Inklusion als Entwurf: Teilhabeorientierte Forschung über, für und durch Design 9783035620214, 9783035620207

Wie wir Dinge gestalten, hat einen maßgeblichen Einfluss darauf, was oder wen wir als "normal" oder "norm

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Inklusion als Entwurf: Teilhabeorientierte Forschung über, für und durch Design
 9783035620214, 9783035620207

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Bird
Einleitung – Kontext Und Forschungsbedarf
1. Behinderung Als Gegenstand Der Designforschung
2. Design Als Forschungsparadigma
3. Teilhabe Verwirklichen – Fallstudien
4. Eckpfeiler Einer Sozialverantwortlichen Technikentwicklung – Diskussion
5. Design Und Inklusion – Positionen Und Operationsfelder Der Gestaltung
6. Fazit
7. Ausblick
Anhang

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Inklusion als Entwurf

Board of International Research in Design, BIRD

Members: Michelle Christensen Michael Erlhoff Sandra Groll Wolfgang Jonas Gesche Joost Ralf Michel Marc Pfaff

Advisory Board: Lena Berglin Cees de Bont Elena Caratti Michal Eitan Bill Gaver Orit Halpern Denisa Kera Keith Russell Doreen Toutikian Michael Wolf John Wood

Tom Bieling

Inklusion als Entwurf Teilhabeorientierte Forschung über, für und durch Design

Birkhäuser Basel

„Gesellschaftlicher Fortschritt ist nur über Minderheiten möglich, Mehrheiten zementieren das Bestehende.“ Betrand Russel

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort BIRD 

011

Einleitung – Kontext und Forschungsbedarf

013

1 Behinderung als Gegenstand der Designforschung 1.1 Dis/Ability – Disziplinäre ­A nnäherungen an Behinderung­

029 029

1.1.1 Behinderung als soziale, historische 031 und kulturelle Konstruktion 1.1.2 Integriertes Modell von Behinderung 033 1.1.3 Disziplinübergreifendes Forschungsund Handlungspotenzial 034 1.1.4 Forschungslücke: Gestaltung 1.2 Design und Behinderung 1.2.1 Behinderungsbegriffe im Kontext von Design

035 036 037

1.2.2 Universal und Inclusive Design

039

1.2.3 Die Krux der Universalisierung

042

1.2.4 Historische Einordnung eines Leitbildes 043 1.2.5 Disziplinübergreifendes Erkenntnis­ potenzial 047 1.2.6 These 1: Gestaltungsdilemma

048

1.2.7 These 2: Behinderungsperspektiven als Innovationstreiber 052 1.3 Diskussion

006  INKLUSION ALS ENTWURF

056

1.3.1 Stigmatisierung durch Design

058

1.3.2 Das Problem der Problemlösungs­ orientierung im Design

058

1.3.3 Vier Positionen und Konse­ quenzen des Designs in Bezug auf Behinderung

059

1.3.4 Designforschung als Behinde­ rungsforschung?

062

2 Design als Forschungsparadigma

075

2.1 Soziale und politische Dimensionen von Gestaltung

075

2.2 Partizipativer Forschungsansatz

080

2.2.1 Partizipative Forschungsansätze in der Designforschung

080

2.2.2 Partizipative, inklusive und emanzipatorische Forschungs­ ansätze in den Disability Studies

082

2.2.3 Zusammenführung – Design­ forschung als behinderungs- und ­d iversitätssensible Forschungs­ perspektive 083 2.3 Der „Entwurf“ als epistemische Praxis

085

2.4 Entwurfsbasierter Forschungsansatz

087

2.5 Zusammenführung

089

3 Teilhabe verwirklichen – Fallstudien

097

3.1 Fallstudie I: „Deaf Jam“ Partizipative Designprozesse mit Gehörlosen und Hörbehinderten 3.1.1 Deaf StreetLab: WorkshopFormat zur Themenannäherung und Ideen­g enerierung

101

102

3.1.2 Deaf Jam I: Workshop-Format zur Ideengenerierung und Evaluierung 105 3.1.3 Deaf Jam II: Workshop-Format zur ­s zenariobasierten Konzeptiona­ lisierung und videoprototypischen ­P rojektion, Evaluierung sowie Synthese in eine funktionsfähige technische L ­ ösung

111

3.1.4 Reflexion der Fallstudie I

125

INHALTSVERZEICHNIS 007

3.2 Fallstudie II: „Interaktiv inklusiv – Tools for ­E mpowerment“. Entwicklung von Kommu­ nikationsgeräten für und mit Taubblinden 129 3.2.1 Ausgangspunkt

129

3.2.2 Entwurfsziel

134

3.2.3 Entwicklungsprozess

135

3.2.4 Re-Framing und kontextübergreifendes Potenzial der Lorm Devices 156 3.2.5 Reflexion der Fallstudie II 3.3 Erprobung im Unterricht

158 163

3.3.1 Ambivalenz simulativer Selbstversuche

164

3.3.2 Simulativer Selbstversuch – One Day blind in Berlin (Vorstudie A)

167

3.3.3 Partizipative Exploration (Vorstudie B)

172

3.3.4 Reflexion der Vorstudien

180

3.3.5 Studienprojekt: „Against Normality“ 181 3.3.6 Reflexion der Erprobung im Unterricht 194

4 Eckpfeiler einer sozialverantwortlichen Technikentwicklung – Diskussion

008  INKLUSION ALS ENTWURF

216

4.1 Dynamische Prozessverläufe

218

4.2 Gefahren der Außenperspektive

219

4.3 Rollenverteilung der Akteure

221

4.4 Konsequenzen

222

4.4.1 Untersuchungskontexte

222

4.4.2 Forschungs- und Designmethodik

223

4.4.3 Theorie und Praxis

225

4.5 Design- und Behinderungsforschung im Theorie- und Praxisfokus

227

4.6 Einordnung und Abgrenzung: Bewertungs­k riterien für eine trans­ disziplinäre ­Designforschung

228

5 Design und Inklusion – Positionen und Operationsfelder der Gestaltung

233

5.1 Inklusion, nicht Integration

233

5.2 Design von, für, durch und als Inklusion

235

5.3 Perspektiven für Designforschung

238

6 Fazit

243

7 Ausblick

253

7.1 Akteure und Stakeholder

253

7.2 Marktpotenziale und ­u nternehmerische ­Perspektiven

254

7.3 Beispiel Gender

256

7.4 Bündelung von Kompetenzen

257

7.5 Open Inclusion im Modus 2

257

7.6 Designforschung als Prototyp

258

7.7 Internet of Everyone

259

7.8 Interrogatives Design

260

7.9 Designdidaktik

261

7.10 F orschungspotenzial jenseits der Disziplin 2 62 7.11 Mensch 2.0

Anhang

263 269

Danksagung Bibliografie Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Autor

INHALTSVERZEICHNIS 009

VORWORT BIRD  Das Board of International Research in Design, BIRD, bereichert den Diskurs im Design durch die Publikation relevanter Beiträge zur Designforschung. Doch welche F ­ orschenden adressieren tatsächlich relevante Situationen, argumentieren neue Positionen und erzeu­gen experimentell neue Perspektiven für das Design wie für die Gesellschaft? Bisweilen finden wir Antworten auf diese Fragen in hervorragenden Promotionen von Designwissenschaftlern und Designforschenden. Eine solche hat Tom Bieling geschrieben. Designgetriebene Experimente sind die Basis seiner wissenschaftlichen Unter­ suchungen, und sie deuten auf eine in Veränderung befindliche Realität, in der die Disziplinen des Designs bisher vor allem auf funktionaler Ebene Neues erzeugt haben. Tom Bieling setzt sich mit den mannigfaltigen Bezügen von Design und Behinderung aus der Perspektive der Inklusion auseinander. Er fragt, welche Hauptaufgaben dem Design in Bezug auf Behinderung zukommen und welche Rolle Design in Bezug auf soziale Inklusion überhaupt spielen kann. Diese wegweisenden Fragen entstehen vor dem Hintergrund seiner Beobachtung, dass Behinderung auch durch Gestaltung konstruiert wird. Wenn dies so ist, so seine Annahme, dann kann sie durch Gestaltung auch dekonstruiert werden. Folgerichtig entfaltet der Designforscher seine ambitionierten Experimente, die das Potenzial technischer Entwicklungen in bisher nicht gekannte Kontexte stellen. ­Angelehnt an Anderberg, folgt sein Konzept der Ansicht, dass „Körper und die zahlreichen uns (nicht) zur Verfügung stehenden Artefakte gemeinsam ein System ergeben, welches es uns entweder ermöglicht oder aber erschwert (behindert), gewünschte Handlungen zu vollziehen“. Und seine Forschungen überzeugen, weil er auf der Basis von gestalterisch und technisch anspruchsvollen Designinterventionen und partizipativen Methoden ­belegt, wie die Dekonstruktion von Behinderung gelingen kann. Besonders eindrücklich dokumentiert sich dies in den Experimenten und Entwicklungen des Lorm Glove (­Seiten 129–162), einem Kommunikationsgerät für Taubblinde.  Bielings Arbeit ist herausragend im Sinne der human centeredness. Und mehr noch: Sie argumentiert gesellschaftszentriert. Sein Anspruch folgt der Überzeugung, dass die Welt gestaltbar ist, und er erzeugt hier einen durch Gestaltung maßgeblich getriebenen Erkenntnisgewinn: Was sich banal liest, entfaltet seine Konsequenz in der folgenreichen Durchdringung systematischer Zusammenhänge durch das Gestalten alternativer Handlungsweisen. Diese Forschungen liefern die Grundlagen für ein integriertes Modell von Behinderung, das medizinische, soziokulturelle, dinghafte und gestalterische Aspekte einbezieht. So eröffnen sie neue Perspektiven für die Formen des Umgangs mit Behinderung. Das ist ein guter Anfang.

Ralf Michel Board of International Research in Design (BIRD)

VORWORT BIRD  011

EINLEITUNG – KONTEXT UND ­FORSCHUNGS­BEDARF Im Rahmen dieser Arbeit beschäftige ich mich mit den Zusammenhängen zwischen Gestaltung1 und Behinderung2 sowie insbesondere mit den darin verankerten Herausforderungen und Potenzialen für gestaltende Disziplinen. 3 Ich betrachte den Gegenstand meiner Untersuchung aus der Perspektive der Designforschung, was bedeutet, dass Design4 hier sowohl als Forschungsgegenstand als auch als Methode wissenschaftlicher Erkenntnis fungiert. Ausgehend von der Frayling’schen Unterteilung von Designforschung in drei mögliche Kategorien, birgt die Arbeit sowohl Aspekte einer Forschung für Design, als auch einer solchen über Design und durch Design.5 Der Arbeit liegt dabei folgende Entwicklung zugrunde.

Kontext und Problemfeld Demografischer Wandel auf der einen und technologischer Fortschritt auf der anderen Seite führen zunehmend dazu, Behinderung6 anders zu definieren, als es bislang häufig der Fall war. Zum einen erhöht sich im Zuge einer weltweit wachsenden Lebenserwartung „die Wahrscheinlichkeit, eine ‚Behinderung‘ zu erwerben und/ oder dauerhaft auf Pflege anderer angewiesen zu sein“ (Tervooren 2002, 1). Behinderung wird somit zunehmend zu einer universellen gesellschaftlichen Erfahrung. Fragen nach dem Umgang mit Behinderung, nach gesellschaftlichen Normen und Werten müssen daher neu gestellt werden, will man verhindern, dass ein großer Teil der Bevölkerung an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wird (Hermes 2006, 28). Zum anderen führen technisch unterstützende Hilfsmittel, wie z. B. Prothesen oder Assistenzsysteme, vermehrt zur Kompensierung sogenannter körperlicher Schwächen und Defizite, woraus sich wiederum neue Herausforderungen für den Umgang mit technisch getriebenen Körpermodifikationen ergeben. Dies verdeutlicht sich auch an den aktuellen Diskursen rund um „Enhancement“7 oder „Techno-­Doping“,8 der „Cyborg“-Debatte9 oder eigenständigen philosophischen Denkrichtungen wie dem Transhumanismus.10 Wie lässt sich Behinderung angesichts möglicher und tatsächlicher Neu-­ Definierungen des menschlichen Körpers also charakterisieren? Hierfür empfiehlt es sich, die Kategorie „Behinderung“ nicht einzig auf Körperbeschaffenheiten des einzelnen Menschen zu reduzieren, sondern diese vielmehr als Teilaspekt von netzwerkartigen Handlungszusammenhängen zu verstehen, bei denen auch soziale Prozesse, kulturelle Konstrukte oder gestaltete Umwelten von Bedeutung sind.11

EINLEITUNG – KONTEXT UND ­FORSCHUNGS­B EDARF  013

Stand der Forschung Behinderung und die Phänomene verkörperter Diversität als historische, soziale und kulturelle Konstruktion zu verstehen und zu analysieren, ist Ausgangspunkt für die Disability Studies,12 die sich insbesondere darauf konzentriert haben, alternative Perspektiven zu eröffnen, anhand derer sich z. B. rein medizinische oder heil­pädagogische Annäherungen an Behinderung korrigieren oder zumindest erweitern lassen. Wie später noch näher erläutert wird, stellen die Disability Studies dem Medizinischen Modell („medical model“) das Soziale Modell („social model“) von Behinderung gegenüber (vgl. Barnes 2013). Dem sozialen Modell zufolge ist nicht ­die Ebene der gesundheitlichen „Schädigung“ entscheidend, sondern der soziale Prozess der Benachteiligung (Waldschmidt/Schneider 2007, 11). Vergleicht man beide Modelle miteinander, ergeben sich Möglichkeiten ­einer kritischen Reflexion fundamentaler Ordnungskonzepte, die sich etwa in ­Gegensatzpaaren wie „Normalität und Abweichung“, „Unversehrtheit und Dysfunktion“, „Vollkommenheit und Fehlerbehaftung“ oder „Gesundheit und Krankheit“ manifestieren. Wie gezeigt werden wird, hängt die Positionierung eines Menschen im Koordinatensystem solcher Ordnungskonzepte nicht ausschließlich von körperlichen oder geistigen Beschaffenheiten ab, sondern auch und insbesondere von der ihn um­ gebenden Weltgestaltung. Behinderung wird also auch durch Gestaltung mit kon­ struiert, was im Gegenzug wiederum bedeutet, dass Behinderung sich auch durch Gestaltung dekonstruieren lässt. Eine solche Dekonstruktion kann auf zwei Ebenen erfolgen, die nicht selten in engem Zusammenhang zueinanderstehen: Zum einen kann Design im praktischen Sinne assistieren und dabei körperliche Defizite nichtig erscheinen lassen – etwa indem ein fehlendes Bein durch eine Beinprothese ersetzt wird. Zum anderen kann durch derartige Interventionen eine Bedeutungsverschiebung entstehen. Beispielsweise dann, wenn körperliche Beschaffenheiten allein nicht mehr als Hauptkriterium zur Klassifizierung von Menschen als „normal“ oder „anders“ gelten. Eine solche Verschiebung der Bedeutungsebenen kann wiederum in mindestens zwei unterschiedliche Richtungen erfolgen. Zum einen kann sich daraus ergeben, dass Aspekte der Körperbeschaffenheit (insbesondere aus der Sicht von Außenstehenden) als weniger relevant empfunden werden. Denn in dem Moment, in dem ein Mensch mit Behinderung bestimmte Tätigkeiten auf gleiche Weise wie die Mehrheitsgesellschaft auszuführen imstande ist, kann dies zur Folge haben, dass der ursprüngliche Aspekt „Behinderung“ weniger augenscheinlich und somit weniger zum Diskussionsgegenstand wird. Dies gilt vor allem dann, wenn der gestalterische „Eingriff“ (also beispielsweise eine Prothese) von Außenstehenden nicht oder nur kaum wahrgenommen wird. Andernfalls kann sich auch ein gegenteiliger Effekt ergeben. Nämlich vor allem dann, wenn der gestalterische Eingriff „übermenschliche“ Fähigkeiten erwirkt. Denn in dem Moment, in dem die Beinprothese ihre Trägerin oder ihren Träger

014  INKLUSION ALS ENTWURF

dazu befähigt, schneller zu laufen und weiter zu springen als andere Menschen, ­erlangt die Frage zum Stellenwert von Technik13 und deren Gestaltung eine neue ­Bedeutungsebene: Dem ursprünglichen Kompensationsansatz wird ein Konzept des technisch getriebenen Körper-Dopings entgegengestellt. Und die Deutungs­ weisen hinsichtlich dessen, was „normal“ ist, oder auch Fragen hinsichtlich der Rollenverteilung von „Körper“ und „Technik“ müssen abermals justiert werden.14 ­Design fällt somit eine Schlüsselrolle zu.

Hypothese: Untrennbarkeit von Gestaltung und Behinderung Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Hypothese eines grundsätzlichen Zusammenhangs von Gestaltung und Behinderung. Zwei unterschiedliche Phänomene – „behindert sein“ und „behindert werden“15 – scheinen unweigerlich miteinander verbunden. So wird sich ein Rollstuhlfahrer – und mit ihm vielleicht umstehende Personen – seiner Behinderung insbesondere meist dann bewusst, wenn sich ihm Treppen oder Bürgersteige entgegenstellen. Dinge also, die von Menschenhand geschaffen und gestaltet sind und die durch eine andere Beschaffenheit und Gestaltung den wahrgenommenen Grad einer „Behinderung“ modifizieren können – etwa durch Einbau einer Rampe. Die Frage, wie Außenstehende und „Betroffene“ Behinderung wahrnehmen oder definieren, ist somit zwangsläufig an Gestaltungsfragen gekoppelt. Generell folgt diese Arbeit der Grundannahme, dass Design Einfluss auf das Gesamtkonstrukt Behinderung hat. Peter Anderberg formuliert das so: „The body and the various technical artefacts around us make up a system that enables or dis­ ables us to perform desired actions“ (Anderberg 2005, 5). Das bedeutet, Körper und die zahlreichen uns (nicht) zur Verfügung stehenden Artefakte ergeben gemeinsam ein System, welches es uns entweder ermöglicht oder aber erschwert bzw. verweigert (behindert), gewünschte Handlungen zu vollziehen. Manifestiert in ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Konzepten, individuellen Wünschen, Vorstellungen und Interessen, stellt Design mitsamt seinen Konsequenzen, dem Gebrauch und seinen Bedeutungen somit ein interessantes Untersuchungsfeld dar.16

Forschungsbedarf In ihren Klassifizierungen zwischen „medizinisch diagnostizierbar“ und „­kulturell konstruiert“ unterliegt Behinderung seit jeher vielschichtigen, mitunter wechselnden Denkmodellen und somit Bewertungs- und Verständniskriterien. Diese variieren mitunter merklich in geografischen, historischen, kulturellen, terminologischen oder generell situativen Kontexten.17 Eine Perspektive auf und aus der

EINLEITUNG – KONTEXT UND ­FORSCHUNGS­B EDARF  015

­ esign-Disziplin ist bis dato kaum vorhanden, die Rolle von Gestaltung daher unD zureichend reflektiert. Die vorliegende Arbeit liefert einen grundlegenden Baustein zu einer veränderten Sichtweise. Es stellt sich die Frage nach den Aufgabenbereichen und Möglichkeiten von Design in Bezug auf Behinderung. Geht man davon aus, dass eine der Hauptauf­ gaben von Design darin besteht, Handlungsbedürfnisse potenzieller oder faktischer Nutzerinnen und Nutzer zu adressieren und dabei vielleicht gar Handlungs­ an­weisungen zu geben, so stellt sich die Frage, wie diese Konstellation im Kontext von Behinderung aufzugreifen ist. Weiter gefasst ergeben sich hieraus Ableitungen in Bezug darauf, was die Aufgaben und Möglichkeiten von Design überhaupt sind. Zwei Leitfragen liegen der Arbeit dabei zugrunde: Welche spezifische Rolle kommt dem Design in Bezug auf Behinderung zu? Und welche Rolle kann Design in Bezug auf soziale Inklusion spielen?18

Zielsetzung der Arbeit Ziel ist es, Grundlagen für ein integriertes Model von Behinderung in der Designforschung (und somit für die Designtheorie und -praxis) zu formulieren. Ein Modell das medizinische, soziale und kulturelle, dinghafte und gestalterische Aspekte von Behinderung mit einbezieht und somit neue Formen des Umgangs mit Behinderung aus der Perspektive des Designs aufzuzeigen vermag. In dieser Arbeit soll dabei nicht zuletzt der Frage auf den Grund gegangen werden, wie stark eine von Design ausgehende normative Kraft im Kontext sozio-­ materieller Verknüpfungen zu bewerten ist, in dem es etwa ästhetische Leitbilder von menschlicher (aber auch Artefakt-bezogener) Perfektion transportiert; oder aber in dem es Lebenswelten nicht nur zugänglich, sondern auch unzugänglich macht. Der Begriff „Normativ“ bezieht sich auf die Regulierung sozialer Konstellationen und Aktivitäten (z. B. durch gesellschaftliche oder kulturelle Strukturen und Werteordnungen, ethische Maßstäbe oder auch rechtliche Vorschriften). Aus soziologischer Perspektive werden jene sozialen Vorgänge als normatives Verhalten charakterisiert, die darauf abzielen, etwas gesellschaftlich akzeptabel zu machen oder ihm innerhalb einer Wertegemeinschaft Regelkonformität zu verleihen, es also zu „normalisieren“. Wenn nun also von der normativen Kraft die Rede ist, die von Design ausgeht, dann ist damit ein bestimmter Einfluss auf (soziales) Verhalten gemeint, welches (bewusst oder unbewusst) orientiert ist an einem bestimmten, ins ­Design „eingeschriebenen“ oder durch das Design kommunizierten Rollen-, Werte-, Nutzungs- oder Handlungsverständnis. Maßgeblich zu beleuchten ist also der Einfluss von Design als Praktik19 auf das komplexe Phänomen Behinderung im Sinne einer kulturell verankerten, künstlich erzeugten und gesellschaftlich praktizierten sozialen Ausgrenzung.

016  INKLUSION ALS ENTWURF

Daraus abgeleitet, gilt es zweierlei aufzuzeigen: zum einen, wie Design dazu ­ eitragen kann, Inklusion zu befördern, und umgekehrt, wie ein Inklusions­ b verständnis dazu beitragen kann, Design zu informieren bzw. es zu verbessern. ­Design soll in diesem Sinne nicht als Lösung zur „Korrektur“ von Behinderung verstanden werden, sondern als Möglichkeit, Auswege aus exkludierenden sozialen Systemen und Prozessen zu eröffnen und zu beschreiten.

Forschungsfragen Die aus dieser Zielsetzung abgeleitete Forschungsfrage lautet folgendermaßen: Welchen Beitrag kann eine inklusiv ausgerichtete Designforschung dazu leisten, Verständnisse von und Umgangsweisen mit Behinderung zu transformieren? Im Zuge der – in Kapitel 3 beschriebenen – Fallstudien werden hieraus zwei Design­ fragen extrahiert, nämlich: Wie kann einer Verobjektivierung20 von „Betroffenen“ in und durch Designforschung entgegengewirkt werden (Fallstudie I)? Und wie kann die Gestaltung digitaler Schnittstellen dazu beitragen, hörsehbehinderten21 Menschen Zugang zu Wissen und digitaler Bildung zu ermöglichen und dadurch Teilhabe zu fördern sowie soziale Abhängigkeiten zu verringern (Fallstudie II)? Die erste Frage zielt dabei vorrangig auf Aspekte der Gestaltungskompetenz in Bezug auf soziale Aspekte. Die zweite Frage schließt zudem konkret technisch-­ gestalterische Fragen mit ein. Beidem liegt die Annahme und Beobachtung zugrunde, dass im Versuch, soziale Innovation22 und Teilhabe zu ermöglichen, Menschen oft als passive, hilfsbedürftige Rezipienten konzipiert werden. Dies zeugt von einem Rollen­ verständnis, durch welches ein soziales Ungleichgewicht jedoch häufig erst reproduziert und gefestigt wird. Die Fallstudien sollen als Versuch gelten, heraus­zufinden, wie sich die Rollen „Betroffener“ im Gestaltungsprozess und anhand von Gestaltungsresultaten anders interpretieren lassen. Die technische Komponente kann hierbei Möglichkeitsräume eröffnen, marginalisierten Gruppen neue Handlungs­optionen und Beteiligungsformen bereitzustellen, und dabei nicht zuletzt einer digitalen ­Spaltung entgegenzuwirken.23 Fasst man die beiden Designfragen zusammen, ließe sich als übergeordnete Designfrage formulieren, wie Design ganz praktisch Prozesse aufgreifen, entwickeln und ermöglichen kann, die inklusiv wirken.

Gestalterisches Erkenntnispotenzial Die Querverlinkungen von Design und Behinderung aufzudecken und konstruktiv zu befragen bedeutet letztlich auch zu ergründen, inwiefern beide Aspekte – Design und Behinderung – sich gegenseitig bedingen (können). Dies schließt die Frage

EINLEITUNG – KONTEXT UND ­FORSCHUNGS­B EDARF  017

mit ein, inwiefern Erfahrungswissen24 aus Behinderungskontexten generell Gestaltungsprozesse bereichern und somit letztlich inklusionsfördernd sein kann. Die ­Lebenswirklichkeit von Menschen mit Behinderungen steht somit ebenso im Fokus wie der kausale Zusammenhang einer sozialen zur dinglichen Welt.25 Aus dieser Verzahnung wird auch die epistemische Wirksamkeit von Designforschung deutlich, also die Frage, inwiefern und auf welche Weise in der Designforschung Wissen, Erkenntnis oder andere Formen der Überzeugung generiert werden können. Im Vorhaben, das Themenfeld Behinderung und damit in Ver­ bindung stehende (z. B. gestalterische, technische, soziale) Phänomene in ihrer Komplexität zu erfassen und einer gestaltungstheoretischen und -praktischen Betrachtungsweise zugänglich zu machen, spielen Designtheorie und -praxis ein­ ander ebenbürtige Rollen. Das Spannungsverhältnis aus den Koordinaten Designpraxis und Behinderung dient im Rahmen dieser Arbeit als Grundlage einer empirisch erfahrbaren Praxis. Die theoretischen und praktischen Bezüge der Designforschung dienen dabei als Metaebene zur Formulierung einer praxisorientierten Gestaltungstheorie. Damit einher geht ein Verständnis, dass es sich bei Designforschung um eine im Wesentlichen transdisziplinäre Ermittlungsform handelt (vgl. Shapiro 2017, 27), der ein starker Alltagsbezug und das Interesse an praxisrelevanten Themen innewohnt. Deren Annäherungen können und müssen nicht ausschließlich analytisch sein, sondern sind – in Analogie zum Design/Entwurf26 – insbesondere auch projektiv (vgl. Jonas 2000). In ihrer Absicht, als Designforschung nicht nur das Tatsächliche zu beschreiben, sondern auch das (Un-)Mögliche zu ergründen, soll diese Arbeit in erster Linie Gestaltungsdisziplinen informieren und vermag in zweiter Konsequenz womöglich auch jenseits des Designs befindliche Denk- und Handlungs­ welten ­anzuregen.

Prinzip Teilhabe Design und seine Auswirkungen in sozialen Zusammenhängen intensiv zu ergründen heißt auch, den Zusammenhang von Gestaltung und dem Selbst- und Fremdverständnis derer zu untersuchen, die unmittelbar von dieser Gestaltung betroffen sind. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, etwaige Forschungs- und Gestaltungsfragen gemeinsam mit den sie betreffenden Menschen und Institutionen zu formulieren und auch gemeinsam mit ihnen zu entschlüsseln. In dieser Arbeit werden daher Ansätze, Motivationen und Ausführungen von nutzerzentrierten27 und partizipativen Designpraktiken untersucht und angewandt, wobei sich aufschlussreiche Parallelen zu Motivationen, Ansätzen und Ausführungen partizipativer Forschungsansätze der Disability Studies ergeben. Ausgangspunkt der Disability Studies, die zum Teil aus dem Disability Rights Movement28 hervorge-

018  INKLUSION ALS ENTWURF

gangen sind, ist die Forderung zum aktiven Miteinbezug von Menschen mit Behinderungen in Forschungs- und Entscheidungsprozesse. Das bedeutet, diese Prozesse explizit aus der Perspektive der „Betroffenen“29 zu vollziehen.30 Ins Blickfeld rückt dabei der Leitspruch: „Nothing about us, without us!“31 Denn sowohl in der Forschung als auch in der Gestaltung stellt sich die Frage: Wer forscht über wen? Wer gestaltet für wen?32 Welche Machtgefüge entstehen oder werden zementiert durch die hierarchische Konstellation von Handelndem und Behandeltem? Welchen Einfluss hat diese Subjekt-Objekt-Relation auf die (Forschungs- oder Gestaltungs-)Ergebnisse? Und welche Wirkung haben die Ergebnisse wiederum auf weitere Vorgehensweisen oder künftige Konstellationen, etwa in Form eines sich tradierenden Norm- oder Rollenverständnisses? Gerade in Bezug auf gestaltete Objekte, Prozesse und Systeme wird die Wichtigkeit solcher Fragestellungen deutlich. Im Bewusstsein des kulturellen und poli­tischen Wirkungskreises gestalteter und für eine Verwendung vorgesehener Artefakte verdeutlicht sich auch deren gesellschaftliche Relevanz. Diese kommt insbesondere dadurch zum Ausdruck, dass durch den Gebrauch und eben auch durch die (Un-)Zugänglichkeit dieser Artefakte über Strukturen und Formatierungen sozialer Prozesse und Belange implizit mitentschieden wird. Die Frage nach Inklusion oder ­Exklusion ist somit unweigerlich auch eine Gestaltungsfrage. Vor diesem Hintergrund wird in der Arbeit aufgezeigt, dass Designprozesse häufig dazu tendieren, Denk- und Handlungsmuster, die sich aus dem medizinischen Modell von Behinderung und dem darin praktizierten „klinischen Blick“33 ergeben, bewusst oder unbewusst zu übernehmen und somit entsprechende Machtstrukturen zu untermauern. Solche Machtstrukturen können sich durch mindestens zwei Designbezüge ausdrücken: Entweder indem Menschen bestimmte Gestaltungsobjekte nicht (adäquat) nutzen können und somit im sozialen System und aufgrund von Gestaltungsprozessen zu „Behinderten“ gemacht werden. Oder aber indem Menschen mit Behinderungen als adressierte Nutzer zu (Hilfs-)Bedürftigen degradiert werden, das heißt ihre körperliche oder geistige Beschaffenheit als eigentliches „Problem“ lokalisiert wird, welches als normabweichend verstanden und durch Gestaltungslösungen „behoben“ wird. Wie gezeigt werden wird, kann ein­ ­Gestaltungsdilemma34 gerade dann entstehen, wenn ein Design explizit für (­gemeint ist eigentlich: gegen) Behinderung intendiert ist. Da davon ausgegangen werden kann, dass derartige Herausforderungen umso eklatanter werden, wenn Design aus externer Perspektive, also mit einem „Blick von außen“35 praktiziert wird, rückt die vorliegende Arbeit den Aspekt des „Behinderungswissens“ ins Zentrum des Interesses. Gemeint ist sowohl Wissen über behinderungsrelevante Sachverhalte, als auch Wissen aus Behinderungskontexten heraus (z. B. Erfahrungswissen von Gehörlosen, Blinden oder Taubblinden). Die Zusammenführung von externen Perspektiven (dem Wissen „über“ etwas oder jemanden) und internen Perspektiven (dem Wissen aus etwas heraus) ist gerade für nachhaltige36 Gestaltungsprozesse von Bedeutung. Zumal dann, wenn davon a­ usgegangen

EINLEITUNG – KONTEXT UND ­FORSCHUNGS­B EDARF  019

werden muss, dass es sich bei Gestalterinnen und Gestaltern nicht immer um vollumfängliche Experten einer von ihnen adressierten Sachlage handelt.

Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit versammelt und diskutiert somit zwangsläufig Erkenntnisse sowie Deutungs- und Betrachtungsweisen unterschiedlicher Forschungskontexte und Denkschulen, wobei sie stets darauf ausgerichtet ist, deren Bezugsmöglich­ keiten zur Designforschung und -praxis aufzuzeigen und einzuleiten. Im ersten Kapitel wird dabei zunächst veranschaulicht, in welchen Diskursen das Forschungsthema zu verorten, und vor welchem Hintergrund technologischer und sozialer Entwicklungen es zu verstehen ist. Hierzu erfolgt eine Auswertung von Literatur, die neben relevanten Diskursen in der Designforschung insbesondere auch solche aus den Bereichen der Disability Studies sowie der Diversity- und Teilhabe-Forschung untersucht. Der Stand der Forschung wird hierfür in Bezug auf u ­ nterschiedliche, z. B. soziologische, kulturwissenschaftliche und gestaltungs­bezogene Konzeptionen und Modelle zum Themenkomplex „Behinderung“ dargelegt. Das Hauptaugenmerk gilt dabei möglichen Schwierigkeiten und Diskrepanzen, die sich aus den jeweiligen Deutungs- und daraus ableitbaren Handlungsweisen ergeben können. Um das ambivalente Verhältnis von Gestaltung zu Normalitätskonstrukten37 zu erfassen, ist es notwendig, zentrale Perspektiven auf das Design und aus dem Design heraus neu zu verhandeln. Zu diesem Zweck werden im Verlauf des ersten Kapitels designtheoretische und -praktische Ansätze untersucht, die im Laufe der Zeit unter verschiedenen Begriffen Verbreitung gefunden haben (z. B. „Universal Design“, „Inclusive Design“, „Design for All“). Ausgegangen wird dabei von der Kernthese eines grundsätzlichen Zusammenhangs von Gestaltung und kontextgebundenen Deutungsweisen von Behinderung. Diese These wird hierzu in drei Unterthesen veranschaulicht und diskutiert. Dabei wird zunächst ein gestalterisches Interventionspotenzial im Kontext von Behinderung deutlich. Zugleich wird jedoch auch offengelegt, dass dieser Konstellation ein Gestaltungsdilemma innewohnt. Schließlich wird aufgezeigt, inwiefern Behinderung aus gestalterischer Perspektive auch über innovationstreibendes Potenzial verfügt. Inwiefern sich Designforschung im behandelten Themenkomplex als Inves­ tigationsmedium eignet, dessen Erkenntnisse sich sowohl für einen gestaltungstheoretischen, einen forschungs- und entwicklungspraktischen sowie für einen gesellschaftlich-politischen Diskurs zugänglich machen lassen, ist Gegenstand von Kapitel 2. Darin werden zwei komplementäre Forschungsansätze als methodischer Rahmen für die in Kapitel 3 dargelegten Fallstudien verhandelt: einem partizipa­ tiven und einem entwurfsbasierten Ansatz.

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Zur Einordnung der Ausgangspositionen, Potenziale und Herausforderungen dieser beiden Forschungsansätze werden zwei zentrale Aspekte in Bezug auf Design als Forschungsparadigma herausgearbeitet: zum einen die Diskursentwicklung hinsichtlich der sozialen und politischen Dimension von Gestaltung, zum anderen verschiedene Standpunkte zur Rolle des Entwurfs als epistemische Praxis. Es geht also zum einen um soziale Aspekte des Designs, etwa in Bezug auf Teilhabe oder auf die Demokratisierung von Wissen und Gestaltung, zum anderen geht es um eine Qualität der Designforschung als entwerfende, intervenierende, anwendungsorientierte, prototypische Form der Erkenntnisgewinnung. Diese beiden Blickrichtungen sind in dem Sinne als designdiskursive und gestaltungspraktische Kontexte zu verstehen, die entscheidend zur Entstehung und Entwicklung von partizipativen und entwurfsbasierten Designforschungsansätzen beigetragen haben. Anhand des partizipativen Forschungsansatzes werden im Verlauf der Arbeit unterschiedliche Ziel- und Nutzergruppen in Augenschein genommen und exemplarisch Fragestellungen, Schwierigkeiten, Potenziale und Eigenarten in Bezug auf bestimmte Handlungs-, Aneignungs-, Verhaltens- oder Nutzungsweisen herausgestellt. Bei der Annäherung an bestimmte „Phänomene“ (wie z. B. Gehörlosig­keit, Blindheit, Taubblindheit) wird dabei der Fokus insbesondere auf eine Darlegung vermeintlicher oder faktischer Unterschiede und Gemeinsamkeiten, etwa von Blinden und Sehenden, gelegt. Dies geschieht anhand eines gesonderten Blickwinkels auf l­ ebensweltliche Bezüge und Herausforderungen bezüglich bestimmter Alltagshandlungen der jeweiligen Bezugsgruppen. Ergänzend zum partizipativen liegt der Arbeit ein entwurfsbasierter Ansatz ­zugrunde, welcher durch eine systematische Vorgehensweise zur Wissensgenerierung charakterisiert ist, bei der das Entwerfen in der Praxis zugleich Gegenstand und Ausgangspunkt der Forschung ist. Das hierin generierte Entwurfswissen stellt somit dem vorangegangenen partizipativen Verfahren Erkenntnisse gegenüber, die aus konkreten Entwurfsprozessen sowie den daraus entwickelten Gestaltungsergebnissen resultieren. Die zuvor eruierten Wissenslücken in Bezug auf die Potenziale einer behinderungsbewussten, inklusiven Gestaltungspraxis sind dabei Ausgangspunkt für einen „Research through Design“-(RtD-)Ansatz, der seinerseits auf Alain Findelis Modell einer projektbasierten Forschung („Project-Grounded ­Research“) basiert.38 Die entwurfsbasierten Forschungsergebnisse implizieren dabei zweierlei: Zum einen liefern sie Erkenntnisse über die Entwurfsmethodik selbst. Zum anderen lassen sich durch die prototypische Vorgehensweise Entwürfe noch nicht existenter, aber denkbarer Lebenswelten generieren und interpretieren. Ausgehend von diesem partizipativen und entwurfsbasierten Forschungs­ ansatz als zentralem methodischen Unterbau der Arbeit, erfolgt eine Anordnung von Fallstudien (Case Studies), die im dritten Kapitel ausführlich beschrieben werden. Die Fallstudien dienen der Annäherung an konkrete Themenfelder, anhand derer ein enger Zusammenhang zwischen Normalitätskonstrukten und dem

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­ estaltungsbereich von Informations- und Kommunikationstechnologien39 bzw. G dem Feld der Mensch-Maschine-Interaktion exemplifiziert werden soll. Dabei wird veranschaulicht, inwieweit sich inklusive Aspekte einerseits in (und somit auch mithilfe von) Gestaltungsprozessen sowie andererseits durch Gestaltungsresultate be­ flügeln lassen. Hierzu wurden unterschiedliche Designphasen der Konzept- und Produktentwicklung untersucht. Fallstudie I („Deaf Jam“) wurde dabei als Anordnung partizipativer (Co-­Design) Workshops mit Gehörlosen und hörbehinderten Personen konzipiert, deren Ziel ­dar­in bestand, spezifische Herausforderungen im Alltag Gehörloser sowohl in Bezug auf die Kommunikation mit anderen Menschen als auch in Bezug auf die Nutzungs­weisen und mögliche Zugangsbeschränkungen vorhandener Kommunikations- und Informationstechnologien und -geräte aufzuspüren sowie gemeinsam Annäherungs- bzw. Lösungskonzepte zu generieren. Fallstudie II („Interaktiv inklusiv – Tools for Empowerment“) bezieht sich auf die Schwierigkeiten des fundamental erschwerten Zugangs taubblinder Menschen zu Wissens-, Kommunikations- und Informationssystemen. Im Rahmen eines partizipativen und entwurfsbasierten Forschungsprozesses, angelehnt an das RtD-Modell, wurden hierbei unterschiedliche Kommunikationsgeräte konzipiert, erprobt und entwickelt, die auf einem bestimmten – für viele taubblinde Menschen gängigen – Interaktionsprinzip beruhen: dem taktilen Lorm-Alphabet. Alsdann erfolgt eine Erschließung des Themenkomplexes „Design und Behinderung“ anhand zweier aufeinander aufbauender Studienkurse mit insgesamt 75 Designstudierenden. Sie dient der Überführung der Erkenntnisstränge in ein didaktisches Konzept zur Implementierung in gestaltungsvermittelnde Lehrformate. Welche Rückschlüsse sich aus diesen Fallstudien in Bezug auf generelle Deutungs- und Betrachtungsweisen von Behinderung ziehen lassen, wird im Rahmen einer Diskussion im vierten Kapitel dargelegt. Diese umfasst auch eine Methodenreflexion, welche gleichermaßen die Designtheorie und -praxis informiert. Hieraus abgeleitet lassen sich unterschiedliche Schwerpunktausrichtungen und Zugänge zwischen der Designpraxis bzw. der Designforschung und Inklusion identifizieren, die ich im fünften Kapitel anhand von vier Positionen herausarbeite: Design von Inklusion (Teilhabe als institutionalisierte Teilhabe), Design für Inklusion (Teilhabe durch Gestaltungsresultate), Design durch  Inklusion (Teilhabe am ­Gestaltungsprozess) und Design als Inklusion (Teilhabe im Design). Im sechsten Kapitel werden Rückschlüsse aus dem theoretischen Fundament der Arbeit und Erkenntnisse aus dem empirischen Teil zusammengeführt und ausgewertet. Das siebte Kapitel schließt mit einem Ausblick.

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Die Begriffe „Gestaltung“ und „Design“ stehen in einem ambivalenten Verhältnis zueinander: Trotz ­ihrer unterschiedlichen Begriffshistorie (vgl. Erlhoff/Marshall 2008, 87 ff.), findet zumal im deutschen Sprachgebrauch – auch in der designtheorie- und designforschungsbezogenen Fachliteratur – häufig eine synonyme Verwendung statt. Eine mögliche Unterscheidung ließe sich anhand von Holger van den Booms These „Design ist Herstellung des Entwurfs“ festmachen, der zufolge Design ist, „vor dessen R ­ ealisierung es erst mal einen Entwurf gab“ (Van den Boom 2011, 16 f.). Design könnte demnach als eine übergeordnete Kategorie verstanden werden, in der „Gestalten“ – neben Planen, Entwerfen, Produzieren etc. – einer von mehreren Modi ist (Mareis 2010, 13). Gestaltung ließe sich davon ausgehend als eine der pragmatischen Dimensionen des Designs, also als eine Form von Handlungspraxis des Designs, beschreiben. Gleichwohl bezeichnet aber auch der Begriff Gestaltung – ähnlich wie der Begriff Design – zuvorderst einen zielgerichteten Transformationsprozess und meint zunächst „einen Eingriff in die ­Umwelt, der zu deren absichtsvoller Veränderung führt. Gegenstand der Veränderung können dabei unmittelbar wahrnehmbare Dinge wie Räume, Objekte oder Abläufe oder auch mittelbar wahrnehmbare Inhalte wie Lebensgestaltung, Gestaltung gesellschaftlicher Strukturen durch Politik usw. sein“ (vgl. Diefenthaler 2008, 176). Unsicherheiten bezüglich einer korrekten Wortwahl sind im Kontext von Behinderung weit verbreitet und dabei bereits unweigerlich Teil des „Problems“: „Behinderte“, „gesundheitlich Beeinträchtigte“, „Menschen mit Behinderungen“, oder spezieller „Blinde“, „Gehörlose“, „Gehbehinderte“, „körperlich“ oder „geistig Behinderte“ – keiner dieser Begriffe wird der heterogenen Gruppe von Menschen, die er beschreiben soll, gerecht. Keiner dieser Begriffe verdeutlicht ferner die Terminologie derer, die von ­ihnen exkludiert werden: „Nicht-Behinderte“, „Sehende“, „Hörende“, „Unversehrte“, „Normale“. Es ist ­augenscheinlich, dass die beschreibungsfunktionale Begriffsunsicherheit hier Teil der Komplikation ist. Gleichwohl lassen sich bei der Erörterung gesellschaftlicher Zusammenhänge gewisse Kategorisierungen nicht vermeiden (vgl. Nouripour 2009, 9). Im Wissen um die Komplexität dieser Thematik, jedoch aus Gründen der Lesbarkeit und (zumindest terminologischen) Entkomplizierung, sollen im Folgenden die Begriffe „Behinderte“, „behinderte Menschen“ und „Menschen mit Behinderungen“ verwendet werden. Bisweilen wird alternativ der nicht minder diskutable Begriff „Betroffene“ zum Einsatz kommen. Dabei wird stellenweise zwischen „primär“ Betroffenen, also Menschen mit Behinderungen, und „sekundär Betroffenen“ unterschieden. Mit Letzterem werden Menschen bezeichnet, die mit behinderten Menschen zusammenleben, mit ihnen verwandt sind, sie betreuen oder mit ihnen arbeiten. Demgegenüber sollen Menschen ohne landläufig als solche empfundenen Behinderungen schlichtweg als „Nicht-­ Behinderte“ bezeichnet werden. Bisweilen wird diese Bezeichnung durch den der Soziologie entstammenden Begriff „Mehrheitsgesellschaft“ abstrahiert werden. Der Begriff der Disziplin soll hier nicht in die Irre leiten. Im Sinne von Michael Erlhoff könnte hier ebenso gut der Begriff der „Undisziplin“ geltend gemacht werden (vgl. Erlhoff 2010, 157 ff.). Mit „Disziplin“ ist an dieser Stelle vielmehr generell das, wenn eben auch in sich sehr komplexe und heterogene, Feld des ­Designs als Pendant zu anderen „Denkschulen“ oder Handlungsfeldern gemeint. Ich beziehe mich in dieser Arbeit auf einen bewusst weit gefassten Designbegriff, anknüpfend an Friedrich von Borries pragmatischer Auslegung, nach der Design alles ist, was gestaltet: Design umfasst demnach „das planvolle – also absichtliche, vorsätzliche, zielorientierte – Gestalten von physischen und virtuellen Gegenständen, Innen- und Außenräumen, Information und sozialen Beziehungen“. Design wird dabei als eine „Praxis verstanden, die Materielles wie Immaterielles, Dinghaftes wie Zeichenhaftes umschließt“ (Borries 2016, 9), was beim Gestalten von Objekten anfängt und beim „Gestalten von Welt“ aufhört (vgl. Borries 2017a). Dieser erweiterte, durchaus flexible und durchlässige Designbegriff erfolgt hier auch im Bewusstsein, dass ebenso kontinuierlich wie die ökologischen, ökonomischen, technologischen und sozialen Transformationsprozesse, die immer ebenso stark in die Gesellschaften hineinwirken, sich auch die Erscheinungsformen, Aufgabenbereiche und Handlungsoptionen von Design verschieben und erweitern. Diese „Ausweitung der Designzone“ (Latour 2009, 357; zitiert nach Lund/Lund 2014, 13) unterstreicht gleichermaßen die Relevanz von Design wie auch die Verantwortung seiner Akteure. Christopher Frayling unterscheidet konkret zwischen „Research for Art and Design; Research into Art and Design; [und] Research through Art and Design“ (Frayling 1993, 4–5). Ähnlich wie Frayling argumentiert auch Bruce Archer, der sich – gleichwohl anders als Frayling – nicht explizit auf Kunst und ­Design, sondern auf „Praxis“ (Practice) im Allgemeinen bezieht. Archer unterscheidet demnach zwischen „research about practice; research for the purposes of practice; and research through practice“ (Archer 1995, 10). Beiden – Frayling und Archer – geht es darum, die unterschiedlichen Schwerpunktausrichtungen und Zugänge herauszuarbeiten, die zwischen einer Gestaltungspraxis und -forschung ­bestehen. Erscheinungsformen und Deutungsweisen dieser Ausprägungen von Designforschung ­werden

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im ­internationalen Diskurs bisweilen mit leichten begrifflichen Abweichungen verhandelt. Generell lässt sich aber zusammenfassen, dass es bei einer Forschung für Design (Research for Design) vorrangig ­darum geht, Designprozesse zu informieren; eine Forschung über Design (Research about D ­ esign) hat häufig zum Ziel, Wissen über das Design an sich zu formulieren; eine Forschung durch Design (­Research through Design) kann, wie Katharina Bredies es formuliert, Design gleichermaßen zum „Forschungsgegenstand und – in der Entwurfstätigkeit – als Medium wissenschaftlicher Erkenntnis“ vorsehen (vgl. Bredies 2014, 1). Und in diesem Zusammenhang auch ein Verständnis von Normalität. Der Begriff Enhancement steht in diesem Zusammenhang für die vielfältigen Möglichkeiten zur Optimierung von menschlichen, das heißt kognitiven oder physischen Fähigkeiten, beispielsweise durch Medikamente oder Implantate. Die ethische Dimension rund um die zunehmend mögliche und praktizierte „Machbarkeit“ des Menschen besteht insbesondere in der Frage, welche Auswirkungen sich für eine ­Gesellschaft und deren Menschenbild ergeben, wenn immer mehr Menschen den Drang verspüren, sich zu perfektionieren (vgl. hierzu: Schöne-Seifert/Talbot 2009; Schöne-Seifert et al. 2009; Eissa 2014; Gesang 2007; Kipke 2011; Dickel 2011). Der aus dem Sport-Kontext geläufige Begriff des „Dopings“ zeigt deutlich die Diskrepanzen auf, die sich aus der technischen Modifizierbarkeit des Menschen ergeben: Zum einen werden Fähigkeiten (oder wie im Sport: Spitzenleistungen) möglich, zum anderen gerät dadurch das Prinzip von Fairness und Chancen­gleichheit in Gefahr (vgl. hierzu Vieweg 2015; Becker 2010). Der Begriff Cyborg (abgleitet vom englischen „Cybernetic Organism“) steht vorrangig für eine Hybridisierung von menschlichen, das heißt lebendigen, mit technischen Organismen. Die Definitionen sind vielfältig und zugleich eng verbunden mit den fortlaufenden Diskursen rund um die zunehmende Verschmelzung von Mensch und Technik. Eine stark verbreitete Beschreibungsform von Cyborgs bezieht sich auf Menschen, die über dauerhaft durch künstliche Komponenten ergänzte Körperteile verfügen (vgl. Krützfeldt 2015). Der Träger eines Herzschrittmachers oder die Trägerin eines Cochlea-Implantats können demnach schon als Cyborgs gelten. Als ebenfalls charakteristisch für den Cyborg-Diskurs gilt die Aufhebung einer strikten Trennung von „Natur“ und „Artefakt“. In der (vorläufigen) Grundsatzerklärung des Cyborgs e. V. (Gesellschaft zur Förderung und kritischen Begleitung der Verschmelzung von Mensch und Technik) vom 8.11.2014 heißt es dazu: „Im Anthropozän haben sich die Grenzen von Natur und Kultur verwischt. Der Mensch gestaltet seine Umwelt und sich selbst, ist aber selbst Produkt der natürlichen Evolution. Eine Unterscheidung zwischen „künstlich“ und „natürlich“ ist daher sinnlos. Technologie ist Teil von uns […]. Sie ist nichts Externes sondern Ausprägung unserer gemeinsamen Kultur, Teil unserer Umwelt und Teil von uns selbst“ (Cyborgs 2014). Die Transhumanismusdiskussion wird derzeit dominiert von Fragen zur Erweiterbarkeit m ­ enschlicher Fähigkeiten durch die Inanspruchnahme von technologischen Mitteln, sowie den damit verbundenen ethischen Fragestellungen. Bisweilen kommt es zu Überschneidungen mit der philosophischen Denkrichtung des „Posthumanismus“, in welcher der Mensch als evolutionäres Auslaufmodell v­ erstanden wird, das in naher Zukunft von einer ihm nachfolgenden Entwicklungsstufe abgelöst werden wird (vgl. Kurthen 2011, 7–16). Nach Bruno Latour können auch Dinge handelnde Akteure sein, indem menschliche Akteure gemeinsam mit ihnen in bestimmten Handlungskontexten agieren (vgl. Latour 2001). Betrachtet man Behinderung durch das Modell dieser Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT), so ergibt sich daraus, dass auch (gestaltete) Dinge aktiv auf das Konstrukt Behinderung einwirken können. Ein zentrales Leitmotiv der Disability Studies ist es, vorherrschende Herstellungspraktiken von Behinderung infrage zu stellen: Mindestens ebenso gravierend wie individuelle Beeinträchtigungen (z. B. fehlende Beine oder Gehörlosigkeit) – so die Kernthese – seien äußere Faktoren (soziale und kulturelle Prozesse; juristische und architektonische Aspekte; Massenmedien), die zur Festigung von Behinderungsprozessen führen und somit exkludierend, also ausgrenzend sind (vgl. Cameron/Moore 2013; Goodley 2017). Abgeleitet vom griechischen téchne (zu deutsch etwa Handwerk, Kunstfertigkeit), sind hiermit in e ­ rster Linie artifizielle, also menschengemachte Dinge (z. B. Maschinen, Geräte), aber auch menschliche ­Fertigkeiten, Aneignungsprozesse und Kulturtechniken gemeint. Eine unter vielen Perspektiven auf Behinderung ist zweifellos die eines Kompensationsansatzes, etwa in Bezug auf nicht (mehr) vorhandene oder beeinträchtigte Sinne oder Körperfunktionen. Aus dieser Perspektive ist Technik für Menschen mit ­Behinderungen von außerordentlicher Bedeutung, etwa wenn es darum geht, Verluste des Seh- oder Hörsinns oder motorische Einschränkungen zu kompensieren. Bei der Formulierung des Technikbegriffs sind dabei neben Sachtechniken, also dinglichen Hilfsmitteln, auch erlernte Körpertechniken zu

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berücksichtigen. Michael Ertel macht in seinen techniksoziologischen Studien (im Kontext von Blindheit) darauf aufmerksam, dass die Nutzung von Technik, um „richtig gedeutet zu werden, immer in einem Gesamtzusammenhang betrachtet werden muss, in dem sowohl Körper, Technik und Umwelt den Handlungsverlauf beeinflussen“ (Ertel 2011, 3). Die leibliche Dimension des Sozialen und des Technischen dürfe bei der Betrachtung gesellschaftlicher Verhältnisse nicht ausgeblendet werden (ebd.). Dies deckt sich mit den Formulierungen des Techniksoziologen Werner Rammert, wonach Technik „nicht mehr ein passives Objekt [sei], sondern als ein mitwirkender ‚Agent‘“ fungiere. Technik werde folglich von Menschen in der sozialen Handlung ausgehandelt und sei überdies kein passives „Ding“, sondern als Akteur selbst interagierend tätig (Rammert 1999). Insbesondere im Beziehungsgeflecht sozio-materieller Verknüpfungen von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren sind die Komponenten, anhand derer sich Behinderung definieren lässt, unterschiedlich aufzuschlüsseln. Unter Bezugnahme auf die STS-Forschung (Science, Technology and Society Studies) skizziert Michael Schillmeier die Demarkationslinien der sozialen Perspektiven auf Behinderung (Schillmeier 2007, 79–99). Hervorgehoben wird insbesondere das „situative Ineinanderwirken von menschlichen und nicht menschlichen Akteuren, Prozessen und Praktiken“ (ebd., 91). Zentraler Begriff hierbei sind die „dis/abling practices“, die den heterogenen „Ereignischarakter von behindernden […] und ermöglichenden Realitäten“ beschreiben. In Anlehnung an Deleuze/Guattari konstituiere sich Behinderung (im Sinne eines Behindert-Werdens) durch „Bündnisse […] von menschlichen und nicht menschlichen, sozialen und nicht sozialen Akteuren, Objekten und Prozessen“ (ebd.; vgl. Deleuze/Guattari 1992, 325). Nach dieser Lesart ließe sich Behinderung ganzheitlich weder durch das Soziale noch aus einer medizinisch-faktischen Perspektive heraus definieren. In seinem Konzept „Behinderung als Erfahrung und Ereignis“ fordert Schillmeier, dem „Gemurmel der Dinge, der Natur/Kultur des Behindert-Werdens Stimme und Gehör“ zu geben (Schillmeier 2007, 94). Der Prozess des Behindert-Werdens wäre dadurch nicht mehr losgelöst von Körpern, sozialen Dynamiken, natürlichen Dingen, kulturellen Praktiken oder Technologien zu verstehen. Vielmehr etablierte sich in der komplexen, alltagsweltlichen Erfahrung von Behinderung wiederum eine kulturelle Praxis an der sich „politische Probleme, Positionen, Prinzipien und Werte“ artikulieren und ablesen lassen (ebd.). Ein Kernsatz der Behindertenbewegung lautet: „Man ist nicht behindert, man wird behindert“ (vgl. Christian Mürner / Udo Sierck 2009). Peter Radtke, Mitglied des Deutschen Ethikrates und selber Rollstuhlfahrer, umschreibt diesen Kernsatz als in besonderer Weise zutreffend für jegliche „Barrieren im Kopf“. In einem Statement für die Aktion Mensch zum Thema Barrierefreiheit ergänzt er: „Vorurteile treffen Ausländer, Homosexuelle, Menschen im Rollstuhl – kurz alle, die anders sind als man selbst. Durch die gedankenlose Übernahme einer Sichtweise, die ausschließlich die Erfahrungswelt der Mehrheit ­widerspiegelt, wird der Minderheit das Gefühl vermittelt, Außenseiter und eine Belastung für die Mehrheit zu sein. Auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft gibt es noch eine Menge äußerer Hindernisse zu ­beseitigen“ (Radtke 2012). Der Fokus dieser Arbeit liegt dabei klar auf der Designforschungsperspektive. Hieraus lässt sich aller­ dings auch weiteres Forschungspotenzial für andere Disziplinen ableiten. So z. B. für die Di­sability ­Studies oder die Techniksoziologie. Siehe hierzu die Darlegungen in Kapitel 1, insbesondere die Verweise auf die Disability Studies sowie auch bisherige Design-diskursive Annäherungen an Behinderung. Gemeint ist hierbei vorrangig die Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Es ist jedoch auch ein ­argumentativer Bestandteil dieser Arbeit, den Inklusionsbegriff sowie die Rolle von Design über den ­Behindertenkontext hinaus anzusetzen. Aus diesem bewusst allgemein formulierten Gedanken drückt sich eine Grundhaltung gegenüber den Herausforderungen und Möglichkeiten von Design aus. In dieser Arbeit geht es also nicht zwangsläufig um die finale Klärung dieser „Leitfrage“, liegt doch ein deutlicher Fokus auf dem Oberthema Behinderung. Der Fokus liegt in dieser Arbeit auf Design als Gestaltungsdisziplin und beruht auf der Annahme, dass die hier formulierte Argumentationslinie sich in Kongruenz dazu wohl generell auch auf andere Bereiche, wie z. B. Architektur, Städteplanung, Medien, Filmindustrie, Technologie oder Popkultur übertragen ließe. Mit Verobjektivierung (auch: Entsubjektivierung) ist die, später noch als „klinischer Blick“ umschriebene, diagnostische Betrachtungsweise auf Behinderung „von außen“ gemeint. Eine solche Perspektive sowie die häufig mit ihr verbundene Diskurshoheit geht in der Regel von Mitgliedern einer Mehrheitsgesellschaft, in diesem Fall also von nicht behinderten Menschen aus, weshalb mit der Verobjektivierung gleichsam eine Benachteiligung und Ausgrenzung der Betroffenen einhergeht. Wolfram Pfreundschuh greift hierzu auch den Begriff der „Verdinglichung“ auf, den er als „Entäußerung von Menschen zu einer fremden Gegenständlichkeit“ erläutert (Pfreundschuh 2003). Verdinglichung, so Pfreundschuh, „meint

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dann Verobjektivierung von Subjektivität, so etwas wie das Dingsein von Menschen“ (ebd.). Elsbeth Bösl stellt fest, dass derlei Verobjektivierungen im Rahmen komplexer Benennungs- und Bewertungsprozesse mit ausschlaggebend für die Konstruktion und Zuordnung von Behinderung sind (vgl. Bösl 2009, 17), denn „verkörperte Andersheit bedeutet zunächst nur, dass körperliche Merkmale als auffällig oder anders wahrgenommen werden können“ (ebd.). Der Argumentation liegt die Annahme zugrunde, dass eine solche Feststellung der Andersheit nur von einer Position vorgenommen werden kann, die sich selber als „normal“ klassifiziert. Die verobjektivierende Sicht auf (Menschen mit) Behinderung steht somit zwangsläufig auch dem Konzept eines selbstbestimmten, gleichberechtigten Lebens entgegen. Als „hörsehbehindert“ gelten Menschen, bei denen Hör- und Sehschädigungen kombiniert und in unterschiedlichen Stärkegraden auftreten. Ist eine Person komplett oder zu sehr weiten Teilen gehörlos und blind, so bezeichnet man sie auch als „taubblind“. Häufig wird der Begriff „taubblind“ auch dann verwendet, wenn eine Person eigentlich „nur“ hörsehbehindert ist. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen der „angeborenen“ und der „erworbenen“ Taubblindheit. Da Betroffene die Funktionen des einen Fernsinns nicht durch den jeweils anderen ausgleichen können, ist Taubblindheit eine Behinderung, die – etwa gegenüber Gehörlosigkeit oder Blindheit – eigenständige Merkmale und Bedürfnisse aufweist. Diese beziehen sich neben Herausforderungen in Bezug auf die Kommunikation oder den Zugriff auf Information insbesondere auf die Bereiche Mobilität und räumliche Orientierung (vgl. Lemke-Werner 2009). Soziale Innovationen sind nach Wolfgang Zapf „neue Wege, Ziele zu erreichen, insbesondere neue Organisationsformen, neue Regulierungen, neue Lebensstile, die die Richtung des sozialen Wandels verändern, Probleme besser lösen als frühere Praktiken, und die deshalb wert sind, nachgeahmt und institutionalisiert zu werden“ (Zapf, 1989). Gemeint sind insbesondere die „Werte des sozialen Fortschritts, wie sozialer Gleichheit, Gerechtigkeit und Integration“ (Rammert, 2010). Theorien zur Digitalen Spaltung („Digital Divide“) stehen in der Tradition der Wissensklufthypothese, ­welche davon ausgeht, dass „Wissensunterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen durch massen­ mediale Informationsmöglichkeiten und deren spezifische Nutzung verstärkt werden, sodass Chancen­ ungleichheiten weiter ausgebaut werden“ (Dörfler 2016, 21). Der Begriff des Erfahrungswissens, bzw. im Englischen „Tacit Knowledge“ oder „Experiential Knowledge“, wird mit gestaltungsrelevanten Bezügen bereits bei John Dewey (Dewey 1938/1997) und Jean Piaget (Piaget 1976) vor allem in Bezug auf erfahrungsbasiertes Lernen verhandelt. Ein konkreter Bezug für Design findet sich Mitte der 1980er-Jahre bei den Gebrüdern Dreyfuss („Dreyfuss Modell“), die in ihren Studien ein praxisbasiertes, implizites und zugleich subjektiv verinnerlichtes Wissen im Fokus haben (vgl. Dreyfuss/Dreyfuss 1986; Mareis 2012, 184 u. 188). Claudia Mareis konstatiert, dass es sich dabei vor allem um „an die Erfahrung gebundene Erkenntniskonzepte und -begriffe wie ‚Expertise‘; ‚­Intuition‘ oder ‚reflektierte Praxis‘ [handelt], die sich den Beschreibungskompetenzen eines expliziten Rationalismus und Positivismus zu entziehen scheinen“ (Mareis 2012, 188). Konkret für die Designforschung werden Aspekte des impliziten und des Erfahrungswissens ab Mitte der 2000er-Jahre vor allem von Kristina Niedderer (Niedderer 2007; Niedderer 2008; Niedderer/Imani 2008) und Peter Storkerson (Storkerson 2009; 2009a) zugänglich gemacht. Als eine der führenden Austauschplattformen um Fragen zu Erfahrungswissen und Design kann aktuell die EKSIG (Special Interest Group on Experiential Knowledge) der Design Research Society gelten, die seit 2009 alle zwei Jahre eine Konferenz zu diesem Thema ausrichtet. Gemeint ist, dass sich soziales Verhalten und gesellschaftliche Konstellationen immer auch stark über tangible Objekte des gegenständlich Artifiziellen vermitteln. Die materiell-dingliche Welt bezieht sich dabei auf die „äußere Welt der Natur […] die stoffliche Seite des gesellschaftlich Geschaffenen“ (Müller 2011, 34), als soziale Welt sind Weltbezüge zu verstehen, „die sich auf die soziale Ordnung der Gesellschaft, z. B. auf zwischenmenschliche Verhältnisse beziehen“ (ebd.). Sabine Foraita hebt die Bedeutung dieser beiden miteinander verwobenen Bezugsebenen für die Designwissenschaft hervor, wenn sie konstatiert, dass die „Welt der Artefakte […] im Vordergrund des menschlichen Lebens steht“ (Foraita 2010, 44). Der Mensch, so Foraita, definiere sich durch seine Gegenstände, das heißt, er „denkt, gestaltet, fühlt und handelt unter Bezugnahme auf und in Beziehung zu seiner gegenständlichen Umwelt“ (ebd., 43). Friedrich W. Heubach spricht hier von der „umweltlichen Bedingtheit menschlichen Verhaltens“ (Heubach 1987, 9), was er damit begründet, dass „‚Alltag‘ sich nicht nur in Zusammenhängen konstituiert, in den Menschen sich auf Menschen beziehen, sondern ganz wesentlich auch in solchen, in denen Menschen sich auf Sachen beziehen. Und selbst da, wo Menschen sich auf Menschen beziehen, geschieht dies ja durchaus nicht immer unmittelbar, sondern gerade auch über Dinge“ (Heubach 1987, 9–10). Der im späteren Verlauf noch genauer erläuterte Begriff „Entwurf“ wird hier verstanden als gestalterisches Referenzobjekt für Bestehendes oder noch nicht Existentes, also als veranschaulichendes

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­ lanungsmittel, um mögliche Zukünfte in die Gegenwart zu befördern und dort (be-)greifbar zu machen P (Janser/Bieling 2016). Der Begriff der „nutzerzentrierten Gestaltung“ wird üblicherweise mit den englischen Begriffen „user-centered“ oder „user-focused Design“ umschrieben. Sowohl der deutsche als auch die englischen Begriffe sind allerdings eher einem, innerhalb und außerhalb des Designs gängigen, Sprachgebrauch geschuldet. Innerhalb der Designtheorie und -forschung wird er bisweilen – zu Recht – kritisch beäugt, da er eine allzu starke Konzentration auf tatsächliche Nutzergruppen signalisiert (oder suggeriert). Sofern nicht anders möglich, wird in dieser Arbeit stattdessen vorzugsweise der Begriff „human-­centred“ (menschenzentriert) verwendet (vgl. Krippendorff 2007, 71). Der Unterschied besteht darin, dass – ­anders als bei einer Nutzerzentrierung – damit begrifflich auch diejenigen mitberücksichtigt werden, die ein bestimmtes Design nicht nutzen (können oder wollen), in dem Sinne also Non-User sind. Hier wird zunächst der englische Überbegriff für global oder lokal vernetzte Gruppen und Bewegungen von Behinderungsaktivisten verwendet (vgl. Cameron 2013, 40 ff.), die in Kapitel 1 noch genauer ­beleuchtet werden. Wie später noch erläutert, wird der Begriff „Betroffene“ im Kontext von Behinderung mancherorts kritisch rezipiert und als vermeidenswert eingestuft. Dies hängt mit seiner negativen Konnotation zusammen und der damit verbundenen Konstruktion von behinderten Menschen als passive, hilfsbedürftige, von Leid geplagte Personen. In Ermangelung von plausiblen und alltagstauglichen Alternativbegriffen ist die Bezeichnung dennoch weiterhin weit verbreitet. Zudem ist eine Unterscheidung in „primär Betroffene“ (z. B. Hörsehbehinderte) und „sekundär Betroffene“ (z. B. deren Verwandte oder Betreuende) ­gängig. Als Ausdruck der begrifflichen Ambivalenz erfolgt die Schreibweise hier in Anführungszeichen. Klar ist, dass es sich bei den unterschiedlichen Positionen – etwa dem human-centred Design und dem politischen Aktivismus des Disability Rights Movements um unterschiedliche Herangehensweisen handelt. Deutlich wird aber auch, dass beiden Positionen das Grundverständnis vorausgeht, dass Prozessen der Ausgrenzung und den damit verbundenen Long-Tail-Effekten allem voran mit einem Prinzip der aktiven Teilhabe zu begegnen ist. Das deutschsprachige Pendant – „Nichts über uns – ohne uns!“ – als Leitspruch der hiesigen Behindertenbewegung war dann auch Titel gebend für eines der frühen Standardwerke deutschsprachiger ­Behinderungsstudien (vgl. Hermes/Rohrmann 2006). Craig Bremner fasst die Ansätze des Participatory Design und Inclusive Design als ein „Design mit ­Menschen und nicht für Menschen“ zusammen (Bremner 2008, 427). Der von Foucault herausgearbeitete „klinische Blick“ umschreibt die Machtkonstellation, die sich aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis ergibt: Der menschliche (Patienten-)Körper unterliegt dabei der vom Arzt ausgehenden Vermessung, Klassifizierung und Kategorisierung, wobei insbesondere der abweichende Körper zu einem für wissenschaftliche Observationen und gesellschaftliche Sonderbehandlungen relevanten Objekt wird (Waldschmidt/Schneider 2007, 16–17). In einem derartigen Machtverhältnis wird der behinderte Mensch zwangsläufig als medizinisches Problem konstituiert und seine Behandlung legitimiert. Übertragen auf den Designkontext bedeutet dies: Wenn Design sinngemäß mit der Herleitung von „Lösungen“ gleichgestellt wird, erscheint der behinderte Körper erst recht und unweigerlich als problematisch. Im späteren Verlauf werden verschiedene Phänomene von „Gestaltungsdilemmata“ dargelegt. An dieser Stelle ist das Spannungsverhältnis innerhalb einer eigentlich sozial orientierten Gestaltung und mit ihr in Verbindung stehenden Nebeneffekten gemeint, die der ursprünglichen Gestaltungsintention entgegenstehen. In einem – weiter gefassten – Zusammenhang spricht Max Borka von Design als „doppelköpfigem Monster“ (Borka 2016, 30). Design sei „janusköpfig – eine Seite edel, die andere dreckig“ (Borka 2016, 42). Als Beispiel nennt Borka die einerseits fortschrittliche, andererseits gefahrenintensive Atomenergie. Andere Beispiele beziehen sich etwa auf fragwürdige Arbeitsbedingungen, Ressourcenausbeutung oder Umweltverschmutzung bei Herstellung, Vertrieb und Entsorgung von Gestaltungsprodukten. „Turnschuhe können daher mitunter gefährlicher sein als eine Schusswaffe.“ Wer auch immer über Design nachdenkt, müsse sich „dieser Dualität, dieser Schattenseite bewusst sein“ (ebd.). Dies trifft beispielsweise zu, wenn Gestaltungsentscheidungen ohne direkte Einbindung von „potenziell“ Betroffenen getroffen werden und dabei womöglich auf falschen Annahmen oder Klischees gründen. Wenn im Verlaufe dieser Arbeit von Nachhaltigkeit oder nachhaltigen Prozessen die Rede ist, so beziehe ich mich dabei auf die kulturell-politischen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Dimensionen von Nachhaltigkeit. Als Grundlage vieler heutiger Bezugnahmen auf den Begriff Nachhaltigkeit dient dessen erstmalige Verwendung durch Hans Carl von Carlowitz und dessen forstwirtschaftlicher Schrift „Silvicultura oeconomica“ (1713), aus welcher Nachhaltigkeit sich als langfristig angelegter, verantwortungsbewusster Umgang mit einer Ressource darstellt (Grober 2013, 46). Nicht nur in Designdiskursen

EINLEITUNG – KONTEXT UND ­FORSCHUNGS­B EDARF  027

kommt es jedoch immer wieder auch zur begrifflichen Unschärfe, vor allem dann, wenn Nachhaltigkeit vorrangig (oder ausschließlich) auf ökologische, soziale oder ökonomische Aspekte reduziert wird. Der Sozialwissenschaftler Davide Brocchi weist auf den designrelevanten Aspekt der kulturellen Dimension hin, wobei er die Begriffe „Diversität“ und „Vielfalt“ ins Zentrum des Interesses rückt und im gleichen Zug Gesellschaft als Ökosystem versteht: „Eine […] Gesellschaft mit einer Vielfalt von (Sub-)Kulturen ist ­anpassungsfähiger und resilienter. Sie verfügt beispielsweise über ein breiteres Spektrum an Problem­ lösungsansätzen. In einer Monokultur (im kulturellen Sinne) kann es hingegen passieren, dass ausgerechnet die Ursachen der Probleme als Allheilmittel betrachtet werden. […] Vor diesem Hintergrund ist eine Monokultur des nachhaltigen Designs ein Widerspruch an sich. Die Nachhaltigkeit erfordert eine Vielfalt von Gestaltungskulturen. […] Diese […] sollen voneinander lernen, aber ein Lernprozess kann nur dort weiter stattfinden, wo Diversität bestehen bleibt“ (Brocchi 2013, 77–78). Eine umfassende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit in Bezug auf Design sowie mit unterschiedlichen Perspektiven aus Forschung, Praxis und Lehre findet sich bei Karin-Simone Fuhs et al. zur „Geschichte des nachhaltigen Designs“ (Fuhs et al. 2013). 37 Vgl. hierzu den Begriff der „Homogenitätsillusion“ bei Georg Hansen, die dieser als Ausgangspunkt ­gesellschaftlicher Homogenitätsbestrebungen und Normierungszwänge sowie daran gekoppelte, ­strukturelle Prozesse der Ein- und Ausgrenzung versteht (Spetsmann-Kunkel 2009). 38 Das RtD-Modell nach Alain Findeli sieht die Möglichkeit vor, eine Forschungsfrage mithilfe einer ­zwischengeschalteten Designfrage (und -antwort) zu beantworten. Findeli sieht dabei zwei methodo­ logische Erschließungswege einer projektbasierten Forschung: Eine Möglichkeit bestünde demnach ­darin, eine Forschungsfrage als Ausgangspunkt zu formulieren, die dann in eine Designfrage umgewandelt werden kann; die zweite Möglichkeit bestünde darin, eine Designfrage in eine Forschungsfrage zu übersetzen. In beiden Fällen bestünde der nächste Schritt darin, eine Designantwort zu finden, aus der ­ iner Forwiederum die Beantwortung der Forschungsfrage abgeleitet werden könnte. Der Startpunkt e schung durch Design ist nach Findeli somit flexibel gestaltbar und ließe sich – je nach Projekt­kontext – ­ esignantwort ­gefunden in unterschiedlicher Reihenfolge ausführen. Auschlaggebend bliebe, dass eine D werden kann, aus der sich eine Antwort auf die Forschungsfrage plausibel ableiten lässt (vgl. Findeli 2010; Findeli et al. 2008). ­ ämlich 39 Der Begriff Kommunikation wird hier in einer allgemeinen, landläufigen Bedeutung verwendet, n als ein, den Austausch oder die Übertragung von Information betreffenden Vorgang. Der Begriff Information fungiert in dem Fall als Sammelbegriff für Wissen, Nachrichten, Gesprächsthemen etc. Wie eng allerdings der Begriff Kommunikation mit Vorgängen von Ein- und Ausschluss verbunden ist, hebt Michael Erlhoff mit folgendem Ausspruch hervor: „Kommunikation war immer Ausgrenzung!“ (Erlhoff 2017). Dem Lateinischen entlehnt, bedeute das Wort „‚zusammenstehen‘ oder auch ‚herumlaufen innerhalb der Mauern‘. Denn jenes lateinische Wort ‚communicare‘ setzt sich zusammen aus ‚commune‘ was wiederum ‚com‘ – also ‚zusammen, gemeinsam‘ – und ‚moenia‘ – die ‚Mauer‘ – verbindet. Folgt man dieser Wortbedeutung, dann ergibt sich ein merkwürdiges, aber letztlich plausibles Problem. […] An und für sich beschreibt Kommunikation – entgegen dem landläufigen Enthusiasmus über ihre Eigenschaft als offene Plattform und Mittel zur Verständigung – einen ausschließenden Prozess, also Exklusivität und nicht Integration“ (Erlhoff 2008, 231). Teilnehmen können nur diejenigen, die die Regeln kennen bzw. über eine übereinstimmende Kenntnis der betreffenden Zeichen verfügen. Dagegen habe sich Design stets verpflichtet, „kommunikative Mittel für möglichst viele oder gar alle zu entwickeln“ (ebd.).

028  INKLUSION ALS ENTWURF

1  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG Ausgehend von der These eines grundsätzlichen Zusammenhangs von Gestaltung und Behinderung, wird im Verlauf dieses ersten Kapitels aufgezeigt werden, inwiefern sich Designforschung als grundlegendes Erkundungsmedium in diesem Beziehungsgeflecht eignet. Als theoretischer Bezugsrahmen erfolgt hierfür zunächst eine ausführliche, disziplinübergreifende Annäherung an das Untersuchungsfeld „Behinderung“ (Kapitel 1.1). Daraus wird auch hervorgehen, wie wenig die Rolle von Design in Bezug auf die Konstruktion von Behinderung bisher in der Behinderungsforschung reflektiert wurde („Knowledge Gap“ / „Research Gap“). Dass es durchaus Schnittstellen und Berührungspunkte von Design und Behinderung gibt und dass diese auch partiell bereits in Designtheorie und -praxis thematisiert werden, ist Gegenstand des darauf folgenden Unterkapitels (Kapitel 1.2). Darin werden zudem grundsätzliche Wissenspotenziale und konkrete Schwerpunktausrichtungen von Designforschung formuliert, aus deren Argumentationsfolge hervorgeht, dass Designforschung sich in Bezug auf Behinderung als plausibles, geradezu prädestiniertes Untersuchungsmedium empfiehlt. Die hier erarbeiteten Positionen werden anschließend einander gegenübergestellt und diskutiert. Infolgedessen werden vier Positionen und Konsequenzen des Designs in Bezug auf Behinderung herausgearbeitet (Kapitel 1.3). Zur Einordnung der Arbeit in bestehende Forschungskontexte wird im Folgenden ihr theoretischer Bezugsrahmen dargelegt. Ferner werden derzeitige „Wissenslücken“, Herausforderungen und mangelnde Reflexionen in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand lokalisiert, woraus sich schließlich der Wissensbeitrag dieser Arbeit ableiten lässt. Allem voran ist es hierzu erforderlich, unterschiedliche Blickpunkte im Verständnis von Behinderung zu verdeutlichen.

1.1  Dis/Ability – Disziplinäre ­Annäherungen an Behinderung­ Eine Bewertung des Behinderungsbegriffes1 ist immer auch in Abhängigkeit von der ­jeweiligen Disziplin sowie den gesellschaftlichen und (geistes- und natur-)wissenschaftlichen Diskursen vorzunehmen, von denen seine Verortung ausgeht. So lässt sich Behinderung als Phänomen medizinisch (Freidson 1965), ethnologisch (Neubert/Cloerkes 2001), bioethisch (Dederich 2003), medien- und kulturhistorisch (­Ellis/ Goggin 2015; Mürner 2003), medienkritisch (Eckert 2014; Domenig/Schäfer 2015; Bosse 2006), kulturwissenschaftlich (Dederich 2009), psychologisch (Stange 2004, 40 ff.), heil- und sonderpädagogisch (Dederich et al. 2006), ä­ sthetisch (­Eggert 2005;

DIS/ABILITY – DISZIPLINÄRE ­A NNÄHERUNGEN AN BEHINDERUNG­  029

Lanzavecchia 2008; Siebers 2003; 2006; 2009; 2010; Siebers/Bieling 2014) oder soziologisch (Stange 2004; Behrisch 2014) beschreiben. Und selbst inner­halb der jeweiligen Theoriegebilde und Denkschulen ergeben sich unterschiedliche Schwerpunktausrichtungen einer Annäherung. So zeigt der Rehabilita­tionssoziologe Helmut Stange innerhalb eines soziologischen Verständnisses von Behinderung sozialpsychologische, rollentheoretische, handlungstheoretische, interaktionstheoretische, sozialstrukturelle, sozialisationstheoretische, systemtheoretische und modernisierungstheoretische Perspektiven auf (Stange 2004, 29 ff.). Die unterschiedlichen Untersuchungskontexte sind dabei stets an eigens kontextualisierte Beweggründe gekoppelt, die ihrerseits Einfluss auf das „allgemeine“ Verständnis von Behinderung haben können. Dies ist auch an methodische Komponenten gekoppelt oder auch die Art der Fragestellung, die den unterschiedlichen Disziplinen zugrunde liegen. Die Mannigfaltigkeit der unterschiedlichen Annäherungsformen an Behinderung lässt sich beispielhaft anhand folgender, stark vereinfachter Gegenüberstellung verdeutlichen: Untersuchungsgegenstand für:

Übergeordnete Fragen:

Medizin

Wie heile/helfe ich?

Soziologie

Wie verstehe/beschreibe ich?

Pädagogik

Wie erziehe ich?

Disability Studies

Wie emanzipiere ich?

Design

Wie gestalte ich?

Tab. 1  Exemplarische Annäherungsformen an Behinderung

Historisch gesehen steht Behinderung als Untersuchungsgegenstand zu weiten ­Teilen im Fokus der angewandten Wissenschaften (insbesondere der Medizin, der Rehabilitationswissenschaften oder der Sonder- und Heilpädagogik), die sich traditionell vor allem auf die Prävention, Heilung oder Beseitigung körperlicher „Schäden“ und „Beeinträchtigungen“ konzentrieren. Ohne die Notwendigkeit medizinischer und rehabilitativer Ansätze an dieser Stelle infrage stellen zu wollen, ergeben sich daraus mindestens zwei Problematiken: Zum einen kann der zumeist lokale „Problemlösungsansatz“ Behinderung kaum in ihrer Komplexität erfassen, zum anderen wird aus historisch-ethnologischem Blickwinkel deutlich, dass Behinderung weder als universal kulturelle Kate­ gorie noch als einheitlich soziale Praxis anzusehen ist (Waldschmidt/Schneider 2007, 10). Um die „Komplexität der Austauschprozesse zwischen Individuum und Umwelt, die aufgrund einer ‚Behinderung‘ beeinträchtigt sein können“ (Eberwein/ Sasse 1998) zu identifizieren und begreifbar zu machen, ist ein disziplinübergreifender Ansatz notwendig.

030  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

1.1.1  Behinderung als soziale, historische und kulturelle Konstruktion Ein solcher Ansatz ist auch Ausgangspunkt der als Disziplin vergleichsweise jungen Disability Studies,2 die sich dem Phänomen Behinderung vor allem kultur- und sozialwissenschaftlich nähern, von einem Großteil ihrer Protagonisten dabei als inter- und transdisziplinäres Forschungsgebiet begriffen und kommuniziert wird. Die vorwiegend soziologische und kulturwissenschaftliche Perspektive der Disability Studies stellt in ihrem Ursprung einen neuartigen Zugang zur Reflexion des Phänomens „Behinderung“ dar. Behinderung wird darin nicht nur aus einem anwendungsorientierten Blickwinkel, sondern aus einer grundlagen- und gesellschaftstheoretischen Sicht beleuchtet (Waldschmidt/Schneider 2007, 15). Theoretische Bezugspunkte hierfür bieten vor allem die konstruktivistischen Ansätze der Critical Race Studies und Postkolonial Theorie oder der Gender ­Studies (Jacob et al. 2010), aber auch poststrukturalistische Differenz- und Diskursansätze (Waldschmidt 2007, 55 ff.) und Betrachtungsweisen der Körpersoziologie (Schroer 2005). Viele der an diesen Schnittstellen formulierten Thesen der Disabil­ity ­Studies gehen einher mit der als „Cultural Turn“ bezeichneten Etablierung des kultur­ wissenschaftlichen Paradigmas. Themenschwerpunkte konzentrieren sich beispielsweise auf Fragen hinsichtlich gesellschaftlicher Praktiken der Ein- und Ausschließung oder darauf, wie „Normalität“ und damit korrespondierende Differenzierungskategorien konstruiert werden (Waldschmidt/Schneider 2007, 15). Ziel ist es nicht nur, die Relation von Behinderung und Nicht-Behinderung bzw. die jeweiligen Mechanismen zu beschreiben, durch die diese Kategorien kulturell produziert werden, sondern es sollen auch damit verbundene Machtstrategien aufgezeigt werden, anhand derer Nicht-Behinderung als „Norm“ und Behinderung als „Abweichung“ konstituiert werden. Ähnlich wie bei den Gender Studies und Critical Race Studies wollen sich die Disability Studies nicht allein auf akademische Forschung und Lehre beschränken. Vielmehr wird ein politischer Anspruch verfolgt, der beinhaltet und darauf zielt, insbesondere Menschen mit Behinderungen die Teilhabe an der Forschung zu ermöglichen und somit einerseits Gegenpole zu einer bisher vorrangig als Außensicht formulierten Perspektive auf Behinderung zu ermöglichen und im gleichen Zuge zu einer „Sichtbarwerdung“ dieser – wenn überhaupt – vor allem als soziale Randgruppe wahrgenommenen Menschen beizutragen. Hier wird gleichsam der Standort der Betrachtung umgekehrt: Nunmehr geht es nicht darum, von der Welt der Normalen aus die Lebenssituation behinderter Menschen zu untersuchen, um ihnen bei der Bewältigung ihrer schwierigen Lebenssituation zu helfen. Vielmehr gilt es, von einer ‚dezentrierten‘ Position aus Behinderung als erkenntnisleitendes Moment für die Analyse der Mehrheitsgesellschaft zu benutzen. (Waldschmidt/Schneider 2007, 15)

DIS/ABILITY – DISZIPLINÄRE ­A NNÄHERUNGEN AN BEHINDERUNG­  031

Ausgangspunkt der Disability Studies ist es, Behinderung nicht im Sinne einer ­medizinisch diagnostizierbaren Beeinträchtigung, sondern in erster Linie als Folge historisch, sozial und kulturell konstruierter Barrieren zu verstehen und zu unter­ suchen. Dem „medizinischen Modell“ von Behinderung wird dabei das „soziale ­Modell“ gegenübergestellt, die im Folgenden in ihren englischen Bezeichnungen als „medical Model“ und „social Model“ skizziert werden. Das medical model (of disability),3 bisweilen auch als deficit model benannt, definiert Behinderung als direkte Konsequenz eines „Impairments“.4 Der biologisch-medizinische Blickwinkel positioniert Behinderung somit als medizinisch diagnostizierbaren Körperzustand. Aktivisten des Disability Rights Movements betrachten diese Medizinisierung des Alltagslebens behinderter Menschen als eine Form sozialer Unterdrückung (Anderberg 2005, 2; Johnson/Woll 2003). Gemeint ist damit eine zunehmende Betrachtung menschlichen Daseins unter medizinischen Aspekten. Kritik an damit verbundenen, rein medizinisch geführten Diskursen und Diagnosen bezieht sich insbesondere auf ein daraus resultierendes Machtgefälle, in welchem Menschen mit Behinderungen als bedürftig oder gar an-normal klassifiziert und somit sozial degradiert werden. Andrew Batavia beschreibt die Auswirkungen einer derartigen Perspektive auf die soziale Positionierung von Menschen mit Behinderung als verheerende ­Unterteilung in qualitative Kategorien, denen zufolge behinderte Menschen als abhängige Patienten, nicht-behinderte hingegen als selbst-bestimmte Individuen erscheinen (Batavia 1999). Diese Unterteilung ist häufig zurückzuführen auf Medizin-typische Bemessungs-, Diagnostik- und Quantifizierungsvorgänge. Eine Quantifizierung von Behinderung, wie sie bei klinischen Messungen und Klassifizierungen passiert, wird nicht nur in den Disability Studies kritisch infrage gestellt. So formuliert Peter Anderberg: [It is] alienating rather than supportive to the individual to be faced with a clinical analysis, a professional language of description and a lack of considerate interest for the functions most relevant in her/his own context (Anderberg 2005, 2).

Anderberg konstatiert damit, dass es von Betroffenen häufig als befremdlich und entfremdend wahrgenommen wird, Gegenstand klinischer Analysen und damit einhergehender, distanzierter Fachjargons zu sein. Dem vorwiegend durch das Konzept der Rehabilitation geprägten „medizinischen Modell“ wird in den Disability Studies ein „soziales Modell“ von Behinderung gegenübergestellt. In diesem social model of disability (UPIAS 1975) wird Behinderung nicht mehr selbst als Problem konstituiert, dem man medizinisch, therapeutisch, rehabilitativ beikommen muss, sondern die Gesellschaft selbst rückt in den Blick sowie die von ihr ausgehenden oder verstärkten Barrieren. Behinderte Menschen werden fortan unter dem Vorzeichen der Benachteiligung angesehen, und es wird aufgezeigt, wie diese von gleichberechtigter Teilhabe ausgeschlossen werden.

032  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

Das Social Model bezieht sich ursprünglich auf eher materialistische Betrachtungen der Ursachen von Disability (Anderberg, 2005, 2). Als Kernargument gilt jedoch bis heute, dass Behinderung vor allem eine soziale Konstruktion sei.5 In den vergangenen Jahren wurden mehrere Modelle und Paradigmen in den Disability Studies formuliert und verhandelt (vgl. Stiker 2000), die das soziale Modell als Ausgangspunkt nehmen.6 Zusammengefasst attestiert Anderberg ihnen eine gemeinsame Kernbotschaft, die er so formuliert: „Societal structures should be changed to accommodate people with disabilities, not individuals that should be changed to fit into a rigid environment and society“ (Anderberg 2005, 2). Er greift damit das Grundanliegen zahlreicher Behinderungsaktivisten auf, dass nicht das Individuum verändert werden müsse, um es einem fixen Korsett aus Umgebung und Gesellschaft anzupassen, sondern stattdessen gesellschaftliche Strukturen dahingehend verändert werden sollten, um es dem Individuum (eben auch unabhängig von körperlicher oder geistiger Beschaffenheit und Voraussetzungen) zu erleichtern, sich darin zurechtzufinden. Disability offenbart sich somit nicht als Charakteristikum eins Individuums, sondern als situative Antwort („situated response“) auf eine unzugängliche, unflexible und nicht-anpassungsfähige, nicht-adaptierbare Umgebung und Gesellschaft.7 Ein Anliegen, das dieser Perspektivverschiebung zugrunde liegt, besteht in dem Versuch, somit auch dem Stigma entgegenwirken zu können, mit dem sich viele Menschen mit Behinderungen konfrontiert sehen, wenn sie bestimmten Normvorgaben nicht entsprechen und somit von außen erst recht als „versehrt“ angesehen werden. Hier empfiehlt sich ein Rückblick auf den grundsätzlichen Ansatz der Dis­ ability Studies, der in der Unterscheidung des medizinischen Modells zum sozialen Modell von Behinderung liegt: Im medizinischen Modell konstituiert sich Behinderung als persönliches Schicksal, welchem anhand medizinischer Intervention reha­ bilitativ begegnet werden kann und dessen Kernaussage folglich lautet, dass Behinderung etwas ist, das geheilt werden kann und soll oder das es zu überwinden gilt. Anhand des sozialen Modells von Behinderung wird hingegen argumentiert, dass nicht die betreffende Person oder der betreffende Körper selber als defizitär zu gelten hat, sondern die Gesellschaft,8 in der (insbesondere physische) Formen von Abweichungen stigmatisiert werden und die (z. B. räumliche, informative) Gestaltung von Lebenswelt9 an bestimmten Standard- oder Normkörpern orientiert ist.

1.1.2  Integriertes Modell von Behinderung In Forschungsrichtungen wie den Science and Technology Studies (STS), den ­Disability Studies oder den Biocultural Anthropologies (Davis/Morris 2014, 121 ff.) werden zunehmend Forderungen und Ansätze hinsichtlich eines integrierten Modells von Behinderung formuliert. So beschreibt Katherine D. Seelman den Bedarf eines ­integrated models als Versuch, medizinische und soziale Perspektiven näher zusammenzuführen (Seelman 2003).

DIS/ABILITY – DISZIPLINÄRE ­A NNÄHERUNGEN AN BEHINDERUNG­  033

Auch der Sozialwissenschaftler Michael Schillmeier charakterisiert die dialektische Unterscheidung zwischen medizinischem und sozialem Modell als zu einseitig und plakativ. Beiden Modellen stellt Schillmeier eine „objektzentrierte, ereignis- und erfahrungslogische Konzeption der Natur(-en)/Kultur(-en) von Behinderung“ gegenüber (Schillmeier 2007, 93). Die Lokalisierung von Behinderung ­erfolgt demnach weder einseitig als körperliche, individuelle Schädigung (wie im medizinischen Modell) noch als soziale und damit kollektive Behinderung (wie im sozialen Modell), sondern als heterogene, situative Praxis der (Dis-)Lokalisierung (Waldschmidt/Schneider 2007, 17).

In Anlehnung an Rita Struhkamp (vgl. Struhkamp 2004) beschreibt Schillmeier Behinderung10 als „heterogenes, materiales Ereignis“, welches „soziale und nicht soziale Zusammenhänge von menschlichen und nicht menschlichen Akteuren, von Dingen, Körpern, Technologien […]“ miteinander verknüpft und somit im Sinne von „behindernden wie ermöglichenden (‚dis/abling‘) Szenarien erfahrbar“ macht11 (Schillmeier 2005). John Law und Ingunn Moser (Law/Moser 1999) sowie Myriam W ­ inance (Winance 2006) haben in diesem Zusammenhang die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT/Actor-Network-Theory) zurate gezogen, um sich dem Phänomen Behinderung zu nähern.12

1.1.3  Disziplinübergreifendes Forschungs- und Handlungspotenzial Geht man davon aus, dass Behinderung sich in jeder Gesellschaft durch ein komplexes Zusammenspiel von politischen, ökonomischen und kulturellen Werten ­definiert, wie es Carol Gill unterstreicht (vgl. Gill 1989), so wird das disziplinübergreifende Forschungs- und auch Handlungspotenzial deutlich. Anders formuliert: Die Konstruktion von Behinderung kann und sollte nicht nur monoperspektivisch (etwa nach medizinischen oder pädagogischen Kriterien) untersucht werden, sondern auch aus soziologischer, juristischer, ökonomischer, literatur- und medien­ wissenschaftlicher, historischer, kulturwissenschaftlicher und eben auch aus Design-Perspektive. Konkret muss also gefragt und soll gezeigt werden, welche (zentrale) Rolle Design in der Konstruktion von Behinderung spielt, welche Schwierigkeiten sowie insbesondere welche Potenziale sich daraus ergeben. Im Verlaufe dieser Arbeit wird gezeigt, wie Designforschung und eine von ihr informierte Gestaltungspraxis als ohnehin vielfach selbst an Schnittstellen zu anderen Forschungsrichtungen agierende Disziplin13 von einem disziplinübergreifenden Verständnis von Behinderung profitieren kann. Es kann dabei bereits festgehalten werden, dass weder das medizinische noch das soziale Modell von Behinderung ausschließlich zufriedenstellend für Design sind (vgl. Anderberg 2005, 1). Das medical model als „problem-orientierter“ Ansatz

034  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

stellt Behinderung vereinfacht und abstrahiert dar, indem es die Aufmerksamkeit auf eine notwendige Anpassung des Individuums an die (Mehrheits-)Gesellschaft richtet. Das social model wiederum tendiert zu ideologischen Formulierungen und ­zur Distribution politischer Standpunkte ohne ausreichend Relevanz für praktikable, alltagsnahe Implementierungen (ebd.). Hierzu ließe sich formulieren, dass bisherige Annäherungen des Designs an Behinderung in ihrer Herangehensweise häufig eher dem Medical Modell zuzuordnen sind, indem Behinderung – und somit auch Menschen mit Behinderungen – als ­Problem konstituiert werden, welches es „gestalterisch“ zu beheben gilt. Attestiert man Design – entsprechend der Definition Herbert Simons – einen Aufgabenbereich, der darauf ausgerichtet ist, bestehende Situationen in bevorzugte zu verwandeln,14 so wird schnell klar, dass die oben beschriebene, singuläre Blickrichtung problematisch sein kann, indem sie zwar medizinische Aspekte erfolgreich zu adressieren vermag, andere wichtige z. B. soziale Aspekte hingegen vernachlässigt. Ein integrierter, beide Behinderungsmodelle berücksichtigender Gestaltungsansatz, der dem gerecht würde, ist bis dato noch nicht formuliert worden.

1.1.4  Forschungslücke: Gestaltung Insgesamt muss konstatiert werden, dass eine Designperspektive auf den Themenkomplex „Behinderung“ in der Fachliteratur bislang nur unzureichend behandelt wird. Deren ausführliche Deutung und Einordnung fehlt bisher oder findet nur in Bezug auf einzelne Aspekte statt. Erste Anknüpfungspunkte für einen Designdiskurs in den Disability Studies stellen die dort zunehmend geführten Auseinandersetzungen mit der Rolle von Technik dar. So findet etwa das komplexe Zusammenspiel von Individuum und Technik in der Welt der Artefakte bei Gerard Goggin und Christopher ­Newell Erwähnung, die beispielhaft erläutern, wie ein Rollstuhl theoretisch als Mobilitätshilfe angesehen werden mag, aber als effektiver „Enabler“ nur in einem System so verstanden werden kann, dessen Umgebung an Rollstühle und Rollstuhlnutzung gewöhnt ist: „Without the necessary pavement, curbs, ramps, and funding of so-called access, the wheelchair as a system has different meanings and effects“ (Goggin/Newell 2003). Ähnlich argumentiert Peter Freund – in dem Fall mit Blick auf das Zusammenspiel von Körper und Raum, welches er folgendermaßen analysiert: The body is not simply a culturally constructed representation nor is it physically shaped like clay by social force, but it is experienced and ‚lived-in‘ differently in various s­ocio-­ material environments and material cultures (e.g. technologies) (Freund 2001; zitiert nach Anderberg 2005).

DIS/ABILITY – DISZIPLINÄRE ­A NNÄHERUNGEN AN BEHINDERUNG­  035

Design15 findet in diesem Zusammenhang bisher kaum explizite Erwähnung.16 Diese Feststellung wird unterstrichen von Peter Anderberg, der den Mangel an direkter Anerkennung vonseiten der Disability Studies Community in Bezug auf die Wichtigkeit von Technologie und Design für das Forschungsfeld moniert. Der Mangel von konkreten Perspektiven auf das Design und aus dem Design heraus ist aus den genannten Gründen schwer nachvollziehbar.17 Anderberg formuliert es noch drastischer: Technology and design are too important to be left only to the technicians and designers; it cannot be seen as being separate from other instances of the culture we live in. Technology and functional aids belong in the heart of Disability Studies (Anderberg 2005, 5).

Auch hieran verdeutlicht sich die zentrale Rolle, die Design in Bezug auf Behinderung spielt bzw. spielen kann. Wie im späteren Verlauf gezeigt wird, agiert Design an wenigstens zwei Schnittstellen, durch die die Behinderungsthematik anders diskutiert werden kann als landläufig der Fall. Die erste Schnittstelle bezieht sich auf die Komponente eines „Empowerments“,18 die zweite Schnittstelle auf ein gestalterisches Potenzial zur „Dekonstruktion“ von Behinderung.19 Im nun folgenden Unterkapitel 1.2 wird dies ausführlich dargelegt.

1.2  Design und Behinderung Dass ein Zusammenhang zwischen Design und Behinderung besteht, kann als Kernthese dieser Arbeit zusammengefasst werden. Wie anhand der zuvor dargelegten sozialen und kulturellen Konstruktionsparameter von Behinderung deutlich wird, spielen insbesondere auch situativ empfundene Wahrnehmungs-, Interpretationsund Deutungsweisen von Behinderung eine Rolle. Diese vollziehen sich sowohl aus der Perspektive behinderter als auch aus der nicht-behinderter Menschen. Dass die Frage, wie Außenstehende und „Betroffene“ Behinderung empfinden oder definieren, zwangsläufig an Gestaltungsfragen gekoppelt ist, wird auch aus folgendem Grund nachvollziehbar: Als gestaltende Disziplin ist Design grundlegend an der Verbreitung und Verfestigung von Normalitätskonstrukten beteiligt. Sei es in Form von medial inszenierten und popularisierten Schönheits- und Nutzeridealen oder anhand der Schaffung von mehrheitsorientierten und somit trotzdem (oder gerade deshalb) exkludierenden Produktwelten. Bei der Gestaltung von Werbekampagnen obliegt die Definitionsmacht bezüglich der Bildsprache, Modell- und Motivwahl z. B. häufig den Designabteilungen und -agenturen. Die möglichen Auswirkungen einer solchen gestalterischen Deutungshoheit lassen sich vergleichbar erläutern am Beispiel der Geschlechterrollenkonstruktion im Design.20

036  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

In Bezug auf den Einfluss von Design auf die Geschlechterrollenkonstruktion verweist Gesche Joost auf die hohe massenmediale Präsenz von Gender21 Rolemodels, durch die Design einen „indirekten Einfluss auf Rollenvorbilder und auf das, was von den meisten als ‚normal‘ und ‚richtig‘ angesehen wird“ (Joost 2008, 5), ausübt. Dieser durch Design potenzierte Normierungs- und Exklusionsprozess greift ebenso im Kontext von Behinderung. Design und seine häufig unreflektiert verbreiteten Ideal-Bilder sind somit politisch; daran geknüpft ist die Frage, welche stereotypen Bild- und Produktwelten in einer Gesellschaft toleriert werden. Es liegt dabei zweifellos auch im Handlungsspielraum von Designerinnen und Designern, sich der gesellschaftspolitischen Dimension ihrer Gestaltung gewahr zu werden, insbesondere, wenn es darum geht, die exkludierende Macht ihrer Entwürfe zu erkennen und kritisch zu hinterfragen.22 Wie bereits gezeigt wurde, herrscht innerhalb der Disability Studies ein – wenn auch bisher selten oder nur vorsichtig ausformuliertes – Bewusstsein über den ­Einfluss von Design23 auf das Konstrukt Behinderung. Wie nun gezeigt werden wird, besteht in Designtheorie und -forschung ein – zu unterschiedlichen Graden ausgeprägtes – Bewusstsein über Zusammenhänge von Design und Behinderung. Eine deutlich argumentierte Relation wurde bisher jedoch nicht klar formuliert. Hier tut sich eine Forschungslücke auf, weil davon ausgegangen werden kann, dass die Erkenntnisse, Ansätze und Perspektiven aus den Disability Studies die Designforschung (und -praxis) bereichern können und umgekehrt. Eine fruchtbare Schnittstelle beider Disziplinen erschließt sich dabei auch aus dem folgenden Sachverhalt: Als kritische Theorie sind die Disability Studies an der kritischen Analyse und somit Entlarvung gesellschaftlicher Macht- und Repressionsmechanismen interessiert und beteiligt. Der dabei formulierten Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen sowie an deren Ursachen und Modalitäten wohnt dabei durchaus auch der Anspruch zur Notwendigkeit ihrer Veränderung inne. Diesem Anspruch kann die Designforschung Folge leisten, insbesondere, wenn man ein D ­ esignverständnis ­zugrunde legt, das auf folgenden Aspekten beruht. Erstens, dass Design als unweigerlich gesellschaftsrelevant begriffen wird. Und zweitens, dass es sich bei Design um eine Disziplin handelt, die zum einen über das Potenzial verfügt und zum anderen auch den Anspruch verfolgt, Dinge und Zusammenhänge zu verändern. Bevor dies näher veranschaulicht wird, empfiehlt es sich jedoch, einige begriffliche Vagheiten genauer zu inspizieren.

1.2.1  Behinderungsbegriffe im Kontext von Design Die Schwierigkeit des begrifflichen Umgangs mit Behinderung verdeutlicht sich im Zusammenhang mit Gestaltung noch einmal explizit (vgl. Bieling/Joost 2017). Dies fängt bei Begriffen wie „Hilfsmittel“ oder „assistierende Technologie“ (bzw. im Englischen: assistive technology; assistive devices) an. Denn bei der Frage, wo g ­ eholfen

DESIGN UND BEHINDERUNG  037

und wo ­assistiert werden muss, scheint offensichtlich ein Problem zu bestehen. Adressaten einer „Unterstützung“ werden somit unweigerlich als „Bedürftige“ konstituiert. Im gleichen Zuge erscheinen sowohl die gestalteten Assistenzmittel als auch deren Gestalter als Repräsentanten eines Wohltätigkeitsprinzips, welches auch ein Hierarchiegefälle in sich birgt: Wem geholfen werden muss, der steht immer auch in einem Abhängigkeits- und somit einem Machtverhältnis gegenüber demjenigen, der hilft bzw. helfen kann.24 Ein weiterer, häufig verwendeter Terminus in dem Zusammenhang ist die, im anglo-amerikanischen weit verbreitete, Bezeichnung des „Design for special needs“. Eine als „Design für spezielle (besondere) Bedürfnisse“ übersetzte Entsprechung ist im deutschen Sprachgebrauch nicht nennenswert existent. Womöglich aus demselben Grund, der auch von Kritikern der englischen Bezeichnung angeführt wird, die den Begriff als zu patronisierend (vgl. Pullin 2009, 2), ablehnen. Schwierig ist auch der Begriff „Medical Engineering“,25 impliziert er doch einen starken Fokus auf technische Aspekte und klammert dabei soziale oder kulturelle Komponenten gänzlich aus.26 Im Verlaufe dieser Arbeit finden einige dieser Begriffe, aus Gründen, die sich aus dem jeweiligen Zusammenhang erschließen, dennoch Verwendung. Die im Englischen geläufigen Umschreibungen „Design for Disabilities“ wird – sofern überhaupt verwendet – vorzugsweise in ihrer englischen Originalfassung belassen, da die Übersetzung „Design für Behinderung“ doch etwas irreführend wirkt, die inhaltlich vielleicht plausiblere Variante „Design gegen Behinderung“ hingegen sehr drastisch und möglicherweise abermals sinnverfremdend verstanden werden könnte. Ähnlich verhält es sich mit der Bezeichnung „Design for people with disabilities“. Pullin weist diese Bezeichnung als nicht ideal zurück, da sie impliziert, jedwedes andere Design wäre nicht für behinderte Menschen (bzw. gegen sie) konzipiert. Ohne nun der Debatte einen weiteren Begriff aufzwängen zu wollen, wird aus Gründen, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit deutlich werden, häufig von Behinderungs-bewusstem (oder auch Behinderungs-sensiblem, Behinderungs-orientiertem) Design die Rede sein. Es handelt sich dabei um eine Bezeichnungsweise, die mindestens zwei Aspekte berücksichtigt. Zum einen ist damit ein sensibles Gestalten für Behinderungskontexte gemeint. Zum anderen beinhaltet sie auch den Aspekt eines generellen Bewusstseins (der Gestaltenden) dahingehend, wie stark Design und Behinderung miteinander verknüpft sind. Darin verankert liegt auch ein Verständnis von Vielfältigkeit – sowohl in Bezug auf mögliche Gestaltungsvarianten als auch in Hinblick auf unterschiedliche Nutzer- und Nutzungsperspektiven. Zur Formulierung möglicher und notwendiger Impulse einer behinderungsbewussten Designforschung sowie zur Aufdeckung möglicher Fallstricke erfolgt nun eine Inaugenscheinnahme bereits bestehender Konzepte aus Designtheorie und -praxis. Zwei populäre Begriffe hierfür sind das „Universal Design“27 und das „Inclusive Design“, die im Folgenden näher untersucht und differenziert werden.

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1.2.2  Universal und Inclusive Design Speziell in Bezug auf die Annäherung der beiden Parameter „Design“ und „Behinderung“ halten Designtheorie und -praxis mehrere Ansätze bereit, die unter verschiedenen Begriffen Verbreitung gefunden haben:28 allen voran „Universal Design“ (­Erlandson 2008; Herwig 2008; Herwig 2011; Mace et al. 1991), „Design for all“, „­Design for Accessibility“, „Barrier-free Design“, „Transgenerational Design“ oder „Inclusive Design“ (Imrie/Hall 2001). Neben terminologischen und bisweilen norma­tiven Unterschieden sind deren ethische Prinzipien laut Mitrasinovic überregio­nal an­nähernd identisch (Mitrasinovic 2008, 419). Zum Verständnis des hier erarbeiteten Ansatzes sollen die drei am weitesten verbreiteten Konzepte – „Universal ­Design“, „Inclusive Design“ und „Design for All“ – nun insbesondere mit Blick auf ihre Unter­schiede und Gemeinsamkeiten kurz beschrieben, begrifflich differenziert sowie perspektivisch analysiert und kritisch hinterfragt werden. Das Konzept des „Universal Design“ erlangt erstmalig im ausgehenden 20. Jahrhundert größere Popularität und steht dort in enger Verbindung zur US-­ amerikanischen Accessibility-Bewegung. Es ist daher chronologisch nach dem ­europäischen Konzept des „Design for All“ einzuordnen, dessen Ursprünge sowohl auf die „demokratischen“ Design-Ansätze im skandinavischen Funktionalismus29 (Klein-Luyten et al. 2009, 13) als auch auf Ansätze des ergonomischen Designs der 1960er-Jahre zurückgeht (Kercher 2006; zitiert nach Leidner 2007, 398). Konzeptuell ist das „Design for All“ weitestgehend deckungsgleich mit dem im angelsächsischen gebräuchlichen „Inclusive Design“. Eine Begriffsdifferenzierung beschränkt sich also vorrangig auf die Konzepte „Design for All“ und „Universal Design“. Rüdiger Leidner erkennt eine Übereinstimmung beider Konzepte dahin­ gehend, dass sie sich jeweils auf Gestaltungen beziehen, die (ggf. mit situativer, unkomplizierter Anpassung) für möglichst große Nutzergruppen konzipiert und handhabbar sind (Leidner 2007, 399). Das „Design for All“-Prinzip sieht als zusätzliche Attribute die Möglichkeit individueller Hilfsmittelnutzung sowie den Miteinbezug potenzieller Nutzerinnen und Nutzer in sämtlichen Phasen der Entwicklung vor (vgl. Build for all 2004, 9). Auffallend ist, dass die drei genannten Design-Begriffe, im Unterschied etwa zum Terminus „Barrierefreiheit“, eher auf eine apriorische Vermeidung von Barrieren abzuzielen scheinen, wohingegen „Barrierefreiheit“ auch die Assoziation eines nachträglichen Barriereabbaus zulässt. Eine programmatische Untermauerung dieses Eindrucks findet sich jedoch nirgends, sodass davon auszugehen ist, dass eventuelle Unterschiede zwischen den jeweiligen Konzepten eher historisch begründet sind (vgl. Leidner 2007, 400). Dass die grundsätzlichen Zielvorstellungen in den genannten Konzepten generell übereinzustimmen scheinen, wird auch daran deutlich, dass sowohl im gestaltungshochschulischen als auch in politischen oder unter­nehmensbezogenen Kontexten sowie im generell gängigen Sprach­gebrauch,

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all diese Begriffe häufig synonym verwendet,30 additiv genannt oder schlicht vermischt werden.31 Die Kernbotschaft scheint dabei stets dieselbe zu sein: mit gestalterischen Mitteln weniger Schwierigkeiten für mehr Menschen zu schaffen!32 Erstmalig taucht der Begriff Universal im Jahr 1985 auf, als der gehbehinderte US-Architekt und Industrial Designer Ron Mace einen Artikel unter dem Titel „Universal Design: Barrier Free Environments for Everyone“ veröffentlicht (Mace 1985). Sein Kernargument darin: Design sollte alle Nutzerinnen und Nutzer berücksichtigen. Nicht bloß den Durchschnitt. Und nicht nur solche, die als „außergewöhnlich“ oder „abnorm“ bezeichnet werden. Die Ideen und Ansätze, die aus diesem so formulierten Gestaltungsverständnis abgeleitet wurden, spiegeln sich dann auch in den später häufig zitierten „7 Principles of Universal Design“ wider, die 1997 am Center for Universal Design (NC State University) formuliert wurden33 (CUD 1997). Zu diesen Prinzipien zählt beispielsweise die Richtlinie, dass Design einen „multiple use“ haben sollte. Dass es „multiple Users“ für ein bestimmtes Objekt oder einen bestimmten Ort/Raum geben sollte. Oder, dass Dinge flexibel gestaltet sein sollten, sodass sie auf unterschied­ liche Weise genutzt werden können. Die im Folgenden aufgelisteten Universal Design-Prinzipien sollen Anhaltspunkte und Entwurfskriterien bieten, um im Design möglichst viele Nutzerinnen und Nutzer adressieren zu können.34

Prinzip 1: Breite Nutzbarkeit Das Design ist für Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten nutzbar und marktfähig. Richtlinien: • Gleiche Möglichkeiten der Nutzung für alle Nutzer zur Verfügung stellen: identisch, soweit möglich; ­gleichwertig, falls dies nicht möglich ist. • Ausgrenzung oder Stigmatisierung jedwelcher Nutzer vermeiden. • Mechanismen zur Erhaltung von Privatsphäre, Sicherheit und sicherer Nutzung soll für alle Nutzer gleichermaßen verfügbar sein; das Design für alle Nutzer ansprechend g ­ estalten.



Prinzip 2: Flexibilität im Gebrauch Das Design unterstützt eine breite Palette individueller Vorlieben und Möglichkeiten. Richtlinien: • Wahlmöglichkeiten der Benutzungsmethoden vorsehen. • Rechts- oder linkshändigen Zugang und Benutzung unterstützen.

040  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

• Die Genauigkeit und Präzision des Nutzers unterstützen. • Anpassung an die Schnelligkeit des Benutzers vorsehen.

Prinzip 3: Einfache und intuitive Handhabung Die Benutzung des Designs ist leicht verständlich, unabhängig von der Erfahrung, dem Wissen, den Sprachfähigkeiten oder der momentanen Konzentration des Nutzers. Richtlinien: • Unnötige Komplexität vermeiden. • Die Erwartungen der Nutzer und ihre Intuition konsequent berücksichtigen. • Ein breites Spektrum von Lese- und Sprachfähigkeiten unterstützen. • Information entsprechend ihrer Wichtigkeit kennzeichnen. • Klare Eingabeaufforderungen und Rückmeldungen während und bei der Ausführung vorsehen.



Prinzip 4: Sensorisch wahrnehmbare Informationen Das Design stellt dem Benutzer notwendige Informationen effektiv zur Verfügung, unabhängig von der Umgebungssituation oder den sensorischen Fähigkeiten der Benutzer. Richtlinien: • Unterschiedliche Modi für redundante Präsentation wichtiger Information vorsehen (bildlich, verbal, taktil). • Angemessene Kontraste zwischen wichtigen Informationen und ihrer Umgebung vorsehen. • Maximierende Lesbarkeit von wichtigen Informationen. • Kompatibilität mit einer Palette von Techniken oder Geräten, die von Menschen mit sensorischen ­Einschränkungen benutzt werden, vorsehen.



Prinzip 5: Fehlertoleranz Das Design minimiert Risiken und die negativen Konsequen­ zen von zufälligen oder unbeabsichtigten Aktionen. Richtlinien: • Arrangieren der Elemente zur Minimierung von Risiken und Fehlern: die meist benutzten Elemente am besten zugänglich; risikobehaftete Elemente vermeiden, isolieren oder abschirmen. • Warnungen vor Risiken und Fehlern vorsehen. • Fail-Safe-Möglichkeiten vorsehen.35

DESIGN UND BEHINDERUNG  041

• Bei Ausführungen, die eine hohe Aufmerksamkeit erfordern, sicherstellen, dass unbeabsichtigte Aktionen verhin­ dert werden.



Prinzip 6: Geringer körperlicher Aufwand Das Design kann effizient und komfortabel mit einem Minimum von Ermüdung benutzt werden. Richtlinien: • Die Beibehaltung der natürlichen Körperhaltung ermög­ lichen. • Der für die Bedienbarkeit erforderliche Kraftaufwand sollte angemessen sein. • Minimierung sich wiederholender Aktionen. • Andauernde körperliche Belastung vermeiden. Prinzip 7: Erreichbarkeit und Zugänglichkeit Angemessene Größe/Höhe und Platz für den Zugang, die Erreichbarkeit, die Manipulation und die Benutzung unabhängig von der Größe des Benutzers, seiner Haltung oder Beweglichkeit vorsehen. Richtlinien: • Eine klare Sicht auf wichtige Elemente für jeden sitzenden oder stehenden Benutzer vorsehen. • Eine komfortable Erreichbarkeit aller Komponenten für alle sitzenden oder stehenden Benutzer sicherstellen. • Unterstützen unterschiedlicher Hand- und Greifgrößen. • Ausreichend Platz für die Benutzung sonstiger Hilfsmittel oder von Hilfspersonen vorsehen.

1.2.3  Die Krux der Universalisierung Diese sieben Prinzipien und die mit ihnen formulierten Richtlinien scheinen zunächst plausibel, können jedoch zu großen Teilen auch als Kriterien für Design allgemein gelten. Für eine Charakterisierung von Universal Design sind sie daher nicht präzise genug (Park 2012, 23). Dies allein mag vielleicht nicht ausreichen, um den Universal-Ansatz grundsätzlich kritisch infrage zu stellen. Es gibt jedoch noch ­weitere Aspekte, die das idealbildliche Konzept von Universal Design brüchig erscheinen lassen. Eine Schwierigkeit besteht beispielsweise darin, dass Universal Design selber häufig auf Normierung zielt. June H. Park sieht darin eine Gefahr, da „bei Normen die Objekte im Mittelpunkt stehen und nicht der Mensch“36 (Park 2012, 24).

042  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich in Bezug auf den Individualisierungsgrad, der sich aus der Varianz unterschiedlicher Behinderungen ergibt. „Die zahlreichen ­Arten von Behinderungen und vor allem auch individuelle Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung machen in vielen Fällen nicht ein universelles, sondern ein individuelles Design notwendig“ (ebd.). Es scheint daher fraglich, inwiefern eine Entstigmatisierung behinderter Menschen durch Universal Design allein gelingen kann. Ein weiteres strukturelles Problem von Universal Design vermutet Park in dessen Tendenz, „von einem normbasierten Designkonzept zu einer normativen Designkultur zu werden“ (ebd.).37 In den hier verorteten Möglichkeiten und Herausforderungen für Designforschung erkennt June H. Park einen „Meilenstein für die Fortentwicklung der Theorie und Praxis des Designs und ein[en] weitere[n] Schritt zur Etablierung der Designwissenschaft“ und schlägt dabei eine Fokussierung auf vier Kernkriterien vor (ebd.): • • • •

Zugänglichkeit Entstigmatisierung Berücksichtigung der Hilfsmittel und Hilfspersonen Kompatibilität mit Assistenztechnologien

1.2.4  Historische Einordnung eines Leitbildes Es ist nicht unerheblich, genauer nachzufragen, aus welchen Zusammenhängen die teils synonymen Konzepte wie Universal Design (oder vielmehr deren Kern­ motivationen) eigentlich entstanden sind und wie sich die dazugehörigen Diskurse bis heute fortentwickelt haben. Hierzu sei noch einmal festgehalten, dass Universal Design als Begriff traditio­ nell häufig dann zur Hilfe genommen wird, wenn es darum geht, die Zugänglichkeit (Accessibility)38 von Gebäuden, öffentlichen Plätzen oder auch Produkten für möglichst viele Leute zu beschreiben. Es geht also um eine Accessibility by D ­ esign, das heißt eine auf Gestaltungskonzepten, -prozessen und -ergebnissen basierende Zugänglichkeit. Worin besteht also das Leitbild von Universal Design? Diese Frage beschränkt sich nicht nur auf dessen Grundidee, sondern soll durchaus weiter gefasst werden. Im Englischen würde man vom „Concept“ of Universal Design sprechen, was im Deutschen mit dem Begriff „Konzept“ nur unzureichend übersetzt wäre, da mit dem englischen Begriff „Concept“ nicht nur der Entwurf, die Idee, sondern beispielsweise auch die Begrifflichkeit, die Begriffsbildung, aber z. B. auch die Ausarbeitung, Durchführung und Umsetzung von Universal Design gemeint sind. Eine solche weiter gefasste Betrachtung bezieht sich auch auf ein mögliches Methodenspektrum, welches sich aus der Grundidee des Universal Designs heraus entwickelt hat. Ferner richtet sie den Blick auf bestimmte „Communities of

DESIGN UND BEHINDERUNG  043

­Practice“,39 die sich aus bzw. rund um den Universal Design-Gedanken ent­wickelt haben. Damit sind Gruppen, Gruppierungen, Menschen und Institutionen gemeint, die sich im Laufe der Zeit formiert haben, um sich aktiv mit dem Thema des Universal Designs und seiner Implementierung auseinanderzusetzen. Denn nicht zuletzt in deren Handeln drücken sich konkrete Interpretationen der Begrifflichkeit von Universal Design aus, und somit auch ein damit einhergehendes Verständnis, einer dahinterliegenden Logik, die sich auch in Phrasen und Ausdrücken wie „All Users“ oder „Everyone“ widerspiegeln. Denn durch der­artige Pauschalbegriffe vermitteln sich immer auch (ob gewollt oder nicht) konkrete ­Gesellschaftsbilder. Seinen historischen Ursprung findet Universal Design Mitte des 20. Jahrhunderts: Angesichts der hohen Zahl Kriegsversehrter verändert sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs beispielsweise vielerorts auch der Umgang mit und der Einfluss von Kriegsveteranen auf bestimmte (z. B. politische, wirtschaftliche sowie letztlich auch gestalterische) Entscheidungsprozesse. In den USA werden beispielsweise vonseiten der Veteranenverbände konkrete gesellschaftspolitische Forderungen formuliert, die dann wiederum in merkbare gesellschaftspolitische Entscheidungen münden, an die dann wiederum durchaus designrelevante Handlungs­muster ­geknüpft sind. Hierbei handelt es sich um Forderungen, die im weiteren oder ­engeren Sinne mit Barrierefreiheit assoziiert sind. So z. B. Forderungen hinsichtlich des Arbeitsrechts oder hinsichtlich bestimmter Produktionsweisen (vgl. Hamraie 2015). Ebenfalls in Zusammenhang mit der hohen Zahl an Kriegsversehrten und den damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen findet zudem vielfach eine Verlagerung bisheriger Auffassungen von Normalität statt. Denn in dem Moment, in dem eine „Versehrtheit“ oder eine „Verletzung“ keine allzu große „Normabweichung“ mehr darstellt, das heißt nicht mehr allzu stark als „Andersartigkeit“, sondern vielmehr als „Normalzustand“, als „Normalität“ wahrgenommen wird, verändert sich auch der Umgang mit „Betroffenen“. Nach Kriegsende bedeutet das beispielsweise vielerorts konkret: Die langjährige Praxis, andersartige „Sonderlinge“ (Alte, Kranke, Behinderte) in betreute Einrichtungen und Pflegeheime „wegzusperren“ und sie somit auch den Bildlandschaften der Alltagswelt und des öffentlichen Raumes zu entziehen, wird plötzlich auf breitem Felde obsolet. Denn Betroffene erscheinen nicht mehr als sonderartige Minderheit, sondern als großer, zentraler Bevölkerungsanteil. Bemerkenswerterweise setzt genau zu dieser Zeit auch im Design ein zunehmend verändertes Verständnis bezüglich seiner Nutzerinnen und Nutzer ein. Insbesondere auch, was die Art und Weise betrifft, wie Designerinnen und Designer in unterschiedlichen Gestaltungsprozessstufen mit Nutzerinnen und Nutzern umgehen. In den späten 1940er-Jahren bilden sich dabei zwei (mitunter konkurrierende) Gestaltungsparadigmen heraus, die als Basis dessen gelten können, was man heute im weitesten Sinne als „User-centered-Design“ bezeichnet.

044  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

Das erste Paradigma ist vorrangig im Bereich des Industrial Designs verortet: Hier zählt Henry Dreyfuss40 zu den ersten, die eine Idee des sogenannten „Human Engineerings“ formulieren. Die hier zugrunde liegende Vorgehensweise, Gestaltung auf konkrete Anforderungen des menschlichen Körpers auszurichten, kann als Vorläufer dessen angesehen werden, was man heute eher mit dem Begriff der „Ergonomie“41 bezeichnet. Ein maßgeblicher Bestandteil des Human Engineerings beruht auf der Fokussierung auf „Durchschnittswerte“. Diese sollen der (wenn auch verkürzten) Ermittlung von Nutzer-bedingten Bedürfnissen dienen. Bereits hier ließe sich kritisch anmerken, dass ein Design für den „Durschnitt“ letztlich wohl auch zu eher „durchschnittlichem Design“ führen dürfte. Man könnte auch sagen: In dem man versucht, es allen recht zu machen, schafft man einen Zustand, in dem man es letztlich womöglich keinem mehr recht macht. Ein noch größeres Problem, welches über den reinen Designkontext hinausgeht, besteht jedoch darin, dass durch die Fokussierung auf den Durchschnitt letztlich immer auch ein ganz bestimmtes Verständnis des „Durchschnittsmenschen“ bestätigt bzw. propagiert wird. Hieran zeigt sich ein gestaltungsbedingter Normierungsprozess, der dazu führen kann, dass Menschen, die – etwa aufgrund von Körperbeschaffenheiten – von bestimmten Normwerten abweichen, durch einen Gestaltungsprozess (mehr noch als möglicherweise ohnehin bereits) exkludiert werden. Dreyfuss ließ den Aspekt der menschlichen „Abweichung“ nicht unreflektiert. Vielmehr erkannte er, dass „Maßabweichung“ durchaus als Ausgangsressource für innovatives Design fungieren kann. Jedoch lag der Fokus hierfür insbesondere auf generellen Maßunterscheidungen wie z. B. groß und klein, dick und dünn, langsam und schnell oder auch alt und jung. Die Kategorie „Behinderung“ fand hier zumindest explizit noch keine Berücksichtigung, sondern wurde in einem größeren Umfang erstmalig durch den Ansatz des „Barrier-free Designs“ (barrierefreie Gestaltung) adressiert. Die ersten Protagonisten dieses Ansatzes, die sich mit Fragen zur Beseitigung räumlicher, künstlich geschaffener Barrieren für Menschen mit Behinderung beschäftigen, entstammten dem Bereich der Architektur. Durchaus bestand dabei ein Antrieb darin, konkreten gesellschaftlichen Segregationsprozessen gestalterisch (in dem Fall: architektonisch) entgegenzuwirken. Es ließe sich sogar vorsichtig formulieren, dass es beim Barrier-free Design (wenn auch partiell und ansatzweise) erstmalig auch darum ging, Behinderung eher als „Ressource“ bzw. als „Bezugsquelle“ zu sehen und nicht als ein „Defizit“, das es zu beseitigen gilt, wie es in vielen anderen Ansätzen häufig immer noch der Fall ist. Tatsächlich gab es damals schon erste Formulierungen und Bekundungen, die ­daraufhin hindeuten, Menschen mit Behinderung als aktive Quelle oder gar selber als eine Art Designer zu verstehen.42 Dem muss vorangestellt werden, dass es eine (Um-)Gestaltung der eigenen ­le­bensweltlichen Umgebung von Menschen mit Behinderungen höchstwahr­

DESIGN UND BEHINDERUNG  045

scheinlich immer schon gegeben hat. So beschreibt die Design-Historikerin Bess Williamson Beispiele aus den 1940er- und 1950er-Jahren, als Polio-Patienten in den USA unterschiedliche Formen von DIY43-Hacks in ihren häuslichen Umgebungen durchgeführt und z.T. selber auch Technologien und Dinge erfunden und entwickelt haben44 (vgl. Williamson 2014). Es handelt sich dabei um Beispiele, die sich gleichermaßen als Quell zur Beseitigung technischer und sozialer Barrieren identifizieren lassen. Die beiden angesprochenen Paradigmen – „Human Engineering“ und „Barrier-­ free Design“ – finden damals in etwa parallel statt, wobei der stärkere Impuls zunächst noch aus der Architektur heraus kommt.45 Insbesondere der Ansatz des „Barrier-­Free Design“ vermag dabei bereits aufzuzeigen, inwiefern sich durch eine aktive Behinderungsperspektive letztlich auch Mehrwerte für weitere Nutzerinnen und Nutzer, also nicht nur für „Behinderte“ generieren lassen können. Was damit gemeint ist, lässt sich anhand eines weiteren Beispiels der Design-­ Historikerin Bess Williamson verdeutlichen: Dieses bezieht sich auf eine S ­ tudie aus den 1950er-Jahren an der University of Illinois, Urbana Champagne. Für den dortigen Campus hatte man spezielle Dusch-Sitze entwickelt und eingesetzt, die es Rollstuhlfahrenden erleichtern sollte, in die Dusche zu gelangen. Es zeigte sich, dass diese Stühle, obwohl aus stabilem Material gebaut und hervorragend ver­arbeitet, doch unerwartet schnell kaputt gingen. Als man der Ursache auf den Grund ging, fand man heraus, dass die Duschstühle auch von einem sehr großen Teil der nicht-behinderten Studierenden verwendet wurden (vgl. Hamraie 2015). Das Stuhl-Design für „Special Needs“ hatte sich als Design entpuppt, mit dem viel allgemeinere Bedürfnisse und Nutzergruppen angesprochen und befriedigt werden konnten, als ursprünglich angenommen worden war. Es sind Beispiele wie dieses, die als Ausgangspunkt dienen können, über Gestaltungsansätze wie einem „Design for All“ nachzudenken und die Frage zu diskutieren, wie ein solches konzipiert sein müsste und welche Schwierigkeiten mit ihm verbunden wären. Der Terminus „for All“ taucht in diesem Zusammenhang in den späten 1960er-Jahren auf,46 als 1967 die US-amerikanische Rehabilitation Service Administration ­einen Bericht zur Unterstützung einer Gesetzesvorlage veröffentlicht, die dann später als Architectural Barriers Act (1968) bekannt wurde. Es handelt sich dabei um das erste Gesetz, das besagt, dass öffentliche Gebäude, wie z. B. staatliche Behörden, „­accessible“, also zugänglich bzw. barrierefrei zu sein haben. Dieser Bericht trägt den Titel „Design for all Americans“ (United States 1986). Dessen Kernaussage besteht darin, dass ältere Menschen und Menschen mit Behinderung ebenfalls Bürger wie alle anderen sind und es demzufolge keinen Grund gebe, ihnen nicht auch dieselben Rechte, Handlungsspielräume und Möglichkeiten zur Teilhabe zu vermitteln.47 In Deutschland bilden sich erste Initiativen zum Thema „Barrierefreiheit“ ab den 1970er-Jahren. Allen voran die „Krüppelbewegung“, deren Fokus als politische Aktivistengruppe zunächst auf Barrieren zur Berufsausübung, Fragen zur Gleichberechtigung und mangelnde Unterstützung durch öffentliche Institutionen aus-

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gerichtet war (vgl. Mürner/Sierck 2009). Doch auch Barrieren im Stadtbild oder im öffentlichen Personennahverkehr werden in dieser Zeit als Themenschwerpunkte formuliert. Als Gruppierung ist hier vor allem die sogenannte „Stadtkritik“48 zu ­nennen, eine kritische Strömung der 1960er- und 1970er-Jahre, deren Vertreter die „Bauweisen und Funktionsstrukturen ‚moderner‘ Städte für soziale Probleme verantwortlich“ machten (Bösl 2012, 30). In den darauf folgenden Jahren entwickeln sich zunehmend Aktivitäten ­sowohl aufseiten der politisch-aktivistischen Gruppierungen als auch in den programmatischen Ansätzen gestaltender Disziplinen. Die inhaltlichen Überschneidungen sind dabei zum Teil bereits augenscheinlich. Personell gibt es jedoch vorerst nur vereinzelt Berührungspunkte. Bezeichnend ist jedoch, dass es in beiden Strömungen zunehmend auch darum geht, diejenigen in (z. B. Untersuchungs-, Forschungs-, Gestaltungs- oder Entscheidungs-)Prozesse mit einzubeziehen, die von den Auswirkungen dieser Prozesse unmittelbar betroffen sind. Im Design etwa durch Ansätze wie dem (später noch ausführlicher ­beschriebenen) ­Participatory Design. Aufseiten der Disability-Aktivisten vor allem durch Forderungen und ­Versuche zu mehr politischer Teilhabe sowie durch Ansätze ­einer partizipativen Forschung. Der Leitspruch der internationalen Behinderten­bewegung „Nothing about me, without me!“ ist zu Beginn der 1980er-Jahre dann auch im Wesen­tlichen impulsgebend für die Etablierung der Disability Studies als w ­ issenschaftliche ­Disziplin.

1.2.5  Disziplinübergreifendes Erkenntnispotenzial Es ist ein zentrales Anliegen dieser Arbeit, fruchtbare Berührungspunkte der Design- und der Behinderungsforschung offenzulegen. Denn wie bereits dargelegt wurde, werden Designaspekte in den Disability Studies bis dato nur wenig behandelt. Und auch die Positionen der Disability Studies finden im Design bisher nur stellenweise Berücksichtigung. Allein schon auf terminologischer Ebene ergeben sich dafür beidseitige Anknüpfungspunkte. Denn bei einer separierten Betrachtung von Begriffen wie (Design for) „All“, (Design for) „Everyone“ oder „Universal“ (Design) lassen sich kaum Aspekte finden, aus denen hervorgehen würde, inwieweit Design normativ agiert und somit selbst maßgeblich verantwortlich für Behinderung sein kann. Ebenso wenig finden hier mögliche gesellschaftliche oder politische Forderungen von marginalisierten Nutzern begriffliche Berücksichtigung, was gerade im Kontext von Behinderung seltsam anmutet, da wir es hier mit einem Feld zu tun haben, aus dem heraus in der Designgeschichte – wie gezeigt – immer wieder starke (personelle, ­institutionelle oder produktbezogene) Impulse kamen, die das Design beeinflusst haben. Und zwar nicht nur – aber in besonderem Maße auch im Falle von Universal Design.

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Im, vergleichsweise kurzen, historischen Verlauf des Universal Designs kam es daher durchaus schon zu kritischen Anmerkungen hinsichtlich der begrifflichen Plausibilität. Erste umfangreichere Ansätze zur begrifflichen Erschließung von ­Universal Design gibt es beispielsweise bei Ami Hamraie, die das Themenfeld aus feministisch-technikphilosophischer Perspektive untersucht (vgl. Hamraie 2013). Hamraie sieht den Hauptgrund für die anhaltende Verwendung des Begriffs darin, dass das Thema Behinderung häufig tatsächlich mit „universalen Erfahrungen“ konnotiert ist, in dem Sinne, dass Menschen mit Behinderungen in der Regel mit einem komplexen Netzwerk an Barrieren konfrontiert werden, von denen die physischen oder kognitiven Zugänge (beispielsweise über ein Artefakt, ein Gerät, ein User-­Interface) im Grunde nur einen Teil der Behinderung ausmachen, und wir es vielmehr mit einer übergeordneten, systemischen Behinderung zu tun haben (zu denen beispielsweise auch rechtliche Fragen, politische Entscheidungen oder auch ein gesellschaftliches Gesamtverständnis) zu zählen sind. Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit kann also festgehalten werden, dass es sich bei den genannten Begriffen zumindest um einen Versuch handelt, einen Diskurs dahingehend in Gang zu halten, in welchem Beziehungsgeflecht Behinderung und Gestaltung eigentlich verortet sind. Ferner wird festgehalten, dass die Aushandlung der begrifflichen Deutungsweisen von unterschiedlichen Akteuren vollzogen wird und dabei immer auch geknüpft ist an gesellschaftliche Entwicklungen und Ereignisse. Es muss jedoch ebenso festgehalten werden, dass sowohl in der D ­ esigntheorie als auch in den Disability Studies mindestens zwei Aspekte bisher kaum oder gar nicht berücksichtigt wurden. Zwei Aspekte, die jedoch sowohl zum besseren Verständnis der Aufgabenbereiche von Design (einschließlich damit verbundener ­Potenziale und Schwierigkeiten) als auch zum besseren Verständnis der sozio-technischen Konstruktionen von Behinderung beitragen können. Diese beiden Aspekte werden im Folgenden anhand von zwei Thesen dargelegt und diskutiert. Hieraus wird hervorgehen, dass dem Beziehungsgeflecht „Design“ – „Behinderung“ ein Gestaltungsdilemma innewohnt, welches sich im Brock’schen Sinne als „unlösbares Problem“ darstellt.49 (These 1: Gestaltungsdilemma). Anschließend wird aufgezeigt, inwiefern „Behinderung“ aus gestalterischer Perspektive gleichwohl über innovationstreibendes Potenzial verfügt (These 2: Behinderungsperspektiven als I­ nnovationstreiber).50

1.2.6  These 1: Gestaltungsdilemma Wie noch deutlich werden wird, ist ein rein traditioneller, das heißt problem-­ orientierter Designbegriff für das Konzept Behinderung unbrauchbar. Ein Ansatz im Sinne eines „Design for Disabilities“ klammert entscheidende Aspekte aus (bzw. stellt sie explizit in den Vordergrund), wodurch Designerinnen und

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­ esigner mit einem Dilemma konfrontiert werden: Design für Behinderte gestalD tet ­Behinderung. Konkreter lässt sich dies abermals in mindestens zwei Dilemmata aufschlüsseln: Zum einen stellt sich die Frage nach dem Sichtbarmachen gegenüber dem ­Kaschieren von Behinderung (die wiederum einerseits formal-ästhetisch geführt werden kann,51 in erster Linie aber eine Frage des Selbst- und Fremdverständnisses von Behinderungen und somit soziologisch ist). Zum anderen steht der Ansatz, „helfen“ zu wollen, dem Vorwurf einer Bevormundung gegenüber. In Bezug auf Behinderung befindet sich Design folglich in einer dilemmatischen Position. In dem Moment, in dem für Menschen mit Behinderungen gestaltet wird, gestaltet man ihre Behinderung immer auch mit. Im Zuge dessen offerieren sich in der Regel mehr als eine Gestaltungsoption, bezüglich derer es im Übrigen auch den Betroffenen Personen nicht immer leichtfällt, zu entscheiden. Möchte man beispielsweise ein körperliches Defizit lieber kaschieren oder es bewusst hervorheben? Aus beiden Varianten ließen sich (jeweils als solche individuell empfundene) Vor- und Nachteile ableiten. Hörgeräte waren z. B. lange Zeit sehr groß und deutlich sichtbar.52 Das kann vom Träger oder der Trägerin als stigmatisierend empfunden werden: Man wird nach außen hin als schwerhörig wahrgenommen und möglicherweise vorrangig auf den Aspekt der Hörbehinderung reduziert. Andererseits wäre auch der (vielleicht positivere) Nebeneffekt nicht abzustreiten, dass Außenstehende unmittelbar signalisiert bekommen, dass sie möglicherweise lauter sprechen sollten als gewöhnlich oder sich zumindest nicht wundern sollten, wenn ihr Gegenüber nicht auf alles sofort reagiert oder möglicherweise eine andere Sprechweise hat als ­gewohnt. Das gestalterische Gegenmodell bestünde darin, den Hilfsgegenstand dermaßen zu kaschieren, dass er nach außen hin schwer oder gar nicht sichtbar ist – ähnlich wie es bei Kontaktlinsen der Fall ist. Ein Effekt nach außen hin könnte darin bestehen, dass Nutzerinnen und Nutzer des Hilfsgegenstandes von Dritten nicht immer auf den Aspekt einer Behinderung reduziert werden. Ausschlaggebend ist dabei die Frage nach dem individuellen Empfinden auf Nutzerseite. Gerade bei Exoprothesen53 werden Gestaltende und Nutzende zunehmend vor die Wahl einer entweder eher körperähnlichen oder einer bewusst artifiziellen Anmutung gestellt (Abb. 2). Die Prothese, die laut Karin Harrasser einen Verlust ebenso markiert wie maskiert (Harrasser 2014), provoziert je nach Ausrichtung somit auch unterschiedliche Akzeptanzverläufe. Deutlich wird dies etwa am kulturgeschichtlichen Verlauf der Sehhilfe54 und ihrem semantisch breit gefächerten Repertoire von der funktionsorientierten Brille, über dezent hintergründige Kontaktlinsen,55 bis hin zur Sportlichkeit, Weisheit oder Jugendlichkeit signalisierenden Brille als Styleobjekt, welches mittlerweile in fensterbeglaster Version sogar zum dysfunktionalen Modeaccessoire avanciert ist.

DESIGN UND BEHINDERUNG  049

1  Die orthetische Halskrause „Pronto“ (unten) von Lanzavecchia + Wai fungiert zugleich als Kommunikations­ prothese, indem sie Halt für ein Mobiltelefon ­bietet. Ihr nicht minder auffäl­liges Schwester-Modell „Victorian“ (oben) kommt als modisches Accessoire im Stil einer viktorianischen Halskrause daher (vgl. Lanzavecchia 2008).

Ein weiteres Indiz für ein Gestaltungsdilemma findet sich am informationsgrafischen Beispiel des weltweit bekannten ISA-Symbols (International Symbol of Access), jenem Piktogramm, das anhand einer abstrahierten Abbildung einer rollstuhlfahrenden Person beispielsweise an Toilettentüren auf eine „behindertengerechte“ sanitäre Einrichtung oder anderenorts auf spezielle „Behindertenparkplätze“ hinweist. Wenngleich dessen Zweckhaftigkeit selten bestritten wird, so bietet es dennoch bereits seit seiner ersten öffentlichen Einführung im Jahr 1969 immer wieder

050  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

2  „Human Version 2.0“: Die beinamputierte Sportlerin Aimee Mullins stellt im Rahmen des MIT Media Lab Symposiums56 eine Auswahl ihrer teils real anmutenden, teils stark abstrahierten Beinprothesen vor.

Anlass zur Kritik. So wird beispielsweise von unterschiedlichen Interessensverbänden beanstandet, dass in diesem Symbol – trotz der großen Bandbreite an Behinderungsformen – Behinderung hier lediglich durch einen Menschen mit Gehbehinderung repräsentiert wird. Ein weiterer, häufig geäußerter Kritikpunkt bezieht sich auf den Eindruck von Passivität, der durch den statisch im scheinbar unbewegten Rollstuhl platzierten Menschen entsteht.57 Eine dritte Ebene der Kritik wird von Markus Dederich angeführt, der sich in seiner Abhandlung über die „ästhetischen und ethischen Grenzen der Barriere­ freiheit“ auf die ambivalente symbolische und metaphorische Funktion bezieht, die dem ISA-Symbol zukommt. Einerseits stehe es für Befreiung, Unabhängigkeit und Abbau von Barrieren, andererseits fungiere es „als Markierung sozial unerwünschter bzw. als problematisch wahrgenommener Differenz“ (Dederich 2012, 112). Hier findet also durch das Symbol noch einmal eine explizite Markierung derjenigen statt, die eigentlich mit dessen Hilfe „entlastet“ werden sollen. Auf diese Weise trägt es dazu bei, dass Räume und gestaltete Orte nicht einfach nur als hindernis- oder barrierefrei erkannt, sondern als etwas Spezielles „für Behinderte“ interpretiert werden. Daran verdeutlicht sich die oben beschriebene Zwickmühlen-­ Position des Designs. Im Falle des ISA-Symbols insbesondere dadurch, dass behinderte Menschen zwangsläufig auch als das „problematisch wahrgenommene Andere“ wahrgenommen werden. Nach Dederich sind somit nicht nur die Hindernisse selbst, sondern auch die explizit als hindernisfrei gekennzeichneten Räume oder Gestaltungen an der Konstruktion von Behinderung beteiligt58 (Dederich 2012, 110 ff.).

DESIGN UND BEHINDERUNG  051

3  Disability-­Activism trifft Design-­Activism: Das Inter­national Symbol of Access (ISA) überklebt mit einem Modified ISA. Guerilla-Aktion von Sara Hendren (Accessible Icon, Hendren/Glenney; Foto: Brian Funck).

Design steht auf der Suche nach „Lösungen“ für das „Problem“ Behinderung folglich im Zwiespalt: Zum einen will es helfen, zum anderen wirkt es sich so zwangsläufig normativ auf die Manifestierung gesellschaftlicher Definitionen und Handlungsabläufe aus. Es kommt somit die Frage auf, inwieweit der medical Design approach,59 aufgefasst im Sinne einer möglichst diskreten Kompensation von Behinderung,60 ­eigentlich impliziert, Behinderung sei etwas, was es zu verstecken oder zu vertuschen gelte (vgl. Pullin 2009, 4). Die Vermutung liegt nahe, dass ein auf das „Soziale Modell“ von Behinderung ausgerichteter Design-Ansatz andere Ergebnisse hervorbringt als ein solcher, der dem „medizinischen Modell“ folgt. Umso nachvollziehbarer wird dies anhand der folgenden, zweiten These.

1.2.7  These 2: Behinderungsperspektiven als Innovationstreiber Wie noch gezeigt werden wird, ergeben sich aus einem Gestaltungsansatz, der sich nicht ausschließlich auf die Kompensation von Behinderung bezieht, Perspektiven, die über die ausschließliche Anwendung in Behinderungskontexten und somit auch über ein dementsprechend limitiertes Verständnis von Zielgruppen61 hinausgeht. Häufig geht man bei der Produktentwicklung im Special Needs Sektor62 von einem sogenannten „trickle down“ Effekt aus (vgl. Pullin 2009, xiii). Dieser umschreibt die gängigen Prozesse, nach denen Funktions- oder Produktionsweisen, Material-

052  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

verarbeitungen oder sonstige Gestaltungsaspekte aus dem „Mainstream Design“63 später auch in kleineren Märkten zum Einsatz kommen (ebd.). Interessanter für die vorliegende Forschungsarbeit ist jedoch ein gegenteiliger Effekt, der dann in Erscheinung tritt, wenn die Themenfelder rund um Behinderung als Katalysator für neue Gestaltungsansätze fungieren und Handlungsspielräume für breiter ge­ fächerte Gestaltungskulturen eröffnen. Ein anschauliches Beispiel aus dem Produktdesign ist die von Charles und Ray Eames im Auftrag der US-Regierung (fort-)entwickelte Verarbeitungstechnik mit dreidimensional verformtem, formgepresstem Schicht- und Sperrholz. Ausschlaggebend hierfür war die Maßgabe, für die US-Navy und ihre hohe Zahl Kriegsversehrter im Zweiten Weltkrieg leichtgewichtige und zugleich stabile Beinschienen zu konzipieren.64 Die dampfgeleitete Schichtholz-Biegetechnik erlangte bald stil- und produktionsprägenden Charakter und diente als Ausgangspunkt für zahlreiche Möbel- und andere Designentwürfe. Ähnlich dem Eames-Beispiel lassen sich im historischen Verlauf entlang der Schnittstellen von Design und Behinderung exemplarisch innovative Konzepte identifizieren, die im Rahmen von Neu-Kontextualisierungen plötzlich ganz andere Qualitäten entwickeln konnten, als in ihrer ursprünglichen Funktion eigentlich ­intendiert. Behinderung kann hierbei nicht nur mit Hinblick auf den Aspekt der Ausgrenzung, sondern auch in Bezug auf eine von ihr ausgehenden Produktivität untersucht und verstanden werden. Derlei kontextübergreifende Phänomene wollen wir im Folgenden als cross-funktionale65 Konzepte bezeichnen. Gemeint sind damit Gestaltungsansätze, in denen Behinderung nicht als Adressat, sondern als Ausgangspunkt des Prozesses fungiert, deren weiterer Verlauf in kontextungebundene Anwendungsgebiete münden kann. Ein besonderes Merkmal dieses Ansatzes bestünde darin, etwaige Behinderungen nicht im Sinne einer Normabweichung, ­einer exotischen Erscheinungsform oder eines Defizits zu verstehen, sondern – im Gegenteil – jene Merkmale, die mit einer bestimmten Behinderung assoziiert sind, als „Normalzustand“ zu betrachten.

Cross-funktionale Konzepte mit unterschiedlichen Verläufen Wie bereits angedeutet, können solche Phänomene über unterschiedliche Verläufe verfügen.66 Es folgt nun eine argumentative Annäherung an Gestaltungsbeispiele, deren ursprüngliche Nutzer- und Nutzungskonzepte im Kontext von Behinderung verortet waren, dann jedoch zu einem späteren Zeitpunkt in einem ganz anderen Anwendungsgebiet Entfaltung finden konnten. Ebenso werden Beispiele genannt, die den umgekehrten Verlauf nahmen: Solche also, die zunächst für eine Anwendung in einem nicht explizit behinderungsrelevanten Bereich angedacht waren, dann jedoch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgreich nutzbar in konkreten Behinderungskontexten (gemacht) wurden.

DESIGN UND BEHINDERUNG  053

Als prominentes Beispiel für cross-funktionale Konzepte im Kontext von Behinderung lässt sich das System der Braille-Schrift nennen. Entwickelt von Louis Braille67 im Jahre 1821, bestand die eigentliche Funktion dieser „Blinden-Schrift“ ursprünglich zunächst darin, ein System zur Nachrichtenübermittlung für die Truppen Napoleons zu entwickelt, mit dessen Hilfe die Frontsoldaten Nachrichten selbst im Dunkeln lesen konnten, ohne dass dabei offenes, für den Feind verräterisches Licht verwendet werden musste, durch welches die Position der Soldaten hätte auffliegen können. Dass die Braille-Schrift bis heute Millionen von blinden Menschen als Kommunikationsgrundlage dient, verdeutlicht – ähnlich wie das Eames-Beispiel – nicht nur, wie sehr Militär und Kriegsindustrie immer schon als Innovationstreiber fungiert haben. Es zeigt auch, dass Gleiches durchaus auch für „Behinderung“ gelten kann.68 Ein weiteres Beispiel, diesmal ohne militärischen Bezug, findet sich im ­Bereich des Hörbuch-Marktes, dessen großer Erfolg auf die Entwicklung der „Books on Tape“ zurückgeht, deren Grundkonzept darin bestand, literarische Werke auf auditivem Wege auch blinden Menschen zugänglich machen zu können. Heute werden Hörbücher immer noch von blinden Menschen konsumiert. Die größten Umsätze werden inzwischen jedoch mit sehenden Kunden generiert, die von der Möglichkeit Gebrauch machen, Bücher nun auch beim Joggen, Autofahren oder zum Einschlafen (und somit mit geschlossenen Augen) verinnerlichen zu können. Aus diesem Blickwinkel lassen sich umgekehrte Transferverläufe aufspüren, bei denen bestimmte Aspekte nutzungsorientiert für Behinderungskontexte zugänglich gemacht wurden, deren Bezugsquelle ursprünglich in anderen Anwendungsgebieten verortet waren. So etwa am Beispiel der Symbolsprache BLISS69, die ursprünglich als eine Art visuelles Esperanto entwickelt worden war. Diese anfängliche Intention blieb zwar unerfüllt, doch ihr eigentlicher Erfolg vollzog sich viele Jahre später auf einem anderen Gebiet der Kommunikation. Nämlich im sonder­ pädagogischen Bereich des Unterstützt Lernens („Unterstützte Kommunikation“). Es hatte sich herausgestellt, dass BLISS sich gut als assistives Ausdrucksmittel für Menschen eignet, denen lautsprachliche Mittel aufgrund von kognitiven oder ­motorischen Störungen nicht (vollumfänglich) zur Verfügung stehen.

Behinderung als Ausgangspunkt und als Zielpunkt von Gestaltung Wie bereits beschrieben, finden im Designdiskurs grundlegende Aspekte in Bezug auf Behinderung bislang nur wenig Berücksichtigung. Das ist umso verwunder­ licher angesichts der normativen Kraft, die von Gestaltung ausgeht. So werden Design-Entscheidungen70 häufig nach Usability-Prinzipien getroffen. Das Konzept von „Usability“ scheint allerdings ausgerichtet zu sein an einem Majoritätsprinzip: Ziel bei den meisten Usability-Tests ist es, herauszufinden, was eine Mehrheit von Befragten sagt, tut oder vermeintlich denkt.71 Menschen mit Behinderungen, sofern

054  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

man sie tendenziell als „Norm-Abweichungen“ versteht – fallen vielfach zwangsläufig aus solchen Mehrheiten heraus. Ist „Usability“ (sofern sie tatsächlich Mehrheiten anvisiert) somit ein Konzept, das „Behinderung“ automatisch verstärkt bzw. – im Sinne eines Machtgefüges – überhaupt erst möglich macht?72 Folgte man dieser ­Argumentation, so stünde „Usability“ ferner unweigerlich in Zusammenhang mit der Frage nach „Normalität“. Zumal, wenn man dieser Argumentation auch zugrunde legt, dass Usability Prozessen stets auch ein gewisser Normierungsdruck innewohnt, dessen Gründe z. B. statistischer oder funktionaler Art sind. Geht man nun davon aus, dass „Usability“ dennoch wertneutral zu ­betrachten ist, so wäre im Gegenzug die Frage zu stellen, inwieweit Usability-Aspekte besser an menschlicher Diversität ausgerichtet werden könnten (indem neben Behinderung z. B. auch Alter, Geschlecht, kultureller Aspekte, sozialer Status, Bildungsgrad eine Rolle spielen). Entscheidend für den Entwicklungsverlauf von Behinderungs-bezogenen ­Gestaltungsprozessen ist somit – neben äußeren Faktoren – insbesondere die i­ hnen zugrunde liegende Fragestellung und Zielformulierung. So war der Weg von der Eames’schen Beinschiene zum Massenmöbel keineswegs ein direkter. Vielmehr resultierte er aus einer zwischengeschalteten, künstlerisch-gestalterischen Experimentierphase, in deren Rahmen Ray Eames regelrechte Skulpturen aus den zuvor entwickelten Beinschienen anfertigte. Es handelte sich also um eine Art Formstudie, anhand derer unterschiedliche Bild- und Formsprachen exploriert wurden, die aufgrund dieser neuen Art materiellen Herstellungsverfahrens möglich geworden waren. Hieran verdeutlicht sich, inwiefern Design sich dem Thema Behinderung aus unterschiedlichen Perspektiven annähern kann.73 Ebenso zeigt sich daran, dass sowohl Gestaltungsantrieb als auch Gestaltungsprozess mannigfaltig intendiert sein können. Etwa mit „Behinderung“ als Ausgangspunkt oder als Zielpunkt einer Gestaltung. Behinderung kann also sowohl das „Objekt“ sein, für welches es Lösungen zu entwickeln gilt, als auch Ausgangspunkt für weitere, nicht zwangsläufig an den ursprünglichen Kontext gebundene Gestaltungsansätze. Das Eames’sche Beispiel verdeutlicht außerdem, wie sich beide Deutungslinien konstruktiv miteinander verbinden lassen: So kann es nämlich sein, dass konkrete Gestaltungs­ ansätze zunächst für einen bestimmten Behinderungskontext entwickelt werden (z. B. Beinschiene für Kriegsversehrte), und sich erst anhand dieses neuen Verfahrens, dieser neuen Technik oder dieses neuen Produkts neue Optionen für neue Betätigungsfelder ergeben (z. B. neue Möbel durch neuartige Massenfertigungsverfahren). Während die erste Variante eher dem „Rollenverständnis“ vom Designer als Problemlöser zuzuordnen ist, lässt sich die zweite Variante eher in freieren Möglichkeitsräumen der Gestaltung verorten, aber auch in explorativen und experimentierfreudigen Feldern der Designforschung.74 Im weiteren Verlauf dieser ­Arbeit wird aufgezeigt werden, welch gegenseitiges Inspirationspotenzial diese Varianten einander liefern können.75

DESIGN UND BEHINDERUNG  055

Halten wir nun also fest, dass eines der Betätigungsfelder von Design darin besteht, Design für Behinderung zu sein.76 Konkret bedeutet dies: Design kann einem Schutz vor Exklusion im Gebrauch bestimmter designter Objekte, Prozesse, Services und Umgebungen dienen. In Ergänzung zu einer solchen „Design for Disability“-Perspektive soll in dieser Arbeit der Blick für einen alternativen Ansatz geschärft werden, den man stark überspitzt als Design (Research) by Disability bezeichnen könnte: Gemeint ist damit die Vorstellung, dass Design sich grundsätzlich oder punktuell von einem Behinderungswissen informieren und bereichern ließe, oder besser: von Erfahrungen, die im Zusammenhang mit bestimmten Behinderungen stehen.77 Erste Forschungsansätze in diesem Zusammenhang entwickelt auch die Forschungsgruppe um Dr. Ann Heylighen an der KU Leuven. So gehen Ann Heylighen und Jasmien Herssens u. a. der Frage nach: „What designers can learn about space from people who are blind“ (Heylighen/Herssens 2014). Auf ähnliche Weise fragen Ann Heylighen und Lynne Mitchell „What can designers of outdoor spaces learn from people with dementia?“ (Heylighen/Mitchell 2014). Dabei stehen insbesondere teilhabeorientierte Forschungs- und Gestaltungsansätze im Vordergrund (vgl. Vermeersch et al. 2009; Herssens/Heylighen 2012), was von Gavin R. Jankins und Laura K. Vogtle (University of Alabama at Birmingham) folgendermaßen formuliert wird: Involvement of potential users with disabilities such as visual impairment, as well as ­rehabilitation professionals, such as occupational therapists, in built environment ­design is vital78 (Jankins/Vogtle 2015).

Die hier angedeutete Umbewertung von Disability, also der Versuch, den „Expertise“-Aspekt von Behinderung ins Zentrum des Interesses zu rücken, anstatt – wie so häufig der Fall – Behinderung auf den Aspekt des „Makels“ und „Defizits“ zu ­reduzieren, stellt ein zentrales Moment des in dieser Forschungsarbeit entwickelten ­Betrachtungsansatzes dar. Im zweiten Kapitel wird dargelegt werden, inwiefern und auf welchen Ebenen sich Designforschung als geradezu prädestiniert erweist, das Thema Behinderung anders als bisher zu untersuchen und zu adressieren, was anhand der Fallstudien (Kapitel 3) dann auch praktisch erprobt wird. Zuvor soll hier jedoch erst noch diskutiert werden, um welche Blickrichtungen es sich dabei handeln kann.

1.3 Diskussion Gestaltungsansätzen wie dem des Universal Designs liegt – wie beschrieben – eine sozial orientierte Weltanschauung zugrunde.79 Die mit ihm verbundenen Gestaltungsresultate können gleichwohl auch Schwierigkeiten mit sich bringen. Das gilt

056  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

zumal dann, wenn angenommen wird, dass ein Design, das von allen verstanden und genutzt wird, a) überhaupt möglich und b) zwangsläufig immer auch die beste aller Optionen ist.80 Gerade bei technischen Geräten kann der Versuch, möglichst viele Nutzungsszenarios zu adressieren, häufig jedoch zu allzu multifunktionalen, das heißt mit Zusatzfunktionen überladenen Lösungen führen. Hier offenbart sich also ein Logikfehler: Je mehr Handlungs- und Bedienvariationen ein Produkt ermöglicht, desto höher zwar auch der potenzielle Inklusionsgrad. Steigt jedoch im gleichen Zuge auch der nutzungsbezogene Komplexitätsgrad, so bleibt fraglich, inwieweit das Inklusionsargument noch aufrechtzuerhalten ist (vgl. Pullin 2009, 67). Denn zu viel Modularität und Justiermöglichkeiten provozieren auch einen höheren Grad an (z. B. visueller) Komplexität, was zu Missverständnissen oder Fehlern in der Anwendung führen kann. Hier klaffen Theorie und Praxis und gleichzeitig Anspruch und Realität bisweilen auseinander. Das Hauptproblem scheint darin zu bestehen: Versucht man, eine möglichst barrierefreie Gestaltung in Teilbereichen oder eine zu 100 Prozent barrierefreie Gestaltung in allen Bereichen? Letztere wird man womöglich nie ­zufriedenstellend umsetzen können, ohne dass Ressourcenaufwand und tatsächlicher Nutzen in einem zufriedenstellenden Verhältnis stehen. Tatsache ist, dass es hochgradig barrierefreie Produkte gibt, die aber dennoch bei Weitem nicht alle ­Kriterien eines Universal Designs erfüllen.81 Es zeigt sich also, dass sich aus dem generellen Interventionspotenzial, welches dem Design innewohnt, durchaus Folgevarianten ableiten lassen, die – je nach Adressatengruppe oder Nutzungskontext – als positiv oder negativ empfunden werden können. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Stigmatisierungspro­ blematik, welche häufig im Zusammenhang mit den ästhetischen Erscheinungsbildern von medizinischen Hilfsprodukten steht. Vielen Produkten haftet hier immer noch der Makel einer „Stützstrumpf“-Ästhetik an.82 Damit ist gemeint, dass die ­entsprechenden Produkte häufig für Notsituationen und stationäre Aufenthalte konzipiert sind, wodurch vielfach jedoch die tatsächlichen Lebensrealitäten der Nutzenden außer Acht gelassen werden. Häufig resultiert Design für Menschen mit Behinderungen also vorrangig aus einem eindimensionalen, auf den Aspekt des „Patient-seins“ reduzierten Nutzerbegriff.83 Im übertragenen Sinne bedeutet dies, in Kongruenz zum „medizinischen Modell“, dass Behinderung selbst als Problem angesehen wird, welches es zu lösen gilt. Die Vorgehensweise, dass explizit für Behinderungsthemen konzipiertes Design häufig für Klinikkontexte und aus einer „medizinisch-diagnostischen“ Perspektive generiert wird, fördert jedoch nicht nur die Tendenzen eines „allzu klinischen“ Designs, das von Nutzerinnen und Nutzern im Alltagsleben dann als stigmatisierend empfunden und mitunter abgelehnt wird, sondern schürt auch die Tendenz einer dominanten Kultur der Problemlösungsorientierung. Beides soll hier kurz erläutert werden.

DISKUSSION 057

1.3.1  Stigmatisierung durch Design Die von Sara Hendren beschriebene Problematik der gestaltungsmäßigen Stig­ matisierung durch medizinisch anmutende Hilfsprodukte ist seit wenigen Jahren vermehrt Gegenstand von Design- und Designforschungs- und Designprojekten.84 Wie sich beispielsweise im Bereich von „Wearables“ einer möglichen Nutzer-Stigmatisierung entgegenwirken lassen kann, zeigt sich in dem von Katharina Bredies am Design Research geleiteten Projekt „Knit Alarm“.85 Darin wurde eine „Notfallstrickjacke“ entwickelt, die es älteren Menschen – beispielsweise Schlaganfallpatienten – ermöglicht, in Notsituationen einen Alarmruf auszulösen. Ausgelöst wird das Signal z. B. durch Ziehen am Ärmel der Jacke oder durch einen Griff an die linke Brust. Die mit leitendem Garn unterfütterte Jacke kann somit über Bluethooth ein Signal an das Smartphone senden, von wo aus der Notruf (sowie genaue Angaben zum Standort) an eine vordefinierte Nummer gesendet werden kann. Ausgangspunkt des Projekts war die Beobachtung, dass sich Betroffene von handelsüblichen Produkten, wie z. B. großen, tragbaren Notruf-Buttons, die nach außen sichtbar am Körper getragen werden müssen, häufig stigmatisiert fühlen. Der Ansatz, die technische Funktion nun also dezent in die textile Infrastruktur eines Kleidungsstückes einzubetten, ermöglicht es, den Nutzenden ein Gefühl von Sicherheit zu geben, ohne dass sie von Dritten zwangsläufig als hilfsbedürftig, krank oder gebrechlich wahrgenommen werden.

1.3.2  Das Problem der Problemlösungsorientierung im Design Die zweite Problematik, die aus einer allzu „klinischen Perspektive“ hervorgeht, besteht in der durch sie geschürten Tendenz einer dominanten Kultur der Problem­ lösungsorientierung. Graham Pullin schreibt dem Design for Disability beispielsweise eine Tendenz zu, vorrangig im Sinne einer „Problem-Lösung“ zu agieren. Und somit in der Tradition von klinischer Diagnose und Behandlung zu stehen.86 Im Zusammenhang mit der Medizintechnik verwendet er hierbei auch den Begriff der „Ingenieursperspektive“. Diesem legt er eine – wenn auch plakativ umschriebene – Schrittfolge einer „ingenieursperspektivischen Methodik“ zugrunde, die nach dem folgenden Prinzip aufgebaut ist: Schritt 1: Problemdefinition, gefolgt von Schritt 2: Lösungsgenerierung etc. (vgl. Pullin 2009, 41). Pullin sieht in dieser Perspektivlogik eine Parallele zur medizinischen („klinischen“) „Tradition von Diagnose und Behandlung“, die grundsätzlich auf die Rehabilitation von Patienten ausgerichtet ist (ebd.). Nun mögen ähnliche Schrittfolgen freilich auch für andere Designprozesse gelten, jedoch wird die beschriebene Tendenz hier durch eine immer noch weit verbreitete Definition des Designers als „Problemlöser“87 unterfüttert: Die Diskussion darüber, bis zu welchem Grad Design als, im weitesten Sinne, Problem-Lösungs-­ orientiert definiert werden kann, vollzieht sich schon seit geraumer Zeit (Funke 2003; Mayer 2004) und differiert je nach Schwerpunktausrichtung von Design.88

058  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

Dass jedoch der Erfolg eines Designs nicht einzig anhand der Lösung ungelöster Probleme zu bemessen sein muss, zeigt sich auch daran, dass im Design häufig auch neue, ungekannte Felder exploriert werden, wobei sich potenzielle Fragen oder zu lösende Probleme erst im weiteren Prozess ergeben.89 Für diese Arbeit von gesondertem Interesse ist in diesem Zusammenhang ­daher auch die Rolle des Designers als „Problemmaker“ (Antonelli 2009). W ­ ährend fortlaufende Diskurse bezüglich der Rollenpositionierung von Design sich­vor­ rangig zwischen den beiden Polen (des längst unzureichenden Begriffs) „Problemsolving“ (Heufler 2005) und dem ebenfalls nicht wirklich zufriedenstellenden Begriff des „Sensemaking“ (Bolz 2000; Ginsberg 2014, 63; Till 2009)90 abzuspielen scheinen, berücksichtigt der Begriff des „Problemmaking“ mindestens zweierlei konstruktive Perspektiven: zum einen das Bewusstsein über die von Horst ­Rittel als solche definierten „Wicked Problems“,91 zum anderen die potenzielle Erwägung a ­ bsichtlicher, das heißt bewusst evozierter Problemschaffung, wie es etwa dem ­Irritational Design92 (Bredies 2008) oder auch dem Critical Design (Dunne/Raby 2014) und ­Speculative Design (Auger 2013) zugrunde liegt.93 Eine solche Position des Designs kann insofern von Bedeutung für das Verständnis von und den Umgang mit Behinderung sein, als dass sie dabei behilflich sein kann, soziale, kulturelle, technische oder ökonomische Kontroversen und ­Debatten mithilfe von „kritischen“, „spekulativen“ Artefakten zu unterfüttern. Es stellt sich somit die Frage, inwiefern Design für Behinderung wirklich ­zufriedenstellend als Ansatz zur Problemlösung beschrieben werden kann und ­welche Art von neuen Problemen daraus womöglich resultiert.94 Das beinhaltet auch die Fragestellung, ob nicht durch eine solche Betrachtungsweise relevante, aber eben nicht zwangsläufig als „Probleme“ beschreibbare Aspekte im Gestaltungsprozess fälschlicherweise außer Acht gelassen würden. Die damit verbundene Frage nach alternativen Gestaltungsansätzen ist dabei auch gekoppelt an die Suche nach sinnvollen Formen der Befragung und Erhebung, also in Bezug darauf, inwiefern sich (nicht nur für das Design relevante) Wissensformen womöglich auch mit Mitteln des Designs selbst zugänglich(er) machen lassen. Um die dafür zur Verfügung stehenden Betrachtungsweisen klarer zu ver­ deutlichen, werden im Folgenden zusammenfassend vier perspektivische Schnittstellen im Aufeinandertreffen von Design und Behinderung identifiziert.

1.3.3  Vier Positionen und Konsequenzen des Designs in Bezug auf Behinderung Ausgehend von den in Kapitel 1.2 beschriebenen Berührungspunkten von Design und Behinderung lassen sich vier Positionen ableiten, die ihrerseits an unterschiedliche Konsequenzen für ein Verständnis von bzw. einen Umgang mit Behinderung gekoppelt sind. Die im Anschluss tabellarisch aufgeschlüsselten Positionen lauten folgendermaßen:

DISKUSSION 059



1. Ignorante Gestaltung ≥ Behinderung wird im Gestaltungsprozess nicht explizit adressiert und berücksichtigt.



2. Explizite Gestaltung ≥ Behinderung wird im Gestaltungsprozess explizit adressiert.

3. Universaler Gestaltungsansatz ≥ Behinderung wird im Gestaltungsprozess „mitberücksichtigt“. 4. Cross-funktionaler Gestaltungsansatz ≥ Behinderung ist dem Gestaltungsprozess als Ausgangspunkt vorangestellt. Um sowohl die Impulse also auch die Effekte dieser vier möglichen Positionen besser verdeutlichen zu können, werden sie in folgender (im Anschluss daran noch einmal explizierten) Tabelle einander gegenübergestellt. Die jeweilige Positionsbeschreibung wird darin anhand eines kurzen Beispiels konkretisiert und anhand einer Skizzierung möglicher Effekte bzw. Auswirkungen erläutert. Sofern in einer abstrahierten Form überhaupt möglich und sinnvoll, wird die Gegenüberstellung ferner schemenhaft durch die Angabe eines entsprechenden Inklusionsgrades v­ ervollständigt. Position

Beschreibung

Beispiel

Effekte

Inklusion

1. Ignorante Gestaltung

Behinderung wird nicht explizit ­adressiert.

Produkt ist nicht barrierefrei ­gestaltet.

Ausschluss von Menschen mit ­Behinderung von Produktnutzung. Forcierung von gesellschaftlicher Margina­ lisierung (Exklusion).

Gering

2. Explizite Gestaltung

Behinderung wird explizit ­adressiert.

Produkt ist s­ peziell für Nutzerinnen und Nutzer mit ­bestimmten Behinderungen gestaltet.

Klinischer Blick Gestalterische Dilemmata (Helfen vs. Stigma; Hervorheben vs. Kaschieren).

Im dilemmatischen Sinne: Einerseits punktuelle, praktisch­ funktionale Hilfsstellung möglich. ­Andererseits Gefahr der Stigmatisierung.

3. Universaler Gestaltungsansatz

Behinderung wird „mit-berücksichtigt“.

Produkt ist barrierefrei gestaltet.

Erweiterung von   „­Zielgruppen“.

Potenziell hoch

4. Cross­ funktionaler Gestaltungsansatz

Behinderung als Ausgangspunkt für kontext-­ ungebundene Anwendungs-­ gebiete.

Produkt/Prinzip kann in andere (nicht ­zwangsläufig behinderungs-­ relevante) Bereiche übertragen werden.

Behinderung als ­ xpertise, nicht E als Makel. Erweiterung von Anwendungs­gebieten.

Hoch

Tab. 2  Vier Positionen des Designs in Bezug auf Behinderung

060  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

Die erste Position dieser Tabelle beschreibt den immer noch stark verbreitete Fall von Design, dessen Nutzungsprinzipien vor allem an den Fähigkeiten, Bedürfnissen und Voraussetzungen bestimmter Mehrheitsgesellschaften orientiert sind.95 Für Menschen mit Behinderungen kann diese barrierebehaftete – und somit „ignorante“ – Gestaltung eine Forcierung ihrer Exklusionserfahrungen und somit eine Verstärkung ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung bedeuten. Eine Ausgrenzung aus Möglichkeiten und Zugängen der Produktnutzung wirkt somit verstärkend auf soziale Ausgrenzung bzw. ist zugleich Indiz dafür. Die zweite Position der Tabelle beschreibt den Fall einer konkret auf (bestimmte) Behinderungen ausgerichteten Gestaltung, wie es beispielsweise bei den sogenannten „Assistive Technologies“ der Fall ist.96 Diese Gestaltungsposition zeigt – im Vergleich – vielleicht am ehesten ein gestalterisches Dilemma auf. Denn einerseits kann Design hier sinnvolle Beiträge zur Inklusion leisten. Andererseits besteht die Gefahr einer Stigmatisierung – etwa durch „medizinische“ Produktwelten. Ferner kann eine solche „explizite Gestaltung“ Ausdruck eines „klinischen Blicks“ sein, also als Reproduktion und Zementierung eines sozialen Hierarchie-­ Gefälles verstanden werden, in dem „behinderte“ Nutzerinnen und Nutzer als Empfänger eines Hilfsguts zum eher passiven Teil eines Machtgefüges werden. Die ­Zwiespältigkeit dieser Betrachtungsweise wird allerdings auch dadurch befeuert, dass das „Design“ zugleich ja Gegenstand eines Empowerments sein kann, welches eventuelle Machtverhältnisse vielleicht wiederum auszugleichen imstande wäre. Die dritte Position der Tabelle beschreibt den „universalen Gestaltungsansatz“, also den Fall, in dem Gestaltung explizit weder auf Mehr- noch auf Minderheiten, sondern so ausgerichtet ist, dass sie von „Allen“ genutzt werden kann. Eine vollumfängliche Barrierefreiheit erweist sich freilich als Ideal, welches sich in der Alltagspraxis womöglich niemals gänzlich verwirklichen lassen wird. Ein Grund dafür liegt nicht zuletzt in der Heterogenität der unterschiedlichen, individuellen Beeinträchtigungen. Rollstuhlfahrer haben andere Barrieren als blinde Menschen. Ein Abbau von Barrieren für die eine Gruppe kann zu erneuten Schwierigkeiten für die andere Gruppe führen, wie am Beispiel einer abgesenkten Bordsteinkante deutlich wird: Für Rollstuhlfahrer bedeutet sie eine Vereinfachung ihres Alltags, für blinde Menschen kann sie lebensgefährlich werden. Hier eine Rangordnung vorzunehmen würde nicht nur die eine Gruppe gegen die andere ausspielen, sondern wirft auch vertrackte, normative Fragen auf: Wer entscheidet beispielsweise über den Abbau von Barrieren? Und nach welchen Kriterien? Hier zeigt sich, dass es sich bei Barrierefreiheit um einen dynamischen Prozess handelt, der aufgrund der Heterogenität und Situativität von „Barrieren“ und „Behinderungen“ womöglich niemals abgeschlossen sein wird (vgl. Dederich 2012, 113 f.). Konzepte wie Universal Design und dergleichen können somit auch zwiespältig betrachtet werden. Denn zum einen können sie im Zuge der durch sie bedingten „Zielgruppenerweiterungen“ zu einer Egalisierung von „Behinderung“ beitragen. Andererseits tendieren sie auch dazu, negative Folgen von Diversität durch eine Homogenisierungsstrategie zu kompensieren (Dederich 2012).

DISKUSSION 061

Die vierte Position der Tabelle beschreibt einen „cross-funktionalen Gestaltungsansatz“.97 Behinderung kann hier als Ausgangspunkt für eine Gestaltung fungieren, deren Anwendungsgebiete kontextübergreifend bzw. kontextungebunden sind. Bestimmte Prinzipien, z. B. Nutzungs-, Handlungs- oder Interaktionsweisen, aber auch Produkte können sich hier in andere Kontexte übertragen lassen, die nicht zwangsläufig behinderungsrelevant sind bzw. die nicht zwangsläufig mit dem ursprünglich assoziierten Behinderungskontext zu tun haben müssen. Hier lassen sich Gestaltungsvarianten erproben und explorieren, deren Erkenntnisse also in andere Gestaltungsgebiete mit einfließen können. Nach diesem Ansatz würde man beispielsweise Sitzmöbel aus der Perspektive der Rollstuhlgestaltung her konzipieren können. Oder man könnte eine räumliche Umgebungsgestaltung so anlegen, dass ihr Ausgangswissen aus den Erfahrungswelten von Menschen mit Sehbehinderung gespeist würde. Ein solcher Ansatz ist eng gekoppelt an die Annahme, dass auch Angehörige einer Mehrheitsgesellschaft in ihrem Alltagsleben immer wieder mit temporären Situationen konfrontiert sind, in denen sie teilhaft aus einem Erfahrungswissen von Menschen mit Behinderungen „profitieren“ können. Zum Beispiel wenn Sehende bestimmte Handlungen kurzfristig nicht (adäquat) ausführen können, da sie situationsbedingt nichts sehen oder aufgrund von anderen Tätigkeiten gerade nicht „hinsehen“ können. Eine auf solche Kontexte abgestimmte Gestaltung ließe sich – zumindest in Ansätzen – aus Kontexten informieren, die z. B. auf ein Erfahrungswissen oder konkrete Nutzungs- und Handlungsweisen von blinden Menschen z­ urückgehen. Auf gestalterischer und nutzungsbezogener Ebene könnte dies eine Erweiterung von Anwendungsgebieten bedeuten. Auf der Bedeutungsebene im Sinne eines (Selbst-)Verständnisses von Behinderung wäre ein Perspektivwechsel dahingehend möglich, Behinderung als Expertise zu verstehen, wodurch „Betroffene“ womöglich weniger auf bestimmte Aspekte eines „Makels“ reduziert werden würden.

1.3.4  Designforschung als Behinderungsforschung? Der Frage nachgehend, was Normalität, Normabweichung und eben auch Behinderung bezogen auf Design bedeuten, bieten sich für die Designforschung also unterschiedliche Ausgangs- und Anknüpfungspunkte mit wiederum verschiedenen Schwerpunktausrichtungen. So können zum einen die gestalteten Produkte (z. B. Services, Marken, Werbekampagnen etc.) und die mit ihnen thematisierten oder (nicht) adressierten Konnotationen von Norm, Normalität, Schönheitsideal etc. zum Gegenstand der Untersuchung werden. Zum anderen können die Designe­rinnen und Designer selbst sowie die mit ihnen in Verbindung stehenden Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse Gegenstand der Untersuchung sein. Und schließlich können die kulturellen und sozialen Systeme, innerhalb derer gesell-

062  BEHINDERUNG ALS GEGENSTAND DER DESIGNFORSCHUNG 

schaftliche ­Normierungsprozesse98 entstehen und ausgehandelt werden, Gegenstand einer solchen Untersuchung sein. Stellt man also die Frage, inwiefern Design und Behinderung zusammen­ hängen, so ist dieses Verhältnis auf mehreren Ebenen beachtenswert und zu unter­ suchen. Nicht zuletzt deshalb, weil Design ein besonders intensives Verhältnis zu Behinderung hat, indem es stets auch deren Bilder, deren Anschauung und deren Vorstellung (mit-)gestaltet und verbreitet. Solche und andere Zusammenhänge von Design und Behinderung sowie die damit verbundenen Herausforderungen und Potenziale wurden in diesem Kapitel beschrieben. Dabei wurden Wissenslücken und ein daraus resultierender Forschungsbedarf innerhalb und außerhalb des Designs ausfindig gemacht. Die Rolle von Design wurde demnach bisher weder in den Disability Studies noch in anderen behinderungsbezogenen Forschungskontexten ausreichend thematisiert. Im ­Untersuchungsfeld Design selbst ist das Thema Behinderung lückenbehaftet, wie am Beispiel der „assistiven Technologien“ deutlich wird, die stark am „medizinischen Modell“ von Behinderung ausgerichtet sind, Aspekte des „sozialen Modells“ sind hingegen kaum berücksichtigt. Es ist somit naheliegend, das Thema Behinderung nun für und mithilfe von Designforschung näher zu inspizieren und zugänglich zu machen. Um ­aufzuzeigen, inwiefern Designforschung sich in Bezug auf Behinderung als plausibles, geradezu prädestiniertes Untersuchungsmedium empfiehlt, werden im Folgenden einige ­relevante Aspekte der Designforschung näher durchleuchtet. Dabei geht es zum ­einen um soziale Aspekte von Design, etwa in Bezug auf Teilhabe oder die Demokratisierung von Wissen und Gestaltung. Zum anderen werden konkrete Aspekte von Designforschung als einer entwerfenden, intervenierenden, anwendungs­orien­ tierten, prototypischen Form der Erkenntnisgewinnung offengelegt. Hieran soll deutlich werden, inwiefern sich das Thema Behinderung mithilfe der Designforschung anders als bisher ergründen ließe. Die dabei verhandelten Argumentationsstränge bilden die Basis für zwei ­komplementäre Forschungsansätze – dem partizipativen (Kapitel 2.2) und dem ­entwurfsbasierten Forschungsansatz (Kapitel 2.4) –, die zugleich als Grundlage für die in Kapitel 3 vollzogenen Fallstudien dienen.

DISKUSSION 063

1

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Behinderung als ein komplexes W ­ echselgeschehen von körperlichen Beschaffenheiten und sozialen sowie umgebungsbezogenen Kontextfaktoren. In der „Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit“ (International ­ onzipiert: Classification of Functioning, Disability, and Health / ICF) von 2001 wird dies folgendermaßen k „[Disability is a] complex interaction between features of a person’s body and features of the environment and society in which he or she lives“ (WHO 2001). Diese Deutungsweise löste vorangegangene ­Definitionsweisen ab, Behinderung als „eine kausale Folge einer Schädigung oder Beeinträchtigung ­anzusehen“ (Behrisch 2015, 1). 2 Ausgehend von maßgeblichen Impulsen verschiedener politisch aktiver Gruppierungen der internationalen Behindertenbewegung, bilden sich erste Forschungsinitiativen als „Disability Studies“ in den USA zu ­Beginn der 1980er-Jahre. Zunächst wird „Behinderungsforschung“ dabei überwiegend soziologisch und politikwissenschaftlich, später dann kultur- und medienwissenschaftlich aufgearbeitet. Im deutschsprachigen Raum wird der Beginn einer Institutionalisierung der Disability Studies vor allem mit der Tagung und Ausstellung „Der (im)perfekte Mensch“ am Deutschen Hygiene Museum Dresden (2001) in Verbindung gebracht, in deren Rahmen es erstmalig – in größerem Stile – zu einem Austausch US-amerikanischer ­Vertreterinnen und Vertreter der Disability Studies mit Forschenden und Aktivisten aus Deutsch­ sterreich und der Schweiz kommt (vgl. Lutz et al. 2003; DHMD 2001). Ein Jahr darauf bildet sich die land, Ö bundesweite Arbeitsgemeinschaft „Disability Studies in Deutschland“, im Verlauf der Folgejahre werden an verschiedenen Hochschulen entsprechende Forschungsstellen gegründet, zu deren prominentesten Vertreterinnen bis heute die Internationale Forschungsstelle Disability Studies (iDiS) an der Universität zu Köln (seit 2004) sowie das Zentrum für Disability Studies (Zedis) an der Universität Hamburg (2005) zählen. 3 Eine im Diskurs innerhalb der Disability Studies weit verbreitete historische Kontextualisierung des ­medizinischen Models von Behinderung verortet dessen Wurzeln im 19. Jahrhundert. Für eine umfassendere Übersicht über den disziplinären Diskurs siehe hierzu: Albrecht et al. 2001, Snyder et al. 2002, Davis 2003, Shakespeare 2000 und Bösl et al. 2010. 4 Der Begriff Impairment bezieht sich auf die Beeinträchtigung im anatomischen Sinne. Die aus den Disab­ility Studies hervorgegangene Unterscheidung zwischen „Disability“ und „Impairment“ verläuft analog zur Differenzierung zwischen „Sex“ und „Gender“ als sozialer Konstruktion von Geschlecht. Und verweist so darauf, „wie eine körperliche Eigenschaft erst durch Normsetzungen zur Behinderung wird“ (Bergermann 2013, 18). Da Menschen mit Behinderungen bei der Ausführung bestimmter Alltagshandlungen sich gerade deshalb mit Schwierigkeiten konfrontiert sehen, weil die dafür vorhandenen Rahmenbedingen gestalterisch eher auf die „Mehrheitsgesellschaft“ ausgerichtet sind, lässt sich daraus folgern, dass physische (oder kognitive) Voraussetzungen nicht allein mitentscheidend sind, ob eine Person sich behindert fühlt. Graham Pullin fasst dies folgendermaßen zusammen: „People are […] ­disabled by the society they live in, not directly by their impairment“ (Pullin 2009, 2). Pullin sieht ­hierin ein Pro-Argument für die Bezeichnung „behinderter Mensch“ gegenüber „Mensch mit Behinderung“, da Erstere auch die äußeren Einflüsse mit einbezieht (ebd.). 5 Lennard Davis sieht den sozialen Prozess des Behinderns insbesondere mit Beginn der Industrialisierung aufkommen sowie im Zuge von im späten 18. und 19. Jahrhundert gängigen Vorstellungen und Praktiken in Bezug auf Nationalität, Rasse, Geschlecht, Kriminalität oder sexueller Orientierung (Davis 1995, 24). 6 So kritisiert z. B. das kulturelle Modell am sozialen Modell eine darin immer noch praktizierte Gegenüberstellung von „Natur“ und „Kultur“ und somit eine Fortsetzung der Unterteilung von „Impairment“ und „Disability“ (vgl. Waldschmidt 2005, 9 ff.). 7 Anderberg formuliert dies als „inaccessible, inflexible und un-adapted environment and society“ (ebd.). 8 Der Begriff „Gesellschaft“ soll im Folgenden als Sammelbezeichnung für verschiedenartig mögliche oder existente Formen zusammenlebender Gemeinschaften von Menschen gelten, „deren Verhältnis zu­ einander durch Normen, Konventionen und Gesetze bestimmt ist und die als solche eine Gesellschaftsstruktur ergeben“ (Schubert/Klein 2011). 9 Martha Stoddard Holmes spricht von den materiellen Umständen und Bedingungen, den „material ­circumstances that surround all disabilities“ (Holmes 2009, 28–29). 10 Schillmeier verwendet hierfür den Begriff „dis/ability“. Während der deutsche Begriff „Behinderung“ im forschungsrelevanten Sprachgebrauch halbwegs durchgängig verwendet wird, kursieren im Englischen – nicht zuletzt im Zuge der theoretischen Auseinandersetzungen der Disability Studies – verschiedene Schreibweisen des Wortes „Disability“. So z. B. „DisAbility“, „dis_ability“ oder der im Rahmen dieser Arbeit häufiger aufgenommene Begriff „dis/ability“. Letzterer vermag vielleicht am ehesten verdeutlichen, dass die Frage nach Fähigkeiten und eingeschränkten Lebensweisen zum einen häufig eine Frage der Betrachtungsweise ist, und zum anderen von unterschiedlichen Faktoren abhängt,

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deren ­Differenzierungslinien zwischen Körperkonstruktionen, inneren und äußeren Faktoren sowie ­Normalitäts- und Machtbegriffen sich bisweilen überkreuzen (zur historischen Herleitung der unterschiedlichen Begriffsformen vgl. Waldschmidt 2012; Goodley 2014, 51–81). 11 Mit dem Verweis auf das „komplexe Zusammenspiel von Körpern, Sinnen, Gefühlen, Symbolen, Erfahrungen, Technologien und technologischen Infrastrukturen, von situativ erzeugten Raum- und Zeitverhältnissen etc., die soziale Praxen ereignen lassen, die Handlungsrahmen und -kompetenzen ermöglichen und fortschreiben oder aber in Frage stellen, behindern und unmöglich machen“ (Schillmeier 2007, 91), knüpft Michael Schillmeier an Gilles Deleuze und Felix Guattari an, wonach Behinderung nicht im evolutionären Sinne durch „Herkunft“ oder „Abstammung“ zu verstehen wäre, sondern vielmehr durch „Bündnisse“ zustande kommt (Deleuze/Guattari 1992, 325). Gemeint sind Bündnisse aus menschlichen und nicht menschlichen Akteuren, also soziale Prozesse und die Beschaffenheit und somit (Un-)Zugänglichkeit von gestalteter Umwelt. 12 Eine Formulierung zur ANT-Perspektive auf Behinderung findet sich ebenfalls bei Schillmeier, wenn er beschreibt, dass mit den multiplen Objekten der „Behinderung“ die „Dingpolitik, also das Versammeln von Körpern, Dingen und Technologien als Artikulierung der Wirklichkeit von Naturen/Kulturen evident [… und] ‚Gesellschaft‘ […] zu einem heterogenen, materialen Ereignis des Politischen“ wird (Schillmeier 2007, 94). 13 Bezüge des Design zu weiteren Wissenschaften oder Denkrichtungen, wie z. B. den Ingenieurswissenschaften, der Semiotik, der Ethnologie, der Anthropologie, der Rhetorik, der Psychologie, der Physik, der Informatik oder den Systemwissenschaften, werden u. a. in den von Felicidad Romero-Tejedor und Wolfgang Jonas herausgegebenen „Positionen zur Designwissenschaft“ (Romero-Tejedor/Jonas 2010) hergestellt und thematisiert (vgl. auch Bieling et al. 2011). 14 In seinem Buch The Sciences of the Artificial deutet Herbert Simon den Wirkungsbereich von Design ­folgendermaßen: „Everyone designs who devise courses of action aimed at changing existing situations into preferred ones. The intellectual activity that produces material artifacts is no different fundamentally from the one that prescribes remedies for a sick patient or the one that devises a new sales plan for a company or a social welfare policy for a state“ (Simon 1969, 130). 15 Bzw. die Rolle von Design sowie ein perspektivischer Blickwinkel aus und auf die Designforschung. 16 Ausnahmen außerhalb der Designtheorie und -forschung finden sich bei der Technikhistorikerin Elsbeth Bösl, wenn sie in ihrer Beschreibung des wechselseitigen Verhältnisses von Technik und Behinderung explizit auch „Design“ erwähnt: „Technik, Design, Gestaltung, materielle und virtuelle Räume sind an der Konstitution von Kategorien beteiligt, die der soziokulturellen Differenzierung dienen. Behinderung […] ist eine dieser Kategorien“ (Bösl 2009, 29). Ausnahmen innerhalb der Designtheorie und -forschung ­finden sich in Graham Pullins Abhandlung „Design meets Disability“ (Pullin 2009) sowie in einigen der Arbeiten von Megan Strickfaden und Ann Heylighen (Strickfaden/Heylighen 2009). 17 Hier zeichnet sich eine Forschungs- und Wissenslücke ab, die zugleich als Antrieb und Legitimation der vorliegenden Arbeit fungiert. 18 Der Begriff geht hier auf den Sozialwissenschaftler Julian Rappaport zurück, der ihn Mitte der 1980erJahre zur Beschreibung von stärkeorientierten gegenüber defizitorientierten Betrachtungsweisen im Zusammenleben von Individuen oder Gemeinschaften einführte. Der Begriff findet seitdem rege Verwendung im Kontext von Selbstbestimmung (insbesondere sozial Benachteiligter), aber auch im Zu­ sammenhang mit Konzepten zu mehr bürgerschaftlichem Engagement. 19 Wie später noch ausführlicher dargelegt, wird „Behinderung“ und das, was wir darunter verstehen, auch durch Aspekte der Gestaltung mit konstruiert. Das legt im Gegenzug nahe, dass sich Konzepte und ­Verständnisweisen von Behinderung auch mithilfe von Gestaltung dekonstruieren lassen. Dekon­ struktion meint hier ein kritisches Hinterfragen, ein Umdeuten im weiteren Sinne. Das Ziel einer solchen kritischen Umdeutung könnte darin bestehen, Behinderung und die sie bedingenden Zusammenhänge ­anders zu „lesen“, einzuordnen und zu bewerten. Eine solche, designbezogene Dekonstruktion kann auf zwei Ebenen erfolgen, die nicht selten in engem Zusammenhang zueinanderstehen: Zum einen kann Design im praktischen Sinne assistieren und dabei körperliche Defizite nichtig erscheinen lassen. Zum anderen kann durch gestalterische Interventionen eine Bedeutungsverschiebung entstehen. Beispielsweise dann, wenn körperliche Beschaffenheiten allein nicht mehr als Hauptkriterium zur ­Klassifizierung von Menschen als „normal“ oder „anders“ gelten. Indem also das soziale und kulturelle Kon­strukt „Behinderung“ als gestalterisch bedingt entlarvt wird, offenbart sich die Möglichkeit einer Brechung der hierarchischen Ordnungskonzepte von „normal“ gegenüber „anormal“ bzw. von „gesund“ gegenüber „krank“ etc. Und somit auch deren mögliche Neuordnung. Eine solche Verschiebung der Bedeutungsebenen, aus der sich auch neue Möglichkeiten im Umgang mit Behinderung und Normalität ergeben, wird vermutlich auch mit einer begrifflichen Umwertung einhergehen.

ANMERKUNGEN   065

20 Uta Brandes stellt fest, dass die Kategorie Geschlecht sowohl „erheblichen Einfluss auf die Form und die Praxis der Gestaltung als auch Auswirkungen auf Nutzen, Gebrauch und Konsum von Design“ hat (Brandes 2008, 172). Grundlegend hierfür ist die Verinnerlichung tradierter Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit (Bieling 2008, 12), die gerade auch auf die gestaltungsmäßige Verbreitung kultureller Stereotypen zurückzuführen ist, die durch die hohe Präsenz von Design in unserer Alltagswelt (z. B. in Form von gestalteten Gegenständen oder Bildwelten im öffentlichen Raum) täglich von einer breiten Masse wahrgenommen werden und dadurch einen indirekten Einfluss auf Rollenbilder haben (Bieling 2017; Bieling 2019c). 21 Anders als das deutsche Wort „Geschlecht“ erlaubt der englische Begriff „Gender“ eine Differenzierung zwischen dem „biologisch orientierten ‚Sex‘ und dem sozial und kulturell konnotierten ‚Gender‘“ (Brandes 2008, 172). Der englische Begriff thematisiert damit „umfassender und präziser die kulturellen und sozialen Interdependenzen von Geschlecht“ (ebd.), weshalb er sich auch in der deutschsprachigen Forschung durchgesetzt hat. 22 Im komplexen System von Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen, etwa im Bereich der Werbung, ist es, zumal für einzelne Designerinnen und Designer, sicherlich nicht immer einfach und Erfolg versprechend, sich in ihren Entwürfen etwaig stereotypen Rollenbildern zu verwehren, da im Zweifelsfalle an anderen, vorgesetzten Entscheiderpositionen trotzdem nach wie vor verkaufsargumentativ gedacht und gehandelt wird, was dann womöglich zu Ungunsten einer kritischen Gestalterhaltung ausgeht. Dies wäre dann allerdings erst recht ein Beleg für die politische Dimension von Design. Mit Blick auf die gesellschaftspolitische Dimension postuliert Joost, Designerinnen und Designer sollten sich „bewusst entscheiden, inwieweit sie diese [stereotypen Rollen-]Bilder durch ihre Entwürfe stützen, vervielfältigen, oder aber negieren“ (Joost 2008, 5). 23 Analog zu Technologien, Artefakten, Dingen etc. 24 Hier könnte man die grundlegende Frage stellen, wo eigentlich die Unterscheidung zwischen einer assistierenden und einer nicht-assistierenden Technologie zu ziehen wäre. Sara Hendren trifft in diesem Zusammenhang eine klare Aussage: „All Devices are assistive“ (Hendren 2013) und meint damit, dass ein Großteil aller Geräte und zur Alltagsnutzung intendierten Gegenstände höchstwahrscheinlich dem Ziele dienen, Menschen in ihrem Alltagsleben zu unterstützen. Doch, so Hendren, erst im Zusammenhang mit dem Thema Behinderung bekommen Geräte und Gegenstände diese seltsame Konnotation des Besonderen bzw. des „Special Needs“ (ebd.). Im deutschen Sozialgesetzbuch erfolgt immerhin eine ­Unterscheidung, indem sich auf Gegenstände bezogen wird, die „im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind“ (SGB V § 33 (1): http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbv/33.html [Letzter Zugriff: 21. Juni 2016]). Nach dieser Lesart ließe sich zusammenführend formulieren, dass alle „Devices“ zumindest potenziell „assistiv“ sind (z. B. ein Stuhl zum Sitzen, eine Tasse zum Trinken), man sie jedoch lediglich als solche bezeichnet, wenn ein expliziter Behinderungs-, Krankheits- oder Heilungsbezug gegeben ist (z. B. eine Krücke zum Abstützen bei Mobilitätseinschränkungen). 25 Nicht minder ambivalent ist auch der – seltener verwendete – Begriff „Rehabilitation Engineering“. 26 Design verfügt also nicht nur durch seine gestalterischen Artefakte, sondern auch anhand der ihm zur Verfügung stehenden und zugrunde liegenden Begrifflichkeiten über das Potenzial, soziale Ungleichheiten ent­weder festzuschreiben oder aber zu unterminieren (Bieling 2019d, 5). 27 In der Deutschen Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention taucht der Begriff „Universal ­Design“ als „universelles Design“ auf. Geläufiger ist jedoch auch im deutschen Sprachgebrauch die ­englische Originalbezeichnung. June H. Park weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Übersetzung „Universelles Design“ das Missverständnis verstärkt, „das bereits die englische Bezeichnung verursachte, [nämlich] dass es bei Universal Design um Standardisierung oder kulturelle Uniformität ginge“ (Park 2012, 25). 28 Wie so häufig kommt es bei den unterschiedlichen Begriffen bisweilen zu konzeptionellen Überschneidungen. Don Norman, einer der prominentesten Verfechter des Human-centred-Designs, formuliert Ende der 1990er-Jahre beispielsweise den Begriff des „accessible activity-centered Design“, der sich in seiner Zielformulierung nicht grundlegend von den genannten Konzepten unterscheidet: „The future of design could see the divide between able-bodied and disabled people vanish“ (Steere 2008). In einem CNN Interview beschreibt Norman, wie der Miteinbezug von behinderten Menschen in diese Sichtweise nutzerübergreifend zu besseren und sinnvolleren Technologien und Produkten führen könnte, unabhängig vom Grad ihrer Fähigkeiten: „Make cans and bottles that a one-handed person can open and guess what, many people will find it makes their lives easier when they only have one free hand. […] Showers and baths can be made better and safer for all. Make things better for the hard of hearing or seeing and

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guess what, similar benefits for all […]. The most important first step is to increase the awareness of ­designers and companies of the need to accommodate everyone. The disabled are not just some small, disenfranchised group: they represent all of us. So the first step is education, awareness, and empathy […]. A change in the thought process of designers would also require support and active participation of people with the disabilities being designed for“ (ebd.). 29 Am Beispiel des in den 1940er-Jahren entstandenen Wohlfahrtsstaatsmodells des schwedischen Folkhemmet (zu deutsch: Volksheim) beschreibt Malte Klein-Luyten den zu dieser Zeit wachsenden Bedarf an „demokratischem Design“ im Sinne einer „breiten Verfügbarkeit für alle gesellschaftlichen Schichten“. Dieses decke sich in seinen Zielsetzungen im Wesentlichen mit dem seit Ende der 1960er-Jahre durch den damaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme proklamierten Konzept einer „Gesellschaft für alle“. Früher und ausgiebiger als in anderen Ländern setzte man sich in Schweden auf diese Weise auch mit dem Thema Barrierefreiheit und mit Designpotenzialen in Bezug auf Menschen mit Behinderungen auseinander (Klein-Luyten et al. 2009, 13). 30 Nach Graham Pullin wird der Begriff „Inclusive Design“ eher in Europa und Japan verwendet, „Universal Design“ hingegen vorrangig in den USA (vgl. Pullin 2009, 2). 31 Eine Durchmischung der Begriffe findet übrigens nicht nur umgangssprachlich statt, sondern auch in entsprechenden Publikationen und Fachveranstaltungen (z.B.: INCLUDE; Universal Design Conference; Design4Health). Diese Beobachtung beruht auf den Erfahrungen, die im Zuge der Recherchen und der generellen Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex im Rahmen dieser Arbeit gesammelt wurden. Sie ist in dem Sinne an dieser Stelle nicht empirisch belegt. 32 Abermals wird die Dehnbarkeit des Designbegriffs deutlich, insofern hier beispielsweise auch (oder gerade eben) politische oder juristische Werkzeuge als Gestaltungsmittel fungieren können. 33 Das Center for Universal Design wurde 1989 von Ronald L. Mace an der NCSU gegründet. In einem inter­ disziplinären Team aus Produktdesignern, Forschern, Ingenieuren und Architekten formulierte man dort auch die sieben Prinzipien als Grundlage zur Bewertung von Produktentwürfen sowie als Richtlinie für Entwurfsprozesse. Bis heute werden sie immer wieder auch von Designlehrenden zur Hilfe genommen, um sowohl Designer als auch Fachfremde über mögliche Kriterien von einfach zu handhabender, ­nutzerorientierter Gestaltung zu informieren. 34 Die Kriterien beziehen sich dabei lediglich auf die universelle Nutzbarkeit des Designs. Weitere Aspekte, die es in Entwurfsprozessen in der Regel ebenfalls zu berücksichtigen gilt, wie z. B. Fragen in Bezug auf Umweltverträglichkeit, Kostenaspekte oder technische Voraussetzungen, werden bei diesen sieben Prinzipien (bewusst) ausgeklammert. Die hier getätigte Auflistung der sieben Prinzipien des Universal Design (© 1997 NC State University, The Center for Universal Design) basiert auf der Übersetzung aus dem Englischen nach Oliver Herwig (Herwig 2008, 170–172) und der des Internationalen Design Zen­ trums Berlin (IDZ 2008, 123 ff.). 35 Als Fail-safe bezeichnet man die fehlertolerante, ausfallsichere Eigenschaft eines Systems, im Falle ­eines (z. B. versehentlichen Eingabe-)Fehlers möglichst schadenfrei zu reagieren. Das Fail-safe-Prinzip kann als grundlegend für jedwede Konzepte zur Benutzerfreundlichkeit angesehen werden. 36 Park schlägt dazu vor, „ein System aufzubauen, das weniger zu einer Zertifizierung des Endprodukts ­eines Designprozesse, als vielmehr des Prozesses selbst in der Lage ist“ (ebd.). 37 Park konstatiert, dass im Kern des Konzepts des Universal Design „der nostalgische Wunsch nach einer nivellierenden Harmonie“ anklinge. Der Frage nachzugehen, „wie dieser Wunsch mit der gesellschaftlichen Realität der Vielfalt korreliert, [sei] eine interessante Aufgabe“ (Park 2012, 24). Hieraus ergibt sich im Übrigen noch weiteres Forschungspotenzial zu einer kritischen Reflexion des Konzepts Universal ­Design, etwa im Bereich der Kultur- und Sozialwissenschaften (ebd.). 38 June H. Park schlägt den Begriff „Zugänglichkeit“ als wörtliche Übersetzung des Englischen Begriffs ­Accessibility anstelle von „Barrierefreiheit“ vor, da diese zwei unterschiedliche Konzepte repräsentieren: „Zugänglichkeit stellt die Möglichkeit und den Erfolg dar, an dem Nutzen von Produkten oder Services zu partizipieren, während Barrierefreiheit dagegen einen bestimmten Zustand dieser Produkte oder Services darstellt. Zugänglichkeit ist der Zweck, Barrierefreiheit eines der Mittel dazu. Zugänglichkeit kann auch ohne Barrierefreiheit erreicht werden (ein Arzt macht Hausbesuch, eine ­behördliche Dienstleistung wird per Internet genutzt), während Barrierefreiheit nicht notwendigerweise gleich ­Zugänglichkeit nach sich ziehen muss (ein Sonderschüler im Rollstuhl in einer architektonisch barrierefreien Regelschule schafft das Klassenziel nicht)“ (Park 2012, 25). 39 Der Begriff Community of Practice geht zurück auf eine Formulierung von Étienne Wenger und Jean Lave. Umschrieben wird damit eine praxisbezogene, mitunter temporäre Gemeinschaft von informell mit­ einander in Verbindung stehenden Personen und Gruppen, aus deren Konstellation ein Wissenserwerb ­hervorgeht (vgl. Wenger 1998, 11 f.).

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40 Und dessen Designbüro (vgl. Henry Dreyfuss „Adult Male Driver in Vehicle Chart“ [1960] in: Henry Dreyfuss, The Measure of Man [New York: Whitney Library of Design, 1960; Henry Dreyfuss Associates, LLC]). 41 Die Ergonomie beschäftigt sich mit Gesetzmäßigkeiten menschlicher Handlungsweisen, wie z. B. Handbewegungen oder Körperhaltungen bei bestimmten Arbeitsabläufen. Ziel ergonomischer Ausrichtungen ist es dabei, solche Abläufe durch eine nutzerfreundliche Gestaltung, wie z. B. bestimmte Anordnung von Arbeitswerkzeugen oder anhand von körperhaltungsoptimierten Sitzmöbeln nachhaltig zu verein­ fachen. 42 Der Ansatz, Menschen als Alltagsdesigner zu verstehen, kann hier aus zwei unterschiedlichen Blickrichtungen verstanden werden. Die erste erfolgt in Bezugnahme auf Uta Brandes’ Überlegungen zur „Herstellung der Dinge durch den Gebrauch“ („Production of Things through Use“) (Brandes et al. 2009, 10), die von Uta Brandes und Michael Erlhoff auch als „Nicht intentionales Design“ („Non Intentional Design“) be­ mgestaltung schrieben werden (Brandes 2008a). Erlhoff und Brandes bezeichnen damit die alltägliche U des Gestalteten, etwa indem Nutzende bestimmte Dinge zweckentfremden und dadurch ihren akuten Bedürfnissen anpassen. Bei aller Kompetenz professioneller Designer verwirkliche sich Design demnach tatsächlich erst im Gebrauch. Wodurch dem Rezipienten eine weitaus weniger passive Rolle zukäme, als so häufig angenommen (vgl. Brandes/Erlhoff 2006). Die zweite Blickrichtung bezieht sich auf Friedrich von Borries’ abgewandelten Leitspruch „Jeder Mensch ist ein Designer“ (Borries 2017). In Anlehnung an das berühmte Joseph Beuys-Zitat („Jeder Mensch ist ein Künstler“) vertritt Friedrich von Borries die Ansicht, jeder Mensch sei ein Designer, was von Borries vorrangig an dem Aspekt der Selbstgestaltung bzw. der Gestaltung des eigenen Körpers festmacht. Diese reiche von Aspekten der Pflege und Hygiene über solche der Reparatur (Prothetik) bis hin zur Erweiterung und Modifikation (Borries 2016, 93 ff.). Dies konkretisiert er folgendermaßen: „In gewisser Weise ist heute […] jeder [ein] Gestalter seiner eigenen Lebens­welt. Das fängt an bei Fragen, wie wir uns kleiden […] oder uns in sozialen Medien repräsentieren […] bis hin zu Fragen, wie wir unseren Körper gestalten (z. B. Diäten, Implantate). […] Wir sind permanent mit Fragen der Selbstgestaltung konfrontiert. Und sind daher in gewissem Sinne, zwar nicht professionell, aber doch andauernd: unser eigener Designer“ (Borries 2017). Ursprünglich geht die von Borries aufgegriffene Formulierung auf Victor Papanek zurück, der bereits auf dem Titel seiner Publikation Das Papanek Konzept vermerkt: „Alles ist ‚Design‘“ (Papanek 1972). Ihm zufolge stellt „Design“ ein Konglomerat von Erziehung, Kreativität, Sozialplanung, aber auch Forschung dar: Alle Menschen sind demnach (bewusst oder unbewusst) Designer (Gekeler 2012, 50). Und „fast alles, womit wir uns beschäftigen, ist Design, Planung, Entwurf. Denn Design ist die Grundlage jeder menschlichen Tätigkeit“ (Eisele 2005, 127). Es muss allerdings auch festgehalten werden, dass dieses Diktum Papaneks in heutigen Designdiskursen nicht unumstritten ist. So konstatiert die Designhistorikerin Claudia Banz, es habe in der Konsequenz zu einer „Verwässerung des (Design-)Begriffs und des damit verbundenen Berufsfeldes geführt sowie zum Wildwuchs zahlreicher vermeintlicher Designkulturen“ (Banz 2016, 7). 43 Kurzform für „Do-it-Yourself“. 44 Williamson beschreibt das Entstehen einer regelrechten „Tinkering Culture“ (Bastel-Kultur) und sich ­darum formierender Netzwerke zum Wissensaustausch über selbstgebaute Hilfsmittel zur Alltags­ erleichterung behinderter Menschen und deren Angehörigen im Zuge der Polio-Verbreitung in Nord­ amerika während der 1930er- bis 1950er-Jahre (vgl. Williamson 2017, 198 ff.). 45 Aimi Hamraie konstatiert, dass wir es heute eher mit dem umgekehrten Fall zu tun haben und es in ­bestimmten Bereichen des Designs ein vergleichsweise stärkeres Bewusstsein gegenüber Behinderung zu geben scheint, als es bei der Architektur der Fall ist (Hamraie 2015). Ein empirischer Beleg dieser Feststellung bleibt allerdings aus. 46 Und somit auf dem Höhepunkt der damaligen amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen. 47 Der Architectural Barriers Act wurde schließlich nur mit mäßigem Erfolg durchgesetzt. Gleichwohl folgte eine Reihe an weiteren Gesetzen und Bestrebungen zur Stärkung der Rechte Betroffener. Maßgeblich eingeleitet wurden diese Initiativen durch eine Reihe von großen, in der öffentlichen Wahrnehmung sehr präsenten Protesten aus den Reihen des Disability Rights Movements. 48 Die „Stadtkritik“ bezog sich nicht immer explizit und ausschließlich auf das Thema „Behinderung“, fußte jedoch auf dem Verständnis, dass die „Stadt“ generell „von einer Rücksichtslosigkeit gegenüber sozial Schwachen und einer Missachtung der Bürger gekennzeichnet“ sei (Bösl 2012, 39). Derlei kritische Überlegungen wurden u. a. in der Münchner Ausstellung PROFITOPOLI$. Oder: Der Mensch braucht eine andere Stadt (1971) formuliert (vgl. Lehmbrock 1971). 49 Bazon Brock konstatiert, wie später noch näher erläutert, dass „Probleme“ grundsätzlich nur unter ­Entstehung neuer Probleme zu lösen sind (vgl. Brock 2011). Eine ähnliche Sichtweise findet sich – auch dies wird später noch erläutert – bei Horst Rittels und Melvin Webbers Überlegungen zu sogenannten „wicked problems“ (Rittel/Webber 1973).

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50 Die Begriffe „innovativ“ und „Innovation“ werden hier in einer allgemeinen Bedeutung verwendet, als das qualitativ Neuartige betreffend, auf Aspekte progressiver Verfahren, Entwicklungen und Produkte gerichtet, die sich zu ihren Vorgängermodellen merklich auf signifikante Weise unterscheiden. Folgt man den Definitionen von Heico Wesselius (Wesselius 2008, 219–221) oder Jürgen Hauschildt (Hauschildt 2004, 7), erfolgen Innovationsprozesse in einem Kontinuum, in dem Ideengebung, Konzeptentwicklung, Ausführung, Entwicklung bis hin zur Perzeption durch eine breite Öffentlichkeit (also nach erfolgreicher Markteinführung) gleichermaßen eine Rolle spielen. Für die im Zuge dieser Arbeit entwickelten Konzepte, Verfahren und Objekte kann und soll der zuletzt genannte Aspekt freilich nicht berücksichtigt werden. In diesem Fall wären im Sinne der Definitionslogik konsequenterweise Begriffe wie „Neuheit“ oder „Neuerung“ zutreffender. Es werden jedoch im weiteren Verlauf der Arbeit auch Produkte genannt und beschrieben, auf die der vollumfängliche Innovationsbegriff zutrifft. 51 Formal-ästhetische Fragen stellen sich insbesondere dann, wenn es beispielsweise darum geht, ­Prothesen besonders dezent oder körperrealistisch zu gestalten, sodass sie kaum oder gar nicht mehr auffallen, oder sie im Gegenzug besonders auffällig, dem menschlichen Körper eher „unähnlich“ zu gestalten. Dies führt bisweilen zu unterschiedlichen Akzeptanz-Mechanismen: Während etwa die Brille – je nach Anmutung – unterschiedliche Assoziationen zulässt (Weisheit, Coolness, Sportlichkeit, etc.), bisweilen sogar als reines Mode-Accessoire fungiert, so wirkt das Hörgerät, sofern denn als solches ­erkennbar, nach wie vor stigmatisierend. Dem zugrunde liegt die generelle Frage, wie Menschen sich ­anderen Menschen gegenüber verhalten, denen ein vermeintlicher Makel anhaftet. 52 Heutige Hörgeräte werden – auch durch neue Möglichkeiten der Miniaturisierung und den Einsatz transparenter Materialien – von den meisten Herstellern inzwischen meist so gestaltet, dass sie nach außen hin kaum noch sichtbar sind. 53 Die an den Körper angebauten, mitunter abnehmbaren Artefakte, unterscheiden sich begrifflich von in den Körper implementierten Endoprothesen. 54 Graham Pullin (Pullin 2009, 16–23) und Joanna Lewis (Lewis 2001) beschreiben den Kulturwandel rund um die Brille, die lange Zeit als rein medizinisches Produkt und deren Träger somit als Patient galt. Erst in der späteren zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann sich ein Prinzip der „Stylebarkeit“ von Sehhilfen durchzusetzen: Eine Evolution von der Sehhilfe hin zur „Eyewear“. Dass leichte Sehschwächen im Allgemeinen heute nicht mehr als Behinderung wahrgenommen werden, sei durchaus als Erfolgs­ geschichte der Brille zu verbuchen. Dies beruhe nicht zuletzt auf der Einsicht, dass Brillen eben nicht nur die eigenen Linsen, sondern insbesondere auch die Augen, das Gesicht und somit auch das per­ sönliche Erscheinungsbild einrahmen. 55 Dass die „Camouflage-Methode“, also das Verstecken eines Hilfsmittels (und somit auch der Behinderung) nicht immer das vorrangige Ziel von Nutzenden ist, wird allein schon daran deutlich, dass trotz der mittlerweile annähernd vollumfänglichen Kaschierbarkeit von Sehschwäche durch Kontaktlinsen, die Brille nach wie vor einen hohen Popularitätsgrad genießt. 56 MIT Media Lab Symposium on new adaptive Technologies: new minds, new bodies, new identities an der School of Architecture + Planning, Massachussetts Institute of Technology, 9. Mai 2007 (vgl. Peterson 2009). 57 Als designaktivistische Gestaltungsalternative haben Sara Hendren und Brian Glenney mit ihrem Accessible Icon-Projekt 2010 das „Modified ISA“ entwickelt (Hendren 2015). Zwar wird die Bildsprache in Form eines rollstuhlfahrenden Menschen hier beibehalten, doch wird dessen statisch-passive Position im ­ursprünglichen Icon durch eine dynamisch-aktive Anmutung ersetzt. Was zunächst als Guerilla-Aktion durch Überkleben alter Schilder mit dem neuen, modifizierten Symbol begann, trug zu einer Erfrischung des ISA-Themas auf breiter Diskursebene bei. Seit 2015 wird das Modified ISA in den US-­Bundesstaaten New York und Connecticut offiziell eingesetzt. Im selben Jahr wurde es in die Sammlung des MoMa (­Museum of Modern Art, New York) aufgenommen. 58 Auf ähnliche Weise verdeutlichen Anja Tervooren und Jürgen Weber dieses Phänomen, wenngleich auf einer komplementären, eher linguistischen Ebene im Kontext des Begriffs „Barrierefreiheit“: Ein besonderes Merkmal an der Sprachwahl „Barriere“ oder „Barrierefreiheit“ sei, dass sie den Fokus eher auf die Konstitution des Normalen und weniger auf die Kategorie von Behinderung richten. Tervooren und Weber konstatieren hierzu: „Das, was als ‚normal‘ gilt, ist häufig das Unmarkierte und wird als solches gar nicht wahrgenommen“ (Tervooren/Weber, Wege zur Kultur, S. 18). 59 Gemeint ist ein dem „medizinischen Modell“, in Unterscheidung zu einem „social Model“ kongruenten Design-Ansatz. 60 Etwa durch kaum sichtbare Kontaktlinsen und Hörhilfen, körperteilähnliche Prothesen oder fleisch­ farbene Orthesen.

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61 Das Thema „Zielgruppen“ wird im Design- und Innovationskontext zunehmend als zweischneidiges Schwert betrachtet. Zum einen scheint es nach wie vor unerlässlich, möglichst genau einordnen und definieren zu können, für wen man etwas gestaltet; wer also die adressierten Nutzerinnen und Nutzer sind. Zum anderen scheint der Einfluss darauf, welche Nutzer welches Produkt auf genau welche Art und Weise nutzen werden, im Vorfeld schwer zu steuern. Ein „Non-intentional Design“, wie bei Erlhoff und Brandes beschrieben (Erlhoff/Brandes 2006), verdeutlicht, dass, „bei aller Kompetenz“ von Designern, sich Design „tatsächlich erst im Gebrauch verwirklicht“ (Brandes et al. 2009, 10). Auch im Kontext der seit den 1990er-Jahren im Marketing- und Entwickler-Jargon sogenannten „Disruptive Innovation“, erfahren herkömmliche Definitions- und Interpretationsweisen der „Zielgruppe“ bisweilen eine Überarbeitung. So empfiehlt der Wirtschaftswissenschaftler Clayton Christensen, die tatsächlichen Ursachen und Gegebenheiten von Produktnutzungen oder Serviceinanspruchnahmen zu inspizieren, als stattdessen in Kategorien wie „Marktsegment“ oder „Zielgruppe“ zu denken (Christensen, 2003, 75). Design­ historisch gesehen geht die gestalterische Tendenz zu Normierung mit der Entwicklung des Designs als Entwurf für Waren zur Massenproduktion einher. So beschreibt Petra Eisele, dass diese in Deutschland zwischen 1923 und der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 „besonders engagiert betrieben“ wurde. Für den Gestaltungsbereich brachte der Gründer und erste Direktor des Bauhauses, Walter Gropius, 1923 jene „neue Gesinnung auf den Punkt, die sich vom individuell künstlerisch inspirierten Einzelprodukt verabschiedete und Gestaltung stattdessen programmatisch in den Dienst eines sozialen Idealismus stellte“: Standardisierung, Typisierung und Massenproduktion. „[Hier] sollten Prototypen für einen neuen, so genannten ästhetischen Funktionalismus entwickelt [werden], der breiten Bevölkerungsschichten zu besseren, d. h. zu sozialverträglicheren Lebensverhältnissen verhelfen sollte“ (Eisele 2014, 93). Als eine der großen Herausforderungen für Gestaltung, die sich im Rahmen der industriellen Produktionsformen und der sich damit verändernden Märkte ergeben hat, beschreibt Michael Erlhoff, dass „der Markt“ es von nun an mit weitgehend unspezifischen Gruppen von Menschen zu tun hat (Erlhoff 2013). Den sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten wird von Designern und Marketingfachleuten immer noch häufig damit begegnet, etwa mithilfe sogenannter „Persona“, bestimmte Definitionen von „Norm-Usern“, Standard- oder Durchschnittsnutzern formulieren. Als problematisch muss hierbei ­Folgendes beachtet werden: Zum einen werden mit solchen Normierungspraktiken häufig fragwürdige oder gar falsche (Rollen-)Klischees zementiert, zum anderen werden dadurch häufig gerade diejenigen exkludiert, die ohnehin schon einer gesellschaftlichen Marginalisierung unterliegen. 62 Der englische Begriff „Special Needs“ ist ein gängiger, wenn auch nicht unumstrittener Begriff zur ­Umschreibung hilfs- oder assistenzbedürftiger Menschen. 63 Graham Pullin verwendet den Begriff „Mainstream Design“ zur Beschreibung von Dingen, die für breite Massen gestaltet wurden/werden, oder solche, die sich erfolgreich auf dem Markt gut durchsetzen bzw. großen Absatz finden konnten (vgl. Pullin 2009, 89). 64 Der Leg Splint geht zurück auf frühe Experimente von Charles und Ray Eames mit schichtverleimtem, verformtem Sperrholz (Plywood). Zusammen mit dem Architekten Eero Saarinen wurde dieses Verfahren zur Entwicklung formgepresster Sperrholzstühle verwendet. Für den Auftrag durch die US-Navy zur Entwicklung von geeigneten Beinschienen für US-Soldaten konnte dieses Verfahren im Jahr 1942 adaptiert werden. 65 Man könnte auch sagen: funktions- oder bereichsübergreifend. 66 Gemeint sind Transfers in andere Nutzungskontexte. Weniger stark im Fokus dieser Arbeit stehen die vergleichsweise direkten Transfers. Ein solcher lässt sich am Beispiel der Schreibmaschine festmachen, die vor ihrer nutzergruppenübergreifenden Verbreitung ursprünglich als Kommunikationshilfe für Blinde erfunden wurde. Ulrike Bergermann beschreibt diese Erfolgsgeschichte der Schreibmaschine als prominentes Beispiel für die „Entwicklung von Maschinen und Techniken, die Behinderungen überwinden sollen und manchmal massenkompatibel für die Mehrheitsgesellschaft werden“ (Bergermann 2013, 19). 67 Louis Braille, Erfinder des nach ihm benannten Punktschriftsystems, der in der Kurzform häufig schlichtweg Braille genannten Brailleschrift. 68 Die Beispiele offenbaren überdies ein scheinbares Beziehungsgeflecht zwischen Militär/­Kriegsindustrie und Behinderung. Anknüpfungspunkte daran finden sich in den aktuellen Enhancement-Diskursen um die „Aufrüstung des Körpers“ (Meyer 2017). Denn Projekte, bei denen es darum geht, den menschlichen Körper durch die Einbindung von Technik zu überdurchschnittlichen Leistungen zu führen – etwa im ­Bereich der Exoskelette –, finden sich häufig sowohl im „Special Needs“-Sektor als auch in militärischen Anwendungsbereichen. 69 BLISS wurde – inspiriert durch chinesische Schriftzeichen – Anfang der 1940er-Jahre von Charles Bliss über mehrere Jahrzehnte hinweg entwickelt. Das Hauptanliegen dieser Entwicklung eines (möglichst

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i­ ntuitiven) grafischen Kommunikationssystems bestand in der Verbesserung der interkulturellen und sprachenübergreifenden Verständigung (vgl. Gangkofer 1993; Hofmann 2004). Hier: nicht zwangsläufig speziell im Behinderungskontext. Das bringt Schwierigkeiten mit sich. Craig Bremner weist auf einige dieser Schwierigkeiten hin und ­beschreibt die Negativaspekte eines „User-centered Design“ mit starker Ausrichtung auf Usability Aspekte u. a. am Beispiel terminologischer Kniffligkeiten, wie dem generell schwammigen Begriff „Nutzer“ (Bremner 2008, 425 ff.). Im gleichen Zuge macht Bremner deutlich, wie sehr die wachsende Erkenntnis hinsichtlich der Abweichungen zwischen Design- und Nutzer-Intentionen auch zur Fokussierung auf neuere Felder wie dem Participatory Design und dem Inclusive Design innerhalb der Usability-Forschung geführt hat: Dem Versuch, den „Nutzer“ nicht mehr ausschließlich als „passiven Empfänger vorbestimmter Meldungen […], sondern als aktives und integrales Mitglied des Design-Teams“ zu verstehen und ihm „mehr Teilnahme zuzugestehen als das bloße Studiert- und Beobachtet-Werden, das [ihn] letztendlich nur mit etwas Gegebenen konfrontiert“ (ebd., 427). In ihrem Entwurf einer machtkritischen und geschlechterinformierten Designmethodologie zeigt Sandra Buchmüller auf, dass ein Human-centred-Design (HCD) aus ökonomischer Sicht zwar „bruchlos mit den Anforderungen der Massenproduktion kompatibel“ ist, stellt jedoch auch dies klar: Indem es „konventionelle und mehrheitstaugliche Gestaltungslösungen“ bevorzugt, stabilisiert es zwangsläufig auch bestehende „Macht- und Ungleichheitsverhältnisse im jeweiligen Anwendungsfeld“ (Buchmüller 2018, 258). Buchmüllers Argumentation deckt sich in dem Sinne mit den Beobachtungen von Katharina Bredies, Rosan Chow und Gesche Joost, die mit Blick auf HCD Folgendes zu bedenken geben: „In designing a new chair, designers will look at how the majority of people use the chair (probably for sitting). Therefore, single original instances of chair use might get lost in the statistics. Intermediary testing of design proposals might enforce the tendency to discard unconventional variations […]. While HCD relies on individual meaning construction, it threatens to mainstream it at the same time by favouring conventional understandings“ (Bredies/Chow/Joost 2010, 166 f.). Im Rahmen der Vorlesungsreihe „Design Research Colloquium“ an der Universität der Künste habe ich dies mehrfach als „multioptionales Approximationspotential für Design“ beschrieben. Dieser Begriff wurde dazu exemplarisch in vier Themenfeldern verhandelt. Konkret handelt es sich um die Vorlesungen „Normative Technikgestaltung: Die Unmöglichkeit der Technik, neutral zu sein!“ (Juli 2015), „Über Paradoxien der Barrierefreiheit und die Ambivalenz der Normalisierung“ (Februar 2014), „Phantasmen der (Un-)Verletzlichkeit. Anmerkungen zu Anja Tervoorens Überlegungen zu Körper und Behinderung“ (Juni 2012) (vgl. Tervooren 2003) sowie „Zur Ästhetik und Kritik des perfekten Menschen“ (Mai 2012) mit Blick auf Dietmar Kampers Abhandlung „Normalität auf dem Prüfstand“ (Kamper 2003). Wobei damit nicht gemeint ist, dass sich diese Felder gegenseitig ausschließen. Bezogen auf die Eames’schen Schichtholzmöbel formuliert Graham Pullin das so: „[They] arose from both sides, from the [leg] splints and the sculptures.“ Pullin diagnostiziert also eine gegenseitige Befruchtung der Beinschienen und Schichtholzmöbel in Bezug auf deren Gestaltung und Herstellungs­ verfahren (Pullin 2009, XV). Diese Bezeichnung ist angelehnt an die englische Bezeichnung „Design for Disabilities“, die inhaltlich korrekter eigentlich „Design against Disabilites“ lauten müsste. Der in solchen Zusammenhängen bisweilen verwendete Begriff „Inspiration“ wird an dieser Stelle vermieden, da er in Zusammenhang mit „Behinderung“ (wenn auch in einem anderen Bedeutungs- und Verwendungskontext) vorbelastet ist. Denn häufig weckt diese Begriffskombination Assoziationen zu Alltagsfloskeln, wie sie vielen behinderten Menschen häufig begegnen und die etwa folgendermaßen lauten „Du gehst alleine einkaufen? Das finde ich toll! Deine Kraft inspiriert mich. Ich könnte das nicht.“ Die Aktivistin und Komikerin Stella Young kritisiert an solchen – häufig ja nett und wohlwollend gemeinten – Äußerungen eine „Objektivierung von Behinderung“ und prägte hierzu den Begriff des „Inspiration Porn“ (Young 2014). Die Bloggerin Laura Gehlhaar („Über das Großstadtleben und das Rollstuhlfahren“) umschreibt einen solchen Effekt der Objektivierung: „In [einem solchen] Moment fühle ich mich zum ­Objekt degradiert“ (Gehlhaar 2014). Es verdeutlicht sich an diesem Konfliktfeld eine Parallele zum Phänomen des „positiven Rassismus“ („Alle Schwarzen können gut tanzen und singen“) und dem ihm innewohnenden Dilemma: Man möchte freundlich und aufmunternd sein, bedient dabei aber oft Klischees und macht zum Thema, was eigentlich egal sein sollte, nämlich die Behinderung (bzw. im oben genannten Beispiel die Hautfarbe). Wie später noch deutlich werden wird (und womöglich bereits schon wurde), liegt der vorliegenden Arbeit eine solche Objektivierung freilich fern. Wenn im Verlaufe der Arbeit (im ­Zusammenhang mit Behinderung) dennoch von „Inspiration“ die Rede ist, so geschieht dies im Wissen um den oben beschriebenen Sachverhalt. Zugleich wird versucht, die begriffliche Verwendung entsprechend zu erläutern und/oder den Begriff gänzlich zu substituieren.

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78 Megan Strickfaden et al. zeigen hierbei auch auf, wie wichtig – und gleichermaßen nutzbringend und schwierig – „Empathie“ und „Dialog“ in solchen Projektkonstellationen sind (Strickfaden/Devlieger/­ Heylighen 2009). 79 Gemeint ist eine Weltanschauung, die auf ein gleichberechtigtes Miteinander ausgerichtet ist. 80 Der Deutsche Designprofessor Heiner Jacob (†), der in seinen Seminaren an der Köln International School of Design (KISD) beides stets verneint hatte, prägte hierzu – unabhängig vom Universal Design­ kontext – den Begriff des „Esperanto Design“. Diesen verwendete er als Synonym für einen, seiner ­Ansicht nach, utopischen Versuch eines Designs, das von allen verstanden und von allen genutzt werden kann und welches folglich im Bestreben, „es allen recht machen zu wollen“, zwangsläufig scheitern müsse (Jacob 2004). 81 Etwa in dem Sinne, dass sie sämtliche Anforderungen erfüllen würden, die von Nutzenden jeglichen ­Alters, jeglicher Körperbeschaffenheit, jeglicher Herkunft und unabhängig vom Kontext gestellt werden könnten. 82 Sara Hendren stellt fest, dass viele der heutigen „assistiven Technologien“ und Geräte immer noch als „medizinische Hilfsprodukte“ konzipiert sind, woraus sich häufig eine sowohl materielle als auch strukturelle Krankenhaus-Ästhetik ergibt, die unweigerlich an ein (zumindest optisches) Stigma gekoppelt ist: „‚Assistive technologies‘ have largely taken their points of departure from medical aids, primarily because in industrialized cultures, people with atypical bodies and minds have been thought of as medical ‚cases‘, not as people with an expanded set of both capacities and needs. So a lot of the design attention to things like crutches, wheelchairs, hearing aids, and the like have followed the material look and structure of hospital gear. And accordingly, designers and people working in tech have ‚read‘ them as a branch of medical technologies“ (Rosen/Hendren 2013). 83 Ein Problem, dem sich möglicherweise schon durch eine Begriffsverschiebung beikommen ließe. So wie es bei dem Begriff „Eyewear“, in Abgrenzung zur Sehhilfe, der Fall ist (kongruent: Hearwear anstelle von Hörhilfe, Body- bzw. Arm-/Legwear anstelle von Körper- bzw. Arm-/Beinprothesen). Graham Pullin verweist hier auf die terminologische Unterscheidungskraft, die einen immensen Unterschied, speziell mit Hinblick auf Gestaltungsfragen, dahingehend macht, ob jemand eine Brille trägt, sie mit sich herumträgt oder sie (als User/Patient im medizinischen Sinne) benutzt (Pullin 2009, 19). 84 Darin wird die Herausforderung einer Stigmatisierung entweder explizit thematisiert (Bispo/Branco 2008; Jacobson 2014; Skogsrød 2015; Vaes et al. 2012) oder anhand einer historischen Klassifizierung assistiver Geräte eingeordnet (Correia de Barros et al. 2011; Correia de Barros et al. 2011a). 85 http://www.design-research-lab.org/projects/knit-alarm/ [Letzter Zugriff: 7. April 2017] 86 „Design for Disability is usually approached as an exercise in problem solving. […] This also has some­ thing in common with the clinical tradition of diagnosis and treatment“ (Pullin 2009, 41). 87 Sicherlich spielt problemlösungsorientiertes Denken und Handeln eine wichtige Rolle im Designprozess und im Selbstverständnis vieler Designerinnen und Designer. Häufig werden durch die eindimensionale Definition jedoch andere wichtige (z. B. explorative, spekulative, transformative) Kategorien, Kompetenzen und Aufgabenbereiche des Designs unterschlagen. Paola Antonelli stellt dem Begriff des Designers als „Problem Solver“ beispielsweise den des „Sense Makers“ gegenüber und weist überdies auf eine weitere Kompetenz des Designers hin, nämlich der des „Problem Makers“ (Antonelli/Bieling 2014, 43 bis 44). Hier spielt sie auf die Ansätze des Critical und Speculative Designs an, wie sie etwa von Tony Dunne und Fiona Raby formuliert werden (vgl. Dunne/Raby 2001). 88 Gemeint ist, dass die Art und Beschaffenheit eines „Problems“ oder einer Herausforderung und dem­ zufolge auch die daran geknüpften Gestaltungsherangehensweisen, beispielsweise im Bereich „­Service Design“ (vgl. Erlhoff/Mager/Manzini 1997; Mager/Gais 2009; Mager 2011), anders konstituiert sein ­können als im Bereich „Mode Design“ oder im „Design Engineering“. Nach Annette Diefenthaler verläuft der Problemlösungsprozess im Design „selten linear, denn ein elementarer Bestandteil sind Bewertungstechniken: Meist entstehen verschiedene Lösungsvarianten als Zwischenergebnisse“, was sich wiederum mit der Annahme in Verbindung bringen lässt, dass der Gestaltungsprozess nicht nur von „­rational-analytischen Arbeitsweisen“, sondern auch von „emotional-intuitivem Vorgehen“ geprägt ist (Diefenthaler 2008, 307). 89 Um mögliche Zweckausrichtungen und Antriebsmomente von Designforschung besser verstehen zu können, lohnt ein Blick auf das Fallman-Modell: Daniel Fallman zufolge lassen sich Prozesse in einem Designforschungsprojekt als trianguläres Modell definieren anhand der Aktivitätsfelder „Design P ­ raxis“ (design practice), „Design Studien“ (design studies) und „Design Exploration“ (Fallman 2008). ­Letzteres Feld mag zwar durchaus mit Problemlösungsanforderungen konfrontiert werden, allerdings ergeben sich diese, falls überhaupt, womöglich erst im Verlaufe des Explorationsprozesses; oder es führen weitere Explorationen schwerpunktmäßig wieder weg von zeitweise angenommenen Problemen. Oder wie

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­ ullin es an anderer Stelle ausdrückt: Problemlösung eher im Sinne eines zielführenden Hilfsmittels, P denn als Ziel an sich (Pullin 2009, 43). In seiner Abhandlung „The Problem of the Problem“ (Till 2009, 166 ff.) beschreibt Jeremy Till einen ­Paradigmenwechsel vom Designer als „Problem-Solver“ hin zu einem „(citizen) Sense-Maker“ (ebd., 168; zitiert nach Ward 2015, 241). Als eine der großen Aufgaben (nicht nur für Design) haben Horst Rittel und Melvin Webber den B ­ egriff der Wicked Problems („Bösartige Probleme“) geprägt. Gemeint ist damit, dass jeder noch so simpel ­erscheinende Sachverhalt mit einem hochkomplexen Netz an neuen (sich möglicherweise erst daraus ergebenden) Problemen verbunden sein kann, die sich wiederum aus einer singulären Perspektive weder erschließen noch beheben lassen (vgl. Rittel/Webber 1973). Die Unauflösbarkeit dieser Probleme leitet Rittel aus seiner Theorie der komplexen sozialen Systeme ab, welche durch eine unüberblickbare Zahl an sich gegenseitig bedingenden Faktoren gekennzeichnet sind und somit jeden Planungsund Entwurfsprozess erschweren. In ihrer Abhandlung über die „Dilemmas in einer allgemeinen Theorie der Planung“ (Im Original: Dilemmas in a General Theory of Planning) kommen Rittel und Webber zum Schluss, dass es demnach „keine ‚Lösungen‘ im Sinne von endgültigen und objektiven Antworten“ gebe (Rittel/Webber 2013, 20). Katharina Bredies argumentiert in Bezug auf ein Design for Irritation (hier mit gesondertem Blick auf Co-Design) wie folgt: „Innovative artefacts without established cultural conventions will necessarily ­irritate the user to a certain extend. […] Designing innovative artefacts therefore provides an area where designers can exploit the irritating moment as an opportunity“ (Bredies 2008). Ähnliche Ansätze kursieren unter den Begriffen Design for Debate (Dunne/Raby 2014), Design ­Fiction ­ erden (Coles 2016; SDN 2010) oder Design for Provocation (Bardzell et al. 2012). Seit einigen Jahren w prominente und weniger prominente Beispiele des Speculative und Critical Design (SCD) (vgl. Prado 2014) innerhalb der Designforschungs-Community ihrerseits kritisch diskutiert (vgl. Bardzell/Bardzell 2013). Hauptpunkt der geäußerten Kritik zielt auf eine häufig als ignorant (da z. B. eurozentrisch) empfundene Sichtweise vieler dieser Projekte, in denen z. B. als „utopisch“ oder „dystopisch“ verhandelt wird, was in vielen Teilen und Kulturen der Welt hingegen längst Wirklichkeit ist (vgl. Prado/De Oliveira 2014). In seiner These des unterwerfenden, entmächtigenden Designs erläutert Friedrich von Borries, inwiefern auch „ein vermeintlich neutrales […] Design, das sich nur einer unpolitischen Problemlösung verschrieben zu haben meint, [nicht] der immanenten Bindung des Designs an die Sphäre des Politischen“ entgeht. Denn „oft sichert ein problemlösungsorientiertes Design die bestehende Ordnung – und übernimmt damit, auch ohne es zu wollen, eine politische Funktion“ (Borries 2016, 21). Rob Imrie formuliert in einem ähnlichen Zusammenhang den Begriff der „Design Apartheid“, w ­ obei er sich vor allem auf architektonische und städtebauliche Erscheinungsformen der westlichen Kultur bezieht, in denen idealbildliche und proportionsbezogene Wertesysteme einer „nichtbehinderten“ Gesellschaft („able-bodied“ society) eingeschrieben sind (Imrie 2000, 129). Als beispielhaft für eine dem zugrunde liegende, politisch unbewusste Design- und Architekturtheorie bezeichnet Tobin Siebers das von Le Corbusier entwickelte Proportionsschema „Modulor“ (Siebers 2008a, 86). Das Mitte des 20. Jahrhunderts von Le Corbusier entwickelte Proportionssystem stellt einen weit rezipierten Versuch einer am menschlichen Maß orientierten mathematischen Ordnung für Architektur und räumliche Gestaltung dar. „The efforts and principles of [modulor] were entirely pursued with the best intentions in mind – to create objects and spaces more appropriate to human scale – but they also put in place […] a system that […] excludes ‚out-of-norm bodies‘ (e. g. the ones of disabled people)“ (Paraphrasiert nach Siebers 2008b). Ausgehend vom Konzept der assistierenden Geräte und Technologien, hat sich unter der Bezeichnung Ambient Assisted Living (AAL) ein kompletter Markt entwickelt. Dieser umschließt beispielsweise Assistenz- und Unterstützungssysteme, die Betroffenen bei der Bewältigung ihres Alltags helfen sollen und ihnen ermöglichen, länger selbstständig und selbstbestimmt zu leben, ohne auf permanente Betreuung oder die Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung angewiesen zu sein. Der Begriff „cross-funktional“ hat hier mindestens zwei Bedeutungsebenen. Vorrangig bezieht er sich auf Funktionen, die über die ursprünglich intendierten hinausgehen. Auf einer weiteren Bedeutungsebene wird zudem eine Parallele zu sogenannten „cross-functional Teams“ deutlich, die von den Organisationswissenschaftlern Krajewski und Ritzman im Zusammenhang mit „Organisationsstrukturen“ und „Teamzusammensetzung“ untersucht und beschrieben werden. Als Cross-functional-Teams gelten demnach Gruppen von Menschen mit unterschiedlichen Expertisen, die zusammen an der Ver­wirk­ lichung eines gemeinsamen Ziels arbeiten (vgl. Krajewski/Ritzman 2005).

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98 In seiner Abhandlung über die Normierung des Menschen zeigt Christian Mürner zahlreiche Handlungsverläufe gesellschaftlicher Normierungsprozesse auf. Insbesondere den Entwicklungen im Bereich der Biotechnologie und Biomedizin attestiert er eine Mitschuld an einer zunehmenden Ausgrenzung und Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen, insbesondere, wenn „Geburt, Gesundheit und Sterben […] immer mehr unter [eine] exklusive Kontrolle“ geraten. Mürner beschreibt den Wunsch nach ­einer „leidfreien Normalität“ dabei als einen „alten Menschheitstraum“, wobei „historische Versuche, [diesen] Traum in Realität zu überführen, […] in der Regel mit sozialrassistischen Denkweisen und Praktiken [einhergingen]. Angesichts der aktuellen Visionen vom perfekten Menschen oder Designer-Baby stellt sich die Frage nach dem Menschenbild und den Ausschlusskriterien einer schönen, heilen Welt“ (Mürner et al. 2000, 9 ff.).

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2  DESIGN ALS FORSCHUNGSPARADIGMA Wenn wir davon ausgehen, dass Design und Behinderung eng miteinander verwoben sind und Design maßgeblich an der Gestaltung von Behinderung beteiligt ist, so stellt sich die Frage, welche Formen von Gestaltung erforderlich sind, um exkludierenden Machtverhältnissen durch mögliche Gestaltungsresultate und somit insbesondere auch durch die damit verbundenen Gestaltungsprozesse entgegenzu­ wirken. Im dritten Kapitel wird dies anhand von zwei Fallstudien untersucht, deren methodischer Rahmen auf zwei komplementären Forschungsansätzen beruht: einem partizipativen und einem entwurfsbasierten Ansatz. Der partizipative Ansatz zielt dabei vorrangig auf das Prozessuale in der Gestaltung, der entwurfsbasierte hingegen insbesondere auf die Rolle ihrer Resultate. Im Verlauf der fallstudienbezogenen Prozessbeschreibung soll deutlich werden, inwiefern sich Designforschung im behandelten Themenkomplex als Investigationsmedium eignet, dessen Erkenntnisse sich sowohl für einen gestaltungstheoretischen, einen forschungs- und entwicklungspraktischen sowie für einen gesellschaftlich-politischen Diskurs zugänglich machen lassen.1 Um die Ursprünge und Ausgangspositionen, aber auch die Potenziale und ­Herausforderungen dieser beiden Forschungsansätze besser einordnen zu können, soll dieses zweite Kapitel dazu dienen, einige grundlegende Entwicklungen in Be­ spekte zug auf Design als Forschungsparadigma herauszuarbeiten. Zwei zentrale A werden hierbei als ausschlaggebend verhandelt: zum einen die Diskursentwicklung hinsichtlich der sozialen und politischen Dimension von Gestaltung sowie eine dar­ ­an geknüpfte Konzeption von Design als Empowerment (Kapitel 2.1). Zum anderen geht es um Überlegungen in Bezug auf Design und die Rolle des Entwurfs als epistemische Praxis sowie eine daran geknüpfte Konzeption von Design als Antizipation von Zukünften (Kapitel 2.3). Diese beiden Blickrichtungen sind in dem Sinne als designdiskursive und gestaltungspraktische Kontexte zu verstehen, die entscheidend zur Entstehung und Entwicklung von partizipativen (Kapitel 2.2) und entwurfs­ basierten (Kapitel 2.4) Designforschungsansätzen beigetragen haben, weshalb die Ansätze jeweils im Anschluss vorgestellt und erläutert werden. Zusammenführend soll anschließend daran erläutert werden, inwiefern Designforschung – komplementär zu anderen Forschungsdisziplinen – für einen Umgang mit Behinderung perspektiverweiternd sein kann (Kapitel 2.5).

2.1  Soziale und politische Dimensionen von Gestaltung Die soziale und politische Dimension des Designs2 ist in den letzten Jahren (wieder) vermehrt Gegenstand unterschiedlicher Strömungen im Design, wie etwa

SOZIALE UND POLITISCHE DIMENSIONEN VON GESTALTUNG  075

dem ­später noch ausführlicher beschriebenen Participatory Design (vgl. Sanders & Stappers 2008), dem Design Infrastructuring (vgl. Björgvinsson, Ehn & Hillgren 2010) oder Design Activism (vgl. Thorpe 2008; Bieling 2019a). So entwickeln sich, beispielsweise vor dem Hintergrund der wachsenden Erkenntnis bezüglich der Grenzen eines ungebremsten Konsums, Praktiken des kollaborativen Konsums („collabo­rative consumption“) in einer Ökonomie des Teilens und Teilhabens („sharing economy“).3 Ein „sozial aktives Design“, wie Alastair Fuad-Luke es nennt, konzentriert sich auf die Gesellschaft und ihre Transformationen hin zu einer nachhaltigeren Lebens-, Arbeits- und Produktionsweise (Fuad-Luke 2009, 178). Ezio Manzini beschreibt in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit eines kulturellen Wandels, der durch ein neues Bewusstsein in der Gesellschaft und durch die Eta­ blierung neuer Verhaltensmuster angetrieben werden kann (Manzini 1997, 43–51). Der gemeinsame Nenner dieser und anderer Positionen besteht in der Annahme, dass Design eine wichtige Rolle im sozialen Kontext einnehmen kann, da es durch seine Artefakte – in Form von Produkten, Services oder Interventionen – jenes Bewusstsein schaffen und zu alternativen Verhaltensformen motivieren kann (Bieling/­ Sametinger/Joost 2014, 218). Nach Max Borka besteht eine zentrale Verantwortung von Designerinnen und Designern darin, dass sie unweigerlich soziale Zusammenhänge gestalten (Borka 2016, 11). Friedrich von Borries unterstreicht dies, wenn er sagt, dass Design die Form gestaltet, „in der eine Gesellschaft ihr Zusammenleben organisiert“ (Borries 2016, 30). Aus designhistorischer Perspektive fällt auf, dass Design oftmals sozial­ utopisch motiviert war, wobei ein großer Bogen von der englischen Arts-and-Crafts-­ Bewegung über die Reformbewegungen des Jugendstils, den Deutschen Werkbund bis hin zum Bauhaus oder der Ulmer HfG geschlagen werden kann, denen es stets auch „um (sozial-)politische Ideale“ ging, „die ihren Ausdruck im Gestalteten fanden“4 (Eisele 2014, 90). So beschreibt die Designhistorikerin Petra Eisele, dass mit der Etablierung einer modernen Designhaltung […] ein starker, idealistisch aus­ gerichteter sozialpolitischer Anspruch einher[ging]. Gestaltung sollte nicht (allein) der Profitmaximierung dienen, sondern der Gestaltung einer besseren Zukunft verpflichtet sein.5 […] Mit einer neuen, veränderten (ästhetischen) Haltung sollte auch Gesellschaft zum Guten verändert – also verbessert – werden (ebd.).

In seinem Buch Design For the Real World markiert Victor Papanek im Jahr 1971 die soziale Dimension – neben der ökologischen und der ökonomischen – als zentralen Faktor einer fundierten Designkritik. Ausgehend von einer konsumkritischen Haltung fordert er darin eine partizipatorische und ökologische sowie auf die „wahren Bedürfnisse des Menschen orientierte Designpraxis“6 (Park 2014, 18). Viele der darin formulierten Themenfelder, Aufgabenbereiche und Denk­ ansätze eines post-industriellen Designs finden sich heute in den Diskursen rund um das (neu erstarkte) Social Design wieder, bei dem es hauptsächlich um einen

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„Wandel der Gesellschaft durch Gestaltung“ geht (Banz 2016, 8). Unter dem bisweilen unterschiedlich interpretierten Begriff Social Design, der im Deutschen gelegentlich als gesellschaftliches Design bezeichnet wird (vgl. Park 2014, 19), lassen sich zahlreiche – im weitesten Sinne sozial ausgerichtete – Auffassungen von Design sub­sumieren. Dazu zählen u. a. auch Bestrebungen hinsichtlich eines barriere­ freien, altersgerechten, inklusiven Designs.7 Generell lassen sich die variantenreichen Ansätze des Social Design als Ausdruck einer Annahme verstehen, derzufolge das Soziale unmittelbar durch das Dingliche betroffen ist, eine Gestaltung von Artefakten also einen direkten Einfluss auf soziales Verhalten und soziales Gefüge hat, insofern das Soziale durch das Artefakt tangiert und vermittelt wird. June H. Park sieht somit die Auffassung begründet, die auch das Entwickeln und Entwerfen eines Gebäudes, eines Quartiers, eines Produktes oder einer Dienstleistung als Social Design einstuft, da es über den Zweck der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen hinaus auch sozialpsychologische Deutungsmuster zur Konsolidierung derselben schafft (Park 2014, 20).

Mit anderen Worten: Social Design impliziert über die Gestaltung kultureller Artefakte hinaus die Gestaltung von gesellschaftlichen Tatsachen selbst (ebd.).

Es zeigt sich hieran – sowie generell an der zunehmenden Popularität des Social ­Design-Begriffs – ein wachsendes Bewusstsein sowohl aufseiten der D ­ esignerinnen und Designer als auch auf Rezipientenseite hinsichtlich der „Macht“ der Ge­stal­ tung (im positiven wie im negativen Sinne). Dies bezieht sich sowohl auf Aspekte der Mensch-Artefakt-Beziehung als auch auf solche der (eben auch artefaktisch ­vermittelten) Mensch-Mensch-Beziehung. Friedrich von Borries macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass es beim Design insbesondere auch um die Frage geht, „welche Form von Beziehungen zwischen Menschen hergestellt werden“. Dies sei – so von Borries – „die kleinste Ebene von Politik“ (Borries 2017b). Inwiefern Artefakte politische Gegenstände sein können,8 wird vielleicht also am ehesten deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass gestaltete Gegenstände (darüber) bestimmen können, was für Beziehungen wir zum ­Gegenstand oder zueinander haben (ebd.). Ein anderes, dem Social Design namensähnliches, aber inhaltlich wohl stellen­ weise unterscheidbares Konzept, wurde bereits Anfang der 1970er-Jahre unter dem Namen „Sozio-Design“ von Bazon Brock und François Burkhardt vorgeschlagen.9 Mit Sozio-Design ist demnach der Versuch gemeint, „durch Gestaltung das s­ oziale Verhalten und die individuelle Haltung von Menschen in einem wünschbaren Sinne zu beeinflussen“ (Brock 2012, 11). Die Kernaussage des Konzepts Sozio-­Design

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­besteht also darin, dass gestaltete Gegenstände die sozialen Beziehungen beeinflussen und sogar bestimmen.10 Zentral ist demzufolge auch die Frage, „wie sich soziale Beziehungen verändern bzw. wie soziale Beziehungen zugrunde gehen, wenn sich die Gegenstände verändern, über die solche Beziehungen aufgebaut werden“ (Brock 1985, 446). Sozio-­Design zielt somit auf die Steuerung von Kommunikations- und Interaktionsprozessen. Die Übergänge zwischen Sozio-Design und Social Design dürfen heute sicher als fließend angesehen werden. Einen Unterschied zwischen dem Phänomen Social Design und dem Konzept Sozio-Design beschreibt Park gleichwohl folgendermaßen: Während das Phänomen Social Design das Soziale im karitativ-altruistischen Sinne in den Mittelpunkt zu rücken scheint, wird beim Konzept Sozio-Design das Soziale im ­gesellschaftsstrukturellen Sinne verwendet (Park 2014, 19).

Eine auf ähnlichen Prinzipien beruhende, vielleicht beide Konzepte verbindende Form einer gesellschaftsorientierten Gestaltung findet sich in dem – vergleichsweise jungen – Konzept „Transformation Design“ (vgl. Jonas 2015; Yee/Jefferies/ Michlewski 2017). Die damit beschriebene Suche nach neuen Wegen der Verhaltensänderung und einer damit provozierten Veränderung von Gesellschaft anhand neuer Formen des Gestaltungsdiskurses und der Gestaltungspraxis, beinhaltet eine Art Paradigmenwechsel: Weg von einem nutzer-(oder gar verbraucher-)orientierten, hin zu einem gesellschaftszentrierten Design.11 Die Formulierung eines solchen „Transformationsdesigns“12 geht zurück auf die Frage, inwieweit (z. B. ökologische oder soziale) Transformationen eher auf ­Basis von zivilisatorischen Errungenschaften wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, bürgerlichen Prinzipien wie Freiheit, Solidarität und sozialer Gleichheit gestaltet werden können, oder aber ob sie von „äußeren“ Faktoren, Verhältnissen und Entwicklungen erzwungen werden (wie z. B. Naturkatastrophen, Bürgerkriege, Ressourcen­verknappung); kurz: ob die Transformation „by Design“ oder „by Disaster“ vollzogen wird (Sommer/Welzer 2016). Zweifellos lassen sich in den beschriebenen Designpositionen (viel mehr noch: in deren Dunstkreis formulierten Manifesten und Pamphleten) Ansätze eines versuchten System-Designs vermuten. In den seltensten Fällen geht es jedoch um „großangelegte Gesellschaftsentwürfe oder politische Systementwürfe“ (Park 2014, 23) Vielmehr rührt die Systemhaftigkeit von der Notwendigkeit her, die Prozesse und Resultate eines sozialen oder transformativen Designs „so in die Lebenswelt zu integrieren, dass darin nachhaltige Lebensformen entstehen können“ (ebd.).13 Die Frage, auf welche Weise eine solche Gestaltung erfolgversprechend vonstatten gehen kann, ist designhistorisch eng geknüpft an Bewegungen und Herangehensweisen einer holistischen, disziplinübergreifenden, partizipatorischen Gestaltung, die in ihrem ideologischen Ursprung Design immer auch als Mittel gesellschaft­licher Demokratisierungsprozesse verstanden hat.

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Design als Mittel gesellschaftlicher Demokratisierungsprozesse Programmatische Ansätze, in denen Design als Mittel gesellschaftlicher Demokratisierungsprozesse formuliert wird, finden sich bereits in frühen Konzepten des Bauhauses (vgl. Oswalt et al. 2009, 10 ff.), in denen es um eine Verschmelzung von Kunst, Technologie und Gestaltung mit dem Ziel der Lösung alltagsweltlicher Herausforderungen des Menschen in seinen sozialen und räumlichen Konstellationen ging (vgl. Kries/Kugler 2015, 7 ff.). Der Gedanke, dass Design mehr im Blick hat als die reine Formgebung, sondern durchaus als gesellschaftlicher Entwurf zu verstehen ist, ist dabei eng geknüpft an den Kerngedanken der Moderne,14 bei dem es darum geht, „dass wir mit den Dingen (und Räumen), die wir gestalten, auch die Lebensweise gestalten und damit unsere Gesellschaft verändern können“ (Borries 2017b). Auch die seit den 1930er-Jahren sich formierenden Ansätze des „Nordic Design“, welche eng an die demokratischen Entwicklungen der skandinavischen Wohlfahrtsideologie gekoppelt waren, können als frühe Form einer politisch-ideologisch aufge­ladenen Deutungsweise von Design verstanden werden.15 Viele der heutigen Ansätze einer partizipativen Designforschung knüpfen an diese Traditionen an, indem sie Forschungs- und Gestaltungsprozesse ins Zentrum ihres Interesses rücken, die eine Schärfung demokratischer Praktiken und eine daran geknüpfte Verbesserung der Lebensbedingungen von gesellschaftlich benachteiligten Menschen zum Ziel haben. Als Bewertungsmaßstab für solche Ansätze fungiert dabei häufig die Frage, wie sich mithilfe einer teilhabeorientierten Forschung und Gestaltung einer sozial gerechten, pluralistischen Gesellschaft zuarbeiten lässt.16 Das Ziel muss dabei nicht zwangsläufig die Entwicklung von Produkten sein, sondern kann auch darin bestehen, zunächst basale soziale Bedürfnisse (z. B. durch Community-Building; Aufbau von Infrastrukturen) zu adressieren. Ein – im Sinne einer sozialen Nachhaltigkeit agierendes – mögliches Forschungsformat wird von Pelle Ehn mit den sogenannten „Living Labs“ ­beschrieben, ein Konzept, das im Zuge der Fallstudie I noch ausführlicher vorgestellt wird. Bei diesen „lebenden Laboratorien“ geht es darum, Forschung zum einen partizipativ und zum anderen direkt in lebensnahen Experimentierumgebungen, unter Miteinbezug bereits bestehender Netzwerke (z. B. Aktivistengruppen, Bürgerinitia­tiven, Hilfsorganisationen, NGOs) und lokaler Ressourcen, durchzuführen (Ehn 2009, 54 ff.). Solche Bürgerwerkstätten sollen im Idealfall allen Beteiligten dazu dienen, sowohl die Lebenssituationen der jeweilig Betroffenen als auch deren mögliche Handlungsspielräume besser zu ergründen und nachhaltig zu fördern.17 Das zugrunde liegende Prinzip ist hierbei das einer Forschung und Gestaltung, die direkt in reale Lebenskontexte eingebettet sind. Eine Forschung und Gestaltung, die die Teilnehmenden als Alltagsexperten wahrnehmen, die zugleich in offenen, realen, lebensweltlichen Umgebungen verortet sind, und die letztlich in struktur- und ergebnis­ offenen Kollaborationsprozessen durchgeführt und somit als Forschung und Gestaltung im Dienste einer teilhabeorientierten, sozialen Innovation verstanden werden.18

SOZIALE UND POLITISCHE DIMENSIONEN VON GESTALTUNG  079

Ein solches Verständnis (der Zusammenhänge) von Teilhabe und Gestaltung ist Ausgangspunkt dessen, was heute vielerorts als partizipatorische Designforschung betrieben wird. Es soll im Folgenden als konzeptionelle Basis der im dritten Kapitel beschriebenen Fallstudie I dargelegt werden.

2.2  Partizipativer Forschungsansatz Sowohl in der Designforschung als auch in den Disability Studies existieren unterschiedliche theoretische Überlegungen und zunehmend auch praktische Implementierungen, die zum Teil in oder mit offenen Infrastrukturen experimentieren. Gerade die praktische Erprobung stellt im Kontext der Designforschung mitunter noch eine Herausforderung dar. So weist Gesche Joost darauf hin, dass „nur durch reale Projekte erkundet werden [kann], welche soziale Rolle partizipative Forschung und Gestaltung spielen kann, ob das Design zu einem sozialen Katalysator wird […], [und das Design] durch seine Interventionen soziale Transformationsprozesse beschleunigen [kann]“ (Joost 2012, 64). Im Zuge der in Kapitel 3 beschriebenen Fallstudien wurden hierzu verschiedene Formate mit unterschiedlichen Teilnehmer-Gruppen (Behinderten, Nicht-­ Behinderten, Gestalterinnen, Nicht-Gestalter) erprobt. Diese werden im dritten Kapitel ausführlich erläutert. Im Folgenden werden vorab nun zunächst Eigenarten, Gemeinsamkeiten, Grundmotivationen und Ausformungen partizipativer Ansätze in der Designforschung, der Designpraxis und den Disability Studies aufgezeigt.

2.2.1  Partizipative Forschungsansätze in der Designforschung Die konzeptionellen Ursprünge partizipativer Gestaltung sind eng mit den skandinavischen Entwicklungen des kollektiven Systemdesigns verwurzelt.19 Als grundsätzliche Ausrichtung des Participatory Design gilt die Vorgehensweise, unterschiedliche Gruppen von Akteuren in Designprozesse mit einzubinden und dabei die Rollen von Designern und „Nicht-Designern“ als ebenbürtig oder sogar gleichberechtigt zu entwerfen.20 Die einen als Expertinnen und Experten der jeweiligen Gestaltungsdisziplinen, die anderen als Alltagsexperten. Solche Akteure können sich beispielsweise aus Auftraggebern, Entwicklern, Produzenten, Vertretern des Marketings, potenziellen Endnutzern, Funktionären des öffentlichen Sektors oder anderen Interessengruppen rekrutieren. Sie können unter dem Begriff „Stakeholder“ subsummiert werden, womit all jene Akteure gemeint sind, die ein bestimmtes, mittelbares oder unmittelbares Interesse an dem Designprozess, seiner Konzeption, Umsetzung, Implementierung oder den daraus resultierenden Konsequenzen haben.

080  DESIGN ALS FORSCHUNGSPARADIGMA 

Diese Akteure können von der Erarbeitung der Fragestellung über die Ideen-­ Generierung, die Umsetzung bis hin zur Vermarktung und darüber hinaus entlang dieses Prozesses in unterschiedlicher Form eingebunden werden (vgl. S ­ anders 2013, 66 ff.). In unterschiedlichen Design- und Entwicklungskontexten lassen sich verschiedene Varianten partizipatorischer Ansätze finden.21 Zwei elementare Richtungen seien hier kurz beschrieben: Neben der ursprünglichen, stellenweise politi­schen Motivation, die sich beispielsweise in der Do-It-Yourself-22 und Open Source-23Bewegung finden lässt, erfährt Participatory Design in Bereichen der Produktentwicklung seit einigen Jahren Bedeutungszuwachs,24 etwa im Bereich der Ideen­generierung.25 Ein direkter Einbezug von potenziellen oder tatsächlichen Nutzerinnen und Nutzern in Designprozesse über den gesamten Zeitraum eines Innovationsprozesses hinweg ist darauf ausgerichtet, möglichen Entwicklungsfehlern bereits in den frühen Phasen eines Projekts entgegenzuwirken. Zur Differenzierung zweier elementarer Ansätze des partizipativen Designs wird im Folgenden zwischen den Positionen zweier Protagonisten des Participatory Design, namentlich Liz Sanders26 und Pelle Ehn,27 unterschieden. Die Anthropologin und Psychologin Elizabeth Sanders beschreibt eher an ­Produktentwicklungsprozessen orientierte Methoden, bei denen entlang des Prozesses Stakeholder einbezogen werden, um die Marktfähigkeit eines Produkts oder Services zu erhöhen. Als zentrales Element dieser Methoden fungieren dabei eigens entwickelte Kommunikationswerkzeuge und Ausdruckstechniken, mit deren Hilfe sich die unterschiedlichen Interessengruppen im Zuge partizipativer ­Gestaltungsprozesse austauschen können (vgl. Sanders 2006). Es handelt sich d ­ abei insbesondere um Kommunikationstechniken, die (zumindest im ersten Schritt) nicht auf verbalisierte Information ausgerichtet sind.28 Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass auf solche Weise auch schwer versprachlichte bzw. auf rein verbal-kommunikativer Ebene nicht immer aus dem Verborgenen geratende ­Wissensebenen, wie Gefühle, Ängste oder Emotionen, offengelegt und kommunizierbar werden können.29 Genau diese unterschwelligen Empfindungsbereiche stellen eine relevante Ebene für Gestalterinnen und Gestalter dar, insofern sich daraus Ideen, Visionen und unerwartete Lösungskonzepte entwickeln lassen. Mit diesem Ansatz geht eine Reform traditioneller Gestaltungs- und Erhebungsmethoden einher. Anders als bei Fragebogen, Nutzerobservationen, Fokusgruppen oder User-Tests,30 fungieren diese Methoden als generative Methoden, die darauf ausgerichtet sind, direkte und indirekte und somit möglichst ganzheitliche Äußerungen einzufangen, weshalb die Methodenwerkzeuge Ebenen übergreifend verbal, visuell, multisensorisch oder materiell-gegenständlich konstituiert sind. Bei Pelle Ehn hingegen findet sich eine eher politisch orientierte Variante des Participatory Design. Dabei steht der Miteinbezug von Bürgern in gesellschaftliche (Entscheidungs- und Gestaltungs-)Prozesse, sowie die Ermächtigung zur ­eigenständigen Verbesserung der Lebenssituation im Vordergrund (Björgvinsson/

PARTIZIPATIVER FORSCHUNGSANSATZ  081

Ehn/Hillgren 2010, 41 ff.). Diese Variante ist tief in der skandinavischen und amerikanischen Arbeiterbewegung (Bjerknes/Ehn/Kyng 1987) verwurzelt und baut auf dem Grundsatz der Integration unterschiedlicher Gruppen in soziale und technologische Entwicklungsprozesse auf.31 Explizit geht es in diesem Ansatz insbesondere auch um ein Demokratisierungsprinzip und die Handlungsbevollmächtigung von benachteiligten Gesellschaftsgruppen. Die politische Intention ist zentraler ­Bestandteil des Gesamtkonzepts, womit sich der Ansatz von der blanken Technokratie des bisweilen zum Selbstzweck oder Marketinginstrument verkommenden Einbezugs von Nutzerinnen und Nutzern in vielen heutigen „User-Driven Innovation“-projekten unterscheidet, deren Demokratieverständnis letztlich immer der marktökonomischen Verwertungslogik untersteht. Was also beide Ansätze unterscheidet, ist im Wesentlichen der Fokus, den sie einnehmen: So bezieht sich Sanders vorrangig auf Mikroprozesse in partizipativen Gestaltungsverfahren.32 Pelle Ehn verweist hingegen auf das Potenzial partizipativer Gestaltung zur politischen Intervention und proklamiert es als Mittel zu Demokratisierungsmaßnahmen. Hierbei finden sich ideologische und methodische ­Parallelen zu partizipativen Forschungsansätzen der Disability Studies.

2.2.2  Partizipative, inklusive und emanzipatorische Forschungs­ansätze in den Disability Studies Im Kontext von Behinderung findet seit einigen Jahren – federführend durch Protagonisten der Disability Studies – ein zunehmender Auf- und Ausbau partizipativer Forschungsansätze statt. Inhaltlich und begrifflich wird beim gemeinsamen Forschen dabei unterschieden zwischen „Partizipativer Forschung“ und „Inklusiver Forschung“. Erstere bezieht sich auf die Unterstützung zur Teilnahme von Menschen mit Behinderungen an Forschungsprozessen, wobei die Steuerung für deren Abläufe vonseiten der akademisch Forschenden ausgeht.33 Letztere kennzeichnet sich dadurch, dass die betreffenden Personenkreise gänzlich im Zentrum jeglicher Forschungsaktivitäten verortet sind und folglich auch die ganzheitliche Kontrolle über die Forschungsverläufe haben34 (Hauser 2013). Beide Forschungsansätze geben Aufschluss darüber, welches Menschenbild und Weltverständnis dieser Form der Wissensgenerierung zugrunde liegen.35 Auch wird deutlich, dass es dabei nicht zwangsläufig um die Wissensgenerierung allein geht, sondern zeigt auch, wie sehr in „traditionellen“, „herkömmlichen“ Forschungsverfahren bisher überwiegend vorgegangen wurde: nämlich unter Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen. Was umso absurder erscheint, wenn es in Forschungsprojekten um genau diese Gruppen geht. Das diesen beiden Ansätzen zugrunde liegende Forschungsverständnis findet seit einigen Jahren zunehmend in Forschungsprojekten Berücksichtigung (vgl. Hermes 2006; Köbsell 2007). Für den aktiven Einbezug von behinderten Men-

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schen in Forschungsprozesse verfügen dabei sowohl die soziologisch orientierten Disability Studies als auch die anwendungsorientierte Designforschung über ein Methodenrepertoire, das sich in unterschiedlichen Forschungsprojekten bereits ­interdisziplinär verknüpfen ließ, etwa in den Bereichen Demenz (vgl. Naumann et al. 2011; Göllner et al. 2011; Zach et al. 2014; Maldonado Branco 2013; Cadamuro 2013; Cadamuro et al. 2013; Cadamuro/Visch 2013), Blindheit und Sehschwäche (Vermeersch et al. 2009), Gehbehinderung (De Couvreur et al. 2011; De Couvreur/ Goossens 2011) oder Lernschwierigkeiten und Zerebralparese (Kroll 2010). Die Palette methodischer Ansätze reicht dabei von visuellen, zeichensystemischen Hilfswerkzeugen (z. B. Bildvignetten) über adaptierte Fokusgruppen und Forumtheater (Kroll 2010) bis hin zu (technologisch) gestützter Kommunikation („Facilitated Communication“) (Pullin/Cook 2010).

2.2.3  Zusammenführung – Designforschung als behinderungsund diversitätssensible Forschungsperspektive Es stellt sich die Frage, inwiefern behinderungsbewusste36 inhaltliche und methodische Partizipationsansätze plausibel und zielführend in Designforschungs- und/ oder Innovationsprozesse implementiert werden können, um sowohl Nutzungskontexte und Nutzungsweisen als auch damit in Verbindung stehende soziale Konstruktionen und Auswirkungen aufspüren und nicht zuletzt Potenziale zu sozialer Innovation eruieren, aufgreifen und anstoßen zu können. Ein partizipativer, und somit nach Möglichkeit nicht an Klischees, sondern an realen Bedürfnissen orientierter Forschungsansatz offenbart dabei Möglichkeiten, auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen mit zu berücksichtigen, da diese stets auch Einfluss auf Produktentwicklungs- und Anwendungskontexte haben. Gerade im Kontext von Behinderung ist dies von Bedeutung, da hier sowohl Forschung als auch Gestaltung immer noch häufig von ausgrenzenden Mechanismen geprägt sind. Es gilt also, eine bis dato fremdbestimmte Forschung und Gestaltung sukzessive durch eine direkte und aktive Einbindung von Betreffenden anzureichern. Dies würde einen Nährboden für eine Ausbreitung und Umsetzung eines weit verankerten Inklusionsverständnisses bereiten. Inklusion muss dabei als „wechselseitiger Prozess“ begriffen werden, den die Förderpädagogin Mandy Hauser37 folgendermaßen beschreibt, nämlich, dass er einerseits durch die Anforderung an die bestehende Gesellschaft gekennzeichnet ist, offen für den Umgang mit Diversität38 zu sein, und andererseits für alle Beteiligten Grundlagen schafft, um Möglichkeiten von Selbstbestimmung, Autonomie und Em­power­ment zu eröffnen (Hauser 2013, 2).

PARTIZIPATIVER FORSCHUNGSANSATZ  083

Beides ist grundsätzlich im und mithilfe von Design sowie in und durch die Forschung möglich. Grundvoraussetzung ist jedoch, den jeweiligen Adressaten Plattformen, Werkzeuge und Formate zur Verfügung zu stellen, anhand derer sie eigene Vorstellungen artikulieren und entwickeln oder gar Ideen und Vorschläge zu deren Umsetzung entwerfen können.39 In vielen Forschungs- und Entwicklungsprozessen z. B. von Mensch-Maschine-­ Interaktions-Projekten kann jedoch eine starke Unterrepräsentanz von behinderten Menschen beobachtet werden.40 Im Zuge der von der Soziologin Madelaine Akrich als „I-Methodology“ beschriebenen Tendenz von Forschenden, eigene Ansprüche und Erwartungen an bestimmte Produkte oder Begebenheiten als Referenzrahmen für Gestaltungsentscheidungen oder Forschungstendenzen zu nehmen (Akrich 1995), besteht hier die Gefahr, Ansprüche und Bedürfnisse anderer Personengruppen nicht zu berücksichtigen, nicht zu durchdringen oder gar nicht erst zu regis­ trieren (Bessing/Lukoschat 2013, 29). In den Fallstudien wurde daher auf Ansätze und Methoden der partizipativen und inklusiven Forschung und Gestaltung zurückgegriffen, die im vorherigen ­Verlauf bereits näher erläutert wurden. Ein elementarer Bestandteil dieser partizipativen Prozesse ist es auch, Alltagshandlungen und alltagssituative Abläufe der Beteiligten zu erfassen und gemeinsam mit den Teilnehmenden zu durchleuchten. Mit Hinblick auf ein solches Konzept der inklusiven Forschung fordert Hauser, Menschen aufgrund angeblicher Mängel von Befragungen [nicht] auszuschließen, sondern kompetenzorientiert Wege und Methoden zu finden, Menschen mit [Behinderungen41] in umfangreichem Maß in Forschungsprozesse einzubeziehen. Denn man kann davon ausgehen, dass darin das emanzipatorische Potenzial von Forschung liegt: Menschen mit Behinderungen aktiv am Forschungsprozess zu beteiligen und sie als Hauptakteure nach ihrer ganz persönlichen, subjektiven Einschätzung der verschiedensten Sachverhalte ihres Lebens zu befragen. Nur so kann es adäquate Unterstützungssysteme geben, die erfolgreiche Inklusion in den Augen der Betreffenden möglich machen. Denn wer sollte die eigenen Bedürfnisse besser kennen, als die Bedürfnisträger/innen selbst? (Hauser 2013).

Mit Hinblick auf Designforschung lässt sich festhalten, dass das I­ nklusionsprinzip sich über zwei Dimensionen erstreckt: zum einen auf den inklusiv ausgerichteten (Gestaltungs- und/oder Forschungs-)Prozess selbst, und zum anderen auf dar­aus möglicherweise resultierende Prozessergebnisse,42 die in ihrer Ausgestaltung oder Handhabbarkeit inklusiv sind, das heißt selbstbestimmtes Handeln ermöglichen oder befördern. Diese Koordinaten bieten zugleich die Grundlage für das partizipative ­Forschungsdesign dieser Arbeit. In Kapitel 3 wird gezeigt werden, inwiefern diesen Herausforderungen im Rahmen der Arbeit begegnet wird und versucht wurde, ihnen konstruktiv entgegenzuwirken.43 Dabei wird auch deutlich werden, dass der

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partizipative Ansatz in diesem Forschungskontext insbesondere dazu geeignet ist, unterschiedliche Ziel- und Nutzergruppen in Augenschein zu nehmen und exem­ plarisch Fragestellungen, Schwierigkeiten, Potenziale und Eigenarten in Bezug auf bestimmte Handlungs-, Aneignungs-, Verhaltens- oder Nutzungsweisen heraus­ zustellen. Der hier formulierte partizipative Forschungsansatz dient somit vor allem als Grundlage der in Kapitel 3 erläuterten Fallstudie I. Denn wie eingangs beschrieben, zielt er vorrangig auf das Prozessuale in der Gestaltung, also z. B. in Bezug auf die aktive Einbindung von „Betroffenen“. Offen bleibt bei diesem Ansatz die Frage nach der Rolle möglicher Gestaltungsresultate. Zur Annäherung an diese Frage bietet sich, in Ergänzung zum partizipativen Ansatz, in und durch Designforschung ein entwurfsbasierter Forschungsansatz an, anhand dessen einzelne Resultate des partizipativen Ansatzes sowohl überprüft als auch konkretisiert werden können. Dieser Forschungsansatz ist maßgeblich für die Durchführung von Fallstudie II. Um den Ansatz der entwurfsbasierten Designforschung (Kapitel 2.4) besser einordnen und verstehen zu können, folgt nun zunächst eine designhistorische und auf aktuelle Design-(forschungs-)Diskurse bezogene Einordnung hinsichtlich des „Entwurfs als epistemische Praxis“.

2.3  Der „Entwurf“ als epistemische Praxis Zum besseren Verständnis sowohl der Aufgabenbereiche als auch der Möglichkeitsräume von Design hilft eine kurze Betrachtung des deutschen Begriffs „Entwurf“, der zugleich eine konzeptionelle Vorwegnahme des noch nicht E ­ xistenten beschreibt als auch die gestalterische Kulturtechnik einer Beförderung vom The­ oretischen ins Praktische versinnbildlicht. Holger Van den Boom beschreibt den Entwurf als „Vorwegnahme des Möglichen, bevor es Wirklichkeit geworden ist“ (Van den Boom 2000, 19). Eine ähnliche Formulierung findet sich zuvor bei Otl A ­ icher, der im Entwurf das „entstehen dessen, was noch nicht ist“ sieht (Aicher 1991, 196). Der Entwurf verharrt dabei nicht in einer Beschreibung des Möglichen, sondern ­beinhaltet bis zu einem gewissen Grad auch eine Herstellung des Möglichen, was Aicher als fundamental für das Verständnis des Menschen einstuft: „der entwurf ist das erzeugen von welt. […] im entwurf nimmt der mensch seine eigene entwicklung in die hand“ (ebd.).44 Ein ähnliches Verständnis lässt sich auch aus dem Begriff „Modell“ herleiten.45 Nicht nur in gestaltungsrelevanten Disziplinen übernimmt das Modell bisweilen mehrere Funktionen. Es kann Erkenntniswerkzeug sein und birgt zugleich didaktisches und kommunikatives Potenzial, kann also der Distribution von Wissen dienen (Janser/Bieling 2016, 2). Andres Janser hebt in diesem Zusammenhang hervor,

DER „ENTWURF“ ALS EPISTEMISCHE PRAXIS  085

dass Modelle sich immer auf eine „physische oder ideelle Wirklichkeit“ b ­ eziehen. Das Modell sei demnach nicht die ‚eigentliche‘ Wirklichkeit, beeinflusse jedoch „unser Verständnis dieser Wirklichkeit“ (ebd. 5).46 Nach dieser Lesart erscheint Design als eine Disziplin, die wie keine andere […] prädestiniert dafür ist, Zukunft zu antizipieren, nicht nur weil Designer/innen im Gestalteten Zukunft konkret fassbar machen können, sondern auch, weil sie stark in gesellschaftliche und ästhetische Diskurse eingebunden sind und diese sogar maßgeblich prägen können […] indem sie zwischen dem rein Praktischen des Hier und Jetzt und dem vollkommen Utopischen vermitteln (Eisele 2014, 89).

Hier beziehe ich mich insbesondere auf die tatsächliche Entwurfstätigkeit (vor allem) physischer, haptischer Dinge, also auf die Umsetzung von Designkonzepten in real existierende Gestaltungsresultate. Ebenso lässt sich die oben beschriebene Deutung und Bedeutung der Rolle des Entwurfs auch im übertragenen Sinne ­verstehen. Wenn in dieser Arbeit also von „Inklusion als Entwurf“ die Rede ist, so beinhaltet dies mindestens zweierlei. Zum einen den Versuch, ein „Modell“ von Inklusion gestalterisch zu konzipieren bzw. zu projizieren, welches in seiner prototypischen Anwendung „getestet“ und „weiterentwickelt“ werden kann. Zum anderen ein Verständnis dahingehend, dass Inklusion selber eine Projektion ist, deren Konzept stets aufs Neue ausprobiert und getestet werden muss. Deren Bestand sich also im Prozess selbst manifestiert.47 Wie bereits deutlich gemacht wurde, ist das Artefaktische schwer vom ­Sozialen zu trennen, da beides sich stets auch gegenseitig bedingt. Hier fällt der epistemischen Dimension des Designs, dem „Wissen der Dinge“, also eine Doppelfunktion zu, nach der Gestaltungswissen nicht nur neues Gestaltungswissen generieren, ­sondern darüber hinaus auch andere Wissensbereiche informieren kann. Ein solches Verständnis (der Zusammenhänge) von Design/Entwurfspraxis und Wissensgenerierung ist Ausgangspunkt dessen, was heute vielerorts als entwurfsbasierte Designforschung betrieben wird. Merkmal und Antrieb von entwurfsbasierten Forschungsansätzen liegen im Versuch, neues Wissen unter der Einbeziehung einer praktischen Entwurfsarbeit zu generieren. Diesem Forschungsverständnis geht die These voraus, dass Entwerfen grundsätzlich auch von forschenden Momenten geprägt ist und sich anhand von Entwurfsprozessen sowie mithilfe von Entwurfsergebnissen neue Erkenntnisse nicht nur für die Entwurfsdisziplinen, sondern auch darüber hinaus generieren lassen. Im Folgenden wird das Prinzip des entwurfsbasierten Forschungsansatzes (am Beispiel „Research-through-Design“) als konzeptionelle Basis der, im dritten Kapitel beschriebenen, Fallstudie II dargelegt.

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2.4  Entwurfsbasierter Forschungsansatz Entwurfsbasierte Forschungsansätze werden in verschiedenen Gestaltungsdisziplinen seit einigen Jahren in zunehmendem Maße als Gegen- oder Ergänzungsmodell für bislang etablierte Bereiche und Vorgehensweisen der Grundlagenforschung diskutiert und entwickelt.48 Der Grundlagenforschung werden dabei zwar nach der wissenschaftlichen Methode korrekte, mitunter stark spezialisierte Ergebnisse attestiert, häufig jedoch kritisch angemerkt, dass diese für den gesellschaftlichen Diskurs wenig verständlich und somit unbrauchbar sind. Johannes Cramer stellt hierzu folgende Diagnose: Wissenschaft hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten gewandelt. Die Fülle der ­Informationen ist so groß geworden, dass auf den allermeisten Forschungsfeldern niemand mehr beanspruchen kann, das gesamte verfügbare Wissen auch tatsächlich für die eigene Fragestellung ausgewertet zu haben. […] Die forschende Community hat gelernt, mit notwendigerweise unvollständigem Wissen gleichwohl zukunftszugewandt und kreativ umzugehen. Das aber ist genau der Weg, den die kreativen Entwerfer und Ingenieure schon immer beschritten haben: Mit einer grob skizzierten Vorstellung im Kopf den Weg zur bestmöglichen Lösung zu finden – Schritt für Schritt, unter Inkaufnahme von Irrwegen, mit Korrekturen und grundsätzlichen Kehrtwenden, aber immer auf das Ziel zusteuernd. So ist der kreative Umgang mit dem Irrtum zum zentralen Thema vieler Wissenschaftszweige im Aufgabenfeld der […] Gestaltung geworden (­Cramer 2013, 9–10).

Wolfgang Jonas konstatiert den Gestaltungsdisziplinen dabei eine von ihm als „­genuin designerisch bezeichnete Weise der Wissensproduktion,49 die natur­ wissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Methoden nicht nur ergänzt, ­sondern beinhaltet“ (Weidinger 2013, 37). Wolfgang Schäffner versteht Entwurf gar als Bindeglied zwischen Technologie, den Natur- und Geisteswissenschaften und proklamiert die Implementierung von „Entwurf“ in Forschungskontexte, und zwar insbesondere, um neben der Generierung von Wissen auch dessen gesellschaftliche Relevanz zu untermauern und nach außen zu vermitteln (Schäffner, 2013, 55–64). Der entwurfsbasierte Forschungsansatz ist durch eine – mehr oder weniger – systematische Vorgehensweise charakterisiert, bei der das Entwerfen in der ­Praxis zugleich Ausgangspunkt und Gegenstand der Forschung ist. Forschungsbeiträge von entwurfsbasierten Ansätzen vermitteln sich dabei auf unterschiedlichen Ebenen: zum einen auf der Ebene des Entwurfsresultats selber, indem Fragestellungen direkt anhand des Resultats sowie im Zuge von dessen Entstehungsprozess formuliert und beantwortet werden. Zum anderen auf der Ebene der theoretischen Er­ fassung der Entwurfsinhalte und dem Abgleich mit bereits existenten Theorien zu diesen Entwurfsinhalten (vgl. Weidinger 2013, 30).

ENTWURFSBASIERTER FORSCHUNGSANSATZ  087

Weidinger beschreibt in diesem Zusammenhang vier Kategorien als relevant für eine entwurfsbasierte Forschungsevaluierung. Dazu zählt zunächst die „gereifte Praxis“, womit ein plausibel argumentierbarer Entwurfs- und Entwicklungsprozess gemeint ist. Des Weiteren gilt es, diese Entwurfspraxis anhand eines „innovativen Wissensbeitrages“50 zu beschreiben. Zur Ermittlung eines solchen ist es erforderlich, relevante Wissensbestände sowohl der Entwurfsdisziplin(en) als auch (themen­relevante) wissenschaftliche Erkenntnisse, die über die eigene Gestaltungsdisziplin hinausgehen, zu befragen und in Relation zum Entwurfsresultat zu stellen. Auf dieser Basis sollte sich der tatsächliche Wissensbeitrag beschreiben lassen sowie in das bestehende Forschungsfeld eingeordnet werden können (Weidinger 2013, 30 f.). Demnach ließen sich also auch anhand von Entwurfsresultaten sowie mithilfe von Entwurfsprozessen Forschungslücken schließen und somit als ­Wissensbeiträge triftig begründen.51

Research through Design Im Bereich der Designforschung bildet sich seit einigen Jahren das Modell „Research-through-Design“ als entwurfsbasierter Forschungsansatz heraus, bei dem Gestaltungshandlungen als integraler Bestandteil von Erkenntnisprozessen fungieren. Hinsichtlich einer fortschreitenden Etablierung der Designforschung als eigenständige, selbstbewusste akademische Disziplin mit einem eigenen Kanon an Forschungsmethoden, stellt die Auseinandersetzung rund um die epistemische Dimension von Gestaltung ein ausschlaggebendes Element dar. Denn lassen sich die beiden ersten der eingangs beschriebenen drei Kategorien der Designforschung, nämlich „Research for Design“ und „Research about Design“, grundsätzlich auch aus anderen Disziplinen vollziehen, so wohnt dem „Research through Design“ ­etwas dem Design Eigenständiges inne.52 Design kann dabei „gleichzeitig als Forschungsgegenstand und – in der Entwurfstätigkeit – als Medium wissenschaftlicher Erkenntnis“ fungieren (vgl. Bredies 2014, 1). Gerade das von Alain Findeli beschriebene Modell einer „project-grounded research“ zeigt, wie Design seine eigene – eng an den Gestaltungsprozess und an dessen Resultate gekoppelte – Form der Erkenntnis­ gewinnung liefern und entwickeln kann. Nämlich, indem ein „praktisches Designprojekt zum inhärenten Bestandteil, zum Herzstück des Forschungsprozesses“ wird (Joost 2010, 88). Eine solche Einbindung eines Designprojekts in den Forschungsprozess kann dazu beitragen, situatives Wissen für, über und eben durch Design aufzuspüren und zugänglich zu machen. Dies ist insofern von Bedeutung, zieht man Rosan Chows und Wolfgang Jonas, Aufschlüsselung von Designphasen in Analyse, Synthese und Projektion hinzu (Chow/Jonas 2010). Jonas und Chow beschreiben darin eine Unterteilung von designrelevanten (Forschungs-)Positionen in drei Bereiche: der analytischen Betrachtung („The True“), der (experimen­tellen) Projektion im Sinne eines gestalterischen Entwurfs wünschenswerter Z ­ ukünfte/Lösungen („The Ideal“)

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sowie schließlich der Synthese aus dem, was ist, und dem, was machbar und für die Alltagswelt relevant ist („The Real“). Gesche Joost verweist vor diesem Hintergrund auf zwei wichtige Aspekte: Zum einen können im Designforschungsprozess „praktische Ergebnisse in Form von Artefakten entstehen, die potenziell gesellschaftlich und für den so genannten Markt relevant sind“, zum anderen bedeutet dies einen Zugriff auf „transferierbares Wissen“, das sich beispielsweise auch „in Form von Publikationen formulieren und austauschen lässt, und das für die wissenschaftliche Community relevant ist“ (Joost 2010, 89). Die Dimension der Erfahrung und Begreifbarkeit spielt dabei eine wesentliche Rolle. Denn „in den Artefakten selbst ist Wissen eingeschrieben. Sie können zum Ausgangspunkt von Diskursen werden, wie beispielsweise im Critical Design.“ Und „­Artefakte werden zu Manifestationen von Thesen, die sich durch Interaktion erschließen“ (ebd.). Der so konzipierte entwurfsbasierte Forschungsansatz dient als Grundlage der in Kapitel 3 erläuterten Fallstudie II und ist somit dem partizipativen Forschungsansatz komplementär beigestellt. Ziel ist es dabei, anhand des generierten Entwurfswissens53 dem partizipativen Verfahren Erkenntnisse gegenüberzustellen, die aus konkreten Entwurfsprozessen sowie den daraus entwickelten Gestaltungsergebnissen resultieren. Die entwurfsbasierten Forschungsergebnisse implizieren dabei zweierlei: Zum einen lassen sich Erkenntnisse über die Entwurfsmethodik selbst generieren. Zum anderen dient die prototypische Vorgehensweise54 als Entwurfsbasis zur Interpretation noch nicht vorhandener, aber möglicher und diskutabler Alternativszenarien zum Umgang mit Behinderung.

2.5 Zusammenführung Beide Forschungsansätze – der partizipative und der entwurfsbasierte – dienen somit als Ausgangspunkt und methodischer Rahmen für die im folgenden Kapitel beschriebenen Fallstudien. Beide Ansätze liefern zugleich die Basis für eine im Schön’schen Sinne angelegte „reflexive Praxis“. Donald A. Schön unterscheidet zwischen unterschiedlichen Phasen der reflexiven Praxis, nämlich der Reflexion in der Handlung und der Reflexion über die Handlung. Indem die forschende Instanz s­ owohl in der Handlung als auch über die Situation selbst reflektiert und dadurch auch Irrtümer und Missverständnisse zum elementaren Bestandteil der forschenden Praxis werden, avanciert die Praxis selbst zum Triebmotor für Evaluation und Fortentwicklung sowohl des Gegenstands als auch seiner an ihm ausgeübten Methodik.55 In den Fallstudien erfolgte diese Reflexion gemeinsam, das heißt zusammen mit den jeweils Beteiligten. Die Erarbeitung und Ausgestaltung von Konzepten, Ideen, Szenarien und Objekten (Prototypen) stellte sich dabei in unterschiedlichen

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Zustandsformen dar. Vom Gespräch über die Skizze über „Basteleien“, Mock-ups56 bis hin zu Videoprototypen und schließlich funktionsfähigen Proofs-of-Concept.57 Diese unterschiedlichen Zustandsformen erwiesen sich im Rahmen des Forschungsprozesses als hilfreiche Diskussionsgrundlagen. Zugleich wurde bei ihrer Generierung Rücksicht auf unterschiedliche Voraussetzungen von z. B. technischen, gestalterischen, vorwissensbezogenen Fähigkeiten der Projektteilnehmenden genommen. Im nun folgenden dritten Kapitel wird die forschungsbezogene Praxisphase anhand von zwei Fallstudien und einer Erprobung in der Designlehre beschrieben und diskutiert.

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Diese bereichsübergreifende Aufgliederung beruht auf einem Verständnis von Designforschung nach Wolfgang Jonas, demzufolge Designforschung Wissen schafft, das den Designprozess informiert und damit zugleich „die Welt und damit die Bedingungen des Wissens“ verändert (Jonas 2004, 5). Der Begriff „sozial“ wird hier in seiner allgemeinen Bedeutung benutzt, als das Gemeinsame betreffend, das auf Aspekte des Zusammenlebens Gerichtete. Der Begriff „politisch“ bezieht sich in diesem Sinn­ zusammenhang auf ein „das Gemeinwesen beeinflussendes Handeln“ (vgl. Oswald 2016). Eine frühe Auseinandersetzung mit der Thematik findet sich 1995 bei Michael Erlhoffs Aufforderung ­einer Hinwendung zum „Nutzen statt Besitzen“ (Erlhoff 1995). Im Zuge der digitalen Entwicklung werden Ende der 2000er-Jahre zunehmend Tausch- und Nutzungsplattformen möglich, die teils als Alter­ nativen zu marktökonomischen Verwertungslogiken wahrgenommen werden (z. B. Couch-Surfing, Craigslist), im gleichen Zuge dabei selber jedoch häufig auch neue Markt- und Vermarktungsmechanismen beflügeln (z. B. Uber, Airbnb). Mitte der 2010er-Jahre fordern Duncan McLaren und Julian Agyeman ­ein neues (altes) „Sharing Paradigma“, ausgerichtet auf weniger kommerzielle, sondern kollaborative, Community-basierte Modelle des Teilens von Waren, Ressourcen, Dienstleistungen und Erfahrungen (vgl. McLaren/Agyeman 2016). Solche Formen – jenseits von Markt und Staat angesiedelter – kollaborativer Zusammenhänge werden zugleich von Andrea Baier et al. als postkapitalistische Praxis beschrieben (Baier et al. 2016). Petra Eisele beschreibt Design in diesem Zusammenhang als Befähigung, „Gegenwart kritisch zu analysieren, um Zukünftiges zu antizipieren“ (Eisele 2014, 90). Im designhistorischen Zusammenhang mit den Entwicklungen des Bauhauses spricht sie von einer „Vision einer neuen Gesellschaft, die mittels ­Gestaltung entschieden befördert werden sollte. [Also durch eine] konkrete Umsetzung gesellschaft­ licher Utopien für ein besseres Leben im Gestalteten durch Gestaltung“ (Eisele 2014, 93). Claudia Banz konstatiert, dass eine Engführung der Konzepte „Design“ und „sozial“ historisch gesehen schon immer, vor allem jedoch in Zeiten von Krisen stattgefunden habe (Banz 2016, 8). In etwa zur gleichen Zeit erscheint mit Wolfgang Fritz Haugs „Kritik der Warenästhetik“ (Haug 1971), eine w ­ eitere konsumkritische Analyse, die gemeinsam mit Papaneks Schrift mit zu einer erstarkenden ­kritischen Reflexion des Berufsbilds „Designer“ beiträgt. June H. Park versammelt unter dem Begriff Social Design u. a. „ökologisches Design und Green Design, die vornehmlich auf eine ökologische Nachhaltigkeit ausgerichtet sind; barrierefreies D ­ esign, altersfreundliches Design, Universal Design, die auf bestimmte Zielgruppen Rücksicht nehmen bzw. diese inkludieren; Human-Centered Design, das sich auf menschliche Bedürfnisse und Möglichkeiten konzentriert; Partizipatorisches Design, Co-Design, die auf die Mitwirkung und Mitentscheidung der betroffenen Menschen im Designprozess zählen“ (Park 2014, 19). Der Facettenreichtum des Labels Social Design verdeutlicht zugleich dessen Komplexität, die nach Park darin besteht, dass sie „sowohl Vielschichtigkeit als auch Diversität aufweist. Es ist daher nicht eindeutig, wenn von Social Design die Rede ist, welche Ausprägung damit gemeint ist. Dennoch teilen die diversen Ausprägungen des Phänomens Social Design implizit ein gemeinsames Verständnis. Es handelt sich dabei um das Alltagsverständnis des Wortes ‚sozial‘, das über eine weite Bedeutungsspanne verfügt: im Sinne von gemeinnützig über hilfsbereit, mildtätig, mitfühlend, großmütig bis selbstlos und uneigennützig. Das karitativ-altruistische ­Moment scheint im ersten Moment das Wesensmerkmal des Social Designs zu sein“ (ebd.).

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In ihrem Buch Design as Future-Making beschreiben Susan Yelavich and Barbara Adams Design einschließlich seiner ihm verbundenen Motivationen, Anwendungsgebiete, Ausführungen und Wirkungsbereiche als inhärent politisch: „As an integrated mode of thought and action, design is intrinsically social and deeply political“ (Yelavich/Adams 2014). Dies mag in lapidar erscheinenden Einzelfällen, etwa am Beispiel einer harmlos wirkenden Tasse, bezweifelt werden, sollte aber spätestens dann einleuchten, wenn man neben dem vermeintlichen Endprodukt Tasse auch deren soziale und ökologische Produktions­bedingungen, Distributionswege und Aspekte wie Haltbarkeit oder Entsorgungsmöglich­ keiten hinterfragt und in Betracht zieht. Unter dem Begriff des Sozio-Designs veranstaltete das Internationale Designzentrum IDZ in den 1970er- bis Mitte der 1980er-Jahre verschiedene Symposien und Ausstellungen (vgl. Burkhardt/Brock 2017) und machte den Begriff für den deutschsprachigen Raum zugänglich. Im internationalen Designdiskurs fand der Begriff anschließend bestenfalls in designhistorischen Betrachtungen Erwähnung (vgl. Burkhardt 1989, 50; Selle 1989, 58–65; Margolin 1989, 272–281). Erst seit kurzer Zeit wird er auch international und anhand aktueller Projektbeispiele unter dem Begriff „Socio-Design“ verhandelt (vgl. Stocker 2017; Gründler 2017). Sozio-Design bezieht sich demnach auf die „Inszenierung nicht nur der physikalisch-kulturellen Objekte […], sondern auch die Inszenierung des Umgangs mit diesen und dem Gebrauch dieser Objekte sowie Handlungsweisen, Beziehungsformen und Sprache“ (Brock 1985, 437 ff.; zitiert nach Park 2014, 19). „The existing user-oriented approach of design must […] be extended to one that is society-oriented“ (Jonas/Zerwas/Von Anshelm 2015). Irina Kaldrack beschreibt die unter dem Label „Transformation Design“ thematisierte Gestaltung von Veränderungsprozessen als fortwährende Bewegung „zwischen Utopie und Machtstrukturen“. Und ­weiter: „Historisch, gesellschaftspolitisch und technisch-medial reflektiert ist Transformation Design eine Form von diskursanalytischer Gestaltung“ (Kaldrack 2017). Auf ähnlichen Prämissen beruht auch der Ansatz des „Transition Designs“, den Terry Irwin, Cameron Tonkinwise und Gideon Kossoff als ein mögliches Bezugs- bzw. Rahmensystem (Framework) für Design im Bewusstsein der großen „wicked Problems“ unserer Zeit formuliert haben und in dem sie Design das Potenzial zu neuartigen Formen der ­Problemlösung attestieren (vgl. Irwin 2015; Irwin/Kossoff/Tonkinwise 2015). Die soziale Wirksamkeit eines solchen Social oder Transformative Design bestünde nach Park darin, „zur Lösung konkreter Probleme von heute und morgen beizutragen, indem es beispielsweise sozioökonomische, soziotechnische, soziokulturelle und sozialpsychologische Herausforderungen zum Hauptthema des Designprozesses macht“ (Park 2014, 23). Dies bezieht sich insbesondere auf den Moderne-Begriff als philosophisches Konzept und weniger auf zeitbezogene, epochenmäßige Datierungen. Historisch lässt sich der Begriff der Moderne gleichwohl ­jenem insbesondere durch die industrielle Revolution, die Aufklärung und die Säkularisierung geprägten Umbruch zuordnen, von dem letztlich sämtliche Lebensbereiche betroffen sind. Michael Erlhoff spricht in diesem Zusammenhang von einer „Realität, in der alles gestaltet ist und gestaltet erscheint“ (Erlhoff 2008, 278). Das beginnt, wie Friedrich von Borries konstatiert, mit der Frage, „wie Städte strukturiert sind, geht weiter bei den Häusern und Wohnungen und endet bei den alltäglichen Gegenständen“ (­Borries 2017b). Die Stichhaltigkeit der vermeintlichen politischen Ideologie des Nordic Designs als grundsätzlich Volksund Menschen-orientiert, wird in heutigen Designdiskursen mitunter in Zweifel gezogen. So weist Sandra Buchmüller darauf hin, dass das prominente Kernkonzept „To make simple, but beautiful things that make your life better“, bezogen auf das so formulierte Recht eines jeden Menschen, sich mit schönen und ästhetisch wertvollen Dingen zu umgeben, auch als Einforderung einer Art Konsumdemokratie verstanden werden kann (Buchmüller 2013a). Es muss gleichwohl festgehalten werden, dass Gestaltungspraktiken des Designs häufig stark in (z. B. Vermarktungs-)Strategien eingebettet sind, die der kapitalistischen Verwertungslogik unterliegen. Wie später noch ausführlicher aufgezeigt, findet das Label der „Partizipation“ seit einigen Jahren auch ­verstärkt Verwendung in Unternehmens- oder Marketingkontexten, deren primärem Ziel nicht zwangsläufig ein altruistisches Weltbild der sozialen Balance zugrunde liegt, sondern das in erster Linie die ­Gewinnmaximierung bzw. die Sicherung von Marktanteilen ist. Beispiele für einen solchen Forschungsansatz finden sich am Design Research Lab in dem Projekt „Neighborhood Labs“, bei dem es um Möglichkeiten des urbanen „Community Building“ anhand von ­Wissenstransfer und bürgerschaftlichem Engagement geht (vgl. Schubert et al. 2012; Unteidig et al. 2013). Ein ähnlicher Ansatz wird in dem „Modellprojekt NRW – Bürger vernetzen Nachbarschaften“ und in dem Projekt „Mit-Mach-Stadt Brandis“ verfolgt. In Ersterem geht es um die Vernetzung von Nachbarschaften vor dem Hintergrund der Quartiersentwicklung im digitalen Wandel. Bei Letzterem steht die

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Frage im Raum, wie sich digitale Möglichkeiten für lokale Anliegen und Aktivitäten in s ­ trukturschwachen Regionen nutzbar machen lassen. Bei allen drei Projekten sollen „Bürgerwerkstätten“ dazu dienen, ­bestehende oder sich formierende bürgerschaftliche Initiativen und Partnerschaften zu stärken und ­Lösungen für lokale Probleme zu entwickeln (vgl. Herlo et al. 2017). Dass ein solcher Ansatz auch ungelöste Fragen mit sich bringt, liegt auf der Hand. Dies gilt insbesondere, wenn die Forschungsergebnisse und Gestaltungsinhalte an eventuelle ökonomische Interessen gekoppelt sind. Sandra Buchmüller fragt vor diesem Hintergrund zu Recht: „Wer übernimmt letztendlich die Verantwortung für den sozialen Wandel? Wer überprüft, ob die Demokratisierungspraktiken für die Betroffenen wirklich verbessert wurden? Ob die soziale Teilhabe und deren Integration verbessert wurden? […] Und: heißt partizipatives automatisch gleichberechtigtes Gestalten? Und wie gleichberechtigt sind die Teilnehmenden dann wirklich?“ (Buchmüller 2013a). Buchmüller diagnostiziert hier eine „asymmetrische Partnerschaft“ in denen Designerinnen und Designer – durchaus in einer vermittelnden Position – als „pragmatische Wandelsführer, […] Visionäre und Moralisten, [als] Fürsprecher und Ermöglicher für sozial Benachteiligte“ fungieren (ebd.). Im Bestreben um eine demokratische Technologieentwicklung wurden hier erstmals Arbeiter in den ­Gestaltungsprozess ihrer Arbeitsumgebung mit einbezogen (vgl. Kubicek 1980). Ursprünglich im politischen Anspruch eines Demokratisierungsprozesses konzipiert, finden Auswüchse und begriffliche Adaptionen des Participatory Design heute zunehmend auch in einer massenphänomenalen Bandbreite unter Schlüsselbezeichnungen wie „DIY“ (Do it Yourself), „DDIY“ (Don’t do it Yourself), „Web 2.0“, oder „Crowdsourcing“ Verwendung. Die Art und der Grad der Partizipation nehmen dabei mitunter fragwürdige Züge an: So kommt es vor, dass das Selberausdrucken von Bahntickets, der vorab getätigte Check-in bei Flügen, das Zusammenbauen von Möbeln in der eigenen Wohnung, Abstimmungsverfahren zu neuen Burger-Varianten großer Fastfood-Ketten oder customization-Verfahren zur individuellen Farbgestaltung von Sportschuhen unter dem euphemistischen Label der „User-Partizipation“ kursieren. Tuuli Mattelmäki beschreibt die explorative Komponente der „Selbst-Dokumentation“ anhand von „­Design Probes“ (Mattelmäki 2008); Katja Battarbee untersucht die „Co-Experience“ als Möglichkeit zum besseren Verständnis von sozialer Interaktion (Battarbee 2006); Thomas Binder et al. erörtern ­Designprojekte als „Thing“ (im altgermanischen Sinne), nämlich als potenziell kontroverse Zusammenkunft von Menschen und Artefakten, dessen Ergebnisse im Wechselspiel aus Gestaltung und Aneignung („Design“ und „Use“) ausgehandelt werden (Binder et al. 2011, 157 ff; Ehn 2013, 79 ff.). Sie unterscheiden dabei zwischen zwei Kategorien: der Gestaltung für die Nutzung vor der eigentlichen Nutzung („­Designing Use before Use“ = Participatory Design) (ebd., 162 ff.) und dem Design für die Gestaltung nach der eigentlichen Gestaltung („Designing Design after Design“ = Meta-Design) (ebd., 170 ff.). Angesichts neu entstehender technischer Möglichkeiten (wie z. B. dem 3-D-Druck) und sich neu darum formierender Communities (wie z. B. Fab Labs oder Repair-Cafés), hat sich in den letzten J ­ ahren vielerorts ein neues Verständnis von Gestaltungshoheit entwickelt. Dinge selber zu machen, selber zu produzieren, selber zu vertreiben und das Wissen darüber sowie fachliche Fertigkeiten mit anderen zu teilen, erscheint hier als (zugleich konsumkritischer) Weg zur Selbstermächtigung abseits von Marktzwängen und industriellen Produktionsbedingungen. Unter dem Leitthema „Die Politik der Maker“ richtete die Deutsche Gesellschaft für Designtheorie und -forschung im Jahr 2013 ihre Jahrestagung speziell auf Fragen zur politischen Dimension von DIY-Praktiken, wie z. B. der „Maker“- oder der „Craftista“-­Bewegung, aus (DGTF 2013). Stefanie Lohaus etwa stellt in ihrem Beitrag politische und feministische Dimensionen der neuen DIY-Bewegungen zur Diskussion. Am Beispiel der „Weitergabe und Aufwertung speziell weiblicher Fertigkeiten“ beschreibt sie, wie „Handarbeit in Strick- und Bastelgruppen zum g ­ emeinschaftsbildenden Element“ werden kann (Lohaus 2013). Anhand von Beispielen wie den Online-Plattformen Etsy oder DaWanda macht sie allerdings auch deutlich, wie wenig sich die neue Handmade-­Industrie langfristig zur Kapitalismuskritik eignen dürfte, insofern auch sie einer Verwertungslogik des Marktes unterliegt, womit der Grat zwischen Selbstermächtigung und Selbstausbeutung tendenziell schmal bleibt. Das Konzept der Open Source (Offene Quelle) stammt ursprünglich aus dem Kontext der Software-­ Entwicklung. Die Idee von Open Source-Software besteht darin, ihren Quelltext öffentlich zugänglich und einsehbar zu machen, was zum einen ein Signal zur Transparenz gegenüber den Endverbrauchern gilt, zum anderen auch die Möglichkeit beinhaltet, Vorschläge und Ansätze zur Weiterentwicklung aus der Community heraus zu entwickeln. Die Kernbotschaft lautet: Alle können mitmachen. Alle können davon profitieren. Ähnliche Ansätze eines solchen Open Source-Prinzips finden sich auch in der Wissenschaft („Open Science“; „Citizen Science“), im Bereich der Bildung („Open Educational Ressources“ / OER) und der Möglichkeit, mithilfe von offenen Lernmaterialien nicht nur Zugriff auf Bildungsinhalte zu

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­ rmöglichen, sondern auch die Möglichkeit zu bieten, selber Bildungsinhalte bereitzustellen und mit ane deren Menschen zu teilen. Begrifflich und konzeptionell halten derartige „Open Access“ und „Open Data“ Prinzipien auch schon Einzug in Bereichen des Designs: dem „Open Design“. Sanders erkennt hier einen Participatory Shift, von nutzerzentrierten hin zu partizipativen Gestaltungsansätzen, und konstatiert den Status quo als Ära des Post-Designs, woraus sie entsprechende Auswirkungen auf die Konstellation innerhalb von Gestaltungsprozessen und das damit verbundene ­Beziehungsgeflecht aus Designern, Nicht-Designern und Artefakten herleitet (vgl. Sanders 2002). Beispielhaft hierfür ist das vorrangig webbasierte Crowdsourcing, bei dem die Aufgaben oder Problemstellungen implizit oder explizit an eine unbestimmte Gruppe von Nutzern übertragen werden, die diese dann gemeinsam bearbeiten. Zu der man auch die (z. T. gemeinsamen) Arbeiten von und mit Pieter-Jan Stappers zählen kann (vgl. Sanders/Stappers 2008; Sanders/Stappers 2013). Zu dem man auch die programmatischen Ansätze Ezio Manzinis hinzuzählen kann. Wenngleich diese auch nicht gemeinsam formuliert wurden, so finden sich doch insbesondere in Bezug auf die Konzepte von Community Building oder (die später beschriebenen) Living Labs Momente einer vergleichbaren Grundhaltung (vgl. Manzini 2007). Sie basieren etwa auf der Verwendung von Bildmaterial oder dreidimensionalen Objekten, die speziell für jeweilige partizipative Prozesse entwickelt bzw. darauf zugeschnitten werden. Mitunter ist auch von „Träumen“ die Rede, was in der Formulierung zuweilen esoterisch klingen mag. Die Grundidee dieses auf empathischen Bezug ausgerichteten Ansatzes besteht allerdings gerade darin, bisweilen unbewusste, fantasiebezogene, emotionale Schichten der Teilnehmenden zu entschleiern. Die laut Sanders These insbesondere die rationalen Ebenen des Menschen adressieren. Der Ehn’sche Ansatz entspringt zudem klar der Tradition des skandinavischen kollektiven System­ designs (Kubicek 1983) und kann als Versuch einer zeitgemäßen Übersetzung und Fortentwicklung in Bezug auf an politische oder ethisch moralisch geknüpfte, partizipative Gestaltungsprozesse verstanden werden. In Bezug auf Co-Design-Prozesse finden die von Liz Sanders beschriebenen Ansätze bei Vertreterinnen und Vertretern des Participatory Design weiterhin starke Verbreitung. In Bezug auf die Reproduktion von Normalitätskonzepten finden sich mitunter auch kritische Stimmen. So weist Sandra Buchmüller darauf hin, dass Sanders’ Ansatz Gefahr laufen könnte, ein allzu Norm-konformes, Konsens-orientiertes Design hervorzubringen und möglicherweise gar Stereotype zu reproduzieren. Buchmüller begründet dies damit, dass „sobald man innerhalb eines partizipativen Gestaltungsprozesses zu einem Konsens kommt, […] diese Grundannahmen und Normalitätsannahmen nicht mehr weiter hinterfragt [würden]“ (Buchmüller 2013a). Hier seien Designerinnen und Designer in dem Sinne gefordert, in Co-Design-Prozessen auch konkrete Reflexionsangebote zu machen, um somit mögliche Stereotype zu entlarven und kritisch infrage zu stellen. Da die Rollenverteilung in der partizipativen Forschung nicht immer klar definiert ist, lassen sich auch in solchen Projekten mitunter unverhältnismäßige Machtstrukturen identifizieren, was häufig auch als Hauptkritikpunkt an derartigen Forschungsformaten geäußert wird. Die Frage, inwieweit bei Forschungsprojekten mit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigte Rollenaufteilungen möglich und sinnvoll sind, hängt zuvorderst freilich vom Grad und der Art der Behinderung ab und kann somit schwer pauschal beantwortet werden. Aus dem Forschungskontext des Themenfeldes „Lernbehinderung“ heraus hat sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmend der Begriff der inklusiven Forschung etabliert (vgl. Walmsely 2001, 187 ff.). Dieser bezieht sich auf sämtliche Zugänge von und zur Forschung und umschreibt damit in seinen Forderungen – zumindest ideologisch – eine Erweiterung der bisher als „partizipativ“ oder „emanzipatorisch“ bezeichneten Ansätze. Gemeint sind sämtliche Phasen des Forschungsprozesses. Angefangen bei der Entwicklung von ­Frage­stellungen über die Erhebung und Auswertung von Daten bis hin zur Publikation von Forschungs­ ergebnissen. Konzeptionelle Parallelen eines transdisziplinären, gemeinsamen Forschens – dem „Forschen aller“ (Peters 2013) – finden sich auch im Konzept der sogenannten Citizen Science („Bürgerwissenschaft“). Hier werden Forschungsprojekte entweder unter Mithilfe oder auch gänzlich (mitunter selbst ­initiiert) von „Laien-Forschern“, also z. B. interessierten Bürgern durchgeführt, in dem sie etwa Beobachtungen durchführen, Prozesse dokumentieren oder zur Auswertung von Daten beitragen. Dem „oftmals ­lebensnäheren Wirken der Laien“ (vgl. Finke 2014) wird dabei eine wachsende Bedeutung beigemessen, die neben dem akademisch generierten und vermittelten Wissen als mindestens ebenbürtig erhoben wird. Als populäres Beispiel für Citizen Science könnte (bei aller mitunter berechtigen Kritik) z. B. das – auf einem Prinzip gesellschaftlicher Schwarmintelligenz beruhende – Projekt Wikipedia gelten. Dass

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­ olche Ansätze neben vielen neuen Chancen auch Risiken mit sich bringen, liegt auf der Hand und sollte s in der Auseinandersetzung mit partizipativen Forschungsansätzen stets mitberücksichtigt werden. ­Peter Finke konstatiert in diesem Zusammenhang gleichwohl die Notwendigkeit eines ausgewogeneren Machtverhältnisses zwischen sogenannten Experten (also akademisch Forschenden) und vermeintlichen Nicht-Experten: „Wenn wir wirklich eine Wissensgesellschaft werden wollen, müssen wir unsere akademischen und politischen Maßstäbe neu justieren“ (Finke 2014). 36 Womöglich auch generell stellvertretend für diversitätsbewusste Ansätze. 37 Hauser promoviert als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Förderpädagogik der Universität Leipzig zum Thema „Qualitätsentwicklung in der Partizipativen und Inklusiven Forschung“. Eine „erfolgreiche Etablierung inklusiver Strukturen“ setzt ihrer Argumentation nach u. a. voraus, dass „die Fragen gestellt und beantwortet werden, wie denn aus Sicht der Betreffenden […] inklusives Leben aussieht und welche Vorstellungen Menschen mit [Behinderung] mit ‚normalen‘ Lebensumständen ­verbinden“ (Hauser 2013, 2). 38 Der dieser Arbeit zugrunde liegende, weit gefasste Begriff der „Diversität“ wird hier synonym zu den ­Begriffen „Vielfalt“ oder dem englischen „Diversity“ verwendet. Als theoretischer Bezugsrahmen dienen hierzu insbesondere die Diversity Studies (Diversitätsforschung), in denen der Begriff interdisziplinär verhandelt wird, wobei die Vielfalt der Kulturen ebenso Berücksichtigung findet, wie beispielsweise auch die Vielfalt der Sprachen, der Lebensformen, der Lebensumstände, des Alters, der Geschlechter, ­ exuellen Orientierung, der Vorstellungen über die Welt, oder aber auch die „Art und Weise, die Welt der s zu gestalten“ (vgl. Alleman-Ghionda 2014). Im Zuge dieser Arbeit sollen Diversitätsaspekte vorwiegend im Kontext aus behinderungs- und gestaltungsrelevanten Betrachtungswinkeln thematisiert werden. Es können und sollen in dieser Arbeit freilich weder behinderte noch nicht-behinderte Menschen als homogene Gruppe mit kohärenten Merkmalen, Eigenschaften und Bedürfnissen charakterisiert werden. Es werden daher, insbesondere beim empirischen Teil, stellenweise auch andere Kategorien sozialer Differenzierung berücksichtigt, wie etwa das Alter, ethnische Zugehörigkeit oder Beruf. Dies geschieht jedoch ebenso im Bestreben, die Komplexität der Zusammenhänge nicht durch den Miteinbezug zu vieler themenferner Diversitätskategorien unnötig zu erhöhen. Lennard Davis weist unter Bezugnahme auf den Diversitätsdiskurs und auf die Positionen der Disability Studies darauf hin, dass die Kategorie „Behinderung“ gegenüber allen anderen Diversity-Kategorien offenbar eine Sonderstellung einnimmt, denn: „Diversität präsentiert die Idee, dass wir uns auch vorstellen könnten, jede andere Identität zu haben, dass alle Identitäten es wert wären, gewählt zu werden. Aber die einzige Identität, die man nicht wählen kann [… und … sollte …], ist die eines Behinderten“ (Davis 2012, 122; vgl. Davis 2011). Das Positiv-Credo des Anders-Seins, welches den meisten Diversity-Postulaten zugrunde liegt, entlarvt Davis hierbei als Paradoxon: „Das eher begrenzte Konzept hinter der Vorstellung von Diversität […] liegt in der Philosophie: ‚Wir sind alle anders – deshalb sind wir alle gleich.‘ Aber wenn Andersartigkeit mit Gleichheit gleichgesetzt wird, wie kann es dann irgendetwas bedeuten, anders zu sein?“ (Davis 2012, 122–123). Folgender Punkt wäre hierbei zumindest diskutabel: Wenn es tatsächlich darum gehen soll, dass alle Menschen gleich sind, also eben nicht verschieden, dann würde dies im gleichen Zug bedeuten, eines der Hauptmerkmale menschlichen Daseins zu verflachen, nämlich, dass alle Menschen eigentlich individuell, also verschieden sind. Eine tatsächliche Wertschätzung der Unterschiede, der Eigenarten, der Besonderheiten, fände demnach nicht statt. Übersetzt in einen Designkontext würde dies in die Frage münden, was dies für eine verschiedenartige Adressierung unterschiedlicher Zugangsbedürfnisse bedeuten würde. 39 Im Participatory Design sind solche Vorgehensweisen grundlegend. 40 Dies wird an dieser Stelle aufgrund mangelnder Vergleichsstudien empirisch nicht belegt und beruht ­lediglich auf Beobachtungs- und Erfahrungswerten. Diese gehen im Übrigen auch über den Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion hinaus und erstrecken sich über sämtliche Bereiche des Designs. So sind dem Verfasser dieser Arbeit trotz langjähriger Praxis und internationaler Vernetzung nur sehr wenige Personen im Designbereich bekannt, auf denen das landläufige Attribut „Mensch mit Behinderung“ ­zutreffen würde. Es besteht zu einer genaueren Ergründung durchaus noch Forschungsbedarf. 41 Hauser bezieht sich in ihrer Argumentation eigentlich auf das Feld „Lernbehinderung“. 42 Im Falle von Design können dies beispielsweise auch Produkte sein. 43 Beispielsweise, indem Vorgehensweisen einer Befragung von Teilnehmenden auch durch gestalterische Elemente ergänzt wurden. Die methodische Ausgestaltung und der Grad der Partizipation waren in den jeweiligen Projekten und Fallstudien z. B. unterschiedlich. Dies wird an den entsprechenden Stellen jeweils ausführlich erläutert. 44 In Die Welt als Entwurf formuliert Aicher das so: „der entwurf ist das erzeugen von welt. er entsteht dort, wo theorie und praxis aufeinanderstoßen. diese heben sich dann gegenseitig auf. sie finden ihre entfaltung. entwurf wird neben theorie und praxis eine neue eigene geistige dimension. die menschliche ­kultur

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läßt sich nicht länger auf denken und tun reduzieren. dazwischen schiebt sich, als eigene methodische disziplin, das entwerfen, das entstehen dessen, was noch nicht ist, weder in der theorie noch in der ­praxis. im entwerfen erweisen sich beide als fundamente. der entwurf übersteigt theorie und praxis und eröffnet nicht nur eine neue wirklichkeit, sondern auch neue einsichten. im entwurf nimmt der mensch seine eigene entwicklung in die hand. entwicklung ist beim menschen nicht mehr natur, sondern selbstentwicklung. dies gewiß nicht außerhalb natürlicher vorraussetzungen, aber doch die natur übersteigend. im entwurf wird der mensch das, was er ist. sprache und wahrnehmung haben auch tiere. aber sie entwerfen nicht“ (Aicher 1991, 196). In seiner Abhandlung über „Design als Kommunikation von Modellen“ unterstreicht Uwe von Loh die ­Bedeutung nicht der „entworfenen Dinge selbst, sondern deren Thematisierung in Modellkommunika­ tionen“ (Loh 2014). Es gilt dabei festzuhalten, dass ein Modell letztlich immer „in Beziehung zu einem bereits vorhandenen oder angedachten Referenzobjekt – dem ‚Original‘ – existiert“ (Janser/Bieling 2016, 5). Dies ist auch von Belang in Hinblick auf die Rolle des Menschen, der – sei es als Modellentwickler oder als Rezipient – das Modell überhaupt erst in Relation zum Original bzw. einer durch das Modell veranschaulichten Vision/ Konzeption setzen muss (ebd.). Der Inklusionsaktivist Raul Krauthausen weist darauf hin, dass Inklusion kein finaler „Zustand [ist], den wir erreichen können, sondern ein Prozess, der uns [zudem] immer wieder neu herausfordern wird“ (Krauthausen 2013). Demgegenüber steht die Auffassung Daniel Gethmanns und Susanne Hausers, ­wonach „ein besonderes Potential des Entwerfens in seiner Eigenart [besteht], sich selbst ständig mit und in unterschiedlichen Entwurfstechniken neu zu entwerfen. Ihre Vielfalt ermöglicht offene, prinzipiell unabgeschlossene Entwurfspraktiken, die ihre Fortsetzung nicht determinieren. Die besondere D ­ ynamik des Entwerfens basiert auf immer wieder erneuerten Techniken, Verfahren, Regeln, Prozessen und ­Praktiken des Entwerfens“ (Gethmann/Hauser 2009, 10). Inklusion als Entwurf zu begreifen, bedeutet in d ­ iesem Zusammenhang somit auch, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass sich ein Verständnis von Inklusion ebenso wie die Techniken ihrer Entwürfe immer wieder neu justieren lassen und ver­ändern werden. Zum Teil geht diese Entwicklung mit einem Prozess einher, den Jürgen Weidinger als „ökonomisch ­motivierte Verwissenschaftlichung der Entwurfsdisziplinen“ bezeichnet (Weidinger 2013, 13). Demnach entstanden und entstehen einige der Überlegungen und Praktiken entwurfsbasierter Forschung auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Ökonomisierung der Universitäten, durch die sich Vertreterinnen und Vertreter der Entwurfswissenschaften dazu veranlasst fühlen, „sich den Methoden und Evaluierungsverfahren der Wissenschaftlichen Disziplinen unterzuordnen“ (ebd.). Die Formulierung einer „designerischen Weise der Wissensproduktion“ bezieht sich dabei auf die von ­Nigel Cross formulierten Überlegungen zu den „Designerly Ways of Knowing“, in denen er dem Design(er) eine eigenständige Denkweise und Art der Wissensproduktion unterstellt (Cross 2008). Der Innovationsgrad eines solchen Wissensbeitrags soll hierbei „auf Basis und in Differenz zum ­Wissensbestand (der Entwurfsdisziplin) entsprechend der Forschungslage in den wissenschaftlichen Disziplinen, herausgearbeitet und begründet“ werden (Weidinger 2013, 30 ff.). Im Kontext von entwurfsbasierten Promotionen werden hierzu unterschiedliche Durchführungs- und Evaluierungsmodelle verhandelt. Im internationalen Vergleich kann man im deutschsprachigen Hochschulsektor dabei auf eine erst junge Historie zurückblicken. Diskussionspunkte hinsichtlich rein entwurfsbasierter Forschungsansätze gegenüber traditionell wissenschaftlichen Arbeiten beziehen sich dabei häufig auf die Aufteilung der reflexiven und praktischen Anteile von entwurfsbasierten Disser­ ta­tionen sowie auf die Frage, wie hoch deren jeweiliger Anteil an der Arbeit zu sein hat. Die Debatten hierzu sind andauernd und werden nicht nur disziplinübergreifend, sondern auch innerhalb der Gestaltungsdisziplinen geführt (Joost et al. 2016; Romero-Tejedor/Jonas 2010; Mareis 2011, 285 ff.; Mareis 2014, 152 ff.; Grand/Jonas 2012). Weitgehend unstrittig ist dabei, dass im Zentrum des Interesses derartiger Arbeiten insbesondere der Bezug des praktischen zum reflexiven Teil stehen sollte. Also die Frage, in welchem Bezug beide zueinander stehen und inwiefern sie sich gegenseitig bedingen. Ausgehend von der auf Christopher Frayling (Frayling 1993) und Bruce Archer (Archer 1995, 10) zurückgehenden Unterteilung in Research for, about und through Design, bezieht sich das in dieser Arbeit thematisierte Konzept einer Forschung durch Design insbesondere auf das von Alain Findeli formulierte Verfahren einer „projektgeleiteten Forschung“ (Findeli 2004) sowie Wolfgang Jonas’ Ausführungen einer Research through Design (Jonas 2006; Jonas 2007, 187 ff.). Entwurfswissen beinhaltet nach Weidinger sowohl „Wissen über das Entwerfen selbst in Bezug auf ­Entwurfsmethoden und Entwurfswerkzeuge, umfasst aber auch neues Wissen in Teildisziplinen des Entwerfens, wie z. B. Ökonomie, Technik, Management oder Ästhetik“ (Weidinger 2013, 14).

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54 Gemeint sind hiermit Forschungs- und Gestaltungsprozesse, bei denen sich (Fort-)Entwicklungs­ prozesse und solche der Wissensgenerierung vor allem anhand von Prototypen vollziehen. 55 Dies schließt auch die von Hilbert Meyer beschriebene „biografische Kompetenz“ mit ein, also die ­Erfordernis, eine „Reflexion der eigenen Werte, Überzeugungen, Vorstellungen und Erwartungen […] [als häufig] unbewusste (implizite) subjektive Theorien“ zu explizieren, also bewusst zu machen (vgl. Meyer 2001, 229; zitiert nach Lohmann 2003, 44 ff.). 56 Mit dem englischen Begriff Mock-up (auch: Mockup) bezeichnet man ein Veranschaulichungsmodell, welches nicht zwangsläufig funktionsfähig sein muss. 57 Als „Proof of Concept“ bezeichnet man den Machbarkeitsnachweis eines (in der Regel prototypischen) Konzepts. Mit ihm soll sich die prinzipielle Durchführbarkeit eines Vorhabens belegen lassen, die dann als Grundlage für weitere Entwicklungsschritte dienen kann.

096  DESIGN ALS FORSCHUNGSPARADIGMA 

3  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN Die aus der Zielsetzung dieser Arbeit abgeleitete Forschungsfrage, welchen Beitrag eine inklusiv ausgerichtete Designforschung dazu leisten kann, Verständnisse von und Umgangsweisen mit Behinderung zu transformieren, ist Ausgangspunkt für zwei Fallstudien (Case Studies) sowie einer anschließenden Erprobung in der Designlehre, die in diesem Kapitel ausführlich erläutert und diskutiert werden. Ausgehend von einem partizipativen und entwurfsbasierten Forschungsansatz (Kapitel 2) werden aus der Forschungsfrage zwei Designfragen extrahiert, nämlich: Wie kann einer Verobjektivierung von „Betroffenen“ in und durch Designforschung entgegengewirkt werden (Fallstudie I)? Und wie kann die Gestaltung digitaler Schnittstellen dazu beitragen, hörsehbehinderten Menschen Zugang zu Wissen und digitaler Bildung zu ermöglichen und dadurch Teilhabe zu fördern sowie soziale Abhängigkeiten zu verringern (Fallstudie II)? Die anschließende ­Erprobung im Unterricht dient der Überführung der Erkenntnisstränge in ein didaktisches Konzept zur Implementierung in gestaltungsvermittelnde Lehrformate. In dieser Anordnung stellen die Fallstudien den zentralen methodischen Unterbau dieser Arbeit dar. Sie dienen der Annäherung an primär drei Themenfelder, anhand derer ein enger Zusammenhang zwischen Normalitätskonstrukten und dem Gestaltungsterritorium von Informations- und Kommunikationstechnologien bzw. dem Feld der Mensch-Maschine-Interaktion exemplifiziert werden soll. Es handelt sich um die Themenfelder „Gehörlosigkeit“, „Blindheit“ und „Taubblindheit“. Deren Auswahl erfolgte aus folgenden Gründen und anhand der damit verbundenen Kriterien: Da sich Gestaltungsentscheidungen und Produktentwicklungen – wie beschrieben – in der Regel an Mehrheitsgesellschaften orientieren, werden Informations- und Kommunikationstechnologien häufig vorrangig für und von Menschen gestaltet, die hören und sehen können. Dies bezieht sich sowohl auf die vermittelten Inhalte als auch auf die gerätespezifischen Interaktionsweisen. Texte, Bilder und Bedienfelder werden auf Displays dargestellt; Töne und sprach­liche Inhalte werden über Audiokanäle ausgegeben und so fort. Menschen, denen – etwa aufgrund von körperlichen Voraussetzungen – bestimmte Aneignungsund Interaktionsweisen nicht zur Verfügung stehen, unterliegen dadurch häufig ­einer Verstärkung ihrer Exklusionserfahrungen.1 Anhand der Fallstudien soll veranschaulicht werden, inwieweit sich inklusive Aspekte einerseits in (und somit auch mithilfe von) Gestaltungsprozessen sowie andererseits durch Gestaltungsresultate beflügeln lassen. Hierzu wurden unterschiedliche Designphasen der Konzept- und Produktentwicklung untersucht. Im Sinne einer holistischen Themenerschließung erfolgte dies unter aktivem Miteinbezug von „behinderten“ und „nicht-behinderten“ Menschen, von primär oder sekundär „Betroffenen“ sowie von Designerinnen und Nicht-Designern. Die Fallstudien basieren in unterschiedlichen Ausprägungen auf den in Kapitel 2 beschriebenen

TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN  097

­ artizipativen und entwurfsbasierten Ansatz und wurden schwerpunktmäßig aus p unterschiedlichen Perspektiven behandelt. Fallstudie I („Deaf Jam“) wurde dabei als Anordnung partizipativer (Co-­ Design) Workshops mit gehörlosen und hörbehinderten Personen konzipiert.2 Das Ziel der partizipativen Vorgehensweise bestand darin, spezifische Herausforderungen im Alltag Gehörloser sowohl in Bezug auf die Kommunikation mit anderen Menschen als auch in Bezug auf die Nutzungsweisen und möglichen Zugangsbeschränkungen vorhandener Kommunikations- und Informationstechnologien und -geräte aufzuspüren sowie gemeinsam Annäherungs- bzw. Lösungskonzepte zu generieren. Der Forschungskontext der Fallstudie II („Interaktiv Inklusiv – Tools for Em­ powerment“) bezieht sich auf die Schwierigkeiten des fundamental erschwerten ­Zugangs taubblinder Menschen zu Wissens-, Kommunikations- und Informations­ systemen.3 Im Zuge eines projektbasierten Forschungsprozesses wurden unterschiedliche Kommunikationsgeräte konzipiert, erprobt und entwickelt, die auf ­einem bestimmten – für viele taubblinde Menschen gängigen – Interaktionsprinzip beruhen: dem taktilen Lorm-Alphabet.4 Mit der Erprobung im Unterricht erfolgt eine Erschließung des Themenkomplexes „Design und Behinderung“ anhand zweier aufeinander aufbauender Studien­kurse5 mit insgesamt 75 Designstudierenden der German University in Cairo (GUC). Deren Ziel bestand darin, unterschiedliche Gestaltungsansätze zunächst am konkreten Beispiel Blindheit und Gehörlosigkeit sowie später mit generellem Fokus auf Behinderung allgemein zu erörtern. Diese Studie dient der Über­ rkenntnisstränge in ein didaktisches Konzept zur Implementierung führung der E in gestaltungsvermittelnde Lehrformate. Die Fallstudie I („Deaf Jam“) folgt formal dem partizipativen, Fallstudie II („­Interaktiv Inklusiv“) dem entwurfsbasierten Forschungsansatz. Wie später noch deutlich werden wird, ist auch die entwurfsbasierte Fallstudie II mit partizipativen Elementen unterfüttert. Umgekehrt sind auch in der partizipativ angelegten Fallstudie I Momente einer entwurfsbasierten Forschung enthalten. In beiden Fallstudien variieren die Grade der Partizipation dabei in Abhängigkeit von den jeweiligen Untersuchungsfeldern und Projektphasen. Die aktive Einbindung sogenannter (primär oder sekundär) „Betroffener“ stellt ein entscheidendes Moment der Arbeit dar, denn aus Designforschungsperspektive ist einerseits die Frage zielgebend, inwiefern Behinderungs- und Diversitätsperspektiven dazu beitragen können, neuartige oder innovative ­Erzeugnisse hervorzubringen. Andererseits kann dadurch der Frage auf den Grund gegangen werden, inwiefern Design (insbesondere eben durch diesen perspektivischen Miteinbezug) als sozialer Katalysator6 dienen kann. Denn wenn Design gesellschaft­ liches Verhalten sowohl reflektiert als auch beeinflusst, so stellt sich unweigerlich die Frage, inwiefern es z. B. auf Aspekte der Verständigung, der sozialen Einglie­ derung, auf Aspekte des politischen Dialogs oder auf die Hierarchie ­sozialer

098  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

­Gruppen einwirken und schließlich soziale Inklusion ermöglichen und aktiv ­vorantreiben kann. Im Fokus dieser Untersuchung standen somit einerseits die generelle Sen­ sibilisierung für den Themenkomplex rund um die (Um-)Gestaltbarkeit von Behinderung7 sowie andererseits das Bestreben, tatsächliche Bedürfnisse, Erkenntnisse und Überlegungen primär oder sekundär Betroffener, aber auch situativ mit der Behinderungsthematik konfrontierter Designerinnen und Designer zu berücksichtigen. Das (jeweilige) gestaltungsmäßige Resultat, zumal in den partizipativen Phasen, blieb in der Forschungsintention dabei bewusst offen. Als Ausgangspunkt diente also nicht die zielformulierte Entwicklung von konkreten assistiven Geräten oder der Einsatz einer bestimmten Technologie. Vielmehr war die multiperspektivische Themenannäherung darauf ausgelegt, solche Entwicklungen erst im Laufe des Prozesses zu offenbaren und einzuleiten. Was schließlich auch der Fall war. Einer Designforschung im Kontext des Themenfeldes Behinderung liegen ­dabei zwei Annäherungskomponenten zugrunde, die sich letztlich auch als methodisches Grundmuster beschreiben lassen. Die erste Komponente ist ausgerichtet und interessiert an einer lebensweltlichen Untersuchung und Beschreibung des Unter­ suchungskontextes. Hier nimmt Designforschung einen eher objektiv-passiven Blickwinkel ein, indem sie fragt, wie es sich mit den Dingen verhält, und dabei vorwiegend deskriptiv agiert. Überdies verfügt Design aber stets auch über das Interesse und ebenso über die Kompetenz, „projektiv“ zu agieren.8 Also nicht nur zu fragen, was ist, sondern: Was wäre, wenn? Somit kann als zweite Komponente die inter­venierende Perspektive genannt werden: Bedingt durch die Generierung echter, faktischer Prototypen sowie deren Implementierung in reale Alltagsumgebungen, ergibt sich ein vorrangig subjektiv-aktiver9 Blickwinkel durch und für die Designforschung. Dieses Grundmuster einer inklusiven Designforschung – untergliedert in eine Komponente der lebensweltlichen Beobachtung und in eine intervenierende Komponente – ist für die im Anschluss beschriebenen und diskutierten Fall­studien ­maßgeblich. Die Annäherung an die jeweiligen Lebenswelten „Betroffener“ ist gerade für Design von Bedeutung. Im Fokus der Untersuchung stand dabei insbesondere: die Nutzung der Dinge. Ein besonderes Augenmerk lag also auf der Frage, wie Menschen mit Behinderung bestimmte Alltagshandlungen vollziehen und Alltags­ gegenstände nutzen. Und zwar sowohl Gegenstände, die explizit für bestimmte Behinderungskontexte gestaltet wurden (z. B. assistive Geräte und Technologien), als auch solche, die nicht explizit für Behinderungskontexte gestaltet wurden, sondern von betroffenen Nutzerinnen und Nutzern auf bestimmte Art umgenutzt, umfunktioniert oder zweckentfremdet werden. Denn anhand von faktischen Aneignungen, Umnutzungen und Neukontextualisierungen durch Nutzende lässt sich einerseits viel über Missstände und Potenziale gestalteter Dinge (eben auch im Behinderungskontext) aussagen.10 Zum anderen können sie als Ausgangspunkt für neue, adäquatere Gestaltungen dienen.

TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN  099

Diese Perspektive ist für die Designforschung insofern von Bedeutung, als dass sie der Frage nachgeht, welche Rückschlüsse eine Behinderungserfahrung solcher Dinge für die Gestaltung erlaubt, die von der Mehrheit derer abweicht, für die sie geschaffen wurden. Leitfragen hierzu könnten beispielsweise lauten: Nutzen Menschen mit bestimmten Behinderungen bestimmte Dinge anders als Nicht-Behinderte? Und kann man aus dieser Anders-Nutzung Rückschlüsse ziehen und in eine adäquatere Gestaltung dieser Dinge einfließen lassen? Lassen sich also aus der Beobachtung und Analyse solcher Um-/Anders-Nutzungen (bessere) Produktlösungen generieren? Und zwar sowohl für Behinderte also auch für Nicht-Behinderte? All dies würde schließlich bedeuten, Nutzungsbarrieren erkennen, benennen und abbauen zu können. Die lebensweltliche Ergründung solcher Zusammenhänge steht dabei unweigerlich in Zusammenhang mit einem „Expertentum des Alltags“ und der damit verbundenen Rolle von „Alltagsexperten“ im Zuge der Demokratisierung von Forschungs- und Designprozessen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen durch ihre Alltagshandlungen ein Erfahrungswissen generieren (können), welches die Kenntnisse und Fokusausrichtungen von Designern und Forschenden häufig übersteigt. Gerade das praktische Wissen,11 das sich insbesondere im Umgang mit Alltagsgegenständen ausprägt, kann daher für die Analyse bestehender ebenso wie für die Konzeption neuer Gestaltungen von Nutzen sein. Auf die Frage, welche Rückschlüsse sich aus etwaigen nicht-intendierten ­Nutzungsweisen12 von Dingen durch Menschen mit Behinderungen ziehen lassen, können (und sollten) somit vor allem diejenigen Auskunft geben, die es betrifft. Nachdem die in Kapitel 1 dargelegten Zusammenhänge von Gestaltung und Behinderung vorwiegend aus Designperspektive erläutert wurden, soll nun der Fokus auf die entgegengesetzte Perspektive gerichtet werden. Hierbei geht es vor ­allem um die Blickrichtung potenzieller und tatsächlicher Adressaten. Die in den folgenden Unterkapiteln beschriebenen Fallstudien sind somit insbesondere auf die Frage ausgerichtet, welche Rolle die Kategorie Behinderung und die Perspektive Behinderter bei der Entwicklung von innovativen Produktlösungen spielen kann und welche positiven Auswirkungen auf Inklusion sich daraus ergeben können. Diesem Perspektivwechsel liegt folgendes Gedankenspiel zugrunde: Ein ­lediglich auf Mehrheiten ausgerichtetes Design verstärkt letztlich die Exklusion damit korrespondierender Minderheiten. Nähme man stattdessen die ­Perspektiven (Lebensweisen, Fähigkeiten, Anforderungen, Wünsche) solcher Minderheiten als Maß aller Dinge, so ließen sich die zuvor beschriebenen Exklusionserfahrungen womöglich abmildern. Die beiden Fallstudien und die Erprobung im der Designlehre werden im ­Folgenden ausführlich dargelegt. Zur besseren Einordnung der unterschiedlichen Designphasen, die hierbei behandelt werden, erfolgt in deren Erläuterung stellenweise eine begriffliche Unterteilung in Analyse-, Projektions- und Synthesephasen.13

100  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

Insgesamt sollen die Fallstudien als Versuch gelten, herauszufinden, wie sich die Rollen „Betroffener“ im Gestaltungsprozess und anhand von Gestaltungsresultaten anders interpretieren lassen. Im Fokus stehen dabei gleichermaßen technische, soziale und gestalterische Komponenten sowie deren Bezug zu einem Verständnis von Inklusion.

3.1  Fallstudie I: „Deaf Jam“ Partizipative Designprozesse mit Gehörlosen und Hörbehinderten Ausgehend von der Frage, wie einer Verobjektivierung von „Betroffenen“ in und durch Designforschung entgegengewirkt werden kann, wurde im Rahmen der ersten Fallstudie eine aufeinander aufbauende Reihe partizipativer Design-Workshops mit Gehörlosen und Hörbehinderten durchgeführt. Der Workshop-Reihe ging eine Befragung von acht primär und vier sekundär Betroffenen voraus.14 Die Befragung erfolgte in Form von Fokusgruppendiskussionen,15 qualitativen Interviews und Interviews im Kontext,16 in deren Rahmen die jeweiligen Personen in real-­ lebensweltlichen Situationen zu regulären Tätigkeiten befragt wurden, während sie diese verrichteten. Ziel war es, spezifische Herausforderungen im Alltag sowohl in Bezug auf die Kommunikation mit anderen Menschen, als auch in Bezug auf die Nutzungs­weisen und mögliche Zugangsbeschränkungen vorhandener Kommunikations- und Informationstechnologien und -geräte aufzuspüren. Die Ergebnisse der ­Befragung dienten als Grundlage für die partizipativen Workshops. Ziel dieser Formate war die gemeinsame Erörterung von Merkmalen, Herausforderungen und Potenzialen der Gehörlosen-Kommunikation, insbesondere mit Blick auf eine auf die Maßstäbe einer hörenden Mehrheit ausgerichtete Welt gestalteter Umgebungen. Ausgangspunkt war dabei das Kernprinzip des Participatory Design: die ­gemeinsame Erörterung und Entwicklung von Ideen, Konzepten L ­ ösungsvisionen und alternativen Szenarien für fiktive17 Produkte oder Services. In diesem Fall mit Hinblick auf Anforderungen an Kommunikation und damit verbundene Tech­ nologien. Der partizipative Ansatz, die Teilnehmenden zu Co-Designern ihrer eigenen „Produkte“ zu machen, basiert somit auf dem Prinzip, sie nicht als passive, „beforschte“ Objekte zu begreifen, sondern als Experten ihres eigenen Kommunikationsverhaltens und ihres Alltagswissens aktiv und auf Augenhöhe in den Forschungsprozess mit einzubeziehen. Inhaltlich und methodisch wurde die Fallstudie in drei Phasen unterteilt. Startpunkt für die Reihe partizipativer Workshop-Formate mit Gehörlosen, den Deaf Jams18, war das sogenannte Deaf StreetLab (Kapitel 3.1.1), welches in den in­frastrukturellen Rahmen des an späterer Stelle noch erläuterten StreetLabs

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  101

­implementiert werden konnte. Das Deaf StreetLab diente insbesondere der ersten Themenannäherung sowie einer ersten Ideengenerierung und ging somit den Deaf Jams als Analyse- und Projektionsphase voran. Es folgten das Workshop-Format Deaf Jam I (Kapitel 3.1.2), welches speziell die Generierung und Evaluierung von Ideen und Konzepten im Blick hatte. Und schließlich das Format Deaf Jam II (Ka­ pitel 3.1.3.), bei dem es um die Konzeptionalisierung und Synthese der zuvor gesammelten Ergebnisse in eine funktionsfähige technische Lösung ging.

3.1.1  Deaf StreetLab: Workshop-Format zur Themenannäherung und Ideengenerierung Als Setting für den ersten partizipativen Gestaltungsprozess mit einer Gruppe Gehörloser19 wurde die Infrastruktur des in Kapitel 3.3.3 noch ausführlich erläuterten StreetLabs20 genutzt, welches als offene Werkstatt über eine adäquate Ausstattung an Materialen, Werkzeugen sowie Diskussionsräumen und Arbeitsmöglichkeiten verfügte. Als offenes Living Lab21-Format konnte das StreetLab durch die mehrwöchige Beschäftigung rund um die Themen Informations- und Kommunikationstechnologie und soziale Interaktion, die zum Teil ebenfalls in partizipativen Prozessen mit Jugendlichen aus der Umgebung stattfanden, einen inspirativen Rahmen bieten. Das Deaf StreetLab22 erfolgte in beratender Abstimmung mit dem Gehör­ losenverband Berlin e. V. (GVB) / Deaf Berlin. Als Partner fungierte die Sinneswandel gGmbH,23 welche das Deaf StreetLab in das Sommerferienprogramm ihres Kinderund Jugendclubs implementierte und somit auch für die Teilnehmenden-Akquise sorgte. Im Vordergrund standen zunächst Besonderheiten und Alltäglichkeiten der Gehörlosenkommunikation innerhalb der Gehörlosengemeinschaft24 sowie Fragen im Hinblick auf Herausforderungen für Gehörlose innerhalb einer hörenden Mehrheitsgesellschaft. In diesem Zusammenhang erfolgte ferner eine Annäherung an das nicht zuletzt medial verbreitete Bild von Behinderung als defizitärer Dauerzustand der Depression und Mutlosigkeit. Dieses wurde von der Gruppe klar verneint, was sich auch während einer gemeinsamen, allgemein formulierten Auflistung an „­positiv-“ und „negativ-“Aspekten der Gehörlosigkeit widerspiegelte.25 Die Aufzählung an „Vor-“ und „Nachteilen“ hielt sich dabei in etwa die Waage.26 Aus den Aufzählungen und den damit verbundenen Diskussionen ging klar hervor, dass Negativfaktoren insbesondere in Zusammenhang mit externen Einflüssen stehen, wie z. B. der gesellschaftliche Umgang mit „Andersartigen“, Vor­ urteile sowie erschwerte Zugänge vor allem im Bereich der Informationskanäle, Kom­munikationsabläufe oder Wissensquellen. Es wurde schnell deutlich, dass es sich bei einem Großteil dieser Barrieren um (soziale, kulturelle, technische oder objektbezogene) Gestaltungsfragen ­handelt,

102  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

4  Der „3-D-Trans­lator“ übersetzt eingehende, lautsprachliche Telefonate in Gebärdensprache. Und kann überdies in weiteren Alltagssitua­ tionen, etwa beim Ein­ kaufen, der Über­setzung ­dienen.

was einer weit verbreiteten Ansicht – die körperliche Beeinträchtigung selbst sei das Problem – entgegensteht. Ausgehend von der im Rahmen des Workshops thematisierten Frage, inwiefern sich nicht nur Schwierigkeiten in Kommunikationsabläufen, sondern letztlich auch daran geknüpfte Normvorstellungen und gesellschaftliche Konventionen umgestalten lassen, wurden im nächsten Schritt anhand von fiktiven Kommunikationsgeräten alternative Szenarien entwickelt und prototypisch umgesetzt, das heißt in Form von dreidimensionalen, symbolischen, handwerklich hergestellten und konzeptionell erläuterten Gegenständen dargestellt. Die Ausarbeitung der Prototypen27 erfolgte mithilfe einer Auswahl an bereitgestellten Materialien und Werkzeugen. Bei der Zusammenstellung des Materials wurde darauf geachtet, eine möglichst große Bandbreite an materieller (hart, weich, kalt, rau, sauber, glatt, flexibel etc.), funktionaler und farblicher Beschaffenheit zur Verfügung zu stellen.28 Ungeachtet dessen, inwieweit die konzipierten Entwürfe tatsächlich realisierbar wären, konnten so vielseitige Ergebnisse erarbeitet werden. In einigen Prototypen wurden experimentelle Ansätze der taktilen Kommunikation verarbeitet, etwa durch haptische Oberflächen, die je nach bestimmten Parametern (etwa Umgebungskontext, Gesprächspartner, Art des übermittelten Inhalts, Stimmungslage) Form und Struktur verändern sollen. In anderen wurde die Übersetzbarkeit von Gebärden- in Laut- oder Schriftsprache (und umgekehrt) thematisiert. So bauten gleich zwei Teilnehmerinnen einen „3-D-Translator“, in denen Gebärdendolmetscher in Form von symbolisch animierten Puppen oder Knetfiguren in die Geräteinterfaces integriert waren.

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  103

5  Information ­begreifbar machen: mit haptischen Displays und formverändernden Benutzeroberflächen.

Wiederum andere Teilnehmer thematisierten mithilfe ihrer Prototypen Alltagsphänomene, die über das Gebiet der Kommunikation hinausgehen und doch eng an sie gekoppelt sind. So entwarf eine Teilnehmerin einen Prototyp, ­dessen Hardware-bezogene Raffinesse darin bestand, als Zigarettenhalter bzw. Aschen­ becher zu dienen (Abb. 6). Dieses Konzept stand in unmittelbarem Zusammenhang mit einem der zuvor aufgezählten und häufig bestätigten „Negativ-Phänomene“ insbesondere rauchender Gebärdensprachler, die sich beim Gebärden mit brennender Zigarette in der Hand schon des Öfteren verbrannt hatten. Ein weiterer Prototyp brachte den Konflikt der beidhändigen Gebärdenkommunikation im Zusammenhang mit mobilgerätlicher Telekommunikation auf den Punkt: Das „HangUp“ Phone, auf plakative Art mit dem Haken eines Kleiderbügels versehen, soll dabei behilflich sein, dass Gehörlose beim Video-Chat beide Hände zum Gebärden nutzen können. Auf der sprachsymbolischen Ebene verbindet die Bezeichnung dieses Prototyps mehrere Assoziationsebenen: Zum einen bezieht er sich auf die Tätigkeit, etwas aufzuhängen. Zum anderen auf die im (zumindest deutschen, verbalsprachlichen) Sprachgebrauch immer noch bestehende Redewendung zum Beenden eines Telefonats („aufhängen“). Und schließlich auf die englische ­Bezeichnung für „Kleiderbügel“. Die im Deaf StreetLab vollzogene Themeneruierung diente als Ausgangspunkt für zwei weitere Workshop-Formate partizipativer Gestaltung im Gehörlosenkontext: den sogenannten Deaf Jams. Das erste Format Deaf Jam I war dabei konzipiert als solches zur Analyse, Ideengenerierung und Evaluierung. Deaf Jam II diente der darauf aufbauenden Projektion von Szenarien sowie der handfesten Konzeption möglicher Produkt- und Servicelösungen anhand von Video-Prototypen und einer eigens entwickelten mobilen Android App (Synthese).

104  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

6  Das Handy als Aschen­ iner becher: Neben e Bluetooth-Übertragung von Untertiteln an laufende TV-Geräte oder ­Kinofilme sowie zwei Kurzwahl-Buttons für Notrufe, verfügt dieses Modell über zwei integrierte Zigarettenhalter.

3.1.2  Deaf Jam I: Workshop-Format zur Ideengenerierung und Evaluierung Aufbauend auf den Erfahrungen, gewonnenen, Einblicken und Themensammlungen im Zuge des Deaf StreetLabs, hatte das Workshop-Format Deaf Jam I die gemeinsame Ideengenerierung und -evaluierung zum Ziel.29 Zuvor gesammelte ­Themenfelder und Kategorien wurden hier spezifiziert, Ideen entsprechend gefiltert. Im Fokus stand dabei die persönliche Erfahrung der Teilnehmenden mit existierenden technologischen Geräten und Services rund um mobile Kommunikation. Hierbei spielte es eine nur untergeordnete Rolle, ob es sich um sogenannte „assis­tierende“ oder um gängige, also auf die Nutzung durch die Mehrheitsgesellschaft ausgerichtete Technologien und Produkte handelte.30 Im Vordergrund standen die Kommunikation von Gehörlosen untereinander, die Kommunikation mit Hörenden sowie generelle Herausforderungen im Bereich der Informations­ aufnahme und -übermittlung. Daraus wurden gemeinsam sechs Themencluster abgeleitet, die die Teilnehmenden als besonders relevant für ihr Alltags- und Berufsleben erachteten: • • • • • •

Informationsbeschaffung Kommunikation und Beruf/Uni Kommunikation und Freizeit Kommunikation in Gruppen Kommunikation im öffentlichen Raum Kommunikation und Privatheit

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  105

7  Das Modell „­HangUp“ greift die An­forderung zur freihändigen Kommunikation von sowohl Gehörlosen als auch Hörenden auf.

Diese sechs Themencluster wurden zusätzlich abgeglichen mit – als solchen empfundenen – Vor- und Nachzügen der Gehörlosenkommunikation. Einem häufig genannten Beispiel zufolge könne es z. B. durchaus von Vorteil sein, sich als Gehörloser mit einem anderen Gehörlosen innerhalb einer Gruppe von Hörenden zu verständigen, ohne dass diese Gruppe mitbekommt, worum es geht. Andererseits sei eine private Kommunikation „unter vier Augen“ schwierig, sobald sich noch ­weitere Gehörlose in der Gruppe befinden. Hier rückten zunächst die herausragenden Charakteristika der Kommunikation Gehörloser ins Zentrum des Interesses, und darin speziell solche Aspekte, die aus Sicht der Hörenden31 als „besonders“32 erscheinen. So z. B. die Möglichkeit einer hohen Informationsdichte aufgrund der visuellen Parallelität unterschiedlicher manueller Parameter (Handform, Handstellung, Ausführungsstelle, Bewegungsdichte) und nicht-manueller Parameter (Mundbild, Blickrichtung, ­Gesichtsausdruck, Kopfhaltung, Oberkörperstellung).33 Als weiteres Beispiel wurde die Möglichkeit thematisiert, Gespräche unabhängig von der umgebungs­ bezogenen Lautstärkensituation zu führen. Des Weiteren wurde die Kommunikation über (Sichtweiten-)Distanz thematisiert. Und schließlich die mögliche Aufmerksamkeitskontrolle dahingehend, dass der/die Gesprächspartner/in auch tatsächlich aufnimmt, was man ihm/ihr mitteilt. Aspekte wie diese dienten als Grundlage, um im späteren Verlauf der Deaf Jams anhand von visuellen oder dreidimensional-haptischen Experimenten in Form von Papier- oder Video-Prototypen weiteren Fragen und Lösungsansätzen nachgehen zu können. Die Kernaufgabe bestand dabei darin, aus den genannten Charakteristika relevante Rückschlüsse zu ziehen, die für die Entwicklung zukün­ftiger

106  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

8  Schwierigkeiten und „Überlegenheiten“ der Gehörlosen­ kommunikation in oder gegenüber einer an die Anforderungen einer hörenden Mehrheitsgesellschaft ausgerichteten ­Lebenswelt. Themen Clusterbildung unterschiedlicher ­Relevanzbereiche als Grundlage für Gestaltungszenarien.

­ nwendungen im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion neue Perspektiven A ­aufzeigen können. Sei es, um damit Nutzerbedürfnisse von Gehörlosen zu adressieren oder die von Hörenden. Oder idealerweise die beider Gruppen. Ein Beispiel hierfür ist die Eigenschaft, im Rahmen gebärdensprachlicher34 Kommunikation Begriffe, die in einer Gesprächs- oder Erzählsituation von Bedeutung sind (das heißt öfters in der Erzählung vorkommen), im Gebärdenraum referenzieren zu können, das heißt, sie im dreidimensionalen Raum an bestimmten Positionen imaginär zu hinterlegen („Objektreferenzierung“). Hierbei können theoretisch beliebig viele Referenzen festgelegt und zugeordnet werden, die bei Bedarf wieder abgerufen werden können. Im Verlauf einer Erzählung, in der beispielsweise ein Auto und ein Buch vorkommen, können diese beiden Begriffe eingangs eingeführt und erläutert und nach der Begriffsnennung mithilfe einer Zeigefingerbewegung an einer bestimmten Stelle im Gebärdenraum platziert werden. Der Erzähler oder die Erzählerin braucht dann im weiteren Gesprächsverlauf die besagten Begriffe nicht immer erneut zu wiederholen, sondern lediglich auf die zuvor definierten Positionen zu deuten, sodass die Gesprächspartner wissen, um welchen Begriff es geht. Es handelt sich hierbei also um eine Form eines temporären Effizienz-Einverständnisses ­zwischen Konversationspartnern (bzw. zwischen Vortragendem und Zuhörenden), die sich situativ auf bestimmte begriffliche Platzhalter einigen, die lediglich für die ­momentane Gesprächssituation Gültigkeit besitzen. Auf die gleiche Weise können auch Beziehungen zu Dingen (oder Personen) untereinander hergestellt und angezeigt werden, etwa wenn zwei Dinge/Personen repräsentativ nah zueinander platziert werden und ein drittes Ding/eine dritte

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  107

9  Objektreferen­zierung als „virtuelle Platzhalter“

­ erson deutlich weiter weg von ihnen. Auch Hierarchien lassen sich durch unter­ P schiedliche Anordnungs­höhen anzeigen und benennen oder Pro- und Contra-­ Argumente in bestimmten Bereichen subsumieren. Es liegt auf der Hand, dass entsprechende Implementierungen solcher narrativen Raumkonzepte nicht nur Anwendungsoptionen für gehörlose Nutzer eröffnen. Ein individuell definier- und verhandelbares Effizienz-Einverständnis zwischen Nutzendem und digitalem Steuersystem bietet generell nutzerübergreifende Anknüpfungsmöglichkeiten im Bereich gestenbasierter Interfaces. Auch für Hörende, die anstelle eines Buches oder Autos vielleicht gern die Foto Library, eine bestimmte Software oder einen Steuerungsbefehl „links vorne“ platzieren möchten.35 Ein ähnliches Beispiel findet sich bei der Darstellung zeitlicher Aspekte mittels eines räumlichen Konzepts. So lassen sich zeitliche Zuschreibungen etwa auf einer körperzentrierten Horizontalebene darstellen, wobei Aspekte der Zukunft vor dem eigenen Körper, Aspekte der Vergangenheit hinter dem eigenen Körper und gegenwartsbezogene Aspekte in unmittelbarerer Körpernähe artikuliert werden. Aspekte wie diese wurden im späteren Verlauf der Deaf Jams von den Teil­ nehmenden anhand von selbst gebauten „Prototypen“, das heißt haptisch und/ oder visuell erfahr- und erläuterbaren Designkonzepten adressiert. Zur Einleitung der Papier- oder Video-prototypischen Visualisierungsphase und mit Blick auf die Relevanz gebärdensprachlicher Charakteristika für mögliche Implementierungs- und Gestaltungsansätze für Mensch-Maschine-Schnittstellen wurden von der Gruppe dabei folgende Aspekte als untersuchenswert eingestuft (vgl. Koller 2009, 32–33): • • • •

Referenzieren von Objekten und Personen im Gebärdenraum Aufgliederung des Gebärdenraums in Bewertungskategorien zeitliche Konzepte im Gebärdenraum Projizieren des Gebärdenraums36

108  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

• • • •

Gebärdenbezogene Stimmgewalt („laut“; „leise“) Rollenwechsel37 Klassifikatoren (Objekt Platzhalter)38 Temporalaspekte39

Im Anschluss an die Ergründung möglicher Transferpotenziale in den Bereich der Hörendenkommunikation wurde zunächst jedoch ein gesonderter Fokus auf die ­Limitationserfahrungen von Gehörlosen in Bezug auf Kommunikation gelegt. Insbesondere die für die visuelle Kommunikation Gehörloser charakteristischen Limitationen wurden daraufhin jeweiligen Kontexten und Ursachen zugeordnet, was zugleich als Ausgangspunkt für mögliche gestalterische Lösungs­ansätze diente. Die neben Aspekten der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen am häufigsten eruierten Themenfelder bezogen sich dabei auf Aspekte der barrierebehafteten Gestaltung technischer Zugänge sowie auf Sicht-Aspekte (mitunter durch das Medium selbst eingeschränkt). Zu den gestalterisch tendenziell adressierbaren Herausforderungen wurden dabei folgende Aspekte identifiziert:40 • • • • • • • • • •

• •

wechselnde Lichtverhältnisse (speziell: Dunkelheit) stark auditiv orientierter Kommunikationsfluss (z. B. Lautsprecher Durchsagen, Alarm) Kommunikation erfordert Blickkontakt. regionale Unterschiede im Sprachgebrauch (Dialekte) mangelnde Privatsphäre beim Dolmetschen gleichzeitig Zuhören und Aufschreiben (z. B. in Uni-­ Vorlesung) Mangel an Echtzeitkommunikationsmitteln41 mangelhafte Ergonomie bei Videokommunikation sowie geringe Bildqualität fehlende Indikatoren bezüglich des momentanen Redners bei Gruppendiskussionen (Wer spricht gerade? Wo sitzt der-/ diejenige?) Exklusion bei passiver Kommunikation42 Notfallkommunikation43

Diese gestalterisch tendenziell adressierbaren Herausforderungen stellten den Ausgangspunkt für die darauffolgenden Co-Design Sessions dar.44 Ähnlich wie auch schon beim Deaf StreetLab, wurde hier Wert darauf gelegt, dass es sich bei den gebauten Prototypen nicht zwangsläufig um realistische bzw. realisierbare Produkte handeln musste. Auch sollte keine Rolle spielen, ob es sich um technische Geräte handelt (z. B. im Bereich der mobilen Kommunikation) oder um die symbolisch-­metaphorische Visualisierung möglicher (oder unmöglicher) Services.

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  109

10  Links: Der „Deaf Mirror“, ein verstellbarer Spiegel zur Videotelefonie beispielsweise mit Beifahrern im Auto. Rechts: Das „Snake Phone“ verfügt über ­einen flexiblen Kamera-Arm. Es lässt sich ­einfach aufstellen oder – ähnlich wie der zuvor erwähnte „HangUp“ – auch aufhängen und dient in dieser Kombination der „freihändigen“ gebärdensprachlichen Video-Kommunikation.

11  Analytische Funktionsbeschreibungen der co-designten Prototypen

110  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

Der ­bewussten Abkehr von einer allzu sehr auf Mobil-Technologie bezogenen Herangehensweise lag die Erfahrung aus vorangegangenen Projekten zugrunde, dass sich Teilnehmende dann allzu sehr auf bereits bekannte, bestehende Produkte und deren Funktionen beziehen würden. Handwerkliche Raffinesse und Ausarbeitung sollten ohne Belang sein, und im Vordergrund sollte die zugrunde liegende Idee oder das thematisierte Problem ­stehen. Die Umsetzung durfte bewusst „schräg“, „verrückt“, „poetisch“, „verträumt“, „lustig“ oder „seltsam“ sein. Was nicht bedeutet, dass daraus keine ernst zu nehmenden Konzepte entstanden oder entstehen durften. Im Gegenteil: G ­ erade in den sich während und nach den Co-Design-Sessions ergebenden Gruppen- und Einzel­gesprächen zeigte sich ein gruppenübergreifendes, reflektiertes Problemund ­Potenzialbewusstsein. Die Kernaufgabe im darauffolgenden Projektverlauf (Deaf Jam II) bestand nun darin, die Relevanz und Umsetzbarkeit einzelner Konzepte zu prüfen, sie mit Hinblick auf den iterativen Evaluationsprozess kommunizier- und erfahrbar zu machen sowie in der inhaltlichen Konzeption weiter auszugestalten.

3.1.3  Deaf Jam II: Workshop-Format zur szenariobasierten Konzeptionalisierung und videoprototypischen Projektion, Evaluierung sowie Synthese in eine funktionsfähige technische Lösung Ausgehend von den Erkenntnissen und Ergebnissen aus Deaf Jam I, galt es im ­dar­auffolgenden Workshop-Format Deaf Jam II,45 mögliche Lösungsansätze zu­ ­generieren, Konzepte zu entwickeln und diese szenariobezogen zu evaluieren. Der Schwerpunkt in der Konzeptionalisierung lag darauf, Produkt- und Servicelösungen zu entwickeln, die einerseits dabei behilflich sein können, die zuvor ­genannten ­Limitationen und Herausforderungen der Gehörlosenkommunikation zu adressieren, und andererseits die Kommunikation Hörender um verschiedene Aspekte zu erweitern.46 In einem gemeinsamen Evaluationsverfahren mit den Teilnehmenden wurden aus einer Vorauswahl von 24 Konzepten zwölf zur weiteren Ausarbeitung aus­ gewählt. Hauptkriterien in diesem Auswahlverfahren waren die Realisierbarkeit, Originalität des Konzepts, Schlüssigkeit des Umsetzungsplans, Zielgruppen­ relevanz sowie die Universaliät des Ansatzes (zielgruppenübergreifende Relevanz). Anhand dieser Kriterien wurden für folgende, stark verbreitete Alltagsherausforderungen u. a. diese Konzepte ausgewählt:

Beispiel 1: Call my Attention Bei nicht vorhandenem oder unterbrochenem Blickkontakt ist eine Kommunikation unter Gehörlosen unmöglich oder wird stark erschwert. Das Konzept „Call my Attention“

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  111

(Abb. 12, links) sieht vor, Mobiltelefone ähnlich einer Fernbedingung auf Personen im unmittelbaren Blickwelt zu richten, deren eigenes Mobiltelefon daraufhin vibriert und die Position des Senders anzeigt.

Beispiel 2: Look who’s talking (Auditory Compass) Bei öffentlichen Veranstaltungen (wie z. B. Vorlesungen, Vorträgen) erhalten Gehörlose häufig Unterstützung durch Schriftdolmetscher, die das lautsprachliche Geschehen festhalten. Handelt es sich um eine Veranstaltung mit vielen ­aktiven (das heißt ins Diskussionsgeschehen eingreifenden) Teilnehmenden, kann man dabei schnell den Überblick verlieren, welche Person welchen Redebeitrag leistet und auf welche vorherigen sie sich dabei bezieht. Das Konzept „Look who’s talking (Auditory Compass)“ (Abb. 12, mitte) sieht vor, mittels – am Mobiltelefon befindlicher Mikrofone – bestimmte Lautstärkenquellen anhand der größten Amplitude zu orten.47 Das Ortungsergebnis ließe sich dann auf dem Handy-Display visualisieren, sodass der oder die gehörlose Nutzer oder Nutzerin weiß, aus welcher Richtung ein aktueller Wortbeitrag gerade kommt.



Beispiel 3: Subtitle Extension Ein weiteres Konzept bezieht sich auf Herausforderungen im Kontext von untertitelten TV-Sendungen. Denn häufig lassen diese die gehörlosen Zuschauer über bestimmte Meta-­ Informationen, wie beispielsweise den Lautstärkenpegel des gezeigten Bildkontextes, im Unklaren (z. B. Tür knallt laut zu; Person nähert sich mit leisen Schritten; Geschrei wird langsam leiser etc.). Mithilfe einer „Subtitle Extension“ (Abb. 15, rechts) könnten ergänzend zur rein textbasierten Unter­titel-Anzeige auch Lautstärkepegel angezeigt werden. Alternativ ließen sich Untertitel in Farbe, Größe oder Schrifttype ver­ändern, um unterschiedlich laute Sound- und Text-­ Infor­­ mationen entsprechend zu visualisieren (vgl. Koller 2009, 33–39).

In einer weiteren Iterationsstufe wurden sämtliche Konzepte eingehend mit den Teilnehmenden des Deaf Jams diskutiert und einer weiteren Evaluation unter­zogen. Als Diskussionsgrundlage und zur besseren Veranschaulichung wurden hierzu ­Illustrationen angefertigt48 sowie kurze, einfach produzierte Video-Clips49 zur Hilfe gezogen. Bezogen sich die Evaluationskriterien im ersten Schritt noch auf Fragen

112  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

12  Illustrationen als ­Diskussionsgrundlage zur weiteren Ausarbeitung der Konzepte: „Call my Attention“, „Look who’s talking“ (Auditory Compass), „Location-­ based Info Service“.

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  113

13  „2-layered Display“, „Alert Recognition“, „­Synthetic Lipmovement“

114  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

14  „Content Alerts“, „­Fingerspell Text Input“, „Sign Recorder“

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  115

15  „Attention ­Control“, „Didactic Tool“, „Subtitle Extension“

116  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

der möglichen User-Experience, so wurden im nächsten Schritt verstärkt auch Fragen zur technischen Machbarkeit in Betracht gezogen. Im Falle des Konzeptes „Call my Attention“ waren dies beispielsweise Fragen bezüglich der geografischen Positionsbestimmungen, der Identifizierung der Zeigerichtung sowie der generellen ­Verbindungsaufnahme der beteiligten Geräte.50

Use Cases Basierend auf den Ergebnissen dieser Evaluationsphase wurden abermals sechs der Konzepte (entsprechend verfeinert) zur weiteren Ausarbeitung ausgewählt. Diese wurden daraufhin konzeptionell weiter ausgearbeitet und als Use Cases51 in Form von Videoprototypen52 veranschaulicht. Bevor sie anschließend53 erneut mit den Teilnehmenden in Augenschein genommen wurden, waren im Rahmen von zwei Experten-Workshops mit Forschenden und Entwicklern der Technischen Universität Berlin technische und funktionale Details geklärt worden. Überdies konnten im Rahmen von Fachvorträgen auf drei relevanten Tagungen insgesamt 87 Kommentar­ bogen zu den vorausgewählten Konzepten verteilt und ausgewertet werden, deren Ergebnisse in den weiteren Entscheidungsprozess mit einflossen.54 Im Folgenden werden fünf der sechs Konzepte kurz dargestellt (vgl. Koller 2009, 34–39). Dem sechsten Konzept – der mobilen Applikation „Call my Attention“ – wurde in der gemeinsamen Evaluation gleichermaßen eine hohe Relevanz und Machbarkeit attestiert, weshalb sie anschließend tatsächlich umgesetzt, also entwickelt wurde. Dieses sechste Konzept wird daher im Anschluss ausführlicher beschrieben.

Konzept 1: „Watch & Write / 2-Layered Display“ Möchte sich ein gehörloser Mensch während eines Vortrags Notizen machen, so muss er dies tun, ohne auf sein Blatt (und das Geschriebene) zu schauen, um weiterhin die vortragenden Personen im Blick behalten zu können. Er steht also vor der Wahl, entweder „blind“ zu schreiben oder Teile des Vortrags zu verpassen.55 Das Konzept „Watch & Write“ greift diesen Umstand mithilfe eines „zweischichtigen“ Displays56 auf: Die vortragende Person kann mithilfe einer Handy-­Kamera gefilmt bzw. ihr Bild auf dem Handy-Display dargestellt werden. Simultan dazu kann der Nutzer auf dem Display Notizen machen, sodass er sowohl den Vortrag als auch das selbst Geschriebene im Blick hat. Mithilfe einer Speicherfunktion lässt sich das Geschriebene in einer separaten Datei hinterlegen. Eine Schrifterkennung wandelt die handschriftlich verfassten Notizen in digitale Druckbuch­staben um (Bieling 2011).

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  117

16  Ausschnitt des ­Video-Prototypen „Watch & Write“



Konzept 2: „Mobile Alert Recognition“ Alarme im öffentlichen oder auch im privaten Raum basieren zumeist auf auditiven Signalen (z. B. Sirene). Selbst wenn sie visuell unterstützt werden, so werden sie von Betroffenen (z. B. Hörbehinderten) häufig nicht wahrgenommen, wenn deren Blick gerade abgewandt ist. Das Konzept „Mobile Alert Recognition“ greift die Fähigkeit von Mobiltelefonen auf, auditive Alarme mithilfe einer Signalerkennung zu identifizieren und den Besitzer unmittelbar darüber in Kenntnis zu setzen. Die Signalerkennung könnte beispielsweise über den Abgleich mit einer zentralen Datenbank funktionieren, auf der gängige Alarmtöne und -melodien hinterlegt sind.57

17 Ausschnitt des Video-Prototypen „Mobile Alert Recognition“

118  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 



Konzept 3: „EL-BIS“ (Electronic Location-based Information Service) Ein großer Teil der im öffentlichen Raum übermittelten ­Informationen wird ausschließlich auditiv zur Verfügung ­gestellt, ebenso wie ein weiterer großer Teil ausschließlich ­visuell kommuniziert wird. Für Gehörlose können bei einem rein auditiv übermittelten Informationsfluss relevante Informationen verloren gehen, wie z. B. im Falle von plötzlichen Fahrplanänderungen am Bahnhof oder Flughafen. Auch für Hörende ist der auditive Informationsfluss nicht immer von Vorteil. Denn im Zuge der kakophonischen Reizüberflutung, bei der ein Großteil der Informationen für den Einzelnen häufig irrelevant sind, können die Empfänger schnell irritiert sein und sich gestresst oder genervt fühlen. Tatsächlich wich­ tige Informationen laufen dann Gefahr, überhört zu werden, wie z. B. im Falle von andauernden Lautsprecherdurchsagen an Bahnhöfen. In beiden Fällen greift das Konzept „EL-BIS“ (Electronic Location-­based Information Service). Dabei handelt es sich um einen ortsabhängigen Informationsdienst, der für Nutzende von Mobiltelefonen auf Abonnentenbasis funktioniert. Kommt es beispielsweise auf einem Flughafen zu Flugplan­ änderungen und werden diese per Lautsprecheransage durchgegeben, so müssen diese Informationen vom Bereitsteller im gleichen Zuge an den Informationsdienst übermittelt werden, welcher sie seinen Abonnenten ortsbezogen zustellt. ­EL-BIS filtert somit die relevanten Informationen speziell auf die Bedürfnisse seiner Nutzer zu. Der Anwendungsfall sähe dann folgendermaßen aus: Der Käufer eines Flugtickets wird (op­ tional automatisch) zum „Abonnenten“ eines Informations­

18 Ausschnitt des Video-Prototypen „­EL-BIS“

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  119

dienstes, welcher lediglich relevante Informationen für genau diese Flugverbindung sammelt und vermittelt. Wird ein Flug kurzfristig auf ein anderes Gate verschoben und wartet der Fluggast weiterhin am „alten“ Gate, so wird dies vom Dienst erkannt, und der Kunde erhält eine entsprechende Informa­ tionsnachricht auf sein Mobiltelefon.58

Konzept 4: „Sign-to-Text“ Für Gehörlose, deren Erstsprache die Gebärdensprache ist, stellt sich die schriftliche Kommunikation als Fremdsprache dar, deren Grammatik und Wortschatz sich von der eigenen Sprachweise unterscheiden. Das Schreiben und Lesen von (schriftsprachlichen) Texten kann daher mitunter schwierig, fehlerbehaftet und langwierig sein. Versuche, die Gebärdensprache mithilfe von digitalen Technologien und Geräten in Laut- und Schriftsprache zu übersetzen, sind bis dato immer wieder an der Komplexität der Gebärdensprache gescheitert.59 Das Konzept „Sign-to-Text“ konzentriert sich auf das Einhand-Fingeralphabet (Fingersprache, Daktylologie), welches von Gehörlosen ergänzend zur Gebärdensprache, etwa beim Buchstabieren von Eigennamen, verwendet wird. Die Fingersprache kann von Gebärdensprachlern meist zügig geschrieben und gelesen werden. „Sign-to-Text“ ist der konzeptuelle Versuch, die Fingersprache mithilfe von Tracking-­ Verfahren (Bewegungserfassung) in digitale Buchstaben umzuwandeln, um somit Kurznachrichten buchstabierender Weise (z. B. auf mobile Geräte) übermitteln zu können. Hierfür bietet sich das sogenannte Motion Capture Verfahren an, mit dessen Hilfe (Hand-)Bewegungen erfasst und digitale Formate umgewandelt werden können.60 Mithilfe einer Handy-­Kamera ließe sich ein optisches Tracking mit sogenannten Markern einleiten. Dazu muss die Hand des Nutzers, z. B. über einen Handschuh, mit entsprechenden Markern ausgestattet werden. Diese (je nach Aktion und Position) passiven oder aktiven Marker und deren Bewegungsabläufe ließen sich dann mithilfe einer Triangulation (einer geo­ metrischen Methode der optischen Abstand- und Winkelmessung) dreidimensional berechnen.61 Zur besseren Visualisierung sind die Marker für das optische Tracking-Verfahren im Video-Prototypen als verschiedenfarbige Punkte an einem Handschuh platziert. Die KernIdee: Werden beim Tracking zwei orangefarbene, nah bei

120  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

19  Ausschnitt aus dem Video-Prototypen „Sign-to-Text“

­einander liegende Punkte erkannt, so wird dies vom System richtiggehend als Buchstabe „U“ (geschlossene Hand vom Körper weg, Zeige- und Mittelfinger zusammen nach oben, Daumen auf der Handfläche) erkannt.62

Konzept 5: „HangUp“ Video-Telefonie stellt sowohl Hörende als auch Gehörlose ­bisweilen vor Herausforderungen. Gehörlose benötigen beispielsweise beide Hände zum Gebärden, wodurch es schwierig wird, das Handy während des Gesprächs in der Hand zu halten. Auch Hörende können sich bei der Video-Telefonie in bestimmten Bewegungshandlungen gestört fühlen. Etwa, wenn sie gerade dabei sind, beidhändig Hausarbeiten zu verrichten. Mithilfe eines in der Geräte-Hardware implementierten ausfahrbaren Hakens, greift das Konzept HangUp diese Anforderungen zur freihändigen Kommunikation auf und ­adressiert dabei gleichermaßen Gehörlose und Hörende.63

20  Ausschnitt aus dem Video-Prototypen „­HangUp“

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Synthese in eine funktionsfähige technische Lösung Die letzte Iterationsstufe des Deaf Jam II bestand darin, den Übergang von der reinen Konzeptebene und den dazu erstellten Video-Prototypen hin zu einer funktions­ fähigen technischen Lösung zu schaffen. Im Zuge der gemeinsamen Evaluation wurde dem im Folgenden genannten Konzept (Konzept 6: „Call my Attention“) eine gleichermaßen hohe Relevanz und Machbarkeit zugesprochen, weshalb dieses Konzept anschließend umgesetzt, also technisch realisiert wurde.

Konzept 6: „Call my Attention“ (mobile Applikation zur unmittelbaren Kontaktaufnahme zu in Sichtweite befindlichen, befreundeten Personen) Im Zuge des iterativen Forschungs- und Gestaltungsprozesses mit der Gehörlosengruppe wurde der „Call my ­Attention“-Dienst (CMA) als App entwickelt (vgl. Bieling/ Westermann/Joost 2011). Die App basiert auf einem Alltagsphänomen hinsichtlich der unmittelbaren Kontaktaufnahme zu in Sichtweite befindlichen Personen, welches sowohl im Gehörlosenkontext als auch im Alltag von Hörenden weit verbreitet ist. 64 Gehörlosen fällt die Kommunikation über (Sichtweiten-) Distanz vergleichsweise leicht. Grundvoraussetzung hierfür ist jedoch der Blickkontakt. Auch für Hörende kann die unmittelbare Kontaktaufnahme in Sichtweite mit Schwierigkeiten verbunden sein, etwa in lauten oder überfüllten Umgebungen. Die CMA-App greift dieses Problem auf, wobei sie insbesondere Anwendungsszenarien mit akuter Handlungserforderlichkeit bedient, etwa wenn die gewünschte Person gerade in einen Bus steigt. Die App ist dabei so programmiert, dass das Smartphone ähnlich wie bei einer Fernbedienung in die Richtung einer gewünschten Person gehalten werden kann. Nach Betätigung eines dafür vorgesehenen Buttons erhält das Smartphone der anvisierten Person einen Vibrationsimpuls, und die bekommt den Namen und Aufenthaltsort des „Anrufers“ angezeigt. Wie in der grafischen Funktionsbeschreibung (Abb. 21) dargestellt, erfolgt der „Call my Attention“-Prozess in fünf Schritten.

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21  „Call my Attention“ in fünf Schritten. Die App läuft über Java und wurde speziell für das Betriebssystem Android OS entwickelt. Sie greift dabei auf das Android Cloud to Device Messaging (C2DM) zu.

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22  Screenshots der „Call my Attention“-­ App. Das Bild links zeigt den Ausgangs-­ Screen. Durch Drücken auf den Buzz-­ Button bei gleichzeitigem Deuten in Richtung der anvisierten Person wird die beidseitige Lokalisierung und Kontakt­ aufnahme möglich. Das rechte Bild zeigt den Screen der kontaktierten Empfängerperson: Neben dem Namen des „Callers“ und einer Entfernungsangabe wird auch dessen Position angezeigt. Optional kann die genaue Position auch mithilfe des ­Google Maps-Buttons angezeigt werden.

Die Person („Sender“), die an der Kontaktaufnahme interessiert ist, visiert die gewünschte Person („Empfänger“) mit dem eigenen Smartphone an und drückt den in der App dafür vorgesehenen „Buzz“-Button (Schritt 1). Dabei werden die aktuelle Position (die ohnehin periodisch aktualisiert wird) und die Blickrichtung des „Senders“ mithilfe einer Rufanfrage (Call request) an den CMA-Server gesandt. Diese Anfrage enthält die ID des Senders sowie dessen Aufenthaltsort und die Richtung, in die das Smartphone gehalten wird, wobei auf den Geräte-Kompass zugegriffen wird (Schritt 2). Durch regelmäßige Location Updates erhält der CMA-Server Zugriff auf die Aufenthaltsorte (location updates) aller Geräte, bei denen die CMA-App im Hintergrund läuft. Beim Erhalt einer Rufanfrage wird die Datenbank der aktiven Nutzer nach in Buzz-Reichweite befindlichen Personen abgefragt, auf die sowohl die Entfernung und Winkelung des Senders zutreffen, und somit der Empfänger ermittelt (Schritt 3). Der Server sendet über C2DM (Cloud to Device Messaging) eine Nachricht an den „Empfänger“ und übermittelt ihm den Ort und Namen des „Senders“. Zusätzlich erhält der Sender eine Rückmeldung (Feedback) für seine Buzz-Anfrage, sowohl im positiven als auch im negativen Fall (Schritt 4). Die CMA-App des Empfängers löst einen Vibrationsimpuls aus und lässt das Interface der App auf dem Handy-Display erscheinen. Dort bekommt der „Empfänger“ den besagten Aufenthaltsort und Namen des Senders sowie, ausgehend von der eigenen Position, die Richtung (mithilfe der Kompassnadel) und Entfernung des „Senders“ angezeigt (Schritt 5). Die Nutzung dieses Services setzt voraus, dass sowohl Sender als auch Empfänger die CMA-App auf ihrem Smartphone installiert haben und als Benutzer registriert sind. Ferner muss die App im Hintergrund laufen, was sie nach dem erstmaligen Start tut. Ein Abgleich der registrierten Nutzer mit dem eigenen Telefonbuch gewährleistet, dass nur Personen kontaktiert werden können, die einem p ­ ersönlich

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bekannt sind bzw. zu denen ohnehin ein grundsätzlicher Kontakt besteht. Auf diese Weise wird auch vermieden, dass versehentlich unbekannte Personen kontaktiert werden. Die Tatsache, keine komplizierten Anrufe tätigen oder Kurznachrichten verfassen zu müssen kennzeichnet diese App als besonders hilfreich für gehörlose oder hörgeschädigte Nutzerinnen und Nutzer. Doch auch wenn sie ursprünglich im behinderungsbezogenen Kontext konzipiert und entwickelt wurde, bietet sie ebenso viele Anknüpfungspunkte und Nutzungsmöglichkeiten für hörende Menschen. Etwa in lauten oder überfüllten Umgebungen. Anhand dieses Mehrwerts für eine – ursprünglich nicht anvisierte – Mehrheit von Nutzenden verdeutlicht sich abermals das Potenzial für cross-funktionale ­Gestaltungsansätze, also solche, in denen Behinderung nicht als Adressat, sondern als ­Ausgangspunkt des Prozesses fungiert, deren weiterer Verlauf in kontextungebundene Anwendungsgebiete münden kann.65

3.1.4  Reflexion der Fallstudie I Im Rahmen der Deaf Jams hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer (als ­Co-­Designerinnen und Co-Designer) die Gelegenheit, mit gestalterischen Mitteln spekulative, fantasievolle, mitunter provokative, realistische und „unrealistische“ Prototypen von Kommunikationstechnologien zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen, die ihren eigenen Vorstellungen von wünschenswerten, nützlichen und sinnvollen Interaktionsmöglichkeiten entsprachen. Im Vordergrund stand dabei gerade zu Beginn eine freie und ergebnisoffene Herangehensweise, bei der es zunächst weniger darum ging, technisch realisierbare Produkte zu entwickeln, sondern sich von der Frage leiten zu lassen, wie man seine eigene Lebenswelt (Mikroebene) oder auch die „Welt an sich“ (Makroebene) verändern würde, wenn man es könnte. Dass der Aspekt der Gehörlosigkeit dabei eine tragende, aber eben keine ­exklusive Rolle spielte, wurde von den Teilnehmern dankend angenommen und ­einstimmig positiv bewertet. Mit Hinblick auf weitere Workshops dieser Art wurde aus dieser Erkenntnis die Maxime entwickelt, zentrale Aspekte in priorisierter Weise zu thematisieren: An vorderster Stelle steht dabei der Aspekt: „Wie lebst du?“ Davon abgeleitet die Fragen: „Was wünscht du?“ / „Was sind deine Bedürfnisse?“ Und schließlich, daraus abgeleitet, die Frage: „Welche Anforderungen an (z. B. Techno­logie-)Gestaltung ergeben sich daraus?“ Die Bedürfnis-Definition war hierbei weitgehend frei ausgestaltbar, wobei der inklusionsbezogene Themenleitfaden zur ­groben Orientierung diente. Im weiteren Verlauf des Prozesses wurden die dazu formulierten Ideen zu ­prototypischen Designkonzepten konzentriert und wiederum zur Diskussion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gestellt.

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  125

Im Rahmen dieser iterativen Prozesse kam es dabei immer wieder auch zu non-linearen Streckenverläufen. Das bedeutet: Mitunter entstanden Ideen, bevor entsprechende Bedürfnisse diskutiert wurden. Oder es entstanden Diskussionen, die nicht unmittelbar in greifbare Konzepte mündeten. So resultieren auch nicht alle der genannten sechs Konzepte unmittelbar aus zuvor co-designten Prototypen (wie es z. B. beim Konzept „HangUp“ der Fall war), sondern mitunter aus den im Rahmen der Sessions geführten Diskussionen und darin oder zuvor erfolgten Observationen. Die Co-Design-Sessions können somit als Teil einer grundsätzlichen Themeneruierung angesehen werden, die maßgeblich dabei geholfen haben, Probleme, Phänomene und Potenziale im Themenkontext herauszustellen.66 Die enge Zusammenarbeit mit „Betroffenen“ ist dabei auch aus einem ganz pragmatischen Grund unumgänglich. Denn häufig schwingt bei Technologien, die im Behinderungskontext entwickelt werden, die unterschwellige Botschaft mit, Behinderte könnten dadurch (wieder) so leben wie „normale“ Menschen. Dabei werden die tatsächlichen Sichtweisen Betroffener jedoch vielfach außer Acht gelassen. Im Themenkomplex der Fallstudie I – „Gehörlosigkeit und Technik“ – stellt sich explizit die Frage: Haben überhaupt alle Gehörlosen den Wunsch, hören zu können oder Geräusch-Informationen wahrzunehmen? Wäre ein derartiger technischer Fortschritt also in ihrem Sinne? Hat jemand, der noch nie ein Telefon benutzt hat, überhaupt das Verlangen nach Telekommunikation (vgl. Koller 2009, 9)? All dies sind Fragen, die auch mit der individuellen Vorerfahrung der jeweiligen Betroffenen zusammenhängen. Wie z. B. mit der Frage, ob die Person schon immer gehör­ usammenhang los war oder vielleicht erst seit einiger Zeit ist. Auch steht dies in Z mit der Frage, wie sehr sich die jeweilige Person mit bestimmten Maximen der Gehörlosen-Community identifiziert. So weist Koller darauf hin, dass Gehörlose innerhalb der Gehörlosen-Community zu weiten Teilen unein­geschränkt leben, kommunizieren und partizipieren können und demnach an einem Erhalt dieser Gemeinschaft interessiert sind (ebd.). Gerade die Medizinelek­tronik trägt jedoch (etwa durch Hörgeräte oder Cochlea Implantate) dazu bei, dass Gehörlose stärker in einer mehrheitlich auditiv-orientierten Welt agieren können. Bei einigen Mitgliedern der Deaf Community regt sich daher Skepsis gegenüber solchen Technologien, da sie um weitere Marginalisierungen sowie generell um den Erhalt der Gehörlosen-Kultur fürchten. Um also die tatsächlichen Ansichten Gehörloser b ­ ezüglich neu­artiger Technologien besser nachvollziehen bzw. ihre tatsäch­lichen Bedürfnisse besser adressieren zu können, ist ein partizipatives – und emphatisches – Vor­gehen ­unweigerlich. Basierend auf den Beobachtungs- und Befragungsprotokollen sowie den im Rahmen der Workshops entstandenen symbolischen Prototypen, konnten in Fall­ studie I auf diese Weise sechs Konzepte bis zum videoprototypischen Stadium ent­wickelt werden, was wiederum als Grundlage für weitere Evaluationen und Szenario-­Entwicklungen diente.67 Hieraus wurde das Konzept „Call my Attention“

126  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

als gleichnamige App entwickelt, welche sich durch eine hohe Nutzungsrelevanz sowohl in Gehörlosen- als auch Hörenden-Kontexten auszeichnet. Insgesamt konnten durch diesen qualitativen, gestaltungsbezogenen Forschungsansatz neue Perspektiven sowohl in Bezug auf Potenziale für die Inter­ aktionsgestaltung als auch in Bezug auf die partizipative, inklusive und diversitäts-­ orientierte Designforschung und -praxis aufgedeckt, ausprobiert, hinterfragt und entwickelt werden. Im Forschungsprozess (insbesondere von Deaf Jam I) zeigte sich die Auswertung der qualitativen, z. T. vielgestaltigen Daten als aufwendig und nicht immer ganz eindeutig, was zum einen den hermeneutischen Herausforderungen etwa bei der Interpretation und Diskussion co-designter Prototypen, zum anderen den Vermittlungs- und Übersetzungsleistungen angesichts der großen Bandbreite an Teilnehmenden geschuldet ist. Um jedoch die Vielfalt an Ansprüchen, Anforderungen und Bedürfnissen ebenso plausibel wie realitätsnah abbilden zu können, stellt sich diese Verfahrensweise als erforderlich dar. Zumal sich gerade in den iterativen Explorationen und Reflexionen der teils spielerisch-experimentellen Formate fruchtbare Annäherungen an eine diversitätsbewusste Innovationsentwicklung ergaben. In Fallstudie I konnte schließlich gezeigt werden, inwiefern eine partizipative Prozessgestaltung sowie – ganz allgemein – partizipative Gestaltungsprozesse im Behinderungskontext zu neuartigen Gestaltungsansätzen führen können, die ein herkömmliches Zielgruppenverständnis und somit letztlich auch landläufige Normalitätskriterien zumindest hinterfragenswert erscheinen lassen. Das Projekt „Virtuelle Platzhalter“ z. B. ist im Ansatz Ausdruck eines derart ver­ änderten Rollenverständnisses, indem Gehörlose – als Experten der ­non-verbalen Kommunikation – ihr Wissen und ihre Perspektiven in die Entwicklung gesten­ basierter Interfaces in der Kommunikationstechnologie mit einbringen. An Beispie­len wie dem Projekt „HangUp“ wird zudem der Aspekt einer möglichen Übertragbarkeit deutlich: Ähnlich wie eine Schnabeltasse nicht nur die Bedürfnisse Pflegebedürftiger, älterer oder sehr junger Menschen adressiert, sondern auch hilfreich für („nicht behinderte“) Spaziergänger oder Autofahrer sein kann, so geht auch das Projekt HangUp gleichermaßen auf die Bedürfnisse von Gehörlosen und Hörenden ein. So gesehen verdeutlicht die Fallstudie, inwiefern sich Abläufe im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion substanziell durch den Miteinbezug von Aspekten informieren lassen, die (allgemein gesprochen) im Zusammenhang mit bestimmten Behinderungen stehen.68 Überdies ist der Aspekt der (gestaltungs-)prozessübergreifenden Teilhabe von enormer Bedeutung für die Aushandlung von Rollenverständnissen und gesellschaftlichen Hierarchiegefügen. Die Frage „Wer gestaltet für wen?“ – ebenso wie die Frage „Wer forscht über wen?“ – ist maßgeblich darauf ausgerichtet, zu hinterfragen, weshalb und inwiefern bestimmte Gesellschaftsgruppen eher aktive, und andere Gruppen eher passive Rollen im sozialen Gefüge übernehmen bzw. diese zugeschrieben bekommen.

FALLSTUDIE I: „DEAF JAM“  127

Grenzen und Schwierigkeiten der Partizipation Bei aller Euphorie für partizipative Ansätze im Design und der Designforschung sollten mögliche Schwierigkeiten und Grenzen des Partizipativen nicht außer Acht gelassen werden. Eine ausführliche kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Partizipation im Allgemeinen69 findet sich in Markus Miessens Abhandlung über den „Albtraum Partizipation“ (Miessen 2012). Hier wird nicht das Konzept „Partizipation“ an sich infrage gestellt, sondern insbesondere dessen romantische, unkritische und naive Verklärung als Allheilmittel für sämtliche Probleme dieser Welt. Unter Berufung auf Chantal Mouffes politische Theorie70 (Mouffe 2007) wird die Forderung einer konfliktorientierten Auffassung von Partizipation formuliert, in dem das Erkennen und Anerkennen von Dissens eine grundlegende Rolle spielt. Eine Kernbotschaft kann dabei folgendermaßen zusammengefasst werden: Partizi­ pation ist nicht grundsätzlich abzulehnen, jedoch insbesondere dann sinn- und wirkungsvoll, solange jemand die Verantwortung trägt bzw. zur Rechenschaft für ­gefällte Entscheidungen gezogen werden kann.71 Auch in Gestaltungsprozessen stellt sich die Frage, wo Partizipation endet und wo Designentscheidungen getroffen werden, die eines designspezifischen Expertentums bedürfen, etwa in der Frage der Produktionstechnik, der formalen Gestalt oder der Ausarbeitung der Interaktion. Unter methodischen Gesichtspunkten weisen Bessing und Lukoschat auf drei grundsätzliche Schwierigkeiten hin: Demnach sollte nicht vergessen werden, dass es sich bei möglichen Teilnehmenden72 in der Regel nicht um Entwickler, Forscher, Gestalter oder Entscheider ähnlicher Art handelt. Etwaige Gestaltungsentscheidungen sollten also weiterhin den jeweiligen Gestaltungsinstanzen obliegen. Zudem kann es vorkommen, dass Teilnehmende entgegen ihre tatsächliche Erfahrung, Meinung oder Expertise votieren und handeln, insbesondere dann, wenn sie der Ansicht sind, dies könnte einem vermeintlichen Anschein von „Inkompetenz“ gegenüber den „Experten“ entgegenwirken. Überdies bestehe Grund zur Annahme, dass Teilnehmende angesichts sozialer Prägungen und kultureller Faktoren häufig eben genau das beschreiben, was sie ohnehin schon kennen. Auch hier bedarf es differenzierter Reflexionen vonseiten der Gestaltungs- oder Forschungsinstanzen (Bessing/Lukoschat 2013, 53). Wie bereits dargelegt, sind dem partizipativen Forschungs- und Gestaltungsansatz also durchaus Grenzen gesetzt. So bestand eine große Herausforderung in Fallstudie I darin, die Vielzahl der behandelten Themen und generierten Ideen zu filtern, zu evaluieren und insbesondere dann zu einer tatsächlichen Anwendbarkeit zu führen.73 Anhand der technischen Umsetzung der „Call my Attention“-App, ­deren Anwendungspotenzial sowohl im Gehörlosen- als auch im Hörenden-­Kontext besteht, zeigt sich aber auch, dass hierfür mitunter mehrere Iterationsphasen ­notwendig sind, bei denen nicht zuletzt die prototypische Fortentwicklung von Bedeutung ist.

128  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

In Fallstudie II wurde daher komplementär ein entwurfsbasierter Ansatz verfolgt, der im Folgenden ausführlich beschrieben wird. Bei beiden Ansätzen – dem partizipativen und dem entwurfsbasierten – wird deutlich, dass diese stets auch Spurenelemente des jeweils anderen beinhalten und eine strikte Trennung somit nicht immer vollzogen werden kann und sollte.74 Dies wurde ebenfalls im Konzeptverlauf der App „Call my Attention“ deutlich, die anfänglich im partizipativen Forschungsund Gestaltungskontext entstand, und im späteren Verlauf dann eine starke entwurfsbasierte Komponente enthielt. Die im Folgenden beschriebene Fallstudie ist hingegen zu einem großen Teil entwurfsbasiert, erfolgte jedoch über ihren kompletten Zeitraum ebenfalls in partizipativen Iterationen mit primär und sekundär Betroffenen.

3.2  Fallstudie II: „Interaktiv inklusiv – Tools for Empowerment“. Entwicklung von Kommunikationsgeräten für und mit Taubblinden Nachdem in Fallstudie I der inklusive Aspekt in Gestaltungsprozessen im Vordergrund stand, lag der Fokus von Fallstudie II auf der Aufspürung und Implementierung von inklusiven Aspekten in Gestaltungsresultaten. Dafür wurde ein entwurfsbasierter, auf das „Research through Design“-Modell gestützter Forschungsansatz gewählt. Ausgangspunkt hierfür war die (Design-)Frage, wie die Gestaltung digitaler Schnittstellen dazu beitragen kann, taubblinden und hörsehbehinderten Menschen die Kommunikation untereinander sowie mit anderen, das heißt hörenden und sehenden Menschen zu erleichtern. Dazu wurden zwei technische Kommunikationsgeräte für Taubblinde entwickelt: Der Lorm Glove als tragbarer, textiler Interaktionsapparat („wearable“) und die Lorm Hand als haptisches Interface zur Anbindung an soziale Netzwerke.75 Ausgehend vom entwurfsbasierten Forschungsansatz (Kapitel 2.4) ist diese Fallstudie als enge Verknüpfung einer experimentellen Forschungs- und Gestaltungspraxis konzipiert und erprobt worden, in der beide Geräte in jeweils drei Iterationsstufen entwickelt wurden. Das bedeutet, beide Projekte erstrecken sich über jeweils drei Prototypen-Generationen, bei deren Evolution die direkte Nutzer-Einbindung über den kompletten Prozessverlauf76 ebenso ausschlaggebend war wie die Echtwelt-­ Implementierung der jeweiligen Prototypen.77 In diesem Kapitel werden die Forschungs- und Entwicklungsschritte des Lorm Gloves und der Lorm Hand nun dargelegt und diskutiert.

3.2.1 Ausgangspunkt Ausgangspunkt für die Fallstudie ist die sich verändernde Rolle von Technologiegestaltung angesichts einer alternden Bevölkerung sowie das Phänomen des

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  129

­ ereits beschriebenen grundsätzlichen Zusammenhangs von (Technologie-)Geb staltung und Behinderung. Die Annahme lautet dabei konkret: Wenn immer mehr Menschen altersbedingt mit körperlichen Einschränkungen konfrontiert werden (z. B. Altersblindheit, Hörschwächen), so erhöht sich auch das Potenzial assistierender und/oder universal handhabbarer Technologien und Produkte, um diesen ­Menschen ihren Alltag zu erleichtern und sie bis ins hohe Alter zu unterstützen. Taktile Interfaces können für diese Nutzergruppe eine wichtige Rolle spielen und die Defizite der Sinneswahrnehmung im Akustischen und Visuellen teilweise ausgleichen. Daher ist die Entwicklung von Kommunikationsinterfaces, die sich weder auf den Seh- noch auf den Hörsinn beziehen, für ältere Menschen von hoher Relevanz. Im Gegenzug kann die Frage gestellt werden, inwiefern bestimmte Fertigkeiten und Nutzungsweisen im Umgang mit Technologie, wie z. B. typische Kommunikationsformen hörsehbehinderter Menschen, auch als Ausgangspunkt für Transfers in andere Anwendungskontexte dienen können (vgl. Bieling/Martins/Joost 2017). Einen aufschlussreichen Ausgangspunkt für derartige Interfaces stellt die Nutzergruppe taubblinder Menschen dar. Ältere Menschen sind häufig mit nachlassenden Seh- und Hörfähigkeiten konfrontiert. Die altersbedingte Makula-Degeneration (AMD) etwa ist weit verbreitet: Allein in Deutschland sind ca. vier Millionen Menschen von einer AMD betroffen (Mattson 2016). Die Erkrankung tritt meist nach dem 50. Lebensjahr auf und nimmt dann mit steigendem Alter weiter zu. So ist etwa jeder Fünfte ab dem 65. Lebensjahr und jeder Dritte über 80 Jahre betroffen (BVA 2012). AMD ist außerdem bei Menschen jenseits der 50 die häufigste Ursache für eine Erblindung (Michels/ Kurz-Levin 2009). Aufgrund der demografischen Entwicklung ist in den kommenden Jahren mit einem enormen Anstieg zu rechnen (Wolfram/Pfeiffer 2012). Ähnlich verhält es sich mit dem Phänomen der nachlassenden Hörfähigkeit im Alter. Im Extremfall treten beide Körperbeeinträchtigungen gleichzeitig in Erscheinung, sodass eine teilweise oder gänzliche Taubblindheit im Alter entsteht. Taubblindheit ist dabei nicht zwangsläufig eine Frage des Alters, sondern kann auch von Geburt an bestehen oder im Verlaufe eines Lebens „erworben“ werden. Aus der Kombination der eingeschränkten oder nicht vorhandenen Fernsinne ergibt sich eine Reihe weiterer (z. B. motorischer, kommunikativer, perzeptiver oder sozialer) Her­ ausforderungen für die Betroffenen, Angehörigen, Betreuer, Mitmenschen und Institutionen. Gerade primär Betroffene sind in den Bereichen Kommunikation, Information und Mobilität zumeist limitiert und können ihr Recht auf Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen ebenso wie einen Zugang zu Wissenskanälen oft nur mithilfe Dritter realisieren. Die häufig mangelnde Unterstützung der Interessen und Bedürfnisse Taubblinder hängt z. T. auch damit zusammen, dass die Gruppe der Taubblinden selbst vergleichsweise klein ist.78 Gesellschaftlich marginalisierte Gruppen wie die der taubblinden Menschen werden von unterschiedlichen Formen der Kommunikation mitunter stark ausge­ schlossen. Um Taubblinden die Kommunikation zu erleichtern und somit ihre

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Unabhängigkeit zu fördern, wurden zwei Kommunikationsgeräte entwickelt: zum einen der Lorm Glove als tragbares Kommunikationsgerät („wearable“) und zum ­anderen die Lorm Hand als stationäres Kommunikationsgerät. Beide basieren auf einem Interaktionsprinzip taktiler Ein- und Ausgabemöglichkeiten mit der Hand als Schnittstelle und entstanden in einem iterativ-partizipativen Prozess gemeinsam mit primär und sekundär Betroffenen, also taubblinden Menschen und deren Betreuenden oder Angehörigen. Eine überschaubare Zahl an Forschungsprojekten bemühte sich in der Vergangenheit um die Umsetzung assistiver Kommunikationsgeräte speziell für Taubblinde. Innerhalb der letzten Jahrzehnte wurden verschiedene mechanische Hände zur automatischen Fingerbuchstabierung und Handschuhsysteme für unterschiedliche Tastalphabete entwickelt. Nur wenige fokussierten sich hierbei auf mobile ­Geräte (Hersh und Johnson 2003). Ein auf die mobile Nutzung ausgerichtetes Konzept findet sich im italienischen Projekt der DB-HAND (Caporusso 2008), einem fortgeschrittenen Handschuh­system, welches das italienische Malossi Tastalphabet implementiert. Hierbei ­müssen auf der Handinnenfläche befestigte Schalter gedrückt und gequetscht werden. Die Verwendung einer Reihe von separaten Symbolen ermöglicht die ­Nutzung ­eines weniger komplexen Systems als das im Rahmen dieser Fallstudie ent­wickelte, welches im Gegensatz zur DB-HAND auch kontinuierliche Bewegungen berücksichtigt (vgl. Bieling/Gollner/Joost 2012). Von stationären Konzepten zur Taubblinden-Kommunikation mit digitaler Schnittstelle ist der Lormer (Rupp) das einzige bekannte Projekt, welches sich mit der Übertragung des Lorm-Alphabets beschäftigt.79 Die Hand des Benutzers liegt dabei auf einem speziellen Sieb auf, während eine darunter liegende Luftdüse mithilfe eines Druckluftstrahls Buchstaben in die Handinnenfläche zeichnet. Nach der Recherche der bestehenden Lösungen sowie gemeinsamen Workshops80 mit (primär und sekundär) „Betroffenen“ ließen sich besondere Anforderungen an ein Ein- und Ausgabegerät formulieren, die sich in Form eines Handschuhs (oder eines Handschuh ähnlichen Wearables) manifestierten. Das Konzept basiert auf dem Lorm-Alphabet, einer gängigen81 Kommunikationsform82 Taubblinder. Das Lorm-Alphabet wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Hieronymus Lorm entwickelt und findet vor allem im deutschsprachigen Raum (aber auch den Niederlanden, Polen oder Tschechien) Verbreitung. Beim Lormen wird jedes Wort Buchstabe für Buchstabe in die Handinnenfläche der Hand des Gesprächspartners getippt bzw. gestrichen. Jeder Buchstabe ist dabei einem bestimmten Punkt auf der Hand zugeordnet (Abb. 23). Voraussetzungen dieser Kommunikationsform sind körperliche Nähe und das Beherrschen des Tastalphabets beider Gesprächspartner. Aufgrund der geringen Anzahl derer (insbesondere nicht Taubblinder), die Lorm beherrschen, potenziert sich oft die ohnehin bereits vorhandene soziale Isolation Taubblinder.83

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  131

23  Das Lorm ­Alphabet (Projektflyer)

Das Lorm-Alphabet unterliegt keinem strikten internationalen Standard. Zum einen bestehen regionale, mitunter lokale Unterschiede in Bezug auf bestimmte Schreibweisen. Zum anderen führen unterschiedliche Perzeptionsweisen oder aber auch gewohnheitsbedingte Schreibstile zu individuellen und somit variierenden Schreibweisen. Zahlen und Ziffern werden in der Regel ausgeschrieben („drei“, „vierzig“) oder entsprechend ihrer schriftlichen Darstellungsweise in die Handfläche hineingezeichnet („3“, „40“).

132  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

Lorm-Alphabet Erläuterung A = Punkt auf der Daumenspitze B = Kurzer Abstrich auf der Mitte des Zeigefingers C = Punkt auf das Handgelenk D = Kurzer Abstrich auf der Mitte des Mittelfingers E = Punkt auf die Zeigefingerspitze F = Leichtes Zusammendrücken der Spitzen von Zeige- und Mittelfinger G = Kurzer Abstrich auf der Mitte des Ringfingers H = Kurzer Abstrich auf der Mitte des Kleinfingers I = Punkt auf die Mittelfingerspitze J = Zwei Punkte auf die Mittelfingerspitze K = Punkt mit vier Fingerspitzen auf den Handteller L = Langer Abstrich von den Fingerspitzen des Mittelfingers zum Handgelenk M = Punkt auf die Kleinfingerwurzel N = Punkt auf die Zeigefingerwurzel O = Punkt auf die Ringfingerspitze P = Langer Aufstrich an der Außenseite des Zeigefingers  anger Aufstrich an der Außenseite der Hand (Kleinfingerseite) Q=L R = Leichtes Trommeln der Finger auf den Handteller S = Kreis auf den Handteller T = Kurzer Abstrich auf der Mitte des Daumens U = Punkt auf die Kleinfingerspitze V = Punkt auf den Daumenballen, etwas außen W = Zwei Punkte auf den Daumenballen, etwas von außen X = Querstrich über das Handgelenk Y = Querstrich über die Finger in der Mitte Z = Schräger Strich vom Daumenballen zur Kleinfingerwurzel Ä = Zwei Punkte auf die Daumenspitze Ö = Zwei Punkte auf die Ringfingerspitze Ü = Zwei Punkte auf die Kleinfingerspitze CH = Schräges Kreuz auf den Handteller SCH = Leichtes Umfassen der vier Finger ST = Langer Aufstrich am Daumen (Außenseite)

In Fällen, in denen der Gesprächspartner des Lorm-Alphabets nicht mächtig ist, ­werden ­ uchstaben (entsprechend dem römischen Alphabet) mitunter auf ähnliche Weise in die Hand­ B innen­fläche geschrieben. Zwischen einander vertrauten ­Gesprächspartnern sowie innerhalb entsprechender Gemeinschaften und Gruppen werden mitunter Abkürzungen (z. B. von häufig verwendeten Begriffen), Sonderzeichen und individuelle Schreibweisen verwendet. Darüber hinaus werden Hilfs-Gesten verwendet, insbesondere im Bereich der „Metakommunikation“. So wird das Ende ­eines Wortes angezeigt, indem die Hand des Sprechenden auf die Hand des Gesprächspart-

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  133

ners ­gelegt wird. Auch wird das Halten der anderen Hand im Sinne eines „Augenblick, bitte warte kurz!“ verwendet. Ferner kann die Hand von Gesprächspartnern in bestimmte Richtungen gehalten werden, um auf dort befindliche Personen, Objekte oder Begebenheiten hinzuweisen. Ein weiteres Merkmal dieser Kommunikationsform – neben der physischen ­Anwesenheit der Gesprächspartner als Grundvoraussetzung für ein Gespräch – ist die Eins-zu-Eins-Gesprächssituation. Gruppendiskussionen sind nur unter erschwerten Bedingungen möglich, da nicht mit mehreren „Zuhörern“ g ­ leichzeitig kommuniziert werden kann. Ein Vortrag vor einer Gruppe Taubblinder (­sofern diese keine Unterstützung durch Dolmetscher erhalten) würde also bedeuten,­­jedem Teilnehmenden nacheinander in die Hand hinein zu lormen. Konver­sationen über (selbst kurze) Distanzen hinweg sind ohne die Unterstützung von Dol­metschern nicht möglich. Einige Taubblinde, insbesondere solche, die ihr Hörempfinden später als ihre Sehfähigkeit verloren haben (oder die zumindest die Punktschrift „Braille“ beherrschen), können auf Braille-basierte Keyboards und Displays zurückgreifen („Braillezeile“). Aufgrund der hohen Produktionskosten sind diese in der Anschaffung vergleichsweise teuer.84 Zudem wird auf Nutzerseite häufig eine sperrige Handhabung, insbesondere mit Hinsicht auf eine mobile Nutzung bemängelt. Generell kann gesagt werden, dass taubblinde Menschen für eine Unterhaltung über Distanz und/oder für die Nutzung digitaler Medien stark auf die Hilfe Dritter (z. B. Dolmetscher) angewiesen sind.

3.2.2 Entwurfsziel Das primäre Ziel bestand somit darin, Entwicklungsansätze für Kommunikations­ geräte zu finden, zu testen und voranzutreiben, die die Kommunikation von Taubblinden untereinander ebenso wie deren Kommunikation mit Hörenden und ­Sehenden ermöglichen bzw. vereinfachen. Insbesondere im Falle einer räumlichen Trennung der jeweiligen Gesprächspartner. Neben der prototypischen Entwicklung bestand ein wesentlicher Teil der Fallstudie darin, die Funktionalität und Effektivität dieser Systeme für Menschen mit nachlassenden akustischen und visuellen Fähigkeiten in Alltagssituationen zu überprüfen. Folgende Aspekte waren für die Entwicklung außerdem maßgeblich: • Entwicklung von Prototypen der taktilen Ein- und Ausgabegeräte auf der Grundlage des Lorm-Alphabets • Integration von (Textil-)Sensoren für die Text-Eingabe • Integration von Aktuatoren für die Text-Ausgabe85 • Entwicklung einer API (Application Programming Interface)86 für die Softwarekomponente

134  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

24  Lorm Glove 1.0 und Lorm Hand 2.0 im Deutschen Technikmuseum Berlin

• Entwicklung einer App zur Steuerung des Systems • Evaluation mit Menschen, deren Hör- und Sehvermögen nachlässt oder bereits nachgelassen hat • Entwicklung vereinfachter Kommunikationsmappings (z. B. Shortcuts) • Potenzialabschätzung des Technologie-Transfers für ­andere Anwendungskontexte Ein weiteres Ziel bestand also auch darin, Szenarien für andere, nicht zwangsläufig mit Taubblindheit assoziierte Anwendungskontexte abzuleiten. Dazu ­zählen beispielsweise solche, in denen hörende Menschen besonders lauten Arbeits­ bedingungen (z. B. Fabrikarbeiter) oder leisen Situationen (z. B. ­Bühnenarbeiter) ausgesetzt sind, in denen eine – dem Lorm-Ansatz entnommene, wenn auch ­abstrahierte – Form der taktilen Informationsübermittlung (etwa anhand von ­bestimmten Shortcuts) hilfreich sein kann. Als Beispiel: ein Arbeitshandschuh für Fabrikarbeiter, der es ermöglicht, über bestimmte Druckpunkte Materialnachschub zu bestellen bzw. sich mit anderen Abteilungen über den Arbeitsprozess auszutauschen. Die Fallstudie diente somit auch dazu, das Potenzial entsprechender proto­ typischer Abwandlungen und Technologietransfers zu eruieren, z. B. haptisch-­ interaktive Arbeits-, Sport- oder Gaming-Handschuhe.

3.2.3 Entwicklungsprozess Die Prozessverläufe in der Entwicklung des Lorm Gloves sowie der Lorm Hand ­werden nun unter Berücksichtigung folgender Aspekte beschrieben und diskutiert: ­Anforderung, Technische Entwicklung, Tests und Observationen, Evaluation.

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  135

Tragbare Variante: Lorm Glove Anforderung Die Hauptaufgabe bestand darin, ein tragbares, gesten- und berührungsbasiertes Kommunikationsgerät zu entwickeln, mit dem taubblinden und hörsehbehinderten Menschen die Kommunikation über Distanz ermöglicht werden kann. Mit dem Lorm Glove konnte solch ein „Simultanübersetzer“ konzipiert werden, mit dessen Hilfe die körperliche Nähe der Gesprächspartner nicht mehr zwingend erforderlich ist. Träger des Handschuhs können Textnachrichten verfassen und entweder zu anderen Lorm Gloves oder auf mobile Endgeräte bzw. Computer senden und dabei auf unterschiedliche Medienkanäle zurückgreifen (E-Mail, SMS, Chat, Messenger, SNS,87 Voice Message etc.). Gleichermaßen können Nachrichten wiederum auch empfangen werden. Auf diese Weise wird die Kommunikation auch mit Personen ermöglicht, die nicht mit dem Lorm-Alphabet vertraut sind. Bei der Kommunikation mit ­Personen ohne Lorm-Kenntnisse verfasst der Träger des Handschuhs eine Textnachricht. Diese kann entweder in schriftlicher Form am Bildschirm des mobilen Endgeräts des Benutzers angezeigt oder durch eine Text-to-Speech-Software vorgelesen werden. Umgekehrt können sehende und hörende Menschen Text- und Sprachnachrichten an den Lorm Glove senden, die dort in das Lorm-Alphabet umgewandelt werden. Hieraus ergeben sich Handlungsspielräume für Taubblinde zu einer intensiveren Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

Partizipative Forschung und Entwicklung Ausschlaggebend für die Entwicklung der Lorm Devices – noch bevor der Ansatz zu ­ihrer Entwicklung überhaupt formuliert wurde – war eine Reihe von Begegnungen mit taubblinden Einzelpersonen, eingeleitet durch zwei im Kontext Taubblindheit aktive Institutionen: der Taubblinden- und Hörsehbehindertengruppe des All­gemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin (ABSV) und dem Oberlinhaus (Diakonisches Kompetenzzentrum für Bildung und Gesundheit von Taubblinden, Potsdam-Babelsberg). Im Rahmen mehrerer informeller Treffen konnten hier ­bereits aufschlussreiche Einblicke in das Alltagsleben und die Kommunikationsweisen Hörsehbehinderter sowie in Bezug auf konkrete Gestaltungsbedürfnisse oder Anforderungen an vorhandene und nicht vorhandene Technologien gesammelt werden. Der komplette Entwicklungsprozess wurde daraufhin von regelmäßigen Treffen und Gesprächsrunden mit primär und sekundär Betroffenen bzw. mit Lorm-­ Experten flankiert. In deren Rahmen wurden auch entsprechende Nutzer-Tests mit den jeweils aktuellen Prototypen-Varianten durchgeführt, auf deren Basis die ­weitere Gestaltung und Entwicklung vorangetrieben werden konnte (Abb. 25).

136  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

25  User-Test mit dem ersten Prototyp (Lorm Glove 1.0)

Die Treffen fanden sowohl in der Laborumgebung des Design Research Labs als auch in den Institutionen vor Ort statt. Insgesamt handelte es sich um 15 solcher Treffen mit insgesamt elf verschiedenen hörsehbehinderten Personen zuzüglich Dolmetschern. Die Teilnehmerzahl variierte je nach Treffen zwischen einer und vier primär Betroffenen.88 Gemäß der Tatsache, dass die „Gruppe der Taubblinden“ in sich heterogen ist, befanden sich die Teilnehmenden größtenteils in unterschiedlichen Stadien der Taubheit/Blindheit/Taubblindheit89 und verfügten über unterschiedliche Grade an Lorm-Kenntnis.90 Mindestens ebenso wichtig wie diese initiierten Treffen waren die Begegnun­ enen gen und Tests mit Teilnehmenden auf den zahlreichen Veranstaltungen, auf d der Lorm Glove und die Lorm Hand in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien ausgestellt und präsentiert bzw. der Öffentlichkeit auf interaktive Weise zugänglich gemacht wurden. Im Verlaufe dieser Veranstaltungen ergaben sich zahlreiche Möglichkeiten zur Observation von Nutzer-Interaktionen sowie Möglichkeiten zu entsprechenden Befragungen. Die Nutzerstruktur der jeweiligen Veranstaltungen war dabei unterschiedlich konstituiert. Als bisher größte (und im Grunde auch erste) Demonstration ihrer Art, verfügte die Aktion Taubblind (mit ca. 1000 Teilnehmenden und zahlreich vertretenen Institutionen, Verbänden und Initiativen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz) beispielsweise über einen sehr ­hohen ­Anteil an Taubblinden, Hörsehbehinderten und Menschen, die das L ­ orm-­Alphabet beherrschen oder regelmäßig zur Kommunikation verwenden.91 Die große Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie die hohe Dichte an dort vertretenen Hörsehbehinderten, Taubblinden bzw. Menschen, die des Lormens mächtig sind, ermöglichte es, viele (informelle) User-Tests durchzuführen, bei denen bereits eine Reihe an technischen und Gestaltungsfragen zur Lorm Hand aufkamen bzw. geklärt werden konnten, die in ihrer ersten Version eigens für diese Veranstaltung ent­wickelt worden war.

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  137

26  Öffentliche Präsen­ tation als Stresstest für die Prototypen: Frühe Version des Lorm Glove 2.0, eingebettet in einen dehnbaren schwarzen Handschuh (links) und die Lorm Hand 1.0 (rechts) im ­ ahmen der Langen R Nacht der Wissen­ schaften in ­Berlin92

Die Mehrzahl der Nutzerinnen und Nutzer auf anderen Veranstaltungen wie der Langen Nacht der Wissenschaften oder dem Berliner Kultursommer war hingegen sehend und hörend. Angesichts der heterogenen Teilnehmerstruktur konnten somit – je nach Veranstaltung – unterschiedliche Schwerpunkte in der Befragung und Beobachtung hinsichtlich der User-Experience getätigt werden. Bei ­Veranstaltungen mit vielen primär Betroffenen lag der Fokus dabei eher auf Fragen hinsichtlich der (später noch ausführlicher beschriebenen) Lorm Hand als Kommunikationstool für Taubblinde, bei Veranstaltungen mit vorwiegend sehenden und hörenden Teilnehmern konnte der Fokus auf Fragen zur Lorm Hand als „Lern-Tool“ gerichtet werden. Im Folgenden soll nun zunächst die technische Entwicklung des Lorm Gloves sowie anschließend die der Lorm Hand zusammenfassend dokumentiert werden.

Technische Entwicklung Für die Entwicklung des ersten Prototyps des Lorm Gloves93 wurde ein Handschuh aus dehnbarem, atmungsaktivem Stoff verwendet, auf dessen Handinnenfläche sich die Eingabeeinheit und auf dessen Handrücken die Ausgabeeinheit befinden. Auf der Handinnenfläche des Handschuhs platzierte textile Drucksensoren erlauben das Auslesen der getippten bzw. gestrichenen (gelormten) Buchstaben. Die Sensoren bestehen aus piezoresistivem Gewebe,94 das unter mechanischem Druck seinen elektrischen Widerstand ändert. Die Anordnung der Sensoren entspricht den dem Lorm-Alphabet zugeordneten Punkten in der Handinnenfläche. Ein gesticktes Leitsystem hilft dem Benutzer, Sensorkombinationen einfach zu erreichen.

138  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

27  Der erste Prototyp: Lorm Glove 1.0. Die Texteingabe verläuft über die Handinnen­fläche mithilfe von textilen Drucksensoren (unten). Die Ausgabe ­verläuft auf der Rückseite mithilfe kleiner Vibrationsmotoren (oben).

Die Ausgabeeinheit definiert sich aus einer Matrix aus kleinen Vibrationsmotoren, deren Positionen das Lorm-Alphabet abbilden. Sie dienen als direktes Feedback der Sensoren und übersetzen eingehende Textnachrichten in das Lorm-­ Alphabet. Ein- und Ausgabeeinheit sind mit der Steuereinheit verbunden, welche in einem Gehäuse am Unterarm des Trägers befestigt ist. Die drucksensitiven Gewebepolster auf der Innenfläche des Handschuhs können die Berührung des Nutzers erfassen und dadurch die gewünschten Buchstaben des Lorm-Alphabets identifizieren und diese als Textnachricht funkferngesteuert an ein mobiles Endgerät wie z. B. ein Smartphone oder Tablet weitergeben. Umgekehrt können Nachrichten, die durch das mobile Endgerät empfangen werden, ebenso kabellos an den Lorm Glove weitergegeben; und dort mithilfe der auf der Rückseite des Handschuhs platzierten, haptischen Aktuatoren als simulierte Buchstaben des Lorm-Alphabets ausgegeben werden (Abb. 27).95 Das Nutzprinzip dieses ersten Prototyps funktioniert dabei folgender­ maßen: Der taubblinde Benutzer trägt den Lorm Glove an der linken Hand und

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  139

nutzt die Fingerspitzen der rechten Hand, um Textnachrichten zu ver­fassen. J­eder ein­gegebene Buchstabe wird über eine Bluetooth-Verbindung an das ­mobile Endgerät oder den Computer des Benutzers weitergeleitet. Bei Auslösen eines Sensors wird die Eingabe durch Vibration des dem Sensor zugeordneten Vibrations­motors ­bestätigt. Erhält der Träger des Handschuhs eine Textnachricht, so wird diese über ­Bluetooth vom mobilen Endgerät oder Computer zum Handschuh übermittelt. Der Lorm Glove übersetzt diese Nachricht in das Lorm-Alphabet und leitet sie mittels der Vibrationsmotoren an den Träger weiter. Um den Eindruck einer kontinuierlichen (Strich-)Bewegung (etwa beim Buchstaben „L“) zu simulieren, wird dabei von der sogenannten „Funneling Illusion“ Gebrauch gemacht (vgl. Alles 1970). Die Implementierung dieses Effekts (Kirman 1973, 54; Kirman 1982, 247) erfolgte in Anlehnung an die Überlegungen zu einer kontinuierlichen taktilen Wahrnehmung für vibrotaktile Displays („Continuous Tactile Perception for Vibrotactile Displays“) von Rahal et al. (Rahal 2009). In ihrem Paper wird die Verwendung eines linearen Cross-Fading von einem Motor zum nächsten vorgeschlagen, indem deren Intensitäten in entgegengesetzter Richtung verändert werden. Da die Ausprägung des Tastsinns und die Geschwindigkeit des Lormens unter Taubblinden variiert, können die maximale Intensität der Aktuatoren und die Lorm-Geschwindigkeit individuell kalibriert werden. Im Verlaufe seiner Entwicklung durchlief der Lorm Glove mehrere Form- und Bedien-Varianten. Der erste Prototyp des Lorm Gloves hatte sich noch an der Form (und folglich an der Nutzungs- und Funktionsweise) eines Handschuhs orientiert. Genau genommen diente ein handelsüblicher (GoreTex®) Handschuh als sein zentraler Bestandteil.96 Diese Variante wurde im weiteren Verlauf durch eine andere Form ersetzt. Ein Vorteil der ursprünglichen Handschuhform hatte darin bestanden, dass die Hand und Finger des Nutzers beweglich blieben, was zum einen vorteilhaft im Sinne des Tragekomforts war und zum anderen ein zentrales Grundbedürfnis hörsehbehinderter Menschen adressierte: nämlich die fortwährende Möglichkeit zur taktilen Wahrnehmung und Aneignung der unmittelbaren, räumlichen Umgebung, ohne dass dazu der Handschuh ausgezogen werden muss. Jedoch birgt die Form eines Handschuhs auch Nachteile, die insbesondere bei einer „prototypischen“ Entwicklung eines solchen Gerätes zur Geltung kommen, welches häufig einer intensiven Benutzung und/oder Reparaturen unterliegt. So dauert es mitunter länger, einen Handschuh (immer wieder) an- und auszuziehen. Dies gilt vor allem dann, wenn Nutzende darauf Acht geben müssen, die eingebetteten elektronischen Komponenten nicht zu beschädigen. Während der Nutzertests im partizipativen Entwicklungsverlauf sowie im Rahmen von Ausstellungen und öffentlichen Veranstaltungen wurde und wird der Lorm Glove (in seinen unterschiedlichen prototypischen Ausführungen) von einer Vielzahl an Personen benutzt, getragen, ausprobiert und beansprucht.97 Dadurch erhöhen sich zwangsläufig das Risiko einer Beschädigung und der Bedarf, einzelne Komponenten erneut zu reparieren oder zu ersetzen.

140  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

28  Aus PET ­angefertigte Stütz-Ebene (ohne Ummantelung)98

Ab Version 2.0 wurde der Lorm Glove daher als trag- und auflegbares, handförmiges „Pad“ konzipiert. Er wird also nicht im herkömmlichen Sinne „angezogen“, sondern eher auf die Innenfläche der Hand gelegt.99 Sämtliche Ein- und Ausgabeeinheiten (Sensoren und Aktoren) befinden sich dabei nun in der Handinnen­fläche. Zur besseren Fixierung und um den Gegendruck der sensorischen Fläche und der Aktuatoren zu verstärken, wird das tragbare Gerät mit einem Haltegurt über die Handrückseite befestigt. Dadurch soll auch vermieden werden, dass einzelne Motoren bzw. Buchstaben nicht wahrgenommen werden, wenn sie möglicherweise nicht eng genug an der Haut anliegen. Das kann insbesondere dann passieren, wenn die Hand nicht starr gestreckt, sondern locker gekrümmt gehalten wird.100 Der durch den Haltegurt verstärkte Anliegedruck soll dafür Sorge tragen, dass alle Vibrationsmotoren mit der Hand in Kontakt bleiben. Dieser Variante, mit der das An- und Ablegen schneller und einfacher vonstatten geht, liegt somit ein anderes Nutzungsprinzip zugrunde (gegenüber einem Handschuh, den man entweder über einen langen Zeitraum anbehalten oder aber immer wieder an- und ablegen müsste). Vor allem mit Hinblick auf die zahlreichen folgenden öffentlichen Veranstaltungen, interaktiven Präsentationen und ­Nutzertests, bei denen das Modell häufig vorgeführt, ausprobiert, begutachtet und untersucht wurde, stellte sich diese neue Variante als sinnvoll und praktikabel ­heraus. Sei es im Hinblick auf die Nutzbarkeit und eine unkomplizierte Demons­ trationsmöglichkeit oder aber in Bezug auf eine reduzierte Abnutzung und Fehleranfälligkeit bei häufigem Gebrauch.101

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  141

29  Der zweite ­Prototyp des Lorm Glove (­finale Form) mit Um­hüllung aus weißem ­Leder-Imitat. Die Oberfläche besteht aus PVC,102 die Rückseite aus Polyester-­Baumwolle (Poly-Cotton).

Während der erste Prototyp noch aus einem kompletten, „herkömmlichen“ und somit flexiblen und grundsätzlich dehnbaren Handschuh bestand, stellte sich der zweite Prototyp als (annähernd) flache Ebene dar, mit der lediglich die Hand­ innenfläche abgedeckt wird. Auf dieser Fläche kann gelormt werden. Gleichfalls können über die dort nun ebenfalls implementierten Aktuatoren eingehende Nachrichten ausgelesen werden. Die komplette Interaktion konnte ab Version 2.0 ­somit auf die Handinnenseite verlagert werden, so wie es auch beim realen Lormen (von Hand zu Hand) der Fall ist. Aufgrund seiner dehnbaren Beschaffenheit war der erste Prototyp noch verhältnismäßig fragil, was häufig dazu führte, dass sich Lötstellen und einzelne Kabel unter der mechanischen Belastung lösten und ausgetauscht werden mussten. Die Folgeversionen gestatten es dem Nutzer während des Tragens zwar nicht, alltagsübliche Handlungen (wie z. B. Greifen, Heben, Fühlen) auszuführen, können im Gegenzug jedoch deutlich schneller an- und abgelegt werden als eine Handschuh-Variante. Dadurch ist der Lorm Glove ab Version 2.0 insgesamt widerstandsfähiger, einfacher auseinanderzubauen und zu reparieren. Überdies liefert er beständigere Sensordaten. Die Entwicklung der Sensoren fußt dabei auf dem „pressure-sensing“-Verfahren. Hierfür wurde eine maßgeschneiderte Drucksensor-Schaltung („Pressure-­ Sensing Circuit“) gestaltet und hergestellt, die auf einen flexiblen Untergrund geätzt und mit piezoresistivem Stoff kombiniert wurde. Die eigens entwickelte Software dient dazu, die Berührungsimpulse der Nutzer basierend auf den Sensorwerten zu ­ermitteln. Zusätzlich wurde die Möglichkeit geschaffen, die Nutzereingaben mit zuvor gespeicherten/hinterlegten Patterns abzugleichen, um (z. T. individuell unterschiedlich geschriebene/getastete) Buchstaben des Lorm-Alphabets besser erkennen und zuordnen zu können. Dadurch wurde es auch möglich, neue

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30  Oben: Vibrations­ motoren in Position für die Anbringung an eine protektive Schaum­ stoffschicht. Unten: ­Input mit Steckplatinen-­ Verbindung.

Lorm-Gesten, Schreibweisen, Sonderzeichen, Symbole, Abkürzungen o. Ä. in die bestehende Library mit aufzunehmen, also vom System „erlernbar“ zu machen. Dies bedeutet eine bessere Anpassung an individuelle Schreibweisen und letztlich eine personalisierbare ­Erweiterung des Lorm-Alphabets. Softwareseitig wurden weitere Features hinzugefügt, die über die Android Plattform verfügbar sind.103 Von zentraler Bedeutung sind dabei insbesondere die Textto-Speech- und Text-Messaging-Funktionen. Auf diese Weise kann das Gerät als Übersetzer für Menschen fungieren, die nicht mit dem Lorm-Alphabet vertraut sind. Bei einem direkten Aufeinandertreffen können Benutzer des Lorm Gloves ­beispielsweise das korrespondierende Gerät (Smartphone, Tablet) dem Gesprächspartner zur

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  143

31  Input und Output ­Circuits für den Lorm Glove 2.0. Während Letzterer (unten) voll funktionsfähig ist, funktioniert Ersterer lediglich, wenn ­ inem piezoresistier mit e ven Material bezogen ist.

­ erfügung stellen, damit dieser dort eine Nachricht eintippen oder einsprechen V kann, welche denn an den Glove geschickt wird. Ferner kann das Smartphone oder Tablet dazu genutzt werden, dem (sehenden) Gesprächspartner die Nachrichten, die von den Berührungseingaben des (lormenden) Nutzers ausgehen, mithilfe der Text-Visualisierung anzuzeigen oder als Sprachausgabe vorlesen zu lassen. Der Nutzer des Tablets oder des Smartphones kann somit wählen zwischen einer schrift­ basierten104 und einer sprachbasierten105 Text-Ein- und Ausgabe.106 Zudem wurde die Möglichkeit geschaffen, Kurznachrichten über den SMSDienst zu senden und zu empfangen. Empfangene Nachrichten werden dabei ­automatisch in zusammengehörige Textblöcke kombiniert und per Vibration auf

144  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

32  „Debug view“ (Fehlersuch-Ansicht) für den zweiten Prototypen, mit einer Darstellung der Druckintensität der jeweiligen Sensoren (links) sowie der erkannten Buchstaben (rechts)107

33  Die Software für den Lorm Glove läuft auf dem Smartphone und auf dem Tablet. Verschiedene Modi sind dabei möglich. Links: Neue oder bestehende Output-­Gesten ­bearbeiten (Edit Modus). In diesem Modus können außerdem Lorm-Gesten bei gleichzeitiger Text-­ Anzeige als Overlay wieder­gegeben werden. Rechts: Im Input DebugModus werden Linien-­ Graphen und Varianz-­ Balken für die einzelnen ­ ngezeigt. Sensoren a

dem Lorm Glove ausgegeben. Zum Versenden einer Nachricht muss der Nutzer zuerst einen Kontakt als Zielvorgabe auswählen. Nachdem die Nachricht formuliert, also auf den Handschuh gelormt wurde, kann sie beispielsweise als SMS an das Empfangsgerät (z. B. Smartphone) des ausgewählten Kontakts verschickt werden. Mit der dritten Prototypen-Version – dem Lorm Glove 3.0 – konnte eine noch ­beständigere und strapazierfähigere Variante angefertigt und somit konnten grundlegende Verbesserungen auf mehreren Ebenen erreicht werden, die sich in den vorher­gehenden Modellen noch als problematisch dargestellt hatten.108 So wurden

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  145

34  Das Tablet als Lern- und Übungshilfe für Sehende zum Erlernen und ­ rak­tizieren des Lorm-Alphabets P

35  Auch neue ­Gesten (z. B. für Abkürzungen, ­ igennamen, Sonder­ E zeichen, Stimmungs­ lagen oder Fantasie­ begriffe) können der Library hinzugefügt … 36  … und entsprechend editiert ­werden.

37  Die Spracherkennungssoftware ­ rkennt über das Mikrofon eingegebenen e Sprechtext und wandelt ihn in Lorm-­ Gesten um. Umgekehrt können gelormte Texte auch als Sprachausgabe ausgegeben und dabei ebenso in andere Sprachen übersetzt werden.

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38  „Innenleben“ des Lorm Glove 3.0: Die an einer flexiblen Schicht befestigten Aktuatoren (links) werden durch eine Schaumstoffschicht vom Circuit separiert (rechts). Der Schaum verhindert, dass sich die ­Vibration auf das Haltegerüst ausdehnt (Nicht im Bild zu sehen!). Die Aktuatoren sind mit dem Circuit­ ­ver­lötet. Eine angemessene Kabellänge sorgt dafür, dass sie bei allzu großer Zug-/Spannkraft nicht von den Lötpunkten abbrechen.

neue PCBs109 produziert, die Anmutung und Handhabung überarbeitet sowie Aspekte bezüglich der Konstruktionsweise optimiert. Version 3.0 kommt damit einem voll funktionsfähigen Wearable, insbesondere im Hinblick auf eine kabellose Nutzung und einer mobilen Verknüpfung zu Smartphones und Tablets deutlich näher. Der Lorm Glove hat sich im Verlaufe seiner unterschiedlichen Entwicklungsphasen (vom ersten bis zum dritten Prototypen) dabei zunehmend hin zu einem handförmigen, körperanliegendem Tablet entwickelt, welches die Handfläche derart abdeckt, dass die Lorm-Impulse (Buchstaben) genau dort (und auf annähernd selbe Weise) ein- und ausgegeben werden können, wo (bzw. wie) sie „normalerweise“ passieren.110 Verbesserungspotenzial besteht dabei insbesondere noch in Bezug auf die Art der Anbringung an die Nutzerhand sowie die Anpassung mit der (für gewöhnlich leicht gekrümmten Haltung und Oberflächenbeschaffenheit der) Handinnenfläche. Die aktuelle Variante funktioniert drahtlos und ermöglicht eine akkubetriebene Nutzungsdauer von (derzeit) mindestens sechs Stunden. Das Gerät ist leicht genug, um über einen längeren Zeitraum hinweg getragen werden zu können. Ausschlaggebend für die Evolution der jeweiligen Prototypen waren insbesondere die unmittelbaren Rückmeldungen und Observationen im Zuge der gemein­ samen Treffen und Befragungen mit den Betroffenen, die sich über den kompletten Entwicklungsprozess erstreckten. Grundlegende, hieraus resultierende Gestaltungsentscheidungen bezogen sich dabei vor allem auf Fragen bezüglich der allge­ meinen Handhabung und Nutzungsaspekte z. B. in Bezug auf Text-Ein- und Ausgabe, auf unterschiedliche Methoden der Berührungserkennung, aber auch auf Fragen des Tragekomforts und der Materialbeschaffenheit (z. B. Atmungsaktivität, Bewegungsflexibilität).

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  147

39  Testläufe und Zwischenvarianten in der Frühphase des Lorm Glove 2.0: Oben links: 10 × 10 Linien als Versuchsvariante für die kapazitive Berührungserkennung111 und Softwaretest mit kapazitivem TextilGitter­raster.112 Oben rechts: Softwaretest mit drucksensitivem Textil mit handförmigen Rastergitter. Unten links: Druckflächen (pressure pads) in hexagonaler Form. Die Hexagone erlauben ein Ballen und Schließen der Hand auch dann, wenn die Drucksensoren nicht so flexibel wie textiler Stoff sind. Unten rechts: Softwaretest der hexagonalen Druckflächen

40  Nutzertest des Lorm Glove 3.0 am Brandenburger Tor im Rahmen des ­Dokumentarfilms Lorm‘s Alphabet – ­Travelouge about a Countryside of Shadows and Murmuring (HBO; Regie: Pavel Jurda)113

Stationäre Variante: Lorm Hand als Kommunikations- und Lern-Tool Ergänzend zur Entwicklung des Lorm Gloves wurde eine stationäre interaktive Installation konzipiert und angefertigt. Diese basierte auf der dreidimensionalen, physischen Form einer Hand,114 auf der Buchstaben gelormt werden können, die sich daraufhin umgehend automatisch online posten lassen. Ausgangspunkt für die Entwicklung der stationären Variante eines Lorm-Geräts war deren Einsatz auf einer öffentlichen (Berliner) Großveranstaltung – dem Taubblinden Protestmarsch ­Aktion Taubblind. Basierend auf den Erkenntnissen dieses zugleich als e­ rsten g ­ roßen

148  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

41  Stationäre An­bindung Taubblinder ans Netz: Lorm Hand Prototyp 1.0

Stress- und Nutzertest genutzten Events, wurde die Lorm Hand im Folgenden in Form von stabileren und beständigeren Prototypen weiterentwickelt. Die Entwicklung des Lorm Gloves und der Lorm Hand verlief parallel und unter dem Eindruck ­einer beidseitig erkenntnisfördernden Befruchtung.

Anforderung Die Lorm Hand kam erstmalig auf dem großen Taubblinden Protestmarsch Aktion Taubblind – Taubblinde in Isolationshaft zum Einsatz, der am 4. Oktober 2013 in Berlin stattfand.115 Die Installation war darauf ausgerichtet, Taubblinden bzw. Hörsehbehinderten (sowie generell Anwenderinnen und Anwendern des Lorm-Alphabets) die Möglichkeit zu verschaffen, Nachrichten auf Facebook und Twitter zu posten. Teilnehmende der Demonstration erhielten dadurch die Möglichkeit, ihre Forderungen116 und Meinungen mit einem größeren Publikum zu teilen und dadurch im gleichen Zuge die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Hauptanliegen des Protestmarsches (sowie den damit verbundenen politischen Forderungen, z. B. nach mehr Unterstützungsleistung, gesellschaftlicher Anerkennung, Schaffung von Assistenz-Stellen oder der Einführung des Merkzeichens TBL117) zu richten. Der Ansatz bestand darin, eine Plattform zu schaffen, durch deren Benutzung taubblinde Menschen zum einen auf den hohen Grad ihrer (sozialen) Isolation118 aufmerksam machen und im gleichen Zuge einer solchen Isolation (aktiv) entgegenwirken können. Ziel war es also, ein interaktives Gerät zu entwickeln, mit dessen Hilfe sowohl eine „Awareness“ (Aufmerksamkeit im aufklärenden Sinne) als auch ein „Empowerment“ (Befähigung der primär Betroffenen) möglich sind. Zusätzlich erlaubt es die Lorm Hand auch, Menschen, denen weder das Lorm-Alphabet noch die Alltagsrealität Taubblinder geläufig sind, sich näher mit beidem vertraut zu machen.

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  149

Technische Entwicklung Während der Lorm Glove als „Wearable“, also als mobiles, (vom Nutzer) tragbares Gerät zur ubiquitären119 Nutzung konzipiert ist, ist die Lorm Hand auf eine eher stationäre Nutzung ausgerichtet, die von vielen Anwendern getätigt werden kann.120 Ein Handschuh wäre für einen solchen Zweck inadäquat.121 Es wurden daher eine Form und Funktionsweise gewählt, die sich besser für eine Multi-User Anwendung in höher frequentierten Umgebungen, beispielsweise im öffentlichen Raum eignet: eine dreidimensionale Installation, die erfühlt, berührt und bedient werden kann, ähnlich wie man es von Skulpturen oder Exponaten für Blinde kennt. Weil das Lorm-Alphabet in der Regel in die Handinnenfläche buchstabiert wird, basierte das Designkonzept der Lorm Hand auf einer mit der Handinnenfläche nach oben hin platzierten Handform, die über die dazugehörige Unterarm-Form auf einem Sockel122 befestigt ist. Die Befestigung am Sockel erlaubt es bei Version 1.0, die Hand um bis zu 180° zu drehen, sodass die Finger der Lorm Hand beispielsweise nach vorn, zur Seite, diagonal oder nach hinten zeigen. Die Handoberfläche der Lorm Hand bleibt dabei stets nach oben gerichtet. Benutzer können Buch­staben des Lorm-Alphabets auf die Hand schreiben, so als würden sie jemand anderem in die Hand lormen. Nach Verfassen einer Nachricht auf der Lorm Hand kann diese automatisch ­online gepostet werden. Nutzende legen dazu ihre Schreibhand für wenige Sekunden auf die Lorm Hand, die dann zur Bestätigung der Befehlsausführung crescendo­ artig­­vibriert. Mithilfe einer Applikation werden die Lorm-Gesten (Buchstaben) erkannt bzw. basierend auf den Sensordaten interpretiert und als Nächstes auf einem ange­schlossenen Bildschirm angezeigt. Ferner kann die App die Nachrichten auto­ matisch auf dem Twitter-Account @LormHand sowie der damit verbunden Facebook-Seite posten.123 Angesichts der mangelnden Strapazierfähigkeit und einiger baulicher Mängel bei der Vorgängerversion, wurden mit Version 2.0 der Lorm Hand ein deutlich stabilerer Aufbau und eine robustere Handhabung möglich.124 Im gleichen Zuge sollte sie einfacher zu transportieren sein und einen unkomplizierten Auf- und Abbau bei Veranstaltungen, Ausstellungen und Präsentationen ermöglichen. Ein weiteres Ziel der zweiten Variante bestand darin, leichte Berührungen der Lorm Hand zu erlauben, ohne dass diese vom System gleich im Sinne einer Gesten-Erkennung interpretiert würden. Mithilfe des Pressure-Sensing Verfahrens konnte die Lorm Hand nun Berührungsdruck erkennen und bestimmten Flächen zuordnen, auf denen dieser Druck aus­geübt wird. Verschiedene Druckintensitäten können dabei voneinander unter­schieden werden. Wenn der Nutzer also zwischendurch versehentlich oder absichtlich die Lorm Hand berührt, etwa um deren Beschaffenheit, Größe und Finger­anordnung zu erfühlen, so läuft diese Berührung nicht gleich Gefahr, von der Software als Buchstabe(n) fehlinterpretiert zu werden.125

150  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

42  Erste Testvarianten als technische Prototypen der Lorm Hand. Links: Flache Form mit leitfähiger Tinte. Rechts: Tief­ gezogene Form mit Kupferband

43  Taubblinde Teilnehmer testen die eigens für Nutzertests angefertigte transportable, drehbare Variante der Lorm Hand 1.0. Die Kommunikation mit dem Forschungsteam erfolgt dabei über mehrere Stufen. Nicht im Bild zu sehen: die gehörlose Lorm-Dolmetscherin und eine Gebärden-Dolmetscherin für die ­Verständigung zwischen der Lorm-Dolmetscherin und dem Forschungsteam

44  Circuit für die drucksensitive Oberfläche der Lorm Hand 2.0 („Pressure-­Sensing“). Das Layout basiert auf dem des Lorm Gloves, mit kleinen Anpassungen hinsichtlich der Größe und Form.

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  151

45  Positiv-Form für die Lorm Hand 2.0. Die Papierauflage dient der Veranschau­ lichung zur Platzierung des Circuits und der sensorischen Oberfläche (s. 46).

46  Links: Nahaufnahme der ineinander verzahnten Kupferlinien-Struktur des Sensor Circuits, welche als Basis der Drucksensorik dient. Rechts: Der abgezogene zweilagige Stoffbezug zeigt das darunterliegende „Innenleben“ der Lorm Hand 2.0. Der schwarze innere Stoff des Handschuhbezugs ist elektrisch leitfähig, ­ arüberliegendes Cover. der weiße dient als d

Der Software können zudem neue oder individuelle Gesten während der Laufzeit „beigebracht“ werden. Sie kann sich dadurch bestimmten Schreib-, Haltungsoder „Verhaltensweisen“ einzelner Nutzerinnen und Nutzer gegenüber anpassen und außerdem das bestehende Alphabet um zusätzliche Sonderzeichen, Symbole, ­Ziffern oder Begriffe erweitern, oder aber bestimmte „Shortcuts“ (Abkürzungen, Tastenkürzel) generieren.126 Mit Lorm Hand 3.0 konnte durch die Verwendung kapazitiver Sensor-Schichten ein Verzicht auf den Stoffbezug erreicht werden, der bei der Vorgängerversion noch vonnöten war. Sie verfügt über eine sehr glatte Oberfläche, sodass das Schreiben (und die damit verbundene Gestenerkennung und Buchstabengenerierung)

152  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

47  Besucherin auf dem „Fachtag barrierefreie Medien“ (Münchner Medientage) testet Lorm Hand 2.0.

ohne große Schwierigkeiten funktioniert, da der lormende Finger nicht mehr über raue Oberflächen „stolpert“ oder durch Verrutschen von Stoffbezügen falsche Buch­ staben ausgegeben werden. Diese neue Version ist stabil,127 lässt sich einfach transportieren und mit wenig Aufwand aufbauen, in Gang setzen und interaktiv nutzen. Mit dieser Version wurde die Zielvorgabe umgesetzt, eine Form ohne bewegliche oder abnehmbare Elemente (wie z. B. einem Stoffbezug) zu generieren. Es konnte somit eine Variante entwickelt werden, die unkompliziert zu reinigen ist, ohne dass dafür bestimmte Teilelemente entfernt bzw. auseinander und wieder zusammengebaut werden müssen. Auf der Rückseite der Lorm Hand wurden zwei weitere kapazitive Bereiche platziert, die der gezielten Aktivierung der Sensoren dienen. Der Nutzer kann nun problemlos die Hand berühren und erfühlen, um sich ihrer Struktur, Form und Anordnung gewahr zu werden. Erst wenn er seine andere (nicht die Schreib-)Hand auf (bzw. unterhalb) der Lorm Hand-Rückseite platziert, werden – sofern er die besagte Stelle berührt – die Sensoren und die Pattern Recognition (Mustererkennung) aktiviert. Da ein Schwellenwertverfahren („Thresholding“) basierend auf Druck (Pressure) nicht möglich ist, wenn kapazitive Sensoren verwendet werden, ergibt sich somit eine elegantere Lösung gegenüber dem Knopfschalter, der noch bei der ersten ­Version verwendet wurde.128 Version 3.0 erlaubt auch aus folgendem Grund eine authentischere Nutzung: Beim Lormen zwischen zwei Personen ist es gängige Praxis, die Hand des Gesprächspartners zu halten, in die man hineinlormt. Gerade weil (hör-)sehbehinderte Menschen so eine bessere Wahrnehmung bzw. ein genaueres Verständnis gegenüber der Hand (und deren Größe, Form etc.) entwickeln, auf der sie lormen.

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  153

48  Links: Platzierung der kapazitiven Sensorschichten (Kupfer) auf der finalen Form der Lorm Hand 3.0, die anschließend mit einem Epoxidharz129 überzogen wurde. Rechts: Markierung und Vermessung der Kabel und Kanäle, vor deren Einbettung in der Lorm Hand

49  Lorm Hand 3.0 beim Nutzertest (­Ausschnitt aus der SWR Wissenschaftssendung „Odysso“)

Erkenntnisse wie diese wären ohne die unmittelbare Einbindung von Alltags­ experten wohl schwer möglich gewesen. So hatten die Nutzertests im Zuge des ­Entwicklungsprozesses mehrfach verdeutlicht, dass eine lormende Person in der Regel das Bedürfnis hat, die Hand (in die gelormt wird) immer wieder anzufassen, um sich ihrer Form, Größe, Position sowie der Anordnung und Länge der Finger zu vergewissern. Dies gilt insbesondere für Menschen mit starker Sehbehinderung. Findet die Kommunikation auf direktem Wege zwischen zwei Menschen statt (also ohne Verwendung eines Lorm Gloves), so lassen sich derartige Berührungen vergleichsweise einfach von Berührungen unterscheiden, die als Schreiben/Lormen intendiert sind. Für ein technisches System, das auf automatisierten Verfahren und kapazitiven Flächen basiert, ist diese Unterscheidung jedoch schwierig. Dadurch, dass die kapazitive Methode auf einem binären (on/off) Prinzip beruht, trat im Rahmen der Untersuchungen häufig der Fall ein, dass ungewollte Berührungen bzw. das nicht-intendierte Auslösen der Sensoren durch die eher simpel konzipierte ­Sequenz-Abgleich130-Software fehlinterpretiert, also nicht im Sinne der nutzergenerierten Schreibintention wiedergegeben wurden.

154  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

50  Prototypische Evolutionsstufen: Die Entwicklung des Lorm Gloves und der Lorm Hand verlief parallel und unter dem Eindruck einer beidseitig erkenntnisfördernden Befruchtung.

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  155

Bei einem tragbaren Gerät, wie z. B. einem Handschuh, tritt diese Schwierigkeit im Vergleich seltener auf. Grund hierfür ist die Propriozeption (Lagesinn), also das Wissen und die Wahrnehmung des Nutzers bezüglich der eigenen Hand. Schreibt bzw. lormt man sich also mit dem Finger der einen in die Handfläche der anderen Hand, so verfügt man dabei in der Regel über eine Grundvor­stellung bezüglich deren Position, Größe und Anordnung. Im Unterschied zu einer externen Hand wie der Lorm Hand bedarf es hierzu also seltener des Versuchs, sich durch ­Tasten und Greifen dieser Koordinaten zu vergewissern.131 Anhand der folgenden Übersicht sollen die unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Lorm Devices noch einmal kurz veranschaulicht werden.

3.2.4  Re-Framing und kontextübergreifendes Potenzial der Lorm Devices Die Zielvorgabe der Fallstudie II bestand in der Entwicklung eines Systems, das auch über den Taubblindenkontext hinausgeht und Möglichkeiten für andere Anwendungsbereiche bietet. Um solche Anwendungskontexte besser eruieren zu können, bietet sich ein Re-Framing an. Der Begriff des Re-Framings und seine Anwendung als Designmethode wird in Kapitel 3.3 (Erprobung im Unterricht, Phase 3) noch einmal genauer beleuchtet. Generell geht es beim Re-Framing darum, zu überprüfen, inwieweit sich einer bestimmten Ausgangsposition neue Bedeutungen zuweisen lassen, indem sie in einem anderen Kontext, also einem anderen Rahmen („Frame“), betrachtet werden.132 Anhand solcher Re-Framings wurde also überprüft, inwiefern sich das ursprüngliche Konzept der taktilen Informationsübermittlung, etwa mittels eines handnahen Wearables (mit dem Ausgangspunkt: Hörsehbehinderung) auch kontextübergreifend übertragen ließe, wie z. B. in haptisch-interaktive Arbeits-, Gamingoder Sport-Bekleidung. Im Fokus standen dabei die Ermöglichung und Unterstützung von Kommunikationsprozessen, die unter erschwerten Bedingungen (z. B. lauten Umgebungen) stattfinden, etwa in den Bereichen Rettungswesen, Industry & Maintenance, Sport und Outdoor Aktivitäten. Die Fallstudie diente somit auch dazu, das Potenzial entsprechender proto­ typischer Abwandlungen und Technologietransfers der hier entwickelten Konzepte (Lorm Glove und Lorm Hand) in andere Anwendungsgebiete zu eruieren, die nicht zwangsläufig etwas mit dem ursprünglichen Untersuchungs- und Nutzungskontext Taubblindheit zu tun haben. Dazu können beispielsweise auch solche Bereiche zählen, in denen hörende Menschen besonders lauten oder besonders leisen Situationen ausgesetzt sind (z. B. Fabrikarbeiter, Bühnenarbeiter). Abstrahiert man beispielsweise das – dem Lorm-Kontext entnommene – Prinzip einer taktilen Informationsübermittlung und setzt sie in Bezug zu einem textilen, also Bekleidungskontext (der sich ebenfalls wiederum in verschiedene Unter­ kategorien, wie z. B. Sport-, Arbeits-, Funktionskleidung aufschlüsseln lässt), so

156  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

lassen sich daraus abermals neue Konstellationen erschließen: ein Ski-, Motorrad- oder Torwarthandschuh mit eingebauter Sensorik; ein Arbeitshandschuh mit ­integrierter Aktuatorik; eine interaktive, drucksensitive Handskulptur im Gaming-­ Bereich. All dies eröffnet neue Möglichkeits- und Assoziationsräume.133 Ausgehend von den bestehenden Varianten des Lorm Gloves und der Lorm Hand ergaben sich hieraus Möglichkeiten für Ausarbeitungen in weiteren Anwendungsgebieten des Bereichs Assisted Living und weit darüber hinaus, wie z. B.: • Digitale Kommunikation und Control Interfaces für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Mit dem Fokus auf Taubblindheit ist dies der ursprüngliche Anwendungsbereich des Lorm Gloves, doch ließe sich dieser erweitern, z. B. um Nutzerinnen mit eingeschränkter Mobilität Zugang zu digitaler Information oder der Steuerung elektronischer Geräte zu erleichtern. • Activity Tracking und Monitoring-Systeme für ältere oder ­kognitiv eingeschränkte Menschen, zum Vorbeugen oder ­Erkennen von Unfallsituationen oder als Erinnerungs- und Orientierungshilfe. • Reha und Therapie-Programme, z. B. bei Schlaganfallpatienten, Arthritis, Parkinson oder Demenz-Diagnose • Exergaming134 und Fitness in Abstimmung mit Trainingsund Gesundheitsplänen für Hobby- und Profisportler. Mögliche Kombinationen mit individuellem Datentracking zur Unterstützung der Fitness-Effizienz, etwa anhand von Messungen der Schritt- und Bewegungsfrequenz, Puls-, Laktatund Transpirationsmessung, Messung der Körper- bzw. Körperteilhaltung, Hauttemperatur und Schlafmuster oder der Dokumentation von Trainingsergebnissen • Als Teil von Prothesen-Kontroll- und Feedback-Systemen, etwa im Hinblick auf die Druckausübung von Hand-Orthesen, -prothesen oder Exohänden. • Als haptische Equalizer-Displays indem der haptische Daten-­ Output zur „Übersetzung“ oder Übertragung roher Sound­ daten verwendet wird. Etwa, um umgebungsbezogene Informationen an Nutzende zu übermitteln, die nicht zwangsläufig an Wort- oder Schriftsprache gekoppelt sind. Dies impliziert auch, Umgebungsgeräusche wahrzunehmen zu können, die naturgemäß eher akustisch sind (z. B. Türklingeln, Explosionen, herannahende Autos, Babygeschrei …). • Outdoor-, Location-based-135, Mobile und Pervasive Games136

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  157

Hier zeichnet sich weiteres, disziplin- und kontextübergreifendes Forschungspotenzial an der Schnittstelle zu unterschiedlichen Forschungsbereichen ab. Es zeigt sich ferner, inwiefern inklusionsorientierte Designforschungsansätze nicht nur auf vereinzelte Behinderungskontexte fokussiert bleiben müssen, sondern sich d ­ amit verbundene Erkenntnisse, Anwendungen und Lösungsansätze auch verallgemeinern lassen.

3.2.5  Reflexion der Fallstudie II Zur Ausführung dieser Fallstudie wurde, auf einen entwurfsbasierten Forschungsansatz gestützt, auf das „Research through Design“-Modell zurückgegriffen. Ausgangspunkt hierfür war die Frage, wie die Gestaltung digitaler Schnittstellen dazu beitragen kann, taubblinden und hörsehbehinderten Menschen die Kommunikation mit anderen Menschen zu erleichtern. Daran anknüpfend wurde zudem die Frage gestellt, welche weiteren Nutzungskontexte sich dadurch erschließen und adressieren lassen – sei es für die Nutzergruppe taubblinder Menschen oder darüber hinaus. Hierzu wurden in jeweils drei Iterationsstufen aufeinander aufbauende Prototypen-Generationen des Lorm Gloves (als tragbarer, textiler Interaktionsapparat) und der Lorm Hand (als haptisches Interface zur Anbindung an soziale Netzwerke sowie als Lern-Tool) entwickelt, getestet und im Rahmen zahlreicher Ausstellungen und Präsentationen öffentlich zugänglich gemacht. Das Hauptaugenmerk im Rahmen der Forschung und Entwicklung lag dabei insbesondere auf der technischen Machbarkeit und auf Fragen hinsichtlich der Usability und Wearability. Die Maßgabe bestand darin, funktionsfähige Prototypen anzufertigen und einem ­gro­ßen (potenziellen) Nutzerkreis zugänglich zu machen und sie durch die sich daraus ­ergebenden Testmöglichkeiten maximal optimieren zu können. Die Fallstudie erfolgte dabei in enger Verzahnung einer experimentellen Forschungs- und Gestaltungspraxis, in der die aktive, prozessübergreifende Einbindung primär und sekundär Betroffener ebenso maßgeblich war wie die Implementierung der jeweiligen Prototypen in reale Anwendungskontexte. Dies erlaubt gleichermaßen Rückschlüsse über die Nutzung und Entwicklung der technischen Geräte selbst sowie über den Ansatz einer Forschung durch Design. Beides soll im Folgenden kurz reflektiert werden.

Technische Evaluation Der Lorm Glove 3.0 funktioniert als „Wearable“ drahtlos und kann mit G ­ eräten verbunden werden, die das Bluetooth Serial Profile unterstützen – wie z. B. ­Bluetooth-aktivierte Desktop- oder Laptop-Computer, Android oder iOS Smart-

158  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

phones oder Tablets. Er ist leicht,137 einfach zu bedienen und wird von einem Akku mit einer Mindestlaufzeit von (derzeit) sechs Stunden betrieben. Es wurde eine Software für eine Desktop-Umgebung entwickelt, die auf dem Processing Environment basiert. Diese ermöglicht es auch, neue Gesten „aufzunehmen“ bzw. zu „erlernen“ sowie bereits existierende Gesten zu editieren. Die Software wurde zur Nutzung durch Android-Geräte optimiert. Ihr Service Spektrum umfasst eine Speech-to-TextFunktion und die Nutzung von SMS-Diensten. Nutzende können dadurch Wörter oder Sätze über das Mikrofon des Smartphones oder Tablets diktieren,138 die dann mithilfe der Aktuatoren auf dem Lorm Glove als Lorm-Gesten wiedergegeben werden. Der Träger des Lorm Gloves kann im Gegenzug Textnachrichten verfassen, versenden sowie eingehende Textnachrichten per Vibration empfangen. Die ergänzend zum Lorm Glove entwickelte stationäre Lorm Hand wurde als Tangible User Interface (TUI)139 konzipiert, mit einer dreidimensionalen Handform als Schnittstelle zur Erschließung digitaler Inhalte. Auf der Lorm Hand können ­mithilfe von Berührungen Buchstaben des Lorm-Alphabets und somit Textnachrichten verfasst werden, die dann auf einem Bildschirm angezeigt und im gleichen Zuge auf zwei der größten Online Social Network Services – Twitter und Facebook – gepostet werden (können). Dadurch ermöglicht die Lorm-Hand zahlreichen Menschen, die in ihren Kommunikationsmöglichkeiten sonst stark eingeschränkt leben, große Zuhörerschaften und Kommunikationspartner sowie die generelle Chance, Aufmerksamkeit zu erreichen. Ein Potenzial, das einer der Teilnehmenden so beschrieb: „Die Lorm Hand verschafft uns Gehör!“140 ­ örende Zugleich verfügt sie über einen Nutzungswert für sehende und/oder h Menschen, die das Lorm-Alphabet entweder bereits beherrschen oder es aber gern erlernen und praktizieren möchten. Durch die Möglichkeit, einen Zugang zur ­Kommunikationsweise des Lorm-Alphabets sowie generell zur Lebenswelt Taubblinder zu schaffen, fungiert sie somit auch als didaktisches Lern- und Einstiegstool für sehende Menschen. Anders als beim Lorm Glove, der als Wearable eher zur individuellen Nutzung vorgesehen ist, erfüllt die Lorm Hand vorrangig die Funktion eines „Public Interfaces“, das durch eine Platzierung an zentralen, relevanten Orten für mehrere Menschen zugänglich ist. Ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung der Lorm Devices lag in der Skalierbarkeit des Interaktionsprinzips und dessen Übertragbarkeit in andere Anwendungskontexte. Wie sich zeigte, lassen sich hierbei mehrere Varianten erschließen, nämlich zum einen weitere Nutzungsfelder innerhalb des ­Taubblinden-Kontextes ­sowie zum anderen Nutzungspotenziale, die über die Gruppe taubblinder Menschen hinausgehen. Letzteres bezieht sich beispielsweise auf Übertragbarkeiten des Interaktionsprinzips in Bereiche der Arbeitstechnik, des Gaming-Sektors oder in Health-Technologien. Ersteres bezieht sich darauf, dass sich mithilfe der neu entwickelten Lorm-Technologien künftig auch autonome(re) Zugänge zu Informations- und

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  159

­ issenskanälen für taubblinde Nutzer ermöglichen und erleichtern lassen. In VorW tragssituationen könnte der Handschuh beispielsweise eingesetzt werden, um den persönlichen Übersetzer zu entlasten. Indem Information außerdem ­gleichzeitig an mehrere Handschuhe (bzw. von dort aus gleichzeitig an mehrere End­geräte) übermittelt werden kann, ergeben sich nicht nur in Lehr- und Lernkontexten Möglichkeiten zur Inklusion von Taubblinden und Hörsehbehinderten. Dies gilt in besonderem Maße, indem das Interface auch als Übersetzer für Web­seiten, E-Books, Hörbücher sowie generell jegliche Form von digitalem bzw. digita­lisierbarem Text (oder auch nicht-textbasierten Metainformationen) dienen kann. Das bedeutet in zweiter Instanz auch, neue Möglichkeiten zur Teilhabe zu schaffen und zu unterstützen, in denen taubblinde Nutzer selbstbestimmter dar­ über entscheiden können, wann und wo sie sich welche Information auf welche Weise beschaffen. Dies würde letztlich auch bedeuten, soziale Abhängigkeiten (etwa zwischen Taubblinden und deren Verwandten) zu verringern. Im Blick auf eine Fortentwicklung des Lorm Gloves sollte in Erwägung ge­zogen werden, spezielle Gesten für Input und Feedback zu implementieren, um Nutzerinnen und Nutzern den vollen Umfang der im weiteren Sinne ­telekommunikativen Handlungsoptionen zugänglich machen zu können. Dazu zählt beispielsweise das Öffnen, Durchsuchen und Auswählen eines Kontakts aus einem Adressbuch oder die Benachrichtigung über eingehende Nachrichten („You got mail!“) sowie die Möglichkeit, darauf entsprechend reagieren zu können (Lesen, Antworten, Weiter­ leiten etc.). Des Weiteren wird es wichtig sein, bestimmte metakommunikative ­Signale empfangen und verarbeiten zu können. Diese sollten sich über die vorhandene Anordnung der Aktuatoren oder aber mithilfe dann zusätzlich platzierter ­Aktuatoren anzeigen bzw. mitteilen lassen. Metakommunikative Signale können den Nutzer beispielsweise über den Gerätestatus (Empfang, Batterie etc.), über die Verfügbarkeit von Kommunikationskanälen, Probleme während der Kommunikation, den Status bestimmter Vorgänge oder aber über verpasste Anrufe, den eigenen momentanen Standort, zur Navigation oder zur Anzeige von Uhrzeit, Wetter, Himmelsrichtung oder Kalender-Ereignisse in Kenntnis setzen. Mittelfristig stellt sich hierbei auch die Frage, inwiefern der Lorm Glove unabhängig von anderen Geräten (z. B. Smartphones) funktionieren und somit selbst als eigenständiges mobiles Kommunikationsgerät für taubblinde Nutzerinnen und Nutzer funktionieren kann bzw. sollte. Denn deutlich wurde auch dies: Je mehr sich der Lorm Glove in seinen unterschiedlichen Prototypen-Versionen dem Stadium einer vollen Funktionsfähigkeit annähern konnte, desto offensichtlicher wurden die Unzulänglichkeiten anderer, gängiger mobiler Geräte und Services in Bezug auf ­deren Nutzung durch taubblinde Menschen. Deutschlandweit und international wurden und werden der Lorm Glove und die Lorm Hand auf zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen, Ausstellungen141 und interaktiven Präsentationen142 gezeigt und vorgestellt. Beide Projekte wurden ­zudem mit mehreren Preisen ausgezeichnet.143

160  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

Evaluation des Research-through-Design-Prinzips Wie bereits dargelegt, sind Designentscheidungen aus der entwurfsbasierten Forschung (zumindest im vorliegenden Fall) schwer von Erkenntnissen des partizipativen Forschungsansatzes zu trennen. Denn ebenso sehr, wie die Rückmeldungen der Teilnehmenden stets neue Fragen des Entwurfs provozierten, so führten auch die neuen Entwurfsvarianten zu abermals neuen Fragestellungen im Partizipations­ prozess. Die unterschiedlichen Prototypen des Lorm Gloves und der Lorm Hand dienten somit als Proofs-of-Concept auf mehreren Ebenen. Durch sie konnte einerseits die technische Machbarkeit des Konzepts bewiesen und überprüft sowie seine nutzbringende Funktion demonstriert werden. Auch dann, wenn die jeweiligen Versuchsmodelle („Working Prototypes“) noch nicht alle Funktionen reibungslos darzustellen vermochten, ließen sich wichtige Aspekte der ihnen zugrunde liegenden Konzepte daran exerzieren und nach außen vermitteln. Zusätzlich konnten weitere Herausforderungen, Potenziale und Lösungsansätze anhand der Prototypen herausgestellt, erprobt und kommuniziert werden. Gerade in den frühen Prototypenstadien des Lorm Gloves war es hilfreich, wenn das Gerät einfach, oft, unkompliziert und schnell zusammen- und auseinandergebaut werden konnte. Seine Komponenten sollten zudem leicht zugänglich sein, vor allem in Hinblick auf mögliche Modifikationen, Wartung, Instandhaltung und Reparaturen. Auch (oder gerade) durch sein frühes, offenes, unfertiges, sich veränderndes und veränderbares Stadium konnte der Prototyp hier bereits wertvolle ­Erkenntnisse sowohl für seine Fortentwicklung als auch in Hinblick auf seine ­spätere Implementierung liefern. Ebenso ließ sich feststellen, dass die veränderten Formen und Nutzungsweisen, die durch die unterschiedlichen Varianten möglich und adressierbar wurden, ihrerseits dazu führten, dass neue Formen der Forschungs- und Gestaltungs-­ Partizipation möglich wurden. Beim Lorm Glove 2.0 zeigte sich dies in besonderem Maße: Dadurch, dass das Wearable mit dieser Variante nun unkompliziert an- und abgelegt bzw. getragen werden konnte, ergaben sich deutlich mehr Gelegenheiten, es im Rahmen von zahlreichen Veranstaltungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das hieraus resultierende breite Spektrum an Observationen und Nutzer-Feedback war elementar für die weitere Entwicklung des Lorm Gloves und der Lorm Hand. Durch die zunehmende öffentliche (z. T. mediale) Präsenz des Projektes wurde es zudem immer öfter auch von externen Institutionen, Personen und Medien144 als „Paradebeispiel“ für die Potenziale von Design und Technologie in Bezug auf Barrierefreiheit und Inklusion verwendet, mit dem darüber hinaus auch das Thema „Taubblindheit“ und die Belange taubblinder Menschen öffentlich diskutiert wurden. Die Prototypen dienten somit nicht nur der technischen Fortentwicklung, sondern konnten ihrerseits als „Aufklärungswerkzeuge“ im Sinne einer Themensensibilisierung im öffentlichen Diskurs dienen. Gerade auch von externer

FALLSTUDIE II: „INTERAKTIV INKLUSIV – TOOLS FOR EMPOWERMENT“  161

Seite (Kuratorinnen, Journalisten, Interessensverbänden etc.) wurde das Projekt dazu genutzt, sowohl einem Fachpublikum als auch der breiten Öffentlichkeit die Möglichkeitsspielräume der Gestaltung digitaler Interfaces für Taubblinde, auch hinsichtlich der Herausforderungen und Potenziale interaktiver Medien und Barrierefreiheit, aufzuzeigen sowie generell auf das Thema Taubblindheit, soziale Isolation und Inklusion aufmerksam zu machen. Insgesamt konnte in dieser Fallstudie somit auf unterschiedliche Weise ­observiert werden, wie Nutzende mit Prototypen interagieren, welche Erwartungen sie an diese stellen und welche Schwierigkeiten sich in der Nutzungsaneignung sowie der generellen Interaktion und User-Experience ergeben. Im Zuge der hier ­erlangten Observationen konnten die jeweiligen Prototypen (in den entsprechenden Entwicklungsstufen) maßgeblich optimiert werden. Durch seine dauerhafte Präsenz sowohl bei öffentlichen Veranstaltungen als auch durch seine hohe Medienpräsenz (nicht zuletzt auch in den sozialen Netzwerken)145 wurde das Projekt von vielen Institutionen, Medien und Protagonisten im Bereich Technik und/oder Inklusion als Tool auf unterschiedlichen Ebenen deklariert und genutzt: Zum einen als „Awareness Tool“ zu Accessibility-Themen im Bereich der Technologie. Zum anderen als „Educational und Learning Tool“ im Sinne einer Einstiegshilfe zum Erlernen des Lorm-Alphabets und zur Demystifizierung der Kommunikationsmöglichkeiten mit taubblinden Menschen. Sowie schließlich und allem voran als „Kommunikations- und Übersetzungstool“. Das Projekt trägt dadurch weiterhin fortwährend zu einer Vermittlung der ­Belange Taubblinder bei. Des Weiteren befördert es den öffentlichen Diskurs hinsichtlich eines vorurteilsfreien Umgangs mit Behinderung einerseits und eines ­barrierefreien Zugangs zu digitalen Medien, Online-Communities und Technik andererseits. Vor diesem Hintergrund leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag zur Frage, welche Rolle Technik (und deren Gestaltung) in Bezug auf Inklusion spielt. Und daraus abgeleitet, welche Rolle sie künftig möglicherweise verstärkt spielen kann bzw. sollte. Während der Fokus in Fallstudie I vor allem darauf gerichtet war, Potenziale zur Inklusion anhand von (partizipativen) Gestaltungsprozessen zu verdeutlichen, lag das Hauptaugenmerk in Fallstudie II insbesondere auf Inklusionspotenzialen anhand von Gestaltungsresultaten. Wie bereits dargelegt, erfolgte die Fallstudie zu einem großen Teil entwurfsbasiert, wurde jedoch über ihren kompletten Zeitraum ebenfalls mit partizipativen Iterationen von primär und sekundär Betroffenen flankiert. Hier zeigte sich, dass für die prototypischen Iterationsphasen beides notwendig ist: der direkte und aktive Miteinbezug von Alltagsexperten und der zwischenzeitliche „Rückzug“ in die werkstättische „Labor-Umgebung“. Einem solchen, gleichermaßen entwurfsbasierten und partizipativen Designforschungsansatz lag und liegt somit weiterhin die Annahme zugrunde, dass die Chancen auf inklusive Gestaltungsresultate ansteigen, wenn bereits die vorgeschalteten Forschungs- und Gestaltungsprozesse teilhabeorientiert sind.

162  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

Die im Folgenden erläuterte Erprobung im Unterricht ist darauf angelegt, diese beiden perspektivischen Ausrichtungen zusammenführend für die Gestaltungsdidaktik, etwa anhand von Projektarbeiten im Rahmen des Designstudiums, zugänglich zu machen.

3.3  Erprobung im Unterricht Wie die beiden Fallstudien (I und II) veranschaulichen konnten, lassen sich Aspekte in Bezug auf Inklusion sowohl durch Gestaltungsprozesse als auch anhand von ­Gestaltungsresultaten evozieren. Aufgrund der normativen Kraft, die häufig von Gestaltung ausgeht, verläuft die Rolle des Gestaltenden dabei auf einem schmalen Grat: Der positiv assoziierten Lesart von Gestaltung als „Unterstützung“ steht ­immer auch die negativ assoziierte Lesart von Gestaltung als (gewollte oder ungewollte) „Untermauerung von Machtgefügen“ entgegen. Es ist augenscheinlich, dass eine Sensibilisierung für die damit verbundenen Fallstricke und Potenziale bereits früh in gestaltungsrelevanten (Aus-)Bildungs­ zyklen verankert sein muss, um sich nachhaltig in einem gewandelten (Selbst-)Verständnis der Gestaltungsdisziplinen und ihrer Akteure zu manifestieren. Es wurde daher untersucht, wie sich die oben angesprochenen Aspekte ­kon­­struktiv in Projektarbeiten eines Designstudiums implementieren lassen können. Hierzu wurde eine zweiteilige, aufeinander aufbauende Projektreihe mit Stu­ dierenden der German University in Cairo (GUC)146 konzipiert und durchgeführt, in deren Rahmen gleichermaßen „explizite“, „universale“ und „cross-funktionale“ Gestaltungsansätze147 von und mit Studierenden aus unterschiedlichen Designfachrichtungen erarbeitet wurden.148 Im Fokus standen also Varianten von Ge­ staltungsansätzen, bei denen Behinderung entweder als direkter Adressat oder als Vorbedingung zu einem universalen Gestaltungsverständnis oder aber als Ausgangspunkt für abgeleitete, de-kontextualisierte Anwendungsrealitäten f­ ungiert. Zur Vorbereitung auf dieses in 3.3.5 beschriebene Lehrformat wurden zunächst zwei Vorstudien durchgeführt, deren methodische Erkenntnisse als Basis für die Kurs-Konzeption dienen sollten. Es handelte sich dabei um eine Vorstudie zu Möglichkeiten und Schwierigkeiten des „simulativen Selbstversuchs“ (3.3.2) und einer Vorstudie zu partizipativen Explorationen in Bezug auf cross-funktionale ­Gestaltungsansätze (3.3.3). Bevor die beiden Vorstudien eingehend dargelegt werden, wird im Folgenden kurz festgehalten, inwieweit Methoden „simulativer Selbstversuche“ auch kritisch zu hinterfragen sind (3.3.1).

ERPROBUNG IM UNTERRICHT  163

3.3.1  Ambivalenz simulativer Selbstversuche Ergänzend zur Literaturrecherche, zu Observationen und der praktischen, das heißt aktiv gestalterischen Themenerschließung wurde die Forschungsarbeit in sämtlichen Projektphasen von Gesprächen und Begegnungen mit primär oder sekundär betroffenen Personen bzw. entsprechenden Institutionen149 begleitet. Gerade mit Hinblick auf Fragen zu „behinderungstypischen“ Interaktionsparametern (Wie navigieren Blinde an öffentlichen Orten? Wie kommunizieren Gehörlose untereinander?) und Fragen zur sozialen Interaktion mit Nicht-Behinderten (Wie reagieren Nicht-Behinderte auf Menschen mit Behinderungen? Welche Vorurteile haben Nicht-Behinderte gegenüber Behinderten? Worauf beruhen diese Vorurteile? Wie lassen sich diese Vorurteile abbauen? Welche Rolle spielt dabei die direkte Begegnung mit behinderten Menschen?) waren diese Kontakte hilfreich und motivierend. Es zeigte sich allerdings auch, dass nicht nur die Gespräche über und mit Behinderten, sondern insbesondere auch die direkte Selbst-Konfrontation mit „behindernden“ Umwelteinflüssen zu einem erhöhten Themenbewusstsein und auch zu einer größeren Aufgeschlossenheit der nicht-behinderten Teilnehmenden der ­Fallstudien führten.150 In der Gestaltungspraxis, etwa in Ansätzen des Inclusive Designs, sind verschiedene Konzepte der Selbst-Konfrontation mit „Behinderungsthemen“ bekannt („Experience Simulation“). So z. B. der „Age-Suit“151 oder andere „Capability Simulatoren“,152 deren Zweck darin besteht, bestimmte Sinnes- oder Körperfähigkeiten von „nicht-behinderten“ Menschen (wie z. B. mit Gestaltungs­ aufgaben konfrontierten Designerinnen, Architekten, Städte- oder Verkehrsplaner) temporär einzuschränken, um somit Behinderungssituationen besser nachempfinden zu können. Häufig verwendete Simulatoren sind beispielsweise: Brillen, die die Sehkraft verfremden, einschränken oder verunmöglichen; Kopfhörer, die die Hörkraft einschränken oder verfremden oder entsprechend präparierte Schuhe, Handschuhe und Anzüge, mit denen die Mobilität, das Laufen, das Bücken, das Tragen oder Greifen von Gegenständen erschwert wird. Aus Kreisen von Behinderteninteressenvertretern wird bisweilen kritisch auf die Ambivalenz solcher Simulationsansätze hingewiesen. Zum einen dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass derartige (noch dazu temporäre) Simulationen niemals eine ganzheitliche Behinderungserfahrung (etwa auf Ebene einer sozialen Exklusion) nachempfinden lassen.153 Als Unterscheidungsmerkmal einer Simulation zu einer tatsächlichen Behinderung wird u. a. die freiwillig gewählte, selbst bestimmbare Zustandsdauer vonseiten der Nicht-Behinderten genannt. Ein weiteres Unterscheidungskriterium ist die Vorerfahrung, die man als Nicht-Behinderter mitbringt: Demnach wären die Simulationserfahrungen allein schon deshalb von realen Erfahrungen behinderter Menschen zu unterscheiden, da sie in unmittel­ barem Abgleich zu eigenen (nicht-behinderten) Erfahrungen passieren. So mag der Aspekt, nichts sehen zu können, der ja auch nur einer unter vielen mit ­einer Seh­ behinderung verbundenen Aspekte ist, für einen Sehenden außergewöhnlich sein –

164  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

für einen von Geburt an Blinden wäre er aber ja normal. Viele soziale und psychologische Aspekte können also in einer solchen Form der simulativen Annäherung nicht berücksichtigt, dargestellt oder erfahrbar gemacht werden. Zudem läuft man – ähnlich wie bei der Kategorie „Alter“ bzw. „ältere Menschen“ – auch bei der Kategorie „Behinderung“ bzw. „behinderte Menschen“ schnell Gefahr, allzu verkürzte Zusammenhänge zu reproduzieren. Michael Erlhoff weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich bei „älteren Menschen“ um keine geschlossene Zielgruppe handelt: Wir müssen einfach davon ausgehen – genauso wie in allen anderen Bevölkerungsschichten – die Alten sind nicht gleich Alte. Und sie sind vor allem nicht einfach nur gebrechlich. […] Die Menschen haben ganz merkwürdige Bilder von Alter im Kopf [die auch gesamtgesellschaftlich zurechtgerückt werden müssen]. […] Auch da muss Design sich drum kümmern! (Erlhoff 2011)

Ein weiterer kritischer Aspekt besteht darin, dass Nicht-Behinderte mithilfe solcher Simulatoren der direkten Konfrontation und insbesondere dem direkten ­Mit­ein­bezug von behinderten Menschen und deren Meinungen, Erfahrungen, Wünschen, Interessen und Perspektiven aus dem Weg gehen könnten. Andererseits ist man sich jedoch auch aufseiten der Behinderteninteressensvertretungen vielfach einig, dass solche Mittel überhaupt als erster Einstieg oder erste Annäherung an b ­ ehinderungsrelevante Themen und somit einer erhöhten Aufgeschlossenheit und der Förderung eines Behinderungsbewusstseins dienen können. Die Angebote ­vieler Behindertenverbände im Rahmen von Messen, Begegnungstagen und öffent­lichen Veranstaltungen belegen dieses Bestreben einer Öffentlichkeitssen­ sibilisierung. Sie finden sich auch in kuratierten Ausstellungskonzepten wie „Dialog im Dunkeln®“154, „­Dialog im Stillen®“155 oder dem Blindenmuseum Berlin156 sowie in „event-gastronomischer“ Form bisweilen auch in den „Dunkel-Restaurants“,157 die im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls besucht wurden. Ebenso wenig wie im Designkontext lässt sich die Methode des Selbst­ experiments im Forschungskontext (wenn überhaupt) als repräsentative Form der ­Datenerhebung annehmen, da sie aufgrund unzureichender Fallzahlen und Kontrollmangel zur Unvollständigkeit neigt. Sie sollte also keineswegs im Sinne einer quantitativen Datenerhebung zu verstehen sein. Für die Arbeit war die konfrontative Erschließung behinderungs- und gestaltungsrelevanter Themenaspekte, zu denen u. a. auch der Besuch eines Gebärdensprachkurses gehörte, dennoch auf mehreren Ebenen bedeutsam: Zum einen wurde auf diese Weise ein Abgleich in Bezug auf Annahmen, Erfahrungen, Einschätzungen und Beobachtungen möglich, die in der dialogischen Begleitung direkter und indirekter Ansprechpartner zum Teil bestätigt, zum Teil widerlegt ­werden konnte. Zum anderen konnten so die Vor- und Nachzüge simulativer Selbstversuche als ­Explorationswerkzeug näher ergründet werden.

ERPROBUNG IM UNTERRICHT  165

Es liegt also die Vermutung nahe, dass designmethodische Hilfskonstrukte wie „empathic modelling“ 158 oder „capability simulation“ dabei behilflich sein ­können, Behinderung in einem produktiven Sinne besser zu verstehen. Im gleichen Zug wirft dies die Frage auf, inwiefern sich solcherlei Praktiken auch dann nutzen lassen können, wenn man gar nicht explizit für Behinderte gestaltet. So fragt der im Jahr 2008 erblindete Architekt Chris Downey, wie eine Stadt (oder auch ein Gebäude sowie generell öffentlicher Raum) speziell für blinde Menschen gestaltet sein müsste und welche positiven Auswirkungen dies auf das ­Leben „aller“ – sowohl blinder als auch sehender Menschen – haben könnte (­Downey 2014). Ann Heylighen und Jasmien Herssens stellen vor diesem Hintergrund auch ­einige der traditionellen, weit verbreiteten und häufig eben stark visuell ausgerichteten Erkenntniswerkzeuge und -methoden von Designern und Architekten infrage (Heylighen/Herssens 2014). Demnach bergen die „Visual Ways of Knowing“ erhebliche Risiken, indem sie Gefahr laufen, visuelle Eigenschaften über nicht visuelle zu erheben. Dadurch – so Heylighen und Herssens – würden jedoch erfahrungs­ basierte, räumliche Aneignungsformen verkannt. Solche Formen der Raumaneignung, die auch akustische, haptische oder olfaktorische Aspekte mit einschließen, sind jedoch nicht nur für blinde Menschen von Bedeutung. Die von Nigel Cross als „Designerly Ways of Knowing“ bezeichneten, gestalterischen Erkenntnisweisen (Cross 2008) müssten demzufolge auch als „Designerly Ways of not Knowing“ betrachtet werden: „[The] designerly ways of knowing thus may as well be viewed as designerly ways of not knowing – of disregarding the bodily experience of the built environment“ (Heylighen/Herssens 2014). Hier wird zugleich der Rückschluss formuliert, dass Menschen mit dauerhaften Behinderungen (in diesem Fall: blinde Menschen) über Expertisen verfügen, die von Designern vielfach unberücksichtigt oder unverstanden bleiben. Könnte es also möglicherweise sinnvoll sein, Kommunikationsgeräte, öffent­ liche Plätze oder andere Gestaltungsobjekte grundsätzlich aus einer (und sei es nur zumindest teilweise subjektiv simulierten) Behinderungsperspektive heraus zu g ­ estalten? Die Ergebnisse der beiden vorangegangenen Fallstudien legen diese Vermutung nahe! Doch lassen sich ebenso Aspekte einer direkten Beteiligung von ­Betroffenen auch durch simulative Gestaltungsmethoden (zumindest teilweise) ­abstrahieren, sodass sie in Gestaltungskontexten auch dann angewendet werden können, wenn gerade kein Betroffener „verfügbar“ ist? Ein solcher Ansatz birgt durchaus ­Gefahren einer erneuten Ausgrenzung. Denn durch den Verzicht einer direkten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Forschungs- und Gestaltungsprozess würde letztlich das Gegenteil von Inklusion bewirkt werden. Insbesondere dann, wenn an tatsächlichen Bedürfnissen Betroffener vorbei operiert würde. Hier kann festgehalten werden, dass die Erfahrungen und Perspektiven ­behinderter Menschen in bestimmten Kontexten und Situationen gegenüber ­denen Nicht-Behinderter differieren können. Im Falle von Behinderungen wie

166  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

Taubblindheit, Gehörlosigkeit oder Blindheit, kann dies beispielsweise bei Aspekten der Kommunikation, der Wahrnehmung oder der sozialen Interaktion der Fall sein. Um solche Erfahrungen und Perspektiven annähernd nachzuvollziehen und nicht einzig aus Literaturquellen und Befragungen zu beziehen, können simulative Selbstversuche allenfalls als Möglichkeit eines subjektiven Einblicks in bestimmte Themenfelder fungieren. Es soll daher auch festgehalten werden, dass dies lediglich im Sinne eines Einstiegs in die Thematik passieren kann, bei dem es darum geht, ein ungefähres Gespür für einen dem Forscher bis dato unbekannten Zustand zu erlangen. Beispielhaft und grob gesprochen: Wie ist das eigentlich, „nicht sehen“ zu können? Als erste von zwei Vorstudien zur gestaltungsdidaktischen Implementierung anhand des Studienprojekts „Against Normality“ (Kapitel 3.3.5) wurde ein solcher simulativer Selbstversuch unter dem Titel „One Day blind in Berlin“ durchgeführt.

3.3.2  Simulativer Selbstversuch – One Day blind in Berlin (Vorstudie A) Die selbst-konfrontative Themenannäherung erfolgte in Form eines ganztägigen Explorationsformats, dem „One Day blind in Berlin“.159 Im Wissen um die kritischen Aspekte solcher Formate, ging es hier um die Aufdeckung und Sammlung von selbst gemachten Beobachtungen in Vorbereitung auf einen späteren dialogischen Abgleich mit tatsächlichen Blindheitsexperten. Und dabei zum einen um Fragen der Navigation im öffentlichen Raum, zum anderen um Fragen inklusionsrele­vanter Schnittstellen, etwa in Bezug auf den Umgang und die Reaktionen Sehender auf blinde Menschen. In Vorbereitung auf diesen Tag hatte eine intensive Einführung beim Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin e. V. (ABSV) unter Leitung von Orientierungs- & Mobilitätstrainerin Regina Beschta160 stattgefunden, in deren Rahmen der korrekte Umgang mit dem Langstock161 vermittelt und über die richtige Fortbewegung in öffentlichen Räumen sowie Gefahren und empfohlene Verhaltens­ weisen aufgeklärt worden war. Als Setting für „One Day blind in Berlin“ wurde ein gewohnheitsmäßiger Tagesablauf in einer gewohnten Umgebung gewählt.162 Da davon ausgegangen werden konnte, dass der Forscher mit einer Reihe an neuen Eindrücken und ungewohnten Herausforderungen konfrontiert werden würde, sollten diese nach Möglichkeit im Vergleich mit bekannten bzw. gewohnten Alltagserfahrungen passieren, um einerseits spezifische Unterschiede besser feststellen zu können und zugleich genügend Raum für Unvorhergesehenes offen zu halten. Der „One Day blind in Berlin“ begann somit in der Wohnung des Forschers mit für ihn typischen Abläufen wie Zähneputzen, Ankleiden, Kaffee kochen, kleinem Frühstück (Kaffee, belegtes Brötchen,

ERPROBUNG IM UNTERRICHT  167

Müsli) und Ankleiden. Im Anschluss folgte ein Gang zur U-Bahnhalte­stelle, von wo aus es mit den öffentlichen Verkehrsmitteln weiter Richtung Innenstadt (Berlin ­Alexanderplatz) ging. Hier bestand die erste Aufgabe darin, in einem der zahlreichen Bekleidungsgeschäfte des örtlichen Einkaufscenters163 einen passenden Gürtel zu finden.164 Es folgten weitere Einkaufssituationen, wie z. B. ein ­Beratungsgespräch zu Mobiltelefonen in einem nahegelegenen Elektronikfachhandel, eine weitere Fahrt mit S-Bahn, U-Bahn und einem öffentlichen Nahverkehrsbus. Sowie ein Spaziergang vom Alexanderplatz über die Straße „Unter den Linden“ bis zum Pariser Platz, ein Rundgang ums Brandenburger Tor, ein Besuch in einer Pizzeria165 und in einem Café.166 Viele der im Zuge dieses Selbstversuchs empfunden Eindrücke wurden als neuartig, einige davon als schwierig zu bewältigen wahrgenommen. Einige erforderten eine gewisse Eingewöhnungszeit, andere wurden schnell adaptiert. Dazu zählte auch die vergleichsweise schnelle Eingewöhnung an eine Langstock-basierte und haptische Raumerschließung. Hingegen fiel die akustische Orientierung wider Erwarten häufig unzureichend und irritierend aus. Ferner waren Auswirkungen auf ein verändertes Zeitgefühl zu verzeichnen: Wege und Aktionen erschienen plötzlich deutlich länger. Dies ging einher mit einer veränderten räumlichen Wahrnehmung: Distanzen und Wegstrecken schienen unverhältnismäßig länger als sie tatsächlich waren. Wie bereits erwähnt, gilt diese Empfindung aus der Perspektive einer ansonsten sehenden Person, die lediglich temporär und in einer künstlich erzeugten Ausnahmesituation mit neuen Wahrnehmungs-, Navigations- und Interaktionsparametern konfrontiert wurde. Die gewonnenen Eindrücke müssen daher nicht zwangsläufig universell, und schon gar nicht als generell übertragbar auf blinde Menschen im Allgemeinen gelten. Gleichwohl konnten viele der hier gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse als Grundlage zu weiteren gestaltungsrelevanten Auseinandersetzungen im Forschungsprozess dienen. Im Anschluss (so wie auch bereits im Verlaufe des Selbstversuchs) wurden daher die größten Herausforderungen und solche als besonders bemerkenswert empfundene Eindrücke thematisch geclustert. Daraus wiederum wurden konkrete Aspekte sondiert, die für eine technisch-gestalte­ rische Adressierung167 als relevant erachtet, und folgendermaßen zusammen­ gefasst ­wurden:

168  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 



Akustische Wahrnehmung und Sound-basierte Navigation • Filtern einer Vielzahl an Geräuschen • Identifizieren einzelner Geräusche • Konzentration auf bestimmte Geräusche



Haptische Orientierung und Architektur • Orientierung anhand der Bodenstruktur und implemen­ tierten Blindenleitsystemen168 • Vorsprünge169 (v. a. in Kopfhöhe) werden vom Langstock nicht erkannt. • Bauliche und naturgewachsene Umgebung170 • Linienparallelität als bauliche Orientierungsmaßnahme171 • Griffe und Haltemöglichkeiten in beweglichen Umgebungen (z. B. Straßenbahn, Rolltreppe) • Rollstuhlgerechte (abgeflachte) Bürgersteigkanten172 ­können gefährlich für Blindennavigation sein, da das Ende des Bürgersteigs nicht erkannt wird.

51  Haptisches und ­akustisches Feedback an der Ampel

52  Links: Parallele Kanten dienen der räumlichen Orientierung. Rechts: Gefährliche Skulptur im öffentlichen Raum. Der Vorsprung in Kopfhöhe ist mit dem am Boden platzierten Langstock nicht identifizierbar. (Diese und die folgenden beiden Bilder entstammen der Video-Dokumentation „One Day blind in Berlin“.)

ERPROBUNG IM UNTERRICHT  169

• • • •

Olfaktorische Wahrnehmung und Orientierung Filtern einer Vielzahl an Gerüchen Identifizieren einzelner Gerüche Konzentration auf bestimmte Gerüche Prägnante (mitunter irritierende) Orientierungsfaktoren (z. B. Restaurant, Café, Bäckerei, Grillbuden, Parfümerie)



Somästhetische Umgebungswahrnehmung173 • Modifizierte Sinneswahrnehmung durch äußere Faktoren174 • Unterscheidung hell-dunkel



Physische und verhaltensbezogene Konsequenzen der verän­ derten Sinneswahrnehmung • (Vor allem anfänglich) Gebeugte Körperhaltung als Präventiv­maßnahme gegen mögliche Stoßhindernisse • Veränderte (zumeist höher positionierte) Kopfhaltung ­gegenüber Gesprächspartnern oder Geräuschquellen, um besser hören zu können • Ermüdungserscheinungen (z. B. durch veränderte, angespannte Körperhaltungen oder aufgrund der übersensiblen Raumerschließung)

53  Veränderte Kopf­ haltung bei der akustischen Erfassung und haptischen Lokalisierung der Soundquelle

170  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

• • • • •

Interaktion mit Außenstehenden und Reaktionen Dritter Hilfsbereitschaft, häufig geprägt von: Hilflosigkeit und Unbeholfenheit („Wie reagiere ich richtig?“) Zurückhaltenden Hilfsangeboten („Sie kommen zurecht?“) Frontal-Interaktion (z. B. durch plötzliches, unangekündigtes Anfassen) Indirekte Frontal-Interaktion (z. B. durch Ankündigung „Ich nehme Sie mal kurz an die Hand!“) Untätigkeit und Starren bei schwierigen Situationen („Was macht er wohl als Nächstes?“)

54  Hilfsbereiter Passant deutet die Richtung zum Einkaufscenter an. Wenn auch nur visuell und durch unpräzise ­Beschreibung („Einfach immer da lang!“).

Lösungsansätze zur technischen Adressierung Ausgehend von diesen Themenclustern wurde eine Auswahl erster möglicher Adressierungsansätze getroffen. Diese ließen sich beispielsweise in die Entwicklung mobiler Applikationen einbringen, etwa als Systeme zur: • Erkennung und Benennung von Verkehrszeichen • Erkennung und Benennung von Ampeln und deren Anzeigestatus • Warnung vor tendenziellen Gefahrenräumen (z. B. Bahnstrecken, Kreuzungen, Straßen, Umleitungen, Hindernisse) • Aktiven Nutzung von Datenbanken für barrierefreie Zugänge, Wege und Orte • Implementierung von Farberkennungssystemen • Ergänzung zu olfaktorischen Orientierungswegen • Haptischen175 oder akustischen Frühwarnung176 • Erkennung und Lokalisierung akustischer Quellen • Verstärkung oder zum Filtern akustischer Quellen

ERPROBUNG IM UNTERRICHT  171

Nicht alle der in diesem Selbstversuch gesammelten Eindrücke, Erkenntnisse und Adressierungsansätze mögen neuartig oder korrekt sein. Genaueres dazu herauszufinden, war Gegenstand der daraufhin abgleichenden Gespräche mit blinden Alltagsexperten. Die ganztägige Erkundung von Stadt und die Möglichkeit, Alltagshandlungen oder auch ungewohnten Herausforderungen unter Ausblendung eines ansonsten stark gewohnten Sehsinnes zu begegnen, waren im Sinne einer Erfahrung als solche neu und ungewohnt und stellten für die didaktische Implementierung einen wichtigen Ankerpunkt dar. Allein schon dadurch, dass hier gemachte Erfahrungen durch die späteren Gespräche entweder bestätigt oder widerlegt wurden. Einige der hier gemachten Erfahrungen führten bereits im Erfahrungsprozess zu ersten Lösungsansätzen. Wichtiger als diese Lösungsansätze, auf die man vielleicht auch durch Befragungen oder Beobachtungen hätte kommen können, war dabei die Einsicht, inwiefern eine veränderte Wahrnehmung und Aneignung von Räumen, Orten, Dingen und Architekturen deren Bedeutung, Definition und deren Nutzen verändern können. Einen solchen Perspektivwechsel zu vollziehen, zu erfahren und zu hinterfragen, deckt sich mit den Erkenntnissen der vorherigen Fallstudien und diente als Ausgangspunkt der didaktischen Implementierung im Rahmen des in Kapitel 3.3.5 erläuterten Studienprojekts. Um den Verlaufsrahmen des Studienprojekts klarer abstecken und mögliche Annäherungsmethoden auf einen größeren Rahmen skalieren zu können, wurde eine weitere Vorstudie durchgeführt (3.3.3). Die Grund­ motivation bestand darin, den Sachverhalt des Design-Behinderungskomplexes sachlich, zu veranschaulichen und ihn einem fachfremden Teilnehmerkreis inhaltlich sowie im produktiven Sinne zugänglich zu machen. In zwei aufeinander folgenden Workshop-Reihen wurden dazu unterschiedliche explorative Methoden ausprobiert und (weiter-)entwickelt.

3.3.3  Partizipative Exploration (Vorstudie B) Zur Vorbereitung des in Kapitel 3.3.5 erläuterten Studienprojekts wurden unter­ schiedliche partizipative Ansätze und Methoden in Form von explorativen Workshops erprobt und entwickelt. Diese fanden im offenen Format als Ganztages-Workshops statt und waren eingebettet in die jugendarbeitsbezogene ­Veranstaltungsreihe Platzspiele177 und in das mit Kolleginnen und Kollegen des Design Research Labs initiierten (und bereits in Fallstudie 1 erwähnten) Projekts StreetLab178, welches im Sommer 2009 über einen Zeitraum von vier ­Wochen als offener Living Lab-Ansatz, in enger Abstimmung mit dem Bezirksamt Neukölln (Abteilung Jugend und Familie – Jugendförderung), der Initiative „MaDonna“ (Mädchenkult e. V.) und dem ortsansässigen Quartiersmanagement (QM ) in einem eigens angemieteten Ladenlokal in Berlin Neukölln (Rütli Kiez) durch­ geführt wurde.

172  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

Sowohl die Workshops bei den Platzspielen als auch die Workshops im ­Rahmen des StreetLabs179 fanden jeweils an zwei aufeinanderfolgenden Tagen statt. Bei den insgesamt 81 jugendlichen Workshop-Teilnehmenden180 handelte es sich weder um Designer noch um Menschen mit Behinderungen, wodurch es einerseits möglich war, weitgehend frei von „vorbelasteten“ Gestaltungsannahmen zu agieren, und andererseits erste Erfahrungen und methodische Kenntnis im Umgang mit Menschen bei der Durchführung von partizipativen Projekten zu gewinnen. Ähnlich wie beim Selbstversuch „One Day blind in Berlin“ konnte mit den jugendlichen Teilnehmenden zudem eine Reihe von Annahmen, Klischees und Meinungen in Bezug auf das Thema „Behinderung“ gesammelt und diskutiert und somit eine thematische Basis für die Konzeption des darauffolgenden Lehrprojekts geschaffen werden. Darüber hinaus dienten diese explorativen ­Vorstudien dazu, sowohl Potenziale als auch die Grenzen solcher partizipativen Formate zu erproben. Denn gerade durch die hohe Zahl und Bandbreite der Akteure und den ergebnisoffenen Ansatz kann es zu Irritationen in der Forschungspraxis kommen. Das StreetLab-Setting war als „Labor in gewohnter Umgebung“181 konzipiert worden, in dem zum einen ein konzentriertes, themenbezogenes Arbeiten ermöglicht, andererseits diese Themenfokussierung nicht zu sehr durch akademisch-universitär-forscherische Umgebungen entfremdet werden sollte, wie es womöglich in den Räumlichkeiten der Universität der Fall gewesen wäre (Müller/Bieling/Lindenberg 2010). Sowohl in Bezug auf die anfänglich offenen Fragestellungen als auch mit Blick auf die jungen Teilnehmenden, die sich den Workshops teils aus Neugier und teils mit diffusen Vorannahmen zu den behandelten Themen anschlossen, stellte sich das gewählte Setting im StreetLab (bzw. bei den Platzspielen) als ­produktive Umgebung heraus. Ausgehend von den soziologischen Ansätzen der Aktionsforschung (Action R ­ esearch),182 bietet dieses Prinzip der empirischen Feld- für die Designforschung in partizipativen Forschungskontexten insofern hilfreiche Anknüpfungspunkte, als die Forschungsprozesse gemeinhin ergebnisoffen konzipiert sind und die Theoriebildung im späteren Verlauf erfolgt. Die Annäherung an die thematisierten Fragestellungen erfolgte dabei in zum Teil spielerischen, offenen und experimentellen Formaten.183 Zwei dieser Workshop-Formate dienten der hier als „Vorstudie B“ beschriebenen, thematischen Annäherung an die Themenfelder Behinderung und Inklusion. Zum einen die Workshop-Reihe „Schärfe Deine Sinne“, in der es schwerpunktmäßig um Fragen der Wahrnehmung ging. Zum anderen der Workshop „Von der Blindenschrift zur Geheimsprache“, dessen Fokus auf unterschiedliche, „­alternative“ Kommunikations- und Navigationsformen gerichtet war. Beide Workshop-Formate werden im Folgenden näher erläutert.

ERPROBUNG IM UNTERRICHT  173

Workshop: Schärfe Deine Sinne Im Rahmen dieser Workshop-Serie mit Kindern und Jugendlichen in Berlin Neukölln wurden vier ganztägige Co-Design- und Co-Experience-Workshops rund um die Themenbereiche alternativer und unterstützter Kommunikation (UK) absolviert.184 Im Deutschen wird der Begriff „Unterstützte Kommunikation“ für die englische Bezeichnung „Augmentative and Alternative Communication“ (AAC) verwendet. Augmentative Kommunikationsformen sind demnach solche, die (z. B. technisch gestützt, pädagogisch-therapeutisch begleitet) fehlende Lautsprache ergänzen können, alternative Kommunikationsformen hingegen solche, die diese ersetzen. Gängige Mittel der AAC sind beispielsweise Kommunikationstafeln, Bildund Symbolkarten oder Sprachcomputer. Insgesamt 70 Jungen und Mädchen im Alter von sechs bis zwölf Jahren nahmen an den Workshops teil, die im offenen Format stattfanden, das heißt dass keine ganztägige Anwesenheitspflicht vonseiten der Teilnehmenden erforderlich war, sondern die Workshop-Elemente adhoc durch geführt werden konnten. Darin ging es z. B. um Potenziale der Kommunikationsübermittlung jenseits von Laut- und Schriftsprache. Ferner wurden Aspekte von sichteingeschränkter ­Navigation im Raum exploriert sowie gestische und haptische Kommunikations­ formen auf ihre Qualitäten im Hinblick auf mögliche Übertragbarkeiten in den ­Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion analysiert. Ziel war es, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass die Nutzung bestimmter Sinne und damit verbundene Wahrnehmungserfahrungen ebenso wie gewohnte Kommunikations- und Interaktionsformen (mit oder ohne technische Hilfsmittel) nicht immer selbstverständlich sind, sondern es auch noch andere, alternative Formen der Empfindung und Kommunikation gibt. Das Leitmotiv dieser Workshop Reihe bestand in der Auseinandersetzung mit der Frage, inwiefern sich Teilaspekte solcher alternativen Formen auch in die Kommunikationswelten der sogenannten Mehrheitsgesellschaft implementieren lassen können. Diese Form der thematischen Erschließung diente zugleich als Basis für die zweite Workshop Reihe, in der es darum ging, Konzepte für dazu notwendige oder daraus resultierende Kommunikationstechnologien und -geräte zu entwickeln. Die Auseinandersetzung der Teilnehmenden mit eigenen und fremden Wahrnehmungs-, Orientierungs- und Kommunikationserfahrungen wurde dabei altersgerecht mithilfe unterschiedlicher, zum Teil spielerischer Erkundungsmethoden stimuliert. Diese standen jeweils in Bezug zu konkreten oder abstrahierten Fragestellungen. Beispielsweise: Wie ist das, wenn man auf einmal nichts mehr hören kann? Wie orientiere ich mich, wenn ich nichts sehe? Kann man mit verbundenen Augen besser schmecken? Wie kann man sprechen, ohne zu reden? Nach einem einführenden „Sinnes-Parcour“, bei dem die Teilnehmenden ihre Umgebung teils mit verbundenen Augen, teils mit Schallschutz-Kopfhörern

174  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

­erkundeten, sowie anschließend beschrieben und diskutierten, erfolgte eine gemeinsame Sensibilisierung und Erkundung der eigenen Wahrnehmung anhand eines eigens dafür konzipierten, multisensorischen Memoryspiels. Bei diesem Hör-, Fühl-, Schmeck- und Riech-Memory galt es, mit verbundenen Augen gleiche Paare anhand von Geräuschen, Gewicht, Geruch oder Geschmack einander zuzuordnen. Bei älteren Teilnehmenden kam in Form von schallisolierten Kopf­hörern noch eine Schwierigkeitsstufe hinzu. In Anlehnung an das bekannte Memoryspiel, bei dem es um die Zuordnung von Bilder-Paaren geht, besteht dieses multisensorische Memory Spiel aus 30 Foto-Filmdosen, die paarweise mit unterschiedlichen Inhalten (z. B. Reiskörner, W ­ asser, Salz, Mehl) gefüllt sind. Auch wenn es sich hierbei um eine spielerische Explorationsmethode zur Sensibilisierung der Teilnehmenden für das Themengebiet alternativer Kommunikations- und Wahrnehmungsformen handelte, also nicht um eine Datenerhebung im wissenschaft­ lichen Sinne, so konnte beobachtet werden, dass die Identifikationsparameter „­Geräusch“ und „­Gewicht“ am ehesten zum Ziel führten. Zum Zwecke der Ergründung und Erprobung alternativer Kommunikationsformen jenseits von Schrift- und Lautsprache sah ein weiteres Übungsformat vor, anderen teilnehmenden Gruppenmitgliedern einfache, alltägliche Aussagen pantomimisch bzw. anhand von Gesten darzustellen und zu erläutern. In der engeren Auswahl befanden sich dabei vor allem solche Begriffe und Aussagen, die a) inhaltlich und sprachgebräuchlich in der Alltagswelt der teilnehmenden Jugendlichen verankert sind und die b) gerade in telekommunikativen Prozessen (z. B. in Telefonaten) häufig Verwendung finden. Gängige Verben („essen“, „trinken“, „sprechen“, „spielen“) und Substantive („Ja“, „Nein“) kamen dabei ebenso zum Einsatz wie Befindlichkeitsäußerungen („Mir ist langweilig“, „Ich bin enttäuscht/verliebt/fröhlich/wütend/traurig“) oder gesprächsbezogene Fragestellungen („Geht es dir gut?“, „Hast du Hunger?“, „Wie spät ist es?“, „Wann sollen wir uns treffen?“, „Wo sollen wir hingehen?“, „Hast du Lust auf Kino?“). Auf diese Weise wurde erprobt, inwiefern der Verzicht auf laut- oder schriftsprachliche Elemente in Mensch-zu-Mensch- oder in Mensch-Maschine-Interaktionsprozessen zu besseren, klareren oder zumindest anderen Ergebnissen führen kann. Auf Basis der hierzu diskutierten Überlegungen wurden in den folgenden Workshops dann Ideen und Konzepte für mögliche Kommunikationsgeräte generiert, die einen entsprechenden Mehrwert für möglichst breite Nutzerschichten ­be­inhalten sollten. Methodisch beruhte dieser Teil des Workshops auf dem Prinzip eines Gamification-Ansatzes. Unter dem Begriff „Gamification“ wird eine Implementierung spielähnlicher oder spieltypischer Vorgehensweisen in spielfremden Kontexten verstanden, also Anwendungsgebieten, die nicht unbedingt als Spiel wahrgenommen oder konzipiert sind.185 Gamifizierende Ansätze sollen dabei einer gesteigerten ­Motivation der jeweils betroffenen bzw. handelnden Personen dienen und d ­ eren Engagement fördern.

ERPROBUNG IM UNTERRICHT  175

In diesem Fall erfolgte die Themenerschließung und -diskussion in Form eines Ratespiels: Jeweils eine/r der Teilnehmenden sollte ein bestimmtes Wort oder einen Satz pantomimisch darstellen, woraufhin der Rest der Gruppe erraten musste, wie der Satz oder das Wort lautet. In einem zuvor auf den Platzspielen spontan ­arrangierten Pilotversuch mit einer kleinen Gruppe hatte sich herausgestellt, dass ­einige der jungen Vortragenden mit Schüchternheit zu kämpfen hatten. Aus diesem Grunde wurde diese Übung durch ein spielerisches Element erweitert: Mithilfe einer stilisierten Attrappe eines TV-Monitors schien es den jetzigen Teilnehmenden leichter zu fallen, vor einer größeren Gruppe aufzutreten und zu „performen“.186 In einer Abwandlung dieses Formats, dessen Schwerpunkt auf der non-verbalen, visuellen Kommunikation sowie körperlichen Ausdrucksformen lag, wurde die Übung im letzten Schritt auf zugleich non-verbaler und non-visueller Ebene vollzogen. Die Herausforderung bestand darin, einzelnen Teilnehmenden Informationen oder auch Emotionen auf taktile Weise zu vermitteln, etwa über den Rücken oder die Handfläche der jeweiligen Person. Die Wahl der taktilen Übermittlungsform wurde dabei freigestellt. Ausprobiert wurden beispielsweise das Malen von Gegenständen oder Schreiben von Zahlen und Buchstaben mit der Fingerspitze zur Darstellung von Wörtern oder auch Streich- und leichte Schlagbewegungen (z. B. zur Darstellung von Emotionen oder Meta-Informationen) sowie Klopfbewegungen (insbesondere bei der Übermittlung von Zahlen). Diese Übung fiel vergleichsweise schwierig aus. Dies kann mutmaßlich auf das Alter der Teilnehmenden zurückzuführen sein, hat aber insbesondere auch damit zu tun, dass diese in ihren vornehmlichen Kommunikationsweisen stark auditiv und visuell geprägt sind und somit bei taktiler Interaktion auf weniger Erfahrungswerte zurückgreifen können. Gleichwohl konnten in diesem Format bereits Fragestellungen und Ansätze gesammelt und thematisiert werden, die im Zuge der darauf aufbauenden Vorstudie (Workshop: Von der Blindenschrift zur Geheimschrift) noch eingehender behandelt wurden. 187 Insgesamt war die hier beschriebene Workshop-Reihe auf thematische (Selbst-)Explorationen und die gemeinsame Diskussion von Erfahrungen und möglichen Vorurteilen ausgerichtet. Die insgesamt vier Workshops dieser Reihe waren demnach als explorative, spielerische, experimentelle und diskursive Formate zur Themenannäherung der Teilnehmenden konzipiert. Im darauffolgenden Format ging es hingegen – darauf aufbauend – um die aktive, das heißt selbsttätige Erschließung konkreter Gestaltungspotenziale.

Workshop: Von der Blindenschrift zur Geheimsprache Aufbauend auf den Einblicken und Erfahrungen aus der vorangegangenen Explorationsphase, wurden im Zuge dieses StreetLab-Workshops konkrete Gestaltungspotenziale thematisch erschlossen. Dies erfolgte mithilfe von tatsächlichen

176  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

„Gestaltungstools“. Dabei handelte es sich zum einen um „herkömmliche“ Gestaltungswerkzeuge wie Stift und Papier, zum anderen hingegen um Ideationsmethoden wie Storytelling und Role-Playing oder auch User Experience-Methoden wie z. B. dem Paper Prototyping. Im Fokus standen dabei alternative Kommunikationsformen188 und damit assoziierte Wege und Techniken der Informationsübermittlung.189 Elf Jungen und Mädchen im Alter von neun bis elf Jahren nahmen an dem Workshop teil. Wie schon die vorangegangene Workshop-Reihe, so fand auch dieser im offenen Format statt. Nach einer reflektierenden Diskussionsphase, in der sowohl individuelles ­Vorwissen der Teilnehmenden190 als auch Erfahrungen aus den bisherigen Workshops thematisiert wurden, erfolgte im nächsten Schritt eine visuell-gestalterische Aus­einandersetzung mit dem Themenschwerpunkt „Alternative und Unterstützte Kommunikation“ (AAC). Dabei ging es konkret um Kommunikation ohne Zuhilfenahme von Wort- oder Schriftsprache. Ziel dieser Phase war die Sensibilisierung für unterschiedliche Kommunikationsformen in Bezug auf digitale Kommunikationswege und eine damit verbundene, thematische Annäherung an die Relevanz von Bild- und Symbolsprachen sowie eine aktive Erschließung von möglichen Auf­gabenbereichen der visuellen Kommunikation. Als Materialien hierzu dienten kleine Kärtchen, auf denen gängige Begriffe und Satzrituale des alltäglichen Sprachgebrauchs und/oder der Telekommunikation zu kleinen Piktogrammen191 ver­arbeitet werden sollten. Die Leitfrage hierbei lautete: Wie stellt man komplexe Sachverhalte und Zusammenhänge leicht verständlich dar und umgeht dabei mögliche Sprach- bzw. Verständnisbarrieren? Ähnlich wie beim pantomimischen Storytelling aus der vorangegangenen ­Projektphase wurde auch hier eine gamifizierende Ebene implementiert: Die Generierung und Dechiffrierung der Piktogramme erfolgten in Form eines Ratespiels.­­Jeweils eine/r der Teilnehmenden fertigte ein bestimmtes Piktogramm an, woraufhin der Rest der Gruppe es interpretieren musste. Anschließend fertigte jeder der Teilnehmenden ein eigenes Piktogramm zum besagten Thema an, um im Anschluss gruppenübergreifend die jeweiligen Darstellungsformen und Visualisierungsmöglichkeiten zu diskutieren und somit z. B. auf M ­ issverständlichkeiten, Doppel­deutigkeiten oder Überkomplexitäten der Darstellungen hinzuweisen. Eine besondere Herausforderung bei der informationsgrafischen Darstellung bestand darin, auf kleinem, vordefiniertem Raum unter Verwendung von lediglich einer Strichfarbe zu agieren.192 Diese Limitierung diente dazu, sich auf die wesentlichen Informationselemente zu fokussieren und sich nicht in der Darstellung zu vieler Details zu verlieren. Dies beinhaltete auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie stark man eine (Bild-)Information abstrahieren kann oder sollte, ohne dass die inhaltliche Dechiffrierung darunter leidet. Die Kärtchen mit den Piktogrammen wurden im Anschluss als fiktive Handy-­ Displays auf symbolischen Mobilgeräten, in Form von eigens dafür angefertigten Holzblöcken platziert. Die Kombination aus Kärtchen und fiktivem Handy diente

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­ abei als methodische Stütze, um den Teilnehmenden vor Augen zu halten, dass d es sich bei den Piktogrammen um funktionsbezogene Kommunikationsgrafiken handelte. Ferner diente das Arrangement der besseren Kommunizierbarkeit innerhalb der Gruppe sowie im Anschluss der besseren Dokumentation193 und Schaustellung.194 Diese Workshop-Phase erfüllte zwei Funktionen: Zum einen wurden hier ­Möglichkeitsräume im Bereich der unterstützten Kommunikation thematisiert und erfahrbar gemacht. Zum anderen zeigte sich durch die direkte Auseinandersetzung mit gestalterischen Mitteln ein Aktionsformat, das einem rein befragungsbasierten Verfahren ein breiteres Spektrum an Handlungsvarianten und Argumentationsmöglichkeiten beiseitestellt. Beides spiegelte sich schließlich auch in den Kommentaren der Teilnehmenden wider, die angaben, sowohl grundlegendes über Behinderung und unterschiedliche Kommunikationsformen als auch über die Rolle von Design im Allgemeinen gelernt zu haben. Gerade in Bezug auf untereinander bestehende sprachliche Vermittlungsschwierigkeiten der zum Teil aus unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen stammenden Teilnehmenden offenbarte die Auseinandersetzung mit bildsprachlicher Informationsgestaltung Potenziale zur Überwindung von Kommunikationsbarrieren. So fasste eine zehnjährige Teilnehmerin zusammen: „Jetzt weiß ich auch, warum es heißt: ‚Ein Bild sagt mehr als tausend Worte‘“. Dieser Satz mag in seinen alltäglichen, bisweilen inflationären Gebrauchsweisen als Floskel gelten. Auch wird sein Wahrheitsgehalt vielfach in Zweifel gezogen. Gleichwohl spiegelt er aus dem Munde der Teilnehmerin doch einen Aha-Effekt oder Erkenntnisgewinn wider: Und zwar zuvorderst in Bezug auf die Herausforderungen und Potenziale von unmissverständlicher Informations- und Kommunikationsgestaltung. Der Auseinandersetzung mit visueller Gestaltung folgte im Anschluss eine Auseinandersetzung mit und in Form von dreidimensionalen Objekten und d ­ eren Herstellung. Hierbei ging es darum, Informationen auf anderem als auf akustischem oder visuellem Wege zu übermitteln. Mit den hierbei prototypisch entwickelten „Fühl-Handys“ wurden dabei Möglichkeitsspielräume haptischer und sensitiver Oberflächen ergründet. So wurden beispielsweise bestimmten Kommunikationspartnern oder Nutzungsfunktionen unterschiedliche Schaltflächen zugewiesen, die sich jeweils anders anfühlen oder bedienen lassen. Anhand von simpel formulierten Fragestellungen (Wie sollte sich dein Handy anfühlen, wenn deine Mutter oder dein bester Freund anruft? Wie würden sich Hitze, Traurigkeit, Regen, Spaß oder Langeweile auf deinem Handy anfühlen?) wurde dabei mit unterschiedlichen ­Materialien experimentiert, die sich unterschiedlich „begreifen“ lassen und somit andere Nutzerverhalten offenbaren oder ermöglichen. Ähnlich wie bei den Co-Design-Sessions im Rahmen der Deaf Jams (Fall­ studie I) erfolgte die Ausarbeitung der symbolischen Prototypen anhand von bereitgestellten Werkzeugen und Materialien. Bei deren Zusammenstellung wurde darauf geachtet, eine möglichst große Bandbreite an Material zur Ver­

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55  Anhand der Vorgabe, Informationen ohne Zuhilfenahme verbaler oder schriftsprachlicher Hilfsmittel zu gestalten, wurde zugleich den Grundlagen des Kommunikations- und Informationsdesigns auf den Grund gegangen. Die infografische ­Reduktion von sprachlicher Komplexität reicht von „Mir geht’s gut!“, „Lass uns ­Fußball spielen gehen!“, „Freunde!“ über „Ich habe mir die Haare ­gefärbt!“, „Wollen wir schwimmen gehen?“ bis hin zu „Jemand hat mich geärgert. ­Deshalb habe ich ­geweint!“.­

fügung zu stellen. Bei der A ­ uswahl und Ausarbeitung der Konzepte spielte deren ­tatsächliche Realisierbarkeit eine eher untergeordnete Rolle. Dies führte zu mit­ unter experimen­tellen An­sätzen und Ideen zur taktilen Kommunikation. Etwa dahingehend, dass anhand von haptischen Oberflächen, deren Struktur sich ver­ ändern lässt, bestimmte ­Parameter repräsentiert und adressiert werden können, wie z. B. I­ nformationen b ­ ezüglich der Gesprächspartner, des U ­ mgebungskontextes oder ­inhaltlicher ­Komponenten.

3.3.4  Reflexion der Vorstudien Der Selbstversuch „One Day blind in Berlin“ und die zwei aufeinander aufbauenden Workshop-Reihen zur partizipativen Exploration mit insgesamt 81 Kindern und ­Jugendlichen dienten insbesondere der Erprobung unterschiedlicher Formen gestaltungsmäßiger Annäherung an das Thema Behinderung.

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Es muss festgehalten werden, dass aufgrund der offenen Formate und der teils schwankenden Fallzahl die in den Vorstudien gesammelten Ergebnisse und Beobachtungen schwer zu verabsolutieren sind. Gleichwohl waren sie für weitere inhaltliche und methodische Fragestellungen aufschlussreich und komplettieren und untermauern somit die theoretische Grundlage aus den Kapiteln 1 und 2. Ferner konnte anhand der Vorstudien sowohl eine inhaltliche als auch methodische Basis für das im folgenden Kapitel erläuterte Studienprojekt gelegt werden. Die Vorstudien dienen somit nicht als Methode im Sinne einer validen, quantitativen Datenerhebung, sondern als Experimentierfeld möglicher Designmethoden zur generellen Themenerschließung. Aus Designperspektive beinhaltet eine solche Art der Themenerschließung beinah zwangsläufig auch die Generierung von Ideen, die Erstellung von Konzepten, deren Transfer in spekulative oder reale Prototypen sowie die Reflexion möglicher und tatsächlicher Umsetzungen von Konzepten. An dieser Art der Praxis- und Alltagsrelevanz verdeutlicht sich letztlich eines der besonderen Merkmale von Designforschung (sei es in Form einer Forschung über, für oder durch Design), in der es darum gehen kann, zum einen die Dinge selbst und zum anderen die sozialen Prozesse, die an diese Dinge gekoppelt sind, zu v­ erstehen und zu verbessern.195 In diesem Fall stellte es sich als zielfördernd heraus, aus Gestaltungs- wie Nutzungsperspektiven heraus zu fragen, welch konstruktive Rolle „Einschränkung“ (etwa von mobilen oder kommunikativen Handlungsweisen) in Bezug auf Designentscheidungen haben kann. Dabei lassen sich gerade auch solche Gestaltungskontexte adressieren, die nicht zwangsläufig behinderungsrelevant sind. So können konkrete Fragen etwa zur Nutzerführung, zur User Experience, zur haptischen Oberflächenbeschaffenheit anders, möglicherweise bewusster beantwortet werden, wenn sie unter der Prämisse eines nicht vorhandenen bzw. eingeschränkten Seh-, Hör- oder Tastsinnes formuliert werden.196 Dem können sich Gestalterinnen und Gestalter bis zu einem gewissen Grad durchaus auch auf simulative Weise annähern. Wie jedoch bereits zuvor ausführlich beschrieben, ist eine solche introspektive Themenannäherung197 ohne den direkten, aktiven Miteinbezug von Betroffenen auch kritisch zu betrachten. Methoden, wie sie in dieser Vorstudie angewandt wurden, sollten daher allenfalls in Ergänzung, nicht jedoch anstelle von einer direkten Betroffenen-Teilhabe im Forschungs- und Gestaltungsprozess vollzogen werden. Hingegen sollten stets auch Befragungen Dritter in den ­Forschungsprozess mit einbezogen werden. Die Gruppe „Dritter“ beinhaltet sowohl primär Betroffene (z. B. blinde Personen) als auch sekundär Betroffene (z. B. Pflegepersonal, ­Verwandte, Ärztinnen, Assistenten, Freunde). Diese Gruppen werden aus zwei Gründen als relevant erachtet: Zum einen können sie als Vermittler198, zum anderen zur Gewährleistung einer multiperspektivischen Betrachtung dienen. Dies wird insbesondere in Bezug auf mögliche Abweichung der Eigen- und Fremdwahrnehmung

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relevant. So stellt David Reville fest, dass Erfahrungen und Deutungen primär Betroffener bisweilen zu denen sekundär Betroffener differieren199 (vgl. Reville 2010; Church/Reville 1989, 22–25). Nichtsdestoweniger können simulative Ansätze dabei behilflich sein, einen thematischen Einstieg in Behinderungskontexte zu finden, sich dabei über eigene, implizite Annahmen gewahr zu werden, (eigene) Ressentiments gesondert aufzuspüren und somit eine Basis für einen späteren diskursiven Abgleich mit Betroffenen zu schaffen, bei dem es darum geht, herauszufinden, inwieweit sich die eigenen gesammelten Erfahrungen tatsächlich mit denen Behinderter decken. Inwiefern sich die gestalterische, nicht zwangsläufig ausschließliche Behinderten-Perspektive in die Projektarbeit eines Designstudiums implementieren lassen kann, war Gegenstand des daraufhin erfolgten Studienprojekts „Against ­Normality“ an der GUC.

3.3.5  Studienprojekt: „Against Normality“ Mit den inhaltlichen und methodischen Rückschlüssen aus den beiden Vor­studien – insbesondere in Bezug auf cross-funktionale Gestaltungsansätze – konnte ein Grundstein für eine gestaltungsdidaktische Implementierung in Form eines Lehrkurs-Formats gelegt werden. Hierzu wurde eine zweiteilige Projektreihe mit Studierenden der GUC initiiert. Die Projektreihe erfolgte im Rahmen eines dortigen Lehrauftrags200 zunächst mit einer 25-köpfigen Studierendengruppe aus dem Bereich Produktdesign (9. Semester) 201 und dann mit einer 50-köpfigen ­Studierendengruppe202 aus den Bereichen Produkt-, Grafik- und Media­design (9. Semester).203 Ziel dieses Formats war es, ein grundlegendes Verständnis von behinderungs­ bewusstem Design zu vermitteln, indem gleichermaßen „explizite“, „universale“ und „cross-funktionale“ Gestaltungsansätze von und mit Studierenden aus unter­schiedlichen Designfachrichtungen erarbeitet wurden.204 Es standen somit unterschied­liche Gestaltungsvarianten im Fokus, bei denen Behinderung ent­ weder als direkter Adressat oder aber als Voraussetzung zu einem universalen ­Ge­staltungsverständnis oder aber als Ausgangspunkt für abgeleitete, de-kontextua­ lisierte Anwendungsrealitäten fungiert. Das Studienprojekt bot dabei einen geeigneten Rahmen, um die Tragweite von Behinderungskonstruktionen und daraus resultierenden gesellschaftlichen Relevanzen explorativ im Umfeld einer Gestaltungshochschule und somit unabhängig von eventuellen Marktmechanismen zu ergründen. Eine Durchführung im Rahmen einer Hochschule in Kairo bot sich für dieses Versuchsfeld in besonderem Maße an, da die designhochschulischen Curricula im arabischen Raum allgemein, und speziell in Ägypten traditionell vorrangig auf die Vermittlung von (z. B. technischen oder ästhetischen) Gestaltungsgrundlagen ausgerichtet sind. „Ganzheitliche“

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56 Zwischenpräsen­ tationen der Gruppen­ arbeiten im Studien­ projekt an der GUC

­ nsätze, etwa in Bezug auf Design und soziale, kulturelle, ökonomische oder ökoA logische Nachhaltigkeit sowie auch die theoretische Reflexion darüber, wurden vielerorts bis dato hingegen kaum oder nur in geringem Maße vermittelt.205 Bezogen auf das Projekt erwies sich dieser Umstand einerseits als Schwierigkeit, da aufseiten der Studierenden bisweilen Wissen fehlte, welches an vielen europäischen Designhochschulen häufig als „Basiswissen“ vorausgesetzt wird. Umgekehrt stellte sich dies jedoch durchaus auch als Vorzug heraus, da auf diese Weise eine Gruppe von Studierenden dabei beobachtet werden konnte, wie sie verhältnismäßig „unvoreingenommen“ und explorativ an das Thema heranging. Darüber hinaus kann Ägypten – verglichen mit „westlichen Standards“ – als ein Land angesehen werden, in dem bei der Umsetzung und Bereitstellung von barrierefreien Zugängen206 oder aber auch in Bezug auf die Inklusion von Minderheiten (etwa Behinderten) stellenweise noch Entwicklungspotenzial besteht. Der Spezifik des Designs als „reflektierende Praxis“207 entsprechend (Schön 1984), kamen in der Projektreihe sowohl theoretische und historische als auch praktische und methodische Aspekte zum Tragen. Im Zuge der Begriffsschärfung wurden dabei – analog zu der in Kapitel 1 und 2 geführten Argumentation – theoretische Konzepte von Behinderung208 thematisiert, Herstellungspraktiken von Normalität, Inklusion oder Exklusion diskutiert sowie dekonstruktivistische Ansätze debattiert. Das Moment der Dekonstruktion konnte dabei zum einen darin bestehen, ­Behinderung durch die gestalterisch assistierende Intervention obsolet werden

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zu lassen. Zum anderen darin, anhand der gestalterischen Dimension eine Verschiebung bisheriger, landläufiger Bedeutungsebenen zuzulassen: Indem also das ­soziale und kulturelle Konstrukt „Behinderung“ als gestalterisch bedingt entlarvt wird, offenbart sich die Möglichkeit einer Brechung der hierarchischen Ordnungskonzepte von „normal“ gegenüber „anormal“ bzw. von „gesund“ gegenüber „krank“ etc. Und somit auch deren mögliche Neuordnung. Solcherlei Dekonstruktionen bestehender Gegensätze sollten in den gestalterischen Auseinandersetzungen der Studierenden neue Möglichkeiten im Umgang mit Behinderung und dem Verständnis von Normalität offenbaren. Bei der didaktischen Umsetzung wurde Wert darauf gelegt, dass die theoretischen Konzepte immer auch mit dem notwendigen Maß an gestalterischer Praxisrelevanz vermittelt wurden. Auf den theoretischen Diskurs aufbauend, wurden dann designspezifische Ansätze und Methoden der Gestaltungspraxis vorgestellt und angewandt. Zum einen handelte es sich dabei um programmatische Ansätze wie Universal Design oder Inclusive Design, zum anderen um Methodenwissen (z. B. Beobachtungsstudien, qualitative Interviews), anhand dessen sich aus Gestaltungsperspektive differenzierte Ansichten und Verständnisse von potenziellen Rezipientengruppen in Bezug auf deren Lebenswelten, Wünsche, Anforderungen und Bedürfnisse, Fähigkeiten und Barrieren, soziale Milieus oder Alltagsrituale ableiten lassen können.209 Im Fokus stand dabei die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen (behinderungsrelevanten) Perspektiven, speziell bezogen auf Bereiche, die im Zuge einer der dazu erfolgten Gruppendiskussionen provokativ als „Out-of-Norm“-User210 ­bezeichnet wurden. Es ging somit um eine Abkehr von gängigen bzw. häufigen ­Rollen- und somit auch Gestaltungsstereotypen.

„Against Normality“ (Phase 1: Analyse) In kleinen Teams, bestehend aus jeweils drei bis sechs Mitgliedern211 durchliefen die Studierenden hierzu unterschiedliche Phasen der thematischen Ausein­ andersetzung, die immer wieder von gruppenübergreifenden Feedback-Runden pariert wurden, beginnend mit einer Analysephase, in der sich die Studierenden mit bestimmten Behinderungen und behinderungsrelevanten Themen auseinandersetzten. Zu diesem Zwecke wurden zuvor angefertigte Themenkarten auf die ­jeweiligen Gruppen verteilt, sodass den Teilnehmenden per Zufallsverfahren ein Behinderungsthema „zugeteilt“ wurde.212 Die erste Aufgabe bestand nun darin, sich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen, und dabei – sofern möglich – primär und/oder sekundär Betroffene zu Wort kommen zu lassen. Hierzu war es erforderlich, Kontakt zu ­entsprechenden Institutionen und Personen vor Ort herzustellen. Dies war bei manchen Behinderungsthemen schwieriger als bei anderen.213 Auch deshalb sollten sämtliche

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Gruppen ihre ­Recherchen und Observationen mit entsprechender Literatur- und ­ esktop-Recherche unterfüttern. In einer ersten gruppenübergreifenden FeedD back Runde wurden die jeweiligen Recherche-Ergebnisse einander präsentiert und ­gemeinsam diskutiert. Sofern möglich, sollte dabei ein besonderer Fokus auf spezifische Situationen in Kairo bzw. Ägypten gerichtet werden. Verbunden war dies mit der Frage, inwiefern bestimmte Behinderungen in der ägyptischen Gesellschaft (im öffentlichen Raum, in medialen Inszenierungen etc.) auftauchen bzw. vermittelt werden, oder eben nicht.214 Daran wurde die Anschlussfrage geknüpft, welche Effekte von Zugänglichkeit (oder Unzugänglichkeit) in Ägypten sich in der öffentlichen Wahrnehmung auf Behinderung identifizieren lassen.215 So setzten sich die Studierenden beispielsweise kritisch mit der Frage auseinander, wie eine Gesellschaft überhaupt strukturiert sein muss, in der eine Idee wie Universal Design entsteht, und inwiefern ein solcher universaler Gestaltungsansatz letztlich umzusetzen sei. In diesem Zuge konnte auch eine zur Diskussion gestellte Beobachtung des Medientheoretikers Peter Glaser partiell bestätigt werden, die dieser als Rollstuhlfahrer einst in Kairo gemacht hatte (vgl. Glaser 2010). Glasers Anekdote folgend, sind die Bürgersteige in Kairo – sofern vorhanden – bisweilen ziemlich hoch. Lediglich streckenweise sind sie über Treppenstufen vereinfacht zu erklimmen, für Rollstuhlfahrer jedoch scheinbar gänzlich ungeeignet. Das besondere nun: Die Einwohner Kairos scheinen sich der Situation bewusst zu sein, sodass Bedürftigen (mitunter ungefragt) stets geholfen werde. Die universelle Grundlage einer funktionierenden Gesellschaft fände hier also bereits dort statt, wo sie hingehört: nämlich auf sozialer Ebene (ebd.). Was die Notwendigkeit, den universellen Gedanken auf gestalterischer Ebene mitzu­ denken, freilich nicht schmälert. Neben der Beschäftigung mit behinderungsrelevanten Fragen ­beinhaltete die Analysephase auch eine Auseinandersetzung mit bestehenden Produktlösungen und Designkonzepten im Kontext der jeweiligen Behinderungen. Hierbei wurde auch eine große Zahl an Non-Intentional-Design-Beispielen aufgespürt.216 Denn gerade am Beispiel von Umnutzung und Zweckentfremdung zeigen sich häufig tatsächliche Bedürfnisse von Menschen, insofern ihnen die vorhandenen und nicht vorhandenen Gestaltungsvorschläge unzureichend erscheinen. Die Projektteilnehmenden konnten eine Vielzahl solcher Beispiele im Stadtbild Kairos aufspüren. Von umfunktionierten Gehhilfen und Brillengestellen bis hin zu selbstgebauten Rollstühlen und Orthesen. Derartige Beispiele wurden zum einen dazu verwendet, spezielle Bedarfe der jeweiligen Betroffenen aufzuzeigen, und dienten zum anderen als Ausgangspunkt für neue Gestaltungsansätze und Designkonzepte.

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„Against Normality“ (Phase 2: Projektion) Für die darauffolgende Projektionsphase wurden erneut Karten auf die jeweiligen Gruppen verteilt. Diesmal handelte es sich dabei um zuvor angefertigte „Aktionskarten“, die den Teilnehmenden ebenso per Zufallsverfahren „zugeteilt“ wurden. Die Aktionskarten waren mit simpel formulierten Design-Tasks versehen (z. B. „something to carry“, „something to relax“, „something to inform“, „something to communicate“, „something to organize“, „something to transport“ oder „some­ thing to play“). Jede Gruppe erhielt drei solcher Karten, die dann als Design-Task entweder miteinander kombiniert werden oder aber separat behandelt werden konnten. Ausgehend von den zuvor analysierten Bezugsgruppen (z. B. Autisten, Epilep­ tiker, Rollstuhlfahrer) und den jeweiligen Design-Tasks, bestand der nächste Schritt darin, erste Konzepte zu generieren. Gegenstand der Analyse waren dabei u. a. folgende Fragestellungen: Wie lassen sich die identifizierten Aspekte mit Gestaltungsansätzen adressieren und/oder auf andere Nutzungsbereiche übertragen? Handelt es sich bei potenziellen Adressaten um Menschen mit oder ohne Behinderungen, oder um beide? Wie verhält es sich mit den unterschiedlichen Anforderungen der jeweiligen Adressaten an die jeweiligen Produkte? Inwiefern ist es notwendig oder empfehlenswert, unterschiedliche Produktvarianten anzubieten (z. B. eine Variante für Menschen mit motorischen Störungen), oder aber wie wäre das Produkt zu ­gestalten, damit es möglichst universal nutzbar würde? Aus dieser Phase resultierten insgesamt 186 Konzepte und Ideen,217 die daraufhin in einer erneuten Feedback-Schleife gruppenübergreifend präsentiert und zur Diskussion gestellt wurden Hierbei ging es explizit darum, einerseits entsprechende Lösungsvorschläge für den jeweiligen Kontext (z. B. „etwas zum Transportieren“ für „Rollstuhlfahrer“) zu entwickeln, sowie andererseits, einem cross-funktionalen Gestaltungsansatz zu folgen, also die jeweilige Behinderung als Ausgangspunkt für kontextungebundene Anwendungsgebiete zu befragen (z. B. „etwas zum Verwahren“ basierend auf ­konkreten Eigenschaften und Voraussetzungen von „Mobilitätseingeschränkten“).

„Against Normality“ (Phase 3: Re-Framing) Dazu wurde auf einen „Re-Framing“-Ansatz zurückgegriffen, der seinerseits auf der von Kees Dorst an der University of Technology Sydney entwickelten „Frame Innovation Methode“ basiert. Dorst schlägt eine generelle Abkehr von „Lösungsansätzen“ im ursprünglichen Kontext vor. Stattdessen empfiehlt er eine Fokussierung auf mögliche Alternativen zu den jeweiligen Problemsituationen (Dorst 2015). Der Re-Framing-Ansatz geht somit davon aus, dass neue Kontexte und neue Bezugsrahmen im Gestaltungsprozess dabei helfen können, Gestaltungsaufgaben

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aus ­anderen Perspektiven zu betrachten und somit neuartige Lösungsvorschläge ­generieren zu können.218 An einem hier vereinfachten Beispiel der Mobilität von Rollstuhlfahrern in Supermärkten könnte ein Re-Framing-Ansatz folgendermaßen aussehen: Ausgehend vom „alten Frame“ bestünde das Hauptproblem womöglich darin, dass der Rollstuhlfahrer keine (voll funktionsfähigen) Beine hat und deshalb im Supermarkt nur vergleichsweise kompliziert vorankommt. Dieser Frame ließe sich durch ­andere Frames und damit verbundenen neuen Gestaltungsfragen ersetzen. Etwa so: Eine hohe Zahl unterschiedlicher Nutzerinnen und Nutzer – von der jungen Mutter bis zum älteren Herrn – frequentiert täglich den Supermarkt. Wie müsste dieser nun konzipiert sein, wenn all diese Nutzerinnen und Nutzer dort möglichst ohne Schwierigkeiten einkaufen sollen. Diese Fragestellung ließe sich wiederum mit einer bestimmten Eigenschaft bzw. Voraussetzung von Rollstuhlfahrern konfrontieren, nämlich dass diese überwiegend auf Rädern unterwegs sind. Eine mögliche Folge eines solchen Re-Framings könnte darin bestehen, dass der Supermarkt schließlich zugänglich und attraktiv für eine Vielzahl an Personen würde, auch solchen, die beispielsweise mit Kinderwagen oder Rollatoren unterwegs sind. Dies könnte auch dazu führen, dass Rollstühle in der Außenwahrnehmung weniger als „Pro­ blem“ wahrgenommen und Rollstuhlfahrende weniger mit den Attributen einer Opferrolle konnotiert würden. In diesem Falle wäre Re-Framing eine Möglichkeit, anhand derer nicht mehr Behinderung per se als Problem konstituiert, sondern vielmehr die generelle Frage der Gestaltung und Nutzbarkeit öffentlicher Räume an sich thematisiert wird. Durch eine solche Verschiebung von Nutzungskontexten lassen sich einzelne Nutzerbedürfnisse stärker mit gesellschaftlichen Bedürfnissen verbinden und adressieren. Dies deckt sich schließlich mit der dem Design innewohnenden proaktiven Kompetenz, das heißt nicht ausschließlich auf bestimmte Situationen reagieren zu müssen, sondern darüber hinaus noch weiteren, möglichen Problemfeldern entgegenzuwirken.

„Against Normality“ (Phase 4: Prototypisierung) Im Kurs wurden aus 186 Konzepten daraufhin 26 herausgefiltert, die als besonders relevant erschienen.219 Diese wurden als Nächstes konkretisiert, das heißt weiter ausgearbeitet, und schließlich in Form von prototypischen, das heißt hand­ habbaren Konzepten manifestiert. So z. B. auch der Finger-Pen, welcher zunächst für Menschen mit Zerebralparese konzipiert wurde.220 Häufige Symptome dieser auf frühkindliche Hirnschädigungen zurückzuführenden Störung des Nervensystems und der Muskulatur sind oft motorischer Art und können sich u. a. auch auf die Haltung und Nutzung der Hände und Finger auswirken. Das Halten und Nutzen von Gegenständen, beispiels-

186  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

57  Der Finger-Pen ermöglicht das Schreiben und Malen auch Menschen, die aufgrund von ­Lähmungserscheinungen (z. B. Zerebralparese) Schwierigkeiten haben, Stifte zu halten und zu ­ enutzen. b

weise Stiften, wird dadurch häufig erschwert oder gar unmöglich. Der Finger-Pen adressiert genau dies. Die nach unten hin ausgerichtete Spitze des – im Prototypen hölzernen – Fingeraufsatzes ist mit einer Bleistiftmine ausgestattet. Schreiben und Malen wird dadurch möglich, ohne dass der Stift auf herkömmliche Weise in der Hand gehalten werden muss. In einer weiteren Projekt-Iteration wurden anhand dieser neuartigen Stiftform Konzepte für weitere Anwendungsgebiete entwickelt. Etwa in Form einer Kinder-Buntstift-Reihe, bei der mehrere Finger mit unterschiedlichen Farben ausgestattet werden können, was wiederum neue Techniken auch im Bereich der Malerei ermöglicht. Eine andere Gruppe setzte sich mit den Themen „Prothetik“ und Stigmatisierung auseinander.221 Nach intensiven Gesprächen (mit primär und sekundär Betroffenen) und Alltagsbeobachtungen in zwei lokalen Institutionen, wurden das Problem der Stigmatisierung und die ständige Konfrontation mit Klischees und Vorurteilen als zentrale Herausforderungen im Alltagsleben von Prothesentragenden identifiziert. Der Prothese an sich fällt dabei häufig eine Doppelrolle zu: Zum einen hilft sie, bestimmte Fähigkeiten und Funktionen (wieder) zu erlangen. Zum anderen signalisiert sie das Fehlen bzw. den Verlust bestimmter Körperteile und -­funktionen. Der Ansatz der Gruppe bestand nun darin, den gängigen Kernfunktionen von Prothesen (etwa der Wieder-/Herstellung von Hebekräften oder G ­ reifbewegungen) noch

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58  Prothesen mit „Mehrwert“. Der Multifunctional-Arm mit Schubfächern und Stauräumen (links) und die Multifunctional-Hand mit Aufsatzmöglichkeiten (rechts)

­weitere Mehrwerte beizufügen. In Zuge dessen entstand ein Konzept für sogenannte Multifunktionsprothesen, wie z. B. dem Multifunctional-Arm, welcher aus mehreren Schubfächern besteht und somit Stau- und Transporträume in sich birgt, in die ­dar­über hinaus verschiedene Hard- und Software-Komponenten implementiert werden können. Als weiteres Objekt aus dieser Reihe entstand die Multifunctional-­ Hand, ausgestattet mit modularen Aufsatzmöglichkeiten für alltagsrelevante Werkzeuge und ­Gegenstände, wie z. B. Besteck, Stifte, USB-Stick, Flaschenöffner, Korkenzieher, Zange, Stift, Schraubendreher, LED-Leuchte, Lippenstift oder Zahnbürste. Eine andere Gruppe setzte sich mit dem Thema Dyslexie222 und damit verbundenen Eigenarten bzw. Schwierigkeiten menschlicher Texterkennung und Text­ erschließung auseinander.223 Mit Easy Read entstand dabei ein Konzept für eine Lern- und Lese-Software im App-Format, die für eine sprachliche Aneignung von Texten auf visuelle Hilfsmittel und Perspektiven (wie z. B. 3-D, Animation etc.) ­zurückgreift. Die App ermöglicht es dazu, einzelne Wörter oder Textabschnitte aus einer Textfülle heraus zu separieren und zu bearbeiten. Einzelne Wörter oder Textblöcke lassen sich somit auf unterschiedliche Weisen darstellen, erläutern, modifizieren, abspeichern und exportieren. Modifikationskomponenten sind z. B. die Schriftart, die Schriftgröße, die Textfarbe oder andere Visualisierungsformen wie z. B. Bewegtbild/Animation. Ferner lassen sich Wörter per Audiokommentar näher erläutern: Kann ein Nutzer beispielsweise nichts mit dem Wort „Pferd“ anfangen, so kann er das Wort per Sprachausgabe laut auslesen und auf Wunsch über einen direkten Wikipedia Link auch inhaltlich beschreiben lassen. Überdies besteht die Möglichkeit ­einer Kopplung an online verfügbare Bilddatenbanken, sodass im oben genannten Fall über eine einfache Bildersuch-Funktion automatisch Pferde-Bilder an­gezeigt werden können. Die App adressiert zunächst Herausforderungen im Bereich der Dyslexie und darin auftretenden Schwierigkeiten beim Lesen und Verstehen von Wörtern bzw. Texten bei ansonsten „normalem“ Hör- und Sehvermögen der Betroffenen.

188  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

59  Separieren und bearbeiten einzelner Textabschnitte mithilfe der Lern- und Lese-Software Easy Read

60  Die separierten Wörter oder Textabschnitte (links) lassen sich auf unterschiedliche Weisen darstellen, erläutern, modifizieren, abspeichern und exportieren (rechts). Lerneffekte sollen zudem durch die Möglichkeit zur Modifikation der Schriftart, Schriftgröße oder Textfarbe sowie weiteren Visualisierungsformen ­ermöglicht werden (z. B. Animation, 3-D-Ansicht).

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61  Darstellung als Lernhilfe: Wörter als Animation (links) oder an eine Bilddatenbank gekoppelt (rechts).

­Darüber hinaus bietet sie aber auch Anknüpfungspunkte für andere Anwendungsgebiete, etwa beim Erlernen und Üben von Fremdsprachen. Oder als Übungs-App für ­Schulanfänger. Ein anschauliches Beispiel für einen cross-funktionalen ­Gestaltungsansatz gelang einer Gruppe, die sich in ihrer Analyse sowohl mit Demenz als auch mit ­Gehörlosigkeit beschäftigte. Im Zuge ihrer Recherchen setzten sie sich intensiv mit Bewohnern und betreuendem Personal eines Altersheims auseinander.224 ­Dabei wurden fünf zentrale Herausforderungen aufseiten der Bewohner als schwer­ wiegend identifiziert, die sich mitunter gegenseitig bedingen: Einsamkeit (Mangel an sozialer Interaktion), Langeweile (Ermüdungserscheinungen), kognitive Unter­ forderung (geistige „Abstumpfung“), physischer Abbau (Bewegungsmangel) sowie schließlich das Bedürfnis nach Spaß und Unterhaltung (Entertainment). Hieraus ergab sich der Ansatz für eine Gestaltungslösung, mit der sich einzelne oder gar alle dieser fünf Aspekte adressieren lassen – unabhängig von den Koordinaten „Alter“ oder „Behinderung“. Bei der Konzeptentwicklung stützte man sich auf eine Studie des New England Journal of Medicine (Verghese et al. 2003), in deren Rahmen unterschiedliche Freizeitbeschäftigungen auf die Frage hin untersucht wurden, welche besonders gut dazu geeignet sind, sich im Alter geistig fit zu halten. Untersucht wurden Effekte in verschiedenen Betätigungsfeldern, wie z. B. Lesen, Fahrrad fahren, Kreuzworträtsel lösen oder Golf spielen. Aufgrund seiner Verknüpfung von physischen und kognitiven Aktionen, stellte sich dabei (mit weitem Abstand) das Betätigungsfeld „Tanzen“ als besonders empfehlenswert heraus. Wie die Gruppe argumentierte, handelt es sich beim „Tanz“ auch um ein Be­ tätigungsfeld, welches ebenso die zuvor eruierten Problembereiche (Einsamkeit, Lange­weile, Unterforderung, Bewegungsmangel, Spaß und Unterhaltung) streift. Denn laut besagter Studie stellt sich Tanz als sozialer, kognitiver und physischer „Trigger“ dar. Diesen Aspekt diskutierte die Gruppe ebenso im Kontext von Gehörlosigkeit, wobei sie u. a. auf die Expertise von primär und sekundär Betroffenen aus dem

190  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

62  Vibrance – auf Vibrationsschwingung basierter Gürtel. Ähnlich wie die an der Open ­University entwickelten ­Sensory Augmentation Devices dem Erlernen von Instrumenten dienen sollen, ist der Vibrance-Gürtel auf das Erlernen von Tanzschrittfolgen aus­ gerichtet.

­ ersönlichen Umfeld zurückgreifen konnte. Gehörlose Menschen orientieren sich p in Bezug auf Musik häufig an Vibrationsimpulsen, die beispielsweise von starken Bassfrequenzen und Drum-Rhythmen ausgehen. Gehörlose Tänzerinnen und Tänzer wie die Ballerina Nina Falaise ­haben hierzu eigene Aneignungstechniken entwickelt. Eine davon beschreibt der Tanz-­ Choreograf Howard Daly folgendermaßen: „They hold a tape recorder in their hands and feel the vibrations, and try to memorize the sequence“ (Daly 2009). Gerade im Bereich der populären Musik verbreitet sich die Erkenntnis, dass musikalische Erlebnisse nicht einzig auf hörende Rezipienten beschränkt sein müssen. So wächst seit einigen Jahren die Zahl von Bands und Konzertveranstaltern, die bewusst auch ­gehörloses Publikum adressieren. Veranstaltungen wie die in den Niederlanden ­gegründete Party-Reihe SenCity sprechen konkret (und zugleich nicht ausschließlich) ein gehörloses Publikum an. Mit speziellen, hölzernen oder metallischen „Sense­floors“ werden dabei Frequenzvibrationen verstärkt und sollen stärker über den Körper wahrgenommen werden.225 Diese spezifische Art der Wahrnehmung musikalischer Impulse sowie die oben genannten Aspekte des Tanzens als sozialem, kognitivem und physischem Trigger, stellten auf symbiotische Weise den Ausgangspunkt für den von der Gruppe entwickelten Gestaltungsansatz dar. Entstanden ist dabei das Projekt „Vibrance“ – ein mit Vibrationsmotoren an der Innenseite ausgestatteter Hüft-Gürtel, welcher mithilfe von rhythmisch abgestimmten Vibrationsimpulsen das Erlernen von Tanzschrittfolgen und Bewegungsarten unterstützen soll.226 Anhand der Impulsübertragung auf gewünschte Körperregionen sollen die eng am Körper anliegenden Motoren als Grundlage zum Erlernen bestimmter Schrittfolgen und Bewegungsweisen dienen. Das Konzept ist angelehnt an die Sensory Augmentation Devices, die von der Forschergruppe rund um

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63  Schritt nach links, rechts, hinten oder vorn – Hüfte nach oben oder ­unten. Je nach Vibrationsimpuls sollen die ­Nutzenden wissen, was sie zu tun haben.

left leg backward left hip downward

step right left hip upward step left

left leg forward

right leg backward

step right right hip upward

right hip downward right leg forward

64  Prototyping anhand von unterschiedlichen Materialien und Schnittmustern. Mithilfe von Friendly User-Tests wurden dabei plausible Anordnungen der Aktuatoren, Vibrationsstärken sowie unterschiedlich ­ rlernbare Schrittfolgen e ergründet.

192  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

step left

65  Studentin präsentiert Thaumatrop Spiel, mit dessen Hilfe sich Phobien positiv besetzen lassen sollen. Das Thaumatrop soll als therapeutisches Tool dienen und ist ­zugleich Teil einer Auf­ klärungskampagne zum Thema „Phobie“, die von der Gruppe anhand von Plakaten und Videos entwickelt wurde.227

66  Die „Routine Clock“ (entstanden im thematischen Kontext von Demenz) beschäftigt sich mit kalenda­ rischen Formen der Alltagsstrukturierung.228 Ziffern lassen sich durch Piktogramme ersetzen, die in Ver­ bindung mit bestimmten gewohnheitsmäßigen Abläufen stehen. Abstrakte Zeitangaben werden dadurch substituierbar durch konkrete, symbolisch repräsentierte Events wie z. B. „Abendessen“, „Skat-Runde“, „Zähne putzen“ oder „Nachrichten gucken“.

Yvonne Rogers, Simon Holland, Topi Hurtig und Jon Bird an der Open University in Milton Keynes (UK) entwickelt wurden (vgl. Holland et al. 2010; Rogers et al. 2011). Deren Geräte sollen es mithilfe von vibro-taktilem Feedback ermöglichen und erleichtern, Instrumente wie z. B. Schlagzeug oder Geige zu erlernen. Der Vibrance-Gürtel greift diesen Ansatz auf und eröffnet ein Nutzungspotenzial im Bereich körperlicher Bewegungsaktivität. Je nach Ausgangsort des Vibrationsimpulses sollen die Nutzenden intuitiv vermittelt bekommen, welche Art der Körperbewegung (z. B. Schritt nach vorn, rechte Hüfte nach oben) als Nächstes auszuführen ist. Bei dem Projektnamen handelt es sich dabei um ein Wort-Kompositum aus den englischen Begriffen „Vibration“ und „Dance“. Das ebenfalls englische Wort „Vibrancy“ lässt sich auf Deutsch mit „Schwingung“, „Resonanz“, aber auch mit „Ausstrahlung“ und „Lebendigkeit“ übersetzen.

ERPROBUNG IM UNTERRICHT  193

Im Zuge der Konzeptausarbeitung für Vibrance wurden unterschiedliche Materialien und Schnittmuster erforscht. Die daraus resultierenden Prototypen wurden anhand von „Friendly User-Tests“229 mehrfach optimiert, wobei das Hauptaugenmerk auf der Anordnung der Aktuatoren, den unterschiedlichen Vibrationsstärken, der Robustheit und gleichzeitigen Flexibilität des Materials sowie dem allgemeinen Tragekomfort bestand. Ferner wurden unterschiedliche Komplexitätsgrade bezüglich möglicher, zu erlernender Schrittfolgen untersucht, um herauszufinden, welche Impulse sich vonseiten der Nutzenden gut interpretieren lassen bzw. welche Schrittfolgen auf diese Weise eher schwierig zu erlernen sind (s. Video). Im Zuge dieser Iterationen wurde das Vibrance-Konzept schließlich auf weitere Körperpartien ausgedehnt, die für bestimmte Bewegungsabfolgen grund­ legend sind, wie z. B. die Handgelenke oder Unterschenkel. Wie sich angesichts der vielfältigen Projektansätze zeigte, bietet das Lehrformat einen Rahmen, in dem sich zum einen konkrete „Lösungsansätze“ für alltagsrelevante Belange adressieren und reflektieren lassen. Zum anderen lassen sich (anhand von gestalteten Gegenständen und/oder Konzepten) kritische Fragen stellen und Diskurse anregen. Dies ist auch auf die mitunter bewusst offen formulierten „Design Tasks“ zurückzuführen. So kann die Task-Karte „something to inform“ in mindestens zwei Richtungen interpretiert werden: Entweder etwas zu gestalten, mit dem eine bestimmte Behindertengruppe informiert werden kann, oder aber etwas, mit dem andere über diese Behinderung informiert werden können. Auf diesem Wege entstanden beispielsweise auch kommunikationsgrafische „Aufklärungskampagnen“, therapeutische Tools oder kurze „Dokumenta­tionsfilme“.

3.3.6  Reflexion der Erprobung im Unterricht Im Rahmen des Versuchsfelds zur Implementierung der Kategorie „Behinderung“ in Designprozesse aus verschiedenen Blickwinkeln wurde anhand dieser zweiteiligen Projektreihe deutlich, wie wichtig und nutzbringend die Auseinandersetzung mit dem Einfluss von Gestaltung auf Normalitätskonstrukte und die Vermittlung von „Behinderungskompetenz“ in der Designausbildung sein kann.230 Studierende aus unterschiedlichen Design-Fachrichtungen hatten hier Gelegenheit dazu, sich dem Themenkomplex Behinderung aus verschiedenen Blickwinkeln zu nähern. Und zwar in direktem Miteinbezug von primär und sekundär Betroffenen sowie durch Anwendung und Reflexion von unterschiedlichen Gestaltungsmethoden, die – wie etwa im Falle der ebenfalls teilweise erprobten simulativen Selbstversuche – auch kritisch reflektiert wurden. Gegenüber den Fallstudien I und II, deren Fokus vor allem auf ICT-relevanten Aspekten lag, wurde hier das „Behinderungsspektrum“ deutlich erweitert. Es erfolgte also keine erneute Einschränkung auf Themenfelder wie Blindheit, Gehör-

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losigkeit oder Taubblindheit, sondern eine Ausdehnung, etwa auf Aspekte der Mobilität oder der Kognition. Es zeigte sich dabei, dass der thematische Ansatz dieser Arbeit, Inklusion anhand von Design zugleich zu thematisieren und zu adressieren, generell skalierbar, das heißt auf viele Bereiche übertragbar ist. Der Einsatz und die kritische Hinterfragung von gestalterischen Mitteln im Kontext von Behinderung beförderte einen forschend-gestalterischen Ansatz im Koordinatennetz einer Forschung über, für und durch Design. Insgesamt konnten auf Studierendenseite dabei neue Perspektiven auf den Themenkomplex aufgedeckt, ausprobiert, hinterfragt und entwickelt werden.231 Gegenstand des Studienprojekts war es somit, anhand von gestalterischen Auseinandersetzungen bzw. im Rahmen von Gestaltungsprozessen Wissen über drei ineinander verschachtelte Aspekte zu generieren und zu verinnerlichen, nämlich: 1) die soziale und kulturelle Konstruktion von Normalität; 2) Dimensionen der Inklusion und Exklusion durch Gestaltungsprozesse und Gestaltungsresultate; 3) Konzeptionen einer zugänglichen, barrierearmen Welt. Diese Aspekte wurden anhand von theoretischen Modellen, historischen Bezügen und konkreten Gestaltungsinterventionen ergründet, adressiert und diskutiert. Dabei wurde auch deutlich, dass ein wie auch immer geartetes Konzept von „Normalität“ oder „Norm-Usern“ im Hinblick auf die Gestaltung technischer Innovationen unzureichend ist und vielmehr eine gegenteilige Lesart ins Zentrum des Inter­ esses rückt: nämlich, dass eine konsequente Nichtbeachtung landläufiger Normalitätsbezüge nicht nur gesellschaftlich festgefahrene Rollenbilder obsolet erscheinen lässt, sondern auch zu spannenden, nutzerübergreifenden Produktinnovationen führen kann. Und beides steht in unmittelbarem Zusammenhang miteinander. Wie durch die Erprobung in der Lehre und den darin entstandenen Arbeiten schließlich gezeigt werden konnte, lassen sich hieraus neuartige Gestaltungs­ ansätze für die Designausbildung entwickeln, die für ein sensibles Verständnis von Gestaltungsrelevanz und einen verantwortungsvollen Umgang in Designprozessen maßgeblich sind. Im Zuge der gestalterischen Kompetenzvermittlung können Studierende auf Basis eines solchen Formats auch in einem sensiblen Umgang mit der Ein- und Ausgrenzung von gesellschaftlichen Randgruppen geschult werden. Derartige Studienprojekte können dabei helfen, greif- und nachvollziehbar zu machen, was mit der sozialen Dimension und Relevanz von Designpraxis und -forschung ­gemeint ist und wie sie aktiv und verantwortungsbewusst vollzogen werden kann.

Didaktische Dimensionen des Re-Framings Der bereits in den ersten beiden Fallstudien thematisierte Ansatz des Re-Framings konnte im Rahmen der lehrtätigen Erprobung weiter vertieft und mit Hinblick auf seine designdidaktische Wirksamkeit überprüft werden. Es zeigte sich dabei, dass Re-Framing zum einen als Innovationstechnik verstanden und angewendet ­werden

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kann, indem neue Betrachtungsweisen einer bestimmten Ausgangsposition zu neuen Denk- und Lösungsansätzen führen können. Zum anderen kann eine Ausein­ andersetzung mit dem Kernprinzip des Re-Framings (insbesondere im frühen Stadium der Designausbildung) zu einer intensiven Durchdringung einer Designethik mit Blick auf die soziale Verantwortung von Technik(-gestaltung) genutzt werden. Im designdidaktischen Zusammenhang lässt sich dies aufgreifen, um der Frage nach der normativen Kraft nachzugehen, die von Design im Kontext sozio-­ materieller Verknüpfungen ausgeht. Im designhochschulischen (sowie generell im Designforschungs-)Kontext würde dies bedeuten, gemeinsam mit den Studierenden zu ergründen, inwiefern Design – bewusst oder unbewusst – daran beteiligt ist, bestimmte Rollenbilder und damit verbundene Machtkonstellationen zu untermauern, sie also zu „normalisieren“. Hierbei ließe sich auch auf die Technikkritik Herbert Marcuses zugrückgreifen, wenn er sagt: „Bestimmte Zwecke und Interessen der Herrschaft sind nicht erst ‚nachträglich‘ von aussen der Technik oktroyiert – sie gehen schon in die Kon­ struktion des technischen Apparats selbst ein“ (Marcuse 1967, 127). Übertragen auf das Anwendungsgebiet der Technikgestaltung kann solch ein methodischer Ansatz erkennbar werden lassen, was Mercedes Bunz als „Ablösbarkeit von Technik“ ­beschreibt, die der Technik eigen ist: „Sie erlaubt, dass etwas, was für einen bestimmten Zweck erfunden wurde, für einen ganz anderen Zweck eingesetzt werden kann“232 (Bunz 2014, 74 ff.). Diese Deutungsweise von Technikgestaltung, die sich im Übrigen auch mit der Non-Intentional-Design-These Michael Erlhoffs und Uta Brandes deckt, geht einher mit dem französischen Philosophen Gilbert Simondon,233 der in seiner Abhandlung über die Existenzweise technischer Objekte darlegt, wie „im ­Bereich der Technik […] das Element, eben weil es hergestellt ist, vom Ensemble ablösbar [ist], das es hervorgebracht hat“ (Simondon 2012, 61). Solche sozialen und kulturellen, technischen, dinghaften und gestalterischen Aspekte beim Blick auf Behinderung und Inklusion gedanklich mit einzubeziehen, im gleichen Zuge aber auch zu einer praktischen Anwendung zu verhelfen, kann sich – wie gezeigt – konstruktiv in Projektarbeiten eines Designstudiums bzw. in ein dementsprechendes designforschungsorientiertes Lehrformat implementieren lassen. Denn die Feststellung Gilbert Simondons, eine für einen bestimmten Bereich konzipierte Technologie könnte ebenso in ganz anderen Bereichen eingesetzt werden, verdeutlicht auch, dass Technologie grundsätzlich offen für neue Aneignungen ist, und, wie Mercedes Bunz konstatiert: „Eben das macht sie politisch: Um ihre Gestaltung muss gerungen werden“234 (Bunz 2014, 75 ff.).

Adaption und Implementierung als Lehr-Konzept Das Lehrkonzept zum Studienprojekt „Against Normality“ wurde seither an drei internationalen Hochschulen vorgestellt und weiterentwickelt. Dabei ging es ­zunächst

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67  „Design for ­Exclusion“: Dieses Mode-­ Accessoire kann nur mit geschlossenem Mund getragen werden, indem man auf die dafür vorgesehene Kauleiste beißt (Design: Maura Collins, Seattle).

um grundlegende Aspekte von Gestaltungspraxis in der Forschung (Nottingham Trent University, 2012),235 um konkrete Aspekte in Bezug auf spielerische Elemente (Game Elements) als soziale oder physische Trigger bei inklusiven Designforschungsprojekten mit behinderten Menschen (Design Academy Eindhoven, Mai 2013)236 und schließlich um generelle Aspekte der Nutzer-Einbindung in partizipativen Forschungsprojekten mit Behinderungsbezug (Sheffield Halam University, 2013).237 Das daraufhin angepasste Kurskonzept wurde im August 2015 mit einer Gruppe von 26 kanadischen Studierenden an der University of Alberta (EUREF ­Campus) im Zuge des e3 Sommerstudienprogrammes „Critical Design“ inhaltlich verfeinert. Unter dem Titel „Design for Exclusion“ ging es dabei um die Gestaltung von Dingen, die bewusst bestimmte Menschen(-gruppen) ausgrenzen oder bestimmte (als von den meisten Menschen selbstverständlich erachtete) Handlungsweisen ­unterbinden, erschweren bzw. ausschließen.238 Ausgangspunkt hierfür ist folgende Überlegung: Aufseiten des Gestalters lässt sich durch solch eine bewusst übertriebene Exklusion als Zielvorgabe womöglich anders über damit verbundene Probleme und Ursachen nachdenken, was wiederum Ausgangspunkt für neue, feinfüh­ligere, inklusive Gestaltungsansätze sein könnte. Auf Rezipientenseite können solche „Crit­ical Designs“, die nicht zwangsläufig als reale Produkte konzipiert sind, zudem ­Ausganspunkt von Diskursen werden.239 Anhand solcher fiktiven Artefakte ließen sich somit momentane, gesellschaftliche Zustände und Zusammenhänge kritisch hinterfragen und diskutieren (vgl. Dunne 2008). Beides kann als Grundlage dafür dienen, sich kritisch mit der Gestaltung bestehender Produktwelten auseinanderzusetzen, durch die Exklusion und Marginalisierung oftmals trotz bester Absichten noch verstärkt werden. Hieraus ergeben sich Potenziale für eine Gestaltungsdidaktik sowohl im Hinblick auf alltagsrelevantes Design als auch in Hinblick auf die Rolle von Design in Bezug auf eine gesellschaftliche Diskurskultur.

ERPROBUNG IM UNTERRICHT  197

Zum Ausbau des oben beschriebenen Kurskonzepts soll es im kommenden Jahr, in adaptierter Form, als Kompaktkurs an der Moholy-Nagy University of Art and Design (MoMe Budapest) und an der Bahcesehir University Istanbul (BAU International Berlin University of Applied Sciences, Berlin Campus, Architecture Department) durchgeführt werden. Die dargelegten Fallstudien stellen hierfür eine fruchtbare Ausgangsposition dar. Welche generellen Schlüsse sich aus den Ergebnissen der beiden Fallstudien und den Erfahrungen aus der lehrtätigen Erprobung insgesamt für die Design­ theorie, die Designpraxis sowie eine damit in Verbindung stehende Designdidaktik ­ziehen lassen können, wird im nun folgenden vierten Kapitel diskutiert.

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Aus den genannten Gründen lag der Fokus der Untersuchung hier also vorrangig auf Behinderungen im visuellen und auditiven Kontext. Zur Überprüfung möglicher Allgemeingültigkeiten, Skalierungen und Übertragbarkeiten wurde dieser Fokus im Rahmen der Erprobung in der Designlehre (­Kapitel 3.3) ­später auch auf andere Behinderungsthemen, etwa im motorischen oder kognitiven ­Kontext, ­erweitert. Dies beinhaltet die Teilnahme sowohl primär als auch sekundär Betroffener. Etwa im Lehrkontext oder in öffentlichen Einrichtungen. Das Lorm-Alphabet wurde 1881 von dem österreichischen Schriftsteller und Philosophen H ­ ieronymus Lorm (auch bekannt unter dem Namen Heinrich Landesmann) aus eigener „Betroffenheit“ heraus ­entwi­ckelt. Beim Lorm Alphabet werden die Buchstaben des Alphabets durch bestimmte Punkte und Bereiche der Handinnenfläche repräsentiert. Ein Gespräch zweier Kommunikationspartner erfolgt durch Antippen und Überstreichen dieser jeweiligen Punkte und Flächen. Die Studienkurse bauen auf einer (in Kapitel 3.3.3 ausführlich beschriebenen) Reihe an Vorstudien auf. Gesche Joost verwendet den Begriff des „sozialen Katalysators“ synonym zu der Frage, inwiefern durch Design soziale Transformationsprozesse vorangetrieben werden können (Joost 2012, 64). Sowie die Möglichkeit, das (soziale und kulturelle) Konstrukt Behinderung mithilfe von Design zu ­dekonstruieren. Wolfgang Jonas verwendet einen ähnlichen Begriff, wenn er Design als „antizipativ“ beschreibt, als ­etwas, „zukünftige, noch nicht existierende, Situationen in unterschiedlichen zeitlichen, sachlichen und sozialen Dimensionen“ Projektierendes (Jonas 2004, 3). Indem nicht nur observiert, beschrieben, analysiert, sondern aktiv interveniert und somit auch P ­ osition bezogen wird. Die generellen und mitunter konkreten Rückschlüsse, die aus solchen Umnutzungen durch Nutzende vollzogen werden können, werden – wie bereits erläutert – bei Uta Brandes und Michael Erlhoff als Non-Intentional Design beschrieben (Brandes/Erlhoff 2006). Karl Hörning beschreibt praktisches Wissen als Folge einer sozialen Praxis, die immer auch „in Beziehung, in Verflechtung, in Auseinandersetzung mit (der Welt der instrumentellen Dinge)“ steht (Hörning 2001, 1). Vgl. den Begriff „Non Intentional Design“ bei Uta Brandes und Michael Erlhoff (Brandes/Erlhoff 2006). Für eine Unterteilung von Designprozessen in 3-Phasen-Modelle existieren in der Designtheorie und -forschung zahlreiche Modelle. Angefangen von John Chris Jones’ Unterteilung in Divergence, Transformation und Convergence (Jones 1970), Bruce Archers Gliederung in Science, Design und Arts (Archer 1981), Herbert Simons Aufteilung in Intelligence, Design und Choice (Simon 1977) bis hin zu Nelson & Stoltermans Klassifikation der „Domains of Knowing“ in „the true“, „the ideal“ und „the real“ (­Nelson & Stolterman 2014) und Daniel Fallmans Aufschlüsselung in Design Studies, Design Exploration und ­Design Practise (Fallman 2008). In den angewandten Bereichen der Designpraxis und des Design Thinking haben die schlagbegriffliche Untergliederung von Designphasen in „formative research“, „creative research“ und „summative research“ (Visocky O’grady 2009) oder „Insight“, „Ideation“ und „Evaluation“ (vgl. Schmolze 2011) Verbreitung gefunden, die in ähnlicher Form auch in anderen Modellen existieren, etwa dem „Double Diamond Diagram“ des Design Councils UK: Discover, Define, Develop, Deliver (Design

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Council UK 2005, 6) oder der Human-centred-Design-Prozessbeschreibung der d.school, mit den Komponenten: Empathize, Define, Ideate, Prototype, Test (d.school 2014). Ein Modell, welches sich gleichermaßen für theoretische Betrachtungen über Design wie für praktische Handlungsanleitungen im Design eignet, ist die von Wolfang Jonas und Rosan Chow eingeführte Phaseneinteilung in „Analysis“, „Sytnthesis“ und „Projection“ (Chow/Jonas 2010). Gegenstand der ersten Phase ist demnach die Analyse bestehender Situationen, Kontexte und Beteiligter (the true). Phase zwei bezieht sich auf die (experimentelle) Projektion in die Zukunft im Sinne von Entwürfen wünschenswerter Lösungen und Interventionen (the ideal). Die dritte Phase widmet sich der Synthese aus dem „was ist“ und dem „was soll werden“. Sie hat zum Ziel eine Umsetzung dessen, was machbar und realistisch ­sowie im Sinne einer Alltags- und Nutzungsrelevanz sinnvoll ist (the real). 14 Sowohl die Befragungen als auch die Workshops wurden von Gebärdensprach-Dolmetschern begleitet. In Vorbereitung auf die Zusammenarbeit mit den gehörlosen Teilnehmern wurde zudem ein dreimonatiger Einstiegskurs für Deutsche Gebärdensprache (DGS) absolviert, welcher im späteren Verlauf noch durch einen Aufbaukurs ergänzt wurde. Die Teilnahme an diesen Kursen eröffnete aufschlussreiche theoretische und physische Einblicke in die Welt der Gehörlosen-Kommunikation sowie Anknüpfungspunkte zur sogenannten Deaf-Community und „Deaf-Culture“. Wenngleich auch nicht sämtliche Inhalte zwangsläufig direkte Einbindung in die Forschungsarbeit fanden, so spielt dieser Kurs dennoch eine nicht unwesentliche Rolle im Verständnis der Thematik und lieferte ferner die Grundlage für fruchtbare Kontakte zu projektrelevanten Institutionen und Einzelpersonen. 15 Die Fokusgruppendiskussionen fanden als moderierte Gespräche unter semi-kontrollierten Bedingungen, das heißt in mitunter informellem Rahmen statt. Das Ziel der Diskussionen bestand darin, zunächst Erfahrungswerte und Meinungen der Teilnehmenden zu eruieren, um somit eine inhaltliche Grundlage für die Konzeption der Co-Design Workshops zu schaffen. 16 Die individuellen Befragungen erfolgten komplementär zu den Fokusgruppendiskussionen. Eine solche einander ergänzende Vorgehensweise geht zurück auf Erkenntnisse der Sozialforschung, die besagen, dass sich in Einzelgesprächen bisweilen andere Einblicke zutage befördern lassen als in Fokusgruppen, die letztlich immer auch von gruppendynamischen Prozessen bestimmt werden. 17 „Fiktiv“ bedeutet in dem Sinne: bisher nicht existent (z. B. als Produkt verfügbar). Ferner schließt der ­Begriff „fiktiv“ hier mit ein, dass es sich sowohl um mögliche (realisierbare) als auch (nach dem Stand der bisherigen Forschung und Entwicklung) unmögliche Produkte handeln kann. 18 Der erste Deaf Jam fand am 29. Oktober 2009 in Räumlichkeiten der Berliner UdK statt. Im Zeitraum bis September 2010 wurden insgesamt fünf weitere solcher Workshops durchgeführt. 19 Die Gruppe bestand aus sechs Teilnehmenden (4 weiblich, 2 männlich) im Alter zwischen 15 und 29 Jahren sowie zwei (ebenfalls gehörlosen) Betreuerpersonen und zwei Dolmetscherinnen. 20 Das StreetLab wurde im Sommer 2009 vom Design Research Lab ins Leben gerufen (Bieling et al. 2010a). Eine fünfminütige Video-Dokumentation dieses Projekts findet sich unter folgendem Link: https://www. youtube.com/watch?v=SU1yMPVjQvA [Letzter Zugriff: 25. April 2017] 21 Das Living Lab-Konzept beruht auf dem Ansatz: Forschungsumgebungen, in denen reale Lebenssituationen erhalten bleiben und sich dementsprechend authentisch abbilden lassen. Der Begriff des Living Labs wird in unterschiedlichen Forschungspraktiken bisweilen verschiedenartig ausgelegt. Ansätze wie das Lab4Living an der Sheffield Halam University legen beispielsweise den Fokus vorrangig auf labormäßige Realitätssimulationen, in dem Sinne, dass z. B. häusliche oder klinische Umgebungen nachgebaut und darin mögliche Interaktionen nachempfunden werden. Das am Design Research Lab entwickelte Konzept „StreetLab“ orientiert sich hingegen an dem von Pelle Ehn beschriebenen Living Lab-Ansatz, bei dem es der lebensnahen Experimentierumgebung und der partizipativen Konzeptgenerierung auch um die Schaffung und Unterstützung von offenen, nachhaltigen Infrastrukturen geht (Ehn 2009, 54 ff.). Florian Sametinger und Jennifer Schubert heben dazu hervor, wie wichtig und nützlich eine „Integration bestehender aktiver Gruppen und deren eigene Räumlichkeiten sowie virtuelle, aber auch physische Interventionen in der gesamten Nachbarschaft“ sein können, um „die Teilnehmer/innen nicht in einem artifiziellen Umfeld, sondern in ihrer vertrauten Umgebung in die Forschung einzubeziehen“ (Sametinger/Schubert 2013, 218). Solche Bürgerwerkstätten können im Idealfall allen Beteiligten dazu dienen, sowohl die Lebenssituationen der jeweilig Betroffenen als auch deren mögliche Handlungsspielräume besser zu ergründen. 22 Veranstaltungsdatum: 13. August 2009. 23 Als Ausgründung der Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen in Berlin e. V. (gfgb) entstanden, agiert Sinneswandel in pädagogischen und beratenden Arbeitsbereichen mit den Schwerpunkten B ­ etreutes Wohnen, ergänzende Betreuung und Förderung, Freizeitgestaltung sowie Ausbildung und Arbeit für ­gehörlose und schwerhörige Menschen.

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24 Der Begriff Gemeinschaft könnte in die Irre führen, insofern er suggeriert, dass es sich bei Gehörlosen um eine homogene Gruppe oder einer Art Glaubensgemeinschaft handelt. Richtiger, als von der Gemeinschaft zu sprechen, wäre möglicherweise von den Gemeinschaften zu sprechen, von denen einige auch nur temporär oder zweckgebunden bestehen. Tatsache ist, dass nicht zuletzt aufgrund des verbindenden Elements der Sprachbarriere gegenüber der Mehrheitsgesellschaft vielerorts ein grundsätzliches Solidar-, Identitäts- und Zugehörigkeitsgefühl von Gehörlosen untereinander besteht. Begriffe wie Deaf Community oder Deaf Culture sind weit verbreitet und werden von vielen Gehörlosen auch bewusst so formuliert. 25 Als positive Aspekte der Gehörlosen-Kommunikation gegenüber der Kommunikationsweise Hörender wurde beispielsweise die Möglichkeit genannt, sich trotz lauter Umgebungsgeräusche unterhalten zu können. Auch dem Variantenreichtum des körperlichen Ausdrucks gegenüber Hörenden wurde vielfach besondere Bedeutung beigemessen. Ein weiteres häufig genanntes positives Merkmal bezog sich auf den Aspekt der „Geheimsprache“, wenn es beispielsweise darum geht, sich im öffentlichen Raum mit einem anderen Gehörlosen unterhalten zu können, ohne dass dieses Gespräch von anderen Hörenden verstanden werden kann. Insbesondere die Schülerinnen und Schüler unter den Teilnehmenden hoben zudem die Möglichkeit des „Schummelns bei Klausuren, hinter dem Rücken des Lehrers“ hervor. Gerade die Kommunikation im öffentlichen Räum wird häufig jedoch als problematisch angesehen. So ist es bisweilen schwierig, sich privat zu unterhalten, wenn man davon ausgehen muss, dass andere Gehörlose das Gespräch visuell mitverfolgen können. Als am häufigsten genannte Herausforderungen der Gehörlosen-Kommunikation wurden überdies generelle Verständnisschwierigkeiten gegenüber bzw. vonseiten von Hörenden sowie ein genereller Ausschluss vom allgemeinen Informationsfluss genannt. 26 Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der Aufzählung um überwiegend spontane Äußerungen ­einer nicht repräsentativen Gruppe handelt. Das Aufwiegen bezieht sich dabei rein auf den quanti­ tativen Aspekt der gezählten Begriffe. Ein qualitativer Abgleich der Aspekte zählte nicht zum Gegenstand der Erhebung. Der Versuch wurde allerdings gleichfalls in den darauffolgenden Deaf Jams wiederholt. Auch hier ­waren die reinen Aufzählungen an positiven und negativen Assoziationen ungefähr aus­geglichen. 27 Der Begriff Prototyp erfährt im Designkontext bisweilen unterschiedliche Auslegungen. Er kann sowohl für ein funktionsfähiges als auch für ein stark vereinfachtes Versuchsmodell eines geplanten Produkts stehen. Je nachdem kann der Prototyp also zur Überprüfung und Veranschaulichung von technischen Machbarkeiten dienen. Oder aber als symbolischer Platzhalter für eine mögliche, bis dato noch nicht zwangsläufig existente Nutzungsweise. Mitunter dienen Prototypen auch dazu, bereits im frühen Forschungs- und/oder Entwicklungsstadium bestimmte Produktvisionen und Nutzungsaspekte erfahrbar und verständlich zu machen sowie deren Akzeptanz bei potenziellen Nutzerinnen und Nutzern zu überprüfen. In Fallstudie I und den Projekten der Designstudierenden haben wir es vorrangig mit symbolischen Prototypen zu tun, die weder äußerlich noch technisch einem möglichen Endprodukt entsprechen müssen. Bei Fallstudie II kommt es hingegen zum verstärkten Einsatz von funktionsfähigen Prototypen und deren iterativen, partizipativen Weiterentwicklung. 28 Es ist offenkundig, dass die prototypische Umsetzung in solchen Workshop-Formaten stets auch durch die Auswahl an zur Verfügung gestellten Materialien beeinflusst wird. Zum einen wurde daher darauf Wert gelegt, eine Fülle an unterschiedlichen Materialien bereitzustellen. Zusätzlich wurde kommuniziert, dass das verwendete Material auch symbolisch repräsentative Funktionen übernehmen durfte. Ein Beispiel: Eine Teilnehmerin wollte ihren Prototypen mit einem semi-flexiblen Display ausstatten, fand dafür jedoch kein passendes Material. Stattdessen verwendete sie mit Pappe verstärkte Silber­ folie. Die genaue Beschreibung und Diskussion der von ihr anvisierten Display-Funktion fand daraufhin im Gruppengespräch auf verbaler (bzw. in dem Fall: gebärdensprachlich übersetzter) Ebene statt. Ohnehin spielt in solchen Workshop-Formaten die tatsächliche Realisierbarkeit eine vorerst eher untergeordnete Rolle, um somit auch „experimentelleren“ Ansätzen Raum gewähren zu können. 29 Der erste Workshop der Reihe Deaf Jam I fand am 29. Oktober 2009 in den Räumlichkeiten der Berliner Universität der Künste statt. Bis September 2010 folgten daraufhin insgesamt zwei weitere Workshops des Formats Deaf Jam 1 sowie drei Workshops des Formats Deaf Jam II. Die Gruppen bestanden aus ­jeweils vier bis sechs Teilnehmenden in z. T. wechselnden Konstellationen (insgesamt vier weiblich, fünf männlich), im Alter zwischen 17 und 31 Jahren. Die Durchführung der Workshops erfolgte in Unterstützung von jeweils zwei Dolmetscherinnen. 30 Denn wie sich bereits in der Vorstudie des Deaf StreetLabs gezeigt hatte, werden „gängige“ Technologien von Gehörlosen häufig schlichtweg an den eigenen Alltag und die eigenen Nutzungsbedingungen angepasst. 31 Zumal derer, die die Gebärdensprache nicht beherrschen.

200  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

32 Einer der Teilnehmenden verwendete hierfür den Begriff „beneidenswert“. 33 Im Unterschied zur sequenziell verlaufenden Anordnung einzelner Wörter bei der lautsprachlichen ­Kommunikation. 34 Im Zuge der Workshops bezogen wir uns vor allem auf die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Häufig ­gelten die in der Arbeit beschriebenen Konzepte allerdings auch in anderen Gebärdensprachen, wie z. B. der American Sign Language (ASL). 35 Das Konzept der Objektreferenzierung im dreidimensionalen Gebärdenraum ist übertragbar in Bereiche der gestenbasierten Mensch-Maschine-Interfaces. Siehe hierzu den im Rahmen des ­Forschungsprojekts entstandenen Video-Prototyp zum Konzept der „Virtuellen Platzhalter“: https:// www.youtube.com/watch?v=FLfa8kl9X12 (Video: Oskar Koller) [Letzter Zugriff: 8. Februar 2012]. 36 Hierzu zählen auch das Anheben und Absenken des Gebärdenraums. 37 Ein Wechsel zwischen Erzähler- und Beobachterperspektive kann in der gebärdensprachlichen Kommunikation durch einen Blickrichtungswechsel und eine perspektivische Neuausrichtung des Gebärdenraums angezeigt werden. Koller verweist hier auch auf die Ausführungen der Sprachwissenschaftlerin Gisela Fehrmann, die ähnliche Effekte im Bereich der subjektiven und objektiven Erzählweisen v­ erortet (Fehrmann 2008). Fehrmann beschreibt ferner die Möglichkeit einer Projektion des Gebärdenraums in die „Fensterebene“, was „einer Landschaftsperspektive entspricht, die genutzt werden kann, um an ­einer imaginären Landkarte Dinge zu verdeutlichen“ (ebd.). 38 Mittels bestimmter Klassifikatoren lassen sich Zusatzinformation, z. B. über subjektbezogene Eigenschaften, vermitteln (groß, klein, lang, kurz, leicht, schwer etc.). 39 Man unterscheidet zwischen „durativen“, „habituativen“ und „iterativen“ Temporalaspekten. So kann durch Dehnung und Einfrieren von Gebärden die lange Dauer bestimmter Aktionen ausgedrückt werden. Ebenso lassen sich durch Wiederholung von Gebärden bestimmte Routinen oder Pluralvarianten anzeigen. 40 Vgl. hierzu auch die mit Oskar Koller erstellte Übersicht, in der ebenfalls solche Aspekte aufgezählt sind, die als gestalterisch eher schwieriger adressierbar eingestuft wurden (Koller 2009, 21). Dazu zählen beispielsweise Schwierigkeiten in der Dechiffrierung der kommunikativen Absicht bei Applaus, Schwierigkeiten beim Erlernen fremder Lautsprachen, der Mangel an übersetzten Fachbegriffen, Vertrauen in die Glaubwürdigkeit beim Dolmetschen sowie das Problem statischer Gesprächssituationen aufgrund der Zeitverzögerung beim Dolmetschen. 41 Hier hat sich die Situation gegenüber 2009 bereits deutlich verbessert. Smartphone-Nutzung, verbesserte Übertragungsraten bei Video-Chats (z. B. FaceTime, Skype), Chat- und Messenger-Apps, Kurznachrichtendienste sowie die Möglichkeiten zur Einbindung von Videoportalen (z. B. Youtube, Vimeo) im Bereich Social Media (z. B. Facebook, Instagram) haben die Handlungsspielräume für Gehörlose im ­Bereich der zeitversetzten und der Echtzeit-Kommunikation bereits deutlich erhöht. In den Gesprächen und Observationen aus dem Jahr 2009 musste vielfach noch auf SMS oder Fax zurückgegriffen werden, was innerhalb der Gehörlosen-Community als starkes Manko angesehen wurde. 42 Nicht explizit an eine gehörlose Person adressierte Informationen, z. B. Gespräche im Umgebungsraum, bekommt diese kaum mit. 43 Für Notruf-Situationen (z. B. das Versenden von SMS an den Polizeinotruf) mangelt es zum Teil noch an internationalen Standards. 44 Ebenso, wie nicht sämtliche der zuvor eruierten Themenfelder in den darauffolgenden Co-Design-­ Sessions zwangsläufig in Form von Prototypen aufgegriffen und verarbeitet wurden, so kam es auch vor, dass in den besagten Sessions stellenweise neue Aspekte aufgegriffen wurden, die zuvor nicht ­thematisiert worden waren. 45 Zwischen Februar und September 2010 fanden insgesamt drei Workshops des Formates Deaf Jam II statt. Die Teilnehmerstruktur und Gruppenkonstellationen entsprachen dabei den zu Deaf Jam I beschriebenen. 46 Hierbei ging es insbesondere darum, besondere Eigenschaften der gebärdenbasierten gegenüber der lautsprachlichen Kommunikation genauer zu inspizieren. Im Fokus standen dabei z. B. der drei­ dimensionale Kommunikationsraum, aber auch linguistische und psychologische Besonderheiten der gebärden­basierten Kommunikation (vgl. Koller 2009, 28 u. 36). 47 Eine besondere Herausforderung bestünde hierbei im Umgang mit Nebengeräuschen, durch die das ­Ergebnis verfremdet werden könnte. 48 Abb. 12–15, illustriert von Betie Pankoke. 49 Ein fünfminütiger Zusammenschnitt dieser schnell produzierten Videoclips findet sich unter folgendem Link: https://www.youtube.com/watch?v=fP_ZBAB2-3o (Kamera und Schnitt: Oscar Koller).

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50 „Call my Attention“ sieht den Verbindungsaufbau eines Mobiltelefons zu einem in der unmittelbaren Umgang befindlichen vor. Die Methode der Kontaktaufnahme ist nicht zuletzt ortsabhängig, da eine geografische Positionsbestimmung per GPS nicht in Gebäuden funktioniert. Zum Zeitpunkt der Konzeptentwicklung lag daher zunächst die Nutzung einer GSM-Positionierung (Global System for Mobile Communications) nahe, sofern ein solcher Service in Kooperation mit den Mobilfunkbetreibern erfolgen sollte. Als anwendbare Verfahren wurde TDOA (Time difference of arrival) oder AOA (Angle of arrival) in Betracht gezogen. Wobei für den AOA spezielle Antennenarrays erforderlich wären. Die Zeigerichtung des „rufenden“ Telefons ließe sich über die eingebaute Kompassfunktion bestimmen. Durch eine Übermittlung dieser Daten an den Mobilfunkprovider könnte dieser einen Ruf an alle in der Zelle befindlichen Mobiltelefone senden. Auch könnte ein solcher Ruf über lokale Netzwerke (W-LAN oder Bluetooth) erfolgen. Auch eine Kontaktaufnahme ohne Umwege über die Provider wurde in Betracht gezogen, für die dann allerdings zusätzliche Empfänger und Richtfunksender in die Mobiltelefone implementiert werden müssten (Koller 2009, 44). 51 Gemeint sind Anwendungsfälle als Veranschaulichung möglicher Szenarien für die technischen und ­gestalterischen Lösungskonzepte. 52 Ein Zusammenschnitt einiger dieser Videoprotypen findet sich unter folgendem Link: https://www. youtube.com/watch?v=z8HY6hLADH4 (Konzept: Tom Bieling und Kai Hattermann; Regie, Kamera und Schnitt: Kai Hattermann). 53 In einem weiteren, separaten Workshop. 54 Bei den Fachveranstaltungen handelte es sich um: CEPHAD Conference (Januar 2010) – The Borderland between Philosophy and Design Research, am Centre for Philosophy & Design; Denmarks Designskole Kopenhagen (Vortrag: Disabled by Design – Enabled by Disability) (Bieling 2010); Present Difference: The Cultural Production of Disability (Januar 2010) an der Manchester Metropolitan University (Vortrag: ­Disability inspired Interaction Design); IADE 40 (Oktober 2009) an der IADE/UNIDCOM Lissabon (Vortrag: Design Research, Disability and socio-cognitive Dynamics) (Bieling 2009b). 55 Diese Alltagsherausforderung ist unter vielen Gehörlosen weit verbreitet, während hörende Menschen hingegen Notizen machen können, ohne zwangsläufig den Vortragenden dabei angucken zu müssen. 56 Die Zweischichtigkeit besteht darin, dass man sowohl das Kamerabild als auch das darauf Geschriebene auf demselben Display – quasi übereinandergelegt – sehen kann. Die Schriftfläche stellt sich ­somit als transparente Ebene (Layer) dar. 57 Ein Video hierzu findet sich unter folgendem Link: https://www.youtube.com/watch?v=zLjzlntnYZc (­Kamera und Schnitt: Kai Hattermann). 58 Ein Video hierzu findet sich unter folgendem Link: https://www.youtube.com/watch?v=uz6Z81tBZwA (Kamera und Schnitt: Kai Hattermann). 59 Die Gebärdensprache basiert auf einer Kombination von gestischen und gesichtsmimischen Körperbewegungen sowie Lippenbewegung bzw. Mundstellung (durch lautlos gesprochene Wörter) und verschiedenen Formen der Körperhaltung. Diese unterschiedlichen Ebenen der Kommunikationselemente sind verschieden kombinierbar, was es für computergestützte Systeme bisher immer noch schwierig macht, sie entsprechend zu dechiffrieren. Zwar lassen sich wichtige Schlüsselpunkte wie Handkonfiguration, -bewegung, Blickrichtung, Körperposition und Mundstellung mithilfe von Capturing-Verfahren aufnehmen bzw. verfolgen (tracken), eine inhaltsgleiche Synthese dieser einzelnen Gebärde-Komponenten bleibt jedoch schwierig. Die meisten bekannten Versuche von Tracking-Verfahren im Gehörlosenkontext beziehen sich ausschließlich auf Aspekte der Handstellung und konnten zeigen, dass sich so zumindest eine Handvoll Wörter und Sätze übersetzen lässt. So z. B. das Projekt „Handtalk“, entwickelt an der Carnegie Mellon University (2009). Dieses arbeitet mit einem mit Flexor Pads ausgestatteten Handschuh, mit dem sich Handbewegungen und Fingerkrümmungen erkennen lassen. Ähnlich ist auch das Projekt „SignAloud“ angelegt, welches seit 2016 an der University of Washington von Navid Azodi und Thomas Pryor entwickelt wird. Auch SignAloud arbeitet mit Handschuhen. Diese sind mit einer Sensorik ausgestattet, anhand derer die Handpositionen erkannt und ­ rinzip der Elektroaufgezeichnet werden können. Das Projekt „Talking Hands“ (Limix) fußt auf dem P myographie (EMG), welches etwa bei der Steuerung von Prothesen zum Einsatz kommt. Hand-Gesten ­ ignale verwandelt. Bis werden mithilfe einer dazugehörigen App über ein Smartphone in akustische S dato gibt es keine kommerziell verfügbaren Systems zur digitalen Übersetzung von Gebärdensprache. 60 Beispiele für derartige Capture-Verfahren gibt es etwa im Gaming-Bereich (z. B. Wii-Controller, Kinect oder PlayStation Move) oder im Bereich der filmischen Animation („Performance Capture“). 61 Auch ein Tracking-Verfahren ohne Marker wäre möglich, etwa mithilfe einer „Musterkennung“ oder ­einem „Silhoutte Tracking“.

202  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

62 Ein Video hierzu findet sich unter folgendem Link: https://www.youtube.com/watch?v=B77PKHMYNco (Kamera und Schnitt: Kai Hattermann). Nach heutigem Kenntnisstand ließe sich das „Sign-to-Text“Prinzip einfacher mithilfe von Bewegungssensoren um­setzen, mit denen sich Handpositionen und -krümmungen präziser erkennen lassen. 63 Ein Video hierzu findet sich unter folgendem Link: https://www.youtube.com/watch?v=ntpRwulSb-o (Kamera und Schnitt: Kai Hattermann). 64 Die Entwicklung erfolgte durch maßgebliche Unterstützung von folgenden Personen: Tilo Westermann (Programmierung; Technische Umsetzung), Christian Hertlein (Grafik; User Interface), Dr. Sven Kratz (Beratung) und Johannes Geng (Feldtests). 65 Ein Video zur Funktionsweise der App „Call my Attention“ findet sich unter folgendem Link: https://www. youtube.com/watch?v=Ph4qdQVNtC0 (Kamera und Schnitt: Kai Hattermann). 66 Die hier eruierten Themenschwerpunkte und die in diesem Zuge generierten Ansätze und Konzepte bieten insbesondere eine unmittelbarere Zuordnung und Annäherung zu möglichen „Problemfeldern“ an. Ihre Formulierung erfolgte mitunter beispielhaft und müsste in Bezug auf mögliche Umsetzungen oder Produktentwicklungen jeweils situativ aufgearbeitet und präzisiert werden. 67 Es kann festgestellt werden, dass nicht alle der in Deaf Jam I als relevant eruierten Themenfelder im späteren Verlauf der Co-Design-Sessions vollumfänglich adressiert wurden, was nicht zuletzt auch mit der kleinen Gruppengröße zu tun hat. Genau hieran verdeutlicht sich schließlich auch die Notwendig­ berarbeitete keit und Rollenkompetenz einer „Design-Expertise“, anhand derer letztlich noch weitere, ü ­Konzepte generiert werden konnten, die dann zu einem späteren Zeitpunkt (z. B. anhand der VideoProto­typen) wieder mit der Gruppe diskutiert wurden. 68 Insbesondere Aspekte der Wahrnehmung, der Kommunikation oder auch der Mobilität (Bieling 2009; 2009a). 69 Diese „allgemeine“ Betrachtungsweise ist zugleich Gegenstand stellenweiser Kritik gegenüber Miessens Standpunkt. Denn obwohl es darin an Beispielen (z. B. aus Architektur, Politik oder dem Kultursektor) nicht mangelt, bietet er auf der Abstraktionsebene – Partizipation an sich zu hinterfragen – Anlass zu Polemik. 70 Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe stellt die Effizienz von konsensorientiertem Bestreben als Kernausrichtung demokratischer Aushandlungsprozesse kritisch infrage und stellt ihr ein agonistisches, konfliktorientiertes Politikverständnis als zielführender gegenüber (Mouffe 2014). Ihr Vorschlag: „[Wir sollten] uns einig sein, dass wir uns nicht einig sind. Und mit dieser Situation umgehen lernen“ (Miessen / Grassegger 2012). 71 Mit Hinblick auf Bürgerbeteiligung, insbesondere vor dem Hintergrund digital bezogener Mischformen aus direkter und repräsentativer Demokratie (Liquid Democracy), wird der Standpunkt vertreten, dass „auch Entscheidungen gegen die Mehrheit und ohne Beteiligung der allerletzten Schnarchnase richtig sein [können] – solange jemand die Verantwortung trägt“ (ebd.). 72 Gemeint sind: Teilnehmerinnen und Teilnehmer an partizipativen Design-, Forschungs- oder ähnlich ­gearteten Entscheidungsprozessen. 73 Bzw. sie – je nach Projektausrichtung – zur tatsächlichen Markt- bzw. Produktreife zu befördern, was gleichwohl nicht das erklärte Ziel dieser Forschungsarbeit war. 74 Eine Überschneidung bzw. ein Ineinandergreifen unterschiedlicher – in dem Fall partizipativer und entwurfsbasierter – Designforschungsansätze wird auch von Alain Findeli in dessen Erläuterung der „­Project-grounded-Research“ berücksichtigt, wenn er darauf hinweist, dass in einer Forschung-­durchDesign stets auch Elemente anderer Forschungsansätze enthalten sein können (vgl. Findeli 2008). 75 Der Lorm Glove und die Lorm Hand entstanden in maßgeblicher Unterstützung durch die wissenschaftlichen Mitarbeiter Tiago Martins und Ulrike Gollner sowie die studentischen Hilfskräfte Chiara Esposito, Fabian Werfel, Andrea Clemens und Inci-Ana Zohrap. Der Projektverlauf und die -ergebnisse wurden in einem kurzen Video (ca. 3 Min.) dokumentiert: https://www.youtube.com/watch?v=TW2FoVVrkEg [Stand: 2. Mai 2017]. 76 Der iterative Forschungs- und Entwicklungsprozess erfolgte in Zusammenarbeit mit Mitgliedern des ­Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin (ABSV) und dem Oberlinhaus Babelsberg. Der Miteinbezug lorm-sprachlicher und mit Taubblindheit vertrauter Alltagsexperten war für die ­Fallstudie von hoher Bedeutung. Es wurde Wert darauf gelegt, Einblicke und Rückschlüsse stets möglichst zeitnah und unmittelbar mit den Teilnehmenden abzugleichen, um ein möglichst umfassendes situatives Verständnis zu erlangen. Der partizipative Forschungs- und Entwicklungsverlauf wird in Kapitel 3.2.3 (­Entwicklungsprozess) genauer dargelegt. 77 Richtungsweisend war somit insbesondere die Einbindung noch unfertiger „Roh-Produkte“ in lebensweltliche Alltagssituationen, um anhand einer aktiven Einbindung primär und sekundär Betroffener plausible Entwicklungsschritte der Prototypen voranzutreiben.

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78 Die Stiftung Taubblind Leben schätzt die Zahl der Taubblinden in Deutschland auf 3000 bis 6000. Die Zahl der Hörsehbehinderten in Deutschland wird vom Deutschen Taubblindenwerk mit 10.000 beziffert (www.stiftung-taubblind-leben.de und www.taubblindenwerk.de Stand: März 2017). 79 Rupp, T.: Lormer. http://www.lormer.com [Letzter Zugriff: 11. April 2013]. 80 Eine detaillierte Beschreibung der partizipativen Prozesse erfolgt in Kapitel 3.2.3 (Entwicklungsprozess ≥ Partizipative Forschung und Entwicklung). 81 Als weitere Kommunikationsformen haben sich neben „Lormen“ insbesondere das „Taktile Gebärden“, „Daktylieren“, „Tadoma“ oder aber die „Gebärdensprache“ und die „Brailleschrift“ durchgesetzt. Welche dieser Kommunikationsformen jeweils bevorzugt wird, hängt insbesondere von der jeweiligen Vorerfahrung der Betroffenen ab, also z. B. davon, ob jemand von Geburt an bereits blind, taubblind oder gehörlos war oder nicht. Erblindete Gehörlose bevorzugen häufig das „Taktile Gebärden“, welches an die Gebärdensprache angelehnt ist. Die Gebärden werden dabei so vollzogen, dass sie vom Gesprächspartner bzw. der Gesprächspartnerin mit den Händen gefühlt und nachvollzogen werden können. Hierzu legen die taubblinden Gesprächspartner beide Hände auf die Hände der gebärdenden Person. Beim „Daktylieren“ erfühlt eine taubblinde Person das Fingeralphabet für Gehörlose von den Händen seiner Gesprächspartner. Bei „Tadoma“ handelt es sich um eine gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Norwegen entwickelte Kunstsprache, benannt nach Tad Chapman und Oma Simpson, die diese Sprache erstmalig verwendeten. Die Signale dieser Berührungssprache erfolgen durch Ertasten der Artikulationsbewegungen am Mund bzw. dem Gesicht der sprechenden Person. In der Regel wird hierfür der Daumen dazu verwendet, die Lippenbewegungen zu erfassen, während die restlichen Finger an Hals und Wange platziert sind. 82 Als gängige Kommunikationsform gilt das Lorm-Alphabet dabei insbesondere im Kontext von späterworbener Taubblindheit. Dies hat insbesondere mit dem jeweiligen Vorwissen und zuvor gelernten und gewohnheitsmäßigen Kommunikationsformen zu tun. Gerade Menschen, die vor Auftreten ihrer Taubblindheit bereits vorrangig in laut- und schriftsprachlicher Weise kommuniziert haben, fällt das Erlernen des Lorm-Alphabets häufig leichter, als z. B. taktile Gebärden (eine Kommunikationsform, die häufiger von Menschen verwendet wird, die vor ihrer Erblindung bereits gehörlos waren und deren erste Sprache somit die Gebärdensprache war). Gleichwohl kann das Lorm-Alphabet selbst im Falle einer angeborenen Taubblindheit erlernt werden. 83 Als regelmäßige Konversationspartner dienen Taubblinden häufig nur deren Verwandte, Betreuungs­ personal oder aber andere Taubblinde, sofern diese mit ihnen zusammenleben. Direkte Gesprächssitua­ tionen ergeben sich aber auch dann nur, wenn die Gesprächspartner physisch anwesend sind, das heißt, wenn man sich gegenseitig berühren kann. 84 Für eine Braillezeile, mit der sich 80 Zeichen darstellen lassen, was der Standard-Laufweite einer ­DIN-A4-Zeile entspricht, liegt der Anschaffungspreis derzeit bei bis zu 10.000 Euro. 85 Aktoren – als Pendant zu Sensoren – werden in Anlehnung an den englischen Begriff „actuator“ auch als Aktuatoren bezeichnet. Es handelt sich dabei um Antriebselemente, mit denen elektrische Signale (­beispielsweise computergenerierte Steuerungsbefehle) in mechanische Bewegung oder andere physikalische Einheiten (wie z. B. Temperatur oder Druck) umgewandelt werden können (vgl. http://tinyurl. com/hbnkv7a [zuletzt abgerufen am: 20. Februar 2017]). 86 Programmierschnittstelle, um die Anbindung von unterschiedlichen Programmen an ein System zu ­ermöglichen, etwa in Form von Hardware- oder Datenbankzugriff. 87 Social Network Services wie z. B. Twitter oder Facebook. 88 In Rücksprache mit den beratenden Institutionen wurde darauf geachtet, die Gruppen tendenziell klein zu halten. Denn da die Dolmetscherinnen vorrangig damit beschäftigt sind, zwischen dem Forscherteam und den jeweiligen Probanden zu übersetzen, kann es vorkommen, dass einzelne Teilnehmende längere Zeit auf sich gestellt in Warteposition verharren müssen. 89 Die Gruppe der Taubblinden ist generell durch einen hohen Grad an Heterogenität geprägt. Man kann kaum von einem „Prototypen des Taubblinden“ ausgehen. Vielmehr haben wir es mit einer Vielzahl an Mischformen, unterschiedlichen „Erkrankungs-“ und Entwicklungsverläufen zu tun. Neben der Unterscheidung von angeborener und spät erworbener Taubblindheit und unterschiedlichen Ausprägungen der Hörsehbehinderung gilt es auch zu berücksichtigen, dass es beispielsweise taubblinde Menschen mit (z. B. kognitiven oder motorischen) Mehrfachbehinderungen gibt. All diese Faktoren haben auch ­Einfluss auf das jeweils unterschiedliche Erfahrungs- und Weltwissen der Betroffenen. 90 Für die Fortentwicklung war es hilfreich, mit unterschiedlichen Typen von „Extrem-Usern“ zusammenzuarbeiten. Wie z. B. Personen, die besonders schnell lormen können und dementsprechend mitunter hohe Anforderungen an das Device stellten. Oder aber Personen, die das Lormen z.T. selber noch erlernen oder ihre diesbezüglichen Kenntnisse und Fertigkeiten verbessern müssen und daher vor allem auf die Aspekte des „Learning Tools“ fokussierten.

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91 Der brasilianische Sender TV Brasil drehte einen halbstündigen Bericht über das Projekt sowie über die Demonstration. Die Sendung ist online unter folgendem Link zu sehen: https://www.youtube.com/ watch?v=VhAKccD1VVk. Ein weiterer 10-minütiger Bericht von TV Brasil, diesmal nur mit Fokus auf dem Projekt Lorm Hand, findet sich unter folgendem Link: https://www.youtube.com/watch?v=zLIrxwM9_5U [Letzter Zugriff jeweils: 28. März 2017]. 92 „Die klügste Nacht des Jahres“ fand am 10. Mai 2014 in Berlin statt. Unter dem Motto „Stadt ohne ­Barrieren – Stadt zum Begreifen“ wurden die Lorm-Projekte in Kooperation mit der TU Projektwerkstatt – Urban Design – Städtebau an der Technischen Universität Berlin interaktiv ausgestellt (Fakultät VI Planen – Bauen – Umwelt), für deren Lehrveranstaltungen der Autor zuvor als Gastreferent tätig war. 93 Der Prototyp 1.0 des Lorm Gloves entstand in maßgeblicher Unterstützung durch Ulrike Gollner (vgl. ­Bieling/Gollner/Joost 2012; Gollner/Bieling/Joost 2012). 94 Der piezoresitive Effekt wurde erstmalig von Percy Bridman beschrieben, der sich dabei auf die Veränderung der elektrischen Widerstände unterschiedlicher Materialien durch Druck bezieht (vgl. Bridgman 1922, 41 f.). 95 Anders als bei den nachfolgenden Prototypen waren die Aktuatoren hier noch auf der Rückseite des Handschuhs platziert. Dies hatte zu diesem Zeitpunkt zum einen technische, zum anderen funktionale Gründe: Eine Anordnung sowohl der Sensoren als auch der Aktuatoren auf der Handinnenfläche hatte bei ersten Testversuchen zuvor noch zu erheblichen gegenseitigen Störungsmomenten des In- und Outputs geführt. Zudem bestand der begründete Verdacht, dass die additive Anordnung der Motoren auf der Handinnenfläche zu einer Beeinträchtigung von Alltagshandlungen führen würde, wie z. B. dem ­Greifen, Anheben oder Erfühlen von Gegenständen. In enger Rücksprache mit den Co-Design-Partnern und Testpersonen erfolgte somit für den ersten Prototypen die Anordnung des Outputs auf der Handschuhrückseite. Wie sich herausstellte, erfordert die Erfassung eingehender Nachrichten in der Regel nur kurze Phasen der Eingewöhnung auf Nutzerseite. Je nach Vibrationsintensität lässt sich auf Nutzerseite sogar nicht mehr zwangsläufig lokalisieren, ob der Impuls von der Vorderseite oder der Rückseite eines Fingers bzw. einer Handpartie kam. Im Übrigen gibt es durchaus auch Lorm-Anwender, die eine Kommunikation auf der Handrückseite gegenüber der Handinnenfläche bevorzugen, wenngleich auch die Mehrzahl aller Lorm-Anwender die letztere Methode bevorzugt. Generell kann also gesagt werden, dass Aufteilung von In- und Output auf die Hand-Vorder- und -Rückseite – zumal für diese Proto­ typenphase – adäquat war. 96 Die Anbringung erfolgte in dem Sinne, dass die Sensoren (Input) und Aktuatoren (Output) manuell auf dem Handschuh platziert bzw. an ihm befestigt wurden. 97 Neben den Hauptentwicklern, Mitentwicklern und Testpersonen handelt es sich dabei insbesondre um „externe“ Personen, die mit unterschiedlichen Graden an Vorwissen und Sensibilität an die Prototypen herangehen. Gerade auch weil die handschuhartigen Formen nicht zwangsläufig auf alle Arten (Größen, Dicken, …) von Händen passen, kann es dabei schnell zu einer Überbeanspruchung der – z.T. immer noch filigranen – Prototypen kommen. 98 Bei Polyethylenterephthalat (kurz: PET) handelt es sich um einen thermoplastischen Kunststoff aus der Familie der Polyester. 99 Hierzu wurde eine Schaumstoff-Stütze aus PET-Folie (Stärke: 0,5 mm) angefertigt, formgeschnitten und unter Hitzezuführung leicht gebogen (Abb. 28). Wie bereits zuvor, diente auch diese Schicht der mechanischen Stabilität. Zum einen, indem sie übermäßiges Biegen der Leiterplatten/Platinen verhinderte (wodurch die Kupfer-Bahnen/Kupfer-Leitungen hätten beschädigt werden können), zum anderen, indem sie als glatte, geschmeidige und zugleich stabile Oberfläche eine bessere Datenauswertung der unterschiedlichen Druckpunkte ermöglicht. Gerade Letzteres hatte sich in der frühen Variante des Lorm Gloves als schwierig erwiesen, da es aufgrund der unterschiedlichen Wölbungen und Krümmungen, die für Handflächen symptomatisch sind, immer wieder zu „Abrutschern“ und „Verstolperern“ kam. Führt man beispielsweise mit dem Finger einen leichten Bewegungsstrich auf einer Fläche (etwa einer Hand) aus und stellt sich dem Finger dann ein Hindernis (etwa eine Hautwölbung oder eine Krümmung entgegen), so kann es schnell passieren, dass der Finger „abrutscht“, also nicht die gewünschte Richtungsführung fortsetzt. 100 Hält man seine Hand locker, so wird man feststellen, dass Finger und Handfläche stets leicht gewölbt bzw. gekrümmt sind. Seine Hand hingegen dauerhaft in einer flachen (also gestreckten) Position zu ­halten, kann bereits nach wenigen Minuten oder gar Sekunden zu Strapazen führen. Aus diesem Grund wurde die Form der Länge nach leicht gekrümmt, um eine natürlichere Form der Handstellung zu adressieren. Durch die neue entstandene Formvariante wird die Handlungs- und Bewegungsfähigkeit der Nutzerhand zwar in bestimmten Fällen eingeschränkt. Jedoch erleichtert sie andererseits auch ein deutlich schnelleres An- und Ablegen. Hieraus ergibt sich ein anderer Ansatz in Bezug auf die

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­Benutzerfreundlichkeit (Usability) und den Tragekomfort (Wearability), die sich langfristig als vorteilhaft gegenüber einem herkömmlichen Handschuh herausstellen könnten. 101 In jüngster Zeit finden sich in Ausstellungen, die sich mit Design, Technologie oder interaktiver Kunst beschäftigen, zunehmend auch Wearable Interfaces bzw. Wearable Devices. Häufig können diese von Besuchern jedoch nicht wirklich ausprobiert werden. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch kann man davon ausgehen, dass einer der Hauptgründe in der Fragilität vieler Wearable-Prototypen besteht. Um dennoch die Funktionsweisen solcher Projekte veranschaulichen zu können, werden bisweilen Mannequins oder autorisierte Darsteller zu Demonstrationszwecken bevorzugt. Hierdurch soll ver­ mieden werden, dass die Exponate durch häufigen (mitunter unbedarften) Gebrauch oder aber durch häufiges An- und Ausziehen beschädigt werden. Die Möglichkeit, die verschiedenen Prototypen des Lorm Gloves und der Lorm Hand auszuprobieren, war im Rahmen der Fallstudie jedoch wichtig, vor ­allem aufgrund des Nutzer-Feedbacks und daraus resultierender Möglichkeiten zur weiteren Optimierung der Geräte. 102 Bei dem Kunststoff Polyvinylchlorid (kurz PVC) unterscheidet man zwischen Hart-PVC (z. B. für Vinylschallplatten) und Weich-PVC (z. B. für Kabelummantelungen). Letzteres verfügt, durch den Einsatz von Weichmachern, über ein elastischeres Materialverhalten. 103 Die Software wurde in der Open-Source-Programmiersprache bzw. der Integrierten Entwicklungs­ umgebung Processing entwickelt. In den frühen Entwicklungsstadien wurde dabei zunächst eine Desktop-Umgebung fokussiert, im weiteren Verlauf dann schließlich eine Code-Portierung auf ein mobiles Android Device in Angriff genommen. Denn neben der kabellosen Anbindung, einer besseren Beweglichkeit und Transportfähigkeit verfügen mobile Geräte über weitere nützliche Services. So z. B. über die Möglichkeit einer Umwandlung von Sprache in Text (oder umgekehrt), den softwarebasierten Zugriff auf ein ­Adressbuch (Kontaktliste) sowie über Text-Messaging-Services. 104 Eintippen mithilfe des Keyboards (Tastatur). 105 Einsprechen mithilfe des eingebauten Mikrofons. 106 Dies gilt bei den späteren Varianten auch für die (schrift- oder sprachbasierte) Textausgabe. 107 Als „Debugging“ bezeichnet man bei Softwaresystemen das Aufspüren bzw. die Diagnose von Fehlern sowie deren Behebung. 108 Die Fixierung auf der Hand des Nutzers wird z. B. durch einen rückseitigen Haltegurt unterstützt. ­Dadurch wird auch eine nahtlosere Wahrnehmung der Vibrationssignale gewährleistet. 109 „Printed Circuit Board“ (gedruckte Schaltung). 110 Das heißt im Rahmen einer Hand-zu-Hand-Kommunikation durch Lormen. 111 Bei kapazitiven Sensoren wird die Kapazität (Aufnahmefähigkeit) eines Leiters (Conductor) gemessen. Besteht ein Kontakt (oder eine unmittelbare Nähe) mit der menschlichen Haut, so verändert sich die ­Kapazität des Leiters. Es handelt sich dabei um das gleiche Prinzip, welches weitgehend im Bereich der Touch-Screens auf mobilen Endgeräten (z. B. Smartphones, Tablets) verwendet wird. Hinsichtlich einer Anwendung im Bereich eines handschuhartigen Wearables zeichnen sich folgende Nachteile dieses Prinzips einer kapazitiven Berührungserkennung ab: Für den Fall, dass der Nutzer dicke Handschuhe trägt, könnte es zu Beeinträchtigungen kommen. Ferner besteht die Gefahr, dass durch jegliche Art der Berührung versehentlich Buchstaben erzeugt werden. Etwa dadurch, dass die Hand ungeplant oder ohne Schreibintention mit dem Finger oder anderen Körperteilen in Berührung gerät. 112 Ein kurzes Video zu diesem Experiment findet sich unter folgendem Link: https://www.youtube.com/ watch?v=vuu3XORygbY (0:50 Sek). 113 Ein Video-Link zum Trailer dieser Kino- und TV-Dokumentation, in dem es um den Lorm Glove geht, ­findet sich unter folgendem Link: https://www.youtube.com/watch?v=WgH4k76lYQs [Letzter Zugriff: 16. April 2017]. 114 Durch den Abguss einer echten menschlichen Hand erschien die Lorm Hand 1.0 noch als form-realistische Variante. In den späteren Versionen wurde diese dann durch eine abstrahierte Handform ersetzt. Optisch und auch haptisch gleichen die späten Versionen der Lorm Hand somit eher einer Skulptur als einer realistischen Hand. Ausschlaggebend waren hierfür erneut das Nutzer-Feedback und Observationen der User-Tests. Version 1.0 war von einigen Probanden zum einen als unpraktisch, zum andern als „irgendwie skurril“ beschrieben worden. Die Einstufung als „skurril“ kann möglicherweise als eine Art „Uncanny Valley“-Effekt gewertet werden, welcher von dem japanischen Robotiker Masahiro Mori erstmalig beschrieben wurde. Mori beschreibt damit eine Akzeptanzlücke von menschlichen Nutzern gegenüber künstlichen, anthropomorphen Figuren oder Avataren. Je realistischer die menschengestaltige Darstellung und Erscheinung (beispielsweise eines Roboters) ausfällt, desto eher sinkt die Akzeptanz des Menschen ihr gegenüber. Bevorzugt werden demzufolge entweder abstrakte Erscheinungsformen

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oder solche, die von einer wirklich menschlichen tatsächlich kaum mehr zu unterscheiden sind (vgl. Mori 1970, 33 f.). 115 Die Lorm Hand war dabei zentral auf der Abschlusskundgebung am Potsdamer Platz platziert. Diese erste öffentliche Vorführung der Lorm Hand – auf einer Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmenden – fungierte zugleich als erster User-Test im großen Stil. Ein kurzes Video vom Einsatz der Lorm Hand auf der Aktion Taubblind findet sich unter folgendem Link: https://www.youtube.com/ watch?v=UoPEgvlT5vA [Letzter Zugriff: 22. März 2017]. Der folgende Link führt zur Veranstaltungs­ website der Aktion Taubblind: www.aktion-taubblind.de/ (vgl. Bieling/Martins/Joost 2014). 116 Sowie generell Wünsche, Anliegen, Interessen, Vorschläge, Ideen. 117 Anders als bei anderen Behinderungen existiert für Taubblindheit noch kein eigenständiges Merkzeichen, dessen Eintrag im Pass Grundvoraussetzung für die Gewährleistung von Assistenzdiensten oder die Bewilligung von bestimmten Leistungen ist. Die Nicht-Existenz eines Merkzeichens TBL verdeutlicht, dass Taublindheit in Deutschland de facto noch nicht als eigenständige Behinderung anerkannt ist. Kurz vor Einreichung der Dissertation scheint sich eine Neuerung abzuzeichnen: Nach einem Beschluss im Bundesrat vom 16. Dezember 2016 soll das Merkzeichen „TBL“ im Jahr 2017 eingeführt werden. ­Unklar ist noch, welche Leistungen und Ansprüche sich daraus für Betroffene ableiten lassen. 118 Das drastische, von den veranstaltenden und teilnehmenden Organisationen selbst formulierte Motto lautete „Taubblinde in Isolationshaft“. 119 Gemeint ist die universelle, allgegenwärtige, das heißt prinzipiell dauerhaft zur Verfügung stehende Nutzbarkeit. 120 Vollzieht man einen Vergleich zur Gerätewelt der Telefonie, so wäre die Lorm Hand nutzungsfunktional gesehen eher ein Pendant zum Festnetztelefon oder einer Telefonzelle, wohingegen der Lorm Glove eher kongruent zu einem Mobiltelefon wäre, welches Nutzende stets bei sich tragen. 121 Inadäquat für eine Nutzung durch viele Personen, z. B. auf einer Großveranstaltung oder in einer stationären Einrichtung mit mehreren Bewohnern, wäre ein Glove insbesondere, weil er dort von vielen Personen an- und ausgezogen werden würde und für alle Handgrößen kompatibel gemacht werden müsste. Zudem liefe er schnell Gefahr, verloren zu gehen oder funktionsunfähig zu werden. 122 Der Sockel dient zugleich als Gehäuse für die Elektronik (Control Circuits, Mikrocontroller, Verkabelung etc.), die dadurch nach außen hin nicht sichtbar ist. 123 Sobald sie vom Nutzer dazu veranlasst wird, etwa indem dieser seine Hand für ein paar Sekunden auf die Lorm Hand legt oder aber indem die Nachricht das 140-Zeichen-Limit erreicht hat, steuert die Software das Aufteilen (Splitting) der Nachricht und deren „Posting“ über den @LormHand Twitter-Account. (Sofern die Nachricht über mehr als 140 Zeichen verfügt, wird der formulierte Gesamttext auf mehrere Tweets verteilt.) Der Twitter-Account ist wiederum an einen Facebook-Account gekoppelt, sodass die Nachrichten automatisch auf beiden dieser populären sozialen Online-Netzwerke gepostet werden. ­Neben dem Popularitätsargument wurde Twitter hierbei insbesondere aufgrund seiner auf (in der Regel kurze) Textnachrichten basierenden Schlichtheit als wichtigstes und zweckdienlichstes Medium ausgewählt. https://twitter.com/LormHand bzw. www.facebook.com/LormHand/. 124 Die Modellierung dieser Hand wurde von der Bildhauerin Elisabeth Scharler vorgenommen. 125 Voraussetzung hierfür ist, dass der Nutzer seine Buchstaben mit einem gewissen Mindestmaß an Druckkraft ausübt. Die jeweiligen Druckintensitäten können im System individuell konfiguriert werden. 126 Für sehende Nutzer läuft dies folgendermaßen ab: Nachdem eine (Buchstaben-)Geste auf die Lorm Hand gezeichnet wurde, lässt sich diese Schreibweise durch Betätigung der Return-Taste (bei angeschlossenem Keyboard) speichern. Ein getippter Buchstabe kann dann diesem Schreib-Pattern zugeordnet und entsprechend in der Datenbank hinterlegt werden. Anstatt einzelner Buchstaben können auch komplette Wörter und Begriffe zugeordnet werden. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise Shortcuts hinterlegen. Diese Möglichkeit stellte sich gerade in den Tests als hilfreich heraus: Wenn nämlich Nutzer-Gesten allzu stark von den in der Lorm Hand Software-Konfigurierung hinterlegten ­Patterns abweichen, hat die Software die Möglichkeit, neue Zuordnungen zwischen Gesten und Buchstaben zu „lernen“. Ebenso lassen sich personalisierte oder generelle Abkürzungen („Shortcuts“; Tastenkürzel) für bestimmte Begriffe generieren. Etwa in Bezug auf (Eigen-)Namen oder soziale Rollen („Tom“, „Frau Klapötke“, „Mama“, „Dolmetscherin“, „Forscher“), bestimmte Orte („Zuhause“, „Schule“, „UdK“, „Berlin“) oder häufig verwendete Begriffe („super“, „ok“, „ja“, „nein“, „vielleicht“, „moment mal“). Im deutschsprachigen Lorm-Alphabet wird die populäre Redewendung „moment mal“ beispielsweise durch ein kurz hintereinander folgendes, zweimaliges Lormen des Buchstaben „M“ angezeigt. 127 Die Modellierung dieser Hand wurde von dem Bildhauer John von Bergen vorgenommen. 128 Am Handgelenk der Vorgängerversion war ein kleiner Knopfschalter platziert worden, mit d ­ essen Hilfe sich die kapazitive Sensorik temporär de-/aktivieren ließ. Dadurch sollten (hör-)sehbehinderte

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Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit haben, Form und Größe der Lorm Hand sowie die ­Anordnung ­ihrer Finger zu erfühlen, bevor sie mit dem eigentlichen Vorgang des Lormens beginnen. Vor dem ­tatsächlichen Lorm-Vorgang muss dann der Knopfschalter abermals betätigt werden, damit die kapazitive Sensorik wieder aktiviert wird. Dieser Vorgang kann beliebig oft durchgeführt werden, also beispielsweise auch während des Lormens. Sowohl bei den Nutzer-Tests im Design Research Lab als auch ­ ffentlichen, interaktiven Veranstaltungen konnte allerdings beobachtet werden, dass der bei den ö Knopf nur selten genutzt wird. Dies lag zum einen daran, dass diese Funktionsvariante vorab stets erklärt und erläutert werden musste, was gerade bei Veranstaltungen mit hohem Besucherandrang nicht immer vom Team gewährleistet werden konnte. Zum anderen wurde die Funktion des Knopfs von den Nutzern häufig wieder vergessen, nicht verstanden oder als „zu umständlich“ missachtet. 129 Epoxy Resin, ein härtbares Kunstharz. 130 Der Sequenzabgleich wird (hier) bisweilen auch mit dem englischen Begriff Sequence matching bezeichnet. 131 Als probates Mittel der drucksensitiven Berührungserkennung hatte sich hierfür der Einsatz von Sensoren herausgestellt, die zwischen unterschiedlichen Druck-Intensitäten unterscheiden können. 132 Das ursprünglich aus der Sozialpsychologie stammende Konzept des Re-Framings wurde insbesondere von Kees Dorst für die Designpraxis zugänglich gemacht. In seinen methodischen Ansätzen zeigt Dorst, wie die Betrachtung von Gestaltungsherausforderungen in alternativen Bezugsrahmen dabei helfen kann, neuartige Gestaltungslösungen zu entwickeln (vgl. Dorst 2015). 133 Ziel des Re-Framings war es nicht, die jeweiligen Anwendungen auch entsprechend zu entwickeln und zu testen, sondern – bis auf Weiteres – ihre Möglichkeiten zu projizieren. 134 Bei dem Konzept „Exergaming“ handelt es sich um eine Wortschöpfung aus den englischen Begriffen „Exercise“ (Training) und „Game“ (Spiel). Die Idee besteht darin, traditionelle Sportgeräte wie Laufbänder oder Fahrrad-Ergometer, aber auch sensorische Böden und Gegenstände mit Konzepten aus dem Bereich Video­spiele zu vermählen. Die Idee dahinter ist es zum einen, herkömmliche Trainingsmethoden unterhaltsamer und somit attraktiver zu gestalten. Und zum anderen, Computerspiele körperlich aktiver zu gestalten, als es lange Zeit der Fall war. Der Markt für Fitness Games entwickelt sich sowohl für den Heimbereich (Spielkonsolen), aber auch in Form von interaktiven Sportgeräten für Fitnessstudios und Reha-Kontexte. 135 Als „Location-based Games“, also ortsbasierte, positionsbezogene Spiele, bezeichnet man Computer­ spiele, deren Handlungsverlauf mit geografischen Positionsveränderungen der Spielteilnehmenden ­korreliert. 136 Als „Pervasive Games“, also allgegenwärtige, durchdringende Spiele, bezeichnet man Computerspiele, bei denen die Grenzen von Realität und Fiktion verschwimmen, etwa indem die Spielteilnehmenden Handlungen im realen, z. B. städtischen Raum ausüben (vgl. Benford et al. 2007). 137 Das Gewicht der aktuellen Variante beträgt ca. 180 g (davon 20 g die Batterie). 138 Diese Speech-to-Text-Variante richtet sich insbesondere an hörende Nutzer oder solche, die der Lautsprache mächtig sind. Anstatt eine Nachricht schriftlich, also per Tastatur, zu formulieren und an einen Lorm Glove zu schicken, kann dieser Vorgang alternativ auch über die Spracheingabe vollzogen werden. 139 Als Tangible User Interfaces bezeichnet man (be-)greifbare Bedienoberflächen und Geräte, mit denen digitale Interaktion anhand von physischen Objekten möglich ist. TUIs stehen somit dem Konzept des GUIs (Graphical User Interface) gegenüber, bei dem es um Interaktion mithilfe von grafischen Steuer­ elementen (etwa durch Klicken von Buttons auf einem Bildschirm per Mouse-Befehl) geht. 140 Geäußert im Rahmen des Deutschen Sehbehindertentages 2014. ­ ygiene 141 Ausgestellt wurden und werden beide Projekte u. a. im Textilmuseum St. Gallen, im Deutschen H Museum Dresden (DHMD), am ZKM – Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, im Van Abbemuseum Eindhoven, im Deutschen Technik Museum Berlin, im MAK – Museum für angewandte Kunst Wien, auf der Fashion Week New York, im Nixdorf Museum Paderborn, in der Sheffield Institute of Arts Gallery, auf der Milan Design Week, der London Design Biennale, auf der Vienna Design Week, dem ­Technical Museum in Brünn, der MCBW München, auf dem DMY Berlin, im Einstein Center Digital Future (ECDF), im Deutschen Museum (München/Nürnberg), im Haus der Zukunft (Futurium, Berlin) sowie dem Museum für Kommunikation (Frankfurt; Berlin). 142 Beispielsweise auf dem Kongress Leben mit Taubblindheit (Potsdam), den Münchner Medientagen, dem Deutschen Sehbehindertentag, dem Berliner Kultursommer, am Institut für Zeitbasierte Medien (IZM) oder dem Zukunftskongress Inklusion 2025 (Aktion Mensch). 143 So z. B. mit dem Wissenschaftspreis Inklusion durch Naturwissenschaften und Technik (WINTEC; Öster­ reichisches Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016), mit dem Designpreis Design shapes the World des Deutschen Auswärtigen Amtes (2016), dem Deutschen Hochschulwettbewerb (2014) oder dem WT Innovative Technology Award (2013). Ein kurzes Video zum Gewinner-Projekt „Interaktiv Inklusiv –

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Taubblinde ans Netz“ im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2014 findet sich unter folgendem Link: https:// www.youtube.com/watch?v=e1kUfLnDFIA (ca. 5 Min). 144 Eine Medienberichterstattung erfolgte in Form von zahlreichen, internationalen Print- und Online-­ Artikeln, Interviews, Radio- und TV-Reportagen. Beispielsweise in den 3Sat-Sendungen „Nano“ und „Wissen Aktuell“ (http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=40059), der SWR Wissenschaftssendung „Odysso“ (https://www.youtube.com/watch?v=qwAvuVR81cs), „Der elektrische Reporter / ZDF.info“ (https://vimeo.com/180604628), TV Brasil (http://tvbrasil.ebc.com.br/programaespecial/ episodio/surdocegos-sao-tema-do-programa-especial) oder BBC Arabic (https://www.youtube.com/ watch?v=cqLKciFOohY) [Letzter Abruf jeweils: 1. Februar 2017]. Diese gingen zum Teil einher mit den verschiedenen Ausstellungen und Veranstaltungen, auf denen das Projekt gezeigt wurde, sowie den ­verschiedenen Preisen, mit denen es ausgezeichnet wurde. 145 Bereits vom Moment seines ersten öffentlichen Einsatzes im Rahmen der Aktion Taubblind an, erlangte das Projekt schnell große Aufmerksamkeit. Sowohl in sozialen Online-Netzwerken und Blogs als auch den in „alten“ Medien (TV, Radio, Print). Die schnell ansteigende Popularität der Lorm Hand – ­gepaart mit der wachsenden Zahl an Test-Veranstaltungen bzw. Test-Personen – beförderte den weiteren Entwicklungsprozess immens. Gleichwohl ergab sich hieraus streckenweise auch eine gewisse (zeitliche und ­organisatorische) Herausforderung dahingehend, dass sich die Forscher-Gruppe plötzlich mit ­einer stark wachsenden Zahl an Anfragen, Korrespondenzen und Event-Organisationen ­konfrontiert sah. 146 Im Zuge eines Lehrauftrags. 147 Siehe hierzu meine Aufstellung in Kapitel 1.3. 148 Die in diesem Zusammenhang konzipierten und an der GUC durchgeführten Projekte wurden dort als „Pflichtkurse“ in den Lehrplan mit aufgenommen. Somit rekrutierten sich die Teilnehmenden aus allen drei Fachgebieten, die an der Fakultät für angewandte Wissenschaften und Künste (FASA – Faculty for Applied Sciences and Arts) angeboten werden: Grafikdesign, Produktdesign und Mediendesign. 149 Zum Themenkomplex Blindheit/Gehörlosigkeit/Taubblindheit waren dies insbesondere das Oberlinhaus Babelsberg, der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverband Berlin (ABSV), die Initiative Deaf Berlin. Im weiter gefassten Themenkomplex Behinderung/Inklusion u. a. die Caritas Behindertenhilfe und ­Psychiatrie (CPB), das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft (IMEW) oder die Aktion Mensch. 150 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass es sich bei dem beschriebenen Effekt um eine individuelle Erfahrung und Beobachtung des Autors handelt. Die Beobachtung wurde durch zahlreiche Gespräche mit den Teilnehmenden bekräftigt. Etwaige Rückschlüsse können und müssen jedoch nicht zwangsläufig ver­ allgemeinert werden. 151 In mehreren Institutionen und Firmen wurden im Verlauf der letzten Jahre Anzüge entwickelt, mit deren Hilfe sich unterschiedliche (z. B. altersbedingte) körperliche Einschränkungen simulieren lassen sollen. Durch besondere Anordnung und Materialien an bestimmten Körperpartien werden Bewegungsabläufe (z. B. Greifen, Heben, Hocken, Gehen) und Wahrnehmungsweisen (z. B. Hören, Sehen, Fühlen) erschwert oder verfremdet. Im Zuge von Nutzungstests in frühen Entwicklungsstadien sollen sie Entwickler- und Gestaltungsteams dabei helfen, die Welt aus Behinderten-Perspektive wahrzunehmen, um so konkreten Gestaltungsmängeln entgegenzuwirken. In ihrem Funktionsumfang ähneln sich diese Anzüge mitunter stark. Beispielhaft seien hier folgende ­genannt: Der, am MIT Age Lab entwickelte, Ageing Suit, „AGNES“ genannt, welcher u. a. in Forschungsprojekten bei Siemens, Daimler und General Mills zum Einsatz kam (vgl. Financial Times, 22.7.2011, http://www.ft.com/intl/cms/s/2/1fed1eee-b34b-11e0-9af2-00144feabdc0.html). Der von Ford entwickelte „Third Age Suit“. Oder der, am Mid Yorkshire Hospitals NHS Trust entwickelte, „Old Age Suit“ (vgl. Daily Mail, 6.3.2014, http://www.dailymail.co.uk/health/article-2573779/Deafness-shaking-handsshuffling-The-old-age-suit-used-teach-hospital-staff-feels-elderly.html). 152 Capability Simulatoren fungieren häufig als Oberbegriff für interaktive Objekte, die Menschen ohne Behinderung zur Simulation der Beeinträchtigung bestimmter Sinne und Fähigkeiten dienen sollen. Die oben beschriebenen Age Suits wären somit allesamt Capability Simulatoren. Der begriffliche Ursprung „Capability Simulator“ kann vom Autor nicht eindeutig zugeordnet werden. Auf Fachveranstaltungen wie der „Include 2009 – Inclusive design into Innovation“ (am Royal College of Art, London, 5.–8. April 2009) hat er in den vergangenen Jahren jedoch weite Verbreitung gefunden. Synonym werden allerdings auch andere Begriffe verwendet. So z. B. der von der mexikanischen Designerin Annika Maya Rivero geprägte Begriff der „Emphatic Generators“, entstanden im Zuge ihrer Projekte im Kontext von geronthologischen Trainings (https://mayoresdehoy.com/tag/aging-suit/). 153 Ein solcher introspektiver Vorgang ist nachvollziehbarerweise einer tatsächlichen Behinderungs­ erfahrung gegenüber unzureichend und aufgrund der subjektiven Erfahrung verfremdet, das heißt er

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kann nicht zwangsläufig verallgemeinert werden. Es muss daher deutlich auf die Unmöglichkeit der Nachempfindung einer ganzheitlichen Behinderungserfahrung und somit auf den eingeschränkten ­Erkenntnisgehalt dieser Methode hingewiesen werden. Bezogen etwa auf den Aspekt Blindheit bedeutet dies: Zwar lassen sich bestimmte Alltagsabläufe in Form einer Simulation durchaus nacherleben (Wie ist es, Essen zu kochen, wenn man nichts sieht?), jedoch allein schon den Aspekt sozialer Diskriminierung wird man auf diese Weise kaum umfassend nachempfinden können (vgl. Shakespeare 2010). 154 Teil des – inzwischen in vielen Ländern gezeigten – Museumskonzepts ist es, in totaler Dunkelheit von blinden Führerinnen und Führern durch eine Ausstellung begleitet zu werden, um sich (so) mit nicht-­visuellen Wahrnehmungs- und Navigationsformen sowie dem Thema Blindheit allgemein zu ­beschäftigen. 155 Ausstellung (DASA, Dortmund 2009), die sich mit dem Thema Gehörlosigkeit sowie mit bestimmten Kommunikationsformen von Gehörlosen beschäftigt. Ausstellungsbesucher werden von gehörlosen Führerinnen und Führern durch die Ausstellung begleitet. Verbalsprachliche Kommunikation ist während der Besuchsdauer untersagt. Man verständigt sich z. B. mit intuitiv erdachten Gesten und Ausdrucksformen und bekommt überdies durch die gehörlosen Ausstellungsführer erste Grundformen und -begriffe der Gebärdensprache vermittelt. 156 Sowie insbesondere dessen Auskopplung als Wanderausstellung „Sechs richtige – Louis Braille und die Blindenschrift“, die u. a. 2009 im Museum für Kommunikation Berlin gezeigt wurde. http://www.blindenmuseum-berlin.de/ausstellung.html. 157 Konzepte wie die „Unsicht-Bar“ (Köln, Hamburg, Berlin) spielen ebenfalls mit der Herausforderung für Sehende, basale Alltagshandlungen wie Essen, Trinken oder Konversation in totaler Dunkelheit aus­ zuüben. Zwar handelt es sich dabei in erster Linie um kommerzielle Gastronomie-Konzepte, deren „­pädagogische“ Funktion mitunter kritisch diskutiert wird. Was sie jedoch außerdem mit den genannten Ausstellungskonzepten gemein haben, ist die Konzept-immanente Kommunikatoren-Funktion: ­Dadurch, dass ein Großteil des Personals, insbesondere die Kellnerinnen und Kellner selber blind sind, fungieren sie häufig automatisch als Ansprechpartner für Menschen, die sonst selten mit blinden Menschen in Kontakt kommen. 158 Der Begriff des „emphatic modellings“ wird häufig synonym für die „Capability Simulation“ verwendet. 159 Der „Selbstversuch“ („One Day blind in Berlin“) fand am 6. November 2009 in Begleitung der studentischen Mitarbeiterin Sarah Schipper statt. Die Begleitung diente insbesondere der Gefahrenabwehr, etwa im Straßenverkehr oder im öffentlichen Personennahverkehr. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden die ­beiden Rollen noch einmal getauscht. Auch hier war die Rolle des Begleiters eine passive, die neben der Gefahrenabwehr ansonsten der Beobachtung und Dokumentation des Geschehens diente. Ein kurzes Video findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=rJ653OMKmmk (ca. 4 Min). 160 Regina Beschta, Orientierungs- & Mobilitätstrainerin beim ABSV, stand auch im Anschluss an den Selbstversuch „One Day blind in Berlin“ als Ansprechpartnerin zur Verfügung. So z. B. auch, als im Selbstversuch die Erfahrung gemacht wurde, inwiefern das „Hören“ durch die Ausblendung des ­Sehsinnes eine andere (neue) Bedeutung gewinnt. Der Eindruck im Selbstversuch war, dass „Kommu­ nikation“ dann nicht nur der Konversation, sondern auch der Navigation dient (Wo bin ich, wo sind die anderen?). Beschta umschrieb dieses Phänomen bildhaft mit folgendem Satz: „Stille ist der Nebel des Blinden.“ 161 Der im Volksmund auch als „Blindenstab“ bekannte Langstock dient seinen Nutzerinnen und Nutzern durch verschiedene Halte- und Führtechniken zur räumlichen Orientierung und fungiert überdies auch als optisches Erkennungsmerkmal gegenüber Sehenden zu mehr Rücksichtnahme. 162 Die gewohnheitsmäßigen Aspekte beziehen sich auf die Perspektive des Forschers. Sie dienten als ­ungefährer Leitfaden für die in diesem simulativen Selbstversuch vollzogenen Handlungsorte und -­abläufe. 163 Shopping Mall „Alexa“, Berlin Mitte. 164 Hier wurde eine vergleichsweise niederkomplexe Aufgabe gewählt, um den Prozess nicht durch ­mehr­faches Ent- und Bekleiden, etwa beim Kauf von Schuhen oder anderer Kleidung – angesichts des ­vor­gegebenen Zeitrahmens – zu erschweren. 165 Oranienburger Straße, Berlin. 166 Karl-Liebknecht-Straße, Berlin. 167 Gemeint sind hierbei mögliche Verbesserungen bereits bestehender Lösungen sowie die Schaffung neuer, noch nicht vorhandener Adressierungsansätze. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um digitale bzw. technische Produkte im Bereich der Informations- und Kommunikationsmedien handeln. Denkbar sind beispielsweise auch analoge Gestaltungen von Wegeleit- und Navigationssystemen, ­Service-Konzepte, (städte-)bauliche Maßnahmen etc.

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168 Blindenleitsysteme zur Navigation mit dem Langstock sind gerade im Bereich von Verkehrssituationen (Straße, Bahn) wichtig. Umso fataler, wenn sie dort (falls überhaupt existent) nicht konsistent bzw. ­sogar falsch implementiert sind. Mehr als einmal sah man sich bei dieser Vorstudie mit Leitsystemen konfrontiert, die buchstäblich ins Leere verliefen. 169 Offene Kofferraumtüren, Schilder oder Hindernisse auf Baustellen bergen hier großes Gefahrenpotenzial in sich. Auch in Geschäften sind Waren- und Auslageelemente vielfach so platziert, dass sie vom Langstock nicht erfasst werden und somit leicht überrannt, umgestoßen oder hinuntergeworfen werden. 170 Aufgrund ihrer Oberflächenstrukturen verfügen beide Umgebungen über Vor- und Nachteile. Erstere verläuft dabei tendenziell strukturiert und eben, Letztere tendenziell unstrukturiert und uneben. In der Landschaftsarchitektur kann es zu Mischformen kommen. 171 Parallele Bodenbeschaffenheiten, wie z. B. ein immer gleicher Abstand eines Bodenleitsystems zur Bordsteinkante, können der Orientierung dienen. 172 Die abgeflachte Bürgersteinkante (Englisch: Curb Cut) ist eines der plakativen Beispiele im Behinderten-Diskurs, an denen sich das ambivalente Verhältnis von Gestaltung und Behinderung verdeutlicht: Für Rollstuhlfahrende stellt der Curb Cut beispielsweise eine enorme Unterstützung beim Erreichen oder Verlassen des Bürgersteigs dar. Für blinde Menschen kann er hingegen lebensgefährlich sein, wenn diese nicht merken, dass sie sich inzwischen bereits auf der Straße befinden. Das Beispiel zeigt nicht zuletzt, wie sehr die Frage der Barriere und der Barrierefreiheit eine Frage der Perspektive ist. ­Akteure der gestaltenden Disziplinen sehen sich hierbei häufig mit zwickmühlenartigen ­Situationen konfrontiert, in denen sie es niemals allen zur Gänze recht machen können. Es zeigt sich an diesem ­Beispiel gleichwohl auch, wie wichtig die multiperspektivische Annäherung an solche Themen (etwa bei der Planung von Lösungsansätzen) ist. 173 Die Somästhesie geht auf den Begriff des griechischen „Soma“ zurück, welcher den Körper (oder „Leib“) bezeichnet. „Somatische“ Aspekte beziehen sich also auf solche des menschlichen Körpers. Die Somästhesie bezieht sich dabei auf die komplette Bandbreite unterschiedlicher Empfindungsqualitäten (wie z. B. Berührung, Wärme, Kälte, Kitzel, Schmerz, …) sowie auf deren Verquickung untereinander (Spektrum 2000). Die Somästhetik befasst sich insgesamt mit dem Konzept des „Soma“ als fundamentale Komponente menschlicher Wahrnehmung und Erfahrung, menschlichen Handelns und Denkens und somit des menschlichen Daseins. 174 Beim Betreten zweier Kaufhäuser kam es im Rahmen des Versuchs zu geradezu psychedelisch anmutenden Reizflutungen. Nach stundenlangem Laufen in der Kälte mit geschlossenen Augen erzeugte die unmittelbare Konfrontation mit dem Heizluftgebläse im Eingangsbereich den Eindruck, plötzlich von unzähligen, grellen Farben umgeben zu sein, gepaart mit einem Gefühl von gleichzeitiger Hitze, Kälte, Stille und Lärm. 175 Beispielsweise über eine Force Feedback Funktion. Der im Deutschen bisweilen etwas sperrig als „Kraftrückkopplung“ bezeichnete Begriff umschreibt eine „kraftbezogene“, mechanische Resonanz an den Nutzer bei dessen Bedienung von technischen Geräten. Prominente Beispiele hierfür finden sich im Bereich der Computerspiele und Spielkonsolen, deren Eingabegeräte (z. B. Controller) entsprechende Rückmeldung an den Nutzer weitergeben. Etwa in Form von widerständiger Vibration über das Konsolen-Lenkrad bei virtuellen Zusammenstößen. 176 Etwa durch Stoßbewegungen oder Audio-Hinweis bei in der Nähe befindlichen Hindernissen wie Mauern oder Wände. Oder durch akustischen Hinweis auf eine (momentan vielleicht unbefahrene) Straße. 177 Die Platzspiele finden jährlich als mehrwöchige Sommerveranstaltung im Berliner Stadtteil Neukölln statt und werden von verschiedenen Sozialprojekten, Kinder- und Jugendeinrichtungen b ­ egleitet. Schwerpunkte sind Themen wie Sport, Freizeitgestaltung, Lernspaß, Kreativangebote, Vermittlung von Computerkenntnissen oder Experimente in Naturwissenschaft und Technik. Die besagte Workshop-Reihe wurde an zwei Tagen im Zuge des sogenannten „Platzcafés“ am Falkplatz (­Rollbergviertel) durchgeführt und erfolgte in enger Abstimmung mit den am Platzcafé beteiligten Initiativen „MaDonna“ (Mädchenkult e. V.), dem dortigen Quartiersmanagement (QM) und dem Bezirksamt Neukölln. Die Teilnahme an den Platzspielen erfolgte zum einen als vorbereitende Maßnahme für die Konzeption und ­ bläufen Durchführung des StreetLabs, insbesondere in Bezug auf die Erkundung bzw. Erprobung von A und unvorhergesehenen Schwierigkeiten. Zum anderen diente sie dem Kennenlernen mit den vor Ort agierenden, institutionellen und personellen Akteuren sowie nicht zuletzt einer ersten persönlichen „­Akquise“ ­möglicher Teilnehmender am StreetLab, welches bis dato insbesondere durch Plakate, Flyer und Mundpropaganda kommuniziert worden war. 178 Konzept und operative Leitung des Projekts StreetLab: Tom Bieling, Alexander Müller, Jan Lindenberg; Assistenz: Agata Böhm, Michael Ertel, Sarah Schipper, Jennifer Schubert, Fabian Hemmert.

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­ rojektmanagement: Riccardo Pascotto, Corinna Schmidt; Supervision: Prof. Dr. Gesche Joost; ProjektP partner: Werkstatt für Unbeschaffbares (Angelika Mende), Creation Center (Julia Leihener, T-Labs), User driven Innovation (Dr. Fee Steinhoff, T-Labs). Initiiert wurde das Projekt vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen heranwachsender Kinder und Jugendlicher in sozial schwachen, urbanen Regionen und ­damit einhergehenden Fragen, etwa dem Thema „interkultureller Dialog“. Wie später noch eingehender dargelegt wird, wurden hierzu unterschiedliche Co-Design-Workshop-Formate konzipiert und durchgeführt. So auch die, im vorliegenden Kapitel als Vorstudie B skizzierten, Workshops, in denen der Frage nachgegangen wurde, inwieweit sich die beschriebenen Herausforderungen mit Erkenntnissen aus der Blinden- und Gehörlosen-Kommunikation adressieren ließen. Forschungsansatz und Forschungsergebnisse zum StreetLab wurden von Bieling, Müller und Joost publiziert. Siehe hierzu insbesondere das auch ins portugiesisch übersetzte Paper „Collaborative potential: Designing Coexistence in urban Context“ („Potencial colaborativo: desenhando coexistência no contexto urbano“) (Bieling/Joost/Müller 2010). 179 Ein kurzes Video zum StreetLab findet sich unter folgendem Link. Darin enthalten sind auch Impressionen aus den hier vorgestellten Vorstudien sowie aus dem in Kapitel 3.1.1 erläuterten Deaf StreetLab. https://www.youtube.com/watch?v=rJ653OMKmmk. 180 Teilnehmende waren Kinder und Jugendliche (Jungen und Mädchen) im Alter von vier bis 14 Jahren. Die Teilnahme erfolgte freiwillig und ohne Anmeldung. Die Teilnehmerzahl kann insofern als bedingt ­relevant eingestuft werden, als es im Laufe der Workshops zu wechselnden Übergängen kam, das heißt ­einige Teilnehmer später kamen, früher gingen oder sich nur an bestimmten Workshop-Stationen be­ teiligten. 181 Die Verortung erfolgte demzufolge in unmittelbarer Nachbarschaft und Wohnumgebung der Teil­ nehmenden. 182 Nach Kurt Lewin ist Action Research auf „praxisnahe“ Hypothesen ausgerichtet, deren Implikationen zu Veränderungen im Sinne einer, direkt aufs soziale Handeln ausgerichteten, Problemlösung führen. Der Verlauf der Aktionsforschung soll sich insbesondere dadurch auszeichnen, dass Forschende und deren Adressaten in einem unmittelbaren Teilnahmeverhältnis stehen, was Levin als „symmetrische Kommunikationsstrukturen“ bezeichnet (Lewin 1948, 280). 183 Sie hießen beispielsweise „SMS Poetry Slam“, „Sound Safari“, „Kiezdetektive“ oder „Traumhandy“. ­Gegenstand sämtlicher Workshops war es, eigene Alltagswelten zu erfassen, zu dokumentieren und sich „gestalterisch“ mit ihnen auseinanderzusetzen. Ein Auszug aus der Workshop-Beschreibung zur „Sound Safari“: „Ohren auf – Aufnahme läuft! Hupkonzert, Bolzplatz-Jubel oder romantische Stille: Wie klingt Dein Leben? Wir eröffnen die Jagd auf den Sound der Hauptstadt. Die gesammelten Geräusche werden zu Klangbildern oder Deinem eigenen Klingelton verarbeitet.“ (StreetLab Programm-Flyer) 184 Zwei der Workshops fanden im Rahmen der Platzspiele, die anderen beiden im Rahmen des StreetLabs statt. 185 Etwa im Bereich Unternehmensmanagement, im Zuge von Quantified Self-Ansätzen oder als Anregung zu Umweltschutz und Energiesuffizienz etc. 186 Dieser methodische Kniff fand später auch bei anderen partizipativen Projekten Verwendung. 187 Speziell im Zuge der dort entwickelten „Fühl-Handys“. 188 „Alternativ“ zu mehrheitsgesellschaftlich verbreiteten, wahrgenommenen und adressierten Kommunikationsformen. Die Teilnehmenden, bei denen es sich durchweg um Hörende und Sehende, also nach landläufiger Definitionsweise um „Nicht-Behinderte“ handelte, sind in dem Fall der „mehrheitsgesellschaftlichen“ Perspektive zuzuordnen. 189 Auszug aus dem Ankündigungsflyer: „Von der Blindenschrift bis zur Geheimsprache: Kann man mit ­verbundenen Augen besser navigieren? Wie kann man sprechen, ohne zu reden? In diesem Workshop geht es um sinnesübergreifende Kommunikation – es wird ausprobiert, gespielt und es werden Ideen entwickelt. Am Ende hat jeder sein eigenes ‚Wunder-Gerät‘ gebaut.“ 190 Insbesondere derer, die nicht an den vorherigen Workshops teilgenommen hatten. 191 Icons, visuelle Symbole. 192 Lediglich in Ausnahmefällen konnten zwei Farben verwendet werden. 193 Zur Auswertung wurden die Ergebnisse fotografisch dokumentiert und nach Themen geclustert. 194 Die Projektarbeiten und -dokumentationen des StreetLabs wurden im Rahmen einer zweimonatigen ­ eren Ausstellung in den Vitrinen der nahegelegenen U-Bahnhaltestelle „Hermannplatz“ ausgestellt, d ­Inhalte im Wochenturnus wechselten. Die Ausstellungsarchitektur hierfür wurde konzipiert von der ­Berliner „Werkstatt für Unbeschaffbares“ (Leitung: Angelika Mende). Im Rahmen einer großen Finissage (15.9.2009) wurde zudem in den Räumlichkeiten des StreetLabs eine umfangreiche Zusammen­fassung des Projekts der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Möglichkeit zur öffentlichen Ausstellung diente zum einen als Motivationsfaktor für die Teilnehmenden. Zum anderen konnte hier die Möglichkeit eines

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gesellschaftlichen Rücktransfers der gesammelten Erkenntnisse geschaffen werden, indem P ­ assanten am Hermannplatz davon etwas mitbekamen, woran im StreetLab gearbeitet wurde. Eine dritte Funktion, die durch diese Art der öffentlichen Ausstellung ermöglicht wurde, bestand überdies in der Möglichkeit zur weiteren Akquise neuer StreetLab-Teilnehmender. 195 Vor dem Hintergrund der verschiedentlich diskutierten Aufgabenbereiche und Kernkompetenzen einer sich noch im Prozess der Formierung befindlichen Designwissenschaft weist Sabine Foraita darauf hin, dass „Designer […] nicht nur die Gegenstände, sondern auch die durch sie implizierten Handlungen“ gestalten (Foraita 2010, 44). Design reagiere dabei „gestalterisch auf die gesellschaftlichen Prozesse, kann aber auch gesellschaftliche Prozesse beeinflussen, d. h. Design kann einerseits Kultur reflektierend und andererseits Kultur bildend agieren. […] [D]ie Betrachtung des Handelns mit den Gegenständen sowie deren Kontext [stellen somit] einen wesentlichen Anteil einer [designwissenschaftlichen] Untersuchung dar“ (ebd., 45). 196 Dabei kann es sich um ganz konkrete Fragen, beispielsweise zur Nutzerführung handeln, z. B.: Welche Funktionsweisen sind intuitiv nutzbar? Welche Elemente eines Interfaces verwirren, welche sind missverständlich oder überflüssig? 197 Introspektiv ist der Vorgang insofern, als dass der Forscher „in sich hineinblickt“ bzw. sich selbst und seine eigene Handlungsweise beobachtet. 198 So erforderte die Zusammenarbeit mit Gehörlosen in dieser Arbeit beispielsweise ohnehin stets ­Dolmetscher. 199 In den von Reville beschriebenen Fällen geht es um Autismus, psychische Behinderung („mentale Retardierung“) und um sogenannten „Wahnsinn“ („Madness“). 200 Seit 2011 ist der Autor regelmäßig als Visiting Professor an der German University in Cairo (GUC – ­Faculty of Applied Sciences & Art) tätig. Seit 2012 unterrichtet er zudem am in Berlin ansässigen Berlin Campus der GUC. Seine an beiden Institutionen initiierten designtheoretischen und -praktischen Lehrprojekte verorten sich im Wirkungskreis der Vermittlung von Gestaltung als sozial relevante ­Kategorie. Eine Auswahl an Projekten und weitere Informationen zu deren Ansatz, Umfang und Durchführung ­findet sich unter folgendem Link: http://designingsociety.wordpress.com [Stand: 16. Mai 2017]. 201 Wintersemester 2011/12. 202 Sommersemester 2012. 203 Im Zuge dieser Staffelung konnte zum einen ermöglicht werden, didaktische und inhaltliche Komponenten aus dem ersten Teil zu überarbeiten und in den zweiten Teil mit einfließen zu lassen. Des Weiteren sollte überprüft werden, inwiefern sich der Ansatz auch semester- und fachbereichsübergreifend ­implementieren lässt. Wie sich später zeigen wird, war dies auch der Fall! 204 Vgl. hierzu meine Aufstellung der vier Positionen und Konsequenzen des Designs in Bezug auf Behinderung in Kapitel 1.3. 205 Es sind Tendenzen erkennbar, dass sich dies in Zukunft zumindest an besagter Hochschule partiell ­ändern könnte. Beispiele hierfür sind fortlaufende Projekte unter der Leitung von Prof. Dr. Qassim Saad im Bereich „Design for Social Innovation“ oder abgeschlossene Projekte unter der Leitung von Sven-­ Anwar Bibi („Cultural Libraries“), Till Beutling („Gendered Spaces“) (Beutling 2013), Mikala Hyldig Dal („Images of Transition“) (Hyldig Dal 2013), Tom Bieling („Design in(g) Society“) oder Fred Meier-Menzels Projekte über die „doppelte Kolonisierung des weiblichen Körpers in Ägypten“ (Meier-Menzel 2015). 206 Etwa im innerstädtischen Verkehrsraum, in behördlichen Einrichtungen, im öffentlichen Personen-Nahverkehr etc. 207 In seiner Abhandlung „The Reflective Practitioner“ führt Donald Schön die beiden Konzepte der Reflection-­ on-Action und der Reflection-in-Action ein, anhand derer er beschreibt, wie sich arbeitsmäßige bzw. handlungsbezogene Expertisen in der Praxis selbst fortentwickeln. In anderen Begrifflichkeiten wird das Prinzip der reflexiven Praxis zuvor bereits bei John Dewey (Dewey 1933; Dewey 1934), Kurt Lewin, dem Mitbegründer der Aktionsforschung (Lewin 1948, 278 ff.) oder bei Jean Piaget (Kolb/Kolb 2005, 193 ff.) verhandelt. 208 Abgestimmt auf das Kursniveau, ging es hierbei insbesondere um die Unterscheidung des sozialen und medizinischen Modells von Behinderung. 209 Solche ergänzend getätigten Beobachtungen und direkten Befragungen erwiesen sich für die Studierenden als aufschlussreich, da sie dabei helfen können, zu vermeiden, möglichen eigenen Klischeebildern aufzusitzen. 210 Die Formulierung „Out-of-Norm User“ sollte dabei nicht der Diffamierung von Behinderten als „anormal“ dienen, sondern vielmehr die Studierenden mit der Frage konfrontieren, wer oder was überhaupt normal ist.

ANMERKUNGEN   213

211 Die Gruppengröße ergab sich aus organisatorischen Gründen. Im kleineren Kurs (25 Teilnehmende) ­bestanden die Teams aus jeweils ca. drei bis fünf Personen, im größeren Kurs (50 Teilnehmende) ­hin­gegen aus vier bis sechs Personen. 212 Ausgehend von den ersten Gesprächen mit den Studierenden, wurde hier der Rahmen etwas weiter ­gefasst, da sich herausstellte, dass die begrifflichen Grenzen zwischen Behinderung und Krankheit ­mitunter fließend scheinen. Als Themen traten somit beispielsweise auf: Autismus, Dyslexie, Phobien, Parkinson, Epilepsie, Blindheit, Gehörlosigkeit, Mobilitätseinschränkung u. v. m. 213 Mitunter war bereits die Recherche nach entsprechenden Institutionen zeitintensiv. Teilweise waren entsprechende Institutionen in Ägypten für die Studierenden zu weit von Kairo entfernt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass viele Behinderungen im öffentlichen Leben nicht „stattfinden“, in dem Sinne, dass Betroffene (zumindest in der Mittel- und Oberschicht) von ihren Familien vor der Öffentlichkeit „ferngehalten“ werden. Anders verhält sich dies in Teilen der ärmeren Bevölkerung. Hier sind Menschen mit Behinderungen aufgrund mangelnder Anlaufstellen häufig sich selber überlassen und kommen, beispielsweise als Obdachlose und/oder Bettler, zwar im Stadtbild vor, werden von vielen jedoch entweder als „Freaks“ oder ohnehin kaum wahrgenommen. 214 Im Fokus standen hierbei alltagskulturelle Präsenzen, etwa im Kontext privater oder öffentlicher ­Insti­tutionen, Kunst und Populärkultur. 215 Dies wurde nicht nur in Bezug auf städtebauliche, sondern insbesondere auch gesellschaftliche (z. B. bildungsinstitutionelle, berufswahlbezogene) Zugänge thematisiert. 216 Der Begriff des Non Intentional Design (NID) wurde von Michael Erlhoff und Uta Brandes in den 1990er-Jahren in die Designtheorie und -forschung eingeführt und bezieht sich auf die Umnutzung oder Zweckentfremdung von Dingen entgegen deren ursprünglichen Gestaltungsintention. Funktion und Bedeutung gestalteter Objekte können sich demnach je nach Nutzungskontext verschieben bzw. werden im Prozess der Nutzung überhaupt erst hergestellt (vgl. Brandes/Erlhoff 2006). 217 Davon 50 im ersten Kurs, 136 im zweiten Kurs. Die Bandbreite erstreckt sich von interaktiven Care-Toys über vibrotaktile Navigationsgeräte, Wort- und Zeichenerkennungsscannern (Smartphone App „Talking Sam“) bis hin zu Orthesen mit implementierten Self-Tracking-Funktionen, die gleichermaßen der Dokumentation von Therapieverläufen sowie der eigenen Motivation dienen. 218 Ursprünglich stammt das Konzept des Re-Framings (zu deutsch: Umdeutung; seltener auch: Referenz­ transformation) aus dem Anwendungsbereich der Sozialpsychologie sowie der F ­ amilientherapie. Unterschieden wird dabei zwischen „Bedeutungsreframing“ und „Kontextreframing“ Plate (2015, 146 ff.). Beim „Bedeutungsreframing“ werden als problematisch empfundene Situationen umgedeutet, um i­ hnen po­ ituation sitive Aspekte beimessen zu können. Ziel ist es dabei, die Wahrnehmung einer bestehenden S derart zu verändern, dass betroffene Personen konstruktiv damit umgehen können. Beim „Kontextreframing“ bleibt der Sachverhalt gleich, während sich der Kontext verändert bzw. dieser verschoben wird. Durch ein Reframing kann einem bestimmten Zustand, einer bestimmten Ausgangsposition eine neue Bedeutung zugewiesen werden, in dem sie in einem anderen Kontext („Rahmen“) betrachtet und analysiert wird. 219 Die Entscheidungen zur Auswahl wurden gruppenübergreifend gemeinsam getroffen. Es stellte sich dabei (durchaus als hilfreich) heraus, dass jede Gruppe mit zwei Konzepten in die nächste Runde starten konnte, von denen sie entweder beide weiterverfolgen oder sich letztlich auf die Ausarbeitung lediglich eines Konzepts konzentrieren würden. 220 Projektgruppe: Salma Hesham, Nada Hesham, Youssef Edward, Ali Ismail, Aya El Sify. 221 Projektgruppe: Yasmin Helmy, Nathalie Adel, Ahd Wafaa Eldin, Eman El Sokkary, Fayza El Shabrawy, Noha Mansour, Sama Ahmed. 222 Unter Dyslexie versteht man die mangelnde Fähigkeit von Menschen (mit ansonsten „normaler“ Hörund Sehfähigkeit), einzelne Wörter oder längere Texte zu lesen, zu schreiben oder zu verstehen. 223 Projektgruppe: Alik Mikaelian, Amira El Shawarby, Maram El Shenawy. 224 Das Altersheim war nicht ausschließlich auf die Betreuung von Demenzpatienten ausgerichtet, jedoch eng mit dem Thema „Demenz“ vertraut. 225 Diese Art der musikalischen Erfahrung wird von vielen Gehörlosen – langfristig gesehen – als nur bedingt zufriedenstellend beschrieben. Insbesondere emotionale Botschaften, etwa in Form von Song-Texten, lassen sich auf diese Weise schließlich nicht übertragen. Vor diesem Hintergrund hat sich inzwischen ein eigenes Genre von „Sign-Dancern“ entwickelt, welche textliche Inhalte performativ als gebärdensprachliche Choreografie passend zu Songs vorführen. Inzwischen werden auch immer mehr Konzerte, Musikvideos und musikalische TV-Übertragungen (z. B. Eurovision Songcontest) von Gebärdendolmetschern begleitet. Prominentes Beispiel in Deutschland: die Dolmetscherin Laura Schwengber, die auch bei Fallstudie II mehrfach beratend und übersetzend an der Entwicklung des Lorm ­Gloves

214  TEILHABE VERWIRKLICHEN – FALLSTUDIEN 

beteiligt war. Die besagte Party-Reihe SenCity operiert zudem mit weiteren multimodalen Impulsen (z. B. Video-Projektionen, Licht-Installationen). So verteilen beispielsweise sogenannte „Aromajockeys“ ­mithilfe von Ventilatoren und dahinter platzierten Kochplatten, auf denen Duftmixturen erhitzt werden, verschiedene olfaktorische Noten im Raum. 226 Projektgruppe: Khadiga Samy, Sara Zahran, Salma Adel, Caroline Shoushanian. 227 Projektgruppe: Bayan Osama, Mariam Hazem, Sara Khedre, Youmna Seoudi. 228 Projektgruppe: Nahla El Gizawy, Nourhan Tawfik, Sarah Bashandi, Menna El Tanany. 229 Bei „Friendly User-Tests“ handelt es sich um informelle, nicht zwangsläufig repräsentative Spontan-­ Tests mit verfügbaren Personen, die vor allem in frühen Prototypisierungsphasen hilfreich sein können, da sie ohne größeren Aufwand durchgeführt werden, und erste, schnell offensichtliche Schwachstellen zügig behoben werden können. 230 Zumindest bezogen auf den konkreten Fall in Kairo. Es ist davon auszugehen und überdies Kernelement dieser Arbeit, dass dies auch generell gelten kann. Wenngleich geografische, kulturelle, ausbildungs­ bezogene Unterschiede freilich immer zu berücksichtigen sind. 231 Wie bereits dargelegt, findet eine designforschende Erschließung des Themas Behinderung in Kairo streckenweise womöglich unter anderen Vorzeichen statt, als es beispielsweise in Berlin der Fall wäre. Gründe hierfür können z. B. auf den jeweils unterschiedlichen Kulturraum zurückzuführen sein, aber auch auf Fragen zur barrierefreien Infrastruktur im öffentlichen Raum, unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen und dergleichen. 232 Bunz hierzu weiter: „Auf der Suche nach der technischen Logik, das heißt nach einer bestimmten Gerichtetheit von Technik, trifft man zunächst einmal auf eine ‚Nicht-Logik‘: Technik lässt sich aneignen. Sie ist in einer gesellschaftlichen Situation entstanden, aber nicht essenziell in ihr verhaftet. Deshalb ist Technik fähig, einen Zwischenraum zu erzeugen, der politisch […] besetzt werden kann. Einen Zwischenraum wohlgemerkt, keinen alternativen Raum, denn die Aneignung findet nicht frei statt. Technik kann einen alternativen Raum eröffnen, aber sie ersetzt die dazu notwendigen politischen und gesellschaftlichen Bestrebungen nicht“ (ebd.). 233 Simondon gilt als einer der ersten Philosophen, die die Bedeutung von Technik für die Philosophie thematisiert haben. In seinem Standardwerk „Du Mode d’Existence des Objets Techniques“ („Die Existenzweise technischer Objekte“ [Simondon 1958]) formuliert er systematische Zusammenhänge von biologischer Evolution und technischer Entwicklung. 234 Und weiter: „Die Interessen, welche die Herstellung der Technik beeinflussen, gehen in den technischen Apparat ein, aber sie sind nicht fähig auch die Verwendung der Technik vollständig zu definieren. Die ­Logik der Technologie lässt sich nicht ein für alle Mal besetzen, wieder und wieder wird sie neu ausgerichtet“ (ebd.). 235 Workshop: Practice as Part of the Research; Nottingham Trent University; College of Architecture, ­Design and the Built Environment, im Juni 2012 (kuratiert von Prof. Dr. Sarah Kettley). 236 Workshop „What remains? – Design for Alzheimer“ im Rahmen des Forschungsprogramms CRISP (­Creative Research Industry Scientific Programme), auf Einladung und moderiert von Alessia Cadamuro, an der Design Academy Eindhoven, Mai 2013. 237 Design4Health Konferenz („Invention, Adoption and Diffusion“) an der Sheffield Halam University, im Juli 2013. 238 Als ausschlag- und beispielgebend für einen solchen Gestaltungsansatz kann die als Modeschmuck konzipierte Arbeit der Designerin Maura Collins (Seattle) angesehen werden (Abb. 67). Der Schmuck kann nur mit geschlossenem Mund getragen werden, indem er mithilfe einer Kauleiste fixiert wird. Das ansonsten dysfunktionale Schmuck- und Modeaccessoire unterbindet somit die Verbalkommunikation seines Trägers bzw. seiner Trägerin. Zugleich verweist es auf Themen wie Gehörlosigkeit und ­darauf, dass viele Menschen durch – für sie exklusives – Design in ihren gewohnten Handlungsweisen eingeschränkt werden. 239 Artefakte können so zu „Manifestationen von Thesen [werden], die sich durch Interaktion erschließen“. (Joost 2010, 89).

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4  ECKPFEILER EINER SOZIAL­VERANT­ WORTLICHEN TECHNIKENTWICKLUNG – ­DISKUSSION Im Folgenden soll diskutiert werden, welche Komponenten der empirischen Unter­ suchung zufriedenstellend waren, das heißt zur Beantwortung der Forschungs­ fragen dienen können, und welche Aspekte eher unzureichend und somit kritisch zu betrachten sind. Es soll somit der wissenschaftliche Beitrag offengelegt werden, der mit dieser Arbeit geleistet wird, dabei im gleichen Zuge aber auch herausgestellt werden, welche möglichen Mängel und Ungenauigkeiten im gewählten Forschungsansatz bestehen. Ziel ist es dabei, herauszuarbeiten, welche Schlüsse sich aus den Ergebnissen der Fallstudien ziehen lassen, und zwar insbesondere in Bezug auf folgende Felder: Designtheorie, Designpraxis, Methodenwissen, Erkenntnisse über die jeweiligen Untersuchungskontexte und eine mögliche didaktische Implementierung. Zur Formulierung der zentralen Schlüsse in Bezug auf einen zukünftigen ­Umgang mit und durch Gestaltung, wurden im gesamten Verlauf der Fallstudien drei Fragen verschiedentlich diskutiert: Wie können Gestaltungsprozesse im Behinderungskontext (anders als bisher) genutzt und bewertet werden? Wie können sie (anders als bisher) nach außen kommuniziert werden? Und welches Potenzial ergibt sich dabei in Bezug auf mögliche emanzipatorische Gestaltungs- und Forschungsaspekte? Inwiefern konnten diese Fragen durch die Fallstudien hinreichend beantwortet werden? Wo liegen die Grenzen der Methoden? Und – wichtiger noch – welche neuen Fragestellungen ergeben sich daraus? Dies steht unweigerlich in Zusammenhang mit Fragen der Methodik bzw. ­eines Methodenwissens. Hierbei wird konkret zwischen Designmethodik und Forschungsmethodik unterschieden, im gleichen Zuge aber auch davon ausgegangen, dass es diesbezüglich – zumal im Kontext von partizipativen Ansätzen – auch Überschneidungen von Design- und Forschungsmethoden geben kann. Des Weiteren soll diskutiert werden, welche Erkenntnisse über die unterschiedlichen „Zielgruppen“ in dieser Arbeit gewonnen werden konnten. Dabei sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der Begriff „Zielgruppe“ hier womöglich falsche Assoziationen weckt, insofern es eher um Untersuchungskontexte (wie z. B. das Thema „Taubblindheit“ oder „Gehörlosigkeit“) an sich ging, deren „Betroffene“ – sei es durch deren aktive Einbindung oder aber anhand von Observationen und Reflexionen – zum einen als Adressaten, zum anderen als Impulsgeber fungierten. Die Diskussion der designtheoretischen, designpraktischen, design- und ­forschungsmethodischen sowie der untersuchungskontextuellen ­Dimensionen legen zugleich den Grundstein für die Konzeption und Ausgestaltung einer gestaltungs­didaktischen Implementierung in mögliche Lehr- und Ausbildungs­ formate. Auf Basis dieser mehrdimensionalen Diskussion soll schließlich – kritisch

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reflektierend – aufgezeigt werden, welche Aspekte einer solchen Arbeit sowie den hier thematisierten Ansätzen künftig konzipiert und durchgeführt werden sollten. Zunächst stellt sich also die grundlegende Frage, was anhand der Fallstudien und der Erprobung im Unterricht generell (nicht) gezeigt werden konnte und welche neuen Fragestellungen sich daraus ergeben. Ziel der Fallstudien und der Erprobung war es, zu veranschaulichen, inwieweit sich inklusive Aspekte einerseits in (und somit auch mithilfe von) Gestaltungsprozessen sowie andererseits durch ­Gestaltungsresultate beflügeln lassen. Hierzu wurden unterschiedliche Designphasen der Konzept- und Produktentwicklung untersucht, welche jeweils unter aktivem Miteinbezug von „behinderten“ und „nicht-behinderten“ Menschen, von primär oder sekundär „Betroffenen“ sowie von Designerinnen und Nicht-Designern erfolgten. Die Fallstudien und Studienprojekte, die in unterschiedlichen Ausprägungen auf partizipativen und entwurfsbasierten Ansätzen fußten, wurden dabei schwerpunktmäßig aus unterschiedlichen Perspektiven behandelt. Wie bereits in den je­ spekte weiligen Fallstudienreflexionen dargelegt wurde, konnten dabei zentrale A veranschaulicht und hinterfragt werden. So konnten durch den qualitativen, gestaltungsbezogenen Forschungsansatz in Fallstudie I neue Perspektiven sowohl in Bezug auf Potenziale für die Interaktions­ gestaltung als auch in Bezug auf die partizipative und diversitätsorientierte Designforschung und -praxis aufgedeckt, ausprobiert, hinterfragt und entwickelt werden. Die Auswertung der qualitativen Daten stellte sich dabei als aufwendig und nicht immer ganz eindeutig heraus. Gleichwohl konnte gezeigt werden, wie partizipative Gestaltungsprozesse im Behinderungskontext zu neuartigen Gestaltungsansätzen führen können, anhand derer sich landläufige Normalitätskriterien kritisch reflektieren lassen. Die damit einhergehende Frage, wer für wen gestaltet bzw. wer über wen forscht, impliziert zudem auch die Offenlegung von Machtverhältnissen1 ­zwischen Gestaltungsinitiatoren („Designern“) und Gestaltungsrezipienten („­Nutzenden“). In Fallstudie II konnten verschiedene funktionsfähige Prototypen angefertigt und einem großen (potenziellen) Nutzerkreis zugänglich gemacht werden. Dadurch ließ sich auf breitem Spektrum observieren, wie Nutzerinnen und Nutzer mit einem (bzw. mehreren überarbeiteten) Prototypen interagieren, welche Erwartungen sie an ihn stellen und welche Schwierigkeiten sich in der Nutzungsaneignung sowie der generellen Interaktion und User Experience ergeben. Durch die hohe Präsenz auf zahlreichen Ausstellungen, Präsentationen und Vorträgen konnte der öffentliche Diskurs hinsichtlich eines vorurteilsfreien Umgangs mit Behinderung einerseits und eines barrierefreien Zugangs zu digitalen Medien andererseits befördert werden. Beides leistete einen wichtigen Beitrag zur Frage, welche Rolle Technik­ gestaltung in Bezug auf Inklusion spielt bzw. spielen kann. Beide Fallstudien legen eine grundlegende Vermittlung von Inklusions- und „Behinderungskompetenz“ in der Designausbildung nahe. Das hierfür in der Erprobung im Unterricht modellartig konzipierte und realisierte Studienprojekt

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diente einer diesbezüglichen, gestalterisch-forschenden Auseinandersetzung, die ­darauf ausgerichtet ist, Designerinnen und Designer (und schließlich auch Design­Rezipienten) praxisnah für die (soziale) Relevanz und die Konsequenzen von Design zu sensibilisieren. Die in den Fallstudien gesammelten Erfahrungen legen nahe, hierbei insbesondere die im Folgenden beschriebenen Aspekte im Blick zu behalten: „Dynamische Prozessverläufe“ (4.1); mögliche „Gefahren der Außenperspektive“ (4.2) und die „Rollenverteilung der Akteure“ (4.3).

4.1  Dynamische Prozessverläufe Wie bereits ausführlich dargelegt, sind partizipativen Prozessen im Design- und Forschungskontext durchaus Grenzen gesetzt. Im Zuge der Fallstudien wurde beispielsweise immer wieder deutlich, dass sich nicht alle Vorschläge der Teilnehmenden konsequent umsetzen lassen. Der Einsatz von Prototypen kann dabei helfen, Ideen und Vorschläge verständlich zu visualisieren und damit suggerierte Szenarien ansatzweise erfahrbar zu machen. In dieser Funktion können Prototypen d ­ abei behilflich sein, Herausforderungen und Lösungsansätze gemeinsam intensiver zu ergründen und Letztere in iterativen Schritten präziser auszuarbeiten. Wobei die Rollenverteilung zwischen Forschenden und Teilnehmenden durchaus dynamisch verlaufen kann. Wichtig hierbei ist es jedoch auch, die Rahmenbedingen und Zielvorgaben möglichst klar und verständlich zu formulieren, um zu vermeiden, dass aufkeimende Impulse – etwa in Gruppendiskussionen – im Sande verlaufen oder gute Vorschläge letztlich doch unkonkret bleiben. Insgesamt empfiehlt es sich, sowohl den Teilnehmenden als auch dem Projektverlauf gegenüber offen und flexibel zu sein. Partizipative Prozesse entwickeln oft ganz eigene, unvorhersehbare Dynamiken. Offenheit und Flexibilität helfen dabei, die Teilnehmenden derart einzubinden, dass Prozesse auch durch neuartige Ideen, Herausforderungen oder inhaltliche Schwerpunktverlagerungen bestimmt werden können. Dabei läuft man freilich auch Gefahr, tatsächliche Projektziele aus den Augen zu verlieren oder gänzlich im Ungewissen zu verharren. Ein zeitlicher und inhaltlicher Rahmen sollte – bei aller Schwierigkeit – daher trotzdem stets im Auge behalten werden. Im zunehmenden Verlauf der beschriebenen Fallstudien stellte es sich daher als hilfreich heraus, wenn im Vorfeld ausreichend Zeit für ­offene, flexible Reflexionsphasen eingeplant wurden. Die Reflexion der Abläufe muss überdies fortlaufend geschehen. Denn bestimmte Vorgehensweisen mögen zwar skalier- und auf andere Anwendungsgebiete übertragbar sein, benötigen erfahrungsgemäß jedoch immer wieder situative Anpassungen. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, dass im Zuge der Partizipation

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aufseiten der Teilnehmenden Erwartungen geschürt werden, denen die Forscher/ Designer nicht gerecht werden (können). Etwa, wenn es darum geht, neue ­Szenarien oder Technologien zu entwickeln, von den sich die Teilnehmenden erhoffen, sie schon bald wirklich nutzen zu können. Im Rahmen der Arbeit wurde versucht, diesbezüglich möglichst sensibel vorzugehen.2 Gerade in Projektkonstellationen, die über längere Zeiträume verliefen, wurde daher darauf Wert gelegt, den Forschungsverlauf (gerade auch jenseits der partizipativen Phasen) transparent und zugänglich zu gestalten. Für zukünftige Projekte dieser Art kann daher folgende Empfehlung ausgesprochen werden. Teilnehmende sollten selber einen Anreiz haben, zu partizipieren. Beispielsweise, indem sie durch ihre Teilnahme etwas Neues lernen. In den verschiedenen Workshop-Formaten hatte sich beispielsweise gezeigt, dass es wichtig ist, gerade solche Themen zu adressieren, die nicht nur für den Forscher/Designer von Interesse sind. Auch sollten Ergebnisse den Teilnehmenden anschließend zugänglich gemacht werden, sodass sie von ihrer aktiven Teilnahme profitieren können. ­Sowohl für die „Akquise“ neuer Teilnehmender als auch für die Transparenz gegenüber bestehenden Teilnehmenden empfiehlt es sich, Forschungsprozesse und -­ergebnisse gut und verständlich zu dokumentieren und zu kommunizieren. Im Zuge der Fallstudien geschah dies – je nach Gruppen- bzw. Themenkonstellation – anhand von kurzen Newslettern, Dankesschreiben, Foto- und Video-Dokumentationen, eigens einberufenen Treffen oder durch Blog-Beiträge (Designabilities.org) und die Einbindung sozialer Netzwerke (Facebook; Twitter). Trotz der genannten, partiellen Schwierigkeiten darf eines nicht vergessen werden: Es geht um die Teilnehmenden und um ihre Sicht der Dinge. Ihre Anliegen sollten die entsprechende Wertschätzung erfahren. Es gilt somit der Anspruch, ihre Arbeiten so gut wie möglich auszuführen, anstatt unterschwellig eigene Lösungen zu implementieren. Im Zweifelsfalle sollte zumindest eine gemeinsame Abwägung erfolgen. Nicht zuletzt, um der möglichen Gefahr einer falsch praktizierten und beidseitig fehlinterpretierten Außenperspektive entgegenzuwirken.

4.2  Gefahren der Außenperspektive Die Gefahren einer solchen Außenperspektive ist seit einigen Jahren verstärkt Gegenstand von Diskursen in Designtheorie und -praxis.3 Auffallend ist, dass in den häufig unter dem Begriff „Social Design“ subsumierten Themenfeldern wie „Design for Social Innovation“ oder „Design for Social Sustainability“ (wenn auch bei Weitem noch nicht vollumfänglich) über mögliche Zwickmühlen der Gestaltung diskutiert wird.4 So formuliert Bruce Nussbaum angesichts einer empfundenen Zunahme von Social-Design-Projekten (in dem Fall: im Kontext von Projekten für die sogenannte „Dritte Welt“) die Frage: „Is humanitarian Design the new­i­ mperialism?“

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(Nussbaum 2010). Dem zugrunde liegt eine alte Doktrin eines vielfach als „moralische Pflicht“ empfundenen Ansatzes, in benachteiligten Regionen oder Gesellschaftskreisen „humanitär“ (gestaltend) zu intervenieren.5 Ein sich daraus ergebendes Dilemma lässt sich in mindestens drei (mitunter kausal verkettete) Richtungen aufspalten: 1. Der Versuch, „von außen“ beispielsweise politische und zivile Rechte benachteiligter Gruppen protegieren zu wollen, kann von den Adressaten als patronisierend empfunden werden. 2. Dies kann der ursprünglichen Intention, helfen zu wollen, entgegenwirken und einen gegenteiligen Effekt zur Folge haben. In der Entwicklungshilfe ist beispielsweise das Phänomen bekannt, dass die Subvention von Lebensmittel­exporten nach Afrika die dortige Landwirtschaft und Industrie schwächt. Bezogen auf das Themenfeld Behinderung kann dies z. B. bedeuten, dass im Versuch, Behinderung zu adressieren, erst recht Klischees bedient werden und somit zum Thema gemacht wird, was eigentlich keine Rolle spielen sollte. Was schließlich einer Emanzipation der Betroffenen gegenüber kontraproduktiv wäre. 3. Der Ansatz, „von außen“ helfen zu wollen, sieht sich bisweilen dem Vorwurf eines Instrumentalisierungsversuchs ausgesetzt. Das heißt, hinter einem vordergründig humanitären Anliegen wird eine „Ausschlachtung“ z. B. zu Werbezwecken vermutet. Sinnbildlich ist hierfür der Begriff des „Social Washings“, bei dem vor allem größeren Unternehmen vorgeworfen wird, soziale Themen bloß zu Marketingzwecken zu lancieren, um damit von kritikwürdigen Unternehmensaspekten abzulenken.6 4. Gerade im Kontext von Behinderung kann die „Außenper­ spektive“ zu einer Zementierung von Machtkonstellationen führen. Die ohnehin in einer vermeintlich „schwächeren“ Position befindlichen Adressaten laufen Gefahr, auf direkte oder indirekte Weise in ihren Abhängigkeitsverhältnissen bzw. in den (von innen oder außen als solche empfundenen) geschwächten Positionen zu verharren. In den Fallstudien konnte untersucht werden, welche Rolle Design dabei ­spielen kann, derartig ungleichen Machtkonstellationen konstruktiv entgegenzuwirken. Insbesondere die Diskurse im Social Design und Participatory Design legen nahe, dass das Prinzip „Teilhabe“ dabei eine zentrale Rolle spielt. Ein gravierender ­Unterschied besteht darin, ob ein Nutzer oder eine Nutzergruppe lediglich Adressat e­ ines Gestaltungsansatzes ist, als Objekt also passiv bleibt, oder ob er/sie im

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­ estaltungsprozess selbst über einen Handlungsspielraum verfügt, das bedeutet, G aktiv auf Gestaltungsergebnisse einwirken bzw. diese überhaupt anstoßen zu können. Dies richtet den Fokus auf die Rollenverteilung der Akteure.

4.3  Rollenverteilung der Akteure In Hinblick auf die Rollenverteilung der Akteure und den Grad der „Nutzer-Einbindung“ ergibt sich freilich auch aus den genannten Punkten Beachtenswertes für derartige, künftige Forschungs- und Gestaltungsprojekte. Denn ebenso wie in entwurfsbasierten Projekten kann es gerade auch in partizipativen Projekten stets zu unvorhergesehenen Begebenheiten kommen. Und genau dies ist letztlich auch wünschenswert. Empfehlenswert ist es hierfür, genügend Raum und Zeit für Unvorhergesehenes einzukalkulieren. Wie wichtig solche „Reaktionsräume“ sind, wird abermals am Beispiel des Lorm Gloves bzw. der Lorm Hand deutlich. Denn in beiden Projekten wurden der Prozess und Ergebnisverlauf in hohem Maße auch von externen Einflüssen mitbestimmt. Dazu zählt nicht nur das fortwährende Nutzer-Feedback, sondern insbesondere auch die Thematisierung des Projekts durch Dritte, etwa anhand von Ausstellungen, Prämierungen, Zeitungs-, Radiooder TV-Berichten. In den iterativ verlaufenden, entwurfsbasierten Phasen der Fallstudien stellte es sich für die dafür vorgesehenen Feedback-Schleifen als hilfreich heraus, unterschiedliche Prototypen-Ausarbeitungen als Diskussionsbasis zu verwenden. In den frühen Phasen reichten dazu häufig bereits einfache Konzepte in Form von „Mockups“ („Quick and dirty Prototypes“), anhand derer sich bereits mögliche Nutzungsszenarien visualisieren und erfahrbar machen lassen können. Im zunehmenden Iterationsverlauf können diese dann weiter verfeinert werden. In den Fallstudien geschah dies etwa mithilfe sogenannter Click-Dummies oder Videoprototypen, bevor dann schließlich mit „richtigen“, funktionsfähigen Prototypen gearbeitet wurde („Call my Attention“, „Lorm Glove“, „Lorm Hand“). Mit zunehmender Qualitätssteigerung der prototypischen Iterationen ver­ lagert sich die Rolle der Teilnehmenden dabei tendenziell meist von einer aktiv-­ gestalterischen hin zu einer passiv-beratenden Funktion. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich bei den Teilnehmenden nicht um professionelle Designer oder Forschende handelt. Inwiefern sich durch diese Verlagerung der Partizipationsart letztlich auch die Qualität der „Teilhabe“ an sich verschiebt, kann nicht eindeutig ermittelt werden und ist pauschal nur schwer zu beantworten. In den Observationen und Gesprächen mit den Teilnehmenden wurde vornehmlich festgehalten, dass die Beteiligung am (Design- und/oder Forschungs-)Prozess an sich relevant ist und ­somit auch oder gerade eben die Beteiligung in beratender Funktion.7

ROLLENVERTEILUNG DER AKTEURE  221

4.4 Konsequenzen Im Folgenden sollen verschiedene Konsequenzen der Fallstudien genauer durchleuchtet werden. Und zwar zum einen Konsequenzen in Bezug auf die jeweiligen Untersuchungskontexte selbst (4.4.1), zum anderen in Bezug auf eine Forschungsund Designmethodik (4.4.2) sowie schließlich in Bezug auf eine Rückführung der hier gesammelten Erfahrungen in die Designtheorie und -praxis (4.4.3).

4.4.1 Untersuchungskontexte Als Erstes soll diskutiert werden, zu welchen Erkenntnissen über die jeweiligen ­Untersuchungskontexte die Fallstudien geführt haben. Mit „Untersuchungskontexten“ sind die jeweiligen Behinderungskontexte wie z. B. das Thema „Taubblindheit“ oder „Gehörlosigkeit“) gemeint, deren „Betroffene“ – sei es durch deren aktive Einbindung in den Forschungs- und Gestaltungsprozess oder aber anhand von ­Observationen und Reflexionen – zum einen als Adressaten, zum anderen als Impuls­geber fungierten. Da das übergeordnete Thema der Arbeit „Behinderung“ im Allgemeinen lautet, ist der spezielle Fokus auf die Aspekte „Gehörlosigkeit“ und „Blindheit“ (Fallstudie I) und „Taubblindheit“ (Fallstudie II) allenfalls exemplarisch zu sehen.8 Es handelt sich dabei nicht um „Zielgruppen“ an sich, sondern eher um ­Untersuchungsfelder. Konkrete Erkenntnisse über die „Zielgruppen“ (z. B. Gehörloser oder Taubblinder) standen somit nicht im Vordergrund der Unter­suchung. Gleichwohl konnten Einblicke in die Lebenswelten dieser Gruppen und somit auch Erkenntnisse über die jeweiligen Behinderungskontexte gewonnen werden. Deutlich wurde dabei auch, dass sich diese Behinderungskontexte sehr häufig als sozio-technische Verwobenheiten erweisen. So sehen sich taubblinde Menschen beispielsweise oft mit sozialen Isolationserfahrungen konfrontiert, die u. a. dar­ auf zurückzuführen sind, dass weit verbreitete Kommunikationstechnologien von ­ihnen nicht genutzt werden können. Die Erfahrung, wenige Bezugspersonen zu haben, steht somit unweigerlich in Zusammenhang mit dem Grad der (Nicht-) Zuhandenheit9 technischer Infrastruktur. Ebenso könnten blinde oder gehörlose Menschen viel öfter an gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen, wenn die dafür notwendigen Zugänge und Medienkanäle barrierefreier konzipiert und gestaltet wären. Die enge Zusammenarbeit mit Betroffenen als Alltagsexperten im Zuge dieser Arbeit und deren aktive Einbindung in die jeweiligen Prozessphasen der Forschung und Gestaltung halfen dabei, solche sozio-technischen Konstellationen aufzudecken und sie gezielt zu adressieren. Das Erfahrungswissen der beteiligten Personen diente dabei auch als Bewertungsmaßstab hinsichtlich der Rolle und Funktion von bereits existierenden Beispielen von „Assistive Technology“ und

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auch von ICT im Allgemeinen. Aus meiner Sicht des Designforschenden kann überdies ­konstatiert ­werden, dass diese Art der partizipativen Einbindung nicht nur technisch-­gestalterische Horizonte zu erweitern half, sondern auch auf „(zwischen-) menschlicher“ Ebene fruchtbar und bereichernd wirkte. Offenheit und ­Neugierde gegenüber dem „anderen“ halfen nicht zuletzt auch dabei, eigene Vorurteile oder mögliche Formen von Berührungsängsten abzubauen. Wie bereits eingangs erwähnt, s­ tanden dabei nicht zwangsläufig neuartige Erkenntnisse über bestimmte Zielgruppen im Zentrum des Interesses, sondern auch die – nicht zuletzt methodische – Frage, wie und weshalb sich Menschen, die keine Forscher, keine Designer sind, in Design­forschungsprozesse mit einbeziehen lassen (könnten).

4.4.2  Forschungs- und Designmethodik Somit stellt sich zugleich die Frage, welche Schlüsse sich aus den Ergebnissen der Fallstudien für die künftige Entwicklung und Anwendung der darin verwendeten Methoden ziehen lassen. Dies gilt gleichermaßen für die Forschungs- wie für die Gestaltungsmethodik. Dabei muss klar sein, dass es im hier behandelten Themenkomplex weniger um eine Repräsentativität der Ergebnisse geht, als vielmehr um eine Sensibilisierung für eine veränderte Sichtweise auf Design ebenso wie auf ­Behinderung. Insbesondere in Fallstudie I, die gegenüber den anderen beiden Fallstudien den höchsten Partizipationsgrad aufwies, stellten sich die partizipativen Workshops als ressourcenintensiv heraus.10 Das Setting für partizipative Gestaltungs­ prozesse als offene Werkstatt und vor allem deren adäquate Ausstattung an Mate­ rialien, Werkzeugen sowie Diskussionsräumen und Arbeitsmöglichkeiten e­ rfordert viel Vorbereitungszeit und muss entsprechend moderiert und betreut werden, ­wofür wiederum ausreichend „Personal“ mit eingeplant werden muss. Gerade bei der Zusammenarbeit mit behinderten Menschen können hierfür möglicherweise zusätzliche Planungs- und Personaldimensionen notwendig werden. Bei den Workshops mit Gehörlosen waren beispielsweise immer zwei Gebärdensprachdolmetscher dabei.11Auch bei Vorbesprechungen in den Räumlichkeiten der jeweils beteiligten Institutionen war der Einsatz von Dolmetscherinnen erforderlich. Der Einsatz von Dolmetschern hat auch einen Einfluss auf die Zeit- und ­Ablaufplanung derartiger Projekte. Denn, auch wenn die Übersetzung weitgehend in Echtzeit erfolgt, kann es sein, dass Kommunikationsabläufe zumindest teilweise länger dauern, als es bei durchweg hörenden Teilnehmenden der Fall wäre.12 In der Zusammenarbeit mit Taubblinden trifft dies auf jeden Fall zu. Insbesondere dann, wenn mit mehreren Teilnehmenden gleichzeitig zusammengearbeitet wird, denn jede teilnehmende taubblinde Person benötigt dann eine separate Übersetzung, die je nach Kommunikationsform und Behinderungsgrad unterschiedlich lang ausfallen kann.

KONSEQUENZEN 223

Gleichwohl konnten in den partizipativen Prozessen Rückschlüsse ermöglicht werden, die in „herkömmlichen“ Methoden womöglich unberücksichtigt geblieben wären. Insbesondere die eigens für diese Workshops entwickelten Ausdruckstechniken und Kommunikationswerkzeuge, mit deren Hilfe sich die Teilnehmenden im Zuge der Partizipation vermitteln und austauschen konnten, stellten sich hierfür als hilfreich heraus. Dies gilt nicht nur für den Gehörlosenkontext, sondern auch im Allgemeinen. Gerade in der Zusammenarbeit mit (in dem Fall: hörenden) Jugendlichen stellten sich diese Techniken und Werkzeuge als besonders hilf- und aufschlussreich heraus. Und auch im Zuge des Studienprojekts im Rahmen der Lehre wurden sie – in unterschiedlicher Ausarbeitung – vielfach als zentrale Erhebungselemente verwendet. Durch die Verwendung und Ausarbeitung von Bildmaterial oder dreidimensionalen Objekten beispielsweise, sind solche Ausdrucks- und Vermittlungstechniken gerade deshalb hilfreich, weil sie nicht auf rein verbale oder verbalisierbare Information ausgerichtet sind. Womöglich schwer zu versprachlichende oder aber auf rein verbaler Ebene nicht kommunizierte Wissensbereiche können auf diese Weise offengelegt, zugänglich und somit diskutierbar gemacht werden. Zu solchen Wissensebenen zählen beispielsweise auch Emotionen, Gefühle oder auch Erfahrungswissen, welches von den Teilnehmenden im Vorhinein womöglich als nicht relevant oder erwähnenswert erachtet wird. Eben diese – häufig unterschwelligen – Wissens- und Empfindungsbereiche entpuppten sich in den Fallstudien häufig als quellenreich, da sich hieraus z. T. überraschende, unerwartete, neuartige Lösungsansätze entwickeln ließen. Als somit im besten Wortsinn produktive Methode erwiesen sich die Co-Ideation- und Co-Design Workshops, in denen gemeinsam mit den Teilnehmenden an Konzepten, Ideen und deren symbolisch-prototypischen Umsetzung gearbeitet wurde. Die darin entstandenen prototypischen Objekte stellen gegenüber der rein sprachlichen Auseinandersetzung ein konstruktives Ergänzungsmoment dar, da ­sowohl in den Objekten als auch im Prozess ihrer Generierung implizites Wissen adressiert und somit andere, zum Teil im Verborgen liegende, unerwartete Themen zum Vorschein kommen und sowohl greif- als auch diskutierbar werden. Hier bieten sich Anknüpfungspunkte für ein Themenrepertoire zur intensiveren gemeinsamen Ergründung und Analyse. Anders also als bei reinen Nutzerobservationen, Fokusgruppen, Fragebogen oder ähnlichen „herkömmlichen“ Gestaltungs- und Erhebungsmethoden, ­stellten sich die beschriebenen Herangehensweisen als generative Methoden her­ aus, die vor allem darauf ausgerichtet sind, gleichfalls direkte und indirekte und somit möglichst ganzheitliche Äußerungen, Ansichten und Empfindungen einzufangen. Um überdies differenzierte Einblicke in die Alltagswelten der beteiligten Personen zu ermöglichen, sind qualitative Befragungen, wie sie in den Fallstudien durchgeführt wurden, nützlich, um im Sinne des Sander’schen Ansatzes, verborgenes, nicht rationales Wissen möglichst weit umfassend freizulegen (vgl. Sanders 2013). Im gleichen Zuge können dabei offene, komplexe und ausdiffe-

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renzierte Antworten und Beobachtungen berücksichtigt werden, anders als es bei vielen rein quantitativen Befragungen häufig der Fall ist. Gerade in Fallstudie I und bei der Erprobung im Unterricht kamen auf diese Weise viele neue Themen auf die Agenda, die in den ­ursprünglichen Annahmen gar nicht in Erwägung gezogen worden waren. Werkzeuge zur Selbstbeobachtung der Teilnehmenden, wie die Cultural Probes-Methode (Gaver et al. 2004), können dabei als (bisweilen durchaus spielerische) Erhebungsmethoden dienen, bei denen die Teilnehmenden temporär zu „Selbster­ forschenden“ werden, wobei ihnen die Wahl der Mittel und des Ausdrucks freigestellt ist. Etwa in Form schriftlicher, zeichnerisch-skizzierender und fotografischer ­Beiträge oder aber mithilfe von visuellen, haptischen oder anderen sensorischen „Alltagsproben“ (z. B. Moodboards aus Zeitschriftenschnipseln, Bilder-Collagen, ­gesammelten Gegenständen). Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass die Cultural Probes im Sinne einer wissenschaftlich validen Erhebungsmethode durchaus kritisch beäugt werden können, was nicht zuletzt mit der Komplexität ihrer Auswertung zu tun hat. Gespräche mit William Gaver, Professor am Goldsmiths College in London und einer der Mitentwickler der Cultural Probes,13 bekräftigen die partielle Skepsis gegenüber der Methode.14 Gerade in der Zusammenarbeit mit den Studierenden stellte sich die Komplexität der Auswertung häufig als großes Manko heraus, insofern Rückschlüsse allzu oft beliebig, unbestimmt und konsequenzlos blieben. Dennoch stellten sich die Cultural Probes in der partizipativen Forschungspraxis zumindest streckenweise als konstruktives Impulswerkzeug heraus, um einerseits tiefer mit den Teilnehmenden in die Thematik einzusteigen und andererseits unerwartete Perspektiven auf deren Alltag und Verhaltensweisen zu erlangen.

4.4.3  Theorie und Praxis Als Nächstes soll nun geklärt werden, welche Konsequenzen sich aus den Unter­ suchungsergebnissen für das Feld der Designtheorie ergeben und welche Schlüsse für die Designpraxis gezogen werden können.15 Gerade durch die hohe Alltagsrelevanz und den starken Alltagstransfer konnte auf mehreren Ebenen gezeigt werden, inwiefern Design inklusionsrelevant oder gar inklusionsfördernd sein kann. Am deutlichsten wird dies am Beispiel der zweiten Fallstudie und dem darin entwickelten Lorm Glove bzw. der Lorm Hand. Beide Projekte haben im Verlaufe des Prozesses stark an Eigendynamik gewonnen, die zum ­einen durch die Zusammenarbeit mit den primär und sekundär Betroffenen und zum anderen durch die starke öffentliche und mediale Präsenz des Projekts beeinflusst wurden. Gerade Letzteres führte dazu, dass der Funktionsradius des Projekts über seine ursprüngliche Rolle als reines „Gestaltungsobjekt“ (konkreter: als Kommunikationsgerät) hinausging. So wurde das Projekt in einer Vielzahl an

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Presse­berichten, Ausstellungen, Diskussionspanels etc. von dritten Personen und Institutionen häufig geradezu zu einem Sinnbild für die Zusammenhänge und Potenziale in den Beziehungsgeflechten Mensch–Technik bzw. Design–Inklusion erhoben. In dem Zusammenhang wurde das Projekt außerdem häufig von Kuratoren und Journalisten zum Anlass genommen, generell auf die Taubblinden-Thematik (und die damit verbundenen politischen und sozialen Herausforderungen) aufmerksam zu machen. Diese Verzahnung von unterschiedlichen Funktions- und Bedeutungsdimensionen ist auf designtheoretischer Ebene bemerkenswert. Denn gerade „Behinderung“ (sowie konkreter: die Behinderung „Taubblindheit“) lässt sich weder als rein körperliches noch als ausschließlich sozial verursachtes Phänomen erklären. Die Untersuchung offenbart vielmehr einen komplexen Wirkzusammenhang aus Sozialem und Technischem sowie aus Körperlichem und Artefaktischem. Design agiert genau an den dazugehörigen Schnittstellen, wodurch mögliche Aufgabenbereiche ebenso wie die generelle Bedeutung von Designtheorie nachvollziehbar werden. Beispielsweise als Kritik an einer missverständlichen Warenästhetik oder als Kritik am reinen Funktionalismus. Durch die Fallstudien hat der Behinderungsbegriff somit weiter an Komplexität gewonnen. Im gleichen Zuge kann Design – nach den hier vorgeschlagenen Möglichkeitsräumen – dabei behilflich sein, die Komplexität von Behinderungs-(miss-)verständnissen zu reduzieren. Hieraus ergeben sich nicht nur inhaltliche, sondern auch begriffliche Per­ spektivwechsel. Mit Blick auf das Inklusionspotenzial eines weit gefassten, kon­ struktiv und produktiv ausgerichteten, empathisch konzipierten Designverständnisses klingt – zumal in Erweiterung zum feststehenden Begriff „Design for all“ – ein „Design with all“16 naheliegend, plausibel und vielversprechend. Es gilt dabei freilich zu berücksichtigen, dass beide Begriffe jeweils unterschiedlich kontextua­li­ sierbar und nicht zuletzt auch methodisch unterschiedlich konzipiert sein können. Eine reine Begriffssubstitution („with“ statt „for“) ist daher sicherlich ebenso wenig zielführend wie die programmatische Forderung, eine übergreifend partizipative ­Gestaltungsformel zum Nonplusultra zu erheben bzw. nicht partizipative Designkonzepte kategorisch zu diskreditieren. Gleichwohl oder gerade deshalb ist eine fundierte Implementierung von Diversitäts- und Inklusions-orientierten Gestaltungsansätzen in die Designausbildung, -theorie und -praxis empfehlenswert. In den letzten Jahren haben sich in verschiedenen Bereichen der Designforschung Tendenzen und Diskurse formiert, in denen zunehmend auch die Schnittstellen des partizipativen, des inklusiven Designs und des Design for Social Innovation aus­gelotet werden.17 Die vorliegende Arbeit kann als konstruktiver Beitrag zu dieser Diskursebene verstanden werden. Auch – und gerade – vor dem Hintergrund, dass sowohl in der Design- als auch in der einer Behinderungsforschung sich gegenseitig befruchtende Theorie-/Praxis-Stränge durchzogen werden können.

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4.5  Design- und Behinderungsforschung im Theorie- und Praxisfokus Aus dem in dieser Arbeit vollzogenen partizipativen und entwurfsbasierten Forschungsansatz wird somit noch einmal deutlich, wie eine wissenschaftliche Arbeit in der Designforschung (etwa in Form einer Dissertation) konstituiert sein kann. Denn im unmittelbaren Bezug zur schriftlichen Auseinandersetzung steht hier gerade auch die Anfertigung, Ausarbeitung und Analyse von dinghaftem Material18 (z. B. in Form von Prototypen, Mock-ups, visualisierten Szenarien etc.) sowie dessen Gebrauchsevaluierung (z. B. in Form von Nutzertests, Observationen, Befragungen oder partizipativen Szenario-Entwicklungen). Und bei allem steht immer die Alltagsrelevanz im Zentrum des Interesses. Wenngleich auch auf diese Weise nicht gezeigt werden kann, inwiefern ein rein objektiv-analytischer Forschungsansatz gänzlich durch den einerseits beschreibend-interpretativen, andererseits explorativ-objektbasierten Ansatz ersetzt werden kann, so verdeutlicht sich doch auch genau hieran zweierlei: Zum einen agiert Designforschung häufig eben vorrangig sowohl im Theorie- also auch im Praxisfokus. Im gleichen Zuge spielen dabei zum anderen stets auch theorierelevante Erkenntnisse für die Praxis eine Rolle und umgekehrt. Gerade in der und für die Design­ forschung lassen sich Theorie und Praxis folglich kaum radikal trennen, da beide Aspekte stets zusammenspielen bzw. ineinandergreifen. Greift man hier auf das Frayling’sche Modell für Designforschung zurück, also die Unterteilung von Forschung „für“, „über“ und „durch“ Design, so wird dies nochmal besonders deutlich: Eine Forschung „für“ Design vermag in ihrer Erscheinung häufig vorwiegend „theoretisch“ sein – wenngleich dies nicht immer der Fall sein muss und vor allem mit der jeweiligen Denkschule oder den jeweiligen Forschungsthemen etc. zu tun hat. Ihre Resultate und Erkenntnisse können jedoch (und sollten womöglich) durchaus über eine Praxisrelevanz verfügen. Ähnliches kann auch für eine Forschung „über“ Design der Fall sein, wenn auch hierbei es sich am ehesten um externe oder Sichtweisen auf Design und Gestaltungsprozesse handelt, in dem Sinne, dass hier häufig eher beschrieben wird, „wie Design funktioniert“, als, „wie Design funktionieren sollte“ bzw. „anderweitig funktionieren könnte“. Im Falle einer Forschung durch Design liegt die enge Verzahnung von Theorie und Praxis ohnehin auf der Hand, da sowohl durch den Gestaltungsprozess als auch anhand des Gestaltungsresultats konkretes Wissen generiert (und kommuniziert) werden kann. Dass Designforschung für das Thema Behinderung allein deshalb interessant ist, weil Design immer auch darauf ausgerichtet ist, (Dinge, Zustände und Zusammenhänge) zu verändern, offenbart allerdings auch eine gewisse Krux: Denn wenn Dinge (im Designprozess) verändert werden, bedeutet dies auch, dass sich in der Designforschung womöglich ihr Gegenstand selbst verändert. Designforschung

DESIGN- UND BEHINDERUNGSFORSCHUNG IM THEORIE- UND PRAXISFOKUS  227

­unterscheidet sich hier gegenüber vielen anderen (z. B. rein deskriptiven und analysierenden) Disziplinen durch eine tendenziell intervenierende Komponente. Ein Anspruch von Designforschung (zumal als Forschung durch Design) ist ­jedoch auch, für die (Design-)Praxis relevant zu sein. Das bedeutet, anhand konkreter Artefakte, etwa in Form von Prototypen, können Zusammenhänge greifbar und plausibel gemacht sowie kritische Perspektiven erprobt und alternative Szenarien ­erfahrbar gemacht werden, woraus wiederum neue Erkenntnisse und Hypothesen generiert werden können. Wie ließe sich also Designforschung – komplementär zu anderen Forschungsdisziplinen – für einen Umgang mit Behinderung perspektiverweiternd konzipieren? Die Disability Studies beispielsweise sind vorrangig am sozialen, politischen, ökonomischen oder kulturellen Kontext von Behinderung interessiert. Hauptziel ist es dabei, insbesondere die sozialen Prozesse von Behinderung kritisch zu analysieren. Die Analyse zielt weniger darauf ab, Lösungen zur „Korrektur“ von Behinderungen als vielmehr generell Auswege aus exkludierenden sozialen Systemen und Prozessen zu finden (vgl. Gill, 1998). Eine disziplinübergreifende Kombination von Designforschung und Disability Studies könnte zu ebendiesem Vorhaben beitragen. Und zwar indem sie sukzessive ein erweitertes und reflektiertes Verständnis von Behinderung voranzutreiben hilft. Designforschung erscheint geeignet, in vorherrschende Disability (Studies)-Debatten mit einbezogen zu werden, insofern sie nicht nur deskriptiv veranlagt ist, sondern vor allem projektiv und proaktiv, das heißt nicht nur auf eine Beschreibung des Bestehenden, sondern auch auf eine – mitunter intervenierende – Projektion möglicher Zukünfte ausgerichtet ist (vgl. Chow 2009). Dies erfordert gewisse Anforderungen, die der Designforschung ohnehin zugrunde liegen: Allen voran der Umgang mit Ungewissheit, Ambiguität und Komplexität in lebensweltlichen Kontexten.19 Dieser Zusammenhang ist insbesondere deshalb von Bedeutung, da sich im Themenkomplex Behinderung und Gestaltung (gerade auch im Ansatz einer partizipativen Forschung) Schnittstellen zu unterschiedlichen Forschungsfeldern und Wissensgebieten ergeben. Abschließend sollen daher zentrale Aspekte im Hinblick auf Einordnung und Wertung einer solchen transdisziplinären Designforschung diskutiert werden.

4.6  Einordnung und Abgrenzung: Bewertungskriterien für eine transdisziplinäre Designforschung Im Zuge dieser Arbeit wurden unterschiedliche Arten und Werkzeuge der Kommunikation als Dokumente zur Analyse verschiedener Blickweisen auf Behinderung verwendet, um somit verschiedene Wege von behinderungsorientierten Wissensproduktionen und Betrachtungsweisen nachvollziehbar und gangbar zu machen.

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Die Arbeit ist damit – zumindest ansatzweise – auch einer Form von Disabil­ity Studies verpflichtet, die als sozial- und kulturwissenschaftlich reflexive, aber auch handlungsbezogene, kritische und politische Wissenschaft behinderte Menschen unmittelbar und aktiv in die Forschung mit einbezieht (vgl. Flieger/Schönwiese 2007, 8; Mürner/Schönwiese 2006; Flieger 2005). Ziel war es dabei, zum einen methodisches Wissen und somit Perspektiven für Designforschung im Kontext sozialer ­Innovation zu generieren und zum anderen ein Diskursfeld zum gesellschaftlichen Blick auf Behinderung im Sinne der Disability Studies zu befüttern. Da davon ausgegangen wurde, dass für die hierbei mehrfach vollzogenen ­Perspektivwechsel ein Einbezug von anderen als rein akademischen Wissens­ formen in den Forschungsprozess unabdingbar ist, war die Forschungsarbeit von vornherein transdisziplinär angelegt. In sämtlichen Projektphasen sollten daher (potenzielle) Adressaten unmittelbar und aktiv am Designforschungsprozess partizipieren können. Dieser Herangehensweise liegt die Annahme zugrunde,20 dass die hierfür ­relevanten Fragestellungen nur durch die Verknüpfung von akademischen mit ­anderen Wissens- und Erkenntnisformen befriedigend bearbeitet werden können (vgl. Flieger/Schönwiese 2007, 9). Das Projekt ist somit auch vor dem Hintergrund eines fächerübergreifenden Forschungsansatzes zu verstehen, in dem mithilfe der ­Designforschung auch Querverlinkungen und Bedeutungen von Design als Alltagspraxis untersucht werden, die grundsätzlich als sozial konstruiert aufgefasst und im Rahmen der Forschung in Zusammenhang mit gesellschaftskonstituierenden Merkmalen untersucht werden. Als gesellschaftskonstituierend kann Design vor allem dadurch aufgefasst werden, dass eine soziale Marginalisierung von Nutzerund Bevölkerungsgruppen durch eine besonders exklusive, das heißt ausgrenzende ­Gestaltung entweder vorangetrieben oder ihr im Gegenzug durch eine inklusive ­Gestaltung entgegengewirkt wird. Konkrete Methoden der Partizipation wurden in dieser Arbeit daher bewusst vor allem mit Personen erprobt, die nicht explizit über ein so zu nennendes akademisches Wissen im Kontext des Untersuchungsfelds verfügen. Personen, denen im Gegenzug allerdings, aufgrund ihrer individuellen (primären oder sekundären) Behinderungserfahrungen, ein gewisses Erfahrungswissen und Alltagsexpertentum zugesprochen werden kann. Die Arbeit zielt somit darauf ab, Wissens- und Forschungslücken in und ­zwischen den Disziplinen zu schließen. Sowie letztlich auch über diese hinaus. Im Sinne der Forschungsrelevanz und in Bezug auf den Rückfluss des hier generierten Wissens leitet sich dabei folgende Gewichtung dieser Arbeit ab: 1. Designforschung 2. Design Praxis 3. Disability Studies 4. Design Ausbildung  ≥ Nahziel  ≥ Fernziel

EINORDNUNG UND ABGRENZUNG  229

Die Annahmen- und Prioritäten-Konstellation für Ziel und Adressaten dieser Arbeit sieht also wie folgt aus: Die Arbeit liefert in erster Linie einen Beitrag zur Design­ forschung. Darüber hinaus eröffnet sie mögliche Handlungsanweisungen für die Design Praxis. Partiell vermag sie gar einen (zumindest zukünftig denkbaren) Beitrag zu den Disability Studies leisten. Langfristig sollen Erkenntnisse aus dieser und ihr möglicherweise folgenden Arbeiten idealerweise in die Design-Ausbildung und entsprechende Curricula einfließen. Hierbei sei noch einmal darauf hingewiesen, dass dies allem voran aus der Perspektive der Designforschung geschieht. Demnach zielt der Rückfluss des hier generierten Wissens und der hier vollzogenen Schlüsse vorrangig auf das Feld ­Designforschung und soll auch nach deren Maßstäben begutachtet und verstanden werden. Als Grundlage zur Bewertung von Designforschungsprojekten schlagen Jodi Forlizzi et al. vier Kriterien vor: erstens den Forschungsverlauf („Process“), zweitens den Innovationsgrad des/der darin generierten Projekte(s) („Invention“), drittens die Relevanz des Themas und der darin vollzogenen Schlüsse („Relevance“) sowie viertens die Skalierbarkeit der Forschungsergebnisse („Extensibility“) (Forlizzi et al. 2008, 27). Alle vier Kriterien wurden im Verlaufe dieser Arbeit ausführlich dargelegt. Alain Findeli benennt zudem als zentrales Bewertungskriterium für Designforschungsprojekte deren (möglichen) Wissenstransfer in drei designrelevante Bereiche, nämlich in die Designtheorie, die Designpraxis und die Designdidaktik.21 Wie bereits deutlich wurde, kann diese Arbeit einen solchen Transfer in alle drei Bereiche leisten. Auch dies wird im folgenden Kapitel noch einmal zusammengefasst. Dem Verständnis einer Forschung durch Design folgend, ist dabei auch klar, dass sowohl im Forschungsprozess selber als auch im Anwendungsfall der darin gesammelten Ergebnisse eine strikte Trennung von Theorie und Praxis nicht immer klar zu vollziehen ist. Katharina Bredies weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „die Gestaltungspraxis22 nicht als rein empirischer oder exekutiver Teil der Arbeit behandelt“ werden kann bzw. sollte, „sondern als grundlegender Re­flexionsmodus, der gleichberechtigt neben der Textarbeit steht“ (Bredies 2014, 211). Das bedeutet, dass die im Rahmen dieser Forschungsarbeit entwickelten und angewandten theoretischen Konzepte und auch die gestalterischen Umsetzungen in engem Bezug zueinander stehen.23 Das bedeutet somit auch, dass die in dieser ­Arbeit entstandenen textlichen Anteile – im Bredies’schen Sinne – auch als „Über­ setzungshilfe“ für die praktischen Anteile zu verstehen sind. Zugleich sollen und können die textlichen Beschreibungen den Dialog und eine Anschlussfähigkeit auch über die disziplinären Grenzen der Designforschung hinaus ermöglichen. Dies gilt vor allem mit Hinblick auf einen weiter gefassten Inklusionsbegriff, dem ich mich im folgenden Kapitel nähere.

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Horst Rittel fasst den Machtbezug und die damit einhergehende politische Dimension von Design folgendermaßen zusammen: „Was der Designer weiß, glaubt, fürchtet, wünscht, geht in seine Denkweise bei jedem Schritt des Prozesses ein und beeinflusst seinen Gebrauch der epistemischen Freiheit. Er wird sich – natürlich – den Standpunkten verschreiben, die zu seinem Glauben, seinen Überzeugungen, Vorlieben und Wertvorstellungen passen, wenn er nicht von jemand anderem – oder aus eigener Einsicht – überredet oder überzeugt wird. Design ist mit Macht verbunden. Designer planen, Ressourcen zu binden, und beeinflussen dadurch das Leben anderer. Designer sind aktiv in der Anwendung von Macht. Daher ist Design bewusst oder unbewusst politisch“ (Rittel 1971). Ob dies immer geklappt hat, kann nicht zur Gänze geklärt werden, da viele Kontakte und Begegnungen im informellen, spontanen Rahmen stattfanden. Beispiele innerhalb der weltweit vernetzen Designforschungs-Community sind etwa die Kritik an so­ genannten kolonialen Praktiken führender Organe und Institutionen, geäußert im Vorfeld der EAD – ­European Academy of Design Konferenz „Design for Next“ in Rom (2017) oder der DRS – Design Research S ­ ociety Konferenz in Brighton (2016). Letztgenannter Fall war zugleich Ausgangspunkt für die Gründung der Initiative Decolonising Design, deren Mission Statement folgendermaßen lautet: „It is not sufficient for design studies and design research to simply include a greater ‚diversity of perspectives‘ as a means to delay and offset demands for radical systemic change. […] We support and defend measures to include marginalised subjects and our/their concerns in spaces from which we have been ­excluded or ­remain precarious, we also believe there is little point to diversifying institutions, practices, and processes that ultimately sustain colonial imperatives. […] We encourage and seek decentralized dialogues, in which different voices can coexist in their difference rather than in an assimilated, consens­ual nar­rative“ (Ansari et al. 2016). Dass die möglichen Fallstricke in unterschiedlichen Designdiskursen verschiedentlich diskutiert werden, hat – zumal im globalen Kontext – mit designgeschichtlichen und gestaltungsdidaktischen Unterschieden sowohl in der Gestaltungspraxis als auch der Wissensvermittlung (etwa in der Designausbildung) zu tun. Lapidar ausgedrückt: Während man an der einen Stelle erst noch vermitteln muss, dass Design „so viel mehr“ kann, diskutiert man an anderer Stelle bereits die Gefahren und Grenzen des ­Designs als „All-Heilbringer“. Vgl. hierzu die Überlegungen Gui Bonsiepes über Entwurfsansätze in der „Peripherie“ (Bonsiepe 2009a; Bonsiepe 2019). Bonsiepe sieht darin den Begriff der Peripherie nicht allein auf geografische oder städtebauliche Aspekte beschränkt, sondern verhandelt ihn als politischen Begriff, der auf die „perpetuierte(n) Abhängigkeitsverhältnisse“ anspielt, „denen die Peripherie (als dialektischem Gegenstück zum ‚Zentrum‘) unterworfen ist“. Das „Zentrum“ beschreibt Bonsiepe dabei als „Inbegriff der Verkörperung von Herrschaftsstrukturen“ (Bonsiepe 2009, 11). Die Designhistorikerin Claudia Banz macht deutlich, dass der Begriff „Social Design“ in diesem Kontext ­einen „nachhaltigen Mehrwert zu bieten (scheint), aus dem sich zugleich ein ökonomischer Gewinn abschöpfen lässt“ (Banz 2016, 8). Kongruent zum Begriff des „Social Washing“ gilt der Begriff des „Green Washing“, der häufig bei „umwelt-relevanten“ Themen genannt wird (vgl. Gruendl et al. 2014, 136 ff.). So werfen Kritiker beispielswiese vielen Öl-, Auto- und Industriekonzernen vor, sich in der Markenkommunikation und anhand von Werbebotschaften als ökologie-freundlich darzustellen, obwohl die von ihnen produzierten, verwendeten oder vertriebenen Technologien und Produkte bei Weitem nicht so umweltfreundlich sind, wie es die Werbebotschaft suggeriert. Eine hörsehbehinderte Teilnehmerin kommentierte dies im Zuge des Projektverlaufs folgendermaßen: „Wichtig ist, dass ich das Gefühl habe, dass meine Meinung gefragt ist. Meine Erfahrung. Ich habe Einfluss auf die Sache, die ja letztlich mich persönlich betrifft.“ Zur Überprüfung für Allgemeingültigkeiten, Skalierungen und Übertragbarkeiten wurde der Ansatz im Zuge der Erprobung im Unterricht daher auch für weitere (z. B. motorische, kognitive) Behinderungen ­geöffnet. Der aus den philosophischen Untersuchungen Martin Heideggers zum Umgang mit Werkzeugen und Dingen entnommene Begriff der „Zuhandenheit“ wurde von Gui Bonsiepe in die Designtheorie eingeführt, um zu veranschaulichen, wie sehr der Handlungsraum des Nutzers von Produkten durch „Interfaces“ gegliedert wird (vgl. Mareis 2011, 121). „Interface macht aus bloßer Vorhandenheit – in heideggerscher Terminologie – Zuhandenheit“, so Bonsiepe (Bonsiepe 1996, 20). June H. Park verdeutlich dies am Beispiel des „iPhones“ und der mit ihm populär gewordenen Touch-Screen-Technologie. Mithilfe von kleinen Finger-Gesten, etwa durch Veränderung des Abstands zwischen Daumen und Zeigefinger, ­lassen sich beispielsweise Bilder auf dem Bildschirm unmittelbar skalieren. Park hierzu: „Das Versteh­ modell des iPhone-Interface ist im hohen Maße zuhanden, da es auf eine fast lautmalerisch unmittelbare und einfache Weise das Denkmodell in ein Handlungsmodell überführt“ (Park 2010, 99).

ANMERKUNGEN   231

10 Dieser Schluss lässt sich auch aus den Fallstudien II und Erprobung im Unterricht ziehen, deren partizipativer Umfang allerdings (planungsgemäß) geringer ausfiel als bei Fallstudie I. 11 Der Einsatz von zwei Dolmetschern ist gängige Praxis bei Veranstaltungen mit mehreren Teilnehmenden. In der Regel wechseln sich die Dolmetscher meist im Zehn-Minuten-Takt ab. In der Finanz- bzw. ­Personalplanung solcher Projekte sollte dies vorab berücksichtigt werden. 12 Dies legen zumindest die Erfahrungen im Zuge der Fallstudien nahe. Die Aussage kann freilich nicht pauschal getätigt werden und muss nicht zwangsläufig allgemein gelten. 13 Die Cultural Probes Methode wurde von Gaver gemeinsam mit Toni Dunne und Elena Pacenti entwickelt (Gaver/Dunne/Pacenti 1999, 21–29). 14 Im Rahmen von Besuchen Bill Gavers am Design Research Lab wurde die Stichhaltigkeit der Cultural Probes Methode mehrfach diskutiert. Rückwirkend, da inzwischen mehr als zehn Jahre nach Entwicklung der Methode, verstand Gaver die Cultural Probes darin mehr als Inspirationsquelle, denn als valide Datenerhebungsmethode, was ihr Potenzial, Einblicke in das Alltagsleben von Probanden zu erlangen, gleichwohl nicht schmälert. 15 Bewusst wird hierbei der Begriff „Rückschluss“ vermieden, denn das Folgern vom (untersuchten) Bestehenden ins Werdende beinhaltet immer auch einen Faktor X. Dies gilt – wie bereits dargelegt – vor allem bei partizipativen sowie entwurfsbasierten Ansätzen. Es soll daher davon ausgegangen werden, dass die gewonnenen Einblicke und Erkenntnisse insbesondere im empirischen Teil der Arbeit nicht nur „Rückschlüsse“, sondern durchaus auch „Vorausschlüsse“ beinhalten können und sollen. 16 Am 13. Juni 2014 fand an der Royal Danish Academy of Fine Arts, unter der Leitung von Joachim Halse und Kelton Minor, ein gleichnamiges Seminar statt, in dessen Rahmen partizipative Gestaltungs­ansätze insbesondere auf ihre Schnittpunkte zu Design-for-all-Strategien und den Universal Design-Prinzipien hin untersucht und diskutiert wurden: http://www.design-for-alle.dk/news/seminar-­design-with-allparticipatory-methods-for-social-inclusion [Zuletzt abgerufen am 6. Juni 2014]. 17 Beispiele für den Versuch einer solchen Annäherung finden sich etwa bei Pelle Ehns Überlegungen eines Design By All (Ehn 2014). 18 Damit ist – je nach Themenschwerpunkt – auch nicht-physisches Material gemeint (wie z. B. virtuelle Realitäten, Konzepte, Services etc.). 19 Folgt man der Auffassung, dass es bei Design (auch und vor allem) darum geht, Perspektiven in die Zukunft zu generieren, das heißt Welten zu beschreiben oder zu schaffen, die noch nicht existieren (vgl. Beucker 2016, 35 ff.), so wird klar, dass ein Umgang mit Ungewissheiten im Design- ebenso wie im Designforschungsprozess zwangsläufig ist (vgl. Davis 1987). Eine solche Sichtweise kann als elementar für den Umgang mit Designwissen angesehen werden, welches aus oder für die Gestaltungspraxis generiert wird. Das in der (und durch die) Designforschung generierte Wissen ist demnach auch darauf ausgerichtet, die aktuelle und zukünftige Designpraxis zu informieren. Designforschung ist somit nicht (nur) deskriptiv, sondern vor allem projektiv. 20 Gemäß den in Kapitel 7.5 noch näher erläuterten Positionen rund um die „Modus-2-Forschung“. 21 Alain Findeli identifiziert diese Felder folgendermaßen: „Three domains where the conclusions of a design research project would be assessed […] an original and significant contribution to knowledge, […] to design knowledge […] an expected improvement of design practice and consequently of user satisfaction […] some fruitful consequences for design education“ (Findeli et al. 2008, 72). Nach Findeli geht es also erstens um einen originären, signifikanten Beitrag zum Designwissen; zweitens um eine Neuerung und Verfeinerung der Designpraxis – und damit in Verbindung stehend: um eine Bedarfsbefriedigung auf Nutzerseite; sowie drittens um nutzbringende Konsequenzen für die Designausbildung. 22 Gemeint ist hier der praktische Anteil im Zuge einer – auf dem Research-through-Design-Ansatz basierenden – Dissertation. 23 Über die Auswertungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten von dinglichen Anteilen einer Designforschungsarbeit und deren Bezug zu einem (etwa als Dissertationsschrift verfassten) Text, wird innerhalb wie außerhalb der Designforschungs-Community nach wie vor gestritten. Katharina Bredies weist darauf hin, dass die „nicht-textlichen, materiellen Anteile einer Designforschungsarbeit […] einen anderen Interpretationsprozess als ein wissenschaftlich verfasster Text“ benötigen. Der Umgang mit Text könne dabei nicht zuletzt als „ein Zugeständnis an die größere Routine“ gewertet werden, „mit der wissenschaftliche Texte produziert und interpretiert werden können“ (Bredies 2014, 212).

232 DISKUSION 

5  DESIGN UND INKLUSION – POSITIONEN UND OPERATIONSFELDER DER GESTALTUNG Die zentrale Rolle, die Design in Bezug auf Behinderung spielt bzw. spielen kann, wurde nun ausführlich dargelegt und diskutiert. Wenn im Titel dieser Arbeit von Inklusion die Rede ist, so geschieht dies allerdings auch vor dem Hintergrund, dass ein Prinzip Inklusion sich nicht allein auf den Kontext Behinderung reduziert. Vielmehr bezieht es sich – ebenso wie Diversität – auf alle Lebensformen, Gesellschaftsbereiche, kulturellen Unterschiede und dergleichen.1 Ein solcher, weiter gefasster Blick auf Inklusion soll in diesem Kapitel aus einer Perspektive des Designs geöffnet und zur Diskussion gestellt werden. Ziel ist es dabei, die unterschiedlichen Bezugspunkte von Design und Inklusion für künftige Diskurse innerhalb und außerhalb des Designs besser aufschlüsseln zu können. Und im gleichen Zuge die aus diesen Bezugspunkten ableitbaren Operationsfelder für Designerinnen und Designer offenzulegen (Bieling/Joost 2018). Die unterschiedlichen Schwerpunkte und Zugänge, die zwischen einer Gestaltungspraxis bzw. der Designforschung und Inklusion bestehen, werde ich anhand von vier Positionen herausarbeiten: Design von Inklusion: Hier geht es um Teilhabe als Institutionalisierte Teilhabe (z. B. anhand von politischen Rahmenbedingungen). Design für Inklusion: Hier geht es um Teilhabe durch Gestaltungsresultate (also um Design als Empowerment, etwa anhand der Gestaltung von Werkzeugen zur Beteiligung). Design durch Inklusion: Hier geht es um Teilhabe am Gestaltungsprozess (z. B. in Form von Participatory Design oder partizipativer Forschung). Und schließlich Design als Inklusion: Hier geht es um Teilhabe im Design im Sinne einer ins Design eingeschriebenen Erscheinungsform von Teilhabe (wie z. B. in Form von Aktivismus;2 oder aber auch in Bezug auf eine – durch Design – veränderte Sichtbarkeit von Marginalgruppen). Bevor diese vier Positionen ausführlich erläutert werden, wollen wir uns noch einmal kurz vor Augen halten, was unter dem Begriff Inklusion – zumal in Abgrenzung etwa zu Integration – zu verstehen ist.

5.1  Inklusion, nicht Integration Wie beschriebenen, sind die Betrachtungsweisen des Diversitätsgedankens zugleich Ausdruck einer Grundhaltung, Heterogenität generell als Norm zu denken (Schodde 2015, 5 f.). In den vergangenen Jahren ging dies vermehrt mit einer Hinwendung zum Inklusionsgedanken einher. Ähnlich wie der Begriff Diversity, so hat auch der Begriff Inklusion3 zuletzt als gesellschafts- und sozialpolitischer Orientierungsbegriff stark an Popularität gewonnen (Siller 2015, 25). Im Kern umschreibt

INKLUSION, NICHT INTEGRATION  233

68  Inklusion nach Fred Ziebarth: Prozess der Annahme und Bewältigung von menschlicher Vielfalt 4 (­Illustration: Aktion Mensch)

er den Einbezug von Menschen in die Gesellschaft und steht somit komplementär zum Begriff Exklusion.5 Während Letzterer zumeist einheitlich interpretiert wird („Die anderen“ werden von der Gemeinschaft ausgeschlossen!), so wird der Begriff Inklusion häufig mit dem Begriff Integration verwechselt.6 Bei beiden handelt es sich jedoch um unterschiedliche Konzepte, deren folgende Unterscheidung von größerer Bedeutung ist: Der integrative Ansatz zielt darauf ab, „die anderen“ Teil des vorgegebenen Systems werden zu lassen, in dem sie sich den jeweiligen Gegebenheiten anpassen, deren gesellschaftliche Regeln von einer mehrheitsorientierten Gruppe bestimmt werden. Im inklusiven Ansatz sind „die anderen“ hingegen nicht mehr ­vorhanden, da alle Individuen als Teil des Ganzen gesehen werden und ­Gesellschaft demnach gleichberechtigt mitgestaltbar wird.7 Hervorzuheben ist, dass der Aspekt der Gestaltbarkeit sich nicht nur auf inklusive gesellschaftliche Verhältnisse bezieht, sondern – wie der Soziologe Heinz Bude es formuliert – auch die „dingliche Verfassung der Gesellschaft“ betrifft. Aufzüge in Bahnhöfen, Rampen für Gehhilfen, Gebrauchsanleitungen in Blindenschrift, Schnabeltassen in Ausflugslokalen, Kindersitze in Fernbussen, Handprothesen mit Nerven­sensoren, Blutzuckermesser in Laufgurten oder Toiletten für Menschen im Rollstuhl kennzeichnen eine inklusive Gesellschaft der Griffe und Geräte, die die materielle Dimension der Menschenrechte vor Augen führen (Bude 2015, 39).

Bereits hier zeigt sich eine Designkomponente, wenn man in Betracht zieht, dass eines der Grundprinzipien von inklusiver Gesellschaft in der barrierefreien Gestaltung ihrer Zugänge liegt.8 Das Prinzip Barrierefreiheit stellt damit ein Kernstück des Inklusionsansatzes dar.9 Hierin liegt auch die eingangs formulierte Annahme begründet, dass eine ­diversitätssensible, inklusive Gestaltung, welche die Anforderungen von etwaigen

234  DESIGN UND INKLUSION – POSITIONEN UND OPERATIONSFELDER DER GESTALTUNG 

Marginalgruppen, wie z. B. Behinderten, berücksichtigt, auch über einen Mehrwert verfügt, der über den Nutzungsradius dieser Gruppen hinausgeht. Was also kann Design tun, was sind seine Aufgabenbereiche und Möglichkeitsräume, um Inklusion zu erleichtern, zu praktizieren, sie zuzulassen, aufzugreifen und voranzutreiben? Welche Werkzeuge kann es bereitstellen, mit deren Hilfe sich die notwendigen Prozesse – zumindest ansatz- und versuchsweise – (besser) kanalisieren lassen?

5.2 Design von, für, durch und als Inklusion Für eine künftige, diskursive und praxisrelevante Auseinandersetzung mit Design und Inklusion innerhalb und außerhalb der Designforschung schlage ich hierzu vier Positionen in Bezug darauf vor, wie Design und Inklusion in Beziehung zuein­ ander stehen (können) bzw. wie Design mit Blick auf Inklusion operieren kann.10 Die Aufteilung zielt nicht zwangsläufig darauf ab, neue Betätigungsfelder für Design zu lokalisieren oder zu benennen, sondern soll als Versuch aufgefasst werden, die verschiedenen Beziehungsebenen von Design und Inklusion deutlicher hervorzuheben, um somit eine Diskursgrundlage für diesen Themenkomplex zu schaffen, der sowohl im Praxis- und Wissensfeld Design als auch darüber hinaus verstanden und diskutiert werden kann. Die erste Position bezieht sich auf ein Design von Inklusion. Dieses vollzieht sich vor allem in und durch entsprechende Institutionen und Handlungsorgane, die z. B. mit der Konzeption, Ausführung, Beratung oder Kritik entsprechender politischer, gesetzgebender oder infrastruktureller Rahmenbedingungen befasst sind (z. B. Ministerien, Kommunen, Gerichtshöfe, öffentlicher Dienst, aber auch Bürgerinitiativen, NGOs etc.). Der Einfluss der ausführenden Institutionen (z. B. auf Kommunal- oder Ministerialebene) auf das Design von Inklusion bezieht sich dabei etwa auf gesetzgebende, infrastrukturelle Aspekte. Der Einfluss der beratenden Institutionen (z. B. Initiativen) bezieht sich beispielsweise darauf, die politisch-institutionellen Vorgehensweisen zu informieren oder deren Handlungsorganen im lobbyistischen Sinne zu Rate zu stehen. Ein Design von Inklusion und eine iterative „Optimierung“ inklusiver Prozesse haben in dem Sinne also direkt in den Institutionen selbst bzw. in Kollaboration mit ihnen stattzufinden. Designer, die auf diese Weise an der (Um-)Gestaltung der Institutionen beteiligt sind, können beispielsweise als Strategic Designer oder Service Designer dazu beitragen, die dort vollzogenen und zu vollziehenden Prozesse zu verbessern. Oder aber als Kommunikationsdesigner daran arbeiten, die Kommunizierbarkeit dieser Prozesse nach innen und außen gestalterisch transparent, verständlich oder auch effizienter zu machen. Hier könnte Inklusion mithilfe von Designwissen und gestalterischen Erschließungs- und I­ mplementierungsmethoden

DESIGN VON, FÜR, DURCH UND ALS INKLUSION  235

vorangetrieben werden, indem Design eben solchen Institutionen hilft, die mit I­ nklusion beauftragt oder beschäftigt sind. Die zweite Position von Design in Bezug auf Inklusion ist das Feld Design für Inklusion. Hier kann Design als Bereitsteller und Gestalter von Werkzeugen, Gegenständen, Informationen, Objekten, Plattformen, Netzwerken, Systemen, kurz: von Dingen sein, die hilfreich und nützlich für Inklusion z. B. in Bezug auf alltagspraktische Anwendungen sind. Hier geht es also insbesondere um Artefakte, Produkte, Endgeräte, die als „Tools for Empowerment“ dabei behilflich sein können, Menschen oder Communities zu befähigen. Ein Beispiel hierfür ist die in Fallstudie II beschriebene Lorm Hand. Denn ­Design für Inklusion zielt darauf ab, Zugänge zu ermöglichen und zu erleichtern, Barrieren abzubauen, mehr Menschen an sozialen Prozessen zu beteiligen, ihnen Zugriff zu Information und Teilhabe an Entscheidungsprozessen zu erleichtern, sowie Kollaborations- und Vernetzungsmöglichkeiten einzuleiten. Die Möglichkeiten und Entwicklungen der digitalen Technologie versprechen hier eine ganze Reihe an neuartigen Formen der Inklusion. Was nicht heißt, dass Design für Inklusion sich allein auf den Einsatz und die Entwicklung solcher digitalen Technologien beschränkt. Werkzeuge zur Beteiligung greifen auch in „analogen“ Bereichen und vollziehen sich über das komplette Spektrum der Designdisziplinen – sei es im Bereich des Produkt-Designs, des Service Designs, sei es mit einem Fokus auf Community Building, Civic Infrastructures11 oder aber in einer provokativen Ausformung des Designs als Critical Design. Durch die Schaffung und Bereitstellung von Werkzeugen zur Beteiligung kann Design für Inklusion zugleich Treiber des zuvor beschriebenen Designs von Inklusion sein. Und überdies auch die, als nächstes beschriebene, Position des Designs durch Inklusion beflügeln. Dies gilt insbesondere dann, wenn Design hier – wie Ezio Manzini es fordert – nicht nur Dinge bereitstellt, sondern Rahmenbedingungen dafür schafft, dass Menschen, Gruppen und Communities an eigenen Lösungen arbeiten können, die jenseits einer direkten Intervention durch Designerinnen und Designer liegen. Manzini bezeichnet das als „Improving the Space of Possibilities“, als „Creation of an environment [… as] Enabling System“ (Manzini 2017). Eine Art Hilfe zur Selbsthilfe also oder ein Design Infrastructuring, wie Pelle Ehn es beschreibt (vgl. Björgvinsson/Ehn/Hillgren 2010). Solche Systeme der Ermächtigung („Enabling ­Systems“) können z. B. in Form von digitalen oder analogen Plattformen, durch Einbindung von Sozialarbeitern, anhand von hybriden Formen des Wissensaustauschs, persönlichen Netzwerken o. Ä. bestehen.12 Die dritte Position, Design durch Inklusion, bezieht sich auf das Prozessuale, also den Aspekt der Inklusion im Designprozess selbst. Beispiele hierfür sind insbesondere partizipative bzw. Co-Design-Prozesse, wie sie beispielsweise in Fallstudie I beschrieben wurden. Aber auch neuartige Designperspektiven, wie der hier formulierte cross-funktionale Gestaltungsansatz (Kapitel 1.3), können als Merkmal eines solchen Designs durch Inklusion dienen. Das Prinzip einer g ­ leichberechtigten,

236  DESIGN UND INKLUSION – POSITIONEN UND OPERATIONSFELDER DER GESTALTUNG 

nicht ausbeuterischen Teilhabe von Nicht-Designern im Gestaltungsprozess könnte idealtypischerweise als Voraussetzung oder aber als Ausdruck einer Grundhaltung angesehen werden, die Menschen einer Gesellschaft auf Augenhöhe ver­ ortet sieht und auf einem demokratischen Grundverständnis von Gleichheit und Gerechtigkeit beruht.13 Ein Design durch Inklusion kann im Erfolgsfall wiederum jede der drei anderen Positionen informieren und beflügeln: das Design von Inklusion ebenso wie das Design für Inklusion. Sowie schließlich das im Folgenden beschriebene ­Design als Inklusion. Die vierte Position, Design als Inklusion, bezieht sich auf eine nach außen hin repräsentierte Teilhabe im Design im Sinne einer ins Design eingeschriebenen Erscheinungsform von Teilhabe. Dies kann sich z. B. auf mediale Darstellungen oder – im Kontext von Behinderung – auf eine Entstigmatisierung durch ein „nicht-klinisches“ Design beziehen. Durch die Schaffung und Distribution anderer Bildsprachen sowie durch Verwendung anderer Narrative kann Design dazu beitragen, dass Minderheiten ­einerseits sichtbar(er) gemacht werden, ohne sie andererseits dabei zu sehr als das „Besondere“, das „Andere“, das „Abnorme“ herauszustellen. Angesichts der beschriebenen Gestaltungsdilemmata kann dies für Designerinnen und Designer sicherlich eine Gratwanderung bedeuten. Gelingt der Spagat, so kann Design dazu beitragen, Ungehörten eine Stimme zu geben – sie ein Stück weit zu „normalisieren“. Erscheinungsformen von Teilhabe im Design sind in dieser Position auch auf anderen Wegen möglich, etwa in Form von (Design-)Aktivismus oder Protestweisen, durch die mithilfe des Designs Konzepte von Vielfalt repräsentiert und gleichzeitig Interessen etwaiger Minderheiten formuliert, adressiert und kommuniziert werden können.14 Auf diesen unterschiedlichen Ebenen kann Design als Inklusion dazu beitragen, kritische Fragen zu bestehenden (Macht-)Verhältnissen zu stellen, mögliche Alternativen aufzuzeigen und somit Diskurse anzuregen oder zu moderieren. Inklusion vollzieht sich hierbei potenziell auf sämtlichen Ebenen und in sämtlichen Phasen des Designprozesses, einschließlich seines Resultats. Im Vergleich zu den ersten drei beschriebenen, ist diese vierte Position stellenweise vielleicht schwieriger greifbar, zumal die darunter versammelten Beispiele bewusst offen und durchlässig konstituiert sind. Am ehesten kann Design als Inklusion wohl als beschreibungsfunktionales Prinzip verstanden werden, dessen Ausarbeitung – ebenso wie die anderen drei Positionen in den kommenden Jahren – im disziplinübgreifenden Diskurs – weiter geschärft werden sollten. Denn eines sollte bis hierhin klar sein: Die hier herausgearbeitete, prinzipielle Verflechtung von Design und Inklusion verdeutlicht die tendenziell mögliche, inklusive (und ebenso exklusive) Wirksamkeit von Design. Wie beschrieben, umschließt ein Prinzip Inklusion die komplette Diversitätsskala sämtlicher Lebens­ formen und Gesellschaftsbereiche. Aus gestalterischer Perspektive kann es somit

DESIGN VON, FÜR, DURCH UND ALS INKLUSION  237

69  Bezugspunkte von Design und Inklusion (Bieling 2019b)

beispielsweise auf Menschen zielen, die in einem bestimmten Handlungsraum von Techniknutzung nicht berücksichtigt werden und dadurch Gefahr laufen, weiter sozial ausgegrenzt zu werden. Andererseits bietet sich das technologische Potenzial eines Miteinbezugs der Exkludierten, etwa durch gezielten Abbau von Zugangsund Nutzungsbarrieren. Technik und deren Gestaltung selbst sind somit von einer ­Ambiguität gekennzeichnet, die zum einen ein Spannungsfeld von Macht und Abhängigkeit, zum anderen ein Inklusionspotenzial für vermeintlich Unterprivilegierte beinhaltet.15 Unstrittig dürfte sein, dass sich für alle der vier genannten Positionen interessante Perspektiven für die Designforschung ergeben.

5.3  Perspektiven für Designforschung Anhand der oben beschriebenen Aufschlüsselung in vier Positionen, die sich zum Teil gegenseitig beeinflussen und bedingen, ergeben sich verschiedene Perspek­ tiven einer Designforschung im Geflecht Design und Inklusion. Mögliche Perspektiven einer Designforschung in Bezug auf Design von In­ klusion könnten sich beispielsweise auf die Frage beziehen, wie sich politische ­Infrastrukturen und Prozesse mit und für Bürgerinnen und Bürgern in einem „nutzer-­“ und anwendungsorientierten Sinne (um-)gestalten lassen (vgl. Junginger 2016).

238  DESIGN UND INKLUSION – POSITIONEN UND OPERATIONSFELDER DER GESTALTUNG 

Dies schließt die Frage mit ein, welche Rahmenbedingungen im öffentlichen Sektor geschaffen und aufrechterhalten werden müssen, um möglichen Ausgrenzungen ganzer Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken – etwa in Form von neu gestalteten Dienstleistungen. Weitere Fragestellungen ergeben sich in Bezug darauf, wie die Entwürfe technologischer und sozialer Innovationen ­ineinanderwirken können. A ­ dressaten und Partner einer solchen Designforschung können die Institu­ tionen selbst sowie deren Nutzerinnen und Nutzer sein. Untersuchungs­felder können überdies auch die mit ihnen assoziierten Prozesse und Abläufe sein, wie z. B. Gesetze, Regularien, Formulare, aber auch Fragen bezüglich der Kontaktpunkte (Touch Points) zwischen den Institutionen und ihren Nutzern sowie Fragen zur ­prozessbezogenen „User-Experience“. Mögliche Perspektiven einer Designforschung in Bezug auf Design für Inklusion könnten sich zum einen auf konkrete gestalterische Aspekte bestimmter „Geräte“ und „Werkzeuge“ (Tools) zur Beteiligung ergeben – etwa anhand von eigens und iterativ entwickelten Prototypen. Auf einer weiter gefassten Betrachtungsebene könnte sich Designforschung dabei auch mit den Verzwicktheiten von Design beschäftigen, das zum einen in Gestalt eines „empowernden“, befähigenden, emanzipatorischen Design, zum anderen als entmächtigendes, entfähigendes, diskriminierendes (exklusives) Design daherkommen kann. Anknüpfungspunkt hierfür könnten beispielsweise auch die Überlegungen Friedrich von Borries zu einem entwerfenden und unterwerfenden Design sein (vgl. Borries 2016, 20 ff.). Im Kontext von Behinderung ließe sich die Verstrickung von ermächtigendem und entmächtigendem Design vielleicht als „behinderndes“ und „enthinderndes“ oder aber als „zugängliches“ und „unzugängliches“ Design diskutieren. Mögliche Perspektiven einer Designforschung in Bezug auf Design durch Inklusion im Kontext von Behinderung könnten, gerade auch durch den aktiven Miteinbezug von Betroffenen und ausgehend von einem sozialen (oder integrierten) Modell von Behinderung, einen eher kritisch-analytischen Blick auf Behinderung einnehmen. Ferner könnte Designforschung hier im Sinne einer Design Research through Disability Knowledge and Experience verstanden und vollzogen werden, anhand derer sich Behinderung in einem produktiven Sinne anders und somit besser verstehen lassen könnte (Bieling 2010a). „Produktiv“ ist hierbei durchaus doppeldeutig zu verstehen. Einerseits im Sinne von „Produktlösungen“, an deren Generie­ rung Design sich ja so häufig messen lassen muss. Andererseits wäre genau dies das Feld, in dem Designwissen vom Behinderungswissen lernen und profitieren könnte. Ein Feld, in dem ein solches Wissen in andere, nicht zwangsläufig nur Design­ gebiete transferiert werden könnte. (Im Bereich des Interaction Designs beispielsweise durch den Transfer von Eigenschaften blinder Navigation in die Entwicklung von digitalen Navigationsgeräten.) Ein Feld also, das Behinderung als – eben produktiven – Ausgangspunkt für Entwicklungen offenlegen würde und ihr somit streckenweise den defizitär anmutenden Stempel der von Leid geprägten, vorrangig hilfs­bedürftigen Passivität entziehen könnte.

PERSPEKTIVEN FÜR DESIGNFORSCHUNG  239

Mögliche Perspektiven einer Designforschung in Bezug auf Design als In­ klusion könnten sich beispielsweise auf die Frage beziehen, welche Arten von ­Erscheinungsformen von Teilhabe im Design es gibt und wie sich diese in einem konstruktiven, das heißt nutzungs- und gestaltungsrelevanten Sinne klassifizieren ließen. Designforschung könnte sich hier mit verschiedenen Formen des Design Activisms beschäftigen.16 Oder aber auch mit verschiedenen Formen von (nicht nur Gestaltungs- und Bild-)Sprache als Wirklichkeit herstellendem Mittel.17 An allen dieser vier Positionen zeigt sich, dass Inklusion Gegenstand von ­Design ist. Sowie umgekehrt, dass Inklusion auch als Versuch einer Reaktion gewertet werden kann, die Friedrich von Borries als „Reaktion auf fehlgeschlagene, problemerzeugende Ergebnisse von Designprozessen“ beschreibt (Borries 2016, 32). In allen der vier beschriebenen Positionen zeigt sich somit Potenzial und Handlungsspielraum für die Designforschung. Sei es in Form einer Forschung für, über oder durch Design.­­­­

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Peter Siller benennt als zentrale Punkte u. a.: Geschlecht, Ethnizität, Alter, sexuelle Orientierung, Bildung, Glaube, Familienstand, Elternschaft, Arbeitsfeld, Arbeitsort, politische Struktur, Wirtschaftssystem, Individualität, soziale Hierarchie, Werte, politische Überzeugung, Lebensstil, Geschmack oder ­Moden (Siller 2015, 31). Zu aktivistischen Dimensionen im Mensch-Ding-Verhältnis vgl. die begrifflichen Auseinandersetzungen bei Gavin Grindon (Grindon 2019), Thomas Markussen (Markussen 2019) und Anna Feigenbaum (Feigenbaum 2018). Als eine Grundvoraussetzung für die Möglichkeit zur Inklusion konstatiert der Politologe Peter Siller ein demokratisch orientiertes Gesellschaftsmodell: „Eine Gesellschaft nach Maßgabe der Teilhabegerechtigkeit für alle zu gestalten, Diversität und Pluralität als Fortschritt zu betrachten, kurz: Inklusion als Menschenrecht anzuerkennen erfordert eine umfassende Gerechtigkeitsdebatte und die Frage, wie Strukturen und Institutionen beschaffen sein müssen, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden“ (Siller 2015, 13). Die Bildunterschrift der darüber befindlichen Illustration ist in verkürzter Form folgendem Zitat Fred Ziebarths (Pädagogischer Koordinator der Fläming-Grundschule Berlin) entnommen, dessen ehemaliger Schüler Raul Krauthausen es in seinem Buch verwendet: „Inklusion ist ein Prozess der Bewältigung und Annahme von menschlicher Vielfalt“ (Krauthausen 2014). In seiner Abhandlung über die Teilhabegesellschaft zeigt Siller auf, wie Begriffe wie „Teilhabe“, „Zugang“ oder „Durchlässigkeit“ sich als „positive Gegenbegriffe zur Exklusionsdiagnose […] fest im politischen Begriffsarsenal“ etabliert haben. „All diese Begriffe haben ihre Stoßrichtung darin, die sozialen Blockaden für bestimmte Gruppen zu beseitigen und so die Abschottung privilegierter Systeme und Milieus zu durchbrechen“ (ebd., 26). Andreas Hinz beschreibt Exklusion, Integration und Inklusion als drei grundlegende Konzepte mensch­ lichen Zusammenlebens, wonach das Konzept der Inklusion sich als das konsequenteste im Hinblick auf ein möglichst chancengleiches und konstruktives menschliches Zusammenleben entpuppt (Hinz 2003, 48). Alfred Sander klassifiziert Inklusion dementsprechend als ein optimiertes und erweitertes Verständnis von Integration (Sander 2002, 143 ff.). Die UN-Konvention von 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderung, in der neben Deutschland 170 weitere Länder Inklusion als ein Menschenrecht anerkennen und die als Grundstein eines Paradigmenwechsels hin zu einem sozialen Modell von Behinderung gilt, wird als mit auschlaggebend angesehen, den Begriff „Integration“ zugunsten eines ­allgemeinen Inklusionsverständnisses aufzugeben (Siller et al. 2015, 19). Nach dieser Lesart wäre es – anders als bei der Integration – im Übrigen falsch, wenn man davon spräche, jemanden „inkludieren“ zu können, denn dies würde eine Hierarchie implizieren (Bieling 2014).

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Die Designkomponente wird am Beispiel Barrierefreiheit offensichtlich, versteht man darunter im weitesten Sinne eine Gestaltung von Gegenständen, Prozessen, Medien und Handlungsabläufen, die von allen Menschen unabhängig von ihren Voraussetzungen, wie z. B. eventuell vorhandenen Behinderungen, problemlos in Anspruch genommen werden können. Eine allgemeine Bewusstseinsschärfung für barrierefreie Gestaltung steht auch in Zusammenhang mit der globalen demografischen Entwicklung und der damit verbundenen Gewissheit, dass eine zunehmend alternde Gesamtbevölkerung auch mehr und mehr mit motorischen, perzeptiven oder kognitiven Einschränkungen konfrontiert wird. Der Barrieren-Begriff findet auch bei Peter Siller Verwendung, wenn er betont, dass Inklusion „eine Strategie […] verlangt, [durch die] Barrieren beseitigt werden und die Menschen auf Grundlage einer demokratischen Öffentlichkeit und der wechselseitigen Anerkennung ihrer Potenziale und Fähigkeiten entfalten können“ (Siller 2015, 13). Peter Siller stellt in diesem Zusammenhang zwei unterschiedliche Denkparadigmen fest, die dem Verständnis von „Inklusion“ und „Diversity“ innewohnen: „Während der Inklusionsansatz die Barrierefreiheit betont, bezieht sich der Diversity-Ansatz oftmals (wenn auch nicht zwangsläufig) entweder identitätspolitisch auf den kulturellen Unterschied oder auf das ‚Kapital der unterschiedlichen Potentiale‘. In dieser Lesart sind die beiden Zugänge an einem entscheidenden Punkt diametral entgegengesetzt. Im einen Fall geht es um die Beseitigung von sozialen Hürden aus einer Perspektive der Gleichheit, im anderen Fall geht es um eine Begründung aus dem Besonderen, sei es identitätspolitisch oder aus der Verwertungsperspektive der Potentiale“ (Siller 2015, 35). Die Unterteilung ist in ihrer Formulierung bewusst angelehnt an Ezio Manzinis und Victor Margolins design-politischer Klassifizierung „Design of Democracy – Design for Democracy – Design as Democracy – Design in Democracy“, ausgehend von Victor Margolins Überlegungen zu möglichen Bezugspunkten von Design und Demokratie (Margolin 2012) und Ezio Manzinis daran anknüpfender und von beiden schließlich überarbeiteter Aufschlüsselung (Manzini 2017). Design als Civic Infrastructuring beschäftigt sich mit Fragen bezüglich urbaner Communities und deren sozialen Praktiken sowie damit in Verbindung stehenden Möglichkeiten und Herausforderungen der Beteiligung, bürgerschaftlichen Engagements, des Community Buildings sowie Fragen zur sozialen Nachhaltigkeit (vgl. Bergmann et al. 2013; Unteidig et al. 2013). Manzini nennt noch einen weiteren Punkt, der hierbei von Bedeutung sein könnte, nämlich den Aspekt des „Skill Empowerments“. Der Versuch, Menschen in ihren individuellen oder kollaborativen Projekten zu unterstützen, beinhalte dabei auch, ihnen Fertigkeiten im Design zu vermitteln (Manzini 2017). Aber auch direkte oder indirekte Arten der Beteiligung wie z. B. anhand von Bürgerbeteiligungsplattformen sind hier von Bedeutung. Der in sich komplexe Begriff der Gerechtigkeit soll an dieser Stelle nicht überstrapaziert werden und dient insbesondere dazu, einen Bezug zu den Überlegungen des Techniksoziologen Werner Rammert herzustellen, der Gerechtigkeit und Gleichheit als zentrale Werte der sozialen Innovation versteht. Der Philosoph Richard David Precht weist allerdings auch auf die Schwierigkeit des Begriffs hin, die darauf zurückzuführen sei, dass es keine absolute, sondern nur eine gefühlte Gerechtigkeit gebe. Mit Blick auf seine aktuelle gesellschaftliche Verortung sei vor allem die Unterscheidung zwischen dem liberalen ­Verständnis von Gerechtigkeit („Gerecht ist, wenn jeder die gleichen Chancen erhält.“) und dem sozialistischen Verständnis von Gerechtigkeit („Gerecht ist, wenn jeder das Gleiche bekommt.“) hervorzuheben. Alle Gerechtigkeitsvorstellungen unserer Gesellschaft stellen laut Precht immer den Versuch dar, zwischen diesen beiden Polen zu verhandeln. Das Hauptproblem bestehe dabei darin, dass die Kriterien, was gerecht und was ungerecht ist, letztlich bei jedem Individuum und jeder Gruppe anders verortet liegen (Precht 2017). Zu den Herausforderungen aktivistischer Gestaltungsstrategien vgl. Chantal Mouffe (Mouffe 2019) und Wolfgang Ullrich (Ullrich/Bieling 2016). Der Begriff „unterprivilegiert“ bezieht sich in dem Sinne auf Menschen und Gruppen, die sich z. B. aufgrund ihrer sozialen Position, ihrer ökonomischen Ausgangslage oder aufgrund kultureller Ressentiments einer formalen Chancenungleichheit ausgesetzt sehen, die nicht selten mit Benachteiligungs-, Diskriminierungs- und Unterdrückungserfahrungen einhergehen. Ihre Situation wird häufig dadurch verstärkt, dass sie aufgrund fehlender Information, mangelhafter Zugänge oder wenig wirkmächtiger Netzwerke nicht über genügend Möglichkeiten verfügen, sich aus dieser Lage zu emanzipieren. Die Forderung nach einer „verstärkte[n] direkten[n] Partizipation von marginalisierten Gruppen (am Wissenschaftssystem)“ basiert auf der Vorstellung, dass z. B. „Fragen der gesellschaftlichen und sozialen Benachteiligung wie sie u. a. in der feministischen Forschung, den Queer Studies oder den Postcolonial Studies untersucht werden, am besten auch von unmittelbar betroffenen Forschenden untersucht werden können, da diese eine entsprechende Problemperspektive bereits mitbringen“ (Döring/Bortz 2016,

ANMERKUNGEN 241

71). Ähnliche Beweggründe finden sich im Ansatz der „standpoint theory“ (epistemologische Standpunkt-Theorie), nach der sich Forschende um die „Einnahme einer bestimmten werthaltigen Perspektive, etwa Parteilichkeit für Benachteiligte“ zu bemühen haben (ebd.). 16 Mögliche Ansätze hierfür werden bereits im Rahmen des International Research Network on Design (and) Activism diskutiert, etwa anhand von designhistorischen Betrachtungen unterschiedlicher Protestformen und Erscheinungsbilder des Disability Rights Movement (www.design-activism.org). 17 So haben es sich die Initiatoren und Betreiber der Webplattform www.leidmedien.de zur Aufgabe gemacht, Sprache und Berichterstattung rund um behinderungsrelevante Themen beratend und diskursiv, wenn auch nicht belehrend, zu begleiten. Ein Angebot, dass gerade auch in Kreisen von Journalistinnen, Autoren und Publikationsmedien Zuspruch findet. Denn in zahlreichen medialen Inszenierungen erscheinen Menschen mit Behinderungen häufig als bemitleidenswerte Freaks, an den Rollstuhl „gefesselte“ „Opfer“ oder bestenfalls als „Helden“, die „trotz“ ihrer Behinderung ein ganz „normales“ Leben führen. Leidmedien.de thematisiert in seinen Beiträgen und Workshops solcherlei terminologischen Schwierigkeiten in Bezug auf Behinderung. Dem geht die Annahme voraus, dass sich durch die Auseinandersetzung und Konfrontation mit Sprache als behinderungskonstituierendes Moment auch gesellschaftliche Zerrbilder von Behinderung verrücken lassen.

242  DESIGN UND INKLUSION – POSITIONEN UND OPERATIONSFELDER DER GESTALTUNG 

6 FAZIT Wie gezeigt wurde, ist Behinderung stets auch eine Frage der Perspektive. Wer wird durch wen oder was behindert? Welche Deutungsweisen und Deutungshoheiten ­ergeben sich daraus? Welche Arten von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen können dabei entstehen?1 Solche Zusammenhänge können unterschiedlich erschlossen und aufgezeigt werden. In verschiedenen Disziplinen wird dies bislang auf bestimmte Arten und Weisen getan. Abhängig von den jeweiligen Denkschulen und Forschungskontexten sowie überhaupt in unterschiedlichen kulturellen, historischen oder geografischen Zusammenhängen wird Behinderung dabei unterschiedlich aufgefasst und mitunter sehr eindimensional interpretiert, woran sich stets auch ein entsprechender Umgang einer Gesellschaft mit Behinderung (oder „Andersartigkeit“ und „Normabweichung“) ablesen lässt. Es konnte gezeigt werden, dass Herausforderungen im Kontext von Behinderung immer auch eng an Fragen der Gestaltung gekoppelt sind. Design ist grundlegend an der Konstitution von Kategorien beteiligt, die der soziokulturellen Differenzierung dienen. Behinderung ist nicht als individuelle Eigenschaft anzusehen, sondern eben genau eine dieser Kategorien. Und Behinderung wird – stets in ­Abhängigkeit zur Kategorie „Normalität“ – durch Design maßgeblich auch in der Alltagswelt hergestellt. Design und Behinderung sind demnach engmaschig mit­ einander verknüpft. Und die Frage nach Behinderung – und somit auch die Frage nach Normalität – ist letztlich immer auch eine Gestaltungsfrage. Design gestaltet Behinderung und ist vordringlich an den medial kursierenden Bildern von Behinderung beteiligt. Durch solche Verbreitungen werden immer auch soziale Rollen­ bilder reproduziert, die von der „breiten Öffentlichkeit“ immer wieder aufs Neue perzipiert werden. Design hat also einen unmittelbaren Einfluss auf das, was von vielen Menschen als „normal“ oder „normabweichend“ wahrgenommen wird. In der Arbeit wurde dies mit einer „normativen Kraft“ beschrieben, die von Design ausgeht, womit ein bestimmter Einfluss auf (soziales) Verhalten gemeint ist, welches (bewusst oder unbewusst) orientiert ist an einem bestimmten, ins Design „eingeschriebenen“ oder durch das Design kommunizierten Rollen-, Werte-, Nutzungs- oder Handlungsverständnis. Behinderungsbilder sind dadurch unweigerlich politisch, spiegeln sie doch ganz bestimmte Norm-Stereotype einer Gesellschaft wider. Die Frage, welche ­solcher Normvorstellungen in einer Gesellschaft hingenommen, also toleriert werden, ist eine gesellschaftspolitische, die schließlich durch eine Auseinandersetzung mit und durch Design erforscht werden kann und muss. Denn die häufig stereotypen Normalitätsbilder, die durch die Bewerbung, Präsenz und Gestaltung von Produktwelten transportiert werden, resultieren oft aus einem unreflektierten Vor­ gehen von Designerinnen und Designern.

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Gerade durch eine unzureichende Teilhabe von „Betroffenen“ an Forschungsund Gestaltungsprozessen läuft man Gefahr, tief verwurzelte Klischeebilder zu bestätigen und zu multiplizieren. Dass solche Bilder durch eine bewusste Gestaltung stattdessen aber auch negiert oder umformuliert werden können, obliegt der wissentlichen und willentlichen Entscheidungskraft von Designerinnen und Designern. Der Designtheoretiker Michael Erlhoff formuliert dies so: „Wir müssen die Normalität als gestaltet begreifen, denn dann verstehen wir, dass wir damit auch etwas verändern können“ (Erlhoff 2013).2 Die Komponente des Designs wurde jedoch im Behinderungsdiskurs bislang kaum oder nur unzureichend berücksichtigt. Dies trifft vor allem auf „designfremde“ Disziplinen zu. Doch auch innerhalb von designrelevanten Diskursen wird das Thema Behinderung bislang selten in seiner Komplexität thematisiert. Bestenfalls wird Behinderung auf bestimmte Aspekte verkürzt, was vielfach falsche Assoziationen weckt, etwa wenn Behinderung auf die Positionen der „Heilbedürftigkeit“ oder einer notwendigen „Schadensregulierung“ reduziert wird. Welche Schwierigkeiten mit derart eindimensionalen Betrachtungsweisen verbunden sind, konnte ausführlich untersucht und beschrieben werden. Dabei wurde auch deutlich, dass die Rolle von Gestaltung im Beziehungsgeflecht der Behinderungskategorien im Guten wie im Schlechten besteht. Denn Design kann einem Schutz vor Exklusion im Gebrauch bestimmter designter Objekte, Prozesse und Umgebungen dienen. Andererseits steht der positiv assoziierten Lesart von Gestaltung als „Unterstützung“ immer auch die negativ assoziierte Lesart von Gestaltung als (gewollte oder ungewollte) „Untermauerung von Machtgefügen“ entgegen. Beide Arten – des positiven und negativen Einflusses von Design – konnten in dieser Arbeit aufgedeckt werden. Ebenso zeigt die Arbeit – gerade anhand von praktischen Anwendungen – Gestaltungspotenzial auf, wie mithilfe des Designs (in seiner Gesamtheit)3 und der Designforschung Mechanismen der Ausgrenzung entgegengewirkt werden kann. Wie dargelegt wurde, liegen einer Designforschung im Kontext des Themenfeldes Behinderung vorrangig zwei Annäherungskomponenten zugrunde, die sich letztlich auch als methodisches Grundmuster beschreiben lassen. Die erste Komponente ist ausgerichtet und interessiert an einer lebensweltlichen Untersuchung und Beschreibung des Untersuchungskontextes. Hier nimmt Designforschung einen eher objektiv-passiven Blickwinkel ein, indem sie fragt, wie es sich mit den Dingen verhält, und dabei vorwiegend deskriptiv agiert. Überdies verfügt Design aber stets auch über das Interesse und die Kompetenz, „projektiv“ zu agieren. Also nicht nur zu fragen, was ist, sondern: was wäre, wenn? Somit kann als zweite Komponente die intervenierende Perspektive genannt werden: Bedingt durch die Generierung echter, faktischer Protoypen sowie deren Implementierung in reale Alltagsumgebungen, ergibt sich ein vorrangig subjektiv-aktiver Blickwinkel durch und für die Designforschung. Ziel dieser Arbeit war es überdies auch, herauszufinden, inwiefern diese Verbindungselemente für die Designforschung und mithilfe der Designforschung

244 FAZIT 

­ onstruktiv zugänglich gemacht, das heißt alltagsrelevant erschlossen werden könk nen. Die Designforschung bietet dazu ein konkretes Methodenspektrum an, welches im Rahmen der Fallstudien anhand von partizipativen und entwurfsbasierten Forschungsansätzen erprobt wurde. Das Hauptmerkmal des partizipativen Ansatzes besteht dabei insbesondere im aktiven Miteinbezug von „Betroffenen“ und deren unmittelbaren Teilhabe an Forschung und Gestaltung. Im Zuge der Arbeit wurde aufgezeigt, dass der Begriff „Teilhabe orientiert“ im Hinblick auf Forschung und Gestaltung noch einmal in zwei Unterkategorien aufzugliedern ist: Zum einen geht es um die Teilhabe der Nutzerinnen und Nutzer am Forschungsprozess4 selbst und zum anderen um die verbesserten Möglichkeiten zur Teilhabe mithilfe des Forschungs- bzw. Gestaltungs­resultats. Letzteres wird z. B. deutlich am Beispiel des Lorm Gloves, der im Sinne einer Gestaltung neuer gesellschaftlicher Kommunikationsformen dazu beitragen kann, Barrieren abzubauen. Zu unterscheiden sind hier also das partizipative Moment der Teilhabe am Forschungs- bzw. Gestaltungsprozess sowie das inklusive Moment der Teilhabe anhand des Forschungs- bzw. Gestaltungsresultats. In beiden Fällen konnte gezeigt werden, inwiefern Behinderungskontexte im Allgemeinen, bestimmte „Behinderungen“ im Konkreten sowie letztlich auch behinderte Menschen selbst mitunter „Vorreiterrollen“ für bestimmte Anwendungskontexte mit dem Potenzial einer größeren Nutzerklientel und einer weiter gefassten gesellschaftlichen Relevanz übernehmen können. Als Konsequenz kann die Empfehlung ausgesprochen werden, in innovationsorientierten Forschungs-, Entwicklungs- oder Gestaltungsprozessen, Behinderungsperspektiven (sowie generell auch andere Aspekte von Vielfalt) mit zu berücksichtigen. Die Beweggründe für eine partizipative und inklusive Forschung – zumal im Behinderungskontext – sind dabei weitgehend deckungsgleich mit denen einer partizipativen und inklusiven Gestaltung. Diese Arbeit legt somit den Grundstein für eine – gerade in der Gestaltungsausbildung früh zu vermittelnde – inklusive, wenn nicht gar emanzipatorische Designforschung.5 In einer solchen kann – aufgrund der streckenweisen Unzulänglichkeiten des partizipativen Ansatzes – ein entwurfsbasierter Forschungsansatz sowohl zur Überprüfung konkreter Hypothesen als auch in Ergänzung zu bestehenden Fragestellungen herangezogen werden. Dem entwurfsbasierten Ansatz liegt ein Verständnis von Design als erkenntnisfördernde Maßnahme zugrunde, die im Kontext von Behinderung freilich nicht autonom vollzogen werden kann, sondern ebenfalls teilhabeorientiert, das heißt in Ergänzung zu oder von partizipativen Prozessen geschehen muss. In der Arbeit konnte gezeigt werden, inwiefern sowohl partizipative als auch entwurfsbasierte Designforschungsansätze zielführend in Bezug auf die Zusammenhänge von Gestaltung und Behinderung sein können. Es zeigte sich dabei ­einerseits, dass beide Ansätze einander komplementär sein können. Andererseits zeigte sich, dass ohnehin stets Teilaspekte des einen im anderen enthalten sind.

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Für zukünftige Design- und Designforschungsprojekte im Kontextfeld Behinderung kann daher nahegelegt werden, entwurfsbasierten Forschungskomponenten nach Möglichkeit immer auch eine partizipative Dimension zu verleihen bzw. umgekehrt partizipative Forschungsansätze – sofern möglich – um die Dimension des (forschenden) Entwurfs zu erweitern. Letzteres gilt insbesondere vor dem Hintergrund der hier ebenfalls dargelegten „Grenzen der Partizipation“. Denn inwiefern eine hundertprozentige Teilhabe vonseiten der „Betroffenen“ am Forschungs- und Gestaltungsprozess grundsätzlich umsetzbar und inwiefern dies mit Hinblick auf das Forschungs- und Gestaltungsresultat tatsächlich sinnvoll ist, ist schwer zu prognostizieren und hängt zudem von unterschiedlichen Faktoren ab (z. B. Projektart, Projektlänge, Art und Grad der Behinderung, Teamgröße etc.). Im Verlaufe der verschiedenen Fallstudien hatte sich hierfür ein iterativer Ansatz als hilfreich erwiesen, bei dem die Akteure an zentralen Knotenpunkten des Projekts zusammentrafen, um gemeinsam den jeweiligen Stand sowie die daran geknüpften Perspektiven eruieren zu können. Weiterhin konnte gezeigt werden, welch perspektiv-erweiternden Beiträge zum Behinderungsdiskurs sich aus einem cross-funktionalen Gestaltungsansatz ergeben können. Aus einem Ansatz also, in dem Behinderung nicht als reiner Adressat, sondern vielmehr als Ausgangspunkt des Gestaltungsprozesses fungiert, dessen weiterer Verlauf in kontextungebundene, also nicht zwangsläufig behinderungs­ bezogene Anwendungsszenarien münden kann. Die Neuartigkeit eines solchen ­Ansatzes besteht darin, Behinderungen nicht im Sinne einer Normabweichung oder eines Defizits zu verstehen, sondern vielmehr als „Normalzustand“ zu betrachten. Dadurch ließen sich auch andere Anwendungsfelder einfacher erschließen, und der Aspekt „Behinderung“ stünde nicht mehr explizit im Vordergrund. Behinderung (sowie weiter gefasst: Diversity) wäre somit ganz klar auch ein Innovationsthema und nicht nur ein symbolisches Handlungsventil der politischen Korrektheit. Der Habitus, Vielfalt als Voraussetzung für Innovation anzusehen, bietet somit Potenzial auf mehreren Ebenen: neben einer humanistischen Grundhaltung, einem forschenden Erkenntnis- oder einem gestalterischem Entwicklungsinteresse stünde auch der unternehmerische Antrieb. Die Einsicht zur Business Relevanz von Behinderung und Diversity könnte demnach auch Unternehmen dazu befördern, das Thema stärker zu adressieren. Eine „stärkere Adressierung“ sollte in diesem Zusammenhang jedoch nicht gleichbedeutend mit einer „expliziten Adressierung“ sein in dem Sinne, dass eben speziell für Behinderte gestaltet würde. Denn dadurch bliebe Behinderung ja weiterhin als Exotikum signifiziert. Behinderung wäre also weiterhin als „das andere“ eingestuft, würde also weiterhin als „andersartig“ und „normabweichend“ einer gesellschaftlichen Klassifizierung unterliegen. Ein möglicher Ansatz, um einer solchen VerAnderung6 ­entgegenzuwirken, könnte in zwei der hier erprobten Herangehensweisen bestehen: Zum einen in der forschenden und gestaltenden Arbeit mit und von, anstatt lediglich für Behinderte. Zum anderen durch ein Implizieren von Behinderung anhand des

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­cross-­funktionalen Ansatzes. Damit ist gemeint, dass Behinderung nicht mehr als Sonderfall gelten würde, sondern Gestaltung grundlegend auf eine diverse, also vielfältige Nutzer- und Nutzungsbandbreite ausgerichtet wäre, die auch im Zuge ihrer Forschung und Entwicklung von eben einer solchen, diversen Bandbreite profitieren könnte. Hieraus könnten schließlich Win-win-Situationen entstehen, in dem Sinne, dass Inklusion vorangetrieben und somit nicht nur Unternehmen, sondern auch Betroffene profitieren. Ein solcher cross-funktionaler Gestaltungsansatz ist somit von besonderer Relevanz für designtheoretische Konzepte, ebenso wie für Herangehensweisen der Designpraxis, und sollte früh in die didaktische Vermittlung von Gestaltungs­ wissen implementiert werden. Eine praxisbezogene, didaktische Vermittlung – etwa in Form von Studienprojekten im gestaltungshochschulischen Rahmen – vermag dann besonders nachhaltig zu wirken, wenn die darin entwickelten Interventionen ergebnisoffen, aber dennoch von hoher Alltagsrelevanz sind. Denn dadurch können einerseits bestehende Normalitätskonstrukte sowie mögliche Alternativen kritisch, spekulativ, provokativ beleuchtet und hinterfragt werden. Und andererseits lassen sich – im Sinne einer angewandten Forschung – konkrete, nutzungs- und nutzerorientierte Anwendungen entwickeln. Der Designforschungsprozess beinhaltet dabei unterschiedliche Ebenen: ­Erstens die Zustandsbeschreibung und Ergründung eines (sozialen, kulturellen, politischen) Phänomens, nämlich der Konstitution und des gesellschaftlichen Umgangs mit Behinderung. Zweitens die Auslotung von gestalterischem Interventionspotenzial. Und drittens die Reflexion darüber, die dann wiederum als Grundlage für die Bildung von Alternativszenarien zu den im ersten Schritt thematisierten Phänomenen dienen kann. Dies impliziert auch einen verantwortungsvollen, kritischen Umgang mit Stereotypen und vermeintlichen Zielgruppen. Denn wie eingangs dargelegt wurde, sind Behinderung und ein Umgang mit ihr geknüpft an tradierte und elastische Auffassungen, Verhaltensweisen, Idealvorstellungen und Erscheinungsbilder. Die damit verbundenen sozialen Prozesse werden potenziell oder faktisch von Design (etwa durch Medien, Werbung, Produkte) tangiert und dabei gleichermaßen reflektiert und geprägt. Design agiert folglich immer auch in kulturellen Kontexten. Eine Gestaltung anhand von stereotypen Zielgruppen bringt dadurch gewisse Erschwernisse mit sich. Designforschung kann und sollte als eine Forschung verstanden und vollzogen werden, die sich mit der Vermeidung von Klischees auseinandersetzt. Eine Forschung, die in Bezug auf Gestaltung den Menschen weitgehend unabhängig von Normalitätskonstrukten betrachtet und damit Spielraum bietet, um Verschiedenheit und Anderssein zuzulassen. Eine gestalterische Intervention kann somit folglich auch als politisch verstanden und untersucht werden. Gleichwohl können die dabei generierten Tools und die in ihnen manifestierten z. B. technischen, funktionalen oder ästhetischen Dimensionen auch separat zum Gegenstand der Untersuchung werden. Es e­ rgibt

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sich folglich eine Kongruenz der gestalterischen, der symbolischen, der politischen sowie der realen (im Sinne von: technischen) Funktionen solcher Tools. Die gestalterische (und eben auch: soziale, kulturelle, politische) Intervention sowie die darauf bezogene und daraus abgeleitete Reflexion sind somit als gleichwertige, gleich­berechtigte und einander stimulierende Erscheinungsformen und Ziele einer solchen Designforschung zu verstehen. Tom Shakespeares Frage: „Can design help us rethink disability, in terms of environments, services and technologies which empower and include, rather than disable and exclude?“ (Shakespeare 2010), kann also mit Ja beantwortet werden. Die Frage, welche Methoden sich besonders dafür anbieten, um die Zusammenhänge von Gestaltung und Behinderung aus designforschender Perspektive plausibel7 zu ergründen, ist hierbei auch an die Anschlussfrage geknüpft, inwiefern sich aus dem vorgeschlagenen Methodenspektrum Anknüpfungspunkte zur „Veränderung“ (insbesondere im Sinne eines „Social Designs“) ergeben. Aus der in dieser Arbeit formulierten Neuausrichtung überholter oder zumindest fragwürdiger Betrachtungsweisen auf Behinderung ergibt sich dabei konkretes Handlungspotenzial, welches durch Designforschung generiert werden kann. Dieses Handlungs­ potenzial erstreckt sich über drei Anwendungsfelder. Zum einen lassen sich damit Designprozesse informieren, das heißt, es können innovationsorientierte Prozesse in Gang gesetzt oder in Bewegung gehalten werden. Diese können, müssen sich jedoch nicht zwangsläufig auf behinderungsrelevante Kontexte beschränken. Ferner lassen sich Anknüpfungsstellen für Disziplinen jenseits der Design­ forschung erschließen. Besonders starke Anknüpfungspunkte – wie in Kapitel 7.10 näher erläutert – bieten hierfür die akademischen Felder der Disability Studies und der Diversity Studies.8 Eine disziplinübergreifende Kombination von Designforschung und Disability Studies steht bis dato noch aus, könnte aber mit dazu beitragen, sukzessive ein erweitertes und reflektiertes Verständnis von Behinderung voranzutreiben. Designforschung erscheint geeignet, in vorherrschende Disability (Studies) Debatten mit einbezogen zu werden, insofern sie nicht nur deskriptiv veranlagt ist, sondern vor allem projektiv und proaktiv, das heißt nicht nur auf eine ­Beschreibung des Bestehenden, sondern auch auf eine – mitunter intervenierende – Projektion möglicher Zukünfte ausgerichtet ist. Und schließlich lassen sich anhand der Designforschungsperspektive grundlegende Potenziale zur Neuverhandlung gesellschaftlicher Rollen- und Machtverhältnisse lokalisieren und diskutieren. Ein solcher Diskurs kann und muss letztlich transdisziplinär geführt werden. Eine zunehmend emanzipierte Designforschung wird ihn jedoch selbstbewusst und vermittelnd zu moderieren vermögen. An diesen Operationsfeldern wird das Potenzial ersichtlich, Design als zugleich experimentelle und angewandte, alltagsrelevante Forschung zu verstehen und zu praktizieren. Inwiefern Designforschung dabei womöglich auch als angewandte Politik9 zu verstehen sein könnte, ist eine spannende Frage, mit der sich

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die Designforschungs-Community zukünftig intensiver beschäftigen kann. Diese Arbeit und die darin beschriebenen Fallstudien dienen zuvorderst einer Standortbestimmung, um zu klären, welche Position dem Design und seiner Forschung im sozialen Gefüge zukommen kann. Ein Ansatz ist es, durch Designprozesse benachteiligte Menschen oder marginalisierte Gruppen stärker in Gestaltungsprozesse zu integrieren (vgl. Margolin/Margolin 2002). Gestaltung meint in diesem Sinne auch die Gestaltung von Entscheidungen, von Situationen und von Prozessen der Teilhabe. Design übernimmt hier allerdings sicherlich eine andere Rolle als etwa Politik oder Sozialarbeit, wenngleich die Schnittstellen auf der Hand liegen: Durch das gemeinsame Entwerfen können abstrakte Konzepte begreifbar und wirkungsvoll werden. Designerinnen und Designer können dabei die Rolle übernehmen, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um anderen zum Ausdruck zu verhelfen. Diese Rolle steht einem traditionellen Designbegriff gegenüber, bei dem es um die schöpferische Kraft des Individuums und ihren Ausdruck im Entwurf geht (Bieling/Sametinger/Joost 2014, 227). Fasst man die in der Arbeit vollzogene Perspektivverschiebung zusammen, so ergibt sich dadurch auch eine terminologische Transformation: Es zeichnen sich nicht nur ein veränderter Behinderungsbegriff oder ein verändertes Normalitätsverständnis ab, sondern neben der gezeigten Erweiterung von Forschung auch ein veränderter Gestaltungsbegriff, in dem sowohl die Rolle, als auch die Auswirkungen von Gestaltung kritisch hinterfragbar- sowie damit einhergehende Design­ herausforderungen gezielter angewandt werden können. Daraus ließen sich auch Rückschlüsse für ein erweitertes Inklusionsverständnis ziehen. In dem Sinne, dass die Aufgaben- und Rollenverteilung in Inklusions­ prozessen einerseits gestalterisch begleitet oder initiiert und andererseits Inklu­ sionsdiskurse generell um die Design-Komponente erweitert werden. Dies würde letztlich auch bedeuten, Designforschung grundsätzlich bzw. stärker als bisher in themen­relevanten Forschungskontexten, -netzwerken, Fachpublikationen und Forschungsprojekten zu implementieren. In Bezug auf das terminologische Transformationspotenzial muss freilich konstatiert werden, dass es nicht Ziel diese Arbeit ist, eine grundsätzliche Begriffsbildung zu betreiben. Gleichwohl sollte und konnte beobachtet werden, dass die für das Forschungsthema relevanten Begriffe und Begriffsbildungen bisher von ganz bestimmten Forschungsrichtungen dominiert und geprägt werden. Eine Designbzw. Designforschungsperspektive vermag hier geringstenfalls neue Impulse zu geben. Klar ist dabei auch, dass eine solche Perspektivverschiebung freilich in sich bereits normativ ist. Eine Einbeziehung von Behinderungsperspektiven in den Forschungs- und Designprozess verändert jedenfalls den Blickwinkel, aus dem die Gegenstandswelt betrachtet und interpretiert wird. Dies schärft zum einen die Wahrnehmung für l­ ebensweltliche Aspekte des Alltags. Zum anderen kann diese Wahrnehmung – nach Uta Brandes – zu einer (Selbst-)Reflexion führen, die das Konzept einer ­offenen,

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­empathischen, aber auch kritischen, reflektierenden Gestaltung überhaupt denkund machbar werden lässt (Brandes et al. 2009, 185). Um ein Design for All zur erreichen, muss demzufolge – plakativ gesprochen – ein Design with All vorangehen. Dies könnte mit dem wachsenden Verständnis einhergehen, die inklusive Dimension von Design nicht weiter als exotisches Nischenthema zu behandeln, sondern sie aktiv ins Zentrum eines weitreichend etablierten Gestaltungsverständnisses zu rücken. Bei einer solch starken sozialen Ausrichtung sind jedoch auch Zweifel unausweichlich. Wo liegen die Grenzen der sozialen Ausrichtung des Designs? Ist es schlussendlich doch die Vermarktbarkeit von Produkten? Ist die Partizipation eine Mogelpackung, um weitere, bisher unerreichte Zielgruppen zu erschließen? Dass es durchaus Grenzen in der partizipativen Gestaltung gibt, steht außer Frage und wurde auch hier ausführlich dargelegt. Jedoch muss eine Marktrelevanz von Designprodukten nicht zwangsläufig im Widerspruch zu einer sozialen Ausrichtung stehen. Gelingt es, durch partizipative Prozesse Gruppen von Menschen zu Wort – und Gestalt – kommen zu lassen, die vorher marginalisiert waren, und schaffen es die Ergebnisse schließlich in die Realität des Marktes (Bieling/Sametinger/Joost 2013), so kann sich dies potenziell auch positiv auf soziale Konstellationen und Machtverhältnisse auswirken. Die Rolle des Designers wird dadurch keineswegs obsolet, sondern erfährt ­allenfalls eine Schwerpunktverlagerung. Wichtig im Gestaltungsprozess bleibt dabei die Frage, wo die Partizipation endet und wo Designentscheidungen getroffen werden, die eines designspezifischen Expertentums bedürfen, etwa in der Frage der Produktionstechnik, der formalen Gestalt oder der Konzeption von Benutzerführungen. Solche Fragestellungen stärker im Designdiskurs zu verankern und in der Designausbildung zu thematisieren, ist eine wichtige Aufgabe für die kommenden Jahre. Die kritische Reflexion der eigenen Verantwortlichkeit als Designerin und Designer sollte fester Bestandteil der Lehre sein, um hieraus Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln (ebd.), und zu verdeutlichen, wie mithilfe von Design und seinen Prototypen Utopien greif- und somit verwirklichbar werden können. Eine kritische Reflexion der eigenen Verantwortlichkeit bedeutet im Übrigen auch, Vorsicht vor einer vordergründig sozialromantischen Rhetorik der Marketingwelten („Social Washing“) zu üben, und beinhaltet ferner einen sensiblen Umgang mit allzu plastischen Darstellungen von gesellschaftlichen Zusammenhängen im Designkontext. Denn Anforderungen, Bedürfnisse und Erwartungshaltungen an ­gestaltete Dinge bleiben vielfältig und sind demnach häufig unabhängig von dua­ listischen Kategorien wie „alt – jung“, „Mann – Frau“, „gesund – krank“ oder „behin­ dert – nichtbehindert“. Somit wird mit dieser Arbeit auch deutlich, dass es sich beim Untersuchungsgegenstand um kein Nischenthema handelt, wie es beispielsweise bei einem ­reinen „Design-for-Health“-Thema der Fall wäre. Schließlich beschränkt sich Inklusion

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nicht nur auf „Alte“ und „Kranke“, sondern gilt für die komplette – eben diverse – ­gesellschaftliche Bandbreite. Hier ergibt sich weiteres Forschungspotenzial, da davon ausgegangen werden kann, dass die im Behinderungsfokus dieser ­Arbeit untersuchten und angewendeten, methodischen Prinzipien auch auf andere Diversity-Sektoren übertragbar sein können. Die in Kapitel 5 hierzu formulierte Aufschlüsselung der unterschiedlichen Schwerpunktausrichtungen und Zugänge, die zwischen Design/Forschung und Inklusion bestehen, können und sollen künftig dabei helfen, solche Felder besser zu eruieren und zu adressieren. Nämlich mit Blick auf ein Design von Inklusion, ein Design für Inklusion, ein Design durch Inklusion und ein Design als Inklusion. Inklusion selber dabei als einen (fortwährenden) Prozess zu begreifen, sie also nicht im Sinne eines Resultats zu verstehen, welches es zu erreichen gilt, wäre in dem Sinne Ausdruck einer Grundhaltung, die zweierlei beinhaltet: Dass Design dazu beitragen kann, Inklusion voranzutreiben. Und umgekehrt: Dass Inklusion dazu beitragen kann, Design besser zu machen, zumindest aber: besser zu verstehen.

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Nach Kai Rosenstein trägt Design in seiner Gesamtheit zu einer Wirklichkeitskonstruktion bei, „die von politischen Bedingtheiten, Machtansprüchen und sozialen Setzungen durchzogen ist. Da die Artefakte, als Medien der Kultur, auf diese Weise immer Teil der gesellschaftlichen Konstitutionsprozesse sind, und Design so teil hat an den Vergemeinschaftungsprozessen unserer Gesellschaft, müssen wir auch die Ausschließungen und Marginalisierungen berücksichtigen, die mit dieser Praxis einhergehen“ (­Rosenstein 2011). Ähnliche Formulierungen finden wir bei den Designprofessoren Ezio Manzini („In the terms of Design in relation to social change, change must come from what is configured as ‚normal‘“, Manzini 2010) und Tom Fisher („One of the most interesting challenges of academic discourse as well as design practice is about re-configuring ‚normality‘. […] Design is able to engage with that reconfiguration“, Fisher 2010). Auch der Designtheoretiker Klaus Krippendorff weist darauf hin, dass Designerinnen und Designer mit Determinismen zu rechnen und dementsprechend Grundannahmen etwa in Bezug auf Normalitäts­ vorstellungen infrage zu stellen haben: „Design, verstanden als kulturelle Praxis zur Erfindung neuer Wirklichkeiten und Erweiterung der Möglichkeiten, kann durchaus zu einem Bruch mit ontologischen Überzeugungen führen“ (Krippendorf 2007; zitiert nach Buchmüller/Joost 2009, 74). Mit der Gesamtheit des Designs sind sowohl dessen unterschiedliche Erscheinungsformen gemeint (z. B. Produkt-, Service-, Kommunikationsdesign) als auch dessen unterschiedlichen Prozessschritte (z. B. Planung, Entwurf, Wissen, Endprodukt, Nutzung, Zweckentfremdung). Und ebenso am Gestaltungs-, Entwicklungs- und Evaluationsprozess. In dem Fall ließe sich gleichermaßen von einer emanzipatorischen wie von einer emanzipativen Design­ forschung sprechen. Während Erstere sich auf ein auf Emanzipation gerichtetes, die Emanzipation betreffendes Design bezieht, meint Letztere vor allem ein Emanzipation beinhaltendes Design. Eine emanzipatorische Designforschung wäre demnach eher auf Emanzipation durch oder als Gestaltungsergebnis gerichtet, eine emanzipative Designforschung hätte hingegen Aspekte von Emanzipation im Gestaltungsprozess im Blick. Der Begriff der VerAnderung wurde jüngst von der Soziologin Julia Reuter als deutscher Übersetzungsvorschlag für den gängigen Begriff „Othering“ eingeführt (Reuter 2011). Othering beschreibt den sozialen Prozess, Menschen und Kulturen mit anderen, andersartigen Merkmalen als fremd zu klassifizieren und sich dadurch selber über sie zu erheben. Die Frage nach der Plausibilität ist hierbei freilich ebenfalls eine Frage der Perspektive. Sie kann und muss demzufolge transdisziplinär beantwortet werden, zumal in einem derart gesellschaftsrelevanten Wirkungszusammenhang.

ANMERKUNGEN   251

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Arbeiten wie die von Sandra Buchmüller, die sich in ihrer Forschung speziell mit der feministischen ­Perspektive von Designforschung und -praxis beschäftigt, haben bereits gezeigt, dass sich in der Auseinandersetzung mit Design sowohl Designwissen als auch soziologische Erkenntnisse erschließen und beflügeln lassen (vgl. Buchmüller 2013). Der Begriff „Politik“ bezieht sich im Sinne von Friedrich von Borries hier nicht auf das „Alltagsgeschäft des Politikbetriebes“, sondern auf die „grundsätzliche Frage nach der Verfasstheit einer Gesellschaft und der tatsächlichen Organisation ihres Zusammenlebens“ (Borries 2016, 30).

7 AUSBLICK Welche weiteren Fragestellungen und Anknüpfungspunkte ergeben sich aus dieser Arbeit für die zukünftige Forschungspraxis innerhalb und außerhalb des Designs? Bei der Frage, inwiefern ein gesellschaftlicher Wandel durch einen gestalterischen Wandel möglich ist, kann Folgendes festgehalten werden: Design allein löst keine gesellschaftlichen Probleme. Und ebenso wie erfolgreiches Design, so hängt auch eine gelungene Inklusion von der Akzeptanz, der Verinnerlichung und der aktiven Anwendung der (anvisierten oder nicht anvisierten) Rezipienten ab. Es wird somit auch zukünftig immer wieder aufs Neue zu hinterfragen sein, inwiefern das Prozedere, Behinderung und Inklusion – nicht zuletzt in und anhand von Designdiskursen – öffentlich zu thematisieren, dazu führen wird, die Handlungsmacht ­behinderter Menschen und marginalisierter Gruppen zu erweitern oder aber bestehende Machtverhältnisse weiterhin zu festigen. Dazu gilt es auch, die unterschiedlichen Bedeutungsvarianten von Teilhabe (etwa gegenüber Teilnahme) richtig einzuordnen und zu adressieren. Wann geht es darum, Teil von etwas zu sein? Wann eher darum, an etwas teilzunehmen? Und wann kann man wirklich davon sprechen, dass jemand an etwas „Teil hat“? Die vorliegende Arbeit zeigt hierfür „Lösungsvorschläge“ auf. Zuvorderst bietet sie jedoch Möglichkeiten und Anknüpfungspunkte zur kritischen Reflexion. Bestenfalls vermag sie eine Diskussion anzuregen und leistet somit einen grundlegenden Beitrag für eine teilhabeorientierte Designforschung, ebenso wie über eine designorientierte Teilhabeforschung. Inwiefern sich gesellschaftlich tradierte Vorstellungen von Normalität und ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Thema Behinderung zugunsten emanzipativer Vorstellungen wandeln lassen, hat zudem auch damit zu tun, in welchem Maße diesbezügliche diskursive Prozesse institutionell gefördert und ­gefordert ­werden. Designforschung bietet hier Anknüpfungspunkte.

7.1  Akteure und Stakeholder Diese Arbeit kann dabei auch als Plädoyer für den Ausbau einer Behinderungs- und Normalitätsforschung verstanden werden, deren Gegenstand die Lebensverhältnisse und Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung, insbesondere auch in Bezug auf die Mensch-Mensch- sowie die Mensch-Maschine-Interaktion, sind und in der gesellschaftliche wie gestalterische Normen, Klischees und Referenzsysteme sichtbar, diskutabel und somit nicht zuletzt auch gestaltund veränderbar gemacht werden. Denn was Normalität – zumal im Angesicht von komplexen gesellschaftlichen Diversifizierungsprozessen – bedeutet, und welche

AKTEURE UND STAKEHOLDER  253

­ ückschlüsse aus gesellschaftlicher Diversität sich wiederum für die (oder für deR ren) Gestaltung ableiten lassen, scheint nicht immer ganz klar. Bezogen auf Innovationsprozesse, wie z. B. in Bereichen der Produktentwicklung, empfiehlt es sich, Forschungs- und Entwicklungsprozesse auf inhaltlicher und methodischer Ebene einer fortlaufenden Prüfung der betroffenen ­Projekte hinsichtlich ihrer In- bzw. Exklusionsrelevanz zu unterziehen; dies hätte konsequenterweise auch Auswirkungen auf die Personalpolitik1 in Forschungsgruppen oder Unternehmen, etwa in Bezug auf die Zusammenstellung von vielfältigen Teams.2 Ein solcher Umgang mit Behinderung – verstanden als Expertise – würde demnach bedeuten, dass „Diversity“ klar auch als Innovationsthema mit Businessrelevanz fungiert und nicht „nur“ im Sinne einer Political Correctness oder einer lediglich pflichtbewussten Erfüllung ethisch-moralischer Ob­ liegenheiten. Gerade in Unternehmenskontexten scheinen beschäftigungspolitische Entscheidungen und Vorgehensweisen häufig noch den Schluss nahezulegen, dass eine konsequent praktizierte Inklusion (vor allem im Sinne einer Beschäftigung von Menschen mit Behinderung) als unrentabel erscheint. Das Argument, dass jedoch auch ein großes Innovationspotenzial in diesem Themengebiet schlummert, könnte einen Anreiz schaffen, der Frage nachzugehen, wie „Diversität“,3 die Perspektive behinderungsrelevanter Aspekte, der aktive Miteinbezug behinderter Menschen und somit auch Inklusion in der industriellen Forschung und Ent­wicklung gefördert werden können. Dies würde auch bedeuten, einen Nähr­ boden für eine unternehmerische Kultur zu schaffen, die nicht ausschließlich der Rendite geschuldet, sondern sich der gesellschaftlichen Relevanz von Design bewusst ist. Daraus könnte sich eine Win-win-Situation ergeben, von der nicht nur Forschungs- und Entwicklungsergebnisse, Angestellte und Nutzende, sondern auch Unternehmen selbst profitierten. Die Kernbotschaft könnte lauten: Vielfalt4 kann als Ausgangspunkt für Innovation angesehen werden und offenbart ein dementsprechend hohes Potenzial, sei es auf sozial-humanistischer Ebene, auf forschender oder gestalterischer Ebene oder aus unternehmerischer Perspektive.

7.2  Marktpotenziale und ­unternehmerische Perspektiven Ergänzt man diese Rückschlüsse um die sich angesichts der demografischen Entwicklung potenzierenden Erfordernisse, so wird deutlich, inwiefern eine grundlegende Berücksichtigung und Einbettung von Behinderungs- und Diversitätsaspekten nicht nur auf gesellschaftlicher und politischer Ebene, sondern auch aufseiten der Unternehmen von Bedeutung sind.5 Gerade im Zuge der Digitalisierung zeigt sich immer wieder, dass selbst sogenannte Nischen schnell zu Marktsegmenten

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werden. Bessing und Lukoschat empfehlen daher, „auch jenseits des Mainstreams Impulse und Inspirationen aufzuspüren“ (Bessing/Lukoschat 2013, 41). Folgt man also einer auf Marktpotenzial ausgerichteten Sichtweise, so stellt sich Behinderung – plakativ ausgedrückt – gar als tendenziell innovationsorientierter „Erfolgsfaktor“ für Design dar. Denn gerade angesichts des demografischen Wandels wird Design, welches explizit das Einsatzgebiet „Behinderung“ adressiert, zunehmend als wachsender Markt erkannt. Gleichwohl gilt es, nicht zuletzt auch in der Außenwahrnehmung, als in sich geschlossenes Betätigungsfeld: Man gestaltet entweder für „Nutzerinnen und Nutzer“ oder eben für „Nutzerinnen und Nutzer mit Behinderungen“. Wie beschrieben, ergeben sich daraus Schwierigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen. Sei es in Bezug auf die (behinderten) Adressaten, die sich beispielsweise von allzu „medizinisch“ anmutenden Produkten stigmatisiert fühlen; sei es für die gestaltenden, entwickelnden, produzierenden und vermarktenden Industrien, die sich durch ein allzu festgelegtes Betätigungsfeld selbst limitieren; oder sei es auf gesellschaftspolitischer Ebene, indem durch ein auf dem medizinischen Modell von Behinderung beruhendes Gestaltungs- und Rezeptionsprinzip die Schaffung und Exklusion von Minderheiten gestützt bzw. deren Inklusion und De-Stigmatisierung unterbunden werden. Ansprüche, Erwartungen, Anforderungen und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in Bezug auf Technologie-Nutzung und -Entwicklung zu ergründen und in die Entwicklung von entsprechenden Konzepten und Designprozessen mit einzubeziehen ist somit auch an die Fragestellung geknüpft, inwiefern die Behinderungsperspektive auch Impulse für Produktentwicklungen liefern kann, die sowohl für Menschen mit als auch für Menschen ohne Behinderung relevant sind. Es muss somit folglich nicht alleiniges Ziel bleiben, spezielle Konzepte ausschließlich für behinderte Menschen zu entwickeln, sondern „marktübergreifende“ Impulse zu entfalten. Zieht man nun das weitgefasste und branchenübergreifende Operationsfeld für Design und Gesundheit („Design for Health“) in Betracht, sei es in Bezug auf präventive (z. B. Sport, Ernährung) oder rehabilitative Maßnahmen (z. B. Wellness, Freizeit, Kosmetik), so wird schnell die große Bandbreite an gestaltungsrelevanten Lebens- und Arbeitsbereichen deutlich, die davon tangiert werden (z. B. Wohnen, Haushalt, Kommunikation, Transport, Unterhaltung, Bildung, Freizeit, Sport, Konsum). Designkompetenzen an diesen Schnittstellen können hierbei die Gestaltungsdisziplinen sowohl zu Akteuren der akademischen Wissenserschließung als auch zu Ansprechpartnern der Wirtschaft werden lassen, ohne dabei die gesellschaftspolitische Dimension aus den Augen zu verlieren. Wie gezeigt wurde, wird Behinderung sowohl im öffentlichen Diskurs als auch in der Gestaltung von Produkten häufig als etwas verhandelt, dass fernab des Mainstreams existiert. Es scheint somit nicht ausgeschlossen, dass behinderungssen­ sible Forschungs- und Gestaltungsansätze dabei helfen können, den gestalterischen und entwicklungsorientierten Blick für vielfältige Nutzungskontexte zu schärfen,

MARKTPOTENZIALE UND ­U NTERNEHMERISCHE PERSPEKTIVEN  255

was nicht zuletzt auch beinhaltet, weiter gefasste Marktpotenziale erschließen zu können. Dies könnte ein weiterer Baustein dafür sein, die kulturelle Dominanz der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Minderheiten kritisch zu reflektieren, wenn nicht gar zu verändern.6

7.3  Beispiel Gender Hier hilft ein Seitenblick auf den Diskurs rund um die „Genderperspektive“ im Design: Denn im Zusammenhang mit Gestaltung und Geschlechterverhältnissen ist das Phänomen bekannt, dass die sich wandelnden Geschlechterrollen und -verhältnisse in Innovationsprozessen von Unternehmen selten, schwerfällig oder bestenfalls in stereotypisierter Form berücksichtigt werden (vgl. Bessing/Lukoschat 9–10). Uta Brandes und Sonja Stich verzeichnen unter dem Blickpunkt Gender etwa, dass häufig überwiegend männlich geprägte, Entscheidungen fällende Teams Stereotype von „Männlichkeit“ oder „Weiblichkeit“ (re-)produzieren (vgl. Brandes/Stich 2004). Ähnliches kann auch für den Kontext „Behinderung“ angenommen werden. Insbesondere wenn man davon ausgeht, wie sehr Forschungs- und Entwicklungsteams in der Regel von Nicht-Behinderten Menschen dominiert sind und häufig – bewusst oder unbewusst – die eigenen Lebenswelten zum Ausgangspunkt von Beobachtungs-, Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen nehmen.7 Methodisch und inhaltlich könnten die in dieser Arbeit formulierte Forschungsperspektive und eine Gender-Designforschung gegenseitig als reichhaltige Bezugspunkte dienen. Für eine kritische Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und Potenzialen einer inklusiven Designforschung bieten sich für zukünftige Arbeiten auch Anknüpfungspunkte und Parallelen zu jenem feministischen Designforschungsansatz, den Sandra Buchmüller vorschlägt. Buchmüller versteht Geschlecht als Gestaltungs­ gegenstand, dessen (z. B. visuelle, symbolische) Inszenierung durch Design grundlegend geprägt wird und dadurch einer sensiblen Betrachtung sowie partizipativer Forschungs- und Gestaltungsperspektiven bedarf (Buchmüller 2018). Ein Leitbild für einen solchen diversitätssensiblen, teilhabeorientierten und inklusionsbefördernden Ansatz könnte darin bestehen, eine Gestaltung und Entwicklung von Produkten oder Services anzustreben, die einer hohen Diversität an Nutzungskontexten entgegenkommen oder diese gezielt adressieren. In dieser Arbeit wurde dem nachgegangen, wodurch gezeigt werden konnte, dass auch an den Schnittstellen zwischen Innovations-orientierten (z. B. Design-, Forschung- und/oder Entwicklungs-)Bereichen auf der einen sowie der Behinderungs- und Diversitätsforschung auf der anderen Seite reziprokes Ergänzungspotenzial besteht. Die damit verbundenen Wissensgebiete sollten künftig – etwa in Form von gemeinsamen Forschungsprojekten – noch näher zusammengeführt werden. Ein integrativer Ansatz beider Forschungsstränge könnte gleichermaßen der kritisch-konstruktiven

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­ useinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen wie auch der Analyse von A Nutzungskontexten und der Abschätzung von Technikfolgen8 dienen und schließlich auch Impulse für innovative und wohl reflektierte Produktentwicklungen geben.

7.4  Bündelung von Kompetenzen Damit solche Zusammenhänge im Design und durch das Design sowie im Zuge damit verbundener Forschungen sowohl inhaltlich durchdrungen als auch aktiv gestalterisch adressiert werden können, bedarf es einer weiter vorangetriebenen Verknüpfung von Disziplinen und Kompetenzen. Gerade auch deshalb, weil De­ signerinnen und Designer – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des digitalen Wandels – zunehmend komplexe Produkt- und Servicesysteme gestalten und weniger einzelne Produkte. Eine solche Verknüpfung sollte schon früh in der Designausbildung thematisiert und vollzogen werden. Bei der Gestaltung von interaktiven Wearables kann dies beispielsweise eine Bündelung von Wissens- und Fachbereichen des Inter­ action-Designs, des Mode-Designs, der Programmierung und der Elektrotechnik bedeuten. Wie beschrieben, kann und sollte sich diese Bündelung nicht bloß auf „traditionelle“ Designdisziplinen beschränken, sondern wird den disziplinären Rahmen zunehmend auch überschreiten müssen. Offene Forschungsansätze und Entwicklungsumgebungen können dabei als Schnittstelle einer auch transdisziplinären Vernetzung dienen. Open Source, Open Access und Open Innovation könnten dann als Bindeglied der Forschung nach „außen“ fungieren. Sozusagen als Schnittstelle in die Gesellschaft „hinein“.

7.5  Open Inclusion im Modus 2 Damit also Forschung nicht im Elfenbeinturm hinter den akademischen Mauern verharrt, könnte auf diesem Weg realisiert und beflügelt werden, was in den 1990er-Jahren schon von Helga Nowotny, Michael Gibbons, Peter Scott und Camille Limoges als eine Forschung im „Modus 2“ beschrieben wurde. Diese stellt sich gegenüber traditionellen Formen der Wissenschaft9 in stark verändertem Maße dar, indem sie disziplinäre Grenzen überwindet, problemorientiert ist und in offenen Forschungsfeldern agiert. Dabei ist sie stets auf der Suche nach „gesellschaftlich robustem Wissen“, bei dem es nicht zwangsläufig um rein wissenschaftliche Relevanz geht, sondern immer auch darum, zu hinterfragen, welche Bedeutung die jeweilige Forschung für soziale Kontexte und gesellschaftliche Fragestellungen hat (vgl. Gibbons et al. 1994; Nowotny et al. 2004).

BÜNDELUNG VON KOMPETENZEN  257

In einer solchen Funktion könnte Forschung auch als adäquater Versuch gelten, sich dem zu nähern, was von Horst Rittel und Melvin Webber als „wicked problems“ (Rittel/Webber 1973) oder von Bazon Brock als „unlösbare Probleme“ (Brock 2011) beschrieben wird. Demnach handelt es sich bei Problemen (jedweder Art) stets um hochkomplexe Sachverhalte, die sich aus einer singulären Perspektive ­weder erschließen noch beheben lassen.10 Der Ansatz, Forschung und Gestaltung partizipativer zu konzipieren, folgt hierbei dem Anliegen, unterschiedliche – diverse – Positionen zu beleuchten und zu verstehen, die an der Entstehung ebenso wie bei der Adressierung von Problemen beteiligt oder von deren Folgen betroffen sein können. Eine iterative „Rücksprache“ mit unterschiedlichen Stakeholdern ist somit maßgeblich, um zu durchdringen, wie stark solche Konstellationen letztlich mit Design zusammenhängen bzw. welche Rolle Design in solchen komplexen Fragestellungen spielen kann. Unter diesem Blickwinkel wäre Designforschung eine ­Zwischendisziplin, die sich einmischt, die interveniert und die gerade auch anhand von „Prototypen“ und „Szenarien“ versucht, erste Antworten und Lösungsansätze zu finden, die stets im Zusammenschluss mit einem Netzwerk an Stakeholdern auf Plausibilität überprüft und weiterentwickelt werden (können).

7.6  Designforschung als Prototyp Designforschung ließe sich auf diese Weise gar selber als Prototyp für eine Forschung im Modus 2 verstehen (vgl. Joost 2013), bei der vermeintliche Grenzen zwischen Design, Forschung und außerakademischen Bereichen durchschritten werden können. Und bei der diese Grenzüberschreitung im Sinne einer offenen, vernetzten und gesellschaftlich relevanten Herangehensweise vollzogen werden kann. Heraus aus dem Elfenbeinturm also, hinein in die Alltagswelt. Szenarien von alternativen Zukünften entwickelnd, und zwar prototypisch, also anhand von erfahrbaren, begreifbaren Modellen. Die Forschungskompetenz des Designs sollte dabei getrost weiterhin in einer ihr eigenen, projektiven und explorativen Vorgehensweise bestehen, bei der Designprozesse nicht zuletzt auch als Beschreibungs- und Konkretisierungsversuche von etwas herangezogen werden können, das noch nicht ist. Hierbei unterscheidet sich Designforschung maßgeblich von den tradierten Standards der etablierten, „exakten“ Wissenschaften, weshalb sie weder an deren Standards angelehnt werden können, noch an deren Validitätskriterien gemessen werden sollten. Eine (Design-)Forschung, die sowohl Gestaltungsprozesse informieren als auch Wissen über Design sowie über das Design hinaus aufspüren und formulieren kann, entpuppt sich vielmehr als hybrid. Als eine bündelnde Kraft, die sich entlang der zunehmend diffusen Grenzen zwischen Natur und Kultur, zwischen Mensch und Ding

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bewegt; entlang an Grenzen also, deren Fragestellungen komplex und deren Phänomene zwangsläufig politisch sind. Indem Designerinnen und Designer menschenzentriert und inklusiv gestalten und dabei stets die sozialen und politischen Dimensionen sowohl der ihnen vorgegebenen Design-Tasks als auch ihrer eigenen Designlösungsvorschläge kritisch hinterfragen, können sie einen Beitrag dazu leisten, dass Barrieren nicht nur abgebaut werden, sondern gar nicht erst entstehen. Ein solches Inklusionsverständnis ist freilich nicht nur auf den Designsektor beschränkt, sondern lässt sich als Leitbild eines grundsätzlichen Gesellschafts­ verständnisses formulieren, das auf einem teilhabeorientierten, sozialen Gleichheitsprinzip beruht. Betätigungsfelder in Bezug auf „soziale Innovation“ ergeben sich für Unternehmen ebenso wie für politische Entscheidungsträger, für Konsumentinnen ebenso wie für Designer. Designkompetenzen sind dabei längst nicht mehr auf traditionelle Anwendungsgebiete wie Produkt-, Informations­design oder Raumplanung beschränkt, sondern reichen von assistiver Interaktions- und Technologiegestaltung, über Mode- oder Service Design bis hin zum Engagement für ­lokale, bürgerschaftliche Initiativen, und ragen schließlich bis in Sektoren des ­öffentlichen Dienstes und der politischen Gestaltungsräume hinein. Hieraus ­ergeben sich mittlerweile ganz neue Handlungskonstellationen: „Design for Civic Engagement“, „­Design for Public Services“ oder „Design for Policy Innovation“ sind nur einige der Themengebiete, die als Handlungs- und Untersuchungsfeld für eine teilhabeorientierte Designforschung im Beziehungsgeflecht „Design und Behinderung“ infrage kommen. Denn in vielen gesellschaftlichen, politischen, akademischen oder unternehmerischen Bereichen kann Design Vermittler-, wenn nicht gar Schlüsselrollen übernehmen. Etwa indem es politische Zusammenhänge sichtbar, wirtschaftliches Handlungspotenzial verständlich oder Zugänge zu Wissen und Schnittstellen zur Teilhabe überhaupt erst möglich macht.

7.7  Internet of Everyone11 Gerade im Zuge der schnell voranschreitenden Digitalisierung ergeben sich fortlaufend Neuerungen in unterschiedlichen Lebensbereichen: etwa in Bezug auf neue Arbeitsformen, Lernweisen oder dahingehend, wie Menschen zusammen­ leben und miteinander umgehen. Und insbesondere Informations- und Kommunikationstechnologien können hierbei inklusionsfördernde Funktionen übernehmen. Im gleichen Zuge können sich aus neuartigen Technologien jedoch auch neue Schwierigkeiten ergeben. Denn, wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen schneller und einfacher von bestimmten Technologien profitieren als andere, können digitale Kluften12 entstehen bzw. verstärkt werden (vgl. Bieling/Martins/ Joost 2015).

INTERNET OF EVERYONE  259

In einer zunehmend vernetzten Welt betrifft digitale Exklusion zwangsläufig sämtliche Lebensbereiche, kann also unmittelbar zu sozialen, kulturellen, poli­ tischen oder ökonomischen Ausgrenzungsprozessen führen. Um dem v­ orzubeugen, sollten Menschen mit Behinderungen (sowie andere „Marginalgruppen“) mehr Schlüsselrollen in Forschungs- und Designprojekten einnehmen. Auf Forschungsund Entwicklungsebene sollten partizipative Formate wie z. B. „Living Labs“ stärker berücksichtigt und gefördert werden, denn kollaborative Formate, in denen Menschen nicht bloß Forschungsgegenstand oder „Nutzer“ sind, sondern aktiv als Autoren ihrer eigenen Bedürfnisse und Lösungsansätze fungieren, können dafür eine sinnvolle Grundlage bieten. Solche Formate, in denen die jeweiligen Stakeholder ihre Expertise, ihr Wissen, ihre Ideen, ihre Neugierde und ihre Erfahrung teilen, implizieren durchaus eine Demokratisierung der Gestaltung. Dies bedeutet jedoch keineswegs das Ende des Designers, sondern allenfalls eine Neu-Interpretation seiner Rolle und eine Fortentwicklung seiner Kompetenzen: Weg vom Autoren-Designer, hin zum Moderator, Mediator oder Übersetzer. Die Frage, wie wir Design und Forschung inklusiver gestalten können, steht somit in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage, wie Designforschung dazu beitragen kann, die Lebens- und Alltagswelten inklusiver zu gestalten. Möglich, dass sich dadurch und anhand des hier dargelegten veränderten Blicks auf Behinderung die Mehrheitsgesellschaft sogar stärker verändert, als die Gesellschaft der „Behinderten“.

7.8  Interrogatives Design Im Hinblick auf den Umgang mit Normalität und Behinderung wird das breite Spektrum an Designperspektiven noch einmal besonders deutlich. So kann Design einerseits in Form von prothetischen Objekten dabei helfen, „Probleme“ zu beheben. Es kann jedoch auch als „interrogatives Design“ fungieren. Der Begriff des inter­ rogativen, also „befragenden“ bzw. „hinterfragenden“ Designs sei hier stellvertretend für Ansätze wie „Critical Design“, „Speculative Design“, „Design for ­Debate“ (vgl. Dunne/Raby 2014), „Discursive Design“ (Tharp/Tharp 2019) oder „Design ­Fiction“ (Sterling 2005) genannt, bei denen es vorrangig darum geht, soziale, kulturelle, technische oder ökonomische Kontroversen und Debatten mithilfe von „kritischen“, „spekulativen“ Artefakten zu unterfüttern. Es muss sich bei diesen gerade nicht um funktionsfähige, real existierende Designobjekte handeln. Vielmehr besteht der Ansatz eines kritischen, spekulativen Designs darin, mithilfe von fiktiven Artefakten gesellschaftliche Diskurse anzuregen. Denn die Auseinandersetzung mit der Frage, in was für einer Welt wir lebten, in der solche Objekte denkbar oder notwendig wären, könnte auch dazu dienen, momentane Zustände und Zusammenhänge kritisch zu hinterfragen respektive sie verändern zu wollen.

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Ein solches interrogatives Design könnte auch dabei helfen, sowohl die Definition als auch die Definitionshoheit dahingehend, was denn überhaupt als normal und was als problematisch zu gelten hat, kritisch infrage zu stellen. Im Falle von Behinderung wäre das z. B. die Frage, welche Arten von Körpern denn eigentlich eine Heilung benötigen und weshalb? Angesichts der wachsenden Zahl an Critical und Speculative Design-Projekten, wird jüngst auch vermehrt deren tatsächliche gesellschaftliche Relevanz infrage gestellt (vgl. Prado/Oliveira 2014). Der Vorwurf: Zu viele dieser Projekte entstünden aus einer naiven, unreflektierten Haltung heraus, bewegten sich näher an der Kunst als am Design und seien allzu oft lediglich in Galerien verortet, anstatt sich im tatsächlichen, alltagsrelevanten Gebrauch zu manifestieren und ebendort intervenierend tätig werden zu können (vgl. Malpass 2015). Wie jedoch gezeigt wurde, schließt das eine das andere nicht zwangsläufig aus. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, als Designer „Tools for Empowerment“ zu generieren und (vielleicht auch gerade dadurch) bestehende Zustände mithilfe von Gestaltun kritisch infrage und gesellschaftlich diskutabel zu machen. Das würde auch bedeuten, dass Designerinnen und Designer mit ihrer Arbeit explizit politische Positionen beziehen können. Die Grundlagen für einen solchen (selbst-)kritischen Umgang mit Gestaltung sollten stärker als bisher Gegenstand der Designausbildung sein.

7.9 Designdidaktik Die enge Verwobenheit von Gestaltung und Behinderung liegt auf der Hand und bringt gleichermaßen Schwierigkeiten und Herausforderungen mit sich, wie sie andererseits Chancen und Möglichkeiten in sich birgt. Um dieses komplexe Geflecht besser zu durchdringen, wäre es erforderlich, das Themenfeld bereits früh in der Designausbildung zu verankern. Wenn es ohnehin Ziel eines Design-Curriculums sein sollte, zukünftigen Designerinnen und Designern die Dimensionen und Implikationen ihrer Entwürfe vollumfänglich begreifbar werden zu lassen, so wäre dementsprechend auch ein sensibler, kritischer und nachhaltig wirksamer Umgang mit der Kategorie Be­hinderung im Design ein wichtiger Schritt, um aus „bloßen“ Gestalterinnen und Gestaltern „bewusste“ Akteure im sozialen Feld werden zu lassen, die die (möglichen) Auswirkungen ihrer Gestaltung reflektieren, insbesondere dahingehend, dass durch die Gestaltung immer auch ein gesellschaftliches Wertesystem mit gestaltet wird. Zieht man in Betracht, dass ein kritischer und sensibler Umgang mit der Rolle von Design in Bezug auf Behinderung aus gestalterischer Perspektive langfristig auch eine Wandlung gesellschaftlich tradierter Vorstellungen zugunsten gleich­ berechtigter, integrativer, emanzipativer und inklusiver Alltagspraktiken nach sich ziehen kann, so sollte mit Hinblick auf eine fundierte Designausbildung ebenso

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nachvollziehbar sein, wie wichtig eine Einbettung von be- und enthinderungsrelevanten Themen in das universitäre bzw. fachhochschulische ­Curriculum ist. Gerade im Angesicht eines zunehmend post-industriellen Designs13 ist ein – auch in der Gestaltungsausbildung berücksichtigter – veränderter Umgang nötig: Während Design sich zunehmend in gesellschaftliche Themenwelten einmischt, basieren viele traditionelle Ausbildungsstätten noch auf einer, dem Industriezeitalter geschuldeten, didaktischen Schwerpunktausrichtung auf Fertigungstechniken, Material, Produkten und dergleichen (vgl. Mazé 2016, 22). Überlegungen zu einem nutzerzentrierten Design haben immerhin dazu geführt, verstärkt über die Rolle des Nutzers in der Gestaltung nachzudenken, doch wird dabei immer noch häufig in stereotypen Denkmustern agiert. Die Berücksichtigung, Erforschung und aktive Einbindung von „anderen“ Menschen, Praktiken und Wertesystemen sollte daher schon früh in gestaltungsdidaktische Lehr- und Ausbildungsformate implementiert werden. Die Frage, wer eigentlich für wen gestaltet und wer von dieser Gestaltung letztlich profitiert, kann dabei ausschlaggebend für eine reflektierte Auseinandersetzung mit gestaltungsbedingten Machtverhältnissen sowie einer kritischen Erwägung für alternative Zukünfte sein.

7.10  Forschungspotenzial jenseits der Disziplin Die in dieser Arbeit thematisierten Aspekte eröffnen eine Vielzahl an Anknüpfungspunkten für zukünftige Forschung. Neben der Designforschung und im weiteren Sinne design-relevanten Disziplinen sowie den Disability Studies, bieten sich insbesondere die Techniksoziologie14 und Technikphilosophie15 als anschlussfähige Forschungsfelder an. Insbesondere die Rolle der Dinge (Artefakte) in Bezug auf ein wandelbares Verständnis von Behinderung bietet Nährboden für weitere Forschung, etwa mit einem speziellen Blickwinkel zur ANT. Doch auch für das weite Feld des Innovationsmanagements, des Marketings oder der Personalpolitik finden sich Anknüpfungspunkte, etwa in Bezug auf die Rolle von Divsersität in unternehmerischen Organisationsprozessen, Teamkon­ stellationen, Forschungs- und Entwicklungsansätzen. Die Förderung einer behinderungs- und diversitätssensiblen Unternehmenskultur könnte dabei im Übrigen auch die Frage aufwerfen, inwiefern Menschen (oder Unternehmen) offener, interessierter und verständnisvoller gegenüber behinderten Menschen werden, wenn a) Behinderung in ihrem (Arbeits-)Alltagsleben mehr Präsenz bekommt und b) der Aspekt des „Makels“ beispielsweise durch den Aspekt der „Expertise“ substituiert würde. Zusätzliches Forschungspotenzial ergibt sich dabei ferner aus dem Umstand, dass Vielfalt nicht per se innovativ wirkt (vgl. Bessing/Lukoschat 2013, 181). Dieter Gebert formuliert hierzu den Begriff der „dilemmatischen Struktur“16 (Gebert 20014, 418 f.). In einem Forschungsfeld wie dem vorliegenden sollte man daher vor sozial­

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romantischen Fallstricken gefeit sein. Vielfalt birgt zweifelsohne auch Schwierigkeiten und Herausforderungen in sich und bedarf einer differenzierten Betrachtungsweise. Großes Forschungspotenzial offenbart sich insbesondere auch angesichts der zunehmend diffuser verlaufenden Trennlinien zwischen Mensch und Technik. Und zwar in erster Linie in Bezug auf ethische, soziale und politische Fragen, die sich vermehrt stellen, wenn Mensch und Technik immer mehr zusammenwachsen.17

7.11  Mensch 2.0 Die Diskurse um die sozialen, ethischen und politischen Konsequenzen neuer Technologien sowie um deren kulturelle und gesellschaftliche Bedeutungen werden sich künftig, gerade auch mit Hinblick auf die Debatten rund um Selbst-Optimierung und Cyborgism, noch weiter verschärfen. Denn mit einer fortwährenden Vernetzung auch des menschlichen Körpers mit den Dingen, wird eine rigorose Trennung von Mensch und Technologie zunehmend weniger klar zu vollziehen sein. Für den Homo Protheticus (Erlach 2000, 121), den zum Artefakt konzipierten Menschen, der als Mängelwesen18 eine Komplettierung oder eben Optimierung durch technische Artefakte erfährt, stellt sich zunehmend die Frage, inwieweit Eingriffe in den menschlichen Körper noch als Kompensation von Defiziten oder aber als erstrebenswerte Erweiterung verstanden werden (vgl. Harrasser 2013 und Harrasser/Roeßiger 2016, 10 f.). Denn, schien die Prothetik lange Zeit darauf ausgerichtet, körperliche Nachteile in Form von Ersatzteilen zu kompensieren (Wellmann-Stühring 2016, 21), so scheint sich inzwischen ein weiterer Anspruch an die technische Modulierung von Körpern durchzusetzen: Statt lediglich als defizitär empfundene Zustände versehrter Körper zu kompensieren, steht nun die Option einer grundsätzlichen technischen Erweiterbarkeit zur Debatte (Schneider 2012, 383 f.). Zudem lässt sich angesichts einer zunehmenden Digitalisierung und Miniaturisierung von Technik eine Verlagerung der Schnittstelle von Technik und Mensch verzeichnen, indem Technik – etwa im Bereich der Neuroprothetik – immer öfter auch im Körper selbst implantiert wird (vgl. Asmuth/Nikolow 2014). Diese generelle Machbarkeit19 geht einher mit einem zunehmend sich verändernden Körperbild, welches zugleich Begehrlichkeiten gegenüber der technischen Optimierung weckt. Christoph Asmuth und Sybilla Nikolow beschreiben dies folgendermaßen: Der menschliche Körper wird als grundsätzlich reparaturbedürftig und nachbesserungs­ würdig angesehen. Er soll nicht nur erweitert, sondern durch Prothesen optimiert werden. […] Gleichzeitig lässt es den Ist-Zustand des Menschen in einem düsteren Licht erscheinen und wirft damit Fragen über unser Selbstverständnis auf. Im Gegensatz zum

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anvisierten ‚Superhuman‘ können wir alle nur noch als ‚disabled‘ erscheinen. Erst ‚super­ abled‘ sind wir das, was wir sein wollen (ebd.).

Hier zeichnet sich ein wachsender Normalisierungsdruck ab, der insbesondere auch diejenigen treffen könnte, die sich an dem technisch getriebenen Körper­ tuning (beispielsweise aus finanziellen oder moralischen Gründen) nicht beteiligen können oder wollen. Denkbar ist zudem die Gefahr einer zunehmenden Spaltung einzelner Gesellschaftsgruppen in solche, die ihre Körper durch technische Eingriffe zu neuen Hochleistungen antreiben können, und solche, die sich mit ihren vormals „normalen“ Körpern zufriedengeben (müssen).20 Dass die anthropotechnische Option (Sloterdijk 2009), also die Gestalt- und „Machbarkeit“ des menschlichen Körpers durchaus kritisch betrachtet werden kann, liegt auf der Hand. So spricht die Kulturwissenschaftlerin Karin Harrasser von einer längst „verinnerlichten Kultur der Selbstverbesserung“ die im Dickicht aus Schönheitswahn, Wettbewerb und Krisenzeiten zum gesellschaftlichen Imperativ geworden ist und somit als verhängnisvolle, nicht zuletzt der neokapitalistischen Logik entsprechenden Ideologie der fortwährenden Selbstoptimierung gedeiht (Huber 2013; vgl. Harrasser 2013). Auch hier befindet sich Design in einer Art Zwickmühlensituation, insofern gestalterische Interventionen gleichermaßen Chancen und Gefahren offenbaren, was wiederum neue Fragen aufwirft: Führen die neuen Optionen der Körpertransformation zu einem Zuwachs an Abhängigkeiten des Menschen gegenüber der Technik oder können die damit verbundenen Gestaltungsoptionen womöglich gar zu mehr Unabhängigkeit führen? Dieses Geflecht plausibel zu ergründen und im disziplinübergreifenden Diskurs konstruktiv zu moderieren, wird in den kommenden Jahren Aufgabe für die Designforschung sein.

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Günther Vedder beschreibt Diversity Management als strategisches, auf ökonomische Wettbewerbs­ faktoren ausgerichtetes Ziel der Unternehmensführung (Vedder 2006, 13). Nina Bessing weist darauf hin, dass Perspektivenvielfalt im Unternehmenskontext durch die Förderung personeller Vielfalt in Innovationsteams gefördert werden kann (vgl. „Personelle Vielfalt fördern: Er­gebnisse einer Befragung von Fach- und Führungskräften in der industriellen F&E; in Bessing/Lukoschat 2013, 163). Deborah Ancona und David Caldwell formulieren hierzu die „Wert-durch-Vielfalt“-­ Hypothese („value-in-diversity-hypothesis“) (Ancona/Caldwell 1992, 321–341; vgl. auch Cox/Lobel/ McLeod 1991, 827–847), die sich vor allem auf die Innovationskraft durch spezifische Netzwerk- und Wissensressourcen beziehen. Eine ausführliche Sammlung weiterführender Literatur findet sich bei Bessing und Lukoschat (Bessing/Lukoschat 2013, 179). Darin finden sich auch Betrachtungen zu möglichen Stolpersteinen und Negativ-Effekten. Daniela Rasteter weist etwa auf eine große Wirkungsbandbreite von teambezogener Diversität hin (Rastetter 2006, 88). Hinsichtlich der Teamperformance und Innovationsleistung identifiziert sie sowohl positive als auch neutrale oder gar negative Effekte, die von Vielfalt ausgehen können. Als negative Folgen heterogener Konstellationen können beispielsweise eine erhöhtes Konfliktpotenzial oder verringerte Kommunikationsströme gelten (vgl. Bessing/Lukoschat 2013, 180).

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Wie beschrieben, ist die Inklusivierung von Forschungs- und Designprozessen dabei freilich nicht nur auf das Themenfeld Behinderung beschränkt. Vielmehr bezieht sich Diversität auf alle Lebensformen, Gesellschaftsbereiche, kulturelle Unterschiede etc. Und ebenso provokativ wie vorsichtig formuliert: vielleicht auch Behinderung. Elsbeth Bösl verzeichnet in diesem Zusammenhang eine „zunehmende Vermarktlichung des Barriereabbaus“ (Bösl 2012, 48). „Barrierefreie Technologien und Dienstleistungen gelten […] als wachsender Markt mit einer quantitativ bedeutenden Kundschaft, die […] infolge des demografischen Wandels anwachsen und sich nicht mit […] Angeboten abspeisen lassen wird, die noch die Konnotation des Hilfs­ bedürftigen tragen“ (ebd., 47). Bessing und Lukoschat sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer „Intoleranz gegenüber anderen Perspektiven“, welcher dadurch entgegengewirkt werden könnte (Bessing/Lukoschat 2013, 219). Einem solchen Missverhältnis sollte und konnte in dieser Arbeit bewusst entgegengewirkt werden. Technikfolgen würden sich hierbei vor allem auf die soziale Dimension von Technikgestaltung b ­ eziehen. Also beispielsweise auf die Frage, inwieweit Inklusion durch bestimmte Gestaltungsprozesse und -­resultate eher befördert oder verhindert werden kann. Das traditionelle Konzept von Wissenschaft wird von den Autorinnen und Autoren als Modus 1 (Mode 1) bezeichnet, welches in seiner Anordnung akademisch, hierarchisch und disziplinär konstituiert ist und in dem wissenschaftliche und gesellschaftliche Akteure separat existieren. Wissenschaft erscheint hier als konservatives Paradigma, dessen oberstes Ziel – wissenschaftlich abgesichertes Wissen zu produzieren – über allem und somit auch über der gesellschaftlichen Relevanz seiner Ergebnisse steht. Ein im Modus 2 (Mode 2) generiertes Wissen ist hingegen transdisziplinär und antihierarchisch und erfolgt unter Miteinbezug von außerakademischen Akteuren aus Markt und Gesellschaft. Seine inhaltliche und formale Qualitätskontrolle ebenso wie die Frage nach der Relevanz werden somit nicht mehr exklusiv von akademischen Instanzen festgelegt. Nach Brock sind Probleme grundsätzlich nur unter Entstehung neuer Probleme zu lösen (vgl. Brock 2011). Die zentralen Problemstellungen menschlichen Zusammenlebens stellen sich insofern als ­unlösbar dar, als sie „prinzipiell jede individuelle Lebenswelt tangieren und dadurch ihre Aktualität schöpfen“ (Brock 2007; zitiert nach Unteidig 2013, 160). Mit dem Begriff des Internet of Everyone sei an dieser Stelle ein Bezug zu den Begriffen IoT und IoE hergestellt. IoE (Internet of Everything) umschreibt die zunehmende Vernetzung von Menschen, Prozessen, Daten und Gegenständen. Er baut auf den populären Begriff Internet der Dinge (Internet of Things, kurz: IoT) auf, der als Sammelbegriff für die Möglichkeiten einer Vernetzung von virtuellen mit physischen ­Gegenständen gilt. Eine solche Kluft wird auch als „Digital Divide“ („Digitale Spaltung“) bezeichnet. Theorien zur D ­ igitalen Spaltung stehen in der Tradition der Wissensklufthypothese, welche davon ausgeht, dass „Wissens­ unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen durch massenmediale Informationsmöglichkeiten und deren spezifische Nutzung verstärkt werden, sodass Chancenungleichheiten weiter ausgebaut werden“ (Dörfler 2016, 21). Die Trennlinien können dabei unterschiedlich verlaufen, etwa entlang ökonomischer oder regionaler Gegebenheiten oder aufgrund von Alter, Bildung oder Geschlecht (ebd.). Der Begriff des postindustriellen Designs geht zurück auf die Überlegungen des Soziologen Alain Touraine zur „postindustriellen Gesellschaft“ (Touraine 1969) sowie des Soziologen Daniel Bell zur „nachindustriellen Gesellschaft“ (Bell 1973), für die Bell auch den Begriff der Informationsgesellschaft verwendet: „War die Industriegesellschaft eine güterproduzierende, so ist die nachindustrielle Gesellschaft eine Informationsgesellschaft“ (Bell 1973, 353). Der Begriff des postindustriellen Designs bezieht sich vor diesem Hintergrund auf ein zunehmend erweitertes Designverständnis, bei dem insbesondere prozessuale Aspekte der Gestaltung im Vordergrund stehen. Er steht somit dem eher produktorientierten Verständnis des „Industriedesigns“ gegenüber. Die Techniksoziologie beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Technik und Gesellschaft allgemein ­sowie konkret mit den sozialen Prozessen sowohl der Erzeugung als auch der Nutzung von Technik. Ein be­sonderer Fokus liegt dabei auf möglichen oder tatsächlichen Folgewirkungen von Technik und mit ihr verbundenen Entwicklungsprozessen. Technikphilosophie beinhaltet zum einen die philosophische Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Technik sowie generell die Ergründung des Verhältnisses von Mensch, Welt und Technik zuein­ander. Zu klären bliebe noch, inwieweit die Anschlussfelder der Techniksoziologie und -philosophie genau zu lokalisieren oder positionieren sind. Dies zählt zwar nicht zum Aufgabenspektrum dieser Arbeit, j­ edoch legt sie durchaus einen Grundstein für eine diesbezügliche Auseinandersetzung. Das Dilemma bezieht sich auf die ebenso negativen wie positiven Effekte, die durch heterogene (in ­diesem Fall: Gruppen-)Konstellationen hervorgebracht werden (vgl. Bessing/Lukoschat 2013, 181).

ANMERKUNGEN 265

17 Um das Ineinander von technischer und humaner Wirkmacht zu beschreiben, hat Zoë Sofoulis den ­Begriff „Parahuman“ formuliert (Sofoulis 2002, 273 f.), den Karin Harrasser 15 Jahre später als Ausgangspunkt für ein eindringliches Statement aufgreift: „Wir schreiben derzeit das Skript und setzen den ­ örpers Rahmen für ein noch nicht vorhersehbares Regelwerk, das die Erweiterung des menschlichen K einst festschreiben wird. Es gilt vieles zu bedenken und zu besichtigen, von dem wir bisher nur vage Vorstellungen haben“ (Harrasser/Roeßiger 2016, 12). Die Philosophin Petra Gehring weist in diesem Zusammen­hang darauf hin, dass die Frage nach dem Spannungsverhältnis von Körper und Technik als eine politische zu stellen sein wird: „Was verlieren wir, wenn wir Möglichkeiten gewinnen?“ (­Gehring 2016, 39 f.). 18 In seinem Buch „Der Mensch – Seine Natur und seine Stellung in der Welt“ führt Arnold Gehlen den ­Begriff vom Menschen als Mängelwesen ein, dessen größte Herausforderung darin bestehe, sich den Gegebenheiten seiner natürlichen Umwelt anzupassen (Gehlen 1940). Die damit verbundenen Mängel dienen dem Menschen zugleich als Ausgangspunkt zur Schaffung von Kultur als Ersatznatur („zweite Kultur“). Der Mensch sei demnach gezwungen, „sich [zu] entlasten, d. h. die Mängelbedingungen seiner Existenz eigentätig in Chancen seiner Lebensfristung um[zu]arbeiten“ (ebd., 36). Die kulturprägende Taktik des Menschen besteht nach Gehlen (aufgrund mangelnder physischer Eigenschaften) nicht ­dar­in, sich seiner Umwelt anzupassen, sondern diese derart zu transformieren, dass sie seinen Anforderungen gerecht wird. 19 Mit Blick auf ethische Fragestellungen zur Möglichkeit von Körper-Hackings formuliert Enno Park ein präzises Pro-Argument: „Weil es geht“ (Park 2016, 143 f.). 20 Werner Schneider beschreibt vor diesem Hintergrund eine zunehmende Sorge vieler, bald gänzlich von technischen Erweiterungen abhängig und somit Sklave der Maschinen zu sein (Schneider 2012, 371 f.).

266 AUSBLICK 

DANKSAGUNG Mein vorderster Dank gilt Prof. Dr. Gesche Joost, die mich vom ersten Moment meiner akademischen Laufbahn an förderte, die mich bestärkte, die mir forscherischen und gestalterischen Handlungsspielraum ermöglichte und von der ich so vieles gelernt habe. Prof. Dr. Sabine Foraita danke ich für ihre kontinuierliche Unterstützung und wertvollen Vorschläge. Prof. Dr. Maren Hartmann danke ich für ihre jederzeit gewährte Unterstützung und für die konstruktive Kritik aus kommunikations- und mediensoziologischer Perspektive. Im Verlauf dieser Arbeit hatte ich das große Glück, mit sehr vielen weiteren ­klugen und tollen Menschen zusammenarbeiten zu dürfen. Insbesondere die Projekte Lorm Glove und Lorm Hand wären ohne meine wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so nicht möglich gewesen. Ich ziehe meinen Hut voll Dank und Hochachtung vor Tiago Martins und Ulrike Gollner. Ihr technisches Können, ihr gestalterisches Geschick und ihr fachliches Wissen sind atemberaubend. Ich habe viel von ihnen gelernt. Gleiches gilt für meine studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Chiara Esposito, Fabian Werfel, Andrea Clemens und die viel zu jung verstorbene Inci-Ana Zohrap. Sehr froh und dankbar bin ich auch für die handfeste Expertise von John von Bergen und ­Elisabeth Scharler bei der Entwicklung der Lorm Hand. Tilo Westermann (Programmierung), Christian Hertlein (GUI) und Dr. Sven Kratz (Beratung) danke ich für ihren Einsatz und ihr Know-how bei der Entwicklung der App „Call my Attention!“. Oskar Koller danke ich für seine Unterstützung, seine Neugierde und Ideen bei meinen ersten Projekten zum Thema Gehörlosigkeit. Betie Pankoke sei gedankt für ihre unverwechselbar auf den Punkt gebrachten Illustrationen in der ganz frühen Projektphase. Johannes Geng danke ich für seinen geistreichen, bisweilen kritischen und dabei immer motivierenden Input zu inhaltlichen Fragen meiner Arbeit sowie zu Fragen wissenschaftlichen Arbeitens im Allgemei­ ichael Ertel und Agatha Böhm waren eine große Hilfe bei der Durchführung des nen. M StreetLabs. Sarah Schipper half mir sehr bei der Organisation und Durchführung der Deaf Jams, des Street Labs und der Vorstudie One Day blind in Berlin. Mit dem StreetLab selbst konnte wunderbar explorativ der Grundstein für so ­vieles gelegt werden, was wir im Design Research Lab heute noch zum Thema Partizipative Forschung und Gestaltung diskutieren und praktizieren. Meinen beiden MitInitia­toren Alexander Müller-Rakow und Jan Lindenberg danke ich für eine ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Zeit bei der Vor- und Nachbereitung sowie bei der Durchführung dieses Projektes. Torsten Posselt danke ich für die grafische und audiovisuelle Gestaltung der StreetLab-Projektdokumentation; Jennifer Schubert für ihre Hilfe bei der Entwicklung des StreetLab-Erscheinungsbildes; Angelika Mende und der Werkstatt für Unbeschaffbares für die sorgsame Zusammenstellung der Workshop-Materialien im Deaf StreetLab und für die Ausstellungsgestaltung des StreetLab Exhibition Space am Berliner Herrmannplatz. Riccardo Pascotto war eine große Hilfe beim StreetLab Projekt Management.

DANKSAGUNG  269

Im Laufe meiner Arbeiten sind mehrere Videos und Video-Prototypen entstanden. Die besten davon (u. a. Lorm Glove, Lorm Hand, Speechless, Interaktiv Inklusiv, Call my Attention, Universal Interaction Design Research) entstanden unter der Regie und Kameraführung von Kai Hattermann (Filet Royal), der auch für weite Teile der Drehbücher verantwortlich zeichnete und selbst vor Drehterminen bis 5 Uhr morgens nicht zurückschreckte. Ganz besonders hilfreich – wie stets – die vielen konstruktiven, kritischen, inspirierenden Gespräche mit den (inzwischen zum Teil ehemaligen) Kolleginnen und Kollegen am Design Research Lab über Fachliches, Inhaltliches oder auch völlig Abwegiges. Was soll man sagen? Mit Menschen wie Dr. Sandra Buchmüller, Dr. Fabian Hemmert, Alexander Müller-Rakow, Dr. Katharina Bredies, Dr. Florian Sametinger, Dr. Andreas Unteidig, Dr. Jennifer Schubert, Dr. Bianca Herlo, Malte Bergmann, Stefan Göllner, Dr. Rosan Chow, Susanna Hertrich, Miriam Lahusen, Anne Wohlauf, Matthias Löwe, Joshua Marr, Josefine Zeipelt, Peter Conradie, Marie Beuthel, Ebba Fransén Waldhör, Florian Conradi, Michelle Christensen, Elena Zach, Bodo Pahlke, Katharina Lorenz, Ramyah Gowrishankar, Pauline Vierne, Sarah Diaz Rodriguez, Dr. Susanne Ritzmann, Steffi Hofrichter, Fabrizio Lamoncha, Berit Greinke, Jussi Mikkonen, Oscar Palou, Juan Pablo Garcia Sossa oder Christian Pflug zusammenarbeiten zu dürfen: ein Geschenk! Dieser einzigartigen Arbeitsatmosphäre an einem unvergesslichen Ort verdanke ich ungemein viel. Wertvolle ­Inspiration und Möglichkeiten zum Austausch mit Gleichgesinnten bot sich auch im Zuge unserer zahlreichen, wöchentlichen Design Research Kolloquien, zu deren Teilnahme ich jeden meiner Leserinnen und Leser ermutigen möchte. Corinna Schmidt danke ich für alle erdenklichen Arten der buchhalterischen und hochschulpolitischen Unterstützung. Ferner danke ich Gudrun Sieke von der Beratungsstelle für Taubblinde am Oberlinhaus Potsdam, bei der ich das erste Mal lormen lernte und die das Forschungsprojekt seitdem immer wieder bereicherte, sei es beratend, als Dolmetscherin, durch die Vermittlung von Kontakten oder als Mit-Organisatorin der großen Taubblinden Demonstration in Berlin, bei der die Lorm Hand – auch durch die Initiative von Irmgard Reichstein (Stiftung Taubblind Leben) – erstmalig öffentlich zum Einsatz kam. Ebenso großer Dank gilt Bärbel und Rosemarie Klapötke, Roswitha Röding, den Mitgliedern der Taubblindenund Hörsehbehindertengruppe des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin (ABSV) und schließlich der Dolmetscherin Laura Schwengber und ihrem taubblinden Freund Edi. Es ist toll, sie alle zu kennen! Prof. Dr. Michael Erlhoff und Prof. Dr. Uta Brandes haben mich früh neugierig auf forschungsrelevante Themen im Design aufmerksam gemacht und stehen mir bis heute, lange nach meinem Designstudium an der Köln International School of Design (KISD), als Ansprechpartner zur Verfügung, deren Rat ich nach wie vor sehr schätze. Die KISD selber nehme ich bis heute als besonderen Ort wahr, an dem besondere Ideen entstanden und entstehen, und um welche herum ein spezieller, inspirierender Designdiskurs geführt wurde und wird. Teil dieses Netzwerks aus Studierenden, Lehrenden und Alumni zu sein, erachte ich als etwas Einzigartiges. Mein spezieller Dank gilt den Professoren Philipp Heidkamp, Björn Bartholdy, Andreas Wrede, Michael Gais und dem inzwischen

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leider verstorbenen, großartigen Heiner Jacob. Sie haben mich im Laufe meines Designstudiums gefordert und gefördert, was mir dabei half, den Blick auf die Dinge zu schärfen. Meiner damaligen Professorin Brigitte Wolf (inzwischen Uni Wuppertal) und Professor Jenz Großhans danke ich für die Möglichkeit eines UNIBRAL Stipendiums (DAAD), in dessen Rahmen ich an der Universidade Federal do Paraná in Curitiba (Brasilien) studieren konnte. Ein Aufenthalt, der mir in vielerlei Hinsicht dabei half, anders (und vor ­allem: kritisch) über die Rolle von Design nachzudenken. Meine Arbeit wurde vor Ort von Prof. Dr. Aguinaldo dos Santos unterstützt, dem ich ebenfalls meinen Dank ausspreche. Im Verlaufe dieser Arbeit hatte ich zudem Gelegenheit, mich mit internationalen Fachleuten zu meinem Forschungsthema auszutauschen. Ganz besonders möchte ich mich an dieser Stelle bedanken bei Graham Pullin, Mike Press, Victor Margolin, Lennard Davis, Tom Shakespeare, Tobin Siebers, Bill Gaver, Arne Scheuermann, Ralf Michel, Felicidad Romero-Tejedor, Alain Findeli, Klaus Krippendorff, Clive Dilnot, Susan Vihma, Pelle Ehn, Per Anders-Hilgen, Daniel Fallman, Mads Nygaard Folkmann, Tuuli Mattelmäki, Lia Krucken, Marcelo Tramotano, Maria Cecilia Loschiavo dos Santos, John Calvelli, Saskia Best, Sarah Kettley, Tom Fisher, Judith Vogt, Paola Antonelli, Mike Kent, Katie Ellis, Axel Vogelsang, Claudia Mareis, Kora Kimpel, Birgit Bauer, Martin Tomitsch, Ana Correia de Barros, Will Titley, Juliette MacDonald, Darrin Griechen, Ali Ilhan, Isil Oygur, Balder Onarheim, Anna Berkenbusch, Till Beutling, Lucy Burke, Rachel Cooper, Ramia Mazé, Kathrin Busch, Matthias Böttger, Stephan Carsten, Ludwig Engel, Maura Collins, Helge Aszmoneit, Kinga German, Gabor Ebli, Cathy Gale, Cameron Tonkinwise, Ranulph Glanville, Carlo Vezzoli, Marion Godau, Jevgeni Hristoforov, Stefan Greiner, Enno Park, Katrin Grüber, Harald Gründl, Karin Harrasser, Fred Meyer Menzel, Peter Möckel, Sebastian Möller, Jan-Niklas Antons, Julia Leihener, Andreas Sommerwerk, Fee Steinhoff, Cornelia Horsch, Selina Ingold, Susanne Maass, Heidi Schelhowe, Sebastian Fiedler, Veronica Ranner, Mateusz Nowak, Vlad A. Goszman, Alex Obermayer, Reto Wettach, Robert Pelz, Luiza Prado, Pedro Oliveira, Jan-Henning Raff, Stephen Rust, Sabine Junginger, Khaldoun Zreik, Megan Strickfaden, Renato Troncon, Camilla Robuschi, Katja Günther, Ingrid Scherübl, Christoph Heufelder, Michael Hohl, Eva Hornecker, Ralph Talmont, Jure Purgaj, Robin Ribback, Anja Carolin Hofmann, Andrea Augsten, Daniela Peukert, Keith Russel, Birgit Behrisch, Katrin Grüber, Jimmy Schmid, Chris Rust, Sandra Groll, Vera Baur-Kockot, Gavin Melles, Leif Ostman, June H. Park, Wolfgang Jonas, Gui Bonsiepe, Alastair Fuad-Luke, Wolfgang Ullrich, Kris Krois, Rama Gheerawo, Nik Haffner, Lena ­Maria Loose, Carina Krause, Wolfgang Knapp, Robert Stock, Robert Weidner, Sara Hendren, Raul Krauthausen, Mareice Kaiser, Martin Zierold, Alessia Cadamuro, Ilka Schaumberg, Andréa Poshar, Rita Maldonado Branco, Manja Unger-Büttner, Gwendolyn Kulick, Paul Chamberlain, Marc Pfaff, Anja Neidhardt, Kai Rosenstein, Christian Wölfel, Markus Köck und Uwe von Loh. Im Zuge meiner Lehrtätigkeit an der German University in Cairo, in deren Rahmen ich auch eine meiner Fallstudien durchführen konnte, erfuhr ich fabelhafte Unterstützung aus dem Kollegium vor Ort: Allen voran danke ich hierbei Prof. Sven Anwar-Bibi, der mich als Dekan der Fakultät für Angewandte Wissenschaften und Künste an die GUC

DANKSAGUNG  271

holte und mir dort den Freiraum zur Ausgestaltung und Durchführung meiner Studien gab, und dabei als immerwährender, aufmunternder und sowieso kluger Ansprechpartner bereitstand. Ebenso danke ich Prof. Dr. Qassim Saad und dem Kollegium vor Ort, vor allem Alexander Essen. Die von mir geleiteten Studienprojekte und Workshops w ­ aren derart zahlreich besucht, dass ich sie wohl schwerlich ohne die Unterstützung meiner Lehrassistentinnen hätte durchführen können. Mein Dank gilt daher meinen „Teaching Assistants“ Nourhan Hegazy, Salma Adel, Nourhan Tawfik, Mona Diab und Reham ­Sherif Mogawer. Zweifellos wären eine solche Arbeit und die damit verbundenen Aktivitäten nicht ohne eine entsprechende Finanzierung zu stemmen. Mein Dank gilt daher allen Verantwortlichen bei den Telekom Innovation Laboratories (T-Labs, TU Berlin), an der Universität der Künste Berlin, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem VDI|VDE, dem Hochschulwettbewerb und der Initiative Wissenschaft im Dialog für ihre großzügige Unterstützung und ihren Glauben an das Projekt. Mein Dank gilt überdies den zahlreichen engagierten und interessierten Personen und Institutionen, die sich bereit erklärt haben, mit mir zu sprechen, die für Rücksprachen zur Verfügung standen, an Diskussionsrunden und Präsentationen teilnahmen und mir schließlich Einblicke in ihr Leben und ihr Arbeiten gewährten. Alle Institutionen zu nennen, würde den Rahmen sprengen. Genannt seien immerhin das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft (IMEW), der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin e. V. (ABSV), das Oberlinhaus (Diakonisches Kompetenzzentrum für Bildung und Gesundheit von Taubblinden), Deaf Berlin, Sinneswandel (Förderung gehörloser und hörgeschädigter Menschen in Berlin gGmbH), Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (Dr. Thorsten Hinz und Katja Werner), Aktion Mensch, Fürst Donnersmarck-Stiftung, Deutsches Hygiene Museum Dresden (DHMD) sowie für das Projekt StreetLab: die Initiative „Platzspiele“, das Platzcafé Falkplatz, MaDonna (Mädchenkult e. V.), Quartiersmanagement (Rollbergviertel) und das Bezirksamt Neukölln (Abteilung Jugend und Familie – Jugendförderung). Ungenannt bleiben viele Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner aus lokalen und regionalen Initiativen, Vereinen und Verbänden, die mit ihrem Wissen und auch mit ihren Kontakten viele offene Fragen beantworten und mir neue Fragen zu formulieren halfen. Ihnen bin ich ebenso zu Dank verpflichtet wie Herrn Stettin und Katrin Dinges, die ich stellvertretend für all jene hervorheben möchte, die mehrfach bei Nutzertests mitgewirkt haben und deren Feedback so hilfreich und wichtig war. Die schriftliche Form dieser Arbeit entstand an verschiedenen Orten. Zwei davon spielten jedoch eine besondere Rolle im Entstehungsprozess: zum einen die Burg Ranis in Thüringen und zum anderen die Künstlerwohnung in der Waldmühle der Stadt Soltau. An diesen Orten hatte ich eine Zeit lang die Möglichkeit, mich voll und ganz aufs Denken und Schreiben zu konzentrieren, was meiner Arbeit ungeheure Schübe verlieh. Für die Möglichkeiten im Rahmen der damit verbundenen Aufenthaltsstipendien danke ich Ralf Schönfelder, Christel Kuester-Schmidt und Ulrike Bartnik.

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Dem BIRD danke ich für das entgegengebrachte Vertrauen und die Wertschätzung meiner Arbeit. Ulrich Schmidt und Nora Kempkens danke ich für die professionelle und freundliche Betreuung auf Verlagsseite. Zuletzt bedanke ich mich bei all den Menschen, die sich im Verlaufe meiner Forschung aktiv an den jeweiligen Veranstaltungen, Diskussionen, Publikationen beteiligt und damit die Grundlage und nachhaltige Impulse für meine intensive Auseinander­ setzung mit den Potenzialen und Herausforderungen einer inklusiven Gestaltung und Forschung beigesteuert haben. Jede/r Einzelne von ihnen bestätigt schließlich, dass der Designforscher niemals alleiniger Hauptakteur bleiben kann und darf, sondern bisweilen die Rolle des Moderators oder Übersetzers einnehmen sollte. Denn Design (im sozialen Kontext) intensiv zu ergründen heißt auch: den Zusammenhang von Gestaltung und sozialem Verhalten derer zu untersuchen, die unmittelbar von dieser Gestaltung betroffen sind. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, etwaige Forschungsfragen gemeinsam mit den sie betreffenden Menschen und Institutionen zu formulieren und auch gemeinsam zu entschlüsseln, damit Designforschung letztlich dort passiert, wo sie besonders gut geeignet ist: in der Gesellschaft. Abschließend danke ich meiner Familie in Berlin, Köln, Österreich und Neuseeland, insbesondere meinen Eltern Gerda und Jörg, meinem Bruder Marc und meiner Frau Lili. Für alles! Widmen möchte ich dieses Buch meinen beiden Söhnen Jacques und Lean. Ihr seid mir das Wichtigste!

Tom Bieling Berlin, April 2019

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294  INKLUSION ALS ENTWURF

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25 Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28 Abb. 29 Abb. 30 Abb. 31 Abb. 32 Abb. 33 Abb. 34 Abb. 35 Abb. 36 Abb. 37 Abb. 38 Abb. 39 Abb. 40 Abb. 41 Abb. 42 Abb. 43 Abb. 44 Abb. 45 Abb. 46 Abb. 47 Abb. 48 Abb. 49 Abb. 50 Abb. 51 Abb. 52 Abb. 53

ProAesthetics by Francesca Lanzavecchia (2008) Human Version 2.0: Beinprothesen von Aimee Mullins (Foto: Mike Lee) Accessible Icon: Guerilla Aktion von Sara Hendren (Foto: Brian Funck) 3-D-Translator (Foto: Sarah Schipper) Haptische Displays (Fotos: Sarah Schipper / Tom Bieling) Das Handy als Zigarettenhalter (Foto: Sarah Schipper) „HangUp“( Foto: Sarah Schipper) Bildung von Themenclustern (Foto: Sarah Schipper) Video Prototyp „Virtuelle Platzhalter“ (Video: Oscar Koller) „Deaf Mirror“ und „Snake Phone“ (Fotos: Sarah Schipper / Tom Bieling) Deaf StreetLab Konzeptbogen (Fotos: Sarah Schipper / Tom Bieling) Illustrationen, Deaf Jam: Betie Pankoke Illustrationen, Deaf Jam: Betie Pankoke Illustrationen, Deaf Jam: Betie Pankoke Illustrationen, Deaf Jam: Betie Pankoke Ausschnitt Video-Prototyp „Watch & Write“ (Kai Hattermann / Tom Bieling) Ausschnitt Video-Prototyp „Mobile Alert Recognition“ (Hattermann/Bieling) Ausschnitt Video-Prototyp „EL-BIS“ (Kai Hattermann / Tom Bieling) Ausschnitt Video-Prototyp „Sign-to-Text“ (Kai Hattermann / Tom Bieling) Ausschnitt Video-Prototyp „HangUp“ (Kai Hattermann / Tom Bieling) „Call my Attention“ Infografik (Pedro Álvarez) App „Call my Attention“ (Progr.: Tilo Westermann; Grafik: Christian Hertlein) Lorm Alphabet, Projektflyer (Grafik: Chiara Esposito) Lorm Devices, Deutsches Technikmuseum Berlin (Fotos: Tom Bieling) User Test mit dem ersten Prototypen (Foto: Ulrike Gollner) Lorm Glove und Lorm Hand: Lange Nacht der Wissenschaften Lorm Glove 1.0 Aus PET angefertigte Stütz-Ebene (ohne Ummantelung) Lorm Glove 2.0 Positionierung Vibrationsmotoren und Input (Tiago Martins) Input und Output Circuits für den Lorm Glove 2.0. (Tiago Martins) „Debug view“, Tiago Martins Lorm Glove Software Tablet als Lern- und Übungshilfe für Sehende Hinzufügen neuer Gesten Editieren von Gesten Lorm-to-Text, Text-to-Lorm „Innenleben“ des Lorm Glove 3.0 (Tiago Martins) Versuchsläufe und Zwischenvarianten: kapazitiv, hexagonal (Martins) User Test Lorm Glove 3.0, Brandenburger Tor (HBO Dokumentation) Stationäre Anbindung Taubblinder ans Netz: Lorm Hand 1.0 Testvarianten mit leitfähiger Tinte und Kupferband User Tests Lorm Hand 1.0 mit kleinerem Sockel Pressure-Sensing Circuit für Lorm Hand 2.0 (Martins / Esposito / Werfel) Positiv Form für die Lorm Hand 2.0 (Skulptur: Elisabeth Scharler) Sensor Circuit der Lorm Hand 2.0 mit leitfähigem Textilbezug Besucherin der Münchner Medientage testet Lorm Hand 2.0 Kapazitive Sensor Schichten der Lorm Hand 3.0 Lorm Hand 3.0 beim Nutzer-Test (Ausschnitt: SWR „Odysso“, 23.4.2015) Prototypische Evolutionsstufen, Lorm Hand / Lorm Glove Haptisches und akustisches Feedback an der Ampel Ausschnitte aus Video-Doku „One Day blind in Berlin“ (Schipper/Bieling) Ausschnitt aus Video-Doku „One Day blind in Berlin“ (Schipper/Bieling)

ABBILDUNGSVERZEICHNIS 295

Abb. 54 Abb. 55 Abb. 56 Abb. 57 Abb. 58 Abb. 59 Abb. 60 Abb. 61 Abb. 62 Abb. 63 Abb. 64 Abb. 65 Abb. 66 Abb. 67 Abb. 68 Abb. 69

„Einfach immer da lang!“ Ausschnitt Video-Doku (Schipper/Bieling) Infografische Reduktion sprachlicher Komplexität Zwischenpräsentationen im Studienprojekt an der GUC Finger-Pen, Prototyp (Foto: Tom Bieling) Prothesen mit „Mehrwert“ Easy Read – Konzept für Lern- und Lese-Software im App-Format Separieren und bearbeiten einzelner Textabschnitte mithilfe von Easy Read Visualisierungsformen bei Easy Read Vibrance – Gürtel zum Erlernen von Tanzschrittfolgen Vibrance Konzept Erläuterungen Prototyping Vibrance „Phobia“ Thaumatrop „Routine Clock“ Mode-Accessoire. Maura Collins, Seattle (Foto: Tom Bieling) Exklusion, Integration, Inklusion (Illustration: Aktion Mensch) Bezugspunkte von Design und Inklusion nach Tom Bieling

296  INKLUSION ALS ENTWURF

TABELLENVERZEICHNIS Tab. 1 Tab. 2

Exemplarische Annäherungsformen an Behinderung (Bieling / Geng) Vier Positionen des Designs in Bezug auf Behinderung nach Tom Bieling

TABELLENVERZEICHNIS 297

AUTOR Dr. Tom Bieling forscht und lehrt seit 2010 am Design Research Lab der Berliner Uni­ver­ si­tät der Künste. Lehraufträge und Forschungsaufenthalte an internationalen Universitäten und Institutionen (derzeit u. a.: Gastprofessur für Designwissenschaft an der Universität Trient, Lehrauftrag für Designtheorie/Transformationsdesign an der New D ­ esign University St. Pölten und Postdoc Senior Researcher am Zentrum für Designforschung der HAW Hamburg). Er ist Mitbegründer des Design Research Networks und Initiator von ­Designforschung.org. Zahlreiche Vorträge und Workshops an inner- und außeruniversitären Einrichtungen weltweit (u. a. Mumbai, Sydney, São Paulo, Rio de Janeiro, Tokio, Chicago, Portland, Spokane, Oslo, Helsinki, Tallinn, Lissabon, Kopen­hagen, Basel, Bern, Luzern, Mailand, London, Nottingham, Dublin, Budapest oder Rotter­dam). Vom Falling Walls-Konsortium wurde er zum Young Innovator of the Year 2014 gewählt. Seine mehrfach ausgezeichneten Arbeiten werden weltweit ausgestellt (u. a. in New York, Manchester, Sheffield, Edinburgh, Mailand, Wien, St. Gallen, Brünn, Eindhoven, St. Etienne, Frankfurt, Karlsruhe, München, Dresden oder Berlin). Tom Bieling studierte Design an der KISD in Köln und der UFPR in Curitiba (Brasilien), war wissen­schaftlicher Mitarbeiter an den T-Labs / TU Berlin (2007–2010), Gastprofessor an der German University in Cairo (2011–2013) und promovierte zum Dr. phil. an der UdK Berlin. Er ist Mitherausgeber der Buchreihe Design Meanings (Mimesis), Kurator der Ultràgallery (visuelle Datenbank für Fankultur), regelmäßiges Mitglied in Jurys, Forschungs- und Expertengremien und Autor von etwa 100 Artikeln in einschlägigen Fachjournals, Buchbeiträgen und ­Conference Papers. Mit „­Design (&) Activism“ und „Gender (&) Design“ erscheinen in ­ ücher. ­diesem Jahr zwei weitere B www.designforschung.org www.tombieling.com

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Projektkoordination: Nora Kempkens Herstellung: Bettina Chang Layout und Satz: Sven Schrape Design-Konzept BIRD: Christian Riis Ruggaber, Formal Papier: Magno Natural, 110g/m2 Lithographie: LVD Gesellschaft für Datenverarbeitung mbH, Berlin Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Library of Congress Control Number: 2019943826 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-0356-2020-7 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-2021-4

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Wörterbuch Design Begriffliche Perspektiven des Design Dieses Wörterbuch bietet die interessante und kategoriale Grundlage für einen ernsthaften internationalen Diskurs über Design. Es ist das Handbuch für alle, die mit Design beruflich und in der Ausbildung zu tun haben, sich dafür interessieren, sich daran vergnügen und Design begreifen wollen. Über 100 Autorinnen und Autoren u. a. aus Japan, Österreich, England, Deutschland, Australien, aus der Schweiz, den Niederlanden und aus den USA haben für dieses Design-Wörterbuch Originalbeiträge geschrieben und bieten so bei aller ­ ategorien kulturellen Differenz mögliche Erörterungen an, sich über wesentliche K des Design und somit über Design grundlegend zu verständigen. Es umfasst sowohl die teilweise noch jungen Begriffe aktueller Diskussionen als auch ­Klassiker der Designdiskurse. – Ein praktisches Buch, das sowohl ­Wissenschaftscharakter hat als auch ein Buch zum Blättern und Lesen ist. Michael Erlhoff, Tim Marshall (Hg.) In Zusammenarbeit mit dem Board of International Research in Design 472 Seiten 16,8 × 22,4 cm Gebunden ISBN: 978-3-7643-7738-0 Deutsch ISBN: 978-3-7643-7739-7 Englisch

Design as Research Positions, Arguments, Perspectives Die Designforschung ist vielfältig und im ständigen Wandel begriffen. Dieses Buch fragt nach dem aktuellen Stand der Dinge und skizziert die Grundfragen der forschenden Praxis. 16 internationale Autor/innen widmen sich in persönlichen Stellungnahmen vier Aspekten: Gibt es Differenzen zwischen Designpraxis und Designforschungspraxis? Welche Allianzen zwischen Text und Artefakt sind auf der Suche nach neuem Wissen möglich? Wie werden Theorien und Methoden aus anderen Disziplinen durch die Designforschung übersetzt und transformiert? Bewegt sich die Designforschung auf dem Weg zu einer formalen Disziplin, und wäre dies überhaupt ein Gewinn? Somit ist dieses Kompendium die Bestandsaufnahme eines schnell wachsenden Forschungsfeldes und zugleich ein Kompass zur persönlichen Orientierung. Gesche Joost, Katharina Bredies, Michelle Christensen, Florian Conradi, Andreas Unteidig (Hg.) In Zusammenarbeit mit dem Board of International Research in Design 240 Seiten 16,8 × 22,4 cm Gebunden ISBN: 978-3-0356-0919-6 Englisch

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Gender Design Streifzüge zwischen Theorie und Empirie Die Auseinandersetzung mit dem Geschlecht als sozialer Konstruktion ist in sehr vielen Wissenschaftsbereichen schon lange Teil der Theorie und Forschung. Im ­Design ist die Einbeziehung der Kategorie Gender allerdings noch immer ein blinder Fleck. Das ist merkwürdig, weil Design ja den ganz gewöhnlichen Alltag überall und jederzeit bestimmt und damit auch die in diesem Alltag handelnden unterschiedlichen Menschen. Und diese Interaktion zwischen den Subjekten und den Dingen findet unabdingbar „gendered“ statt. Das vorliegende Buch setzt sich erstmals mit den essenziellen Fragen von Gender im Design theoretisch wie praktisch auseinander: Es erörtert die grundsätzliche Notwendigkeit der Ein­beziehung von Gender in den Designprozess, und es stellt exemplarisch Designprojekte zu diesem wichtigen Thema vor. Uta Brandes In Zusammenarbeit mit dem Board of International Research in Design 354 Seiten 16,8 × 22,4 cm Gebunden ISBN 978-3-0356-1227-1 Deutsch