKAMP, HORST / WERNER, GABRIELE (Hg.): Oberflächen der Theorie. 2003. – FISCHEL, ANGELA (Hg.) Instrumente des Sehens. 2004. – BREIDBACH, OLAF: Bilder des Wissens. Zur Kulturgeschichte der wissenschaftlichen Wahrnehmung. 2005. – HESSLER, MARTINA (Hg.): Konstruierte Sichtbarkeiten. 2005. PETERS, MARIA: Blick, Wort, Berührung. 1996. S. 188. MERKENS, HANS: Auswahlverfahren, Sampling Fallrekonstruktion. 2003. S. 294. Zu einer kritischen Sicht auf die Bild-Auswahl bei Panofsky und Bohnsack vgl. S. 194, Fn. 591. SEYDEL, FRITZ: Biografische Entwürfe. Ästhetische Verfahren in der Lehrer/innenbildung. 2005. S. 372.

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Archivierung

Sichtbarmachung Sichtbarmachung

Ordnung

Ziel des Samplings

INSZENIERUNG DER SUCHE

Zeitlichkeit

Um diese aber dem Gegenstand angemessen rekonstruieren zu können, und das bedeutet, die Zeitlichkeit und Performativität von Aufzeichnungen mit zu berücksichtigen, habe ich mich dafür entschieden nur einen einzelnen Fall auszuwählen.

Zugang zum Datenmaterial – »Zufall« Anonymisierung

Bei dem im Folgenden dargestellten Einzelfall handelt es sich um die Aufzeichnungspraxis einer Studierenden, die ich fortan – um eine Anonymisierung zu gewährleisten – Nora Erikson nenne. Per Mail bat ich sie um eine Zustimmung für eine potentielle Veröffentlichung ihrer Aufzeichnungen und fragte sie, ob Sie Interesse an den ohnehin digitalisierten Datenmaterial habe.

Schriftliche Einwilligung zur Veröffentlichung

28.10.2003 22:38 Re: Zufall? Sehr geehrte Frau Sabisch, gerne gebe ich Ihnen hiermit die schriftliche Zustimmung, meine Aufzeichnungen in Text und Bild zu veröffentlichen. Dies schließt auch den Inhalt des Briefes mit ein, wobei ich es Ihnen überlasse möchte, ob Sie ihn direkt zitieren oder nicht. Bei weiteren Fragen zu meiner Arbeit können Sie mir gerne eine email schicken oder ich schaue in Ihrer Sprechstunde vorbei. Über eine zusammengestellte CD mit dem Material würde ich mich natürlich sehr freuen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Dissertation. Viele Grüße, Nora Erikson

Visualisierung des Datenmaterials

Die visualisierte Anordnung der fotografierten und eingescannten Aufzeichnungen beruht auf einer Organisationsstruktur, die die Studentin in ihren unterschiedlichen Aufzeichnungen: den zwei Heften, einer Sammelmappe DIN A2 und einer Sammelkiste zugrunde legte. Die hier gezeigte Ordnung als Abfolge entspricht dabei weder der Chronologie der Entstehung noch der abgegebenen Ordnung von Nora Erikson. Beide können aufgrund der Grenzen eines Buches nicht abgebildet werden: Die chronologische Darstellung des Entstehungsprozesses würde ein stärkeres Nebeneinander von Fotografien neben den schriftlichen Aufzeichnungen erfordern, da sie ihre Entstehung sich teilweise überlagerte, eine zeitliche Einordnung bei den Fotos aber nur zum Teil rekonstruiert werden kann. Die Übernahme der abgegebenen Material-Ordnung hätte dagegen zur Folge gehabt, dass die in der Sammelkiste durcheinander gewürfelten Texte, Bilder, Fundstücke etc. als unsortierte Sammelsurium am Ende des Textes erschienen wären. 559 Aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, die Gegenstände der Sammelkiste nach den im Text beschriebenen Kategorien der Studentin zu darzustellen.

559

122

Beim Zweiten kunstpädagogischen Kolloquium in Loccum vom 01.-03.09.2005 zum Thema »Erkenntnispraxen im Feld von Kunst und Pädagogik« habe ich die teilnehmenden Nachwuchswissenschaftler/innen gebeten, für die einzelnen als Puzzleteile ausgeschnittenen Arbeiten der Sammelmappe eine Ordnung zu finden, um die unterschiedlichen Sortierweisen als Vergleichshorizont zu entwickeln. Dabei stellte sich heraus, dass es ähnliche strukturelle Ordnungen wie bei Nora Erikson entstanden. MÜNTE-GOUSSAR, STEPHAN: Tagungsbericht – Kunstpädagogisches Kolloquium in Loccum II. 2006. S. 34.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Indem ich diese Organisationsstruktur der Aufzeichnungen übernehme, wird zudem eine bessere Übersichtlichkeit über das Material hergestellt. Dieser Übersichtlichkeit ist eine weitere Visualisierung geschuldet, von der ich noch nicht weiß, wie sie (in Buchform) veröffentlicht werden kann. Das betrifft die kombinierte Zuordnung dieser fotografierten Serie zu den nächsten beiden Arbeitsschritten der Analyse: der Transkription (dunkelgrau bzw. grün schattiert) und der Formulierenden Interpretation (hellgrau bzw. gelb unterlegt) im Rahmen der Dokumentarischen Methode. Statt der sukzessiven Darstellung, die meistens in den Anhang verbannt wird, weil sie nicht lesbar ist, habe ich drei verschiedene Ebenen der Analyse (und gleichermaßen Repräsentationsweisen der Daten) in ihrem Verlauf relational abgebildet, um eine gewissermaßen simultane Lektüre herstellen zu können und die Lesbarkeit trotz geringerer Schriftgröße zu erleichtern. Entscheidender ist jedoch, dass mit dieser Darstellung eine inhärente Kritik verbunden ist, die mit der Ausblendung von Daten im qualitativen Forschungskontext zu tun hat. So wird auf einen Blick ersichtlich, was einer als Textwissenschaft propagierten Forschung üblicherweise entgeht, weil es in der Transkription nicht vorkommt: leere Seiten, Umschlaggestaltungen, eingeklebte Bildfragmente, Schaubilder, als Bild deklarierte Zeichnungen mit Textfragmenten, etc. Natürlich könnte man diese ausgeklammerten Elemente auch ohne die Transkription mit in die Analyse einschließen, und jemand, der Bilder methodengerecht untersuchen will, muss heute nicht mehr unberaten bleiben. Aber wenn ich danach frage, inwiefern Aufzeichnungen (ästhetische) Erfahrungen reflektieren, dann ist die Frage, welche Erfahrungen überhaupt wissenschaftlich interpretiert und damit relevant werden können und wie der Filter für die Interpretation aussieht, für eine zukünftige Grafieforschung von immenser Bedeutung.

Visualisierung der Arbeitsschritte

Simultane Lektüre

Kritik

Dokumentarische Methode der Interpretation Mit der unteren, hellgrau bzw. gelb unterlegten Leiste, die die Formulierende Interpretation abbildet, beziehe ich mich auf die dokumentarische Methode der Interpretation (DMI), wie sie Ralf BOHNSACK in Bezug auf Karl MANNHEIM und Erwin PANOFSKY weiter entwickelt hat.560 Die DMI ist »darauf gerichtet, das Charakteristische eines Individuums oder eines Kollektivs an dessen thematisch unterschiedlichen Äußerungen und auf unterschiedlichen Ebenen zu erfassen.«561 Im Rahmen der bereits beschriebenen praxeologischen Methodologie geht es um eine Rekonstruktion der Praxis. Die dafür erforderliche »Unterscheidung von ›formulierender‹ einerseits und ›reflektierender Interpretation‹ andererseits« soll die »grundlegend methodologische Differenz« von Beobachtungen erster Ordnung (der Frage nach dem Was) und Beobachtungen zweiter Ordnung (der Frage nach dem Wie) in »zwei klar voneinander abgrenzbaren Arbeitsschritten der Textinterpretation« gewährleisten.562 Die Trennung von Daten und meiner Interpretation einerseits sowie die künstliche Trennung der beiden Interpretationssschritte untereinander machen den Interpretationsanteil der Forschenden und damit den Forschungsprozess insgesamt transparenter. 560

561 562

Die DMI wurde 1922 von Karl Mannheim »als zentraler Begriff seiner Wissenssoziologie geprägt und erkenntnistheoretisch begründet«; sie hat in der Bundesrepublik methodologisch »als amerikanischer Re-Import Bedeutung gewonnen – auf dem Weg über die Ethnomethodologie«. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 57. Ebd. S. 138. BOHNSACK, RALF / NENTWIG-GESEMANN, IRIS / NOHL, ARND-MICHAEL (Hg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. 2001. S. 15.

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Methodenauswahl

INSZENIERUNG DER SUCHE

Formulierende Interpretation Sinnimmanenz

Gliederung

Erfindung von Überschriften

Referenz und Tätigkeit

In der Formulierenden Interpretation (FI) geht es um die Frage, was thematisch wird. Bezogen auf »meinen« Fall bedeutet das, die von Nora Erikson explizierten Aufzeichnungen in meinen Worten »zusammenfassend zu formulieren.«563 Der methodologische Anspruch, dass ich als Interpretin dabei im »Bereich des ›immanenten Sinngehalts‹ bleibe, bzw. mich »innerhalb des (Orientierungs-)Rahmens« der Erforschten bewege, widerspricht auf begrifflicher Ebene meines Erachtens dem Postulat der Fremdheit564, wenngleich ich die forschungspraktische Ausführung der FI bei BOHNSACK durchaus teile. Zwar versuche ich als Interpretin, die Eigensinnigkeit des Falls herauszustellen, indem ich die Beschreibung der Studentin dicht am Text verfolge. Zwar beziehe ich mich in diesem Analyseschritt ausschließlich auf ihre Äußerungen, aber die thematischen Widersprüche und inhaltlichen Wiederholungen innerhalb des Textes zum vorher und nachher Formulierten sollten hier m.E. aufgedeckt werden.565 Die Entdeckung der thematischen Widersprüche und inhaltlichen Wiederholungen unterscheidet jedoch meine eigene Analyseeinstellung von dem Orientierungsrahmen der Studierenden, in dem ich nie gewesen sein werde. Lediglich Orientierungsfiguren daraus könnten wir teilen. Zurück zur Beschreibung der Arbeitschritte: Nachdem ich mir einen Eindruck über den gesamten Verlauf verschafft hatte und sequentiell formulierend nachvollzog, was sie schrieb (S. 35-64), gliederte ich ihre Aufzeichnungen ausgehend von ihrer eigenen Beschreibungsdramaturgie. BOHNSACK zufolge »wählen wir jene Passagen aus, die zum Gegenstand reflektierender Interpretation werden sollen und orientieren uns dabei zum einen an der thematischen Relevanz dieser Passage für die Ausgangsfragestellung (z.B. ›Berufliche Zukunft‹) und zum anderen an der thematischen Vergleichbarkeit«.566 Da es mir um die Rekonstruktion der Praxis ging, ordnete ich den zitierten Phrasen meine eigene Interpretation von der geschilderten Tätigkeit Nora Eriksons zu, wie z.B. »Zufall« oder die »Suche nach einer Visualisierung«. Das führt zu einer Gegenüberstellung von dem, was die Studentin sagt und dem, was sie im selben Aufzeichnungsprozess tut, d.h. von der Referenz oder Bezugnahme und der Tätigkeit. Die abstrakte Formulierung der Tätigkeiten und ihre Zuordnung zum Verlauf der Aufzeichnungspraxis stellen zugleich sequentielle Anschlussstellen für die reflektierende Interpretation (RI) her. Denn auf der Folie dieses Falles soll in der RI ein Zugang zu den Daten der anderen hergestellt werden, indem diese als Vergleichshorizonte mit rekonstruiert werden.

563 564 565

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BOHNSACK, RALF / MAROTZKI, WINFRIED / MEUSER, MICHAEL (Hg.): Hauptbegriffe qualitativer Sozialforschung. 2003. S. 43. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 134. Vgl. zu den Interferenzen zwischen einzelnen Sequenzen in der Formulierenden Interpretation, hier in Bezug auf Sprechakte: »Ausgangspunkt der Interpretation sind Sequenzen von Sprechakten, die in ihrer propositionalen Struktur, d.h. in ihrer inferentiellen Beziehung zueinander gesehen werden. Die Bedeutung einer Proposition ergibt sich nur im Kontext...« VOGD, WERNER: Komplexe Erziehungswissenschaft jenseits von empirieloser Theorie und theorieloser Empirie – Versuch einer Brücke zwischen Systemtheorie und rekonstruktiver Sozialforschung. 2005. S. 122. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 135.

Visualisierung des Datenmaterials und der Arbeitsschritte Datenmaterial

Heft 1 Transkription

Zur Transkription Die Transkription ist auf den farbigen Seiten grün, auf den schwarz-weißen Seiten mit dunkelgrau schattiert. Die mit einem Pfeil Ļ und dem beigeordneten Stichwort versehenen Passagen verweisen auf eine eingeklebte Handschrift oder eine Grafik, die man auch „als Bild“ lesen kann und die nicht ohne Weiteres transkribierbar ist. Entsprechend dem ethischen Postulat einer Zustimmung der Studentin habe ich im Folgenden – gemäß Datenschutz – den Text anonymisiert. Dabei habe ich anhand eines Schlüssels sechs Namen in Pseudonyme überführt. In das Pseudonymisierungsverfahren ist lediglich das Geschlecht mit eingegangen. Die Verfasserin dieser Aufzeichnungen heißt Nora Erikson. Bei den Fotos (den Gedichten) und im Klappentext des Heftes, habe ich – für den Betrachter unkenntlich – an drei Stellen Adressen gelöscht. Ansonsten sind alle Fotos unverändert übernommen worden, wenngleich die Farbigkeit nur zu Teilen dargestellt werden kann. Die größeren Absätze in der Handschrift werden beibehalten und durch eine Leerzeile deutlich gemacht. Die eingefügten Überschriften mit Unterstreichung beziehen sich auf die Formulierenden Interpretation. Sie stellen meine Gliederung dar und sollen hier mit sichtbar gemacht werden.

Formulierende Interpretation (FI) Die Formulierende Interpretation (FI) stellt den ersten Analyseschritt der Dokumentarischen Methode dar. Sie ist hellgrau bzw. gelb dargestellt. Die Reflektierende Interpretation (RI) findet sich im anschließenden Textteil. Sie ist ebenfalls hellgrau unterlegt und unterscheidet sich damit ebenso von den Daten der Anderen (dunkelgrau). Die Zeilennummerierung der Transkription kann nicht derjenigen der Formulierenden Interpretation entsprechen. Deshalb wird der Bezug auf eine transkribierte Passage etwa mit "(T 123–134)" angezeigt, während der Bezug auf die Zeilennummerierung der Formulierenden Interpretation mit "(FI 123–134)" deutlich wird.

Zufall - Aufzeichnungen von Nora Erikson - 125

Formulierende Interpretation (FI)

1.„Soviel im Kopf und noch nichts aufgeschrieben...“ oder Der Anfang Zufall

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„Das, was ohne erkennbaren Grund und ohne Absicht geschieht; ein mögliches Ereignis, das eintritt, aber nicht eintreten muss.“

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Zufall wird manchmal als Glück, Pech oder Schicksal bezeichnet.

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„Tatsache ist, daß wir alle in mehr oder weniger engen Relationen zueinander stehen, die durch die Faktoren Zeit und Raum limitiert sind.“

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Soviel im Kopf und noch nichts aufgeschrieben. Dann mal los. Das Meiste hab ich schon im Kopf, mach mir zu allen möglichen Ideen Gedanken, flüchtige, längere, ausführlichere, präzise, schwammige, unrealistische... Tja, jetzt wird’s mal Zeit, das Ganze zu Papier zu bringen. „Zufall“, Gegensatz (vielleicht Gegenteil) zu Absicht/ Absichten, Plänen, Vorgenommenem, Verabredungen, Terminen, ... Die meisten sagen, „ich hab den und den zufällig getroffen“. Das kommt wohl am häufigsten vor, dass man Zufall damit in Verbindung bringt. Ein ungeplantes Treffen, eine unverhoffte Begegnung, oft an Orten, Plätzen, wo man es am wenigsten vermutet. Ich hab mehrere gefragt (Freunde, Verwandte, Bekannte, ...), was bei ihnen bisher im Leben total zufällig war. Dann kamen immer solche Geschichten. Angehört hab ich sie mir alle – aufgeschrieben nicht. Irgendwo ähneln sie sich alle und wenn ich jemand anderem eine solche Zufalls-

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1. „Soviel im Kopf und noch nichts aufgeschrieben ...“ oder Der Anfang Mit diesen Worten beginnt der vierte Eintrag der Aufzeichnungen von Nora Erikson. Während die Überschrift des Heftes darauf verweist, welches Thema hier bereits „im Kopf“ herumschwirrt und noch aufgeschrieben werden soll, präzisiert das abgeschriebene Zitat aus dem Brockhaus den gewählten Inhalt: „'Das, was ohne erkennbaren Grund und ohne Absicht geschieht; ein mögliches Ereignis, das eintritt, aber nicht eintreten muss.'“ (T 3f) Der „Zufall“ geschieht als eine Möglichkeit neben Alternativen. Er bildet einen Gegensatz zu „Absicht / Absichten, Plänen, Vorgenommenen, Verabredungen, Terminen, ... .“ (T 14f) Etwas wird als zufällig erfahren, wenn es unbeabsichtigt, scheinbar grundlos oder unerwartet geschieht. Im Hinblick auf biografische Erfahrungen zum Thema, fordert die Studentin nun „Freunde, Verwandte, Bekannte“ (T 19) auf, ihre Zufalls-Geschichten zu erzählen. Die meisten erinnern sich an „ein ungeplantes Treffen, eine unverhoffte Begegnung, oft an Orten, Plätzen, wo man es am wenigsten vermutet.“ (T 17f) Die Studentin hört sich diese Erzählungen zwar an, zeichnet sie aber nicht auf, denn „irgendwo ähneln sie sich alle“ und es scheint, als ob jeder sie kennt. (T 20f) Wenn sie diese Befragung abschließend mit den Worten kommentiert: „Als Einstieg ist es trotzdem nicht schlecht, denn jeder kennt es und erkennt sich darin wieder“ (T 22f), so wird deutlich, dass sie selbst von den ZufallsGeschichten etwas anderes erwartet hatte, diese Erwartung jedoch enttäuscht wurde. Zudem stellt sich die Frage, welchen „Einstieg“ sie eigentlich meint, denn ginge es um ihren persönlichen Zugang zum Thema, wäre es irrelevant, ob sich andere darin wieder erkennen. Handelte es sich hingegen um potentielle, antizipierte Leser, so könnten jene die Geschichten kaum lesen, solange sie nicht aufgezeichnet sind. Um welchen „Einstieg“ handelt es sich also? Denkt

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geschichte erzähle, fällt ihm/ ihr gleich auch so eine ein. Als Einstieg ist es trotzdem nicht schlecht, denn jeder kennt es und erkennt sich darin wieder.

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ĺEinschub von drei Freundinnen Zufallsgeschichten (1 Seite)

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Verrückt, in dieser Woche treffe ich dauernd einen guten alten Freund an der Uni, den ich sonst eher selten sehe! Mit ihm unterhalte ich mich etwas länger über Zufall und das Problem, wie ich Zufälle anderer sichtbar machen kann. Wie kann ich andere / mich selbst dafür sensibilisieren? Wie kann ich zeigen, wie viel jeden Tag „zufällig“ passiert? Wie macht man das bewusst? Wie kann man dazu ein Gegenüber bilden? (geplantes, beabsichtigtes, ... dem Zufälligen gegenüberstellen) 2.„Ich denke an Flaschenpost..." oder Die Themensuche

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die Studentin hier schon an eine mögliche Realisierung ihres Themas? Nimmt sie etwas vorweg? Dann würde „so viel im Kopf“ nicht nur auf die Menge an Ideen anspielen, sondern vielmehr auf eine erfahrene Unordnung, für die sie erst eine Ordnung, sprich: eine Reihenfolge herstellen muss, bevor sie sie überhaupt aufschreiben kann. Zurück zum Text. Hatte die Verfasserin soeben noch die Ähnlichkeit der Geschichten kritisiert, berichtet sie im nächsten Eintrag von einer ebenso ähnlichen Zufallserfahrung aus ihrem Alltag: „Verrückt, in dieser Woche treffe ich dauernd einen guten alten Freund an der Uni, den ich sonst eher selten sehe!“ (T 25) Während des Treffens sprechen sie „über Zufall“ und über „das Problem“, „wie ich Zufälle anderer sichtbar machen kann“(T 26f). Dass, was sie von diesem Gespräch in ihren Aufzeichnungen festhält, sind Fragen, die mit ihrem „Problem“ zusammen hängen: „Wie kann ich andere / mich selbst dafür sensibilisieren?, Wie kann ich zeigen, wie viel jeden Tag 'zufällig' passiert?, Wie macht man das bewusst?, Wie kann man dazu ein Gegenüber bilden?“ (T 28–31) Die Fragen bleiben unbeantwortet. Sie sind offen. Aber sind das Fragen, die tatsächlich am Anfang einer Suche stehen? Verweisen diese Fragen nicht auf eine vorherige Suche? Oder spiegelt die Chronologie der Aufzeichnung gar nicht die Chronologie der Suche? Bezieht sich „so viel im Kopf“ dann nicht nur auf eine, sondern auf mehrere, noch zu findende Ordnungen, deren Verhältnis zueinander auch eine Frage, eine Suche, wert wäre?

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2. „Ich denke an Flaschenpost ...“ oder Die Themensuche

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Dass die Suche tatsächlich schon vor dem Aufzeichnen einsetzte, wird in der nächsten Passage deutlich, denn hier blickt Nora Erikson beim Aufzeichnen auf den Verlauf ihrer Themensuche zurück. Sie erinnert sich: „Auf das Thema

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'Zufall' bin ich auch eher zufällig gekommen. Innerhalb kurzer Zeit musste ein passendes Thema her – zig Gedanken schwirren herum, ich denke an Flaschenpost, die mich seit jeher fasziniert hat.“ (T 34) Woher rührt ihre Faszination für eine Flaschenpost? Ist es die Rätselhaftigkeit der unzählbaren Möglichkeiten, die sie anspricht? Diese Lesart legen zumindest ihre eindringlichen Fragen nahe:„Wer verschickt sie? Warum? Von wo aus?“ (T 35) Oder ist sie beeindruckt von der Unbegründbarkeit einer Möglichkeit, wenn sie fragt: „Und warum landen sie ausgerechnet da, wo sie landen?“ (T 36) Der Ort wird zur Möglichkeit. Was bedingt diese Möglichkeit? Welche Einflüsse führen dazu, dass die Möglichkeit eintritt? Oder handelt es sich beim „Landen“ einer Flaschenpost um eine spezielle Möglichkeit, nämlich den Zufall? Für die Verfasserin dagegen „ist das nicht rein zufällig, denn je nachdem, wo man sie ins Meer schmeißt, und je nachdem, wie die Strömungen verlaufen und das Wetter ist, so kommen sie genau da oder dort an. Nicht, dass sich das berechnen ließe – oder doch? Auf jeden Fall denke ich, dass es nur zufällig scheint, aber die Flasche ja aus bestimmten Gründen in bestimmte Richtungen schwimmt.“ (T 39) Wenn die Studentin aber den zurückgelegten Weg der Flaschenpost und die daraus ursächlich folgende „Landung“ nur als scheinbaren Zufall sieht, heißt das dann für sie, dass jeder „aus bestimmten Gründen“ verlaufende Kurs der Flaschenpost schon im Voraus bestimmt ist? Wird der Kurs indessen vorhersehbar oder gar „berechenbar“? Und gibt es daneben noch unbestimmte Kurse und damit echte Zufälle? Oder meint sie stattdessen mit dem Anschein des Zufalls, dass wir nur etwas als Zufall erfahren können, indem wir uns seinem Schein hingeben? Damit würde sie andeuten, dass der Zufall „an sich“ nicht existiere, sondern lediglich eine fiktive Konstruktion sei und dass die Erfahrung von etwas als Zufall insofern immer auf einem Mangel an Informationen

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Auf das Thema „Zufall“ bin ich auch eher zufällig gekommen. Innerhalb kurzer Zeit musste ein passendes Thema her – zig Gedanken schwirren herum, ich denke an Flaschenpost, die mich seit jeher fasziniert hat. Wer verschickt sie? Warum? Von wo aus? Und warum landen sie ausgerechnet da, wo sie landen? Genaugenommen ist das nicht rein zufällig, denn je nachdem, wo man sie in`s Meer schmeißt, und je nachdem, wie die Strömungen verlaufen und das Wetter ist, so kommen sie genau da oder dort an. Nicht, dass sich das berechnen ließe – oder doch? Auf jeden Fall denke ich, dass es nur zufällig scheint, aber die Flasche ja aus bestimmten Gründen in bestimmte Richtungen schwimmt. So sponn ich diesen Gedanken mit zwei Mädchen weiter und schließlich kamen wir zum Zufall. Oder ist das zu weit gefasst? Ist der Begriff zu schwammig? Viel kann die Definition zu Beginn wohl nicht ausrichten, ich muss mich anders annähern.

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Ich schalte das Radio an und in genau dem Moment spielen sie einen meiner Lieblingssongs.

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Ich würde gerne durch eine praktische Arbeit das Thema Zufall näher behandeln und verdeutlichen. Eine der ersten Ideen war/ ist eine Art Geschichte/ Rollenspiel zu entwickeln, mit einem Aufbau, der nach verschiedenen Situationen eine Entscheidung (A, B, C) fordert. So bilden sich unterschiedliche Möglichkeiten und Folgerungen, die die Geschichte je nach Entscheidung so oder so verlaufen lässt. Das Ganze könnte in eine wahre Erzählung eingebettet sein, so dass man evtl. die „richtige“ Geschichte oder ansonsten eine Neue nacherlebt. Das Ganze wird aus Sicht der Hauptperson gesehen.

3.„...ich muss mich anders annähern" oder Die Entstehung des Spielraums 46 47 48 49 50 51 52

ĺSchaubild

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beruhe. In diesem Fall könnte die Mangelhaftigkeit theoretisch beseitigt werden, sämtliche Ereignisse wären begründbar und berechenbar, allein: Es gäbe den Zufall nicht mehr. Wie ist es vor dem Hintergrund dieser Anspielungen nun zu verstehen, dass die Schreiberin ihr Thema zufällig gefunden haben will? Bislang lässt sich zusammenfassen, dass sie ihre Faszination für die Flaschenpost an den Anfang ihrer Themensuche stellt. Eine Faszination wird zum Aufhänger, der die Suche einleitet. Im Gespräch „mit zwei Mädchen“ entwickelt sie dann ihre Gedanken weiter, sodass sich das Thema heraus kristallisiert: „ … schließlich kamen wir zum Zufall“ (T 40f). Aber mit der Entscheidung für das Thema „Zufall“ ist sie sich zum Zeitpunkt des Schreibens immer noch nicht sicher. Sie zweifelt: „Oder ist das zu weit gefasst? Ist der Begriff zu schwammig? Viel kann die Definition zu Beginn wohl nicht ausrichten, ich muss mich anders annähern.“ (T 42) Diese Bedenken im Hinblick auf die begriffliche Dimension des Themas „Zufall“ zeigen, dass für sie die thematische Suche zwar vergegenwärtigt aber noch nicht abgeschlossen ist. Gleichwohl dokumentiert sie, dass die Genese der Themenfindung, von ihrer Faszination über das Gespräch bis hin zur Entscheidung für das Thema, schon abgeschlossen war, bevor sie die Überschrift des Heftes schrieb. Diese Widersprüchlichkeit auf der zeitlichen Ebene spiegelt sich auch auf der inhaltlichen Ebene: So erscheint es zunächst unglaubhaft, dass sie den Kursverlauf einer Flaschenpost für weniger zufällig hält, als die soeben bezeugte Entscheidung für das eigene Thema. Oder stellt sie andere Erwartungen an eine Flaschenpost, die eher symbolisch für zufallsanfällig steht, und der eigenen Themenfindung, die sie sich möglicherweise systematischer vorgestellt hat? Dann wäre ihre Wortwahl plausibler.

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Nach und nach bilden sich zig Möglichkeiten, die Geschichte zu erleben, wobei sich für die Person immer nur 3 mögliche Entscheidungen anbieten, wie`s weitergehen soll.

Ein anderes widersprüchliches Beispiel: Auf der einen Seite schreibt sie darüber, dass sie die erzählten Zufallsgeschichten wegen ihrer Ähnlichkeit zunächst nicht aufzeichnet, andererseits klebt sie aber an dieser Stelle plötzlich drei, sehr ähnliche, Zufalls-Urlaubs-Geschichten kommentarlos ein und fügt zudem eine weitere Zufallserfahrung aus eigener Sicht neu hinzu: „Ich schalte gerade das Radio an und in genau dem Moment spielen sie einen meiner Lieblingssongs.“ (T 44) Die Häufigkeit dieser Widersprüche lässt jedoch darauf schließen, dass sich dieses Moment nicht nur unbewusst in ihre Aufzeichnungen einschleicht, sondern dass sie damit spielerisch umgeht. Ob sich dahinter ein stilistisches Konzept verbirgt, ist an dieser Stelle noch unklar.

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3. „... ich muss mich anders annähern“ oder Die Entstehung des Spielraums

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In der nächsten Aufzeichnung enthüllt die Verfasserin, dass sie nach der begrifflichen Annäherung „gerne durch eine praktische Arbeit das Thema Zufall näher behandeln und verdeutlichen“ würde. (T 45) Sie entwickelt die Idee, „eine Art Geschichte / Rollenspiel zu entwickeln“ (T 46). Eine Geschichte über den Zufall? Bemerkenswerterweise redet sie aber nicht über inhaltliche Komponenten, sondern ausschließlich über die strukturelle Zusammensetzung. Eine Geschichte des Zufalls? Auf jeden Fall eine Geschichte „mit einem Aufbau, der nach verschiedenen Situationen eine Entscheidung (A, B, C) fordert. So bilden sich unterschiedliche Möglichkeiten und Folgerungen, die die Geschichte je nach Entscheidung so oder so verlaufen lässt.“ ( 48)

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Problem: Umsetzung Computer ist natürlich möglich und gut umzusetzen – aber ist es nicht auch langweilig? Der „Leser“, „Beobachter“, „Erleber“ hat im wahrsten Sinne des Wortes nichts in der Hand und kann nur lesen und weiterklicken. Wie wär`s mit etwas Handfestem, etwas Greifbarem, etwas Spannendem, wo mehr „rüberkommt“, als die einfach aufgeschriebene Geschichte? Wo die Geschichte zum Erlebnis / zur Erfahrung wird, wo Gegenstände, Bilder ... hinzukommen? Vielleicht Schubladen oder Kästen, die nach einem bestimmten System geöffnet werden?

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ĺ Artikel aus der Süddeutschen Zeitung

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Ich bekomme zwei Wochen lang kostenlos die Süddeutsche Zeitung, ausnahmsweise saßen wir mal in der Galerie und prompt kam ein Mädel vorbei und bot uns das Probe-Abo an ... Und in genau den zwei Wochen erscheint der Artikel mit meinem Thema – auch wenn nicht wirklich viel in diesem Interview um Zufälle geht.

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Aus der Sicht der Hauptperson soll diese Geschichte, die möglicherweise „in eine wahre Erzählung eingebettet“ ist, erzählt werden. (T 49) Durch die Entscheidungen, die ein potentieller Leser / Spieler an bestimmten Situationen fällen kann, bestimmt er den Verlauf der Geschichte, sodass er entweder „die 'richtige' Geschichte oder ansonsten eine Neue nacherlebt“ (T 49f). Es ist also eine interaktive Geschichte, die dem Leser einen Spielraum eröffnet, sich innerhalb einer Situation für eine der drei möglichen Wegvarianten zu entscheiden. In einer Skizze (T 52) veranschaulicht die Studentin diesen geplanten Aufbau. Neben den „zig Möglichkeiten, die Geschichte zu erleben“ wird ein möglicher Verlauf eingezeichnet. (T 54) Welche Rolle spielt dabei der Zufall? Während die Schreiberin alternierende Episoden passend zur Situation produziert, wählen die Spielenden einige aus und stellen eine mögliche Geschichte her. So bestimmen sie durch ihre Entscheidungen zwar strukturell den Verlauf, aber inhaltlich können sie in der Entscheidungssituation nicht vorhersehen, welche möglichen Folgen sich hinter ihrer Wahl verbergen, bzw. welche Geschichte sie durch ihre Wahl zugleich unwiderruflich verpassen. Insofern fällt ihnen die gewählte Geschichte innerhalb des Spielraums wörtlich zu. Sie ist genauso wahrscheinlich wie alle anderen Möglichkeiten. Es sei denn, der Inhalt ist so angelegt, dass er die Entscheidungen beeinflusst. Bislang ist der Verlauf der Geschichte insbesondere auf der Handlungsebene, also aus der Sicht des agierenden Protagonisten, zufallsgeneriert. Denn jener ist der Einzige, der die Regeln seiner Geschichte nicht kennt, sieht oder mitschreibt, er weiß nichts von seinem in jeder Erzählung neu zu bahnendem Weg. Die Idee, sich dem Thema Zufall anders, mit einer selbst inszenierten Geschichte, anzunähern, gewinnt im nächsten Eintrag an Kontur. Hier geht es um das „Problem: Umsetzung“, in der sich die Studentin – parallel zu dem noch im

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Werden befindlichen Inhalt – eine Darstellungsweise überlegt: „Computer ist natürlich möglich und gut umzusetzen – aber ist es nicht auch langweilig?“ (T 56f). In ihren Augen ist eine bloße Bedienung unzulänglich, denn der „'Leser', 'Beobachter', 'Erleber' hat im wahrsten Sinne des Wortes nichts in der Hand und kann nur lesen und weiterklicken“ (T 58f). An Stelle von Tastatur und Maus sucht sie nach „etwas Handfestem, etwas Greifbarem, etwas Spannendem, wo mehr 'rüberkommt', als die einfach aufgeschriebene Geschichte? Wo die Geschichte zum Erlebnis / zur Erfahrung wird ... “ (T 62) Um diese Erfahrung zu ermöglichen, stellt sie sich einen sinnlicheren Rahmen vor als eine Computerbedienung. Sie möchte sowohl Bilder und Objekte in die Geschichte integrieren als auch „Schubladen oder Kästen, die nach einem bestimmten System geöffnet werden“ und also den Rezipienten stärker involvieren. (T 63) Auf diese aktive Teilnahme an ihrer Geschichte spielt sie auch in der nächsten Eintragung an. Darin berichtet sie erneut von einer persönlichen Zufallserfahrung, in der sie ein Probe-Abonnement der Süddeutschen Zeitung angeboten bekommt und ausgerechnet in diesen zwei Wochen einen mit „Zufall“ überschriebenen Artikel entdeckt. (T 77) Indem sie an dem Beitrag kritisiert, dass er „nicht viel“ über den Zufall aussagt, ihn weder „verdeutlicht“ noch „bewusst macht“, werden ihre eigenen Ziele transparenter: „Man muss die Leute darauf stoßen, ihnen zeigen, dass es auch ganz anders hätte kommen können. Die Zufälle im Alltag verdeutlichen.“ (T 75f) Aber wie wird der Zufall in diesem Modell erfahrbar? An welcher Stelle kommt der Alltag ins Spiel? Wenn die Studentin davon spricht, dass ein Spieler die Geschichte aus Sicht der Hauptperson „nacherlebt“, dann setzt sie voraus, dass er sich mit dieser Figur identifiziert und sich in deren Rolle hineinversetzt. Nur so wird es verständlich, dass sie die Geschichte als „Rollenspiel“ und die Leser als „Erleber“ bezeichnet. Der Rezipient fungiert also als Stellvertreter. Er re-

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Der Artikel sagt nicht allzu viel aus. Zumindest über den Zufall. Sie bezeichnet manches in ihrem Leben als Zufall, so wie es viele andere Menschen auch machen würden. „Durch Zufall bin ich an den und den Job gekommen ...“ „Der Zufall wollte, dass ich ausnahmsweise da oder da war ...“. Verdeutlicht das etwas? Macht es bewusst? Man muss die Leute darauf stoßen, ihnen zeigen, dass es auch ganz anders hätte kommen können. Die Zufälle im Alltag verdeutlichen/ klar machen.

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4.„... mein hauptsächliches Problem ist jetzt die Visualisierung ..." oder Die Wegplanung

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Also mein hauptsächliches Problem ist jetzt die Visualisierung (eine geeignete) zum Thema Zufall. Bloß nichts Trockenes, etwas interessantes, spannendes, fesselndes, das den Zuschauer/ Betrachter in eine andere Welt führt/ ihn in seinen Bann zieht. Die Idee mit dem Spiel / der Geschichte gefällt mir, ich würde das gerne ausarbeiten und jeden Teil der Geschichte (also alle Möglichkeiten) in einzelne Kistchen packen, vielleicht mit passenden Gegenständen bestückt, die ich bei mir oder außerhalb auf der Straße oder sonst wo finde. Diese könnte ich in den einzelnen Etappen miteinbauen. So hätte man etwas zum Anfassen, Betrachten, ... Die Dinge sollten durch die Geschichte eine bestimmte Bedeutung bekommen, vielleicht sogar geheimnisvoll wirken. Ich müßte mir nur ein „Schema" überlegen, nach dem der Betrachter den „Weg" nach einer getroffenen Entscheidung weitergeht. Und was soll das überhaupt für eine Geschichte sein? Es sollte bei den Entscheidungen kein „richtig“ oder „falsch“ geben, aber doch ein „wahr“ oder „fiktiv“. Ich könnte etwas autobiographisches miteinbeziehen, indem ich mir meine früheren Tagebücher ansehe / die ich so mit 12 – 19 Jahren mehr oder

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präsentiert die Hauptrolle. Anders als der Protagonist befindet er sich jedoch auf der strukturellen Ebene im Spielraum, wo er den Kurs entlang der vorgeschriebenen und zugefallenen Routen steuern kann. Durch diese Verknüpfung von strukturaler und inhaltlicher Ebene in der Person des Spielers wird eine Diskrepanz verkörpert: zwischen der Person und der antizipiertern Rolle (Erleber), dem Betrachter (Leser), der sporadischen Regieassistenz (Steuermann) und demjenigen, der die Benutzeroberfläche der Geschichte bedient (Spieler). Metaphorisch gesprochen erlebt der Protagonist die Welt aus der Sicht einer teils animierten, teils ferngesteuerten Flaschenpost, die er aus der Vogelperspektive sehen, aus der Innenperspektive erfahren und aus der Unterwasserperspektive navigieren kann. Indem er mitspielt, schwimmt die Geschichte mitsamt ihrem Inhalt. Wenn die Batterie der Fernsteuerung aufgebraucht ist, bekommt er für seine Navigation keine Signale mehr, sein Spiel ist zu Ende. Die Geschichte landet. Für den, der sie findet, mag sie zufällig angetrieben sein. Er aber kennt viele Ursachen dafür. Allein die Verfasserin kennt die 'richtige' Geschichte.

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4. „... mein hauptsächliches Problem ist jetzt die Visualisierung ...“ oder Die Wegplanung

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Obwohl die Studentin bisher noch keinen thematischen Entwurf ihrer Geschichte aufgezeichnet hat, besteht ihr „hauptsächliches Problem“ zu diesem Zeitpunkt darin, „die Visualisierung (eine geeignete) zum Thema Zufall“ zu finden. (T 78) Um dieses Problem zu lösen, entwickelt sie eine Vorstellung von der Wirkung ihrer Arbeit: „Bloß nichts Trockenes, etwas Interessantes, Spannendes, Fesselndes, das den Zuschauer / Betrachter in eine andere Welt führt / ihn in seinen Bann zieht.“ (vgl. T 79f)

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weniger regelmäßig geschrieben habe). Vielleicht ergibt sich daraus etwas passendes. Und im Grunde genommen weiß ja niemand, was nun „wahr“ und was „fiktiv“ ist. Oder sollte das offengelegt werden? Ich denke nicht. Allein durch die anfallenden Entscheidungen wird wohl bewusst gemacht, wie sich bestimmte Dinge sofort auf uns auswirken. Also dann mal los und gleich ans Lesen machen. Obwohl ..., da fällt mir ein, dass ich die Bücher gar nicht hier in Dortmund habe. Na, klasse, mal sehen, wann ich das nächste Mal nach Hause fahre, um die zu holen – hach wie ärgerlich!

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Geschichte hat sich jetzt doch was passendes gefunden, denn Tagebuch ist doch eher unpassend, da ich dort ja keine chronologischen Ereignisse aufgeschrieben habe. Aber so ist`s schon gut. Weitere Überlegung neben der Präsentationsform ist für mich jetzt, wie ich die eigentliche Geschichte (soll heißen, das Geschriebene) darlege. Als Nacherzählung? Als „Hörspiel“? Als Brief? (so im Umschlag, vielleicht noch auf alt getrimmt, mit der jeweiligen Frage am Ende) Was wäre noch möglich? Was halte ich für am Geeignetsten? Und was für Kästchen, Kisten, Boxen, Schachteln nehme ich überhaupt? Kann ich die stapeln, an der Wand befestigen, auf einen Tisch legen, ...?

Bevor sie aber auf die Visualisierung eingeht, hält sie rückblickend an der letzten Annäherung fest: „Die Idee mit dem Spiel / der Geschichte gefällt mir“; sie wird zur Grundlage der folgenden Überlegungen. (T 81) Ausgehend von dem strukturellen Muster der Geschichte, dass sie ja als Skizze oder besser: als Metaplan eingefügt hatte, entwirft sie nun eine visuelle Vorstellung: „ich würde das gerne ausarbeiten und jeden Teil der Geschichte (also alle Möglichkeiten) in einzelne Kistchen packen, vielleicht mit passenden Gegenständen bestückt, die ich bei mir oder außerhalb auf der Straße oder sonst wo finde. Diese könnte ich in den einzelnen Etappen miteinbauen.“ (T 84) Die Kisten fungieren als Fundgrube, als Behälter der Möglichkeiten. Die Fundstücke in den Kisten sollen „durch die Geschichte eine bestimmte Bedeutung bekommen, vielleicht sogar geheimnisvoll wirken“ (T 86f). Wenngleich die Fundstücke der Visualisierung einen sinnlicheren Charakter verleihen können, stellt sich nun die Frage, welche Funktion sie im Spiel einnehmen und wie der Spieler damit umgehen kann und soll. Dafür möchte sich die Schreiberin „ein Schema überlegen, nach dem der Betrachter den Weg nach einer getroffenen Entscheidung weitergeht“ (T 88f). Dieses Schema wird damit gewissermaßen zum Wegplan eines noch zu errichtendes Gebäudes, der so genannten Geschichte. Nach dem bisherigen Entwurf lagern in diesem Gebäude Kisten mit Fundstücken, die die Begehung der zukünftigen Besucher beeinflussen. Sie liegen wörtlich im Weg. Die Entscheidung, sich einen Gang zu bahnen, hängt davon ab, welche Kisten geöffnet und damit aus dem Weg geräumt werden. Aber was ist in diesen Kisten? Wie groß sind sie? Kann man sie betreten wie einen Raum? Was für ein Eigenleben führen die Gegenstände innerhalb der Kiste? Und worin besteht für den Besucher die Motivation sie zu öffnen?

5.„Ich kann ja nicht zufällig handeln" oder Die Zufallsgenerierung im Bild 110

Wenn die Architektin Erikson behauptet, es „sollte bei den Entscheidungen kein 'richtig' oder 'falsch' geben, aber doch ein 'wahr' oder 'fiktiv'“, prägt die Auswahl der Kisten mit ihrem echten oder erdachten Inhalt den Entwurf für den gesamten Verlauf des Weges innerhalb der Lagerhalle. (T 91) Denn das besondere Moment dieser studentischen Arbeit ist ja, dass das Gebäude so geplant wird, dass es um die möglichen Wege herum gebaut werden soll. Durch die Entscheidung des Spielers vor dem Öffnen einer Kiste verändert sich damit nicht nur die Planung für einen Durchgang, sondern auch für das komplette Gebäude: es erscheint entweder als 'wahr', sprich als authentische Konstruktion oder als 'fiktiv', heißt: als simulierte Realität. Aber was wird dort gelagert? Aus der Gebäudeverwaltung (alias Erikson) erhalten wir einen weiteren Hinweis auf den möglichen Inhalt der Kisten: „Ich könnte etwas Autobiographisches miteinbeziehen, indem ich mir meine früheren Tagebücher ansehe, die ich so mit 12 – 19 Jahren mehr oder weniger regelmäßig geschrieben habe.“ (T 92f) Wozu die autobiografischen Fragmente? Sind sie realer Inhalt, ausstaffierte Requisite oder ein Täuschungsversuch? Wissen wir bislang über das Gebäude, dass es aus der Sicht einer unbekannten Hauptperson rekonstruiert wird und die Besucher dazu aufgefordert werden, die unbekannte Rolle nachzuerleben, so könnte das Spiel als kriminalistische Spurensuche und Verfolgung der Hauptperson begründet werden. Die autobiografischen Indizien legen eine Fährte, deren Spuren der detektivische Spieler deuten muss. Aber welche Rolle hat dann die Hauptperson? Wird sie von der Autorin dargestellt? Sind Autorin und Protagonistin deckungsgleich? Oder tarnt sich die Hauptperson lediglich als Doppelgänger der Autorin?

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Dies jedenfalls könnte man im Folgenden vermuten, denn „im Grunde genommen weiß ja niemand, was nun 'wahr' und was 'fiktiv' ist. Oder sollte das offengelegt werden? Ich denke nicht. Allein durch die anfallenden Entscheidungen wird wohl bewusst gemacht, wie sich bestimmte Dinge sofort auf uns auswirken.“ (T 97) Ist es also ein reales Spiel mit teilweise fiktivem, teilweise autobiografischem Inhalt? Muss der Spieler die Auswirkungen der protagonistischen Entscheidungen insofern nachvollziehen, als er vor den gleichen Entscheidungen, sprich: den gleichen Kisten, steht? Oder bergen die Kisten nur vorgeschobene persönliche Fundstücke und entlarven sich als Finte? Dann wäre für die Bewegung in der Lagerhalle entscheidend, dass es überhaupt Kisten gibt, die eine Vorstellung von der Situation auslösen, in der sich die Hauptperson oder die Autorin bewegt hat. Da die Tagebücher aber zum Zeitpunkt des Aufzeichnens nicht greifbar sind, vertagt und verwirft die Planerin diese Idee, das „Tagebuch ist doch eher unpassend, da ich dort ja keine chronologischen Ereignisse aufgeschrieben habe“ (T 103). Die Realien in den Kisten dienen also nicht vorrangig der sinnlich atmosphärischen Kulisse. Stattdessen sollen sie neben der Visualisierung von Entscheidungsalternativen eine chronologische Etappenführung vorgeben. Aber noch geht es der Planerin nicht darum, die Geschichte oder das Gebäude zu füllen, sondern vielmehr eine geeignete Form für die Füllung zu finden. Deswegen stellt sie die Frage, „wie ich die eigentliche Geschichte (soll heißen, das Geschriebene) darlege. Als Nacherzählung? Als 'Hörspiel'? Als 'Brief'?“ (T 105) Sie kommt zu keinem vorläufigen Ergebnis, sondern rätselt weiter: „Was wäre noch möglich? Was halte ich für am Geeignetsten? Und was für Kästchen, Kisten, Boxen, Schachteln nehme ich überhaupt? Kann ich die stapeln, an der Wand befestigen, auf einen Tisch legen, ... ?“ (T 107–109)

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ĺZufall als Prinzip 3 Artikel, 6 Seiten aus Kunstforum International

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Hatte die Studentin eingangs noch behauptet, ihr wesentliches Problem bestehe darin, künftig eine geeignete Visualisierung zum Thema Zufall zu erfinden, so zeigt sich nun, von wie vielen Faktoren diese abhängig ist. Um das Gebäude zu entwerfen, hat die Studentin Ansprüche an dessen Wirkung entwickelt, einen chronologischen Wegplan vorstrukturiert, Fundstücke imaginiert, wegweisende Kisten funktioniert, Entscheidungsspielräume eingeräumt und „Inhalte“ vorformiert. Dabei hat sie Idee des Gebäudes dem Zufall eine vorübergehende Ordnung gegeben. Bemerkenswert ist an diesem vorläufigen Entwurf vor allem, dass das Gebäude um den Wegeplan der Besucher herum errichtet werden soll. Die Wegplanung ist also der formbildende Faktor für den grob skizzierten Grundriss, der die räumliche Ordnung des Gebäudes als Spielraum bestimmt, während die einzelnen Kisten als visuelle Wegweiser eher in einer Serie von Aufrissen dargestellt werden müssten, um die zeitliche Ordnung, den Ablauf der Geschichte zu kennzeichnen.

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5. „Ich kann ja nicht zufällig handeln“ oder Die Zufallsgenerierung im Bild

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Da das Problem, eine passende Formation für den Zufall als Spiel oder Geschichte zu finden, weiterhin besteht, führt die Suche der Studentin nun zur Rezeption von Kunst. Der folgende Eintrag besteht aus drei eingeklebten Aufsätzen aus der für Abonnenten online zugänglichen Zeitschrift Kunstforum International, in denen es um künstlerische Darstellungen des Zufalls geht. (T 110)

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Im ersten Beitrag wird auf künstlerische Beispiele einer Ausstellung in Ludwigshafen verwiesen, die sich mit „Zufall als Prinzip“ auseinander setzten.1 Der zweite Artikel, überschrieben mit „Erinnerungen an den Zufall“, ist einer Einzelausstellung Spoerris gewidmet2 und der dritte dokumentiert die Aktionen der Künstlergruppe „Büro Bert“ unter dem Motto „Zufall und Alltag“.3 Auffallend ist, dass die Studentin in den ausgedruckten Texten ausschließlich Aussagen und Sätze über den Zufall unterstreicht, nicht aber Verweise, Künstlernamen o.Ä. für eine weitere Recherche. Wenn sie nachfolgend schreibt: „Neben dem Schriftlichen gibt’s natürlich noch einen Versuch, das Zufällige einzufangen: Bilder. Genaugenommen Fotos“, ist sie möglicherweise durch die vorherige Lektüre angeregt (T 111f). Was aber meint sie mit „dem Schriftlichen“: die Geschichte, eine Episode aus der Kiste oder ihre Aufzeichnungen? Entstanden nicht schon während der Wegplanung innere Bilder von den Kisten, den Fundstücken, etc., die jetzt nur noch ausgeführt werden müssen? Immerhin scheint es, als würde sie das Prinzip Zufall für ihre fotografische Tätigkeit ausbauen: „Einfach drauflos knipsen und gar nicht großartig darüber nachdenken. Am besten gar nicht erst durch den Sucher gucken. Einfach so den Fotoapparat in der Hand halten und willkürlich Bilder machen. Aber wie willkürlich wäre das? Ich könnte die Kamera

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FEESER, SIGRID: Zufall als Prinzip. Über die Ausstellung 'Spielwelt, Methode und System in der Kunst des 20. Jahrhunderts' im Wilhem-Hack-Museum Ludwigshafen vom 18.1.–15.3.1992. In: Kunstforum International. Bd. 117. 1992. S. 363 SCHWARZE, DIRK: Erinnerungen an den Zufall. Über die Ausstellung 'Daniel Spoerri – Karneval der Tiere' im Kasseler Kunstverein vom 24.1. – 8.3.1998. In: Kunstforum International. Bd. 140. 1998. S. 367. WESEMANN, ARNDT: Büro Bert – Zufall und Alltag. In: Kunstforum International. Bd. 116. 1991. S. 294.

den ganzen Tag bei mir tragen, quasi den Tag 'dokumentieren', aber nach welchen 'Kriterien' drücke ich den Auslöser? Ich kann ja nicht zufällig handeln.“ (T 115) Den Zufall zum Prinzip zu erklären, birgt ein Paradoxon: Wenn etwas zum Prinzip, zur Regel wird, dann ist es kein Zufall. Wir nehmen etwas als Zufall wahr, wenn es von unserer Wahrnehmung der Regel abweicht. Wird der Zufall hingegen zur Regel, führt das sowohl die Regel als auch den Zufall ad absurdum. Diesbezüglich wären begründete Kriterien für das Auslösen des Bildes immer schon beabsichtigte, vorsätzliche Handlungen und damit keineswegs zufällig. Umgekehrt kann ein Zufall ohne die regelgeleitete Erwartung niemals wahrgenommen werden. Wenn Nora Erikson sich selbst nicht vornehmen kann, den Zufall zufällig zu steuern, dann könnte der Anlass und die Anzahl der Fotografien „durch den Einfluss von außen“ abhängig gemacht werden. (T 116) So wird das Prinzip Zufall zum „Experiment“, dass die Studentin ausprobieren möchte: „Wenn’s klappt, könnte ich die Bilder in meine Geschichte integrieren. Auch wenn diese unter Umständen schon Jahre zurückliegt, aber das lässt sich bestimmt verbinden. Alte Geschichte verknüpft mit neuen aktuellen Orten, Leuten, Dingen, ...“ (T 121f). Wenn sie sagt, dass die Geschichte „schon Jahre zurückliegt“, spricht sie von der Geschichte, als wäre diese mit ihrer autobiografischen Vergangenheit kongruent. Allerdings wirkt die Geschichte durchaus nicht ungebrochen autobiografisch, denn die zufallsgenerierten Fotografien sind fremdbestimmt und die Fundstücke zufällig gefunden. Insofern sind die Fundstücke und Fotografien ihres eigentlichen Zusammenhangs beraubt worden, denn sie bezeugen nicht mehr, dass diese Studentin zu einem bestimmten Zeitpunkt an genau dem abgebildeten Ort war, um zu fotografieren oder etwas zu finden. Jede andere Person hätte dies tun können. Das Authentische an der Geste des Auslösens oder Aufhebens, die Zeugenschaft, ist damit abhanden gekommen.

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Neben dem Schriftlichen gibt`s natürlich noch einen Versuch, das Zufällige einzufangen. Bilder. Genaugenommen Fotos. Einfach drauflos knipsen und gar nicht großartig darüber nachdenken. Am besten gar nicht erst durch den Sucher gucken. Einfach so den Fotoapparat in der Hand halten und willkürlich Bilder machen. Aber wie willkürlich wäre das? Ich könnte die Kamera den ganzen Tag bei mir tragen, quasi den Tag „dokumentieren“, aber nach welchen „Kriterien“ drücke ich den Auslöser? Ich kann ja nicht zufällig handeln. Vielleicht ginge es durch den Einfluss von außen. Bei bestimmten Dingen (Reaktionen, Geräuschen, Personen, Farben, Zeiten, ...) fotografiere ich einfach. Immer nur einmal? Oder öfter? Jedes mal, in jeder Situation die gleiche Anzahl von Fotos? Ich sollte es einfach drauf ankommen lassen. Mal sehen, wie`s funktioniert. Ist halt ein Experiment. Wenn`s klappt könnte ich die Bilder in meine Geschichte integrieren. Auch wenn diese unter Umständen schon Jahre zurückliegt, aber das lässt sich bestimmt verbinden. Alte Geschichte verknüpft mit neuen aktuellen Orten, Leuten, Dingen, ...

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6.„Ausgangspunkt: Mädchen (20) ..." oder Die Formulierung der Geschichte

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Erste Fassung der Geschichte Ausgangspunkt Mädchen (20) fängt nach einem angefangenen und schnell wieder aufgegebenen Studium in Kassel an in Dortmund zu studieren.

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3 Möglichkeiten: A. Sie zieht (vorerst) wieder bei ihren Eltern ein und pendelt von RE nach DO. B. Sie zieht mit einer guten alten Schulfreundin zusammen in eine gemeinsame Wohnung in Dortmund, denn Claudi macht dort bei der LZB eine Ausbildung zur Bankkauffrau. C. Sie bewirbt sich beim Studentenwerk und zieht in eine WG ins Wohnheim.

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Verlauf A Sie pendelt ein Semester lang und ist das dann leid, zieht doch ins Wohnheim und ... b Sie unternimmt mehr mit den Jungs. a Sie geht auf Einladungen nicht ein, da sie unimäßig momentan viel zu tun hat. c Sie unternimmt hier und da was mit ihnen, allerdings nicht allzu viel, da sie auch viele andere Kontakte hat.

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Dennoch stehen die Bilder und Objekte ja nicht bezugslos da. Sie werden Bestandteile eines neuen Kontextes, einer Geschichte. Und zwar einer Geschichte, die nur fingiert, dass sie erdichtet ist, innerhalb der Fiktion jedoch auf die Geschichte als tatsächlich Geschehenes verweist. Der Versuch, den Zufall bildhaft einzufangen, ihn dafür fremdbestimmt zu generieren, um ihn später im Kontext einer „wahren“ Geschichte als Fiktion zu inszenieren ist, ist ein komplexer Plan, der den Zufall nicht bezeugt, sondern mit ihm zu operieren sucht. Kann man der Studentin danach noch glauben, wenn sie in ihrer Sprichwort- und Sentenzensammlung aufzeichnet: „Zufälle erfordern keine Einfälle“? (T 123)

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6. „Ausgangspunkt: Mädchen (20) ...“ oder Die Formulierung der Geschichte

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Die „erste Fassung der Geschichte“ ist eine inhaltliche Formulierung nach dem bereits skizzierten Schema. Der „Ausgangspunkt: Mädchen (T 20) fängt nach einem angefangenen und schnell wieder aufgegebenen Studium in Kassel an in Dortmund zu studieren“ (T 125f). Vor die Frage des Wohnorts gestellt, hat sie – und dies entscheidet der Spieler – die Wahl, entweder bei den Eltern einzuziehen und zur Uni zu pendeln, mit einer alten Freundin gemeinsam zu wohnen oder in ein Wohnheim zu ziehen. Angenommen, sie entscheidet sich zunächst für das elterliche Zuhause, ändert sie ihre Meinung nach einem Semester wegen der Pendelsituation und zieht dennoch ins Wohnheim. Dort gestalten sich ihre kommunikativen Begegnungen neu: Soll sie mehr „mit den Jungs“ aus dem Wohnheim unternehmen, diverse Einladungen wegen universitärer Aus-

Verlauf B „Neben den Leuten von der Uni hat sie auch einiges mit den Freunden ihrer Mitbewohnerin zu tun ... immer was los in der WG / Claus verliebt sich in sie, aber Claudi will was von Claus

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3 Möglichkeiten: a’ Das kommt für sie nie in Frage. Selbst wenn sie wollte, würde sie nichts mit Claus anfangen aus Rücksicht auf ihre Freundin. b’ Dadurch, dass sie nichts für ihn empfindet ist für sie die Sache klar. No way! c’ Sie ist hin- und hergerissen. Sie wäre gern mit Claus zusammen, aber kann sie das Claudi antun?

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Verlauf C „Besonders anfangs ist sie schon allein, denn sie kennt ja kaum jemanden an der Uni und viele fahren nach Hause oder haben bereits einen festen Freundeskreis ... findet halbwegs Anschluss, fährt an Wochenenden aber immer nach RE 3 Möglichkeiten A’’ Sie überlegt tatsächlich wieder nach RE zu ziehen, da sie fast dauernd dort ist B’’ Sie hat sich daran gewöhnt, nicht dauernd unter Leuten zu sein und sieht es positiv, indem sie sich mehr auf ihr Studium konzentrieren kann. C’’ Sie will auf jeden Fall etwas ändern und nimmt sich vor, offensiver vorzugehen.

lastung ablehnen oder die alten Kontakte weiterpflegen und nur wenige Verabredungen mit den neuen Mitbewohnern eingehen? (T 135–149) Sofern sie sich eingangs für die Wohnsituation mit der langjährigen Freundin entschieden hatte, lernt sie deren Freundeskreis kennen. Dabei verliebt sich der von der Freundin Claudi verehrte Freund Claus in sie. Wie soll sie damit umgehen? Schließt sie eine Beziehung mit Claus aus Rücksichtnahme aus? Empfindet sie ohnehin nichts für ihn oder kann sie sich trotz Zuneigung nicht entscheiden? (T 146–149) Im Wohnheim, der dritten Wohnmöglichkeit, fühlt sie sich einsam, da die Mitbewohner an den Wochenenden wegfahren oder „bereits einen festen Freundeskreis“ haben. So pendelt auch sie an den Wochenenden an ihren Heimatort. Um sich aus dieser misslichen Lage zu befreien, muss sie einen Entschluss fassen: Zieht sie an den Ausgangsort zurück? Gewöhnt sie sich an die Einsamkeit und genießt die gewonnene Studienzeit? Oder fasst sie den Vorsatz mit der einsamen Position offensiver umzugehen? (T 156–159) Ohne Genaueres über die autobiografische Situation der Autorin zu wissen, drängen sich bei der Lektüre Parallelen zwischen der Protagonistin und der autobiografischen Situation der Erzählerin auf: Beide sind ca. 20 Jahre alt, beide beginnen ein Studium und setzen sich mit existenziellen Entscheidungen über Wohnsituation, Studienort und sozialer Einbindung auseinander. Die Geschichte enthält offensichtlich autobiografische Anteile, die allerdings als fiktive biografische Orientierung dargestellt werden. Ob die Verfasserin die autobiografischen Momente allerdings bewusst inszeniert oder ob sie sich nur teilweise bewusst in den Text eingeschrieben haben, muss an dieser Stelle offen bleiben.

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7.„Rückblick: Themensuche" oder Die Rekonstruktion der Themensuche

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Rückblick Themensuche Wie bin ich ausgerechnet auf das Thema „Zufall“ gekommen? Ich bezeichne meine Themenwahl gern als Zufallsprodukt. Denn anfangs hatte ich überhaupt keine Idee und keine genaueren Vorstellungen. Das musste sich dann schlaglichtartig ändern, als wir unsere Themen vorstellen sollten. So überlegte ich eine Zeit lang intensiv und tauschte mich mit zwei Freundinnen aus dem Seminar aus. Das brachte schließlich auch das ausschlaggebende Ergebnis. Zu Beginn schwebte mir das Wort „Flaschenpost“ im Kopf herum. Vor einiger Zeit habe ich ein Buch zu dem Thema gelesen und das hat mich sehr fasziniert. Ich stelle es mir sehr spannend vor eine Flaschenpost zu finden. Welche Motivation hat jemand, eine Flaschenpost zu verschicken? Ist es eine einmalige Sache oder „regelmäßig“? Dazu müsste man erstmal die Gegebenheiten haben eine Flaschenpost verschicken zu können. In gewisser Weise ist es ja auch ein Medium. Man könnte – wenn es regelmäßig passiert – Briefe, Zeichnungen, Nachrichten, ... in der ganzen Welt verteilen (mehr oder weniger). Wenn diese Nachrichten so verfasst sind, dass sie jeder Mensch auf der Welt verstehen würde – was würde das nach sich ziehen / beeinflussen / ausmachen? Tut es das überhaupt? Durch die Willkürlichkeit, eine Flaschenpost zu finden (da sie ausgerechnet dann und dort angespült worden

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7. „Rückblick: Themensuche“ oder Die Rekonstruktion der Themensuche

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In dem folgenden Abschnitt rekonstruiert die Verfasserin erneut den Prozess der Themensuche. Unter der Fragestellung: „Wie bin ich ausgerechnet auf das Thema 'Zufall' gekommen?“ beschreibt sie noch einmal ihren Prozess von der Faszination der Flaschenpost, dem Gespräch mit zwei Studienfreundinnen und der Themenfindung. Auf den ersten Blick erscheint dieser Text im Wesentlichen als inhaltliche Wiederholung ohne nennenswerte neue Aspekte. Im Unterschied zur ersten Version (T 33ff)m wird hier lediglich etwas ausführlicher und in der Vergangenheit erzählt. Bei genauerer Betrachtung unterscheidet sich diese Aufzeichnung allerdings durch eine zunehmende Nuancierung. Während die Studentin in der früheren Notiz die Zufallsmomente im Kursverlauf der Flaschenpost herausarbeitete, differenziert sie hier zudem zwischen der Nachricht und dem Behälter als „Medium“. (T 170) Im Gegensatz zu gebräuchlichen zeitgenössischen Medien ist die Flaschenpost als Medium unverfügbar, weder steuerbar, noch regulieroder berechenbar. Neben dem „zufälligen“ Transport durch das störanfällige Medium muss der Sender bei seiner Mitteilung auch die zeitliche Verzögerung und die Sprachbarrieren für einen „zufälligen“ Empfänger berücksichtigen. Dementsprechend müssten auch die „Briefe, Zeichnungen, Nachrichten“ so verfasst sein, „dass [sie] jeder Mensch auf der Welt verstehen würde“ (T 172). Ohne jedoch die Idee einer universellen Sprache weiter zu verfolgen, sieht die Studentin ihre Aussichten schwinden, jemals eine Flaschenpost „im Urlaub am Strand“ zu finden. (T 178) Aber gerade die scheinbare Aussichtslosigkeit fasziniert sie: „Vielleicht ist das deswegen so reizvoll für mich, da es so unwahrscheinlich ist.“ (T 178) Dass sie sich dennoch für das Thema „Zufall“ entscheidet, begründet sie damit, dass es „offener [erscheint], mit mehr Möglichkeiten

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ist), kam ich auf das Thema Zufall. Wobei es ja nicht ganz zufällig ist, wer solche Post findet. Meistens sind es ja doch Menschen am Meer, die dort leben, wohnen, arbeiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass beispielsweise ich eine im Urlaub am Strand finde, geht wohl gegen Null. Vielleicht ist das deswegen so reizvoll für mich, da es so unwahrscheinlich ist. Jedenfalls erschien mir das Thema Flaschenpost zu eingegrenzt und dafür hätte ich gerne Meer gehabt, bzw. am Meer gearbeitet. So erschien mir das Thema „Zufall“ offener, mit mehr Möglichkeiten daraus etwas zu machen.

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Gedankengang ĺ Schaubild zur Flaschenpost

etwas daraus zu machen“ (T 181). Das Thema „Flaschenpost“ hingegen scheidet nicht nur aus, weil es ihr „zu eingegrenzt“ vorkommt, sondern weil sie dafür „gerne Meer gehabt, bzw. am Meer gearbeitet [hätte]“ (T 179). Die Begründung, sich ein Thema danach auszusuchen, welche Möglichkeiten es für eine (vermutlich praktische) Arbeit bietet (vgl. T 45), klingt zwar plausibel, ist aber keineswegs eine selbstverständliche Haltung. Denn schließlich hatte sich die Studentin schon vor dem Beginn des Aufzeichnens für das Thema Zufall entschieden, auch wenn sie es erst jetzt begründet. Das bedeutet, dass sie zu diesem Zeitpunkt schon an eine ästhetische Praxis gedacht hat. Die Antizipation der eigenen Bearbeitungsmöglichkeiten trägt für sie demnach wesentlich zur Auswahl des Themas bei. Nach dieser Rekonstruktion ihrer eigenen Suche visualisiert sie unter der Überschrift „Gedankengang“ nun ihre verworfene Gedankenfolge als Schaubild, indem sie den Ablauf der Flaschenpost vom Sender zum Empfänger grafisch darstellt. (T 184) Die Rückbindung an das persönlich faszinierende Thema, dass sie längst verworfen hatte und dennoch immer wieder erwähnt, wird festgehalten und grafisch dokumentiert. Aber welchen Sinn ergibt diese Rekonstruktion? Ist sie für die Studentin notwendig, um sich selbst zu vergewissern, was die Suche bislang ergeben hat? Oder ist es eine Vergegenwärtigung, ein Akt der Präsenz, den sie braucht, um sich zu lösen und den Kursverlauf der Suche zu verändern? Die im Anschluss an das Schema notierten Stichwörter werden nicht näher erläutert. Es könnten sowohl eigene Gedankensplitter und Fragmente sein, ein potenzieller Titelentwurf „Eine unwahrscheinliche Geschichte des Zufalls“, als auch mitgeschriebene Worte aus dem Seminarzusammenhang. (T 189f)

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Eine wahre Geschichte des Zufalls/ Fiktion, Entscheidung Spielzüge Zufallsverfahren

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Leonardo (Risse in Wand) Interpretation von Tintenklecksen, bestimmten Druckverfahren

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Die Fotos kommen gut an, einfach durch die Gegend fotografieren, mal hier mal da. Selbst meine Freunde, die das mitbekommen, finden die Idee gut und sind auch mit dabei.

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Ich habe 3 ½ Filme verbraucht innerhalb von ca. 2 Wochen. Dabei habe ich die Filme erst entwickeln lassen, als ich alle verknipst habe, d.h. ich wollte nicht die ersten entwickelten Fotos sehen, wenn ich noch beim Fotografieren bin, da mich das beeinflusst hätte. Mein Spiel / meine Geschichte geht jetzt in eine leicht andere Richtung: Ich sammle Zitate zum Thema „Zufall“, nehme die Fotos, suche zufällige Sätze aus alten Tagebüchern und Aufzeichnungen heraus und stelle das Ganze zusammen. Das soll so aussehen, dass ich die einzelnen Sätze, Bilder auf verschiedene Karten schreibe / klebe (alle von gleicher Größe um einen gemeinsamen Rahmen zu haben) und der Betrachter diese einzelnen Karten eigenständig legen kann, so dass im Prinzip für jeden eine andere Geschichte dabei herauskommt. Es könnte dabei auch eine Art „Bild“ entstehen, sowohl von der Fläche her, als auch von der äußeren Form.

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ĺ 2 Skizzen zum Kartenlegen

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8. „... meine Geschichte geht jetzt in eine leicht andere Richtung“ oder Die Visualisierung

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In den nächsten Eintragungen befasst sich die Studentin mit ihrer praktischen Arbeit, über die sie sich mit befreundeten Personen austauscht und diese sogar involviert. Dabei probiert sie ihre frühere Idee aus, das Prinzip Zufall beim Fotografieren anzuwenden. Hatte sie ursprünglich noch erklärt: „Ich kann ja nicht zufällig handeln“, um das Dilemma zwischen Vorsatz und Zufall im Moment des Auslösens zu schildern, will sie jetzt „einfach durch die Gegend fotografieren, mal hier, mal da“ (T 192). Die Produktion der Bilder hängt somit weniger vom Zufall, als von der Willkür der Produzentin ab. Und dennoch könnte der Zufall innerhalb der Willkür vorkommen, wenn die Studentin beispielsweise ohne durch den Sucher zu spähen, etwas aufzeichnet, womit sie nicht gerechnet hat und was sie mit dem bloßen Auge auch nicht gesehen hat. Außerdem erweitert die Fotografin ihr vorherige Konzeption dahin gehend, dass sie die aufgenommenen Bilder – dreieinhalb Filme innerhalb von zwei Wochen – so lange nicht entwickeln lässt, bis alle Aufnahmen verknipst sind. (T 196) Ohne sich von den Ergebnissen beeinflussen zu lassen, ohne sie durch eine spätere Aufnahme bewusst oder unbewusst zu korrigieren, überlässt sie es hier beabsichtigt ihrem Geschick und dem Zufall, ob die entwickelten Bilder schließlich verwackelt, abgeschnitten oder schief sind und welche sie davon für ihre Zwecke verwenden kann. Das Prinzip Zufall wird in Variation und Abweichung zum Experimentierfeld für ihre fotografische Inszenierung. Dabei verändert sich der bisherige konzeptionelle Entwurf: „Mein Spiel / meine Geschichte geht jetzt in eine leicht andere Richtung: Ich sammle Zitate zum Thema 'Zufall', nehme die Fotos, suche zufällige Sätze aus alten Tagebüchern und Aufzeichnungen heraus und stelle das Ganze zusammen.“ (T 199–200)

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Die Idee der unterschiedlichen Kisten, welche geheimnisvolle Fundstücke als Spuren aus je einer Episode der Geschichte bergen, formiert sich neu. Eine einzige „Sammlung“ vereinigt nunmehr alle Indizien aus dem Leben der Protagonistin. Die einstige Forderung nach etwas Greifbarem, das die Entscheidungen der Spieler motivieren soll, kann sich jetzt nur noch auf die Indizien selbst beziehen. Wie aber erfährt der Rezipient, wann er sich an den Wegkreuzungen der Geschichte befindet, wann er also eine „wahre“ oder „fiktive“ Entscheidung treffen kann? Wie funktioniert dann die im Wegplan skizzierte „chronologische Etappenführung“ der Geschichte? Welche Möglichkeiten verbleiben dem Rezipienten noch, den Verlauf der Geschichte strukturell oder inhaltlich zu steuern? Die neue Richtung, in die Geschichte sich jetzt wendet, wird durch die Sammlung bestimmt: „Das Ganze soll so aussehen, dass ich die einzelnen Sätze, Bilder auf verschiedene Karten schreibe / klebe (alle von gleicher Größe um einen gemeinsamen Rahmen zu haben) und der Betrachter diese einzelnen Karten eigenständig legen kann, so dass im Prinzip für jeden eine andere Geschichte dabei herauskommt. Es könnte dabei auch eine Art 'Bild' entstehen, sowohl von der Fläche her, als auch von der äußeren Form“ (T 203f). Zwei mögliche Geschichten-Lege-„Bilder“, ein buchstabenförmiges Muster und ein quadratisches Mosaik, visualisiert sie in einer Miniaturskizze direkt im Anschluss. Da diese beiden Muster keine gemeinsame Struktur mehr haben, muss man sich fragen, ob es die im Wegplan angelegten, vorgeschriebenen „Etappen“ der Geschichte überhaupt noch in diesem Entwurf vorkommen. Oder ersetzt dieser Karten-Lege-Plan den bisherigen Wegplan? Warum zeichnet sie den alten Wegplan dann unfertig auf die nächste Seite? (T 207)

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Das Ganze könnte ich noch vorher von Freunden / Bekannten / Verwandten „durchspielen“ lassen und dabei filmen. So hätte ich schon einige Möglichkeiten bzw. Ausgänge der Geschichte und könnte zudem aufzeigen, wie die Überlegungen und Entscheidungen zur jeweiligen Wahl aussehen. Es sollten so viele Kärtchen vorhanden sein, dass man nicht unbedingt alle verwendet, sondern eher dabei noch welche für seine Geschichte auswählt. Das würde auch mehr Abwechslung in die Vielfalt der Ausgänge bringen. Oder aber ich fotografiere meine Sammlung zwischenzeitlich noch mal oder die Personen, die sich gerade eine Geschichte zusammenlegen und füge die Fotos schließlich zur Sammlung hinzu. Eine Art Reflexion/ Beobachtung/ Begleitung meiner Arbeit nicht nur im schriftlichen, sondern damit auch im bildlichen Bereich.

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Die Frage nach den „Schriftkärtchen“ beschäftigt mich zur Zeit. Ich werde verschiedene Bereiche „abdecken“, aus denen ich Sätze heraussuche. Sollte ich die versch. Bereiche (farbig) unterscheiden? Oder beeinflusst das den Betrachter / Spieler und ein einheitliches Gesamtbild wäre vorteilhafter?

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Auf jeden Fall macht der Lege-Plan deutlich, dass es der Studentin nicht nur um eine illustrative Visualisierung der Geschichte geht, sondern dass sie darüber hinaus eine Meta-Form findet, um das parallele Entstehen der individuellen Geschichten musterhaft abzubilden. Will sie zudem noch die individuellen Entwicklungsverläufe der Geschichte „von Freunden / Bekannten / Verwandten 'durchspielen' lassen und dabei filmen“ und diese Videoaufzeichnungen wiederum den Betrachtern zeigen, so wird die Ebene der Meta-Visualisierung besonders deutlich. (T 208f) Als Argument dafür gibt sie an, dass sie anhand der Videografien exemplarische Geschichtsabläufe erhält und „aufzeigen [könnte], wie die Überlegungen und Entscheidungen zur jeweiligen Wahl aussehen“ (T 210). Die mit der Videokamera aufgezeichneten Passagen werden einerseits zur didaktischen Bedienungs-Anleitung für die Betrachter und andererseits zur modellhaften Erprobung einer visualisierten Geschichtswerdung für die Regisseurin. Um „mehr Abwechslung in die Vielfalt der Ausgänge“ zu bekommen, sollen die Betrachter aus der umfangreichen Anzahl der Karten, aus denen sich die Geschichte zusammensetzt, eine eigene Kombination auswählen können. (T 212) Die Geschichte entsteht also durch Kombination der Karten. Neben der prozessualen Geschichtswerdung durch die Betrachter entwickelt die Studentin noch eine alternative Version zur Herstellung der Sammlung. Dabei überlegt sie, ob sie zusätzlich Fotografien der Karten und derjenigen Personen, die sie kombinieren, ebenso in die Sammlung aufnimmt, um eine „Art Reflexion / Beobachtung / Begleitung meiner Arbeit nicht nur im schriftlichen, sondern damit auch im bildlichen Bereich“ zu erreichen. (T 215f) Mit der Idee, ihre eigenen Suchprozesse fotografisch zu dokumentieren, spricht sie erneut die Metaebene der Visualisierung an. Aber anders als bei den parallel zur Sammlung abgespielten Videodokumentationen entstünden hier ver-

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Die Filme habe ich abgeholt. Allerdings bin ich mit dem Großteil der Bilder nicht allzu zufrieden. So sehe ich wenigstens, was ich nicht will und ein paar gute Fotos sind schon dabei. Daran möchte ich weiterarbeiten. Die meisten Bilder zeigen einfach „zu viel“, d.h. Totalaufnahmen (Landschaft, ...) und „gut getroffene Personen. Es sind aber auch einige angeschnittene, ausschnittmäßige Fotos dabei, die – dadurch, dass sie nicht alles zeigen – an Reiz gewinnen und oft einzelne Handlungen erkennen oder auch nur erahnen lassen. Die 3 ½ Filme dienen auf jeden Fall als gutes Ausgangsmaterial – wie gesagt, einige Bilder kann ich direkt verwenden – für meine Arbeit. Jetzt bleibt noch die Überlegung, ob ich die Fotos im Format 9 x 13 cm lasse, oder ob ich sie noch verkleinere. Gerne hätte ich ein quadratisches Format, aber greife ich dann nicht zu sehr in die Zufallsbilder ein? Ich wähle vom Foto dann ja noch einmal einen bestimmten Ausschnitt aus. Ist das sinnvoll? Ansonsten würde ich die „Schriftkarten“ auch im gleichen Format (also 9 x 13) anfertigen, damit ein einheitliches

mutlich Probleme für die Rezipienten, denn der Zusammenhang zwischen der fiktiven Geschichte und der Fotoserie über die Forschungsarbeit der Studentin würde die eigentliche Motivation der Spielhandlung aufheben. Die Sammlung verkäme zum Sammelsurium, der Bezug von Geschichte und Sammlung würde verwischt. Ohne diese Problematik zu benennen, widmet sich die Studentin nun konkreten Gestaltungsfragen in Bezug auf die „Schriftkärtchen“, die inhaltlich „verschiedene Bereiche 'abdecken'“ sollen. Sie fragt sich, ob sie die thematischen Bezüge farbig hervorheben soll oder ob „ein einheitliches Gesamtbild“ vorzuziehen sei, das die Betrachter bei der Auswahl nicht beeinflusst. (T 219f) Nachdem die Fotos schließlich entwickelt sind, notiert sie „Allerdings bin ich mit dem Großteil der Bilder nicht allzu zufrieden. So sehe ich wenigstens, was ich nicht will und ein paar gute Fotos sind schon dabei. Daran möchte ich weiterarbeiten.“ (T 221ff) Ausgehend von den sichtbaren Ergebnissen bildet sie nun konkretere Kriterien aus, als die theoretisch vor und während der Zufalls-Produktion thematisierten: „Die meisten Bilder zeigen einfach 'zu viel', d.h. Totalaufnahmen (Landschaft, ...) und 'gut' getroffene Personen. Es sind aber auch einige angeschnittene, ausschnittmäßige Fotos dabei, die – dadurch, dass sie nicht alles zeigen – an Reiz gewinnen und oft einzelne Handlungen erkennen oder auch nur erahnen lassen.“ (T 222ff) Die Reduktion des Bildgeschehens und des Bildraumes fasziniert sie. Eine Andeutung, ein Fragment, ein einzelner Handlungsmoment, erachtet sie in diesem Kontext für verlockend, weil bewusst nicht alles gezeigt und damit das Verborgene, Unsichtbare thematisiert wird.

Zufall - Aufzeichnungen von Nora Erikson - 139

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Gesamtbild entsteht. Insgesamt sind in bezug auf die praktische Umsetzung noch viele Fragen offen – einige Antworten ergeben sich vielleicht so. (Zufall) Momentan befinden sich die Ideen noch alle in meinem Kopf und es dreht sich mehr um den theoretischen Teil. Das grobe Gerüst steht jedoch – es kommen höchstens noch weitere Ideen, Literatur, Fotos, Sätze, ... hinzu. 9.„Und zur Zeit beschäftigen mich meine Träume" oder Die Visualisierung des Privaten

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ĺ Briefumschlag über Träume

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„Ich suche immer wieder von Neuem“ oder Die Reflexion der Suche

„Beziehungen sind oft Zufallsgeschichten, wer wen kennt oder kennen gelernt hat, über Freundschaften und irgendwelche Beziehungen ...“

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Stichwort: Stadtplan Inwieweit kann ich in meiner Arbeit einen Stadtplan miteinbeziehen? Orte einzeichnen, an denen ich war, fotografiert, beobachtet, ... habe. Teile der Karte – bearbeitet oder unbearbeitet – könnte ich zur Sammlung/ zum Spiel hinzufügen.

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ĺText über Zufälle in den Wissenschaften

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So entsteht durch die Visualisierung eine Diskrepanz zwischen der Produktion von „zufällig“ hergestellten Bildern und der Rezeption von „zufällig“ wirkenden Bildern, denn die Bilder wirken auf sie z.T. anders, als sie zuvor konzipiert waren. Erst durch die konsequente zeitliche Verzögerung zwischen dem Auslösen und Entwickeln der Filme wurde diese Ambivalenz für die Studentin erfahrbar und sichtbar. Ebenso ambivalent steht sie dem Format der Fotografien gegenüber: Einerseits wünscht sie sich, entsprechend ihrer Lege-Skizze, „ein quadratisches Format“ für die Fotografien, andererseits wagt sie nicht, den Ausschnitt nachträglich zu verändern. (T 228) Indem sie fragt, „... greife ich dann nicht zu sehr in die Zufallsbilder ein?“, formuliert sie eine „authentische“ Haltung zum Herstellungsprozess ihrer Fotografien, die für sie Vorrang vor der Wirkung hat. Und so überlegt sie sich schließlich einen Kompromiss. Statt der Fotografien will sie nun auch die Schriftkärtchen in dem Format 9 x 13 cm anfertigen, um dennoch ein „einheitliches Gesamtbild zu wahren“ (T 231). Wenn sie abschließend ihre eigene Arbeit mit den Worten kommentiert: „Insgesamt sind in Bezug auf die praktische Umsetzung noch viele Fragen offen – einige Antworten ergeben sich vielleicht so (Zufall)“, so akzentuiert sie noch einmal den Spielraum, den sie dem Zufall innerhalb ihrer Produktion einräumt. Obwohl die in diesem Kapitel beschriebenen Aufzeichnungen ausschließlich von der praktischen Arbeit und deren Einbindung in das Gesamtkonzept handeln, schätzt die Studentin sie eher als „theoretisch“ ein: „Momentan befinden sich die Ideen noch alle in meinem Kopf und es dreht sich mehr um den theoretischen Teil. Das grobe Gerüst steht jedoch – es kommen höchstens noch weitere Ideen, Literatur, Fotos, Sätze, ... hinzu.“ (T 235f) Daraus ergibt sich die Frage, ob die immer wieder zu verändernde Konzipierung für die Studentin ein immer wiederkehrendes Hindernis für ihre praktische Arbeit darstellt.

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9. „Und zur Zeit beschäftigen mich meine Träume“ oder Die Visualisierung des Privaten

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Der nächste Eintrag besteht aus einem weißen Briefumschlag, dessen Adressseite auf die Heftseite geklebt ist, sodass sich das Kuvert, das ineinander gesteckt, aber nicht versiegelt ist, öffnen lässt. Eine Grenze wird sichtbar gemacht. Gleichzeitig verweist eben diese Visualisierung auf eine gewisse Bedeutung, die Nora Erikson dem Inhalt beimisst. Etwas wird aufgezeichnet, ohne es zu zeigen. Als Leserin werde ich neugierig auf das Versteckte, möchte ich diese Grenze überschreiten. Meine Frage, ob ich den Briefumschlag lesen dürfe, bejaht die Studentin. Ich lese ihn. Als Person. Aber ich werde ihn nicht als Forschungsmaterial benutzen. Dann würde ich die von der Studentin bewusst gesetzte Grenze des Privaten überschreiten.

Zufälle treten praktisch in allen Bereichen auf. Nicht nur, wenn es um Begegnungen geht, sondern auch in bezug auf - Beziehungen - Fundstücke - Erfahrungen - Fehler - Reaktionen - Wissenschaft - verpasste Möglichkeiten - sich ergebende Möglichkeiten

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10. „Ich suche immer wieder von Neuem“ oder Die Anbindung der Suche

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Nach den offen versteckten Träumen im Briefumschlag, folgt nun ein kurzes Zitat als Gedankensplitter „Beziehungen sind oft Zufallsgeschichten, wer wen kennt oder kennengelernt hat, über Freundschaften und irgendwelche Beziehungen ...“ (T 238f). Es bleibt unkommentiert, die Quelle findet keine Erwähnung. Ist es eine spontane Assoziation oder Erinnerung oder ist es zu privat, um es in den Aufzeichnungen auszuführen? Danach schließt sich eine visuelle Idee zum „Stichwort: Stadtplan“ an. Die Studentin fragt danach, inwieweit sie einen Stadtplan in ihre Arbeit integrieren kann. Wieder scheint sie von der Idee einer praktischen Arbeit fasziniert. Fragmentarisch imaginiert sie: „Orte einzeichnen, an denen ich war, fotografiert, beobachtet, ... habe. Teile der Karte – bearbeitet oder unbearbeitet – könnte ich zur Sammlung / zum Spiel hinzufügen.“ (T 242f) Auch hier wird die Quelle der Idee nicht preisgegeben. Im Mittelpunkt steht jedoch nicht eine Vermessung und Visualisierung der sichtbaren Welt, sondern die Anbindung an die eigene Lebensgeschichte innerhalb der Aufzeichnungen und der Sammlung. Die Kartierung von persönlich relevanten Orten wird als autobiografische visuelle Schreibweise entworfen. Der nächste Eintrag besteht aus einem eingeklebten Text aus dem Internet, in dem ein zeitgenössischer Humanbiologe in 35 „Zufallsgeschichten“ den Einfluss des Zufalls auf verschiedene wissenschaftliche Entdeckungen aufzählt und in seiner Studie (auf die diese Seite verweist) untersucht. (T 246) Dieses Suchergebnis erläutert die Studentin, indem sie die unterschiedlichen Bereiche, in denen der Zufall in ihren eigenen Aufzeichnungen vorkommt, für sich noch ein-

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Ich suche immer wieder von Neuem. Es gibt für mich noch keinen Punkt in dieser Arbeit, der abgeschlossen ist. So kommt immer etwas dazu (in diesem Tagebuch) und Altes wird verworfen oder ergänzt. Von einem Videofilm über das Legen/ Zusammenlegen/ Spielen der Karten habe ich mich wieder distanziert. Lieber würde ich dieses Durchspielen durch Freunde/ Verwandte und Bekannte fotografisch festhalten. Diese Fotos könnte ich der Sammlung dann durchaus noch teilweise hinzufügen, als eine Art (Selbst)reflexion für denjenigen/ diejenige, die das Spiel später spielt. 11. „ ... Seiten mit link zur Auswahl, die man zu seinem Thema ,gesucht' hat" oder Die Recherche: Kunst und Zufall

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mal resümierend an den Rand schreibt „Beziehung, Fundstücke, Erfahrungen, Fehler, Reaktionen, Wissenschaft, verpasste Möglichkeiten, sich ergebende Möglichkeiten“ (T 248ff). Sie bündelt die Kategorien des Zufalls-Vorkommen und reflektiert ihren Arbeitsprozess: „Ich suche immer wieder von Neuem. Es gibt für mich noch keinen Punkt in dieser Arbeit der abgeschlossen ist. So kommt immer etwas dazu (in diesem Tagebuch) und Altes wird verworfen oder ergänzt.“ (T 257ff) Hatte sie vorher noch behauptet, das „grobe Gerüst steht jedoch – es kommen höchstens noch weitere Ideen, Literatur, Fotos, Sätze, ... hinzu.“ (T 235f), scheint es, als wäre sie selbst erstaunt darüber, dass sie derzeit wieder „von Neuem“ sucht, d.h. sich grundsätzlich umschaut. Aber tut sie das wirklich? Verweisen ihre kurzen Kommentare nicht eher darauf, dass sich ihre Suche inzwischen konkretisiert hat, dass sie die gefundenen Texte lediglich daraufhin filtert, ob sie zu ihren bisherigen Entwürfen passen oder Ideen zur Weiterarbeit geben? Während sie vorher über ihre Suche konstatierte „es dreht sich mehr um den theoretischen Teil“, liegt ihren Anmerkungen hier mutmaßlich die Suche nach einer praktischen Ausführung in Anbindung an das bisher Dokumentierte zugrunde. Dafür spricht auch der folgende Einschub, in dem sie ohne Überleitung mitteilt, dass sie die Idee mit der Videografie verworfen habe (vgl. T 208ff). Anstelle dessen bevorzuge sie nun eine fotografische Dokumentation über den Entscheidungsverlauf der Geschichten der Anderen als Spiel. Obgleich der Grund für diese Entscheidung nicht mitgeteilt wird, so deutet doch das „lieber würde ich“ möglicherweise auf eine Bevorzugung der Tätigkeit des Fotografierens (möglicherweise auch auf eine rein pragmatische Entscheidung).

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Seiten sind. So bekommt man nach ein paar Sekunden mehrere Seiten mit link zur Auswahl, die man zu seinem Thema „gesucht“ hat.

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„Kunst liebt den Zufall, und der Zufall liebt die Kunst.“

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ĺ Quelle aus dem Netz vom Landesmuseum Oldenburg über eine Ausstellung

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Kommentar: Hängt so ein Projekt mit Zufall zusammen? Oder ist es nur Ungewissheit, Nicht-Wissen, was bei so einem Projekt mit Kindern herauskommt? „Neu“, „experimentell“, „spielerisch“ kann heißen, dass etwas unerwartet passiert – aber auch willkürlich oder zufällig? Spielt der Zufall in anderen künstlerischen Prozessen nicht eine ebenso große Rolle?

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Die Fotos sollen die Sammlung ergänzen „als eine Art (Selbst-)Reflexion für denjenigen / diejenige, die das Spiel später spielt“ (T 261f). Ebenso wie in ihrem früheren Vorhaben, scheint sie den Begriff der „Reflexion“ als visualisierende Verdopplung zu begreifen. (Vgl. T 215f) Im Unterschied dazu verschiebt sich aber der Bezugsrahmen der Reflexion: Galt er ursprünglich ihrer eigenen Reflexion der Suche, spricht sie inzwischen von der (Selbst-)Reflexion der Spieler. Vor dem Hintergrund der sich stetig verschiebenden und verlagernden Betrachtung zum Thema Zufall und dessen Umsetzung, kann aber auch eine andere Lesart entstehen. „Ich suche immer von Neuem. Es gibt für mich noch keinen Punkt in dieser Arbeit, der abgeschlossen ist“ kann auch als Wiederholung oder Verfransung verstanden werden, als Erfahrung der Kontingenz, als Enttäuschung über die noch nicht konkret gewordene Realisation oder über derzeitige Dokumentation.

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11. „... Seiten mit link zur Auswahl, die man zu seinem Thema ‚gesucht’ hat“ oder Die Recherche: Kunst und Zufall

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Nora Erikson setzt ihre Suche im Internet fort. Zu den Stichwörtern „Kunst“ und „Zufall“ wird sie von einer namhaften Suchmaschine zu einer website im Kontext „künstlicher Kunst“ geleitet, die per Zufallsgenerator Algorithmen visualisiert und bildhafte „Kunst(muster)“ (T 267) entstehen lässt. Unter der Rubrik „es gibt schon verrückte Seiten im Netz“ (T 263) beschreibt die Studentin diese und eine weitere Seite, die wiederum nach einer Suchanfrage „zufällig ausgewählte[…]“ Seiten auflistet. Sie wirkt freudig erstaunt, wenn sie schreibt: „So bekommt man nach ein paar Sekunden

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Es gibt schon verrückte Seiten im Netz. Eine Suche bei Google mit den Stichworten „Kunst“ und „Zufall“ brachte mir eine Seite von „künstlicher Kunst“. Dort gibt es die Kategorie Zufall, bei der ein Bild erscheint und durch draufklicken das Bild erneuert, bzw. ersetzt wird. Zur Erklärung steht dort: 'Künstliche Kunst' ist eine sammlung von programmen, welche unter der verwendung von zufallszahlen automatisch kunst(muster) erzeugt. Die einfachheit der algorithmen kontrastiert häufig mit der komplexität der resultate. ARTificial ART.“ Ein anderes Beispiel ist eine Seite, auf der man bestimmte Kategorien anklicken kann, die dann Inhalt von – zufällig ausgewählten – anderen

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Der Text ĺ hat mich an die Tintenklecksbilder erinnert. Das probiert man ja als Kind im Kindergarten oder in der Grundschule aus. Vielleicht werde ich eine solche Arbeit für mich erstellen, neu ausprobieren – mal sehen, ob die Sache ausbaufähig ist. Interessant ist es allemal. Wie weit ich damit komme und wie ich das in bezug zu meiner eigentlichen Arbeit setze wird sich finden.

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ĺ 4 Internetseiten „Über den Zufall in der Kunst“ Zitate

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Gestern habe ich einen Freund von meinem Nachbarn kennengelernt, der mit einer Kommilitonin von mir – mit der ich auch in Rom an der Zeichenexkursion teilgenommen habe – zusammenwohnt.

mehrere Seiten mit link zur Auswahl, die man zu seinem Thema 'gesucht' hat“ (T 271). Diese Bemerkung lässt darauf schließen, dass sie damit nicht gerechnet hat. Vermutlich war sie bislang weder mit einer technische Zufallsgenerierung und deren Darstellung konfrontiert, noch mit der Funktion von Suchmaschinen. Ist das unkommentierte folgende Zitat „Kunst liebt den Zufall, und der Zufall liebt die Kunst“ (T 274) ein Fundstück dieser „Seiten mit link“? Von der nächsten besuchten Homepage, dem Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, druckt die Studentin eine Passage über ein Ausstellungsprojekt mit Kindern unterschiedlicher Altersklassen aus, in dem zu (surrealistischen) Zufallsverfahren in der bildenden Kunst gearbeitet wurde. Auf dem eingeklebten Farbdruck (T 276) unterstreicht sie mit einem gelber Textmarker fett Zufall zur Methode geworden. Zwei andere Phrasen wurden ebenfalls leicht unterstrichen. Insgesamt bezweifelt sie in einem kritischen Kommentar, ob das Projekt überhaupt mit Zufall zusammenhängt (T 278f) und ob „der Zufall in anderen künstlerischen Prozessen nicht eine ebenso große Rolle“ spielt, wie es hier anhand der Techniken vorgegeben wird. (T 281) Eine weitere am 30.07.2003 ausgedruckte Internetseite versammelt Zufallszitate mit einem essayistischen Begleittext „Über den Zufall in der Kunst“. Darin wird erneut auf die surrealistischen Verfahren hingewiesen, was die Studentin „an die Tintenklecksbilder erinnert“, die in ihrer Kindergarten- oder Grundschulzeit entstanden sind. Das Erinnerte verknüpft sie mit einer Idee für die weitere Arbeit: „Vielleicht werde ich eine solche Arbeit für mich erstellen, neu ausprobieren – mal sehen, ob die Sache ausbaufähig ist. Interessant ist es allemal“ (T 283f) Dieser Zukunftsplan scheint sich schon beim Schreiben zu konkretisieren, denn gleich im nächsten Satz schreibt sie: „Wie weit ich damit komme und wie ich das in bezug zu meiner eigentlichen Arbeit setze, wird sich finden“ (T 284f).

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Nach dieser abgehackten Darstellung von jeweils Fundstelle und nachträglichen Kommentaren, fügt sie übergangslos eine persönliche „Zufallserfahrung“ hinzu, in der sie beschreibt, dass sich eine neu gemachte Bekanntschaft unerwartet als bereits zu bekannten Lebenszusammenhängen Zugehörige entpuppte. Die letzte Station bei der Recherche zum Thema „Kunst und Zufall“ führt die Studentin zu Geschichten von Kindern einer zweiten Klasse. (T 290) Wenn sie im Nachhinein einschränkt: „es sind keine 'richtigen' Zufallsgeschichten“, wirkt es, als hätte sie die Zettel bereits vor dem Lesen eingeklebt und erst nachträglich glaubhaft gemacht, in dem sie Interesse beteuert, „wie unterschiedlich die Kinder eine Geschichte (weiter) entwickelt haben“ (T 293). Jedenfalls spiegelt sich das Interesse nicht an einer beredeten Kommentierung. Andererseits verweist die Dokumentation der Recherche durchaus auf ein Interesse an Kunst mit Kindern, da immerhin zwei der vier Seiten von Kunstvermittlung bei Kindern handelten. Insgesamt verebbt die Recherche, bzw. deren Dokumentation mit dieser Eintragung. Es folgen sieben leere Seiten, bis das erste Heft abgeschlossen ist.

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ĺGeschichten von Kindern aus dem Internet (2 Seiten)

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Die Geschichten sind von Schülerinnen und Schülern aus der 2. Klasse. Es sind keine richtigen Zufallsgeschichten in meinen Augen, aber ich fand es interessant, wie unterschiedlich Kinder eine Geschichte (weiter)entwickelt haben.

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Heft 2

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„... plötzlich rückt da dieses Auto mit einer Vehementheit in mein Blickfeld" oder Die Aufmerksamkeit

Das Auto mein Thema lautet „Zufall“ – ich weiß. Damit komme ich auch gut voran und habe schon einiges zusammengetragen. Ich habe schon das meiste im Kopf, wie die Arbeit aussehen soll und bei den „Unsicherheiten“ und „Ungewissheiten“, wo ich noch keine genaue praktische Umsetzung weiß, entscheide ich mich spontan oder einfach nur etwas später. Doch plötzlich rückt da dieses Auto mit einer Vehementheit in mein Blickfeld, so dass ich es nicht mehr verdrängen kann. Ich mag fast schon sagen, dass ich zufällig davon erfahren habe und dass es mir vorher nicht

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Das zweite Heft beginnt mit einem stichwortartigen „Rückblick auf das alte Tagebuch. Zufall“. Da die Stichpunkte in der Transkription fehlen, zitiere ich sie an dieser Stelle komplett: „Spiel; Sammlung; Würfelwurf; 'Zufall als Prinzip'; Zufallsfotos; Zitate; äußere Form?; Leonardo (Risse in der Wand); Tintenkleckse; Durchspielen lassen; Traumsätze; Stadtplan; Um- oder Ausdeutung von Zufallsfunden; Zufallsgeschichten von Grundschülern“ (vgl. Abb.). Diese Aufzählung verdeutlicht, welche Themen für die Studentin noch aktuell sind. Im Anschluss daran beschreibt sie, dass sie mit dem Thema Zufall bislang gut vorangekommen sei. Über den weiteren Verlauf sagt sie: „Ich habe schon das meiste im Kopf, wie die Arbeit aussehen soll.“ (T 296) Ihre „Unsicherheiten“ hingegen sieht sie – wie schon zuvor (vgl. T 233) an den Punkten, wo sie „noch keine genaue praktische Umsetzung weiß“ (T 297). Diese Unsicherheiten scheinen sie aber nicht zu beunruhigen, sie werden zuversichtlich vertagt. Im Widerspruch zu diesem kurzem Rückblick, der wörtlich genommen eine Zufriedenheit vermittelt, stehen die einleitenden Worte: „mein Thema ist „Zufall“ – ich weiß.“ (T 295). Wie eine gereizte Antwort wirkt dieser Satz. Als hätte jemand etwas anderes behauptet. Aber wer widerspricht hier wem? An wen ist dieses „ich weiß“ adressiert? In der Tat ist es die Studentin selbst, die einen Widerstreit auszufechten scheint wischen der Ankündigung des neuen Themas „Auto“ in der Überschrift (T 294) und dem tatsächlichen Rückblick Wie ist diese Ambivalenz zu verstehen? Widerstrebt es ihr den Rückblick zu schreiben? Strebt sie einen Themenwechsel an, ohne das alte Thema abschließen

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aufgefallen ist. Im Nachhinein finde ich das erstaunlich, aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich selbst kein Auto besitze und ich am Parkplatz meist ohne genauere Betrachtung vorbeigehe. Jetzt, wo ich diese „Entdeckung“ gemacht habe (eigentlich habe ich sie ja gar nichts selbst gemacht, sondern nur davon erfahren und mich angefangen dafür zu interessieren), schaue ich immer auf dieses Auto und es geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Ganz im Gegenteil: Ich denke an großformatiges Papier, vielleicht Skizzenpapier auf einer Rolle, auf dem ich meine Gedanken und auch Gefühle bzgl. dieses Autos direkt vor Ort festhalten möchte. Es hat mich völlig in seinen Bann gezogen und Gespräche mit anderen über diese Seltsamkeit regen mich nur weiter an. Was es mit dem Auto eigentlich auf sich hat: Das Auto – ich glaube ein Corsa – erscheint mir noch nicht allzu alt – auf jeden Fall war er sehr gut erhalten, bis ihn irgendjemand auf den Parkplatz vor dem Wohnheim, in dem ich wohne, abgestellt hat. Dabei ist es nicht irgendein Parkplatz, es ist ein Frauenparkplatz von vieren (?) also direkt am Eingang zu unserer Anlage. Das allein wäre nichts besonderes. So ist mir der Wagen bisher ja auch gar nicht aufgefallen, bis Erik mir beim Laufen davon erzählt hat. In den Newsgroups unseres WH stand nämlich der Aufruf, das Fahrzeug schnellstmöglich dort wegzufahren oder

zu wollen? Dann ließe sich ihre Zusammenfassung so lesen, dass sie sich sozusagen selbstvergewissernd einredet bzw. vorspricht, dass ihre bisherige Arbeit sehr produktiv war. Auf jeden Fall scheint ihre wiederholte Suche „von Neuem“ nun abgeschlossen. Etwas Anderes ist unerwartet an die Stelle getreten, das ihre gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht: „Doch plötzlich rückt da dieses Auto mit einer Vehementheit in mein Blickfeld, so dass ich es nicht mehr verdrängen kann.“ Auch hier wird eine Ambivalenz lesbar: Wieso stellt sie mit „doch“ einen Gegensatz zu dem vorherigen Rückblick her? Erwartet sie von sich, dass sie das Thema „verdrängen“ soll? Wie ist dieser Aufmerksamkeitswechsel entstanden? Was hat es mit dem Auto auf sich, dass sie davon so gefesselt ist? Die Story über das Auto ist schnell erzählt: Für einen auf dem Frauenparkplatz des Wohnheims abgestellten Opel Corsa findet sich seit ca. einem Jahr kein Besitzer. Das Auto, das inzwischen von Pflanzen umwuchert ist und Mäuse beherbergen soll, droht abgeschleppt zu werden, solange sich niemand meldet, obwohl es eigentlich „sehr gut erhalten“ ist. (T 312f) – Was ist es, das Nora Erikson so an diesem Auto fasziniert? Erstaunlicher Weise behauptet sie ebenso wie bei ihrer ersten Themenwahl, dass sie „zufällig davon erfahren habe“ (T 301f). Dabei ist sie nachträglich noch verwundert darüber, wie sie es vorher hatte übersehen konnte. Fasziniert berichtet sie davon, wie sie diese „Entdeckung“ gemacht habe, wie sie schließlich „angefangen [habe, sich] dafür zu interessieren“ und wie sie seither diesen PKW beobachtet, der ihr „einfach nicht aus dem Kopf“ geht. (T 305–307).

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aber der Hausmeister würde es abschleppen lassen. Angeblich steht der Wagen dort schon seit ca. 1 Jahr. Das hat natürlich Spuren hinterlassen: Die Büsche haben sich auf (und in?) der Motorhaube ausgebreitet, das Gras auf diesem Abstellplatz ist höher als auf den anderen und angeblich haben sich mittlerweile auch Mäuse im Auto ein Nest bereitet. Dabei war das Auto vorher nun wirklich kein Schrottauto! Was hat den Fahrer/ die Fahrerin wohl dazu bewogen das Auto dort stehenzulassen? Ist er/ sie im Ausland und hat sich nichts dabei gedacht? Ist er/ sie umgezogen und aht vergessen, das Auto abzuholen? Ist er / sie umgezogen und hat das Auto bewusst hier stehen gelassen? Ist er/ sie gestorben? Mit diesen Fragen und anhand des Autos möchte ich gerne eine Spurensuche beginnen – mal sehen, wohin sie mich führt ... Dabei steht für mich großformatiges Arbeiten im Vordergrund.

Derart „in den Bann gezogen“ über „diese Seltsamkeit“ konkretisieren sich an diesem Punkt ihre Gedanken über eine praktische Umsetzung: „Ich denke an großformatiges Papier, vielleicht Skizzenpapier auf einer Rolle, auf dem ich meine Gedanken und auch Gefühle bzgl. dieses Autos direkt vor Ort festhalten möchte.“ (T 307–309) Aber noch etwas Anderes verändert sich. Die Studentin entwickelt konkrete Fragen, die sie so bei der „Suche von Neuem“ seit längerem nicht (mehr) formuliert hatte. Hier scheinen sie sich durch die Rätselhaftigkeit wie von selbst einzustellen: „Was hat den Fahrer / die Fahrerin wohl dazu bewogen das Auto dort stehenzulassen? Ist er / sie im Ausland und hat sich nichts dabei gedacht? Ist er / sie umgezogen und hat das Auto bewusst hier stehen gelassen? Ist er / sie gestorben?“ (T 322–326) Wie hängt diese Ko-Relation von Thema, Frage und „praktischer Arbeit“ zusammen? Bereits beim Thema „Flaschenpost“ verknüpfte die Studentin ihre Themenwahl mit der Vorstellung zur „praktischen Arbeit“ (vgl. 45). Auch hier dokumentierte sie themennahe Fragen. Sie verwarf das Thema, da es ihr „zu eingegrenzt“ war und weil sie „gerne Meer gehabt, bzw. am Meer gearbeitet“ hätte. (vgl. T 179f) Der Ort spielt demnach eine entscheidende Rolle für die Annäherung an die „praktische Arbeit“. Während das Meer unerreichbar war, scheint der Parkplatz am Wohnheim als neuer Produktionsort geeignet. In beiden Fällen steht ein gegenständliches Objekt im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Ort, an dem sich dieses Objekt befindet, wird als konkret zugänglicher antizipiert, der die Studentin in irgendeiner Weise zur Produktion animiert. Hat sie diesen Ort einmal gefunden, kann sie mit der „praktischen Arbeit“ anfangen. Beschwingt und entschlossen kündigt sie an: „Mit diesen Fragen und anhand des Autos möchte ich gerne eine Spurensuche beginnen – mal sehen, wohin sie mich führt ...“ (T 327f)

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„„... erst durch die Auto-Geschichte inspiriert“ oder Die Reflexion der Suche

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Meine Projektarbeit im Bereich der Ästhetischen Forschung Mein Projekt besteht aus zwei wesentlichen Komponenten, sowohl inhaltlich, als auch formal. Inhaltlich habe ich mit dem Thema „Zufall“ begonnen und bin nach einiger Zeit – eher zufällig – auf das Auto gestoßen, über das ich auf den vorigen Seiten geschrieben habe. Das Auto ließ sich gut in mein eigentliches Thema eingliedern, nimmt jedoch einen besonderen Stellenwert ein. So habe ich inhaltlich „zweigleisig“ gearbeitet: Zum einen habe ich allgemein das Thema Zufall behandelt und zum anderen bin ich im besonderen auf das Auto eingegangen und habe eine mögliche Geschichte zum Besitzer/ zur Besitzerin entwickelt.

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Formal habe ich auf der einen Seite großformatig (DIN A2) gearbeitet, wodurch ich erst durch die AutoGeschichte inspiriert wurde. Auf der andere Seite habe ich eine Sammelkiste angelegt, die Zufallsfotos, einige Gedichte, Tagebucheinträge, Traumsätze, gefundene Gegenstände, Zitate, Erläuterungen, Postkarten usw. enthält.

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In der folgenden „Reflexion der Suche“ blickt Nora Erikson auf eine abgeschlossene Arbeit „im Bereich der Ästhetischen Forschung“ zurück, die aus „zwei wesentlichen Komponenten, sowohl inhaltlich, als auch formal“ besteht. (T 330) Die „inhaltliche Dimension“, die sie als „zweigleisig“ bezeichnet, bezieht sich einerseits auf das übergeordnete Thema „Zufall“ und andererseits auf das „Auto“, welches sich gut in ihr „eigentliches Thema eingliedern“ ließ, aber einen besonderen Stellenwert einnimmt. (T 334). Als „formale“ Komponente nennt sie DIN A2 große Arbeiten in einer Sammelmappe sowie eine Sammelkiste, die „zusammengehörig oder auch getrennt erscheinen“ können. (T 343) Während die Studentin die großformatigen Arbeiten bereits angekündigt hatte, stellt die Sammelkiste eine neue Realisierung dar. Sie umfasst „Zufallsfotos, einige Gedichte, Tagebucheinträge, Traumsätze, gefundene Gegenstände, Zitate, Erläuterungen, Postkarten usw.“ (T 339f). Die im weiteren Verlauf detailliert geschilderte Zusammensetzung der Kiste weist diese zwar als Realisierung der Spurensuche zum Auto auf, bezieht aber die vorherigen Ideen zum Thema Zufall mit ein. So tauchen die bereits erwähnten Zufallsfotos (vgl. T 112ff, 195ff, 213f, 222ff), Tagebucheinträge (T 102, 199), Traumsätze (evtl. T 199, 237) und Zufallszitate (T 123f, 199, 289) hier wieder auf. Auch die Mappe beinhaltet grafische und konzeptionelle Arbeiten zu beiden Bezügen: „Tintenklecksbilder, aufgeschriebene Würfelwürfe (in Wort und Augenzahl), Texte zum Auto [...], „Stimmungslinien“ zu versch. Liedern, Fernseherschlagworte.“ (T 348–356) Dies erscheint zunächst widersprüchlich, da die Studentin erklärtermaßen zu diesen großformatigen Arbeiten „erst durch die Auto-Geschichte inspiriert“ wurde und man dementsprechend auch eine diesbezügliche Zuspitzung der Thematik vermuten könnte. (T 339) Als Begründung für die Zusammensetzung fügt sie

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Sammelkiste Zufallsfotos Postkarten an ‚Sabine’ Traumsätze Tagebucheinträge Zufallzitate Gedichte, in Wien von irgendwelchen Wänden/ Säulen/ ... „gepflückt“ Miniradio, das keinem gehört ... (auf der Straße gefunden) Kinderhaarspange gebasteltes Flugzeug einer von zig Kettenbriefen, die in der Schule umgehen 3 Schmuckstücke: stehengebliebene Uhr Kette mit Anhänger, wo man das Foto vermisst Ring aus Kunststoff (?) Fotos von abgebrochenem Absatz Fotos vom Auto

hinzu: „die „Verbindung von „Zufall“ und „Auto“ ist allerdings miteinander verwoben und eher schwer voneinander zu trennen.“ (T 344f) Insofern kann man beide „Gleise“, Sammelmappe und -kiste auch als Spurensicherung und Visualisierung des gesamten Arbeitsprozesses betrachten. Bemerkenswert ist dagegen, dass die beiden Hefte nicht erwähnt werden. Hängt das damit zusammen, dass sie nicht in die Kategorien „inhaltlich“ oder „formal“ zu passen scheinen? Sollen sie nicht präsentiert werden? Erklären sie sich selbst? Oder tauchen sie in dieser Projektskizze nicht auf, weil sie – wie die Zufallsfotos etc. – schon thematisiert wurden und an dieser Stelle nicht gesondert beschrieben werden sollen, da sie für die Verfasserin ganz selbstverständlich dazu gehören? Betrachtet man die Arbeiten, die zwischen der Entdeckung des Autos und dieser Reflexion entstanden und bislang keine Erwähnung in den Aufzeichnungen fanden, entsteht ein anderer Eindruck: Nora Erikson braucht diese Aufzeichnungen nicht mehr. Ihre eigene Suche nach Orientierung ist abgeschlossen. Die Aufzeichnungen sind im doppelten Sinne zur Geschichte, d.h. zur „Auto-Geschichte“ geworden. Genau dies unterscheidet die Arbeiten, die bis zur Entdeckung des Autos entstanden sind, von den Neueren: Dass alles „seine eigene kleine Geschichte“ hat. (T 376f) Diese kleinen Geschichten entstehen jedoch erst vor dem Hintergrund, dass die Verfasserin eine übergeordnete Geschichte, „eine„mögliche Geschichte zum Besitzer / zur Besitzerin“, alias Sabine Arnold entwirft (T 337), die eine Integration aller produzierten Materialien, Bilder und Texte als Geschichten ermöglicht.

Zufall - Aufzeichnungen von Nora Erikson - 151

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13. „... erst durch die Auto-Geschichte inspiriert“ oder Die Reflexion der Suche

Mappe: Tintenklecksbilder aufgeschriebene Würfelwürfe (in Wort und Augenzahl) Texte zum Auto - Nummernschild - Herkunft - Inhalt des Autos „Stimmungslinien“ zu versch. Liedern Fernseherschlagworte

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Die großformatigen Arbeiten und die Sammelkiste können dabei zusammengehörig oder auch getrennt erscheinen. Die Verbindung von „Zufall“ und „Auto“ ist allerdings miteinander verwoben und eher schwer voneinander zu trennen. Im folgenden möchte ich einen kleinen Überblick über die Inhalte von Mappe und Sammelkiste bieten:

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Erläuterungen. Kiste: Ich werde hier zu den einzelnen Gegenständen aus der Kiste kurz etwas aufschreiben, denn alles hat seine eigene kleine Geschichte. Absatzfotos: Auf einer Party letzte Woche ist einer Bekannten ganz plötzlich der Absatz abgebrochen. Und wann hatte sie die Schuhe gekauft? An dem morgen in Düsseldorf. Und zur Verkäuferin hat sie noch gesagt, dass sie den Bon nicht braucht, da sie so schnell eh nicht mehr nach Düsseldorf kommt bzw. fährt ... Pech? Postkarten an Sabine: Die Postkarten sind von möglichen Beziehungspersonen aus Sabines Leben. Als ich die ersten Karten geschrieben habe bzw. schreiben ließ, fiel mir auf, dass die Briefmarke mit Stempel zur Authentizität fehlt. Die Postkarten verliefen dadurch allerdings nicht an Wert. Man kann sie eher so sehen, dass jemand ihre „Bezugspersonen“ gebeten hat, einen kurzen Gruß an Sabine zu schreiben, den derjenige/ diejenige dann gesammelt persönlich übergibt. (Vielleicht zum Abschied?)

So „erzählen“ die „Postkarten an Sabine“ etwas über deren Beziehungen zu diversen Freunden und Bekannten (T 383ff), die „Absatzfotos“ eine „Zufallsgeschichte“ (T 378ff), das „Miniradio“ etwas über ihren Weg zur Wohnung (T 392f) und die „Texte zum Auto“ etwas über die Person und Herkunft von Sabine. (T 378ff) Selbst die großformatigen „Stimmungslinien zu Liedern“ und „Fernseherschlagworte“ in der Mappe, von denen wir nur die Entstehungsgeschichte erfahren (T 396) ließen sich prinzipiell in den Fall Sabine Arnold einbinden. Warum geschieht dies nicht? Genügt der Aufzeichnerin die prinzipielle Möglichkeit? Ist es ihr wichtiger, dass die Geschichte ihren Aufzeichnungen einen inneren Zusammenhang verleiht, der es ihr ermöglicht „praktisch zu arbeiten“. Durch die „AutoGeschichte“ hat sie dazu einen Ort gefunden. Von diesem Standpunkt aus kann sie produzieren, eben weil sie sich nicht mehr orientieren muss, sondern eine Position gefunden hat. Vor diesem Hintergrund kann man meine Interpretation, dass die Aufzeichnung im doppelten Sinne zur Geschichte wurde, durch eine weitere Lesart ergänzen: Ersetzt man die Worte die Aufzeichnung durch diese Art der Aufzeichnung, dann fällt auf, dass lediglich die Aufzeichnungen in den Heften obsolet geworden sind, nicht jedoch die aufzeichnerische Tätigkeit selbst. Anstelle der Hefte formieren sich die Aufzeichnungen neuerdings als großformatige Arbeiten in der Mappe. Dies erklärt auch, warum die Studentin zwar die Entstehungsgeschichte der „Stimmungslinien und Fernsehschlagworte“ erläutert, nicht jedoch deren Einbettung in die Geschichte liefert. Denn in der Aufzeichnung ist – im Gegensatz zur Geschichte! – ein Nebeneinander der Themen möglich. Parallel zu dieser thematischen Verschiebung der Aufzeichnung hin zur „Auto-Geschichte“ geschieht die Verschiebung hin zur losen, fragmentierten, großformatigen Aufzeichnungsmappe.

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Über die Zufallsfotos, Traumsätze, Tagebucheinträge, Zufallzitate, ... habe ich schon im Vorhinein einiges geschrieben. Das Miniradio (wahrscheinlich zum joggen) habe ich auf dem Weg von Sabines WG zu ihrem Auto gefunden. Wem gehörts? Auf mein Schreiben, dass er/ sie es sich bei mir abholen kann, hat niemand reagiert. ...

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Mappe: Erläutern möchte ich nur die Fernsehschlagworte. Mit dem Rücken zum Fernseher vor einem Blatt Papier sitzend habe ich dem Fernseher gelauscht und schrieb alle Worte auf, die von den genannten in meinem Kopf blieben und so viele, wie ich aufschreiben konnte. Zwischendurch habe ich auch den Sender gewechselt, wenn es mir zu eintönig wurde (keine Doppelnennungen!). Die Stimmungslinien entstanden ziemlich schnell. Pro Blatt ein Lied bzw. Liedausschnitt. Einfach das Radio an und los gehts.

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Mit der Wechselbeziehung von thematischer Formierung und der Formation des Themas bahnt sich eine tendenzielle Verlagerung der Perspektive an: Während bislang Fragen zur Visualisierung und Darstellung im Mittelpunkt standen, betont sie jetzt zusätzlich die Lesbarkeit der Darstellung, respektive die überzeugende Inszenierung der Geschichte. Als ihr auffällt, dass bei den Postkarten „die Briefmarke mit Stempel zur Authentizität fehlt“ (T 384f), sucht sie nach schlüssigen Erklärungen dafür, um diese „Authentizität“ wieder herzustellen: „Die Postkarten verlieren dadurch allerdings nicht an Wert. Man kann sie eher so sehen, dass jemand ihre „Bezugspersonen“ gebeten hat, einen kurzen Gruß an Sabine zu schreiben, den derjenige / diejenige dann gesammelt persönlich übergibt. (Vielleicht zum Abschied?)“ (T 386–389ff) Mit der Suche nach einer thematisch passenden Begründung für die fehlenden Marken und Stempel antizipiert sie eine zukünftige Rezeption ihrer Arbeit und – damit verbunden – die Abgabe ihrer Aufzeichnungen. Daher wirkt es fast wie eine Inszenierung, wenn die Fertigstellung der Aufzeichnung mit dem für sie unerwarteten Abschleppen des Autos konizidiert: „Das war fast schon ein Schock. Völlig unvorbereitet wird der Corsa entfernt. Ich hatte noch so viel Ideen ...“ (T 406f)

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14. „ ... was dir hier bedeutungsvoll scheint“ oder Der Aufruf zum Kunstprojekt

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Der lose eingefügte weiße Zettel, in dem Nora Erikson die Bewohner des Wohnheims dazu aufruft, sich an einem Kunstprojekt zu beteiligen, stellt den Übergang von den Aufzeichnungen in den Heften zur Mappe dar.

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Mein Vorhaben, andere zum Auto arbeiten zu lassen, hat leider nicht geklappt, da die Klausurenphase vielen keine Zeit ließ und dann später – als es möglich war – das Auto plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung abgeschleppt worden ist. ----Das war fast schon ein Schock. Völlig unvorbereitet wird der Corsa entfernt. Ich hatte noch soviele Ideen ...

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In diesem Aufruf schildert sie zuerst die rätselhafte Geschichte des Autos (T 409–418), um dann ihre eigene Bezugnahme anzudeuten: „In jedem Fall finde ich das Ganze ziemlich spannend, vor allen Dingen die möglichen Geschichten, die dazu geführt haben, dass das Auto dort seit so langer Zeit steht.“ (T 419f) Wieder betont sie die Geschichten, zu denen das Auto sie inspiriert. Wenn sie anschließend formuliert: „Mit einigen von euch habe ich schon ein bisschen spekuliert“, wird deutlich, dass sie die Auto-Geschichte zum Anlass für eine Kommunikation nutzt. Faszinieren sie die Geschichten deshalb so, weil sie erzählbar sind und eine Kommunikation herstellen können? Zieht man in Betracht, dass die Studentin bereits mehrfach über Interaktionen mit Anderen zum Thema Zufall berichtete, so scheint sich seit der „Auto-Geschichte“ eine weitere Verlagerung abzuzeichnen: Während sie vorher mit Anderen eher das Gespräch über ein Thema suchte, scheint sie jetzt verstärkt eine gemeinsame „praktische Arbeit“ anzustreben. Sie erwähnt beiläufig, dass sie ein Schreiben angefertigt und ausgehängt habe, in dem sie den Besitzer des gefundenen Miniradios aufforderte, sich bei ihr zu melden, was allerdings nicht geschah (T 393). Ferner bemerkt sie in einem Halbsatz, dass die Postkarten an Sabine von Anderen anfertigen ließ (T 384) und nun veröffentlicht sie im Wohnheim ihre „Idee, das Auto zum Gegenstand eines Kunstprojektes zu machen“ (T 423), zu dem sie die „Hilfe“ der Anderen in Anspruch nehmen möchte. Diese Ansätze zeigen ihr kommunikatives oder interaktives Interesse, in denen sie nicht mehr über die Anderen schreibt, sondern diese – erstmalig in den Aufzeichnungen – mit „du“ anredet. Aber was sollen die Anderen tun? Worin besteht deren „Hilfe“? – Die Antwort lautet: Aufzeichnen!

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Das, was die Studentin hier als Aufgabe für die Anderen definiert, spiegelt m.E. ihr Verständnis von der Aufgabe, die ich im Seminar gestellt habe und die ihren gesamten Arbeiten zugrunde lag. Deswegen soll die Passage hier komplett zitiert werden: „Es wäre schön, wenn Du Dir ein paar Gedanken dazu machen würdest und diese dann – egal in welcher Form – zu Papier bringst. Das kann sowohl schriftlich als auch zeichnerisch oder malend oder durch sonstiges Material (Collage o.ä.) geschehen. Deiner Fantasie und Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Das Ergebnis muss nicht 'schön' sein, sondern es kann informativ, spekulativ, aggressiv, bunt, schwarz-weiß, lustig, traurig, anregend, nachdenklich, unterschwellig oder sonst was sein und den späteren Betrachter auf verschiedenste Weise anregen. Es sollte in jedem Fall zeigen, was Du wahrgenommen hast – denn dadurch hast Du automatisch schon eine Auswahl getroffen und gezeigt, was Dir hier bedeutungsvoll scheint.“ (T 425–433) Was bedeutet es, wenn Nora Erikson am Ende ihrer Aufzeichnungen, durch die „Auto-Geschichte“ angeregt, Andere zur Kooperation aufruft? Interessiert sie an den Arbeiten die unterschiedliche Weiterentwicklung, wie bei den Kindergeschichten aus dem 2. Schuljahr? (T 292f) Will sie „eine der ersten Ideen“ realisieren und eine Geschichte mit verschiedenen, hier: aufgezeichneten Entscheidungsmöglichkeiten visualisieren? (T 45f) Oder will sie durch die zeichnerischen Möglichkeiten „mit etwas Handfestem, etwas Greifbarem, etwas Spannendem [aufwarten], wo mehr 'rüberkommt', als die einfach aufgeschriebene Geschichte“ (T 60f) Liest man die bisherigen Arbeiten von Nora Erikson unter der Perspektive, was ihr darin „bedeutungsvoll erscheint“, dann stellt die „Entdeckung“ der „Auto-Geschichte“ wohl den wesentlichen Punkt da. Mit der Geschichte hat sie nicht nur einen äußeren Bedeutungsrahmen gefunden, der im Nachhinein Anschlussstellen für alle bisherigen Gedanken und Manifestationen bietet, sondern zugleich einen inneren Sinnzusammenhang, der es ihr ermöglicht, sich anders zu

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verorten, die Perspektive zu verändern, anders mit Menschen in Kontakt zu treten etc. Durch die Geschichte verändert sich auch die Bedeutung der Aufzeichnungen: Für Nora Erikson werden die Aufzeichnungen zur „praktischen“ Arbeit.

Zufall - Aufzeichnungen von Nora Erikson - 153

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„... was dir hier bedeutungsvoll scheint“ oder Der Aufruf zum Kunstprojekt

Das Auto Bestimmt hast Du schon von dem silbernen Corsa gehört, der auf dem oberen Parkplatz steht. Genau genommen steht er dort schon ziemlich lange, vielleicht Monate, vielleicht ein Jahr. Das hat/ hatte zur Folge, dass die Hecke sich schon auf und in dem Wagen ausgebreitet hat, Pflanzen neben den Autoreifen wachsen und sich angeblich auch schon Mäuse im Auto ein Nest gebaut haben. Unser Hausi ist davon gar nicht begeistert und will den Corsa abschleppen lassen. Das kann allerdings noch ein bisschen dauern, da er dafür erst eine Genehmigung braucht. Dazu kommt, dass er (wie, glaub ich, alle anderen auch) nicht weiß, wem das Auto gehört. (Aber er will das auf jeden Fall noch rausfinden und seinen Worten zufolge wird er das auch.) Das Auto selber ist noch voll mit allen möglichen Sachen, die Rückschlüsse auf den/die Inhaber/in bzw. Fahrer/in geben könnten. Aber das könnt ihr euch ja mal selber anschauen - ist ganz interessant. In jedem Fall finde ich das Ganze ziemlich spannend, vor allen Dingen die möglichen Geschichten, die dazu geführt haben, dass das Auto dort seit so langer Zeit steht. Mit einigen von euch habe ich schon ein bisschen spekuliert. Ist es ein Mann oder eine Frau? Ist er/sie tot oder nur verreist? Wurde der Corsa vergessen oder absichtlich dort stehen gelassen? Und warum ausgerechnet auf diesem Frauenparkplatz? Dann hatte ich die Idee, das Auto zum Gegenstand eines Kunstprojektes zu machen, das wir im Rahmen eines Seminars erarbeiten sollen. Dafür hätte ich nun gerne deine Hilfe: Es wäre schön, wenn Du Dir ein paar Gedanken dazu machen würdest und diese dann – egal in welcher Form – zu Papier bringst. Das kann sowohl schriftlich als auch zeichnerisch oder malend oder durch sonstiges Material (Collage o.ä.) geschehen. Deiner Fantasie und Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Das Ergebnis muss nicht „schön" sein, sondern es kann informativ, spekulativ, aggressiv, bunt, schwarz-weiß, lustig, traurig, anregend, nachdenklich, unterschwellig oder sonst was sein und den späteren Betrachter auf verschiedenste Weise anregen. Es sollte in jedem Fall zeigen, was Du wahrgenommen hast – denn dadurch hast Du automatisch schon eine Auswahl getroffen und gezeigt, was Dir hier bedeutungsvoll scheint. Vielen Dank für deinen Beitrag zu diesem Projekt! Liebe Grüße, Nora

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Mappe (DINA2)

Tintenklecksbilder

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Aufgeschriebene Würfelwürfe in Wort und Augenzahl

Texte zum Auto: Nummernschild

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Herkunft

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Inhalt des Autos

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»Stimmungslinien« zu versch. Liedern

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Fernseherschlagworte

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Sammelkiste

Zufallsfotos

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Postkarten an Sabine

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Traumsätze, Tagebucheinträge

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Gedichte, in Wien von irgendwelchen Wänden / Säulen gepflückt

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Miniradio, das keinem gehört ... (auf der Straße gefunden)

Kinderhaarspange

Gebasteltes Flugzeug

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Fundstücke

einer von zig Kettenbriefen, die in der Schule umgehen

3 Schmuckstücke: stehengebliebene Uhr, Kette mit Anhänger, wo man das Foto vermisst, Ring aus Kunststoff?

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Fotos vom abgebrochenen Absatz

Fotos vom Auto

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Diverses

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Rekonstruktion der Sinngebung Im Unterschied zur thematischen Rekonstruktion in der Formulierende Interpretation, »zielt die reflektierende Interpretation auf die Rekonstruktion und Explikation des Rahmens, innerhalb dessen das Thema abgehandelt wird, auf die Art und Weise, wie, d.h. mit Bezug auf welches »Orientierungsmuster«, welchen »Orientierungsrahmen« das Thema behandelt wird.« 567 Den Begriff »Orientierungsmuster« verwendet BOHNSACK als Oberbegriff für das »Orientierungsschema« einerseits, welches »institutionalisierte und in diesem Sinne normierte Ablaufmuster oder Erwartungsfahrpläne« umfasst, und andererseits den »Orientierungsrahmen«, welcher im konjunktiven Erfahrungsraum stattfindet und auf die habitualisierten, inkorporierten Wissensbestände zielt. 568 »Dieser Orientierungsrahmen (den wir auch Habitus nennen) ist der zentrale Gegenstand dokumentarischer Interpretation.« 569 Mit anderen Worten zielt die Dokumentarische Methode – und dies hatte schon MANNHEIM behauptet – auf die Suche nach einem Muster, das einer oder mehreren Erscheinung(en) zugrunde liegt. 570 Aber wie kann man diese Muster während der Interpretation entdecken? Wie kann man einen Orientierungsrahmen explizieren und damit aus dem Datenmaterial heraus (re-)konstruierend einen Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum zu bekommen? Um dies zu erläutern, muss ich einen kurzen Umweg machen. Eine entscheidende Grundannahme für die Rekonstruktion nach BOHNSACK ist, dass die Interpretation erst dort einsetzt »wo eine konjunktive Erfahrung nicht (mehr) gegeben ist«, nämlich »im Modus kommunikativer Erfahrung« 571 , also ausgehend von der (archivierten) Grafie. Diese theoretische Grundannahme qualitativer Forschung 572 korrespondiert mit dem in Bezug auf WALDENFELS dargestellten Zusammenhang von der Erfahrung als Widerfahrnis, die erst durch die handelnde oder grafierende Antwort auf das, wovon wir getroffen sind, kommunizierbar und damit interpretierbar wird. Das implizite Wissen bildet damit zwar die Basis für eine praxeologische Methodologie. Es zeigt sich jedoch erst im »kommunikativen Erfahrungsraum«. 573 Das Verfahren der Explikation beruht u.a. auf der Annahme, dass sich das implizite Wissen im intuitiven Verstehensprozess eines geteilten Erfahrungsraums in seinem »indexikalischen« Gebrauch (z.B. beim Sprechen) zeigt. F

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Orientierungsmuster

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Kommunikativer Erfahrungsraum

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Explikation

Indizes als Instrumente der Rekonstruktion von Eigensinn Sobald die Indizes 574 aus dem situativen Kontext heraus genommen werden, wird eine Übersetzungsleistung durch »Umschreibungsverfahren« 575 erforderlich, um sie intersubjektiv nachvollziehen zu können. F

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BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 135. BOHNSACK, RALF / MAROTZKI, WINFRIED / MEUSER, MICHAEL (Hg.): Hauptbegriffe qualitativer Sozialforschung. 2003. S. 132. BOHNSACK, RALF / NENTWIG-GESEMANN, IRIS / NOHL, ARND-MICHAEL (Hg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis. 2001. S. 15. Vgl. MOHN, ELISABETH: Filming culture – Spielarten des Dokumentierens nach der Repräsentationskrise. 2002. S. 19. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 57. »Der kommunikative Charakter sozialer Wirklichkeit lässt die Rekonstruktion von Konstruktionen sozialer Wirklichkeit zum Ansatzpunkt der Forschung werden.« FLICK, UWE / KARDORFF, ERNST VON / STEINKE, INES: Was ist qualitative Forschung? 2003. S. 21–22. Siehe dazu das Schaubild für die einzelnen »methodologischen Übersetzungen«. S. 208–209. »In der umfangreichen Literatur über Logik und Linguistik sind solche Termini Indikatoren, egozentrische Wörter, indexikalische oder situationsbezogene Ausdrücke, Indizes, shifters, Pronomen

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Indizes als Scharnierstellen

INSZENIERUNG DER SUCHE

Sie fungieren also als Hinweis auf Relationen von Erscheinung und Muster. Die Indizes sind die Scharnierstellen der Rekonstruktion wie gleichermaßen die »Brennpunkte« soziologischen Denkens überhaupt. 576 Was jeweils als indexikalischer Verweis bzw. als Indikator angesehen wird, variiert. Zum einen werden rhetorische Figuren auf der Wortebene angeführt, wie z.B. okkasionelle Ausdrücke, Metaphern und Metonymien 577 , zum Anderen auf der Ebene der Verknüpfung von Sätzen, wie z.B. widerstreitende, antithetische Diskursarten und Schreibmodi. 578 Bei BOHNSACK werden »Fokussierungsmetaphern« zu Indizes für die Rekonstruktion. Darunter versteht er jene Passagen, »die sich durch eine besondere »interaktive und metaphorische Dichte« auszeichnen und somit »dramaturgische Höhepunkte« darstellen. 579 Der Grund für die Nutzung der Metaphern als Indizes basiert auf der Annahme, dass die bildhafte Verständigung »vor allem das habituelle, das routinemäßige Handeln [strukturiert].« 580 Fokussierungsmetaphern werden zu Bezugspunkten der Reflektierenden Interpretation und entsprechend zu Bezugspunkten des Vergleichs mit anderen Aufzeichnungspraxen. Mit der Erfindung der Überschriften habe ich bereits am Fallbeispiel die auf die Tätigkeiten, bzw. auf die Praktiken gerichteten Bezugspunkte herausgearbeitet. Da meine Forschungsfrage jedoch eine gesamte reflektierende Deutung gar nicht erforderlich macht, sondern eher eine detaillierte exemplarische Darstellung der Gelenkstellen, knüpfe ich an die Fokussierungsmetapher »Geschichte« an, die ich im Fall Nora Erikson herauskristallisierte. Dabei frage ich danach, wie die Studentin die von ihr beschriebenen und durchquerten Erfahrungsfelder inszeniert. Die dafür ausgewählte Passage ist diejenige, in der sie die Entdeckung der Auto-Geschichte erzählt: » ... und plötzlich rückt da dieses Auto mit einer Vehementheit in mein Blickfeld...« oder Die Aufmerksamkeit. F

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»Fokussierungsmetapher«

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Fokussierungsmetapher »Geschichte« als Index

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und token reflexives genannt werden. Eine Liste solcher Termini würde beginnen mit »hier, jetzt, dieses, jenes, es, ich, er, du, dort, dann, bald, heute, morgen«.« GARFINKEL, HARALD / SACKS, HARVEY: Über formale Strukturen praktischer Handlungen. 2004 S. 401. Den Terminus »Umschreibungsverfahren« (»glossing practices«) verwendet Garfinkel für den Versuch, »objektive Ausdrücke an die Stelle von indexikalischen zu setzen«, d.h. statt des indexikalischen »Hier«, den Ort, die Situation etc. zu setzen. Garfinkel, Harald / Sacks, Harvey: Über formale Strukturen praktischer Handlungen. 2004. S. 392. GARFINKEL, HARALD / SACKS, HARVEY: Über formale Strukturen praktischer Handlungen. 2004, zuerst 1970. S. 391–426. Sowohl Koller als auch Peters, zwei thematisch ansatzweise verwandte Analysen, beziehen sich in ihren Untersuchungen auf die rhetorische Untersuchung von Metapher und Metonymie. KOLLER, HANS-CHRISTOPH: »Ich war nicht dabei«. Zur rhetorischen Struktur einer autoniografischen Lernund Bildungsgeschichte. 1994. S. 101f. – PETERS, MARIA: Blick, Wort, Berührung. 1996. S. 305. – Vgl. auch Black, Max: Die Metapher. 1954. S. 55–79. – HAVERKAMP, ANSELM (Hg.): Die paradoxe Metapher. 1998. – PANTHER, KLAUS-UWE / RADDEN, GÜNTER (Ed.): Metonymy in Language and thought. 1999. In Bezug auf Lyotard entwickelt Koller hier ein Instrumentarium für die empirische Analyse, in dem er das Moment der »Regelhaftigkeit und das Innovationspotential sprachlicher Ereignisse« zusammen denkt. KOLLER, HANS-CHRISTOPH: Bildung und Widerstreit. 1999. S. 181f. BOHNSACK, RALF / MAROTZKI, WINFRIED / MEUSER, MICHAEL (Hg.): Hauptbegriffe qualitativer Sozialforschung. 2003. S. 67. BOHNSACK, RALF: Bildinterpretation und Dokumentarische Methode. 2005. S. 248. Für diesen Hinweis danke ich Klaus-Peter Busse.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Reflektierende Interpretation oder »... wo die Geschichte zur Erfahrung wird« Das, was Nora Erikson in ihren Aufzeichnungen thematisiert, geschieht auf eine besondere Art und Weise, die sich an dieser Eintragung zu Beginn des zweiten Heftes exemplarisch darstellen lässt. Die innertextuelle Organisation dieses Eintrages ist geprägt durch verschiedene Schreibmodi. Eine stichwortartige Aufzählung zum Thema Zufall (FI 502-505) wird abgelöst von abwechselnd selbstreflektiven und erzählerischen Passagen (T 294-322), einem Frageblock (322-326) und einem resümierenden ergebnisoffenen Schlusssatz. Auf derselben Ebene steht dabei dem aufzählerischen, fragmentierten Schreibmodus ein zusammenhängender Text gegenüber, der sich schon durch die Stiftfarbe und den Duktus der Handschrift unterscheidet und auf eine spätere Eintragung schließen lässt. Während die Aufzählung eine Aktualisierung und Erinnerung an bisherige Ideen darstellen könnte, wird der zweite Textzusammenhang (T294-329) mit dem Titel »Auto« überschrieben und enthält einen Entwurf. Diese oppositionelle Struktur erscheint jedoch nicht als antithetische Figur, sie scheint einer Schreib- und Orientierungsrichtung des Nebeneinander geschuldet zu sein. Das Nebeneinander der Schreibrichtungen entsteht durch eine wechselnde Perspektive im Bezug auf die Zeit: Die fragende Antizipation wechselt mit einem feststellenden, sammelnden autobiografischen Erzähl-Gestus. Dieses Nebeneinander der Schreibmodi lässt auf eine performative Schreibweise schließen, in der die Verfasserin das, was sie schreibt, als Nächstes auf der Ebene ihres Tuns auch vorführt, d.h. entweder bestätigt oder widerspricht. Bereits die Überschrift deutet daraufhin, dass es sich bei dieser Passage um eine Erzählung handeln könnte. Aber diese Ankündigung wird erst später tatsächlich durchgeführt (FI 312-322). Bevor die Verfasserin jedoch dazu kommt sich dem Thema »Auto« zu widmen, schätzt sie den aktuellen Stand ihrer bisherigen Arbeit zum Thema »Zufall« ein und beschreibt, wie sie auf das neue Thema aufmerksam wurde. Dies geschieht aus der Perspektive »im Nachhinein«. Nachträglich findet sie es denn erstaunlich, dass sie das Objekt Auto vorher nicht wahrgenommen hat. Sie thematisiert Zeitlichkeit, die sich an den Zeitformen der Verben dokumentiert. Nachträglich sucht sie nach einer Erklärung für die vorherige Nicht-Betrachtung. Der Vergleich zwischen dem alten und dem neuen Thema, zwischen vorher und nachher, früher und »jetzt« (T 305) erfährt seine Zuspitzung in der Beschreibung ihrer Tätigkeiten. Hatte Nora Erikson bisher einige Ideen zum Zufall »zusammengetragen«, d.h. schriftlich gesammelt und schon »das Meiste im Kopf« (T 296), verändert sich diese Tätigkeit: »... schaue ich immer auf das Auto und es geht mir einfach nicht aus dem Kopf« (306-7) Mit dem Auto hat sie »jetzt« eine Anschauung gefunden. Und mit dieser Anschauung assoziiert sie ganz konkret ihre eigene praktische Arbeit, in der sie erstmalig davon spricht, ihre »Gedanken und Gefühle bzgl. dieses Autos direkt vor Ort fest[zu]halten.« (308) Erst nach diesem Exkurs über die Bedeutung des Autos, die damit verbundenen Möglichkeiten und Entwürfe, erzählt sie die nämliche Geschichte über das Auto. Diese zeitliche Verzögerung ist schon einmal auffällig geworden, als es um die Formulierung der ersten Geschichte ging. Die Schilderung der Geschichte folgt erst gewissermaßen einer Außenansicht auf das Objekt, auf den Ort, das Verschwinden des Besitzers, den angekündigten Handlungsbedarf durch die Abschleppandrohung und die Spuren. Auch hier sehe ich Ähnlichkeiten zur Strukturierung der vorherigen Geschichte, die mit einem Subjekt »Mädchen (20)« begann, um dann den Wohnort, Beziehungen zu thematisieren und einen Umgang zu finden. Im Anschluss an die Geschichte des Autos, des »Jetzt«, stellt Nora Erikson Fragen nach dem Motiv des Verschwindens von den potentiellen Autoeigentümern. Sie endet mit einem Wunsch »jetzt« eine »Spurensuche zu beginnen«. Mit dieser wechselseitigen Perspektive aus Vorsatz und Handlung, Entwurf und Zusammenfassung wird deutlich, dass es sich bei dieser Aufzeichnung tatsächlich um eine begleitende Aufzeichnung handelt, in der sich Nora Erikson zu der jeweils thematisierten Referenz, den potentiellen Erfahrungs-

189

Schreib- und Orientierungsrichtung

Vergleich von neuem und altem Thema

Perspektivwechsel

INSZENIERUNG DER SUCHE

Wechsel des Orientierungsrahmens

Geschichte wird zur handlungsleitenden Inszenierungsregel

räumen positioniert, in Szene setzt. Sie legt damit ihren räumlichen und zeitlichen Abstand von Erfahrung und Schreiben zueinander fest. Durch die performative Art des Schreibens wird ersichtlich – und dafür können sowohl diese Passage als auch die bisher erwähnten Zufallsgeschichten als Beleg angeführt werden. – dass Schreiben und Erfahrung sich wechselseitig bedingen. Denn im Erzähltopos: »...ich habe gerade dies und das getan, als plötzlich...« steht dafür, dass sie der Erfahrung Raum und Zeit gibt, um sich umgekehrt wieder davon treffen zu lassen. Diese Raum-Zeit-Konstellation, die bislang mit der Metapher »Zufall« umfasst bzw. tatsächlich praktisch »begriffen« wurde, und die ich als prozessuale Suche nach einer Visualisierung interpretiert habe, tritt nun als unerwartetes Ereignis tatsächlich ein, bzw. wird angewendet. Was ist passiert? Mit dem Auto wird die den inneren Sinnzusammenhang stiftende »Geschichte« zu einer Zugefallenen. Eine Verschiebung hat stattgefunden: Hatte die Studentin bislang ihre Erfahrungen an der »Geschichte« orientiert und durch die Geschichte geordnet, indem sie eine Genese der Entscheidungsfindung als Suche nach einer Visualisierung inszenierte, so erklärt sie – mit der »Entdeckung« des Autos – den Zufall als Zufallendes, als etwas, was bislang noch nicht auffällig war, was noch nicht ins »Blickfeld« gerückt war. Damit verlagert sie den Fokus vom Text zum Blick, bzw. Bild, in dessen »Vordergrund« großformatiges Arbeiten steht. Mit dem thematischen Wechsel vom Zufall zum Auto ist ein Wechsel der Aufmerksamkeitsrichtung und damit auch des Orientierungsrahmens der Studentin verbunden: Bestand der bisherige Erfahrungsraum der Studentin aus dem eher »theoretischen« (T 235) Umgang mit Texten, die alle erst durch ihren »Kopf« wandern müssen bevor eine »praktische Arbeit« überhaupt beginnen kann, so wird »jetzt« die »praktische Arbeit«, die gar nicht mehr aus ihrem Kopf will, in Form einer Bildproduktion bestimmend. Der Wechsel des Orientierungsrahmens ist allerdings – und dies ist bemerkenswert – nicht ohne die Geschichte zu denken. Sie wirkt handlungsleitend. In ihrer metaphorischen Doppeldeutigkeit wird die Geschichte zur Inszenierungsregel. Sie stellt einen inneren Sinnzusammenhang her, der die »praktische Arbeit« die Bildproduktion erst ermöglicht und steuert. Erst vor dem Hintergrund der Geschichte können die Bilder entstehen, kann Nora Erikson visualisieren. Erst vor dem Hintergrund der Geschichte bekommen die Dinge »eine bestimmte Bedeutung«, wirken sie »geheimnisvoll«. (T 86) Zugleich ist etwas zur Geschichte geworden, indem die Geschichte einen Ausgang findet, endet. Die Suche ist abgeschlossen, wo »die Geschichte zum Erlebnis/ zur Erfahrung wird, wo Gegenstände, Bilder hinzukommen.« (T 62)

190

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Intervention Die Bedeutung des in der Reflektierenden Interpretation herausgestellten Orientierungsrahmenwechsels zeigt sich außerdem darin, dass die Studentin vor Beginn des zweiten Heftes mich in einer Mail (s.u.) um ein Gespräch bat: Von: An: Betreff: Datum:

Nora Erikson [email protected] Sprechstunde am 21.8. bzgl. Zwischenprüfung und ÄF-Arbeit Mon, 18 Aug 2003 16:33:27 +0200 H

Sehr geehrte Frau Sabisch, ich wollte Ihnen schonmal vorab meine ungefähre Themenvorstellung zuschicken. Zum einen finde ich Ästhetische Forschung mit einem möglichen Schwerpunkt Biografie und/oder Sammeln sehr interessant und zum anderen schwebt mir etwas in der Richtung Jugendästhetik/ Ästhetische Handlungen (das an bestimmte Orte bestimmte Handlungsweisen geknüpft sind) vor. Als Literatur würde ich auf jeden Fall Helga Kämpf-Jansen, Ästhetische Forschung und für den zweiten Themenbereich Kunst + Unterricht, Heft 211/212 nutzen. In Bezug auf die Ästhetische Forschung weiß ich jetzt, was es heißt, an einem Thema zu arbeiten, dass einen wirklich interessiert. Das kommt jetzt einem Geständnis gleich, denn mein Thema »Zufall« habe ich in der letzten Zeit zugunsten eines Autos doch recht stark vernachlässigt. So habe ich bereits einige Vorstellungen entwickelt, wie ich dieses neue Thema umsetzen möchte. Meine Frage ist nun, ob ich das Thema jetzt noch wechseln kann oder ob es dafür zu spät ist (einfach, da die Zeit bis zum Abgabetermin schon so weit vorangeschritten ist). Wenn ein Themenwechsel möglich wäre, würde mich das sehr freuen, ansonsten arbeite ich wie geplant an meinem Zufallsthema weiter und das Auto wird wohl eine Arbeit außerhalb des Studiums werden. Näheres erzähle ich Ihnen aber noch in Ihrer Sprechstunde am Donnerstag.

Themenwechsel

Mit freundlichen Grüßen, Nora Erikson Diese hier als »Intervention« dargestellte Unterbrechung der Arbeit, in der eine Entscheidungsfindung ansteht, ist für meine Rekonstruktion wichtig, denn hier zeigt sich die damit verbundene Unsicherheit der Studentin bezüglich der »Genehmigung« eines Themenwechsels. Diese Unsicherheit ist im Rahmen des institutionellen Orientierungsschemas an mich adressiert. Nora Erikson muss wissen, ob ich ihr einen Leistungsnachweis erstelle oder nicht. Wenn ich bereits gesagt habe, dass die Rahmenbedingungen umso stärker ins Spiel kommen, je offener ein Impuls oder eine Aufgabenstellung gestellt ist 581, kann man diese Intervention als Antwort auf meinen Impuls lesen. Dann wäre die in der Sprechstunde gestellte Frage, ob dieser Themenwechsel ein Problem darstelle (für meine Auswertung? Für mich persönlich? Für ihre Benotung?), als Erfahrung des institutionellen Orientierungsschemas zu begreifen. Meine Antwort: Ich versicherte ihr einen LN, ließ sie von ihrem »Problem« erzählen und versuchte sie lediglich darin zu bestärken ihre eigene, längst getroffene Entscheidung auch umzusetzen.

Antwort auf Impuls

F

581

Zum »offenen Impuls« S. 93, 191, 255.

191

Orientierungsschema

INSZENIERUNG DER SUCHE

Brüche

Brüche als Indizes

Während an dieser Stelle üblicherweise eine komparative Rekonstruktion unter dem Fokus der Fokussierungsmetapher »Geschichte« respektive dem Aufmerksamkeitswechsel anschließen würde, möchte ich einen weiteren Indikator und damit einen weiteren Analyseschritt für den Vergleich vorschlagen und dadurch die Dokumentarische Methode der Interpretation ergänzen. Es handelt sich um Zäsuren, Pausen, Leerstellen, kurz: um Brüche als Indizes für den medialen und materiellen Erfahrungsraum und Orientierungsrahmen, hier der Studierenden. Diese Brüche liegen förmlich auf der Hand, wenn man sich das Datenmaterial ansieht: Es sind mediale und materielle Bruchstellen, die sich im Fall Nora Eriksons – wie die Abbildung zeigt – an der interpretierten Stelle u.a. an einem Wechsel von der textuellen zu einer eher bildhaften Aufzeichnungspraxis ablesen lassen. So banal dieser Wechsel auch scheinen mag, so zeigt er doch, wie selbstverständlich er in den sozialwissenschaftlichen Analysen vorausgesetzt werden konnte, weil es nur ein Medium gab: den Text. 582 F

Grenze: Text

F

Dies ist auch der Grund, warum ich die Formulierende Interpretation an der Stelle beendet habe, an der der Text von Nora Erikson aufhört. Die Sammelmappe und die Sammelkiste sind Daten, für die es noch kein geeignetes Analyseinstrumentarium und keine Methode zu geben scheint. Sie werden durch die Sammelmappe als Bild, durch die Kiste als Objekt deklariert. Durch diese Definition als Bild oder als Objekt wären sie in der Analyse gar nicht berücksichtigt worden, weil sie in dieser Zusammenstellung bislang nicht als Daten erhoben worden sind. Entweder interpretiert man ein Bild oder einen Text. 583 F

582 583

192

F

Zur Marginalisierung der Bilder vgl. Bohnsack, Ralf: Bildinterpretation und Dokumentarische Methode. 2005. S. 248. Eine Ausnahme bildet Siegels Untersuchung zu einem Grenzbereich zwischen Schrift und Bild, den so genannten »Mikrogrammen« Robert Walsers. Diese »526 klein geschnittenen, mit Bleistift-

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Eine serielle inter- oder transmediale Untersuchungsmethode ist mir jedoch nicht bekannt, wenngleich Aufzeichnungen als »Mischformen« dies nahe legen. Um dieses Defizit, in dem was überhaupt interpretiert wird, zu veranschaulichen, habe ich die als objekt- oder bildhaft deklarierten Daten auch nicht transkribiert, selbst wenn dort Textfragmente enthalten sind. Aber es kann im Rahmen dieser Arbeit ja nicht um eine »vollständige« Analyse gehen, sondern um eine exemplarische Darstellung an den Gelenkstellen zur Reflexion. Sowohl die Medialität als auch die Materialität 584 der Aufzeichnung spielen erst seit Kurzem eine Rolle in der (qualitativen) Forschung. 585 Man kann diese Tatsache einerseits darauf zurückführen, dass sich – in Bezug auf die DMI – in Folge der von MANNHEIM angestrebten »Überwindung ein rein materialistischen Analyse« diese Tradition von nachfolgenden Methodologien schlichtweg unhinterfragt blieb 586 und zur Ausblendung von den Entstehungskontexte der Daten führte. 587 Andererseits lässt sich die Ausklammerung von Medialität und Materialität darauf zurückführen, dass beide kaum in einer Veröffentlichung als Buch zu übersetzen waren. 588 Daher kam eine handschriftliche ephemere Notiz, ein Flyer, eine Postkarte, eine Einladung, ein Ticket und ein Lesezeichen, die in der Kunst seit den 60er Jahren durchaus Interesse fanden 589 , lange Zeit nicht in Betracht als solche auch zum Gegenstand der qualitativen Forschung zu werden. F

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587 588

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schrift bedeckte Kalender- und Kunstdruckblätter« sind mit bloßem Auge unentzifferbare Schriftbilder, die dem Autor sowohl als handwerklich-performatives als auch poetolgisches Programm zum erneuten Schreibenlernen dienten (13). In diesen Notizen »nähern sich Schreiben und Zeichnen an, auf Kosten der unmittelbar entzifferbaren Bedeutung der Schrift. Diese transportiert nicht vorrangig Sinn, sondern sie weist darauf hin, daß Sinn entstanden sein wird im Prozeß entziffernder Abschrift, die den Grauschleier auseinanderzerren und Schnitte setzen muß zwischen Linien, zwischen Buchstaben, zwischen Wörtern Texten. [...] Damit ist aber, erneut, nach der Erlösung zu fragen, der Erlösung des Buchstabens aus dem unlösbaren Konflikt seiner leisen Bildlichkeit und seiner bildlosen Lauthaftigkeit.« SIEGEL, ELKE: Aufträge aus dem Bleistiftgebiet: Zur Dichtung Robert Walsers. 2001. S. 121–122. Für den Hinweis auf diesen Text danke ich Karl-Josef Pazzini, für die Ausleihe Marianne Schuller. Parallel zu der Rezeption der »Neuen Medien« im Jahre 2002 schreibt die Kunsthistorikerin Monika Wagner eine ›andere Geschichte der Moderne‹ und gibt drei Jahre später im Team zudem Quellentexte von 1800–1970 heraus. Wagner, Monika: Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne. 2002. – RÜBEL, DIETMAR / WAGNER, MONIKA / WOLFF, VERA: Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur. 2005. »Eine der zentralen Leistungen der Wissenschafts- und Technikforschung der letzten 20 Jahre liegt in der Wiederentdeckung der Rolle von Materialität bei der Entstehung von und im Umgang mit Wissen«. STRÜBING, JÖRG: Prozess und Perspektive. 2004. S. 227. Dem gegenüber behauptet Breidecker: »Die Erneuerung der Lessingschen und Semperschen Prinzipien der ›Medien- und Materialgerechtigkeit‹ prägte die Film- und Photographiedebatte der internationalen Photographie- und Filmavantgarde, die sich 1929 auf der Stuttgarter Werkbundausstellung ›Film und Fotografie‹ (FiFo) präsentierte. Jene Leitbegriffe sprachen dem Impuls künstlerischer Avantgarden, aus der strikten Abgrenzung von tradierten Kunstformen und ästhetischen Konventionen neue Ansprüche an die Formen, Mittel und Inhalte des Ausdrucks zu entwickeln.« BREIDECKER, VOLKER: ›Ferne Nähe‹. Krakauer, Panofsky and ›the Warburg tradition‹. 1996. S. 193. – Vgl. dazu auch: HAUS, ANDREAS: »… etwas von der Bewegung der Planeten und vom Tanze.« 2000. S. 7–8. BARBOZA, AMALIA: Kunst und Wissen. 2005. S. 44. Diese Problematik zeigt Siegel exemplarisch an der Editionsgeschichte von Robert Walsers Publikationen: »Für diese Bücher formuliert sich das Verhältnis zwischen Text und illustrierendem Bild nicht als eines scheinbar genealogischer Aufeinanderfolge, sondern als eines der Gleichzeitigkeit und des räumlichen Nebeneinanders; oder: als eines der Brüderschaft. Denn tatsächlich entstanden alle Bücher Walsers, bis auf drei, in Zusammenarbeit mit dem Zeichner und Maler Karl Walser, dem ein Jahr älteren Bruder Robert Walsers.« SIEGEL, ELKE: Aufträge aus dem Bleistiftgebiet: Zur Dichtung Robert Walsers. 2001. S. 105. Vgl. den Katalog über das Archiv von Steven Leiber, das ausschließlich Künstlerephemera umfasst. LEIBER, STEVEN (Ed.): Extra Art: A Survey of Artists’ Ephemera, 1960–1999. 2001.

193

Medialität und Materialität der Aufzeichnung

INSZENIERUNG DER SUCHE

Bildinterpretation

Zwar hat BOHNSACK die Dokumentarische Methode im Hinblick auf eine bildhafte Interpretation erweitert, die das Spezifische der Bildlichkeit anvisiert, dies jedoch ausschließlich an gegenständlichen Fotografien veranschaulicht. 590 Aber eine Einzelbildanalyse scheint mir im Rahmen dieser Rekonstruktion einer Aufzeichnungspraxis gar nicht sinnvoll zu sein, weil sie der Aufzeichnung als performativer Produktionsform nicht gerecht würde. 591 Sie stellte eine Momentaufnahme im Prozess dar, während es mir bei der Rekonstruktion zunächst um den Verlauf mitsamt seinen wahrnehmbaren materiellen und medialen Unterbrechungen geht. F

F

Bruchstellen im Verlauf der Aufzeichnungspraxis

Wechsel der Aufzeichnungspraxis

F

F

Im Verlauf der Aufzeichnung im Fall Nora Erikson kann man diverse Bruchstellen erkennen. Sie betreffen u.a. die bereits markierte Passage zum Aufmerksamkeitswechsel, die den Übergang vom ersten zum zweiten Heft darstellt und gleichermaßen den Ausblick auf die Sammelmappe. Wenngleich ich bereits das ambivalente Pendeln der Studentin zwischen dem Abschluss des ersten und dem Beginn des neuen Themas beschrieben habe, der sich in der Mail und in der Intervention bestätigte, so lässt sich die Unabgeschlossenheit des Themas »Zufall« auch an den leeren Seiten zu Ende des ersten Heftes belegen. Zeigt der Beginn des neuen Heftes, dass sie das Thema »Zufall« (noch) nicht mit dem Auto in Zusammenhang bringen kann? Dass sie beide Themen trennen will, weil sie den Sinn, den das Auto für sie einnimmt, noch gar nicht sieht? Dann wäre das Auto lediglich ein anschaulicher Platzhalter für die Projektion der Geschichte? Schaut man sich den weiteren Verlauf im zweiten Heft an, fällt auf, dass hier nur noch ein Rückblick sowie der eingeklebte Aufruf zum Kunstprojekt erfolgen. Dass beide Texte in Heft 2 erst im Nachhinein nach der Sammelmappe entstanden sein müssen, habe ich bereits rekonstruiert. Es bedeutet, dass die hier untersuchte Passage den Übergang zu den Arbeiten in der Sammelmappe markiert. Ihr Text endete mit dem Wunsch großformatige Arbeiten anzufertigen, und nun, nach zwei beschriebenen Heften, in denen alle Ideen erst den »Kopf« passieren mussten – setzt sie diesen Wunsch in die Tat um. Dabei scheint das Hindernis, die wiederholt formulierte Vorstellung einer als nicht kontrolliert beschriebenen Praxis und einer systematischen, geplanten Theorie, überwunden. Dass die Integration von zuvor getrennt aufgezeichneten Bild und Textsegmenten durch die handlungsleitende und sinnstiftende Geschichte erfolgt, ist bereits gesagt worden. Dass die Integration jedoch zu einer gänzlich anderen thematischen, wie medialen und materiellen Aufzeichnungspraxis führt, blieb allerdings bislang unerwähnt. Der Wechsel vollzieht sich zwischen der begleitenden Aufzeichnungspraxis, in deren Verlauf sich die Studentin Nora Erikson anhand der Aufzeichnungen selbst orientiert und der Aufzeichnungspraxis, in der die fiktive Geschichte um Sabine Arnold veranschaulicht. Der Wechsel des Orientierungsrahmens hängt mit dem Wechsel der Aufzeichnungspraxis zusammen und dokumentiert sich an den medialen und materiellen Bruchstellen, die gleichermaßen die Grenzen der Analyse markieren. So komme ich zu der Annahme, dass es erneut die Geschichte ist – der innere Sinnzusammenhang, denn Sinn ist nichts anderes als die Verknüpfung von alter und neuer Erfahrung (vgl. Bohnsack 2001, 215) – die Nora Erikson die Darstellung, Zulassung und Erfahrung von Brüchen überhaupt ermöglicht. Die Geschichte ist die Regel, vor deren Hintergrund die Brüche darstellbar werden. An der so genannten, doppeldeutigen Auto-Geschichte manifestiert sich möglicherweise zudem eine Sättigung der Erfahrung des Schreibens, die nun durch eine angemessenere Weise der Aufzeichnung, eine Bild-Text-Komposition, ersetzt wird. 590

591

194

BOHNSACK, RALF: »Heidi«: Eine exemplarische Bildinterpretation auf der Basis der Dokumentarischen Methode. 2001. S. 323–337. – DERS.: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 155–172. – DERS.: Bildinterpretation und Dokumentarische Methode. 2005. – EHRENSPECK, YVONNE / SCHÄFFER, BURKHARD: Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswissenschaft. 2003. Zur Kritik an der Auswahl der zu analysierenden Daten sei hier stellvertretend die Kritik von Heidt an Panofsky genannt, in der sie zeigt, daß Panofsky die zu analysierenden Bilder nach literarischen Quellen aussuchte. HEIDT, RENATE: Erwin Panofsky. Kunsttheorie und Einzelwerk. 1977. S. 212f. Im Anschluss daran, stellt sich die Frage, warum Bohnsack z.B. immer gegenständliche Fotografien für seine Analysen nimmt.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Im Folgenden werde ich anhand der Brüche als tertium comperationis 592 Rekonstruktionen der Vergleichshorizonte herausarbeiten, um sie zu konkretisieren und differenzieren und danach zu fragen, welche Konsequenzen sich daraus für die Dokumentarische Methode der Interpretation ergeben können. F

F

Rekonstruktion der Vergleichshorizonte im Hinblick auf die Brüche Die im Seminar entstandenen übrigen 55 Aufzeichnungen, die hier in medialer und materieller Hinsicht als Vergleichshorizont zu den Aufzeichnungen Nora Eriksons dienen, bestehen vornehmlich aus (visuellen) Tagebüchern, in denen Mischformen aus meist handgeschriebenen Texten und Fotografien mit eingefügten Skizzen, Texten und Malereifragmenten überwiegen. Ferner gibt es fünf Video-, vier Audiografien und zwei digitale Journale, sowie Sammlungen von Zetteln, Musik-CDs, Bildern, Texten und Fundstücken in Ordnern, Koffern, Kisten und Ausstellungsräumen.

1. Vergleichshorizont: »Beziehungsweise« Im Unterschied zu den semesterbegleitenden Aufzeichnungen von Nora Erikson gab der Student, den ich Hakan Yilmaz nenne, seine Videografie nach Absprache mit mir erst anderthalb Jahre nach Ende des Seminars ab. Der ca. halbstündige Kurzfilm »Beziehungsweise« ist auf einer Videocassette (VHS) gespeichert, ein dazugehöriges Drehbuch liegt als DIN A4 Skript ausgedruckt vor. Auf den ersten Blick wirken Film und Text wie ein zusammengehöriges fertiges Produkt, das vom vorgängigen Entstehungsprozess bereinigt erscheint. Wie kann man dieses Material interpretieren? 593 Wie kann man in solch einem Material, das keine Spuren der Suche im Produktionsprozess aufweist, Bruchstellen ausfindig machen? Wie kann man überhaupt Aufzeichnungen rekonstruieren, die von ihrem Entstehungskontext entkoppelt scheinen? Worin besteht hier die inszenierte Zeugenschaft einer Vergegenwärtigung? Die Geschichte, die im Film gezeigt wird, handelt von einem einsamen, unnahbaren Studenten namens Paul auf der Suche nach einer heterosexuellen Beziehung. Paul, der aufgrund eines tragischen Autounfalls seine Eltern verlor, lebt als Jugendlicher und Erwachsener jahrelang als kontaktscheuer Single. Laut Drehbuch schildert er seine Situation folgendermaßen: »Ich glaube ich kann sagen, dass, soweit ich mich erinnern kann, ich von niemandem geliebt wurde ... aber genauso gut habe ich mich ebenfalls in niemanden verliebt...« Ferner erzählt er, dass er – auf der Suche nach einer Partnerin – Ratschläge zur Kontaktaufnahme mit dem weiblichen Geschlecht in einschlägigen Männermagazinen sammle und inzwischen erfolgreich ausprobiere. Im Widerspruch zu seiner Erzählung fängt die Kamera Szenen ein, in denen Paul weiterhin einsam bleibt: An der Bushaltestelle wird er von einer Passantin angesprochen. Er kann nicht antworten, sondern reagiert hilflos, stumm, flüchtend. F

592 593

Videografie

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Zum »tertium comparationis« vgl. NOHL, ARNDT-MICHAEL: Komparative Analyse: Forschungspraxis und Methodologie dokumentarischer Interpretation. 2001. S. 261f. Der einzige mir bekannte deutschsprachige Text über »Filmanalyse in der Erziehungswissenschaft«, der die einzelnen Arbeitsschritte der Interpretation benennt, ist der »Werkstattbericht« von Ehrenspeck und Lenzen. EHRENSPECK, YVONNE / LENZEN, DIETER: Sozialwissenschaftliche Filmanalyse – Ein Werkstattbericht. 2003. 439–450. – Die mangelnde Forschungslage beklagt 2003 auch der Professor für Film-Studies in Wisconsin-Madison Bordwell, dessen Filmanalyse (s.u.) in den Sozialwissenschaften stark rezipiert wurde: »Speziell im Fach Kunstgeschichte ist die Beschäftigung mit Film leider eine Ausnahmeerscheinung und wird in der Regel nur über Lehraufträge oder gelegentliche ›Ausflüge‹ hauptamtlicher Professoren in dieses ungewohnte Terrain abgedeckt. Trotz hoffnungsvoller Anfänge in dieser Richtung in den Dreißiger- und Vierzigerjahren durch Erwin Panofsky und Rudolf Arnheim, ist dieser Wissenschaftsfaden nur sporadisch wieder aufgegriffen worden.« BORDWELL, DAVID: Visual Style in Cinema. Vier Kapitel Filmgeschichte. 2003. S. 9. – BORDWELL, DAVID / THOMPSON, KRISTIN: Film Art: An introduction.1997.

195

Handlung auf Textund Bildebene

Szenografie

INSZENIERUNG DER SUCHE

Einstellungswechsel

Asynchrone BildTonkombinationen

Versionsvergleich und Zeitlichkeit

Partitur

Distanz zur Notation

Zurück in seinem Studentenzimmer deckt er für zwei Personen den Tisch, redet mit einer Fotografie, liest in Männermagazinen und unterstreicht Passagen mit dem Textmarker. Als er abends in die Kneipe geht, fesselt eine junge Frau seine Aufmerksamkeit. Mit einem kleinen Notizbuch stellt er sich in ihre Nähe, um ihr Gespräch mit zwei Freundinnen zu belauschen. Als sie sieht, dass er sich etwas aufschreibt, spricht sie ihn interessiert an. Wieder kann er nichts erwidern und flüchtet zur Bar, von wo aus er unauffällig mit dem Handy eine Fotografie von ihr macht. Anschließend verlässt er die Kneipe. Wieder in seinem Zimmer reißt er liebevoll ein Loch in die bereits zuvor auf dem Tisch befindliche Fotografie, um seinem »Gegenüber« bei Kerzenschein eine Zigarette anzuzünden. Etwas Rauch steigt auf, bis die Zigarette erlischt. In der letzten Szene verlässt Paul sein Zimmer und wirft seinen Notizblock im Treppenhaus an die Wand. Entsprechend aufgeschlagen, liest der Zuschauer nun die Notizen über verschiedene Frauen, sowie auf der letzten Seite die Namen der Darsteller. – Innerhalb des Films lassen sich verschiedene Bruchstellen nachweisen. Zum einen erfolgen diverse Perspektiv- und Szenenwechsel durch verschiedene Einstellungen der Kamera, die den Bildfluss unterbrechen. Zum anderen entstehen Brüche auf der Ebene der Synchronisation von Bild, Text und Musik durch asynchrone Videoschnitte. So wurde in der vorliegenden Fassung bis auf eine zentrale Passage fast der gesamte Ton gelöscht, sodass der Protagonist Paul auf einer metaphorischen Ebene noch isolierter, sprachloser zu werden scheint, als es die Handlung ohnehin vorsieht. Er spricht, aber niemand kann ihn hören. Statt des O-Tons sind drei Passagen (zu Beginn, vor dem Ausgehen und zum Schluss) als dramaturgische Effekte mit Musik unterlegt. Ohne das Drehbuch hätte man die Handlung von »Beziehungsweise« höchstens aufgrund des Titels, der Bildfolge und der ausgeprägten Gestik des Hauptdarstellers erahnen können. Erst durch die Rekonstruktion der beiden medialen Aufzeichnungsweisen wird deutlich, dass es sich beim Film und Drehbuch um unterschiedliche Versionen des Filmes handelt. Als ich schließlich auf der VHSCassette nach einer Pause zusätzlich eine zweite Filmfassung mit den O-Tönen des Hauptdarstellers entdecke, wird mir bewusst, dass die Zeitlichkeit der Grafie nicht nur wie im Fall Nora Erikson durch eine begleitende Aufzeichnung, sondern auch durch einen Versionsvergleich (der beiden Videografien miteinander sowie der Videografie im Verhältnis zum Drehbuch) erfahrbar wird. Allerdings wird der Vergleich der Fassungen durch die zeitliche Dauer des Films erschwert, denn er ist an die mediale Trennung der Ton- und Bildspuren gekoppelt. Aber in welchem Medium kann diese Relation der verschiedenen Spuren dargestellt werden? Zwar entdeckt man auf Anhieb, dass es OTöne und Kürzungen gibt, aber die Feinheiten der Relation von Text zu Musik zum Bild sind nur schwer vergleichbar, weil man sie nur mit einer entsprechenden Software als Partitur visualisieren und somit erkennen kann, schwerlich jedoch in einem Buch abbilden kann. Im Fall »Beziehungsweise« liegen die Brüche (neben den innerfilmischen Einstellungen) zwischen den verschiedenen Versionen einer oder mehrerer Grafien. Über die Frage, für welche Entscheidungen des Studenten Hakan Yilmaz die Brüche stehen könnten, kann nur spekuliert werden. Auffällig ist jedoch, dass die im Film thematisierte Suche nach einer Beziehung über den Weg der Aufzeichnung (Notiz und Fotografie) geschieht. Paul notiert sich das, was andere sagen, um selbst eine Sprache zu finden und sich zu erinnern. Als seine Versuche, auf diese Art und Weise Beziehungen zu knüpfen scheitern, distanziert er sich von seiner Notation, indem er sie fallen lässt, der Kamera den Rücken zuwendet und nach draußen geht. Auf der Ebene der Filmproduktion könnte man darüber spekulieren, welche stellvertretende Funktion die Inszenierung der fiktiven Geschichte Pauls für den Regisseur einnimmt. Was Paul in der Geschichte fehlt, wird in dessen Leben real hergestellt, über seinen Film lernt der im zweiten Semester immatrikulierte Hakan Yilmaz Student(inn)en kennen, die »seine« Szenen spielen. Indem er (s)eine Geschichte aufzeichnet, inszeniert er nicht nur deren Re-Präsentation, sondern zudem »programmiert« er mit der Videografie den Kontakt zu Anderen. Die Brüche zwischen den unterschiedlichen Versionen sind Überarbeitungen geschuldet, die einen (metaphorischen) Vergleich ermöglichen: Indem der Regisseur Pauls Stimme löscht, macht er (s)eine Geschichte einerseits unlesbar, andererseits macht er mit dem sichtbar Gelöschten auf die Unsagbarkeit von etwas sehr Privatem erst aufmerksam.

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ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Durch die Darstellung verschiedener Versionen wird (s)eine Geschichte zur Geschichte der Anderen. Dadurch, wie auch durch den zeitlichen Abstand zwischen Herstellung und der Abgabe der Grafie, erreicht Hakan Yilmaz Distanz zu (s)einer Geschichte als einer Version neben anderen. Filmstills aus »Beziehungsweise«

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INSZENIERUNG DER SUCHE

Die inszenierte Zeugenschaft einer Vergegenwärtigung besteht im Fall Hakan Yilmaz aus der Repräsentation durch verschiedene Versionen der (szenischen und filmischen) Darstellung (s)einer Geschichte. Zwischen den einzelnen Versionen der Aufzeichnung entstehen Brüche, deren Funktionen durch einen sequentiellen Vergleich der Fassungen interpretierbar werden. Diese Brüche verweisen auf Spuren der Suche, auf Korrekturen im Entstehungsprozess, auf die erfahrene Zeitlichkeit. Sie sind Indizes für den zeitlichen und medialen Erfahrungs- und Orientierungsmodus.

2. Vergleichshorizont: »Vera’s Private Book of Tattoo Art«

Text-Bild-Bezüge

In ihrem überwiegend handschriftlich verfassten, etwa DIN A4-formatigen Tagebuch mit Fotografien zur »Tattookunst«, beschreibt die Studentin Vera Tetzlaw ihren persönlichen Zugang zum Thema. In chronologischer, gleichwohl undatierter Abfolge präsentiert sie ihre Gedanken zum eigenen Selbstbild als »Stil« und die Bedeutung von Tattoos, die zu diesem »wahren und kunstvollen Stil« führen, den sie »aus ganzem Herzen« vertritt. Im Gegensatz zu den vorherigen Aufzeichnungen von Nora Erikson und Hakan Yilmaz werden die einzelnen Medien jedoch nicht in einem gesonderten Format abgegeben (z.B. Fotografien in Sammelkiste). Weder durch Medienwechsel noch durch unterschiedliche Versionen werden also die Bruchstellen erkennbar. Vielmehr sind die im Tagebuch eingeklebten Fotografien sowie die gezeichneten Ornamente in den Text integriert. Text und Bild kommentieren sich gegenseitig, während die Ornamente eher einen illustrierenden Charakter aufweisen. Welche Bruchstellen gibt es in dieser scheinbar kontinuierlich-einheitlichen Bild-Text-Komposition? Wie wird Zeitlichkeit erfahrbar? Auffällig ist zunächst, dass sich die symbolische Bedeutung, die die Verfasserin der Gestaltung des gesamten Tagebuchs zuschreibt, einer Zeitlichkeit geradewegs zu entziehen scheint. Sie selbst hebt die damit zusammenhängende Bildlichkeit des Themas hervor: »Da das Thema Tattoos ein visuelles ist, möchte ich möglichst viele Bilder und Fotos verwenden. [...] Manchmal neige ich dazu alles ein bisschen zu bunt zu gestalten... aber ich denke, dass es gerade zu diesem Thema gut passt. So ähnlich wie die bunte Farbe unter der Haut bei einem Tattoo das Tattoo ausmacht, soll auch dieses Buch von Farbe leben und getragen werden! Tattoos machen das Leben bunter, Menschen individueller und Kommunikation einfacher (siehe Text), mein Buch soll dies unterstützen.« 594 Die hier zitierte Farbigkeit, wie auch die bewusst konzipierte Anordnung und Verzierung des Tagebuchs, in dem nur minimale Tipp-Ex-Korrekturen als Überarbeitungsspuren vorkommen, verwendet die Verfasserin als ästhetische Mittel der Symbolisierung. Trotz der fast existentiell anmutenden Suche nach »Selbstausdruck«, Orientierung und Zugehörigkeit zur »Tattoo-Art« wirken die Eintragungen weder ungefiltert noch spontan emotional, sondern mit einer gewissen zeitlichen Distanz notiert. Das liegt vermutlich daran, dass die visuelle Darstellung im Tagebuch bereits eine Stilisierung im Sinne einer mimetischen Angleichung ist, an das, was repräsentiert wird: eine Tattoo-Ästhetik. 595 Diese Stilisierung schafft eigene Leerstellen, Zäsuren, Pausen. Sie erschwert insofern die Suche nach Bruchstellen, als sie auf der visuellen Ebene keine Bildstörungen zulässt, denn sie würden der Tattoo-Ästhetik widersprechen. Mit dieser Ästhetik setzt sich Vera Tetzlaw identifikatorisch auseinander, indem sie – wörtlich genommen – nach Vor-Bildern aus Tattoo-Milieus u.a. der Musikszene sucht, bzw. diese inszeniert: »Die Menschen, deren Musik ich höre (Bands wie: Misfits, BoysetsFire, Delfones, Turbo AC’s, [...] sind glaub ich alle tätowiert ... Sie haben sowohl durch Musik als auch durch ihre Tattoos eine Art gefunden, sich auszudrücken und zu definieren!« Um deren Tattoos zu fotografieren und mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, fährt sie auf Festivals, liest Bücher über Tattoos, befragt Fremde F

Symbolisierung Distanz zur Notation Stilisierung

F

Inszenierung der Augenzeugenschaft

594

595

198

F

Vgl. den Zusammenhang von Symbolbildung und Subjektkonstitution im Jugendalter, u.a. als ›Hilfsmittel für Perspektivenwandel‹. RÖLL, FRANZ-JOSEF: Mythen und Symbole in populären Medien: der wahrnehmungsorientierte Ansatz in der Medienpädagogik. 1998. Vgl. zur mimetischen Organisation der Erfahrung S. 234.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

in Bezug auf Motivation und Ausführung der Tattoos und besucht Menschen und Arbeitskolleginnen in einschlägigen Szeneboutiquen. So entsteht eine persönlich kommentierte Sammlung von fotografierten Tattoos, deren Anblick ihr »jedes Mal ein ›Erlebnis‹ [verschafft], das mit einer Art ›Sammelsucht‹ zu vergleichen ist.« 596 Aber wie dokumentiert sich in dieser Inszenierung der Augenzeugenschaft eine Entwicklung, eine Zeitlichkeit dieser Vergegenwärtigung? Die Zeitlichkeit der Bilder erschließt sich erst über die Darstellung der Fotos als Serie. Im Fall Vera Tezlaws ist dabei bemerkenswert, dass dieser Serie ein impliziter Vergleich zu dem eigenen Selbstbildnis inhärent ist. Das zeigt sich an der folgenden Feststellung in Bezug auf das Tagebuch: »Auch Tätowierer haben eine Art Doku-Tagebuch in denen sie ihre Arbeiten der Jahre sammeln. Ihre ›Flashbooks‹ beinhalten alle ›Flashs‹ (Skizzen, Vorlagen) die in ihrer Laufbahn entstanden sind. Man kann ihre Entwicklung so zurückverfolgen. Ich finde, dass man auch irgendeine Art Entwicklung bei mir feststellen kann! Ich war anfangs sehr gehemmt und hatte irgendwie gar keine Vorstellung, was mich erwartet bzw. was ich von mir erwarten kann!« Was die Studentin tatsächlich erwartet, respektive, was sie von sich erwartet, ist »ein gesundes Selbstbild, was man im Lauf seines Lebens entwickelt... Ob ich selber so etwas habe? In Ansätzen ja! Ich denke viel, aber handle zu wenig! Und dieses Denken und Handeln verknüpft sich unmittelbar mit meinem Thema: Tattoos!« Das Thema ›Tattoos‹ ist offensichtlich für sie ein Anlass, Denken und Handeln miteinander zu verknüpfen. Die Aufzeichnung, das Tagebuch wirkt dabei handlungsleitend. Und so liest sich das Tagebuch der Studentin rückblickend als Aufzeichnung einer Entscheidungsgenese, die um die folgende(n) Frage(n) kreist: »Warum sollte ich mich nicht tätowieren lassen? Angst vor Schmerzen? Das Falsche Motiv? Ein Lehrer mit Tattoos? Was sagen andere dazu? Wird es mir immer gefallen? Fragen, Fragen, Fragen, Fragen... Diese Fragen ergeben neue Fragen: Ist es nicht schön, wenn man alt ist, am Körper eine Erinnerung zu haben? Seine Träume und Wünsche in einer Art ›Jugendsünde‹ verewigt zu haben? ... auch wenn sie nicht mehr so schön aussieht? Ist es nicht gut, seine Individualität nicht nur durch äußeres, wie Kleidung oder Haare färben zu erleben? Innere Gedanken durch Symbole auf der Haut zu verewigen! Das Ganze als Dokument seiner Jugend, eines Augenblicks zu erhalten? Genau diese Symbolhaftigkeit auf der Haut fasziniert mich. [...] Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich tätowieren lasse! Ich denke nun schon seit 3 Jahren darüber nach ... und bevor ich es mir, wie vorher angesprochen wieder ›negativ‹-denke... tue ich es doch einfach?« F

F

Seriografie

Flashbooks

Erwartung und Selbstbildnis

Handlungsleitende Aufzeichnung

Dermografie Tattoografie

An dieser Stelle endet das Tagebuch. In einer nachträglich eingefügten Klarsichtfolie befinden sich sechs weitere Seiten mit Notizen und Fotos u.a. von einer Studienfahrt nach Amsterdam, bei der die Studentin das Tattoo-Museum aufsuchte. 596

»Es ist, als würde man mit dem Ansehen von fotografischen, wie von kinematographischen Bildern, wobei die letzteren in der Regel den Vorrang haben, recht bündige Erkundigungen über andere Orte, Lebensformen und Rituale einholen, wodurch sich das beharrliche Pochen auf eigene Erfahrungen fast zu erübrigen scheint. Man leiht sich quasi fremde Ansichten aus, die einem schon bald bekannt vorkommen, und verlässt sich dabei auf das Auge des anderen, dessen brisante Art zu sehen, rasch Vertrauen einflösst. Dabei weiß man sehr wohl, dass es etwas völlig anderes wäre, wirklich dort, anstatt nur mit dem Auge auf einem stimmigen Bilde zu sein.« JOCKS, HEINZNORBERT: Der Gebrauch der Fotografie. Ein Versuch über die Fotologie. 2004. S. 49. – Im Unterschied dazu zeigt Vera Tetzlaw in ihren Aufzeichnungen, wie die Rezeption einer Fotografie als vermittelter Erfahrung auch zu eigenen Erfahrungen führen kann.

199

Inszenierung leiblicher Zeugenschaft

INSZENIERUNG DER SUCHE

Wechsel der »Datenträger«

Repräsentation und Präsenta

Lose hinzugefügt sind fünf Fotografien der eigenen Tätowierung, auf denen die Vergegenwärtigung der leibhaftigen Zeugenschaft inszeniert wird. Erst die Betrachtung aller Fotografien als Serie lässt die Bruchstellen zwischen den zeitlich wie symbolischen Vor-Bildern und dem eigenen Selbstbild als Nach-Bild bei Vera Tetzlaw deutlich werden: Von den bisherigen Fotografien der tätowierten Anderen bis hin zu diesen »Selbstbildnissen« gibt es einen Wechsel der inszenierten Bezeugungsweise. Die durch die Fotografien inszenierte Augenzeugenschaft wird zur Inszenierung der leiblichen Zeugenschaft, bis hin zur Verletzung. Dieser Wechsel der Zeugenschaft, der gleichermaßen die Funktionalisierung der Bilder als Belege im Tagebuch betrifft, manifestiert sich an dem Wechsel des »Datenträgers«. Ein Bruch wird offensichtlich: Statt des Papiers im Tagebuch wird die Haut hier zum dauerhaften Speichermedium, die »Papierografie« wird zur »Dermografie« von symbolischen Zeichen. Durch die Veränderung des »Datenträgers« wird man rückblickend auf das im Tagebuch durchgehaltene Verfahren der Grafie in der Grafie aufmerksam, wenn die Studentin bereits grafierte Hartpartien Anderer erneut fotografiert. Diese Verdopplung, das Bild im Bild, geht dabei der Entscheidungsfindung in Form einer mentalen und visuellen Repräsentation für eine Tätowierung immer voraus. Die Studentin fotografiert Tattoografien, bevor sie sich selbst tätowieren lässt. Sie zeichnet TattooMotive als gestaltende Ornamente vor oder hinter den Text, bevor sie sich für eines davon entscheidet. Sie grafiert auf Papier, um sich für die lebenslange Grafie auf Haut vorzubereiten. Die Entwicklung, die Vera Tetzlaw durchläuft, kann man als biografische Arbeit mit ästhetischen, genauer: bildhaften Verfahren am eigenen Selbstbildnis bezeichnen. Die handlungsleitende Funktion der Grafie führt schließlich zu einer dauerhaften (symbolischen) Veränderung am Selbstbild, zur visuellen Einschreibung eines Zeichens in den Körper. Wie zwingend die Bearbeitung der bildlichen Dimension als mentale Repräsentation und als visualisierte Grafie für eine bestimmte Art der Verhaltensänderung – hier: der Verknüpfung von Denken und Handeln – sein kann, sei dahingestellt. Auf jeden Fall ändert sich mit dem Wechsel der »Datenträger« der Orientierungsrahmen. Die visuelle Repräsentation wird zur Präsentation. Über den Prozess dahin betont Vera Tetzlaw abschließend, »wie schwer es ist, diese Art von ›Bilderfahrung‹ in Worte umzusetzen.«

3. Vergleichshorizont: »Island – Woher kommt die Faszination?«

Paläografie Kalligrafie

Die Aufzeichnungen von Naomi Erdmann sind als Sammlung in einem Koffer angelegt. Die Sammlung besteht aus unterschiedlichen Grafien zum Thema »Island«: An den Innenwänden sind abfotografierte Postkarten mit Impressionen von Island angeheftet. Ferner beinhaltet der Koffer eine gebundene DIN A4-Zettelsammlung, die ca. 300 Seiten umfasst, zwei bemalte Leinwände (18 x 24 cm), eine Handschrift im verglasten Rahmen, zwei Tonbandcassetten, eine Videocassette, eine isländische Zeitung, ein Reiseprospekt über Island, eine Postkarte aus Island, sowie ein Reisetagebuch. Wie kann man solch ein heterogenes Material interpretieren? Eine ausführliche dokumentarische Methode der Interpretation stößt nicht nur vom Umfang des Datenmaterials an ihre Grenzen, sondern auch aufgrund der unterschiedlichen Grafien: handschriftlich oder computergenerierte Textografien, analoge Fotografien, digitalisierte und übermalte Kartografien, grafische und tabellatorische Notationen der Musik, Video- und Audiografien. Zudem gibt es Grenzen der Transkription: Die auf Tonband aufgezeichneten Versionen von isländischen Lautierungen als Sprechversuchen sind ohne Sprachkenntnisse des Isländischen nicht transkribierbar oder phonetisch grafierbar. Will man die Materialien nach den Datenträgern bzw. Speichermedien sortieren, so stehen die unterschiedlichen Papiersorten (Noten-, Bütten-, ungebleichtes und gebleichtes Druckerpapier, marmoriertes und »auf alt getrimmtes« Papier) neben den grundierten Leinwänden, Video- und Tonband. Um dennoch einen Interpretationsansatz zu finden, könnte man die Brüche zwischen den Medien- und Materialwechseln herausarbeiten. Aber auch diese sind in der Sammlung von Naomi Erdmann so vielfältig, dass der komparative (Über-)Blick kaum möglich scheint.

200

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Betrachtet man hingegen die Herstellung der Ordnungen in diesen Material- und Grafiekonstellationen, ergibt sich, dass die gesamte Sammlung im Wesentlichen durch zwei Ordnungsprinzipien strukturiert ist, zwischen denen sich ein Bruch abzeichnet.

Ordnungsprinzipien

Die thematische Ordnung gruppiert sich um das Lied »Völuspá« (»Weissagung der Seherin«) aus der älteren Edda, einer isländischen Liedersammlung aus dem 13. Jahrhundert. Zu dieser lyrischen Visionsliteratur fertigt die Studentin Bilder mit Acrylfarbe auf Leinwand an, konstruiert eine alte Handschrift nach der Überlieferungsquelle aus dem Codex Regius, zeichnet verschiedene Versionen von eigenen Sprechversuchen dieser Strophen in isländischer Sprache auf Tonband auf, erfindet eine vereinfachte Lautschrift dafür, dokumentiert ihre wissenschaftliche Internetrecherche zur Skaldendichtung, stellt einen Vergleich zwischen der biblischen und der heidnischen Schöpfungsgeschichte her, veranschaulicht Textsequenzen mit selbst gefertigten Fotografien aus Island wie auch digitalen Prints aus der Buchmalerei, recherchiert zur historischen Aufführungspraxis der Lieder, komponiert einen vierstimmigen Satz der isländischen Nationalhymne, setzt sich mit Regeln der isländischen Harmonisation und Tonalität auseinander und visualisiert alte Musikinstrumente und Partituren. Im Unterschied zum thematischen Nebeneinander verschiedener Grafien, verwendet Naomi Erdmann in ihrem Reisetagebuch, welches sie auf Island verfasst, eine sequentielle, chronologische Ordnung. Die handschriftlichen Eintragungen sind datiert, beginnend mit dem 07. August 2003. Sie geben die Eindrücke der Studentin entlang der Reiseroute wieder.

Videografie, Phonografie,

Wechsel der Ordnung

Kartografie

Auf die Bruchstellen, die sich aus diesem Wechsel der Ordnungen ergeben, verweisen auch die jeweiligen Aufzeichnungspraxen, bzw. der zeitliche Abstand zwischen dem Erleben und dem Aufzeichnungsprozess. So beschreibt die Studentin, dass sie »kein ›Drehbuch‹ hatte, sondern eher spontan Aufzeichnungen gemacht habe«. Während die thematische Ordnung offenbar ein systematisches Schreiben hervorbringt, das zeitliche Distanz zum Thema voraussetzt, scheint die chronologische Ordnung, sowie das handliche Format eines transportablen DIN A5-Buches eine spontanere Niederschrift zu begünstigen. Das wird nicht nur am Tempus erkennbar, sondern auch daran, wie die Verfasserin das Tagebuch als zukünftigen Ideenfundus u.a. für einen Film stichwortartig nutzt: » ... evtl. werde ich den Film später bearbeiten und vertonen ... wahrscheinlich wird an weiteren Aufenthaltsorten weitergedreht.« Allerdings wirkt sich der Prozess des Aufzeichnens auch auf die Reise von Naomi Erdmann aus, denn er strukturiert umgekehrt auch ihren Tag und gibt ihm dadurch eine Ordnung. Die jeweilige Ordnung, die die Studentin ihrer Erfahrung gibt, wird im Prozess des Aufzeichnens – und vor allem im Vergleich mit anderen Ordnungen – zur Erfahrung der Ordnung. Die Inszenierung der bezeugten Erfahrung zur Erfahrung der Inszenierung.

201

Zeitlicher Abstand zwischen Erleben und Aufzeichnen

INSZENIERUNG DER SUCHE

Und das ist es, was im Fall Naomi konstant bleibt: ihre Sinngebung führt über die Aufzeichnung als Prozess. So ist auch die thematische Sammlung zugleich als Sammlung der unterschiedlichsten Grafien zu verstehen. Die Sinngebung erfolgt über eine grafiegeleitete Sammlung. Brüche zwischen den Ordnungen verweisen nicht nur auf den zeitlichen Abstand, in dem Erfahrung und Grafie sich zueinander positionieren, sondern genau dadurch auf einen Wechsel des Habitus, der oft mit einem Wechsel der Aufzeichnungspraxis einhergeht. Für eine Reflexion der Erfahrungs(spiel-)räume in Relation zur Grafie sind solche habituellen Veränderungen, die durch die Brüche angezeigt werden, höchst aufschlussreich.

Brüche vor dem Hintergrund der Sinngebungsgenese

Fallübergreifender Vergleich

Fallinterner Vergleich

Ich habe gezeigt, inwiefern die in den Vergleichshorizonten untersuchten Brüche in Aufzeichnungsprozessen, insbesondere innerhalb der Mischformen von Grafien, als Indizes für Rekonstruktionen der Sinngebung fungieren können. Im fallübergreifenden Vergleich stellte sich heraus, dass die Brüche erkennbar werden durch eine mediale oder materielle Veränderung, einen Wechsel, einen Vergleich: Bei den Aufzeichnungen zum Thema »Zufall« erscheinen die Brüche durch einen Wechsel der Aufzeichnungspraxis, der zugleich einen Medienwechsel darstellt, im Video »Beziehungsweise« treten Bruchstellen zwischen verschiedenen Versionen innerhalb derselben oder unterschiedlicher Grafie(n) auf, im Manuskript der »Tattoos« tauchen Brüche durch den Wechsel der Datenträger, bzw. des Speichermediums auf und in den Aufzeichnungen über »Island« durch den Wechsel der Ordnungen. Bemerkenswert ist dabei, dass Brüche nur vor dem Hintergrund eines Verlaufs, einer handlungsleitenden Einheit, einer Kontinuität oder eines Zusammenhalts, kurz: vor der Genese einer Sinngebung erscheinen können. Dies kann im fallübergreifenden Vergleich, die sinnstiftende »Auto-Geschichte« Nora Eriksons sein, die imaginierte und durchgeführte Inszenierung im Sinne einer verkörperten Präsentation im Fall Hakan Yilmaz’, die bildhafte Symbolisierung bei Vera Tetzlaws oder die grafiegeleitete thematische Sammlung im Fall Naomi Erdmanns. Aber auch im fallinternen Vergleich werden diverse Bruchstellen erkennbar, etwa durch Einstellungs-, Szenen- und Perspektivwechsel in der Videografie und seriellen Fotografie, durch Synchronisationswechsel in der Videografie, durch Versionsvergleiche in der sequentiellen Audio- und Videografie, sowie als Leerstelle, Pause, Zäsur oder weißer Fleck innerhalb der Kartografie. 597 Die prozesshaften performativen Sinngebungen im Orientierungsrahmen der Studierenden sind inszenatorische Muster der Suche, vor deren Hintergrund sich die Brüche als Erscheinungen abheben. Der modus operandi dieser Sinngebungen ist von der materiellen und medialen (ästhetischen) Anwendung nicht zu trennen, vielmehr dokumentiert er sich daran. Folglich kann man die Brüche verstehen als zeitliche und räumliche Unterbrechungen dieser Sinnbildungen, als habituelle Veränderungen, und zwar sowohl der Muster als auch der Erscheinungen. 598 Insofern fungieren die Brüche als Indizes für (ästhetische) Erfahrungen, indem sie diese erst platzieren: Sie sind Spuren der Suche, die sich in die Grafie eingeschrieben haben. F

Inszenatorische Muster der Suche

Brüche als Indizes für (ästhetische) Erfahrungen

F

597 598

202

F

F

Vgl. dazu Carolls leere Landkarte als Metapher für eine unbestimmte Suche in S. 19. »Die Leerstelle [...] kann gerade in ihrem Wesen als ;Unterbrechung der Anschließbarkeit’ operative gemacht werden. [...] Eine operative Konzeption der Leerstelle sähe dann so aus: Sie wäre zu nennen und zu bezeichnen als Loch – im Sinne der löchrigen textuellen Oberfläche, als Riß und Unterbrechung. Sie wäre eingeschrieben in Zeichen des Nichtdurchsichtigen – einer Sichtbarkeit, Wahrnehmbarkeit der Schrift. Ein Extrempol dieser Sichtbarkeit wäre eine partielle Fleckigkeit der Schrift, die vor allem in der exstatischen Selbstbeschreiben, Selbstüberschreiben auftritt und Index der Unlesbarkeit sein könnte.« Obermayr, Brigitte: Erfahrungen der Leere. Der Status der Leerstelle in der ästhetischen Text-Erfahrung. 2004. S. 150.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Gleichermaßen stellen sie die zeitlichen, medialen und materiellen Grenzen der Grafie dar. Als solche sind sie Scharnierstellen – Indizes für die Reflexion – die auf zeitliche, mediale und materielle Erfahrungs(spiel-)räume als habituelle Orientierungsrahmen verweisen.

Grafievariation Nachdem ich den Stellenwert der Brüche als Indizes für die Reflexion von Erfahrungen exemplarisch veranschaulicht habe, werde ich im Folgenden daraus resultierende Konsequenzen für die Dokumentarische Methode der Interpretation vorstellen. Im Kapitel »Zugang zur Forschung« hatte ich kritisiert, dass die Grafien innerhalb der erziehungswissenschaftlichen bzw. soziologischen Anwendung der qualitativen Methoden lange als »Fenster zur Wirklichkeit« galten und damit als »mediale Sichtkonstruktionen« quasi übersehen wurden. 599 Im Gegensatz dazu reflektierte ich bei der rekonstruierten Aufzeichnungspraxis der Studierenden diese »Sichtkonstruktion«, indem ich die Grenzen der Aufzeichnung, die Bruchstellen, als Indizes für (ästhetische) Erfahrungsräume und Orientierungsrahmen thematisierte. Dabei ergab sich, dass die Brüche, ihrerseits auf inszenatorische Muster der Sinngebungsprozesse verwiesen, indem sie jene durchkreuzten, störten, unterbrachen, trennten. Erst vor dem Hintergrund der fallinternen und -externen Vergleichshorizonte wurde ersichtlich, dass mit den Brüchen oftmals auch Wechsel der Aufzeichnungspraktiken verbunden sind, wie ich am Medien-, Versions-, Datenträger- und Ordnungswechsel gezeigt habe. 600 Um solche Wandel überhaupt feststellen zu können, bedarf es eines Vergleichs. Doch dieser Vergleich ist nicht medienunabhängig zu denken. Im Falle einer Texto-, Phono- oder Videografie findet er – u.a. in der Dokumentarischen Methode – in der häufig angewandten Sequenzanalyse statt, in der einzelnen Textpassagen implizit mit möglichen Alternativen oder tatsächlichen empirischen Vergleichshorizonten verglichen werden. 601 Bei einem Bild hingegen entspricht diese Zeitlichkeit einer sichtbaren Simultaneität. Wie kann man innerhalb eines Bildes eine Zeitlichkeit herstellen und Brüche erkennen, um einen inhärenten Vergleich herbeizuführen? 602 Diesem Dilemma begegne ich insofern, als ich das bislang in der qualitativen Forschung zugrunde liegende Datenmaterial als Einzel-Text oder als Einzel-Bild – als Monografie – erweitere, im Hinblick auf Mischformen der Grafie mitsamt ihren zeitlichen, medialen und materiellen Rahmungen und Implikationen. F

F

Mediale Sichtkonstruktion

F

Der Vergleich als methodologisches Prinzip

F

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Sequenzanalyse

F

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601

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S. 95. »Vielmehr ist davon auszugehen, dass jeder ›Medienwechsel‹ eine ›Verschiebung des Wissens‹ mit sich bringt und dass im Prozess der Erstellung und Verwendung von Bildern Wissen generiert wird und dieses Wissen, etwa durch seine Kontextabhängigkeit sowie unterschiedliches Vorwissen und Bildgewohnheiten der Betrachter veränderbar und dynamisch ist.« HENNIG, JOCHEN: Die Versinnlichung des Unzugänglichen – Oberflächendarstellungen in der zeitgenössischen Mikroskopie. 2005. S. 102. Zur Sequenzanalyse aus methodologischer Perspektive vgl. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 168ff. – PEEZ, GEORG: Fotografien in pädagogischen Fallstudien. 2006. S. 11 und 31f. – Zur sequentiellen Videoanalyse vgl. KERSCHER, GOTTFRIED / RICHARD, BIRGIT: MoVie und MuVi. Zur Interpretation bewegter Bilder in Film und Musikvideoclip als Bildwissenschaft und »kritische Stilanalyse«. 2003. S. 203–225. – NIESYTO, HORST (Hg.): VideoCulture. Video und interkulturelle Kommunikation. 2003. – MOHN, ELISABETH: Filming Culture: Spielarten des Dokumentierens nach der Repräsentationskrise. 2002, insbes. S. 184ff. »Die Zeitlichkeit spielt für uns im Interpretationsprozess auch von Bildern respektive Fotografien eine nicht zu unterschätzende Rolle.« PEEZ, GEORG: Fotografien in pädagogischen Fallstudien. 2006. S. 32.

203

Grafie als Serie

INSZENIERUNG DER SUCHE

Kompositionsvariation Grafievariation

Im Unterschied zu den Einzelbildern begreife ich die Grafie als handlungsleitende, performative Genese, die als Serie darstellbar und rekonstruierbar wird. 603 Um nun einen Vergleich der verschiedenen Grafien zu durchführen, schlage ich – analog zu dem von BOHNSACK aus der Kunstgeschichte für die Bildinterpretation importierten und von Ulrike STUTZ ästhetisierten Analyseschritt der »Kompositionsvariation« 604 – die »Grafievariation« vor, in der Aufzeichnungen, insbesondere als Mischform, in sich und miteinander verglichen werden. F

F

F

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Fragengenerierung Ausgehend von der Grafievariation habe ich einen Fragekatalog entwickelt. Die aus den Aufzeichnungen generierten Fragen stellen ein Schema dar, um den empirischen Vergleich zu leiten. Auf der methodologischen Ebene dienen sie als vorsichtige Alternative zu der »Typenbildung« in der Dokumentarischen Methode, die nicht nur in diesem Fall das Problem »der Verallgemeinerung von Ergebnissen im Sinne einer Übertragbarkeit der gefundenen Zusammenhänge auf andere Fälle und andere Kontexte anstreben«, die ich bezogen auf meine nicht- repräsentative Datenbasis des singulären Falls für vermessen halte. 605 Die Generierung der Fragen bietet – ebenso wie die im Anschluss beschriebenen »Tendenzen« – m.E. dennoch eine Anschlussstelle für mögliche weitere Grafieforschungen und kann außerdem auch als Hilfestellung des Vergleichens in der kunstpädagogischen Praxis eingesetzt werden. F

Fragen

– – – – – –



603

604

605

204

F

Gibt es eine Frage, die der Grafie zugrunde liegt? Wie lautet sie? Zur Inszenierung der Form: Welchen Umfang hat das Material? Welches Format wird gewählt? Ist das Format einheitlich? Wechselt es im Laufe der Aufzeichnung? Wer grafiert? Und wie wird die Person, die Stimme, die Autorschaft wahrnehmbar? Mit welcher Motivation wird grafiert? Was ist der Anlass für die Grafie? Was wird grafiert? (ein Thema, eine Schreibweise, die Suche, die Inszenierung, das Selbst, das Leben) Wie wird das Thema gewichtet? Wie wird grafiert? Welche Datenträger gibt es? Welches Material wird benutzt? Wie wird das Material in der Aufzeichnung angeordnet? Welche Medien werden eingesetzt? Gibt es Auffälligkeiten im Hinblick auf den Verlauf der Grafie? Gibt es Korrekturen? Wie ist die Zeitform? Gibt es Wiederholungen? Welche Haltung wird gegenüber der Grafie eingenommen? (spielerisch, verkrampft, reflexiv, repräsentativ) Welche Grafien gibt es? – Zur Textografie als Beispiel: Wie ist der Text geschrieben? (1. formale Weise des Schreibens/ Textsorte – Brief, Kommentar, Drehbuch, Bericht, Fragen, Kommentare..) 2. mediale Weise des Schreibens–Handschrift, PC...) Aus welcher zeitlichen

Zum seriellen Gebrauch der Fotografie: »In den letzten Jahren ist mit diversen Projekten der zentralen Rolle des Buchs als Medium der Fotografie Tribut gezollt worden. Eine der wichtigsten fotohistorischen Publikationen der letzten Jahre, Andrew Roths ›The Book of 101 Books‹, führt die wichtigsten Fotobücher unserer Zeit vor und demonstriert, dass das Buch, die Bilderzählung, schon immer das quasi-natürliche Endformat der Fotografie war. Roths Band macht deutlich, was wir an der Fotografie lieben: Eben nicht nur das Sehen, sondern das Anfassen, das Durchblättern.« RIBBAT, CHRISTOPH: Smoke gets in your eyes, oder: Wie ich lernte über Fotografie zu schreiben, ohne Roland Barthes zu zitieren. 2004. S. 41. Vgl. BOHNSACK, RALF: Bildinterpretation und Dokumentarische Methode. 2005. S. 260. – Ders.: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 168ff. – PEEZ, GEORG: Fotografien in pädagogischen Fallstudien. 2006. S. 32. – STUTZ, ULRIKE: Ästhetische Annäherung an Bilder in der qualitativen empirischen Forschung. 2004. NENTWIG-GESEMANN, IRIS: Die Typenbildung der dokumentarischen Methode. 2001. S. 275.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

– – –

– – – – – – – –

Perspektive ist der Text geschrieben? Wie sind die Abstände zwischen Erfahrung und Schreiben? (nachträglich rückblickend, im Prozess, vorausschauend) Wie wirkt der Text? Welche Funktion hat der Text? (Der Text als Vorsatz der eigenen Handlungen, als Kommentar, als Beweis, Bezeugung) Zum Bezug von verschiedenen Grafien: Welche Funktionen haben die Bilder? (illustrativ, kommentierend, als Beleg, als Quelle?) Wie hängen Text und Bild zusammen? Zur Zeitlichkeit: Wann wird grafiert? (Tempo, Takt, Rhythmik, Metrum) Was für eine Zeitlichkeit wird reflektiert? Wie fangen die Aufzeichnungen an, wie enden sie? Gibt es Datierungen? Wie verläuft die Inszenierung? Gibt es Brüche, Veränderungen... Wie werden sie sichtbar? Wo und wann wird eine Dynamik deutlich? Wo wird grafiert? Für wen wird grafiert? Wer ist der Adressat der Grafie? Gibt es eine geheime Anrede? Wozu wird grafiert? Was sind die offen formulierten oder geheimen Ziele, derentwegen aufgezeichnet wird? (Zeugenschaft, Partizipation, Kommunikation) Welches Vorverständnis, welche Vorerfahrungen werden sichtbar? Wie wird be-deutet? Wovon lassen sich die Verfasser bewegen? In welcher Eigenbewegung antworten sie? Wie werden Erfahrungen in der Aufzeichnung platziert? Wie generiert? Welche Regeln kommen durch die Aufzeichnung. zum Vorschein? Welchen Bezug bzw. Abstand haben Erfahrung / Suche und Grafie/ Schreiben zueinander? Was ist das Besondere des Falls?

Diese aus dem Datenmaterial entwickelten Fragen können für eine Grafievariation hilfreich sein und zur Differenzierung der Frage nach dem modus operandi im Rahmen der Reflektierenden Interpretation der Dokumentarischen Methode anregen.

Tendenzen Im Gesamtvergleich ist bei der Grafievariation umgekehrt die Frage zu stellen, was die Aufzeichnungen der Studierenden miteinander verbindet und was sie gemeinsam haben. Eine Antwort auf die Gemeinsamkeiten kann hier nur sehr skizzenhaft in Bezug auf mögliche inszenatorische Muster gezeigt werden, weil dies meine Forschungsfrage nur streift und den Rahmen der Forschung übersteigen würde. Im Gesamtvergleich ergibt sich u.a., dass die meisten Studierenden – wie im Fall Nora Eriksons – mit einem handschriftlich geführten Journal ihre Aufzeichnungen beginnen. Ob diese Praxis auf die bisherigen Vorerfahrungen zurückzuführen ist, in der Studierende das analoge Tagebuch als Methode im Voraus kannten und es eben deswegen gegenüber einem digitalen Weblog bevorzugten oder ob es lediglich praktikabler und transportabler war als ein Notebook, könnte im Nachhinein über Interviews oder in einem Gruppengespräch herausgefiltert werden. Für die Analyse bietet die analoge und im besten Falle handschriftliche Aufzeichnung den Vorteil, dass Korrekturen und Überarbeitungsspuren visualisiert werden und bleiben, als dies bei digitalen Arbeiten durch Überschreibung meistens der Fall ist (aber keineswegs sein muss). Auf jeden Fall bietet die Aufzeichnung einen Anlass, über die Vorerfahrungen nachzudenken und den pragmatischen Umgang der Aufzeichnungen zu kommunizieren. Ferner scheint die Relation von Aufzeichnungspraxis und Kommunikation eine zentrale Rolle zu spielen, wie ich bereits durch die Intervention im Fall Nora Eriksons herausstellte. In der Gruppenarbeit von Naomi Erdmann war beispielsweise die Frage zentral, wie man sich im Laufe des Aufzeichnungsprozesses überhaupt selbst einen Überblick über die einzelnen Eintragungen verschaffen kann. Allein die Tatsache, dass der fehlende Zusammenhang von mehreren Gruppenmitgliedern als Problem der Suche nach einer Ordnung

205

Gesamtvergleich

Vorerfahrungen

Kommunikation und Partizipation

INSZENIERUNG DER SUCHE

geteilt wurde, bewirkt eine Selbstvergewisserung in Stadien der Unbestimmtheit. Diese Funktion der Kommunikation und Partizipation, die durch die Grafie ausgelöst wird, ist sowohl für die Lehre als auch für eine Anschlussforschung, die eine Triangulation durch das Gruppendiskussionsverfahren BOHNSACKs herstellen könnte, bedeutsam.606 Für die Reflexion von Erfahrungen ist außerdem die im Fragenkatalog notierte Frage nach dem Abstand zwischen Erfahrungsprozess und Aufzeichnung, Zeugenschaft und Vergegenwärtigung, sowie zwischen Suche und Inszenierung wichtig.607 In der Durchsicht der Grafien wird offenkundig, dass es einen habituellen Unterschied bedeuten kann, ob Studierende den größtmöglichen zeitlichen und medialen Abstand herstellen, wenn sie z.B. rückblickend über ihre frühkindlichen Erfahrungen mit dem Tanz aus heutiger Sicht berichten oder ob sie sich beim »Pendeln zwischen zwei Orten« währenddessen, also teilnehmend fotografieren und filmen lassen. Hier wäre es interessant, den Studierenden diese inszenatorischen Muster zurückzuspiegeln, um das implizite Wissen explizit zu machen und ihre Reaktionen als Rückkopplung zu erhalten. Die Frage, welchen Nutzeffekt umgekehrt der Abstand für die Studierenden hat, verweist wiederum auf autobiografische Vorerfahrungen, die zudem bedingen, wann man welche Art von Brüchen auch in Grafien auszuhalten im Stande ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwiefern der zeitliche Abstand zwischen der Referenz und dem Grafieren mit der Anwendung von klischeehaften, stereotypen »Darstellungsformeln« verbunden sein kann.608 Zudem wurde ich auf eine weitere inszenatorische Tendenz aufmerksam, die elementar werden kann für die Reflexion von Erfahrungen: Auffällig viele Studierende, die sich zunächst explizit mit autobiografischen Fragen beschäftigt haben, wechselten im Laufe des Semesters ihre Themen. Über mögliche Gründe kann man spekulieren: Einen möglichen Zusammenhang sehe ich in der geringen Semesterzahl und der Relevanz der autobiografischen Verortung mitsamt ihren lebensrelevanten Entscheidungen an der Universität, an dem Ort, mit den Menschen etc. Ist die Entscheidungsfindung, ob man an zwei Orten leben will oder nicht, abgeschlossen, ist auch die Aufzeichnung beendet. Daraus ergibt sich eine Frage, die für fast alle Aufzeichnungen relevant wird: Wann dient die autobiografische Darstellung als Motivation zum Aufzeichnen? Inwieweit löst also die ernsthafte, biografisch verankerte Suche deren Inszenierung immer wieder aus? F

Abstand zwischen Erfahrung und Grafie

F

Autobiografie als Motor für die Grafie?

Orientierungsschemata

Vor dem Hintergrund der skizzierten Gemeinsamkeiten und möglichen inszenatorischen Muster, – die keineswegs als repräsentative »Typisierungen« der studentischen Grafien gelten können, sondern erste Fragehorizonte als Anschlussstelle für eine weitere Grafieforschung eröffnen – erscheinen die charakteristischen und spezifischen Eigen-Sinngebungen von Nora Erikson, Hakan Yilmaz, Vera Tezlaw und Naomi Erdmann in einem anderen Licht. Ihre individuellen Entwicklungen der Inszenierung, Verwerfungen, experimentelle Ansätze, Distanzen zur Notation, Orientierungskonstellationen, Handlungsweisen und Haltungen finden auf der Folie der alters-, berufs- und milieuspezifischen biografischen Orientierungsschemata statt, die bislang vor dem Hintergrund der Grafien im Rahmen universitärer Lehrerausbildung weitgehend unerforscht sind.

Stellenwert der empirischen Analyse

Der Stellenwert, den ich der empirischen Analyse für die Beantwortung meiner Forschungsfrage beimesse, bezieht sich auf zum einen auf die die pathische Dimension der Er606

607 608

206

Zur Funktion von Gruppenprozessen vgl. das Kapitel »Ästhetisch-biografische Arbeit im Spannungsfeld zwischen individuellen und Gruppen-Prozessen. SEYDEL, FRITZ: Biografische Entwürfe. Ästhetische Verfahren in der Lehrer/innenbildung. 2005. S. 193ff. Zum Fragenkatalog S. 204. Hier könnte man an die quantitative Forschung von Glas anknüpfen. GLAS, ALEXANDER: Die Bedeutung der Darstellungsformel in der Zeichnung am Beginn des Jugendalters. 1999.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

fahrung, also auf diejenigen Themen und Fragen, auf die die Studierenden antworten, welche Fragen sie generieren und mit welchen ästhetischen Mitteln sie antworten. Zum anderen dient die Analyse einer kritischen Prüfung der für die Fragestellung notwendigen methodologischen Untersuchungs- und Übersetzungsschritte von mir als Forscherin, die auf der nächsten Doppelseite als Schaubild eingefügt werden. Die daran anschließende systematisierende Zusammenfassung zielt darauf, eine Anbindung dieser qualitativen Forschung an den sozial-, erziehungswissenschaftlichen und kunstpädagogischen Diskurs herzustellen und über eine Implementierung von Grafien als kunstpädagogische Methode, bzw. als methodologische Schnittstelle nachzudenken.

207

Methodologische Übersetzungen Erfahrung Suche Konjunktiver Erfahrungsraum

..... ..... .....

Grafie Inszenierung Kommunikativer Erfahrungsraum

Suche – nach der geeigneten Datenerhebungsmethode – nach Ansprüchen der Arbeit

Setzung: Datenerhebung »Hervorlockung von Grafien« –

– –

Ansprüche: Es sollen Daten erhoben werden, die von einer eigenen Fragestellung der Anderen ausgeht, die nicht im Voraus planbar und verfügbar sind, sondern den Erfahrungshorizont der Forschenden überschreiten dürfen Die Daten sollen prozessbegleitend erstellt werden Es sollen Mischformen von Daten entstehen

Suche – nach der Forschungsfrage Übersetzung: Archivierung – Umformung des Materials in speicherbare Daten – Sicherung: Wie können diese Grafien gesichert werden? – Transformation der Formate: Texte, Videos, Bilder werden im Computer »nebeneinander« gestellt. Damit findet eine Vereinheitlichung des Formats (Größe, Schriftart, etc.) statt (Digitalisierung von Tonband, Videos etc., Scans der Bilder – Welche Daten werden ausgeklammert? Hier: Das, was nicht sichtbar gemacht werden kann. Hier: Skulptur in Überlebensgröße, Bewegungen ... – Schon bei der Archvierung wird eine Ordnung festgelegt: Name der Studierenden, dann Grafieform usw.

Suche – nach der Fallauswahl Übersetzung: Anonymisierung (bei ausgewählten Fällen) – – –

Datenschutz: Umformung der gespeicherten Daten in anonyme Daten Einwilligung der Erforschten Digitale Ersetzung von Namen, etc. in Text und Bild

Suche – nach der Fallauswahl wird modifiziert Übersetzung: Transkription – – –

Umformung des Datenmaterials in Text, u.a. zur besseren Lesbarkeit der Handschrift Sequentielle Zuordnung zum Datenmaterial Kritik: Was wird ausgeklammert? Wie kann die Materialität oder das Visuelle erscheinen? Was geht beim Ausschluss einer Handschrift verloren?

Suche – nach einer Ordnung, Layout Übersetzung: Visualisierung der Daten – Umformung des Datenmaterials in Bildmaterial zur simultanen Lektüre der ersten Übersetzungen

Suche – nach fallinternen Widersprüchen, Brüchen – nach der geeigneten Auswertungsmethode Übersetzung: Formulierende Interpetation (DMI) –

Umformung des vertexteten Datenmaterials in eine sinnimanente Interpretation des Interpreten unter dem Filter: Was wird gesagt? (künstliche Trennung von Inhalt, Methode und Medium) – Gliederung der transkribierbaren Fassung - Ordnungen finden – Kritik: Was wird ausgeklammert? - Das, was gezeigt wird?

Methodologische Übersetzungen Erfahrung Suche Konjunktiver Erfahrungsraum

..... ..... .....

Grafie Inszenierung Kommunikativer Erfahrungsraum

Suche – nach geegneten Indizes für die Reflexion – nach passender Passage für die Reflexion – nach Muster und Erscheinung der Sinngebung Übersetzung: Reflektierende Interpretation (DMI) –

– – –

Suche nach dem Filter aus dem eigentlichen Datenmaterial und der Forschungsfrage für die Reflexionanhand der Frage: Wie kann die Sinngebung rekonstruiert werden? Wie ist der Maßstab der Sinngebung? (Verknüpfung von alter und neuer Erfahrung) ? Wie antworten die Studierenden wann? Kunstpädagogisch interessant sind die Filter: Welche Medien werden benutzt? Welches Material? In welcher Zeit? Frage nach den Vorerfahrungen Kritik: Was wird ausgeklammert?

Suche – nach Indizes für den Vergleich – nach fallinternen und externen Vergleichshorizonten Übersetzung: Grafievariation (DMI) – – – –

Übersetzung vom Einzelfall zu den Daten der Anderen Vergleich der medialen und materiellen Darstellung in Relation zu ihrem »Inhalt« Generierung von Fragen Formulierung von Tendenzen

Suche – nach Fragen für die Grafievariation – nach Kriterien für Orientierungsrahmenwechsel – nach einem Übergang von dem Material zum Diskurs, bzw. zur Theoriebildung – nach fallinternen und - externen Vergleichshorizonten Übersetzung: Anschlussstellen Diskurs – Übersetzung der empirischen Ergebnisse, Fragen und Tendenzen in den Kontext, hier: den Diskurs über ästhetische Erfahrung und »prozessorientierte« Schreibweisen in der Kunstpädagogik

Suche – – – – –

nach Ergebnissen und Fragen im Hinblick auf die Anschlussstellen der Forschung und dem fachinternen Diskurs nach Kontextualisierung (z.B. bildungspolitisch) nach den Prinzipien der Setzung Übersetzung: Veröffentlichung – Übersetzung der medieninduzierten Editionsformen – Verortung innerhalb der wissenschaftlichen Editionspraxis

Suche – nach Verlagen, die eine konzeptionell und medial – angemessene Darstellung anbieten – nach Druckkostenzuschüssen

Diskursiver Erfahrungsraum

INSZENIERUNG DER SUCHE

Methodologische Übersetzungsschritte zur Rekonstruktion von Eigensinn Die auf den vorangegangenen Seiten schematisierten methodologischen Übersetzungsschritte609 und die damit verbundene Suche610 spiegeln dabei nicht eine chronologische Abfolge des Forschungsprozesses, sondern fokussieren solche Stationen im Forschungsprozess, die für die Reflexion von Erfahrungen relevant sind. Sie stellen wichtige mediale Knotenpunkte dar, die Entscheidungssituationen hervorrufen und den Zugang zu Erfahrungen für die Rekonstruktion von Eigensinn regeln: »Da die Erfahrbarkeit aus der Subjektivität gesetzt wird, wird die Empirie – und mit ihr die Wissenschaft – abhängig von solch subjektiver Setzung. Am Anfang der Wissenschaft steht die Projektierung der Wege der Erfahrung – und mit ihnen – der Objekte der Erfahrung. Am Ende dieser Projektion steht »eine methodisch geregelte Erfahrung« als Inhalt der Wissenschaft. Das Machen und Regeln der Erfahrung reflektiert die Methodologie. Sie etabliert sich als Grundwissenschaft, die die Schaffung der Objekte für die einzelnen Wissenschaften freilegt.«611

Durch die »methodisch geregelte Erfahrung«, die sich in qualitative Analysen bis in die 90er Jahre vornehmlich auf textuelle Datenfilter bezog, wurden die einzelnen Übersetzungsschritte eher als selbstverständlich vorausgesetzt und m.E. nicht ausreichend reflektiert. Seit zunehmend bildhafte (besonders fotografische und kinematografische) Quellen in die qualitative Forschung einfließen, bekommen diese Übersetzungsschritte jedoch – auch in Bezug auf den Text – ein anderes Gewicht, bzw. sie werden erst als Über-Setzungen wahrgenommen. So stellt die Archivierung der Daten inzwischen einen immensen zeitlichen und technischen Aufwand der Digitalisierung dar und die Anonymisierung der Daten steht erst mit den bildhaften Quellen vor der Schwierigkeit, diese aus Datenschutzgründen nicht mehr zu veröffentlichen. Vor allem aber bei der Transkription – also der Lesbarmachung eines Textes unter Ausblendung der medialen und materiellen Beschaffenheit – wird die Marginalisierung von Bildquellen deutlich: Was gibt es hier für vergleichbare oder besser: den Medien angemessene Übersetzungen? Eine serielle Fotografie der bildhaften Daten? Eine Partitur? Algorithmische Visualisierungen? Um diese noch ungeklärte Frage zu klären, habe ich die Übersetzung als Visualisierung des Datenmaterials mit eingefügt, die die auch eine methodische Kontrolle für die Arbeitsschritte und ihre Ausklammerung darstellen kann.

609 610

611

210

Zum Begriff der »Übersetzung« vgl. S. 27, 67, 69, 103, 113, 187, 208-209, 226. Zu Phasen der Suche in der Dokumentarischen Methode vgl. NOHL, ARNDT-MICHAEL: Komparative Analyse: Forschungspraxis und Methodologie dokumentarischer Interpretation. 2001. S. 253– 273. HAMMEL, WALTER: Was ist Erfahrung. 1997. S. 37–38.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

3. Grafien als Maßstab der (darstellbaren) Erfahrungen Mit der Rekonstruktion der Aufzeichnungspraxis habe ich am Einzelfall Nora Erikson gezeigt, inwiefern individuelle Aufzeichnungen (ästhetische) Erfahrungen reflektieren können. Dabei habe ich zunächst die Datenerhebungsmethode »Hervorlockung von Grafien« entworfen, um ein Datenmaterial zu konzipieren, das den Rahmen der üblicherweise interpretierten Einzeltexte und -bilder sprengt, da es eine eigene Frage voraussetzt und Möglichkeiten der grafierten Mischformen enthält. Mittels der Dokumentarischen Methode habe ich dann aus dem umfangreichen Datenmaterial einen Fall ausgewählt, an dem ich zeigen konnte, dass der Wechsel des Orientierungsrahmens mit einem Wechsel der Aufzeichnungspraxis zusammenhängt und sich an den zeitlichen, medialen und materiellen Bruchstellen dokumentiert, die gleichermaßen die Grenzen der Analyse markieren. Indem ich die Brüche – neben den Fokussierungsmetaphern – als zusätzliche Indikatoren für mediale und materielle Erfahrungsräume und Orientierungsrahmen beschrieben habe, konnte ich die Dokumentarische Methode um einen komparativen Analyseschritt erweitern. In der fallinternen und -externen vergleichenden Interpretation habe ich in Bezug auf die Brüche verschiedene mediale und materielle Dimensionen der Erfahrung aufgezeigt. Dabei wurde augenfällig, dass die Brüche erst vor dem Hintergrund einheitsstiftender Sinngebungsprozesse erscheinen können und somit eine doppelte Indikatorfunktion erfüllen. Sie verweisen nicht nur auf Erfahrungsräume, sondern auch auf die handlungsleitenden inszenatorischen Muster der Sinngebungen, indem sie diese unterbrechen. Im rekonstruierten Moment des Unterbrechens dokumentiert sich an ihnen das implizite Wissen, denn sie platzieren Erfahrungen. Insofern sind sie Indizes für die Reflexion und verweisen auf zeitliche, mediale und materielle Erfahrungs(spiel-)räume als habituelle Orientierungsrahmen. Aus diesem Grund kommt den Grafien für die qualitative Forschung eine immense Bedeutung zu, die ich in einem weiteren Interpretationsschritt der Dokumentarischen Methode verankert habe: der Grafievariation. Zudem habe ich angedeutet, inwiefern durch fallinterne und -externe Vergleiche der Grafien und ihrer Bruchstellen inszenatorische Muster der Suche auch auf der Folie der alters-, milieu- und institutionsspezifischen Orientierungsschemata deutlich werden können. Im Folgenden versuche ich nun, ausgehend von den untersuchten Fällen, die unterschiedlichen Funktionen der Grafie systematischer zu betrachten. Ich fasse zusammen: Durch die Bruchstellen der Grafie, in denen sich die wechselseitige Funktionalisierung von Grafie und Erfahrung zeigt, werden die Prozesse des Grafierens zu medialen Erfahrungsräumen, in die sich das »ich bin« und »ich erfahre« als Spur gewissermaßen eingraviert, da die Aufzeichnungen Navigationsinstrumente zur eigenen Orientierung und Positionierung sind. Die wechselseitige Funktionalisierung von Erfahrungen als Voraussetzungen einerseits und Aufzeichnungen als Setzungen andererseits, habe ich bereits im letzten Kapitel auf theoretischer Ebene – getrennt durch einen Riss – einander gegenüberstellt. Diese wechselseitige Funktionalisierung, die sich in Form einer Anregung, Bezugnahme, Opposition, Supplement, Repräsentation, Nachahmung, Ausrichtung etc. ausprägen kann, habe ich im Übrigen auch in diesem empirischen Kapitel als methodisches Schreibprinzip genutzt, um eine gegenseitige Befragung des Datenmaterials von Nora Eriksons und seiner methodischen und methodologischen Hervorbringungen deutlich zu machen und dabei die verschiedenen Übersetzungsschritte im Forschungsprozess herauszustellen.

211

Rekonstruktion der Aufzeichnungspraxis als Konstruktion der Methode

INSZENIERUNG DER SUCHE

Grafien als Instrumente des Antwortens Aufzeichnung als Instrument des Antwortens

Die Frage, inwiefern Aufzeichnungen (ästhetische) Erfahrungen reflektieren, berührt die Frage nach ihren Funktionen. Ihre übergreifende Funktion sehe ich darin, dass sie als Instrumente des Antwortens auf Widerfahrnisse fungieren. Der Weg, der zu dieser Annahme führte, sei kurz wiederholt: Ich entfaltete einen Zugang zur Forschung, indem ich den Prozess, der vor dem Forschen stattfindet, als offene, ungewisse Suche beschrieben habe, die von Affektionen ausgelöst, Aufmerksamkeiten weckend, zur Erfahrung, Sinngebung und zur Bildung des Selbst führen kann. In diesem vermeintlich kontinuierlichen Ablauf habe ich die brüchige Struktur der Erfahrung im Sinne von WALDENFELS hervorgehoben, die durch eine zeiträumliche Verschiebung entsteht. Eine besondere Bedeutung kommt darin der pathischen Grundierung der Erfahrung zu. Diese ist vorgängig, immer schon auf uns zugekommen, bevor wir losgingen, und deswegen unverfügbar. Anders gesagt: Auf das vorausgehende Widerfahrnis als Fremdes, durch das sich das Selbst affiziert, können wir immer nur nachträglich antworten. Die Diskrepanz zwischen dem, wovon wir getroffen wurden, und dem, worauf wir antworten ist zwar nicht einholbar. Im Prozess des Antwortens, hier: des Aufzeichnens wird der Entzug jedoch als Brüchigkeit erfahrbar, indem ich das, wovon ich getroffen werde, umwandle in etwas, worauf ich antworte.612 Die Aufzeichnung wird zum Instrument des Antwortens, das die Erfahrung in ihrer Brüchigkeit anhand dieser Umwandlung dokumentiert, indem es sie erst hervorruft.

Auswahl studentischer Antworten auf die Grafien

Das, worauf einige Studierende bezüglich der gestellten Aufgabe zur Aufzeichnungspraxis explizit antworten, verweist auf ihre Erfahrungen, die ich im Folgenden in verschiedenen Stimmen als kritischen Einwurf zusammenstelle. Er ist kritisch, indem er meine Darstellung um andere Perspektiven erweitert und durch andere Gewichtungen relativiert. Darüber hinaus ist er als Kritik auf mein Darstellungsmonopol als alleinige Autorin zu betrachten. Eine Forschergruppe als Autorenkollektiv könnte hier noch weitere methodische Kontrollen einbringen, indem man z.B. eine Gruppendiskussion über diese Aufzeichnungen durchführt. Außerdem ist auch diese Auswahl nicht repräsentativ, sondern stichprobenartig. Sie umfasst erneut auf Text reduzierte Aussagen und steht nicht für ein einheitliches Meinungsbild der Studierenden, sondern für singuläre Artikulationen, deren Aussagen ich nicht immer teile. Dennoch bilden sich thematische Gruppierungen als mögliche Topoi des Antwortens heraus, die ich unter die folgenden Überschriften vorläufig einordne, um sie für weitere Forschungen als fragwürdig zur Disposition zu stellen. Eine detaillierte Untersuchung des Schreibens über Erfahrungen sprengt jedoch den empirischen Rahmen dieses Kapitels.

Topoi des Antwortens

Zur Aufgabe / Hervorlockung von Grafien »Ich soll also Aufzeichnungen machen, das ganze Semester über – schön, ich weiß gar nicht genau, was Aufzeichnungen sind. So allgemein schon, aber in Bezug auf mich und mein eigenes Leben, habe ich keine Ahnungen, was Aufzeichnungen sind, beinhalten oder beinhalten sollen. Was an meinem Leben ist so ›spektakulär‹, dass man es Aufzeichnen sollte? Nur das Wichtigste, quasi die Sachen, mit denen ich am meisten Zeit verbringe, also Uni usw. oder auch die nebensächlichsten Augenblicke so wie Mittagessen in der Mikrowelle warm machen? [...] Vielleicht ist es aber auch gerade der Sinn dieser Übung, dass man am Anfang überhaupt keine Ahnung hat, worauf das ganze hinauslaufen wird. Ich darf also gespannt sein, was mir noch an ›aufzeichnungsgeeigneten‹ Sachen in den Sinn kommt und über den Weg läuft.

612

212

Zur »Umwandlung« vgl. S. 71, 84, 86, 113, 257.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Dabei bin ich zwar etwas unsicher, was ist, wenn dieses Semester vorbei geht, ohne, dass ich das Bedürfnis habe, irgendetwas aufzuzeichnen???« »Am Anfang konnte ich mit der Aufgabenstellung von Frau Sabisch gar nichts anfangen. Ich wusste nicht, wie ich an die Sache herangehen sollte, was für ein Thema ich wählen sollte, ... hatte Angst, dass ich das ganze falsch verstehe und zum Schluß was ganz anderes im Tagebuch hatte, als Frau Sabisch sich das vorgestellt hat. Doch dann hab ich einfach angefangen. Hab als erstes einfach irgendetwas ins Buch geschrieben, was mir eingefallen ist.« »Folgende Frage wurde mir im Seminar gestellt: Was möchte ich während meines Studiums außerhalb dieses Studiums erfahren? Verstehe ich ›erfahren‹ im Sinne von ›wahrnehmen‹, dann möchte ich näher am Zeitgeschehen leben, Gedanken zulassen dürfen, die der Alltag verschluckt. Verstehe ich unter ›erfahren‹ Ansammlung von Wissen, dann interessiere ich mich für Archäologie und Völkerkunde. Nachträgliche Ergänzung: Gespräch mit Frau Sabisch: Thema: ›Ansammlung‹ von Wissen. Mit Ansammlung meinte ich ›Aneignen‹. Frau Sabisch machte mich auf Vergessensprozesse und ›Überschreibungsprozesse‹ aufmerksam. Auch ich stelle mir Lernen so vor, dass Gelerntes nicht ewig gelernt, gewusst bleibt, sondern ver-rückt und schwindet.« »Irgendwie fällt es mir sehr schwer einen Anfang zu finden. Nachdem ich in der Besprechung erfuhr, dass wir ein Art Tagebuch führen sollen, war ich etwas unsicher. Tagebuch? Was ist damit gemeint? Ich führe jetzt dieses Tagebuch wie ein Art Joumal um meine Arbeitsschritte zu verdeutlichen und hoffe, dass ich es so richtig verstanden habe, Es stellen sich nunmehr noch zusätzliche Probleme: Fragen über Fragen.« »Mein Projekt verfestigt sich immer mehr in meinem Bewußtsein. Man erfährt so viel über andere Menschen und ihre Gedanken. Ich hätte am Anfang nie gedacht, dass ich mit so viel Begeisterung an die Sache herangehe. Wenn man eine Aufgabe gestellt kriegt, erfüllt man sie notgedrungen. Aber bei mir hat sich daraus mehr entwickelt: Ein starkes Bedürfnis ›es wirklich gut zu machen‹.« Zum Anfang »Zu Beginn hatte ich starke Schwierigkeiten, einen Anfang zu finden, da ich an die Aufzeichnungen für ein kunstdidaktisches Seminar doch mehr Ansprüche hatte als an meine persönlichen Aufzeichnungen. Weil ich jedoch mit diesen erhöhten Ansprüchen gar nicht voran kam und nach ein paar Tagen immer noch leere Seiten vor mir liegen hatte, begann ich, einfach drauf los zuschreiben und zu sammeln, so wie ich es bei meinen privaten Aufzeichnungen auch tun würde. Und sehr bald fand sich auch das Thema, mit dem ich mich beschäftigen wollte, einem Thema, das mich ohnehin fast täglich beschäftigt: Meine eigene Zukunft.« »Der Anfang muss nicht immer der Anfang sein. Vielleicht ist er in diesem Falle nur nicht das Ende und der frühere Teil dessen, was noch folgt. Ein Prozess, der sich entwickelt, eine Suche. Möglicherweise ist der Anfang auch das Ende: Wenn sich der Kreis schließt. Ob das so ist, wird man aber womöglich erst am Ende feststellen.« »Anfangs fiel mir für meine Aufzeichnungen nicht das geeignete Thema ein. Worüber lohnt es sich zu schreiben? Worüber kann man viele Aufzeichnungen machen und ist nicht nach zwei Seiten schon fertig? Was kann zudem von Interesse sein für diejenigen, die diese Aufzeichnungen zu Gesicht bekommen? Worüber weiß ich auch genug und kann mich und meine Art, zu schreiben, einbringen?« »Ich weiß jetzt am Anfang noch nicht so genau in welche Richtung meine ästhetische Forschung gehen wird. Das wird sich hoffentlich bald ändern.«

213

INSZENIERUNG DER SUCHE

»Auf den ersten neun Seiten meiner Aufzeichnungen habe ich mich mit der Suche nach einem Thema beschäftigt. Diese Seiten sind größtenteils leer, mit Bleistift habe ich teilweise Ideen und Umsetzungsmöglichkeiten eingetragen. Ursprünglich war dies als ›Vorschreiben‹ gedacht, im Nachhinein habe ich diesen Teil der Aufzeichnungen aber doch nicht mehr abgeändert. Auf Seite 10 habe ich mich für ein Thema entschieden, ›meine Oma‹. Hintergrund ist gewesen, dass ich mir überlegt habe, was ich eigentlich über meine Oma weiß und zu der Antwort gekommen bin: ›So gut wie gar nichts.‹ Da ich irgendwann nicht mehr die Möglichkeit haben werde, sie bestimmte Dinge zu fragen oder auch nur ein paar Geschichten aus ihrer Kindheit zu hören, habe ich dieses Seminar und meine Aufzeichnungen als ›Startpunkt‹ genommen, etwas über meine Oma in Erfahrung zu bringen.« Zur Ordnung »Zu Beginn meiner Aufzeichnungen hatte ich die Vorstellung, all meine Aufzeichnungen chronologisch zu sammeln und binden zu lassen; doch zum jetzigen Zeitpunkt meiner Aufzeichnungen (ich denke, dass man bei so einem Projekt nie von einem Ende sprechen kann, da sich die Aufzeichnungen immer weiter entwickeln, neue Gesichtspunkte der Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Umwelt zu Tage bringen etc.) habe ich begriffen, dass vielmehr das Chaos der einzelnen Blätter meine Aufzeichnungen ausmacht, keine chronologische Reihenfolge, sondern vielmehr eine Sammlung loser Zettel, die sich je nach Kriterium der Auseinandersetzung neu gruppieren lassen: Lose Zettel, die für Gedankengänge von mir stehen, unterschiedliche Phasen der Auseinandersetzung mit mir selbst. Gerade die Vielfältigkeit meiner Aufzeichnungen (u.a. Fotos, Film, festgehaltene Gedanken) halfen mir dabei, meine Zukunftsplanung aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu durchleuchten und zu konkretisieren und indirekt auch meine Fehler in der Vergangenheit zu realisieren.« »Die Ordnung spielt bei meinen Aufzeichnungen eine untergeordnete Rolle. Erinnerungen treten spontan auf und daher wollte ich in meinen Aufzeichnungen eine Ordnung weitestgehend vermeiden. Es sollen eher Aufzeichnungen sein, die wie eine Kiste voller Schätze ist. Man greift ein Papier heraus und hat eine Erinnerung in der Hand. Man weiß nie, welche.« »Ich habe im Moment noch keine Ahnung, wie ich eine Ordnung in meine ganzen Ideen bringen soll. Also werde ich sie wahrscheinlich einfach weiter ins Tagebuch schreiben & (Materialien) kleben – vorerst ungeordnet. Die Alternative wäre noch nichts ins Tagebuch zu kleben & eine lose ›Zettelwirtschaft‹ zu führen. Aber dann muss ich zum Schluss alles ordnen und versuchen, eine Ordnung in das Chaos zu bringen.« Zu Themen »Wenn man sich mit einem Thema beschäftigt, wird man plötzlich überall damit konfrontiert. Das ist nicht immer positiv: Ich wünsche mir manchmal für meinen eigenen Seelenfrieden etwas Distanz zu wahren und mir eine Pause zu gönnen.« »Das Thema meiner Aufzeichnungen war ich selbst. Ich und meine eigenen Wünsche, Träume oder besser gesagt meine Vorstellungen von meinem zukünftigen Leben.« »Zuerst hatte ich vor mich mit dem Thema ›Religion‹ auseinander zu setzen, ich wollte Leute befragen was Religion für sie bedeutet und welche kirchlichen Rituale wie Taufe, Kommunion oder Hochzeit für die heutige Zeit noch eine Rolle spielen. Dabei kam ich auf den Gedanken mich ›nur‹ mit dem Thema Hochzeit auseinander zu setzen.« »Also habe ich mich entschlossen, das Thema meiner Aufzeichnungen zu ändern.« »Doch kann ich dieses Thema nehmen? Finde ich etwas dazu? Am besten ich sammle erst und bin mal gespannt, was aus diesem Buch wird.«

214

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Zur medialen Darstellung »Durch einen schlechten spanischen Horrorfilm (The Narneless) vom Wochenende inspiriert, liebäugele ich mit großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos von Piercings und Tätowierungen. Aber Fotografien alleine reichen meiner Meinung nach nicht aus, schließlich soll ›geforscht‹ werden, deshalb habe ich einen Fragebogen entworfen um ein paar persönliche ›Details‹ aus den Leuten herauszukitzeln. Mich hat schon immer interessiert wo der eigentliche Beweggrund beim Piercen/Tätowieren liegt.« »Die Fotos sind hauptsächlich eine Dokumentation dessen, was meine Wunschvorstellungen sind bzw. Dingen, mit denen ich mich zur Zeit auseinandersetze. Sie entstanden so wie der Film ziemlich zum Ende meiner Aufzeichnungen. Gegenstand der Fotos ist die Gegend, in der ich in Zukunft am liebsten leben würde: Der Norden Deutschlands, speziell Kiel und Hamburg. Die Liebe zum Meer, den Traum am Wasser zu leben, die Faszination für maritime Städte, insbesondere meiner Traumstadt Hamburg.« »Ich habe viele Fotos zusammentragen können, von denen ich einige nachgestellt habe, um die Veränderung an den Räumlichkeiten und den Personen zu visualisieren. Unter anderem fehlt mir noch eine Idee, wie ich akustische Eindrücke mit einfliesen lassen kann. So gibt es in der ehemaligen Wohnung meiner Großmutter eine Bohle vor der Kämmerchentür, die knarrt, und wenn man die Tür öffnet, so quietscht sie. Durch diese genaue Klangabfolge der Geräusche, ergänze ich jedes Mal das ewige Summen meiner Großmutter.« »Aus diesem Grund möchte ich in den Semesterferien Video/ Audio Aufnahmen von Ihnen machen. Ihre Beweggründe, was war das 1. Tattoo, Schmerzen und so weiter kommen meiner Meinung nach besser rüber als wenn ich sie aufschreiben würde.« »Ich möchte es auch mal versuchen meinen Schmerz auf ein Bild zu übertragen, aber dafür muß ich auch Schmerz empfinden d.h. es kann etwas dauern. Ich habe es versucht aus der Erinnerung zu malen, es klappte nicht. Ich hätte mich durchsetzen können aber ich wollte nicht. Warum malt man Schmerzen? Um dieses Thema anderen zu verdeutlichen? Um sich selbst zu helfen, es zu verarbeiten? Vielleicht aber auch um das Gefühl des Schmerzens auszudrücken, es nachvollziehbar zu machen, um sich hinein fühlen zu können. Ich in gespannt, was sich in mir verändert wenn ich male. Ob sich meine Einstellung zu Schmerz verändert. Mal schauen.« »Durch Sozialisation, Bildung, usw. ist jeder Mensch an bestimmte Darstellungsformen gebunden, um sich mitzuteilen und verstanden zu werden (ob man dann verstanden wird, ist eine andere Frage). Hauptsächlich drückt man sich also in Formen aus, die man kennengelernt hat und unterliegt dadurch einer Einschränkung, da gängige Ausdrucksformen ja auch immer Vorgaben sind, die nicht immer – sogar oftmals – nicht genau ausdrücken, was man eigentlich ausdrücken will. Durch die Verschriftlichung (...) von Gedanken unter Nutzung gängiger Ausdrucksmittel ist man also eingeschränkt und gerät dadurch in den Konflikt, dass man das, was man eigentlich empfindet, denkt (...) verfälscht. Ich empfinde das oftmals so, wenn ich z.B. für Hausarbeiten Literatur lese, dass ich ganz schnell den Schreibstil der Autoren annehme, als hätte ich auf einmal nur noch den Wortschatz, den der Text hergibt und alles andere Vokabular vergessen und dann treffe ich oftmals nicht die richtige Formulierung, die meine Gedanken richtig wiedergeben würden. Eigentlich bräuchte jeder Mensch ganz andere Ausdrücke für seine Gedanken und Empfindungen. Das Problem wäre nur die Verständigung und dass es den Leuten wahrscheinlich fehlen würde, sich vergleichen zu können.« »Meine Idee kam mir, als ich mir ein Hörspiel im Radio anhörte. Ich mag Hörspiele. Früher wollte ich unbedingt einmal bei einem Hörspiel eine Rolle sprechen. In diesem Fall konnte ich mir John Lennon als Vorbild nehmen. Er war immer an Techniksachen interessiert, die irgendwie mit Musik zutun hat-

215

INSZENIERUNG DER SUCHE

ten. So ließ er es sich nicht nehmen, bei der Aufnahme zu seinem letzten gemeinsamen Album mit Yoko (›double Fantasy‹) die gesamte neue Technik, deren Weiterentwicklung er in den letzten Jahren versäumt hatte, erklären zu lassen und schließlich überwiegend allein damit zu arbeiten. Jetzt war nur noch die Frage, wie kann ich selber so eine kurze Art Hörspiel entwickeln? Wie komme ich an die Technik? Ich habe einen Computer und das war es dann auch schon.« Zeit der Forschung – Zeit der Grafie »Es ist komisch, man hat sich fast an das ›Forschen‹ gewöhnt. Es wurde zu einer Art Tagesroutine: Nach der Uni Befragungen durchführen, mit der Fotokamera panisch Leuten hinterher rennen, mit verschiedenen Leuten in Kontakt treten und in das Tagebuch rein schreiben. Woche für Woche. Immer wieder!« »Betrachte ich im Nachhinein die Zeiträume, in denen ich diese ästhetische Forschung betrieben habe, fällt mir deutlich auf, dass ich keinesfalls regelmäßig geforscht habe. Das meiste habe ich letztlich erarbeitet, wenn ich wirklich mit Lust, Neugier und Spaß versucht habe, mich auf das Thema einzulassen. Somit ist diese Arbeit im Grunde etappenweise entstanden bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich nun sagen kann, dass ich mit diesem Thema ›fertig‹ bin. Jetzt fehlt das Interesse, mehr über ›Zeit‹ herauszufinden und zu erarbeiten.« Zu Darstellungen des Privaten »Eigentlich hatte ich vorgehabt, mich in meinen Aufzeichnungen mit meiner Familiengeschichte bzw. mit meinem Lebensweg zu beschäftigen und zu klären, warum ich so bin, wie ich bin. Allerdings bin ich irgendwann an einen Punkt angekommen, an dem ich nicht mehr weiterkam und eigentlich auch nicht mehr weiter wollte. Das lag zum größten Teil daran, dass mir die ganze Angelegenheit zu persönlich wurde, um sie anderen fremden Menschen mitzuteilen.« »Das Thema Himmel ist für mich an diesem Punkt ausgereizt, aber ich habe schon Lust auf eine neue Ästhetische Forschung. Die könnte dann auch ruhig etwas persönlicher sein. Es ist schon ein Unterschied, ob man für sich alleine an der Sache arbeitet oder ob man immer im Hinterkopf hat, dass ein ganzer Kunstkurs die Aufzeichnungen lesen wird. Deshalb wäre für mich auch ein Thema wie ›ich‹, ›Meine Ängste‹ oder ›Warum ich mein Leben so schwer planen kann‹ im Rahmen dieses Seminars nicht in Frage gekommen. Es wäre aber durchaus denkbar, dass ich mich mit so etwas in Zukunft noch einmal in Ruhe beschäftige.« »Die Aufzeichnungen sind persönlich, dennoch finde ich nicht, dass ich sie verstecken müsste. Ich stehe hinter meiner Familie mit all ihren Eigenarten. Durch die Aufzeichnungen habe ich ziemlich viel über meine Familie erfahren und gelernt, was mir vorher nicht bewußt war.« Zu einer Bio-Grafie »Ansätze Ausschnitte Einblicke Anstöße Auswahl Eingebungen Ideen Gedanken Bruchstücke Erinnerungen Verschönerungen Verstärkungen Überzogenes Abgedämpftes. Was ich bisher geschrieben habe, ist das, was ich leisten kann – Bruchstücke – Unvollständigkeit. Ich hatte zu Beginn den Anspruch eine genaue, detailreiche Biografie meiner Großmutter aufzuschreiben. Nun – an diesem Punkt ist mir ganz bewusst geworden, dass ich das überhaupt nicht leisten kann. Erst einmal habe ich viel zu wenige Informationen, aber vor allem muss ich eingestehen, dass es auch nicht mein Leben ist, was ich da beschreiben möchte. Die Erfahrungen, die ich schildere, habe ich überhaupt nicht gemacht. Die Augenblicke, die ich versuche wiederzugeben, habe ich nie erlebt. Ich stelle das Leben meiner Oma mit einer eindeutigen Sicherheit falsch dar. Ich schreibe eine komplett falsche Biografie.«

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ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Nachdem ich einige Antworten auf die Grafien als kritischen Einschub gewählt habe, konkretisiere ich nun die Funktionen der Aufzeichnung. Als Instrument des Antwortens, das die Erfahrung in ihrer Brüchigkeit dokumentiert, indem es sie erst hervorruft, fungiert die Aufzeichnung – und damit ist die erste Funktion von Aufzeichnungen angesprochen – als Instrument zur Motivation und Generierung von Erfahrungen. Im Aufzeichnungsprozess werden Such- und Forschungsprozesse in Gang gesetzt, entstehen Fragen, eröffnen sich neue Vorstellungs- und Erfahrungsfelder sowie Antwortmöglichkeiten. Dabei wird automatisch an pathisch grundierte Vorerfahrungen und Aufmerksamkeiten angeknüpft, die wiederum die Folie bilden für individuell neue Erfahrungsmöglichkeiten. Da dies jedoch nicht nur einmalig geschieht, sondern sich im Forschungsprozess strukturell wiederholt, wird die Grafie zugleich – und damit ist die zweite Funktion benannt – zum Instrument der Steuerung, der Organisation und Orientierung im Erfahrungsprozess. Ebenso wie ein Kompass geografische Orientierung bietet, kann die Grafie als Navigationsinstrument eine Suche begleiten und eine diskursive, räumliche oder zeitliche Verortung ermöglichen. Diese beiden ersten Funktionen sind nicht beobachtbar. Sie finden vor allem im Produktionsprozess von Aufzeichnungen statt, in dem sie Erfahrungen organisieren. Erst anhand der folgenden Funktion werden sie rezipier- und (re)konstruierbar. Als dritte Funktion greife ich die beschriebene Geste des Festhaltens auf, in der Aufzeichnungen als Instrument der Speicherung bzw. Archivierung von Erfahrungsprozessen verwendet werden. Die Umwandlung der flüchtigen Erfahrung in immer schon nachträglich aufgezeichnete Manifestationen ist die Voraussetzung ihrer Kommunizierbarkeit und der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit in wissenschaftlichen Forschungskontexten. Die dokumentierende Funktion der Speicherung setzt ihrerseits Erfahrungen voraus, die sie eben dadurch erst auslöst. Im Prozess der Visualisierung, Artikulation oder Formulierung von bereits vorhandenen oder noch zu entdeckenden Erfahrungen entstehen zudem weitere Erfahrungsmöglichkeiten durch die Produktion von Daten. Die »Hervorlockung von Grafien« als Datenerhebungs- bzw. Datenproduktionsmethode habe ich so konzipiert, dass sowohl Ort und Zeit als auch Medium, Thema und Methode des Antwortens selbst gewählt werden können.613 Dadurch wird eine einseitige Repräsentation der Anderen vermieden. Stattdessen verhilft diese Weise der Datenproduktion Anderen zur »Stimmbildung«.614 Sie folgt dem Anspruch »the others speak back«, d.h. dass die Anderen selbst antworten, indem sie ihre Erfahrungen grafieren.615 Als fremd- oder eigenproduzierte Daten werden die Aufzeichnungen dann zu Quellen, die im Forschungsprozess erst noch gedeutet werden müssen. Darin besteht die vierte Funktion: Aufzeichnungen werden sowohl im Prozess des Aufzeichnens als auch im Nachhinein zum Instrument der Interpretation von eigenen und fremden Erfahrungen. In dieser doppelten Funktion als Quelle und Instrument werden Aufzeichnungen auch für die Anwendung in der qualitativen empirischen Forschung interessant, denn wie sich jemand im Erfahrungsprozess anhand der Aufzeichnungen orientiert, hängt davon ab, wie Erfahrungen interpretiert werden.

613 614

615

Zur Datenerhebungsmethode vgl. S.84 und 90. Vgl. den unveröffentlichten Vortrag von DELHORN, PASCAL: Demokratie und die Repräsentation von Stimmen, gehalten auf der Tagung der AG Phänomenologie und neuere französische Philosophie zum Thema »Repräsentation: Zeichen – Zeit – Kunst – Politik« an der Ruhr-Universität Bochum vom 01.–02.04.2005. Siehe das Kapitel »othering«, S. 88.

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Funktion 1: Motivation und Generierung von Erfahrungen

Funktion 2: Orientierung im Erfahrungsprozess

Funktion 3: Speicherung von Erfahrungsprozessen

Funktion 4: Interpretation von Erfahrungsprozessen

INSZENIERUNG DER SUCHE

Funktion 5: Darstellung des Forschungsprozesses

Die fünfte Funktion besteht schließlich darin, dass Aufzeichnungen als Instrument zur Darstellung von Erfahrungs- und Forschungsprozessen dienen. Die bereits angesprochene Frage nach der Repräsentation von Erfahrung bzw. Forschung stellt sich ebenso wie die Frage nach der Repräsentation der Anderen in jeder Art von (wissenschaftlicher und ästhetischer) Forschung.

Funktionen der Aufzeichnung:

Instrument zur Motivation und Generierung von Erfahrung

Instrument zur Orientierung und Organisation im Erfahrungsprozess

Instrument zur Speicherung des Erfahrungsprozesses

Instrument zur Interpretation des Erfahrungsprozesses

Instrument zur Darstellung des Erfahrungsprozesses

Die hier künstlich differenzierten Funktionen der Aufzeichnungen sind nicht strikt voneinander zu trennen, da sie kaum isoliert vorkommen, sondern miteinander verquickt sind und sich wechselseitig bedingen.

Grafien als Maßstab der Erfahrungen

Grafien als Maßstab für Erfahrungen

In Bezug auf die Forschungsfrage ergänze ich, dass Aufzeichnungen als Instrumente des Antwortens auf eigene als auch auf fremde, bzw. vermittelte Erfahrungen fungieren. Ob eine Erfahrung bei meiner eigenen tatsächlichen Durchquerung eines Parks oder bei einer Parkdurchquerung einer anderen Person innerhalb der Lektüre eines Buches geschieht – ist dabei unerheblich: Aufzeichnungen gelten als Instrumente des Antwortens auf Widerfahrendes. Als solche dienen sie der Umwandlung des Erleidens eines Widerfahrnisses in ein Antworten.616 Und als solche konstituieren sie Erfahrungen, sind sie Teil jener, die sie umgekehrt reflektieren. Indem ich Aufzeichnungen als Instrumente des Antwortens begreife, werden sie zu Schnittstellen für die Untersuchung von (ästhetischen) Erfahrungen, da sie nicht nur die Antwort selber (was thematisiert wird), sondern auch die Weise der Anwendung (wie medial, zeitlich, methodisch geantwortet wird) mit dokumentieren.617 Mit anderen Worten: sie fixieren nicht Erfahrungen, sondern bemessen sie. Wenn ich aber gesagt habe, dass Messung grundsätzlich in das zu Messende eingreift, dann gilt dies auch für Aufzeichnungen. Sie greifen in die Erfahrungen ein. Versteht man Messung »als Darstellung des zu Messenden«618, also Aufzeichnung als Darstellung von Erfahrung, werden Aufzeichnungen dadurch zum Maßstab für (darstellbare) Erfahrungen. 616 617

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218

Zur »Umwandlung« vgl. S. 71, 84, 86, 113, 212, 257. Vgl. S.72: »Die Ordnung der Erfahrung wird im Prozess des Grafierens zur Erfahrung der Ordnung. Die Artikulation der Erfahrung wird zur Erfahrung der Artikulation. Die Inszenierung der Erfahrung wird zur Erfahrung der Inszenierung. So wird die Aufzeichnung zum Riss, an dem sich die Erfahrung bricht. Die Brüchigkeit der Erfahrung wird im Aufzeichnungsprozess durch Pausen, Lücken und Spuren sowohl sichtbar, als auch erst erzeugt.« Zur »Messung« S. 66.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Insofern ermöglichen Aufzeichnungen Aufschluss darüber, welche Erfahrungsfelder wie, in welcher Abfolge entlang der Aufzeichnung inszeniert worden sind und welche Bruchlinien dabei auftauchen. Auf methodologischer Ebene stellen die Grafien als fremdproduziertes Datenmaterial der Anderen eine Erweiterung der dokumentarischen Methode dar, indem sie Fremdheit nicht nur postulieren, sondern sie zulassen. Durch die Aufzeichnungen tritt das Fremde erst hervor, denn »das Fremde konstituiert sich als Fremdes, indem wir darauf antworten«:

Grafien als Praxis des Antwortens konstituieren das Fremde

»Fremderfahrung und Fremddarstellung zeichnen sich eben dadurch aus, daß unsere eigenen Erfahrungen und Darstellungen anderswo beginnen. Das Fremde holen wir so wenig ein wie die Urvergangenheit der eigenen Geburt, die von vorneherein durch Fremdheit gekennzeichnet ist. Ein solches Sehen, Hören, Begehren, Reden und Tun, das anderswo beginnt, bezeichne ich als Antworten. […] Das, worauf wir antworten, ist immerzu unendlich viel mehr als das, was wir mit ›mit eigenen Mitteln‹ zur Antwort geben. Das Fremde konstituiert sich als Fremdes, indem wir darauf antworten; das Fremde als Fremdes erweist sich damit als das Unvorstellbare und Undarstellbare. […] Es stellt sich die Frage, wie eine Forschungspraxis aussehen kann, die mit ihren eigenen Praktiken jene Fremderfahrung wahrt, von der sie ausgeht. Eine Fremddarstellung müsste selber Züge des Antwortens annehmen, um im ›Antworten auf konkrete praktische Anforderungen [...] in der Gegenwart der Anderen [genauer: in der An-/Abwesenheit der Anderen] zu verbleiben‹ (Fabian: B/F, S. 359). Das Fremde als eine Art von Überschuß ...«619 »Das Wachs des Physikers kommt nicht aus dem Bienenhaus. Es riecht nicht mehr nach den Blüten, denen es entstammt, sondern nach dem Schweiß der Methoden, die es gereinigt haben. Je sauberer, desto intensiver. Es wird zum Moment jener differentiellen, unabschließbaren ›Ausrichtung des Wissens‹, die sich an der Grenze zum Nichtwissen abspielt, […] an der das, was wir als Denken bezeichnen, in seiner graphematischen Materialität, die imaginären Spiegelungen des cogito noch im inneren Ausschluß haltend, ›am Machen‹ und ›im Tun‹ ist, wie es ein Dialekt zu sagen erlaubt.«620

Grafien als Praxis des Antwortens Mit den Grafien habe ich einen methodischen und methodologischen Zugang zu den Daten der Anderen erreicht. Wenngleich das Datenmaterial noch lange nicht erschöpft ist und sich daran noch weitere Forschungen anknüpfen könnten, so sind doch die auf meine Fragestellung bezogenen Reflexionsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen expliziert worden. Ein Zugang zu den Daten der Anderen zu finden, heißt aber nicht, dass es einen direkten Zugang zu den Erfahrungen gäbe. Vielmehr habe ich mit in den Grafien ein geeignetes Datenmaterial zur indexikalischen Erforschung der Erfahrungsorganisation dargelegt: Auf methodologischer Ebene erweitern die Grafien den bislang gefilterten Zugang zur Erfahrung über den Einzeltext oder das Einzelbild als serielles Datenmaterial, verhelfen den Anderen durch die Eigenproduktion der Grafie zur Stimmwerdung, ermöglichen anhand der Brüche als Indikatoren die pathische Dimensionen der Erfahrung zu reflektieren, lassen so das Singuläre als »Resonanzboden für Fremdes« aufscheinen621 und bilden anhand der Grafievariation einen komparativen Analyseschritt der Dokumentarischen Methode der Interpretation. Mit anderen Worten habe ich die Grafien als medieninduzierte Instrumente des Antwortens bezeichnet, die auf verschiedene mediale, materielle und zeitliche Erfahrungen, Erfahrungswege und Erfahrungsräume verweisen und das Fremde zulassen. 619 620 621

WALDENFELS, BERNHARD: Paradoxien ethnographischer Fremddarstellung. 2002. S. 181. RHEINBERGER, HANS-JÖRG: Iterationen. Berlin 2005. S. 25. Vgl. analog dazu den Satz von Waldenfels: »Die eigene Stimme ist keine bloße Stimme unter anderen, sondern eine Art von Resonanzboden für fremde Stimmen.« WALDENFELS, BERNHARD: Paradoxien ethnographischer Fremddarstellung. 2002. S. 178.

219

Grafien als Zugang zu den Daten der Anderen

INSZENIERUNG DER SUCHE

Grenzen der Darstellbarkeit von Erfahrungen Die Welt als Text

Die Welt als Grafie

Die leibliche Dimension

Die Grafien jedoch als Maßstab der (darstellbaren) Erfahrungen hinzustellen, heißt gleichermaßen Kritik zu üben, einerseits an den Grenzen der Darstellbarkeit von Erfahrungen in der qualitativen empirischen Forschung, und andererseits an den ausgeklammerten, undarstellbaren Erfahrungen. Die erste Kritik gilt insbesondere dem »Prinzip der universellen Vertextbarkeit«622, das immer noch als Kennzeichen für qualitative Forschung fungiert623 und bislang im Wesentlichen als rein textuelles »Protokoll«624 methodologisch unterfüttert wurde, als »Objektivierungsinstrument«625 in einem »Aussagesystem«626. Die Kritik gegen diesen textuellen Erfahrungsfilter wurde u.a. von BORDWELL im Jahr 1989 in seiner selbst so genannten ›Logik der Interpretation‹ geäußert. Darin forderte er eine Ergänzung der Darstellungsweisen, in seinen Worten: »to supplement study of ›the text‹ with examination of a wide range of documents«.627 Diese Ergänzung habe ich mit den bildhaften Grafien und den medialen Mischformen methodologisch und exemplarisch vorgenommen. Sie muss sich in einer angewandten Grafieforschung erst noch bewähren. Dabei wird jedoch erneut die leibliche Dimension als erfahrungsorganisierendes Moment des impliziten Wissens weitgehend ausgeblendet, die MEUSER als »Inkorporierung« bezeichnet: »Begreift man also die ›Inkorporierung sozialer Strukturen‹ nicht als Metapher, sondern als Beschreibung des Modus, in dem ein atheoretisches bzw. vorreflexives Verständnis der sozialen Welt gegeben ist, versteht man also die Habitustheorie (auch) als eine Wissenssoziologie des Körpers, dann sieht sich die rekonstruktive Sozialforschung vor eine neue Dimension methodischer Fragen gestellt. Dass ›die soziale Sphäre des Leibes‹ sich mit den Mitteln von Mikrophon, Tonband und transkribierten Text nur ganz unvollkommen abbilden lässt (Matthiesen 1989, 20) leuchtet unmittelbar ein. Die Welt ist nicht nur Text. Eine auf Habitusrekonstruktion gerichtete Forschung hätte nach Ergänzungen zu gängigen, verbale Darstellungen evozierenden Verfahren zu suchen – was nicht sagen will, diese hätten ausgedient. Verfahren, in denen das Wort die körperliche Dimension nicht nur stellvertretend repräsentiert, in denen vielmehr der agierende Körper visuell präsent ist, dürften an Bedeutung gewinnen. Die als »Hexis« bezeichnete Dimension des Habitus lässt sich vermutlich angemessen nur über visuelle Medien erfassen.«628

Die leibliche Dimension der Erfahrung, – die in meiner Untersuchung bei der Entscheidungsfindung zur Tätowierung vorkam und in einer Praxis des Antwortens prinzipiell methodologisch berücksichtigt wurde – kommt bei den Grafien hauptsächlich als Spur, Gravur oder Einschreibung – statt durch Bewegung oder Kinästhetik – zum Tragen.

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220

Vgl. die Anthologie »Die Welt als Text«. Zu den Kennzeichen qualitativer Forschung als Textwissenschaft siehe FLICK, UWE / KARDORFF, ERNST VON / STEINKE, INES: Was ist qualitative Forschung? S. 24. Der Begriff »Protokoll« (lat. protocollum) und (griech. ʌȡȠIJȠțȠȜȜȠȞ) bezeichnet ursprünglich das den Papyrusrollen vorgeleimte Blatt, auf dem Datierung, Auftraggeber und Schreiber namentlich notiert waren. Später wurde der Begriff auch für die vorgehefteten Titelblätter der Notariatsurkunden und Gerichtsakten verwendet. Im weiteren Sinne bezeichnete »Protokoll« dann »die geschäftsmäszige schriftliche aufzeichnung einer amtlichen verhandlung, sitzung, conferenz (sitzungs-, kammerprotocoll u. s. w.)«. GRIMM, JACOB UND WILHELM: Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854-1960. Band 13. Spalten 2176-2178. In seinem Text stellt Oevermann die Bedeutungsstrukturiertheit der schriftlichen Protokolle den »gerätevermittelten Aufzeichnungen« gegenüber, die vermeintlich nicht bedeutungsbezogen protokollieren! OEVERMANN, ULRICH: Objektivität des Protokolls und Subjektivität als Forschungsgegenstand. 2004. S. 311-336. Vgl. OPP, KARL-DIETER: Methodologie der Sozialwissenschaften. 2005, zuerst 1970. Kapitel II: Die Struktur sozialwissenschaftlicher Aussagen. S. 19-45. BORDWELL, DAVID: Making Meaning. 1989. S. 274. MEUSER, MICHAEL: Repräsentation sozialer Strukturen im Wissen. 2001. S. 220.

ZUGANG ZU DEN DATEN DER ANDEREN

Wie solche dynamischen Aspekte der Inkorporierung in einer Aufzeichnung zur Darstellung kommen, wie eine Grafie der Bewegung, des Tanzes etc. aussehen könnte, um Eingang auch in die erfahrungswissenschaftliche Untersuchung zu finden, ist eine offene Frage. – Die zweite Kritik betrifft die Ausklammerung von undarstellbaren Erfahrungen, in meiner Untersuchung also solchen, die nicht oder noch nicht grafierbar oder editierbar sind, da sie z.B. nicht archiviert werden können. Wenn vor allem solche Daten wissenschaftlich Relevanz gewinnen, die verhältnismäßig unaufwendig interpretierbar sind und für die es ein ausgebildetes Analyseinstrumentarium gibt, dann stellt sich die Frage, ob andere Daten – wie z.B. die Videografie – ausgeklammert werden, weil sie nur schwer darstellbar, sind, oder aufgrund der Anonymisierung nur eingeschränkt veröffentlicht werden können. In meiner Untersuchung habe ich darüber hinaus die kontextlosen Grafien, wie etwa Einzelbilder ausgeklammert, da bei ihnen keine Genese der Sinngebungsprozesse und der Erfahrungsorganisation ableitbar ist. – In Bezug auf RHEINBERGERs Eingangszitat ergänze ich, dass die Bereinigung der Daten, hier des Wachses, nicht ohne den Bienenstock als Kontext auskommt und das demzufolge andere Reinigungsmethoden angewandt werden müssen, die vielleicht nicht mehr so sehr nach Schweiß riechen… – Der Zugang zu den Daten der Anderen erfolgt also über die Grafien als Sammlung oder als Serie, um ein »zuverlässigeres Zeugnis« von der Inszenierung einer Suche zu erhalten. 629

629

Vgl. Burkes Thematisierung der in Bildern dokumentierten Augenzeugenschaft: »Eine Serie von Bildern bietet ein zuverlässigeres Zeugnis als einzelne Bilder…« und »Das Zeugnis von Bildern muß in seinen ›Kontext‹ eingeordnet werden oder besser, in ›Kontexte‹ (kulturelle, politische, materielle und so weiter)…« BURKE, PETER: Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen. 2003. S. 216.

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Ausklammerung durch die Grafien

Zugang zur kunstpädagogischen Anwendung ANSPRUCH

TAGEBUCH

ÄSTHETISCHE ERFAHRUNG

ÄSTHETISCHE ANWENDUNG

ORGANISATION ... ... ... ...

Findigkeit

FORSCHUNG

Es gibt die Erfahrung nicht, es sei denn als angewandte.630

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Diese Behauptung ist ein verändertes Zitat von Karl-Josef Pazzini »Kunst existiert nicht, es sei denn als angewandte«, auf das ich in den folgenden Seiten ausführlicher eingehen werde.

IV. Grafien: Zugang zur kunstpädagogischen Anwendung

In den vorangegangenen Kapiteln habe ich die Funktion und Bedeutung von Grafien bei der Suche nach einem Zugang zur Forschung sowie bei der Suche nach einem Zugang zu den Daten der Anderen herausgestellt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Grafie als Instrument des Antwortens fungieren kann und als solches der Orientierung, Speicherung, Interpretation und der Darstellung von Erfahrungen dient. Zugleich fungiert die Grafie aber auch als Anlass oder Motor für eine Suche. Mit der Grafie kann eine Suche nicht nur inszeniert, sondern allererst ausgelöst werden. Mit der Grafie beginnt die Suche. Mit der Grafie beginnt zugleich deren Inszenierung. Aber wie kann die Grafie in der kunstpädagogischen Lehre eingesetzt werden? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der empirischen Untersuchung für eine interdisziplinäre Grafieforschung und Lehre? Welche Stimmen gibt es in der Kunstpädagogik zu dem Diskurs über Aufzeichnungen in Verbindung mit Ästhetischer Erfahrung? Welche Bezugspunkte bieten die Aufzeichnungen für eine Reflexion von (ästhetischen) Erfahrungen im Unterricht? Diese Leitfragen dienen im Folgenden dazu, die Grafien als kunstpädagogische Methode zu betrachten und ihre Situierung in der Lehre zu erkunden.

1. Es gibt die Erfahrung nicht, es sei denn als angewandte Wenn ich in der empirischen Untersuchung aus der forschenden Perspektive gezeigt habe, dass und wie Aufzeichnungen zum Maßstab der (darstellbaren) Erfahrungen werden, stellt sich nun – aus der lehrenden Perspektive – die Frage, wie im Kunstunterricht über die jeweiligen Erfahrungen und Erfahrungswege verhandelt werden kann. Das Problem, das ich sowohl im theoretischen, als auch im empirischen Teil dieser Arbeit thematisiert habe, stellt sich in der Lehre erneut: »Erfahrungen können niemals direkt, als ob es sich dabei um etwas Gegenständliches handelte, mitgeteilt werden, insofern sich Erfahrungen nur in ihrer Anwendung aktualisieren«, so der Soziologe und Architekturtheoretiker Achim HAHN631 631

HAHN, ACHIM: Erfahrung und Begriff. 1994. S. 166. – Vgl. Roras Dewey-Auslegung: »Folgen wir der Dewey’schen Bestimmung des Erfahrungsbegriffs, so ergibt sich für den Forschungsprozess,

225

INSZENIERUNG DER SUCHE

Die Kommunikation der Erfahrungen erfolgt demnach über eine »Anwendung«. Diese »Anwendung« ist nicht nur eine immer neue, singuläre Hinwendung zu etwas632, bei der die pathische Grundierung der Erfahrung hervortritt, sondern darüber hinaus eine Realisierung vergleichbar einer Übersetzung von etwas in ein bestimmtes Medium oder Material, bzw. auf einen Datenträger. »Die Übersetzung ist Anwendung par excellence. […] Anwendung besteht darin, von der Erfahrung der notwendigen Unmöglichkeit der Anwendung Zeugnis abzulegen. Ein Zeugnis ist die Antwort auf einen Auftrag. Damit wird eine andere Möglichkeit von Anwendung, genauer: die Möglichkeit einer Differenz bezeugt.«633 Anwendung

Grafien: Anwendungen der Erfahrung

Eine Anwendung im Medium der Sprache habe ich beispielsweise beschrieben als mit einem (fremden) Anspruch beginnend, auf den wir sprachlich antworten. Mit den Grafien als visueller, textueller und/ oder akustischer Praxis des Antwortens kommen nun zudem bildhafte, textuelle, akustische wie auch gemischte Anwendungen der Erfahrung ins Spiel.634 Durch die spezifischen Anwendungen werden mediale, materielle und zeitliche Erfahrungsräume eröffnet: eine videografische Anwendung der Erfahrung ermöglicht Video- respektive photo-kinemato-grafische Erfahrungen635, eine chorografische Anwendung ermöglicht Erfahrungen mit regionalen Landschaftszeichnungen als »pars pro toto« für geo- bzw. kosmografische Erfahrungen etc.636 Außerdem schreibt sich die Zeitlichkeit mit in die Grafien ein: eine chronografische637 Anwendung umfasst die Relation von Zeit und Grafie, bzw. zwischen Grafiezeit und grafierter Zeit, während eine chrono-fotografische Anwendung die Erfahrung der Zeitlichkeit durch eine Serie betrifft und eine diarografische Anwendung die Erfahrung mit dem täglichen Grafieren im Tagebuch beschreibt. Neben der Zeitlichkeit geht es auch darum, wer (wen) grafiert: Während der Fokus in der Ethnografie auf der Re-Präsentation der Anderen liegt, geht es in der Autobiografie um die Re-Präsentation des Selbst. Die Frage, wie das Singuläre in der Grafie erscheinen kann, ist untrennbar verbunden mit der Entfernung des Selbst bis hin zur Abwesenheitserfahrung, die wiederum eine telegrafische Erfahrung erst möglich macht.

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der sich der Erforschung ästhetischer Erfahrung zur Aufgabe macht, die zentrale Schwierigkeit, dass Erfahrung nicht begrifflich beschrieben werden kann. Zwar findet der Moment der Erfahrung eine sprachliche Benennung, es kann rückblickend von ihm erzählt werden, doch sind diese Erzählungen nicht die Erfahrung selbst. Empirie aus der Sicht der Forschung ist in diesem Zusammenhang als Empirie der Äußerung, die Menschen über vergangene Erfahrungen machen, aufzufassen.« RORA, CONSTANZE: Einleitung 2. Teil: Ästhetische Erfahrung als Forschungsgegenstand. 2004. S. 27. »Vielmehr geht es um ein Konzept von Anwendung, das etwas Unvorhersehbares erzeugt, in einem ganz anderen Kontext, in Kontexten, die niemand im voraus beherrschen kann. Man kann sich auf einige Regeln beziehen, auf einige wiederholbare Kunstgriffe, aber in einer Situation, in welcher der singuläre Inhalt völlig neu ist…« DERRIDA, JACQUES: As if I were dead = Als ob ich tot wäre. Ein Interview mit Jacques Derrida. 2000. S. 29. Vgl. S. 27, Fußnote 14. – OUDÉE DÜNKELSBÜHLER, ULRIKE: Nahtfalter. S. 57. »Sobald wir es mit einer visuellen Erfahrung zu tun haben, besagt dies, daß etwas als etwas sichtbar wird. Von Bilderfahrung sprechen wir, wenn etwas als etwas im Bild sichtbar wird. Das Bild ist also zunächst nicht etwas, das wir zusätzlich auch noch sehen; als Medium des Sehens gleicht es der Sonne, in deren Licht wir etwas sehen.« WALDENFELS, BERNHARD: Spiegel, Spur und Blick. Zur Genese des Bildes. 2003. S. 4. Zum Begriff der Photo-Kinemato-Graphie vgl. RÖTZER, FLORIAN: Die Ästhetik des Verschwindens. Fragen an Paul Virilio. 1986. S. 198. Vgl. BÜTTNER, NILS: Chorographie: Zwischen Kriegskunst und Propaganda. 2003. S. 472. – BÜTTNER, NILS: Reisebilder - Kunsthistorische Anmerkungen zu Engelbert Kaempfers Landschaftszeichnungen und zu den Illustrationen seiner gedruckten Werke. S. 83. – BÜTTNER, NILS: Die Erfindung der Landschaft. 2000. S. 17. Vgl. die Ausstellung von Horst Haack »Chronographie Terrestre«. HUTHER, CHRISTIAN: Horst Haack. Chronographie Terrestre (Work in Progress). 2004. S. 364.

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Als verbindendes, und damit Strukturparallelen aufweisendes, komparatives Element all dieser spezifischen Anwendungen dient die Grafie. Ohne sie, d.h. ohne eine spezifische Anwendung, so behaupte ich, können Fragen nach der Motivation der Grafie, nach Normen, Ansprüchen, Setzungen und Verantwortlichkeiten weder sinnvoll untersucht noch diskutiert werden. In diesem Sinne bezeichnet der Begriff »Grafie« nicht mehr – wie noch bei PANOFSKY638 – lediglich das Deskriptive639, das einem mächtigen Logos untergeordnet ist, sondern »alles, was überhaupt zu einer Inskription führen kann«640 und so den Logos, bzw. die Interpretation präfiguriert und inszeniert.641 Deswegen ist nach Paul VIRILIO das Suffix »-grafie« von besonderer Bedeutung.642 Wenngleich HAHN Anwendungen, insbesondere in Bezug auf die Kommunikation von Erfahrungen, für unumgänglich hält, so gehe ich – analog zu dem viel zitierten Aufsatz von Karl-Josef PAZZINI »Kunst existiert nicht, es denn als angewandte« – noch weiter und betone überspitzt: ›Erfahrung existiert nicht, es sei denn als angewandte.‹ In diesem Artikel geht es darum, die Kunstpädagogik nicht lediglich als Ableitung der Kunst zu verstehen und sie damit unterzuordnen, sondern sie als der Kunst gleichrangig zu verorten, als »eine, zudem eine spezifische Form der Anwendung von Kunst, der Wendung an Kunst, der Wendung von Kunst«. »Was heißt es Kunst anzuwenden? – Anwendung als eine regulative Vorstellung für Kunstpädagogik ist z.B. eine Wendung an die Kunst: als Orientierung, als Halt für Pädagogik. Die Anwendung aus der Kunst heraus wendet sich dabei auch an und gegen die Pädagogik. Anwendung ist eine Wendung der Kunst, eine Version, eine Entfaltung, ein Eingriff in die Kunst, das Hervorbringen einer anderen Oberfläche. Anwendung ist ein generativer Akt, der dafür sorgt, dass etwas nachkommt. Anwendung ist aber auch Dekonstruktion, Wiederholung ohne Identität, ein seltsames Mixtum von Aktivität und Passivität. Anwendung bleibt etwas schuldig, ein wenig schuldig, mindestens.«643

Im Rahmen meiner Dissertation gehe ich zwar von eben der Prämisse: der Gleichrangigkeit von Kunstpädagogik und Kunst als Anwendungen aus, wähle jedoch einen anderen Weg dorthin, den ich im Folgenden kurz nachzeichne.

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»Denn wie das Suffix ›graphie‹ etwas Deskriptives bezeichnet, so benennt das Suffix ›logie‹ – abgeleitet von logos, das ›Denken‹ oder ›Vernunft‹ bedeutet – etwas Interpretatorisches. ›Ethnologie‹ beispielsweise ist von demselben Oxford Dictionary, das ›Ethnographie‹ als eine ›Beschreibung menschlicher Rassen‹ definiert, als ›Wissenschaft der menschlichen Rassen‹ definiert, und Webster warnt ausdrücklich davor, die beiden Termini durcheinander zu bringen, insofern als ›Ethnographie korrekt auf die rein deskriptive Behandlung von Völkern und Rassen beschränkt ist, während Ethnologie die sie vergleichende Disziplin ist.‹ Daher verstehe ich Ikonologie als eine ins Interpretatorische gewandte Ikonographie, die damit zum integralen Bestandteil der Kunstwissenschaft wird, statt auf die Rolle eines Vorbereitenden statistischen Überblicks beschränkt zu sein. Allerdings besteht zugegebener Maßen eine gewisse Gefahr, daß sich Ikonologie nicht wie Ethnologie zu Ethnographie, sondern wie Astrologie zu Astrographie verhält.« PANOFSKY, ERWIN: Ikonographie und Ikonologie. Eine Einführung in die Kunst der Renaissance 1978, zuerst 1957. S. 42. »Demnach ist die audiovisuelle Aufzeichnung eines sozialen Geschehens keineswegs die rein deskriptive Abbildung, als welche sie zunächst erscheinen mag, ihr ist vielmehr in ihrer zeitmanipulativen Struktur grundsätzlich ein kon-struktives Moment eigen. Eine einfache Überlegung mag diesen konstruktiven Charakter audio-visueller Aufzeichnungen deutlich machen: Betrachtet ein Sozialforscher, die Videoaufzeichnung eines Geschehens ›in real time‹, also in der Sukzessivität und Ablaufgeschwindigkeit des ›wirklichen‹ Vorgangs, so ist dies – da er sich ja das Geschehen auch als Standbild, in Einzelbildfortschaltung, Zeitlupe, Zeitraffer oder in veränderter Abfolgeordnung vor Augen führen könnte – prinzipiell eine vom Forscher und seiner Apparatur vorgenommene Herstellung.« BERGMANN, JÖRG R.: Flüchtigkeit und methodische Fixierung sozialer Wirklichkeit. 1985. S. 307. RHEINBERGER, HANS-JÖRG: Iterationen. Berlin 2005. S. 9–29. Zur Grenze des Textes als wissenschaftliche Grenze der Forschungserfahrung: S. 50. VIRILIO, PAUL: Die Kamera als Waffe und das Ende der Fotografie. 2004. S. 65. PAZZINI, KARL-JOSEF: Kunst existiert nicht, es denn als angewandte. 2000. S. 39.

227

»…alles, was zu einer Inskription führen kann«

Erfahrung existiert nicht, es sei denn als angewandte

Kunst anwenden

INSZENIERUNG DER SUCHE

Mit den Grafien habe ich eine mögliche Anwendung der Erfahrung konzipiert. Die Grafien als Praxis des Antwortens anzuwenden, heißt für mich, eine andere kunstpädagogische Verortung vorzunehmen, eine, die von den Erfahrungsmöglichkeiten der Adressaten meiner Lehre, hier: den Studierenden, ausgeht. Diese beiden Verortungen sind verschiedenen Denkrichtungen geschuldet, ohne dass sie sich im Kunstunterricht ausschließen müssen. Im Gegenteil: Beide Anwendungen: die der Kunst und diejenige der Erfahrung, konstituieren zusammen die Grenzen des Kunstunterrichts. Aus diesem Grund ersetze ich – sichtbar durch Kursivdruck – in dem besagten Zitat den Begriff der Kunst mit dem der Erfahrung und den der Pädagogik mit dem der Kunst, um es dem obigen Kurs gegenüberzustellen: Erfahrung anwenden

Abwendung

Was heißt es Erfahrung anzuwenden? – Anwendung als eine regulative Vorstellung für Kunstpädagogik ist z.B. eine Wendung an die Erfahrung: als Orientierung, als Halt für Pädagogik. Die Anwendung aus der Erfahrung heraus wendet sich dabei auch an und gegen die Kunst. Anwendung ist eine Wendung der Erfahrung, eine Version, eine Entfaltung, ein Eingriff in die Erfahrung, das Hervorbringen einer anderen Oberfläche. Anwendung ist ein generativer Akt, der dafür sorgt, dass etwas nachkommt. Anwendung ist aber auch Dekonstruktion, Wiederholung ohne Identität, ein seltsames Mixtum von Aktivität und Passivität. Anwendung bleibt etwas schuldig, ein wenig schuldig, mindestens.

Indem ich einzelne Worte des Textes ersetze, »verwende« ich ihn auf eine Weise, wie es Karl-Josef PAZZINI im selben Text (in Bezug auf DERRIDA) der Imagination des Lesers überlässt.644 Was dabei schuldig bleibt, ist u.a. die Benennung der Abwendung, die mit jeder Anwendung einhergeht: »Die Anwendung aus der Kunst heraus wendet sich dabei auch an und gegen die Pädagogik.« – Und umgekehrt: »Die Anwendung aus der Erfahrung heraus wendet sich dabei auch an und gegen die Kunst.«645 Inwiefern sich die Anwendung der Erfahrung zunächst von Kunst abwendet, skizziere ich im Folgenden: Mit den Aufzeichnungen habe ich eine Methode angewandt, die Erfahrungen auf ästhetisch produktive Art generieren kann. Indessen sind die Motivationen für diese Erfahrungen bei den Lernenden höchst unterschiedlich. Um sie für die Studierenden im forschenden Lernen erfahrbar und produktiv zu machen und sie aus der Lehrperspektive überhaupt wahrnehmen zu können, habe ich eine Praxis des Antwortens eingeführt. Um auf etwas zu antworten ist es notwendig, dass die Studierenden eine eigene Frage suchen, ihre eigenen Interessen in ihrem Relevanzrahmen verfolgen, um entlang diesem eine angemessene Weise der Grafie zu (er-)finden. Erst indem sie darauf antworten, wovon sie getroffen wurden, erhält die pathische Grundierung der Erfahrung einen Raum in der Lehre, werden Lernen und Erfahrung autobiografisch motiviert. Um diese Verankerung zu ermöglichen, fordert Rainer GOETZ eine Forschung über die »Interessenentwicklung im Bereich Ästhetischer Bildung«: »Was in dieser Diskussion und in der Interpretation z.B. jener paradoxen Befunde über das Abnehmen von Lernmotivation im Verlauf der Schulzeit ausgespart oder nur am Rande erwähnt wird, sind zukunftsorientierte Modellvorstellungen einer Interessenentwicklung im Bereich ästhetischer Bildung: wie sich im Zusammenspiel von sinnlichem Eindruck und symbolischem Ausdruck, von Kunstwahrnehmung und Selbstreflexion emotionaler Teilhabe und sozialem Engagement der des ästhetischen Handelns neu erschließt bei der Entdeckung und Suche nach eigenen Fragestellungen und Gestaltungswegen.«646 644 645

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PAZZINI, KARL-JOSEF: Kunst existiert nicht, es denn als angewandte. 2000. S. 37. Zum kunstpädagogischen Widerstreit zwischen Kunst und Pädagogik: SELLE, GERT: Über das gestörte Verhältnis der Kunstpädagogik zur aktuellen Kunst. 1990. – SELLE, GERT: Kunstpädagogik jenseits ästhetischer Rationalität? 1996. – OTTO, GUNTER: Theorie für pädagogische Praxis. Antwort auf Gert Selle. 1996. – PAZZINI, KARL-JOSEF: Kann Didaktik Kunst und Pädagogik zu einem Herz und einer Seele machen oder bleibt es ach bei zwei Seelen in der Brust? 2005. GOETZ, RAINER: Ästhetische Interessenforschung - ein Institut für Ästhetische Bildung an der Universität Würzburg. 2004. S. 372.

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Ohne diese biografische Anbindung, die bereits in der Aufgabenstellung die Grenzen des Faches Kunst übersteigt, wäre eine Inszenierung der Suche durch die Grafien sinnlos. Schränkt man die Interessen der Studierenden bereits im Voraus auf künstlerische Zugänge zu Welt ein oder auf das, was Studierende dafür halten, so wird ein eigener, erfahrungsgestützter Zugang zur Kunst erschwert, wenn nicht gar verhindert.647 Insofern richtet sich die grafierte Anwendung aus der Erfahrung heraus gegen die Kunst, als sie deren Vorgabe und ihre Nachahmung als ersten Zugang ablehnt: »Entscheidender ist vielmehr, wie es möglich werden kann, dass Wille und Vorstellung entwickelt werden, um über Nachahmung hinaus, aus eigenem Antrieb etwas Eigenes zu entwickeln.«648 Geschieht der erste Zugang nicht »von Kunst aus«, sondern »von Erfahrung aus« kann »die Frage, ob und wenn, dann wie Kunst in den Unterricht kommen soll« anhand der Grafien untersucht und thematisiert werden.649 Das bedeutet nicht, dass sich die Studierenden nicht zu einem späteren Zeitpunkt an schon bestehenden künstlerischen Verfahren orientieren sollen, wenn sich die Suche entlang der Grafie auf die Frage nach der Darstellbarkeit ausrichtet. Aber um nachhaltige »ästhetische Erfahrungen« hervorzurufen, halte ich die autobiografische Verankerung – wie BLOHM sie fordert – für unerlässlich.650 Entscheidend für diese autobiografische Verankerung ist die pathische Grundierung der Erfahrung, mit der ein Zugehen, eine Anwendung erst beginnt. Diese darf nicht außer Acht gelassen werden, denn sie erzeugt Bruchlinien, die die Grenzen der Lehr- und Lernbarkeit sowie die Grenzen eines aktiven Erfahrungsbegriffs anzeigen, die wir – anhand der Grafien – ja nur begrenzt steuern können. Sie zeigt auch die Grenzen eines im Voraus etablierten Zugangs zur Kunst.651 Dementsprechend plädiere ich dafür, Grafien im kunstpädagogischen Kontext als elementare Methode einzusetzen, die eine »Inszenierung der Suche« mitsamt der pathischen Dimension kommunizierbar macht, um Lernende durch die so ausgelöste Suche zu neuen Anwendungen, und d.h. zu neuen Erfahrungen herauszufordern. Gerade im Hinblick auf die Initiative, den Anfang des Lernens, so lese ich MEYER-DRAWE, ist eine Anwendung der Erfahrung erforderlich: »In der Philosophie unserer Zeit wird vor allem in phänomenologischen Konzeptionen die paradoxale Struktur der Erfahrung betont (vgl. Waldenfels 2002). Erfahrung ist in dieser Hinsicht niemals unmittelbar bei den Dingen, insofern taugt sie nicht ohne weiteres als Anfang des Lernens. Sie ist durch Bruchlinien gekennzeichnet, welche sie verwundbar machen. In diesen Rissen kann Lernen beginnen. Dieser Anfang des Lernens verdankt sich keiner Initiative, sondern er eignet sich als Antwort auf einen Anspruch.«652

Wenn die Pädagogik-Professorin in Bezug auf WALDENFELS Erfahrung als das »Unlernbare im Lernbaren« darstellt, müsste eine kunstpädagogische Lehre überdies berücksichtigen, 647

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»Erforschen und erarbeiten Kinder und Jugendliche hingegen ihre Lebenswirklichkeit auf gestalterischem Weg und versichern sich so ihrer kulturellen Identität (wie dies gemeinhin jeder Künstler tut, dann ist es fatal, wenn ihnen die Didaktik hierzu Modelle von Außenstehenden aufzwingt.« BUSSE, KLAUS-PETER: Ästhetische Erziehung und die Allgegenwart des Bildes. 2003. S. 35. SCHUBERT, PETER: Nachdenken über künstlerische Praxis. 2003. S. 309. STURM, EVA: Vom Schießen und Getroffen-Werden. 2005. S. 18. »Erfahrungen, auch die ästhetischen, sind immer eingebettet in die Lebensgeschichte, die wiederum kulturell, sozial und familiär geprägt ist. Der (ästhetische) Erfahrungsbegriff so verstanden, macht klar, daß tatsächliches Erfahrungslernen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen wird, deren Grad an Ähnlichkeit mit ähnlichen biografischen und gesellschaftlichen Vorerfahrungen zu tun hat.« BLOHM, MANFRED: Gegen das Ähnliche und das Fertige. 1996. S. 98. Sofern man Künstlerinnen und Künstler wie Bätschmann als aktive »Erfahrungsgestalter« der Rezipienten betrachtet, überschätzt man ihre Steuerungsfunktion, die »Rezeptionslenkung«. Die Unverfügbarkeit und Unplanbarkeit ästhetischer Erfahrungsprozesse wird hier schlichtweg ausgespart. BÄTSCHMANN, OSKAR: Der Künstler als Erfahrungsgestalter. 1996. MEYER-DRAWE, KÄTE: Lernen als Erfahrung. 2003. S. 511.

229

Zugang zur Kunst

Grafien als elementare kunstpädagogische Methode

INSZENIERUNG DER SUCHE

unter welchen Bedingungen das Unlernbare sich dennoch ereignen kann. Mit den Anwendungen als Grafien habe ich dargelegt, dass ein struktureller Rahmen entstehen kann, der dies variantenreich ermöglicht. Ohne eine Anwendung der Erfahrung, hier exemplarisch an der Grafie als Methode gezeigt, ist eine Praxis des Antwortens im Kunstunterricht nicht kommunizierbar. Erst die Praxis des Antwortens gewährleistet die Kommunizierbarkeit von spezifischen Erfahrungen. Aus diesem Grund lässt sich für den Kunstunterricht festhalten: Es gibt die Erfahrung nicht, es sei denn, als spezifische, d.h. angewandte.

»›Um neue experimentelle Beweise einzubeziehen, muß man bereit sein, ursprüngliche Begriffe zu deformieren. Man muß die Anwendungsbedingungen eines Begriffs in die Bedeutung des Begriffes selbst inkorporieren.‹ [...] In der Konsequenz bedeutet das, daß die Anwendung in den Kern der modernen Theoriebildung einbezogen ist.«653

Ästhetische Erfahrung Erfahrung als ästhetische Anwendung

Ästhetische Erfahrung im kunstpädagogischen Diskurs

Sofern Erfahrungen aber ohne spezifische Anwendungen nicht mitteilbar sind, gilt dies auch für »ästhetische Erfahrungen«. Ich behaupte, es gibt sie nur als ästhetische Anwendungen der Erfahrungen. – Was ist mit dieser Behauptung gewonnen? Mit dieser begrifflichen Verschiebung von der »ästhetischen Erfahrung« zur »ästhetischen Anwendung« verfolge ich das Ziel, den Begriff »Ästhetische Erfahrung« zu entmystifizieren, indem ich die Bedeutung durch einen Platzhalterbegriff verschiebe, um sie schließlich zu konkretisieren und zu differenzieren. Die zentrale Rolle, die dem »Bezug zur ästhetischen Erfahrung« im kunstpädagogischen Diskurs zukommt, beschrieb Georg PEEZ 2002 als bis heute andauernden Konsens im Fach654 sowie als »zentrale Voraussetzung ästhetischer Bildungsprozesse.«655 Auch Helga KÄMPF-JANSEN betont, »dass ›ästhetische Erfahrung‹ noch immer ein Begriff ist, der vielfältige Fassetten des Ästhetischen angemessen zu fassen vermag und dem deshalb auch als etablierten Begriff noch immer zentrale Bedeutung zukommt.«656 Ein Jahr zuvor stellte Ludwig DUNCKER aus pädagogisch-anthropologischer Perspektive heraus, dass »ästhetische Erfahrung« als Bezugsrahmen »für die Ausbildung einer kulturellen Alphabetisierung zunehmend der besonderen Unterstützung und Pflege bedarf« und das dies »weit in das Gebiet der Medienpädagogik hineinführt.«657 Neben diesen Stellungnahmen zur Bedeutung des Begriffes für die Kunstpädagogik wagt Gundel MATTENKLOTT »den Versuch einer Zusammenfassung« der seit den 70er Jahren boomenden Publikationswelle zur »Ästhetischen Erfahrung«.658 In diesem hilfreichen Überblick beleuchtet sie verschiedene Facetten, Merkmale, Abgrenzungen und Auslegungen des Begriffs von Autoren aus verschiedenen Disziplinen, wobei deutlich wird, dass von einer einheitlichen Verwendungsweise – auch innerhalb kunstpädagogischer Texte, die ich hier in Bezug auf SEYDEL ergänze659 – nicht die Rede sein kann.660 653 654 655 656 657 658 659 660

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Rheinberger zitiert Bachelard. Rheinberger, Hans-Jörg: Iterationen. Berlin 2005. S. 123. PEEZ, GEORG: Einführung in die Kunstpädagogik. 2002. S. 19–21. PEEZ, GEORG: Evaluation ästhetischer Erfahrungs- und Bildungsprozesse. 2005. S. 13. KÄMPF-JANSEN, HELGA: Ästhetische Forschung. 2000. S. 153. DUNCKER, LUDWIG: Begriff und Struktur ästhetischer Erfahrung. 1999. S. 17. MATTENKLOTT, GUNDEL: Einleitung 1. Teil: Zur ästhetischen Erfahrung in der Kindheit. 2004. Zum Begriff »Ästhetische Erfahrung« S. 11–18, hier S. 12. SEYDEL, FRITZ: Biografische Entwürfe. Ästhetische Verfahren in der Lehrer/innenbildung. 2005. S. 161–168. Nach Erscheinungsdatum: OELMÜLLER, WILLI (Hg.): Kolloquium Kunst und Philosophie I: Ästhetische Erfahrung. 1981. – BUBNER, RÜDIGER: Ästhetische Erfahrung. 1989. – BOEHM, GOTTFRIED:

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Aus diesem Grund forderte Gert SELLE bereits 1990 die Klärung des Begriffes »Ästhetische Erfahrung«: »Was uns fehlt ist eine erfahrungsgestützte und theoriefundierte Definition des ästhetischen Erfahrungsbegriffes. Von ästhetischer Erfahrung mag man kaum noch reden, weil dieser Begriff unterschiedslos alles unter sich zusammenrafft, was man irgendwie sinnlich grundierte Erfahrung nennen könnte. Seine Unschärfe ist beträchtlich. Künstlerische Erfahrung (wiederum zu unterscheiden von Kunsterfahrung) ist eine ästhetische. Aber was für eine? Eine neue Trennschärfen-Einstellung wäre gerade in der persönlichen Hinwendung zu aktuellen Kunstprozessen zu gewinnen.«661

Im Unterschied zu einseitig theoretisch hergeleiteten Merkmalen, die als Untersuchungsmatrix für empirische Rekonstruktionen dienen, bin ich in dieser Arbeit bewusst nicht von dem Begriff »Ästhetische Erfahrung« ausgegangen662, sondern von den Grafien als möglichen, ästhetischen Anwendungen der Erfahrungen.663

661 662

663

Über die Konsistenz ästhetischer Erfahrung. 1990. – BLOHM, MANFRED: Ästhetische Erfahrung im Kunstunterricht. 1991. – MENKE, CHRISTOPH: Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. 1991. – WELSCH, WOLFGANG: Ästhetisches Denken. 1995. – WELSCH, WOLFGANG: Grenzgänge der Ästhetik. 1996. – BÄTSCHMANN, OSKAR: Der Künstler als Erfahrungsgestalter. 1996. – JAUSS, HANS ROBERT: Kleine Apologie der ästhetischen Erfahrung. 1996. – MOLLENHAUER, KLAUS: Grundfragen ästhetischer Bildung. 1996. – STÖHR, JÜRGEN (Hg.): Ästhetische Erfahrung heute. 1996. – GRÜNEWALD, DIETRICH / LEGLER, WOLFGANG / PAZZINI, KARLJOSEF: Ästhetische Erfahrung. 1997. – OTTO, GUNTER: Lehren und Lernen zwischen Didaktik und Ästhetik. Bd. 1: Ästhetische Erfahrung und Lernen. 1998. – AISSEN-CREWETT, MEIKE: Rezeption und ästhetische Erfahrung. 1999. – DUNCKER, LUDWIG: Begriff und Struktur ästhetischer Erfahrung. 1999. – GIL, THOMAS: Der Begriff der Ästhetischen Erfahrung. 2000. – FISCHER-LICHTE, ERIKA: Ästhetische Erfahrung. 2001. – HAHN, HEIDI: Ästhetische Erfahrung als Vergewisserung menschlicher Existenz. 2001. – PIEPER, HANS-JOACHIM: Geschmacksurteil und ästhetische Einstellung. 2001. – KLEIMANN, BERND: Das ästhetische Weltverhältnis. 2002. – KÜPPER, JOACHIM / MENKE, CHRISTOPH (Hg.): Dimensionen ästhetischer Erfahrung. 2003. – MEYER, CLAUDIA: Inszenierung ästhetischer Erfahrungsräume. 2003. – HUBER, JÖRG (Hg.):Ästhetik – Erfahrung. 2004. – MATTENKLOTT, GUNDEL / RORA, CONSTANZE (Hg.): Ästhetische Erfahrung in der Kindheit. 2004. – MATTENKLOTT, GERT (Hg.): Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste. 2004. – BLUME, ANNA (Hg.): Zur Phänomenologie der ästhetischen Erfahrung. 2005. – BUSSE, KLAUS-PETER (Hg.): Intermedia: The aesthetic experience of cultural interspaces. 2005 – PEEZ, GEORG: Evaluation ästhetischer Erfahrungs- und Bildungsprozesse. 2005. – SEYDEL, FRITZ: Biografische Entwürfe. 2005. S. 161–168. SELLE, GERT: Über das gestörte Verhältnis der Kunstpädagogik zur aktuellen Kunst. 1990. S. 34. Zur Kritik am »Festschreiben« des Begriffes »Ästhetische Erfahrung«: »All diese nur eben angerissenen Angrenzungen und Bestimmungen ästhetischer Erfahrung zeigen, dass es – zumal aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive – wenig sinnvoll wäre, den Begriff vorschnell festzuschreiben. Als produktiv dürfte sich eher die Entscheidung des Berliner Sonderforschungsbereichs »Ästhetische Erfahrung« erweisen, »nicht von fixierten Begriffen und Relationen auszugehen, sondern den Untersuchungsgegenstand vielmehr als ein Feld zu begreifen, in dem die Kunst, das Ästhetische und die Alltagswirklichkeit sich überlappen und zugleich in permanenter Wechselwirkung aufeinander reagieren.« MATTENKLOTT, GUNDEL: Einleitung 1. Teil: Zur ästhetischen Erfahrung in der Kindheit. 2004. S. 18. – »Um diese Studie also nicht schon vor ihrem Beginn durch eine erfahrungszersetzende und biografiezerstörende Methode auf Grund laufen zu lassen, begreifen wir Erfahrung nicht als eine unveränderliche, fixierte Entität. Für die Beschreibung der Erfahrungsweise ist vielmehr genau diese Offenheit auf künftige Veränderungen der Erfahrungen hin konstitutiv. Wir rekonstruieren nicht abgeschlossene Methodiken, sondern erzählen von situativ sich entwickelnden Weisen, auf neue Situationen handelnd und erlebend zu reagieren.« SCHULZE, HOLGER: Heuristik. 2005. S. 18. Als weitere ästhetische »Anwendung« verstehe ich das »Spiel«, wie Tanja Wetzel es auf theoretischer Ebene beschreibt: »Ästhetische Erfahrung hingegen vom Spielbegiff her zu denken, zielt auf eine Haltung ab, die gegenüber ihrem ›Gegenstand‹ nicht das Verhältnis wie zu einem Objekt eingeht, sondern der Logik des Spiels folgt – im Sinne der aporetisch-performativen Form der Anwendung, wie sie Derrida mit dem Begriff der Dekonstruktion verbunden hat.« WETZEL, TANJA: Geregelte Grenzüberschreitung. 2006. S. 247 und 85.

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Forderung nach Klärung des Begriffes »Ästhetische Erfahrung«

INSZENIERUNG DER SUCHE

Anwendung der Erfahrung Anwendung und Theoriebildung

Brüche als inter- und transmediale Indizes für Erfahrungen

Grafien als kunstpädagogische Methode

Um diese Anwendungen, wie Jörg RHEINBERGER im Eingangszitat des vorigen Abschnitts fordert, in die Theoriebildung einzubeziehen, habe ich ausgehend vom Einzelfall und seinen Vergleichshorizonten untersucht, wie potentielle Erfahrungsräume und Orientierungsrahmen von den Studierenden inszeniert und reflektiert werden können. Die Brüche, die u.a. durch Medien-, Versions-, Datenträger- und Ordnungswechsel angezeigt werden und nur vor dem Hintergrund der Genese einer Sinngebung erscheinen, fungieren überdies als Indizes für diese inszenierte Sinngebung und somit auch als Indizes für die damit verbundenen Erfahrungen. Entscheidend ist, dass sich Brüche für unterschiedliche Medien – nicht nur für den Text – als Indizes eignen. Bedingung für die brüchigen Gelenkstellen ist lediglich eine serielle Darstellung. Indem die Brüche sich »in« das Medium einschreiben, als Pause, Leerstelle oder Riss, strukturieren sie die Grafie nicht nur als Produkt, sondern auch die Genese der Herstellung – und damit auch die Erfahrung – im Moment des Grafierens. Insofern lässt sich anhand der angewandten, inszenierten Grafien rekonstruieren, wie die Bruchstellen der Erfahrungen in den Aufzeichnungen durchschimmern respektive, inwiefern die Aufzeichnungen eine Brechung der Erfahrung erst hervorrufen. Auf diese Weise habe ich die Grafien als medieninduzierte Weisen der Anwendung von Erfahrungen gleichzeitig als Datenerhebungsmethode und kunstpädagogische Methode entworfen, die mediale, materielle und zeitliche Dimensionierungen und Differenzierungen der Erfahrungen im Prozess der Generierung möglich machen. Das verbindende methodologische Moment der Grafien ist dabei, dass sie eine Praxis des Antwortens darstellen und so das pathische Moment der Erfahrung, – das ich mit WALDENFELS als erfahrungskonstituierend herausgestellt habe – zur Geltung bringen. Diese Praxis des Antwortens hat den entscheidenden Vorteil, dass sie nicht nur durch die unterschiedlichsten medialen und materiellen Aufzeichnungen neue (ästhetische) Erfahrungen generieren kann, sondern darüber hinaus auch eine Kommunikation im Kunstunterricht ermöglicht: »Antwort wird im Pädagogischen oft verwechselt mit einer Feststellung oder Lösung eines Problems. Es geht aber vielmehr um die Fähigkeit zu antworten und die Vorbereitung darauf, im Gespräch zu bleiben.«664

Grafien zur (inter-) medialen Kommunikation

Mit Hilfe der Grafien wird die Fähigkeit zu antworten indessen nicht auf eine verbale Kommunikation beschränkt. Bildhafte, textuelle, performative oder musikalische Antworten bringen unterschiedliche pathische Dispositionen zur Artikulation bzw. Formation. Diese Differenzen erfahrbar zu machen, betrifft laut Martin SEEL nicht nur »die einzelnen Künste« bzw. Anwendungen, sondern die Besonderheit der Erfahrung einzelner Künste […] entspringt deren besonderer Verbindung mit jeweils anderen Künsten.«665 Einen Zugang zur »Erfahrung der Intermedialität der Künste« zu suchen, ist dagegen nicht nur »an die Voraussetzung einer trainierten Wahrnehmungfähigkeit gebunden«, sondern vor allem an die Anwendung der Erfahrung.666

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PAZZINI, KARL-JOSEF: Kunst existiert nicht, es denn als angewandte. 2000. S. 37. SEEL, MARTIN: Über die Reichweite ästhetischer Erfahrung – Fünf Thesen. 2004. S. 79. Ebd. S. 80.

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Ästhetische Anwendungen der Erfahrung Eine ästhetische Anwendung der Erfahrung findet statt, wenn wir das, wovon wir getroffen werden – hinsichtlich dessen Medialität, Materialität und Zeitlichkeit – wahrnehmend umwandeln in das, worauf wir antworten. So verstanden ist eine ästhetische Anwendung der Erfahrung – mit den Worten von Torsten MEYER – »als Frage nach Darstellung, Vorstellung, Stellvertretung, Mediatisierung, (Re-) Präsentation« zu verstehen667, wobei auch das, »was nicht wahrgenommen werden kann, weil es unsichtbar (z.B.), jedenfalls nicht problemlos darstellbar ist, ein Thema ästhetischer Bildung [wird].«668 Die ästhetische Anwendung ist jedoch nicht bloß ein aktiver, steuerbarer oder bewusster Prozess, sondern eine von Brüchen durchzogene, z.T. unverfügbare und kaum lehr- oder lernbare Hinwendung; ein Anspruch, der mit Vorlieben und Abneigungen zusammenhängt. Diesen eigenen Anspruch in seinen Differenzen669 kennenzulernen und in seiner Vorläufigkeit zu erfahren, ist ein selbstreflexives Ziel des Kunstunterrichts, das sich jedoch nicht unabhängig von der manifesten Anwendung, der Grafie, der Inszenierung, ereignet. An die Materialität erinnert auch Dieter MERSCH:

Ästhetische Anwendung

»Doch hat gleichzeitig Michel Foucault darauf hingewiesen, dass das ›Ereignis keineswegs immateriell (ist), da es immer auf der Ebene der Materialität wirksam ist.‹ Dies gilt insbesondere für die Inszenierung ästhetischer Ereignisse. Darin gehen Intentionen, symbolische Handlungen und theatrale Prozesse ein wie die Auswahl, Bearbeitung Formung von Materialien, der Einsatz von Medien und Techniken sowie die Beherrschung und Steuerung von Szenen, Abläufen und Wirkungen usw.«670

Wenn ich gesagt habe, dass zur Erfahrung der medialen, materiellen und zeitlichen Aspekte eine Anwendung, hier: eine Aufzeichnung, notwendig ist, um über den Anspruch zu reflektieren, so verwundert es nicht, dass umgekehrt gerade in Grafien, sprich: in Tagebüchern, über die Unwissenheit der Lehrenden von den Ansprüchen der Lernenden reflektiert wird.671 Bezogen auf den Anspruch im Kunstunterricht bemerkt Holger SCHAPP nach seiner Rückkehr von einem Auslandsaufenthalt: »…trotzdem fiel sowohl in Unterrichtsgesprächen, wie auch beim praktischen Arbeiten auf, wie wenig Lehrer und Schüler von der Kultur, vom Denken, von den Lebensumständen der anderen, ihrem Freizeitverhalten außerhalb der Schule, ihren Vorlieben und Abneigungen wußten. Ich suchte daher nach einer explizit künstlerischen Möglichkeit, solche Defizite abzuarbeiten.«672 Die Möglichkeit der Kommunikation, die SCHAPP hier vorschlägt, bezieht sich auf eine spezifische Weise des Grafierens, auf die ich später noch eingehen werde: auf das Grafieren eines visuellen Tagebuchs als Kursarbeit. 667 668 669

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MEYER, TORSTEN: Subject: Neue Werkzeuge, Legitimationskarusell, Entbehrliches. 2003. S. 13. MEYER, TORSTEN: Interfaces, Medien, Bildung. 2002. S. 22. Vgl. die Beschreibung von Waldenfels, S. 35: »Eine ›signifikative‹ Differenz« entsteht, wenn etwas als etwas erscheint, eine ›repräsentative Differenz‹, wenn etwas für anderes steht, eine ›appetitive Differenz‹, wenn etwas in anderem erstrebt wird und eine ›responsive Differenz‹, wenn wir auf etwas antworten.« MERSCH, DIETER: Zur Struktur des ästhetischen Ereignisses. 2005. S. 49–50. So schreibt beispielsweise Horst Rumpf 1966 in seinem Tagebuch eines Studienrats über seine Schüler: »Wir sind ja so ahnungslos über das wirkliche Leben unserer Schüler, daß wir in dieser Ahnungslosigkeit allmählich einen Grund für die Echolosigkeit des Unterrichtens suchen sollten. Und wir merken in der Prüfung ziemlich resigniert, wie äußerlich aufgeklebt unser Wissensstoff geblieben ist.« Rumpf, Horst: 40 Schultage. Tagebuch eines Studienrats. 1966. S. 35. – Bezogen auf die Hochschullehre betont Webler: »Auch diejenigen Hochschullehrer, die sich auf die Studierenden ihrer Veranstaltung mit Hilfe spezifischer Information en auf sie einstellen wollen, besitzen bis auf die isolierten Kontakte im Seminarraum oder gelegentlich in der Sprechstunde in der Regel keinerlei Kenntnisse über ›ihre‹ Studierenden.« WEBLER, WOLFF-DIETRICH: Ein Studientagebuch als Forschungs- und eigenes Studienberatungsinstrument. 2002. S. 106. SCHAPP, HOLGER: »Köln, zwei Wochen im Herbst«. Ein Tagebuch als Kursarbeit. 1994. S. 44.

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Anspruch und Aufmerksamkeit

INSZENIERUNG DER SUCHE

Ästhetische Organisation von Erfahrungs-, Such und Forschungsprozessen

Ob es nun Aufgabe der Lehrenden sein soll, diesen Anspruch der Anderen zu »bedienen«, wage ich zu bezweifeln. Fest steht allerdings, dass der mit der ästhetischen Anwendung sich entwickelnde eigensinnige Anspruch eine wesentliche Motivation für die Grafien als Praxis des Antwortens darstellt. Diesen Anspruch, diese Aufmerksamkeit auszublenden, heißt mit den Worten von Horst RUMPF eine »Echolosigkeit des Unterrichtens« zu provozieren.673 Doch nicht nur das: Von diesem Anspruch, so behaupte ich, hängt auch die ästhetische Organisation von Erfahrungs-, Such- und Forschungsprozessen ab. Das, worauf wir antworten, prägt und formiert die ästhetische Organisation der Antwort mit. Nur deswegen kann die pathische Dimension überhaupt als Spur vorkommen. So halte ich es für keineswegs zufällig, wenn die Studentin Vera Tetzlaw ein Tagebuch über Tattoos führt, in dem die ornamentale Gestaltung der Seiten einer Tattoo-Ästhetik entspricht674 und wenn Torsten MEYER über das »Prinzip Database« schreibt, indem er seinen Text über NOLANs Film Memento nach dem Prinzip der filmischen Szenenfolge strukturiert.675 Neben diesen mimetisch konstruierten Organisationen der Grafie, die auf dem Prinzip der Ähnlichkeit beruhen und möglicherweise bei der Suche nach einem Thema bereits handlungsleitend für die Autoren waren, gibt es zudem performative Organisationen, die erst hervorbringen, was sie bedeuten.676 Diese und andere produktive ästhetischen Organisationsweisen lassen systemische, hierarchische, paradoxale oder medieninduzierte »Zugänge des Wissens«677 entstehen, wie z.B. das »Alphabet als Ordnungsgenerator« bei Hanne SEITZ678 und Roland BARTHES.679

Ästhetische Organisation der Erfahrung Implizites Wissen und ästhetische Praxis

Wenn ich bisher festgestellt habe, dass das implizite Wissen nicht nur für kognitive Prozesse, sondern auch für ästhetische Anwendungen grundlegend, d.h. handlungsleitend ist680, so gilt dies auch für eine ästhetische Praxis des Schreibens. Sofern man jene als Praxis des Antwortens versteht, übernimmt der eigensinnige Anspruch eine organisatorische Funktion bei der Darstellung von Erfahrungen.681

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S. 233, Fußnote 671. S. 198ff. MEYER, TORSTEN: Wahn(-) und Wissensmanagement. 2005. In dem von Hanne Seitz nach seinem Tod bearbeiteten Vortragsmanuskript schreibt GunterOtto: »Performative Prozesse sind […] ein Kern des Lernens überhaupt. Sie machen auf die produktiven ästhetischen Anteile von Lernprozessen aufmerksam und stellen alle routinierten Organisationsformen von Lernen auf die Probe. Sie sind ungesichert, oft ohne Netz und riskant.« OTTO, GUNTER: Ästhetik als Performance – Unterricht als Performance 1999. S. 201. »Man wird in Zukunft nicht mehr darüber zu diskutieren haben, ob performative Einspielungen andere Zugänge zum Wissen eröffnen, ihre Verfahren einen anderen Modus wissenschaftlicher Untersuchung einleiten. Auch nicht darüber, ob ästhetische Diskurse auch außerhalb spezieller Disziplinen wirksam seien, gar kooperatives Handeln und politisches Bewusstsein anstrengen können. Man wird an ihnen zu arbeiten haben. Die Standpunkte zeigen sich jetzt schon beweglich. Stürze in die Zeit werden unvermeidlich. Um sie geht es zuletzt. Zeit denken. Ihre Wirkung erproben. Mit Wandel und Veränderung umgehen. Begegnungen leben. Zur Erfahrung und zum Wissen kommen.« SEITZ, HANNE (Hg.): Schreiben auf Wasser. 1999. S.10. SEITZ, HANNE (Hg.): Schreiben auf Wasser. 1999. S.11. BARTHES, ROLAND: Fragmente einer Sprache der Liebe. 1988. Zum handlungsleitenden Aspekt S. 190, 194, 199, 202, 204, 211, 235, 239f, 257. Vgl. die These, »dass die Organisation von Begriffen im Gedächtnis eines Menschen einen Bezug zu dessen nichtexplizitem Wissen aufweist«. MEYER, BERTHOLT: Der Nicht-explizite Wissensbegriff im Wissensmanagement: Schärfung eines vagen Konstruktes. 2005. S. 13

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Dies geschieht insbesondere dann, wenn wir es mit selbst gesteuerten Lern- und Forschungsprozessen zu tun haben, also solchen Prozessen, die von dem eigensinnigen Antrieb des Selbst motiviert werden. Nun könnte man annehmen, dass sich die ästhetische Organisation lediglich innerhalb einer Ästhetischen Forschung, die ich als kunstpädagogische Rahmung gewählt habe, ereignete. Dies ist jedoch ein Irrtum. Vielmehr beeinflusst die ästhetische Organisation ebenso eine wissenschaftliche Forschungspraxis, wie Silke JAKOBS in Bezug auf die Autobiografie des Chemie-Nobelpreisträgers Richard WILLSTÄTTER (1872–1942) schildert. Sie beschreibt,

Ästhetische Organisation von Erfahrungs-, Such und Forschungsprozessen

»…wie sehr ästhetische Erfahrungen naturwissenschaftliche Forschung und Erkenntnis beeinflussen können. Dieser Einfluss erstreckt sich auf alle Phasen des Forschungsprozesses: Ästhetische Erfahrung ist im Spiel, wenn neue Projekte aufgefunden werden, ästhetische Kriterien beeinflussen die Beurteilung von Forschungsergebnissen, und ästhetische Erfahrung ist ein zentrales Moment, wenn die konkrete Forschungsarbeit durchgeführt wird.«682

Eine solche ästhetische Organisation in Erfahrungs-, Such- und Forschungsprozessen hingegen verantwortungsvoll zu reflektieren, verlangt kunstpädagogische Kompetenzen, die weit über den bisherigen Aufgabenbereich des Faches hinausgehen und für die es auch noch keine Lehrkonzeption gibt. Gleichzeitig verweisen sie auf die zentrale Position der Kunstpädagogik im Spannungsfeld von Wissenschaftstheorie, Epistemologie und Praxeologie. Die ästhetische Organisation von Erfahrung berührt darüber hinaus aktuelle Konzeptionen zum Wissens-, Zeit- und Organisationsmanagement, die sich nicht nur auf Lernkulturen im pädagogischen Bereich, sondern auch im beruflichen Arbeitsumfeld verschiedener Institutionen bewegen. Kurz: Sie übersteigt den Rahmen dieser Arbeit. Ferner geht mit der ästhetischen Organisation der Erfahrung auch eine Wissenschaftskritik einher, denn die ästhetische Organisation entzieht sich – eben durch den eigensinnigen Anspruch, durch das, wovon wir getroffen werden und worauf wir immer nur unzureichend antworten können – unserem Wissen. Deswegen haben wir es bei der ästhetischen Anwendung von Erfahrung mit einem Unsicherheitsfaktor zu tun, der ästhetische wie wissenschaftliche Forschung entscheidend prägen kann, wie der Wissenschaftssoziologe Wolfgang KROHN in Bezug auf Entdeckungszusammenhänge herausstellt:

Reflexion der ästhetischen Organisation

»The most important [epistemological implication] is probably that science which operates as an agent of change in fields of innovation will not only provide an increase of applicable knowledge, but also an increase of relevant ›non-knowledge‹. In more general terms, the application of science imports the perception of risk. We normally emphasize the capacity of scientific research to transform uncertainty of knowledge into certainty, replace conceptual ambiguity by clear theory, and turn technical impasse into manageable options. However, the more that capacity is extended to complex issues, the more we will be confronted with what we do not know an what we cannot controll.«683

Unsicherheit im Entdeckungskontext

Wenn die ästhetische Organisation eines Forschungsprozesses etwas ist, das sich uns im Entdeckungs- oder Entstehungskontext: im Akt des Suchens, Erfahrens und Forschens selbst entzieht und uns unsicher werden lässt, somit neue Ansprüche findet, stellt sich sowohl wissenschaftstheoretisch als auch aus kunstpädagogischer Perspektive die Frage, in welchem Maße eine solche Ästhetik der Forschung oder eine Ästhetik der Produktion eigentlich handlungsleitend wirkt, wie sie produktiv werden kann und wie sie im Nachhinein reflektiert werden kann.

Ästhetik der Forschung

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JAKOBS, SILKE: Ästhetische Erfahrung in den Naturwissenschaften. 2002. S. 70. KROHN, WOLFGANG / VAN DEN DAELE, WOLFGANG: Science as an agent of change. 2001. S. 203– 204.

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Wissenschaftskritik

INSZENIERUNG DER SUCHE

»Nicht nur Forschungsgegenstände werden also sinnlich und als ästhetische Gegenstände wahrgenommen, sondern der Forschungsprozess selbst als ästhetischer Prozess beschrieben.«684

Ästhetik der Forschung

Wissenschaftliche Repräsentation als Praxisforschung

Kulturen der Evidenz

Produktions begleitende Dokumentation

Systematische Untersuchungen zu der Frage, wie eine ästhetische Organisation wissenschaftliche Forschungsprozesse prägt, sind mir nicht bekannt. Der Weg, den eine solche Analyse einschlagen müsste, kreuzt erneut die Weise der Darstellung und der Repräsentation des Wissens und damit das Ästhetische. Analog zu der von mir verwendeten praxeologischen Methodologie in der dokumentarischen Methode fordert der Direktor des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin Hans-Jörg RHEINBERGER eine »praxisorientierte Repräsentationsanalyse«, der es »vor allem um die experimentellen und instrumentellen, die pragmatischen und diskursiven Aspekte wissenschaftlicher Symbolproduktion, um Repräsentation als eine kulturelle Tätigkeit« geht.685 In diesen praxeologischen Kontext gehören bildgebende Verfahren der Wissenschaft, in Form einer Fotografie, Sonografie, Thermografie, Kardiografie, Tomografie etc.686, ebenso wie die wissenschaftliche Rhetorik, die Michael CAHN am Beispiel der Fußnote als typografische Schreibpraxis untersucht.687 Diese visuellen, textuellen und räumlichen Darstellungen sind Anwendungen der Erfahrung und Kulturen der Evidenz688, die im Kontext des Handelns als Prozesse der Entscheidungsfindung in Bezug auf die Formierung des Wissens untersucht werden müssten. Beispielsweise ist es denkbar, dass die Entscheidung, ob jemand eine empirische oder ein rein theoretische wissenschaftliche Arbeit schreibt, nicht ausschließlich dessen Verantwortung gegenüber dem Forschungsgegenstand geschuldet ist, sondern sich bereits zuvor, bei der Suche nach diesem, als ästhetische Antizipation der Schreibpraxis oder der Rhetorik etc. entpuppt. Diese, im Entdeckungskontext getroffene implizite Entscheidung, die die ästhetische Organisation der Erfahrung betrifft, ist eine vorgängige689, die sich im nachträglichen Begründungszusammenhang kaum als solche formulieren lässt, zumal sie damit die Glaubwürdigkeit einer methodisch kontrollierbaren, rational steuerbaren und rhetorisch plausiblen Wissenschaft unterlaufen würde. Doch wie kann diese Entscheidung wissenschaftlich untersucht werden? Hier reicht es nicht aus, eine neue Methode der Bildinterpretation zu entwerfen, denn sie nähme wieder nur ein Bild im Vergleich zum Text o. Ä. ins Visier. Sie berücksichtigte weder die Genese der Bildentstehung noch der Wissensformation. Insofern bedarf es einer produktionsbegleitenden Methode, die inter- und transmediale Darstellungsweisen mit einschließt, wie ich es für die Aufzeichnungen gezeigt habe. Dabei könnte sich herausstellen, dass sich die unterschiedlichen Anwendungen in wissenschaftlichen Repräsentationen von ästhetischen vor allem durch die Bandbreite ihres indexikalischen Interpretationsspielraumes unterscheiden: 684 685 686

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JAKOBS, SILKE: Ästhetische Erfahrung in den Naturwissenschaften. 2002. S. 76. RHEINBERGER, HANS-JÖRG / MICHAEL HAGNER / WAHRIG-SCHMIDT, BETTINA (Hg.): Räume des Wissens: Repräsentation, Codierung, Spur. 1997. S. 9. HOFFMANN, UTE / JOERGES, BERNWARD / SEVERIN, INGRID (Hg.): LogIcons. Bilder zwischen Theorie und Anschauung. 1997. – BREDEKAMP, HORST / WERNER, GABRIELE (Hg.): Bilder in Prozessen. 2003. – BREDEKAMP, HORST / WERNER, GABRIELE (Hg.): Oberflächen der Theorie. 2003. – FISCHEL, ANGELA (Hg.) Instrumente des Sehens. 2004. – BREIDBACH, OLAF: Bilder des Wissens. Zur Kulturgeschichte der wissenschaftlichen Wahrnehmung. 2005. – HESSLER, MARTINA (Hg.): Konstruierte Sichtbarkeiten. 2005. CAHN, MICHAEL: Die Rhetorik der Wissenschaft im Medium der Typographie. 1997. Vgl. PFOTENHAUER, HELMUT / RIEDEL, WOLFGANG / SCHNEIDER, SABINE (Hg.): Poetik der Evidenz. 2005. Mit Bloch habe ich diese Vorgängigkeit beschrieben als »Davor des Noch-Nicht« oder das »NochNicht als Kategorie des Verbs«. S. 67.

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

»Auch bei der wissenschaftlichen Visualisierung handelt es sich nicht nur um reine Abbildungen, sondern um Konstrukte […]. Dennoch sind ihre Ergebnisse eindeutig. Sie unterliegen nicht der freien Interpretation, wie künstlerische Visualisierung, die gerade zur freien Assoziation herausfordern. Sondern, was wissenschaftliche Visualisierung abbildet, bedeutet oder anzeigt, ist indexikalisch festgelegt. Mit Hilfe entsprechender Zeichenerklärungen sind wissenschaftliche Bilder zweifelsfrei zu entschlüsseln. Sie sind logisch und nachvollziehbar in ihren Beziehungen zwischen Objekt, Bild und Bedeutung«.690

Doch im Unterschied zu einer Erforschung der Entscheidungsfindung im Entdeckungskontext ist die Praxis der Interpretation eine nachträgliche, die bereits von einem fertigen Gegenstand als Bild, Text etc ausgeht. Eine Herausforderung, mit der man auch die ästhetische Erfahrungsorganisation in wissenschaftlichen Forschungsprozessen erkunden könnte, liegt laut den Herausgebern des kunsthistorischen Jahrbuchs »Bildwelten des Wissens« darin, »visuelle Repräsentationen von Wissen als Bestandteil der Wissensformationen zu rekontextualisieren, ohne ihre Spezifik und Eigenwilligkeit aus den Augen zu verlieren.«691 Eine systematische Forschung dieses Feldes steht jedoch noch aus. In Bezug auf die »Bilder des Wissens« und deren Beobachtung fordert Olaf BREIDBACH: »Sehen – und damit das Beobachten – ist entsprechend umfassend, im Rahmen einer Theorie der Ästhetik zu thematisieren. Die Wissenschaften und auch das Experiment sind in solch einer Theorie zu verorten.«692 Eine derartige Theorie der Ästhetik ist jedoch, so ergänze ich, nicht unabhängig von dem Produktionsprozess innerhalb der Forschung zu denken. Ihre Theoriebildung könnte mit der angewandten Organisation der Erfahrung in Grafien beginnen.

Herausforderung: Formierung des Wissens

Ästhetik der Produktion Auch aus kunstpädagogischer Perspektive wird die ästhetische Organisation der Erfahrung vor allem im Produktionsprozess virulent. Beispielsweise treffen wir im Zeichenprozess ästhetische Entscheidungen für Zeichenrequisiten, Materialträger oder eine kompositorische Bildfindung, die sich im Prozess des Entscheidens entziehen. Diese Entscheidungen beruhen auf einer impliziten »Handlungs- oder Produktionsintelligenz«693, einer »Poetik der Hand«.694. Für diese, die leibliche Dimension betonenden Abläufe, gibt es jedoch bis heute kaum produktionsästhetische Forschungsansätze, die neben der oft metaphysisch oder stereotyp anmutenden »Legende vom Künstler«695 einen Einblick geben könnten in spezifische, situative Entstehungssituationen von ästhetischen Schaffensprozessen. Eine Ausnahme sehe ich in den Arbeiten von Holger SCHULZE, der – im ersten Graduiertenkolleg einer deutschen Kunstuniversität zur »Praxis und Theorie des künstlerischen Schaffensprozesses« (1998– 2005) – seit 1998 eine produktionsbegleitende Forschung betreibt, für die er die Textsorte »Theorie-Erzählung« entwirft und sie »zwischen Popkultur, Privatwirtschaft und dem, was einmal Kunst genannt wurde« ansiedelt.696 690 691 692 693 694 695 696

JÄGER, GOTTFRIED: Abbildungstreue. 1999. S. 150. BREDEKAMP, HORST / FISCHEL, GABRIELE / SCHNEIDER, BIRGIT / WERNER, GABRIELE: Bildwelten des Wissens. 2003. S. 19. BREIDBACH, OLAF: Bilder des Wissens. 2005. S. 187. SCHUBERT, PETER: Nachdenken über künstlerische Praxis. 2003. S. 321f. KÖHN, ECKHARDT: Erfahrung des Machens. 2005. S. 121f. – Vgl. auch Rudloff, Holger: Produktionsästhetik und Produktionsdidaktik. 1991. KRIS, ERNST / KURZ, OTTO: Die Legende vom Künstler. 1995, zuerst 1934. Vgl. SCHULZE, HOLGER: Das aleatorische Spiel. 2000. – Ders: Heuristik. Theorie der intentionalen Werkgenese. 2005.

237

Handlungsintelligenz im Produktionsprozess

INSZENIERUNG DER SUCHE

Aktualität der Produktionsästhetik

Während Franck HOFMANN, ebenfalls Kollegiat in Berlin, im Jahr 2000 produktionsästhetische Theorien noch als »Desiderat« verzeichnet697, hebt Eckhardt KÖHN fünf Jahre später die »Aktualität der Produktionsästhetik« in der Literaturwissenschaft hervor und prognostiziert damit eine »Wiederkehr des Autors«. In seinem Buch »Die Erfahrungen des Machens« geht er sowohl auf historische Poetiken, auf den zentralen Stellenwert des Technikbegriffs, wie auch auf die den produktionstheoretischen Überlegungen zugrunde liegenden Wissensstrukturen zwischen den anwendenden Künstlern und den anwendenden Pädagogen ein: »Das in jedem Diskurs über künstlerische Technik angelegte demokratische Potential, das darin besteht, daß alles, was über Herstellungsprozesse gewußt werden kann, prinzipiell jedem die Möglichkeit seiner Anwendung eröffnet, hat sich am stärksten in einem Bereich entfaltet, wo es vermutlich am wenigsten erwartet werden konnte. In der Literaturdidaktik hat die Bevorzugung handlungs- und produktionsorientierter Verfahren im Deutschunterricht durchaus zu einer Entmystifizierung literarischer Schaffensprozesse beigetragen«698

Wenn ich gesagt habe, dass ich zu einer Entmystifizierung und Differenzierung des Begriffes »Ästhetische Erfahrung« beitragen möchte, so geschieht dies unter Beachtung der produktionsästhetischen Perspektive in Bezug auf die Grafien im Kunstunterricht. Die Grafien als Methode zur Vergegenwärtigung ästhetischer Anwendungen der Erfahrung in ihrer Entstehung zu begreifen, hat damit zu tun, die Anwendung ernst zu nehmen, die nämlich eine Verknüpfung von Material und Technik im Herstellungsprozess dokumentiert als leiblich verankerte Entscheidungssituation. »Das dem Material der Kunst geltende Interesse erweist sich den Gegenständen und Quellen nach mit der Theorie künstlerischer Schaffensprozesse eng verknüpft. Gegenüber einer in der Logik der Materialikonographie liegenden Trennung von Material und Technik insistiert eine Perspektive, in der das Material der Kunst als Zugang zu einer künstlerischen Schaffensprozesse einholenden Theoriebildung gewählt wird, gerade auf diesen Zusammenhang. Sie sieht ihn nicht nur für die Konzeption ästhetischer Produktivität, sondern auch für die im Bereich der Kunstpraxis selbst entfalteten Auffassungen des Materials als entscheidend an.«699

Grafieforschung

In dieser Hinsicht kann der in den letzten Jahren entfachte Diskurs über das »Material der Kunst«700 möglicherweise als Indikator für eine noch ausstehende Produktionsästhetik gelten, deren »Material im Prozess« zur Theoriebildung beitragen kann.701 Eine Grafieforschung aus kunstpädagogischer Perspektive könnte hierzu sicherlich Sinnvolles beitragen, denn die von Kindern, Jugendlichen und Studierenden angewandten Grafien könnten produktionsbegleitend erfolgen und so Aufschluss über bestimmte Phasen und Abläufe der 697

698 699 700 701

238

»Bis heute sind Theorien ästhetischer Produktivität und ihres Materials kein fester Betandteil philosophischer Ästhetik. Es ist vielmehr ein Desiderat festzuhalten, wenn in einer aktuellen Encyclopedia of aesthetics weder der Eintrag ›Produktion‹, noch das Lemma ›Produktivität‹ verzeichnet wird. Auch der ältere Begriff des künstlerischen Schaffensprozesses findet sich nicht.« HOFMANN, FRANCK: Materialverwandlungen. 2000. S. 17. KÖHN, ECKHARDT: Erfahrung des Machens. 2005. S. 20 HOFMANN, FRANCK: Materialverwandlungen. 2000. S. 29. Zur Materialität der Aufzeichnung vgl. auch S. 73, 121, 193, 219, 233. »Die Arbeit an einer Theorie künstlerischer Schaffensprozesse kann sich verschiedener Perspektiven bedienen, die jedoch nur unter Laborbedingungen einer nachgeordneten Analyse zu trennen sind. Im Folgenden werden drei herausgestellt. Eine – hier präferierte – Möglichkeit mit der Theoriebildung anzusetzen, bietet der Blick auf das Material und auf dieses bearbeitende Techniken, auf Strategien, durch die Künstler und Werke in Beziehung gesetzt, bzw. die einen wie die anderen im Feld des Ästhetischen generiert werden. Ein zweiter Ausgangspunkt ist die Beziehung, in der ein empirisches Künstler-Subjekt zum Werk steht. Drittens gilt die Aufmerksamkeit der Forschung einer Phänomenologie des Kunstwerks als Artefakt, von der aus erst der Blick auf diejenigen gerichtet wird, die an ihm arbeiten.« HOFMANN, FRANCK: Materialverwandlungen. 2000. S. 21–22.

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Produktion geben, wie ich es ausführlich am Beispiel von Nora Erikson und aus meiner forschenden Perspektive an den methodologischen Übersetzungsschritten gezeigt habe.702 Da sich die Praxis der Dokumentation und die Erkenntnisgenerierung wechselseitig beeinflussen und einander bedingen, liegt es nahe, im Produktionsprozess selbst Notationsweisen zu entwickeln, die Erfahrungen und Erkenntnisse kommunizierbar machen. Die Entstehungsprozesse innerhalb der Produktion nicht nur in den Blick zu nehmen, sondern zu manifestieren, schlägt auch Klaus-Peter BUSSE mit dem Einsatz von »produktionsästhetischen Atlanten« vor.703 Darauf werde ich noch eingehen. – Was sich an solch produktionsästhetischen Anwendungen im Hinblick auf die ästhetische Organisation der Erfahrung zeigt, muss ausgehend vom Einzelfall praxeologisch untersucht werden. Die Frage, inwieweit indessen die ästhetische Organisation der Erfahrung für eine Produktion handlungsleitend wird und wie sie zu neuen Erfahrungen und Organisationen führen kann, erschließt sich erst über eine angewandte Heuristik, auf die ich im Folgenden eingehen werde. Sie bietet auch die Grundlage für eine angemessene Reflexion über die ästhetisch organisierte Erfahrung in Forschungs- und Produktionsprozessen.

»Die Bedeutung des Wortes ›Findigkeit‹ schillert zwischen dem Finden dessen, was es schon gibt, und dem Erfinden dessen, was es noch nicht gibt. Das Griechische und Lateinische kennt für beides nur ein Wort, nämlich die Verben İȪȡȓıțİȚȞ bzw. inveniere, von denen sich die Wortbegriffe wie Heuristik und Invention herleitet.«704

Findigkeit – Eine Heuristik für die Kunstpädagogik? Die Heuristik geht den für die Forschung grundlegenden Fragen nach, wie neue Erfahrungen entstehen705, wie wir etwas erfinden und wie Probleme gelöst werden können. Um diese Fragen ging es auch Bernhard WALDENFELS, als er seinen 2002 gehaltenen Vortrag in der Experimentierhalle des Maschinenbaus der Universität Dortmund mit »Findigkeit des Körpers« betitelte und die leibliche Dimension der Heuristik fokussierte. Die Betonung der körperlichen Findigkeit des Selbst, die er einer technisch-mechanischen als »Fremdkörper« gegenüberstellte, wurde im stählernen Ambiente des hohen, teilweise verglasten Vortragsraums durch zeichnerische Bildfindungen der Studierenden im Grenzbereich von Technik und Kunst visuell unterstrichen. Dabei wurde deutlich, dass eine allgemeine, d.h. eine die Körperlichkeit ausklammernde, rein theoretische Heuristik als wissenschaftliche Meta-Disziplin bodenlos bliebe706, wenn sie die Konstitution des Selbst und den stets situativ eingebetteten, singulären Anspruch unbeachtet ließe. Auch die Findigkeit gibt es nur als angewandte. Aber woran können wir dies festmachen, wie sie erkennen? Die Findigkeit eines Selbst ist nicht ohne Vorerfahrungen, einen eigenen Anspruch und die pathische Grundierung der Erfahrung zu denken: »Wir haben oder wir machen Erfahrungen. Die Erfahrungen, die wir haben, sprechen gegen die Erfahrungen, die wir machen, und die Erfahrungen, die wir machen, sprechen gegen die Erfahrungen, die wir haben. Und dennoch können wir Erfahrungen nur machen, weil wir Erfahrungen haben, und die Erfahrungen, die wir haben, bestehen aus Erfahrungen, die wir gemacht haben. 702 703 704 705 706

Zu den methodologischen Übersetzungen S. 208–209. BUSSE, KLAUS-PETER: Atlas. Ein kunstdidaktischer Handlungsapparat. 1999. S. 310–324. WALDENFELS, BERNHARD: Findigkeit des Körpers. 2004. S. 33. Zu neuen Erfahrungen S. 71, 257, 259. Vgl. auch SCHULZE, HOLGER: Heuristik. Theorie der intentionalen Werkgenese. 2005. S. 18.

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Findigkeit des Körpers

Vorerfahrungen

INSZENIERUNG DER SUCHE

Wir erwarten, daß sich unsere alten Erfahrungen ständig wiederholen, und machen immer wieder neue Erfahrungen. Die gewohnten Erfahrungen kommen uns so vor, wie der natürliche Lauf der Dinge, die unheimlichen Erfahrungen wie die einmaligen Ereignisse der Geschichte.«707 Praxis des Entwerfens

Von der Vorstufe zum Entwurf

Zugang zum Entwerfen

Wie aber ereignet sich das, was wir neue Erfahrung nennen? Wie kommt das Unvorhersehbare überhaupt ins Spiel? – Meines Erachtens ist die Praxis des Entwerfens, die im »Spannungsfeld von Kunst und Wissenschaft« auch als Konstruieren, Projektieren, Entwickeln, Antizipieren oder »Entwurfshandeln« bezeichnet wird708, eine genuin heuristische Handlung, da sie sich auf das Zukünftige richtet und etwas Neues antizipiert. Diese Vorwegnahme des Neuen, die ich im Kapitel »Zugang zur Forschung« bereits als Paradox der Suche beschrieben habe709, bedarf zumindest einer vorläufigen Formbildung am Material und in einem Medium. Diese Formation ereignet oder besser gesagt: sie findet sich in der Praxis des Entwerfens. Im Entwurf wird die ästhetische Organisation der Erfahrung für eine Produktion handlungsleitend. Als »Vorstufe« zu einem Werk – speziell in der werkgenetischen literaturwissenschaftlichen Forschung seit den 70erJahren710 – ist »der Begriff des Entwurfs im Hinblick auf jede Produktionsästhetik von zentralem Interesse«711, denn er bietet einen Einblick in die Entstehungsgenese. Darüber hinaus jedoch hat der Entwurf als Antizipation eines Zukünftigen »ein eigenes Gewicht, er bildet keineswegs eine bloße Vorstufe.«712 Vielmehr ist die »Tätigkeit des Entwerfens – fundamentaler Akt künstlerischen Schaffens und häufig blinder Fleck theoretischer Reflexion«.713 Die Frage nach dem ästhetischen Stellenwert von Entwürfen ist von gattungsspezifischen Konventionen, dem historischen Kontext und nicht zuletzt seinem Gebrauch abhängig. Diese Kontexte können wir am Produkt selbst nicht ablesen. So kann beispielsweise dieselbe Bleistiftskizze einer Person, sowohl als Vorstufe für ein gemaltes Bild, als Urlaubserinnerung in einem Album fungieren, im Kontext einer Reportage auftauchen oder als Phantombild verwendet werden. Erst die Einbettung eines Entwurfs in seinen genetischen Entstehungszusammenhang erlaubt eine Re-Kontextualisierung.714 Wenn ich nun die Grafien als Praxis des Antwortens einsetze, um bei den Lernenden Suchprozesse zu initiieren, die ich anhand ihrer Inszenierung anschließend rekonstruiere, so werden sich darin zwar einige Entwürfe finden, aber ebenso festgehaltene Erinnerungen, also in die Vergangenheit gerichtete Eintragungen. Gerade diese unterschiedlichen Weisen der Vergegenwärtigung machen es jedoch möglich, dass der individuelle Zugang zur Praxis des Entwerfens in Relation zur Erinnerung untersucht und thematisiert werden kann.715 Die Frage, wie etwas mittels der Grafien dargestellt wird, ist nicht davon zu trennen, welche Zeiten in der Grafie verwendet werden und auf welche Zeiten Bezug genommen wird.

707 708 709 710 711 712 713 714 715

240

KROCHMALNIK, DANIEL: Das Mirakel von Giwon. Wissenschaft und Wunder im jüdischen Denken von Maimonides bis Spinoza. 2000. S. 95. Vgl. zur Begriffs- und Ideengeschichte des Entwerfens BANSE, GERHARD: Konstruieren im Spannungsfeld: Kunst, Wissenschaft oder beides? 2000. S. 19. S. 83. MAINBERGER, SABINE: Von der Liste zum Text – vom Text zur Liste. Zu Werk und Genese in moderner Literatur. 2003. S. 269. PESCHKEN, MARTIN: Notiz und Entwurf. Überlegungen zum editorischen Umgang mit lyrischem Entwurfsmaterial am Beispiel des Nachlasses von Erich Ahrendt. 2003. S. 254. WALDENFELS, BERNHARD: Findigkeit des Körpers. 2004. S.61. MATTENKLOTT, GUNDEL / WELTZIEN, FRIEDRICH: Einleitung. 2003. 7–8. Zu bildpragmatischen Aspekten vgl. SOWA, HUBERT: Bildhandeln, Bildgebrauch, Bildspiel. Bildpragmatische Aspekte der Kinderzeichnung. 2003. S. 110–127. Auch die Erinnerung kann, indem sie inszeniert wird, einen Entwurfscharakter erhalten, indem durch die Grafie, die Sicht auf das Vergangene modifiziert wird, sich verschiebt und darin etwas Neues sichtbar wird. Vom Entwurf unterscheidet sie sich jedoch dadurch, dass es den Gegenstand schon gab, während er sich im Entwurf erst bildet.

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Ob eine Inszenierung stärker eine potentielle Zukunft projiziert oder mehr auf Vergangenes verweist, zeigt sich als Muster der Bezugnahme erst durch wiederholte Aufzeichnungen. Die zeitliche Ausrichtung der Aufzeichnung wirkt sich jedoch auf die ästhetische Organisation der Erfahrung aus. Handlungsleitend wird die ästhetische Formation vor allem, wenn sie vom individuell Bekannten abweicht und sich etwas Unbekanntem nähert. Dies geschieht im Entwurf. Von außen kann man als Lehrender die Abweichung vom Bekannten durch Störungen provozieren, wie es in der Geschichte der Kunstpädagogik nicht selten, insbesondere von männlichen Lehrenden propagiert wird. Aber wer wollte sich anmaßen, die Systematiken und Organisationsweisen der Lernenden zu kennen, um sie »sinnvoll« stören zu können? Und warum sollten die Lernenden nicht ein eigenes Interesse haben diese Störung als heuristische Störung der Systematik oder Gewohnheit herbeizuführen, wenn ihr Anspruch es zulässt? Ich betone, dass Entwürfe besonders dann produktiv werden, wenn wir auf das, was wir laut BLOCH noch nicht haben, entwerfend antworten. In der störanfälligen Praxis des Entwerfens wird so die ästhetische Organisation der Erfahrung handlungsleitend, denn: etwas anderes haben wir nicht. Wenn ich aber erwähnt habe, dass die ästhetische Organisation der Erfahrung sich speziell im Entdeckungskontext entzieht, hängt dies eben damit zusammen, dass sie hier handlungsleitend wird. Ein implizites Wissen, das leiblich verankert ist, organisiert die Erfahrung. In Bezug auf die (Auf-)Zeichnung schreibt Derrida über diesen Entzug: »Dieses Nichtsehenkönnen [impouvoir] ist nicht Unvermögen oder Ohnmacht, im Gegenteil, es liefert der Erfahrung des Zeichnens ihre quasi-transzendentale Ressource.«716 Das inkorporierte Noch-Nicht-Wissen als »Nichtsehenkönnen« oder »Nichtsagenkönnen« macht Erfindungen und Findigkeiten erst möglich, es wird zur »kreativen Quelle«.717 Eine kunstpädagogische Lehre, die im selbst organisierten Lernen der Anderen deren Findigkeiten Raum lassen will, inszeniert Entdeckungskontexte. Sie erfindet Anwendungen und symbolische Formen (wie die leere Landkarte) für eine »Heuristik, die ein verkörpertes Suchen und Erfinden in Betracht zieht«718 und die sich nicht scheut, »sich der persönlichen Erfahrungsweise, den intimen Reflexions- und Entscheidungsprozessen einer Werkgenese« zuzuwenden.719 Eine so verstandene Praxis des Entwerfens stellt durch die ästhetische organisierte Wissens- und Erfahrungsformation nicht nur eine Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft her, sie ermöglicht zudem ein differenzierteres, angewandtes Sprechen und Schreiben über ästhetische Erfahrungen. Eine Praxis des Entwerfens bietet die Grundlage für eine angemessene Reflexion über die ästhetisch organisierte Erfahrung in Forschungsund Produktionsprozessen, da sie ihren Gegenstand nicht im Voraus hat, sondern ihn durch die angewandte Grafie werden lässt. Dadurch werden die Bruchlinien und der Entzug als »Nicht-Wissen« bzw. Grenzwissen erfahrbar.720 Die ästhetische Organisation der Wissensformation findet sich gewissermaßen im Entwurf. Dieser richtet sich »gegen das Fertige«721 und Festschreibende, das Lernen und Erfahrung verhindert. Im immer vorläufigen Versuch des Entwerfens erfahren wir den eigenen Anspruch. – Was aber, wenn die aktuelle Textkonjunktur zur »Ästhetischen Erfahrung« selbst Antwort wäre und ein einsetzendes Verschwinden des singulären Anspruchs suggerierte?

716 717 718 719 720 721

DERRIDA, JACQUES: Aufzeichnungen eines Blinden. 1997. S. 49. Vgl. S. 110. WALDENFELS, BERNHARD: Findigkeit des Körpers. 2004. S. 43. SCHULZE, HOLGER: HEURISTIK. Theorie der intentionalen Werkgenese. 2005. S. 14. Zum »Grenzwissen« und »Nichtwissen« vgl. S. 31, 83, 219, 257. Vgl. BLOHM, MANFRED: Gegen das Ähnliche und das Fertige. 1996. S. 97–98.

241

Störung

Entwurf und Ästhetische Organisation der Erfahrung

Inszenierung von Entdeckungskontexten

Praxis des Entwerfens führt zur Erfahrung des Anspruchs

INSZENIERUNG DER SUCHE

Führten die medial bedingten Krisen der Repräsentation722 erst zur Thematisierung »ästhetischer Erfahrung«? Verlagert sich die Akzentuierung des Diskurses von der aktiven Gestaltungsmöglichkeit der Erfahrung durch einen »Gebrauch der Sinne«723 hin zu einer passiveren »Körperwerdung«724 mitsamt der Ungewissheit725, Haltlosigkeit726, der begrenzt lehr- und lernbaren, pathisch grundierten Erfahrung? Indem ich den eigenen Anspruch als motivationale Grundlage für die Grafie herausgestellt habe sowie die Bedeutung des impliziten Wissens für eine Praxis des Entwerfens, betone ich die Bedeutung der pathischen Grundierung der Erfahrung sowohl als leiblichen Zugang zur Erfahrung und zugleich als Grenze des (darstellbaren) Wissens. Die Möglichkeit anhand von Aufzeichnungen diese Grundlagen zu berücksichtigen, um eine »pathische Repräsentation«727 herzustellen, sehe ich vor allem im Kontext eines »Forschenden Lernens«.

2. Anwendung im Kontext »Forschendes Lernen« »Forschendes Lernen« als didaktische Konzeption

In seinen »Empfehlungen zur künftigen Struktur der Lehrerbildung« sprach sich der Wissenschaftsrat 2001 dafür aus, in der Hochschulausbildung »die Haltung forschenden Lernens ein[zu]üben und [zu] fördern, um die zukünftigen Lehrer zu befähigen, ihr Theoriewissen für die Analyse und Gestaltung des Berufsfeldes nutzbar zu machen und auf diese Weise ihre Lehrtätigkeit nicht wissenschaftsfern, sondern in einer forschenden Grundhaltung auszuüben.«728 Diese als »Haltung« charakterisierte didaktische Konzeption des »Forschenden Lernens«, wurde bereits seit Ende der 1960er-Jahre im hochschuldidaktischen Diskurs verhandelt.729 722 723

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242

Vgl. zu den medial bedingten Krisen der Repräsentation S. 58. SELLE, GERT: Kultur der Sinne und ästhetische Erziehung. 1981. – SELLE, GERT: Gebrauch der Sinne. 1988. – GRAUMANN, CARL FRIEDRICH / HERZOG, MAX (Hg.): Sinn und Erfahrung: phänomenologische Methoden in den Humanwissenschaften. 1991. – STAUDTE, ADELHEID (Hg.): Ästhetisches Lernen auf neuen Wegen. 1993. – LIPPE, RUDOLF ZUR: Sinnenbewusstsein. 2000. ENGELBACH, BARBARA: Zwischen Body Art und Videokunst. 2001. – Vgl. auch SÖLL, ÄNNE: Arbeit am Körper. Videos und Videoinstallationen von Piplotti Rist. 2004. HELSPER, WERNER / HÖRSTER, RAINHARD / KADE, JOCHEN (Hg.): Ungewissheit. Pädagogische Felder im Modernisierungsprozess. 2003. HAAS, WOLFGANG: Haltlosigkeit: zwischen Sprache und Erfahrung. 2002. Den Begriff »pathische Repräsentation« übernehme ich dem gleichnamigen Vortrag von Kathrin Busch auf der Tagung der AG Phänomenologie und neuere französische Philosophie zum Thema »Repräsentation: Zeichen – Zeit – Kunst – Politik« an der Ruhr Universität Bochum vom 1.– 2.04.2005. Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur künftigen Struktur der Lehrerbildung. 2001. »›Forschendes Lernen steht als didaktisches Prinzip in der bundesrepublikanischen Hochschulgeschichte erstmals am Ende der 1960er Jahre auf der Tagesordnung. In der Tradition der neuhumanistischen Bildungstheorie wirbt die Bundesassistentenkonferenz für einen Wissenschaftsbegriff, der nicht am ›statische[n] Besitz bestimmter Techniken und Kenntnisse‹ , sondern am ›dynamischen Vollzug oder Prozess der Forschung und Reflexion‹ und unter Beteiligung der Lernenden auszurichten sei (BAK 1970: 12ff). Die Selbststeuerung und -verantwortung von Lernzielen und wegen, insbesondere hinsichtlich der Entscheidung über mögliche Methoden, Versuchsanordnungen, Recherchen usw., aber auch der Hinweis auf den Anspruch der Wissenschaft in Bezug auf methodische Kontrollierbarkeit sowie die Hoffnung auf ›Zufallsfunde‹, ›fruchtbare Momente und unerwartete Nebenergebnisse‹ (ebd.) waren in der damaligen Diskussion Orientierungspunkte, die heute sowohl in wissenschaftstheoretischen Überlegungen […] als auch in den alltagssprachlichen Kontexten als ›entdeckendes‹, problem- und projektorientiertes kritisches Lernen in Schule und

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Die empirischen Studien, die daraufhin in den 70er-Jahren zur Erforschung des Lernprinzips im erziehungswissenschaftlichen Kontext anschlossen, waren ausschließlich quantitative Untersuchungen, die den Vorzug dieser Lernstrategie vor anderen – anhand von Tests – darzustellen suchten. Dazu zählen die pädagogisch-psychologischen Studien von Heinz NEBER zu Begründung, Forschungslage und didaktischer Einbindung des »learning by discovery«730 und von Detlev SEMBILL, zu Denk- und Handlungsspielräumen in Lernorganisationsformen (im Diplom-Studiengang Wirtschaftspädagogik).731 Aus heutiger Sicht frage ich mich – nicht zuletzt angesichts der Kritik an der PISAStudie732 – wie die hier formulierten hypothetischen Grundannahmen mit den jeweiligen Testverfahren zusammenhängen können, bzw. was die Testverfahren eigentlich »repräsentieren«. Indessen kritisierte Klaus RIEDEL schon 1973, dass »der Ertrag der Untersuchungen für Entscheidungen zum Lehr-/Lernverfahren in der Schule nach übereinstimmendem Urteil von zusammenfassenden Arbeiten minimal [sei]«, da lediglich »festgestellt wurde, daß unabhängig vom Zeitfaktor durch ein entsprechendes Lernen zumindest vergleichbare, wahrscheinlich aber bessere Behaltens- und Transferleistungen zu erzielen [seien] als durch ein rezeptiv aneignendes Lernen.«733 Von dieser tendenziell nachhaltigeren und motivierteren Weise des individuellen Lernens in Entdeckungskontexten gehe ich auch in dieser Arbeit aus, obgleich ich sie – aufgrund der individuellen Lerntypen, die Frederic VESTER zur selben Zeit propagierte734 – keineswegs ausschließend vertrete. Wenn ich mit dem Kapitel »Findigkeit – eine Heuristik für die Kunstpädagogik« herausgestellt habe, dass es für die Realisierung eines forschenden Lernens unabdinglich ist, die Findigkeiten der Anderen strukturell zu berücksichtigen, so bemängelt RIEDEL eben dies:

Empirische Studien zum »Forschenden Lernen« der 70er-Jahre

»Im Gegensatz zu originären Problemsituationen, aber auch zu dem von der Bundesassistentenkonferenz als didaktisches Prinzip eines wissenschaftlichen Studiums geforderten ›forschenden Lernen‹ mit ungewissem Ausgang der Denkanstrengung und dem Risiko des Scheiterns ist die unter didaktischer Zielsetzung arrangierte Lernsituation von der Problemlösung her konzipiert: der Lernende soll etwas entdecken, was dem Lehrenden bereits bekannt und zugleich als Lernziel des Lehrprozesses intendiert ist.«735

Dass Lernende nur entdecken dürfen, was Lehrende bereits vermeintlich wissen und dass das Entdeckte mit einem vorformuliertem Lernziel übereinstimmt, widerspricht der Annahme eines forschenden Lernens, in der es möglich sein muss, den Erfahrungshorizont der Lehrenden zu übersteigen. Daher wird »Forschendes Lernen« seit den 90er-Jahren als selbst organisiertes, mitunter lebenslanges Lernen verstanden, das – laut Oldenburger BLKProjekt der »Teamforschung« in der einphasigen Lehrer/innenbildung – die »Beteiligten nicht als AbnehmerInnen entsprechender Angebote und Lernarrangements [betrachtet], sondern als Subjekte der Veränderungsprozesse«.736

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Hochschule wieder sichtbar werden. DIRKS, UNA / HANSMANN, WILFRIED (Hg.): Auf dem Weg zu einer professionellen Unterrichts- und Schulentwicklung. 2002. S. 9–10. NEBER, HEINZ (Hg.): Entdeckendes Lernen. 1973. SEMBILL, DETLEV: Problemlösefähigkeit, Handlungskompetenz und Emotionale Befindlichkeit – Zielgrößen Forschenden Lernens. 1992. RUMPF, HORST: PISA und die Verödung ästhetisch gestimmter Sinnlichkeit. Vortrag auf der Tagung »Menschenbilder – Menschen bilden« vom 19.–20.11.2004 an der HBK Braunschweig unter der Leitung von Jutta Felke, Manfred Blohm und Carl-Peter Buschkühle. RIEDEL, KLAUS: Lehrhilfen zum entdeckenden Lernen. 1973 S. 293. VESTER, FREDERIC: Denken, Lernen, Vergessen: Was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn und wann lässt es uns im Stich? 1975. RIEDEL, KLAUS: Lehrhilfen zum entdeckenden Lernen. 1973 S. 28. FICHTEN, WOLFGANG / GEBKEN, ULF / OBOLENSKI, ALEXANDRA: Entwicklung und Perspektiven der Oldenburger Teamforschung. 2002. S. 115.

243

Forschendes Lernen seit den 90er-Jahren

INSZENIERUNG DER SUCHE

»Forschendes Lernen« bezeichnet demnach ein subjektorientiertes, selbst organisiertes Lernen, das von einer selbst gewählten Fragestellung mitsamt den selbst gewählten angewandten Methoden ausgeht. Ob man dabei im Team forscht, wie es das Oldenburger Modell vorschlägt, gar im Team promoviert, wie es eine hochschuldidaktische Evaluation eines Studienprojekts zeigt737 oder sich zum Forschungsaustausch mit anderen Forschenden trifft, wie ich es im Seminar praktizierte, ist für die Konzeption sekundär. Wichtig ist jedoch, überhaupt eine Kommunikationsmöglichkeit über Entscheidungen, Problemlösungen und Praktiken der Repräsentation während des Forschungsprozesses zu schaffen. In Bezug auf die Lehrer/innenbildung bietet »Forschendes Lernen« im Unterschied zu anderen didaktischen Rahmungen den Vorteil, dass es zudem »anlassbezogen, intentional und problemlöseorientiert« ist und dass es »Theoriewissen mit praxisbezogenem Handlungswissen« verbindet.738 Als Schwierigkeiten der Anwendung in der Schule werden dagegen »die Arbeit mit lernschwachen Kindern« und die intensive Vorbereitung, d.h. »genügend Anregungen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler« genannt.739 Die vermeintlich schwierige Anwendung mit »Lernschwachen« widerlegen neuere sonderpädagogische Studien.740 Wenn ich mich im Rahmen meines hochschuldidaktischen Seminars auf die kunstpädagogische Konzeption »Ästhetische Forschung« bezogen habe, deren Koordinaten ich im Folgenden kurz skizziere, so knüpfe ich damit an den Kontext und das Vorhaben eines »Forschenden Lernens« an.

Ästhetische Forschung

»Ästhetische Forschung« und »Ästhetisches Projekt«

Ziel: »Ästhetische Erfahrung«

Der Begriff »Ästhetische Forschung« wurde, bevor ihn Helga KÄMPF-JANSEN 2001 prägte, »gelegentlich für entdeckendes Handeln und Lernen benutzt oder synonym für Prozesse im Zusammenhang mit dem Ästhetischen Projekt«741 verwendet, wie es Gert SELLE in den 90er-Jahren entwickelte.742 Im Unterschied zum »Ästhetischen Projekt«, das eine zeitlich begrenzte Situation inszeniert, um »kunstnah« eine »Selbstbildungs- und Selbsterfahrungschance«743 an gemeinsam oder selbst gestellten Fragestellungen speziell in der Hochschulbildung anzubieten, zeichnet sich »Ästhetische Forschung« dadurch aus, dass sie über einen längerfristigen Zeitraum eine Verknüpfung »vieler Zugänge zur Welt- und Selbsterfahrung«744 sowohl in schulischen wie universitären Kontexten anstrebt und dabei von einer eigenen Frage ausgeht.745Mit dem »Ästhetischen Projekt« verbindet die »Ästhetische Forschung« das zugrunde liegende Bestreben, »ästhetische Erfahrungen« bei den Lernenden hervorzurufen.746 737 738 739 740

741 742 743 744 745 746

244

GEHRMANN, GERD / MÜLLER, KLAUS, D.: Forschendes Lernen als Strategie der Praxisreflexion im Studium der Sozialpädagogik. 1992. FICHTEN, WOLFGANG / GEBKEN, ULF / OBOLENSKI, ALEXANDRA: Entwicklung und Perspektiven der Oldenburger Teamforschung. 2002. S. 115. FOSTER, JOHN: Entdeckendes Lernen in der Grundschule. 1993. S. 20. HUBERT, CHRISTIN NOËL: Ästhetische Forschung - ein relevantes kunstpädagogisches Konzept für den Unterricht mit Schülern einer Schule für Gehörlose. 2004. – SPINATH, BIRGIT / WOHLAND, INES: Ein Lerntagebuch für den Unterricht in Schulen für Lern- und Körperbehinderte. 2004. SELLE, GERT: Das ästhetische Projekt. 1992. – SELLE, GERT / ZACHARIAS, WOLFGANG / BURMEISTER, HANS-PETER (Hg.): Anstöße zum »Ästhetischen Projekt«. 1994. KÄMPF-JANSEN, HELGA: Ästhetische Forschung. 2001. S. 19. ZACHARIAS, WOLFGANG: Zwischenbilanz – Das »Ästhetische Projekt« im Blick zurück nach vorn. 1994. S. 181. KÄMPF-JANSEN, HELGA: Ästhetische Forschung. 2001. S. 168. Zur eigenen Frage vgl. S. 18, 90, 100, 211, 228. SELLE, GERT: Anstoßversuche. 1994. S. 50, 63f. – Kämpf-Jansen, Helga: Ästhetische Forschung. 2001. S. 153.

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Beiden Konzepten gemeinsam ist zudem die Orientierung an künstlerischen Verfahren, insbesondere in Bezug auf die Kunst der »Spurensicherung«, wie sie Günter METKEN seit den 70er-Jahren belegt.747 Während die Lebenswelt der Lernenden sowie der Kunstbezug bereits als Koordinaten im »Ästhetischen Projekt« berücksichtigt wurden748, geht es Helga KÄMPF-JANSEN vor allem um deren Verknüpfung im Bildungsprozess. Mit der Setzung »Ästhetische Forschung« bezeichnet sie die Koordinaten »Alltag«, »Kunst« und zusätzlich »Wissenschaft« als gegenseitig sich bedingende, hervorrufende und vernetzte »Bezugsfelder«.749 Diese wechselseitige Verknüpfung verdichtet die erkenntnisgenerierenden Prozesse »Ästhetischer Forschung«. Fragt man sich nun, wie diese Vernetzung im Forschungsprozess gelingen kann, so stellt sich heraus, dass Helga KÄMPF-JANSEN den Tagebüchern eben diese Funktion beimisst.750

Vernetzung der Zugänge zur Weltund Selbsterfahrung

»Wesentlicher Bezugspunkt der Reflexionen ist das Tagebuch, in dem alle Stränge zusammenlaufen und neue entworfen werden.«751

Das Tagebuch als »Bezugspunkt der Reflexionen« Als Instrument des Antwortens bezeichnet das Tagebuch mehr als eine literarische Gattung, die durch eine autobiografische Darstellungsperspektive und eine chronologische Ordnung charakterisiert ist und wegen der offenen Form auch andere autobiografische Notationsweisen (wie Brief, Aphorismus, Reisebericht etc.) aufnehmen kann.752 Es ist mehr, da spätestens seit den Internet-Tagebüchern, den so genannten »weblogs«753, die Grenzen eines schriftlich editierten Textes im klassischen Buchformat zu Gunsten einer visuellen und akustischen Aufzeichnungspraxis überschritten wurden. Besonders im kunstpädagogischen Kontext wird daher der Stellenwert der »visuellen Tagebücher« in Bezug auf die individuellen Erfahrungsmöglichkeiten hervorgehoben. So schreibt Klaus-Peter BUSSE:

Tagebuch

Visuelles Tagebuch

»Einen sehr hohen Stellenwert in der Kartographie von Erfahrungen und Deutungen der biografischen Lebensräume haben visuelle Tagebücher. Eine kunstwissenschaftliche oder auch kunstdidaktische Beschreibung dieses Themas bezogen auf künstlerische und ästhetische Prozesse gibt es, soweit ich sehe, bislang nicht. Lediglich die literaturwissenschaftliche Komparatistik hat sich um eine Gattungsspezifik bemüht und Funktionen des Tagebuchs beschrieben.«754

Mit den Aufzeichnungen als ästhetischen Anwendungen der Erfahrung, hier: am Beispiel des »Visuellen Tagebuchs«, versuche ich im Folgenden eine Beschreibung der Einsatz- und Erfahrungsmöglichkeiten in der Lehre zu geben und damit gleichzeitig die Bezugspunkte der Reflexion zu markieren. Will man Tagebücher oder Aufzeichnungen als Methode anwenden, so stellt sich die Frage, in welchem Umfang und über welchen Zeitraum dies geschehen soll. Analog zum Lesetagebuch, bei der eine Lektüre begleitend notiert wird, kann man sich auch Tagebücher vorstellen, die spezielle motivische oder historische Anlässe aufgreifen und beispielsweise Bild-, Körper- oder Orts-»Lektüren« grafieren. 747 748 749 750 751 752 753 754

METKEN, GÜNTEr: Spurensicherung – Eine Revision. Texte 1977–1995. 1996. Vgl. Selles Bezeichnung der »Erfahrungsarbeit des Lebens auf Wegen der Kunst«. SELLE, GERT: Anstoßversuche. 1994. S. 50. KÄMPF-JANSEN, HELGA: Ästhetische Forschung. 2001. S. 254. Vgl. hierzu auch meinen Artikel: SABISCH, ANDREA: »Am Anfang steht eine Frage« – Das Tagebuch in der Ästhetischen Forschung. 2006. KÄMPF-JANSEN, HELGA: Ästhetische Forschung. 2001. S. 22. DUSINI, ARNO: Tagebuch. Möglichkeiten einer Gattung. München 2005. S. 108. SABISCH, ANDREA: web.log. Voraussichtlich 2006. BUSSE, KLAUS-PETER: Atlas-Mapping in der ästhetischen Praxis. (Teil 3). 1998. S. 12.

245

Erfahrungsmöglichkeiten eines visuellen Tagebuchs

INSZENIERUNG DER SUCHE

Aufzeichnungen basieren auf Freiwilligkeit

Erfahrung der Zeugenschaft

Erfahrung der Zeit

Aber all diese Anwendungen blieben Dekor oder Imitation, sofern sie nicht die Aufmerksamkeit und den Eigensinn derjenigen dynamisieren, die solch ein visuelles Tagebuch führen. Vor allem im Zusammenhang eines »Forschenden Lernens« und der vernetzten Annäherung »Ästhetischer Forschung« gehe ich daher von solchen Aufzeichnungen aus, die nicht nur thematisch, sondern auch von der Art der Darstellung selbst gewählt sind, sodass sich eine eigensinnige Praxis des Antwortens bilden kann. Eine solche Aufzeichnungspraxis basiert auf der Freiwilligkeit der Lernenden. Entsprechend muss es zum Einsatz des Tagebuchs im Unterricht beispielsweise in der Freiarbeit alternative Weisen der Auseinandersetzung geben. Wenn ich bereits die Funktion der Grafien zur Motivation755 und Generierung von Erfahrungsprozessen herausgestellt habe756, so besteht die erste Suchbewegung der Lernenden darin, sich auf ein Thema, eine Frage etc. einzulassen und sich dabei den eigenen Aufmerksamkeiten und Ansprüchen auszusetzen. Diese Phase ist an die Erfahrungsmöglichkeit einer persönlichen Vergegenwärtigung gekoppelt. Die Vergegenwärtigung wird durch die medieninduzierte Aufzeichnung im pädagogischen Kontext relevant. Sie modifiziert sich entlang der Grafie. Insofern fordert das Tagebuch immer wieder zur Erfahrung einer noch herzustellenden Zeugenschaft heraus. Die Erfahrung der Zeugenschaft macht Tagebücher zu persönlich relevanten Dokumenten757, die als Selbstzeugnisse zu interessanten Quellen u.a. für die Jugendforschung werden können. So begründete die Wiener Entwicklungspsychologin Charlotte BÜHLER in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts – also zur selben Zeit, die LAPPE als Hauptbeginn der Aufzeichnungsliteratur feststellt758 – »eine intensive Dokumentations- und Forschungstradition zum Jugendtagebuch«759. Damit legte sie den Grundstein für die empirische Entwicklungspsychologie.760 Die Erfahrung des Bezeugens impliziert eine Kommunikation. Sofern die Zeugenschaft durch die Grafie inszeniert wird und also nicht nur gesagt oder geschrieben, sondern auch symbolisiert oder gezeigt werden kann, produziert sie eine Gegenwärtigkeit. Insofern stimme ich Martin SEEL zu, wenn er programmatisch feststellt: »Jede Inszenierung [...] ist eine Inszenierung von Gegenwart« 761 Indem das Tagebuch Gegenwart inszeniert, wird etwas vergegenwärtigt und gleichermaßen der Charakter der Inszenierung erfahrbar. Im Unterschied zur erzählenden oder systematischen Darstellung dient das Tagebuch als Dokument dieser singulären Zeugenschaft, in der die ästhetische Organisation der Erfahrung rhythmisch, motivisch, o.ä. durchschimmert, da sie eben nicht im Voraus einer anderen Ordnung untergeordnet ist. Das Tagebuch kennzeichnet, dass es eine in Umfang und Ausmaß überschaubare Darstellungsform mit dem Tag als Maßeinheit ist, die sich sowohl auf die Aufzeichnung der Zeit (als Tagesereignis) als auch auf die Zeit der Aufzeichnung (als Dauer der Produktion) bezieht. Im Tagebuch wird die Zeit der Aufzeichnung zur aufgezeichneten, materialisierten und visualisierten Zeit. 755 756 757

758 759

760 761

246

SPINATH, BIRGIT: Motivation als Kompetenz: Wie wird Motivation lehr- und lernbar? 2005. Zu den »Fubktionen der Grafien«S. 211–218. »Vor allem brauchen SchülerInnen die Erfahrung, dass ihre Aufzeichnungen von inhaltlicher Relevanz für sie selbst und andere sind.« NÁDAS, ELKE / NIETZSCHMANN, RENATE: Erfahrungen mit Lerntagebüchern. 2001. S. 7. S. 246. WINTERHAGER-SCHMID, LUISE: Jugendtagebuchforschung. 2003. S. 357. – BÜHLER, CHARLOTTE: Das Seelenleben des Jugendlichen. 1975, zuerst 1921. – BÜHLER, CHARLOTTE (Hg.): Jugendtagebuch und Lebenslauf. Zwei Mädchentagebücher mit einer Einleitung. 1932. DEUTSCH, WERNER: Aus dem Kinderzimmer in die Wissenschaft. Entwicklungspsychologische Tagebuchstudien. 2001. S. 349. SEEL, MARTIN: Inszenieren als Erscheinenlassen. 2001. S. 53.

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Diese komplexe Wechselwirkung von Wahrnehmung und Zeiterfahrung762 spielt besonders während der Produktion des Tagebuchs eine Rolle, wenn – so Paul VALÉRY – die Aufzeichnenden eben noch nicht wissen, was wird: »Ich weiß noch nicht, was ich tun werde; und dennoch glaubt mein Geist sich zu kennen; und ich baue auf diese Kenntnis, ich zähle auf sie, sie, die ich als Ich bezeichne. Aber ich werde mir eine Überraschung bereiten; wenn ich daran zweifelte, wäre ich nichts. Ich weiß, ich werde erstaunt sein über diesen und jenen Gedanken, der mir gleich kommen wird – und dennoch verlange ich von mir diese Überraschung, ich baue und zähle auf sie, wie ich auf mein sicheres Wissen zähle. Ich hoffe auf etwas Unvorhergesehenes, das ich klar bezeichne; ich benötige mein mir Bekanntes und mein mir Unbekanntes.«763

Diese performative Schreibweise des Noch-nicht-Wissenden macht einen weiteren Bezugspunkt der Reflexion deutlich, der vor allem den Entwurfscharakter der Aufzeichnung betrifft: Die Erfahrung der Vorläufigkeit. Diese beschreibt Hartmut von HENTIG in Bezug auf das berühmte pädagogische »Tagebuch für Hugo« von Hermann FRANCK, das gleichzeitig zum Indiz eines Kriminalfalls wurde:

Erfahrung der Vorläufigkeit

»Das Tagebuch hat keinen ›plot‹; seine ›Geschichte‹ wird erst eine; das Mitgeteilte ist auf den Faden der Zeit gezogen. In einem Erziehungsroman weiß der Autor, wohin das führt, – und der Leser weiß es bald auch. Hermann Franck weiß es nicht, weiß nicht, was seine heutigen Aufzeichnungen morgen für eine Bedeutung haben wird…«764

Können die Verfasser die künftige Geltung ihres Tagebuchs auch kaum antizipieren, wirkt sich der Prozess des Aufzeichnens nicht bloß zeitlich auf ihr Leben aus. Das Notieren wird im Leben der Verfasser zu Haltepunkten oder »Stillstellen«765, in denen eine Neuorientierung stattfinden kann. Mit diesen Orientierungswechseln, die ich am Beispiel Nora Erikson dargelegt habe, sind aber auch die Schwierigkeiten einer Suche, wie etwa das Aushalten der Ungewissheit und des Unfertigen oder das wiederholte Verwerfen oder Abbrechen verbunden. Die Möglichkeit einer Erfahrung des Scheiterns ist gegeben. Sie darf nicht trivialisiert werden oder lediglich als »ungeschickte Handhabung«766 des Tagebuchs verstanden werden. Vielmehr verstehe ich die Erfahrung des Scheiterns, der Umbrüche und Abbrüche, die sich im Tagebuch manifestieren mit Gunter OTTO als »bildungsrelevantes Ferment des Lernprozesses.«767 Die Bruchlinien gehören zur Erfahrung. Durch das Tagebuch kanalisieren sie sich zu Wendungen der Erfahrungen, die im Nachhinein produktiv werden können: »Dadurch, dass alle ›Nebenschauplätze‹, wie alle Dinge, die nichts wurden, ernst genommen werden und die Aufzeichnungen all der Wege, die man wieder umkehren musste, weil sie sich als Irrtum, als verboten, verbaut oder in anderer Weise unzugänglich herausstellten, dazugehören, hat man eine der wichtigsten Erfahrungen im Bereich künstlerisch-wissenschaftlichen Denkens und Handelns gemacht:

762

763 764 765 766 767

Vgl. dazu die jüngst erschienenen Publikationen zum Thema Zeiterfahrung: MÜLLER-SCHÖLL, NIKOLAUS / REITHER, SASKIA (Hg.): Aisthesis. Zur Erfahrung von Zeit, Raum, Text und Kunst. 2005. – OESTERREICHER, WULF / WARNING, RAINER / KABLITZ, ANDREAS (Hg.): Zeit und Text. 2003. – RÜSEN, JÖRG (Hg.): Zeit deuten. 2003. – BOHRER, KARL-HEINZ: Ekstasen der Zeit. 2003. – RAULFF, ULRICH: Der unsichtbare Augenblick. 2000. BÜHLER, KARL ALFRED / SCHMIDT-RADEFELD (Hg.): Paul Valéry – Werke. 1989–1995. S. 59. HENTIG, HARTMUNT VON: Einführung. 2000. S. 21. GELHARD, ANDREAS / SCHMIDT, ULF / SCHULTZ, TANJA (Hg.): Stillstellen. 2004. S. 8. RAMBOW, RIKLEF / NÜCKLES, MATTHIAS: Der Einsatz des Lerntagebuchs in der Hochschullehre. 2002. S. 119. »Als bildungsrelevantes Ferment des Lernprozesses werden Brüche und Kontingenzen, Diskontinuitäten und Differenzen erkannt.« OTTO, GUNTEr: Lehren und Lernen zwischen Didaktik und Ästhetik. 1998. Bd. 1. S.84.

247

Erfahrung des Scheiterns

INSZENIERUNG DER SUCHE

Die Möglichkeit des Scheiterns, Verwerfens, Abbrechens wie des Neuanfangs sind wesentlicher Teil des Erfahrungsprozesses. Indem sie fixiert werden und so gleichsam als Vergegenständlichungen in Bildern und Texten sichtbar vorliegen, werden sie produktiv. Wenn die, die diese Erfahrungen gemacht haben eines Tages in ähnlicher Weise mit Kindern und Jugendlichen arbeiten werden, dann wird endlich ein unsinnig ausgegrenzter Teil ästhetischer Erfahrung - das Unfertige, halb Begonnene und Weggeworfene - eine durchaus wertgeschätzte Spur persönlicher Arbeit sein.«768

Erfahrung des Festhaltens

Erfahrung und Erinnerung

Diese Schwierigkeiten nicht nur privat auszuhalten, sondern sie zu fixieren (und sie zu veröffentlichen), heißt vor allem das Tagebuch nicht als stilsichere, bereinigte Form zu betrachten, sondern als Suche nach einer passenden Formulierung. Eine solche Ästhetik der Formulierungssuche klammert – und das müssen viele erst lernen – eine »Ästhetik des Häßlichen«769 nicht aus. Neben den bisher genannten Bezugspunkten der Reflexion, die die Offenheit, Vorläufigkeit und Unabgeschlossenheit von Aufzeichnungen ins Visier nehmen, verweist das »Tagebuch auf Möglichkeiten vielfältiger Praktiken des Festhaltens«.770 Gewöhnlich halten wir etwas fest, damit wir es nicht vergessen oder verlieren. Auf einem Einkaufzettel halten wir fest, was wir nicht mehr vorrätig haben, auf einem Foto halten wir visuelle Eindrücke aus dem Urlaub fest, auf einem Diktiergerät halten wir Gesprochenes in Echtzeit fest. In allen Fällen dient das Festhalten der Erinnerung. Wie eng der Prozess des Erinnerns mit der zukünftigen Erfahrungsgenese zusammenhängt, habe ich bereits im Zusammenhang mit dem habituellen Wissen und der Praxis des Entwerfens erläutert. Wie sich das Festhalten hingegen auf die eigene Lebenszeit auswirkt, schildert Christa WOLF in ihrem jüngst veröffentlichten, 40-jährigen Tagebuchprojekt Ein tag im Jahr: »Immer wieder bestürzt es mich, wie schnell und wie vieles man vergißt, wenn man nicht alles aufschreibt. Andererseits: Alles festzuhalten, wäre nicht zu verwirklichen: Man müßte aufhören zu leben. – «771 Diese scheinbar banale Erkenntnis zeigt die Grenzen einer Wechselwirkung von dem Grafieren des Lebens und der mit dem Grafieren verbrachten Lebenszeit: der Bio-Grafie auf.772 Für Aufzeichnende wird diese Grenzziehung, die ich bereits im Kapitel zur Sprachlosigkeit aufgegriffen habe, allerdings manchmal zur existentiellen Auslotung eines Entweder-Oder: »Schreiben oder Leben«773. Am Beispiel der »Memory Books« wird die Erinnerung sogar lebensnotwendig, denn hier schreiben und zeichnen todkranke HIV-infizierte Eltern etwas für ihre Kinder zur »Erinnerung« auf: »[…] in den Memory Books erzählen die Eltern – meist sind es die Mütter – ihre eigene Geschichte und die ihrer Familie und geben den Kindern Rat für die Zukunft. So erfahren die Kinder, was wichtig ist im Leben, wofür es sich zu kämpfen lohnt, warum eine Ausbildung die Basis für eine bessere Zukunft ist. Die Eltern berichten von ihren eigenen Eltern und sagen, was sie sich für ihre Kinder wünschen. Wissen, woher man kommt und wie es weitergehen soll – das gibt Halt. Die Arbeit mit dem Buch ermöglicht den Eltern auch, sich mit der Krankheit zu beschäftigen. Ein oft schmerzhafter Prozeß.«774

Die individuelle Bedeutung solcher Erinnerungsbücher, die als Projekt einer Hilfsorganisation initiiert wurden, um den elternlosen Kindern Orientierung zu geben und den Sterbenden eine Chance des Dialogs anzubieten, ist unermeßlich. 768 769 770 771 772 773 774

248

KÄMPF-JANSEN, HELGA: Ästhetische Forschung. 2001. S. 262. Vgl. ROSENKRANZ, KARL: Ästhetik des Häßlichen. 1996. MARQUARDT, CLAUDIA: Tagebücher. 1998. S. 44. WOLF, CHRISTA: Ein Tag im Jahr. 1960–2000. 2003. S. 9. In diesem Zusammenhang vgl. auch S. 85 und S. 96. SEMPRÚN, JORGE: Schreiben oder Leben. 1995. BAUCH, WERNER / RAVEN, MARIANNE, M.: Das Memory Book Projekt. 2004. S. 94. Für diesen Hinweis danke ich Barbara Welzel.

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

Diese Aufzeichnungen vitalisieren für die Adressaten nicht nur vorhandene Erinnerungen an die Eltern, sondern fungieren als Beleg, als Zeugnis einer Existenz, die die Adressaten möglicherweise nie gekannt haben werden. Die Erinnerungsbücher konstruieren Erinnerungen. Die Erinnerungen werden durch die Re-Präsentationen geweckt. Um die Erfahrung der Repräsentationen wird es im Folgenden gehen. Die Erfahrung der Repräsentation ist gekoppelt an die Fremderfahrung und Fremddarstellung, die – ich wiederhole WALDENFELS – sich dadurch auszeichnen, dass »unsere eigenen Erfahrungen und Darstellungen anderswo beginnen. […] Ein solches Sehen, Hören, Begehren, Reden und Tun, das anderswo beginnt, bezeichne ich als Antworten.«775 Betrachtet man die Aufzeichnungen als Praxis des Antwortens, stellt sich die Frage, wo die Antwort beginnt. Im Falle der »Memory-Books« beginnen die Antworten bei den vermuteten Fragen der Kinder. Aber gleichermaßen heißt dieses Antworten, sich selbst zu fragen, worauf und wo anfangen? Das Prinzip, die Anderen nicht durch die »Gewalt der Frage« einzuschränken, sondern das Antworten selbst zu bestimmen, habe ich im ethnografischen Kontext thematisiert. Wenn es um die Repräsentation der Anderen geht, ist die Frage entscheidend, in welchem Medium die Antwort, hier: die grafierte Antwort beginnen kann. Es macht einen Unterschied ob die aidskranken Eltern in Uganda, die möglicherweise Analphabeten sind, vor laufender Videokamera frei sprechen, ob sie dabei befragt werden oder ob sie ihre selbst gefundenen Antworten aufzeichnen (lassen).776 Ebenso macht es einen Unterschied, ob ich in kunstpädagogischen Situationen die Studierenden zu einem Thema live befrage oder ob ich sie selbst aufzeichnen lasse und mit diesen Grafien ein Instrument zur Diagnose und Analyse von individuellen (ästhetischen) Lernprozessen konzipiere.777 Am Beispiel der Fotografie konkretisiere ich nun die Bedeutung einer Grafie im Hinblick auf die Formierung der Erfahrung und als Bezugspunkt der Reflexion. In ihrem Essay zur Kriegsfotografie Das Leiden anderer betrachten beschreibt Susan SONTAG die Fotografie gewissermaßen als Kunst für Anfänger:

Erfahrung der Repräsentation als Antworten

Erfahrung der Grafie

»Die Fotografie ist die einzige bedeutende Kunst, in der Berufsausbildung und jahrelange Erfahrung keinen uneinholbaren Vorsprung gegenüber denen gewähren, die weder über eine Ausbildung noch über Berufserfahrung verfügen. Dafür gibt es viele Gründe – unter anderem die große Rolle, die der Zufall (oder das Glück) beim Fotografieren spielt, und die Vorliebe für das Spontane, Grobe, Unvollkommene.«778

Neben der vergleichsweise einfachen Handhabung und der mobilen Durchführung der Fotografie, die im kunstpädagogischen Kontext nicht nur eine immense Rolle für die Motivation der Lernenden spielt, ist die »lichtgeleitete« Anwendung der Erfahrung vor allem eine »Methode, etwas schnell zu erfassen und gut zu behalten«.779 Sie ist ein »nach allen Seiten hin offenes, so oder so einsetzbares Aufzeichnungssystem.«780

775 776

777

778 779 780

Zu den Grafien als Praxis des Anwortens vgl. S. 27, 219f, 228, 246ff. Das Problem von »Rede und Antwort«, sowie der Frage nach dem, wie Zeugenschaft transportiert werden kann, wird besonders transparent im Diskurs über den Dokumentarfilm und Interview. Vgl. BALLHAUS, EDMUND: Rede und Antwort. Antwort oder Rede? Interviewformen im kulturwissenschaftlichen Film. 2003. – ENGELBRECHT, BEATE / KRÜGER, MANFRED: Auf der Suche nach der idealen Form: Interview in fremden Kulturen. 2003. – HENLEY, PAUl: Are you happy? 2003. – MOHN, ELISABETH: Filming Culture: Spielarten des Dokumentierens nach der Repräsentationskrise. 2002. – NIESYTO, HORST (Hg.): VideoCulture. 2003. »Wir mussten also nach anderen Instrumenten suchen, die uns Auskunft darüber geben, wie sich individuelles Lernen vollzieht, wie sich die eigene Rolle in der Gruppe und in der Klasse entwickelt welche Haltung gegenüber den Aufgaben eingenommen wird.« NÁDAS, ELKE / NIETZSCHMANN, RENATE: Erfahrungen mit Lerntagebüchern. 2001. S. 7. SONTAG, SUSAN: Das Leiden anderer betrachten. 2003. S. 36. Ebd. S. 29. JOCKS, HEINZ-NORBERT: Der Gebrauch der Fotografie. 2004. S. 58.

249

Voraussetzung der Grafie

INSZENIERUNG DER SUCHE

Grafien als Datenquellen der Forschung

Die vergleichsweise flexiblen und schnellen Anwendungsmöglichkeiten führen dazu, dass Fotografien – insbesondere im Handy-Zeitalter – als bildhafte Zeugnisse im privaten wie öffentlichen Leben zunehmend verbreitet werden781, ohne dabei das handwerklich virtuosere Medium der Zeichnung zu ersetzen.782 Überdies ergibt sich aus der effektiven Funktionalität, dass Fotografien zunehmend als Erhebungsmethoden im Kontext qualitativer Forschung eingesetzt werden, demnach »neue« Daten783 produzieren und deshalb neue Forschungsbereiche, wie etwa die »Visuelle Soziologie« oder »Visuelle Anthropologie« begründen. Wenn Fotografien aber gleichzeitig im Rahmen der »Ästhetischen Forschung« eingesetzt werden, wird deutlich, dass sich wissenschaftlich und ästhetisch angewandte Methoden überschneiden und wechselseitig befruchten können, wie Kirsten WINDERLICH dies aus kunstpädagogischer Perspektive formuliert: »Damit stehen wissenschaftliche Methoden gleichberechtigt neben künstlerischen Verfahren. Diese Nähe zum Feld der Kunst beweist, daß die Kunstpädagogik bei der Entwicklung von Methoden, die sich der Fotografie bedienen, wichtige Beiträge für die Wissenschaft leisten könnte.«784

Grafie und Zeugenschaft

Durch die universellen Einsatzmöglichkeiten spezifiziert sich die fotografische Anwendung der Erfahrung gegenüber einer unverhältnismäßig viel komplizierteren Videografie. Sie ist im Unterricht praktikabler und im Hinblick auf ein Tagebuch auch in »Mischformen« anwendbar. Was die fotografische Methode jedoch für die Kunstpädagogik attraktiv macht, ist vor allem, dass sie zur Generierung von Zeugenschaften und als Auslöser für Erfahrungen eingesetzt werden kann. Die sich wechselseitig bedingend und modifizierende Dynamik zwischen Erfahrung und Grafie, die ich ausführlich im Kapitel »Zugang zur Forschung« beschrieben habe, berührt auch die Fotografie. Ebenso wie ich mir an einem möglichst nebligen Tag erst wegloses Gelände suche, um die Orientierung mittels eines Kompasses zu erfahren, kann die Fotografie beispielsweise dazu führen, nach neuen Motiven zu suchen, indem man reist: »Nun ist die Grafie einerseits ein Medium, die den, der sich ihm fotografierend verpflichtet fühlt, in Bewegung versetzt, weshalb auch viele Fotografen wie Robert Lebeck, Erik Valli, Wim Wenders oder Luc Delahaye, deren primärer Lebensentwurf Reisen heißt, sich der Fotografie nicht nur als Quelle des Gelderwerbs, sondern auch als Rechtfertigung einer Lebensform bedienen.«785

Ethische Implikationen

Aber mit der fotografischen Inszenierung der Zeugenschaft sind auch ethische Implikationen verbunden, nämlich eine Treue gegenüber dem Dargestellten. Diese Treue, die in der empirischen Forschung als »Gegenstandsangemessenheit der Methoden« bezeichnet wird und die ich den Aufzeichnungen zugrunde legte, diese Treue ist mit der Frage der angemessenen Darstellbarkeit und damit der Frage nach dem Ästhetischen genuin verbunden. Dies betrifft auch die Herstellung von etwas intersubjektiv Nachvollziehbarem als produktivem Prinzip der Wissenschaft. Anhand der spezifischen Anwendung der Erfahrung, hier: der Fotografie, wird eine Suche nach einer solch angemessenen Inszenierung in Gang gesetzt:

781 782 783

784 785

250

BURKE, PETER: Augenzeugenschaft. 2003. Vgl. z.B. die aktuellen Gerichts- und Tatortzeichnungen in: BERG, STEPHAN / GROOS, ULRIKE / KRÜMMEL, CLEMENS / ROOB, ALEXANDER (Hg.): Tauchfahrten – Zeichnung als Reportage. 2004. PEEZ, GEORG: Fotografien in pädagogischen Fallstudien. 2006. – EHRENSPECK, YVONNE / SCHÄFFER, BURKHARD (Hg.): Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswissenschaft. 2003. – HARPER, DOUGLAS: Fotografien als sozialwissenschaftliche Daten. 2003. – BERGMANN, JÖRG R.: Flüchtigkeit und methodische Fixierung sozialer Wirklichkeit. 1985. – JÄGER, GOTTFRIED: Abbildungstreue. Fotografie als Visualisierung: 1999. S. 137–150. WINDERLICH, KIRSTEN: Die Stadt zum Sprechen bringen. 2005. S. 124. JOCKS, HEINZ-NORBERT: Der Gebrauch der Fotografie. 2004. S. 76–77.

ZUGANG ZUR KUNSTPÄDAGOGISCHEN ANWENDUNG

»Wer wie Lévi Strauss als Ethnologe in der Fremde unterwegs ist, für den ist Fotografieren kein Freizeitsport, sondern Arbeit am Mythos sowie der vergebliche Versuch, mit Bildern etwas festzuhalten, was schriftlich nicht zu machen ist. Eine Notwendigkeit gespeist aus einem hartnäckigen Willen zur Erinnerung. Nicht viel anders sah das Pierre Bourdieu, der mit seiner Zeiss-Ikoflex-Sucherkamera auch praktizierte, worüber er so weise theoretisierte.«786

In der Suche nach einer geeigneten Inszenierung, die wiederum eine Inszenierung der Suche auslöst, formiert sich die Erfahrung. Mit Heinz-Elmar TENORTH lässt sich demnach Erfahrung als Bildungsprozess verstehen: »Der Bildungsprozeß verbirgt sich nicht jenseits des vernehmbaren Ausdrucks, sondern in der Formgewinnung der Darstellung.«787 Begreift man Erfahrung, wie ich eingangs in Bezug auf Derrida beschrieben habe, als Durchquerung eines noch nicht vorhandenen Raumes, der sich im Gehen erst öffnet, dann bezeichnen die Grafien im visuellen Tagebuch Navigationssysteme. Erst im Nachhinein dient die Grafie als »Instrument zur Analyse ästhetischer Vorgänge«, wie Klaus-Peter BUSSE dies hinsichtlich der Atlanten konstatiert.788 Erst nach der Anwendung können wir in Bezug auf die exemplarisch dargelegte Navigation der Fotografie feststellen: Sie ist eine weit verbreitete Visualisierungsmethode, die leicht erlernbar ist und in erster Linie dazu verwendet wird, etwas möglichst schnell und genau festzuhalten. Im kunstpädagogischen Kontext eignet sich die analoge Fotografie vor allem zur Generierung von Zeugenschaften und den damit verbundenen Erfahrungen, zur seriellen Dokumentation von Abläufen und in Bezug auf die Produktion von Erinnerungen. Darüber hinaus kann die Fotografie, speziell im Visuellen Tagebuch dazu eingesetzt werden, persönliche Zugänge und Horizonte des Wissens sichtbar und damit in Ansätzen kommunizierbar zu machen.789 In Bezug auf die Formierung der Erfahrung beschreibt der fotografische Filter die Umwandlung der Erfahrung in verkleinerte, bildhafte und reproduzierbare Momentaufnahmen, die eine ausgeschnittene Blickrichtung des Fotografen festhalten. Eine fotografische Praxis des Entwerfens geschieht beispielsweise durch die Bearbeitung des bildgebenden Materials, eine neue Kontextualisierung dieser Bildausschnitte im Tagebuch oder die digitale Bildbearbeitung. Auf diese Weise kann die Grafie im »Visuellen Tagebuch« zum Bezugspunkt der Reflexion werden. Im konkreten Fall kann dann gefragt werden, ob die gewählte Grafie dem Gegenstand und der Erfahrung gerecht wird. Dabei mag ein Vergleich mit der Kartografie ergeben,790 dass letztere den projektiven Charakter akzentuiert791, wobei ihr die szenischen Details allerdings entgehen.

Form der Bildung – Bildung der Form

Versteht man die Tagebuchaufzeichnungen als Praxis des Antwortens, die sich – ausgehend vom singulären Zugang – an Fragen der Darstellbarkeit und Repräsentation reiben, eröffnet sich im Kunstunterricht ein anderes, selbstreflexives Sprechen und Schreiben über die damit verbundenen Erfahrungen, Erwartungen, Ansprüche und Aufmerksamkeiten. Da die Repräsentation der Erfahrung unser Wissen von dieser Erfahrung maßgeblich relativiert, werden die Weisen der Repräsentation als unterschiedliche Zugänge des Wissens erfahrbar. Aufgrund dieser Tatsache werden Grafien zu prozessualen Schnittstellen zwischen ästhetischer und theoretischer Forschungspraxis.

Erfahrung der Reflexion

786 787 788 789

790 791

Ebd. S. 68. TENORTH, HEINZ-ELMAR: Form der Bildung – Bildung der Form. S. 168. BUSSE, KLAUS-PETER: Atlas. Ein kunstdidaktischer Handlungsapparat. 1999. S. 253. KRAUTZ, JOCHEN: Vom Sinn des Sichtbaren – John Bergers Ästhetik und Ethik als Impuls für die Kunstpädagogik am Beispiel der Fotografie. 2004. – EWALD, WENDY: I wanna take me a picture: Teaching photography and writing to children. 2001. – Für diesen Hinweis danke ich Klaus-Peter Busse. Vgl: dazu HEIL, CHRISTINe: Kartierende Auseinandersetzung mit aktueller Kunst. 2007. Vgl. dazu BEIL, RALF: »Atlas mapping«. 1998. S. 412

251

Grafie als Bezugspunkt der Reflexion

INSZENIERUNG DER SUCHE

Erst indem die Zugänge des Wissens anhand der Grafie erfahrbar werden, können wir überhaupt von »Lerntagebüchern« sprechen. Während in der Literatur zu diesen »Lerntagebüchern« zwar die Möglichkeit einer Reflexion als »metakognitives«Wissen792 oder als »eigene Studienberatung«793 genannt wird, findet sich jedoch weder eine systematische Untersuchung dazu, wie diese Reflexion entsteht, noch darüber, wie sie verlaufen könnte.794 Bezüglich meiner Forschungsfrage – Inwiefern reflektieren Aufzeichnungen ästhetische Erfahrungen? – lässt sich nunmehr festhalten, dass die Aufzeichnungen nicht nur Bezugspunkt der Reflexion sind, sondern vielmehr selbst zur Praxis der Reflexion werden. Wenn ich gezeigt habe, dass die Aufzeichnung erst den Bruch erzeugt, an dem sich die Erfahrung bricht795 und dass sie dadurch zum Maßstab der (darstellbaren) Erfahrungen wird796, so verstehe ich die Reflexion als davon abhängige, »gedanklich-begleitende Arbeit«.797 Die Praxis der Reflexion ist nicht von der Praxis des Antwortens zu trennen. Um die Aufzeichnung als kunstpädagogische Methode in der Lehre zu situieren und kritisch zu hinterfragen, fasse ich im folgenden Schlusskapitel die impliziten »Prinzipien der Setzung« zusammen, die dieser Arbeit zugrunde liegen.

792 793 794 795 796 797

252

RAMBOW, RIKLEF / NÜCKLES, MATTHIAS: Der Einsatz des Lerntagebuchs in der Hochschullehre. 2002. S. 119. WEBLER, WOLFF-DIETRICH: Ein Studientagebuch als Forschungs- und eigenes Studienberatungsinstrument.2002. S. 105. Vgl. RAMBOW, RIKLEF / NÜCKLES, MATTHIAS: Der Einsatz des Lerntagebuchs in der Hochschullehre. 2002. S. 113. Zur Brechung der Erfahrung S. 72, 84, 94, 252. Zum Maßstab der darstellbaren Erfahrung S. 211ff. KÄMPF-JANSEN, HELGA: Ästhetische Forschung. 2001. S. 127.

»Soll Kunstunterricht Zukunft haben, reicht es nicht aus, weiter über kunstdidaktische Konzepte zu streiten. Eine Schlüsselfrage scheint nach dem ›Wie?‹ der Ausbildung zu sein. Das darf nicht auf die Frage nach ›mehr künstlerische Praxis‹ oder ›mehr Unterrichtspraxis‹ reduziert werden. Dieser Streit beschreibt nur die Felder der Ausbildung. Es geht tatsächlich um das ›Wie‹, um die Verfahren und Methoden in der Lehrerinnenbildung, die diese verschiedenen Felder miteinander zur Verknüpfung bringen können. Und wenn wir genau hinsehen, werden wir mit Erschrecken feststellen, wie wenig Gedanken wir uns darüber in den letzten hundert Jahren tatsächlich gemacht haben.«798

798

SEYDEL, FRITZ: Lehrerinnenbildung biografisch denken. Ein Plädoyer dafür, mehr über das ›Wie?‹ der Ausbildung nachzudenken. In: KIRSCHENMANN, JOHANNES / WENRICH, RAINER / ZACHARIAS, WOLFGANG (Hg.): Zukunft braucht Herkunft. München 2004. S. 372.

V. Schluss: Prinzipien der Setzung

Der erfahrungsbezogene Ausgangspunkt für meine qualitative Forschung war das kunstpädagogische Seminar zum Thema »Ästhetische Forschung«, in dem ich Studierende dazu aufforderte aufzuzeichnen. Den in diesem Setting und mit diesem Auftrag implizierten Setzungen liegen Prinzipien zugrunde, die meine gesamte Arbeit durchziehen: Da sie für verwandte kunstpädagogische Anwendungen sowie als Anschlussstellen für weitere Forschungen von Relevanz sein können, filtere ich sie im Folgenden gesondert heraus, wenngleich sie nicht isoliert vorkommen. Dies dient zur Sensibilisierung für ihre potentielle Wirkung in der Praxis und für die Macht des Impliziten. Die Prinzipien der Setzung bieten zugleich Kriterien, um die so genannten Rahmenbedingungen der Aufzeichnungen zu reflektieren, über die ich in Bezug auf SEYDEL gesagt habe: »Je offener ein Impuls ist, desto stärker wirken die Rahmenbedingungen«.799

Prinzipien der Setzung

Das erste Prinzip nenne ich das Prinzip der impliziten »Unterstellung«. Es betrifft die Einstellung von mir als Forschender und Lehrender zu den Studierenden. Der sehr abstrakt formulierte, offene Impuls800 impliziert die Unterstellung, dass die Studierenden ein Thema, eine Frage, ein Interesse, eine Aufmerksamkeit für etwas »haben«, woran sie arbeiten. Dass dies eine Idealvorstellung ist, die keineswegs vorausgesetzt werden kann, habe ich bereits im Widerspruch zu Helga KÄMPF-JANSEN geäußert.801 Indem ich die Unterstellung dennoch setze, schaffe ich zunächst eine ermunternde Atmosphäre, die die Studierenden als individuelle Personen und Forschende ernst nimmt und mit ihnen darüber ins Gespräch kommen will. Neben dem atmosphärischen Effekt, ermögliche ich ihnen die Suche nach einer eigenen Frage, indem ich ihnen mit der Aufzeichnung ein offenes Instrument des Antwortens bereitstelle, das zu einer Frage führen kann. Indem ich die Studierenden auffordere, zu antworten, ohne dass es eine prä-etablierte Frage gibt, fragen sie sich, worauf sie was, wie, wann, wozu und für wen antworten möchten und können. Anders gesagt: Mit der Setzung der Grafie, die Erfahrung unterstellt, beginnt die Suche nach Aufmerksamkeiten und Interessen.

Prinzip 1: Unterstellung

799 800

801

Zum »offenen Impuls« S. 93 und 191. »Suchen Sie sich – unabhängig von dem Fach Kunst – ein Thema / eine Frage Ihrer Wahl, mit der Sie sich in diesem Semester beschäftigen möchten und wählen Sie eine dem Thema / der Frage angemessene Weise der Aufzeichnung!« – Vgl. S. 93 und 116. S. 84.

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INSZENIERUNG DER SUCHE

»Erfahrung unterstellen, heißt, sie produktiv zu machen, heißt auf Erfahrungen zu vertrauen.«802 Dieses Zutrauen ist, insbesondere bei dem sehr abstrakten Impuls, eine wichtige Hinwendung zu den Studierenden als Personen und als Forschende. Zudem betrifft das Zutrauen die strukturelle Ebene der Kommunikation in Bezug auf die Wissensstruktur zwischen den Studierenden und mir als Forschende und Lehrende. Dabei gehe ich – aufgrund des Postulats der Fremdheit – nicht von Gemeinsamkeiten aus und auch nicht davon, dass ich mehr weiß, als die Studierenden, sondern vielmehr davon, dass »die Erforschten selbst nicht wissen, was sie da eigentlich alles wissen.«803 Auch hier unterstelle ich ihnen also ein Wissen und Erfahrungen und fordere diese/s gleichermaßen heraus. Prinzip 2: Performativität

Das zweite Prinzip bezieht sich sowohl auf die Aufzeichnungspraxis der Studierenden, wie auch auf meine Schreibpraxis. Es bezeichnet die performative Praxis, die erst hervorbringt, was sie bedeutet. – WULF und ZIRFAS beschreiben die Wirkung dessen, was ich als Prinzip der Performativität fasse: »Performative Praktiken evozieren (fraglos) gültige Normen, Regeln und Sicherheiten und können dadurch ebenso konservierend und stabilisierend wie transformativ und subversiv wirken, bedeutet doch das Vollziehen performativer Akte immer auch die Möglichkeit, im Vollzug selbst die Normen und Regeln außer Kraft zu setzten, sie zu ironisieren, umzucodieren, die Fraglosigkeit in Frage zu stellen. Denn performative Akte sind selbstreferentiell, selbstidentifizierend und selbstexemplikativ und ähneln darin den Strukturen von Bildern; sie deuten in einem bestimmten Sinne nicht über sich hinaus, sondern auf sich hin; sie vollziehen das, was sie bedeuten und ihre Bedeutung liegt in ihrem Vollzug. Indem performative Akte vollzogen werden, stellen sie eine Wirklichkeit; sie stellen ihre Wirklichkeit her, als die Wirklichkeit, von der ›die Rede ist‹.«804

In meiner theoretischen Suche nach einem Zugang zur Forschung habe ich die Performativität durch Zitate – wie das Kaspar Hauser-Zitat »Du lernst mit dem Satz zu stocken…« oder »Ihr Worte, auf mir nach!« – veranschaulicht. Gleichzeitig habe ich sie in meinem eigenen Schreibprozess durchgespielt, um u.a. zu zeigen, wie sich eine Verschiebung der Referenz im Sprechen, bzw. Schreiben durch eben diesen Prozess ereignet. Darüber hinaus habe ich das Prinzip der Performativität in Bezug auf Siegfired SCHMIDT zugespitzt, indem ich zwei Vollzüge als sich-wechselseitig-bedingende dem gesamten Konzept zugrunde legte805: »Die Ordnung der Erfahrung wird im Prozess des Grafierens zur Erfahrung der Ordnung. Die Artikulation der Erfahrung wird zur Erfahrung der Artikulation. Die Inszenierung der Erfahrung wird zur Erfahrung der Inszenierung. So erzeugt die Aufzeichnung den Riss, an dem sich die Erfahrung bricht. Die Brüchigkeit der Erfahrung wird im Aufzeichnungsprozess durch Pausen, Lücken und Spuren sowohl sichtbar als auch erst erzeugt.«806

Diese im Prozess des Aufzeichnens entstehende performative Dynamik, in der sich Suche respektive Erfahrung auf der einen Seite und Grafie respektive Antwort auf der anderen Seite als Setzungen und Voraussetzungen wechselseitig auslösen, habe ich konkretisiert in meiner Interpretation von Nora Eriksons Aufzeichnungen sowie in der Grafievariation als Wechselspiel der Erscheinung von Brüchen einerseits und dem zugrunde gelegten Sinngebungsprozessen andererseits.807 802 803 804 805 806 807

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Für diese Anregung danke ich Karl-Josef Pazzini, der mich auf den Zusammenhang zur Psychoanalyse bezüglich der Unterstellung von Wissen hinwies. BOHNSACK, RALF: Rekonstruktive Sozialforschung. 2003. S. 198. WULF, CHRISTOPH / ZIRFAS, JÖRG: Bild, Wahrnehmung und Phantasie. Performative Zusammenhänge. 2005. S. 13. Vgl. S. 49, Fußnote 154. S. 72. Bei Nora Erikson vgl. S. 190ff, bei Vera Tezlaw: 198ff.

PRINZIPIEN DER SETZUNG

Dass diese Sinngebungen überhaupt performativ im Sinne von »handlungsleitend« wirken können, hängt indessen mit der methodologischen Voraussetzung eines impliziten Wissens zusammen, wie BOHNSACK es in Bezug auf POLANYI für die Dokumentarische Methode herleitet.808 Dieses habituelle Wissen ist handlungsleitend und im Produktionsprozess Voraussetzung für das Prinzip der Performativität, wie ich im Absatz. »Findigkeit» gezeigt habe. Die Findigkeit ist vor allem dann bedeutsam und unverzichtbar, wenn es darum geht, den gewohnten Erfahrungsraum zu verlassen. Denn wie könnten wir – ohne das implizite Wissen, das den Vollzug erst ermöglicht – sonst überhaupt neue Erfahrungen machen, den eigenen Ordnungsrahmen durch Widerfahrnisse übersteigen lassen, wie suchen und forschen? Auf welcher Grundlage könnte sonst die Umwandlung von einem erleidenden in ein antwortendes Selbst stattfinden? Wie könnte sonst ästhetische (Selbst-)Bildung einsetzen? Im performativen Vollzug einer Praxis entzieht sich das Wissen über das implizite Wissen, es ist nicht verfügbar, es ist ein Mangel, ein »Nichtwissen« und eben dadurch organisiert es die Praxis. Das dritte Prinzip der Setzung betrifft die prinzipielle Berücksichtigung des Singulären in seinem Eigensinn. Dieser Eigensinn ist jedoch nichts, was das Selbst einfach so »hat«, was es auszeichnet, über was es verfügen könnte, sondern vielmehr etwas Unabgeschlossenes, was es zu konstruieren gilt, (bei Inkaufnahme des Selbstentzugs). Indem das Selbst – mittels der Grafien – diese Eigensinngebung herstellt, wird es umgekehrt erst zu einem Selbst.809 Allerdings wird dabei der »Zirkel der Selbstheit« durch das Pathos gesprengt, das als Fremdaffektion auftritt und einen Selbstentzug darstellt. Dabei geht das Getroffensein durch das Fremde dem eigenen Antworten voraus. Im Antworten auf das Fremde, hier: im Aufzeichnungsprozess, zeigt sich jedoch der Eigensinn und in der längerfristigen Anwendung wird so etwas, wie der »Eigendrehimpuls«810 erkennbar, der sich als Spur einschreibt in die Grafie, als etwas, das uns bewegt. Diesen sinngebenden Motor für die eigenen Antworten zu erkennen und in der Lehre zu kommunizieren, ist ein selbstreflexives und diskursives Ziel des Kunstunterrichts.Es darf jedoch nicht über die Grenzen der Verfügbarkeit des Selbst in Erfahrungs- und Aufzeichnungskontexten hinwegtäuschen, die ferner die elementare Frage nach der Lehrbarkeit einschließt.811 Wie also kann ich den Eigensinn, das Singuläre »setzen«? In meiner Untersuchung habe ich versucht, den Studierenden zur »Stimmwerdung«, zur visuellen oder textuellen Artikulation des jeweils Singulären zu verhelfen, zu einer Praxis des Antwortens, in der sie Ort und Zeit für ihre Antworten selbst wählen sowie Inhalt und Methode selbst bestimmen.812 Angestoßen ist so ein performatives Wechselspiel von Selbst, Nicht-Selbst und Anderem, was dazu tendiert, zunächst überhaupt »aus sich heraus« zu gehen, einen Weg zu bahnen, dann – im Verlauf der Grafie – zunehmend mit Blick auf das Ästhetische, also auf die Frage der Darstellbarkeit bezogen, eine Spur zu erzeugen, zu antworten. Die Berücksichtigung der Singularität, die im Kunstunterricht aufgrund der vielfältigen medialen und materiellen Möglichkeiten des Antwortens von besonderer Bedeutung ist813, soll vorrangig nicht dazu führen, über die »eigentliche Lebensgeschichte«, die »eigentliche Suche« zu kommunizieren, die vermeintlich »hinter« den Aufzeichnungen lauert.814 808 809 810 811 812 813 814

Zum impliziten Wissen S. 116. Vgl. S. 40. Zum »Eigendrehimpuls« vgl. S. 18 und 93. S. 28, Fußnote 16. Vgl. S. 90. Vgl. zum Zusammenhang von Biografie und ästhetischer Erfahrung SEYDEL, FRITZ: Biografische Arbeit als ästhetischer Erfahrungsprozess in der Lehrer/innen(aus)bil-dung. 2004. Zur medialen Konstruktion vgl. S. 91 und 203.

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Prinzip 3: Eigensinn

INSZENIERUNG DER SUCHE

Vielmehr dient das Prinzip des Eigensinns im kunstpädagogischen Kontext dazu, die Singularität der Spurenerzeugung und des Antwortens als mediale Inszenierung zu reflektieren und zu kommunizieren. Prinzip 4: Inszenierung

Das vierte Prinzip der Setzung ist die Inszenierung, die ich mit Martin SEEL als Praxis des »Erscheinenlassens« definiert habe.815 Die Inszenierung bezieht sich auf die Darstellung von Erfahrungen, die mit der Frage nach einer »angemessenen« Aufzeichnung hervorgerufen wird. Die Frage nach der Darstellung der Erfahrungen, die ich als ästhetische charakterisiert habe, berührt im weitesten Sinne die Organisation von Forschungs- und Produktionsprozessen, als auch im engeren Sinne die Herstellung der Grafien. Dass sich dabei die Erfahrungen als Voraussetzungen und die Grafien als Setzungen wechselseitig bedingen, ist eine Setzung und Inszenierung meinerseits. Denn ohne das, was erfahren wird, ist die Grafie ebenso sinnlos wie die Erfahrung, die ohne Grafie unkommunizierbar bleibt. Der Sinn ergibt sich erst, indem wir auf das, was uns widerfährt in irgendeiner Weise antworten. Erst durch die (immer schon medial bedingte) Weise der Antwort, entsteht Sinn. Insofern sind ästhetische Fragen nach der Darstellbarkeit und ihren Grenzen nicht nur genuin an der Sinnerzeugung beteiligt, sondern insbesondere im Prozess der inszenierten Suche, im immer vorläufigen Nocht-nicht der medialen, thematischen und methodischen Wegbahnung erst in ihrer Brüchigkeit und in den Differenzen erfahrbar. In Bezug auf die Forschung wird dabei die Beziehung von Theorie und Erfahrung berührt, sodass die Grafien als prozessuale Schnittstellen zwischen ästhetischer und theoretischer Praxis fungieren. Als solche sind sie nicht nur Bezugspunkt der Reflexionen, sondern selbst Reflexionsweisen. Ferner dient die Inszenierung, die sich am grafierten Einzelfall dokumentiert, als Motor für eine Suche. Eine prozessbegleitende Grafieproduktion als Inszenierung macht eine Erfahrungsartikulation erst möglich. Erst durch die Inszenierung entsteht die Zeugenschaft einer Vergegenwärtigung. Mit der Inszenierung kann eine Praxis des Antwortens beginnen, die pathische Repräsentationen als Spuren sichtbar macht. Die Antworten auf das, was uns widerfährt, setzen so einen Anfang, den es »an sich« nie gegeben haben wird. Sie produzieren Haltestellen, Stillstellen, Risse und Grenzen, die eine Kommunikation und eine Reflexion erst ermöglichen und im Rahmen der Forschung in ihrer Genese mitgedacht werden müssen. Durch die Antworten und deren Grenzen (bis zur Sprachlosigkeit), durch die intentionale Handlung einerseits und dem sich gleichzeitig entziehenden, nicht Verfügbaren, ist Forschung als kulturelle Tätigkeit erst denkbar, können Daten generiert und ausgewertet werden, kann Sinn als Prozess seiner performativen Inszenierung rekonstruiert werden. Die beschriebene Dynamik der Inszenierung bedarf jedoch einer Veröffentlichung, d.h. einer Erweiterung des Adressatenkreises. Für sich hätten nur wenige Studierende solche Aufzeichnungen angefertigt. Für sich selbst bedürfte es keiner versiegelten Briefumschläge, um den Zugriff zu verwehren. Die Inszenierung fordert zur öffentlichen Anwendung heraus. Umgekehrt dient die Veröffentlichung als Motiv für eine Bereinigung der Daten.

Prinzip 5: Leerstelle

Das fünfte Prinzip ist schließlich als Prinzip der Leerstelle zu bezeichnen. Es verweist auf die Offenheit und Unabgeschlossenheit von Such- und Forschungsprozessen, die ich mit der leeren Landkarte symbolisiert habe. Es verweist sowohl auf eine Praxis des Entwerfens816, die Neues zu antizipieren versucht als auch auf die unumgängliche Erfahrung des Scheiterns.817 815 816 817

258

Zum Begriff der »Inszenierung« S. 50, Fußnote 159. Zur Praxis des Entwerfens vgl. S. 240. Zur Erfahrung des Scheiterns vgl. S. 247.

PRINZIPIEN DER SETZUNG

Das Prinzip der Leerstelle steht für die Frage, welchen strukturellen Raum wir dem Widerfahrnis und somit der pathischen Dimension der Erfahrung im institutionellen Rahmen geben. Diese Frage hat weit reichende Konsequenzen für die Lehre. Such- und Forschungsprozesse in pädagogischen Lernsituationen zu initiieren, hebt vor allem auf die intrinsische Eigenmotivation der Lernenden ab, die erst dazu führt, sich der Ungewissheit im Lernprozess auszusetzen, um so neue Erfahrungen machen zu können. Für die Lehrenden bedeutet eine solche strukturelle Berücksichtigung, neben der Sensibilisierung für solche Forschungsprozesse, vor allem den eigenen Erfahrungshorizont von demjenigen der Lernenden übersteigen lassen zu können. Die absurde Situation, dass es oft die Lehrenden sind, die – stellvertretend für die Lernenden – solche Fragen stellen, von denen sie meinen, sie seien für die Lernenden zukunftsrelevant, könnte dann entfallen. Was hingegen dabei entstehen kann, ist – in Bezug auf das Zitat von Fritz SEYDEL – eine gemeinsam Kommunikation über das »Wie«, über Verfahren und Methoden in der LehrerInnenbildung. Mit den Prinzipien der Setzung, die einer Praxis des Antwortens voraus gehen, werden einerseits die konkreten Voraus-Setzungen einer kunstpädagogischen Anwendung der Aufzeichnung extrahiert und expliziert, genau wie die Setzungen selbst andererseits wiederum Zeugnis ablegen von dem engen Ineinander von Praxis und Theorie.

Prinzipien der Setzung

Unterstellung

Performativität

Eigensinn

Inszenierung Veröffentlichung Adressierung

Leerstelle

Als Prinzipien transportieren sie zudem ethische Dimensionen einer Praxis des Antwortens, wie sie in Aufzeichnungen als kunstpädagogischer Methode zu Geltung kommen. Zusammenfassend stellen sie die Bedingungen dieser Methode dar, die eine singuläre und medienspezifische, ästhetische Anwendung der Erfahrung von Studierenden ermöglicht. In diesem Sinne verstehe ich die Prinzipien der Setzung als erste Bausteine für eine Theoriebildung der kunstpädagogischen Anwendung von Erfahrungen anhand von Grafien.

259

VI. Literatur

Die im Folgenden aufgeführten bibliografischen Nachweise werden, sofern es mehrere Autorinnen oder Herausgeber/innen gibt, auch mehrfach genannt. Diese Mehrfachnennung soll vor allem eine schnelle Suche ermöglichen und zudem einer wissenschaftliche Praxis entgegenwirken, in der Nachwuchswissenschaftler/innen in Publikationen namentlich nicht oder an zweiter Stelle aufgeführt werden. Die einzelnen Bücher oder Zeitschriften sind nach dem Erscheinungsdatum geordnet, wobei die aktuellste Publikation jeweils zuerst erscheint. AISSEN-CREWETT, MEIKE: Rezeption und ästhetische Erfahrung. Lehren aus der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsästhetik für die Bildende Kunst. Potsdam 1999. (Aisthesis, Paideia, Therapeia: Potsdamer Beiträge zur ästhetischen Theorie, Bildung und Therapie). ALTHAUS, CLAUDIA: Erfahrung denken. Hannah Ahrendts Weg von der Zeitgeschichte zur politischen Theorie. Göttingen 2000. (Formen der Erinnerung; Bd. 6) Zugl. Kurzfassung von: Siegen, Univ., Diss., 2000. ANDRESEN, SABINE: Einführung in die Jugendforschung. Darmstadt 2005. AVGELIS, NIKOLAOS: Rationale Rekonstruktion und Empirie. Zur gegenwärtigen Problemlage der Wissenschaftstheorie. In: FREUDIGER, JÜRG / GRAESER, ANDREAS / PETRUS, KLAUS: Der Begriff der Erfahrung in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. München 1996. S. 42–69. BALLHAUS, EDMUND: Rede und Antwort. Antwort oder Rede? Interviewformen im kulturwissenschaftlichen Film. In: WOSSIDLO, JOACHIM / ROTERS, ULRICH (Hg.): Interview und Film. Münster 2003. S. 11–49. BALLHAUSEN, THOMAS: Kontext und Prozess. Eine Einführung in eine medienübergreifende Quellenkunde. Wien 2005. BANSE, GERHARD: Konstruieren im Spannungsfeld: Kunst, Wissenschaft oder beides? Historisches und Systematisches. In: BANSE, GERHARD / FRIEDRICH, KÄTHE (Hg.): Konstruieren zwischen Kunst und Wissenschaft. Berlin 2000. S. 19–75. BANSE, GERHARD / FRIEDRICH, KÄTHE (Hg.): Konstruieren zwischen Kunst und Wissenschaft. Idee – Entwurf – Gestaltung. Berlin 2000. BARBOZA, AMALIA: Kunst und Wissen. Die Stilanalyse in der Soziologie Karl Mannheims. Konstanz 2005. (Erfahrung – Wissen – Imagination; Bd. 9). BARTHES, ROLAND: »Der Tod des Autors«. Aus dem Französischen übersetzt von Matias Martinez. In: JANNIDIS, FOTIS / LAUER, GERHARD / MARTINEZ, MATIAS / WINK, SIMONE (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart 2000. BARTHES, ROLAND: Fragmente einer Sprache der Liebe. [Fragments d’un discours amoureux]. Übersetzt von Hans-Horst Henschen. Frankfurt am Main 1988. 1. Auflage. (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 1586).

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INSZENIERUNG DER SUCHE

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INSZENIERUNG DER SUCHE

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INSZENIERUNG DER SUCHE

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INSZENIERUNG DER SUCHE

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MARTIN: Inszenieren als Erscheinenlassen. Thesen FRÜCHTL, JOSEF / ZIMMERMANN, JÖRG: Ästhetik der

über die Reichweite eines Begriffs. In: Inszenierung. Frankfurt am Main 2001. S.

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INSZENIERUNG DER SUCHE

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DEN

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VON

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INSZENIERUNG DER SUCHE

ZACHARIAS, WOLFGANG / BURMEISTER, HANS-PETER / SELLE, GERT (Hg.): Anstöße zum »Ästhetischen Projekt«. Eine neue Aktionsform kunst- und kulturpädagogischer Praxis?. Unna 1994. (Loccumer Protokolle; Bd. 9/93). ZAPATA, JOSÉ A. FRIEDL (Hg.): Jorge Luis Borges: Die Bibliothek von Babel. Erzählungen. Stuttgart 1996. ZIMA, PETER VON / KACIANKA, REINHARD (Hg.): Krise und Kritik der Sprache. Literatur zwischen Spätmoderne und Postmoderne. Tübingen 2004. ZIMMER, JÖRG: Reflexion. Bielefeld 2004. 2., durchgesehene Auflage. (Bibliothek dialektischer Grundbegriffe; Bd. 11). ZIMMERMANN, JÖRG / FRÜCHTL, JOSEF (Hg.): Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens. Frankfurt am Main 2001. 1. Auflage. S. 48–62. ZIMMERMANN, RAINER E.: Subjekt und Existenz. Zur Systematik Blochscher Philosophie. Berlin 2001. (Monographien zur philosophischen Forschung; Bd. 281). ZINNECKER, JÜRGEN / MERKENS, HANS (Hg.): Jahrbuch Jugendforschung. Opladen 2001. 1. Ausgabe. ZINNECKER, JÜRGEN: Fünf Jahrzehnte öffentliche Jugend-Befragung in Deutschland. Die ShellJugendstudien. In: MERKENS, HANS / ZINNECKER, JÜRGEN (Hg.): Jahrbuch Jugendforschung. Opladen 2001. 1. Ausgabe. S. 243–274. ZINNECKER, JÜRGEN / BEHNKEN, IMBKE : Archiv Kindheit und Jugend. http://www.size-siegen.de/seiten/Allgemein/Archiv.htm vom 7. Januar 2007. ZINNECKER, JÜRGEN / FISCHER, ARTHUR / FUCHS, WERNER: Jugendliche und Erwachsene `85. Generationen im Vergleich. Bd. 1: Biografien – Orientierungsmuster – Perspektiven. Hg. vom Jugendwerk d. Dt. Shell. Leverkusen 1985. ZIRFAS, JÖRG / WULF, CHRISTOPH (Hg.): Ikonologie des Performativen. München 2005.

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Theorie Bilden Katharina Willems Schulische Fachkulturen und Geschlecht Physik und Deutsch – natürliche Gegenpole?

Peter Faulstich (Hg.) Öffentliche Wissenschaft Neue Perspektiven der Vermittlung in der wissenschaftlichen Weiterbildung

Mai 2007, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-688-5

2006, 244 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 978-3-89942-455-3

Hans-Christoph Koller, Winfried Marotzki, Olaf Sanders (Hg.) Bildungsprozesse und Fremdheitserfahrung Interdisziplinäre Beiträge zu einer Theorie transformatorischer Bildungsprozesse

Hans-Christoph Koller, Markus Rieger-Ladich (Hg.) Grenzgänge Pädagogische Lektüren zeitgenössischer Romane

April 2007, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-588-8

Andrea Sabisch Inszenierung der Suche Vom Sichtbarwerden ästhetischer Erfahrung im Tagebuch. Entwurf einer wissenschaftskritischen Grafieforschung Februar 2007, 290 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN: 978-3-89942-656-4

Jenny Lüders Ambivalente Selbstpraktiken Eine Foucault’sche Perspektive auf Bildungsprozesse in Weblogs

2005, 178 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN: 978-3-89942-286-3

Jürgen Budde Männlichkeit und gymnasialer Alltag Doing Gender im heutigen Bildungssystem 2005, 268 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-324-2

Andrea Liesner, Olaf Sanders (Hg.) Bildung der Universität Beiträge zum Reformdiskurs 2005, 164 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-316-7

Januar 2007, 280 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN: 978-3-89942-599-4

Michael Wimmer Dekonstruktion und Erziehung Studien zum Paradoxieproblem in der Pädagogik 2006, 420 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN: 978-3-89942-469-0

Bettina Suthues Umstrittene Zugehörigkeiten Positionierungen von Mädchen in einem Jugendverband 2006, 296 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 978-3-89942-489-8

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de