Integration durch Engagement?: Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach Inklusion [1. Aufl.] 9783839411889

»Wenn wir in Deutschland leben wollen, dann müssen wir genauso engagiert sein wie die Deutschen.« Wie finden Migrantinne

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Integration durch Engagement?: Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach Inklusion [1. Aufl.]
 9783839411889

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Prolog
Persönlicher Zugang zum Thema und Danksagung
Einführung
Thema und Fragestellung
Das Forschungsthema im Kontext der reflexiven Sozialpsychologie
Der Aufbau der Studie
Theorie und Kontext
Migration
Identität
Konsequenzen für den Gang der Forschung: Offene Fragen und Perspektiven
Einführung in den Forschungskontext
Das Forschungsverfahren
Subjekterfahrungen auf dem Weg in die deutsche Gesellschaft: Biographische Darstellung der Probanden und die Funktion des Engagements
Ergebnisbausteine
Inklusionsbegehren als Grundlage des Engagements
Selbstpositionierung
Identitätskonstruktionen
Forschungsergebnisse
Ergebniszusammenfassung
Die Funktion des Engagements
Inklusionsbegehren
Verortung
Selbstpositionierung
Identitätskonstruktionen
Diskussion zentraler Ergebnisse
Die Verschiedenheit von Zugehörigkeiten – gewollt oder erzwungen?
Die Positionierung in einer fremden Gesellschaft – wann ist man ein „guter Migrant“?
Engagierte Migrantinnen und Migranten in Deutschland – nur Ausnahmefälle ohne Wechselwirkung?
Engagement für die Mehrheitsgesellschaft – ein Zeichen für die Politik?
Abwertung und Diskriminierung – wer ist betroffen?
Gefühle von Exklusion und Fremdheit – ausschließliches Zeichen transnationaler Migration?
Zusammenfassung
Epilog
Literaturverzeichnis

Citation preview

Kathrin Düsener Integration durch Engagement?

Kathrin Düsener (Dr. phil.), Diplom-Sozialpädagogin, hat in Sozialpsychologie an der LMU München promoviert. Sie arbeitet im Bereich der Förderung bürgerschaftlichen Engagements.

Kathrin Düsener

Integration durch Engagement? Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach Inklusion

Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München Ursprünglicher Titel der Arbeit: »Dazugehören«. Die aktive Suche nach Zugehörigkeit engagierter Migrantinnen und Migranten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus Lektorat & Satz: Kathrin Düsener Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1188-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort

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Prolog

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Persönlicher Zugang zum Thema und Danksagung

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Einführung

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Thema und Fragestellung Das Forschungsthema im Kontext der reflexiven Sozialpsychologie Der Aufbau der Studie

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Theorie und Kontext

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Migration Identität Konsequenzen für den Gang der Forschung: Offene Fragen und Perspektiven

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Einführung in den Forschungskontext

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Das Forschungsverfahren Subjekterfahrungen auf dem Weg in die deutsche Gesellschaft: Biographische Darstellung der Probanden und die Funktion des Engagements

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Ergebnisbausteine

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Inklusionsbegehren als Grundlage des Engagements Selbstpositionierung Identitätskonstruktionen

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Forschungsergebnisse

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Ergebniszusammenfassung Die Funktion des Engagements Inklusionsbegehren Verortung Selbstpositionierung Identitätskonstruktionen Diskussion zentraler Ergebnisse Die Verschiedenheit von Zugehörigkeiten – gewollt oder erzwungen? Die Positionierung in einer fremden Gesellschaft – wann ist man ein „guter Migrant“? Engagierte Migrantinnen und Migranten in Deutschland – nur Ausnahmefälle ohne Wechselwirkung? Engagement für die Mehrheitsgesellschaft – ein Zeichen für die Politik? Abwertung und Diskriminierung – wer ist betroffen? Gefühle von Exklusion und Fremdheit – ausschließliches Zeichen transnationaler Migration?

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Zusammenfassung

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Epilog

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Literaturverzeichnis

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Vorw ort

Spätestens seit der Enquete des Deutschen Bundestages (2002) ist das Thema des Bürgerschaftlichen Engagements auf der Agenda der deutschen Politik. Nicht zuletzt gestützt durch die Daten des ersten Freiwilligen-Surveys (1999) hat sich eine eher optimistische Wahrnehmung von dem zivilgesellschaftlichen Potential in der Bundesrepublik durchgesetzt. Allerdings gab es immer auch den besorgten Blick auf Menschen mit Armuts- und mit Migrationshintergrund. Vor allem wurde thematisiert, dass wir wenig über das Engagement von MigrantInnen wissen und dass es möglicherweise auch deshalb unterschätzt wird, weil es im wesentlich in den Binnenraum der Migrationssubkulturen eingebracht wird. Zwischenzeitlich liegt der zweite Freiwilligen-Survey (2005) vor und wir wissen, dass auch MigrantInnen in einem beachtlichen Prozentsatz im Freiwilligenengagement beteiligt sind und ein nicht unerheblicher Teil davon „stammesbezogen“, also in migrationshomogenen Kontexten, erbracht wird. Es gibt aber auf Personen mit Migrationshintergrund, die sich bewusst und gezielt in Projekten und Kontexten engagieren, in denen ihr Engagement deutschen BürgerInnen zugute kommt. Kathrin Düsener, die in einer Freiwilligenagentur tätig war, interessierte sich speziell für diese Gruppe. Sie wollte mit ihrer Studie etwas über die Motive und Erfahrungen der Engagierten herausfinden und ging von der Grundannahme aus, dass MigrantInnen ihr Engagement für Deutsche nutzen, um sich in der fremden Gesellschaft zu beheimaten. Als theoretischen Rahmen für die Stützung dieser Annahme verknüpft Kathrin Düsener drei zunächst disparate Diskursbaustellen: Die Migrations-, die Engagement- und die Identitätsforschung. Sie werden in ihrer Eigenständigkeit dargestellt und dann in einen inneren Zusammenhang gebracht, der sehr gut einleuchtet: Was immer auch die Gründe für die Migration waren, so bedeuten sie in aller Regel den Verlust der Einbettung in vertraute und tragfähige Netzwerke und erfordern in dem neuen soziokulturellen Kontext ein

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VORWORT

„Reembedding“, eine aktive Beheimatung, die in dem Aufnahmeland in aller Regel nicht gerade positiv unterstützt wird (neueste Studien zeigen, dass mehr die Hälfte der Deutschen dafür sind, dass „AusländerInnen“ möglichst wieder in ihr Herkunftsland geschickt werden sollten). Diese Beheimatung betrifft aber nicht nur Aspekte von Wohnen und Beruf, sondern auch das Gefühl der Zugehörigkeit und Anerkennung von Seiten der Mehrheitsgesellschaft. Und damit ist auch das Thema der individuellen und kollektiven Identität berührt. Die Frage, die Kathrin Düsener mit ihrer Untersuchung beantworten wollte, bezog sich auf die brückenbildende Funktion des bürgerschaftlichen Engagements in bezug auf die Möglichkeiten sozialer Inklusion, die sich MigratInnen durch ihre aktive Unterstützung von hilfebedürftigen Deutschen zu verschaffen versuchen. Sind denn nun die aktiven Projekte der MigrantInnen zur Erreichung von Inklusion erfolgreich? Als Zentralbefund wird von Kathrin Düsener herausgestellt, dass der im freiwilligen Engagement so sichtbar erbrachte Beweis, dass MigrantInnen sich in der Mehrheitsgesellschaft als hilfreich, nützlich und teilweise unverzichtbar erwiesen haben, keine Garantie für eine gelungene Zugehörigkeit darstellt. Sie erbringen all die Voraussetzungen, oft in einer Art Übererfüllung, die von der Mehrheitsgesellschaft in ihren Diskursen als Integrationskriterien geforderten werden (wie Sprache, Distanz zu migrationsdominierten „Parallelgesellschaften“ etc.). Es hat etwas Tragisches, dass die intensiven Bemühungen von MigrantInnen, sich als nützlich und dazugehörig zu erweisen und dabei bis zu hohen Anpassungsbemühungen zu gehen, nicht die Art von Resonanz erfahren, die für ein positives Inklusionserleben erforderlich wäre. Schmerzlich wird das vor allem für die MigrantInnen, die innerlich bereit sind, sich voll und ganz in die Aufnahmegesellschaft zu integrieren. Identitäre Strategien, die eher die Ambivalenzen in dem „Dazwischen“ akzeptieren und in der Lage sind, für sich hybride Beheimatungsstrategien zu entwickeln, können sich offensichtlich besser mit den durchaus ambivalenten Erfahrungen arrangieren. Kathrin Düsener legt ein Buch vor, das die Engagement- und Migrationsforschung sehr bereichert. Es zeigt etwas auf von der Widersprüchlichkeit der deutschen Integrationswirklichkeit, die einerseits die Bildung von Parallelgesellschaften kritisch sieht und andererseits die Bemühungen der Menschen aus anderen Kulturen, sich hier eine neue Heimat aufzubauen, nicht gerade erleichtert. Auch die vielfältigen Formen der praktischen Engagementförderung, die in den letzten Jahren entstanden sind, können aus der Lektüre der hier vorgelegten Untersuchung wichtige Anregungen gewinnen.

Im März 2009 8

Heiner Keupp

Prolog

Valentin: Ja, ein Fremder ist nicht immer ein Fremder. Karlstadt: Wieso? Valentin: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde. Karlstadt: Das ist nicht unrichtig. – Und warum fühlt sich ein Fremder nur in der Fremde fremd? Valentin: Weil jeder Fremde, der sich fremd fühlt, ein Fremder ist und zwar so lange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt, dann ist er kein Fremder mehr. Karlstadt: Sehr richtig! – Wenn aber ein Fremder schon lange in der Fremde ist, bleibt er dann immer ein Fremder? Valentin: Nein. Das ist nur so lange ein Fremder, bis er alles kennt und gesehen hat, dann ist ihm nichts mehr fremd. Karlstadt: Es kann aber auch einem Einheimischen etwas fremd sein! Valentin: Gewiss, manchem Münchner zum Beispiel ist das Hofbräuhaus nicht fremd, während ihm in der gleichen Stadt das Deutsche Museum, die Glyptothek, die Pinakothek und so weiter fremd sind …

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Pe rs önlic her Zuga ng z um Thema und Da nksa gung

Bürgerschaftliches Engagement wird als wesentlicher Pfeiler unserer Gesellschaft angesehen. Alle großen Parteien haben mittlerweile die Bedeutung freiwilligen Engagements für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands erkannt. Gründe für das große Interesse gibt es viele: Die demographische Entwicklung in Deutschland und die dadurch entstehenden Kosten, die von professioneller Sozialstaatlichkeit nicht aufgefangen werden können sowie die mögliche Konversion von Zivildiensten.1 Auch aufgrund der demographischen Entwicklung wird diskutiert, inwieweit Zuwanderung positive Effekte auf die Zukunftsfähigkeit Deutschlands haben könnte. So wird das Thema Migration nicht ausschließlich in einem negativen Rahmen gesehen.2 In meiner beruflichen Tätigkeit als Mitverantwortliche für die Koordination des bürgerschaftlichen Engagements habe ich in den letzten Jahren eine hohe Bereitschaft zum freiwilligen Einsatz feststellen können. Eher zufällig in dieses berufliche Feld gekommen, begeisterte ich mich mehr und mehr für die Idee der Bürgergesellschaft, die – getragen durch vielfältiges freiwilliges Engagement – Kräfte freisetzen kann, welche das soziale und kulturelle Leben in Deutschland prägen. Menschen unterschiedlichster Herkunft, Bildung und Profession entschließen sich, einen Teil ihrer Freizeit für andere einzusetzen. Besonders interessiert haben mich im Rahmen meines beruflichen Auftrags als Koordinatorin der Freiwilligen-Zentren der Caritas in München sowohl

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Die weltweite demografische Entwicklung wird mehr und mehr zum Thema der Medien. Vgl. Schmitz, Thorsten/Bork, Henrik/Schoepp, Sebastian/Kreye, Andrian/Kessler, Manuela, Die Welt im demographischen Umbruch. München: Süddeutsche Zeitung 04.05.2006: S. 19 Vgl. Schwentker, Björn, Aussterben angesagt. Deutschland hat die Demografie entdeckt – und mit ihr die demografische Katastrophe. Viele Forscher sehen gar keinen Grund zur Aufregung. In: Die Zeit 08.06.2006: S. 36 11

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

die Motivlagen als auch die identitätsstiftenden Aspekte freiwilliger Arbeit der engagierten Personen.3 Denn anders als ich selber, die ehrenamtliche Tätigkeiten quasi von Kindesbeinen an durch familiäres Engagement im Sportbereich und in sozialen Feldern erlebt und wie selbstverständlich auch übernommen habe, begegnen mir in meiner Arbeit Menschen, die zumeist erst als Erwachsene den Weg zur freiwilligen Tätigkeit finden und ganz gezielt Aufgabengebiete auswählen, die ihren Neigungen und Vorstellungen entsprechen. In meiner Beratungs- und Vermittlungsarbeit fielen mir besonders Migrantinnen und Migranten auf, die sich für ein freiwilliges Engagement interessierten. Zunächst ging ich davon aus, dass sie sich wohl am besten für Menschen aus ihrer Herkunftsnation einsetzen können, doch oftmals erlebte ich, dass genau dies nicht den Wünschen der interessierten Migrantinnen und Migranten entsprach. Ganz im Gegenteil: Sie wünschten sich ein Engagement von und mit Deutschen. Diese Konstellation und die damit verbundenen Fragestellungen zur Motivation und Interaktion begannen, mich zu interessieren. Während ich in einer Wohnanlage für ehemals obdachlose Familien arbeitete, in welcher überproportional viele Bürger ausländischer Herkunft und zum Teil mit unsicherem Aufenthaltsstatus lebten, konnte ich Erfahrungen im Migrations- und Asylbereich sammeln. Mit der speziellen Forschungsthematik möchte ich nun die beiden Bereiche „Migration und Engagement“ verknüpfen und das bereits gut erforschte Feld des sozialen Engagements von Migrantinnen und Migranten in Deutschland hinsichtlich Fragestellungen bezüglich interpersonaler Aspekte und identitätsrelevanter Erfahrungen ausweiten. Wesentlicher Schwerpunkt wird hierbei die individuelle Wahrnehmung der Engagierten selber sein. In meiner täglichen Arbeit kann ich die Entwicklung zum Thema auf politischer Ebene verfolgen. Die Politik reagiert auf gesellschaftliche Veränderungen und widmet sich verstärkt dem Thema „Migration und Engagement“. So hatte der „Generationsübergreifende Freiwilligendienst“ als Modellprojekt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seinen Startpunkt im April 2005. Die Debatte um den Fortbestand des Zivildienstes und um den „Wandel im Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft“ hat dazu geführt, den „Generationsübergreifenden Freiwilligendienst“ ins Leben zu rufen.4 Als Zielgruppe gelten Personen ab dem 16. Lebensjahr, die sich, ange-

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Auf eine genauere Beschreibung der Arbeit der Freiwilligen-Zentren wird verzichtet. Nähere Informationen dazu in: Baldas, Eugen/Bock, Teresa/Gleich, Johann/Helmbrecht, Michael/Roth, Rainer, Modellverbund FreiwilligenZentren: Bürgerengagement für eine freiheitliche und solidarische Gesellschaft. Kohlhammer Stuttgart 2001 Vgl. Schmidt, Renate, Freiwilligkeit kennt keine Altersgrenze. Namensartikel Bundesministerin Renate Schmidt, Frankfurt: Frankfurter Rundschau

PERSÖNLICHER ZUGANG ZUM THEMA UND DANKSAGUNG

lehnt an das „Freiwillige Soziale Jahr“ für einen Zeitraum von mindestens drei Monaten bis zu zwei Jahren verpflichtend engagieren.5 Die Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern ausländischer Herkunft in diesem Dienst ist zwar im Bericht der Kommission nicht explizit genannt, jedoch konnten die Träger als Zielgruppe unter anderem Migrantinnen und Migranten nennen. Als Mitverantwortliche der Caritas für das Thema „Bürgerschaftliches Engagement“ war ich daran beteiligt, den „Generationsübergreifenden Freiwilligendienst“ für die Caritas in München zu etablieren. Dies trug wesentlich zu einer weiteren Motivation bezüglich des Forschungsthemas bei. Ich bedanke mich herzlich bei Prof. Dr. Heiner Keupp, der meinem Forschungsthema von Beginn an offen gegenüberstand. Seine Anregungen und Kommentare zu meinem Projekt waren für mich eine wichtige Stütze und haben wesentlich dazu beigetragen, den Forschungsbereich zu fokussieren und die zentralen Themen herauszufiltern. Des Weiteren bedanke ich mich beim Doktorandenkolloquium für den wertvollen Austausch und die gemeinsamen Lernerfahrungen. Besonders danke ich der Kleingruppe mit Andrea Dischler, Sandra Dlugosch, Irmela Sperl, Silke Vlecken, Anke Grube und Claudia Barth für die vielen gemeinsamen Lern- und Arbeitswochenenden, die mir eine wichtige Hilfe bei der Auswertung der Interviews waren. Die Suche nach Interviewpartnerinnen und -partnern wurde mir durch die wertvolle Kooperation mit verschiedenen Institutionen erleichtert. Ich bedanke mich sehr herzlich beim Freiwilligen-Zentrum Augsburg, dem MünchenStift und dem Team des Zentrums Aktiver Bürger in Nürnberg. Ganz besonders bedanke ich mich bei Mark für die liebevolle Unterstützung – auch bei technischen Fragen – und seine Geduld während der Promotion. Ein besonderer Dank gilt darüber hinaus Hannelore für die vielen Stunden des Korrekturlesens und allen Freunden, die geduldig die Höhen und Tiefen während des Forschungsprojektes ertragen haben. Diese Studie wäre ohne die Interviewbereitschaft der engagierten Migrantinnen und Migranten nicht möglich gewesen. Daher gilt ihnen mein ausdrücklicher Dank für die offenen und intensiven Gespräche über ihren Einsatz und ihre vielfältigen Erfahrungen im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements.

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25.09.2004 http://www.bmfsfj.de/Politikbereiche/freiwilliges-engagement,did =20700.html, Quelle vom: 22.06.2007 Vgl. hierzu auch: Deutscher Bundestag (Hg.) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zukunft der Freiwilligendienste – Ausbau der Jugendfreiwilligendienste und der generationsübergreifenden Freiwilligendienste als zivilgesellschaftlicher Generationenvertrag für Deutschland. www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/RedaktionBMF SFJ/Arbeitsgruppen/Pdf-Anlagen/stellungnahme-pruefauftraege,property=pdf, bereich=,sprache=de,rwb=true.pdf, Quelle vom: 22.03.2005 13

Einführung

Thema und Fragestellung In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation ist der Themenbereich des „Bürgerschaftlichen Engagements“ aktuell wie schon lange nicht mehr. Ein Blick in psychologische Fachzeitschriften genügt: Die Frage nach den Gründen und Fördermöglichkeiten altruistischen Verhaltens hat Hochkonjunktur.1 Auch Tageszeitungen greifen das Thema wiederholt auf.2 Ob sich diese Aktualität vor allem aus dem Sparzwang kommunaler sozialer Einrichtungen ergibt, die auf freiwillige Arbeit wesentlich angewiesen sind und sich ein Reformdenken hin zu einer Bürgergesellschaft auf breiter Ebene durchzusetzen beginnt, oder ob, wie in wissenschaftlichen Diskursen immer wieder betont wird, Gründe vor allem in der zunehmenden Vereinsamung in einer individualisierten Gesellschaft zu suchen sind, sei noch dahingestellt.3 Auf jeden Fall treffen Fragen nach persönlichem Engagement für sich und andere in unserer Gesellschaft den Nerv der Zeit. Festgestellt wird, dass der übergreifende Zweck der sozialstaatlichen Tätigkeit – nämlich die Vermeidung ex1

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Die Zeitschrift „Psychologie Heute“ widmet sich in ihrer Ausgabe vom November 2005 in mehreren Artikeln diesem Thema ausgehend von der Hilfsbereitschaft nach der Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004. Weinheim: Psychologie Heute, 32. Jahrgang 2005 Die Süddeutsche Zeitung portraitiert in ihrer Ausgabe vom 21.10.2005 vier Münchner Bürger, die sich freiwillig engagieren: Dahl, Karin, „Ich möchte helfen, denen es nicht so gut geht“. Immer mehr Freiwillige engagieren sich ehrenamtlich – die SZ fragte vier Münchner, wofür sie sich interessieren. München: Süddeutsche Zeitung 21.10.2005: S. 54 Auf die Angst, dass die Bürgergesellschaft vom Staat nur deshalb propagiert wird, weil er sich aus der sozialen Verantwortung zurück ziehen will, geht auch Alois Glück ein. In: Glück, Alois, Verantwortung übernehmen. Mit der aktiven Bürgergesellschaft wird Deutschland leistungsfähiger und menschlicher. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt 2000: S. 135 15

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

tremer Formen von Ungleichheit und die Förderung der Sicherung des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft – nicht mehr ohne weiteres erreicht werden kann. Die Einzelziele der sozialstaatlichen Politik, wie die Bekämpfung von Armut, die Gewährleistung von Lebensstandards und die Stützung von Familien4 kann durch eine professionelle Sozialstaatlichkeit allein nicht mehr erreicht werden. Daher werden unterschiedlichste neue Konzepte durchdacht. So sind in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer Forschungsergebnisse und Studien zum Thema „Bürgerschaftliches Engagement“ erschienen, die in detaillierter Form Engagementgründe, Einsatzfelder, Geschlechterverteilung etc. darstellen. Bereits 1999 gab es eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Bundesregierung zum freiwilligen Engagement in Deutschland, in der festgestellt werden konnte, dass sich rund 22 Millionen Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik freiwillig engagieren.5 Auch das spezifische Engagement des Ehrenamts von Migrantinnen und Migranten in Deutschland ist in den letzten Jahren zunehmend behandelt worden. Verschiedene Studien beschäftigen sich heute vor allem mit der Verortung des Ehrenamts von Mitbürgerinnen und Mitbürgern ausländischer Herkunft und betrachten hierbei ebenfalls grundlegend die Engagementkultur im Herkunftsland. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nimmt sich diesem Thema in besonderer Weise an. Neben dem Engagement von und für Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund soll laut Aussage des Bundesamtes vor allem das gemeinsame, gleichberechtigte Engagement eine Schlüsselrolle in Integrationsprozessen einnehmen. Ein gemeinsames Engagement von Deutschen und Ausländern soll eine Plattform bieten, mit anderen Bürgerinnen und Bürgern zusammen zu kommen und Zusammengehörigkeit jenseits ethnisch definierter Zugehörigkeiten (sondern auf Grund geteilter und gemeinsam verfolgter Interessen und Ziele) zu erfahren. Gemeinsames bürgerschaftliches Engagement liefert somit Anlässe für interkulturelle Lernprozesse und eine interkulturelle Öffnung der Gesellschaft, und stellt entsprechende „Lernorte“ für diese zur Verfügung, z.B. für Selbstreflexion und den Umgang mit verallgemeinernden Zuschreibungsmechanismen. Es bietet zudem Raum, soziale Kompetenzen im Allgemeinen zu erlernen und auszuprobieren. Die Erfahrung, die eigenen Fähigkeiten aktiv für gesellschaftliches Zusammenleben einzubringen, Anerkennung zu erhalten und zu geben, stärkt das eigene Selbstwertgefühl ebenso wie die Identifika-

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Vgl. Döhring, Dieter, Sozialstaat. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch 2004: S. 4 Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg.), Wir für uns – Bürgerschaftliches Engagement in Bayern. Für eine lebendige Gemeinschaft. München: Druck & Verlag Zimmermann GmbH 2005: S. 10

EINFÜHRUNG

tion mit dem Gemeinwesen und schafft so letztlich gesellschaftlichen Zusammenhalt.6 Wenn es bereits zahlreiche Studien und Ergebnisse zum Thema Migration und freiwilliges Engagement gibt und Einigkeit darüber besteht, welch große Bedeutung das Engagement für die Migrantinnen und Migranten selbst aber auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hat – warum bedarf es dann noch einer weiteren Studie zu diesem Themenbereich? Da es in der Tat bereits die hier auch zum Teil erwähnten Forschungsarbeiten gibt, soll mit der vorliegenden Arbeit nicht versucht werden, das Thema „Migration und Engagement“ quantitativ von Neuem aufzurollen, weil hierzu keine neuen, von bisherigen Erkenntnissen gravierend unterschiedlichen Ergebnisse zu erwarten sind. Vielmehr soll sich der Fokus vor allem auf individuelle Wahrnehmungen und auf persönliche Entwicklungsmechanismen beziehen.7 Im Blickpunkt meiner Arbeit befinden sich Menschen, die aus einem anderen Kulturkreis bzw. einem anderen Land nach Deutschland gekommen sind und damit zwischen den Kulturen leben. Neben einer sicherlich möglichen und interessanten Fokussierung der Forschung auf ausgewählte Altersgruppen bietet sich eine Untersuchung der Zielgruppe „Migrantinnen und Migranten“ in verschiedenen Engagementfeldern an. Interessant sind hierbei vor allem auch aktuelle und brisante Aspekte, welche in Politik und Gesellschaft eine immense Bedeutung haben. So schrieb Jochen Welt, Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung, dass ohne die Umsetzung freiwilliger Tätigkeit die Integration viel schwieriger verlaufen würde.8 Die Migrantinnen und Migranten, die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, engagieren sich in unterschiedlichsten Feldern sozial, kulturell oder politisch für Deutsche. Gegenstand der Forschung ist dabei – unabhängig von den jahrelangen Debatten um eine Definition von „freiwilligem Engagement“ – jegliche ehrenamtliche Tätigkeit, welche sowohl unentgeltlich als auch im Rahmen so genannter Aufwandsentschädigungen entgeltlich stattfindet. Meine Fragestellung bezieht sich auf die subjektiven Erfahrungen und Identitätskonstruktionen von Menschen, die aus einem anderen Land nach Deutschland emigriert sind und sich hier freiwillig engagieren. Es ist unbe6 7

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Vgl. http:www.b-b-e.de/bundesamt_migration.html., Quelle vom: 02.01.2006 Susanne Huth verweist auf die Notwendigkeit qualitativer Studien zum Thema „Bürgerschaftliches Engagement von Migrantinnen und Migranten., Quelle: Huth, Susanne, Freiwilliges Engagement und Selbstorganisation von Migranen im Kontext wissenschaftlicher Diskussionen. In: Beauftragte der Bundesregiereng für Migration, Flüchtlinge und Integration, Migranten sind aktiv. Zum gesellschaftlichen Engagement von Migrantinnen und Migranten. Berlin und Bonn: Bonner Uni-Buchdruckerei 2003: S. 14-22 Vgl. Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern (Hg.), Engagiert in Bayern. Informationsbrief. Nürnberg: Eigenverlag Ausgabe März 2004: S. 1 17

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

strittene Tatsache, dass es sich hierbei nur um eine kleine Gruppe von Migrantinnen und Migranten handelt, da der Großteil in sozialen Gruppen der Herkunftsnation engagiert ist. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass sich ein Blick auf genau diese Gruppe lohnt, will man erfahren, welche Motivation diese Menschen lenkt und welche Erfahrungen sie im Hinblick auf Integration und die Konfrontation mit einem für sie zunächst fremden sozialen und kulturellen Kontext machen.

Das Forschungsthema im Kontext d e r r e f l e x i ve n S o z i a l p s yc h o l o g i e Das Thema „Migration“ ist keines, welches erst in der Neuzeit auftaucht und erst heute besondere Aufmerksamkeit verdient. Migration gab es schon und wird es wohl auch immer geben. Dennoch ist gerade der Zusammenhang zwischen Identität und Migration besonders in den heute stattfindenden gesellschaftlichen Umbrüchen aktuell und brisant wie vielleicht nie zuvor. Daher stelle ich meine Forschung in den Kontext der reflexiven Sozialpsychologie, welche ihre Themenstellung an der Nahtstelle zwischen Subjekt und Gesellschaft sieht.9 Damit ist gemeint, dass dieser psychologische Forschungszweig herauszufinden versucht, wie sich Subjekte in dynamischen, gesellschaftlichen Veränderungsphasen positionieren und welchen Einfluss gesellschaftliche Gegebenheiten auf die Subjekte haben. Dabei zeigen sich charakteristische Merkmale typischer individueller Handlungen.10 Wichtig sind hierbei die Fragen der Verortung der Subjekte in einer sich wandelnden sozialen Umwelt und die Erforschung der Strategien zum Umgang mit Unübersichtlichkeit, Enttraditionalisierung und Widersprüchlichkeit. Wie entwickeln sich hierbei neue innere Ordnungssysteme und individuelle Konstruktionen?11 Weitere zentrale Fragen sind: Wie entsteht Verlässlichkeit im Alltagsleben? Wie bilden sich jene alltäglichen Selbstverständlichkeiten heraus, auf deren Grundlage sich Menschen

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Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 9 Vgl. Cranach, Mario/Klabermatten, Urs, Soziales Handeln. In: Frey, Dieter/ Greif, Siegfried, Sozialpsychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union 1997: S. 321 Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen, Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 9

EINFÜHRUNG

sicher fühlen können? Wie wird ein Subjekt im jeweiligen gesellschaftlichen Lebenszusammenhang handlungsfähig?12 Unter „Reflexivität“ versteht man dabei, dass die seit dem Beginn der Zweiten Moderne eingetretenen Umbauprozesse das Individuum dazu zwingen, sich der eigenen Lebenskonzepte zu vergewissern und sie letztendlich selber zu „erfinden“.13 Das Wort „reflexiv“ wird zur Kennzeichnung dieser zweiten Moderne genutzt. Wichtige Selbstverständlichkeiten der Ersten Moderne weichen auf oder werden gänzlich in Frage gestellt: • Die Vollbeschäftigungsgesellschaft • Sicherheit durch Kontrollierbarkeit gesellschaftlicher und technischer Abläufe • Denken in Kategorien der „Nationalstaatsgesellschaften“ • Reichtum durch Unterwerfung der Natur • Soziale Verortung und Zugehörigkeit durch kollektive Identitäten und Lebensmuster • Aufbau der Gesellschaft durch geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, welche dem Mann den privilegierten Zugang zu Macht und Arbeit verschafft14 Nach dem Aufbrechen dieser Basisprämissen ist es dem Einzelnen überlassen, sein Leben zu gestalten. Dabei eröffnen sich neue Handlungsspielräume und Freiheiten. Gleichzeitig machen Menschen gravierende Umbruchserfahrungen, die beängstigend wirken können. Subjekte fühlen sich oftmals entbettet, das heißt, dass ihnen ein verlässlicher Rahmen beispielsweise von Traditionen fehlt, der Sicherheit und Klarheit bietet. Zudem gibt es keine kollektiven, allgemeingültigen Lebensmuster mehr, an denen man sich orientieren kann. Längst gibt es keine geteilten Vorstellungen von Erziehung, Sexualität oder Geschlechterbeziehungen mehr. Ein wesentlicher Aspekt ist die zunehmende Erwerbslosigkeit, vor allem in einer Gesellschaft, in der die Teilhabe an der Erwerbsarbeit über das Ansehen und die Anerkennung entscheidet.

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Vgl. Keupp, Heiner, Zur Einführung. Für eine reflexive Sozialpsychologie. In: Keupp, Heiner, Zugänge zum Subjekt. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998: S. 13 Vgl. Beck, Ulrich, Zeitalter der Nebenfolgen und die Politisierung der Moderne. In: Beck, Ulrich, Reflexive Modernisierung. Frankfurt a. Main: Suhrkamp 1996: S. 19ff Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas, Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 44ff 19

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Ein weiterer Aspekt ist der Verlust von gemeinsamen, vielleicht sogar generationsübergreifenden Erlebnis- und Erfahrungsbezügen. Die zunehmende Komplexität der Lebensverhältnisse führt zu einer Fülle von unterschiedlichen Erfahrungen, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Hinzu kommt die Entstehung von „virtuellen Welten“, in die man sich flüchten kann, wenn man die Realität nicht mehr begreift. Auf diese Weise entstehen quasi neue Realitäten. Auch unser Zeitempfinden hat sich verändert, denn durch die Innovationsentwicklung verliert unser aktuelles Wissen schnell an Bedeutung. Die Pluralisierung von Lebensformen und die Veränderungen der Geschlechterrollen bieten auf der einen Seite schier unendlich scheinende Möglichkeiten von Lebensgestaltungen, auf der anderen Seite besteht aber ein Zwang zur Auswahl, ohne dass man auf allgemeingültige Muster zurückgreifen kann. Durch die Individualisierung verlieren Traditionen, religiöse und familiäre Bindungen an Kraft und neben den bereits erwähnten Freiheiten, die dadurch entstehen, gibt es Erfahrungen von Unsicherheit und Hilflosigkeit. Gefördert wird dies auch dadurch, dass sich jeder auf seine eigene Sinnsuche begeben muss, da es keine „Meta-Erzählungen“ mehr gibt, die als Deutungsinstanzen gelten.15 Bei all diesen Anforderungen und Problemen ist es Aufgabe der Identitätsforschung im Rahmen der reflexiven Sozialforschung, diesen Fragen nachzugehen. Da die Problematiken der sich verändernden Gesellschaften für Menschen, die in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen sind, besonders relevant sind, macht es Sinn, das in der vorliegenden Arbeit vorhandene Forschungsziel in den Kontext der reflexiven Sozialpsychologie zu stellen. Die Frage nach der Identität und der Verortung, die sich für alle Subjekte in der Spätmoderne stellt, ist für Migranten besonders prekär, weil sie ohne ihren eigentlichen Bezugsraum wie Familie, Freundeskreis etc. auskommen müssen und so oft auch ohne altvertraute Regeln und Normen. Daher ist die Frage besonders spannend, ob und wenn ja wie Verortung und Zugehörigkeit denn möglich sind. Die von mir befragten Interviewpartnerinnen und Partner scheinen auf den ersten Blick in der deutschen Gesellschaft angekommen zu sein und sich hier integriert zu haben; denn würden sie sich sonst für Deutsche engagieren? Es lohnt sich ein sehr genauer Blick auf die einzelnen Interviews und die sich daraus ergebenden Kategorien, um zu erkennen, welche Art der Identität hier entsteht und welche Erfahrungen die Migranten tatsächlich machen. Wenn Identität das Ergebnis einer Aushandlung von Differenzen und Kon15 20

Ebd. S. 46ff

EINFÜHRUNG

flikten zwischen dem Subjekt und seiner Umwelt ist, zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft oder zwischen unterschiedlichen Lebenswelten, dann verdient der Aspekt der Migration bezüglich des Passungsverhältnisses zwischen verschiedenen Elementen besondere Aufmerksamkeit. Da die bisherige Forschung genau dazu wenig Aussagen macht, wird in diesem Forschungsvorhaben vor allem dieser Aspekt genauer betrachtet. Die grundlegende These, die sich aus den bisherigen Forschungsergebnissen entwickelt, ist die Annahme, dass freiwilliges Engagement erhebliche Auswirkungen auf die Identitätsentwicklung der beteiligten Personen hat. Auch die Interaktion zwischen Deutschen und Migrantinnen und Migranten wirkt sich auf die Identitätsentwicklung aus.

D e r Au f b a u d e r S t u d i e Um die Arbeit übersichtlich zu gestalten, habe ich sie in sechs große Teilbereiche untergliedert. Nach der bereits dargelegten Einführung folgt mit dem ersten Teilbereich eine Darstellung der Theorie und des Kontextes, in dem sich die Forschung befindet. Schon aus Gründen der wissenschaftlichen Transparenz ist es angezeigt, zu Beginn die Verortung der Untersuchung offen zu legen. Dabei geht es um den Bereich der Migration und um die Beweggründe für Migration. Eingegangen wird in diesem Kontext auch auf die schier unlösbar scheinenden Konflikte über Integration. Außerdem wird auf theoretischer Basis dargestellt, was Leben zwischen den Kulturen bedeutet und welche Position Deutschland als Migrationsland einnimmt. Dies ist mir besonders wichtig, da es in der konkreten Untersuchung immer um Deutschland als Aufnahmeland geht, während die Probanden aus unterschiedlichsten Ländern der Erde kommen. Im Kontext der Bedeutung des Aufnahmelandes wird es zwangsläufig auch um die Thematik der Inklusion und Exklusion gehen, wobei ich mich dabei im Wesentlichen auf Zygmunt Bauman beziehen werde. Es geht im ersten Teilbereich der Theorie und des Kontextes u.a. um den Baustein der Identität. Hierbei stelle ich die aktuelle Identitätsforschung vor und beziehe mich im Weiteren auf die Aspekte der Anerkennung und der kulturellen Identität und charakterisiere das Konzept der alltäglichen Identitätsarbeit. Außerdem ist der Kontext des bürgerschaftlichen Engagements in diesem ersten Teilbereich von Bedeutung, denn er bildet den Rahmen der Interviews. Zunächst stelle ich aktuelle Entwicklungen und die Bedeutung der Bürgerarbeit in Deutschland vor und verknüpfe das Ganze anschließend mit dem Thema der Migration. Durch die Fokussierung des Themas auf den Bereich 21

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

des bürgerschaftlichen Engagements wird ein immer aktueller werdender Zweig der Sozialpolitik mit eingebracht. Bürgerschaftliches Engagement als Möglichkeit zur Integration ist ein bereits in Ansätzen diskutiertes Thema16, welches allerdings noch nicht in Bezug auf Identitätskonstruktionen untersucht worden ist. Der Brückenschlag zur Sozialpsychologie kann hier leicht vorgenommen werden, da sich innerhalb dieses Fachbereichs seit Mitte der sechziger Jahre ein Forschungsgebiet etabliert hat, das sich mit der Thematik des Helfens, des Spendens und der Verantwortung beschäftigt. Diese Forschungsgebiete werden unter dem Begriff „prosoziales Verhalten“ zusammengefasst17 und finden sich im geplanten Forschungsvorhaben wieder. Im zweiten Teilbereich geht es um die Einführung in den Forschungskontext. Um Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu garantieren, lege ich mein Forschungsverfahren dar und setze mich mit der eigenen Forschersubjektivität auseinander, die besonders bei der qualitativen Forschung eine Rolle spielt. Ich arbeite seit Jahren in der Beratung und Koordination für den Bereich des bürgerschaftlichen Engagements. Dies tue ich aus der persönlichen Überzeugung einer Sinnhaftigkeit der Entwicklung der Bürgergesellschaft aus den aktuellen wirtschaftlichen, demographischen und sozialpolitischen Entwicklungen heraus. Um dennoch möglichst objektive Ergebnisse zu erzielen, ist es notwendig, sich zu Beginn der Arbeit mit der eigenen Forschersubjektivität auseinanderzusetzen. In der qualitativen Forschung wird die Kommunikation des Forschers mit den Beteiligten zum expliziten Bestandteil der Erkenntnis. Dies bedeutet, dass die Subjektivität des Untersuchers ebenso wie die Subjektivität des Gegenübers zum Bestandteil des Forschungsprozesses gehört.18 Allerdings ist die Auseinandersetzung mit dieser Subjektivität die Grundvoraussetzung für eine wissenschaftliche Arbeit und wird somit in der Dissertation transparent gemacht. Zudem wird die Auswahl der Interviewpartner erläutert, wobei eine Definition und Einschränkung des Begriffes „Migrant“ im Zusammenhang mit meinem Forschungskontext unerlässlich scheint. Ich gehe auch darauf ein, wie die Interviewvorbereitungen gelaufen sind und auf welches methodische Konzept ich mich bezogen habe. Dabei werde ich einzelne methodische Schritte genauer und anhand von Beispielen erläutern, da mir dies – insbesondere bei der Interviewführung mit Migrantinnen und Migranten – besonders bedeutsam und interessant erscheint. Grundlegend für die Datenauswertung 16 17

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Dieses wurde bereits in der Einführung angeschnitten. Vgl. Lück, Helmut. Hilfeverhalten. In: Frey, Dieter (Hg.) Sozialpsychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union 4. Auflage 1997: S. 187 Vgl. Flick, Uwe, Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 2002: S. 19

EINFÜHRUNG

des Forschungsprojektes wird das Konzept der „Grounded Theory“ sein. Es ist eine qualitative Forschungsmethode, die anhand systematischer Verfahren eine gegenstandsverankerte Theorie über ein Phänomen entwickelt.19 Ich werde demnach in meiner Arbeit – ausgehend von den gewonnenen Daten – eine Theorie entwickeln und nicht, wie in anderen Forschungsmethoden üblich, eine Theorie anhand der Ergebnisse der Erhebung überprüfen. Diese Forschungsmethode wird, bezogen auf das konkrete Thema im zweiten Teil der Arbeit vorgestellt. Als letzter Punkt im zweiten Teil folgt eine Kurzbeschreibung aller vierzehn Interviewpartnerinnen und -partner anhand der Kategorie „Funktion des Engagements“. Dieser wichtige Aspekt bei der Darstellung der einzelnen Interviews zu den jeweiligen Kategorien ist das alle verbindende Element, doch die Funktion und die Erfahrungen werden unterschiedlich erlebt und interpretiert. Im Anschluss an die Darstellung des Forschungskontextes werden in den folgenden Kapiteln die Identitätsbausteine der einzelnen Interviewpartnerinnen und -partner dargestellt, anhand von Interviewausschnitten belegt und mit der Theorie verknüpft. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Prozess des Strebens nach Zugehörigkeit und Anerkennung. Darüber hinaus wird auch der Umgang mit kulturellen Differenzen, aber auch wahrgenommenen kulturellen Gemeinsamkeiten dargelegt. Hierbei geht es ebenso – aus Sicht der engagierten Personen mit Migrationshintergrund – um die Interaktion zwischen deutschen Hilfeempfängern des Engagements und den helfenden Migrantinnen und Migranten. Von Interesse sind die Attributionen im Interaktionsgeschehen, welche die Migrantinnen und Migranten vornehmen. Diese dienen dazu, die soziale Umwelt verstehbar zu machen. Es wird hier also um die Frage gehen, welche besonderen Attributionen im Interaktionsgeschehen zwischen deutschen Hilfeempfängern und Helfenden mit Migrationshintergrund auf beiden Seiten vorliegen. Die Forschung kann durch die hieraus gezogenen Rückschlüsse auf die Identitätsentwicklung somit sinnvoll ergänzt werden. Anhand der oben genannten Aspekte und der sich daraus ergebenden Erkenntnisse werden im vierten Teil des vorgestellten Projektes die Forschungsergebnisse zusammenfassend dargestellt. Sie können und sollen als Schlussfolgerungen bezüglich des empirischen Teils gedeutet werden. So beschäftige ich mich zunächst noch einmal genauer mit der Frage des Inklusionsbegehrens und dabei im Besonderen mit der Bedeutung des freiwilligen Engagements in diesem Kontext. Beleuchtet wird wesentlich auch, welche Ergebnisse einen Nutzen für die pädagogisch-psychologische Praxis bringen und wie diese Erkenntnisse im Zusammenhang mit der reflexiven Sozialpsychologie 19

Vgl. Strauss, Anselm, Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union 1996: S. 8 23

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

gedeutet werden können. Das heißt, dass in diesem Teil auch erste Perspektiven entwickelt werden, die sich aus den Forschungsergebnissen schließen lassen und die ich in den folgenden Kapiteln genauer beschreibe. Neben einer Einordnung der Erkenntnisse in das Fachgebiet der Sozialpsychologie geht es auch um sozialpolitische Konsequenzen. Da diese Studie nicht nur eine theoretische Abhandlung zum Thema sein soll, sondern gleichzeitig auch als Hilfestellung für eine Auseinandersetzung in der Praxis gedacht ist, wird sich dieses Kapitel auch der Praxisrelevanz widmen. Die Ergebnisse und Erkenntnisse der Auseinandersetzung mit der Thematik der identitätsrelevanten Aspekte und Interaktionen im freiwilligen Engagement von Migrantinnen und Migranten sollen anhand von verschiedenen Fragestellungen in weitere Diskussionsprozesse eingebracht werden. Dabei spielen Zukunftsperspektiven für die Integration von Bürgerinnen und Bürgern ausländischer Herkunft in die deutsche Gesellschaft eine bedeutende Rolle. In diesem Teil werden zudem die Erkenntnisse perspektivisch für die Bereiche der Engagementförderung, der Sozialpolitik und der Identitätsforschung dargelegt und mögliche Folgen für die verschiedenen Fachgebiete angedacht. Diese Studie beschäftigt sich als erste große qualitative Untersuchung mit identitätsrelevanten Aspekten des Engagements von Migrantinnen und Migranten und schließt damit eine zurzeit offene Forschungslücke. Die Arbeit befasst sich zunächst mit sozialpsychologischen Aspekten des freiwilligen Engagements von Migrantinnen und Migranten. Durch die hohe politische Brisanz des Themas „Integration von Ausländern“ sind aber auch wichtige Impulse für die sozialpolitische Diskussion zu erwarten. Die Erkenntnisse aus der Perspektive der engagierten Personen dürften für die Praxis, d.h. für Einsatzstellen des freiwilligen Engagements, aber auch für Migrationsberatungsstellen, von Bedeutung sein. Schließlich sind die Ergebnisse der Beziehung und möglicherweise auch Konfrontation zwischen deutschen Hilfeempfängern und Helfenden mit nichtdeutschem Hintergrund aus interkultureller Perspektive und für die praktische Arbeit mit interkultureller Kommunikation interessant.

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Theorie und Kontext

Das Thema „Migration“ hat in verschiedensten Forschungsfeldern und vor allem in politischen Diskussionen zurzeit Hochkonjunktur1. Es soll im folgenden Abschnitt der Arbeit darum gehen, Migrationsgründe und Erfahrungen der Migration darzustellen und dabei vor allem auch auf Migrationserfahrungen in Deutschland einzugehen. Mit Minoritäten beschäftigen sich zwei Forschungszweige der Sozialpsychologie. Die Sozialpsychologie beschreibt Minorität als eine gesellschaftliche Subgruppe, die sich durch kulturelle und /oder physische Merkmale vom Rest der Gesellschaft unterscheidet, die von der dominierenden Gruppe als minderwertig angesehen wird und eventuell Diskriminierung ausgesetzt ist. Zu sozialen Minoritäten zählen neben Migrantinnen und Migranten auch Homosexuelle und geistig und körperlich Behinderte. Ein Forschungszweig untersucht Stereotypisierungen, Vorurteile und Diskriminierungspraktiken der dominanten Gruppe gegenüber der sozialen Minderheit. Der zweite Forschungszweig untersucht gegenseitige Einflussprozesse zwischen Minorität und Majorität.2 Dieser zweite Aspekt ist für die vorliegende Arbeit besonders interessant. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der eng in Zusammenhang mit den Migrationserfahrungen gesehen werden kann, ist das Thema der Identitätsentwickung. Dabei wird der aktuelle Stand der Identitätsforschung gekennzeichnet und die Bereiche Identität und Anerkennung in Kontext zueinander gesetzt. Die Begriffe der kulturellen und hybriden Identität werden näher definiert und 1

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Dies zeigt sich zum Beispiel an den in allen wichtigen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen kontrovers diskutierten Aussagen des türkischen Ministerpräsidenten zu „Integration“ und „Assimilation“ türkischstämmiger Migranten in Deutschland bei seinem Besuch im Februar 2008 Vgl. Maas, Anne, Minoritäten. In: Frey, Dieter/Greif, Sigfried, Sozialpsychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen. Weinheim: Beltz Verlags Union 1997: S. 245 25

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

erläutert. Der theoretische Rahmen umfasst dabei auch den Begriff der Patchworkidentitäten, der im Zusammenhang mit Theorien der Postmoderne steht. Im dritten Teil dieses Kapitels geht es um die Bedeutung der Bürgerarbeit in der BRD und den Zusammenhang zwischen Migration und bürgerschaftlichem Engagement.

Migration Auf der ganzen Welt verlassen immer mehr Menschen ihre Heimat, um ihren Lebensmittelpunkt an einen anderen Ort zu verlegen. Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als 150 Millionen Menschen weltweit als Migranten in einem Staat leben, der nicht ihre ursprüngliche Heimat ist. Dies entspricht etwa der doppelten Bevölkerungszahl der Bundesrepublik. Migration als Forschungsthema aber ist erst seit dem 19. Jahrhundert aktuell, weil sich zu diesem Zeitpunkt die empirischen Natur- und Sozialwissenschaften etablierten, die sich mit dem Thema beschäftigten. Ziel der Forschung war, die Gesetze der Migration zu ergründen; dabei ging man zunächst davon aus, dass Menschen emigrieren, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern; man untersuchte also vor allem die Gründe der Migration. Später erforschte man dann den Eingliederungsprozess der Migrantinnen und Migranten in das Aufnahmeland.3 Es wird unterschieden zwischen Binnenmigration, d.h. Verlegung des Wohnsitzes innerhalb nationalstaatlicher Grenzen und der internationalen Migration. Bei der internationalen Migration wird die Immigration (Einwanderung) von der Emigration (Auswanderung) unterschieden.4 Seit der Durchsetzung von Nationalstaaten wird internationale Migration als ein Wechsel von einem nationalstaatlichen Container in einen anderen verstanden. Man spricht dann von Emigration, wenn der neue Wohnort zum festen Lebensmittelpunkt auf unbestimmte Zeit wird. Von Remigration spricht man dann, wenn jemand nur eine befristete Zeit im Ausland bleibt und dann zurückkehrt.5 Transmigration ist eine moderne Variante der nomadischen Lebensform. Sie meint nicht den Übergang von verschiedenen, örtlich festgelegten Lebenszusammenhängen, sondern sie meint eine Daseinsform mit pluri-lokalen Sozialräumen. Neben den klassischen Formen Emigration und Remigration6 3

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Vgl. Han, Petrus, Soziologie der Migration. Erklärungsmodelle, Fakten, politische Konsequenzen, Perspektiven. Stuttgart: Lucius und Lucius 2005: S. 4243 Ebd. S. 9-10 Vgl. Pries, Ludger, Internationale Migration. Bielefeld: transcript Verlag 2001: S. 5-6 Ebd. S. 9

THEORIE UND KONTEXT

gibt es also noch diese moderne, für die Globalisierung typische Form der Migration und die ehemalige Grundannahme, dass es sich bei Migration um einen einmaligen, dauerhaften Ortswechsel handelt, ist im Kontext aktueller Veränderungen nicht mehr haltbar, denn die Tendenz, sich permanent in einem fremden Land niederzulassen, nimmt stetig ab. Migration war von der Antike bis zur Neuzeit häufig gleichbedeutend mit Eroberung und Landnahme. Trotzdem geschahen Wanderungen auch damals nicht immer freiwillig, denn Einheimische mussten oftmals vor eindringenden Fremden fliehen. Flucht und Vertreibung ist also keineswegs ein neues, von moderner Kriegsführung gekennzeichnetes Phänomen. Meist ging es um eine Mischung aus Eroberungs- und Siedlungsmigration. Manchmal verdrängten die Fremden einen Großteil der Einheimischen, manchmal etablierten sich die Neuankömmlinge zwar als politische Eliten, nahmen aber die Sprache und Kultur der Einheimischen an. Nur selten konnten sie sich gleichzeitig als Herrscher etablieren und dennoch an ihren eigenen kulturellen Riten festhalten.7 Nach 1750 nahm das Bevölkerungswachstum in Europa zu. Zeitgleich setzte damals die Massenauswanderung nach Übersee ein. Dabei ging es aber nicht um eine Völkerwanderung, sondern um die Auswanderung von Einzelpersonen und Familien. Sie emigrierten aus religiösen oder politischen Gründen. Die Wanderungen wurden durch die inzwischen wesentlich verbesserten Transportbedingungen erleichtert.8 Mit der Industrialisierung kam es dann vor allem zur Arbeitsmigration. Es setzte zum Beispiel eine massive Zuwanderung in die neuen Zentren der Eisen-und Stahlindustrie ein. Gleichzeitig entstanden neue Metropolen wie London, Paris oder Berlin, deshalb war eine Auswanderung nach Übersee nicht unbedingt mehr notwendig. Nach dem ersten Weltkrieg verringerte sich die Arbeitskräftewanderung, weil die klassischen Einwanderungsländer wie Amerika die Zuwanderung ausländischer Staatsbürger einschränkten. Gegen Ende der 1920er Jahre schotteten sich die nationalen Arbeitsmärkte aufgrund der Weltwirtschaftskrise dann ganz ab.9 Im 20. Jahrhundert wanderte die weltweit bisher größte Zahl von Menschen aus. Dabei handelt es sich vielfach um unfreiwillige Wanderungen, die verbunden waren mit Flucht und Deportation, z.B. durch den Ersten Weltkrieg.

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Vgl. Münz, Rainer/Reiterer, Albert F. Wie schnell wächst die Zahl der Menschen? Weltbevölkerung und weltweite Migration. Frankfurt am Main: Fischer 2007: S. 156-162 Ebd. S. 163-164 Ebd. S. 166-167 27

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Während des Zweiten Weltkriegs dominierten in Europa ebenfalls Flucht und Vertreibung. Auch danach blieben diese Migrationsgründe zunächst an der Tagesordnung, wobei in erster Linie Ost- und Volksdeutsche betroffen waren. Zur Massenflucht aus kommunistischen Ländern kam es zwischen 1950 und 1990, wobei vor allem die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR dominierte. Nach dem Zusammenbruch kommunistischer Regime auf dem Balkan flüchteten aus Bulgarien und Albanien sehr viele Menschen. Diese wurden als politische Flüchtlinge im Westen anerkannt.10 Die meisten der Flüchtlinge blieben im Ausland. Wichtigste Aufnahmeländer waren in den vergangenen Jahren der Iran, Pakistan, Deutschland, die USA und einige ost- und zentralafrikanische Länder. Seit Ende des kalten Krieges werden Asylbewerber und Bürgerkriegsopfer nicht mehr automatisch als politische Flüchtlinge anerkannt, sondern allenfalls befristet geduldet. Die Zahl der Flüchtlinge in ärmeren Ländern Afrikas ist seit 1980 deutlich angestiegen. Diese Länder tragen die Hauptlast der Bewältigung von Flüchtlingsproblemen.11 Bis zu den 1960er Jahren bedeutete Migration vor allem Wanderung innerhalb Europas, erst durch den Rückzug aus den Kolonien kam es zur Zuwanderung aus anderen Regionen der Welt. Diese Migration wurde auch wesentlich dadurch gefördert, dass es eine zunehmende Nachfrage nach billigen und weniger qualifizierten Arbeitskräften in Europa gab. In den späten 50er und 60er Jahren wurden verstärkt wenig qualifizierte Arbeitskräfte im Ausland rekrutiert, vor allem aus Italien, Spanien, Portugal und Griechenland. Meist gingen diese Migranten nach einiger Zeit wieder in ihr Heimatland zurück. Manche jedoch blieben in Westeuropa. Dadurch entstanden neue Minderheiten in Europa. Verstärkt wurde dies durch den Anwerbestopp in den 1970er Jahren: Die Migrantinnen und Migranten wollten nicht mehr in die Heimat zurückkehren, aus Angst, nicht wieder einreisen zu können. So kam es von der Arbeitsmigration zu einem Familiennachzug. Daraus folgten auch Probleme der sozialen und politischen Integration, denn viele, zumeist männliche Migranten heirateten eine Partnerin aus der eigenen Herkunftsnation.12 Die Zuwanderung von Asylbewerbern wurde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zum Problem. Daraufhin wurden viele Asylgesetze verschärft. Somit gewann aber gleichzeitig auch die illegale Zuwanderung an Bedeutung. Diese Migranten arbeiten vor allem in der Landwirtschaft, im Baugewerbe und als Haushaltshilfen, Pflegekräfte und in der Gastronomie.

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Ebd. S. 167-169 Ebd. S. 169-170 Ebd. S. 171-172

THEORIE UND KONTEXT

Durch die Globalisierung steigt auch die Anzahl von hochqualifizierten Menschen, die von ihrer Firma in verschiedene Länder der Welt geschickt werden, was als Elitenwanderung bezeichnet werden kann.13 Migration hängt nicht von der Entfernung ab, d.h. ein Mensch, der innerhalb seines Heimatlandes USA tausende Kilometer weit weg zieht, gilt nur als Binnenwanderer, während jemand, der nur ein paar Kilometer weiter von Deutschland nach Österreich zieht, ein Migrant bzw. eine Migrantin ist. Die Überschreitung der Landesgrenze hat aber natürlich auch eine besondere Bedeutung, nämlich den damit einhergehenden Verlust von politischen Rechten. Migration ist also auch immer eine Frage der Staatsbürgerschaft.14 In Europa gab es nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst fast ausschließlich den Zuzug von Kriegsflüchtlingen, Arbeitsmigration war dagegen eher selten. Heute leben in West- und Mitteleuropa in Summe mehr Zuwanderer als in den USA. Zieht man jedoch diejenigen ab, die innerhalb Europas wandern, liegen die USA weiterhin vorn.15 Ein wesentlicher Unterschied zwischen den klassischen Einwanderungsländern und europäischen Nationalstaaten ist der, dass dort schon seit dem 19. Jahrhundert die Mehrzahl der Bevölkerung aus Migranten besteht. Deutschland hat zwar mehr Zuwanderer als Kanada oder Australien, versteht sich aber immer noch nicht gänzlich als Zuwanderungsland. Das macht es Migranten schwerer, sich zu integrieren. Besonders deutlich wird dies, wenn man bedenkt, dass es in Europa heute immer noch eine große Zahl an Menschen gibt, die zwar lange schon hier lebt, aber noch nicht eingebürgert ist.16 Die Zukunftsperspektive ist abzusehen: Die demographische Entwicklung führt dazu, dass die Einwohnerzahl in Europa schrumpft. Fast alle Länder Europas weisen mehr Zuwanderung als Abwanderung auf. Dadurch werden die Staaten kulturell, ethnisch und religiös immer „bunter“, was gleichzeitig aber auch zu neuen Konflikten führen kann. Neben der Frage der Staatsbürgerschaft geht es vor allem darum, sich auf gemeinsame Werte und Regeln zu verständigen.17 Pries (2001) hat klassische Theorien der Migration den neuen Ansätzen der Forschung gegenüber gestellt: • Neoklassische und Neue Ökonomie der Arbeitsmigration: Untersucht werden grenzüberschreitende Wanderungsprozesse als eine Sonderform der Mobilität von Arbeitskräften. Vertreter dieser Theorien gehen davon aus, dass Menschen in erster Linie aufgrund von besseren Lohnverhältnissen im Ankunftsland beschließen, zu emigrieren. – Nach Pries spielt der 13 14 15 16 17

Ebd. S. 177-179 Ebd. S. 184 Ebd. S. 189 Ebd. S. 192-193 Ebd. S. 194 29

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?





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Faktor Geld zwar tatsächlich eine Rolle, aber wenn dies das entscheidende Argument wäre, müssten viel mehr Leute aus sehr armen Regionen emigrieren, was allerdings nicht der Fall ist.18 Individualistische Wert-Erwartungs-Theorie: Die Vertreter dieser Richtung gehen davon aus, dass ein Mensch unter mehreren Handlungsmöglichkeiten diejenige wählt, bei der er den wahrscheinlich größten Nutzen realisieren kann. Handlungsoptionen werden von den Akteuren ausgerechnet; die Betroffenen entscheiden sich dann für die optimale Produktsumme. Aber: weitreichende Entscheidungen werden oft weniger methodisch angegangen. Überspitzt kann man die Theorie so zusammenfassen: man entscheidet sich für Arbeitsmigration, wenn man sie für richtig hält.19 Mikro-Makro-Ansatz: Nach diesem Ansatz wandern Menschen dann aus, wenn sie mit ihrer Lebenssituation unzufrieden sind und diese Situation gleichzeitig Aktivität auslöst. Bleibt aber die Frage, warum dann so viele Menschen, die mit ihrer Lebenssituation unzufrieden sind, nicht auswandern.20 Dennoch stellt nach Bommes eine weltweit umfassende und andauernde Migration insofern ein Problem für moderne Staaten dar, „als damit die historisch etablierte Zuordnung der Weltbevölkerung zu territorialen Staaten in Frage gestellt wird.21 struktur- und systemorientierte Perspektiven: Die globale Ausdehnung der Wirtschaft führt dazu, dass Menschen zunächst in die Städte und dann in Industriestaaten ziehen.22 demographische und geographische Gesetzmäßigkeiten: Sie spielen eine Rolle bei der Migration, z.B. ob in einem Land viele junge Leute da sind, die im Wettbewerb um Arbeit stehen, während in anderen Ländern junge Leute fehlen. Aber: auch diese Sichtweise erscheint nach Pries zu einseitig.23 Handlungsorientierte, interpretative Ansätze: Die Vertreter dieser Richtung wollen Migrationsprozesse von den handelnden Subjekten her verstehen und nicht nach dem Wirken von objektiven Faktoren.24

Vgl. Pries, Ludger, Internationale Migration. Bielefeld: transcript Verlag 2001: S. 13-14 Ebd. S. 16-19 Ebd. S. 19-21 Vgl. Bommes, Michael, Migration. Nationalstaat und Wohlfahrtsstaat – kommunale Probleme in föderalen Systemen. In: Bade, Klaus, Migration – Ethnizität – Konflikt: Systemfragen und Fallstudien. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch 1999: S. 216 Vgl. Pries, Ludger, Internationale Migration. Bielefeld: transcript Verlag 2001: S. 21-23 Ebd. S. 26-28 Ebd. S. 29-31

THEORIE UND KONTEXT

Neue Ansätze der Migrationsforschung beziehen sich auf „Zwischenlagen“, und auf Sozialräume zwischen dem Herkunfts- und dem Ankunftsland.25 Nach diesen Ansätzen geht man davon aus, dass Migrationsnetzwerke die Migranten mit Informationen versorgen. Gemeinden, aus denen die Migranten kommen, haben oft Einfluss darauf, welchen Beruf der Migrant in der Fremde ausübt.26 Es gibt, wie bereits erwähnt, auch neue Typologien internationaler Migration: Neben dem Typus der Remigration und dem Typus der Transmigration beschreibt der Typus Diaspora-Migrant diejenigen, die ihren Wohnund Lebensort für eine gewisse Zeit wechseln und dann in ihr Heimatland zurück kehren. Der Typus Diaspora-Migrant beschreibt diejenigen, die religiös motiviert oder aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit migrieren. Diese Menschen richten sich zwar physisch im Ankunftsland ein, mental jedoch nicht.

Warum wandern Menschen aus? Nach dieser Typisierung der Migrantinnen und Migranten stellt sich immer noch die Frage nach den Motiven derjenigen, die migrieren. Gegenüber der allgemeinen Annahme, dass Migration vor allem wirtschaftlich und finanziell motiviert ist, zeigen psychoanalytische Sichtweisen auf, dass vor allem irrationale Gründe für den Kulturwechsel bedeutend sind. Dies wird auch durch die im vorherigen Kapitel aufgeführte Tatsache unterstützt, dass lediglich eine geringe Zahl der armen Weltbevölkerung emigriert. Die scheinbare Bedrohung für reiche Nationen durch Masseninvasionen aus ärmeren Ländern ist demnach nicht gerechtfertigt.27 Die Ursachen der Migration bestehen meist aus einer komplizierten Mischung objektiv zwingender exogener Faktoren und subjektiv unterschiedlich begründeter Entscheidungen. Dabei spielen sowohl Push- als auch Pull-Faktoren eine Rolle. Unter Push-Faktoren versteht man Druckfaktoren, d.h. alle Faktoren des Herkunftslandes, die die Menschen zur Emigration zwingen, während man unter Pull-Faktoren Sogfaktoren versteht, d.h. alle Faktoren des Aufnahmeortes, die zur Immigration anreizen.28 Migrationsentscheidungen werden nicht immer rational getroffen, was man vor allem auch daran festmachen kann, dass viele Migranten nur unzureichend über das Aufnahmeland informiert sind. Zudem sind viele Migranten bis zum Schluss eher unschlüssig bezüglich des Migrationsvorhabens. Immer mehr kommt man zu der Überzeugung, dass das Vorhaben der einzelnen Migrationswilligen eingebettet ist in Migrationssysteme, welche den Umfang, 25 26 27 28

Ebd. S. 32 Ebd. S. 34-35 Vgl. Akhtar, Salman, Immigration und Identität. Psychosoziale Aspekte und kulturübergreifende Therapie. Gießen 2000: S. 29 Vgl. Han, Petrus, Soziologie der Migration. Stuttgart: Lucius & Lucius 2005: S. 14-15 31

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

die Dauer und die Richtung der Migration festlegen. Sie beruhen auf Verbindungen zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland, die auf unterschiedliche Art, zum Beispiel durch frühere koloniale Verbindungen zustande kommen. Durch die Einbettung in diese Netzwerke wird notwendiges Wissen über die Aufnahmegesellschaft vermittelt und über Risiken und Kosten der Migration informiert.29 Durch die Überweisung von Geld an die Herkunftsfamilie kann sich die Struktur in der Familie, aber auch in der ganzen Gemeinde ändern. Die Berichte erfolgreicher Migranten beeinflussen weitere Migration. Migration kann die Qualifikation verbessern und dazu führen, dass sich Einstellungen verändern. Durch Rückkehr und Besuche der Migranten ist es möglich, dass sich der Konsumwunsch verändert.30 Insgesamt lässt sich also sagen, dass Migration multifaktoriell bedingt ist. Neben individuellen Migrationswünschen spielen wirtschaftliche Faktoren und Anreize aus dem zukünftigen Aufnahmeland eine Rolle.

Integration und Akkulturation Hat der Migrationsprozess stattgefunden, stellt sich die Frage, wie das Einleben in der Fremde gelingen kann, wie also Integration möglich ist. Laut Definition des „Haager Programm“ versteht man unter Integration • einen fortlaufenden, wechselseitigen Prozess, an dem sowohl die sich rechtmäßig im Land aufhaltenden Drittstaatsangehörigen als auch die Gesellschaft des Gastlandes beteiligt sind, • eine Antidiskriminierungspolitik, • den Respekt vor den Grundwerten der Europäischen Union und den Grundrechten aller Menschen, • die Entwicklung von Fertigkeiten zur Teilhabe an der Gesellschaft, • die vielfache Interaktion und ein interkultureller Dialog zwischen allen Mitgliedern der Gesellschaft. Integration erstreckt sich dabei auf zahlreiche Politikbereiche, zu denen neben dem Spracherwerb in erster Linie Beschäftigung und Bildung gehören.31

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Vgl. Pries, Ludger, „Transmigranten“ als ein Typ von Arbeitswanderern in pluri-lokalen sozialen Räumen. In: Ders. (Hg), Transnationale Migration, soziale Welt. Sonderband 12, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1997: S. 57-59 Ebd. S. 40-42 Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, TIPP Themen Impulse Politik Projekte, Informationen zu Fragen der Integration und Migration. München 2005: www.stmas.bayern.de/migra tion/auslaender/tipp/index.htm, Quelle vom: 13.08.2008

THEORIE UND KONTEXT

Die Frage nach der Integration beschäftigt also Politik und Gesellschaft.32 Auffällig dabei ist das permanente Machtverhältnis, welches sich in der Beurteilung der Aufnahmegesellschaft gegenüber den Zuwanderern zeigt: „Wer heute über Migration spricht, muss zwangsläufig über Integration sprechen. Das Ministerium gibt es vor und WissenschaftlerInnen, SozialpädagogInnen, PädagogInnen etc. eifern fast ungefragt nach. Was kann getan werden, um die Migranten zu integrieren? Wie kann Integrationsfähigkeit festgestellt werden? Welche Instrumente können helfen, eine gute Integrationsdiagnose für EinwanderInnen zu stellen? Das sind die Fragen, die zurzeit die politische Debatte dominieren. Es sind gewalttätige Diskurse. Sie stabilisieren die üblichen Bilderwelten und klinken sich so in einen Herrschaftsdiskurs ein, der bestimmt, wer dazugehört, wer nicht und wer eventuell dazu gehören darf, wenn er/sie sich Mühe gibt.“33

Geprägt wird der Blick auf Migranten vor allem auch durch Medienberichte, die über das Scheitern, selten über das Gelingen von Integration berichten.34 Die Medien haben große Macht, da durch die vermittelten Bilder Zuschreibungen über die Fremden gemacht werden. Bei der Machtfrage geht es auch darum, wer als Migrant anerkannt wird und wem zugehört wird, da die Macht einseitig auf der Seite der Aufnahmegesellschaft ist.35 Der bereits zum Zauberwort gewordene Begriff der Integration wird immer dann verschärft und zum Teil polemisch benutzt, wenn öffentliche Eskalationen auftreten, wie zum Beispiel nach dem Mord an dem islamkritischen, niederländischen Regisseur Theo van Gogh (November 2004) oder nach dem „Ehrenmord“ an einer kurdischstämmigen jungen Türkin in Berlin durch Familienangehörige (Februar 2005). Doch auch die in jeder Studie und jedem Testverfahren erwähnten ausbleibenden Schulerfolge vieler junger Menschen 32

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In der Ausgabe der SZ vom 14.07.2006 berichtet der Journalist Jan Bielicki von dem anstehenden Parteitag der CSU, bei dem es um Integration geht und praktische Probleme besprochen werden sollen, beispielsweise wie man in Kindergärten und Schulen besser für die Integration sorgen kann. Bielicki, Jan, München ist eine Einwanderungsstadt. München: Süddeutsche Zeitung 14.07.2006: S. 38 Vgl. Castro Varela, Maria do Mar/Dhawan, Nikita, Migration und die Politik der Repräsentation. In: Broden, Anne/Mecheril, Paul, Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft. Düsseldorf: IDA NRW 2007: S. 31 Ein Beispiel für die Berichterstattung zum Thema Integration zeigt sich in der Ausgabe der ZEIT vom 12.10.2006, in welcher der Autor Adam Sobocynski unter der Überschrift „Fremde Heimat“ von Berlin Mahrzahn berichtet, wo circa 25.000 Russlanddeutsche wohnen. Die jungen Russlanddeutsche sind scheinbar auffallend brutal. Der Autor stellt sich die Frage, ob die Integration gescheitert ist. Vgl. Castro Varela, Maria do Mar/Dhawan, Nikita, Migration und die Politik der Repräsentation. In: Broden,Anne/Mecheril, Paul, Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft. Düsseldorf: IDA NRW 2007: S. 29-31 33

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

mit Migrationshintergrund lösten eine dauerhafte Kontroverse um die Integrationsleistung und den Integrationswillen von Migrantinnen und Migranten aus.36 So ist verstärkt in der politischen Öffentlichkeit davon die Rede, dass es nicht an Integrationschancen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft mangele, sondern dass die Minderheiten sich nicht integrieren lassen wollen. Es schließt sich fast logisch die Forderung an, staatliche Zuwendungen an die Akzeptanz einer „Leitkultur“ zu koppeln und für nicht „integrationswillige Ausländer“ zu reduzieren. Damit wäre Umverteilung erneut an einseitige Anpassung gekoppelt.37 Die Minderheiten reagieren auf diese offensichtliche Machtungleichheit mit: • Akkommodation • Akkulturation • Assimilation • Herausforderung der dominanten Mehrheit Bei der Akkulturation unterscheidet man externe Akkulturation, bei der die Alltagssprachen und die Alltagsrollen erlernt werden und interne Akkulturation, bei der die Haltungen und Verhaltensweisen fast selbstverständlich übernommen werden.38 Der Begriff der Integration ist vieldeutig und sehr umstritten und wird mittlerweile sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern der Einwanderer überstrapaziert. Einig ist man sich nach außen hin zwar darin, dass es sich bei der Integration nicht um eine Einbahnstraße handeln kann, auf den zweiten Blick wird aber deutlich, dass dennoch der Beitrag der Zuwanderer zu diesem wechselseitigen Prozess immer der größere sein soll. Die Diskurse bleiben kontrovers und auch die Resultate sind widersprüchlich. Aus konservativen Kreisen hört man – vor allem in der Diskussion um Bildungschancen für Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund – den Begriff der „gescheiterten Integration“. Das Thema dieser Arbeit, die Partizipation an der demokratischen Bürgergesellschaft, steht dabei im Mittelpunkt.39 36 37

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Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: http://www.bpd.de/popup/popup_ druckversion.html, Quelle vom: 25.02.2008 Vgl. Otto, Hans-Uwe/Schrödter, Mark, Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Von der Assimilation zur Multikulturalität – und zurück? In: neue praxis – Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik. Lahnstein: verlag neue praxis 2006: S. 5 Han, Petrus, Soziologie der Migration. Erklärungsmodelle, Fakten, politische Konsequenzen, Perspektiven. Stuttgart: Lucius & Lucius 2005: S. 14-15 Vgl. Britz, Lisa, Bildung und Integration. Integration und Partizipation. http:// www.bpb.de/die_bpb/TJ9J7T,0,Bildung_und_Integration.html, Quelle vom: 25.02.2008

THEORIE UND KONTEXT

In der öffentlichen Wahrnehmung herrscht die Meinung vor, dass der Kollektivismus vor allem negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Migrantinnen und Migranten hat. Übersehen werden dabei die positiven Auswirkungen des Kollektivismus, nämlich die Ressourcen wie Rückhalt, Stärkung der Identität, materielle Unterstützung und der positive Einfluss auf die Sozialisation von Sozialverhalten.40 Angesichts der schier unlösbaren Konflikte und der verschiedenen Sichtweisen zur Integration lohnt sich ein Blick auf Nachbarländer wie Frankreich, England und die Niederlande. Im Vergleich zu den anderen Ländern ist es Deutschland gelungen, seit dem Zweiten Weltkrieg Millionen von Vertriebenen erfolgreich zu integrieren. Auch die materiellen Lebensbedingungen der Einwanderer haben sich in den letzten 30 Jahren verbessert und den Lebensbedingungen der deutschen Bevölkerung angenähert. Auf einen insgesamt positiven Verlauf des Integrationsprozesses weisen auch die vielen binationalen Ehen und die Einbürgerungen hin. Dennoch darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass es nach wie vor um die Frage geht, wie sich Einwanderer mit den demokratischen Prinzipien des Gemeinwesens identifizieren und sich für ihre Belange einsetzen können. Dieses Thema wird auch weiter die Einwanderungsdebatte prägen.41

Leben zwischen den Kulturen Bei der Frage nach der Integration müssen sich Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland immer mit der Frage auseinandersetzen, in welcher Kultur sie sich verorten und wo sie sich zugehörig fühlen: „Familien ausländischer Herkunft haben die Aufgabe zu lösen, sich in einer fremden Kultur und einer anderen Gesellschaft zu orientieren und eine Balance zu erreichen zwischen der Bewahrung der eigenen Identität und dem Aufnehmen und Gestalten neuer Möglichkeiten.“42 Die hier getroffene Aussage des Bundestages erweckt den Eindruck, als sei die Identität – hier im Speziellen die kulturelle Identität – festgelegt und müsse bewahrt werden. Dem gegenüber stehen moderne Theorien der hybriden Identität, auf die ich im Laufe der Arbeit noch intensiv eingehen werde. Unabhängig davon kann festgehalten werden, dass es für die Migrantinnen 40

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Vgl. Gaitanides, Stefan, Die Legende der Bildung von Parallelgesellschaften. Vergemeinschaftung und liberaldemokratischer Leitkultur. http://www.foruminterkultur.net/uploads/tx_textdb/7.pdf, S. 2-6, Quelle vom 27.10.2007 Vgl. Britz, Lisa, Bildung und Integration. Integration und Partizipation. http:// www.bpb.de/die_bpb/TJ9J7T,0,Bildung_und_Integration.html, Quelle vom: 25.02.2008 Deutscher Bundestag (Hg.): Sechster Familienbericht. Familien ausländischer Herkunft in Deutschland. – Leistungen – Belastungen – Herausforderungen. Berlin: Bundestagsdrucksache 14/4357 2000: S 4 35

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

und Migranten eine herausfordernde Aufgabe ist, sich zwischen den verschiedenen Kulturen zu verorten. Kulturelle Konflikte, die aus dieser Situation entstehen, zeigen sich vor allem seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und einer gesteigerten Zuwanderung aus Afrika und Asien nach Europa. Ethnische bzw. nationale Konflikte zwischen der Aufnahmegesellschaft und der zugewanderten Bevölkerung werden auf der Ebene der Diskussion um die Staatsbürgerschaft und durch Konflikte auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt deutlich.43 Positive Aspekte des Lebens zwischen den Kulturen zeigt vor allem Stuart Hall auf. Der in Jamaica geborene, aber seit langer Zeit in England lebende Forscher stellt fest, dass sich für Menschen, die zwischen den Kulturen aufgewachsen sind und lernen mussten, verschiedene kulturelle Sprachen zu sprechen und mit verschiedenen Identitäten zu leben, eine Chance des Übersetzens und des Brücken-Bauens bietet. Seiner Meinung nach tragen Migranten die Spuren besonderer Kulturen, Traditionen, Sprachen und Geschichten, durch die sie geprägt wurden, mit sich. Laut Hall muss der Begriff der kulturellen Identität und der Ethnizität nicht aufgegeben werden. Für eine umfassende individuelle und gesellschaftliche Emanzipation ist es sogar notwendig, einen Standpunkt zu beziehen. Hierbei sind die Elemente der Ethnizität, d.h. der Herkunft, Zugehörigkeit zu einer Gruppe und sprachliche und kulturelle Codes unverzichtbare Ressourcen. Aber: Kulturelle Identität kann nicht mehr verstanden werden als Bewahrung einer ursprünglichen Essenz. Sie muss in den Kontext der Globalisierung gestellt werden, in dem die internationale Migration eine neue Qualität erlangt. Das Subjekt wird in der Post-oder Spätmoderne fragmentiert und zerstreut.44 Die Herausforderung des Lebens zwischen den Kulturen ist auf der einen Seite also geprägt von kulturellen Konflikten, Zuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft und Schwierigkeiten in der Berufswelt, bietet auf der anderen Seite aber auch die Chance der Vermittlung zwischen den Kulturen und des gegenseitigen Lernens.

Deutschland als Migrationsland Fragt man nach verlässlichen Daten über die Anzahl der in Deutschland lebenden Familien ausländischer Herkunft, erhält man keine genauen Zahlen.

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Vgl. Bade, Klaus, Migration, Ethnizität, Konflikt. Erkenntnisprobleme und Beschreibungsnotstände: eine Einführung. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch 1996: S. 21 Vgl. Hall, Stuart, Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg: Argument Verlag 2002: S. 6-10

THEORIE UND KONTEXT

Dies liegt vor allem daran, weil der Mikrozensus nur die Unterscheidung nach der im Jahr der Zählung angegebenen Familienmitglieder kennt. Welchen Status sie haben, ob sie als Aussiedler oder über eine binationale Ehe bzw. über eine Einbürgerung zu Deutschen geworden sind und vorher Ausländer waren, weiß man nicht.45 Lange Zeit hat man sich in Deutschland schwer damit getan, anzuerkennen, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Denn nach dem Ende des zweiten Weltkriegs und mit Beginn des Wirtschaftswunders begann man verstärkt, ausländische Arbeitnehmer anzuwerben. Dabei wurde aber nicht bedacht, dass es eventuell zu Folgeproblemen kommen könnte. Man nannte die angeworbenen Arbeitskräfte „Gastarbeiter“ und ging davon aus, dass diese nach einigen Jahren des Aufenthalts in Deutschland wieder in ihr Herkunftsland zurück kehren würden. Der Anwerbestopp begrenzte zwar den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte, wirkte aber auch wie ein Bumerang, da die „Gastarbeiter“ nicht mehr in ihr Heimatland zurück gingen, sondern in Deutschland blieben.46 Vor allem mit dem Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes ist aber klar geworden, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Migrantinnen und Migranten werden nun als „ausländische Mitbürger“ oder „Menschen mit Migrationshintergrund“ bezeichnet. Gleichzeitig muss nun ein neues Verständnis von Integration einsetzen.47 Letztendlich ist aber auch die Bezeichnung „Einwanderungsland“ nur unzureichend für die Beschreibung sozialer Realität in Deutschland. Denn vergessen wird dabei die hohe Zahl an Deutschen, die jedes Jahr die Bundesrepublik verlassen, um dauerhaft oder doch zumindest für einen längeren Zeitraum in einem fremden Land zu leben. Dies wirkt sich durchaus auf das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen in Deutschland aus. Denn während die Bürger der alten Bundeslänger seit den 1960er Jahren Tür an Tür mit Gastarbeitern, politischen Flüchtlingen und Spätaussiedlern lebten, muss nun damit umgegangen werden, dass immer mehr Deutsche – vor allem auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen – das Land verlassen.

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Vgl. Deutscher Bundestag, Sechster Familienbericht. Familien ausländischer Herkunft in Deutschland. – Leistungen – Belastungen – Herausforderungen. Berlin: Bundestagsdrucksache 14/4357 2000: S. 4 Vgl. Bade, Klaus, Paradoxon Bundesrepublik: Einwanderungssituation ohne Einwanderungsland. München: C.H. Beck Verlag 1992: S. 394-396 Vgl. Pries, Ludger, Verschiedene Formen der Migration – verschiedene Wege der Integration. Lahnstein: neue praxis – Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik 2006: S. 19 37

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Deutschland als Auswanderungsland Im Jahr 2004 verließen 151.000 Deutsche das Land. Schon immer zog es die meisten Auswanderer in die Vereinigten Staaten, dicht gefolgt von der Schweiz. Wie auch für Polen und Österreich haben sich die Zahlen für die Schweiz innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt. Gerade die Schweiz und Österreich bieten sich wegen der fehlenden Sprachbarrieren und der Nähe zu Deutschland besonders an. Aber auch die Türkei, China und Schweden haben innerhalb dieser Zeit enorm an Attraktivität für die Deutschen gewonnen, teilweise verdreifachten sich die Zustromszahlen aus der Bundesrepublik. Von den 50er Jahren an bis zum Ende der 80er Jahre gab es in den Wanderungszahlen von Deutschen keine großen Änderungen. Mit Beginn der 90er Jahre stiegen dann vor allem die Zahlen der Zu- aber auch der Fortzüge stark an. Während die Zuzüge von Deutschen in die Bundesrepublik in den letzten Jahren stetig sanken, gehen immer mehr Deutsche ins Ausland. In Zeiten einer hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland (die durchschnittliche Arbeitslosenquote betrug im Jahr 2005 11,7 Prozent) verlassen viele das Land, um ihre berufliche Perspektive zu verbessern.48

Konsequenzen Es bietet sich an, Deutschland als „Migrationsland“ zu bezeichnen. Bosl beispielsweise kennzeichnet multikulturelle Realität unter anderem durch das Vorhandensein verschiedener Religionen, durch Arbeitsmigration, durch die Vielfalt kultureller Events und durch das überproportionale Vorhandensein von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Hauptschulen.49 Allerdings ist die Annahme einer Migrationsgesellschaft noch keine Garantie für gleiche Teilhabemöglichkeiten aller in der Gesellschaft lebender Menschen. Denn kennzeichnend für die deutsche Migrationsgesellschaft ist, dass nicht jeder die gleiche Möglichkeit hat, seine kulturelle Lebensform zu vertreten. So sprechen hier die Privilegierten über die „Anderen“ und erst dadurch werden die „Anderen“ zu den „Anderen“. Da im deutschsprachigen Raum das Machtverhältnis: „Etablierte sprechen über Außenseiter“ überwiegt und damit die Definitionsmacht in den Diskursen über Fremdheit meist die „Nicht-Fremden“ haben, versucht die reflexive

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Vgl. http://www.isoplan.de/aid/index.htm?http://www.isoplan.de/aid/2006-1/ statistik.htm, Quelle vom: 25.02.2008 Vgl. Bosl, Manfred, Multikulturelles München – Interkulturelles Leben? http://www.initiativgruppe.de/publikationen/fachartikel/artikel/mue_multikulti _bosl.html, Quelle vom: 27.09.2005

THEORIE UND KONTEXT

Migrationsforschung, das Verhältnis zwischen dem, der den Fremden beschreibt und dem Fremden zu analysieren.50 Festhalten lässt sich, dass der Begriff der Migrationsgesellschaft weit mehr der deutschen Realität entspricht als der Begriff der Einwanderungsgesellschaft, denn hierbei werden auch Perspektiven und Phänomene benannt, die im Kontext der Migration stehen: wie z.B. die Entstehung von Zwischenwelten, hybriden Identitäten und Rassismus. Bei der Analyse der zentralen Themen der Interviews wird sich dies noch deutlich zeigen, da die eben genannten Themen in nahezu allen Gesprächen eine zentrale Rolle spielen. Die Zuwanderer entfalten zum Teil aufgrund ihres hohen Nachholbedarfs eine überdurchschnittliche hohe Nachfrage nach Kultur- und Konsumgütern und vermehren andererseits das Arbeitskräfteangebot, wobei es sich häufig um junge, engagierte und flexible Menschen handelt Dieses Potential wird in Deutschland zu wenig beachtet und vor allem zu wenig gefördert. Aber vermutlich wären ohne den Zustrom junger und qualifizierter Migranten in Millionenhöhe weder das „Wirtschaftswunder“ noch der Aufschwung der Jahre 1989/90 möglich gewesen.51 Um sich letztendlich doch dem Thema der Einwanderung und damit verbunden auch der Herausforderung der Integration zu stellen, sowie den Dialog mit Migrantinnen und Migranten zu den drängender werdenden Integrationsfragen zu suchen, hat die Bundesregierung neue Wege beschritten. Als zentrales Element der Integrationsförderung wurden im Zuwanderungsgesetz die Integrationskurse eingeführt. Nachdem die Kontroversen um Integration, Einbürgerungsleitfäden und Zwangsehen in der Politik und in den Medien sich verschärften, kündigte die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer im März 2006 einen ersten Integrationsgipfel an. Ziel war es, mit wichtigen Akteuren aus Politik und Gesellschaft, d.h. mit Vertretern des Bundes, der Länder und der Kommunen, sowie mit Tarifpartnern, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Migrationsorganisationen, einen „nationalen Aktionsplan zur besseren Integration von Ausländern“ zu entwickeln. Damit wurde die Idee eines Positionspapiers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aufgegriffen. Der am 14. Juli stattfindende erste Integrationsgipfel beschäftigte sich mit folgenden Themen: • „Integrationskurse verbessern“ (BMI) • „Von Anfang an die deutsche Sprache fördern“ (BMFSFJ) 50

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Vgl. Broden, Anne/Mecheril, Paul, Migrationsgesellschaftliche Re-Präsentationen. Eine Einführung. In: Broden, Anne/Mecheril, Paul, Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft. Düsseldorf: IDA NRW 2007: S. 7-17 Vgl. Klauder, Wolfgang, Deutschland im Jahr 2030. Modellrechnungen und Visionen. In: Bade, Klaus, Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. München: C.H. Beck Verlag 1992: S. 457 39

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„Gute Bildung und Ausbildung sichern, Arbeitsmarktchancen erhöhen“ (BMAS) „Lebenssituation von Frauen und Mädchen verbessern, Gleichberechtigung verwirklichen“ (BMJ) „Integration vor Ort“ (BMVBS) „Kulturelle Pluralität leben – interkulturelle Kompetenz stärken“ (Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien) „Integration durch Sport – Potenziale nutzen, Angebote ausbauen, Vernetzung erweitern“ (BMI) „Medien – Vielfalt nutzen“ (Migrationsbeauftragte) „Integration durch bürgerschaftliches Engagement und gleichberechtigte Teilhabe stärken“ (BMFSFJ) „Wissenschaft – weltoffen“ (BMBF)

Auf dem zweiten Integrationsgipfel am 12. Juli 2007 stellte Angela Merkel dann den Nationalen Integrationsplan vor, dessen Erarbeitung als Dialogprozess angelegt war. Kurz zuvor allerdings hatten einige Migrantenorganisationen in Deutschland erklärt, dem Gipfel aus Protest gegen das zuvor verabschiedete Änderungsgesetz zum Zuwanderungsgesetz fernzubleiben, da sie dessen Bestimmungen als „integrationsfeindlich“ einstuften. Trotzdem würdigte die Bundeskanzlerin den Integrationsgipfel als einen „Meilenstein in der Geschichte der Integrationspolitik“. Der nationale Integrationsplan enthält über 400 Selbstverpflichtungen von Bund, Ländern und Kommunen sowie gesellschaftlichen Akteuren, z.B. Migrantenselbstorganisationen, Handwerkskammern und Wohlfahrtsverbänden. Der Bund will die Stundenzahl der Integrationskurse von 600 auf 900 erhöhen und das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ zu Förderung benachteiligter Stadtteile verstetigen. Zudem ist in dem Plan eine Vielzahl teils neuer Maßnahmen, beispielsweise zur Integration in Ausbildung bzw. Erwerbsleben, in der Wissenschaft, durch Sport, Medien und bürgerschaftliches Engagement, für Frauen und Mädchen sowie im Bereich kultureller Integration gebündelt. Die Fortschritte und die Umsetzung des Plans werden im Herbst 2008 überprüft.52 Wagt man einen Blick in die Zukunft, so könnte man spekulieren, dass die Wirtschafts- und Arbeitswelt des Jahres 2030 – abgesehen von politischen Einflüssen – vor allem von den dann herrschenden Rahmenbedingungen in den Bereichen der Technik und Umwelt, der internationalen Beziehungen, der Bevölkerung und der Weltanschauung abhängen. Wie in vielen anderen Industrieländern dürften auch in Deutschland die folgenden Tendenzen der 52

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Vgl. http://www.bpb.de/themen/8T2L6Z,0,0,integrationsgipfel.html, Quelle vom 25.02.2008

THEORIE UND KONTEXT

nächsten Jahrzehnte prägen: grundlegend neue Technologien, Umweltschutz, Überwindung der Grenzen, Individualisierung, niedrige Geburtenziffern und Wanderungen.53 „Durch den Schrumpfungs- und Alterungsprozess der Bevölkerung müsste bei einer in den einzelnen Alters-, Geschlechts- und Familienstandsgruppen unveränderten Erwerbsbeteiligung eine erhebliche Abnahme des Erwerbspersonenpotentials zur Folge haben.“54 Ob dieses Problem allein durch den Zuzug von ausländischen Arbeitnehmern zu lösen ist, bleibt offen, dennoch wird es aus wirtschaftlicher Sicht mit Sicherheit ein wesentlicher Faktor sein.

Inklusion und Exklusion Bei der Frage der Migration geht es auch immer um Aspekte der Inklusion und Exklusion. Inklusion (lateinisch inclusio, „der Einschluss“) bedeutet so viel wie Einbeziehung, Einschluss, letztendlich also Zugehörigkeit; Exklusion (wörtlich Ausschluss, aus dem lateinischen exclusio), sinngemäß auch Ausgrenzung, beschreibt als Gegenbegriff zur Inklusion in der gehobenen Umgangssprache die Tatsache, dass jemand – zum Teil aus unterschiedlichen Gründen und ggf. gegen seinen Willen von einem Vorhaben, einer Versammlung und ähnlichem ausgeschlossen, d.h. exkludiert wird. Die Teilnehmer möchten – beispielsweise aus Reputationsgründen oder Misstrauen – unter sich, also letztendlich exklusiv bleiben. Damit einhergehen kann auch Abwertung bis hin zur Diskriminierung derer, die ausgeschlossen werden. Exklusion meint im Zusammenhang mit Migration, dass Migranten zum Beispiel nicht als Arbeitskräfte zugelassen werden oder in erster Linie als Konkurrenten wahrgenommen werden. Die Migranten arbeiten im Aufnahmeland jedoch entweder in dem Bereich, in dem sie im Heimatland auch gearbeitet haben oder in Bereichen, die Einheimische aus unterschiedlichsten Gründen ablehnen.55 Die Gründe für die Exklusion von Menschen sind vielfältig, doch für diejenigen, die diese Ausgrenzung erleben, sind die Ergebnisse unabhängig von den Gründen sehr ähnlich: „Diese Menschen stehen vor der schwierigen Aufgabe, die Mittel für ihr physisches Überleben zu sichern, während ihnen zugleich das Selbstvertrauen und die Selbstachtung genommen wurden, die für das soziale Überleben nötig sind. Sie haben kei53

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Vgl. Klauder, Wolfgang, Deutschland im Jahr 2030. Modellrechnungen und Visionen. In: Bade, Klaus, Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. München: C.H. Beck Verlag 1992: S. 456 Ebd. S. 459 Vgl. Han, Petrus, Soziologie der Migration. Erklärungsmodelle, Fakten, politische Konsequenzen, Perspektiven. Stuttgart: Lucius & Lucius 2001: S. 271277 41

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nen Anlaß, feinsinnige Unterscheidungen zwischen intendiertem Leid und selbstverschuldetem Elend anzustellen. Man kann es ihnen nachfühlen, wenn sie sich zurückgesetzt fühlen, wenn sie aufgebracht und erbost sind, vor Wut schnauben und auf Rache sinnen – und doch haben sie bereits gelernt, daß Widerstand vergeblich ist, und das Verdikt ihrer eigenen Unterlegenheit hingenommen.“56

Dieses Gefühl führt laut Baumann dazu, dass die exkludierten Menschen nicht mehr in der Lage sind, ihre Gefühle in wirksames Handeln umzusetzen. Egal, ob die Exklusion offiziell, d.h. zum Beispiel in der Aberkennung bestimmter Rechte stattfindet oder eher versteckt, die ausgegrenzten Menschen fühlen sich überflüssig und entbehrlich. Sie stellen fest, dass sie von der Gesellschaft nicht gebraucht und nicht gewollt sind und die Reaktionen verwandeln sich zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.57 Neben Arbeitslosen, Armen und anderen Exkludierten befinden sich die von der Gesellschaft ausgeschlossenen Migranten in einer aussichtslosen Lage, denn wenn sie versuchen, sich dem aktuell propagierten Lebensstil anzupassen, bezichtigt man sie der sündhaften Arroganz, der Vorspiegelung falscher Tatsachen und der Unverschämtheit, unverdiente Vergünstigungen zu beanspruchen – wenn nicht sogar krimineller Absichten. In jedem Fall werden sie kritisch beäugt, sobald sie versuchen, so zu sein wie die diejenigen, die zur Mehrheitsgesellschaft gehören und inkludiert sind. Stellen sie also fest, dass dieser Weg nicht funktioniert und wenn sie nun den Lebensstil offen ablehnen, den die Besitzenden genießen, dann dient dies prompt als Beweis für das, was die „öffentliche Meinung“ (vermittelt durch Medien und Politik) „schon immer gewusst hat“: Die Exkludierten sind eine Gefahr für den Lebensstil und die Lebensweise der Gesellschaft, sind quasi Feinde für alles, wofür die Gesellschaft steht.58 Baumann bezeichnet Flüchtlinge, Heimatlose, Asylbewerber, Migranten, letztendlich alle Menschen ohne Papiere als „Abfall der Globalisierung“.59 Diese Menschen, die Opfer des globalen wirtschaftlichen Fortschritts sind, durchlaufen Wanderbewegungen auf der Suche nach Arbeit und Teilhabe an diesem Fortschritt. Wenn sie sich dort niederlassen, wo sie ein Auskomen finden, bieten sie ein leichtes Ziel für das Abreagieren von Ängsten, d.h. sie werden oftmals Opfer von Diskriminierung.60

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Baumann, Zygmunt, Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne. Hamburg: Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft 2005: S. 59 Ebd. S. 59 Ebd. S. 60 Ebd. S. 85 Ebd. S. 90

THEORIE UND KONTEXT

Das Erleben des „Andersseins“ – Diskriminierung Die gerade aufgeführte Diskriminierung zeigt sich im täglichen Leben von Migranten. Diese werden im Zuge des internationalen Terrors und der Terrorbekämpfung mittlerweile als Sicherheitsrisiko gesehen, in diesem Zusammenhang wird der Abbau von Bürgerrechten gerechtfertigt und große Proteste bleiben aus. Zudem werden Räume konstruiert, in denen negative Zuschreibungen passieren: Frauen aus dem Orient sind immer unterdrückte Frauen usw. Migranten werden gekennzeichnet als Menschen, die aus einer primitiven Kultur kommen und hier erst in Orientierungskursen Aufklärung darüber erhalten sollen, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Die hegemoniale Wahrnehmung spielt hier eine Rolle, denn es wird nur wahrgenommen, was wahrgenommen werden will. Migrantinnen sind immer unterdrückte Frauen, die entweder von ihren Männern geschlagen werden oder über Frauenhandel in die BRD eingereist sind. Die erfolgreiche Muslima wird dagegen nicht gesehen und erscheint auch sehr selten in den Medien.61 Dahinter steht die Angst, dass durch die Menschen, die als Fremde in ein neues Land kommen, alles, was bisher als „normal“ und „gut“ angesehen wurde, in Frage gestellt wird: „Neben dem Reiz des Neuen, der Lust am (kleinen) Abenteuer und der Freude am (überschaubaren) Risiko produzieren derartige Situationen immer auch Angst – und zwar je mehr, je offener und letztlich auch freier Gesellschaften sind. Angst kommt auf, wenn Grenzen überschritten werden müssen und wir „von etwas Gewohntem, Vertrautem uns zu lösen und uns in Neues, Unvertrautes zu wagen“ haben. Der Fremde ist dabei „wesentlich der Mensch, der fast alles, das den Mitgliedern der Gruppe, der er sich nähert, unfraglich erscheint, in Frage stellt.“62

Man kann mittlerweile von einer Gesellschaft der Fremden sprechen, weil nicht nur die offensichtlich Fremden unter Diskriminierung und Skepsis leiden. In Zeiten der Globalisierung sind letztendlich Fremde zur Regel geworden und sind Zeichen einer allgemeinen, sehr weit reichenden Verfremdung. Aus diesem Grund empfinden nicht allein die Immigranten, die sich vielleicht erst nach Generationen an die „Gastgesellschaft“ anpassen, Unsicherheit, sondern auch angestammte Mitglieder der Gesellschaft. Wenn man in einer Gesellschaft von Fremden lebt, kann diese Fremdheit und Unsicherheit jeden treffen. Dies erklärt, warum die Xenophobie, d.h. die ablehnende Ein61

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Vgl. Castro Varela, Maria do Mar/Dhawan Nikita, Migration und die Politik der Repräsentation. In: Broden, Anne/Mecheril, Paul, Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft. Düsseldorf: IDA NRW 2007: S. 35 Leggewie, Klaus, „Stolz ein Deutscher zu sein ...“ – die neue Angst vor dem Fremden. In: Bade, Klaus, Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. München: C.H. Beck Verlag 1992: S. 428 43

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stellung und Verhaltensweise gegenüber anderen Menschen und Gruppen, die vermeintlich oder real fremd sind (z. B. durch fremde Herkunft, Kultur, Sprache oder Religion), zum Zeitgeist geworden ist. Sie kann sich durch Furcht, Meidung, Geringschätzung, Spott oder Feindseligkeit ausdrücken, die bis hin zur Gewalt reicht. Teilweise wird der „Fremde“ als Quelle unvorhersehbarer Gefahren gescheut. Da viele früher selbstverständliche Gewohnheiten und Sicherheiten in der postmodernen Gesellschaft entfallen oder sich in Übergangszuständen befinden, ist die Unsicherheit groß und das Bedürfnis nach langer Dauer bleibt ungestillt.63 Die Angst vor dem Fremden und die Angst vor den damit verbundenen Gefahren werden vor allem auch von konservativer Seite propagiert. So verweisen die Vertreter konservativer politischer Parteien darauf hin, dass die Normen, Werte und Praktiken der Migrantinnen und Migranten aus fremden „Kulturkreisen“ keine institutionalisierte Anerkennung erfahren dürfen, weil sie mit denen moderner, liberaler Gesellschaften konfligieren. Um diese These zu stützen, vor allem nach den Anschlägen des 11. September, wird Samuel Huntingtons „Clash of Civilizations“ bemüht. Es wird diskutiert, ob sich die westlichen Einwanderungsgesellschaften nicht gegen „fremde“ Wertvorstellungen schützen müssten. Dabei stehen muslimische Migrantinnen und Migranten im Vordergrund. Von ihnen wird die Anpassung an die „westlichen Werte“ eingefordert. Die „verschleierte, muslimische Frau“ ist zu der Figur avanciert, an der die „Modernität“, die „Integrationsbereitschaft“ und das Konfliktpotential der gesamten Migrantenpopulation festgemacht wird.64

Identität Die Frage „Wer bin ich?“ ist die zentrale Frage der Identität. Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts haben jene Bilder vorgeherrscht, die Identität und auch Biographie als etwas Festes, Unverrückbares aufzeigen. Max Weber beispielsweise bezeichnet die Persönlichkeit als „stahlhartes Gehäuse der Hörigkeit“, während Ernst Bloch schon eher eine ambivalente Form der Identität beschreibt, wenn er sagt, dass Menschen sich in der Welt einrichten. Dies bedeutet, dass sie sich arrangieren und nicht ausschließlich in ein festgelegtes Muster gepresst werden.65 63 64

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Ebd. S. 427-428 Vgl. Otto, Hans-Uwe/Schrödter, Mark, Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. In: neue praxis – Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik. Lahnstein: verlag neue praxis 2006: S. 7 Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 23

THEORIE UND KONTEXT

Für die vorliegende Arbeit ist das Thema der Identitätsentwicklung von großer Bedeutung; denn wenn es um die Frage geht, welche Motive dem bürgerschaftlichen Engagement von Migrantinnen und Migranten zugrunde liegen oder welche Lernerfahrungen und Bedürfnisse befriedigt bzw. nicht befriedigt werden, geht es immer auch um die Auswirkungen dieser Erlebnisse auf die Identität des Subjektes. Gleichzeitig geht es auch um die Frage, wie die verschiedenen, gerade genannten Aspekte vom Subjekt eingeordnet werden. Daher soll nun zunächst auf die Identitätskonzepte der Moderne und der Postmoderne eingegangen werden, bevor der aktuelle Stand der Identitätsforschung näher erläutert und in den Gesamtzusammenhang meines Forschungsthemas gestellt wird. In der Ersten Moderne, die in der Abgrenzung von der vormodernen, traditionellen gesellschaftlichen Ordnung entstand, entwickelte sich die Industriegesellschaft. Gekennzeichnet werden kann diese Erste Moderne laut Ulrich Beck durch folgende Kernannahmen: • Vollbeschäftigungsgesellschaft • Kontrollierbarkeit gesellschaftlicher Abläufe • Nationalstaatsgesellschaft • Reichtumsdynamik durch Unterwerfung der Natur • Rückgriff auf ständische Muster • Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung Diese, die Erste Moderne kennzeichnenden Faktoren hatten Auswirkungen auf die Identitätsentwicklung, denn die gerade gekennzeichnete Rationalitätsund Nationalstaatsgesellschaftgesellschaft und territoriale Nationalstaatsgesellschaft ließ kollektive Identitäten entstehen, auch weil die Reichtumsproduktion mit der Ausbeutung der Natur die Entfaltung des gesellschaftlichen Reichtums bei fortbestehenden sozialen Ungleichheiten ermöglicht.66 Letztendlich bedeutet dies, dass Individualisierungsprozesse stattfinden, die jedoch durch kollektive Lebensmuster strukturiert und auch begrenzt werden. Anhand der aufgelisteten Kernannahmen wird deutlich, dass im Zentrum der Industriegesellschaften die Teilnahme am Erwerbsleben und die Vollbeschäftigung standen. Gleichzeitig waren Industriegesellschaften auch durch Klassen geprägt, die stark das Leben der Individuen beeinflussten. All diese Faktoren trugen zur Ausprägung der Industriegesellschaften bei und wurden als selbstverständlich erachtet.67 Daraus lässt sich für die Identitätsentwick66 67

Ebd. S. 45 Vgl. Beck, Ulrich/Bonß, Wolfgang/Lau, Christoph, Reflexive Modernisierung – Fragestellungen, Theorien, Forschungsprogramme. In: Beck, Ulrich, Bonß, Wolfgang (Hg.) Reflexive Modernisierung – Überlegungen zur Transformation der Moderne. Bd.1, Frankfurt am Main: SFB-Suhrkamp-Publikation 2001: S. 325 45

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lung moderner Subjekte schließen, dass es in der Industriegesellschaft vor allem darauf ankam, gesellschaftliche Normen und Werte zu übernehmen, sich der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung anzupassen und der Arbeitsgesellschaft gerecht zu werden, um eine stabile Identität zu entwickeln. Die Zweite Moderne jedoch stellt alle genannten Faktoren in Frage. Die Gründe dafür stehen vor allem im Zusammenhang mit der fortschreitenden Globalisierung und der Individualisierung. Eine der wichtigsten Unterscheidungen zwischen der ersten und der zweiten Moderne besteht darin, dass man sich in der ersten Moderne auf die sogenannten Naturkategorien verlässt. Darunter versteht man zum Beispiel neben der Unterscheidung zwischen Mann und Frau auch die Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen, Wirtschaft und Natur. In der Zweiten Moderne dagegen zerfällt diese Vorstellung mit dem Universalismus. Durch die Individualisierung steigen auch die Erwartungen an ein „eigenes Leben“ unabhängig vom Kollektiv. Die Klassen verschwinden und Geschlechts- und Generationenbeziehungen geraten durcheinander, auch die Vollbeschäftigungsgesellschaft gerät in eine Krise.68 Die Integration aller optionalen Teilzeit-Aktivitäten zu einem Lebens-Ganzen verbleibt – als Notwendigkeit ebenso wie als Möglichkeit – beim Individuum. Es ist nicht mehr „zu Hause“ in einem stimmigen Sinn-Kosmos, sondern ähnelt eher einem Vagabunden auf der Suche nach geistiger und gefühlsmäßiger Heimat. Sein Tagesund Lebenslauf ist gleichsam eine unstete und manchmal auch unsichere Wanderung, die er durch eine Vielzahl von Sinnprovinzen unternimmt.69 Für die Identität hat dies Folgen, denn der Alltag der Individuen verändert sich: • Subjekte fühlen sich entbettet • Es kommt zur Entgrenzung individueller und kollektiver Lebensmuster • Die Erwerbsarbeit wird als Basis von Identität brüchig • Multiphrene Situationen werden zur Normalerfahrung • Virtuelle Welten entstehen als Gegenpol zur Realität • Das Zeitgefühl erfährt eine Gegenwartsschrumpfung • Lebensformen werden pluralisiert • Es kommt zu tiefgreifenden Veränderungen der Geschlechterrollen • Die Individualisierung verändert das Verhältnis des einzelnen zur Gesellschaft • Die Sinnsuche wird individualisiert 68

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Vgl. Beck, Ulrich, Modell Bürgerarbeit. In: Beck, Ulrich, Visionen für das 21. Jahrhundert. Die Buchreihe zu den Themen der EXPO 2000. Frankfurt: Campus 1999: S. 25-26 Vgl. Hitzler, Ronald, Bastelidentität. Über subjektive Konsequenzen der Individualisierung. In: Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth, Riskante Freiheiten. Neue Folgen Band 816. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994: S. 311ff

THEORIE UND KONTEXT

Diese Erfahrungen münden letztendlich in einer neuen Grunderfahrung: einer radikalen Ent-Traditionalisierung und der damit einhergehenden Erkenntnis, dass es keine klaren Lebenskonstruktionen mehr gibt. Die Subjekte sind von dem Gefühl geleitet, dass sie viele Möglichkeiten haben, ihr Leben selbst zu gestalten, die Chancen dazu sind aber nicht für alle gleich.70 Der Widerspruch zwischen der Aufforderung der Spätmoderne, dass jeder seinen eigenen Lebenssinn finden soll und der Tatsache, dass davon einige Subjekte ausgeschlossen werden (untere Schichten, Frauen etc.) wird in der zweiten Moderne thematisiert.71 Ob und in welcher Weise die von mir befragten Migrantinnen und Migranten von diesem Ausschluss betroffen sind bzw. welche Anstrengungen ihrerseits nötig und erfolgreich sind, um den eigenen Lebenssinn in der fremden Kultur zu erfahren und eigene, individuell gestaltete Lebensperspektiven zu entwickeln, ist eine zentrale Frage in meinen Interviews.

Zum aktuellen Stand der Identitätsforschung Nach diesem einleitenden Kapitel zur Identität in Moderne und Postmoderne soll nun ausführlicher der aktuelle Stand der Identitätsforschung dargestellt und in den Kontext des Themas „Migration und Engagement“ gestellt werden. Der Begriff der Identität hat sich sehr schnell einen angestammten Platz im Denken und im Wortschatz eines breiten Publikums gesichert.72 Die psychoanalytischen Ansätze zur Identitätsforschung wurden vor allem durch Sigmund Freud (1856-1939) und Erik Erikson (1902-1994) geprägt. Erik Erikson hat als einer der ersten Identitätsforscher ein Konzept vorgelegt, dass den gesamten, sehr komplexen Prozess der Selbstverortung der Menschen in der sozialen Welt erfasst. Er ging in seiner Identitätstheorie von dem Ideal einer gelingenden Integration von Subjekt und Gesellschaft aus. Nachfolgende Identitätsforscher distanzierten sich durch das Aufzeigen der Unmöglichkeit einer solchen Synchronisation in einer kapitalistischen Gesellschaft von Eriksons Konzept. Dennoch hat Erikson einen wichtigen Beitrag – auch zur aktuellen – Identitätsforschung geliefert. Sein Konzept ist deutlich das Resultat der Blickrichtung aus der Ersten Moderne, weil hierin die Identitätsthema-

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Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 45-53 Ebd. S. 19 Vgl. Erikson, Erik, Lebensgeschichte und historischer Augenblick. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1982: S. 15 47

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tik auf ein modernes Ordnungssystem übertragen wird. Außerdem wird eine gesellschaftliche Kontinuität und Berechenbarkeit unterstellt.73 Eriksons Konzept geht davon aus, dass die Herausforderung der Identitätsarbeit in der Jugend stattfindet. Im Erwachsenenalter lebt das Subjekt dann so, wie es die Identitätsfrage beantworten konnte. Die Ich-Identität kennzeichnet er demnach folgendermaßen: „Es sollte damit ein spezifischer Zuwachs an Persönlichkeitsreife angedeutet werden, den das Individuum am Ende der Adoleszenz der Fülle seiner Kindheitserfahrungen entnommen haben muß, um für die Aufgaben des Erwachsenenlebens gerüstet zu sein.“74 Das Scheitern der Identitätsarbeit beschreibt er wie folgt: • Die Jugendlichen haben Probleme, sich auf intime Beziehungen einzulassen • Der junge Mensch fühlt sich gleichzeitig sehr jung und sehr alt • Man kann sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren. Identität versteht er als ein Kriterium relativer psychosozialer Gesundheit, Identitätsdiffusion als das korrespondierende Kriterium relativer Störung: „In jedem Feld steht ein Kriterium relativer psychosozialer Gesundheit und darunter das korrespondierende Kriterium relativer psychosozialer Störung.“75 Nach diesem Modell bildet das Individuum auf der Basis eines erfolgreichen Durchlaufens der einzelnen Entwicklungsaufgabe bis zum Erwachsenenalter eine Art gefestigten Identitätssockel. Dieser unterstützt mit seiner Stabilität den weiteren Lebensverlauf. Eriksons Modell hatte großen Einfluss, wurde und wird aber auch kritisch diskutiert. Es stellt sich angesichts der Abhängigkeiten der einzelnen Modalitäten voneinander für die Entwicklung des Individuums die Frage, inwiefern sich menschliche Entwicklungswege in ein solch linear angelegtes Stufenmodell eingrenzen lassen. Der Begründer der interaktionistischen Theorien, Herbert Mead (18631931) hat einen theoretischen Ansatz entwickelt, der von vielen wissenschaftlichen Vertreten wie z.B. Erving Goffman (1922-1982) und Jürgen Habermas (1929-) aufgegriffen und weiter entwickelt wurde. Habermas schließt in seinen Konzepten zur Identität an die Arbeiten von Mead, Goffman und Erikson an.76 Gleichzeitig bezieht er sich auf die Konzepte von Vertretern der Ent-

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Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 29-30 Vgl. Erikson, Erik, Identität und Lebenszyklus. Drei Aufsätze. Frankfurt am Main: Suhrkamp 199:8 S. 123 Ebd. S. 149 Vgl. Abels, Heinz, Interaktion, Identität, Präsentation. Kleine Einführung in interpretative Theorien der Soziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007: S. 25

THEORIE UND KONTEXT

wicklungstheorie. Dazu zählen unter anderem Jean Piaget (1896-1980) und Lawrence Kohlberg (1927-1987). Habermas unterscheidet zwischen persönlicher und sozialer Identität: „Die persönliche Identität kommt zum Ausdruck in einer unverwechselbaren Biographie, die soziale Identität in der Zugehörigkeit ein und derselben Person zu verschiedenen, oft inkompatiblen Bezugsgruppen. Während persönliche Identität so etwas wie die Kontinuität des Ich in der Folge der wechselnden Zustände der Lebensgeschichte garantiert, wahrt soziale Identität die Einheit in der Mannigfaltigkeit verschiedener Rollensysteme, die zur gleichen Zeit gekonnt sein müssen.“77

Um die Balance zwischen der sozialen und der persönlichen Identität herzustellen, ist nach Habermas das Element der „Ich-Identität“ Voraussetzung. Die Herausbildung dieser „Ich-Identität“ ist dabei weniger eine kognitive Leistung, vielmehr ist sie die Kompetenz, die sich in sozialen Interaktionen bildet. Die Identität wird demnach durch Vergesellschaftung erzeugt. Die Stärke der „Ich-Identität“78 zeigt sich vor allem darin, ob es dem Subjekt gelingt, die Balance zwischen den beiden Faktoren der persönlichen und der sozialen Identität aufrecht zu erhalten bzw. wieder neu herzustellen. Dieser Aspekt des spannungsreichen Dialoges war für die weitere Identitätsforschung ebenso zentral wie die Hervorhebung der Krise durch Erikson, die er als notwendigen Bestandteil von Entwicklung deutet. Wenn man aber nun von aktuellen Forschungsergebnissen wie z.B. von Ulrich Beck ausgeht, die kennzeichnen, dass Individualisierung mehrere Komponenten mit sich bringt, wie die Herauslösung aus traditionellen Herrschafts- und Versorgungszusammenhängen, den Verlust von Sicherheit, den Verlust von Glauben und Normen und Kontrollverlust, dann liegt es nahe, dass das von Erikson erstellte und von den oben genannten Forschern weiter entwickelte Konzept modifiziert und den aktuellen Umbruchsituationen angepasst werden muss. Heute erlebt jeder Mensch neue Variabilitäten der Lebensgestaltung, was aber nicht nur Freiheit bedeutet, sondern letztendlich auch eine Notwendigkeit darstellt: „Zu den entscheidenden Merkmalen von Individualisierungsprozessen gehört derart, daß sie eine aktive Eigenleistung der Individuen nicht nur erlauben, sondern fordern. In erweiterten Optionsspielräumen und Entscheidungszwängen wächst der individuell abzuarbeitende Handlungsbedarf, es werden Abstimmungs-, Koordinierungsund Integrationsleistungen nötig. Die Individuen müssen, um nicht zu scheitern,

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Habermas, Jürgen, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. Frankfurt am Main: Edition Suhrkamp 2004: S. 131 Ebd. S. 131 49

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langfristig planen und den Umständen sich anpassen können, müssen organisieren und improvisieren, Ziele entwerfen, Hindernisse erkennen, Niederlagen einstecken und neue Anfänge versuchen. Sie brauchen Initiative, Zähigkeit, Flexibilität und Frustrationstoleranz.“79

Mobilität wird in unterschiedlichster Form verlangt: • geographisch • sozial • Beziehungsmobilität • politisch80 Während man in kollektiven Gesellschaften soziale Anerkennung durch die Familie oder in der Nachbarschaft bekommt, ist dies in einer individualisierten, postmodernen Gesellschaft nicht mehr möglich. Das bedeutet, dass das Individuum in vormodernen Gesellschaften keine innere Kohärenz herzustellen brauchte, weil die Gesellschaft für diesen inneren Zusammenhalt gesorgt hat. Heute aber wird Kohärenz zu einem wesentlichen Pfeiler der alltäglichen Identitätsarbeit. Das Fehlen des inneren Zusammenhalts kann schwerwiegende Folgen für die Identitätsentwicklung haben.81 (auf den Aspekt der Kohärenz wird im Laufe dieses Kapitels noch detailliert eingegangen). Gleichzeitig ist Identität auch weiterhin stark mit Alterität verbunden, denn eine wesentliche Identitätsfrage ist auch die, wer man selber im Verhältnis zu anderen ist82, auch wenn sich diese Frage nicht mehr allein auf Familie und Nachbarschaft bezieht. Zentrale Schlüsselaspekte der Identitätsarbeit sind: Erwerbsarbeit und Identität: In der Industriegesellschaft galt über lange Zeit die Erwerbsarbeit als zentraler Pfeiler der Identität. Da es aber immer weniger Arbeit und vor allem auch gesicherte Arbeitsplätze gibt, wird es immer schwerer, z.B. als Jugendlicher „seinen“ Platz in der Arbeitswelt zu finden. Die Angst vor Arbeitslosigkeit ist schon bei 13-Jährigen immens hoch.83 Arbeitslosigkeit und bürgerschaftliches Engagement: Obwohl Arbeitslosigkeit längst keine Ausnahmeerscheinung mehr ist, wird über Erwerbsarbeit 79

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Vgl. Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth, Individualisierung in modernen Gesellschaften – Perspektiven und Kontroversen einer subjektorientierten Soziologie. In: Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth, Riskante Freiheiten – Individualisierung in modernen Gesellschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994 S. 14-15 Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 38-39 Ebd. S. 87 Ebd. S. 95 Ebd. S. 111-117

THEORIE UND KONTEXT

noch immer ein großer Teil gesellschaftlicher Anerkennung erreicht. Gesellschaftlicher Einfluss ist ohne Erwerbsarbeit nur schwer möglich. Daher bleibt Erwerbsarbeit die wesentliche Schnittstelle, an der sich die einzelnen an dieser Gesellschaft beteiligen und die sie mitgestalten können. Aber bürgerschaftliches Engagement wird immer wichtiger für diejenigen, die entweder in ihrem Beruf nicht die gleiche Zufriedenheit erreichen können wie in einem bürgerschaftlichen Engagement und für diejenigen, die von Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind und damit keine Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen haben: „Natürlich gibt es Formen von (nichtbezahlter) Arbeit, die wesentlich weniger entfremdet und dadurch zumeist subjektiv befriedigender erfahren und manchmal sogar effektiver geleistet werden als ähnliche Arbeit in erwerbsförmigen Strukturen. Ganz sicher stimmen Befunde, die zeigen, dass die Belastung durch Erwerbslosigkeit bei Personen, die eine sie befriedigende Aufgabe in ihrem unmittelbaren Umfeld bzw. in Formen bürgerschaftlichen Engagements gefunden haben, sinkt und dass eine ausschließliche Orientierung auf Erwerbsarbeit in dieser Situation eher als Risikofaktor gesehen werden muss.“84

Im Zusammenhang mit meiner Forschung interessiert mich die Schlüsselfrage der Erwerbsarbeit bzw. der Arbeitslosigkeit hinsichtlich der Frage, ob es den Interviewpartnern gelingt, einen Platz in der Arbeitswelt zu finden und welche Rolle das bürgerschaftliche Engagement in diesem Kontext spielt. Identität und Intimität: Das Gelingen von Partnerschaft und Intimität ist für die Identität ein zentrales Thema. Dabei spielen Themen wie Emanzipation, männliche und weibliche Geschlechtsidentität, Single-Dasein usw. eine große Rolle. Bei wachsenden persönlichen Ansprüchen beider Partner wird es immer schwerer, beide Leben miteinander zu vereinbaren und langfristig miteinander zu leben. Es geht um permanente Beziehungsarbeit und Konfliktfähigkeit.85 Im Gesprächsverlauf mit den Interviewpartnerinnen und -partnern wurden die oben genannten Themen angesprochen und anschließend analysiert, da ich mir durch diese Aspekte Aufschluss über die Identitätsarbeit der Probanden erwartete. Identität und soziale Netzwerke: Erwerbsarbeit spielt nicht nur für gesellschaftliche Teilhabe eine immense Rolle, vielmehr ist der Arbeitsplatz auch ein wichtiger Ort, um soziale Beziehungen zu knüpfen: „Die soziale Integration wird in dieser Gesellschaft wesentlich von der Beteiligung an Erwerbsarbeit und /oder der Verfügbarkeit von ökonomischen, kulturellem und sozialem Kapital befördert.“86 84 85 86

Ebd. S. 123-124 Ebd. S. 129-133 Ebd. S. 153 51

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Gleichzeitig heißt dies aber auch, dass Menschen, denen es an Erwerbsarbeit fehlt, weniger Kontaktmöglichkeiten und damit weniger soziale Beziehungen haben. Welche sozialen Netzwerke aber haben die von mir befragten Migrantinnen und Migranten? Gelingt es ihnen, über das Erwerbsleben soziale Kontakte zu knüpfen oder spielen sich diese vor allem innerhalb der familiären Strukturen ab? Werden über das bürgerschaftliche Engagement Kontakte zu Deutschen oder anderen Migrantinnen und Migranten hergestellt? Diesen Fragen bin ich in den Interviews nachgegangen. Letztendlich gehen heutige Identitätsforscher wie Keupp davon aus, dass der Identitätsprozess ein Leben lang stattfindet. Identität ist nicht etwa von Geburt an festgelegt, sondern wird in einem lebenslangen Prozess entwickelt. Somit ist Identitätsarbeit eine nie endende Leistung, die sich im alltäglichen Leben vollzieht: „Natürlich ist die Jugendphase immer noch als eine spezifische Lebensphase anzusehen, vor allem deshalb, weil hier wichtige Prozesse der Selbstsuche und –findung durchlaufen und typische ontogenetische Krisen bewältigt werden müssen. Aber eben genau weil die Erwachsenen dieser Phase entwachsen sind, ist für sie die inzwischen raumgreifende Erfahrung, dass Identitätsarbeit ein lebenslanger und unabschließbarer Prozess geworden ist, eine schmerzliche Einsicht, ein Verlust- und Verunsicherungserlebnis.“87

Dies ist also eine Weiterentwicklung des Erikson`schen Konzeptes. Thema der Identitätsarbeit ist die unaufhörliche Verknüpfungsarbeit der Selbsterfahrung mit der Lebenswelt, das heißt die Verknüpfung von Arbeit und Freizeit, Mann und Frau usw. Außerdem sind inhaltliche Verknüpfungen (Ähnlichkeiten und Differenzen) und zeitliche Verknüpfungen (Vergangenheit/Gegenwart/Zukunft) notwendig. Hinzu kommt Identität als Passungsprozess zwischen Innen und Außen.88 Da das Konzept der alltäglichen Identitätsarbeit für die Interviews eine wichtige Rolle spielt, soll es im Folgenden näher beschrieben werden:

Alltägliche Identitätsarbeit Nachdem dargestellt wurde, dass der Identitätsprozess ein Leben lang andauert, bleibt die Frage, wie dieser Verlauf der Identitätsentwicklung konkret abläuft. Keupps Konzept der alltäglichen Identitätsarbeit wird aus verschiedenen Perspektiven betrachtet:

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Ebd. S. 82 Ebd. S. 190-191

THEORIE UND KONTEXT

Die erste Perspektive bezieht sich auf den Grundmodus der Identität, nach welchem die Identitätsarbeit als permanente Verknüpfungsarbeit verstanden wird Diese hilft dem Subjekt, sich selbst in der Fülle aller Erfahrungen zu verstehen. Die zweite Perspektive setzt sich mit dem Aushandlungsprozess des Einzelnen mit der Umwelt auseinander. Im Detail beinhalten die Prozesse der Identitätsarbeit vier zentrale Koordinationsleistungen: Retro- und prospektive Identitätsarbeit: Mit Blick auf die Dimension der Zeit nimmt der Einzelne in seiner Identitätsarbeit sowohl rückschauende (= retrospektive) als auch vorausschauende (= prospektive) Verknüpfungsprozesse vor, die sich gegenseitig beeinflussen. Bei den rückschauenden Prozessen reflektiert der Einzelne in der Gegenwart die Erfahrungen, die er hinsichtlich seiner Person in der Vergangenheit erlebt hat, und zwar auf der Grundlage seiner eigenen Wahrnehmung. Diese Wahrnehmung kann sich aus unterschiedlichen Kategorien zusammensetzen: dazu zählen unter anderem kognitive, emotionale, körperbezogene, produktorientiert und soziale Wahrnehmungsaspekte, von denen einige intensiver hervortreten können als andere. Ebenso ist das Bündeln von Erfahrungen zu bestimmten Aspekten der Identität möglich: So kann eine Person zu einem übergeordneten Thema, wie z.B. besondere Lebensphasen oder familiäre Rollen („Mutter-Sein“), Einzelerfahrungen zu sogenannten „Selbsterzählungen“ verbinden, die in solch einer verdichteten Form wichtige Konstruktionen der Identität darstellen können. Vorausschauende Verknüpfungsprozesse beziehen sich auf die zukünftige Entwicklung der Identität. Nach Keupp unterscheidet man hierbei zwischen Identitätsentwürfen sowie Identitätsprojekten; dabei haben Identitätsentwürfe einen eher utopischen Charakter und fördern als eine Art Leitbilder die Umsetzung konkreter Identitätsprojekte. Identitätsprojekte besitzen einen „inneren Beschlusscharakter“ und zielen in Abstimmung mit Kernbedingungen wie z.B. den vorhandenen Ressourcen auf eine konkrete Realisation.89 Identitätsarbeit heißt immer auch Konfliktaushandlung. Solange neue Erfahrungen die bisherige Identität nicht irritieren, bleibt diese konstant, ansonsten muss eine Passung stattfinden. Dabei wird die Identität wesentlich von den Ressourcen geprägt, die ein Subjekt bei der Identitätsarbeit mobilisieren und nutzen kann. Dabei geht es nicht einfach um objektiv vorhandene Ressourcen, sondern um die Ressourcen, die das Subjekt wahrnimmt oder eben nicht wahrnimmt, und um diejenigen, die es sich erschließen und nutzen kann.90 Der hier verwendete Begriff der Ressource geht auf Pierre Bourdieu und seine Kapitalsortentheorie zurück. Bourdieu bezeichnet Ressourcen als Kapi89 90

Ebd. S. 190-195 Ebd. S. 196-198 53

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talsorten: Das ökonomische Kapital, das soziale Kapital und das kulturelle Kapital. Das ökonomische Kapital bezieht sich auf Geld, Aktien, Renten, Mietzins, Pachterträge, Grund und Boden usw. Kulturelle Ressourcen sind Bildungsabschlüsse und Titel. Soziale Ressourcen umschreiben alle Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu anderen Personen beruhen. Für die Identitätsentwicklung ist es wichtig, wie diese Ressourcen angewandt werden können.91 Identität als Narration(sarbeit): Narration ist das zentrale Instrument, mit dem der Einzelne wichtige Verknüpfungen in seiner Identitätsentwicklung vornimmt. Identität bedeutet auch Narrationsarbeit – hierbei vor allem die Selbstnarration. Bei solchen Selbstnarrationen geht es weniger um zeitlich korrekte Auflistungen oder tatsächliche Fakten, sondern vielmehr um eine für sich selbst stimmige Positionierung der eigenen Person gegenüber inneren und äußeren Faktoren. Selbstnarrationen sind individuelle, sinnstiftende Gebilde, die in ihrer Ausführung abhängig sind von dem jeweiligen sozialen Kontext der Erzählung, den vorherrschenden Werten und Normen der Lebenswelt, dem jeweiligen Gegenüber usw. Weder werden sie immer auf die gleiche Weise „erzählt“, noch sind sie vor Aushandlungsprozessen mit der Lebenswelt gesichert. Identitätsarbeit ist insofern auch „Erzähl-Arbeit“, als dass Identitätsbalance nicht nur durch konkrete Handlungen erarbeitet, sondern auch erzählend präsentiert und interpretiert wird.92 Für die Interviews stellt sich im Zusammenhang der narrativen Identität die Frage, wie die Migrantinnen und Migranten für sie relevante Ereignisse aufeinander beziehen und wie sie sich auch im Gespräch mir gegenüber positionierten. Gibt es Themen, die besonders betont werden oder Fragen, auf die nicht oder abweichend geantwortet wird? All dies kann im Kontext der narrativen Identität stehen.

Konstruktionen der Identitätsarbeit Als Ergebnisse der Identitätsarbeit entstehen nach Keupp drei Identitätskonstruktionen: erstens Teilidentitäten, zweitens das Identitätsgefühl und drittens Biographische Kernnarrationen. Diese haben grundsätzlich eine dynamische Gestalt, verfügen aber im Gegensatz zu den oben genannten Prozessen über eine etwas höhere Stabilität. Anhand dieser drei Konstruktionen bildet sich die Handlungsfähigkeit des Individuums aus.93 Die (1) Teilidentitäten, die das moderne Subjekt herausbildet, sind das Ergebnis der Integration von situativen Selbsterfahrungen anhand identitätsrelevanter Perspektiven. Jeder Mensch hat verschiedene Teilidentitäten, von 91 92 93 54

Ebd. S. 198-201 Ebd. S. 207-208 Ebd. S. 217

THEORIE UND KONTEXT

denen einige als relevanter wahrgenommen werden als andere. Dabei können sich die übergeordneten Teilidentitäten zu einem übergeordneten Identitätsbezug entwickeln. (2) Das Identitätsgefühl: Im Unterschied zu den jeweils nur einen bestimmten Ausschnitt der einzelnen Person betreffenden Teilidentitäten stellt das Identitätsgefühl nach Keupp ein wesentlich umfassenderes Grundgefühl des Einzelnen dar, das sich aus dem Kerngehalt sämtlicher (Selbst-)Erfah– rungen und Bewertungen der eigenen Person speist. Das heißt, das Identitätsgefühl enthält „[...] sowohl Bewertungen über die Qualität und Art der Beziehung zu sich selbst (Selbstgefühl) als auch Bewertungen darüber, wie eine Person die Anforderungen des Alltags bewältigen kann (Kohärenzgefühl)“94 Die eigene Bewertung kann positiv oder negativ ausfallen: Je nachdem, ob sich der Einzelne im Abgleich mit den eigenständig gesetzten Koordinaten seines Selbstgefühls als stimmig empfindet (Selbstgefühl), und ob er die in seiner Identitätsarbeit entwickelten Entwürfe, Projekte usw. als sinnstiftend, realisierbar und verstehbar erlebt (Kohärenzgefühl). Das Identitätsgefühl ist demnach eine wesentliche Motivationsquelle für identitätsbezogene Handlungen des Einzelnen, indem aufgrund eines positiven/negativen Gefühls neue oder veränderte Identitätsziele gesetzt, Projekte realisiert oder verworfen usw. werden. (3) Biographische Kernnarrationen: Bei den biographischen Kernnarrationen handelt es sich „[...] um jene Teile der Identität, in denen das Subjekt einerseits für sich selbst die Dinge auf den Punkt zu bringen versucht, zum anderen um jene Narrationen, mit denen jemand versucht, dies anderen mitzuteilen“95. Während sich also Teilidentitäten nur auf Ausschnitte beziehen und sie genauso wie das Identitätsgefühl in ihrer Komplexität dem Einzelnen nur teilweise bewusst sind, können hingegen Kernnarrationen als konkrete „Erzähl-Handlungen“ des Einzelnen gewertet werden. Mit ihnen reflektiert und beschreibt das Individuum seine Identität vor sich selbst wie auch vor anderen. Solche Kernnarrationen können bestimmte Identitätsbereiche zusammenfügen oder auch in Konflikt zueinander stellen. Sie werden immer wieder „umgeschrieben“ und übernehmen für die Identitätsentwicklung eine sinnstiftende Funktion.

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Abbildung 1: Identität als Patchworking

Quelle: Keupp, Heiner, Sich selbst finden im freiwilligen Engagement: Zivilgesellschaftliche Schlüsselqualifikationen durch Freiwilligendienste. Unveröffentlichter Vortrag 2008. Abbildung als Erweiterung von: Keupp, Heiner et al. (1999): Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. S. 218 (4) Handlungsfähigkeit: Auf der Grundlage der drei beschriebenen Identitätskonstruktionen – Teilidentitäten, das Identitätsgefühl, Biographische Kernnarrationen – entwickelt das Individuum schließlich ein Gefühl eigener Handlungsfähigkeit. Keupp schreibt hierzu: „In ihm drückt sich am stärksten der verstehensorientierte Aspekt (comprehensibility) aus, der nach Vorwerg notwendig ist, um gesellschaftlich begründete Verhaltenserfordernisse zu erkennen, der sinnorientierte Aspekt (meaningfulness), über den die eigenen Ziele in bezug auf andere und die gesellschaftlichen Strukturen vermittelt werden, wie auch der umsetzungsorientierte Aspekt (manageability).“96 96 56

Ebd. S. 236

THEORIE UND KONTEXT

Handlungsfähigkeit bedeutet insofern für das Individuum das Gefühl, die eigenen Lebensbedingungen im Hinblick auf selbst formulierte Ziele und Entwürfe und in Aushandlung mit äußeren Einflussfaktoren kompetent gestalten zu können und nicht auf bloßes Reagieren oder Ausharren reduziert zu sein. Es beinhaltet innere und äußere Komponenten und erlaubt dem Einzelnen, sich als handlungsfähig zu erleben und zu verorten.97 Letztlich gibt die erfolgreiche oder mangelhafte Handlungsfähigkeit dem Einzelnen eine Rückmeldung über Wirksamkeit und Stimmigkeit seiner Identitätsarbeit. Bei den Prozessen und den Konstruktionen der Identitätsarbeit war bisher der Einzelne mit seinen je individuellen Erfahrungs- und Handlungskategorien im Mittelpunkt. Keupp hebt allerdings noch einen dritten Bestandteil der Identitätsarbeit hervor: Hier geht es um übergeordnete Aufgaben, die aufgrund ihrer zentralen Bedeutung die Identitätsentwicklung nahezu aller Individuen betreffen und von diesen „bearbeitet“ werden müssen. Diese überindividuellen Aufgaben werden von Keupp als Syntheseleistungen der Identitätsarbeit beschrieben; also die Fähigkeit des Einzelnen, Verbindungen (= Synthesen) zwischen einerseits den Prozessen und andererseits den Ergebnissen/Konstruktionen in seiner Identitätsarbeit herzustellen.98 Es geht um Anerkennung, Kohärenz und Authentizität. In den folgenden Kapiteln werden diese Aspekte vorgestellt, da sie – wie wir sehen werden – im Kontext der Forschungsfrage stehen und besondere Bedeutung für die Auswertung der Interviews haben. Im darauffolgenden Schritt wird dann abschließend zu diesem Kapitel der Problembereich der „kulturellen Identität“ behandelt.

Identität und Anerkennung Wie bereits erwähnt, ist Anerkennung zu einem wichtigen Identitätsziel in der Spätmoderne geworden: „Identität ist ein Projekt, das zum Ziel hat, ein individuell gewünschtes oder notwendiges „Gefühl von Identität“ („sense of identity“) zu erzeugen. Basale Voraussetzungen für dieses Gefühl sind soziale Anerkennung und Zugehörigkeit.“99 Anerkennung ist ein menschliches Grundbedürfnis, welches in früheren Epochen durch die Anpassung an vorgegebene gesellschaftliche Verhältnisse erfüllt wurde. Durch Anerkennung und Zugehörigkeit soll dem Menschen als Mängelwesen eine Selbstverortung ermöglicht werden, gleichzeitig liefern die beiden Faktoren dem Individuum individuelle Selbstbestimmung. Auf der einen Seite soll das unverwechselbare Individuelle, auf der anderen Seite aber

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Ebd. S. 243 Ebd. Keupp, Heiner, Diskursarena Identität. Lernprozesse in der Identitätsforschung. In: Keupp, Heiner/Höfer, Renate, Identitätsarbeit heute. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997 S. 34 57

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auch das sozial Akzeptable darstellbar gemacht werden.100 Laut Taylor wird die Identität teilweise von der Anerkennung oder Nicht-Anerkennung, oft aber auch von der Verkennung durch die anderen geprägt. Damit kann ein Mensch wirklichen Schaden nehmen, wenn die Umgebung oder die Gesellschaft ein einschränkendes, herabwürdigendes oder verächtliches Bild ihrer selbst zurückspiegelt. Nichtanerkennung kann somit Leiden verursachen.101 In der heutigen, spätmodernen Epoche wird es durch die Vielfältigkeit der Lebensstile immer komplizierter, die unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Teile der Identität in eine authentische Passung zu bringen. Es geht nicht nur darum, dass die Lebensmöglichkeiten sich erweitern, sondern auch Anerkennung ist nicht mehr selbstverständlich und wird nicht mehr daran festgemacht, wie die Anpassung an die Gesellschaft funktioniert: „Denn die Anerkennung, die durch Zugehörigkeit erwächst, ist nicht mehr so einfach zu bekommen. In einer individualisierten Welt werden Kollektive brüchiger, und ihre Möglichkeit, einen sicheren Hafen sozialer Zugehörigkeit und daraus erwachsender Anerkennung zu bieten, schrumpft beständig.“102 Für die Identitätsentwicklung ist aber Anerkennung sehr bedeutsam. Es stellt sich für das Subjekt die Frage, wie man mit dem, was man tut und mit dem, wie man sich darstellt, Anerkennung bei anderen erreichen kann. Wenn Anerkennung nun aber eher eine Verhandlungssache ist, die nur im kommunikativen Austausch erreicht werden kann, nicht jedoch eine Selbstverständlichkeit, dann ist auch die Gefahr des Scheiterns größer. Hinzu kommt, dass es nicht in jeder Gruppe die gleiche Art von Anerkennung gibt, das Individuum sich jedoch in unterschiedlichen Gruppen aufhält. Die Erwartbarkeit ist demnach nicht in jedem Kontext die gleiche. Hierin zeigt sich, dass es neben einem eventuell sehr hohen Gewinn an Anerkennung auch das Risiko des Scheiterns gibt. Um nicht aufzugeben benötigt das Subjekt Anerkennung aus bedeutsamen Kreisen. Voraussetzung dafür ist, dass man sich rechtzeitig ein stabiles Beziehungsnetz aufgebaut hat, welches tragfähig genug ist, um Anerkennung auszudrücken und damit die Grundbedürfnisse nach Zugehörigkeit und Anerkennung befriedigen kann. Hierzu muss das Individuum in der Lage sein, sich adäquat auszudrücken und sich selber darzustellen.

100 Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 28 101 Vgl. Taylor, Charles, Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Frankfurt am Main: S. Fischer 1993: S. 13f. 102 Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rohwohlt 1999: S. 99 58

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Anerkennung wird zum einen durch Primärbeziehungen und Rechtsformen erworben, zum anderen aber auch durch die Wertegemeinschaft, in der die Subjekte sich aufhalten: „Den Hintergrund dafür bietet das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft, an dem sich die soziale Wertschätzung orientiert. Dabei geht es in modernen Gesellschaften nicht mehr um Ehre und Würde, als vielmehr um Prestige und soziales Ansehen. Es ist dabei die Individualisierung der Leistung, die dazu führt, dass sich der Begriff der sozialen Ehre allmählich zu dem des sozialen Prestiges ausdünnt“.103

In diesem Kontext stellt sich insbesondere die Frage, wie Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – migrieren, in der Aufnahmegesellschaft Anerkennung finden. Letztendlich geht es also darum, welche Verhaltensweisen dazu führen, dass sie Anerkennung und Zugehörigkeit erfahren und welche dies nicht tun. Da Migrantinnen und Migranten sich in für sie neuen sozialen Zusammenhängen orientieren müssen, stellt sich die Herausforderung, Netzwerke zu finden, in denen sie Wertschätzung und Anerkennung erhalten. Welche Rolle spielt dabei die Erfahrung von Anerkennung in einem anderen kulturellen Umfeld, zum Beispiel in kollektivistischen Gesellschaften? Gibt es Missverständnisse in Bezug auf den Faktor „Anerkennung“, die durch diese kulturellen Unterschiede entstehen? Und wenn ja, wie können diese überwunden werden? Da die Kategorie „Anerkennung“ für die von mir befragte Gruppe eine große Rolle spielt, werden diese Fragen im Laufe der Arbeit immer wieder aufgenommen. Schon jetzt lässt sich aber sagen, dass die Migrantinnen und Migranten selber die Verantwortung dafür tragen müssen, sich aktiv soziale Netzwerke zu suchen, in denen sie Wertschätzung bekommen. Dass dies aufgrund verschiedener Schwierigkeiten (Sprache, kulturelles Verständnis etc.) nicht immer leicht ist, wird noch detailliert im Rahmen der Interviewauswertung aufgezeigt. Dabei ist die Situation für junge Menschen mit Migrationshintergrund besonders prekär: „Eine gemeinsame Identität der „deutschen“ Türken ist für die junge Generation noch erforderlich, da sie sich in der deutschen Gesamtgesellschaft nur unzureichend anerkannt fühlt. Die gesellschaftliche Benachteiligung in Ausbildung, Beruf und im Alltag wird von den jungen Türken in Deutschland viel intensiver wahrgenommen als von den Eltern.“104 Anerkennung zeigt sich in drei Dimensionen:

103 Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 255 104 Tenzer, Eva, Deutschland, halbe Heimat. Gibt es in Deutschland eine türkische Parallelgesellschaft? In: Psychologie Heute, Band 29, Nr. 9. Weinheim: Beltz Verlag 2002 S. 9 59

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Aufmerksamkeit von anderen: dies zeigt sich sowohl in verbaler als auch in nonverbaler Form, beispielsweise durch Botschaften wie: ich nehme Dich wahr, ich höre Dir zu, ich bin neugierig auf Dich usw. Hierdurch fühlt sich das Subjekt als lebendig und bedeutsam wahrgenommen. Positive Bewertung durch andere: auch hier zeigt sich dies in verbaler und nonverbaler Form, beispielsweise durch Aussagen wie: ich finde gut, was Du denkst oder wie Du Dich gibst. Selbstanerkennung: dies zeigt sich in der Selbstbewertung, wenn man beispielsweise möchte, dass das, was man gut findet, auch von anderen gut gefunden wird, oder dass man sich unabhängig fühlt von den Bewertungen anderer.

Jede neue Situation verknüpft das Subjekt dabei mit bisherigen Erfahrungen auf den verschiedenen Ebenen. Alle drei Dimensionen müssen erfüllt sein, damit die Anerkennung vollständig ist, denn wenn eine der drei Komponenten fehlt, erlebt das Subjekt Zweifel und fühlt sich unsicher.105 Zwar ist Anerkennung ein zentrales Identitätsziel, jedoch nicht das einzige. Weitere Identitätsziele sind beispielsweise Integration, Entschiedenheit, Autonomie oder Selbstachtung. Alle Identitätsziele stehen im Wechselverhältnis zueinander, bilden oft auch Spannungen, zum Beispiel zwischen Integration und Anerkennung. Der Wunsch, dazuzugehören wird von einigen über das Ziel der Anerkennung gestellt. Eigene Vorstellungen werden in den Hintergrund gestellt, meist aus Angst, in einem sozialen Kontext aufzufallen und damit auch aus diesem Kontext herauszufallen.106 Dieses Spannungsverhältnis zeigt, dass Subjekte in der Spätmoderne verschiedene Identitätsziele gleichzeitig verfolgen müssen. Dies kann zu den aufgezeigten Spannungen führen.

Identität und Kohärenz Neben Anerkennung als Element des dynamischen Verständnisses von Identität ist „Kohärenz“ ein wesentlicher und aussagekräftiger Faktor zur Interpretation der Interviews. Kohärenz leitet sich von „cohaerere – zusammenhängen“ ab, d.h. man bezeichnet mit dem Begriff allgemein den nach außen gerichteten Zusammenhang oder Zusammenhalt von etwas. Durch Kohärenz wird in alltäglichen Prozessen die Passung von äußeren Anforderungen und inneren Abläufen hergestellt. Ein zentrales Ziel des Identitätsprozesses ist die Herstellung der allgemeinen Handlungsfähigkeit, welche die Grundlage für 105 Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 256 106 Ebd. S. 262-263 60

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die Lebensbewältigung bildet. Nach Antonovsky bilden Bewertungsprozesse, also Einschätzungen über die Sinnhaftigkeit der eigenen Projekte, die Grundlage für das Kohärenzgefühl.107 Allerdings sollte Kohärenz nicht als etwas in sich geschlossenes gesehen werden: „[…] es wäre gut, sich von einem Begriff von Kohärenz zu verabschieden, der als innere Einheit, als Harmonie oder als geschlossene Erzählung verstanden wird. Kohärenz kann für Subjekte auch eine offene Struktur haben, in der – zumindest in der Wahrnehmung anderer – Kontingenz, Diffusion im Sinne der Verweigerung von commitment, Offenhalten von Optionen, eine idiosynkratische Anarchie und die Verknüpfung scheinbar widersprüchlicher Fragmente sein dürfen.“108

Während sich das Subjekt in der Moderne als einheitlich und kohärent betrachtete, ist das postmoderne Subjekt eher gespalten. Daher stellt sich die Frage, ob Kohärenz überhaupt möglich und notwendig ist. Denn wenn auch – durch die Pluralisierung der Gesellschaft – Lebensformen widersprüchlich sind, so ist entsprechend auch die Identität fragmentiert und innere Vielfalt wird verlangt. Dennoch ist Kohärenz weiterhin ein wichtiges menschliches Bedürfnis. Keupp sieht darin ein zentrales Kriterium für die Lebensbewältigung und für die Gesundheit. Während es früher vor allem darauf ankam, vorgefertigte Identitätspakete zu übernehmen, kommt es heute auf die individuelle Passungs- und Identitätsarbeit an. Das Subjekt muss selber aktiv die Kohärenz herstellen, d.h. die Passung zwischen innerer und äußerer Welt vornehmen. In diesem Zusammenhang wird laut Keupp bürgerschaftliches Engagement zu einer Schlüsselqualifikation.109 So ist es besonders interessant, die Interviews vor dem Hintergrund der Frage nach der Kohärenz zu analysieren. Denn es stellt sich die Frage, wie die Migrantinnen und Migranten mit der Herausforderung umgehen, sich achtsam immer wieder neu auf verschiedene Lebenssituationen und Herausforderungen einzustellen und hier die Passung zwischen innen und außen zu erreichen. Gerade in der Spätmoderne wird Kohärenz, die nicht mehr auf ein „festes Koordinatensystem von Normen“110 fixiert ist, zu einem kreativen Prozess der 107 Vgl. Höfer, Renate, Jugend, Gesundheit und Identität. Studien zum Kohärenzgefühl. Forschung Soziologie, Band 86, Opladen: Leske + Budrich 2000: S. 213 108 Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt,1999 S. 245 109 Vgl. Keupp, Heiner, Eine Gesellschaft der Ichlinge? Zum bürgerschaftlichen Engagement von Heranwachsenden. München: Sozialpädagogisches Institut im SOS Kinderdorf e.V. 2000: S. 7-8 110 Vgl. Keupp, Diskursarena Identität. Lernprozesse in der Identitätsforschung. In: Keupp, Heiner/Höfer, Renate, Identitätsarbeit heute. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997: S. 18 61

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Selbstorganisation. Somit wird die Frage aufgeworfen, ob es den Interviewpartnerinnen und Partnern gelingt, soziale Netzwerke aufzubauen, aus denen sich Gelegenheitsstrukturen für vertrauensvolle Beziehungen ergeben und dadurch die Herstellung der Kohärenz ermöglicht wird.

Identität und Authentizität Wie bisher gezeigt wurde, besteht Identitätsarbeit nicht in erster Linie darin, möglichst alle Ambivalenzen und Widersprüche aufzulösen, sondern sie in ein akzeptables Spannungsverhältnis zu bringen. Hierzu ist es wichtig, Ambivalenz als Herausforderung zu betrachten und als Chance für die Weiterentwicklung der Identität. Es stellt sich die Frage, wie es dem Subjekt gelingt, die verschiedenen Konstruktionen und Prozesse der Identitätsarbeit für sich als stimmig zu erleben. Dieses Gefühl wird nach Keupp als Authentizität aufgefasst: „Eine wesentliche Verankerung findet die Authentizität im Identitätsgefühl. So speichern die Subjekte im Selbstgefühl neben der Bewertung, ob und wie sie ihre Ziele erreicht haben, immer auch, wie sie sich damit fühlen.“111 Ziel der Syntheseleistung der Authentizität ist also nicht die Auflösung von Konflikten oder Widersprüchen in der eigenen Identitätsbiographie. Vielmehr gilt es diese im Sinne der Ambiguitätstoleranz (Mehrdeutigkeitstoleranz) auszuhalten oder zu verändern und grundsätzlich in der Identitätsarbeit authentisch gegenüber den eigenen Bedürfnissen und Entwürfen zu bleiben. Für das Subjekt stellt sich immer wieder der gleiche Fragenkomplex: Habe ich mich so verhalten, dass es mir entspricht, dass ich meinen eigenen Erwartungen gerecht wurde? Oder fühle ich mich eher der eigenen Identität entfremdet? Entfremdet wird sich das Subjekt dann fühlen, wenn der Versuch misslungen ist, Anforderungen und Bedürfnisse in ein stimmiges Verhältnis zu bringen.112 Für den Themenbereich „Migration und bürgerschaftliches Engagement“ stellt sich bezüglich der Frage der Authentizität wie von selbst auch die Frage danach, ob das Engagement für die deutsche Mehrheitsgesellschaft für sie stimmig ist. Erleben sich die Migrantinnen und Migranten in einem stimmigen Rahmen, d.h. entspricht der Einsatz ihren Bedürfnissen oder versuchen sie, sich möglichst gut an die deutsche Gesellschaft anzupassen, ohne dabei auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten? Fühlen sie sich in ihrem Engagement oder in den Bereichen des alltäglichen Lebens entfremdet? Sicherlich hat dies viel mit der Frage nach der Motivation und dem Erleben im Engagement zu tun. So spielte sowohl der Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement als 111 Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 264 112 Ebd. S. 264 62

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auch der Erfahrungshorizont im Einsatz eine wichtige Rolle im Gespräch mit den Engagierten.

Kulturelle Identität Wenn man über kulturelle Identität spricht, ist es zunächst einmal wichtig zu klären, was unter Kultur verstanden werden kann. Kultur wird im abendländischen Verständnis traditionell in Gegensatz zur Natur gesehen. Im amerikanischen Sprachraum werden die Begriffe Kultur und Zivilisation meist synonym genutzt, was zeigt, dass die Auffassungen über den Begriff Kultur regional unterschiedlich sind. Auch in den Sozialwissenschaften ist die Bedeutung des Begriffs vielfältig. Man geht dort davon aus, dass menschliche Gesellschaften nach selbstdefinierten oder tradierten Regeln leben und diese Regeln in spezifischer Art und Weise an ihre Nachfahren weiter geben. Demnach ist mit Kultur die Gesamtheit der Verhaltenskonfigurationen oder auch der Symbolgehalte (Religion, Kunst und Wissen) einer Gesellschaft gemeint. Diese ideelle Kultur wird manchmal unterschieden von der materiellen Ausstattung, die einer Gesellschaft zur Verfügung steht. Bereits Gelehrte im 18. Und 19. Jahrhundert, aber auch viele Menschen heute setzen Kultur mit Zivilisation gleich und sehen beides im Gegensatz zur Natur. Daher wurden und werden Menschen, denen Elemente einer Hochkultur fehlten, oft als naturverbunden, bodenständig und im negativen Sinne als unzivilisiert bezeichnet. Anthropologen plädierten schon Ende des 19. Jahrhunderts dafür, die Definition des Begriffs „Kultur“ auszuweiten und ihn damit auf viele verschiedene Gesellschaften anwendbar zu machen. Das Hauptargument bestand darin, davon auszugehen, dass die Kultur der menschlichen Natur entspricht, da sie ihre Wurzeln in der menschlichen Fähigkeit hat, Versuche systematisch auszuwerten und die Ergebnisse in Schrift und Sprache weiterzugeben. Menschen, die getrennt voneinander leben, entwickeln daher einzigartige Kulturen. Trotzdem können sich in der globalisierten Welt Elemente der einzelnen Kulturen untereinander ausbreiten. Einen besonderen Beitrag zum Kultur-Diskurs liefern die Cultural Studies, die davon ausgehen, dass Kultur sich auf die gesamte Lebensweise einer Gruppe bezieht: „Cultural Studies kann als intellektuelle Praxis benannt werden, die beschreibt, wie das tägliche Leben von Menschen (everyday life) durch und mit Kultur definiert wird, und die Strategien für eine Bewältigung seiner Veränderungen anbietet. In diesem Sinn wird eine Balance zwischen politischem Engagement, theoretischen Zugängen und empirischen Analysen angestrebt.“113

113 Lutter, Christina/Reisenleitner, Markus, Cultural Studies. Eine Einführung. Wien: Löcker 2005: S. 9 63

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Damit wenden sich die „Cultural Studies“ gegen die Auffassung, Kultur als ideelle Hochkultur zu sehen und stellen dem gegenüber ein Konzept, welches auch gelebte soziale Praktiken und Traditionen einbindet.114 Eine besonders umfassende Definition des Kulturbegriffs bietet Clarke an, der Kultur als besondere Lebensweise einer Gruppe definiert, die sich in Werten und Ideen, Glaubenssystemen, Sitten und Bräuchen etc. zeigt. In der Kultur finden diese Aspekte ihren Ausdruck; durch die Art und Weise, wie diese Formen gelebt und weiter gegeben werden, wird das Individuum sozialisiert: „Kultur ist die Art, wie die Beziehungen einer Gruppe strukturiert und geformt sind; aber sie ist auch die Art, wie diese Formen erfahren, verstanden und interpretiert werden. Männer und Frauen werden daher durch Gesellschaft, Kultur und Geschichte geformt und formen sich selbst. So bilden die bestehenden kulturellen Muster eine Art historisches Reservoir – ein vorab konstruiertes „Feld der Möglichkeiten“ –, das die Gruppen aufgreifen, transformieren und weiterentwickeln. Jede Gruppe macht etwas aus ihren Ausgangsbedingungen, und durch dieses „Machen“, durch diese Praxis wird Kultur reproduziert und vermittelt.“115

Wichtig bezüglich der Definition von Kultur ist der Aspekt, dass Kultur stets in Bewegung ist. Das bedeutet, dass sich Kultur immer wieder neu produziert und reproduziert und sich damit in einem steten Prozess befindet: “Statt Identität als eine schon vollendete Tatsache zu begreifen, die erst danach durch neue kulturellen Praktiken repräsentiert wird, sollten wir uns vielleicht Identität als eine „Produktion“ vorstellen, die niemals vollendet ist, sich immer in einem Prozeß befindet, und immer innerhalb – nicht außerhalb – der Repräsentation konstituiert wird.“116 Lange Zeit wurde Kultur mit nationaler Kultur gleichgesetzt. Der Beginn dieser Sichtweise wird im Europa des späten 18. Jahrhunderts gesehen. Sie gewann immer mehr an Bedeutung sowohl auf sozialer als auch auf politischer Ebene. Mit dem Konstrukt der nationalen Kultur wurde versucht, Kultur territorial, historisch, sprachlich und ethnisch einzugrenzen. Nicht bedacht

114 Vgl. Johnson, Richard, Was sind eigentlich Cultural Studies? In: Bromley, Roger, Cultural Studies. Lüneburg: Dietrich zu Klampen 1999: S. 139 115 Clarke, John/Hall, Stuart/Jefferson, Toni, Subkulturen, Kulturen und Klasse. In: Clarke, John, Jugendkultur als Widerstand: Milieus, Rituale, Provokationen. Frankfurt am Main: Syndikat: 1981: S. 41 116 Hall, Stuart, Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. In: Mehlem, Ulrich, Argument Sonderband Neue Folge. Hamburg: Argument Verlag 1994: S. 26 64

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wurde, dass ein Subjekt innerhalb eines Staates unterschiedlichen Gruppen und damit auch unterschiedlichen Kulturen angehören kann.117 Nachdem gezeigt wurde, dass es keine eindeutig festlegbare Definition von Kultur gibt, sondern sich diese vielmehr stetig wandelt und durch verschiedene Unterkulturen geprägt ist, stellt sich noch die Frage, was dann genau unter kultureller Identität zu verstehen ist. Subjekte werden in Kulturen hineingeboren und leben in ihnen. Ihr Handeln wird durch Kultur geprägt; weil es immer in einem historischen und sprachlichen Kontext entwickelt wird, spricht man auch von der „Positionalität“ der kulturellen Identität: „Ich glaube, die kulturelle Identität ist nicht fixiert, sie ist immer hybrid. Aber gerade weil sie aus sehr spezifischen historischen Formationen entsteht, aus sehr spezifischen historischen Geschichten und kulturellen Repertoires der Emanzipation, kann sie eine „Positionalität“ konstruieren, die wir vorläufig Identität nennen.“118 Somit wird deutlich, dass kulturelle Identität immer in einem Kontext steht und positioniert ist, da der Ursprung des Handelns stets durch die Zeit, den Ort und die Geschichte gekennzeichnet ist.119 Kulturelle Identität zeichnet sich oftmals durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe aus. Diese Gruppen können dabei unterschiedlich groß sein und sich beispielsweise auf die Nachbarschaft oder die soziale Klasse beziehen. Bestimmte Eigenschaften können bereits auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe hinweisen, wie der Haarschnitt oder besondere Charaktermerkmale. Auf der einen Seite geht es um das individuelle Erleben von Zugehörigkeit, auf der anderen Seite aber auch darum, was andere von mir denken. Es kann letztendlich dazu kommen, dass das Subjekt sich zu einer Gruppe zugehörig fühlt, dies aber von der Gruppe anders gesehen wird. Interessant wird dieser Aspekt in besonderer Weise im Zusammenhang mit Migration. Denn wie erleben Migranten den Wechsel von einer Kultur, durch die sie geprägt wurden, in einen fremden und vielleicht zuweilen nicht nachvollziehbaren kulturellen Kontext? Und was passiert, wenn sie sich zur deutschen Gesellschaft zugehörig fühlen, dies aber von der Mehrheitsgesellschaft nicht anerkannt wird? Dieser Kernbereich wird durch die Interviews im Laufe der vorliegenden Arbeit beantwortet und spiegelt sich in den verschiedenen Auswertungskategorien wider. Die Bedeutung des Gefühls der Zugehörigkeit und damit der kulturellen Identität ist offensichtlich nicht zu unterschätzen. 117 Vgl. Eisenstadt, Shmuel Noah, Die Konstruktion nationaler Identitäten in vergleichender Perspektive. In: Giesen, Bernhard, Nationale und kulturelle Identität. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991: S. 21 118 Hall, Stuart, Cultural Studies. Ein politisches Theorieprojekt. Hamburg: Argument Verlag 2002: S. 32 119 Vgl. Hall, Stuart, Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg: Argument Verlag 1994: S. 26 65

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„Und so ist die öffentliche Beschwörung von Zugehörigkeiten auch ein bewährtes Mittel gegen Einsamkeit, Heimatlosigkeit und Verlust der Mitte. Auskunft geben über Herkünfte und Zugehörigkeiten schafft Räume des Eigenen und trifft Unterscheidungen, grenzt voneinander ab und zieht Verbindungen.“120

Zum einen also könnten Migrantinnen und Migranten von dieser Ausgrenzung betroffen sein, zum anderen aber haben sie vielleicht sogar Vorteile im Vergleich zu denjenigen, die sich fest in einer Kultur verankert sehen und an dieser – trotz aller gesellschaftlicher Veränderungen – festhalten wollen: „Sie tragen die Spuren besonderer Kulturen, Traditionen, Sprachen und Geschichten, durch die sie geprägt wurden, mit sich. Der Unterschied ist, daß sie nicht einheitlich sind und sich auch nie im alten Sinne vereinheitlichen lassen wollen, weil sie unwiderruflich das Produkt mehrerer ineinandergreifender Geschichten und Kulturen sind und zu ein und derselben Zeit mehreren „Heimaten“ und nicht nur einer besonderen Heimat angehören. Menschen, die zu solchen Kulturen der Hybridität gehören, mußten den Traum oder die Ambition aufgeben, irgendeine „verlorene“ kulturelle Reinheit, einen ethnischen Absolutismus, wiederentdecken zu können.“121

Wie auch Ulrich Beck in seinem „Modell Bürgerarbeit“ vorstellt, wird anhand der Lebensentwürfe von Migrantinnen und Migranten deutlich, dass es durch den Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung im Jahre 1989 die große Chance gibt, dass sich niemand irgendwo mehr gegen andere Kulturen, Religionen, Ideen abschließen kann.122 Dennoch scheint es vor allem auch im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements Tendenzen zu geben, durch einen Einsatz für Mitglieder der eigenen Herkunftsnation die ursprüngliche kulturelle Identität zu wahren oder wieder herzustellen: „Der Erhalt der eigenen kulturellen Identität erscheint als ein sehr tragendes Motiv, welches im Freiwilligen-Survey nicht vorkommt.123 Wollte man Migrantinnen und Migranten ihre kulturelle Identität nehmen, bedeutete dies, ihnen ihre Persönlichkeit zu nehmen und den Verlust der eigenen Geschichte. Dieses Motiv, Identität zu bewahren, ist eines der tragendsten, welches gerade dann ins Spiel kommt, wenn sie 120 Dannenbeck, Clemens, Selbst- und Fremdzuschreibungen als Aspekte kultureller Identität. Ein Beitrag zur Dekonstruktion kultureller Identität. Opladen: Leske + Budrich 2002: S. 24 121 Hall, Stuart, Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2. Hamburg: Argument Verlag 1994: S. 6 122 Vgl. Beck, Ulrich, Modell Bürgerarbeit. In: Beck, Ulrich, Visionen für das 21. Jahrhundert. Die Buchreihe zu den Themen der EXPO 2000. Frankfurt: Campus 1999: S. 122 123 Das Zitat bezieht sich auf die Befragung von Migranten, die in der Migrationsselbsthilfe tätig sind. 66

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bedroht ist. Identität ist für viele mit der nationalen und der religiösen Identität verknüpft, weil damit halt- und zielgebende Werte verbunden sind.“124

Das Feld der kulturellen Identität gipfelt für das Subjekt in der Frage: „Wohin gehöre ich?“ Warum die von mir interviewten Personen ihr Engagement nicht dazu nutzen, dieses Bedürfnis nach Erhalt der eigenen kulturellen Identität zu befriedigen, sondern sich für die Mehrheitsgesellschaft engagieren, ist eine der zentralen Fragen des Interviewleitfadens. Ebenfalls wurde danach gefragt, zu welcher Gruppe und Kultur sie sich zugehörig fühlen.

Die Bedeutung der Bürgerarbeit in der BRD Das soziale Leben in Deutschland ist seit jeher geprägt durch bürgerschaftliches Engagement. Zwar sind die Ideen von „Zivilgesellschaft“ und „bürgerschaftlichem Engagement“ aktuell sehr gefragt, aber ihre Grundideen verweisen auf die Entstehung der „bürgerlichen Gesellschaft“ vor mehr als zweihundert Jahren.125 Heute sind allein im sportlichen Bereich, als Übungsleiter, Trainer oder in anderen Funktionen tausende Bürger aktiv und widmen einen Großteil ihrer Freizeit dem Engagement. Auch in anderen Vereinsgemeinschaften, in Nachbarschaft und sozialen Feldern, spielt Bürgerarbeit eine große Rolle. Folgende Motive für freiwilliges Engagement werden in der Regel für die deutsche Bevölkerung nach dem Freiwilligen-Survey aufgeführt: • Spaß haben • auf sympathische Menschen treffen • anderen Menschen helfen • etwas für das Gemeinwohl tun • Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben und anwenden • eigene Verantwortung und Entscheidungsspielräume entwickeln • Anerkennung finden • beruflichen Nutzen haben • eigene Probleme lösen126 124 Hoppe, Jörg Rainer, Freiwilliges Engagement von Migrantinnen und Migranten in bestimmten Sozialräumen. In: Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Migranten sind aktiv. Zum gesellschaftlichen Engagement von Migrantinnen und Migranten. Berlin und Bonn: Bonner Uni-Buchdruckerei 2003: S. 32 125 Vgl. Keupp, Heiner, Eigensinn und Selbstsorge: Subjektsein in der Zivilgesellschaft. Vortrag beim Kongress für Klinische Psychologie und Psychotherapie „Psychotherapeutische und psychosoziale Zukunftsentwürfe“ vom 25. Februar bis zum 1. März 2000 in Berlin. http://www.ipp-muenchen.de/texte/ eigensinn_und_selbstsorge.pdf, Quelle vom: 22.06.2007 126 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hg.), Migranten sind aktiv. Zum gesellschaftlichen Engagement von Mi67

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Schon im Jahr 1999 wurde festgestellt, dass in Deutschland ungefähr 27% der Bevölkerung ab 14 Jahre freiwillig tätig sind. Das heißt, sie arbeiten unbezahlt und außerberuflich in unterschiedlichen Organisationen mit. Darüber hinaus besteht eine große Bereitschaft zum Engagement, was bedeutet, dass es noch ein ungenutztes Potential an bürgerschaftlichem Engagement gibt.127 Alle weiteren Studien und Statistiken zu diesem Thema bestätigen die große Zahl an freiwillig Engagierten und die große Bereitschaft zu einem freiwilligen Engagement. Man benutzt den Begriff „freiwilliges Engagement“ in Deutschland zunehmend als Alternative bzw. als Ersatz zum Begriff des „Ehrenamts“, weil dort alle unterschiedlichen Formen, die Freiwilligen-Arbeit, das soziale und politische Engagement, Ehrenämter und Funktionen und Selbsthilfe einbezogen sind.128 Viele verbinden mit dem Begriff des „Ehrenamts“ ein dauerhaftes, auf dem Begriff der „Ehre“ begründeten Engagements, mit dem sie sich jedoch nicht mehr identifizieren können, weil neben dem Wunsch, anderen zu helfen, auch Motive eine Rolle spielen, die sich auf die eigene Person beziehen. Unter „Bürgerarbeit“ oder „freiwilligem Engagement“ verstehen Heinze und Keupp ein nicht erwerbsarbeitsfixiertes Engagement für Dritte, welches von gemeinschaftsorientierter Verantwortung getragen wird. Dies passt nicht mehr zur Untergruppe des klassischen Ehrenamts.129 Die modernen, selbstbewussten und oft kurzfristigen Formen des Engagements bringen nicht nur neue Varianten in die Bürgergesellschaft, sondern erschließen auch ein riesiges Potenzial an freiwilliger Leistungsbereitschaft jenseits der traditionellen Ehrenamtskultur. Als Konsequenz haben sich in allen größeren Städten Freiwilligenagenturen formiert, um Engagementbereiten zu maßgeschneiderten Einsatzmöglichkeiten von überschaubarer Dauer zu verhelfen.130

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grantinnen und Migranten. Berlin und Bonn: Bonner Universitätsdruckerei 2003: S. 31 Klages, Helmut, Engagementpotential in Deutschland. Zugangswege zum freiwilligen Engagement. Stuttgart: Kohlhammer 2001 S. 116-118 Vgl. Hoppe, Jörg Rainer, Freiwilliges Engagement von Migrantinnen und Migranten in bestimmten Sozialräumen. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.). Recherche zum freiwilligen Engagement von Migrantinnen und Migranten. Konzept, Recherche und Ausarbeitung der Dokumentation. http://www.bmfsfj.de/redaktionBMFSFJ/RedaktionBMFSFJ/ Broschurerenstelle/pdf-Anlagen/PRM-21329-Freiwilliges-Engagement-vonMi,property=pdf.pdf, Quelle vom: 25.10.2005 Vgl. Heinze, Rolf/Keupp, Heiner, Gesellschaftliche Bedeutung von Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit. Gutachten für die „Kommission für Zukunftsfragen“ der Freistaaten Bayern und Sachsen. München: IPP 1997: S. 20 Vgl. Schröder, Jens, Der Aufstieg des Guten. In: Geo Nr. 12. 2005. Hamburg: Gruner + Jahr 2005: S. 192

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Wenn man bürgerschaftliches Engagement als Schnittmenge folgender Diskurse sieht, wird die Bedeutung dieses Feldes für das gemeinschaftliche Leben deutlich: • Der Gemeinwohldiskurs: Hierbei geht es um die Frage des Gemeinwohls in einer – wie in Deutschland – individualisierten Gesellschaft Der Demokratiediskurs: Wenn sich Bürger aktiv einmischen und soziale • Verantwortung übernehmen, so wird die Zivilgesellschaft, die auch als Seele der demokratischen Gesellschaft gesehen wird, gestärkt. • Der Diskurs sozialer Sicherung: Es geht um die Frage, wie es gelingen kann, Menschen zu sichern, aber nicht abhängig von Sozialfürsorge zu machen • Der Tätigkeitsdiskurs: Das zentrale Identitätsthema der Moderne war die Erwerbsarbeit. Da diese aber immer weniger wird, stellt sich die Frage, wie Identität in einem positiven Sinne geschaffen werden kann.131 Diese Diskursfragen und damit einhergehend die Bedeutung des freiwilligen Engagements in der Bundesrepublik haben – zumindest zum Teil – die Politik erreicht. So wurden in der letzten Zeit auf politischer Ebene Vergünstigungen und Steuererleichterungen durchgesetzt, die es zuvor nicht gab.132 Interessant ist zu sehen, dass das bürgerschaftliche Engagement trotz des gesellschaftlichen Wertewandels hin zu einer individualisierten Gesellschaft nicht zurückgegangen ist, wie man annehmen müsste, wenn man davon ausginge, dass sich die Gesellschaft auf den Weg in die Ego- und Ellbogengesellschaft aufgemacht hat. Vielmehr hat sich die Engagementbereitschaft der Deutschen im Wertewandel erhöht.133

Migration und bürgerschaftliches Engagement Dass das Thema „Bürgerschaftliches Engagement“ zurzeit in aller Munde ist, wurde bereits erwähnt. Auch das freiwillige Engagement von Migrantinnen und Migranten gerät von Zeit zu Zeit in das Blickfeld von Politik und Gesellschaft. Als Antwort auf die zunehmend rechtsradikalen Ausschreitungen in

131 Keupp, Heiner, Bürgerschaftliches Engagement – soziales Kapital fördern und nutzen. Zur Einführung in das Symposium. München 2001: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen: S. 10-14 132 So verweist die Financial Times in ihrer Ausgabe vom 04.12.2006 auf darauf, dass die Bundesregierung Spenden und gemeinnützige Arbeit mithilfe von Steuervergünstigungen mehr als bisher belohnen möchte. 133 Vgl. Klages, Helmut, Wertewandel und bürgerschaftliches Engagement. Abstract. In: IPP Institut für Praxisforschung und Projektberatung, Bürgerschaftliches Engagement – Soziales Kapital fördern und nutzen. München: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen 2001: S. 29 69

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Fußballstadien beispielsweise möchte Theo Zwanziger in seiner Funktion als DFB-Präsident das ehrenamtliche Engagement von Migrantinnen und Migranten innerhalb des DFB stärken und deren Mitsprache fördern, um gemeinsam gegen die Ausschreitungen handeln zu können. Ob hinter dieser Aussage tatsächlich die Wahrnehmung liegt, dass Migrantinnen und Migranten stärkere Teilhabemöglichkeiten innerhalb des Engagements erhalten sollen, oder ob es lediglich darum geht, die suggerierte Gewalt durch Migranten am besten durch die Hilfe von Migranten zu dämmen, bleibt offen.134 Vereinzelt wird auch von Migrantinnen und Migranten berichtet, die sich politisch und gesellschaftlich engagieren.135 Neben diesen Tendenzen bleibt die Frage, in welcher Form Menschen mit Migrationshintergrund ein Engagement in Deutschland annehmen, welche Motive eine Rolle spielen und welche Schwerpunkte es in der aktuellen Forschung zu diesem Thema gibt. Zunächst gibt es relativ genaue Zahlen zum Engagement und zur Engagementbereitschaft von Personen mit Migrationshintergrund, wobei in der Regel vor allem türkischstämmige Migrantinnen und Migranten im Mittelpunkt stehen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend berichtet in seiner Kurzzusammenfassung zum freiwilligen Engagement von Türkinnen und Türken in Deutschland beispielsweise von 64% aktiver türkeistämmiger Migrantinnen und Migranten, dies entspricht etwa der Größenordnung des Engagementverhaltens in der deutschen Bevölkerung. 50% dieser Personen haben an (weiterem) Engagement ein hohes Interesse.136 Dies kann übertragen werden auf Gruppen andersstämmiger Herkunft, die sich ebenfalls zu einem hohen Prozentsatz engagieren. Die bereits erwähnten allgemeinen Motive für freiwilliges Engagement gelten selbstverständlich auch für Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei spielen vor allem die Faktoren „eigene Probleme lösen“ und „beruflichen Nutzen haben“ eine große Rolle.137 Die Personen ausländischer Herkunft, die 134 Vgl. Müller-Wirth, Moritz, Kampf gegen Rechtsaußen. In: Die Zeit 09.11.2006: S. 74 135 In der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 02.02.2006 berichtet Mike Szymanski unter der Überschrift: „Wenn Mustafa und Anatoly alt werden“ über einen Türken, der sich als erster Gastarbeiter in den Seniorenbeirat der Stadt Augsburg hat wählen lassen, um dort auch die Interessen der Migranten zu vertreten. Er will im Seniorenbeirat zwischen der Stadt und den Gastarbeitern vermitteln. München: Süddeutsche Zeitung 2006: S. 36 136 Vgl. http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/RedaktionBMFSFJ/Arbeitsgruppen/ Pdf-Anlagen/freiwilligen-survey-kurzfassung,property=pdf,bereich=bmfsfj,spra che=de,rwb=true.pdf, Quelle vom: 23.06.2006 137 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hg.), Migranten sind aktiv. Zum gesellschaftlichen Engagement von Migrantinnen und Migranten. Berlin und Bonn: Bonner Universitätsdruckerei 2003: S. 31 70

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ihr Leben lang gearbeitet haben, wünschen sich bei ihrem Engagement, z.B. in Gruppen mit anderen gleicher Herkunft, Lebensfreude und Lebensqualität.138 Hier zeigt sich, dass sich Migrantinnen und Migranten vor allem in Initiativen engagieren, in denen die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit gleichem kulturellen Hintergrund überwiegt. So gibt es eine Vielzahl an ausländischen Vereinen, bei denen das Motiv „eigene Probleme lösen“ an erster Stelle steht, während dies für engagierte Deutsche nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Für Akzeptanz und Anerkennung, für Schutz und Sicherheit, für das Bewahren der eigenen Identität und Würde engagieren sich in diesem Zusammenhang sehr viele Migrantinnen und Migranten. Neben der Anerkennung und dem Motiv, anderen helfen zu wollen, spielt noch die kulturelle Identität eine große Rolle. Das Motiv, die Identität mit der eigenen Kultur zu bewahren, ist eng verbunden mit halt- und zielgebenden Werten.139 Bei den Engagementfeldern gibt es die genauesten Daten ebenso wie bei den Engagementzahlen zu den türkeistämmigen Migrantinnen und Migranten. Die meisten der erfassten Personen sind in türkischen Gruppen und Vereinen aktiv, 16% sind nur in deutschen Organisationen und Kontexten tätig und fast die Hälfte beteiligt sich nur in Gruppen, in denen die anderen Teilnehmer in der Mehrheit ebenfalls türkischer Abstammung sind. Die hohe eigenethische Beteiligung von 65%, vor allem im Bereich Freizeit und Geselligkeit, weist auf einen bewussten Zusammenschluss in eigenethischen Strukturen hin.140 In allen Untersuchungen zum freiwilligen Engagement spielt das Tätigkeitsfeld des Einsatzes innerhalb der eigenen Familie eine große Rolle. Meist steht es im Zusammenhang mit der Aussage, dass hier sehr viel an Selbsthilfepotential zu finden sei. Neuere Untersuchungen zeigen aber andere Tendenzen. Zwar spielt in der Anfangsphase nach der Zuwanderung das Engagement innerhalb der Familie eine große Rolle, aber konkrete und lebenspraktische Hilfen erhalten die Zugewanderten vor allem aus der Nachbarschaft oder aus sehr weit verzweigten Verwandtschaftskreisen. Hier werden die wichtigsten Eingliederungshilfen in die deutsche Gesellschaft geleistet (z.B. Fragen des Wohnens, Behördenkontakte etc.). Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten übernehmen ältere Migrantinnen und Migranten häufig die Kindertagesbetreuung und setzen sich im Krankheitsfall für Familienmitglieder ein. Der so beobachtete Zusammenhalt innerhalb der Familie resultiert allerdings häufig

138 Ebd. S. 32 139 Ebd. S. 32 140 Vgl. www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Arbeitsgruppen/PDF-Anlagen/2.Frei willigensurvey-kurzzusammenfassung.property=pdf.pdf., Quelle vom: 23.06.2006 71

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aus dem Erleben der deutschen Gesellschaft, in der sie sich nicht angenommen fühlen. Allerdings ändern sich Familienbeziehungen von Zugewanderten häufig mit der Länge des Aufenthalts in Deutschland. Nach 30 oder 40 Jahren in der Bundesrepublik empfinden die Zugewanderten ihren Familienzusammenhalt als nicht mehr so intensiv und ein Engagement innerhalb der eigenen ethnischen Herkunft nimmt ab.141 Die interviewten Probanden sind zu gleichen Teilen in rein deutschen Kontexten und – als Mehrfachengagierte – sowohl in deutschen als auch in Bereichen mit mehrheitlich eigenethnischer Beteiligung tätig. Das bedeutet, dass durch dieses vielfältige Engagement zum einen Vergleiche zwischen den Engagementfeldern als auch Erfahrungen in den verschiedenen kulturellen Kontexten vorgenommen werden können.

Konsequenzen für den Gang der Forschung: O f f e n e F r a g e n u n d P e r s p e k t i ve n Für den vorgestellten Kontext der Migration stellt sich eine Vielzahl von Fragen, von denen ich einige an dieser Stelle auflisten möchte, auch um einzuleiten, wie ich zu meiner Hauptausgangsthese im Vorfeld der Studie gekommen bin. Waren oder sind die Probanden Diskriminierungen ausgesetzt und wenn ja, an welchen Orten? Wie gehen sie mit Demütigung aufgrund ihrer Herkunft um? Was genau hat die von mir befragten Engagierten dazu bewogen, ihr Heimatland zu verlassen, wie reagierte der Familien- und Freundeskreis? Was half beim Einleben, was war hinderlich? Welche Integrationsleistungen erbringen die Befragten und wie gestaltet sich dabei das eigene Erleben? Welches Bild hatten die Migrantinnen und Migranten von Deutschland, bevor sie migrierten und hat sich ihr Bild im Laufe ihres Aufenthaltes in Deutschland verändert? Im Zusammenhang mit dem ausgeübten bürgerschaftlichen Engagement ist bemerkenswert, dass die interviewten Probanden zu gleichen Teilen in rein deutschen Engagementfeldern und sowohl in deutschen als auch in Bereichen mit mehrheitlich eigenethnischer Beteiligung tätig sind. Welche Vergleiche ziehen sie zwischen den Engagementfeldern? Wie zeigt sich das im Alltag erfahrene „Andersseins“ im Engagement (Aufhebung oder Bestätigung)? Findet

141 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Recherche zum freiwilligen Engagement von Migrantinnen und Migranten. Konzept, Recherche und Ausarbeitung der Dokumentation. Frankfurt am Main: Bonner Universitätsdruckerei 2002: S. 37-38 72

THEORIE UND KONTEXT

Ausschluss auch innerhalb des bürgerschaftlichen Engagements statt oder bietet der Einsatzort quasi einen „geschützten“ Rahmen? All diese Fragen sind im übergeordneten Kontext der Identitätsentwicklung zu sehen. Darüber hinaus gibt es aber noch weitere, ganz gezielt die Identität betreffende Fragen: Gelingt es den Probanden, ein kohärentes Gefühl trotz der vielen möglichen Hindernisse zu gewinnen? Welche Ressourcen helfen ihnen dabei? Gibt es Erfahrungen von Anerkennung und Zugehörigkeit? Welche Auswirkungen hat das Engagement für Deutsche auf die Identitätskonstruktion? All diese Fragen münden in der Ausgangshypothese, aus der sich mein Interviewleitfaden entwickelt hat. Ich versuche, die Grundannahme möglichst weit zu fassen: „Migrantinnen und Migranten nutzen ihr Engagement für Deutsche, um sich in der fremden Gesellschaft zu beheimaten, Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft zu knüpfen und damit das Gefühl des ‚Andersseins‘ aufzuheben.“

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Einführung in de n Forsc hungsk ontext

Bei der Darstellung der Forschungsverfahren geht es neben der Abgrenzung zwischen quantitativer und qualitativer Forschung auch um die Analyse der Forschersubjektivität und um die Kriterien zur Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner. In einem zweiten Schritt werden die verschiedenen Verfahren, die der Interviewanalyse zugrundeliegen, vorgestellt. Damit verdeutliche ich, wie sich der Analyseprozess vom Interviewmaterial zur Bildung zentraler Kategorien und Themenkomplexe hin entwickelt hat.

D a s F o r s c h u n g s ve r f a h r e n Um zu verstehen, welche Bedeutung qualitative Forschungsmethoden haben und warum sie besondere Aktualität für die Untersuchung sozialer Zusammenhänge gewinnen, ist es sinnvoll, zunächst kurz die Grenzen quantitativer Forschung aufzuzeigen: Wie in vielen Wissenschaften gibt es auch in den Sozialwissenschaften unterschiedliche Techniken zur Erhebung und Analyse von Daten. Dazu zählen persönliche, schriftliche oder telefonische Interviews, Befragungen oder Beobachtungen, Inhaltsanalysen von Texten oder Einstellungsmessungen und Skalierungen.1 Lange Zeit haben Psychologie und Sozialwissenschaften ihre Aufmerksamkeit vor allem quantitativen Forschungsverfahren gewidmet. Vorbild hierfür war die Genauigkeit und Messbarkeit der naturwissenschaftlichen Forschung. Um Phänomene messbar und quantifizierbar zu machen, werden re1

Vgl. Diekmann, Andreas, Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2005: S. 17 75

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präsentative Stichproben erstellt. Es geht vor allem um die Gewährleistung der Objektivität der Untersuchung. Mit standardisierten Umfragen können soziale Phänomene, z.B. Einstellungen, in Häufigkeit und Verteilung dokumentiert werden.2 Bis zu den 60er Jahren wurde die Sozialforschung vor allem daran gemessen, inwieweit sie diesem Modell der naturwissenschaftlichen Forschung gerecht werden konnte. Im sogenannten Positivismusstreit wurde Kritik an dieser Grundposition geübt. Denn die quantitative Sozialforschung mit der dahinter stehenden wissenschaftstheoretischen Position des Positivismus steht für das Konzept einer reduzierten Erfahrung. Das bedeutet, dass der Fokus sich nur auf das tatsächlich Gegebene beschränkt und Aspekte der Erfahrung vernachlässigt werden.3 Die Ideale der Objektivität gelten nach den Arbeiten von Marx, Bonß und Hartmann als entzaubert, denn es fehlen Anwendungsmöglichkeiten und die Anschlussfähigkeit an politische und alltägliche Zusammenhänge.4 Im Laufe der kritischen Auseinandersetzung mit quantitativen Forschungsmethoden haben sich wesentliche Prinzipien qualitativer Forschung heraus kristallisiert: • Offenheit • Forschung als Kommunikation • Prozesscharakter von Forschung und Gegenstand • Reflexivität von Gegenstand und Analyse • Explikation5 und • Flexibilität Offenheit im Prozess bedeutet, dass die einzelnen Forschungsschritte immer wieder überprüft und korrigiert werden. Somit entsteht ein Dialog zwischen der Fragestellung, den Methoden, Daten, den Hypothesen und der Theorie. Auf diese Weise ist es möglich, auch auf unerwartete Ereignisse angemessen zu reagieren. Meine Forschung basiert auf diesen Prinzipien und damit auf der Grundlage qualitativer Forschung, die durch den Begriff des interpretativen Paradigmas gekennzeichnet ist. Durch diesen Begriff wird verdeutlicht, dass die soziale Wirklichkeit nicht aus Tatsachen, sondern vielmehr aus Bedeutungen besteht. Gesellschaftliche Zusammenhänge sind demnach nicht objektiv vorgegeben,

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Vgl. Flick, Uwe, Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2002: S. 12-14 Vgl. Lamnek, Siegfried, Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Weinheim: Beltz Verlag 2005: S. 6 Vgl. Flick, Uwe, Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2002: S. 14-15 Vgl. Lamnek, Siegfried, Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Weinheim: Beltz Verlag 2005: S. 20-21

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sondern Resultat der Interpretationen der Gesellschaftsmitglieder. Da sich mein Forschungsinteresse auf die Identitätsrelevanz des bürgerschaftlichen Engagements von Migrantinnen und Migranten bezieht, bestand mein Anliegen darin, ihr Erleben ins Zentrum zu rücken. Daher wählte ich die Form der qualitativen Forschung, denn: „Gerade im qualitativen Interview hat der Befragte die Möglichkeit, seine Wirklichkeitsdefinitionen dem Forscher mitzuteilen.“6 Neben diesem zentralen Aspekt war es mir von Beginn an wichtig, ein neues Forschungsfeld zu erkunden und dabei eine Theorie zu entwickeln. Während die quantitative Forschung ihren Fokus auf das Überprüfen von Hypothesen legt, geht die qualitative Forschung induktiv vor. Hypothesen entstehen erst im Forschungsverlauf. Es handelt sich um eine nicht-mathematisch-analytische Vorgehensweise, deren Ergebnisse erst aus den Daten hervorgehen und mit unterschiedlichen Verfahren, z.B. durch Interviews erhoben werden.7 Selbstverständlich hätte ich auch beide Methoden, d.h. die quantitative und die qualitative in der Forschung anwenden können. Ich habe mich jedoch entschlossen, bereits gewonnene quantitative Befunde meiner qualitativen Studie hinzuzuziehen, um zu verdeutlichen, dass es sich bei den für die deutsche Mehrheitsgesellschaft engagierten Migrantinnen und Migranten zwar um eine besondere Gruppe handelt, dass das bürgerschaftliche Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund aber keinesfalls eine Ausnahmeerscheinung darstellt. Für den Interviewer ergeben sich besondere Herausforderungen, wenn er die qualitative Forschungsmethode wählt. Wichtig ist es, Situationen kritisch analysieren zu können, valide und reliable Daten zu erhalten und abstrakt zu denken. Dazu ist theoretische und soziale Sensibilität notwendig.8 Doch nicht nur für den Interviewer stellt die qualitative Forschungsmethode eine hohe Anforderung dar, sondern auch für die Probanden: „Die Befragung in einem qualitativen Interview erfordert vom Befragten in der Regel ein höheres Maß an intellektueller und kommunikativer Kompetenz, denn die Antworten auf Fragen des Interviewers müssen verbalisiert und in versteh- und nachvollziehbarer Form artikuliert werden.“9 Für die von mir interviewten Personen kam hinzu, dass sie nicht nur in der Lage sein mussten, Gedanken und Einstellungen zu verbalisieren, sondern dies zudem in einer Fremdsprache tun mussten. Selbst wenn die Gesprächspartnerinnen und -partner die deutsche Sprache beherrschen, ist dennoch da6 7 8 9

Lamnek, Siegfried, Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Weinheim: Beltz Verlag 2005: S. 348 Vgl. Strauss, Anselm/Corbin, Juliet, Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Psychologie Verlags Union 1996: S. 5 Ebd. S. 4 Lamnek, Siegfried, Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Weinheim: Beltz Verlag 2005: S. 354 77

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von auszugehen, dass es für sie komplizierter ist, abstraktere Zusammenhänge und Gedanken nachvollziehbar zu machen. Nachdem die Entscheidung für eine qualitative Studie gefallen war, blieb noch die Frage nach der Methode. Ich entschied mich für eine alte und dennoch aktuelle Methode, nämlich das qualitative Interview. Gerade weil der Zugang in das soziale Feld immer schwieriger wird, ist es leichter, Einzelpersonen zu befragen als sich über eine teilnehmende Beobachtung, welche die ursprüngliche qualitative Methode ist, einen Überblick über ein Phänomen zu verschaffen. Der besondere Vorteil des qualitativen Interviews liegt darin, dass die aufgezeichneten Informationen intersubjektiv nachvollzogen werden können und beliebig reproduziert werden können. Unter einem Interview versteht man eine bewusst und gezielt hergestellte Gesprächssituation, bei welcher der Interviewer Fragen stellt, welche vom Interviewpartner beantwortet werden:10 „Das Interview zu Forschungszwecken knüpft an die alltägliche Situation des Fragenstellens und Sichinformierens im Gespräch an, ist aber gleichwohl eine künstliche, asymmetrische Interaktion unter Fremden mit der stillschweigenden Vereinbarung, dass keine dauerhafte Beziehung eingegangen wird.“11 Wie bei allen qualitativen Forschungsmethoden war es mir wichtig, nicht nur die Antworten des Gesprächspartners zu interpretieren, sondern auch die Kommunikation im Interview zu analysieren: „Anders als bei quantitativer Forschung wird bei qualitativen Methoden die Kommunikation des Forschers mit dem jeweiligen Feld und den Beteiligten zum expliziten Bestandteil der Erkenntnis, statt sie als Störvariable so weit wie möglich ausschließen zu wollen.“12 Desweiteren habe ich mich für die Form des problemzentrierten Interviews entschieden. Diese von Witzel (1982) vorgeschlagene Methode wird vor allem in der Psychologie angewandt. Anhand eines Leitfadens, welcher aus Fragen und Erzählanreizen besteht, werden biographische Daten mit Hinblick auf ein bestimmtes Problem thematisiert. Drei Kriterien kennzeichnen das problemzentrierte Interview: „[…] Problemzentrierung, d.h. „die Orientierung des Forschers an einer relevanten gesellschaftlichen Problemstellung“; Gegenstandsorientierung, das heißt, dass die Methoden am Gegen-stand orientiert entwickelt bzw. modifiziert werden sollen; schließlich die Prozessorientierung in Forschungsprozess und Gegenstandsverständnis.“13

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Vgl. Lamnek, Siegfried, Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Weinheim: Beltz Verlag 2005 S. 329-330 Diekmann, Andreas, Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2005: S. 375 Flick, Uwe, Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2002: S. 19 Flick, Uwe, Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2002: S. 135

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Da mein Forschungsinteresse auf die Frage bezogen ist, welche Identitätsrelevanz im freiwilligen Engagement von Migrantinnen und Migranten für Deutsche enthalten ist, machte es Sinn, das problemzentrierte Interview anzuwenden, um detaillierte Schilderungen zu diesem Bereich zu bekommen. Folgende Aspekte habe ich dabei beachtet: • Das problemzentrierte Interview besteht aus einer Methodenkombination. • Grundlage ist eine theoretische Vorannahme, die wichtigste Datenquelle für die neue Theoriebildung ist aber das Datenmaterial. • Durch die Interviews wird das Vorwissen überprüft und gegebenenfalls modifiziert. • Deduktion und Induktion, d.h. Theorie und Empirie verlaufen parallel. • Das theoretische Konzept wird dem Interviewpartner nicht mitgeteilt, da dies die Aussagen des Befragten beeinflussen könnte, Ein Kurzfragebogen kann angewendet werden. • Das Interview lässt den Befragten möglichst frei zu Wort kommen, um einem offenen Gespräch nahe zu kommen, dabei ist es aber zentriert auf eine bestimmte Frage.14 Um das Interview zu strukturieren, erstellte ich einen Leitfaden, welcher die wesentlichen Fragestellungen enthält: „Für Leitfadeninterviews kennzeichnend ist, dass mehr oder weniger offene Fragen gestellt werden, auf die der Interviewte antworten soll. Ob eine Frage aber schon implizit beantwortet wurde und deshalb nicht noch einmal explizit gestellt werden muss, kann der Interviewer nur in der Situation spontan entscheiden. Auch die Frage, an welcher Stelle er noch einmal genauer nachfragt, den Interviewpartner unterstützt oder ihn eher bei Abschweifungen wieder zum Kontext des Interviews führt, muss in der Situation ad hoc entschieden werden.“15

Ich kombinierte soziodemographische Daten mit inhaltlichen Fragen und achtete, besonders weil es sich bei den Interviewten um Menschen handelt, die nicht alle perfekt die deutsche Sprache beherrschen, darauf, kurze und verständliche Fragen zu formulieren und möglichst keine mehrdimensionalen Fragen zu stellen. Die Forderung nach Offenheit steht in einem gewissen Widerspruch zu der Aufgabe des Leitfadeninterviews, in begrenzter Zeit genauere Informationen zu mehreren verschiedenen Themen zu erhalten. Zudem wird eine Frage um so ungenauer, je offener sie formuliert wird. Erfahrungsgemäß wird der Interviewpartner verunsichert, wenn die Frage zu unbestimmt ist und er nicht mehr genau weiß, worauf eine Antwort erwartet wird. Er 14 15

Vgl. Mayring, Philipp, Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken. Weinheim: Beltz Verlag 2002: S. 67 Flick, Uwe, Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2002: S. 143 79

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möchte den Gegenstand der Frage genau kennen und fragt unter Umständen zurück. Diese Reaktion ist noch die günstigere. Im schlimmsten Fall interpretiert der Interviewpartner die Frage anders, als er sollte, und gibt eine irrelevante Antwort.16 Ich habe aufgrund dieser Problematik versucht, die Fragen möglichst gut auszubalancieren. Zudem vermied ich Suggestivfragen und doppelte Verneinungen, damit die Befragten sich nicht überfordert fühlten. In Situationen, in denen es dennoch nicht gelang, die Frage eindeutig zu stellen, formulierte ich sie nochmals und achtete auf eine bessere Verständlichkeit. Folgende Punkte dienten als Erzählanreize im Interview: • Erzählen Sie mir doch von sich! • Erzählen Sie doch bitte einfach mal von Ihrem ehrenamtlichen Engagement! • Warum engagieren Sie sich? • Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrem Engagement? • Welche Schwierigkeiten gibt es? • Was hat sich im Laufe Ihres Engagements verändert? • Erzählen Sie doch mal, wie Ihre Familie Ihr freiwilliges Engagement findet! Wie in den Punkten oben deutlich wird, begann jedes Interview mit einer Aufforderung, zu einem bestimmten Thema (hier zur Lebenssituation) möglichst viel zu sagen und Stellung zu beziehen. Im Anschluss an die Antwort fragte ich näher nach oder gab eine weitere Erzählaufforderung. So erfuhr ich eine große Bandbreite von dem, was für die Befragten von Bedeutung war. Die Fragen erfolgten in einem halb-standardisierten Interview. Das bedeutet, dass ich zwar einen Fragebogen erstellte, jedoch keine feste Reihenfolge oder Formulierung der Fragen verfolgte. Lediglich die Rahmenthemen wurden von mir festgelegt. Dabei nahm ich die Haltung einer interessierten Zuhörerin ein und beschränkte mich im Wesentlichen auf Kommentare und Fragen, die der Fortsetzung der Erzählung der Untersuchungspersonen dienten. Der Kommunikationsstil spielt im Interview eine wichtige Rolle, da er einen Einfluss auf die gesamte Interaktion hat. Man unterscheidet zwischen dem weichen und dem harten Interview: „Im Gegensatz zur „harten“ Interviewtechnik, bei der auf Widersprüche aufmerksam gemacht wird und das Gespräch ähnlich eines Verhörs abläuft, baut der Interviewer im „weichen“ Interview Hemmungen ab, indem er dem Interviewpartner wohlwollend gegenübersteht.“17 16

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Vgl. Gläser, Jochen/Gaudel,Grit, Expertenintervies und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstuierender Untersuchungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004: S. 127 Diekmann, Andreas, Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2005: S. 376

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Da es sich bei meinen Interviewpartnerinnen und -partnern um engagierte Freiwillige handelt, schien es mir selbstverständlich, den von sympathisierendem Verständnis gekennzeichneten Kommunikationsstil anzuwenden, anstatt massiv Druck auszuüben, um die Widerstände des zu Befragenden zu brechen und permanente Skepsis zu äußern. Fazit: Ich habe mich für die qualitative Forschungsmethode entschieden und dabei das problemzentrierte Interview als Methode gewählt. Dabei wurde eine weiche Interviewtechnik angewandt.

Die Forschersubjektivität Als Forscherin, welche die qualitative Sozialforschung anwendet, ist es nicht zu vermeiden, die eigene Subjektivität in das Forschungsfeld hinein zu tragen. Die Reflexion der eigenen Interessen ist aber von großer Bedeutung, d.h. es ist notwendig, sich der eigenen Subjektivität bewusst zu werden.18 Eine Handlung kann nicht nur für unterschiedliche Akteure eine vollkommen unterschiedliche Bedeutung haben, sondern auch für den Beobachter. Die Bedeutungen werden erst durch Interpretationen erschlossen. Für mich war es im Auswertungsprozess der Interviews besonders wichtig, einzelne Interviews gemeinsam mit Kommilitoninnen zu interpretieren, da ich so verschiedene Sichtweisen bündeln und Aussagen auf unterschiedliche Weise betrachten konnte. Dabei achteten wir vor allem auf Metaphern, Wiederholungen und Brüche. Auf diese Weise konnte ich die intersubjektive Nachvollziehbarkeit gewährleisten. Im Vorfeld der Interviews stellte ich mir bezüglich meiner Subjektivität einige grundlegende Fragen: • Welche inneren Bilder habe ich von Migrantinnen und Migranten? • Welche Zuschreibungen gebe ich Menschen, die sich freiwillig engagieren? • Wie stehe ich selber zu meiner eigenen kulturellen Zugehörigkeit? • Welche politischen Forderungen habe ich sowohl in bezug auf das freiwillige Engagement als auch in bezug auf die Integration von Menschen ausländischer Herkunft? In meiner bisherigen Berufslaufbahn sind mir Menschen mit Migrationshintergrund vor allem als Hilfeempfänger begegnet. Ich hatte grundsätzlich positive Erfahrungen gemacht und stand von Beginn an den Interviewpartnerinnen und -partnern neugierig, vor allem aber auch sehr wohlwollend gegen18

Vgl. Schachtner, Christine, Zum empirischen Vorgehen einer interpretativen Psychologie. In: Keupp, Heiner, Zugänge zum Subjekt. Perspektiven einer reflexiven Sozialpsychologie. Frankfurt am Main: suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1998: S. 275ff 81

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über. Da ich mich in den letzten Jahren intensiv mit dem Themenbereich des bürgerschaftlichen Engagements auseinander gesetzt habe, hatte ich bereits eine Vielzahl engagierter Personen getroffen und schrieb ihnen Eigenschaften wie Mut, Geduld, Kommunikationsfähigkeit, Frustrationstoleranz und hohe Einsatzbereitschaft zu, alles also positive Eigenschaften. Ich machte mir bewusst, dass diese Faktoren mich dahin gehend beeinflussen könnten, mich in den Interviews schnell mit positiven Beschreibungen und Darstellungen der individuellen Wirklichkeit zu begnügen, anstatt an passender Stelle kritisch nachzufragen und so auch Brüche zu erkennen. Eine Forscherin, die mit Menschen mit Migrationshintergrund Gespräche führt, muss sich darüber im Klaren sein, dass auch die eigene kulturelle Zugehörigkeit bei der Erhebung und Interpretation der Daten eine Rolle spielt. Für mich bedeutete das, dass ich im Interview darauf achten musste, an welchen Stellen die Interviewpartnerinnen und -partner sich mir gegenüber in besonderer Weise positionierten, weil sie einer deutschen Frau gegenüber saßen. Es galt also an den Stellen besonders achtsam zu sein, an denen beispielsweise die deutsche Kultur sehr gelobt oder explizite Dankbarkeit gegenüber der deutschen Gesellschaft geäußert wurde. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle Aussagen diesbezüglich darauf zurück zu führen sind, dass ich als Interviewerin der deutschen Mehrheitsgesellschaft angehöre. Aber es sollten diese Aussagen aufmerksam hinterfragt und analysiert werden. Letztendlich nämlich handelt es sich beim Interview um ein Szenario der Aushandlung kultureller Zuschreibungen.19 Daher ist es nicht unwichtig, welche Person welcher Herkunft über wen schreibt und wie man sich im Gespräch positionieren möchte. Da ich zur Mehrheitsgesellschaft gehöre, während sich alle anderen Interviewbeteiligten in einer Minderheitssituation befinden, musste ich mir also meiner Privilegien bewusst werden, um mich so in die Lebenssituationen der Gesprächsteilnehmenden hinein versetzen zu können. Ich selbst habe bisher keine Migrationserfahrungen gemacht, sondern kenne diese lediglich von Erzählungen und Beobachtungen im Familien– und Freundeskreis. Auf der einen Seite könnte dies dazu führen, dass ich die mir geschilderten Probleme nicht nachvollziehen kann, auf der anderen Seite bietet es mir die Möglichkeit, mich unvoreingenommen von eigenen Erfahrungen dem Untersuchungsgegenstand zu nähern und empfand es im Verlauf der Durchführung der Interviews durchaus als Vorteil, nicht jede geschilderte Migrationserfahrung mit eigenen Erlebnissen zu verknüpfen. Bevor ich die Interviews geführt habe, erstellte ich eine Liste mit meinen Forderungen an die Politik bezüglich der Themen „bürgerschaftliches Enga-

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Vgl. Hein, Kerstin, Hybride Identitäten. Bastelbiografien im Spannungsverhältnis zwischen Lateinamerika und Europa. Bielefeld: transcript Verlag 2006: S. 143

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gement“ und „Integration“, um sie, nachdem ich sie zunächst zur Seite legte, anschließend mit den Aussagen der Interviewpartnerinnen und -partner zu vergleichen. Es war mir wichtig, die eigenen Forderungen im Gespräch außen vor zu lassen und nicht selber Antworten oder Perspektiven vorzugeben. Kerstin Hein stellt in ihrer Studie über hybride Identitäten fest, dass der Interviewer über einen ausreichenden Sprachschatz verfügen sollte, um die Sprache im Interview freizustellen. Nur so käme es nicht zu Verzerrungen im Untersuchungsergebnis.20 Nachdem ich mich dazu entschlossen hatte, Angehörige verschiedener Nationen zu befragen, war mir allerdings klar, dass es mir nicht möglich sein würde, mich mit jedem Probanden in der Herkunftssprache zu unterhalten. Deshalb habe ich bei der Auswertung der Gespräche besonders darauf geachtet, an welchen Stellen sprachliche Missverständnisse zu Aussagen führen oder wo Brüche entstehen, weil der Wortschatz nicht ausreicht.

Die Auswahl der Interviewpartner Die grundlegende Frage bei der Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner bestand zunächst darin, zu definieren, welche Personen interviewt werden (Fallauswahl) und welchen Gruppen sie entstammen sollen (Fallgruppenauswahl). In der qualitativen Sozialforschung geht man vom „Theoretical Sampling“ aus, d.h. von der Annahme, dass es zur Theorienentwicklung ausreicht, wenn jeweils ein Fall bekannt wird, der von bisherigen Annahmen abweicht. Dabei wird ein extremer oder ein idealer Typ ausgewählt.21 Bei der qualitativen Sozialforschung geht es um eine theoretische und nicht um eine statistische Stichprobe. Das bedeutet, dass es nicht um die statistische Verteilung bestimmter Merkmale geht, sondern um ihre Bedeutung im Hinblick auf die Theoriebildung. Es geht um Qualität und nicht um Quantität, wobei die Herangehensweise an den Forschungsgegenstand offen ist. Zunächst galt es also zu definieren, was ich unter „Migrantinnen und Migranten“ verstehe und wie ich damit die Auswahl der Interviewpartner festlegen konnte. Ausgangspunkt meiner Überlegungen war, dass ich Nachforschungen über das freiwillige Engagement von Migrantinnen und Migranten für die deutsche Mehrheitsgesellschaft untersuchen wollte. Dabei war es mir wichtig, dass die Befragten mir Auskunft über die Lebenssituation in ihrem Herkunftsland geben konnten und noch Kontakte zu Verwandten oder Freunden in diesem Land haben. Auf diese Weise erhoffte ich mir Informationen darüber, wie bürgerschaftliches Engagement in der Familie und der jeweiligen Kultur wahrgenommen 20 21

Ebd. S. 143 Vgl. Lamnek, Siegfried, Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch. Weinheim: Beltz Verlag 2005: S. 314 83

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und gelebt wird. So beschränkte ich die Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner auf Menschen, die in der ersten oder zweiten Generation in Deutschland leben und noch Kontakte in das Herkunftsland haben. Bis auf eine Interviewpartnerin meldeten sich ausschließlich Personen, die der ersten Generation angehören. Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Auswahl war das Engagement für Deutsche. Dabei wollte ich mich zunächst auf den ausschließlichen Einsatz für die deutsche Mehrheitsgesellschaft konzentrieren, doch nach den ersten Gesprächen stellte ich fest, dass viele Interviewte sowohl in der eigenen Community als auch in rein deutschen Kontexten engagiert sind. Gerade der Vergleich zwischen den beiden Erfahrungshorizonten schien mir interessant, so dass ich bei der weiteren Suche nach Probanden dieses Ausschlusskriterium nicht mehr anwandte. Auf diese Weise erhielt ich auch Anfragen von Menschen, die sich in erster Linie für Angehörige ihrer Herkunftsnation engagieren, und mehr oder weniger zufällig in diesem Zusammenhang in zweiter Linie für Deutsche. Auch diese Gesprächspartner wurden nicht ausgeschlossen, da ich auf diese Weise eine Gegenüberstellung der verschiedenen Engagementmöglichkeiten und eine Kontrastierung der Fälle gewährleisten konnte. Zusätzlich zu den genannten Kriterien habe ich keine weiteren Ausschlussprinzipien verfolgt, wodurch ich eine große Bandbreite an unterschiedlichen kulturellen Hintergründen in den Interviews finden konnte. Da sehr junge Menschen wohl eher selten zur ersten Generation der Migranten zählen und sie sich außerdem weniger gern interviewen lassen, erwartete ich, dass sich ausschließlich Erwachsene auf meine Anfrage hin melden würden. Außerdem wollte ich verschiedene Migrationswege (Gastarbeiter, Asylbewerber, junge Arbeitsmigranten) analysieren, weil ich mir davon eine Perspektivenvielfalt versprach. Ich ging davon aus, dass das Einleben in Deutschland bei Migranten der Gastarbeitergeneration anders verlief als bei jungen Menschen, die beispielsweise erst Ende der 90er Jahre nach Deutschland gekommen sind. Es meldeten sich Probanden im Alter zwischen 27 und 65 Jahren aus elf verschiedenen Nationen: • Italien • Palästina • Korea • Polen • Rumänien • Iran • China • Dominikanische Republik • Spanien • Portugal 84

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Die kulturellen Hintergründe der Probanden sind derart unterschiedlich, dass es nahezu unmöglich ist, sie miteinander zu vergleichen oder in Bezug zu setzen. Hinzu kommt, dass meine eigenen Kenntnisse über die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation des jeweiligen Landes nicht ausreichen, um die Erfahrungsberichte adäquat mit objektiven Daten über das Land zu ergänzen. So blieb nur die Fokussierung auf den individuellen Erfahrungshorizont der Probanden.

Interviewvorbereitungen Da ich durch meine berufliche Tätigkeit zahlreiche Kontakte zu Freiwilligenagenturen und Einsatzstellen für freiwilliges Engagement habe, konnte ich zunächst über diesen Weg auf mögliche Interviewpartnerinnen und -partner zugehen. Um eine Vermischung zwischen der eigenen Arbeit in einer Vermittlungsagentur und der Forschung zum Thema „Identität und bürgerschaftliches Engagement“ zu vermeiden, habe ich keine in der Freiwilligenagentur aktiven Freiwilligen mit Migrationshintergrund befragt. Auch wollte ich mich nicht nur auf den Münchner Raum beschränken und nutzte deutschlandweite Kontakte zu Vermittlungsagenturen. Gleichzeitig schrieb ich alle ausländischen ehrenamtlich geführten Vereine und den Ausländerbeirat in München an, um zusätzliche Kontakte herzustellen. Die Kontaktaufnahme zu den Institutionen fand zunächst in telefonischer Form statt. Bekam ich von den Vermittlungs- bzw. Einsatzstellen die Aussage, dass freiwillig engagierte Migrantinnen und Migranten in der Einrichtung tätig sind oder von der Agentur vermittelt wurden, folgte eine schriftliche Information für die möglichen Interviewpartnerinnen und -partner und für die Einsatzstelle. Die Mitarbeiter der jeweiligen Einrichtungen waren somit die Kontaktpersonen, über die die erste Kontaktaufnahme stattfand. Erhielten diese Kontaktpersonen die grundsätzliche Zusage der Engagierten für das Interview, rief ich die potentiellen Probanden an, um den genaueren Inhalt und den Rahmen des Interviews abzuklären. In fast allen Fällen erhielt ich bei diesem ersten Telefongespräch die konkrete Zusage für das Interview und konnte einen Termin vereinbaren. Lediglich in zwei Fällen wollten die möglichen Interviewpartnerinnen ihre Bereitschaft noch einmal überdenken, da sie Bedenken wegen der Anonymisierung der Interviews hatten. Eine dieser Interviewpartnerinnen sagte ein paar Tage später zu, die andere lehnte das Gespräch ab. Dadurch, dass die Probanden schon von den Kontaktpersonen über mein Anliegen informiert waren, gestalteten sich die Telefonate in der Regel sehr unkompliziert. Durch die Kontaktpersonen, die ich in aller Regel kannte, konnte ein erstes Vertrauen hergestellt werden und das Telefonat diente oftmals nur noch der genaueren Beschreibung und Terminvereinbarung.

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Die meisten Termine fanden ohne Zwischenfälle oder Verschiebungen statt. Zum Teil luden mich die Probanden zu sich nach Hause ein, um dort das Gespräch zu führen. Dies erlaubte mir einen näheren Einblick in die Lebenswelt der Interviewpartnerinnen und -partner. Ansonsten fanden die Gespräche entweder in den Einsatzstellen bzw. Vermittlungsstellen statt, was ebenfalls sehr interessant war, da ich so die genaue Tätigkeit vor Ort erleben konnte. Ich hatte nicht mit der enormen Resonanz gerechnet, auf die mein Anliegen stieß. Bereits nach einigen Tagen erhielt ich mehrere Anrufe aus Agenturen, die mögliche Interviewpartnerinnen und -partner im Blick hatten und außerdem meldeten sich vereinzelte Freiwillige telefonisch direkt bei mir. So konnte ich gleich mit der Interviewdurchführung beginnen. Die interessierten Freiwilligen vermittelten mir den Eindruck, dass sie das Interview möglichst schnell durchführen und gleich einen Termin vereinbaren wollten. Daher beschloss ich, zunächst jedes Interview anzunehmen und durchzuführen. Aus diesem Grund habe ich vorab keine theoretische Stichprobe durchgeführt, nach der ich die zu untersuchenden Personen nach ihrer Bedeutsamkeit ausgewählt hätte.22

Das Interview Die Interviews liefen im Wesentlichen nach der gleichen Struktur ab. Zu Beginn des Treffens stellte ich mich und mein Forschungsvorhaben kurz vor. Indem ich mein Anliegen und meinen wissenschaftlichen Hintergrund verdeutlichte, konnte ich Ängste und Bedenken – vor allem in bezug auf die sprachliche Kommunikationsfähigkeit – abbauen und Vertrauen aufbauen. Fanden die Gespräche in den Einsatzstellen statt, hatte ich zuvor Wasser und Süßigkeiten bereit gestellt, um die Gesprächsatmosphäre angenehm zu gestalten. Ein wichtiges Verhandlungsthema zu Beginn des Gesprächs war der Aspekt, dass das Interview auf Tonband aufgenommen werden sollte. Zwar hatte ich sowohl im Informationsschreiben als auch in den Telefonaten bereits darauf hingewiesen, dass die Einwilligung hierfür eine notwendige Voraussetzung für die Interviewdurchführung darstellt, dennoch hatten einige Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmer erhebliche Bedenken. Ich wies dann auf die Anonymisierung der Daten hin und bot den Befragten an, sich selbst ein Pseudonym auszusuchen. Anschließend fragte ich nach zeitlichen Begrenzungen für das Gespräch aus Sicht der Teilnehmenden und danach, ob noch weitere Fragen vorab zu beantworten wären. Ich musste schnell feststellen, dass bei den meisten Befragten die offen gestellte Erzählaufforderung „Erzählen Sie mir doch einfach mal von sich“ zu Verunsicherung führte. Viele fragten nach, was mit der Aufforderung gemeint sei. Obwohl ich mir vorgenommen 22

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Vgl. Lamnek, Siegfried, Qualitative Sozialforschung. Bd. 1 und 2. Weinheim: Beltz Psychologie Verlags Union 1998: S. 189

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

hatte, möglichst einfache Fragen zu stellen, stieß ich an Grenzen. So präzisierte ich die Frage, indem ich verschiedene Erzählfelder eröffnete: „Erzählen Sie von sich, wie alt Sie sind, wie Sie leben, was Sie machen usw.“ Auf diese Erzählaufforderung folgte dann meist eine längere Erzählsequenz, bei der ich mich auf das Zuhören und gelegentliche Nachfragen beschränkte. Nachdem ich nach den ersten Gesprächen merkte, dass meine offenen Fragestellungen die Interviewpartnerinnen und -partner verwirrten, stellte ich bei den folgenden Interviews konkretere Fragen. Das Paradigma, möglichst keine geschlossenen Fragen zu stellen, konnte ich dementsprechend nicht immer einhalten. Ich hatte den Eindruck, dass die Befragten ganz konkrete und möglichst wenig abstrakte Fragen von mir erwarten. Im Laufe der einzelnen Gespräche wagte ich es dann aber oftmals doch, eher offenere Erzählanregungen zu geben, wenn ich bemerkte, dass die Probanden mehr und mehr sprachliche Sicherheit bekommen. Zum Schluss der Gespräche habe ich den Interviewten die Möglichkeit gegeben, Themenbereiche anzusprechen, die von mir bisher nicht erwähnt worden waren und ihre Wünsche für die Zukunft zu äußern. Dabei ergaben sich aber keine neuen, für die weitere Interviewführung relevanten Fragestellungen; meist wiederholten die Befragten noch einmal ihre wichtigsten Motive für das Engagement oder ihre Einstellung zur deutschen Gesellschaft. Im Anschluss an das Interview unterschrieben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Einverständniserklärung für die anonymisierte Veröffentlichung der Daten.

Die Auswahl der Interviews Es war mir aufgrund der Fülle der Anfragen nicht möglich, die Suche nach Interviewpartnerinnen und -partnern durch eine erste Analyse zu selektieren. So musste ich im Nachhinein aus der Fülle des Materials die für die Fragestellung relevanten Interviews auswählen. Aus den anfänglich 23 Interviews wählte ich 14 aus. Ein wichtiges Kriterium war hierbei der Migrationshintergrund. Einige der Interessenten erzählten mir erst im Interview, dass beispielsweise ihre Eltern Deutsche sind und sie lediglich die ersten Lebensjahre in Südamerika verbracht haben. Ebenso meldeten sich einige mögliche Untersuchungspersonen, die sich nach genauerem Nachfragen nicht für Deutsche engagierten, sondern ausschließlich für ihre eigene Herkunftsnation. Manchen von ihnen war es ein Anliegen, mir die Arbeit ihres Vereins oder einer Gruppe vorzustellen. Möglicherweise erhofften sie sich dadurch öffentliche Aufmerksamkeit. Mir wurde durch die große Anzahl an Interessierten deutlich, wie groß der Bedarf an Anerkennung von Seiten engagierter Migrantinnen und Migranten ist. Das gleiche Phänomen fand ich auch in den Interviews wieder.

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Das empirische Material des Projektes Nach jedem Interview schrieb ich ein kurzes Postskript zur Interviewatmosphäre, zu Störungen oder Auffälligkeiten im Gespräch.23 Diejenigen Interviews, die nicht zu meinen Auswahlkriterien passten, sortierte ich aus. Die anderen Tonbandaufzeichnungen wurden transkribiert. Auf diese Weise entstand ein Datenmaterial von ca. 400 Seiten. Dass die erfassten Daten auf das Transkript beschränkt werden mussten, reduziert zwar wesentliche Elemente wie z.B. die Sprache, Betonungen usw. auf ein Mindestmaß, ist aber erheblich besser als eine intuitive Interpretation, denn es ermöglicht den kritischen Nachvollzug des Interviews und der Interpretationen.24 Das Datenmaterial wurde zwar zu einem wissenschaftlichen Zweck erhoben, dennoch finden sich ähnliche Strukturprinzipien wie in Formen der Alltagskommunikation. Im Einzelnen bedeutet dies, dass auch in der Kommunikation zwischen Interviewer und Interviewpartner Dominanzverhältnisse von Nähe und Distanz oder Zugehörigkeit und Ausschluss auftreten können. Dies galt es zu analysieren.

Die Auswertungsstrategie Bei der Auswertung der Interviews ergeben sich ebenso viele Möglichkeiten wie bei der Datenerhebung. Ich bin bei der Analyse der Interviews pragmatisch vorgegangen und habe mich an vier grobe Auswertungsschritte gehalten: • Transkription • Einzelanalyse • Vergleichende Analyse • Kontrollphase Bei der Transkription habe ich darauf geachtet, dass nicht nur gesprochene Sätze transkribiert werden, sondern auch nonverbale Aspekte berücksichtigt werden. Besonders gekennzeichnet habe ich Betonungen, Pausen, Lachen, Unterbrechungen, Räuspern und Störungen, da auch diese für die Interpretation von Bedeutung sein können. Nach der jeweiligen Transkription habe ich zur Kontrolle das gesamte Interview nochmals mit der Tonbandaufnahme verglichen. Anschließend wurde jedes Interviews einzeln analysiert. Nachdem ich mehrere Gespräche interpretiert hatte, verglich ich sie untereinander im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei den jeweiligen Kategorien, die herausgearbeitet wurden. In einer Kontrollphase verglich ich meine Interpretationen wieder mit dem Ausgangsmaterial um sicherzustellen, dass die Nachvollziehbarkeit gewährleistet ist.

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Die Postskript-Vorlage findet sich im Anhang der Arbeit. Vgl. Lamnek, Siegfried, Qualitative Sozialforschung, Bd.1 und 2, Weinheim: Beltz, Psychologie Verlags Union 1998: S. 390

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Die Basis meiner Analyse war die Grounded Theory, die ich nach dem Anwendungsprinzip von Eva Jaeggi und Angelika Faas verwandte.

Die Grounded Theory Grundlage meiner Auswertung ist also die datenbasierte Theorie (Grounded Theory) nach Glaser und Strauss. Die beiden lehnen es ab, die qualitative Sozialforschung nur als eine Art Vorstufe der quantitativen Forschung zu verstehen. Eine wesentliche Aufgabe der Soziologie sehen sie in der Entdeckung und Entwicklung von Theorien. Bei diesem Modell werden die Daten demnach nicht erst im Nachhinein zur Bestätigung oder zur Widerlegung einer Theorie herangezogen. Das Konzept basiert auf einem direkten Bezug zur empirischen Wirklichkeit.25 Die Grounded Theory ist im eigentlichen Sinn keine spezifische Methode oder Technik, sondern eher ein Stil. Das Ziel ist, Daten qualitativ zu analysieren. Dabei geht es um folgende Hauptverfahren: • Das Konzept-Indikator-Modell, das das Kodieren steuert • Die Datenerhebung • Das Kodieren • Die Schlüsselkategorien • Das Theoretical Sampling • Das Vergleichen • Die Sättigung der Theorie • Die Integration der Theorie • Die Theorie-Memos • Das Sortieren der theoretischen Memos Ein wesentlicher Baustein der Methode ist das Kodierparadigma. Es ist deshalb für das Kodierverfahren von zentraler Bedeutung, weil es daran erinnert, dass Daten nach der Relevanz für die Phänomene, auf die durch eine Kategorie verwiesen wird, kodiert werden, und dies nach • Den Bedingungen • Der Interaktion zwischen den Akteuren • Den Strategien und Techniken • Den Konsequenzen. In meiner Analyse habe ich das Kodierparadigma an den Stellen verwendet, die mir besonders wichtig oder aber unverständlich erschienen. Ich erhielt durch die Fragen nach den Bedingungen und Interaktionen, vor allem aber auch durch die Frage nach der Strategie, einen besseren Zugang zum Text. Da ich mich jedoch im Wesentlichen an die Anwendung der Grounded Theory

25

Ebd. 89

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

nach Jaeggi/Faas gehalten habe, bei der diese Fragen nicht im Mittelpunkt stehen, habe ich es nur ergänzend benutzt.

Zirkuläres Dekonstruieren (Jaeggi und Faas) In Anlehnung an die datenbasierte Theorie haben Eva Jaeggi und Angelika Faas das Verfahren des Zirkulären Dekonstruierens entwickelt, mit welchem ich mich dem Interviewmaterial genähert habe.26 Der Begriff des Zirkulären Dekonstruierens ergibt sich durch das konkrete Vorgehen mit dem Material. Der Ausgangspunkt ist das vorhandene Material, um welches sich kreative Gedanken bewegen. Damit wird der Text dekonstruiert und anschließend so zusammengesetzt, dass Sinngehalte deutlich werden. Dabei geht man in jedem Interview systematisch nach dem gleichen Prinzip vor. Zunächst habe ich, nach dem mehrmaligen Lesen der Transkripte, ein Motto für den jeweiligen Text gesucht. Dabei kann man einen prägnanten Satz oder eine Aussage, die einen Eindruck über den gesamten Text gibt, als Motto wählen. Nachdem ich mich dafür entschieden hatte, ein Motto zu wählen, welches die Person charakterisiert, die interviewt wurde, habe ich markante Textstellen, an denen die Interviewten Aussagen über sich selbst treffen, markiert und anhand dieser ausgewählten Stellen eine Charakterisierung getroffen. So ergab sich beispielsweise, dass ich den Interviewpartner Herrn Cifera, der mehrmals von sich als „lockerem Typen“ sprach, als „Der Lockere“ charakterisiert habe. Es geht also bei dem jeweiligen Motto um die Sichtweise der einzelnen Interviewpartnerinnen und -partner und nicht in erster Linie um meine Interpretation. Im zweiten Schritt habe ich das Transkript zusammengefasst, indem ich eine Nacherzählung im Umfang von zwei Seiten geschrieben habe. Durch diese Verkürzung der jeweils ca. 40 Interviewseiten habe ich erste Schwerpunkte für die Interpretation gesetzt und Haupterzählstränge gefunden. Ich hätte mich dafür entscheiden können, den Fokus in erster Linie auf die Interaktion zu lenken, habe mich aber dafür entschieden, die expliziten und impliziten Sinngehalte der Interviews darzustellen. Obwohl es sehr zeitaufwendig und mühsam ist, bei jedem Interview eine Nacherzählung zu verfassen, habe ich diesen Auswertungsschritt konsequent in allen 14 Interviews eingehalten. Da manche Interviews nach der ersten Auswertung eine Zeitlang nicht beachtet wurden, weil andere Gesprächsaufzeichungen transkribiert werden mussten, fiel es mir durch den Auswertungsschritt der Nacherzählung nicht 26

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Jaeggi, E., Faas/A. & Mruck, K. (1998). Denkverbote gibt es nicht! Vorschlag zur interpretativen Auswertung kommunikativ gewonnener Daten (2. überarb. Fassung). Forschungsbericht aus der Abteilung Psychologie im Institut für Sozialwissenschaftender Technischen Universität Berlin, Nr. 98–2. Verfügbar unter: http://www.tu-berlin.de/fb7/ifs/psychologie/reports/docs/ber199802.pdf, Quelle vom 22.01.2006

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

schwer, mir sowohl die Gesprächssituation als auch die Inhalte zu einem späteren Zeitpunkt wieder präsent zu machen. Im Anschluss an die Zusammenfassung des Interviews habe ich eine Stichwortliste erstellt. Dabei wurden alle im Text auffälligen oder gehaltvollen Worte und Begriffe chronologisch hintereinander aufgelistet. Der Sinn dieses Auswertungsschrittes ist es, den Text zu straffen und überschaubar zu machen. Gleichzeitig lässt man sich dadurch auf spontane Interpretationsversuche ein. Auch dies ist in erster Linie eine Fleißaufgabe und es wäre möglich, statt des gesamten Textes nur eine Auswahl an Seiten zu treffen, anhand derer der Stichwortkatalog erstellt wird. Um aber sicher zu gehen, dass mir keine wichtigen Stichworte, aus denen sich anschließend Interpretationsgrundlagen ergeben, entgingen, habe ich den kompletten Text nach Stichworten durchsucht. Zu jedem Stichwort habe ich die Seitenzahl vermerkt, um später wieder Rückschlüsse zum Text vornehmen kann. Tabelle 1: Stichwortliste Herr Cifera als Beispiel Stichwort Unruhig Entwicklungshilfe Projekt machen Um 9 Uhr spielt Italien gegen Deutschland Beachtung für die anderen Abenteuerliches Leben Die Erfahrungen haben mich stimuliert Interesse an anderen Menschen Gedämpft diese Abenteuer Habe egoistisch gedacht Carpe Diem Kurze Zeit, wo viel los war, wo etwas Besonderes war Fatalistisch Mich für andere Menschen interessieren In Deutschland wird es langsam so wie in Italien Simple Projekte, nichts Besonderes Nur die Situation, wo man arbeitet Situation war schlimm, aber es war ein Reiz Nur Familie und Privatleben sind zu langweilig

Seite 2 2 2 2 2 2 2 3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4

Als erste komplexere Abstraktion wurden aus der Stichwortliste verschiedene Themen extrahiert. Ich habe für gleiche Sinnzusammenhänge Oberbegriffe gefunden, die die einzelnen Stichworte treffend bezeichnen und von anderen Berei91

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chen unterscheidbar machen. Auf diese Weise entstanden erste „Vor-Kategorien“. Im Anschluss daran paraphrasierte ich den Text, was keineswegs einer wiederholten Nacherzählung gleichkommt. Vielmehr geht es in diesem Schritt darum, Themen zusammenzufassen, damit sich Meta-Themen ergeben. Ich habe dabei zu den einzelnen Themen, die sich ergeben haben, einen zusammenhängenden Text verfasst, bei welchem alle Unterthemen beachtet wurden.27 Als letzter Schritt bei der Einzelauswertung folgte das Erarbeiten der zentralen Kategorien. Diese dienen der Vergleichbarkeit verschiedener Interviews und sind ein weiterer Abstraktionsschritt. Während es Jaeggi und Faas dabei belassen, lediglich die Kategorien zu benennen, habe ich bei jedem Interview zusätzlich eine Erläuterung zu jeder Kategorie verfasst, damit ich im Vergleich mit anderen Interviews mehr Möglichkeiten habe, inhaltlich die Kategorien auf Gegensätze und Gemeinsamkeiten zu untersuchen. Ergänzend zu Jaeggi und Faas habe ich eigene Methoden entwickelt, um einen besseren Überblick über die einzelnen Interviews zu bekommen und der Auswertung eine Übersicht über die Lebensbereiche der interviewten Person angehängt, in der ich das familiäre Umfeld und die Bereiche des freiwilligen Engagements nach sozialen Kontakten gegliedert habe. Es wäre auch möglich gewesen, im Interview eine Netzwerkkarte zu erstellen. Da mir dies im Gespräch aber zu aufwendig erschien, habe ich im Nachhinein die Aufstellung der Sozialkontakte anhand der Aussagen der Gesprächspartner vorgenommen. Da mir außerdem aufgefallen war, dass alle Probanden mir vor allem zu Beginn und am Ende des Interviews eine Art „Leitsatz“ mitteilten, nach dem sie ihr Leben ausrichten möchten, habe ich – ebenfalls ergänzend zur Methode von Jaeggi und Faas eine Auflistung der Leitsätze vorgenommen. Dies erleichterte mir den Zugang zu verschiedenen zentralen Kategorien, z.B. der Motivation oder der Zugehörigkeit. Während ich im weiteren Auswertungsprozess nur noch selten auf die Aufstellung der Sozialkontakte zurückkam, waren die Leitsätze ein wichtiger Anhaltspunkt für meine Theoriebildung. In einem zweiten Auswertungsschritt folgte die Synopsis, d.h. die Interviews wurden nun miteinander verglichen. Dazu erstellte ich eine Tabelle, bei welcher in den Spalten die zentralen Kategorien eingetragen wurden. In die Zeilen trug ich die Namen der Interviewpartnerinnen und -partner ein und setzte für die jeweils passende Kombination aus Proband und Kategorie ein Kreuz. Damit konnte ich die Häufung der einzelnen Kategorien auf einen Blick erkennen und dabei feststellen, welche zentralen Kategorien nur bei einer oder zwei Personen vorkommt. Anschließend habe ich die Kategorien, die sich nochmals zusammenfassen ließen, gebündelt und nun anhand der Interviews wiederum paraphrasiert. Dadurch 27 92

Ein Beispiel für eine Paraphrasierung findet sich im Anhang.

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

entstand zu jeder zentralen Kategorie ein Text, der die verschiedenen Interviews miteinander verband. Wichtig war dabei immer die Rückkopplung an das Ausgangsmaterial. Hierdurch entstand ein theoretisches Metakonstrukt mit neuartigen Erkenntnissen. Auch erste Kapitelstrukturen haben sich auf diese Weise ergeben. Sie wurden im Laufe des Prozesses nach und nach aufgegliedert bzw. erweitert.

Die Feinstrukturanalyse (Froschauer/Lueger nach Oevermann) In Ergänzung zur gerade dargestellten Auswertungsmethode habe ich in Einzelfällen die Feinstrukturanalyse angewandt. Es handelt sich dabei um eine Abwandlung der von Oevermann vorgestellten Sequenzanalyse. Sie zielt auf die Erfassung von Sinngehalten, welche sich in der selektiven Abfolge kleinster Gesprächseinheiten reproduzieren. Analysiert werden latente Sinnstrukturen durch die Analyse der Feinstruktur eines Textes. Es ist ein sehr genaues, aber aufwendiges Analyseverfahren, das besondere innovative Schlüsse ermöglicht. Allerdings sind mit dieser Methode nur kleinste Textausschnitte bearbeitbar. Daher habe ich es lediglich ergänzend zur sonstigen Methodenauswahl genutzt. Wichtig war, dass die Feinstrukturanalyse aus Gründen der Qualitätssicherung als erstes Verfahren zum Einsatz kam: „denn je feiner und tiefgreifender die Analyse, desto anfälliger ist sie für inhaltliches Vorwissen oder Vorannahmen über den Text oder den Fall.“ Zunächst habe ich einen Gesprächsausschnitt von etwa vier bis acht Zeilen ausgewählt und dabei Textstellen gewählt, die mir besonders interessant und beim ersten Lesen wichtig für den untersuchten Themenkomplex schienen. Als Gegenpol wählte ich auch solche Passagen, die als „unwichtige Stelle“ interpretiert wurden. Dies diente der kritischen Prüfung der Interpretation. Die ausgewählte Stelle unterteilte ich in Sinneinheiten, d.h. es ergab sich ein Satzteil oder ein kurzer Satz als Analyseeinheit. Bei der Analyse achtete ich darauf, dass ich immer nur die jeweils nächste Sinneinheit bestimmt und bearbeitet habe. Für jede Sinneinheit stellte ich folgende Fragen: • Welche vordergründige Information liegt der Sinneinheit zugrunde? (Paraphrase) Welche Funktion könnte die Äußerung für die befragte Person haben bzw. • welche Intentionen können sie angeregt haben? • Welche latenten Momente könnten der Sinneinheit zugrunde liegen und welche objektiven Konsequenzen für Handlungs- und Denkweisen könnten sich daraus ergeben? • Welche Rollenverteilung ergibt sich aus der Sinneinheit? 28 • Welche Optionen ergeben sich für die nächste Sinneinheit? 28

Vgl. Froschauer, Ulrike, Lueger, Manfred, Das qualitative Interview. Zur Praxis interpretativer Analyse sozialer Systeme. WUV-Universitätsverlag Wien 2003: S. 110-119 93

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Um deutlich zu machen, wie ich die Analysemethode in meiner Forschungsarbeit angewandt habe, stelle ich dies anhand eines Beispiels dar: Tabelle 2: Auswertungsschema bei Tonio Cifera als Beispiel für die Feinstrukturanalyse Paraphrase

Intention/ Funktion Bin ich zuEs könnte frieden, sonst schlimmer fehlt mir sein nichts Bis auf eine Sache bin ich froh

RollenAnschlussverteilung optionen Präzisierung Interviewter der Zufrieist Migrant, Interviewerin denheit Deutsche, daZeigen, dass er her vielleicht EinschränEinschränkun- kung und integriert ist gen der Unzu- Erklärung, was doch Zufriedenheit = friedenheit Man darf noch fehlt man hat alles nicht unzu- richtig gemacht Interviewter will Intervie- Ende der frieden sein werin beruhi- Aussage Er verlangt gen Ich darf mich nichts, seine nicht bekla- Lebensqualität gen ist in Ordnung Zurücknehmen von vorher geäußerter Unzufriedenheit

Latente Bedeutungen Darstellen, dass er ein gutes Leben führt

Alle Erwartungen sind bis auf eine Ausnahme erfüllt

Bei der Darstelllung dieser kurzen Sinneinheit wird deutlich, dass verschiedene Interpretationsmöglichkeiten denkbar sind und notiert werden sollten. Anhand der folgenden Sinneinheiten können sie überprüft werden. Auf diese Weise werden auch Brüche sichtbar, die zunächst nicht offensichtlich sind. Als sinnvoll sich erwies sich, diese Methoden gemeinsam mit meinen Kommilitoninnen aus der Kleingruppe anzuwenden, da sich auf diese Weise unterschiedliche Interpretationswege zeigten. Ich hatte das Gesamtgespräch, den Gesprächspartner und die Interviewsituation zu sehr vor Augen und hätte so vielleicht meine eigene Analyse schneller einschränkt.

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Das axiale Kodieren (Strauss) Nachdem ich anhand der dargestellten Methoden zentrale Kategorien und Unterkategorien erarbeitet hatte, kodierte ich anhand des „axialen Kodierens“ intensiver auf einzelne Kategorien hin. Dadurch konnte ich ein dichtes Beziehungsnetz um die „Achse“ der im Fokus stehenden Kategorie aufbauen. Dies war für mich wichtig, da ich allein mit der Methode nach Eva Jaeggi und Angelika Faas die Dichte nicht erreicht hätte. Ich habe die Eigenschaften der Kategorie herausgearbeitet, indem ich diese explizit oder implizit dimensionalisiert habe. Anschließend stellte ich Hypothesen mit Hilfe des Kodierparadigmas auf und spezifizierte so die verschiedenen Spielarten von Bedingungen, Interpretationen, Strategien und Konsequenzen.29 Die Kategorien wurden mit möglichst vielen Textstellen, die dazu passen, angereichert. Zur Verfeinerung dienten die sogenannten W-Fragen (Was? Wer? Wie? Wann? Wie lange? Wo? Wie viel? Wie stark? Warum? Wozu? Womit?)30 Dieses Modell half, die Beziehungen zwischen einem Phänomen, den Ursachen und den Konsequenzen, dem Kontext und den Strategien zu verdeutlichen. Die Ergebnisse fügte ich den nach Jaeggi und Faas erstellten Paraphrasierungen der Kategorien bei. Auf diese Weise ließen sich die zentralen Kategorien präzisieren. „Axiales Kodieren ist der Prozess des In-Beziehung-Setzens der Subkategorien zu einer Kategorie. Es stellt einen komplexen Prozeß induktiven und deduktiven Denkens dar, der aus mehreren Schritten besteht. Diese werden wie beim offenen Kodieren durch Anstellen von Vergleichen und Stellen von Fragen durchgeführt. Beim axialen Kodieren ist der Einsatz dieser Vorgehensweisen fokussierter und auf das Entwickeln und In-Beziehung-Setzen von Kategorien nach dem Kodierparadigma ausgerichtet.“31

Überblick Um nun die einzelnen Auswertungsschritte noch einmal übersichtlich darzustellen, habe ich folgendes Schema erstellt:

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30 31

Vgl. Strauss, Anselm, Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Datenanalyse und Theoriebildung in der empirischen soziologischen Forschung. München: Wilhelm Fink Verlag 1998: S. 101 Flick, Uwe, Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2002: S. 264-266 Vgl. Strauss, Anselm/Corbin, Juliet, Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Psychologie Verlags Union 1996: S. 92 95

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Abbildung 2: Schematische Darstellung der Interviewanalyse

Das Schema wird als Kreislauf dargestellt, der zeigen soll, dass zu jedem Zeitpunkt ein Rückschluss auf das Ausgangsmaterial möglich ist (Nachvollziehbarkeit) und beim wiederholten Lesen des Transkripts die gleichen Stichworte und Themen gefunden werden. Deutlich wird dadurch der Prozess der Interviewanalyse, der letztendlich nie abgeschlossen ist. Dass aber nach intensiver Auswertung des Gesprächs auch die Kommilitoninnen in meiner Doktoranden-Kleingruppe zu keinen abweichenden Erkenntnissen bei der Analyse einzelner Textpassagen kamen, zeigte mir, dass ein Sättigungsgrad der Analyse erreicht war. Wenn ich meinen Kommilitoninnen Interviewpassagen oder erste Auswertungsergebnisse vorlegte, wurde deutlich, wie schwer es fällt, sich in die Sprache der Probanden hineinzudenken und den Text zu analysieren. Dies führte dazu, dass ich eigene Annahmen noch einmal überdachte und mir klar machte, dass ich nicht selbstverständlich davon ausgehen kann, zu wissen, was die Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer meinen. Zusätzlich wurde mir deutlich, wie wichtig gerade im Kontext der Analyse von Gesprächen mit

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Menschen, die die deutsche Sprache nicht perfekt beherrschen, die Nachvollziehbarkeit der Analyse ist.

Subjekterfahrungen auf dem Weg in die deutsche Gesellschaft: Biographische Darstellung der Probanden und die Funktion des Engagements Einführung Entlang der Einteilung der Probanden bezüglich der Funktion des Engagements werden nun die Interviewpartner mit ihren zentralen biographischen Daten und wichtigen Aussagen zu dieser Kategorie präsentiert. Es handelt sich, wie bereits erwähnt, um Erwachsene im Alter zwischen 27 und 65 Jahren, die, bis auf Lucia Diaz, ihre Kindheit und einen Großteil ihres Erwachsenenlebens nicht in Deutschland verbracht haben. Alle Interviewpartner haben nicht deutsche Eltern. Mit der Unterscheidung in verschiedene Arten des Nutzens des Engagements wird bereits ein zentrales Merkmal der Interviews deutlich, auf welches ich aber später im Ergebnisteil noch dezidierter eingehen werde. Es wird dargestellt, welch hohe Bedeutung die Funktion des Engagements hat und ob die mit dem Einsatz verbundenen Ziele und Wünsche tatsächlich erreicht werden können. So kann der persönliche Gewinn für die helfende Person beispielsweise darin bestehen, dass sie sich in ihrem Selbstwert erhöht fühlen, Dankbarkeit durch die Bedürftigen erfahren oder Stabilisierung in ihren sozialen Beziehungen erleben.32 Hinter der Frage nach der Funktion des Engagements steht auch der Aspekt der Motivation, wobei es nicht in erster Linie um die vitalen Bedürfnisse wie Hunger, Durst und Sex, sondern um die sogenannten sozialen Bedürfnisse wie die Bedürfnisse nach Beziehung, nach Kompetenzsteigerung und nach Selbstbehauptung geht.33 Wichtiges Kriterium der Motivation ist das Verspüren eines Verlangens, eines Bedürfnisses oder einer Sehnsucht, eines Wunsch oder eines Mangels.34 Zunächst soll hier die Kategorie „Funktion des Engagements“ lediglich als Unterscheidungsmerkmal der Interviewpartner dienen. Vorab erwähnenswert ist die Tatsache, dass die meisten Befragten davon berichten, dass sie

32 33 34

Vgl. Hartung, Johanna, Sozialpsychologie. Psychologie in der sozialen Arbeit. Stuttgart: Kohlhammer 2004: S. 156 ff. Vgl. Kuhl, Julius, Motivation und Persönlichkeit. Interaktionen psychischer Systeme. Göttingen: Hogrefe 2001: S. 5 Vgl. Maslow, Abraham, Psychologie des Seins. Ein Entwurf. Frankfurt am Main: Fischer 1990: S. 38 97

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Spaß bei ihrem Engagement empfinden. Dieser Motivationsfaktor deckt sich mit den Ergebnissen der Freiwilligensurveys.35

Strategisches Nutzen des Engagements36 Spracherwerb: Lena Galinski Tabelle 3: Vita Lena Galinski Alter 27

Fam.Stand verlobt

Herkunft Engagement Beruf

Motto

Polen

Die Pflichtbewusste

Kinderkrippe Betriebswirtin

„Muss man Deutsch sprechen wenn man möchte in diese Gesellschaft leben“.

Lena Galinski wohnt seit April 2005 in einer deutschen Großstadt. Sie lebt mit ihrem Verlobten, einem Polen der schon länger in Deutschland arbeitet, zusammen und besucht Deutschkurse. In ihrem Herkunftsland hat sie Betriebswirtschaft studiert. Direkt nach ihrem Studium, in dem sie auch Auslandserfahrungen in Portugal sammelte, war sie bereits für vier Monate in Deutschland, wo sie eine Stelle als Marketing-Assistentin in einem Bauunternehmen in Nordrhein-Westfalen gefunden hatte. Da diese Firma auch eine Filiale in Polen hat, war ihr Plan, nach einiger Zeit eine neue Filiale in ihrem Heimatland zu eröffnen. Nach kurzer Zeit wurde Frau Galinski jedoch bewusst, dass diese Aufgabe sie überfordern würde. Deshalb entschied sie sich nach Polen zurückzukehren, obwohl sie ihren Freund, den sie in Deutschland kennen gelernt hatte, zurück lassen musste. „Das war LETZTE Platz, fast letzte Platz in meine Vorstellungen wo ich kommen kann, weil früher habe ich KEIN Deutsch gesprochen und in der Schule habe ich kein Deutsch gelernt. Ähm, aber (--) ha Schicksal wollte, dass ich in Deutschland gearbeitet habe (--) also das war fast nach dem Studium habe ich eine Arbeit ähm in Nordrhein-Westfalen gefunden (-) und da habe ich eine, in einem Bau (-) äh Unternehmen gearbeitet als Marketing-Assistentin, aber nur vier Monate lang.“ 35

36

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Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg.) Freiwilligensurvey Bayern 2004. Ergebnisse und Trends. München: Druck und Verlag Zimmermann GmbH 2000: S. 17 Wenn im Folgenden Originalzitate aus Interviews angeführt werden, so wird jeweils am Ende des Zitats die Seite mit Zeilennummern im Interview angegeben. Der erste Buchstabe des Nachnamens steht gegebenenfalls für den Interviewten, der Großbuchstabe I steht gegebenenfalls für den Interviewer. Betonte Wörter oder Wortteile sind durch Großbuchstaben gekennzeichnet.

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Zurück in Polen arbeitete sie ein Jahr und sieben Monate in einem Konditoreiunternehmen, nachdem sie einige Zeit lang arbeitslos war. Da ihr Freund in der Zwischenzeit innerhalb Deutschlands umgezogen war und eine feste Arbeitsstelle hatte, beschlossen beide wieder gemeinsam in Deutschland zu leben. Weil aber Frau Galinski, anders als ihr Freund, keine Arbeitserlaubnis besitzt, kann sie lediglich Deutschkurse besuchen und sich freiwillig engagieren. Langfristig sucht sie jedoch eine feste Arbeitsstelle. Ihre Eltern und ihr Bruder leben in Polen. Sie besucht sie, sooft es geht. Seit sie sich freiwillig engagiert, ist dies jedoch weniger geworden. Weil sie für ein freiwilliges soziales Jahr zu alt war, kam sie über den Generationsübergreifenden Freiwilligendienst zu einem Einsatz in der Kinderkrippe. Dort hilft sie den Erzieherinnen in einer Gruppe, wird aber auch gruppenübergreifend eingesetzt, wenn eine Mitarbeiterin erkrankt ist. Ihre Aufgabe besteht darin, auf die Kinder aufzupassen, sie zu füttern und zu wickeln und mit ihnen zu spielen. Es macht ihr Spaß, mit den Kindern zu spielen und ihnen etwas beizubringen. Frau Galinski erhält für ihre Arbeit ein Taschengeld von 170 € im Monat, dafür arbeitet sie 30 Stunden in der Krippe. Zum Generationsübergreifenden Freiwilligendienst gehören Austauschtreffen und Informationsveranstaltungen, an denen Lena Galinski teilnimmt und die ihr gefallen. Ihr freiwilliges Engagement kann sie jeder Zeit aufgeben, wenn sie einen Job findet. Sie glaubt, mit der jetzigen Arbeit beweisen zu können, dass sie Verantwortung übernehmen kann, in einem neuen Arbeitsfeld zurecht kommt und im Team arbeiten kann.

Gesprächsatmosphäre Die erste Kontaktaufnahme zu Lena Galinski fand über das Telefon statt. Ich hatte ihre Telefonnummer von einer Beraterin des „Generationsübergreifenden Freiwilligendienstes“ erhalten. Frau Galinski wirkte am Telefon sehr offen, schien aber große Bedenken bezüglich ihrer Deutschkenntnisse zu haben. Ich hoffte, dass ich sie beruhigen konnte, indem wir vereinbarten, dass sie ein Wörterbuch mit zum Gespräch bringen konnte. Das Interview fand in den Büroräumen meiner Arbeitsstelle, einer Freiwilligenagentur, statt. Die Gesprächsatmosphäre war angenehm. Zwar machte Frau Galinski am Anfang einen schüchternen Eindruck, gab sich höflich und sprach sehr leise und zurückhaltend, dennoch konnten alle mir wichtigen Themen angesprochen werden und das Gespräch dauerte ca. 2 Stunden.

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Interpretative Ansätze Motto: Die Pflichtbewusste Frau Galinski zeigt sich pflichtbewusst und zielstrebig. Bei allem, was sie angeht, ist ihr eine Zertifizierung wichtig. Sie legt gern Prüfungen ab, um ihr Wissen dokumentieren zu können. Außerdem erhofft sie sich dadurch bessere Einstiegschancen in eine berufliche Karriere in Deutschland. Immer wieder macht sie im Interview deutlich, dass sie sehr viel lernen möchte und sich vor keiner Arbeit scheut. Daher habe ich für das Interview die Überschrift „Die Pflichtbewusste“ gewählt. „Ähm, (-) äh ich bin auch, ich kann auch ganz schwer arbeiten, schwere Arbeit macht mir keine Sorge.“ Sie schildert sich als einen sportlichen Menschen, der gern etwas mit Freunden unternimmt, gern Ski fährt, schwimmt und so oft es geht, aktiv sein möchte. Ordnung und Verantwortungsbewusstsein sind ihr wichtig. Sie betont dabei, dass sie sowohl in der Arbeit als auch zu Hause Ordnung braucht. Auch durch diese Aussagen verdeutlicht sie ihr Pflichtbewusstsein.

Funktion des Engagements Die Idee, sich zu engagieren, entstand, weil sie außerhalb der Deutschkurse eine Beschäftigung suchte, in der sie ihre neuen Sprachkenntnisse praktisch üben konnte. Außerdem war es ihr allein zu Hause langweilig. „Äh, ich WOLLTE äh mich äh in einem KINDERgarten engagieren. Ich habe gedacht, vielleicht es wäre leichter für mich weil für Kinder muss man immer einfach sagen. Äh (-) in der Kinderkrippe (-) wollte ich am Anfang NICHT so, weil ich hab gedacht, dass die Kinder nicht so viel sprechen und vielleicht könnte ich nicht mein Deutsch nicht so verBESSERN, also das vielleicht macht keinen Sinn da zu gehen und vielleicht nur äh (-) nur helfen bei Sachen, bei einige Aktivitäten aber nicht beim SPRECHEN. Oder etwas erledigen.“

Als die drei wichtigsten Gründe, sich zu engagieren, gibt sie an: a) die Zeit nützlich gestalten b) ihre Sprachkenntnisse zu verbessern c) neue Bekanntschaften zu schließen. „Mhm, vielleicht sie haben ANGST zu offen zu sein, offen zu sein. Es ist nicht einfach, hier Deutsch zu lernen. Vielleicht haben sie kein BEDÜRFNIS da, äh (-) draußen unter andere Leute zu gehen, weil sie nur unter Mitglieder, Familienmitglieder sind und sie brauchen also keine Umgang mit andere, sie haben hier mhm (-) EIGENE Freunde, sie sprechen EIGENE Sprache und dazu brauchen sie kein Deutsch. Ja, das ist so ähm hier braucht man fast kein Deutsch, wenn man einkaufen gehen und wenn man (-) äh ja einkaufen gehen oder so. Brauchst Du fast kein Deutsch.“

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Lena Galinski kann nicht verstehen, dass es Menschen gibt, die sich nur mit Menschen der gleichen Kultur treffen und auseinandersetzen. Diese hätten wohl Angst vor der fremden Kultur. Sie betont, dass ein Leben in Deutschland durchaus möglich ist, ohne die Sprache zu beherrschen. Weil sie aber in Deutschland bleiben möchte, ist es ihr wichtig, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ihrer Meinung bedarf es Mut und Offenheit, sich auf die Menschen und die Kultur in Deutschland einzulassen. Wichtigstes Instrument hierbei sei die Sprache.

Gesprächsinhalte

• • • • • • • • • • • • • • • • •

Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Haltung zum Aufnahmeland Engagementbeschreibung Emanzipation Integration Bezug zur Herkunftsfamilie Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Anerkennung Engagementbarrieren Motive Einstellung zur Arbeit Bedeutung der Sprache Lernerfahrungen im Engagement Freunde Teilhabe

Joanna Novak Tabelle 4: Vita Joanna Novak Alter 31

Fam.Stand verheiratet

Herkunft

Engagement Beruf

Motto

Polen

Kinderkrippe Lehrerin

Die Unsichere

„Ja, ja das ist schwieriger Punkt. Ja, ohne Sprache ist kein Kontakt.“

Frau Novak lebt seit zwei Jahren in Deutschland und ist seit einem halben Jahr mit einem Mann polnischer Herkunft, der seit 14 Jahren in Deutschland lebt, verheiratet. Bevor sie in die Bundesrepublik zog, hatte sie ihren heutigen 101

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Mann schon öfter in Deutschland besucht. „Ich weiß es nicht. Also wir haben äh über diese Thema gesprochen. Sehr ernst. Und wir wählen einfach so, dass in Deutschland wird zusammen besser wie in äh wie in Polen. Äh weil ich weil mein Mann hat hier gute Arbeit.“ Grund für den Umzug nach Deutschland war demnach die gute berufliche Perspektive für ihren Mann, der als Handwerker tätig ist. Sie selber hat als Lehrerin in Polen wenig verdient. Die erste Zeit in Deutschland sei aufgrund der Verliebtheit sehr schön gewesen, später empfand sie ihr Leben in der neuen Umgebung als schwierig, weil sie den ganzen Tag, bis auf die Zeit, in der sie beim Deutschkurs war, allein zu Hause verbrachte, während ihr Mann arbeiten musste. Auch heute ist das Leben für sie nicht immer einfach. Ihre Familie, die in Polen lebt, war über ihren Wegzug nicht erfreut. Sie stehen aber in engem telefonischen Kontakt und Frau Novak besucht mit ihrem Mann ihr Herkunftsland, sooft es geht. Die Familie ihres Mannes lebt in der Bundesrepublik. Ihre Arbeit in der Kindertagesstätte umfasst 30 Wochenstunden als Freiwillige im Generationsübergreifenden Freiwilligendienst. Frau Novak mag die Arbeit mit Kindern und stellt dabei Verknüpfungen zu ihrem Beruf her. Wichtig ist ihr, dass die Tätigkeit Sinn macht und sie in Kontakt mit anderen Menschen kommt. Auf Dauer wünscht sich Frau Novak eine bezahlte Tätigkeit, die ihrer Qualifikation entspricht. Sie könnte sich gut vorstellen, nach Beendigung des Generationsübergreifenden Freiwilligendienstes weiter in der Kindertagesstätte tätig zu sein. Daneben sehnt sie sich auch nach einer eigenen Familie, wobei sie sich selber mit 31 Jahren schon als relativ alt empfindet.

Gesprächsatmosphäre Der Kontakt zu Joanna Novak wurde über eine Beraterin des „Generationsübergreifenden Freiwilligendienstes“ hergestellt. In einem ersten Telefonat äußerte sie zunächst Bedenken, dem Gespräch zuzustimmen, da ihr Sprachverständnis zu gering sei, um mit mir das Interview zu führen. Ich zerstreute ihre Bedenken, indem ich ihr erklärte, dass sie ihr Wörterbuch mitbringen könne und die Fragen nicht allzu kompliziert seien. Nach einer ersten Terminverschiebung ihrerseits fand das Gespräch in den Büroräumen meiner Arbeitsstelle statt. Zwar war die Gesprächsatmosphäre angenehm, trotzdem wirkte Frau Novak müde und gehetzt. Dieser Eindruck verstärkte sich, als sie gleich zu Beginn bemerkte, dass sie das Interview so schnell wie möglich durchführen wolle. Trotz der anfänglichen Hektik konnten alle von mir beabsichtigten Themen bearbeitet werden. Nur an einigen Stellen wirkte Joanna Novak weiterhin gehetzt und aufgrund ihrer mangelnden Ausdrucksfähigkeit überfor-

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dert. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich gern gewählter hätte ausdrücken wollen, die passenden Worte aber nicht fand. Deshalb stöhnte sie mehrmals auf und atmete schwer, bevor sie die Fragen beantwortete. Wegen ihrer Einsilbigkeit versuchte ich, anders als in den zuvor geführten Interviews, durch mehrere kleinere Fragen nachzuhaken. Ich stellte aber auch wiederholt geschlossene Fragen. Das Interview dauerte ungefähr zwei Stunden.

Interpretative Ansätze Motto: Die Unsichere Auffällig ist die Unsicherheit, die sich im Alltagserleben und im Engagement von Joanna Novak spiegelt. „Ja, ich hab (--) ich meine am Anfang ich weiß nicht, was darf ich machen.“ Zu Beginn des Engagements war sie auch unsicher bezüglich der Aufgaben, die sie übernehmen sollte. Sie frühstückt mit den Kindern, singt mit ihnen und macht mit ihnen Ausflüge. Durch die Rückmeldung und die Anerkennung der anderen fallen ihr die Aufgaben aber immer leichter. Stress erlebt sie auch dann, wenn sie sich auf neue Situationen einstellen muss. Der Kontakt zu Deutschen ist für sie ein Kriterium der Integration. Sie möchte mit ihrem Mann in Deutschland bleiben und sich hier integrieren.

Funktion des Engagements Als wichtigste Lernerfahrung in ihrer neuen Heimat sieht sie das Erlernen der deutschen Sprache an. „(-) Ich, ich habe Arbeit in der Kinderkrippe. Ähm (-) als Freiwillig und ich arbeite äh sechs Stunden pro Tag, 30 Stunden wöchentlich. In der wöchentlich. Und was meine Arbeit ist mm (-) sehr nett, weil äh ist WEIL mit Kindern verbunden ist. Ich mag Kinder, ich habe auch Ausbildung mit Kinderbetreuung. Ja, und das ist sehr nett. Immer was NEUES ist, neue Tage, neue (--) was noch? Ja, ich freue mich sehr, äh dass ich arbeite. Aber weil äh (-) ich Kontakt mit DEUTSCHE Leute habe. Mit andere Leute. Äh das weil äh mm ich was mit SINN mache, ich bin sehr zufrieden. Manchmal ich bin SEHR sehr müde, aber ich bin sehr zufrieden.“

Das Eingewöhnen in die neue Kultur sieht sie einen Lernprozess. Aus diesem Grund engagiert sie sich für Deutsche. Ihre Motivation für das freiwillige Engagement kam laut Frau Novak durch den Wunsch, auch in Deutschland mit Kindern zu arbeiten. Da sie bereits Erfahrungen in der Arbeit mit behinderten Kindern gesammelt hatte, stellte sie sich zunächst eine Tätigkeit in diesem Bereich vor. Durch eine Freundin kam sie dann zum Generationsübergreifenden Freiwilligendienst. 103

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„Ich habe ganz anderes, ich habe andere Sorge gehabt. Ähm (-) zum Beispiel äh (-) ich meine Sprache ist nicht so gut. Ich werde nicht verstehen, was soll ich machen. Ja, ja das ist schwieriger Punkt. Ja, ohne Sprache ist kein Kontakt. Keine Kommunikation. Und ohne gibt es nie. Ja, kann man zeigen, aber ist keine Zeit für diese Spiele (lacht). I: Mhm. Das war Ihre SORGE dann am Anfang. N: Ja. Ich war sehr sehr gestresst am Anfang. SEHR (lacht). I: Wie lange hat das gedauert? (-) Bis Sie sich ein bisschen sicherer gefühlt haben? N: Ich weiß nicht. Zwei, drei Wochen. I: Oh, das ging ja schnell. N: SCHNELL? Das ist, ich habe noch immer.“

Die Sprache spielt bei Frau Novak eine große Rolle. Sie sagt, dass sie ohne das Beherrschen der deutschen Sprache zu Beginn nicht mit anderen kommunizieren konnte, was sehr viel Stress ausgelöst habe. Zwar habe sie ihre Meinung, könne sich aber zu wenig mitteilen. „Genau, ich denke äh (--) in unsere Kinderkrippe durch Kontakt mit deutsche Sprache ich bin jetzt viel besser. Ich HÖRE das, ich kann ich (-) konnte fast nichts sagen. Ich habe eine Blockade gehabt einfach. Ja, ich war in Kurs, aber es war keine Praxis. Ich habe gelernt, aber nach zwei Wochen alles war (-) weg. Einfach weg (lacht). Durch das Engagement hat Frau Novak ihr Vokabular erweitert und fühlt sich sicherer.

Gesprächsinhalte

• • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Engagementbeschreibung Integration Bezug zum Herkunftsland Bezug zur Herkunftsfamilie Migrationsprozess Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Anerkennung Migration und Engagement Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Einstellung zur Arbeit Bedeutung der Sprache Lernerfahrungen im Engagement Freunde Teilhabe

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Antonia Gomez Tabelle 5: Vita Antonio Gomez Alter 27

Fam.Herkunft EngageStand ment Verheiratet Dom.Altenheim Rep.

Beruf

Motto

Sekretärin, Die Praktikantin Mitfühlende

„Wie Deutsche reden. Das ist sehr wichtig für mich“

Frau Gomez lebt seit zwei Jahren mit ihrem italienischen Mann in Deutschland. Sie ist aufgrund besserer beruflicher Chancen nach Deutschland gekommen. Ihr Mann hatte vor seinem Aufenthalt in der Dominikanischen Republik bereits lange Zeit in Deutschland gelebt. Sie arbeitet freiwillig in einem Altenheim und besucht dort zwei ältere Damen. Zusätzlich dazu arbeitet sie in demselben Altenheim seit drei Wochen als Praktikantin, weil sie eine Ausbildung zur Altenpflegehelferin machen möchte. Zu ihrem Engagement ist Frau Gomez über einen Zeitungsartikel gekommen, über den ehrenamtliche Helfer für das Altenheim gesucht wurden. Nach einem Gespräch mit der Ehrenamtsbeauftragten des Heimes startete sie ihr Engagement im Februar 2006. Die Zeit des Einlebens in der Fremde bezeichnet sie als schwierig, vor allem die Umstellung auf den deutschen Winter macht ihr große Probleme. In ihrem Heimatland hatte sie viele Kontakte zu Nachbarn und Freunden, die ihr hier fehlen. Über ihren Mann hat sie einige Kontakte zu Italienern, ansonsten trifft sie sich ab und zu mit einer jungen Frau aus Togo. Obwohl es ihr in Deutschland gefalle, weil sie hier mit ihrem Mann leben kann, hat sie schon mehrfach überlegt, in ihr Heimatland zurück zu kehren, weshalb es zu Streitigkeiten mit ihrem 21 Jahre älteren Mann kam. Der Sohn des Mannes aus erster Ehe lebt bei ihnen. Sie führt den Haushalt und möchte in Harmonie mit beiden leben. Ihre Kontakte in das Heimatland sind gut, Besuche sind aber aufgrund der großen Entfernung selten. Ihre ältere Schwester und ihre Zwillingsschwester haben bereits Kinder, die Frau Gomez sehr mag und vermisst. Sie beschreibt sich als sportliche junge Frau, die gern joggt, liest und Musik hört. Das Spazierengehen mit älteren Menschen bezeichnet sie ebenfalls als Hobby. Ihre ersten Kontakte zu den älteren Menschen waren aufgrund der Sprachschwierigkeiten nicht einfach, doch eine der zu betreuenden Damen fordert sie kontinuierlich auf, mit ihr zu reden. Gleichzeitig hört Frau Gomez der alten Dame zu, wenn sie Geschichten aus den Kriegsjahren erzählt und 105

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

erweitert durch Gedichte, die ihr die alte Dame vorträgt, ihren deutschen Wortschatz. „DAMIT ich wollen Kontakt haben. Ich will Kontakt haben, dann ich kann BESSER reden.“ Frau Gomez sucht Kontakte zu Deutschen und erhofft sich, durch das Engagement ihren Wortschatz und damit auch die Kontaktmöglichkeiten zu verbessern.

Gesprächsatmosphäre Der Erstkontakt zu Antonia Gomez fand über eine Kollegin, die für die Betreuung der Freiwilligen in einem Altenheim verantwortlich ist, statt. Ich rief Frau Gomez an, um einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Als Gesprächsort wählten wir die Caféteria des Altenheims. Frau Gomez machte am Telefon einen offenen Eindruck. Sie sprach gebrochen Deutsch, ich hoffte aber, dass ein Interview trotzdem möglich sei. Die Gesprächsatmosphäre war trotz der starken Lautstärke in der Caféteria gut, obwohl wir einige Male vom Interview abgelenkt wurden. Frau Gomez hatte einen handgeschriebenen Zettel mit Stichpunkten vorbereitet, den sie zu Beginn vorlas. Sie bemühte sich sehr, auf meine Fragen zu antworten. Manche Fragen allerdings waren zunächst zu abstrakt gestellt oder mit zu vielen Fremdwörtern behaftet, so dass sie diese nicht verstehen konnte. Ich war also gezwungen, meine Fragen in möglichst einfache Worte zu fassen. Das Gespräch dauerte 2,5 Stunden.

Interpretative Ansätze Motto: Die Mitfühlende In ihren vorbereiteten Stichpunkten ging es Frau Gomez vor allem darum, zu beschreiben, wie gerne sie sich um alte Menschen kümmert. „Nicht so und (-) ich denke so, die ältere Leute nicht alleine lassen. Weil sind die ALLES, sind alles Menschen, alles nicht anders (lacht). Nicht Tiere, sind sie Menschen. Weil jemand Hilfe braucht, sie können nicht so lassen, weil sterben in den (-) in den (--) äh können auch sterben alleine.“ Frau Gomez sieht ihre Geduld im Gegensatz zur Hektik der Pflegerinnen im Altenheim. Während ihre Kolleginnen die Aufgaben möglichst schnell und effizient erledigen, arbeitet sie langsamer, wird dafür aber von den Bewohnerinnen und Bewohnern gelobt. Antonia Gomez ist der Meinung, dass es wichtig sei, sich um alte Menschen zu kümmern, weil diese viel zu oft allein sind. Aufgrund dieser Einstelllung habe ich dem Interview das Motto: „Die Mitfühlende“ gegeben.

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Funktion des Engagements Frau Gomez hat in ihrem Heimatland als Sekretärin in einem Sozialamt gearbeitet und dort erlebt, unter welchen Schwierigkeiten alte Menschen leben. Sie stellt fest, dass sich in Deutschland nur wenige Menschen um ihre alten Familienmitglieder kümmern. Deshalb engagiert sie sich freiwillig im Altenheim und besucht dort regelmäßig zwei Damen. Eine Frau begleitet sie bei Kirchgängen, mit einer anderen geht sie spazieren und unterhält sich. Für die Zukunft wünscht sie sich mehr Unterstützung für alte Menschen und für sich eine Ausbildungsmöglichkeit zur Altenpflegehelferin. Zurzeit hat sie Angst, aufgrund der sprachlichen Hürden ihren Berufswunsch nicht zu erreichen. Sie würde gerne körperbetonte Aktionen wie Sport und Gymnastik für die älteren Menschen anbieten. „Noch nicht so lange, aber ich habe hier äh ich HOFFE MEHR Kontakte zu haben. Meine Probleme ist, ich kann nicht so gut sprechen. Weil IMMER ich lese ein deutsche Buch und dann IMMER ich vergesse. Weil ich habe nicht praktiziert. Ich brauche praktisch Sprache.“Ihre Familie bestärkt sie in dem Wunsch, Deutsch zu lernen und möchte auch, dass ihr Mann mit ihr Deutsch anstatt Spanisch spricht. „Ach so, weil ich niemanden kenne von meine Land. Ich habe nur gesehen ältere Leute Deutsche. NICHT von andere Land, wissen Sie. Weil MIR ist sehr wichtig mit ältere deutsche Leute sprechen und kümmern. Weil ich möchte WEITER lernen, weiter sehr gut Deutsch sprechen auch.“ Zum einen engagiert sich Frau Gomez für Deutsche, weil sie die Sprache lernen möchte, zum anderen kennt sie aber auch keine älteren Menschen aus ihrem Heimatland, die in Deutschland leben. Sie erhofft sich neue Bekanntschaften und Freundschaften. Mit ihren Kollegen bestehen die Kontakte aber nur in der Arbeit, da niemand Zeit hat und sogar die Pausen getrennt und zu unterschiedlichen Zeiten stattfinden.

Gesprächsinhalte

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Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Bezug zur Aufnahmegesellschaft Engagementbeschreibung Emanzipation Integration Bezug zum Herkunftsland Migrationsprozess Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Migration und Engagement 107

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

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Anerkennung Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Diskriminierung Motive Einstellung zur Arbeit Lernerfahrungen im Engagement Freunde Gesellschaftsbild und Kritik Teilhabe

Zwischenbilanz: Spracherwerb Lena Galinski, Joanna Novak, Antonia Gomez Den Aspekt „Spracherwerb“ als Motivation für das freiwillige Engagement möchte ich hier ausführlicher darstellen und auf die verschiedenen sprachlichen Dimensionen, die sich gezeigt haben, eingehen. Dazu gehören: • Die Kommunikation im Interview • Die Haltung gegenüber dem Erlernen der deutschen Sprache • Die Funktion des bürgerschaftlichen Engagements in Bezug auf den Spracherwerb Die Kommunikation im Interview: Auffällig war zunächst bei allen drei Gesprächspartnerinnen die große Sorge im Vorfeld des Interviews, nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse zu verfügen, um ein Gespräch über ihr Engagement führen zu können. Die Interviewpartnerinnen zögerten daher zunächst, dem Interview zuzustimmen und verwiesen darauf, dass sie sich noch im Lernprozess befinden. Die größte Hürde für das Interview war damit die Sprache. Dieses Problem wurde von ihnen auf unterschiedliche Art und Weise gelöst. Frau Galinski und Frau Novak brachten ihr Wörterbuch mit zu dem Gespräch. Zuvor hatten sie sich bei mir vergewissert, ob dies möglich sei. Frau Galinski nutze es zwar nicht, trotzdem hatte ich den Eindruck, dass es ihr Sicherheit verlieh. Die Verständigung war ohne größere Schwierigkeit möglich. Dabei schien sie sehr konzentriert zu sein. An einigen Stellen korrigierte sie sich selber, wenn ihr grammatikalische Fehler unterlaufen waren. Frau Novak dagegen schlug eine Vielzahl von Wörtern nach, wohl auch, um ihre Nervosität und Unsicherheit zu bekämpfen. Dennoch empfand ich die Verständigung als problemlos, auch wenn Frau Novak sagte, dass sie sich aufgrund der mangelnden Sprachkenntnisse oft „dumm vorkomme“. Sie

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

brauchte oft längere Pausen, um sich zu konzentrieren und ihre Gedanken in Worte zu fassen. Frau Gomez wählte eine ganz andere Lösung. Sie benutzte einen vorbereiteten Zettel mit Aussagen zu ihrem Engagement, den sie mir zu Beginn des Interviews vorlas. Dabei listete sie in erster Linie die Gründe für ihren Einsatz auf. Dies zeigte mir, dass sie sich intensiv auf das Gespräch vorbereitet und sich vor allem Gedanken zu ihrer Motivation für ein freiwilliges Engagement gemacht hatte. Im Laufe des Gesprächs wiederholte sie von Zeit zu Zeit diese ersten Aussagen und beschränkte sich auch im Wesentlichen auf die dort verwendeten Wörter. Die Kommunikation in diesem Gespräch war von allen Interviews die schwierigste, weil Frau Gomez erst seit einiger Zeit Deutschkurse besuchte. Für mich bestand die Lernerfahrung darin, möglichst einfach formulierte Fragen zu stellen und mich sehr genau auf das Gespräch zu konzentrieren, um ihre Aussagen in den richtigen Zusammenhang zu stellen. Alle drei Interviewpartnerinnen, die durch das Engagement in erster Linie ihre Sprachkompetenz erweitern wollten, waren also in der Lage, das Gespräch mit mir ohne gravierende Kommunikationsschwierigkeiten zu führen. Ich schließe daraus, dass es auch im Engagement für sie möglich ist, Kommunikation in der deutschen Sprache zu führen, auch wenn es einer hohen Konzentrationsleistung bedarf, die zu den anderen Belastungen des Einsatzes (Frustration, Stress, Lärm etc.) hinzukommt. Nicht nur von Seiten der Engagierten bedarf es dieser Konzentrationsleistung, sondern eben auch – wie ich selber als Interviewende feststellen konnte – von Seiten der Kolleginnen und Kollegen und der zu betreuenden Personen. Die Haltung gegenüber dem Erlernen der deutschen Sprache: Die drei Gesprächspartnerinnen haben eine genaue Auffassung über das Erlernen der deutschen Sprache. Weil sie in der Bundesrepublik bleiben möchten, ist es für sie von großer Bedeutung, sich auf Deutsch unterhalten zu können. Daher nehmen sie an Sprachkursen teil und versuchen, so oft es geht, an ihren Einsatzstellen und im Alltagsleben ihre sprachlichen Kompetenzen zu erweitern. Trotz vieler Schwierigkeiten, von denen die drei Frauen berichten, halten sie an ihrem Wunsch fest, die deutsche Sprache zu erlernen. Es ist für sie die Voraussetzung zu einer aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie gehen davon aus, nur auf diese Weise die Möglichkeit zu haben, Beziehungen zu Deutschen einzugehen und sich in der Gesellschaft zurecht zu finden. Freundschaften zu schließen ist für alle Gesprächsteilnehmerinnen wichtig. Zwar pflegen sie Kontakte zu anderen Migrantinnen und Migranten (meist aus demselben Herkunftsland), doch fehlt ihnen der Anschluss an gleichaltrige Deutsche. Den Grund für diese Exklusion sehen sie in ihren mangelnden Sprachkenntnissen. Sie verweisen darauf, dass es den deutschen Kolleginnen und Kollegen oftmals an Geduld fehle, um sich mit ihnen zu unterhalten, weil 109

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

diese dann gezwungen sind, langsam zu reden und wenn nötig, Sätze zu wiederholen. Nicht nachvollziehen können die Frauen, dass Menschen in Deutschland leben, ohne die Sprache des Landes zu sprechen. Frau Galinski erklärt sich dieses Phänomen mit der Angst vor dem Fremden. Ihrer Meinung nach ziehen sich viele Migrantinnen und Migranten zurück, weil ihnen der Mut fehlt, auf unbekannte Menschen zuzugehen. Für alle drei Interviewpartnerinnen kam jedoch nicht in Frage, sich deshalb zurückzuziehen. Sie führen ihre Aufgeschlossenheit darauf zurück, dass sie von Natur aus „offene Menschen“ sind, die gerne Neues erleben. Dennoch bleibt die Sprache aus ihrer Sicht die größte Hürde auf dem Weg zur gesellschaftlichen Teilhabe. Die Funktion des bürgerschaftlichen Engagements in Bezug auf Spracherwerb: Frau Galinski, Frau Novak und Frau Gomez nutzen das bürgerschaftliche Engagement, um ihre Sprachkompetenz zu verbessern. Bei Frau Gomez ist in diesem Zusammenhang das Netzwerk innerhalb ihres Einsatzes besonders bemerkenswert. Die alte Dame beispielsweise, die sie besucht, ist mit ihr eine Art Vertrag eingegangen. Frau Gomez, die u.a. ein Ausbildungsjahr als Friseurin in ihrem Heimatland absolviert hat, frisiert die alte Dame, cremt sie ein und massiert ihr die Arme. Auf der anderen Seite soll Frau Gomez der Dame Gedichte vorlesen oder sich mit ihr unterhalten. Dabei verbessert die Seniorin die deutsche Aussprache und Grammatik der Migrantin. Beide profitieren also von der Situation des bürgerschaftlichen Engagements. So berichten die drei Engagierten in der Konsequenz des Einsatzes davon, dass es ihnen – nach anfänglichen Schwierigkeiten – gelungen ist, durch ihre Tätigkeit die deutschen Sprachkenntnisse zu verbessern. Allerdings geben die beiden jungen Polinnen zu bedenken, dass eine Kindertagesstätte nicht der geeignetste Ort für dieses Ziel ist, da die Kinder lediglich über einen reduzierten Wortschatz verfügen und die Engagierten selber nicht von ihrem Gegenüber verbessert werden. Von den Erzieherinnen werden sie zwar unterstützt, aber erst auf Nachfrage verbessert. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Kolleginnen vorsichtig sind und nicht gegen den Willen der freiwillig Engagierten Fehler im Sprachgebrauch kritisieren möchten. Bemerkenswert ist aber, dass die jungen Frauen genau dies erwarten.

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Wunsch nach Zugehörigkeit: Hala Brunner Tabelle 6: Vita Hala Brunner Alter Fam.HerStand kunft 45 Verhei- Palästina ratet, 3 Kinder

Engagement

Beruf

Motto

Nachbarschaftshilfe, arabische Frauengruppe

Kranken- Die schwester Pragmatische

„Es gibt einem ein gewisses Selbstbewusstsein. Also, ich finde schon. Man, man findet Anerkennung.“

Frau Brunner ist Krankenschwester und Mutter von drei Kindern. Ihren deutschen Mann hat sie während ihrer Ausbildung in Hamburg kennen gelernt. Kurz nach der Hochzeit sind die beiden aufgrund eines Jobwechsels ihres Mannes nach München gezogen. Frau Brunner war in ihrer Kindheit im Internat im Ausland und hat dort bereits Deutsch gelernt. Nach dem Abitur wollte sie Krankenschwester werden. Da dies in Jerusalem jedoch nur mit dem Abschluss eines kostenintensiven Studiums verbunden war, begann sie, über den Kontakt zu deutschen Nonnen eine Krankenschwesternausbildung in Hamburg. Im Schwesternwohnheim gelang es ihr, Freundschaften zu Deutschen zu schließen. Zusätzlich hatte sie zu Beginn Kontakt zu anderen Migranten aus Jerusalem, die ebenfalls in Hamburg lebten. Als ihre Stärken benennt Frau Brunner ihre Menschenkenntnis und ihre Freude an der Arbeit mit anderen. Zwar war ihre Mutter zunächst gegen ihren Umzug nach Deutschland, durch die Unterstützung ihrer Brüder wurde es ihr aber dennoch möglich, die Mutter zu überzeugen, sie allein ins Ausland gehen zu lassen. Nachdem Frau Brunner sich einige Jahre in der Nachbarschaftshilfe engagierte und dabei fast ausschließlich mit deutschen Frauen zusammen arbeitete, leitet sie seit etwa drei Jahren eine arabische Frauengruppe, die sich monatlich trifft. Sie organisiert Veranstaltungen zu unterschiedlichen die Frauen betreffenden Themen und hilft ihnen bei der Bewältigung von Alltagsproblemen. „Und das ist für mich sehr interessant, äh auch zu sehen, dass in der arabischen Welt AUCH viele unterschiedliche Ethnien gibt, verschiedene Religionsrichtungen, äh auch unterschiedliche WELTANSCHAUUNGEN und das sind andere TRADITIONEN.“ Die Unterschiedlichkeit der Ethnien in der arabischen Welt, die in der Frauengruppe aufeinander treffen, und mit denen sie umgehen muss, faszinieren Frau Brunner. 111

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Gesprächsatmosphäre Kennengelernt hatte ich Frau Brunner bereits 2004 im Rahmen einer gemeinsamen Weiterbildung. Im Kontext dieser Ausbildung kam ich mit ihr ins Gespräch und erfuhr von ihrem freiwilligen Engagement. Bei einem Nachtreffen der Ausbildungsgruppe sprach ich Frau Brunner bezüglich meines Interviewwunsches an. Sie war sofort bereit, mit mir ein Gespräch über ihren Einsatz zu führen und vereinbarte mit mir einen Gesprächstermin. Zum Interviewtermin kam Frau Brunner eine halbe Stunde zu spät, hatte dies aber zuvor telefonisch angekündigt. Sie wirkte deshalb zunächst etwas gehetzt und fragte, ob das Gespräch länger als eine Stunde dauern würde, da sie im Anschluss noch mit einer Freundin verabredet sei. Im Laufe des Interviews meldete sich die Freundin aber auf dem Handy, so dass Frau Brunner eine spätere Zeit vereinbaren konnte. Von diesem Zeitpunkt an war sie deutlich ruhiger. Die Gesprächsatmosphäre war locker und es kam zu keinen weiteren Unterbrechungen. Das Interview dauerte 2,5 Stunden.

Interpretative Ansätze Motto: Die Pragmatische Wie ein roter Faden zieht sich die pragmatische Lebenseinstellung durch das Interview. Ihr Zugang zum Engagement beispielsweise ergibt sich durch einen Umzug und den Wunsch, neue Bekanntschaften zu schließen. Dies beschreibt sie wie folgt: „[…] bin ich einfach hingegangen und einfach um Kontakte zu knüpfen.“ Diskriminierungserfahrungen will sie nicht wahrnehmen, weil diese sie nur behindern würden. Ihre positive Lebenseinstellung zeigt sich in der Fokussierung auf bereichernde Alltagsaspekte, deshalb habe ich dem Interview die Überschrift „Die Pragmatische“ gegeben.

Funktion des Engagements Frau Brunner möchte eine freiwillige Arbeit ausüben, die ihr Spaß macht und von welcher andere profitieren. Der Wunsch, ihre Zeit sinnvoll einzusetzen, steht für sie im Mittelpunkt. Wenn andere ihr das Gefühl der Anerkennung geben, weiß sie, dass sich ihr Einsatz gelohnt hat. Frau Brunner profitiert von ihrem Engagement, weil es ihr Selbstwertgefühl stärkt. Den Zugang zu ihrem ersten freiwilligen Engagement hatte sie durch den Umzug in einen Vorort von München. Da sie mit ihren Kindern tagsüber allein war, schloss sie sich der Kindergruppe der Nachbarschaftshilfe an und übernahm später selber die Gruppenleitung, bis ihre Kinder zu alt wurden. Sie hat die Nachbarschaftshilfe positiv wahrgenommen und war daher motiviert, 112

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

sich selber zu beteiligen. Außerdem war ihr Einsatz mit den Bedürfnissen ihrer Familie gut vereinbar. Das Engagement anderer Beteiligter hat ihr sehr imponiert und sie zusätzlich motiviert. Auch heute hat sie noch sporadischen Kontakt zur Nachbarschaftshilfe: „Ja. (-) es ist natürlich es äh (-) wie soll ich sagen, ist interessant, wenn man das Gefühl hat, äh (--) die DEUTSCHEN SEHEN das schätzen das. Dann FREUT man sich auch und fühlt sich gut und das ist schön. Es wird auch angenommen.“ Nachdem sie das primäre Ziel der Zugehörigkeit zur Gruppe der Nachbarschaftshelfer erreicht hatte und sich auch integriert fühlte, nutze Hala Brunner vor ein paar Jahren die Gelegenheit, sich für ihre eigenen Landsleute einzusetzen und versteht sich heute als Vermittlerin zwischen den Kulturen. Spaß gemacht haben ihr beide Einsätze, aber ihr Engagement für die arabischen Frauen liegt ihr besonders am Herzen. Einen wesentlichen Unterschied zwischen sich und den arabischen Frauen sieht sie im Verständnis der Frauenrolle. Sie möchte ihnen bei der Integration behilflich sein und ihnen die deutsche Kultur näher bringen. Das Interessante an diesem Interview ist, dass es einen Wechsel des Engagements vom Einsatz für Deutsche hin zum Engagement für arabische Frauen gibt. Auf den Vergleich des Engagements wird im Verlauf der Arbeit noch detaillierter eingegangen. Es kann jedoch schon an dieser Stelle vermerkt werden, dass es sich um einen Motivwechsel vom Wunsch nach Zugehörigkeit hin zur Unterstützung anderer bei ihrer Integration handelt.37

Gesprächsinhalte

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Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Bezug zur Aufnahmegesellschaft Engagementbeschreibung Emanzipation Integration Bezug zum Herkunftsland Bezug zur Herkunftsfamilie Migrationsprozess Darstellung von Kindheit und Jugend Einleben in Deutschland Frau Brunner hilft anderen Migrantinnen beim „Ankommen“ in der deutschen Gesellschaft. Auf diesen Aspekt des bürgerschaftlichen Engagements gehen auch Julian Hans u.a. ein., Quelle: Hans, Julian/Schenk, Arnfried/Wiarda, JanMartin/Justus, Nele, Die Lotsen. Wie Migranten einander beim An- und Weiterkommen in Deutschland helfen. In: Die Zeit. Frankfurt am Main: Zeit GmbH 14.09.2006: S. 71 113

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

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Einstellung zum Engagement Anerkennung Migration und Engagement Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Politische Forderungen Diskriminierung Motive Bedeutung der Sprache Engagementvergleich Deutsche – Migranten Lernerfahrungen im Engagement Freunde Sicht auf Migranten

Nari Hartmann Tabelle 7: Vita Nari Hartmann Alter Fam.HerStand kunft 49 Verhei- Korea ratet, 2 Kinder

Engagement

Beruf

Motto

Deutschkoreanischer Verein

Kranken- Die schwester Heimatbezogene

„An der Anteilnahme der Leute merke ich, dass es Sinn macht.“

Frau Hartmann ist als Krankenschwester vor 32 Jahren nach Deutschland gekommen. Hier hat sie ihren deutschen Mann kennen gelernt, mit dem sie zwei erwachsene Söhne hat. Auf die Mitteilung, dass ihre Tochter einen Deutschen heiraten wollte, reagierten ihre Eltern zunächst entsetzt. Als sie ihn jedoch kennen lernten, wurde er sehr schnell akzeptiert. Zusätzlich zu ihrer Arbeit als Krankenschwester ist Frau Hartmann als Heilpraktikerin tätig. Wichtigster Migrationsgrund war die Aussicht auf bessere finanzielle und berufliche Möglichkeiten in Deutschland. In Korea hätte sie als dritte von vier Töchtern nie ein Studium zu absolvieren können. Deshalb machte sie eine Krankenschwesternausbildung, ging danach wie viele andere Koreanerinnen nach Deutschland und versorgte durch ihr Einkommen die gesamte Familie in Korea. Dabei wusste sie nicht, dass es zwischen beiden Länder Abkommen über die Gastarbeiter gab. Sie meint, dass sie im Krankenhaus aufgrund ihrer mangelnden Kommunikationsfähigkeit in der deutschen Sprache zunächst für Putztätigkeiten ein114

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

gesetzt wurde. Diese Erfahrung wirkt sich bis heute aus, da sie, obwohl sie nun eine Leitungsfunktion ausübt, noch immer freiwillig die „niedrigen Arbeiten“ übernimmt. Frau Hartmann beschreibt ihr vielfältiges Engagement. Sie unterstützt nicht nur ihren Mann, der als Vorstand Hauptverantwortlicher des deutschkoreanischen Vereins ist, sondern organisiert auch Feste, schreibt Einladungen und sorgt für das gute Miteinander aller. Besonders viel Spaß bereitet ihr die Organisation des Neujahrfestes. Positive Erfahrungen macht sie immer dann, wenn die von ihr organisierten Feste Anklang finden und sie Harmonie spürt.

Gesprächsatmosphäre Anfang 2006 erhielt ich einen Anruf von Herrn Hartmann, der mein Schreiben mit dem Interviewanliegen über den deutsch-koreanischen Verein erhalten hatte. Als Vorstand des Vereins wollte er mir bei der Suche nach Interviewpartnerinnen und -partnern behilflich sein. Er beschrieb die Aktivitäten des Vereins und dessen Ziel, die deutsche und die koreanische Kultur einander näher zu bringen, da dem Verein binationale deutsch-koreanische Paare angehören. Er könne sich vorstellen, dass ein Gespräch mit seiner Frau interessant wäre. Ich dankte ihm und bat ihn, direkt mit seiner Frau sprechen zu können, um einen Termin zu vereinbaren. Daraufhin sprach ich kurz mit Frau Hartmann und einigte mich mit ihr auf einen Gesprächstermin. Als Ort schlug sie ihre Wohnung vor. Da ich zunächst nur mit Herrn Hartmann gesprochen hatte, erwartete ich, dass seine Frau die deutsche Sprache nicht gut beherrscht und sie deshalb ihren Mann bei mir anrufen ließ. Im Gespräch mit ihr konnte ich jedoch feststellen, dass sie sich nahezu perfekt und akzentfrei mit mir auf Deutsch unterhalten konnte. Die Gesprächsatmosphäre war angenehm, es gab keine Unterbrechungen. Das Interview dauerte knapp 2 Stunden.

Interpretative Ansätze Motto: Die Heimatbezogene Auffällig in dem Interview mit Frau Hartmann ist die besondere Bedeutung ihrer Herkunft in Zusammenhang mit ihrem Engagement. Sie engagiert sich in erster Linie für ihre eigenen Landsleute und möchte, dass die deutschen Männer, die auch zu ihrem Verein gehören, „[…] an diese koreanische Kultur herangeführt werden.“ Sie fühlt sich in Deutschland zwar wohl, meint aber: „[…] Du kannst eigentlich hundert Jahre hier leben und wirst nie richtig da sein. Weil es nicht Dein Land.“

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Sie sucht Halt, indem sie sich in erster Linie für Koreaner engagiert und ihr Freundeskreis besteht fast ausschließlich aus Koreanerinnen. Während sie zur Schulzeit ihrer Söhne noch zahlreiche Kontakte zu deutschen Müttern hatte, haben sich diese Bekanntschaften nun verloren. Auf der anderen Seite ist durch die Intensität des Engagements der Kontakt zu Koreanerinnen gewachsen. Aufgrund dieser Besonderheit des Interviews, das konträr zu allen anderen steht, ergibt sich das Motto „Die Heimatbezogene“.

Funktion des Engagements Im deutsch-koreanischen Kulturverein ist Nari Hartmann engagiert, weil sie, wie viele andere Koreanerinnen auch, mit einem Deutschen verheiratet ist und ihrem Mann gerne die koreanische Kultur näher bringen will und gleichzeitig Anschluss an die deutsche Kultur sucht. Sie möchte, dass in der Gruppe ein „Wir-Gefühl“ entsteht, d.h. dass man sich gegenseitig unterstützt und hilft. Sie würde sich nie für Menschen anderer Nationen engagieren, weil sie keinen Bezug zu ihnen hat und ist sich auch nicht sicher, ob sie sich in Korea freiwillig engagiert hätte. Die Gruppe, zu der sich Frau Hartmann in erster Linie zugehörig fühlt, ist also die Gruppe der koreanischen Frauen. Erst im zweiten Schritt ist ihr die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft wichtig. „Das ist ja, wir haben das Fest gestaltet und das gefällt den ALLEN Leuten gut.“ Frau Hartmann wünscht sich mehr Engagement und ein stärkeres „WirGefühl“ unter den Koreanerinnen. Sie fühle sich als Ausländerin, während ihre Kinder sich ihre Identität suchen müssen und sich wohl der deutschen Mehrheitsgesellschaft zugehörig fühlen. Dennoch hat ihr jüngerer Sohn starkes Interesse an der koreanischen Kultur, er hat eine koreanische Freundin, mit der er die Sprache trainiert und beschäftigt sich intensiv mit dem Herkunftsland der Mutter. Trotzdem geht diese davon aus, dass sich die Söhne in der deutschen Kultur verorten.

Gesprächsinhalte

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Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Bezug zur Aufnahmegesellschaft Heimat Engagementbeschreibung Emanzipation Integration Bezug zum Herkunftsland Bezug zur Herkunftsfamilie Migrationsprozess

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

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Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Anerkennung Migration und Engagement Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Diskriminierung Motive Einstellung zur Arbeit Bedeutung der Sprache Engagementvergleiche Deutsche – Migranten Lernerfahrungen im Engagement Freunde Sicht auf Migranten Differenz

Lian Sha Dong Tabelle 8: Vita Lian Sha Dong

Alter Fam.Stand Verhei41 ratet, 2 Kinder

Herkunft China

Engagement

Beruf

Motto

Hausaufgabenhilfe, Elternbeirat

Chemikerin, Ing. für Wasserwirtschaft

Die Suchende

„Von Lehrer aus und auch von Schulleitung aus und auch von Eltern aus äh zeigen die immer Dankbarkeit“

Frau Dong ist Hausfrau, mit einem Mann aus Laos verheiratet, und Mutter zweier Kinder im Alter von 10 und 9 Jahren. Sie lebt mit ihrer Familie in einer Wohnung in einer Kleinstadt in Bayern. Sie stammt aus einem Dorf in China, das sie als „primitiv“ und „konservativ“ bezeichnet. Ihre Eltern dagegen waren weltoffen und haben sie bei ihrem Wunsch unterstützt, zu studieren. Nachdem sie ihr Studium in Wasserwirtschaft abgeschlossen hatte, wurde sie gezwungen, in einem Amt für Zwangsabtreibungen zu arbeiten. Da sie dies innerlich ablehnte, versuchte sie zunächst, über ein Stipendium ins Ausland zu kommen. Als dies scheiterte, reiste sie über verwandtschaftliche Beziehungen in den Niederlanden nach Deutschland. Seit 1986 lebt sie nun in der Bundesrepublik. Den Migrationsprozess beschreibt sie als schmerzhaft für sich und ihre Familie. 117

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Das Einleben gestaltete sich aus ihrer Sicht schwierig, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschte und kein Anschlussfach an ihr Studium fand. Leichter wurde es nach einem halben Jahr, nachdem sie Deutschkurse besucht und erste Kontakte geknüpft hatte. Später absolvierte sie noch ein Chemiestudium, das sie mit 30 Jahren abschloss. Sie lebte während des Studiums bei einer deutschen Familie, die sie wie ihr eigenes Kind behandelte und zu der sie auch heute noch einen sehr guten Kontakt pflegt. Frau Dong engagiert sich in der Hausaufgabenbetreuung. Da sie gemerkt hat, wie viele Kinder ohne Förderung zur Hauptschule gehen müssen, möchte sie diese fördern und motivieren. Sie stößt dabei auf Widerstände von Lehrern und Eltern, weil diese der Meinung sind, sie sei zu hart zu sich und den Kindern.

Gesprächsatmosphäre Anfang 2007 erhielt ich einen Anruf von Frau Sha Dong. Sie erzählte, sie sei eine Migrantin aus China, die mein Anschreiben durch eine Freiwilligenagentur erhalten habe. Sie fände meine Forschung sehr interessant, weil Migrantinnen und Migranten gesellschaftlich nicht wahrgenommen würden. Sie seien zu sehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Sie berichtete, dass sie in der Freiwilligenagentur tätig sei, Hausaufgabenhilfe gebe und sich noch weiter engagieren möchte. Wir vereinbarten einen Termin in der Freiwilligenagentur. Ich hatte den Eindruck, dass Frau Sha Dong großes Interesse an dem Interview hatte und mir ihre Position zum Thema „Migration und Engagement“ erklären wollte. Sie sprach schnell und flüssig, so dass ich keine Bedenken bezüglich der Verständigung hatte. Das Gespräch fand in einem Gruppenraum der Freiwilligenagentur statt. Die Atmosphäre war entspannt, es gab keinen zeitlichen Druck. Das Gespräch dauerte ca. 2,5 Stunden.

Interpretative Ansätze Motto: Die Suchende Wie ihre ganze Familie ist Frau Sha Dong auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, dabei lautet in ihrer derzeitigen Lebenssituation die zentrale Frage: „Und auch eigene Wünsche für die Gesellschaft, so genannte GUTES tun. Aber WAS ist Gute. Ich weiß es JETZT noch nicht, ehrlich gesagt, ich weiß es jetzt immer noch nicht was Gutes.“ Auf der Suche nach Antworten auf ihre Frage unterhält sie sich mit möglichst vielen Menschen und führte auch das Interview auf dem Hintergrund dieser Frage. 118

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Aufgrund dieser elementaren Fragestellung, die sie permanent mit sich trägt, habe ich dem Interview die Überschrift: „Die Suchende“ gegeben. Lian Sha Dong ist sich der Veränderungsprozesse durch das freiwillige Engagement bewusst. Während sie in ihrem Heimatland auf ihre Begabung hin analysiert wurde und daher Wasserwirtschaft studiert hat, weiß sie, dass sie heute eher ihren eigentlichen Interessen nachgehen möchte und sich für das Wesen der Menschen interessiert. Sie bleibt aber auch hier eine Suchende, die sich nicht sicher ist, ob ihr Wunsch, soziale Veränderungen zu schaffen, nicht für immer ein Traum bleiben wird.

Funktion des Engagements Bemerkenswert ist Frau Sha Dongs klare Einstellung zum Integrationsanliegen. Sie ist davon überzeugt, dass sie alles getan hat, um sich zu integrieren. Leider ist sie immer wieder auf Ablehnung gestoßen. Besonders deutlich wird dies auch in ihrem Engagement; denn ihr großes Ziel, deutsche Kinder zu unterstützen, hat sie bisher nicht erreicht. Ihre Vision einer globalisierten nächsten Generation gibt sie trotz aller Widerstände aber nicht auf. „Wenn damals schon entschieden, dann hatte man von innerlich glaube ich schon akzeptiert. HIER als eine Heimat zu wählen. Aber wenn ich auch tausendmal spreche, hier wird nicht so viele Leute meine Meinung sein. I: Mhm. Mhm. Mhm. D: Das ist auch alle Schicksal alle Migranten. Also innerlich glaube ich, wenn alle Leute schon mm HIER mal ähm wählen, dann haben die von Anfang an schon so gedacht, dass hier ihre neue Heimat. I: Ja, Heimat. D: Aber das wird nicht irgendwann, irgendwo akzeptiert. Das ist ja so innerlicher Konflikt aller Migranten. I: Was macht es dann so aus, dass Deutschland jetzt Ihre Heimat ist. Mm, ja was macht das AUS, wie würden Sie das beschreiben, was daran Heimat ist? D: Ja, dieses ist Gefühl, Mensch muss irgendwo zugehörig sein. I: Mhm. D: Man sagt äh, ich bin allein auf der Welt oder ich, ich schwebe nur in der Luft, irgendwo. Das sind die also, ich kenne nur Leute, die ihren Boden verlieren. Für Sie oder auch für andere Deutsche äh VERLANGE ich auch nicht, das zu verstehen. (-) KANN nur Migranten selber verstehen.“

Gleich zu Anfang ihres Aufenthalts in Deutsch bescheinigte man ihr Mut und Kampfgeist und unterstützte sie. So sah sie das Aufnahmeland sehr schnell als Heimat, was allerdings von den Deutschen nicht akzeptiert wurde. Dies wurde zu einem Konflikt in ihrem Wunsch nach Zugehörigkeit. Sie sieht Deutschland in Bezug auf Migration als das strengste Land Europas und hat daher „Mitleid“ mit allen Migranten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sie erfahren musste, dass ihr Wunsch nach Zugehörigkeit nicht erfüllt wird, indem sie sagt, Deutschland sei ihre Heimat. Deshalb beschritt sie durch ihr Engagement einen weiteren 119

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Weg, sich in der deutschen Gesellschaft zu platzieren. Auch erlebt sie Widerstände und Konflikte und kann sich nicht, wie gewünscht, für deutsche Kinder einsetzen, sondern muss einen Umweg gehen, um sich zugehörig zu fühlen.

Gesprächsinhalte

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Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Bezug zur Aufnahmegesellschaft Heimat Engagementbeschreibung Emanzipation Integration Bezug zum Herkunftsland Migrationsprozess Darstellung von Kindheit und Jugend Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Anerkennung Migration und Engagement Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Motive Einstellung zur Arbeit Bedeutung der Sprache Freunde Sicht auf Migranten Gesellschaftsbild und -kritik Bildung

Zwischenbilanz: Wunsch nach Zugehörigkeit Hala Brunner, Nari Hartmann, Lian Sha Dong Anhand des Materials und der Auswahl der Interviewpartnerinnen und -partner zeigt sich die enorme Individualität in bezug auf den untersuchten Gegenstand. Dennoch versuche ich, einige Aspekte hervorzuheben und Vergleichbarkeit herzustellen. Interessant bei den gerade dargestellten Gesprächen ist vor allem, dass Frau Brunner sich ebenso in rein deutschen Kontexten wie in arabischen Commmunities engagiert und Frau Hartmann sich für die Belange des „deutsch-koreanischen Vereins“ einsetzt. Beide sind demnach interessanterweise nicht ausschließlich für die deutsche Mehrheitsgesellschaft tätig. 120

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Zu den verschiedenen Dimensionen des „Wunsches nach Zugehörigkeit“ zählen: • Zugehörigkeit zu einer Gruppe • Zugehörigkeit zur eigenen Community • Zugehörigkeit zur deutschen Mehrheitsgesellschaft Zugehörigkeit zu einer Gruppe: Alle drei Interviewpartnerinnen drücken ihren Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe aus, der zu den Grundbedürfnissen des Menschen zählt. Dabei ist es beispielsweise für Frau Brunner zu Beginn ihres Engagements nicht wichtig gewesen, aus welchen kulturellen Hintergründen sich die Nachbarschaftshilfe, bei der sie tätig wurde, zusammen setzt. Vielmehr stand im Mittelpunkt ihres Interesses der Wunsch nach Anschluss, denn nach ihrem Umzug in ein neues Wohngebiet kannte sie zunächst niemanden aus der Umgebung. Auch Lian Sha Dong versuchte vor allem zu Beginn ihres Aufenthaltes in Deutschland zu möglichst vielen Gruppierungen und Einzelpersonen Kontakt herzustellen, unabhängig von Herkunftsaspekten. Ihr Ziel war es, sich im fremden Land nicht allein zu fühlen und möglichst schnell mehr über Deutschland zu erfahren. Dies gelang ihr besonders durch Kontakte in studentischen Kreisen. Für Frau Hartmann steht dagegen allein das Interesse am Gruppenerleben im Mittelpunkt ihrer Motivation. Sie möchte sich außerhalb ihrer Erwerbsarbeit einer Gruppe zugehörig fühlen. Der Aspekt des „Wunsches nach Gruppenzugehörigkeit“ verbindet demnach die drei Frauen. Dennoch gibt es unterschiedliche Schwerpunkte in bezug auf die Gruppenzusammensetzung. Zugehörigkeit zur eigenen Community: Dieser Faktor ist vor allem für Frau Hartmann von zentraler Bedeutung. Sie engagiert sich zwar in einem deutschkoreanischen Verein, der Kontakt zu anderen koreanischen Frauen steht für sie dabei aber im Vordergrund. Erst in zweiter Linie ergibt sich im Verein inhaltlich auch ein Einsatz für Deutsche, denn fast alle Frauen sind mit deutschen Männern verheiratet und es sollte keine Exklusion der Ehemänner stattfinden. Zudem werden auch verschiedene Aspekte binationaler Partnerschaften thematisiert. Ein positives Miteinander von Deutschen und Koreanern ist Frau Hartmann zwar wichtig, hingezogen fühlt sie sich aber eher zur koreanischen Community. In der Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft denkt sie auch immer öfter darüber nach, ob sie im Alter noch einmal nach Korea zurückkehren möchte, oder ihren Lebensabend in Deutschland verbringen wird. Für Lian Sha Dong ergibt sich aufgrund ihres Herkunftslandes und ihrer persönlichen Geschichte eine andere Situation. Sie hatte zu Beginn ihres Auf121

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

enthaltes in Deutschland keine Möglichkeit, sich einer chinesischen Gruppe anzuschließen, da sie, wie sie selbst sagt, eine „Exotin“ war. So war sie gezwungen, sich andere Netzwerke zu erschließen. Dies war ihr auch ein inneres Bedürfnis, da sie aufgrund der negativen Erfahrungen in ihrem Heimatland kein großes Interesse hatte, sich einer chinesischen Gruppe anzuschließen. Heute möchte sie die deutsche Mehrheitsgesellschaft über die chinesische Kultur informieren, hat aber noch immer wenig Kontakt zu anderen Chinesinnen oder Chinesen. Besonders interessant ist das Beispiel von Frau Brunner. Sie war zunächst vor allem in deutschen Kontexten tätig, leitet aber heute eine Frauengruppe mit arabischen Teilnehmerinnen. Jede ihrer Engagementformen beschreibt sie als bereichernd. In der Zusammenarbeit mit den arabischen Frauen aber fällt ihr auf, dass sie sich eher zur deutschen Gesellschaft zugehörig fühlt. Frau Brunner hat einen kritischen Blick auf ihr Heimatland und die familiären Strukturen, denen die arabischen Frauen auch in Deutschland oftmals ausgeliefert sind. Sie fühlt sich für die Gruppenteilnehmerinnen verantwortlich, sieht sich aber nicht als zugehörig zu dieser Gruppe. Zugehörigkeit zur deutschen Mehrheitsgesellschaft: Frau Brunner fühlt sich stärker zur deutschen Gesellschaft zugehörig. Hilfreich dabei war wohl auch ihr deutscher Ehemann. Der Wunsch nach Anerkennung und Teilhabe zeigte sich bei ihr bereits während ihrer Ausbildung als Krankenschwester in Deutschland. Sie hatte schon da den Wunsch, sich neben der Erwerbstätigkeit freiwillig zu engagieren, doch ihr Begehren wurde abgelehnt, da ein Einsatz, den sie sich vorstellte, zu dieser Zeit in Deutschland noch nicht üblich war. Ihr Zugehörigkeitsempfinden zeigt sich besonders auch zum Ende des Interviews, als sie die deutsche Kultur lobt (Mülltrennung, Höflichkeit, eindeutige Regeln) und sich klar von der arabischen Kultur distanziert (Chaos, Recht des Stärkeren). Durch diese Polarisierung zeigt sich deutlich die Distanz zu ihrem Geburtsland. Frau Sha Dong erwähnt, dass sie sich bereits nach einem halben Jahr als „Deutsche“ gefühlt habe. Ihr Zugehörigkeitsgefühl war demnach von Beginn an vorhanden, aber es fehlte ihr die Anerkennung, was sich unter anderem darin zeigte, dass ihre Studienabschlüsse nicht akzeptiert wurden und sie aufgrund ihrer Lebenshaltung Schwierigkeiten hatte, einen Arbeitsplatz zu finden. Auf der einen Seite distanzierte sie sich sehr stark von ihrer Herkunftskultur, aber auf der anderen Seite ist ihr dennoch bewusst, wie viel an charakterlichen Eigenschaften sie durch ihre Herkunft übernommen hat und lebt; dazu zählt ihre Strenge, ihre Disziplin und der Wunsch, viel für die Gesellschaft leisten zu wollen. Ihre große Motivation für ein freiwilliges Engagement kennzeichnet sich darin, dass sie Kontakte zu deutschsprachigen Menschen schließen und „etwas Gutes“ für das Land, in dem sie lebt, leisten möchte. 122

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Die Frage, was das Gute ist, beschäftigt sie dabei sehr. Hier spiegelt sich die Erfahrung vieler Engagierter, dass der Einzelne gesellschaftlich bedingte Missstände immer nur in einem begrenzten Ausmaß lindern kann. Engagierte müssen die Grenzen ihrer Einflussmöglichkeiten erkennen, um nicht von Schuld- und Versagensgefühlen gequält zu werden, dass sie nicht ausrichten können, was nötig wäre.38 Bei Frau Sha Dong ist ein kritisches Bewusstsein über gesellschaftliche Notlösungen und Flickwerke vorhanden und sie fragt sich, wie ihr Engagement mehr als nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“ sein kann. Sie versucht, Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, in der sie lebt. Frau Hartmann war es besonders wichtig, zur deutschen Gesellschaft zu gehören, als ihre Söhne noch klein waren und in den Kindergarten gingen. Zu diesem Zeitpunkt gelang es ihr, durch verschiedene Tätigkeiten in der Elternarbeit Netzwerke zu deutschen Frauen zu schließen. Diese blieben aber nicht über einen längeren Zeitraum konstant. In ihrer jetzigen Lebenssituation ist ihr dagegen der Dialog zwischen den Kulturen von großer Bedeutung. Ihre Zugehörigkeit sieht sie aber eindeutig in der koreanischen Community. Sprachlich profitieren die hier dargestellten Frauen von ihrem Engagement mit Deutschen, aber diese Motivation steht für sie nicht an erster Stelle, wie dies bei der ersten Gruppe der Fall ist. Sie engagieren sich in Gruppen, um Zugehörigkeit und Verantwortung zu erleben und damit Anerkennung zu finden. Frau Sha Dong hat noch nicht die geeignete Engagementform für sich gefunden, dennoch ist sie aktiv, um sich für die Gesellschaft einzusetzen. Die geschilderten Motive decken sich mit einer Studie der finnischen Wissenschaftlerin Anne Brigritta Yeung und zweier amerikanischer Wissenschaftler, die unabhängig voneinander die Beweggründe für freiwilliges Engagement untersuchten. Ein Hauptgrund für das Engagement ist, den eigenen altruistischen Werten Ausdruck zu verleihen. Ein weiteres Motiv ist die Befriedigung der intellektuellen Neugierde. Neben dem Aneignen von Fertigkeiten kann das Engagement der Verbesserung oder dem Schutz des Selbstwertes dienen.39 Dies ist auch bei den hier vorgestellten Frauen der Fall. Bei den Vertreterinnen der ersten Gruppe dagegen ergibt sich das Zugehörigkeitsgefühl aus dem Erlernen der deutschen Sprache in ihrer Tätigkeit. Ihr Fokus ist somit ein anderer. Wenn auch Motivationen von Kultur zu Kultur unterschiedlich sein können, so kann man doch feststellen, dass Menschen auch in verschiedenen Ge38

39

Vgl. Schmidtbauer, Wolfgang. Die Identität des Laienhelfers. In: Hohl, Joachim/Reisbeck, Günter, Individuum, Lebenswelt, Gesellschaft: Texte zu Sozialpsychologie und Soziologie. Profil München 1993: S. 218 Vgl. Dolderer, Mirjam, Ehrenamt: Nur etwas für Egoisten? Welche Motive haben Menschen, die sich für die Gemeinschaft zu engagieren? In: Psychologie Heute 2002. Beltz Verlag Weinheim 2002: S. 8 123

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

sellschaften einander sehr gleichen, wie z.B. auch im Wunsch nach Zugehörigkeit. Die wirklichen Unterschiede sind eher oberflächlich und weniger grundlegend, sie zeigen sich beispielsweise in unterschiedlicher Kleidung, bevorzugter Nahrung usw.40 „Sich zugehörig fühlen“ ist aber ein Aspekt, der nicht nur bei den hier dargestellten Frauen eine besondere Bedeutung hat, sondern kulturübergreifend für alle Menschen gilt.

Helfen als Selbstverständlichkeit Engagementerfahrungen im Heimatland: Belgin Schneider Tabelle 9: Vita Belgin Schneider

Alter

48

HerFam.kunft Stand Verheiratet, Türkei 1 Kind

Beruf Engagement Ökologische Prom. Juristin, AgrarwissenInitiativen schaftlerin/ Wirtschaftsingenieurin

Motto

Die Weltbürgerin

„Aber das war in der Türkei ganz normal, also das machen alle“

Belgin Schneider, Agrarwissenschaftlerin, Wirtschaftsingenieurin und promovierte Juristin, ist mit einem Deutschen verheiratet und hat einen vierzehnjährigen Sohn. Sie besitzt eine Wohnung in einem begehrten Wohnviertel einer deutschen Großstadt, in der sie mit ihrer Familie lebt. Zu Beginn des Interviews berichtet sie kurz über ihre verschiedenen Studiengänge und darüber, dass sie gerne unterschiedlichste wissenschaftliche Bereiche kennen lernt und niemals ein „Fachidiot“ sein möchte. Frau Schneider ist bedingt durch Studentenunruhen in der Türkei zum Studieren nach Deutschland gekommen. Zuvor kannte sie das Land lediglich durch einen Besuch beim Oktoberfest. Ursprünglich hatte sie geplant, nach der Beendigung des Studiums wieder in die Türkei zurück zu kehren. Da sie in dieser Zeit aber ihren späteren Mann kennen lernte, blieb sie in Deutschland. Zu ihren Eltern und zu früheren Schulkameraden in der Türkei pflegt sie intensiven Kontakt. Sie ist die Jüngste von vier Kindern. Eine Schwester lebt in Deutschland, im gleichen Stadtviertel wie sie. Zu ihr hat sie eine besonders gute Beziehung, zumal diese ebenfalls bürgerschaftlich engagiert ist. 40

124

Vgl. Maslow, Abraham, Motivation und Persönlichkeit. Rowohlt Reinbeck bei Hamburg 1996: S. 8

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Frau Schneider hat eine eigene ökologische Initiative ins Leben gerufen. Sie engagiert sich gemeinsam mit anderen Frauen für gesunde Ernährung und für den Anti-Raucher-Schutz. Dafür organisiert sie Aktionstage, Demonstrationen und Informationsstände und versucht, die Politik auf die ihr wichtigen Themen aufmerksam zu machen.

Gesprächsatmosphäre Ich hatte über einen Bekannten von Frau Schneiders Engagement erfahren. Über ihre Homepage schickte ich ihr eine E-Mail mit meinem Forschungsanliegen. Sie antwortete mir und gab mir ihr generelles Einverständnis für das Interview. Als ich sie anschließend anrief zeigte sie sich aufgeschlossen und wir verabredeten Termin und Ort für das Gespräch. Zum Schluss des Telefonats erwähnte sie jedoch, dass sie keine Tonbandaufnahme wolle. Ich betonte mehrmals die Anonymisierung der Aufnahme, aufgrund ihrer Unsicherheit verabredeten wir jedoch ein weiteres Telefonat. In diesem zweiten Gespräch lehnte sie ein Interview ab. Drei Wochen später erhielt ich von dem Bekannten, über den ich von Frau Schneider erfahren hatte, eine E-Mail. Er hatte mit ihr gesprochen und ihr verdeutlicht, dass eine Tonbandaufnahme notwendig aber nicht störend für das Gespräch sei und sie sich auf einen Interviewtermin mit mir einlassen könne. Er teilte mir mit, dass ich mich nochmals bei ihr melden könne. Nach dem dritten Telefonat willigte Belgin Schneider in das Interview ein. Sie schlug vor, sich in einem Restaurant in der Nähe ihrer Wohnung zu treffen. Frau Schneider kam pünktlich zu dem Gespräch in das Restaurant, in dem der Geräuschpegel sehr hoch war. Daraufhin lud sie mich ein, in ihre Wohnung zu gehen, die im Haus direkt neben dem Treffpunkt lag. Sie berichtete, dass ihr Sohn zurzeit nicht in der Wohnung sei und wir daher ungestört seien. Zu Beginn des Gesprächs interessierte sich Frau Schneider vor allem für den Ablauf meiner Forschung und zog Parallelen zu ihrer eigenen Dissertation. Erst dann kamen wir auf die wesentlichen Interviewfragen zu sprechen. Die Gesprächsatmosphäre war trotz der anfänglichen Bedenken bezüglich der Aufnahme sehr entspannt. Das Interview dauerte 2,5 Stunden.

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Interpretative Ansätze Motto: Die Weltbürgerin Frau Schneiders Aussage „[…] wir sind alle Weltbürger“ konkretisiert sich auch in ihrem freiwilligen Handeln, dass sich nach dem Motto „Lokal handeln, global denken“ vollzieht. Sie setzt ihr gesamtes Handeln im ökologischen Bereich in den Kontext der ganzen Welt und wird dafür geschätzt: „[…] ich kämpfe auch für Afrika, meinten sie.“ Sie freut sich über die Möglichkeiten der Umsetzung ihrer Ideen in Deutschland und erhofft sich auch weltweite Erfolge. Als Motto bietet sich demnach „Die Weltbürgerin“ an.

Funktion des Engagements Ihr Engagement ist Frau Schneiders wichtigste Betätigung, die sie sehr ausfüllt. Für eine berufliche Tätigkeit bleibt ihr neben dem Engagement keine Zeit. Es bereitet ihr keine Probleme, ohne Bezahlung zu arbeiten; vielmehr sieht sie es als Gewinn, nur für ihre Überzeugungen zu arbeiten. Sie sieht sich als global denkenden Menschen, der sich lokal einsetzt. Es zeigt sich, dass „Freiheit“ für Belgin Schneider ein wichtiger Faktor in ihrem Engagement ist. Daher hat sie wohl auch ihre eigene Initiative gegründet, weil sie diese Freiheit in einer bereits existierenden Organisation wohl kaum gefunden hätte. Das Engagement gibt ihr ein Gefühl der Freude und der Gewissheit, ihren Teil zu einer Verbesserung der Welt beizutragen. Besonderen Spaß macht ihr dabei der Einsatz für andere. Sie erfährt durch ihren Einsatz sinnstiftende Momente. Belgin Schneider genießt die Möglichkeiten, die sich durch ihren Einsatz bieten; so wird sie mit ihren ökologischen Anliegen von Seiten der Politiker in Deutschland gehört, was für sie sehr wichtig ist. „Hm (-). Also ähm (--) ich meine (-) äh Engagement habe ich mein ganzes Leben letztendlich gehabt. Also wie soll ich sagen, das war auch in der Türkei. Meine Eltern (-) äh sind immer engagiert gewesen. Wir haben uns für (-) für die Umwelt dort eingesetzt für (-) für äh für Reinhaltung von Bucht dort und für (-) was weiß ich kleinere Straßen für die Küsten Tourismusgebiet. Für einen ökologisch verträglichen Tourismus haben wir uns eingesetzt. Und Agrotourismus gemacht auch. Ähm, das heißt, von klein an (-) äh bin ich mit Engagement aufgewachsen.“

In der Türkei hat Frau Schneider ehrenamtliches Engagement als etwas Selbstverständliches erlebt. Sie nimmt diese Selbstverständlichkeit mit in ihr Engagement in Deutschland.

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Gesprächsinhalte

• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Bezug zur Aufnahmegesellschaft Heimat Engagementbeschreibung Emanzipation Integration Bezug zum Herkunftsland Bezug zur Herkunftsfamilie Migrationsprozess Darstellung von Kindheit und Jugend Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Anerkennung Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Politische Forderungen Diskriminierung Motive Darstellung in der Öffentlichkeit Einstellung zur Arbeit Bedeutung der Sprache Lernerfahrungen im Engagement Freunde Sicht auf Migranten

Maria Souza-Möller Tabelle 10: Vita Souza Möller Alter 49

Fam.-Stand HerEngagement kunft Verheiratet, Portugal Altenheim, 3 Kinder Elternbeirat

Beruf

Motto

Prom. Die DeutBetriebswirtin sche

„Also meine Eltern waren eigentlich immer in der Pfarrei tätig“

Frau Souza-Möller ist mit einem deutschen Mann verheiratet und hat drei Kinder im Alter von 17, 14 und 9 Jahren. Sie folgte nach dem Abitur vor 29 Jahren ihrer Schwester nach Deutschland. Gemeinsam mit ihrem Mann besitzt 127

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

sie eine Wohnung in München, in der sie mit ihrer Familie lebt. Nach einem einjährigen Sabbatical ist sie zu ihrer Tätigkeit bei einer Bank zurück gekehrt. In dieser Zeit hat sie sich intensiv freiwillig in einem Altenheim und in einem internen Projekt einer Freiwilligenagentur engagiert und führt dieses Engagement nun in kleinerer Form weiter. Obwohl sie in Portugal aufgewachsen ist und beide Elternteile Portugiesen sind, war ihr die deutsche Kultur und Sprache schon sehr früh vertraut. Sie hat eine deutsche Schule besucht und in ihrer Familie wurden deutsche Traditionen gepflegt. Frau Souza-Möller hat sich besonders in Bereichen engagiert, die ihr eigenes Lebensumfeld betroffen haben. So war sie Vorstand in Elterninitiativen und Elternbeiräten. Auch ihr Engagement mit älteren Menschen begründet sie mit der eigenen Lebenswelt, weil ihr Schwiegervater pflegebedürftig war. Ein wesentlicher Motivator ist für sie somit der Bezug zu ihrem Alltag. Auch ihre Religiosität spielt eine entscheidende Rolle in ihrem Engagement. So setzt sie sich mit anderen Christen kritisch über gesellschaftliche Entwicklungen auseinander.

Gesprächsatmosphäre Kennen gelernt habe ich Frau Souza-Möller über meine berufliche Tätigkeit in einer Freiwilligenagentur. Ich hatte sie über Einsatzmöglichkeiten in ihrem Sabbatical beraten. Über mein Anliegen informierte ich sie per E-Mail. Kurze Zeit später antwortete sie mir und zeigte sich sehr erstaunt, dass ich sie interviewen wollte, mit der Begründung „doch keine wirkliche Migrantin“ zu sein oder sich zumindest nicht als solche zu fühlen. Außerdem sei sie doch kaum freiwillig engagiert. Sie verwies auf ihre Schwester, die sich wesentlich mehr engagiere als sie selber, allerdings beziehe sich deren Engagement auf die Unterstützung von bedürftigen Portugiesen. Weil ich ihre Reaktion auf meine Anfrage sehr spannend fand, rief ich sie direkt nach Erhalt ihrer Nachricht an. Ich teilte ihr mit, dass mich sehr interessieren würde, warum sie sich nicht als Migrantin fühle und dass sich unser Gespräch auf ihren Einsatz im Altenheim beziehen würde. Auf diese Weise konnte ich sie davon überzeugen, sich mit mir zu treffen. Wir vereinbarten einen Gesprächstermin in ihrer Wohnung. Zuvor traf ich sie zufällig bei einer Veranstaltung und sie wies mich nochmals darauf hin, dass sie nicht wisse, ob sie für mich die richtige Gesprächspartnerin sei, da sie sich nicht als Migrantin fühle. Die Gesprächsatmosphäre war entspannt. Weil Frau Souza-Möller die Strukturen der Freiwilligenagentur, in der ich tätig war, durch ihre frühere freiwillige Mitarbeit gut kannte, spielten ihre Anliegen bezüglich der für sie wichtigen Themen wie beispielsweise „corporate citizenship“ eine wichtige

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Rolle. Frau Souza-Möller hätte den Focus des Gesprächs sicher gern auf dieses Thema gelenkt und auch andere allgemeine zukunftsweisende Themen innerhalb des bürgerschaftlichen Engagements lagen ihr am Herzen. Mehrfach hatte ich den Eindruck, dass sie das Gespräch weniger auf ihre Person als vielmehr auf die Entwicklung einer Bürgergesellschaft im Allgemeinen beziehen wollte.41 Dabei ging es ihr auch immer um betriebswirtschaftliche Faktoren des Engagements.42 Die besondere Herausforderung des Interviews lag darin, den Gesprächsfaden nicht zu verlieren und es so zu lenken, dass ich alle für mich relevanten Informationen erhalten konnte. Das Interview dauerte ca. 2 Stunden.

Interpretative Ansätze Motto: Die Deutsche Gleich zu Beginn des Gesprächs machte Frau Souza-Möller deutlich, dass sie sich nicht als Migrantin und damit nicht als ideale Gesprächspartnerin für mein Anliegen fühlt. Sie distanzierte sich mehrfach von anderen in Deutschland lebenden Portugiesen. Aufgrund dieser Distanzierung und ihrem mir bereits am Telefon gegebenen Einwand, eigentlich keine Migrantin zu sein, habe ich dem Interview den Titel „Die Deutsche“ gegeben.

Funktion des Engagements Aus ihrem Heimatland kennt Frau Souza-Möller freiwilliges Engagement vor allem im Bereich der Pfarreien, weshalb eine helfende Tätigkeit für sie eine Selbstverständlichkeit ist. Ihre Eltern waren kirchlich sehr aktiv und alle Kinder haben sich diesem Engagement in unterschiedlicher Form angeschlossen. Auch das Engagement von Firmen hat sie in ihrem Heimatland kennen gelernt. Mit der Militärdiktatur wurde jedoch alles verstaatlicht und Hilfemaß41

42

Dieses Thema ist für viele Migrantinnen und Migranten aktuell., Quelle: Szymanski, Mike, Wenn Mustafa und Anatoli grau werden. Wie in Augsburg ein Grieche im Seniorenbeirat die Altenarbeit für Migranten zum Thema machen will. München: Süddeutsche Zeitung Verlag, 02.02.2006: S. 39 Bei Frau Souza-Möller zeigt sich die Verknüpfung von freiwilligem Engagement und strategischem sowie betriebswirtschaftlichen Denken. Dass dies durchaus nicht ungewöhnlich ist, zeigt auch ein Artikel von Konzanze Frischen, die von Social Entrepreneurs, d.h. von Menschen, die sich für andere Einsetzen, aber nicht nur aus Barmherzigkeit, sondern mit strategischem Denken und betriebswirtschaftlichen Konzepten, berichtet. Es ist eine Art Investment, die Rendite sind in erster Linie gesellschaftliche Veränderungen. Das System erfolgt über Microkredite an ausgewähle Entrepreneurs., Quelle: Frischen, Konstanze, Anderen Menschen eine Zukunft geben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Verlagsbeilage B3 23.10. Frankfurt am Main: Die Zeit: 23.10.2007 129

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

nahmen von Seiten des Staates gab es kaum. Frau Souza-Möller ist froh, dass diese Strukturen in Portugal heute wieder aufgebaut werden. Freiwillig engagieren sollte man sich nach Maria Souza-Möllers Meinung nur, wenn man sich mit der Idee lange Zeit auseinandergesetzt hat. Ein innerer Antrieb muss vorhanden sein und ihr Bauchgefühl muss für sie stimmen. Engagement beschränkt sich dabei für sie nicht unbedingt auf eine regelmäßige Tätigkeit, sie sieht auch Möglichkeiten der gesellschaftlichen Beteiligung in eventbezogenen Aktionen. „Und ich glaub, dass ist halt auch ein wichtiger Punkt, man muss, um so was zu machen, muss man (-) muss man glücklich sein. Muss man mit SICH im Reinen sein. Wenn man das macht, (-) um (-) um (-) um sich selber (-) so ne Befriedigung, weil man mit nix zufrieden ist, das klappt dann nicht. Also bin ich jetzt überzeugt. Das es nicht klappt dann.“

Ein freiwilliges Engagement stärkt ihrer Meinung nach die sozialen Netzwerke außerhalb der Arbeitswelt. Wichtig ist Frau Souza-Möller aber, dass man sich nur freiwillig engagieren kann, wenn man selber keine Probleme hat.

Gesprächsinhalte

• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Bezug zur Aufnahmegesellschaft Heimat Engagementbeschreibung Emanzipation Integration Bezug zum Herkunftsland Bezug zur Herkunftsfamilie Darstellung von Kindheit und Jugend Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Anerkennung Migration und Engagement Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Politische Forderungen Diskriminierung Motive Darstellung in der Öffentlichkeit Einstellung zur Arbeit

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

• • • • •

Bedeutung der Sprache Lernerfahrungen im Engagement Freunde Sicht auf Migranten Differenz

Filiz Aydin Tabelle 11: Vita Filiz Aydin Alter 65

Fam.-Stand Herkunft Engagement Verwitwet, Türkei Seniorenbei1 Kind rat, Sozialbetreuung

Beruf Rentnerin, Sozialberaterin

Motto Die Kämpferin

„Ich hab hier als ich da war, für mich war es nicht so besonderes.“

Filiz Aydin hat bis zu ihrer Verrentung als Sozialberaterin gearbeitet. Aufgrund ihres Berufes hat sie Migranten, die Hilfestellung bei ihrer Eingliederung in die deutsche Gesellschaft benötigten, beraten. Sie war aber auch Ansprechpartnerin für Deutsche, die mit Migranten verheiratet sind und Fragen zu kulturellen Unterschieden und damit verbundenen Problemen haben. Ihre Eltern sind verstorben, sie hat vier Geschwister. Als Studentin ist sie 1968 nach Deutschland gekommen, weil hier die Arbeitschancen für sie besser waren als in der Türkei. Nach einem Kurs im Sprach-und Dolmetscherinstitut kehrte sie in die Türkei zurück, kam aber kurze Zeit später mit einem Arbeitsvertrag wieder nach Deutschland und lebt seither in einer bayerischen Großstadt. Eigentlich wäre sie lieber nach Kanada gezogen, doch aufgrund der großen Entfernung zur Türkei gab sie diesen Wunsch auf. Als sie nach Deutschland kam, fiel ihr auf, dass viele türkische Familien benachteiligt sind und sich nicht gut integrieren. So entstand die Idee, sich mit anderen Studierenden ehrenamtlich für diese Menschen einzusetzen. Von Beginn an war ihr dabei die Kooperation mit deutschen Institutionen wichtig. Sie hat Arbeitskreise gegründet, Hausaufgabenbetreuung organisiert und Sprachkurse vermittelt. Wichtiges Thema war und ist ihr die Emanzipation der Frau. „Wir wollten nicht so viel, wir wollten unsere Rechte haben.“ Frau Aydin fühlt sich selber in Deutschland zwar als Ausländerin, weiß aber, dass sie durch ihre Ausbildung, ihre Sprachkenntnisse und ihre Kontakte zu politischen und gesellschaftlichen Gremien eine privilegiertere Stellung hat als viele türkischstämmige Migrantinnen und Migranten. Deshalb setzt sie sich für die Rechte der Ausländer ein.

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Frau Aydin investiert viel Zeit in ihr ehrenamtliches Engagement. Vor ihrer Pensionierung war eine Trennung zwischen bezahlter Arbeit und Ehrenamt kaum zu erkennen. Mittlerweile arbeitet sie ausschließlich freiwillig, erledigt aber im Prinzip die gleiche Arbeit wie zuvor. Auch im Interview wird deutlich, dass sie nicht zwischen ihrer bezahlten und der freiwilligen Tätigkeit unterscheidet, sondern alles fließend ineinander übergeht.

Gesprächsatmosphäre Filiz Aydin hatte meine Telefonnummer von einem Kollegen aus dem Seniorenbeirat erhalten. Sie rief mich an und bat um zusätzliche Informationen. Ich erklärte ihr kurz mein Anliegen und schickte ihr mein Informationsschreiben. Einige Tage später rief ich sie an. Zunächst war sie skeptisch, weil sie zu der Zeit aufgrund eines Umzugs nicht im Seniorenbeirat tätig war. Ich signalisierte ihr aber dennoch mein Interesse und wir vereinbarten einen Interviewtermin. Das Gespräch fand daraufhin in Frau Aydins Büro statt. Nachdem sie mich herein gebeten hatte, sah ich, dass sie an einem großen Tisch saß und Zeitung las was bei mir den Eindruck hinterließ, zu stören. Ich bot an, draußen zu warten. Sie bat mich jedoch, Platz zu nehmen. Zunächst konnte ich sie kaum verstehen, weil sie undeutlich sprach und dabei aß. Weitere Störungen durch Telefonate oder anklopfende Personen kamen hinzu. Zudem hatte ich den Eindruck, dass Frau Aydin das Gespräch als notwendigen Pflichttermin ansah. Obwohl ich sie im Vorfeld darüber informiert hatte, dass unser Gespräch aufgezeichnet wird, lehnte sie die Aufnahme zunächst ab. Ich konnte sie dennoch überreden, sich auf das Gespräch einzulassen. Sie gab zunächst an, nur eine Stunde Zeit zu haben, was mich unter Druck setzte, da die bisherigen Gespräche ca. 2 Stunden gedauert hatten. Frau Aydin erzählte im Gesprächsverlauf jedoch sehr ausführlich und achtete nicht mehr auf die Zeit. Die angespannte Atmosphäre wich im Laufe der Unterhaltung. Nach 2 Stunden und 15 Minuten umarmte mich Frau Aydin zur Verabschiedung zu meiner Überraschung.

Interpretative Ansätze Motto: Die Kämpferin Im Mittelpunkt des Interviews steht die Selbstbeschreibung Frau Aydins, die von sich sagt, sie sei eine Kämpferin. Im Laufe des Gesprächs kommt sie unabhängig von der konkreten Interviewsituation immer wieder auf ihre „Kämpfernatur“ zu sprechen. Sie betont damit den Umgang mit der Lebenssituation in der Fremde, gleichzeitig verdeutlicht sie durch ihre Wortwahl ihr besonderes freiwilliges Engagement. Zu Beginn des Interviews zeigt sie auf, wie skeptisch ihre Landsleute ihrem Einsatz gegenüberstanden: „[…] wollen

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

unsere Kinder äh Christen äh machen (-) aufziehen und so weiter. Wir haben so viel gekämpft.“ Sie benutzt diese Vokabel aber auch im Zusammenhang ihres Einsatzes für die Seniorenarbeit und gegen Diskriminierung. Deshalb bietet sich als Motto des Interviews „Die Kämpferin“ an.

Funktion des Engagements Frau Aydin betont mehrfach, dass sie bei all ihrem Einsatz nicht türkeiorientiert ist. Wesentliches Merkmal ihrer Arbeit sei der Einsatz für ein besseres Verständnis von Deutschen und Türken. Daher organisiert sie gemeinsame Feste zum interkulturellen Austausch. „Ob sie Kurde ist oder Alemanne oder wir ich war für alle da.“ Was auf den ersten Blick als rein eigenethnisches Engagement erscheint, ist auf den zweiten Blick in bemerkenswerter Weise ein Einsatz für Migranten und Deutsche. Interessant ist, dass sie das Engagement für die Deutschen, welche mit Migranten verheiratet sind, nur am Rande oder auf Nachfrage erwähnt. Dies scheint ihr nicht so wichtig zu sein und ist auch offensichtlich kein strategisches Element ihrer Arbeit, sondern eine Selbstverständlichkeit, die sich aus ihrer Haltung ergibt: Wer ihre Hilfe benötigt, wird von ihr unterstützt. In ihrem Büro hängen Bilder von bayrisch-türkischen Festen, welche verdeutlichen, dass ihr die interkulturelle Verständigung sehr am Herzen liegt. Seit einigen Jahren ist sie neben ihrem Engagement für die deutschtürkische Verständigung auch im Seniorenbeirat ihrer Stadt tätig. Sie setzt sich für die Belange aller Senioren ein, wobei sie auch hier besonders die Lebenssituation von älteren Menschen ausländischer Herkunft im Blick hat. „Man äh ja, wissen Sie, das kommt vom inneren Gefühl her. WIE man erzogen ist. Ob man helfen WILL oder ob Deutsche oder andere Ausländische.“ Frau Aydin war bereits in der Türkei aktiv. Genau wie andere Familienmitglieder engagierte sie sich ganz selbstverständlich im sozialen und kulturellen Bereich. Die Herkunft spielt für sie im Engagement keine Rolle. Sie engagiert sich, weil sie es in der Türkei so erlebt hat und in Deutschland einen Bedarf an Engagement in dem ihr wichtigen Einsatzfeld sieht.

Gesprächsinhalte

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Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Bezug zur Aufnahmegesellschaft Heimat Engagementbeschreibung 133

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Emanzipation Integration Bezug zum Herkunftsland Bezug zur Herkunftsfamilie Migrationsprozess Darstellung von Kindheit und Jugend Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Anerkennung Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Politische Forderungen Diskriminierung Motive Darstellung in der Öffentlichkeit Einstellung zur Arbeit Bedeutung der Sprache Lernerfahrungen im Engagement Freunde Sicht auf Migranten

Zwischenbilanz: Helfen als Selbstverständlichkeit: Erfahrungen im Heimatland Belgin Schneider, Maria Souza-Möller, Filiz Aydin Zu der Kategorie „Helfen als Selbstverständlichkeit“ zählt neben der Erfahrung von freiwilligem Engagement im Heimatland auch der Aspekt „Schuldgefühle oder inneres Bedürfnis“. Zu den Dimensionen der „Erfahrung im Heimatland“ zählen: • Familiäre Erfahrungen • Helfen als Merkmal der Kultur • Entdecken von Missständen in der Fremde Familiäre Erfahrungen: Familiäre Erfahrungen hinsichtlich des bürgerschaftlichen Engagements haben alle drei Interviewpartnerinnen in unterschiedlicher Ausprägung erlebt. Da die Eltern von Frau Souza-Möller in kirchlichen Gremien aktiv waren, haben sie ihre Kinder dazu angehalten, sich ebenfalls ehrenamtlich einzusetzen. Ähnlich wie in Deutschland wird die Engagementbereitschaft oftmals von den Eltern übernommen und wie selbstverständlich erlebt. Frau SouzaMöller betont in diesem Zusammenhang, dass sie sich dabei stets frei gefühlt 134

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

hat und das Engagement nicht als Last erlebt hat. Diese positive Erfahrung innerhalb der Herkunftsfamilie möchte sie nun an ihre eigenen Kinder weiter geben. Auch die Art und Weise des Engagements von Belgin Schneider, dem sie heute nachgeht, gleicht dem Einsatz ihrer Eltern. Ihre Tätigkeit im ökologischen Bereich hat ihre Grundlage in der Förderung des Öko-Tourismus der Eltern. Sie wurde von klein auf in diesem Bereich geprägt und setzt sich bis heute dafür ein. Auch sie betont, wie wichtig die Engagementerfahrung im Elternhaus für sie war. Verantwortung für andere zu übernehmen ist ein Leitsatz, den sie im familiären Kontext erlernt hat. Sie möchte ihren Sohn zwar nicht aktiv dazu ermuntern, auch engagiert zu sein, hofft aber durch ihre Tätigkeit ein gutes Vorbild zu sein. Filiz Aydin hat nicht die gleichen konkreten Erfahrungen in ihrer Herkunftsfamilie gemacht, dennoch war in ihrer Kindheit ihre Mutter für sie ein großes Vorbild. Diese kümmerte sich um bedürftige Nachbarn, brachte ihnen Essen oder Geschenke. Vom Vater bekam sie oft mitgeteilt, dass es die Pflicht sei, anderen Menschen Gutes zu tun. Diesen Leitsatz hat sie in ihr Erwachsenenleben übertragen. Sowohl ihr berufliches Engagement als auch ihre freiwillige Tätigkeit sind gekennzeichnet von der Hilfsbereitschaft für andere Menschen. Helfen als Merkmal der Kultur: Während Frau Souza-Möller und Frau Schneider Hilfeleistungen als ein Phänomen betrachten, dass der Kultur übergeordnet ist und sich in allen Gesellschaftsformen findet, betont Frau Aydin, dass „Helfen“ in besonderer Weise ein Phänomen der türkischen Kultur sei. Sie begründet diese Aussage unter anderem damit, dass eine kollektivistische Gesellschaft eher darauf angelegt sei, gegenseitige Unterstützung zu gewähren als eine individualistische Gesellschaft, in der jeder zuerst darauf achte, selber gut versorgt zu sein. Dennoch erlebt sie auch in Deutschland ein hohes Maß an Engagementbereitschaft und möchte mit allen für sie wichtigen Institutionen und Vereinen zusammen arbeiten. Auch Wissenschaftler wie HansWerner Bierhoff gehen davon aus, dass Altruismus innerhalb bestehender Sozialsysteme wie Familie und Beruf in allozentrischen Kulturen stärker ausgeprägt ist als in idiozentrischen Kulturen.43 Unter den Befragten gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, ob bürgerschaftliches Engagement ein wesentliches Merkmal für bestimmte Kulturen ist. Einig jedoch waren sich alle vierzehn Interviewpartnerinnen und -partner darin, dass es in ihren Herkunftsländern weniger organisierte Formen des Engagements gibt. „Helfen“ findet oftmals eher innerhalb familiärer oder nachbarschaftlicher Netzwerke statt. 43

Vgl. Bierhoff, Hans-Werner, Psychologie hilfreichen Verhaltens. Stuttgart: Urban Taschenbücher 1990: S. 28 135

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Festgehalten werden kann, dass die freiwillige Hilfe die Möglichkeit bietet, etwas zu bewirken und das zu tun, was man kann. Die eigenen Fähigkeiten werden ohne großes Aufheben eingesetzt und der Einsatz wird als selbstverständlich gesehen.44 Entdecken von Missständen (oder Unterschieden) in der Fremde: Oftmals, so vor allem auch im Interview mit Frau Aydin, zeigt sich, dass ein wesentlicher Motivator das Entdecken von Missständen in der Aufnahmegesellschaft ist. Frau Aydin beispielsweise war entsetzt, als sie bemerkte, wie ausgeschlossen sich Migrantinnen und Migranten in Deutschland fühlen können, wenn sie die deutsche Sprache und das deutsche Recht nicht in gleicher Weise kennen wie sie selber. Auch bemerkte sie, mit welchen Schwierigkeiten binationale Paare in der Bundesrepublik zu kämpfen haben. Daher beschloss sie, ihren Einsatz auf dieses Feld zu fokussieren. Sie musste feststellen, dass es nur wenig Möglichkeiten für Migrantinnen und Migranten gibt, in Kursen, aber auch im Alltag Sprachkenntnisse zu erwerben und wie schwer es Kinder der aus Familien mit Migrationshintergrund in der Schule haben. All dies bekräftigte ihren Einsatz. Darüber hinaus empfand sie den Umgang mit alten Menschen in Deutschland als unwürdig und beschloss, sich im Seniorenbeirat stärker für die Belange der Betagten einzusetzen. Bei Frau Schneider dagegen wurde das Engagement durch die guten Bedingungen in Deutschland verstärkt. Motiviert durch die Offenheit von Politikern und Institutionen wurde sie zunehmend mutiger, sich im ökologischen Feld einzusetzen. Dennoch sieht sie viele Schwierigkeiten, gegen die sie auch in der Aufnahmegesellschaft kämpfen möchte (Raucherlobby, genmanipulierte Nahrung usw.). Die Interviewten betrachten Deutschland keineswegs unkritisch. Obwohl die soziale Absicherung in aller Regel deutlich stabiler ist als in ihren Herkunftsländern, stellen sie dennoch Mängel fest, die sie dazu motivieren, sich zu engagieren. Grundlage ihres Einsatzes ist für die Interviewpartnerinnen dieser Gruppe aber die Erfahrung im Heimatland.

44

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Vgl. Wuthnow, Robert, Handeln aus Mitleid. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997: S. 39

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Schuldgefühle oder inneres Bedürfnis: Tonio Cifera Tabelle 12: Vita Tonio Cifera Alter Fam.-Stand Herkunft Engagement 45 Verheiratet, Italien Altenheim, 1 Kind Betreuung Jugendlicher

Beruf Agrarwissenschaftler

Motto Der Lockere

„Aber wahrscheinlich man fühlt sich ein bisschen mehr äh sagen wir dieses Schuldgefühl diese sehr egoistische Art zu leben“

Herr Cifera ist mit einer deutschen Frau verheiratet und hat eine vierzehnjährige Tochter. Er besitzt ein Haus in einer Kleinstadt in Bayern, in dem er mit seiner Familie lebt. Zurzeit arbeitet er in der Firma seines Schwiegervaters. Er berichtet, dass er viel gereist ist. Unter anderem war er in Amerika und Frankreich und hat anschließend bei einem Entwicklungshilfeprojekt in Afrika mitgearbeitet. Nach dem prägenden Aufenthalt in Afrika ist Herr Cifera nach Deutschland gekommen, um hier zu arbeiten und mit seiner Frau zu leben. Er pflegt sporadischen Kontakt zu seiner Familie und seinen Freunden in Italien; sein Vater ist gestorben, seine Mutter lebt bei Verwandten. „Und die Freunde sind, äh (--) sagen wir fifty, fifty fifty italienisch deutsch so“ Herr Cifera beschreibt sich als einen Menschen, der seine Freizeit mit verschiedensten sportlichen Aktivitäten füllt und dabei Kontakt zu Deutschen und Italienern pflegt. Durch die Vermittlung einer Freiwilligenagentur betreute er zunächst eine 51-jährige, blinde Frau, die ihm aber zu „schwierig“ war. Danach übernahm er die Aufgabe eines Besuchsdienstes bei einer alten Dame, die lange Zeit in Italien gelebt hatte und daher den Wunsch nach italienischer Konversation verspürte. Nachdem die alte Dame verstorben war, wandte er sich wieder an die Freiwilligenagentur. Derzeit betreut er einen jungen Mann, der im Jugendgefängnis war, weil er versucht hatte, einen anderen Jugendlichen durch Messerstiche zu töten. Mit dem Jugendlichen trifft er sich, unterhält sich mit ihm und unterstützt ihn, wann immer der junge Mann es wünscht. Wichtig ist ihm die Freiwilligkeit des Jungen. Er möchte sich nicht aufdrängen, ihm aber dennoch Hilfe anbieten. Er spricht mit ihm vor allem über seine Lebensgestaltung, über Kontakte zu Gleichaltrigen und zu Mädchen und sieht sich als Mentor.

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Gesprächsatmosphäre Herr Cifera meldete sich telefonisch bei mir, nachdem er meine Nummer über den Leiter des Altenheims, in dem er lange Zeit tätig war, bekommen hatte. Mein spontaner Eindruck war zwiespältig. Herr Cifera schien auf der einen Seite tatsächlich Interesse an einem Interview zu haben, auf der anderen Seite aber fiel es mir schwer, ihn am Telefon zu verstehen, da er einen starken Akzent hat. Wir vereinbarten einen Termin in seinem Haus in einem kleinen Ort in Bayern. Die Gesprächsatmosphäre war entspannt. Frau Cifera begrüßte mich und zog sich dann in ein benachbartes Zimmer zurück. Ein paar Mal kam es zu Unterbrechungen durch das Gebell von Herrn Ciferas Hund. Das Interview dauerte knapp 2 Stunden.

Interpretative Ansätze Motto: Der Lockere Herr Cifera schildert sich als offenen, spontanen Menschen, der sich freut, wenn es anderen gut geht. Eigenschaften wie Schadenfreude und Neid sind ihm fremd. Wichtig ist ihm, im Leben nie die Kontrolle zu verlieren. Er ist ein Mensch, der sich wenig Gedanken um seine Zukunft machen, sondern ganz im Hier und Jetzt leben möchte. „[…] diese ART äh, LOCKER zu sein. Die ProBLEME so, äh (--) nicht alles auf einMAL zu lösen, sondern (-) Stück für Stück, wenn großes ProBLEM kommt, dann denke ich nicht was ich äh , was ich Rente äh, wenn ich in die Rente bin, sondern was ich MORGEN machen könnte, was ist NÄCHSTE Woche was ist NÄCHSTE Monat, ich versuche immer die Probleme so zu teilen (-) so dass nicht zu groß wird, das ist immer für mich wichtig so die STIMMUNG die ich habe (--)und es muss nicht äh unter Druck sein, sonst fühle ich mich nicht mehr wohl. So dass entspricht auch dem Charakter von meiner Frau (-) die ganze Atmosphäre die wir bei uns im Haus ist, immer locker hier wird viel gelacht. Und die Probleme, wie werden ein bisschen geschoben (-).“

Aufgrund der Selbstbeschreibung Herrn Ciferas habe ich dem Interview die Überschrift „Der Lockere“ gegeben.

Funktion des Engagements „Ja, ich habe eine Oma bekommen. Hier habe ich keine Oma mehr gehabt, und das war eine Oma.“An dieser Aussage und auch an der liebevollen Beschreibung der alten Dame wird deutlich, dass Herr Cifera sich durch den Kontakt zu der Frau leichter in der deutschen Gesellschaft verorten konnte. Als wesentlich in diesem Kontakt beschreibt er die Freundlichkeit und Dankbarkeit der alten Dame. 138

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Herr Cifera möchte kein „Missionar“ sein, der andere dazu bringen will, sich freiwillig zu engagieren. Sein Engagement stellt für ihn einen wesentlichen Grundbaustein seiner Lebenszufriedenheit dar. Seine Motivation zu einem freiwilligen Engagement entsteht bei ihm meist nach längeren Phasen, in denen ihm andere Freizeitgestaltungen wichtig waren. Wenn er sich nicht engagiert, fehlt ihm etwas und er spürt, dass er nicht vollständig zufrieden ist. „Aber wahrscheinlich äh man fühlt sich ein bisschen mehr (-) äh (--) sagen wir dieses Schuldgefühl (--) diese sehr egoistische Art zu leben äh. Wahrscheinlich so in dem Bereich. Man beruhigt sich ein bisschen äh und sagt okay, machst Du auch etwas (-)nicht nur zu Deinen Gunsten, bringt so etwas, dass Indirekt äh es ist schon wenn er einen Erfolg hat zum Beispiel, wenn man einen Tipps gibt oder eine Idee, dass er folgt und dass er tatSÄCHLICH eine Verbesserung hat.“

In seinem Alltagserleben begegnen Herrn Cifera immer wieder Menschen, beispielsweise Behinderte, die ihn auf die Idee zu einem freiwilligen Engagement bringen. Die Möglichkeit, durch sein Engagement zu wachsen und zu lernen, sieht er als Bereicherung für sein Leben, insbesondere weil dies seine Schuldgefühle und Gewissensbisse zum Schweigen bringt und ihm das Gefühl, nicht egoistisch zu leben, sondern etwas Sinnvolles zu tun. Zu den Treffen, die durch das Freiwilligen-Zentrum organisiert werden, geht er nur ungern, weil er nicht über sein Engagement berichten möchte und nicht der Meinung ist, Besonderes zu leisten. Auch möchte er nicht über sein Engagement sprechen, da sein Image als „cooler Typ“ dadurch gefährdet wäre. Er hat keine Lust, sein freiwilliges Engagement zu erklären und geht davon aus, dass andere nicht in der Lage wären, ihn zu verstehen. Zudem möchte er sich nicht „größer“ machen als er ist. Er sagt, dass er wesentlich mehr leisten könne, es aber nicht macht. Insgesamt ist er der Meinung, dass Anreize zu einem Engagement fehlen, obwohl generell viel Potential da sei. Für Herrn Cifera hat das Engagement einen hohen Stellenwert in seinem Leben, aber es erscheint widersprüchlich, dass er sein Leben mit seiner Familie und seinen Freunden strikt davon trennt.

Gesprächsinhalte

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Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Bezug zur Aufnahmegesellschaft Heimat Engagementbeschreibung Integration Umgang mit Diskriminierung 139

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

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Einstellung zum Engagement Anerkennung Migration und Engagement Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Diskriminierung Motive Darstellung in der Öffentlichkeit Einstellung zur Arbeit Lernerfahrungen im Engagement Freunde Selbstdefinition als Engagierter

Ahmet Osman Tabelle 13: Vita Ahmet Osman Alter 65

Fam.-Stand Herkunft Engagement Verheiratet, Türkei Mentor im 3 Kinder Schulprojekt

Beruf Motto Rentner, Der ZielBankgerichtete angestellter

„Ich freue mich, wenn ich die Leute auch bisschen helfen kann.“

Herr Osman ist Rentner, mit einer Türkin verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und lebt in einer Wohnung in einer bayerischen Großstadt. Nachdem er mit 22 Jahren nach Deutschland kam, arbeitete er zunächst als ungelernte Kraft in einem großen Betrieb, bevor er bis zu seiner Berentung als Sparkassenangestellter beschäftigt war. Seine Frau folgte ihm vier Jahre nach seiner Ankunft nach Deutschland. Sie war selbständig und hat verschiedene Imbissstände betrieben. Er pflegt intensiven Kontakt zu seiner Familie in der Türkei. Seine Eltern sind verstorben. Da aber alle Geschwister im Herkunftsland leben und er als Rentner über viel freie Zeit verfügt, verbringt er sechs Monate im Jahr in der Türkei. Ahmet Osman schildert sich als offenen Menschen, der „gute Kontakte“ pflegt. Er achtet jeden Menschen unabhängig von seiner kulturellen Herkunft. „Ja, ich habe nichts in der Türkei. Ich bin gekommen 63, mit 22 nach Deutschland. Die andere äh mein Leben in Deutschland verbracht.“ Er hat den Großteil seines Lebens in Deutschland verbracht hat, und auch seine Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Deshalb besteht eine hohe

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Identität mit der deutschen Gesellschaft, zumal er keine sichtbaren Wurzeln in seinem Herkunftsland mehr erkennt. Herr Osman war sowohl in türkischen Vereinen als auch im Ausländerbeirat aktiv und ist nun Vorstand des Dachverbands. Außerdem engagiert er sich im Freiwilligen-Zentrum bei einem Schulprojekt. Als Mentor ist er dort für die Begleitung von engagierten Jugendlichen verantwortlich. Besonderen Spaß bereitet ihm der Umgang mit Schülern, Erziehern und Eltern. Er arbeitet auch gern mit anderen Freiwilligen zusammen. Schwierigkeiten in seinem Engagement kennt er nicht. In türkischen Vereinen berichtet er von seinem Einsatz für die Schüler und erntet dort durchweg Anerkennung. Von Seiten der Eltern kommt ihm ebenfalls viel Dankbarkeit für seinen Einsatz entgegen. Herr Osman berichtet von Migrantinnen und Migranten, die bei ihm Hilfe gesucht haben, weil sie beispielsweise bei der Wohnungsvergabe durch das Wohnungsamt aufgrund ihres Migrationsstatus schlechter behandelt wurden als Deutsche. Er unterstützte diese Hilfesuchenden bei der Durchsetzung ihrer Anliegen auf individueller und politischer Ebene.

Gesprächsatmosphäre Der Kontakt zu Herrn Osman wurde durch einen Kollegen aus einer Freiwilligenagentur hergestellt. Ich kontaktierte Herrn Osman telefonisch. Er schien sofort zu wissen, wer ich bin und wies auf mein Informationsschreiben hin. Wir vereinbarten einen Interviewtermin im Freiwilligenzentrum. Er wollte sich darum kümmern, dass wir einen Büroraum für das Interview zur Verfügung gestellt bekommen. Mein spontaner Eindruck war zwiespältig, weil Herr Osman zwar Interesse an dem Gespräch äußerte, aber einen starken Akzent hatte und am Telefon nur in kurzen, oftmals unvollständigen Sätzen sprach. Ich war mir nicht sicher, wie das Interview verlaufen würde. Ahmet Osman hatte sich auf das Gespräch vorbereitet. Gleich zu Beginn breitete er einige handgeschriebene Zettel auf dem Tisch aus und kam im Laufe des Gesprächs auf diese Aufzeichnungen zu sprechen. Die Gesprächsatmosphäre war angenehm, es gab keine zeitlichen Einschränkungen. Das Interview dauerte 2 Stunden und 15 Minuten.

Interpretative Ansätze Motto „Der Zielgerichtete“ Integriert zu sein und sich daher engagieren zu müssen verläuft wie ein roter Faden durch das gesamte Interview. Unabhängig vom konkreten Thema wiederholt Herr Osman, dass sich Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland leben möchten, engagieren sollen: „[…] wir leben in Deutschland und wir müssen in Deutschland äh genau äh tätig sein wie die Deutschen.“

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Durch seine freiwillige Tätigkeit möchte er nicht nur sich selber integrieren, sondern auch andere Migrantinnen und Migranten dazu bewegen, sich ebenfalls, unabhängig von der Nationalität, für andere einzusetzen. Da Herr Osman mit seinem Engagement das klare Ziel der Integration und Verständigung zwischen den Kulturen verfolgt, bietet sich als Motto für das Interviews „Der Zielgerichtete“ an.

Funktion des Engagements Herr Osman möchte seinen Beitrag zur Verständigung leisten. Fehlverhalten sieht er sowohl bei den Migrantinnen und Migranten, die sich nicht anpassen, als auch bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die Menschen fremder Herkunft ablehnt. „Ich freue mich auch, wenn ich die Leute auch bisschen helfen kann.“ Das Gefühl, helfen zu können, ist für Herrn Osman eine große Befriedigung. „Und ehrenamtlich, warum ich, weil äh (-) wir leben in Deutschland und wir müssen in Deutschland äh genau äh tätig sein wie die Deutschen. Es gibt auch so viele äh deutsche Mitarbeiter, die sich auch ehrenamtlich tätig.“ Er empfindet Dankbarkeit aufgrund der positiven Erfahrungen, die er in Deutschland machen konnte und möchte sich deshalb in genau der gleichen Weise engagieren, wie Deutsche dies tun. Sein Engagement ist von diesem inneren Bedürfnis gekennzeichnet. Ein wichtiger Motivationsgrund für seinen Einsatz ist das Kennenlernen anderer Menschen und der Abbau von Vorurteilen gegenüber seinem türkischen Hintergrund: „Da muss man sich in der Nah kennen lernen.“ Eine Lehrerin, die ausländische Schülerinnen und Schüler ablehnte, konnte er durch seine ehrenamtliche Tätigkeit davon überzeugen, sich auf die jungen Menschen einzulassen und ihnen offen zu begegnen. Seiner Meinung nach sollte sich jeder engagieren, egal ob aktiv oder passiv, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen passen. Für ihn als Rentner sei es besonders leicht, da er viel Zeit zur Verfügung hat. „Ich würde für die jeden Ausländer empfehlen. Weil äh was heißt Ausländer. Wir müssen wir müssen die zusammen machen mit die Deutschen.“ Herr Osman wünscht sich von Migranten eine stärkere Beteiligung in politischen Gremien, außerdem ist ihm eine bessere Verbreitung von Informationen über Möglichkeiten zum freiwilligen Engagement wichtig, damit sich mehr Menschen mit Migrationshintergrund engagieren.

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Gesprächsinhalte

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Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Bezug zur Aufnahmegesellschaft Heimat Integration Bezug zum Herkunftsland Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Anerkennung Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Diskriminierung Motive Einstellung zur Arbeit Bedeutung der Sprache Lernerfahrungen im Engagement Freunde Sicht auf Migranten Teilhabe

Lucia Diaz Tabelle 14: Vita Lucia Diaz Alter Fam.-Stand Herkunft Engagement 39 PartnerSpanien/ Altenheim schaft Deutschland

Beruf Motto Angestellte Das Münchner Kindl

„Dass ich etwas Gutes tu, den Leuten eben ein bisschen Abwechslung geb“

Frau Diaz ist die einzige in Deutschland geboren und aufgewachsene Interviewpartnerin. Da sie aber dennoch einen Großteil ihrer Kindheit und auch ihres Erwachsenenlebens in der Heimat ihrer Eltern, in Spanien, verbrachte und sie interessante Parallelen zwischen beiden Kulturen und dem Leben in beiden Ländern herstellen konnte, habe ich sie in die Auswertung mit einbezogen. Ihre Eltern kamen in den 60er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland, als ihre Mutter mit der älteren Tochter bereits schwanger war. Sie stammen aus einem kleinen spanischen Dorf, aus dem fast alle jungen Menschen aus143

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

gewandert sind. Ihr Vater fand in Deutschland eine Arbeit bei der Bahn. Zunächst hatte die Familie geplant, vor dem Schulbeginn der Kinder wieder nach Spanien zurück zu kehren. Diese Pläne tauchten immer wieder auf, letztendlich blieb die Familie aber in Deutschland. Seit dem Tod ihres Mannes verbringt die Mutter von Frau Diaz die Hälfte des Jahres in Spanien bei Freunden und Verwandten. Lucia Diaz beschreibt sich als einen Familienmenschen, der sehr an seiner Mutter hängt. Diese Anhänglichkeit wird von Freunden und Kollegen oft belächelt, trotzdem hält sie den engen Bezug zur Mutter aufrecht. Ihre Mutter steht für sie, anders als bei ihrer Schwester, an erster Stelle. Ihre Eltern haben ihre Schwester und sie sehr frei und „europäisch“ erzogen, so dass die Mädchen immer mehr Freiheiten hatten als die Cousinen und Cousins in Spanien. Bei der Familie in Spanien kommt Frau Diaz Lebenswandel nicht gut an, weil sie einen festen Sexualpartner hat, mit dem sie aber nicht verheiratet ist. Sie ist sehr früh von daheim ausgezogen und ihre Eltern wurden dafür vehement von den Verwandten angegriffen, was das Verhältnis massiv gestört hat. Auch bei der Beerdigung des Vaters in Spanien gab es Schwierigkeiten zwischen Frau Diaz und der spanischen Verwandtschaft. Frau Diaz engagiert sich in einem Altenheim. Mittlerweile betreut sie im dritten Jahr die dritte Seniorin, die beiden ersten sind verstorben. Ihr Ziel ist es, Gutes zu tun und den alten Menschen eine Abwechslung zu bieten.

Gesprächsatmosphäre Ich hatte von einer Kollegin aus einem Seniorenheim vom freiwilligen Engagement von Frau Diaz erfahren. Nachdem sie sich gegenüber der Kollegin positiv zu einem Interview geäußert hatte, rief ich sie an und wir vereinbarten einen Termin in der Caféteria des Altenheims. Zwar wirkte Frau Diaz am Telefon etwas verunsichert und fragte nach, ob sie tatsächlich eine interessante Interviewpartnerin für mich sein könne. Der erste Eindruck war jedoch sehr positiv, weil sie gesprächsbereit war und akzentfrei Deutsch sprach, sodass ich mir keine Sorgen bezüglich der Verständigung machen musste. Frau Diaz erschien pünktlich zum Gesprächstermin. Die Gesprächsatmosphäre war von Anfang an gut. Frau Diaz wirkte sehr offen und sprach ohne größere Erzählaufforderungen. Für sie schien das Interview eher einen Gesprächs- und Plaudercharakter zu haben, da sie vor allem bei ihrer Familiengeschichte weit ausholte. Alle von mir geplanten Themen konnten angesprochen werden. Das Interview wurde durch ihre perfekten Deutschkenntnisse erleichtert und die Hintergrundgeräusche der Caféteria störten kaum. Das Interview dauerte 1 Stunde und 40 Minuten.

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Interpretative Ansätze Motto: „Das Münchner Kindl mit spanischen Eltern“ Gleich zu Beginn des Interviews bezeichnet sich Frau Diaz als „Münchner Kindl mit spanischen Eltern“ und konkretisiert im Laufe des Gesprächs diese Aussage, indem sie sagt, dass sie zwar spanische Eltern habe, sich jedoch mehr als Deutsche denn als Spanierin fühle. Das Interview ist geprägt von der Suche nach Heimat und Verortung in einem der beiden Länder. Je älter sie wird, desto stärker fühlt sie sich nach Spanien hingezogen, dennoch ist München ihr Zuhause. Sie fühlt sich hin und her gerissen zwischen beiden Ländern. Da sich das ganze Interview um ihre Verortung und kulturelle Identität dreht, bietet sich als Motto „Das Münchner Kindl mit spanischen Eltern“ an.

Funktion des Engagements Frau Diaz wuchs ohne Großeltern auf, was sie sehr geprägt hat. „Und (-) FEHLENDE Großeltern, also okay, ich hab die immer gesehen, die eine Oma ist gestorben, da war ich DREI Jahre alt. Die andere Oma ist gestorben, da war ich elf. War der Grund, warum mir irgendwie die Großeltern gefehlt haben, Großväter hab ich GAR nicht kennen gelernt. Und das war irgendwie so wo ich gesagt hab, ich hab von der ZEIT her, wo ich sag, da kann ich was machen. Und dann hab ich eben wie gesagt, was mit alten Leuten, komme mit alten Leuten.“

Es ist für Frau Diaz eine Selbstverständlichkeit, sich in der Freizeit ehrenamtlich im Altenheim zu engagieren, weil sie nach der Arbeit Zeit hat und sich auch in Spanien gern mit älteren Menschen unterhält.

Gesprächsinhalte

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Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Heimat Emanzipation Integration Bezug zum Herkunftsland Bezug zur Herkunftsfamilie Darstellung von Kindheit und Jugend Einstellung zum Engagement Anerkennung Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Politische Forderungen 145

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

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Diskriminierung Motive Einstellung zur Arbeit Bedeutung der Sprache Lernerfahrungen im Engagement Freunde Selbstdefinition als Engagierte

Zwischenbilanz: Helfen als Selbstverständlichkeit – Schuldgefühle oder inneres Bedürfnis Tonio Cifera, Ahmet Osman, Lucia Diaz Zu dem Aspekt des „Helfens als Selbstverständlichkeit“ gehört auch die Motivation, die eher von Schuldgefühlen und inneren Bedürfnissen gelenkt als durch äußere Faktoren wie familiäres Engagement geprägt ist. • Schuldgefühle • Inneres Bedürfnis Schuldgefühle: Von Schuldgefühlen als Motiv für das bürgerschaftliche Engagement spricht ausschließlich Herr Cifera. Er nennt zwar nicht die genaue Ursache dieser Schuldgefühle, beschreibt aber, dass es ihm nicht gut geht, wenn er sich über einen längeren Zeitraum nur mit sich selber beschäftigt, nicht jedoch für andere Sorge trägt. Dieses Schuldgefühl „zwingt“ ihn letztlich dazu, sich für andere einzusetzen. Dabei erlebt er gleichzeitig ein hohes Maß an Anerkennung, die er aber nicht annehmen möchte. Er beschreibt seinen sozialen Beitrag als „nichts“. Wiederholt denkt er darüber nach, sich intensiver zu engagieren, möchte aber auch seine Familie nicht vernachlässigen. Außerdem ist ihm neben Beruf und Hobby vor allem die Wahrung seiner Privatsphäre sehr wichtig. Die Schuldgefühle rühren nicht von seinem Glauben, wie ich zunächst annahm. Zwar beschreibt er sich als gläubigen Menschen, hat jedoch einen ganz eigenen Umgang mit religiösen Riten und Pflichten. Da er sich auf der einen Seite als „lockeren“ Menschen betrachtet (was eben auch in der Interpretation seines katholischen Glaubens deutlich wird), ist der Widerspruch zu seinen Schuldgefühlen besonders auffällig. Seine Schuldgefühle entstehen wohl eher daher, dass er den Eindruck hat, ein sehr gutes und wohlhabendes Leben zu führen. In der Kindheit hat er andere Erfahrungen gemacht und empfindet heute noch, dass er den nun erlebten Wohlstand nicht verdient hat. Daher fühlt er sich verpflichtet, sich einzusetzen. Dennoch kann man sein Engagement meiner Meinung nach nicht mit dem „klassischen Ehrenamt“ gleichsetzen. Herr Cifera setzt seiner Einsatzbereitschaft Grenzen. Er nimmt längst nicht jede Aufgabe, die ihm angeboten wird, an. Stattdessen prüft er sehr genau, ob die Tätigkeit in sein derzeitiges Lebensmuster passt 146

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

und er auch von dem Einsatz für sich profitieren kann. Sehr deutlich wurde dies bei der Arbeit mit der älteren Dame, die für ihn eine Art „Omaersatz“ war. Inneres Bedürfnis: Ahmet Osman und Lucia Diaz erklären auf die Frage nach der Motivation für ihr Engagement, es sei ihnen ein inneres Bedürfnis zu helfen. Ähnlich wie Herr Cifera ist auch Frau Diaz mit einer älteren Dame in Kontakt gekommen, die für sie einen „Omaersatz“ darstellt. Sie setzt sich jedoch nicht aufgrund von Schuldgefühlen ein, sondern möchte eine sinnvolle Tätigkeit ausüben, um Lebenszufriedenheit zu erlangen. Da ihr dies in der Arbeit nicht gelingt, engagiert sie sich neben dem Einsatz im familiären Umfeld freiwillig im Altenheim. Sie beklagt wie viele andere Interviewpartnerinnen und -partner die Lebenssituation alter Menschen in Deutschland. Außerdem geht sie davon aus, dass sie selber im Alter in einem Seniorenheim leben wird und erhofft dann auch für sich Besuche von freiwilligen Helfern. Man könnte daraus schließen, dass es eher ein strategisches Denken ist, von dem sie sich leiten lässt, auch wenn man davon ausgeht, dass Kooperation sich auf Dauer auszahlt und die Hilfeleistung leichter fällt, wenn man im Notfall mit einer Gegenleistung rechnen kann45. Letztlich aber gibt keine konkrete Perspektive dafür, dass Frau Diaz im Alter von ihrem jetzigen Einsatz tatsächlich profitieren könnte. Vielmehr erlebt sie im Engagement Zufriedenheit und innere Ruhe. Dies ist ihr innerer Motivator. Auch Herr Osman kennzeichnet seine Motivation als inneres Anliegen. Er empfindet Dankbarkeit der deutschen Gesellschaft gegenüber und möchte daher etwas zurückgeben. Herr Osman erzählt, welche Möglichkeiten und Wege ihm in der Aufnahmegesellschaft von Beginn an offen standen und setzt sich für den interkulturellen Dialog ein, indem er im Ausländerbeirat seiner Stadt tätig ist. Am wichtigsten aber ist für ihn die Arbeit mit jungen Menschen, die er bei einem freiwilligen Einsatz als „Mentor“ begleitet. Bei allen Interviewpartnerinnen und -partnern ist die Rede vom „inneren Bedürfnis“ und von der „Zufriedenheit“ und „Sinnhaftigkeit“ des Einsatzes. Diese drei Probanden sind in besonderer Weise durch diese Faktoren geprägt, während alle anderen zunächst auf differente Motive verweisen.

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Tenzer, Eva, Geben ohne zu nehmen? In: Psychologie Heute, Heft 32, Nr.11. Weinheim: Beltz Verlag November 2005: S. 44-46 147

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Helfen aufgrund einer Vision: Mithra Sakkoundi Tabelle 15: Vita Mithra Sakkoundi Alter Fam.-Stand Herkunft Engagement 43 Geschieden, Iran Kulturell2 Kinder politisch

Beruf Biologe, Filmregisseur

Motto Der Visionär

„Ich habe eine eigene Philosophie für die Probleme der Menschen“

Mithra Sakkoundi ist Filmregisseur und Biologe, wobei er sein Geld fast ausschließlich mit seiner Arbeit in der Krebsforschung an einer Universität verdient. Er ist von seiner deutschen Frau geschieden und hat zwei Kinder im Alter von sechzehn und zwölf Jahren, die er regelmäßig sieht. Sein Vater ist gestorben, die Mutter und seine Schwester leben im Iran. Besuche sind aufgrund der schwierigen politischen Situation selten. Er selber war seit seiner Flucht nicht mehr im Heimatland. …ich hatte nicht gedacht, dass äh, dass jemals in Deutschland leben würde: Äh, das war purer Zufall, dass ich hier gelandet bin. Also wenn man auf der Flucht ist, dann hat man keine Auswahl, da möchte ich oder da möchte ich. Also je nachdem wie das Schicksal äh (-) die Entscheidung trifft, wird man auch dort gelandet, ja“ Zu Beginn des Interviews berichtet er von seiner Ausreise aus dem Iran. Er wurde politisch verfolgt und hatte in der Bundesrepublik einen Asylantrag gestellt, der anerkannt wurde. Die Einreise nach Deutschland gestaltete sich schwierig. Seine Flucht dauerte mehrere Monate. Danach lebte er in einer Asylunterkunft. Die Zeit dort nutze er, um sich von den Strapazen der Flucht und den Erlebnissen im Heimatland zu erholen. Deutschland war nicht das Ziel seiner Flucht. Er berichtet davon, dass ihn das „Schicksal“ in dieses Land gebracht hat. Sein Leben in Deutschland empfindet er als schwierig. Vor allem zu Beginn begegnete er Diskriminierungen, weil er die deutsche Sprache nicht beherrschte. Diese Diskriminierungen ließen ihn jedoch nicht resignieren, sondern motivierten ihn, Deutsch zu lernen. Sich selbst beschreibt Herr Sakkoundi als ruhigen Rebellen, der schon in seinem Elternhaus nie das gemacht hat, was von ihm erwartet wurde. Während seine Eltern aufgrund seiner guten schulischen Leistungen davon ausgingen, dass er Arzt oder Apotheker würde, wurde er Musiker, Komponist und Filmemacher. Er möchte alle Menschen gleichwertig betrachten und lässt sich von der Achtung vor den Menschen leiten. Neben seiner Arbeit als Biologe engagiert er sich freiwillig im kulturellen Bereich, indem er gesellschaftskritische Filme dreht.

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Zurzeit arbeitet er an einem Spielfilm über Obdachlosigkeit, wodurch er auf die Schicksale der Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, aufmerksam machen möchte. Gerne würde er von seinen Filmen leben, doch in Deutschland sei es sehr schwer, ohne Finanzierungshilfen Filme zu machen. Da er aber etwas hinterlassen möchte, das nicht materiell ist, sondern einen höheren Wert hat, steckt er trotzdem sehr viel Energie in seine Filme und begreift dies als freiwilliges Engagement im kulturellen und politischen Bereich. Erfolge sieht er dann, wenn er sich und seine Arbeit verstanden fühlt, wenn Menschen über seine Filme nachdenken und sie von den ernsten Themen seiner Werke angesprochen werden.

Gesprächsatmosphäre Da ich von einem Kollegen aus einer Freiwilligenagentur die E-Mail-Adresse und die Telefonnummer von Herrn Sakkoundi bekommen hatte, schrieb ich ihn mit der Bitte um ein Interview an. Ich hatte erfahren, dass er sich freiwillig im kulturellen und politischen Bereich engagiert. Weil ich bisher ausschließlich mit Migrantinnen und Migranten gesprochen hatte, die sich sozial engagieren, war ich besonders daran interessiert, Herrn Sakkoundi zu interviewen. Er antwortete mir am selben Tag und bat mich, ihn wegen eines Termins anzurufen. Er sei zurzeit allerdings beruflich stark eingebunden. Bei unserem Telefonat machte Herr Sakkoundi einen sehr freundlichen Eindruck. Er sprach gut Deutsch und zeigte sich sehr interessiert. Ein erster Interviewtermin scheiterte, da er kurzfristig ins Krankenhaus musste. Wir vereinbarten einen neuen Termin in seiner Wohnung. Dort führten wir das Gespräch in der Küche. Die Interviewatmosphäre war entspannt, es kam jedoch zu zahlreichen Unterbrechungen aufgrund von Telefonanrufen. Herr Sakkoundi hatte sich viel Zeit für das Gespräch eingeplant. Er redete sehr frei und offen, lediglich die Frage nach den Gemeinsamkeiten zwischen Deutschen und Iranern, die er angesprochen hatte, wollte er nicht weiter erläutern. Besonders auffällig war für mich sein philosophisches Denken, welches mir zuvor in keinem anderen Gespräch begegnet war. Dabei schienen seine Aussagen für mich sehr „global“ zu sein. Alles drehte sich um das „Große Ganze“ und sein philosophisches Weltbild. Für die Auswertung ergab sich daraus die besondere Herausforderung, seine Weltsicht in den Kontext des Engagements zu stellen.

Interpretative Ansätze Motto: Der Visionär Mithra Sakkoundi verdeutlicht im Interview mehrmals seine Lebensphilosophie. Er lebt von seinem Willen und seinen Träumen: „[…] also meine Willen oder meine Träume haben mich bisher auf dem (-) äh Leben gehalten“ 149

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Dabei engagiert er sich für das „Große Ganze“ und hat bei seinem Handeln gesamtgesellschaftliche Prozesse im Blick. Er spricht von seiner „Bewegung“, die nicht von heute auf morgen fertig ist. Für ihn ist die Liebe das wichtigste und größte Ziel der Menschen; mit seiner Aussage „Liebe ist das Licht für mich“ betont er sein Streben nach Harmonie. Aufgrund seiner gesellschaftlichen Visionen und seiner Lebensprinzipien bietet sich die Überschrift „Der Visionär“ an.

Funktion des Engagements Herrn Sakkoundis Engagement ist getragen von einer Vision einer besseren Gesellschaft und seinem Wunsch, auf einsame und verlassene Menschen aufmerksam zu machen. „Äh, ich sehe die MENSCHEN, also auf der ERDE, als ein Kugel, genau wie ein Kugel die Erde und wir, wir müssen auch zusammen auskommen. Wir ja, nur später müssen wir auch diese Grenzen brechen (Ansage des AB im Hintergrund). Und äh uns einfach mehr zu NÄHERN, ja. Das wird passieren, das ist das ZIEL. Das sieht man, gibt es ja die ganzen Bemühungen, ja. Irgendwann ist es, sind wir alle zusammen. Irgendwann ist in einem Haus, wie es manchmal auch zu SEHEN ist. I: JA. S: Ja. Also ein Haus mit vielen verschiedenen Menschen. Äh Hautfarben und Kulturen. Und so was, irgendwann kommen wir zusammen, irgendwann SPRECHEN alle nur eine Sprache. ÄH, ich halte auch nicht von Tradition, dass man sagt, ALLES, was traditionell ist, muss man pflegen. Na, das muss man nicht pflegen. Ich sehe es nicht so. Äh, schau mal was wichtig ist für die Menschen, ja.“

Für Herrn Sakkoundi besteht das Ehrenamt ganz wesentlich aus einer Vision, der man nachgeht. Sein Engagement erschöpft sich nicht ausschließlich darin, Gutes zu tun. Er gehört keiner Institution an, versucht aber mit Initiativen, deren Arbeit er schätzt, zusammen zu arbeiten, weil er sich nicht als Einzelkämpfer verstehen will. Er sieht sich als Teil einer Bewegung, die schon vor ihm da war und auch nach ihm weiter sein wird. Seine problematische Lebenssituation und Misserfolge im freiwilligen Engagement ordnet er der Vision einer Welt unter, in der Menschen aufeinander zugehen. „Äh, ich sehe die MENSCHEN, also auf der ERDE, als ein Kugel, genau wie ein Kugel die Erde und wir, wir müssen auch zusammen auskommen. Wir ja, nur später müssen wir auch diese Grenzen brechen (Ansage des AB im Hintergrund). Und äh uns einfach mehr zu NÄHERN, ja. Das wird passieren, das ist das ZIEL. Das sieht man, gibt es ja die ganzen Bemühungen, ja. Irgendwann ist es, sind wir alle zusammen. Irgendwann ist in einem Haus, wie es manchmal auch zu SEHEN ist. I: JA. S: Ja. Also ein Haus mit vielen verschiedenen Menschen. Äh Hautfarben und Kulturen. Und so was, irgendwann kommen wir zusammen, irgendwann SPRECHEN alle nur 150

EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

eine Sprache. ÄH, ich halte auch nicht von Tradition, dass man sagt, ALLES, was traditionell ist, muss man pflegen. Na, das muss man nicht pflegen. Ich sehe es nicht so. Äh, schau mal was wichtig ist für die Menschen, ja.“

Herr Sakkoundi sieht seine Arbeit im Zeichen dieser Liebe, welche er weiter geben möchte. Liebe ist für ihn erlernbar. Sobald er sieht, dass jemand sie noch nicht erlernt hat, betet er für ihn. Situationen, in denen ihm wahre Liebe begegnet, machen ihn glücklich. So ist die Liebe das zentrale Thema aller seiner Filme Durch sein Engagement möchte er Menschen erreichen und aufmerksam machen. Er versucht, gesellschaftliche Entwicklungen zu verstehen und dabei Eigenerfahrungen zu machen, und sieht es nicht als seine Aufgabe an, anderen zu sagen, was getan werden muss. Erst beim Drehen seiner Filme wird ihm die Bedeutung seiner Arbeit erst bewusst. „Äh, die Hilfe ist, wenn man solche Menschen versucht, wieder in die Gesellschaft zurück zu bringen. Wieder Schwimmen beibringen, dass sie mit dem Fluss schwimmen können. Diese Leute am Rand zu pflegen schafft nur diese Organisationen, die eigentlich nur Funktionismus verfolgen. Nicht jetzt erst mal die Hilfe. Ich sehe es nicht OBERflächlich, diese Hilfe. Ja, wenn ich sage, ich sage, ich habe diese Leute das und das und das geholfen, es heißt nicht, dass ich ihnen Geld gegeben habe oder so was. Ja, ich sehe es, man muss GRÜNDLICH was machen, gründlich.“

Soziales Engagement kennt Herr Sakkoundi aus dem Heimatland und insbesondere aus seiner Familie. Neben privaten Organisationen, die sich um Arme kümmern, helfe man sich im Iran innerhalb der Großfamilie. Auch seine Mutter war sehr engagiert, indem sie die Armenspeisung unterstützte. Ihm geht es nach dem Vorbild der Mutter darum, anderen zu helfen, wieder gesellschaftlich integriert zu sein. „Also ich habe mich schon immer integriert gefühlt. Ähm äh es ist nicht so (-) äh wie kann ich das ausdrücken? Es war nicht so, dass ich mich integriert lassen wollen von jemand andere. Aber mein Schicksal hat mich hierher geworfen. Sage ich einfach, ja nach Deutschland. Und in DEM Moment, wo ich da war, äh ich für MICH war ich ein Teil der Gesellschaft, ich habe mich dazu gehört. Äh gefühlt, ja und da habe ich auch sofort versucht, Verantwortung zu übernehmen. Ja, also dann dachte ich okay, wenn jemand neben mir läuft, es ist kein Fremder da. Es ist NIEMAND war ein Fremder, ja das sind alle das ist mein Nachbar, mein MITMENSCH, einfach ja. Und äh, ich gehöre nicht nur zu DIESER Gesellschaft, ich gehöre zur Gesellschaft ERDE. Und äh das nur ein kleiner Teil ist da. Für mich war KEIN Unterschied jetzt, das zu sagen. Deswegen habe ich auch SOFORT begonnen zu lernen, äh die Menschen kennen zu lernen, zu lernen, was was für sie wichtig ist. Ob sie mich jetzt aufgenommen haben oder nicht. Meistens nicht (lacht). Aber äh, das ist zweitrangig für mich.“

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Zugehörigkeit bedeutet für Herrn Sakkoundi einen eigenen, inneren Entscheidungsprozess, der nicht von außen, sondern von einer inneren Haltung gelenkt wird. Niemand ist für ihn ein Fremder, jeder ist sein Mitmensch. Diskriminierung lässt er nicht an sich herankommen. „Wenn ich jemanden LIEBE, dann achte ich erst mal auf mein EIGENES Gefühl, ja. Sage, okay, ich liebe mein Kind. Nicht weil ER es will oder so. Nee, das ist meine Liebe, das gehört mir, das gehört niemandem. Wenn ich sage, ich äh ich liebe die Gesellschaft hier, äh diese Liebe gehört mir, die haben sie mir nicht gegeben. Die kommt auch schon aus der Gefühl. Das ist nichts Großartiges, aber äh erst mal gehört es mir, und seitdem, ich habe es auch jetzt erst mal was auch, was viele Sachen. Man wird auch BELEIDIGT, man wird auch diskriminiert und so weiter. Da habe ich NIE jetzt mein Herz irgendwie gebrochen gefühlt oder so was. Ich habe es gar nicht zugelassen, ich habe es gar nicht zugelassen. Aber es gibt auch VIELE Leute, die (-) großartig sind. Muss man auch sagen. Die äh für mich gehören DIESE auch nicht zur Gesellschaft, ja.“

Gesprächsinhalte

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Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Heimat Integration Bezug zum Herkunftsland Bezug zur Herkunftsfamilie Diskriminierung Migrationsprozess Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Anerkennung Migration und Engagement Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Diskriminierung Motive Darstellung in der Öffentlichkeit Einstellung zur Arbeit Bedeutung der Sprache Lernerfahrungen im Engagement Freunde Gesellschaftsbild und -kritik

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Lazlo Fekete Tabelle 16: Vita Lazlo Fekete Alter 58

Fam.-Stand Herkunft Geschieden, Rumänien 2 Kinder, Partnerschaft

Engagement Mentor im Schulprojekt

Beruf Werkzeug macher, arbeitslos

Motto Der Freigeist

„Für mich ist die Jugend unser Spiegel. Wenn wir kluge, gesunde Kinder haben, dann sind wir auch eine kluge und gesunde Nation.“

Lazlo Fekete stammt aus Rumänien, hat aber auch ungarisch-österreichische Wurzeln. Er ist Werkzeugbauer, seit längerer Zeit arbeitslos, von seiner ebenfalls rumänischen Frau geschieden und hat zwei erwachsene Kinder. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin, die er baldmöglichst heiraten möchte, in einer süddeutschen Großstadt. Nach dem Ende der Ceausescu-Diktatur 1990 kam er zunächst allein nach Deutschland. Seine Familie folgte zwei Monate später. Nachdem er in einigen Auffanglagern und Unterkünften in Norddeutschland gelebt hatte, verschlug es ihn nach einem kurzen Aufenthalt in BadenWürttemberg nach Bayern. In der gleichen Stadt lebte zunächst auch seine Tochter. Kurz nach dem Zuzug Herrn Feketes zog sie jedoch aufgrund ihrer Trennung von ihrem Mann weg. Er pflegt regelmäßige Kontakte zu seiner in Rumänien lebenden Mutter und seinem Bruder. Die jüngere Schwester, mit der er sich gut versteht, lebt ebenfalls in Deutschland. Herr Fekete schildert sich als einen neugierigen Menschen, der sich bereits in seiner Kindheit für andere eingesetzt hat. „Und ich will ihnen beibringen, sie sollen sich Zeit nehmen, WENIGSTENS die Zeitung jeden Tag lesen, oder ein Zeitschrift oder wenn nicht, ein BUCH nehmen und wenigstens zwanzig, dreißig Seiten am Tag MINDESTENS lesen“ In einem Schulprojekt betreut Lazlo Fekete als Mentor zehn Jugendliche, die in unterschiedlichen sozialen Einrichtungen engagiert sind. Er sorgt dafür, dass die Kinder nicht ausgebeutet werden, sondern Lernerfahrungen machen, die ihrer Entwicklung dienen und führt regelmäßige Gespräche mit Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Herkunft, die er in ihren Einsatzstellen besucht. Die Arbeit macht ihm Spaß, auch wenn sie viel Zeit in Anspruch nimmt und nicht alle Jugendlichen ihm gegenüber offen sind. Er versucht auf die Eigenarten der einzelnen einzugehen und es freut ihn, dass die jungen Menschen sich gern engagieren und Zukunftsperspektiven entwickeln. Schwierigkeiten erlebt er dann, wenn die Schülerinnen und Schüler einander ausgrenzen und ablehnen. 153

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Gesprächsatmosphäre Ich rief Herrn Fekete Anfang 2007 an. Er erkannte meinen Namen sofort, weil er bereits durch meinen Kollegen aus einem Freiwilligen-Zentrum von meinem Anliegen gehört hatte. Ich erklärte ihm kurz, um was es bei einem möglichen Gespräch ginge und er willigte ein, interviewt zu werden. Dabei zeigte er sich sehr flexibel bezüglich Zeit und Ort des Gesprächs und nahm meinen Terminvorschlag sofort an. Anstatt sich allerdings im Freiwilligenzentrum in seiner Stadt zu treffen, lud er mich zu sich nach Hause ein. Mein spontaner Eindruck war sehr positiv. Herr Fekete hatte Interesse am Interview konnte sich trotz eines Akzentes gut auf Deutsch verständigen. Die Gesprächsatmosphäre war entspannt. Das Interview fand im Wohnzimmer statt. Zunächst zeigte er mir seinen neuen Drucker, den er sich für seine Bewerbungen gekauft hatte. Auffallend waren die vielen Bücher in unterschiedlichen Sprachen und zahlreiche Ikonen und Heiligenbilder, die in offenen Regalen im Wohnzimmer standen. Ich konnte meinen Interviewleitfaden verfolgen. An einer Stelle verloren wir allerdings den thematischen Faden, als er von seiner gescheiterten Ehe sprach. Zudem schien es Herrn Fekete ein besonderes Anliegen zu sein, Aussagen über politisches und gesellschaftliches Versagen zu formulieren. Auffällig war vor allem sein großes Interesse an der Bildung junger Menschen. Dies schien für ihn das zentrale Thema unseres Gesprächs zu sein.

Interpretative Ansätze Motto: „Der Freigeist“ Herr Fekete zeigt sich als ein Mensch, der sich viele Gedanken über Bildung, Charakterentwicklung, Erziehungssysteme und Ideologien macht. Dabei vermittelt er den Eindruck, sich sehr differenziert und unabhängig von gesellschaftlichen Vorgaben mit den verschiedenen Thematiken auseinanderzusetzen. Besonders die Zukunft der Kinder liegt ihm sehr am Herzen. Wie Lehrsätze formuliert er dabei seine Wünsche und Ziele, beispielsweise:“…wenn wir kluge, gesunde Kinder haben, dann sind wir auch eine kluge und gesunde Nation.“ Er selbst begeistert sich für Literatur. Für die Entwicklung der Kinder erhofft er sich Förderung im musischen und künstlerischen Bereich. Aufgrund seiner Reflektiertheit und der Entwicklung eigener gesellschaftlicher Vorstellungen und Ideale bietet sich die Überschrift „Der Freigeist“ an.

Funktion des Engagements Sein freiwilliges Handeln ist bestimmt durch den Grundsatz, dass jeder helfen sollte, wenn er helfen kann. Aufgrund der Arbeitslosigkeit hat Herr Fekete

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genug Zeit und setzt sich gern für andere ein. Auch nach einer Rückkehr in das Arbeitsleben möchte er das Engagement fortsetzen. „Schauen Sie Familien an, wo sie lustig sind äh und äh die Kinder mitbekommen und wir lachen zusammen. Aber viele Kinder können nicht mehr lachen. (-) Weil sie in der Ehe schon so viele zerrüttete Ehe, getrennte Ehen und dann kommt äh Zusammenleben mit jemandem und ä das Kind ist nicht mehr, der Papa ist nicht mehr da, die Mama ist nicht da wo das Kind ist. Und schon das Kind ist schon gerissen. Das Kind leidet. I: Mhm. F: Wir machen uns Ältere LEICHT. Aber es gibt leider. Und hier ist der Charakter, dass Eltern (-) sagen, wenn wir schon heiraten und alles und meine Meinung ist, WENIGSTENS bis die Kinder alt genug sind, dass sie sollen auch selbständig sein und so was. I: Mhm. F: Weil wenn sie so KLEIN sind, man tötet, man zerreißt sie. Wenn man glaubt, dass die Kinder nicht MITspüren, die wissen schon seit Kleinem, wie sie auf die Welt kommen, die kennen sich aus. Und die wissen und spüren.“

Das Engagement von Herrn Fekete ist geprägt durch seine Vision von einer geförderten, belesenen und ernstgenommenen Jugend. Da er um sich herum viele Probleme wahrnimmt, setzt er sich mit Engagement für die Jugend ein. Er glaubt, dass junge Menschen von ihren Familien, aber auch in der Schule und durch die Politik zu wenig Unterstützung erfahren. Das zentrale Thema des Interviews wird in seiner detaillierten Beschreibung über die Situation Jugendlicher in Deutschland offensichtlich. Herr Fekete strebt für alle jungen Menschen die Bildung des Geistes und des Charakters an. Er kennzeichnet junge Menschen als „leidend“ und „traurig“, beispielsweise aufgrund der Trennung der Eltern. Zu viele Kinder verstecken sich seiner Meinung nach vor dem Fernseher, essen Chips und lesen zu wenig. Dabei sieht er die Schuld nicht bei den jungen Menschen, sondern bei der Gesellschaft, die zu wenig in die Zukunft der jungen Generation investiert. Zwar hält er die Jugend für sehr intelligent, bemängelt aber, dass viele nicht richtig lesen und schreiben können. Daher fordert er mehr Kindergartenplätze und eine bessere Ausbildung, ermuntert aber auch in seinem Engagement die Jugendlichen immer wieder, Zeitung zu lesen. „FÜR MICH ist die Jugend unser Spiegel. (--) Wie ich sag, wenn Du wenn wir kluge, gesunde Kinder haben, dann sind wir auch eine kluge und gesunde Nation. (--) Und das, das DARUM, wie wir uns denken, WIE wir unsere Kinder groß ziehen (-) so haben wir es.“ Als Ratgeber und Helfer möchte Herr Fekete seinen Beitrag für die Entwicklung der Kinder leisten, ohne dabei aufdringlich zu sein, obwohl er auch streng sein kann.“Ähh (-) meine Meinung ist äh, wenn ich hier in Deutschland bin, dann mir ist es egal von der Nationalität und alles. Ich mache das fürs Land. EGAL (--) was für eine Nationalität ist.“ Das Engagement gibt ihm das Gefühl, etwas für Deutschland tun zu können. Ihm ist es egal, welche Nationalität die Jugendlichen haben. Der Aus155

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tausch mit anderen Freiwilligen gehört für ihn zum Engagement dazu. Er möchte sich integrieren und fordert, dass alle, die in Deutschland leben, die deutsche Sprache beherrschen sollen.

Gesprächsinhalte

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Selbst- und Fremdbild Kulturvergleich Bezug zur Aufnahmegesellschaft Heimat Integration Diskriminierung Darstellung von Kindheit und Jugend Einleben in Deutschland Einstellung zum Engagement Anerkennung Migration und Engagement Ethische Grundhaltung Engagementbarrieren Wünsche Motive Lernerfahrungen im Engagement Einstellung zur Arbeit Freunde Sicht auf Migranten Bildung

Zwischenbilanz: Helfen aufgrund einer Vision Mithra Sakkoundi, Lazlo Fekete Die beiden so eben vorgestellten Interviewpartner zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass ihre Motivation durch eine besondere gesellschaftliche Vision geprägt ist. Es lohnt sich ein detaillierter Blick auf die beiden Visionen, um die Interviews besser analysieren zu können und auch die Haltung dieser beiden Männer genauer zu verstehen. Dazu bietet es sich an, eine Unterscheidung in zwei Dimensionen vorzunehmen: • Gesellschaftsbild und -kritik • Lebensphilosophie und Vision Das Gesellschaftsbild: Beide Interviewpartner haben ein sehr umfangreiches und dezidiertes Gesellschaftsbild.

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Herr Sakkoundi zeichnet das Bild der Gesellschaft als einen Fluss, der ohne Unterbrechung und ohne sich aufhalten zu lassen, fließt. Er bezeichnet dies als Zivilisation. Aus seiner Sicht ist es unvermeidlich, dass es Menschen gibt, die in diesem Strom nicht mit schwimmen können, weil ihnen die Kraft fehlt. Auf diese Menschen kann der Fluss seiner Meinung nach keine Rücksicht nehmen. Herr Sakkoundi formuliert, dass die Schwachen, zu denen er Arbeitslose, Obdachlose, Einsame und Prostituierte zählt, an den Rand gedrängt werden. Angesichts der Aussage fragt man sich, ob er sich selber zu diesen an den Rand Gedrängten zählt, denn als Künstler und Filmemacher mit einem besonderen politischen Interesse bleibt ihm oftmals gesellschaftliche Anerkennung verwehrt. Er scheint nicht in der für ihn fremden Gesellschaft „angekommen“ zu sein. Bemerkenswert dabei ist, dass er der Gesellschaft dafür keine Schuld zuschreibt, sondern die Möglichkeit des Scheiterns quasi als natürlichen Prozess beschreibt. Herr Sakkoundi beklagt die fehlenden menschlichen Beziehungen, die für das gesellschaftliche Leben notwendig wären. Zwar kann die Gesellschaft als Ganzes nicht verhindern, dass Menschen an den Rand gedrängt werden, durch gute Beziehungen und das Interesse füreinander könnte aber Hilfe und Unterstützung gewährleistet sein. Beides ist für ihn jedoch nicht vorhanden. Mit seinen Filmen über diejenigen am Rande der Gesellschaft möchte er die Zuschauer auf dieses Problem aufmerksam machen. In diesem Zusammenhang kritisiert er auch, dass in Deutschland für viele Menschen die Funktion und das Amt, das sie ausüben, im Mittelpunkt steht, nicht jedoch das Handeln. Sein Gesellschaftsbild ist geprägt von der Unterscheidung zwischen Macht und Unterlegenheit. Für ihn entscheiden die Machthaber nur nach ihren eigenen Interessen und es gibt einen fatalen Zusammenhang zwischen Industrie, Politik und Erziehung. Der Einfluss von Industrie und Politik auf schulische Zusammenhänge ist für ihn viel zu groß. Auch Herr Fekete äußert sich detailliert über Schulerziehung. Ausgehend von den positiven Erfahrungen in seinem Heimatland kritisiert er in Deutschland den Umgang mit Jugendlichen, über die man zwar rede, mit denen man aber zu wenig redet. Er möchte die jungen Menschen verstehen und ihnen zuhören. Gleichzeitig ist ihm Bildung ein wichtiges Anliegen. Das zurzeit aktuelle Thema der Kleinkindbetreuung greift er auf und bemängelt die geringe Zahl an Kindertageseinrichtungen. Wohl ebenfalls aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit der gescheiterten Ehe plädiert er dafür, dass beide Eltern bei den Kindern bleiben sollen, zumindest, bis sie alt genug sind, um mit einer Trennung leben zu können. Genau wie Mithra Sakkoundi möchte er sich für diejenigen einsetzen, die von der Gesellschaft zu wenig beachtet werden. Es reicht ihm nicht aus, sich im kleinen Rahmen z.B. in der Hausaufgabenbetreuung zu engagieren, sondern er äußert seine Gesellschaftskritik auch öffentlich. Sein Leitsatz „Äh die Kinder sollen gesund denken. Weil wenn sie nicht gesund sind, das Leib von ihnen nicht geSUND ist oder dass sie, die sind auch nicht äh Schuld daran. Da irgendwo 157

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

unsere Gesellschaft ist Schuld daran“bringt ihn dazu, sich verstärkt für Bildung und Erziehung innerhalb des Schulprojektes einzusetzen. Lebensphilosophie und Vision: Die Lebensphilosophie und auch die Visionen bezüglich seines Engagements beziehen sich bei Herrn Fekete stark auf das Thema Bildung. Die Gesellschaft kann seiner Meinung nach nur funktionieren, wenn Kinder Bildung erhalten. Dazu möchte er seinen Beitrag leisten. Zur Bildung gehören für ihn neben dem Lesen auch Theater- und Opernbesuche. Zudem wünscht er sich, dass Kinder träumen dürfen und diese Träume auch ausleben dürfen. Vorbild für seine Vision einer Gesellschaft ist in bezug auf die Bildung sein Herkunftsland Rumänien. Er stellt fest, dass Kinder dort mehr lesen als in Deutschland, weil mehr über Literatur diskutiert wird als in der Bundesrepublik. Bildung hat für ihn nicht unbedingt etwas mit finanziellen Mitteln zu tun. Seine Vision ist getragen von dem Wunsch einer flächendeckenden Betreuung für Kleinkinder und der Zuneigung und dem Verständnis, welches Heranwachsenden entgegengebracht werden sollte. Besonders ungewöhnlich erscheinen die Lebensphilosophie und die Visionen, die Herrn Sakkoundi zu seinem Engagement bewegen. Ich habe seine Aussagen und die Stichworte, die er nennt, in einem Bild dargestellt: Abbildung 3: Kernaussagen von Herrn Sakkoundi

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EINFÜHRUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT

Die Grundlage für sein Handeln lässt sich aus den Aussagen über die Dialektik erklären, laut der immer eine These und eine Antithese die Synthese ergeben. Er schließt, dass so etwas wie „Zeit“ nicht existiert. Dementsprechend gibt es für ihn keine Ausrede, etwas aufzugeben, weil es heute nicht gelingt. Weil es keine Zeit gibt, ist es unerheblich, zu welchem Zeitpunkt etwas gelingt. Geschwindigkeit und Zeit werden seiner Meinung nach nicht von Uhren und Kalendern bestimmt. Er möchte in seiner „philosophischen Bewegung“ etwas leisten und lässt sich dies nicht von der Zeit nehmen. Es ist wichtig, diesen philosophischen Ansatz von Herrn Sakkoundi zu verstehen, um einen besseren Zugang zu den einzelnen Kategorien zu erhalten, die sich aus seinem Interview ergeben. Bei den dargestellten Visionen der Helfenden finden sich Potentiale für Eigenwilligkeit und Widerständigkeit und auch für die Verweigerung gegenüber den gesellschaftlichen Identitätszwängen, denn es wird deutlich, dass der Versuch besteht, Identität unabhängig von vorgegebenen Kategorien zu definieren. Stattdessen werden eigene Gesellschaftsmuster gewählt, an denen sich die Befragten orientieren können.46

Ergebniszusammenfassung des Kapitels Anhand der vorgestellten Portraits aller vierzehn Interviewpartnerinnen und partner sollte zum einen die Lebensgeschichte der Personen abgebildet werden, zum anderen wurde damit gleichzeitig ein wesentliches erstes Ergebnis der Interviewanalyse dargestellt. Denn die unterschiedliche Funktion, die das bürgerschaftliche Engagement für die Probanden hat, wurde erst im Interviewprozess deutlich. Es gibt bisher keine andere Studie, die aufgezeigt hat, dass der freiwillige Einsatz durch strategische Elemente, Erfahrungen im Heimatland, Schuldgefühle oder Visionen gelenkt ist. Vor allem der strategische Nutzen scheint mir besonders bemerkenswert: Zwar setzen auch deutsche Freiwillige das Engagement strategisch ein, um zum Beispiel nach einem Umzug in eine neue Stadt Sozialkontakte zu knüpfen, gleichzeitig stehen ihnen aber auch viele andere Möglichkeiten zur Verfügung, Kontakte herzustellen. Auch in den Freiwilligensurveys steht bei der Frage nach der Motivation der Kontakt zu anderen an oberer Stelle, auch wenn das Element der Geselligkeit in den letzten Jahren hinter andere Faktoren zurück getreten ist.47 Für 46

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Vgl. Keupp, Heiner, Grundzüge einer reflexiven Sozialpsychologie. Postmoderne Perspektive. In: Keupp, Heiner, Zugänge zum Subjekt. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998: S. 268 Vgl. Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004. http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/ generator/RedaktionBMFSFJ/Arbeitsgruppen/Pdf-Anlagen/freiwilligen-sur vey-langfassung,property=pdf,bereich=,sprache=de,rwb=true.pdf, Quelle vom 01.07.2006 159

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

die Probanden aber zeigt sich, dass das Feld des bürgerschaftlichen Engagements sich in besonderer Weise eignet, Menschen kennen zu lernen und sich gesellschaftlich einzubringen. Je nach Erwartung gelingt dies in unterschiedlicher Weise, in jedem Fall scheint es aber ein probates Mittel zu sein, um zumindest oberflächliche Kontakte zu Mitgliedern der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu knüpfen. Die Strategie richtet sich ganz wesentlich auf den Spracherwerb: Gezielt werden Einsatzbereiche gesucht, in denen es möglich ist, die deutsche Sprache zu erlernen. Wichtig hierbei ist die Erkennt-nis, dass es offenbar nicht ausreicht, Sprachkurse zu besuchen. Den Probanden fehlen Übungsmöglichkeiten außerhalb der Kurse, d.h. ihnen fehlen soziale Räume, in denen das Erlernte angewendet werden kann. Daher ist die Strategie, sich einen Einsatzort zu suchen, an dem man den Wortschatz anwenden und erweitern kann, bemerkenswert. Ebenfalls interessant ist, dass nicht alle Befragten bereits Engagementerfahrungen im Heimatland gesammelt haben. Diejenigen, die erst seit ihrem Aufenthalt in Deutschland ehrenamtlich tätig sind, haben sich auf der Suche nach Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft bewusst ein Einsatzfeld gesucht, in welchem sie ihre Fähigkeiten einbringen können und Anerkennung erhalten. Das Ziel war, sich in Deutschland besser zurecht zu finden und sich angenommen zu fühlen. Vorbild für die Arbeit ist häufig das Herkunftsland: Vergleichen die Probanden Deutschland mit der Herkunftsnation, stellen sie gravierende Unterschiede und häufig auch Mängel im Zusammenleben in der Aufnahmegesellschaft fest, denen sie entgegenwirken möchten. So engagieren sich vier der vierzehn Interviewpartnerinnen und -partner in Seniorenheimen, alle bewerten den mitmenschlichen Umgang in ihren Heimatländern positiver als im Aufnahmeland. Insgesamt zeigt sich, dass die Funktion des freiwilligen Engagements sich in besonderer Weise auf die Integration und die Zugehörigkeit der Migrantinnen und Migranten in die deutsche Mehrheitsgesellschaft bezieht. Der ehrenamtliche Einsatz erscheint für die Probanden als ein probates Werkzeug zur Integration, auf das Gelingen oder Scheitern wird im Verlauf der Analyse noch intensiver eingegangen.

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Ergebnisbausteine

Bei der Analyse der einzelnen Interviews und bei der vergleichenden Interpretation haben sich einige zentrale Kategorien herauskristallisiert, die die Biographien prägen und als übergeordnete Identitätsbausteine gelten: • Inklusionsbegehren • Selbstpositionierung • Identitätskonstruktionen Zu jedem dieser Bausteine findet sich im Material eine Vielzahl von Unterkategorien, die allesamt auf den Baustein verweisen, aber auch im Einzelnen von großer Bedeutung sind.

Inklusionsbegehren als Grundlage des Engagements Das Thema Vielfalt und Inklusion wird gesellschaftlich immer wichtiger, nicht nur in Ländern wie Kanada, das historisch als „Siedlernation“ ausgewiesen ist, sondern ebenso in europäischen und anderen Ländern. Ich konnte in den Interviews feststellen, dass das Stichwort „Inklusion“, auch wenn es nicht explizit von den Probanden ausgesprochen wurde, eine immense Rolle spielt. Im Kontext der Auswirkungen der globalen ökonomischen Umstrukturierung, mit der große Abwanderungen und Standortwechsel von Personen über verschiedene nationale und regionale Grenzen hinweg einhergehen, drängt sich dieser Themenbereich immer mehr auf. Auf den Begriff der Inklusion habe ich bereits im Theorieteil Bezug genommen, er soll aber an dieser Stelle noch genauer ausdifferenziert und in den Kontext der Interviews gestellt werden. Mit dem Begriff der sozialen Inklusion ist eine sozialethische Haltung verbunden. Es geht darum, dass jeder Mensch in seiner Individualität akzep161

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

tiert wird und Möglichkeiten der Teilhabe an der Gesellschaft hat. Das Begehren gilt in besonderem Maße für Migrantinnen und Migranten und wird in allen Gesprächen deutlich. Die Probanden äußern den Wunsch, dass ihre Unterschiedlichkeit im Vergleich zur deutschen Mehrheitsgesellschaft akzeptiert wird und das Vorhandensein der Unterschiede weder in Frage gestellt noch als Besonderheit gesehen wird. Das Ziel der Inklusion ist die Akzeptanz der Gleichwertigkeit von Individuen ohne dabei eine homogene Gesellschaft anzustreben. Anders als bei Begriffen wie „Integration“ oder „Assimilation“ geht es nicht darum, eine Person zu zwingen, sich den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen, sondern es geht vielmehr um die Schaffung von Strukturen, in denen sich alle Menschen mit ihrer Individualität einbringen können. Die soziale Inklusion soll die Chancengleichheit für alle Menschen schaffen und solidarische Netzwerke fördern. In den Interviews stellte sich heraus, dass die Migrantinnen und Migranten wünschen, sich nach ihren Möglichkeiten entfalten zu können. Dabei ging es bei der Untersuchung des Inklusionsbegehrens in den Interviews um zwei Dimensionen, die Inklusion bedingen, sich aber in bezug auf die Faktoren „aktiv“ und „passiv“ unterscheiden. Diese Dimensionen sind „Zugehörigkeit“ und „Akzeptanz“. Ich wählte das empirische Material als Grundlage der Analyse und fügte theoretische Konzepte hinzu, um Verknüpfungen herzustellen und Theorie und Empirie zu vergleichen. Zur Verdeutlichung des Kontextes, in welchem die einzelnen Kategorien zueinander stehen, habe ich folgendes Schema entworfen:

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ERGEBNISBAUSTEINE

Abbildung 4: Ergebniskategorien

Das Gefühl der Zugehörigkeit Obwohl sich Frage nach der Identität in unserer individualisierten Gesellschaft meist an den einzelnen richtet, gibt es aber eine weitere Dimension der Identität, nämlich die Sehnsucht nach einer spürbar nahen kollektiven Verwurzelung, nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe.1 Der Begriff der Zugehörigkeit kann als Dialektik zwischen „Ich“ und „Wir“ gefasst werden. „Zugehörigkeit“ heißt „mit jemandem verbunden sein“. Menschen sind in ihrer Zugehörigkeit an soziale Kategorien wie Familie, Klasse oder Schicht gebunden, die in der Moderne aber an Unmittelbarkeit verlieren und durch andere Ver-

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Vgl. Geuter, Ulfried, Das bin ich! Oder? In: Psychologie Heute. Weinheim: Beltz 2003, 30. Jahrgang: S. 26 163

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

gesellschaftungsformen überlagert oder ersetzt werden können. Verbunden ist der Mensch demnach mit Freunden und Lebenspartnern, Mitschülern und Arbeitskollegen, Nachbarn usw. Auch zu einem sozialen Raum, zum Beispiel zu einem Stadtteil, einem Dorf oder einem Land kann der Mensch Verbundenheit entwickeln. Sie wird durch den Kontakt mit den jeweiligen sich dort aufhaltenden Menschen vermittelt.2 Derzeit werden in diesem Zusammenhang solche kulturellen Bezüge wie ethnische oder nationale Kultur besonders diskutiert, die z.B. in einer zeitgemäßen Mentalitäts- bzw. Nationalcharakterforschung ihren Niederschlag finden.3 Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einer Gemeinschaft ist ein zentraler Aspekt für die individuelle Identitätsentwicklung. Dabei gelten für die Mitglieder einer Gruppe andere Verhaltensnormen als für Außenstehende. Direkte und konkrete Interaktionen der Gruppenmitglieder untereinander sind durch die Überschaubarkeit von Wir-Gruppen möglich. So entsteht eine gemeinsame Basis von geteilten Erlebnissen und gemeinsamen Gruppennormen und auch Ziele werden definiert. Bei der Analyse von Gruppenzugehörigkeit kann man Individualisierungstendenzen beobachten, wodurch zusätzlich die konkreten und unmittelbaren Kriterien der Zugehörigkeit immer abstrakter und unüberschaubarer werden. Damit nehmen Formen der kollektiven Identität nicht nur in der Größe sondern auch in der Komplexität und Vielfältigkeit zu.4 Jedes Individuum wird in gesellschaftliche Zusammenhänge hineingeboren, die gemeinschaftliche Strukturen enthalten. Dabei sind Interaktion und Kommunikation zwischen den verschiedenen Individuen konstitutive Momente menschlichen Daseins. Handeln vollzieht sich immer auf einer interaktionellen und kommunikativen Ebene als wechselseitiger Bezug aufeinander und enthält die Möglichkeit der Beeinflussung. Was passiert, wenn ein Mensch nur auf sich gestellt ist, verdeutlicht die Romanfigur Robinson Crusoe. Er erkennt seine Isolation als einen Mangel in der Sehnsucht nach Mitmenschen. Das gesellschaftliche Leben ist geprägt durch das Miteinander der Subjekte, und in dem Miteinander sind diese Subjekte je nach Alter und Le-

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Vgl. Nieke, Wolfgang. Interkulturelle Erziehung und Bildung. Wertorientierungen im Alltag. Opladen: VS Verlag 1995: S. 60 Vgl. Blomert, Reinhard/Kuzmics, Helmut/Treibel, Annette (Hg): 1993: Transformationen des Wir-Gefühls. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993: S. 132 Vgl. Kreckel, Reinhard, Soziale Integration und nationale Identität. Antrittsvorlesung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 21. April 1993. In: Identität und Nationalität in der Einwanderungsgesellschaft. Ein Reader für MultiplikatorInnen in der Schule und Jugendarbeit. Düsseldorf: Informations-, Dokumentations- und Aktionszentrum gegen Ausländerfeindlichkeit für eine multikulturelle Zukunft e.V. (Hg). 1996: S. 22-27

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benslage in unterschiedliche Gruppen eingebunden.5 Einheimischen und Fremden wird jedoch nicht unbedingt die gleiche Zugehörigkeit zuteil: „Migranten werden nach ethnischer und nationaler Zugehörigkeit sortiert, selten willkommen geheißen und meist als Bedrohung wahrgenommen. Das mit Migration und Ethnizität verbundene oder in Verbindung gebrachte Konfliktpotential wird national und supranational zunehmend unter sicherheitspolitischen Aspekten verhandelt. Defensive Sicherheitsüberlegungen, politische Versuche zur Abwehr von Zuwanderung, die öffentliche und alltägliche Kommunikation über Bedrohung und Ablehnung tendieren dazu, sich wechselseitig zu stützen. Solche Konzipierungen von Migration sind nicht zwangsläufig. Wo in Geschichte und Gegenwart Zuwanderung als vorteilhaft und erwünscht betrachtet wurde und wird, standen und stehen neben den mit Migration und Integration immer verbundenen Problemen Einwanderer auch als ökonomisches Potential und als Träger bestimmter Qualitäten und Qualifikationen im Vordergrund.“6

Durch die zunehmende Migration wird die Frage der Zugehörigkeit individuell, sozial und auch gesellschaftlich zum Thema. Das gilt allerdings nicht nur für die Zugehörigkeit der „Migrantinnen“, sondern für jeden Menschen.7 Für die von mir befragten Personen hat der auf das Inklusionsbegehren gerichtete Aspekt der Zugehörigkeit eine besondere Bedeutung. So beschreibt Frau Hartmann die kulturelle Zugehörigkeit ihrer Söhne wie folgt: „Aber es ist auf jeden Fall ein Vorteil zu wissen, dass man zu einer Kultur auf jeden Fall gehört. Aber sie (Anm.: die Söhne) müssen ihre Wege finden und es ist die Frage, ob sie sich da finden werden. Ob sie irgendwann zusammen finden werden, weiß ich nicht. Also eher nicht, weil die fühlen sich jeder als Deutscher.“ Unabhängig davon, zu welcher Kultur sich die Befragten zugehörig fühlen, ist das Bestreben nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe immer vorhanden. Mithra Sakkoundi sagt beispielsweise: „Aber mein Schicksal hat mich hierher geworfen. Sage ich einfach, ja nach Deutschland. Und in DEM Moment, wo ich da war, äh ich für MICH war ich ein Teil der Gesellschaft, ich habe mich dazu gehört. Äh gefühlt, ja und da habe ich auch sofort versucht, Verantwortung zu übernehmen.“

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Vgl. Schmid-Grunert, Marianne, Soziale Arbeit mit Gruppen. Eine Einführung. Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag 1999: S. 87-88 Bade, Klaus/Bommes, Michael, Migration – Ethnizität – Konflikt. Erkenntnisprobleme und Beschreibungsnotstände: eine Einführung. In: Migration – Ethnizität – Konflikt: Systemfragen und Fallstudien. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch 1996: S. 11 Vgl. Broden, Anne,/Mecheril, Paul, Migrationsgesellschaftliche Re-Präsentationen. Eine Einführung. In: Broden, Anne/Mecheril, Paul, Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft. Düsseldorf: IDA-NRW 2007: S. 7 165

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Die Probanden formulieren Zugehörigkeit als einen aktiven Prozess. Für Mithra Sakkoundi stellt sich nicht die Frage, ob die Gesellschaft ihn für zugehörig hält, weil er sich selber von Beginn des Aufenthalts in Deutschland an als zugehörig definiert. Zugehörigkeit kann daher als etwas gesehen werden, dass der Betroffene sich selber zuschreibt. Wo einige Gesprächsteilnehmer mit diesem Zugehörigkeitsgefühl aber an Grenzen stoßen, weil sie Exklusion spüren, kommt es zum Teil zu Auflösungstendenzen. Auch hier kann ein Interviewausschnitt von Mithra Sakkoundi stellvertretend genannt werden: „Es ist NIEMAND war ein Fremder, ja das sind alle das ist mein Nachbar, mein MITMENSCH, einfach ja. Und äh, ich gehöre nicht nur zu DIESER Gesellschaft, ich gehöre zur Gesellschaft ERDE“ Zugehörigkeit wird in diesem Beispiel nicht auf eine bestimmte Nation festgelegt, sondern global gesehen. Die vieldeutigen Erfahrungen und Zugehörigkeitsgefühle zeigen, dass das Feld für transnationale Identitätsstrategien offen ist. Der Transnationalismus bringt eine facettenreiche, widersprüchliche Zugehörigkeit mit sich, während sich Identität normalerweise auf binäre Klassifikationsschemata beziehen („das Eigene“ und „das Fremde“).8 Es ist eine wenig konkrete und kaum fassbare Zugehörigkeit. In dieser Auflösung des Zugehörigkeitsmusters kann bei Herrn Sakkoundi der Versuch gesehen werden, sich unverletzbar und unangreifbar zu machen. Dabei ist es für ihn leichter, sich der Gesellschaft Erde angehörig zu fühlen als Zugehörigkeit generell abzulehnen: „Doch niemandem anzugehören ist bisweilen auch ein schwacher Trost. Und so ist die öffentliche Beschwörung von Zugehörigkeiten auch ein bewährtes Mittel gegen Einsamkeit, Heimatlosigkeit und Verlust der Mitte. Auskunft zu geben über Herkünfte und Zugehörigkeiten schafft Räume des Eigenen und trifft Unterscheidungen, grenzt voneinander ab und zieht Verbindungen.“9

Falls die Zugehörigkeit zu einer gewünschten Gruppe nicht gelingt, wird von einigen Interviewpartnerinnen und -partnern der Versuch unternommen, sie auf eine abstraktere Ebene zu setzen. „Dazu gehören“ zu wollen ist also ein wesentlicher Aspekt der Identitätsstiftung und ist scheinbar besonders in europäischen Staaten für Zugewanderte nicht leicht zu erreichen:

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Vgl. Pries, Ludger, Arbeitsmigration und Inkorporationsmuster in Europa. In: Pries, Ludger (Hg.) Zwischen den Welten und amtlichen Zuschreibungen. Neue Formen und Herausforderungen der Arbeitsmigration im 21. Jahrhundert. Essen: Klartext Juni 2005: S. 33 Dannenbeck, Clemens, Selbst- und Fremdzuschreibungen als Aspekte kultureller Identität. Ein Beitrag zur Dekonstruktion kultureller Identität. Opladen: Leske + Budrich 2002: S. 24

ERGEBNISBAUSTEINE

„Was Zuwanderung für unser kulturelles Selbstverständnis als Europäer und für die zivilgesellschaftliche Zugehörigkeit von Einheimischen und Zuwanderern bedeutet, ist weniger klar. Denn anders als die USA und Kanada besitzen die meisten Gesellschaften Europas kein übergreifendes Selbstverständnis, das Zugewanderte und hier Geborene gleichermaßen mit einschließt. Damit wird unsere historische Identität durch „Fremde“, die zu uns kommen, eher infrage gestellt. Zugleich sind damit die Grenzen der Integration bei uns enger definiert als in Nordamerika.“10

Dass Zugehörigkeit für die Interviewpartnerinnen und -partner ein hochprekäres Thema ist, erschließt sich aus ihren vielfältigen Versuchen, dazu gehören zu wollen und sich manchmal trotz aller äußerer Widerstände zugehörig zu fühlen. Die Strategien reichen hierbei von Verdrängung der Exklusion bis hin zur Abstraktion der Zugehörigkeit. Zugehörigkeit ist für alle Befragten ein Mittel gegen Einsamkeit und Heimatlosigkeit. Für das Aktivwerden spielt neben dem gesellschaftlichen Rahmen und der sozialen Unterstützung der Netzwerke auch das Gefühl, zu einer bedeutsamen Gruppe zu gehören, eine wichtige Rolle.11

Der Wunsch nach Teilhabe Gesellschaftliche Teilhabe definiert sich in erster Linie an rechtlichen Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Dabei ist der Aufenthaltsstatus ein wichtiges Element. Bemerkenswert ist, dass die von mir befragten Personen ausnahmslos einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland haben. Viele von ihnen sind mit deutschen Partnerinnen oder Partnern verheiratet, andere sind anerkannte Asylbewerber. Es stellte sich in den Interviews also nicht die Frage nach der rechtlichen Teilhabe an der Gesellschaft, sondern vielmehr nach der sozial-gesellschaftlichen Teilhabe. Die von mir interviewten Migrantinnen und Migranten sehen sich durchaus in der Lage, aktiv gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Dies fordern sie auch von anderen: „Äh, Migranten in Deutschland äh da muss die äh da muss die viele Ausländer in die äh in der Politik reingehen, äh zum Beispiel die da gibt auch schon viele aber äh das ist noch zu wenig.“ Für Herrn Osman ist es wichtig, dass sich Migrantinnen und Migranten politisch nicht nur für die Belange der Mitglieder der eigenen Herkunftsnation engagieren, sondern dass es ein gemeinsames politisches Engagement von 10

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Münz, Rainer, Reiterer, Albert F., Wie schnell wächst die Zahl der Menschen? Weltbevölkerung und weltweite Migration. Fischer Frankfurt am Main 2007: S. 195 Vgl. Seiger, Christine, Warum setzen sich Menschen für andere ein? Welche Motive haben Menschen, die ihre Zeit der Gesellschaftsarbeit oder sozialen Einrichtungen widmen? In: Psychologie Heute, Bd. 32, Nr. 12, Weinheim: Beltz Verlag Dezember 2005: S. 10 167

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Deutschen und Migranten gibt. Er fordert junge Leute jedweder Herkunft auf, Mitglieder einer Partei zu werden und „mit den Deutschen gemeinsam zu arbeiten“. Teilhabe bedeutet für ihn das gemeinsame Handeln von Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft und der Minderheiten. Dabei besteht nicht nur das Problem, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund oftmals nicht trauen, politisch aktiv zu werden, sondern dass die Mehrheitsgesellschaft sie meist nur als Hilfeempfänger, nicht aber als aktiv Handelnde in gesellschaftlichen Prozessen wahrnimmt: „Vielfach werden MigrantInnen eher als AdressatInnen von Sozialer Arbeit und weniger als AkteurInnen gesehen, die ihren speziellen Hilfebedarf selbst definieren können und diesem in verschiedenen Formen des freiwilligen Engagements auch selbst begegnen.“12 Entgegen dieser Aussage des Bundesministeriums für Familie, Frauen und Jugend versuchen die Interviewpartnerinnen und -partner, möglichst alles dafür zu tun, um gesellschaftliche Teilhabe zu erhalten. Antonia Gomez hat zum Beispiel sofort nach ihrer Ankunft in Deutschland einen Sprachkurs besucht, der jedoch nicht zum Aufbau von Kontakten zu deutschstämmigen Gleichaltrigen geführt hat. Um ihr Leben aktiv zu gestalten, benötigt sie aber laut eigener Aussage diese Kontakte. Teilhabe äußert sich in verschiedenen Formen, auf der politischen und auf der zwischenmenschlichen Ebene, durch die Versuche, mit Deutschen in Kontakt zu kommen und sich auf diese Weise nicht mehr fremd zu fühlen. Sprachkurse sind oft der erste Weg, um gesellschaftliche Teilhabe und damit auch Inklusion zu erfahren. Dies zeigt sich am Beispiel von Frau Sha Dong: „Ich muss selbst äh ausdrücken können. Egal wie gut oder schlecht Sprache, aber ähm (-) ich habe das starke Bedürfnis. Dass ich immer diese Verlangen nach außen bringen könnte. Das ist das einzige für mich Energie, das ich leben könnte. Und dann habe ich das Gefühl, ah schön, jetzt konnte ich was bewegen.“ Wenn sie etwas bewegen kann, fühlt sie sich wohl und „lebendig“. Sie muss spüren, dass sie an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben kann und nicht exkludiert wird. Nicht allen Interviewpartnerinnen und -partnern gelingt die Teilhabe an sozial-gesellschaftlichen Prozessen. Am deutlichsten wird dies bei der Nachfrage nach Kontakten zu Deutschen. Diese Frage wird ganz unterschiedlich beantwortet: Während einige, vor allem diejenigen, die schon längere Zeit in Deutschland leben, von zahlreichen Kontakten zu Menschen verschiedenster Herkunft und auch zu Deutschen berichten, haben die jüngeren Gesprächs-

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Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Recherche zum freiwilligen Engagement von Migrantinnen und Migranten. www.bmfsfj.de/Kategorien/Publikationen/Publikationen,did=5312.html, Quelle vom: 25.10.2005

ERGEBNISBAUSTEINE

partnerinnen, im folgenden Beispiel Frau Novak, offenbar größere Schwierigkeiten, Teilhabe durch Kontakte zu erlangen: „I: Und sonst in Ihrer Freizeit, haben Sie DA Kontakte zu Deutschen schließen können? N: Nee, eigentlich nicht, nee. I: Was glauben Sie, woran das liegt? N: (-) Ich weiß nicht, ich habe keine Gelegenheit. Gelegenheit für diese Kontakte.“

Frau Novak stehen wenige Räume zur Verfügung, um Bekanntschaften zu schließen. Sie spürt daher wenig gesellschaftliche Teilhabe, fühlt sich eher exkludiert und zieht sich in die Bezugsrahmen der eigenen Herkunftsnation zurück. Warum diese mangelnde Teilhabe vor allem jüngere Menschen, die noch nicht lange in Deutschland leben, betrifft, lässt sich nur schwer erklären. Frau Hartmann gibt als Begründung an, dass es aufgrund der heutigen Vielzahl von Migrantinnen und Migranten für den einzelnen schwieriger wird, gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen. Während in den 60er Jahren noch Neugierde gegenüber Ausländern vorherrschte, sei man heute eher zurückhaltend gegenüber Fremden. Dies mache es den Betroffenen schwer, gesellschaftliche Teilhabe zu erlangen, selbst wenn sie formal gewährt wird. In der Konsequenz strengen sich die von mir befragten beiden jungen Frauen polnischer Herkunft noch mehr an, um sich als gesellschaftlich aktiv zu erleben: „Es gibt auch einige (-) Ausländer zum Beispiel aus Polen, die hier als Au pairMädchen arbeiten. Also, die haben Kontakt mit andere Deutsche auch dann die Kontakte mit andere Familienmitglieder also Oma, Opa und so weiter. Und dann sind sie zu einige Feste eingeladen und dann lernen sie neue Traditionen. I: Ja, genau. G: Das habe ich auch gelernt, das erfahren. Für (-) DANN muss, ich glaube dann braucht man ein bisschen Mut zu sagen, mutig zu sein und muss man sich SELBST überzeugen. Ja ich muss offen sein, vielleicht gehe ich draußen und und äh (-) gehe ich in eine Treffen in Volkshochschule oder engagiere ich freiwillig oder so.“

Frau Galinski sucht bei sich nach Möglichkeiten, besser in Kontakt zu Deutschen zu kommen. Mut ist für sie ein wichtiges Kriterium, um ihr Ziel zu erreichen und Offenheit ist für sie eine Grundvoraussetzung. Da sie sich selber allerdings bereits als mutig und offen schildert, berichtet, wie sie bei unterschiedlichen Gelegenheiten versucht, auf Deutsche zuzugehen, bleibt die Frage, inwieweit es ihr aus eigener Kraft überhaupt gelingen kann, ihr Ziel zu erreichen. Welche Funktion übernimmt das ehrenamtliche Handeln bei dem Wunsch nach gesellschaftlicher Teilhabe? Das bürgerschaftliche Engagement hat „viele Gesichter“, und so auch ein breites Spektrum an unterschiedlichen Ausdrucksformen des freiwilligen, unentgeltlichen und gemeinwohlorientierten Engagements. Die Teilhabe an kurzfristigen themenbezogenen Projekten, die 169

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Mitarbeit in einer Selbsthilfegruppe, das Leisten einer Unterschrift für eine Bürgerinitiative, die langfristige Bindung an eine Aufgabe oder Leitungstätigkeit in einem Verein oder Verband oder aber die Mitwirkung in einer international agierenden Non-profit-Organisation können Ausdrucksformen sein.13 Für einige Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer hat sich dadurch die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe ergeben. So ist Frau Aydin über ihre Arbeit für Migrantinnen und Migranten zum politischen Engagement gekommen. Heute engagiert sie sich für Deutsche und Zuwanderer im Ausländerbeirat ihrer Stadt. Herr Osman ist sowohl für den Ausländerbeirat seiner Stadt tätig als auch für das Schülerprojekt des Freiwilligenzentrums in seiner Umgebung. Frau Schneider hat in ihrer eigenen ökologischen Initiative fast ausschließlich Kontakte zu Deutschen und kann sich gesellschaftlich einbringen, indem sie auf politischer und gesellschaftlicher Ebene für ihre Interessen eintritt. Nicht allen gelingt aber durch das Engagement die gesellschaftliche Teilhabe, wie an den beiden jungen Polinnen Frau Galinski und Frau Novak deutlich wird. Bürgerschaftliches Engagement ist demnach eine Möglichkeit, sich in der deutschen Gesellschaft „heimisch“ zu fühlen, kann aber nicht die einzige Perspektive für Migrantinnen und Migranten sein. Die Gefahr, auch hier zu scheitern ist gegeben. Zum Teil liegt dies auch an den Einsatzbereichen. Ein Engagement mit Kleinkindern zum Beispiel scheint nicht so geeignet zu sein wie ein Einsatz für Jugendliche oder Erwachsene. Es wäre interessant, diese These mit einer quantitativen Studie zu überprüfen.

Werte und Grundhaltungen Die Interviewpartnerinnen und -partner sprechen im Kontext ihrer Motivationen bezüglich des bürgerschaftlichen Engagements auch über ihre Werte und Grundhaltungen. In Bezug auf die Neuorientierung in einer fremden Gesellschaft ist offensichtlich der Verweis auf die Grundwerte, die dem Individuum wichtig sind, zentral. Dabei unterscheidet man religiöse (Gottesfurcht, Nächstenliebe), moralische (Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Treue), politische (Toleranz, Freiheit, Gleichheit), ästhetische (Kunst, Schönheit) und materielle Werte (Wohlstand). In den Interviews lassen sich religiöse, moralische und politische Werte feststellen, während ästhetische und materielle Werte nicht oder nur am Rande thematisiert werden.

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Vgl. Olk, Thomas, Die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für die Integration von Zuwanderinnen und Zuwanderern. http://www.buerger-fuerbuerger.de/content/buergergesell-zuwanderer.htm S. 1-7, Quelle vom 01.10.2006

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Religiöse Werte zeigen sich in unterschiedlicher Form. Herr Cifera beispielsweise betont auch im Hinblick auf seine religiöse Einstellung die „Lockerheit“, die ihn ausmacht: „Der Priester, ich bin, ich bin katholisch aber ich gehe in die Kirche so wenn ich LUST habe (--) ALLEIN (--). Fünf Minuten und dann gehe ich weg und Sonntag ist für mich NICHT wichtig (-) äh Kommunion die ganze Geschichte, es ist für mich so nicht besonders wichtig aber die Religion ist ein bisschen (-) vielleicht oberflächlich. Es geht (--) gezielt auf einen bestimmten Idealpunkt. Dass es der Christianismus wie sagt man. Die ganze Prozedur bete ich, wenn ich Lust habe und nicht wenn ich muss (-) äh usw. und der Priester es wäre für mich etwas zu viel (--).“

Tonio Cifera lehnt strenge Glaubensvorschriften ab, dennoch ist sein Handeln durch christliche Werte geprägt. Ähnlich zeigt sich dies bei Lazlo Fekete, der berichtet, katholisch zu sein, aber auf seine Art an Gott glaube. Er sei kein Volkskirchengänger und gehe sehr selten in die Kirche, weil er unabhängig von einem Ort beten könne. Als Freiheit bezeichnet Herr Fekete es, seinen Glauben so leben zu können, wie er es möchte. Die Religion gibt ihm Halt und Ziel im Leben. Fanatische Gläubige lehnt er ab. Lucia Diaz sieht sich ebenfalls nicht an strenge Glaubensvorschriften gebunden, vor allem wohl auch, weil ihre Lebensweise nicht den katholischen Regeln, die ihrer Meinung nach in Spanien besonders starr eingehalten werden, entspricht: „Ich hab es nicht so ganz mit Kirche. Also ich glaub schon irgendwo. Aber (-) ich zahl keine Kirchensteuer, weil das ist so, dass man sagt, HÄ, wieso das denn? Ich gehe auch in die Kirche, wenn es pressiert, aber so wie die Spanier mit ihren Prozessionen und Tralala. (-) Sollen DIE mal machen. Ich begleit meine MUTTER in die Kirche. Und meistens, also ich habe es immer mit meinem Vater gemacht, wir sind immer bis zur Tür gegangen. Und haben gesagt, da warten wir, wenn Du wieder raus kommst, dann sitzen wir hier. Hab mich zu den Männern gesetzt, hab dann eine GERAUCHT derweil. Und (-) aber ansonsten, nee, wir haben unsere Feiertage, die man hier auch so bisschen anders.“

Mit ihrer Lebensweise eckt sie bei den spanischen Verwandten, die sehr durch religiöse Normen geprägt sind, an. Sie trennt sich dennoch nicht gänzlich von kirchlichen Riten und ihre Einstellung zu Kirche und Religion ist ambivalent und pragmatisch. Auf der einen Seite sucht sie Halt, wenn es nötig ist, auf der anderen Seite möchte sie sich ihren Alltag nicht von Vorschriften bestimmen lassen, die sie nicht nachvollziehen kann. Wichtig scheinen den meisten Interviewpartnerinnen und -partnern religiöse Toleranz und Respekt zu sein. Fanatismus wird abgelehnt. Wahrscheinlich ist dies den Gesprächspartnerinnen und -partnern auch deshalb von gro171

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ßer Bedeutung, weil in den Medien religiöser Fanatismus zunehmend thematisiert wird. Besonders bei den von mir interviewten Muslimen Ahmet Osman und Filiz Aydin wird dies betont: „Der Islam ist tolerant. Da muss man mit die Menschen zusammenleben.“ „Ich kennen viele auch Religionen. Und ALLES, alles. Ich meine, ich kannte und ich ich äh hab auch große Respekt an ANDERE Religionen gehabt.“

Ein Großteil der Befragten zieht Kraft und Mut sowohl für das freiwillige Engagement als auch für das Leben in einer fremden Kultur aus religiösen Grundüberzeugungen. Die Verankerung des Individuum innerhalb einer Religion scheint das Einleben in der Fremde zu erleichtern und ein sicheres Gefühl der Zugehörigkeit zu schaffen. Antonia Gomez beschreibt sich als eine gläubige Katholikin, die ältere Menschen in dem Seniorenheim, in dem sie tätig ist, häufig in Gottesdienste begleitet. „I: Und ist der Glaube für Sie dann auch so eine Kraft. Ist das auch wichtig für Sie? G: Ja, ich glaube schon. Ich glaube IMMER an Gott, ich bette immer und dann, ich mache gerne mit ältere Leute immer so treffen und sprechen. Ich meinte, ich bitte Gott, Du musst mir HELFEN die Sprache. Besser werden, besser sprechen. Aber ich hoffe vielleicht später kann MEHR Kontakt haben, vielleicht. GERNE besser sprechen. Dann vielleicht.“

Erkennbar wird, dass Frau Gomez Halt in ihrem Glauben findet, wenn sie in ihrem Integrationsbemühen in Deutschland an Grenzen stößt. Sie sucht Trost und Sicherheit, indem sie ihre Sorge um ihr mangelndes Sprachvermögen nicht ausschließlich mit sich selber vereinbaren muss, sondern ihre Probleme quasi an eine geistig höhere Ebene abgeben kann. Ähnlich ist es für Filiz Aydin, die davon ausgeht, dass Gott ihr bei Schwierigkeiten zur Seite steht. Sie betont im Interview mehrfach, dass sie aus ihrem Glauben Kraft schöpft für ihr Engagement. Sie handelt aufgrund ihres muslimischen Menschenbildes, welches Gleichheit und Toleranz vermittelt. Nach diesen Prinzipien versucht sie ihr Leben und damit auch ihr Engagement zu gestalten. Auch Mithra Sakkoundi, der zwar nicht genau benennt, welche Bedeutung sein Glaube für ihn hat, wendet sich bei Problemen oder Diskriminierungserfahrungen an Gott und versucht sich von Angriffen zu distanzieren, indem er für diejenigen betet, die seiner Meinung nach ungerecht handeln. Für die meisten Probanden ist es eine Selbstverständlichkeit, dass religiöse Werte in ihrem Leben eine Rolle spielen. Sie sind in ihrer Familie und in ihrem Heimatland durch das kirchliche Leben oder das Leben in der Moschee geprägt worden. Erkennbar wird in einigen Interviews, dass das freiwillige Handeln durch Dankbarkeit geprägt ist, wobei sich die Dankbarkeit auf Gott bezieht. Lazlo 172

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Fekete zum Beispiel ist froh, in Deutschland leben zu dürfen und engagiert sich aus Dankbarkeit Gott gegenüber: „Ich bin NICHT der Typ, ich sag äh Gott, Gott gibt mir äh so viel, dass ich soll auch anderen helfen können und geben können. Und dann hab ich genug. Ich bin nicht der Typ, dass zum Beispiel ich will Millionen haben oder so was. Aber ich soll meine Ruhe und meinen Frieden haben.“ Der Glaube und sowohl christliche als auch muslimische Werte werden von allen Interviewpartnerinnen und -partnern thematisiert. Dabei spielt der Rückhalt durch den Glauben eine wichtige Rolle bei der Bewältigung von Migrationsproblemen. Der Glaube dient dazu, Kraft zu generieren für Alltagsprobleme und schwierige Situationen im Engagement. Gleichzeitig wird die eigene Position bei Negativerlebnissen wie Diskriminierungserfahrungen oder Sprachbarrieren gestärkt. Kirchlichkeit und Religiosität scheinen sich dabei voneinander unabhängig zu entwickeln. Die allgemeingesellschaftliche Tendenz dahingehend, dass Kirche zunehmend zu einem Teilsystem moderner Gesellschaften wird, dem immer weniger Menschen angehören wollen, während Glaubensüberzeugungen bzw. bestimmte religiöse Praktiken im Alltag überdauern, zeigt sich in fast allen Interviews. Neben religiösen werden auch moralische Werte wie Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit in den Interviews thematisiert. Stellvertretend für die Einstellung der meisten Interviewpartnerinnen und -partner kann die Aussage von Lena Galinski stehen: „Etwas zu bekommen ist macht weniger Spaß als etwas zu schenken.“ Der Gedanke, etwas schenken zu können, ist für die Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer ein wichtiger Aspekt in bezug auf ihr freiwilliges Engagement. Zugehörigkeit wird auch dadurch verstärkt, indem man etwas für die Gesellschaft leisten kann. Dabei kommt es den Probanden nicht auf Geldleistungen an, sondern darauf, etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun. Tonio Cifera sieht Freundlichkeit oder ein Kompliment als als einen alltäglichen Aspekt, der von jedem geleistet werden kann. Die moralischen Werte drücken sich bei meinen Interviewpartnerinnen und -partnern vor allem dadurch aus, dass Menschen geholfen werden soll, die der Hilfe bedürfen. Die konkrete Umsetzung dieser Werte zeigt sich in unterschiedlicher Form. Während Frau Gomez ganz gezielt ihre Zeit für Senioren einsetzt, sieht Frau Sha Dong ihren Einsatz eher unspezifischer und globaler. Wichtig ist ihr aber, aktiv zu sein und für die Gesellschaft Gutes zu tun: „Ja, ich meine äh ich bin so ein Mensch wie die Ureinstellung heißt immer noch äh etwas für die Gesellschaft Gutes tun. Also ein Menschen ohne Tun für mich ist nur wie eine Statur da und das ist also für MICH sinnlose zu leben. Also für mich persönlich.“ Auffällig ist, dass die Interviewpartnerinnen und -partner die Gleichheit aller Menschen betonen und Wert darauf legen, dass ihnen Herkunft, Religion 173

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oder Kultur einer Person nicht wichtig sind. Das ist besonders interessant, weil die meisten von ihnen Diskriminierungserfahrungen genau aufgrund dieser Aspekte erlebt haben. Um sich dagegen abzugrenzen, setzt zum Beispiel Hala Brunner den Wert der Gerechtigkeit unabhängig von Herkunft oder Religion dagegen: „Für mich jeder Mensch, egal wo er herkommt, als erstes ein Mensch ist. Mit seinen Schwächen und Stärken.“ „Und das ähm, ja, das LERNT man auch mit der Zeit kennen. Also ich denke, wenn man verschiedene Kulturen kennen lernt und mit ihnen auch sich auseinandersetzt, dann merkt man, im Grunde sind wir DOCH irgendwo gleich alle, wir haben unsere menschlichen Seite, unsere unmenschlichen, unsere Stärken unsere Schwächen (-). Ja, also.“

Die Probanden wünschen sich ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen in Deutschland, wobei der Wert der Gerechtigkeit dabei sehr konkret durch den interkulturellen Dialog umgesetzt wird. Trotz aller Widerstände, die sie erleben, handeln die Gesprächspartnerinnen und -partner nach dem Prinzip der Anerkennung aller Menschen und des friedlichen Zusammenlebens: „Weil man nie allein, einer kann NIE das Leben leben. Man lebt ja miteinander. Wenn es mir auch SO gut geht, ich kann nicht alleine leben. Ich habe ja mein Umfeld, in meiner Nachbarschaft, und der Mensch ist ja nicht dazu geboren, alleine zu sein. In diesem Sinne unterscheidet er sich von manchem Tier. Und von daher gehören wir einfach zusammen. Manche ertragen es leicht, manche nicht. Und dann in dieser kurzen Zeitspanne möchte niemand allein sein. Aber wenn man weiß, wir leben eigentlich alle zusammen.“

In den Interviews wird betont, dass nach dem Gewissen gehandelt wird und dass das getan wird, was von den Probanden in der Situation als richtig erkannt wird. Zusammenfassend für die moralischen Werte kann folgende Aussage von Lazlo Fekete stehen: „Man soll nicht betteln, aber auch nicht GROB sich was nehmen wollen oder so was. Man soll den Sachen einen Ablauf lassen, man soll etwas wie wenn es normal wäre. Und normal ist auch normal. Ich sehe das, ist auch normal, dass zwei Menschen EGAL von welche Religion, von seiner Farbe und sein äh Intellekt oder so was. MEINE Eltern haben mich so gelernt. Wie ich alt genug war, mein Vater hat gesagt, äh mein Sohn jetzt bist Du alt genug und versuch in Deinem Leben (-) auf jeden Menschen auf sein Niveau herankommen. (--) Bist Du höher, komm herunter, das ist keine Schande. (--) Oder ist er höher, versuch zu ihm herauf zu kommen. Das Du sollst in Augenhöhe mit ihm reden. Und kurz gesagt im folklorischen Mund, jedem Ochsen in seiner Sprache.“ 174

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In Bezug auf politische Einstellungen, die das freiwillige Handeln der Befragten bestimmen, zeigt sich neben den Aspekten der Toleranz und Freiheit abermals der Grundsatz der Gleichheit. Dabei geht es um die Gleichheit aller Menschen unter Berücksichtigung kultureller Unterschiede. Die Probanden betonen die unterschiedliche Mentalität der Menschen und verweisen auf verschiedene Sitten und Riten. Gleichzeitig wird aber das menschliche Leben als gleichwertiges Leben mit gemeinsamen Zielen und Gedanken herausgestellt. Sie verneinen nicht, dass es Unterschiede zwischen den Kulturen gibt und setzen sich auch dafür ein, eigene Traditionen zu bewahren; dennoch ist ihr Fokus auf die Gleichheit der Menschen ausgerichtet, wie sich am Beispiel von Belgin Schneider zeigt: „Das ist unglaublich wie GLEICH wir sind. Die Spezies Mensch, ja. Was sind wir in einem kleinen in einem Planet alles gleiche Menschen.“ Durch diesen Grundsatz erklärt sich auch, warum viele der Befragten sich sowohl für Mitglieder der eigenen Herkunftsnation als auch für die deutsche Mehrheitsgesellschaft engagieren. Wichtig sind nicht die Herkunft sondern sind die Bedürfnisse der Menschen.

Die Einstellung zur freiwilligen Tätigkeit Nach ihrer Einstellung zur freiwilligen Tätigkeit befragt, sprechen die Interviewpartnerinnen und -partner sechs verschiedene Dimensionen, innere Einstellung, Abgrenzung zu Hauptamtlichen, Abgrenzung zur bezahlten Tätigkeit, Prägung durch Familie und Kultur, Gewinn durch die Tätigkeit und Ambivalenzen in bezug zur Einstellung zur Tätigkeit an.

Innere Einstellung Die Befragten haben eine positive Haltung zu ihrem ehrenamtlichen Einsatz. Sie spüren, dass sie sich gesellschaftlich einbringen können und dies stärkt das Zugehörigkeitsgefühl. Durch die Aufforderung von Herrn Osman an andere türkischstämmige Migrantinnen und Migranten wird sichtbar, welch wichtige Bedeutung dem freiwilligen Engagement beim Inklusionsbegehren zukommt: „Äh ich kann äh einbringen in mein Engagement für äh meine Landsleute, da müssen auch viele mitmachen, wenn sie Zeit haben. Egal wer aktiv oder passiv, das kann Mitglied sein, es kann schon die Seniorenbeirat sein, wenn man Zeit hat, dass man ehrenamtlich tätig ist“ Herr Osman sieht jegliche Beteiligung in Vereinen und Gruppen positiv und schlussfolgert daraus ein besseres Verständnis zwischen den verschiedenen in Deutschland lebenden Kulturen. Für viele, wie zum Beispiel Filiz Aydin, ist eine freiwillige Tätigkeit eine Selbstverständlichkeit: „Ich hab hier äh als ich da war, für mich war es nicht so besonderes.“ Diese Selbstverständlichkeit im sozialen Handeln bedeutet aber keineswegs ein Opferverhalten der Probanden. Sie betonen vielmehr den Spaß, den 175

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sie bei ihrem Einsatz empfinden. Antonia Gomez wiederholt im Interview mehrmals, dass sie ihre Tätigkeit gern ausübt und für sinnvoll hält. So stellt sie die Freude, die sie bei ihrer Tätigkeit empfindet, in den Mittelpunkt ihrer Aussagen. Die innere Abgrenzung zu Problemen oder Herausforderungen im Engagement fällt nicht allen Interviewpartnerinnen und -partnern leicht. Frau Aydin ist geprägt durch einen hohen Einsatz für Menschen mit Migrationshintergrund und für Deutsche: „Wissen Sie, HIER war meine Zuhause Tag und Nacht. Ob Beratung gehabt habe oder nicht, ehrenamtlich war ich beim AK auch Wochenende, ehrenamtlich. ALLES ehrenamtlich. Wir haben (-) 38,5 Stunden, sonst nichts. VerSTEHEN Sie mich?“ Die Besonderheit bei Filiz Aydin ist, dass sie zwar in einem Team arbeitet, gleichzeitig aber die Beratungsstelle leitet. Daher hat sie wenig Rückmeldung zu ihrem Engagement und wird wohl auch seltener auf die Bedeutung der Abgrenzung hingewiesen, als dies bei Organisationen der Fall ist, in denen Hauptamtliche für die Betreuung der Freiwilligen zuständig sind.

Abgrenzung zur bezahlten Tätigkeit Die Abgrenzung zur bezahlten Tätigkeit ist ein wichtiger Aspekt, wenn es um die Einstellung zum Engagement geht. Alle Interviewpartnerinnen und partner betonen, dass es ihnen nicht um eine Bezahlung für ihren Einsatz geht. Einige haben sich bewusst für eine unbezahlte Tätigkeit entschieden, andere eher deshalb, weil es keine Möglichkeit gibt, eine bezahlte Arbeit zu bekommen. Dabei sind sich die Befragten darüber im Klaren, dass die finanzielle Absicherung eine Grundlage für ein bürgerschaftliches Engagement bildet. Herr Osman kann sich nur deshalb engagieren, weil sein Lebensunterhalt durch sein Rentnerdasein gesichert ist und er so auch über freie Zeit verfügt: „Ja, wie ich gesagt habe, weil äh ich will nicht abhängig machen. Ich bekomme meine Rente und dann okay, dann ich mache ich gern die ehrenamtlich Arbeit. Wenn ich zum Beispiel äh wirtschaftlich ist es äh (-) äh abhängig wäre, dann würde ich auch natürlich nicht ehrenamtlich arbeiten. Das ist es auch so.“ Belgin Schneider hat sich trotz ihrer akademischen Laufbahn dazu entschlossen, sich ausschließlich freiwillig zu engagieren. Sie spricht, wenn sie von ihrem Einsatz berichtet, von ihrer „Arbeit“. Der Arbeitsbegriff ist bei ihr nicht auf bezahlte Tätigkeiten eingeschränkt, sie vertritt ihre ökologische Initiative selbstbewusst vor dem Hintergrund, dass auch ihr Lebensstandard gesichert ist: „Und irgendwo eine große Luxus auch, diese Arbeit machen zu können. Weil ich denke, ähm jemand der (-) sein Brot unbedingt verdienen muss um die Kinder zu er-

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nähren, die kann das nicht. Ich muss es auch für SIE tun. I: Mhm. S: Das ist der Punkt. Und irgendwo denke ich auch, dass ist die Aufgabe von uns ALLEN ist, die (-) genug zu Essen haben, dass sie sich auch um den Wohl der anderen kümmern. Oder von Umwelt oder je nach dem. Ich sehe das so. Ich meine ich verurteile diejenigen nicht, die das nicht tun, das ist die Sache von jedem einzelnen, (-) aber (-) es war in der Türkei ganz normal, also das machen alle und auch alle, die die Fulltime arbeiten, jeder tut etwas für den anderen. Jeder hilft den anderen. Das kommt von innen, man will helfen.“

Frau Novak dagegen hat keine andere Möglichkeit, sich gesellschaftlich einzubringen, als durch ein freiwilliges Engagement. Ihre Hochschulabschlüsse werden in Deutschland nicht anerkannt. Obwohl sie sehr gerne in ihrem Beruf als Lehrerin arbeiten würde, ist für sie aber die fehlende Bezahlung nicht der Aspekt, der im Mittelpunkt steht: „Und ich denke nicht an Geld. Ich denke nicht, äh die haben mehr oder die machen, die machen zum Beispiel wenig oder genauso und die haben mehr Geld äh wie ich. Ich denke nicht äh an Geld. Mm (schüttelt den Kopf). Nein. I: Also es spielt jetzt nicht die Rolle für Sie? N: Nee. Ich freue mich, dass ich äh KANN es machen. Dass äh (--) dass bin ich da. Und das ja.“

Festhalten lässt sich, dass die Identifikation mit der Tätigkeit und das Gefühl von Anerkennung nicht auf der Bezahlung der Arbeit beruht, sondern vielmehr darin, sich einbringen zu können und eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben.

Abgrenzung zu Hauptamtlichen Das Verhältnis zwischen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern in sozialen Feldern ist Thema zahlreicher Studien. Der Blickwinkel ist dabei auf die Anerkennung und Betreuung der freiwilligen Helfer gerichtet. Auch die Frage nach den Grenzen der ehrenamtlichen Arbeit stellt sich immer wieder. Hauptamtliche sind oft verunsichert und haben Angst um ihre Arbeitsplätze, weil sich mehr und mehr freiwillig engagierte Personen beispielsweise in Altenheimen um die Senioren kümmern. Daher war es interessant, die Einstellung der Engagierten diesbezüglich zu erfragen. Bei der Befragung fiel mir das Selbstbewusstsein auf, mit dem sich die Migrantinnen und Migranten von professionellen Helfern unterscheiden. Besonders eindrucksvoll ist dies am Beispiel von Lena Galinski nachzuvollziehen: „Ich bin zusätzlich, also ich HELFE nur (-) aber (lacht) am Anfang, als ich fast eine halb Monat arbeite, ist IMMER jede Mädchen krank, also eine Erzieherin oder eine Kinderpflegerin und deshalb musste ich diese Pflichten dann übernehmen und oder

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in andere Gruppe halt dann. Jetzt bin ich schon gleich zurück in der roten Gruppe, weil (-) jetzt äh die Kinderpflegerin krank ist. (lacht)“

Obwohl sie viele Aufgaben übernimmt, die normalerweise eine Erzieherin übernehmen muss, weiß sie, dass sie nicht hauptverantwortlich für das ist, was in der Kindertagesstätte passiert. Sie betont, dass sie ausschließlich als Ergänzung in der Gruppe ist. Von der Leitung der Kindertagesstätte wurde ihr dies zugesichert: „Äh aber bin ich nur zusätzlich, aber dann die Leiterin hat mir gesagt, Du bist zusätzlich, also zuerst beobachten Sie was los ist, okay, JETZT als ich, als Du zurecht kommen kann, vielleicht übernehme ich die Pflichten wenn jemand krank ist. Und deswegen mache ich schwierige Arbeit als normalerweise.“ Frau Galinski übernimmt gern neue Aufgaben, sucht Herausforderungen und freut sich, wenn ihr als Freiwillige schwierige Aufträge zugetraut werden. Auch andere Befragte sagen, dass sie froh darüber sind, nicht alle Aufgaben und Verantwortungen übernehmen zu müssen, sondern als freiwillig Tätige besondere Freiheiten zu genießen. Dies gilt jedoch nicht für Belgin Schneider, Filiz Aydin und Mithra Sakkoundi. Als Verantwortliche für ein eigenes Projekt haben sie eine andere Rolle als diejenigen, die in einem Team mit Hauptamtlichen und Freiwilligen gemeinsam arbeiten. Interesssant ist auch ein Blick auf die Funktion der ehrenamtlich tätigen Migrantinnen und Migranten in bezug auf den Integrationsprozess von Neuzuwanderern. Ich habe dieses Thema zwar nur am Rande verfolgt, weil mich vor allem das Engagement für die Mehrheitsgesellschaft interessiert hat. Weil aber einige der Interviewten auch in eigenethnischen Kontexten engagiert sind, konnte ich hier einen Unterschied und eine Abgrenzung zur hauptamtlichen Tätigkeit feststellen. Frau Brunner engagiert sich für arabische Frauen und wird dabei – anders als Hauptamtliche – nicht als Funktionärin wahrgenommen, die eine Aufgabe verrichtet, für die sie bezahlt wird. Sie steht als Freiwillige auf einer anderen Ebene und hilft mit, das Fremdsein abzubauen, welches sich als eine der stärksten Belastungen der Migranten auswirkt. Durch ihren persönlichen Kontakt mit den arabischen Frauen erleben diese Angenommensein und menschliche Zuneigung. Zugleich nehmen die arabischen Frauen wahr, dass Frau Brunner in ansonsten rein deutschen Kontexten engagiert ist. Auf diese Weise füllt Frau Brunner eine Vorbildfunktion aus.

Prägung durch Familie und Kultur Die Einstellung zur freiwilligen Tätigkeit wird vor allem durch die Familie und durch die Kultur, in der die Menschen aufwachsen, geprägt. Selbst wenn die Interviewpartnerinnen und -partner ehrenamtliche Tätigkeiten in ihrem Heimatland nicht auf institutioneller Ebene erfahren haben, so haben sich doch oftmals ihre Eltern in unterschiedlicher Form freiwillig engagiert. Die 178

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Eltern von Frau Schneider, die in der Türkei ein Hotel besitzen, haben sich gleichzeitig dafür eingesetzt, dass die Umwelt geschont wird: „Mhm (-). Also ähm (--) ich meine (-) äh Engagement habe ich mein ganzes Leben letztendlich gehabt. Also wie soll ich sagen, das war auch in der Türkei. Meine Eltern (-) äh sind immer engagiert gewesen. Wir haben uns für (-) für die Umwelt dort eingesetzt für (-) für äh für Reinhaltung von Bucht dort und für (-) was weiß ich kleinere Straßen für die Küsten Tourismusgebiet. Für einen ökologisch verträglichen Tourismus haben wir uns eingesetzt. Und Agrotourismus gemacht auch. Ähm, das heißt, von klein an (-) äh bin ich mit Engagement aufgewachsen.“

Andere Befragte haben erlebt, dass die Mütter anderen Frauen aus der Nachbarschaft geholfen haben und die Väter ihnen vermittelten, dass man sich für andere Menschen einsetzen muss. Für alle Migrantinnen und Migranten ist der Aspekt der Prägung durch die Familie und die Kultur wesentlich für die Motivation und Einstellung zu ihrer Tätigkeit, auch wenn ein Engagement erstmals in der Bundesrepublik ausgeübt wurde.

Gewinn durch Ehrenamtlichkeit Die von mir befragten Personen erklären, dass sie ihre Tätigkeit gern ausüben. Dabei steht zwar der Einsatz für andere im Vordergrund, alle betonen jedoch, dass das Engagement Freude macht und sinnstiftend ist. Die Probanden empfinden Dankbarkeit für ihre Lebensmöglichkeiten in Deutschland und möchten einiges von dem, was ihnen widerfahren ist, an andere weiter geben. Dabei erleben sie Erfolge und spüren auf diese Weise Zufriedenheit. Die Ablehnung der Konsumgüter, die ihnen keine Befriedigung geben, und der Bezug auf nicht materielle Werte kann daher kommen, dass die Migrantinnen und Migranten durch ihre geringere materielle Ausstattung weniger Zugang dazu haben, aber auch daher, dass sie aus ihrem Heimatland die Fülle an Luxusartikeln nicht kennen und ihnen dies fremd erscheint. In ihrem Engagement suchen sie nach Werten wie Freude, Sinnhaftigkeit und positive Rückmeldung. Ambivalenzen in Bezug zum Engagement Die Einstellung zur freiwilligen Tätigkeit ist nicht immer eindeutig positiv besetzt oder frei von Fragen und Schwierigkeiten. So resümiert beispielsweise Frau Novak, dass es notwendig sei, für die Tätigkeit „zu wachsen“. Sie geht davon aus, dass nicht jeder die gleichen Fähigkeiten für ein freiwilliges Engagement besitzt und dass persönliche Reife notwendig ist, um sich zu engagieren. Dabei steht auch die Frage im Raum, welchen Einsatzbereich man wählt und ob das Ziel, anderen Gutes zu tun, tatsächlich erreicht werden kann. Die Frage nach dem, was das Gute ist, beschäftigt vor allem Lian Sha Dong: 179

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„Und auch eigene Wünsche für die Gesellschaft, so genannte GUTES tun. Aber WAS ist Gute. Ich weiß es JETZT noch nicht, ehrlich gesagt, ich weiß es jetzt immer noch nicht was Gutes. Ich habe vorhin gesagt, Geschmack des Menschens ist so unterschiedlich. Einer will was Gutes versuchen, ein anderer denkt, das ist schlecht. Und je älter man wird, desto stärker finde diese Zweifel (-) so genannte Gutes zu machen. I: Mhm. D: Aber ich bin mmm vor wie auch jetzt immer versucht. Das herauszufinden (-) das also überhaupt Daseins.“

Die Ambivalenz, etwas Gutes tun zu wollen, gleichzeitig aber nicht zu wissen, was das Gute eigentlich ist, löst Frau Sha Dong durch das Vertrauen in die eigene Intuition. Sobald sie bemerkt, dass Menschen ihre Hilfe benötigen und diese auch dankbar angenommen wird, bekommt sie das Gefühl, etwas Gutes zu tun und fühlt sich in ihrem Engagement bestätigt, andererseits hat sie den Eindruck, dass sie trotzdem immer wieder an Grenzen stößt. Dies führt bei ihr zu Verzweiflung und verstärkt ihre Frage nach dem Sinn des freiwilligen Engagements. Frau Sha Dong erlebt, dass das freiwillige Engagement nicht ausschließlich nützlich ist und die Wirtschaft nach anderen Maßstäben funktioniert. Sie wehrt sich gegen die Fokussierung auf materielle Werte und sieht daher das freiwillige Engagement als Ausweg. Die Freiwilligen stellen sich in den Interviews die Frage nach der Nachhaltigkeit und der Bedeutung ihres Einsatzes. Dabei resümiert Herr Fekete, dass die freiwillige Tätigkeit global gesehen keine Bedeutung hat. Er muss mit der Problematik umgehen, dass er nur im Kleinen etwas bewirken kann: „Und sonst, was MEINE Arbeit ist äh fast nichts, wenn man es auf der Größe des Landes sieht und so was. Es ist genau wie ein Strohhalm.“ Neben dem selbstbewussten Auftreten der Migrantinnen und Migranten in ihrem Engagement zeigen sich also auch Zweifel und Ambivalenzen, mit denen sie umgehen müssen. Sie lösen dies meist durch die Konzentration auf ihren Einflussbereich. Vergleicht man die Aussagen der von mir Befragten mit den Ergebnissen der Studie der Stiftung Zentrum für Türkeistudien zum freiwilligen Engagement von Türkinnen und Türken in Deutschland, lässt sich festhalten, dass ein derzeitiges positiv wahrgenommenes Engagement und die Erfahrung mit der freiwilligen Tätigkeit die Einstellung zu einer freiwilligen Tätigkeit in der Zukunft prägt. Die Bereitschaft ist hoch, auch in Zukunft engagiert zu sein. Die positive Einstellung wirkt sich laut Forschungsergebnissen des Forschungszentrums auch auf die Motivations- und Überzeugungskraft der Engagierten bezüglich anderer Interessenten aus.14

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Vgl. Zentrum Stiftung für Türkeistudien, Freiwilliges Engagement von Türkinnen und Türken in Deutschland. http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/ Publikationen/engagementtuerkisch/4-Studienergebnisse/4-1-Ergebnisse-dertelefonischen-Repr_C3_A4sentativbefragung/4-1-5-potentiale,seite=1.html

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Integration Auf das Thema der Integration wurde bereits im Theorieteil der Arbeit eingegangen, hier geht es darum, das individuelle Erleben der Migrantinnen und Migranten bezüglich der eigenen Integration zu erfassen und zu analysieren.

Integrationsleistungen der Migrantinnen und Migranten Ein wesentlicher Aspekt der Integration bezieht sich auf die eigene Integrationsleistung. In den Interviews wird deutlich, welch große Anstrengungen von Seiten der Befragten geleistet werden, um sich integriert zu fühlen. Dazu zählt in erster Linie die Kontaktaufnahme zu Deutschen, Eine wichtige Voraussetzung, um Kontakte zu Deutschen zu schließen, ist das Beherrschen der Sprache. Frau Brunner macht deutlich, dass es nicht nur darauf ankommt, in der Sprache des Aufnahmelandes kommunizieren zu können, sondern auch ein Verständnis für die Kultur und die Eigenheiten der Vertreter des Aufnahmelandes zu entwickeln: Vielleicht liegt es daran, dass ich deutsch gut spreche, vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich äh (-) dass ich hier den Leuten das Gefühl gebe, ja ich verstehe sie und ich habe das Gefühl, sie nehmen mich auch AN“ Alle Interviewpartnerinnen und -partner haben sich entweder bereits vor der Ankunft in Deutschland oder direkt danach über die Kultur informiert und ein positives Bild aufgebaut. Am Beispiel von Frau Novak wird aber deutlich, dass das Bemühen um Kontakte als wichtiger Integrationsbaustein nicht immer gelingt: „Aha. Mm, ich weiß nicht. (--) Ich habe noch Bekannte aus Deutschland. Die sehe ich nicht so oft, aber die Kontakte sind GUT. Sind nicht FREUNDE, aber es ist sehr gut. Wir waren zusammen in Restaurant, wir waren im äh HAUS und ich denke, es ist gut. Mhm, aber ja (-). I: Und wie planen Sie die Zukunft? Planen Sie, auf Dauer HIER zu bleiben, planen Sie noch einmal woanders hinzugehen? N: Ja, wir wollen äh hier bleiben, noch zehn Jahre oder so. Wir wollen einfach was machen, arbeiten und integrieren. Und so.“

Die einzigen deutschen Bekannten von Frau Novak sind wesentlich älter als sie und ihr Mann. Ein wichtiges Kriterium für Freundschaft ist für sie die Tatsache, dass sie zu den deutschen Bekannten nach Hause eingeladen wurde. Mehrere Interviewte geben an, dass dies für sie ein Indiz dafür ist, Bekanntschaften zu schließen und Offenheit zu erleben. Durch das freiwillige Engagement für Deutsche wird auch nach außen sichtbar, wie sehr die Probanden nach Zugehörigkeit streben und integriert sein möchten, was durch die folgende Interviewpassage von Lian Sha Dong erkennbar wird: „Und ich (-) glaube auch daran, dass ICH wirklich hier für Engagement macht und mich

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zu integrieren. Und alles von meine Seele aus letztendlich HIER akzeptiert wird. GLAUBE ich.“ Da Frau Sha Dong in der deutschen Gesellschaft lebt, ist es für sie eine Selbstverständlichkeit, sich auch für die Majoritätsgesellschaft zu engagieren. Dabei vergisst sie ihre Herkunft nicht, sondern feiert auch chinesische Feste und führt ihre Kinder in chinesische Traditionen ein. Das Problem, sowohl die Rituale und kulturellen Werte der Herkunftsnation zu bewahren und gleichzeitig die der Aufnahmegesellschaft anzunehmen, stellt sich für alle Probanden. Vor allem betrifft dies Frau Diaz, die in Deutschland aufgewachsen ist und deren Eltern sich sehr um Anpassung bemüht haben. Dennoch galt sie in ihrer Klasse als Ausländerin. Durch die spanischen Festtage, die die Familie gefeiert hat, wurde ihr ihre Besonderheit und die Exklusion deutlich: „Zu der Zeit waren nicht so viele Ausländer, meisten ein oder zwei Ausländer in der Klasse. Der Rest waren halt nur Deutsche, das war schon irgendwie ANDERS. Wir haben uns zwar sehr angepasst, aber es waren auch gewisse Feiertage, die wir einfach anders gefeiert haben und so. Das war immer so ein bisschen exotisch. Ich habe irgendwie schon DAZU gehört, aber irgendwie anders halt als die anderen Kinder. Hab eigentlich kein Problem damit gehabt. Weil ich da mit, ja, ich bin halt mit beidem aufgewachsen. Und wir feiern deutsches Weihnachten und spanisches Heilige Drei Könige. Nee (--) aber als Kind war es halt schon irgendwie (-) Du bist anders als Deine Schulkameraden. Deine Eltern sprechen die Sprache nicht (-) so perfekt wie (-) die Eltern Deiner (-). Also irgendwie schon so ein bisschen Außenseiter (-) war SCHON da.“

Die Integrationsleistungen der Interviewpartnerinnen und -partner beziehen sich im Wesentlichen auf folgende Aspekte: • Kontaktaufnahme zu Deutschen • Anpassung an die deutsche Kultur (Erlernen der Traditionen etc.) • Freiwilliges Engagement für die Mehrheitsgesellschaft • Sprachkurse • Mitgliedschaft in deutschen Vereinen

Integrationsforderungen Damit Integration gelingen kann, wird von der Mehrheitsgesellschaft Akzeptanz für Menschen mit Migrationshintergrund gefordert. Ahmet Osman vermisst die Anerkennung als Bürger: „Und äh (-) natürlich jeder hat die andere Mentalität und die Menschen müssen akzeptieren. Und äh, ich sehe in die deutsche Bevölkerung oder deutsche Politiker, äh (-) die Ausländer sollen die nicht als Ausländer zu sehen, weil die sind auch schon als Mitbürger zu sehen.“ Es wird deutlich, dass für Herrn Osman das Stigma „Ausländer“ in Politik und Gesellschaft zu sehr im Vordergrund steht. Er möchte mit allen Rechten und Pflichten in Deutschland leben. 182

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Auffällig ist, dass sich vor allem die älteren Gesprächspartnerinnen und partner gegen die Anpassung an die deutsche Gesellschaft wehren, wenn sie als Assimilation verstanden wird. Frau Aydin macht dies besonders deutlich: „Wir, ich gehe davon aus, wir LEBEN hier (-) wir SOLLEN uns hier integrieren, aber nicht (-) Sie wissen, was ich meine. I: Ja, verstehe ich. A: Integration ist gegen[seitige] I: [Ja] A: Unterstützung, denke ich. I: Mhm. A: Assimilation (-) weil jetzt wenn wenn JETZT denken, ja man darf keine Türkischkurs haben, keine türkische äh äh Unterricht haben, DAS finde ich nicht richtig. Eine Seite verlangen das Integration, andere Seite. DA ich bin gegen, ich meine WARUM immer mit den Türken, mit den Muslimen, verSTEHE ich nicht.“

Trotz der Ablehnung der Assimilation gehen die meisten Interviewpartnerinnen und -partner davon aus, dass zunächst eine Integrationsleistung der Menschen mit Migrationshintergrund erwartet wird. Frau Sha Dong erzählt von ihrem Eindruck, dass nicht alle Menschen in der Lage sind, sich in eine fremde Gesellschaft zu integrieren. Durch diese Aussage wird deutlich, welch hohe Leistung von den Menschen mit Migrationshintergrund erwartet wird. Ihr ist auch bewusst, dass es Menschen gibt, die sich nicht integrieren möchten, sie stellt Distanz zu ihnen her. Sie verbindet die Forderung an die deutsche Gesellschaft, sich Fremden zu öffnen, mit dem für sie zentralen Thema der Globalisierung.

Individuelles Gefühl zur Integration Die älteren Gesprächspartnerinnen und -partner fühlen sich in Deutschland integriert. Für Herrn Osman steht fest, dass alle Menschen, die schon lange in Deutschland leben oder gar in der Bundesrepublik geboren sind, sich als Deutsche fühlen. Die Nationalität und der Eintrag im Pass spielt für ihn keine entscheidende Rolle, weil er sich zur Gesellschaft zugehörig fühlt und sich sozial einbringen kann. Er geht davon aus, dass sich für diejenigen, die in Deutschland geboren sind, die Frage der Integration kaum noch stellt. Das individuelle Integrationsempfinden hängt scheinbar auch von der Dauer des Aufenthaltes in Deutschland ab. Ihre Herkunftsnation wird Hala Brunner im Laufe der Jahre immer fremder, während sie sich in Deutschland mehr und mehr integriert fühlt. Sie kritisiert im Interview viele Verhaltensweisen in ihrem Herkunftsland und betont die Vorzüge der deutschen Gesellschaft. Weil sie integriert ist, kann sie andere Frauen auf dem Weg der Integration unterstützen und ihnen ein Vorbild sein. Im Kontrast zu diesen Aussagen steht das Interview mit Nari Hartmann. Obwohl sie sich im Prinzip integriert fühlt und vor allem auch durch die Ehe mit ihrem deutschen Mann Zugang zur deutschen Kultur hat, ist ihr die eigene Kultur im Laufe der Jahre wieder näher gekommen: „Und wir haben eigent-

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lich dieses Wort, wir haben das gleiche Schicksal, wir haben alle deutsche Männer oder auch nicht. Und wir leben als Ausländer“ Frau Hartmann pflegt enge Kontakte mit anderen koreanischen Frauen und denkt darüber nach, ob sie im Alter nach Korea zurück kehren möchte. Dies steht für sie aber nicht im Gegensatz zu einem positiven Integrationsgefühl. Ihr Kohärenzgefühl ist davon nicht beeinträchtigt. Die Interviewpartnerinnen Frau Nowack und Frau Galinski, die noch nicht so lange in Deutschland leben, haben ein anderes Empfinden gegenüber dem Thema Integration. Frau Galinski macht ihr Integrationserleben an folgenden Punkten fest: „Mhm, vielleicht ja, mehr als am Anfang. Weil ich manchmal auch in Situation bin, wenn die andere, (-) wenn die andere fragen, wo befindet sich etwas, DANN kann ich antworten. Ich kenne B. ganz okay. Also ich (lacht) vielleicht nicht so WIRKLICH gut, weil das ist diese Stadt ganz groß ist. Aber ich kann orientieren, also bin ich ganz zufrieden, dass ich in B. wohne. Mhm (-) ich hab einige Freundschaften geschlossen, also (-) ich äh nach der Arbeit treffe ich auch mit Freunden äh, die sind MEINE Freunde, nicht Freunde von meine Freund. Also Kollegen von der Arbeit oder so. Äh, ja, wir haben genug Geld, draußen zu gehen und da ist es schön jetzt, dass ich mit meinem FREUND bin und es ist, es ist so, dass, ja integriere ich auch bei bei diese Arbeit.“

Ein Kriterium für Integration ist für Frau Galinski das Zurechtfinden in einer fremden Stadt. Dies kann als Vorstufe des Integrationserlebens der älteren Migrantinnen und Migranten gesehen werden.

Integrationsprobleme Neben vielen positiven Erfahrungen, von denen die von mir interviewten Personen berichten, werden in den Interviews auch Erlebnisse beschrieben, die die Integration erschweren und dazu führen, dass die Befragten sich Gedanken über eine Rückkehr in das Herkunftsland machen. Es sind vor allem äußere Faktoren wie Arbeit und eheliche Verpflichtungen, die Antonia Gomez dazu veranlassen, in Deutschland zu bleiben. Ihr inneres Gefühl würde sie eigentlich dazu bringen, zurück zu kehren. Auch die Familie würde sie dabei unterstützen. Die Gründe für ihre Integrationsprobleme sind vielfältig: „Ja, ich hoffe mit der Zeit, ja. Früher ich habe vielleicht (-) früher ich habe gesagt äh ich habe überlegt, vielleicht geht nicht in diese Land. Ich habe keine Kontakt gehabt, ich war ganz traurig, habe nichts, nur äh eine Freundin von meine Land. Manchmal treffen nicht so oft. Und dann IMMER zu Hause, mein Mann in Arbeit und dann bleiben immer zu Hause allein. I: Sie waren immer zu Hause. G: Ja. ER hat ein Sohn, aber sein Sohn immer draußen, ich war IMMER alleine. I: Aha. G: Ich habe

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ein bisschen geweint. Manchmal ich streit mit meine Mann, sage, ich gehe zu meine Land, das wäre nicht für MICH hier. Ich kann nicht so gut äh spreche. Und dann JETZ äh bei mir besser als früher.“

Sie sucht die Ursachen der Schwierigkeiten sowohl bei sich als auch bei den Vertretern der Aufnahmegesellschaft. Vieles erklärt sie sich damit, dass sie die Sprache nicht beherrscht, andererseits bemängelt sie auch fehlende Kontaktmöglichkeiten mit deutschen Frauen in ihrem Alter. Da sie sehr pflichtbewusst ist und auch die Rolle in ihrer Ehe klar definiert, fühlt sie sich an ihren Mann durch hausfrauliche Pflichten gebunden. Die Verpflichtungen zwingen sie dazu, in Deutschland zu bleiben, obwohl sie sich den gerade genannten Schwierigkeiten ausgeliefert sieht. Perspektivlosigkeit ist eine Hauptschwierigkeit für die jungen Engagierten. Da ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden, fällt es ihnen schwer, sich zugehörig zu fühlen.

Akzeptanz Neben dem inneren Gefühl der Zugehörigkeit spielt für die Inklusion auch die Akzeptanz von außen eine wesentliche Rolle. Während Zugehörigkeit sich auf eine Nation, die Landschaft oder die Stadt beziehen kann und sich als unentwegtes Spiel von Selbst- und Fremdverortung zeigt, bleibt es immer die Entscheidung der Aufnahmegesellschaft, den Migranten mit einem Stigma zu belegen, d.h. ihn abzuwerten, ihm freundlich oder gleichgültig zu begegnen. Sowohl Gastfreundschaft als auch Abschottung bedürfen Begründungen und Entscheidungen. Die Bedeutung der Akzeptanz zeigt sich für die Probanden in ihrem Engagement und in ihrem Alltagsleben.

Engagementbarrieren Im aktuellen Freiwilligensurvey wurde unter anderem nach den Anforderungen der freiwilligen Tätigkeit gefragt. Dabei wurde festgestellt, dass Migranten die in ihrer freiwilligen Tätigkeit an sie gestellten Anforderungen oftmals höher einschätzen als Nicht-Migranten. Sie geben an, dass von ihnen in hohem Maß Belastbarkeit und Fachwissen abverlangt wird. Noch höhere Anforderungen stellt der angemessene Umgang mit Behörden an das Engagement von Migranten. Diese Belastungen können auch zur Gefahr der Überforderung führen. Der Freiwilligensurvey berichtet von Migrantinnen und Migranten, die deshalb ihre freiwillige Tätigkeit abgebrochen haben.15

15

Vgl. http://www.bmfsfj.de/generator/RedaktionBMFSFJ/Arbeitsgruppen/PdfAnlagen/freiwilligen-survey-langfassung,property=pdf,b S. 347, Quelle vom 23.04.2008 185

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

In den Interviews habe ich aufgrund dieser Hintergrundinformation ganz gezielt nach Barrieren und Schwierigkeiten im Engagement gefragt. Lediglich Herr Osman berichtete, dass er keinerlei Barrieren in seinem Engagement erlebt, er fühlt sich anerkannt und sieht sich seiner Aufgabe gewachsen. Bei Problemen tauscht er sich mit anderen freiwilligen Helfern oder Hauptamtlichen aus. Alle anderen Gesprächspartnerinnen und -partner erleben mehr oder weniger prägende Barrieren, die teilweise zu Überforderung führen.

Angst aufgrund von Fremdheitsgefühlen Eine wesentliche Barriere für das Gelingen des freiwilligen Engagement besteht in der Unsicherheit gegenüber der fremden Kultur. Es entstehen Ängste aufgrund von Fremdheitsgefühlen. Die Angst wird dann verstärkt, wenn man im freiwilligen Engagement für eine Person aus einem anderen Kulturkreis Verantwortung übernimmt. Vor allem zu Beginn des Aufenthalts in Deutschland steht die Frage: „Wer bin ich und wie werde ich in Deutschland wahrgenommen?“ im Mittelpunkt. Dies kann, wie sich am Beispiel von Frau Novak zeigen lässt, zu Verunsicherung in bezug auf Zukunftsperspektiven führen. Migrantinnen und Migranten, die noch nicht wissen, ob ihr Abschluss in Deutschland anerkannt wird oder welche beruflichen Chancen sie haben, fühlen sich wohl auch im Engagement eher unsicher. Für die jungen Migrantinnen und Migranten, die noch nicht lange in der Bundesrepublik leben, können sich Alltagsschwierigkeiten in der freiwilligen Tätigkeit verstärken. So musste Frau Novak zu ihrer Einsatzstelle mit der U-Bahn fahren und fühlte sich verängstigt, weil sie sich in der fremden Stadt und konfrontiert mit einer fremden Sprache noch nicht orientieren konnte. Fazit: Ängste aufgrund des Fremdseins empfinden vor allem die jungen Gesprächspartnerinnen, die noch nicht lange in Deutschland leben und unsichere Zukunftsperspektiven haben. Dies hielt die Frauen aber nicht davon ab, das Engagement auszuprobieren und führte auch nicht zu einem Abbruch. Hier zeigt sich die hohe Bereitschaft, sich in die Gesellschaft zu integrieren und der immense Wunsch nach Akzeptanz. Barrieren aufgrund hoher Anforderungen Wie im Freiwilligensurvey festgestellt, treffen Überforderungsgefühle in ihrem Einsatz Menschen mit Migrationshintergrund in besonderer Weise. Zweifel an der eigenen Leistung begleiten auch die von mir befragten Personen. Antonia Gomez stellt dabei vor allem Schwierigkeiten aufgrund der unterschiedlichen Auffassung von Leistung und Geschwindigkeit fest: „VIElleicht die denken, vielleicht mache ich zu langsam. Weil ich habe so viel Geduld, so gute Erfolge auch. Weil die andere Kollegen sind so schnell. Aber ich konnte nicht so schnell machen. (-) Ich kann, ich kann nicht so schnell“

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Die Angst, dass sie den Anforderungen nicht gerecht werden kann wird auch dadurch verstärkt, dass sie sich um eine Arbeitsstelle in der gleichen Einrichtung bemüht. Eventuell spielen auch kulturelle Unterschiede eine Rolle. Frau Gomez ist mit dem deutschen Gesundheitssystem und den strengen Vorgaben bezüglich der zur Verfügung stehenden zeitlichen Ressourcen für die pflegebedürftigen Menschen nicht vertraut. Sie legt viel Wert auf Ruhe und Geduld, die Prioritäten der Pflegenden in der Senioreneinrichtung sind jedoch an das vorgegebene Zeitmanagement gebunden. Es kommt zu einem Konflikt bezüglich der Frage, was gute Arbeit bedeutet. Frau Gomez stellt durch ihr Anliegen, eine Ausbildung in ihrer Einsatzstelle zu beginnen, einen Sonderfall innerhalb der Interviews dar. Barrieren in bezug auf zu hohe Anforderungen gibt es aber bei einer Vielzahl von Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern. Verbunden mit der großen Verantwortung, die die Leitung einer Initiative mit sich bringt, fühlt sich Frau Schneider des Öfteren überfordert: „(--) Puh (-) also im Moment (-) also es ist manchmal halt SEHR viel Arbeit. Das ist WAHNSINN manchmal also (-) und wo (--) ja wo es dann IRRE irre viel wird. Aber dann wiederum ist der (-) das Ergebnis SO schön, zum Beispiel bei dieser AntiRauch Auszeichnungsveranstaltung, bei der Organisation kurzfristig davor, ein paar Tage davor war es so viel. Organisiert und Timing und DAS muss da oder bei der Demo im März, MILLIONEN Dinge und so DETAILS auch und und dann oh Gott, jetzt aber DANN reicht, DANN hör ich auf. Also dann mag ich wirklich nicht mehr. Aber dann, danach ist halt SO eine Resonanz dann wieder, dass es klappte so gut.“

Wie Frau Schneider sieht sich auch Frau Brunner von Zeit zu Zeit an der Grenze ihrer Belastbarkeit, doch solange Erfolge und Stress in einer Balance stehen, scheint es möglich zu sein, auch Phasen der Überforderung auszuhalten. Wichtig dabei ist die Wahrung von Nähe und Distanz, was nicht allen Freiwilligen gelingt. Frau Aydin berichtet davon, dass sie zeitweise unter Schlafstörungen litt, weil die freiwillige Tätigkeit sie auch im Privatleben beschäftigte. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich im Umgang mit älteren Menschen und den damit verbundenen Thematiken wie Demenz, Sterben und Tod. Frau Souza-Möller sollte eine alte Dame betreuen, die dement war. Um sich selbst zu schützen und nicht überfordert zu werden, lehnte sie dieses Engagement ab. Die Selbsteinschätzung und der Mut, als Freiwillige auch Tätigkeiten ablehnen zu können sind wesentliche Faktoren, um die eigene psychische Gesundheit bewahren zu können. Schwieriger wird dies beim Thema Sterben und Tod. Als einzige Interviewpartnerin berichtet Frau Diaz von der Konfrontation mit dem Sterben ihr anvertrauter alter Menschen. Ihr fällt es schwer, nach dem Tod der von ihr betreuten Frauen wieder in den Alltag des Enga-

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

gements zurück zu finden. Sie weiß aus Erfahrung, dass sie einige Zeit für sich braucht, bevor sie sich einer neuen Bewohnerin widmen kann.

Barrieren aufgrund von mangelnder Anerkennung und Vorurteilen der deutschen Mehrheitsgesellschaft Eine weitere Hürde, die sich für die engagierten Migrantinnen und Migranten ergibt, besteht in Vorbehalten der zu betreuenden Deutschen oder der kooperierenden deutschen Einrichtungen.16 Frau Aydin erlebte vor allem zu Beginn ihres Einsatzes erheblichen Widerstand gegenüber ihren Aktionen: Alle haben gesagt, die sind KommuNISTEN und so und so. VERSTEHEN Sie? I: Aha. Die hatten Angst. A: Die hatten Angst gehabt. I: Mhm. A: Aber mit der Zeit natürlich wir haben diese Probleme überwindet. S. 5 (38-47)

Frau Gomez wurde zu Beginn ihrer Tätigkeit von einigen älteren Personen nicht akzeptiert und geht genau wie Frau Aydin davon aus, dass Angst die Grundlage der Ablehnung ist. Dies stellt für die engagierten Migrantinnen und Migranten ein bedeutendes Problem dar und führt zu Unsicherheit. Frau Aydin bemängelt, dass es zwar gute Konzepte gibt, die auch der Integration dienen, dass diese aber nicht anerkannt werden. Auch finanzielle Ressourcen fließen ihrer Meinung nach zu wenig in Initiativen, in denen Migrantinnen und Migranten tätig sind: „Ja. Ich würde ich mein ich werde mich bemühen, aber WISSEN Sie, ich komme manchmal bei eine Versammlung oder Sitzung, wissen Sie, GANZE Nacht kann ich nicht schlafen. Zum Beispiel diese Gelder, die von der Stadt äh warum äh fließt nicht für die türkische oder für [die I: [Ja] A: Ver] stehen Sie?“ Schwierig wird es dann, wenn die Freiwilligen Ideen einbringen wollen und Eigeninitiative zeigen. Frau Sha Dong erlebt Ablehnung gegenüber ihren Projekten. Sie geht davon aus, dass die Lehrer, denen sie ihre Hilfe anbietet, zusätzliche Arbeit scheuen und ihren Angeboten deshalb skeptisch gegenüber stehen. Durch andere Aussagen wird aber deutlich, dass Frau Sha Dong eine grundsätzlich andere Vorstellung von Erziehung und schulischer Prägung hat als in der deutschen Gesellschaft üblich. Die kulturellen Unterschiede, die sich hier zeigen, werden ihr mehr und mehr bewusst. Ablehnung findet zum einen durch persönliche Vorbehalte statt, aber auch kulturelle Unterschiede führen dazu, dass die freiwillig tätigen Migrantinnen und Migranten keinen Erfolg in ihrem Einsatz haben.

16

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Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg). Freiwilliges Engagement von Türkinnen und Türken in Deutschland. http://www.bmfsfj.de/Publikationen/engagementstudie-zft, Quelle vom: 25.10.2005

ERGEBNISBAUSTEINE

Barrieren aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten Verständigungsschwierigkeiten scheinen eine der größten Hürden für das Engagement zu sein. Obwohl die Gesprächspartnerinnen und -partner Deutschkurse absolvieren, kommt es zu Missverständnissen und Unsicherheiten aufgrund der mangelnden Verständigungsmöglichkeiten. Frau Gomez beschreibt ihren ersten Tag an ihrer Einsatzstelle und erzählt von ihrer Verzweiflung, weil sie nicht alles verstanden hat, was Heimbewohner und Hauptamtliche ihr mitgeteilt haben. Besonders schwierig wird es, wenn es auch den alten Leuten schwer fällt, sich zu artikulieren: „Aber mit andere Frau, äh diese Frau ist äh ein bisschen schwer, weil sie kann nicht so gut reden. Die andere Frau in Rollstuhl ich bringe immer in Kirche und abholen, um drei und dann in die Kirche mit gehen, aber sie bleibt, sie kann nicht so sprechen.“ Wenn Frau Gomez Kritik aufgrund ihrer mangelnden Sprachfähigkeiten erhält, reagiert sie mit Trauer und strengt sich noch mehr an, um mit den ihr anvertrauten alten Menschen besser kommunizieren zu können. Dennoch bleiben Sprachschwierigkeiten für sie, wie für andere Befragte auch, die größte Barriere. Die Bedeutung der Sprache Deutsche Sprachkenntnisse werden seit langem in empirischen Untersuchungen als zentrale Kategorie für soziale Teilhabe und Anerkennung verwandt. Das Erlernen der deutschen Sprache wird durch Neuzuwanderer und Neuzuwanderinnen und das Beherrschen der deutschen Sprache durch bereits in Deutschland lebende Migranten und Migrantinnen als einer der wichtigsten Faktoren für deren Integration in die deutsche Gesellschaft angesehen. Der Sprache kommt in der Demokratie eine besondere Aufgabe zu. Benjamin Barber definiert neun Aufgaben der Sprache: • Die Artikulation von Interessen; Verhandlung und Tausch • Überredung • Festlegen der politischen Tagesordnung • Ausloten von Wechselseitigkeiten • Ausdruck von Zugehörigkeit und Gefühl • Wahrung der Autonomie • Bekenntnis und Ausdruck des Selbst • Reformierung und Rekonzeptualisierung • Gemeinschaftsbildung als17Schaffung öffentlicher Interessen, gemeinsamer Güter und aktiver Bürger.

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Vgl. Barber, Benjamin, Starke Demokratie. Über die Teilhabe am Politischen. Hamburg; Rotbuch 1994: S. 176 189

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Mangelnde Deutschkenntnisse werden demnach als Ursache für die Beeinträchtigung der Teilhabe an vielen Lebensbereichen angenommen, sei es im Bildungssystem, beim Erwerb beruflicher Qualifikationen, im sozialen Umfeld oder bei der Teilhabe am kulturellen Geschehen in Deutschland. Es scheint hier vor allem um eine Art Bringschuld der Zugewanderten hinsichtlich dieser Kompetenzen zu gehen. Der Grad der Deutschkenntnisse von Migranten und Migrantinnen wird oftmals als Maß für ihren Integrationswillen herangezogen. Die Muttersprache stellt aber häufig ein fast unüberwindliches Hindernis dar für die Interaktion zwischen Personen unterschiedlicher sprachlicher Herkunft, weil Kommunikation im Allgemeinen eine Vorbedingung für jede komplexe menschliche Interaktion ist.18 Problematisch an diesem Prozess ist, dass sich niemand einfach eine andere Sprache aussuchen kann, so als wäre es möglich, die eigene Geschichte völlig zurücklassen zu können und sich frei für eine andere zu entscheiden. Das bisherige Wissen und auch das Sprach- und Identitätsgefühl kann nicht einfach gelöscht werden, vielmehr wird es geteilt und geöffnet für einen Prozess des Hinterfragens und des Neuausrichtens.19 Daher interessierte mich in den Interviews besonders die Sichtweise der Migrantinnen und Migranten auf den Spracherwerb. Durch alle Interviewthemen zieht sich wie ein roter Faden die Bedeutung der Sprache für die Akzeptanz durch die Mehrheitsgesellschaft aber auch für das eigene Integrationsgefühl. Die Kommunikationsfähigkeit wird als wichtigste Grundlage für Gleichbehandlung gesehen.20 Die Muttersprache ist für jedes Individuum eine verlässliche Verbindung zu der Kultur, in der es aufwächst. Nach Salman Akhtar bedroht die Annahme einer neuen Sprache die Identität, die mit der Muttersprache verbunden ist. Das Identitätsproblem wird daher umso schwieriger lösbar, je größer der Sprachunterschied zwischen dem Herkunftsland und dem Einwanderungsland ist.21 Ein Hauptproblem für die engagierten Migrantinnen und Migranten liegt auch darin, dass gegenseitiges Verstehen erst möglich wird, wenn Worte und Gebärden d.h. komplexe Strukturen der Verständigung, für die Kommunikationspartner die gleiche Bedeutung haben. Die Bedeutungen sind aber Resultat der Erfahrungen, die jeder mit diesen Zeichen

18

19 20

21

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Vgl. Mc Call, Georges/Simmons, J.L., Identität und Interaktion. Untersuchungen über zwischenmenschliche Beziehungen im Alltagsleben. Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann 1974: S. 46 Vgl. Chambers, Ian, Migration, Kultur, Identität. Tübingen: Stauffenberg 1996: S. 30 Vgl. Selman, Robert, Interpersonale Verhandlungen. Eine entwicklungstheoretische Analyse. In: Edelstein, Wolfgang/Habermas, Jürgen, Soziale Interaktion und soziales Verstehen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984: S. 148 Vgl. Akhtar, Salman, Immigration und Identität. Psychosoziale Aspekte und kulturübergreifende Therapie. Gießen: Psychosozialverlag 2007: S. 42

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und ihren Beziehungen zu anderen Zeichen gemacht hat.22 Für die von mir befragten Personen stellte sich vor allem zu Beginn ihres Aufenthalts die Frage, wie die für sie fremden Zeichen deutbar werden. „Aber in diese Moment natürlich ist schockierend. Da kann man SAGEN, schockierend. Auf der Straße ich dachte mir, ah, wenn ich jemand anspreche, niemand verstehe. Und wenn (-) wenn man was auch sucht, keiner WEIß, was Du brauchst oder was Du WILLST und das ist eben wie sehr schockierend.“

Frau Sha Dong erlebte zu Beginn ihres Aufenthalts in Deutschland große Unsicherheit und Einsamkeit, weil sie von niemandem verstanden wurde. Sie hatte Angst, dass sie ihre Grundbedürfnisse nicht artikulieren kann. Das eigene Wohlbefinden steigert sich deutlich und Fremdheitsgefühle nehmen ab, sobald Sprachkenntnisse erworben werden. Von ihrem Professor wurde Frau Sha Dong aufgefordert, ihre eigene Sprache zu vergessen und auch ihre englischen Sprachkenntnisse in Deutschland nicht anzuwenden, sondern sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, Deutsch zu sprechen. Sie beschreibt diesen Prozess als Verlust von Hoffnung, weil für sie die einzige Verständigungsmöglichkeit die englische Sprache war. Ein hohes Maß an Akzeptanz durch die Mehrheitsgesellschaft ist nur dann möglich, wenn ausreichende Deutschkenntnisse vorhanden sind. Exklusionstendenzen werden aber auch deutlich, wenn das Gegenüber dazu neigt, besonders laut und langsam zu sprechen, weil davon ausgegangen wird, dass eine Migrantin bzw. ein Migrant nur wenig Sprachkenntnisse hat. Von Frau Gomez wurde das als Belastung erlebt. Ein weiteres Problem, das sich stellt, wenn nur wenig Deutschkenntnisse vorhanden sind, ist die mangelnde Aufmerksamkeit durch Gremien und Geldgeber. Frau Aydin hat die Erfahrung gemacht, dass für Migrationsprojekte auch deshalb weniger Gelder fließen, weil die Migrantinnen und Migranten Anträge nicht so gut formulieren können.“Ja, aber ich meine wir Ausländerinnen, wir Migrantinnen, wir können NICHT so gut formulieren wie die Deutschen.“ Deutlich wird der hohe Anspruch, den die deutsche Mehrheitsgesellschaft bezüglich der Sprache hat. Belgin Schneider erzählt, dass die Menschen, denen sie in Deutschland begegnet, sehr schnell ungeduldig werden, wenn Menschen mit Migrationshintergrund sich im Sprachgebrauch schwer tun. „[…] die Deutschen sind wahnsinnig anspruchsvoll, was ihre Sprache angeht. Also ich hatte nirgendwo solche großen Schwierigkeiten wie in Deutschland, wenn ich, 22

Vgl. Rittelmeyer, Christian, Verständigung und Interaktion. Zur politischen Dimension der Gruppendynamik. München: Juventa Verlag 1975: S. 20 191

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ich spreche wenig Französisch, wirklich wenig. Aber wenn ich mit Franzosen Französisch spreche, die sind überglücklich. Und ach vous parlez trés bien francais. Also sie finden es wirklich, sind SO was von dankbar und so dass man sich bemüht. Italiener GENAU dasselbe. Wahnsinnig froh. Da muss ich überhaupt nicht gucken, mach ich da einen Fehler oder nicht. Ich rede einfach drauf los. Aber in Deutschland schon. Es ist weil die Leute erwarten von einem ein perfektes Deutsch. Spricht man kein perfektes Deutsch, ist man ähm kein ganzer Mensch. So ungefähr.“

Frau Schneider ist es wichtig, dass Zuwanderer Deutschkurse belegen, aber sie nimmt viele Hürden wahr, wenn diese Menschen versuchen, auch im Alltag Deutsch zu sprechen. Oftmals wird korrigiert, ohne dass darum gebeten wurde. Frau Schneider empfindet dies als unhöflich, spürt Zurückweisung durch die Aufnahmegesellschaft und kann diejenigen verstehen, die sich nicht mehr trauen, Deutsch zu sprechen. „Ist wirklich, Deutsch ist ausländersicher, muss ich sagen.“ Frau Schneider nimmt das bürgerschaftliche Engagement als eine Chance wahr, Deutschkenntnisse auch im Alltag zu erwerben, ohne Diskriminierungserfahrungen zu erleben: „Und man kann was beWIRKEN. Und das ist schon enorm, deshalb können Sie eigenen Leuten sagen, die wegen Sprachbarrieren irgendwas nicht machen wollen, das genau die ehrenamtliche Bereich IST es, wo es überhaupt keine Rolle spielt.“ Studien belegen, dass die Engagementquote der Migrantinnen und Migranten leicht geringer ausfällt als bei Deutschen. Dies liegt zum einen daran, dass freiwillige Tätigkeiten vor allem im Familienkontext übernommen werden, zum anderen liegt es aber auch sicherlich an Sprachproblemen. Ein besonderer Problembereich für die von mir befragten Migrantinnen und Migranten ist die berufliche Integration trotz sprachlicher Schwierigkeiten. Frau Gomez, die sich eine Ausbildung im Altenpflegebereich wünscht, hat große Skepsis und befürchtet, von der Pflegeschule aufgrund ihrer mangelnden Sprachkenntnisse abgelehnt zu werden. Das große Ziel von Frau Gomez ist, möglichst bald so zu sprechen, dass Unterschiede zu Deutschen kaum noch bemerkbar sind. Sie erhofft sich dadurch mehr Akzeptanz und bessere berufliche Chancen.

Konsequenzen/Fazit aus Sicht der Migrantinnen und Migranten Die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass das Sprachverständnis die Grundvoraussetzung für die Akzeptanz durch die Mehrheitsgesellschaft ist, fasst Herr Sakkoundi passend zusammen: „Ja, natürlich, also, da habe ich auch äh drei, vier verschiedene Deutschkurse gemacht. Auch an der Uni äh Sprach, Deutsch äh Deutsch als Fremdsprache. Hab studiert in einer Klasse. Also da, die Sprache war für mich SEHR wichtig. Äh zu lernen, äh es ist der Zugang, das Tor zu der Kultur, zum Menschen und zur Gesell192

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schaft überhaupt, ist klar. Hab ich auch sehr viel verabredet, dass ich die Sprache LERNE. Ich habs auch ziemlich schnell gelernt, habe nicht jahrelang gebraucht, dass ich mich kommunizieren kann mit Menschen und so. Äh, ja also das ist die Wille war sehr stark vermutlich.“

Er spürt, dass er weniger Diskriminierung ausgesetzt ist, wenn er die Sprache beherrscht. Dies hat ihn motiviert, besonders schnell Deutsch zu lernen. Die Migrantinnen und Migranten spüren den großen Druck, die deutsche Sprache erlernen zu müssen, haben aber im Alltag kaum Unterstützung durch Deutsche. So wird das Engagement als Möglichkeit betrachtet, Sprachkenntnisse im Alltag zu erwerben und Akzeptanz zu erhalten, auch wenn ihnen beispielsweise grammatikalische Fehler unterlaufen. Gute Sprachkenntnisse des Aufnahmelandes sind die Voraussetzung für bessere Optionen in der Schulausbildung und beim Übergang in den Beruf. Menschen mit Migrationshintergrund erhalten durch das Erlernen de Sprache die Möglichkeit, mit der deutschen Umwelt, in der sie leben bzw. mit der sie in Kontakt treten wollen oder müssen, zu kommunizieren und sich mit ihr auseinander zu setzen und zu allen Bereichen der Majoritätsgesellschaft Zugang zu finden. Darüber hinaus ist die deutsche Sprache für Freizeitkontakte wichtig, aber auch für jedwede Kommunikation und Zusammenarbeit nicht nur mit den einheimischen Deutschen, sondern auch mit Migranten und Migrantinnen anderer Ethnien und Sprachen.23 Deutschkenntnisse allein implizieren jedoch, wie durch die Interviewbeispiele deutlich wird, nicht unbedingt eine erfolgreiche Integration. Hier zeigt sich die Einseitigkeit der Diskussion: Die Abhängigkeit der Integration von Deutschkenntnissen wird in den Fokus des Diskurses gestellt, ohne dabei den von den Migrantinnen und Migranten erwähnten Aspekt der Abhängigkeit der Deutschkenntnisse von den Integrationserfahrungen zu thematisieren.24 Die Rede von den unzureichenden Sprachkenntnissen bringt unabhängig davon, ob es gesichertes Wissen über die Beherrschung der deutschen Sprache bei Migrantinnen und Migranten und bei Nicht-Migranten gibt, einen besonderen Aspekt zum Ausdruck, der gegen empirische Differenzierung immunisiert ist: Die Einen haben das Recht, Feststellungen über die Anderen zu treffen. Die Anderen wiederum müssen nachweisen, dass dies nicht der Fall ist. Es geht also nicht nur um die Sprache, sondern auch um Macht und Unterwerfung.25 23

24

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Vgl. Boos-Nünning, Ursula/Karakasoglu, Yasemin, Viele Welten leben. Zur Lebenssituation von Mädchen und jungen Frauen mit Migrationshintergrund. Münster: Waxmann Verlag 2005: S. 211. Auch Reich weist in seiner Arbeit darauf hin: Reich, Hans H. 2001: Sprache und Integration. In: Bade, Klaus J. (Hg.) Integration und Illegalität in Deutschland. Osnabrück: RFM Verlag 2001: S. 41-49 Vgl. Hamburger, Franz, Der Kampf um Bildung und Erfolg. Eine einleitende Feldbeschreibung. In: Hamburger Franz/Badawia, Tarek/Hummrich, Merle, 193

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Diskriminierungserfahrungen Auf die Nachfrage nach konkreten Diskriminierungserfahrungen der Migrantinnen und Migranten stellte sich heraus, dass es für die Befragten zwei große Lebensbereiche gibt, in denen Diskriminierung eine Rolle spielt. Zum einen werden im Engagement Erfahrungen gemacht, die mit Ablehnung verbunden werden, zum anderen gibt es diverse Alltagserfahrungen, die verdeutlichen, dass die Interviewpartnerinnen und -partner aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden. Dabei scheint es Unterscheidungen hinsichtlich des Herkunftslandes zu geben. Diskriminierende und nationalistische Tendenzen haben immer dann einen fruchtbaren Boden, wenn die Sorgen und Ängste der Menschen ein erhöhtes Niveau haben.26 So ist es auch erklärbar, warum gerade diejenigen, die erst in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, verstärkt unter Diskriminierung leiden. Der Umgang mit Diskriminierung ist sehr unterschiedlich. Ein wesentliches Problem, dass sich sowohl im Engagement als auch in Alltagserfahrungen widerspiegelt, ist die Vermeidung von Kontakt von Seiten der deutschen Mehrheitsgesellschaft: „Wenn ein Zusammentreffen mit Fremden schon nicht abgewendet werden kann, kann man wenigstens versuchen, den Austausch mit ihnen zu vermeiden. Fremde mögen sich bitte wie die Kinder des viktorianischen Zeitalters benehmen – man sieht sie, hört sie aber nicht – und wenn man sie nicht überhören kann, so möchte man es doch so einrichten, daß man ihnen nicht zuhören muß.“27

Diskriminierung im Engagement Bei dieser Frage kam es zu ganz unterschiedlichen Antworten. Während die meisten Befragten das freiwillige Engagement als einen Lebensbereich frei von Diskriminierung beschrieben, erzählte Frau Gomez von älteren Frauen, die ihre Herkunft nicht deuten konnten und ihr deshalb skeptisch gegenüber standen: „Woher kommst Du, ich kenne nicht diese Ihre Land, ich habe nicht gesehen. Wo liegt Dein Land. Ich sage immer Santo Domingo. Das ist meine Stadt. Hauptstadt. Und dann sagen Sie Ihre Farbe ist so schön. Ja. Manche Leute denken die kommt aus Afrika vielleicht (lacht). IMMER immer andere Land. Oder Du kommst vielleicht äh vielleicht aus äh wie heißt diese Land Portugal. I: Portugal. G: Portugal sie

26 27

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Migration und Bildung. Über das Verhältnis von Anerkennung und Zumutung in der Einwanderungsgesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005: S. 9 Vgl. Keupp, Heiner, Riskante Chancen. Das Subjekt zwischen Psychokultur und Selbstorganisation. Heidelberg: Asanger Verlag 1988: S. 27 Bauman, Zygmunt, Flüchtige Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003: S. 125

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sagen ja. In Portugal gibt meine Farbe hier. I: Ja. G: Menschen mit der gleichen Farbe. I: Und wie ist das für Sie, wenn Sie dann immer angesprochen werden? G: Die Leute? I: Wie das für SIE ist, wenn die Leute Sie immer ansprechen. Finden Sie das gut oder eher nicht so gut? G: Ich finde ein bisschen NICHT so gut. Weil die Leute brauchen bisschen äh andere Leute so. Zum Beispiel habe gestern eine Kollegin äh (-) gesehen der ich nicht so gut gefällt. Der mir immer nicht so gut geschaut. Ich denke so, vielleicht meine Farbe passt nicht so gut bei ihnen. Oder so was.“

Frau Gomez’ Hautfarbe weist als äußeres Merkmal für die älteren Menschen eindeutig darauf hin, dass sie nicht aus Deutschland stammen kann. Es ist schwer zu erkennen, ob hinter den Nachfragen der von Frau Gomez betreuten Senioren in erster Linie Interesse an ihrer Herkunft steht oder ob sie tatsächlich ihre Ablehnung äußern möchten, fest steht aber, dass Frau Gomez das Verhalten als diskriminierend erlebt. Auch ein anderes Beispiel ist objektiv nicht eindeutig Diskiminierung zuzuordnen. In der ersten Woche ihres Engagements hat eine ältere Dame ihre Hilfe abgelehnt und gesagt: „[…] nein, Du nicht, Du bist neu, Du kannst nicht mir auf die Toilette. Für Frau Gomez war diese Aussage sehr verletzend und sie fühlte sich in ihrer Hilfsbereitschaft zurück gewiesen. Allerdings könnten hinter der Aussage der alten Dame auch Ängste stehen, die nichts mit der Herkunft der Helferin, sondern viel eher mit der Unerfahrenheit von Frau Gomez zu tun haben. Die Diskriminierungserfahrungen im Engagement von Antonia Gomez sind also nicht eindeutig erkennbar.

Diskriminierung im Alltag Auch hierzu gibt es unterschiedliche Aussagen. Einige Gesprächspartnerinnen und -partner, die schon lange in Deutschland leben, berichten von positiven Erfahrungen mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft: „Die waren eigentlich alle sehr, sehr zuvorkommend und so. Und deswegen habe ich eigentlich nie das Gefühl gehabt, also die behandeln mich als Ausländer.“ Frau Hartmann ergänzt ihre Aussage, indem sie darauf hinweist, dass Diskriminierung je nach Schicht sehr unterschiedlich sein kann. Da sie sich im wesentlichen in Akademikerkreisen aufhält, hat sie wenig Diskriminierung erlebt. Sie bezieht diese Erfahrungen eher auf die Unterschicht, die aus Angst und Unwissenheit Menschen anderer Herkunft ablehnt. Diskriminierung wird scheinbar vor allem auf dem Wohnungsmarkt offensichtlich. Herr Osman hat diesbezüglich als Vertreter im Ausländerbeirat seiner Stadt vielzählige Erfahrungen gemacht. Migrantinnen und Migranten bekommen seiner Meinung nach schlechter eine Wohnung und erfahren auf diese Weise Ablehnung. Selbst wenn die Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer auf die Menschen in ihrer Nachbarschaft zugehen und Hilfe anbieten, wird dies oft nicht akzeptiert, wie beispielsweise Frau Schneider berichtet: 195

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

„S lacht: Ganz schwierig. Wie in der Türkei ging ich mal zu einer äh Nachbarin in dem Stadtviertel in dem ich neu eingezogen war (-) und dann und dann habe ich geklingelt und ja ich bin Ihre neue Nachbarin (lacht). Wollte mich vorstellen, weil in der Türkei ist das so üblich. I: Ja. S: Und sagte die Frau na und. (lacht laut, I lacht) I: Wahnsinn. S: Ich habe gesagt, ja, falls Sie etwas brauchen oder so, können Sie immer sich an mich wenden. So, ich brauche nichts. Hat die Tür zugemacht. Also das sind halt solche Erlebnisse am Anfang, ja. Das sind äh. I: Ja, das macht es einem dann nicht leicht. S: Sind schwere Erlebnisse, wo man dann sagt, oh, was sind DAS für Leute.“

Der Schritt in ein freiwilliges Engagement für die Aufnahmegesellschaft fällt entsprechend schwerer, wenn bereits in diesen Alltagssituationen Ablehnung erlebt wird. Frau Schneider empfindet die Überheblichkeit, mit der Menschen, die sich um die deutsche Sprache bemühen, begegnet wird als diskriminierend: „Und das ist, macht nicht immer Freude. Also diese, was ich an Deutschen wirklich SO übel genommen hab, war diese BESSERwisserische. DAS hat mich wirklich (lacht) SEHR gestört. Ich habe gesagt, Moment, da will Dir wirklich JEDE Putzfrau was beibringen. Nur weil ich aus der Türkei komme. Also (-) das ist WAHNSINN gewesen. Ja, bei UNS ist es so, bei UNS, immer so deutlich machen, Du kommst vom Busch und das ist hier bei uns. Und schau, dass Du weiter kimmst. (lacht). Und deshalb DAS war nicht so angenehm. Und deshalb ich bin auch SEHR sehr gerne in diesem Bereich, eben mit dieser Art von Menschen, die ANDERS denken. Die NICHT alles tun für Geld. Die sich nicht frustrieren. Weil genau das, sie machen das unendgeldlich.“

In der Einwanderungsituation geht es konkret darum, durch Ausgleichs- und Vermittlungsfunktionen von Seiten des Staates, der Behörden und politischer Organisationen, gegebenenfalls auch durch Antidiskriminierungsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass ethnische und kulturelle Minderheiten juristisch und faktisch gleichgestellt werden und einzelne Gruppen im ethnosozialen Spannungsfeld nicht gegeneinander driften oder gar gegeneinander ausgespielt werden.28 Ein wesentliches Problemfeld im Alltag der befragten Personen aber ist der Umgang der Behörden mit Menschen ausländischer Herkunft. Die von mir interviewten Personen erleben selbst keine direkte Diskriminierung durch Behörden, weil sie die Sprache gut beherrschten oder aufgrund ihres Status besondere Aufmerksamkeit erhalten. Durch Erfahrungen von anderen Betroffenen erleben sie aber dennoch indirekte Diskriminierung: 28

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Vgl. Bade, Klaus, Politik in der Einwanderungssituation: Migration – Integration – Minderheiten. In: Bade, Klaus J. Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. München: C.H. Beck Verlag 1992: S. 450

ERGEBNISBAUSTEINE

„M: dieses Befremden, dass ich so, bin ich jetzt, gehör ich jetzt da dazu oder nicht. Weil, weil das halt auch so vom (-) vom (-) auch wie man, wie man auch im negativen Sinn äh, wie man WAHRGENOMMEN wird. Zum Beispiel von Behörden. Also das ich (-) es hat sich natürlich schon sehr sehr viel geändert, aber als meine Schwester und ich hier so in den 70gern nach Deutschland kamen, also da war hier in München war das Kreisverwaltungsreferat da in der Ettstraße. Also das waren Räume wie in so nem alten NAZIfilm (-). WIRKLICH, also für uns war das so, das Empfinden. So alles in grün, kakig-beige, so die FARBEN. Auch die Beleuchtung drinnen, die dann natürlich (-) sowohl meine Schwester als auch ich (-) entweder waren wir StipenDIATINNEN oder hatten auch alles dabei und und TOTAL höflich behandelt haben und meistens sind ja zwei Leute im Raum und (-) und ganz zuvorkommend und Fräulein soundso und (-) und dann irgendwie ne Frau was weiß ich aus Jugoslawien und so, wie die die ANgebrüllt haben, also ich bin fast im Boden versunken. Also das war halt dann schon sehr (-) also wir waren zwar auf der SONNENseite, aber man hat kein gutes Gefühl. Und da hat sich schon was geändert, finde ich.“

Exklusion und Diskriminierung zeigt sich bei den Gesprächspartnerinnen und -partnern in scheinbar wohlwollendem Verhalten der deutschen Mehrheitsgesellschaft, nicht in erster Linie in direkter körperlicher oder verbaler Gewalt. Oftmals erleben sich die Befragten in einer Sonderrolle und ergreifen Partei für andere Migrantinnen und Migranten, die unter Diskriminierung leiden und nicht die gleichen, teilweise privilegierten Voraussetzungen haben wie die Befragten selber.

Umgang mit Diskriminierung Eine Strategie im Umgang mit Diskriminierung ist die Umkehrung der Bewertung. Eine wesentliche Differenz zwischen Vertretern der Aufnahmegesellschaft und den „Fremden“ ist, wer Aussagen und Bewertungen über wen trifft. Hierbei sind die Migrantinnen und Migranten normalerweise in einer passiven Rolle. Herr Sakkoundi entzieht sich dieser Bewertung, indem er Zugehörigkeit überhöht und sich der Gesellschaft Erde verbunden fühlt. Dadurch setzt er sich der Diskriminierung nicht in gleichem Maße aus wie andere das tun und fühlt sich unverletzbar: „Wenn ich sage, ich äh ich liebe die Gesellschaft hier, äh diese Liebe gehört mir, die haben sie mir nicht gegeben. Die kommt auch schon aus der Gefühl. Das ist nichts Großartiges, aber äh erstmal gehört es mir, und seitdem, ich habe es auch jetzt erstmal was auch, was viele Sachen. Man wird auch BELEIDIGT, man wird auch diskriminiert und so weiter. Da habe ich NIE jetzt mein Herz irgendwie gebrochen gefühlt oder so was. Ich habe es gar nicht zugelassen, ich habe es gar nicht zugelassen.“

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Es stellt sich die Frage, ob es ihm tatsächlich gelingt, sich gegenüber Diskriminierung unverletzbar zu machen, denn in konkreten Situationen leidet auch er unter gesellschaftlicher Ablehnung, wenn beispielsweise seine Filme und seine Arbeit nicht in der Weise angenommen werden, wie er es sich wünschen würde. Anders als Herr Sakkoundi entzieht sich Herr Cifera nicht der Bewertung der Mehrheitsgesellschaft, sondern dreht diese um. Er geht davon aus, dass er als Italiener, der sich in Deutschland „richtig“ benimmt, weniger Probleme und aufgrund seiner „lockeren Art“ vielleicht sogar Vorteile gegenüber Deutschen hat. Er stellt sich nicht die Frage, ob er akzeptiert wird, sondern macht sich Gedanken darüber, ob er andere akzeptiert: „Und ich denke einfach nicht daran. Es ist wahrscheinlich auch eine Arroganz. Aber ich habe, ich stelle mich solche Probleme nicht. Ich denke mir ob mir die anderen hier gefällt, statt zu denken ob mich die anderen akzeptieren. Das ist mir egal.“ Herr Fekete dagegen reagiert mit Humor und Ironie auf Menschen, die ihn zurückweisen. Auch dies ist eine Form, sich unverletzbar gegen Ausgrenzung zu machen. Außerdem wehrt er sich, indem er diejenigen, die ihn ablehnen, konfrontiert: „Ich habe ein paar gesagt, Du weißt auch selber nicht, von wo Du stammst. SAG mir aus was Du stammst, Du sagst, Du bist ein echter Deutscher, sag ich zum Beispiel. Ja, klar, ich bin echter Deutscher. Gut, wenn Du ein echter Deutscher bist, sag mir, was haben die Römer da gemacht, was haben die die Franzosen da durch Deutschland gemacht. Was haben die Goten, diese Goten, all was da durch gegangen sind und so weiter. Sa mir und die Engländer und alles. Wie viele Nationen sind und die Kriege, wie viele Kriege waren. Und es wurden gemischt und Blut gewechselt und alles. (-) Sag ich, bist Du ein ECHTER? (--) Sag ich, das GLAUBE ich nicht (--). Sag ich das muss jemand mir beweisen, das muss mindestens zehn Generationen zurück sein, dass äääh echten, aber das ist schwer.“

Neben dem Gefühl, sich möglichst gut anzupassen und die Sprache zu erlernen, um auf diese Weise von Diskriminierung verschont zu bleiben, gibt es – wie gerade gezeigt – auch Formen der Umkehrung von Zuschreibungen, Ironie und Humor sowie Konfrontation, mit denen die von mir befragten Personen mit Ausgrenzung umgehen. Dies weist auf die hohe Reflexionsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit und das positive Selbstbild der Probanden hin.

Diskriminierung bestimmter Nationen Besonders deutlich scheint die Ablehnung von türkischen Migranten zu sein, wie sich an vielen Interviewbeispielen zeigen lässt. Frau Schneider spricht in diesem Zusammenhang von „guten“ und von „schlechten Marken“:

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„Also ich glaube, es ist total äh nationalitätenabhängig. In Deutschland haben erstmal so ähm Nationalitäten, die äh ganz chick sind. Man kann Amerikaner sein, Italiener, Franzose (-) und äh die sind sozusagen die GUTEN Marken. I: Mhm. S: Dann kommen die bösen Marken. Die mit vielen negativen Touch äh behaftet sind. Die Leute. Und da sind die gleich ich sag mal so skeptisch. Was WILL die, was also diese große Skepsis (-) ist äh schwer zu brechen am Anfang.“

Auch Frau Aydin hat die Erfahrung gemacht, dass mit der Nationalität „türkisch“ andere Assoziationen hervorgerufen werden als mit anderen Nationalitäten: „Und alle haben gesehen, ja, sie sind nicht wie die wie die andere wie Türken, wir haben nicht gedacht, sind Sie Französin oder Sie sind Italienerin oder so. Die haben nicht IMMER zu mir SO gesagt. Verstehen Sie? I: Ja, ja. A: Die die haben gedacht, das war wichtigste, die haben gedacht, diese Arbeitskräfte, die hier waren, DIE sind die Türken“

Je nach Nation entstehen also unterschiedliche Vorurteile, mit denen die Gesprächspartnerinnen und -partner umgehen müssen. Man kann den Eindruck bekommen, dass Frau Aydin dankbar war, nicht gleich als türkischstämmige Migrantin erkannt worden zu sein, weil ihr damit nicht von Beginn an die gleiche Skepsis entgegen gebracht wurde. Es fiel ihr auf diese Weise leichter, für ihre Anliegen zu kämpfen. Sie hat festgestellt, dass türkische Gruppen unter größerer Ausgrenzung zu leiden haben als andere und auch weniger Gelder zur Verfügung gestellt bekommen. Laut Herrn Osman werden teilweise gezielt schlechte Nachrichten über türkischstämmige Migrantinnen und Migranten verbreitet, während dies mit anderen Nationen nicht geschieht. Einwanderer aus der Türkei scheinen also mehr unter Diskriminierung zu leiden als Angehörige anderer Nationen. Die Gründe dafür wurden in den Interviews nur am Rande gegeben, wenn z.B. auf die unterschiedliche Religion und auch auf die Anschläge des 11. September verwiesen wurde, die als Grund für die Diskriminierung muslimisch Gläubiger gesehen werden. Ein interessanter Aspekt ergab sich noch in den Interviews mit Frau Aydin und Herrn Fekete. Beide berichten von Diskriminierungserfahrungen aufgrund ihrer Herkunft, sind aber nicht gänzlich frei von ähnlichen Zuschreibungen. Frau Aydin distanziert sich deutlich von Menschen arabischer Herkunft: „Wir sind Türken. Wir SIND Muslimen, aber wir sind nicht Araber. Die Araber haben ganz andere (-) Einstellung. (-) Wir verstehen auch mit dene nicht. Ich meine, Islam, ich bin nicht Islam. Islamwissenschaftlerin, ich kann AUCH darüber keine Meinung (-). Ich bin nicht Expertin, ich muss ehrlich sein. Ich habe auch Koran, äh ich meine äh Bibel gelesen, auch Kor Koran in Deutsch gelesen, ich kann keine 199

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Arabisch. Ich MÖCHTE auch nicht, bei uns ist (-) seit Attatürk Republik äh Gründung, ist türkische Alphabet, basta. I: Mhm. A: Äh (-) alle deutsche Landsleute, die hier äh entweder mit Absicht oder nicht Absicht aber meisten, die denken, die Türken, die Araber.“

Frau Aydin unterscheidet zwischen Türken und Arabern, indem sie die türkische Gesellschaft als offene Gesellschaft beschreibt, in welcher der Zwang zum Schleier abgeschafft wurde und die sich an westlichen Normen orientiert. Indem So stärkt sie das positive Bild der Türkei und versucht die negativen Zuschreibungen gegenüber Staaten des Ostens auf die arabischen Länder zu verschieben. Gruppen, die in einem fremden Land unter Diskriminierung leiden, neigen dazu, wiederum andere Gruppen durch Negativzuschreibungen zu diskriminieren, um den eigenen Wert zu erhöhen. Sehr drastisch zeigt sich dies in der Schilderung von Lazlo Fekete: „Und es auch das TemperaMENT von jede Nation hat eine andere Temperament. Schauen Sie die Italiener, die sind nicht Tränen, die sind zu Singen, zum Tanzen, zum äh die Spanier auch und alles. Was, was Lateinisches, der Rumäne ist so Lateiner. Der Deutsche ist so ein Anglosachse und er ist KÄLTER. Er ist Pfff schon die Russen, die SIND dur, die sind nicht kalt. Die sind sehr grob so in in vielen Sachen. Aber von Manieren, in vielen Sachen sind sie Hut ab. (--) Aber sie sind (-) pfff sie sind keine dummen Leute, die Russen, im Allgemeinen. I: Mhm. F: Und (-) aber das können wir nicht dasselbe über die Serben und Bulgaren sagen. Und Kroaten. Die sind schlimm. Die töten sich in der Familie. Das ist Charakter, das ist Formsache, was was in jedem Land passiert.“

Diese sehr einfach wirkende Zuschreibung liegt vielleicht auch daran, dass Herr Fekete als jemand, der zwischen den Kulturen geboren, aufgewachsen und heute noch lebt, nach klaren Deutungsmustern für Akzeptanz und Zugehörigkeit sucht. Seine Aussage steht aber in klarem Gegensatz zu vielen anderen Textpassagen des Interviews, in denen er auf die Gleichheit aller Menschen unabhängig von ihrer Herkunft verweist. Anders als bei den hier befragten Personen kann die Diskriminierung von Einwanderern dazu führen, dass diese ihre eigene kulturelle Identität wiederbeleben (die Re-Islamisierung von Nordafrikanern oder Türken ist ein in Europa sichtbarer Ausdruck dieser Tendenz). Auf diese Weise wird die kulturelle Distanz noch größer. Da die meisten Befragten nicht von direkter Diskriminierung betroffen waren oder sind, fällt es ihnen sicherlich leiter, sich auf die Kultur des Aufnahmelandes einzulassen.29

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Vgl. Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim, Soziologische Aspekte der Multikulturalität. In: Bade, Klaus, Migration – Ethnizität – Konflikt: Systemfragen und Fallstudien. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch1996: S. 111

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Anerkennung Anerkennung ist einer der wichtigsten Bausteine für das Akzeptanzempfinden der von mir befragten Personen. In der individualisierten Gesellschaft, in welcher die Migrantinnen und Migranten nach ihrer Einreise nach Deutschland leben, ist Anerkennung keine selbstverständliche Rückmeldung mehr. Meist stammen die Interviewpartnerinnen und -partner aus kollektivistischen Gesellschaften, in denen Zugehörigkeit und Anerkennung durch die Gruppe eindeutig definiert waren. Diese zeigen sich aber in der Aufnahmegesellschaft Deutschland sehr brüchig.30 Die gesellschaftliche Benachteiligung in Ausbildung, Beruf und im Alltag wird von den Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmern nicht so deutlich geäußert, wie dies beispielsweise von jungen Türken, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, formuliert wird31, dennoch ist gesellschaftliche Anerkennung ein Thema, dass alle Migrantengenerationen betrifft. Bei der Vergleichsanalyse konnte ich zwischen den einzelnen Interviews Unterschiede bezüglich der Wahrnehmung der Anerkennung feststellen. Frau Hartmann und Frau Lian Sha Dong beispielsweise wurden als exotisch empfunden und vergleichsweise schnell akzeptiert. Asiatische Frauen scheinen also eher mit positiven Zuschreibungen verbunden zu werden als Migrantinnen und Migranten anderer Herkunft. Sie erzählen von keinen nennenswerten Vorurteilen oder Ausgrenzungsversuchen aufgrund ihres Aussehens. Hinzu kommt laut Frau Hartmann, dass die Anerkennung in den 60ern spürbarer war als heute, weil es noch nicht so viele ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger gab und daher Ängste und Ablehnung noch nicht im gleichen Maße vorhanden waren wie heute. Bei der Befragung stellte ich das Thema „Anerkennung im Engagement“ in den Mittelpunkt des Interesses, um zu erfahren, welche Dimensionen der Bestätigung sich in diesem Feld ergeben. Dabei konnte ich vier verschiedene Aspekte voneinander unterscheiden: • Anerkennung durch Institutionen • Anerkennung durch die Betreuten • Anerkennung durch Politik und Gesellschaft • Monetäre Anerkennung

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Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1999: S. 99 Vgl. Tenzer, Eva, Deutschland, halbe Heimat. Gibt es in Deutschland eine türkische Parallelgesellschaft? In: Psychologie Heute, Band 29 Nr.9, September 2002. Weinheim: Beltz Verlag 2002: S. 8-9 201

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Anerkennung durch Institutionen Die Anerkennung durch Institutionen zeigt sich in den Gesprächen als eine der wichtigsten Anerkennungsfelder. Dabei geht es darum, dass die Migrantinnen und Migranten sich durch die Einrichtung, in der sie tätig sind, gut betreut fühlen. Austauschtreffen mit anderen Freiwilligen sind für viele der von mir befragten Personen wichtig: „G: Ein Mal im Monat haben wir Ausbildungstag. I: Ja. G: Wir sind an dem Tag eingeladen, aber das ist auch PFLICHT (lacht). I: Ah ja. G: Dann müssen wir da sein. Aber das finde ich auch schön, weil immer ist etwas erLEDIGT, also äh letztes Mal hatten wir einen Besuch von (-) einer (-) Fachperson und die das Thema war Kommunikation. Und da konnten wir etwas Neues erfahren. Und äh nächstes Mal gehen wir DRAUSSEN, also gehen wir in Pinakothek. I: Ah, schön. G: Ja und dann können wir auch unsere Erfahrungen austauschen (-). Ähm, über unsere ProBLEME sagen sprechen und deswegen ich finde diese Treffen auch sinnvoll.“

Frau Galinski ist durch ihren „Generationsübergreifenden Freiwilligendienst“ dazu verpflichtet, an Austauschtreffen teilzunehmen. Sie empfindet diese Veranstaltungen dennoch nicht als Pflicht sondern als Möglichkeit, sich mit anderen Engagierten auszutauschen und Lernerfahrungen zu machen. Auch diejenigen, die nicht verpflichtet sind, an solchen Treffen teilzunehmen, schätzen diese Art der Anerkennung. Die persönliche Betreuung durch Hauptamtliche der Institution ist ebenfalls von großer Bedeutung. Frau Souza-Möller berichtet über das Seniorenheim, in dem sie tätig ist: „Also, die haben mich SO WAS von schön aufgenommen und (-) und (-) und halt auch LIEBEVOLL und so und das war auch eigentlich so der Effekt, wo man sich so als als Freiwilliger oder Ehrenamtlicher oder wie man das auch nennen mag, so richtig BETÜTELT halt auch vorkam.“ Anerkennung durch Institutionen zeigt sich auch in Mitsprachemöglichkeiten für die freiwilligen Helfer. Frau Schneider beschreibt das Glücksgefühl, in ein Gremium gewählt zu werden: „Und das fand ich auch total süß, dass die mich da gewählt haben.“ Weil durch die Wahl die Anerkennung und das Zutrauen in die Leistung der Migrantinnen und Migranten quasi offiziell wird, hat dies vielleicht für die von mir befragten Personen eine besondere Bedeutung. Der Freiwilligensurvey zeigt, dass vor allem die Freiwilligen, die in kleineren Institutionen tätig sind, über viele Spielräume und Mitgestaltungsmöglichkeiten verfügen. Im Vergleich zu 1999 zeigt der Freiwilligensurvey 2004,

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dass sich bezüglich der Anerkennung der Tätigkeit von Freiwilligen durch hauptamtlich Beschäftigte eine Verbesserung abzeichnet.32

Anerkennung durch die Betreuten Neben der Anerkennung durch die Einrichtung ist auch die positive Rückmeldung durch die von den Probanden betreuten Personen von großer Bedeutung. Dabei spielt das Vertrauen, dass den Migranten von Seiten der Hilfeempfänger entgegengebracht wird, eine entscheidende Rolle. Durch dieses Vertrauen wird der eigene Selbstwert gestärkt und das Akzeptanzempfinden erhöht sich. Die wichtigste Rückmeldung ist dabei die Freude der Hilfeempfänger. Für Antonia Gomez ist es besonders wichtig, die Freude der älteren Menschen zu spüren, um die Sinnhaftigkeit ihrer Tätigkeit zu erleben. Dabei spielen auch Lob und das Interesse für die Herkunftskultur der Migrantinnen und Migranten eine Rolle. „Und dann sie kann mich, feine Mädchen, Du machst mich, bist ein hübsche Mädchen, Du bist in meine Herzen. Und sie immer lachen, lachen bei mir.“ „Sie interessiert auch (-) sie möchte auch eine Foto von meine Familie sehen, ja. (-) Ja. I: Schön. G: Für mich das ist schön.“ Anerkennung durch Politik und Gesellschaft Wichtig ist neben der persönlichen Anerkennung durch hauptamtliche Mitarbeiter und Hilfeempfänger auch die Bestätigung und Unterstützung durch die Gesellschaft. Frau Schneider schildert dies eindrücklich: „Dass sie sagen, letzte Woche war ich in Bonn bei Umweltministerium eingeladen zum Beispiel. Die Nahrungsaktion war die EINZIGE Organisation, die aus Bayern eingeladen wurde. I: Mhm. S: Und äh so EU-Ratspräsidentschaft und so weiter. Fand ich GROßartig. Also das heißt (-) man wird wahrgenommen. I: Mhm. S: Wenn man für die Inhalte von diesem Land arbeitet.“

Anerkennung durch Gesellschaft und Politik wird von allen Befragten für wichtig gehalten, lediglich Herr Cifera distanziert sich davon: „Es ist eine ganz kleine Sache, die man macht. Und diese Anerkennung, diese (--) ich bin kein Politiker, so. Das heißt, es ist eine Sache, die wahrscheinlich zwei oder drei Leute wissen. Ich bin schon mehrere Male eingeladen, Bürgermeister für Medaille, so ich zu meiner Frau, ich schmeiß sofort weg. Krieg ich schon Gänsehaut, das ist fast ein Angriff gegen die (--) die intime Bereich. Es ist etwas, das ich mache (--) ich will keine Medaille, keine Anerkennung, man fühlt sich lächerlich. Weil man tut nichts.“

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Vgl. http://www.bmfsfj.de/generator/RedaktionBMFSFJ/Arbeitsgruppen/PdfAnlagen/freiwilligen-survey-langfassung,property=pdf,b, Quelle vom: 23.04.2008 203

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In der Konsequenz dieser Aussage lehnt Herr Cifera alle Formen der Anerkennung, vor allem aber auch Ehrungen und Empfänge ab. Für ihn gehört das Engagement in den privaten Bereich und nicht in die Öffentlichkeit. Da gesellschaftliche und politische Anerkennung aber für die meisten Menschen wichtig ist und die Politik mehr und mehr die Bedeutung freiwilliger Arbeit erkennt, hat die Bundesregierung 2006 beschlossen, Spenden und gemeinnützige Arbeit mithilfe von Steuervergünstigungen mehr als bisher belohnen.33

Monetäre Anerkennung Der aktuelle Freiwilligensurvey zeigt, dass die Frage, ob Freiwillige eine gewisse finanzielle Vergütung für ihre Tätigkeit erhalten sollten, für die Engagierten am wenigsten von Bedeutung ist. Allerdings wurde die monetäre Entschädigung bereits 1999 von arbeitslosen Engagierten vermehrt und 2004 zunehmend befürwortet. Wichtiger als eine konkrete Bezahlung ist den Engagierten der Verbesserungsbedarf bei der unbürokratischen Erstattung von Kosten, die im Zusammenhang mit dem Engagement anfallen.34 Bei den von mir befragten engagierten Migrantinnen und Migranten zeigt sich ein ähnliches Bild. Frau Diaz würde für ihren Einsatz aus städtischen Mitteln 30€ Entschädigung für Fahrtkosten erhalten: „Nee, ich mach das ehrenamtlich und dafür will ich keine 30€. Ich hab eine Fahrkarte, mit der ich sowieso rumfahr. Und meistens laufe ich zu Fuß hier rüber. Und wenn ich denen ne Kleinigkeit kaufe, dann mache ich das, wenn mir danach ist und (-) und nicht wegen den dreißig Euro. Das ist mir immer äußerst unangenehm.“

Alle von mir befragten Engagierten lehnen eine Bezahlung für ihr Engagement ab und trennen eine berufliche Tätigkeit, für die sie bezahlt werden, von der freiwilligen Tätigkeit.

Fazit Weil es in einer individualisierten Gesellschaft nicht mehr einfach möglich ist, die Anerkennung, die durch Zugehörigkeit erwächst, zu bekommen und Kollektive brüchiger werden, ist es wichtig, Felder zu finden, in denen das Individuum Anerkennung erfährt.35 Neben der Anerkennung im Freundes-

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Vgl. Financial Times (Hg), Steinbrück wertet Ehrenamt auf. In: Financial Times 04.12.2006: S. 12, und: Focus Magazin (Hg.) Großer Wurf für Ehrenamtliche. Focus Nr. 49 München: Focus Magazin Verlag GmbH 04.12.2006: S. 14 Vgl. http://www.bmfsfj.de/generator/RedaktionBMFSFJ/Arbeitsgruppen/PdfAnlagen/freiwilligen-survey-langfassung,property=pdf,b, Quelle vom: 23.04.2008 Vgl. Schrödter, Mark, Die Objektivität des Rassismus. Anerkennungsverhältnisse und prekäre Identitätszumutungen. In: Broden, Anne/Mecheril, Paul, Re-

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und Familienkreis ist das freiwillige Engagement ein wichtiges Feld, in welchem Anerkennung erfahren werden kann.

Lernerfahrungen im Engagement Lernerfahrungen weisen zwar auf der einen Seite auf die Entwicklung des Individuums hin, auf der anderen Seite zeigt sich hier aber auch, auf welche Forderungen der Gesellschaft die Migrantinnen und Migranten reagieren und welche Lernerfahrungen notwendig sind, um gesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen. So berichtet Belgin Schneider davon, dass sie gelernt habe, vor einer großen Anzahl von Leuten zu sprechen, ohne Hemmungen bezüglich ihrer nicht perfekten Sprachkenntnisse zu haben. Dies bringt ihr die Akzeptanz von Fachleuten und anderen Freiwilligen ein, was auch ihr Selbstwertgefühl stärkt. Lernerfahrungen beziehen sich ebenfalls auf die jeweilige Art, in unterschiedlichen Kulturen Probleme anzusprechen. Frau Aydin hat erfahren, dass Akzeptanz durch die deutsche Gesellschaft nur gegeben ist, wenn man offen Probleme anspricht: „[…] wissen Sie, man MUSS alles richtig sagen. Nicht geheim halten das und jenes. Äh aber äh wissen Sie, wir haben bei UNS ist so, äh. Sprechen äh sprechen ist äh äh (--) nicht sprechen ist gold ja, sprechen ist äh (--) hab ich vergessen so ähnlich ist äh (--) I: Äh Silber. A: Silber, ja. Und dann äh bin äh ich meine, man soll so (-) geheim, wenn irgendwas ist, dann MUSS man muss mit diese Person selbst geheim sagen. Ja. Das ist. I: Aha. Verstehe. A: WaRUM hast Du das gemacht, nicht mit den Leuten. I: Mhm. A: Ja? I: Mhm. A: Dann wird verletzt so. I: Ja. A: Aber äh als ich äh im AK war, wir haben einen Geschäftsführer, er hat auch viel getan für AK und für alle Migranten. Er ist jetzt äh wie heißt das, Flüchtlingsamt er ist jetzt. Und dann (-) naTÜRLICH ich ich hab immer mit ihm geredet, weil ich hab ihn so nah als Bruder gefunden. Weil ich hab bin damals irgendwo was passiert, zum Beispiel mit andere Kollegen, ich konnte nicht sagen. Er hat immer mir gesagt, ich MUSS es sagen. Warum behältst Du? I: Aha, das haben Sie geLERNT. A: Ja.“

Neben diesen Lernerfahrungen berichten die Interviewpartnerinnen und -partner vor allem von Lernerfahrungen bezüglich der Organisation von freiwilligen Aktionen. Viele der Befragten beschreiben sich selber eher als chaotisch. Um aber in Deutschland mit ihren Anliegen im freiwilligen Engagement Erfolg zu haben, sind sie gezwungen, Daten zu dokumentieren, Statistiken zu erstellen und die Ideen adäquat zu erstellen.

Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft. Düsseldorf: IDA NRW 2007: S. 99 205

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Zwischenergebnis I Gezeigt wurde, dass das Inklusionsbegehren die wesentliche Motivationsgrundlage für das freiwillige Engagement der befragten Migrantinnen und Migranten ist. Dieses Begehren zeigt sich in den Kategorien Zugehörigkeit und Akzeptanz. Der Wunsch nach Zugehörigkeit zur Majoritätsgesellschaft bringt die von mir befragten Personen dazu, eine hohe Leistungsbereitschaft, beispielsweise in Form des Spracherwerbs oder im Rahmen ihres bürgerschaftlichen Engagements zu zeigen. Dennoch lässt sich nachweisen, dass trotz des individuell erlebten Zugehörigkeitsempfindens die Akzeptanz der Gesellschaft nicht notwendigerweise die Konsequenz für diese Leistungsbereitschaft ist. Denn trotz aller Lernerfahrungen und der von den Befragten gezeigten Offenheit gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft gibt es Bereiche des alltäglichen Lebens, in denen Diskriminierung und Exklusion erlebt wird. Interessant ist aber, dass Bereiche des bürgerschaftlichen Engagements von den Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern als Lern- und Erfahrungsorte erlebt werden, in denen alle zugehörigkeits- und akzeptanzrelevanten Aspekte ausprobiert bzw. erlebt werden können. Das Erleben von Inklusion wird somit durch das Engagement erleichtert.

Selbstpositionierung Übergreifend zu allen in den Interviews angesprochenen Bereichen des täglichen Lebens und des freiwilligen Engagements habe ich mich dafür interessiert, welches Selbstbild die von mir befragten Personen haben und wie sie sich im Interview darstellen. Bei der Auswertung der Gespräche habe ich dabei folgende Kategorien herausgefiltert:

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Abbildung 5: Kategorien der Selbstpositionierung

Für die Teilnahme an Interaktionen ist die Art und Weise, wie sich das Individuum positioniert, von großer Bedeutung. Man kann oft den Eindruck bekommen, dass Subjekte in der Postmoderne ständig mit ihrer eigenen Darstellung jonglieren und sich wenig festlegen können. Menschen, die sich aber erfolgreich an Interaktionen beteiligen wollen, müssen divergierende Erwartungen in ihrem Auftreten berücksichtigen und dennoch Konsistenz und Kontinuität behaupten. Das postmoderne Subjekt steht vor der Herausforderung, zuverlässig zu erscheinen und dennoch sichtbar zu machen, dass es auch anders handeln kann, bereits anders gehandelt hat und auch wieder handeln wird. Dies alles gehört zur Identität.36 Es ist notwendig geworden, der Initiator und Manager des eigenen Beziehungsnetzes zu sein. Für diese sozialen Netzwerke ist permanente Beziehungsarbeit notwendig, sonst zerfasern sie und lösen sich auf.37 Es ist also wichtig, sich in den Netzwerken immer wieder neu zu positionieren, um Beziehungen aufrecht erhalten zu können. Wie gelingt es den Interviewpartnerinnen und -partnern sich in sozialen Situationen und im Interview selber zu positionieren und eventuelle Widersprüche zu vereinbaren? Kann ein kohärentes Selbst entstehen?

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Vgl. Krappmann, Lothar, Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen. Stuttgart: Klett Cotta 1988: S. 56-57 Vgl. Keupp, Heiner, Ambivalenzen postmoderner Identität. In: Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth, Riskante Freiheiten. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1994: S. 343 207

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Bei meinen Überlegungen stütze ich mich im Wesentlichen auf die „Positioning Theory“. Sie begründet sich in der angelsächsischen „discursive psychology“ und ist vor allem mit dem Namen Rom Harré verbunden.38 Unter Positionierung versteht man zunächst ganz allgemein die diskursiven Praktiken, mit denen Menschen sich selbst und andere in sprachlichen Interaktionen aufeinander bezogen als Person her- und darstellen. Es geht darum, welche Attribute, Rollen, Eigenschaften und Motive sie mit ihren Handlungen in Anspruch nehmen und zuschreiben, die funktional für die lokale Identitätsherstellung und auch für die Darstellung im Gespräch sind. Die Positionierung beschäftigt sich also vor allem mit der qualitativen Dimension der Identitätskonstruktion. Dabei steht die klassische Identitätsfrage „Was bin ich für ein Mensch, als was für ein Mensch möchte ich von meinen Interaktionspartnern betrachtet und behandelt werden?“ im Vordergrund. Aspekte der sprachlichen Handlungen, mit denen ein Sprecher sich in einer Interaktion zu einer sozial bestimmbaren Person macht, eine bestimmte Position im sozialen Raum für sich in Anspruch nimmt und mit denen er dem Gegenüber zu verstehen gibt, wie er gesehen werden möchte (Selbstpositionierung), werden untersucht. Durch die Selbstpositionierung, durch Adressierungen des Interaktionspartners und auf ihn bezogenen Handlungen weist er diesem ebenfalls eine soziale Position zu und verdeutlicht ihm damit, wie er ihn sieht. Dies bezeichnet man als Fremdpositionierung. Selbst- und Fremdpositionierung sind miteinander verknüpft: Indem ich für mich selbst in einer Interaktion bestimmte Identitätsaspekte reklamiere, weise ich auch meinem Interaktionspartner bestimmte Identitätsaspekte zu.39 Eine Position innerhalb einer Interaktion kann persönliche Merkmale, soziale Identitäten, rollenbedingte Rechte, moralische Attribute und Ansprüche eines Sprechers umfassen. Sie können direkt und explizit oder indirekt und implizit sein. Während einer Konversation laufen Positionierungen quasi nebenbei immer mit, daher ist der Blick auf diesen Aspekt in den Interviews besonders interessant. Welche Fremdpositionierungen nehmen die Interakteure vor? Welche Einstellungen zeigen sich bezüglich identitätsrelevanter Aspekte in den Kategorien?

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Vgl. Harré, Rom/Moghaddam, Fathali, The Self and Others. Positioning Individuals and Groups in Personal, Political, and Cultural Contexts, Westport Connueticut London: Preager, 2003: S. 3ff Vgl. Lucius-Höhne, Gariele/Deppermann, Arnulf, Rekonstruktion narrativer Identität. Ein Arbeitsbuch zur Analyse narrativer Interviews. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004: S. 196

ERGEBNISBAUSTEINE

Soziale Netzwerke Positionierung in der Familie Selbstpositionierung findet in sozialen Netzwerken statt. In erster Linie geht es dabei um die Positionierung innerhalb der Familie. Die von mir befragten Personen verbinden ihre Positionierung vor allem mit ihrem freiwilligen Engagement. Wichtig ist ihnen, dass sie von ihrer Familie unterstützt werden. Ein wesentlicher Aspekt der Positionierungstheorie ist, eigene Emotionen, die man hat, darzustellen. Für die Probanden ist es von großer Bedeutung, die Emotionen und Beweggründe, die sie in ihrem Engagement begleiten, transparent zu machen, um sich zu positionieren und um die angestrebte Unterstützung der Familie zu erhalten. Den meisten von mir Befragten gelingt dies. Deutlich wird es am Beispiel von Ahmet Osman: „Ja okay, es ist nicht einfach für Frau okay. Aber sie akzeptiert das. … Die akzeptieren auch.“ Für Frau Osman ist die Situation deshalb nicht leicht, weil sie oft auf ihren Mann verzichten muss, wenn er zu Abendterminen eingeladen wird. Dennoch versteht sie seine Haltung und unterstützt ihn. Auch seine Kinder bewundern ihn für seine Einstellung zum freiwilligen Einsatz. Frau Gomez positioniert sich sowohl im Interview als auch in der Beziehung zu ihrem Mann als ein freundlicher und hilfsbereiter Mensch. Damit weist sie sich selber positive Attribute zu, die ganz wesentlich für ihre Identitätsherstellung sind. Um ihre Selbstpositionierung zu stärken, erzählt sie im Gespräch davon, wie ihr Mann sie beschreibt, nämlich als geduldig, nett und hilfsbereit. Durch diese positive Sicht von außen gab sie mir im Interview zu verstehen, wie sie gesehen werden möchte. Belgin Schneider betont in besonderer Weise, wie sehr sie durch ihren Mann in der Arbeit unterstützt wird. Sie zeigt die Allianz zwischen ihrem Mann und sich auf und positioniert sich dabei nach außen gleichzeitig in einer stärkeren Lage, da sie nicht für sich allein sprechen muss. Aus diesem Grund berichtet sie, dass ihr Mann sie vollkommen verstehe und sie unterstütze. Mit Stolz erwähnt sie, dass er sie gelegentlich bei der Vorbereitung und Durchführung von Aktionen begleitet. Sie weist dabei nicht nur sich selbst positive Eigenschaften zu, sondern positioniert auch ihren Ehepartner in gleicher Weise. Als einzige berichtet Frau Sha Dong von negativen Reaktionen aus ihrer Familie bezüglich des freiwilligen Einsatzes. Indem sie beschreibt, dass ihre Familie „realistisch“ denkt und sie hinterfragt, warum sie keine bezahlte Tätigkeit in Anspruch nimmt, weist sie sich auf der einen Seite positive Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen und Selbstlosigkeit zu, zeigt mir als Interaktionspartnerin im Interview aber auch die Bereitschaft, sich hinterfragen zu lassen und kritikfähig zu sein. Sie unterstützt diese Bereitschaft noch

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

dadurch, dass sie mich ganz explizit um meine Meinung und Beurteilung der freiwilligen Tätigkeit bittet. „Meine Tochter sagt immer JA, was tust Du da so vieles. Und redest und sie ist auch ähm nicht so ein Mensch, die immer gerne bekannt wird, sag ich mal. Jetzt zum Beispiel einzige Ausländerin hier das und alles spricht darüber in der Schule. Oder dass ich andere Meinung zu Lehrer habe und sage und zugreife und sage, welche Lösung soll man auch zu äh SCHULleitung zum Beispiel. Und dann ist es so, meine äh Tochter SEHR sehr gestört. Sagte ähm ja was DU da tust, ich halte nichts. Und mittlerweile sie sagt auch, JA, finde ich auch GUT.“

Frau Sha Dong attribuiert sich mit dieser Aussage als eine Frau, die trotz aller Widerstände bereit ist, sich für eine Idee einzusetzen und die Überzeugungsarbeit leisten kann. Sie ist in der Lage, mit Negativzuschreibungen von außen umzugehen und diese positiv für sich umzubenennen, indem sie zum Beispiel Abwehrhaltungen anderer zu ihren Gunsten interpretiert.

Positionierung im Freundeskreis Ein vielschichtiger Aspekt der Selbst-und Fremdpositionierung in sozialen Netzwerken zeigt sich in der Beschreibung von außerfamiliären Beziehungen. Alle Interviewpartnerinnen und -partner außer Frau Galinski, Frau Nowack und Frau Gomez beschreiben explizit ihre guten Beziehungen zu Deutschen. Herr Osman betont dabei, dass er mehr deutsche Freunde habe als viele andere Menschen mit Migrationshintergrund und dass er im Engagement viele Deutsche trifft, die ihn in seiner Tätigkeit unterstützen. Auf diese Weise gelingt es ihm, sich als jemand zu positionieren, der der deutschen Mehrheitsgesellschaft offen gegenüber steht. Gleichzeitig kann hierin auch eine Abwehr von negativen Fremdpositionierungen gesehen werden, die häufig durch deutsche Medien etc. hervorgerufen wird. Daher erwähnt Herr Osman auch an verschiedenen Stellen, dass vor allem gegenüber türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten durch die Presse Negativzuschreibungen vorgenommen werden. Er distanziert sich durch diese Selbstpositionierung deutlich davon. Gleichzeitig kann die Betonung der positiven Beziehungen zu Deutschen auch darin begründet sein, dass ich als deutsche Interaktionspartnerin im Interview von der Offenheit der Probanden überzeugt werden soll und sie mich als eine Person wahrnehmen, die die Einstellung der Befragten beurteilt. Aus dieser Sichtweise heraus könnte es für die Beteiligten wichtig sein, dass ich ein positives Bild von ihnen bekomme. Lazlo Fekete zeigt seine besondere Verbundenheit mit deutschen Freunden:

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ERGEBNISBAUSTEINE

„Ich hab äh sehr viele hiesige Freunde von hier Deutsche, Hut ab Leute, mit denen ich sehr gut mich VERSTEHE und äh gerade auch paar ham mir geholfen. Und äh ICH hab auch etwas ZURÜCK geholfen, was ich konnte. Und äh (-) hat auch von ANDERE Leute, von aus ANDERE Länder dazu und das. Mir macht das nichts aus, irgendwo.“

Herr Fekete positioniert sich durch diese Aussage als ein dankbarer Mensch, der gerne hilft und dabei unabhängig von der Nationalität Kontakte zu anderen Menschen sucht. Besonders auffällig ist die Aussage „Hut ab, Leute“, die er vielleicht auch deshalb trifft, weil ich ihm als deutsche Gesprächspartnerin gegenüber saß. Er verdeutlicht dadurch in besonderer Weise die Dankbarkeit, die er empfindet und zeigt sich fast „ehrfürchtig“ vor der Freundlichkeit der Deutschen. Es könnte sein, dass er diese Hilfsbereitschaft nicht erwartete hatte und sie deshalb in besonderer Weise erwähnt. Insgesamt zeigt sich also, dass die Interviewpartnerinnen und -partner bemüht sind, sowohl ein positives Bild von sich als auch von den Vertretern der deutschen Mehrheitsgesellschaft, mit denen sie im Engagement zusammentreffen, zu vermitteln. Für Lena Galinski, Antonia Gomez und Joanna Nowack gilt dies allerdings nicht. Die drei jungen Frauen haben keine positiven Erfahrungen mit sozialen Netzwerken zu Deutschen gemacht, bemühen sich aber, mir im Gespräch zu vermitteln, welche Leistung sie eingebracht haben, um ihren Kontaktwunsch zu realisieren. Damit versuchen sie, ein positives Bild von sich zu zeigen und Solidarität bei mir als Interaktionspartnerin hervorzurufen. Ihr Bild deckt sich mit den allgemeinen Aussagen, die die Probanden über die Aufnahmegesellschaft treffen. Der Majoritätsgesellschaft werden viel negative Attribute zugewiesen, während das eigene Land meist positiv dargestellt wird. Neben den positiven Zuschreibungen, die die meisten Probanden von außen wahrnehmen, gibt es auch eine negativ wahrgenommene Positionierung von außen, die sich ebenfalls im Engagement zeigt, z.B. bei Lucia Diaz: „Bei mir in der Arbeit, die wissen das. Musste ich angeben, dass ich das mach. Nebenberuflich nicht, ist ehrenamtlich, keine Bezahlung, kein GAR nichts. Jetzt machts mal ganz ruhig. Und da ist viel gespottet worden. Dieses typische Klischee, alten Leuten den Hintern putzen. Ich habe gesagt, ich muss die nicht mal anfassen. Das sind gepflegte Leute, die sauber sind. (-) Ich versuch noch ein paar Leute zu überzeugen, aber (-).“

Frau Diaz beschreibt fast ausschließlich Negativreaktionen gegenüber ihrem Einsatz. Indem sie ihren Arbeitskollegen Attribute wie „Spott“ zuschreibt, nimmt sie neben der negativen Fremdpositionierung gleichzeitig eine positive Selbstbeschreibung vor und fordert meine Solidarität.

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Für Mithra Sakkoundi ist die Fremdzuschreibung durch andere gekennzeichnet durch Attribute wie „Blödmann“ oder „Spinner“. Er positioniert sich durch diese Beschreibung aber nicht negativ oder belegt sich mit Attributen wie Scham oder Schuld, sondern verdeutlicht, dass er sich nicht durch diese Exklusionstendenzen von seiner Vision abbringen lässt. Dadurch positioniert er sich mir gegenüber als ein starker, selbstbewusster Mensch. Insgesamt lässt sich nach der Analyse der Selbst- und Fremdpositionierung in sozialen Netzwerken festhalten, dass die Probanden sowohl mir als Interaktionspartnerin im Interview als auch in den sozialen Beziehungen ein positives Selbstbild vermitteln wollen und dies vor allem dadurch versuchen, indem sie sich als „gute Migranten“ positionieren, die sich in die Gesellschaft einbringen möchten und für ihren Einsatz manche Hürde und viele Widerstände überwinden müssen. Sie erhoffen sich im Interview meine Allianz für ihre Einsatzbereitschaft.

Bezug zur Arbeit Durch die in der postmodernen Gesellschaft stattfindenden Veränderungen erleben Männer und Frauen verstärkt Unsicherheit und Diskontinuität, die oftmals zu dominierenden Merkmalen der Berufsbiographien werden. Das bedeutet, dass Arbeitslosigkeit, befristete Arbeitsverträge oder ungeschützte Arbeitsverhältnisse mehr denn je das Leben der Subjekte prägen.40 Mehr und mehr sind die Menschen vom Arbeitsmarkt abhängig und die abhängige Arbeit bedeutet gleichzeitig Abhängigkeit von laufenden Geldeinkommen, die nur dann erzielt werden, wenn man leistungsfähig ist und überhaupt Beschäftigung findet.41 Die Definition von Arbeit als Erwerbsarbeit und die wohlfahrtstaatlichen Sicherungssysteme prägen die heutigen Lebensläufe und damit auch die Identitätsherstellung.42 Migrantinnen und Migranten befinden sich hierbei in einer besonderen Situation. Der Begriff „Gastarbeiter“ prägt noch viele der von mir befragten Personen. Er impliziert, ähnlich wie der Terminus „ausländische Wanderarbeiter“ im Kaiserreich eine beruflich-soziale Klassifizierung. Dabei liegt der Fokus vor allem auf angelernten Arbeiten, meist in der industriellen Produktion. Noch lange haftete das Stigma

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41 42

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Bilgen, Helga, Das Individuum – ein dynamisches System vielfältiger TeilSelbste. Zur Pluralität in Individuum und Gesellschaft. In: Keupp, Heiner/Höfer, Renate, Identitätsarbeit heute. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch wissenschaft 1997: S. 232-233 Vgl. Döhring, Dieter, Sozialstaat. Frankfurt am Main: Fischer 2004: S. 5 Vgl. Kohli, Martin, Institutionalisierung und Individualisierung der Erwerbsbiographie. In: Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth, Riskante Freiheiten. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994: S. 88

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„Gastarbeiter“ auch denen an, die aus der Arbeiterschaft zu Kleingewerbetreibenden oder Kleinhandelskaufleuten aufstiegen.43 Diese besondere Problematik berücksichtigend ist es besonders interessant, die Selbst- und Fremdpositionierung unter der Kategorie Arbeit in den Interviews zu analysieren. Thematisiert wurden die Bedeutung der Arbeit, die Einstellung zur Arbeit und das Problem der Arbeitslosigkeit. Einige der von mir befragten Personen sind aufgrund der besseren Arbeitsbedingungen in die Bundesrepublik gekommen. Sie positionieren sich in diesem Zusammenhang sehr anpassungsbereit und lernwillig, wie beispielsweise Frau Gomez, die möglichst alles dafür tun möchte, um in Deutschland eine bezahlte Tätigkeit zu bekommen. Dabei hat die bezahlte Tätigkeit nicht nur einen materiellen Wert, sondern auch einen sozialen und symbolischen.44 Frau Novak kann sich durch ihre freiwillige Tätigkeit, für die sie ein Taschengeld bekommt, gegenüber ihrem Mann und ihren Freundinnen selbstbewusst positionieren und fühlt sich gebraucht. Insgesamt hat also die Arbeit eine hohe Bedeutung für die Migrantinnen und Migranten, die diese auch zur Selbstpositionierung nutzen. Das Gleiche zeigt sich auch bei der Einstellung zur Arbeit, besonders bei Joanna Novak: „Ich weiß, warum muss ich das machen. Arbeit ist für mich auch keine STRAFE. (-) Äh vielleicht auch darum, weil in der Kinderkrippe alle machen gleich. Zum Beispiel ist NICHT so, dass DU musst immer putzen und aufräumen, DU musst immer Kinder wickeln und ich mache nur entspannte Unterricht und Malen und so weiter. Alle machen gleich und vielleicht es ist auch.“

Frau Novak positioniert sich durch ihre Aussage als eine Frau, die gerne arbeitet und Teamarbeit schätzt. Sie attribuiert sich mit positiven Zuschreibungen und nimmt folgende Fremdzuschreibung vor: „Ich kann nicht zu Hause bleiben. Ja, wenn man (--) äh (-) ja. Ich verstehe nicht die Leute, die zu Hause sind, die wollten, die wollen NICHTS machen. Ich verstehe das nicht. Es ist etwas, das unglücklich macht. (--) Und jetzt ich bin viel glücklicher. Ich habe wenig Zeit, aber manchmal äh auch Unordnung zu Hause aber pfff (lacht). Es ist nicht wichtig“

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Vgl. Bade, Klaus, Paradoxon Bundesrepublik: Einwanderungssituation ohne Einwanderungsland, In: Bade, Klaus, Deutsche im Ausland, Fremde in Deutschland. München: C.H. Beck Verlag 1992: S. 395 Vgl. Beck, Ulrich, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986: S. 126 213

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Deutlich wird auch die hohe Arbeitsbereitschaft bei Lian Sha Dong, die nach dem Grundsatz: „Jeder Mensch muss ran und etwas mehr schaffen. Deswegen auch genau wie äh Vermögen wird mehr aufgebaut.“ handelt und sich damit als Subjekt positioniert, dass nach den Werten der Arbeitsgesellschaft lebt. Anders positioniert sich dagegen Maria Souza-Möller, die betont, dass ein ausschließlicher Bezug auf den Arbeitskontext nicht ihren Werten entspricht und die jene Beziehungen negativ bewertet, die innerhalb der Arbeitskontexte geschlossen werden. Sie kritisiert, dass berufliche Beziehungen nur so lange bestehen, wie die Beteiligten wichtig füreinander sind. Damit positioniert sie diejenigen negativ, die private Beziehungen nur nutzen, um beruflichen Erfolg zu haben. Bei der Einstellung zur Arbeit zeigen sich unter anderem folgende Attribute der Positionierung: • Arbeitsfähig • Fleißig • Angstfrei • Teamfähig Ein besonderes Problem stellt die Arbeitssuche dar. Vier der vierzehn Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmer befinden sich derzeit in keinem bezahlten Arbeitsverhältnis, wobei Frau Novak und Frau Galinski durch den Generationsübergreifenden Freiwilligendienst zumindest ein Taschengeld bekommen. Auch wenn die Bezahlung einer Tätigkeit für fast alle Probanden keine wesentliche Rolle spielt, sind die von Arbeitslosigkeit Betroffenen dennoch in einer besonders schwierigen Situation, wie beispielsweise Herr Fekete: „GAR nichts und jetzt will ich wieder ANFANGEN und äh will (-) mein Leben wieder anders im Lot bringen und so. I: Ja. F: Es GEHT so nicht, äh, es GEFÄLLT mir nicht, dass ich so (-) fremdes Geld bekomme. I: Ja, das ist schwierig. F: Ich will mein Geld selbst verdienen. Ich hab schon als kleines Kind das gemacht. Hab ich auch mein Taschengeld, bin lieber bin ich gegangen, AUSgeholfen, mein Taschengeld habe ich, ich wollte von meinen Eltern auch nichts. Ich habe nicht gefragen, ob ich bekommen. Bin ich nicht der TYP.“

Herr Fekete versucht sich trotz seiner schwierigen Situation positiv zu positionieren, indem er seinen Willen zur Arbeitssuche mitteilt und seine Scham über finanzielle Abhängigkeit vom Staat öffentlich macht. Sein Motiv dabei ist, Verständnis und Solidarität für seine Situation zu erhalten. Noch immer geht man davon aus, dass Arbeitslosigkeit ein vorübergehender und anormaler Zustand ist und auch Herr Fekete möchte so schnell wie möglich die „Normalität“ wiederherstellen. Problematisch ist, dass die Gesellschaft ihre Mitglieder als produktive Wesen versteht und davon ausgeht, dass Vollbeschäftigung 214

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möglich ist. Nur durch Erwerbstätigkeit wird es möglich, gesellschaftliche Teilhabe zu erhalten und sich zu einer gesellschaftlich anerkannten persönlichen Identität zu entwickeln.45 Bauman stellt fest, dass Menschen, denen es nicht gelingt, ein bezahltes Arbeitsverhältnis einzugehen, von der Gesellschaft als „Überflüssige“ angesehen werden: Die Überflüssigen sind nicht bloß ein Fremdkörper, sondern ein Krebsgeschwür, das am gesunden Gewebe der Gesellschaft nagt, und sie sind eingeschworene Feinde „unseres Lebensstils“, all dessen, „wofür wir stehen“.46 In den Interviews wird deutlich, dass Massenarbeitslosigkeit unter den Bedingungen der Individualisierung den Menschen als persönliches Schicksal aufgebürdet wird. Die Probanden versuchen, möglichst alles dafür zu tun, um Arbeit zu finden und sich möglichst gut den gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen. Schwierigkeiten, die sich aufgrund der Arbeitslosigkeit ergeben, müssen die Betroffenen mit sich selbst ausmachen, während früher armutserfahrene und klassengeprägte Lebenszusammenhänge entlastende Gegendeutungen bereithielten.47 Dass Arbeitslosigkeit Menschen mit Migrationshintergrund besonders betrifft, zeigt folgender Exkurs: Bereits in den 1990er Jahren waren Migrantinnen und Migranten mehr als doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie Deutsche. Vor allem kurzzeitige Beschäftigungsverhältnisse von Migranten sind im Längsschnitt noch kurzzeitiger geworden, die längerfristigen haben an der allgemeinen Stabilisierungstendenz teil gehabt. Dabei hat die Ungleichheit hinsichtlich der Stabilität von Beschäftigungsverhältnissen unter den Bürgern ausländischer Herkunft zugenommen. Nichtdeutsche weisen höhere Fluktuationsraten in den Arbeitsstellen auf als Deutsche. Dieses gilt auch im Verhältnis von nicht formal Qualifizierten und den Facharbeitern, Fachangestellten und Akademikern, daher ist hinter dem Befund in erster Linie ein Qualifikationseffekt zu vermuten. Bei den Migrantinnen und Migranten aus den seinerzeitigen Hauptanwerbeländern – mit Ausnahme der Türken – lässt sich ein kontinuierlicher Ausgliederungsprozess aus dem deutschen System sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung beobachten. Entgegen einem in Deutschland vorherrschenden „Risiko-Diskurs“ sind die Beschäftigungsverhältnisse in den 1980er und Anfang der 1990er Jahre insgesamt etwas stabiler geworden. Das gilt für Deutsche wie Nicht-Deutsche gleichermaßen, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau.“

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Vgl. Bauman, Zygmunt, Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne. Hamburg: Hamburger Edition HIS 2005: S. 19 Ebd. S. 60 Vgl. Beck, Ulrich, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986: S. 144 215

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Nichtdeutsche aus den seinerzeitigen Hauptanwerbeländern sind im gleichen Maße wie Deutsche vom vorruhestandsförmigen Leistungsbezug betroffen. Diese Form des Altersübergangs kommt nur für Beschäftigte mit einer gewissen Betriebszugehörigkeit in Betracht. Da aber aufgrund der hohen Fluktuation oftmals keine langjährige Betriebszugehörigkeit vorhanden ist, fällt diese Möglichkeit für eine Vielzahl von Migrantinnen und Migranten weg.48

Fazit des Kontextes Selbstpositionierung und der Bezug zur Arbeit Die meisten der von mir befragten Personen zeigen eine hohe Bereitschaft, die Werte der Arbeitsgesellschaft zu übernehmen und haben trotz verbreiteter Ablehnung und oftmals mangelnden Aufstiegsperspektiven einen Arbeitsplatz gefunden. Sie positionieren sich in gleicher Weise wie Vertreter der Majoritätsgesellschaft, betonen aber gezielt ihren Arbeitswillen.49 Dabei findet die Selbstpositionierung vor dem Hintergrund der Akkulturation statt, obwohl sich die meisten der Befragten gleichzeitig auch ihrer ethnischen Minderheit zugehörig fühlen. Sie sind darauf angewiesen, die Wert- und Loyalitätskonflikte zu vereinbaren und sind teilweise Außenseiter in beiden Kulturen, wie am Beispiel von Lazlo Fekete besonders deutlich wird. Man kann sie damit als „marginal individuals“ bezeichnen, die aufgrund ihrer Fähigkeiten und beruflichen Qualifikationen die dominante Mehrheit herausfordern, weil sie gute berufliche Positionen einnehmen können. Oftmals reagiert die Majoritätsgesellschaft darauf mit sozialen Barrieren, die die Verankerung auf dem Arbeitsmarkt erschweren.50 Umso wichtiger erscheint eine positive Selbstpositionierung der Probanden. Ein weiteres Fazit bezieht sich auf den Kontext von Erwerbsarbeit und freiwilligem Engagement. Allgemein kann festgestellt werden, dass die Erwerbsgesellschaft das bürgerschaftliche Engagement befördert, denn diejenigen, die erwerbstätig sind, engagieren sich in größerem Maße als Erwerbslose. Diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt marginalisiert sind, ziehen sich auch in anderen Bereichen zurück.51 Für die von mir befragten Personen gilt dies 48

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Vgl. Erlinghagen, Marcel/Knuth ,Matthias: Migranten auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt. In: Pries, Ludger (Hg): Zwischen den Welten und amtlichen Zuschreibungen. Neue Formen und Herausforderungen der Arbeitsmigration im 21. Jahrhundert. Essen: Klartext Juni 2005: S. 53-60 Vgl. hierzu auch Bosl, Manfred, Multikulturelles München- Interkulturelles Leben. http://www.initiativgruppe.de/publikationen/fachartikel/index.htm, Quelle vom: 23.6.2007 Vgl. Han, Petrus, Minderheiten in der modernen Gesellschaft – Soziale Mechanismen der Ablehnung und Diskriminierung und Gedanken zur Integration. Köln: Die Heimstatt 1989: S. 15 Vgl. Nolte, Paul, Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik. München: C.H. Beck Verlag 2004: S. 28

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allerdings nicht. Herr Fekete engagiert sich trotz oder gerade wegen seiner Arbeitslosigkeit und Frau Nowack und Frau Galinski versuchen über ihre freiwillige Tätigkeit in eine Erwerbstätigkeit zu kommen und sich somit auch gesellschaftlich besser zu positionieren. Es scheint also keine Pauschalaussage möglich zu sein, der Zugang zu einer freiwilligen Tätigkeit hängt – zumindest bei den von mir Befragten – nicht nur von der Erwerbstätigkeit, sondern in gleichem Maße von der sozialen Eingebundenheit und den Motiven des Engagements zusammen.

Bildung In der Postmoderne ist Bildung zum zentralen Bestimmungsfaktor sozialen Lebens geworden, so spricht man bezeichnenderweise auch von der „Wissensgesellschaft“ im Gegensatz zur Industrie- und zur Informationsgesellschaft, in der die industrielle Produktion im Zentrum der gesellschaftlichen Tätigkeit stand. Lebenschancen hingen früher in stärkerem Maße von der Position in der industriegesellschaftlichen Ordnung ab und nicht so sehr von der Bildung.52 Bildung ist gleichzusetzen mit der Entfaltung der Persönlichkeit des Subjektes. Grundlegend ist das Prinzip der Subjektautonomie und der Selbstreflexivität.53 Wie positionieren sich in diesem Kontext die Interviewpartnerinnen und -partner? Bemerkenswert ist zunächst, dass die meisten der von mir befragten Personen über einen überdurchschnittlichen Bildungsabschluss verfügen, meist studiert und teilweise auch promoviert haben. Sie zählen damit zum klassischen Bildungsbürgertum.54 Anzunehmen ist, dass sie sich dementsprechend positionieren: „Aber natürlich spielt Bildung ne GROßE Rolle. Dass man einfach äh ähm durch die Bildung einen weiteren Blick hat.“ Frau Brunner positioniert sich durch die allgemeine Aussage über Bildung als Frau, die durch ihr Wissen einen Vorsprung gegenüber anderen hat. Ihr

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Vgl. Hamburger, Franz, Der Kampf um Bildung und Erfolg. Eine einleitende Feldbschreibung. In: Hamburger, Franz/Badawia, Tarek/ Hummrich, Merle. Migration und Bildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2005: S. 11 Vgl. Stojanov, Krassimir, Artikulatiom „enkulturierter“ Wirklichkeitsmuster als Bildunsprozess. In: Broden, Anne/Mecheril, Paul, Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft, IDA NRW Düsseldorf 2007: S. 109 Auch Dirk Halm weist in seiner Studie über Migrantinnen und Migranten darauf hin, dass Personen mit besseren bildungsmäßigen, beruflichen und finanziellen Voraussetzungen häufiger freiwillige Aufgaben als andere. Dies gilt für Migranten und Deutsche., Quelle: Halm, Dirk/Sauer, Martina, Freiwilliges Engagement von Türkinnen und Türken in Deutschland. Projekt der Stiftung Zentrum für Türkeistudien im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. http://www.bmfsfj.de/Publikationen/engage mentstudie-zft, Quelle vom: 08.11.2007 217

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Bildungsstatus und die damit verbundenen Privilegien sind ihr bewusst. Auch die anderen Interviewpartnerinnen und -partner weisen im Interview explizit auf ihren Bildungsstand hin, z.B. Frau Sha Dong: „[…] denn selber ich war immer in Eliteschule, in Schule ich war SEHR sehr gut. Ich hatte immer Traum, ja ich (-) ja ich lerne etwas, mit Know how, Technik, Wirtschaft.“ Lian Sha Dong unterstreicht ihre Aussage durch eine Erzählung über ihr Studium, in welchem 300 Studenten begonnen haben, jedoch nur sechs das Studium in der Regelzeit beenden konnten, darunter sie selber. Wie Frau Sha Dong weisen auch andere Probanden auf ihre Belesenheit und ihr Interesse an Kunst und Kultur hin. Neben der Eigenpositionierung nehmen einige Befragte auch Fremdpositionierungen vor, wenn sie über Bildung sprechen. Dabei geht es ausschließlich um die Positionierung von Jugendlichen in Deutschland. Die Förderung junger Menschen ist Frau Dong deshalb so wichtig, weil sie davon ausgeht, dass ohne die Bildung der Jugendlichen die Gesellschaft „rückwärts läuft“. Sie stellt fest, dass in Deutschland vor allem Kinder in Hauptschulen wenig Förderung erhalten und möchte sich für diese benachteiligten Kinder einsetzen. Gleichzeitig betont sie, dass ihre eigenen Kinder das Gymnasium besuchen und sehr gute Schulnoten haben. Sie positioniert ihre Kinder, indem sie sie als ehrgeizig und wissbegierig attribuiert. Ähnlich wie Frau Sha Dong möchte auch Herr Fekete dazu beitragen, benachteiligte Kinder und Jugendliche zu fördern. Indem er seine Ziele erläutert und dabei darauf hinweist, dass er die Jugendlichen zum Zeitunglesen und zum Besuch von Museen bewegen möchte, positioniert er sich selber als einen gebildeten Menschen. Herr Fekete nimmt gleich eine doppelte Fremdpositionierung vor, indem er deutsche und rumänische Jugendliche miteinander vergleicht: „Ja, in Rumänien, die Jugend aus Rumänien, die liest sehr viel. I: Aha. F: Die lesen die Bücher wie etwas in in Schreibwaren äh Regalen kommt alles, in Buchhandlungen und alles, in Bibliothek. Dort WIRD gelesen, es wird gewartet, viele Bücher, was früher war, man hat LISTE gemacht, einer hat gebracht und der andere hat schon gewartet, dass Du sollst dem bringen, dass er soll sich holen. I: Und woran liegt das, dass es diese Unterschiede gibt, dass in Rumänien viele Schüler lesen zum Beispiel? F: Dort ist schon äh in Diskussion. Wie man redet äh wie man und alles. Äh dann redet man äh, Du hast das Buch gelesen, von dem Autor und so, so und das. Und dann der andere sagt auch, Du, der hat gelesen, ich habe nicht gelesen, ich will. Und dann man erwähnt manche Passagen aus einem Buch oder Zitaten oder so was. Der andere kann nicht mitkommen. Und dann, weißt Du, dann dort haben sie diesen STOLZ ein wenig. Ich bleib nicht zurück, ich muss es besser machen. I: Aha. Das ist der Unterschied. F: Und in Rumänien der Ärmste und Ärmste, die LESEN und die KINDER, der Ältere lernt den Kleineren.“

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In ihren Schulprojekten setzen sich die beiden Interviewpartner Herr Fekete und Herr Osman für die Bildung junger Menschen ein. Dabei betreuen sie auch Kinder mit Migrationshintergrund. Vor allem diese Kinder sind durch die Pisa-Studien ins Gerede gekommen. Oftmals werden sie als „schwierig“ positioniert und ihnen wird vorgeworfen, dass sie den Lernfortschritt der deutschen Kinder hemmen. Die beiden Interviewpartner positionieren deutsche und Kinder mit Migrationshintergrund jedoch nicht in dieser Weise, sondern machen bei ihrem Wunsch nach Lernförderung keine Unterschiede in der Positionierung.55

Selbstdefinition als Freiwilliger Auf das Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen aus Sicht der freiwillig Tätigen wurde bereits eingegangen. Daher soll an dieser Stelle nur ein kurzer Blick auf die damit verbundene Selbstpositionierung geworfen werden. Frau Souza- Möller positioniert sich mit den Hauptamtlichen auf einer Ebene. Sie erwähnt die Vorteile, die sie als Freiwillige genießt, weist aber auch den hauptamtlich Tätigen eine wichtige Funktion zu und möchte sich von ihnen betreut wissen. Dabei genießt sie wie die anderen Aktiven auch die Freiheiten, die ihr als Freiwillige zugestanden werden. Um zu verdeutlichen, dass sie auch die Hauptamtlichen positiv positioniert, trifft Frau Souza-Möller folgende Aussage: „Weil ich denk, dass dann, wär das dann (-) auch irgendwie (-) der muss halt auch mit dem Tagesgeschäft auch klar kommen und hat halt oft gar nicht auch die ZEIT (-) äh sich mit irgendwelchen schöngeistigen Dingern da zu beschäftigen. Und das sich dann halt ANzulesen oder sonst was. Und (-) ich glaub, das ist aber in ALLEN Bereichen, wo man ehrenamtlich arbeitet.“

Vor allem diejenigen, die nicht in einer Institution engagiert sind, sondern eine eigene Initiative gegründet haben, positionieren sich selbstbewusst als eigenständige und freie Bürger, die für ihr Anliegen eintreten. Frau Hartmanns Aussage kann hierfür stellvertetend gelten: „Und ich muss nicht irgendwie das äh sagen lassen oder sagen lasse, was ich tun soll. Das geht mit meiner Vorstellung, mit meiner Energie, da schaue ich, wie weit kann ich gehen und WAS kann ich ihnen geben und was möchte ich ihnen geben.“ Insgesamt kann festgehalten werden, dass sich die von mir interviewten freiwillig engagierten Migrantinnen und Migranten gleichberechtigt zu 55

Vgl. Hamburger, Franz, Der Kampf um Bildung und Erfolg. Eine einleitende Feldbeschreibung. In: Hamburger, Franz, Badawia, Tarek, Hummrich, Merle, Migration und Bildung. Über das Verhältnis von Anerkennung und Zumutung in der Einwanderungsgesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005: S. 2 219

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Hauptamtlichen positionieren und dabei auf ihre besonderen Freiheiten Wert legen. Sie trennen deutlich zwischen den Aufgaben, die von professionellen Helfern übernommen werden müssen und ihren eigenen Tätigkeiten.

Emanzipation In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Lebenssituation ausländischer Frauen oft nur einseitig thematisiert. Meist geht es um unterdrückte, nachgezogene Ehefrauen, die nur über unzureichende Deutschkenntnisse verfügen und keinen Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe erhalten. Für meine Forschungsarbeit habe ich mit neun Frauen unterschiedlicher Herkunft gesprochen und mir fiel auf, dass die meisten sich als emanzipierte, offene und freie Frauen positionierten. Daher ist es interessant, einen genaueren Blick auf das Thema Emanzipation und Migration zu werfen und dabei die Selbstpositionierung zu analysieren. Zunächst lohnt sich ein Blick auf Erwerbsquoten der Migrantinnen. Ausländische Frauen wiesen bereits in den 70er Jahren eine Erwerbsbeteiligung auf, die erheblich höher lag als die deutscher Frauen: 1972 lag sie bei 70%, die Erwerbsbeteiligung deutscher Frauen jedoch erst bei 47%. Dies gilt gleichfalls für verheiratete Frauen ausländischer Nationalität, deren Erwerbsquote mit 64% gleichfalls wesentlich höher lag als die deutscher Ehefrauen mit 40% (Statistisches Bundesamt 1980-1994). Diese Frauen wurden jedoch sowohl in der gesellschaftlichen Wahrnehmung wie auch in grundlegenden wissenschaftlichen Untersuchungen nur unzureichend berücksichtigt. Die Frage der gesellschaftlichen Inklusion bzw. Exklusion erwerbstätiger Migrantinnen und ihrer Töchter in Deutschland wurde lange kaum gestellt. Dies gilt auch für Hausfrauen mit Migrationshintergrund und mitgereiste Ehefrauen. Es existieren erhebliche Forschungslücken für diese wie für andere Gruppen von Migrantinnen – wie z.B. Flüchtlinge – bei der Frage des Zugangs zu gesellschaftlichen Ressourcen. Hinzu kommt, dass auch neuere Formen der Migration wie die Transmigration, bisher nur unzureichend aufgegriffen wurden und es noch immer an systematischen und grundlegenden Analysen zur weiblichen Migration fehlt. Man weiß wenig über die Strategien der Migrantinnen bezüglich der Inklusions – und Exklusionsprozesse. Auch Teilanalysen zu bestimmten Lebensbereichen von Frauen mit Migrationshintergrund sind nur partiell zu finden. Dabei wandern Frauen vielfach ökonomisch motiviert aus, wie sich auch in den Interviews gezeigt hat. Sie kommen im Zuge der Arbeitsmigration nach Deutschland und gerade im Hinblick auf heutige Einwanderungsprozesse ist die Inklusion und Exklusion von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zentral. Dies gilt auch im Hinblick auf den gesamten Integrationsprozess. Etwas neuere Forschungen haben sich vor allem mit den Zugangschancen zu beruflicher Qualifizierung junger Frauen mit Migrations-

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hintergrund beschäftigt. Diese Frage stand bei den von mir geführten Gesprächen aber deshalb nicht so sehr im Vordergrund, weil die Migrantinnen bereits mit einem hohen Bildungsabschluss nach Deutschland gekommen sind oder bereits eine Ausbildungsstelle (z.B. als Krankenschwester) in Aussicht hatten, bevor sie eingewandert sind. Dennoch ist es interessant zu analysieren, wie sich die befragten Frauen gesellschaftlich positionieren. Filiz Aydin, die älteste der von mir befragten Frauen, äußert sich wie folgt zur Emanzipation: „Und für uns äh war wichtig, Emanzipation der Frau (äh) nicht von der Männer geTRENNT ist. Ja, das haben wir so äh VORgestellt. Und äh (-) wir haben gesehen, die Frauen (-) manche, nicht manche, die meisten Frauen konnten nicht lesen, nicht schreiben. Weil die Eltern haben nicht erlaubt, in die Schule zu gehen. Und so weiter. Wir dann (-) haben wir äh äh ich habe angefangen, Lese und Schreibekurse. Und natürlich ALLE waren ehrenamtlich“

Sie positioniert sich nicht nur als emanzipierte Frau, sondern möchte auch zur Emanzipation anderer Migrantinnen beitragen, indem sie Deutschkurse organisiert und Sprachförderung bei jungen Mädchen anbietet. Obwohl sie sich eigentlich als Kämpferin beschreibt, ist ihr bewusst, dass sie nicht gegen die Männer handeln kann, sondern versuchen muss, auch diese von ihrer Arbeit zu überzeugen, damit die Frauen die Chance haben, an den Kursen teilzunehmen. Die Reaktionen anderer türkischstämmiger Migrantinnen und Migranten auf ihre Lebensweise seien oft von Erstaunen geprägt gewesen, vor allem weil ihr Mann ihr Engagement unterstützte und im Haushalt half. Im Interview legte sie viel Wert darauf, zu betonen, dass in der Türkei die Bekleidungsreform durchgesetzt und der Schleier weitgehend abgeschafft wurde. Sie positioniert nicht nur sich als emanzipiert, sondern ihre gesamte Herkunftsnation: „Wir äh wir äh SIND emanzipierte Volk. Attatürk hat uns äh zu äh ähm (-) uns diese Freiheit gegeben. Wir sollen na wir WOLLEN das, wir wollen nach Westen schauen, nicht Osten.“ Diese Positionierung richtet sich sicher auch gegen die negative Berichterstattung über muslimische Migrantinnen, die in Deutschland Kopftuch tragen. Sie verdeutlicht mir als Vertreterin der Majoritätsgesellschaft daher in besonderer Weise ein westlich geprägtes Frauen- und Gesellschaftsbild. Ähnlich wie Frau Aydin hebt auch Hala Brunner hervor, wie sehr ihr deutscher Mann sie in ihrem Engagement und in ihrer selbständigen Lebensweise unterstützt. Dies fällt ihr besonders auf, weil sie feststellen muss, dass einige arabische Männer ihren Frauen verbieten, in die Frauengruppen zu gehen. Frau Brunner kritisiert auf der einen Seite die Einstellung dieser Männer, bemängelt aber auf der anderen Seite, dass die Frauen sich zu wenig wehren. Dadurch positioniert sie sich als emanzipierte Frau und gleichzeitig ihren 221

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Mann als toleranten, unterstützenden Ehepartner. Ganz wichtig ist ihr, dass ihre Kinder nicht unter ihrem Einsatz leiden. Sie fühlt sich verpflichtet, für ihre Familie zu sorgen und hat daher zunächst ein Engagement angenommen, bei dem sie ihre Kinder mitnehmen konnte. Wie viele junge Mütter in der Postmoderne versucht sie, sowohl ihre Tätigkeit als auch die Familienarbeit zu vereinbaren. Während Frau Brunner ihren Mann erst in Deutschland kennen gelernt hat, ist Lena Galinski ihrem Mann nach Deutschland gefolgt. Dadurch ergab sich für sie von Beginn an eine besonders schwierige Situation, weil sie bis heute ohne berufliche Perspektive finanziell von ihm abhängig ist. Dennoch positioniert sie sich als emanzipierte und freie junge Frau und verweist auf die durch das Taschengeld des Generationsübergreifenden Freiwilligendienstes gewonnene Unabhängigkeit: „Ja. Ich kriege auch Taschengeld, es ist nicht so viel, aber es ist ganz okay, dass ich jetzt eine EIGENE Geld habe (lacht). Und ich, ich kann auch also neue Kleider oder so kaufen. Okay, mein Freund konnte ich, kann mich auch neue Kleider kaufen, aber es ist immer besser, wenn jemand ALLEIN sich selbst kaufen kann, also EIGENE Geld haben.“

An anderer Stelle erklärt sie nochmals: „Dann jetzt kriege ich auch GELD, also dann kann ich auch EINkaufen gehen. Und auch kann ich die Sachen, die ich brauche, SELBST kaufen. Und das macht mir Spaß. Wenn ich MEIN Geld habe und Du DEIN Geld (lacht)“ Sie positioniert sich als eine junge Frau, die gern arbeitet und sich so emanzipiert. Auf diese Weise nimmt sie implizit und explizit auch Fremdpositionierungen der Frauen vor, die nicht arbeiten gehen möchten. Ihr Selbstbewusstsein zeigt sich unter anderem darin, dass sie Putztätigkeiten, bei denen sie mehr Geld verdienen würde, ablehnt, weil sie eine Tätigkeit sucht, die ihrer Ausbildung, d.h. ihrem Studienabschluss entspricht. Von ihrem Mann fühlt sie sich bei dieser Einstellung unterstützt. Ein besonderes Frauenbild, das sicher auch durch die Herkunftskultur geprägt ist, findet sich bei Lian Sha Dong. Von ihren Eltern wurde sie entgegen der kulturellen Normen und Werte zu einer weltoffenen jungen Frau erzogen, für die die Chancengleichheit von Männern und Frauen einen hohen moralischen Stellenwert hat. Gleichzeitig ist ihre Haltung zur Emanzipation aber ambivalent. Wie andere Interviewte auch legt sie Wert darauf, dass sie ihre Tätigkeit mit familiären Verpflichtungen vereinbaren kann. Daher hat sie sich letztlich gegen eine Karriere entschieden, obwohl sie hochqualifiziert ist. „Und an diese Zeitpunkt dachte ich mir, Frau hat auch noch biologische Grenze. Ich möchte dann Familie DOCH auch noch haben. Und dann bei einem Konzern habe 222

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ich angefangen und dann war ich schwanger. Und ich sagte, irgendwie will ich auch so Familie und auch Karriere balancieren. Und das haben viele Leute immer im Widerspruch gesehen. Und die sagen auch, wenn Schwangerschaft in Chemie, können Sie gar nicht mehr kombinieren. Entweder oder.“

Ihre Positionierung als Frau, deren Familienwerte über denen der Karriere steht, lässt sich unter anderem durch ihre Erlebnisse in China erklären. Sie hat traumatische Erfahrungen gemacht, als sie für die Durchsetzung von Zwangsabtreibungen eingesetzt werden sollte. Bereits damals hat sie sich dafür entschieden, der Familie den Vorzug vor der Karriere zu geben. Sie kritisiert, dass es in Deutschland kaum möglich ist, Kinder und Karriere zu vereinbaren und dass ein zeitweiliger Ausstieg aus dem Beruf aufgrund von Elternzeit meist das berufliche Ende bedeutet. Sie positioniert sich hier wieder als emanzipierte Frau, die aber an den gesellschaftlichen Strukturen verzweifelt. Bemerkenswert ist, dass sie in Zusammenhang mit der Rollenbeschreibung als Frau auch von „sich opfern“ spricht. Sie sei altruistisch erzogen worden und dazu gehöre vor allem für Frauen die Opferbereitschaft. Ihre Haltung dazu ist ambivalent, auf der einen Seite möchte sie bei allem, was sie tut, einen moralischen Gewinn für sich erkennen, auf der anderen Seite nimmt sie die Verbindung zwischen der Rolle als Frau und der Opferbereitschaft an und geht davon aus, dass Frauen sich im Familienkontext und in sozialgesellschaftlichen Kontexten eher „opfern“ sollten. Diese Ambivalenz in der Positionierung weist wieder auf ihre grundsätzliche Lebensfrage hin: „Was ist das Gute und wie soll ich handeln?“ Im Gegensatz zu Frau Sha Dong hat Lucia Diaz eine eindeutige weibliche Rollenvorstellung. In ihrer Familie hat sie vor allem das traditionelle spanische Familienbild kennen gelernt. Ihre Mutter widmete sich ganz der Familie und dem Haushalt. Dieses Rollenverständnis lehnt sie ab. Sie positioniert ihre Mutter als eine unselbständige Frau, die im Alter auf die Unterstützung ihrer Töchter angewiesen ist. Der Vater dagegen habe die Mutter zu mehr Selbständigkeit bewegen wollen, ihre Mutter jedoch habe sich nicht „weiter entwickeln wollen“. Zwar fühlt sie sich an ihre Mutter gebunden, dennoch bezeichnet sie sich als „abgenabelt“. Sie verbindet ihre Vorstellung von Emanzipation mit der Tatsache, dass sie unverheiratet ist, keine Kinder hat und in wechselnden Partnerschaften lebt. Ihre Selbstpositionierung als eigenständige Frau unterstreicht sie im Interview wiederholt dadurch, dass sie auf die Traditionen in Spanien hinweist und sich deutlich von ihrer dort lebenden Verwandtschaft distanziert. Auch ihre Schwester positioniert sie als unselbständige Frau: „Gott sei Dank. (-) und ich sag halt, ich bin als Frau stark genug, dass ich meinen MANN stehen kann. Brauch nicht irgendwie jemanden, der da sagt, so lang oder so 223

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

lang. Meine Schwester hat sich dem angepasst, so Hauptsache, dem Mann geht es gut. Sie hat früher auch alles alleine gemacht. Und jetzt ist sie verheiratet und ihr Mann entscheidet. Das würde ich nie so.“

Lucia Diaz geht davon aus, von der Familie als „Schlampe“ bezeichnet zu werden, weil sie in keiner festen Beziehung lebt, sie nimmt aber eine Umkehrung dieser Positionierung vor, indem sie ihre Freiheit und die Möglichkeiten der Lebensgestaltung betont. Finanzielle und emotionale Unabhängigkeit ist für sie ein bedeutendes Gut. Die einzige Einschränkung, die sich diesbezüglich vornimmt, zeigt sich in folgender Aussage: „Weil ich eben anderes KENN. Und für die ist das halt Lebenssinn, irgendwann zu heiraten und Kinder zu kriegen. Aber wie gesagt, kann auch sich in drei, vier Jahren ändern. I: Ja. D: Ich habs ja auch probiert mit Zusammenleben. Hat nicht geklappt. Ich bin deswegen nicht irgendwie (-) gebranntmarkt, dass ich sag NIE wieder. Aber MOMENTAN auf gar keinen Fall. I: Mhm. Okay. D: Brauche ich nicht.“

Frau Diaz versucht, sich alle Möglichkeiten offen zu halten und lebt dabei so, wie viele Subjekte in der Postmoderne, die sich nicht festlegen wollen, weil sie für ihr Schicksal selber verantwortlich sind und abwarten möchten, ob das Leben nicht noch bessere Perspektiven bereit hält. Nari Hartmann dagegen hat früh geheiratet und zwei Kinder bekommen. Das bedeutet für sie aber nicht, in Abhängigkeit von ihrem Mann zu leben. Sie erzählte im Interview an mehreren Stellen von ihrer Arbeit als Krankenschwester und Heilpraktikerin. Dabei beschreibt sie, dass sie eine Identitätsentwicklung in bezug auf ihre Position als Frau durchlaufen hat und heute ein anderes Rollenverständnis hat als zu Beginn ihrer Ehe: „Aber es ist die Entwicklung zwischen Mann und Frau, also Mann und Frau sind anders. Und mein Mann ist ja auch acht Jahre älter als ich. Und als ich ihn kennen gelernt habe, ich habe ihn so angehimmelt. Ich habe gedacht, wie kann er so ruhig sein? Ich hatte damals äh ganz andere Denkweise gehabt, er war eigentlich schon eher gefestigt. Er war damals in meinen Augen ein unheimlich lieber und ruhiger Mensch. Wenn ich irgendwie was (-) so mit meinem Jugendleichtsinn oder Denkweise ja geäußert habe, dann hat er mich beruhigt. Aber jetzt ist eigentlich so, irgendwie, ohne dass ich das wollte, habe ich das Gefühl, dass er irgendwo auch STEHEN geblieben ist. Oder vielleicht dass er sich ein bisschen auch mal ehrlich wird wie ich, wie ich früher war, dass er mal aus sich raus geht, und dass er auch unbequemer wird. Und ich habe mich wahrscheinlich an SEINER Person so sehr angeglichen, dass ich eher die Ruhe bewahre und sage, NEIN, das äh so geht es nicht. Es ist eigentlich wirklich so.“

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Während sie sich als eine Frau positioniert, die eine Entwicklung zur Selbständigkeit vollzogen hat, positioniert sie ihren Mann als einen Menschen, der in seiner Entwicklung stehen geblieben ist. An anderen Stellen jedoch fällt sie zurück in das frühere Schema der Bewunderung und der Zurückhaltung gegenüber ihrem Mann, wenn sie beispielsweise sagt, dass ihr Mann der Vorsitzende des deutsch-koreanischen Vereins sei und sie „halt nur die Ehefrau“. Sie weist darauf hin, dass sie im Verein zwar mitarbeite, ihr Mann jedoch die Entscheidungen trifft und sie ihm diese Rolle explizit zuweist. Ihr Mann berücksichtige aber ihre Meinung. Bei der Kindererziehung war es ihr wichtig, ihren Söhnen ein aktives und positives Frauenbild zu zeigen und ihnen zu verdeutlichen, was Gleichberechtigung bedeutet. Sie weist also ähnlich wie Frau Sha Dong ein ambivalentes Rollenverständnis auf. Während die meisten der von mir befragten Frauen sich als emanzipiert positionieren, findet sich bei Antonia Gomez ein anderes Bild. Sie fühlt sich für ihren Mann verantwortlich und sieht sich in der Verpflichtung, bei ihm zu bleiben, obwohl sie sich in Deutschland nicht wohl fühlt: „Und dann ich habe gesagt, ich weiß NIE was soll ich machen. Du musst so machen, Du musst überlegen und dann mein Mann sagt, Du kannst nicht in Deine Land zurück. Das ist kein Problem für mich, ich KANN nicht alleine lassen. Mein Mann ist ein bisschen alt, verstehen Sie. Er ist älter.“ Frau Gomez lebt in finanzieller Abhängigkeit von ihrem Mann, außerdem würde ihre Familie kein Verständnis dafür haben, wenn sie allein in die Dominikanische Republik zurück kehren würde. Daher versucht sie – so gut es geht – in Deutschland zu leben und ein möglichst eigenständiges Leben zu führen. In ihren Bemühungen, die deutsche Sprache zu erlernen und eine bezahlte Tätigkeit zu finden, wird sie von ihrem Mann unterstützt.

Zwischenergebnis II Eine Position wird durch die Möglichkeit von richtigen oder zulässigen Handlungsweisen beschrieben. Dem Subjekt wird eine Position zugewiesen durch den Rest der Gruppe oder kann von ihr selber zugeschrieben werden. Das Problem für Migranten ist, dass sie sich vielleicht als Deutsche positionieren und versuchen, alle Handlungsmuster zu übernehmen, um so zu sein, dafür aber keine Anerkennung bekommen, weil die Deutschen ihnen andere Positionen zugewiesen haben. Anerkennung kann definiert werden, dass die Position, die jemand einem Subjekt zuweist, der Position entspricht, die sich das Subjekt selber zuweist. Unter Metapositionierung versteht man die Infragestellung der eigenen Position oder der Position anderer. Dies wird bei Frau Sha Dong besonders deutlich, die ihre Ambivalenz recht offen darlegt und sich immer wieder öf-

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fentlich in Frage stellt. Dadurch erhält sie für sich das Recht, sich anders zu positionieren und nimmt den anderen das Recht, sie zu positionieren. Frau Sha Dong sagt deshalb auch, dass sie trotz aller Widerstände ihren Weg geht. Sie versucht, sich eine neue Gruppe zu definieren, in der sie die Position hat, die sie sich wünscht und sucht andere, die dies akzeptieren.56 Für die Interviews bedeutet das: Die Migrantinnen und Migranten, die sich für Deutsche engagieren, suchen sich eine Gruppe, in der ihre Selbstpositionierung anerkannt wird. Dies gibt einen wichtigen Hinweis auf die Integration. Sie kann niemals eine einseitige Anpassung sein, weil die Gruppe niemals die Eigenpositionierung akzeptieren würde, die Gruppe und der Einzelne müssen sich ändern, um Integration zu schaffen. Die Selbstpositionierung findet nicht nur dadurch statt, dass die Probanden über ihre Position in Familie und Gesellschaft sprechen, sondern auch ganz direkt, indem sie über ihre Stärken und ihre Eigenschaften reden. Gleichzeitig nehmen sie auf diese Weise Fremdpositionierungen vor. Neben der Offenheit und Freundlichkeit, mit der sich alle Interviewpartnerinnen und -partner attribuieren, zeigt sich bei Frau Schneider ein besonderes Interesse an politischen und gesellschaftlichen Fragen: „Also ähm (-) das ich bin halt von mir aus ein sehr sozialer Mensch, sehr offener, kommunikativer Mensch. Es macht mir Freude, mit Menschen zu sein und auch ihnen eine Freude zu machen, ja. Und äh irgendwann hab ich gedacht, ja äh, wenn sie nicht auf mich zukommen, dann geh ich halt auf ihnen zu. …Ja. (-) Dann die Menschen interessieren mich. I: Mhm. S: Und äh (-) ja. Ich will jetzt keine Selbstbeweihräucherung (lacht)…. Nichts anderes. Das kann (-) und ich RECHERCHIERE sehr gründlich, was Sie gesagt haben, ist vielleicht Stärke. Ich möchte immer, immer GENAU wissen warum. Und äh (-) stell ich immer und immer Fragen und Fragen und dann gehe ich DEM nach und häm. (-) Und irgendwann kam ich zu dem Punkt wo ich gesagt habe also Moment, jetzt muss ich da auch eingreifen.“

Sie vermittelt von sich ein Selbstbild, dass geprägt ist durch ihren Einsatzwillen und ihre Durchsetzungsfähigkeit. Indem sie auch beschreibt, an welche Grenzen sie stößt, positioniert sie andere negativ, genau wie Filiz Aydin, die mehrmals davon spricht, dass sie kämpfen musste, um ihre Ziele zu erreichen. Die Majoritätsgesellschaft wird dabei vor allem durch den erlebten Widerstand attribuiert. Wenn Frau Aydin berichtet, dass sie vieles geleistet hat, „aber noch steht“ wird deutlich, nimmt Gegenposition zur deutschen Mehrheitsgesellschaft ein. Gleichzeitig ist sie davon überzeugt, „alles gut gemacht“ zu haben: „Wenn hilfebedürftig, ich bin immer dabei. DAS, das ist meine 56

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Vgl. Harré, Rom/Moghaddam, Fathali, The Self and Others. Positioning Individuals and Groups in Personal, Political, and Cultural Contexts. Westport Connueticut London: Preager 2003: S. 2-10

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Stärke. I: Stärke, ja. A: Ich SEH immer positiv. Wenn ich nicht positiv (jemand kommt ins Zimmer, Gespräch auf Türkisch). Und äh (--) ja, ich bin eine INTERNATIONALE Mensch. Wissen Sie und überreligiös, über Nationalitäten, diese Gefühle gehabt nur.“ Zwar sind die Fremdpositionierungen bei den Frauen in den genannten Beispielen negativ belegt, die Fremdpositionierung der Majoritätsgesellschaft ist aber im Ganzen ambivalent, da auch positive Attribuierung wie z.B. Chancengleichheit genannt werden. Attribute der Selbstbeschreibung in den Interviews sind: • Kämpferisch • Aktiv • Verantwortungsvoll • Ordentlich /chaotisch • Streng • Durchsetzungsfähig • Rebellisch • Ehrlich • Zielstrebig • Ruhig Bei diesen direkten Selbstbeschreibungen fällt in besonderer Weise auf, dass sich die Befragten als „gute Migrantinnen und Migranten“ positionieren möchten und versuchen, ein kohärentes Selbst herzustellen.

Identitätskonstruktionen Die von mir befragten Personen sind gezwungen, sich mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten auseinander zu setzen. Dabei muss die Frage nach der Lebensgestaltung zwischen den verschiedenen Kulturen beantwortet werden. Vertreter der Kulturkonfliktthese sind der Meinung, dass es Menschen nicht gelingen kann, einen Aushandlungsprozess aktiv zu gestalten, sondern dass sie im Aufprall der Kulturen gefangen bleiben. In der Folge entsteht Orientierungslosigkeit und Unsicherheit. Demgegenüber steht die These der kulturellen Navigation, die davon ausgeht, dass Subjekte kulturelle Differenzen bewältigen können. Bei der Auseinandersetzung mit kultureller Differenz kommt es zu Stresserfahrungen, die abhängig sind von der subjektiven Erfahrung der Differenz. Je größer die kulturelle Differenz erlebt wird, desto stärker wird die Migration als Bruch und Diskontinuität erfahren und desto

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mehr Stress wird empfunden.57 Da die Fragen „Wer bin ich?“, „Wo ist mein Platz?“, „Was ist der Sinn des Lebens?“ immer schwerer zu beantworten sind und die Antworten, die man noch gestern für richtig hielt, sich heute als falsch herausstellen, empfinden Subjekte das Leben oft als großes Experiment, indem es sich durch Versuch und Irrtum vorwärts tastet.58 In meinen Interviews stellte sich somit die Frage, inwieweit der Aushandlungsprozess bezüglich der kulturellen Differenzerfahrungen von den befragten Personen aktiv bewältigt wird und welche Auswirkungen dies auf die Identitätsentwicklung hat. Einige Probanden sprechen implizit oder explizit von einem Kulturschock, um ihre Erfahrungen bei der Einreise nach Deutschland zu beschreiben. Vor allem Frau Sha Dong weist mehrmals darauf hin, dass sie das Einleben in Deutschland als „Schockerfahrung“ erlebt hat. Neben dem Sozialschock ist dieser Kulturschock Teil der situativen Differenzerfahrung, welche eine kulturelle Navigation veranlasst. Die Migrantinnen und Migranten durchlaufen einen Prozess der Umorientierung und Anpassung an die neue Situation. Menschen durchlaufen einen Entwurzelungsprozess, wenn sie nationalstaatliche Grenzen überschreiten. Schaffen die Interviewpartnerinnen und -partner es, sich in Deutschland neu zu verwurzeln und ein kohärentes Selbst in bezug auf ihre Identität zu entwickeln? Um die Frage nach der Identitätskonstruktion der Probanden zu beantworten, habe ich in den Interviews einige Themenfelder eröffnet und beispielsweise nach Vergleichen zwischen dem Herkunftsland und Deutschland gefragt. Dabei sprachen die Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmer ausnahmslos über ihr Heimatgefühl und über die Bedeutung der Herkunftsgesellschaft für ihr Leben in Deutschland. Auch Differenzerfahrungen kamen zur Sprache, erstaunlich für mich war dabei nicht nur das Differenzerleben zwischen den engagierten Probanden und der Herkunftsgesellschaft, sondern auch die Differenz zu anderen Migranten meist gleicher Herkunft. Das folgende Schema dient dem Überblick über die Dimensionen der Identitätskonstruktion im empirischen Material:

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Vgl. Hein, Kerstin. Hybride Identitäten. Bastelbiografien im Spannungsverhältnis zwischen Lateinamerika und Europa. Bielefeld: transcript Verlag 2006: S. 400 Vgl. Nuber, Herfried, Weil nichts mehr ist, wie es mal war. In: Psychologie Heute. Bd..30 Weinheim: Beltz Verlag 2003: S. 20-24

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Abbildung 6: Dimensionen der Identitätskonstruktionen

Heimat „[…] Du kannst nicht wieder nach Hause gehen. Warum? Weil Du zu Hause bist…“59

An diesem Zitat der Schriftstellerin Majorie Garber zeigt sich, in welcher Situation sich Migrantinnen und Migranten in Deutschland befinden. Oft gefragt, wann sie denn wieder „nach Hause“ zurück kehren. Als Wanderer zwischen den Nationalstaaten stehen sie permanent vor der Frage, wie sie ihr Herkunftsland mit dem Aufnahmeland verknüpfen und wie sich der individuelle Prozess der Beheimatung vollzieht. In der Geschichte hat der Heimatbegriff einen Wandel von realen, raum – und ortsgebundenen Erfahrungen zunehmend in die „Innerlichkeit“ der Subjekte durchlaufen.60 Während früher der Geburtsort meist auch der einzige Lebensort war, war dies gleichbedeutend mit „Heimat“. Durch die zunehmende Pluralisierung der Lebensformen müssen und können die Subjekte heute selbst entscheiden, was sie für sich als „Heimat“ definieren: „Heimat ist 59 60

Garber, Majorie, Shakespeare’s Ghost Writers, Literature als Uncanny Causality, London & New York: Methuen 1987: S. 159 Vgl. Mitzscherlich, Beate, „Heimat ist etwas, was ich mache“. Eine psychologische Untersuchung zum individuellen Prozeß von Beheimatung. Münchner Studien zur Kultur- und Sozialpsychologie. Pfaffenweiler: Centaurus Verlagsgesellschaft. 1997: S. 44 229

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kein Ort mehr, den man hat oder auf den man ein Recht hat und den man infolgedessen gnadenlos ausbeuten kann, sondern Heimat muß gestaltet und verantwortet werden.“61 Gerade durch die Globalisierung scheint aber der Wunsch und die Sehnsucht nach „Heimat“ besonders groß zu sein. Durch die Überforderung, das Leben nicht nur gestalten zu können, sondern gezwungen zu sein, es zu tun, ersehnen sich Subjekte einen Halt. Heimat als Ort und festgelegte Gesellschaftsform vermittelt Gefühle von Vertrautheit und Zugehörigkeit, aus denen Identität entsteht. Jahrtausendelang waren Orte und Institutionen der Heimat identitätsstiftend. Wenn in dem Maße, wie Heimat als Ort und Institution verschwindet, auch die Art und Weise verschwindet, sich mit der Welt zu identifizieren, stellt sich Frage, ob Beheimatung noch möglich ist.62 Dabei sind die Gefühle, die mit dem Heimatbegriff verbunden werden, in erster Linie positiv belegt, denn es geht um Sicherheit, Vertrautheit und Geborgenheit, welche in Bezug auf eine bestimmte Umgebung erlebt wird. Der Heimatbegriff ist aber nicht frei von psychologischen Problematiken, denn je größer Verunsicherung aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen und je größer die Sehnsucht nach „Heimat“ ist, desto geringer scheint die Bereitschaft zu sein, sich auch kritisch mit den realen Gegebenheiten der „Heimat“ auseinander zu setzen. Außerdem ist der Heimatbegriff gerade durch den Weltanschauungscharakter sehr anfällig für Ideologisierungen und politischen Missbrauch, was sich am Beispiel Deutschland durch den Nationalsozialismus besonders eindrücklich zeigen lässt.63 Wie sich zeigt, ist der Heimatdiskurs nicht ohne Gefahren, besonders dann, wenn nicht mehr nach dem gesucht wird, was Heimat für einzelne Subjekte bedeutet, sondern wenn Heimat als Kampfbegriff benutzt wird und der Aspekt des Besitzes von Heimat im Mittelpunkt steht. In der Frage „Wem gehört die Heimat?“ ist implizit auch immer die Frage enthalten, wem die Heimat nicht gehört, wen man vertreibt und wie man sich vor Verlust schützt. Heimat ist demnach eng verknüpft mit Abgrenzung und Ausgrenzung und wird schnell auf ein Erhalten, Bewahren und Verteidigen reduziert.64 In der hochindividualisierten und hochmobilen Gesellschaft ist es nicht mehr einfach 61 62 63

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Ebd. S. 41 Vgl. Hecht, Martin, Wir Heimat-Vertriebenen. In: Psychologie Heute, Band 32, Nr. 12. Weinheim: Beltz Verlag 2005: S. 22 Vgl. Mitzscherlich, Beate, „Heimat ist etwas, was ich mache“. Eine psychologische Untersuchung zum individuellen Prozeß von Beheimatung. Münchner Studien zur Kultur- und Sozialpsychologie. Pfaffenweiler: Centaurus Verlagsgesellschaft 1997: S. 36-37 Vgl. Mitzscherlich, Beate, Sehnsucht nach Heimat. Selbstverortung und Identität. In: Hohl, Joachim/Reisbeck, Günter (Hg.), Individuum, Lebenswelt, Gesellschaft: Texte zu Sozialpsychologie und Soziologie. München: Profil Verlag 1993: S. 32

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möglich, jeden auszuschließen und zu vertreiben, der scheinbar nicht in das Konstrukt der Heimat passt. Auf diese Weise entwickelt sich Heimat zu einem Gestaltungsraum, der von zum Teil ganz praktischen Fragen des Zusammenlebens in einem Mietshaus bis hin zu Vermittlung globaler Konflikte reichen kann. Das Subjekt muss Abschied nehmen von der Vorstellung, eine einheitliche, einfache Welt wiederherstellen zu können.65 Besonders in bezug auf transnationale Migration ergeben sich Problemfelder bezüglich des Heimatbegriffes. Viele Menschen, Frauen mehr als Männer, beschreiben Heimat idealisierend und harmonisierend und sehen auf der anderen Seite die Bedrohung durch den fremden „Anderen“, den Ausländer.66 Für Migrantinnen und Migranten wird Heimat durch den Migrationsprozess zu einem Problem. Während früher der Verlust von Heimat das Problem einzelner war, ist heute durch die Wanderungen größerer Gruppen durch Vertreibung oder die Aussicht auf bessere Lebensperspektiven, zu einem Problem von vielen geworden. Obwohl Heimatlosigkeit durch die Individualisierungsprozesse zu einer Alltagserfahrung vieler Menschen geworden ist, scheint es mir dennoch interessant, den Heimatbegriff unter dem Aspekt der Migration zu untersuchen und hierbei zu analysieren, auf welche Weise die von mir befragten Personen sich Thematiken wie „Heimatlosigkeit“ und „Beheimatung“ stellen. Zu untersuchen ist dabei auch die These, ob die von mir befragten Personen in festen Einheiten denken und ihre Migrationserfahrung als unangenehmes Zwischenspiel zwischen den festen Punkten der Abreise und der Ankunft sehen, oder ob sie sich in einer Zwischenwelt bewegen, in der Heimat in einem „sowohl – als auch“ definiert wird.67 Wie also lösen die von mir befragten Personen das Problemfeld „Heimat“? Herr Osman beschreibt Heimat folgendermaßen: „Äh egal ob die aus der Türkei kommen oder so oder egal woher sie kommen. Die haben die immer noch die Sehnsucht nach Augsburg. Ich war in die Universität in Tükei, ich hatte immer die Sehnsucht nach Augsburg. Weil ich bin Augsburger… Ich fühle mich auch als Augsburger …“ In dieser Aussage von Ahmet Osman wird eine Lösungsmöglichkeit bezüglich der Problematik des Heimatbegriffs angeboten. Er bezieht Heimat nicht auf nationalstaatliche Grenzen und zieht Vergleiche zwischen Deutsch65

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Vgl. Mitzscherlich, Beate, „Heimat ist etwas, was ich mache“. Eine psychologische Untersuchung zum individuellen Prozeß von Beheimatung. Münchner Studien zur Kultur- und Sozialpsychologie. Pfaffenweiler: Centaurus Verlagsgesellschaft 1997: S. 41-42 Ebd. S. 124 Vgl. Carter, Paul, Living in a New Country. History, Travelling and Language. London: Faber & Faber 1992: S. 101 231

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land und der Türkei, sondern benennt den Ort, an dem er sich „beheimatet“ fühlt. Als politisch und sozial aktiver Bürger hat Herr Osman einen engen Bezug zu der Stadt, in der er seit mehreren Jahrzehnten lebt. Er umgeht auf diese Weise gleichzeitig die Frage nach der Zuschreibung von Nation und Heimat und verdeutlicht, dass er durch die Sozialkontakte und Einflussmöglichkeiten in Augsburg sein Zuhause hat. Interessant ist auch, dass er, um sein Sehnsuchtsgefühl der Stadt gegenüber zu verdeutlichen, sein Herkunftsland heranzieht, welches ihm dieses Heimatgefühl nicht vermitteln kann. Eine andere Lösungsmöglichkeit findet sich im Interview von Belgin Schneider: „Ne, das ist klar. Wir sind hier jetzt und äh aber wer weiß, was kommt. Als0, ich bin ja äh sehr verbunden auch mit meiner Heimat. Also ursprünglich ja, jetzt habe ich praktisch zwei Heimaten. So ist das und das ist irgendwo eine Bereicherung.“ Frau Schneider lässt sich in ihrem Heimatbegriff nicht festlegen und versucht, beide Länder als Heimat zu betrachten. Sie verweist auf die Schwierigkeit, die sie bei der Definition von Heimat hat und möchte zwar die positiven Kindheitserfahrungen in der Türkei bewahren, sich aber dennoch in Deutschland beheimatet sehen. Ihre Identität beschreibt sie als Mischung aus beiden Kulturen und löst die Problematik der Beheimatung dadurch, dass sie die Dinge, die ihr in beiden Nationen am besten gefallen, in ihrem Leben und in ihrem Wesen miteinander kombiniert. Damit betont sie, dass sie sich an beiden Orten wohlfühlen kann und ihren Heimatbegriff nicht auf eine Nation festlegen muss. Dies führt zu einer Erweiterung und Vervielfältigung von Heimat. Im Mittelpunkt steht nicht der Verlust an Heimat, sondern im Gegenteil der Gewinn und der Mehrwert durch die Migration. Für Belgin Schneider bestehen beide Heimaten nebeneinander und müssen nicht miteinander verglichen werden. Es stellt sich also nicht die Frage, welche Heimat denn die Bessere sei. Um dies zu verdeutlichen, sagt sie: „Ähm (-) ich denke, wir sind alle Weltbürger und (-) es ist Deutschland ist für mich (-) mein Land geworden. Aber Türkei ist auch mein Land.“ Im Gegensatz zu Belgin Schneider ist es für Filiz Aydin nicht möglich, sowohl die Türkei als auch Deutschland als ihre Heimat zu betrachten. Deutschland als Heimat ist für sie identitätsstiftend, denn ihre Lebenseinstellungen und Haltungen sind wesentlich dadurch geprägt, dass sie ihre Heimat in Deutschland sieht. Sie bezieht dies vor allem darauf, dass sie in der Türkei weder Familie noch Freunde hat, während ihre Tochter in Deutschland lebt. Ein bis zweimal im Jahr fliegt sie in die Türkei, spürt aber bei ihrer Rückkehr in Deutschland, dass sie sich hier beheimatet fühlt: „Wenn ich zum Beispiel am Flughafen in München komme, sage ich ja, Gott sei Dank, ich bin Zuhause. I: Aha. A: Verstehen Sie mich? I: Schon ein Gefühl von Zuhause. A: Vom Gefühl Zuhause. Dort auch, äh machen Urlaub, meine Schwester, mein äh Vaters Wohnung, aber das äh. I: Ja, okay. A: Hier ist unsere Zuhause. I: 232

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Mhm. Okay. A: Weil mein äh (-) über Hälfte Jahre sind hier. I: Haben Sie hier gelebt, genau. A: Ja, hier ist Zuhause.“ Frau Aydin bemängelt allerdings die fehlende Anerkennung dafür, dass sie Deutschland als ihre Heimat betrachtet. Sie fühlt sich stark hinterfragt und geht davon aus, dass sie für alles, was sich erreichen will, kämpfen muss, so auch für die Akzeptanz ihres Heimatgefühls. Nicht alle von mir befragten Personen haben heimatliche Gefühle für Deutschland oder einen bestimmten Ort in der Bundesrepublik. Herr Cifera beschreibt lediglich, dass er sich nicht wie im Exil fühle, einen stärkeren Heimatbezug im Aufnahmeland hat er aber nicht. Da er noch Familie in Italien hat, fühlt er sich stark dorthin gezogen, betont aber gleichzeitig, dass er aufgrund mangelnder Freundschaften in seinem Herkunftsland keine Sehnsucht verspürt, dorthin zurück zu kehren. Für ihn trifft wohl am ehesten der Begriff der Heimatlosigkeit zu, da er durch seine Migration soziale Kontakte in seinem Herkunftsland verloren hat, sich aber gleichzeitig nicht in Deutschland beheimaten kann. Ein Grund dafür ist die Tatsache, dass er sich in seiner Art als „different“ gegenüber der deutschen Mehrheitsgesellschaft erlebt. Trotzdem beschreibt er sich als einen zufriedenen Menschen, der sich wohl fühlt. Es zeigt sich, dass er trotz undefinierbarer Heimatzuschreibung ein kohärentes Selbst entwickeln kann. Im Interview mit Tonio Cifera wird deutlich, dass allein durch den Zuzug und das Leben in einem fremden Land oder Ort der Beheimatungsprozess noch nicht beginnen muss. Es ist also auch möglich, zwischen dem Ort zu trennen, aus dem man kommt und dem Ort, in dem man jetzt lebt, ohne sich dabei beheimatet zu fühlen. Herr Cifera ist ein Beispiel dafür, wie Menschen durch die Globalisierung geprägt werden, weil er sich nur eingeschränkt wohl fühlt und im besten Fall mit der Zeit heimisch wird.

Haltung zum Aufnahmeland Schon bei der Frage nach der Beheimatung der Probanden wird ihre Haltung zum Aufnahmeland sichtbar. Viele der Interviewpartnerinnen und -partner geben an, Deutschland nicht als Migrationsziel gewählt zu haben, sondern durch Zufall, sei es durch Flucht und Asyl oder durch bessere Studienbedingungen als im Heimatland, in die Bundesrepublik gezogen zu sein. Zwischen den einzelnen Interviews gibt es gravierende Differenzen zwischen positiven und negativen Zuschreibungen bezüglich der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Häufig genannte Positivzuschreibungen sind: • Hoher Lebensstandard • Gutes Sozialsystem • Gute Möglichkeiten der Lebensgestaltung • Klare Werte und Normen • Guter Umgang mit ökologischen Ressourcen 233

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• • • •

Entscheidungsfreiheit Ordnung und Orientierung Schöne Natur Fleiß, Pünktlichkeit, Sparsamkeit

Bei diesen Positivzuschreibungen ist auffällig, dass es fast ausschließlich um institutionalisierte, weniger aber um zwischenmenschliche Werte geht. In erster Linie hat dies wohl damit zu tun, dass eine ganze Reiher der Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer aufgrund dieser wirtschaftlichen und politischen Normen und Werte in die Bundesrepublik gekommen sind und sie daher besonders wertschätzen. Aus Dankbarkeit gegenüber dem Aufnahmeland entsteht dann, wie bereits beschrieben, zum Teil auch das bürgerschaftliche Engagement. Die Migrantinnen und Migranten möchten ihren Beitrag dazu leisten, damit die von ihnen positiv erlebten Werte erhalten bleiben und jeder daran partizipieren kann: „Dann muss man schon offen sein mit die Deutschen. Dann muss man mit die Deutschen zusammen leben“. Betont werden in erster Linie generelle demokratische Werte, die vor allem von denjenigen geschätzt werden, die dies in ihrem Herkunftsland anders erlebt haben. Frau Brunner beispielsweise betont die Moral der Menschen in Deutschland und schätzt den Erziehungsstil, den ihre Kinder in der Schule erfahren. Sie vergleicht Deutschland mit Palästina und stellt fest, dass in ihrem Herkunftsland vor allem körperliche oder wirtschaftliche Stärke zählt, während man in Deutschland Gewalt jeglicher Art ablehne. Einige der Migrantinnen und Migranten haben vor ihrer Einreise nach Deutschland erlebt, dass es keine klaren Normen und Verhaltensweisen gibt. Während beispielsweise das behördliche Vorgehen in Deutschland oftmals als bürokratisch und langsam erlebt wird, beschreiben die von mir befragten Personen behördliche Vorgänge als gerecht und nachvollziehbar. Frau Brunner weist in diesem Zusammenhang auch auf den von ihr wahrgenommenen Perfektionismus. Nicht alle der von mir Befragten haben sich zu Beginn des Aufenthalts in Deutschland mit den institutionalisierten Werten leicht getan, obwohl sie als positiv wahrgenommen werden. Vor allem Frau Sha Dong, aus einem totalitären System kommend, musste sich erst daran gewöhnen, eigene Entscheidungen zu treffen und ihre Wahlfreiheit zu schätzen anstatt durch sie verunsichert zu sein. Sie beschreibt dies sehr eindrücklich: „Und auch mit 18 hat auch diese gewisse Verlangen nach Material zu greifen. Ich kann NUR wirklich sagen, andere Menschen, EINZIGE, was ich jetzt rüber bringen kann, FÜHLT man sich so andere Kind kommt mit äh (-) mit null Monat (-) so NACKT auf die Welt. Aber ich fühle mich mit genauso Ende 18 komm noch einmal auf die Welt. So ungefähr so. Dass man wirklich so nackt, genauso nackt auf dem 234

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Körper bis Kopf, bis gesamt, okay, wenn man sagen, Material oder auch geistige Besitze, genau wie mit 18 noch einmal NEU geboren ist. So ungefähr kann man beschreiben aber MEHR kann man gar nicht beschreiben. Wenn Baby zur Welt kommt, es kann selber nicht Gedanken machen und deswegen für DEN ist noch okay (--). Die Mutter geben auch Milch und dann ganz normal wachsen. Aber für ein ACHTZEHNJÄHRIGER der habe Bedürfnisse, er hat SELBER Bedürfnis, aber kommt so NACKT auf die Welt. Dieser Schmerz oder dieser Verlangen, ich weiß nicht jetzt noch mal zu beschreiben und es ist auch auf jeden Fall unangenehm. SEHR unangenehm. SEHR große Angst. SORGE, ja man hat ein Bedürfnis mit der Umgebung zu kommunizieren.“

Für Frau Sha Dong hat es einige Zeit gedauert, bis sie mit der für sie neuen Gesellschaftsform umgehen konnte. Doch auch sie kennzeichnet die institutionalisierten Werte und Normen positiv. Sehr auffällig sind die Positivbeschreibungen bei Frau Hartmann: „Also ich kann nur Positives sagen. Und die sind eigentlich auch sehr hilfsbereit. Und dadurch äh glaube ich fühle ich mich auch so wohl.“ Trotz dieser Aussage gibt Frau Hartmann an anderer Stelle an, sich vor allem in der koreanischen Community wohl zu fühlen. Aufgrund der Vielzahl der genannten Vorzüge habe ich mich in den Interviews gefragt, ob diese Aussagen auch dadurch geprägt sind, dass ich den Befragten als Vertreterin der deutschen Mehrheitsgesellschaft gegenüber saß und sie sich deshalb bemühten, mir ein möglichst positives Bild der deutschen Gesellschaft zu vermitteln – auch als Zeichen ihrer Integration und ihres Zugehörigkeitswunsches. Einige der Positivzuschreibungen wie Fleiß, Ordnung und Pünktlichkeit stammen von Erzählungen, die die Probanden noch vor ihrer Einreise nach Deutschland im Herkunftsland über ihren zukünftigen Wohnort gehört hatten. Daher stellte sich die Frage, ob diese Aussagen die tatsächliche Meinung der Befragten wiederspiegelte. Doch bei genauerer Analyse der Interviews konnte ich ebenso eine große Anzahl an Negativzuschreibungen entdecken: • Einsamkeit • Unfreundlichkeit • Negative Lebenseinstellung • Geschlossenheit • Direktheit • Egoismus Bei diesen Negativzuschreibungen geht es vor allem um zwischenmenschliche Werte. Die Interviewpartnerinnen und -partner stellen große Unterschiede in den zwischenmenschlichen Beziehungen zu ihrem Heimatland fest. Manche dieser Bilder sind dadurch geprägt, dass die Probanden aus weniger indi-

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vidualistischen Gesellschaften kommen. Herr Cifera beschreibt den Umgang mit Kindern wie folgt: „Eine GeFÜHL von den Deutschen, so (-) nicht so emotionsvoll ein bisschen so (--) nicht äh , man schätzt nicht so ganz kritisch, man denkt okay, die sind anders, in ihre so, es ist auch RICHITG, das eine (-) äh eine PAAR (--) mit 65, die haben ihr ganzes Leben gearbeitet (-) dass sie auch so ein bisschen Spaß haben. Für die Kinder die müssen ihr Leben selber so. Aber trotzdem ist es anders (--) man hat immer so diese UNTERschied gesehen.“

Bei näherem Nachfragen konnte ich erfahren, dass es auch in den Herkunftsländern der Probanden einen Wandel hin zu einer individualisierteren Gesellschaft gibt, dennoch tragen die meisten Befragten das Bild der Großfamilie, in welcher sich die Generationen umeinander kümmern, im Kopf. Sie vertreten eine andere Haltung zum Thema „Alter“ als es dem Konsens der deutschen Mehrheitsgesellschaft entspricht. In der individualisierten Gesellschaft wird versucht, das Alter nach Möglichkeit aus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit auszugrenzen, weil es zeigt, dass das Leben endlich ist und die Natur letztlich unbeherrschbar ist.68 Einige der Migrantinnen und Migranten hatten und haben mit der direkten Art und Weise im Umgang der Menschen untereinander Schwierigkeiten. Allgemein gelten die deutsche Sprache und die Art der Kommunikation als eine der direktesten Sprachen der Welt. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn dies bei Menschen, die aus einem anderen Kulturkreis kommen, zu Schwierigkeiten führt. Frau Schneider hat mit der Zeit auch die Vorteile dieser Kommunikation kennen gelernt: „Das ist das. Also was ich am Anfang so komisch fand, dass die Leute so so direkt sind, äh (-), jetzt schätze ich diese Aufrichtigkeit und und ähm ja die Leute (-) zum Beispiel sagen ich habe keine Zeit, das ist in der Türkei undenkbar. Niemand sagt dem andern, ich habe keine Zeit.“ Während alle anderen Interviewpartnerinnen und -partner klare Unterschiede zwischen den Kulturen benennen und dabei auch polarisieren, stellt Herr Sakkoundi als einziger keine Unterschiede fest, sondern ist eher erstaunt darüber, wie sich die Systeme und die Menschen im Iran und in Deutschland ähneln: „Äh, zu MEINER Überraschung war es nicht alles anders, also ich habe sogar sehr viele Parallelen gefunden. Äh (-) womit ich nicht, nicht unbedingt jetzt geFREUT habe, also wenn ich diese [Parallelen I: [Ah okay] . S: so sehe] . So was, aber JA, die

68

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Vgl. Schachtner, Christel, Störfall Alter. Für ein Recht auf Eigensinn. Leck: Clausen und Bosse 1988: S. 220

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Sprache, die Kultur ist schon anders, ja. Die Religion ist anders. Äh (-) aber die Menschen sind gleich. Überall wo sie sind (lacht).“

Zu den gesellschaftlichen und politischen Parallelen äußert sich Mithra Sakkoundi nicht genauer, die Parallelen, die er im zwischenmenschlichen Bereich zieht, gründen aber wohl in seiner Lebensphilosophie. Da er davon ausgeht, dass die Welt eine Kugel ist und alle Menschen irgendwann in einem Haus leben, spielt für ihn die Gleichheit der Menschen eine größere Rolle als die möglichen Differenzen durch kulturelle oder religiöse Unterschiede. Es konnte gezeigt werden, dass die Haltung zum Aufnahmeland bei allen Interviewpartnerinnen und -partner ambivalent ist. Sie vergleichen und reflektieren die Unterschiede zwischen den Nationen und zwischen den Lebensweisen und benennen eindeutig Vor- und Nachteile ihres Lebens „zwischen den Welten“.

Die Einstellung zur Herkunftsnation In der Gegenüberstellung von Aufnahme und –Herkunftsnation wird deutlich, dass die von mir befragten Personen zwar meist noch Kontakte in das jeweilige Land haben, sich jedoch gleichzeitig distanzieren. Beziehungen bestehen vor allem durch familiäre Kontakte, ansonsten beschreiben die meisten Interviewpartnerinnen und -partner wie auch Ahmet Osman, die Einstellung zum Herkunftsland folgendermaßen: „Ja, ich habe nichts in der Türkei. Ich bin gekommen 63, mit 22 nach Deutschland. Die andere äh mein Leben in Deutschland verbracht“ Diese Beschreibung ist unabhängig davon, aus welchen Gründen die Probanden nach Deutschland gekommen sind. Frau Schneider, die aufgrund studentischer Unruhen die Türkei verlassen hat, fühlt sich zwar in beiden Ländern zu Hause, hat jedoch außer familiären Beziehungen nur wenig Freundschaften und Bekanntschaften in der Türkei. Generell wird die Herkunftsnation ähnlich kritisch betrachtet wie das Aufnahmeland. Positive Zuschreibungen sind: • Enge Familienbande • Freundschaftsnetzwerke sind leicht zu knüpfen • Positive zwischenmenschliche Atmosphäre • Freundlichkeit • Offenheit • Gute Gastgeber Im Vergleich mit den Aussagen, die zur deutschen Gesellschaft getroffen werden, zeigt sich, dass hier Gegensätze zur Beschreibung genutzt werden

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und dass in beiden Fällen polarisiert wird. Das Gleiche gilt auch für die Negativzuschreibungen bezüglich des Herkunftslandes: • Betonung von körperlicher Stärke • Armut • Wenig Lebensgestaltungsmöglichkeiten • Einengung durch totalitäre Systeme Aufgrund der zuvor bereits vorgenommenen Vergleiche ist es nicht mehr notwendig, auf jeden dieser Punkte einzugehen, interessant ist aber noch ein Blick auf Lian Sha Dong, die als einzige ausschließlich negative Zuschreibungen gegenüber ihrem Herkunftsland vornimmt. Bedingt durch die Zwangsabtreibungen, die sie hätte vornehmen müssen, ist sie geflohen und hat auch im Ausland den kritischen Blick auf ihr Herkunftsland nicht verloren. Obwohl sie weiß, dass sie durch ihr Aufwachsen in China sehr geprägt ist und nicht versucht, Verhaltensweisen, die sie durch die für China typische strenge institutionelle Erziehung hat, abzulegen, versucht sie sich zu distanzieren. Alle anderen Interviewpartnerinnen und -partner haben ein ambivalentes Verhältnis zu den Nationen, in denen sie geboren wurden.

Identitätskonstruktionen im Kontext von Migration und Engagement Eine meiner Fragen im Interview bezog sich auf den Kontext von Migration und Engagement in Bezug auf die Identitätskonstruktionen. Dabei ging es weniger um die Frage, aus welcher Motivation heraus sich die Freiwilligen engagieren, sondern vielmehr darum, welche Auswirkungen die beiden Faktoren Migration und Engagement auf die Identität der Migrantinnen und Migranten haben. Zum einen konnte ich feststellen, dass ein Engagement für die deutsche Mehrheitsgesellschaft dazu dienen kann, die eigene „Zwischenidentität“ zu stärken. Bei einigen Migrantinnen und Migranten geht es aber darum, die „Zwischenidentität“ aufzuheben und sich ganz der deutschen Gesellschaft zugehörig zu fühlen. Einige der von mir befragten Personen platzieren ihr Engagement ganz bewusst in rein deutschen Kontexten, um auch nach außen zu verdeutlichen, dass sie die Normen und Werte der Gesellschaft anerkennen. Eine Interviewpassage mit Frau Aydin verdeutlicht dies: „Aber UNSERE Ziel war so, dass wir wir wollten NICHT äh unsere Aktivität äh äh in Richtung Türkei machen, tür türkeiorientiert waren wir nicht. I: Ja. A: Wir haben fest uns geschlossen, dass wir (räuspert sich) äh ERST hier unsere Probleme lösen MÜSSEN. Erst wir uns hier stark waren, DANN können wir auch der Türkei helfen. I: Ja. A: DA gibt's auch so viele Armut und und und so weiter.“

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Filiz Aydin reflektiert die Probleme in ihrem Heimatland und kommt zu dem Schluss, sich zunächst in Deutschland engagieren zu müssen, bevor sie auch für die Türkei tätig sein kann. Dabei ist es ihr wichtig, nicht „türkeiorientiert“ zu sein, sondern ihren Fokus auf die westlichen Gesellschaften zu legen. Sie versucht zwar, Akzeptanz für türkische Vereine aufzubringen, sieht sich jedoch in einer Vermittlungsposition zwischen den Kulturen. Diese Einstellung fördert wiederum ihre „Patchworkidentität“: „Ja. Wir wir sind immer äh äh äh (--) nach Deutschland orientiert. Es gibt nicht so viele äh türkische Vereine. Die sind in die Türkei orientiert.“ Die Probanden versuchen, sich möglichst frei zu machen von nationalen Identitätszuschreibungen. Wie bei anderen, bereits aufgeführten Aspekten auch kann der Versuch der Aufhebung von Kategorien erkannt werden. Lazlo Fekete beschreibt seine Situation im Engagement für Deutsche wie folgt: „Ähh (-) meine Meinung ist äh, wenn ich hier in Deutschland bin, dann mir ist es egal von der Nationalität und alles. Ich mache das fürs Land. EGAL (--) was für eine Nationalität ist.“ In seiner Aussage kann eine Art von Patriotismus gesehen werden, wenn dieser wie durch den Philosophen Vittorio Hösle als die Fähigkeit gesehen wird, sich für etwas einzusetzen, was größer ist als man selber und als der unmittelbare Kreis von Familien und Freunden. Auch Kant weißt in seiner Schrift „Über den Gemeinspruch“ darauf hin, dass ein Patriot ein aufgeklärter, kritischer und gewissenhafter Bürger ist.69 Patriotismus zeigt sich in unterschiedlicher Weise. Den Patrioten gibt es nicht. Der US-Psychologe John Sullivan unterscheidet ökologische, nationalistische, symbolische, kapitalistische und ikonoklastische Patrioten. Der kapitalistische Patriot ist vor allem in die Stärke seiner heimischen Wirtschaft vernarrt, während der ökologische Patriot sein Land als Naturreservat sieht, das einzigartig und schützenswert ist. Der symbolische Patriot hingegen erfreut sich an nationalen Riten (etwa dem Zapfenstreich der Bundeswehr) und lehnt zivilen jeglichen Ungehorsam ab; seine Bindung an das eigene Land ist oberflächlich und unkritisch. Der ikonoklastische Patriot wiederum engagiert sich in Parteien oder ehrenamtlichen Organisationen und unterstützt auch solche Aktivitäten, die unkonventionell sind und sich gegen die nationalen Autoritäten richten. Der nationalistische Patriot letztlich hält seine Nation für auserwählt stellt sich über andere Völker.70 Somit ist das freiwillige Engagement, wie es Lazlo Fekete beschreibt, eine Form von Patriotismus, die seine Identität ausmacht. Bei aller Schwierigkeit im Patriotismusdiskurs ist es wichtig zu bemerken, dass er sagt, er engagiere sich für das Land, „wenn ich hier in Deutschland bin“. Das Engagement ist

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Vgl. Westerhoff, Nikolas, Deutschland, kein Sommermärchen. In: Psychologie Heute. Band 34, Nr. 5, Weinheim: Beltz Verlag 2006: S. 68-73 Ebd. S. 72 239

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also nur indirekt an Deutschland gebunden, vorstellbar ist, dass er sich in gleicher Weise für die Mehrheitsgesellschaft engagieren würde, wenn er in einem anderen Land leben würde. Bei Ahmet Osman zeigt sich die Identitätskonstruktion in Bezug auf die Thematik Migration und Engagement in besonderer Weise. Er bezeichnet sich selbst als „Ausländer“, der die Aufgabe hat, möglichst gut mit den Vertretern der deutschen Mehrheitsgesellschaft auszukommen. Seine Identität ist durch seinen Status geprägt und dies bringt ihn dazu, sich freiwillig für Deutsche zu engagieren. Nicht immer wird das von den Mitgliedern der eigenen Community verstanden. Vor allem solche Aussagen, die zeigen, dass es für die Probanden keine Unterschiede zwischen den Nationen gibt, stoßen teilweise auf Unverständnis, wie bei Mithra Sakkoundi: „Also in meinem iranischen Kreis erwarten sie MEHR, dass ich mich für die Leute engagiere. Da (-) ich mache auch ab und zu etwas NUR für die Iraner. Nicht NUR für die Iraner, aber so (-) zum Beispiel im iranischen neuen Jahr werden manche Feier, versucht man auch den Leuten zu helfen und so. DAS mache ich schon, äh, aber das ist wieder offen für alle Leute. Das mache ich auch MEHR, um die Menschen miteinander äh zu nähern. Also Deutsche zum Beispiel und Iraner. Also äh rein in ein Kreis zu arbeiten, ist niemals mein Dings gewesen. Als ich auch in Iran war, waren nicht nur die Iraner für mich interessant. Ich habe mich auch damals in äh (-) sehr viel über Europa, Amerika, Südamerika, China (-) Japan informiert. Äh Indien, also alle Länder der Erde waren für mich sehr interessant. Äh, die Kultur, ich glaub schon, dass alles äh eins ist.“

In dieser Interviewpassage zeigt sie die „Patchworkidentität“ von Mithra Sakkoundi. Obwohl er mit seiner Lebenseinstellung die These der Gleichheit aller Menschen vertritt und sich nicht nur für seine Community interessiert, fühlt er sich dennoch von Zeit zu Zeit verpflichtet, sich für andere Iraner einzusetzen. Dieses Engagement kann er mit sich vereinbaren, weil er das Gefühl hat, durch sein Engagement den interkulturellen Dialog zu fördern. Das freiwillige Engagement ist ein entscheidender Teil der Identitätsentwicklung der von mir befragten engagierten Migrantinnen und Migranten. Ein besonderes Beispiel hierfür ist das Interview mit Nari Hartmann, die ihre Identität ganz wesentlich durch ihr Engagement in Deutschland prägen konnte. Durch ihre „Diasporaerfahrungen“ in der Bundesrepublik hat sie erkannt, wie sehr sie sich mit ihrer Herkunftsnation verbunden fühlt und wie sehr sie, trotz aller Bemühungen, in Deutschland beheimatet zu sein, den Bedarf verspürt, mit der eigenen Community in Verbindung zu treten. Ihr freiwilliges Engagement zeichnet sich unter anderem dadurch aus: „Ich weiß nicht, wie in Korea gewesen wäre. Also wie ich mein Leben dort verbracht habe, ob ich mich

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sozial engagiert hätte. Weil ich eigentlich sowieso keinen Bedarf an dieser Gruppe gehabt hätte.“ Eine davon divergente Erfahrung kann Herr Cifera beschreiben. Für ihn ist es ein Vorteil, als Migrant in der deutschen Gesellschaft freiwillig tätig zu sein, weil er als Italiener mit positiven Eigenschaften verbunden wird. Die positive Diskriminierung, die ihm zuteil wird, prägt seine Identität, denn seine Selbstbeschreibung ist gekennzeichnet durch die Aussage, ein „lockerer Typ“ zu sein. Aufgrund seines Migrationshintergrundes fällt es ihm leicht, Barrieren abzubauen und Kontakte zu knüpfen. Er ist der einzige Interviewpartner, der diese positive Akzentuierung im Kontext Migration und Engagement vornimmt.

Differenzerfahrungen Wenn es um Differenzerfahrungen von Migrantinnen und Migranten geht, steht in erster Linie der Diskurs um „Das Eigene“ und „Das Fremde“ im Mittelpunkt. Wiederholt wird die Behauptung aufgestellt, dass in den Gegenbegriffen „wir – die“, „Hiesige – Fremde“ eine wechselseitige Identitätsbildung sowohl des sozialen als auch des politischen Handelns liegt. Dabei wird aber meist die Kategorie des Fremden mit der Kategorie des Ausländers verwechselt. Denn Ausländer, z.B. Franzosen, Engländer, Inder oder Südafrikaner wissen, wo sie hingehören, selbst wenn sie in Deutschland sind. Sie gehorchen letztlich den nationalstaatlichen Ordnungsgesetzen der Welt. Fremde sind aber Franzosen, Afrikaner bei uns. Fremdheit setzt Nähe und Vertrautheit voraus. Heißt das für die von mir befragten Personen, dass sie gerade dadurch, dass sie in Deutschland leben, sich möglichst gut anzupassen versuchen und sich freiwillig engagieren, erst zu Fremden werden? Wie lösen sie diesen Konflikt? Georg Simmel beschreibt eindrücklich, was für den Fremden gilt: „dass er heute kommt und morgen bleibt“. Das bedeutet, dass der Fremde quasi zu einem Einheimischen wird und damit zur Bedrohung derjenigen, die sich als Einheimische fühlen.71 Durch die interkulturellen Begegnungen und durch die unvermeidliche Konfrontation mit Fremden, Anderen, werden die eigenen Wahrnehmungsmuster und auf diese Weise auch das eigene Selbstverständnis irritiert und verunsichert.72 Wenn es stimmt, dass Fremde nicht der Gegenbegriff zu den Hiesigen sind, sondern Fremde selbst Hiesige sind, stellt sich die Frage nach der Eigenperspektive. Bisher habe ich die Aspekte von Fremdheit 71

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Vgl. Beck, Ulrich, Fremde – Ambivalenz als Existenz. In: Schubert, Venanz (Hg.) Fremde. Migration und Asyl. Wissenschaft und Philosophie. Interdisziplinäre Studien, Band 19, Erzabtei St. Ottilien: EOS Verlag 1999, S. 51 Vgl. Nick, Peter, Ohne Angst verschieden sein. Differenzerfahrungen und Identitätskonstruktionen in der multikulturellen Gesellschaft. Frankfurt am Main: Campus 2002: S. 15-16 241

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und Diskriminierung vor allem von Seiten der deutschen Mehrheitsgesellschaft erörtert, nun stellt sich aber die Frage, wie die Probanden selber mit Differenzerfahrungen umgehen und wo sie sich in diesem Zusammenhang verorten. Denn die Kategorie „Fremde“ ist der Gegenbegriff zu allen Gegenbegriffen der sozialen Ordnung und ist auf diese Weise eine Irritation und Provokation. Sie sind der Beleg dafür, dass die „Natürlichkeit“ der nationalen Ordnung künstlich und konventionell ist. Durch den Widerspruch, den die „Fremden“ verkörpern, beweisen sie, dass die Welt auch anders sein könnte.73 Es ist ein besonderes Zeichen der Postmoderne, dass die einfache Unterscheidung zwischen „wir“ und „die“ nicht mehr funktioniert. Die traditionelle Konstellation des Fremden und das Denken in nationalstaatlichen Weltordnungen werden in der Postmoderne aufgehoben. Aber nicht nur die Bestimmung des Fremden wird problematisch, sondern durch die Individualisierungsprozesses auch die Bestimmung des Eigenen. Durch die mobile Existenz wird Nichtsesshaftigkeit zum Normalfall und immer mehr Menschen sind von den Fragen der Fremdheit betroffen. Eines der zentralen Merkmale der Postmoderne ist das Erleben universeller Fremdheit und das Vermischen von Identitäten. Die Grenzen, die einst gezogen wurden, halten nicht mehr und es stellt sich nicht mehr die Frage, wie „wir“ mit „den Fremden umgehen“. Wenn heute die entscheidende Frage ist, wie sich die Kategorie und die Lage von Fremden unter den Bedingungen ihrer Verallgemeinerung verwandelt, dann lautet die Frage für die engagierten Migrantinnen und Migranten: Wie gehen sie mit sich selber um? Interessant ist, dass in den Interviews zwar Differenzbeschreibungen zur deutschen Gesellschaft vorgenommen wurden, diese sich aber eher auf einen Vergleich der Herkunftsländer und der Aufnahmegesellschaft bezogen. Die eigentliche Differenz sehen die meisten Interviewpartnerinnen zwischen „sich“ und „den anderen“ aus ihrer eigenen Herkunftsnation. Besonders auffällig war dies bereits in der Interviewvorbereitung mit Frau Souza-Möller, die sich zunächst nicht als ideale Interviewpartnerin für mich betrachtete, weil sie sich nicht als Migrantin fühlte. Im Verlauf des Interviews beschrieb sie mir dann, dass sie sich bereits in ihrer Kindheit durch die Sozialisation in einer deutschen Schule in Portugal und durch viele deutsche Traditionen, die in der Familie gleichberechtigt neben den portugiesischen Traditionen ausgeübt wurden, wie eine „Deutsche“ fühlte und daher keine Fremdheitsgefühle hatte, als sie nach dem Abitur für ihr Studium in die Bundesrepublik zog. In einem weiteren Schritt ist aber zu erkennen, dass es bei ihr nicht nur darum geht, sich in der Majoritätsgesellschaft wohl zu fühlen, sondern dass sie sich

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Vgl. Beck, Ulrich, Fremde – Ambivalenz als Existenz. In: Schubert, Venanz (Hg.) Fremde. Migration und Asyl. Wissenschaft und Philosophie. Interdisziplinäre Studien, Band 19. Erzabtei St. Ottilien: EOS Verlag 1999: S. 53

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auch deutlich von anderen Portugiesen differenziert: „Also ich kam mir gar nicht so in dieser Rolle, jetzt komm ich so als GASTARBEITER her, ja, also ersten bin ich zum Studium her gekommen, nicht damit ich Geld verdiene. Und dann hab ich halt also mit dem, mit dem KLASSISCHEN Gastarbeiter in dem Sinne überhaupt keine Berührungspunkte gehabt.“ Sie verbindet mit dem „Gastarbeiter“ in erster Linie Menschen, die keinen hohen Bildungsstand haben und denen das Einleben in Deutschland aufgrund ihres Status besonders schwer fällt. Da sie als Studentin und Stipendiatin in die Bundesrepublik gekommen ist, kann sie sich mit den Vertretern ihrer Herkunftsnation nicht identifizieren. Zunächst hat sie versucht, sich für diese Gastarbeiter zu engagieren, beklagt sich aber darüber, dass sie deren Sprache nicht versteht, da sie selber städtisch aufgewachsen sei während die Gastarbeiter alle aus der südlich-ländlichen Gegend Portugals kämen. Das Motto „Die Deutsche“ weist bereits darauf hin, dass sie nach einer eindeutigen Identitätszuschreibung sucht und Argumente sammelt, die sie in ihrer Einstellung stützen. Sie beschreibt sich als „anders“ gegenüber anderen portugiesischen Migrantinnen und Migranten. Sicher hat dies auch damit zu tun, dass Maria Souza-Möller erlebt hat, welchen behördlichen Exklusionsmechanismen Gastarbeiter ausgeliefert waren: „Also was halt jetzt von BEHÖRDENseite also hat sich sehr, sehr viel geändert. Also in den 70ger Jahren waren schon sehr stark diesen UNTERschied (-) was vielleicht auch dazu geführt hat, dass wenn man halt als Studentin herkam, nicht unbedingt in diesen TOPF geworfen werden wollte.“ Die Identitätskonstruktion von Frau Souza-Möller ist also durch die Differenz von anderen portugiesischen Migrantinnen und Migranten geprägt. Es entsteht der Eindruck, als negiere sie ihre Herkunft und definiere sich vor allem über ihren Bildungsstand. Es ist ein häufiges Phänomen von Zuwanderern, sich möglichst angepasst zu verhalten und alle Merkmale der Aufnahmegesellschaft zu übernehmen.74 Ein Zeichen der Postmoderne ist, dass nationale Grenzen verschwinden und Zugehörigkeit oder Empfinden von Gemeinsamkeiten durch andere Kategorien wie Bildung und Beruf eine größere Rolle spielen. Bei Frau Souza-Möller wird dies in der Aussage über ihren Freundes- und Bekanntenkreis deutlich: „Gleich und gleich gesellt sich natürlich gerne, logisch.“ Sie trifft diese Aussage, als sie darüber berichtet, in welchen kirchlichen Kreisen und Diskussionsforen sie engagiert ist. Auch hier stellt sie durch die Zugehörigkeit zu einer akademischen Gruppe Differenz zu den Gastarbeitern aus ihrem Herkunftsland her.

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Vgl. Soboczynski, Adam, Wir Unsichtbaren. Wie funktioniert Integration? In: Die Zeit. Hamburg: Zeit GmbH 17.08.2006: S. 52 243

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Das Gefühl, nicht zum idealen Kreis der Interviewpartnerinnen und -partner zu zählen, weil man selber sich nicht als Migrantin oder Migrant sieht, betrifft nicht nur Frau Souza-Möller. Auch Belgin Schneider stellt zu Beginn des Interviews die Frage: „Aber bin ich für Sie überhaupt Migrant in dem Sinne, weil ich bin hier nicht äh groß geworden, meine Eltern waren nie hier.“ Für Frau Schneider werden Migrantinnen und Migranten dadurch definiert, dass sie in der zweiten Generation in Deutschland leben. Sie verbindet mit der zweiten Generation der Einwanderer eher problematische Lebensverläufe als mit der ersten. Zudem fühlt auch sie sich in einer privilegierten Situation, weil sie zum Studium nach Deutschland kam. Auch hier findet die Differenz vor allem aufgrund des Bildungsstandes statt, denn genau wie Maria Souza-Möller hat Frau Schneider kaum Kontakt zu anderen türkischen Migrantinnen und Migranten, weil sie wenige Berührungspunkte wahrnimmt. Gegensätzlich zur Identitätskonstruktion von Frau Souza-Möller kann man aber feststellen, dass sie ihre Herkunft nicht ablehnt, sondern bewusst versucht, beide kulturellen Identitäten zu verbinden. Auch wenn sich im Gegensatz zu den beiden Frauen Ahmet Osman als „Ausländer“ beschreibt und Nari Hartmann betont, dass sie, trotz aller Bemühungen ihrerseits und von Seiten der Deutschen eine Ausländerin bleibt. Dennoch fühlen sie sich – zumindest teilweise – in Deutschland beheimatet. Die meisten älteren von mir befragten Personen können sich nicht vorstellen, wieder in ihr Herkunftsland zurück zu kehren. Auch Herr Osman nimmt aber Differenzierungen zwischen sich und anderen Einwanderern vor, wenn er sagt: „Das geht nicht es sind zu viele Leute. Ja. Leider ist es so, okay, das gibt's in die anderen Länder auch Asylanten oder so was.“ Er sieht sich als Gastarbeiter, der bereits in den 60er Jahren nach Deutschland gekommen ist, in einer privilegierteren Situation als diejenigen, die erst in den letzten Jahren, beispielsweise aufgrund von Verfolgung und Krieg migrieren mussten. Die Interviews sind kennzeichnend für heutige Migrationsgesellschaften, in denen eine Vielzahl von Bildern, Beschreibungen, Symbolen, Darstellungen und Zeichen im Umlauf sind, in denen nicht nur über (natio-ethnokulturelle) Identität und Differenz Auskunft gegeben wird. Vielmehr werden Aspekte der Identität und Differenz – wie auch bei den von mir befragten Personen – beständig produziert und reproduziert.75 Es zeigt sich, dass auch bei den engagierten Migrantinnen und Migranten der Identitätsprozess gleichzeitig ein Prozess der Selbstthematisierung und der 75

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Vgl. Broden, Anne/Mecheril, Paul, Migrationsgesellschaftliche Re-Präsentationen. Eine Einführung. In: Broden, Anne/Mecheril, Paul, Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft. Düsseldorf: IDA-NRW 2007: S. 9

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Selbstreflexion ist. Die Befragten betonen zwar auf der einen Seite, dass alle Menschen für sie gleich seien, differenzieren sich jedoch auf der anderen Seite deutlich von anderen Zuwanderern. Sie nehmen Selbstbeschreibungen vor, indem sie sich von anderen unterscheiden und sich von ihnen abgrenzen. Demnach hat das Feststellen von Fremdheit immer auch etwas damit zu tun, wie man sich selbst zu definieren versucht. Die konstruierte Fremdheit, die die Selbstbeschreibung erleichtern soll, kann leicht zu einem Klischee werden und kann damit auch die Vorurteilsbildung fördern kann.76 In allen Kategorien, die die Identitätskonstruktionen betreffen, zeigt sich Ambivalenz. Diese Ambivalenz bedeutet nach Zygmunt Bauman die Möglichkeit, Gegebenheiten nicht nur einer Kategorie zuzuordnen; d.h. es besteht keine Eindeutigkeit. Man kann eine Situation nicht richtig lesen und man fühlt sich außerstande, zwischen alternativen Handlungen zu wählen. Die Erfahrung der Ambivalenz wird von Angst begleitet und hat Unterschiedlichkeit zur Folge, die als Unordnung erlebt wird.77 Scheinbar können aber die von mir befragten Personen mit dieser Ambivalenz bezüglich ihrer Identität gut umgehen und haben für sich Möglichkeiten gefunden, ein kohärentes Selbst zu entwickeln.

Zwischenergebnis III Um die im empirischen Material vorhandenen Identitätskonstruktionen sinnvoll zusammen zu fassen, ist der Bezug zur Hybrididentität notwendig. Hybridität bedeutet eine Mischform von zwei vorher getrennten Systemen. Der Begriff der Hybridität wird in den Sozialwissenschaften vor allem im Kontext postmoderner Diskurse und mit Sicht auf hybride Kulturen und damit einhergehend auf hybride Identitäten verwand. Ein Modell für Hybridität findet sich zum Beispiel im Bereich individueller Mehrsprachlichkeit. Es können hybride Sprachformen entstehen, wenn etwa Menschen ihre Muttersprache mit der Sprache des Aufnahmelandes vermischen. Dabei können auch nur einzelne Wortteile ausgetauscht und eingebaut werden, so dass im Prinzip eine Art „neue Sprache“ entsteht. Der allgemeine Diskurs über hybride Identitäten bezieht sich vor allem auf die Nachkommen von Migrantinnen und Migranten der ersten Generation. Man geht davon aus, dass hybride Identitäten vor allem Menschen der zweiten oder dritten Generation der Einwanderer betrifft, da diese im Rahmen von

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Vgl. Nick, Peter, Spiel mit der Differenz – Konstruktionen von Fremdheit, Kultur und Identität. In: Hamburger Franz/Badawia, Tarek/Hummrich, Merle, Migration und Bildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005: S. 247 Vgl. Bauman, Zygmunt, Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Hamburg: Hamburger Edition HIS 2005: S. 11 245

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zwei oder sogar mehr kulturellen Kontexten sozialisiert wurden.78 Sicherlich ist es richtig, eine Unterscheidung zwischen der ersten und der zweiten Generation der Zuwanderer zu treffen, da die Erfahrungen der ersten Generation sich von der der zweiten unterscheiden. Diejenigen, die ausgewandert sind, kennen beide Kulturen aus eigener Erfahrung, während die zweite Generation die Migrationserfahrungen lediglich aus Erzählungen kennt und das Herkunftsland der Elterngeneration oftmals nur durch Urlaubserfahrungen und Verwandtschaftsbesuche. Dennoch konnte ich in diesem Kapitel aufzeigen, dass hybride Identitäten auch schon in der ersten Generation der Migrantinnen und Migranten entwickelt werden; damit wird die bisher angenommene Grundthese modifiziert. Um das Ergebnis zu verdeutlichen, folgt ein grober Überblick über den Diskurs hybrider Identitäten. Außerdem ist es noch wichtig anzumerken, dass der Gebrauch der Begriffe erste und zweite Generation von Migrantinnen und Migranten mit der Vorstellung von Migration als einmaligen Prozess gesehen wird, obwohl es zum einen mehrmalige Migrationsprozesse geben kann und zum anderen die Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation neben den Migrationserfahrungen der Eltern auch eigene Migrationserfahrungen haben können.79 In dieser Arbeit sind – bis auf eine Interviewpartnerin – alle Gesprächspartnerinnen- und Partner in der ersten Generation ausgewandert, so dass sich diese komplexe Begriffsbestimmung nicht stellt. Wie nun entstehen hybride Identitäten? Die Hybridität der Identität entwickelt sich durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Kulturkreisen. Personen mit Migrationshintergrund befinden sich fast immer in einem minderwertigen sozialen Status, somit sind diese Subjekte mit hybrider Identität oft von Diskriminierung und Benachteiligung betroffen. Ich habe aber gezeigt, wie es durch das soziale, bürgerschaftliche Engagement und die damit verbundene Anerkennung zu einer erfolgreichen Auseinandersetzung mit den verschiedenen Kulturen kommen kann. Letztendlich versteht man unter hybrider Identität die Vermischung verschiedener kultureller Lebensweisen: „Es geht hier um die Kombination unterschiedlicher Sprachen, Kommunikationsstile, Kleidungsformen, usw. Diese Form kultureller Hybridisierung bezieht sich einerseits auf eine Ebene der kulturellen Artefakte (z.B. bestimmte Gerichte) und andererseits auf eine pragmatische Ebene des individuellen Verhaltens.“80 Wenn man davon ausgeht, dass sich hybride Identitäten vor allem an den kulturellen Merkmalen festmachen, kann man sie eher kritisch betrachten, 78

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Vgl. Hein, Kerstin, Hybride Identitäten. Bastelbiografien im Spannungsverhältnis zwischen Lateinamerika und Europa. Bielefeld: transcript Verlag 2006: S. 85 Ebd. S. 86 Ebd. S. 87

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weil sie demnach vor allem auf Konsumpraktiken beruhen Im zweiten Fall jedoch basteln sich die hybriden Subjekte aus verschiedenen Verhaltensformen die eigene Lebensart zusammen. Diese entspricht ihren jeweiligen Lebensumständen. Keupp spricht in diesem Zusammenhang auch von Patchworkidentitäten81. Vor allem für Migrantinnen und Migranten gilt, dass endogene Überlieferungen, zum Teil über familiäre Sozialisation, zum Teil auch durch bewusste Identifikationsprozesse stattfindet, welche die Migrantinnen von der ersten bis zur dritten Generation zumindest partiell an ihren kulturellen Traditionen und Identitäten festhalten lässt oder multikulturelle Patchworkidentitäten entstehen lässt.82 Die Kulturkonfliktthese geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass das Individuum zwischen den Kulturen verloren ist. Dabei wird übersehen, dass viele Migrantinnen und Migranten die kulturellen Differenzen sehr erfolgreich bewältigt. Man kann wohl eher davon ausgehen, dass Verwirrung durch Diskriminierung und Ausgrenzung geschieht. Denn Menschen mit Migrationshintergrund werden zumeist mit der Erfahrung konfrontiert, dass ihnen sowohl in der Herkunftsgesellschaft als auch in der Aufnahmegesellschaft die Anerkennung verweigert wird. Ihnen fehlen zum Beispiel staatsbürgerliche Rechte und sie weisen andere physische Merkmale auf als die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft. Dies führt bei Migrantinnen und Migranten dazu, dass sie eine doppelte Differenzerfahrung machen: „Das Fehlen vollwertiger Zugehörigkeiten kann dabei zu einem wichtigen Lebensmotiv hybrider Identitäten werden.“83 Wir konnten im Verlauf des Kapitels sehen, dass auch die Interviewpartnerinnen und Partner Erfahrungen der ungeklärten und ambivalenten Zugehörigkeiten machen. Festzuhalten ist also, dass Menschen, die auswandern und die nachfolgenden Generationen Formen hybrider Identität entwickeln, d.h. „Zwischenidentitäten“ oder „Patchworkidentitäten“, bei denen es sich um Mischformen der unterschiedlichen kulturellen Identitäten handelt. Während Hoppe bei der Untersuchung von Migranten, die sich freiwillig in der Migrationsselbsthilfe engagieren, die Wahrung der eigenen kulturellen Identität als wesentlich herausstellt, sind meine Probanden vielmehr hin und hergerissen zwischen den Kulturen und auch den Identitäten. Sie ist hybrid:

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Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Hamburg Rowohlt 1999: S. 217ff Vgl. Gaitanides, Stefan, Die Legende der Bildung von Parallelgesellschaften. Einwanderer zwischen Individualisierung, subkultureller Vergemeinschaftung und liberal-demokratischer Leitkultur. www.forum-interkultur.net/fileadmin/ user_upload/pdf/7.pdf, Quelle vom: 21.11.2005 Hein, Kerstin, Hybride Identitäten. Bastelbiografien im Spannungsverhältnis zwischen Lateinamerika und Europa. Bielefeld: transcript Verlag 2006: S. 90 247

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„Niemand von uns kann sich einfach eine andere Sprache auswählen, so als ob wir unsere Vorgeschichte völlig zurücklassen und uns frei für eine andere entscheiden könnten. Unser bisheriges Wissen, unser Sprach- und Identitätsgefühl, unser individuelles Erbe kann nicht einfach aus der Geschichte gestrichen, gelöscht werden. Was wir erlebt haben – an Kultur, an Geschichte, an Sprache, an Tradition, an Identitätsgefühl – wird nicht zerstört sondern zerteilt, geöffnet für einen Prozess des Befragens, des Neuschreibens und Neuausrichtens.“84

Noch bleibt die Frage offen, warum die Identität hybrid ist, ob sie bewusst so gewählt ist oder ein Zwang ist, weil die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft ein Wunsch bleibt. Dieser Aspekt wird im Diskussionsteil der Arbeit noch einmal aufgegriffen.

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Chambers, Ian, Migration, Kultur, Identität. Studien zur Inter- und Multikultur. Band 3. Stauffenberg Discussion. Tübingen: Stauffenberg Verlag 1996: S. 30

Forsc hungse rge bnisse

Ergebniszusammenfassung Nach den Interviewauswertungen ergibt sich folgendes zentrales Resultat: Die von mir befragten Personen nutzen das Engagement, um ihre Identität zu verorten.

Die Funktion des Engagements

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Einige Probanden nutzen das Engagement strategisch, d.h. um sich zu integrieren, die Sprache zu erlernen usw. Für manche Probanden stellt das Engagement eine Selbstverständlichkeit dar, beispielsweise aufgrund von Erfahrungen im Heimatland. Das Engagement findet zum Teil aufgrund einer gesellschaftlichen Vision statt. Lebenseinstellungen, die durch Migrationserfahrungen entstanden sind, prägen den Einsatz. Das Engagement ist ein Kontext, in dem die Probanden als Migrantinnen und Migranten Anerkennung erfahren.

Inklusionsbegehren

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Das Inklusionsbegehren ist eine wesentliche Motivationsgrundlage für das Engagement. Der Wunsch nach Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft veranlasst zu einem Engagement für Deutsche.

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

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Das Gefühl gesellschaftlicher Teilhabe wird durch freiwilliges Engagement gestärkt. Die Probanden bieten Zeit, Erfahrungen und Kompetenzen, um akzeptiert zu werden und inkludiert zu sein. Sie zeigen eine hohe Anpassungsbereitschaft an die deutsche Gesellschaft und distanzieren sich von jenen Migrantinnen und Migranten, die nicht die gleiche Anpassungsbereitschaft zeigen.

Verortung





Das Problem der Verortung lösen die Probanden auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Strategien: • Durch den Bezug auf einen überschaubaren Raum („Ich bin Augsburger“) • Durch die Auflösung von Verortung („Ich gehöre zur Gesellschaft Erde“) • Durch die Verortung in der deutschen Gesellschaft bei Verleugnung der kulturellen Wurzeln („Ich war schon immer Deutsche“) • Durch die Verortung in einer Hybridkultur („Ich nehme mir von beiden Gesellschaften das Beste und verbinde es“) Differenzierung und Anpassung sind zwei Grundmotivationen menschlichen Handelns. Die Peergroup und die Familie sind Orte des Auslebens von Differenzierung und Anpassung. Da die Migrantinnen und Migranten sich verorten müssen, tun sie dies an offenen Orten; diese finden sie unter Umständen im Engagement.

Selbstpositionierung

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Die von mir befragten Personen positionieren sich als „gute“ Migrantinnen und Migranten, die sich integrieren wollen und sich für die Mehrheitsgesellschaft einsetzen. Migrantinnen und Migranten, die sich für Deutsche engagieren, suchen sich eine Gruppe, in der ihre Selbstpositionierung anerkannt wird. Er wird ein Selbstbild vermittelt, welches durch Einsatzbereitschaft und Offenheit gegenüber der Mehrheitsgesellschaft geprägt ist. Die Probanden positionieren sich nicht als Opfer ihrer Lebensumstände, sondern als aktive Bürger, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

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FORSCHUNGSERGEBNISSE

Identitätskonstruktionen



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Durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Kulturkreisen zeigen sich bei den Probanden hybride Identitäten. Wichtig ist hierbei der Hinweis darauf, dass hybride Identitäten meistens in Zusammenhang mit Nachkommen der Migranten diskutiert werden. Man geht davon aus, dass hybride Identitäten vorwiegend Menschen aus der zweiten Generation betreffen, die aber selber keine eigenen Migrationserfahrungen gemacht haben. In der vorliegenden Arbeit konnte gezeigt werden, dass auch Migrantinnen und Migranten der ersten Generation hybride Identitäten aufweisen können. Die Grundhaltung der Befragten ist durch den Leitsatz „Alle Menschen sind gleich“ geprägt, hierin zeigt sich der Wunsch, auch selber als „gleichwertig“ gesehen zu werden. Vor allem am Heimatbegriff macht sie die Patchworkidentität bemerkbar, Heimat wird „zwischen den Welten“ gesehen und zeigt sich in einem „sowohl als auch“. Im Gegensatz zur Kulturkonfliktthese, bei der davon ausgegangen wird, dass die Migrantinnen und Migranten zwischen den Kulturen verloren sind, weisen die von mir befragten Personen zu großen Teilen erfolgreiche Biographien auf und bewältigen die vorhandene Ambivalenz.

Einige Interviewpartnerinnen und -partner differenzieren sich explizit von anderen Menschen gleicher Herkunft, um auf diese Weise das „Wir-Gefühl“ und die Gruppenidentität mit der deutschen Gesellschaft hervorzuheben.

Diskussion zentraler Ergebnisse Freiwilliges Engagement und Migration – gelingt Inklusion? Die Frage nach dem Gelingen von Integration und Inklusion durch Bürgerschaftliches Engagement wird immer aktueller. Griesbeck geht davon aus, dass das Engagement ein Zeichen der Identifikation mit dem Gemeinwesen ist und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beiträgt. Für die Integration hat es seiner Meinung nach den zusätzlichen Effekt, dass es Einheimische und Zuwanderer zusammenführt, Begegnungen ermöglicht, das gegenseitige SichVerstehen und damit auch das Verständnis für die Sitten und Gebräuche, für Religion und Kultur des jeweils „Anderen“ fördert. Auf diese Weise könne auch eine Öffnung und Akzeptanz der Zuwanderer und der Aufnahmegesell-

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

schaft bewirkt werden, die für eine gelungene Integration unabdingbar ist.1 In der vorliegenden Arbeit stellte sich die Frage, ob dies tatsächlich von den Befragten gleichermaßen erlebt wird. Es konnte gezeigt werden, dass Migrantinnen und Migranten, die sich freiwillig für die deutsche Mehrheitsgesellschaft engagieren, gesellschaftlich inkludiert sein wollen. Dieses Anliegen scheint berechtigt, wenn man davon ausgeht, dass freiwilliges Engagement die Chance einer individuellen Identitätspassung beinhaltet, weil es ein soziales Netz bietet, gesellschaftliche Präsenz und Einflussnahme ermöglicht und Zugehörigkeit und Anerkennung vermittelt.2 Obschon aufgrund der relativ geringen Fallzahl keine repräsentativen Nachweise vorgelegt werden können, bietet die Studie interessante Tendenzen im Hinblick auf die von Bauman vorgelegten Arbeiten zur Inklusion und Exklusion. Wenn man davon ausgeht, dass vor allem Migrantinnen und Migranten genau wie Arbeitslose von Exklusion betroffen sind und sich dadurch überflüssig und entbehrlich fühlen, kann man durch die Ergebnisse der Studie festhalten, dass das freiwillige Engagement dazu genutzt wird, die Exklusion zu überwinden. Bedeutsam hierbei ist, dass es sich bei helfendem Verhalten um ein im höchsten Maße erwünschtes Verhalten handelt.3 Das bedeutet, dass die Engagierten davon ausgehen können, positive Rückmeldungen zu erhalten. Im Engagement finden Migrantinnen und Migranten ähnlich wie Arbeitslose verstärkt Räume, in denen sie anerkannt werden und sich mit ihren Fähigkeiten einbringen können. Das heißt aber noch nicht, dass sie sich außerhalb des Engagements ebenfalls inkludiert sehen. Besonders deutlich wird dies, wenn nach den Kontakten zu Deutschen gefragt wird. Oftmals finden im Einsatz die einzigen Kontaktmöglichkeiten statt. Wenn Frau Gomez von ihrem Kontakt zu der von ihr betreuten Dame berichtet wird sehr deutlich, dass sich ihr hier ein Raum eröffnet, in dem sie Lernerfahrungen machen und Kontakte schließen kann. Außerhalb dieses sehr begrenzten Raumes ist es ihr jedoch kaum möglich, weitere Kontakte zu knüpfen. Anerkennung und Inklusion begrenzen sich also auf den Bereich des bürgerschaftlichen Engagements. Nur diejenigen Befragten, welche die freiwillige Tätigkeit nicht in erster Linie gewählt haben, um neue Kontakte zu schließen, sondern die Arbeit aufgrund einer inneren Vision, aus Dankbarkeit etc. leisten, erreichen zumindest in Ansätzen gesellschaftliche Anerkennung. 1

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Griesbeck, Michael, „Bürgerschaftliches Engagement – ein Motor für die Integration von Zuwanderern“. Rede von Dr. Michael Griesbesck, Vizepräsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, anlässlich der Veranstaltung „Tag der Integration“ am 24.09.2006 im Nürnberger Rathaus. 30.10.2006: S. S. 1 www.wir-fuer-uns.de/landesnetzwerk/i12e.pdf;, Quelle vom: 13.07.2007 Vgl. Wouters, Gerlinde, Zur Identitäsrelevanz von freiwilligem Engagement im dritten Lebensalter. Anzeichen einer Tätigkeitsgesellschaft. Herbolzheim: Centaurus Verlag 2005: S. 289 Vgl. Lück, Helmut E. Hilfeverhalten. In: Frey, Dieter/Greif, Siegfried, Sozialpsychologie. Weinheim: Psychologie Verlags Union 1997: S. 188

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Es bleibt also die Frage, ob die Erwartungen an das Engagement und der damit verbundene Wunsch nach Zugehörigkeit alle Beteiligten im Rahmen des Einsatzes überfordern (Vertreter der Institutionen, Klienten, andere Freiwillige). Wenn es auch im Berufsleben für Mitglieder einer homogenen Gruppe schwierig ist, Freundschaften zu schließen, so ist es das wohl umso mehr für Migrantinnen und Migranten, die sich durch ihr Engagement Bekanntschaften wünschen. Es bedarf vielleicht vielschichtiger Versuche, Kontakte zu knüpfen. Angesichts der enormen Leistung der von mir befragten Personen hinsichtlich des Spracherwerbs, des Engagements und der Anpassung ist es aber fraglich, ob dies geleistet werden kann. Auf Seiten der Institutionen, die sich mit freiwilligem Engagement in unterschiedlicher Weise beschäftigen stellt sich die Frage, ob und in wie weit die Bedürfnisse engagierter Migrantinnen und Migranten erkannt werden und wie darauf reagiert werden kann. Findet hier auf Dauer keine Passung statt, endet der freiwillige Einsatz in Frustration und das Inklusionsbegehren scheitert. In ihrem Streben nach Inklusion zeigen sich die Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmer sehr anpassungsbereit. Sie erhoffen sich durch diese Anpassungsbereitschaft eine schnellere Integration und Inklusion. Die Frage aber bleibt, ob sich Integration abkürzen lässt, denn obwohl einige der von mir befragten Migrantinnen und Migranten hoch gebildet und scheinbar integriert sind, zeigen sich dennoch Exklusionstendenzen. Zudem kann bei einigen Personen eine Art „Überanpassung“ festgestellt werden, wenn, wie bei Maria Souza-Möller, die eigene Herkunft quasi verleugnet wird. Die Überanpassung und das deutliche Streben nach Inklusion könnten daher kommen, dass bis auf Lucia Diaz und Tonio Cifera alle Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer allein, d.h. ohne ihre Familie nach Deutschland gekommen sind. So waren sie in gewisser Weise zu einer stärkeren Anpassung genötigt, zumal sie sich in ihrer eigenen Herkunfts-Community nicht wohl fühlten. Dennoch sind aus meiner Sicht nicht alle Engagierten überangepasst und endgültig lässt sich die Frage der Anpassung aus meinen Forschungsergebnissen nicht klären. Die befragten Probanden einschließlich Maria Souza-Möller jedenfalls halten sich nicht für überangepasst. Sie versuchen entweder, verschiedene kulturelle Muster zu verbinden oder sich ganz auf die deutsche Kultur einzulassen. Der Aspekt der Integration wirft auch die Frage auf, was unter „gelungener Integration“ eigentlich verstanden werden kann und wer die Definitionsmacht über diese Frage hat. Aus Sicht deutscher Politiker stehen dabei wohl Aspekte wie Sprachkenntnisse, Erwerbstätigkeit, Anerkennung von Recht und Ordnung und die Akzeptanz von Werten und Normen im Vordergrund. Hinter diesen Faktoren steht meist die Forderung an die Migrantinnen und Migranten

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

zur sozialen Unauffälligkeit.4 Dabei ähnelt die öffentliche Debatte über die Integration von Ausländern gelegentlich einem Glaubenskrieg, weil sie einen ritualisierenden Charakter hat und nicht selten provinzielle Züge beinhaltet. Oft werden Ausländer für eigene Zwecke instrumentalisiert und differenzierte Zwischentöne finden in der Öffentlichkeit keinen Platz.5 Dabei stellt sich insbesondere in Bezug auf die demographische Entwicklung die Frage, welche Instrumente und Maßnahmen für eine gelingende Integration ausgearbeitet werden sollen.6 Einige deutsche Städte haben bereits damit begonnen, eigene Integrationskonzepte zu entwickeln, um die Integration zu erleichtern.7 Um Ausschreitungen zwischen In- und Ausländern zu vermeiden, besteht der Wunsch bei Institutionen und Politik, verstärkt Migrantinnen und Migranten für ein verantwortungsvolles Engagement zu gewinnen.8 All diese Faktoren berücksichtigend sind die in der Studie befragten Probanden voll integriert, sie selber fühlen sich jedoch nur eingeschränkt oder gar nicht integriert. Für sie gehört ganz wesentlich gesellschaftliche Anerkennung, Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen und der Kontakt zu Vertretern der Mehrheitsgesellschaft zum Integrationsgefühl. Dies jedoch bleibt einigen trotz ihrer Bemühungen verwehrt. Bei diesen Überlegungen lohnt sich aber auch ein Blick auf diejenigen Befragten, denen es gelungen ist, soziale Netzwerke zu Deutschen aufzubauen und die sich inkludiert fühlen. Was ist das Besondere an diesen Probanden und was hilft ihnen, sich zugehörig zu fühlen? Ein gutes Beispiel hierfür ist Belgin Schneider, die selber eine ökologische Initiative gegründet hat. Sie hat sich aktiv auf die Suche nach einem Engagementbereich begeben, in dem sie die Definitionsmacht hat, d.h. sie hat in

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Vgl. Badawia, Tarek, „Am Anfang ist man auf jeden Fall zwischen zwei Kulturen“ – Interkulturelle Bildung durch Identitätstransformation. In: Hamburger, Franz/Badawia, Tarek/Hummrich, Merle, Migration und Bildung. Über das Verhältnis von Anerkennung und Zumutung in der Einwanderungsgesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005: S. 205 Vgl. Bosl, Manfred, Multikulturelles Bürgerengagement in Minderheiten – Selbstorganisationen und Initiativgruppen. http://www.initiativgruppe.de/ publikationen/fachartikel/artikel/multikulturelles.htm, Quelle vom: 27.09.2005 Vgl. Generaldirektion für Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und Chancengleichkeit der Europäischen Kommission (Hg.) Grünbuch eröffnet Diskussion über Demografie. Kommission fordert neue Solidarität zwischen den Generationen. Magazin der Europäischen Kommission für Beschäftigung und Soziales. Brüssel 2005: S. 8ff Vgl. Kastner, Bernd, Eingliedern statt ausgliedern. Mit neuen Projekten hofft die Stadt die Lebenssituation von Deutschen und Migranten anzugleichen. In: Süddeutsche Zeitung 30.10.2006. München. Süddeutsche Zeitung 2006: .S. 54 Vgl. Müller-Wirth, Moritz, Kampf gegen Rechtsaußen. Wie DFB-Präsident Theo Zwanziger auf den Rechtsextremismus in Fußballstadien reagieren will. In: Die Zeit 09.11.2000: S. 74

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der Anfangsphase diejenigen ausgewählt, die sich mit ihr engagieren. Auf diese Weise hat sie positive Erfahrungen im Umgang mit deutschen Freiwilligen gemacht und sagt nun, dass das Engagement der einzige gesellschaftliche Bereich ist, in dem man unabhängig von seiner Herkunft akzeptiert wird. Durch ihren Einsatz hat sie Freundschaften schließen können und fühlt sich auch auf politischer Ebene akzeptiert. Außerdem zeichnet sie eine hohe Frustrationstoleranz aus, denn sie lässt sich auch von Exklusionstendenzen oder Diskriminierungserfahrungen nicht entmutigen und reflektiert jede einzelne Situation, ohne dabei pauschale Urteile zu fällen. Erleichtert wurde ihr die Inklusion sicher auch durch ihr Studium in Deutschland. Es ist wohl einfacher, an der Universität neue Kontakte und Freundschaften zu knüpfen als im Berufsleben, belegen lässt sich dies aber aus den Aussagen in den Interviews nicht. Durch ihre aktive Zugehörigkeit zu einer Partei ist es ihr nicht nur möglich, gesellschaftlich Einfluss zu nehmen, sondern es erleichtert auch die Kontaktaufnahme, denn das politische Interesse wird in der Regel von Mitgliedern der eigenen Partei wahrgenommen und anerkannt. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist wohl auch die Ehe mit einem deutschen Mann und die Gründung einer Familie im Aufnahmeland. Es gibt also neben der Auswahl des Engagements noch weitere Aspekte, die zumindest zur Verstärkung des Inklusionsgefühls beitragen können.9

Engagement und der Wunsch nach Teilhabe – was wird benötigt? Nach der Auswertung der Interviews und der Ergebniszusammenfassung stellt sich die Frage, welche Faktoren von Bedeutung sind, um ein erfolgreiches freiwilliges Engagement von Migrantinnen und Migranten zu ermöglichen. Die Moderne ist dabei, möglicherweise endgültig Abschied zu nehmen von der Hoffnung einer lebensweltabhängigen Regulation des Sozialen durch die privaten, stillen und barmherzigen Samariter ( die im wirklichen Leben zumeist Frauen waren), die in dieser Welt uneigennützig, verbindlich und hilfsbereit Gutes bewirken und zugleich ein Gefühl der dankbaren Entlastung bei Dritten hinterlassen, kurz: die Mitmenschlichkeit massenhaft, informell, freiwillig, unaufhörlich und vor allem unentgeltlich in den eigenen vier Wänden oder nach Feierabend praktizieren.10 9

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Best Practise Beispiele zu diesem Thema finden sich auch in: Broch, Thomas, Integration beginnt im Kopf. Für ein besseres Miteinander von Deutschen und Zuwanderern. In: Caritas 2006: Jahrbuch des Deutschen Caritasverbandes. Karlsruhe: Badenia Verlag und Druckerei GmbH 2005: S. 18 Rauschenbach, Thomas, Inszenierte Solidarität: Soziale Arbeit in der Risikogesellschaft. In: Beck, Ulrich/Beck-Gernsheim, Elisabeth, Riskante Freiheiten – Individualisierung in modernen Gesellschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994: S. 95 255

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

Wenn man davon ausgeht, dass das klassische Ehrenamt in einer individualisierten Gesellschaft nicht mehr aktuell ist, muss man erkennen, was wirklich benötigt wird, um bürgerschaftliches Engagement zu fördern. Zunächst geht es dabei um die Engagierten selber. Durch die Studie konnte festgestellt werden, dass das individuelle Zugehörigkeitsempfinden ein zentraler Aspekt für das Gelingen des bürgerschaftlichen Engagements von Menschen mit Migrationshintergrund ist. Wird Zugehörigkeit als aktiver Prozess verstanden, d.h. sehen die Engagierten sich in der Lage, handlungsfähig zu sein und spüren sie Selbstwirksamkeit, wird der Inklusionsprozess durch das Engagement erleichtert. Die von mir befragten Personen wurden nicht zu einem Einsatz gedrängt, sondern haben sich bewusst für ein Engagement für die Mehrheitsgesellschaft entschieden. Damit wird deutlich, dass sie ihr Zugehörigkeitsempfinden an die eigene Aktivität koppeln. Nach Aaron Antonovsky sind dabei Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit entscheidend. Die Migrantinnen und Migranten müssen die Situationen, in denen sie sich befinden und die Verhaltensweisen, denen sie ausgesetzt sind, als geordnet und konsistent erleben (Verstehbarkeit). Die Herausforderungen, denen sie im Alltag und im Engagement begegnen, sollten als Erfahrungen gewertet werden können, mit denen man umgehen kann (Handhabbarkeit). Ereignisse, die als „sinnhaft“ erlebt werden, können als so wichtig erachtet werden, dass emotional in sie investiert wird (Bedeutsamkeit).11 In der Studie zeigt sich, dass die drei Komponenten dazu führen, dass sich die Probanden nicht hilflos ausgeliefert fühlen, sondern aktive gesellschaftliche Teilhabe einfordern und die an sie gestellten Herausforderungen als Handelnde annehmen. Neben diesen inneren Faktoren, die notwendig sind, um sich auf ein Engagement einzulassen, ist es ebenfalls von Bedeutung, dass die Engagierten Anerkennung erfahren. Unabhängig von der Herkunft spielt die Art und Weise der Anerkennung im bürgerschaftlichen Engagement eine wichtige Rolle. Mehr und mehr erkennen Institutionen die Notwendigkeit guter Anerkennungsformen, wollen sie ihre professionelle Arbeit durch ehrenamtliches Engagement stärken und sich selber in der Öffentlichkeit gut positionieren. Weil bürgerschaftliches Engagement in hohem Maße dazu beiträgt, soziales Kapital zu schaffen und zu pflegen und die Bereitschaft, sich für sich selbst und für andere unentgeltlich einzusetzen ein Grundbestand von Vertrauen und Solidarität ist, müssen Institutionen sich mehr denn je um Interessenten aller Bevölkerungsschichten unabhängig von Herkunft oder anderen Kategorien bemühen, um möglichst viel Potential auszuschöpfen.12 In den Interviews wurde 11

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Vgl. Antonovsky, Aaron, Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie dgvt Verlag 1997: S. 34-35 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivilgesellschaft in Deutschland. Bericht

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deutlich, dass es nicht auf materielle Zuwendungen ankommt, sondern vielmehr um Unterstützungsmaßnahmen bei Problemen. Austauschtreffen mit anderen Freiwilligen und Einladungen zu Festen sind dabei offensichtlich eine effektive Form der Anerkennung. Für die Migrantinnen und Migranten ist die Anerkennung innerhalb des Engagements wohl auch deshalb so wesentlich, weil ihnen gesellschaftliche Anerkennung häufig verwehrt bleibt. Das Gleiche gilt auch für Migrantenselbsthilfeorganisationen. Ein wichtiges Engagementziel von Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund ist die Vertretung migrationsspezifischer Interessen. Dies wurde in den Interviews mit den Probanden deutlich, die sich sowohl für die eigene Community als auch für die deutsche Gesellschaft engagieren.13 Von Seiten der Migrantinnen und Migranten entsteht durch die Anerkennung ein Systemvertrauen, welches sie in ihrem Engagement stärkt. Wichtig ist, dass sie nicht dem Gefühl unterliegen, gesellschaftlich hilflos ausgeliefert zu sein, sondern aktiv teilhaben zu können. Auf diese Weise entsteht Sicherheit und das persönliche Vertrauen wird gestärkt. Die Probanden suchen in ihrem Engagement nach Verlässlichkeit, vor allem deshalb, weil sie sehr viel in das Engagement investieren und sich Achtung erhoffen. Elementar für das bürgerschaftliche Engagement ist das soziale Kapital. Es entsteht aus funktionierenden, vertrauensvollen Beziehungen. Hier ist es wichtig noch einmal einen Bogen zum Begriff der Ressource und die Kapitalsortentheorie von Pierre Bourdieu zu spannen. Bourdieu bezeichnet Ressourcen als Kapitalsorten, vor allem die primären Ressourcen: das ökonomische Kapital, das soziale Kapital und das kulturelle Kapital. Das ökonomische Kapital bezieht sich auf Geld, Aktien, Renten, Mietzins, Pachterträge, Grund und Boden usw. Kulturelle Ressourcen sind Bildungsabschlüsse und Titel. Soziale Ressourcen umschreiben alle Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu anderen Personen beruhen. Für die Identitätsentwicklung ist es wichtig, wie diese Ressourcen angewandt werden können.14 Alle Probanden haben zumindest einen Grundstock an ökonomischem Kapital, lediglich ein Proband ist arbeitslos, seine Lebensgefährtin allerdings verdient Geld. Ebenfalls verfügen alle von mir befragten Personen über einen hohen Bildungsstand, womit das kulturelle Kapital vorhanden ist. Die schwie-

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14

der Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft. Berlin: VogtDruck GmbH 2004: S. 18 Vgl. Bosl, Manfred, Selbsthilfeorganisationen von MigrantInnen fördern die Integration. Münchner Rundbrief für Selbsthilfe und Bürgerschaftliches Engagement. Ausgabe 7 2005. http://initiativgruppe.de/ueberuns/fachartikel/artikel/ selbsthilfe_migr.htm Vgl. Keupp, Heiner/Ahbe, Thomas/Gmür, Wolfgang, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt, 1999: S. 198-201 257

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rigste Komponente scheint die sozialen Ressourcen zu betreffen, denn die Zugehörigkeit zu anderen Personen bleibt für viele Befragte ein Wunsch, den sie selbst mit großem Einsatz nicht erfüllen können. Dennoch gelingt es den meisten von mir Befragten, ein kohärentes Selbst zu entwickeln. Sie finden trotz Ablehnung einen Weg, sich zu verorten. Diese Verortung findet meist in einem „Dazwischen“ statt. Aus der Studie heraus lassen sich folgende Voraussetzungen für ein Engagement für die Mehrheitsgesellschaft festhalten: • Auf Seiten der Gesellschaft: • Anerkennungsformen • Einsatzfelder, in denen die Sprache nicht die wichtigste Rolle spielt • Rechtliche Sicherheit • Bereitstellung von Möglichkeiten zur Begegnung und zum Austausch mit anderen Engagierten • Auf Seiten der Migrantinnen und Migranten • sprachliche Kompetenzen • soziale Ressourcen • Frustrationstoleranz • Vertrauen • Zugehörigkeit als aktiver Prozess

D i e V e r s c h i e d e n h e i t vo n Z u g e h ö r i g k e i t e n – g ew o l l t o d e r e r z w u n g e n ? Eine zentrale, noch ungeklärte Frage betrifft die der gewollten oder erzwungenen Zugehörigkeit. Bei diesem Aspekt geht es zunächst wohl immer um die Frage der kulturellen Zugehörigkeit, die von den von mir befragten Personen sehr unterschiedlich beantwortet wird. Ich halte es aber für falsch, sich ausschließlich auf diese Form der Zugehörigkeit zu beschränken und stelle die Ergebnisse in den Rahmen der Annahme der Pluralität von Zugehörigkeiten: „Unser gemeinsames Menschsein wird brutal in Frage gestellt, wenn man die vielfältigen Teilungen in der Welt auf ein einziges, angeblich dominierendes Klassifikationsschema reduziert, sei es der Religion, der Gemeinschaft, der Kultur, der Nation oder der Zivilisation – ein Schema, dem in Sachen Krieg und Frieden jeweils einzigartige Wirkung zugeschrieben wird. Die Aufteilung der Welt nach einem einzigen Kriterium stiftet weit mehr Unfrieden als das Universum der pluralen und mannigfaltigen Kategorien, welche die Welt prägen, in der wir leben. Sie läuft nicht nur der altmodischen Ansicht zuwider, dass „wir Menschen alle ziemlich ähnlich sind“ (über die man heutzutage gern – und nicht ganz unbegründet – spottet, weil sie allzu

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unbedarft ist), sondern auch seltener erwähnten, aber sehr viel plausibleren Auffassung, dass wir auf mannigfaltige Weise verschieden sind.“15

Amartya Sen schildert, dass in den Versuchen, die Weltbevölkerung nach Zivilisationen und Religionen zu unterteilen, eine große Gefahr liegt. Menschen sind nicht nur nach einem scheinbar dominierenden Kriterium unterscheidbar. Auch die von mir befragten Personen lassen sich nicht auf ein einziges Klassifikationsschema reduzieren. Sie erkennen explizit die Pluralität von Zugehörigkeiten, verweisen aber dennoch darauf, dass „wir Menschen dennoch alle ähnlich sind.“ und leben in Zwischenwelten, die sich nicht eindeutig klassifizieren lassen. „Wir müssen deutlich erkennen, dass wir viele verschiedene Zugehörigkeiten haben und auf sehr viele unterschiedliche Weisen miteinander umgehen können, gleichgültig, was die Aufwiegler und ihre aufgeregten Gegner uns sagen. Wir selbst können über unsere Prioritäten entscheiden.“16

Die von mir befragten Personen wollen sich der deutschen Gesellschaft zugehörig fühlen, einige lösen dafür ihre kulturellen Wurzeln auf, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, die meisten aber fühlen sich verschiedenen Kulturen und sogar Religionen zugehörig. Die Werte, die sie vertreten, sind globale Werte, nicht etwa ausschließlich Werte der westlichen Welt. „Auch wenn man in den eigenen Augen und in den Augen anderer unausweichlich als Franzose, Jude, Brasilianer, Afro-Amerikaner oder (speziell im Zusammenhang mit den aktuellen Konflikten) als Araber oder Muslim wahrgenommen wird, muß man immer noch entscheiden, welche Bedeutung man dieser Identität im Vergleich zu den anderen Kategorien beimisst, denen man ebenfalls angehört.“17

Die Probanden wissen, dass sie als „Ausländer“ wahrgenommen werden, versuchen aber, diesem Aspekt keine zu hohe Bedeutung zukommen zu lassen, vielmehr betonen sie die Gleichheit aller Menschen. Alle Frauen, die ich befragt habe, messen den Kategorien „Frausein“ und „Emanzipation“ eine große Bedeutung zu, viele Befragte definieren sich auch außerhalb der Interviewsituation stark durch ihr bürgerschaftliches Engagement oder durch ihre Erwerbsarbeit.

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Sen, Amartya, Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt. München: C.H. Beck 2007: S. 10 Ebd. S. 10 Ebd. S. 21-22 259

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„In einer unruhigen Welt, in der wir leben, kann die Anerkennung multipler Identitäten und jener Welt, die es auch für sehr religiöse Menschen jenseits ihrer religiösen Zugehörigkeiten gibt, vielleicht etwas bewirken.“18

Trotz dieser Pluralität der kategorialen Zuordnung erfolgen in den Interviews kategoriale kulturelle Zuordnungen. Diese zeigen sich in nationalen Kategorien wie „Deutscher“ oder „Türke“. Wie ich aufgezeigt habe, lassen sich hybride Identitäten aber nicht problemlos in diese Kategorien zuordnen, daher haben sie differenziert und beispielsweise gesagt: „Ich bin Türke, aber ich fühle mich schon als Deutscher“. Sie zeigen auf diese Weise ihre Mehrfachzugehörigkeit zu ihrem Herkunftsland und zum Aufnahmeland. Vor allem die Vergleiche zwischen beiden Nationen helfen ihnen, sich nicht nur einer Kategorie zuzuordnen. Die Probanden weisen eine hohe Selbstreflexivität auf, wenn sie beide Länder kritisch betrachten und für sich Lösungen suchen, bei denen sie die Ambivalenzen vereinbaren können. Am besten zeigt sich dies am Satz „Ich nehme mir von beiden Ländern das Beste“. Die von Amartya Sen erhoffte Anerkennung der multiplen Identität von Seiten der Majoritätsgesellschaft bleibt aber aus oder ist für die Befragten zumindest nicht spürbar.

Die Positionierung in einer fremden Gesellschaft – wann ist man ein „guter Migrant“? Trotz dieser Versuche, verschiedene Zugehörigkeiten zu realisieren, nehmen die Probanden Unterscheidungen von „Wir“ und „Die Anderen“ vor. Die Differenz erfolgt zu denjenigen, die nicht genauso offen und global denken. Sie versuchen, das moderne Leben der Gegenwart zu verwirklichen, in dem unter anderem durch den globalen Massentourismus die „Fremde“ ihren Ort verloren hat.19 Die Definition des „Wir“ ist brisant, da kaum noch geklärt werden kann, was darunter zu verstehen ist.20 Die Befragten positionieren sich als „gute Migrantinnen und Migranten“ in einer letztlich für sie doch fremden Welt. Dahinter steht der Wunsch nach Wunsch nach Anerkennung und Akzeptanz und damit letztlich der Wunsch nach Inklusion. Gerade weil Zugehörigkeiten ihren Charakter als kulturelle Selbstverständlichkeiten verlieren und sich so eine Leerstelle öffnet, entwickeln Individuen Identitätsstrategien, die

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Ebd. S. 91 Vgl. Bade, Klaus J., Einführung: Das Eigene und das Fremde – Grenzerfahrungen in Geschichte und Gegenwart. In: Bade, Klaus J., Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. München: C.H. Beck Verlag 1992: S. 20 Vgl. Keupp, Heiner, Der Mensch als soziales Wesen. Sozialpsychologisches Denken im 20. Jahrhundert. In: Keupp, Heiner, Der Mensch als soziales Wesen. München: Piper 1992: S. 14

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diese Leere füllen sollen. Im Falle der von mir befragten Personen steht der Wunsch nach Gleichheit mit den Vertretern der deutschen Mehrheitsgesellschaft im Vordergrund.21 Durch die Gruppenidentität, die sie mit der deutschen Gesellschaft erreichen wollen, erhoffen sie sich ein Gefühl der Inklusion und Loyalität. Als Zeichen, sich wirklich zugehörig zu fühlen, wird das Aufnahmeland von meisten Befragten als „Heimat“ anerkannt, auch wenn es daneben vielleicht noch eine andere Heimat gibt. Typisch für Menschen mit Migrationshintergrund ist die Beziehung zu geographisch unterschiedlichen Orten. Da aber niemand zugleich an unterschiedlichen Orten gleichzeitig leben kann, gibt es anwesende und abwesende Orte. Der abwesende Ort bezieht sich auf den Standort, der zumindest zeitweise nicht präsent, sondern lediglich ein Ort der Vorstellung ist. Etabliert werden können unterschiedliche Sichtweisen über den abwesenden Ort, der beispielsweise als verlorene Heimat betrachtet werden kann. Die Sehnsucht kann, wenn die Lebensbedingungen am Daseinsort nicht ausreichend erfüllt sind, zu einer inneren Entortung führen. Die innere Entortung und die Frage, welcher Ort als Lebensort geeignet ist, entstehen somit dann, wenn man sich am Lebensort unwohl fühlt. Dies ist bei Frau Gomez der Fall. Sie überlegt, dauerhaft in die Dominikanische Republik zurückzukehren und würde dies wohl auch tun, wenn sie sich nicht durch ihre Ehe an ihren jetzigen Lebensort gebunden fühlen würde. Die meisten anderen Interviewpartnerinnen und -partner planen aber, trotz aller Widerstände auch langfristig in Deutschland zu bleiben. Sie sind meist aus wirtschaftlichen Gründen in die Bundesrepublik gekommen und haben es hier geschafft, sich eine Existenz aufzubauen. Ihre erfolgreichen Biographien lassen den Schluss zu, dass es ihnen leichter fällt, im Aufnahmeland ihre Heimat zu sehen. So positionieren sie sich auch öffentlich als Menschen, die Deutschland als ihr Heimatland betrachten und damit quasi gleichwertig zu denjenigen sind, die dies von Geburt an tun. Als „gute“ Migrantinnen und Migranten kommen sie nicht auf die Idee, Deutschland als Heimat in Frage zu stellen. Interessant ist allerdings der Aspekt, ob sich diese Positionierung mit dem Alter noch einmal verändert, denn meist stellt sich für Menschen mit Migrationshintergrund am Lebensende noch einmal die Frage, in welchem Land man die letzten Jahre verbringen möchte und wo man sterben und beerdigt sein will. Frau Hartmann thematisiert als einzige konkret diese Frage und äußert den Wunsch, wieder in ihr Herkunftsland zurück zu kehren. Erklärbar ist dies auch aus ihrem starken Zugehörigkeitsgefühl zu eigenen Communitiy trotz des gesamtgesellschaftlichen Engagements und trotz der Ehe mit einem deutschen Mann. Wie auch andere empirische Untersuchungen zeigen, entwerfen Menschen mit Migra21

Vgl. Kraus, Wolfgang, Alltägliche Identitätsarbeit und Kollektivbezug. Das wiederentdeckte Wir in einer individualisierten Gesellschaft. In: Keupp, Heiner/Hohl, Joachim, Subjektdiskurse im gesellschaftlichen Wandel. Bielefeld: transcript Verlag 2006: S. 144 261

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tionshintergrund verschiedene Heimaten, die flexibel und anpassungsfähig sind. Meine Ergebnisse stützen diese Untersuchungen. Da sich meine Interviewpartnerinnen und -partner nicht als „Fremde“ positionieren lassen wollen, sondern Inklusion durch Anpassung und Leistung suchen, ist noch einmal ein Blick auf den Fremdheitsdiskurs sinnvoll. Hierdurch kann eventuell verständlicher gemacht werden, warum die von mir befragten Personen solch hohe Anpassungserscheinungen aufweisen: Fremdheitserfahrungen sind in urbanen und modernen Gesellschaften alltäglich geworden, denn ständig begegnen wir Menschen, die wir nicht kennen. Die Strategie, mit der Konfrontation mit Fremden umzugehen, ist Indifferenz: „Ein Verhältnis der sozialen Indifferenz lässt sich definieren als Anwesenheit anderer Menschen und gleichzeitiger Abwesenheit von Interaktion mit diesen Menschen. Um ein Verhältnis handelt es sich insofern, als ich in Abwesenheit dieser Anderen anders handeln würde als in ihrem Beisein. Die indifferenten Anderen sind Mitbenutzer der U-Bahn und namenlose Passanten; sie bilden Schlangen vor der Kasse und Verkehrshindernisse am Ort eines außergewöhnlichen Geschehens….In Situationen der unvermittelten Annäherung tritt die Fremdheit der unvertrauten Anderen aus der Latenz heraus: Jemand rückt zu nahe an mich heran, berührt mich in erkennbarer Absicht oder durchbohrt mich mit Blicken, ohne dass ich zunächst in der Lage wäre, angemessen auf die Herausforderung zu reagieren.“22

Neben dieser alltäglichen Fremdheit gibt es auch die Erfahrung von Fremdheit, die durch den Zusammenstoß mit anderen Wirklichkeitsordnungen entsteht. Unter struktureller Fremdheit versteht man die Konfrontation mit den Grenzen der eigenen kulturellen Welt und die Einsicht, dass es Lebensordnungen gibt, die wesentlich anders sind als die eigenen. Diese Form der Fremdheit wird als besonders bedrohlich erfahren: „Besonders deutlich wird dies, wenn wir einen anderen als „fremdartig“ bezeichnen. Wir sagen damit, dass seine Eigenschaften und sein Verhalten auf eine fremde Wirklichkeitsordnung verweisen. Seine „Welt“ und unsere unterscheiden sich strukturell voneinander, weshalb die Interaktion zwischen ihm und uns von der jederzeitigen Möglichkeit fundamentalen Missverstehens geprägt ist. Wir gehen davon aus, dass sich der andere an Regeln und Relevanzstrukturen orientiert, dies ich mit den unseren nicht decken oder allenfalls am Rande berühren…er scheint sich in einem anderen Horizont der Bedeutsamkeit zu bewegen.“23

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Münkler, Herfried/Ladwig, Bernd: Dimensionen der Fremdheit. In: Münker, Herfried (Hg). Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit. Berlin: Akademie 1997: S. 29 Ebd.

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In interkulturellen Begegnungen kommt es in besonderer Weise zur Konfrontation mit Fremdheit.24 Das bedeutet, dass die von mir interviewten Personen durch ihre Anwesenheit radikale Fremderfahrungen auslösen. In ihrem Bemühen und Verständnis und Zugehörigkeiten reagieren die Betroffenen mit großen Anpassungsleistungen. Sie wollen möglichst so sein wie die Einheimischen und leisten einen wichtigen Beitrag zur Bürgergesellschaft, um ihr Fremdheitserleben zu verringern und Anerkennung zu erhalten. Daher positionieren sie sich als engagierte, leistungsbereite Personen, die ihre Gegenwart und Zukunft in der Bundesrepublik sehen und keine „Opfer“ ihrer Migrationsgeschichte sind. Aus den Erfahrungen von Fremdheit und Diskriminierung könnte auch die Lösungsmöglichkeit des Rückzugs und der Separation entstehen, da sich die Befragten aber auch ihrer eigenen Herkunftscommunity nicht zugehörig fühlen, scheint dieser Weg ausgeschlossener zu sein als die Anpassung an die Majoritätsgesellschaft.

Engagierte Migrantinnen und Migranten in D e u t s c h l a n d – n u r Au s n a h m e f ä l l e o h n e W e c h s e lw i r k u n g ? Die meisten Interviewpartnerinnen und -partner sehen sich nicht als Teil einer sozialen Bewegung, sondern als einzelne Personen, die sich sozial engagieren. Lediglich Herr Sakkoundi, der explizit von seiner „Bewegung“ spricht und Frau Schneider als Leiterin einer ökologischen Initiative sehen ihren Einsatz in einem größeren Kontext. Alle Probanden wünschen sich jedoch eine gesellschaftliche Ausweitung des Engagements. Daher setzen sich einige dafür ein, dass auch junge Menschen, die bisher noch keinen Zugang zur freiwilligen Tätigkeit hatten, motiviert werden, sich zu engagieren. Die Probanden reagieren mit ihrem Einsatz auf gesellschaftliche Veränderungen und auf menschliches Leiden, auf das der Staat und die Gesellschaft zu wenig reagieren (besonders deutlich wird dies in den Kommentaren zur Altenheimsituation in Deutschland).25 In die Öffentlichkeit gehen allerdings die wenigsten der von mir befragten Personen, daher ist die Frage der Wechselwirkung be24

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Bonß weist darauf hin, dass die in der Aufklärung angelegte Idee der Überwindung des Unvernünftigen durch das Vernünftige und der Verdrängung des Fremden durch das Eigene bis heute in einer negativen Variante überlebt hat und wirksam ist. In: Bonß, Wolfgang, Der Fremde. Ein verdrängtes Problem der Moderne. In: Hohl, Joachim/Reisbeck, Günter, Individuum, Lebenswelt, Gesellschaft: Texte zu Sozialpsychologie und Soziologie. München: Profil 1993: S. 45 Gaskin, Katherine/Smith, Justin Davis,/Paulwitz, Irmtraut, Ein neues bürgerschaftliches Europa. Eine Untersuchung zur Verbreitung und Rolle von Volunteering in zehn Ländern, Freiburg im Breisgau: Lambertus 1996: S. 25ff 263

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rechtigt. Notwendig wäre wohl, diesen „Pionieren“ des bürgerschaftlichen Engagements für die Mehrheitsgesellschaft mehr Aufmerksamkeit in Medien und Politik zu gewähren, um ihnen Anerkennung zu gewähren, ein positives Bild von Menschen ausländischer Herkunft zu vermitteln und um gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf bürgerschaftliches Engagement zu lenken. Aus der Studie kann nicht geschlossen werden, welche Wechselwirkungen auf nachfolgende Generationen stattfinden. Engagieren sich die Kinder der engagierten Migrantinnen und Migranten ebenfalls für die deutsche Mehrheitsgesellschaft? Dienen ihnen die Eltern als Vorbilder? Gibt es langfristige Wechselwirkungen innerhalb der Migranten-Communities. Es wäre sicher interessant, in einer weiterführenden Studie auf diese Themen einzugehen.

Engagement für die Mehrheitsgesellschaft – ein Zeichen für die Politik? Um die Frage nach den politischen Konsequenzen für die Ergebnisse meines Forschungsbereichs zu beantworten, ist ein Blick auf die von Castelles in seinem Werk „Das Informationszeitalter. Die Macht der Identität“ unterschiedenen drei Formen und Ursprünge des Identitätsaufbaus sinnvoll: • Unter „Legitimierende Identität“ versteht man die zivilgesellschaftlichen Akteure, die eine vorgegebene und normierende Identität aufrechterhalten und stützen. • Diejenigen, deren Position durch die Logik der Herrschaft entwertet bzw. die stigmatisiert werden, bauen eine Widerstandsidentität auf. Sie erobern sich andere Lebensformen auf der Grundlage von Prinzipien, die sich von den herrschenden Institutionen unterscheiden. • Die Projektidentität gilt als Ausweitung der widerständigen Identität auf eine Transformation der Gesamtgesellschaft als Fortsetzung des Identitätsprojekts.26 Bereits mehrmals habe ich in meiner Forschungsarbeit auf die Phase der Spätmoderne verwiesen, in der ein Umbruch von der Industriegesellschaft zur Wissens- Informations- und Netzwerkgesellschaft stattfindet. Dadurch geraten legitimierte und internalisierte Identitätsvorgaben ins Schwanken und das Individuum hat die Möglichkeit, sich aus vorgegebenen Fremdbildern zu lösen. Dabei zeigen sich bei den von mir befragten Migrantinnen und Migranten auch Widerstandsidentitäten, denn sie wehren sich durch ihre Eigenpositionierung gegen eine Entwertung und Stigmatisierung als „hilfloser Migrant“. 26

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Vgl. Castells, Manuel, Das Informationszeitalter. Die Macht der Identität. Band 2. Wiesbaden: VS Verlag 2002: S. 11ff

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Entgegen dem gesellschaftlichen Bild, dass Menschen mit Migrationshintergrund vor allem durch Sozialleistungen ihr Leben sichern und sich ausschließlich in den eigenen Communities aufhalten, suchen diese Menschen bewusst Kontexte, in denen sich ausschließlich oder überwiegend mit Vertretern der Mehrheitsgesellschaft zu tun haben. Und mehr noch, sie leisten unentgeltlich einen wertvollen Beitrag zur Bürgergesellschaft, indem sie sich beispielsweise für ältere Deutsche in Seniorenheimen engagieren. Auch wenn der Rückkopplungseffekt noch gering zu sein scheint, könnte sich hierdurch doch eine veränderte Wahrnehmung über das Fremdbild „Ausländer“ ergeben und die Lebensentwürfe, die diese Menschen entwickeln, könnten als Identitätspolitik Rückwirkungen auf das gesamte soziale Zusammenleben haben.27 Unabhängig von der Frage, wer engagiert ist, sollte von Politik und Gesellschaft die große Bedeutsamkeit des bürgerschaftlichen Engagements erkannt werden: Wenn bürgerschaftliches Engagement als ein zentrales Element von Sozialkapital bezeichnet wird, so soll damit gesagt werden, dass es sich hier nicht um den Übungsplatz moralischer Appelle und Sonntagsreden handelt, sondern um ein unverzichtbares Zirkulationsmittel der gesellschaftlichen und politischen Ordnung. Das ist zugleich der wichtigste Ertrag der jüngsten sozialwissenschaftlichen Beschäftigung mit Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement: Dass es hier um mehr geht als ein eilig herbeizitiertes Hilfsmittel bei schwindender Steuerungsfähigkeit des Staates und knapper werdenden Sozialkassen, gleichsam den Krückstock einer hinkenden Staatlichkeit; hier steht die Qualität der gesellschaftlichen und politischen Ordnung zur Debatte.28 Wichtig ist aber auch die Erkenntnis, dass man letztlich soziales Engagement, Hilfsbereitschaft und verantwortungsvolles Bürgerbewusstsein nicht allein durch Verfassungen und Gesetze verordnen kann, wenn auch der Staat seinen Bürgern durchaus rechtliche und soziale Verpflichtungen abverlangen

27

28

In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, dass sich sog. Diversity – Konzepte mehr und mehr durchsetzen, welche Ungleichbehandlungen zugunsten von Gleichstellung beseitigen., Quelle: Perko, Gudrun/Czollek, Leah Carola, „Diversity“ in außerökonomischen Kontexten: Bedingungen und Möglichkeiten. In: Broden, Anne/Mecheril, Paul, Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgesellschaft.Düsseldorf: IDA-NRW 2007: S. 164. Auch Gabriele Rosenstreich geht in einem Aufsatz auf den Diversity Kontext ein: The Mathematics of Diversity Training: Multiplying Identities, Adding Categories and Intersecting Discrimination. In: Broden, Anne/Mecheril, Paul, Re-Präsentationen. Dynamiken der Migrationsgeselschaft. IDA-NRW 2007: S. 131 Münkler, Herfried, Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. In: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hg.) Ehrensache – Bügerschaftliches Engagement in Deutschland. Paderborn: Bonifazius GmbH 2005: S. 9 265

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darf.29 Bürgerschaftliches Engagement kann immer nur auf Freiwilligkeit basieren und sollte politisch gefördert aber nicht erzwungen werden. Solidarität, Bürgersinn und Zivilcourage sind für unsere Gesellschaft, die auf Integration und Teilhabe gegründet ist, unverzichtbar, weil sie sich nur so entwickeln kann. Dabei ist sie kein Gegenentwurf zum Sozialstaat, sondern fördert den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft.30 Wie gezeigt werden konnte, nehmen auch Menschen mit Migrationshintergrund die damit verbundene Verantwortung wahr. Dabei dürfen auch Migrantenselbstorganisationen nicht übersehen werden.31 Wichtig wäre die Sensibilisierung von Seiten der Politik und Gesellschaft für dieses Engagement.

Ab w e r t u n g u n d D i s k r i m i n i e r u n g – wer ist betroffen? Ich habe mich im Rahmen der Arbeit mit den Strategien im Umgang mit kultureller Differenz bei Migrantinnen und Migranten beschäftigt, die sich in Deutschland für die Majoritätsgesellschaft engagieren. Für die einzelnen Befragten geht es um die Frage der Lebensgestaltung zwischen den Kulturen. Wichtig für die Interviewpartnerinnen und -partner ist die wahrgenommene Handlungsfähigkeit in unterschiedlichen kulturellen Kontexten. Sie haben den Wunsch, nicht zwischen den Kulturen verloren zu sein, sondern verschiedene Lebensweisen zu kombinieren und sich dabei in der deutschen Gesellschaft zu verorten. Die Selbstdifferenzierung betrifft dabei die „Anderen“, die nicht in gleicher Weise die Handlungsfähigkeit besitzen und über ähnliche Ressourcen verfügen, um Ambivalenzen auszugleichen. Die Verortung innerhalb der Mehrheitsgesellschaft ist aber auch innerhalb der Gruppe der von mir Befragten nicht homogen. Abwertung und Diskriminierung betreffen nicht alle Probanden in gleichem Maße: „Da wird dann die Verortung entlang der Wohlstands-Skala entscheidend, und die Maßregel lautet: je ärmer eine Person, desto eher wird sie als „Ausländer“ gesehen. 29

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Vgl. Roth, Rainer, Das Ehrenamt. Freiwilliges unbezahltes Bürgerengagement in einer pluralistischen Gesellschaft. Druckerei Heinz Neubert München 1997: S. 12 Vgl. Sozialministerium Baden-Würtemberg (Hg.), Wege in der Bürgergesellschaft. Ein Leitfaden für die Praxis. Bröuer GmbH Druckerei + Verlag Weilheim 2004: S. 10 Vgl. Teixera, „Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund in ihren Eigenorganisationen und die Bedeutung für die Bürgergesellschaft. In: Bürgergesellschaft und Integration in Deutschland und Frankreich. Abstract www.callnrw.de/broschuerenservice/download/1278/Kinder_mit_Migrations hintergrund.pdf, Quelle vom: 22.05.2005

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Je wohlhabender dagegen sie ist, desto eher wird ihre Nationalität irrelevant, unsichtbar, vielleicht auch: nicht mehr bedrohlich (für die Gemeindekasse, den Sozialstaat, unsere Steuerbelastung). So weisen verschiedene Autoren auf den Sachverhalt hin, dass in all der öffentlichen Aufregung und Diskussion um die Zunahme der „Ausländer“ – und um all das, was an Bedrohung mit ihnen assoziiert wird – stets nur eine bestimmte Gruppe von Ausländern gemeint ist, nämlich die, die arm sind (Flüchtlinge, Vertriebene, Asylbewerber und Gastarbeiter am unteren, schlecht bezahlten Ende der Betriebshierarchie). Dagegen wird bei solchen Äußerungen kaum je an diejenigen gedacht, die zwar nach dem Rechtsstatus ebenfalls Ausländer, aber im Unterschied zur ersteren Gruppe wohlhabend sind, ja zur Elite auf dem Arbeitsmarkt zählen.“32

Ein Teil meiner Interviewpartnerinnen und -partner sah sich von Beginn des Aufenthalts in Deutschland als privilegiert an, weil sie beispielsweise aufgrund eines Stipendiums oder aufgrund eines gesicherten Ausbildungsplatzes nach Deutschland eingereist sind. Sie schildern, dass sie wenig Diskriminierungserfahrungen machen mussten. Frau Souza-Möller beschreibt dabei sehr konkret die unterschiedliche Behandlung der Behörden je nach Status der Migrantinnen und Migranten. Alle Interviewpartnerinnen und -partner gehören nicht unbedingt zur Arbeitsmarktelite, aber aufgrund ihres Bildungsstandes der gehobenen bürgerlichen Schicht an. In Ergänzung zum oben angefügten Zitat sollte aber noch darauf hingewiesen werden, dass es aus Sicht der Probanden sehr darauf ankommt, aus welchem Herkunftsland die „Ausländer“ kommen. Ihrer Meinung nach ist dies ein wesentliches Kriterium für Akzeptanz bzw. Diskriminierung. Belgin Schneider spricht auch von den „guten“ und den „schlechten“ Migranten. Offensichtlich werden vor allem diejenigen mit türkischem Migrationshintergrund als Bedrohung erlebt, während Vertreter andere Nationen sogar mit positiven Attributen belegt werden, wie dies Frau Hartmann oder Herr Cifera erlebt haben. Interessant ist auch, dass sich die Negativbeschreibungen je nach politischer und gesellschaftlicher Lage verändern können. Während noch in den 80er Jahren die Italiener als diejenigen galten, die den Deutschen die Autos klauen, werden seit einigen Jahren Polen mit Äußerungen diesbezüglich bedacht, während Italiener ein relativ hohes Ansehen genießen. In den letzten Jahren hat es wohl auch aufgrund der Anschläge des 11. September und der in den Medien verbreiteten Angst vor dem Islamismus zunehmend Vorbehalte gegen muslimische Migrantinnen und Migranten gegeben. Diese sehen sich trotz vieler Integrationsbemühungen Diskriminierung und Ausgrenzung ausgesetzt. Festgehalten werden kann, dass kulturelle Unterschiede 32

Beck-Gernsheim, Elisabeth, Juden, Deutsche und andere Erinnerungslandschaften. Im Dschungel der ethnischen Kategorien. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999: S. 118f 267

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nicht unabhängig von der jeweiligen Herkunft und dem sozialen Status interpretiert werden können.

G e f ü h l e vo n E x k l u s i o n u n d F r e m d h e i t – ausschließliches Zeichen transnationaler Migration? In urbanen Informationsgesellschaften sind mehr und mehr Menschen von Binnenmigration betroffen. Der Lebensort ist ganz wesentlich mit dem Arbeitsplatz verbunden, ein Verlust desselben zwingt – wenn nicht gar zu einem transnationalen Umzug, doch zumindest zur Migration in eine andere Stadt des gleichen Landes. Schon jetzt sind die Folgen räumlich divergierender Entwicklungen aus Zu- und Abwanderungen, Abbau und Gewinn an Arbeitsplätzen, natürlicher Bevölkerungsentwicklung und veränderter Zusammensetzung der Altersgruppen absehbar. Auf Ebene der Bundesländer wird das Bevölkerungswachstum bis 2050 zwischen +10% und -15% schwanken. Vor allem Landkreise und kreisfreie Städte werden von Abwanderungen betroffen sein. Auf der einen Seite werden prosperierende und wirtschaftsstarke Ballungsräume in Zukunft noch stärker mit angespannten und von Nachfrageüberhängen geprägten Wohnungsmärkten rechnen können, andere, wirtschaftlich schwächere Gebiete z.B. in Ostdeutschland, dem Ruhrgebiet oder dem Saarland werden mit Rückgängen der Wohnungsnachfrage zu rechnen haben. Diese regionsspezifischen Unterschiede sind die Folge von Wanderungsbewegungen. Entscheidend sind das Arbeitsplatzangebot und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung vor Ort. Dabei erfahren ökonomisch starke Regionen mehr Zuwanderung und weisen eine höhere Geburtenrate auf, weil verstärkt junge Menschen auf der Suche nach Arbeit angezogen werden Folgende Wanderungsprozesse lassen sich ausmachen: • die internationalen Zu- und Abwanderungen • die weiträumigen Binnenwanderungen auf Länderebene • die Wanderungen innerhalb der Länder auf regionaler Ebene • die kleinräumigen wohnumfeldbezogenen Wanderungsbewegungen.33 In die wirtschaftlich prosperierenden Agglomerationszentren und dort insbesondere in die Kernstädte ziehen vor allem Menschen, die internationale Wanderungen vollzogen haben. Dünn besiedelte Landkreise können von dieser Migration kaum profitieren. Diese räumlichen Verteilungsmuster werden auch in Zukunft bestehen bleiben, weil Zuwanderung nach Deutschland in 33 268

Vgl. http://www.schader-stiftung.de/wohn_wandel/852.php

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erster Linie Familiennachzug bedeutet. Die Binnenwanderungen jedoch finden aus unterschiedlichen Gründen und in verschiedenen Lebensphasen statt. Junge Menschen ziehen aufgrund des besseren Angebots an Arbeits- und Ausbildungsplätzen eher in Großstädte, die auch über Hochschulen und ein anregendes Kultur- und Freizeitangebot verfügen. Menschen mit kleinen Kindern dagegen meiden die Großstädte, weil sie dort aus Angebots- und Kostengründen ihre Wohnwünsche nicht realisieren können oder sich bewusst gegen ein Familienleben in der Stadt entschieden haben. Daher weisen die hochverdichteten Kreise in Agglomerationsräumen und die verdichteten Kreise in verstädterten Kreisen die höchsten Zuwächse dieser Altersgruppe und der mitziehenden Minderjährigen auf.34 Durch diese Binnenmigration und die damit gewonnenen Freiheiten, aber auch durch die Unsicherheit, die aufgrund der Freiheit entsteht, wandelt sich die nationale Identität Es kann sein, dass sich ein moderner junger Mensch deutscher Herkunft sich in erster Linie als Bayer oder Sachse fühlt, der von Berlin aus regiert wird, aber die Option hat, in Peking zu studieren, in Norwegen zu arbeiten, sich in Ungarn seine Zähne sanieren zu lassen und seinen Alterswohnsitz auf den Kanaren zu nehmen.35 Für jeden einzelnen Binnenmigrant stellen sich neue Herausforderungen. Da ich selber als Binnenmigrantin aus einem westfälischen Dorf mit knapp 400 Einwohnern in die bayerische Landeshauptstadt gezogen bin, habe ich mir während der Interviewanalyse die Frage gestellt, inwieweit es Parallelen zwischen den Transmigranten und Binnenmigranten gibt und sich Erfahrungshorizonte gleichen oder auch signifikant auseinander gehen. Offensichtliches Unterscheidungsmerkmal ist sicher die unterschiedliche Dimension des erlebten „Kulturschocks“. Auch wenn es für das Erleben des Einzelnen eine enorme Herausforderung ist, das Leben auf dem Land gegen das Großstadtleben innerhalb nationalstaatlicher Grenzen zu tauschen, so bewegt man sich doch in ein und derselben Kultur, behält die Sprache bei, weiß um Regeln, Werte und Normen und kennt die wesentlichen Alltagsgepflogenheiten im neuen Lebensumfeld. Transmigranten haben hier mit wesentlich größeren Herausforderungen zu kämpfen. Dennoch lassen sich auch Parallelen zwischen beiden Migrationsgruppen ausmachen. Die Frage der Verortung lässt sich auch für Binnenmigrantinnen und –migranten nicht einfach beantworten. Auch sie werden häufig mit der Frage konfrontiert, ob sie denn wieder nach Hause zurückkehren. Anerkennung als gleichwertiges Mitglied einer Gruppe zu erhalten ist auch für Binnenmigranten nicht einfach. Meine eigene Erfahrung zeigt, dass ich mittlerweile in meinem Herkunftsdort als „die Bayerin“ gelte, während ich in Bayern vielleicht für immer „die Preußin“ bleibe. Meine Selbst-

34 35

Ebd. Vgl. Janert, Josefine, Deutschlandmüde. In: Psychologie Heute. Band 34, Nr. 8. Weinheim: Beltz Verlag 2007: S. 46-52 269

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positionierung deckt sich mit den Positionierungen einiger Befragter, wenn ich mich nach mehr als acht Jahren in der bayerischen Landeshauptstadt als „Münchnerin“ verstehe. Akzeptanz dafür erhalte ich aber nur von denjenigen, die selber nicht in München geboren wurden. Die Frage der Verortung stellt sich also für Transmigrantinnen und -migranten in besonderer Weise, zumal wenn sie ohne ihre Familie in die Bundesrepublik gekommen sind, mit dieser Problematik konfrontiert werden aber auch Binnenmigrantinnen und -migranten. Auch die Aufnahme von Kontakten zu Einheimischen stellt sich für diejenigen, die innerhalb einer Nation den Lebensort wechseln. In großstädtischen Kontexten finden in Vereinen oder am Arbeitsplatz meist nur lose Unterhaltungen statt, die Aufnahme von wirklichen Kontakten ist jedoch schwierig, während auf dem Land Zugehörigkeit – wenn überhaupt – nur durch die Mitgliedschaft in diversen Vereinen (Schützenverein, freiwillige Feuerwehr, Frauengemeinschaft) möglich ist. Und selbst dann müssen die „Zugezogenen“ mit Widerständen rechnen. Im Rahmen der globalisierten und urbanisierten Welt stellt sich die Frage, ob sich diese Schwierigkeiten in Zukunft auflösen werden, wenn wir verstärkt eine „Welt der Wanderungen“ erleben. Es könnte sein, dass Verortung einfacher wird, weil sich fast jeder in seinem Leben immer wieder neu verorten muss und die Frage „Woher kommst Du und wohin gehst Du“ kein zentraler Aspekt für Zugehörigkeit mehr sein wird. Davon würden neben den Binnenmigrantinnen und -migranten auch die von mir befragten Menschen profitieren. Folgende Hypothesen ergeben sich hier zusammenfassend: • Migration wird weiter zunehmen und zu einem normalen Faktor in den Biographien werden, dies erleichtert die Migrationsprozesse der Transmigrantinnen und -migranten • Zugehörigkeiten werden weiter verschwimmen, eventuell entstehen auf diese Weise neue Solidaritäten zwischen den Wandernden • Durch alltägliche Migrationserfahrungen wird es einfacher werden, sich in verschiedenen Räumen zu verorten • Dem freiwilligen Engagement kann dabei eine bedeutende Rolle zukommen, da man sich immer dort engagiert, wo man lebt und dadurch Zugehörigkeit und Anerkennung erfahren kann. Aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in unterschiedlichen Räumen wird auf diese Weise möglich

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Zusa mme nfass ung

Zur Untersuchung der Identitätsentwicklung engagierter Migrantinnen und Migranten in Deutschland wurden über 20 freiwillig tätige Personen unterschiedlicher Herkunft zu ihren Erfahrungen und Einstellungen befragt. Davon wurden 14 Interviews ausgewählt und analysiert. Ziel der Forschung war es, ein differenziertes Bild über Menschen ausländischer Herkunft zu erhalten, die sich in Deutschland für die Mehrheitsgesellschaft engagieren. Die qualitative Erhebung wurde im Zeitraum von 2006 bis 2007 durchgeführt. Die Studie verfolgte dabei im Wesentlichen nachstehende Fragestellungen: • Welche Bedeutung hat das freiwillige Engagement für die Migrantinnen und Migranten? • Warum engagieren sie sich für Deutsche? • Welche Erfahrungen machen die Probanden im Umgang mit Institutionen und den von ihnen betreuten Personen? • Wie positionieren sich die Befragten gesellschaftlich? • Gelingt es, ein kohärentes Selbst zu entwickeln? Grundbedingung für die Interviewführung waren ausreichende Deutschkenntnisse der Engagierten. Der theoretische Hintergrund der Arbeit ergab sich aus drei verschiedenen Themenbereichen. Für die Aspekte des bürgerschaftlichen Engagements wurden grundlegend die Ergebnisse der letzten Freiwilligensurveys verwendet, für den Themenbereich der Identitätsentwicklung die aktuellen Forschungsergebnisse zur Hybrid- bzw. Patchworkidentität und für den Bereich der Migration wurden sowohl quantitative als auch qualitative Grundlagen aktueller Migrationsforschung als Ausgangsbasis für das Dissertationsprojekt herangezogen. Die Befragung der Untersuchungsteilnehmerinnen und -teilnehmer geschah mit Hilfe problemzentrierter Leitfadeninterviews. Die Auswertung erfolgte mit der Methode des Zirkulären Dekonstruierens nach Jaeggi und Faas. In Ergänzung zu dieser Analysemethode wurde in Einzelfäl-

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

len die Feinstrukturanalyse nach Froschauer/Luger/Oevermann angewandt. Auf diese Weise gelang es, auch Satzabbrüche oder schwierige Textpassagen zu analysieren. Nach der Erarbeitung der zentralen Kategorien wurde mit Hilfe des axialen Kodierens nach Strauss kodiert, um die Beziehungen zwischen einem Phänomen, den Ursachen und den Konsequenzen, dem Kontext und den Strategien zu verdeutlichen. Das wichtigste Ergebnis der Studie betrifft die Funktion des Engagements. Die Probanden nutzen den freiwilligen Einsatz, um sich in der deutschen Gesellschaft zu verorten. Sie stellen sich als selbstbewusste Personen dar, die sich nicht fremdpositionieren lassen wollen, sondern sich selber in der Mehrheitsgesellschaft positionieren möchten. Dabei lassen sich verschiedene Relevanzbereiche ausmachen: • Das Inklusionsbegehren zeigt sich vor allem in den Dimensionen „Zugehörigkeit“ und „Akzeptanz“. Neben den eigenen Werten und Grundhaltungen sowie der Einstellung zum Engagement ist das Erleben von Teilhabe und Integration entscheidend für das individuelle Inklusionsgefühl. Die von der Mehrheitsgesellschaft ausgehende Akzeptanz zeigt sich wesentlich durch die Anerkennung als gleichwertiger Bürger innerhalb und außerhalb des freiwilligen Einsatzes. • Die Selbstpositionierung als aktiver Migrant findet sowohl in den Netzwerken der Herkunftsgesellschaft als auch in den Bereichen des freiwilligen Engagements für Deutsche statt. Deutlich wird eine hohe Anpassungsbereitschaft an die deutsche Gesellschaft, die unter Umständen als Überanpassung gedeutet werden kann. • Die Identitätskonstruktionen weisen Hybridität auf, die teils freiwillig, teils erzwungen ist. Dabei ist sowohl die Haltung zum Aufnahmeland als auch die Haltung zur Aufnahmegesellschaft ambivalent. Heimat wird „zwischen den Welten“ gesehen. Es wurde gezeigt, welche Leistungen der engagierten Migrantinnen und Migranten mit dem Begehren nach Zugehörigkeit verbunden sind. Nicht alle von mir befragten Personen sind jedoch in der Lage, ihr Anliegen zu erreichen. Vor allem denjenigen, die erst kurze Zeit in Deutschland leben, fällt es schwer, sich trotz aller Bemühungen in der deutschen Gesellschaft zu verorten. Andere wiederum wählen bewusst die Verortung in verschiedenen Welten und scheinen dabei nicht im „Dazwischen“ gefangen zu sein, sondern sind vielmehr in der Lage, Ambivalenzen zu vereinbaren und ein kohärentes Selbst aufzubauen. Es zeigt sich, dass die Erfahrungswerte in bezug auf das bürgerschaftliche Engagement für die Mehrheitsgesellschaft sehr unterschiedlich sein können und von den jeweiligen Ausgangserwartungen der Migrantinnen und Migranten abhängig sind.

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ZUSAMMENFASSUNG

Auf der Basis der Ergebnisse der Studie werden Vorschläge zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements von Migrantinnen und Migranten in der Praxis, d.h. durch Vermittlungsagenturen und Einsatzstellen gemacht. So ist es wichtig, Einsatzfelder zu finden, in denen Sprachkompetenz nicht an erster Stelle steht, gleichzeitig ein Erlernen der deutschen Sprache aber erreichbar ist. Zudem ist es möglich, gesellschaftspolitische Rückschlüsse aus den Resultaten zu ziehen wie beispielsweise eine stärkere Beachtung des bürgerschaftlichen Engagements von Migrantinnen und Migranten für die deutsche Mehrheitsgesellschaft.

273

Epilog

… Karlstadt: Und was sind Einheimische? Valentin: Dem Einheimischen sind eigentlich die fremdesten Fremden nicht fremd. Der Einheimische kennt zwar den Fremden nicht, kennt aber am ersten Blick, dass es sich um einen Fremden handelt. Karlstadt: Wenn aber ein Fremder von einem Fremden eine Auskunft will? Valentin: Sehr einfach: Frägt ein Fremder in einer fremden Stadt einen Fremden um irgend etwas, was ihm fremd ist, so sagt der Fremde zu dem Fremden, das ist mir leider fremd, ich bin hier nämlich selbst fremd. … (Karl Valentin: Die Fremden)

275

Litera turverzeichnis

Transformationen des Wir-Gefühls. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbücher Wissenschaft, 1993. Migranten sind aktiv. Bonn: Bonner Universitätsdruckerei, 2003. Abels, Heinz: Interaktion, Identität, Präsentation. Wiesbaden: 4. Aufl. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007. Akhtar, Salman: Immigration und Identität. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2007. ANTONOVSKY, Aaron: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie dgvt Verlag 1997: S. 3435 Aronson, Elliot; Wilson, Timothy D; Akert, Robin M: Sozialpsychologie. München: Pearson, 2004. Badawia, Tarek: „Am Anfang ist man auf jeden Fall zwischen zwei Kulturen“ – Interkulturelle Bildung durch Identitätstransformation. In: Hamburger, Franz; Badawia, Tarek; Hummerich, Merle (Hg.): Migration und Bildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2005, S. 205-219 Bade, Klaus J.: Einführung: Das Eigene und das Fremde – Grenzerfahrungen in Geschichte und Gegenwart. München: Beck Verlag, 1992. Bade, Klaus J.: Paradoxon Bundesrepublik: Einwanderungssituation ohne Einwanderungsland. Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. München: Beck Verlag, 1992, S. 392-422 Bade, Klaus J.: Politik in der Einwanderungssituation: Migration – Integration – Minderheiten. Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. München: Beck Verlag, 1992, S. 442-455 Bade, Klaus; Bommes, Michael: Migration – Ethnizität – Konflikt. Erkenntnisprobleme und Beschreibungsnotstände: eine Einführung. In: Bade, Klaus (Hg.): Migration – Ethnizität – Konflikt: Systemfragen und Fallstudien. Osnabrück: Universitätsverlag Rasch, 1996, S. 11-40

277

INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

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INTEGRATION DURCH ENGAGEMENT?

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Jörg Gertel Globalisierte Nahrungskrisen Bruchzone Kairo Februar 2010, ca. 450 Seiten, kart., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1114-4

Sabine Hess, Jana Binder, Johannes Moser (Hg.) No integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa April 2009, 246 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-890-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur und soziale Praxis Hans-Walter Schmuhl (Hg.) Kulturrelativismus und Antirassismus Der Anthropologe Franz Boas (1858-1942) Juli 2009, 350 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1071-0

Martin Sökefeld (Hg.) Aleviten in Deutschland Identitätsprozesse einer Religionsgemeinschaft in der Diaspora 2008, 250 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-822-3

Arne Weidemann, Jürgen Straub, Steffi Nothnagel (Hg.) Wie lehrt man interkulturelle Kompetenz? Theorien, Methoden und Praxis in der Hochschulausbildung. Ein Handbuch Februar 2010, ca. 366 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1150-2

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Kultur und soziale Praxis Iman Attia Die »westliche Kultur« und ihr Anderes Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus Juni 2009, 186 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN 978-3-8376-1081-9

Wolfgang Gippert, Petra Götte, Elke Kleinau (Hg.) Transkulturalität Gender- und bildungshistorische Perspektiven 2008, 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-979-4

Jutta Aumüller Assimilation Kontroversen um ein migrationspolitisches Konzept

Martina Grimmig Goldene Tropen Zur Koproduktion natürlicher Ressourcen und kultureller Differenz in Guayana

Juni 2009, 278 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1236-3

März 2010, ca. 320 Seiten, kart., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-89942-751-6

Esther Baumgärtner Lokalität und kulturelle Heterogenität Selbstverortung und Identität in der multi-ethnischen Stadt

Serhat Karakayali Gespenster der Migration Zur Genealogie illegaler Einwanderung in der Bundesrepublik Deutschland

November 2009, 264 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1340-7

Jörg Becker Erdbeerpflücker, Spargelstecher, Erntehelfer Polnische Saisonarbeiter in Deutschland – temporäre Arbeitsmigration im neuen Europa Januar 2010, ca. 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-89942-946-6

Jonathan Everts Konsum und Multikulturalität im Stadtteil Eine sozialgeographische Analyse migrantengeführter Lebensmittelgeschäfte 2008, 240 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-866-7

2008, 296 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-895-7

Anika Keinz Polens Andere Verhandlungen von Geschlecht und Sexualität in Polen nach 1989 2008, 276 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1011-6

Kerstin Poehls Europa backstage Expertenwissen, Habitus und kulturelle Codes im Machtfeld der EU Juni 2009, 276 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1037-6

Alexandra Schwell Europa an der Oder Die Konstruktion europäischer Sicherheit an der deutschpolnischen Grenze 2008, 352 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-89942-970-1

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