Glas als Tragwerk: Entwurf und Konstruktion selbsttragender Hüllen 9783764382346, 9783764376079

Glass as primary supporting framework Flat glass opens up more possibilities for the planner than virtually any other

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Glas als Tragwerk: Entwurf und Konstruktion selbsttragender Hüllen
 9783764382346, 9783764376079

Table of contents :
Geleitwort
Vorwort und Dank
1 EINFÜHRUNG
2 GLÄSERNE SPANNWEITEN
2.1 VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE - DIE SUCHE NACH DEM PARADIES
Frühzeit und christliche Sakralarchitektur
Neuzeit
2.2 DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION
3 FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
3.1 WERKSTOFF GLAS - EIGENSCHAFTEN
Flachglas als Konstruktionsmaterial
Flachglas als Hüllmaterial
3.2 BASISGLAS - FLOATGLAS, WALZGLAS UND ZIEHGLAS
Herstellungsverfahren
Bedeutung für das Konstruieren
Bedeutung für die Raumhülle
3.3 DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS - SCHNEIDEN, BOHREN UND SCHLEIFEN
3.4 DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS - VORSPANNEN, EMAILLIEREN, BIEGEN UND STRUKTURIEREN
Thermisches Vorspannen
Emaillieren und Bedrucken von Glas
Thermisches Biegen von Glas
„Strukturieren" von Glas
3.5 DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS - VERBUND- UND VERBUNDSICHERHEITSGLAS
Herstellung und Fertigung
Bedeutung für das Konstruieren
Bedeutung für den Raumabschluss
3.6 ISOLIERGLÄSER - BESCHICHTEN DER SCHEIBE UND VERBINDEN DER RÄNDER
Oberflächenbeschichtungen
Aufbau eines Isolierglases
Bedeutung für das Konstruieren
Bedeutung für die Raumhülle
4 KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
4.1 KONSTRUIEREN MIT GLAS
Flachglas als Hüll- und Konstruktionselement
Fügetechnik
Nachweisverfahren
4.2 PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE
Verglasungsarten
Resttragfähigkeit von Platten
Fügetechniken
4.3 SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
Druckbeanspruchte Scheiben
Schubfelder
Stützen, Glasschwerter und Biegeträger
Resttragfähigkeit von Scheiben
Fügetechniken
5 FUNKTIONSTECHNISCHE ANFORDERUNGEN
5.1 ÜBERBLICK
Nutzungsprofile
5.2 SPEZIFISCHE ANFORDERUNGEN VON HÜLLGEOMETRIEN
Der Glashof - der ebene oder geneigte Raumabschluss
Das Glasband - der gekrümmte oder gefaltete Raumabschluss
Die Glasmitte - der doppelt gekrümmte Raumabschluss
6 GLASTRAGWERKE
6.1 TRAGSTRUKTURFORMEN VON FLACHGLAS
6.2 ENTWURFS- UND KONSTRUKTIONSPARAMETER
Tragwerksform
Geometrische Netzbildung
Redundanz: Sicherheit im nicht hierarchischen Tragwerk
Konstruktive Absicherung bei auf Druck ausgelegten Tragwerken
Elementierung und Fügungsebenen
6.3 TRAGSTRUKTUREN AUS GLAS
Stabtragwerke
Flächentragwerke
Zellentragwerke
7 PROJEKTE
7.1 TRAGSTRUKTUR - FORMEN VON FLACHGLAS
7.2 DER GLASHOF - EBENE TRAGSYSTEME
7.3 DAS GLASBAND - GEKRÜMMTE TRAGSYSTEME
7.4 DIE GLASMITTE - DOPPELT GEKRÜMMTE TRAGSYSTEME
8 AUSBLICK
ANHANG
LITERATURHINWEISE
BILDNACHWEIS
PARTNER

Citation preview

JAN WURM

GLAS ALS TRAGWERK ENTWURF UND KONSTRUKTION SELBST TRAGENDER HÜLLEN

Birkhäuser Basel ⋅ Boston ⋅ Berlin

Der Autor Jan Wurm arbeitet als Architekt, Designer und Projektmanager bei Arup Materials und Arup Facade Engineering in London.

w w w.arup.com

w w w.trosifol.com

w w w.dorma-glas.de

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch erscheint auch in einer englischen Sprachausgabe (ISBN 978-3-7643-7608-6).

© 2007 Birkhäuser Verlag AG Basel · Boston · Berlin Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Layoutkonzept + Umschlaggestaltung: Muriel Comby, Basel Layout und Satz: Continue AG Druck und Bindung: Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell Umschlagfoto: Arup ISBN 978-3-7643-7607-9 987654321 www.birkhauser.ch

Geleitwort von Graham Dodd

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Vorwort und Dank

6

1

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EINFÜHRUNG GL ÄSERNE SPANNWEITEN

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2.1

18

2.2

3

Frühzeit und christliche Sakralarchitektur

18

Neuzeit

22

DAS GL ASDACH : FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION

25

FL ACHGL AS ALS BAUSTOFF

33

3.1

WERKSTOFF GL AS – EIGENSCHAF TEN

34

Flachglas als Konstruktionsmaterial

36

Flachglas als Hüllmaterial

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3.2

BASISGL AS – FLOATGL AS, WAL ZGL AS UND ZIEHGL AS

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Herstellungsverfahren

46

Bedeutung für das Konstruieren

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Bedeutung für die Raumhülle

48

3.3

DIE MECHANISCHE BE ARBEITUNG VON GL AS – SCHNEIDEN, BOHREN UND SCHLEIFEN

49

3.4

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GL AS – VORSPANNEN, EMAILLIEREN, BIEGEN UND STRUKTURIEREN

54

3.5

3.6

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VON DER BL ÄT TERL AUBE ZUR KLIMAHÜLLE – DIE SUCHE NACH DEM PAR ADIES

Thermisches Vorspannen

54

Emaillieren und Bedrucken von Glas

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Thermisches Biegen von Glas

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„Strukturieren“ von Glas

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DAS FL ÄCHIGE FÜGEN VON GL AS – VERBUND - UND VERBUNDSICHERHEITSGL AS

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Herstellung und Fertigung

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Bedeutung für das Konstruieren

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Bedeutung für den Raumabschluss

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ISOLIERGL ÄSER – BESCHICHTEN DER SCHEIBE UND VERBINDEN DER R ÄNDER

72

Oberflächenbeschichtungen

72

Aufbau eines Isolierglases

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Bedeutung für das Konstruieren

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Bedeutung für die Raumhülle

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KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

83

4.1

KONSTRUIEREN MIT GL AS

84

Flachglas als Hüll- und Konstruktionselement

84

Fügetechnik

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Nachweisverfahren

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PL AT TENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE

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Verglasungsarten

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Resttragfähigkeit von Platten

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Fügetechniken

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4.2

4.3

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Druckbeanspruchte Scheiben

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Schubfelder

105

Stützen, Glasschwerter und Biegeträger

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Resttragfähigkeit von Scheiben

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Fügetechniken

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5.1

ÜBERBLICK

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Nutzungsprofile

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5.2

SPE ZIFISCHE ANFORDERUNGEN VON HÜLLGEOMETRIEN

128

Der Glashof – der ebene oder geneigte Raumabschluss

128

Das Glasband – der gekrümmte oder gefaltete Raumabschluss

130

Die Glasmitte – der doppelt gekrümmte Raumabschluss

132

GL ASTRAGWERKE

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6.1

TR AGSTRUKTURFORMEN VON FL ACHGL AS

138

ENT WURFS - UND KONSTRUKTIONSPAR AMETER

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Tragwerksform

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6.3

8

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FUNKTIONSTECHNISCHE ANFORDERUNGEN

6.2

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SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TR AGWERKEN

Geometrische Netzbildung

141

Redundanz: Sicherheit im nicht hierarchischen Tragwerk

144

Konstruktive Absicherung bei auf Druck ausgelegten Tragwerken

146

Elementierung und Fügungsebenen

148

TR AGSTRUKTUREN AUS GL AS

150

Stabtragwerke

152

Flächentragwerke

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Zellentragwerke

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PROJEKTE

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7.1

TR AGSTRUKTUR – FORMEN VON FL ACHGL AS

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7.2

DER GL ASHOF – EBENE TR AGSYSTEME

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7.3

DAS GL ASBAND – GEKRÜMMTE TR AGSYSTEME

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7.4

DIE GL ASMIT TE – D OPPELT GEKRÜMMTE TR AGSYSTEME

226

AUSBLICK

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ANHANG

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LITER ATURHINWEISE

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BILDNACHWEIS

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PARTNER

254

GELEIT WORT Der Einsatz von Glas als tragender Baustoff gewann erstmals in den

Dieses Buch präsentiert neben den Forschungsprojekten auch

1990er-Jahren an Bedeutung. Ausschlaggebend dafür waren nicht

eine Auswahl an ausgeführten Werken und fasst die wichtigsten Er-

zuletzt richtungsweisende Publikationen: Neben den Veröffentli-

gebnisse von Jan Wurms Forschung zusammen:

chungen von Rice, Francis und Ritchie, die mit ihrem Werk „Le Verre

Die Herstellungs- und Verarbeitungsmethoden von Glas schaffen

Structurel“ (Paris, 1990) das Potenzial von Glas als Baustoff in der

ein Material mit einer Reihe von technischen und physikalischen Ei-

modernen Architektur erforschten, trug die Glasindustrie mit „Glass in

genschaften in verschiedenen Formen und Größen; je nach Entwurf

Building“ (Oxford/Boston, 1993) von David Button und Brian Pye da-

ergeben sich aus der Verbindung der Glaselemente in der gewählten

zu bei, die Rolle von Glas im Bauwesen zu entmystifizieren. Einen

Geometrie konstruktive Potenziale; durch die Verbindung der kons-

umfassenden Überblick über die Technologie und Bedeutung von

truktiven und physikalischen Möglichkeiten entstehen in synerge-

Glas in der zeitgenössischen Architektur liefert schließlich Michael

tischer Weise einzigartige Räume.

Wigginton mit „Glass in Architecture“ (London, 1996).

Neben einem vollständigen Überblick über die aktuellen Herstel-

In der Folge entstanden zahlreiche Untersuchungen und Publika-

lungsprozesse und der daraus resultierenden Materialeigenschaften

tionen, die die Konstruktionen im wachsenden Bereich der tragenden

liefert der Autor eine systematische Klassifizierung von faszinierenden

Glaskonstruktionen detailliert analysierten. Parallel dazu forcierte, auf-

Glashüllen und eine Tragwerkstypologie, die sich von Beispielen der

bauend auf den gesammelten Erfahrungen, eine kleine aber wach-

klassischen Architekturgeschichte bis hin zu aktuellen Projekten er-

sende Gruppe von Architekten und Ingenieuren das Bauen mit Glas

streckt. Jan Wurm veranschaulicht mit diesem Buch, welches Poten-

bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

zial der Baustoff Glas zukünftig bietet.

Als Jan Wurm zu uns in das „Glas-Team“ im Londoner Büro von Arup kam, war er gerade dabei, diese Forschungsarbeit über Glastragwerke abzuschließen. Seine Arbeit hat mich sofort beeindruckt, weil sie Entwicklungen herausarbeitet, die lange vor der neueren Auseinandersetzung mit dem konstruktiven Glasbau begonnen haben und die gleichzeitig, in Weiterführung der aktuellen Tendenzen, spannende Perspektiven aufzeigen. Im Zuge seiner Tätigkeit hat Jan Wurm mit seinen Studenten zahlreiche Prototypen entworfen und bis hin zum Maßstab 1:1 realisiert. Mit diesen Experimenten hat er den Einsatz von Glas als tragendem Baustoff sowohl im Entwurf, als auch in der Umsetzung erforscht. Seine Entwürfe stellen gültige Erkenntnisse nicht in Frage; im Gegenteil, sie sind Ergebnis einer logischen Analyse der Geometrie selbst tragender Hüllen und basieren auf einem tieferen Verständnis für die Anforderungen an Stabilität, Widerstandsfähigkeit und Realisierbarkeit, die ein Tragwerk zu erfüllen hat.

Graham Dodd, Arup, London, im Mai 2007

VORWORT UND DANK

1

1–3

Visualisierung des veränderten Berufsbildes von Architekt und Ingenieur: Die Fäden symbolisieren die mit dem Bauen verbundenen Entscheidungsprozesse und deren Farbe die Zugehörigkeiten zu funktionalen, konstruktiven und gestalterischen Fragestellungen.

1

Die wachsende Komplexität und Technisierung des Bauens stellt heute die alleinige Entscheidungskompetenz des Planers als Generalist in Frage.

2

Das Hinzuziehen von Fachplanern ermöglicht das Bündeln von Entscheidungsprozessen innerhalb begrenzter Zuständigkeiten. Das integrale Planen

2

erfordert dabei eine intensive Abstimmung zwischen den Fachplanern, um die Bauaufgabe als Synthese von funktionalen, konstruktiven und gestalterischen Fragestellungen lösen zu können. 3

Die Entwicklung von neuen, „kreativen“ Lösungsansätzen bedarf der übergeordneten thematischen Koordination von Entscheidungsprozessen durch „spezialisierte Generalisten“. Eine Möglichkeit bietet die Auseinandersetzung mit den funktionalen, konstruktiven und gestalterischen Fragestellungen der unterschiedlichen Baumaterialien als „Grammatik der Werkstoffe“. 3

VORWORT UND DANK

tät und die notwendige Spezialisierung von Bauphysiker, Glasstatiker, Brandschutzsachverständiger etc. erschwert. Im Gegensatz zu dem

„Was der Tragwerkplaner als Traggerüst versteht, begreift der Architekt

Stahl-, Holz- oder Betonbau haben sich so keine spezifischen Struk-

als Skulptur – selbstverständlich ist es beides.“

turformen von Glastragwerken entwickelt. [2]

– Ove Arup

Dieses Buch will mit der Entwicklung einer Entwurfs- und Konstruktionsmethodik für Flachglas diese Lücke in der Bauforschung

Jedes Material besitzt aufgrund seiner geometrischen Erscheinungs-

schließen. Im Mittelpunkt steht das druckfeste flächige Tragelement,

form, seiner mechanischen, bauphysikalischen und optischen Quali-

universelles Hüllmaterial und vielfältig leuchtende Fläche, als elemen-

täten eine charakteristische Eignung als Tragelement, Raumabschluss

tarer Baustein für weit gespannte Tragstrukturen. Die in dem Buch

oder Gestaltungsmittel. Innerhalb dieser von Anette Gigon bezeichne-

enthaltenen technischen Empfehlungen reflektieren den aktuellen

ten Grammatik der Werkstoffe eröffnet kein anderes Material dem Pla-

Stand der Technik, bedürfen aber ausdrücklich der expliziten Abstim-

ner so umfassende Möglichkeiten wie Flachglas, das in zunehmendem

mung durch die verantwortlichen Fachplaner mit den geltenden und

Maße unsere gebaute Umwelt prägt. [1]

aktuellen Gesetzen, Vorschriften und Normen des jeweiligen Landes. Autor und Verlag können in keiner Weise für den Entwurf, die Planung oder die Ausführung von fehlerhaften Glaskonstruktionen haftbar ge-

Aspekten, wird im Glasbau heute durch die technologische Komplexi-

macht werden.

6

Die traditionelle Genese von Material und architektonischer Form, die Verzahnung von konstruktiven, funktionalen und gestalterischen

VORWORT UND DANK 4

An Entwurf, Planung und Realisierung beteiligte Mitarbeiter und Studenten nach Fertigstellung des Tetra-Glasbogens (2000)

4

Ich danke allen, die mich auf den verschiedenen Stationen dieses

haben. Ich möchte meinen Kollegen Graham Dodd und Bruno Miglio

Buches geführt, begleitet und unterstützt haben. Der größte Dank ge-

bei Arup danken, die mir die Möglichkeit für die Überarbeitung des

bührt Prof. Dr.-Ing. Wilfried Führer für die intensive und immer positive

Manuskriptes gegeben haben.

Unterstützung während meiner wissenschaftlichen Ausbildung und

Mein besonderer Dank gilt den Mitarbeitern und Freunden im

meinem fachlichen Lotsen Prof. Dr.-Ing. Ulrich Knaack. Ich danke

Lehrstuhl Philipp Berninger, Britta Harnacke, Ron Heiringhoff, Maren

meinen ehemaligen Kollegen Dr.-Ing. Rolf Gerhardt, Dr.-Ing. Katharina

Krämer, Alex Kruse, Stefan Steffesmies, Julia Wehrs und insbesonde-

Leitner, Dr.-Ing. Helmut Hachul, Dipl.-Ing. Thorsten Weimar und Dipl.-

re Ralf Herkrath, die entscheidend zu der erfolgreichen Fertigstellung

Ing. Jochen Dahlhausen für die fachlichen Anregungen und die tat-

der Arbeit beigetragen haben. Für die persönliche Unterstützung, aber

kräftige Hilfe. Ebenso bedanke ich mich bei Prof. Alan Brookes und

auch die inhaltliche und sprachliche Korrektur der Arbeit darf ich mich

Prof. Dr. Ir. Mick Eekhout für die wertvollen Erfahrungen während

von ganzem Herzen bei meinen Eltern Charlotte und Johann Peter

meines Forschungsaufenthaltes an der TU Delft im Jahr 2002 und bei

bedanken sowie bei Anke Naujokat, Andres Tönnesmann und vor

Prof. Dr. Phil. Andreas Beyer, Prof. Dr. rer. nat. Reinhard Conradt und

allem bei Silke Flaßnöcker und meinem Baldachin aus Seide. Mein

Prof. Dipl.-Ing. Jochen Neukäter für ihre hilfreichen Anmerkungen.

abschließender Dank gehört allen Studentinnen und Studenten, die

Ich danke allen Unternehmen und meinen direkten Ansprechpart-

mit großer Einsatzbereitschaft an den Projekten mitgewirkt haben. 7

nern, die durch umfangreiches Sponsoring die Umsetzung meiner Forschungsprojekte und die Drucklegung dieses Buches ermöglicht

Jan Wurm, im März 2007

– – – – –

1

9

EINFÜHRUNG

EINFÜHRUNG

1

1 Glaslinsen im kuppelgewölbten Dampfsaal des Hammam „Al Bascha“, 18. Jahrhundert, Akko, Israel 2 Palmenhaus in Kew Gardens, London, 1845 – 48, Arch.: D. Burton, Ing.: R. Turner

10

1

2

Flachglas wird seit etwa 2000 Jahren als Raumabschluss verwendet

lierten klimatischen Bedingungen aufzuziehen, entdeckten sie im Ge-

und gehört zu den ältesten künstlichen Baustoffen überhaupt. Auf-

wächshaus ein ideales Experimentierfeld für die neuen Baumaterialien

grund der anhaltenden Verbesserung seiner Herstellungs- und Ver-

Eisen und Glas. Um das einfallende Sonnenlicht bestmöglich zu nut-

edelungsmethoden stellt Glas heute aber auch eines der modernsten

zen, reduzierten sie den Anteil von Guss- und Schmiedeeisen und

Baumaterialien dar, das wie kein anderes das Erscheinungsbild un-

entwickelten frei stehende Hüllen mit gewölbten und gefalteten Glas-

serer Architektur prägt. Indem diesem Baustoff nahezu alle Aufgaben

dächern. Der aussteifenden Eindeckung mit kleinteiligen in Kitt gebet-

einer modernen Gebäudehülle übertragen werden konnten, wurde der

teten Glasschindeln verdankten die filigranen Strukturen aus Schmie-

Widerspruch im Grundbedürfnis nach Schutz vor der Außenwelt bei

deeisen maßgeblich ihre Stabilität. Mit einer eher intuitiven Vermei-

gleichzeitiger Öffnung zum Licht überwunden und dem Menschen da-

dung von Zugbeanspruchungen im Glas entstanden Faltwerke und

mit der Bau einer Unterkunft ermöglicht, die „ihn schützt, ohne ihn zu

Schalen, bei denen das eiserne Skelett mit der gläsernen Haut kons-

begraben“. [1/1]

truktiv und funktional eine Einheit bildete. Auch heute noch beein-

Die Wurzeln des modernen Glasbaus reichen zurück zu den eng-

druckt die Ästhetik dieser Konstruktionen, die Glas erstmals als flä-

lischen Gewächshauskonstruktionen des frühen 19. Jahrhunderts.

chiges Tragelement verwendeten, aufgrund der Synthese von Material,

Die Pioniere waren Gärtner und Gartenbauunternehmer wie Claudius

Form, Konstruktion und Zweck. [1/2]

Loudon (1783 – 1843) oder Joseph Paxton (1803 – 1865). Indem sie

Die Bedeutung der Gewächshäuser des 19. Jahrhunderts kann in

dem wachsenden Wunsch folgten, exotische Pflanzen unter kontrol-

ihrer Vorreiterrolle für die Entwicklung des Glasbaus kaum überschätzt

EINFÜHRUNG 4

5

3 Halle au Blé (heute: Bourse du Commerce), Paris, 1806 – 1811, erste Eisengitterkuppel der Welt, Arch.: F. J. Bélanger, Ing.: F. Brunet 4 Palmenhaus Bicton Gardens, um 1843, Arch.: D. & E. Bailey nach Plänen C. Loudons 5 Großes Gewächshaus von Chatsworth als ridge-and-furrow-Verglasung, 1840 (1920 abgerissen), Arch.: J. Paxton

werden. Die Erfahrung im Umgang mit den neuen Baustoffen war eine

den zum Credo eines „modernen“ Stils, der die Grenze zwischen Innen

wesentliche Voraussetzung für den späteren Bau großer Bahnhofshal-

und Außen aufzuheben sucht und mit den traditionellen Vorstellungen

len und Passagen. Diese Glas- und Eisenkonstruktionen waren reine

von Raumorganisation gebrochen hat. In den wachsenden Fenster-

Ingenieurbauten, und mit den fortschreitenden Erkenntnissen der

und Verglasungsflächen spiegelt sich nicht nur Zweckmäßigkeit in dem

Baustatik folgte die Formfindung verstärkt den sich entwickelnden Re-

Wunsch, den Innenraum besser mit natürlichem Tageslicht zu versor-

geln des Skelettbaus. Die sich vollziehende Trennung von Hülle und

gen, sondern zunehmend auch eine abstrakt-ästhetische Überhöhung

Tragwerk war zwar begleitet von Fortschritten in der Glastechnologie,

des transparenten Materials. Der von Le Corbusier ausgerufene „Kampf

die sich in einer Steigerung der Scheibenformate und Verbesserung

zwischen dem Bedürfnis nach Licht und den Beschränkungen, die

der Qualität äußerte, aber Glas hatte als bloße Eindeckung gegen Mit-

Baumaterial und Konstruktionsmethoden auferlegen“, nimmt die im

te des 19. Jahrhunderts seine konstruktive Bedeutung fast völlig ver-

Laufe des 20. Jahrhunderts immer stärker werdende, gemeinsame An-

loren. Das ingenieurtechnische Interesse hatte sich auf die Reduzie-

strengung von Architekten und Ingenieuren vorweg, die Fassaden-

rung des tragenden Stabwerks verlagert.

konstruktionen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Gegen Ende

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkennt eine junge Generation

des 20. Jahrhunderts erhält der Gewinn an Transparenz durch den

von Architekten auch das gestalterische Potenzial der neuen Kons-

„unsichtbaren“ Baustoff Glas verstärkt einen dogmatischen Charakter

truktionsweise. Die Weite und Lichtfülle glasgedeckter Hallen, die Äs-

als Symbol für „Offenheit“, „Demokratie“ und „Fortschrittlichkeit“, und

thetik der durchleuchteten und orthogonal gegliederten Flächen wer-

das ursprünglich Pragmatische des Begriffs geht verloren.

11

1

3

EINFÜHRUNG

6

6 Glas und Transparenz, Reichstagskuppel Berlin, 1998, Arch.: Foster and Partners, Ing.: Leonhardt, Andrä und Partner 7 Hofüberdachung Sony Plaza Berlin, 1998, Arch.: H. Jahn, Ing.: Arup Die Textilsegel unterhalb der Glaskonstruktion dienen dem Wetter-, Blend- und Schallschutz.

12

1

7

Mit der stetigen Zunahme des Verglasungsanteils bis zur Ganzglashül-

Projekte lag. Heute werden Glasflächen als Windschwerter, Träger, Stüt-

le kollidiert die gewünschte Transparenz immer stärker mit den Anfor-

zen oder Druckspreizen in filigrane Tragstrukturen aus Stahl integriert,

derungen der Bauphysik. Große Verglasungsflächen schaffen zusätz-

vor allem mit dem Ziel, eine größtmögliche Auflösung der Hüllstruktur

liche Wärmeverluste im Winter, aber auch Energiegewinne im Som-

zu erreichen. So werden die Konstruktionsprinzipien des Skelettbaus

mer, bis hin zur Gefahr der Überhitzung. Selbst bei der Anwendung

für Glastragwerke übernommen, obwohl die Materialien sich in ihren

heutiger, hoch selektiver Beschichtungen gelangt im Sommer noch so

Eigenschaften grundlegend unterscheiden. Am deutlichsten zeigt sich

viel Energie in den Innenraum, dass „gläserne Schwitzkästen“ sich

die dank des technologischen Fortschritts mögliche „Beherrschung“

häufig nur mit aufwendigen Klimakonzepten vermeiden lassen. Auch

des spröden Materials Glas in der großen Angebotspalette an punktför-

das nachträgliche Aufrüsten der Haustechnik zur Steuerung des Ge-

migen Verbindungselementen für Glasbauteile. [1/3] Der Glasbau ist

bäudeklimas kann die Zweifel am Sinn solcher Glashäuser kaum aus-

heute so stark geprägt von der Tektonik des Stahlbaus, dass er noch

räumen.

keine eigene Formensprache finden konnte.

Seine Bedeutung als Konstruktionsmaterial hat Glas heute dank der

Die dynamische Entwicklung transparenter Hüll- und Konstrukti-

Suche nach gesteigerter Transparenz wieder erlangt. Die Initiative für

onssysteme hin zu den lichtdurchfluteten Räumen, die unser öffent-

die lange vernachlässigte Erforschung der konstruktiven Eigenschaften

liches Leben prägen, den Hallen der Flughäfen und Bahnhöfe, den

des Materials Glas ging von Stahlbauinstituten und -unternehmen aus,

Sport- und Freizeitarenen, den Ausstellungshallen, Einkaufspassagen

in deren Hand auch die Planung und Ausführung erster experimenteller

und Atriumhäusern der Innenstädte, scheint gegenwärtig zu einem

EINFÜHRUNG 9

10

8 Vordachkonstruktion aus „darstellenden“ Polycarbonatplatten am Ricola Lagerhaus, Mulhouse, 1993, Arch.: Herzog und de Meuron 9 Glas und Transluzenz, Schubert Club Band Shell, Saint Paul (USA), 2002, Arch.: James Carpenter Design Associates (JCDA) 10 Dichroitisch beschichtete Gläser bilden eine räumliche Tragstruktur. Glasskulptur „Refractive Tensegrity Rings“, Flughafen München, 1992, Arch.: James Carpenter Design Associates (JCDA)

gewissen Abschluss gekommen zu sein, und es stellt sich die Frage

hülle zu sehen und als sichtbaren „Filter“ einzusetzen. Das große Po-

nach der zukünftigen Bedeutung des konstruktiven Glasbaus. [1/4]

tenzial des konstruktiven Glasbaus, nicht nur Transparenz zu fördern,

Es ist festzustellen, dass die „Stofflichkeit“ des Materials als neue

sondern auch die Lebendigkeit reflektierender Oberflächen und die

Qualität verstärkt in den Vordergrund tritt. Zeitgenössische Arbeiten

Präsenz eines farbig absorbierenden Baukörpers einzusetzen, kommt

entwickeln ein Materialverständnis, das bereits im frühen 20. Jahr-

in Arbeiten des New Yorker Architekten und Designers James Carpen-

hundert in den Projekten der „Gläsernen Kette“ und in frühen expres-

ter besonders deutlich zum Ausdruck _ Abb. 9, 10. [1/6]

sionistischen Arbeiten Mies van der Rohes zum Ausdruck kam. Archi-

Im modernen Glasbau treffen sich zunehmend zwei Entwicklungs-

tekten wie Herzog und de Meuron oder Bernard Tschumi begreifen

tendenzen: die angesprochene neue Ästhetik der Stofflichkeit des Ma-

die Transparenz von Glas als einen veränderlichen Zustand und beto-

terials einerseits und die Hinwendung zu einer Konstruktionsform an-

nen durch gezielte Spiegeleffekte, Farbgebungen und diffuse Streu-

dererseits, die Glas als flächiges Tragelement und nicht mehr als

ung die Vielfalt und Sinnlichkeit des Materials: „In diesem Moment ist

Substitut für linienförmige Träger und Stützen aus Stahl begreift. Flä-

es durchsichtig, im nächsten reflektiert es, um in der darauf folgenden

chentragwerke stellen eine Einheit aus Gebäudehülle und Tragwerk

Minute halbdurchlässig zu werden.“ [1/5] Das Verständnis von Glas als

dar und sind, wie eingangs erwähnt, schon in den englischen Ge-

wahrnehmbare, optisch veränderbare Grenzfläche zwischen Innen

wächshäusern des 19. Jahrhunderts angewandt worden, aber ihre be-

und Außen lädt dazu ein, die Transparenz des Glases bewusst in

sondere Eignung für moderne Glaskonstruktionen wird erst heute wie-

Wechselbeziehung zu den bauphysikalischen Aspekten der Gebäude-

der entdeckt. Sie sind wesentlich toleranter gegenüber dem spröden

13

1

8

EINFÜHRUNG

11

12

11 Glas als tragendes, schützendes und darstellendes Element: Prototyp für ein räumliches Flächentragwerk aus Glas, Tetra-Glasbogen, 2000, Planung: Wilfried Führer und Jan Wurm, Lehrstuhl für Tragkonstruktionen, RWTH Aachen 12 Entwurfsprojekt zu einer Bahnsteigüberdachung, Entwurf: Christof Schlaich und James Wong, Lehrstuhl für Tragkonstruktionen, RWTH Aachen 13 Ansätze für Strukturformen im Glasbau: Glasscheiben ersetzen stabförmige Tragelemente, Tonnenschale aus Glas mit einer Spannweite von 14 m, Maximilianmuseum Augsburg, 2000, Entwurf

14

1

und Planung: Ludwig und Weiler Ingenieure 13

Baustoff Glas, weil sie den Kraftfluss viel gleichmäßiger zu verteilen

nalen, der konstruktiven, der technischen und der gestalterischen

gestatten, als dies in Skelettkonstruktionen die Regel ist. Curt Siegel

Planungen führen dazu, dass für jede Bauaufgabe eine neue Gewich-

beschreibt Flächentragwerke auch als Strukturformen, die sich als

tung von Hüll- und Tragwerkgeometrie vorgenommen werden muss.

Einheit aus den Möglichkeiten des Baumaterials, den konstruktiven

Nur in direkter Auseinandersetzung mit einer konkreten Planungsauf-

und nutzungsspezifischen Rahmenbedingungen der Bauaufgabe und

gabe und in intensiver Zusammenarbeit zwischen Architekt, Ingenieur

dem Gestaltungswillen des Planers entwickeln. [1/7, 1/8] Oder, um mit

und Fachplaner kann eine solche Synthese gelingen. [1/10] Da es

Vitruv zu sprechen, Strukturformen sind das Resultat eines schöpfe-

Strukturformen des Glasbaus bislang nur in Ansätzen gibt, kann man

rischen Prozesses des Architekten oder Ingenieurs, das die grundle-

sich einer spezifischen Formensprache für Glastragwerke aktuell nur

genden Eigenschaften der Zweckmäßigkeit (utilitas), Festigkeit (firmi-

durch einen experimentellen Zugang annähern. Neben aktuellen Pro-

tas) und Schönheit (venustas) in sich vereint. [1/9 ]

jekten renommierter Architekten und Ingenieure werden daher auch

Mit diesem Buch sollen deshalb neue Wege zu Strukturformen für

Fallbeispiele und Prototypen vorgestellt, die der Autor gemeinsam mit

den heutigen Glasbau von weittragenden Hüll- und Dachtragwerken

Studenten und mit Unterstützung der Industrie entwickelt hat. Die

aufgezeigt werden. Dabei sollen die großen Fortschritte im Umgang

Projekte verfolgen das Ziel, durch experimentelles Konstruieren, Pla-

mit dem Werkstoff Glas auf die für Flächentragwerke geeigneten Kons-

nen und Gestalten den notwendigen integralen Entwurfsansatz im

truktionsprinzipien und gestalterischen Möglichkeiten übertragen wer-

Glasbau zu stärken. Mit den vorgestellten Bausystemen soll neben

den. Die häufig widersprüchlichen Anforderungen seitens der funktio-

einer materialgerechten Verwendung des Baustoffes auch gezeigt

EINFÜHRUNG

Mensch

Raumform

Kapitel 2 + 5

Bedürfnisse

Glasdach

Strukturform

Kapitel 7

Raumformen

Glashof

Glasband

Glasmitte

15

Funktion

Gestalt

SF Tragsystem

Konstruktionsformen

Kapitel 3 + 4

Kapitel 6

Konstruktionsformen

Konstruktion F

K

G 16

Eigenschaften

Glas

14 Inhaltsübersicht 15 Entwurfsworkshop im Seminar „Glasbau Konzept und Konstruktion“

Material 16 Die Strukturform (SF) als Synthese von konstruktiven, funktionalen und gestalterischen Qualitäten

1

14

werden, wie sich Tragwerkselemente zur Steuerung des Raumklimas

onen und experimenteller Projekte in Kapitel 7 stellt die große Band-

einsetzen lassen. Mit diesem Ansatz sollen eine Formensprache und

breite möglicher Strukturformen anschaulich dar. Kapitel 8 schließt

eine ästhetische Qualität sichtbar werden, die auf der Poesie tra-

das Buch mit einem Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Per-

gender, raumbildender und leuchtender Flächen beruht.

spektiven ab _ Abb. 14.

Im zweiten Kapitel werden deshalb zunächst nochmals die Zusammenhänge von Form, Funktion und Konstruktion von Dachtragwerken ins Gedächtnis gerufen. Die fachlichen Grundlagen werden in den folgenden Kapiteln systematisch aufgebaut: Die Eigenschaften des Werkstoffs einschließlich der Bearbeitungs- und Veredelungsmethoden werden in Kapitel 3 erläutert. Für die Verwendung von Flachglas als raum- und strukturbildendes Element werden in Kapitel 4 die Prinzipien einer materialgerechten Fügetechnik und Konstruktion vorgestellt. In Kapitel 5 und 6 werden die Rückschlüsse aus den Materiserner Hüllen beziehungsweise die Konstruktionsprinzipien der Flächenbauweise formuliert. Die Vorstellung ausgeführter Glaskonstrukti-

15

aleigenschaften auf die funktionstechnischen Anforderungen glä-

– – – – –

2

17

GL ÄSERNE SPANNWEITEN

VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN

1

2

3

1 – 3 Entwicklungsschritte 1 Gartenarchitektur, Wales 2 Ornamentik des Blätterdaches, Kreuzgang Gloucester, ca. 1360 – 1370 3 Projekt Ganzglastonne, 2000

2.1

4 Das Blätterdach

_

Die Entwicklung der Eisenskelettkonstruktion bildet die technische

_

und ökonomische Voraussetzung für den Bau der ersten gläsernen

_

Dachtragwerke im 19. Jahrhundert. [2.1/1] Kaum weniger bedeutsam für die Auflösung der Deckenkonstruk-

_ _

2.1

tion, bisher allerdings kaum beachtet, sind kulturelle und religiöse Vor-

VON DER BL ÄT TERL AUBE ZUR KLIMAHÜLLE

gaben, die wir hier unter dem Begriff „Paradiessehnsucht“ zusam-

– DIE SUCHE NACH DEM PARADIES

menfassen. In säkularisierter Form offenbart sich darin der Mensch-

18

heitstraum, in Harmonie mit der natürlichen Umwelt, von allen feind„Es liegt ein wunderbarer Reiz darin, mitten im Winter die Fenster eines

lichen Bedrohungen beschützt, in einer Art Garten Eden zu leben.

Salons öffnen zu können und […] einen milden, balsamischen Früh-

Schon lange bevor im 19. Jahrhundert die konstruktiven Mittel bereit-

lingshauch zu fühlen. Es regnet vielleicht draußen, oder der Schnee

standen, das trennende Dach zur Natur wenigstens optisch zu öffnen,

fällt vom schwarzen Himmel in stillen Flocken herab, man öffnet die

wurde die ersehnte Auflösung der Dachkonstruktion im Sakralbau mit

Glastüre und findet sich in einem irdischen Paradiese, das des Winter-

symbolischen und ästhetischen Mitteln suggeriert. Obwohl ohne di-

schauers spottet.“

rekten Bezug zum eigentlichen Glasbau, sind diese frühen Bestrebun-

Bericht über einen Wintergarten der Prinzessin Mathilde von Bonaparte, Paris 1869

gen einer „Öffnung zum Himmel“ heute noch nachzuvollziehen. Derzeit steht bei der Weiterentwicklung des Glasdachs vor allem die An-

VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN

5

6

5 Das „erste Haus“ nach Viollet-le-Duc 6 Schmiedeeiserne Laube in Noyers, Burgund, 19. Jahrhundert 7 „Künstliches“ Blätterdach: Estação Oriente, Lissabon, 1998, Arch.: Santiago Calatrava

2.1

7

passung des Mikroklimas im Innenraum an eine natürlich empfunde-

sung als Dachkonstruktion aus zusammengebundenem Ast- und

ne, ideale Behaglichkeit im Vordergrund.

Blattwerk

_ Abb. 5

. Diese Vorstellungen der Architekturtheoretiker

entsprechen zumindest zum Teil der Wahrheit. Im fruchtbaren ZweiFRÜHZEIT UND CHRISTLICHE SAKR AL ARCHITEKTUR _

DIE LAUBE

stromland Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris, das aufgrund der günstigen klimatischen Verhältnisse als Wiege unserer Kultur und

Das Motiv der paradiesischen Naturerfahrung kommt in dem gebauten

als Ort des Gartens Eden gilt, bestanden die ursprünglichen Behau-

Gartenraum der Laube, einem mit Kletterpflanzen bewachsenen Ge-

sungen tatsächlich „aus zusammengebogenen, in den Boden ge-

rüst, zum Ausdruck. Das Blätterdach der Laube bietet dem Innen-

rammten Stecken“ mit füllendem Laub oder Schilf. [2.1/3]

raum Schutz vor Regen, Wind und Sonne, es ist aber auch lichtdurch-

Auch heute noch löst das Verweilen unter dem abschattenden

lässig und erfüllt damit als Urform des allseitigen Oberlichts die grund-

Blätterdach hoher, von der Sonne beschienener und von einer leich-

legenden Bedürfnisse des Menschen.

ten Brise bewegter Laubbäume ein so hohes Maß an Wohlbefinden

Hans Teubner schreibt, dass „die Laube fast immer mit Vorstellungen vom Paradies […] verknüpft war“, wie etwa beim jüdischen Laub-

aus, wie es auch in bestens klimatisierten und beleuchteten Innenräumen nur selten anzutreffen ist.

mit dem Ursprung der Architektur in Verbindung gebracht: Vitruv, Laugier und Viollet-le-Duc beschreiben die erste menschliche Behau-

19

hüttenfest, das den Auszug aus Ägypten feiert. [2.1/2] Die Laube wird

VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN

8

9

8 Blick in den durchbrochenen Turmhelm des Freiburger Münsters, ca. 1280 9 Das Kreuzgratgewölbe der Kathedrale von Amiens in der Untersicht, die einzelnen Joche treten als Baldachine hervor, ca. 1236 10 Plastisch überformtes Kirchengewölbe am Mosteiro dos Jerónimos in Belém, 1502 – 1571

2.1

10

_ DER

BALDACHIN

Das lateinische tabernaculum ist mit Laube oder auch mit Altarbalda-

von Baldachin und Laube kommt in der floralen Dekoration spätgotischer Gewölbeflächen zum Ausdruck.

20

chin zu übersetzen. Eigentlich ein mit lichtdurchlässigem Seiden- oder Brokatstoff bespanntes Traggestell, dient der Baldachin zunächst der

_

weltlichen Herrscherwürde als Prunkhimmel. Später wird er bei christ-

Die christliche Sakralarchitektur übernimmt von antiken Vorbildern die

lichen Prozessionen als Traghimmel verwendet, bevor er als Symbol

Typologie des Kuppelraumes als Abbild des Himmelsgewölbes. Der

für den Schutz Gottes Teil der Altargestaltung wird. Die Darstellung

symbolische Bezug von Himmel und Gewölbe wird durch die Lichtfüh-

des Baldachins als Himmelszelt ist eine der frühesten, expliziten Him-

rung im Inneren verstärkt: indirektes Licht aus Scheitel oder Kuppel-

melssimulationen in der Architekturgeschichte. [2.1/4]

kranz taucht den Kirchenraum in „göttlichen Glanz“.

DAS KUPPELGEWÖLBE

Das Kreuzrippengewölbe der Gotik nimmt die Darstellung des Bal-

Die Belichtung des Kuppelraums durch den oculus, eine kreisrun-

dachins auf. Mit der Aneinanderreihung der Gewölbejoche in den

de Öffnung im Kuppelscheitel, ist für die Raumwirkung von überge-

Langhäusern der Kathedralen wird die hoch liegende Fensterzone des

ordneter Bedeutung. Das zentrale Oberlicht „monumentalisiert die

Obergadens als durchlaufendes Seitenlicht erfahrbar, das die Decken-

Lichtführung, isoliert den Raum von seiner natürlichen Umgebung

flächen der Gewölbe ausleuchtet. Die Lichtführung verstärkt die Be-

und verhindert Aussicht und Ablenkung“. [2.1/5] Beim Pantheon im

wegungsrichtung des Raumes und verstärkt seine Funktion als Pro-

Rom misst diese Lichtöffnung 9 Meter und damit circa ein Fünftel des

zessionsweg. Das Bild vom Garten Eden als gemeinsamem Ursprung

Kuppeldurchmessers. In den christlichen Zentralbaukirchen erfolgt

VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN

11

12

11 Kuppelgewölbe mit Deckengemälde im Dom von Florenz, 1434 – 1461 12 Deckenmalerei von Correggio, Dom von Parma (1526 – 1530) 13 Das Pantheon in Rom, 118 – 128 n. Chr.

2.1

13

die Belichtung durch einen Fensterkranz am Kuppelauflager wie bei

symbolischen Bedeutungsgehalt der Deckenmalerei mehr und mehr

der Hagia Sophia (532 – 537) durch Fenster im Tambour oder durch

auch die Darstellung der realen Welt in den Vordergrund. So ist der

eine Laterne im Kuppelscheitel, wie beim Florentiner Dom

blaue Himmel des Bildgrundes sowohl Verweis auf das himmlische

(1434 – 1461). [2.1/6] Das zentrale Oberlicht entwickelt sich mit dem

Jenseits als auch realistisches Abbild des hinter der Konstruktion lie-

kuppelgewölbten Zentralbau zum Merkmal des sakralen, später auch

genden physischen Himmels, das der bewussten Raumerweiterung

des profanen Versammlungsbaus. Betont wird die Himmelssymbolik häufig durch eine Ausmalung der Gewölbezone, etwa mit Sternen auf blauem Himmelsgrund, wie

dient. [2.1/8] Die durch Fresken und Gemälde illusionistisch aufgelösten Decken bilden somit die letzte Entwicklungsstufe auf dem Weg zu den aufgelösten Glasdachkonstruktionen des 19. Jahrhunderts.

bei dem frühchristlichen Baptisterium San Giovanni in Fonte in Neapel (ca. 400 n. Chr.). In der Spätgotik erhält die Gewölbezone eine Ausmalung mit Laubwerk. Auch das Traggerüst wird plastisch überformt, so dass Rippen und Pfeiler als Ast- und Rankwerk lesbar werden. Die Decke erscheint als Laube, als direkte Illustration des Garten Eden. Auflösung der Deckenkonstruktion und wird zu einem integralen Bestandteil der Architektur. Im Barock und Manierismus tritt neben dem

21

[2.1/7] Die Ausmalung der Gewölbezone unterstützt die konstruktive

VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN

14

15

14 Großes Gewächshaus im Botanischen Garten zu Dahlem, 1905 – 07, Arch.: Alfred Koerner 15 Innenraum des „People’s Palace“, Muswell Hill, London, 1859 (Projekt) 16 „Das bunte Glas zerstört den Hass.“ Glaspavillon, Kölner Werkbundausstellung von Bruno Taut, 1914

2.1

16

NEUZEIT

und seine Freizeitaktivitäten in den Mittelpunkt einer bürgerlichen

_ DAS

Neuschöpfung der Natur. Ein zeitgenössischer Bericht beschreibt den

GEWÄCHSHAUS

Mit den technischen Fortschritten der industriellen Revolution kann

Wintergarten im Royal Botanic Garden im Regent´s Park: „Ein wahr-

der Traum vom offenen Dach aus Eisen und Glas endlich realisiert

haftiges Märchenland ist in das Herz Londons versetzt worden, ein

werden. Die Gewächshauskonstruktionen in England stellen die ersten

Garten voller Wohlgefallen, der alle unsere Wünsche Wirklichkeit wer-

Glasdächer der Baugeschichte dar. Gewächshäuser werden zu einer

den lässt.“ [2.1/11]

22

Oase, einem „Ort der Glücksverheißung“ für eine „Versöhnung mit der Natur“. [2.1/9] Die tropische Pflanzenpracht mit exotischen Düften und

_

Geräuschen schafft eine Traumwelt und ermöglicht die Flucht der

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden sozialutopische Visionen, die

Stadtbevölkerung vor dem Leben der Großstadt. Die klimatechnischen

mit der Verwendung von Glas als Baumaterial für ein neues Zeitalter

Anlagen, die für den Erhalt der Pflanzen notwendig sind, werden vor

verknüpft sind, von den Mitgliedern der expressionistischen Künstler-

dem Auge des Besuchers bewusst verborgen, um diesem die Illusion

vereinigung „Gläserne Kette“ um Bruno Taut (1880 – 1938) und Paul

eines Garten Edens im rauen Klima Nordeuropas nicht zu rauben.

Scheerbart (1863 – 1915) aufgegriffen. Taut entwirft kristalline Stadt-

[2.1/10 ]

kronen aus Glas wie etwa das „Haus des Himmels“: „Zum Aufbau der

Die öffentlichen Wintergärten und Florabauten mit integrierten Konzertsälen, Restaurants und Bibliotheken stellen den Menschen

DER „GLASKRISTALL“

Decke dienen Prismen aus farbigen, elektrolytisch verbundenen Gläsern, zum Aufbau der Wände gegossene Prismen.“ [2.1/12]

VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE

18

GLÄSERNE SPANNWEITEN

17

19

17 Projekt einer geodätischen Kuppelkonstruktion über Manhattan, ca. 1960, Arch.: Buckminster Fuller 18 Projekt einer pneumatisch gestützten Klimahülle in der Arktis, 1970, Arch.: Frei Otto mit Kenzo Tange und Ove Arup 19 Pavillon der USA auf der Expo 1967 in Montreal von Buckminster Fuller 20 Die großen Biosphären des „Eden Project“ in Cornwall, 2001, Arch.: Nicolas Grimshaw, Ing.: Arup und Anthony Hunt Associates

2.1

20

Und Scheerbart schreibt: „Die Erdoberfläche würde sich sehr verän-

bereits 1808 mit den „Phanlanstères“ das Ideal einer vollständig

dern, wenn überall die Backsteinarchitektur von der Glasarchitektur

glasüberdachten Stadt, die auch als Katalysator für eine neue Gesell-

verdrängt würde. Es wäre so, als umkleidete sich die Erde mit einem

schaftsordnung dienen soll. [2.1/14]

Brillanten- und Emailschmuck. Die Herrlichkeit ist gar nicht auszuden-

1822 entwirft J. C. Loudon die Vision, für die Verbesserung der Le-

ken. Und wir hätten dann auf der Erde überall Köstlicheres als die

bensbedingungen ganze Städte in „nördlichen Gegenden“ unter ein

Gärten aus tausend und einer Nacht. Wir hätten dann ein Paradies auf

Glasdach zu stellen. „Die wirtschaftlichste Art und Weise, ein ange-

der Erde.“ [2.1/13]

nehmes Klima zu schaffen, wird sein, ganze Städte mit gewaltigen Glasdächern zu überspannen.“ [2.1/15]

DIE KLIMAHÜLLE

Fast 150 Jahre später wird diese Vision durch das Projekt von

Im 19. Jahrhundert herrscht ein allgemeines gesellschaftliches Be-

Buckminster Fuller (1895 – 1983) für eine geodätische Kuppel mit

dürfnis nach Unabhängigkeit von Witterungseinflüssen und Schutz

drei Kilometern Durchmesser über Manhattan und ein Projekt von

vor dem Schmutz und den Abgasen der Großstadt, das sich in der

Frei Otto für eine Klimahülle mit zwei Kilometern Durchmesser in der

großzügigen Überdachung städtischer Räume mit Glas nieder-

Arktis wieder aufgegriffen. [2.1/16]

schlägt. Im Wunsch nach Hygiene und Sauberkeit überlagern sich

Die Kuppelkonstruktion, die Buckminster Fuller zur Weltausstel-

physische und metaphysische Aspekte. Um den „Schäden der Zivi-

lung von 1967 in Montreal errichtet, ist mit einem Durchmesser von

lisation“ zu begegnen, beschreibt Charles Marie Fourier (1772 – 1837)

circa 75 Metern eine kleinmaßstäbliche Verwirklichung dieser Vision.

23

_

VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN

21

22

21 Das Blätterdach aus Glas: Ademie der Künste am Berliner Platz, Berlin, 2002, Arch.: Behnisch und Partner 22 „Tropical Island“ in Brand bei Berlin, 2004, Generalplaner: CLMAP GmbH München 23 Inszenierte Natur, Fotomontage „Kitkariver“, 2004, von Ilkka Halso, Orimattila

2.1

23

Fuller schreibt: „Im Inneren wird es einen uneingeschränkten Blick-

So zeigt sich auch in vielen zeitgenössischen Projekten die seit dem

kontakt mit der Außenwelt geben. Die Sonne und der Mond werden

19. Jahrhundert mit dem Glashaus verbundene Sehnsucht nach dem

in der Umgebung strahlen, der Himmel wird vollständig sichtbar

Paradies als Synthese von Mensch und Natur. Der Aufenthalt unter

sein, aber die unerwünschten klimatischen Begleiterscheinungen

dem farbigen Glasdach der Kurtherme in Bad Colberg oder im Atrium

wie Hitze, Staub, Ungeziefer, Blendlicht, etc. werden von der Hülle

der Berliner Kunstakademie soll vom Besucher als „Aufenthalt unter

gefiltert werden, um im Inneren einen Garten Eden zu erzeugen.“

einem Blätterdach“ empfunden werden. [2.1/18, 2.1/19]

[2.1/17] Umfangreiche Fortschritte bei Haustechnik und Glasveredelung er-

einen tropischen Regenwald mit Lagunen, Veranstaltungssälen und

möglichen heute eine solche Regulierung der Energieströme zwischen

Bars beherbergt, wollen dem Besucher eine scheinbar intakte Natur

innen und außen. Mit gläsernen, selbstregulierenden dynamischen Ge-

bei vollem Spaßfaktor präsentieren und erkaufen dies mit enormem

bäudehüllen, die unabhängig von den nicht regenerativen Energiequel-

haustechnischem und energetischem Aufwand für die künstliche Kli-

len durch Nutzung der Sonnenenergie einen ausgeglichenen Energie-

matisierung und Steuerungstechnik.

haushalt aufweisen und sich den Bedürfnissen des Menschen und den sich ändernden klimatischen Bedingungen der Umwelt anpassen kön24

Moderne Freizeitparadiese wie das „Tropical Island“ bei Berlin, das

nen, ist die Sehnsucht nach einer Zukunft verbunden, in der der Mensch wieder in Einklang mit der Natur leben kann.

eben

Orientierung/Raumform

Tragsystem/Konstruktionsform

Glashof

eindimensional

zweidimensional

horizontal

Balken

Platte

geneigt

Sparren

Tragrost

gefaltet/gekrümmt

Glasband

zweidimensional

dreidimensional prismatisches

Sattel

Rahmen

Faltwerk

konvexe

Bogen

Tonne

Seil

Hängedach

Krümmung

konkave Krümmung

doppelt gefaltet/gekrümmt

Glasmitte

dreidimensional

Pyramide/

pyramidisches

Zeltdach

Faltwerk

Kuppel

DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION

Grundrissform

GLÄSERNE SPANNWEITEN

Dachform

Schale

antiklastische

Membran-

Krümmung

tragwerk

1 1 Dachformen und Orientierung in Glashof,

2.2

Glasband und Glasmitte

_

diesen weit gespannten Dachtragwerken wird die Überlagerung von

_

funktionalen und konstruktiven Aspekten bei der Formfindung beson-

_

ders deutlich. Die Raumform der Hülle, nach Grundriss und Querschnitt, entwi-

_

2.2

DAS GL ASDACH : FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION _

RAUM- UND KONSTRUKTIONSFORM

ckelt sich aus der beabsichtigten Nutzung und den funktionalen Anforderungen der Bauaufgabe. Damit ein Tragwerk seine Zweckbestimmung erfüllen kann, muss es alle einwirkenden Eigen- und Verkehrs-

Im 19. Jahrhundert entwickeln sich aufgelöste Tragstrukturen aus

lasten in den Baugrund abtragen. Alle Tragelemente, die für diesen

stabförmigen druck- oder zugfesten Materialien wie Holz oder Stahl,

Lastabtrag notwendig sind, müssen ein tragfähiges Gesamtsystem er-

die erstmals teilweise oder vollständig mit Glas gedeckt werden. Die

zeugen, die Konstruktionsform. Die Eigenschaften und die Verfügbar-

Trennung von Tragwerk und Hülle vollzieht sich in Mittel- und Nordeu-

keit des Baumaterials sind wichtige Aspekte bei der konstruktiv-tech-

ropa während der industriellen Revolution aus der Notwendigkeit,

nischen Formfindung von Dachtragwerken. [2.2/1]

große Nutzflächen von Bahnhofs-, Montage-, Versammlungshallen

In dieser Arbeit werden Glasdächer in Anlehnung an die Typologi-

oder Passagen vor den Einflüssen der Witterung zu schützen und

sierung von Erscheinungsformen des Oberlichtes von J. F. Geist nach

gleichzeitig mit natürlichem Tageslicht zu versorgen. Die Entwicklung

ihren Raum- und Konstruktionsformen unterschieden. Die grundle-

des Glasdachs ist damit sehr eng mit der des Flachbaus verknüpft. Bei

genden Typen von Glashof, Glasband und Glasmitte sind in

_ Abb. 1

25

_

GLÄSERNE SPANNWEITEN

DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION

Typ

Querschnitt

Grundriss

Entwicklung

Dachform

Orientierung

Vorstufen

1800

Atriumhaus

Erschließungshof

Glashof

1850

1900

1950

der Lichthof Hofhaus

Oberlichtsaal

Hofhalle

Eingangshalle Markthalle

Schalterhalle Badehalle

Glasband

Arkaden

Montagehalle

Basilika

Passage

das durchlaufende Oberlicht

Hallenkirche

Bahnsteighalle

Busbahnhof Tunnel

Laubengang Galerie Tempel/Thermen

Glasmitte

Börse

das zentrale Oberlicht Arena

Zentralraum Passage Gewächshaus

Zentralbaukirche

Sitzungssaal

Laube

Veranstaltungshalle Sportarena Gewächshaus

Glashaus das allseitige Oberlicht

Wintergarten/Flora

Kombinationen Markthalle Ausstellungshalle

Messehalle Klimahülle

2

26

2.2

2 Entwicklungsschema der verschiedenen Glasdachtypen

dargestellt. Der Glashof weist eine ebene, das Glasband eine gefaltete

_

oder gekrümmte und die Glasmitte eine doppelt gefaltete oder ge-

Die historische Entwicklung des Glasdachs und seiner typischen Er-

krümmte Dachform auf. Das Glashaus umfasst als Typ die allseitige

scheinungsformen Glashof, Glasband, Glasmitte und Glashaus ist in

Glashülle, die sich zugunsten einer skulpturalen Qualität stark von ein-

_ Abb. 2

deutigen typologischen Bezügen emanzipieren kann. [2.2/2]

denzen und Entwicklungslinien von Querschnitt (Dachform) und

HISTORISCHE ENTWICKLUNG

schematisch dargestellt. Die Übersicht dient dazu, Ten-

Der Kraftfluss im Tragsystem und die Beanspruchung der Trag-

Grundriss (Orientierung) von den ersten Glasdachkonstruktionen um

glieder hängen von der Querschnitts- und Grundrissgeometrie ab,

1800 bis heute aufzuzeigen. Unter „Vorstufen“ werden exemplarisch

weshalb Form und Größe von Tragwerken nicht unabhängig voneinan-

Bautypologien des Massivbaus aufgeführt, die von einem ähnlichen

der wählbar sind. Für große Spannweiten wird ein Flachdach schnell

Raumgefüge geprägt sind.

unwirtschaftlich, während ein doppelt gefaltet oder gekrümmtes Dach

Die Übersicht skizziert die Entwicklung vom Beginn der industriel-

noch mit vergleichbar geringem Materialaufwand erstellt werden kann.

len Revolution um 1800 bis heute in Phasen von jeweils 50 Jahren.

In diesem Sinne unterscheiden sich Glashof, Glasband und Glasmitte

Mit dem Bedarf an großen Oberlichtdächern entstehen um 1850

auch bezüglich ihrer räumlichen Ausdehnung und der Größe der

Grundrissformulierungen für neue Bauaufgaben wie Museen, Markt-

überspannten Fläche.

hallen, Börsen und Bibliotheken. Es werden große Hallen und Säle für die Produktion, Verteilung und Präsentation von Handelsgütern und für die Versammlung einer neuen städtischen Öffentlichkeit zum Zwe-

B

C

D

DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION

A

4

5

7

6

8

GLÄSERNE SPANNWEITEN

3

7 Der anliegende Glashof, Pultdach 3 Grundrissformen des Glashofs A Der anliegende Glashof

Museum Meteorit, Essen, 1998, 5 Innen liegender Erschließungshof, Familistère de Guise, um 1860

B Der Eckhof C Der eingeschobene Glashof D Der innen liegende Glashof (Atrium)

Arch.: Propeller Z 8 Der anliegende Glashof, Glasvorbau

6 Innen liegender Glashof als bauliche Ergänzung,

Rietberg, Zürich, 2007,

Museums Berlin, 2003, Arch.: I. M. Pei

Arch.: ARGE Grazioli Krischanitz GmbH

2.2

4 Schalterhalle der Hauptpost in St. Petersburg

und Foyer, Erweiterung Museum

Schlüterhof des Deutschen Historischen

cke der Erholung oder der kulturellen Bildung benötigt. Gegen Ende

Häusern, wird das Atrium heute oftmals als bauliche Ergänzung von

des 19. Jahrhunderts fördern neue Gesellschaftsstrukturen den Aus-

vorhandenen Lichthöfen als Foyer, Ausstellungsraum und Cafeteria ge-

bau administrativer Tätigkeiten und die Herausbildung der modernen

nutzt. Mit zunehmender Öffnung der Wandumfassung entstehen weni-

Dienstleistungsgesellschaft. Die heutige Freizeitgesellschaft manifes-

ger introvertierte Formen des Glashofs, in denen eine oder mehrere

tiert sich in großen Erlebnis- und Sportarenen.

Richtungen ausgezeichnet sind. Die Öffnung kann zusätzlich durch einen rechteckigen Grundriss oder die Neigung der Dachfläche betont

DER EBENE RAUMABSCHLUSS – DER GLASHOF

werden. Bei einem eingeschobenen Glashof sind nur drei Seiten von

Eine ebene Dachfläche ist horizontal oder geneigt, das Dachprofil ein-

massiven Gebäudeteilen umschlossen, und die Richtung zur offenen,

dimensional.

oft verglasten Seite erlangt vorrangige Bedeutung für die Grundrissorga-

Der von oben belichtete, nach außen abgeschirmte Hof gehört zu

nisation. Bei dem Eckhof sind zwei aneinandergrenzende Seiten geöff-

den ältesten Formen der Raumorganisation. Er dient der Belichtung

net, wodurch die Raumdiagonale gestärkt wird. Der anliegende Glashof

und der Erschließung angrenzender Räume, hat einen ruhenden, intro-

schließlich ist nach drei Seiten offen. Mithilfe einer innen liegenden, von

vertierten Charakter und lädt zum Verweilen ein. Das innen liegende,

der Primärkonstruktion abgehängten Staub- oder Lichtdecke kann der

mit einer horizontalen Glasdecke abgeschlossene quadratische Atrium,

ruhende Charakter des Glashofs auch bei Pult- und Satteldachkons-

bei dem keine der seitlichen Raumbegrenzungen dominiert, ist ein

truktionen erhalten werden. Eine solche zweischalige Konstruktion

Glashof in Reinform. Ursprünglich ein offener Lichthof in altrömischen

kennzeichnet den Oberlichtsaal als spezielle Form des Glashofs. [2.2/3]

27

_

DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION GLÄSERNE SPANNWEITEN

9

12

10

11

13

9 Der eingeschobene Glashof (Blick nach oben), Sparkasse Düsseldorf, 2001 Arch.: Ingenhoven Overdiek und Partner

12 Passage GUM in Moskau, 1893, Ing.: V. G. Suchov

10 Der Eckhof, Kunstmuseum Tel Aviv, 1998,

13 Zentrale Messehalle Leipzig, 1996 Arch.: von Gerkan Marg und Partner

11 Passage Verdeau, Paris, 1847

2.2

Arch.: D. Eytan, Ing.: M. Eekhout

11 – 15 Das konvex gekrümmte Glasband

Zu den ebenen Tragsystemen zählen Balken- und Plattentragwerke. Die für den Lastabtrag notwendige Biegesteifigkeit erfordert einen er-

_

DER GEFALTETE ODER GEKRÜMMTE RAUMABSCHLUSS – DAS GLASBAND

höhten Materialaufwand, der sich in den Querschnittsabmessungen

Die hier betrachteten Dachformen haben ein zweidimensionales

der Tragelemente niederschlägt. Die Dachfläche lang gestreckter

Raumprofil, das beim Giebeldach oder beim prismatischen Faltwerk

Grundrisse entsteht durch Aneinanderreihung einzelner Querträger.

gefaltet und beim Bogen- oder Hängedach gekrümmt ist. Bögen wei-

Ist der Abstand zwischen diesen so groß, dass eine Nebenträgerebene

sen eine konvexe, Hängedächer eine konkave Krümmung auf.

notwendig wird, entsteht ein mehrlagiges, hierarchisch aufgebautes

Das Glasband bezeichnet ein durchlaufendes, lang gestrecktes

System. Platten können dagegen einen zwei- oder mehrachsigen Last-

Oberlicht, das an den Längsseiten von meist massiven Gebäuderie-

abtrag aufweisen und eignen sich für das Überspannen nahezu qua-

geln begrenzt wird. Im Gegensatz zum Glashof stellt das Glasband ei-

dratischer Grundrissflächen. Balken und Platten können als Fach-

nen Bewegungsraum dar, der durchschritten oder durchfahren wird.

werke in normalkraftbeanspruchte Systeme mit schlankeren Quer-

Das Glasband tritt vor allem bei Bauaufgaben mit transitorischem

schnitten aufgelöst werden. Biaxial gespannte Fachwerkroste oder

Charakter wie Passagen und Bahnhofshallen auf. Das eingeschobene

Raumfachwerkplatten ermöglichen größere Spannweiten.

Atrium, durch einen u-förmigen Massivbau begrenzt, verbindet als

28

Mischform Glashof und Glasband. Der in Querrichtung gefaltete oder gekrümmte Raumabschluss unterstützt die Dynamik des Bewegungsraums. Giebel- und Tonnen-

DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION 16

18

15

17

19

GLÄSERNE SPANNWEITEN

14

18, 19 Das konkav gekrümmte Glasband 18 Hängedach Hauptbahnhof Ulm, 1993,

16, 17 Das gefaltete Glasband 14, 15 Bahnsteighalle Lehrter Bahnhof Berlin, 2002, Arch.: von Gerkan Marg und Partner,

Arch.: Gottfried Böhm, Ing.: Jörg Schlaich 17 Bahnsteighalle Gare d‘Austerlitz in Paris, 1862

Ing.: Schlaich, Bergermann und Partner 19 Hängedach Bahnhofsvorplatz Heilbronn, 2001, Ing.: Schlaich, Bergermann und Partner

2.2

Ing.: Schlaich, Bergermann und Partner

16 Zentrale Halle Züblin-Haus Stuttgart, 1985,

dach führen zu einer starken Längsausrichtung und zu einer „Kanalisie-

Abweichung von Stützlinie zu Systemgeometrie, desto größer ist die

rung“ des Grundrisses. So wird insbesondere die Passagen- und Bahn-

Momentenbeanspruchung. [2.2/4]

Sattel- und später auch durch das Tonnendach gekennzeichnet.

Mit der Reihung von Bögen spannt sich eine tonnenförmige, dreidimensionale Hüllfläche mit einachsigem Lastabtrag auf. Sind die Bö-

Der umgekehrt gekrümmte Raumabschluss, das Hängedach, bil-

gen in Längs- und Querrichtung schub-, druck-, und zugfest miteinan-

det sich erst im 20. Jahrhundert als Bautypus heraus. Die sich zu den

der verbunden, können Lasten auf der gekrümmten Fläche auch zwei-

Längsseiten öffnende Querschnittsform unterstützt ein Durchschrei-

achsig abgetragen werden, es entsteht eine Tonnenschale. Die Ton-

ten der Querachse und markiert einen Vor- oder Schwellenbereich.

nenschale ist ein Flächentragwerk, das die Lasten bei entsprechenden

Zu den zweidimensionalen Tragsystemen zählen Rahmen- oder

Auflagerbedingungen längs und quer zur Tonnenebene abträgt. Die

Bogentragwerke. Durch das Knicken oder Krümmen der Trägerachse

Spannungsverteilung in Längsrichtung ähnelt dem Balken, die Druck-

passt sich die Tragwerksform dem natürlichen Kraftfluss der Stützlinie

zone befindet sich also am Scheitel und die Zugzone an den unteren

an. Durch die Bogenwirkung entstehen bei geknickten oder ge-

Rändern. Tonnenschalen sind aufgrund der fehlenden zweiten Trag-

krümmten Tragsystemen kaum Biegebeanspruchungen, der erforder-

werkskrümmung relativ weich und müssen in Querrichtung beispiels-

liche Materialaufwand wird reduziert. Das Verhältnis von Biege- und

weise durch Versteifungsbögen stabilisiert werden. Bilden die stabili-

Druckkraftbeanspruchung hängt von Geometrie und Lastbild ab. Jede

sierenden Maßnahmen eine durchgehende zweite Ebene, entsteht ein

Abweichung im Lastbild führt zu einer anderen Stützlinie, je größer die

zweilagiges System größerer Steifigkeit. [2.2/5]

29

hofsarchitektur im 19. Jahrhundert zunächst durch das symmetrische

DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION GLÄSERNE SPANNWEITEN

20

21

23

22

24

23 Pyramidisches Faltdach, Bewag Glaspyramide

20 – 22 Die Glasmitte: Synklastisch gekrümmte Kuppelkonstruktionen 20 Halle au Blé (heute: Bourse du Commerce) in Paris, 1809 – 1811,

Berlin, 1999, Arch.: A. Liepe, H. Siegelmann

Arch.: Foster + Partners 22 Gewächshaus National Botanical Garden of Wales, 1999, Arch.: Foster + Partners

24 Antiklastisch gekrümmtes Netztragwerk „Schubert Club Band Shell“ Minnesota, 2002, Ach.: JCDA

2.2

Arch.: F. J. Bélanger

21 Reichstagskuppel Berlin, 1998,

30

_ DER

DOPPELT GEFALTETE ODER GEKRÜMMTE RAUMABSCHLUSS –

Die im Vergleich zu einer Tonnenschale aufgrund der doppelten Flä-

DIE GLASMIT TE

chenkrümmung wesentlich steifere Kuppelschale eignet sich für große

Pyramidische Faltwerke, Kuppeln, Schalen oder Zelte weisen in Längs-

Spannweiten von Veranstaltungshallen und Arenen. Der Lasttransport

und Querrichtung eine Faltung oder Krümmung auf und sind dreidi-

erfolgt in Ring- und Meridianrichtung, Tragwerkselemente müssen

mensionale, räumliche Strukturen. Bei synklastisch gekrümmten kup-

druck-, zug- und schubfest miteinander verbunden sein. Kuppeln wei-

pelförmigen Dächern liegt eine gleichsinnige Krümmung in beiden

sen bei gleichmäßig verteilten Lasten keine Momente, sondern einen

Querschnittsachsen vor. Bei antiklastischen Membran- und Zeltdä-

Membranspannungszustand auf, die Fläche ist also nur durch Nor-

chern verlaufen die Krümmungen gegensinnig.

malkräfte beansprucht. Entspricht die Kuppelgeometrie der Stützflä-

Die Glasmitte ist das zentrale Oberlicht bei einem ideal kreisför-

che der dreidimensionalen Analogie zur Stützlinie, entsteht in dem

migen Grundriss. Die seitlichen, umlaufenden Begrenzungen sind

System eine reine Druckbeanspruchung in Meridianrichtung. Erst bei

meist homogen. Die zusammenführende Geste definiert diesen Typus

einer Abweichung der Kuppelgeometrie von der Stützfläche, wie dies

als Versammlungsraum. Das zentrisch angelegte Pyramiden- und

bei einer Kugelschale der Fall ist, werden die Ringkräfte aktiviert. Der

Kuppeldach verweist mit seinem repräsentativen Charakter auch auf

Übergang von Ringdruck- zu Ringzugkräften in der Stützfläche, die

einen besonderen Machtanspruch. Eine antiklastische Krümmung

Bruchfuge, liegt bei einer Kugelschale bei etwa 52° Polarwinkel von

kehrt die Raumform der Kuppel um und führt zu einer extrovertierten,

der Rotationsachse. Das Ideal des Membranspannungszustands wird

öffnenden Geste.

durch große Punkt- und Einzellasten gestört, im Extremfall kann es

DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION GLÄSERNE SPANNWEITEN

27

25

26

28

27 Gewächshaus Dahlem, Mischkonstruktion, 1908, Arch.: A. Koerner 28 Kurklinik Bad Neustadt, Membran als

26 – 28 Das Glashaus als Mischtypus 26 Überschneidung von Glasband und Glasmitte, 25 Fußballstadion „Amsterdam ArenA“, 1996,

Arch.: Lamm, Weber, Donath und Partner,

Arch.: von Zanth

Ing.: W. Sobek Ingenieure

2.2

Arch.: R. Schuurman

freigeformtes“ Seilnetz, 1999,

Botanischer Garten Wilhelma Stuttgart, 1844,

zum lokalen Versagen und Durchschlagen der Kuppelfläche kommen.

Raum- und Konstruktionsform zulässt. So weist beispielsweise das

Im Auflagerbereich muss der Kuppelschub aus den Meridiankräften

Gewächshaus, das Glashaus schlechthin, je nach Grundrissorganisa-

durch eine geeignete Unterkonstruktion abgefangen werden, um eine

tion und beherbergter Pflanzenart vielfältige geometrische Formuli-

Störung des flächigen Lastabtrags zu vermeiden. [2.2/6]

erungen auf. Auch beim Bauen im Bestand können sich für das Glashaus Geo-

_

DAS GLASHAUS

Das Glashaus entspricht nach J. F. Geist dem „allseitigen, umfassenden

metrien ergeben, die in erster Linie nicht der internen Organisation, sondern städtebaulichen Zwängen des Kontextes folgen _ Abb. 28.

Oberlicht“. Die Verglasung dehnt sich im Gegensatz zu den anderen Typen auf die seitlichen Begrenzungsflächen bis zum Boden aus und bildet eine umschließende Wetterhülle. Je nach innerer Organisation kann die Geometrie des Glashauses als raumbildende Variante von Glashof, Glasband oder Glasmitte interpretiert werden. So korrespondiert der kubische Glaskörper typologisch mit dem Glashof, die GlasröhOft fließen beim Glashaus Aspekte der verschiedenen Grundtypen zusammen, so dass es als Mischtypus keine eindeutige Aussage über

31

re mit dem Glasband und die raumbildende Kuppel mit der Glasmitte.

– – – – –

3

33

FL ACHGL AS ALS BAUSTOFF

Basisglas

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN

Ziehglas

Floatglas

Gussglas

OnlineOberflächenbeschichtung

1

Kap. 3.2

Zuschnitt Kantenbearbeitung Bohren

Oberflächenbearbeitung Sandstrahlen Ätzen

Kap. 3.3

2 Biegen Veredelte Glasprodukte

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Glas Rezeptur

Emaille Beschichten Vorspannen (ESG, TVG) Kap. 3.4

Flächiges Fügen (VSG,VG)

Kap. 3.5

Oberflächenbeschichtung

1

Naturglas (Obsidian)

2

Vielfalt Glas: Handproben veredelter Flachglaserzeugnisse

3

Linienförmiges Fügen (Isolierglas) Kap. 3.6

Übersicht der Herstellungs- und Veredelungsstufen von Flachglas im Kontext der Kapitelabschnitte 3.2 bis 3.6

3.1

3

_

Neubau oder die Renovierung von Gebäudehüllen verwendet. [3.1/1]

_

Das umfangreiche Anforderungsprofil, das heute vonseiten der Bau-

_

physik, Konstruktion und Gestaltung an den Baustoff Glas gestellt wird, hat zu einer vielfältigen Produktpalette geführt. Nach Herstellung

_ _

3.1

WERKSTOFF GL AS – EIGENSCHAF TEN

und Formgebung des Basisglases – in der Regel Floatglas – schließen sich mindestens zwei Veredelungsstufen an, die den Baustoff für be-

34

stimmte funktionstechnische Aspekte wie Sonnenschutz, WärmeDer Werkstoff Glas bezeichnet ein Schmelzprodukt, das in der Natur

schutz, konstruktive oder sicherheitstechnische Aufgaben wie Split-

als erstarrte vulkanische Schmelze vorkommt und dem Mensch be-

terschutz oder rein gestalterische Aspekte wie Farbwirkung, optimie-

reits vor 5000 Jahren für die Herstellung von Schmuck und Werkstü-

ren. Bei Glasprodukten, die für großflächige Glashüllen zur Anwen-

cken diente. Im erhitzten, zähflüssigen Zustand kann Glas durch me-

dung kommen, verschmelzen diese Aspekte auf Grund eines in der

chanische Verfahren zu flächigen, stabförmigen oder kompakten

Regel übergreifenden Anforderungsprofils. Diese Gläser weisen einen

Halbzeugen geformt werden. Alle zur Verwendung im Bauwesen aus

für das jeweilige Projekt mit seinen statischen, bauphysikalischen und

dem Werkstoff Glas hergestellten Erzeugnisse, neben Profilgläsern

gestalterischen Vorgaben spezialisierten Aufbau auf. So sehr Basis-

und Glassteinen sind dies in erster Linie Flachgläser, werden als Bau-

glas ein standardisiertes Massenprodukt ist, sind die Endprodukte oft

stoffe bezeichnet. Über 70 Prozent aller Flachgläser werden für den

in Serie gefertigte Spezialanfertigungen. [3.1/2]

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN

Floatglasproduktion (Bandmaß)

In-Line Veredlung

Fremdveredler 1

Transformationsfiliale im Firmenverbund 2

Fremdveredler 2

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Transformationsfiliale im Firmenverbund 1

etc.

etc.

Endprodukt (Kundenmaß)

4 Abk. SPG

TVG

ESG

VG

Bedeutung

Glassorte

Dicke [mm]

max. Format [m x m]

3–19

3,21 x 6,00 (Bandmaß)

Spiegelglas, nicht vorgespanntes Glas

Floatglas/

(entspricht meistens Floatglas)

Spiegelglas

teilvorgespanntes Glas

ESG

6–19

2,70 x 6,00

(auch: „thermisch verfestigtes Glas“)

Hersteller A

4–15

1,67 x 7,00

Einscheibensicherheitsglas

ESG

8–19

2,80 x 6,00

(auch: „voll vorgespanntes Glas“)

Hersteller B

6–19

2,50 x 5,00

Verbundglas

TVG

4–12

Hersteller A

2,70 x 6,00

4

1,67 x 7,00

Logistische Rahmenbedingungen bei der Flachglasveredelung: Die Veredelung erfolgt entweder unmittelbar nach der Herstellung in firmeneigenen

VSG

MIG

Verbundsicherheitsglas

TVG

(VG mit Sicherheitseigenschaften)

Hersteller B

Mehrscheiben-Isolierglas

VSG

6–12

Wärmeschutzglas mit niedrigem

VSG

Emissionsgrad (von Engl.: low-emissivity)

Hersteller B

Veredelungsfilialen oder durch Unternehmen außerhalb

2,50 x 5,00 4–80

Hersteller A Low-E

2,80 x 6,00

Fremd- oder Lohnlamieren von VSG-Scheiben.

2,40 x 3,80 2,00 x 4,00

8–100

des Firmenverbundes, wie beispielsweise beim

5

2,30 x 5,40 2,40 x 5,00 6

Isolierglas

Gängige Abkürzungen und Bezeichnungen von Flachglasprodukten

bis 45

2,70 x 5,00

Übersicht durchschnittlicher Fertigungsgrößen veredelter Flachglaserzeugnisse: Die Maße sind in erster Linie produktabhängig, können aber

Hersteller A

auch von Hersteller zu Hersteller variieren.

3.1

6

sind die verschiedenen Herstellungs- und Veredelungs-

anschließen. Dazu gehört das Biegen der Scheiben, aber auch das

schritte schematisch dargestellt. Zum Großteil wird Basisglas heute

Einbrennen keramischer Farben in die Glasoberfläche. Beim ther-

durch den Floatglasprozess hergestellt, nur etwa 10 Prozent der am

mischen Vorspannen werden durch beschleunigtes Abkühlen der

Bau verwendeten Gläser im Ziehglas- oder Gussglasverfahren. Die

Scheibe im Glas künstliche Spannungen aufgebaut, die das Trag- und

Gruppe der Basisgläser wird durch Floatgläser erweitert, die direkt

Bruchverhalten in geeigneter Weise beeinflussen.

In

_ Abb. 3

nach der Formgebung im Online-Verfahren beschichtet werden. Häu-

Die Oberfläche der Scheibe kann durch physikalische und che-

fig schließen Veredelungslinien direkt an den Produktionsprozess an,

mische Prozesse mit Dünnfilmbeschichtungen (auch Funktionsbe-

ansonsten wird das Basisglas als Halbzeug an regionale, überregio-

schichtungen genannt) versehen werden, in erster Linie um optische

nale Veredler oder Transformationsfilialen innerhalb oder außerhalb

Eigenschaften wie den Licht- und Energiedurchlass zu verändern. Am

eines Firmenverbunds abgegeben

Ende der Veredelungskette steht in der Regel das flächige Fügen von

_ Abb. 4

.

Im ersten Schritt der Weiterverarbeitungskette erfährt das Basis-

zwei oder mehreren Gläsern zu Verbund- oder Verbundsicherheitsglä-

glas, das nach der Herstellung in so genannten Bandmaßen vorliegt,

sern und als letzter Schritt das Fügen von Einfach- oder Verbundglä-

einen Zuschnitt in kundenspezifische Festmaße. Weiteren mecha-

sern zu Isoliergläsern durch einen linienförmigen Randverbund ent-

nischen Bearbeitungsschritten, wie dem Bohren, dem Schleifen und

lang der Glaskanten.

Polieren der Glaskante und dem Flächenschliff oder dem Sandstrah-

Die Reihenfolge der Prozesse ist vom Veredelungsgrad und von

len der Glasoberfläche, können sich thermische Veredelungsprozesse

den logistischen Randbedingungen abhängig. Jeder Veredelungs-

35

5

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Stahl

Nadelholz

Beton

Glas

S 235

S 10

C20/25

Kalknatronglas

Brechungsindex η







1,5

Raumgewicht/Dichte ρ

78,5

6

22

25

21 000

1 100

2 900

7 000

[kN/m3] Elastizitätsmodul E [kN/cm2]

A

(wie Aluminium)

Zugfestigkeit f t,k

24

[kN/cm2]

(Streckgrenze)

Bruchdehnung ε in %

25

Druckfestigkeit fc,k

23,5

1,4

0,22

0,7



0,006 – 0,17

II 1,7 – 2,6

2

ca. 50



[kN/cm2]

4,5

0,4 – 0,6

Grenzzugspannung σRd

21,8

0,9

(~0,1)

1,2/1,8

Sicherheitsbeiwert y

yM = 1,1

yM = 1,3

1,8

2,5

Reißlänge σ/ρ

2 800

1 500

(45)

480/720

75

II 0,5

1,6

1

B

[m] Wärmeleitfähigkeit

⊥ 0,2

[W/m x K] Temperaturwechsel-







12 x 10 -6

II 5 x 10 -6

10 x 10 -6

40

beständigkeit ∆T [1/K] Temperaturausdehnungskoeffizient αT [1/K]

⊥ 35 x 10 -6

9 x 10 -6 60 K ≈ 0,5 mm/m C

7

Sauerstoff Silicium

8

8 Vereinfachte Darstellung des Strukturzustandes des Glases A Strukturbaustein SiO 4 -Tetraeder B Darstellung eines regelmäßigen,

7 Die Kenngrößen der verschiedenen mechanischen

kristallinen SiO2-Netzwerks

und thermischen Eigenschaften für Kalknatronglas

C Darstellung eines unregelmäßigen,

im Vergleich zu anderen spröden (Beton) und

glasigen SiO2-Netzwerks

3.1

zähen Werkstoffen (Holz und Stahl)

schritt bedarf technischer Anlagen wie beispielsweise Biege- und Vor-

lungsmethoden zusammenhängend und in ihren Wechselbeziehungen

spannöfen oder Beschichtungsanlagen, wodurch maximale Ferti-

vorgestellt, um ein tieferes Verständnis für die oft komplexen Anwen-

gungsgrößen, -gewichte und -dicken der Glaselemente vorgegeben

dungsbedingungen zu ermöglichen. Nach einer Einführung in die

werden. Solche Rahmenbedingungen sind bei dem Entwurf von Glas-

grundlegenden Eigenschaften des Materials gliedert sich das Kapitel

konstruktionen zu berücksichtigen und werden in den folgenden Un-

in die in oben skizzierten Veredelungsschritte.

terkapiteln im Detail beschrieben

_ Abb. 6

.

36

Die zeitliche und örtliche Abfolge der Veredelungsschritte ist für

FL ACHGL AS ALS KONSTRUKTIONSMATERIAL

die Herstellungskosten des Produktes ausschlaggebend. Mit zuneh-

Baugläser bestehen nahezu zu drei Vierteln aus Siliziumoxid, das in

mendem Veredelungsgrad und Größe der veredelten Produkte steigt

Form von reinem Quarzsand als Rohstoff in großer Menge auf der Erde

deren Preis in dem Maße an, wie sich die Anzahl von Anbietern redu-

vorhanden ist, und werden daher auch als Silikatgläser bezeichnet.

ziert und der Transportaufwand und das Bruchrisiko steigt. Bei spezi-

Diesem Glasbildner wird mit Natriumoxid ein Flussmittel beigemengt,

ellen Verfahren kommen oftmals nur wenige spezialisierte Unterneh-

um die Transformationstemperatur herabzusetzen und damit den ver-

men im In- und Ausland in Frage.

fahrenstechnischen Prozess zu vereinfachen, sowie Calciumoxid als

In diesem Kapitel wird Flachglas als Hüll- und Konstruktionsmate-

Stabilisator, um die chemische Beständigkeit zu erhöhen. Weitere Zu-

rial beschrieben. Die bauphysikalischen, mechanischen und optischen

schlagstoffe in der Größenordnung von weniger als einem Prozent

Eigenschaften werden abhängig von den Herstellungs- und Verede-

können beigemischt werden, um die optischen Eigenschaften des

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN

Größe der Scheibe Dauer der Beanspruchung

Glasart

umgebendes Medium (Luftfeuchtigkeit)

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Zugfestigkeit von Glas

Alter der Scheibe

9

Zug

Druck

10 Bruchfestigkeiten

Druck

Zug

Biegezug

Biegezug

[kN/cm2]

(theoretisch)

(theoretisch)

(fabrikneues Glas)

(gealtertes Glas)

Fläche 20 cm x 20 cm

70 – 90

600

4 – 17

3,8 – 7

Fläche 1 m x 1 m

70 – 90

600

2 – 7,5

1,8 – 5,5

11

9 Einflussgrößen für die (Biege-) Zugfestigkeit von Glas: Die Glasfestigkeit ist keine Konstante! 10 Spannungsquerschnitt bei beschädigter Glasoberfläche: Bei Zugbeanspruchungen entstehen infolge der Kerbwirkung Spannungsspitzen. Bei Druckbeanspruchungen werden die Kerben überdrückt, es kommt zu keinen Spannungsspitzen. 11 Vergleich der Festigkeiten für unterschiedlich

3.1

große und alte Scheiben

Glases zu beeinflussen. Beim Abkühlen des geschmolzenen Gemen-

Wertes, weil Glas ein spröder Baustoff ist, dessen Festigkeit von dem

ges geht das Glas allmählich vom flüssigen in den festen Zustand

Schädigungsgrad der Glasoberfläche abhängt

über, ohne – wie es im Normalfall bei Schmelzprodukten der Fall ist –

kein vollständig kompakter Feststoff, sondern weist eine Reihe von

ein regelmäßiges symmetrisches oder periodisches Kristallgitter aus-

mikroskopischen Unregelmäßigkeiten und Störungen im Gefüge auf.

zubilden. Aufgrund dieser nicht kristallinen (amorphen) Molekular-

Zusätzlich „sammeln“ sich im Gebrauchszustand durch Abrieb, Wind-

struktur wird Glas oft auch als unterkühlte Flüssigkeit bezeichnet. Glas

schliff oder sonstige mechanische Einwirkungen makroskopische

ist isotrop, seine Eigenschaften sind richtungsunabhängig. [3.1/3]

Schädigungen wie Kratzer und Kerben an der Glaskante und der

. So ist Glas

_ Abb. 14

Oberfläche an. Auch können durch Verformungen infolge Lastabtrag ZUG- UND DRUCKFESTIGKEIT DES SPRÖDEN BAUSTOFFES GLAS

ähnlich wie bei unbewehrtem Beton feine Mikrorisse auf der Oberflä-

Aus der Bindungsstärke der chemischen Bestandteile des Glases ergibt

che entstehen. Zugbeanspruchungen führen an solchen Kerbstellen

sich eine erstaunlich hohe theoretische Zugfestigkeit, die vor allem auf

zu Spannungsspitzen im Rissgrund und zu einer Rissausbreitung.

der hohen atomaren Bindungsenergie des SiO4-Tetraeders, Baustein

Überschreiten die Spannungsspitzen einen kritischen Wert, „bricht“

der unregelmäßigen Molekularstruktur von Glas, beruht

. In

das Glas: Der Riss breitet sich mit hoher Geschwindigkeit von Kante zu

der Literatur wird diese mit bis zu 800 kN/cm² angegeben – das ent-

Kante über die gesamte Scheibenfläche aus. Eine geforderte Resttrag-

spricht etwa dem 30-fachen der Streckgrenze von Stahl. Die praktisch

fähigkeit des gebrochenen Glases kann durch Laminieren mehrerer

vorhandene Zugfestigkeit beträgt nur etwa ein Hundertstel dieses

Einzelscheiben zu Verbundglas erreicht werden. [3.1/4, 3.1/5]

_ Abb. 11

37

_

Spannung σ [kN/cm2]

Spannung σ [kN/cm2]

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN

zul. σ

Spannung σ [kN/cm2]

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

σ Bruch σ fließen

σ Bruch (fk) zul. σ (fd)

σ Bruch

zul. σ

Dehnung ε [∆ Ι]

Dehnung ε [∆ Ι] elastischer Bereich

elastischer Bereich

GL AS 12

Dehnung ε [∆ Ι] elastischer Bereich

plastischer Bereich

STAHL

plastischer Bereich

HOL Z

13

14

12–14 Qualitativer Vergleich der SpannungsDehnungs-Diagramme von Glas, Stahl und Holz 12 Linearelastisches Verformungsverhalten von Glas: Beim Überschreiten der Bruchspannung versagt Glas ohne Vorankündigung. 13 Bis zur Fließgrenze verhält sich Stahl nahezu linearelastisch, danach „fließt“ der Stahl: Er verformt sich sichtbar im plastischen Bereich. 14 Holz weist einen elastischen und einen plastischen Verformungsbereich auf. Der Bruch des Holzes

38

3.1

kündigt sich durch Reißen und Splittern der Fasern an.

Die Zug- bzw. Biegefestigkeit des Glases spiegelt demnach die Ober-

_

flächenqualität wieder und ist keine Konstante

VERFORMUNGSVERHALTEN BEI BELASTUNG UND TEMPERATUR

. Sie steht in

Das Elastizitätsmodul von Glas ist mit 7000 kN/cm² nur etwa ein Drittel

direktem Zusammenhang zu Scheibengröße und -alter, denn je größer

so groß wie das von Stahl, aber fünfmal größer als das von Laubholz.

und älter die Scheibe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für einen

Der Werkstoff verformt sich bei wachsender Belastung rechtwinklig

kritischen Defekt _ Abb. 14. Die Festigkeit des Glases hängt auch von

zur Plattenebene linear-elastisch, bis er bei Überschreiten der Bruch-

der Dauer der Beanspruchung und dem umgebenden Medium ab;

dehnung schlagartig und ohne Vorankündigung auf der zugbean-

Luftfeuchtigkeit unterstützt die subkritische Rissausbreitung.

spruchten Seite bricht. Die Dehnungen ε verhalten sich bis zum Bruch

_ Abb. 12

Infolge des spröden Materialverhaltens ist die Druckfestigkeit von

proportional zu den Spannungen σ. Glas unterscheidet sich damit we-

Glas circa zehnmal höher als die (Biege-) Zugfestigkeit. Da Kerbstellen

sentlich von anderen „gutmütigen“ Konstruktionsmaterialien wie Holz

in der Scheibenebene überdrückt werden, wirken sich Störungen an

oder Stahl, die sich in einem gewissen Maße plastisch verformen kön-

der Glasoberfläche nicht festigkeitsmindernd aus _ Abb. 13. Da Druck-

nen, um Spannungsspitzen abzubauen

beanspruchungen immer auch von Querzugkräften begleitet sind,

lierte Spannungsspitzen auszuschließen, ist daher der direkte Kontakt

liegt die real vorhandene Druckfestigkeit von circa 50 kN/cm² deutlich

zwischen Glas und Glas und zwischen Glas und Metall unbedingt zu

unter dem theoretischen Wert von bis zu 90 kN/cm². Die Druckfestig-

vermeiden. Auch Zwängungsspannungen, wie sie durch Temperatur-

keit unter Dauerlast wird in der Literatur mit etwa 17 kN/cm² angege-

dehnungen entstehen, können aufgrund des fehlenden plastischen

ben. [3.1/6]

Verformungsverhaltens zum Bruch führen.

. Um unkontrol-

_ Abb. 15 – 17

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN FLACHGLAS ALS BAUSTOFF 15

Flachglas und die vielfältigen Erscheinungsformen des Lichts: Kirchenfenster mit dichroitisch beschichtetem Glas, Sweeny Chapel Indianapolis, 1987, Arch.: JCDA

3.1

15

Der Wärmeausdehnungskoeffizient αT erfasst die relative Längendeh-

Seine Sprödigkeit, die hohe Druckfestigkeit und das elastische Verfor-

nung eines Bauteils pro Grad Temperaturerhöhung. Für das im Bau-

mungsverhalten sind für das Konstruieren mit Glas von übergeord-

wesen übliche Kalknatronglas liegt dieser bei 9 x 10 -6 und damit rund

neter Bedeutung. Die wichtigsten physikalischen Kennwerte sind in

ein Viertel unter dem Wert von Baustahl. Bei allen konstruktiven An-

_ Abb. 10

im Vergleich zu anderen Werkstoffen zusammengefasst.

Bauteildehnungen beachtet werden. Titan, das den gleichen Wärme-

FL ACHGL AS ALS HÜLLMATERIAL

ausdehnungskoeffizient wie Glas besitzt, hat daher trotz der hohen

Als amorpher Stoff weist Glas keine Phasengrenzen auf, an denen die

Materialkosten für den konstruktiven Glasbau eine besondere Bedeu-

Lichtstrahlen gebrochen werden, das Glas erscheint durchsichtig. In

tung. Auch spezielle galvanisierte Metalllegierungen können dem αT

der hohen Transparenz und der guten chemischen Beständigkeit ge-

von Glas angepasst werden.

genüber den meisten aggressiven Medien wie Säuren und Salzen liegt

Die Temperaturdifferenz ∆T, die ein Bauelement aufnehmen kann,

seine herausragende Bedeutung als Hüllmaterial. Lediglich silizium-

ohne zu brechen – auch Temperaturgradientenbeständigkeit TGF ge-

oxidlösende Flusssäure greift die Glasoberfläche an. Allerdings kön-

nannt –, ist bei Bauglas gering. Für nicht vorgespanntes Kalknatron-

nen auch basische wässrige Lösungen, die sich beispielsweise bei

glas weist sie nur circa 40 Kelvin auf. Die TGF von Borosilikatglas ist

Auswaschungen aus angrenzenden Bauwerksteilen aus Beton oder

wegen der geringeren Wärmedehnung mehr als doppelt so hoch.

Kalkstein oder durch andauernde Kondensation stehenden Wassers

Auch das Vorspannen der Gläser erhöht die TGF.

auf der Glasfläche bilden, langfristig zum Erblinden der Glasoberfläche

39

schlüssen und Verbundkonstruktionen müssen die unterschiedlichen

UV

IR

sichtbar

Relative energetische Intensität

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

100%

50%

0 0

1000

2000 Wellenlänge λ [nm]

16

18 Sonneneinstrahlung 100%

Gesamte Sonneneinstrahlung direkte Transmission 85%

Lichttransmission τl Transmission τe

Reflexion + Reflexion

7% sekundäre Wärmeabgabe nach außen qa

87% 13 % 2%

6% Sekundärabstrahlung und Konvektion

Sekundärabstrahlung und Konvektion

17

sekundäre Wärmeabgabe nach innen qi = Gesamtenergietransmission/g-Wert

19

20

18, 19 Strahlungsanteile von Transmission, Reflexion 16

Farbglas Artista, Landeszentralbank Sachsen

und Absorption addieren sich zu 100%

und Thüringen in Meiningen, Arch.: H. Kollhoff,

des einfallenden Lichtes.

Kunstverglasung: H. Federle

Der g-Wert ist die Summe der direkt durchgelassenen Strahlungsanteile und der

20

Treibhauseffekt: Durch die Verglasung gelangt mit dem

Schematische Darstellung des Sonnenspektrums,

sekundären Wärmeangabe qi der Verglasung

sichtbaren Licht kurzwellige Strahlung in den Innenraum,

das einen Wellenlängenbereich von ca. 280

infolge Wärmestrahlung, Wärmeleitung

wo sie absorbiert wird. Die entstehende langwellige

nm (UV) bis 3500 nm (IR) umfasst.

und Konvektion.

IR-Strahlung wird von der Scheibe absorbiert.

3.1

17

führen. Neben den optischen Eigenschaften des Glases sollen im Fol-

absorbierten Strahlung ist von der der Scheibendicke abhängig. Eine

genden auch die thermischen und akustischen Eigenschaften ange-

Beeinträchtigung von Transparenz, die meist als sehr störend empfun-

sprochen werden, soweit sie für die Verwendung der gläsernen Schei-

den wird, beruht auf der Reflexion des auftreffenden Lichts auf der

be als Raumabschluss von Bedeutung sind.

Glasscheibe. Zwischen Luft und Glas beträgt das Reflexionsvermögen bei senkrechtem Einfall je 4 Prozent auf der Vorder- und der Rücksei-

_ TRANSMISSION,

REFLEXION UND ABSORPTION

rischer Schichten kann die Reflexion für eine bestimmte Wellenlänge

auf die Glasoberfläche auftrifft, wird reflektiert und ein anderer Anteil

des Lichts durch destruktive Interferenz nahezu vollständig ausge-

durch die Einfärbung des Glases absorbiert. In der Vielfalt und wech-

schaltet werden. Bei Wärme- oder Sonnenschutzgläsern kann so das

selseitigen Abhängigkeit dieser optischen Phänomene liegt die einzig-

Reflexionsverhalten von Glas im UV- oder IR-Wellenbereich gezielt be-

artige Faszination des Baustoffes Glas begründet _ Abb. 18.

einflusst werden. Zwischen den Maßzahlen für Transmissionsgrad τ,

Während das Transmissionsvermögen (oder der Transmissionsgrad) angibt, welcher Teil der auftreffenden Strahlung ohne größere

40

te, also 8 Prozent insgesamt. Durch das Aufbringen dünner dielekt-

Glas ist nicht ausschließlich transparent – ein Teil der Strahlung, die

Reflexionsgrad ρ und Absorptionsgrad α besteht eine einfache Bilanz, welche die Erhaltung der Strahlungsenergie ausdrückt: τ+ρ+α=1.

Aufstreuung eine Scheibe durchtritt, beschreibt Absorption eine Ei-

Im Bereich des sichtbaren Lichtes, bei dem das Sonnenspektrum

genschaft des Materials, einmal eingedrungene Strahlung in andere

mit einem Anteil von über 50 Prozent an der Gesamtstrahlung die

Energieformen – größtenteils in Wärme – umzusetzen. Der Anteil der

höchste Intensität

_ Abb. 19

hat, weist Glas eine sehr hohe Transmis-

Reflexion Absorption

Transmission Wellenlänge [nm]

23

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN

21

Lichtdurchlässigkeit/Reflexion

Wellenlänge [nm]

Transmission und Absorption [%]

Lichttransmission

Lichtreflexion Einfallswinkel des Lichts

24

Sichtbares Licht [%]

Gesamtstrahlung[%]

Stärke [mm]

Durchlässigkeit [τv] Reflexion [ρv]

Absorption [αv]

Durchlässigkeit [τe]

Reflexion [ρe]

Absorption [αe]

2

91

8

1

87

8

5

3

91

8

1

84

7

9

4

90

8

2

82

7

11

5

90

8

2

80

7

13

6

89

8

3

78

7

15

8

89

8

3

74

7

19

10

88

8

4

71

7

22

12

86

8

6

66

6

28

15

83

8

9

62

6

32

22

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Transmission τ [%]

Weißes Klarglas Floatglas

25

23 21

Spektrale Transmission von Weiß- und Floatglas

22

Übersicht der optischen Kennwerte bezogen auf das

Spektrale Transmission von Grünglas, das sich aufgrund eines ausgeprägten Absorptionsverhaltens im IR-Bereich als Sonnenschutzglas eignet.

sichtbare Licht (Index v) und die Gesamtstrahlung

24

Lichttransmissions- und Reflexionskurve für verschiedene Einfallswinkel

25

Totalreflexion bei flachem Betrachtungswinkel, Finnischer Pavillon, Expo 2000

3.1

(Index e) für Floatglas verschiedener Stärken

sion auf. Ultraviolett (UV)-Strahlungen unterhalb von 320 Nanome-

strahlung (τe, ρe, αe mit Index e für energy) bezogen

_ Abb. 24

. Darü-

tern und langwellige Infrarot (IR)-Strahlung oberhalb von 3000 Nano-

ber hinaus ist für Verglasungen der Gesamtenergiedurchlassgrad g von

metern werden fast vollständig absorbiert. Auf dem Sachverhalt unter-

Bedeutung. Dieser setzt sich neben dem direkt durchgelassenen

schiedlicher Durchlässigkeiten für verschiedene Wellenlängen beruht

Strahlungsanteil des gesamten Sonnenspektrums auch aus der se-

auch der für gläserne Raumbegrenzungen wichtige Treibhauseffekt:

kundären Wärmeabgabe der Verglasung infolge Wärmestrahlung und

Die vom Glas durchgelassene sichtbare und kurzwellige Strahlung

Konvektion zusammen. Das Verhältnis von τ zu g wird als Selektiv-

wandelt sich im Innenraum in langwellige Wärmestrahlung um, die

kennzahl S bezeichnet, dabei entspricht ein Wert von S = 2 der physi-

von der Verglasung absorbiert wird und über Strahlung oder Konvekti-

kalischen Grenze, da das sichtbare Licht etwa die Hälfte der gesamten

on wieder an den Innenraum abgegeben wird. Die Verglasung wird zur

Energie des Sonnenspektrums ausmacht. Das heißt, dass durch eine

„Wärmefalle“

selektive Verglasung, die ausschließlich sichtbares Licht durchlässt,

_ Abb. 23

. [3.1/7, 3.1/8]

Die Strahlungsbilanz für einen bestimmten Bereich des Sonnen-

immer noch die Hälfte der gesamten Strahlungsenergie in den Innen-

spektrums ist also abhängig sowohl von der Zusammensetzung, Dicke

raum gelangt. Mit anderen Worten: Um einer Aufheizung entgegenzu-

und Oberflächenbeschaffenheit des Glases als auch von dem vorherr-

wirken, muss auch der Tageslichtgewinn reduziert werden. [ 3.1/9]

te werden in der Regel entweder auf den Bereich des sichtbaren Lichtes (τv ρv und αv mit dem Index v für visible) oder auf die Gesamt-

41

schenden Einfallswinkel der Strahlung. Diese charakteristischen Wer-

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

ki ki

θ1 Luft n = 1,0 Glas n´ = 1,5

θ1 θ2

kt

Snellius‘sches Brechungsgesetz

Luft n = 1,0 Glas n´ = 1,5

θ1‘ θ1

Luft n = 1,0 Glas n´ = 1,5

Totalreflexion

Reflexionsgesetz

26

Quelle

28

Material

Brechungsindex n

Luft

1,00

Wasser

1,33

Plexiglas

1,49

Kalknatronglas

1,52

Bleikristallglas

1,60

Diamant

2,42

27

θ2

kr

30

Glas n´ = 1,5 Luft n = 1,0

29

31

30 26

An den Grenzflächen transparenter Materialien mit unterschiedlichen Brechungsindizes wird das

kritischer Winkel θ1´ = 41,8°

Totalreflexion: Bei schräg einfallendem Licht erhöht sich der Prozentsatz des reflektierten Lichtes (s. auch

28

Reflexionsgesetz: Der Ausfallswinkel der reflektierten

Abb. 27). Ab einem kritischen Winkel (41,8° für Glas)

durchgelassene Licht nach dem Snellius’schen

Strahlungsanteile ist gleich dem Einfallswinkel:

tritt beim Übergang vom optisch dichteren (Glas) zum

Brechungsgesetz gebrochen: n sinθ1 = n’ sinθ2.

θ1 (Einfallswinkel) = θ1’(Reflexionswinkel).

optisch dünneren Medium (Luft) eine Totalreflexion auf, und die Strahlen werden vollständig reflektiert.

27

Brechungsindizes n für verschiedene

Lichtbrechung, -reflexion und -absorption an einem Randstück eines Floatglasbandes

31

Strahlenbrechung und Spektralverteilung am Prisma

3.1

transparente Materialien

29

42

_ STRAHLUNGSBILANZ

IN ABHÄNGIGKEIT ZU

transmission ist so gut wie unabhängig von der Glasdicke. Bei einer

GLASDICKE, -ZUSAMMENSETZUNG, EINFALLSWINKEL UND

Staffelung stark absorbierender Scheiben (z. B. in einem Mehrschei-

OBERFLÄCHENBESCHAFFENHEIT

ben-Isolierglas) ist zu beachten, dass sich die resultierende Transmis-

Bei einem 4 Millimeter dicken Kalknatronglas werden etwa 90 Prozent

sion als Produkt der Transmissionsvermögen der Einzelscheiben er-

des sichtbaren Lichtes durchgelassen, 8 Prozent reflektiert und 2 Pro-

gibt. Nur bei schwacher Absorption der Einzelgläser lassen sich die

zent absorbiert. Die Absorption beruht auf Verunreinigungen der Glas-

Absorptionsvermögen annähernd addieren.

masse durch Eisenoxid (circa 0,1 Prozent), das zu der Absorption von

Die spiegelnde Reflexion ist eine Eigenschaft der Grenzschicht

rotem Licht und damit zu der grünlichen Eigenfärbung führt. Durch

zwischen zwei lichtdurchlässigen Medien. Der Reflexions- und damit

kontrollierten Zusatz anderer Metalloxide kann die Glasfärbung ge-

auch der Transmissionsgrad ändern sich mit dem Einfallswinkel. Je

steuert werden, wodurch die Absorption auf Kosten der Transmission

flacher das Licht zur Scheibenebene steht, desto mehr nimmt die

zunimmt. Ein grau eingefärbtes Glas lässt beispielsweise im Vergleich

Spiegelung zu. Zusätzlich verstärkt sich mit einem flacher werdenden

zu einem klaren Floatglas nur etwa die Hälfte des Lichtes durch. Mit

Einfallswinkel die Lichtbrechung: Es tritt eine zunehmende Richtungs-

wachsender Glasdicke nimmt der Anteil absorbierter Strahlung und

änderung der durchgelassenen Strahlen an den Grenzflächen zwi-

damit die Erwärmung des Glases zu. Durch die Verwendung von sehr

schen Glas und Luft auf. Ab einem bestimmten kritischen Einfallswin-

reinem Siliziumoxid bei der Herstellung von Weißglas verringert sich

kel kommt es zur Totalreflexion an der strahlungszugewandten Seite

dagegen die Absorption – das Glas erscheint farblos, und die Licht-

– die auftreffenden Strahlen werden nicht mehr gebrochen, sondern

38

33

36

39

34

37

40

34

32, 35, 38 Transmissionsarten

35 Gemischte Transmission von direkter und diffuser Strahlung an strukturierter Oberfläche

33, 36, 39 Reflexionsarten 33 Spiegelnde Reflexion an idealer Oberfläche

37

Die strukturierte Oberfläche eines Gussglases

40

Die raue Oberfläche eines sandgestrahlten Glases

36 Gemischte Reflexion an strukturierter Oberfläche 37 Diffuse Reflexion an rauer Oberfläche

3.1

38 Lichtstreuung bei rauer Oberfläche

Die feuerpolierte, nahezu vollkommen glatte Floatglasoberfläche

32 Transmission direkter Strahlung an idealer, glatter Oberfläche

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN

35

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

32

vollständig reflektiert. Dieser Effekt, der auf den unterschiedlichen

erkennen ist. Die Durchlässigkeit von diffusem Licht wird als Translu-

Dichten und Brechungsindizes optischer Materialien beruht, kann in

zenz bezeichnet. Neben der Strukturierung der Glasoberfläche durch

Bezug auf den Lichtdurchgang bei planparallelen Flachgläsern ver-

Ätzung oder Flächenschliff kann der direkte Strahlungsdurchgang

nachlässigt werden, da die Winkeländerung beim Lichtaustritt an der

auch durch Trübung der Glasmasse (Milchglas) reduziert werden.

gegenüberliegenden Oberfläche aufgehoben wird. Bei nichtparallelen

Umgekehrt sind bei der feuerpolierten, „glasklaren“ Oberfläche von

Oberflächen kann durch Mehrfachbrechung allerdings ein Prismenef-

Float- oder Ziehglas die Streulichtanteile extrem gering, und der ganz

fekt entstehen, so dass das Licht in seine Spektralfarben zerlegt wird

überwiegende Teil der auffallenden Lichtstrahlen folgt dem Reflexi-

_ Abb. 33

. [3.1/10]

Die Oberflächenbeschaffenheit beeinflusst weniger die Strahlungs-

onsgesetz. Sie treten unter dem gleichen Winkel gegenüber der Senkrechten zur Scheibenebene aus, unter dem sie eingefallen sind.

bilanz als vielmehr das Verhältnis von direktem, quasiparallelem Licht und indirektem oder diffusem Streulicht in Bezug auf Transmission

_ THERMISCHE

und Reflexion. Mit zunehmender Rauheit oder Strukturierung der

Da Glas eine relativ hohe Wärmeleitfähigkeit hat, ist es nur durch den

Oberfläche wird das gerichtete Licht bei der Transmission aufgestreut,

mehrschichtigen Aufbau eines Isolierglases und einer zwischen den

und die spiegelnde Reflexion nimmt zugunsten der diffusen Reflexion

Glasebenen eingeschlossenen Dämmschicht aus Füllgas möglich,

ab. Sowohl das Bild in der Durchsicht als auch das Spiegelbild ver-

den Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert) auf das Niveau moderner

schwimmen, bis es nur noch schemenhaft auf der Glasoberfläche zu

Wärmeschutzanforderungen zu senken. Auch in Bezug auf Brand-

43

UND AKUSTISCHE EIGENSCHAFTEN

Raumab-

Raumab-

schluss

schluss mit

schluss mit

(feuerwider-

reduzierter

therm. Isolation

standsfähig)

Hitzeab-

(feuerhemmend,

strahlung

feuerbeständig)

DIN

G 30

4102

G 120



F 30 F 120

EN ISO

E 15-

EW 30-

E| 15-

12543

E 240

EW 60

E| 240

41

Schalldämmmaß RW [dB]

WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Raumab-

2 40

1

30

20 2

3

4

5

6 7 8

10

14

20

Scheibendicke [mm] 42

41

Klassifizierung der Brandschutzklasse nach deutscher und europäischer Normung

42

Schalldämmmaß in Abhängigkeit von der Scheibendicke 1 Einfachglas

3.1

2 Verbundglas

schutzanforderungen ist das unveredelte Glas als Raumabschluss kri-

Wellenlängen abhängig. An der harten und ebenen Glasoberfläche

tisch. Glas ist zwar nicht brennbar und trägt damit nicht zur Brandlast

werden Schallwellen im oberen Frequenzbereich zurückgeworfen,

bei, aber aufgrund der geringen Temperaturgradientenbeständigkeit

was zur akustischen Beeinträchtigung der Umgebung führen kann.

kann es bereits bei Kontakt mit heißen Brandgasen brechen und des-

Durch Strukturierung der Glasoberfläche reduziert sich die direkte Re-

halb keinen sicheren Raumabschluss gegen einen Flammen- und

flexion. Die Schallabsorption, von der wesentlich das Schalldämmmaß

Brandgasdurchtritt gewährleisten. Durch die Verwendung von vorge-

abhängt, kann durch größere Scheibendicken und einen mehrschich-

spanntem Borosilikatglas, das eine geringere Wärmeausdehnung be-

tigen Verbundglasaufbau gesteigert werden.

sitzt, kann die Standzeit beträchtlich gesteigert werden. Transparente Glaskeramik, die sich durch eine Teilkristallisation des Gefüges von Glas unterscheidet, besitzt aufgrund einer sehr geringen Wärmeausdehnung dagegen eine ausgezeichnete thermische Beständigkeit und wird als Brandschutzglas verwendet. Die Transmission von Wärmestrahlung kann durch Verbundgläser mit Brandschutzschichten einge-

44

schränkt werden. [3.1/11] Die wellenförmige Ausbreitung von Schall ist vergleichbar mit der von Licht. Reflexion und Absorption von Schallwellen sind von deren

Manganoxid Nickeloxid

blau

Kupfer(II)oxid Kobalt(II)oxid

grün

Eisen(II)oxid Chrom(II)oxid Kobalt(III)oxid

gelb

Chrom(VI)oxid Wolframoxid

gelb-braun braun

Eisen(III)oxid Eisen(III)oxid Nickeloxid Manganoxid

rot

1

Kupfer(I)oxid

3

BASISGLAS – FLOATGLAS, WALZGLAS UND ZIEHGLAS

violett

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Färbung mit Metalloxiden

1 Einbringung des Gemenges in die Schmelzwanne 2 Floatglasanlage in Köln-Porz, Deutschland Links unten im Bild das Gemengehaus und der Schmelzofen 3 Farbspektrum zur Ionenfärbung von Glas durch beigemischte Metalloxide

3.2

2

_

_ GLASREZEPTUR

_

Im Bauwesen werden überwiegend Kalknatrongläser verwendet, wäh-

_

rend Borosilikatgläser in wesentlich kleinerem Umfang für Brandschutzverglasungen hergestellt werden. Durch Verwendung besonders

_ _

3.2

BASISGL AS – FLOATGL AS, WAL ZGL AS UND ZIEHGL AS

eisenoxidarmen Siliziumoxids wird farbloses oder „weißes“ Kalknatronglas mit sehr geringer Absorption und entsprechend hoher, von der

Basisgläser unterscheiden sich je nach Rezeptur und Herstellungsver-

Die Mehrkosten betragen je nach Glasdicke 15 bis 25 Prozent. Durch

fahren bezüglich Fertigungsgrößen und Eigenschaften. Nach der che-

den Zusatz von Farbbildnern (Anlauffärbung) oder Metalloxiden (Io-

mischen Zusammensetzung unterscheidet man Kalknatron- und Bo-

nenfärbung) kann die spektrale Durchlässigkeit und damit die Glasfar-

rosilikatgläser oder Weiß- und Farbgläser. Flachglas wird im Floatglas-,

be gezielt gestaltet werden _ Abb. 3. Die Zusätze betragen weniger als

Walzglas- und Ziehglasverfahren hergestellt, wobei Floatglas heute

0,5 Prozent des Gemenges. Metalloxide erzeugen ein weites Farb-

über 90 Prozent der Flachglasproduktion ausmacht und das wichtigs-

spektrum. Edelmetalle, Metallsulfide und -selenide führen abhängig

te Basisglas darstellt. Im Folgenden werden die Basisprodukte und

vom Prozess zu Anlauffärbungen in Gelb- und Rottönen. Die Farbtöne

ihre Bedeutung für Hülle und Konstruktion vorgestellt.

massegefärbter Gläser können sich nach Charge unterscheiden, so dass die Einlagerung von Ersatzscheiben empfehlenswert ist. [3.2/1]

45

Glasdicke praktisch unabhängiger Tageslichttransmission hergestellt.

BASISGLAS – FLOATGLAS, WALZGLAS UND ZIEHGLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

4

6

4 Das Gussglasband bei der Formgebung durch ein Walzenpaar 5 Auf Bandmaß geschnittene Floatglastafeln nach Formgebung und optischer Kontrolle

3.2

6 Blick in den Ziehschacht beim Fourcault-Verfahren 5

HERSTELLUNGSVERFAHREN

geschnitten. In sehr begrenztem Maß werden für den Glasmarkt Über-

_ FLOATGLAS

längen produziert. Einige Glaswerke produzieren für außergewöhn-

Die Floatglasherstellung beruht auf einem von Alastair Pilkington ent-

liche Anwendungen einmal pro Jahr Scheiben mit 12 Metern Länge,

wickelten Verfahren. Das Kernstück der Anlage bildet das ungefähr

dabei handelt es sich in der Regel um Weißglasscheiben.

50 Meter lange Zinnbad, auf das bei 1100 °C die flüssige Glasschmel-

Die Möglichkeiten zur Modifizierung der Glasmasse sind aufgrund

ze aus der Schmelzwanne fließt und bis zur Erhärtung bei ungefähr

der Massenproduktion begrenzt. Neben Weißglas wird Farbglas nur in

600 °C „schwimmt“.

Bronze bis zu einer Dicke von 12 Millimeter und in Grau, Rosa und

Die Glaserzeugung wird heute von Unternehmensgruppen mit

Grün bis 10 Millimeter hergestellt. Borosilikatglas wird in Jena von der

einem weltweiten Netz an Floatglasanlagen abgewickelt. Ein Produkti-

Schott AG in einer Mikro-Floatanlage in Dicken bis 21 Millimeter in

onsstandort kann pro Tag bis zu 750 Tonnen (circa 50 000 m²) Glas

maximalen Tafelgrößen von 2,30 m x 3 m hergestellt.

46

produzieren. Die vier führenden Glashersteller der Welt Nipon Sheet Glass (die im Jahr 2005 Pilkington erwarben), Asahi, Saint-Gobain

_

und Guardian bestreiten etwa zwei Drittel der Weltproduktion an hoch-

Die Herstellung von Walzglas erfolgt nach dem Prinzip der „überlau-

wertigem Floatglas (circa 25 Mio. Tonnen).

fenden Wanne“: Aus der Schmelze wird kontinuierlich durch ein Paar

WALZGLAS

Floatglas wird in Dicken von 2 bis gewöhnlich 19 Millimetern her-

formgebender Walzen mit strukturierten Oberflächen ein Glasband

gestellt und nach dem Kühlvorgang in Bandmaße von 3,21 m x 6 m

abgezogen und anschließend gekühlt und geschnitten. Das mit einer

Opt. Eigenschaften

Bandmaße [cm]

Stärke [mm]

Floatglas

glatt, transparent

max. 321 x 600

2; 3; 4; 5; 6

±0,2

Massenprodukt,

Überlängen in 50 cm

8; 10; 12

±0,3

hohe Qualität,

Schritten (Aufpreis)

Gussglas

Vorteile

15

±0,5

exakte Fertigung

19; (25)

±1,0

(genaue Dicken)

Borosilikatglas:

3,8; 5; 5,5; 6,5

±0,2

max. 230 x 300

7,5; 8; 9; 11

±0,3

(Dicken 5,5 – 9 mm)

13; 15

±0,3

16; 17; 18; 19

±0,5

20; 21

±1,0

glatt/strukturiert,

max. 250 x 450

3; 4; 5; 6

±0,5

Große Auswahl an

lichtstreuend,

(produktabhängig)

8

±0,8

Farben und

10; 13; 15

±1,0

Ornamenten auch in

lichtlenkend

Kleinserien

Ziehglas

glatt/strukturiert,

max. 170 x 240

< 1,8 (Dünnglas)

leichte Ziehwellen

(produktabhängig)

> 19 (Dickglas)

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Drahtglas: 7; 9

Fertigung von Spezialgläsern, große Auswahl an Farben

Abweichungen von mehreren cm möglich

2; 3; 4

±0,2

5; 6

±0,3

8

±0,4

10

±0,5

12

±0,6

BASISGLAS – FLOATGLAS, WALZGLAS UND ZIEHGLAS

Glassorte

7

Abmessungen [cm x cm]

Farbglas Imera

2,75 ± 0,25

160 (2,5) x 150 (+10/-20)

Überfangglas Opalika

2,1 – 2,7 … 5,0 – 6,0

140 x 160

6 ± 0,25 3,5 bis 36

240 x 170 100 x 60 bis 210 x 103

Borosilikatglases entsprechen dem von der Firma Schott hergestellten „Borofloat 33“.

Bleiglas „RD 30“ „RD 50“

8 Fertigungsgrößen einiger im Ziehverfahren hergestellter Spezialgläser der Schott AG

240 x 160

8

Kapazität von 300 Tonnen pro Tag größte Gussglaswerk Europas be-

_ ZIEHGLAS

findet sich in Mannheim

Spezial-Flachgläser mit besonderen Glasrezepturen werden aufgrund

_ Abb. 4

.

Wegen der ein- oder beidseitig ornamentierten Oberfläche wird Walz-

der kürzeren Umrüstzeiten im Ziehglasverfahren vor allem von der

glas auch als Ornamentglas bezeichnet. Bei der Herstellung von Draht-

Schott AG in Grünenplan hergestellt. Das Ziehglasverfahren wurde An-

glas wird beim Walzvorgang eine Drahtnetzeinlage in das flüssige Glas

fang des 20. Jahrhunderts entwickelt, in verbesserter Form kommt

eingezogen. Eine Vielzahl von Mustern – zum Teil mit Drahteinlage –

das nach seinem Erfinder benannte Fourcault-Verfahren heute noch

steht zur Verfügung, aber auch kundenspezifische Muster sind mög-

zur Anwendung. Das brutto circa 1,90 Meter breite Glasband wird

lich, wenn ein entsprechender Kosten- und Zeitrahmen für die Anfer-

kontinuierlich über eine Ziehdüse vertikal aus der Schmelze gezogen

tigung der Walzen vorhanden ist. Neben Weißglas sind 30 verschie-

und über Rollen im Ziehschacht nach oben transportiert, so dass es

dene Braun-, Gelb-, Grau-, Violett- und Blautöne erhältlich.

spannungsfrei abkühlen kann _ Abb. 6.

Das Bandmaß beträgt maximal 2,50 m x 4,50 m, je nach Produkt

Im Ziehglasverfahren werden heute Farbglas in über 30 verschie-

und Glasdicke treten Abstufungen auf. Die üblichen Dicken betragen

denen Grundfarben, Weißglas, Dünn- (bis 1,8 mm) und Dickglas (über

4, 5, 6, 8 und 10 Millimeter, aber auch Dicken von 13, 15 und 19 Mil-

19 mm), ferner auch Überfanggläser (oder Zweischichtengläser) her-

limeter werden produziert. Drahtglas wird in ähnlichen Tafelgrößen mit

gestellt, dabei wird ein farbloses Grundglas mit einer dünnen Schicht

den Dicken 7 und 9 Millimeter hergestellt. Gussgläser weisen mit bis

farbigen oder milchigen Glases (Milchüberfangglas, z.B. Opalika)

zu ±10 Prozent große Dickentoleranzen auf.

überzogen. Die Tafelbreiten von Spezialgläsern betragen zwischen

3.2

– die Kenndaten des im Floatverfahren hergestellten

Stärke [mm]

47

7 Fertigungsgrößen und -merkmale von Basisgläsern

Produkt

BASISGLAS – FLOATGLAS, WALZGLAS UND ZIEHGLAS

11

13

10

12

14

11 Bruchbild Drahtglas

13 Maschinengezogenes Milchüberfangglas (Opalika)

12 Strukturierte Ornamentglasoberfläche

14 Ziehwellen beeinträchtigen die verzerrungsfreie

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

9

9 Bruchbild Floatglas 10 In Überlängen hergestelltes Floatglas: Schaufensterscheibe mit einer Länge von ca. 8 m, New York

Durchsicht von Ziehglas.

3.2

mit Drahtglaseinlage

140 und 170, die Tafellängen zwischen 100 (bei 2 mm Dicke) und

BEDEUTUNG FÜR DIE R AUMHÜLLE

240 Zentimeter (bei 8 mm Dicke)

Die die hochwertige optische Qualität von Floatglas ist konkurrenzlos,

_ Abb. 8

. [3.2/2, 3.2/3, 3.2/4]

so dass es als Basisglas für alle Veredelungsstufen dient und in allen BEDEUTUNG FÜR DAS KONSTRUIEREN

Bereichen der Gebäudehülle verwendet wird. Walzgläser sind zwar

Für konstruktive Anwendungen kommen aufgrund der hohen Maß-

plan und lichtdurchlässig, aber nicht transparent. Sie werden vor allem

genauigkeit und geometrischen Exaktheit nur Floatgläser in Betracht,

als Sichtschutz im Innenraum eingesetzt. Durch die Kombination von

die entsprechend weiterverarbeitet werden. Aufgrund der geringeren

Farben und Ornamenten ermöglichen Gussgläser vielfältige optische

Oberflächenqualität ist die Festigkeit von Walzglas nur etwa halb

Effekte. Sie kommen zunehmend in Fassadenbekleidungen zur An-

so hoch wie die von Float- oder Ziehglas. Alle Basisgläser brechen

wendung. [3.2/5] Charakteristisch für Ziehglas sind die durch das Her-

in radial vom Bruchzentrum ausgehenden spitzwinkligen Schollen

stellungsverfahren verursachten Unebenheiten in der Oberfläche, die

_ Abb. 9

. Von allen Basisgläsern weist Drahtglas die geringsten me-

so genannten Ziehwellen

_ Abb. 14

chanischen und thermischen Festigkeiten auf, die Temperaturwech-

nen Umfang für spezielle lichttechnische Anwendungen zum Einsatz.

selbeständigkeit beträgt nur circa 20 Kelvin.

Milchüberfanggläser finden aufgrund ihres diffusen Lichts vor allem bei Lichtdecken Verwendung

48

. Ziehgläser kommen nur im klei-

_ Abb. 13

. Durch kürzere Umrüstzeiten

kann eine große Vielfalt von Gläsern hergestellt werden.

ISO

12.5° - 20° 33 mm Rückschritt

> 12.5° 65 mm Rückschritt 1

3

4

min. 30°

1 schräge Kante

Rechtwinkliges Dreieck

Vieleck

Dreieck

30% Aufschlag

30% Aufschlag

50% Aufschlag

50% Aufschlag

Radius min. 10 cm

DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS

0°- 20° 20 mm Rückschritt

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

VSG

Ø min. 50 cm max. 200 cm

1 Glastafeln im Bandmaß vor dem Zuschnitt 2 Preisaufschläge für Formschnitte

Parallelogramm

Trapez

3 und 4 Rundecken

Kreis/Kreisausschnitt

40% Aufschlag

40% Aufschlag

60% Aufschlag

80% Aufschlag

3 Optische Kontrolle vor dem Schneiden 4 Notwendige Rückschnitte bei Dreiecksscheiben

3.3

2

_

_ VERFAHREN

_

Das Schneiden, Bohren und Kantenschleifen erfolgt heute weitgehend

_

mit CNC-gesteuerten Anlagen in „Bearbeitungszentren“, die mehrere Bearbeitungsschritte kombinieren können. Moderne Anlagen können

_ _

3.3

Scheiben bis zur Bandmaßgröße und einer Dicke von 19 Millimeter

DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GL AS –

bei einem maximalen Scheibengewicht von 500 oder sogar 1000 Ki-

SCHNEIDEN, BOHREN UND SCHLEIFEN

logramm bearbeiten.

Die mechanische Bearbeitung des spröden Werkstoffes erfolgt mit

mit Diamanten bestückten Schneidearm, der ganze, halbe oder viertel

Vielkorn-Werkzeugen (Diamant- oder Korundkorn). Man unterschei-

Bandmaße mit einer Schnittgenauigkeiten von bis zu 0,1 Millimeter in

det Schneiden und Trennen, Bohren, Kanten- und Flächenschleifen.

Festmaße auftrennt. Der zero-cut von Scheiben in Bandmaß stellt den

Die mechanische Bearbeitung erfolgt in der Regel vor allen weiteren

ersten Verarbeitungsschritt dar, bei dem seitlich an jeder Kante zwi-

Veredelungsschritten, vorgespannte Gläser können nachträglich nur

schen 5 und 10 Zentimeter abgeschnitten werden, um die Rechtwink-

noch oberflächlich mechanisch bearbeitet werden. Das Biegen von

ligkeit der Scheibe sicherzustellen. Verbundglas-Schneideanlagen er-

Glas im kalten Zustand nimmt bei den mechanischen Bearbeitungs-

möglichen das Schneiden laminierter Gläser bis 2 x 8 mm Dicke. Im

prozessen eine Sonderrolle ein.

Vergleich zu Rechteckscheiben ist der Formschnitt von Modellschei-

49

Der Zuschnitt aller Glasarten erfolgt vollautomatisch durch einen

2 mm

DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

45° ± 2° Gehrungskante

Flachfacette

halbrunde Kante

flachrunde Kante 5

6 Benennung

Beschreibung

geschnitten

Die geschnittene, unbearbeitete

Schematische Darstellung

Glaskante mit scharfkantigen Rändern, quer zu den Rändern weist die Kante leichte Wellenlinien (Wallnerlinien) auf. gesäumt

Schnittkanten, deren Ränder mit einem Schleifwerkzeug gebrochen bzw. gefast sind (Abmessungen Fase nicht einheitlich geregelt)

maßgeschliffen

Die Glasscheibe wird durch Schleifen der

(justiert)

Kantenoberfläche auf das erforderliche Maß gebracht. Die Kante kann sowohl geschnitten als auch gesäumt sein.

geschliffen

Die Kantenoberfläche ist durch Schleifen

(feinjustiert)

ganzflächig bearbeitet. Die Kante kann sowohl geschnitten als auch gesäumt sein.

5 Kantenformen

poliert

Die polierte Kante ist eine durch Überpolieren verfeinerte geschliffene Kante. Polierspuren

6 Innenausschnitte im Abrasivwasserstrahlschneide-

in gewissem Umfang sind zulässig.

verfahren (Flow Europe) 7

50

3.3

7 Kantenausführungen nach DIN 1249-11

ben mit einer oder mehreren schrägen Kanten oder Kreisausschnitten

Das Schleifen und Polieren geschnittener Glaskanten erfolgt mit auf

aufgrund der geringeren Schnittgeschwindigkeit und des in der Regel

Metallwerkzeugen gebundenem Korund- oder Diamantkorn. Die Bear-

größeren Materialverschnitts 30 bis 100 Prozent teurer

.

beitung kann mehre Arbeitsschritte mit abnehmender Korngröße um-

Spitzwinklige Schnitte sind technisch möglich, allerdings sollten ent-

fassen, um eine gewünschte optische und mechanische Qualität der

sprechende Rückschnitte vorgesehen werden, um ein späteres Ab-

Kanten zu erzielen. Der erste Schritt ist das Säumen oder Anfassen

brechen der Spitzen während des Transports oder der Montage zu

der Schnittkanten. Beim nachfolgenden Justieren wird die Scheibe auf

verhindern _ Abb. 4. [3.3/1]

das erforderliche Maß gebracht, wobei die Kanten noch blanke Stellen

_ Abb. 2

Das Abrasivwasserstrahlschneiden ermöglicht mit einem bis 2,5 Mil-

aufweisen. Durch das Feinjustieren wird die Glaskante ganzflächig be-

limeter breiten Hochdruck-Wasserstrahl, dem ein loses Schleifkorn (Ab-

arbeitet, erscheint aber noch matt. Erst durch das abschließende Po-

rasivstoff) zugesetzt ist, das Auftrennen von Werkstücken bis 120 Milli-

lieren werden die Kanten transparent. Neben geraden Kanten ist auch

meter Dicke in einem Arbeitsgang. Der Schnittgeometrie sind dabei

die Herstellung von Gehrungskanten bis 45°, Flachfacetten, runden

keine Grenzen gesetzt, auch Innenausschnitte sind möglich. Die Schnitt-

Kanten, Stufenfalzen, Nuten etc. möglich, wobei die Arbeitsschritte

genauigkeit ist höher als beim Diamantscheiden, allerdings entsteht an

des Formschleifens und Polierens für kleinere Scheibenformate in ei-

der Schnittkante eine Winkelungenauigkeit, die je nach Schnittge-

ner Schleifstraße zusammengefasst werden. Aufgrund des Arbeitsauf-

schwindigkeit bis 0,3 Millimeter betragen kann. Das zeit- und kostenin-

wandes stellen das Schleifen und insbesondere das Polieren einen

tensive Verfahren kommt nur bei speziellen Anwendungen in Betracht.

beträchtlichen Kostenfaktor dar.

DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

8

9

8 Detail einer sandgestrahlten Glasoberfläche 9 Detail einer geätzten Glasoberfläche 10 VSG-Scheibe aus 2 x 10 mm Weißglas mit außen liegender Mattätzung, Kunsthaus Bregenz, 1997, Arch.: P. Zumthor

3.3

10

Zylinder-, Senk- oder Hinterschnittbohrungen werden im Diamant-

gleich zu einer Flächenätzung im Säurebad mit Flusssäuresalzen wird

bohrverfahren durch einen lokalen Schleifvorgang im nicht vorge-

eine geringere optische Qualität erzielt _ Abb. 8, zudem zieht die raue

spannten Einfach- oder Verbundglas hergestellt. Komplexere Bohr-

Oberflächenstruktur Flüssigkeiten, Fette und Ablagerungen an, so

lochgeometrien müssen im Wasserstrahlverfahren hergestellt werden.

dass eine Außenanwendung auch bei einer Schutzbeschichtung nicht

Um ein Ausbrechen des Bohrers auf der gegenüberliegenden Werk-

zu empfehlen ist. Durch Maskierung der Oberflächen sind partielle

stoffseite zu verhindern, erfolgt die Bohrung meist von beiden Seiten;

Mattierungen möglich.

der Bohrungsversatz im zylindrischen Lochteil kann bis zu einem halben Millimeter betragen. Auf den meisten Anlagen sind Bohrdurch-

_ BEDEUTUNG

messer bis 70, in manchen Fällen sogar bis 150 Millimeter möglich.

Jede Form der mechanischen Bearbeitung führt zu mikro- und makros-

Die Toleranzen für die Bohrpositionsgenauigkeit wachsen den Flä-

kopischen Materialabplatzungen im Bearbeitungsbereich und zu einer

chentoleranzen entsprechend mit den Scheibenabmessungen an.

Reduzierung der Tragfähigkeit. Die Glasfestigkeit ist direkt abhängig von

Die Mattierung der Glasoberfläche kann mechanisch durch ein in der

Form und Qualität der Kanten- und Oberflächenbearbeitung. Durch ei-

Regel handgeführtes Sandstrahlgebläse oder im Nassschliff durch ei-

nen Flächenschliff oder eine Strahlmattierung wird beispielsweise die

ne Mattiermaschine (max. Glasbreite circa 2 m) erzielt werden – even-

Festigkeit um bis zu 50 Prozent herabgesetzt. Durch das Vorspannen

tuell vorher aufgebrachte Beschichtungen werden zerstört. Anders als

der Scheibe nach abgeschlossener Bearbeitung wird der festigkeits-

beim Kantenschliff erfolgt die Bearbeitung mit losem Korn. Im Ver-

mindernde Einfluss der mechanischen Bearbeitung relativiert.

51

FÜR DAS KONSTRUIEREN

DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS

D≥S A ≥ 2S

D≥S

B ≥ 2S

D≥S

A ≥ 2S

C



6S

R >> 10 mm

A

Abstand zum Scheibenrand

B

Lochabstand (von Lochrand zu Lochrand)

C

Abstand zur Glasdecke

D

Lochdurchmesser

S

Scheibendicke

b

11

d

14

90° 1/2 1/2

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

I ≤ I/3

12

13

15

14 11

Standard-Ausschnitte: Der Radius für gerundete Ecken sollte min. 10 mm

Für die Positionierung von Lochbohrungen

betragen, bei Verbundgläsern min. 15 mm. Ein

und Mindestabmessungen bestehen noch Verschiedene Bohrlochgeometrien (12, 13, 15):

Eckausschnitt sollte sich nicht über mehr als ein Drittel

12

Zylindrisches Bohrloch

einer Kantenlänge erstrecken.

Die Angaben in der Zeichnung sind

13

Konisches Bohrloch

Bei Anschnitten an mehr als zwei Kanten muss die

als Richtmaße zu verstehen.

15

Hinterschnittbohrloch

Produzierbarkeit mit dem Hersteller vorab geklärt werden.

3.3

keine einheitlichen Regelungen.

Die Kanten konventionell geschnittener Gläser weisen wellenförmige

und Glaskante sind in

Unebenheiten (Wallnerlinien) und Mikrorisse auf. Das Fasen entlang

werden für eine konstruktive Verwendung prinzipiell vorgespannt.

_ Abb. 11

dargestellt. Scheiben mit Bohrungen

der Glaskante verbessert das Tragverhalten, da Spannungskonzentra-

Da die Festigkeit von wasserstrahl geschnittenen Kanten etwa

tionen – insbesondere auch beim thermischen Vorspannprozess – ab-

30 Prozent höher als bei konventionell bearbeiteten Gläsern ist, ist ei-

gebaut werden. Auch rückspringende Ecken von Aussparungen müs-

ne Nachbearbeitung nicht unbedingt erforderlich. [3.3/2]

52

sen abgerundet werden, um Spannungsspitzen zu vermeiden. Bei konstruktiven Anwendungen sollten die Kanten bei einem Materialab-

_

trag von circa 2 Millimeter zumindest fein justiert sein. Konstruktiv ist

Bei frei liegenden Glaskanten ist eine Nachbearbeitung geboten, um

die Gehrungskante für Ganzglasstöße von Bedeutung, bei entspre-

die Verletzungsgefahr zu mindern und ein gleichmäßiges Erschei-

chenden Eckausbildungen muss eine Toleranz von ±2° im Gehrungs-

nungsbild zu erzeugen. Mit zunehmender Qualität der Kantenbearbei-

winkel berücksichtigt werden.

tung und abnehmender Korngröße nimmt die Transparenz und Re-

BEDEUTUNG FÜR DIE RAUMHÜLLE

Im konstruktiven Glasbau kommen vor allem zylindrische Boh-

flektivität der Glaskante zu. Im Gegensatz dazu hat das Aufrauen der

rungen für Bolzenverbindungen und konische Senkbohrungen für flä-

Oberfläche eine entspiegelnde Wirkung, das Licht wird gestreut, und

chenbündige Punkthalter zur Anwendung

. Der Bohrloch-

das Glas wirkt matt und durchscheinend. Eine Mattierung kann me-

durchmesser sollte mindestens der einfachen, besser der doppelten

chanisch durch Strahlmattierung oder Flächenschliff und chemisch

Glasdicke entsprechen. Richtwerte für Abstände zwischen Bohrungen

durch Ätzung erzielt werden _ Abb. 8, 9.

_ Abb. 12, 13

ESG

VSG aus ESG

VSG aus ESG

ohne Wärmebehandlung

mit Wärmebehandlung

Dicke [mm]

4

5

6

8

10

12

8

10

12

Radius [m]

2,4

4

6

5,2

8,4

12,3

2,7

4,8

7,2

17

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

1

DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS

Glassorte

2

3

4

16

16

18

Produktionsablauf eines Bogenglases 1 Auflegen in Form und Aufheizen auf 70 °C 17

2 Verformung durch Aufbringen einer

Tabelle zur vorläufigen Ermittlung der minimalen Biegeradien zylindrisch kalt

Belastung bis Erreichen des Bogenstiches

gebogener Glasscheiben nach P. Kasper

3 Fixierung der Form durch Einbau der Zugstangen (bei Last und Temperatur) 18

4 Abkühlen auf Raumtemperatur und

2 m x 4 m große Bogenglas-Elemente als

3.3

Lichtband, zentraler Busbahnhof Heidenheim

3.3

anschließendes Entfernen der Auflast

DAS KALT VERFORMEN VON GLAS

Die Firma Maier-Glas bietet vorgefertigte zylindrische Bogensegmente

Glas lässt sich aufgrund seines linear-elastischen Verformungsverhal-

aus VSG an, die durch Zugstangen in ihrer Form fixiert werden. Der

tens im kalten Zustand mechanisch verformen. Durch Klemm- oder

Herstellvorgang ist in _ Abb. 16 dargestellt. [3.3/3, 3.3/4]

Punkthalter kann eine ebene Glasplatte auf eine Unterkonstruktion in

Die Kaltverformung führt zu ständigen Biegezugbeanspruchungen

eine gekrümmte oder verwundene Geometrie gezwungen werden.

im Bauteil. Je größer die Verformung und je enger der Radius, desto

Dieses Verfahren stellt bei Hüllen mit unregelmäßigen Flächenkrüm-

größer die Spannungen, die sich zu den Spannungen aus der Ge-

mungen eine kostengünstige Alternative zu thermisch verformten Glä-

brauchslast addieren. Da etwa 60 Prozent der Gesamtspannung aus

sern dar, allerdings lassen sich dadurch nur flache Krümmungen bis

dem gekrümmten Grundzustand resultieren, weisen kalt verformte

maximal einem halben Grad pro Meter realisieren. Je größer Dicke

Scheiben im Vergleich zu thermisch verformten eine geringere Tragfä-

und Steifigkeit der planen Scheibe, desto weniger kann die Scheibe

higkeit auf. Aufgrund der dauerhaften Einwirkung von Lasten kommen

gekrümmt werden. Bei zylindrischen Krümmungen sind im Vergleich

für die Kaltverformung nur vorgespannte Gläser mit hoher Langzeit-

zu heiß verformten Scheiben die Minimalradien pro Scheibendicke um

festigkeit in Frage. [3.3/5] Zurzeit gibt es nur wenige Erkenntnisse zum

den Faktor 3 größer

Einfluss permanenter Schubbeanspruchungen auf die Dichtigkeit des

. Zwischen den Befestigungspunkten

_ Abb. 17

kann die Kantenkrümmung bis zu ±10 Millimeter von der idealen Krümmungslinie abweichen.

Randverbundes von Isolierglasscheiben. 53

_

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Reinigung

Erhitzen > 600°

Anblasen

1

0,2 d 0,6 d

Zugzone

0,2 d Druckzone

2

5

Druck

Druck

Zug

Zug

0,2 d

0,2 d

0,6 d

0,6 d

0,2 d

0,2 d

1 Fertigungsprozess liegend vorgespannter Flachgläser d 2 Druck- und Zugspannungsbereiche vorgespannter Gläser im Querschnitt (qualitative Darstellung) 3 Spannungsquerschnitt eines thermisch voll vorgespannten Glases (ESG) 3

6

4 Spannungsquerschnitt bei Überlagerung von Vorspannkräften und Biegespannungen: Die Biegezugkräfte bauen die Druck

D|Z

D|Z

Zug

Oberflächendruckspannungen ab.

D|Z 5 Typisch nadelförmige Kantenverletzung bei vorgespannten Gläsern 6 Spannungsquerschnitt eines thermisch teilvorgespannten Glases (TVG) 7 Spannungsquerschnitt eines chemisch

3.4

vorgespannten Glases 4

7

_

THERMISCHES VORSPANNEN

_

_

_

Man unterscheidet voll vorgespanntes Einscheibensicherheitsglas (ESG) und teilvorgespanntes Glas (TVG). ESG weist aufgrund des

_ _

VERFAHREN

3.4

schnelleren Abkühlvorgangs oder einer höheren Ausgangstemperatur

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GL AS –

eine größere Eigenspannung als TVG auf. Die auf einem Rollenband

VORSPANNEN, EMAILLIEREN, BIEGEN UND

liegend transportierten Gläser werden gleichmäßig bis 100 °C oberhalb

STRUKTURIEREN

des Transformationspunkts erhitzt, danach durch Düsen mit kalter Luft

54

angeblasen. Da sich das Abkühlen und Erstarren zunächst an den GlaEine erhöhte Widerstandsfähigkeit von Glas wird durch thermisches

soberflächen vollzieht, versetzt das verzögerte Abkühlen und Zusam-

Vorspannen erreicht, wobei die auf 650 °C gebrachte Glasscheibe mit

menziehen des Kerns die Scheibe in einen Eigenspannungszustand

einem beidseitigen Luftstrom abgeschreckt wird. Während dieses Pro-

mit parabelförmigem Profil: Auf der Oberfläche wird eine Druck-, im

zesses kann auch eine Emaillierung durchgeführt werden, bei der

Kern eine Zugspannung aufgebaut. Damit sich dieses Spannungsprofil

dünne keramische Schichten, meist farbig, in die Oberfläche einge-

im Scheibenquerschnitt aufbauen kann, ist eine Glasdicke von min-

brannt werden. In zähflüssigem Zustand kann Flachglas auch gebo-

destens 4 Millimeter erforderlich. ESG wird bis 19, TVG nur bis 12 Mil-

gen und umgeformt werden.

limeter produziert, da bei größeren Dicken noch nicht die Produktions-

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS 10

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

8

11

8 Bruchbild eines teilvorgespannten Glases (TVG) 9 Heat-Soak Test (Heißlagerungstest) von ESG-Scheiben (bei SGG Deutschland): Nachweisverfahren für Nickelsulfideinschlüsse; nach vorschriftsmäßiger Testdauer unzerstörte Scheiben werden als ESG-H bezeichnet. 10 Bruchbild eines TVG unter hohen Biegezugspannungen: Der Initialbruch tritt in zwei- bis dreifachem Abstand zur Glaskante auf. Aufgrund der hohen Spannungen ist das Bruchbild ähnlich feinkörnig wie bei ESG. 11 Bruchbild eines ESG: kleinteilige Glaskrümel

3.4

9

qualität kontrolliert werden kann. Die maximalen Fertigungsgrößen

_ VERBESSERUNG

hängen von den Vorspannöfen der Hersteller ab, üblich sind Größen

Die durch die thermische Behandlung erzeugte Druckspannung in der

von 2,50 m x 5 m, mittlerweile können von einzelnen Veredlern auch

Scheibenoberfläche bewirkt, dass Oberflächendefekte überbrückt

Scheiben in Bandmaßbreite und bis 6 Meter Länge und darüber hin-

werden und sich nicht festigkeitsmindernd auswirken. Erst wenn die

aus vorgespannt werden. Vorgespannte Borosilikatgläser gibt es bis zu

Vorspannung infolge äußerer Belastung abgebaut ist, kann es zum

einer Dicke von 15 Millimetern und einer Größe von 1,60 m x 3 m. Vor-

Risswachstum kommen. ESG und TVG unterscheiden sich im Grad

gespannte Scheiben werden meist durch einen Ätzstempel gekenn-

der Vorspannung. Aufgrund der geringeren Oberflächendruckspan-

zeichnet.

nung ist die charakteristische Mindestfestigkeit von TVG nur etwa halb

nischer Bearbeitung, und es kommen alle Basisgläser außer Drahtglas in Betracht. Durch die Wärmebehandlung nehmen Dicken- und Flächentoleranzen zu. In

_ Abb. 12

sind die mechanischen und thermischen Eigen-

schaften vorgespannter Gläser zusammengefasst.

so groß wie von ESG, aber fast doppelt so hoch wie bei nicht vorgespanntem Glas. Auch die Temperaturwechselbeständigkeit wird durch das Vorspannen erheblich verbessert. Bei ESG aus Floatglas beträgt sie 150 Kelvin, bei TVG 100 Kelvin und bei vorgespanntem Borosilikatglas (z.B. Pyran S) sogar 300 Kelvin – im Vergleich zu 40 Kelvin bei nicht vorgespanntem Floatglas. Die Vorspannung beeinflusst auch das Bruchverhalten. Die im

55

Die thermische Veredlung erfolgt nach abgeschlossener mecha-

DER KONSTRUKTIVEN EIGENSCHAFTEN

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Fertigungsgröße

Oberflächendruck-

Bruchfestigkeit fk

Temperaturgradienten-

Spontanbruchgefahr

spannung [kN/cm2]

[kN/cm2]

beständigkeit [K]

Nickelsulfid

Schneidfähigkeit



4,5

40

nein

ja

3,5 – 5,5

7

100

nein

nein

Kalknatrongläser: Floatglas

2 mm – 21 mm 3,21 m x 6,0 m

TVG aus Floatglas

4 mm – 12 mm 2,5 m x 5,0 m Bis 3 m x 6,0 m

ESG aus Floatglas

wie TVG

10 – 15

12

150

ja

nein

Gussglas

4 mm – 19 mm



2,5

30

nein

ja

10 – 15

9

150

ja

nein



2,5

90

nein

ja

3,5 – 5,5

7

200

nein

nein

10 – 15

12

300

nein

nein

(15)

250

nein

mit Einschränkungen

2,5 m x 5,0 m ESG aus Gussglas

4 mm – 19 mm 2,5 m x 5,0 m

Borosilikatgläser: Floatglas

bis 21 mm 2,3 m x 3,0 m

TVG aus Floatglas

4 mm – 12 mm 1,6 m x 3,0 m

ESG aus Floatglas

4 mm – 15 mm 1,6 m x 3,0 m

chemisch

bis 19 mm

vorgespanntes Glas

ca. 1,0 m x 2,0 m

von Eindringtiefe und Oberflächenschädigungen abhängig

12

12

Mechanische und thermische Eigenschaften

3.4

vorgespannter und nicht vorgespannter Flachgläser

Glas gespeicherte hohe Energie führt dazu, dass eine ESG-Scheibe

reinigte Scheiben bei einer zerstörenden Prüfung im Heat-Soak Test

beim Bruch in viele kleinteilige Glaskrümel zerspringt

. Da

herausfiltern, indem die fertig produzierten ESG-Scheiben für einen

die Bruchstücke stumpfkantig sind, bezeichnet man ESG auch als „Si-

definierten Zeitraum auf einem konstanten Temperaturniveau gehal-

cherheitsglas“, obwohl Bruchstücke in größeren Schollen beim Herab-

ten werden. Scheiben, die diesen nach EN 14179 genormten Test be-

fallen auch zu Verletzungen führen können. TVG hingegen bricht aus-

standen haben, werden entsprechend gekennzeichnet. Bei teilvorge-

gehend vom Bruchzentrum in größeren Schollen und Inseln ähnlich

spannten Gläsern und bei Borosilikatglas haben NiS- Einschlüsse in

wie nicht vorgespanntes Glas

der Regel keine Auswirkungen. [3.4/4, 3.4/5]

_ Abb. 8

_ Abb. 11

. Die europäischen Normen

EN 12150 und EN 1863 stellen an das Bruchbild von voll bzw. teilvorgespannten Gläsern genaue Anforderungen.

MÄNGEL IM OPTISCHEN ERSCHEINUNGSBILD

Thermisch vorgespannte Gläser weisen Maßtoleranzen von meh-

Der thermische Vorspannprozess hat eine Reihe von Auswirkungen

reren Millimetern auf, die beim Konstruieren beachtet werden müssen

auf die optische Qualität der Gläser, die das visuelle Erscheinungsbild

, . [3.4/1, 3.4/2, 3.4/3]

_ Abb. 13 17

56

_

von vorgespannten Gläsern beeinträchtigen können. Hierzu zählen

Ein besonderes Phänomen bei voll vorgespannten Gläsern stellt

Anisotropie, roller-waves sowie großflächige und örtliche Verwerfungen

der Spontanbruch da, der auf dem allmählichen Volumenzuwachs von

der Glasoberfläche. Diese Mängel sind bei voll vorgespannten stärker

Nickelsulfid (NiS)-Einschlüssen im Glasgefüge beruht. Da der Volu-

als bei teilvorgespannten Gläsern ausgeprägt.

menzuwachs von Nickelsulfid wärmeabhängig ist, lassen sich verun-

Es ist seit langem bekannt, dass transparente homogene Materi-

≤ 2 000

± 2,5

± 3,0

2 000 – 3 000

± 3,0

4,0

> 3 000

± 4,0

± 5,0

b–t

13

b+t

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

17

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS

t für d ≥ 12 mm

h+t

t für d ≤ 12 mm

h–t

Kantenlängen [mm]

14

15

16

18

13, 17 Längentoleranzen t für thermisch vorgespannte Gläser 14, 15 Blick durch Isolierverglasung aus vorgespanntem

16

Verwerfungen bei thermisch vorgespannten

18

Anwendungsbeispiel für chemisch vorgespanntes

Scheiben, zentraler Omnibusbahnhof, Hamburg,

Glas: Tragende Glaskuppel am ILEK an der Universität

(Abb. 15), der die Anisotropie sichtbar macht.

2003, Arch.: Silcher, Werner und Redante

Stuttgart, Prof. W. Sobek und L. Blandini

3.4

Glas ohne (Abb. 14) und mit Polarisationsfilter

alien, sobald sie sich durch innere oder äußere Zwänge in einem

als annehmbar und was als optischer Defekt einzustufen ist – diesem

Spannungszustand befinden, das Phänomen der optischen Doppel-

Umstand muss bei der Auswahl des Glasveredlers große Aufmerk-

brechung aufweisen. Damit die optische Anisotropie bei vorge-

samkeit geschenkt werden. [3.4/6]

spanntem Glas sichtbar wird, bedarf es einer „anisotropen Beleuch-

Durch das Erwärmen der Scheibe wird deren Planität beeinträch-

tung“: Das Licht muss zumindest teilweise linear polarisiert sein. Unter

tigt. Optisch wahrnehmbar als Verzerrungen in der Durchsicht oder im

einer solchen Beleuchtung können helle oder dunkle Streifen oder

Reflexionsbild sind Verwerfungen und Rolleneindrücke (roller-waves),

Flecken von beiden Seiten der Verglasung wahrgenommen werden.

die beim Transportieren im Vorspannofen (normalerweise mit der

Tageslicht ist tatsächlich meist etwas polarisiert, aber insbesondere

Schmalseite voraus) entstehen, wo das erhitzte Glas zwischen die

durch Reflexion an Glasscheiben oder an der Oberfläche eines Ge-

Transportrollen „sackt“. Zur Begrenzung dieser Rolleneindrücke sind

wässers entstehen hohe Polarisationsgrade

die Industriestandards nicht ausreichend, erstrebenswert sind roller-

.

Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass die Anisotropie besonders bei extremen Lichtbedingungen, bei Mehrfachreflexionen oder in der

waves unter 0,15 für Einfach- und 0,07 Millimeter für laminierte Gläser, um störende Linseneffekte zu vermeiden.

Nähe von Wasserflächen, bei flachen Betrachtungswinkeln oder bei

Verwerfungen entstehen durch das unterschiedliche Abkühlen

beschichteten Gläsern deutlicher in Erscheinung tritt. Dennoch lassen

der Scheibenoberflächen, so dass sich entweder die Ecken oder die

sich Anisotropien durch genaue Kontrolle des Abkühlvorgangs redu-

Scheibenmitte von dem Transportband abheben. Längliche Scheiben

zieren. Zurzeit gibt es aber noch keine einheitlichen Regelungen, was

krümmen sich, quadratische Scheiben neigen zum „Schüsseln“.

57

_ Abb. 14, 15

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS

20 Farbtrog Dosierwalze

Druckwalze

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Farbschicht Glasscheibe

Transportrollen 21 A=axb

Ry

a

d

Rx

b 19

22

20

Großformatige Siebdruckanlage bei der Firma Glasid in Essen, Deutschland

19

Transluzenter Siebdruck. Finnischer

21

Prinzip einer Farbbeschichtung im Walzauftrag

22

Ermittlung des Bedruckungsgrades (BDG): BDG [%] = 50 πd2 / Rx Ry

3.4

Pavillon, Expo Hannover, 2000

_ EXKURS:

CHEMISCHES VORSPANNEN

den. Das Emaillieren und Bedrucken erfolgt auf Festmaßen nach ab-

Eine Vorspannung von Glas mit hohem Natriumanteil kann chemisch

geschlossener mechanischer Bearbeitung. Als Ausgangsprodukt für

durch Elektrolyse im Tauchbad erfolgen. Durch Natriumaustausch und

den Siebdruck eignen sich nur Gläser mit planer Oberfläche, also kei-

Verdichtung der molekularen Struktur werden große Oberflächendruck-

ne Strukturgläser. Gussgläser können „trocken“ emailliert werden, die

spannungen erzeugt. Aufgrund der geringen Eindringtiefe besteht aller-

keramische Farbe wird in Pulverform vor dem Einbrennen aufgetra-

dings eine größere Anfälligkeit für Oberflächenschäden. Chemisch vor-

gen. Da der Farbauftrag verfahrensbedingt Unregelmäßigkeiten auf-

gespannte Gläser sind bedingt schneidfähig. Das Verfahren eignet sich

weist, sollten alle Anwendungen vorher mit dem Hersteller abgespro-

für dünne Gläser unter 4 Millimeter und komplexe Scheibengeometrien

chen werden. [3.4/8]

und ermöglicht eine sehr hohe Oberflächenplanität _ Abb. 18. [3.4/7]

Beim Walzauftrag überträgt eine Druckwalze aus Gummi je nach

58

Profil ein flächiges Farbmuster einseitig auf die Glasoberfläche (mittEMAILLIEREN UND BEDRUCKEN VON GL AS

lerweile können durch profilierte Walzen auch Muster aufgetragen

Emaillierte Gläser weisen im Prinzip die Eigenschaften eines voll oder

werden), im Gießverfahren durchläuft die Tafel horizontal einen „Gieß-

teilvorgespannten Glases auf. Vor der Verarbeitung werden einseitig

schleier“. Im Siebdruckverfahren können dagegen beliebige Muster

keramische Farben entweder flächig aufgewalzt, gegossen oder durch

aufgetragen werden. Eine Mehrfarbigkeit wird durch wiederholten

Siebdruck aufgetragen und während des Vorspannprozesses einge-

Druck mit verschiedenen Sieben erstellt. Schattierungen (Fotovorla-

brannt, wodurch sie dauerhaft mit der Glasoberfläche verbunden wer-

gen) können im Rastersiebdruck dargestellt werden, wobei Abstand

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

23

23 - 24 Biege- und Vorspannstrecke einer modernen Schwenkrollen-Biegeanlage ohne Schalung (zero-tooling)

3.4

24

und Durchmesser der Punkte variiert werden können (Verlaufsraster).

den Sonnen-, Blend- und Sichtschutz eingesetzt werden. Es können

Vierfarben-Rastersiebdrucke können von Schollglas auch mit kera-

opake, transluzente oder (semi-) transparente Bedruckungen realisiert

mischen Farben hergestellt werden. Standardformate betragen bis zu

werden. Die Lichtdurchlässigkeit ist von Siebdruckfarbe, Glasart, -dicke

2 m x 4 m, einzelne Veredler bieten eine voll automatisierte Be-

sowie vor allem von dem Bedruckungsgrad (BDG) abhängig _ Abb. 22.

druckung bis zu einer Größe von circa 2,50 m x 6 m an. Bei der Wei-

[3.4/9]

terverarbeitung zu Isoliergläsern werden emaillierte Gläser witterungsund UV-geschützt angeordnet, das heißt, sie erhalten nicht die Außen-

THERMISCHES BIEGEN VON GL AS

position. Eine Kombination mit Wärme- und Sonnenschutzbeschich-

_ VERFAHREN

tungen ist möglich.

Flachglasscheiben können im heißen, viskosen Zustand umgeformt

UND FERTIGUNG

Die mechanischen Eigenschaften der Glasoberfläche werden

werden. Nach Stückzahl und Geometrie kommen verschiedene Bie-

durch eingebrannte Dickfilmbeschichtung beeinträchtigt. Durch

geverfahren zur Anwendung. Der zeitintensive, spannungsfreie Ab-

Emaillierung einer ESG- oder TVG-Scheibe wird die Biegezugfestigkeit

kühlprozess kann durch forciertes Abkühlen im Rahmen des ther-

um etwa 40 Prozent vermindert. Da die Emailleschicht die Haftbedin-

mischen Vorspannverfahrens ersetzt werden.

bunden in der Regel nach außen. Gläser mit flächiger oder partieller Farbbeschichtung können für

Das senkrechte Biegeverfahren, bei dem das Glas hängend erwärmt und anschließend in eine Form gepresst wird, kommt heute aufgrund der größeren Herstellungstoleranzen und der schlechteren

59

gungen verändert, zeigen bedruckte Glasoberflächen bei VSG-Ver-

α

Radius

r1: Radius 1a

r:

a:

Abwicklung

r2 : Radius 2

a1: Abwicklung 1

s:

Sehnenlänge

α r1

α: Öffnungswinkel

h

l: l

Länge der geraden Kante

a1: Abwicklung 1

a2 : Abwicklung 2

a2 : Abwicklung 2

a 3 : Abwicklung 3

l: s

a3

β: Kegelwinkel (max. 45 °)

l

h: Stichhöhe r2

β

a1

α: Öffnungswinkel

a1

Kugelradius

Länge der geraden Kante

a2

a2

a 25

27

26

28

29

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS

r

r:

25

Geometrie der zylindrischen Biegung

26

Punktgehaltene zylindrische VSGScheiben aus vorgespanntem Weißglas mit

27

Geometrie der konischen Biegung

28

Sphärisch gekrümmte Verglasung der „Besucherkapseln“

bedruckter Concepta-Sonderfolie, La Tour de la Paix, St. Petersburg, 2003,

am London Eye, 1999, Arch.: D. Marks, J. Barfield

29

Geometrie der sphärischen Biegung

60

3.4

Arch.: Jean-M. Wilmotte, C. Halteri

optischen Qualität nur bei extremen Biegegeometrien zum Einsatz.

gebogenem Glas. Das Glas wird liegend in den Ofen transportiert und

Beim verbreiteten horizontalen Schwerkraft-Biegen wird die im Ofen

dort durch das Schwenken und Drehen der Transportrollen ohne

erwärmte Scheibe entweder an den Rändern auf einen Rahmen ge-

Schalung (zero-tooling) bis zu Größen von 4,20 m x 2,44 m verformt

legt, wobei sie sich unter ihrem Eigengewicht durchbiegt, oder man

_ Abb. 23, 24

. [3.4/10 ]

lässt sie zur besseren Kontrolle der Biegegeometrie in die Formflächen

Bei einfach gekrümmten Gläsern unterscheidet man zylindrische

einer feuerfesten Schalung aus Metall oder Keramik herabsacken. Ei-

Gläser mit konstantem Biegeradius und konische Gläser mit gleichmä-

ne vollflächige Schalung bringt erhebliche Werkzeugkosten mit sich

ßig sich veränderndem Biegeradius. Bei doppelt gekrümmten Gläsern

und eignet sich in der Regel nur für Serienfertigungen wie im Fahr-

unterscheidet man sphärische (kugelförmige), asphärische (z.B. para-

zeugbau.

bolische) und sattelförmige Geometrien. Bei sphärischen Biegungen

Die Minimal- und Maximalradien hängen beim Schwerkraftbiegen

sind die Biegeradien gleichsinnig und im Gegensatz zu asphärischen

von dem Scheibengewicht und damit auch von Scheibengröße und

auch gleich groß, bei sattelförmigen sind die Krümmungen gegensinnig.

-dicke ab. Mehrere aufeinanderliegende Scheiben können, sofern sie

Es empfiehlt sich, im Entwurfsprozess die Fertigungsmöglichkeiten,

anschließend nicht vorgespannt werden, in einem Verfahrensschritt

Stückzahlen und Glasarten mithilfe einer genauen Formbeschreibung

gebogen werden, um anschließend zu VSG verarbeitet zu werden. Mo-

(evtl. Schablone im Maßstab 1:1) mit dem Hersteller abzuklären. Die

derne Rollen-Biegeanlagen mit Schwenkrollen ermöglichen durch ge-

Biegegeometrie lässt sich anhand von Abwicklung, Kantenmaßen, In-

ringe Rüstzeiten die effektive Fertigung von zylindrisch oder konisch

nen- und Außenradius, Stichhöhe und Öffnungswinkel beschreiben.

MIG

32

35

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

30

VG, VSG

33

31

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS

SG, ESG

34

36

30, 32, 35 Weiterverarbeitung gebogener Gläser zu Verbund- und Isoliergläsern: Gebogene Gläser können auch mit hitzebeständigen

33, 34 Einsinnig gekrümmte VSG-Verglasung: Die

Wärme- und Sonnenschutzbeschichtungen

seitliche Verglasung besteht aus zwei 2 m breiten

versehen werden.

VSG-Scheiben aus 2 x 6 mm Floatglas. Ohne Berücksichtigung der geometrischen Versteifung

31 Gekrümmtes, vorgespanntes Einfachglas

36 Zweisinnig gekrümmte Isolierverglasung

durch die Schalentragwirkung müssten die Gläser

mit Sonnenschutzbeschichtung,

2 x 12 mm dick sein. Skywalk Hannover,

Ford-Forschungszentrum Aachen,

Nürnberg, 2000, Arch.: V. Staab

1998, Arch.: Schulitz Architekten

1994, Arch.: J. L. Martinez

3.4

Geländerverglasung, Neues Museum

Bei zylindrischen Standardbiegungen kann der Öffnungswinkel bis

_ BEDEUTUNG

90°, bei geringen Scheibendicken sogar bis 180° (Halbkreis) und der

Bei der Weiterverarbeitung zu Verbund- und Isoliergläsern und bei der

Kegelwinkel bis 45° betragen. Zylindrisch gebogenes Floatglas kann

Planung der Verbindungsdetails müssen ausreichende Toleranzen

im Bandmaß bis zu einer Stichhöhe von 1,50 Meter hergestellt wer-

eingeräumt werden, um die in der Regel erheblichen Maßabwei-

den. Auch Bögen mit ein- oder beidseitigen geraden Verlängerungen

chungen aufzufangen, die je nach Elementgröße, Form und Dicke des

FÜR DAS KONSTRUIEREN

und Mehrfachkrümmungen in s-Form oder u-Form können

Glases beim Umformen auftreten. Da es noch keine Normen gibt,

gefertigt werden. Bis zu einer Größe von circa 2,50 m x 4,50 m und

müssen Toleranzen in Bezug auf Kantenlänge, Biegeradius, Geradli-

einer maximalen Scheibendicke von 15 Millimetern werden vorgespann-

nigkeit und Verwindung frühzeitig mit dem Hersteller vereinbart wer-

te Gläser hergestellt. Bei vorgespannten Borosilikatgläsern (Pyran G)

den _ Abb. 40.

beträgt das maximale Fertigungsmaß 1,50 m x 2,50 m. [3.4/11]

Nach der Formgebung kann das Glas voll oder teilweise thermisch

Bei sphärischen Gläsern kann der Öffnungswinkel bis 30° betra-

vorgespannt werden. Bei komplexen Geometrien kann ein gleichmä-

gen. Der Biegeradius ist in der Regel größer als 2 Meter, kleinere Ra-

ßiges Abblasen allerdings kaum gewährleistet werden. Gebogene Glä-

dien können zu Stauchungen und zu Randfalten führen. Bei frei ge-

ser können zu Verbundsicherheitsgläsern verarbeitet werden, bei grö-

formten Scheiben stellt die Kontrolle der Biegegeometrie eine große

ßeren Toleranzen müssen diese im Gießharzverbund hergestellt wer-

Herausforderung dar – in der Regel ist die Herstellung von zahlreichen

den. Bohrungen in gekrümmten Gläsern sind mit einem hohen Kos-

Prototypen nach dem Prinzip try and error erforderlich.

tenaufwand verbunden.

61

_ Abb. 37

min. R [mm]

max. R Einfachglas [mm]

3

50

1 000

4

80

1 750

5

120

2 200

6

160

2 800

8

230

3 400

39 Bezeichnung

Toleranzen [mm]

Kantenlänge I

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS

37

Scheibenstärke [mm]

2 000 mm

±3

Radius r

±3 Geradlinigkeit

2/m Float 3/m ESG/TVG Verwindung

3/m Float 4/m ESG/TVG

38

40

39 37

Minimale und maximale Biegeradien nach

Beispiel für ein gebogenes Glas mit

Herstellerangaben der Glas Trösch AG.

geraden Verlängerungen

Die Werte können von Hersteller zu Hersteller variieren, da eine gemeingültige Normung noch aussteht.

38

Gebogene VSG-Scheiben für Vitrinen und „Sign Band“, Schaufensterverglasung Aspery Store, NYC, Arch.: Foster

40

Übersicht durchschnittlicher Toleranzen in mm bei gebogenen Gläsern

3.4

and Partners, Ausführung: Glasbau Seele, Gersthofen

Die einfache und umso mehr die doppelte Krümmung führen zu einer

merkbar machen. Deren unterschiedliche Qualität zeigt sich beson-

Versteifung des Glases, die sich bei unverschiebbarer Auflagerung für

ders deutlich bei der Weiterverarbeitung zu Verbundglas. Aufgrund

eine Schalentragwirkung nutzen lässt. Mit stärkerem Krümmungsradi-

des Vorspannprozesses ist es nicht möglich, die Einzelscheiben auf-

us reduzieren sich Durchbiegung und Momentenbeanspruchung, so

einanderliegend umzuformen. Beim Laminieren können durch die

dass im Vergleich zu einer planen Scheibe die erforderliche Stabilität

versetzten Rolleneindrücke Linseneffekte entstehen, die als Lichtre-

schon mit geringeren Glasdicken erreicht wird. [3.4/12]

flexe störend wahrgenommen werden. Gebogene Gläser lassen sich zu Isoliergläsern weiterverarbeiten.

_ OPTISCHES

ERSCHEINUNGSBILD

Dabei ist zu beachten, dass nur pyrolytisch beschichtete Gläser (hard-

Die Oberflächenplanität und optische Qualität von gebogenen Gläsern

coatings) gebogen werden können, diese aber die Qualität eines mit

hängt stark von den einzelnen Verfahrensschritten ab. Musterschei-

softcoating versehenen Glases hinsichtlich Wärmedämmung, Sonnen-

ben von allen Geometrien sind zur Beurteilung der visuellen Qualität

schutz und Farbneutralität nicht erreichen. Eine Abstimmung mit den

unerlässlich. Horizontales Biegen führt zu besseren Ergebnissen als

angrenzenden Verglasungen ist erforderlich _ Abb. 38.

62

vertikales; eine vollflächige Schalung ist mit Hinblick auf eine verzerrungsfreie Optik einer Unterstützung der Scheibenränder vorzuziehen.

„STRUKTURIEREN“ VON GL AS

Bei vorgespannten Gläsern können sich im Vergleich zu spannungsfrei

Unter Fusing versteht man das Aufschmelzen von anderen – in

gekühlten Gläsern deutliche Verzerrungen der Glasoberfläche be-

der Regel farbigen – Gläsern auf das Floatglas. Durch das erneute

42

44

DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS

43

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

41

44 41

Strukturierte Floatglasscheiben, Rezeption

Structuran-Platte aus Weißglasscherben,

Tea Wharf Building, London

The Greenhouse Effect Ltd, UK

Die Oberflächenstruktur wird im Ofen durch Erhitzen und Aufschmelzen des Glases auf

42

Anwendungsbeispiel Structuran, Augenzentrum

Textur einer im Ofen auf einem Sandbett umgeformten

einem strukturierten feuerfesten Untergrund

Floatglasscheibe, Fusion Glass Ltd, London

erzielt. Glas: Fusion Glass Design Ltd., London

3.4

Michelfeld, 2003, Arch.: Heinle, Wischer und Partner

43

Aufschmelzen nimmt eine Floatglasscheibe aber auch Form und

der Kapazitäten, so dass in Zukunft großflächigere Anwendungen in

Oberflächenstruktur der feuerfesten Unterlage an, wie dies beim tra-

der Gebäudehülle möglich erscheinen.

ditionellen Gussglas geschieht, bei dem die flüssige Glasschmelze in

Ein Werkstoff mit völlig neuen Eigenschaften entsteht, wenn Glas-

ein Sandbett gegossen wird. Im Unterschied zu Walzgläsern ist das

bruchstücke bis zur Teilkristallisierung miteinander verschmolzen

Oberflächenrelief solcher auch als slumped oder kiln-formed bezeich-

werden (Sintern). Nach einem Patent der Firma Schott AG werden sol-

neter Gläser wesentlich ausgeprägter. Die Scheiben werden bis 750 °C

che Glaskeramiken mit der Produktbezeichnung Structuran auch für

erhitzt. Bei anschließender Vorspannung oder Laminierung kann das

den Bau als Fassadenplatten hergestellt. Die Platten sind in der Regel

Oberflächenrelief bis zu 8 Millimeter betragen; Fertigungsgrößen von

20 Millimeter dick und können bis zu einer Größe von circa

circa 1,50 m x 3 m sind gegenwärtig möglich. Konstruktiv interessant

2,75 m x 1,25 m hergestellt werden. Aufgrund der teilweise kristallinen

ist die Möglichkeit, durch eine wellen- oder faltenförmige Profilierung

Struktur verliert das Produkt aber seine Transparenz. Als Rohstoff wer-

dem Glas in Spannrichtung eine größere statische Höhe und damit

den gebrochene und verkleinerte Fahrzeugverglasungen verwendet,

eine höhere Biegesteifigkeit zu verleihen. Aufgrund des aufwendigen,

durch Zugabe von Pigmenten ist eine gezielte Farbwirkung möglich.

wenig automatisierten Herstellungsverfahrens kommt das Produkt in Außenraum und nur in kleinen Stückzahlen zum Einsatz. Das wachsende Interesse von Architekten führt jedoch zurzeit zu einem Ausbau

63

erster Linie für künstlerische, exquisite Anwendungen im Innen- oder

DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Glas

A

PVB-Folie/ Gießharz Glas

Glas

B

Glas (Deckschicht) Glas

Mittelachse

(tragende Schicht) Glas (Deckschicht)

C

1

2

3

1 Aufbau eines Verbundglases (VG) bzw. eines Verbundsicherheitsglases (VSG): A: Symmetrischer Aufbau B: Asymmetrischer Aufbau C: Symmetrisches Mehrfach-Verbundglas: Die innen liegende, tragende Glasscheibe springt zurück,

2 Eine VSG-Scheibe aus teilvorgespanntem Glas (TVG): Die Splitter bleiben an der PVB-Folie haften.

um vor gewaltsamer Beschädigung geschützt zu 3 VSG-Scheiben vor dem Autoklaven

3.5

werden; die Deckschichten bilden „Opferscheiben“.

_

HERSTELLUNG UND FERTIGUNG

_

PVB-Verbunde werden in zwei Schritten hergestellt. Zunächst werden

_

die Einzelscheiben erwärmt und mit der Folie verpresst (Vorverbund), bevor im Autoklaven bei hohem Druck und Temperaturen von circa

_ _

3.5

140 °C ein vollflächiger Verbund erzielt wird. Der Vorverbund kann im

DAS FL ÄCHIGE FÜGEN VON GL AS –

Walzverfahren oder bei gebogenen Scheiben und Mehrfachverbunden

VERBUND - UND VERBUNDSICHERHEITSGL AS

auch im Vakuumsackverfahren erfolgen. Die Dicke der Zwischen-

64

schicht beträgt ein Vielfaches der Folienstärke von 0,38 und 0,76 MilVerbundgläser bestehen aus mindestens zwei Glas- oder Kunststoff-

limeter. Bei vorgespannten Gläsern werden zum Welligkeitsausgleich

scheiben, die durch Zwischenschichten miteinander verbunden sind.

dickere Folien verwendet. Spezialisierte Veredelungsunternehmen

Gebräuchliche Materialien sind Polyvinylbutyral (PVB), Gießharz (GH),

sind in der Lage, Einfach- und Mehrfachverbundgläser bis zum Band-

Äthylenvinylacetat (EVA) und SentryGlas Plus (SGP) von Dupont. Das

maß von 3,21 m x 6 m und einem maximalen Gesamtgewicht von

flächige Fügen eröffnet durch die Wahl von Fügepartner, Schichtenfolge

1 Tonne zu laminieren, in Ausnahmefällen sogar bis 7 Meter Länge

und -dicke vielfältige Möglichkeiten, mechanische und optische Eigen-

und einem Gesamtgewicht von 2 Tonnen. Für spezielle Glasanwen-

schaften zu modifizieren. Ein Verbundsicherheitsglas (VSG) hat splitter-

dungen stellt beispielsweise Glasbau Seele im Vakuumsackverfahren

bindende Eigenschaften und eine erhöhte Resttragfähigkeit. [3.5/1]

sogar Verbundgläser bis 12 Meter Länge her. Bei Glasaufbauten mit

Autoklav

DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS

Vorverbund durch Kalander

fertiges VSG

4 VSG

Glas-Glas-Verbund

Glas-Kunststoff-Verbund

Schallschutz

Integration PV

PVB – Folie

ja

ja

nein

ja

Dünnschichtzellen

Gießharz (GH)

bedingt

ja

nein

ja

kristalline Zellen

EVA – Folie

bedingt

ja

nein

nein

ja

PU – Folie

bedingt

nein

ja

nein

bedingt

5

6

7

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Positionieren und Zusammenlegen

8

4 Schematischer Ablauf des zweistufigen Herstellungsverfahrens von VSG

7 Automatisches Zusammenlegen der Einzelscheiben

8 Vorverbund

3.5

5 Verwendungsmöglichkeiten von Verbundmaterialien

6 Einlegen der PVB-Folie

vorgespannten Gläsern werden die Fertigungsgrößen in der Regel von

schiedenen Produktbezeichnungen hergestellt (Scholl-Leichtglas, Si-

den Abmessungen der Vorspannöfen begrenzt. [3.5/2, 3.5/3]

la-Carb, Rodurlight etc). Der Aufbau weist meistens eine PC-Scheibe

Die wesentlich steifere Zwischenschicht SGP wird ähnlich wie PVB

als Kern und dünne, vorgespannte Gläser an den Außenflächen auf

in einem Autoklaven zu Verbundsicherheitsglas verarbeitet. Im Gegen-

_ Abb. 15, 17

satz zu PVB kommt das Material allerdings nicht als Rollen-, sondern

peraturdehnungen von PC zu gewährleisten, erzielt gute Haftungsei-

als Plattenmaterial mit standardmäßigen Dicken von 1.52 und 2.28 Mil-

genschaften und ist chemisch beständig, aber relativ teuer. PU kann

limeter in den Handel. Zurzeit ist die Fertigungsbreite auf 2,50 Meter

ähnlich wie PVB als Folie oder flüssig verarbeitet werden. Beim Ein-

beschränkt, standardmäßig beträgt die Plattenlänge 3 Meter.

pressen von flüssigem Polyurethan zwischen die an den Rändern ab-

Bei der nicht voll automatisierten Herstellung von GH-Verbundscheiben wird das Harz in den mit transparentem doppelseitigem Kle-

. Polyurethan (PU) vermag die Aufnahme der großen Tem-

gedichteten Scheiben bestehen hinsichtlich der Form des Verbundelementes kaum Beschränkungen. [3.5/5]

beband abgedichteten Scheibenzwischenraum von 1 bis 2 Millimetern

Schollglas stellt mit Gewe-composite ein Verbundglas her, bei dem

Breite eingelitert. So können auch Scheiben mit größeren Dickentole-

ein spezielles Gießharz mit hoher Verbundwirkung verwendet wird,

ranzen verbunden werden. Die Fertigungsgrößen werden nur von der

das wie bei SGP eine Reduzierung der Scheibendicken erlaubt.

gen. [3.5/4] Verbundgläser aus Glas und Polycarbonat (PC) werden unter ver-

65

Größe des Kipptisches begrenzt und können bis zu 3 m x 8 m betra-

DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS

A ohne Verbund/lose

Z|D

B mit elastischem Verbund

Z|D

C mit starrem Verbund 9

12

Schubmodul G [N/mm2]

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Z|D

2,0 1,5 1,0 0,5 0,1 0 0

10

11

10 20 30 40 50 60 70 80 90 Temperatur T [°C]

13

12

Spannungsverteilung im Querschnitt eines Verbundglases:

9 Dachverglasung mit SGP und Pilkington Planar,

A: ohne Verbund

Yorkdale Shopping Center, Toronto, Kanada

B: mit partiellem Verbund C: mit vollem (starrem) Verbund

10 Resttragfähigkeitsversuch eines VSG aus ESG: Kurz nach dem Bruch ist das VSG noch relativ 13

steif, mit anhaltender Belastungsdauer sackt 11 Delamination eines VSG bei mangelhafter Herstellung

Näherungskurve für die Abhängigkeit des Schubmoduls G von der Temperatur T (bei VSG)

3.5

es zusammen wie ein „nasses Handtuch“.

BEDEUTUNG FÜR DAS KONSTRUIEREN

den aus Einzelgläsern mit starken Planitätsabweichungen sowie bei

Durch das Laminieren von Glas zu Verbundelementen kann das Trag-

gebogenen und strukturierten Gläsern zum Einsatz.

66

verhalten bei intakten aber vor allem auch bei gebrochenen Einzelgläsern entscheidend verbessert werden. Splitterbindung, Trag- und

_

Resttragfähigkeit bei Glasbruch hängen neben der Festigkeit der Ein-

Für das Tragverhalten ist die Position der Zwischenschicht innerhalb

zelgläser vor allem von der Verbundwirkung der Zwischenschicht ab.

des Spannungsquerschnittes relevant. Bei gleich dicken Deck-

TRAGFÄHIGKEIT

Bei der Detailplanung sind die größeren Herstellungstoleranzen

schichten eines symmetrischen Verbundaufbaus liegt die Zwischen-

bei Verbundgläsern zu beachten. Durch den Laminierungsprozess

schicht in der Mittelachse und wird im intakten System nur durch

von PVB oder SGP kann es an den Kanten der Gläser sowie an den

Schubkräfte beansprucht. Je steifer die Folie, desto größer ist die Ver-

Wandungen von Bohrlöchern zu einem Kantenversatz von bis zu

bundwirkung und desto kleiner die auftretenden Verformungen. Da es

2 Millimetern kommen, der bei vorgespannten Gläsern nicht mehr bei-

sich bei PVB um einen visko-elastischen Thermoplast handelt, ist das

geschliffen werden darf. Die tatsächlichen Außenabmessungen kön-

Schubmodul in besonderem Maß von der Umgebungstemperatur und

nen so bis zu 4 Millimeter vom Ursprungsmaß abweichen

.

der Dauer der Einwirkung abhängig. Aufgrund dieser Abhängigkeiten

Bei Gießharzverbunden können durch die manuelle Ausrichtung der

sind bei rechnerischen Nachweisen Fallunterscheidungen sinnvoll,

Scheiben geringere Kantenversprünge als beim PVB-Verbund erzielt

wie sie etwa im Normentwurf der EN 13474 vorgeschlagen wurden.

werden. Gießharze kommen vor allem für die Herstellung von Verbun-

Bei kurzzeitigen Lasten wie Windböen oder Anpralllasten kann ein

_ Abb. 18

DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS 18

PC-Kern

PU-Harz

PU-Folie/

1 1

Glas-GlasVerbund

Glas-PolycarbonatVerbund

Dicke [mm]

40

24

Gewicht [kg/m2]

90

38

U - Wert [W/m2K]

4,47

3,95

Dünnglas

5

5

9

5

15

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

16

5

14

Dünnglas

17

19

14, 16 Bauteilversuche an Mehrfach-VSG-Scheiben für begehbare Verglasungen: Bei kurzzeitigen Belastungen wie beim harten Stoß (hier simuliert durch einen Stahltorpedo) ist die

18 15

Mehrschichtiger Aufbau eines SILACarb-Sicherheitsglases

Verbundsteifigkeit hoch, bei mittel- und langfristigen Beanspruchungen wie bei der Resttragfähigkeit gebrochener Scheiben unter Eigen- und Verkehrslast

19 17

Glas-Glas-Verbund und Glas-Polycarbonat-Verbund

Aufbau eines Glas-Polycarbonat-Verbundglases mit

gleicher Widerstandsklasse (durchbruchhemmend

einer Durchbruchhemmung P6B nach EN 356

P8B nach EN 356) im Vergleich

3.5

(hier simuliert durch Lastpakete) dagegen gering.

Produktionstechnisch kann es bei der Fertigung von VSG zu einem Kantenversatz von bis zu 2 mm kommen.

voller Schubverbund, bei dauerhaft einwirkenden Lasten wie Eigenge-

gerechnet werden kann und die Scheibendicken und -gewichte deut-

wicht darf dagegen nur die Steifigkeit der Einzelscheiben berücksich-

lich reduziert werden können. Mittlerweile wird SGP im konstruktiven

tigt werden. Bei Temperaturen unter 23 °C kann bei mittelfristig wir-

Glasbau wie bei den Treppen für die Apple-Stores auch dazu benutzt,

kenden Lasten ein Teilverbund veranschlagt werden. Ab 80 °C beginnt

Beschläge auf die Glasoberfläche zu laminieren, um die Optik mecha-

sich die PVB-Folie vom Glas zu trennen (Delamination). [3.5/6, 3.5/7]

nischer Verbindungen zu vermeiden. Da die Wärmeausdehnung von

EVA und GH weisen ein ähnliches rheologisches Materialverhalten wie PVB auf. Ihre Steifigkeit ist bei Raumtemperatur nur etwa halb so

SGP aber ein Vielfaches von der des Glases beträgt, müssen Temperaturspannungen auch langfristig besonders beachtet werden.

groß wie bei PVB, bei Temperaturen um 60 °C ist die verbleibende Steifigkeit allerdings deutlich höher. Bei weichen, für den Schallschutz

_ SPLIT TERSCHUTZ

optimierten GH-Zwischenschichten darf kein Verbund angerechnet

Um das Risiko von Schnitt- und Stichverletzungen so weit als möglich

werden.

zu mindern, steht die Splitterbindung und Resttragfähigkeit bei Glas-

Im Gegensatz zu PVB, Gießharz oder EVA besitzt die konstruktive

bruch an oberster Stelle und ist ausschlaggebend für die Klassifizie-

Zwischenschicht SGP, ursprünglich für Verglasungen in Hurrikan-Ge-

rung als VSG. Über 95 Prozent aller VSG werden mit Folien aus PVB

bieten entwickelt, eine bis zu 100-fach höhere Steifigkeit. Hohe Dau-

hergestellt. In der Isonorm EN ISO 12543 sind die Mindestanforde-

ertemperaturen (bis 70 °C) verändern kaum die mechanischen Eigen-

rungen an ein VSG festgeschrieben, die sich an den Eigenschaften

schaften, so dass auch bei Dauerlasten ein vollständiger Verbund an-

von PVB orientieren; die konstruktiven SGP-Zwischenschichten über-

67

UND REST TRAGFÄHIGKEIT

DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS

Nennmaß

Aufbau

Gesamt-

Schall-

Gesamtdicke

[mm]

gewicht

dämmmaß

[kg/m2]

[dB]

[mm]

Scheibe 1

SZR

Scheibe 2

mit Standard-PVB-Folien 9

44,2





20

34

12

64,4





25

35

13

66,2





30

36

15

66,6





30

37

37

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

mit speziellen PVB-Folien (Trosifol Sound Control) 9

44,2





20

29

44,2

16

4

30

39

31

44,2

16

6

35

41

33

44,2

16

8

40

43

39

66,3

16

10

55

46

38

44,2

16

66,3

50

48

Dicke [mm]

Farbe

Lichtdurchlässigkeit [%]

0,38

farblos

88

0,76

farblos

88

1,14

farblos

88

1,52

farblos

88

0,38

weiß

71

0,38

weißtransluzent

65

0,38

hellblaugrün

73

0,38

ozeanblau

71

0,38

Medium Bronze

52

0,38

grau

44

0,38

hellbraun

55

0,38

mittelbraun

26

0,38

dunkelbraun

9

23

20

21

20

Anwendungsbeispiel für VSG-Schallschutzgläser mit Trosifol Sound Control, Flughafen Köln-Bonn

21

Muster von VSG-Scheiben mit farbigen PVB-Folien (Stadip Color von SGG)

22

Muster einer VSG-Scheibe mit bedruckter Zwischenfolie (Sentry-Glass Expressions von Dupont)

23

Schalldämmmaß RW für ausgewählte VSGKonfigurationen: ein Scheibenaufbau 44.2 bedeutet VSG aus Scheiben von je 4 mm und 2 Zwischenlagen-PVB-Folien von je 0,38 mm

24

Lichtdurchlässigkeiten von verschiedenen

3.5

farbigen PVB-Folien (Trosifol MB) 22

24

treffen diese Anforderungen. Auch Gießharze, EVA- und PU-Folien las-

gegeneinander verzahnen können, so dass eine gewisse Formstabilität

sen sich hinsichtlich ihrer splitterbindenden Eigenschaften optimieren.

erhalten bleibt – im Gegensatz zu einem VSG aus ESG, das wie ein

Die Resttragfähigkeit von VSG hängt von Folienart, Foliendicke

„nasses Handtuch“ zusammensackt _ Abb. 10.

68

und dem Bruchbild der Einzelgläser ab. Da sich nach Bruch einer oder mehrerer Glasscheiben in der Regel Zugspannungen in der Folie

BEDEUTUNG FÜR DEN R AUMABSCHLUSS

aufbauen, bestimmen Reißfestigkeit und Reißdehnung der Zwischen-

_

schicht maßgeblich die Standzeit. In PVB-Verbunden kann die Rest-

Die Zwischenschichten unterscheiden sich in ihrem Brechungsindex

tragfähigkeit durch größere Foliendicken verbessert werden. Durch

kaum von dem von Glas, so dass sie in der Durchsicht nicht zu erken-

die Verwendung von SGP können die Verformungen nach dem Bruch

nen sind. PVB- und GH-Schichten absorbieren einfallendes UV-Licht

deutlich reduziert werden. Zudem haben Forschungen am ILEK der

fast vollständig. Mit dickeren PVB- und GH-Schichten (ab circa

Universität Stuttgart gezeigt, dass die Resttragfähigkeit durch Faser-

1,5 mm) laminiertes Weißglas zeigt einen leichten Gelbstich, während

und Gewebeeinlagen im Folien- oder Gießharzverbund deutlich ver-

SGP ähnlich wie Polycarbonat vollkommen farblos bleibt. An den Kan-

bessert werden kann.

ten von Gießharzscheiben sind bei bestimmten Lichtverhältnissen

OPTISCHE EIGENSCHAFTEN

Bei Glasbruch sämtlicher Scheiben beeinflusst das Bruchbild

Lichtbrechungen an den Klebebandrändern möglich. Die Kantenstabi-

maßgeblich die Resttragfähigkeit. Nicht oder nur teilweise vorge-

lität von PVB-Verbunden ist geringer als bei SGP, aber in der Regel so

spannte Spiegelgläser brechen in Schollen, die sich im Folienverbund

gut, dass auch bei frei bewitterten Kanten keine Delaminierungen

DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS Glas Lochblech in PVB eingebettet Glas

26

27

25

Muster Laminatglas mit Dekoreinlage

26

Aufbau eines Glas-Lochblech-Verbundglases

27

Simulation einer selbsttragenden hängenden

29

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

25

Fassade als Glas-Lochblech-Verbundglas Entwurf: Chr. Lueben, M. Mertens 28

Sphärisch gebogene VSG mit besonderen Sicherheitsanforderungen, Besucherkapsel London Eye, 1999, Konstruktionsfirma: Hollandia

29

VSG mit transluzenten PVB-Folien, SGG Stadip mit PVB-Folie Trosifol MB, Zuschauergalerien Turbinenhalle Tate Modern, London, 2000, Arch.: Herzog & de Meuron

3.5

28

oder Verfärbungen auftreten. Das Erscheinungsbild von VSG kann

_ SICHERHEITSEIGENSCHAFTEN

durch Verwendung eingefärbter PVB-Folien modifiziert werden. Die

Als Raumabschluss kann VSG auch aktive Sicherheitseigenschaften

Folienhersteller bieten ein Farbspektrum von transparenten und trans-

erfüllen. Nach EN 356 werden durchwurf- und durchbruchhemmende,

luzenten Grundfarben an, die miteinander kombiniert werden können

nach EN 1063 durchschusshemmende und nach DIN EN 13541

. Die Folienbreiten sind von Farbe und Dekor anhängig,

sprengwirkungshemmende Aufbauten unterschieden, die in weitere

_ Abb. 21

Grundfarben werden in der Bandmaßbreite von 3,21 Meter hergestellt. Durch das Einlegen von laserbedruckbaren PE- oder PET-Folien (Pat-

Widerstandsklassen unterteilt werden. Die extrem hohe Schlagzähigkeit und Belastbarkeit von PC im Ver-

.

bund verbessern die Durchbruchsicherheit. Die Deckschichten aus

Im digitalen Vierfarbendruck kann auch direkt auf die PVB-Folie ge-

Glas gewährleisten eine gute Kratzfestigkeit. Bei vergleichbaren Wi-

druckt werden. [3.5/8, 3.5/9]

derstandsklassen ist ein Glas-PC-Verbund dünner und leichter als ein

ternfolien) ergeben sich weitere gestalterische Möglichkeiten

_ Abb. 22

Das Gießharz kann im gesamten Farbspektrum koloriert oder mit

Glas-Glas-Verbund.

beliebigen anderen Materialien durchzogen werden, wodurch aber meist die mechanischen Eigenschaften beeinträchtigt werden. Ge-

_ AKUSTISCHE

naue Bemusterung und Reproduzierbarkeit der dekorativen Effekte

Der Aufbau eines Verbundglases um eine weiche Zwischenschicht ent-

sind nur bedingt möglich.

spricht einem schalldämpfenden Masse-Feder-Masse-System. Für einen optimierten Schallschutz sind spezielle PVB-Folien mit einem wei-

69

EIGENSCHAFTEN

DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

31

30

Laminierte Natursteinplatten erzielen ungewöhnliche optische Effekte (Verbundglas aus 12 mm ESG, 1,5 mm Gießharz und 10 mm Marmor). Christus Pavillon auf der Expo 2000, Arch.: gmp, Glas: Wendker & Selders

31

Ansicht einer Verbundscheibe mit integrierter HOE-Gitterfolie: Das einfallende Licht wird

3.5

in seine Spektralfarben zerlegt. 30

chen Kern entwickelt worden, die bis zur Bandmaßbreite von 3,21 Me-

kann durch Draht-, Geflecht-, Gewebe- oder Lochblecheinlagen erzielt

ter produziert werden. Gießharze kommen oft für Schallschutzgläser

werden. Für die Integration im PVB-Verbund müssen die Materialien

zur Anwendung, allerdings können diese aufgrund der gewünschten

genügend Durchgriff und Perforierung aufweisen, um einen Haftver-

Elastizität der Zwischenschicht die Anforderungen an die Splitterbin-

bund zu ermöglichen _ Abb. 25.

dung in der Regel nicht erfüllen. Aufgrund der höheren Steifigkeit weist

Eine weitere mögliche Anwendung ist die Einbettung von Filmen mit

SGP schlechtere schalldämmenden Eigenschaften auf

Holografisch-Optischen Elementen (HOE), die zur Lenkung von di-

_ Abb. 23.

rektem oder diffusem Tageslicht, als transparente Rückprojektions_ SPEZIELLE

wand oder für farbige Lichteffekte benutzt werden können

VERBUNDGLÄSER

70

Aus dekorativen Zwecken lassen sich über GH oder PVB Gläser mit

_ Abb. 31.

[3.5/10]

anderen flächigen Materialien verbinden. So werden dünn geschnitte-

Seit einiger Zeit befinden sich thermotrope, elektrochrome und

ne transluzente Natursteinplatten auf eine tragende Glasscheibe lami-

elektro-optische Verbundgläser mit variabler Strahlungsdurchlässigkeit

niert, um die Textur des Steins erfahrbar zumachen (z.B. Fiberglass,

in der Entwicklung. Marktreif sind bislang nur Verbundgläser mit

GreinTec). Die Natursteinschichten betragen zwischen 15 Millimeter

Schichten aus Flüssigkristallen (LC), die zwischen PU-Folien eingebet-

(Marmor oder Onyx) und 1 Millimeter (Granit)

tet sind. Durch das Anlegen eines elektrischen Feldes richten sich die

_ Abb. 30

.

In den PVB- oder GH-Verbund können auch weitere Dekor- oder

Kristalle aus, das Glas wechselt von einem durchscheinenden in einen

Funktionsschichten integriert werden. Ein saisonaler Sonnenschutz

durchsichtigen Zustand. Die Lichtdurchlässigkeit bleibt dabei nahezu

2

3

A

DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS

1

B

32

34

32

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

4

Gebäudeintegrierte Solarmodule an der gläsernen Hüllkonstruktion der Fortbildungsakademie Herne, 1998 Arch.: Jourda & Perraudin Architectes mit HHS Planer

33

Gekrümmte VSG-Scheiben mit gefärbtem Gießharz als Überkopfverglasung: Die ungefärbten Abdichtungsbänder und die Schlieren in der Fläche beeinträchtigen das Erscheinungsbild.

34

Funktionsweise einer elektro-optischen Verglasung: Durch Anlegen eines elektrischen Feldes wird ein durchscheinendes Glas (B) durchsichtig (A). 1: Glas 2: Transparente Elektrodenschicht 3: Polymerschicht mit gerichteten Flüssigkristallen 4: Polymerschicht mit ungerichteten Flüssigkristallen

3.5

33

unverändert (circa 75 Prozent). Diese elektro-optischen Gläser sind

von symmetrischen Verbundgläsern. Die Deckscheibe wird normaler-

als VSG klassifiziert und weisen eine maximale Fertigungsgröße von

weise als Weißglas ausgeführt. Front- und Rückscheiben bestehen

1 m x 2,8 m auf. [3.5/11, 3.5/12]

aus TVG, um den erhöhten Temperaturen, die durch die Absorption der Sonnenenergie entstehen, standzuhalten. Maximale Fertigungsgrößen liegen bei 3,2 m x 2 m.

stellen Brandschutzgläser dar, die neben der raumschließenden Wir-

Man unterscheidet nach Wirkungsgrad und Erscheinungsbild mo-

kung auch die Ausbreitung der Hitzestrahlung eindämmen. Im Brand-

no-, polykristalline und amorphe Zellen. Kristalline Zellen werden wegen

fall bricht die beanspruchte Glasseite, und die Brandschutzmasse

ihrer größeren Dicke vorwiegend in Gießharz (Schichtdicke 2 mm) ein-

schäumt auf, wodurch der Durchgang der Hitzestrahlung fast vollständig

gebettet, während amorphe Zellen in einen PVB-Verbund integriert wer-

blockiert wird. Die Scheibengrößen betragen bis 1,35 m x 2,70 m.

den. Den besten Wirkungsgrad erzielen blaue, dunkelgraue bis schwar-

Von großer Bedeutung für Gebäudehüllen ist die Integration von

ze monokristalline Solarzellen (circa 16 Prozent). Aufgrund des geringe-

Photovoltaik (PV)-Zellen. Im Gegensatz zu freistehenden add-on-Sys-

ren Energieaufwandes bei der Herstellung und der guten Haltbarkeit

temen, bei denen die Solarzellen in EVA- und Tedlarfolie eingebettet

kommen meist polykristalline Zellen mit Kantenlängen von 10, 12,5 und

auf die Rückseite einer Glasscheibe aufgebracht werden, liegen bei

15 Zentimeter zum Einsatz, die innerhalb eines Moduls frei angeordnet

gebäudeintegrierten PV-Anlagen im Dach- und Fassadenbereich die

werden. [3.5/13] Scheiben mit eingebetteten PV-Zellen sind meist keine

Zellen geschützt in der mittleren, spannungsfreien Zwischenschicht

Verbundsicherheitsgläser (schlechtere Trag- und Resttragfähigkeit).

71

Verbundgläser mit einer zwischen vorgespannten Gläsern eingeliterten Brandschutzmasse aus Wasserglas oder salzhaltigem Hydrogel

ISOLIERGLÄSER FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

innen

außen

Verfahren

Produkt

Online-Sprühen (Pyrolyse)

Low-Energy-Gläser

Hardcoating thermisch und mechanisch beständig, für Weiter-

Sonnenschutzgläser

verarbeitung geeignet,

Spiegel

als Einzelglas verwendbar, bei Isolierglas in Pos. 1-4

Selbstreinigende Gläser Tauchbeschichtung

Entspiegelte Gläser

bei Einbrenntemperaturen > ca. 600 °C

°C 1 1

2

3

4 Softcoating mechanisch, oft auch therm.

Magnetronsputtering

nicht beständig, begrenzt

Low-Energy-Gläser Sonnenschutzgläser

für Weiterverarbeitung geeignet, bei Isolierglas nur außen

innen

in Pos. 2, 3

Tauchbeschichtung

Dichroitische Gläser

bei Einbrenntemperaturen < ca. 600 °C

2

Online begrenzte Schichtmaterialien

Online-Sprühen (Pyrolyse)

und Schichtanzahl,

Low-Energy-Gläser Sonnenschutzgläser

begrenzte Leistungsfähigkeit

Offline flexible Schichtmaterialien

Magnetronsputtering

Low-Energy-Gläser

und Schichtanzahl,

Sonnenschutzgläser

hohe Leistungsfähigkeit

Entspiegelte Gläser Spiegel Tauchbeschichtung

3

1 Die vielfältigen Schutzfunktionen eines Isolierglases: Wärmeschutz, Hitzeschutz, Lärmschutz und Schutz vor Einbruch 2 Bezeichnung der Positionen beschichteter Gläser bei einem Zweifach-Isolierglas

3.6

3 Beschichtungsarten im Überblick

_

OBERFL ÄCHENBESCHICHTUNGEN

_

Die harte, beständige und ebene Floatglasoberfläche ist ein ideales

_

Substrat für einen homogenen Materialauftrag während oder nach der Formgebung des Glases. Die mechanischen Eigenschaften bleiben

_ _

durch den Beschichtungsprozess weitgehend unverändert. [3.6/1]

3.6

ISOLIERGL ÄSER – BESCHICHTEN DER SCHEIBE UND VERBINDEN DER RÄNDER

Dünnfilmbeschichtungen für den Sonnen- und Wärmeschutz werden im Sprüh-, Kathodenzerstäubungs- oder Tauchverfahren herge-

72

stellt. Zu den Dickfilmbeschichtungen zählen aufgedruckte bezieDie letzte Stufe im Veredelungsprozess von Flachglas ist das Fügen

hungsweise aufgewalzte Farbschichten und gegossene Verbund-

von Einfach- oder Verbundscheiben zu Mehrscheiben-Isolierglas

schichten (s. Abschnitt 3.5).

(MIG). Isoliergläser haben ihre vorrangige Bedeutung im Wärme-

Je nach Widerstandsfähigkeit gegen mechanische, thermische

schutz, werden aber zunehmend auch multifunktional eingesetzt, um

und chemische Einwirkungen werden hard- und softcoatings unter-

Anforderungen an den Sonnen-, Blend- und Schallschutz zu integrie-

schieden. Hardcoatings werden meist als Online-Beschichtungen un-

ren

. Die Eigenschaften des Isolierglases werden von den Be-

mittelbar nach der Formgebung des Glases auf die heiße Flachglaso-

schichtungen der Einzelgläser, der Ausführung des Randverbundes

berfläche durch ein Sprühverfahren eingebrannt (Pyrolyse). Aktuell

und dem Gesamtaufbau bestimmt.

werden pyrolytische hardcoatings mit verbesserten Eigenschaften und

_ Abb. 1

ISOLIERGLÄSER 0 Glasoberfläche

Reflexion [%]

20 40 60 80

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

6

Low-E-Beschichtung

100 0

500

1000

1500

2000

Wellenlänge [nm] 4

7 Sichtbares Licht [%]

Gesamtstrahlung [%]

τv

ρv

bläulich-gräulich

54

19

27

38

16

46

bronzefarben

18

17

65

29

14

57

grünlich

26

32

42

19

17

64

Reflexionsfarbe

αv

τe

ρe

αe

pyrolytisch (online)

4 Kathodenzerstäubungsanlage Magnetronsputtering (offline) 5 Optische Kenndaten für verschiedene

starb silbrig

08

42

50

06

37

57

silbrig

32

13

55

26

14

60

gräulich

40

10

50

37

09

54

stark bläulich

08

30

62

08

25

67

bläulich

50

07

43

45

08

47

jeder Glasoberfläche wird die Flamme reflektiert,

stark grünlich

07

30

63

04

17

79

die Verfärbung des reflektierten Spiegelbildes

grünlich

26

11

63

15

08

77

markiert die Position der Beschichtung (hier:

Sonnenschutzbeschichtungen 6 Feuerzeugprobe zur Schichtbestimmung: An

Wärmeschutzbeschichtung auf Position 3). 5

7 Reflexionskurve für eine Low-E-Wärmeschutzbeschichtung: Die Reflektivität ist im sichtbaren Bereich gering,

3.6

im langwelligen IR-Bereich sehr hoch.

hitzebeständige softcoatings entwickelt. Die empfindlicheren Offline-

tät (Wärmeabstrahlung) von circa 90 auf etwa 15 Prozent herabge-

Beschichtungen werden auf gekühltem Glas aufgetragen, durch Mehr-

setzt wird (Low-E-Beschichtung) _ Abb. 7.

fachbeschichtung und flexible Schichtaufbauten werden leistungsfähigere Schichtsysteme ermöglicht

_ Abb. 3

. [3.6/2]

Die Wirkung selbstreinigender Gläser (z.B. SGG Bioclean, Pilkington Activ) beruht auf einer hydrophilen Schicht auf der Außenseite des Glases, die die Oberflächenspannung herabsetzt und ein gleichmä-

_

PYROLY TISCHE SPRÜHBESCHICHTUNGEN

ßiges Abfließen des Regenwassers ermöglicht. Tröpfchenbildungen

Pyrolytische hardcoatings, die sich auch für thermische Veredelungen

und Schmutzrückstände werden verhindert. Darüber hinaus be-

wie Biegen, Vorspannen und Emaillieren eignen, kommen für Sonnen-

schleunigt ein fotokatalytischer Effekt die Zersetzung organischer

und Wärmeschutzbeschichtungen und selbstreinigende Beschich-

Rückstände auf dem Glas. Ein Kontakt mit Silikonmassen muss ver-

tungen zum Einsatz.

hindert werden, ein Nassverfugen ist nicht möglich _ Abb. 10.

talloxidschicht auf klares oder gefärbtes Glas aufgebracht, die im ge-

_ KATHODENZERSTÄUBUNGSVERFAHREN

samten Bereich des Sonnenspektrums den Strahlen- und Energie-

Die größte Bedeutung für das Bauwesen haben im Kathodenzerstäu-

durchlass reduziert. Im reflektierten Licht wirken die Scheiben farblich

bungsverfahren (Magnetronsputtering) aufgetragene hochleistungsfä-

getönt und metallisch glänzend. Zur Verbesserung des Wärmeschutzes

hige softcoatings für den Sonnen- und Wärmeschutz

kann eine Zinnoxidschicht aufgetragen werden, wodurch die Emissivi-

Beschichtung erfolgt im kundenspezifischen Festmaß: Ein ther-

_ Abb. 4

. Die

73

Als Sonnenschutzbeschichtung wird eine stark reflektierende Me-

ISOLIERGLÄSER FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

10

8

11

8, 9 Neue Beschichtungstechnologie von abrasions- und witterungsbeständigen Chromspiegelbeschichtungen, die nicht vollflächig, sondern nur partiell aufgebracht werden (SGG STADIP aus PlaniluxDiamant und PVB-Folie Trosifol MB), Lentos Kunstmuseum Linz, Arch.: Weber und Hofer 10

Wirkungsweise SGG Bioclean: Nasse Floatglasscheibe, rechts mit und links ohne hydrophile Beschichtung

3.6

11

Farbwirkung dichroitisch beschichteter Glasproben

9

misches Vorspannen und das Erstellen von Bohrungen und Aus-

gesenkt werden, so dass mit dem Sonnenschutz auch ein wirkungs-

schnitten erfolgt vor der Beschichtung, das Laminieren der Gläser im

voller Wärmeschutz erreicht wird. Bei Streiflicht führen diese high-per-

Anschluss daran. In modernen Anlagen können im Bandmaß bis zu

formance coatings bisweilen zu unnatürlichen Reflexionsfarben.

74

15 verschiedenartige Schichten nacheinander aufgetragen werden. Die Durchlaufhöhe der Anlagen ist auf maximal 16 Millimeter be-

_

schränkt. Einfachgläser mit Standardbeschichtungen werden in der

Spezielle Offline-Beschichtunen werden als Sol-Gel-Tauchbeschich-

Regel in Dicken bis 10 Millimeter produziert.

tung beidseitig auf das Glas aufgebracht. Je nach Temperatur der an-

TAUCHBESCHICHTUNGEN

Schichtsysteme mit Silberschichten weisen bei geringer Außenre-

schließenden Wärmebehandlung (zwischen 400 °C und 650 °C) wer-

flexion (circa 12 Prozent) und neutraler Reflexionsfarbe eine hohe Se-

den sie zu soft- oder hardcoatings gezählt. Bei Antireflex-Gläsern redu-

lektivität auf. Die Edelmetallschicht zeigt bei hoher Durchlässigkeit im

zieren Interferenzerscheinungen an aufgetragenen Metalloxidschichten

Bereich des sichtbaren Lichts ein hohes Reflexionsvermögen im UV-

die Reflexion von 8 Prozent eines normalen Floatglases auf etwa

und Infrarotbereich. Mithilfe von Doppelsilberschichtsystemen ist es

1 Prozent (z.B. Schott Amiran). Entspiegelte Gläser sind in der Regel

möglich, eine Lichtdurchlässigkeit von bis zu 70 bei einem entspre-

bis 12 Millimeter Stärke erhältlich, die maximale Tafelgröße beträgt

chenden Gesamtenergiedurchlass von nur 35 Prozent zu erreichen

circa 1,80 m x 3,80 m. [3.6/3]

und damit die Selektivkennzahl nahe an die physikalische Grenze von

Durch verschiedene Tauchbäder sind Mehrfachbeschichtungen

2 zu bringen. Die Wärmeabstrahlung des Glases kann bis auf 2 Prozent

mit bis zu 40 Schichten möglich, wie sie für die Herstellung von

ISOLIERGLÄSER 15

18

13

16

19

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

12

Glas

Glas SZR

SZR SZR mit Luftfüllung

Abstandhalter Trocknungsmittel

SZR mit Luft- oder Edelgasfüllung

Glasleiste

1. Dichtungsebene (Butyl)

Butylrandverbund mit integriertem Trocknungsmittel

2. Dichtungsebene (Polysulfid/Silikon)

Polysulfid

evtl. Siebdruck

(2. Dichtungsebene)

transparentes Silikon 14

17

20

15 Zweifach-Standard-Isolierglas mit einem Abstandhalter aus Aluminium

12 Vorgänger des heute üblichen Isolierglases: Isolierglas mit verschweißtem Randverbund („Ganzglas-Doppelscheibe“)

18 Muster eines Wärmeschutzglases Thermur HM 16 Muster eines Edelstahl-Randverbundes (its-

mit Klimafolie der Firma Fischer Glas

Randverbund von der Firma Interpane) 13, 14 Muster der Firma Glasbau Hahn und

19, 20 Muster der Firma Scholl Glas und 17 Aufbau eines Standard-Randverbundes

Aufbau eines TPS-Randverbundes

3.6

Aufbau eines Ganzglas-Randverbundes

. Im Schichtaufbau

spezifischen Eigenschaften des Isolierglases hängen von den verwen-

wechseln sich Oxidschichten mit hohen und niedrigen Brechzahlen

deten Glassorten, der Art und Position der Beschichtung(en), der Grö-

ab, so dass ein System aus Interferenzschichten entsteht und das

ße und Füllung des SZR und der Art des Randverbundes ab.

dichroitischen Gläsern benötigt werden

_ Abb. 11

Licht wie durch einen Farbeffektfilter in die Spektralfarben zerlegt

Prinzipiell kommen alle Glasarten wie gebogenes Glas, Brand-

wird. Bestimmte Wellenlängen des sichtbaren Lichtes werden trans-

schutzglas, Gussglas und mit Einschränkungen auch Drahtglas für die

mittiert, komplementäre Wellenlängen reflektiert. Die Farbwirkung

Weiterverarbeitung zu Isolierglas in Betracht. Für ein einheitliches Er-

hängt neben den Schichtdicken, dem Einfallswinkel und der Intensität

scheinungsbild sollte innerhalb einer Fassade natürlich der gleiche Auf-

des Lichtes auch von dem Standort des Betrachters ab. Sie kosten

bau gewählt werden. Qualität und Dicke der Gläser (SG, ESG, TVG)

circa das 150-fache eines normalen Flachglases. [ 3.6/4, 3.6/5]

richten sich nach den statischen Erfordernissen. Für den Schall- und Einbruchsschutz werden Verbund- und Verbundsicherheitsgläser verwendet.

Eine Isolierglaseinheit besteht nach der Euronorm EN 1279 aus min-

Beschichtete Gläser verbessern die bauphysikalischen Eigen-

destens zwei Scheiben, die entlang ihrer Kanten linienförmig gefügt

schaften des Isolierglases. Um die Position der Beschichtung zu be-

sind und so einen luft- oder gasgefüllten Scheibenzwischenraum

zeichnen, werden die Scheibenoberflächen des Isolierglases von der

(SZR) einschließen. Ein Standard-Isolierglas besteht aus zwei, ein

außen liegenden Wetterseite (Pos.1) zur Innenseite (z. B. Pos. 4) num-

hoch dämmendes Wärmeschutzglas aus drei Scheibenebenen. Die

meriert. Softcoatings sind nur auf den geschützten Positionen 2 und 3

75

AUFBAU EINES ISOLIERGL ASES

ISOLIERGLÄSER

8 – 16 mm SZR : Luft Argon Krypton (SF)

Innenscheibe

12 mm

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

Außenscheibe

22

2 – 8 mm

12 mm

60°

SZR 15°

23 4

4 Glas

Außen

Evakuierungsöffnung mit verlötetem Verschluss Mikro-Abstandhalter Low-E-Beschichtung Gelöteter Randverschluss

U ~ 1,3 W / M 2 K 21

24

22

Prinzipieller Aufbau eines Standard-Isolierglases mit Gasfüllung

23

Aufbau einer Dreifach-Isolierverglasung mit

Im Scheibenzwischenraum integrierte gekantete

Stahlgewebeeinlage als saisonaler Sonnenschutz.

Lochbleche, Mediathek Vénissieux, 2001,

Edelgasfüllung und Wärmeschutzbeschichtung

Arch.: D. Perrault

befinden sich in einem getrennten SZR.

24

Aufbau eines Vakuum-Isolierglases mit einem U-Wert von ca. 1,3 W/m²K (Spacia von Nipon Sheet Glass)

3.6

21

im SZR zulässig. Sonnenschutzbeschichtungen sind außenseitig und

male Tafelgröße beträgt 2,40 m x 1,35 m. Mit einer Low-E-Beschich-

Wärmeschutzbeschichtungen raumseitig vorzusehen

tung kann ein U-Wert um 1,3 W/m²K erzielt werden _ Abb. 24. [3.6/6]

_ Abb. 2, 6

.

Der SZR bei Standard-Isolierglas beträgt normalerweise 12 bis

Der abdichtende Randverbund eines Standard-Isolierglases be-

16 Millimeter und ist zur Reduzierung der Wärmeleitfähigkeit statt mit

steht aus umlaufenden, etwa 12 Millimeter breiten, schubfest ver-

trockener Luft meist mit dem Edelgas Argon, seltener mit Krypton ge-

klebten Rechteckhohlprofilen aus Aluminium. Da eine vollkommene

füllt

Zur Integration von verschattenden oder lichtlenken-

Dampfdichtigkeit nicht gewährleistet werden kann, ist der Abstandhal-

den Maßnahmen kann der SZR auf bis zu 40 Millimeter zunehmen.

ter mit einem feinkörnigen Trocknungsmittel (Molekularsieb) gefüllt,

Bei der Kombination mit Wärme- und Sonnenschutzbeschichtungen

um eindringende Feuchtigkeit zu adsorbieren und Kondensatbildung

im SZR dürfen die Vorrichtungen nicht in Kontakt mit den softcoatings

zu verhindern. Um eine Korrosion der softcoatings zu verhindern, wer-

kommen. Den besten Schutz bietet ein Dreifachisolierglas (mit ent-

den die Einzelgläser vor dem Fügen einer mechanischen Randent-

sprechend größerer Gesamtdicke), bei dem Beschichtung und Vor-

schichtung unterzogen. Überwiegend wird ein zweistufiges Dichtsys-

richtung in verschiedenen SZR angeordnet sind

tem verwendet, bei dem die erste Dichtungsstufe eine Verklebung

_ Abb. 22.

_ Abb. 23

.

76

Eine Minimierung der Wärmeleitfähigkeit wird durch Evakuierung

zwischen Profil und Glas mit Butyl darstellt, die zweite eine dauerelas-

des SZR erreicht. Das auf dem Markt befindliche Spacia weist eine

tische Dichtung aus Polysulfid, Polyurethan oder Silikon, die auf den

Vakuumschicht von 0,2 Millimeter auf, die Scheiben sind durch Mikro-

außen liegenden Rücken des Abstandhalterrahmens eingebracht wird

noppen gekoppelt und die Glasränder hermetisch verlötet. Die maxi-

_ Abb. 17

. Polysulfid erreicht eine bessere Gasdichtheit als Silikon, ist

+

+

25

ISOLIERGLÄSER

=

-

27

min. 6 mm max. d2 + 2 mm d1

≤ 16 mm

min. 5 mm d2

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

W

evtl. ESG, TVG; kein Drahtglas

Sonnenschutzglas, Farbglas

26

28

29

28 25

Isoliergläsern mit normalen Scheibendicken.

Auch bei einseitiger Beanspruchung z. B. durch Wind werden beide Glasebenen beansprucht.

27

Ausbauchungen bei fallenden Temperaturen und/ oder fallendem Luftdruck (links) und Einwölbungen

29

Bei Sonnenschutz- und Farbgläsern sollten sich

Isolierverglasung eines Hochhauses in New York: Die

bei steigenden Temperaturen und/oder steigendem

aufgrund der erhöhten Bruchgefahr die Scheibendicken

optischen Verzerrungen deuten auf die Einwölbung bzw.

Luftdruck (rechts) – die dünnere Scheibe ist bei stärkeren

(d1, d2) um nicht mehr als 2 mm unterscheiden,

Ausbauchung der Scheiben infolge von Klimalasten hin.

Verformungen einer größeren Bruchgefahr ausgesetzt.

und die dünnere Scheibe sollte vorgespannt sein.

3.6

26

Besondere Bruchgefahr besteht bei steifen Scheiben, wie z. B. bei kleinformatigen

Schematische Darstellung des Kisseneffektes:

aber nicht UV-beständig und sollte daher nicht für einen frei liegenden

einflussen. Dazu zählen der so genannte Kisseneffekt, das Bauchen

Randverbund wie beim Structural-Glazing verwendet werden.

und Wölben der Scheiben infolge von Klimalasten und die Versteifung

Neuartige Randverbundsysteme wie Abstandhalter aus rollge-

durch den Abstandhalter. Temperatur- und Klimaspannungen können

formtem Edelstahlband oder Kunststoff reduzieren die Kältebrücken

die Verwendung vorgespannter Gläser erforderlich machen.

im Randbereich (Warm-Edge-Systeme), wodurch der U-Wert der ge-

Unter Kisseneffekt versteht man bei intaktem Randverbund die me-

samten Glaseinheit um 0,1 bis 0,2 W/m²K verbessert wird. Bei einem

chanische Kopplung der Gläser durch den SZR bei Biegebeanspru-

thermoplastischen Randverbund (Thermo-Plastic-Spacer, TPS) be-

chungen rechtwinklig zur Glasebene. Die beanspruchte Scheibe

steht der Abstandhalter aus einer trocknungsmittelhaltigen extrudier-

„stützt“ sich über das eingeschlossene Volumen auf die nicht unmit-

ten Butylmasse mit einer 1000-fach geringeren Wärmeleitfähigkeit als

telbar beanspruchte Scheibe ab, so dass beide Glasebenen sich zur

Aluminium

Hälfte am Lastabtrag beteiligen.

_ Abb. 19, 20

. [3.6/7]

BEDEUTUNG FÜR DAS KONSTRUIEREN

ben „konservierten“ barometrischen Luftdruck des Produktionsortes

Beim Konstruieren muss das große Eigengewicht der Einheiten beach-

im SZR. Infolge einer veränderten Wetter- und Höhenlage am Einbau-

tet werden. Der Randverbund und der hermetisch abgedichtete Schei-

ort entstehen Druckdifferenzen, die zu Verformungen führen. Stei-

benzwischenraum führen zu einer Reihe von besonderen mecha-

gende Temperatur oder fallender Luftdruck bewirken eine Ausbau-

nischen Eigenschaften, die das Tragverhalten von Isoliergläsern be-

chung der Scheiben infolge eines Überdrucks im SZR. Bei entgegen-

77

Klimalasten beruhen auf dem durch die Versiegelung der Schei-

16 mm

30

außen

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

ISOLIERGLÄSER

30 mm

SZR 50 m

Abstandhalter

25,00

40/25/3

4,00 Q 22 62 HV

8,00

40,00 4,00

31

30

32

33

Aufbau einer Isolierverglasung als Vertikalverglasung mit integrierten, beweglichen Mikrolamellen für flexiblen Sonnen-, Blend- und Sichtschutz; der große SZR führt zu größeren Klimalasten.

33 32

Musterscheibe

Isolierglaseinheit durch die kraftschlüssige Verklebung

Sonnenschutzlamellen aufgrund von Klimalasten

eines konstruktiven Abstandhalters aus Edelstahl

3.6

31

Skizze zur umlaufenden Lagerung der Einzelgläser einer

Fehlfunktion einer Isolierverglasung mit integrierten

gesetzten klimatischen Verhältnissen entsteht ein Unterdruck, und die

Der umlaufende, verklebte Randverbund führt zu einer Schubkopp-

Scheiben wölben sich nach innen. Das Bauchen der Scheiben wächst

lung der Scheiben entlang der Scheibenränder. In der Regel wird ver-

linear mit der Breite des SZR, als Faustregel führt die Klimalast zu ei-

sucht, die Schubbeanspruchung im Randverbund so gering wie mög-

ner Verformung von etwa 10 Prozent des SZR. Insbesondere Sonnen-

lich zu halten, um die Funktionalität der Dichtungsebenen nicht zu

schutzverglasungen sind aufgrund ihrer Erwärmung starken Klimalas-

beeinträchtigen. So sollte das Eigengewicht beider Glasebenen bei

ten ausgesetzt. Eine Temperaturdifferenz von 3 °C kann eine Klimalast

Vertikal- und Schrägverglasungen direkt gehalten werden und nicht

von 1 kN/m² verursachen _ Abb. 27.

über den Randverbund.

Die auftretenden internen Spannungen hängen von der Steifigkeit

Voraussetzung für eine nachweisbare Verbundwirkung sind steife

der Halterung und der Scheiben ab. Punkthalterungen und sehr steife

und ausreichend bemessene Abstandhalter aus Edelstahl oder glasfa-

Isoliergläser (kleine Scheiben mit großen Scheibendicken), dreiecks-

serverstärktem Kunststoff (GfK) und die Verwendung von Klebstoff-

förmige oder gekrümmte Scheiben, die nur eine geringe Verformung

systemen mit hoher Schubsteifigkeit _ Abb. 33. [3.6/8]

78

zulassen, erhöhen die Bruchgefahr der Einzelscheiben. Bei asymmetrischen Aufbauten sind die dünneren Scheiben bruchgefährdet.

BEDEUTUNG FÜR DIE R AUMHÜLLE

Drahtgläser sollten nur bis zu einem SZR von circa 10 Millimeter ver-

_

wendet werden, die Bruchgefahr von Einzelscheiben kann generell

Die Wärmeverluste eines Isolierglases durch Wärmestrahlung der

durch die Verwendung vorgespannter Gläser reduziert werden.

Glasoberflächen (Emission), Wärmeleitung und Konvektion im SZR

WÄRMESCHUTZ

Ar U ~ 5,8 W/m2K D

4

16

4

4

16

Ar

Luft U~ 3,0 W/m2K

U~ 1,1 W/m2K mit warm-edge

4

16

4

Ar U~ 2,7 W/m2K C

4

16

Ar

4

16

4

Ar

Low E

E

Low E

B

4

Low E

A

U~ 1,2 W/m2K

ISOLIERGLÄSER

4

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

16

Low E

4

8 mm

U~ 0,7 W/m2K

F

34

34

U-Werte von Einfach- und

Wärmestrahlung

Isolierverglasungen im Vergleich A Einfachglas 8 mm B Luftgefülltes Isolierglas C Mit Argon gefülltes Isolierglas D Zweifach-Isolierglas mit Wärmeschutzbeschichtung und Argon-Füllung E Wärmeschutzglas mit warm-edge-Randverbund

Konvektion

F Dreifach-Wärmeschutzglas mit Argonfüllung 35

Darstellung der physikalischen Ursachen für die Wärmeverluste einer Isolierglaseinheit: Wärmestrahlung zwischen den Glasoberflächen, Wärmeleitung durch das Füllgas bzw. den Randverbund und Konvektion im SZR.

Wärmeleitung

Zwei Drittel des gesamten Wärmeverlustes gehen auf die

über Gasfüllung

Wärmestrahlung (Emission) der Glasscheiben zurück. 36

Wärmeleitung

Zur Verbesserung des Wärmeschutzes können

über Randverbund

lichtdurchlässige Kapillarmatten in einen getrennten SZR eines Dreifach-Isolierglases 35

36

werden durch den Wärmedurchgangskoeffizient oder U-Wert erfasst

Isolierglas der zum Innenraum weisende SZR mit transparenter

. Moderne Anforderungen an den Wärmeschutz sehen für

Wärmedämmung (TWD) gefüllt werden, worunter man eine Kammer-

Glasbauteile U-Werte von 1,5 und besser vor. Während die isolierende

oder Kapillarstruktur aus Glas, Polycarbonat oder Plexiglas versteht

Luft- oder Gasschicht die Wärmeleitung zwischen äußerer und innerer

_ Abb. 36

Glasebene reduziert, verringert eine Wärmeschutzbeschichtung die

gleichmäßigen und blendfreien Tageslichtstreuung, die durch weiße

Emission. Die Wärmeverluste durch Konvektion nehmen mit wach-

Kapillarstrukturen und die Kombination mit kaschierenden Faserge-

sendem Gasvolumen und zunehmender Schräglage der eingebauten

weben verstärkt werden kann. [3.6/10]

_ Abb. 35

3.6

integriert werden (z. B. Kapilux von Okalux)

. Neben dem Wärmeschutz liegt der Vorteil von TWD in der

Isoliergläser dagegen zu. _ SONNENSCHUTZ

5,8 W/m²K auf. Durch das Füllen des SZR mit Argon, einer Wärme-

Eine effektive Reduzierung der Strahlungsgewinne wird durch eine re-

schutzbeschichtung und einem warm-edge-Randverbund reduziert

flektierende Sonnenschutzbeschichtung auf einer Scheibenoberflä-

sich der U-Wert bei einem Zweifach-Wärmeschutzglas auf 1,1 W/m²K,

che des Isolierglases erzielt (s. Seite 76 ff.). Gefärbte oder getönte

bei einem Dreifach-Glas sogar auf 0,7 W/m²K _ Abb. 34. Zur Gewicht-

Gläser senken auch die direkte Transmission, geben aber absorbierte

ersparnis kann bei hoch dämmenden Dreifach-Isoliergläsern eine Kli-

Strahlungsanteile durch Wärmestrahlung an den Innenraum ab.

mafolie die mittlere Glasebene ersetzen _ Abb. 18. [3.6/9] Zur Verbesserung des Wärmeschutzes kann bei einem Dreifach-

Durch die Integration von fest installierten oder beweglichen Mikrolamellen, Lochblechen und Geweben, Spiegelraster und Prismen-

79

Eine 8 Millimeter dicke Floatglasscheibe weist einen U-Wert von

ISOLIERGLÄSER FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

1

24 mm

23

4

60° SZR

15°

O2

A 37

41 1

23

4

37 Aufbau einer Isolierverglasung mit integrierten, unbeweglichen Mikrolamellen

SZR

für Lichtlenkung und Sonnenschutz ESG 38 Aufbau einer Isolierglasscheibe mit integriertem Mikro-Spiegelraster als Überkopfverglasung (Entwicklung Chr. Bartenbach mit Siemens AG). VSG aus TVG

Quer zu der Direktstrahlung verlaufen verspiegelte Kunststofflamellen, die als Reflexionsfläche dienen. Die Lamellen sind untereinander zu senkrecht

H2

B

stehenden Stegen verbunden: Die direkte Strahlung 38

wird reflektiert, die diffuse durchgelassen.

40 4 mm

6

16

4

39 Bewertetes Schalldämmmaß RW für ausgewählte Glasaufbauten. Eine Krypton- statt einer Argonfüllung kann

Ar

RW = 30 dB A

bei bestimmten Aufbauten das Schalldämmmaß

RW = 35 dB

zusätzlich verbessern. A Einfachglas

D

B VSG mit PVB-Akustikfolie C Isolierglas aus zwei gleich starken Einzelgläsern D Isolierglas aus zwei Einzelgläsern

4 4

4 4

20

6

unterschiedlicher Stärke E Isolierglas mit Außenscheibe aus VSG mit PVB-

Ar

mit PVB-

Akkustikfolie

Akkustikfolie B

F Isolierglas mit zwei VSG unterschiedlicher Stärke

RW = 41 dB

RW = 37 dB

40 Funktionsweise einer gasochromen Verglasung: Durch Wasserstoff tritt eine Blaufärbung ein (B), die

E

Entfärbung erfolgt durch die Zufuhr von Sauerstoff (A). 1 Glas 2 Wolframoxidschicht

4

16

4

6

6

24

4 4

3 Katalysator 4 Gasvolumen RW = 50 dB

Ar

mit PVB-

Ar

RW = 32 dB

41 Vielfältiges optisches Erscheinungsbild bei

Akkustikfolien

3.6

C

Isolierverglasung: Verzerrung der Reflexbilder aufgrund von Ausbauchungen der Scheiben, Bankgebäude am

F

Pariser Platz in Berlin, 1999, Arch.: F. O. Gehry

39

platten im SZR eines Dreifach-Isolierglases kann der Strahlungsge-

das Schalldämmmaß von Isoliergläsern erheblich. Für einen erhöhten

winn weiter reduziert werden. Durch deren Geometrie und Profilierung

Schallschutz können größere Scheibendicken und/oder Verbundgläser

kann ein winkelselektiver Strahlungsertrag und damit ein saisonaler

als Innen- oder Außenscheiben verwendet werden _ Abb. 39. [3.6/13]

Sonnenschutz erreicht werden. So kann die Lichtdurchlässigkeit im Sommer bei einem Einstrahlwinkel von etwa 60° minimal und im Win-

_

ter bei niedrigen Sonnenständen (7°) maximal sein

ERSCHEINUNGSBILD

.

Das optische Erscheinungsbild des Isolierglases entsteht aus der

Durch verspiegelte und profilierte Längs- und Querlamellen von Mi-

Überlagerung von Transmission und Reflexion der verschiedenen Glä-

kro-Rasterelementen wird das energiereiche Südlicht fast vollständig

ser und Beschichtungen mit unterschiedlichen Brechungsindizes.

_ Abb. 23, 37, 38

geblockt. [3.6/11] Aktuell wird an gasochromen Isoliergläsern geforscht,

Die Ausbuchtungen und Einwölbungen der Gläser unter Klimalast

deren Transparenz durch die chemische Reaktion eines eingeleiteten

werden bei starken Reflexen an den Außenscheiben als deutliche Ver-

Gases mit den beschichteten Innenflächen gesteuert werden kann

zerrungen wahrgenommen. Eine im Vergleich zur Innenscheibe stei-

_ Abb. 40

fere Außenscheibe reduziert diesen Effekt. Mitunter kommt es im in-

. [3.6/12]

tensiven Schräglichteinfall der auf- oder untergehenden Sonne zu

80

_ AKUSTISCHE

EIGENSCHAFTEN

Prismeneffekten, die sich als lokale Zerlegung des Lichts in Spektral-

Der mehrschalige Aufbau von Isoliergläsern und die Eigenfrequenz des

farben zeigen und als Doppelscheibeneffekt dem charakteristischen

Masse-Feder-Masse-Systems verbessern für besondere Frequenzen

Erscheinungsbild von Isolierglas zugeordnet werden. [3.6/14]

81

3.6

FLACHGLAS ALS BAUSTOFF

ISOLIERGLÄSER

– – – – –

4

83

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

KONSTRUIEREN MIT GLAS KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Flächenförmig (2D)

Stabförmig (1D)

Plattenförmige Verwendung (raumbildend) Biegung

zweiachsig gespannte Platte

Knicken 2

einachsig gespannte Platte

Plattenstreifen

Scheibenförmige Verwendung (strukturbildend) Druck

Scheibe

Kippen

Stütze 3

Schub

Beulen Schwert zur Stabilisierung/Aussteifung

4

Biegung 1 Übersicht Tragelemente aus Flachglas 2 – 4 Die drei elementaren Stabilitätsfälle von stabwandartiger Träger

und scheibenförmigen Tragelementen aus Balken

Flachglas: das Knicken von druckbeanspruchten Wandscheiben und Stützen, das Kippen von Balken und Trägern und das Beulen von allseitig

4.1

gehaltenen Druckgliedern und Schubfeldern 1

_

bei Tragstrukturen unterscheiden. Platten- und scheibenförmige An-

_

wendungen können sich bei Flächentragwerken überlagern _ Abb. 1. Die plattenförmige oder raumbildende Verwendung von Glas ist

_

untrennbar mit der traditionellen Schutzfunktion der Gebäudehülle

_ _

4.1

KONSTRUIEREN MIT GL AS

verbunden. Quer zur Glasebene angreifende Wind- oder Schneelasten werden über die Biegesteifigkeit der Platte zu den Auflagerrändern

84

abgetragen. Auch wenn die Beschädigung von Tertiärtragwerken (VerFL ACHGL AS ALS HÜLL- UND KONSTRUKTIONSELEMENT

glasungen im Wand- oder Dachabschluss) folgenlos für die globale

Glas unterscheidet sich von allen anderen Konstruktionsmaterialien

Stabilität des Tragwerks ist, müssen insbesondere bei Überkopfver-

durch seine Sprödigkeit: Wenn Glasbauteile brechen, passiert dies im

glasungen, begehbaren und absturzsichernden Verglasungen Anfor-

Allgemeinen ohne Vorankündigung. Um überhaupt gläserne Bauele-

derungen an die RTF erfüllt werden. Bei scheiben- oder stabförmigen

mente verwenden zu können, ist neben ihrer Tragfähigkeit vor allem

Verwendungen werden die Scheiben in ihrer Ebene beansprucht. Auf-

die Fähigkeit gefragt, auch im gebrochenen Zustand Lasten abtragen

grund der im Vergleich zur plattenförmigen Verwendung größeren

zu können, die Resttragfähigkeit (RTF).

Tragfähigkeit sind Scheiben und Stäbe aus Glas strukturbildend, sie

Prinzipiell kann man zwischen einer plattenförmigen Anwendung in

ermöglichen den planmäßigen Transport von Systemlasten von der

der Gebäudehülle und einer scheiben- bzw. stabförmigen Anwendung

Lastangriffsfläche zum Boden. Nur wenige Bemessungs- oder Aus-

KONSTRUIEREN MIT GLAS 6

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

5

8

5 Beispiel einer plattenförmigen Verwendung: Punktgehaltene Vertikalverglasung, Sony Center Potsdamer Platz Berlin, Arch.: Murphy Jahn, 2000 6 Beispiel einer scheibenförmigen Verwendung als stützende Wandscheibe: Temple de l’Amour, Burgund, 2002, Arch.: D. J. Postel

7

7 Beispiel einer scheibenförmigen Verwendung

9

als Schubfeld: Hängende Verglasung ZeppelinCarré, Stuttgart, 1998, Arch.: Auer + Weber 8 Beispiel einer Glasstütze, Fußpunkt Stelenkonstruktion Platzgestaltung Göttingen, 2004, Arch.: M. Hägele 9 Beispiel eines versteifenden Glasschwerts als Teil eines Fassadenpfostens, Neues Museum Nürnberg, 2000, Arch.: V. Staab 10 Beispiel für eine stabförmige Verwendung als Glasbalken, Überdachung des Judenbades in Speyer, 1999, Planer: W. Spitzer

führungsnormen regeln diese neuen konstruktiven Anwendungsmög-

FÜGETECHNIK

lichkeiten. Zu den scheibenförmigen Bauteilen zählen Druckglieder,

Aufgrund der Sprödigkeit des Materials stellt das Fügen von Glasbau-

Schubfelder und wandartige Träger, zu den stabförmigen Tragele-

teilen die zentrale Herausforderung dar. Eine glasgerechte Verbin-

menten Stützen und Balken.

dungstechnik sollte auf einem „Bausatz“ verschiedener, beanspru-

Aufgrund der in der Regel hohen Schlankheit dieser Tragelemente

chungsgerechter Lösungen basieren, die anwendungsbezogen kombi-

neigt der Querschnitt dazu, unter Last seitlich auszuweichen, so dass

niert und modifiziert werden können.

Stabilitätskriterien die Tragfähigkeit begrenzen. Druckglieder neigen

In jedem Fall muss auf eine gleichmäßige Krafteinleitung zwischen

zum Knicken, Schubfelder zum Beulen, Balken zum Kippen oder Bie-

Glas- und Verbindungselementen durch geeignete Zwischenschichten

gedrillknicken _ Abb. 2 – 4.

geachtet werden. Ein Kontakt zwischen Glas und Glas oder Glas und

Der Transport von Systemlasten verlangt Ausfallbetrachtungen

Metall ist auszuschließen. Härte, Steifigkeit und Dauerstandverhalten

und Systemsicherheiten. Während der Bruch einzelner Schubfelder

der Zwischenschicht beeinflussen das Tragverhalten von Platte und

zur Aussteifung von Tragstrukturen (so genannte Sekundärtragwerke)

Scheibe entscheidend. Die Lasteinleitungsschicht sollte bei einer

nicht unmittelbar das Versagen der Gesamtstruktur nach sich zieht,

möglichst hohen Druckfestigkeit und einem guten Dauerstandverhal-

besteht bei Bruch von stützenden Glasbauteilen, die Teil des Primär-

ten ein geringeres E-Modul (Elastizitätsmodul) als Glas aufweisen.

tragwerks sind, durchaus die Gefahr des Einsturzes weiterer Teile des Bauwerks.

Platten- oder scheibenförmige Tragelemente können an Kanten, Ecken oder Flächen punktförmig, entlang ihrer Kanten linienförmig

85

4.1

10

KONSTRUIEREN MIT GLAS KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Kraftschluss

Reibverschluss

Klemmteller (punktförmig)

Stoffschluss

Formschluss

Kleben

Kontaktverbindung

Klemmschiene (linienförmig)

linienförmige Klotzung

punktförmige Klotzung

Lochbleibungsverbindung

geklebter Punkthalter

linienförmiges Kleben (SG)

11 Normalkraft

Biegung

scheibenförmige Verwendung

plattenförmige Verwendung

zweiseitig Punktförmige Lagerung geringe Ausnutzung des Querschnitts dreiseitig

Lastkonzentration

Linienförmige Lagerung vierseitig

vollständige Ausnutzung des Querschnitts

12

Eckklemmhalter

Bolzenverbindungen

11 12

Übersicht der Fügetechniken Qualitativer Vergleich der Spannungsverteilung von punkt- und linienförmiger Lagerung bei platten- und gemischte Stützung

scheibenförmiger Verwendung anhand von FEM-Modellen 13

Linienförmige und punktförmige Lagerung

4.1

13

oder durch gemischte Stützungsvarianten gelagert sein

. Die

Nach dem Mechanismus der Kraftübertragung differenziert man

Form der Lasteinleitung hat große Auswirkungen auf die Spannungs-

formschlüssige, kraftschlüssige und stoffschlüssige Systeme. Zu den

verteilung im spröden Glas. Punktförmige und ungleichmäßige Kraft-

im Glasbau verwendeten kraftschlüssigen Verbindungen zählen Reib-

einleitungen führen zu Lastkonzentrationen und einer geringen Aus-

schluss- und Kontaktverbindungen, zu den formschlüssigen Verbin-

nutzung des Glasquerschnitts. [4.1/1, 4.1/2] Bei Punkthalterungen unter-

dungen zählen Bolzen- und Lochleibungsverbindungen. Den stoff-

scheidet man neben Anzahl und Größe der Haltepunkte verschiedene

schlüssigen Klebeverbindungen wird aufgrund der vielfältigen Anwen-

Systeme, die sich in Bezug auf Lastabtrag und Verhalten bei Glasbruch

dungsmöglichkeiten im Folgenden ein besonderer Stellenwert einge-

unterscheiden. Während Tellerhalter und Kopfhalter, Senkhalter und

räumt _ Abb. 11.

_ Abb. 13

86

geklebte Punkthalter die Scheibenfläche stützen, greifen Randklemmhalter und Klemmteller an den Scheibenrändern und -ecken an. An

_

den Haltepunkten kann die Spannung bis zu dem Dreifachen der

Kleben ist das Fügen mit einem haftenden, nicht metallischen

Grundspannung betragen, so dass in der Regel thermisch vorge-

Prozesswerkstoff. Der Tragmechanismus einer Verklebung beruht auf

spannte Gläser verwendet werden müssen

der Tragkette von Fügeteil, Grenz- und Klebschicht

_ Abb. 12

. Die Punktlage-

KLEBETECHNIK

_ Abb. 16

, dabei

rung ermöglicht zwar eine gute Aufnahme von Toleranzen, führt aber

unterscheidet man Adhäsionskräfte im Grenzschichtbereich (Grenz-

auch zu einer aufwendigen technischen Gestaltung des Haltepunktes.

flächenhaftung) und Kohäsionskräfte in der Klebschicht (Festigkeit

Zeit- und kostenintensive Nachweisverfahren können erforderlich sein.

des Klebstoffes).

KONSTRUIEREN MIT GLAS Kraftschluss

Stoffschluss

18 Formschluss

14

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

17

Verbinden unterschiedlicher Werkstoffe

+

++

++

Berechenbarkeit der Verbindung, Abhängigkeit der Verbindungsstärke von der Temperatur, Kriechen unter statischer Last

++

0

+/0

Anwendungskriterium

thermischer Verzug

++

++

++

Arbeitsphysiologie z.B. Chemikalienemission

+

++

+/-

Abdichtung der Verbindung

-

0

++/+

Korrosionsanfälligkeit

0

0

+

Zeitbedarf zwischen Fügevorgang und gewünschter Verbindungsfestigkeit

++

++

+/0

Temperaturbeständigkeit der Verbindung

++

+/0

+

Lösbarkeit der Verbindung

++

+

0

Fügeteil 1 Grenzschicht 1 Klebschicht Grenzschicht 2 Fügeteil 2

16

19

17 – 19 Spannungsoptische Aufnahmen 14

Verklebte Glasbauteile im Möbelbau

17 Spannungsspitzen im Bereich der

15

Qualitativer Vergleich von form-, kraft-

18 Spannungsspitzen an Überlappungsenden

Bohrung bei Verschraubung unter Last und stoffschlüssigen Verbindungen

++ = sehr gut, + = geeignet, 0 = teilweise geeignet, - = ungeeignet

bei harten Verklebungen 19 Gleichmäßige Spannungsverteilung

16

bei dicken, elastischen Verklebungen

Tragkette Verklebung

4.1

15

Die Vorteile der Klebetechnik liegen vor allem darin, dass eine gezielte

vom Festigkeitsaufbau während der Aushärtung und von dem Festig-

Auswahl von Klebstoffen nach ihren mechanischen Eigenschaften ein

keitsabbau unter Gebrauchsbedingungen aufgrund von Umweltein-

universelles Anwendungsspektrum eröffnet. Abhängig von Fugenbreite

flüssen, Alterungs- und Schrumpfprozessen, Kriechen bei Dauerbe-

und Steifigkeit können Kräfte sehr gleichmäßig eingeleitet

lastungen und Ermüdungserscheinungen bei hoher Lastwechselrate

,

unterschiedliche Werkstoffe verbunden und Fügeteiltoleranzen und

nach der Aushärtung

Wärmeausdehnungen ausgeglichen werden. Die Klebfuge kann zusätz-

ben Aufschluss über die Alterungsprozesse unter dem Einfluss von

liche technische Funktionen wie die Fugenabdichtung übernehmen.

Temperatur, UV-Strahlung und Feuchtigkeit, so dass unter Berück-

Allerdings müssen im Vergleich zu kraft- und formschlüssigen Verbindungen zahlreiche Einflussfaktoren kontrolliert werden, die die Fes-

_ Abb. 21 – 23

. Verschiedene Testverfahren ge-

sichtigung von Abminderungsfaktoren die langfristige Dauerhaftigkeit von Klebstoffsystemen nachgewiesen werden kann. [4.1/3, 4.1/4]

tigkeit einer Klebeverbindung im Gebrauchszustand beeinflussen. So

Die Erfahrung im Fahrzeug-, Flugzeug- und Schiffsbau, wo Struk-

ist die Festigkeit nicht nur von den mechanischen Eigenschaften des

turklebstoffe seit längerem eine herausragende Rolle spielen, zeigt,

Klebstoffsystems und Art und Dauer der Beanspruchungen abhängig ,

dass bei der richtigen Auswahl des Klebstoffsystems und bei anforde-

sondern auch von der geometrischen Gestaltung der Klebefuge, der

rungsorientierter Planung und Ausführung Klebeverbindungen vorbe-

Ausführungsqualität, den Umwelteinflüssen wie UV-Strahlung, Feuch-

haltlos eingesetzt werden können. Neue Produktentwicklungen er-

tigkeit und Temperatur und der Oberflächenbehandlung der Fügeteile.

möglichen es, das große Potenzial der Klebetechnik vermehrt auch im

Die Festigkeit einer Klebeverbindung ist von vielen Einflüssen geprägt:

konstruktiven Glasbau für eine ganze Bandbreite neuer Anwendungs-

87

_ Abb. 17 – 19

KONSTRUIEREN MIT GLAS

Spannung

System und Beanspruchungen

Klebstoffart

zähelastische Klebschicht flexible, elastische Klebschicht

Materialien der Fügeteile

Fertigung

Dehnung ε 20

Konstruktionstoleranzen

Oberflächen der Fügeteile

Kleben

starre Verklebung

100 Klebfestigkeit [%]

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

harte, spröde Klebschicht

80

Instandsetzung und Wartung

Oberflächenvorbehandlung und -aktivierung

60 40 20

Atmosphärische Einwirkungen und Alterung der Klebung

0 0

Klebgeometrie, Schichtdicke der Klebung

0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 Klebschichtdicke [mm]

21

23 elastische Verklebung Silikone Klebfestigkeit [%]

100 80

Polyuretane

60 Epoxidharze

40 20

Acrylate

0 0

1

2

3

4

5

6

Festigkeit

Klebschichtdicke [mm] 22

Temp.Beständigkeit

Feuchte-/UVBeständigkeit

Fugendicke

Ausgleich von Verformungen

Transparenz

24

20

Spannungs-Dehnungsdiagramm für verschiedene Klebstoffsysteme

21

Abhängigkeit der Festigkeit von der Klebschichtdicke bei harten Verklebungen

23

Größen, die die Festigkeit von Klebeverbindungen beeinflussen

22

Abhängigkeit der Festigkeit von der 24

Qualitativer Vergleich verschiedener Klebstoffsysteme

4.1

Klebschichtdicke bei elastischen Verklebungen

möglichkeiten transparenter Kanten- und Flächenverklebungen zu

keinem schlagartigen Festigkeitsverlust. Wegen des ausgeprägten

nutzen

Kriechverhaltens beträgt die Kurzzeitfestigkeit von flexiblen Klebstof-

_ Abb. 24

.

Nach dem Elastizitäts- und Schubmodul werden flexible, zähelasti-

88

fen ein Vielfaches der Langzeitfestigkeit.

.

Epoxidharze und Acrylate zählen in der Regel zu den harten Kleb-

Silikone, MS-Polymere (Modified Silicones) und Polyurethane (PUR)

stoffen, sie weisen bei einer Klebstoffdicke von ca. 0,1 bis 0,5 Milli-

zählen zu den flexiblen Systemen. Flexible Klebstoffe weisen in der

meter nur eine geringe Bruchdehnung auf

Regel eine Festigkeit von über 1 N/mm² und eine Bruchdehnung von

maler Schichtstärke zwar hohe Festigkeiten besitzen, aber nicht tole-

über 150 Prozent auf und eignen sich daher für linienförmige Verkle-

ranz- und spannungsausgleichend sind, eignen sie sich vor allem für

bungen. Mit einer Fugendicke von circa 5 Millimeter sind elastische

punktförmiges Fügen. Zwängungsspannungen, die aus dem hohen

Klebstoffe spaltfüllend und spannungsausgleichend

sche und harte bzw. spröde Klebstoffsysteme unterschieden

_ Abb. 20

_ Abb. 21.

Da sie bei opti-

. Die

Temperaturausdehnungskoeffizient herrühren können, müssen be-

flexible Verbindung eignet sich gut für die Aufnahme dynamischer Be-

achtet werden. Harte Klebstoffe versagen durch Sprödbruch ohne

lastungen, dämpft die Schallübertragung zwischen den Bauteilen und

Vorankündigung.

_ Abb. 22

kann darüber hinaus auch abdichtende Funktionen übernehmen. Im

Eine Sonderrolle nimmt zurzeit das Fügen mit Zwischenlagen aus

Vergleich zu harten Klebstoffen existieren bessere Möglichkeiten zur

Sentry Glass Plus (SGP) von DuPont ein, das für das Laminieren von

Reparatur oder zur Demontage der Verbindung. Aufgrund des hohen

VSG mit hoher Verbundsteifigkeit entwickelt wurde. In letzter Zeit wur-

Weiterreißwiderstandes ist das Versagensbild gutmütig, es kommt zu

den erfolgreich auch Punkt- und Kantenbeschläge mit SGP im Auto-

Aufnahme geringer Kräfte

Aufnahme großer Kräfte

Prinzipielle Spannungsverteilung in Klebefuge

Klebfestigkeit [%]

Gebrauchsfestigkeit Scherkräfte

Montagefestigkeit Transportfestigkeit

Zugkräfte Zeit

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Zug-Scher-Festigkeit [N/mm2]

25 Druckkräfte

2,5 2 Schälkräfte

1,5 1 0,5 0 10

20

30

40

50

60

70

80

90

Spaltkräfte

Prüftemperatur [°C]

Zeitstandfestigkeit [N/mm2]

26

KONSTRUIEREN MIT GLAS

Beanspruchungsart Reservefestigkeit

29

2,5 2 1,5 1 0,5 0 0,01 0,1

1

10

10 2 103 10 4 105

statische Beanspruchungszeit [h]

Schubwechselspannung [N/mm2]

27

25 Qualitative Festigkeitszunahme

2,5

eines Klebstoffs nach Verarbeitung 2 1,5

26 – 28 Einflussfaktoren auf die Langzeitfestigkeit bei einem flexiblen PUR-Klebstoff

1

26 Einfluss Temperatur

0,5

27 Einfluss Lastdauer (statisch) – mit

0 0

1

10

10

2

10

3

10

4

10

5

Anzahl der Lastwechsel

10

6

7

10

zunehmender Lastdauer nähert sich die Kurve dem Grenzwert der Dauerstandfestigkeit an 28 Einfluss Lastwechsel (dynamisch)

29

Geometrien von Klebefugen und deren Belastungsarten

4.1

28

klaven und im Vakuumsack unter Druck und Temperatur mit der Glas-

nationaler und bisweilen auch auf regionaler Ebene unterschiedlich.

oberfläche stoffschlüssig verbunden. SGP stellt auch bei einer Schicht-

Im Folgenden soll ein allgemeiner und vereinfachter Überblick der

dicke zwischen 1,5 und 2 Millimeter eine relativ harte Verklebung dar,

baurechtlichen Situation in Europa gegeben werden.

so dass die verschiedenen Ausdehnungskoeffizienten von Glas und SGP beachtet werden müssen.

In der Regel wird zwischen Bauprodukten und Bauarten unterschieden. Zu den Produkten zählen die verschiedenen Basisglasprodukte und veredelten Flachglaserzeugnisse. Für geregelte Baupro-

_

BAURECHTLICHE SITUATION

dukte existieren entsprechende nationale oder europäische Produktnormen, die von den jeweiligen Ländern umgesetzt werden, wie die

Die Grundlage zur Planung und Genehmigung einer Glaskonstruktion

EN 572 für Float- und Walzglas, die EN 12150 für vorgespanntes Glas,

bildet die baurechtliche Situation des Landes, in dem die Konstruktion

die EN 1863 für teilvorgespanntes Glas oder die EN ISO 12543 für

zur Ausführung kommen soll, sowie die dort gültigen Produkt-, Aus-

Verbundsicherheitsglas. Hier sind jeweils die Herstellungsverfahren,

führungs- und Bemessungsnormen. Aufgrund der sicherheitsrele-

Maße, Toleranzen und Eigenschaften wie die mechanische Festigkeit

vanten Fragestellungen bei der Verwendung des spröden Baustoffs

aufgeführt. Die Übereinstimmung des Bauprodukts mit den Normen

geht die Normungsarbeit allerdings nur langsam voran und liegt ge-

muss durch eine Herstellererklärung oder ein Zertifikat einer aner-

genwärtig weit hinter den Möglichkeiten des Baustoffes zurück. [4.1/5]

kannten Prüfstelle nachgewiesen werden. Im europäischen Bereich

Zudem sind oftmals die Genehmigungsverfahren auf kontinentaler,

erfolgt die Kennzeichnung durch das CE-Zeichen. [4.1/6]

89

NACHWEISVERFAHREN

KONSTRUIEREN MIT GLAS KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Leitlinien für die europäische technische

Konstruktion

Zulassung

punktförmig gelagerte Vertikal- oder

abZ, ZiE

Zulassung (ETAG) Nr.

Teil

Titel

Überkopfverglasung, nicht nach TRPV 002

Geklebte Glaskonstruktionen

(Technische Regeln für die Verwendung

Structural sealant glazing Systems

von punktförmig gelagerten Verglasungen)

01

Gestützte und ungestützte Systeme Supported and unsupported Systems

02

Beschichtete Aluminium-Systeme

geklebte, lastabtragende Verglasung

ETA, abZ, ZiE

linienförmige Überkopfverglasung,

ZiE

SSG

Coated aluminium Systems 03

Systeme mit thermisch getrennten Profilen Systems incorporating profiles with a thermal barrier

>1,20 m

nicht nach TRLV (Technische Regeln für die Verwendung von linienförmig

04

Beschichtete Verglasung

gelagerten Verglasungen)

Opacified glazings

30 punkt- oder linienförmig gelagerte,

abZ, ZiE

begehbare Verglasung

absturzsichernde Verglasung, nicht

abZ, ZiE

nach TRAV (Technische Regel für die Verwendung von absturzsichernden Verglasungen)

30 31

Druckglieder

ZiE

Schubfelder

ZiE

wandartige Träger und Balken

ZiE

Leitlinien für europäische Zulassungen Übersicht der Zulassungsverfahren von nicht geregelten Bauarten (Beispiel Deutschland) abZ: allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, erteilt vom DIBt (Deutsches Institut für Bautechnik) ETA: Europäische Technische Zulassung, erteilt von der Europäischen Organisation für technische Zulassungen (EOTA) ZiE: Zulassung im Einzelfall, erteilt von der obersten Bauaufsicht des Bundeslandes

4.1

31

Unter Bauarten versteht man die Art und Weise, wie die Bauprodukte verwendet und gefügt werden. Auf europäischer Ebene existieren kei-

Berlin erteilt wird, oder einer Europäischen Technischen Zulassung

ne entsprechenden Ausführungsnormen für Glaskonstruktionen, eine

(ETA), die in Abstimmung mit der jeweiligen Länderbehörde von der

Norm für die Bemessung von Glasbauteilen ist jedoch in Vorbereitung.

Europäischen Organisation für technische Zulassungen (EOTA) erteilt

Auch auf nationaler Ebene bestehen nur wenige Normen, in Deutsch-

wird. Grundlage für die Beurteilung des Zulassungsantrags sind Zulas-

land gibt es lediglich Regeln für die Verwendung von hinterlüfteten

sungsleitlinien (ETAGs) oder speziell abgestimmte Beurteilungskrite-

Außenwandbekleidungen,

rien. Ein Beispiel für eine ETAG ist die Zulassungsleitlinie für Geklebte

linienförmig

gelagerten

Verglasungen

(TRLV) und absturzsichernden Verglasungen (TRAV). Eine technische

90

lichen Zulassung, die vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) in

Glaskonstruktionen (ETAG 002) _ Abb. 30. [4.1/10]

Regel für die Bemessung und Ausführung punktförmig gelagerter Ver-

Wenn Bauprodukt oder -art weder durch technische Regeln noch

glasungen (TRPV) liegt als Entwurfsfassung vor (August 2006). [4.1/7,

durch Zulassungen oder Prüfzeugnisse des Herstellers geregelt sind,

4.1/8, 4.1/9]

muss die Verwendbarkeit einer solchen Sonderkonstruktion für diesen

Da in den meisten Fällen die Verwendbarkeit eines Glasproduktes

speziellen Einzelfall nachgewiesen werden. Die Zuständigkeit für die

oder einer Glaskonstruktion nicht durch geltende technische Baube-

Durchführung und Kontrolle des Nachweises ist europaweit nicht ein-

stimmungen nachgewiesen werden kann, muss eine Zulassung des

heitlich geregelt. In Deutschland ist eine solche Zulassung im Einzelfall

Herstellers für das Produkt oder die Bauart vorliegen, etwa in Form

(ZiE) vom Bauherren bei der obersten Bauaufsicht des Bundeslandes

einer national gültigen Zulassung wie der allgemeinen bauaufsicht-

einzuholen. Neben Standsicherheits- und Gebrauchstauglichkeits-

Einwirkungen

anspruchsvolle plattenförmige Anwendungen

scheibenförmige Anwendungen

Widerstand

deterministisches Verfahren

probabilistisches Verfahren

Versagenswahrscheinlichkeit 32

33 Glasart

Verwendung

Charakteristische

Zulässige

Globaler

Biegefestigkeit

Spannung

Sicherheits-

[N/mm 2]

[N/mm2]

beiwert γ

ESG aus Spiegelglas

120

50

120/50 = 2,4

ESG aus Gussglas

90

37

90/37 = 2,4

Emailliertes ESG

70

30

70/30 = 2,4

aus Spiegelglas Spiegelglas

Gussglas

Überkopfvergl.

45

12

45/12 = 3,8

Vertikalvergl.

45

18

45/18 = 2,5

Überkopfvergl.

25

8

25/8 = 3,1

Vertikalvergl.

25

10

25/10 = 2,5

Überkopfvergl.

45

15 (25)*

45/15 = 3,0

Vertikalvergl.

45

22,5

45/22,5 = 2,0

TVG aus Spiegelglas

70

29

70/29 = 2,4

Emailliertes TVG

45

18

45/18 = 2,5

VSG aus Spiegelglas

KONSTRUIEREN MIT GLAS

einfache plattenförmige Anwendungen

Szenario

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Tragstruktur

aus Spiegelglas

*für untere Scheibe einer Überkopfverglasung aus Isolierglas bei Lastfall „Versagen der oberen Scheibe“ zulässig 34 32

Prinzipielles Vorgehen zur sicherheitstheoretischen Untersuchung; die Unterscheidung möglicher Schadensszenarien ist bei spröden Materialien sinnvoll.

33

Sinnvolle Anwendungsbereiche für das deterministische und das probabilistische Verfahren

34

Übersicht bemessungsrelevanter Größen beim Tragfähigkeitsnachweis des deterministischen Verfahrens nach der deutschen TRLV (die bauaufsichtliche

4.1

Einführung von TVG ist noch nicht abgeschlossen)

nachweisen sind gegebenenfalls auch Nachweise zur Stoßsicherheit

dard AS 1288 und der zurückgezogene Entwurf für die EN 13474 folgen

und zur RTF von einer sachkundigen und anerkannten Prüfstelle zu

verschiedenen deterministischen und probabilistischen Ansätzen. [4.1/13,

erbringen. [4.1/11, 4.1/12]

4.1/14 ]

Bei dem deterministischen Verfahren, wie es beispielsweise in der

Der Großteil tragender Glaskonstruktionen fällt heute immer noch

deutschen TRLV beschrieben ist, werden Streuungen auf Material- und

in diese Kategorie der Sonderkonstruktionen, so dass häufig aufwen-

Beanspruchungsseite durch einen globalen Sicherheitsfaktor erfasst,

dige rechnerische und versuchstechnische Nachweise zu erbringen

der nur bedingt auf Glas- und Verwendungsarten eingeht.

sind _ Abb. 31.

Zur Bestimmung der Versagenswahrscheinlichkeit nach dem probabilistischen Sicherheitskonzept, auf dem auch der Entwurf der EN

RECHNERISCHE NACHWEISE

13474 beruht, wird dagegen durch Teilsicherheitsbeiwerte in differen-

Die Dimensionierung von Glasbauteilen ist für die meisten konstruktiven

zierter Weise auf statistische Streuungen sowohl auf Materialseite

Anwendungen aufgrund fehlender Bemessungsnormen nicht oder nur

(Festigkeit) als auch auf Lastseite (Größe Wind, Schnee) eingegangen.

unzureichend geregelt. Unklarheiten bestehen bei der Ermittlung der

Auf der Materialseite können Einflussfaktoren wie Art und Dauer der

Spannungsverläufe, wie zum Beispiel wie mithilfe der Finite-Elemente-

Belastung, Größe und Zustand der Scheibe und Umgebungsbedin-

Methode (FEM) wirklichkeitsnahe Modellannahmen zu treffen sind, und

gungen wie Luftfeuchtigkeit berücksichtigt und anwendungsbezogene

vor allem bei deren Be- und Auswertung. Die technischen Richtlinien in

Besonderheiten wie die temperatur- und zeitabhängige Verbundwir-

Deutschland, der American Standard ASTM E 1300, der Australian Stan-

kung von Verbundsicherheitsglas und die unterschiedliche Verteilung

91

_

KONSTRUIEREN MIT GLAS

Konstruktion

Experimenteller Nachweis

Kriterium

Absturzsichernde

Pendelschlagversuch mit

Verglasung wird nicht

Verglasung

Verglasung mit weichem Stoßkörper

durchschlagen und löst

(Zwillingsreifen nach EN 12600)

sich nicht aus Halterung, kein Herabfallen gefährlicher Bruchstücke

Überkopfverglasung

Resttragfähigkeitsnachweis

Mindeststandzeit,

unter Stoßbelastung mit

z.B. 24 Stunden

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Zusatzbelastung 36 zu Reinigungszwecken

Fallversuch mit weichem Stoß-

Verglasung wird nicht

betretbare Überkopf-

körper (Glaskugelsack, 50 kg)

durchschlagen und löst

verglasung

und Fallversuch mit hartem

sich nicht aus Halterung,

Stoßkörper (Stahlkugel, 4 kg)

kein Herabfallen

bei Belastung mit Einzellast

gefährlicher Bruchstücke, Mindeststandzeit, z.B. 30 Min.

begehbare Verglasung

Fallversuch mit hartem Stoß-

Verglasung wird nicht

körper („Torpedo“, 40 kg) bei

durchschlagen, kein Herab-

Belastung mit Einzellast

fallen gefährlicher Bruchstücke, Mindeststandzeit z.B. 30 Min.

sonstige tragende

Belastungsversuche zur Kali-

Glasbauteile

brierung der rechnerischen

je nach Anwendungsfall, Resttragfähigkeit immer

z.B. Balken, Stützen

Nachweise

erforderlich

Glashalter, für die ein

Bestimmung der Tragfähigkeit

je nach Anwendungsfall

rechnerischer Nachweis

d. Halters bei Auszug u. unter

nicht möglich ist

Querlast, Bestimmung der Dauerhaftigkeit der Funktion des Halters (Salzsprühnebeltest), Untersuchung der verwendeten Zwischenmaterialien

35

35

37

Überblick über versuchstechnische Nachweise:

36

Pendelschlagversuch mit Zwillingsreifen

37

zum Nachweis der Absturzsicherung

Kugelfallversuch zum Nachweis der Stoßsicherheit einer Überkopfverglasung

4.1

Vorgaben für verschiedene Konstruktionen

von Vorspannkräften über die Scheibenfläche bewertet werden. [4.1/15,

für viele nicht geregelte Bauprodukte und Bauarten keine ausrei-

4.1/16, 4.1/17, 4.1/18, 4.1/19 ]

Mithilfe von Versagensszenarien können auch

chenden Erkenntnisse über Tragfähigkeit und RTF vorliegen und dy-

Grenzzustände für Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit formuliert

namische Einwirkungen zum Teil rechnerisch noch nicht erfasst wer-

werden

den können

.

_ Abb. 32

_ Abb. 35

. Zu den Nachweisen gehören Versuche zur

Während das deterministische Verfahren die Einflussgrößen auf

Stoßsicherheit, zur Tragfähigkeit und RTF. Zerstörende Nachweise

der sicheren Seite abschätzt und so auf Kosten einer Querschnittsop-

können wie beim Heißlagerungstest von vorgespannten Scheiben

timierung ein anwenderfreundliches und praxisnahes Vorgehen für

auch der Qualitätskontrolle dienen. [4.1/20]

einfache Plattenbemessungen ermöglicht, wird das aufwendigere und

Bei dem Nachweis der Stoßsicherheit beispielsweise von angriffs-

detailliertere probabilistische Verfahren dem Materialverhalten von

hemmenden oder absturzsichernden Verglasungen unterscheidet

Glas wesentlich gerechter und ist somit für Nachweise von speziellen

man zwischen einem weichen und einem harten Stoß. Die Sicherheit

plattenförmigen Anwendungen und vor allem von strukturbildenden,

gegen Aufprall eines weichen Körpers hoher Masse (weicher Stoß)

scheibenförmigen Anwendungen geeignet

wird bei absturzsichernden Verglasungen durch einen so genannten

_ Abb. 33

.

Pendelschlagversuch nach EN 12600 nachgewiesen. Ein Zwillingsrei-

92

_ VERSUCHSTECHNISCHE

NACHWEISE

fen schwingt dabei aus einer definierten Fallhöhe gegen die Vergla-

Versuchstechnische Nachweise sind in der Regel zerstörende Nach-

sung, so dass maximale Beanspruchungen für Halter und Glas verurs-

weise an Originalbauteilen. In vielen Fällen sind sie unvermeidbar, da

acht werden

_ Abb. 36

. Der dynamische Lastangriff eines weichen

KONSTRUIEREN MIT GLAS 39

38

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

38

40

Doppelringversuch zur Bestimmung der Bruchfestigkeit einer Gussglasscheibe

39

Vierpunktbiegeversuch bei einem Sandwich aus vorgespannten Gläsern

40

Belastungsversuch und Resttragfähigkeitsversuch bei einem Glasfaltwerk

41

Floatglasproben für versuchstechnische Nachweise und Qualitätssicherung

4.1

41

Stoßes lässt sich mittlerweile auch rechnerisch simulieren. Der Aufprall

Gefährdung durch herabfallende Glasbauteile oder -splitter besteht.

eines harten Gegenstandes relativ geringer Masse (harter Stoß) wird

Da ein Glasbruch nie völlig ausgeschlossen werden kann, wird auch

bei Überkopfverglasungen oder begehbaren Verglasungen beispiels-

bei der gezielten Zerstörung einer, mehrerer oder aller Scheiben der

weise nach der DIN 52338 durch einen Kugelfallversuch

Verglasung eine von Nutzung und Wartungsintervall abhängige Rest-

_ Abb. 37

oder den Bewurf mit einem genormten Stahltorpedo auf die ungünsti-

standzeit bis zum Kollaps gefordert _ Abb. 38 – 40.

gen Stellen des Prüfkörpers nachgewiesen. In der Regel gelten die zerstörenden Versuche als bestanden, wenn die Verglasung nicht von den Lagern rutscht, die Scheibe nicht durchschlagen wird und sich keine gefährdenden Bruchstücke herauslösen. Der Nachweis der Tragfähigkeit kann durch Belastungsversuche an Originalbauteilen mit vorgegebener Belastung erbracht werden. Belastungen bis zum Bruch geben Aufschluss über das tatsächliche Sicherheitsniveau der Konstruktion. Durch Versuchsreihen werden Durch RTF-Versuche wird nachgewiesen, dass die Konstruktion auch nach Bruch für eine gewisse Zeit standsicher ist und dass keine

93

auch rechnerische Verfahren zur Standsicherheit kalibriert. [4.1/21]

PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE

Einbaugeometrie

Verwendung

vertikal

Beispiel Raumformen

Fassade

w

80° – 90°

Vertikalverglasung

Absturzsicherung

H

g,s schräg

Überkopfverglasung

g,s w

horizontal

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Schräg- bzw.

w

15° – 80°

0° – 15°

g,s P

Horizontal- bzw. Überkopfverglasung

betretbare Überkopfverglasung

1 Übersicht der verschiedenen Verglasungsarten g,s p

an der Gebäudehülle begehbare Überkopfverglasung

2 Beanspruchungen und Einwirkungsdauer von Verglasungsarten

1 Sehr kurze Einwirkungsdauer harter Stoß

weicher Stoß

Vertikalverglasung

Wind

Mittlere Einwirkungsdauer Schnee

Holmlast

Personen

X

Vertikalverglasung mit Absturzsicherung

4.2

Kurze Einwirkungsdauer

X

Horizontal- und Schrägverglasung

evtl.

Begehbare Verglasung

X

evtl.

X

X

X

X

X

X

X

Ständige Einwirkungsdauer Klimalast

Eigengewicht

Höhenlage

evtl.

evtl.

evtl.

evtl.

evtl.

X

evtl.

evtl.

X

evtl.

2

_

sondere Gefährdung für Verkehrsflächen darstellen, werden diese zu

_

Überkopfverglasungen zusammengefasst, für die besondere Anforde-

_

rungen an die Resttragfähigkeit (RTF) gestellt werden. Auch Vertikalverglasungen, die der Absturzsicherung dienen, und betretbare, be-

_ _

4.2

gehbare oder befahrbare Horizontalverglasungen müssen besondere

PL AT TENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER

Sicherheitseigenschaften aufweisen und zusätzliche Anforderungen

GEBÄUDEHÜLLE

an Tragfähigkeit und RTF erfüllen. Plattenförmige Anwendungen sind in zahlreichen Veröffentlichungen wie dem „Glasbau Atlas“ detailliert

Nach der Einbaulage von plattenförmigen Glasbauteilen in der Gebäu-

beschrieben. Im Folgenden werden die Anforderungsprofile der Ver-

dehülle unterscheidet man Vertikal-, Schräg- und Horizontalvergla-

glasungsarten und die Lagerungsarten zusammengefasst. [4.2/1]

sungen. Vertikalverglasungen sind maximal 10 Grad aus der Vertikalen, Horizontalverglasungen maximal 15 Grad aus der Horizontalen gekippt _ Abb. 1.

94

Von der Einbaulage hängen Art und Dauer der Einwirkungen und damit auch das Gefährdungspotenzial der Verglasung ab _ Abb. 2. Da Schräg- und Horizontalverglasungen im Falle von Glasbruch eine be-

PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

3

5

6

5 Absturzsichernde Vertikalverglasung: Café in der Tate Modern mit Blick über die Themse, 2001, Arch.: Herzog & de Meuron 3 Punktgehaltene Vertikalverglasung mit Dorma-Spider

6 Rahmenlose Vertikalverglasungen aus ESG stellen ein Gefährdungspotenzial dar. Die herabfallenden, oft zusammenhängenden Glaskrümel können

4 Der Pendelschlagversuch bei einer

schwere Verletzungen verursachen.

absturzsichernden Verglasung

4.2

4

Vertikalverglasungen, die Personen auf angrenzenden Verkehrsflächen

_

VERTIKALVERGLASUNG UND ABSTURZSICHERNDE VERGLASUNG

vor einem Höhenunterschied und einem seitlichem Absturz bewahren,

Kurzfristige Winddruck- und Windsogkräfte wirken quer zur Scheibe-

werden als absturzsichernde Verglasungen bezeichnet

nebene. Das Eigengewicht, das in der Scheibenebene wirkt, muss über

raumhohe Verglasungen mit oder ohne Geländerholm oder einer Un-

Verklotzungen oder Bolzenverbindungen an die Unterkonstruktion ab-

terteilung durch einen Brüstungsriegel in vorgeschriebener Höhe soll-

gegeben werden. Das wesentliche Schutzziel bei Vertikalverglasungen

ten unterschiedliche Anforderungen gelten. Generell sollte für absturz-

besteht im Versagensfall darin, Verkehrsflächen vor herabfallenden

sichernde Verglasungen VSG aus grob brechenden Gläsern verwendet

Splittern zu schützen

werden.

_ Abb. 3, 6

. Bei allseitiger Lagerung dürfen auch

_ Abb. 5

. Für

grob brechende Glaserzeugnisse wie Spiegelglas (SPG), Gussglas oder

Kriterium der Absturzsicherung ist neben der Tragfähigkeit unter

Verbundglas (VG) verwendet werden, ansonsten müssen Sicherheits-

der linienförmigen Holmlast auch die Standsicherheit bei einem An-

gläser zur Anwendung kommen. Für Vertikalverglasungen, bei denen

prall einer Person und die RTF bei Glasbruch. Der rechnerische oder

mit länger anhaltenden veränderlichen Lasten zu rechnen ist (z. B.

experimentelle Nachweis der Stoßsicherheit durch einen Pendel-

Schneeanhäufungen bei Shed-Verglasungen) muss VSG verwendet

schlagversuch

werden. Linienförmig gelagerte Verglasungen stellen in der Regel – bei-

rungsbedingungen der Verglasung den Standards entsprechen, wie sie

spielsweise nach der deutschen Technischen Richtlinie für linienförmig

etwa in den deutschen Technischen Regeln für die Verwendung von

gelagerte Verglasungen (TRLV) – eine geregelte Bauart dar. [4.2/2]

absturzsichernden Verglasungen (TRAV) beschrieben sind. [4.2/3]

_ Abb. 4

kann entfallen, wenn Abmessung und Lage-

95

VERGL ASUNGSARTEN

PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

7

8

8 Nicht geregelte Überkopfverglasung aus gebogenem ESG, die Verkehrsfläche muss durch ein gespanntes Netz vor herabfallenden Bruchstücken geschützt werden, Verbindungsgang Neue Messe Leipzig 7 Für den Nachweis der Resttragfähigkeit einer großflächigen, punktgehaltenen Überkopfverglasung

9 Überkopfverglasung mit geklebten Scheibenrändern:

ist vor allem die Geometrie und Anordnung der Punkthalter

Eingang U-Bahnstation Buchanan Street, Glasgow, 2003,

entscheidend, Neue Messe Leipzig, 1996, Arch.: gmp

Ing.: Dewhurst McFarlane and Partners. Alle Glasbauteile sind als VSG mit entsprechender RTF ausgeführt.

96

4.2

9

_ ÜBERKOPFVERGLASUNG

_

BETRETBARE UND BEGEHBARE VERGLASUNGEN

Das Eigengewicht stellt bei Überkopfverglasungen eine dauerhafte

Überkopfverglasungen können für geschultes Personal zu Reinigungs-

Beanspruchung quer zur Plattenebene dar, daher müssen Einfachver-

oder Wartungszwecken betretbar sein. Dabei sind die Auflagen aus

glasungen und Innenscheiben von Isolierverglasungen aus VSG beste-

dem Bereich des Arbeitsschutzes und die Vorschriften der Berufsge-

hen. Neben VSG kann Drahtglas bis zu einer maximalen Stützweite

nossenschaften zu beachten. Wenn die unterhalb der Verglasung be-

von 70 Zentimetern und einem ausreichenden Glaseinstand verwen-

findliche Verkehrsfläche während der Reinigungs- oder Wartungsar-

det werden. VSG aus ESG darf wegen der schlechten RTF nicht ver-

beiten gesperrt wird, liegt in der Regel keine Gefahr für die öffentliche

wendet werden. Bei zweiseitiger Lagerung besteht im Gegensatz zu

Sicherheit vor. Über Fallversuche ist dann die bedingte Betretbarkeit

einer vierseitigen Lagerung auch bei VSG die Gefahr einer Knickbil-

und Durchsturzsicherheit nachzuweisen. [4.2/4, 4.2/5]

dung in der Scheibenmitte, daher schreibt die TRLV ab einer Spann-

Begehbare Verglasungen wie Treppenstufen, Podestplatten und

weite über 120 Zentimetern eine allseitige Lagerung vor, das Verhältnis

transparente oder beleuchtete Fußböden werden planmäßig durch

der Scheibenabmessungen darf maximal 3:1 betragen. Nicht geregelt

Personenverkehr belastet. Für die Ausführung begehbarer Vergla-

sind linienförmig gelagerte Verglasungen mit Bohrungen oder Aus-

sungen gibt es derzeit keine Normen. Einige Hersteller bieten aller-

schnitten, Verglasungen aus Gussglas oder gekrümmte oder geklebte

dings Systeme für punkt- und linienförmig gelagerte begehbare Ver-

Verglasungen _ Abb. 7 – 9.

glasungen an, z.B. SGG Lite-Floor _ Abb. 10 – 12. [4.2/6] Für die rechnerischen Nachweise ist die Tragfähigkeit unter gleichmäßig verteilter

PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

11

12

10 Anwendungsbeispiel SGG Lite-Floor, Privathaus Antwerpen, Belgien 11, 12 Belastungs- und Stoßversuche im Rahmen des Prüfverfahrens für eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung von SGG Lite-Floor

4.2

10

Verkehrslast (z. B. 5 kN/m²) und einer Einzellast an ungünstigster Stelle

zu verlegen. Die seitlichen Scheibenränder sollten für eine statisch be-

zu untersuchen. Die Stoßsicherheit wird experimentell über Fallversuche

stimmte Lagerung frei beweglich sein. Durch Distanzverklotzungen ist

mit einer Stahlkugel oder einem Stahltorpedo und die RTF über einen

ein Verschieben auszuschließen, die Scheiben sind eventuell gegen

anschließenden Reststandversuch nachgewiesen. Dabei muss der

Abheben zu sichern. Bei zweiseitiger Lagerung muss beispielsweise

Prüfkörper bei zerstörten Einzelscheiben eine nutzungsabhängige Rest-

durch Senkhalter gewährleistet sein, dass die Scheibenränder auch bei

standzeit (min. 30 Minuten, bis zu 48 Stunden) aufweisen. [4.2/7, 4.2/8]

Glasbruch nicht vom Auflager rutschen können _ Abb. 14.

tens drei Scheiben, wobei voll vorgespannte, teilvorgespannte und

REST TR AGFÄHIGKEIT VON PL AT TEN

nicht vorgespannte Gläser miteinander kombiniert werden dürfen. Die

Zur Bestimmung der RTF beschädigter Glasplatten werden Schadens-

oberste Scheibe besteht für eine bessere Schlagfestigkeit in der Regel

szenarien mit der Schädigung einer einzelnen, mehrerer oder aller

aus ESG und wird als Verschleißschicht bei den rechnerischen Nach-

Scheiben des Verbundes unterschieden.

weisen nicht berücksichtigt. Deren Rutschsicherheit muss nach den

Ist eine Scheibe gebrochen, hängt die RTF von der Biegefestigkeit

Nutzungsanforderungen durch Siebdruck, Strahlmattierung, Walzglas

der verbleibenden intakten Scheiben ab. Aufgrund der höheren Bean-

etc. gewährleistet werden.

spruchungen empfehlen sich hierfür vorgespannte Gläser. Gebro-

Eine allseitige Lagerung ist für die RTF von Vorteil _ Abb. 12, 13. Die Gläser sind plan auf ein ausreichend dickes und breites Elastomerlager

chene Scheiben in der Druckzone können sich über die Verbundfolie noch am Lastabtrag beteiligen. [4.2/9]

97

Begehbare Vergasungen bestehen in der Regel aus VSG mit mindes-

poss. Siebdruck

SilikonVersiegelung

≥ 5 mm

VSG-Aufbau von

[mm]

oben nach unten

Mindestdicke der PVB-Folie

[mm]

[mm]

700

8 TVG/15 ESG/8 TVG

1,52

1 400

8 TVG/19 ESG/8 TVG

2,28

Elastomerunterlage Shore-A-Härte 60 – 80 20 – 35 mm

Unterkonstruktion

13 ≥ 30 mm

poss. Siebdruck

VSG

Max.

Max.

VSG-Aufbau von

Mindestauflager-

Länge

Breite

oben nach unten

breite der Verglasung

[mm]

[mm]

[mm]

[mm]

1 500

400

8 TVG/10 SPG/10 SPG

30

1 500

750

10 TVG/12 SPG/12 SPG

30

1 250

1 250

10 TVG/10 TVG/10 TVG

35

1 500

1 250

10 TVG/12 TVG/12 TVG

35

VSG

Unterkonstruktion

65 – 100 mm

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Max. Stützweite

VSG

Distanzklotz

≥ 5 mm

PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE

≥ 8 mm

mindestens M 12

14 Resttragfähigkeit bei Zerstörung aller Scheiben

gering

mäßig

gut

sehr gut

VSG aus Floatglas VSG aus ESG

x x

VSG aus TVG

x

VSG aus ESG + TVG

x

Drahtglas

x

15 13

Schematischer Aufbau einer allseitig linienförmig gehaltenen, begehbaren Verglasung

Resttragfähigkeit bei Zerstörung aller Scheiben

gering

mäßig

gut

und beispielhafte Glasaufbauten

sehr gut 14

vierseitige Lagerung

x

Schematischer Aufbau einer zweiseitig linienförmig gehaltenen, begehbaren Verglasung und beispielhafte Glasaufbauten

zweiseitige Lagerung

x

Punktlagerung mit Tellerhalterung

x

Punktlagerung mit versenkten Haltern

x

15

Resttragfähigkeit für verschiedene Glasarten

16

Resttragfähigkeit für verschiedene

4.2

Lagerungsarten bei Verwendung von VSG 16

Sind alle Scheiben gebrochen, wird die RTF bestimmt durch Lage-

tremfall bei Senkhaltern zum Ausknöpfen des Halters führen können.

rungsart und Bruchbild. Prinzipiell weisen Platten aus grob bre-

Bei gelenkiger Lagerung können nach Scheibenbruch die Spannungen

chenden Glaserzeugnissen (Spiegelglas oder TVG) eine wesentlich

besser kontrolliert werden. Durch den Formschluss von Bolzen mit

bessere RTF auf als das in feine Krümel brechende ESG, da

dem Glaselement („Vernagelung“) ist die RTF insgesamt besser als

Glasschollen durch ihre gegenseitige Verzahnung einen Beitrag zum

die von zweiseitig gelagerten Platten zu bewerten _ Abb. 16.

Abtrag der Kräfte in der Zugzone leisten können. Ein VSG aus ESG weist sehr starke Verformungen auf, da die Zugkräfte allein über die

FÜGETECHNIKEN

Folie abgetragen werden müssen

_

_ Abb. 15

. Prinzipiell hat eine allsei-

Durch punktförmige Bolzenverbindungen wie Senk- und Tellerhalter

dreiseitig gelagerte, da sich nach dem Bruch Membrankräfte in der

kann die Verglasung von der Konstruktionsebene entkoppelt werden,

Platte entwickeln können, die das Plattenelement versteifen. Bei zwei-

dabei stellen sich zusätzliche Bedingungen für eine zwängungsfreie

und dreiseitig gelagerten Platten treten größere Verformungen auf; es

Lagerung in und quer zur Glasebene ein.

besteht die Gefahr, dass die Platte von den Auflagern rutscht.

98

FORMSCHLUSS: SENK- UND TELLERHALTER

tige linienförmig gelagerte Platte eine bessere RTF als eine zwei- oder

Zunächst muss für eine zwängungsfreie Montage die Aufnahme

Die RTF punktförmig gelagerter Platten hängt von der Art des Hal-

sämtlicher Toleranzen an den Verbindungselementen („Spider“-

ters ab. Je nach Steifigkeit des gebrochenen Glases und nach Ausbil-

Fitting o. Ä.) zwischen Unterkonstruktion und Glastafel sichergestellt

dung des Halters entstehen am Haltepunkt große Kräfte, die im Ex-

werden

_ Abb. 20, 21.

Bei einer Stahlskelettkonstruktion sollten die

gemischte Stützentypen

punktförmig

Tellerhalter (Kopfhalter)

Senkhalter

linienförmig

Rand- oder Eckklemmhalter

geklebte Punkthalter

Pressleisten

Structural Glazing

17 Vertikallager

± 2 mm

Festlager

Loslager

± 1,5 mm

± 1,5 mm

± 1,5 mm

± 1,5 mm

Gelenk im oder am Glas

± 5 mm

Tragarm

Unterkonstruktion ± 5 mm

± 2 mm

18

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

± 1 mm

20 Gelenk außerhalb des Glases

Ausgleichselement für die Aufnahme von Toleranzen und Temperaturdehnungen

Festlager

Vertikallager

PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE

Fügetechnik Platte

starrer nicht gelenkiger Glashalter

Loslager

19

21

22

17 Einteilung der Verglasungsarten

20

18, 19 Bohrlochgeometrien und Lagerscheiben

Aufnahme von Toleranzen am Tragarm (Horizontalschnitt durch Vertikalverglasung)

nach Lagerung und Fügetechnik 21

Aufnahme von Toleranzen t am Haltepunkt

22

Die gelenkige Halterung ermöglicht eine

(Ausgleichselemente) für Fest-, Vertikalund Loslager für zwängungsfreie Aufnahme

zwängungsfreie Lagerung quer zur Glasebene.

4.2

von Toleranzen und Temperaturdehnungen

Justiermöglichkeiten mindestens ± 10 Millimeter betragen. [4.2/10] Di-

70 Millimeter Durchmesser, die über einen Stahlbolzen an die Glaso-

ese Ausgleichselemente ermöglichen auch eine statisch bestimmte

berfläche gepresst werden

Lagerung in der Scheibenebene und gewährleisten eine Toleranz ge-

der Regel 12 bis 15 Millimeter. Die Windkräfte werden über die Rei-

genüber Temperaturdehnungen. Festlager werden als Passbohrung,

bungsfläche zwischen Glas und Halter aufgenommen, die Span-

Vertikal- oder Horizontallager als Langlöcher und Loslager als Boh-

nungen hängen von der Pressflächensteifigkeit der Zwischenschicht

rungen mit größerem Durchmesser ausgeführt

ab. Das Eigengewicht von Vertikalverglasungen wird dagegen über

. Der Glaseinstand beträgt in

Eine zwängungsfreie, statisch bestimmte Lagerung quer zur Plat-

Kontakt zwischen Bolzenschaft und zylindrischer Lochleibung abge-

tenebene wird durch gelenkige Halteranschlüsse erzielt. Je weiter das

tragen werden. Das Hülsenmaterial sollte so weich sein, dass es sich

Kugel- oder Elastomergelenk von der Plattenebene abrückt, desto grö-

den Toleranzen und Unebeneinheiten der Lochbohrung anpassen

ßer die Zwängungen aus der Exzentrizität des Gelenks und desto grö-

kann. Der Scheibenversatz einer VSG-Einheit von 2 Millimeter kann

ßer die Plattendicken. Starre Anschlüsse können zu sehr hohen loka-

bei vergrößerten Bohrungsdurchmessern auch durch das kraftschlüs-

len Spannungsspitzen führen

sige Verfüllen des Bohrlochs aufgenommen werden. Je größer Gla-

_ Abb. 22.

[4.2/11] Die Abdichtung der

Wetterhaut erfolgt durch die Nassversiegelung der Fugen mit dauerelastischen Silikonmassen. Diese Verklebung der Scheibenränder beeinflusst die RTF positiv. Ein Tellerhalter (Kopfhalter) besteht aus zwei Klemmtellern bis

seinstand und Tellerdurchmesser, desto größer die RTF. [4.2/12] Der Senkhalter besteht aus einem in der Glasfläche versenkten und flächenbündigen Haltekopf und einem Klemmteller auf der innen liegenden Glasoberfläche _ Abb. 23 – 26. Die Konusbohrung ermöglicht

99

.

_ Abb. 18, 19

_ Abb. 27, 28

PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Ø 50 Ø 25

Ø 48 Ø 38

Ø 19 Ø 15

23

27

30

24

28

31

25

29

27 – 29 Tellerhalter 28 Rodan-Tellerhalter 29 Tellerhalter stören den Regenabfluss bei Überkopfverglasungen. 23 – 26 Senkhalter 30, 31 Sonderhalter mit stark reduzierten Halteköpfen

23, 24 Prinzipieller Aufbau 25 Dorma-Tragarm (Spider) für Anschluss der Verglasung an Unterkonstruktion

4.2

26 Senkhalter Dorma Manet Construct

31 Fugenhalter Pauli und Sohn auf der glasstec 2004

26

die bessere Aufnahme von Toleranzen im Lochdurchmesser. Über

_

den in eine Manschette aus Kunststoff oder Aluminium eingefassten

Klemmhalter stützen punktförmig Scheibenrand (Randklemmhalter)

Senkkörper werden neben dem Eigengewicht auch Windsogkräfte ab-

oder -ecke (Eckklemmhalter). Einwirkungen quer zur Platte werden

getragen. Trotz des Formschlusses wird über den Senkhalter eine

durch Formschluss, Einwirkungen in Plattenebene (Eigengewicht bei

schlechtere RTF erzielt, da die Gefahr des Ausknöpfens wesentlich

Vertikalverglasung) durch Kontaktklotzung und Konsolen abgetragen.

größer als beim Tellerhalter ist. Das System ist für hängende Über-

Klemmhalter führen zu breiteren Fugen, weisen aber auch bessere

kopfverglasungen daher nur bedingt geeignet.

Möglichkeiten zur Toleranzaufnahme auf. Die Einstandtiefe sollte

KLEMMHALTER UND PRESSLEISTEN: KRAFTSCHLUSS

Eine Sonderform des Punkthalters ist der Hinterschnittanker (z.B.

mindestens 25 Millimeter und die glasüberdeckte Klemmfläche je Hal-

SGG Point XS), der das Glas nicht vollständig durchdringt und die

terung mindestens 10 Quadratzentimeter betragen. Je größer Klemm-

Außenfläche unberührt lässt

. Der Halter mit einem Durch-

fläche und Glaseinstand, desto besser die RTF. Die Abdichtung der

messer von 20 Millimeter wird in der Regel für vertikale Einfachvergla-

Scheibenränder wird durch die in der Fuge liegenden Verbindungsele-

sungen aus ESG verwendet und weist etwa die Hälfte der Tragfähigkeit

mente erschwert _ Abb. 32, 33.

_ Abb. 30

eines gängigen Punkthalters auf. Mit VSG aus TVG sind Überkopfver100

und entsprechend geringer Belastbarkeit 30 Hinterschnittanker SGG Point-XS für VSG

Bei einer

werden die Scheibenränder mit

glasungen möglich, deren RTF noch unter der von Senkhalter-Syste-

hinreichend steifen Trag- und Abdeckprofilen zwischen rechteckige

men liegt. [4.2/13, 4.2/14]

oder profilierte Dichtungsstreifen aus EPDM auf eine tragende Unterkonstruktion geklemmt. Bei Vertikal- und Schrägverglasungen muss

PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE

min. 25 mm

36

33

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

32

35

32 Prinzipskizze Klemmhalter 33 Innenansicht Überkopfverglasung mit außen liegenden Sogklemmhaltern an den Fugenkreuzen 34, 36 Pressleistenverglasung bei Schrägdach, der freie Abfluss des Regenwassers ist gestört. 35 Schnittmodell Pressleistenverglasung

4.2

34

das Eigengewicht durch ausreichend harte Verklotzungen in den Hori-

_ PUNKT-

zontalfugen aufgenommen werden, elastische Distanzklötze fixieren

Bei dem Structural-Sealant-Glazing (SSG), der linienförmigen Verkle-

die Scheibe im Rahmen. Der Falzraum muss wegen der Gefahr ein-

bung von Fassaden- und Dachelementen in der Regel mit Silikon,

dringender Feuchtigkeit entwässert werden.

dient der Klebstoff nicht nur der Abdichtung, sondern auch dem Ab-

tenverglasungen als Stahl- oder Aluminiumprofile an. Für eine zwän-

trag der Lasten in die Unterkonstruktion. In den USA wird das System seit 1963 angewandt.

gungsfreie Lagerung sollte die Durchbiegung von solchen Unterkon-

In Europa ist das SSG durch die Richtlinie für europäische tech-

struktionen auf 1/200 ihrer Stützweite oder auf maximal 15 Millimeter

nische Zulassungen für geklebte Glaskonstruktionen (ETAG 002) ge-

beschränkt werden. Im Überkopfbereich sind bei einer zweiseitigen

regelt. Die ETAG umfasst derzeit drei Regelungsbereiche, nach denen

Lagerung mit einer Spannweite über 1,20 Meter oder einem Seitenver-

europäische technische Zulassungen (ETZ) erteilt werden können (s.

hältnis über 3:1 besondere Untersuchungen zur RTF erforderlich. Bei

auch Kapitel 4.1, _ Abb. 30 ). Die Nutzungsdauer solcher Konstruktio-

vierseitiger Lagerung und einem Glaseinstand von 15 Millimeter kann

nen wird allgemein auf 25 Jahre beschränkt, wobei diese Leitlinie auf

im Regelfall weder die Scheibe bei Glasbruch vom Auflager rutschen,

Silikon als Kleb- und Dichtstoff abgestimmt ist.

noch wird im Gebrauchszustand die freie Verdrehung der gehaltenen Scheibenränder beeinträchtigt _ Abb. 34 – 36.

In Teil 1 der ETAG (gestützte und ungestützte Systeme) werden vier Konstruktionstypen nach der Art der Lastaufnahme unterschieden _ Abb. 40. Bei Typ 1 und 2 werden nur die nicht ständigen Wind-

101

Zahlreiche Hersteller bieten Pfosten-Riegelsysteme für Pressleis-

UND LINIENFÖRMIGE VERKLEBUNGEN: STOFFSCHLUSS

PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Typ |

Typ ||

Typ |||

Typ |V

37

38

40

Hersteller

Dow Corning

Produkt

2K-Silikon

Zugfestigkeit

zul. Zugspannung

Zugscherfestigkeit

zul. Schubspannung

[N/mm2]

(Kurzzeit)

[N/mm2]

(statisch) [N/mm2]

Reißdehnung

Einsatztemperatur

Farbe

0,95

0,14

k.A.

0,011

130%

-50 °C bis 100 °C

schwarz

0,95

0,14

0,8

0,0105

160%

-50 °C bis 100 °C

schwarz

ca. 8

anwendungs-

ca. 4,5

anwendungs-

ca. 400%

-40 °C bis 90 °C

schwarz

DC 993 Sika

2K-Silikon SG 500

Sika

1K-PUR Sika Tack-HM

bezogen

bezogen

39

40

Typen von SSG-Fassaden nach ETAG 002

41

Citroen Centre de Communication Paris, Prototyp

37

Beispiel einer SSG-Fassade Typ 2

38

Strukturelle Verklebung mit 2K-Silikon

39

Vergleich der Eigenschaften von zwei Structural-

Structural Sealant Glazing, 2005, Fassadenbau:

Glazing-Silikonen mit einem PUR-Klebstoffsystem

Gartner, Arch.: Manuelle Gautrand

Dachsonderverglasung mit verwundener Geometrie und integrierten Pyramidenelementen mit

4.2

41

lasten über die Verklebung abgetragen, bei Typ 3 und 4, die nur für

Die Fugenbreite beträgt zwischen 6 und 8 Millimetern, das Verhältnis

Einfachverglasungen zulässig sind, auch das ständig wirkende Eigen-

von Fugenhöhe zu Breite zwischen 1:1 und 3:1. Vorteilhaft ist eine

gewicht. Typ 1 und 3 weisen für den Fall, dass die Verklebung versagt,

Haftung an zwei parallelen Oberflächen. Die Mindestklebbreite ergibt

mechanische Sicherungssysteme auf.

sich aus den aufzunehmenden Lasten.

Da Silikone auch bei niedrigen Temperaturen dauerhaft elastisch

Im Vergleich zu Silikon können durch Verklebungen mit PUR hö-

sind und eine sehr gute Adhäsion auf Glas und gebräuchliche Rah-

here Festigkeiten erzielt werden. Das Sika-Tack Panel System, bei dem

menmaterialien aufweisen, eignen sie sich hervorragend für Structu-

ein hochmoduliger Scheibenklebstoff verwendet wird, um Fassaden-

ral-Glazing-Systeme. Überwiegend werden Zweikomponenten-Syste-

platten verschiedenen Materials auf einen Unterkonstruktion aus Alu-

me wie die Klebstoffe DC 993 von Dow Corning und Elastosil SG 500

miniumprofilen zu kleben, stellt nach der ETAG einen Typ 4 dar, bei

von Sika verwendet, die nach den Leitlinien der EOTA für SSG-Anwen-

dem auch das Eigengewicht ohne mechanische Sicherungssysteme

dungen getestet werden. Silikone sind dauerhaft witterungsbeständig,

über die Verklebung abgetragen wird. Die Klebefugen verlaufen verti-

temperaturbeständig von -50 °C bis 150 °C (spezielle Silikone sogar

kal über die gesamte Höhe des Paneels, zur Montagehilfe wird ein

bis 300 °C) und weisen eine gute chemische Beständigkeit auf. Auf-

doppelseitiges Klebeband verwendet.

102

grund der geringen Kohäsionskräfte beträgt die Zugfestigkeit 1 N/mm², die zulässige Spannung bei Kurzzeitlasten ist um Faktor 10 und bei Dauerlasten um Faktor 100 geringer _ Abb. 39. [4.2/15, 4.2/16, 4.2/17]

42, 43, 45:

Geklebter Punkthalter mit Delo-Photobond 4468, System der Hunsrücker Glasveredelung Wagener

44

Eigenschaften von spröden und zähelastischen Klebstoffsystemen im Vergleich (Herstellerangaben)

46

Belastungsversuch einer mit Acrylat verklebten Glaslamelle

43

46

Hersteller/

Produkt/

Zugfestigkeit

Scherfestigkeit

E-Modul

Einsatz-

Reißdehnung

Klebstoff-

Anwendung

[N/mm2]

Glas-Glas/

[N/mm2]

temperatur

[%]

Glas-Al [N/mm2]

system Huntsmann/

Araldite 2020

2K-Epoxidharz

nur Innenbereich

Delo/

Photobond GB 368

Acrylat-Klebstoff

(UV-härtend)

k.A.

26/k.A.

20

23/23

12

Farbe

(Dauer) [°C] - 2 500

bis 40

k.A.

farblos klar

900

-40 bis 120

17

farblos klar

22/24

250

-40 bis 120

200

farblos klar

12

10/12

80

-40 bis 120

280

farblos klar

6

6/4

-40 bis 120

300

gelblich klar

Möbelbau Photobond PB 4468

PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE

45

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

42

(lichthärtend) Punkthalter Photobond PB 493 Innenbereich/ Linienverklebungen Photobond PB 4496



Linienverklebungen

4.2

44

_

GEKLEBTE PUNKTHALTER

mige Mischverklebungen kommen zum Spannungsausgleich lichthär-

Bei geklebten Punkthaltern wird das Glas zwar nicht durch Bohrungen

tende Acrylate mit einer Reißdehnung bis 300 Prozent und Schichtdi-

geschwächt, oftmals sind aber zusätzliche Maßnahmen für das Abfan-

cken von bis zu 3 Millimetern zum Einsatz. Im Vergleich zu Silikonen

gen von Eigenlasten in der Scheibenebene und die RTF notwendig. Für

erzielen Acrylate etwa zehnfach höhere Festigkeiten, sind aber weni-

hängende Überkopfverglasungen sind die Systeme daher ungeeignet.

ger temperaturbeständig und feuchtestabil. Mit einem Festigkeitsver-

Als Klebstoffe kommen Acrylate oder 2K-Epoxydharze in Frage, eine

lust von etwa 30 Prozent bei 42-tägiger Wasserlagerung erreichen ei-

freie Bewitterung sollte vermieden werden. Das Tragverhalten ist ab-

nige Acrylate aber fast die Anforderungen der ETAG und sind somit

hängig von Klebschichtdicke und Punkthalterradius. Bemessungsrele-

auch für Außenanwendungen geeignet _ Abb. 44. Das Verspröden, die

vant sind die Spannungsspitzen am Halterrand. [4.2/18, 4.2/19]

Abnahme der Reißdehnung über die Zeit und das Vergilben des Kleb-

Die Firma

, führend bei der Modifikation von Acrylaten für die

stoffes können bei modernen Klebstoffsystemen kontrolliert werden.

Bauanwendung, bietet eine Reihe von lichthärtenden und UV-härtenden Einkomponenten (1K)-Acrylaten für feste bis zähelastische Glas-Glas- und Glas-Metall-Verklebungen an _ Abb. 42, 43, 45. [4.2/20]

dehnung und Aushärtezeit modifizieren. Für flächige oder linienför-

103

Acrylate ermöglichen hoch beanspruchbare Glas-Glas-Verklebungen und lassen sich in Bezug auf Schichtdicke, Viskosität, Bruch-

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

1

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

2

3

1 – 3 Skulptur „Big Blue“ von Ron Arad in Canada Square, Canary Wharf, London 1998, Ing.: Arup. Ein Diskus aus glasfaserverstärktem Kunststoff mit einem Durchmesser von ca. 14 m sitzt vollständig auf einem Ring aus gebogenen Scheiben auf. Das Eigengewicht von ca. 7 t und Wind- und Windsogkräfte werden vollständig von den gläsernen Wandscheiben aufgenommen. Zusätzlich dient die Verglasung als Oberlicht für die unter der Platzfläche gelegene Shopping Mall und als Absturzsicherung. Das Glas besteht auf 2 x 15 mm ESG-H, die Kräfte von ca. 30 kN pro Verbindung werden über einen Wagebalken in die Lochleibungsverbindungen der Scheiben eingeleitet. 4 Der „Glasbogen 1“ mit einer Spannweite von 10 m, 1998, W. Sobek und M. Kutterer, ILEK, Universität Stuttgart

4.3

4

_

tur „Big Blue“ von Ron Arad in Canary Wharf, London

_

Druckspreizen werden in über- und unterspannten Systemen und

_

Fachwerken verwendet

.

. Die besondere Tragfähigkeit von

druckbeanspruchten Scheiben wird aber vor allem von selbsttra-

_ _

_ Abb. 5, 6

_ Abb. 1 – 3

genden Bogen- und Schalenkonstruktionen aus Glas unter Beweis

4.3

gestellt _ Abb. 4.

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

Der Trag- und Versagensmechanismus von Druckgliedern hängt vor allem von deren Lagerungsart ab. Bei punktförmiger Lagerung

DRUCKBE ANSPRUCHTE SCHEIBEN

führen Spannungskonzentrationen und Querzugkräfte an der Lastein-

Bei einer Druckbeanspruchung von Scheibenelementen wirkt sich die

leitung zum Bruch, bevor ein Stabilitätsversagen auftreten kann. Die

Sprödigkeit des Materials kaum festigkeitsmindernd aus. Glasschei-

Querzugkräfte zwischen den Druckspannungslinien in der Scheiben-

ben können als Wandscheiben, Druckspreizen und Schalenelemente

fläche sind dagegen gering und für die Bemessung nicht ausschlagge-

verwendet werden. Beispielhafte Projekte, bei denen tragende Wand-

bend _ Abb. 15.

104

scheiben dem planmäßigen Abtrag von Decken- und Dachlasten dienen, sind die Sommerakademie in Rheinbach

Bei Scheiben mit linienförmiger Krafteinleitung sind dagegen oft

, der

Stabilitätskriterien maßgeblich. Scheiben, deren Ränder parallel zur

„Temple de l’Amour“ bei Noyers in Burgund _ Abb. 12 und die Skulp-

Lastrichtung nicht gehalten sind, können um die schwache Achse kni-

_ Abb. 53 – 56

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN 7

9 N

Last

ideelle Kipplast σLK

2

120 N/mm w0

t

Verformung 6

8

10

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

5

8 Last-Verformungsdiagramm einer druckbeanspruchten 7, 9 Knickversuche von VSG-Scheiben an der EPFL Lausanne von Andreas Luible: Die Stabenden sind

Glasscheibe: Bei Annäherung an die ideelle Knicklast nimmt die seitliche Auslenkung des Stabes stark zu.

im Versuchsstand an beiden Enden durch gelenkige 5, 6 Großformatig, fachwerkartig unterspannte Glasplatten mit

Lagerköpfe gehalten, so dass eine richtungstreue Last

10 Aus der Knickverformung entsteht eine

in die Stabachse eingeleitet wird; links: unbelastete

Biegebeanspruchung. Ein Überschreiten der effektiven

Überdachung Schloss Juval, 1998, Arch.: Robert Danz

Scheibe, rechts: belastete, verformte Scheibe.

Biegezugfestigkeit führt zum Versagen der Scheibe.

4.3

dem von Dorma hergestellten Rodan-Zugstabsystem,

cken. Das Knicken kündigt sich bei Laststeigerung durch die allmäh-

Druckkräfte können durch Kontaktverbindungen, Bolzen- und Reib-

liche Zunahme der seitlichen Auslenkung des Scheibenquerschnittes

schlussverbindungen übertragen werden.

an, bis es zu einem Initialbruch auf der Biegezugseite im mittleren _ Abb. 8

. Die Größe der kritischen Knicklast

SCHUBFELDER

hängt daher nicht von der Druck-, sondern von der Biegezugfestigkeit

Glas wurde als aussteifendes Element bereits in den Gewächshäusern

des Glases

und von zahlreichen weiteren Einflussfaktoren

des 19. Jahrhunderts verwendet. Im Kittbett verlegte Scheiben dienten

wie der geometrischen Schlankheit des Bauteils, der gelenkigen oder

neben der Aussteifung der Gesamtkonstruktion auch der Stabilisie-

steifen Lagerung der Scheibenränder, den Imperfektionen wie Vorver-

rung der knickgefährdeten Eisenrippen, so dass auf Diagonalverbände

formungen oder Streuungen der Glasdicke, der Exzentrizität der

und biegesteife Anschlüsse verzichtet werden konnte _ Abb. 11.

_ Abb. 10

Lasteinleitung und bei VSG zusätzlich auch von der Verbundwirkung ab. [4.3/1, 4.3/2]

Die Beschreibung John Claudius Loudons, des großen Pioniers des Glasbaus, von dem 1827 errichteten Gewächshaus von Bretton

Es muss auf eine kontrollierte Einleitung der Druckkräfte in die Glas-

legt hierfür ein beeindruckendes Zeugnis ab: „Es gab neben den

scheibe bei allen Belastungs- und Verformungssituationen geachtet

schmiedeisernen Verglasungsprofilen keine Binder oder Träger, um

werden. Insbesondere wenn Glasscheiben steife Dachkonstruktionen

das Dach zu versteifen. Das verursachte einigen Ärger, da zu dem Zeit-

stützen, müssen die Verformungen an den Haltepunkten durch gelen-

punkt, an dem die Eisenkonstruktion aufgestellt, aber noch nicht ver-

kige Lagerköpfe und Koppelungen ausgeglichen werden

glast worden war, der geringste Windhauch ausreichte, um die ganze

_ Abb. 55

.

105

Scheibendrittel kommt

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

11

12

Glasscheibe

=

Z

D

+

D

Z

D

=

D

11

Kibble Palace, Glasgow, um 1870: Im Kittbett verlegte Glasscheiben stabilisieren die Kuppelfläche.

12

„Temple de l‘Amour“ bei Noyers in Burgund:

13

Wandscheiben aus laminierten, vorgespannten Gläsern A

stützen die Dachkonstruktion und steifen gegen

B

C

Windkräfte aus. 13

Das statische System einer Glasscheibe stellt einen Gelenkzug mit sich kreuzenden Diagonalen dar.

D

D

Z

D

(D = Druck, Z = Zug) 14

Möglichkeiten zur schubfesten Einfassung einer Scheibe: A: ohne Rahmen mit Diagonalklotzung B: mit umlaufenden Rahmen und Diagonalklotzung C: mit umlaufenden Rahmen an den Kanten verklebt

4.3

14

Struktur von unten bis oben in Schwingung zu versetzen. Sobald aber

und damit zur optischen Reduzierung der Tragkonstruktion beitragen.

das Glas eingesetzt worden war, konnte man feststellen, dass diese

_ Abb. 17, 18, 20, 21.

vollkommen unbeweglich und stabil geworden war.“ [4.3/3]

Das Tragverhalten eines Schubfeldes kann in einer vereinfachten

Am Bau wird heute von der Schubsteifigkeit der Glasscheibe zur

Systemskizze als Gelenkzug entlang der Kanten mit sich kreuzenden

Aussteifung von Stahl- und Holzskelettkonstruktionen meist nur in

Druckdiagonalen dargestellt werden. Ist die Scheibe in ein Rahmen-

kleinmaßstäblichen Sonderkonstruktionen Gebrauch gemacht, wie bei

system aus Profilen eingebettet, übernehmen bei horizontaler Bean-

der Pavillonkonstruktion des „Temple de l‘Amour“

. Hier

_ Abb. 12

106

übernehmen die Wandscheiben zusätzlich zur Dachlast auch die Aus-

spruchung durch Windkräfte die Kantenbeschläge die Randzugkräfte _ Abb. 13, 14

.

steifung in Längs- und Querrichtung. Dass Glas als Schubfeld für die

Die Schubkräfte können über diagonale Klotzungen, Bolzen-

Aufnahme planmäßiger Kräfte geeignet ist, belegen neben jüngsten

oder Reibschlussverdingungen im Eckbereich oder durch eine lini-

Forschungsergebnissen auch die Erfahrungen aus dem Automobil-

enförmige Verklebung an den Scheibenrändern eingeleitet werden.

bau, wo die Festverglasung zur Versteifung der Karosserie eingesetzt

Eine Möglichkeit zur linienförmigen, formschlüssigen Übertragung

wird. [4.3/4, 4.3/5]

von Schubkräften ist die Verzahnung der Fügeteile durch eine wel-

Nach dem Stand der Technik könnten Schubfelder aus Glas in

lenförmige Profilierung oder Rändelung von Kantenbeschlag und

weit größerem Umfang innerhalb von Stabtragwerken wie Fachwerk-

Glaskante und das Ausfüllen des Zwischenraums durch Injektions-

systemen und Gitterschalen stabförmige Diagonalverbände ersetzen

mörtel.

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

F 0,7xF Verklotzung

Verklotzung

F

15

0,7xF

F

Verlauf der Druckspannungen Verlauf der Druckspannungen

F

2-3xd 16

19 Detail A 5

1 2 3

4 Detail B 15

Kraftfluss bei Diagonalklotzung: Zwischen

Detail C

17

der Kraftausbreitung in der Glasebene auch geringe Querzugkräfte auf. 16, 19

Detail A

Einleitung der Diagonaldruckkraft durch Aufteilung in zwei Kraftkomponenten (Diagonalklotzung) 2

oder durch Abflachung der Scheibenecke 17, 18, 20 Vorgespannte 1 m x 1,75 m große VSG-

4,5 cm

7

7

6 6,5 cm

Scheibe mit HOE-Elementen für Rückprojektion, Karman-Auditorium RWTH Aachen, Entwurf und Planung:

8

8

C. Kielhorn, A. von Lucadou

1

1 Obergurt Edelstahl U-Profil 65/45/6 2 Edelstahlseil 8 mm

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

den Hauptdruckspannungen treten aufgrund

3 VSG aus 2 x 8 mm TVG und HOE-Folie 4 Untergurt wie Pos. 1 5 Kopfplatte / 2 m 16 Hochleistungsanker 6 Elastomerlager als Montagehilfe 7 6 mm Einpressöffnung für HILTI HY 50 8 Bolzen M 8 in Kunststoffhülse 3 Bei Bruch wird die Resttragfähigkeit durch die Steifigkeit der Stahlgurte gewährleistet. Spannseile und Formschluss (Bolzen) verhindern das Herausgleiten der Scheibe.

4.3

18

Durch Kontaktklotzung kann bei Aussparung der Ecke ein Diagonal-

Um eine möglichst zwängungsfreie Lagerung zu erzielen, müssen alle

druck über zwei Kraftkomponenten in dem Glas aufgebaut werden.

statischen Einwirkungen wie Verformungen aus Temperatureinflüssen

Durch Abflachung der Ecke steht die Kraftrichtung senkrecht auf der

oder Schwind- und Quellprozessen erfasst werden. Eine nicht lineare

Kante, wodurch geringere Flächenspannungen und Querzugkräfte

Berechnung der maßgeblichen Hauptzugspannungen mithilfe eines

auftreten _ Abb. 15, 16, 19. [4.3/6]

FEM-Modells muss auch Art und Größe der Vorverformungen und Aufbau und Schubsteifigkeit des VSG-Verbundes berücksichtigen. Bei linienförmig verklebten Gläsern werden die Zwängungen durch

ren, bevor es aufgrund der Schubbeanspruchungen in der Mittelebe-

die Klebstofffuge aufgenommen. Ständige Beanspruchungen sollten

ne zum Beulen der Scheibe kommt. Diese Form des Stabilitätsversa-

wegen des Kriechverhaltens zähelastischer und elastischer Klebstoffe

gens tritt bei Schubfeldern auch bei Druckgliedern mit allseitig fixierten

vermieden werden. Flexible Klebstoffverbindungen versagen unter-

Kanten auf.

halb der ideellen Beullast.

Mit wachsender Belastung nimmt die vom Verhältnis der Kanten-

Druckscherfestigkeit und Geometrie der Klebefuge müssen für je-

längen abhängige Beulverformung stetig zu. Nach Überschreitung der

den einzelnen Anwendungsfall optimiert werden. Steife PUR-Systeme

ideellen Beulspannnung und des überkritischen Tragverhaltens kommt

haben sich beispielsweise bei Karosserieverglasungen gut bewährt.

es nach einem Initialbruch in den Eckbereichen zu einem explosionsartigen Glasbruch auf der Biegezugseite _ Abb. 34. [4.3/7]

107

Bei Punktlagerung kann eine lokale Überschreitung der effektiven Biegezugspannung im Bereich der Lasteinleitung zum Versagen füh-

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

22

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

20

21

Stahl-Glas-Verbundsystem: Glasschwerter zwischen den vertikalen Gurten stabilisieren den Fassadenpfosten, Neues Museum Nürnberg, 2000, Arch.: V. Staab, Ing.: Verroplan

22

Baukastensystem Ganzglaspavillon: Stützen, Träger und aussteifende Wand- und Dachscheiben aus Glas bilden die Tragstruktur. Entwurf und Planung: U. Knaack und W. Führer, Lehrstuhl für

4.3

Tragkonstruktionen RWTH Aachen, 1996 21

STÜT ZEN, GL ASSCHWERTER UND BIEGETR ÄGER

rung aus laminiertem Glas nicht erforderlich ist. In der Regel werden

_ STÜTZEN

die Schwerter hängend gelagert, Verformungen der Primärkonstruktion

Brunet & Saunier entwickelten für den Innenhof der Stadtverwaltung

werden am Fußpunkt ausgeglichen. Bei mehrgeschossigen Fassaden-

St. Germain-en-Laye erstmals eine Glasstütze, deren kreuzförmiger

konstruktionen können auch mehrteilige Glasschwerter verwendet

und knicksteifer Querschnitt sich aus mehreren schlanken Scheiben

werden, die über Reibschluss miteinander verbunden werden.

zusammensetzte (s. auch Kap. 4.1, Abb. 8). Einteilige, streifenförmige

Bei mehrgurtigen Pfosten oder Trägern können zwischen den Gur-

Glasstützen weisen aufgrund ihrer Schlankheit und der damit ver-

ten längliche Glasausfachungen eingesetzt werden. Die Ausfachungen

bundenen Knickgefahr dagegen nur eine begrenzte Tragfähigkeit auf

werden wie ein Schubfeld beansprucht, die Beulform ist von der

Ihr Tragverhalten entspricht dem von schlanken Druck glie-

Schlankheit der Felder abhängig. Bei dem Neuen Museum in Nürn-

_ Abb. 22.

dern [4.3.8] .

berg ist ein solches Stahl-Glas-Verbundsystem bei einem 16 Meter langen Fassadenpfosten umgesetzt worden _ Abb. 21. [4.3/9]

108

_ GLASSCHWERTER

Seit etwa 1950 werden vertikale Glasschwerter zur Stabilisierung von

_

Schaufensterverglasungen verwendet. Im Fassadenbereich wirken

Seit Ende der Achtzigerjahre kommen vermehrt auch gläserne Bieg-

Glasschwerter nur aussteifend und übernehmen Winddruck- und

träger für Dachkonstruktionen mit kleiner und mittlerer Spannweite

Windsoglasten, so dass bei geschosshohen Verglasungen eine Ausfüh-

zur Anwendung.

BIEGETRÄGER

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

M0 =

q x l2 8

7m A

M1 ~ 1 ⁄ 3 M 0

5m

2m

(0,7 l)

(0,3 l)

B

M2 ~ 1 ⁄ 6 M 0

4m

1,5 m

(0,58 l)

24

C

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

1,5 m

Druck M3 ~ 1 ⁄ 4 M0

Schub Zug

3,5 m

3,5 m Druck Schub

D

Zug 23 M 4 = 4 x M0

Vergleich verschiedener Auflagerbedingungen von Balkensystemen:

25

A Einfeldträger über 7 m, max. Feldmoment beträgt Mo = q*l²/8 B Ein Kragarm entlastet das Feld, Stütz- und Feldmoment betragen nur ca. 1/3 M0. C Ein zweiseitiger Kragarm reduziert Stützund Feldmoment auf ca. 1/6 M 0.

25

D Ein Zweifeldträger weist ein max. Stützmoment von 1/4 M0 auf. 3,5 m

Momentenbeanspruchungen werden durch Laschen und Bolzenpaare am oberen bzw. unteren

E Ein Kragträger über die gesamte Spannweite führt zu

3,5 m

Prinzipielle Kraftübertragung am Stoß eines Biegeträgers:

einem Einspannmoment, das vierfach größer ist als M 0.

Rand des Trägers aufgenommen, die Biegedruckbzw. Biegezugkräfte aufnehmen. Um zusätzlich Schubkräfte aufzunehmen, müssen die Laschen

E 24

Kippversuch eines schlanken Glasträgers

entweder miteinander verbunden werden, oder es

an der EPFL Lausanne

muss mind. ein weiterer Bolzen angeordnet werden.

4.3

23

Biegeträger aus Glas, die bei begehbaren Glasböden und Glasdächern

und Biegedrillknickens die Tragfähigkeit. Die geringe Torsionssteifig-

eingesetzt werden (s. Kap. 4.2), müssen im Vergleich zu Glasschwer-

keit begünstigt das seitliche Ausweichen bei gleichzeitiger Verdrehung

tern meist höhere Verkehrslasten und auch mittel- und langfristige

des schlanken Querschnittes

Lasten abtragen. Die Spannweite von einteiligen Trägern ist durch die

reicht, wenn die Biegezugspannungen auf der Glasoberfläche die ef-

Fertigungsgröße von Glas auf 6 bis 7,50 Meter beschränkt.

fektive Glaszugfestigkeit überschreiten. Für die Bemessung schlanker,

_ Abb. 24

. Der Kippwiderstand ist er-

Glasbalken werden um ihre starke Achse auf Biegung bean-

kippgefährdeter Glasträger müssen Abminderungsfaktoren berück-

sprucht. Die Biegebeanspruchung des Trägers ist von Spannweite und

sichtigt werden, die Schlankheit, Glasaufbau, Schubverbund der PVB-

Auflagerung des Trägers abhängig. Dem Biegemoment wirkt die Stei-

Folie, Art der Belastung, effektive Biegezugfestigkeit und vorhandene

figkeit des Querschnittes entgegen, die mit Breite und vor allem Trä-

Vorverformungen erfassen.

gerhöhe zunimmt. Durch die Momentenbeanspruchung entsteht in

Bei gedrungenen Trägern sind in der Regel die Spannungskon-

der Regel im Querschnitt eine lineare Spannungsverteilung von Biege-

zentrationen bei der Lasteinleitung und die Kantenfestigkeiten auf der

Durch Variation von Anzahl, Art und Lage der Auflager kann das System als Kragträger, Einfeldträger mit Kragarmen und Durchlaufträger variiert und das Momentenbild beeinflusst werden _ Abb. 23. Neben der Biegezugspannung begrenzt die Gefahr des Kippens

zugbeanspruchten Seite für die Bemessung ausschlaggebend. [4.3/11, 4.3/12, 4.3/13]

Eine einfache Möglichkeit der gelenkigen Auflagerung des Trägers stellt eine Gabellagerung dar, oftmals als Schuh aus Flachblechen ausgeführt. Die Querkräfte werden durch Kantenpressung abgetragen,

109

druck- und Biegezugkräften. [4.3/10 ]

406

360

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

40

60

25

27

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

26

26, 27 Prototyp eines zusammengesetzten StahlGlas-Verbundträgers: Die druck- und zugbelasteten Flanschen des Doppel-T-Querschnittes werden über Winkelprofile schubfest mit dem Glassteg verbunden. 28 Glaspavillon RWTH-Aachen: Stütze und Träger bilden statisch gesehen keinen Rahmen. Die Fußpunkte der Stützen sind eingespannt. Die gelenkig aufgesetzten Träger übertragen nur Normalkräfte auf die Stützenköpfe.

110

4.3

28

die Kipphalterung wird durch die elastische Einspannung der Balken-

durch Klebeverbindungen experimentiert. Je elastischer der Klebstoff,

enden erzielt und eventuell durch eine schuhförmige Verklebung un-

desto höher die Beanspruchung der Klebefuge, desto geringer aber

terstützt. [4.3/14]

die Beanspruchung des Glases. Am Lehrstuhl für Stahlbau an der

Rahmenecken und Trägerstöße sollten nach Möglichkeit in die

RWTH Aachen wurde von Frank Wellershoff ein Träger entwickelt, der

Nähe von Momenten-Nullpunkten gelegt werden, um die Beanspru-

einen doppel-T-förmigen Querschnitt aufweist _ Abb. 26, 27. Eine Glas-

chungen in der Verbindung gering zu halten. Da Reibschlussverbin-

scheibe bildet den Steg, Stahlbleche bilden die Flansche des Trägers.

dungen bei Glasbalken, die aus Gründen der RTF aus VSG ausgebildet

So übernimmt der Stahl die Druck- und Zugkräfte, das Glas in erster

werden müssen, kaum in Frage kommen, werden Momentenstöße in

Linie nur die Schubkräfte. Die Verbindung erfolgt über L-Profile aus

der Regel als Lochleibungsverbindungen ausgeführt (s. Abschnitt „Fü-

Stahl, die mit einem hochmoduligen PUR-Scheibenklebstoff an die

getechnik“).

Glasflächen geklebt und mit dem Blech verschraubt werden. An der

Je ein Bolzenpaar nimmt entlang der Glaskanten die Biegedruck-

TU Delft wird im Rahmen des ZAPPI-Forschungsprojekts mit diskon-

und Biegezugkräfte auf. Wenn die Verbindung auch Querkräfte auf-

tinuierlichen Glassegmenten experimentiert, die über flächige Kunst-

nehmen muss, muss in der Regel ein Bolzenpaar mit einem weiteren

stofffolien aus Polycarbonat und einen UV-aushärtenden Acrylatkleb-

Bolzen verbunden werden, um ein Verdrehen des Beschlages zu ver-

stoff flächig miteinander verbunden werden, um so auch die Resttrag-

hindern _ Abb. 25.

fähigkeit des Balkens zu verbessern _ Abb. 31, 32.

Zurzeit wird mit der Aufnahme von Momentenbeanspruchungen

Glasart

außen

innen

Float

TVG

Für die Bemessung ist die Tragfähigkeit der Floatgläser entscheidend, daher große

oder

Querschnitte; die Resttragfähigkeit bei intaktem TVG bzw. ESG ist gut.

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

Glasart

ESG TVG

ESG

Für die Bemessung ist die Tragfähigkeit der TVG-Außenscheiben entscheidend, die Resttragfähigkeit bei intaktem ESG ist gut.

ESG

TVG

Für die Bemessung ist die Tragfähigkeit der TVG-Innenscheibe(n) entscheidend; Stoßsicherheit und Resttragfähigkeit bei intaktem ESG ist gut.

ESG

ESG

31

Sehr gute Tragfähigkeit, im Versagensfall Bruch aller Scheiben; für Resttragfähigkeit weitere Maßnahmen wie Seilzug entlang Unterkante notwendig; gute Stoßsicherheit durch ESG

29

30

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

32

33

30, 33 Der Flachstahl entlang der Unterkante des Glasträgers übernimmt bei Glasbruch die Biegezugkräfte und stellt so die Resttragfähigkeit

Delft: Laminatträger mit versetzten Stößen

Trag- und Resttragfähigkeit von Glasträgern hängen von

Gästehaus der RWTH Aachen, 2002,

und eingeklebten Kunststofffolien aus

der Kombination der Glasarten im VSG-Verbund ab.

Arch.: Feinhals, Ing.: Führer Kosch Jürges

Polycarbonat sollen die Resttragfähigkeit verbessern.

4.3

29

31, 32 ZAPPI-Forschungsprojekt an der TU

sicher, Treppenhausüberdachung

REST TR AGFÄHIGKEIT VON SCHEIBEN

Bei Bruch einzelner Scheiben durch Zwängungen oder Stoßeinwir-

Die RTF von scheiben- und stabförmigen Bauteilen hängt von dem

kungen erhöhen sich schlagartig die Spannungen der intakten Schei-

Schadensszenario, dem Verbundglasaufbau und der Halterung ab.

ben. Um einen progressiven Bruch zu verhindern, muss der Tragwi-

Generell muss bei Bruch eines tragenden Glasbauteils sowohl die

derstand des beschädigten Tragelements mindestens so groß sein wie

Standsicherheit des betroffenen Bauteils als auch die der Gesamt-

zum Zeitpunkt des Bruchs. Damit sind Anordnung, Dimensionierung

konstruktion sichergestellt werden. [4.3/15]

und Qualität der Scheiben eines VSG-Verbundes von elementarer Bedeutung.

glasaufbaus gleichzeitig brechen können. Bei dem gleichzeitigen Bruch

Für eine erhöhte RTF sollte in dem Aufbau zumindest eine Schei-

aller Gläser eines VSG-Verbundes hängt die RTF allein von der Dicke

be aus einem grobbrechendem Glaserzeugnis ausgeführt werden. Da

und Reißfestigkeit der Folie ab. Es besteht die Gefahr, dass die PVB-

die Spannungen für Floatglas zu hoch sind, handelt es sich dabei

Folie an der zugbeanspruchten Kante aufreißt, das Glaselement in der

meist um TVG. Um den wünschenswert symmetrischen Glasaufbau

Mitte auseinanderbricht und das Element aus den Lagern rutscht.

zu erreichen werden oft Dreifach-VSG Scheiben ausgeführt, bei denen

Ein Stabilitätsversagen durch Kippen oder Beulen muss ausgeschlos-

die beiden äußeren Scheiben aus TVG bestehen und die innen liegen-

sen werden, da beim schlagartigen Bruch aller Scheiben im überkri-

de Scheibe aus ESG, welche die RTF bei Bruch der Außenscheiben

tischen Bereich das Bruchbild auch bei TVG-Scheiben sehr feinkörnig

gewährleistet _ Abb. 29, 37. [4.3/16]

ist und keine nennenswerte RTF besteht

_ Abb. 34, 36

.

Um zu verhindern, dass alle Scheiben eines Dreifach-VSG durch

111

Es sollte ausgeschlossen werden, dass alle Scheiben des Verbund-

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

oben

Initialbruch

Beulseite

unten

34

36

35

37

34, 36 Scheibenförmige Tragelemente weisen nach einem Stabilitätsversagen auch bei der Verwendung von VSG aus TVG ein so feinkrümliges Bruchbild auf, dass

35

Resttragfähigkeitsversuch an einem Glasträger aus

37

Ein Glasträger aus Dreifach-VSG bietet

TVG: Unter Last werden nach und nach die Scheiben

eine gute Resttragfähigkeit, wenn jede

ist; links: Schubfeld nach Beulversagen;

des Verbundträgers zerstört und Spannungen und

einzelne Scheibe so bemessen ist, dass sie

rechts: Druckglied nach Knickversagen.

Verformungen gemessen.

die planmäßige Last abtragen kann.

4.3

nahezu keine Resttragfähigkeit vorhanden

eine Stoßbeanspruchung zerstört werden, können die Kanten der in-

nungen im Auflagerbereich, stellt aber auch höhere Anforderungen an

nen liegenden, tragenden Scheibe zurückversetzt werden.

die Unterkonstruktion und die Parallelität der Glaskanten. Bei Glas-

Bei Balken ist mit Hinblick auf die RTF eine Verstärkung der Zugzone

ecken, wo sich Kantenstörungen häufen, ist mit der Klotzung ein Ab-

vorteilhaft, beispielsweise durch ein in der Nut eines dreischichtigen

stand von der zwei- bis dreifachen Glasdicke vorzusehen

VSG eingelegtes Stahlseil oder durch einen Flachstahl entlang der Un-

Unebenheiten in den Kontaktflächen sind unbedingt zu vermeiden

terkante des Trägers _ Abb. 30, 33.

ebenso wie ein Verdrehen und Verrutschen des Beschlags.

_ Abb. 16

.

Wie bei allen kraftschlüssigen Verbindungen kommt den SchichFÜGETECHNIKEN

ten zwischen Glas- und Halterungselementen eine übergeordnete Be-

_ KONTAKT VERBINDUNGEN

deutung zu. Für linienförmige Krafteinleitungen sind Materialien geeig-

Durch Kontaktverbindungen werden Druckkräfte über Kantenpressung

net, die aus Plattenware geschnitten oder gestanzt werden. Hierzu

in die Scheibenebene eingeleitet. Besonders bei Bogen- und Schalen-

zählen Elastomere mit Shore-Härten von mindestens D 80, hartelasti-

konstruktionen können so hohe planmäßige Lasten abgetragen wer-

sche Materialien für Hochdruck-Flachdichtungen aus dem Anlagen-

den, die die Biegezugfestigkeit von Glas bis um das Zehnfache über-

bau (wie Klingersil _ Abb. 38 ) und Bleche aus Reinaluminium.

112

treffen

. Punkt- oder linienförmige Klotzungen an den

Für punktförmige Klotzungen insbesondere von VSG sind Formteile

Scheibenrändern stellen über Lasteinleitungsschichten den Kraft-

aus hartelastischem Kunststoff wie Polyoximethylen (POM) und injizier-

schluss her. Eine Vergrößerung der Klotzlänge vermindert die Span-

bare Hybridmörtel zweckmäßig. Über die Zusammensetzung orga-

_ Abb. 40, 42

Standfestigkeit

Standarddicken [mm]

synthetische Fasern,

39 [16h/175 °C] (DIN 52913)

8% (Dickenabnahme bei

0,5/1/1,5/2/3

23 °C und 50 N/mm2)

gebunden mit NBR Klingersil C-4500

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

Druckstandfestigkeit [N/mm2]

Carbonfasern mit spez.

35 [16h/175 °C] (DIN 52913)

10% (Dickenabnahme bei

0,5/1/1,5/2/3

23 °C und 50 N/mm2)

hoch temperaturbeständigen Zusatzstoffen Hilti HIT

Hybridmörtel

10 [empfohlen]

max. 4

38

39

41

43

38 Technische Daten von Verklotzungsmaterialien 39, 41, 43 Kontaktklotzung mit Hilti HIT HY-50: 39 Beispiel Tetra-Glasbogen (s. Kapitel 7.3) 41 Verfüllen des Injektionsmörtels mit Hilfe

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

Klingersil C-4430

Material

einer Schablone 43 Nach Aushärten des Mörtels und Entfernen der Schablone sind die Ein- und Austrittsöffnungen zu sehen. 40 Kontaktverbindung Faltwerktonne, Lehrstuhl für Tragkonstruktionen RWTH Aachen, 1997 42 Kontaktverbindung: Auf einer Klotzungslänge von ca. 50 cm werden bis zu 7 kN übertragen. „Glasbogen 2“, ILEK Universität Stuttgart 42

4.3

40

nischer und anorganischer Bestandteile kann Druckfestigkeit und Elas-

dung. Es handelt sich um rein kraftschlüssige, in der Regel zweischnit-

tizität des Mörtels variiert werden. Insbesondere der Injektionsmörtel

tige Verbindungen: Zwei Laschen werden durch vorgespannte Bolzen-

Hilti HIT HY-50 hat sich im Glasbau bewährt. Die Schichtdicke des Ma-

verbindungen von beiden Seiten gegen eine mittig liegende Glasschei-

terials, das nach der Injektion aushärtet, beträgt bis zu 4 Millimeter.

be gepresst, so dass an den Kontaktflächen hohe Haftkräfte erzeugt

Fertigungstoleranzen wie beispielsweise der Kantenversatz bei VSG und

werden

Montagetoleranzen können so aufgenommen werden. [4.3/17]

Reibkräfte den Schubkräften zwischen den Werkteilen entgegen. Die

_ Abb. 44

. Bei Belastung in der Scheibenebene wirken die

Die Applikation des Mörtels in zähflüssiger Form erfordert eine

Höhe der aufnehmbaren Normal-, Schub- und Biegespannungen

besondere Gestaltung des Anschlusspunktes. Der kammerförmige

hängen bei einer Reibschlussverbindung direkt von dem Anpress-

Hohlraum zwischen Beschlag und Glaskante muss zu allen Seiten ab-

druck und den Reibbeiwerten der Oberflächen ab. Bei der Verwen-

gedichtet sein. Eintrittsöffnungen für die Mischdüse des Auspressge-

dung spezieller Reibschichten können sehr gleichmäßig hohe Kräfte in

räts von 6 und Austrittsöffnungen von 3 Millimeter Durchmesser müs-

die Glasfläche übertragen werden, Reibschlussverbindungen weisen

sen vorgesehen werden

in der Regel eine höhere Beanspruchbarkeit als Bolzenverbindungen

_ Abb. 39, 41, 43

.

auf. Charakteristisch für Reibschlussverbindungen sind BolzengrupREIBSCHLUSS- UND KLEMMVERBINDUNGEN

pen und Mehrbolzenverbindungen

_ Abb. 45 – 48

. Zur Aufnahme von

Reibschlussverbindungen haben sich im Stahlbau für die Aufnahme

Biegedruck- und Biegezugkräften bei mehrteiligen Balken ist die rei-

großer Kräfte bewährt, im Glasbau kommen sie seit 1960 zur Anwen-

henförmige Anordnung in Nähe der Kanten am effektivsten. Da Kräfte

113

_

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

Elastomerhülse

Reibschicht

Federring

Stahllasche

44

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

45

46

44–48 Reibschlussverbindungen: 44 Die Kräfte werden über Reibschichten in die Scheibenebene eingeleitet. 45 Außen liegender Trägerstoß Educatorium Utrecht – Bolzengruppen sind für das Erscheinungsbild von Reibverbindungen typisch. 46 Modell einer Reibschlussverbindung bei VSG: Im Bereich der Krafteinleitung muss die zähelastische Zwischenschicht durch druckfeste Einlagen ersetzt werden. 47 Zangenartige Ausführung einer Reibschlussverbindung, Sony Center Berlin 48 Aufgelöste Reibschlussverbindung mit mehreren Einzellaschen

4.3

47

48

nicht über Lochleibung abgetragen werden, können Toleranzen ein-

Regel ausgeschlossen, es sei denn im Bereich der Krafteinleitung wird

fach durch entsprechend größere Lochdurchmesser aufgenommen

diese Kunststoffschicht durch steifere Kunststoffschichten oder Alu-

werden. Im Gegensatz zu Lochleibungsverbindungen entstehen bei

minium-Zwischenschichten ersetzt, was allerdings technisch sehr auf-

Verwendung von sehr steifen Klemmplatten keine Verformungen im

wändig ist _ Abb. 46.

114

Lochbereich und damit auch keine Spannungsspitzen. Durch die geometrische Ausformung der Klemmlaschen können zudem die Span-

_

nungskonzentrationen im Randbereich kontrolliert werden _ Abb. 48.

Bei einer Lochleibungsverbindung überträgt ein scherfester Stahlstift

BOLZEN- UND LOCHLEIBUNGSVERBINDUNGEN

Die Kontaktflächen müssen feinmechanisch bearbeitet und plan

in einer Passbohrung durch Formschluss mit der Bohrwandung (Loch-

sein. Oberflächenondulierungen beim bearbeiteten Stahlwerkstück,

leibung) konzentrierte Kräfte in das Werkstück, die sich unter einem

vor allen im Bereich der Lochbohrungen, sind auszuschließen, da an-

Winkel von circa 120° in der Scheibenebene ausbreiten _ Abb. 49. Im

sonsten die sehr hohen Anpresskräfte, die bei Reibschlussverbin-

Holz- und Stahlbau als Verbindungsmittel bewährt, stellen Bolzenver-

dungen über die Glasoberfläche aufgebaut werden, zu Spannungs-

bindungen im Glasbau aufgrund des fehlenden Plastizierungsvermö-

spitzen im Glas und zum Bruch führen können.

gens von Glas eine besondere Herausforderung dar. Im Bohrloch tre-

Reibschlussverbindungen kommen in der Regel nur bei monoli-

ten Spannungsspitzen auf, die etwa dreimal so hoch sind wie in einem

thischen, vorgespannten Gläsern zur Anwendung. Bei VSG sind sie

Werkstück aus einem duktilen Werkstoff wie Stahl, die Verwendung

aufgrund des Kriechverhaltens von PVB, GH und auch von SGP in der

vorgespannter Gläser ist erforderlich

.

_ Abb. 51

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

Elastomer

Distanzring

Hülsenmaterial 51

52

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

49

49–52 Lochleibungsverbindungen: 49 Die Lasten werden über Kontakt zwischen Bolzen, geeigneten Zwischenschichten und Bohrlochleibung in die Glasebene eingeleitet. 50 Lochleibungsverbindung Sony Center Berlin 51 Spannungskonzentrationen im Bohrloch bei einer Lochleibungsverbindung 52 Lochleibungsverbindungen bei einem Kragträger, Haltestelle Anger in Erfurt

In den letzten Jahrzehnten haben umfangreiche Forschungen den

tigen Bohrung sollte so gering wie möglich sein, da ein Polieren der

Einfluss von Lochgeometrie, Kantenqualität, Eigenschaft des Hülsen-

Bohrlöcher unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht möglich ist.

materials und Art der Halterung auf das Tragverhalten von Bolzenver-

Ein gleichmäßiges Vorspannen wird gewährleistet, wenn der Loch-

bindungen untersucht.

durchmesser mindestens der Scheibendicke entspricht.

Die Bruchkraft ist abhängig von Anzahl und Durchmesser der Zy-

Vorgefertigte Hülsen werden seitlich auf die Lochleibung aufge-

linderbolzen, Kräfte von bis zu 30 kN und mehr lassen sich pro Bolzen

steckt und passen sich unter Beanspruchung den Oberflächen des

übertragen. Um Zwängungen zu vermeiden, sollte die Anzahl der Bol-

Werkstückes an. Steife Hülsenmaterialien wie Nylon oder Aluminium

zen zugunsten größerer Bolzendurchmesser reduziert werden. Ein-

weisen geringere Lastverteilungsflächen und damit auch geringere

schnittige Verbindungen, bei denen zwei übereinanderliegende Werk-

Bruchlasten wie Hülsen aus dem weicheren POM (Polyoximethylen)

stücke verbunden werden, sollten wegen der auftretenden Lastexzent-

auf. Steckhülsen sind einfach zu montieren, ermöglichen aber nur ei-

rizitäten vermieden werden.

ne geringe Toleranzaufnahme. Ungenauigkeiten in Durchmesser und

Für Bolzenverbindungen werden im Allgemeinen Zylinderboh-

Position der Bohrungen von ±2 Millimetern müssen bei vorgefertigten

rungen verwendet, die auf beiden Seiten des Bohrloches eine 45°-

Hülsen durch Langlöcher in den Verbindungselementen aufgenom-

Fase aufweisen (s. auch Kap. 3.3, Abb. 11 – 13). Die Qualität der Bohr-

men werden, oder es kommen präzise aufgebohrte POM-Scheiben

lochoberflächen ist für ein gutes Tragvermögen entscheidend, sie

oder Doppelexzenterringe aus Aluminium zur Anwendung.

sollten glatt und riefenfrei sein. Der Kantenversatz bei einer zweisei-

Für vorgespannte VSG-Scheiben, bei denen der Kantenversatz bis zu

115

4.3

50

4,3 cm

6

4,3 cm

10 6

960 mm ESG innen 1 000 mm TVG außen

Ø 2,3 cm Hülse außen

9 8 7 5

Ø

3 6,0 cm

12

12 2

2 19

11 13

TV

G

au

ße

n

14

8,5 cm 12,8 cm

0,5 cm

18 17

18 Klotzung Hiltl HIT min. 100 mm/ 17 Stahlplättchen z. Toleranzausgleich

0,4 cm

4

2,0 cm

4

5,

m 0c

Ø 2,6 cm ESG 19 mm

17

2,0 cm 1,5 cm

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

9 5 7

14

14

16

15

M 12 – 8,8 vorgespannt

M 12 – 8,8 vorgespannt

Stoffe t = 10 mm in HFA 180 eingeschweißt

53

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

54

53

55

Lochleibungsverbindung am Fußpunkt einer tragenden Wandscheibe beim Bausystem für die Sommerakademie Rheinbach und den „Glass Pavillon Düsseldorf“ 1

Bolzen M 20

2

Bolzen M 10

3

Aluminiumhülse

4

Exzenterringe Aluminium

5

Klingersil C-4500

6

Vergussmörtel Hilti HIT HY-50

7–9

56

VSG aus 10 mm TVG und 19 mm ESG 54

Hier wird die Dachscheibe vollständig von

10

Stahlschuh

11

Auflagerkonsole aus Stahl

tragenden Wandscheiben aus Glas gestützt.

12

Bolzen M 12 (8,8, vorgespannt)

Sommerakademie Rheinbach, 2000, Arch.:

13

Distanzplatte d = 20 mm

Marquardt und Hieber, Ing.: Ludwig und Weiler

14

2 Bolzen M 16

15

Stahlsteife

16

HEA 180

17

Stahlplättchen für Toleranzausgleich

18

Hilti HIT HY-50, im Bereich der Klotzung

55

Gelenkiger Verbindungsschuh zwischen Dach und Wandscheibe für zwängungsfreie Lagerung Exzenterringe für Anschluss der Wandscheiben

4.3

56

3 Millimeter betragen kann, werden Gießhülsen aus Epoxy, Polyester

System- und Dauerlasten durch sehr feste harte Klebeverbindungen,

oder PUR mit nachgewiesener Verträglichkeit zu PVB verwendet.

da insbesondere deren Kriechverhalten noch nicht ausreichend unter-

116

sucht ist. Zudem müssen bei Scherverbindungen und harten Verkle_ KLEBEVERBINDUNGEN

bungen die Spannungsspitzen an den Kleberändern beachtet werden.

Man unterscheidet Mischverklebungen, bei denen punkt- oder linienför-

Aber insbesondere für den stumpfen Stoß bei Glas-Glas-Kantenverkle-

mige Beschläge werkseitig auf die Glasoberfläche oder auf die Glas-

bungen (stirnseitige Verklebung) von gefalteten Elementen, wo durch

kante geklebt werden, und Ganzglasverklebungen, bei denen angren-

die Verklebung nur geringe Druck-, Zug- und Scherbeanspruchungen

zende Glasflächen oder -kanten direkt miteinander verbunden werden.

abgetragen werden, können Acrylate und Schmelzklebstoffe zur An-

Für Mischverklebungen, die für das Fügen von optimierten Verbund-

wendung kommen.

querschnitten eine wachsende Rolle spielen, kommen vor allem zähe-

Klebeverbindungen werden für die Übertragung von größeren

lastische Verklebungen mit speziellen Silikonen, PUR, Acrylaten oder

Kräften in die Scheibenebene generell als Scherverbindungen ausge-

Hochleistungsklebebändern wie VHB von 3M in Betracht. Auch für die

bildet. Durch Verblattung (Schwertverklebung) oder Flankenklebungen

Übertragung von geringen, dauerhaft wirkenden Schub-, Zug- oder Mo-

kann die Klebefläche und damit die Größe der aufzunehmenden Kräf-

mentenbeanspruchungen oder zur Aussteifung oder Stabilisierung von

te und die Elastizität des Klebstoffs vergrößert werden. Bei geringeren

Tragwerken sind flexible Klebeverbindungen gut geeignet _ Abb. 57, 59.

Beanspruchungen werden Einflanken-Verklebungen, bei höheren Ver-

Im Glasbau gibt es noch wenig Erfahrung mit der Übertragung von

klebungen Zweiflanken-Verklebungen ausgeführt, bei denen vier

B

C

D

E 59

60

57

Verkleben eines Aluminiumkantenbeschlags mit Silikon, Prof. B. Weller, Thomas Schadow, Universität Dresden

58

Der „Glass Cube“ auf der glasstec 2002,

KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK

57

SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN

A

J. Knippers, S. Peters, Universität Stuttgart 59

Linienförmige Verklebung mit 2K-Epoxidharz mit pneumatischer Mischpistole

60

Querschnittsgeometrien linienförmiger Verklebungen A Ein-Flanken-Verklebung (stirnseitige Verklebung) B Zwei-Flanken-Verklebung (L-förmige Verklebung) C Schwertverklebung D Parallele Zwei-Flanken-Verklebung E Drei-Flanken-Verklebung (U-förmige Verklebung)

4.3

58

Werkstückoberflächen miteinander verbunden werden

_ Abb. 60

.

Neue Untersuchungen zeigen, dass eine Dreiflankenhaftung nicht

kon aufgeklebte Rippen aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GfK) stabilisiert wurden _ Abb. 58.

grundsätzlich zu einem besseren Tragverhalten führt. [4.3/18 ] Kräfte quer zur Scheibenebene können durch aufgeklebte Beschläge über zugbeanspruchte Klebefugen in das Glas eingeleitet werden. Dabei sollen Schäl- und Spaltbeanspruchungen vermieden werden, wie sie durch das Abziehen von Fügepartnern von der Glasoberfläche oder durch das Aufklappen einer Klebefuge entstehen können, um ein Einreißen der Klebefuge aufgrund von Spannungsspitzen an den Kleberändern zu verhindern (s. auch Kap. 4.1, Abb. 29). Bei Verbundquerschnitten kann Glas wesentlich zur Versteifung der Konstruktion beitragen, wenn es in der Druckzone des Spannungsquerschnittes liegt. Als Beispiel sei der auf der glasstec 2002 der Universität Stuttgart präsentierte „Glass Cube“ genannt, bei dem die großformatigen Glasscheiben der Dachkonstruktion durch mit Sili-

117

von dem Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen

– – – – –

5

119

FUNKTIONSTECHNISCHE ANFORDERUNGEN

ÜBERBLICK

thermisch

FUNKTIONSTECHNISCHE ANFORDERUNGEN

Behaglichkeit

Makroklima

akustisch

visuell Tätigkeit/ Wärmeabgabe

1

thermische Behaglichkeit

Gebäudeausrüstung U-Wert g-Wert z-Wert

Geometrie/Orientierung

2

1 Thermische, akustische und visuelle Gesichtspunkte beeinflussen das Behaglichkeitsempfinden. 2 Faktoren für die thermische Behaglichkeit einer Glashalle 3 Das Glasdach schützt vor Witterung und versorgt den Innenraum gleichzeitig mit Tageslicht. 4 Schmutzrückstände auf einem flach geneigten Glasdach

5.1

3

4

_

nen. Je nach Nutzung können unterschiedliche funktionstechnische

_

Anforderungen für die thermische, visuelle und akustische Behaglich-

_

keit gelten _ Abb. 1. Die zentralen Bedürfnisse nach Schutz vor sommerlicher Überhitzung und winterlicher Auskühlung sowie vor Blend-

_ _

5.1 ÜBERBLICK

erscheinungen und akustischer Unbehaglichkeit durch Halleffekte müssen schon bei der Planung berücksichtigt werden. Dies gilt auch

„Dass diese Wohltat aber auch von Dauer sei, gewährt Dir nicht die Wand, nicht die Grundfläche und nichts von alledem, sondern allein vor allem, wie man sehen kann, die äußere Schale des Daches ...“ Leon Battista Alberti [5.1/1]

für die Reinigung der Dachflächen _ Abb. 4. [5.1/2, 5.1/3] Komfortansprüchen sollte mit Rücksicht auf unsere Umwelt mit angemessenen technischen Mitteln entsprochen werden. Das Bauen mit Glas ermöglicht dabei, die zentralen Schutzfunktionen mit der Gewinnung von Sonnenenergie zu verbinden und über das Jahr eine

Das Glasdach ermöglicht, große und tiefe Nutzflächen vor der Witterung zu schützen und gleichzeitig mit natürlichem Tageslicht zu ver120

sorgen. Die Glasarchitektur birgt allerdings auch Gefahren, die nur durch sorgfältige Planung und Rücksichtnahme auf die klimatischen Bedingungen und Bedürfnisse des Nutzers vermieden werden kön-

weitgehend ausgeglichene Energiebilanz zu erzielen. [5.1/4]

EN

AF

[%]

[lux]

[%]

gering

2

100

4

mäßig

4

200

8

hoch

10

500

20

sehr hoch

15

750

30

Tageslicht

Trüber Winternachmittag

3000

Bewölkter Wintertag

5000

Wolkenloser Wintertag

10000

Leichtbewölkter Sommertag

20000

Wolkenloser Sommertag

5

7

NennbeleuchtungsAnsprüche [lux]

Dämmerung

100000