Inlandszustellung an Ausländer: Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, US-amerikanischen und französischen Zivilprozeßrechts unter verfassungs- und völkerrechtlichen Aspekten [1 ed.] 9783428486809, 9783428086801

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Inlandszustellung an Ausländer: Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, US-amerikanischen und französischen Zivilprozeßrechts unter verfassungs- und völkerrechtlichen Aspekten [1 ed.]
 9783428486809, 9783428086801

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Jens Fleischhauer· Inlandszustellung an Ausländer

Schriften zum Internationalen Recht Band 76

Inlandszustellung an Ausländer Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, US-amerikanischen und französischen Zivilprozeßrechts unter verfassungs- und völkerrechtlichen Aspekten

Von Jens Fleischhauer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Fleischhauer, Jens: Inlandszustellung an Ausländer: eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, US-amerikanischen und französischen Zivilprozessrechts unter verfassungs- und völkerrechtlichen Aspekten / von Jens Fleischhauer. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 76) Zug!.: Bielefeld, Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-428-08680-5 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-08680-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 @l

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld im Wintersemester 1994/95 als Dissertation angenommen. Sie ist entstanden im Anschluß an einen Studienaufenthalt an der Law School der University of Texas at Austin. Für die Drucklegung konnte noch die bis Juli 1995 veröffentlichte Literatur und Rechtsprechung berücksichtigt werden. Die Arbeit geht zurück auf eine Anregung meines verehrten Doktorvaters, Herrn Professor Dr. Haimo Schack, dem ich für vielfiiltige Unterstützung UI d Förderung, aber auch für die gewährte wissenschaftliche Freiheit herzlich danke. Herrn Professor Dr. Wolfgang Grunsky danke ich für die bereitwillige Übernahme des Zweitgutachtens. Mein besonderer Dank gilt außerdem Herrn Professor Dr. Alexander Lüderitz für die langjährige wohlwollende Förderung, die ich während meiner Tätigkeit am Kölner Institut für Internationales Privatrecht erfahren habe. Den Freunden und Kollegen am Institut danke ich für manche nützliche Anmerkung und wertvolle Kritik während der Fertigstellung der Arbeit. Zu danken habe ich auch der Studienstiftung des Deutschen Volkes und der Stiftung Dwergh für großzügig gewährte Stipendien und Reisekostenzuschüsse. Gedruckt wurde dieses Buch mit freundlicher Unterstützung der Studienstiftung ius vivum. Ich widme es meinen Eltern zum Dank für alles, was sie in den letzten dreißig Jahren für mich getan haben. Köln, im Oktober 1995

Jens Fleischhauer

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19

Erster Teil

Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Auslllnder

24

I. Spezielles Völkervertragsrecht .................................................................................................. 25 I. Das Haager Zivilprozeßübereinkommen von 1954 und seine Vorläufer .................................. 25 a) Überblick ....................................................................................................................... 25 b) Exklusivität des Übereinkommens gegenüber Inlandszustellungen ............................... 26 2. Das Haager Zustellungsübereinkommen von 1965 .............................................. ................ 29 a) ÜberblIck ................................................................................................. ...................... 29 b) Exklusivität des Übereinkommens gegenüber Inlandszustellungen ............................... 30 aa) Wortlaut des HZÜ ................................................................................................... 31 bb) Materialien zum HZÜ ...................................... ....................................................... 32 cc) Zweck des Übereinkommens ............................ ................. .. .................................... 34 dd) Spätere Übung der Vertragsparteien ........................................................................ 36 aaa) Frankreich ....................................................................................................... 37 bbb) USA ................................................................................................................ 38 ccc) Bundesrepublik Deutschland ................... .. ..................................................... 42 ddd) Zwischenergebnis ........................................................................................... 44 ee) Ergebnis der Auslegung .......................................................................................... 44 c) Bedeutung der Art. 15 und 16 HZÜ fllr die Inlandszustellung ....................................... 45 3. Das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen ............ .. ................. 46 a) Art. IV Abs. I des Protokolls zum GVÜ ............................................................. .. ......... 47 b) Art. 27 Nr. 2, Art. 34 Abs. 2, Art. 47 GVÜ ............... ... ........ ...... ....... ........ .... ......... ........ 48 c) Art. 33 Abs. 2 GVÜ ............................................................. ......... ................................. 53 4. Bilaterale Vereinbarungen und Abkommen ......................................................................... 54 a) Vereinbarungen zur Vereinfachung der Rechtshilfe ....................................................... 54 b) Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen .............................................................. 56 5. Ergebnis .................................................................................. ... .......................................... 58 11. Inlandszustellung und staatliche Souveränität. ............................... ........................................... 59 I. Der Grundsatz staatlicher Souveränität im Völkerrecht.. ..................................................... 61 2. Spezieller Satz des Völkergewohnheitsrechts zur Zustellung .................................... .......... 62 a) Zustellung durch Hoheitsträger auf fremdem Territorium .................. ........ .. ...... .... ........ 63 b) Postzustell ung ................................................................................................................ 64 c) Übersendung schlichter Mitteilungen ............................................................................ 66 3. Ergebnis ............................................................................................................................... 67 111. Inlandszustellung und völkerrechtlicher Individualschutz......................................................... 68 I. Individualschützende Funktion des Souveränitätsanspruchs ............................................... 69 2. lustizielle Menschenrechte .................................................................................................. 72 a) Durchsetzbarkeit der Menschenrechte und Appellfunktion ............................... ... ......... 73

8

Inhaltsverzeichnis

b) Der völkergewohnheitsrechtliche Mindeststandard ........................................... ............. 75 c) Die Menschenrechtskonventionen IPBPR und EMRK .................................................. 77 aa) Gleichheitsgarantien im IPBPR und in der EMRK ................................................. 77 aaa) Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsverbot (Art. 26 IPBPR) ........... 77 bbb) Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) ....................................................... 78 ccc) Folgerungen filr das Zustellungsrecht ............................................................. 79 bb) Spezielle Justizmenschenrechte imlPBPR und in der EMRK ......................... .. ......... 82 aaa) Gleichheit vor Gericht und faires Verfahren (Art. 14IPBPR) ......................... 82 bbb) Faires Verfahren (Art. 6 EMRK) .................................................. .. ..... .. ......... 83 ccc) Folgerungen filr das Zustellungsrecht ............ .. .............................. .. ............... 86 3. Ergebnis ............................................................................................................................... 88 IV. Zusammenfassung der völkerrechtlichen Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer ...... 90 Zweiter Teil

USA

91

I. Rechtsquellen .................................................................................................................... .. ...... 91 I. Gesetzesrecht ......................................................................... .. ...... .. ...... .. ...... .. .................... 91 2. Verfassungsrecht. .......... .. ...... .. ............................................................................................. 92 11. Verfassungsrecht ............................... ............ ...... ............... ....................................................... 94 I. Spezielle Gewährleistungen ................... .. .............. .. ......... ...... .. .............................. ............. 94 2. "Due process oflaw" ................................... ........ ........ ......... ........ ........ .. ....... ....... .. ..... .. ...... 94 a) Sachlicher Anwendungsbereich ....................... .. ..... .. ............... .. ............... .. ................... 94 b) Persönlicher Anwendungsbereich ................................................................................... 96 c) "Due process" im Zivilverfahren .................................................................................... 97 d) Historische Entwicklung des Zuständigkeits- und Zustellungsrechts ............................. 98 e) Der Mullane-Standard .................................................................................................. 100 aa) "Personal Service" ...................... .. ...................................... ................. ....... .. ......... 101 bb) "Service by maii" ....................... .. ...................... ................ ................. .. ..... .. ......... 103 cc) "Substituted service" .......................................................... .. ....................... .......... 104 aaa) Ersatzzustellungen ............................. ........... ............. ................................... 104 bbb) Zustellungen an Vertreter .............................................................................. 105 dd) "Service by publication" ....................................................................................... 107 ee) "Waiver ofservice" .................................... ................. ......................... .. ............... 109 t) Übersetzung gerichtlicher Schriftstücke ....................................................................... 110 3. Zusammenfassung ............................................................................................................. 111 111. Inlandszustellung in den USA ........................................ .. ....................................................... 111 I. Überblick ........................................................................... .. .............................................. 111 2. Verhältnis der Inlands- zur Auslandszustellung ................................................................. 114 3. Allgemeine Bestimmungen ................................................................................................ 116 a) Form und Ausstellung der Ladung, FRCivP 4 (a) und (b) ............................................ 116 b) Mit der Zustellung beauftragte Personen, FRCivP 4 (c) ............................................... 117 c) Zustellungsfrist, FRCivP 4 (m) .................................................................................... 118 d) Zustellungsnachweis, FRCivP 4 (I) ..................................................... ......................... 119 4. Zustellungsverzicht ("waiver ofnotice"), FRCivP 4 (d) .................................... ....... ......... 120 5. Zustellung an natürliche Personen ("individuals"), FRCivP 4 (e) ...................................... 125 a) Persönliche Zustellung ("personal service") ................................................................. 125 b) Ersatzzustellung ("substituted service") ....................................................................... 126 aa) Ersatzzustellung im Wohnhaus oder am gewöhnlichen Aufenthaltsort .................... 127 aaa) Zustellungsort ............................................................................................... 127 bbb) Ersatzpersonen .............................................................................................. 129

Inhaltsverzeichnis

9

bb) Ersatzzustellung an Vertreter ("agents") ............................................................... 130 aaa) Gewillkürte Vertreter .................................................................................... 130 bbb) Gesetzliche Vertreter ..................................................................................... 131 cc) Postzustellung unter "state law" ........... ................................................................. 135 c) Zustellung von "class actions" ..................................................................................... 136 6. Zustellung an Gesellschaften und Vereinigungen ("corporations and associations"), FRCivP 4 (h) ...................................................................................................................... 136 a) an Vertreter ("agents") ................................................................................................. 13 7 aa) "Federal standard" ftlrdieZustellungan"general ormanagingagents" ............. ....... 139 bb) Zustellung an gesetzliche Vertreter ("statutory agents") ........................................ 141 b) Zustellungs durchgriff ("service on an affiliated corporation") ..................................... 143 aa) Durchgriff unter der "agency theory" .................................................................... 144 bb) Durchgriff unter der "piercing of the corporate veil theory" ................................. 146 c) Handlungsmöglichkeiten ftlr ausländische Gesellschaften ........................................... 150 7. Öffentliche Zustellung ("constructive service by publication") ......................................... 151 8. Zustellung auf besondere Anordnung des Gerichts ("service as directed by the court") .... 153 9. Sonderregelungen rur bestimmte Zustellungsadressaten .................................................... 154 a) Minderjährige und Geschaftsunfllhige, FRCivP 4 (g) .................................................. 154 b) United States und deren Organe, FRCivP 4 (i) ............................................................ 155 c) Ausländische, einzelstaatIiche und kommunale Hoheitsträger, FRCivP 4 (j) ......... ............. 156 10. Sonderregelungen rur andere Schriftstücke als "summons" ............................................... 156 a) "Subpoenas" (FRCivP 45) ........................................................................................... 156 b) "Otherprocess" (FRCivP 4.1) ...................................................................................... 156 c) "Pleadings and other papers" (FRCivP 5) .................................................................... 157 d) "Condemnation proceedings" (FRCivP 71 A) ................. ................. ............................. 157 11. Rechtsbehelfe gegen fehlerhafte Zustellungen ................................................................... 157 IV. Zusammenfassung ................................................................................................................... 158

Dritter Teil Frankreich I. Rechtsquellen .......................................................................................................................... I. Gesetzesrecht ............................................................. ........................................................ 2. Die "principes directeurs du proces" ................................................................ ................. 11. Das "principe de la contradiction" ............... ................................. .. ........................................ I. Information über das Verfahren ....................................................... ........ ........ .. ..... ........... 2. Pflichten wahrend des Verfahrens ..................................................................................... 3. Einfluß der "contradiction" auf das einfache Zustellungsrecht .......................................... a) Vorrang der "signification" .......................................................................................... b) Zusatzliche Instrumente ........................... .................. ........ ......... .. ....... ....... ....... ........... 4. Übersetzung gerichtlicher Schriftstücke ............................................................................ 5. Zusammenfassung ............................................................................................................. III. Inlandszustellung in Frankreich ............................................................................................... I. Überblick ........................................................................................................................... 2. Fehlen einer Auslandszustellung im französischen Recht... ............................................... 3. Allgemeine Bestimmungen ................................................................................................ a) Unwirksamkeit von Zustellungen (Art. 693 f. NCPC) ................................................. b) Inhalt des "acte" (Art. 648 und 663 NCPC) ................................................................. c) Zustellungszeit (Art. 664 NCPC) ................................................................................. d) Zustellungszeitpunkt (Art. 653 NCPC) ...................... .................................................. e) Zustellung an Prozeßvertreter (Art. 652 NCPC) ...........................................................

161 161 161 162 162 164 167 169 169 171 171 172 173 173 173 176 176 177 177 178 178

10

Inhaltsverzeichnis

4. Zustellung durch "signification au parquet" (Art. 683 ff. NCPC) ..................................... 178 a) "Domicile" des Adressaten ........................................................................................... 179 b) Verfahren ..................................................................................................................... 180 c) Zustellungszeitpunkt .................................................................................................... 182 d) Schutz des Zustellungsadressaten ................................................................................. 183 aa) Vorkehrungen im Zustellungsrecht ....................................................................... 184 bb) Vorkehrungen im Fristenrecht... ................... ...................... .. ................................. 186 5. Persönliche Zustellung innerhalb Frankreichs ................................................................... 187 a) Verhältnis zur "signification au parquet" ..................................................................... 187 b) Persönliche Zustellung an natürliche Personen (Art. 654 Abs. I i.V.m. Art. 689 NCPC) .......................................................................................................................... 188 c) Persönliche Zustellung an juristische Personen (Art. 654 Abs. 2 i.V.m. Art. 690 NCPC) .......................................................................................................................... 189 aa) Zustellung am "siege social" der Gesellschaft ...... .......... ....................................... 190 bb) Zustellungsdurchgriff............................................................................................ 191 6. Ersatzzustellung in Frankreich ........................................................................................... 193 a) Verhältnis zur "signification au parquet" ..................................................................... 193 b) Ersatzzustellung am "domicile" oder an der "residence" (Art. 655 NCPC) ....................... 195 aa) Unmöglichkeit der persönlichen Zustellung .......................................................... 195 bb) Zustellungsorte ...................................................................................................... 196 aaa) "Domicile reel" und "legal" .......................................................................... 196 bbb) "Domicileelu" ............................................................................................... 198 ccc) "Residence" .................................................................................................. 199 cc) Ersatzpersonen ...................................................................................................... 200 c) Ersatzzustellung "en mairie" (Art. 656 NCPC) ............................................................ 201 d) Gemeinsame Vorschriften für die Ersatzzustellung (Art. 657 und 658 NCPC) ............ 202 7. Zustellung durch Aufuahme eines Protokolls (Art. 659 NCPC) ........................................ 203 8. Zustellung zwischen Anwälten (Art. 671 ff. NCPC) .......................................................... 204 9. Zustellung im Wege der "notification en la forme ordinaire" ............................................ 205 a) "Notification par la voie postale" ................................................................................. 206 b) "Notification par la remise contre emargement ou recepisse" ................ .. ...... .. ............ 208 10. Besonderheiten der Urteilszustellung ............................................................. ....... .. ........... 209 IV. Zusammenfassung ................................................................................................................... 210 Vierter Teil

Deutschland

212

I. Verfassungsrecht ............................................................... .. ....................... ............................. 212 I. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ............ .. ...... .. ...... .. ...... ......... ........ ......... .. .... .............. 213 a) Doppelter Geltungsgrund ................................. .. ...................... .. ............... .. ................. 213 b) Schutzbereich ............................................................................................................... 214 c) Schrankensystematik .................................................................................................... 218 aa) Mitgeschriebene Schranken .................................................................................. 218 bb) Verfassungsimmanente Schranken ................... ................. .................................... 220 aaa) Justizgewährungsanspruch ............................................................................ 220 bbb) Funktionsfllhigkeit der Rechtspflege ............................................................. 222 cc) Konkretisierung des Gehörrechts durch einfaches Verfahrensrecht ...................... 224 d) Zusammenfassung ........................................................................................................ 226 2. Der Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und das Recht auf ein faires Verfahren. 226 a) Fristenregelungen ......................................................................................................... 229 b) Übersetzung gerichtlicher Schriftstücke. ...................................................................... 229 c) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ....................................................................... 233

Inhaltsverzeichnis

11

3. Gleichheitsgebote ............................................................................................................... 234 a) Prozessuale Waffengleichheit. ...................................................................................... 234 b) Willkürverbot ................................................................... .................. .......................... 234 c) Gleichheitsgebote und Zustellung ................................................................................ 235 d) Ungleichbehandlungen aufgrund der Sprache .............................................................. 237 4. Zusammenfassung ............................................................................................................. 239 11. Inlandszustellung in Deutschland ............................................................................................ 240 I. Überblick ........................................................................................................................... 240 2. Verhaltnis der Inlands- zur Auslandszustellung ................................................................. 242 a) Gesetzesrecht. ...................................................... .. ...... ........ ......... .. ...... ........ ................ 242 b) Rechtspolitische Aspekte ..................................................... ................. ....................... 243 3. Allgemeine Bestimmungen ................................................................................................ 246 a) Zustellungs- und Übergabegegenstand ......................................................................... 246 b) Zustellungsurkunde ...................................................................................................... 246 c) Zustellungszeit (§ 188 ZPO) .............. .. ........ ................................................................ 247 d) Unwirksamkeit und Heilung ........................................................................................ 247 aa) Unwirksamkeit ...................................................................................................... 247 bb) Fehlerfreie Nachholung ......................................................................................... 248 cc) Genehmigung .......................................................................... .............................. 248 dd) Heilung durch Zugang (§ 187 ZPO) ................................. ........................ .. ........... 248 ee) Rügeverzicht und rOgelose Einlassung (§ 295 ZPO) ................ ........ .. ....... ............ 251 ff) Rechtskraft ............................................................................................................ 253 e) Vorheriger Verzicht des Adressaten auf die Zustellung ............................................... 253 4. Zustellung an natürliche Personen ..................................................................................... 255 a) Persönliche Zustellung an die Partei (§§ 180, 170 ZPO) .................................. ........... 255 b) Zustellung an inländische Vertreter natürlicher Personen ............................................ 259 aa) GewillkUrte Zustellungsbevollmächtigte ..................................................... .......... 260 aaa) Generalbevollmächtigte und Prokuristen (§ 173 ZPO) ................................. 261 bbb) Sonderzustellungsbevollmächtigte (arg. e § 174 ZPO) ................................. 262 ccc) Prozeßbevollmächtigte (§ 176 ZPO) ............................................................. 264 bb) Pflicht zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten .......................... .. ........ 268 cc) Gesetzliche Vertreter natUrlicher Personen (§ 171 Abs. 1 ZPO) ........................... 273 dd) Gerichtlich bestellte Zustellungsempfllnger........................................................... 275 c) Ersatzzustellung im Inland (§§ 181, 182, 183 ZPO) .................................................... 279 aa) Grundgedanken der Regelung ............................................................................... 280 bb) Ersatzzustellung in der Wohnung und durch Niederlegung (§§ 181, 182 ZPO) ... 283 cc) Ersatzzustellung im Geschaftslokal (§ 183 ZPO) .................................................. 287 5. Zustellung anjuristische Personen und Handelsgesellschaften ............................................ 289 a) Grundmodus: an organschaftliche Vertreter und "Vorsteher" (§ 171 Abs. I und 2 ZPO) .......................................................................................................................... 289 b) GewillkUrte Vertreter juristischer Personen .................................................................. 291 c) Ersatzzustellung (§ 184 ZPO) ............................ .. ............................... ......................... 291 d) Zustellungsdurchgriff................................................................................................... 293 aa) VorOberlegung ....................................................................................................... 293 bb) Zustellungsdurchgriff beruhend auf dem Vertretungsgedanken ............................ 296 aaa) Tochteruntemehmen als Zustellungsbevollmächtigte ................................... 296 bbb) Tochteruntemehmen als Generalbevollmächtigte ......................................... 297 ccc) Ersatzzustellung im Geschäftslokal einer Filiale, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft ............................................................................... 299 cc) Zustellungsdurchgriff unter Zurechnungs gesichtspunkten .................................... 30 I aaa) Grundgedanken der Zurechnung im Unternehmensverbund ......................... 301 bbb) Besonderheiten bei der Zustellung ................................................................ 302 ccc) Zurechnung wegen wirtschaftlichen Mißbrauchs ......................................... 303

12

Inhaltsverzeichnis

ddd) Zurechnung aufgrund einer Sphllrenvermischung........... ,............................. 304 eee) Zurechnung aufgrund von Leitungsmacht ..................... .. ............................. 304 fff) Vorschlag de lege ferenda ............................................................................. 306 6. Zustellung durch Aufgabe zur Post (§§ 174, 175 ZPO) .............. .. ..................................... 307 a) Zustellungen während des laufenden Verfahrens ................ .... ..... .. ...... .. .............. .. ...... 308 b) Urteile und Versäumnisurteile ........................................................ .. ....... .. ...... .. ........... 309 c) Vollstreckungs bescheide .............................................................................................. 313 d) Zustellung durch Aufgabe zur Post qua Rechtsfolgenverweisung ................................ 315 e) Weitere Regelungen ..................................................................................................... 316 7. Öffentliche Zustellung (§ 203 ZPO) .................................................................................. 318 a) Öffentliche Zustellung bei unbekanntem Aufenthalt des Adressaten (§ 203 Abs. I ZPO) ............................................................................................................................. 320 b) Öffentliche Zustellung bei unausfilhrbarer oder nicht erfolgversprechender Auslandszustellung (§ 203 Abs. 2 ZPO) ..................................................................................... 323 c) Öffentliche Zustellung an Stelle der Zustellung in der Wohnung exemter Personen (§ 203 Abs. 3 ZPO) ...................................................................................................... 330 d) Sonderregeln der öffentlichen Bekanntmachung ............................................... .. ......... 330 III. Zusammenfassung ................................................................................................................... 33 I Fünfter Teil

Rechtsvergleichende Schlußbetrachtung

334

Anhang

Rule 4 der Federal Rules of Civil Procedure i.d.F. vom 1. Dezember 1993

343

Literaturverzeichnis

347

Materialien

362

Abkürzungsverzeichnis FOr die hier nicht aufgefilhrten AbkOrzungen wird verwiesen auf Kirchner, AbkOrzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage 1993. Die US-amerikanische Zitierweise richtet sich nach A Uniform System ofCitation (Bluebook), 15. Auflage, Cambridge 1991. 2d 3d

second third

A.2d abI. ABI.EG ACPC aft'd Am. J. ofInt'l L. Am. Jur. 2d Am. U. L. Rev. AusfD AusfD-EPÜ

Atlantic Reporter, second series ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Ancien Code de Procedure Civile affirmed American Journal of International Law American Jurisprudence Second The American University Law Review Ausfilhrungsgesetz Ausfilhrungsordnung zum Europäischen PatentObereinkommen vom 21.6.1976 Anerkennungs- und Vo11streckungsausfilhrungsgesetz vom 30.5.1988

AVAG BAnz. BerDGesVöR BGE BJM BI-Drs. Bu11. ch. avoues Bull. civ. BV CA Cal. App. Cal. Lawyer Cal. L. Rev. Cal. Rptr. Cardozo L. Rev. Cass. civ., com., crim., req., soc. Cass. C. Const. CCPR

Bundesanzeiger (CH) Berichte der Deutschen Gese11schaft filr Völkerrecht Entscheidungen des Bundesgerichts (CH); IIIallb: Verwaltungsrecht; 11: Zivilrecht; 111: Betreibungs- und Konkursrecht Bundesjustizministerium Bundestags-Drucksache Bu11etin des arrets de la chambre des avoues Bu11etin des arrets de la Cour de Cassation (F); I1IIIIIl: chambre civile; IV: chambre commerciale; V: chambre sociale Bundesverfassung (CH) Cour d'Appel (F) California Appe11ate Reports California Lawyer California Law Review California Reporter Cardozo Law Review Cour de Cassation, chambre civile, commerciale et financiere, crimine11e, des requetes, sociale (F) Cour de Cassation (B) Conseil Constitutionnel (F) Covenant on Civil and Political Rights vom 19.12.1966

14 CD

Abkorzungsverzeichnis

C.D. cert. den. cert. dism. Ch. Cir. C.1.S. cl. C1unet Co. Colum. L. Rev. Conf. Cornell Int'l LJ. Corp.

Collection of Decisions of the European Commission of Human Rights Central District certiorari denied certiorari dismissed Chapter Circuit Corpus Juris Secundum c\ause Journal de droit international, begrOndet von Clunet Company Columbia Law Review Conference Cornell International Law Journal Corporation

D. (inf. rap.; somm.) D.C. ders.; dies. Dickinson L. Rev. diff. DP DR dr. int.

Recueil Dalloz (informations rapides; sommaires) District of Columbia; District Court derselbe; dieselbe Dickinson Law Review differenzierend Recueil Dalloz periodique et critique (bis 1941) Decisions and Reports (der EKMR) droit international

E ebda. E.D. EGMR EKMR EMRK

Entscheidung ebenda Eastern District Europäischer Gerichtshof ftIr Menschenrechte Europäische Kommission ftIr Menschenrechte Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. I I. 1950 Europäisches PatentObereinkommen vom 2 I .6.1976 Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift Vertrag vom 25.3.1957 zur GrOndung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (seit 1.11.1993: EGV, Vertrag zur GrOndung der Europäischen Gemeinschaft)

EPÜ EU EuG EuGH EuGRZ EWGV

F.2d fasc. Fordham Int'l LJ. FRCivP F.R.D. frz. F.Supp.

Federal Reporter, second series fascicule Fordham International Law Journal Federal Rules ofCivil Procedure Federal Rules Decisions französisch Federal Supplement

Ga. J. ofInt'l & Comp. L. Georgia Journal ofinternational and Comparative Law Gaz. Pal. (doctr.; panjur.;jur.) Gazette du Palais (doctrine; panorama de jurisprudence; jurisprudence) gern. gemäß

AbkOrzungsverzeichnis .

15

Geo. Wash. J. Int'l L. & Econ. GVÜ

George WashingtonJoumal oflnternational Law and Economics Übereinkommen vom 27.9.1968 Ober die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen i.d.F. des3. BeitrittsObereinkommens vom26.5 .1989

Harv.Int'l LJ. Harv. L. Rev. Hastings L.J. Hous.1. Int'l L.

Harvard International Law Journal Harvard Law Review Hastings Law Journal Houston Journal of International Law Haager Übereinkommen Ober die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.11.1 965

i.e. Inc. Int'l Lawyer Int'l. & Comp. L.Q. i.S.d.

im einzelnen Incorporated Tbe International Lawyer International and Comparative Law Quarterly (GB) im Sinne des

J. JCP, ed. G JO 1. of Air L. & Com. J. ofWorid Trade

Justice Juris-Classeur Periodique (= La semaine juridique) Journal Officiel (F) Journal of Air Law and Commerce Journal ofWorid Trade Journal des Tribunaux (B) Juris-Classeur

HZÜ

JT

Jur.-CI.

Ltd.

Lawyers' Edition ofUnited States Supreme Court Reports LawJournal LoyolaofLos Angeles International and Comparative Law Journal Limited

Marquette L. Rev. M.D. Mich. L. Rev. m.(w.)N.

Marquette Law Review Middle District Michigan Law Review mit (weiteren) Nachweisen

N.C.1. Int'l L. & Com. Reg. NCPC N.D. No. N.W.2d NYCPLR N.Y.U. L. Rev.

North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation Nouveau Code de Procedure Civile (F) Northern District number, numero Northwestern Reporter, second series New York Civil Practice Law and Rules New York University Law Review

Okl. L. Rev. öZPO

Oklahoma Law Review österreichische Zivilprozeßordnung

P.2d proc. civ.

Pacific Reporter, second series procedure civile

RADG RCDIP RdC RDIP

Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz vom 16.8.1980 Revue critique de droit international prive (F) Recueil des Cours de l'Academie de DroitInternational de LaHaye Revue de droit international prive (F)

L.Ed. LJ. Loy. ofL.A. Int'l & Comp. LJ.

16

AbkOrzungsverzeichnis

RegE-InsO Rep. dr. civ. Rep. dr. int. Rep. proc. civ. Rest. Rev. fr. dr. adm. Rev. huiss. (R)MBCA RTD civ. Rutgers LJ.

Regierungsentwurf einer Insolvenzordnung Repertoire de droit civil Dalloz Repertoire de droit international Dalloz Repertoire de procedure civile Dalloz Restatement Revue franc;aise de droit administratif Revue des huissiers de justice (F) (Revised) Model Business Corporations Act Revue trimestrielle de droit civil Rutgers Law Journal

S. S.Ct. S.D. S.E.2d SEC Sess. Sig. SO.2d Southwestem LJ. SR Suffolk Transnat'l LJ. Supr.Ct.

Recueil Sirey; Seite; Satz Supreme Court Reporter Southern District Southeastern Reporter, second series Securities Exchange Commission Session Sammlung Southern Reporter, second series Southwestern Law Journal Systematische Sammlung des Bundesrechts (CH) Suffolk Transnational Law Journal Supreme Court (N.Y.)

TGI TI

Tribunal de grande instance Tribunal d'instance The Transnational Lawyer Tribunal civil

u.a. U. Chi. L. Rev.

unter anderem University ofChicago Law Review Uniform Laws Annotated University ofPittsburgh Law Review United States United States Reports United States Codes United States Codes Annotated

Transnat'I Lawyer Trib. civ.

U.L.A.

U. ofPittsburgh L. Rev. US U.S. USC USCA

v.

von, vom, versus Virginia Law Review Vanderbilt Journal ofTransnational Law Vanderbilt Law Review Verfahrensordnung

Washburn LJ. W.D. Wis. Int'I LJ. WL WÜD

Washburn Law Journal Western District Wisconsin International Law Journal WestLaw Wiener UN-Übereinkommen ober diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 Wiener UN-Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 Wiener UN-Übereinkommen ober das Recht der Vertrage vom 23.5.1969

Va. L. Rev. Vand. 1. of Transnat'l L. Vand. L. Rev. VerfO

WÜK WVK

Abkürzungsverzeichnis

17

Yale LJ. YB

Yale Law Journal Yearbook ofthe European Convention on Human Rights

z.B.

zum Beispiel Zeitschrift des bernischen Juristenvereins Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Int. Privatrecht und Europarecht (A) zitiert Haager Abkommen zur Regelung von Fragen des internationalen Privatrechts vom 14.11.1896 Haager Abkommen über den Zivilprozeß vom 17.7.1905 Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 1.3.1954 zum Teil zustimmend zutreffend

ZBJV ZfRV zit. ZPÜ 1896 ZPÜ 1905 ZPÜ 1954 z.T. zust. zutr.

Ala. (Alabama); Ariz. (Arizona); Ark. (Arkansas); Cal. (California); Conn. (Connecticut); DeI. (Delaware); Fla. (Florida); Ga. (Georgia); la. (Iowa); 111. (lIIinois); Ind. (Indiana); Kan. (Kansas); La. (Louisiana); Mass. (Massachussetts); Md. (Maryland); Mich. (Michigan); Minn. (Minnesota); Miss. (Mississippi); Mo. (Missouri); Mont. (Montana); Neb. (Nebraska); Nev. (Nevada); NJ. (New Jersey); N.M. (New Mexico); N.Y. (New York); Okl. (Oklahoma); Pa. (Pennsylvania); R.I. (Rhode Island); S.C. (South Carolina); S.O. (South Dakota); Ten. (Tennessee); Tex. (Texas); Wis. (Wisconsin)

2 Fleischhauer

Einleitung Die reibungslose Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken ist fiir ein zügiges Verfahren und effektiven Rechtsschutz von größter Bedeutung. Sie ist das Instrument, mit dem die gegenläufigen, aber gleichwertigen Interessen der Verfahrensbeteiligten ausbalanciert werden müssen: Dem Beklagten verschaffi die Zustellung rechtliches Gehör im Verfahren; der Kläger ist auf sie zur Durchsetzung seines Justizgewährungsanspruchs angewiesen. Im internationalen Zivilprozeßverkehr werden diese individuellen Interessen überlagert durch die verbreitete Vorstellung, in der Zustellung liege ein staatlicher Hoheitsakt, dessen Vornahme die Souveränität anderer Staaten verletze!. Die Auslandszustellung, bei der das zuzustellende Schriftstück in das Ausland zu übermitteln und dort dem Adressaten zu übergeben ist, bedarf aus dieser Perspektive der Mitwirkung des anderen Staates2 • Während der letzten hundert Jahre war man bemüht, diese Mitwirkung zu sichern und zu vereinfachen 3. Die zu diesem Zweck abgeschlossenen Rechtshilfeverträge haben zwar den grenzüberschreitenden Zustellungsverkehr in technischer Hinsicht um einiges er-

! So die offizielle deutsche Position, vgt. die Denkschrift zum HZÜ, BT-Drs. 7/4892, S. 38, 46; sowie jüngst das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 7.12.1994 zur HZÜZustellung US-amerikanischer punitive-damages-Klagen, BVerID NJW 1995, 649. Ebenso Schmitz, Fiktive Auslandszustellung, S. 12; Pfennig, Internationale Zustellung, S. I; Stürner, FS Nagel (1987), S.446, 455; ZölleriGeimer, ZPO, § 199, Rn. 3, aber auch Rn. 71; Wengier, Völkerrecht 11, S. 962; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 73 I 2 (S.403); BaumbachiLauterbachiHartmann, ZPO, Übers § 166, Rn. 2; a.M. Schack, IZVR, Rn. 589, 593 f.; kritisch auch Linke, IZPR, Rn. 219; KP. Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung, S. 255. 2 Die direkte Postzustellung im Inland ohne Inanspruchnahme von Rechtshilfe ist danach unzulässig. Für Postzustellungen nach Deutschland ist dies durch den Widerspruch der Bundesrepublik gegen die vereinfachten Zustellungsformen in Art. 8 und 10 HZÜ zementiert (§ 6 AusfG); im Wege einer "allseitigen Ausweitung" (ZölleriGeimer, ZPO, § 199, Rn. 4) dieses Vorbehaltes läßt die Rechtsprechung auch nicht zu, daß von Deutschland aus per Post zugestellt wird. 3 Bereits die Haager Zivilprozeßübereinkommen vom 14.11.1896, RGBt. 1899, S. 285, und vom 17.7.1905, RGBt. 1909, S. 409 enthielten Regelungen der grenzüberschreitenden Zustellung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese mit wenigen Änderungen in das Haager Übereinkommen vom 1.3.1954 über den Zivilprozeß, BGBt. 195811, S. 577 und 195911, S. 1388, übernommen. Seit 1979 gilt rur die Bundesrepublik das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.11.1965, BGBt. 197711, S. 1452. Vgt. zu den Haager Übereinkommen Schack, Hundert Jahre Haager Konferenz rur IPR, RabelsZ 57 (1993), S. 224, 228 f., 230, 232 f., sowie 239 f.

20

Einleitung

leichtert4 • Ein Einheitsrecht der internationalen Zustellung ist daraus jedoch nicht hervorgegangen. Noch immer hängt die Effektivität der Auslandszustellung stark von der Kooperationsbereitschaft des anderen Staates ab. Das kann selbst im Verhältnis zu europäischen Nachbarstaaten zu erheblichen Verfahrensverzögerungen fiihren 5 • Ganz unmöglich ist die Auslandszustellung, wenn der Aufenthaltsort des Adressaten unbekannt ist. Häufig scheitert die Benachrichtigung des ausländischen Adressaten aber auch an deutschen Reserven, sei es, daß die Weiterleitung von Zustellungsersuchen verweigert wird6, sei es, daß das Gesetz gänzlich auf die Zustellung verzichtet, wenn im Ausland zuzustellen wäre 7 • Der mit der Auslandszustellung verbundene erhöhte Aufwand und die ungewohnten Formalitäten belasten den Zustellungsbetreiber und die Justizbehörden8 • Die Versuchung ist groß, diese Unsicherheiten zu prozeßtaktischen Verzögerungsmanövern zu nutzen 9, die der Funktionsfiihigkeit des internationalen Rechtshilfeverkehrs nicht eben zuträglich sein dürften lO • Insgesamt ist festzustellen, daß eine Vielzahl von Zustellungssituationen im Rechtshilfeverfahren nicht befriedigend gelöst werden kann. Dies ist um so bedenklicher, als die nationalen Grenzen aufgrund der fortschreitenden weltwirtschaftlichen Verflechtung und der größeren persönlichen Freizügigkeit ihre Bedeutung im internationalen Wirtschaftsverkehr viel schneller verlieren als im Verfahrensrecht. Global operierende Wirtschaftsunternehmen und Geschäftsleute nutzen diese Freiheit offener Grenzen. Eine fremde 4 Zur internationalen Rechtshilfe vgl. Nagel, Rechtshilfeverkehr, S. 65 ff.; Pfennig, Internationale Zustellung, S. 21 ff. 5 Vgl. die Ländertlbersicht zur Erledigungsdauer von Zustellungsersuchen bei RahmlKünkel/Breuer, Familiengerichtsverfahren, S. vrn 31, Rn. 42. 6 So ist es bei der Forderungspfändung nach § 829 ZPO: Die Justizverwaltungsbehörden verweigern die Weiterleitung von Ersuchen um Rechtshilfe bei der Zustellung von Drittschuldneranzeigen mit dem Argument, es sei nicht üblich, andere Staaten um Rechtshilfe zu ersuchen, wenn sie der eigene Staat in gleicher Situation nicht gewähre. Vgl. K.I. Mössle, Internationale Forderungspfändung, S. 111; Stöber, Forderungspfändung, Rn. 39;Schack, Rpfleger 1980,175,176. 7 §§841,844Abs.2,875Abs.2ZPO. 8 Nach einer Untersuchung aus dem Jahre 1984 mußte ein Fünftel der aus den USA eingehenden Zustellungsersuchen wegen formaler Mangel zUrtlckgewiesen werden; vgl. Koch, IPRax 1985, 245, 255; s. auch die Falle des OLG Hamburg IPRspr. 1987, Nr. 170 =NJW-RR 1988, 1277 (diplomatische Zustellung nach Kanada durch "gerichtsinterne Ablaufe" verzögert) und des OLG Saarbrücken, IPRax 1995,35 mit Anm. Hess, a.a.O., 16, 19 (gescheiterte HZÜ-Zustellung über die Grenze Frankreichs zum Saarland). 9 Herausragendes Beispiel hierfllr ist der Fall des BVerfG NJW 1995,649, in dem es den Zustellungsadressaten gelang, die Durchfilhrung der Zustellung durch Ausschöpfung aller Rechtsbehelfe und anschließender Einlegung einer Verfassungsbeschwerde zu verzögern. Hierzu Kronke, EuZW 1995, 221; Morisse, RIW 1995,370; Geimer, EWiR 1995, 161; sowie Juenger/Reimann, NJW 1994, 3274; Koch/Diedrich, ZIP 1994, 1830; Bungert, EWiR 1994, 1111 zum Beschluß des BVerfG vom 3.8.1994, NJW 1994,3281 = RIW 1994, 769 = ZIP 1994,1353, mit dem das Gericht die Zustellung im Wege einstweiliger Anordnung zunachst untersagt hatte. 10 Kritisch auch Kronke, EuZW 1995, 221: der internationale Rechtshilfeverkehr dürfe nicht zum "Exerzierfeld filr strategische Spielchen einzelner" Prozeßbeteiligter verkommen.

Einleitung

21

Staatsangehörigkeit oder ein ausländischer Verwaltungssitz stehen der Teilnahme am inländischen Markt nicht entgegen. In Deutschland leben ständig etwa sechs Millionen Ausländer, von denen sich weit über die Hälfte länger als zehn Jahre hier aufhalten, von denen viele aber auch nur kurzzeitig im Inland verweilenli. Angesichts dieser Vielfalt der Zustellungssituationen dürften sich die Schwierigkeiten der Zustellungspraxis weiter verschärfen, wenn nicht flexible Instrumente zur Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten gefunden werden. Auch wenn die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes in absehbarer Zeit eine nationale Aufgabe bleibt, so müssen doch die erforderlichen technischen Mittel dem übernationalen Charakter der zu bewältigenden Materie angepaßt werden. Die Lücken im internationalen Zustellungsverfahren könnte die Inlandszustellung schließen, bei der das zuzustellende Schriftstück im Inland an den Adressaten selbst, einen Zustellungsbevollmächtigten oder Vertreter übergeben wird l2 . Auch Zustellungen an inländische Tochtergesellschaften, die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung und die Zustellung durch Aufgabe zur Post gehören in diese Kategorie. Gemeinsames Kennzeichen dieser Zustellungsformen ist, daß der Eintritt der Zustellungswirkungen bereits im Zeitpunkt der Übergabe an die inländische Zwischenstelle unterstellt wird. Das hat den Vorteil, daß selbst bei ausländischem Aufenthalt des Adressaten keine fremden Souveränitätsrechte berührt werden. Die Zustellung kann also relativ unkompliziert bewirkt werden. Andererseits liegt genau darin auch die besondere Brisanz der Inlandszustellung: Mit ihr ist ein erhöhtes Risiko verbunden, daß der Zustellungsadressat keine oder keine rechtzeitige Kenntnis vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks erlangt. Hier scheinen die individuellen, verfassungs- und menschenrechtlich abgesicherten Rechte des Adressaten bedroht 13 • Obwohl sich viele dieser Fragen unabhängig von der Ausländereigenschaft des Zustellungsadressaten stellen - das Zustellungsrecht knüpft an den Wohnsitz, Aufenthaltsort oder Verwaltungssitz und nicht an die Staatsangehörigkeit an - steht die Arbeit unter dem Titel "Inlandszustellung an Ausländer". Dieser Sammelbegriff mag angesichts der Bandbreite der Untersuchung unscharf wirken, weil auch Probleme der Inlandszustellung an Deutsche mit Aufenthalt im Ausland erörtert werden und umgekehrt die Zustellung an fremde Staatsbürger mit langjährigem inländischen Aufenthalt kaum Zweifelsfragen aufwirft. Er rechtfertigt sich aber aus der Beobachtung, daß mit der ausländischen Staatsangehörigkeit typischerweise die Merkmale einhergehen, die bei der Durchfiihrung der Zustellung besondere Aufinerksamkeit verlangen: So hat gerade der ausländische Adressat regelmäßig nur eine lockere Verbindung zum Forum-Staat; das zuzuQuelle: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1993, S. 72. Insofern mißverstandiich die Terminologie bei Schmitz, Fiktive Auslandszustellung. 13 Z.B. bezeichnet Schlosser, FS Stiefel (1987), S. 683, 685, 687, die deutsche Zustellung durch Aufgabe zur Post als "legis1atio in fraudem legis internationalis". H. Roth, IPRax 1990,90, hält §§ 174, 175 ZPO für "einen der rtlckstandigsten und ungerechtesten Teile der Zivilprozeßordnung". Ferner Schmitz, Fiktive Auslandszustellung, passim. 11

12

22

Einleitung

stellende Schriftstück selbst bzw. die Benachrichtigung von der im Inland erfolgten Zustellung müssen über größere Entfernungen transportiert werden, was die Übermittlungszeit verlängert; sprachliche Defizite beim Adressaten belasten den Benachrichtigungsvorgang. Diesen Besonderheiten der Inlandszustellung an Ausländer und in ähnlicher Situation befindliche deutsche Staatsangehörige gilt das Hauptaugenmerk der Untersuchung. Die kurze Bestandsaufnahme weckt Interesse an einer rechtsvergleichenden und überstaatlichen Betrachtungsweise: In welchem Umfang existieren völkerrechtliche Vorgaben fiir die internationale Zustellung? Wie stellen sich Staaten, von denen vermutet werden darf, daß sie eine ähnliche verfassungsrechtliche Ausgangslage haben, zu den aufgezeigten Interessenkonflikten bei der Zustellung an Ausländer? Zur Beantwortung dieser Fragen werden zunächst die Rahmenbedingungen untersucht, die das Völkerrecht dem nationalen Zustellungsrecht vorgibt. Anschließend wird in Länderberichten der Rechtslage in den USA, Frankreich und Deutschland nachgegangen. Dabei werden jeweils zunächst die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Zustellungsrecht insgesamt ermittelt, bevor sich der Blick auf die Inlandszustellung an Ausländer richtet. In die Erörterung der deutschen Spielarten der Inlandszustellung fließen die aus der völkerrechtlichen und rechtsvergleichenden Betrachtung gewonnenen Erkenntnisse ein. Auf dieser Grundlage soll dazu Stellung genommen werden, ob und unter welchen Voraussetzungen im Inland an einen ausländischen Adressaten zugestellt werden kann oder muß. Das US-amerikanische und das französische Recht wurden wegen ihrer jeweiligen Besonderheiten als Vergleichsrechtsordnungen ausgewählt. In den USA betrachtet man die Zustellung nicht als Hoheitsakt, sondern als private Aufgabe der Prozeßparteien l4 . Über die Wirksamkeit einer Zustellung entscheiden dort weniger völkerrechtliche als die Kriterien des eigenen Verfassungsrechts. Mit dem "due process"-Gebot der Verfassung vereinbare Zustellungsformen kommen daher weitgehend unterschiedslos auf In- wie Ausländer zur Anwendung. Zentrale Rechtsfigur des französischen Zustellungsverfahrens ist die "remise au parquet", die die fiktive Inlandszustellung an Personen mit ausländischem Wohnsitz durch Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an die zuständige Staatsanwaltschaft erlaubt. Damit wird den Rechtsschutzinteressen des inländischen Zustellungsbetreibers klar der Vorrang vor dem Gehöranspruch des ausländischen Adressaten gegeben 1s • Deswegen wird diese Zustellungsform als exorbitant empfunden l6 • Die in den drei Staaten üblichen Defmitionen des Grundmodells "Zustellung" lassen die hier angerissenen und unten genauer zu untersuchenden Charakteri14 IS 16

Vgl. Rule 4 (c) (2) der Federal Rules ofCivii Procedure. SO auch Zöller/Geimer, ZPO, § 199 Rn. 6. Vgl. nur Schlosser, FS Stiefel (1987), S. 683, 685, 687.

Einleitung

23

stika allerdings nicht erkennen. Sie sind angesichts der Vielfalt der möglichen Zustellungsformen so weit gefaßt, daß sie sich von Rechtsordnung zu Rechtsordnung kaum unterscheiden l7 : ,,zustellung ist der in gesetzlicher Form zu bewirkende und zu beurkundende Akt, durch den dem Adressaten Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks verschafft wird"18. "Service of process refers to a formal delivery of documents that is legally sufficient to charge the defendant with notice of a pending action,,19. "Les actes sont portes a la connaissance des interesses par la notification qui leur en est faite." (Art. 651 Abs. I NCPC). Eine wichtige Sonderregelung besteht rur Zustellungen an Personen mit ausländischem Wohnsitz: "La signification d'un acte destine a une personne domiciliee a I'etranger est faite au parquet." (Art. 684 Abs. I NCPC)

Alle drei Defmitionen verdecken den mit der Zustellung verbundenen Interessengegensatz mehr, als daß sie ihn zugunsten einer Seite auflösen. Übereinstimmend steht der Zweck im Vordergrund, dem Adressaten Gelegenheit zur Kenntnisnahme des zuzustellenden Schriftstückes zu verschaffen. Stark betont wird aber auch der formale Aspekt (Beurkundung), hinter dem sich u.a. das Beweisinteresse des Zustellungsbetreibers verbirgt. Nur die französische Regelung in Art. 651, 684 NCPC gibt Aufschluß darUber, wie der Interessenwiderstreit zu entscheiden ist, in Frankreich nämlich zugunsten des Justizgewährungsanspruchs des Klägers. Zur Bezeichnung der am Zustellungsvorgang Beteiligten wird hier folgende Terminologie verwandt: "Zustellungsbetreiber", "Zustellungsveranlasser" oder "zustellende Partei" ist die Person,Jür die zugestellt werden soll (i.S.d. § 191 Nr.2 ZPO); ,,zustellungsadressat" ist die Person, an die zugestellt werden soll (§ 191 Nr.3 ZPO); "Zustellungsempfllnger" ist die vom Zustellungsadressaten abweichendePerson, der tatsächlich zugestellt wird (§ 191 Nr. 4 ZPO)2°.

17

Vgl. Wiehe, Zustellungen, S. 4!f. RosenbergiSchwablGottwald, ZPR, § 73 I I (S. 403). 19 Volkswagenwerk AG v. Schlunk, 486 V.S. 694, 700; 108 S.Ct. 2104, 2108 (1988). 20 Vgl. BaumbachiLauterbachiHartmann, ZPO, § 191, Rn. 5-8; Rosenberg!SchwabIGottwald, ZPR, § 74 m(S. 407 ff). 18

Erster Teil

Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer Das internationale Zustellungswesen ist als Teil des internationalen Privatrechtsverkehrs Gegenstand völkerrechtlicher Normen. Spezielle Regelungen der internationalen Zustellung finden sich in völkerrechtlichen Verträgen: im Haager Zustellungsübereinkommen von 1965 (HZÜ), seinem Vorgänger, dem Haager Zivilprozeßübereinkommen von 1954 (ZPÜ), im Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 (GVÜ) und in bilateralen Rechtshilfeabkommen. Außerdem steht die Zustellung im Spannungsfeld zwischen der völkerrechtlich geschützten staatlichen Souveränität und dem vertrags- und gewohnheitsrechtlich garantierten Bestand an Fremden- und Menschenrechten. Im Mittelpunkt dieser Betrachtung steht die Frage, ob und inwieweit die genannten völkerrechtlichen Regeln die besondere Zustellungsform der Inlandszustellung an Ausländer betreffen. Zunächst ist zu klären, ob Inlandszustellungen innerhalb des Anwendungsbereichs der internationalen Rechtshilfeübereinkommen ausgeschlossen sind. Immerhin war es der erklärte Wunsch eines Teils der Vertragsstaaten, bestimmte Formen der Inlandszustellung, insbesondere die "remise au parquet" des französischen Rechtskreises, gänzlich abzuschaffen. Die staatliche Souveränität kommt möglicherweise ins Spiel, wenn (Teil-)Akte der Zustellung im Ausland vorgenommen werden müssen, z.B. Benachrichtigungen über die im Inland erfolgte Zustellung grenzüberschreitend versendet werden. Schließlich ist zu untersuchen, ob Inlandszustellungen an Ausländer mit den Grundsätzen des völkerrechtlichen Individualschutzes zu vereinbaren sind.

I. Spezielles Völkervertragsrecht

25

I. Spezielles Völkervertragsrecht 1. Das Haager Zivilprozeßübereinkommen von 1954 und seine Vorläufer l a) Überblick Das Haager Übereinkommen vom 1.3 .1954 über den Zivilprozeß (ZPÜ 1954)2 gilt heute in 37 Staaten3 . Es ersetzt im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander das Haager Abkommen über den Zivilprozeß von 1905 4 (ZPÜ 1905)5, welches seinerseits eine Überarbeitung des Abkommens zur Regelung von Fragen des Internationalen Privatrechts von 1896 (ZPÜ 1896)6 darstellt. Das ZPÜ 1954 enthält in seinem ersten Titel (Art. I bis 7) Vorschriften über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke. Diese werden zwar im Verhältnis zu den dem Haager Zustellungsübereinkommen von 1965 (HZÜ) beigetretenen Staaten durch dessen Regelungen abgelöst (Art. 22 HZÜ). Das ZPÜ 1954 gilt für Deutschland aber immer noch im Verhältnis zu Österreich, der Schweiz und wichtigen osteuropäischen Staaten? Nach Art. 1 Abs. 1 ZPÜ 1954 soll die "Zustellung von Schriftstücken, die für eine im Ausland befindliche Person bestimmt sind", im Regelfall auf dem konsularischen Weg erfolgen. Dieser erstmals im ZPÜ 1905 vereinbarte Übermittlungsweg stellte seinerzeit einen großen Fortschritt gegenüber dem ZPÜ 1896 dar, das noch zur Zustellung auf dem diplomatischen Weg anhielt. Nach den Vorschriften des ZPÜ 1954 hat der Konsul des ersuchenden Staates einen Antrag an die zuständige Behörde des ersuchten Staates zu richten, die anschließend die Zustellung formlos durch einfache Übergabe an den annahmebereiten Adressaten oder förmlich entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchten Staates bewirkt (Art. 2, Art. 3 Abs. 2 ZPÜ 1954). Jeder Vertragsstaat kann aber gemäß Art. 1 Abs. 3 ZPÜ 1954 verlangen, daß Zustellungsersuchen weiterhin nur auf diplomatischem Weg an ihn gerichtet werden. Andererseits können nach Art. lAbs. 4 ZPÜ 1954 zwei Vertragsstaaten den unmittelbaren Behördenverkehr vereinbaren. Nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind nach Art. 6 Abs. 1 ZPÜ 1954 auch die direkte Postzustellung, die Zustellung aufunmit1 Vgl. zur Entstehungsgeschichte der Haager Übereinkommen Schack, RabelsZ 57 (1993), S. 224, 228 ff.; BülowlBöckstiegel I, S. 100.1 ff. 2 BOBI. 195811, S. 577. Stand 31.12.1994, vgl. BOBI.-Fundstellennachweis B, S. 313. Haager Abkommen ober den Zivilprozeß vom 17.7.1905, ROBI. 1909, S. 409. 5 Vgl. Art. 29 ZPÜ 1954. DasZPÜ 1905 gilt fiIr die BundesrepublikDeutschland nur noch im Verhaltniszu Island; vgl. BülowlBöckstiegelI, S. 200.2 f, Fn. 2; BOBI.-FundsteUennachweis B, S. 186. 6 Haager Abkommen zur Regelung von Fragen des internationalen Privatrechts vom 14.11.1896, ROBI. 1899, S. 285; Zusatzprotokoll vom 22.5.1897, S. 295. ? Polen, Rumänien, Ungarn, die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens und der ehemaligen Sowjetunion (jetzt Russische Föderation, vgl. BOBI. 1992 n, S. 1016), femer Argentinien, Libanon, Marokko, VatikanstaatundSurinarn; vgl. BOBI.-FundstellennachweisB, S. 313 (Stand31. 12. 1994).

26

I.Teil: Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer

telbaren Antrag der Partei durch zuständige Stellen des Bestimmungslandes, sowie die Zustellung durch diplomatische oder konsularische Vertreter des Ausgangsstaates in eigener Zuständigkeit. Diese Zustellungsformen sind jedoch gemäß Art. 6 Abs. 2 ZPÜ 1954 nur aufgrund eines besonderen Abkommens zwischen den beteiligten Staaten bzw. mangels eines solchen Abkommens nur bei Fehlen eines Widerspruchs des Bestimmungsstaates zulässig. b) Exklusivität des Übereinkommens gegenüber Inlandszustellungen Schon die Reihe alternativer Zustellungsmethoden deutet daraufhin, daß keiner der im ZPÜ 1954 vorgesehenen Zustellungswege zwingend vorgeschrieben ist. Insbesondere ist die Inlandszustellung an Ausländer nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden. Aus dem etwas umständlichen Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 ZPÜ 1954 geht hervor, daß sich das ZPÜ 1954 nur auf Auslandszustellungen bezieht: "En matiere civile ou commerciale, les significations d'actes adestination de personnes, se trouvant a I'etranger, se feront dans les Etats contractants, sur une demande du consul de l'Etat requerant, adressee a I'autorite qui sera designee par l'Etat requis."s.

Die fehlende Exklusivität des Übereinkommens gegenüber der Inlandszustellung belegt auch seine Entstehungsgeschichte. Bereits in den Verhandlungen der Haager Konferenz zu den Übereinkommen von 1896 und 1905 war versucht worden, die Vertragsstaaten rur Zustellungen an ausländische Verfahrensbeteiligte auf die im Übereinkommen festgelegten Übermittlungswege zu verpflichten. Damit sollte insbesondere die als empörend empfundene Inlandszustellung der "remise au parquet" gebannt werden9, welche die fIktive Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke durch Übergabe an den örtlichen Staatsanwalt erlaubte, ohne daß eine Benachrichtigung des ausländischen Adressaten erforderlich gewesen wäre lO• Diesem Vorhaben stand während der 1. Konferenz 1893 jedoch das Bemühen im Wege, keinen der an der Konferenz teilnehmenden Staaten durch zu große Abweichungen von den jeweiligen nationalen Rechten zu verschrecken 11. Man setzte auf den guten Willen der beteiligten Staaten und äußerte die Hoffnung, daß nach der Annahme des Übereinkommens die nationalen Gesetzgeber handeln würden 12.

8 Authentisch ist allein der französische Text; zu deutsch: "In Zivil- oder Handelssachen wird die Zustellung von Schriftstücken, die rur eine im Ausland befindliche Person bestimmt sind, innerhalb der Vertragsstaaten auf einen Antrag bewirkt, der von dem Konsul des ersuchenden Staates an die von dem ersuchten Staat zu bezeichnende Behörde gerichtet wird". 9 Vgl. Berichtv. Seckendorff, Actes LaHaye I.ConfI893I,S. 64; Asser, Proces-Verbal No. 6, S. 55. 10 Zu der nunmehr geltenden entschärften Fassung der "signification au parquet" (Art. 683 ff. NCPC) vgl. unten S. 183 ff. 11 Vgl. die Äußerung des (deutschen) Berichterstatters v. Seckendorff, Proces-Verbal No. 6, Actes La Haye I. Conf. 1893 I, S. 55. 12 Vgl. Asser, Proces-Verbal No. 6, Actes La Haye I. Con[ 1893 I, S. 55.

I. Spezielles Völkerv~rccht

27

Daraus entwickelte sich eine gewisse Unsicherheit über das Verhältnis von innerstaatlichem Recht und dem Staatsvertrag13 • Die Frage sollte auf der 4. Haager Konferenz 1904 im Rahmen der Revision des ZPÜ geklärt werden. Hier scheiterte das Anliegen am Widerstand der Staaten des französisch geprägten Rechtskreises (Frankreich, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Italien)14. Die deutsche Delegation hatte vorgeschlagen, daß ,,zustellungen an Personen, die sich in einem anderen Vertragsstaat aufhalten [... ] auf einem anderen als dem im Artikel 1 bezeichneten Wege nur bewirkt werden [dürfen], wenn dieser andere Weg in einem gleichen Falle auch filr die Zustellung an einen Inländer, der sich im Inland aufhält, zulässig ist''i5. Damit wäre das ZPÜ zwar nicht in jedem Falle zwingend anzuwenden, aber die ,,remise au parquet", die nur filr Adressaten mit ausländischem Aufenthalt gilt, wäre unzulässig gewesen. Angesichts der kaum verhohlenen Drohung der Staaten des französischen Systems, das Übereinkommen insgesamt scheitern zu lassen l6, wurde der deutsche Vorschlag bereits in der Kommission mehrheitlich abgelehnt. Ein Vorstoß Belgiens, das innerstaatlich selbst dem französischen Vorbild folgte, hätte der ,,remise au parquet" zwar noch ihren schlimmsten Stachel nehmen können. Um zu vermeiden, daß die Zustellungswirkungen vor Kenntnisnahme des Adressaten eintreten, wurde folgende Ergänzung angeregt: ,,La signification ne produit son effet qu'a partir de l'accomplissement de ces formalites"17 bzw. deutlicher: "que l'effet de la signification ne se produira que par suite de la remise de l'acte au destinataire"18. Auch dieser Vorschlag wurde jedoch abgelehnt l9 • Die französische Position ließ aufder Konferenz von 1904 nur die Formulierung eines unverbindlichen"vreu" zu. Darin heißt es, es sei wünschenswert, daß Zustellungen an Personen mit Aufenthalt in einem anderen Vertragsstaat nur durch die im Übereinkommen vorgesehenen Methoden bewirkt werden. Dies könne durch Änderung der in13 Vgl. die Stellungnahmen Belgiens, Documents La Haye 4. Conf 1904, S. 223 f.; Ungarns, S. 213; ferner Norwegens, S. 301. Überwiegend nahm man den Standpunkt ein, daß die Entscheidung, ob der Rechtshilfeweg einzuschlagen war, dem innerstaat1ichen Recht überlassen blieb und das ZPÜ 1896 die dann anzuwendenden Übermittlungsformen enthielt, vgl. den Präsidenten der I. Haager KonferenzAsser, La Convention de La Haye, S. 134 (zit. nach Documents La Haye 4. Conf 1904, s. 225); Bericht Renault, Actes La Haye 4. Conf 1904, S. 89 f 14 Vg1. insbesondere den Bericht des (französischen) Rapporteurs Renault, Actes La Haye 4. Conf 1904, S. 81 ff., vor allem S. 89 - 92. 15 Documents La Haye 4. Conf. 1904, S. 187; frz. Text ebda. S. 10. 16 Renault, Actes La Haye 4. Conf. 1904, S. 91: "on risquerait, par suite, de faire echouer toute I'a:vre de la revision en provoquant une vive opposition de la part des pays qui n'ont pas abandonne la citation au parquet". 17 Documents La Haye 4. Conf. 1904, S. 223. Mit den Formalitäten war das Zustellungszeugnis gemeint, das gemäß Art. 3 ZPÜ dem Zustellungsbetreiber auszustellen war. 18 So der belgische Delegierte Van den Bulclee in der Aussprache, Proces-Verbal No. 6, Actes La Haye 4. Conf 1904, S. 79. 19 Die erste Formulierung wurde bereits in der Kommissionssitzung zurückgezogen, weil darin ein Eingriff in die innerstaatliche Gesetzgebung gesehen wurde. Die zweite Formulierung wurde - seltsamerweise aufgrund deutscher Bedenken - in der Konferenz abgelehnt.

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l.Teil: Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer

nerstaatlichen Gesetze oder im Wege einer staatsvertraglichen Klausel erreicht werden. Das hindere aber nicht, daß die Methoden des innerstaatlichen Rechts, die ein Staat fiir die Zustellung an Personen mit Aufenthalt in diesem Staat verwende, auch fiir die Zustellung an Personen benutzt werden können, die sich auf dem Gebiet eines anderen Staates befmden20 • Festzuhalten ist, daß das ZPÜ 1905 nicht in das autonome Recht eingreift und daß es keinen Staat zwingt, sich der staatsvertraglichen Zustellungsmethoden zu bedienen21 . Im besonderen schränkt es die "remise au parquet" und andere Formen der Inlandszustellung an Ausländer nicht ein22 • Auf der 5. Haager Konferenz 1925 brachte die deutsche Delegation das Problem ein weiteres Mal auf die Tagesordnung23 • Die Frage wurde zur Prüfung an die niederländische Regierung verwiesen24 ; auf der 6. Sitzung 1928 wurde dann eine Grundsatzdiskussion rur die nächste Tagung im Haag arigesetzt25. Diese fand jedoch nicht statt, denn auf der 7. Konferenz, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg (1951) stattfinden konnte, war man in erster Linie bemüht, den im Krieg zusammengebrochenen Rechtshilfeverkehr wiederherzustellen26 • Dies geschah durch weitgehend unveränderte Übernahme des ZPÜ 1905 in das neu zur Ratifizierung aufgelegte ZPÜ 195427 • Demgemäß entsprechen auch die sich mit der internationalen Zustellung beschäftigenden Art. 1 bis 7 des ZPÜ 1954 - bis auf geringrugige Änderungen (Art. 2 und 3), mit denen Großbritannien der Beitritt erleichtert werden sollte 28 - denen des ZPÜ 1905. Durch die Konsolidierung des ZPÜ auf der 7. Haager Konferenz 1951 hat sich also hinsichtlich des Geltungsbereichs des Übereinkommens nichts geändert: Das ZPÜ 1954 läßt wie schon das ZPÜ 1905 die Inlandszustellung an Ausländer unberührt.

20 Actes La Haye 4. Conf. 1904, S. 78. Der französische Delegierte und Berichterstatter Renault wehrte sich vehement dagegen, daß die "remise au parquet" in dem "vreu" ausdrücklich als Reformobjekt genannt wurde; S. 79. 21 Renault,Proces-VerbaINo. 6,ActesLaHaye4.Conf 1904,S. 79undBericht,ebda.S. 84,90. 22 Renault, ebda.; Stellungnahme Ungarns, Documents La Haye 4. Conf. 1904, S.213 (zur ZustellungdurchAufgabezurPostgemäߧ 175ZPOund § 155 des Entwurfs einer ungarischen CPO). 23 Documents La Haye 5. Conf. 1925, S. 74; Actes La Haye 5. Conf 1925, S. 314, 322. 24 Actes La Haye 5. Conf. 1925, S. 333,346. 25 Vgl. Documents La Haye 6. Conf. 1928, S. 18. 26 Offerhaus, Actes La Haye 7. Sess. 1951, S. 9; über die Weitergeltung der von Deutschland vor dem Krieg abgeschlossenen Zivilprozeßabkommen bestand Unklarheit, vgl. E. Wolff, ZZP 65 (1952), S. 407, 408 ff. 27 In größerem Umfang geändert wurden nur die Schlußbestimmungen (Art. 27 - 33), die das Inkrafttreten des Vertrages regeln; vgl. Proces-Verbal No. 5, Actes La Haye 7. Sess. 1951, S.296f und 312 f 28 Vgl. Proces-VerbaINo. 5, Actes La Haye7. Sess. 1951, S.295; BerichtderUnterkommission für die Überprüfung der Staatsverträge, ebda., S. 308; sowie S. 357 und 391; E. Wolff, ZZP 65 (1952), S. 407,410 ff. Großbritannien zeichnete dasZPÜ 1954 trotz dieses Entgegenkommens jedoch nicht.

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2. Das Haager Zustellungsübereinkommen von 1965 a) Überblick Ein neuer Anlauf zur Beseitigung der "remise au parquet" wurde auf der 1O. Haager Konferenz 1964 unternommen29 • Treibende Kraft dabei waren die USA, die erstmals als Mitglied an den Verhandlungen im Haag teilnahmen30 • Aus Sicht der USA verstößt die "remise au parquet" gegen das in der US-Verfassung garantierte Recht auf den "Due Process of Law". Ziel der USA war es zu verhindern, daß US-Staatsangehörige vor ausländischen Gerichten verklagt und verurteilt wurden, ohne von dem Verfahren benachrichtigt zu werden3l • Aus der Klägerperspektive wurde die internationale Zustellung als zu langwierig, kompliziert und teuer beurteilt32 • Gemeinsamer Wunsch der Vertragsstaaten war es, einen Weg fiir Auslandszustellungen zu schaffen, auf dem die Zustellung zügig bewirkt werden konnte und der dem Adressaten rechtzeitig und zuverlässig rechtliches Gehör vermittelte. Derart sollte auch sichergestellt werden, daß nach Auslandszustellungen ergangene Entscheidungen im Aufenthaltsstaat des Zustellungsadressaten anerkannt werden könnten33 • Die in den Zivilprozeßübereinkommen von 1905 und 1954 vereinbarten konsularischen und diplomatischen Übermittlungswege waren zwar sicher, fiihrten aber zu erheblichen Verfahrensverzögerungen. Der daneben zulässige direkte Behördenverkehr war nur vereinzelt bilateral vereinbart worden. Der im angloamerikanischen Rechtskreis üblichen Zustellung durch die Post standen die kontinentaleuropäischen Staaten ablehnend gegenüber. Sie wollten auf ihrem Staatsgebiet Zustellungen nur unter Mitwirkung eigener staatlicher Organe gestatten. Der sich nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkt entwickelnde internationale Wirtschafts- und Rechtsverkehr verlangte daher dringend eine effektivere Zustellungstechnik34 • Eine solche Verbesserung wurde im Haager Zustellungsübereinkommen von 1965 35 mit der Zustellung über Zentrale Behörden erreicht, die in jedem Vertragsstaat einzurichten (Art. 2 HZÜ) und über die grenzüberschreitende Zustellungen abzuwickeln sind 29 Dazu Arnold, JZ 1965, 708 ff.; Lagarde, RCDIP 1965, 249 ff.; Graveson, 14 Int'l. & Comp. L.Q. 528 ff. (1965). 30 Als Beobachter waren die USA bereits auf der 8. Konferenz 1956 vertreten. Zur Geschichte der US-amerikanischen Haltung zur internationalen Rechtshilfe vgl. I Ristau, International Judicial Assistance, S. 4 ff.; Jones, 62 YaIe LJ. 515, 517 (1953). 31 Note, 2 Cornell Int'l. LJ. 125,129 (1969). 32 Jones, 62 Yale LJ. 515, 536 (1953). 33 Nagel, Rechtshilfe, S. 93 f.; Note, 2 Cornell Int'l. LJ. 125, 129 f. (1969); Graveson, 14 Int'l. & Comp. L.Q. 528, 538 (1965) rur Großbritannien. 34 Vgl. Taborda Ferreira, Rapport Commission Speciale, Actes et Documents La Haye 10. Sess. 1964 IIl, S. 75. 35 BGBI. 1977 11, S. 1453; rur die Bundesrepublik Deutschland am 26.6.1979 in Kraft getreten (Bek. v. 21.6.1979, BGBI. 11, S. 779, und v. 23.6.1980, BGBI. 11, S. 907).

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I.Teil: Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer

(Art. 3 bis 6 HZÜ)36. Damit gingen die Vertragsstaaten erstmalig multilateral die Verpflichtung zur Rechtshilfe auf behördlicher Ebene ein - ein wichtiger Fortschritt gegenüber den viel fönnlicheren diplomatischen und konsularischen Übennittlungswegen. Diese bleiben allerdings daneben weiterhin erhalten (Art. 8 und 9 HZÜ), ebenso die aus dem ZPÜ 190511954 bekannten vereinfachten Zustellungsfonnen, denen die Vertragsstaatenjedoch widersprechen können (Art. 10 HZÜ)37. Das HZÜ gilt in 30 Staaten, darunter den USA, und außer in Irland in sämtlichen EU-Staaten38 •

b) Exklusivität des Übereinkommens gegenüber Inlandszustellungen Fraglich ist indes, ob das HZÜ in dem Sinne zwingenden Charakter hat, daß im Verkehr der Vertragsstaaten die dort vorgesehenen Übennittlungswege immer eingeschlagen werden müssen, wenn ein gerichtliches Schriftstück einem ausländischen Beteiligten zuzustellen ist. Das würde die Inlandszustellung an Ausländer im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander verbieten. Das wird im Schrifttum teilweise bejaht39, weil nur so die Ziele des Übereinkommens erreicht werden könnten. Wenn das innerstaatliche Recht des Gerichtsstaates über die Anwendbarkeit des HZÜ entscheide, könnten die Vertragsstaaten das HZÜ durch entsprechende Fonnulierung von Inlandszustellungstatbeständen "leerlaufen" lassen4O • Die Frage muß im Wege der Auslegung des HZÜ beantwortet werden. Nach Art. 31 WVK ist ein völkerrechtlicher Vertrag "nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen"41. Art. 31 WVK verbindet dergestalt die wörtliche, systematische und teleologische

36 Vgl. ausfilhrlich Pfennig, Internationale Zustellung, S. 71 ff.; Nagel, Rechtshilfe, S. 94 f; BöckstiegellSchlqfen, NJW 1978, 1073, 1074 ff. 37 Die Bundesrepublik Deutschland hat samtlichen in Art. 8 - 10 HZÜ vorgesehenen Zustellungsforrnen widersprochen, vgl. § 6 AusfG. 38 Stand 31.12.1994, vgl. BGBI.-Fundstellennachweis B, S. 421. 39 Koch, 1PRax 1989,313, 314;Hök,JurBOro 1989, 1217, 1220; Pfennig, Internationale Zustellung, S. 138; wohl auch Böhmer, NJW 1990,3049,3052 ("unerfreulich"); diff. Stümer, in FS Nagel (1987), S.446, 449f; ders. JZ 1992,325, 327f.; K.P. Mössle, Beweisbeschaffung, S.236; Wiehe, Zustellungen, S.34f Anders die wohl h.M.: ZölleriGeimer,ZPO, § 199, Rn. 10, 14, 22, 48;Schack, IZVR, Rn.605,612; ders.,ZZP 1O0(1987), 442, 444; SteiniJonasiRoth, ZPO,21. Auflage, § 199, Rn.21;Junker,JZ 1989, 121, 122; ders. IPRax 1986, 197, 202; Hausmann, IPRax 1988, 140, 143; H.Roth, IPRax 1990,90,92; PfeilKammerer, Rechtshilfeverkehr, S. 39f; Graveson, 14 Int'1. & Comp. L.Q. 528, 539 (1965) undjOngst das BVerfG NJW 1995, 649, 650: HZÜ anwendbar, "soweit nach dem nationalen Recht eine Zustellung an Ausländer im Auslanderforderlich ist". 40 Schlosser, in FS Stiefel (1987), S. 683, 687; diese Gefahr wird auch von der h.M. erkannt: Schack, lZVR, Rn. 612; Nagel, IZPR, Rn. 579; Junker JZ 1989, 121, 122. 41 Wiener Übereinkommen vom 23.5.1969 Ober das Recht der Verträge, BGBI. 198511, S. 927, in Kraft getreten am 20.8.1987, BGBI.11, S. 757. Das Übereinkommen ist hier strenggenommen nicht anwendbar, da es nach seinem Art. 4 nicht rückwirkend gilt. In der WVK sind jedoch in der Praxis der internationalen Gerichte entwickelte Regeln kodifiziertworden; vgl. näherIpsen, Völkerrecht, S. 123.

I. Spezielles Völkervertragsrecht

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Auslegungsmethode ZU einer "single combined operation"42. Die vorbereitenden Arbeiten zu einem Vertrag können als ergänzende Auslegungsmittel herangezogen werden, um die sich ergebende Bedeutung zu bestätigen oder zu bestimmen, wenn die Auslegung die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel läßt (Art. 32 WVK). Von dieser Überlegung auszunehmen ist der Fall, daß die Anschrift des Zustellungsadressaten unbekannt ist. Art. 1 Abs. 2 HZÜ erklärt das Übereinkommen in dieser Situation ausdrücklich rur unanwendbar. Die Vertragsstaaten haben sich auch nicht verpflichtet, auf Ersuchen eines Staates die Anschrift des Zustellungsempfängers ausfindig zu machen43 . Damit bleiben z.B. öffentliche Inlandszustellungen unberührt, die das interne Recht - wie z.B. § 203 Abs. 1 ZPO - bei unbekanntem Aufenthalt des Adressaten anordnet. aa) Wortlaut des HZÜ Der Anwendungsbereich des HZÜ bestimmt sich im übrigen nach seinem Art. 1 Abs. I, der lautet: "Dieses Übereinkommen ist in Zivil- oder Handelssachen in allen Fällen anzuwenden, in denen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln ist."

In den gleichberechtigt authentischen französischen und englischen Textfassungen heißt es: "La prtsente Convention est applicable, en matiere civile ou commerciale, dans tous les cas Oll un acte judiciaire ou extrajudiciaire doit eire Iransmis a/'elranger pour y eire signifi/! ou notijie."

bzw.: "The present Convention shall apply in all cases, in civil or commercial matters, where there is

occasion to transmit a judicial or extrajudicial documentfor service abroad. ,,44

Ähnlich spricht die Präambel von "Schriftstücken, die im Ausland zuzustellen sind"; "actes qui doivent etre signifies ou notifies a l'etranger" bzw. "documents to be served abroad". Seinem klaren Wortlaut zufolge betrifft das HZÜ also nur Auslandszustellungen, d.h. Zustellungen, die im Ausland bewirkt werden müssen. Es ist hingegen nicht anwendbar, wenn die Zustellung im Inland erfolgt, weil dann das zuzustellende Schriftstück nicht mehr "zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln ist"45.

42

43 44

45

der h.M.

Ipsen, Völkerrecht, S. 124.

Denkschrift zum HZÜ, BT-Drs. 7/4892, S. 38,42. Hervorhebungen nicht im Original. So auch Schack, RabelsZ 57 (1993), S.224, 246; sowie die in Fn. 39 aufgeftlhrten Vertreter

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l.Teil: Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer

bb) Materialien zum HZÜ Dieses Ergebnis wird durch die vorbereitenden Arbeiten zum HZÜ belegt. Die Reform setzte zwar bei den beiden größten Schwächen der Zivilprozeßübereinkommen von 1896, 1905 und 1954 an: der unbefriedigenden Zustellungstechnik und der fehlenden Exklusivität der vertraglichen Zustellungswege46 • Es wurde klar erkannt, daß die störenden Folgen der "remise au parquet" nicht verhindert werden konnten, weil die Zustellung auf dem Rechtshilfeweg nicht zwingend vorgeschrieben War'7. Es gelang jedoch nicht, die im HZÜ 1965 vorgesehene Zustellung über Zentrale Behörden obligatorisch zu machen. Die Vertragsstaaten sollten lediglich durch "indirekte Sanktionen"48 bewegt werden, diese Methode einzuhalten. Schon in den Verhandlungen der Vorbereitungskommission setzten die Staaten des französisch geprägten Zustellungssystems durch, daß das neue HZÜ Rücksicht auf ihr Interesse am Schutz des Zustellungsbetreibers vor zu großen Verzögerungen bei der Verfahrenseinleitung nehmen WÜTde49 • Damit war die völlige Ächtung der "remise au parquet" im internationalen Verkehr bereits gescheitert. Lediglich einen Kompromiß zwischen den Interessen des Klägers und des Beklagten stellt der Einbau nachträglicher Mechanismen zum Schutz des Beklagten (Art. 15 und 16 in der Endfassung des HZÜ) dar50• Ausdrücklich wurde außerdem darauf verzichtet, im Übereinkommen selbst zu regeln, wann im Ausland zugestellt werden muß. Es sollte vielmehr schon nach den Vorstellungen der Vorbereitungskommission dem innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten überlassen bleiben, die Fälle notwendiger Auslandszustellung zu bestimmen51 • Auf dieser Grundlage ging es in der mit der Neuregelung der internationalen Zustellung befaßten Dritten Kommission nur noch darum, in Art. 1 HZÜ den Anwendungsbereich des Übereinkommens entsprechend zu formulieren. Der Entwurf lautete: "La pn!sente Convention est applicable dans tous [es cas ou iI y a lieu de transmettre ou de notifier un acte judiciaire ou extrajudiciaire en matiere civile ou commerciale a une personne se trouvant a I'etranger. ,,52

46 TabordaFerreira, Rapport Commission Speciale, Actes et Documents La Haye 10. Sess. 1964 III, S. 75. 47 Taborda Ferreira, ebda., S. 75 fr. 48 So Taborda Ferreira, Rapport Explicatif, S. 363. 49 Taborda Ferreira, Rapport Commission Speciale, S. 76 f. 50 Vgl. Taborda Ferreira, ebda., S. 76 f. 51 Taborda Ferreira, ebda., S. 80 f.; die deutsche Regierung äußert ihre Enttäuschung darüber in der Stellungnahme, Actes et Documents La Haye 10. Sess. 1964 IlI, S. 12l. 52 Avant-Projet de la Commission Speciale, Actes et Documents La Haye 10. Sess. 1964 IlI, S. 65; Hervorhebungen nicht im Original.

I. Spezielles Völkervertragsrecht

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Diese Fonnulierung legt zwar nahe, daß fiir die Zustellung an Personen mit Aufenthalt im Ausland der Rechtshilfeweg bindend sei53 . Die Worte "dans tous les cas Oll il y a lieu" verweisen fiir die Definition der Auslandszustellungjedoch auf das Recht des Gerichtsstaates54 . Einen insofern eindeutigeren Wortlaut ("selon la loi de l'Etat reqw5rant") hielt man nicht einmal rur erforderlich55 . Der deutsche Vorschlag, in das Übereinkommen eine Vorschrift über die Qualifikation des Begriffs "signification" aufzunehmen, wurde abgelehnt56 . Gänzlich auf die Auslandszustellung zugeschnitten wurde Art. 1 HZÜ in der endgültigen Fassung, die in einem Redaktionskomittee unter französischem Vorsitz erarbeitet wurde. Darin heißt es an der entscheidenden Stelle: "dans tous les cas Oll un acte judiciaire ou extrajudiciaire doit etre transmis a l'etranger pour y eIre signijie ou notijie"57. Diese Fassung wurde in der abschließenden Plenarsitzung der 1O. Konferenz ohne weitere Erörterung verabschiedet58 . Es herrschte in der Kommission zudem Einigkeit darüber, daß das HZÜ nicht in die nationalen Rechte der Vertragsstaaten eingreifen würde59 . Insbesondere sollten die Zustellungsfonnen des HZÜ autonomrechtliche Zustellungsmethoden nicht verdrängen. Die Aufnahme eines Artikels mit entsprechendem Inhalt wurde mehrheitlich als überflüssig erachtetw. Bezeichnend ist ferner, daß die Zustellung über Zentrale Behörden von der Kommission nicht einmal als vorzugswürdig gegenüber den anderen Zustellungsfonnen des HZÜ anerkannt wurde. Im Entwurf lautete die Überschrift des Abschnitts über die Zentralen Behörden" voie ordinaire"61. Dies wurde gegen den Widerstand der deutschen Delegation auf Betreiben Frankreichs, Belgiens und Großbritanniens gestrichen, die in dem Weg über die Zentralen Behörden nur einen Weg unter mehreren gleichberechtigten sehen wollten62 . Demnach überläßt das HZÜ dem innerstaatlichen Recht die Entscheidung darüber, ob eine Auslands- oder eine Inlandszustellung vorzunehmen ist. Nur wenn danach eine Auslandszustellung durchzufiihren ist, beansprucht das HZÜ exklusive Anwendung. Wenn hingegen nach autonomem Recht die Zustellung im Inland bewirkt werden kann, ist das Übereinkommen nicht anwendbar63. 53 Vgl. die Äußerung der norwegischen und schwedischen Delegierten Bahr und Essen, Proces-Verbal No. 2, S. 160 und 161. 54 Vgl. Proces-Verbal No. 3, S. 168 f. 55 Vgl. zu diesemjugoslawischen Vorschlag ebda., S. 167 ff. 56 Proces-Verbal No. 2, S. 160 f. 57 Document de Travail No. 45, S. 295; Hervorhebung nicht im Original. 58 Proces-Verbal de la Seance Pleniere, S. 335 f. 59 Proces-Verbal No. 7, S. 244; Proces-Verbal No. 8, S. 252 f. 60 Proces-Verbal No. 7, S. 244 f. 61 Avant-Projet de la Commission Speciale, S. 65. 62 Proces-Verbal No. 3, S. 17I f. 63 Taborda Ferreira, Rapport Explicatif, S. 366 f. 3 Fleischhauer

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ce) Zweck des Übereinkommens Ein völkerrechtlicher Vertrag ist indes auch "im Lichte seines Zieles und Zwekkes" auszulegen(Art. 31 Abs. 1 WVK). Das HZÜ verfolgt die Absicht, "durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke, die im Ausland zuzustellen sind, ihren Empfangern rechtzeitig zur Kenntnis gelangen" (Präambel). Ziel der Reformarbeiten am ZPÜ 1954 war es insbesondere, die als geflihrlich erachtete "remise au parquet" zurückzudrängen. Der Versuch, die Vertrags staaten auf die exklusive Anwendung der Zustellungswege des HZÜ zu verpflichten, ist wie gesehen am Widerstand Frankreichs und anderer Staaten gescheitert. Mit Art. 15 und 16 HZÜ wurden lediglich "indirekte Sanktionen" gegen die "remise au parquet" vereinbart, die die schlimmsten Auswirkungen der fiktiven Inlandszustellung auffangen sollen64 • Art. 15 und 16 greifen, wenn sich der Beklagte nicht auf das Verfahren einläßt bzw. säumig ist. Nach Art. 15 Abs. 1 HZÜ hat der Richter zum Schutz des Beklagten das Verfahren so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, daß das verfahrenseinleitende Schriftstück entweder dem Beklagten persönlich oder nach dem Recht des ersuchten Staates oder in einer im HZÜ geregelten Form ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt worden ist. Wenn eine Entscheidung gegen den Beklagten ergangen ist, kann der Richter ihm gemäß Art. 16 Abs. 1 HZÜ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, sofern ihn kein Verschulden trifft65. Das HZÜ in der verabschiedeten Fassung bezweckt also immerhin, als exorbitant empfundene Inlandszustellungen wie die "remise au parquet" zu entschärfen. Daraus schließt Stürner auf eine eingeschränkte Exklusivität des HZÜ, die die gesetzgeberische Freiheit bei der Gestaltung und den richterlichen Spielraum bei der Anwendung von Inlandszustellungen begrenze66 • Die Vertragsstaaten des HZÜ hätten sich danach verpflichtet, die Sicherungen der Art. 15 und 16 HZÜ nicht durch unbillige Formen der Inlandszustellung zu umgehen67 • Daher sei die fiktive Inlandszustellung von verfahrenseinleitenden Schriftstücken im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander konventionswidrig68 • Stürner begründet seine Auffassung zum einen mit dem gleichlautenden Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang von Art. 15, 16 HZÜ einerseits und Art. 1 HZÜ andererseits. Art. 15 und 16 HZÜ würden mit der Wendung "zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln" die "remise au 64 Vgl. Proces-Verbal No. 8, Actes et Documents La Haye 10. Sess. 1964 II1, S. 253 ff. Die Art. 13 bis 16 des Entwurfs (später Art. 15 und 16) wurden vom deutschen Vertreter Arnold als "Minimallösung" bezeichnet, ebda., S. 253. 65 Vgl. i.e. unten S. 45 f. 66 Stürner, JZ 1992,325,328; ders., in FS Nagel (1987), S. 446, 450. 67 Stürner, JZ 1992,325,328. 68 Stürner,JZ 1992,325,328. Dies dorfte im Ergebnis nur bei der "remise au parquet" der Fall sein; von Stürner offengelassen rur den US-amerikanischen Zustellungsdurchgriff im Konzern.

I. Spezielles Völkervertragsrecht

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parquet" erfassen. Es sei nicht anzunehmen, daß Art. 1 HZÜ trotz gleichen Wortlauts die "remise au parquet" vom Anwendungsbereich des HZÜ ausschließe69 • Die Prämisse dieser Schlußfolgerung ist jedoch angreifbar: In den Materialien finden sich klare Aussagen zum Anwendungsbereich des Übereinkommens, nach denen die "remise au parquet" als Zustellungsfonn unberührt bleiben sollte. Daran kann auch der gleichlautende Wortlaut der Art. 15 und 16 nichts ändern. Der deutsche Wortlaut dieser Vorschriften könnte zudem im Gegenteil gerade darauf schließen lassen, daß die Inlandszustellung in Übereinstimmung mit Art. 1 HZÜ eben nicht erfaßt iseo. Auch Art. 13 des Entwurfs (der spätere Art. 15 HZÜ) sollte nämlich keine Änderung des innerstaatlichen Rechts erforderlich machen71 • Jedenfalls scheint der Schluß auf die generelle Einbeziehung der "remise au parquet" zu weit zu gehen. Klarheit verschafft hier der Blick auf den authentischen französischen Wortlaut, der in Art. 15 und 16 HZÜ weiter ist als in Art. 1 HZÜ: "Lorsqu'un acte introductif d'instance ou un acte equivalent a du etre transmis a l'etranger aux fins de sign!fication ou de not!fication, selon les dispositions de la presente Convention, [ ... ]"

Art. 1 HZÜ lautet:

li

"La presente Convention est applicable, [... dans tous les cas ou un acte [... ] doit etre transmis a I'etranger pour y etre sign!fie ou not!fie." 2

Damit dürfte in Art. 15 und 16 HZÜ zwar die Benachrichtigung des Adressaten nach erfolgter "signification au parquet" erfaßt sein, die gemäß Art. 685 Abs. 2, 686 NCPC in das Ausland zu übennitteln ist ("transmission")?3. Die "signification" selbst, die den eigentlichen Zustellungsakt darstellt, gehört hingegen nicht zu den Schriftstücken, die "aux fins de signification ou de notification" ins Ausland übermittelt werden müssen74 • Wegen des unterschiedlichen authentischen Wortlauts der Vorschriften ist es entgegen Stümer daher nicht möglich, auf einen sich auf Inlandszustellungen erstreckenden Anwendungsbereich des HZÜ zu schließen75 • Eine tragflihigere Basis für Stümers Argumentation bilden die Ziele, die vor den Beratungen im Haag fonnuliert wurden76 • Sicher stand der Versuch, gerade Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, S. 163. Die Dritte Kommission wollte Art. 13 (später Art. 15) an Art. 1 HZÜ anpassen; vgl. Proces-Verbal No. 8, Actes et Documents La Haye 10. Sess. 1964 111, S. 255. Allerdings sind die verabschiedeten französischen und englischen Fassungen nicht eindeutig; die Wendung "sei on les dispositions de la presente Convention" bzw. "under the provisions of the present Convention" verweist aber wohl ftlr die Definition des Anwendungsbereichs auf Art. 1 HZÜ. 71 Proces-Verbal No. 8, S. 254. 72 Hervorhebung nicht im Original. 73 Str.; daftlr Schumacher, IPRax 1985,265,267; Schack, IZVR, Rn. 611 m.w.N. in Fn. I; dagegen Dubois, IPRax 1988, 85, 86; Nagel, IPRax 1992, 150, 151. 74 Die Unterscheidung von "signification" und "notification" wurde in der Dritten Kommission zur Kenntnis genommen, vgl. Proces-Verbal Nr. 8, S. 254; ferner S. 166, 168 f. 75 VgI.Schack,IZVR,Rn.611;ihmzust.SteiniJonas/Roth,ZPO,21. Auflage, § 199, Rn. 25. 76 Dazu Stürner, JZ 1992,325,328. 69 70

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I.Teil: Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer

die "remise au parquet" einzudämmen, dabei ganz im Vordergrund. Art. 15 und 16 HZÜ wurden als "la cle de voute de toute la convention" bezeichnet77 ; sie waren fiir einige Staaten der Hauptgrund, das Übereinkommen zu zeichnen 7s . Der Erläuternde Bericht spricht sich im Sinne einer "authentischen Interpretation" für die Anwendung der Konvention aus, auch wenn die Entscheidung darüber dem innerstaatlichen Recht vorbehalten bleibt79• Es fällt jedoch schwer, diesen Absichtserklärungen angesichts des eindeutigen Wortlauts und der hinlänglich bekannten Haltung der Staaten des französischen Systems eine Selbstbindung der Vertragsstaaten zur Nichtanwendung von Inlandszustellungen zu entnehmenso. Die erwähnte "authentische Interpretation" stützt sich z.B. auf Äußerungen des französischen und des niederländischen Delegierten, die die Anwendung des Übereinkommens gerade davon abhängig machen, daß das innerstaatliche Recht eine Auslandszustellung vorschreibtBI. Es wurde also mit allen Kräften, aber letztlich vergeblich gegen die "remise au parquet" angekämpft. Die vor der Tagung fonnulierten Ziele wurden während der Beratungen verwässert. Die im Laufe der Verhandlungen auf einen Minimalkompromiß gestutzten Art. 15 und 16 HZÜ wären daher wohl überstrapaziert, wollte man ihnen das von Stümer angenommene weitreichende Umgehungsverbot entnehmen. Diese Vorschriften berühren nicht die Art der Zustellung, sondern bemühen sich in einem späteren Verfahrensstadium um den Ausgleich nachteiliger Folgen von bestimmten Zustellungsformen ("indirekte Sanktionen"). Dem HZÜ kommt daher nach dem ihm von den Vertragsparteien während der Verhandlungen zugemessenen Zweck auch keine eingeschränkte Exklusivität gegenüber der Inlandszustellung zu. dd) Spätere Übung der Vertragsparteien Anhaltspunkt fiir die Interpretation eines internationalen Übereinkommens ist auch die spätere Übung, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht (Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK). Die Praxis der HZÜ-Vertragsstaaten (in dieser Untersuchung ohne Anspruch auf Vollständigkeit beschränkt auf Frankreich, die USA und Deutschland) kann möglicherweise helfen, das Verhältnis zwischen dem HZÜ und den nationalen Fonnen der Inlandszustellung zu erhellen.

77 So der Berichterstatter Taborda Ferreira, Proces-Verbal No. 8, S.254; zu deutsch "Schlußstein" oder "Lebensnerv". 7S Vgl. die Äußerungen des deutschen und des amerikanischen Delegierten, ebda., S. 253. 79 Taborda Ferreira, Rapport Explicatif, S. 367. so Zweifel auch bei Graveson, 14 Int'1. & Comp. L.Q. 528,539 (1965). 81 Taborda Ferreira, Rapport Explicatif, S. 367; mit Verweis aufS. 160 (Stellungnahme des französischen Vertreters Bellet), sowie S. 167, 169 (niederländischer Vertreter Loeff).

I. Spezielles VölkelVertragsrecht

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aaa) Frankreich Frankreich hat das HZÜ am 1.9.1972 in Kraft geset:zt82 • Zur Zentralen Behörde, an die Zustellungsersuchen gerichtet werden können, wurde das Justizministeriwn bestimmt. Ausgehende Ersuchen können auch von den Staatsanwaltschaften ("parquets") gestellt werden, die ermächtigt sind, sich direkt an ausländische Zentrale oder andere Zustellungsbehörden zu wenden83 . Z.B. ist in der deutsch-französischen Zusatzvereinbarung zwn ZPÜ 1954 vom 6.5.1961, die gemäß Art. 24 HZÜ fiir das HZÜ 1965 fortgilt, der direkte Behördenverkehr zwischen den französischen "parquets" und den deutschen Amts- und Landgerichtspräsidenten vorgesehen. Die Zeichnung des HZÜ hat jedoch nichts daran geändert, daß Zustellungen an im Ausland befmdliche Adressaten nach französischem Recht im Inland vollzogen werden. Maßgeblicher Ausgangspunkt ist auch im Verhältnis zu HZÜ-Vertragsstaaten die Regelung des autonomen Rechts in Art. 683 bis 688 NCPC84. Danach sind Schriftstücke an Adressaten mit ausländischem Wohnsitz an die örtliche Staatsanwaltschaft zuzustellen (Art. 683, 684 NCPC). Diese "signification au parquet" ist der eigentliche, die Zustellungswirkungen auslösende Tatbestand ("signification proprement dite")85. In einem zweiten Schritt ist die Weiterleitung einer Kopie des zugestellten Schriftstücks an den Adressaten vorgeschrieben ("transmission" gemäß Art. 685 Abs. 2 NCPC). Erst in diesem Stadium kommen die von Frankreich geschlossenen internationalen Rechtshilfevereinbarungen zur Anwendung, deren Funktion in der Vereinfachung der Übermittlung des zugestellten Schriftstücks gesehen wird86 • Nach der französischen Rechtslage betriffi: das HZÜ also nicht den gesamten Zustellungsvorgang, sondern nur die Übersendung des innerhalb Frankreichs durch "signification au parquet" zugestellten Schriftstücks. Das HZÜ hat aus französischer Sicht nicht die autonome Zustellungs form der "signification au parquet"

82 Deeret Nr. 72-1019 v. 9.11.1972, JO v. 14.11.1972, 11793; JCP 1972, III, 39837; Clunet 1973, 260, RCDIP 1973, 152. 83 Monin-Hersant, Jur.-CI. dr. int., fase. 589-8-1, Nr. 25. 84 Vgl. Monin-Hersant/Nicod, Clunet 1989,969: "il convient de distinguer la signification de I'acte en France, sa notification aI'etranger et, entre ces deux procedures, son mode de transmission. Le premier depend de la loi franr,:aise, le second de la loi etrangere ou du droit conventionnel et le troisieme du droit international qui inc1ut le droit eonventionnel." 8S Huet, Jur.-CI. dr. int., fase. 583-1, Nr. 12,26,47 ff.; Monin-Hersant, Jur.-CI. dr. int., fase. 589-8-1, Nr. 2; Monin-Hersant/Nicod, Clunet 1989, 969, 970; Audit, Droit international prive, S.346; HolleauxiFoyeriGeouffre de la Pradelle, Droit international prive, S.395; LoussouarniBourel, Droit international prive, S. 465 f.; Chatin, RCDIP 1977,610,626 f.; ferner Vale1J', RDIP 1907, 5, 17; kritisch Delgrange, Gaz. Pa!. 1988, doctr. 73. 86 Monin-Hersant, Jur.-C!. dr. int., fase. 589-8-1, Nr. 1, 4 und 25 verweist auf die größere Sicherheit der Übermittlung und die Vermeidung von 8eweisschwierigkeiten hinsichtlich des Zugangs; ahnIich Normand, RCDIP 1966,387,405; Chatin, RCDIP 1977,610,624; Huet, Jur.-CI. dr. int., fase. 583-1, Nr. 35 ff.

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I.Teil: Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausillnder

verdrängt, sondern nur einen zusätzlichen Weg zur Übennittlung des bereits im Inland zugestellten Schriftstücks in das Ausland eröffnet87 • Diese Regelung beruht darauf, daß der französische Gesetzgeber nicht auf die als besonders zuverlässig empfundene Zustellungsfonn der "signification" durch eigene Zustellbeamte ("huissiers") verzichten wollte88 • Dem verleiht Art. 693 NCPC besonderen Nachdruck, demzufolge eine andere Zustellung als die in Art. 683 NCPC vorgesehene "signification" unwirksam ist8 9 • Da aber zugleich eine "signification" durch einen französischen "huissier" auf fremden Staatsgebiet als völkerrechtswidrig angesehen wird, bleibt nur die "signification" im Inland90 • Eine Auslandszustellung kommt bei dieser Ausgangslage nur dann in Betracht, wenn der Aufenthaltsstaat des Adressaten den französischen Zustellorganen die Vornahme der "signification" auf seinem Gebiet gestattet. Soviel Entgegenkommen zeigt nur Monaco, das die "signification directe par huissier" erlaubt91 • bbb) USA

Für die USA trat das Haager Zustellungsübereinkommen am 10.2.1969 in Kraft. Die Anwendung des HZÜ auf US-amerikanischer Seite war, wie sich aus den veröffentlichten Gerichtsentscheidungen ergibt, lange Zeit uneinheitlich92 • Praktisch im Vordergrund stand hier die Konkurrenz von HZÜ und der im US-amerikanischen Recht verbreiteten Zustellung an inländische Vertreter des ausländischen Zustellungsadressaten. Überwiegend wurde die Anwendbarkeit des HZÜ verneint, wenn die Zustellung im Inland an Vertreter des Zustellungsadressaten bewirkt werden konnte. In dem insofern typischen Fall Lamb v. Volkswagenwerk Ac;93 wurden die VW AG und ihre 100%ige US-Tochter Volkswagen of America (VWoA) verklagt. Die verfahrenseinleitenden Schriftstücke wurden an den Zustellungsbevollmächtigten von VWoA (nicht von VW AG) zugestellt. Der US DistrictCourthieltdieseForrn der Zustellung auch an die VW AG filrwirksam. VWoA sei unter common law-Vertretungsrecht Empfangsvertreterfilr die Muttergesellschaft VW AG. Das Haager ZustellungsObereinkommen sei nicht anwendbar, weil es sich nach der Präambel und seinem Art. I nur auf die "transmission of documents for service abroad" beziehe94 . In Zisman v. Sieger95 ging es um einen "third partcomplaint" gegen die japanische Gesellschaft Fujitsu Ltd. und ihre in IIIinois ansässige 100%ige Tochter Fujitsu Microelectronics, Inc. (FM!). Ähnlich wie in Lamb waren die Ladungen an beide Beklagte zuerst dem Zustellungsbevollmächtigten der Tochterge87 AusdrOcklichMonin-HersantiNicod, Clunet 1989, 969, 970; Audit, Droit international prive, S. 348 f.; Normand, RCDIP 1966,387,404. 88 Monin-HersantiNicod, Clunet 1989, 969, 970. 89 Dazu CA Nancy, 29.3.1979, Gaz. Pal. 1979,2,612 (Stocanne). 90 Vgl. Huet, Jur.-CI. dr. int., f~. 583-1, Nr. 27. 91 Französisch-monegassisches Abkommen vom 21.9.1949; dazu Cass. Civ. 11,2.2.1983, Gaz. Pal. 1983, pan. 174 (Guinchard). 92 Dazu Born/Westin, International Litigation, S. 194 ff.; Note, 21 Vand. 1. of Transnat'l L. 1071 (1988); Comment, 71 Marquette L. Rev. 649 (1988); Note, 22 Cornell Int'l L. 1. 335,345 ff. (1989) zur Postzustellung. 93 104 F.R.D. 95 (S.D.Fla. 1985); abI. Comment, 20 Cornell Int'l L. 1. 391 (1987). 94 Lamb v. Volkswagenwerk AG, 104 F.R.D. 95, 97. 95 106 F.R.D. 194 (N.D.III. 1985).

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seilschaft zugestellt worden. Dadurch wurde jedoch nicht die Zustellung an Fujitsu Ltd. erreicht, weil nach dem Recht von IIIinois die ZustelIung an den Geschäftsherrn nicht durch ZustelIung an den BevolImächtigten (UnteIVertreter) des Vertreters bewirkt werden kann96 . Die anschließend vorgenommene ZustelIung an FM! ftlr Fujitsu Ltd. sah das Gericht aber als ausreichend an, weil die Zustellung an den Vertreter FMlinIllinois ganzIich innerhalb der Vereinigten Staaten stattgefunden hatte97 .

Viele Gerichte erachteten solchennaßen die Inlandszustellung an Vertreter ausländischer Beklagter trotz der Existenz des HZÜ als geradezu selbstverständlich. Größeren Argumentationsaufwand verlangte die Feststellung eines Vertretungsverhältnisses. Die Entscheidung darüber fiel von Staat zu Staat und von Fall zu Fall unterschiedlich aus98 • Kurioserweise wurde nicht einmal das Verhältnis der Volkswagenwerk Aktiengesellschaft zu ihrer US-Tochter Volkswagen of Arnerica einheitlich beurteilt99 • Andere Entscheidungen schrieben dem HZÜ exklusiven Charakter filr Zustellungen an ausländische Beteiligte zu. In dem daftlr beispielhaften Fall Cipolla v. Picard Porsche Audi. Inc. lOO hatte der Kläger die ZustelIung an die Volkswagenwerk AktiengeselIschaft durch Übergabe der Ladung an den "Secretary of State of Rhode Island" bewirkt lOl Der Supreme Court of Rhode Island erklärte diese (verbreitete) ZustelIungsforrn rur unzulässig gegenüber einem Adressaten mit Sitz in einem HZÜ-Vertragsstaat. Das Argument dafUr fand das Gericht in der "Supremacy Clause" der US-Verfassung, nach der völkerrechtliche Verträge des Bundes in der Norrnenhierarchie über den einzelstaatlichen Gesetzen stehen 102. Daraus folge, daß das HZÜ die exklusive Zustellungsmethode ftlr Adressaten mit Sitz oder Aufenthalt in einem Vertragsstaat sei Im Auch in Harris v. Browning-Ferris Industries Chemical Services. Inc. 104 wurde der Volksw~enwerk Aktiengesellschaft nicht direkt, sondern dem "Secretary of State" als ihrem Vertreter zugestellt l 5. Dem Federal Court zufolge kann jedoch weder einzelstaat\iches Recht noch die bundesrechtliche Vorschrift FRCivP 4 eine Zustellungsforrn erlauben, die mit einem völkerrechtlichen Vertrag unvereinbar ist. Zwar

Zisman v. Sieger, 106 F.R.D. 194, 196. Zisman v. Sieger, 106 F.R.D. 194, 199 f. 98 Vgl. UnitedStatesv. ToyotaMotorCO/p., 569F.Supp. I 158(CD.CaI. 1983); TopFormMills,Jnc. v. SocieckuJNationale IndustriaApplicazioni Viscosa, 428 F.Supp. 1237 (S.D.N.Y. 1977); TokyoBoeki (USA). Inc. v. S.S. Navarino, 324 F.Supp. 361 (S.D.N.Y. 1971); Kossoffv. Samsung Co., 123 Mise. 2d 177,474 N.Y.S.2d 180 (Sup.Ct. I984); Laskyv. ContinentaIProductsCorp., 97F.R.D. 716 (E.D. Pa 1983);Stoehrv. HondaMotorCo. ,429 F.Supp. 763(0. Neb. 1977); PorscheAG v. Superior Court, 123 Cal. App. 3d 755, 177 Cal. Rptr. 155 (1981); Low v. Bayerische Motoren Werke AG, 88 AD.2d 504, 449N.Y.S.2d 733 (1982). 99 Vertretungsverhältnis ("agencyrelationship") bejaht Lamb v. VolkswagenwerkAG, 104 F.R.D. 95 (SD.Fla 1985);ExParte VolkswagenwerkAG, 443 SO.2d 880 (A1a 1983);Crosev. VolkswagenwerkAG,88 Wash.2d50, 558P.2d 764 (1977); vemcintJonesv. VolkswagenojAmerica, 82F.R.D. 334 (ED.Ten. 1978); Richardsonv. VolkswagenwerkAG, 552F.Supp. 73 (WD.Mo. 1982). Vgl. Casad, Jurisdiction, §3.02[2][b] (S. 3-1 56)zueinanderin der Frage der Zuständigkeit über VW widersprechenden Entscheidungen. 100 496 A2d 130 {R.I. 1985). 101 Zustellung gern. FRCivP 4(e)(2) i.V.m. General Laws ofRhode Island § 7-1.1-108. 102 US Constitution, Art. VI, cl. 2: "This Constitution, and the Laws ofthe United States which shall be made in Pursuance thereof; and alI Treaties made, orwhich shall be made, under the Authority ofthe United States, shalI be the Supreme Law ofthe Land; and the Judges in cvery State shalI be bound therby, anything in the Constitution or Laws of any State to the contrary notwithstanding." 103 Cipolla v. Picard Porsche Audi, Inc., 496 A.2d 130, 132. 104 100 F.R.D. 775 (M.D.La. 1984). 105 Gern. L.AR.S. 13:3201 und 13:3471 (Louisiana). 96

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I.Teil: Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer seien die Federal Rules als Bundesrecht und Verträge des Bundes nach der Supremacy Clause gleichrangig. Nach Auffassung des Gerichts gehe das Haager ZustellungsUbereinkommen aber der "a1lgemeinen" Rule 4 vor, weil es ,,spezielle" Formen der Auslandszustellung enthält lO6 .

Die Streitfrage über das Verhältnis von HZÜ und autonomen Zustellungsformen wurde 1988 vom US Supreme Court in dem Aufsehen erregenden Fall Volkswagenwerk Aktiengesellschaft v. Schiunk lO7 entschieden. Auch in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall wurden an die Volkswagenwerk AG gerichtete Schriftstücke deren Tochter Volkswagen of America als "agent for the purpose of accepting service" zugestellt. VWoA war nicht als Zustellungsbevollmächtigte bestellt worden. Die VW AG vertrat die Auffassung, daß die verfahrenseinleitenden Schriftstücke ausschließlich auf staatsvertraglichem Wege zugestellt werden durften lO8 • Diese Ansicht stützte sie auf zwei Hauptargumente: erstens, daß der Zweck des Übereinkommens seine Anwendung verlange lO9 ; und zweitens, daß die "Due Process Clause" der US-Verfassung eine Auslandszustellung direkt an die beklagte Muttergesellschaft garantiere llO • Der US Supreme Court wies diese Vorstellungen zurück. Nach der "Supremacy Clause" schließe das Haager Zustellungsübereinkommen zwar innerhalb seines Anwendungsbereichs mit ihm unvereinbare Zustellungsformen des einzelstaatlichen Rechts aus. Auch verlange das HZÜ innerhalb des von Art. I defmierten Anwendungsbereichs zwingend seine Nutzung. In welchen Fällen aber eine Übermittlung zum Zweck der Zustellung ins Ausland ("transmittal for service abroad") erforderlich ist, bestimme das interne Recht des Gerichtsstaatesill. Nur wenn danach die zuzustellenden Schriftstücke ins Ausland übermittelt werden müssen, sei das HZÜ anwendbar 112 • Aus der Formulierung ergebe sich auch, daß das HZÜ nicht fiir jede Übermittlung von Schriftstücken gelte, sondern nur fiir solche Übermittlungen, mit denen eine förmliche Zustellung verbunden sei 113. Diese Auslegung fmdet der Supreme Court durch die Entstehungsgeschichte und den Erläuternden Bericht zum HZÜ bestätigt. Etwas anderes ergebe sich auch 'nicht aus dem Zweck des Übereinkommens. Zwar sei es im speziellen der Wunsch der Konferenz gewesen, die ,,notification au parquet" abzuschaffen. Ob dies gelungen sei, könne offenbleiben. Keinesfalls sollte mit dem Übereinkommen die in Frage stehende Form der Ersatzzustellung an abhängige Unternehmen berührt werden 114 • Auch das Harris v. Browning-Ferris Industries Chemical Services. Inc., 100 F.R.D. 775,777 f. 486 V.S. 694; 108S.Ct. 2104; 100 L.Ed.2d 722 (1988)(J. O'Connor); dazu Leiner, 23 1. ofWorld Trade37 (I 989); Note, 82 Am. 1. ofInt'lL. 816(1988);Note, 12Loy. ofL.A. Int'I&Comp. L. 1. 317 (1989); Note, 30 Harv. Int'l LJ. 277 (1989); Note, 13 Suffolk Transnat'l L. 1. 520 (1989); Note, 8 Wis. Int'l LJ. 421 (1990);Note, 14 Int'l Lawyer637, 638 (1980); Note, 23 Geo. Wash. 1. Int'lL. & Econ. 769 (1990); HeidenbergeriBarde,R1WI988,683tT.;Koch,IPRaxI989,3J3ff.;Junker, JZ 1989, 121 ff. 108 486 V.S. 694, 697; 108 S.ct. 2104, 2106. 109 486 V.S. 694, 702; 108 S.ct. 2104, 2109. 110 486 V.S. 694, 707; 108 S.ct. 2104, 2112. 111 486 V.S. 694, 699 f.; 108 S.Ct. 2104, 2108. 112 486 V.S. 694, 700; 108 S.ct. 2104, 2108. 113 486 V.S. 694, 700; 108 S.Ct. 2104, 2108. 114 486 V.S. 694, 703 f.; 108 S.Ct. 2104,2110. 106

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I. Spezielles Völkervertragsrecht

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grundsätzliche Ziel, die Benachrichtigung ausländischer Beteiligter in angemessener Weise sicherzustellen, werde durch die vorgenommene Auslegung keineswegs vereitelt, wenn es auch nicht in besonderem Maße gefördert werde. Das Gericht vertraute darauf, daß kein Vertragsstaat durch entsprechende Formulierung seines autonomen Rechts das HZÜ umgeht. Auch sei die freiwillige Nutzung des Übereinkommens außerhalb seines Anwendungsbereichs möglich und im Interesse der Urteilsanerkennung im Ausland mitunter sogar vorteilhaft llS • Die "Due Process Clause" schließlich sichere dem Zustellungsadressaten eine unter den Umständen des Einzelfalls angemessene Benachrichtigung und rechtliches Gehör. Das beinhalte aber nicht, daß bei jeder Zustellung an einen ausländischen Beteiligten eine Übermittlung der zuzustellenden Schriftstücke ins Ausland erforderlich wäre l16. Die "concurring opinion" (11. Brennan, Marshali, Blackrnun)117 rückte demgegenOber das Ziel des HZÜ, den ausländischen Adressaten innerhalb angemessener Zeit zu benachrichtigen, starker in den Vordergrund. Über die Anwendung des HZÜ dOrfe nicht das innerstaatliche Recht entscheiden, weil das die VerwirklichungdiesesZieles gefllhrde. Vielmehrbildedie Formulierung,,service abroad" einen materiellen Standard ("substantive standard"), der die Freiheit der Staaten zur Inlandszustellung begrenze l18 . Dennoch schloß sich die Minderheitim Fall Schlunk der Mehrheit an: Weder die Zustellung an eine abhängige Konzerntochter, noch andere unter der "Due Process"-Garantie zulässige Zustellungsformen des VS-amerikanischen Rechts seien bedenklich l19. Die US-amerikanische Praxis versteht das HZÜ nach der Entscheidung in Schlunk mithin als "enabling"120 in dem Sinne, daß es zusätzlich zum innerstaatlichen Recht Zustellungsmethoden bereitstellt. Zwingend ist die Anwendung des HZÜ auch nach dieser Anschauung nur, wenn das interne Recht eine Auslandszustellung vorschreibt. Die Anwendung der staatsvertraglichen Methoden wird darüberhinaus als vorteilhaft angesehen, insbesondere im Interesse der Anerkennung US-amerikanischer Entscheidungen im Ausland l21 . Viele Inlandszustellungen des US-amerikanischen Rechts sehen die anschließende Übersendung der zugestellten Schriftstücke bzw. einer Zustellungsmitteilung mit Briefpost an den Adressaten vor. Bislang nur selten wird erwogen, ob diese Mitteilungen in den Bahnen des HZÜ zu übermitteln sind, wenn sich der 486 V.S. 694, 705 f.; \08 S.Ct. 2\04, 2111. 116 486 V.S. 694, 707; \08 s.o. 2\04, 2112. 117 486 V.S. 694, 708 ff.; \08 s.o. 2104, 2112 ff. 118 486 V.S. 694, 708; 108 S.Ct. 2104, 2113; darauf bezieht sich Stürner, JZ 1992,325,328. 119 486 V.S. 694, 715f.; \08 S.Ct. 2\04, 2116. Als gefllhrlich erachtet die "concurring opinion" neben der "remise au parquet" Zustellungsformen, bei denen das SchriftstOck mit der Post Obersandt, die Zustellung abermit Einwurfin den Briefkasten als bewirkt erachtet wird (§ 174 ZPO!); sowie die Zustellung an willkOrlich vom Gerichtsstaat bestimmte Empfangsvertreter, S. 711,2114. 120 Vgl. Volkswagenwerk AG v. Schlunk, 486 V.S. 694, 704; 108 S.Ct. 2\04, 2111; Gallagher v. Mazda Motor 01 America. Inc., 781 F.Supp. \079 (E.D.Pa. 1992); Casad, Jurisdiction, § 4.06[2] (S. 4-151 f); Oberholt Lange/Black, Zivilprozeß, Rn. 31. 121 Committee New York Bar Association, 122 F.R.D. 63 (1988); Born/Westin, International Litigation, S. 159, 168; Note, 14 Int'l Lawyer 637, 638 (1980); Burbank, 89 Mich. L. Rev. 1456, 1474 ff. (1991); KimiSisneros, 23 Vand. 1. ofTransnat'l L. 299, 318 tT. (\990); Miller/Pionk, 54 J. of Air L. & Com. 123, 128 f. (1988). llS

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I.Teil: Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer

Adressat in einem HZÜ-Mitgliedstaat aufhält. Die Rechtsprechung hat hier noch zu keiner einheitlichen Linie gefunden; gleichartige Zustellungsfonnen werden teils als reine Inlandszustellungen angesehen 122, teils wird das HZÜ fUr anwendbar erklärt l23 . Die wenigen bislang zu dieser Frage ergangenen Entscheidungen erklären das HZÜ dann filr anwendbar, wenn die Mitteilungen konstitutiver Teil des Zustellungsvorgangs sind. Unabhängig vom einzelstaatlichen Recht dürfte dies bei Zustellungen an natürliche Personen durch Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an einen inländischen gesetzlichen Vertreter ("statutory agent") anzunehmen sein. In diesem Fall ist die zusätzliche Infonnation des Adressaten verfassungsrechtlich geboten l24 ; die Zustellung ist daher erst mit der Kenntnisnahme des auswärtigen Adressaten abgeschlossen l25 .

ccc) Bundesrepublik Deutschland Im Schlunk- Verfahren hat die deutsche Bundesregierung das Vorbringen der VW AG unterstützt, das HZÜ gelte filr die Zustellung von Klagen an deutsche Beklagte vor US-amerikanischen Gerichten ausschließlich l26 . Das HZÜ sei ein einheitliches System zur Zustellung gerichtlicher Schriftstücke an ausländische Beteiligte I27 • Das widerspricht jedoch der Anwendung des Übereinkommens in der deutschen Praxis. In der Denkschrift zum HZÜ128 ist eindeutig festgehalten, daß das Übereinkommen keine Exklusivität filr Zustellungen an ausländische Adressaten beansprucht. Das Übereinkommen ist danach nur anwendbar, wenn nach dem Recht des Gerichtes eine Auslandszustellung vorzunehmen ist l29 : "Eine verbindliche Verpflichtung filr einen Vertragsstaat, notwendige Zustellungen an Personen im Ausland gemäß dem Übereinkommen auch im Ausland durchfUhren zu lassen, wenn nach dem Recht des Vertragsstaates die Zustellung bereits im Inland bewirkt werden kann, enthält das Übereinkommen nicht" 130. Ausdrücklich sagt die Denkschrift, daß die Systeme der Inlandszustellung unberührt

122 Meliav.LesGrandsChaisde France, 135 F.R.D. 28 (D.C.R.!. 1991); Hammondv. Honda Motor Co., Lid., 128 F.R.D. 638 (D.C.S.C. 1989). West's Annotated Califomia Codes, Corporations Code § 2111 (a) a.E.; McKinney's Consolidated Laws of New York Annotated, Business Corporation Law, § 306 (b) (I). 123 Vgl. McClenon v. Nissan Motor Corp. in USA, 726 F.Supp. 822 (N.D.Fla. 1989); Wasden v. Yamaha Motor Co., Lid., 131 F.R.D. 206 (M.D.Fla. 1990); Chowaniec v. Heyl Truck Lines,

1991 WL 111156 (N.D.III. 1991). 124 Wuchter v. Pizzutti, 48 S.Ct. 259, 276 U.S. 13 (1928); naher s. unten S. 105 ff. 125 Vgl. 2 Moore's Federal Practice, 4.15, S. 4-158. 126 "Amicus curiae brief' der Bundesregierung vom 11.12.1987; mitgeteilt von Heidenberger, RIW 1988,90,91. 127 Ebda., S. 91. 128 BT-Drs. 7/4892, S. 38 ff. 129 Denkschrift zum HZÜ, BT-Drs. 7/4892, S. 40. 130 Denkschrift zum HZÜ, BT-Drs. 7/4892, S. 42 (zu Art. 1 HZÜ).

I. Spezielles VölketV~recht

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bleiben. Insbesondere sei es mit dem HZÜ nicht gelungen, die "remise au parquet" vollständig zu beseitigen!3!. Die deutsche Zustellungspraxis verfährt entsprechend. Aus § 199 ZPO wird zwar geschlossen, daß verfahrenseinleitende Schriftstücke grundsätzlich auf dem Rechtshilfeweg zugestellt werden müssen 132. Es wird daher regelmäßig bei ausländischen Adressaten die Zustellung am Sitz oder Wohnort im Ausland versucht. Wenn die Zustellung auf diesem Wege nicht bewirkt werden kann, wird jedoch öffentlich im Inland zugestellt (§ 203 ZPO)133. Gerichtliche Schriftstücke während des laufenden Verfahrens sowie Urteile werden häufig im Inland an Zustellungs- oder Prozeßbevollmächtigte oder durch Aufgabe zur Post gemäß §§ 174, 175 ZP0134 zugestellt. Die mit letzterer Zustellungsform verbundene Postsendung in das Ausland weckt in der Praxis keine völkerrechtlichen Bedenken. Auch Zustellungen verfahrenseinleitender Schriftstücke an inländische Zustellungsbevollmächtigte, Ersatzpersonen oder den hier (vorübergehend) anwesenden Adressaten selbst werden berichtet135 • Die deutsche Praxis zeigt sich freundlich bei der Anerkennung von ausländischen Entscheidungen, die nach einer Inlandszustellung im Erststaat ergangen sind oder mittels einer solchen zugestellt wurden. Geht es um die Anerkennung einer Entscheidung aus einem GVÜ-Mitgliedstaat, so wird im Anschluß an die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 27 Nr. 2 GVÜ!36 geprüft, ob die Zustellung nach dem Recht des Urteils staates einschließlich der dort geltenden zwischenstaatlichen Zustellungsübereinkommen ordnungsgemäß und nach autonomen GVÜ-Kriterien rechtzeitig war137 • Der gleiche Beurteilungsmaßstab wird im Ver-

131 Denkschrift zum HZÜ, BT-Drs. 7/4892, S. 41, 40. 132 BGHZ 98, 263, 267 ff. 133 OLG Köln FamRZ 1985, 1278 (polnischer Adressat eines Scheidungsantrags); OLG

Stuttgart FamRZ 1991,342 (Adressat in Ghana); OLG Frankfurt IPRax 1990,43 (Rumänien). Einen Extremfall stellt sicher die Haltung des AG Bonn (NJW 1991, 1430) dar, das die öffentliche Zustellung eines Scheidungsantrags an eine in Spanien lebende Ehefrau anordnete, nachdem die Zustellung auf dem Rechtshilfeweg an internen Abstimmungsschwierigkeiten zwischen dem AG und der Landesjustizverwaltung DOsseldorf gescheitert schien. Kritisch dazu Bindseil, NJW 1991, 3071,3072; zust. Geimer, NJW 1991, 1431, 1432. 134 Vgl. BGH NJW 1992, 1700 (in der Schweiz ansässiger Beklagter); BGH NJW 1992, 170 I (in Spanien wohnende Beklagte); BGHZ 73, 388, 389 (in den USA wohnende Adressatin); BGH NJW 1989, 1432, 1433 (Beklagter in Frankreich); ausfiIhrlieh OLG MOnchen NJW 1987,3086. !35 Vgl. OLG Köln, NJW-RR 1989,443 (Zustellung gern. §§ 181, 182 ZPO nach Versuch der Ersatzzustellung in deutscher Wohnung, wobei gleichzeitig Wohnsitz in Belgien bestand); BSG NJW 1992,3120 (Zustellung gern. § 181 ZPO in der inländischen Wohnung eines indischen Beteiligten); LG Kaiserslautern Rpfleger 1993, 256 (Bankvorstand als Zustellungsbevollmächtigter einer US-amerikanischen Staatsangehörigen). 136 EuGH Sig. 1981, 1593, 1607, Rn. 15 (KlompslMiche\); EuGH Sig. 1990,1-2725,2750, Rn. 29 (LancraylPeters). 137 Z.B. BGHNJW 1992, 1239, 1241; BGH IPRax 1992,33, 36f. (öffentliche Zustellung nach luxemburgischen Recht); OLG Koblenz IPRax 1988,97,98; OLG DOsseldorfRIW 1985,493.

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hältnis ZU anderen Staaten aus § 328 Abs. 1 Nr.2 ZPO gewonnen 138 • Die Anerkennungsfreundlichkeit gilt auch rur französische Urteile nach Zustellung durch "remise au parquet" 139. Schwierigkeiten tretenjedoch auf, wenn die im Anschluß an die "signification au parquet" vorgeschriebene Benachrichtigung des ausländischen Adressaten nicht auf dem Weg über die Zentralen Behörden (bzw. im direkten Behördenverkehr) übermittelt bzw. nicht in deutscher Sprache abgefaßt oder ins Deutsche übersetzt wurde (Art. 5 Abs. 3 HZÜ i.v.m. § 3 AusfG)I40. ddd) Zwischenergebnis Die Praxis der drei bedeutenden HZÜ-Vertragsstaaten Deutschland, USA und Frankreich bestätigt die vorher gewonnene Erkenntnis, daß das HZÜ keine Exklusivität gegenüber der Inlandszustellung beansprucht. ee) Ergebnis der Auslegung Das Haager Zustellungsübereinkommen bestimmt nicht, ob ein gerichtliches Schriftstück ins Ausland zu übermitteln ist. Die Entscheidung darüber ist Sache des innerstaatlichen Rechts. Nur wenn dieses eine Auslandszustellung vorsieht, regelt das HZÜ exklusiv, wie diese durchzufiihren ist l41 • Daher läßt das Übereinkommen die autonomrechtlichen Formen der Inlandszustellung unberührt. Das gilt auch rur die Versendung von Zustellungsmitteilungen, die ggfls. im Anschluß an die im Inland erfolgte Zustellung an den im Ausland befindlichen Adressaten zu senden sind l42 • Zunächst stellt sich die Frage der Anwendbarkeit des HZÜ überhaupt nur in bezug auf verfahrenseinleitende Zustellungen, so daß Mitteilungen über die Zustellung von Urteilen und Schriftstücken während des laufenden Verfahrens nicht betroffen sind l43 • Aus den Materialien ergibt sich außerdem, daß sich das HZÜ nur auf förmliche Zustellungsakte erstreckt, was mit dem Gebrauch der Begriffe "signification" und "notification" klargestellt werden sollte. Bewußt wurde auf die Verwendung eines weiter gefaßten Wortlauts ("remise"; "transmission") verzichtet l44 • Danach soll das HZÜ nur auf solBGHZ 120, 305, 306 = NJW 1993, 598, 599 (USA). Z.B. OLG Oldenburg RIW 1991,950; OLG DOsseldorfRIW 1985,493. 140 Vgl. OLG Hamm RIW 1988, 131, 132; abI. Mezger, RIW 1988,477 und OLG Oldenburg RIW 1991,950. 141 EbensodieinFn.39genanntenVertreterder h.M. sowie das BVertU NJW 1995,649,650. 142 Insbesondere die "transmission" gern. Art. 685 Abs. 2, 686 NCPC im Anschluß an die "remise au parquet"; sowie bei der Zustellung durch Aufgabe zur Post gern. §§ 174, 175 ZPO; Mitteilung der Zustellung durch den "Secretary of State" oder andere Empfangsvertreter nach USamerikanischen Zustellungsvorschriften. 143 Vgl. OLG Oldenburg IPRax 1992, 169 (Urteilszustellung durch "signification au parquet"); ferner SteiniJonasiRoth, ZPO, 21. Auflage, § 199, Rn. 25. 144 Taborda Ferreira, Rapport Explicatif, Actes et Documents La Haye 10. Sess. 1964 III, S. 366; ders., Rapport Commission Speciale, S. 78; Proces-Verbal No. 2, a.a.O., S. 159 f. 138

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che Akte anzuwenden sein, mit denen die Zustellung im Ausland förmlich bewirkt werden soll. Dazu gehören bloße Mitteilungen über die bereits erfolgte Zustellung nicht. Ob eine an den ausländischen Adressaten zu verschickende Benachrichtigung fOrmlicher Teil des Zustellungs vorgangs oder aber eine einfache Mitteilung hierüber ist, entscheidet das nationale Zustellungsrecht. c) Bedeutung der Art. 15 und 16 HZÜ für die Inlandszustellung Wie oben gezeigt läßt sich den Art. 15 und 16 HZÜ keine Einschränkung der Tatbestände der Inlandszustellung entnehmen. Ihre Wirkung setzt erst ein, wenn das Verfahren bereits eingeleitet ist und der Beklagte sich nicht darauf eingelassen hat. In diesem Fall muß der Richter nach Art. 15 HZÜ den Prozeß aussetzen, bis festgestellt ist, daß das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt wurde. Wenn bereits eine Entscheidung gegen den schuldlos nicht erschienenen Beklagten ergangen ist, kann der Richter gemäß Art. 16 HZÜ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren. Diese Vorkehrungen wurden in erster Linie zum Schutz des Beklagten vor den ungünstigen Folgen der "remise au parquet" getroffen 145. Um zu ihrer Anwendung zu gelangen, muß man freilich auf die "transmission" nach erfolgter "signification" abstellen, weil nur dabei ein Schriftstück "zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln" ist. Die Staaten des französischen Systems haben allerdings den durch Art. 15 Abs. 1 HZÜ eingeräumten Beklagtenschutz weitgehend beschnitten, indem sie die Regelung des Art. 15 Abs. 2 HZÜ durchsetzten l46 • Danach kann jeder Vertrags staat erklären, daß seine Richter ungeachtet des Abs. 1 den Rechtsstreit entscheiden können, wenn das Schriftstück nach einem im HZÜ vorgesehenen Verfahren übermittelt worden ist und mindestens sechs Monate vergangen sind. Das hat z.B. zur Folge, daß selbst eine in Deutschland durch einfache Postsendung versuchte Zustellung nach sechs Monaten den Fortgang des ausländischen Prozesses nicht mehr hindert l47 • Eine Erklärung gemäß Art. 15 Abs. 2 HZÜ haben inzwischen die meisten HZÜ-Mitgliedstaaten abgegeben l48 • Grund der erst kürzlich erfolgten deutschen Erklärung 149 war die lange Erledigungsdauer deutscher Zustellungsanträge im Verkehr mit Spanien, die den Prozeßparteien nicht länger zugemutet werden sollte l50 • Damit rückt Deutschland deutlich von dem bislang vertretenen Proces-Verbal No. 8, Actes et Documents La Haye 10. Sess. 19641lI, S. 252 t1 Vgl. Proces-VerbaINo. 8, Actes etDocuments La Haye 10. Sess. 1964 1lI, S. 259 f.; deutlich Taborda Ferreira, Rapport Explicatif, Actes et Documents La Haye 10. Sess. 19641lI, S. 377. 147 Stürner, in FS Nagel (1987), S. 446, 450. 148 Insgesamt21 von30 Staaten, eingeschlossen Belgien, Frankreich,dieNiederlande und die USA. 149 Notifizierung mit Verbalnote vom 3.12.1992 des Auswllrtigen Amtes an das niederländische Außenministerium; vgl. BGBI 1993 11, S. 704. 150 Vgl. Rundschreiben des BJM v. 25.8.1992 und 20.1.1993, jeweils Geschäftszeichen lA6934IS6-120178/91. . 145

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Standpunkt ab, der den Kläger selbst unter ungünstigsten Umständen auf die Auslandszustellung verwies. Nunmehr kann auch bei bekannter Anschrift des Zustellungsadressaten in einem der HZÜ-Vertragsstaaten öffentlich zugestellt werden, wenn der Versuch der Auslandszustellung sechs Monate ohne Erfolg geblieben ist. Ferner steht Art. 15 Abs. 1 HZÜ nicht der Anordnung von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes entgegen (Abs. 3). Das alles läßt an der Aussage zweifeln, daß im Bereich des HZÜ die "remise au parquet" zwar der Form nach noch möglich, im Ergebnis jedoch abgeschafft sei 151. Dies ließe sich wohl allenfalls dann annehmen, wenn die Möglichkeiten der Art. 15 und 16 HZÜ konsequent genutzt würden, was in der Praxis mangels Kenntnis und Erfahrung aber nicht geschieht l52 . Ob Art. 15 und 16 HZÜ andere Inlandszustellungen als die "remise au parquet" treffen können, ist ohnehin fraglich. Die Vorschriften gelten nur tUr verfahrenseinleitende Schriftstücke, die zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln sind. Demzufolge greifen sie nicht bei Inlandszustellungen im laufenden Verfahren (z.B. §§ 174, 175 ZPO). Dazu zählt auch die "remise au parquet", wenn es nicht um die Zustellung der verfahrenseinleitenden Ladung, sondern etwa um die Zustellung eines Urteils geht. Unanwendbar sind die Vorschriften auch dann, wenn die Inlandszustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstück keine begleitende Übermittlung ins Ausland verlangt (z.B. § 203 ZPO)153. Die Art. 15 und 16 HZÜ können also die Nachteile abmildern, die mit der "remise au parquet" rur den Beklagten verbunden sind. Die Inlandszustellung an Ausländer verhindern können sie aber nicht.

3. Das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Im Verhältnis der Vertragsstaaten ist das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (GVÜ)154 zu beachten. Das GVÜ gilt in unterschiedlichen (durch den EG-Beitritt einzelner Staaten veranlaßten) Fassungen in allen EG-Staaten I55 . Das GVÜ enthält selbst keine umfassende "europäische" 151 Gegen BaurlStürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, S. 163; Stürner, in FS Nagel (1987), S. 446,450; wie hier SteiniJonaslRoth, ZPO, 21. Auflage, § 199, Rn. 25. 152 Vg\. die Sachverhalte der Entscheidungen OLG DosseldorfRIW 1985,493; mit abI. Anm. Schumacher, IPRax 1985,265,266 f.; BGH IPRax 1993,324; mit Anm. Linke, IPRax 1993,295. 153 Nagel, IZPR, Rn. 584 a.E. 154 Übereinkommen vom 27.9.1968 Ober die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, AB\. EG 1972 L 299, S. 32; BGB\. 1972 11, S. 773; in Deutschland in Kraft getreten am 1.2.1973 (Bek. v. 12.1.1973, BGB\. 197311, S.60). Seit dem 1.3.1995 ist zudem das weitgehend gleichlautende Lugano-Übereinkommen vom 16.9.1988 for Deutschland in Kraft (vg\. Bek. v. 8.2.1995, BGB\. 1995 11, S. 221). 155 Über den aktuellen Ratifikationsstand im Verhältnis zu Deutschland gibt der FundsteIlennachweis B, BG B\. 199411, S. 445 (Stand 31.12.1994) Auskunft. Für Deutschland ist am 1.12.1994 die Fassung des 3. BeitrittsObereinkommens vom 26.5.1989 in Kraft getreten (Bek. v. 25.10.1994, BGB\. 199411, S. 3707).

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Zustellungsregelung. Anhaltspunkte fUr die Gestaltung des einzelstaatlichen Zustellungsverfahrens sind aber aus Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum GVÜ, aus der Rechtsprechung des EuGH zu den Anerkennungsvoraussetzungen des Art. 27 Nr. 2 GVÜ, sowie aus den Vorschriften über die Zustellung im GVÜExequaturverfahren (Art. 33 Abs. 2 GVÜ) zu gewinnen. a) Art. IV Abs. 1 des Protokolls zum GVÜ Art. IV Abs. I des Protokolls vom 27. September 1968 156 lautet: "Gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke, die in einem Vertragsstaat ausgefertigt sind und einer in dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats befindlichen Person zugestellt werden sollen, werden nach den zwischen den Vertragsstaaten geltenden Übereinkommen oder Vereinbarungen übermittelt."

Dieser Vorschrift wird teilweise die Funktion beigelegt, die GVÜ-Vertragsstaaten auf die Anwendung der zwischen ihnen bestehenden Zustellungsübereinkommen - insbesondere das von den meisten GVÜ-Staaten ratifizierte HZÜ - und bilateralen Vereinbarungen zu verpflichten. Danach wären Inlandszustellungen im Verhältnis der GVÜStaaten nicht zulässigl57. Diese Auffassung stützt sich auf den im Vergleich zu Art. 1 HZÜ weiter gefaßten Wortlaut des Art. IV Abs. 1 Protokoll, der den auf im Ausland zu bewirkende Zustellungen beschrankten Anwendungsbereich des HZÜ158 auf alle Zustellungen an im Ausland befindliche Adressaten auszudehnen scheintI59 . Aus Art. IV Abs. 1 Protokoll folge insbesondere, daß in der Situation, in der das französische Recht die Inlandszustellung durch "signification au parquet" anordnet, eine Auslandszustellung vorzunehmen sej160. Indes beweist Art. IV Abs.2 des Protokolls die Unrichtigkeit dieser Annahme. Danach können Schriftstücke von einer gerichtlichen Amtsperson im einen Staat an eine gerichtliche Amtsperson im anderen Staat übennittelt werden, wenn der Bestimmungsstaat dem nicht widerspricht. Mit dieser Regelung berücksichtigt das Protokoll gerade die bestehende französische Praxis der "signification au parquet", die eine anschließende Übennittlung des zugestellten Schriftstücks auch zwischen Gerichtsbehörden gestattet (vgl. Art. 685 Abs. 2 NCPC)161. Auch die Entstehungsgeschichte des Art. IV läßt nicht vermuten, daß damit Inlandszustellungstatbestände der nationalen Rechte verdrängt werden sollten l62 . Das GVÜ übernimmt in seinem Art. 20 Abs. 2 und 3 das vom HZÜ entwickelte 156

I.d.F. vom25.0ktoberI982,ABI. EG 1978L304,S. 93;BGBI.197211,S. 808,198311, S. 818. So Rauscher, IPRax 1991, 155, 158; eingeschränkt Stürner, JZ 1992, 325, 328 f. 158 Art. 1 HZÜ: "dans tous les cas 01'1 un acte judiciaire ou extrajudiciaire doit etre transmis a I'etranger pour y etre signifie ou notifie". 159 Vgl. Stürner, JZ 1992,325,328. 160 So Stürner, JZ 1992, 325, 328 mit dem Hinweis auf Art. 684 Abs. 1 NCPC: "La signification d'un acte destine a une personne domiciliee a I'etranger est faite au parquet". 161 Damit hat die Bundesrepublik ihren Widerspruch gegen Art. IV Abs. 2 begründet, vgl. Denkschrift zum GVÜ, BT-Drs. VII1973, S. 45 f. 162 Entgegen Stürner, JZ 1992, 325, 329 ("wenngleich nicht sehr ergiebig"). 157

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System der "indirekten Sanktionen", welches die Inlandszustellung unberührt läßt. Dazu gehört, daß das Gericht die Entscheidung so lange auszusetzen hat, bis festgestellt ist, daß der Adressat das verfahrenseinleitende Schriftstück rechtzeitig empfangen konnte oder daß alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind. Aus den Materialien geht hervor, daß Art. IV Abs. 2 Protokoll lediglich einen zusätzlichen Übermittlungsweg bereitstellt, der das Merkmal der "erforderlichen Maßnahme" LS.d. Art. 20 Abs. 2 GVÜ ausrullen sollte l63 • Nicht zuletzt würden auch unübersehbare praktische Schwierigkeiten entstehen, wenn das gleiche Übereinkommen verschieden auszulegen wäre, je nachdem ob es gerade im Verhältnis zu einem GVÜ-Staat oder einem Drittstaat angewendet werden soll. Art. IV Abs. 1 Protokoll hat also nur klarstellenden Charakter. Die Vorschrift verweist auf die zwischen den GVÜ-Vertragsstaaten bestehenden Zustellungsübereinkommen, ohne deren Anwendungsbereich innerhalb des GVÜ neu zu definieren. Anwendbar sind demnach die staatsvertraglich vereinbarten Zustellungswege und alle anderen nationalen Zustellungsformen, die die Übereinkommen nicht ausgeschlossen haben l64 • b) Art. 27 Nr. 2, Art. 34 Abs. 2, Art. 47 GVÜI6S Wenn auch das GVÜ die Durchfiihrung der Zustellung nicht unmittelbar regelt, macht es doch die Ordnungsmäßigkeit und Rechtzeitigkeit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks zu einer Voraussetzung der Anerkennung und der Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen (Art. 27 Nr. 2; Art. 34 Abs.2 GVÜ). Die die Anerkennung und Vollstreckung betreibende Partei muß den notwendigen Zustellungsnachweis erbringen filr das verfahrenseinleitende Schriftstück (Art. 46 Nr. 2 GVÜ) und rur die zu vollstrekkende Entscheidung (Art. 47 Nr. I GVÜ). Auf diese Weise will das GVÜ dem Beklagten einen wirksamen Schutz seiner Rechte gewährleisten, ohne die unterschiedlichen Zustellungssysteme der Mitgliedstaaten zu harmonisieren l66 • Dennoch könnten sich aus der Anerkennungsperspektive gewisse Anforderungen an die Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke ergeben, die der EuGH durch Auslegung der genannten GVÜ-Bestimmungen gewonnen hat. Diese erlauben zwar methodisch strenggenommen keinen "Umkehrschluß" auf einen Mindeststandard fiir 163 Vgl. Jenard-Bericht, ABI. EG 1979 C 59, S.40; so auch ohne Begründung Braun, Beklagtenschutz, S. 91. 164 So zu Recht O'MalleyILayton, European Civil Practice, Rn. 35.18; Kropholler, EZPR, Art. 20, Rn. 8; Wiehe, Zustellungen, S. 36; Kaye, Civil Jurisdiction, S. 1285; ferner Braun, Beklagtenschutz, S. 90; SteiniJonaslRoth, ZPO, 21. Auflage, § 199, Rn. 23; § 175, Rn. 17. 165 Auf die gleichlautenden Vorschriften des Luganer Übereinkommens vom 16. September 1988, ABI. EG 1988 L 319, S. 9 ff., wird nicht besonders eingegangen. 166 EuGH Slg. 1982, S. 2723, 2736, Rn. 13 (Pendy Plastic/Pluspunkt).

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die Zustellung im EG-Bereich. An ihnen könnte sich aber die Auslegung und Anwendung nationalen Zustellungsrechts im Interesse der Anerkennungsfähigkeit von Entscheidungen im Verhältnis der Vertragsstaaten orientieren. In der Entscheidung DenilaulerlCouchet Freres l67 hat der EuGH festgestellt, daß Art. 27 Nr. 2, 46 Nr. 2 und 47 Nr. 1 GVÜ von "der Vorstellung eines im Prinzip kontradiktorischen Verfahrens" ausgingen l68 • Darunter versteht der EuGH Verfahren, zu denen die Gegenpartei geladen wird und in denen die Vollstreckung der Entscheidung nicht ohne vorherige Zustellung an diese Partei erfolgen kann. Das schließt nicht aus, daß der Richter zur Entscheidung in einem Versäumnisverfahren befugt sein kann, wenn der Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht im Termin erscheint. Hingegen soll das vereinfachte Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren des GVÜ nicht fiir Entscheidungen zur Verfiigung stehen, die auf einen Überraschungseffekt abzielen und daher ohne Anhörung der Partei ergehen oder ohne vorherige Zustellung an den Schuldner vollstreckt werden sollen wie z.B. Arreste und einstweilige Verfiigungen 169. Das bedeutet wohlgemerkt nicht, daß gerichtliche Maßnahmen ohne vorherige Benachrichtigung des Gegners im Anwendungsbereich des GVÜ unzulässig wären. Der EuGH hat lediglich deren Anerkennungsfähigkeit auf dem einfachen Wege des GVÜ verneint. Für die Zustellung enthält die Entscheidung DenilaulerlCouchet Freres daher keine über den Wortlaut des Art. 27 Nr. 2 GVÜ hinausgehende Aussage. In mehreren Urteilen hat der EuGH ausgesprochen, daß Art. 27 Nr. 2 GVÜ mit der Ordnungsmäßigkeit und der Rechtzeitigkeit zwei von einander verschiedene, kumulative Anerkennungsvoraussetzungen enthalte l70 • Beide Merkmale sind vom Gericht im Anerkennungsstaat ohne Bindung an die Feststellungen des Erstgerichts l71 zu überprüfen. Die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung richtet sich nach dem Recht des Urteilsstaates einschließlich der dort geltenden zwischenstaatlichen Übereinkommen 172 • Im Rahmen der Anerkennung werden nur Fehler bei der Anwendung dieses Rechts erheblich. Damit läßt der EuGH zum einen die wichtige Frage der Abgrenzung von autonomem und staatsvertraglichem Zustellungsrecht offen 173 • Zum anderen EuGH Sig. 1980, S. 1553. EuGH Sig. 1980, S. 1553, 1568, Rn. 8 (Denilauler/Couchet Freres). 169 EuGHSlg. 1980,S. 1553, Rn. 17 (Denilauler/Couchet Freres); krit. Schack, IZVR, Rn. 825. 170 EuGHSlg. 1981,S. 1593, 1607, Rn. 15 (KlompslMichel); deutlicherEuGHSlg. 1990, S.I-2725, 2747f,Rn. \3 Ir. (LancraylPeters); Jenard-Bericht, ABI. EG 1979 C 59, S. 44 ("doppelter Schutz"). 171 Z.B. hinsichtlich einer Aussetzung des Verfahrens gern. Art. 20 Abs. 2,3; Art. 15 HZÜ; vgl. EuGH Sig. 1982, S. 2723, 2736, Rn. \3 (Pendy Plastic/Pluspunkt). 172 EuGH Sig. 1981, S. 1593, 1607, Rn. 15 (Klomps/Michel); EuGH Sig. 1990, S. 1-2725, 2750, Rn. 29 (Lancray/Peters): betriffi auch die Heilungsvorschriften! 173 Die Beantwortung der Frage lag nach Art. 3 Abs. 1 des Protokolls vom 3.7.1971 durchaus in der Kompetenz des EuGH, Ja sie durch Auslegung des GVÜ und der zugehörigen Protokolle zu ermitteln ist, zutr. Stürner, JZ 1992,325,327. 167 168

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akzeptiert der Gerichtshof damit jede Art der Zustellung als ordnungsgemäß i.S.d. Art. 27 Nr. 2 GVÜ, wenn sie das Recht des Gerichtsstaates unter Berücksichtigung der einschlägigen Staatsverträge vorsieht und wenn sie diesem Recht entsprechend ausgefiihrt wurde 174. Die Ordnungsmäßigkeit aus der Anerkennungsperspektive setzl demzufolge keinen Maßstab filr die Gestaltung der Zustellungsformen des einzelstaatlichen Rechts. Angesichts dieser Toleranz gegenüber dem autonomen Recht der Vertragsstaaten stellt die Rechtzeitigkeit das entscheidende Kriterium filr die Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit einer Entscheidung dar l7S . Diese Anerkennungsvoraussetzung soll sicherstellen, daß dem Beklagten ein ausreichender Zeitraum zur Verfilgung steht, um seine Verteidigung vorzubereiten oder die zur Vermeidung einer Versäumnisentscheidung erforderlichen Schritte einzuleiten l76 • Dies verlangt Wertungen tatsächlicher Art unabhängig von jeglichen gesetzlichen Vorgaben (z.B. Fristenregelungen des Urteilsstaates) unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalles. Das Gericht des Anerkennungsstaates muß in erster Linie überprüfen, ob der vom Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Zustellung an zu berechnende Zeitraum ausreichend war. Es kann normalerweise davon ausgehen, daß ein Beklagter ab diesem Zeitpunkt Maßnahmen zu seiner Verteidigung einleiten kann. In Ausnahmefällen kann es aber sein, daß die Zustellung ihrer Art nach - obwohl nach dem Recht des Urteilsstaates ordnungsgemäß - nicht genügte, um den Beklagten in die Lage zu versetzen, Schritte zu seiner Verteidigung einzuleiten. In solchen Fällen ist die Zustellung nicht geeignet, den in Art. 27 Nr. 2 GVÜ geforderten Zeitraum beginnen zu lassen 177. In die Prüfung dieser Frage kann das Zweitgericht alle Umstände des Einzelfalles einbeziehen, Z.B. die Art und Weise der Zustellung, die Beziehung zwischen den Parteien und die Art der Maßnahmen, die zur Vermeidung der Versäumnisentscheidung einzuleiten waren 178. Dazu gehören nicht nur die Umstände, die im Zeitpunkt der Zustellung bekannt waren, sondern gerade auch die Tatsachen, die nach der Zustellung eingetreten sind l79 • Das Verhalten des Klägers ist dabei ebenso zu berücksichtigen wie das Verhalten des Beklagten. Erst die Abwägung aller Umstände des Einzelfalles erlaubt eine Feststellung darüber, ob die Zustellung rechtzeitig erfolgt ist. Damit hat der EuGH aus der Rechtzeitigkeit i.S.d. Art. 27 Nr. 2 GVÜ ein Instrument geformt, mit dem das Gericht im Anerkennungsstaat in Ausnahmesituationen Unzulänglichkeiten des autonomen Zustellungsrechts des Urteilsstaates begegnen kann. 174 So auch Kropholler, EZPR, Art. 27, Rn. 29 (zur öffentlichen Zustellung gemäß § 203 ZPO und der "remise au parquet"). l7S Schack, IZVR, Rn. 845, 850. 176 EuGH Slg. 1981, S. 1593, 1608, Rn. 18 (KlompslMichel). 177 EuGH Slg. 1981, S. 1593, 1608, Rn. 18 f. 178 EuGH Slg. 1981, S. 1593, 1609, Rn. 20. 179 EuGH Slg. 1985, S. 1779, 1798 f., Rn. 19 ff. (DebaeckerlBouwrnan).

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Die Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Zustellung ist stets eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. In seinen zwei einschlägigen Entscheidungen hat der EuGH aber angedeutet, welche Faktoren eine Rolle spielen können. In der Sache KiompsiMichel 180 hatte der EuGH im Rahmen eines Vorlageverfahrens darüber zu befinden, ob eine Ersatzzustellung geeignet ist, die zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung erforderliche Frist in Gang zu setzen. In casu hatte der Zustellungsadressat einen deutschen Wohnsitz, hielt sich im übrigen aber in den Niederlanden auf. Die Zustellung war am deutschen Wohnsitz durch Niederlegung bei der Post erfolgtl81. Der Gerichtshof stellte fest, daß Art. 27 Nr. 2 GVÜ nicht den Nachweis verlangt, daß der Beklagte tatsächlich von dem verfahrenseinleitenden Schriftstück Kenntnis genommen hat. Regelmäßig versetze auch die ordnungsgemäße Ersatzzustellung an seinem Wohnsitz den Adressaten in die Lage, seine Verteidigung vorzubereiten l82 . Der EuGH ließ durchscheinen, daß der vorliegende Fall keine Anhaltspunkte dafilr bot, daß die Zustellung nicht genügte, den Zeitraum zur Verteidigung beginnen zu lassen. In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit ging es um Handelsbeziehungen; das verfahrenseinleitende Schriftstück war an einem Ort zugestellt worden, an dem der Schuldner seine Geschäfte betreibt; die zur Vermeidung einer Versäumnisentscheidung erforderlichen Rechtsbehelfe konnten formlos und sogar durch einen Vertreter eingelegt werden. Unter diesen Umständen konnte die schlichte Abwesenheit des Adressaten zum Zeitpunkt der Zustellung dessen Verteidigungsmöglichkeit nicht beeinträchtigen183. Die gleiche Frage nach dem Beginn des Verteidigungszeitraumes stellte sich in dem Fall DebaeckerlPlouwman l84, der eine fIktive Form der Zustellung nach belgischem Recht betraf. Der Kläger hatte zunächst die Zustellung am belgischen Wohnsitz des niederländischen Adressaten versucht. Diese scheiterte, da der Adressat mit unbekanntem Ziel verzogen und auch sonst kein geeigneter Zustellungsempflinger anzutreffen war. Daraufhin wurde fIktiv durch Niederlegung beim Polizeikommissariat am letztem bekannten Wohnsitz zugestellt. Nach der Zustellung und vor dem Termin meldete sich der Adressat und gab eine Postfachadresse in Belgien an, über die er zu erreichen war. Der Kläger nahm dies jedoch nicht zum Anlaß, den Adressaten über den bevorstehenden Termin zu unterrichten. Es erging Versäumnisurteil, das anschließend in den Niederlanden vollstreckt werden sollte l85 . Der EuGH entschied, daß der von Art. 27 Nr.2 GVÜ angestrebte wirksame Beklagtenschutz im Versäumnisverfahren die Berücksichtigung aller, also auch der nach der Zustellung

180 181 182 183 184 185

EuGH Sig. 1981, S. 1593 tT. EuGH Sig. 1981, S. 1593,1602 f., Rn. 3. EuGH Sig. 1981, S. 1593,1608, Rn. 19. EuGH Sig. 1981, S. 1593,1609, Rn. 20. EuGH Sig. 1985, S. 1779 tT. Vgl. die Sachverhaltsdarstellung im Schlußantrag des Generalanwalts van Themaat, EuGH Sig. 1985, S. 1779, 1780 f. (DebaeckerlBouwrnan); ferner Urteil, S. 1794, Rn. 3.

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eintretenden Umstände verlange 186. Als solche außergewöhnliche Umstände wertete der EuGH in casu einerseits, daß die Adresse des Beklagten aus ihm selbst zuzurechnenden Gründen im Zeitpunkt der Zustellung nicht bekannt war, und andererseits, daß der Kläger nach der Zustellung erfuhr, wo der Beklagte zu erreichen war. Der Entscheidung ist zu entnehmen, daß der EuGH den ersten Umstand für sich genommen als einen legitimen Grund für eine fIktive Zustellung ansieht, während der zweite Umstand für sich betrachtet gegen die Rechtzeitigkeit der Zustellung sprechen dürfte. Das Zusammentreffen beider Umstände im vorliegenden Fall zwang zu einer Abwägung, die der EuGH dem Gericht im Anerkennungsstaat überließ187. Auch in seiner Rechtsprechung zur Rechtzeitigkeit der Zustellung i.S.d. Art. 27 Nr.2 GVÜ stellt der EuGH also keine starren Richtlinien filr die Inlandszustellung auf; er formuliert weder ein Verbot noch einen Freibrief. Grundsätzlich akzeptiert der EuGH die autonomrechtlichen Formen der Ersatzzustellung und der fIktiven Inlandszustellung. Art. 27 Nr. 2 GVÜ verlangt nicht die tatsächliche Kenntnisnahme des Adressaten von dem zuzustellenden Schriftstück, sondern nur die Möglichkeit dazu. Fiktive Inlandszustellungen können nach den Umständen des Falles ausreichend sein. Die besonderen Umstände des Einzelfalles können im Interesse der Anerkennungsfähigkeit von Entscheidungen bereits im Erkenntnisverfahren bei der Auslegung und Anwendung einzelner Zustellungsvorschriften berücksichtigt werden 188 . Dies ist zum einen aus Gründen der Rechtssicherheit geboten, denn der Kläger, der nach einer Inlandszustellung ein Urteil erstreitet, erleidet einen Pyrrhus-Sieg, wenn der Zweitrichter aufgrund einer unklar defmierten "Ausnahmesituation" die Anerkennung des Urteils verweigert 189. Zum anderen kann dies ein erster Schritt in Richtung eines einheitlichen Zustellungsrechts im GVÜ-europäischen Raum sein. Der EuGH liefert für diese Aufgabe allerdings nur dürftige Vorgaben: Die Ersatzzustellung wird für zulässig befimden, wenn sie an einem Ort erfolgt, an dem der Adressat gewöhnlicherweise von Schriftstücken Kenntnis nehmen kann, auch wenn er dort nicht stets persönlich anzutreffen ist. Fiktive Zustellungen sind jedenfalls dann mit Art. 27 Nr. 2 GVÜ vereinbar, wenn die Anschrift des Adressaten aus Gründen unbekannt ist, die diesem zuzurechnen sind. Wird die Anschrift nachträglich bekannt, so müssen weitere Schritte zur Information des Adressaten unternommen werden. Keinen Bedenken begegnen danach solche Formen der Ersatzzustellung, die das verfahrenseinleitende Schriftstück so in den räumlichen Machtbereich des Adressaten bringen, daß er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge davon Kenntnis nehmen 186 EuGH Sig. 1985, S. 1779, 1799, Rn. 22. 187 EuGH Sig. 1985, S. 1779, 1801, Rn. 31 f. 188 Der EuGH vermeidet es freilich, insoweit von Pflichten des Klägers zu sprechen; vgI.

EuGH Slg. 1985, S. 1779, 1800, Rn. 28. 189 So zu Recht Braun, Beklagtenschutz, S. 125 f.

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kann 190. Auch spricht einiges fiir die Zulässigkeit fiktiver Inlandszustellungen, die wie z.B. § 203 ZPO subsidiär vorgesehen sind, wenn die effektive Zustellung mangels bekannten Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes des Adressaten nicht möglich ist. Dagegen dürften gegen fiktive Inlandszustellungen, die wie die "signifIcation au parquet" auch bei bekannter Zustellungsadresse erfolgen, Einwände bestehen. Hier bedarfes flankierender Maßnahmen, die die negativen Folgen fiir den Adressaten ausgleichen. Dies kann dadurch geschehen, daß man die Verteidigungsfrist erst mit der tatsächlichen Kenntnisnahme des Adressaten beginnen läßt l91 . Denkbar ist aber auch eine anderweitige Kompensation, Z.B. durch eine zusätzliche Zustellungsmitteilung und die Aussetzung des Erstverfahrens, wenn die Benachrichtigung des Zustellungsadressaten nicht nachgewiesen werden kann 192. c) Art. 33 Abs. 2 GVÜ Ein kleiner Seitenblick auf die im GVÜ rur das Vollstreckbarerklärungsverfahren vorgesehenen Zustellungsformen zeigt, daß auch das GVÜ im Interesse der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens nicht auf die Inlandszustellung verzichten will. Art. 33 Abs.2 GVÜ verpflichtet den Antragsteller, im Bezirk des angerufenen Gerichts ein Wahldomizil ("domicile elu") zu begründen oder einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Letztere Möglichkeit wurde mit Rücksicht auf das deutsche Recht eingerugt, das die Einrichtung eines Wahl domizils nicht kennt l93 . Das Ergebnis ist funktionell das gleiche: Es wird im Inland ein Vertreter zum Empfang gerichtlicher Schriftstücke bestellt l94 . An diese Adresse können im GVÜVollstreckbarerklärungsverfahren die Entscheidung über den Exequaturantrag (Art. 35 GVÜ), sowie ggfls. die Ladung des Antragstellers zugestellt werden, wenn der Vollstreckungsschuldner gegen die Klauseierteilung einen Rechtsbehelf einlegt (Art. 37 GVÜ)195. Die Regelung "ermöglicht eine rasche Zustellung dieser Ladung nach dem Recht des Vollstreckungsstaats und schließt die Gefahr von Fehlleitungen sowie die mit der Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im Ausland verbundenen Risiken aus. In den meisten Fällen dürfte nämlich der Antragsteller seinen Wohnsitz außerhalb des Vollstreckungsstaates haben" 196. Dadurch soll die ra-

190

Kaye, Civil lurisdiction, S. 1481 f.

191 So Braun, Beklagtenschutz, S. 127.

192 Zu den Mechanismen des geltenden französischen Rechts (Art. 683 ff. NCPC) vgl. unten S. 178 ("signification au parquet") und S. 193 (Ersatzzustellung). 193 Siehe § 4 Abs. 1 S. 1 AVAG. 194 Jenard-Bericht, ABI. EG 1979 C 59, S. 50; naher zum französischen "domicile c!lu" unten S. 198 f.; zum Zustellungsbevollmächtigten deutschen Rechts unten S. 259 f 195 Jenard-Bericht, ABI. EG 1979 C 59, S. 50. 196 So wörtlich Jenard-Bericht, ABI. EG 1979 C 59, S. 50.

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I.Teil: Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer

sche und sichere Durchfiihrung des Exequaturverfahrens gefördert, sowie dem Antragsgegner die Einlegung eines Rechtsmittels erleichtert werden l97 • Schließlich ist auf die Verfahrensordnungen des EuGH und des EuG hinzuweisen, die den Verfahrensbeteiligten bei Direktklagen die Pflicht zur Benennung einer Zustellungsanschrift in Luxemburg auferlegen. Der Kläger muß diese bereits in der Klageschrift mitteilen (Art. 38 § 2 VerfO-EuGH; Art. 44 § 2 VerfO-EuG); der Beklagte in seiner Klagebeantwortung (Art. 40 § 1 S.2 LV.m. Art. 38 §2 VerfO-EuGH; Art. 46 § 1 LV.m. Art. 44 § 2 VerfO-EuG), nachdem ihm die Klage per Post durch Einschreiben mit Rückschein an die vom Kläger angegebene Anschrift zugestellt wurde (Art. 79 § 1 VerfO-EuGH). Wenn der Kläger seiner Pflicht nicht nachkommt, setzt ihm der Kanzler des Gerichtshofs eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels (Art. 38 § 7 VerfO-EuGH). Nach deren Verstreichen wird die Klage als unzulässig abgewiesen l98 • Zum Zustellungsbevollmächtigten kann jede Privatperson ernannt werden; häufig sind es Luxemburger Rechtsanwälte l99 • Alle weiteren Zustellungen werden an diese Luxemburger Adresse gerichtet; der Verfahrens beteiligte trägt das W eiterleitungsrisiko2°O.

4. Bilaterale Vereinbarungen und Abkommen a) Vereinbarungen zur Vereinfachung der Rechtshilfe Die Bundesrepublik Deutschland hat im Rahmen der Haager Übereinkommen von 1905 und 1954 mit 9 Staaten (Belgien201 , Dänemark202 , Frankreich203 , Luxemburg204 , den Niederlanden 20s , Norwegen206 , Österreich207 , Schweden208

197 Vgl. EuGH Sig. 1986, S.2441, 2445, Rn. 10 (CarronIBundesrepublik Deutschland); Kropholler, EZPR,Art. 33, Rn. 5; femerdie amtliche BegrUndungzu § 4 AVAG, BT-Drs. 11/351, S. 19. 198 So geschehen in EuGH Sig. 1986, S. 443 (SahinlerlKommission). 199 So Klinke, Gerichtshof, Rn. 108. 200 Klinke, Gerichtshof, Rn. 108; dort auch zu der abweichenden Regelung im Vorabentscheidungsverfahren, Rn. 146 ff. 201 Vereinbarung vom 25.4.1959, BGBl. 11, S. 1525, in Kraft getreten am 1.1.1960, Bek. v. 23.12.1959, BGBI. 11, S. 1524. 202 Vereinbarung vom 1.6.1910, RGBl. S. 873, wieder anwendbar in geänderter Fassung seit 1.9.1952, Bek. v. 30.6.1953, BGBl. 11, S. 186. 203 Vereinbarung vom 6.5.1961, BGBl. 11, S. 1041, in Kraft getreten am 1.7.1961, Bek. v. 25.7.1961, BGBl. 11, S. 1040. 204 Vereinbarung vom 1.8.1909, RGBl. S.910, in Kraft seit 1.9.1909, Bek. v. 16.8.1909, RGBl. S. 907, 910. 20S Vertrag vom 30.8.1962, BGBl. 1964 11, S. 469, in Kraft seit 3.5.1964, Bek. v. 20.4.1964, BGBl. 11, S. 468. 206 Vereinbarung vom 17.6.1977, BGBl. 197911, S.1292, in Kraft seit 1.1.1980, Bek. v. 23.11.1979, BGBl. 11, S. 1292. 207 Vereinbarung vom 6.6.1959, BGBl. 11, S.1523, in Kraft seit 1.1.1960, Bek. v. 18.12.1959, BGBl. II,S.1523. 208 Vereinbarung vom 1.2.1910,RGBl. S. 456, in Kraftseit I. I. 1960,Bek. v. 9.2.1910,RGBl. S.455.

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und der Schweiz209) Zusatzvereinbarungen zur weiteren Vereinfachung des Rechtshilfeverkehrs geschlossen21O • Die Zusatzvereinbarungen gelten gemäß Art. 24 HZÜ nach dem Beitritt der Vertrags staaten zum HZÜ weiter. Mit dem Fürstentum Liechtenstein besteht eine Verständigung über die Durchfiihrung des Rechtshilfeverkehrs211 • Wesentliche Funktion dieser Abkommen ist die Einrichtung des unmittelbaren Verkehrs der beiderseitigen lustizbehörden zur Übermittlung von gerichtlichen Schriftstücken212 • Danach dürfen zuzustellende Schriftstücke direkt an diejenige ausländische lustizbehörde übersandt werden, in deren Bezirk der Adressat sich authält. Diese Behörde filhrt die Zustellung nach ihren nationalen Vorschriften aus. Der im ZPÜ 1954 vorgesehene konsularische Weg muß nicht eingehalten werden; der Umweg über die Zentrale Behörde des HZÜ 1965 erübrigt sich. Der behördliche Direktverkehr unter den bilateralen Zusatzvereinbarungen stellt gegenwärtig die einfachste und kostengünstigste Form der Auslandszustellung dar. Der Großteil der Zustellungen in die westeuropäischen Nachbarstaaten wird auf diesem Weg bewirkt213 • Die Abkommen sind technische Ergänzungen zu den Zustellungsübereinkommen, die deren Anwendungsbereich nicht erweitern oder verengen. Sie stellen mit dem unmittelbaren Behördenverkehr lediglich einen weiteren Übermittlungsweg zur Verfiigung, wenn eine Auslandszustellung erforderlich ist214 • Die Zusatzvereinbarungen dienen somit der Vereinfachung der Auslandszustellung, ohne die Möglichkeiten der InlandYzustellung zu beschneiden. Aus belgiseher, französischer und niederländischer Sicht geht es nur um die Übermittlung der Mitteilung, daß die Zustellung im Inland erfolgt ist21S Das ist im Text der jeweiligen Vereinba-

209 Vereinbarung vom 30.4.1910, RGßI. S.674, in Kraft seit 1.6.1910, ßek. v. 7.5.1910, RGßI. S.674, und Abkommen vom 24.1 2. 1929, RGBI.19301l,S.I, in Kraft seit 1. 1.1930, Bek. v.31.12.1929, RGBI. 1930II,S.1. 210 Abgedruckt bei Bülow/BöckstiegelI, S. 102.1 ff. (AbschnittAl I c). 211 Notenwechsel vom 17.2.129.5.1958, in Kraft seit dem 22.5.1958, Bek. v. 25.3.1959, BAnz. Nr. 73/59. 212 Jeweils Art. 1 der Vereinbarungen; mit Schweden ist der unmittelbare Behördenverkehr nicht vorgesehen. Daneben verständigten sich die Vertragsparteien auf Vereinfachungen hinsichtlich der im Schriftwechsel zu verwendenden Sprache, der Auslagenerstattung und der Weiterleitung an die zuständige Behörde im Bestimmungsstaat. 213 Nach einer älteren Schätzung werden gut 50% der von Deutschland ausgehenden und rund 80% der eingehenden Zustellungsersuchen im unmittelbaren Geschäftsverkehr erledigt; vgl. Denkschrift zum HZÜ, BT-Drs. 7/4892, S. 38. 214 Vgl. ausdrücklich Art. 1 der deutsch-dänischen und der deutsch-Iuxemburgischen Vereinbarungen: "ist den deutschen und den dänischen (luxemburgischen) gerichtlichen Behörden der unmittelbare Geschäftsverkehr miteinander in allen Fällen gestattet, in denen durch das Abkommen der Rechtshilfeverkehr in Zivil- und Handelssachen filr die Mitteilung ... geregelt ist". 215 Gemäß Art. 40 des belgisehen Code Judiciaire, Art. 684 des französischen NCPC bzw. Art. 4 Nr. 8 des niederländischen Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering.

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I.Teil: Völkerrechtliche Grundlagen der Inlandszustellung an Ausländer rungen dadurch zum Ausdruck gekommen216, daß von einer ,,zustellung" gesprochen wird, wenn es um die Übermittlung von Deutschland nach Belgien, Frankreich und in die Niederlande geht217, im umgekehrten Verhältnis aber nur davon die Rede ist, daß die Schriftstücke "flIr Personen in der Bundesrepublik Deutschland bestimmt sind'